Führer der Verwirrten der Zeit. Band 1: Mitarbeit:Lehnardt, Andreas;Herausgegeben:Lehnardt, Andreas 9783787321384, 9783787321391, 3787321381

Der hebräisch verfasste »Führer der Verwirrten der Zeit« Nachman Krochmals gilt als Hauptwerk der osteuropäisch-jüdische

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Führer der Verwirrten der Zeit. Band 1: Mitarbeit:Lehnardt, Andreas;Herausgegeben:Lehnardt, Andreas
 9783787321384, 9783787321391, 3787321381

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NAC H M A N K RO C H M A L

Führer der Verwirrten der Zeit

Übersetzt, mit einer Ein leitung und Registern herausgegeben von A ndreas Lehnardt

F E L I X M E I N E R V E R L AG H A M BU RG

PH I L OS OPH IS C H E BI BL IO T H E K BA N D 615

Bibl iographische Information der Deutschen Nationa lbibl iothek Die Deutsche Nationa lbibl iothek verzeichnet diese Publ ikation in der Deutschen Nationa lbibl iographie; detai ll ierte bibl iographische Daten sind im Internet abrufbar über ‹http://dnb.d-nb.de›. Band 1 (PhB 615 a): ISBN 978-3-7873-2138-4 Band 2 (PhB 615 b): ISBN 978-3-7873-2139-1 Gedruckt mit Mittel n der Rothschi ld Foundation Europe und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). www.meiner.de © Fel ix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2012. A lle Rechte vorbeha lten. Dies betriff t auch die Verviel fä ltigung und Über tragung einzel ner Textabschnitte durch a lle Verfahren wie Speicherung und Über tragung auf Papier, Transparente, Fil me, Bänder, Plat ten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrück l ich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck: Strauss GmbH, Mörlenbach. Bindung: Litges & Dopf, Heppenheim. Werkdruck papier: a lterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % ch lorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

I N H A LT

Ein leitung von Andreas Lehnardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Nachman K rochma l (1785–1840) VII | Biographische Quellen VIII Leben und Werk X | Die Familie XXI | Der K reis um K rochma l XXIV More nevukhe ha-zeman: Edition, Ausgaben, Text XXXI | Aufbau und Struktur – die Reihenfolge der Kapitel XXXV | Der Buchtitel X L Der Umgang mit den historiographischen Quellen X LII | Ausblick L Bibliographie LI | Hinweise zur Übersetzung L XXIV

NAC H M A N K RO C H M A L

Führer der Verwirrten der Zeit More nevukhe ha-zeman Vorwort des Herausgebers [ Leopold Zunz ] . . . . . . . . . . . . . . . .

5

Vorwort Rabbi Nachman K rochma ls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Pforte 1 Pforte 2 Pforte 3 Pforte 4 Pforte 5 Pforte 6 Pforte 7 Pforte 8 Pforte 9 Pforte 10

Die Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Pfade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verwirrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Mitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Absicht und der Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Geist und seine Manifestation . . . . . . . . . . . . . Die Völ ker und ihre Götter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Vol k der Ewigkeit und seine Zeiten . . . . . . . . . (Fortsetzung des Vorangegangenen) . . . . . . . . . . . „A lle Morgen neu“ (Fortsetzung des Vorangegangenen) . . . . . . . . . . . Pforte 11 Studium der Väter (Zusätzliche A nmerkung zur vorangegangenen Pforte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pforte 12 Rätsel der Vorzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 37 43 51 55 83 93 105 127 147 261 393

VI

Inhalt

Pforte 13 Der Ursprung der Kommentarüberlieferung und die Ha lakha in den Geboten der Münd lichen Tora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pforte 14 Die Aggada und die Schöpfer der Aggada . . . . . . . Pforte 15 Die Lehre der Abweich ler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pforte 16 Begriffsdefinitionen und Erwägungen über die Weisheit des Glaubens, der Philosophie der Logik entnommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pforte 17 Die Weisheit des A rmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

441 571 623

659 683

Register und Verzeichnisse 1. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verzeichnis der Apokryphen und Pseudepigraphen . . . . . 5. Verzeichnis christ licher Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verzeichnis paganer Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verzeichnis rabbinischer Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Verzeichnis jüdisch-hellenistischer Autoren . . . . . . . . . . . . 9. Verzeichnis mittela lterlicher und neuzeit licher Autoren

898 911 920 940 940 940 941 955 956

Corrigenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

960

E I N L E I T U NG

1. Nachman Krochmal (1785 – 1840)

Nachman K rochma l (A kronym: Ra Na’’Q ) gilt a ls einer der geistigen Väter der Wissenschaft des Judentums (Ḥokhmat Yisra’el) und Wegbereiter der jüdischen Aufk lärung (Haska la) in Osteuropa. Kein Geringerer a ls Gershom Scholem hat zwar in seinen berühmten, zuerst 1944 auf Hebräisch veröffentl ichten „Überlegungen über die Wissenschaft vom Judentum“ behauptet, dass das Werk K rochma ls „überhaupt keinen Einf luss“ auf „den weiteren Verlauf der Wissenschaft vom Judentum gehabt“ habe.1 Tatsäch lich hat der More nevukhe ha-zeman (= MNZ) jedoch eine Generation von jüdischen Forschern bewegt und motiviert, und sein Werk kann aufgrund seiner Verbreitung und Rezeption a ls ein K lassiker der modernen jüdischen Philosophiegeschichte gelten – ein K lassiker a llerdings, der zumindest im deutschsprachigen Raum lange relativ unbeachtet geblieben ist. Entscheidend war sicherlich, dass das Buch in einem schwierigen Hebräisch verfasst war, eine Übersetzung des Werkes nicht vorlag und es sogar in grund legenden Handbüchern wie der einf lussreichen, 1933 zunächst auf Deutsch erschienenen „ Phi losophie des Judentums“ von Ju lius Guttmann (1880 – 1950) oftma ls nur sehr knapp erwähnt wurde. 2 Es war vor a llem das Verdienst 1 Vg l .

G. Scholem, Judaica 6. Die Wissenschaft vom Judentum, hg., aus dem Hebräischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von P. Schäfer, Frankfurt a. M. 1997, 20 f. 2 Vg l. J. Guttmann, Die Phi losophie des Judentums, München 1933, 319. In der hebräischen und eng l ischen Übersetzung dieses Standardwerkes ist bemerkenswerterweise ein umfangreiches K apitel über K rochma l nachgetragen. Vg l. ders., Filosofia shel ha-yahadut. Transl ated by Y.  L . Baruch, Jerusa lem 1951, 289 – 308; ders., Phi losophies of Judaism. Translated by D. W. Si lverman, New York 1964, 321 – 344, Ndr. mit dem Titel Phi losophy of Judaism, 1988. Das deutsche, für die Publ ikation vorbereitete Manuskript dieses

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A ndreas Lehnardt

von Simon Rawidowicz (1897 – 1957), dem Herausgeber der gesammelten Schriften K rochma ls, ab Mitte der dreißiger Jahre immer wieder darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass K rochma l neben den Vertretern der Berliner Haska la – a llen voran Moses Mendelssohn – wegen seiner eigenständigen A ntwort auf die phi losophischen Herausforderungen seiner Zeit und aufgrund seines genuin jüdischen A nsatzes viel größere Beachtung verdient habe a ls ihm bis dato zutei l geworden war. 3 Die vorliegende Übersetzung möchte die A nsätze zur Ersch ließung und Übersetzung des K rochma lschen Werkes weiterführen und somit dazu beitragen, eine oft bemerkte Lücke in der Wahrnehmung der jüdischen Philosophiegeschichte zu sch ließen.4 2. Biographische Quellen

Über das Leben K rochma ls sind wir fast nur aus Berichten Dritter unterrichtet; viele Origina ldokumente und der Nachlass gelten a ls verloren. Eine erste kurze Beschreibung seines Lebens stammt von seinem engen Schüler und Freund Meir (Max) Letteris (1800  ? – 1871) und findet sich im Vorwort zur zweiten Auf lage des MNZ (Lemberg 1861). 5 Zusätz l iche Informationen entha lten ein Nachruf seines Wegbegleiters Sh lomo Y. Rapoport (1790 – 1867), A kronym Abschnitts ist im Personenarchiv der Nationa lbibl iothek Jerusa lem (Givat R am), ARC 4° 1280, erha lten. 3 Vg l. dazu B. R avid im Vorwort zu S. R awidowicz, Iyyunim Bemahashevet Yisrael II. Hebrew Studies in Jewish Thought, hg. v. B. C. I. R avid, Jerusalem 1971, 11 (hebr.). 4 Für die vorl iegende Übersetzung herangezogen wurden mehrere Tei lübersetzungen, vor a llem die von dem ga l izischen, späteren in Südafrika wirkenden Rabbiner J. L . Landau, Nachman K rochma l. Ein Hegelianer, Berlin 1904. Eine erste Monographie stammt von J. M. Harris, Nachman K rochma l. Guiding the Perplexed of the Modern Age, New York, London 1991 und geht auf eine 1985 an der Columbia University abgesch lossene Dissertation zurück (Microfi l m Edition, A nn A rbor 1988). 5 Vg l . zu ihm Y. K l ausner, Hisṭoria shel ha-sifrut ha-‛ivrit ha-ḥadasha II, Jerusa lem 21952, 369 – 400.

Einleitung

IX

Shi’’R,6 und der vielbeachtete Nekrolog von Leopold Zunz (1794 – 1886),7 dem Herausgeber des MNZ, der Ranaq a llerdings nie persön lich kennengelernt hat. Auf diesen Berichten beruhen a lle übrigen Darstellungen: die bemerkenswerte Würdigung von Sa lomon Schechter (1847 – 1915),8 eine psychologisierende Skizze von Ju lius Fürst (1805 – 1873)9 und die umfangreiche Ein leitung in die 1924 zum ersten Ma l erschienene Ausgabe der Gesammelten Schriften von Rawidowicz.10 A lle Lebensbi lder benutzen die typischen l iterarischen Formen und Sti l mittel maski l ischer Biographien und sind daher nicht frei von apologetischen und romantisierenden Tendenzen.11 Die veröffentlichten Briefe lassen jedoch erkennen, dass die posthumen biographischen Skizzen nicht a lles erwähnen, was für die Rekonstruktion der Biographie K rochma ls von Interesse ist.12 Auch die S. Y. Rapoport, Mikhtav 3, Kerem ḥemed 6 (1841), 41 – 49. Vgl. auch den Nachruf von M. Steinschneider, Rapoport, in: ders., Gesammelte Schriften I, hg. v. H. Ma lter u. a., Berlin 1925, 624 – 628; ferner I. Barzilay, The Scholarly Contribution of Sa lomon Judah Leib Rapoport, PAAJR 35 (1967), 1 – 41 sowie ders., Sh lomo Yehuda Rapoport and His Contemporaries, Jerusa lem 1969, 26.29. 7 Vg l. L . Zunz, Nekrolog N. K rochma l ’s, in: ders., G esammelte Schriften II, Berl in 1876, Ndr. Hi ldesheim, New York 1976, 150 – 159. Zum Beitrag von Zunz vgl. I. Schorsch, The Production of a Classic. Zunz as K rochma l ’s Editor, LBYB 43 (1986), 281 – 315. 8 S. Schechter, Nachman K rochma l and the „ Perplexities of the Time“, in: ders., Studies in Judaism. First Series, Phi ladelphia 1915, 46 – 56. 9 J. Fürst, Nachman K rochma l . E in L ebensbi ld, Der O rient. L iteraturblatt des Orients – Berichte, Studien und K ritiken für jüdische Geschichte und Literatur 6 (1849), 81 – 84, 103 f. 10 The Writings of Nachman K rochma l , E dited with I ntroduction by S. R awidowicz, 2. erw. Auf l., London 1961, 17 – 98 (hebr.). 11 Auf die Übereinstimmungen in L ebensbeschreibungen verg leichbarer Maski l im verweist Sh. Werses, Portrait of the Maski l as a Young Man, in: S. Fei ner / D. Sorkin (Hg.), New Perspectives in the Haska lah, London, Portland, Oregon 2001, 184 – 219, 182 f. Siehe dazu auch Sh. Werses, The Patterns of Autobiography in the Period of the Haska lah, Gi lyonot 17 (1945), 175 – 183; A. Mintz, Guenzburg, Li l ienblum and the Shape of Haska lah Autobiography, AJS Review 4 (1979), 71 – 110. 12 Vg l. dazu I. Schorsch, The P roduction of a Cl assic. Zunz as K rochma l ’s Editor, LBYB 43 (1986), 281 – 315. 6

A ndreas Lehnardt

X

genannten Berichte lassen Fragen zu seinem Leben offen. Nicht einma l das Bild K rochma ls, von dem noch Shmu’el Y. Agnon zu berichten wusste, kann a ls zuverlässig überliefert gelten.13

3. Leben und Werk

A m 17. Februar 1785 (7. Adar 5545) wurde Nachman (ha-Kohen) K rochma l a ls Sohn des vermögenden Händ lers Sha lom K rochma l nik14 in der mittelgroßen ost-ga l izischen Stadt Brody geboren. Nicht weit entfernt vom bedeutenderen Lemberg (Lwiw) gelegen, spielte das bis 1919 zum austro-ungarischen Kaiserreich gehörende Städtchen eine wichtige Rolle a ls Handelszentrum; um 1798 lag der A nteil der jüdischen Bevöl kerung bei 82 Prozent.15 Die politische und sozia le Lage der Juden in der Habsburger Monarchie unter Kaiser Joseph II. (1741 – 1790) war einerseits mit einer Ausweitung der jüdischen Autonomie und Selbstverwa ltung verbunVg l. Sh. Rosshansky, De hoykher niwwo fun ga lizianer yidishisten un Spraḥforsheres, in: N. Lindman / M. K aufmann (Hg.), Ga l itzianer Yidn yoyvl bukh: 1925 – 1965, fertsik yor eksitents funem ṣentra l farband fun Ga l itzianer yidn in A rgentinia, Buenos A ires 1966, 224 f. Nach R awidowicz, ebd., ist das Bi ldnis K rochma ls samt Nach lass zwischen 1914 – 16 verlorengegangen. Vg l. aber A . Holtz, Reb Nahman K rochma l in Jaffa: A Ha llucinationatory Vision in S. Y. Agnon’s Temol Shi lshom, in: W. Cutter / D. C. Jacobson (Hg.), History and Literature. New Readings of Jewish Texts in Honor of A rnold J. Band, BJS 334, Providence 2002, 137 – 145. 14 Zu dem Namen vg l. U. Weinreich, Modern E ng l ish–Yiddish. Yiddish– Eng l ish Dictionary, New York 1977, 415 („starch“). Während sich in frühen P ubl ikationen, in den Briefen, in einem Autographen und auf dem Grabstein die Schreibweise ‫ קדאכמל‬oder ‫ קראחמאל‬oder sogar ‫ קראחמעל‬fi ndet (vg l. K roch ma l, Writings, 426, 431 u. ö.; Kerem ḥemed 4 [ 1838 ], 274), wird der Name ‫ קרוכמאל‬geschrieben. R awidowicz, Mavo, 18 A nm. 3 übersetzt mit „K artoffel meh lverkäufer“. Vg l. N. Weiss, Die Herkunft jüdischer Fami l iennamen, Bern, Frankfurt a. M., New York, Paris, Wien 1992, 118. 15 Vg l. N. M. G elber, Toldot yehude Brody 5344-703, Jerusa lem 1955; R . Mahler, Hasidism and Jewish En l ightenment. Their Confrontation in Ga l icia and Poland in the First Ha l f of the Nineteenth Century, übersetzt von E. Orenstein, A. K lein and J. Mach lowitz-K lein, Phi ladelphia 1985, 32. 13

Einleitung

XI

den.16 A ndererseits wurde mit dem Toleranzpatent eine Germanisierung Ga liziens in die Wege geleitet, die etwa auch durch die Einrichtung von deutschen [ Norma l-] Schu len das Erlernen der deutschen Sprache zu fördern suchte.17 Dem Zwangsbesuch einer solchen Schu le wurde K rochma l zwar durch seine Eltern entzogen, sodass er eine traditionelle Ta l mudschu le besuchen konnte,18 wie schwierig aber die Bildungssituation in dieser Zeit gewesen sein muss, wird in einem zeitgenössischen Brief angedeutet: „Euch [ den Bewohnern Westeuropas ] ist es woh l leicht, den verschiedensten Studien zu obliegen, denn es gibt Lehrhäuser und Lehrer für jeden Zweig der Wissenschaften; wie anders sieht es noch heute [ sc. 1841 ] in den Ländern des Nordens aus, und wie muss es dort vor vierzig Jahren ausgesehen haben ! [ … ] Wer eine neue Bahn betreten wollte, hat sie auch selbst ebnen und frei machen müssen, wei l sich ihm nach jeder R ichtung hin Hindernisse entgegenstellten, die ihm von Freunden sowoh l a ls auch von Verwandten bereitet wurden.“19

A ngesichts solcher Bedingungen war K rochma ls wichtigster Lehrer zunächst sein Vater Sha lom.20 Die von ihm vermittelten Eindrücke von Begegnungen mit Moses Mendelssohn (1729 – 1786) Zur pol itischen und sozia len Lage vg l. I. Barta l, Geschichte der Juden im öst l ichen Europa 1772 – 1881, Göttingen 2010, 135 – 144. 17 Vg l. § 12 des Toleranzpatents; vg l. J. K arniel, Das Toleranzpatent K aiser Josephs II. für die Juden Ga l iziens und Lodomeriens, in: Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte 11 (1982), 77. Zu den Auswirkungen in Brody vg l. D. Sadowski, Haska la und Lebenswelt. Herz Homberg und die jüdischen deutschen Schu len in Ga l izien 1782 – 1806, Schriften des Simon-Dubnow-Instituts 12, Göttingen 2010, 111 – 117. 18 Vg l. dazu Zunz, Nekrolog, 150. 19 R apoport, Kerem ḥemed 6 (1841), 45. 20 Ob der Vater dabei tatsäch l ich aus der Fami l ie des Israel ben E l i‛ezer, genannt Baʽa l Shem Ṭov (ca. 1700 – 1760), des Begründers der chassidischen Bewegung, stammte, wie Abraham K rochma l im Vorwort zu seinem Ha-ketav we-ha-mikhtav, [ Berl in ] 1874, 7 überl iefert, lässt sich nicht belegen. Siehe dazu S. R awidowicz, Nachman K rochma l a l s Historiker, in: FS S. Dubnow zum 70. Geburtstag (2. Tishri 5691), hg. v. I. Elbogen u. a., Berl in 1930, 57 – 75, 72 mit A nm. 1. 16

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XII

und David Fried länder (1750 – 1843), die er auf Handelsreisen nach Berlin und Leipzig getroffen haben soll, dürften ihn geprägt haben. Das westliche Europa, insbesondere Deutsch land und Wien, bildeten für ga lizische Juden dieser Zeit den ku lturell-geistigen Horizont, und das Erlernen der deutschen Sprache ga lt a ls das Tor zur Bildung. Dies scheint auch der Grund dafür gewesen zu sein, warum der junge K rochma l trotz des verweigerten Besuchs einer staatlichen Schu le bereits im A lter von acht Jahren begonnen haben soll, Deutsch zu lernen.21 Die Kenntnis der „hei ligen ashkenazischen Sprache“ wird von ihm später sogar immer wieder a ls Voraussetzung für die Teilnahme am philosophischen Diskurs eingefordert.22 Brody war früh ein Zentrum der hebräischsprachigen Haska la in Osteuropa. Hier trafen sich Maskilim wie Israel ben Moshe haLewi Zamość (1700 – 1772),23 Dow Baer Ginzburg,24 Menaḥem Mendel (Satanow) Levin (Lefin) (1749 – 1829)25 und Yuda Leib ben Ze’ev (1764 – 1811), der Gründer des Ha-Me’assef, des Publikationsorgans der ga l izischen Haska la.26 K rochma l wuchs so in einem ku lturellen Umfeld auf, in dem ein neuer Geist schon vor seiner Zeit wahrnehmbar geworden war. Die von den deutschen „Me’assfim“ vorbereitete Erneuerung des Hebräischen a ls einer internationalen Sprache für Forschung und Literatur unter Juden wurde von den ga l izischen El iten weitergeführt. 27 Aufk lärung voll zog sich Vgl. dazu Schorsch, Production, 285 und Brief 13 auf 303 von Horowitz, der einen Irrtum im Nekrolog von Zunz korrigiert, indem er darauf hinweist, K rochma l habe nicht 1793, sondern erst 1803 begonnen, Deutsch zu lesen. 22 Vg l. dazu etwa den Brief an seinen Sohn Avraham in K rochma l, Writings, 452, Brief 17; dazu M. Sch lüter, „ Jewish Spiritua l ity in Poland“ – Zur Rezeption früherer Konstruktionen der rabbinischen Tradition in Nachman K rochma ls Darstellung der Entwick lung der Münd l ichen Tora, FJB 28 (2001), 103 – 119, hier 104 A nm. 5. 23 Vg l. G. K ressel, A rt. Zamosc, Israel ben Moses H a levi, EJ 1 (1971), 929. 24 Zu im vg l. R awidowicz, Mavo, 22 A nm. 1. 25 Vg l. A . Rubinstein, A rt. L evin (L efi n), Menachem Mendel, EJ 11 (1971), 197 f. 26 Vg l. M. Z . K addari, A rt. Ben Ze’ev, Judah L eib, EJ 4 (1971), 573 f. 27 Zur Bedeutung und Neubewertung des Hebräischen gegenüber dem 21

Einleitung

XIII

dabei gleichwoh l oftma ls zunächst a ls Übersetzungsarbeit: Neue Bücher, meist in Deutsch verfasst und gelegentlich säku laren Inha lts, wurden ins Hebräische übersetzt, um das in ihnen verbreitete Wissen einem traditionellen jüdischen Publikum zugänglich zu machen.28 Im A lter von 14 Jahren 29 wurde K rochma l, dem Brauch entsprechend, mit Sara Ha lberstadt aus Żółkiew, einer Tochter aus woh lhabendem Elternhaus, verheiratet. 30 Das Haus seines Schwiegervaters bot ihm die Gelegenheit, sich Jahre seines Lebens ganz dem Studium verschiedener Wissensgebiete zu widmen. 31 Zu dieser Zeit, a lso noch in recht jungen Jahren, eröff nete K rochma l die Bekanntschaft mit Shimshon Bloch (1784 – 1845) erstma ls den Zugang zu maski lischen K reisen. Neben anderen lernte er so Barukh Ṣevi Neu kennen, der über eine große Privatbibliothek verfügte, die ihm nicht-jüdische deutschsprachige Literatur zugäng l ich machte.32 A m A nfang von K rochma ls Selbststudium stand wie bei vielen Maskilim zweifellos die Lektüre des More Nevukhim (= MN) Jiddischen und anderen Sprachen vg l. A. Schatz, Vorgeschrieben und umgeschrieben: die „neue hei l ige Sprache“ der jüdischen Aufk lärer, in: M. Brenner (Hg.), Jüdische Sprachen in deutscher Umwelt. Hebräisch und Jiddisch von der Aufk lärung bis ins 20. Jahrhundert, München 2002, 19 – 27. Die meisten Vertreter der ga l izischen Haska la verfassten ihre Werke in Hebräisch. Siehe dazu auch J. Hol zer, The Jewish Él ite in Ga l icia, in: Pol in. Studies in Pol ish Jewry 12 (1999), 79 – 85, hier 81. 28 Vg l. P forte 12 des MNZ . 29 So mit Zunz und L etteris sowie auch R awidowicz, Mavo, 24. R apoport, Mikhtav 3, Kerem ḥemed 6 (1841), 44: „im 15. oder 16. Lebensjahr.“ Zum Ganzen Schorsch, Production, 285 und Brief 13, 303. 30 Zur frühen Heirat vg l. D. Bia le, Chi ldhood, Marriage and the Fami ly in the Eastern European Jewish En l ightenment, in: St. M. Cohen / P. E. Hyman (Hg.), The Jewish Fami ly. Myths and Rea l ity, New York, London 1986, 45 – 61. 31 Vg l. dazu L etteris im Vorwort der 2. Auf l. des MNZ , L emberg 1863, 14 f.; Schechter, Nachman K rochma l, 49. 32 Vg l. zu ihm K l ausner, Hisṭoria II, 350 – 368; G. E l koshi, A rt. Bloch, Samson, Ha-Levi, EJ 4 (1971), 111; Sh. Feiner, Haska lah and History. The Emergence of a Modern Jewish Historica l Consciousness, Oxford 2000, 74 f.

XIV

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von Moshe ben Maimon (1138 – 1204).33 Maimonides war Vorbild und „Held“ einer Generation von Maskilim gewesen, und für viele bl ieb der MN das phi losophische Studienbuch sch lechthin, auf das immer wieder Bezug genommen wurde. 34 Für K rochma l wurden zudem ba ld auch der Sefer Me’or ʽEnayim des ʽAzarya de’ Rossi (1514 – 1577 ?)35 und die Bibel kommentare und phi losophischen Schriften des Avraham ben Me’ir ibn Ezra (1092/3 – 1167) wichtig. 36 Nach und nach scheint K rochma l zudem von Christen verfasste Werke wie etwa die große Geschichte des Judentums von Henri Basnage gelesen zu haben. 37 Die in Pforte 12 des MNZ entha lteSiehe dazu S. Y. R apoport, Mikhtav 20, Kerem ḥemed 1 (1833), 76 f.; R awidowicz, Mavo, 28; dann auch Y. A mir, The Perplexity of our Time: R abbi Nachman K rochma l and Modern Jewish E xistence, Modern Judaism 23 (2003), 264 – 301; A. Lehnardt, Maimonides in der Geschichtsphi losophie R abbi Nachman K rochma l s, in: G. K. Hassel hof / O. Fraisse (Hg.), Moses Maimonides (1138 – 1204) – His Rel igious, Scientific, and Phi losophica l Wirkungsgeschichte in Different Cu ltura l Contexts, Beirut 2004, 427 –448. 34 Vg l . R awidowicz, Mavo, 27; Feiner, H aska l ah, 51 f. Zur M aimonidesRezeption vg l. noch F. L achower, Ha-R ambam we-ha-Haskala ha-‛ivrit bereshitah, in: ders., ‛Al gevul ha-yashan we-he-ḥadash, Jerusa lem 1951, 97 – 107; J. H. L ehman, Maimonides, Mendel ssohn, and the Me’asfi m. Phi losophy and the Biographica l Imagination in the Early Haska l ah, LBYB 20 (1975), 87 – 108; J. M. Harris, The Image of Maimonides in Nineteenth- Century Jewish Historiography, PAAJR 54 (1987), 117 – 139. 35 Vg l. dazu S. R awidowicz, Iyyunim II, 260 – 267. 36 Vg l. dazu R awidowicz, Mavo, 27. Zur Ibn Ezra- Rezeption und irrtüml ichen Zuschreibung einer Schrift Ibn L aṭifs an Ibn Ezra vg l. H. Greive, Studien zum jüdischen Neuplatonismus. Die Religionsphi losophie des Abraham In Ezra, SJ 7, Berl in, New York 1973, 20 – 22. Zur irrtüm l ichen Zuschreibung eines Kommentars zu den Sprüchen Sa lomos an Ibn Ezra vg l. bereits Zunz im Vorwort [ B/6 ]. Zum Ganzen vg l. auch J. M. Harris, Ibn Ezra in Modern Jewish Perspective, in: I. Twersky / ders. (Hg.), R abbi Abraham Ibn Ezra: Studies in the Writings of a Twel fth- Century Jewish Polymath, Cambridge, Mass., L ondon 1993, 143 – 145; R. Goetschel, Abraham Ibn Ezra dans le Guide des Égarés du Temps de Nahman K rochma l, in: P. J. Thomson (Hg.), Abraham Ibn Ezra, savant universel. Conférence données au colloque de l ’Institutum Iudaicum Namur, 25 novembre 1999, Brüssel 2000, 87 – 99. 37 Vg l. H. Basnage, L’histoire des Juifs depuis Jésus- Christ I – V, Rotterdam 1706 – 1707. Zu K rochma ls Französischkenntnissen vg l. Letteris, Zikkaron, 72. Zitate aus L’histoire de Juifs lassen sich im MNZ nicht nachweisen. 33

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XV

nen längl ichen Übersetzungspassagen aus den Büchern August Ferdinand Dähnes und August Neanders38 zeugen auch im MNZ davon, wie wichtig ihm die hebräisch-sprachige Vermittlung historischer Erkenntnisse gewesen sein muss. Letteris berichtet über diese Zeit, dass K rochma l bereits in Żółkiew Bücher von Spinoza, Garve, Lessing, Kant sowie Sa lomon Maimon, Fichte, Schelling und Hegel zu studieren begann, sich a lso bereits hier grund legende philosophische Kenntnisse erarbeitete, die ihn später befähigten, sein eigenes Werk zu verfassen. 39 Die Zeiten, in denen K rochma l seine privaten Studien aufnahm, waren die großer politischer und sozia ler Veränderungen. Trotz a ller Umbrüche, beispiel haft genannt seien die Französische Revolution und die Napoleonischen K riege, gelang es K rochma l, seine autodidaktischen Studien weiterzuführen und seine Kenntnisse zu erweitern.40 Erst a ls er sich im A lter von vierundzwanzig Jahren (1808) zum ersten Ma l zu Ä rzten nach Lemberg begeben musste, kam diese Phase seines Lebens zu einem gewissen Absch luss.41 Auch am neuen Aufentha ltsort lernte er ba ld Gleichgesinnte kennen, darunter den Satiriker Yiṣḥaq Erter (1791 – 1851)42, den Hebraisten Yaʽaqov Bodek (1819 – 1855)43 und vor a llem Sh. Y. Rapoport, seinen später woh l bedeutendsten Schü ler und Wegbegleiter.44 A. F. Dähne, Geschicht l iche Darstellung der jüdisch-a lexandrinischen Rel igions-Phi losophie, Ha lle 1834; A. Neander, Genetische Entwick lung der vornehmsten gnostischen Systeme, Berl in 1818. Vg l. die hebräischen Zusammenfassungen einiger sich mit Gnosis und Phi lo von A lexandrien befassender Abschnitte in Pforte 12 (K rochma l, Writings, 176 – 188). Vg l. dazu auch R. Goetschel, Philon et le Judaïsme hellénistique au miroir de Nachman K rochma l, in: A. Caquot et a l. (Hg.), Hellenica et Judaica. Hommage à V. Nikiprowetzky, Leuven, Paris 1986, 371 – 383. 39 Vg l. L etteris, Zikkaron, 44 f. 40 Vg l. dazu R awidowicz, in: K rochma l, Writings, 29. 41 Zur K rankheit vg l. Zunz, Nekrolog, 152. 42 Vg l . K l ausner, Hisṭoria II, 321 – 349; S. Werses, A rt. E rter, I saac, EJ 6 (1971), 847 f.; Feiner, Haska lah, 72 f. 43 Vg l. G. K ressel, A rt. Bodek, Jacob, EJ 4 (1971), 1158 f. 44 Vg l. R awidowicz, Mavo, 66 – 68; Schechter, Nachman K rochma l, 51 ff. 38

XVI

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Kurz nach seiner Rückkehr nach Żółkiew (1821) übernahm K rochma l das A mt eines Gemeindevorstehers bzw. Notars, welches er bis 1830 ausfü llen konnte.45 Bildung und Sprachkenntnisse ermög l ichtem ihm, sich für gemeind l iche Belange einzusetzen. Die Gespräche mit seinen maski lischen Besuchern konnte er in dieser Zeit intensivieren, wobei er, woh l um A nfeindungen zu entgehen, Wert darauf legte, diese Konversationen außerha lb der Stadt, auf weiter Flur, zu führen. Rapoport schi lderte dies einma l folgendermaßen: „Ich erinnere mich noch der kostbaren Zeiten, a ls ich von Ma l zu Ma l für einen oder zwei Tage oder eine Woche zu ihm reiste, oder er kam zu mir, und wir gingen um auf dem Feld miteinander zu sprechen [ ‫( ] לשוח בשד ה‬vgl. Gen 24,63). Wie süß waren mir jene Spaziergänge, [ süßer ] a ls a lle A nnehm l ichkeiten der Welt ! Meine Ohren wurden nicht satt usw. Mit jedem Wort fügte er eine Lehre hinzu.“46

Ä hn liche Berichte über solche peripatetischen Gespräche erk lären, warum sich Ranaq (K rochma l, vgl. S. VIII) rasch zu einem vielbesuchten Privatgelehrten entwickelte und gelegentlich a ls „Sokrates Ga liziens“ bezeichnet werden konnte.47 Ohne Vorgaben machen zu wollen, motivierte er zu eigenständigem Studium und ließ seine aus streng religiösem Milieu stammenden Besuchern etwa auch auf seinen Schreibtisch blicken, wo „die Ethik von Baruch Spinoza neben dem Yalquṭ Re’uveni lag, der Sefer Me’or ʽEnayim des ʽAzarya de’ Rossi neben der K ritik der Vernunft von Kant, der Bibel kommentar des Maharam ʽa l-Shaykh, der Sefer ha-Zohar und die Poesien eines Horatius in Latein nebeneinander, und auf der Seite noch irgendwelche Traktate des Ta l mud Bavli und Yerusha l mi sowie Bücher des Lucianos aus Samosata darüber [ … ].“ Vgl. Ya‛aqov Shmu’el Bick, Mikhtave ʽivrit, hg. v. M. Letteris, 7. Druck, Wien 1862, 154; Ya‛aqov Bodek, Qorot ha-‛ittim, Lemberg 1851, § 41. 46 Vg l. Sh. Y. R apoport, Mikhtav 3, Kerem ḥemed 6 (1841), 47. 47 Vg l . eine ähn l iche S chi lderung von M . L etteris, Mikhtav 6, K erem ḥemed 2 (1836), 68; vg l. Letteris, Zikkaron, 57, verg leicht K rochma ls Methode explizit mit sokratischer Mäeutik. Zu dem Ehrentitel vgl. I. Schorsch, K rochma l: The Ga l ician Socrates, The Reconstructionist 28 (8) (1962), 19 – 22. 45

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XVII

Dass K rochma l das in den genannten Schriften vermittelte Wissen nicht nur aufgenommen hatte, sondern eigenständig zu vermittel n wusste, bestätigt sein Werk, in dem viele der genannten Autoren angeführt und zitiert werden. Im Zentrum seines „Unterrichts“ stand a llerdings nicht nur das Bemühen, den Bildungshorizont seiner jungen Besucher zu erweitern. Ein wichtiges A n liegen war ihm auch, eine Brücke zwischen den unterschied lichen Parteiungen innerha lb des Judentums seiner Zeit zu bauen. Aufsch lussreich sind diesbezüg lich die Berichte über Kontakte zu karäischen Gelehrten, a lso zu Vertretern jener R ichtung des Judentums, die sich bereits in gaonäischer Zeit (ab dem 9. Jh.) von der rabbinischen Interpretation der hebräischen Bibel und damit von der münd lichen Lehre losgesagt hatte. Karäer lebten in relativ großer Zah l in den Dörfern um Żółkiew; von der jüdischen Mehrheit wurden sie jedoch zumeist gemieden.48 K rochma l ist nachweislich mit zwei Vertretern der Karäer in direkten Austausch getreten, mit Abraham Leonowicz aus Halythsch (Ha lizc) und mit dem Ḥakham der Karäer, David ben Mordechai aus Kukizów.49 Was diese Kontakte veran lasste, ist unk lar. Kurze Nachrichten, die von Chassidim abgefangen und an die Öffentlichkeit gebracht wurden, brachten ihm Verdächtigungen ein, selbst zum Karäertum zu tendieren und sich von rabbinischer Lebensweise zu entfernen. 50 Der Chassidismus hatte sich seit dem 18. Jahrhundert in ganz Osteuropa, insbesondere in Ga lizien rasch verbreitet. 51 Wie viele Zu den K aräern in Ga l izien und Vol hynien vg l. T. Harviainen, The K araite in Eastern Europe and the Crimea: A n Overview, in: M. Poll iack (Hg.), K araite Judaism. A Guide to its History and Literary Sources, Leiden, Boston 2003, 645 f. Zu K rochma ls Kontakten zu K aräern vg l. M. K izi lov, The K araites of Ga l icia. A n Ethnorel igious Minority among the A shkenazim, the Turks, and the Slavs, Leiden, Boston 2009, 223 – 225. 49 Zum Ganzen vg l. Zunz, Nekrolog, 154; R awidowicz, Mavo, 41; Harris, Nachman K rochma l, 208 – 210. 50 Der Vorfa ll wird von K rochma l in einem Brief an Ze’ev Shiff geschi ldert, vg l. K rochma l, Writings, 413 – 416. 51 Zum A nwachsen des Chassidmus in Ga l izien vg l. J. H. Schorr, Charakteristik der jüdischen Sekten in Ga lizien, A llgemeine Zeitung des Judentums 48

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Brodyer Kauf leute scheint K rochma l dieser Bewegung von Beginn an große A ntipathie entgegengebracht zu haben. Seiner Meinung nach habe sie nur in den ku lturlosen, „wi lden“ Gegenden der Ukraine Fuß fassen können, in den a lten und berühmten jüdischen Stadtgemeinden dagegen habe er zunächst keinen Einf luss gehabt. Insbesondere den Ṣaddiq-Ku lt hielt er für schäd lich, er sei mit „Aberglauben“ in eins zu setzen. 52 Obwoh l K rochma l selbst die religiösen Ge- und Verbote streng einhielt,53 wurde er von einzel nen Chassidim dennoch immer wieder wegen seiner angeblich nach lässigen Ha ltung attackiert und einma l sogar mit einer A rt Bann belegt. Er reagierte darauf, indem er diese Frommen nur noch a ls „mitḥasdim“, d. h. a ls Sich-selbst-fromm-Machende, bezeichnete und den „bacchantischen Taumel “ dieser Sekte bei jeder Gelegenheit scharf verurtei lte.54 Diese persön lich geführte Auseinandersetzung mit dem Chassidismus hat K rochma ls Bewusstsein für die innere K rise des Judentums seiner Zeit geschärft.55 Um weiteren Denunziationen zu entgehen, sah er sich 1824 veran lasst, ein Empfeh lungsschreiben zu veröffentlichen, das er – woh l auch unter dem Eindruck eines weiteren Bannspruchs gegen einige andere Maskilim56 – an die Gemeinden und Lehrhäuser in Ga lizien und Polen sandte. Dieser Rechtfertigungsbrief, in dem er sich auch von den Karäern dis2 (1838), 283 – 284; S. Dubnow, Geschichte des Chassidismus II, Berl in 1932, 230 – 243; W. O. McCagg, A History of Habsburg Jews, 1670 – 1918, Bloomington / Indianapol is 1989, 113. 52 Vg l. dazu etwa seine Beschreibung der E ntwick lung des Chassidismus in Brief 2, in: K rochma l, Writings, 416 f. 53 Vg l. R aporort, Kerem ḥemed 6 (1841), 41. 54 Vg l . seine Bemerkungen zu den „ Sich-selbst-fromm-Machenden“ in Pforte 10 (K rochma l, Writings, 93). Siehe auch Brief 17 in: K rochma l, Writings, 451. Vgl. dazu auch Sh. Werses, Haska lah and Sabbatianism. The Story of a Controversy, Jerusa lem 1988, 118 – 120 (hebr.). 55 Vg l. K rochma l, Writings, 7 und 93. Siehe Feiner, Haska l ah, 123. 56 Zum Bannspruch gegen Sh. Y. R apoport, Yiṣḥaq E rter, Ben Ṣevi Notkis und Yehuda Leib Pastor durch den mitnagedischen Lemberger R abbiner Ya‛aqov Or(e)nstein (1775 – 1839), der wenig später rückgängig gemacht werden musste, vg l. R awidowicz, Mavo, 43; Mah ler, Hasidism, 38.

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tanzierte, war seine erste Publikation und belegt, wie groß der auf ihn ausgeübte sozia le und religiöse Druck gewesen sein muss. 57 Erst nach 1833 folgten dann wissenschaft liche Schriften, die er anfangs aus Vorsicht anonym in der von Shmu’el Leib Goldenberg58 initiierten Wiener Zeitschrift Kerem ḥemed, die ba ld zum Publikationsorgan der ga lizischen Maskilim avancierte, erscheinen ließ.59 Im Jahre 1814 veränderten sich durch den Tod seiner Schwiegermutter K rochma ls Lebensumstände einschneidend. Da sein eigener Vater zu dieser Zeit nicht mehr in der Lage war, ihn fi nanziell zu unterstützen, musste er selbst a ls Händ ler bzw. Kaufmann tätig werden – eine Tätigkeit, der er, wie übereinstimmend berichtet wird, nicht gewachsen war. Als 1826 auch noch seine Frau verstarb, versch lechterte sich seine wirtschaft liche Lage weiter.60 Trotz dieser Widrigkeiten scheint ein Großtei l seines Werkes erst in den darauffolgenden Jahren entstanden zu sein. In einem Brief an den bedeutenden ita lienischen Gelehrten Shmu’el David Luzzatto (1800 – 1865) (A kronym: Sha D’’a L)61 berichtet er von seiner Absicht, einen Tei l des ersten K apitels des von ihm zu dieser Zeit möglicherweise noch „Sha‛are Emuna Ṣerufa“ [ Tore des geläuterten Glaubens ] betitelten Werkes vorzuveröffentlichen.62 Einige Pforten sind auf diese Weise tatsäch lich in Kerem ḥemed publiziert worden.63 Veröffentl icht in den Zeitschriften Shu lamit und Ha-Sefi ra, Zól kiew 1824; dann a ls Appendix in den Editionen Wol f und Shapira-Elefin des MNZ. 58 Vg l. G. K ressel, A rt. G oldenberg, Samuel L eib, EJ 7 (1971), 709; Feiner, Haska lah, 74. 59 Vg l. dazu T. L emberger, Bikure H aitim und Kerem Chemed – Ein Spiegelbi ld ihrer Zeit ?, K airos NF 36-37 (1994 – 1995), 166 – 283; M. Pell i, Kerem Ḥemed: ‘Ḥochmat Israel ʼ as the ʽNew Yavnehʼ. A n A nnotated Index to Kerem Ḥemed. The Hebrew Journa l of the Haska la in Ga l icia and Ita ly (1833 – 1856), Jerusa lem 2009 (hebr.), 316 f. 60 Zunz, Nekrolog, 155; Fürst, Nachman K rochma l, 106. 61 Vg l . M. B. M argol ies, Samuel David Luzzatto. Traditiona l ist S chol ar, New York 1979, 21 – 62, 159 – 163. 62 Vg l. K rochma l, Writings, 424, Brief 8. 63 Zu den in Kerem ḥemed vorveröffent l ichten K apitel n aus dem MNZ vg l. Zunz im Vorwort [ B/2 ]. 57

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Um 1836 zwangen die bedrückenden wirtschaft lichen Verhä ltnisse K rochma l, Żółkiew zu verlassen und in seine Heimatstadt zurückzukehren.64 In Brody fand er zwar „die ersehnte Ruhe zur Ausarbeitung seines Werkes“,65 doch ohne regelmäßige Einkünfte versch lechterte sich seine fi nanzielle Situation dort weiter.66 Nach zwei Jahren musste er Brody daher erneut verlassen, um zu seiner nach Ternopi l (Tarnopol) verheirateten Tochter Kune zu ziehen. Zwar scheint er auch dann noch an seinem Buch weitergearbeitet zu haben, doch, wie einem weiteren Brief an Luzzatto zu entnehmen ist, war sein gesundheit licher Zustand bereits geschwächt.67 Im Jahre 1840, wenige Monate vor seinem Tod, erreichte ihn noch das überraschende Angebot, eine Rabbinatsstelle in Berlin zu übernehmen.68 Obwoh l er sich geehrt wusste, lehnte er nicht nur aus gesundheitlichen Gründen ab, sondern auch wei l ihm, wie Zunz bemerkt, „jedes öffentliche Gepränge höchst zuwider“ war.69 Im Jahre 1838, a ls er bereits den größten Tei l seines Werkes entworfen und in einer Rohfassung niedergeschrieben hatte, erkrankte K rochma l.70 A m 31. Ju li 1840 (Rosh ḥodesh Menaḥem Av 5600) ist er in Ternopil verstorben.71 Einem frommen Brauch Zu den sich widersprechenden Gründen für die Rückkehr nach Brody vg l. Zunz, Nekrolog, 157; Schechter, Nachman K rochma l, 68; R awidowicz, Mavo, 53 – 55. 65 Zunz, Nekrolog, 157. 66 Vg l. den Brief 9 in K rochma l, Writings, 426. 67 Vg l. K rochma l, Writings, 430, Brief 11. 68 Nach Zunz, Nekrolog, 158 stammte die A nfrage von „ jemand [em ] in Berl in, der soeben von K rochma l ’s Existenz gehört [ hatte ].“ Nach R apoport, Kerem ḥemed 6 (1841), 48 kam die A nfrage von „bedeutenden Leuten“ in Berl in. Vgl. K rochma l, Writings, 448, Brief 15 (Schechter, Nachman K rochma l, 54 – 56). 69 Zunz, Nekrolog, 156. K rochma l s Ablehnungsschreiben l ieß er durch seinen Schwiegersohn Natan Horowitz in Deutsch übermittel n. Vg l. K rochma l, Writings, 448, Brief 15. 70 I n einem Brief an Ṣevi H irsch Bodek k l agt er über eine Augenkrankeit. Vgl. K rochma l, Writings, 443, Brief 14. 71 So nach der Grabsteininschrift auf dem Foto im A nhang zu K rochma l, Writings. Nach Zunz, Nekrolog, 159 soll K rochma l „einen Geburtstag mit Moses und Sterbetag mit Aaron“ gehabt haben. 64

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folgend, soll er vor seinem Tod gebeten haben, seinen Sarg aus dem Holz seines Schreibtisches zu fertigen.72 Unmittelbare Reaktionen auf seinen Tod blieben, zuma l sein Werk noch nicht in vollem Umfang publiziert war, zunächst auf seinen Freundes- und Schü lerkreis beschränkt.73 Seinen literarischen Nach lass hatte er zuvor seinen K indern übergeben. Sie sollten sein Werk durch einen fachkundigen Gelehrten zur Veröffentlichung zu bringen.74

4. Die Familie

Der erstgeborene Sohn, Yosef (geb. im April 1812), hatte das Vaterhaus bereits 1832, kurz nach dem Tod der Mutter, verlassen. A ls niedergelassener A rzt in Odessa hat er später mit der jüdischen Tradition gebrochen, bemühte sich aber noch um die testamentarischen Verfügungen seines Vaters.75 Den wichtigsten Erben seiner Lehre hat Nachman zweifellos in seinem zweiten Sohn Avraham (ca. 1818 – 1888) gefunden.76 Dieser Sohn verfasste wie Vgl. R awidowicz, Mavo, 58 A nm. 6 unter Berufung auf Shmu’el Abba Appel aus Drohobytsch. 73 L etteris verfasste an l ässl ich des Todes Nahmans eine qina, und auch von Luzzatto ist eine solche Elegie überl iefert. Die große A ntei l nahme bei der Beisetzung wird von R apoport, Kerem ḥemed 6 (1841), 48 geschi ldert. 74 Vg l. das Vorwort von Zunz, B/2 f. 75 Vg l. L etteris, Zikkaron, 62. Dass sich Yosef K rochma l vom traditionellen Judentum abwandte, wird auch von J. L . L andau, Shne mikhtavim mi-R’ Naḥman Qrokhmal, in: Festschrift Adol f Schwarz zum siebzigsten Geburtstage 15. Ju l i 1916, hg. v. S. K rauss, Berl in u. a. 1917, 47 – 54, hier 52, hervorgehoben. 76 Zum G eburtsjahr und Todestag ist anzumerken, dass nur letzterer gesichert ist. Demnach ist er am 16. oder 17. September 1888 in Bockenheim bei Frankfurt am Main vereinsamt und mittellos verstorben. Vgl. A. Brü ll, Popu lärwissenschaft l iche Monatsblätter 8 (1888), 238. Das häufig angeführte Todesdatum 1895 ist fa l sch. Geboren wurde Avraham ca. 1823; so R awidowicz, Mavo, 19. A nders Y. K l ausner, Avraham ben Naḥman Krochmal (1817 le-‛erekh – 1888), K nesset 6 (1941), 386 – 400, hier 386 f. Siehe dazu Schorsch, Production, 284 A nm. 16. 72

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sein Vater gelehrte religiöse Abhand lungen, die dessen geistige A rbeit aufnahmen und originell weiterzuführen suchten.77 Schon a ls K ind hatte Avraham Gelegenheit gehabt, im Hause von Ṣevi Hirsch Ḥayes (1805 – 1855), einem weiteren bedeutenden Vertreter der ga lizischen Haska la, zu studieren.78 Hier lernte er seinen langjährigen Weggefährten, den woh l habenden Maskil Yehoshua‛ Heshel Schorr (1814 – 1895) kennen, der ihm weitere Türen öff nen konnte.79 Avraham gelang es so bereits in jungen Jahren, eigene A rtikel in den Zeitschriften He-Haluṣ, Ha-Meliṣ und Ha-Maggid zu veröffentlichen.80 Auch verfasste er Bücher wie sein Da‛at Elohim ba-Areṣ (Lemberg 1863), in dem er eine eigene Geschichtsphi losophie entwickelte, die nicht nur den Einf luss des Vaters erkennen läßt, sondern auch den weiterer zeitgenössischer deutscher Philosophen, die er auf den Spuren seines Vaters studiert hatte. 81 Von seinem historisch-kritischen Verständnis der rabbinischen Literatur zeugen seine Interpretationen schwieriger Stellen im Ta l mud Yerusha lmi, die unter dem Titel Yerusha lmi Benuya 1867 in Lemberg veröffentlicht worden sind. 82 Das von ihm verfasste Ha-ketav we-ha-mikhtav ([ Lemberg ] 1874) bietet eine auf einer a lten HandVgl. zu ihm G. K ressel, A rt. K rochma l, Abraham, EJ 10 (1972), 1268; R awidowicz, Mavo, 61 f.; ders., Iyyunim II, 276 bezeichnete ihn a ls in der rabbinischen Tradition stehend. 78 Vg l. zu ihm B. H. David, The D ua l Role of R abbi Zwi H irsch Chajes: Traditiona l ist and Schol ar, Ph. D. Columbia University 1971, 7 – 11, und siehe unten. 79 Vg l. Y. H. Schorr, Mi-aḥore ha-pargod, He-Ḥ a luṣ 4 (1859), 15. Siehe dazu auch E. Spicehand ler, Joshua Heschel Schorr: Maski l and Reformist, HUCA 31 (1960), 122 – 181, bes. 187. 80 G esammelt in A . K rochma l, Aggudat Ma’amarim, L emberg 1885. 81 Für einen exempl arischen Verg leich dieses Buches mit den G edanken R anaqs vg l. R awidowicz, Iyyunim II, 276 f.; dann auch ders., R awidowicz, War Nachman K rochma l Hegel ianer ?, HUCA 5 (1928), 335 – 582, hier 578. 82 Zur forschungsgeschicht l ichen Bedeutung dieser Novellen vg l . I. M. Gafni, Ta l mudic Research in Modern Times: Between Scholarship and Ideology, in: A. Oppenheimer (Hg.), Jüdische Geschichte in hellenistisch-römischer Zeit. Wege der Forschung: Vom a lten zum neuen Schürer, Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 44, München 1999, 133 – 148, bes. 137 f. 77

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schrift basierende Samm lung von Konjekturen des Bibeltextes samt deutscher Übersetzung. 83 Die von ihm in Deutsch verfasste Theologie der Zukunft (Lemberg 1872) ist ein bis heute beachteter kritisch-phi losophischer Traktat über die Rechtfertigung des religiösen Bewusstseins in Auseinandersetzung mit Ludwig Feuerbach.84 1881 veröffentlichte er unter dem Titel Perushim we-heʽarot noch exegetische Bemerkungen zum Babylonischen Ta l mud. A ls Spätwerk kann sein ʽIyyun Tefilla (Lemberg 1885) gelten, eine historische Studie über Gebet, Phylakterien und die Gott-MenschBeziehung.85 Von den beiden Töchtern Nachmans, Kune und Reise, stand erstere ihrem Vater am nächsten. Sie wurde neunzehnjährig 1821 mit dem angesehenen A rzt Dr. Natan Neta Horwitz, einem Nachkommen des berühmten Ha lakhisten Yiṣḥaq (ha-Lewi) Horovitz, verheiratet.86 Die zweite Tochter heiratete nach dem Tod ihres Vaters Wilhelm Bigeleisen, einen A rzt in der K leinstadt Tlusta. Letteris zufolge überlebte die zweite Tochter K rochma ls diesen nur um weMünd l icher Überl ieferung zufolge soll es sich bei dieser in Medshibosh (Podol ien) aufgefundenen Handschrift um einen von Herder erwähnten Bibel kommentar B. Spinozas gehandelt haben. Vg l. W. Zeit l in, Bibl iotheca Hebraica Post-Mendel ssohniana. Bibl iographisches Handbuch der neuhebräischen Litteratur seit Beginn der Mendelssohnschen Epoche bis zum Jahre 1890, 2. erweiterte Auf lage, Leipzig 1891, Ndr. Hildesheim, Zürich, New York 1983, 186. Siehe dazu auch A. Nad ler, The Besht as Spinozist: Abraham K roch ma l ’s P reface to Ha-Ketav ve-ha- M ikhtav: I ntroduction and Translation, in: D. Frank / M. Goldish (Hg.), R abbinic Cu lture and its Critics, Detroit 2007, 359 – 389. 84 B ereits in seinem Buch Even ha- R osha, Wien 1871, fi ndet sich eine Samm lung von ähn lichen Überlegungen, die vor a llem einer Rechtfertigung des Systems Spinozas dienen sollten. Die Auseinandersetzung mit Feuerbach wurde von R awidowicz in seiner Dissertation weiterverfolgt; vg l. dazu B. R avid, The Berl in Period of Simon R awidiowicz: The Context of his Feuerbach Scholarship, in: U. Reitemeier u. a. (Hg.), Feuerbach und der Judaismus, Internationa le Feuerbachforschung 4, Münster 2009, 135 – 159, hier 145. 85 Eine von R awidowicz angekündigte wissenschaft l iche G esamtedition der Werke Avrahams ist nicht erschienen. Vgl. dazu den Hinweis in R awidowicz, War Nachman K rochma l Hegel ianer ?, 579 A nm. 90. 86 Vg l. Zunz, Nekrolog, 159; R awidowicz, Mavo, 59. 83

XXIV

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nige Jahre.87 Eine verwitwete Nichte Nachmans, A nna K rochma l, lebte noch 1924 in Hannover.88 Der sch lichte Grabstein ihres Vaters Avraham ist auf dem Friedhof an der Battonstraße in Frankfurt am Main erha lten.

5. Der Kreis um Krochmal

Die Beziehungen und Kontakte Krochma ls, die sich seinem Lebensumfeld entsprechend aus persön lichen Begegnungen ergaben, lassen sich heute kaum noch im Einzel nen rekonstruieren. Die für die Wirkungsgeschichte K rochma ls wichtigste Persön lichkeit war zweifelsohne Sh. Y. Rapoport. Nach seiner Wah l zum Rabbiner in Ternopil entwickelte sich dieser Gelehrte zu einer Leitfigur für die sich entwickel nde Ḥokhmat Yisra’el, die hebräisch-sprachige Wissenschaft des Judentums.89 Rapoports eigenständige Studien, die schon in den Gottesdienstlichen Vorträgen von Zunz (1832) rühmend erwähnt werden, lesen sich a llerdings oftma ls wie ein Echo auf zumeist erst später publizierte Gedanken K rochma ls.90 GreifSiehe Letteris, Zikkaron, 64. Rawidowicz, Mavo, 64 berichtet in diesem Zusammenhang davon, dass sie eine Bibel von ihrem Großvater besaß, diese jedoch verschenkt hatte. Zum Briefwechsel R awidowicz – A nna K rochma l vgl. B. R avid, The Human Dimension of Wissenschaft des Judentums: Letters from the R awidovicz A rchives, in: J. P. Decter / M. R and (Hg.), Studies in A rabic and Hebrew Letters in Honor of R aymond P. Scheind l in, Piscataway 2007, 89 – 92. 89 Vg l. M. L etteris, Sa lomo J. R apoport. Eine ku lturgeschicht l iche Skizze mit besonderem Bl ick auf ga l izische Zustände, in: Jahrbuch für Israel iten (hg. v. J. Wertheimer) NF 4 (1857/58), 207 – 224; Barzi lay, Sh lomo Yehudah Leib R apoport, 11. 90 Vg l. L . Zunz, Die gottesdienst l ichen Vorträge der Juden historisch entwickelt. Ein Beitrag zur A ltertumskunde und bibl ischen K ritik, zur Literatur- und Rel igionsgeschichte, Frankfurt a. M. 1832, Ndr. Hi ldesheim 1966, X u. ö. Den von S. Bernfeld in seiner R apoport-Biographie (Toldot Shir, Berl in 1898, 31) erhobenen Vorwurf des „Gedankenk laus“ wird man woh l kaum ha lten können. Nach K lausner, Hisṭoria II, 167 war R apoport stark von R anaq beeinf lusst, „aber kein Plagiator“. Vg l. hierzu auch H. Graetz, Geschichte der Juden XI, 441 – 448; demnach pf legte R apoport nicht weniger a ls einma l 87

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bar wird der Einf luss K rochma ls etwa in dem viel beachteten A rtikel „Aggada“ in dem wissenschaft lichen Ta l mud-Lexikon ʽErekh millin.91 Die Freundschaft mit dem fünf Jahre ä lteren K rochma l verlief a llerdings nicht konf liktfrei. Zwar wird das Verhä ltnis a ls anfänglich sehr eng beschrieben, und eine Frühschrift Rapoports wird im MNZ sogar ausdrück lich erwähnt.92 Doch vollzog sich nach und nach eine Entfremdung, die darin gipfelte, dass Rapoport 1840 gegen den Rat K rochma ls eine angesehene Rabbinats- und DayanStellung in Prag annahm. Dennoch blieb auch in der Folge die Verehrung für K rochma l bestehen, und noch posthum konnte Shir seinen Mentor gegen K ritik Luzzattos in Bezug auf die Frage des Verfassers von Deuterojesaja in Schutz nehmen.93 Die Verehrung K rochma ls im K reis seiner Freunde ist auch durch andere Zeugnisse belegt: So widmete ihm Sh. Bloch (1782 – 1845) sein Werk Shevile ‛olam, eine erste hebräische Geographie und Landeskunde.94 Bloch hat K rochma l woh l so häufig wie kein andepro Monat von Lemberg nach Zółkiew zu reisen, um seinen Lehrer zu sehen; nach Graetz „die eigent l iche Geburtsstunde der Wissenschaft des Judentums“ bzw. „Ḥokhmat Yisra’el “. 91 Sh. Y. R apoport, Sefer ʽErekh Millin ‛al seder ʼalef – bet I-II, Warschau 1914, Ndr. Jerusa lem 1970, hier I, 12 – 25. Siehe dazu die Bemerkung von H. Weiss, Zikhronot, Warschau 1895, 123; ders., Dor dor we-dorshaw II, Wi l na 1904, 204: „Und wisse, dass a ll die beachtenswerten Sätze in dem A rtikel „ Aggada“ [ i n ʽErekh mi ll in ] von R anaq übernommen sind.“ 92 Vg l . Sh. Y. R apoport, Mikhtav 3, Kerem ḥemed 4 (1841), 45, und siehe MNZ , 41, wo er auf R apoports Sheʼerit Yehuda kolel nes haṣalat Yisra’el ʽal Mordekhai we-Ester, Wien 1827 verweist, eine hebräische Übersetzung von J. B. R acines Tragödie „ Ester“. 93 Vg l. dazu Sh. D. Luzzatto, Mikhtav 5, Kerem ḥemed 3 (1838), 66 ff. Siehe auch Sh. Y. R apoport, Iggerot Shir, 123 – 126. Zu der viel beachteten Auseinandersetzung über die Verfasserschaft des Deuterojesaja vg l. R awidowicz, Mavo, 134 – 136; Margol ies, Samuel David Luzzatto, 104 – 108; I. Elbogen, Luzatto’s Stellung zur Bibel kritik, MGWJ 44 (1900), 460 – 480, hier 467 f. 94 Sh. Bloch, Shevile ‛olam, Z ółkiew 1822 – 1855, vg l . das Vorwort, 1. Der dritte Band wurde von A. M. M. Mohr veröffentl icht. Vgl. zum Ganzen K lausner, Hisṭoria II, 169; Feiner, Haska l ah, 83 f. Ziel dieses Werkes war es, dem hebräisch-kundigen Leser „die Charakteristiken a ller Nationen der Welt, ihre Grenzen, K l imata und Völ ker, ihre Flüsse und Seen, die rel igiösen Auf-

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rer A nhänger besucht.95 Über Ga lizien hinaus bekannt wurde er, nachdem er eine hebräische Übersetzung von Zunz Essay über das Leben und Werk Rashis aus dem Jahre 1823 veröffentlicht hatte.96 Meir Letteris war K rochma l bereits im K indesa lter aufgefa llen. Vermittelt durch ihn lernte der junge Letteris sowoh l das Schreiben in Hebräisch a ls auch aufgek lärte Werke wie das a llegorische Drama Le-yesharim tehilla (Lemberg 1790) von Moshe Ḥayyim Luzzatto (1707 – 1746) kennen. Der im Verlag seines Bruders und mit finanzieller Unterstützung K rochma ls gedruckte Gedichtband Divre Shir (Żółkiew 1822) enthä lt neben Übersetzungen einiger Gedichte Schillers auch eine emphatische Ode an seinen Lehrer.97 Auch Yiṣḥaq Baer Levinsohn (1788 – 1860), der Vater der Haska la in Russland, gehörte zu den Gästen K rochma ls.98 Der Biograph Levinsohns, Baer Natanson, überliefert, wie K rochma l Levinsohn bei der Herausgabe seines Buches Ha-mazkir geholfen hat, einer wichtigen Samm lung kritischer Responsen zur Geschichte und Philosophie Israels.99 Auch Levinsohn hat daher später eine ergebene Elegie zu seinem Gedenken veröffentlicht.100 Lehrer und Ratgeber war Ranaq im Übrigen für Zwi Menaḥem Pineles (A kronym: Sha Lo’’Sh)101, der seine l iterarische K arriere fassungen ihrer Einwohner, die Bräuche ihrer Regierungen, ihre Weisheit und ihr Wissen, ihre Sprache und ihre Taten“ aufzuzeigen.   95 Vg l. etwa seinen Brief an Ṣevi Menaḥem Pineles in: Sh. Bloch, Mikhtav 16, Kerem ḥemed 2 (1836), 126.   96 Vg l. L . Zunz, Toldot Shlomo Yiṣḥaqi, übersetzt von Sh. Bloch, L emberg 1840.   97 Vg l . A . B. K i lcher, G etei lte Freude. Simḥa meshutefet. Schi ller- Rezeption in der jüdischen Moderne, München 2007, 60 – 65.   98 So mit D. B. Gutensohn, Sefer ha-zikhronot (divre yeme ḥayye Ribal), Warschau 1892, 8. Zu seinem Hauptwerk Bet Yehuda, Wi l na 1838, vg l. J. S. R aisin, The Haska lah Movement in Russia, Phi ladelphia 1913, 204 – 213; S. Schreiner, Isaak Ber Lewinsohn – der „Mendelssohn der russischen Juden“, Judaica 47 (1991), 82 – 92.    99 Vg l. B. Natansohn, Sefer ha-zikhronot, Warschau 1878, 14. 100 Siehe Natansohn, Sefer ha-zikhronot, 60. Die qina trägt den Titel Adon ha-brit. 101 Vg l . K l ausner, Hisṭoria II, 168; M. Sel igsohn, A rt. P ineles, H irsch M.,

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mit einem Brief für die Zeitschrift Kerem ḥemed begonnen hatte und später eine wichtige Rezension zum MNZ verfasste.102 Informiert sind wir auch über die Beziehung zu Ṣevi Hirsch Bodek, den Schwiegersohn Rapoports.103 Avraham Goldberg (Har-zahav) ist, auch wenn er hauptsäch lich in Wien wirkte, ebenfa lls zum K reis um K rochma l zu rechnen. Ranaq hatte ihm geholfen, sich von der Pf licht zum Militärdienst zu befreien, später gab Goldberg seine ersten Schriften heraus.104 Weitere Bekannte aus Brody waren Dawid Ṣevi Zarfati105 und Yaʽaqov Shmu’el Bick [ Byck ], einer der woh lhabendsten Einwohner Brodys dieser Zeit.106 Da sich Bick später dem Chassidismus zuwandte, wird man ihn, obwoh l er A nregungen K rochma ls annahm, nicht mehr a ls Schü ler betrachten können.107 Bicks Tochter Sara Lea war a llerdings die Mutter von Y. H. Schorr, dem engen Freund seines Sohnes Avraham, einem der prominentesten Maski l im Ga l iziens – eines Maski l frei l ich, der sich für eine religiöse Reform des Judentums einzusetzen begann, die K rochma l Zeit seines Lebens ablehnte.108 Gleichwoh l stellte sich auch Schorr schützend vor K rochma l, a ls ein woh l von Luzzatto inspirierter, anonymer K ritiker Ranaq (und andere) beschu ldigte, er würde sich auf nicht-jüdische Bibel kritik wie die von Johann JE 10 (1905), 45 f.; L . Löw, A nzeigen, in: ders., Gesammelte Schriften IV, hg. v. I. Löw, Hi ldesheim, New York 1979, 473 – 479. 102 Vg l. Sha losh, Mikhtav 12, Kerem ḥemed 2 (1836), 108 – 113 (ich korrigiere die A ngabe von Horowitz, ebd., dieser Brief richte sich an K rochma l). Die Rezension in: He-Ḥa luṣ 1 (1852), 123 – 133 (Edition Wol f, 54 – 57). 103 Vg l. K rochma l, Writings, 443 – 445, Brief 14. K rochma l antwortete auf eine Frage bezüg l ich eines Diktums in bTaan 2a. 104 Vg l . R awidowicz, Mavo, 81 A nm. 3, dann auch G oldberg in K erem ḥemed 1 (1833), 74 f. 105 Vg l. Brief 7, in: K rochma l, Writings, 424. 106 Vg l. Y. Sh. Bick, Mikhtav 22, Kerem ḥemed 1 (1833), 81 f. 107 Vg l. K l ausner, H isṭoria II, 168 f. I n einem Brief an R apoport sprach er sich dafür aus, keine Sticheleien oder Ironie zu benutzen, wie es K rochma l gefordert hatte. Siehe Y. Sh. Bick, Mikhtav le-shir, Oṣar ha-sifrut 3 (1889), 88. 108 Vg l . zu ihm und seinem Verhä ltnis zu den ä lteren M itg l iedern der ga l izischen Haska la Spicehand ler, Joshua Heschel Schorr, 122 – 181; Feiner, Haska lah, 140 f.

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Georg Eichhorn (1752 – 1827) ein lassen, anstatt den rabbinischen Traditionen zu vertrauen.109 Von großer Ehrerbietung zeugen auch Buchwidmungen von Moshe Mordekhai Juwel in seinem biologischem Handbuch Limmude ha-teva‛ (Tschernovitz 1836)110 und von Hillel Lechner.111 Zu weiteren Schü lern und Besuchern K rochma ls gehörten David Lekatsher, der Lehrer von Fabius Mieses (1824 – 1898)112, eines weiteren Maskil aus Brody,113 sowie Mordekhai Strelisker (1806 – 1857)114 und vor a llem Ṣevi Hirsh Ḥayes, bei dem sein Sohn Avraham studiert hatte.115 Ḥayes, dessen großes Buch über die rabbinischen Gebote Ele miṣwot (Żółkiew 1836) von K rochma l ausdrück l ich empfoh len wird,116 hatte vorab zwei Kapitel des MNZ zur Einsicht erha lten und dann daraus nach dessen Tod in seinem Werk Imre bina (Żółkiew 1849) unter dem Titel „More nevukhim he-ḥadash“ zitiert.117 Viele Abschnitte dieser Studie zu Aggada und Ha lakha scheinen aufgrund K rochma lscher A nregungen entwickelt worden zu sein. Vgl. dazu Y. H. Schorr, He-Ḥa luṣ 1 (1852), 97 f., und seine Besprechung des Sefer ʽErekh millin in He-Ḥa luṣ 2 (1853), 117 – 153, hier 118. Zur Rezeption protestantischer Bibel kritik bei R anaq vg l. A. Lehnardt, Bibl ica l Criticism in Nachman K rochma l ’s Writings. Between R abbinica l Tradition and Ga l ician En l ightenment, Scripta Judaica Cracoviensia 7 (2009), 65 – 76. 110 Vg l. zu dem Werk Y. Vinograd, Thesaurus of the Hebrew Book, L isting of Books Printed in Hebrew Letters since the Beginning of Hebrew Printing circa 1469 through 1863, Jerusa lem 1993, II 341 (hebr.). 111 Die Widmung bei R awidowicz, Mavo, 82. Zur Beziehung Avrahams zu Lechner vg l. auch sein ʽIyyun Tefilla, 220. 112 Vg l. zu ihm G. K ressel, A rt. M ieses, Fabius, EJ 11 (1972), 1527. 113 Vgl. I. A. Guenzig, Ele Toldot ha-Rav Fabius Mizes, Oṣar ha-sifrut 3 (1890), 7. 114 Vg l. G. K ressel, A rt. Strel isker, Marcus, EJ 15 (1972), 438; Feiner, H aslakah, 80 f. 115 Vg l. etwa H. P. Chajes, [ Nachruf ] R . Zebi Chajes, in: ders., Reden und Vorträge, hg. v. M. Rosenfeld, Wien 1933, 185 – 191, hier S. 187 mit A nm. 1. Siehe auch Rawidowicz, Mavo, 85; David, The Dua l Role, 54 – 56; Feiner, Haskalah, 125 – 127. 116 Vg l. K rochma l, Writings, 137* (A nm. z. St.). 117 Siehe Ṣewi H irsh Ḥayes, Ma’amar Imre Bina, Zółkiew 1845, Ndr. Israel 1958, 874. 109

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Den intensiven Austausch beider Gelehrten belegen auch Ḥayes viel beachtete Ein leitung in den Ta l mud (Mavo ha-Talmud, Zółkiew 1845)118 sowie zah l reiche Bemerkungen und Bezugnahmen in seinen übrigen Schriften.119 K rochma l stand trotz dieser beacht lichen A nzah l an Schü lern und Weggefährten nicht an der Spitze einer breiteren Bewegung. Wie viele osteuropäische Maskilim lebte er ein zurückgezogenes Leben am Rande des breiten Stroms der jüdischen Gesellschaft seiner Zeit, sodass ihm Zeit seines Lebens eher geringe Beachtung geschenkt wurde. Dass sein Buch posthum dennoch eine so große Wirkung unter dem sich entwickelnden „aufk lärerisch“ orientierten Judentum – in Osteuropa und weit darüber hinaus – entfa ltet hat, ist umso bemerkenswerter. Hierfür war zunächst woh l das enge Netzwerk von Maskilim verantwort lich, welches auch nach seinem Tod für die weitere Beachtung seiner Schriften sorgte und die entscheidende „Wiederentdeckung“ des Buches durch S. Rawidowicz Mitte der 30er-Jahre in Berlin erst ermög lichte. Mit dem Erscheinen der Gesammelten Schriften K rochma ls 1924 setzte dann eine bis heute anha ltende Beschäftigung mit seinem Werk ein, die sich in den Schriften jüdischer Intellektueller bis weit in das 20. Jahrhundert verfolgen lässt.120 K rochma ls Buch ga lt vielen Vertretern der Ḥokhmat Yisra’el a ls grund legendes Studienbuch und wurde oft a ls die jüdische A ntwort auf die protestantische Bibel kritik und die idea l istiVg l. dazu R awidowicz, Iyyunim II, 278 f. Siehe dazu auch Schorsch, Production, 307, Brief 16. 119 Vg l. L andau, Nachman K rochma l, 6 A nm. 1: Demnach stimmt etwa eine Bemerkung K rochma ls über die Rede Sichems zu den K indern Jakobs mit einer A nmerkung Ḥayes in seinem ‛Ateret Ṣevi, Zółkiew 1841, 2 überein. Weitere Bezüge auf K rochma l lassen sich in Ḥayes, Darkhe hora’a, Zółkiew 1842, fi nden. Zum Ganzen vg l. F. L achower, ‛Al gevul ha-yashan we-he-ḥadash. Masot sifrutiyot, Jerusa lem 1951, 177; David, The Dua l Role, 56. 120 Vg l. dazu etwa den Brief von E rnst Simon an E rich Fromm in: E . Simon, Sechzig Jahre gegen den Strom. Ernst A. Simon. Briefe von 1917 – 1984, mit einem Vorwort von Yehoshua A mir, SWALBI 59, Tübingen 1998, 251. Siehe dazu auch F. Rosenzweig, Der Mensch und sein Werk. 1. Briefe und Tagebücher II: 1918 – 1929, hg. v. R. Rosenzweig, Haag 1979, 798. 118

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schen Philosophie rezipiert. Fast a lle bedeutenden Vertreter des aufgek lärten Judentums wie Abraham Geiger, Zacharias Fraenkel oder Heinrich Grätz, aber auch Moshe Leib Lilienblum, Perez Smolenskin, Shai Hurwitz, Abraham Mapu, A ḥad ha-‛A m (Asher Ginsburg) haben sich mit dem „neuen More“ beschäftigt, sich in unterschied licher Form auf ihn berufen und einzel ne Aspekte seines Denkens übernommen. Viele andere Maskilim wie Markus Aaron Ginzburg, Samuel Josef Finn, Ruben Wunderbar oder Ka lman Shu lman sind durch ihn erst ermuntert worden, nach eigenen Wegen des Verständnisses ihres Judentums zu suchen und unabhängige Synthesen modernen jüdischen Denkens zu entwerfen.121 Von Bedeutung war K rochma l dabei nicht zu letzt für die Erneuerung der hebräischen Sprache, und von ihm kreierte phi losophische Begriffe sind in das umfassende Lexikon der hebräischen Sprache von Ben Yehuda aufgenommen worden.122 Für viele eröffnete sich durch die Lektüre des MNZ zum ersten Ma l die Perspektive, mittels traditioneller Sprache zeitgenössische phi losophische Gedanken zu formu lieren. Beachtung fand die Sprache K rochma ls nicht zu letzt auch bei den jüdischen Nationa ldichtern Shmuel Yosef Agnon (1888 – 1970), dem ersten hebräischsprachigen Literaturnobelpreisträger, und Chaim Nachman Bia lik (1873 – 1934). Die von Rawidowicz herausgegebenen Gesammelten Schriften K rochWeiteren Einf luss hatte K rochma l z. B. auch auf Shim‛on Bernfeld, den Verfasser des Werkes „Die Lehren Israels“ (4 Bde., 1920 – 1924), der ihm eine seiner ersten Studien widmete. Vg l. Sh. Bernfeld, Ha-Rav Rabbi Naḥman Qrokhmal u-mishpaṭaw ‛al Yisra’el, Ha-Mel iṣ 28 (1888), Heft 3, 6, 8, 10, 15, 19, 21. Beachtenswert ist auch eine kurze Notiz von Y. Ibn Shmu’el (K aufmann), Naḥman Qrokhmal, Ha-Toren 6 [ New York ] (1917), Heft 20 – 21. Siehe ferner M. Weißberg, Josef Kohn-Zedek, der letzte neuhebräische Publ izist der gal izischen Haska la, MGWJ 55 NF 19 (1911), 330 – 347, und zu Mordekhai Ze’ev Feierberg (1874 – 1899) vgl. Sh. Werses, From Mendele to Hazaz. Studies in the Development of Hebrew Prose, Jerusa lem 1987, 146.152 (hebr.). Zur (Nach-) Wirkung K rochma ls siehe noch J. Meisl, Haska lah. Geschichte der Aufk lärungsbewegung unter den Juden in Russland, neu hg. v. A. Kennecke, Studienbibl iothek 1, Berl in 2009 (1919), 92 f. 122 Vg l. E . Ben Yehuda, Millon ha-lashon ha-ʽivrit ha-yeshana we-ha-ḥadasha, I – XVII, Berl in u. a. 1910 – 1959, Ndr. Jerusa lem 1980, I (Prolegomena), 265. 121

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ma ls sind diesem Dichter zum 50. Geburtstag am 10. Ṭevet 1923 gewidmet.123

6. More nevukhe ha-zeman: Edition, Ausgaben, Text

Wie ʽAzarya de’ Rossi und vergleichbare neuzeitliche jüdische Autoren war auch Nachman K rochma l der Verfasser nur eines großen Werkes. Im Unterschied zu vielen anderen K lassikern der hebrä ischen Literaturgeschichte blieb sein Buch a llerdings bis zu seinem Tode unvollendet, und letzte Hand ist an das Werk, wie bereits dem Vorwort zu entnehmen ist, erst vom Herausgeber Zunz sowie den Druckern gelegt worden. Das handschrift liche Origina l manuskript gi lt a ls verloren; es ist von Zunz entweder an die Drucker, den Schwiegersohn Natan Horowitz oder (zu Teilen) an den Sohn Avraham zurückgesandt worden.124 Stimmt der der vorliegenden Übersetzung zugrunde liegende Text mit dem handschriftlichen Manuskript Ranaqs überein ? Offensichtlich sind einige Abschnitte des MNZ-Manuskriptes unvollständig bzw. unvollendet geblieben.125 Zunz berichtet, dass er in die Anordnung einzelner Abschnitte des MNZ eingegriffen habe, und Unterschiede bestehen sogar auch zwischen den späteren Editionen.126 Rawidowicz vermutete, Zunz habe im Manuskript vorhanVgl. das Vorsatzblatt in K rochma l, Writings. Zu Bia l iks Hochachtung für K rochma l S. R awidowicz, Siḥotai ʽim Bialiq, hg. v. B. C. I. R avid / Y. Friedländer, Jerusa lem, Tel Aviv 1983, bes. 112. Zum Ganzen vg l. Sh. Spiegel, Hebrew Reborn, Phi ladelphia 1930, 107. 124 R awidowicz hat in den 30er- Jahren des vorigen Jahrhunderts vergebl ich versucht, eine Spur des Origina l manuskripts zu fi nden. Siehe R awidowicz im Vorwort zu der von ihm aus dem Nach lass von Zunz veröffentl ichten Liste mit A nweisungen an den Drucker in K rochma l, Writings, 227. 125 E in deut l iches B eispiel dafür sind A nkündigungen K rochma l s in Pforte 11, gewisse bibl ische Bücher noch genauer zu behandel n. Diese Untersuchungen und A nmerkungen sucht man jedoch vergeb ens. Vg l. K rochma l, Writings, 102, 148. 126 Vg l. z. B. K rochma l, Writings, 283 (E nde P forte 16), 362, 394. I n Wol f (Hg.) steht ein Abschnitt aus Pforte 12 vor einem in K rochma l, Writings, 170. 123

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denes Materia l ausgestrichen, wei l es ihm für die Publikation a ls ungeeignet erschienen sei.127 Ein Brief an Horowitz vom 5. Januar 1844 belegt a llerdings, dass sich Zunz intensiv darum bemüht hat, a lle ihm im Manuskript vorliegenden Texte K rochma ls genauestens zu edieren. In seinem Vorwort betont er, dass er keine Stellen gestrichen habe, „um das Werk des Verfassers zu vollenden“.128 Auffa llend ist, wie lange sich die Vorbereitung des Buches zum Druck hinauszögerte. Zunz hatte gehoff t, das Werk bereits Ende 1844 dem Drucker übergeben zu können. Die von ihm beigefügten ausführlichen „Materia lien zu der A nweisung für den Druck“ machen jedoch deutlich, vor welchen editorischen Schwierigkeiten er bis kurz vor Druck legung des Buches gestanden haben muss.129 Neun A nmerkungen zu verschiedenen Abschnitten konnte Zunz nicht mehr an der richtigen Stelle einfügen, sodass er sie in einem speziellen Abschnitt zusammenstellte. Nur wenige Blätter hat er sch ließlich ganz unberücksichtigt gelassen.130 Das gesamte Manuskript ist dann von Zunz erst am 21. Januar 1847 an den Drucker übersandt worden.131 Zu dieser Zeit fungierte er bereits a ls Direktor des neu gegründeten Lehrerseminars der jüdischen Gemeinde in Berlin, diente a ls offizieller Vertreter jüdischer Angelegenheit gegenüber der preußischen Regierung und hatte zahlreiche eigene wissenschaft liche Publikationen veröffentlicht, wie z. B. seine Abhand lungen „Zur Geschichte und Literatur“ (Berlin 1845).132 Erst ab 1845, nach der Übersied lung Moritz SteinVgl. R awidowicz, Mavo, 219. Vgl. Schorsch, Production, 287, und siehe S. 300, Brief 10, von Zunz an Horowitz vom 5. Januar 1844. 129 Dabei ist es nur einem g lück l ichen Zufa ll zu verdanken, dass diese L iste mit Corrigenda und H inweisen von Zunz erha lten ist. Mit dem gesamten Zunz-A rchiv ist sie während der Nazi-Herrschaft auf Veran lassung von I. Elbogen heim l ich aus Deutsch land herausgeschmuggelt worden. Vg l. R awidowicz, Mavo, 227. 130 Vg l. Zunz, Vorwort, in K rochma l, Writings, B/3, und siehe dazu R awidowicz, Mavo, 221 und 405, wo die A nmerkungen 1 – 9 aus den ersten Auflagen aufgel istet sind. 131 Vg l. Schorsch, P roduction, 288 und 310, Brief 21. 132 Vg l. Schorsch, P roduction, 286. Zu Zunz a l s P rediger und Vertreter 127

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schneiders nach Berlin, stand ihm ein kompetenter Mitarbeiter zur Verfügung, der ihm bei der Reinschrift des Manuskriptes ha lf. Wie groß Steinschneiders Anteil an der Fertigstellung des Buches war, lässt sich nur erahnen. Besonderes Interesse dürfte er an den Abschnitten über Avraham ibn Ezra gehabt haben.133 Bemerkenswerterweise war es vielleicht erst die Aussicht auf bezah lte Mitarbeit an diesem Buch, die Steinschneider ermög lichte, von Prag nach Berlin umzuziehen.134 In einem Brief an seine Verlobte, Auguste Auerbach, ist erwähnt, dass ihn Zunz mit der Reinschrift des Manuskriptes beauftragte und er dafür Geld erha lten werde, während jener auf „jeg liche Entlohnung seiner Arbeit“ verzichte.135 Beim Erscheinen des Werkes waren seit dem Tode K rochma ls bereits elf Jahre vergangen. Die erste Auf lage war dennoch schnell vergriffen. Nach der zweiten Auf lage im Jahre 1863 wurde 1894 eine dritte, höhere Auf lage im Verlag von Eli‛ezer Yiṣḥaq Shapira und Yisra’el Elefin in Warschau erstellt. Die ersten Auf lagen (1851 und 1863) entha lten zah l reiche (Druck-)Feh ler, die nur zu einem Teil in späteren Editionen wie in den von Rawidowicz herausgegebenen Gesammelten Schriften verbessert worden sind.136 Bereits die von ihm aus dem Nach lass von Zunz herausgegebenen, in Deutsch mit hebräischen Lettern geschriebenen „ A nweisungen an den Drucker“ vom 20. Januar 1847 lassen die Komplexität der Herausgabe des Buches erahnen. Die Probleme der Erstauf lage, seien es Schreibfeh ler, Wortauslassungen oder Umder Gemeinde vg l. I. Schorsch, Emancipation and the Crisis of Rel igious Authority. The Emergence of the Modern R abbinate, in: W. E. Mosse / A. Paucker / R. Rürup (Hg.), Revolution and Evolution. 1848 in German-Jewish History, Tübingen 1981, 239 – 242. 133 Vg l. R awidowicz, Mavo, 219 A nm. 1. 134 Zu Steinschneiders wirtschaft l icher Situation zu dieser Z eit vg l . A. Marx, Moritz Steinschneider, in: ders., Essays in Jewish Biography, Phi ladelphia 1947, 138 f. 135 Zur Finanzierung der Reinschrift vg l. M. Steinschneider, Briefwechsel mit seiner Verlobten Auguste Auerbach, 1845 – 1849. Ein Beitrag zur jüdischen Wissenschaft und Emanzipation, hg. v. R. Heuer / M. L . Steinschneider, Campus Judaica 1, Frankfurt a. M. 1995, 162. 136 Vg l. Schorsch, P roduction, 290.

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stellungen, hatten woh l viele Ursachen: Zunächst ist zu beachten, dass die Satzarbeiten im Lemberger Verlag von Joseph Schnayder fast vier Jahre in Anspruch genommen haben, und das in einer Zeit großer politischer Veränderungen.137 Nachtei lig wirkte sich auf die Druck legung zudem aus, dass die Druckfahnen nicht etwa von Zunz selbst korrigiert werden konnten, sondern er sich auf Avraham K rochma l verlassen musste, der dafür nach Lemberg gereist war. Dieser konnte jedoch die von Zunz direkt an den Drucker gesandten Korrekturhinweise nicht mehr kontrollieren, da er, woh l aus finanziellen Gründen, nicht länger vor Ort bleiben konnte.138 Nach Ya‛aqov Bodek waren zwar auch Hillel Lechner und Rabbiner Matiel Barhan an der Überwachung der Druck legung betei l igt, doch scheint sich auch ihre Hilfe nicht mehr grund legend auf die Verbesserung des Textes ausgewirkt zu haben.139 Die sch lechte Ausführung des Drucks wurde bereits kurz nach dem Erscheinen der ersten Auf lage kritisiert. Eine Liste mit Corrigenda von Pineles belegt, wie viele Korrekturen notwendig waren, um den Text verständ licher zu machen. Unter die häufigsten Fehler zäh lte er, dass ganze Sätze in zwei Teile getei lt worden waren, Satzzeichen wie Punkte nicht an der richtigen Stelle stehen und Sätze zu Gunsten eines anderen gestrichen sind. Auch was die Orthographie anbetriff t, gibt es keine Einheitlichkeit. In der zweiten, im Verlag von Michael Wolf, einem Freund Avrahams, gesetzten Auf lage wurden diese Korrekturen bemerkenswerterweise nicht berücksichtigt, sodass sich mit dieser Auf lage der Text sogar weiter versch lechterte.140 Horowitz plante daraufVgl. den deutsch abgefassten Brief von Horowitz vom 27. 10. 1849 an Zunz, in dem sich dieser über die Verzögerungen bek lagt. Vg l. Schorsch, Production, 289 f.; 311, Brief 23: „Die Stürme und das Drängen der letzten verhängnisvollen Periode die a lle Sinne für Kunst und Wissenschaft so feind l ich niedergedrückt, waren mit daran Schu ld dass das Abschreiben und das Unterhandel n mit Buchdruckern so sehr sich in die L änge zogen.“ 138 Vg l . S chorsch, P roduction, 290 und Brief 14 auf S. 303 f. Avraham wei lte zu dieser Zeit in Brody. 139 Vg l. R awidowicz, Mavo, 220 unter Bezug auf einen Brief von Y. Bodek vom 28. Oktober 1853. 140 Obwoh l diese Ausgabe auf dem Titelbl att a l s „emel iorate editio“ an137

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hin eine dritte Auf lage, zu der es jedoch nicht gekommen ist.141 Bemerkenswert ist auch, dass Zunz ein vollständiges Exemplar des 1851 erschienenen Buches im Juli 1852 in Berlin noch nicht erreicht hatte.142 1924 erschienen in dem von Simon Rawidowicz in Berlin- Charlottenburg gegründeten Verlag Ajanot die „Writings of Nachman K rochma l “. A n lässl ich des 100. Todestages K rochma ls im Jahre 1940 beabsichtigte Rawidowicz, diese ebenfa lls ba ld vergriffene Edition wieder aufzu legen. Diese Auf lage der von ihm edierten Kitve Rabbi Naḥman Qrokhmal sollte weitgehend eine Fotokopie der Vorgängerauf lage sein, konnte jedoch erst 1961 von seinem Sohn Benjamin C. I. Ravid und der A rarat Publishing Society rea lisiert werden.143 Ein unveränderter Nachdruck dieser Edition ist im Jahre 2010 mit einem neuen Vorwort von Yehoyada A mir im Verlag Karmel in Jerusa lem erschienen.

7. Aufbau und Struktur – die Reihenfolge der Kapitel

Eine detaillierte Zusammenfassung der siebzehn, tei lweise völlig unabhängig voneinander zu lesenden Kapitel bietet das Vorwort von Zunz. Die ersten vier Kapitel entha lten eine generelle Ein leitung, die mit der von K rochma l intendierten A nordnung korrespondiert. Den größten Teil dieser Kapitel hatte K rochma l woh l gepriesen wird. Der einzige Vorzug dieser Edition ist, dass ihr die Biographie von L etteris hinzugefügt ist. Außerdem sind ihr drei Briefe R anaqs beigegeben. 141 Vg l. Schorsch, P roduction, 290 mit Brief 28 auf S. 314. 142 Vg l . den Brief von Zunz an Bernhard Beer vom 9. Ju l i 1852 in N. N. Glatzer, Leopold Zunz. Jude – Deutscher – Europäer. Ein jüdisches Gelehrtenschicksa l des 19. Jahrhunderts in Briefen an Freunde, SWALBI 11, Tübingen 1964, 344. 143 Vg l . B. C. I. R avid, in: R awidowicz, Iyyunim II, 11. Siehe dazu auch A. Greenbaum, A History of the A rarat Publ ishing Society, Jerusa lem 1998, 22. Zu den biographischen Hintergründen vg l. S. R awidowicz, Israel. The Ever-Dying People and Other Essays, hg. v. B. C. I. R avid, London u. a. 1986, 13 – 50.

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schon im Jahre 1837 vollendet.144 Das fünfte Kapitel geht auf das Problem der Teleologie und Intention ein und wirft hinsicht lich seiner A nordnung Fragen auf. Die Pforten 6 und 7 behandel n Aspekte der jüdischen Metaphysik und Religionsphi losophie; Pforten 8 bis 10 erläutern und explizieren die jüdische Geschichte und ihre Struktur. Pforte 11 enthä lt eine kritische A na lyse einiger biblischer Bücher, und Pforte 12 geht auf die hellenistisch-jüdische Ku ltur in A lexandrien ein, insbesondere auf die Schriften Philos, wobei sich K rochma l hierfür auf deutsche Sekundärliteratur stützt. Die Entwick lung der rabbinischen Literatur, insbesondere der ha lakhischen Bestandtei le erörtert Pforte 13, während Kapitel 14 auf die Aggada und ihre Entwick lung eingeht. Nur fragmentarisch ist Pforte 15 mit einer Darstellung jüdisch-gnostischer Systeme erha lten. Pforte 16 bietet Auszüge aus Hegels Philosophie, insbesondere der Definitionen, die für das Verständnis der jüdischen Metaphysik relevant sind. Auf Avraham Ibn Ezra und seine Lehren in ihrer Bedeutung für die Metaphysik, aber auch die Integration kabba listischer, neu-platonischer Vorstellungen geht die 17. Pforte ein. A ls A nhang zu diesem für K rochma ls Hebräisch und für seine Logik grund legenden Kapitel sind Zitate aus den Kommentaren und k leineren Schriften Ibn Ezras zusammengestellt. Wie bei einem ersten Blick auf den Inha lt des More Nevukhim des Moshe ben Maimon erweckt auch der Überblick über den MNZ den Eindruck eines nur tei lweise durchdachten Aufbaus.145 Die ersten vier Kapitel scheinen sich an einer auch bei Maimonides zu beobachtenden Dreitei lung zu orientieren, die aber in Kapitel 5, dem ersten rein phi losophischen Teil, unterbrochen wird.146 A n Dies ist einem Brief aus dem Jahre 1836 an Shada l zu entnehmen. Vgl. K rochma l, Writings, 425, Brief 8. 145 Zur scheinbar undurchdachten A nordnung des MN vg l. etwa S. R awidowicz, The Structure of the „ More Nebuchim”, Tarbiz 6 (1935/36), 41 – 89 (hebr.); J. Maier, Ein leitung, in: Mose ben Maimon, Führer, XXX f. 146 Zu dieser an M aimonides orientierten D reitei lung des Werkes vg l . etwa I. Euchel im Vorwort zum Ha-Me’assef 1787, in: I. Euchel, Vom Nutzen der Aufk lärung. Schriften zur Haska la, hg. v. A. Kennecke, Jüdische Geistesgeschichte 3, Düsseldorf 2001, 69 f. 144

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mehreren Stellen ist so zu beobachten, dass die heute vorliegende Reihenfolge der Kapitel nicht ursprüng lich sein kann. Bereits Lachower hat darauf hingewiesen, welche Bedeutung die Frage der richtigen Anordnung der Kapitel für die Interpretation des Werkes hat.147 Wie wir aus einem Brief Goldenbergs wissen, muss die Reihenfolge in dem Zunz vorliegenden Manuskript tatsäch lich noch eine andere gewesen sein. Nach dem Vorwort von Zunz und Goldenbergs brief licher Mitteilung aus dem Jahr 1840 ergibt sich folgende Vergleichsübersicht: 148 Goldenberg (Handschrift des MNZ) ‫א‬ ‫ב‬ ‫ג‬ ‫ד‬ ‫ה‬ ‫ו‬ ‫ז‬ ‫ח‬

Zunz (Druck des MNZ)

Goldenberg (Handschrift des MNZ)

Zunz (Druck des MNZ)

1 2 3 4 Einleitung Vf. 6 7 8

1 2 3 4 5 6 7 8

9 und 10 13 14 11 5 16 17 12 und 15

Für die Rezeptionsgeschichte des MNZ ist somit zu berücksichtigen, dass die siebzehn Kapitel, insbesondere die Pforten 9 – 15, erst von Zunz in die heute bekannte Reihenfolge gebracht worden sind. Fraglich ist insbesondere die Stellung von Pforte 5, da sie in Goldenbergs Liste nicht näher kennt lich gemacht worden ist. Nach Schorsch beinha ltete dieses Kapitel die drei Paragraphen, die heute den Text beinha lten, den Zunz a ls „Vorwort“ des Verfassers bezeichnete, von dem er jedoch berichtet, dass er erst von ihm an den A nfang des Buches gestellt worden ist.149 Vgl. P. Lachower, Le-seder mishnato shel Ra Na’’Q, in: Y. Feichman (Hg.), Sefer Bia l ik, Tel Aviv 1934, 74 – 98. 148 Vg l. Schorsch, P roduction, 287 und 293 f., Brief 1. 149 Vg l. Schorsch, P roduction, 288. Siehe Zunz, Vorwort, in: K rochma l, Writings, B/3. 147

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Der ursprünglichen Anordnung zufolge diente Pforte 5 woh l a ls Einleitung der später nachfolgenden Kapitel historiographischen Inha lts. Die ersten vier Kapitel sollten so ein unabhängiges didaktisches „Prolegomenon“ des gesamten Werkes bilden. Die Umstellung von Zunz war daher nicht konsequent, zuma l das Werk nicht nur a ls eine historiographische und literarische Studie zu lesen ist.150 Wie Zunz zu dieser Veränderung kam, ist unk lar; er bemerkt dazu nur: „Die beiden Pforten 5 und 12 fand ich nur in den früheren Versionen, doch nur ein Teil der Pforten war im Manuskript des Verfassers nummeriert.“151 Mit gewissem Recht könnte man a lso Kapitel 5 überspringen oder an einer anderen Stelle einfügen.152 Zweifelhaft ist auch die A nordnung der Kapitel 12 und 15. Möglicherweise enthielt das von Goldenberg mit der arabischen Ziffer 8 bezeichnete Kapitel nicht nur die langen Zitate aus August Neanders, Genetische Entwick lung der vornehmsten gnostischen Systeme, sondern auch viel Materia l aus K rochma ls Behand lung von Philos Denken (Pforte 12) und der Ursprünge der antiken gnostischen Systeme (Pforte 15).153 Zunz hat das Materia l der Pforten 12 und 15 demnach woh l zunächst unter inha ltlich-chronologischen Gesichtspunkten angeordnet und stellte es zwischen die Kapitel über die Zeit des Zweiten Tempels (Pforte 11) und der Entwick lung der Ha lakha (Pforte 13). Da Pforte 15 ebenfa lls zum größten Teil aus übersetzten Exzerpten aus Neander besteht, gehörte es ursprünglich woh l eher zu diesem Abschnitt.154 Das Thema Kabba la und ihre Ursprünge wurde von Zunz a lso im phi losophischen Teil des Werkes belassen, und dies obwoh l er es für geeignet hielt, diesen Abschnitt vor die Diskussion der Philosophie Hegels und Ibn Ezras zu stellen.155 Vg l. Schorsch, Production, 288. Siehe dazu auch Harris, R abbinic Judaism, 21 – 25. 151 Vg l. Zunz, Vorwort, in: K rochma l, Writings, B/3. 152 So verfährt L andau, Nachman K rochma l, 26, der das K apitel 5 in seiner A na lyse übergeht. Vg l. dazu D. Neumark in: Ha-Shi loaḥ 15 (1905), 271 f. 153 Vg l. Zunz, Vorwort, in: K rochma l, Writings, B/2. 154 Vg l. dazu ausführl ich L achower, Le-seder, 90. 155 So mit Schorsch, P roduction, 288. 150

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Wie bereits von Lachower156 nachgewiesen, gehört die Pforte 12 über Philo eigentlich hinter die Pforten über die Münd liche Tora (Pforten 13 und 14); Pforte 13 und 14 dürften ursprüng lich a lso in anderer Reihenfolge geschrieben und angeordnet worden sein, was leicht zu erkennen ist:157 So wird in Pforte 13 explizit auf das in Pforte 14 Berichtete Bezug genommen,158 und auf ein Diktum wird a ls bereits zitiert verwiesen, welches sich erst in Kapitel 14 findet.159 Lachower zufolge ist auch die unvollendete Pforte 16 fa lsch platziert, bi ldet sie doch so etwas wie die Eröff nung des zweiten Teils des Buches.160 Weitere Beispiele für möglicherweise der Intention des Verfassers widersprechende Umstellungen dieser A rt ließen sich hinzufügen.161 Sie a lle belegen, wie sehr Zunz in die A nordnung der Kapitel eingegriffen hat. Von dem ihm vorliegenden Materia l scheint er jedoch nichts Wesentliches gestrichen zu haben.162

Vgl. Lachower, Le-seder, 86. L achower, ebd.; siehe auch 88. A nders etwa R awidowicz, Mavo, 139, der vermutet, K rochma l hätte noch ein nicht erha ltenes K apitel über die Mündiche Tora verfasst, auf das er am Sch luß von Pforte 14 hinweist. 158 Vg l. K rochma l, Writings, 220: „die griechische Herrschaft … , von der wir zuvor berichtet hatten (Pforte 14)“. Vg l. auch den Hinweis K rochma l, Writings, 253: „Das a lles werden wir aber noch in einer eigenen Pforte über die Münd l iche Tora genauer untersuchen“. Doch bezieht sich dies offensicht l ich auf Pforte 13, die ursprüng l ich hinter Pforte 14 stand. 159 Vg l. K rochma l, Writings, 223. 160 Vg l. L achower, Le-seder, 91. 161 Vg l. K rochma l, Writings, 226; vg l. zu dieser Stelle Sch lüter, Spiritual ity, 106 A nm. 13. 162 Die Vermutung von L achower, Le-seder, 92 f., es hätte einen heute nur noch aus den von Zunz nicht mehr „untergebrachten“ A nmerkungen rekonstruierbaren dritten Haupttei l des MNZ gegeben, lässt sich somit nicht belegen. L achower verweist für den nicht erha ltenen Tei l auf K rochma l, Writings, 408. 156 157

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8. Der Buchtitel

Zunz erwähnt, dass K rochma l sein Werk ursprüng lich „Sha‛are Emuna Ṣerufa“ nennen wollte.163 Zu beachten ist a llerdings, dass das Werk schon 1849 von Ḥayes unter dem Titel „More nevukhim he-ḥadash“ zitiert wird und auch Yosef K rochma l das Werk seines Vaters lange vor dessen Erscheinen a ls „More nebuchim redivivus“ benennt.164 Der heute übl iche Titel des Buches ist offensicht l ich in A nlehnung an den hebräischen Titel des ursprüng lich in A rabisch verfassten, phi losophischen Hauptwerkes des Mose ben Maimon (1138 – 1204), da lā lat a l-hā’irīn („Wegweisung für die Ratlosen“), gewäh lt worden. Schon Zunz betont, der Verfasser selbst habe den Wunsch geäußert, sein Werk nach dem phi losophischen Hauptwerk des Rambam „More nevukhe ha-zeman“ zu betitel n. In zwei unabhängig voneinander verfassten Briefen von N. Horowitz und Sh. L . Goldenberg wird dies bestätigt,165 und diesen Titel nennt dann auch das vorläufige Inha ltsverzeichnis von Goldenberg, welches Zunz vorgelegen hatte, um das Werk zum Druck vorzubereiten.166 Die Bedenken, der Titel „More nevukhe ha-zeman“ sei dem Werk erst nachträg lich von Zunz verliehen worden, lassen sich a lso mit guten A rgumenten entkräften.167 Der später hinzugefügte Untertitel des Werkes, „Pforten des geläuterten Glaubens“, ist dennoch Hinweis auf die eigent liche Intention der Schrift: die Ermögl ichung eines phi losophisch gereinigten, d. h. verstehenVgl. Zunz, Vorwort, in: K rochma l, Writings, B/2. Vgl. Fürst, Nachman K rochma l, 80. 165 Vg l . Brief 11 in S chorsch, P roduction, 301: „ A P ropos ! D er sel ige Schwvater [!] hat oft geäußert, er würde sein Werk ‫ מורה נבוכי הזמן‬nennen.” In Brief 12 von Sh. L . Goldenberg: „ Mein Freund, der weise Forscher, der Große, unser L ehrer, der R av Naḥman Qrokhma l, sel igen A ngedenkens, sagte zu mir viele Ma le, dass es seine Absicht sei, sein Buch, wenn er es voll kommen fertiggestellt habe, ‫ מורה נבוכי הזמן‬zu nennen.“ 166 Vg l. Schorsch, P roduction, 289 und 294, Brief 2. 167 Vg l . etwa K l ausner, Hisṭoria II, 165; L achower, Le-seder, 74 – 78. Siehe auch Qiryat Sefer 17 (1940), 420 f. 163

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den Glaubens für die durch die Philosophie der Gegenwart Verwirrten.168 Selbst wenn der Name des Buches a lso erst posthum verliehen worden sein sollte, der Intention seines Verfassers ist damit zweifellos entsprochen worden: Denn wie Maimonides den aus der arabisch-aristotelischen Logik folgenden Rationa lismus mit traditionellem jüdischen Denken zu vermittel n suchte, so beabsichtigte auch K rochma l, die neue Philosophie seiner Zeit, die er im deutschen Idea lismus erkannte, zu einem Ausgleich mit dem von ihm vertretenen Judentum seiner Zeit zu bringen.169 Wie Mose ben Maimon in seiner Epoche, so sah sich auch K rochma l mit einer besonderen, aus der Philosophie seiner Gegenwart erwachsenden Herausforderung für das Judentum konfrontiert.170 Das dem maimonidischen Werktitel hinzugefügte Wort „zeman“ weist somit programatisch auf den eigent lichen Problemhorizont hin, vor den er sich und seine Zeitgenossen gestellt sah. Die idea listische (zumeist protestantisch geprägte) Philosophie seiner Zeit erachtete das Judentum nach dem bereits von Herder entwickelten Modell, nach dem ein Vol k nur jewei ls eine Blütezeit erleben könne, höchstens noch a ls ein Fossil vergangener Tage – in dieser Hinsicht dürfte K rochma l das Wort „zeman“ im Sinne von Gegenwart verstanden haben. A ndererseits verweist das Wort „zeman“ auf die veränderte Perspektive auf das historische Selbstverständnis des Judentums, das ein phi losophisch ref lektiertes Verstehen für die eigene Identität angesichts zeitgenössischer Einsichten in den Wandel der historischen Bedingungen impliziert. Dementsprechend kann „zeman“ auch im Sinne von Geschichte zu verstehen sein. Zu den unterschied l ichen Übersetzungsmög l ichkeiten des Wortes „nevukhim“ vg l. etwa J. K latzkin, Thesaurus Phi losophicus Linguae Hebraicae et Veteris Recentioris, New York 1968, II 135 s. v. mevukha. Sch lüter, Spiritua l ity, 105 übersetzt: „ Führer der von der Zeit Verwirrten“. 169 Vg l. R apoport, Kerem ḥemed 6 (1841), 49. 170 Vg l . z. B. K rochma l, Writings, 18, 30 f.; 36 und besonders 209. Zum Gan zen vg l. B. Steinberg, Nachman K rochma l, Hermann Cohen and the In f luence of Maimonides on their Thought, Diss. Jerusa lem 1986, 71 – 147 (hebr.); Lehnardt, Maimonides, 444 – 447. 168

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9. Der Umgang mit den historiographischen Quellen

Die wichtigsten Quellen für K rochma ls Geschichtsschreibung sind im ersten Teil seiner Darstellung die biblischen Schriften. A n ihnen übt er, wie bereits angedeutet, nur wenig K ritik, auch wenn er die Bibel kritik der Berliner Haska la ebenso wie diejenige protestantischer Autoren seiner Zeit kennt und etwa die Ein leitung Eichhorns ausdrück lich erwähnt. Insbesondere hinsicht lich des Pentateuchs folgt er jedoch noch weitgehend traditionellem Verständnis, wie es etwa in den von ihm oft zitierten Kommentaren Moshe ben Nachmans und Ibn Ezras vermittelt worden war. Mit Blick auf die zweite Hä l fte der Epoche des Zweiten Tempels kann er sich dann, wie de’ Rossi in seinem Buch Me’or ʽEnayim, auf die sog. Apokryphen und jüdische Schriften aus hellenistischrömischer Zeit stützen, vor a llem auf die Makkabäerbücher, Josephus Flavius und Philo von A lexandrien. Unstimmige und sich widersprechende Aussagen lässt er dabei gelegentlich unberücksichtigt und folgt, wie zuvor Mendelssohn in dem von ihm einige Ma le zitierten Bi᾽ ur und auch Nafta li Hartwig Wessely (1725 – 1805), dessen grammatischen (Bibel)kommentar Gan Naʽul (A msterdam 1765; dann auch Wil na 1772) er kannte und studiert hatte, weitgehend dem einfachen Schriftsinn. Nur geringfügige logische Probleme des Bibeltextes werden von ihm kritisiert, ohne dass sich eine prinzipielle Ablösung von einer „rein“ litera len Hermeneutik konstatieren l ieße.171 Gelegentl ich fi nden sich innovative A na logiesch lüsse, die ihm neue Einsichten hinsicht lich des A lters gewisser Bibelteile ermöglichen.172 Vgl. hierzu Lehnardt, Bibl ica l Criticism, 67 f. Zur einzigen Stelle, an der sich K rochma l eine Konjektur des Tora-Textes erlaubt, vg l. A . Greenbaum, Biqqoret ha-miqra ba-mishnat R a Na’’Q ‛Iyyunim, in: ders. / A . L . Ivry (Hg.), Thought and Action. Essays in Memory of Simon R awidowicz on the Twenty-Fifth A nniversary of his Death, Tel Aviv 1983, 101 – 105, hier 102 (zu E x 20,21). 172 So etwa im H inbl ick auf das von ihm so benannte „griechische Ha llel “. Siehe dazu etwa F. J. Del itzsch, Commentar über den Psa lter II, Leipzig 1860, 343. 171

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Bei der Festsetzung von Zeiträumen und Epochen stützt sich K rochma l auf die traditionell R abbi Yose zugeschriebene „ Baraita“, Seder ‛Olam Rabba (SOR).173 Diese zuerst 1513 in Mantua und dann oft nachgedruckte „Große Weltordnung“ ist es, so betont er, „auf der a ll unsere Lehre [ ‫ ] תלמודנ ו‬basiert.“174 Zwar weist er an mehreren Stellen darauf hin, dass die Zah lenangaben dieser amoräischen Chronik in mancherlei Hinsicht nicht mehr den A nforderungen moderner Geschichtsschreibung genügen,175 und gewisse Ereignisse muss er außerdem mit Hilfe der k leineren, mittela lterlichen Chronik Seder ʽOlam Zuṭa ergänzen.176 Dennoch liefern ihm die rabbinischen Zeitberechnungen in SOR ein wichtiges Orientierungsgerüst, und die biblische Epoche wird von ihm weitgehend nach dieser Ordnung rekonstruiert. K ritik übt K rochma l auch an der Darstellung der Gelehrten der nach-ta lmudischen Zeit, etwa dann, wenn er die Bemühungen des Maimonides in der Vorrede zu seinem Werk Mishne Tora177 gegenüber der Erk lärung des Rav Sherira Ga’on in seinem Schreiben mit einer knappen Bemerkung „a ls zeitlich spätere Erscheinung“ abtut.178 Dass er dabei in seiner Rekonstruktion der rabbinischen Zeit weitgehend dem Iggeret des Rav Sherira (10. Jh.) folgt, belegt wiederum seine Verbindung zur Tradition. Das Schreiben des Gaon diente ihm a ls „methodisch(es) Vorbild“, um „sich aus ta l mudischen Quellen einen in sich sch lüssigen A rgumentationsgang zu Vgl. K rochma l, Writings, 43, 44, 49, 88, 89, 92, 127. Ebd., 127. 175 Vg l. ebd ., 127, 150. I n einem solchen Fa ll, so schreibt er, fi ndet sich Näheres dazu „bereits in anderen Büchern, vor a llem im Me’or ʽEnayim [ des ʽA zarya de’ Rossi ]“, wobei er a llerdings einräumen muss, dass auch dieser Gelehrte Fa lschberechnungen im SOR folgt, womit er sich wie viele andere sehr schwer getan habe. 176 Vg l. ebd ., 89. Vermut l ich l ag ihm das Werk in der Ausgabe D yhernfurt 1810 samt Kommentar des Yehuda Leib ben Menaḥem aus K rotoschin vor. 177 Vg l. The Book of K nowledge by Maimonides, Edited According to the Bod leian (Oxford) Codex with Introduction … and Eng l ish Translation by M. Hymson, Jerusa lem 1965, 1b. 178 Vg l. dazu Sch lüter, Spiritua l ity, 117. 173 174

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erarbeiten.“179 Streckenweise kann für fast jeden Satz a ls Hintergrundinformation auf Sherira verwiesen werden.180 A ndere von ihm benutzte traditione lle historiographische Werke werden selten direkt zitiert, sodass sich an diesen Stellen kaum etwas über seine kritische Distanz zu diesen Büchern entnehmen lässt. A nzunehmen ist, dass er etwa auch den Seder Tanna᾽ im we-Amora᾽ im benutzt hat, doch wird diese gaonäische Chronik von Mose bis zum Absch luss des Ta lmud an keiner Stelle explizit erwähnt.181 Eindeutig und relativ zah l reich sind dagegen die Bezugnahmen auf die Fastenrolle (Megillat Taʽanit) samt dem aus ta l mudischen Quellen redigierten Scholion, die von ihm a ls zuverlässige Geschichtsquelle erachtet werden.182 Nur ein einziges Ma l erwähnt wird der Sefer ha- Qabbala des Avraham ibn Daud (1110 – 1180)183, obwoh l er sich dieses Werkes woh l noch an anderen Stellen bediente.184 Historische A ngaben und Bemerkungen in den Schriften des Rambam übergeht K rochma l dagegen, a llerdings ohne das VorVg l. Sch lüter, Spiritua l ity, 118. R awidowicz, Mavo, 123 A nm. 1 verweist nur knapp auf den Iggeret. 180 Vg l. dazu auch M. Sch lüter, Auf welche Weise wurde die M ishna geschrieben ? Das A ntwortschreiben des R av Sherira Gaon, TSMJ 9, Tübingen 1993, 9 mit A nm. 32. 181 Der Text wurde zuerst von Ḥayyim Dawid A zu lai in Waʽad la-ḥakhamim hinter dem Buchstaben samekh herausgegeben und erreichte in seinem Shem ha-gedolim, Wil na 1852 seine erste weite Verbreitung. 1839 war zuvor in Prag eine Ausgabe von S. D. Luzzatto, Kerem ḥemed 4 (1839), 184 ff. veröffentl icht worden. Vgl. K. K ahan, Seder Tannaim we-A moraim auf Grund mehrerer veröffentlichter und nichtveröffentlichter Texte bearbeitet, übersetzt, mit Ein leitung und erk lärenden Noten versehen, Frankfurt a. M. 1935 (hebr.). 182 Vg l . K rochma l, Writings, 93, 96, 152, 154, 157, 205, 240 f., 254. Siehe dazu V. Noam, Megi llat Ta´anit. Versions, Interpretations, History, with a Critica l Edition, Jerusa lem 2003 (hebr.), 28. 183 Vg l . zu ihm G. D. C ohen, A Critica l E dition with a Transl ation and Notes of The Book of Tradition (Sefer ha- Qabba lah) by Abraham Ibn Daud, Phi ladelphia 1969/70, XVI – XLII. K rochma l benutzte woh l die Edition A msterdam 1710/11. 184 Vg l. K rochma l, Writings, 334. Nach Sch lüter, Spiritua l ity, 114 A nm. 63 waren die Kenntnisse über Ibn Daud durch Zacutos Sefer Yuḥasin vermittelt. 179

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bild damit kritisieren zu wollen. Auffa llend zah l reich sind die Bezugnahmen auf Avraham Zacutos (ca. 1452 – 1515) Sefer Yuḥasin, eine bis in die Zeit des Autors reichende Skizze der Chronologie der Rabbinen und der Überlieferung der Münd lichen Tora.185 Einige Ma le zurate gezogen wird von ihm auch der Seder ha-Dorot des Yeḥi’el Heilprin (1660 – 1746)186, eine umfangreiche ebenfa lls bis in die Gegenwart des Verfassers reichende genea logische Schrift der Gesch lechter seit der biblischen Zeit, die a llerdings ebenso wie die anderen erwähnten Chroniken nicht a ls ein direkter Vorläufer der prosaischen Geschichtsschreibung K rochma ls betrachtet werden kann, sondern eher noch mit SOR zu vergleichen ist.187 Keine historiographische Quelle im eigent liche Sinne ist das ta l mudische Lexikon ʽArukh des Natan ben Yeḥi’el aus Rom (11. Jh.), aus dem er dennoch zitiert und es a ls zuverlässig erachtet.188 Besonders aufsch lussreich für K rochma ls Quellenumgang ist, dass er kabba listische Bücher wie den Sefer ha-Bahir nicht (mehr) für spätantik, sondern für „erst in späteren Generationen“ verfasste Schriften hä lt.189 Sogar den von seinen chassidischen Zeitgenossen hochgeschätzten Zohar,190 den er einige Ma le anführt, versteht er a ls eine pseudepigraphisch Shimʽon ben Yoḥai zugeschrieVgl. K rochma l, Writings, 218. – Wahrschein l ich lag ihm die Ausgabe Zółkiew 1799 dieses A nfang des 16. Jahrhunderts vollendeten Werkes vor. 186 Vg l. ebd ., 170, 218*. 187 Siehe zu ihm Z . R . R abinovitz, A rt. Hei lprin, Jehiel ben Solomon, EJ 8 (1972), 268. – Entweder benutzte er die Edition K arl sruhe 1769 oder Warschau 1820. 188 Vg l. A lexander Kohut (Hg.), A ruch completum sive lexicon vocabu l a et res, quae in l ibris Targumicis, Ta l mudicis et Midrashicis continentur, expl icans auctore Nathane fi l io Jechiel is, I – VIII, Wien 1878 – 1892, Ndr. New York 1955, IX (Additamenta, hg. v. S. K rauss), Wien 1932, Ndr. New York 1955 (hebr.). Vgl. K rochma l, Writings, 176. Ihm dürfte die Ausgabe 1480 oder 1531 vorgelegen haben. 189 Ebd., 258. 190 Vg l. den dem Baʽa l Shem Ṭov zugeschriebenen Ausspruch: „Wenn ich das Buch Zohar öff ne, so schaue ich die ganze Welt.“ Vg l. Die Geschichten vom Baʽa l Schem Tov. Schivche ha-Bescht, Tei l 1: Hebräisch mit deutscher Übers., hg. v. K. E. Grözinger u. a., Jüdische Ku ltur 2, Wiesbaden 1997, 39 f. 185

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bene Schrift mit eigener Dignität. Die Weisheit der Kabba la hä lt er für ä lter a ls die sie tradierenden Schriften, sodass sie positiv und etwa im Vergleich mit ä lteren gnostischen Lehren in seine Darstellung integriert werden kann.191 Diese Einbeziehung der Kabba la in sein historisches Denken ist insofern bemerkenswert, a ls er andererseits bereits Yosef Shelomo Del medigos (1591 – 1655)192 und auch Ya‛aqov Emdens (1697 – 1776)193 fundamenta le K ritik am A lter einiger Teile des Zohar kannte und sich im Übrigen der verbreiteten Schelte der auf kabba listischen Vorstellungen basierenden pseudo-messianischen Lehre des Sabbatianismus ansch ließt.194 Wie weit sich die von K rochma l gewäh lte Methode und seine Quellenkritik von traditionellem Muster zu lösen beginnt, wird daneben an seiner Rezeption christ licher Literatur, insbesondere auch des Neuen Testaments, ersicht lich. A ls historisch zuverlässigen Beleg für das hohe A lter der Ha lakha des Händewaschens verweist er etwa auf eine Stelle aus dem Evangelium,195 und sogar Pau lus kann von ihm in einer bemerkenswerten Formu lierung a ls Vgl. K rochma l, Writings, 47, 258, 307. Siehe dazu Rawidowicz, Iyyunim II, 268 f. 192 Vg l. hierzu etwa A . G eiger, Melo Chofnayim. Biographie Josef Sa lomo del Medigo’s, dessen Brief an Serach ben Nathan, hg. v. W. Wi l zig, Berl in 1840, 10 f.; Sefer Behinat ha-Dat of El ijah del-Medigo, hg. v. J. J. Ross, Tel Aviv 1984, 94 f. (2. Druck Wien 1833). Und siehe K rochma l, Writings, 241, wo er aus dem Sefer Elim, hg. v. Manasse ben Yisra᾽el, A msterdam 1629, zitiert. 193 Vg l. zu ihm etwa M. Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: ders. / M. Graetz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte der Neuzeit I: Tradition und Aufk lärung 1600 – 1780, München 1996, 226 f. 194 Vg l . K rochma l, Writings, 307, wo er Yaʽaqov E mdens, Sefer Miṭpaḥat Sefarim, A ltona 1768, zitiert, eine Schrift, in der dieser entschiedene Gegner des Sabbatianismus vorsichtige K ritik am A lter des Zohar äußert. Zur K ritik an Shabbatai Ṣevi vg l. noch K rochma l, Writings, 271. Siehe auch Ṣ. M. Pineles, Mikhtav 28, Kerem ḥemed 2 (1836), 168 – 171, und zur Glaubwürdigkeit des Zohar vgl. ebd. A nonymus, 154 f. 195 Vg l. K rochma l, Writings, 215. E rwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch ein Abschnitt aus einem Stück des MNZ , den Zunz nicht mehr an seine Stelle einfügen konnte, in K rochma l, Writings, 407, wo er auf die Genea logie zu Beginn des Matthäus-Evangel iums (1,17) verweist, um die Generationenabfolge seit Abraham zu rekonstruieren. 191

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Schü ler R abban Gam l i’els gewürdigt werden.196 Seine Offenheit gegenüber von Christen verfassten wissenschaft l ichen Werken brachte ihm Vorwürfe ein. Des Öfteren erwähnt er dennoch vorsichtig „die jüngsten unter den christ lichen Forschern“,197 womit zunächst woh l J. G. Eichhorns, Ein leitung in das A lte Testament, gemeint war, ein Werk, welches ihm manche Einsicht in die Genese biblischer Schriften vermittelt zu haben scheint.198 Dass er sch ließlich sogar das bis heute gebräuch liche deutsch-hebräische Wörterbuch von Wilhelm Gesenius zitiert, rundet den Eindruck von einem für seine Zeit und sein Umfeld ungewöhn lich offenen Umgang mit christlicher Literatur und dem Christentum insgesamt ab.199 Mohamed und der Islam spielen demgegenüber nur eine margina le Rolle.200 Ein Bezugspunkt für K rochma ls Historiographie war die „Geschichte der Israeliten seit der Zeit der Maccabäer bis auf unsre Tage“ von I. M. Jost (1820 – 1828), die er an einer Stelle im Hinblick auf ein Detailproblem sogar ausdrück lich erwähnt.201 In seinem Werk lässt sich zwar keine explizite Auseinandersetzung mit Jost finden; implizit ist seine Darstellung dennoch a ls eine A rt der Widerlegung dieser viel beachteten „l ibera len“ Geschichtsschreibung zu verstehen.202 Vgl. K rochma l, Writings, 97, und siehe dazu Y. A mir, New Paths towards Christianity and Islam in the Thought of Nachman K rochma l and El ijah Benamozegh, in: G. K. Hassel hof (Hg.), Die Entdeckung des Christentums in der Wissenschaft des Judentums, SJ 54, Berl in, New York 2010, 213 – 238, hier 222. 197 Vg l. K rochma l, Writings, 136. 198 Vg l. ebd., 166. 199 Vg l. ebd., 146. 200 Vg l. ebd., 41 und 253. 201 Vg l. ebd ., 126. E r bezieht sich an dieser Stelle auf I. M. Jost, G eschichte der Israel iten seit der Zeit der Maccabäer bis auf unsre Tage nach den Quellen bearbeitet, I – X, Berl in 1822 – 1828, II, 105 A nm. 8. 202 Vg l . zur Jost’schen G eschichtsschreibung R . M ichael, I. M. Jost und sein Werk, Leo Baeck Bu lletin 12 (1960), 239 – 258; S. W. Baron, I. M. Jost the Historian, in: ders. / A. Hertzberg / L . A. Feldman (Hg.), History and Jewish Historians. Essays and Addresses, Phi ladelphia 1964, 240 – 262. 196

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Wichtiger für seine Geschichtsschreibung war zweifellos das umfassende Hauptwerk ʽAzarya de’ Rossis, der 1573 zum ersten Ma l publizierte Me’or ʽEnayim.203 Dieses monumenta le opus tripartitum hatte auf die osteuropäische Haska la besonderen Einf luss, und dies obwoh l oder gerade wei l es lange Zeit a ls gebannt ga lt oder zumindest in dem Ruf stand, mit den rabbinischen Traditionen nicht im Eink lang zu stehen.204 Jede Referenz an dieses Werk konnte das Misstrauen traditioneller oder chassidisch geprägter K reise nach sich ziehen.205 Bereits die zah lreichen Bezugnahmen auf den Me’or ʽEnayim bringen insofern erneut die relative Unabhängigkeit gegenüber traditionellen K reisen zum Ausdruck.206 In vielen Details stützt sich K rochma l direkt auf ʽAzarya, oder er verweist darauf, man solle mit Hilfe des Me’or ʽEnayim selber untersuchen, was er nur skizzieren könne. 207 Urteile über Ereignisse und Personen entnimmt er so direkt von de’ Rossi: etwa bezüglich der richtigen Reihenfolge der Hohepriester zur Zeit des Zweiten Tempels, die Beurteilung Yannais und weitere historiographische Einzel heiten, die sich anhand der Quellen nicht eindeutig entscheiden ließen, sondern konjiziert werden müssen. 208 Sogar Welche Ausgabe er verwendet hat, ist nicht sicher rekonstruierbar; bereits ab 1794 lag die Berl iner Edition von I. Satanow vor. Erreichbar dürfte auch der Druck von A. Schmid (Wien 1830) gewesen sein. 204 Vg l. dazu R awidowicz, K rochma l a l s H istoriker, 74 A nm. 3. E r weist darauf hin, dass Zunz in seiner de’ Rossi-Biographie drei hebräische Forscher erwähnt, die ʽA zarya zur Kenntnis genommen hatten: R apoport, Hayes und Letteris. Doch in den Ergänzungen zu der erwähnten Biographie zäh lt er auch K rochma l unter die Forscher, die auf ʽA zarya Bezug nahmen. Siehe L . Zunz, Toledot Rabbi ʽAzarya min ha-Adumim, Kerem ḥemed 5 (1841), 131 – 158 (mit zusätz l ichen A nmerkungen von S. R apoport); 7 (1843), 119 – 124. Vg l. auch A. de’ Rossi, Me’or ʽEnayim, Wi l na 1864, 28. 205 Vg l. dazu M. Benyahu, The Polemic Regarding the Me’or E nayim of A zaryah de’ Rossi, Asufot 5 (1991), 213 – 265 (hebr.); J. Weinberg, in: A zariah de’ Rossi, The Light of the Eyes, Translated from the Hebrew with an Introduction and A nnotations, YJS 31, New Haven, London 2001, XXI. 206 Vg l. K rochma l, Writings, 59, 150, 159, 166, 239, 241, 246. 207 Vg l. ebd ., 59. 208 Vg l . de’ Rossi, L ight of the Eyes, 347 – 350; K rochma l, Writings, 76 f. 203

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hinsicht l ich der Frage des A lters von Voka lzeichen und A kzenten folgt er de’ Rossi,209 und nur bei der Erörterung exegetischer Einzelprobleme geht er gelegentlich über das große ita lienische Vorbild hinaus.210 Wie bei de’ Rossi nehmen im MNZ die historischen Informationen der Werke des Josephus und Philos breiten Raum ein.211 De’ Rossi wie K rochma l folgen Josephus etwa hinsicht lich ihrer Darstellung der Sekten der Pharisäer, Sadduzäer und Essener. A llerdings wertet der Ga lizier die Essener, „die hei lige Gemeinschaft“, aufgrund ihrer vermeint lichen geistigen Nähe zu den Kabba listen viel positiver.212 K ritischer und zurückha ltender a ls de’ Rossi zieht K rochma l dagegen die mittela lterliche, in Ita lien entstandene hebräische Chronik des Yosippon zurate.213 Die Lehre Philos (hebr. Yedidya) stellte bereits für de’ Rossi ein prinzipielles Problem dar, und in den Abschnitten III – IV des Kapitels Imre Bina ist von ihm daher ausführlich diskutiert worden, inwieweit man den Schriften des A lexandriners überhaupt Glauben schenken und sie desha lb a ls jüdisch erachten dürfe. 214 A nders dagegen K rochma l, der zwar einräumt, Philos Lehren erschienen manchma l a ls „minderwertig“.215 Doch seiner Meinung nach sind sie nicht nur einer gründ lichen A na lyse wert, sondern im Unterschied zu de’ Rossi hä lt er Philo sogar für einen wichtigen RepräVgl. de’ Rossi, Light of the Eyes, 699 – 709; K rochma l, Writings, 198 f. So etwa in der Frage der Autorenschaft des Buches Qohelet, das nach de’ Rossi (Light of the Eyes, 277) von König Sa lomo stammt, während dieser A nnahme von K rochma l, Writings, 140 (im Gefolge von E xegeten wie Eichhorn) entschieden widersprochen wird. Vg l. R awidowicz, Iyyunim II, 267. 211 Vg l. Weinberg, in: de’ Rossi, L ight of the Eyes, XXXVII. 212 Vg l. de’ Rossi, L ight of the Eyes, 106 f.; K rochma l, Writings, 76 f. und 176. Zu den Essenern bei K rochma l vg l. P. L achower, Nigle we-nistar bemishnato shel Ra Na’’Q, K nesset 6 (1941), 296 – 332, hier 311. 213 Vg l. K rochma l, Writings, 60, 66. 214 Vg l . S. W. Baron, A zariah de’ Rossi’s H istorica l Method, in: ders. / Hertzberg / Feldman (Hg.), History, 205 – 239, hier 223. Dazu G. Veltri, Gegenwart der Tradition. Studien zur jüdischen Literatur und Ku lturgeschichte, JSJ. S, Leiden, Boston, Köl n 2002, 286 – 292. 215 K rochma l, Writings, 175. 209 210

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sentanten der höchsten Erscheinungsform der Religion, für einen Maskil und Gläubigen zugleich.216 Bei a ller Abhängigkeit Krochma ls von de’ Rossi bleibt sein Urteil a lso unabhängig. Auch im Vergleich der Konzeptionen der beiden Werke ist der deut liche Unterschied nicht zu übersehen: Während deʼ Rossi versucht, „reiner“ Historiker zu sein und zu bleiben (wobei sein Werk trotzdem eindeutig apologetische Züge trägt), sucht K rochma l trotz a ller Einzel kritik an den Quellen stets die größeren Zusammenhänge hinter der jüdischen Geschichte zu erkennen und das so von ihm postu lierte organisch-zyk lische System des Wachsens und Vergehens vor dem Hintergrund eines kontinuierlich inhärierenden Vol ksgeistes zu entfa lten, in das er seine Einzelbeobachtungen einträgt. 217

10. Ausblick

Einzelaspekte der Philosophie K rochma ls sind in zah lreichen Aufsätzen und in der Monographie von Jay M. Harris untersucht worden. Im Zentrum der Diskussionen stand und steht sein Verhä ltnis zur idea listischen deutschen Philosophie, insbesondere zu Herder, Hegel und Schelling. Trotz eindeutiger Bezugnahmen auf Kant ist Hegel, „der große deutsche Philosoph“, der Einzige, der von ihm eindeutig erwähnt wird. 218 Wie der Pränumeraten liste der Erstauflage von Hegels Werken zu entnehmen ist, gehörte K rochma l zu den wenigen Vorbestellern seiner Werke in Ga lizien.219 Vg l. R awidowicz, Iyyunim II, 263 unter Bezug auf einen Brief an Shmu’el Goldenberg, in K rochma l, Writings, 439, Brief 13. Vgl. auch Lachower, Nigle, 311 – 313. 217 Vg l . B aron, A zariah, 221, 230 f.; R awidowicz, Iyyunim II, 267. Zu dem von ihm entworfenen zyk l ischen Geschichtsmodell vg l. ausführl ich M. Sch lüter, Jüdische Geschichtskonzeptionen der Neuzeit. Die Entwürfe von Nachman K rochma l und Heinrich Graetz, FJB 18 (1990), 175 – 205, hier 179 – 192. 218 K rochma l, Writings, 290. Zu einer E rwähnung Hegel s 1839 in einem Brief an seinen Sohn Avraham vg l. K rochma l, Writings, 432, Brief 12. 219 Vg l. dazu L andau, Nachman K rochma l, 11 A nm. 3. Vg l. die unpagi216

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Neuere Studien befassen sich unter anderem mit K rochma ls Sicht des Individuums, seiner Rekonstruktion der Entstehung des jüdischen Rechtssystems (Ha lakha), seiner Bibel kritik, seiner Sicht des Christentums bzw. des Islams, seinem Geist-Begriff sowie mit der Wirkungsgeschichte seines Werkes innerha lb der Wissenschaft des Judentums. Weitere Aspekte der Rezeption im osteuropäischen Judentum, insbesondere in Russland, sind erst in jüngerer Zeit bearbeitet worden. 220 11. Bibliographie

I. Schriften Nachman K rochma ls More nevukhe ha-zeman [ Nachman K rochma l ] More neboche ha-seman sive Director errantium nostrae aetetis, Opus ad illustrandas Judaeorum antiquitates et leges, Philosophiamque, inprimis celeberrimi Aben Esrae doctrinam de divino scripsit Nachman K rochma l incola Zol kieviensis jubente Auctore digestum praefatione instructum et editum a L. Zunz, secunda emeliorate editio augmentata per biographiam ejus et a lcunis litteris ejusdem a Michael Wolf magistri religionis, Lemberg 1863 (hebr.) (= Edition Wolf). [ Nachman K rochma l ] The Writings of Nachman K rochma l, edited with Introduction by Simon Rawidowicz, Second En larged Edition, Wa ltham / Mass. : A rarat 1961 (hebr.) (= K rochma l, Writings). Naḥman Qrokhma l, More nevukhe ha-zeman, edited by Yehoyada A mir, Jerusa lem 2010 (hebr.) [ Ndr. der Edition 1961 im Verlag Karmel samt neuem Vorwort, Begriffslexikon und Bibelstellenverzeichnis ]. nierte Liste in Hegels Gesammelten Schriften I, Berl in 1832, wo K rochma l neben drei Buchhänd lern a l s einziger privater Vorbesteller aufgeführt ist. 220 Vg l. V. Dohrn, Jüdische E l iten im Russischen Reich, Beiträge zur G eschichte Osteuropas 44, Köl n, Weimar, Wien 2008, 113 f., 152, 277.

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Briefe (nach K rochma l, Writings, 412 – 458) Iggeret 1, [ a n Ze’ev Wolf Shiff ], Shu lamit und Ha-Ṣefira, Żółkiew 1824 [ = Appendix in der hg. v. Wolf und Shapira-Elefin ]. Iggeret 2, Sefer Kerem ḥemed 1 (1833), 90 – 92. Iggeret 3, Sefer Kerem ḥemed 1 (1833), 123 f. Iggeret 4, (eigent l ich handelt es sich um ein weiteres Grußwort zu dem Brief des Sh. Y. Rappoport an Ṣevi Hirsh Ḥayes; vgl. das Vorwort) Oṣar Neḥmad, Wien 1832. Iggeret 5, (eingefügt in einen Brief des Sh’’Sh an „Korem“), Kerem ḥemed 2 (1834), 109 – 112 [ = Appendix in den Ed. Wolf und Shapira-Elefin ]. Iggeret 6, gedruckt in dem Buch Mikhtave sefat qodesh von A. Bondi, Prag 1857, 33. Iggeret 7, bis heute unpubliziert, aufgefunden durch den Oberrabbiner von Südafrika, Dr. J. L . Landau. Iggeret 8, gedruckt in Sefer Mikhtave bene qedem, von Meʼir ha-Lewi Letteris, Wien 1866, 65 – 67. Iggeret 9, aus dem Schreiben des Yom Ṭov L ipman Zunz über Ra Na’’Q (= ders., Nekrolog K rochma l ’s, Gesammelte Schriften II, Berlin 1876, 156). Iggeret 10, (hg. v. J. L. Landau) in: Festschrift Adolf Schwarz, Berlin, Wien 1917, 48 – 51. Iggeret 11, Sefer Kerem ḥemed 4 (1839), 248 f. Iggeret 12, aus dem Schreiben des Yom Ṭov Lipman Zunz an Ra Na’’Q (= ders., Gesammelte Schriften II, Berlin 1876, 157). Iggeret 13, Sefer Kerem ḥemed 4 (1839), 260 – 274 [ = Appendix in der Ed. Wol f und Shapira-Elefin ] (zu Pharisäern und Saddu zäern; eine A ntwort auf Sh. D. Luzzatto, Kerem ḥemed 3, 1838, 61 – 76). Iggeret 14, Sefer Kerem ḥemed 9 (1841), 14 – 19. Iggeret 15, aus dem Schreiben des Yom Ṭov Lipman Zunz an Ra Na’’Q (ders., Gesammelte Schriften II, Berlin 1876, 158). Iggeret 16, (durch Ch. D. Friedberg) in: Mikhtave mi-ḥokhme dor ha-‛avar, 3 – 5. Iggeret 17, (durch J. L . L andau) in: Festschrift Adol f Schwarz, 52 – 54.

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Iggeret 18, (durch Ch. D. Friedberg) in: Mikhtavim mi-ḥokhme dor ha-‛avar, 1 – 3. Edition Sefer Sha‛ar Shamayim Mikhtav 2, in: Kerem ḥemed 4 (1839), 5 – 9 (siehe dazu H. Greive, Studien zum jüdischen Neuplatonismus. Die Religionsphi losophie des Abraham Ibn Ezra, SJ 7, Berlin, New York 1973, 22). II. Literatur zu Nachman K rochma l

A mir, Y. : K rochma l and Psa l m CXXXVII, Tarbiz 111 (1991/92), 527 – 544 (hebr.). – The Father of the Nation and the Faith versus the Master of the Prophets in the Teaching of R. Nahman K rochma l, in: M. Ha llamish, H. Kasher, Y. Sil man (Hg.), The Faith of Avraham. In the Light of Interpretation throughout the Ages, Ramat- Gan 2002, 205 – 227 (hebr.). – The Perplexity of our Time: Rabbi Nachman K rochma l and Modern Jewish Existence, Modern Judaism 23 (2003), 264 – 301. – New Paths towards Christianity and Islam in the Thought of Nachman K rochma l and Elijah Benamozegh, in: G. K. Hasselhof (Hg.), Die Entdeckung des Christentums in der Wissenschaft des Judentums, SJ 54, Berlin, New York 2010, 213 – 238. Anonymus: Nachman K rochma l, Einleitung, unpubliziertes Manuskript, Leo Baeck Institute New York AR 7066 „Kurt Hirschfeld“ (der nicht Autor dieses Manuskripts sein kann). Avineri, S. : The Making of Modern Zionism. Intellectua l Origins of the Jewish State, New York 1981. – Nachman K rochma l: Die Hegel ianisierung der Jüdischen Geschichte, in: ders., Profi le des Zionismus: Die geistigen Ursprünge des Staates Israel. 17 Porträts, Gütersloh 1998, 29 – 38. – Hegel and the Emergence of Zionism, Bu lletin of the Hegel Society of Great Britain 6 (1982), 12 – 17.

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– The Fossil and the Phoenix: Hegel and K rochma l on the Jewish Vol ksgeist, in: Robert L . Perkins (Hg.), History and System. Hegel ’s Philosophy of History, Suny Series in Hegelian Studies, A lbany 1984, 47 – 72. Barditzewsky, M. Y. : Ṣiyyun le-Ranaq, Oṣar ha-sifrut 2 (1888), 362 – 364. Bat-Yehuda, G. : Rabbi Naḥman Qrokhmal we-tefisato ha-le’umit, A reshet (1943), 419 – 430. Ben Yisra’el, A. : Rabbi Naḥman Qrokhmal, Yaffo 1913. Berger, J. : The Historiosophy of Nachman K rochma l, unpublizierte MA-These, Bar Ilan University, Ramat Gan 1998 (hebr.). Bernfeld, Sh. : Ha-Rav Rabbi Naḥman Qrokhmal u-mishpaṭaw ‛al Yisra’el, Ha-Meliṣ 28 (1888), Heft 3, 6, 8, 10, 15, 19, 21. – Toledot Shir, Berlin 1898. – Da‛at Elohim II, Warschau 1899, Ndr. Jerusa lem 1971, 584 – 592. – Dor ḥakham. Monografia ‛al d’ ḥokhme ʽamenu ha-meṣuyanim be-me’a ha-Y’’T, Warschau 1914, 9 – 29. Bia le, D. : Gershom Scholem. Kabba lah and Counter-History, Cambridge / Mass. u. a. 1979. – The Kabba lah in Nachman K rochma l ’s Philosophy of History, JJS 32 (1981), 85 – 97. Bia loblozky, S. : Em le-massoret ha-perush we-ha-halakha, K nesset 6 (1941), 345 – 380. Bloch, J. : K rochma l, Nachman, UJE 5 (1948), 472 – 474. Buber, M. : Goyim we-Elohaw, K nesset 6 (1941), 287 – 295 [ = Die Götter, die Völ ker und Gott, in: Abraham unser Vater. Juden und Christen im Gespräch über die Bibel. FS Otto Michel, hg. v. O. Betz /  M. Hengel / P. Schmidt, AGJU 5, Leiden 1963, 44 – 57 ]. – Israel und die Völ ker, Neue Wege 35/3 (1941), 101 – 113. Castelbolognesi, G. : Nachman K rochma l e la moderna scienza dell ’ Ebraismo, in: Circolo Israel itico Ferrarese di Cu ltura, Florenz 1923 (n. v.). Diman, M. : Rimze biqqoret be-Tora be-sifro shel Ra Na’’Q, Tarbiz 18 (1946/47), 59 – 61. Dubnow, S. : Weltgeschichte des jüdischen Vol kes – Die neueste Geschichte des jüdischen Vol kes IX: Das Zeita lter der ersten

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– Mikhtav 2: Sefer Sha‛ar Shama‛yim le-ḥakham Rabbi Avraham ben Ezra Z’’L Q’’Y, in: Kerem ḥemed 4 (1839), 5 – 9. – Sefer ha-Shem, hg. v. G. H. Lippmann, Fürth 1834, Ndr. Jerusa lem 1970. – Sefer ha-Ṣahut, in: Abraham Ibn Ezra Reader, A nnotated Texts with Introduction and Commentaries, by I. Levin, New York, Tel Aviv 1985, 377 – 398. – Sefer Iyyov ʽim perush Ibn Ezra me’et Rabbi Avraham ibn Ezra, yoṣe le-or ʽa l pi ketav-yad ʽim mavo, heʽarot u-vi’urim ḥi lufe girsa’ot we-liqquṭim me’et Mordekhai Sha’u l Gudman, Jerusalem 2009. – Sefer Moznayim. Introcucción en (castellano e inglés), hg. v. critica del texto hebreo y version castellana de L . J. Patón, completada y reeleborada par Á. Sàenz-Badillos, Cordoba 2000. – Sefer Ṣahut me-ha-ḥakham ha-gadol Rabbi Avraham b’’R Me’ir ha-sefaradi ha-mekhune ben Ezra, N’’‛, mevu’ar be’er heṭev me’et G. H. Lippman, Fürth 1827, Ndr. Jerusa lem 1970. – Sefer Yesod Mora le-ha-Rav Avraham ibn Ezra kolel heʽarot nikhbadod ʽal ha-Tora we-ha-miṣwot, Frankfurt a. M. 1840. Goldhardt, N. A. : Abraham Ibn Esra. Sepher ha-Echad, liber de novem numeris cardina libus, Odessa 1867 (hebr.). Gómez A randa, M. : El Comentario de Abraham Ibn Ezra A l Libro del Eclesiastés. Introducción, traducción y edición crítica, Madrid 1994. Lipshitz, A. : The Commentary of Rabbi Abraham Ibn Ezra on Hosea. Edited from Six Manuscripts and Translated with an Introduction and Notes, New York 1988. Luzzatto, Sh. D. : Mikhtav 2, in: Kerem ḥemed 3 (1838), 173 – 179. Mathews, H. J. : Abraham Ibn Ezra’s Commentary of the Canticles, after the fi rst Recension: Edited from the Mss., with a Translation, London 1874. Rottzoll, D. U. : Abraham Ibn Esras Kommentar zur Urgeschichte. Mit einem A nhang: Raschbams Kommentar zum ersten Kapitel der Urgeschichte, übers. u. erk lärt, SJ 15, Berlin, New York 1996. – Abraham Ibn Esras Kommentare zu den Büchern Kohelet, Ester und Rut, SJ 12, Berlin, New York 1999.

Einleitung

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– Abraham Ibn Esras Kommentar zum Buch Exodus I – II, eingeleitet, übersetzt und kommentiert, SJ 17, Berlin, New York 2000. Silberberg, Moritz: Sefer ha-Mispar. Ein arithmetisches Werk von Abraham ibn Esra. Text der Ein leitung des A. ibn Esra mit deutscher Ein leitung und A nmerkungen, Ha lle-Wittenberg 1891.

Avraham ben Shmu’el Zacuto (ca. 1452 – 1515) Avraham ben Shmu’el Zacuto: Sefer ha-Yuḥasin, Żółkiew 1799. – Sefer Yuḥasin, hg. v. H. Filipowski, Jerusa lem 21962/63. ʽAzarya de’ Rossi (1511 ?–1577 ?) Azariah de’ Rossi: The Light of the Eyes, Translated from the Hebrew with an Introduction and A nnotations by J. Weinberg, YJS 31, New Haven, London 2001. Sefer Me’or ʽEnayim ḥibbero ha-Rav ha-ḥakham R’ ‛Azarya min ha-Adumim ʽim mahadura rishona we-sheniya we-hasagot ha- Ga’on R’ Moshe Provonṣali, Wien 1830. Sefer Me’or ʽEnayim le-Rabbi ‛Azarya min ha-Adumim … im haqdama kollelet … me’et D. Cassel, Wil na 1864 – 1866, Ndr. Jerusa lem 1969/70.

Baḥya ibn Paquda (11. Jh.) The Book of the Direction to the Duties of the Heart from the Origina l A rabic Version of Bahya Ben Joseph Ibn Paquda’s. Introduction, Translation and Notes by M. Mansoor, London 1973. Eliyahu mi-Wilna Gaon (1720 – 1797) Eliyahu mi-Wilna: Qol Eliyahu, Petersburg 1905. Moshe ben Maimon (Rambam) (1135 – 1204) Acht K apitel. Eine Abhand lung zur jüdischen Ethik und Gotteserkenntnis, A rabisch und Deutsch von M. Wolff. Mit einer Einführung und Bibliographie von F. Niewöhner, 2. durchgesehene Auf lage, Hamburg 1992. Das Buch der Erkenntnis. Sefer ha-Mada‛, zusammen mit einem teilweisen Ndr. der Ausgabe von M. D. Rabinowitz, Mossad haRav Kook, 1988, und der Übersetzung von Chaijm Sachs, Peters-

LXVIII

A ndreas Lehnardt

burg 1850, hg. v. E. Goodman-Thau / Ch. Schu lte, Jüdische Quellen 2, Berlin 1994. The Guide of the Perplexed. Hebrew Translation from the A rabic. A nnotations, Appendices, and Indices, I - II, Tel Aviv 2002 (hebr.). The Guide of the Perplexed, translated with an Introduction and Notes by Sh. Pines, with an Introductory Essay by L . Strauss, Chicago, London 1963. Letters and Essays of Moses Maimonides II, hg. v. I. Shailat, Maa leh Adumim 5748 (1988). The Medica l Aphorisms of Moses Maimonides, Maimonides’ Medica l Writings, Translated and A nnotated by F. Rosner, with Bibliographhy by J. I. Dienstag, Haifa 1989. Mishna ‛im perush Rabbenu Moshe ben Maimon, targum mi-‛aravit ‛al yede ketav ha-yad ha-meqori we-hosif mavo we-he‛arot, hg. v. Y. D. Qafih, I – VI, Jerusa lem 1963 – 1968. Mishneh Torah. The Book of K nowledge by Maimonides. Edited According to the Bod leian (Oxford) Codex with Introduction … and English Translation by M. Hymanson, Jerusa lem 1965. Mishneh Torah. Yad ha-Hazaka of Moshe ben Maimon, According to the 1489 Constantinople Edition with Variae Lectiones from Unpublished Manuscripts and Early Editions, and A nnotation of Sources, hg. v. J. Cohen et a l., Jerusa lem 1964. Mishne Tora hu yad ha-ḥazaqa le-ha-nesher ha-gadol Rabbenu Moshe ben Maimon, I – IV, Wilna 1900. More Nebuchim sive l iber Doctor Perplexorum auctore R. Mose Majemonide tradicio idiomate conscriptus, R. Samuele Abben Thibbone in linguam Hebraeam translatus, novis commentaris uno R. Mosis Narbonnis … , nunc in lucem editus cura et impensis Isaaci Eucheli, Berlin 1795 (hebr.). Mose ben Maimon: Führer der Unsch lüssigen. Übersetzung und Kommentar von A. Weiß. Mit einer Ein leitung von J. Maier, I – II, Hamburg 21995. Moshe ben Maimon: Iggerot we-she’elot u-teshuvot, Amsterdam 1712. Moshe ben Maimon: Mishne Tora: Sefer ha-mada‛, hg. v. Sh. T. Rubinstein, Jerusa lem 1957.

Einleitung

LXIX

Rabbenu Moshe ben Maimon: Pirqe Moshe [ be-refu’a ], be-targumo shel R . N. Hamati, hg. v. S. Muntner, Jerusa lem 1959. Sefer ha-Miṣwot la-Rambam ʽal-pi defus rishon Qushta ‘270 ʽim hassagot ha-Ramban, hg. v. Ch. D. Chavel, Jerusa lem 1981. Moshe ben Naḥman (Ramban) (1194 – 1270) Moshe ben Naḥman: K itve R abbenu Moshe ben Naḥman, hg. v. H. Chavel, I – II, Jerusa lem 1963. Mutius, H.- G. von: Die christ lich-jüdische Zwangsdisputation zu Barcelona nach dem hebräischen Protokoll des Moses Nachmanides, JudUm 5, Frankfurt a. M., Bern 1982. Perushe ha-Tora le-Rabbenu Moshe ben Maimon (Ra MBa’’N) ‛al pi kitve yad we-defusim rishonim be-ṣeruf he‛arot u-mar’e meqomot, hg. v. H. D. Chavel, I – II, Jerusa lem 1959. Ramban (Nachmanides) Commentary on the Torah, Translated and A nnotated with Index by Ch. B. Chavel, I – V, New York 1971. Seder ʽOlam Zuṭa Medieva l Jewish Chronicles and Chronologica l Notes. Edited from Books and Manuscripts by A. Neubauer, II, Oxford 1895, Ndr. Jerusa lem 1967 (hebr.). Seder Tannaim we-Amoraim Kahan, K. : Seder Tannaim we-A moraim auf Grund mehrer veröffent l ichter und nichtveröffent l ichter Texte bearbeitet, übersetzt, mit Ein leitung und erk lärenden Noten versehen, Frankfurt a. M. 1935 (hebr.). Sefer Yeṣira Goldschmidt, L. : Das Buch der Schöpfung. Nach den sämtlichen Rezensionen möglichst kritisch redigierter und voka lisierter Text, nebst Übersetzung, Varianten, Anmerkungen, Erk lärungen und einer ausführlichen Ein leitung, Frankfurt a. M. 1894. Sefer Jezira. Buch der Schöpfung. Aus dem Hebräischen übersetzt und herausgegeben von K. Herrmann, Frankfurt a. M. und Leipzig 2008.

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A ndreas Lehnardt

Sefer Yeṣira ha-meyuḥas le-Avraham avinu we-ʽalaw kol shilṭe ha-gibborim ha-mefarshim ha-mequbalim ge’one qadma’i u-vetare zekher ṣaddiqim li-vrakha, Warschau 1884, Ndr. Jerusa lem 1989. Sefer Yeṣira im d‘ bi’urim ha-Raved we-ha-Ramban we-perush ha-Ari weaḥarim ha-R . M. Botarel, I-II, Żołkiew 1742 – 1744. Shmu’el Eli‛ezer Edels (Maharsha) (16. Jh.) Ḥiddushe Halakhot we-Aggadot [ Wilnaer Ta lmud-Druck, 1880 – 1886 ]. Shmu’el ibn Ṣarṣa (Sene) (14. Jh.) Sefer Meqor Ḥayyim, Mantua 1559 [ enthä lt Ibn Ezra zugeschriebene Kommentare ]. Sherira Gaon (ca. 10. Jh.) Iggeret Rav Sherira Ga’on nusaḥ Sefarad we-Ṣarfat, hg. v. B. M. Lewin, Haifa 1921, Ndr. Jerusa lem 1972. Mediaeva l Jewish Chronicles and Chronologica l Notes, edited from Printed Books and Manuscripts, hg. v. A. Neubauer, Oxford 1887, Ndr. Jerusa lem 1967, 3 – 46. Schlüter, M. : Auf welche Weise wurde die Mishna geschrieben ? Das A ntwortschreiben des Rav Sherira Gaon. Mit einem Faksimile der Handschrift Berlin Qu 685 (Or. 160) und des Erstdrucks Konstantinopel 1566, TSMJ 9, Tübingen 1993. Sh lomo Yehuda Leib Rapoport (1790 – 1867) Shlomo Y. L. Rapoport: Sheʼerit Yehuda kolel nes haṣalat Yisra’el ʽal Mordekhai we-Ester, Wien 1827. Yaʽaqov Emden (1697 – 1776) Sefer miṭpaḥat sefarim, A ltona 1768. Yaʽaqov ibn Ḥaviv Yaʽaqov ibn Ḥaviv: ʽEyn Ya‛aqov, hg. v. princ. Sa loniko 1516 – 1522. Ya’ir Ḥayyim ben Moshe Shimshon Bacharach (1638 – 1702) Ya’ir Ḥayyim ben Moshe Shimshon Bacharach: Sefer She’elot u-teshuvot Ḥowwot Ya’ir, hg. v. Sh. B.-Z. Kots, Jerusa lem 1997.

Einleitung

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Yeḥi’el ben Sh lomo Heilprin (1660 – 1746) Yeḥi’el ben Sh lomo Heilprin: Seder ha-dorot, Karlsruhe 1769. – Seder ha-dorot ha-shalem im hosafot we-hashlamot, Warschau 1820, Ndr. Jerusa lem 1985. Yehuda ben Shmu’el ha-Lewi (ca. 1075 – 1141) Jehuda ha-Lewi: Das Buch Al- Chazarî aus dem Arabischen des Abu-lHasan Jehuda Ha llewi, übersetzt von H. Hirschfeld, Breslau 1886, Ndr. Wiesbaden 2000. Der Kusari, Übersetzung ins Deutsche und Einleitung von D. Cassel mit dem hebräischen Text des Jehuda ibn Tibbon, Zürich 1990 [ revidierte Ausgabe der deutschen Übersetzung ohne den Kommentar von D. Cassel aus dem Jahre 1853 ]. Yehuda Liwa ben Beṣa lel (Mahara l mi-Prag) (gest. 1609) Sefer Be’er ha-gola, bi’ur nif la we-neḥmad … Sefer derashot MaHaRa’’L miPrag, Ndr. der Ausgabe London 1964, Bne Braq 1980. Yiṣḥaq Abravanel (1437 – 1508) Abrabavanel, Yitzhak: The Principles of Faith by Don Yitzhak Abrabanel. Edited with an Introduction, Notes and Indices, RamatGan 1993 (hebr.). – Principles of Faith (Rosh A manah), Translated with an Introduction and Notes, Littman Library of Jewish Civilization, London, Toronto 1982. Yiṣḥaq ben ‛A rama (15. Jh.) Sefer ‛Aqedat Yiṣḥaq: ḥibbur haf le wa-fele ‛al ḥamisha ḥumshe Tora we-‛al ḥamesh megillot, [ hg. v. ] Ḥayyim Y. Pollaq. A Reprint of the Pressburg 1849 Edition, Jerusa lem 1988 (hebr.). Yona ibn Ganaḥ (10. – 11. Jh.) Sepher Haschoraschim. Wurzelwörterbuch der hebräischen Sprache von Abuwa lîd Merwân Ibn Ḡanâh (R. Jona), aus dem A rabischen in’s Hebräische übersetzt von Jehuda ibn Tibbon, hg. v. W. Bacher, Berlin 1896 (hebr.).

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Yosef Sh lomo Delmedigo (Yashar mi-Kandia) (1591 – 1655) Del medigo, Yosef Sh lomo: Sefer Elim, hg. v. Manasse ben Yisra’el, A msterdam 1629. Yosippon Börner-K lein, D. / Zuber, B. : Josippon. Jüdische Geschichte vom Anfang der Welt bis zum Ende des ersten Aufstands gegen Rom. Hebräisch-deutsche Textausgabe, Wiesbaden 2010. The Josippon [ Josephus Gorionides ] Edited with an Introduction, Commentary and Notes by D. Flusser, I – II, Jerusa lem 1981 (hebr.). VI. Neuzeitliche Autoren (von K rochma l benutzt bzw. zitiert)

Dähne, A. F. : Geschichtliche Darstellung der jüdisch-a lexandrinischen Religionsphi losophie, I – II, Ha lle 1834. Eichhorn, J. G. : Ein leitung in das A lte Testament I – V, Leipzig 1780 – 1783, 4. Auf lage 1823 – 1824. Gesenius, W. : Hebräisches und cha ldäisches Handwörterbuch über das A lte Testament I – II, 4. Auf lage, Leipzig 1834. Ḥayes, Ṣ. H. : Torat Nevi’im ha-mekhune Ele ha-Miṣwot, Zółkiew 1836, Ndr. mit neuer Seitenzäh lung in Kol sifre Mahariṣ Ḥayes, Israel 1958 u. ö. Hegel, G. W. F. : Ein leitung in die Philosophie der Religion: Der Begriff der Religion, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, hg. v. W. Jaeschke, Hamburg 1993. – Die bestimmte Religion, Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, hg. v. W. Jaeschke, Hamburg 1994. – Enzyclopädie der phi losophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), neu hg. v. F. Nicol in und O. Pöggeler, Hamburg 1959. – Grund linien der Philosophie des Rechts, Frankfurt a. M. 1968. – Die Phänomenologie des Geistes, neu hg. v. H.-F. Wessels und H. Clairmont, Hamburg 1988. – Wissenschaft der L ogik. E rster Band: Die objektive L ogik

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(1812/1813), hg. v. F. Hogemann und W. Jaeschke, Gesammelte Werke 11, Hamburg 1978. – Wissenschaft der Logik. Zweiter Band: Die subjektive Logik (1816), hg. v. F. Hogemann und W. Jaeschke, Hamburg 1981. – Wissenschaft der Logik. Erster Tei l: Die objektive Logik. Erster Band: Die Lehre vom Sein (1832), hg. v. F. Hogemann und W. Jaeschke, Hamburg 1985. – Vorlesungen über die Phi losophie der Geschichte, Frankfurt a. M. 1986. Jost, M. : Geschichte der Israeliten seit der Zeit der Maccabäer bis auf unsere Tage nach den Quellen bearbeitet, I – X, Berlin 1821 – 1828. – Geschichte des israelitschen Vol kes für wissenschaftlich gebi ldete Leser, Berlin 1832. Kant, I. : K ritik der reinen Vernunft. Nach der ersten und zweiten Origina lausgabe hg. v. J. Timmermann. Mit einer Bibliographie von H. K lemme, Hamburg 1998. – K ritik der Urteilskraft, mit einer Ein leitung und Bibliographie hg. v. H. F. K lemme, mit Sachanmerkungen von P. Giordanetti, Hamburg 2001. – K ritik der praktischen Vernunft. Mit einer Ein leitung, Sachanmerkungen und einer Bibliographie von H. F. K lemme, hg. v. H. D. Brandt und H. F. K lemme, Hamburg 2003. Mendelssohn, M. : Sefer Megillat Qohelet im bi’ur qaṣar u-maspiq le-havanat ha-katuv ʽal pi pshuṭo le-toʽelet ha-talmidim, Berlin 1770. – Sefer Netivot ha-Shalom we-hu ḥibbur kolel ḥamisha ḥumshe Tora ‛im targum ashkenazi u-vi’ur, I – IX, Wien 1846, Ndr. Jerusa lem 1974, Ndr. mit neuer Seitenzäh lung in: ders., Hebräische Schriften, II, 1 – 5: Der Pentateuch, Stuttgart-Bad Cannstatt 1990. – Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes, Erster Theil, Berlin 1785, 197, Ndr. mit neuer Seitenzäh lung in: Ders., Schriften zur Philosophie und Ästhetik III, 2, bearbeitet von L . Strauss, Stuttgart-Bad Cannstatt 1974. – Der Prediger Sa lomo mit einer kurzen und zureichenden Erk lärung nach dem Wort-Verstand zum Nutzen der Studierenden von dem Verfasser des Phädon, aus dem Hebräischen übersetzt

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A ndreas Lehnardt

von dem Uebersetzer der Mischnah bey J. Ch. Posch, A nspach 1771, wieder in: ders., Hebräische Schriften I. Deutsche Übertragung, bearbeitet von D. K rochma l nik, A. Schatz, R. Wenzel, Gesammelte Schriften, Jubiläumsausgabe, 20.1, Stuttgart 2004, 179 – 279. – Jerusa lem oder über rel igiöse Macht und Judentum, hg. v. M. A lbrecht, Hamburg 2005. – Schriften zum Judentum III,3: Pentateuchkommentare in deutscher Übersetzung, hg. v. D. K rochma l nik, übers. von R. Wenzel, Gesammelte Schriften, Jubiläumsausgabe, 9.3, Stuttgart 2009. Neander, A. : Genetische Entwick lung der vornehmen gnostischen Systeme, Berlin 1818. Spinoza, B. : Theologisch-pol itischer Traktat, Hamburg, 2. Auf l. 1984. – Die Ethik nach geometrischer Methode dargestellt, Übersetzung, A nmerkungen und Register von O. Baensch, Ein leitung von R. Schottlander, Hamburg 1989. Vico, G. : Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völ ker, übersetzt von V. Hösle und Ch. Jermann, I – II, Hamburg 1990.

12. Hinweise zur Übersetzung

Die Übersetzung basiert auf der 1. Auf lage, Lemberg 1851, in der Wiedergabe von S. Rawidowicz (Hg.), The Writings of Nachman K rochma l, Berlin 1924, nachgedruckt 1961 und 2010. Bereits Rawidowicz hat darauf hingewiesen, dass die späteren Drucke trotz der in der Erstausgabe vorhandenen offensichtlichen Feh ler nicht verbessert worden sind. A n Stellen, an denen der Druck unk lar oder verwischt ist, wurde die Ausgabe Lemberg 1863 ( hg. v. Michael Wolf) zu Rate gezogen. Der Stil des Krochma lschen Hebräisch, so wurde schon von Heinrich Graetz bemerkt, ist zuwei len „holperig“ und „unbeholfen“.221 221

Vgl. H. Graetz, Geschichte der Juden XI, Leipzig 1900, 462.

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Die Übersetzung bemüht sich, den Nuancen dieses schwierigen Hebräisch gerecht zu werden, kann daher aber nicht an a llen Stellen wortwört lich der Vorlage folgen und etwa den Stil des Deutschen der Zeit imitieren. Wie bereits die in der Sekundärliteratur vorgelegten Teilübersetzungen erkennen lassen, ist der Sinn einzel ner Sätze und Passagen oft nur frei zu übertragen. Gelegentlich sind in die vorliegende Übersetzung A nmerkungen zu mög lichen Bedeutungsnuancen und a lternativen Übersetzungsmög lichkeiten ein- oder hinzugefügt; hebräische Termini sind gelegentlich in Origina lschrift oder auch in Transkription eingesetzt. Auf die im Deutschen kaum zu übersetzenden Anspielungen auf biblische und rabbinische Phrasen und Begriff lichkeit wird nur vereinzelt hingewiesen. Die Sprache K rochma ls ist von solchen Wendungen und Allusionen regelrecht getränkt.222 Für Übersetzungsvorsch läge der philosophischen, zum Teil von tibbonidischem Übersetzungshebräisch, teils von Ibn Ezras Bibel kommentaren geprägten Terminologie sei ausdrück lich auf das dem Vorwort von Rawidowicz angehängte Lexikon in K rochma l, Writings, 211 – 218 und die Hinweise von A mir im Vorwort zu seinem Nachdruck, 61 – 64, verwiesen. Zunz hat das Werk, wie es scheint, nicht durchgehend auf seine Quellen geprüft. Die von K rochma l zitierten rabbinischen Werke sind von A. Greenbaum nachgewiesen worden. Um den Vergleich rabbinischer Zitate aus Ta l mud und Midrash sowie anderen Schrif ten der jüdischen Traditionsliteratur zu erleichtern, sind in den Übersetzungstext hinter das Zitat Seitenangaben nach den heute verbreiteten Editionen in K lammern gesetzt. Soweit andere Werke, aus denen K rochma l nachweislich geschöpft oder zitiert hat, zu ermittel n waren, wird auf sie in den Fußnoten verwiesen. A nmerkungen K rochma ls (oder von Zunz) sind wie in der zugrundegelegten Ausgabe mit * gekennzeichnet (vg l. dazu auch die editorischen Bemerkungen von Rawidowicz, Mavo, 222). Die mit arabischen Ziffern seitenweise gezäh lten A nmerkungen stammen vom Übersetzer und berücksichtigen u. a. Verbesserungs- oder Verständnisvorsch läge, die zum Teil bereits von Rawidowicz an222

Vgl. dazu bereits J. L . L andau, Nachman K rochma l, 41 A nm. 4.

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A ndreas Lehnardt

gemerkt worden sind. Weitere von Lesern und K ritikern unterbreitete Korrekturen sind wie die Hinweise zur A nordnung der Kapitel ohne zusätz liche Hinweise in die Übersetzung eingearbeitet worden. Die Wiedergabe der Bibeltexte orientiert sich an der Zunzschen Übersetzung der Bibel (Tora, Nevi’im, Ketuvim. Die vier und zwanzig Bücher der Heiligen Schrift, unter der Redaktion von L. Zunz übersetzt von H. A rnheim, J. Fürst, M. Sachs, Berlin 1838). Da diese Übersetzung nicht an a llen Stellen den Interpretationen K rochma ls entspricht, sind Verse vereinzelt dem Kontext entsprechend wiedergegeben. Die A ngaben zu den von K rochma l zitierten Stellen in den Werken Philos, Josephus und anderer antiker jüdischer Schriftsteller sind behutsam korrigiert und vereinheit licht. Bis auf biblische Personen- und Ortsnamen werden hebräische Namen und Bezeichnungen in A n lehnung an das Umschriftsystem der Frankfurter Judaistischen Beiträge 2 (1974), 67 – 73, transkribiert. Die Abkürzungen von Titel n der rabbinischen Literatur folgen diesem Verzeichnis. Für zusätz liche Abkürzungen vg l. Siegfried M. Schwertner, Theologische Rea lenzyk lopädie: Abkürzungsverzeichnis, Berlin, New York 21994. Die dem zweiten Band beigefügten Register verzeichnen Personen, Orte und Sachen sowie zitierte Bibelstellen, christliche und pagane Literatur, rabbinische Texte sowie jüdisch-hellenistische, mittela lterliche und neuzeitliche Autoren. Die Druck legung der Übersetzung wurde durch Zuschüsse der Rothschild Foundation (Ha-Nadiv) Europe und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

NAC H M A N K RO C H M A L



Führer der Verwirrten der Zeit

Titelblätter der Originalausgabe von 1851; Bibliotheksstempel wurden mittels Retusche entfernt.

V ORWORT DES H E R AUS GE BE R S 1

V

  on dem Tag an, a ls Gott den Menschen erschaffen hat und ihm seinen erhabenen Lebensodem in seiner Herrlichkeit einblies, sandte er zu den Erdenbewohnern seinen himm lischen Geist. Er wehte über einem Meer der Mühsa l, glättete die Wogen der Verwirrung, und so gab er sein Wort in der Propheten Mund. Gott gab ihnen eine Sprache zur Lehre [ vgl. Jes 50,4 ], um den Menschen den rechten Weg zu weisen. Und sie stiegen hinauf auf den Stufen des Verstandes bis zum Horizont der Speku lation und erkannten die Quellen, aus denen die Geschichtsläufe hervorgegangen waren, sodass sie des Ursprungs a ll dessen, was auf der Erde erschaffen worden ist, gewahr wurden und ihre Entstehungsgeschichte in ein Buch niederschrieben. Doch nachdem unsere Väter in ihrer Schuld von den Götzendienern unterworfen worden waren und der Geist der Prophetie verschwunden war, erstanden – dank der Gnade des Höchsten – Weise, die des A ntlitzes der Vernunft gewahr wurden und die Gerechtigkeit liebten. Dies waren die Schriftgelehrten [ Soferim ] zur Zeit der persischen, griechischen und römischen Reiche. Gegen diese [ Reiche aber ] führte Israel K riege, die ihre Feinde verstummen ließen. Die Soferim verlasen, lehrten und unterrichteten viele mit ihren Predigten und Lehrsprüchen. Ein Hillel war in seinem Gesch lecht wie vorma ls ein A mos, und aus seinem Gesch lecht ging sch ließlich ein Yehuda ha-Nasi hervor, der – wie Mose zu Mara – Recht sprach.

Da sich in jenem Gesch lecht die Esser und Trinker mehrten, achteten sie nicht mehr auf das Wort des Herrn, denn sie dachten von früh bis spät nur noch an Geld. Und obwoh l jene, die die Wahrheit suchten und der Vorsehung nachsannen, weniger wurden – denn durch den Wahn der Zeit wurden sie gefangen –, wurde die [ Traditions-] Kette der Weisen, der Erben der Propheten, die sich an die 1

Yom Ṭov Lipman (Leopold) Zunz (1794 – 1886).

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Vorwort des Herausgebers [ Zunz ]

Ungedu ldigen wandten und ihre Wunden hei lten, nicht unterbrochen. Ihre Bücher funkel n wie die Sterne in der Nacht : Zu diesen zäh len die [ Werke ] des Sa‛adya Gaon, des Jünglings Sh lomo [ ibn Gavri’ol ] und der Weisen ihrer Generation : der Philosophen. Und nach ihnen erspross Avraham ben Me’ir ben Ezra [ Ibn Ezra ], möge sich seine Lehre verbreiten ! In ihm ku l minierten a lle Weisheit des Ostens und des Westens, und das Licht Avrahams war noch nicht erloschen, da ging der Stern des Moshe (ben Maimon) auf. Er erstrah lte in der Finsternis Ägyptens, und viele Leute strömten zu ihm herbei. Ihm folgten Shmu’el [ ibn ] (Tibbon), Yiṣḥaq (Laṭif), Shem Ṭov (Fa laquera), Yedaʽya (ha-Penini), Levi (ben Gershom), Yosef (A lbo) und Yehuda (Abravanel). A ll diese Nachkommen von Vertriebenen aber standen in der A rbeit für den Herrn, waren Weinkelterer in der Kelter seiner Weisheit, tranken vom Lebenswasser Israels und der Völ ker, und vielen konnte von ihnen ein wenig aus den Nöten der Welt geholfen werden. Durch ihren Verstand haben sie die verdorrten Gebeine belebt und erweckten Israel aus seinem Sch lummer. Der Vernunft erstanden zwei große Zöglinge : ʽAzarya (min ha-Adumim [ de’ Rossi ]) und Yosef Shelomo [ Del medigo ]. Sie brachen in die Bastion der Weisheit ein und schaff ten ihre Beute in das Lager Yeshuruns [ Israels ]. Unsere Gegner vermochten sie zu widerlegen, doch erst in der unser Generation vorangehenden konnte Moshe ben Menaḥem [ Mendelssohn ] den Boden der Vernunft betreten, hatte er doch den „ Löwen“ (Lessing) kennen gelernt, in dessen Munde sich der Honig der Philosophie befand. Von ihm empfi ng er [ eine Weisheit ], die er den Seinigen, dem Vol k des Ta l mud, weitergab, und sie ward zum Zeichen den Völkern ( Jes 11,10), die in den Behausungen a ller K inder Israels in Ashkenaz und seiner Umgebung erstrah lte (vgl. Ex 10,23). Und nur in den Ländern Polens konnte sich jene Dunkelheit ha lten, bis dass auch auf sie ein Licht fiel, das Licht Naḥmans, des Hohepriesters, Rabbi Naḥman K rochma l, sein A ndenken sei zum Segen. Er hatte sich gemüht, die Gelehrten jeder Generation zu studieren, die Bücher der Propheten und Tradenten der Religion zu verstehen, und er hatte sich in die Schriften des Ibn Ezra, des Rambam [ Moshe ben Maimon ], des Rabbi ʽAzarya [ de’ Rossi ], des Ramban [ Moshe

Vorwort des Herausgebers [ Zunz ]

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ben Naḥman ] sowie in die Worte der Philosophen aus jüngerer Zeit vertieft. Doch a ls er den Blick aufrichtete, musste er erkennen, dass Torheit und Streit entbrannt waren, Brandesrauch das Land verdunkelte, sodass seine Bewohner im Begriff waren, die Flucht zu ergreifen : die einen aber suchten bei der Weisheit Yeshuruns [ Israels ] Zuf lucht, die anderen bei den rationa len [ Natur-] Gesetzen und der Wissenschaft. Doch während die Letzteren meinten, unsere Vorfahren seien ungebi ldet gewesen und ihre A nhänger daher in die Irre gegangen, wandten sich die Ersteren einem Vormund zu, einem Ṣaddiq samt Efod und Terafim. Die Meisten aber hatten die Überlieferung und Tradition bereits zugunsten materieller Güter aufgegeben, sich auf Schein und Münze verlassend, ruhend auf Starken wie auf Schwachen, wobei einige vor der Abhängigkeit gef lohen waren, andere sich in den Theatern ergötzten. Wieder andere waren zur Staatsmacht gerannt, während der nächste das Rabbinat anrief, doch für beide war die Weisheit entweder eine Gesichtslarve oder etwas, dass vernach lässigt werden konnte.1 Doch Naḥman erbarmte sich seines Vol kes und beei lte sich, eine A rznei für ihre Wunden zu mischen und über seinen Brüdern einen reinen, hei ligen Geist auszugießen, indem er das Buch Emuna Ṣerufa [ Geläuterter Glaube ] verfasste, welches über das Tal der Ödnis [ vgl. Ps 84,7 ] hinweg führen sollte, auf dass man das absolute Wahre erkennen und das Gute und Rechte vollführen könne. Damit man erkennen möge, dass das Ebenbild Gottes im Menschen, in seiner Geistigkeit liegt, dass der reine Verstand und die k lare Erkenntnis die Schwingen des Geistigen sind, die uns über die Abgründe der Übel hinwegheben zum reinen Begriff und zur richtigen Praxis. Mit a llem trug er dazu bei, die Prinzipien unserer Vorväter zu enthü llen, die Wurzel n der Weisheit ihres Glaubens, sowoh l indem er sie über die Historie unterrichtete a ls auch, indem er geistes-nachforschend | (speku lativ [ ‫ )] שפּעקולאטיף‬über sie nachdachte. Auf diesen beiden Säu len ist sein Buch erbaut, und a ll seine Ergüsse sind aus einem Garten des Geistigen hervorgequollen. 1

Vgl. zur Übersetzung Weißberg, 375 f.; Feiner, 159.

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Die vorliegende Schrift möchte unseren Zeitgenossen die Weisheit der Tora eröff nen und mit Hilfe des Verstandes eine aufrichtige und geläuterte Erk lärung geben. Sie möchte die Zeitläufe, die über unsere Väter hinweggingen, bekannt machen, uns die Quellen der Ha lakhot und die Inha lte des Midrash offen legen und uns über die Geschichte der jüdischen Philosophie berichten. Des Weiteren möchte sie uns über die Philosophie Philos von A lexandrien und die Lehre der Sphären sowie die Theologie Rabbi Avraham Ibn Ezras belehren. Zu Beginn der Kapitel wird die Weisheit des Glaubens aus den Gründen der Philosophie behandelt, dabei einen Führer der Verwirrten in der Wüste der K ritiken und der Skepsis bildend. Und dabei gleicht das Ziel des Verfassers, seligen A ngedenkens, dem des Rambam in seinem Buch, dem Führer [ der Verwirrten ], zu seiner Zeit. Sogar in der A rt der Auslegung folgt er immer seiner Methode, doch er beachtet immer den Unterschied zwischen den Zeitgenossen [ des Rambam ] und den unsrigen, denn unsere Verwirrtheit ist nicht ihre Verwirrtheit, und ihre Arznei ist nicht die unsere, und sein Weg ist zeitbedingt ein anderer a ls der des Führers [ der Verwirrten ] (vg l. S. 209). Denn heute feh lt es dem rechten Glauben an zwei Enden : das eine möchte ich das trügerische Licht nennen, das andere die vertrauenserweckende Dunkelheit. Die Philosophen und die Verehrer der Tora werden auf einen schmalen Pfad geführt, auf der einen Seite diejenigen, die zwischen derash und peshaṭ unterscheiden, auf der anderen diejenigen, die a ls Verächter der Aggada gelten (vgl. S. 247 ff.). Für uns bereitet er jedoch einen Mittelweg zwischen diesem Feuer und Schnee, Pfade der Gewissheit und des Ausgleichs, um diejenigen, welche sich zwischen diesen Extremen befi nden, hindurchzu führen. A ls der Weise aber einzel ne Pforten niedergeschrieben und seine Schrift [ in Auszügen ] bereits an einigen [ a nderen ] Orten veröffentlicht hatte, zögerte er, obwoh l die Gelehrten seiner Zeit darauf drangen (Kerem ḥemed, Band 1 [ 1833 ], Brief 19)1, es dennoch hinaus, sein Licht zu verbreiten. Offenbar hatte er mit einiEin Brief des Herausgebers des Kerem ḥemed, A. Goldberg, in dem er erwähnt, wie angesehen R anaq unter seinen Zeitgenossen war. 1

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gen Teilen des Werkes begonnen, noch bevor er die vorderen beendet hat, und so ist das Werk nicht zu einem Ende gebracht worden, denn im Laufe der A rbeit und noch bevor er a lle verstreuten A nmerkungen zusammengestellt hatte, hinderte ihn bereits eine Körperschwäche und hielt ihn von seiner A rbeit ab. Wir aber betrauern noch immer, dass ihn der Tod von uns genommen hat. Das Buch ist a lso unvollendet geblieben, sodass ganze Kapitel nur bruchstückhaft erha lten sind, wie etwa die Pforten über die A na lyse der Philosophen (vg l. S. 24) und in ihnen besonders die Pforten über die Naturphi losophie, die Phi losophie des Geistes (vgl. S. 274, 282), eine Pforte über das System der Sphären (vgl. S. 294 und S. 282, 333), die Untersuchung der Metaphysik [ ‫] מעשה מרכבה‬ (vgl. S. 38), die Untersuchung des Systems der Kabba listen (siehe Kapitel 8), die Pforten über die Physik [ ‫( ] מעשה בראשית‬vgl. S. 41), die Pforte über die Bibelexegese und die dreizehn middot [ hermeneutischen Regel n ], mit denen die Bibel ausgelegt werden kann (vgl. 304, 317). Es leitete ihn dabei anscheinend die Exegese, wie sie von den Soferim bzw. in ihren Kommentaren betrieben wurde usw. (vgl. S. 303). Es feh len aber auch wichtige Topoi, wie z. B. die Erk lärung der Wunder (vgl. S. 43), die Darstellung der messianischen Ideen der unterschied lichen Sekten (vg l. S. 91), die Erläuterung der Auslegungsmethoden der Gemara (vgl. S. 337). A n irgendeinem Punkt der vorliegenden A rbeit hat unseren Verfasser der Tod übermannt, und die Erde öff nete sich und versch lang seine Worte, bevor er sie uns mittei len konnte. In Pforte 9 und 10 hat der Gelehrte an vielen Stellen Buchstaben notiert, um damit anzuzeigen, dass man über das hier A ngedeutete in den folgenden Pforten mehr finden könne. Doch an achtzehn Stellen finden sich diese Ergänzungen nicht : Siehe S. 58, 78, 82 f., 87, 89, 91, 97, 99 f., 109 usw.; und nach den Worten, „die angedeuteten Bezüge“ [ ‫] דברי הרמיזות‬ (vgl. S. 328) finden sich in seiner Handschrift oft Paragraphen [ zeichen ] oder eine Leerstelle für eine nicht geschriebene A nmerkung. In die Pforte über die hellenistische Weisheit – in unserer Edition die Pforte 12 – versuchte unser Verfasser, seligen Angedenkens, auch eine Erläuterung des theologischen Systems des Philo (vgl. 165, 168; und siehe Kerem ḥemed, Band 4, [ 1839 ] S. 270) und

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auch [ eine Untersuchung des ] Problems der Essener aufzunehmen (vgl. S. 77). Doch fanden sich nur Abschnitte dieser Kapitel und Exzerpte, die zur Darstellung jenes Systems vorbereitet waren. Die Reinschrift über das System selbst fehlte genauso wie das [ Kapitel ] über die Essener. Die fünfte Pforte scheint demnach nicht vollendet worden zu sein, und auch der 16. Pforte feh lt der Sch luss. Selbst die letzte Pforte enthä lt nur einen Teil dessen, was er über das System des Ibn Ezra schreiben wollte, denn Vieles von den Konk lusionen des Ibn Ezra feh lt in ihr. Sogar die Anmerkungen am Sch luss des Werkes waren, wie jeder, der sich dafür interessiert, sehen kann, für die Ausführung und Vervollständigung in weiteren Pforten bestimmt. Als der Verfasser, seligen Angedenkens, bereits von seiner Krankheit gezeichnet war und sich seine Tage dem Ende zuneigten, beauftragte er seine Söhne und Schwiegersöhne, mir sein Werk zu übersenden, samt a llen ihm zugehörigen Schriftstücken, damit B 3 ich ein Auge darauf würfe und sie ordnete, | um sie für den Druck vorzubereiten. A ls ich aber von diesem Testament des Verstorbenen erfuhr, wurde ich sowoh l traurig a ls auch froh : Mich betrübte zwar der Verlust eines Mannes Gottes und das Ende seiner Forschungen, aber umso mehr erfreute mich die Auswah l der in seiner Schrift gewäh lten Themen. Erst nach und nach sind dann seine Notizen und Aufzeichnungen in meinen Besitz gelangt. Teils befanden sie sich in der richtigen A nordnung und in Reinschrift, teils waren sie in unterschied lichen Versionen, tei ls doppelt oder dreifach abgeschrieben oder nur fragmentarisch erha lten. Für die meisten Paragraphen fand ich erst nach einigen Tagen eine passende A nordnung. Auch befanden sich unter [ den Papieren ] Zitatsamm lungen aus der Mishna, den Midrashim und den Büchern der Ḥokhme Ashkenaz [ Gelehrten Deutsch lands ] ; sie hatten den Umfang von 139 [ Seiten ], von denen ich siebzehn an den richtigen Ort des Werkes einordnen konnte; neun wurden am Schluss des Buches abgedruckt, die übrigen, nicht benötigten, verblieben in der Handschrift (und sind nicht gedruckt worden). Der gelehrte Verfasser, seligen Angedenkens, hat sein Werk in mehrere Abschnitte untertei lt : Der erste Teil umfasst die Pforten

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1 bis 4, diese ersten vier Pforten stellen dabei so etwas wie eine a llgemeine Einführung dar. Die beiden Pforten 5 und 12 fand ich nur in früheren Versionen, doch nur ein Teil dieser Pforten war im Manuskript des Verfassers durchnummeriert. In den Pforten des zweiten Teils zusammen mit dem Teil über die Weisheit der Kabba la (vgl. S. 200) feh len offensichtlich die philosophischen Pforten; auch die Pforten 15, 16 und 17 wurden zum zweiten Teil gezählt und teilweise vielleicht auch die Pforte über die „Geheimnisse der Urzeit“. Gewiss hat der Gelehrte den phi losophischen Teil unvollendet gelassen, denn ihr Inha lt und ihre Zeit sind eingeordnet unter die Pforten über die Ha lakha und die Aggada, obwoh l sie nicht von der Geschichte der Weisheit unserer Vorfahren getrennt werden sollten. Er aber hatte bestimmt, sie a ls 12. Pforte zwischen die 11. und die 13. zu stellen. Die Zusammenfassung der Kommentare des Ibn Ezra strich ich nicht aus, um das Werk des Verfassers nicht unvollendet zu lassen (vgl. S. 285); diese Abschnitte sollten je an ihrem Platz gelesen werden, Paragraph für Paragraph. An einigen Stellen des Manuskriptes erkannte ich, dass der Verfasser seine ursprüngliche Absicht (im Laufe der A rbeit) geändert hat. Hinter die Pforte „Der Geist und seine Manifestation“ wollte er eine Pforte über „Das prophetische Gleichnis“ setzen und a ls ihr Motto einen Ausspruch aus dem Midrash [ verwenden ] : „Dieses Gleichnis sei nicht Nichts“. Mittels dieses Gleichnisses könne man die Tora verstehen – wie mir scheint, meinte er das Diktum zu Beginn des Midrash Shir ha-Shirim Rabba : „Schätze dieses masha l nicht leichtfertig ein“ usw. [ „denn durch dieses masha l kann man in den Geboten der Tora bestehen“ ] (ShirR 1,8 [ 2b ]), und daran wollte er das Kapitel über „Die Völ ker und ihre Götter“ ansch ließen. Die Pforte „Das Vol k der Ewigkeit und seine Zeiten“ untertei lte er erst in der letzten Version seiner handschriftlichen Aufzeichnungen; der zweite Teil ist überschrieben : Alle Morgen neu [ K lgl 3,23 ]. Auf diese Pforten hatte er bereits in seinem Beitrag aus dem Jahre 1839 verwiesen : „In unserem Werk werden auch zwei Pforten über den Midrash und Haska la [ sic ! ]1 Das Wort „Haska la“ fi ndet sich bereits in dem zitierten Text, Kerem ḥemed 4 (1839), 275. 1

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stehen, über die Geschichte und die Umstände, die unser Vol k in früheren Jahren betrafen, um somit mehr über den Charakter der Nation, die Eigenschaften des Lichtes und des Geistes, die in ihr ruhen, zu erfahren, … (Kerem ḥemed, Band 4, S. 275). Aber die Zeit verging, und den Gelehrten bedrängten Übel, die sich an ihm gütlich taten. Von seinen „Pf länzchen“ sandte er [ Auszüge ] an [ die Zeitschrift ] Kerem ḥemed, um dort veröffentlicht zu werden : Die erste Pforte (Heft 28, Band 1, 1) und Teile der Kapitel aus der sechsten Pforte, S. 29 f. (Band 4, S. 266 f.); sowie sechs ausführliche Paragraphen der zehnten Pforte, und zwar : Paragraph 2, Band 5 (S. 51 – 56); Paragraph 3, Band 4 (S. 276 f.); Paragraph 7, Band 8 (S. 56 – 78); Paragraph 8 ebd. (S. 79 – 92), Paragraph 10, Band 4 (S. 278 – 283) und in Band 8 (S. 94 – 98) sowie Paragraph 13, Band 4 (S. 285 f.). Das Buch nannte ich More nevukhe ha-zeman [ Führer der Verwirrten der Zeit ], denn so wollte es auch der Verfasser bezeichnen, wie es mir brief lich zwei glaubwürdige Zeugen bestätigten : Die großen Verehrer des Gelehrten, der A rzt Neṭaʽ [ Natan ] Horowitz, sein Schwiegersohn, und der bereits verstorbene Shmu’el Leib Goldenberg, der Weinhänd ler. Mit ihnen stimmt überein, was der Gelehrte in Mikhtav 3 der [ Zeitschrift ] Kerem ḥemed, Band 6 [ 1841 ] (S. 48) schreibt, wo er sein Buch selbst mit dem More [ des Rambam ] vergleicht (vgl. S. 17, 209, 273, und siehe Kerem ḥemed, Band 4 [ 1839 ], S. 266). Es könnte a llerdings auch sein, dass der Gelehrte das Buch Sha‛are Emuna Ṣerufa [ Pforten des geläuterten Glaubens ] nennen wollte, vor a llem jenen phi losophischen Teil sowie die ana lytischen Teile. Einen Hinweis dafür fi nde ich in der Pforte „Begriffsdefinitionen …“ (vgl. S. 273), wo er meint : „Man solle sich nicht verwundern, dass wir vor die Weisheit über den geläuterten Glauben die Definitionen und die Speku lationen über die Weisheit der Philosophie stellen.“ Nach den drei ein leitenden Kapiteln, die gleichsam die Prolegomena bi lden – und ich selbst habe sie erst an den A nfang des Buches gestellt – , öff nen sich die prächtigen Pforten, die den in den tiefen [ Gedanken] gängen Wandel nden erquicken werden. Zunächst möchte ich jedoch in a ller Kürze – für die Verehrer der B 4 Weisheit – den Inha lt der Pforten zusammenfassen : |

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Pforte 1 : Diejenigen, die auf dem rechten Weg des Glaubens scheitern, tappen in eine von drei Fa llen : Phantasterei (Schwärmerei), Irrglauben (Aberglauben), „Hinterlist der Pharisäer“ (Werkhei ligkeit) . Und die vor diesen (Abweichungen) f liehen, ernten dafür im Gegenzug drei Sch läge : Wer vor der Phantasterei f lieht, negiert die Rea lität des Geistigen; wer vor dem Aberglauben f lieht, verliert sch ließlich den Glauben zur Gänze; wer vor der „Hinterlist der Pharisäer“ f lieht, vernach lässigt die religiösen Pf lichten und geht den Sünden zur Hand. Diese drei Obstruktionen heißen : Das Nichterreichen des Geistigen, Götzendienst und Missachtung der Intention der religiösen Pf licht. Pforte 2 : Die biblische Weisheit wird in drei Teile zerlegt : 1) „Die Lehre vom Thronwagen“ [ ‫ – ] מעשה מרכבה‬Metaphysik – oder : Die Lehre der Erkenntnis der Essenz des Geistigen und Verstandesmäßigen und wie es im Seienden erkannt wird. 2) „ Die Lehre von der A nfangstat“ [ ‫ – ] מעשה בראשית‬Physik – oder : Die Philosophie der Natur, um die Welt in ihrer Tota lität zu erkennen und ihr wesentliches Inneres gemäß ihrer materiellen und geistigen Natur zu begreifen. 3) Das Geheimnis der Logik der Tora : Sie ermöglicht es, die Intention der Tora zu erkennen und das A nhängen des Menschen an Gott nachzuvollziehen [ ‫( דבקות‬Unio) ]. Diese drei R ichtungen der Weisheit entsprechen den drei erwähnten Obstruktionen. Nur durch die kognitive A rbeit gelangt man zu den wahren Vernunftbegriffen (Ideen). Pforte 3 : In diesem Teil werden einzelne Vorstellungen zu A llgemeinbegriffen : d. h. die Weisheit der Tora a ls ein Subjekt im Geistigen wird im Studium der Einzelheiten der religiösen Pf lichten und Gebote aktua lisiert. Die Begierde, sich in sie zu vertiefen, liegt in unseren Herzen begründet, und jeder, sei er auch nur gebi ldet wie die breite Masse, möchte die Aporien zu einem Ausgleich bringen und Lösungen für tiefgehende Fragen fi nden. Pforte 4 : A nstelle einer Definition des Guten wie bei A ristoteles, der einen Mittelweg zwischen den beiden E xtremen zu fi nden

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suchte, was uns jedoch unausführbar erscheint, wollen wir einen Weg der A na lyse beschreiten, bis wir zum Urgrund gelangen, auf dem die Dia lektik aufgehoben ist und a lle Extreme miteinander versöhnt sind. Auf diesem Weg gelangen wir zu einer Synthese.

Pforte 5 : K ausa l ität ist mechanisch oder teleologisch; Zweck [ ‫ ] תכלי ת‬ist äußerlich oder innerlich : Substantieller Zweck ist jedem organischen Wesen eigen, und jeder Zweck hat eine Absicht und wünscht. Auf diese Weise steigen wir empor zum Ursprung jegl icher Erkenntnis: die Auseinandersetzung des R ambam mit Ga lenus über die Vernunftgründe, die er Mose unserem Lehrer, über ihn Friede, angetragen hatte. Pforte 6 : Jeglicher Glaube hat seinen Ausgangspunkt im Geistigen, und er umfasst sowoh l die Erkenntnis a ls auch den Dienst Gottes. Wenn wir beide in ihrer Unabhängigkeit und Geistigkeit erfassen, so erfahren wir etwas über die Wahrheit der Weisheit der Tora; Erk lärung dieser Rede und seiner vier Entwick lungsstufen und wie Symbole übernommen werden – die ent liehenen oder die übertragenen –, aus dem Physischen ins Metaphysische, z. B. das Heilige und das Profane oder das Unreine und das Reine. Pforte 7 : Die Völ ker entstanden und brachten Früchte des Geistes hervor, gemäß ihrer einzel nen Wesenszüge. Die Gesamtheit dieses geistigen Schatzes aber, welcher durch ein Vol k zusammengetragen wird, nennt man den Vol ksgeist. Und dieser Geist wächst und gedeiht, bis er wieder in sich zurückkehrt und schwächer wird. Hoffart, Verdienstsucht und feh lgeleiteter Glaube machen den Geist zunichte. Den ein Vol k beseelenden Geist nennt man die „Götter eines Vol kes“ oder die „Fürsten Gottes“ [ d. h. die Engel ]. A lle Völ ker haben jedoch einen individuellen Geist, und erst die Propheten Yeshuruns [ Israels ] erfassten den absoluten Geist, die einzige Quelle der A ktua lisierung dieses Geistes; Erk lärung einiger Verse und Reden, die sich auf diesen Gegenstand beziehen.

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Pforte 8 : Drei Zeiten gehen an jedem Vol k vorüber : Wachstum, Stärke und Zerfa ll; auch unser Vol k war von diesen zyk lischen Entwick lungen betroffen. Aber immer wieder erneuerte sich der Geist in den K indern Israels durch die K raft des beseelenden Geistes in unserer Mitte; [ Zusammenfassung ] der Geschichte Israels zur R ichterzeit und [ z ur Zeit ] seiner Könige; die Zeit des Wachstums dauerte bis zum Einzug in das Land, und von da an erstreckte sich die Phase des Zerfa lls bis zur Ermordung des Geda lja ben Achikam. Pforte 9 : Fortsetzung der Geschichte : Die zweite Wachstumsphase begann im K reise der Exu lanten und dauerte bis zu Alexander dem Grossen; die geistige Renaissance in der Diaspora; die Bedeutung der Trostpropheten und Schreiber [ Soferim ] und die Verordnungen des Esra und des Nehemia. | Pforte 10 : Die zweite Phase der Stärke : Von A lexander dem Großen bis zum K rieg der beiden Söhne des A lexander Yannai (vgl. S. 60 – 82); Untersuchung einiger Begebenheiten zu jener Zeit : Die Apokryphen, die Große Versamm lung (K nesset ha-gedola) und die Versamm lung derjenigen, die die hei ligen Schriften niederschrieben; Jesus ben Sira; die Zeit unter A ntiochus [ IV. ] dem Frevler und die Kämpfe der Ḥasidim und Hasmonäer mit den Griechen und denen, die den Bund verlassen hatten. Yonatan, der Hohe Priester, und die Pharisäer und Sadduzäer. Die zweite Phase des Verfa lls : Vom Tod der Königin A lexandra bis zur Zerstörung Betars (S. 82 – 113); die Herrschaft der Edomiter oder der Römer; A ntipater und Herodes, sein Sohn; messianische Hoff nungen und Endzeitberechnungen; K riege und Streitigkeiten, die das erste Vergessen herbeiführten (vg l. S. 91); Verfolgungen und Verhängnisse in den Tagen des Herodes und seiner Nachfahren. Die Königsherrschaft der Söhne des Herodes und des König Agrippa und der römischen Stattha lter; die Frage der Söhne der Hohepriester; die Sikarier und Zeloten; der große Aufstand und der schreck liche K rieg sowie die Zerstörung des Tempels; die Bemühungen der Generation nach der Zerstörung [ des Tempels ], das

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Joch der römischen Herrschaft abzuschütteln; das Gemetzel in der Ebene Yadayim; die K riege in Asien und in Ṭur Ma l ka; die Generation der Religionsverfolgung : Rabbi ‛Aqiva, Bar Kokhba und die Eroberung Betars. Die dritte Phase des Wachstums beginnt mit der Zeit des A ntoninus. Pforte 11 : Entha ltend zusätz liche Bemerkungen und Erk lärungen zu Einzel heiten, die in den zwei vorangegangenen Pforten angedeutet wurden, mit insgesamt 14 Paragraphen : 1. Das geistige Leben ohne das Leben des Einzel nen (S. 113). 2. Die Entstehungszeit der Trostprophetie im zweiten Teil des Buches Jesaja; Erläuterung der Unk larheiten im Kommentar dieser Stellen durch Ibn Ezra (S. 114). 3. Erk lärung von Ps 107, der ein aus Babylonien stammendes Gebet darstellt (S. 118). 4. Manasse, der Priester, und das über ihn A ngedeutete (vgl. S. 58). 5. Apokryphen (S. 119). 6. Die Große Versamm lung und Shim‛on ha-Ṣaddiq (S. 121). 7. Erk lärung der Baraita über die A nordnung der Bücher der Bibel und Untersuchungen über Ezra und die Chronikbücher. Hauptteil und Reste der Großen Versamm lung (S. 122). A nmerkungen zu Sacharja, Daniel, Ester und Ezechiel. 8. Die Quellen und die Entstehungszeit des Buches Kohelet (S. 139). 9. Über die Chronologie (S. 149). 10. Die Psa l men aus der Zeit der Hasmonäer, und das Bemühen der Weisen, an ihrer Dignität festzuha lten (S. 152). 11. Die Zeit des Absch lusses der hei ligen Schriften und ihre Kanonisierung (S. 161). 12. Die „ga liläische Sekte“ (S. 162). 13. Ps 119 wurde gegen die Sadduzäer verfasst (S. 163). 14. Verhängnisse und Erlasse, die zur Entfremdung beitrugen (S. 164).

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Pforte 12 : Die Philosophie der Juden Alexandriens und der übrigen hellenistischen Städte. Die Übersetzung der hei ligen Schriften ins Griechische; Wundertäter und Ḥasidim; Erk lärung einiger Dikta unserer Rabbinen; Samm lung von Abschnitten aus dem Midrash Bereshit Rabba, um damit das System Philos und der Alexandriner zu erläutern; zehn Stücke über Philo und Gelehrte, die zu seiner Zeit lebten; Auszüge aus Philo, die dem Buch des Gelehrten [ August Ferdinand ] Dähne ([ Geschichtliche ] Darstellung der jüdischa lexandrinischen Religionsphi losophie [ Ha lle 1834 ]) (S. 176 – 179) entnommen sind; Zusammenfassung der Darstellung [ August ] Neanders ([ Genetische ] Entwick lung der [ vornehmsten ] gnostischen Systeme [ Berlin 1818 ]) über das System der Gottheit bei Philo (S. 179 – 188). Pforte 13 : Der Ursprung der münd lichen Tora und der Exegese des Litera lsinns (peshaṭ). Die Unterweiser in der Tora und die Soferim; der Wortlaut der Tora und die Soferim; die Einteilungen und Kommentare der Soferim; Beispiele für midrash-artige Auslegungen von Schriftversen bei den Rabbinen. Die Ha lakhisten, der Midrash, die Lehre und die Ha lakha (S. 204 – 211); Ha lakha des Mose, gegeben am Sinai, Verordnungen und staatsrecht liche Ha lakhot; vier Stufen der Ha lakha | (S. 217) und ihre Entwick lungsgeschichte; die Ordnungen der Mishna und die Redaktion der Massekhtot unter besonderer Berücksichtigung des Massekhet Middot (S. 221), Tamid (S. 224), Yoma (S. 225); das Verhä ltnis zwischen Mish na Sheqa lim, Ma‛aser und ʽEduyot (S. 226). Die Rezensionen der Ha lakhot und die Verbreitung der Mishna. Die zweite umfassende A mnesie in den Tagen der Zerstörung und die dritte in den Tagen der Eroberung Betars (S. 228). Die Tannaiten, die Mishna Rabbis [ Yehuda ha-Nasi ], die „außerkanonischen“ Überlieferungen, Baraitot, Disputationseinwände (S. 234); acht Beispiele für die Vorgehensweise der Verfasser der Gemara. Pforte 14 : Die Erläuterung der Begriffe : Ha lakha, Aggada und Midrash. Das Problem der aggadischen Midrashim; verschiedene A rten (von Midrashim); die Meinungen einiger unserer führenden

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Lehrer über die Aggada und ihre Gegner (S. 248). Die Entwick lung der Haggada und ihrer A rten in sechs Vorgehensweisen; vier Stufen von Gelehrten in ihrer Einschätzung der Haggada : HaggadaBücher, erdichtete Haggadot, die Niederschrift der Gemara ink lusive der Haggadot (S. 253 – 255). Pforte 15 : Über die frühe jüdische Mystik und die kabba listischen Werke aus jüngerer Zeit; die Sekten der Gnostiker : die Systeme des Basilides und des Va lentinian; außerdem [ einiges über den ] Demiurgen [ Herrn der Welt ], den Messias im Himmel und den Urmenschen (S. 261 – 264); erläutert werden auch Einf lüsse der Häretiker und die Erkenntnisse unserer Weisen über die Psyche. Pforte 16 : Definitionsvorsch läge hinsichtlich der phi losophischen Erkenntnis, um in die Weisheit des Glaubens einzuführen; drei Teile der Philosophie : Logik, Natur, Geist. Erk lärung ihrer Qua lität, Existenz und Qua lität und die Teleologie und die Unend lichkeit [ ‫] אין־סוף‬. Pforte 17 : Umfassende Hinführung und Ein leitung in das System des Ibn Ezra; nachfolgend die Wurzel n und Grund lagen seines Systems (S. 290 – 302) [ u nd sie werden wie folgt erläutert ] : Die Einheit, der [ Ausgangs] punkt und die Erkenntnis der Rea lität (Metaphysik); Sprach logik; Linguistik; die Erkenntnis der Hintergründe bei Ibn Ezra. Die Rea lität in den drei Welten und die Erk lärung des Wortes „Schöpfen“ [ ‫( ] ברא‬S. 306). Die Deutung seiner Ausführungen über die obere Welt, die mittlere Welt und die niedere Welt (S. 309 – 313). Das Geheimnis der Gottheit und der oberen Welt; zwei Ausführungen über den hei ligen Namen (Gottes) (S. 313 – 322), die mittlere Welt (S. 322 – 327) und die Unterwelt (S. 317 – 330). Ein Beitrag über das Geheimnis des Menschen und A ndeutungen über das Geheimnis der Tora. Darauf folgen einige Zusammenfassungen und Zusammenstellungen aus den Auslegungen des Ibn Ezra über die Wochenabschnitte Bereshit [ Gen 1,1 – 6,8 ], Noah [ Gen 6,9 – 11,32 ] und Lekh lekha [ Gen 12,1 – 17,27 ], das Buch Exodus, Levitikus, Numeri, Jesaja, Hosea, Joel, Psa l men, Hiob und Daniel, Kohelet, Ester

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und Hohel ied; weiterhin neun A nmerkungen zu verschiedenen A rtikeln aus jüngerer Zeit, die das Ganze absch ließen.

Dies a lso ist der Inha lt dieses schönen Buches. Er verfasste es für die, deren Verstand aufnahmefähig ist; doch ob es Früchte trägt – im Sinne seiner hingebungsvollen Forschungen –, liegt a llein in der Hand Gottes. Mögen [ die Leser ] in seinem Namen jedes Detail seines Werkes und seine Untersuchungen der Geschichte des Vol kes in Ehren aufnehmen, mögen seine [ Geistes] blitze die Herzen seiner Hörer erleuchten und den Weg vor ihnen erleuchten. Wie sehr schätzte er doch seine großen Vorgänger, besonders die Vorbilder : den Rambam und Ibn Ezra? ! Wundere Dich aber nicht, werter Leser, wenn du die Ausführungen des seligen Verfassers über die A nzeichen der Irrlehre (Pforte 17) liest : Sein System [ sc. des Ibn Ezra ] der Gottheit ist sehr erhaben und tiefgründig. Dama ls wie heute gibt es niemanden, der seine Weisheit, zu der die Stadt, die Festung Israel, Zuf lucht suchte, in Frage stellt; sie ist außer in ein paar unwesent lichen Punkten unvergleichbar (siehe Kerem ḥemed, Bd. 4, S. 273). Nicht verschweigen möchte ich auch, dass einige Abschnitte des Kommentars zu den Sprüchen des Moshe Qimḥi irrtüm lich dem Ibn Ezra zugeschrieben worden sind (S. 316). Im Grunde können sie a llerdings tatsäch lich entsprechend der Auffassung unseres Gelehrten rezipiert werden. Sei dem, wie es sei ! Was am Ende herausgekommen ist, ist ein großer und bedeutender Beitrag. Möge sein Autor Gehör finden unter seinen Freunden, in einem Freiraum der Verstandeslust, um so Erkenntnis zu mehren und die gerechte Herrschaft herbeizuführen ! | Und bevor ich sch ließe, möchte ich noch auf drei wertvolle Lehren hinweisen, die aus dem Quell der Emuna Ṣerufa, wie sie der geehrte Verfasser, seligen A ngedenkens, ans Licht brachte, hervorkommen : Die erste Lehre lautet, dass wir uns nicht wirk lich gebildet nennen können, wenn wir das Studium der a llgemeingü ltigen Lehren (Metaphysik) vernach lässigen. Wir müssen uns mit ihr befassen, so a ls ob darin die miṣwa eines jeden lernenden Menschen be-

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stünde. Die Bücher der Tora und der münd lichen Lehre bewahren den Menschen : So wie es keinen Propheten oder Weisen gibt, der für sich a lleine steht, so gibt es auch keinen Ausspruch oder Midrash, der für sich a llein genommen einen Sinn ergibt; die Einzel heiten können nur durch das Ganze verstanden werden – das Ganze aber nur durch die Einsicht in die Einzelheiten. Ist uns der Zugang zu Ersterem versperrt, so bleiben wir auch bezüg lich der Bücher aus jüngster Zeit unsch lüssig. Wenn wir aber zu einem Überblick über diese Dinge gelangen – in a ll ihren Facetten –, dann werden wir vor vorei ligen Sch lüssen und Irrtum bewahrt, und wir erreichen mit gebi ldetem Herzen eine Gesamtauffassung, die ich die L eh re der Tora [ ‫ ] מוסר התור ה‬nennen möchte. Die zweite Lehre lautet, dass der begierige Gelehrte nicht seine Augen versch ließen möge vor der (profanen) Weisheit und ihren Erträgen. Auch sie sollte er genau zur Kenntnis nehmen, denn es ist unsere Pf licht, jede Wissenschaft und Weisheit, die die Großen Israels betrieben und lehrten, zu kennen. In den a lten Büchern spiegelt sich die Geschichte eines jeden Vol kes wider. Die Betrachtung der Geschichten bedeutet aber nicht den Vollzug der Geschichten. Wenn wir sie aber nicht erforschen, können wir nicht zu einem Überblick über die Dinge gelangen. Die Einzel heiten der Geschichte werden nur verständ lich durch gelehrte Forschungen. Ohne Kenntnisse der Geschichte bleibt uns aber die Kenntnis der Geschichte unserer Väter versch lossen, die Kenntnis ihrer Bräuche und Entscheidungen, die sie aufgrund konkreter Ursachen getroffen haben. Denn auch ihre Auseinandersetzungen und Auslegungen hatten ihren Grund in den Zeiten, (in denen sie entstanden sind). Die Inha lte der Bücher werden nach Sachgebieten untertei lt, und daher sind sowoh l die Inha lte a ls auch die Bücher selbst nur „K rumen der Tora“ [ vgl. m Av 3,18 ]. Wenn wir verstehen, welchen Wert diese Bemühung für uns hat, dann verstehen wir die L eh re der Tora [ ‫] מוסר התור ה‬. Die dritte Lehre lautet : Das Ziel der Tora und der Wissenschaft, mithin der Zweck der Öff nung des Herzens für den Geist, besteht a llein im Vollbringen guter und rechtschaffener Taten. Wer studiert nicht in Büchern und kann daraus lernen, wie er seinen Um-

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gang mit den Geschöpfen verbessert? Wer liebte Erkenntnis und liebte nicht den höchsten Geist? [ Und doch ] würden seine Taten für ihn Zeuge sein, dass er nicht das Niveau eines Gelehrten erreicht hat : Der Geist kann a lso nur mittels K larheit des Verstandes und mittels eines reinen Herzens aktua lisiert werden. Vermehrt sich aber der Geist in uns, dann hat dies zur Folge, dass wir an Gutem Gefa llen finden. Wir studieren daher auch nicht, um reich zu werden oder uns damit zu schmücken oder um uns zu streiten und uns zu ereifern; ebenso nicht, um Lohn – in dieser oder in jener Welt – zu erlangen, sondern a llein um der Liebe zur guten und ewigen Wahrheit wi llen ! Erst dann werden unsere Ohren jene Ha llstimme [ ‫ ] בת קו ל‬vernehmen, die ertönt, indem sie spricht : Wehe denen, die sich bei den Verdrehern der Wahrheit einschmeichel n ! Wehe denen, die ihre Hände davon zurückziehen, um die A rbeit des Verstandes zu leisten ! Wehe denen, die beim Mah l der Weisheit nahe den Tischen anderer stehen ! Ihre Schwäche führt zur Dunkelheit am helllichten Tag, denn die Lüge wächst unter den Fau len, Aberglauben jedoch entsteht unter den Niederträchtigen ! Daher seid ihr aufgefordert : Entf l ieht eurer physischen Gefangenschaft und wechselt eure Gefangenenk leidung und zieht an den Rock der Geistigkeit ! Erfreut euch an dem universellen Geist, der ewiges Leben gibt und der die Menschen vereinigt, die Getrennten zusammenführt und durch den die Fernen nahe gebracht werden. Das Band der Weisheit möge die Seelen verbinden ! Dies ist die Urkunde, in der Weisheit und Verstand mit Begabung und Tat vereint werden. Und ich nenne sie : D ie L eh re der L iebe [ ‫] מוסר האהבה‬. Und nun, werter Leser, nimm diese Lehren und schmücke damit dein Herz ! Öff ne das Buch Emuna Ṣerufa und erfreue dich an dem Schatz des Gelehrten, welches er von Gott a ls Erbe erhielt ! So will ich mich an meinem A nteil erfreuen, den ich hatte, um das Werk des Verstorbenen zu vollenden, geehrt a ls Sohn seines Volkes. Und möge der Ruhm des Autors verbreitet werden und mein Werk, welches ich nach bestem Vermögen vollführte, für gut befunden werden. Gedenke auch dem Woh le meines Freundes, des

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Gelehrten Moshe [ Moritz ] Steinschneider, unser Fels [ Gott ] möge ihn segnen und beschützen, der mir bei der A rbeit des Ordnens und der Abschrift a ls mein Assistent diente, und man vergesse auch nicht den Verleger. Yom Ṭov Lipman Zunz am Feiertag 15. Av 1851 [ ‫] תאי''ר‬ Berlin.

V ORWORT R A BBI N AC H M A N K RO C H M A L S Z U DE N „ P FORT E N DE R E M U NA Ṣ E RU FA“ 1 Eine Leuchte meinem Fuße ist dein Wort, und ein Licht für meine Bahn. (Ps 119,105) Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne meine Gedanken. (Ps 139,23) Wo ist der Mann, der Leben begehrt, der Tage wünscht, Gutes zu schauen ? (Ps 34,13) Behüte deine Zunge vor Bösem und deine Lippen, dass sie nicht Trug reden. (Ps 34,14)

B

edenke, lieber Leser, dass der Herr, gepriesen sei sein Name, die Gesch lechter vom A nfang her bestimmt hat [ vgl. Jes 41,4 ], Generation um Generation [ vgl. Ps 24,6 ], Gelehrte und Weise – doch in seiner Güte veränderte und wandelte er ständig2 die Wege der Forschung, die Methoden des Studiums und der Unterweisung hi l freicher Lehren für Israel. Auch wenn es sich vor Zeiten um eine anerkannte, förderl iche und problem lose Methode gehandelt hatte, es blieb stets möglich, ja denkbar, dass ausgerechnet diese Methode einem anderen Gesch lecht [ vgl. R i 2,10 ] – weit entfernt von dem vorangehenden – nicht mehr zeitgemäß und daher ungeeignet erschien. Und so steht es auch um die nun folgende A ngelegenheit : War es noch für unsere Vorfahren wichtig, den Inha lt der Schrift a ls so a lt wie möglich anzusehen, um so das Prinzip der Prophetien und auf die Vorsehung [ eines entfernten Ereignisses ] hinweisen zu können, so setzte bereits unter den sefardischen Exegeten des einfachen Schriftsinns [ ‫] חכמי טשפה‬, in der Zeit des Rabbi Shmu’el ha-Nagid und danach, ein Wandel ein, der umso deutlicher in unseren Tagen zu beobachten ist, da es sich diesbezüg l ich nun genau andersherum verhä lt, d. h. genau 1 Zur

Übersetzung des Titel s und zur Frage des ursprüng l ichen Titel s vgl. die Ein leitung. Vgl. zu diesem K apitel die eng l ische Tei lübersetzung von M. A. Meyer (Hg.), Ideas of Jewish History, New York 1974, 191 – 193. 2 Vg l. die Segensprüche vor dem shemaʽ- G ebet am Morgen und Abend.

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darauf geachtet wird, jede Schrift gemäß ihrer richtigen Abfassungszeit auszu legen, darzu legen und zu ana lysieren.1 Beispielsweise haben die Lehrer Israels in ihren Auslegungen behauptet, das gesamte Buch der Psa l men sei von David und seinen Zeitgenossen verfasst worden, eingesch lossen auch Psa l m 137 (An den Wassern von Babel …), den David gesprochen haben soll, a ls er im heiligen Geist die Exilierung nach Babylonien vorhergesehen habe und über sie K lage anstimmen wollte.2 Aber in unserer Zeit – und so auch schon einige sefardische Exegeten – gibt man sich nicht mehr mit [ d ieser ] Erkenntnis zufrieden, zuma l sich der Stand der Wissenschaft verändert hat und erkannt worden ist, welche Hoffnung, welche Zuversicht und welcher Glaube die Gemüter einst bewegte. Gemeinsam mit unseren Lehrern und unseren Exegeten werden wir zu dem gewünschten Ziel um so gewisser gelangen, wenn wir den Psa l m so verstehen, dass ihn ein levitischer Dichter von jenen priesterlich-levitischen Tempelsängern gedichtet hatte, die von den Babyloniern gezwungen worden waren, ihr gel iebtes Land und ihren Tempel zu verlassen und sich in der Ödnis am Flusse Kebar niederzu lassen. Sie hatten ja auf ihrem Weg in die Verbannung auf ihren Schu ltern wertvolle Zithern mit sich geführt und sie, a ls sie müde wurden, nicht an Zedern oder hohe Bäume gehängt, sondern an die niedrigen Weiden Babyloniens. Doch a ls sie von den A nführern der Rückkehrer aus dem Exil ersucht wurden, etwas von der hei ligen Musik erk lingen zu lassen, da hat irgendein Sänger aus tiefstem Herzen und echtem Mitgefüh l hinsichtlich des Verlorenen einen Eid und Schwur ersonnen, das ferne und ersehnte Land nie zu vergessen, indem sie zur Vergeltung an den üblen Nachbarn mahnten, die ihr Heimatland nie hatten verlassen müssen. Daher ist dieser Psa lm ein verzehrendes Feuer, eine Flamme des Herrn (Hld 8,4) [ ‫] שלהבת י ה‬3, ein Symbol für a lle Gescheh- und Er1 Vg l.

hierzu Lehnardt, Geschichte und Individuum, 368 f. bGit 57b. 3 I m masoretischen Bibeltext in einem Wort geschrieben. Vg l . zu diesem Abschnitt Y. A mir, K rochma l and Psa l m CXXXVII, Tarbiz 111 (1991/92), 527 – 544 (hebr.), bes. 533 A nm. 15. 2 Vg l.

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eignisse, die sie mit ihren eigenen Augen gesehen hatten, und ein glaubwürdiges Zeugnis [ vgl. Ps 19,8 ] der unend lichen Größe und Tiefe ihrer Liebe zu ihrem Land, ihrem Vol k und ihrem Gott. Das a lles sollte eine hei ligende und segensreiche Wirkung haben, und zwar auch für die Ohren und Herzen nachfolgender Generationen, es sollte eine A rt der Auffassungsgabe, Begeisterung und Rechtschaffenheit hervorbringen, in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der Gegenwart. Dies kann man jedoch nicht erreichen, datiert man den Psa l m früh und legt ihn David in den Mund, verlegt ihn a lso in jene Zeit, a ls gerade erst die staat liche und nationa le Unabhängigkeit erlangt worden war. Denn wenn man [ z u dieser Zeit überhaupt ] etwas über Babylon gehört hatte, dann woh l nur ein schwaches Gerücht. Die Jugend aber, die bereits in den zah lreich verbreiteten weltgeschichtlichen Überblicksdarstellungen1 gelesen hat, wird nicht nur den nütz lichen Ertrag einbüßen, welcher mit dem Lesen und Studium dieses Psa l ms an sich einhergehen sollte, sondern ihre Gemüter werden den Weg, wie wir ihn erk lären und interpretieren, verachten. | 6 Es sprach Rav Ḥuna im Namen des Rav A ḥa : „Das Wort der Tora sei in deinen Augen nicht wie ein Mann, der eine erwachsene Tochter hat, die er mit irgendeinem Fremden verheiraten möchte, a lso : Mein Sohn, wenn du meine Rede annimmst und meine Gebote hältst usw. (Spr 2,1)“ (Wa R 25,1 [ 366–367 ]). Der Sinn dieses Stücks ist, dass jemand, der Rat und mora lische Empfeh lungen ertei lt, sich nicht überei le, zu lehren, was er erst kürz lich erlernt hat und nicht heute lehre, was er erst gestern kennen gelernt hat, wie es insbesondere bei Studien zu höherem Ziele geschieht, dass manche Außenseiter ihre Stimme erheben, sogar in Bezug auf grund legende Erkenntnisse, die sie jedoch noch längst nicht hin länglich zu begreifen vermochten. Wie jener Erleuchtete (von dem der Midrash berichtet), der seine erwachsene Tochter mit jedem, der dahergelaufen kommt, verheiraten wollte. Auf diese A rt des Studiums weist ja 1 Mög l icherweise bezieht sich K rochma l hier auf K . H. L . Pöl itz, Die Welt-

geschichte für gebi ldete Leser und Studierende, I – I V, Leipzig 1804. Zur Rezeption dieses Werkes vg l. Feiner, Haska lah, 81, 163 – 165.

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auch folgender Bibelvers hin : Ein Baum des Lebens allen, die an ihr festhalten (Spr 3,18) sowie die Schriftstelle : Und wenn du meine Rede annimmst und meine Gebote behältst (Spr 2,1); und ähn lich kann man [ auch folgenden ] Vers in Bezug auf das Studium der Tora auslegen : Und ihr pf lanzt Bäume, von denen man isst (Lev 19,23), wobei den angedeuteten Gedanken [ die Fortsetzung dieses Verses ] erläutert : Drei Jahre sollen sie euch als unrein gelten, im vierten sollen sie euch heilig sein (ebd.).1

A n zwei Enden feh lt es dem richtigen Glauben in unserer Generation : Gemeinsam ist a llen zunächst, dass sie ihre Auffassung von einem tora-gemäßen Glauben von K indertagen an mit dem Verstand in Eink lang zu bringen suchen. Der Unterschied zwischen den beiden Positionen besteht jedoch darin, dass sich einige daran ergötzen, Skepsis und Zweifel gegenüber diesem Glauben vorzubringen [ vgl. Ijob 3,22 ]. Die anderen aber – und dies sind die Meisten – ereifern und mühen sich, an ihm festzuha lten und ihn durch phantastisches und übertriebenes Gerede zu stützen – durch Mittel, die angesichts universeller Erkenntnis keine rechte Begründung haben – , und jene sind es, die sich meist ganz umsonst abmühen.

1  Das heißt, die

Tradition muss erst voll kommen aufgenommen worden sein, bevor ihre Hei l igkeit voll kommen verstanden werden kann.

Tut auf die Pforten, dass einziehe das gerechte Volk, das den Glauben bewahrt ! ( Jes 26,2)

P FORT E 1

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Die Mittel

Wenn es ihm verschaff t worden wäre, wäre es ihm ein Heilmittel; wenn nicht, ein Mittel zum Tode. (bYom 72b)

Durch dreierlei wird der Glaube erschüttert [ vgl. Spr 30,21 ], und die Säu len des aufrichtigen Ku ltes erzittern [ vgl. Ijob 26,11 ]: Zu Beginn ist es ein rechter Weg, zum Sch luss jedoch ein Weg des Todes. A lle drei sind begründet durch die Verwirrungen des Triebes [ vgl. Jes 42,16 ] und die Irrungen eines trügerischen Herzens: 1. Wenn der Gläubige für den Ku lt aus voller Seele entbrannt ist und a lle weltlichen Geschäfte und Gelüste des Lebens abgelegt hat, so gerät er leicht zu einer Abscheu vor a llen rea len Dingen: Danach verliert für ihn die rationa le Perspektive an Bedeutung, und die A nwendung der Logik und K ritik wird beschränkt. Er richtet von nun an sein Augenmerk a llein auf seine exa ltierte Seele und erträumt sich neue K räfte der Auffassungsgabe und Illumination. Dies aber ist nur der erste Schritt. – Der zweite Schritt, womit man sich bereits im Übel befindet ist: Er meint vor dem inneren Auge die Engel des Höchsten, die transparenten Körper oder die unsichtbaren Objekte zu erblicken und sucht nach einer Methode, sich ihnen zu nähern. Soba ld er mit ihnen vertraut wird, können sie ihm jedes Mysterium und die Zukunft eröff nen. Um die seiner feurigen Phantasie entsprungenen Bilder zu stützen, sucht er nach Beweismateria l in den heiligen Schriften; diese liest er nicht a llein gemäß ihrer Syntax und Wortbedeutung, sondern er zäh lt und legt auch ihre Buchstaben aus, die Voka lzeichen, die A kzente und K rönchen auf den Buchstaben. – Der letzte Schritt: Er bildet sich ein, dass er sogar am Werk des Schöpfers, sein Name sei geprie-

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Pforte 1

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sen, mitarbeiten und es beeinf lussen könne, a ls ob man die Natur nach eigenem Wi llen verändern und befeh l igen, Gesetz l ichkeiten aufstellen und die Naturgesetze umstoßen könne – dies a lso, was in der Tora a ls die [ u nveränderl iche ] Schöpfungsordnung [ ‫ ] מעשה בראשי ת‬bezeichnet wird. Demzufolge stellt er sich vor, er sei über die Gebote des Verstandes und der offenbarten Erfahrung (‫ )השמעיות‬erhaben – über die Welt der „separaten Intelligenzen“ [ ‫ ] פרו ד‬und des „Vollzugs“ [ ‫– ] תקו ן‬, in der zwischen Erlaubtem und Verbotenem, Geeignetem und Ungeeignetem sowie Gebührendem und Ungebührendem differenziert wird. Schlussend lich gelangt er in seinem Wahn dahin, sich in über die Mensch lichkeit und Geistigkeit erhabenen Eigenschaften darzustellen, indem er sich beinahe zu einem Abgott macht.1 Wie befremd lich ist ein solches Extrem ! Wie wenig kann [ dies ] der gesunde Menschenverstand angesichts einer solchen Rea lität ertragen ! Und trotzdem: Wie viele Beispiele dafür gibt es dennoch für diese Ausgangslage ? ! – Zwar könnten dies a lle erkennen, doch vollständig begreifen können es nur die Eingeweihten. Der Beginn dieser Gemütseinstellung bei dem Gläubigen wird bei uns mit dem arabischen Wort: ‫הזיה‬, Phantasterei2 – oder auf Deutsch: Schwärmerei [ ‫ – ] שװערמערײ א‬bezeichnet. Für sie anfä llig ist besonders ein triebhafter Mensch, ganz besonders aber, wer nicht das Jenseits, Ehrfurcht und Demut und die übrigen lobenswerten, mora lischen Maßstäbe zu seinem geistigen Eigentum gemacht hat. 2. Auch gibt es den Gläubigen, der in seinem Herzen eine Abscheu vor dem Guten fi ndet und daher das Sch lechte wäh lt. Er spürt seine Mangelhaftigkeit und seine sch lechten Eigenschaften. Und weil es ihm bereits eingegeben ist, dass ihn Glaube und Gottesdienst zum Glück führen können, meint er Hilfe und Heilung für seine K rankheit in tiefem Glauben, vermehrtem Gottesdienst Vgl. hierzu etwa G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Phi losophie der Rel igion. Tei l 1: Ein leitung in die Phi losophie der Rel igion: Der Begriff der Rel igion, hg. v. W. Jaeschke, Hamburg 1993, 177; und siehe dazu L andau, Nachman K rochma l, 20 mit A nm. 1. 2 Zu dem Wort vg l. Moshe ben Maimon, Führer, 5 (Ein leitung). 1

Die Mittel

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und in Bittgebeten fi nden zu können. Und so wendet er sich f lehentlich mit Bitten und Gebeten an Gott. Doch soba ld er sich darüber bewusst wird, dass er einer A ntwort nicht wert ist | wegen sei- 8 ner sch lechten Eigenschaften, sucht er sich Fürsprecher vor dem gerechten R ichter in Form von Engeln des Höchsten und Ṣaddiqim [ Gerechten, Heiligen ] aus den vorma ligen Generationen, ruft ihre Namen an – seien es die richtigen oder die fa lschen, befragt die Toten, baut ihnen Erinnerungsmä ler und zündet auf ihnen Kerzen an usw. – Hieraus leitet sich für ihn der Glaube an Erzengel ab, die über die Erscheinungen der Schöpfung, ihre K räfte und Schicksa lssch läge gesetzt sind, sowie [ der Glaube ] an gute und böse Geister, die warnend oder ank lagend a lles begleiten. Er bemüht sich, die Gunst der ersteren zu erlangen und die bösen Geister zu besänftigen [ vgl. Jes 44,20 ] oder sich gar vor ihnen zu verbergen. Außerdem strebt er danach, ihr Gefa llen durch götzendienstartige und heidnische Praktiken zu suchen; durch besondere Gebete möchte er ihre K räfte in ihrer Unberechenbarkeit beeinf lussen, wie die Schwärmer sucht er auf verabscheuungswürdigem und sündigem Weg die Nähe dieser Geister, geringschätzigen Zweckes wegen und a llein zu seinem Woh l und um sich vor Übel zu retten. A ll dies vollbringt er ohne Überlegung, a llein seinem Gefüh l und seiner Geistesha ltung folgend. Da es ihm schwer fä llt, seine Wege zu bessern und sein Gemüt davon zu befreien, hu ldigt er dem Irrglauben. Die Gebete, die diesem Gefüh l entspringen – in a ll ihrer Fremdheit –, gehen ihm leicht über die Lippen, und den Beginn dieser Geistesha ltung bezeichnen wir a ls Irrglauben – Aberglauben [ ‫] אבערגלויבע ן‬. Für ihn sind besonders die Verstandesschwachen und Phantasten aus dem einfachen Vol k anfä ll ig. Gefährlich ist dies, wei l es die Ausstrah lung der Religion verdunkelt, den Menschen einem Affen gleich macht und die reinen miṣwot mit Traumdeuterei und Zauberei in eins setzt. Dieses Extrem macht den Gläubigen zu einem wirk lichen Götzendiener. Mit dem Munde bekennt er sich zwar noch zum Monotheismus, g laubt und dient jedoch fast aussch l ießl ich fremden Mächten oder der Naturgewa lt, am meisten jedoch seinen eigenen verführerischen Hirngespinsten.

Pforte 1

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3. Schließlich gibt es den Gläubigen, der sich genau vor den zuvor erwähnten Irrungen in Acht nimmt. Er meidet Wunderpraktiken, und sein Gemüt ist a llein darauf ausgerichtet, die miṣwot gemäß der Ha lakha zu erfü llen, und zwar so wie sie [ in der Mishna ] angeordnet und [ im Shu lḥan ʽA rukh ] definiert sind. Dies für sich genommen wäre gut und vielleicht das Beste für die Meisten: Allein, es fä llt dem Menschen schwer, ob er bedeutend oder gering ist, einfä ltig oder intelligent, auf diesem Wege rechtschaffen zu bleiben, ohne Feh l und Tadel und ohne eine eigene Rechnung aufzumachen; und dies, auch wenn man im Verborgenen K räfte zu mobilisieren versteht. Denn dieser Gläubige bemüht sich ständig um Ordnung und um pedantische Genauigkeit bei der Beobachtung der miṣwot, ohne Unterlass beschäftigt er sich mit ihren Folgerungen und Ableitungen. Schließlich ufert das Übel so weit aus, dass er sich vom eigent lichen Sinn der miṣwa – ihrer wahren Intention, ja ihrem Vollzug selbst – abwendet. Denn ein weiteres Übel kommt hinzu: Er vernach lässigt sch ließlich sogar die wichtigen und teuren Pf lichten, die sich gar nicht erst in Taten erweisen, sondern die so genannten Herzenspf lichten, deren Grund lage a llein die Heiligkeit und die Reinheit des Charakters sowie die Ethik bilden. Für ihn scheinen sie jedoch nicht mehr zu existieren – a ls ob es sich um vu lgäre und ungebi ldete Ideen handelte, die es vor theoretischer Prüfung nicht anzunehmen gelte. Diese Auffassung verfestigt sich aber so sehr, dass er letztlich sogar zwischen rationa len und offenbarten Gesetzen unterscheidet. Die rationa l begründbaren miṣwot aber vernach lässigt er und bemüht sich mit a ll seiner K raft a llein um den Gehorsam, um so zu untermauern, dass die so befolgten Gebote einträg licher sind a ls die rationa l begründbaren. Diese K rankheit des Geistes bezeichnet man a ls A nhäufung von Werken [ ‫] רבוי מעש ה‬, denen der Sinn abhanden gekommen ist, oder Heiligung der Werke, und sie sch ließt die Entweihung des Denkens ein und wird Werkheiligkeit [ ‫] װרקהײליגקײ ט‬ genannt. Unsere Vorfahren bezeichneten dies einfach a ls die Hinterlist der Pharisäer [ ‫] מכת פרושי ם‬1, die in vier unterschied lichen 1

Vgl. yPea 8,8 (21a); ySot 3,4 (19a); Tosafot zu bSot 21b s. v. zeh.

Die Mittel

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Arten in Erscheinung zu treten pf legt. Für diese besonders anfä llig waren die Vielwisser und diejenigen, die die Tora gering schätzen [ vgl. Jer 2,8 ]. Und obwoh l in diesem Fa ll die Gefahr sehr groß ist, dass diese Verfeh lung dem äußeren Schein nach gar nicht erkennbar wird, ist für diese [ A rt des Gläubigen ] das a lleinige Ziel der Religionsausübung, demütig zu sein, um damit die menschliche Seele in eine Welt voll kommener Weisheit zu erheben und ihn geistig a llein – vor der Schwärmerei bewahrend – durch die Gesetzesobservanz zu bestärken. Mit dieser Einstellung macht er sich mit einem Schu ld-Sk laven gemein, der bereitsteht und nur darauf wartet, dass ihm gesagt wird, was er tun soll, und dessen Hand den ganzen Tag ausgestreckt bleibt, um Lohn für die Mühen seines Dienstes zu erha lten.1 Die Führer führten in Israel [ usw. ] (R i 5,2): Doch nachdem viele einem der drei geschi lderten Laster verfa llen waren, erstanden dem Vol ke Leute, die auf die begangenen Abweichungen genau hinwiesen. Es waren K ritiker des mora lischen Zustandes, die jede Übertreibung einer Regel zum A n lass nahmen, die Regel – in konträrer Weise – zu wenden, manchma l von einem Extrem ins andere. Auch unter ihnen fanden sich a llerdings solche, die einen von den drei extremen | unterschied lichen Wegen wäh lten, und auch dies ist von Übel und mit Destruktion verbunden. Denn so kann sich neben der Schwärmerei ein neuer Rationa lismus verfestigen, der die Ebenbild lichkeit des Menschen aus dem Auge verliert – d. h. Gott – und der das Wesen der eigent lichen Seele und ihre Wunderkräfte durch einen synthetischen Körper ersetzt. So entstünde aber anstelle des Aberglaubens Unglaube und Skepsis gegenüber jeglichem Gefüh l; a lle ethischen Maßstäbe wären dann, so könnte man meinen, a llein durch die väterliche Tradition vermittelt. Einige gingen sogar so weit, die Existenz des treuen Hirten, Mose, unseres Lehrers, die Gabe der Tora durch seine Mittlerschaft, [ d ie Gabe ] der Prophetien und des hei ligen Geistes insgesamt in Zweifel zu ziehen und ihn einfach zu irgendeinem Irrlehrer zu machen. Dadurch verlören die Taten jedoch ihre Begründung, und 1

Vgl. m Av 1,3.

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man könnte die Gebote nach und nach voll kommen vernach lässigen, obwoh l man die Begründung für die miṣwot – sowoh l in philosophischer Hinsicht a ls auch im Hinblick auf ihre mystische Bedeutung – bestens kennen würde. Solche Leute stünden mithin wiederum den Schwärmern nahe. – Dies würde bei [ der Beobachtung ] der miṣwot des Gedenkens einsetzen und sich von dort auf die anderen miṣwot ausbreiten, bis man meinte, jede Sünde oder jedes Vergehen würde nicht aus Böswilligkeit oder Ungehorsam geschehen, sondern a llein von Einfä ltigen oder Unwissenden begangen, die die Begründung für die miṣwot nicht zu begreifen vermochten und die in der Folge der Bedeutung und dem Geha lt der miṣwot in der Öffentlichkeit keinen angemessenen Ausdruck mehr verleihen könnten, sondern durch ihre Befolgung nur noch etwas in den Oberen Welten zu bewirken meinten – womit besonders die Weisen und Mystiker gemeint sind, die [ ihr ] Ziel und ihre Bestimmung auf ihre eigene besondere Weise zu erreichen suchen. Die drei entgegengesetzten Phänomene sind a lso: Die Negierung des Geistigen,1 der Mangel an Glauben und die Vernach lässigung der Werke. – Sie gehören a llerdings weniger zu den natürlichen Zuständen einzel ner Menschen a ls der breiten Masse des Vol kes; daher versäumen sie immer den Zeitpunkt, der von den Leuten, die wir oben erwähnten, in Frage gestellt wurde. Aus ihrer Existenz kann man aber den Beweis ableiten, dass sie sehr verbreitet waren, lange bevor jene A ktua lisierungen aufgekommen sind. Problematischer a ls der Umstand, dass die Verbreitung der K rankheit – wie bei den anderen, oben erwähnten – im Verborgenen erfolgt, ist daher die Erkenntnis und das Bewusstsein für die Existenz dieser K rankheit. Die [ Erkenntnis der ] Gegensätzlichkeit (der K rankheit) aber ist wie Ba lsam und Medizin für den chronischen und tief sitzenden Aussatz – doch außer dieser [ Erkenntnis ] gibt es in der Medizin für Geisteskranke, um ehrlich zu sein, keine Heil mittel, die durch Entgegengesetztes die Heilung bewirken könnten. – Ein anderer großer Gelehrter [ Moses Mendelssohn ] hat bereits einma l auf die Frage geantwortet, was das 1 Das

heißt Materia l ismus.

Die Mittel

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größere Übel für den Einzel nen und die Gemeinschaft sei: Atheisterei oder Aber- und Irrglauben ?1 – Der Unterschied zwischen beiden ist wie der zwischen einem K rebskranken und einem, der mit Fieber darniederliegt: Wer ist der Mensch, der gut leben möchte (Ps 34,13) – der suche sich vor beidem in Acht zu nehmen.

Vgl. M. Mendelssohn, Jerusa lem oder über rel igiöse Macht und Judentum, hg. v. M. A lbrecht, Hamburg 2005, 64. 1

P FORT E 2



Die Pfade

Diese Lehre gleicht zwei P faden, einer durch Feuer, der andere durch Eis hindurch ; wer von jenem abweicht, der stirbt durch das Feuer, wer von diesem abweicht, der stirbt durch das Eis ! Was soll man tun ? – Man gehe in der Mitte ! (yHag 2,1 [ 77a ])

Die oben in Bezug auf die positive Religion und die a llgemeinen [ Vernunft] lehren geäußerten Gedanken werden durch die Erfahrung und A na lyse auch im Hinblick auf den Samm ler Jakobs und Gründer unserer Religion bestätigt, denn durch Mose offenbarte er uns unsere Tora. Um dies zu erläutern, wollen wir den oben angeführten, kurzen und treff lichen Satz ana lysieren und erläutern ; er möge uns auf unserem Weg a ls R ichtschnur und Leitfaden dienen. Doch ist unsere Absicht hier und im Weiteren nicht etwa, exegetische Fragen aufzuwerfen und biblische Schriftstellen auf Weise der Prediger zu lösen. Lediglich der Ausdruck „d iese L eh re“ (yHag 2,1 [ 77a ]) soll aus seinem Kontext genommen und auf die Gesamtbedeutung der Tora – ihren tieferen Sinn und ihr Mysterium – bezogen werden. Denn die sechs Ordnungen der mündlichen Lehre [ der Mishna ] beruhen letztlich auf einer Lehre, über die man keinen Vortrag ha lten darf.1 Diese göttliche Wissenschaft heißt bei Moshe ben Maimon – im Vorwort zu seinem Führer [ der Verwirrten ] 2 – : Lehre der Tora [ ‫] חכמת תלמוד תור ה‬, und folglich unterscheidet er bei der A rt der Kommentierung zwischen dem Studium der einzelnen miṣwot und dem Sinn ihres Vollzugs ; dies heißt bei ihm „Verständnis des Studiums der Tora“. Demnach können wir mittels gründ lichen Studiums des tieferen Sinns und der 1 Vg l.

m Hag 2,1. Mose ben Maimon, Führer, 4 (Ein leitung). – Zu dem Abschnitt vg l. Lehnardt, Maimonides, 435 – 437. 2 Vg l.

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Pforte 2

inneren, theologischen A llegorien, die in den beiden Ta l mudim und in den Midrashim zu fi nden sind, die wichtigsten Lehren in folgende drei Kategorien untertei len : 1. Das Studium der Erkenntnis des Wesens des Geistigen und Abstrakten und wie es im Seienden erkannt wird, in den A n lagen a ller Geschöpfe und sogar bei den Völ kerfami l ien der menschlichen Rasse und unter den Erwäh lten ihrer Sippen : Es geht um den Quell der Verstandeskräfte, wobei die begriff sbildenden von den rein geistigen, voll kommenen und echten unterschieden werden, auch [ geht es um den ] Erweis der Selbständigkeit eines erhabenen und emanierenden Geistes in jeg licher Rede und Idee, dass sie die Quelle jedes verstandesmäßigen und konkreten Wesens sind und a lles definieren können, auch um die Teil habe des Unend lichen [ ‫ ] האין־סוף‬an a llen end lichen und geistigen Wesen, die ihm gegenüber bestehen ; dem Seienden steht ja stets etwas Geistiges gegenüber. – Jene Gelehrten berufen sich dafür auf die Visionen des Jesaja und des Ezechiel und auf die übrigen Gesichte der Propheten. Über diese göttlichen Lehren unterrichteten die großen Weisen ihre besten Schü ler jedoch nur an besonderen Orten und zu besonderen Zeiten. Daher nannte man diese Lehre : ma‛ase merkava (Geheimnisse des Thronwagens – Metaphysik). 2. Die richtige Vorstellung vom gesamten Universum und seiner einzelnen Teile : Das Innere der einzelnen Teile, welche in das Materielle und das Geistige untertei lt werden ; die Initiation der K räfte, die in a llem vorhanden sind ; die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich die einzelnen Teile zu den Prinzipien verha lten und die Prinzipien sich zu dem einen großen Prinzip stellen, dem Höchsten, ohne das es weder das Individuum noch das Prinzip gibt, ein „ Alles 11 in A llem“. – Diese Wissenschaften | werden von den Gelehrten aus jüngster Zeit „Philosophie der Natur“ genannt, im Unterschied zur Lehre einzelner Naturgesetze, die auf den ersten drei Kapiteln der Tora beruhen. Unter Auslassung einiger Passagen darin wurden sie mit der übergreifenden Bezeichnung ma‛ase bereshit (Geheimnisse der Schöpfung – Physik) benannt.

Die Pfade

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3. Das Studium des eigent lichen Sinnes der Tora und des inneren Geheimnisses a ll ihrer miṣwot, der Bestimmung des Menschen und seiner Erwäh lung, Schöpfung und K rankheit sowie ihrer Heilung ; das Geheimnis des Lebens und des Todes, des Guten und Bösen, der Sinn der Existenz des Menschen in dieser Welt und seine Bestimmung ; das Problem der Begeisterung für Gott und des A nhängens an Gott oder die wundersame Relation zwischen dem erfolgreichen Beter und dem, der ihn zu seinem Ebenbild schuf, der Quelle a ller Existenz, dem König der qavod [ Ehre ], sein Name sei gepriesen und erhöht. Die Gelehrten dieser sublimen Wissenschaft fassten dies a lles unter dem Namen „Geheimnis des Sinnes der Tora“ [ ‫ ] סוד טעמי התור ה‬zusammen. Man lehrte dieses nur im Verborgenen und [ mittels ] A llegorie. Besondere Schriften dafür überlieferte man nicht, und so sind uns nur einige Körnchen und A ndeutungen überliefert, die auf diese Erkenntnisse hinweisen, die auch unter den Völ kern zu bestimmten Zeiten erkannt worden sind. Desha lb bemühten sie sich, die drei Fachbereiche der Theologie mit a llegorischen Bezeichnungen zu versehen : Reise in den pardes, Beobachtung eines Tierkreiszeichens1 usw.

Doch nun möge der Gebildete bedenken, wie die Torheit und die Aufgabe eines wahrhaften Standpunktes in den drei A rten mystischer Erkenntnis, die wir dargelegt haben, den drei in der voranstehenden Pforte erläuterten Fa llstricken und Hindernissen des Glaubens entsprechen, ihnen und ihren extremen Gegensätzen. Da das Scheitern des Erlangens des Geistigen der ma‛ase merkava zugeordnet wurde, wird das Scheitern des Glaubens durch Mittel und Abarten des Götzendienstes mittels der ma‛ase bereshit vorbereitet, und das Scheitern des Vollzuges der miṣwot manifestiert sich am Unverständnis des „Geheimnisses des Sinnes der Tora“, ohne dass wir die Gedanken der vorangehenden Pforte noch einma l wiederholen müssten. Denn der Verständige wird schon ver1 Zur

Wendung „ Beobachtung des Tierkreises“ a l s Umschreibung für Astrologie vg l. J. K latzkin, Thesaurus Phi losophicus Linguae Hebraicae et Veteris Recentioris, New York 1968, I, 88 ; III, 252.

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stehen, was der gleichnishafte Sinn des „Pfades durch das Feuer oder durch das Eis“ ist, an den die [ eingangs zitierte Ta lmud ]stelle erinnert. „Was soll man tun ? “ – Diese Ausdrucksweise [ yHag 2,1 (77a) ] weist darauf hin, dass es hier für den Gläubigen, der die erwähnte Methode des Studiums und die Ethik befolgen will, eine unbedingte Pf licht wird, nach Wegen zu suchen, wie er sich vor den zwei angedeuteten gefahrvollen Pfaden, die sich vor ihm in ihrem erschreckenden Ausmaß auftun und an denen er nicht vorbeischreiten kann, in Acht nehmen und schützen kann. – Er fürchtet sich aber nicht vor dem Anblick dieser Notwendigkeit ; wie es auch unter den meisten Rabbinen üblich war, stets sowoh l nach der wissenschaftlichen a ls auch nach der traditionellen Weisheit zu forschen. [ Und so frage man auch hier  : ] Wer hat uns auf jene [ Pfade ] geführt [ vgl. Lev 18,24 ] ? Was veran lasste ihn und den Gläubigen, sich auf den Pfad der Skepsis zu begeben, von dem selbst der Gelehrte meint, auf ihm lauerten große Gefahren ? Sollten wir uns nicht damit begnügen, die Glaubensweisheiten und die positiven religiösen Begriffe wie die meisten oder wie Kinder einfach [ so ], ohne von ihnen einen Schritt abzuweichen, anzunehmen ? Und wenn wir darauf antworteten : Es liegen doch eindeutige Beweise dafür vor, dass man sich bereits vor Zeiten, mindestens aber schon vor zweitausend Jahren mit diesen Lehren beschäftigt hat  – würden sie aber antworten : Na und ? Was ihr sagt, bestätigt nur, dass von dieser Zeit an bis heute die Verwirrten unter ihnen nur noch zah lreicher wurden. Außerdem : Solange ihr keinen Nachweis für die Beschäftigung mit der Sache selbst und ihrer inneren Ursache in der Seele des Gläubigen erbringt, kann man keine Schlüsse aus diesem Problem der Lehre ziehen. – Um aber die Wahrhaftigkeit unserer Lehre zu belegen, müssen wir auf das natürliche Nachfragen des Verstandes und den Fortschritt in der Erkenntnis der Logik eingehen. Daher seien hier in a ller Kürze einige Beispiele zur Verstehenshilfe und a ls Hinführung zu der vor uns liegenden Arbeit angeführt.1 1 Von hier an vg l. die Übertragung von Landau, Nachman K rochma l, 21 – 23.

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Wisse, dass die wesent l iche Aufgabe des denkenden Menschen, wodurch er sich ja vorzugsweise vom Tiere unterscheidet, darin besteht, sinn liche Vorstellungen, die er von außen empfängt oder die in ihm entstehen, zu a llgemeinen Begriffen zusammenzufassen, in synthetische Urteile umzubilden, und jeder, selbst der dümmste und scheinbar gedanken loseste Mensch, ist mit diesen Begriffsbildungen den ganzen Tag lang in seinem Denken und Reden beschäftigt. Wenn er z. B. fragt : „Was ist das ? “ | Und man ihm zur A ntwort gibt : „Ein Haus“ oder : „Eine sechseckige Figur“, so ist hierdurch eine sinn liche Vorstellung, ein Einzelding ohne jegliche Bestimmung und begriff liche Verbindung zu einem a llgemeinen Begriff erhoben. Unter Haus versteht man etwas, das a ls Wohnstätte dient ; unter Sechseck den a llgemeinen Begriff für eine Figur, dessen Inha lt durch die Bestandtei le g leicher Winkel und Schenkel definiert wird ; lauter a llgemeine, einzelne Vernunftbegriffe, die aneinandergereiht werden. Jede Frage : Was ein Ding ist, was der Grund, was die Folge, was der Gegenstand der Meinungsverschiedenheit und derg leichen mehr, ist nichts a ls die Notwendigkeit und das Bedürfnis unseres Denkvermögens, sinn l iche Vorstellungen, Wahrnehmungen, die noch auf keiner Erkenntnis [ sondern nur auf Gefüh l basieren ], in begriff liche Vorstellungen [ begriff liche Synthesis ] umzubi lden.1 Die begriff lichen Vorstellungen sind aber noch immer ohne inneren Zusammenhang, wie die Vorstellungen positiver Religion im Vol ke. Nun gibt sich aber auch diese Vol ksmenge hiermit nicht zufrieden, bis sie so viel a ls ihr möglich zu a llgemeinen Begriffen weiter konstruiert hat, und der Unterschied zwischen dem Wissenden und dem Unwissenden ist mehr oder weniger von K larheit und Unk larheit in ihrer Auffassung und Konstruktion [ abhängig ]. A lle aber sind fast in g leicher [ Weise damit ] beschäftigt, Begriffe zu konstruieren, wenn sie es auch unbewusst tun : Nur dass der denkende Mensch seine eigene Tätigkeit dabei zu beobachten versteht, ihre Funktionen kennt und somit weiß, was sie bedeuten und wie sein Denken beschaffen 1 L andau, ebd., 21 l ässt hier einen Abschnitt aus. Vg l. zum Ganzen Hegel,

Vorlesungen über die Phi losophie der Rel igion, a. a. O., 178 ; 299.

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ist. Wer seine geistigen K räfte a lso richtig zu beurtei len weiß, wird begreifen, wie eine Vorstellung in ihm entsteht, wie er dieselben aneinanderreihend immer mehr von den Einzel heiten zur Einheit gelangt, die ihm dann zur Grund lage a ller Sch lüsse, Beweise, A nsichten und Überzeugungen wird. Es liegt a lso in der Natur der mensch lichen Vernunft, dass sie a llen Gedankenbau auf rein geistigem Postu lat ausführt, dass sie der Materie der sinn lichen Welt ihr eigenes Gepräge aufdrückt, indem sie die sinn lichen Empfindungen zu Vorstellungen1 [ ‫] ציורי תחלת מחשבה‬, diese wieder zu Vernunftbegriffen2 [ ‫ ] מושגי השכל‬und die letzteren end lich zu Ideen3 [ ‫ ] מושגי הגמורות‬ausbi ldet.4 Vielleicht werden diese Worte in einer der folgenden Pforten deutlicher ; zunächst müssen wir aber zu unseren eigent lichen Fragen zurückkehren.

1  I m

Origina l Deutsch in hebräischen Lettern : ‫פארשטעללונגען‬. hebräischen Lettern : ‫ בעגריפפע‬. 3 Bei K rochma l : ‫ אידעען‬. 4 Zum Ganzen vg l. I. K ant, K ritik der reinen Vernunft. Nach der ersten und zweiten Origina lausgabe hg. v. J. Timmermann. Mit einer Bibl iographie von H. K lemme, Hamburg 1998, 418 – 421 ; L andau, Nachman K rochma l, 22. 2  I n

P FORT E 3



Die Verwirrung

Was soll man tun ?

Wir haben [ bereits ] gesehen, wie sich im Zivil- und Eigentumsrecht die Auseinandersetzungen zwischen den Parteien vermehren können und wie sich in der Folge aufgrund genauerer Untersuchungen ein immer präziseres Rechtswissen entwickelt hat, bis dass man demjenigen, der sich damit befassen wollte, den Rat gab, es zu studieren. Dies gilt genauso für die übrigen miṣwot und deren ta l mudische Auslegungen und Erläuterungen, in denen sich weitverzweigte und tiefschürfende Lehren fi nden – und die mittels logischer Deduktion, durch rationa le Überlegungen, die sogar im Vol k bekannt und angenommen sind, sei es schrift lich oder münd l ich, defi niert werden. Zum Beispiel untersuchte man die A rt und Weise der Exegese und die Ableitung von Geboten mittels dieser [ Deduktion ]  : Aus den Erläuterungen von Detai ls bei den Exegeten leitete man dann hermeneutische Regel n und Methoden ab, mit denen die Tora ha lakhisch und aggadisch ausgelegt werden solle. So bildete man aus konkreten Sachzwängen A llgemeinbegriffe, [ wie z. B. den Begriff  ] der miṣwa, des Erlaubten, vor dessen Benutzung gewarnt wird, das aber dennoch erlaubt ist; das absolut Verbotene, das [ in Bezug auf seine Reinheit ] Gewisse, das [ i n Bezug auf seine Verzehntung ] Zweifel hafte und Ungewisse, die Mehrheit, das Gewicht, die Minderwertigkeit und das wegen seiner Minderwertigkeit Aufgehobene usw. Ebenso grenzte man den „Vollzug“ [ ‫ ] תקו ן‬des Shabbat ab und regelte, was seine Störung betriff t; [ ebenso defi nierte man ], was eine A rbeit und was eine [ verbotene ] A rbeit ist, ebenso, was das beiden Gemeinsame bzw. das, was sie unterscheidet, sei. Und in Bezug auf die Gesetze [ definierte man ] den Erwerb und den Vertrag über einen Erwerb, wer ein Entäußerer und wer ein Empfänger sei, die Freigebung herren losen Gutes [ hefqer ]; das Besondere, das Gut Einzel ner oder

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der A llgemeinheit; was ein Eid, wie lange er gü ltig sei, und auf was sich schwören lässt. In Bezug auf Frauen wurde der Begriff der siqa [ Verpf lichtung ] und [ d ie Möglichkeit ] ihrer Auf lösung ausgebi ldet. Hinsichtlich des Schadenersatzes leitete man aus den mehr personenbezogenen und besonderen A rten, wie sie in der Tora erwähnt werden, das ihnen a llen Wesend liche und Gemeinsame ab; was jede Schädigung – und auch das diesbezüg l iche Gebot – in ihrer Besonderheit voneinander unterscheidet. Diese A llgemeinbegriffe bezeichnete man a ls die „Väter“ [ Prinzipien ], so wie die daraus abgeleiteten Einzelfä lle. In Bezug auf die „Heiligung“ entwickelte man die Begriffe „Tat“ und „Intention der Tat“; „nützliche Intention“ und „unnütze“ oder „schäd liche Intention“. So stellte sich für sie die Unreinheit, die vom Körper ausgeht, a ls eine physische Tatsache dar, die sich durch Berührung überträgt, sch ließlich aber ganz verschwindet. – A ll die angeführten Begriffe sind nur ein Bruchteil von den Tausenden von Vorstellungen und Begriffen, die die Tora- Gelehrten hervorbrachten; sowoh l die R ishonim a ls auch die A ḥaronim haben sie aus den Spezifi ka und den unterschied lichen Überlieferungen deduziert und zu A llgemeinbegriffen geformt, von denen jeder für sich einen Sinn erhielt. Und so kehrten sie stets zu derselben Weisheit zurück – der Weisheit der Tora, über deren Tiefe und Scharfsinnigkeit wir nachsinnen. – Nun wenden wir uns der eigent lichen Überlegung zu : Wenn es wirk lich so um die Weisheit der Lehre der Tora bestellt wäre, dass ihr Hauptgegenstand a llein die sprach l iche Defi nition und die tora-gemäße Tat sind – die Probe und Exempel mit einsch lössen –, ebenso die a llgemeine Regel, dass das Subjekt unter die physisch wahrnehmbaren Sinne fiele, bis dass man bezüg lich dieses Subjektes zu behaupten können meinte, dass Gebotserfü llung keiner Intention bedürfe (genau das Gegenteil gilt in Bezug auf die Weisheit der Lehre der Tora, die wir erwähnten, denn in diesem Fa lle ist die Intention die Hauptsache); was würden aber diese Reden dem toragemäßen Glauben und der Aufrichtung der Seele mittels wahrhaftiger Glaubensvorstellungen und reiner ethischer Maßstäbe nützen ? – um wie viel mehr würden sich von diesem Standpunkt aus die Vorstellungen zu A llgemeinbegriffen vermehren, die für

Die Verwirrung

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sich genommen jewei ls auf anderen basierten, wie bei den Stufen einer Leiter oder den Glieder einer Kette ! Befremd lich, tiefgründig und schwerverständ lich ist diese Erkenntnis; in jeder Hinsicht anders a ls die Erkenntnis des Geschehens; Subjekt des Geistigen und der Ursprünge der Dinge. Doch nicht nur der Gebildete betrachtet diese mit einem nach Erkenntnis suchenden Verlangen, sondern auch die Menge der Gläubigen; | denn jeder bewegt sich nach sei- 14 nem Vermögen und seiner Stufe mittels des Geistes selbst ohne k lares Verlangen auf die A nwendung dieser Begriffe zu – und dies gilt noch viel mehr im Hinblick auf die Glaubensvorstellungen, Überzeugungen und ethischen Maßstäbe a ls für die praktischen Taten. Diese Worte sind näm lich der Seele eingepf lanzt und sind ihr besonders nahe, [ wie es heißt ] : denn das Wort ist ganz nahe bei dir (Dtn 30,14). Jeder, der die Prinzipien dieser Maximen erkennt, wird a llerdings zugeben, dass sie einerseits naheliegend sind, andererseits dunkel und fern erscheinen. Dies aber nur, wei l er in ihnen tiefschürfende Fragen und sich widersprechende Sätze zu finden glaubt; für diese Widersprüche aber fi ndet sich eine große Eingangstür in Seele und Verstand : Metapher und Übertreibung. Die letztere von ihnen ist eine K rankheit und ein töd liches Gift. Jene bezeichnet aber nichts anderes a ls die Extreme der beiden in dem Diktum erwähnten Pfade, vor denen nicht genug und inständig gewarnt und abgeraten werden kann. – A ls Beispiel und weitere Erläuterung bringen wir einige wenige von jenen zah leichen tiefgehenden und notwendigen Fragen, bei denen sich der Gebildete mit dem, der nicht gebi ldet ist, vergleichen lässt. Unsere Absicht ist es, ihre Nähe zum Herzen der Menge der Gläubigen in a ller Kürze und mit Hilfe bekannter und anerkannter Überlieferungen, nicht jedoch nach A rt und in der Sprache der Philosophen aufzuzeigen. [ Es gibt zah l reiche ] Fragen : „Was ist oben, was unten, was in der Mitte, was hinten ? “ (m Hag 2,1) (Dies bezieht sich auf die Erforschung der Zeit, deren Erforschung – in ihrer großen Undurchsichtigkeit und Tiefe – sich bekannt lich bereits die Weisen bemühten, dem Vol k zu verbieten; jeder, der sich mit ihnen zu beschäf-

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tigen beginnt, wird durch sie erschüttert und in Frage gestellt.) „Von welchem Ort aus wurde das Licht erschaffen ? “ (BerR 3,4 [ 20 ]) – „Von welchem Ort aus wurde der Himmel erschaffen ? Die Erde, von welchem Ort aus wurde sie erschaffen ? “ (PRE 3 [ 7b–8a ]) – Ist es „vortei l haft für den Menschen, dass er erschaffen wurde, oder wäre es besser für ihn, wenn er nicht erschaffen worden wäre“ ? (bEr 13b) – „Ist das Lernen wichtiger a ls die Tat ? “ (bQid 40b) „Wer nur ein Gesetz vernach lässigt hat, (der ist ein Sohn des Gehinnom); oder : „Wer nur ein Gesetz bewahrte, (der ist ein Sohn des Gartens Eden) ? “ (vgl. bSan 111a) – Ist die Tat oder die Intention oder sind beide zusammen vorzuziehen ? Oder ist eine vorzuziehen und die andere nütz lich, und [ wenn ja ], welche von beiden ? – Soll man unterscheiden zwischen prinzipiellen und deduzierten miṣwot ? Etwa in der Hinsicht, dass, wenn man eine missachtet, man auch a lle anderen missachten kann; oder wird einem die grundsätz liche Bereitschaft angerechnet, auch wenn man ein großer Sünder in Israel ist ? Oder soll man im Hinblick auf die Tora nicht differenzieren ? – „Gerecht und sch lecht für ihn oder übel und gut ? “ (bBer 7a) – Gibt es Mittler für das Gebet und beim Gottesdienst [ ‫ ] עבוד ה‬oder nicht ? – Auf welche Weise nützt der A nteil der Väter [ ‫] זכות אבות‬ oder der A nteil der Gerechten [ ‫ – ? ] זכות צדיקי ם‬In welcher Hinsicht wird der Mensch gerichtet : Nach Reichtum und Recht, gemäß Quantität oder Qua lität [ der Taten ] oder nach Umfang der Verdienste oder der Übertretungen ? – Geschieht die Sühne [ a llein durch den ] Yom ha-K ippur oder [ nur ] durch den Tod, und was ist effektiver ? – Das „Tor der Umkehr“ und das Maß ihres Vermögens sowie der Wert, der auf den voll kommenen Gerechten zurückfä llt; das Problem der Verhinderung der Umkehr durch höhere Gewa lt ? – Zah l reiche Fragen nach A nteil und Strafe, nach ihren Abstufungen und nach ihren Maßen.

Exempel für sich widersprechende Sätze [ in der Tradition ] : Die Erde ist seiner Ehre voll ( Jes 6,3) – seine Verehrer fragen aber : Wo ist der Ort seiner Ehre ? – Denn ihr habt keine Gestalt gesehen (Dtn 4,15); er sieht den Herrn in seiner Gestalt (Num 12,8). – „Die Seele, die du in mich gabst, ist rein“ (bBer 60b). „Unser Wunsch ist es, deinen Willen

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zu tun, doch wer verfolgt es ? “ (bBer 17a) – „A lles wird überwacht, (doch) die Willensfreiheit ist gegeben“ (m Av 3,19). – „A lles liegt in der Hand des Himmels außer der Furcht des Himmels, denn ich habe sein Herz beschwert“ (bBer 33b). – „Und ihr werdet um eurer Sünden wegen verstoßen“ (vgl. Ijob 8,4). – Du zürntest, als wir gegen dich sündigten ( Jes 64,4); warum lässt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen ( Jes 63,17) ? – „A lles liegt in der Hand des Himmels, außer Erkä ltung und Fa lle“ (bKer 30a). – „Niemand beugt seinen Finger nach oben, außer wenn es ihm von oben geboten wird“ (bHu l 7b). – „Schaff t Frieden und vollbringt Unheil; nichts Böses kommt von oben“ (BerR 51,3 [ 535 ]). – Kinder sollen nicht für ihre Väter sterben (Dtn 24,16); um der Missetat ihrer Väter willen (Lev 26,39). – Dies sind die Fragen und Sätze, die sich unend lich weiter daraus ableiten lassen : Es sind die großen und tiefgehenden A na lysen – teils in der spekulativen Philosophie, tei ls in der praktischen Philosophie (Ethik) und teils in der theologischen Lehre; auch sind dies die Hauptthemen der mystischen Lehre von den Sphären; und sowoh l zu Lebzeiten der vorangegangenen Frommen a ls auch a ller Mitglieder der mosaischen Religion, ob einfä ltig oder gebi ldet. Man meine nicht, dass irgendjemand früher einma l oder in der Zukunft sich eigenständig mit dem Verbotenen oder ähn lichem beschäftigt hat oder [ sich beschäftigen ] wird, wie es die Mehrzah l der Rabbinen, deren Meinungen wir erwähnten, behauptet haben; sie meinten, dass a llein durch das Studium des Tatfa lls der Verstand | bewegt 15 wird und das Gute, auf dem wir bestehen und [ auf das wir ] hinwiesen, vermehrt wird. Doch, ohne positives Denken, a llein auf Glaubensvorstellungen und Ethik ruht a lles ! Ja, im Gegenteil : Zu a llen Zeiten oblag es den Menschen, je nach ihren Interessen und ihrer Meinung oder durch Vermittlung anderer oder mittels der Betrachtung der Umwelt, auf die angedeuteten Fragen und das, was daraus folgt, zu antworten. Und entsprechend der Stellung und Rangordnung unter den Geschöpfen erbaut er ihrer Seele ein Glaubensgebäude, was dann zur Erhöhung seines Selbstbewusstseins beiträgt und sein eigent liches, wahres Leben bestimmt. Um diesen Geist bitten wir mit einem der ersten Segenssprüche im Achtzehngebet, nach den ersten drei Lobsprüchen, indem wir be-

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gehren : Sende uns dein Licht und deine Wahrheit, damit wir durch sie angeleitet werden mögen – und die übrigen Verse und Segenssprüche dieses bekannten Gebetes.1

Nach a ll dieser Pracht und Ehrwürdigkeit müssen wir eingestehen, dass angesichts dieser Erhabenheit leicht ein Missverständnis entstehen kann, denn der Fa llstrick [ des Irrtums ] lauert stets vor der Tür : Zu beobachten ist dies schon bei den ersten Schritten, die von den einfä ltigeren Menschen unter den religiösen gemacht werden. Ohne Muße, Reinheit der Seele, die Betätigung des Verstandes und ohne Studium der Bücher : Wie soll sich da das gemeine Vol k und wie sollten sich auch diejenigen, welche zu den herausragenden Menschen gezäh lt werden, vor irreführender Tendenz oder Überakzentuierung in diesen A ngelegenheiten in Acht nehmen ? (Der Einwand : Warum gibt es Irrtum und Feh ler in der Welt ? – Dieser [ Einwand ] wirft tatsäch lich eine der Grundfragen über den Ursprung des Bösen in Natur und Mora l auf.) Zu Beginn der Zeitrechnung aber, a ls die Bedürfnisse des Menschen noch gering und durch leichte A rbeit gesti llt werden konnten, die Menschen keine bedeutenden Gebote befolgten und das Erlaubte unbemerkt übertraten – da das Gemüt noch einfä ltig und das Bewusstsein noch unbeschwert von a llen Übel n der Triebe war : von Schande, Eifersucht, Ehrsucht, Herrschsucht, Egoismus ohne Rücksicht auf den A nderen –, dama ls war die Gefahr der Abweichung von dem erwähnten Standpunkt noch nicht zu fi nden und auch noch nicht so akut; selbst in späteren Zeiten war diese Abweichung noch nicht zu finden, ja sie war noch nicht einma l bekannt; in doppelter Hinsicht wird sie zu jener Zeit jedoch schon in gewissem Sinne zum Guten und zum Vorteil erkennbar. – A m Ende jedoch, im Verlaufe von Notzeiten, mit Zunahme der Bedürfnisse und dem Wunsche, über andere zu herrschen, wurde es immer schwerer, von den „Verkrümmungen“ des Herzens abzusehen; der R iss wurde immer tiefer, und die Herzen wurden immer weiter auseinanderdividiert, 1 Vg l .

Siddur sefat emet, hg. v. S. Bamberger, Basel 1986, 42 f. (da‛at; 4. Segensspruch).

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die Übertreibung und der Irrtum wurden größer, sodass man sich zum anderen Extrem der sich bekannt lich aussch ließenden Pole und zu deren genauem Gegenteil hin entwickelte. Dama ls entstanden aus jenen anfäng lichen Abweichungen die tieferen Ursachen für die K ritik, die Wipfel und der Wurzelgrund für jene Glaubensauffassungen, die die Grundfesten des Glaubens unterminierten und ihre Schutzmauern zum Einsturz bringen sollten, das, was in den Abgrund und zum Verlust des Absoluten führte. – So ist die nun folgende Abhand lung woh l begründet, denn sie bangt und zittert um die Zukunft des Gläubigen, steigt auf den Berg des Herrn und fragt : „Was soll man tun ? “

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Die Mitte

Man gehe in der Mitte !

Unter den Philosophen, welche bestrebt waren, A xiome aufzustellen, an denen die Eigenschaften von Gut und Sch lecht bestimmt werden können, hat A ristoteles den Grundsatz aufgestellt, dem auch der Rav [ Moshe ben Maimon ] in seiner Ethik und viele andere unserer Weisen gefolgt sind, dass zwischen zwei Extremen stets die Mitte eingeha lten werden müsse, nach der a llein ethische Prinzipien geprüft werden können. A n jeder mensch lichen Eigenschaft seien näm lich die extremen Ausartungen derselben zu vermeiden, und die von beiden g leich weit entfernte Mitte sei die a llein richtige : Geiz und Verschwendung z. B. sind zwei Extreme, deren Mitte die Sparsamkeit bi ldet; zwischen Hochmut und Selbsterniedrigung steht die Bescheidenheit. Dieser Grundsatz hat aber die Denker unserer Zeit nicht mehr befriedigen können, wei l [ durch ihn ] die Mitte nicht konkret bestimmt oder durch eine Regel präzisiert [ wird ]. Denn wäre auch der Grundsatz, dass die Mitte a llein zu wäh len sei, wahr, bliebe er ja noch immer eine leere Formel, in der die gewünschte Lösung nicht entha lten ist, weil wir auch dann nicht [ automatisch ] in der Lage wären, diese Mitte, die sich von beiden Extremen nicht nur quantitativ, sondern auch qua litativ unterscheidet, von selbst zu bestimmen. Die Philosophen unserer Zeit haben desha lb diese Formel ganz fa llen gelassen und andere ethische Prinzipien des Verha ltens – Maxime[n] [ ‫ – ] מאקסימע‬aufgestellt.1 Ein Beispiel : Ein a llgemeines Gesetz für das Handel n [ des Menschen ist ], dass das Geld und der Besitz für 1 Vg l .

hierzu K ant, K ritik der reinen Vernunft, 844 f.; ders., K ritik der praktischen Vernunft. Mit einer Ein leitung, Sachanmerkungen und einer Bibl iographie hg. v. H. D. Brandt und H. F. K lemme, Hamburg 2003, 37 – 39; 41.

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sich genommen gut sind, nicht etwa nur hinsicht lich desjenigen, der von ihnen Verwendung machen kann; der daraus abgeleitete Grundsatz lautet : Man kann das Kapita l samt seiner Erträge verlieren, [ u nd zwar ] um des übermäßigen Genusses wi llen; doch die Quintessenz daraus sei das Prinzip des [ mensch lichen ] Handelns : Man sollte zwar vom Geld hinreichenden Nutzen haben, doch nur in dem Maße, dass begründete Hoff nung besteht, von ihm auch in Zukunft hinreichenden Nutzen zu erha lten. Siehe, so sehen wir [ hieran ], dass das Wesen des richtigen Urteils nicht nur in quantitativer Hinsicht anders ist a ls jene fa lschen Urtei le aufgrund sch lechter [ ethischer ] Maßstäbe. Deswegen haben die [ Denker ] der jüngsten Zeit diesen forma len Weg verlassen und suchten andere Grund lagen für ihre [ sitt lichen ] Maßstäbe, wie es in ihren Büchern erk lärt wird.1 Diese Frage ist für uns von hohem Interesse, weil sie derjenigen, die uns beschäftigt, in vielen Punkten gleicht. Wenn wir näm lich in unserer Untersuchung den Grundsatz aufstellen wollten, dass in Bezug auf den Glauben zwischen zwei Verirrungen die Mitte einzuha lten sei, dann wäre dieser Grundsatz seiner Form nach woh l richtig, aber doch unzu länglich, um an ihm die verschiedensten Glaubensansichten zu prüfen, da er nicht die Mittel an die Hand gibt, diese Mitte herauszufi nden, nicht den Grenzpunkt angibt, der nicht ohne Gefahr, in ein anderes Extrem zu verfa llen, überschritten werden darf. Wenn wir diesen Grundsatz [ in der Mitte zu gehen ] einma l ganz oberf läch lich betrachten, so wird sofort k lar, dass wir stets eines K riteriums bedürfen, um gleich weit von den beiden Extremen entfernt zu bleiben, damit wir unseren Verstand z. B. nicht zu weit von der Phantasie entfernen, d. h., dass wir uns ihr in gewissem Maße nähern und dass wir uns gleichzeitig nicht von der absoluten Negierung des Geistigen entfernen, sondern ihr [ auch ] auf gewisse Weise nahe bleiben. Beide [ Extreme ] würden ja Untergang und Tod, wahre und absolute Übel bedeuten.2 Der tiefere Sinn dieses Grundsat1  A b

hier vg l. die Übersetzung von J. L . L andau, Nachman K rochma l, 23 – 26 (mit Auslassungen). Vg l. dazu auch Lehnardt, Maimonides, 439. 2 Ab hier vg l. L andau und siehe auch Feiner, Haska l ah, 120.

Die Mitte

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zes muss daher sein, dass wir in unseren Untersuchungen und unserem Bestreben, die Wahrheit aufzudecken, einen Weg wählen müssen, auf dem wir bis zum Ursprung der Dinge gelangen können, dass a lle Rätsel gelöst und a lle Widersprüche zu letzt von selbst aufgehoben erscheinen. In unserem Fa lle würden wir zu einer Erkenntnis gelangen, bei welcher [ Phantasterei und Negierung des Geistes ] nicht mehr mög lich sind. Dasselbe gilt auch von den anderen Fragen, die wir tei ls schon berührt haben, tei ls im Laufe unserer Untersuchungen noch berühren werden.1 Zum Beispiel : Die Gegnerschaft gegen die von den Rabbinen bevorzugte Theologie und die A rgumentationsweise, die die Freunde der kritischen | Wissenschaft bevorzugen; die Gegnerschaft gegen den 17 einfachen Schriftsinn und die Interpretation von Tora- Geboten, des inneren und äußeren Sinns ihrer Geschichten und a lles, was aus ihnen folgt. Bei a llem ist ein von beiden Extremen gleich weit entfernter Mittelpunkt, wenn wir diesen Ausdruck in seiner oberf läch lichen Bedeutung nehmen, nicht recht denkbar, obwoh l er, sogar von den meisten, die die subti lsten Fragen nach ihren einfachen Verstandesregeln zu erk lären versuchen, oft in einem umfassenden Sinne gebraucht wird. Der tiefergehende Denker, der der Wahrheit ernstlich nachforscht, wird wissen, dass es keine andere Möglichkeit, kein anderes Mittel gibt a ls gründ liches Nachdenken, um die Quelle zu entdecken, der die zu untersuchenden Fragen entstammen, auf dass dadurch jeg licher Zweifel aufgehoben und Befriedigung gefunden werde. Dieser Weg ist in Wahrheit zugleich derjenige beider Extreme und g leichzeitig doch keiner von beiden. Diesen nennen wir auf symbolische Weise und a ls sinn liches Zeichen auch „den mitt leren Schnittpunkt“, wei l wir ja auch von materiellen Objekten behaupten können, dass ihr Mittelpunkt aus je zwei Hä lften besteht und dieser g leichzeitig doch zu keiner von beiden g leichzeitig gehört. Doch müssen wir erkennen, dass unsere Worte nicht richtig verstanden werden können, bis dass wir sie durch Beispiele im Fortlauf dieser Schrift erläutert haben. Der Grundsatz dieser Emp1 H ier

feh lt wieder ein Absatz in der Übertragung L andaus.

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feh lung, bei der Suche den Mittelweg zu wäh len, ist an sich gut und verständ lich; doch seine R ichtigkeit, sein Nutzen und sein Gewinn ist dem Verstand nicht unmittelbar einsichtig, sondern erst nach einer tieferen Ref lexion. Nachdem wir die Korrektheit dieser Grund lagen erwiesen haben, liegt es nun an uns, in den folgenden Pforten eine nach der anderen zu prüfen, ob sich uns der Herr gnädig erweist und ihm das Werk unserer Hände gefä llt.

Damit sch ließen sich die Pforten, die a ls a l l gemei ne E i n f ü hr u ng dieser Schrift gedacht waren, sodass wir mit anderen Problemen fortfahren können. Wenn man sich a lle Pforten vornimmt und sich nacheinander mit ihnen auseinandersetzt, wie es auch in der A nweisung des Rav [ Moshe ben Maimon ] zu seinem More [ nevukhim ] empfoh len wird,1 so wird man ihre gesamte Intention verstehen, denn Weisheit wird in dein Herz eingehen, und Erkenntnis wird deiner Seele lieblich sein (Spr 2,10); denn der Herr gibt Weisheit, und aus seinem Munde kommt Erkenntnis und Einsicht (Spr 2,6). So wie der Herr, gepriesen sei er, sehr nahe und sehr ferne sein kann, so kann er uns auch in Bezug auf die rechte Weisheit sehr nahe sein, wie geschrieben steht : Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir (Dtn 30,14), und es heißt : Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du deine Macht zugerichtet (Ps 8,3). A ndererseits kann er auch sehr fern und undurchsichtig sein, wie es heißt : Wo will man Weisheit finden usw. (Ijob 28,12) ? – Die Weisen aber mühten sich, sie zu defi nieren und zu begreifen, ihre Tiefe und Unergründ lichkeit zu erforschen. Man kann dies mit einem Korb vergleichen, der keine Henkel hat, oder mit einem verlorenen Edelstein und derg leichen.2

1 Mose

ben Maimon, Führer, 17 f. (Ein leitung). zu diesen A llusionen etwa ShirR 1,8 (2b); Tan be-ḥuqqotai 3 (237b) und bMeg 13a. 2 Vg l.

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Die Absicht und der Zweck

Ein Gleichnis für jemanden, der von O rt zu O rt zog und al s er eine Stadt brennen sah, fragte er : Sag, hat diese Stadt keinen Anführer ? Da wandte sich der Herrscher der Stadt an ihn und sprach : Ich bin der Anführer über diese Stadt ! – So ist es zu verstehen, wenn unser Vater Abraham spricht : Sag, ist diese Welt ohne einen Anführer ? Da wandte sich der Heilige, gepriesen sei er, an ihn und sprach zu ihm : Ich bin der Herrscher der Welt ! (BerR 39,1 [ 365 ])

Ga lenus [ Claudius ], ein griechischer Arzt und Philosoph und einer der letzten Gelehrten seines Vol kes – er lebte zur Zeit des Antoninus und Rabbis –, war nach a llem, was wir wissen, der Einzige, der sich in seiner Erörterung der Tora des Mose und Israels in seinem Buch „Vom Nutzen der Organe“ [ De usu partium III 10, Basel 1533, I 402 ] kritisch über sie äußerte, und zwar hinsicht lich des Problems von Sinn [ ‫ ] הכוונ ה‬und Zweck [ ‫ ] התכלי ת‬der physischen Einzelphänomene. Gegen [ seine ] Lösung des philosophischen Problems kämpfte der Rav [ Moshe ben Maimon ] in a ller Strenge, a ls es ihm verständ lich wurde, und es soll hier nicht weiter ausgeführt werden, wie er dies in seinen Pirqe ha-refu’a [ Kapiteln der Heilung ]1 unternommen hat. Er bekämpfte den Griechen [ Ga lenus ] mit a ller K raft, bis er ihn vor den Augen der forschenden Gebil1 Nach

A . Greenbaum in K rochma l, Writings, 513, wird auf einen Abschnitt aus dem gegen Ga lenus gerichteten medizinisch-phi losophischen Werk Pirqe Moshe verwiesen, welches R anaq in der Ausgabe Lemberg 1830 vorgelegen haben könnte. R awidowicz, Writings, 24 A nm. 2, verweist auf die Ausgabe Lemberg 1804, 54, die von Zunz benutzt wurde. Vgl. dazu R abbenu Moshe ben Maimon, Pirqe Moshe [ be-refu’a ], be-targumo shel R. N. Hamati, hg. v. S. Muntner, Jerusa lem 1959, 321 ff.; für eine Übersetzung siehe F. Ros-

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deten widerlegt hatte. Möglicherweise ist dieser Aufsatz auch bei der Übersetzung aus dem Arabischen durcheinandergeraten; vielleicht war der Übersetzer nicht tora-kundig oder kein Philosoph. Im Druck ist der Text noch stärker entstellt, und wir hielten es daher für angemessen, ihn zu verbessern und ihn hier ausführlich zu erörtern, und damit das Problem von Sinn und Zweck zu erhellen. Es ist gerechtfertigt, diese Erk lärung [ des Rambam ] a ls ein bedeutendes Kapitel des rechten Glaubens zu betrachten. Gemäß göttlicher Vorsehung und Prädestination steht sie den Idealen der meisten Propheten nahe, wie es jemand einma l formu liert hat : Hebt eure Augen auf usw. Er führt ihr Heer vollzählig heraus usw. ( Jes 40,26), und weiter : Lasst uns doch den Herrn unseren Gott fürchten, der uns Frühregen und Spätregen gibt zur rechten Zeit und uns Ernte treulich und jährlich gewährt ( Jer 5,24), und zudem : Der das Ohr gepf lanzt hat, sollte er nicht hören ?… der die Menschen Erkenntnis lehrt usw. (Ps 94,9f.).

Aufgrund einer bekannten Beweisführung kann man sagen, dass jede natürliche Bewegung [ ‫ ] פעולה טבעי ת‬eine sie hervorbringende Ursache hat. Die Bewegung zeugt für ihren Urheber. Durch die Bewegung an sich lässt sich jedoch noch nicht erkennen, ob sie ein konkretes Ziel hat und ob ihr Grund an sich einen Sinn [ ‫] כוונ ה‬ ergibt. Will sagen : Die Ursache muss, bevor sie eine Bewegung auslöst, eine Idee von ihrem Anfangsgrund u nd von ihrer Absicht haben, um sie in Bewegung zu setzen und ihr Ziel zu erreichen. Diese Ursachen für Bewegungen heißen mit der griechischen Bezeich19 nung | mechanische Ursachen. Es sind Ursachen für Bewegungen, in deren Natur es liegt, dass sie a priori keine Idee von ihrer Bewegung und ihrem Zweck haben. Wenn jedoch keine Bewegung ohne eine ihr vorrangegangene Idee gedacht werden kann, so wird ihre Ursache durch ihren Sinn erhellt; jene Ursachen heißen Ursachen des Sinnes und des Zwecks, vergleichbar mit unseren künst lichen Bewegungen.

ner, The Medica l Aphorisms of Moses Maimonides, Haifa 1989, 439 f. Siehe auch Mose ben Maimon, Führer III 12, 55 f.

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Wenn man daraufhin die Bewegungen in der Natur untersucht, so lässt sich zeigen, dass an ihrem A nfang nur mechanische Ursachen stehen. Sie bezeugen nur die sie bewegenden Ursachen, nicht aber den Sinn ihrer Bewegung; so etwa die Funktion des Windes und des Wassers und der übrigen Elemente, die die Natur bewegen; sie gehören daher nicht an diese Stelle unserer Untersuchung. Sie stützt ihre Beweisführung auf eine Bewegung, deren Charakteristik es ist, Hinweise auf die Ursache von Sinn und Zweck zu geben. Bei den natürlichen Bewegungen, wie bei den Bewegungen, deren dahinterstehende Idee zu erkennen ist, ist ihr Zweck offenbar : Das heißt, es fi ndet sich ein natürlicher Gegenstand, dessen Sinn im Nutzen für einen anderen Gegenstand besteht. So wie die Existenz des Wassers dem Nutzen der Pf lanzen dient, die wiederum das Futter für die Tiere sind, und die Tiere wiederum für den Menschen a ls Nahrungsmittel und für die Bek leidung nützlich sind. Der Wind ist dafür da, die Luft zu reinigen. Man kann a lso sagen, dass genau diese natürliche Bewegung einem äußeren Zweck dient. Den äußeren Zweck kann der Verstand selbst beurtei len : Jeder äußerer Zweck in der Natur entsteht durch den Zweck, den Sinn zu erfü llen. – An dieser Betrachtung ist a llerdings nichts weiter Verwunderliches. Von uns a ls verstandbegabtem Wesen werden aber die Erscheinungen bis zu ihrem eigent lichen Ursprung verfolgt, ohne dass es für ihren Sinn einen offensichtlichen A nha ltspunkt in der Natur gäbe. Manchma l gelangt unser Verstand sogar so weit, dass er nur zu leeren und überf lüssigen Sinngeha lten gelangt, so wie zu den bunten Federn und funkel nden Steinen aus Erzen. Unser Hauptproblem besteht demnach darin, eine natürliche Bewegung zu fi nden, deren Sinn in ihr selbst ruht : Durch ihren Zweck könnte man auf ihren Sinn schließen und dadurch auf die Idee der Bewegung, die wiederum in ihrer Ursache vor ihrer A ktua lisierung vorhanden ist. Das hieße [ nichts anderes ], a ls dass ihre Ursache potentiell in ihr vorhanden ist. Dagegen könnte man einwenden, dass die Absicht keinen Zweck in sich haben muss, und man könnte viel mehr behaupten, dass auch er nur mechanische Ursachen hat, die auf keinen Sinn hinweisen, welchen wir erkennen oder den wir selbst a ls verstandbegabte Menschen nach

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unserem Gutdünken oder durch Selbst-Täuschung und Denken schaffen könnten. Man kann dies an den Wilden, die im höchsten Norden, in den Tundren und weiten Steppen wohnen, veranschau lichen :1 Sie nutzen die großen Mengen des Schnees, um sich auf ihnen mittels leichter Sch litten über weite Strecken mit Leichtigkeit fortzubewegen; auch lebt dort ein Tier, welches fast nur Distel n frisst, welches aber reich lich Milch und Fleisch abwirft. Das Meer ist dort zwar sehr stürmisch, doch wird dadurch auch das Wachstum des Holzes gefördert, aus dem sie sich daher zum Schutz vor dem schweren Winter Hütten bauen. A n a llen diesen Details lässt sich der Zweck ausmachen. Wirft man jedoch die Frage auf : Was ist der letzte Sinn von a ll diesem ? – Wer wird darauf antworten können : Damit sie in einem so extremen K lima leben können, welches ihnen bestimmt nur Schwierigkeiten bereitet, welche sie nicht zu erdu lden hätten, wenn sie unter norma len k limatischen Bedingungen leben würden; nun da sie dorthin gelangt sind, muss man sie fast mit Tieren verg leichen, die ihre ganze K raft darauf verschwenden, den sch lechten Wetterbedingungen ihres Wohnortes Widerstand zu leisten ? Können wir unsere Unwissenheit mit der Weisheit und ihrer natürlichen A rt und Weise in Verbindung bringen, oder müssen wir sie nicht viel mehr mit dem ersten Beweger, sein Name sei gepriesen, in Verbindung bringen ? ! Auf diese A rt und Weise widerlegt der Starrsinnige jeg lichen äußerlich erkennbaren Zweck; dass näm lich ein Ding für das andere geschaffen sei. Ihm müssen wir erst zeigen, dass es auch einen inneren Sinn gibt und somit ein Sache, die ihren Zweck in sich selber trägt. Man kann sagen : Der Regen lässt das Getreide wachsen, woraus der Mensch Brot macht und Futter für das Vieh. So ist hieraus zu sch ließen, dass dieser Vorgang einem mechanischen Verfahren folgt, ohne dass ein Sinn und Zweck erkennbar wäre. So wie der 1 Zum Folgenden vg l. I. K ant, K ritik der Urtei l skraft, mit einer Ein leitung

und Bibl iographie hg. v. H. F. K lemme, mit Sachanmerkungen von P. Giordanetti, Hamburg 2001, 273 f. Siehe dazu auch Rosenberg, Moshe Schwarz weḥeqer Rana’’Q, Daat 31 (1993), 27 f.

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Wasserdampf in Form von k leinen Wassertropfen nach oben steigt und nach seinem Abküh len in luftiger Höhe wieder a ls Regen niederfä llt und dann die Pf lanzen das Wasser aufsaugen und wachsen, manchma l aber auch wegen der großen Menge des Wassers verfau len. Diese Gesetzmäßigkeit soll hier nur a ls Versuchsbeispiel für einen äußeren Zweck dienen, das zeigt, dass jede Naturerscheinung einen Zweck hat und daher auch auf einen Sinn hindeutet. Oben hatten wir bereits dem epikoros1 und seinen A nhängern widersprochen, die behaupten, dass a lles entweder aus sich selbst heraus existieren müsse, oder es sei erzwungen oder rein zufä llig. Doch selbst der Zufa ll hinge vom Verhä ltnis der Dinge zueinander ab, und daher könne es keinen sinnvollen Zweck geben, und das, was wir dafür hielten, sei nur eingebi ldet und beruhe nicht auf Einsicht [ ‫] תושי ה‬2 oder der eigent lichen Wahrheit. (Der Weg, den wir hier einsch lagen, folgt a lso – wie bereits oben erläutert – der Lehre der Theologen [ ‫] בעלי האמונ ה‬.) | 20 Es gibt jedoch noch einen weiteren Zweck, der in den Dingen selber l iegt. Er ist kein äußerl ich erkennbarer wie der vorher geschilderte und seine Funktion ist dem Verstand nicht unmittelbar zugänglich, sondern liegt in der Sache selber. Ein Beispiel dafür geben A lgebra und Geometrie, aus denen sich Inha lte und Eigenschaften berechnen und bestimmen lassen, die große Bedeutung und verschiedensten Wert besitzen, sodass es scheint, Zah len und Zeichnungen seien nur für diese Studien geschaffen worden : A ngenommen, zwei Linien treffen im rechten Winkel aufeinander, d. h. sie treffen so aufeinander, dass die Quadrate, die zu beiden Seiten der Linie entstehen, g leich groß sind. So lassen sich die 1 „epiqoros“ bedeutet im rabbinischem Kontext nicht einfach Epikureer,

sondern a llgemeiner „Gesetz loser“; vg l. bSan 99b–100a und J. Bergman, Das Schicksa l eines Namens, MGWJ NF 45 (1937), 210 – 218. 2 Zur Wiedergabe des schwierigen, von Ibn Ezra übernommenen Wortes vg l. L achower, Le-Seder, 87, der es im Sinne Hegels a ls „das Konkrete“, d. h. „das Nicht-Rea le“ versteht, a lso das, was die Wurzel von a llem ist, welches a llein Bestand hat. Siehe auch Pforte 16, K rochma l, Writings, 275, und vg l. R awidowicz, Mavo, 218 mit A nm. 6.

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Konstanten bestimmen, die für a lle Linien gelten,1 samt der an ihnen erkennbaren Schwierigkeiten, die erk lärt werden müssen. Diese werden a lle eingesch lossen und umgeben durch das Bild eines K reises, wi ll sagen, dass zwei Linien, die in einen K reis hineinreichen und sich schneiden, entsprechend der Proportion, die wir erwähnten, segmentiert werden. Ebenso, wenn wir auf einer [ den K reis schneidenden ] Grund linie aufbauten, sodass sich daraus ein rechtwinkeliges Dreieck ergeben würde, die sich unendlich weit fortführen ließe, so würden sie dennoch a lle in den K reis eingesch lossen sein. Wenn man – z. B. – eine Grund linie nimmt, die den K reis in einer Diagona le durchschneidet, so entsteht ein Ha lbkreis, der sämt liche einzelnen rechtwink ligen Dreiecke ohne Abzug mit einsch ließt, selbst wenn sie unzäh lbar viele sind (fa lls man die Länge der beiden Seiten unbegrenzt lässt), und dies wird Bild des Ha lbkreises, der Ausgangsort a ller rechtwinkeligen Dreiecke genannt, und so immer weiter, was aus dem K reis ausgezogen wird und ein begrenztes Bild aus ihm heraus bi ldet, eine Linie, die den K reis durchschneidet. Diese [ K reis ]zeichnung bi ldet den umfassenden Ausgangspunkt für a lle A rten von Dreiecken, seien es spitzwink lige oder solche mit erweitertem Winkel, sodass man aufgrund seiner Eigenarten unzäh lige [ weitere ] bi lden kann. Und er macht den K reis scheinbar absicht lich zu einer Einheit und zur Begrenzung a ll dieser zah lreichen und schwierigen Probleme, und so verhä lt es sich auch mit der Eigenschaft mancher wundersamer Zah len, von denen der Betrachter aufgrund ihrer proportiona len A nordnung und Bestimmung den Eindruck gewinnen kann, dass sie zu Erlangung mehrerer Ziele bestimmt sind. – A ll dies gehört a lso auch zu unseren geistigen Grund lagen, etwas, was prinzipiell und potentiell Gesetz und Ordnung ist, welcher aus dem Zweck abgeleitet ist, entsprechend der Tiefe der gedank lichen Betrachtung und entsprechend dem, was noch in den zu untersuchenden philosophischen Pforten, die vor uns liegen, erk lärt werden wird. In dieser Pforte, die wir durchschritten haben, wollen wir die A ngelegenheit des Zweckes [ ‫ ] התכלי ת‬mittels logischen A na logiesch lus1 Bis

hier vg l. L andau, der im Folgenden wieder etwas auslässt.

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ses [ darstellen ], den abstrakten Bildern nah und wie sie auch a ls Beweis in den biblischen Vorstellungen angeführt werden. – Doch können wir keine Beweise aus dieser erwähnten Zweckhaftigkeit ziehen, da sie nicht aus treibenden K räften hervorgehen, und der Zweck, der in diesen [ geometrischen ] Beweisen offenbar wird, ist durch keine Ursache vorgegeben und ergibt sich aus einem Grund, der um sich selbst kreist. Ein Opponent könnte aber darauf erwidern und sagen, dass dies a lles Verstandesbegriffe seien, von denen einer den anderen einsch ließt, und zwar auf [ eine solche ] Weise, bei der ein Begriff die anderen bereits beinha ltet und definiert, und zwar selbst dann, wenn wir von unserem defi zitären Verstand andere gezeigt bekommen a ls den einen ersten Begriff. Ebenso könnte er sagen, dass im Rahmen der Erkenntnis dieses Zirkels schon a lle erwähnten Funktionen entha lten sind, auch wenn sie uns a ls dem K reis fremd erscheinen und vom Nächsten zum Zwecke der Lösung schwerwiegender Fragen verwendet werden.

Die gesuchte Definition eines Zweckes an sich,1 die man aus diesen Überlegungen ableiten kann, liegt in der natürlichen Bewegung selber, sie ist nicht etwa akzidentiell oder gedank l ich, sondern liegt in der Sache selber. Jedes A geht von einem [ Punkt ] A aus, der der Grund für eine Sache B ist, die verursacht wurde.2 – Jede natürliche Bewegung geht notwendigerweise auf eine Ursache zurück, den mechanischen Grund a ller Bewegung. Wenn wir so von natürlicher Bewegung auf die Existenz einer absichtsvollen Kausa lität sch ließen, müssen wir erk lären, warum sich die natürliche Bewegung, die wir auf absichtsvolle Kausa lität zurückgeführt haben, nicht auf sich beschränkt. Denn wenn wir die Vorstellung der Bewegung und ihren Zweck schon vor ihrer A ktua lisierung a ls existent annehmen müssen, so können wir immer noch nicht erk lären, warum sie überhaupt aktua lisiert wird. Dies werden wir nicht ver1  A b

hier vg l. L andau. Satz feh lt bei Landau. Zu dem angeführten Beispiel vgl. I. K ant, K ritik der reinen Vernunft. Nach der ersten und zweiten Origina lausgabe hg. v. J. Timmermann. Mit einer Bibl iographie von H. F. K lemme, Hamburg 1998, 171. 2 Dieser

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stehen, wenn wir dazu die absichtsvolle Ursache zur Bewegung in Relation setzen können. Und wir werden dies niema ls verstehen, ohne die Ursache mit dem Zweck in Verbindung zu bringen.1 Könnten wir dies k lären, so hätten wir schon das Gesuchte gefunden. So ist uns auch k lar, dass es einerseits Gründe gibt, die ihre Ursache nicht a llein durch Rücksch luss von einer absichtsvollen Ursache her ersch ließen lassen, andererseits müssen wir annehmen, dass ihre Bewegung und ihre Wirkung ihren Ausgang nur im intelligi21 blen Bereich, | außerha lb der mechanischen Bewegung nimmt, so wie der Verstand sich ihm geeignete Vorstellungen schaff t und damit sein wahres Streben nach Glück – die Hauptsache der Philosophie [ ‫ – ] בדעות התוריות‬verwirk licht.

Mit Gottes Hilfe erkannten die Weisen, dass die meisten natürlichen K ausa lzusammenhänge in charakteristischen Funktionen erkennbar sind; so sind z. B. a lle Glieder und Extremitäten in a ll ihren Teilen in ihre Bewegungen miteinbezogen. Jeder Körpertei l ist am Nutzen und Vorteil der anderen Teile beteiligt. Daher sind Lebewesen aus Flora und Fauna wesenhaft in sich selbst und natürlich begründet, a lso sinnerfü llt. Um dies genauer zu erläutern, müssen wir zunächst noch den Begriff „Zweck“ [ ‫ ] תכלי ת‬eingehender untersuchen.2 Wir sagten a lso, dass wir die absichtsvolle Ursache zu der bewegenden Ursache fügen und an eine Stelle platzieren, an der sie a llein nicht ausreicht, um zu irgendeiner Existenz beizutragen. Unsere Absicht ist dabei, dass die Sache ohne einen Zweck so existierte, a ls ob sie zufä llig, ohne eine Ursache geschehen wäre. 3 Ein Beispiel dafür ist, wenn ein Mensch in der Wüste eine aus dem Sand ragende zerfa llene Niederlassung mit einem sechsseitigen Aufbau mit gleichwinkeligen Seiten findet, die einer Zeichnung des Euk lid gleicht, und er in Gedanken die Ursache für diese Erscheinung zu verstehen sucht, bis in ihm vielleicht ein unbändi1 Dieser

Satz feh lt in der Übertragung Landaus. endet die Tei lübersetzung L andaus. 3 Vg l. K ant, K ritik der Urtei l skraft, 275. 2 H ier

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ger Sturm aufbraust, was es mit dieser Formation auf sich haben könnte. Doch sofort wird sich sein Verstand weigern und die [ gefundenen ] Gründe für unzureichend erk lären. Und warum ? Weil sein Verstand zu erkennen vermag, dass ein Bild mit seinen zah lreichen Teilen trotzdem eine zufä llig gefundene Einheit bleibt und sie somit auch g leich beschaffen bleibt, so a ls ob es für ihre [ Einzel ]formen keine Ursache gäbe, auch wenn eine Ursache für jedes ihrer Teile vorstellbar und ein Grund für die einheit liche Form denkbar wäre. Und desha lb kann sich der Verstand auch ohne k lare Erkenntnis bemühen, den A nfangsgrund einer Form zu erkennen, die eine Einheit bi ldet und wesenhaft zusammengefügt ist, mithin etwas, was sich nicht bei den mechanischen Ursachen findet, bei deren Teilen stets das eine ohne das andere existieren kann und die niema ls eine voll kommene Einheit hervorbringen. Der A nfang davon ist, dass sie der Verstand durchdringt, in dessen Vermögen es liegt, die Teile zu einem großen Ganzen zu vereinen. Und daher kann er auch beim A nblick der oben erwähnten Form sagen : Ja, die Hand eines Menschen muss diese gemacht haben ! Und auf diese Einsicht verweist auch der Midrash, der dieser Pforte vorangestellt ist (BerR 39,1 [ 365 ]). Es heißt dort, dass jemand von Ort zu Ort gezogen war, d. h. in der Wüste oder in einem Wa ld, nicht etwa in einer städtischen Niederlassung, – bis er entsprechend der grobsch lächtigen A llegorie dieses Midrash nahe daran ist, mit dem Verstand zu erkennen, dass a lles Zufa ll ist und es keinen kausa len Zweck gibt, doch dann plötzlich eine Stadt erblickt – diese gleicht einem Pa last mit vielen Räumen, die zu einem gesamten Ganzen angeordnet und zu einem Zweck zusammengefügt sind, und in dem sich des Weiteren „brennende Leuchten“ fi nden, wobei dies bereits das ist, was ihm die Existenz der Ursache belegt, dass sie weder zeit lich noch räum lich weit entfernt wirksam war. Er bezeichnete diese Ursache aber mit dem Wort manhig [ A nführer ], dessen Wesen es ist, künst lich zu erschaffen, will sagen, dass die Ursache der äußeren Form geistig innewohnt, die sie hervorbringt. Uns obliegt es daher zu erkennen, wie dies in den natürlichen Bewegungen in Erscheinung tritt, und wir wollen [ daher ] einma l genauer betrachten, dass man die natürliche Bewegung

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nicht mit der künst lichen vergleichen kann. Der Beispielfa ll dafür ist folgender :1 Der Baum ist sich selber Ursache, in jedem Fa ll zeichnet er sich dadurch aus, dass er durch seinen eigenen Samen entsteht. Doch der Geborene [ d. h. der Mensch ] erzeugt selbst anderes, und daher existiert er nur gesch lechtlich, d. h. er ist mit seiner Gesch lechtlichkeit sich selbst Ursache und von sich selbst dependent. Das Gesch lecht der Bäume bringt sich dabei selbst hervor, wie auch jede andere Pf lanzenart. Doch scheint es auch eine causa sui beim Menschen zu geben, und diese wird a ls Wachsen und Größerwerden bezeichnet. Und nicht nur, dass dieses Wachsen Körpertei len etwas physisch hinzufügt, wie es sich bei einigen an ihrer gewachsenen Größe zeigt, sondern diese Bestandtei le – der Staub, das Wasser, die Luft und das Sonnen licht –, die er aus seiner Umwelt aufnimmt, verändern ihn ständig und transformieren seine natürliche Beschaffenheit in eine eigene Form, d. h. in die Form „seines Baumes“ und „seiner Blätter“. Doch insofern solche Vermischungen von Teilen für einen Baum typisch sind, fi ndet man die Mischung dennoch nicht mehr in den erwähnten Teilen aufgrund eines höheren Befeh ls und nicht mehr aufgrund irgendeiner natürlichen, mechanischen Bewegung. Viel mehr entspricht der Baum in ausgewachsenem Zustand einem neuen Wachstumsergebnis, welches in der für einen Baum typischen Weise existiert. 22 Und insofern | rechtfertigt dies unsere A nnahme, dass sich [ auch ] im Menschen [ etwas ] selbst generiert.2 Es gibt ja auch keine Möglichkeit durch irgendeine A nstrengung, aus den erwähnten Teilen ein dem Vegetabi len ähn lichen Stoff zu gewinnen, [ d ie Pf lanze ] etwa zu zerschneiden und aus den durch die Zerlegung neu entstandenen Teilen eine neue Pf lanze herzustellen, wie es auch unsere Rabbinen, seligen Angedenkens, sagten : „ Auch wenn sich a lle, die in die Zukünftige Welt gelangen werden, zusammentäten, so könnten sie doch nicht einma l eine Mücke erschaffen und ihr Leben einhauchen“ (SifDev Wa-etḥanan 32 [ 54 ]). Doch darüber hinaus bringt sich der Baum in seinen Teilen auch von selbst hervor, wi ll 1 Vg l. 2 Vg l.

zum Folgenden ebd., 276 f. ebd., 360 f.

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sagen, dass sich a lle seine Teile im Entstehen gegenseitig erha lten. Denn soba ld sich ein Blatt an einem Baum bildet oder ein Ast aus einer Wurzel hervorsprießt, bringt er eine weitere Pf lanze hervor, die der ersten g leicht, und zwar in der Weise, dass wir sagen können, dass jedes Blatt und jeder Zweig eine eigenständige Pf lanze bildet, die jedoch wiederum in a ll ihren Bestandtei len abhängig ist und durch [ d ie sie hervorbringende Pf lanze ] lebt und genährt wird, wobei sie wiederum von ihr abhängen.1 So kann man sagen, dass sich außerha lb ihrer a lle Teile des Baumes gegenseitig erha lten. Der Baum bringt zwar die an ihm hängenden Blätter hervor, doch seine eigene Existenz hängt ebenso an den Blättern. Denn risse man a lle seine Blätter auf einma l ab, würde er vertrocknen und absterben. Und dies zeichnet auch a lle anderen organischen Geschöpfe und Glieder aus : Wird eins der Glieder, welches die anderen benötigen, beschädigt, so können es die anderen wiederherstellen und [ das Feh lende ] ergänzen. Fa lls es aber in seinem Wachstum durch irgendeinen Hinderungsgrund zurückbl iebe, wird die Natur dieses [ körperlichen ] Wesens wiederhergestellt, um auch in einer solchen eigenartigen Mangel haftigkeit existieren zu können. Hierüber sprechen wir ja auch den Segensspruch : „Gepriesen seiest du, der du die Geschöpfe wandelst“ (bBer 58b). Doch dies a lles und mehr von diesem wunderbaren Wirken der Natur in a ll ihren organisierten Erscheinungsformen ist bereits woh l bekannt.

Nun betrachte der Interessierte einma l den großen Unterschied, den es diesbezüg lich in den Werken der Natur gibt. Das heißt, sowoh l in den einfachsten Elementen a ls auch in den zusammengesetzten Minera lien kann man keinen k laren inneren Sinn erkennen, auf den wir angewiesen wären. Wir müssen uns mit ihren gegenseitigen Bewegungen, ihrem Wachstum und damit, dass a llein sie die mechanische Ursache sind, begnügen. Doch in den Werken der Natur, in den K nochen der Glieder und Gelenken der Flora und Fauna gilt die Regel a lles Organischen, dass wir ihm unbedingt 1 Vg l.

ebd., 277.

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eine causa fi na l is implementieren müssen, einen ursäch l ichen Begriff. Denn uns ist es unmög lich, einen uns unbekannten Teil [ einer Sache ] vorzustellen, ohne [ einen anderen, bekannten Teil ] materia liter vor uns zu haben, ohne dass wir uns g leichzeitig die anderen Teile materia liter vorstellten. Und so kommt es, dass eigentlich die anderen [ Teile ] die Existenz [ dieses Teils ] garantieren, so a ls wären sie für ihn gemacht worden, sodass sie a lle a ls instrumentelle Glieder zu betrachten sind. Und somit haben wir erk lärt, was wir in unserem Schreiben ausdrücken wollten, näm lich dass ein Unterschied zwischen dem natürlichen zweckgebundenen Tun und den natürlichen mechanischen Hand lungen wie dem künst lerischen Handel n besteht.1

A llerdings ist auch die Differenz zu dem Praktischen in der Kunst sehr groß, was aus unserer A llegorie über die Baukunst folgt – eine Vorstellung vom Handel n und vom Ziel l iegt voll kommen außerha lb der Denkmöglichkeit des Menschen, und das Bild für sich enthä lt nur materielle Teilstücke, die [ einzel nen ] Gedanken entsprechen. So z. B. die Uhr [ ‫] כלי המורה שעו ת‬, ihre Einzeltei le und Rädchen, sowie das, was auf ihr geschrieben steht, was [ a lles nur ] auf der Übereinkunft basiert, dass sie die Ursache für die Bestimmung der Zeit ist – [ a ll diese Dinge ] a lso sind voll kommen von dem zu unterscheiden, was der Handwerker, der sie hergestellt hat, denkt. Und daher kann auch kein Gegenstand einen ihm ähn lichen hervorbringen, wie auch eine Materie sich nicht selbst herstellen kann, nicht einma l einen Teil von sich oder den seiner angrenzenden Materia lien, es kann nichts Zerstörtes reparieren, Feh lendes ergänzen, und ein jedes Einzelteil ist der Grund für die Bewegung seines angrenzenden Teils, doch ohne es in Bewegung zu versetzen – was der Grund für ihre Existenz ist; entsprechend der Regel, dass es keine [ eigene ] K raft besitzt, außer der, die Bewegung zu verursachen, die zum Ziel führt, deren Vorstellung und Notwendigkeit dem Verständigen ein leuchtet, was jedoch nicht auf die Endursache der Natur der organischen Wesen zutriff t, in 1 Ebd.,

277 f.

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denen sich a lle jene wunderbaren Eigenschaften fi nden, die wir bereits erwähnten. Daher sind wir auf die Einsicht in die notwendige End lichkeit [ a ngewiesen ], denn man kann sich keinen Teil und kein Glied vorstellen ohne eine Vorstellung von den übrigen Gliedern und dass a lles in ihm eingesch lossen ist, denn dies ist die Definition der End lichkeit, dass das Denken und die Vorstellung dem Entstehen seiner Teile vorangeht (was auch auf die Kunst zutriff t), sodass man sich bei organischen Gegenständen von der Vorstellung ihrer Einheit überhaupt nicht trennen darf. Und daher kann man eine A rbeit der Natur | auch nicht mit einer künst- 23 lerischen A rbeit verg leichen. Denn das Werkzeug des Künstlers ist nur ein Verursacher, doch das Werkzeug eines physischen A rbeiters schaff t und bildet etwas (wie es auch unsere Weisen, seligen A ngedenkens, sagten : „Es gibt keinen Schöpfer wie unseren Gott – es gibt keinen Künstler wie unseren Gott“ [ bBer 10a ]) – es überträgt eine Vorstellung auf die Elemente des Materia ls und schaff t aus ihnen eine [ neue ] Gesta lt, etwas, das aus der K raft der mechanischen Bewegung entsteht. Desha lb a llerdings sind die künst lerischen Tätigkeiten tot, und in den organischen Hand lungen der Natur ist die Vita lität. Die Definition der Vita lität ergibt sich dabei von selbst aus der wunderbaren Wirkweise der organischen Wesen, die wir oben hin länglich erk lärt haben. Der Begriff der Vita lität – ein Gebäude, welches sich durch sich selbst errichtet, sich selbst ausdenkt und entsprechend einer umfassenden Form hervorbringt, auch wenn es nur einige Details im großen Ganzen sind, gemäß der für die Existenz und die Stellung des Menschen und des Gesch lechtes notwendigen Voraussetzungen. Und weiter haben wir bereits verstanden, dass, fa lls wir eine Dependenz [ in einem Gegenstand ] gefunden haben, a lso eine causa causans, die ihn in Bewegung versetzt, wir daraus ersch ließen können, dass es [ f ür ihn ] einen Sinn geben muss, d. h., dass seine Verursachung einen A nfang in einer Idee seines Erfinders haben muss.

So gelangen wir nun zu der k laren Erkenntnis, dass jedes natürliche organische Wesen in sich selbst einen Zweck trägt, und im Vorgang seines Hervorbringens erha lten a lle seine Teile ihre Ei-

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genschaften, sodass es uns unmög lich ist, sein wahres Wesen zu erkennen, es sei denn wir verbänden a lle Teile in unserem Verstand in einer Vorstellung, die in sich selbst umfassend wäre. Denn nur auf diesem Wege ergibt sich für uns für a lle seine Teile ein Sinn, dass sich für es [ sc. das organische Wesen ] andere in ihren Taten mühten, es hervorzubringen und es ins Leben zu rufen. Deswegen sollten wir aber auch betrachten, dass wir in unseren Gedanken erk lären könnten, wie einige Teile seines Wesens a llein durch mechanische Ursachen entstanden sind, a ls ob wir z. B. sagten, die Feuchtigkeitsreste, die sich in frischen Lebensmittel n finden, unterschieden sich und dringen nur in die äußeren Schichten ein, und es entstünden aus ihnen nur das Haar und die Fingernägel, sodass sich daraus kein natürlicher Zweck erkennen ließe, nur eine mechanische Bewegung. Doch unter den gemachten Voraussetzungen müssen wir auch diese Einzel heiten nicht aus der a llgemein wirksamen fi na len Kausa lität ausnehmen. Wenn du daran näm lich ein Maß an legst, so besäßen wir dennoch keine Bestimmung, welches von den organischen Merkma len hinsichtlich ihres Sinnes erfolgreich sein werde und welches nicht. Und weiter, und dies ist die Hauptsache, müssen wir auch jene Reste berücksichtigen, die in das Wesen eindrangen und sich nicht mit der Substanz vermischten und die übrigen Teile beschädigten, die ohne Zweifel einen Zweck besaßen. Man muss sie aber mit Verbesserungen der Natur in ihren Bewegungen vergleichen, von denen wir wissen, dass sie nur dazu da sind, das Wesen des Organischen zu optimieren.

Von hier aus gelingt es uns, das Urteil zu fä llen, dass jedem organischen Wesen ein innerer Zweck zu eigen ist und dass seiner Bewegung die Vorstellung davon vorangeht, so a ls wäre es vollkommen im Denken vorabgebi ldet. Und daher verstehen wir notwendigerweise das Wesen des Organischen in dem denkenden und wollenden Verstand, der ihre Existenz beabsichtigt. Wäre dieser Verstand außerha lb des Individuums – oder wie es die Rabbinen auszudrücken pf legten : (BerR 10,6 [ 80 ]) : „Es gibt kein K raut auf Erden, über das nicht im Himmel ein mazza l gesetzt wäre, welches

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ihm sagte : Wachse ! –, so wäre der natürliche Beweger dem mechanischen ähn lich, ja noch sch limmer a ls dies, denn er müsste seine verstandesmäßige Ursache ständig für die Dauer seiner Existenz in a ll seinen verschiedenen A ktivitäten mit ihm verbinden. Denn man kann sich die Ursache einer Bewegung in der Materie nicht a llein aus sich selbst heraus erk lären, denn für sich selbst wäre sie nicht nur tot und träge, ohne lebensnotwendige A ktivität, sondern auch schwer und dick und in ihrer Masse jeder Lebensbewegung widersprechend. Wenn wir die Natur mit einem Künstler verglichen, so würde dies zu zwei A nnahmen führen : Entsprechend der erwähnten Meinung der Gegner (aufgrund von Genesis 1) könnte man annehmen, Gott sei ein großer Gesta lter, der jedoch Zeichen vorfand, die ihm ha lfen, wie es tatsäch lich Ga lenus meinte, was im Folgenden noch ausgeführt wird. Weiter könnte man der Meinung der Philosophen folgen, denen es jedoch nicht gelang, die Eigenschaft eines organischen Wesens aufgrund seiner natürlichen Beschaffenheit zu erk lären und damit die teleologische Denkweise voll kommen beizu legen, denn sie verbanden auch weiterhin die gedank lichen A nfangsgründe mit der Materie und nannten diese Seele der Flora | und Seele der Fauna. Doch auch dies genügt nicht, 24 um die Frage zu beantworten, von der wir sprechen, ob man den Zweck vom Sinne trennen dürfe bzw. dass jeder Zweck innerlich einen absichtsvollem Gedanken und Willen [ enthielte ]. Und wie könnte man dies mit einer pf lanzlichen oder anima lischen Seele verbinden, von der sie meinten, sie sei der intellektuelle A nfangsgrund. Dazu ist a llerdings zu bemerken, dass sogar A ristoteles an die voll kommene A nfangslosigkeit glaubte und dass der gesamte Kosmos und a lle seine Werke zwangsläufig so sein müssten, indem er eingestand, a lles sei in einer ersten geistigen Ursache entstanden und diese sei [ in ] ein [er ] Gott [heit ]. Selbst die einzelnen Hand lungen der organischen Natur erheben die Sache [ a n sich ] zu einer A ngelegenheit der Natur, a ls ob sie mit Intention geschaffen worden sei, und man gehe dabei stets von dem Satz aus : Die Natur ist weise und schaff t niema ls eine Sache umsonst, sie bereitet a lle ihre Taten woh lgeordnet – wi ll sagen, sie fä llt nie um irgendeiner Hand lung willen aus den Vorgaben und den Mitteln

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heraus, sondern verbleibt immer bei dem, was unbedingt notwendig ist. Und vieles Ä hn liche mehr, und dabei handelt es sich doch eigent lich um einen k laren Widerspruch, den sogar bereits der Rav [ Moshe ben Maimon ] in seiner Auseinandersetzung mit Ga lenus festgeha lten hat und überwinden konnte. Tatsäch lich gelang schon den Weisen [ den Rabbinen ] der Beweis von der Existenz organischer geistiger Formen, d. h. von der Existenz eines intellektuellen A nfangsgrundes in der Welt – und die Verwirrung besteht nur in Bezug auf die A rt und Weise dieses Seins : a ls Eines oder a ls Viele ?, und ebenso besteht Unk larheit in Bezug auf die Frage, wie es zu einer Verbindung und Teilhabe unter den geistigen Wesen kommt, wie sie sich untereinander verändern und vermehren und wodurch sie mit der Materie zusammengeha lten werden. Der einfache Glaube sagt dazu in der Synagoge : „Gott, der Geist a llen Fleisches“ (eine Wendung, die für die Beschreibung des organischen Wesens geprägt wurde1). Doch um der Weisheit der Religion willen wird einiges von der Tiefgründigkeit dieser Betrachtung, zuma l sie der Grund [ f ür ] Vieles von dem ist, was in dieser Pforte erläutert wurde, in einer speziellen philosophischen Pforte erläutert werden – so Gott will. Zusammenfassend sei gesagt, dass wir für a lle Gedanken zusammengenommen zu den geistigen A nfängen zurückkehren müssen, die jenseits der materiell greifbaren Rea lität liegen.

Der Rav [ Moshe ben Maimon ] aber schrieb darüber Folgendes :2 „A ls sich Ga lenus mit den Grund lagen des Glaubens zu beschäftigen begann, mit der Mechanik und dem Nutzen der Organe, dem Nutzen der Augenbrauenhaare, die nicht länger werden und nicht ausfa llen wie die Kopfhaare, dem Nutzen, dass die Haare der Augen lider [ Wimpern ] fest sind und nicht länger wachsen – da sagte 1 Die

Wendung fi ndet sich in der rabbinischen Literatur sehr häufig. dem hier zitierten Abschnitt aus Pirqe Moshe, K apitel 25 [ 62 – 68 ], vg l. oben und siehe die A nmerkung des Herausgebers. Vg l. R abbenu Moshe ben Maimon, P irqe Moshe [ be-refu’a ], hg. v. Muntner, Jerusa lem 1959, 372 – 390; F. Rosner, The Medica l Aphorisms of Moses Maimonides, Haifa 1989, 437 – 445. 2   Zu

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er Folgendes : Man könnte sagen, der Schöpfer, gepriesen sei er, habe angeordnet, dass dieses Haar nicht länger wachsen und für a lle Zeit seine Länge beha lten solle. Und das Haar habe diesen Befeh l angenommen und gehört und wäre stets in dieser Länge geblieben. Es stand gegen dieses Gebot nicht auf, sei es, wei l es zitterig und furchtsam vor dem Widerstehen gegen ein Gebot Gottes war, sei es, wei l es sich vor Gott schämte, wei l er es ihm mit einem Befeh l geboten hatte, oder wei l dieses Haar von selbst verstand, dass dies so richtiger, schöner und nütz licher sei. Siehe, das ist die Meinung [ des Mose ] hinsichtlich dieser natürlichen Phänomene. Und diese Überlegung ist für mich lobenswerter und richtiger [ a ls die des epiqoros ], dass Gott der A nfang a lles Geschaffenen von Geschaffenem sei, so wie es Mose unser Lehrer, über ihn Frieden, gesagt hat, und es ist zusätz lich angemessener zu behaupten, dass es das Prinzip ist, welches in der Materie ruht, durch sie zu existieren. Denn der Schöpfer schuf Augenwimpern und Augenbrauen, die in einer Länge verbleiben sollten, denn dies ist angemessener. Dies ist so, wei l er wusste, dass dieses Haar so sein müsste, dass es etwas Dickes und Hartes unter den Wimpern geben müsse, welches die Länge der Augen lieder erweitern sollte. Denn es würde sonst nicht genügen, um das Haar in ein und derselben Länge zu ha lten, wie es der Schöpfer wollte, dass es so sei. Ebenso, wenn [ der Schöpfer ] plötzlich einen Stein in einen Menschen verwandel n möchte, ohne dass der Stein dabei die notwendige Veränderung durch laufen könnte. Der Unterschied zwischen der Religion des Mose, unseres Lehrers, über ihn Frieden, und der Religion des Ga lenus und des Plato sowie der übrigen Griechen besteht [ demnach ] im Folgenden : Der Glaube des Mose, unseres Lehrers, über ihn Friede, geht davon aus, dass, wann immer Gott, gepriesen sei er, einer Sache | eine Form geben will, er ihr sofort eine Form geben 25 kann. Dies beruht darauf, dass er meint, a lle Dinge seien bei Gott möglich; und wenn er es wünscht, ein Pferd oder einen Ochsen aus dem Staub zu erschaffen, so kann er dies tun. Doch wir [ sc. die Griechen ] akzeptieren dies nicht, sondern wir meinen, dass es einige Dinge gibt, die inhärent unmög lich sind, und Gott möchte nicht, dass diese unmög lichen Dinge zu möglichen werden. Von

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den möglichen erwäh lt er aber nur die besten und angemessensten sowie lobenswertesten A ngelegenheiten aus. Daher, wei l das A ngemessenste sowie Lobenswerteste für Augenwimpern und -brauen ist, in einer gewissen Länge und in einer ursprüng lichen Anzah l zu verharren, so sagen wir nicht, dass Gott es so wollte und dass es sogleich in der Größe so geschaffen worden sei, wie Gott es wollte. Selbst wenn Gott es tausend Ma l gewollt hätte, dass dieses Haar so sein möge, wäre es niema ls so geworden, wenn es aus weicher Haut hervorgewachsen wäre. Hätte er nicht die Wurzel n des Haares in einen festen Körper eingepf lanzt, so wären sie aufrechter und härter geworden.1 Wir müssen aber annehmen, dass Gott zwei Dinge folgendermaßen entschieden hat : erstens, dass er die besten Bedingungen für sein Handel n festgelegt hat; zweitens, dass er das am besten geeignete Materia l [ f ür sein Handel n ] ausgewäh lt hat. Und daher, wei l es am besten und passendsten ist, dass die Augenwimpern gerade und fest sind und die Haare stets in der selben Länge und A nzah l bleiben, pf lanzte er sie auf hartes Material ein. Hätte er sie in weichem Materia l eingepf lanzt, wäre er ignoranter a ls Mose und ignoranter a ls ein törichter Genera l gewesen, [ ein Genera l, ] der die Mauern seiner Festung auf weichem Unterboden, der durch Wasser unterspü lt werden kann, errichtet hätte. So beruht auch die Tatsache, dass die Augenbrauen stets in der gleichen Position bleiben, auf seiner Erwählung des geeigneten Materia ls. Dies a lles sind die Worte des Ga lenus. Sagte Moshe [ ben Maimon ] : „Wenn sich mit dieser Rede ein philosophisch gebi ldeter Mensch befasst, der die Grund lagen der Religion in unserer Zeit kennt, so wird ihm die Verwirrung dieses Mannes [ Ga lenus ] k lar. Denn diese Rede stimmt weder mit der Ansicht der Tora- Gläubigen noch mit der der Philosophen überein, denn die Überlegungen des Ga lenus sind unpräzise und ungenau, und doch spricht er von Dingen, deren Grund lagen er nicht kennt, wie wir nun darlegen werden. So schreibt er dem Mose, über ihn Frieden, jene Meinung zu, welche die Phi losophen erwähnten. Doch stammt in der Tat nur eine tatsäch lich von Mose, über ihn 1 H ier

ist etwas bei L andau ausgefallen.

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Friede. Die anderen drei Überlegungen stammen aber nicht von Mose. Ga lenus a llerdings, in seiner mangelnden Genauigkeit in a llem, über das er spricht, außer der Medizin, dachte, dass a lle vier Überlegungen auf eine einzige [ Idee ] zurückgehen. Und er sagte auch, dass dies die eine Überlegung sei, die auf Mose, unseren Lehrer, über ihn Frieden, zurückgehe, und wie es Ga lenus meinte, sei dies a lles aus der Wurzel der Tora unseres Vaters Abraham, über ihn Frieden, hervorgegangen. Daher seien seine Worte auch nicht durcheinander geraten und widersprüch lich, vielmehr seien seine Prämissen woh lbegründet. Und die Rede, die Ga lenus hier a ls von ihm stammend in Erinnerung ruft und von der er behauptet, sie entspräche seinem Glauben, stimmt nicht einma l mit seinen fundamenta len Auffassungen und Glaubensweisen überein. Doch das, was er sagt, stimmt mit Auffassung anderer überein, und dies ist der Grund, warum seine Aussagen verwirrt sind und ihre Verästelungen nicht mit der Wurzel übereinstimmen. Ich werde nun beginnen, diese vier Auffassungen, die er Mose, unserem Lehrer, über ihn Frieden, zuschrieb, zu erläutern. In der ersten seiner Ausführungen behauptet er, Gott habe dem Haar der Augenbrauen befoh len, nicht zu wachsen, und das Haar habe gehorcht. Er behauptet, dies sei die Meinung des Mose, unseres Lehrers, über ihn Frieden, doch Gott befielt nur geistbegabten [ intelligenten ] Wesen etwas. Die zweite Behauptung ist, dass Mose, über ihn Frieden, meinte, bei Gott sei a lles möglich. Doch auch dies ist nicht die Meinung des Mose, unseres Lehrers, über ihn Frieden, sondern er meint, dass Gott nicht die Macht Unmögliches zu tun zugedacht werden könne. Ga lenus a llerdings in seiner Fä lschung [ der Fakten ] verstand nicht, in welcher A ngelegenheit und an welcher Stelle sich die Meinungen unterschieden. Das heißt, es gibt Dinge, von denen Mose sagte, sie lägen im Bereich des Möglichen, während andere Leute meinen, sie seien unmög lich. Diese Differenz in [ der Beurteilung ] dieser A ngelegenheiten ist die notwendige Konsequenz aus den fundamenta len Unterschieden hinsichtlich der Wurzel n. Und Ga lenus verstand von diesen Dingen nichts und wurde dadurch nur noch weiter verwirrt. Die dritte Meinung, die er Mose zuschrieb, geht davon aus, dass, wenn Gott plötzlich

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ein Pferd oder einen Ochsen aus Staub erschaffen wollte, er es so tun könne. Dies ist tatsäch lich die Meinung des Mose, unseres Lehrers, über ihn Frieden, und sie ist die unmittelbare Konsequenz aus seinen Prinzipien, wie noch erk lärt werden wird. Die vierte Meinung ist, dass Mose sagte, Gott hätte nicht das richtige Materia l für a ll das, was er erschaffen wollte, gewäh lt. So habe er etwa ein knorpeliges [ hartes ] Materia l für das unter dem Augen lied gewäh lt, und Mose, unser Lehrer, über ihn Frieden, hätte dem nicht widersprochen. Tatsäch lich hat Mose, über ihn Frieden, jedoch er26 k lärt, dass Gott | nichts ohne Absicht und zufä llig erschaffen habe. Vielmehr habe er a lles, was er erschaffen hat, sehr gut (vgl. Gen 1,31) erschaffen, angemessen, mit richtigem Maß, mit Intention sowie in Wahrheit, wie ich es in meiner Darlegung der Grund lagen des Glaubens erläutert habe. Und ziehe daraus die notwendige Erkenntnis, dass die Iris des Auges perforiert ist, um zu sehen, die K nochen [ des Körpers ] hart sind, um einen stabi len Unterbau zu geben und ebenso auch für a lles, was sich in den Körpern lebendiger Wesen findet. A lles, was Gott erschaffen hat, hat er mit Weisheit erschaffen. Ga lenus verstand aber nur diese eine von Moses A nsichten, und zwar, dass etwas plötz l ich [ spontan ] entstehen kann – in einer Weise, die der natürlichen widerspricht : Wie etwa die Verwand lung eines Stabes in eine Sch lange oder von Staub in Läuse. Daher ist es nach seiner Überzeugung mög lich, dass Staub urplötzlich in einen Ochsen oder in ein Pferd verwandelt werden kann, und dies ist tatsäch lich die Meinung des Mose, unseres Lehrers, über ihn Frieden. Und dies a lles sind die notwendigen Konsequenzen aus den grund legenden Prinzipien der Überzeugung des Moses, näm lich, dass die Welt erschaffen wurde und dass sie nach voll kommener Nicht-Existenz erschaffen wurde. Und er schuf a lles, was unter dem Himmel existiert, und a lles, was in ihnen ist. Er schuf die erste Materie unter den Himmel n und er erschuf daraus Staub und Wasser sowie Feuer und Luft. Er formte die Weltenbahn mit a ll ihren verschiedenen Sphären nach seinem Willen, und er formte die Elemente und a lles, was aus ihnen geschaffen wurde, entsprechend ihrer verschiedenen Naturen wie wir sie erkennen können, denn er gab ihnen die Formen, durch die ihre Natur exis-

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tieren kann. Dies ist das fundamenta le Prinzip der Lehre des Mose, unseres Lehrers, über ihn Frieden. Fa lls nach seiner Auffassung ursprüngliches Materia l in die Existenz aus der Nicht-Existenz gebracht wurde und in Formen geformt wurde, so ist es für Gott [ auch ] mög lich, Nicht-Existierendes verschwinden zu lassen und wieder in Existenz zu bringen. Ebenso ist es ihm mög lich, die Natur eines Geschaffenen zu verändern, wie auch a lles, was von diesem geschaffen wurde, und er kann darin auf einma l auch etwas völlig von der Natur [ d ieses Gegenstandes ] Verschiedenes platzieren. Und daher unterliegt a lles, was der Natur nach entstanden ist oder zerstört werden kann, der Mög l ichkeit der Veränderung durch ihn, und bei Mose, über ihn Frieden, wird daher die Möglichkeit erwogen, dass ihm die Fähigkeit zugeschrieben werden müsse, dass a lles von seinem Wi llen abhinge. Daher, wenn der Schöpfer, gepriesen sei er, es wollte, dass die Welt so bestehen bliebe, so bliebe sie so für a lle Generationen, für immer und ewig so bestehen. Wenn er wollte, dass a lles vernichtet werde, bliebe nichts übrig; er ist derjenige, der so in a llen Teilen verfahren kann, und er kann etwas in a llen existierenden Dingen verändern, etwas von ihrem natürlichen Lauf; und a lle Wunder sind von dieser A rt. Daher ist die Wahrnehmung von Wundern durch jemanden, der ein Wunder sehen möchte, ein entscheidender Beweis für die Schöpfung der Welt [ ‫] חדוש העולם‬, will sagen : Indem er sagt, „ein Wunder hier, ein Mirakel dort“, meint er, dass etwas Neues geschaffen werden kann, was außerha lb der natürlichen und stets existenten Welt sichtbar ist. Und dieses [ Neue ] besteht aus vier1 A rten : Entweder etwas, was üblicherweise unter bestimmten Bedingungen und in spezifischen Konditionen existiert, erscheint a ls in Bezug auf die Natur jener gewohnten Konditionen verwandelt, so wie der Stab in eine Sch lange verwandelt erscheint, der Staub in Läuse, das Wasser in Blut, die Luft in Feuer oder die ehrenwerte heilige Hand des Mose in weißen Schnee, was a lles urplötzlich geschah; oder es wird etwas erschaffen, was nicht entsprechend der Natur existieren kann, so wie z. B. das Manna erschaffen worden 1 Ebd.,

442 : „two“.

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ist, das unter schwierigen Bedingungen entstand, wenn man es mah len und von ihm Brot zubereiten wollte, und das schmolz und verschwand, soba ld die Sonne auf es schien. So liegen auch a lle anderen Wundergeschichten der Tora und derg leichen im Bereich des Möglichen, denn die Existenz der Welt selbst, in der Weise, in der sie existiert, ist in sich selbst eine Möglichkeit. Doch nach Meinung desjenigen, der davon ausgeht, dass die Welt ewig besteht [ d. h. ohne einen Schöpfer existiert ], sind a ll die Dinge, die nach unserer Auffassung möglich sind, unmöglich. Denn derjenige, der meint, die Welt bestehe ewig, behauptet, die Welt sei [ bereits ] vollständig durch Gott ausgebi ldet worden. Dies bedeute, er sei die Ursache der Existenz, und die Existenz dieser Welt sei eine direkte Folge aus der Existenz des Schöpfers so wie a ll dessen, was durch ihn verursacht ist, nicht von ihm differenziert werden könne. Wie z. B. [ der Tag ] die Konsequenz aus dem Aufgehen der Sonne ist oder der Schatten die Folge eines aufrechten Gegenstandes [ vor der Sonne ] und ähn liches mehr. Derjenige, der diese Meinung vertritt, meint, dass Bewegung niema ls entstehen noch aufhören könne. Daher sind die Himmel, seiner Meinung nach, ewig, und die erste Materie wurde weder erschaffen noch kann sie vernichtet werden, sie beide werden von ihrer Natur niema ls abweichen oder verändert werden. A lles, was diesem natürl ichen Schema der Schöpfung und Vernichtung widerspricht, ist seiner Meinung nach unmöglich. Daher ist es für ihn unmög lich, dass eine Materie, dessen Natur es ist, nicht spontan erschaffen zu werden, spontan erschaffen wird, und keine der existierenden Konditionen in den oberen und unteren Himmeln könne es von seiner Natur wandel n. Und es ist k lar für denjenigen, der die Konsequenzen dieser Meinung begreift, dass derjenige, der meint, die Welt sei auf diese Weise ewig, davon ausgeht, Gott habe keinen Willen mehr, die Welt zu erneuern – es gäbe in der Rea lität nichts, was man mit seinem Vermögen und seinem Wunsch in Verbindung bringen könnte, er könne uns z. B. nicht an einem bestimmten Tag Regen bringen oder dies an einem bestimmten Tag verhindern, denn der Niedersch lag sei nach der üblichen Natur der Dinge [ von Wol ken abhängig ], mithin von Materie, die nicht im Bereich der Möglichkeiten Gottes

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läge. Denn a lles, was a ls Materie existiert, [ d ies ] kann er nicht | begrenzen. [ Dies bedeutet, ] er kann nichts bewirken, was [ aufgrund seiner Natur ] unmöglich ist, auch kann er es nicht erschaffen, denn Materie wurde nicht erschaffen, sondern existiert entsprechend seiner Wesensart für sich für a lle Generationen, immer und ewig. Es sollte dir demnach k lar sein, was aus der Überlegung desjenigen, der meint, die Welt sei ewig, notwendigerweise folgt und was die Konsequenz für denjenigen ist, der an die Schöpfung der Welt glaubt. Und dies ist die Meinung des Ga lenus, dem Fä lscher und dem Ungenauen, der Vieles nicht versteht, was er berichtet, außer dem, was er von seiner medizinischen Tätigkeit erzäh lt. Er berichtet einige Ma le, dass er diesbezüg lich skeptisch sei, näm lich hinsichtlich des Grundprinzips der Weltschöpfung, ob sie ewig oder erschaffen sei. Beim Himmel ! Wie kann er diesbezüg lich skeptisch sein, zuma l doch sein gesamter Traktat hier von dem Haar der Augenbrauen und Wimpern handelt, und der darauf basiert, dass die Welt ewig sei ? Er meint ja [ ausdrück lich ], dass a lles, was einer Materie nicht inhärent ist, unmög lich sei und nicht Gott zugeschrieben werden könne, sogar wenn er es tausendma l wollte. Auch meint er, dass der [ gött liche ] Wille nicht ausreiche, so lange nicht auch die Materie geeignet sei. Er sagt [ außerdem ], dass Gott der A nfang a ller Schöpfung sei, wie Mose, unser Lehrer, über ihn Frieden, gesagt hatte, und zwar in Ergänzung des Beginns der Natur der Materie, aus der sie erschaffen wurden. Und dies ist soweit die Rede des Ga lenus. Er geht a lso von der Ewigkeit sowoh l der Welt a ls auch Gottes aus, und dass diese A nfänge der Schöpfung a lles Geschaffenen sind. Dies ist das Diktum bezüglich der Ewigkeit der Welt, an die Ga lenus glaubt, die aber auch Gegenstand seiner Skepsis ist. Daher hätte er aber auch skeptisch sein müssen, ob die plötzliche Erschaff ung eines Pferdes aus Staub möglich ist, so wie es Mose, unser Lehrer, über ihn Friede, meinte, oder unmög lich, wie es diejenigen behaupteten, die von der Ewigkeit der Welt überzeugt waren. Die Tatsache jedoch, dass er über die Grundfragen skeptisch ist, aber hinsicht lich der Konsequenzen überzeugt, ist ein eindeutiges Zeichen seiner Unkenntnis über den Zusammenhang des Astes mit der Wurzel. Ebenso basiert auch seine Äuße-

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rung hinsichtlich der Dinge, die inhärent für Gott unmöglich sind, auf der A nnahme der Ewigkeit der Welt. Das Erstaun lichste an seinen Äußerungen ist jedoch, wenn er meint, Gott habe gewusst, dass es besser für das Haar der Augenbrauen gewesen sei, nicht so lang zu wachsen; ebenso seine Äußerung, dass Gott nur wolle, das mögliche Dinge geschehen. Beim Himmel ! Auf diese von ihm Gott zugeschriebene, ihm verbleibende Weisheit, diesen Wi llen und diese Erwäh lung und diese Gott möglichen Dinge; auf einer dieser beiden Säu len errichtet er seine Behauptung und fä llt er sein Urteil ? Geschieht dies aufgrund des Glaubens an die Ewigkeit der Welt oder [ aufgrund ] seiner A nsicht von der Erschaff ung der Welt ? Ich habe dir bereits erk lärt, dass nach der Meinung von der Ewigkeit [ der Welt ] Gott weder Wille noch Wah l bleibt, noch kann Gott etwas, was nicht existiert, neu erschaffen. A llerdings wird aus seinen Äußerungen deutlich, dass diese mit der Meinung übereinstimmen, dass die Welt und die Materie geschaffen wurden. Daher betrachte man genau, wie er in seinen Äußerungen die Dinge durcheinanderbringt, die einerseits die Konsequenz der Annahme einer Erschaff ung der Welt sind, andererseits die Konsequenz aus der A nnahme der Ewigkeit der Welt, wie er meint, a lles sei einer Überlegung und einer Erkenntnis entnommen, und wie er dennoch skeptisch bleibt, ob die Welt ewig oder erschaffen ist. A lles Verwirrte aber, was er dazu sagt, scheint ihm k lar und logisch zu sein, und es entspricht seinem speziellen Glauben, von dem er überzeugt ist. Dies ist deswegen das k lare A nzeichen für seinen Irrtum in Bezug auf die Grund lagen dessen, worüber er spricht, und die Konsequenzen, die daraus folgen, für den Mangel an Erforschung dessen, worüber er sich äußert. Dies war meine Absicht in diesem Kapitel und nichts anderes. Ich habe in diesen Abschnitten weder versucht, auf die [ Überlegungen ], die von der Ewigkeit der Welt ausgehen, selbst zu antworten, noch sie fragwürdiger zu machen, noch ein Problem zu lösen, denn ich habe dazu bereits zuvor in zah l reichen Traktaten und religiösen Büchern sowie im Sefer ha-More1 gehandelt. Ich wollte in diesem Text 1 Vg l.

Mose ben Maimon, Führer III (Phi losophische Leitsätze, 26.), 17 f.

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nur die k laren A nzeichen für den Irrtum und die Verwirrung seiner Ausführungen über die Grundprinzipien des Gl aubens erk lären.“1

Nun, da wir bereits oben gesagt haben, dass es in Bezug auf den äußeren Zweck keine Übereinkunft darüber gibt, ob die natürlichen Bewegungen umso mehr ein Beleg gegen diejenigen sind, die hartnäckig leugnen, der Zweck ginge auf Willen und Intention der Natur zurück – siehe, danach ist uns bereits a ls Zeichen aufgegangen, dass wir in den organischen Wesen auf jeden Fa ll einen inneren Zweck annehmen können und dass wir in Bezug auf sie auf jeden Fa ll von einer unbewussten bewegenden Ursache absehen und wir vielmehr einen intellektuellen, absichtsvollen Anfang voraussetzen müssen, der zum Ziel seiner Wünsche aufgrund seiner Tätigkeiten gelangt. Nicht nur, dass uns vererbt wurde, stets den gesamten Kosmos und auch die Details seiner Schöpfung zu bedenken und in unsere Betrachtung mit einzubeziehen, indem wir von einem ursprüng lichen Zweck und einer Intention ausgehen, sondern wir werden auch darauf von der Natur selbst verpf lichtet, die uns mit dem Finger darauf hinweist, einen Zweck in a ll ihren | einzel nen Taten zu suchen und dabei auf dem Weg 28 von einem geringeren Zweck zu einem wichtigeren Zweck fortzuschreiten. Wenn es aber zwangsläufig in einem organischen Wesen einen platonischen ideellen A nfang gibt, der es in a ll seinen Teilen eint, so müssen wir diesen Weg beschreiten und auf diesem Weg der Einung aufsteigen und uns die sich voneinander differenzierenden Tätigkeiten der Natur vorstellen, in denen ein Teil für den anderen Zweck ist. Die Absicht dabei besteht darin, dass dies der intellektuelle A nfang für die Verbindung zwischen a llen Seienden ist, und auf diese Weise können wir uns den gesamten Kosmos a ls eine ununterbrochene Kette von Ursachen, Intention und Zweck vorstellen, deren Glieder sämtlich füreinander gemacht sind und deren einer natürliche Beweger ein Mittler ist, der die natürliche Bewegung in R ichtung auf eine bedeutsamere Bewegung in Gang 1 Bis

hier der Text aus den Pirqe Moshe.

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setzt, das Element sowoh l für die Flora und Fauna a ls auch für den Menschen. Und so ist uns ein breiter Raum für Überlegungen gegeben, im Lebendigen solches zu suchen und zu fi nden, was nicht offen erkennbar ist, dessen Zweck und Nutzen, welcher in ihnen zu Höherem gelangt. Wir können daher z. B. meinen, dass auch die K riechtiere einen für uns verborgenen Nutzen haben, indem sie uns näm lich zur Sauberkeit zwingen, welche für sich genommen eine gute Tugend ist und ähn liche Beispiele mehr. Auch sind wir uns darüber bewusst, dass unsere diesbezüg lichen Ergebnisse quantitativ unend lich, doch beschränkt hinsicht lich [ ihrer ] Qualität sind, was so weit geht, dass sie der Rav [ Moshe ben Maimon ] im More [ nevukhim ] fast zurückzuweisen droht,1 worauf wir noch im Folgenden in unseren Ausführungen über den Endzweck [ causa fina lis ] eingehen wollen. Und wie groß ist tatsäch lich die Differenz zwischen dem Begriff des inneren Zwecks des organischen Wesens, den wir erläutert haben – wir haben ja verstanden, dass es ihn [ sc. den Zweck ] notwendigerweise in jedem größeren oder k leineren Geschöpf und in einem jeden Teil von ihm geben muss, sei es in einem dünnen Blatt oder der Fußsoh le einer A meise, denn umso mehr man forscht, umso mehr verwundert man sich über die große Tiefe des Sinnes und des in ihnen selbst ruhenden Zweckes –, und dem Begriff des äußeren Zwecks, sodass wir nicht einma l mehr zu erkennen vermögen, wie eine bestimmte Pf lanze angesichts des Wunderbaren der Weisheit existieren kann, was bislang nur durch die a llerwenigsten Gelehrten erforscht worden ist – a lles nur, um zu vergehen und in Materie und in einen feuchten K lumpen im Mau l eines Tieres [ ‫ ] ב״ח‬verwandelt zu werden. Oder, warum sollte das gesamte Leben auf einem Plan aufbauen, in dem nicht einma l ein einziges von Tausenden geordnet sein sollte, entsprechend der Wissenschaft der Kunst. – Wenn wir uns a lso mit Absicht nur auf das Vergehen im Munde des sterblichen Menschen konzentrierten, so bleibt er doch [ wie ] ein „junger Wildesel “ [ vgl. Ijob 11,12 ] an den meisten Orten seiner Niederlassung. 1 Vg l.

Mose ben Maimon, Führer III 13, 63 – 65.

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Und desha lb, wenn wir nun sagen, dass eine Sache einen natürlichen Zweck hat, so müssen auch a lle Mittel, die zu diesem Zweck beitragen, a lle einen natürlichen Zweck besitzen, doch a lle nur in Relation [ z u einem ersten ].1 Wenn aber in einem Tier ein Zweck liegt, so muss dieser auch in den es ernährenden Pf lanzen vorhanden sein, woraus folgt, dass in a llen guten Früchten ein Zweck eingesch lossen ist, ja sogar in den Gift- und Sa lzpf lanzen, welche sich in der Wüste finden, die näm lich das Kamel am Leben erha lten, welches wiederum die Lasten der K arawanentreiber trägt. Und wenn selbst dem Löwen und dem Panther ein Zweck zu eigen ist, so wird man logischerweise auch für das krautfressende Großvieh einen Zweck finden, wobei es bei a ll diesen um einen natürlichen Zweck, nicht um einen letzten Grund geht. Und im A llgemeinen gilt ohne Zweifel, dass in Bezug auf die Verkettung von Ursachen und Wirkungen jedem Glied ein eigener Zweck zukommen muss, und der naheliegende Grund dafür ist, dass er das Mittelstück dieser Kette bildet. Deswegen aber gi lt, dass jeder äußere Grund, dem eine Notwendigkeit oder ein Nutzen zu eigen ist, der Natur der Sache nach so lange nicht notwendig ist, bis der nächste Grund für seinen Zweck gefunden ist. Wie die sandige Erde tatsäch lich für das Wachstum eines dichten Wa ldes notwendig ist, so muss man jedoch nicht annehmen, die Bäume des Wa ldes hätten einen [ solchen ] Zweck und a ls ob er [ durch die Erde ] künstlich geschaffen worden wäre, was doch bereits auf höheren Befeh l durch das Wirken des Wassers auf den staubigen Untergrund erreicht wurde. 2

1 Vg l.

K ant, K ritik der Urtei lskraft, 271 f. diesem Abschnitt vg l. ebd., 272 – 274, und siehe dazu R awidowicz, Iyyunim II 248. 2   Zu

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Der Geist und seine Manifestation

Er gab seinen Geschöpfen Zeichen, welche sie zu erkennen vermögen; so kann das Ohr entschlüsseln, was es hört. (MekhY de-ba-ḥodesh 4 [ 216 ])

Wisse, dass jeder Religion der Geist zugrunde liegt, sodass selbst in der niedrigsten Religionsform der in den Wüsten hausenden Wilden nicht der körperliche Gegenstand a ls solcher, der individuelle, end liche und zerstörbare von ihnen gefürchtet und verehrt wird, sondern die ihn erha ltende K raft, der Geist in ihm, der keine Veränderung und keine Begrenzung kennt, der trotz Veränderung a ller materiellen Form ewig fortdauert.1 Wie bereits die Weisen sagten : Wer sich vor dem Berg in Verehrung beugt, der denkt an den Genius desselben, und wer vor der Sonne, an den sie lenkenden Geist (bHu l 40a mit Tosafot s. v. gadda ed-rah). A ll den vielen Religionen und Ku lten, die wir gemeinhin a ls Götzendienst erachten, liegen a lso geistige K räfte zu Grunde, die nur „gedacht“ begriffen werden können und die zusammenhängen. Wir, die Gemeinde der ersten Monotheisten, die den „ Einzigkeits“- Gedanken in seiner reinsten Wahrheit besitzt, g lauben und wissen, dass a lles Körperliche nichtig und f lüchtig ist; nichts existiert jedoch, wenn es kein absolut wahres Sein hat. Der Geist selbst, der uns nur aus seiner Verbindung mit den Körpern begreif lich wird und der sich hauptsäch lich im Menschengesch lecht manifestiert, ja dasselbe bevorzugt, hat sein Bestehen und seine wahrhafte Wirk lichkeit nur in Gott, in dem a llein absolut Voll kommenen, dem für a lle Gesch lechter Unwandelbaren, der in seiner Einzigkeit Ursache a ller Ursachen ist, die a llein wahrhafte Wirk lichkeit a lles Sein. Denn 1 Vg l.

hierzu und zum Folgenden L andau, Nachman K rochma l, 26 – 31.

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a lles, was wirk lich ist, empfängt seine Existenz nur aus ihm. Denn gäbe es eine für sich wahre Wirk lichkeit, eine von ihm unabhängige Substanz, dann wäre jene Gott.1 Dies beschreibt in seiner ganzen geheimnisvollen Tiefe auch der Bibelvers : Ich bin der Anfang und das Ende, der Erste und Letzte, und außer mir gibt es keine Götter mehr ( Jes 44,6).2 Erkenne ferner, dass der Ausgangspunkt der Monotheisten, a lles sei auf Gott zurückzuführen, a lle Gebote, selbst die rein in der Vernunft begründeten, seien a ls göttliche Ratsch lüsse zu erachten und erforderten unbedingten Gehorsam gegenüber denselben, weil sie Gott den Menschen durch Offenbarung habe zutei lwerden lassen, nur der Aufrechterha ltung des Prinzips dient, dass a lle Wahrheit und Wirk lichkeit einzig in Gott potentiell vorhanden sind. Dieses Prinzip, dem die Monotheisten anhängen, meint dasselbe um dessen Beschreibung sich die größten Denker bemüht haben, wobei es ihnen ba ld deutlich vor Augen trat, ba ld auch wieder unk lar wurde, bis sie end lich nach einer langen Reihe von Generationen und nach tiefem, ernstem Forschen zur wahren Erkenntnis gelangten. Es ist aber noch wunderbarer, dass jeder religiöse Mensch in Betätigung seiner religiösen Pf lichten, jeder, der die miṣwot um Gottes Willen erfü llt, von demselben Prinzip ausgeht, zu dem er jedoch nicht auf speku lativem Wege, sondern durch das göttliche Wirken, welches in sein Herz eingepf lanzt wird und mit seiner Seele verbunden ist, gelangt, wie es in der Schrift heißt : Und alle deine Kinder sind Lehrlinge des Ewigen ( Jes 54,13).3 (Die A nsicht des frommen R ichters [ Baḥya ibn Paquda ] in seinem Buch [ Ḥovot 30 ha-levavot ], Pforte „Die Einung“, K apitel 2,4 der behauptet, | die wahre Gottheit könne nur von einem Propheten oder von einem hervorragenden Philosophen verehrt werden, der sich etwas von der Weisheit erworben hat, muss daher a ls eine irrige zurückgewiesen werden.) Denn die Wahrnehmung des Gläubigen, dass a lles, 1 Vg l.

Hegel, Ein leitung in die Phi losophie der Rel igion : Der Begriff der Rel igion, 268 f. 2 Vg l. ebd., 267. 3 Vg l. zu dem G edanken ebd., 46. 4 Vg l. Baḥya Ibn Paquda, The Book of Direction to the D uties of the Heart, hg. v. M. Mansoor, London 1973, 150 f.

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was sich nicht auf Gott zurückführen lässt, nichtig und nichts sei, ist bereits Gottes-Erkenntnis; und die Wahrnehmung, dass sich sein ganzes Wesen, sein geistiges Subjekt zu Gott erhebt, ist der Ku ltus, und das ist der Sinn des Bibelverses : Erkenne den Gott deiner Väter, und bete ihn an (1 Chr 28,9). – Rufe dies in Erinnerung, und bedenke es gut ! – A llein diese Wahrnehmung, wiewoh l sie, wie wir sagten, dem Herzen entstammt, bedarf doch einer weiteren Ausbildung, damit a lle K räfte der Seele durch Tora-Studien, Erziehung, Tun und Handel n von K indestagen an wach und rege werden, was auch die Bibel einschärft, in der der Auftrag, den Sohn zu lehren, zweima l wiederholt wird, um so zur Bewä ltigung der aufkommenden Fragen anzu leiten.1

Aus a ll dem Gesagten geht die Definition der positiven Religion hervor, dass sie wahre Erkenntnis des Absoluten – Gottes, gepriesen sei sein Name – ist, sowie die Erkenntnis dessen, das in ihm existiert und besteht, näm lich des Geistigen, wie es in der Erkenntnis und im Herzen eines jeden eingepf lanzt ist, im Großen wie im K leinen, soba ld seine Seelenkräfte dazu erwachsen. Wie wir bereits oben sagten (Pforte 2)2 : Die meisten haben von der positiven Religion Vorstellungen, die die sinn lichen Vorstellungen woh l übertreffen, die Formen des Verstandes aber oder gar die Vernunftbegriffe nicht erreichen. Wiewoh l nun die Wahrheit selbst in den Formen der positiven Religion auch nach Verstandesund Vernunftbegriffen dieselbe bleibt, so findet das Denken doch Formen und Wege, die woh l an dem Wesen des absoluten Begriffes nichts ändern, zum Verständnis desselben aber viel beitragen; teils sind sie in der Natur des Denkens begründet, tei ls hat uns die Lehre Gottes selbst, durch a llgemeine und bewährte Ratsch läge, zu denselben geführt, damit wir k lares Verständnis für Gotteserkenntnis und Ku ltus erlangen. Daher sollten wir verstandesmäßig sagen : Wie die Wahrheit vermag, die Formen zu Vernunftbegriffen umzuwandel n, so gelangen wir auch auf dem Weg der 1 D tn

2 Vg l.

6,7 und 11,19. – Vg l. Hegel, a. a. O., 88. K rochma l, Writings, 12.

Pforte 6

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positiven Religion zur Weisheit des Glaubens – und wir nennen sie mit dem Rav [ Moshe ben Maimon ] : „Das Verständnis der Tora nach der Wahrheit“1, oder mit den Kabba listen : Das Geheimnis der Einung und des Glaubens, oder mit den [ Philosophen der Neuzeit ] : Philosophie der Religion. Doch aufgrund jener Definition von Erkenntnis- und Begriffsvermögen gelangen wir zu einem Verständnis der Gotteserkenntnis und des Ku ltus a llein mittels ihrer Substanz und ihrer umfassenden Geistigkeit.

Um die Tiefe dieser Überlegung darzu legen, nehmen wir ein Beispiel für eine primäre positive Form, die bereits bei der Schöpfung und für die Prophetie eine Rolle spielte; gemeint sind die Sprache und das Reden, und wir werden sehen, was sie implizieren : 1. Die Sprechorgane rufen durch einen auf die nächst liegende Luftschicht ausgeübten Druck in derselben eine Schwingung hervor, die sich bis zum Ohr des Nächsten fortpf lanzt und dasselbe in gleicher Weise affiziert. Dies ist eine rein natürliche Tätigkeit, gleich a llen anderen körperlichen, mechanischen Tätigkeiten, die nach bestimmten und bekannten Gesetzen ausgeübt werden. 2. Für die empfi ndsamen, lebenden Wesen aber vereinigen sich a ll die einzel nen Eindrücke zu einer Empfindung, zum Geräusch, wodurch die mechanische Tätigkeit zum Charakteristikum eines bestimmten Gemütszustandes wird, [ näm l ich desjenigen ] der Freude, des Schmerzes, des Staunens und anderer Seelenregungen. 3. Das sprechende Wesen fasst a lle Eindrücke und Geräusche zu Silben und ganzen Sätzen zusammen, die sich durch ihre einzel nen Bestandtei le näher bestimmen und den Gedanken ausdrücken, die vom Ersten gedacht werden und durch die von seinen 31 Sprechorganen geschaffenen Zeichen vom Zweiten erfasst | und verstanden werden. Bei einer weiterführenden Betrachtung wird sich zuerst der Gedanke aufdrängen, dass die Natur noch ä ltere, wenn auch nicht treff l ichere Verständigungsmittel kennt : das Gebärdenspiel z. B., das durch die Benutzung verschiedener Kör1 Mose

ben Maimon, Führer, 4 (Ein leitung).

Der Geist und seine Manifestation

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perglieder eine weite und bunte Ausgesta ltung erfahren hat, wie das Nicken mit dem Kopf, das K lippern mit den Augen, das Zeigen mit dem Finger usw. Ferner gibt es aber auch noch eine später entstandene, erweiterte Ausbildung der sprach lichen Verständigungsmittel, die Schriftzeichen näm lich, wodurch man end lich zu der Einsicht gelangt, dass der Mund und das Ohr nicht die einzigen Verständigungsorgane sind, sondern dass der mensch liche Verstand selbst die charakteristischen Merkma le zu übertragen und festzuha lten vermag. Das ist der Begriff vom Reden und vom Sprechen, der seinen ursprüng lichen Inha lt bereits abstrahiert und sich zu größerer A llgemeinheit ausgesta ltet hat; es ist die Manifestation des innigsten Gedanken lebens für ein zweites intelligibles Wesen mittels sinn licher Zeichen, und diese Stufe ist die der Verstandesform. 4. Wer aber diese Stufe der Vernunft erreicht hat,1 wird an der Grenze derselben nicht stehen bleiben, sondern zu beobachten suchen, ob die Fähigkeit diese Merkma le hervorzurufen dem Wesen des Geistes a llein eigen ist, und zwar dem zweiten Geist gegenüber, und ob die Haupttätigkeit des Geistes sich darauf beschränkt, in den gegebenen Zeichen sein eigenes Wesen wiedererkennen zu lassen, wodurch sich auch die Menschen hauptsäch lich voneinander unterscheiden. Nicht nur durch die von den Weisen erwähnten [ Merkmale ], sondern vielmehr durch die Eigentüm lichkeit des Körperbaus, des Gehens, Schreibens etc.2 Von dieser Erkenntnis gelangt man zu der viel bedeutenderen, dass der Geist sich selber in seinen Hand lungen nur wiedererkennt, seine Deutlichkeit wächst immer mehr, vom Sch lafe zum Sch lummer bis zur reinsten Begriffsk larheit, und nur im tatsäch lichen Begreifen hat sich der Geist sich selbst offenbart. – Es ist nun k lar, dass Begriffsk larheit die Vollendung der äußeren Sprache bi ldet, d. h. seine Manifestation einem anderem Geiste gegenüber; es muss ferner einleuchten, dass diese Zeichen ohne das Geistige wert los sind, vom 1 Vg l.

von hier an neben L andau, a. a. O., 30 f., auch die Tei lübersetzung von Grözinger, Jüdisches Denken III, 456 f. 2 Vg l. bSan 38a.

Pforte 6

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Geiste aber, aus ihrer physischen Beschaffenheit – der Eindrücke, Bewegungen und Merkma le – in eine geistige Sphäre – wie Offenbarung, Stimme, Rede etc. gehoben werden. – So dass aus a ll diesen Betrachtungen die Tatsache resu ltiert, dass man vom Geiste nicht behaupten kann, dass sein Wesen, sein Sich-Erkennen und Sich-Manifestieren, drei verschiedene Dinge seien, sondern – dass es das Wesen des Geistes ist, sich durch eine und dieselbe Handlung sich selber wie auch in einem anderen Geiste zu manifestieren, wie der brennende Körper sich selbst und a lles andere um sich zugleich beleuchtet.1 Dies aber ist die Vernunftvorstellung [ ‫] ציור התבוני י‬, die sich aus der Rede und Sprache ergibt. Doch werden wir diese Probleme noch durch andere Aspekte deut lich machen, nur soll hier gemäß dem Skopus dieser Pforte nicht länger darüber gesprochen werden. Und wisse, dass diese vier Probleme vier verschiedenen Graden des Gefüh ls und des Verstandes entstammen, zu denen in ihren Speku lationen auch die Schriften der angesehensten Kabba listen vordrangen. Und erkenne ebenfa lls, dass dies auch der Hauptgedanke des Rav [ Moshe ben Maimon ] in seinem Kapitel über die A llegorien2 ist, in dem er auf Grund der aus dem Verstand abzu leitenden göttlichen Prinzipien auf die verstandesmäßigen Prinzipien zu sprechen kommt und von da aus auf die mehr oder weniger detaillierten Abstraktionen. Zum Beispiel meint man, wenn von „Verdauen“ die Rede ist, offensichtlich zunächst einen Zusammenhang, bei dem es um das Essen von Speisen geht. Dann kann aber in einem zweiten Schritt a llegorisch auch das „Verdauen“ eines Trauerfa lls gemeint sein. Drittens kann noch das – bi ldlich gesprochen – „Verdauen“ einer Begegnung mit einem anderen gemeint sein. – Aus a ll diesem wird dem Verständigen sofort k lar, dass sich diese Fragen nicht in Übereinstimmung mit denen befi nden, die die Sprache erforschen oder mit denen, die gar nicht auf die Spra1 Vg l. 2 Vg l.

129 – 139.

hierzu Hegel, a.a.O., 85 und 278. Mose ben Maimon, Führer (Ein leitung), 12 – 14; siehe auch III 22,

Der Geist und seine Manifestation

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che achten. Einer der Grundsätze des Verstandes und seiner Beschaffenheit ist aber, dass er a lles umfasst : In dem Moment, in dem man etwas sprach lich formu liert, äußert man g leichzeitig etwas über den inneren Sinn, den Verstand und die Einsicht. Daher sind die beschriebenen Fragen auch in a llen Sprachen gleich geartet; und wir werden noch sehen, | dass der Rav [ Moshe ben Maimon ] 32 dies „übertragene Bezeichnung“ [ ‫] שם מושאל‬1 nennt, die Kenntnisreichen unter den Kabba listen aber nennen es „ A ndeutung“ [ ‫] רמז‬, und sie meinen, dass die Bibel so spricht, um hierdurch einen tröstenden Hinweis auf die Oberen [ Engel ] zu geben; wir nennen es jedoch die „symbolische Begriffe“ [ ‫ – ] הדבורים הסימנים‬dies ist aber eine Sache für sich, wie wir zu erläutern versuchten.

Und a ls Beispiel seien einige „symbolische Begriffe“ für Prinzipien angeführt, wie Licht und Finsternis, Geist und Fleisch, Rechtschaffenheit und Sünde, Reichtum und K nechtschaft – sie werden noch näher an ihrem Ort erläutert –, doch zwei seien hier noch vorgestellt, um diesen Abschnitt zu untermauern : Beide sind besonders gute Beispiele für Prinzipien, die sowoh l für den Gläubigen, der nur dem Buchstaben Glauben schenkt, a ls auch für den Gelehrten, der [ sich weiter ] vertieft, [ a kzeptabel sind ]; beide sind jedoch nur der äußeren Form nach verschieden. Das Hei l ige und das Profane. Die Lehre über diese ist bekannt und verbreitet. Die Grund lage für die Lehre der Heiligung ist die sprach lich festgelegte Übereinkunft eines Gegensatzes und seine Beobachtung. Es bezieht sich letztlich auf ein rein geistiges Attribut, dessen Gegentei l das Profane ist, welches sprach liche Übereinkunft für etwas Vergäng liches und End liches ist – so wie es im A rabischen gebraucht wird, a ls ein konkretes Attribut. Denn a lles Heilige und a lle heiligen Dinge, wie das A llerheiligste, das die Tora erwähnt und begründet wird, sind Hinweise auf das dahinterstehende Geistige, Metaphern, um uns auf das Geistige und die geistigen Ordnungen in der Welt hinzuweisen. Der Herr, gepriesen sei er, 1 Vg l.

etwa Moshe ben Maimon, Kommentar zur Mishna, zu m Men 4,4.

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weist selber im Trishagion durch das dreima lig „heilig“ ( Jes 6,3) auf das absolute Geistige [ ‫ ] הרוחני המוחלט‬hin, das über jeden Gedanken und jedes Sinnen erhaben ist. Und die Gerechten heißen Heilige, und in ihnen wohnt der Herr, so wie sie sich gemäß der Ordnung des Geistes verha lten – die Ordnung der Ethik, die durch die Tat wie durch Rede und Denken erhoben wird. Die besonderen Orte der Erkenntnis und des Ku ltus des Heiligen heißen daher : hei liger Grund, heiliger Berg, hei liger Ort. Die Zeiten aber, die den Menschen davon abha lten, die Erde zu bearbeiten, um sich dem Ku ltus des Herrn – des Geistes – zu widmen, heißen : gehei ligte Zeiten. Die Gebäude, Gegenstände und A rbeiten, die mit ihrer Herstellung verbunden sind und benötigt werden, um das Heilige zu schützen und auf es hinzuweisen, heißen ebenfa lls : heiliges Haus, Schrank, K leider, Gefäß, Brot, Fleisch oder Buch. Manifestiert sich aber zu irgendeiner Gelegenheit jemandem oder mehreren das Geistige außerha lb der natürlichen Ordnung, so ist von der „Hand Gottes“ oder dem „Finger Gottes“ die Rede. Ebenso heißt es : Der Herr wird in seinem Namen gehei ligt (vgl. Ex 29,43), oder : denen, die mir nahe sind, heilige ich mich (Lev 10,3), oder : wenn ich mich vor euren Augen als heilig erweise (Ez 36,23). Und wenn die Gerechten den Bereich des Materiellen überwunden haben und somit anzuzeigen scheinen, dass der Geist in ihnen gesiegt hat, und somit bereit sind, um der Wahrheit und des Guten willen zu sterben, so heißt es von ihnen, dass die Hand des Herrn „auf ihnen liegt“ oder der Geist Gottes „in ihnen wohnt“, wie es heißt : sie haben den Namen des Herrn geheiligt, weil ihr nicht an mich geglaubt habt und mich nicht geheiligt habt (Num 20,12). – So beschaffen ist das Prinzip der Hei l igung.

Das Unreine und das Reine. Auch diese Idee ist a llgemein bekannt. Unrein wird im Hebräischen jedoch – nach Meinung der Weisen – aus dem g leichen Begriff wie demjenigen für das Versch l ießen der Ohren [ ‫ ] אטומה אזני ם‬abgeleitet –, und diese Idee betriff t nicht nur die Charakteristika von Materiellem oder wird in Bezug auf Profanes angewandt – a ls ob man einen Gegenstand beschmutzen oder bef lecken würde –, und die dahinterstehende Idee wird daher nicht beim ersten A nblick ersicht lich. Sie betriff t viel mehr leblose

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Materie. Das Wort „rein“ aber wird aus der Bezeichnung für den Himmel abgeleitet, wie im Aramäischen : Mittagsglanz [ ‫ ] טהירו‬bzw. die Mittagshitze [ ‫] טהר יומא‬, ein Charakteristikum für die feine und glänzende Substanz des Himmels [ ‫] בהיר‬. Es betriff t a lles, was wächst (auch das, was sich jenseits der physischen Rea l ität befindet), womit der Geist in ihm bereits erkenn- und offenbar ist, indem er sich aus Teilen zusammensetzt, die ein Bild und eine abstrakte Form bewahren; ihr Stoff breitet sich von einer trüben und verwässerten Quelle aus, von dunkelster Stelle bis zum vor Licht erblühenden Spross und zur farbensprießenden und zarten Blüte – die für nichts anderes steht a ls für das Licht, welches in ihnen erstrahlte – aus. Für den Gebildeten ist dies die Idee von Reinheit und Unreinheit, die sich entweder durch die Sublimierung der physischen Zustände ins Geistige vollzieht oder vermittels Abstraktion der füh lbaren Rea lität erlangt wird. – Doch genug davon ! Außer den symbolischen Begriffen für solche erhabenen Gedanken | gibt es näm lich in der Tora auch Gebote, die konkrete Taten fordern [ ‫ – ] מצוות מעשיו ת‬etwa die Shabbat-Ruhe, die Beschneidung, die Gebetsriemen und das shofar-Blasen, die ebenfa lls Hinweise auf den Geist beinha lten. Gleich so wie a lle miṣwot zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten Zeichen und Erinnerungsma le genannt werden. So schrieb der Ramban [ Moshe ben Naḥman ] (Ende pereq bo [ z u Ex 13,16 ]), seligen A ngedenkens, hinsicht lich des den meisten miṣwot zugrundeliegenden Sinns : „Wer eine mezuza auch nur für einen zuz [ eine Silbermünze ] kauft und sie an seiner Tür befestigt, um damit das Gebot zu erfü llen, der erkennt bereits [ den Gedanken ] der Weltschöpfung an, bekennt den Schöpfer, die göttl iche Vorsehung und die Prophetie. Außerdem bezeugt er, dass die Gnade des Schöpfers über diejenigen, die seinen Willen tun, sehr groß ist – er, der uns aus der K nechtschaft in die Freiheit geführt und zu großer Ehre gebracht hat. Daher sagt man : Beobachte eine geringe miṣwa genauso exakt wie eine wichtige, denn a lle sind beabsichtigt und gewollt, denn mit jeder dankt der Mensch seinem Gott usw. (vgl. yQid 1,7 – 8 [ 61b ])”.1 Durch a lle miṣwot wird 1 Vg l.

Perushe ha-Tora le-R abbenu Moshe ben Naḥman, hg. v. H. D. Cha-

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a lso auf den Geist hingewiesen, das Herz darauf hin ausgerichtet oder zumindest auf ein Ereignis hingewiesen, welches die Existenz des Geistes und seiner Ordnung in der Welt erwiesen hat. Darauf deuten die praktischen miṣwot hin, und sie sind daher für sich genommen hei lig. Sie sind Symbole des Geistes, die aus der Tiefe der Seele mittels der Sprache und der Körperglieder in die Rea lität hinaufsteigen. Daher heißt es auch bei den Weisen : „Gegenstände, deren man sich zur Gebotserfü llung bedient, können fortgeworfen werden; Gegenstände aber, die man zu hei ligem Gebrauch verwendet, müssen aufgewahrt werden“ (bMeg 26b). Das bedeutet, dass Gegenstände, die durch Sprache und Tat gehei ligt wurden, aufgrund der Tora a ls heilig gelten; d. h., die Geistigkeit haftet [ einem solchen Gegenstand ] an, sodass er aufbewahrt und beachtet werden muss, dass der Gegenstand nicht versehent lich verloren geht oder ob seine Heiligkeit von ihm genommen werden kann (der tiefere Sinn der Verbrennung, wie es von den Weisen gelehrt wurde). Die Aufgabe der miṣwot ist es demzufolge, das Denken zu reinigen und zum Glauben zu führen, d. h. ihr Vollzug betriff t nicht nur den äußeren und sensitiven Bereich a llein; auch wenn gesagt werden muss, dass die Beobachtung der miṣwot der sinn lichen Wahrnehmungen bedürfen. Denn könnte ein Einfä ltiger Heiliges vollbringen, würde dies zu großem Schaden an der Religion führen, ja es würde die a llein auf Gott bezogenen, reinen miṣwot in dunk le, magische und heidnische Praktiken, mithin in Aberglauben verwandeln, wie wir es bereits oben angedeutet haben (Pforte 1). Diesem Gedanken steht auch das Diktum nahe : „In Bezug auf die Religion ist es verboten, Heilmittel anzuwenden, zu behüten ist aber erlaubt“ (bShevu 15b). Diesen Grundsatz wollen wir verinnerlichen, auf dass er uns bewahre ! Darum bedenke dies, und es wird im Folgenden noch k larer werden !

vel, New York 1971, I 346; R amban (Nachmanides) Commentary on the Torah, Transl ated and A nnotated with Index by Ch. B. Chavel, New York 1971, II 173.

P FORT E 7



Die Völ ker und ihre Götter

Ein jedes Volk wandelt im Namen seines Gottes, aber wir wandeln im Namen des Herrn, unseres Gottes, immer und ewig ! (Mi 4,5)

Wir sehen, dass es göttlicher Wille war, das mensch liche Geschlecht nicht völlig auf der Erde zu zerstreuen wie die übrigen anima lischen Geschöpfe, die [ in der Regel ] für sich a llein leben und die sich eher zufä llig vereinigen.1 Viel mehr bildeten [ d ie Menschen ] k leinere Vereinigungen, an deren A nfang Familien standen, aus denen sich dann Sippen bildeten, die wiederum Städte und Staaten gründeten, bis sie zu umfassenden nationa len Verbänden wurden, die gut organisiert waren; und diese wurden dann Vol k oder Nation genannt.2 Dies stimmt auch mit dem überein, was geschrieben steht : Als der Höchste den Völkern Land zuteilte und er der Menschen Kinder voneinander schied (Dtn 32,8). Die Gesetze der gött lichen Vorsehung legten außerdem fest, dass in diesen Versamm lungen geeignete und gute Institutionen entstanden, die eine nach der anderen die Integration in die Gemeinschaft verbessern sollten. Beispielsweise wurden die A rbeiten und Geschäfte zum Lebensunterha lt unter den Mitgl iedern der Gemeinschaft gemäß Neigung und Gewohnheit vertei lt, sodass je nach dem eine größere oder geringere Qua l ität des Lebens erreicht werden konnte; es 1 Vg l. zu diesem K apitel Tei lübersetzung von Meyer, Ideas of Jewish H istory,

293 – 301. zu diesem Abschnitt G. Vico, Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völ ker, übersetzt von V. Hösle und Ch. Jermann, Hamburg 1990, I 4 (Ein leitung). Vg l. dazu R awidowicz, War Nachman K rochma l Hegel ianer ?, in : HUCA 5 (1928), 335 – 582, hier 543, und siehe dazu Lehnardt, Nachman K rochma l, Simon R avidowicz und die jüdische Rezeption Vicos.

2 Vg l .

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entstanden auf diese Weise Rechtsnormen und Gerechtigkeitsvorstellungen; zu Beginn nur instinktiv und unter Einzel nen oder in Untergruppen, bis nach und nach Gesetze und A llgemeinbegriffe [ bzw. Prinzipien ] entstanden. So keimten ebenso erste Tendenzen zu Nächsten liebe, Mitleid und Erbarmen auf, zunächst innerha lb der Familien, dann auch im Vol k und in der Nation, und damit entwickelten sich Ehrgefüh l, Bescheidenheit, Demut und die anderen positiven ethischen Werte, die in das Rechtsempfinden Eingang gefunden haben. Doch noch gesta ltete sich die Aufteilung der Aufgaben a llein aufgrund des notwendigen Bedarfes, ohne dass hierbei die positiven ethischen Maßstäbe beachtet worden wären. Erst mit der Zeit mehrten sich die Denker und Ästheten, die ihrem Empfinden zunächst in Liedern und Gesängen Ausdruck verliehen, sodass Tätigkeiten entstehen konnten, die den Geisteswissenschaften näherstanden. Ebenso begann in dieser langen Zeitspanne aus der Glut die Flamme der Religion hervorzu lodern, die bereits vorher in den Seelen der Menschen angelegt worden war – Erkenntnis Gottes und Gottesverehrung. Nachdem sich die Nation von der schweren Anstrengung und den Mühen der Gründungsphase sowie von der Inbesitznahme des Landes erholt hatte, erblühte die Bildung, wie wir es oben bereits skizziert hatten, und die Sprache wurde an Ausdrücken und Redewendungen immer reicher, wodurch sie immer [ g rößere ] K larheit und Reinheit erlangte : Chroniken und Geschichtsläufe wurden verfasst, Schu len und Lehrhäuser für K lein und Groß gegründet, Mathematik und Wissenschaften entwickelten sich. Auch wurde nun mehr Wert auf die Mora l und das Recht gelegt, ja die Ethik selbst wurde nun zu einem wichtigen Bestandteil der Wissenschaft und Motiv für das Forschen. Mit der Zeit und unterschied lich ausgeprägt entwickelte sich auf diese Weise auch die Theologie und mit ihr der Ku ltus, der ja von Anbeginn mit der Erkenntnis Gottes verbunden gewesen war, wenn auch noch in a ller 35 Undifferenziertheit und unter Vermischung sinn licher Aspekte. |

Doch wisse, dass a ll diese Idea le, Gesetze und die Ethik, die Begriffe und Bücher der Wissenschaft sowie theologischen Erkennt-

Die Völker und ihre Götter

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nisse sich unter jeder Nation mehr oder weniger g leich entfa lten konnten. A lles gehörte zunächst zum geistigen Erbe und Besitz a ller und war potentiell in jedem Einzel nen angelegt, sodass sie sich von dort ausbreiten konnten und dann nach und nach, Generation nach Generation von vielen Menschen, die sich im Verlauf der Geschichte gegenseitig beeinf lussten, in die Welt hinausgetragen wurden. Diese wertvollen Idea le wurden auf diese Weise manchma l unter a llen Menschen einer Generation verbreitet, manchma l manifestierten sie sich aber auch nur in einem [ einze l nen ] Vol ksstamm und gelangten von ihm aus zu ihrer eigent lichen Bestimmung. Ein anderes Ma l wurden sie von einzel nen Gruppen oder Personen, die sie aus fremden Ländern mitbrachten, eingeführt; solche [ Personen ] wurden dann zu „ Fürsten Gottes“ [ ‫] נשאי אלקי ם‬ oder „hei ligen A nführern“ [ ‫] שרי קוד ש‬, wie z. B. Abraham, unser Vater, Frieden über ihn, oder Melchizedek.

Und bedenke weiterhin, dass a ll diese ideellen Güter und Besitztümer, die im geistigen Schatz eines jeden Vol kes gesammelt werden, hinsichtlich ihrer Quantität ung leich [ vertei lt ] wurden; d. h., es kann vorkommen, dass in dem einen Vol k eine A n lage anders zur Vervoll kommnung gelangt ist a ls in einem anderen. Da aber die Grund lage und die Wurzel für a lle diese Eigenschaften a llein der Geist des Vol kes ist, der sich in jenen oben aufgezäh lten Begriffen aktua lisieren kann, muss die Qua lität der Idea le jedoch gleich und einheit lich sein. Daher sind z. B. die Idea le des Guten, des Ungehörigen, des Schönen oder der Ehre, die ein Vol k bestimmen – seien sie nun vom Gefüh l bestimmt oder von der Vernunft oder beides g leichzeitig –, prägend für die von ihm entwicke lten Rechtsprinzipien und ethischen Maximen. Und so werden, in Übereinstimmung mit dem oben Gesagten, die Erkenntnis der Natur und die religiösen Konzepte in besonderer Weise und anders a ls in jeder anderen Nation definiert. In der Schrift werden diese Attribute a lle mit dem Geist in Verbindung gebracht : Geist [ mit ] Gunst [ ‫ ] חן‬und Glanz [ ‫ ;] תפאר ת‬Geist [ mit ] Recht und Gerechtigkeit; Geist [ mit ] K raft und Mut; guter

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Geist; Geist [ mit ] Weisheit und Verstand; Geist und Gottesfurcht. Und mit a llen wird der Begriff Gott assoziiert, um so auf die Bedeutung des Geistigen hinzuweisen (die Bezeichnung „Gott“ wird dabei meist a ls Adjektiv, nicht a ls Nomen gebraucht, so wie wir heute von „gött lich“ [ ‫ ] אלוהי י‬sprechen, um somit auf die Essenz des Geistigen hinzuweisen). Über diese Qua litäten kann es in der Schrift heißen : „ Jener N. N. wurde mit dem Geist Gottes erfü llt“, oder „Gott legte seinen Geist auf ihn“, oder „der Geist ruhte auf ihm“, oder „der Geist k leidete ihn“. Von den Weisen aus jüngster Zeit wird dies, der a llgemeine Schatz des Geistigen – im Hinblick auf die Qua lität von Vol k zu Vol k verschieden – einfach a llgemein a ls Vol ksgeist [ ‫] רוח האומה‬ bezeichnet. Wie sich die Natur des Geistes des einzelnen Menschen entwickelt, wie wir zuvor erläutert haben (Pforte 6), so entwickelt sich auch der Vol ksgeist je nach Erkenntnisvermögen, sodass er für jede regel rechte und umfassende Nation unterschied lich zu beurtei len ist – sei es hinsicht lich seiner Ideen über die notwendigen Taten, sei es hinsicht lich der Etikette und Gesetze oder der Erziehung der Kinder usw., sei es im Hinblick auf Ku ltus und Theologie. In der Regel gilt, dass jede Geschichte [ einer Nation ], seien es ihre Friedenssch lüsse oder K riege, ihre Chroniken und Geschicke, verschieden ist und differenziert beurtei lt und ana lysiert werden muss. Auch wenn es manchma l schwerfä llt und manchma l nur den Verständigen gel ingt, dabei die Beziehung zwischen jenen einzel nen geistigen Idea len zu verstehen und wie sie miteinander verwoben und aufeinander gegründet sind.

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Doch umso mehr sich der Geist einer Nation auf die erwähnte A rt entfa ltete und zu ihrem dominierenden Faktor wurde, desto mehr verringerte sich und verschwand nach und nach ihr individue ller Charakter. Dies ging so weit, | bis sie ihren Ruhm fast gänz lich hinter sich gelassen hatte, bis er vollständig aufgehoben war und verschwand; und a ls Folge von Verschwendungssucht und Dekadenz breitete sich die Genusssucht so weit aus, bis die geistige Eigenständigkeit zu Gunsten von Emotion und Verschwendung verloren ging und sich der bereits erwähnte Geist der Eitel keit und

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A rroganz ausbreitete. Mit dem A nhäufen der Besitztümer und des Gewinns mehrten sich auch Stolz und Hochmut, außerdem kam die Überheblichkeit einiger aus dem Vol ke gegenüber ihren Nächsten hinzu. So verbreiteten sich Raub und Gewa lttat im Land, und die Gesetze wurden korrumpiert. Die Gnade und der Respekt vor den A lten gingen ebenso verloren wie die übrigen guten ethischen Regel n. A ls sich die Herzen voneinander zu entfernen begannen, begannen sich auch die [ mora lischen ] Auffassungen zu entzweien, was noch zusätz lich durch fremde [ Auffassungen ] verstärkt wurde, die in jener sch lechten Zeit das Vol k zu beeinf lussen begannen und fremde Sitten einführten.1 A ls sich aber natürliche und unnatürliche Begierde immer mehr ausgebreitet hatten, erweichten die Herzen, und die Charaktere wurden verwöhnt und weich. Sch ließlich begann man sich vor Nahem und Fernem zu fürchten und vor der Zukunft zu zittern. Einzel ne Persön lichkeiten wie das gemeine Vol k begannen daraufhin mittels magischer Praktiken und Zaubereien nach der Zukunft zu forschen, wobei sie jeden Aberglauben und Irrweg priesen. Der Geist der Erkenntnis und der Geist des Mutes und der Stärke, die wir oben erwähnten, waren auf wundersame Weise verschwunden. Und der Rav [ Moshe ben Maimon ] bemerkte dazu in einem seiner Briefe :2 „Daher haben wir unsere Autonomie [ wört l. : unser Königreich ] verloren, und die Zeit des Exils wurde lang, und daher gerieten wir in diese missliche Lage, wei l unsere Väter Sünden begangen haben, indem sie zah l reiche Bücher benutzten, die astrologische Speku lationen enthielten, deren Inha lte aber der reinste Götzendienst sind, ganz so wie wir ihn beschrieben haben, 3 und sie billigten ihn und wandten sich ihm zu. Es erschien ihnen näm lich so, dass er große Weisheiten und nütz liche Erkenntnisse enthielte. Daher beschäftigten 1  A n

dieser Stelle ist der Text des Druckes verderbt. Moshe ben Maimon, Iggeret ʽa l ḥokhme Montpell ier ʽa l gezerat ha-kokhavim, in : Letters and Essays of Moses Maimonides II, hg. v. I. Shailat, Maa leh Adumim 5748 (1988), 480 (hebr.). K rochma l zitiert woh l nach der Ausgabe A msterdam 1712. 3 I n den H i l khot ʽAvoda zara in seinem ha l akhischen Hauptwerk M ishne Tora. 2 Vg l .

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sie sich jedoch nicht mehr mit dem K riegshandwerk und mit der Eroberung anderer Länder, sondern schwärmten davon, dass sie ihnen nützen würden. In der Folge bezeichneten sie die Propheten a ls Dumme und Toren [ vgl. Jer 4,22 ], doch tatsäch lich waren sie die Dummen und Toren !“ – So weit zu diesem Problem. Folge von a ll diesen Verderbnissen war, dass Theologie und Ku ltus obskur und konfus wurden, sie zu Aberglauben an Götzen und Geister degenerierten, sodass sich diese Plage auf a lle erwähnten Stände [ des Vol kes ] ausbreiten konnte : die Oberen des Vol kes, seine R ichter, Berater und Priester, bis der Niedergang und die Fäu lnis a lle zu befa llen begann und jedes Ordnungsprinzip und jede gute Sitte in Schäd liches und Sch lechtes verwandelt wurden, wie es uns wahrhaftige Propheten in ihren Beschreibungen der Übertretungen und in ihren A nk lagen sowie in den daraus folgenden Strafandrohungen uns gegenüber und gegenüber einigen räum lich wie zeitlich nahe stehenden Völ kern dargelegt haben : Vergnügungssucht, Hochmut, Stolz und Irrglauben für die vier negativen Strafgerichte, a ls die Verderber des Vol ksgeistes, bis dass [ d ieser Geist ] innerlich und äußerlich völlig zersetzt ist. Aus dem Gesagten können wir nun verstehen, dass, obwoh l wir dachten, die Ausprägung des Geistes in einer Nation wäre vom zeitlich und räum lich bedingten Zusammenha lt, der Abfolge von Generation zu Generation, abhängig, einzig und a llein der Geist diesen Zusammenha lt in der Geschichte eines Vol kes zu gewährleisten vermag. Das Wesen eines Vol kes entsteht insofern letztlich [ a llein ] aus dem Wesen des Geistes, der auf ihm ruht (jeg licher Geist bringt sich selbst hervor, und seine A ktivität ist seine Essenz). Ohne die Samm lung und das Verschwinden a ll jener geistigen Attribute könnte demnach keine mensch liche Gemeinschaft oder Gesellschaft entstehen – das Bündel [ der Gemeinschaft ] würde sofort aufgelöst. Aber dies ist jedoch gar nicht vorstellbar, denn der Mensch wurde ja zu [ Gottes ] Ebenbild erschaffen, d. h., sein Wesen ist ebenfa lls Geist. Sogar bei den Wilden in der Wüste gab es daher schon Früchte des Geistes in Form von Sippen und k leinen Gruppen, und [ tatsäch lich ] lag hierin auch bei diesen der Grund ihres Zusammenha lts.

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Weiter lässt sich zeigen, dass – wie wir bereits betonten – keine Nation völlig verschwindet oder aufhört zu bestehen, solange der Geist nicht von ihr gewichen ist. | Dies entspricht dem Prinzip, dass jeglichem Geistigen eine natürliche unend liche Existenz eignet. Dieser unend l iche Geist ist aber durch zeit liche und räum l iche Umstände bedingt, d. h., er wird durch Geographie und Geschichte geprägt, sodass der Geist in gewisser Hinsicht dann doch end lich und vergänglich erscheinen kann. Doch insofern [ eine Nation ] wesentlich Geist ist, bleibt von ihr immer ein Teil oder eine Essenz in einer anderen, zeit lich und räum lich nachfolgenden Nation erha lten. Dabei gi lt es freilich zu beachten, dass auch nach dem Verschwinden eines k leinen Vol kes, dessen Geist uns kaum bekannt geworden ist, dieses Geistige mit ihm nicht völlig verschwinden muss. Doch nur bei einem großen und lebenskräftigen Vol k bleiben die Merkma le des Geistigen erha lten und können sich dem Gedankengut der darauffolgenden Generationen mittels ihrer Lieder, Bücher und Gesetze einprägen. Auf diese Weise werden sie dann nach und nach zum Besitz der gesamten Menschheit und ihres Geistes, sodass sie die Welt stets weiter inspirieren und erleuchten. Dies wird von uns noch genauer erläutert. Soba ld wir an diesen theoretischen Standpunkt gelangt sind, müssen wir wissen und verstehen, dass das, was wir a ls den a llgemeinen Geist eines jeden Vol kes bezeichnet haben, in der Tora, bei den Propheten und den Hagiographen a ls Beginn des Bedenkens der Gottheit eines Vol kes beschrieben wird (das ist, wie du weißt, die Sprache in ihrem religiösen Gewande, ohne damit, dies sei ferne, ihre Ehrwürdigkeit schmä lern zu wollen).1 Bei den Apoka lyptikern und bei den Weisen, die nach ihnen kamen, wird dies a ls „der [ Engel-] Fürst eines Vol kes“ [ ‫ ] שר האומה‬bezeichnet.2 Das heißt, sie nahmen die Gesamtheit der Geistigkeit, die in einem Vol ke potentiell vorhanden oder angelegt war, hypostasierten sie und belegten sie mit einem Namen und mit diesem Vol ke zuge1 Vg l. zum Folgenden die Tei lübersetzung von Grözinger, Jüdisches Den-

ken III, 459. 2 Vg l. etwa Targum Yerusha l mi zu D tn 32,8 f.; ShirR 2,1 (95a) u. ö.

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Pforte 7

schriebenen Attributen. Sie meinten, dass wie der König eines Volkes dieses äußerlich eint und zusammenhä lt, so verbindet es im Innersten sein Gott, über Raum und Zeit, von Generation zu Generation. Dies ist die Vernunft-Vorstellung des angedeuteten ideellen Problems. Doch entsprechend unserer Vorgehensweise, nicht zu ausführlich zu werden und für den Verständigen und Gelehrten nur kurze A ndeutungen zu machen, seien hier noch einige Hinweise bei den Rabbinen aufgeführt : „Gott des Landes“, „Gott fremden Vol kes“, „das Recht des Gottes des Landes“, „welches der Herr, dein Gott, welches er ihnen nicht gegeben hat“, „er verwechselte den Gott des Vol kes“, „und a lle Völ ker folgten ihm“ usw., „und er verf luchte sie in ihrer Herrschaft und ihren Gott“, und viele andere Wendungen ähnel n diesen, die hier nicht angeführt werden können. – So ist auch die Bibelstelle zu verstehen : … und Strafgericht halten über alle Götter der Ägypter (Ex 12,12).1 Ich will heimsuchen den Amon zu No … samt seiner Götter ( Jer 46,25); … und Kamosh muss in das Exil wegziehen, samt seinen Königen ( Jer 48,7)2 – der tiefere Sinn dieses Verses für die Rabbinen war : „Der Heilige, gepriesen sei sein Name, forderte nichts von einem Vol k ein, bevor er es nicht von ihren Göttern eingefordert hatte“ [ vgl. DevR 1,22 (100a) ].3

Eine dieser geistigen Eigenschaften, die wir oben aufgezäh lt haben, gewinnt daher in einem Vol ke meist die Oberhand, während die anderen durch diese beschränkt und begrenzt werden, sodass auch sein Gott bzw. sein [ Engel- ]Fürst durch dieses geistige Attribut begrenzt wird. Zum Beispiel wird der [ Engel-]Fürst, der durch das Schwert herrscht, ein Geist von physischer Gewa lt sein, und diesem wird sich daher die Verehrung zuwenden; dies gi lt in gleicher Weise für den theoretischen, praktischen, ästhetischen, nach Gerechtigkeit und Erkenntnis heischenden Geist. A ndererseits können diese Charakterzüge auch auf wichtige Geschöpfe übertragen werden, ja sogar auf Gestirne und Kometen, je nach 1 Vg l.

Targum Onqelos und R ashi z. St. zweite Tei l des Verses wird in Paraphrase wiedergegeben. 3 Die L esart weicht ab von M iqra’ot G edolot, Edition Eshkol, 100a. 2 Der

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Erkenntnis und je nach dem, was von ihren K räften a ls akzeptiert vorausgesetzt wird. Wie z. B. bei der Sonne, die für die a lles schaffende Macht steht, und ebenso verhä lt es sich beim Saturn, der für Einsicht steht, der Jupiter für den Geist der Gerechtigkeit, Mars für Gewa lt und Venus für den Geist der Ästhetik. So ist es auch jedem Vol k möglich, dem jewei ligen Geist ein Bild oder ein Symbol zuzuordnen : das Bild eines Künstlers; das Bild eines Städte erobernden Helden; für Ba‛a l das Symbol einer Säugenden und sich Sorgenden; für Astarte das Symbol einer Frau, die die Waage [ der Gerechtigkeit ] in Händen hä lt, und ähn liches mehr. Siehe, so verkündet und spricht der Prophet :1 Nicht diesen gleich ist der Anteil Jakobs, denn er ist’s, der das All geschaffen hat, und Israel ist sein Erbteil. Der Herr Zebaoth ist sein Name ( Jer 10,16). Das heißt, dass das absolute Geistige und nichts sonst die Quelle und der Grund a llen geistigen Seins ist. | Die individuellen Manifestierungen des Geistes aber in ihrer Abhängigkeit von den Mächten des Himmels und der Erde sind end lich und vergäng lich, und sie besitzen daher keine absolute Wahrheit und Existenz, außer durch den Herrn, gepriesen sei er, d. h. [ durch ] das absolute Geistige und den Unend lichen [ ‫] האין סוף‬. Dies meint die in der Vernunft begründete [ biblische ] Redewendung : Der Gott der Götter, der Herr ( Jos 22,22) – a lle geistigen Eigenschaften werden in ihrer Wirk lichkeit und Absolutheit [ nur in Gott gefunden ]. Dasselbe wird mit [ der Wendung ] : Herr, Gott Zebaoth (Ps 80,5) [ z um Ausdruck gebracht ] – Gott ist die unwiderlegbare Wahrheit, die empirische Macht über a lle höher stehenden Geschöpfe, die nur niedere Erscheinungen hervorbringen. Solche Wesen im Besonderen beleuchten das Prinzip des Geistes noch deutlicher und ersch ließen sein eigent liches Wesen, wie wir es oben (Pforte 6) beschrieben haben und wie wir es im Hinblick auf die merkava noch genauer erläutern werden. Nach göttlichem Ratsch luss erwäh lte die Quelle, aus der wir schöpfen, die Väter und Hei l igen, deren Nachkommenschaft er 1 Zum Folgenden vg l. die Tei lübersetzung von

ken III, 460.

Grözinger, Jüdisches Den-

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nach und nach aussonderte, die zwölf Stämme Jakobs, aus denen das gesamte Vol k erwuchs, welches in seinem eigenen Land und in sicheren Grenzen wohnen sollte, wie es heißt : Er setzte Grenzen der Völker nach der Zahl der Söhne Israels (Dtn 32,8). So ersah es die göttliche Weisheit, dass dieses Vol k ein Königreich von Priestern (Ex 19,6) sein sollte, d. h., dass sie dem Menschengesch lecht den rechten Glauben an das Absolute lehren sollten, die daraus abzu leitenden Maximen, bis dass a ll die erwähnten Attribute und geistigen Besitztümer nach A rt und Weise entsprechend beobachtet würden, da sie a lle in ihrer Wahrheit auf Ihm [ Gott, d. h. dem absoluten Geistigen ], er sei gepriesen, beruhen. Das bedeutet, dass sich in jeder Tat unseres Vol kes, jedem positiven und guten Gedanken, der in unsrer Mitte entsteht, zeigt, dass ein Gott in unserer Mitte ist und sie a llein auf ihn zurückzuführen sind, d. h., sie sind in ihm verwurzelt, oder sie emanieren aus seinem Geist, wie es der verbreiteten Lehre vom Geist entspricht. Dies meint das Mysterium und wird nach unserem Sprachgebrauch mittels rationa ler Überlegung auch folgendermaßen ausgedrückt : Ich wohnte unter ihnen (Ex 25,8), denn ich bin bei euch ( Jer 42,11), mein Geist wohnt unter euch (Hag 2,5). Die Bezeichnung für dieses gött liche Mysterium ist shekhina [ Einwohnung Gottes ], wie es heißt : „Die shekhina ruht auf Israel.“ Und so ist auch der Spruch zu verstehen : „Sie wurden nach Babylonien verbannt, und die shekhina zog mit ihnen; sie wurden nach Elam verbannt, und die shekhina zog mit ihnen“ (bShab 22b; bMeg 29a; bYev 64a). Die Bedeutung des Verses l iegt aber darin, dass die shekhina nicht auf weniger a ls zweitausend oder zwanzigtausend [ Israeliten ] liegt, wie es heißt : Den der Herr zugewiesen hat usw., euch aber hat der Herr angenommen (Dtn 4,19); … die sie nicht kennen, die er ihnen nicht zugewiesen hat (Dtn 29,25). Und [ d ie Weisen ] sagten : „Israel steht unter keinem mazza l [ Gestirn ]“ (bShab 156a). Dazu müssen wir anmerken, dass Daniel [ ‫איש חמודו ת‬, vgl. Dan 10,11 ] nur wegen der geistigen Idea le in seiner Generation dazu gezwungen war, unserer Nation doch noch einen besonderen Erzengel zuzuschreiben. Aber man bezeichnete ihn [ irrtüm lich ] mit einem Namen, der nicht auf eine spezifi sche Manifestation des Geistes hinwies. Vielmehr nannte man ihn Mi-cha-el [ d. h. „(wer

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ist) wie Gott“; vgl. Dan 10,21 ], um damit zu beweisen, dass es doch keinen absoluten Geist gibt, außer dem, welcher ewig ist und a llmächtig ist – Gott in seiner Herrlichkeit a llein, der uns zutei lt und nicht wir.

Zusammenfassung dieser Pforte : Unter den Vorfahren der Völ ker, a ls sie im Verlaufe ihrer Entfa ltung des Geistes, der sich unter ihnen offenbarte, gewahr wurden, da erstrah lte sein Licht und sein Glanz über ihnen, und er erleuchtete ihre Seelen zu Ehrfurcht, Gebet und Ku ltus. A llerdings wandten sie sich den partiku laren Manifestationen [ des Geistes ] und seinen Mächten, die die himmlischen und irdischen Heerscharen sind, zu. Sie gelangten dabei zu keiner k laren Erkenntnis des Geistes [ a n sich ], und deswegen verstanden sie nicht, dass seine Wahrheit und Wesensart nicht in etwas eingesch lossen sein kann, was selbst partiku lar, an Zeit und Raum gebunden ist. Unter dieser Bedingung wäre sie voll kommen verloren und vergessen, denn a llem, dem rea le Existenz zukommt, kommt diese nur durch den absoluten Geist zu. Dieser Begriff ist a llerdings einer der reinen Vernunft, von dem weder die Imagination noch das Denken einen umfassenden Eindruck erlangen kann. Dies aber ist der Hintergrund dafür, was bis auf wenige Ausnahmen in Bezug auf die Verfinsterung der Wahrheit auf den meisten liegt, warum die erwähnte Geistesha ltung gegenüber Götzen und Geistern wiederkehren kann. Dies geht so weit, dass am Ende, besonders in Tagen des Übels und der Not, auch der Ku ltus davon betroffen ist, bis dass der Geist gänz lich vergessen wird, sodass auch sie selbst sch ließlich ganz verti lgt werden. Aber aus göttlicher Gnade über die Nation, die er sich erwäh lt hatte – eine Gnade, für die wir keinen Grund finden können, weder | unter uns noch bei unseren direkten Vorfahren, es sei denn wir kehren bis zur Quelle zurück, näm lich zu den Erzvätern, wie es in der Tora beschrieben wird –, durch diese gött liche Gnade a lso gelangten wir zur Erkenntnis des einen obersten Prinzips über a lle Vernunftbegriffe, dessen K ritik sowoh l großartig und schwer a ls auch naheliegend und leicht zu verstehen ist, wie wir es oben (Pforte 6) mit Bezug auf die Bestimmung des gesamten Vol kes er-

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läutert haben. – Will man sowoh l die Tiefgründigkeit a ls auch die Komplexität begreifen, so sei nur auf das Vol k Israel verwiesen, welches vor dem Berg Sinai stand, aber zunächst nicht a lle Worte in gleicher Weise hören konnte, bis sie erst zur Zeit des babylonischen Exils vollständig erläutert wurden, d. h. erst mehr a ls tausend Jahre nach der Gabe der Tora. – Von da an blieb sie in unsere Herzen eingemeißelt und verschwand nicht mehr aus unserem Gesch lecht; so wurde sie auch zum Wegweiser für viele andere Völ ker, doch [ nur ] wir erfü llen ihre Gebote bis heute, denn durch sie werden wir aufgerichtet und zur ewigen Rettung geführt. Dies wird in der nächsten Pforte näher erläutert.

P FORT E 8



Das Vol k der Ewigkeit und seine Zeiten

Ich, der Herr, wandle mich nicht; aber ihr, Kinder Jakobs, habt nicht aufgehört [ z u existieren ]. (Ma l 3,6)

Drei Epochen durch läuft – gemäß dem natürlichen Verlauf der Geschichte – jedes Vol k vom Aufkeimen seiner Existenz bis es vergeht und verschwindet :1 1. Zu Beginn des Wachstums einer Nation entsteht in ihm, wie wir [ in der vorangehenden Pforte ] erwähnten, der Geist, der die Substanz a ll seiner Glieder erfasst und so jeden mit seinem Genius und seiner Profession erfü llt. Diese Phase wird Zeit des Keimens und des Wachsens der Nation genannt. 2. Danach entwickelt sie ihre volle A ktua lität, und es werden a ll jene positiven Institutionen und geistigen Errungenschaften entfa ltet, die wir oben beschrieben haben, und die Nation wächst zu voller Schönheit heran, sei es für eine lange oder kurze Zeitspanne. Diese Phase wird Zeit der Stärke und der Wirksamkeit genannt. 3. Doch wie bei jedem natürlichen Wesen liegt in ihr auch schon der Keim der Vergäng l ichkeit und des Ablebens, denn bereits während der zweiten Phase entwickel n sich die Ursachen für ihr Verderben und Vergehen der Nation; denn mit dem Wachstum verlieren sie jede Relation und jeden guten A nstand, bis dass der 1 Vg l .

zum Folgenden die Tei lübersetzungen in Meyer, Ideas of Jewish History, 202 – 203; Glatzer (Hg.), Modern Jewish Thought, 16 – 18; Sch lüter, Geschichtskonzeptionen, 179 – 181; Grözinger, Jüdisches Denken III, 468.

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Ruhm der Nation langsam immer geringer wird und sch ließlich ganz verschwindet. Diese Phase wird Zeit des Dahinschwindens und des Untergehens genannt. – So ist es jedem Vol k bestimmt, in dem sich der Geist individuiert, und daher ist es end lich und zur Vergäng lichkeit bestimmt. Auch unsere Nation ist in Bezug auf das Materielle und äußerlich Sensitive dieser natürlichen Ordnung unterworfen, wie es in dem rabbinischen Diktum heißt : „Sie wurden nach Bavel verbannt, und die shekhina zog mit ihnen; sie wurden nach Elam verband, und die shekhina zog mit ihnen“ (bMeg 29a). Das heißt, der universelle Geist, der auf unserem [ Vol k ] ruht, behütet und errettet uns vor der Gesetzmäßigkeit, unter die a lle Sterblichen [ ‫ ] בני חלוף‬fa llen. Dies kann auch leicht aus dem oben Gesagten abgeleitet werden. Daher werden wir die Zeitläufe, die an uns seit der Zeit des Keimens bis auf den heutigen Tag vorübergingen, in Erinnerung rufen, um damit genau aufzuzeigen, wie wir diese drei Phasen durchliefen und wie sich von der Hochphase bis zum Untergang der Geist in ihnen immer wieder erneuerte und wiederbelebte; denn, wenn wir zunichte wurden, standen wir auch wieder auf, ermunterten uns und haben den Herrn, | unseren Gott, nicht verlassen.1 Wir werden dies für den Verständigen und Gebildeten nur kurz in Erinnerung rufen – gemäß der Vorgehensweise unserer Schrift werden wir nur die Vorstellungen erwähnen und nur manchma l das in den Geschichtsbüchern Erzäh lte anführen. Wir wiederholen uns aber, wenn wir daran erinnern, dass dies ein besonderer Weg des Verstehens der Vorstellungen der Tora und des Glaubens für den Einzel nen und die Masse ist. Doch soll damit – Gott behüte – nicht ihre Vorzüg l ichkeit infrage gestellt werden. Der Unterschied besteht aber nur in der A rt der Auffassung, nicht in Bezug auf die Natur der Sache selbst, welche eine einzige Manifestation des Geistes ist, sodass seine Wirkung ebenfa lls rein geistig ist. Bedenke dies immer, geneigter Leser, damit man nicht meinen guten 1 Bis hier überträgt Meyer, a. a. O., 203; vg l. zum Ganzen Harris, Nachman

K rochma l, 124 mit A nm. 27. Zur Übersetzung vg l. die paraphrasierten Verse Ps 20,9 und 2 Chr 13,10.

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Willen missverstehe, wie es auch der Rav [ Moshe ben Maimon ] von seinen Lesern erbeten hat. In Mittelasien, in den Gegenden nordöst l ich vom Lande Israel, wohnten bereits in früher Vorzeit Völ ker, die zu hoher Voll kommenheit gelangt waren. Unter ihnen blieben Glaubensvorstellungen erha lten, die ihnen [ bereits ] in den Tagen des Sem offenbart worden waren, dem Vater und Haupt a ll dieser Völ ker [ vgl. Gen 10,21 – 31 ]. – Durch die Völ kerwanderung in den Vorzeiten verbreiteten sich jene auch in west lich liegenden Ländern, um sich dort mit den a ls „K inder des Eber“ Bezeichneten zu vereinen. Hieraus entstanden dann die Sippen, die in den südwest l ichen Tei l von Asien zogen und sich dort niederließen. Sie lebten hauptsäch lich a ls Nomaden und Hirten, die in festgesetzten Grenzen weideten und innerha lb dieser Gebiete auf der Suche nach Weideplätzen von Ort zu Ort zogen. K leinere Gruppen ließen sich sch ließlich nieder und begannen, den Boden zu bestellen, und sie trieben Handel (sie werden auch Sesshafte genannt). Sprache und Sitte legen k lares Zeugnis für die gemeinsame Abkunft von Sem und die direkte Abstammung dieser Sippen von den Nachfahren des Eber ab. Dies wird in den Pforten über die ma‛ase bereshit noch eingehender erläutert. Einer von diesen war auch unser Stammvater Abraham, der mit der Sippe seines Vaters an seinem Lebensende die bekannte lange Reise nach Nordosten begann. (Nach dem Midrash von Mesopotamien und seinen Gegenden aus; nach der Meinung der arabischen Geschichtsschreiber aber vom Bezirk Kuta in Nordpersien aus, und ihnen sch loss sich auch der Rav [ Moshe ben Maimon ] an. Nach anderer Meinung [ kam Abraham ] aus einem noch viel weiter entfernten Land.) Er kam von dort in Gegenden, die bereits vom Vol k der Kanaanäer und den Sippen der Philister, die a lle nicht mit den Hebräern verwandt sind, bewohnt waren. Es waren die Nachkommen des Ham, die aus südwest lichen Gebieten Asiens ins Land Israel gelangt waren. Unter ihnen waren Götzendienst und magische Praktiken verbreitet, sodass sie relativ ba ld auch zu Gräueltaten übergingen (d. h., die Sitten verrohten so sehr, dass ihr geistiger Zustand hierdurch in Mitleidenschaft ge-

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zogen wurde, wie z. B. durch das Opfern von K indern, Tempelhurerei und Folter von Fremden). Unsere Weisen, über ihnen sei Frieden, nahmen an, dass Abraham seinen Schöpfer von A nfang an und von selbst erkannte und dass er den Götzendienst verweigerte sowie die Ta lismane und den Geisterglauben verabscheute, die bereits die Aufnahme der reinen Prinzipien des Noah, Sem und Eber zu unterhöh len begonnen hatten. Daher hat sich der Herr offenbart und erwäh lte [ Abraham ], um ihn zu einem Vater eines großen Volkes (Gen 17,5) – südwestlich von Asien – zu machen. Unter seinen Nachkommen sollten die reinen Glaubensvorstellungen, die weit entfernt von jedem Götzendienst sind, stets und mehr a ls unter den übrigen Hebräern erha lten bleiben. Diese Geschichte wird von den Ismaeliten [ A rabern ] in den Büchern ihrer Historiker bestätigt : Bevor näm lich Mohammed, ihr Prophet, kam, wurde in der Sippe der Qoraysh, aus der Mohammed stammt, reiner Götzendienst praktiziert. Diese [ Sippe ] der Qorayashen hütete nämlich in Mekka ein Heiligtum, in dem kurz vor der Zeit Mohammeds ein Götzenbi ld errichtet worden war. – Der wahre Glaube konnte sich jedoch nur unter den Nachkommen des Isaak fortpf lanzen. Doch selbst aus seiner Sippe ging ein Stamm hervor, der nicht den reinen Glauben bewahrte, auch wenn er zunächst bessere Ziele verfolgte a ls die übrigen Nachkommen Abrahams. Gemeint ist das Vol k Edoms, welches bereits geraume Zeit vor unserem Vol k sesshaft geworden war und Sitten sowie sozia le Regel n entwickelt hatte; dieses Vol k wird in den Schriften sogar a ls „unser Bruder“ eingeführt. Wie der Schrift zu entnehmen ist, wurden die Götzen bei ihnen auch nicht in jeder Hinsicht verehrt, und sie kannten auch keinen anderen Namen für Gott, denn a ls Mose zu ihnen sandte, ließ er [ die Boten ] sprechen : Lass uns zu unserem Herrn rufen (Num 20,16), ohne dass hier ein Zusammenhang mit dem „Gott un42 ser Väter“ bestünde, was belegt, dass ihnen | der Name Gottes bereits aus der Zeit der Väter bekannt war. A nscheinend sagte er auch aus Demut und um der Versöhnung wi llen : Und er sandte einen Engel und führte sie aus Ägypten (ebd.). Wie Abraham zu Abimelech sprach : Al s mich Gott aus dem Haus meines Vaters wandern ließ (Gen 20,13). In späteren Epochen gab es in diesem Vol k sogar große

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Weise, wie in den Schriften oft hervorgehoben wird. A nscheinend sprachen sie auch die „hei lige Sprache“ [ Hebräisch ], und zwar mit einem A kzent, der dem benachbarten A rabisch ähn lich war. Es gibt auch einige Hinweise darauf, dass das Buch Ijob, welches unter unsere hei ligen Schriften Aufnahme gefunden hat, hauptsächlich von jenen Gelehrten verfasst worden ist.1 Noch später wurden einige von ihnen unter uns aufgenommen, andere haben sich zur Zeit der zweiten Tempelzerstörung den Römern unterworfen, der dama ls herrschenden Nation. – Aus der gesamten Sippe des Abraham und des Isaak ist nur eine [ einzige Familie ] erwäh lt worden, aus der später Stämme mit dem Namen der Söhne Jakobs, zwölf an der Zah l, hervorgegangen sind. Nur sie haben die miṣwot ihrer Väter – Abraham, Isaak und Jakob – beobachtet, die sie davor bewahrten, sich anderen zu unterwerfen oder sogar mit den Kanaanäern, die das Land besaßen und in ihrem Glauben und in ihren Taten korrumpiert waren, zu einem Vol k zu verschmel zen. Sie wollten sogar keine Fremden aufnehmen, wie es die Nachfahren Esaus mit den Horiten, den freien Bewohnern des Landes, getan hatten, mit denen sie zu einem Vol k verschmolzen waren. Vermutlich ist dies auch mit den übrigen Nachfahren Abrahams und den Sippen Lots geschehen. Aus diesem Grund aber wollten unsere Vorväter sich nicht unter jenen Völ kern niederlassen, sondern blieben Nomaden und Hirten in den Ebenen des Landes, im weiten Raum zwischen den Niederlassungen der Kanaanäer. Sogar a ls sie ein Grundstück, Land zur Totenbestattung, teuer kaufen mussten, vertrauten sie doch auf Gott und schenkten ihm Vertrauen, dass das Land am Ende, wenn sie zu einer regel rechten geordneten Nation geworden wären, ihnen gehören werde. Wenn sie sich nicht unterwürfen und sich nicht mit den Besitzern des Landes vermischten, würden die Gebiete, in denen sie sich zu jener Zeit aufhielten, zu ihrem Besitztei l werden. Der Vater Sichems erwähnt in seiner Rede an die Söhne Jakobs zwar nicht, dass sie zu einem Vol k geworden waren, aber um sie für sich zu gewinnen, sagt er : Das Land soll vor euch offen sein (Gen 34,10). Das heißt, sie sollten a ls 1 Vg l.

dazu A mir, The Father of the Nation, 205 – 227, hier 225.

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Hirten umherziehen oder das Land bebauen, wie es ihnen gefiel. Zu denen, die in Städten wohnen wollten, sagte er : Bleibt und treibt Handel und werdet ansässig (ebd.), denn es ist sehr weit läufig. Und sie riefen Gott an besonderen Orten an, wie z. B. in Gilga l, Sichem, Bet El, Moria, Hebron und Beer Sheba, und sie pf lanzten an ihnen Tamarisken und errichteten Mazzeben, die in jener frühen Phase nach Zeugnis der Rabbinen dem Herrn noch woh lgefä llig waren. Später wurden aus diesen Plätzen Heiligtümer und Zentren großer Gelehrsamkeit, wie es heißt : Denn dazu habe ich ihn [ Abraham ] auserkoren, dass er seinen Kindern befehle und seinem Hause nach ihm, dass sie des Herrn Wege halten und tun, was recht und gut ist (Gen 18,19). Der Herr ist ein Gott, der bemerkt, wann es Zeit ist, den Ort der Hand lung und damit den Verlauf der Geschichte in ein anderes Land, welches dem Geist gefä llt, zu verlagern : Die [ göttliche ] Vorsehung besch loss a lso, dass die heilige Familie [  Jakobs ] nach Ägypten ziehen sollte, um sich einige Zeit in seinen Grenzen aufzuha lten. Das Vol k der Ägypter war zu jener Zeit jedoch in seinen Taten und Gedanken bereits viel verdorbener a ls das der Kanaanäer, wie es heißt : Denn die Missetat der Amoriter1 ist noch nicht voll (Gen 15,16). Auf diese Weise konnte der Herr davon ausgehen, dass Israel sich nicht mit ihnen vermischte. Wer weiß denn auch, was geschehen wäre, wenn sie die ganze Zeit unter den K anaanäer gebl ieben wären ? A ndererseits war Ägypten trotz seiner Gräuel reich an Gebäuden, an Kunstwerken, nütz lichen und schönen Künsten sowie an Wissen, und daher gefiel es der göttlichen Vorsehung, dass unser Vol k unter ihnen wohnen sollte, damit es zu einer wirk lich großen Nation werde, d. h. zu einem voll kommenen Vol k, reich an Besitz und Begabungen. Diese hätten sie nicht | erlangt, wenn sie in Kanaan geblieben wären, befand sich bei ihrem Einzug doch nicht einma l ein einziger Tempel in ihm. Daher veran lasste derselbe Geist Gottes, der unter der Sippe gewei lt und zu unserem ersten Stammvater gesprochen hatte, um ihn aus fernen Landen ins erwäh lte Land zu führen, auch den Jakob (mit seinem Stab) 1 Zur

Verbindung der A moriter mit den K anaanäern vg l. E x 3,8.

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„Hu ld“1 nach Ägypten zu ziehen, wie es bei den Rabbinen, seligen A ngedenkens, heißt : „ Jakob war würdig“ usw. (bShab 89b). Und dies erk lärt auch den Schriftvers : Fürchte dich nicht, nach Ägypten hinabzuziehen, denn dort will ich dich zum großen Volk machen (Gen 46,3). (Ich will mit dir hinab nach Ägypten ziehen, und ich will dich wieder herauff ühren [ Gen 46,4 ].) Unserer Exegese zufolge ist aber gemeint, dass er sich nicht fürchten sollte, ihre Nachkommen könnten sich dort dem großen und gewöhn lichen Vol k assimi lieren. Viel mehr gibt [ Gott ] die Zusage, dass ihre Nachkommen dort zu einem großen Vol k werden und dass der umfassende Geist, der unter ihnen weilte, sie davor bewahren werde, dass sie dem Gesetz des Vergehens und des Untergangs unterlägen. Dies deutet auf nichts anderes a ls den verborgenen Schriftsinn hin, auf den [ bereits ] der R amban [ Moshe ben Naḥman ], sel igen A ngedenkens, in seiner tiefgründigen Ausdrucksweise [ in seinem Kommentar zu Gen 46,3 ] Bezug nimmt.2 Denn dies wäre sicherl ich geschehen, wenn sie noch länger unter dieser Herrschaft gelebt hätten (nach der Baraita des Rabbi Yose [ Seder ‛Olam Rabba ], die stets die k leinere Anzahl von Jahren von zwei möglichen angibt, waren es 210 Jahre3). Sie blieben daher Hirten und wohnten in einem Gebiet nahe der Grenze ; auch wenn einige Stämme mit ihren Herden gelegentlich in die Wüste zogen – wie es in den Schriften beschrieben wird –, so sind sie dennoch immer wieder mit ihren Herden [ nach Ägypten ] zurückgekehrt. Nach dem Zeugnis der Schrift hielten sie auch 1 Wahrschein l ich

ist „maqel “ statt „maṭṭe“ zu lesen. Zur Formu l ierung

vg l. Sach 11,10. 2 Vg l . Perushe ha-Tora le- R abbenu Moshe ben Naḥman, hg. v. Chavel, I 246; R amban (Nachmanides) Commentary on the Torah, hg. v. Chavel, I 544. 3 Vg l. SOR 2 (hg. v. R atner 6b). I n der Bibel werden für diese Berechnung nur die A lter von Levi (137) und Jakob (110) überl iefert. Demnach gelangte Levi zusammen mit Jakob im A lter von 44 Jahren nach Ägypten, lebte dort 93 Jahre, insgesamt a l so 137, sodass das Vol k Israel 210 Jahre in Ägypten wei lte. Vgl. dazu auch Seder ʽOlam R abba ha-sha lem le-ha-Tanna R abbi Yose ben R abbi Ḥa lafta zusammen mit Seder ʽOlam Zuṭa ha-sha lem ha-meyuḥas le-R abbi Yosef Ṭov ʽElem, hg. v. M. Y. Weinstock, Bene Brak, Jerusa lem 1957; 1990, 62b.

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an der Beschneidung fest, und wir werden noch deut lich sehen, dass besonders im Stamme Levi reine Glaubensbegriffe weitertradiert wurden, sodass es weiterhin geeignete Männer gab, die das Vol k führen konnten, [ Männer, ] die das Vermögen besaßen, im Pa last des Königs zu dienen. A nscheinend erfreuten sie sich auch bester Gesundheit, ganz wie verg leichbare Gruppen, die nicht durch die Genusssucht geschädigt waren. Daher vermehrten sie sich und wurden in dieser Zeit zu einem statt lichen Vol k, dessen Umfang und Zah l kaum mehr geschätzt werden konnte. Wie es die Hebammen sagten : Die hebräischen Frauen sind nicht wie die ägyptischen, denn sie sind kräftige Frauen (Ex 1,19). Kurz und gut, um die notwendige Beständigkeit und Integration des Vol kes zu erlangen, wurde in Ägypten sehr viel erreicht. Doch was war der eigent liche Grund dafür, dass ihre Gemeinschaft nicht auseinanderbrach angesichts eines Landes, das seine Reichtümer so schnell an seine Bewohner weitergab ? Nichts anderes a ls die Erinnerung an eine Heimat, einen gemeinsamen Vater und die Tradition sowie die guten Bräuche, die ihnen vererbt worden waren – dies ließ sie zu einem festen Verband und einem großen Vol k werden, was sie die wertvollen und guten Ordnungen annehmen ließ, damit nicht irgendwelche Fremden über sie herrschten und sie unabhängig blieben. Dazu passt sehr schön das Gleichnis eines Propheten über den Zustand der Nation in dieser Zeit : Deine Brüste wuchsen, und du bekamst lange Haare; aber du warst noch nackt und bloß (Ez 16,7). Und ich ging an dir vorüber und sah dich an, und siehe, es war die Zeit, um dich zu werben (Ez 16,8). Dies bedeutet : Die Substanz des Vol kes war zu dieser Zeit bereits gebi ldet – der Geist, der potentiell in ihm vorhanden war, war noch nicht vollständig zutage getreten. In der Zeit der Umwerbung besch loss die gött liche Vorsehung den Auszug in die Freiheit kraft großer Wunder, wie es in der Tora beschrieben ist. Und dies nur, um zu erweisen, dass a lles, was diesem Vol k widerfahren war, a lso das Verlassen seines Landes und sein Abfa ll [ von Gott ], nur auf den Ratsch luss des absoluten Geistes zurückzuführen ist, d. h. auf die Macht Gottes, der unter uns wohnt. Nicht etwa wegen unserer guten Taten oder dank der Macht des Schwertes, der listigen Irreführung, der Kontakte zu

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fremden Völ kern oder dank des Fleißes bei der A rbeit oder dank der Fingerfertigkeit, der Rechenkunst oder der Erlangung materieller Güter erreichten sie dies, denn diese sind ja nur vergäng liche Eigenschaften eines Einzel nen. Jedes natürl iche Phänomen unterliegt der Degeneration, dem Verschwinden im Laufe der Zeit – das große Wunder besteht a llein darin, dass der Geist in seiner Wahrheit über der physischen Natur steht (dies werden wir noch genauer bei der Erläuterung der offenbaren und der verborgenen Mysterien darstellen). – So festigte der Herr, er sei gepriesen, den Zusammenha lt des Vol kes, indem er ihnen auf wunderbare Art die Weisung seiner Gesetze und Rechtssätze offenbarte, die den Einzel nen wie die Gemeinschaft durch „Vollständiges | noch weiter 44 vervoll kommneten“. Indem die Nation hierdurch versichert war, welche Gebote es zu beobachten hatte, konnte sie nicht mehr zugrunde und verloren gehen, denn sie [ die Tora ] ist das Leben und verlängert deine Tage, auf dass du im Lande wohnen wirst usw. (Dtn 30,20). Dieser Glaube war lebendig und wurde im Verlauf der Zeit im Vol ke immer stärker. [ Das Vol k ] war sich stets bewusst, dass der absolute Geist unter ihm wei lt, denn das war die eigent liche Erkenntnis, dass es nicht darauf ankommt, dass irgendein Geist in irgendeinem Vol k präsent ist, der sogar mittels der exakten Wissenschaften bewiesen werden kann, sondern die Präsenz [ a n sich ] ist schon ein geistgewirktes Geschehen, welches überhaupt erst ins Sein ruft und existent macht. Dies führt uns zu den Vorstellungen, die den Ku ltus, wie er oben beschrieben wurde, ermöglichten. In Bezug auf unsere [ Überlegungen ] ist es wichtig, dass die K inder Israels immer am Herrn festhielten, was das Prinzip und die Wirksamkeit des Geistes mit einsch ließt. Uns wird dies etwa in dem Vers offenbart : Denn frage nach den früheren Zeiten usw. (Dtn 4,32), ob je so Großes geschehen ist oder dergleichen je gehört wurde (ebd.). In Bezug auf die Gesetze l ieß er uns wissen : Denn wo ist ein so herrliches Volk, dem Gott so nahe ist usw. (Dtn 4,7), und wo ist ein so großes Volk, das so gerechte Ordnungen und Gebote hat (Dtn 4,8) ? So erk lärt sich auch der Ausspruch : „Geliebt ist Israel, denn es ist ihnen ein K leinod gegeben worden, besondere Liebe, es ist ihnen offenbart, dass ihnen ein K leinod gegeben worden ist“ (m Av 3,18).

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Doch müssen wir nun zum Verlauf der Geschichte zurückkehren : Nachdem Gott sie näm lich durch die Tora gekrönt hatte, sie durch Gebote geeint und ihre Stämme geordnet worden waren, verband er sie noch mehr durch eine geistige Führung : Durch das Stiftszelt inmitten ihrer Lagerstätten. Was [ von nun an ] a lle verband, war die Herrlichkeit Gottes, die auf ihnen ruhte und unter den Myriaden Israels einwohnte. Es war ein weiterer A kt der göttlichen Weisheit, dass das Böse der Wüstengeneration – ihre Verachtung Gottes – verti lgt und zum Guten gewendet wurde. Um das Gesch lecht, welches aus Ägypten ausgezogen war, zu reinigen, führte er es durch die Wüste, damit jeder negative Einf luss von ihm abfiele und sie nicht den Geist des Ku ltes Ägyptens mitnähmen. Danach konnte eine zweite Generation in Freiheit erstehen, Helden und jungen Löwen gleich, und die göttliche Vorsehung behütete uns wie ein A mme ein K leinkind – wie es der große heidnische Prophet [ Bileam ] zu beschreiben versuchte, a ls der Geist über ihn kam und er in erhabenen Gleichnissen redete –, erst danach war die erste Z eit für unser Vol k vollendet. Diese Phase des Keimens und des Wachsens dauerte gemäß der Berechnung in der erwähnten Baraita [ Seder ‛Olam Rabba ] 464 Jahre : Seit sich Gott dem Abraham offenbart hatte, bis zum Tod des Mose, dem treuen Hirten, über ihn Frieden.1 A ls Israel in das Land einzog, begann die z weite P ha se : die Zeit der Stärke und der Vollendung. Sie eroberten den Hauptteil des Landes und sorgten an einem der Ku ltorte für seine Aufteilung durch das Los. Einige Stämme blieben Viehhirten ohne feste Gebietsgrenzen, die meisten aber errichteten ummauerte Städte, legten Felder an und pf lanzten Plantagen. Die Führung jedes einzelnen Stammes lag bei seinem Führer und den Ä ltesten. Die einzige Verbindung unter den Stämmen bestand in dem gemeinsam gewäh lten Ku ltort. Das Zelt und die hölzerne Lade, die Mose in der Wüste gemacht hatte, wurden zunächst in Gilga l aufgerichtet, da1 Vg l. SOR 1 – 10 (hg. v. R atner, 7a–23a). – Bis hier vg l. die Übersetzung von

Meyer, Ideas of Jewish History, 209.

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nach und noch in den Tagen Josuas wurde das Heiligtum in Shilo aufgerichtet : ein steinernes Gebäude, bedeckt mit Zeltplanen. In Shilo, Sichem und Bet El wurde eine bedeutende Aufteilung vollzogen, denn dort versammelten sich die Stämme und die Ä ltesten Israels auf dem Vorsprung zwischen Juda und Ephraim, um sich über die die Nation betreffenden Dinge zu verständigen, wie es heißt : Bis dass Shilo komme und ihm die Völker anhangen (Gen 49,10). – Den Reichtum des Vol kes schmä lerte jedoch sehr die große Sünde des individuellen Ku ltes, der sich unter ihnen in der meisten Zeit der zweiten Phase hielt. Da es nicht möglich war, aus ihrem Sinn auszumerzen, was ihnen a ls ihr gutes Recht und geeignet sowoh l für den Einzelnen a ls auch die Familie und den Familienverbund erschien, entstanden so auch besondere Ku lte und Praktiken. Wer es vermochte, errichtete zu diesem Zweck heilige A nhöhen [ bamot ], die meist ein Heiligtum und einen A ltar besaßen. Dort dienten ehrenwerte Personen aus dem Vol k oder jemand, der vom Vol k damit beauftragt worden war. Dies war das böse Übel, über das Propheten k lagen, welches bis zur Zerstörung des Tempels | unter 45 Israel Schaden anrichtete und jeden Zusammenha lt unter den einzelnen Personen und der Gemeinschaft unterhöh lte : Und es gab in Israel keine so schönen Tage mehr wie zu Zeiten Davids und Sa lomos, die den Götzenku lt verringerten, bis dass der Bau des Tempels vollendet worden war. Der bedeutsamste Ort, an dem Götzenku lt gepf legt wurde, lag in der Stadt Dan, in dem am weitesten von den übrigen entfernten Teil des Landes. Zwar kann kein Zweifel bestehen, dass auch dort [ a nfangs ] dem Herrn gedient worden war, doch war der Ku lt nie frei von Götzendienst oder [ zumindest ] Spuren desselben gewesen. Die Priester kamen sogar aus dem Stamme Levi und aus der Nachkommenschaft des Mose (und so bezeugt es auch die Schrift, dass es unter den Nachkommen Davids Priester gab, die sich dem privaten Ku lt hingaben), und es scheint, dass sie nicht vollständig aufgehört hatten. Seit Jerobeam, der Sohn des Nabat, an die Macht gekommen war, existierte [ der Götzendienst ] bis zur Deportation des Stammes nach Assur. – Man frage sich aber nicht, ob es möglich gewesen wäre, ihnen diese ihnen lieb gewordene Geistesha ltung in der Zeit der Propheten, der Tora-Lehrer

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und rechtmäßigen Priester aus der Nachkommenschaft Aarons, auszutreiben. Diese Frage ist zwar schon in der rabbinischen Tradition erörtert worden (vg l. das Ende des Traktates Zevaḥim und bMeg 10b), doch war man dama ls gezwungen, dem Einzel nen und der Öffentlichkeit den Ku lt auf den A nhöhen zu gestatten, und es brachten auf ihnen sogar Nichtjuden Opfer dar, und offensichtlich wollten auf ihnen besonders ihre A nführer Opfer darbringen. Ja, dem Litera lsinn der Schrift nach zu urtei len, haben auch Samuel, Sau l, David und Sa lomo auf ihnen geopfert. Dies wird den Betrachter jedoch nicht weiter verwundern, denn sogar der Belagerer Sanherib versuchte, die Herzen des Vol kes mit einem Hinweis auf Hiskia, den Gerechten, umzustimmen. Denn es war ja Hiskia gewesen, der ihre Ku lthöhen zerstört und gefordert hatte, sich nur noch vor einem A ltar niederzuwerfen. Es verwundert vielmehr, dass sogar noch in viel späterer Zeit, a ls der Götzenku lt bereits vollständig ausgemerzt worden war, in Ägypten der Tempel des Onias errichtet werden konnte, in dem es Opfer und Priester vom Stamme Aarons gab, die sogar ihren Tempel-sheqel und ihre Gaben nach Jerusa lem sandten, was noch zu erläutern sein wird.

Doch kehren wir zu der uns hier interessierenden Zeit zurück : die Tage der R ichter. Wir müssen feststellen, dass, auch wenn die meisten von ihnen mit dem Heiligtum von Shilo verbunden waren, sie dennoch in den individuellen Ku lt zurückfielen, was dazu beitrug, nach und nach den engen Verbund der Stämme aufzulösen. Das Übel, welches daraus folgte, war, dass ohne Weisung und ohne einen Priester, der von erwäh ltem Orte aus a llein hätte A nweisungen hätte geben können, langsam immer mehr Fremdku lte genährt wurden, bis es so weit kam, dass Feinde aus Nah und Fern ihre Städte kürzere oder längere Zeit belagerten. Doch jedes Ma l ließ der Herr in seiner Gnade rettende R ichter unter ihnen erstehen, wobei die Bedeutung der Bezeichnung „R ichter“ darin besteht, dass es sich um einen die Einheit fördernden Führer handelte, der a lle Stämme zusammenführte und in Streitfä llen sch lichtete.

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So findet sich etwa in einem frühen Siegeslied die K lage über den Zwist unter den Stämmen und über ihre Zurückha ltung beim K rieg und der Rettung. Auch in dem [ Bericht von dem ] Sieg Gideons ist (ein Hinweis auf den) Neid unter den Stämmen entha lten, und die Geschichte über den Bruderkrieg wegen einer Magd in Gideon ist ebenfa lls hin länglich bekannt. – Doch trotz dieser zah lreichen Störungen konnte der Geist im Vol ke wachsen, und der Zusammenha lt der Nation erstarkte. Zu dieser Zeit wurde auch die erste Samm lung religiöser Poesie unter dem Namen Sefer haYashar [ Buch der Rechtschaffenheit ] (vgl. 2 Sam 1,18) vollendet, und ein k leiner Abschnitt dieser Schrift ist zu Beginn des Siegesliedes des Josua erha lten : Sonne, steh still zu Gibeon und Mond, im Tal Ajalon ! usw. ( Jos 10,12) bis zu bis das Volk gegen seine Feinde aufgestanden ist (ebd.). Ein weiteres Lied begann mit : Man solle die Leute von Juda das Bogenlied lehren (2 Sam 1,18). Im Debora-Lied werden auch noch einige vom Stamm Sebu lon erwähnt, die den Stab hielten [ vgl. R i 5,14 ]. Dama ls gab es auch schon Geschichtsbücher, die die levitischen Aufseher aufgeschrieben hatten und die mit den übrigen Bundesbüchern und anderen wertvollen Schriften zum Herrn nach Shilo gebracht wurden. Was uns auf diese Weise aus den wenigen Schriftstücken, die uns aus dieser fernen Zeit erreichten, gezeigt wird, ist, dass die Nation sowoh l auf politischem a ls auch geistigem Gebiet Erfolg hatte (man bedenke auch, dass der Segen Jakobs über seine Söhne sich hauptsäch lich auf diese Zeit bezieht), bis zur Zeit Samuels aus Ramatayim. Er bemühte sich so außerordentlich zugunsten des Vol kes Israel, dass er an zwei Stellen in der Schrift sogar mit Mose verglichen wird. A ls sich aber das Gerücht von der Zerstörung des Hauses in Shilo und der Flucht der sündigen Priester verbreitete und in der Folge die Lade in Juda von Stadt zu Stadt gebracht werden musste, da vermehrte sich umso mehr der individua listische Ku lt, und es wurden an jedem Ort k leine bamot für den Einzel nen und die Öffentlichkeit errichtet, | wie es in der Schrift heißt : Von den Türmen Ägyptens1 bis zu den festen Städten (2 Kön 17,9). Übera ll opferten sie täg liche Opfer und Opfer 1 K rochma l

l iest hier ‫ מצרים‬statt wie im masoretischen Text ‫נצרים‬.

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für die ganze Familie (obwoh l sie gemäß dem Wortlaut der Schrift in jenen Tagen noch kein Fleisch aßen). Es wäre sicher dazu gekommen, dass die Verbindung unter den Stämmen völlig aufgegeben worden wäre, wenn nicht Samuel, Gottes treuer Prophet, a lles durch seine Gerechtigkeit und die Größe seiner Weisheit gerettet hätte. In seinen Tagen verließen sie die Fremdgötter, und ganz Israel folgte dem Herrn. Die aaronitischen Priester aus den Familien des Elieser und des Itamar, die besonders unter den Priestern der Ku lthöhen, die zum größten Teil nicht aus der aaronitischen Priesterschaft stammten, gelitten hatten, wurden dama ls unter dem Namen der levitischen Priester vereinigt (doch auch sie blieben nicht von der Sünde des individua listischen Ku ltus verschont, und nur die Nachkommen des Pinchas und des Zadok blieben in Bezug auf den Ku ltus makellos, wie es im Buch Ezechiel erläutert wird). A nscheinend gründete Samuel für a lle Nachkommen Itamars, die zuvor in Shilo gedient hatten, eine Niederlassung in der Stadt Nob. Diese bestand wieder nur aus einem hei ligen Tisch und einem A ltar; die Bundeslade verblieb in Qiryat Ye’arim. Er sammelte die Leviten, die auch Tora-Lehrer und Samm ler a ller Erkenntnisse des Vol kes waren, und untertei lte sie zur Zeit Davids in Abteilungen, wie es geschrieben steht : David und Samuel, der Seher, – vor ihm – hatten sie in ihr Amt gesetzt (1 Chr 9,22). Gleichermaßen bemühte sich der Seher, eine Niederlassung in der Stadt Rama zu gründen, eine Schu le für den Prophetennachwuchs, in der sie unterrichtet und vorbereitet werden sollten, fa lls der Geist des Herrn über sie kommen sollte. Wie die Schrift berichtet : Und sie sahen die Schar der Propheten in Verzückung und Samuel an ihrer Spitze (1 Sam 19,20). Vor seiner Zeit hieß es dagegen : Das Wort des Herrn war selten, und es gab kaum noch Offenbarung (1 Sam 3,1). Durch diese beiden wichtigen Verordnungen wies er den Weg und legte den Grundstein für den nationa len Reichtum in der ba ld darauf folgenden wichtigen Phase. Noch immer ohne einen König und ohne einen Tempel, war der Kontakt unter den Stämmen immer noch locker, besonders nachdem der Seher a lt geworden war und seine Söhne nicht seinem Beispiel folgten, wie an dem Vorfa ll um die Männer aus Jabesh

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Gilead, die in große Not geraten waren und denen niemand zu Hilfe kam, deutlich wird. A n diese Lage erinnert der Vers : Es war aber kein Schmied im ganzen Lande Israel zu finden (1 Sam 13,19); als nun der Tag des Kampfes kam, wurde kein Schwert noch Spieß gefunden in der Hand des ganzen Volkes (1 Sam 13,22) (das bedeutet, der süd liche Teil des Landes wurde durch die Philister besetzt geha lten, und sie hatten einen Aufseher in Gibea ernannt, der erst viel später von Jonatan getötet worden ist). Daher versammelten sich die Ä ltesten Israels in Ramatayim, und sie riefen dort einen König aus. Den genauen Verlauf des Geschehens, wie sie ihn auswäh lten und zum König einsetzten, wie er dann das Königtum nach seinem ersten Sieg über die A mmoniter erneuerte und die Stätten in Miṣpe und Gilga l, den bekannten Orten für Heiligtümer, ordnete und die Königsbund-Bücher niederschrieb und sie vor dem Herrn niederlegte und wie er seinen beeindruckenden Lebenslauf beschrieb, dies a lles ist bekannt und niedergeschrieben in den Büchern, die auf seinen Namen lauten. Er konnte noch damit beginnen, sie selber niederzuschreiben, vollendet wurden sie jedoch von den Propheten, die nach ihm kamen. König David war ein K riegsheld von seiner Jugend an; dennoch verlief seine Herrschaft, wie es Heilspropheten vorsahen, und er widersetzte sich ihnen nicht wie Sau l. Den schwersten und hartnäckigsten Feind jener Tage konnte er, nachdem er ihn dreima l gesch lagen hatte, unterwerfen : die Philister. Auch Edom, Moab, A mmon, Adam und das [ Land ] nahe Damaskus konnte er erobern und dort Gouverneure für die Einnahme des Tributes einsetzen. Auch die Könige des fernen A ram, die seinen Erfolg beneideten und ihn in schwere Kämpfe verwickelten, konnte er zweima l sch lagen, bis ihm Gott Frieden von a llen seinen ihn umgebenden Feinden gewährte. Zu A nfang herrschte er von Hebron aus, der a lten Hauptstadt seines Stammes. Nach den erwähnten Siegen strömten jedoch a lle Stämme Israels zu ihm, und er sch loss mit ihren Ä ltesten dort einen Bund vor dem Herrn (auf einer Ku lthöhe), und sie sa lbten ihn dort zum König über Israel. Und er verfügte sogar über eine besondere Truppe, die immer zum Einsatz bereit war, drei-

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ßigtausend Mann. Nachdem er die Festung Jerusa lems von den Jebusitern erobert hatte, wurde die Stadt mit Israel vereinigt, und er ordnete an, dass dort der Herrschersitz über ganz Israel errichtet werden sollte, auf dass er die Basis für den Zusammenha lt der Stämme bildete. Später errichtete er auf dem Berg Moria einen Altar und brachte auf ihm gemäß den Worten des königlichen Propheten Gad Opfer dar. Er hatte sogar besch lossen, dort einen Tempel zu errichten, da dieser Ort der Platz war, an dem Isaak geopfert 47 werden sollte, und er beabsichtigte, dass wegen dieses | einen Heiligtums a lle anderen Ku ltorte, die oft ein Grund für das Scheitern Israels gewesen waren, verschwinden sollten. Doch der Prophet Gad hinderte ihn daran, wie es heißt : Denn du bist ein blutbef leckter Mann usw. (2 Sam 16,8), doch der Grund, den Sa lomo dem Hiram in Erinnerung ruft, warum er nicht den Tempel bauen konnte, ist, dass ihn so viele K riege beschäftigt hatten; doch vielleicht spielte auch die Sorge eine Rolle, der rechte Zeitpunkt möge noch nicht gekommen sein, dass die meisten noch nicht von ihrem geliebten Privatku lt lassen wollten; oder auch die Befürchtung, was aus den oben erwähnten hei ligen Orten, die bereits den Vätern hei lig gewesen waren, werden würde, mag eine Rolle gespielt haben. Denn Gott spricht : Es könnte das Volk gereuen (Ex 13,17). – Gepriesen sei, der die Herzen prüft ! In den Tagen Sa lomos lag dann die eigent liche Blütezeit (was bereits der Midrash so schön zu erläutern weiß und auch der Zohar andeutet1), d. h., die guten Eigenschaften des irdischen wie des geistigen Israels gelangten zu ihrem Höhepunkt. Gott gelang es, die Stämme durch den gemeinsamen, von aaronitischen Priestern und Leviten vollzogenen Ku lt an einem von ihm erwäh lten Ort zu verbinden. Dies war das Erbe der Herrschaft Davids, die zu Ruhe und Woh lstand geführt hatte. Es mehrten sich die architektonischen Maßnahmen, die Unternehmungen, die Wissenschaften blühten, und der Handel zu Lande und zu Wasser f lorierte, sowoh l zum Woh le des Königs a ls auch zum Woh le des Vol kes. R hetorik, Poesie, Philosophie und die höheren Wissenschaften be1 Vg l.

Shem R 52,4 (82c); bSan 104b; Zohar I 29a.

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gannen, wie bereits in den Tagen Samuels so auch in den Tagen Davids aufzublühen, und sie gelangten in jener erfolgreichen Zeit zur Vervoll kommnung. Dies wird a lles aus den Schriften und aus der Tradition deut lich, warum es nicht notwendig ist, dies hier auszubreiten. Damit enden die Tage der zweiten Phase der Nation, die wir die Zeit der Stärke und der Wirksamkeit genannt haben. Sie dauerte vom Einzug in das Land bis zum Tode Sa lomos; gemäß dem in der Schrift Überlieferten, a lso 477 Jahre.1 3. Nach dem Tode Sa lomos begann der Niedergang, das Wel ken und Dahinschwinden jener guten und dauerhaften Verhä ltnisse. Denn noch in den Tagen des Königs wich die Eifersucht nicht von den Stämmen, und es entstanden zwei große Parteiungen : Juda und Benjamin auf der einen, Ephraim und die anderen auf der anderen Seite, wie es in einer Prophetie heißt : Und der Neid Ephraims wird aufhören und die Feindschaft Judas ausgerottet2 werden ( Jes 11,13). Die Eifersucht brachte den Hass und die [ gegenseitigen ] Vorwürfe, sowoh l gegen die Söldnertruppe des Königs a ls auch gegen die hohen Ausgaben des Königs, die die Stämme zu tragen hatten; sie waren höher a ls die eigenen Ausgaben und die, die unter Sa lomo noch erhöht worden waren, nachdem er Gouverneure in den Provinzen und den Städten eingesetzt hatte. Doch diese Steuer wurde zur schweren Last und zu einem harten Joch für a lle, die keinen Nutzen aus der langen fried lichen Herrschaft des Königs zogen. Doch besonders bezog sich die Eifersucht auf die Stilllegung der Ku ltorte und Versamm lungsorte an hei l iger Stätte, die in den Stammesgebieten verstreut lagen; besonders, nachdem der König sich mit den Nachbarvöl kern zu verheiraten begann und ihnen zugestand, ihre eigenen Ku ltorte zu errichten. Daher verringerte der Herr noch in den Tagen Sa lomos das Gebiet Davids und seines Vaters, und er nahm ihnen A ram, Damaskus und Edom. Umso 1 Vg l.

zu dieser Berechnung Seder ʽOlam R abba ha-sha lem, hg. v. Weinstock, 244 zu SOR 15. 2 K rochma l erk l ärt das Wort ‫ יצור‬durch die Wendung ‫( וכעסתה צרתה‬1 Sam 1,6).

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mehr wurde der Zusammenha lt aufgelöst, a ls nach ihm ein törichter Sohn an die Macht kam. Ephraim spa ltete sich ab, und das Königreich zerfiel in zwei Teile. Dies war ein tiefer R iss im Schutz für Israel, in dem schönen Bau, den Samuel und David errichten wollten, und die Quelle für a lle Übel brach hervor : die Preisgabe einer gemeinschaft lichen Ordnung und die Missachtung des Geistes, wie wir es oben beschrieben haben. Denn Jerobeam errichtete mindestens zwei neue private Opferstätten : in Betel, dem Ort, der bereits Jakob a ls heilig gegolten hatte, und in Dan, dem Ku ltort, der mit dem Sieg des Abraham in Verbindung gebracht wurde. Die aaronitischen Priester blieben jedoch wie die das [ einfache ] 48 Vol k unterweisenden Leviten | dem Hei l igtum von Jerusa lem treu. Doch a ll die Gebildeten verließen ihr Erbteil und ihren Besitz und zogen nach Juda, woraufhin Jerobeam Priester aus dem Vol ke ernannte. Darüber spottete aber sogar ihr Oberhaupt, der König von Juda : Wer da kam mit einem jungen Stier und sieben Widdern, um sich die Hand füllen zu lassen, der wurde Priester derer, die nicht Götter sind (2 Chr 13,9). Und dennoch wurde es Jerobeam leicht gemacht, denn auch in späteren Zeiten dienten viele Leviten und Israel iten auf den Höhen. Nicht nur das, sondern sie änderten auch den Ka lender, der in Jerusa lem in Gebrauch war, wie es in der Schrift berichtet wird, dass sie das Fest des 8. Monats im 7. Monat zu feiern begannen. Außerdem ließ er den Innenraum seines Tempels verändern. Die Schrift berichtet uns dann auch, dass er Stiere anfertigen ließ (vielleicht anstelle der Keruvim im Stiftszelt ?). Er reformierte a lso den Ku lt für den Herrn, den Gott Israels, doch dies geschah in ketzerischer Weise und außerha lb des in der Tora Erlaubten. Möglicherweise verfä lschte er sogar die Tora; zumindest nahm er sie nicht vollständig an, so wie die Rabbinen zu Recht nicht aufhörten, sich über die Samaritaner [ d. h. die Bewohner Ephraims ] zu bek lagen (deren Existenz ohne Zweifel auf die Sünde der Sch lange Jerobeams zurückzuführen war) : „ Ich sagte zu den Schriftgelehrten der Samaritaner : Ihr habt eure Tora verfä lscht“ usw. (ySot 7,3 [ 21c ]). Es bl ieb a lso nicht bei der großen Sünde, die Jerobeam veran lasst hatte, und das Übel verbreitete sich schnell. Der Götzen-

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dienst verblieb auch nicht an diesen beiden Orten a llein, sondern binnen weniger Tage kehrten auch die a lten (Priester) der bamot an ihre Orte zurück, und die Ku lte vermehrten sich. Überdies hielten die Verehrung von fremden Göttern sowie Irr- und Aberglaube Einzug; sie hatten die zehn Stämme schon immer stärker betroffen a ls Juda. Es lässt sich in dieser Phase genau erkennen, dass mit dem Niedergang des Glaubens auch die Sitten verrohten. Es mehrten sich Aufruhre, und die Herrscher wurden ermordet; jeder Funke der Erkenntnis und der Befähigung erlosch, und die Geschichtsschreibung wurde eingestellt. Jede Beziehung zu den positiven Seiten in Ephraim wurde unterbrochen; selbst die großen Propheten Elia und Elisha, Hosea und A mos konnten mit a ll ihrer Prophetie dieser Entwick lung nicht entgegenwirken. Ihre A nk lagen vermochten nicht mehr zu erreichen, was Gott durch Samuel aus Ramatayim erreicht hatte. Auch die vier Könige des Hauses Jehu hingen weiter dem Fremdku lt an, wie ihn Jerobeam begründet hatte. Sie hatten anscheinend sogar Erfolg, und es gelang ihnen in der dritten Phase ihrer Herrschaft, Einheit herzustellen. Doch auch sie vermochten nicht den a llgemeinen Niedergang aufzuha lten, den Einschnitt in a llen grundsätzlichen Belangen, der sich seit der Teilung in Bezug auf den Glauben und die Herrschaft vollzogen hatte und bis zur Deportierung der Stämme durch die Könige Assurs nach Nordost-Asien andauerte. Von ihnen blieb nichts übrig, nur das, was die Priester und Propheten in Juda über sie zu berichten wussten, so wie es in einer herzerweichenden Geschichte in 2 Könige 17 über das Verschwinden eines Großteils des Vol kes berichtet wird. Bis zum heutigen Tag ist ihr Schicksa l ungek lärt – ob sie sich in Nichts auf lösten oder sich den fremden Völ kern ansch lossen, oder ob sie sich wieder sammelten und nach und nach zu unserer Nation zurückkehrten. In Juda und Benjamin verlief die Geschichte nicht so negativ. Die Früchte der Taten Samuels, Davids und Sa lomos gingen nicht gänzlich verloren. Der Geist des Glaubens blieb unter den aaronitischen Priestern und den Zadokiden, den Tora-Lehrern und Tempeldienern rein erha lten. Sitte und Verstand (auch wenn die übrigen Stämme darüber spotteten, wie es geschrieben steht und wie

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es sich in vielen Psa l men und Gedichten widerspiegelt). Durch die Propheten wurde der universelle Geist bewahrt, und ihre Schüler schrieben ihre Prophetien in Bücher. Sie verfassten auch Geschichtsbücher über die Geschichte des Vol kes und die einzel ner Könige, oder sie fassten längere Bücher zusammen, die dann im Tempel aufbewahrt wurden und anscheinend erst mit ihm verbrannt sind. Diese Zusammenfassungen wurden auch im Vol k bekannt, sodass es von den Taten Gottes erfuhr, wie es heißt : was wir gehört haben und wissen usw. (Ps 78,3). Es gab aber auch kurze 49 förderl iche und große Zeiten, wie die Tage | Jehoshafats. Besonders war aber die Zeit Hiskias eine Zeit der Tora-Erkenntnis und des Studiums der Bücher, unter guter Führung und staat licher Erneuerung, eine Zeit, in der sich die Könige Assurs ruhig verhielten. Der Lohn dafür blieb ihnen jedoch nur kurze Zeit bis in die Zeit Josias, wie es in der Schrift steht und überliefert ist. Dies braucht hier daher nicht weiter ausgeführt werden; dennoch konnten a ll diese den Verfa ll nicht mehr stoppen, den die Reichsteilung nach sich gezogen hatte, und die Quelle des Übels, aus der große Mengen üblen Wassers hervorquollen, konnten sie nicht mehr versch ließen. Die günstige Situation und das Wiedererstarken in den Tagen Sa lomos haben dann recht ba ld nach seinem Tod den Neid der Ägypter auf sich gezogen. Sie haben daraufhin von Israel nicht nur wieder viel [ Land ] weggenommen und entkräfteten es dadurch, sondern sie ließen auch viele nach Ägypten deportieren und schwächten so [ z usätz lich ] die kommenden Generationen. Es entstanden zu jener Zeit, nachdem die schwächeren Feinde Israels besiegt worden waren, zwei große und schreck liche Gegner : auf der nordöst l ichen Flanke Assur, später Babylonien, auf der südwestlichen Ägypten. Obwoh l der Fremdku lt in Juda nicht so stark ausgeprägt gewesen war wie bei den zehn Stämmen, lernten sie von ihnen den Privatku lt und kehrten so langsam wieder auf die Ku lthöhen zurück. Einige der einfä ltigen Könige wie A has, Manasse und Jojakim gedachten, ihre Lage hierdurch zu verbessern, indem sie den Götzendienst an mehreren Göttern zu imitieren suchten. Doch hatten sie damit keinen Erfolg, denn es gibt

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für Israel keine andere Rettung, a ls dem Herrn anzuhängen und a ls die Einheit – ohne jeden Götzendienst –, wie es ihnen überliefert worden ist. Dies ist mit der Existenz der Nation, mit ihrem Heil und ihrem Woh lergehen eng verbunden. Davon entfernten wir uns aber, wenn wir den Gesetzen der Völ ker nachfolgen, jedes Ma l, wenn Notzeiten über das Vol k hereinbrechen. Die einfä ltigen Könige konnten aber nicht einma l das verstehen, was ein nichtjüdischer Prophet zu ihnen sagte : Siehe, das Volk wird abgesondert wohnen und sich nicht zu den Völkern rechnen (Num 23,9). Und so folgten jene Geschichten und Begebenheiten, in denen das ganze Gebäude langsam zerstört wurde, wie mit dem Schwinden des Glaubens auch die Sitten verrohten und daher viel unschu ldiges Blut derer vergossen wurde, die an Gott festhielten, wie dann auch der Geist der Erkenntnis schwand und wie man sich gegen den Rat der wahren Propheten sträubte ; die fa lschen Berater, die sich einschmeichelten, wie die Irrlehrer, die das Vol k ständig täuschten, und wie sich ihr Geist festsetzte und sie immerfort ihren Sinn entweder Babylonien oder Ägypten zuwandten, wie sie sich den Kopf zerbrachen und wie sie sich über die Grenzen des Landes hinaus verbreiteten, bis sie sich fast aufzu lösen begannen, doch wie auch angesichts a ll dieser Verluste nicht jeg liches Vermögen verloren ging, sondern sie begannen, in der Umgebung um Spenden zu bitten und danach suchten, ein neues staat liches Gemeinwesen in Miṣpe zu gründen, in einem berühmten Ort, nörd lich und näher an Babylonien gelegen, mit Geda lja ben Achikam a ls A nführer, dem die Cha ldäer woh lgesonnen waren. Doch so nahm im Vol k der Geist der Verwirrung überhand, und ihre Staatslenker ließen keinen Rest übrig, sondern sie vergrößerten nur noch die Zah l der Vertriebenen ins Unend liche und ließen die Diaspora anwachsen – a lle diese Begebenheiten werden in den relativ kurzen Büchern der Könige geschi ldert. A lle [ Bücher der Vorderen und Hinteren ] Propheten und die K lagel ieder des Jeremia sind im Geiste Gottes geschrieben. Sie sollen für uns Zeugnis und Hinweis auf das Gesch lecht der letzten Tage sein, wie es heißt : Höre auf Rat und nimm Zucht an, dass du in deinen letzten Tagen weise seiest (Spr 19,20).

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Und damit ist die d r it te P h a se beendet, die Zeit des Verschwindens und der Vergäng lichkeit, die sich vom Tode des Salomo bis zur Ermordung Geda ljas erstreckte. Nach der Baraita [ Seder ‛Olam Rabba ] dauerte sie 375 Jahre.1

1 Nach

bAZ 9a; bA rakh 12b u. a. dauerte die Zeit des E rsten Tempel s 410 Jahre. Sa lomo regierte vierzig Jahre (SOR 16 [ hg. v. R atner, 34a ]). Die Ermordung Geda ljas ( Jer 41,1 – 3) erfolgte nach SOR 26 (hg. v. R atner, 60a) am 3. Tishri, dem traditionellen Fasttag zur Erinnerung an dieses Ereignis (nach bRHSh 18b). Zum Problem vg l. A zariah de᾽ Rossi, L ight of the Eyes, 431 – 436.

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Die Zeiten des ewigen Vol kes

(Fortsetzung des Vorangegangenen)1 Und ich will meinen Geist in euch geben, dass ihr wieder leben sollt, und ich will euch in euer Land setzen. (Ez 37,14)

Mit [ den oben zitierten ] Worten antwortete der Prophet im Exil am Flusse Kebar in Babylonien, a ls man ihn fragte : Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere [ Erwartung der ]2 Hoff nung ist verloren (Ez 37,11) – können diese Gebeine wiederbelebt werden ? (Ez 37,3) – A nscheinend bestand angesichts der ungeheuren Zerstreuung Israels in a lle Gegenden Asiens A n lass zu dieser Frage. Auch war es fraglich, wie sie nach der Zerstörung eine neue Gemeinschaft, sei es in Israel oder in Ägypten, bi lden sollten. A lle blieben sie verstreut und vereinzelt, und nur im Land der Cha ldäer [ Babylonien ] gelang es ihnen, gleich zu Beginn eine nennenswerte Gemeinschaft zu bilden, die die Gemeinde der gola (Esra 10,8) aus Judäa genannt wurde. Es fiel ihnen jedoch sehr schwer zu g lauben, dass von diesem einfachen [ Niederlassungs ]punkt aus wieder ein neuer Vol ksgeist erstehen könnte, durch den die Samm lung der Verstreuten, die Einung zu einer Gemeinschaft gelingen und die Wiederbegründung ganzer Gemeinden erreicht werden könne. Denn nur, wenn sich die A ktivität dieses Geistes verstärken würde, könnten auch die diversen Gemeinden durch ein Band verbunden und so der Niedergang aufgeha lten werden, denn nur dann würden sie wieder zu einem großen Vol k und zu einer richtigen Nation wie zu A nfang werden – verg leichbar einem großen geistigen Körper mit seinen vielen verschiedenen Gliedern. Dies stimmt jedoch nicht 1 Vgl.

Meyer, Ideas of Jewish History, 209 – 212. Wort feh lt im masoretischen Text und ist in der von Wol f herausgegebenen Ausgabe gestrichen. 2 Das

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mit dem Vorangegangenen überein, denn durch die K raft und die Stärke des Vol ksgeistes wird Lebenskraft und Stärke den durch Bedrängnisse Müden verliehen und die Sch lummernden werden aufgeweckt und die Zerstreuten geeint. Darauf antwortet die anfangs [ a ls Motto ] zitierte Zusicherung des Propheten. Denn das Wort Gottes hat Macht, d. h. auch im K reise dieser gola kann es das Gewünschte vollenden helfen. Zudem antwortete er noch denen, die an dem Gedanken der völligen Zerstreuung und dem Aufgehen unter den Völ kern festhielten : Was euch in den Sinn kommt, wenn ihr sagt : Wir wollen sein wie die Heiden usw. (Ez 20,32), wie es unsere Weisen [ d ie Rabbinen ] zusammenfassend (vg l. SifBam shelaḥ lekha [ 115 (128) zu Num 13,2 ]; bSan 25a1) empfeh len : (R abbenu Yeḥezqi’el) „Wenn ein Herr seinen Sk laven verkauft, haben sie denn noch etwas untereinander, der eine mit dem anderen zu tei len ? “ (bSan 105a). Siehe, es werden die Tage kommen, und eure Geschichte wird die Wahrheit dieser Prophetie erweisen, denn das Wort des Herrn kehrt nicht leer zurück [ vgl. Jes 55,11 ]. An dieser Stelle lohnt es sich, auf den bedeutenden Unterschied zwischen dem Charakter des Geistes, wie er sich in den Anfangszei51 ten der Nation darstellte | – wie wir ihn zuvor dargestellt haben –, und dem Charakter, in dem er sich zunehmend in unserer Zeit ausprägte, darzustellen. Tatsäch lich kann man ja von nun an von einer zweiten Phase des Keimens und Wachsens der Nation sprechen. Und dies, obwoh l die Nation zuvor an das Wohnen an einem Ort und an die Niederlassung auf dem gottgegebenen Eigentum gebunden war, sodass sie eine einheit liche ku ltische und rechtliche Gemeinschaft vor Gott darstellte. Außerdem wurde die Einheit der Gemeinschaft durch die K riege mit den sie umgebenden Völ kern, durch die Mühsa l, sich vom Joch der Feinde zu befreien, ohne die Ordnung der fremden Völ ker zu übernehmen, gestärkt. Das Gefühl der Gemeinschaft war so sehr in die Herzen eines jeden von Israel eingegraben, dass die Bewohner des Landes „Hervorgewachsene (a lso frischer Trieb) des Vol ksstammes“ genannt wurden. Er hat für sich (nimmt an sich) den Besitz Gottes angenommen. Der 1 Ich

korrigiere zu 105a, wie das freie Zitat im Folgenden belegt.

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aber aus dem Land vertrieben wurde, der meinte von sich selbst, er diene fremden Göttern, verloren und getrennt von seinem Vol k, wie ein Zweig, der vom lebensspendenden Baum abgehauen wird (Anmerkung 1).1 Zudem gab es noch die Prophetie, die Urim und Tumim [ vgl. Ex 28,15 – 30 ] sowie die übrigen hei ligen Relikte a lter Zeit; auch die große Zahl an a lten Büchern, die erhabene Dichtkunst und die sublime Redekunst in Israel, besonders zu Zeiten Samuels, Davids usw. Alle diese ga lten a ls glaubwürdige Quelle der Offenbarung und der geistigen Stärkung des Kernes [ bzw. der Elite ] des Vol kes, von dem [ dies ] auf das übrige Vol k ausstrah lte. Doch a ll jene Attribute des Geistes traten in jener neuen Phase nicht mehr so zah l reich hervor wie vorher, wenn überhaupt; denn bereits zu Beginn [ der Phase ] verringerte sich die K raft der Prophetie und verschwand sch ließlich völlig. Auch die Gesänge und Lieder, die in Hebräisch geschrieben worden waren (noch in der Zeit des babylonischen Exils gingen sie nach der A rt a ller Exu lanten zu einem Gemisch aus A ramäisch über), verschwanden in der Mitte dieser Phase nach und nach, bis sie ganz aufhörten. Dank göttlicher Gnade verblieben die Tora und die übrigen hei ligen Bücher in ihrem Besitz; denn viele von diesen waren zuvor nicht a llgemein tradiert worden, sondern wurden nur im Tempelarchiv aufbewahrt, sodass sie mit ihm verbrannten – ein Verlust, der keinen Ersatz kannte. Die heiligen Bücher aber wurden zu „versiegelten Büchern“, deren Studium Übersetzungen und Kommentare erforderten. Letzteres wog daher besonders schwer angesichts der immensen Zerstreuung, die in der Zeit der Deportierung der zehn Stämme begann und sich in der Zeit Josias auch in Juda fortsetzte, bis sich die Diaspora bis in die hintersten Winkel Asiens erstreckte, von Ägypten bis nach Äthiopien, von A rabien bis nach Griechenland. A lle haben sich der politischen Führung fremder Herrschern unterworfen, nahmen sogar an ihren Ku lten und ihren K riegen teil; zuerst bei den Cha ldäern, dann auch bei den Persern und am Ende bei den hellenistischen Makedonen, nachdem sie das Reich 1 Dieser

Hinweis auf eine A nmerkung bezieht sich auf die in Pforte 11 zusammengestellten Zusätze und A nmerkungen zu diesem K apitel.

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der Perser erobert hatten. Doch trotz dieser Mängel im Vergleich mit der Zeit des Ersten Tempels gelang es der Nation, sich in a llen Gebieten der Diaspora zu erneuern, und ein neuer kräftiger Geist kam auf, ein Geist der Weisheit und Erkenntnis, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und Gottesfurcht ( Jes 11,1 – 2). Der Geist der Weisheit und Erkenntnis (ebd.) – um den teuren Besitz in ihren Händen gegenüber den Nichtigkeiten der Heiden, in deren Ländern sie lebten, zu erkennen. Der Geist des Rates und der Stärke (ebd.), um ihre Gemeinschaft zu stärken und zu festigen, sie durch der Tora entsprechende Gebote und durch gute väterliche Bräuche zu schmücken, die ihnen so viel bedeuteten, dass sie sogar um ihrer Durchführung wi llen bereit waren, zur Not ihr Leben hinzugeben. Der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht (ebd.), um a lles zu sammeln und niederzuschreiben und zu kopieren, was von den heiligen Büchern übrig geblieben war, um es zu kommentieren und dabei den Sinn [ des Niedergeschriebenen ] zu erhellen, bis dass die Tora sich in der ganzen Diaspora verbreitet hatte und die Gebote akzeptiert und, soweit es in ihren Heimatländern möglich war, beobachtet wurden. Dies a lso ist diese beeindruckende Aus52 sicht, und jeder, der sie genau betrachtet, wird von ihr | noch mehr überrascht. Doch wird bereits in der Tora (Dtn 30) ausdrück l ich versichert, dass sie es sich nach Niedergang und Unterdrückung, nach einiger Zeit zu Herzen nehmen – selbst a ls sie sich im Land der Heiden befanden, in das sie deportiert worden waren – und zu Gott umkehren würden. Da beschnitt der Herr ihre Herzen und die Herzen ihrer Nachkommen, sodass die Zeit, in der der Geist über die Nation Oberhand gewinnen musste, hereinbrechen konnte und das eintrat, was nicht einma l die früheren Propheten hatten erreichen können. Dies ereignete sich in der gesamten Diaspora, jedoch nicht mittels Wunder und Zeichen oder unter obskuren Umständen, auch nicht durch Heldentaten oder Kampferfolge. Denn dafür fi nden sich in dieser Zeit der frühen Diasporagemeinden nicht die geringsten A nzeichen – von der Zerstörung des Tempels durch Nebukadnezar an bis zum [ Fa ll Persiens und bis zum ] Beginn der griechischen Herrschaft. Es entstand eine bemerkenswerte Ruhe,

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und die A lten und das Vol k förderten die geistige Erneuerung, indem man es unternahm, die Einheit wieder herzustellen, wie es in einer Notiz über die Gemeinschaft der Heimkehrer nach Juda angedeutet wird : Und der Herr erwecke den Geist Serubbabel s usw. und den Geist aller übrigen vom Volk (Hag 1,14); wie auch Sacharja, der Prophet, die gött liche Hil fe und den Sieg über a lle Hindernisse und den Satan zusichert : Es soll nicht durch Heer oder durch Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen spricht der Herr Zebaoth (Sach 4,6).1 Die neuen A nzeichen des Geistes und wie sich die Diaspora dem vielfä ltigen Zeugnis der Schrift entsprechend neu formierte, wird dem geneigten Leser hieran deut lich nachvollziehbar.2 Sogar in den Tagen des Tempels, in den Tagen Josias und später vermochte Gott durch seine Propheten stufenweise, mehr und mehr das Dunkel der Torheit des Götzendienstes und des Irrglaubens, der mit ihm verbunden ist, zu zerstreuen; und im ganzen Vol k loderte bis in die Zeit nach dem Exil das Flämmchen der Aufk lärung auf, und der Götzendienst wurde aus ihren Herzen verbannt und jeder Fremdku lt wurde ausgerottet. Die meisten Exu lanten waren ja Abkömm linge der Geretteten aus Juda, Gelehrte und Handwerker, und es waren viel mehr, a ls offiziell genannt wurden, unter ihnen sogar phi losophisch und naturwissenschaft lich gebi ldete Männer, die zu den bedeutenden Persön lichkeiten in den Pa lästen der babylonischen und persischen Könige gehört hatten und dort über wichtige Unternehmungen eingesetzt waren. Der letzte König, der viele Jahre in Gefangenschaft gesessen hatte, wurde entlassen und über a lle Könige geehrt, die zuvor von Nebukadnezar, dem Eroberer, gesch lagen worden waren. Die Leviten, die sich unter ihnen befanden, brachten ihre Lieder mit herzerweichenden K lagen hervor, in die sich jedoch auch Hoff nungen auf die Rettung und Tröstung mischten, wie der Psa l m an den Wasser von Babylonien saßen wir, … (Ps 137) und viele andere. Besonders gern ließen sie in 1 Vg l .

bis hier die Tei lübersetzung von Meyer, Ideas of Jewish History,

212. 2 Zum Folgenden vg l. Feiner, Haska l ah, 123, der auf die maski l ische Färbung der Darstellung hinweist. K rochma l verg leicht seine Zeit mit der Vergangenheit.

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ihnen das A nbrechen der Erlösung und den Umsturz Babyloniens ank lingen, warum diese Motive im Buch der Psa l men besonders häufig anzutreffen sind – der Gebildete wird sie kennen. Die Schrift berichtet in diesem Zusammenhang auch über ihre Gewohnheit, sich um einen großen Propheten zu versammeln : [ So heißt es einma l : ] Und die Ältesten Israels saßen vor mir (Ez 8,1). Es überrascht dabei, dass sich das Vol k in früher Zeit woh l nicht selbst mit der Tora-Auslegung befasste. Zu jener Zeit begannen sie aber auch nach der göttlichen Vorsehung und nach Lohn und Strafe zu fragen (vgl. Ez. 14), nach der Belohnung von A l mosengabe und der Vergeltung von Übeltaten (Ez 3; 18; 38), der Bestrafung von Sünden oder der A nrechnung der Vergehen der Väter oder der [ Teil habe am ] Gesch lecht der Endzeit (Ez 20 und Ez 33), [ u nd auch nach ] der Gabe der Prophetie, die immer weiter abnahm (Ez 12,22). Die Mehrheit des Vol kes begann, nachdem sie nach Babylonien versch leppt worden waren, auf ihre Lebensweise zu achten, und man bedauerte die vorher begangenen Feh ler. Unter ihnen befand sich aber auch die Tora (deren Beginn sie immer noch ohne Targum verstehen konnten, wie man auch den Reden des Propheten in der hei ligen Sprache zuhören konnte) samt der beiden Strafreden, die einen geschichtlichen Abriss bis zu der Zeit, in der wir stehen, enthä lt; die eine fi ndet sich im Buche Levitikus und endet mit dem Vers : Aber wenn sie auch in der Feinde Land sind, verwerfe ich sie dennoch nicht (Lev 26,44). Im Buch Deuteronomium endet die A nk lage mit einem Hinweis auf die Verbannung, doch gibt es in diesem Kapitel auch einen bemerkenswerten Hinweis auf die Erlösung : Wenn nun dies alles über dich kommt, es sei der Segen oder der Fluch usw. (Dtn 30,1), wenn du bis an das Ende des Himmels verstoßen wärst usw. (Dtn 30,4). | 53 – Aus a ll diesen Stellen ist ersicht l ich, dass ihnen auch leibl iche Woh ltaten zugute kamen, wie es in der Schrift heißt : Felder, Gärten, Häuser und Sk laven. Ebenso besaßen sie nütz liche geistige Pf lanzstätten, deren Vorhandensein die Gemeinschaft förderte. So wuchs die Gemeinde der Exu lanten in Babylonien in der gesamten Herrschaftszeit der Cha ldäer weiter bis der Zeitpunkt ihres Fa lls gekommen war und Persien an ihre Stelle trat. Da standen Trostpropheten auf, die zu den Herzen der Verbannten sprachen,

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getrieben von der Hoff nung auf Trost für Zion und für den Frieden im Lande ihres Aufentha ltes, die davon kündeten, dass der Tempel bei ihrer Rückkehr wieder errichtet werden würde. Solche Trostworte wurden in das Buch Jesaja aufgenommen und fi nden sich dort besonders von Kapitel 40 ff. an. Sie waren und sind für Israel wie Honig, und die Reinheit ihrer Lehre war für sie wie eine schattige Lagerstätte für den Müden und wie Wasser für den Durstigen. Mit Bedacht auf diese betrachtet der Verständige mit besonderer Aufmerksamkeit die Verbesserung des geistigen Zustandes der Diaspora (A nmerkung 2). Man muss jedoch wissen, dass die Völ ker Persiens an einen Dualismus im Himmel glaubten (Hormiz und A hormin), der in einer einzigen urtüm lichen Wurzel gründete. Sie dienten aber nicht den himm lischen Heerscharen oder den Geschöpfen der Erde und des Wassers, sondern handgemachten Göttern. Überhaupt waren ihre religiösen Auffassungen frei von üblem Götzendienst, wie es ihn unter den Ägyptern oder Babyloniern gab und den Jeremia und die [ a nderen ] babylonischen Propheten so sehr bek lagten; so ist es auch aus der Geschichte der sch lechten Rechtsentscheide belegt, die Kambyses, der Sohn des Kyrus, über die Götter der Ägypter und Babylonier traf. Weiter muss man wissen, dass sie sich, seitdem Babyloniens Macht im Schwinden war und die Könige Mediens mächtiger wurden a ls Kyrus und seine Väter, gegenüber [ a ll jenen ] Völ kern, die von Nebukadnezar und seinen Söhnen unterdrückt worden waren, gütiger zeigten. Nach dem, was einer der griechischen Schriftsteller aus der persischen Zeit berichtet, ließ Kyrus seinen Truppen befeh len, die Völ ker Syriens nicht mehr zu unterjochen. Darunter auch jene Völ ker, die in den Chroniken zu jenen gerechnet werden, die den Giftbecher aus der Hand des Eroberers Nebukadnezar hatten trinken müssen.

Von hier ab wollen wir, dem Bericht des [ Flavius ] Josephus (des Priesters) folgend, untersuchen, wie unsere Nation, die mit den Wissenschaften und den Glaubensbegriffen vertraut war, völlig rein blieb vom Götzendienst und wie sie an den wertvollen Büchern, die die Ältesten dem Kyrus zeigten, festhielt. – Aufgrund

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a ll dieser Vorkommnisse meint und g laubt man, dass sich der, der Gnade verleiht [ Gott ], durch die gleiche göttliche Führung, wie sie die Väter durch offenbare Wunder und Zeichen bei der Herausführung aus Ägypten erlebten, in seiner Größe und durch seine erste Weihe in die Herzen dieses Geschlechtes einprägte und so den Grundstein für den rechten Glauben legte, wie es heißt : Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat usw. (Ex 20,2). Und er sprach : Oder ob je ein Gott versucht hat usw. (Dtn 4,34). Die göttliche Führung spiegelt sich hier in der unend lichen Weisheit wider, die Befreiung der Kinder [ Israels ] und die Wiederbelebung ihres Geistes langsam, mittels verborgener geistiger Führung zu erreichen, ohne dafür die Naturgesetze in der Welt verändern zu müssen, wie es auch bei der Führung des Himmels und der Erde geschieht. Anscheinend gab es zu Beginn der Befreiung einige, die astrologische Zeichen deuteten; andere speku lierten auf Hinterlist oder auf verborgene Geheimnisse, um zum Gewünschten zu gelangen. Darauf bezieht sich, was ihnen der Prophet verkündete : So spricht der Herr, der Heilige Israels und sein Schöpfer : Wollt ihr mich zur Rede stellen wegen meiner Söhne ? Und wollt ihr mir Befehl geben wegen des Werkes meiner Hände ? Ich habe die Erde gemacht und den Menschen auf ihr geschaffen. Ich bin’s dessen Hände den Himmel ausgebreitet haben und der seinem ganzen Heer geboten hat. Ich habe ihn erweckt in Gerechtigkeit und alle seine Wege will ich eben machen. Er soll meine Stadt wieder aufbauen und meine Gefangenen loslassen, nicht um Geld und nicht um Geschenke usw. ( Jes 45,11 – 13). A n einer nicht weit entfernten Stelle heißt es dann, indem er nach seiner Art über den mangelnden Verstand der Völker, ihre Götter zu erkennen und zu benutzen, spottet : Alle Götzenmacher sollen in Schmach und Schande geraten usw. ( Jes 45,16). Und er fügt scheinbar [ den Götzendienern ] zustimmend hinzu : Führwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, der Retter ( Jes 45,15), um somit auf die Führung durch Gottes Geist (verborgene Wunder) bei der Befreiung hinzuweisen. So vollzog sie sich im Jahre 20 der Königsherrschaft des Kyrus, sofort nachdem die Stadt Babylonien in seine Hände gefa llen war – in den Schriften wird es das erste 54 Jahr seiner Gesamtherrschaft genannt : Der Herr erweckte … | den Geist des Kyrus usw. (Esra 1,1). Man kann diese Befreiung mit dem na-

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türlichen Pf lanzenwachstum vergleichen, [ einer Pf lanze, ] die aus schwachem Samen hervorkeimte und die zunächst geringschätzig beurteilt wurde. Denn zu Anfang erk lärten sich nur die Armen im Vol k und einige wenige Aristokraten bereit, mit der Erlaubnis des Königs ins Land zurückzukehren; es waren etwa 42.000 Menschen, ein Zehntel von ihnen waren Priester und Leviten, und nur ein Zwölftel unter den Leviten waren Priester. Der größte Teil der Exulanten blieb jedoch an seinem Ort, sodass in Babylonien, Nehardea und Nisibis eine große und bedeutende Gemeinde zurückblieb, die den Großteil der Geretteten aus Juda und aus dem Stamme Davids umfasste. Die Rückkehrer lebten nach ihrer Rückkehr nach Juda zunächst in großer Not und Bedrängnis; ihr Anblick muss sehr entmutigt haben, denn positive Verheißungen existierten noch nicht, was wir gleich erläutern werden. Denn trotz a lledem hörten die guten Propheten in ihrer durch den hei ligen Geist gegebenen Schau in die ferne Zukunft nicht auf, sie zu trösten und ihnen Heil zu verheißen, wie es in der Schrift heißt : Siehe, was ich früher verkündigt habe, ist eingetreten. So verkünde ich auch Neues ( Jes 42,9). Das ist der Hauptinha lt der Trost-Prophetien des Jesaja, Haggai und Sacharja. Nach kurzer Zeit quoll aus diesem schütteren A nfang in Jerusa lem und Juda eine starke Quelle für a lles Heilige und Geistige hervor, die auch die Diaspora mit neuer Lebenskraft versah. In der Folge richteten sich auch die Bewohner der Diaspora wieder dorthin aus, sowoh l in ihren Gedanken a ls auch im Hinblick auf ihre Taten, und [  Jerusa lem ] bildete wieder ihren geistigen Mittelpunkt. Sie sandten auch wieder Spenden und Weihegaben, sodass sich Jerusa lem in kurzer Zeit erholt hatte und wie in seinen besten Zeiten dastand, wie noch weiter darzustellen sein wird. Die A rt und Weise, wie die großen geistigen Begabungen, die sich mit der Rückkehr der Exu lanten weiter differenzierten und vermehrten und dann noch weiter zunahmen, a ls Esra und die Exu lanten mit ihm zurückkehrten – wie es in der Schrift heißt : Die Grundlage derer, die von Babylonien heraufziehen (Esra 7,9)1 –, rechtfertigt die bei 1 Der

Bibeltext ist hier nicht in der masoretischen Fassung wiedergegeben, sondern entsprechend der A rgumentation K rochma ls.

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den Propheten verwendeten Bezeichnungen, mit denen diejenigen bezeichnet wurden, die aus Babylonien heraufzogen sind. Unsere Weisen beha lten a llerdings Recht, wenn sie die vollständige Befreiung aus der staat lichen Unabhängigkeit und das daraus folgende physische Woh lergehen des Vol kes a ls göttliche „Fügung“ [ ‫ ] פקיד ה‬bezeichneten.

Juda, welches im Verlaufe zweier Generationen verlassen und menschen leer gewesen war, fanden die Rückkehrer völlig verwüstet vor. Die Gebiete der zehn Stämme waren von verschiedenen Vol ksgruppen besiedelt, wohin sie aus den Tiefen Asiens durch die Könige Assurs verbannt worden waren. Sie verbanden sich mit dem Rest des Stammes Ephraim und verschmolzen so zu einem Vol k, welches sogar die Tora zu einem Teil befolgte. Dieses Vol k wurde unter dem Namen Samaritaner bekannt; später werden sie auch Kutäer genannt. Sie beneideten und bedrängten jedoch die nach Juda Heimgekehrten, wie noch näher auszuführen sein wird. Daher verdoppelten sich die Probleme, auf die die Heimkehrer, die schon aus der dritten Generation derjenigen stammten, die das Land hatten verlassen müssen, stießen – unter ihnen sogar Ä ltere, die noch den Ersten Tempel gesehen hatten : Einerseits setzten ihnen die Verwüstung des Landes und der generelle Mangel zu, aber auch die K limaveränderung und die Gewöhnung an das Essen, die Nahrung, welche Fremden, die in ein fernes Land ziehen, bekannt l ich immer Schwierigkeiten bereitet. A ndererseits bedrängten sie die übelwollenden Nachbarn, sowoh l physisch a ls auch mit Scheltworten. Letzteres besonders, nachdem sie g leich zu Beginn den A ltar wiedererrichtet hatten und auf ihm die täglichen Opfer darbrachten, wie dies die Ha lakha erfordert : „Man bringt Opfer dar, auch wenn kein Tempel vorhanden ist“ (bZev 62a). Es wird auch berichtet, dass dieser Dienst von woh lwollenden Prophetien beg leitet wurde, wie es heißt : Da sprach Haggai, der Bote des Herrn, der beauftragt war mit der Botschaft des Herrn an das Volk : Ich bin mit euch, spricht der Herr (Hag 1,13). Und die Erläuterung seiner Worte war : Das Wort, das ich euch zusagte, als ihr aus Ägypten zogt, und mein Geist soll (weiterhin) unter euch bleiben. Fürchtet euch nicht !

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(Hag 2,5). Die hier erwähnten Propheten versicherten ihnen wie

die übrigen babylonischen Trostpropheten, dass sie sich nicht vor der Not und dem Zorn fürchten müssten, sondern dass von nun an K rankheit und Hunger ein Ende haben sollten und der Überf luss und das Gelingen a ll ihrer Hände Werk eintreffen werde und dass ihre Tage in der neuen Heimat lang werden würden. Auch wurde ein Tempel erbaut, | dessen Ruhm ba ld größer war a ls der des ers- 55 ten. Zu ihm pi lgerten sogar viele Bewunderer aus den Völ kern, und viele, die in der west lichen oder der öst lichen Diaspora lebten, sch lossen sich ihnen an und wurden zu Proselyten. Dies ist die beste Erk lärung für die Botschaften der Propheten, denn nicht ein Wort, welches die Propheten gesprochen hatten, wurde hinfä llig, a lles ist eingetreten. Auch nachdem der Tempel bereits wiedererrichtet worden war, lag die Stadt noch in Schutt und war ohne Mauer, sodass sich noch kaum jemand in Jerusa lem niedergelassen hatte. Zu Zeiten der ersten beiden Hohepriester, Josua ben Jozadak und Jojakim, seinem Sohn, hatten man sich Vororte, a lso Behausungen auf freiem Feld, auf den Feldern und in den Gärten verstreute Häuser errichtet. Untersucht man die Schrift genau, so wird deut lich, dass man schon dama ls den Wiederaufbau der Stadt und der Mauern beabsichtigte. Doch ihre Nachbarn bedrängten sie und hielten sie mit Gewa lt davon ab. Zu jener Zeit richteten sie sogar ein Schreiben an den König von Persien, doch selbst der Prophet Sacharja riet ihnen dama ls vom Bau ab, der ihm eigent lich bereits in einer Vision der Maße der Stadt und ihrer Mauern offenbart worden war. Denn so heißt es bei ihm : Lauf hin und sage diesem Mann usw. unummauert soll Jerusalem bleiben. Doch ich will, spricht der Herr, eine feurige Mauer rings um sie her sein und will mich darin herrlich erweisen (Sach 2,8 f.), damit sie nicht mehr eine zerstörte oder verwüstete Stadt für das in ihr wohnende Vol k sei. Später, in den Tagen Eljaschib, dem Sohn des Priesters Jojakin, des dritten Hohepriesters seit der Rückkehr, kam aus Susa, der Hauptstadt Persiens, der große Woh ltäter Israels : Nehemia. Er hieß mit persischem Namen Hatrashta und war in jenen Tagen ein Mundschenk des Königs [ gewesen ]. Er wurde neben wei-

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teren Beamten, deren Namen nicht erwähnt werden, Stattha lter Judas, wie der erste Stattha lter Babyloniens. Sie a lle unterstanden der Herrschaft Achashdarpans, der über ganz Transjordanien ernannt worden war, d. h. über a lle Länder Persiens, die west lich des Flusses Euphrat liegen. Sein Herkunftsort liegt nahe Tifsach [ vgl. 1 Kön 5,4 ], in Mesopotamien. Das erste, was Nehemia in die Wege leitete, war der Wiederaufbau der Stadt und ihrer Mauern. Selbst die übelgesinnten Nachbarn und diejenigen Juden, die mit ihnen Mischehen eingegangen waren, vermochten ihn dabei nicht aufzuha lten, obwoh l sie sogar so weit gingen, Lügenpropheten unter den Naziräern im Tempel anzuwerben, um ihn zu verk lagen und ihm Übel nachzureden, er wolle einen Aufstand anzettel n und sich selbst Propheten bestellen, die ihn zum König von Juda ausrufen sollten. Ihm gelang es jedoch, durch Geistesstärke und Gottvertrauen a lle A nk lagen und Hindernisse auszuräumen, sodass er zusammen mit dem Vol k die A rbeit schnell vollenden konnte. Danach bemühte er sich um das Woh l des Vol kes, doch die politische Neuorganisation lag a llein auf seinen Schu ltern. Die Abgaben für den König und die Steuern vermochte er deut lich zu senken, wie es auch die Leviten in ihrem Psa lm darlegen : Auf dem Land usw. heute sind wir Knechte und in dem Lande, das du unseren Vätern gegeben hast, seine Früchte und Güter zu genießen usw. (Neh 9,36), und sie herrschen über unsere Leiber und unser Vieh nach ihrem Willen (Neh 9,37). Zuerst erleichterte Nehemia die Steuern, indem er auf das verzichtete, was dem Stattha lter und seinen Dienern zukommen sollte. Nach seinem Eintreffen in Juda zur Zeit der niederträchtigen A nsch läge auf ihn – wodurch er fast durch irgendwelche zwielichtigen Gesta lten ins Gefängnis gebracht worden wäre –, vergrößerte sich die A rmut des Vol kes. A nscheinend gab es zu dieser Zeit kaum ein Feld, welches groß genug gewesen wäre und das sich im rechtsgü ltigen Erbbesitz befunden hätte und das dann laut Gesch lechterregister der ersten Rückkehrer, welches in einer Abschrift auch im Buche Esra zu finden ist, Eigentumsbesitz [ naḥa la ] genannt worden wäre. Dennoch erzwangen in dieser Notzeit die Reichen, die in der Schrift nur „die Freien“ oder die „Vorsteher“ genannt werden, von der Menge

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des Vol kes trotz ihres geringen Bodenbesitzes Fronarbeiten und Abgaben; oder sie verlangten einen Pfand von ihnen oder ihren K indern, oder sie versk lavten sie und ihre Frauen sch ließlich zu Feldarbeit. In anderen Quellen wird noch berichtet, dass dies auch einige Feldarbeiter betraf, die in nahegelegenen Orten wohnten. Nehemias vorbi ld liches Verha lten und sein stetes Bemühen bewirkten, dass a lle diese a lten Schu lden lasten | erlassen und auf- 56 gehoben wurden. Dies waren die Woh ltaten seiner Politik (A nmerkung 3). In Bezug auf die miṣwot der Tora und den Umgang mit dem Heiligen fand dieser Stattha lter einen Freund und eine Stütze in Esra, dem Schreiber, der bereits dreizehn Jahre vor Nehemia mit nahezu 4000 E xu lanten und vielen Geschenken der Diasporagemeinde zurückgekehrt war. Der König hatte ihm sogar ein Empfeh lungsschreiben mitgegeben, welches ihm erlaubte, Gesetze zu erlassen und R ichter in den Städten zu ernennen, ja sogar etwas von den Einnahmen des Reiches für den Tempel zu verwenden. Esra wird in der Schrift folgendermaßen beschreiben : Er war ein Schriftgelehrter, kundig im Gesetz des Herrn, auch ein Schreiber der miṣwot des Herrn und seiner Gesetze über Israel (Esra 7,6). Über ihn scheiden sich die Beurteilungen bei den Rabbinen : „Esra wäre würdig gewesen, dass durch ihn die Tora Israel gegeben worden wäre, wenn ihm Mose nicht zuvor gekommen wäre“ (bSan 21b). Wir ha lten fest, dass er die geistige Lage Israels in seiner Generation verbesserte wie Samuel aus Ramatayim zu seiner Zeit. Er ist der erste, über den berichtet wird, dass er dem versammelten Vol k an Festtagen wie Rosh haShana, Sukkot und dem a llgemeinen Fastentag [ Yom K ippur ] aus der Tora vorlas und sie auslegte, wie es heißt : Und sie legten das Buch des Gesetzes Gottes klar und verständlich aus, sodass alle es verstanden (Neh 8,8). Und weiter : Denn sie verstanden [ die Worte ] , die man ihnen kundgetan hatte (Neh 8,12). Außerdem berichtet die Schrift, dass sich die Häupter der Sippen des ganzen Vol kes sowie die Priester und Leviten bei Esra, dem Schriftgelehrten, versammelten, damit er sie in den Worten des Gesetzes unterrichte (Neh 8,13). Dies ist der A nfang der rabbinischen Lehrhäuser, für die es für die gesamte Zeit des Zweiten Tempels und auch danach Belege gibt. Darüber steht ge-

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schrieben : Denn Esra richtet sein Herz darauf, das Gesetz des Herrn zu erforschen und danach zu tun und Gebote und Rechte in Israel zu lehren (Esra 7,10). Wir können dieser Schriftstelle entnehmen, dass er nach Meinung des Rav A ḥa (ySheq 5,1 [ 48c ]) ein Gelehrter sowoh l in der Schriftlichen a ls auch in der Münd lichen Tora gewesen ist. Damit war er der erste in der Reihe der Weisen, die Soferim [ Schriftgelehrte ] genannt wurden; von ihm sieben volle Generationen bis zu Shimʽon dem Gerechten, dem Verfasser der Mishna, der wiederum Erster der Weisen genannt wurde, Lehrer der Ha lakhot, oder in A ramäisch : Tannaiten – dies werden wir weiter unten in einem Kapitel über die Münd liche Tora näher erläutern. Esra und Nehemia waren die Urheber zah lreicher recht licher Verordnungen [ taqqanot ], was im Ta lmud und andernorts oft erwähnt wird. Hier seien nur die bedeutendsten taqqanot in Erinnerung gerufen – Verordnungen, die zu hellen Leuchten auf dem Wege Israels wurden : 1.) Verbot der Mischehen. 2.) Abgrenzung von a llen Fremden und Entfernung a ller aus dem Priesterdienst, deren Name nicht im entsprechenden Gesch lechterregister gefunden wurde. 3.) Neuregelung der tora-gemäßen Priester- und Levitenantei le. Die Untersuchung der Schriftstellen und der Überl ieferung der Väter zeigt uns, dass, nachdem die Juden von a llen Enden der Welt mit wenig oder viel Besitz nach Israel zurückgekehrt waren, sich ihnen viele fremde Völ ker ansch lossen und zum Judentum übertraten, wie es auch im Zusammenhang mit dem Auszug aus Ägypten erwähnt wird : Und es zog mit ihnen auch viel fremdes Volk (E x 12,38). Auch versuchten viele, die aus a llen Himmelsrichtungen der Diaspora gekommen waren, sich die Priesterschaft anzueignen; dies geschah umso öfter, a ls sie von den Trostpropheten mittels des Geistes Gottes in gelehrter Weise ermuntert und gestärkt wurden, um ihrer Ermüdung gewahr zu werden und zu verstehen, wie es heißt : Er spricht : Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuung Israels wiederherzustellen usw. … ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht usw. ( Jes 49,6); Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen usw. ( Jes 45,23); wer gegen dich streitet, wird im

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Kampf gegen dich fallen ( Jes 54,15); siehe, du wirst Heiden rufen, die du nicht kennst, und Heiden, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen, um des Herrn willen ( Jes 55,5). Auch Sacharja, ein k leiner Prophet, der nicht viel später wirkte, prophezeite : So spricht der Herr : Es werden noch viele Völker kommen und Bürger vieler Städte usw. (Sach 8,20); zu der Zeit werden zehn Männer aus allen Sprachen der Heiden einen jüdischen Mann beim Zipfel seines Gewandes ergreifen usw. (Sach 8,23). Den Proselyten wird sogar versichert : Und der Fremde, der sich dem Herrn zugewandt hat, soll nicht sagen : Der Herr wird mich getrennt halten von seinem Volk usw. ( Jes 56,3); denen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern ein Denkmal geben usw. ( Jes 56,5); und die Fremden, die sich dem Herrn zugewandt haben, ihm zu dienen usw., die will ich zu meinem heiligen Berg bringen usw. ( Jes 56,7); denn mein Haus wird ein Bethaus für alle Völker heißen (ebd.). (Es ist belegt, dass Eljashib, der Hohepriester, für den A moniter Tobias eine eigene Abtei lung im Vorhof des Tempels einrichtete, und erst Nehemia konnte ihn nach seiner zweiten Rückkehr vertreiben.) Der Herr spricht : Ich will noch mehr zu der Zahl derer, die versammelt sind, | sammeln ( Jes 56,8). In Bezug auf die Priesterschaft heißt es : Und sie werden alle eure Brüder aus allen Völkern herbringen usw. ( Jes 66,20); und ich will auch aus ihnen Priester und Leviten nehmen, spricht der Herr ( Jes 66,21). Doch nach zwei oder drei Generationen keimte das Übel in dieser großen neuen Gemeinschaft wieder auf. Trotz a ller Verwirrung und trotz des im Vol ke fortschreitenden Niedergangs der Sitten und Bräuche sch loss sich ihm eine überraschend große A nzah l aus den Fremdvöl kern an, und sie unterwarfen sich, sodass sogar unsere Weisen eingestehen mussten : „ Proselyten sind so sch limm wie Schorf“ (bYev 47b) (was so weit ging, dass sie keinen eindeutigen Schriftbeleg für [ diese Meinung ] fanden; so sehr schadeten ihnen die Proselyten). Weiteres Unglück kam jedoch über sie, a ls sie die fremden Frauen zurückholten; d. h., sie nahmen für ihre Söhne Frauen auch von jenen „Bewohnern des Landes“ [ ʽame ha-araṣot ], die zu den üblen Nachbarn zäh lten und a ls Feinde Israels bekannt waren. Dennoch nahmen sie einige ihrer Feinde auf, um somit die Nation wiederherzustellen (zudem gaben sie ihre Töchter auch noch jenen Mitgliedern der bereits oben erwähnten Mischgruppe,

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die teilweise die Tora einhielt). Einige Frauen leichten Gemüts verließen a lso den Weg ihres Vol kes nicht vollständig, sondern verführten es, bis dass ihre k leinen K inder die Sprache Ashdods (eine Sprache der Söhne Hams) oder die Sprache der Völ ker, nicht mehr „Jüdisch“ [ yehudit ] sprachen. Damit begannen auch die Veruntreuungen der Fürsten und der A nführer, doch das Vol k fuhr fort, ihnen Gefolgschaft zu leisten. Nachdem sie aber die beiden guten, oben erwähnten Leuchten erblickt hatten, erkannten sie mit ihnen a ll die Eiferer für die Tora und zugunsten des Wiederaufbaus der neuen Gemeinde, und sie wurden gewahr, dass dies auf die Dauer das Ende der Nation an diesem verehrten Orte in Juda bedeuten würde. Der Hauptschäd ling aber war der plötzliche Zuwachs, a ls ob ein neues Vol k hinzugewachsen wäre. Daher riefen sie einen Fasten- und Bußtag aus, und sie versammelten die gesamte Gemeinde und sch lossen einen Bund mit ihnen, in dem sie die Einha ltung der Tora durch einen Schwur forderten – insbesondere aber für jene miṣwot, die übertreten worden waren : Die Heirat fremder Frauen, die Shabbat-Ruhe, das Brachjahr, die toragemäßen Priesterantei le, die jährliche Tempelsteuer und die Auslosung des Holzopfers. Und nicht nur das, sondern sie begannen auch, die fremden Frauen und ihre K inder, die aus fremden Völkern stammten, die früher absicht lich ihrem Weg Schaden zugefügt hatten, zu vertreiben (Dama ls wurde die Ha lakha eingeführt, dass die Abstammung nicht mehr wie bislang von der väterlichen Herkunft entschieden werden sollte und dass sogar die Heirat mit jemandem aus den „sieben Völ kern“ [ d ie einst im Lande Israel gewohnt hatten ] erlaubt sei, solange sie zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte; nun sollte viel mehr die Mutter für die Eignung oder Minderwertigkeit der Abstammung aussch laggebend sein, selbst wenn sie eine Proselytin wäre). Diese Entscheidung trug zu schweren Konf likten bei und sorgte für Spa ltungen und Streit in den Familien, was sch ließlich auch zur Errichtung einer abgesonderten Ku ltstätte auf dem Berg Garizim führte. Der Verständige wird bemerken, dass dieser Bund in A n lehnung an die Bundessch lüsse, die Mose am Sinai und in Moab sch loss, oder in A n lehnung an den Bund des Josua in Sichem oder den einiger guter Kö-

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nige Judas gesch lossen wurde. Und dennoch konnte sich auf diese Weise doch noch das Gute aktua lisieren, was in dem Worte verkündigt wird : Jeder, der nicht diesem Bunde beitritt, wird vom Vol k Gottes getrennt werden, von nun an bis in Ewigkeit [ vgl. Dtn 29,20 ]. Daher wurden von nun an die Priester ohne Herkunftsnachweis vom Ku ltus ausgesch lossen, sodass verhindert würde, dass das Gebot von fremden Priestern übertreten werde, wie zu der Zeit a ls die zehn Stämme im Lande wohnten. Nehemia erbarmte sich jedoch über diese Priester, beließ ihnen sogar ihre Priesterhebe und den Zehnten; auch verbot er ihnen nicht den Ku ltus in den Vorhöfen und den Verzehr des Geheiligten, bis zur Verteilung der Urim und Tumim. Dies besagt dann der Vers : Und sie schlossen alles fremde Volk aus (Neh 13,3). Über die Neuordnung der Priesterantei le wird zunächst nur berichtet, dass es dama ls viel mehr Priester a ls Leviten gegeben hat. (Entsprechend der Zah l der Vaterhäuser der ersteren, die in der Tora erwähnt werden, erscheint es jedoch richtiger, | dass sie nur ein Vierundzwanzigstel des Stammes Levi aus- 58 machten. Doch die Leviten waren gegen Ende des Ersten Tempels bereits so verarmt, dass sie zu den Proselyten und Notleidenden gezäh lt wurden und im Verlaufe der Zeit zah lenmäßig immer weniger wurden.) Daher verordnete man von A nfang an, die Leviten mögen den Priestern den zehnten Teil ihrer Hebe geben, was in der Tora der Zehnte genannt wurde und was in dem erwähnten Bundessch luss heißt : Den Zehnten des Landes für die Leviten (Neh 10,38); und ein Priester, ein Sohn Aarons, soll bei den Leviten sein (Neh 10,39). A ls Nehemia zum zweiten Ma l aus Persien zurückgekommen war und sah, dass den Leviten – ohne Zweifel behindert von den Priestern – der Zehnte nicht vollständig entrichtet worden war und sie aus Jerusa lem gef lohen waren, da versammelte er sie und stellte sie wieder auf ihren Posten, indem er von neuem eine Verordnung erließ : Die Priesterhebe solle direkt zum Heiligtum des Herrn gebracht werden, und von dort würde sie an die Leviten verteilt werden. Der Zehnte an Getreide, Wein und Most sollte vom Vol k an besonderen Speichern abgegeben werden. Über sie wurden zuverlässige Priester und Leviten ernannt, die es von dort an ihre Brüder vertei len sollten. Außerdem ließ er den Ha lb-sheqel für die Tempelsteuer

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gemäß dem Geldwert in einen Eindrittel-sheqel verringern. Über a lle diese Verordnungen gibt es jedoch bei den Rabbinen unterschied liche Meinungen. Bereits in der Bibel waren diese Kapitel im Übrigen vertauscht worden – woh l weil diese Verordnungen so oft wiederholt und erneuert worden waren. Da wir hier nur die Hauptsachen erwähnen wollten, können wir uns damit jedoch nicht länger aufha lten. Nachdem Nehemia zwölf Jahre Stattha lter gewesen war, ist er aus unbekanntem Grunde zu seinem verehrten König zurückgekehrt. Doch die Liebe zu seiner Nation war damit nicht erloschen, und nach wenigen Jahren kehrte er nach Jerusalem zurück und erließ weitere Verordnungen gegen die ihm bekannt gewordenen Missstände und Verstöße. Nach der Generation Nehemias des Stattha lters und Esras des Schreibers stand Eljaschib auf, der dritte Hohepriester des Zweiten Tempels. Danach werden noch drei weitere Hohepriester erwähnt : Vater, Sohn und Enkel, die bis zum Beginn der Herrschaft der Griechen a ls Hohepriester dienten (wie es in der Genea logie des EsraBuches und in den Büchern der Chroniken aufgezeichnet ist) : Jojada und Jochanan, die auch Jonatan und Jaddus genannt wurden. Obwoh l auch sie viele Woh ltaten vollbrachten, fi nden sich über die Zeit ihrer fast siebzig Jahre dauernden Priesterschaft kaum Nachrichten. Yosef der Priester [  Josephus ], der sie in seinen A ltertümern erwähnt, berichtet, dass vor der Zeit des Jaddus, a ls A lexander [ nach Jerusa lem ] kam, Jehoshua, ein Bruder des Jonathan, die Priesterwürde mit Gewa lt an sich gerissen hatte und sich dann die Gunst des persischen Herrschers [ Darius ] durch Goldschätze erkaufte, sodass ihn sch ließlich Jonathan in seinem Zorn im Vorhof des Tempels ermordete.1 Aufgrund dieser Tat kam der Zorn [ der Perser ] über das Vol k, und sieben Jahre lang wurde das Vol k durch einen [ persischen ] Heerführer bedrängt. Außerdem wird von Josephus berichtet, dass zu jener Zeit die Mischehen mit den Kutäern [ Samaritanern ] noch nicht ganz aufgehört hatten, denn Manasse, der Bruder des Jaddus und der sechste Hohepriester seit der Rückkehr aus Persien, nahm die Nikaso, die Tochter des 1 Vg l.

A nt. XI 7,1.

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Sanba llat II., dem Stattha lter der Samaritaner (nicht zu verwechsel n mit dem Sanba llat zur Zeit des Nehemia), zur Frau. A ls ihm Jaddus befah l, sie zu verlassen, kam er dieser Aufforderung nicht nach, sondern zog [ aus Jerusa lem ] aus und l ieß sich unter den Kutäern nieder (A nmerkung 4). Nach einigen Jahren erbauten sie dann auf dem Garizim mit Erlaubnis des A lexander einen Tempel. Aus diesen beiden Episoden lässt sich sch ließen, wie das Vol k zu jener Zeit wuchs und reicher wurde, bis dass es überheblich und schu ldig wurde. Auch zeigt sich, dass seit den Tagen Nehemias kein besonderer Staatsführer mehr aufgetreten ist und der Hohepriester sowoh l die Stellung über a lles Religiöse einnahm wie auch die Funktion einen Stattha lters Judas. Gewiss waren die Tage der letzten Könige Persiens, die durch innere Unruhen und Kämpfe um die Herrschaft und noch mehr | durch die gewa ltigen K riegsanstrengungen gegen die stärker werdenden Griechen beschäftigt waren, eine gute Zeit für Israel, sodass sie die Perser bis zum Ende ihrer Herrschaft aus tiefstem Herzen unterstützten. Sowoh l im Lande Israel a ls auch in der asiatischen Diaspora, die unter persischer Herrschaft lag, konnten sie sich vermehren, und sie wurden mächtiger, bis dass A lexander kam und ihr Reich in wenigen Jahren eroberte. Damit endet die zweite Phase des Keimens und Wachses der Nation. Für die Zeit danach bestehen schwerwiegende Unk larheiten hinsichtlich der Chronologie der Ereignisse. Denn von nun an gab es keine jüdischen Geschichtsschreiber mehr; weder Soferim, die im heiligen Geist schrieben, noch nichtreligiöse Berichterstatter wie für die hasmonäische Zeit. Man fertigte nur noch vereinzelt Aufzeichnungen über besondere Ereignisse mit irgendwelchen Königen und Privatleuten an. Diese persischen Könige, über die die Quellen nichts Wichtiges berichten, werden zwar von den griechischen Historikern erwähnt, sind den hei ligen Schriften aber unbekannt. Seit den erwähnten Hohepriestern wird die Zeit nach der Dauer ihrer Priesterschaft berechnet. Von ihnen kennen wir a llerdings nur die Namen, soweit sie in der Bibel erwähnt werden. Die Baraita der Ordnung der Welt [ Seder ʽOlam Rabba ] nimmt für die Berech-

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nung unbekannter Zeiträume stets die kürzesten Zeitspannen an. Das Perserreich dauerte nach ihr nur vierunddreißig Jahre in der Zeit des Zweiten Tempels, sodass in ihr viele Jahre und ganze Generationen verschwiegen werden.1 Dieses Problem ist bereits in anderen Büchern behandelt worden, vor a llem im Me’or ʽEnayim [ des ʽAzarya de’ Rossi ].2 Wir wollen in dieser Pforte die Details der Geschichtsschreibung unseres Vol kes nicht weiter untersuchen; wir beabsichtigten viel mehr nur über ihre a llgemeine Entwick lung aufzuk lären – ganz der Intention unseres Werkes entsprechend ging es uns daher nur darum, den Leser dieses Abschnitts auf die Verderbnis der Zeitrechnung und das Fehlen ganzer Generationen in der Berechnung der Epoche zwischen der ersten Zerstörung und dem Beginn der Aufzeichnungen der Herrschaft der Griechen aufmerksam zu machen. Unter Hinzuziehung wissenschaft licher Autoren legen wir den Zeitraum für diese Phase – seit der Zerstörung des Hauses unseres Herrn bis zum Fa ll des persischen Reiches durch die Griechen – auf 280 [  Jahre ] fest.

1 

Vgl. SOR 30 (hg. v. R atner, 71a).

2  Vg l. dazu ʽA zarya de’ Rossi, Sefer Me’or ʽEnayim ḥibbero ha-R av ha-ḥakham

R’ ‛Azarya min ha-Adumim, Wien 1830, 136b; ders., The Light of the Eyes, 322 mit Bezug auf SOR 30.

P FORT E 10



„Alle Morgen neu“

(Fortsetzung des Vorangegangenen) So ist aller Morgen neu, und groß ist deine Treue (K lg l 3,23) – dies meint, dass du uns erneuerst am ‚Morgen‘ der R eiche, damit wir wissen, dass deine Treue zu unserer R ettung groß ist. (Ekh R 3,23 [ 66b ])1

A ls Jaddus, der sechste Hohepriester seit der Rückkehr aus der ersten Verbannung, a lt geworden war, kamen die makedonischen Griechen, an deren Spitze A lexander der Große stand, und eroberten fast ganz Asien. Nachdem sie das Perserreich zersch lagen hatten, ließen sie sich in a llen Ländern ihres Herrschaftsbereiches, in Asien und in A frika, nieder, begründeten ein großes Königreich, bauten Städte für ihre vielen Bewohner und schmückten sie durch kunstvolle Gebäude, Ha llen, Lehrstätten der Weisheit und jeglichen geistigen Vermögens, wie es die Griechen bereits in den Jahrhunderten zuvor in ihren Heimatländern erfolgreich unternommen hatten. In diesen Ländern und Städten wohnten aber auch unsere Vol ksangehörigen, die dorthin aus dem Lande Israel oder den verstreuten Diasporagemeinden gekommen waren. Sie gründeten dort eigenständige Gemeinden, vermehrten sich und wurden in zah llosen geistigen und aktuellen Fähigkeiten so besch lagen, dass die Griechen sie in späteren Zeiten beneideten und bedrängten, soba ld sie Macht über sie erlangten. Vera llgemeinernd kann man sagen, dass mit A lexanders Herrschaft eine Zeit des Aufstiegs und des Wachstums unserer Nation anbricht. Und nun – zum zweiten Ma l – wurde sie zu einem herrlichen Weinstock (Ez 17,8), einer Pf lanzung zum Preise [ vgl. Jes 61,3 ], deren Wurzel n im 1  Zu

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dem Motto dieser P forte vg l. Sch lüter, G eschichtskonzeptionen,

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Lande Israel lagen, deren Früchte aber bis in die entferntesten Gebiete und Städte der Diaspora gelangten. Im Verlaufe dieser Phase wuchs die Nation in a llen geistigen und praktischen Belangen, sodass ihr Mut und ihre Macht manchma l überraschen. Dann kam Pompeius, ein römischer Feldherr, und dehnte seinen Herrschaftsbereich auch über Israel und die es umgebenden Länder aus.

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Verzichtet man auf die Betrachtung einzelner und besonderer Persön lichkeiten und betrachtet nur das geistige Leben der Nation, so ergibt sich, dass sich sein Vermögen an wichtigen Errungenschaften in a llen Teilen der Diaspora und in einzel nen Gemeinden sehr vergrößerte : Es gab, seit die Tochter Yeshurun zum Vol k wurde und bis zu diesem Tag, keine so kostbare Phase in der Geschichte [ Israels ].1 Doch kehren wir zu den Einzelheiten zurück : A lexander ehrte den Jaddus, a ls ihm dieser bei seinem Zug nach Ägypten entgegenging. Dies ist uns aus dem Yosippon und den Midrashim bekannt, 2 in denen dieser Hohepriester a llerdings mit Shimʽon dem Gerechten verwechselt wird (doch darf man jenen Jaddus, der A lexander zusammen mit seinem Neffen Shimʽon entgegenzog, nicht mit ihm durcheinanderbringen. Er wird manchma l auch Yosef der Priester, „der Gerechte“, genannt, wie auch Shimʽon, der Sohn Ḥonis II., der erste der Mishna- Gelehrten, der ebenfa lls „Gerechter“ gerufen wurde. Er war ein Neffe des ersten Shimʽon und wirkte nur bis in das 120. Jahr der griechischen Herrschaftszeit, was noch weiter zu erläutern sein wird). Nach dem Tode | A lexanders gründeten zwei seiner Feldherren zwei große Königreiche, in deren Mitte Israel lag. Sicilius Nikator gründete das syrische Reich, mit seinen Hauptstädten Seleukia und A ntiochia. Ta l mi [ Ptolemäus ], der Sohn des Lagos, gründete ein Reich in Ägypten, mit der bereits von A lexander gegründeten Hauptstadt A lexandria. Sie und ihre 1 Vg l. Sch lüter, Geschichtskonzeptionen, 186 mit A nm. 33; anders Harris,

R abbinic Judaism, 88, der mit „unti l this very day“ übersetzt. 2 Vg l. hierzu Yosippon 10 (hg. v. Flusser, 55; hg. v. Börner- K lein / Zuber, 144 – 145) mit Bezug auf Josephus, A nt. XI 8,2. Zu den Midrashim vg l. bYom 69a und Schol ion zu Megi llat Taʽanit zum 21. K islew (hg. v. Noam, 151 – 152).

„ A lle Morgen neu“

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Nachkommen werden im Buch Daniel a ls „Könige des Nordens“ – für Syrien – und „Könige des Negev“ – für Ägypten – bezeichnet, und dies sind [ auch ] die Herrschaftsbereiche, mit denen wir es im Verlaufe dieser Phase zu tun bekommen; zu verschiedenen Zeiten herrschten sie über uns oder sch lossen Frieden und Verträge mit uns, wie im Folgenden berichtet werden wird : In den ersten hundert Jahren der Herrschaft der Griechen über Asien waren Juda und Jerusa lem ein Teil des ägyptischen Reiches. Im Verlauf dieser Zeit herrschten drei griechische Könige über sie, die a lle den Namen Ta l mi – in Griechisch : Ptolemäus – trugen. Der erste wurde Lagi genannt, und zu ihm, nach A lexandria strömten sehr viele Juden, tei ls gezwungenermaßen, tei ls aus freien Stücken. Dort wurden sie befreit, vermehrten sich, und es erging ihnen sehr gut. Viele Generationen lang wurden sie zu einem A nziehungspunkt, und sie blieben nicht hinter der Weisheit und der Begabung der Griechen zurück, lernten aber auch von ihren Lehren und Sitten, sodass sie von a llen ptolemäischen Königen geschätzt wurden. Sie wurden Feldherren in ihren Heeren, Aufseher über ihre Ländereien und Kommandanten über ihre Festungen. Zur Zeit Ta lmis II., der Philadelphos genannt wurde, übersetzten sie die Tora ins Griechische. Diese Übersetzung wurde unter dem Namen „Übersetzung der Siebzig“ [ Septuaginta ] bekannt und wurde von a llen griechisch [ sprachig ]en Juden a ls heilig angesehen, a ls ob bei ihrer Anfertigung der hei lige Geist auf den Übersetzern geruht hätte. Dies wird durch die Aggadot und Midrashim der Rabbinen bestätigt. Danach übersetzte man auch die übrigen hei ligen Bücher. Der griechischen Bibel wurden außerdem noch einige [ Schrift-] Rollen hinzugefügt, die nur in Übersetzung überliefert wurden. Unter den Juden im Lande Israels wurden sie nicht a ls heilig angesehen. Mit griechischem Namen heißen sie Apokryphen, was soviel heißt wie „verborgene“ oder „geheim geha ltene“ Schriften.*  Sie fi nden sich auch a l s Zusätze in den bekannten deutschen Bibelübersetzungen und sind ebenfa ll s aus dem Griechischen ins Hebräische übersetzt worden. Es sei an dieser Stelle kurz ihre Entstehungsgeschichte *

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Auch die Bezeichnung, die die Rabbinen ihnen gaben, erscheint geeignet : „ Äußere Schriften“ bzw. „Bücher“ [ Apokryphen ] (A nmerkung 5). Ihren | Interessen genügte die erwähnte griechische Übersetzung so sehr, dass die Juden in den griechischen Städten sch l ießl ich das Hebräische voll kommen vergaßen. Unter ihren großen Gelehrten fi ndet sich fast keine Erinnerung an das Hebräische. In der Tat war dama ls das Griechische die Lingua Franca in der östlichen Diaspora und wurde sogar von den Gelehrten und erläutert, denn sie wurden a lle ohne Zweifel in dieser Blütezeit aufgeschrieben : Nur der Autor des Buches Ben Sira ist uns mit Namen, Zeit und in seiner ursprüng l ichen Sprache bekannt. Der Zeitpunkt, an dem sein Buch ins Griechische übersetzt worden ist, ist uns genau bekannt. Der Autor war der Priester Jesus ben Sira, ein Jerusa lemer, der um das Jahr 100 nach der griechischen Zeitrechnung zur Zeit des Hohepriesters Shimʽon des Gerechten II., eines der ersten der Gelehrten der Mishna, lebte. Er berichtet von ihm wie von einem Menschen, den er mit eigenen Augen gesehen hat. Seine Sprache ist das späte Hebräisch, welches bereits dem Hebräischen der Mishna nahe steht und erst nach der Zeit der A moräer verschwand. Die griechische Übersetzung ist das Werk des Neffen des Autors. Er kam nach A lexandria um das Jahr 190 nach der griechischen Zeitrechnung und fertigte sie dort an. Die syrische Rezension – im A ramäisch der Syrer verfasst – ist aber von der griechischen nicht unwesent l ich verschieden. – Die Weisheit Sa lomos : Ihr Inha lt und ihre Form zeugen davon, dass sie erst von griechischsprachigen Weisen verfasst wurde. Der Verfasser versuchte, Sa lomo zu kopieren. Ohne in die Irre zu führen, wollte der schreiben, a ls ob König Sa lomo selbst so gesprochen hätte. Daher ist sein Griechisch auch nicht vom Hebräischen unbeeinf lusst, sondern wie das Griechisch der Septuaginta. Die syrische [ sc. aramäische ] Übersetzung kannte noch der Ramban [ Moshe ben Naḥman ], sel igen A ngedenkens. Er erwähnt es im Vorwort zu seinem Tora-Kommentar [ Perushe ha-Tora le-R abbenu Moshe ben Naḥman, hg. v. Chavel, I 8 ]; danach hieß es in der Übersetzung „die große Weisheit des Königs Sa lomo“. Er schätzte die Weisheit der Sprüche dieser Schrift. Diese syrische Version ist genau die, die sich heute noch in unseren Händen befi ndet. Darüber werden wir noch weiter berichten, wenn wir zur Pforte über die griechische Weisheit kommen. – Die beiden Bücher der Makkabäer : Beide sind sehr wichtig, doch das erste ist zuverlässiger. Es beginnt mit dem A lexanderzug nach Asien, überspringt [ d ie Geschichte ] aber von da bis zu A ntiochus, dem Verfolger. Es berichtet chronologisch richtig und in der Sprache der griechischen Herrscher über die Verfolgung und a lle K riege bis zum

„ A lle Morgen neu“

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Gebildeten verehrt. Auch im Ta lmud wird sie „die Schönheit Jafets – Europas – in den Zelten Sems – Asiens“ genannt. [ Dort heißt es : ] „Sie sagten (bMeg 80a) : Selbst von den Büchern, die nicht erlaubt sind, heißt es, dass sie nur in Griechisch geschrieben sind ( ?).“ Auch Rabbi sprach : „Soll man im Lande Israel etwa Syrisch sprechen ? – Oder nicht vielmehr Hebräisch oder Griechisch“ (bSot 49b) ? ! In der griechischen Diaspora und besonders in A lexandria, welches eine Heimstätte der Bücher und des Studierens war, lernten unsere Tod Simons, des Sohnes des Mattatias, a ls Johannes Hyrkan an seine Stelle im Hohepriesteramt trat. Die Zuverlässigkeit dieses Buches ist evident. Es stimmt auch genau mit dem überein, was in der Baraita Megi llat Ta‛anit, im Ta l mud und in den Midrashim belegt ist. Eindeutig war es ursprüng l ich in spätem Hebräisch verfasst worden, doch das Origina l ist verloren. Dies berichtet auch der christ l iche Übersetzer der Bibel ins L ateinische (einer der frühen christ l ichen Gelehrten, der in den Tagen R av A shis lebte), der noch das hebräische Origina l zu Gesicht bekommen hatte. Es erscheint uns daher wahrschein l ich, dass es sich hierbei um jene Megi llat bet Ḥashmonai [ Die Schriftrolle des Hauses Hasmon ] handelt, von der auch der Verfasser der Ha lakhot Gedolot [ Venedig 1542, 141 ] berichtet, dass sie die Ä ltesten der Schu len Hi llels und Shammais verfasst haben. A nerkannt ist es auch, dass die Überl ieferungen in den Ha lakhot Gedolot sehr a lt sind, sodass dieses Werk vielleicht noch zu seiner Zeit existierte. – Das zweite Makkabäerbuch beginnt mit zwei Briefen der Ä ltesten Jerusa lems über die Einha ltung der Ḥanukka-Freude an die Exi lsgemeinde in A lexandrien. Außerdem berichtet es von der Verfolgung und dem K rieg bis zum Tod des Judas Makkabäus. Sein Inha lt und seine Sprache lassen erkennen, dass es ursprüng l ich nur in Griechisch geschrieben wurde. Es stellt auch nur eine Zusammenfassung einer längeren Geschichtsdarstellung dar, die ein gewisser Simon aus Kyrene, ein Jude aus einer griechischen Niederlassung, verfasst hat. – [ Das Buch ] Judit steht jenen sehr nahe, enthä lt aber keine historische Darstellung. Das aramäische Origina l ist verloren, doch wurde es im L ande Israel geschrieben. Auf den Inha lt spielen einige Stellen in den Midrashim an. Da sein Inha lt aus ganz verschiedenen Zeiten zu stammen scheint, ist seine Zuverlässigkeit a llerdings sehr ungewiss. – Das Buch Tobit, des Sohnes des Tubia l, kommt diesem am nächsten. Es berichtet ebenfa lls keine Historie. In ihm wird zum ersten Ma l der Name des Engels R afa‘el und der Name des Satans A shmodai erwähnt. Es lässt sich jedoch nicht entscheiden, ob es ursprüng l ich in A ramäisch oder Griechisch geschrieben wurde. – Der Brief und das Buch Baruch, des Sohnes des Nerija : Es stammt gewiss nicht von ihm. Es wurde

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Vol ksgefährten zum ersten Ma l die auf der Philosophie Platos und anderer griechischer Philosophen gründende gött liche Lehre kennen. So Gott will, werden wir in einer speziellen Pforte über ihren Inha lt und ihre Lehre berichten. Kehren wir jedoch noch einma l zum Heiligen Land, dem Zentrum der Nation, und seinem Wurzelgrund zurück : Von Zion wird Tora ausgehen ( Jes 2,3) und jegliches geistige Leben in a llen Ländern der Diaspora – in dieser Phase und noch lange Zeit danach. Wir haben bereits berichtet, dass Esra, nachdem er aus Babylonien heimgekehrt war, a lle Priester, Führer und Großen versammelte und mit ihnen vor Gott einen Bund sch loss und sie einen Vertrag niederschrieben, wonach sie auf den Wegen der Tora wandel n und jede Übertretung verhindern sollten. Die Rabbinen nannten dieses ehrenwerte Treffen die „Große Versamm lung“; sie überliefern im Namen ihrer Väter unter anderem, dass sich zu jener Zeit 120 Ä lteste – unter ihnen noch einige Propheten – versammelt haben. Diese Versamm lung blieb sogar einige Generationen bestehen. Die zu ewigem Leben Entsch lafenen wurden daher immer mit den weisen Soferim, den Schü lern des Esra, und seiner ersten Versamm lung verglichen. Ihre Epoche erstreckte sich bis Shimʽon ursprüng l ich woh l in Griechisch verfasst, da es Worte der Weisheit der in griechischen L ändern lebenden Juden enthä lt. – Das Buch Bel und der Drache und Susanna, der Tochter des Hi l kia : Beides sind Zusätze zum Buche Daniel. Gewiss waren beide ursprüng l ich in A ramäisch mit wenigen griechischen Einsprengsel n verfasst, ähn l ich dem Griechischen unseres Buches Daniel. Der R amban erwähnt in seinem Torakommentar (Abschnitt Teṣe [ z u D tn 21,14 ], hg. v. Chavel, II 444) die korrupte Abschrift eines Zusatzes Susanna, die er a ls „Megi llat Shushan“ bezeichnet. – Zudem gibt es Zusätze zu Esra und zur Esterrolle wie den Bericht über Serubbabel vor dem König, den Traum des Mordechai und wie das Gebet Esters und derg leichen mehr. Mögl icherweise sind sie ursprüng l ich a lle in A ramäisch verfasst worden. Es gibt sogar eindeutige Hinweise darauf, dass ihr Inha lt und ihre Geschichten den R abbinen bekannt waren. Doch beim Absch luss des K anons der Hei l igen Schrift wurden diese aus den Schriften herausgelassen, sodass sie außerkanonische Schriften bl ieben. – Bei ihrer Erwähnung in unserer Schrift werden wir darauf noch zurückkommen.

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dem Gerechten, dem Sohn Onias’ II., dem letzten unter den Soferim und dem ersten der Ha lakha-Lehrer (dies wird noch näher in der Pforte über die Tradition und die münd liche Tora erläutert werden). Unsere Rabbinen nannten sie „Große Versamm lung“ wegen ihrer großen Taten und ihrer zah l reichen Verordnungen zur Durchsetzung der Tora und des Vertrauens auf die rechte und glaubwürdige Wohnstätte [ Gottes ] (A nmerkung 6). Eine ihrer ersten segensreichen Verordnungen ga lt der Festlegung der Lesungen aus der Tora an Shabbatot | und Festtagen. Spä- 63 ter, nachdem sie Gericht [ shöf  ]e gegründet hatten, sollte sie sogar an den Gerichtstagen vorgelesen werden. Die Abschnitte der Tora wurden in öffent l ichen Versamm lungen vorgetragen, die man „Versamm lungshäuser“ oder in bibl ischem Hebräisch Versammlungsorte Gottes (Ps 74,8) nannte. In ihnen übersetzten die Soferim die Tora für die breite Masse des Vol kes ins A ramäische und legten sie dabei auch aus : Sie lasen im Buch, in der göttlichen Tora, und legten sie klar und verständlich aus, sodass sie verstanden, was verlesen worden war (Neh 8,8). Man las a lso erst den hebräischen Text, und danach übersetzte man ihn ins A ramäische, welches schon seit langem zu ihrer Sprache geworden war. Zum Sch luss legte man den Abschnitt aus, um den Sinn dessen zu verstehen, was zuvor gelesen worden war. Mittels dieser bedeutsamen Verordnung konnte sich im Vol k die Kenntnis verbreiten, und sie bewirkte, dass sich die bedeutenden Schü ler der Soferim vermehrten. Außer den Kommentaren unterwiesen sie das Vol k auch in Geboten, Verordnungen und Erk lärungen der miṣwot. Dabei beriefen sie sich bekannt lich auf den Schriftvers : Frage deinen Vater, der wird dich unterrichten, deine Ältesten, die werden es dir sagen (Dtn 32,7). Diese Tätigkeit wird schon in den Ketuvim beschrieben, wie die Verordnungen betreffs der Entfernung der fremden Frauen und des Holzopfers und ähnliches mehr. Zu den weiteren ihrer A ktivitäten im Vol k zäh lten : Die Einrichtung von Gerichtsversamm lungen für Eigentums- oder Strafrechtsdelikte von je drei oder sechsundzwanzig Männern in jeder Stadt oder in jedem Bezirk; jewei ls an den zweiten und den fünften Tagen der Woche, die auch die Tage des Marktes und der Zusammenkunft waren, wurde auch Recht gesprochen; auch die

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R ichter unterwiesen sie, wie sie Recht zu sprechen hatten und Gnade wa lten lassen sollten. A lles nur, damit im Tor eindeutige und unverdeckte Wahrheit ermittelt werden konnte. Diese Tätigkeit ist in das Privileg des Königs eingesch lossen : Du aber, Esra, nach der Weisheit Gottes, die in deiner Hand ist, setze Richter und Rechtspf leger ein, die allem Volk Recht sprechen, das jenseits des Euphrats wohnt, nämlich allen, die das Gesetz deines Gottes kennen; und wer es nicht kennt, den sollt ihr es lehren (Esra 7,25); denn Esra richtete sein Herz darauf usw. … Gebote und Rechte in Israel zu lehren (Esra 7,10). Dadurch wird auch der Spruch der Leute der Großen Versammlung aus der Mishna Avot [ Sprüche der Väter ] k lar [ , in dem es heißt ] : „Diese sprachen drei Worte : Seid überlegt im Gericht, stellt viele Schü ler auf, und macht einen Zaun um die Lehre“ (m Av 1,1). Das meint, dass diese drei Verordnungen durch die Soferim, die Mitglieder der Großen Versamm lung gewesen waren, a ls R ichtl inie und Maßstab für ihr Verha lten gegenüber Israel erlassen wurden.* Ihre bedeutenden und hei ligen Taten, die sie untereinander vollbrachten, diese wurden besonders in den Versammlungshäusern der Weisen vollzogen. Den Beginn dieser Versammlungshäuser deutet bereits folgender Schriftvers an : Am zweiten Tag der Woche versammelte sich das gesamte Volk usw. (Neh 8). Zur Zeit des Yose ben Yo‛ezer, während des K rieges gegen die Griechen, ist dieser Name bereits gebräuch lich : „Dein Haus möge eine Stätte der Versamm lung für die Weisen sein“ (m Av 1,4). Dort saßen die Soferim und schrieben die für die Öffentlichkeit bestimmten Bücher der Tora, die privaten Pentateuch-Ausgaben und die anderen heiligen Schriften. Sie schrieben in der dama ls aufkommenden a lten „assyrischen“ Schrift. Nachdem sie jedes Wort gezäh lt und  So verhielten sich auch die frühen Weisen. Sie verfassten Sentenzen oder kurze Sprüche, die sie im Munde führten und die so zu Leitsprüchen und zum Maßstab für ihr Verha lten wurden; die Gebräuch l ichkeit solcher Sprüche kann man am ehesten an den Taten des Weisen beurtei len, in dessen Munde sie zu fi nden sind. A ndererseits kann man die Taten eines Weisen, der uns in anderen Zusammenhängen begegnet ist, mit den Aussprüchen in Verbindung bringen, deren Verfasser uns unbekannt ist. – Nimm dies zur Kenntnis ! *

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buchstabiert, jede Plene- oder Defektivschreibung mit nur durch den heiligen Geist erk lärbarer Genauigkeit ana lysiert hatten, begannen sie die Masora, die man zu Recht den Zaun um die Tora nannte, | festzu legen, um so die Rezension in seiner Reinheit und 64 Wahrheit zu bewahren. Unsere frühen Gelehrten bezeugen außerdem in einer Baraita, dass jene Gelehrten die A nordnung der Bücher der Tora, der Propheten und der Schriften veränderten, woran auch die Gemara erinnert (bBB 15a). Die Mitglieder dieser Versamm lung waren die ersten, die sie in die heutige Reihenfolge brachten : Ezechiel, das Dodekapropheton, Daniel, Ester (A nmerkung 7). A ls auch noch einzelne Schriften hinzukamen, unternahmen die Vertreter dieser Versamm lung – im hei ligen Geist – eine weitere dritte Neugl iederung in Tora, Propheten und Ketuvim. Sie sch lossen darin jede prophetische Schrift, Geschichtsschreibung, Dank lieder, Gebete oder Sprüche, Weisheits- oder ethische Schriften ein und ordneten sie nach der erwähnten Eintei lung einem der drei Teile zu, je nach Grad der Heiligkeit, wie es ihnen der heilige Geist vermittelte (z. B. : Geschichtsschreibung über die Zeit des Ersten Tempels ordneten sie dem Teil Propheten zu, Rut und die Chronikbücher aber zu den Hagiographen; während die Prophetien Habakuks und ähn liches unter die Nevi’im eingeordnet wurden, wurden die Visionen der fernen Zukunft Daniels den Ketuvim zugerechnet). A lle Schriften seit Mose, über ihn Frieden, bis zum heutigen Tag bündelten sie zu einer hei ligen Samm lung von Schriften, die sie absch lossen und kanonisierten. Sie verboten jedoch angesichts der Differenzen, die es über jede einzel ne von ihnen gab, sie zu einer Schriftrolle zusammenzunähen, wie es im Ta l mud berichtet wird (bBB 13b). Es lag aber im Interesse des hei l igen Geistes, dass dem Vol k nicht noch mehr Bücher durch die Tradition vermittelt wurden, wie es in der Schrift heißt : Die Worte der Weisen … und über dem allen, mein Sohn, lass dich warnen usw. (Koh 12,11 f.) – diesen Vers bezogen die Rabbinen auf jenen Vorgang der Kanonisierung. Sie fügten auch keine vierte Abtei lung der Heiligkeit von Schriften entsprechend hinzu, wei l die Rabbinen folgenden Vers dahingehend auslegten : Hab ich dir nicht dreimal aufgeschrieben als Rat und Erkenntnis (Spr 22,20) – „dreima l und nicht

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vierma l “ (bMeg 7a) – Vergleiche dazu die A nmerkung [ … ].1 A ll diese bedeutenden Taten, die Samm lung der Bücher, ihre Gliederung und ihre A nordnung in einer Samm lung, wurden durch den hei ligen Geist und den Herrn gelenkt, der die ganze von ihnen genutzte Zeit ihrer Versamm lung über auf den Heiligen ruhte. Ohne Zweifel hätte diese große Tat nicht ohne den hei ligen Geist vollbracht werden können (A nmerkung 8). Zudem legten sie nach Meinung unserer Weisen (vgl. bPes 117a und bMeg 17b) auch die Form und den Inha lt der Gebete und Segenssprüche fest, die in dem Hebräisch und mit den poetischen Worten – herzerweichend, aber mit einfachen Worten –, in der Sprache ihrer Zeit verfasst worden sind. Doch damit nicht genug, sondern sie bemühten sich im Verlaufe a ller sieben Generationen um die Verbesserung der ha lakhischen Schriften, der Ge- und Verbote, der Kommentare und der Definitionen ihrer Erfü llung – besonders ihrer Durchführung –, mit dem Umfang ihres verpf lichtenden Charakters und der Warnung vor 65 Übertretung; | dies a lles fand sich in ihren Traditionen, die sie von Priestern, Propheten und Tora-Lehrern erha lten hatten, wie es heißt : „Die Propheten gaben es an die Männer der Großen Versamm lung weiter“ (m Av 1,1); – gemäß ihrem sprach lichen und erkenntnismäßigen Vermögen, denn noch standen sie jener Zeit nahe, in der die Sprache der Tora die Umgangssprache gewesen war. Ihre Taten bezeichnen die Rabbinen daher a ls „Worte der Soferim“. Näheres dazu wird – so Gott will – in der Pforte über die Mündliche Tora ausgeführt, doch wei l die Belegstellen so verstreut sind, können wir uns hier damit nicht länger aufha lten.

Um das Jahr 100 der griechischen Königsherrschaft – die Zeitrechnung a ller Ereignisse dieser Phase richtet sich nach ihrer Herr1  I n

der Erstauf lage hat Zunz nicht vermerkt, auf welche A nmerkung sich R anaq hier bezieht. In der Liste der Druckfeh ler zu dieser Ausgabe ist angemerkt : „es muss heißen : die A nmerkung auf Seite 47“, doch dies scheint ein weiterer Feh ler zu sein. In beiden späteren Drucken ist der Feh ler nicht korrigiert worden, obwoh l dort unterschied l iche Seitenzäh lungen zu fi nden sind. A nscheinend bezog sich K rochma l auf eine A nmerkung in Pforte 11, Abschnitt 3.1 (K rochma l, Writings, 128).

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schaft bis in die Zeit nach der Tempelzerstörung – wurde Shimʽon, der Sohn Onias II., Hohepriester und Herrscher über Juda. Er wird in der Mishna a ls einer der ersten Ha lakha-Lehrer oder Tanna iten erwähnt, und er organisierte die Instandha ltung des Tempels, der ja bereits seit den Tagen des Kyrus, a lso fast dreihundert Jahre lang, bestand. Außerdem verbesserte er Vieles im Tempel und in der Stadt. Ebenso wird in a lten Baraitot seine Frömmigkeit hervorgehoben. Dem Vol k lehrte er eine Einsicht, deren wichtigster Grundsatz a llein die Erkenntnis Gottes war, von denen der Mensch zu den beiden anderen Grundsätzen gelangt : Die Erfü llung der Pf lichten gegenüber dem Schöpfer und gegenüber dem Nächsten. Dies vermittelte er mit dem Satz : „Auf drei Dingen beruht die Welt : Auf Tora, Ku ltus und Nächsten liebe“ (m Av 1,2). Zu seiner Zeit lebte am selben Ort auch Jesus ben Sira, der eine Samm lung von wundervollen Sprüchen über das Lob der Weisheit und Empfeh lungen zur Erziehung verfasste, wie wir oben schon erwähnt hatten. Doch neben dem, was er an Lobsprüchen über Jerusa lem a ls Wohnort und Stätte der Weisheit vorträgt, fi nden sich in ihm auch zah l reiche Verse, die ein diskretes Zeugnis und Einsicht in die Bestimmung einer fernen und unbekannten Zeit geben, und wir wollen hier einige von ihnen zitieren : Versammle dich bei den Ältesten, und jedem Verständigen neige dein Ohr zu. Erfreue dich an der Tora Gottes und höre auf die Sprüche der Verständigen. Hast du einen Verständigen gefunden, dann lass seinen Anblick Lohn sein und suche seine Anwesenheit Tag für Tag. Wandele immer nach dem Gesetz des Herrn, dann wird er dein Herz stärken und dich weise machen, wie es dir gefällt (Sir 6,34 – 37). Und im Abschnitt 37 fährt er fort, die weisen Soferim gegenüber den Leuten des praktischen Lebensberufs anzupreisen, auch wenn letztere für den Bau der Stadt nicht zu entbehren sind; und er beginnt dort [ mit folgenden Worten ] : Sinne über Gottes Religion, und mühe dich nicht zu sehr mit der Arbeit ab, und wer kein Geschäft hat, wird weise werden … usw. (Sir 38,24[ 25 ]). Wer dagegen seinen Sinn auf die Lehre Gottes gerichtet hat und nachsinnt über das Weisheitsgesetz der Altvorderen und sich beschäftigt mit den P rophetien (Sir 39,1). – Aus a ll dem wird ersicht lich, dass in der Regierungszeit der griechisch-ägyptischen Könige das Studium und die

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Forschung in jeder Hinsicht zu höherer Vervoll kommnung und Perfektion gelangten a ls unter den Königen Persiens. Doch seit dem 120. Jahr der griechischen [ seleukidischen ] Zeitrechnung hörte innerha lb kurzer Zeit diese Phase der Ruhe und des Woh lergehens unter der ägyptischen Herrschaft auf. Das Land Israel und mit ihm der ganze Küstenstreifen von Tyrus und Sidon kam unter die Herrschaft der griechisch-syrischen Könige, A ntiochus des Großen und seiner Nachkommenschaft, nachdem er Ta l mi V. besiegt hatte. A nfangs ist er Shimʽon dem Gerechten mit Respekt entgegengetreten. Doch | nach der Niederlage gegen die Römer in der großen Sch lacht bei der Stadt Magnesia wurde er gezwungen, eine hohe Steuer – 16.000 Ta lente Silber – an sie zu entrichten. In der Folge bedrängte er seine Untertanen und begann, sie auszubeuten. Mit dem Jahr 123 begannen die Notzeiten. Über diesen A ntiochus wird im Buch Daniel berichtet : Und der König des Nordens wird kommen und einen Wall aufschütten und eine feste Stadt einnehmen. Und die Heere des Südens können es nicht verhindern usw. (Dan 11,15). Er wird auch in das herrliche Land kommen, und Verderben ist in seiner Hand. Und er wird seine Sinne darauf richten, dass er mit Macht sein ganzes Königreich bekomme (dies sind seine Unternehmungen gegen die Römer) und sich mit ihm vertragen … (Israeliten, die zu seinem Heer gehörten), aber es wird nichts daraus werden (der große Sieg des römischen Konsu ls). Nachdem Antiochus der Große im Jahre 126 ermordet worden war, herrschte sein Sohn Seleukus. Auch er zah lte die hohen Abgaben an Rom, und er bedrängte daher seine Vasa llenstaaten und beraubte Heiligtümer und Tempel, die sich nicht dem herrschenden Ku ltus ansch lossen. Im Buch Daniel heißt er : der Bedränger, der den Glanz des Königreiches entfernt (Dan 11,20). Nachdem auch er ermordet worden war, herrschte nach ihm sein Bruder A ntiochus Epiphanes, der Woh ltäter; doch wurde er auch Epimenos – „Verrückter“ – genannt. A ls er noch ein K nabe war, wurde er von seinem Vater A ntiochus dem Großen nicht mehr geliebt, und er schickte ihn daher a ls Geisel nach Rom, wo er aufwuchs. A ls er mehr durch Zufa ll König geworden war, kämpfte auch er im Jahre 132 mit Ta lmi VI., dem König Ägyptens. Er hätte fast sein gesamtes Land eingenom-

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men, wenn ihm nicht römische Gesandte entgegengetreten wären und ihm geboten hätten, Ägypten zu verlassen. Die Geschichtsschreiber berichten, dass sie um ihn einen K reis zogen, in dem er so lange stehen sollte, bis dass er mit sich übereingekommen wäre, ob er Freundschaft oder Feindschaft mit dem römischen Vol k wolle. Er fürchtete sich jedoch und kehrte in sein Land zurück. Im Danielbuch wird darüber so berichtet : Es wird stehen an seiner Stelle ein verächtlicher Mensch (Dan 11,20), dazu auch der Fürst des Bundes (Dan 11,21) (dies meint den Hohepriester Onias III., den Sohn Shimʽons II. aus der Mishna, den A ntiochus seines A mtes enthob und seinen Bruder Josua dafür einsetzte). Danach wird er heimkehren mit großer Beute und dabei seinen Sinn richten gegen den heiligen Bund (Dan 11,28) (schon im Jahre 132 gedachte er, Übles über die Juden zu bringen). Und nach bestimmter Zeit wird er wieder nach Süden ziehen usw. (Dan 11,29). Denn es werden Schiffe aus Kittim gegen ihn kommen (dies meint die römischen Gesandten, die in a llen Targumim und im Yosippon a ls K ittäer bezeichnet werden1). Dann wird er gegen den heiligen Bund ergrimmen und danach handeln. (Denn an lässlich seiner Rückkehr betrat er den Tempel und entweihte ihn;) und sich denen zuwenden, die den Bund verlassen (Dan 11,30). Dafür muss man wissen, dass zu jener Zeit in Israel sehr üble Gesta lten lebten, die die Unterweisungen der Tora übertraten und versuchten, es den Griechen gleichzutun. Sie werden im Buch Daniel – mit den passenden Umschreibungen – a ls „Übeltäter“ oder „diejenigen, die den Bund verlassen“, bezeichnet. A ls A ntiochus von dieser Abspa ltung in Israel hörte, befreundete er sich mit den Übeltätern. Zudem waren sie Freunde und Unterstützer der Regierung Syriens. Ganz im Unterschied zu den Juden, die dem Herrn und der Tora folgten; sie unterstützten heim lich die Herrschaft Ägyptens, die ihnen – wie erwähnt – von jeher woh lgesonnen gewesen war. Darauf bezieht sich der Vers : Er wird sich denen zuwenden, die den heiligen Bund verlassen (ebd.), und auch : Und er wird mit Ränken alle zum Abfall bringen, die den Bund übertreten (Dan 11,32). So entwickelte sich die A ngele1 Vg l. etwa Targum Yonatan zu Num 24,24 u. ö.; Yosippon 1 (hg. v. Flusser,

9 – 20; hg. v. Börner-K lein / Zuber, 34 – 57).

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genheit von Misserfolg zu Misserfolg, bis die Frevler Antiochus und die Könige, die nach ihm kamen, herbeiholten und sie den Griechen dabei ha lfen, das Vol k ganz von der Tora abzubringen. Auch in den Midrashim wird darüber berichtet : „ Es ist für euch auf das Horn eines R indes geschrieben, dass ihr keinen A nteil am Gott Israels habt“ (BerR 2,4 [ 16 f. ]). Wir erfahren auch aus der Mishna (mSuk 5,8), dass die ganze Priesterordnung Bi lga Sünden beging. Eine Frau trat mit ihren Füßen sogar gegen den A ltar und schmähte ihn : „Reißender Wolf, der du das Geld versch lingst“ (bSuk 56b) ! Die große Verfolgung begann im Jahre 145 der griechischen [ seleukidischen ] Zeitrechnung. Ohne es zu verschweigen, beabsichtigten sie, die Nation mit Stumpf und Stiel zu vertilgen. Sie verbaten die Beobachtung des Shabbats, die Beschneidung und die übrigen miṣwot. Sie machten den A ltar zu einem Gräuel, sch lachteten ein Schwein auf ihm und errichteten ein Bild des Jupiter Olympus im Tempel. Darüber schreibt das Buch Daniel : Er wird aber vielen den Bund schwer machen eine Woche lang (Dan 9,27) (gemeint ist der Zeitraum von sieben Jahrwochen, doch ist der Sinn der Stelle nicht ganz k lar); in der Hälfte der Woche wird er Schlachtopfer und Speiseopfer 67 abschaffen (ebd.) (die Dauer der Verfolgung wird hier | mit 1290 Tagen angegeben); und im Heiligtum wird ein Gräuelbild der Verwüstung stehen (die Götterstatue, die er errichten ließ). Und seine Heere werden kommen (Dan 11,31) (dies bezieht sich auf die griechischen Truppen und die Frevler, die die Burg Zion einnahmen); und sie werden das Heiligtum und den Tempel entweihen (von dort belagerten sie und beschossen die Verteidiger mit Pfeilen); und das tägliche Opfer und das Gräuel der Verwüstung aufstellen (sie unterbanden die Opfer und die täglichen Opfer, und es wurden dort bis zu 300 täg liche Opfer in der Zeit der Verfolgung gezäh lt). So veränderten sich durch sie plötzlich die Tage des Woh lergehens und der Blüte – wie ein Sturm aus heiterem Himmel oder Finsternis an helllichtem Tage. Doch während die Feinde danach trachteten, unsere Nation an ihrer Wurzel und in ihrem Lebenszentrum im Hei l igen L and auszumerzen, gedachte Gott ihres Woh lergehens; der Geist in ihrer Mitte wandte sch l ießl ich das Üble zum Guten, [ u nd war stark genug, diese ] Schlacken aus seiner

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Mitte zu läutern und [ das Vol k ] in der Folge aus der K nechtschaft unter den Griechen in voll kommene Freiheit zu führen. Auf dem Höhepunkt der Verfolgung wurden die Soferim wieder stärker, und jeder, der am Bund Gottes festhielt, f loh in Bergwinkel und Felshöh len, um dort die Tora und die miṣwot im vollen Umfang beobachten zu können. Nachher sammelte sich um sie eine große Menge, und sie begannen um ihr Leben und gegen ihre Verfolger zu kämpfen; zunächst waren es nur k leinere Haufen, bewaff net mit Steinen und Felsen, die die Feinde von dort aus heimsuchten. Später, nachdem sich die Zah l ihrer Kämpfer vermehrt hatte, traten sie dem Feind sogar auf offenem Feld und in Sch lachtordnung entgegen. Über jene, die sich zuerst ermannten, bemerkt Daniel : Aber die vom Volk, die ihren Gott kennen, werden sich ermannen und danach handeln (Dan 11,32). So kam es zu einem K rieg aus Gehorsam und Pf licht. Zu Beginn wurde er nur von wenigen ausgefochten, nachher aber durch die überwä ltigende Mehrheit des Vol kes unter der Führung tugendhafter Helden : Mattatias, Sohn des Jonatan, von den Söhnen Hasmons, des Priesters aus der Ordnung Jojarib, und mit ihm seine Söhne sowie die übrigen Ḥasidim [ Frommen ]. Er erhob sich gegen einen Abgesandten des syrischen Königs, die so nacheinander die Herrschaft ausgeübt hatten. Der K rieg währte lange und wurde sehr hart ausgefochten, und aus verschiedensten Gründen und mit positiven und negativen Vorkommnissen währte er fünfundzwanzig Jahre lang; vom Beginn des Jahres 145 griechischer Zeitrechnung, a ls sie das griechische Joch abschüttelten, bis zum Jahr 148, in dem sie zurückkamen und den Tempel einnahmen und für den Ku ltus reinigten, und danach noch einma l bis zum Jahr 170, in dem sie das Joch der Griechen ganz abschüttelten. Das Vol k hat daraufhin Mattatias und seine Nachkommen a ls Fürsten und Hohepriester angenommen, womit sch ließlich sogar die Könige Syriens einverstanden waren und mit ihnen einen Bund sch lossen. Der Absicht dieses Abschnittes entsprechend müssen wir hier nicht die Einzelheiten dieses K rieges und seiner Vorgänge berichten. Man mag sich mit dem begnügen, was bei Yosef, dem

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Priester [  Josephus ], und vor a llem in den beiden oben erwähnten Büchern der Makkabäer aufgezeichnet worden ist. Wir geben hier nur einige Verse aus ihnen wieder, überlassen den Rest den Begabteren und nehmen uns nur jene vor, die unser Problem betreffen : den Zustand und die geistige Beschaffenheit der Nation in jener Zeit.

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Und sie zerrissen die Tora in Fetzen und verbrannten sie mit Feuer, und jeden, der eine Tora-Rolle besaß, schlugen sie mit dem Schwert (1 Makk 1,54). Über Mattatias, den a lternden Held, seine Söhne und die übrigen Helden, die um ihr Leben und die Tora kämpften, heißt es : Am selben Tag beschlossen sie : Wenn man uns am Shabbat angreift, so wollen wir gegen sie ausziehen und uns wehren, damit wir nicht umkommen wie unsere Brüder, die in den Höhlen ermordet worden sind (vgl. 1 Makk 2,41). Wie zuvor berichtet wird, kamen die Feinde über einige, die sich in Höh len versteckt hatten, um die Gebote des Shabbat einzuha lten, und sie hatten aus Ehrfurcht vor dem Shabbat nicht ihre Hand erhoben, weder, um einen Stein auf sie zu werfen, noch, um wenigstens den Eingang ihrer Höh le zu verbergen. Es heißt : Wir alle wollen lieber schuldlos sterben (1 Makk 2,37); | [ und ] viele der tapferen Männer schlossen sich ihnen an, die Frommen der Kinder Israels, alle treue Anhänger des Gesetzes, und zu ihnen kamen alle, die ihr Leben vor der Unterdrückung retteten, und verstärkten sie (1 Makk 2,42 ff.). Mattatias und seine Söhne. Nachdem sie stärker geworden waren und ein Heer versammelt hatten, erschlugen sie in ihrem Zorn alle Gottlosen in Israel, die übrigen f lohen und entkamen zu den Heiden (1 Makk 2,44). A ls Jerusa lem noch in der Hand der Griechen war, heißt es : Das Volk kam in Miṣpa zusammen, gegenüber Jerusalem, denn Miṣpa war von jeher ein Platz der Anbetung für Israel. An diesem Tag fasteten sie … und entrollten die Schriftrolle des Gesetzes, der die Heiden nachgespürt hatten, um ihre Götzen darauf zu malen. Sie brachten dorthin auch die priesterlichen Gewänder, die Erstlinge und Zehnten und ließen die Gottgeweihten herbeikommen, bei denen die Zeit ihres Gelübdes vorbei war (1 Makk 3,46 – 49). Über die Reinigung des Tempels im Monat K islew des Jahres 148 heißt es : Und als sie den Altar entheiligt sahen, berieten sie, was mit ihm zu tun sei. Sie hatten aber einen guten Einfall, dass

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man ihn ganz einreißen solle, damit kein Ärgernis von ihm käme, weil ihn die Heiden entheiligt hatten. Darum wurde er eingerissen, und die Steine verwahrten sie auf dem Tempelberg an irgendeinem Ort, bis ein Prophet in Israel kommen und darüber unterrichten wird, was mit ihnen zu tun sei (1 Makk 4,44 f.). Judas und seine Brüder und die ganze Gemeinde Israel beschlossen, dass man jährlich vom fünfzwanzigsten Tage des Monats Kislew acht Tage lang das Fest der Weihe des Altars mit Hallel und Dankgebet begehen solle usw. (1 Makk 4,59). Es versammelte sich aber bei Alkimus und Bakhides eine Schar von Schriftgelehrten, um bei ihnen Recht zu suchen, und sie wurden von Frommen begleitet, die unter den ersten unter den Israeliten waren, um sie um Frieden zu bitten, denn sie dachten : Ist Alkimus, der mit den Truppen gekommen ist, nicht ein Priester aus der Nachkommenschaft Aarons ? – Der wird uns nichts zuleide tun ! Und Alkimus sprach mit ihnen friedliche Worte und schwor ihnen : Bei Gott, ich sichere euch zu, dass euch kein Schaden zugefügt wird ! Als sie ihm nun vertrauten, ließ er sechzig Mann von ihnen festnehmen und tötete sie an einem Tag, gemäß den Worten : Die Leiber deiner Heiligen und ihr Blut verschütteten sie rings um Jerusalem her, und sie hatten niemanden, der sie begrub (1 Makk 7,12 – 17). Im zweiten Buch [ der Makkabäer ] steht darüber geschrieben : Als einem gewissen Alkimus, der ein vormaliger Hohepriester war, der zu Zeiten der Unruhe gottlos gehandelt hatte, die Sache, [ dass Demetrius herrschte, ] bekannt geworden war, kam er, da er einsah, dass das Übel über ihn gekommen war und er auch weiterhin nicht als Hohepriester dienen könne, zum König [ Demetrius ] im 151. Jahre … , und er gab ihm folgende Antwort : Die Juden, die Fromme genannt werden, an deren Spitze Judas der Makkabäer steht usw. (2 Makk 14,3 f.,6). – Außerdem berichtet das erste [ Makkabäerbuch ] : Nach dem Tod Judas’ mehrten sich die Abtrünnigen im ganzen Gebiet Israels, und die Frevler erhoben ihr Haupt (1 Makk 9,23). Und Bakhides fand sich bereit, alles zu tun, was er erbat ( Jonathan, der Sohn des Hasmon, des Helden, der ihn einst besiegte) (1 Makk 9,71), … und schwor ihm einen Eid, ihm sein Leben lang nichts Böses mehr zuzufügen. Die Gefangenen, die er früher aus dem Lande weggeführt hatte, gab er ihm zurück; sodann kehrte er um und zog ab in sein Land und kehrte in das Land nicht zurück (1 Makk 9,71 f.). Dies geschah nach diesem Bericht im Jahre 160 der griechischen [ seleukidischen ] Zeitrechnung. Über dieses Jahr wird dort

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ebenfa lls berichtet : Alle Heiden f lohen aus den Städten, die Bakhides hatte befestigen lassen, und ein jeder verließ seinen Ort und kehrte in sein Land zurück, außer in Bet Ṣur, das für alle, die von den miṣwot des Herrn abgefallen waren, eine Zuf luchtstätte wurde (1 Makk 10,12 f.). Sie ist eine große Festung an der Grenze des Landes zu Edom nach der Wüste hin, die mehrere Ma le von den Hasmonäern eingenommen worden und wieder verloren gegangen war. In der Megillat Ta‛anit heißt sie Migda l Ṣur.1 Über das Jahr 170, die Zeit der Herrschaft und des Hohepriesters Simon, nachdem sie viele Städte auch im Lande der sie umgebenden Völ ker eingenommen hatten, heißt es : Da erwies ihnen Simon Gnade und ließ sie leben und vertrieb sie aus der Stadt. Und er reinigte die Häuser, die die Götzen beherbergt hatten (1 Makk 13,47). Nachdem sie ihm 69 geöff net worden war – im Jahre 171 – , |  nahm er auch die Festung [ die Akra ] Jerusalems, die bis dahin noch nicht von den Griechen und den Gottlosen wieder hatte zurückerobert werden können (1 Makk 13,50 f.). Und sie schrieen zu Simon und baten um ihr Recht. Und er gab ihnen ihre Rechte und vertrieb sie von der Burg und reinigte sie von allem Gräuel in ihr (1 Makk 13,50). Diese Verse entnahmen wir den beiden erwähnten Chroniken über die schreck liche Verfolgung, die in der zweiten auch „die Zeit der großen Verwirrung im Land“ genannt wird, und sie dauerte insgesamt nicht länger a ls drei Jahre. Danach kehrte das gesamte Vol k – noch unter der Herrschaft der Griechen – zu seinem Ku lt und seiner Tora zurück. Die Verfolgung der Frommen [ Ḥasidim ] und der Soferim (genauer gesagt : der ersten MishnaLehrer, wie noch genauer in der Pforte über die münd liche Lehre erläutert werden wird), die getötet und deren Bücher vernichtet worden waren, war jedoch noch nicht zu Ende, sondern erstreckte sich über die gesamte Dauer des K rieges, fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre lang. Außerdem können wir [ den Chroniken ] entnehmen, dass in jenen Verfolgungen des Judas Makkabi, seiner Brüder und ihrer A nhängerschaft der gefährlichere Feind aus ihren Reihen selbst kam : die erwähnten Gottlosen. Wir sehen, 1 Vg l. Edition Neubauer, 6 (III); L ichtenstein, Fastenrolle, 281; Noam, Me-

gi llat Taʽanit, 193 f. zum 17. (14.) Siwan. Siehe dazu ausführl ich Pforte 11.

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dass, soba ld Judas oder seine Brüder – besonders Jonatan – die Oberhand gewannen, die den Griechen verbündeten Gottlosen abgestoßen oder gezwungen wurden, in die Städte der benachbarten Völ ker Israels zu f liehen; viele von ihnen erweckten dabei den Eindruck, a ls ob sie aus Furcht um ihr Leben zum Herrn umgekehrt wären, wie es im Buch Daniel angedeutet wird : Während sie verfolgt werden, wird ihnen eine kleine Hilfe zuteil werden (Dan 11,34), und wie es [ z udem ] in einer der Chroniken berichtet wird. Nach der Erneuerung des Ku ltus im Jahr 148 verlief die Geschichte immer so weiter : Das eine Ma l siegten die hasmonäischen Helden, das andere Ma l wurden sie gesch lagen, und sie f lohen samt den Weisen und Frommen in die Berge oder in die nahegelegenen Wüsten. Erst nach dem Jahr 170, nach dem Ende des Befreiungskampfes, a ls das Joch der Griechen abgeschüttelt worden war, sind endgü ltig a lle Gottlosen vernichtet worden. Aus einer Zusammenfassung der Geschichte, die in den Midrashim überliefert wird, können wir außerdem entnehmen, dass der A nführer der Ḥasidim, der auch „der Fromme“ genannt wurde, Yosef ben Yo‛ezer hieß und dem zweiten Gesch lecht der Weisen der Mishna entstammte. Er ist mitten im K rieg, im Jahre 151 der Griechen, durch den Feldherrn Bakhides im Eifer gegen Gott hingerichtet worden [ vgl. 1 Makk 7,16 ]. Zuvor war er von den Griechen, nachdem das Hohepriesteramt einige Zeit vakant geblieben war und die Söhne Simons des Gerechten aus der Nachkommenschaft des Yehoshua‛ ben Yoṣadaq nicht umgekehrt waren, abgesetzt worden (aus den Midrashim ist er a ls der „Bedränger“ bekannt, der Sohn seines Neffen Yose ben Yo‛ezer; die Erzäh lung über die Ermordung des Frommen und über das, was er ihm bei seinem Tod mittei lte, verbreitete sich), und mit ihm sind noch weitere sechzig Männer von den Soferim und Frommen [ Ḥasidim ] hingerichtet worden. Dem hier Zitierten lässt sich entnehmen, dass zu Beginn des K rieges folgende Ha lakha noch nicht bekannt gewesen sein kann : „Es gibt nichts, was der Rettung eines Menschenlebens entgegensteht“ (bKet 19b). Das heißt : „Dass er in ihnen lebe, er sterbe nicht in ihnen“ (bSan 74a) ! Mattatias und die um ihn versammelten Weisen besch lossen an jenem Tage, in Lebensgefahr

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sogar am Shabbat zu kämpfen. Dieselben Ausdrücke werden auch im Hinblick auf die Beratung über die Steine des A ltars gebraucht, die die Griechen entweiht hatten und später verborgen wurden (das erwähnen sogar die Rabbinen in der Mishna Middot 1,[6,] dass das Haus Hasmon näm l ich die durch die Könige Griechen lands entweihten Steine des A ltars in einer der Zellen des Vorhofes, in einem profanen Teil, verborgen haben). Über den Grund für das Ḥanukka [ fest ] heißt es : „ Judas und seine Brüder befah len es“ (sie sind die Weisen, über die es heißt, dass sie an der Spitze standen). Über Jonatan heißt es, dass er im Jahre 160 Israel richtete und die Gottlosen verurtei lte, eine Grund lage für den Ausdruck „Gericht des Hauses Hasmon“ (bSan 82a). Und auch von unseren Wei70 sen wird es an jenen Orten erwähnt, wo | Urtei le und Verordnungen, gewichtige Gesetze gemäß der Zeitumstände erlassen worden sind. Ein Teil der oben erwähnten Strafe, mit der sie die Priesterordnung aus dem Stamme Bilga bedachten, blieb forma l bis zur Tempelzerstörung in Geltung, wie wir dem Sch luss des Traktates Sukka entnehmen können [ vgl. mSuk 5,8 ]. Offensichtlich wurde so während der ganzen Zeit der Brüder Judas, Jonatan und Simon bis in die Zeit Johannes Hyrkans, des Sohnes des Simon, verfahren – was noch näher dargestellt werden wird. A n dem Übersetzten lässt sich außerdem erkennen, dass, solange sich der Tempel und die Stadt noch in den Händen der Feinde befanden, sie einen Platz in Miṣpa wäh lten, zu dem die Zehnten, aber nicht die Opfer gebracht werden sollten. Und im Zusammenhang mit der Erfü llung des Naziräats wird erwähnt : Obwoh l man schon vom Gelübde befreit war, kam das Scheren des Haupthaares vor der Darbringung des Opfers. A nscheinend verfuhren sie genauso während der Zeit, a ls der Tempel entweiht war : die Entlassung des Naziräers von seinem Gelübde [ erfolgte ] nur aufgrund des Scherens. Möglicherweise lehrte sie [ d iese Ha lakha ] die Not der Stunde, da es in jener unruhigen Zeit viele Naziräer Gottes gab, worüber auch die schöne Erzäh lung von Simon dem Gerechten eine Generation vorher berichtet : „Einma l kam zu mir“ usw. (bNaz 4b). Doch ist dies nichts Neues, denn das Gericht des Hauses Hasmon hat in der Stunde der Not viele solcher Gesetze erlassen und so zur Sch lichtung dieser

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Streitfragen beigetragen, wie es auch einer Baraita zu entnehmen ist : „Die Geschichte von einem, der auf einem Pferd an einem Shabbat in den Tagen der Griechen ritt, und sie brachten ihn vor das Gericht des Seleukos, nicht wei l “ usw. (bSan 46a) (A nmerkung 10). Sofort nachdem sie sich vom K rieg und von der Unterdrückung der Griechen und ihrer Feldherrn, von der Niederträchtigkeit und der Böswilligkeit der Frevler erholt hatten, kam es zum endgü ltigen Absch luss der hei ligen Schriften, einer der größten Taten des Gerichtes des Hauses Hasmon. Dies ist übrigens geschehen, nachdem bereits die vierundzwanzig Schriften durch die Männer der Großen Versamm lung seit Simon II. genau und richtig aufgeschrieben worden waren. Wie dem Zeugnis der von uns übersetzten Chroniken und aufgrund einiger ihrer Verse zu entnehmen ist, hatten sie a lle Bücher verbrannt und geschändet, oder sie waren im Verlauf des langen K rieges in die Hände der Feinde gelangt und verfä lscht worden. Doch da erstanden jene guten Vorsteher, sammelten a lle heiligen Bücher auf die Weise, wie es die Soferim seit Esra getan hatten, und die Weisen jenes Gerichtshofes prüften a lle Schriften, die ihnen a ls nicht im hei ligen Geist geschriebene ga lten und ließen sie nicht mehr a ls kanonisch gelten und wiesen sie den apokryphen Schriften ihrer Sammlung zu. Viele dieser Schriften waren in der Zeit der Verfolgung so verdorben oder verfä lscht worden, dass man sie, wei l sich in ihnen sehr Schmäh liches und böse Gedanken von den Gottlosen fanden, vollständig verbarg. Das Unternehmen des Absch lusses der hei ligen Bücher ist woh l nicht vor dem Jahr 170, am Ende des K rieges, vollendet worden. Auch ist anzunehmen, dass diese A rbeit wegen der Gewichtigkeit der Entscheidungen einige Zeit in A nspruch genommen hat – jedenfa lls war sie bis um das Jahr 200, 180 Jahre vor der Zerstörung des Tempels, noch nicht vollendet worden (A nmerkung 11). Wir deuteten bereits an, dass am Ende des K rieges im Jahre 170 und nachdem das Land im Jahre 171 zur Ruhe gekommen und gereinigt worden war, das gesamte Vol k, indem es dem Hause Hasmon von Herzen dankte, übereinkam, die Führerschaft und das

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Hohepriesteramt Simon, dem Sohn Mattatias’, und seinen Nachkommen für a lle Zeiten anzuvertrauen. Dadurch wurde die Folge der Hohepriesterschaft seit Josua, des Sohnes Jozadaks, des ersten Hohepriesters der Exilsrückkehrer, vollständig von dieser Gruppe weggenommen, nachdem bereits vier Nachkommen aus dieser Familie a ls Hohepriester gedient hatten. Die Überlieferung über Simon wurde festgeha lten in einer besonderen Schrift, auf steinernen Tafel n eingemeißelt, die im Tempel des Herrn aufgestellt wurden, und ihr Text ist im ersten Buch der Makkabäer überliefert worden. Im Jahr 177 der griechischen Zeitrechnung, nachdem Simon hinterrücks durch seinen Schwiegersohn ermordet worden war, wurde sein Sohn Johannes an Stelle seines Vaters zum Herrscher ernannt, der (wie dama ls üblich) ebenfa lls mit zweitem, griechischem Namen Hyrkanus genannt wurde. Und man bedenke die Heldentaten, die Johannes | Hyrkan vollbracht hat : Wie er die Grenzen Israels fast so weit ausdehnte wie zur Zeit Davids und Sa lomos, wie er den Tempel der Samaritaner zerstörte, wie er das Vol k der Edomiter [ Idumäer ] zur Beschneidung zwang, sodass dieses Vol k seit jener Zeit vollständig in Israel aufgegangen ist – darüber berichten [ noch Genaueres ] die Geschichtsbücher unserer Nation. – Für uns ist a ll jenes von Bedeutung, was er auf dem Gebiet der Religion, des Glaubens und der Verordnungen zugunsten des geistigen Ergehens [ der Nation ] insgesamt vollbracht hat. An ihn wird lobend in unserer Mishna im Zusammenhang mit einigen seiner Verordnungen erinnert (Ende m MSh [ 5,15 ]); die wichtigste von ihnen : Die Verordnung über das (betreffs des Verzehnten) Zweifelhafte. Und es gebührt sich hier, darauf näher einzugehen : Denn in jenen Tagen des Erfolgs vermehrten sich die geschäft lichen Beziehungen, und der Handel mit den Erträgen des schönen und fruchtbaren Landes nahm zu. Obwoh l der Großteil des Vol kes auf die Entrichtung der Priesterhebe bedacht war, vernach lässigte man die Abgabe des Zehnten, und auf den Markt nach Jerusa lem und in die anderen großen Städte wurden unverzehntete Früchte gebracht, wo sie gehandelt wurden und oft den Besitzer wechselten, sodass es unmög lich wurde, über diesen Handel zu wachen. Und so kam es, dass unbekannt blieb, ob

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zum Markt gelangte Erträge verzehntet worden waren, und diese wurden daher mit der griechischen Bezeichnung : demai [ Zweifelhaftes ]1 versehen. A ls sich aber eine große A nzah l von Pharisäern aus dem einfachen Vol k abgesondert hatte und die Einha ltung a ller miṣwot im Sinne der Soferim und nach der Überlieferung der Weisen genau beobachtete (was sog leich noch genauer erläutert werden wird), konnte man die betreff s des Zehnten zweifelhaften Erträge nur noch im Tor, welches aus dem Markt hinausführte, kaufen, dort a lso, wo die Vol ksmenge und die übrigen Einwohner der Stadt sie zu kaufen pf legten. Jene Pharisäer näm lich wollten davon noch einma l den fünften Teil von ihm absondern, um die Hä lfte davon den Priestern zu geben und die andere Hä lfte in Jerusa lem zu verzehren oder umsonst im dritten und sechsten sowie im Brachjahr – gemäß einer Interpretation der Tora durch die Soferim – den Armen zu geben. So entstand aber unter den Frommen große wirtschaft liche Not und Mangel beim Lebensunterha lt. Johannes Hyrkan berief daraufhin eine Gerichtsversamm lung ein und besch loss, die Abgabe des erwähnten ersten Zehnten von den Erträgen aufzuheben (den sie ohne diese Regelung den Priestern entrichtet hätten, ohne dass dies geschrieben stünde). Außerdem hob er den Zehnten für die A rmen in jedem dritten und sechsten Jahr der Jahrwoche auf. Man stützte sich dabei aber auf den vermögensrechtlichen Grundsatz : „Demjenigen, der eine Geldforderung an jemanden richtet, obliegt die Beweisführung“ (m BQ 3,11); und sie ließen von den Abgaben für die Priester und die A rmen, welche sie von der Tenne und der Weide nehmen mussten, und sie verordneten, dass nichts mehr von den zweifelhaften Erträgen, die auf dem Markt erworben worden waren, wie für die Hebe des Zehnten, die auch a ls heilig gilt – a lso zehn zu eins –, abgegeben werden muss. Ihre Abgabe in Sündenschu ld zieht genauso die Strafe des Himmels nach sich wie bei der Priesterhebe. Das Gebot des Zweiten Zehnten beließen sie jedoch so wie es war, denn dieses zu erfü llen, fiel nicht schwer – insbesondere, wei l die Tora und die Ha lakha die Erleichterung erlauben, wie dem Kenner bekannt 1 Vg l.

dazu auch unten Pforte 13; K rochma l, Writings, 220.

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Pforte 10

sein dürfte. Außerdem strömte man schon seit jeher zu den Festen und besonders zum Pesaḥ [-Fest ] nach Jerusa lem. Darin aber bestand die wichtigste Verordnung der Pharisäer und ḥaverim, [ dass sie erlaubten, ] den einfachen Ertrag von den im Hinblick auf das Verzehnten unzuverlässigen ‛ame ha-areṣ kaufen zu dürfen, [ u nd zwar ] im Tor, welches vom Markt aus hinausführt. Sie verloren dabei wirk lich nur den hundertsten Teil. So sagten sie : „Zu seinen – Johannes Hyrkans – Lebzeiten brauchte niemand nach dem Zweifelhaften zu fragen“ (mMSh 5,15). Wenn er von einem Bekannten gekauft hat, so gi lt der Ertrag bereits a ls richtig verzehntet. Wenn der Verkäufer jedoch ein ‛am ha-areṣ ist, so entscheidet der Käufer selbst über die mögliche Erleichterung. Außerdem wird in der Mishna erwähnt, dass man die öffentliche Erk lärung über die Absonderung des Zehnten abschaff te, und auch dies beruhte auf einer Auslegung der Tora. Doch dies geschah mit großer Umsicht, damit die zu erschwerenden oder die zu erleichternden Gebote in Bezug auf die notwendigen Veränderungen der Verzehntung nicht zu sehr hervorgehoben würden. Des Weiteren wird erwähnt, dass 72 Johannes | die Leviten davon abhielt, den Psa l m Gott, es sind Feinde in dein Land eingefallen (Ps 79,1), über das Opfer zu singen, wie es zur Zeit des K rieges und der Bedrängnis aufgekommen war (unsere Meinung über das Alter [ dieses Psa lms ] und derjenigen, die ihm verwandt sind, haben wir bereits in Anmerkung 3 geäußert). In den Tagen des Hyrkan – welches gute Tage für Israel waren und in denen es keine Schmähungen durch ihre Nachbarn gab, und sie nicht – wie früher – Spott mit ihnen trieben, indem sie sie sch lagen und vernichten wollten, hat man daher seine Rezitation untersagt. Der in der Mishna hierfür angedeutete Grund ist sehr zutreffend. Denn in Zeiten der Blüte konnte die Verwendung dieser Ausdrucksweise schwer verständ lich erscheinen und Schaden unter der Menge des Vol kes anrichten. Entsprechend unserer Vorgehensweise können wir aus a ll dem entnehmen, dass in der Gerichtsversamm lung des Hauses Hasmon, welche anscheinend bis zum Ende der Tage des Johannes Hyrkan regelmäßig zusammengetreten ist, der Fürst und Hohepriester gleichzeitig Vorsitzender zweier Versamm lungshäuser der Weisen gewesen ist, in denen über a lle wichtigen Grund-

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lagen und Verordnungen der Tora entschieden worden ist. Daher werden a lle jene Verordnungen mit ihm in Verbindung gebracht, nicht aber mit Josua, dem Sohn Perachjas, und Nitai, beides Vorsteher jener Institutionen in jenen Tagen.

Um das Jahr 200 nach griechischer Zeitrechnung, gegen Ende der Herrschaft Johannes Hyrkans, verstärkten sich der Gegensatz und der Streit zwischen zwei bestimmten Sekten, die neu in Israel – besonders im Heiligen Land – erstanden waren : den Sekten der Pharisäer und der Sadduzäer; Sekten, die von Beginn an unterschied liche Auffassungen hinsicht lich Religion und Glaubensfragen vertraten. Später aber forderten beide für sich sogar die Regierungsgewa lt und vertraten gesellschaftlichen Herrschaftsanspruch und mischten sich in die pol itische Führung und deren Belange ein. Die zwischen ihnen aufkommende Feindschaft aber wurde gegen Ende dieser Epoche und zu Beginn der nun folgenden Periode des Niedergangs zu einer nicht versiegenden Quelle ungezäh lten Unrechtes. Dies wird im Folgenden ausgeführt werden, und so müssen wir die dies betreffenden Umstände etwas ausführlicher darstellen : Nach dem Ende des K rieges gegen die Griechen sind die Gottlosen, die den Griechen weiter anhingen, vernichtet worden. Das Vol k kehrte aus tiefstem Herzen zum Herrn zurück, und ein großer Teil der Rechtschaffenen und Frommen bemühte sich sehr, jene Tora einzuha lten, für die sie ihr Leben hingegeben hatten und für die ihr Blut vergossen worden war. Man nahm sich vor a llem Verbotenem, Gräuel und Unreinheit in Acht, um immer bereit und geeignet zur A nnäherung an Geheiligtes zu sein, ebenso achtete man darauf, kein Essen zu sich zu nehmen, von dem nicht zuvor a lle Heben gemäß der Tora abgesondert worden waren. A ll dies aufgrund der Erläuterungen, Entscheidungen und Einschränkungen jener Schriftgelehrten und Ha lakha-Lehrer, die ihre Gruppe selbst a ls die Sekte der perushim [ Pharisäer ] bezeichneten, da sie sich in a ll den erwähnten A ngelegenheiten, die dama ls noch nicht genau beobachtet wurden, vom ‛am ha-areṣ absonderten.

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Man erkenne daran aber, dass jene große Gemeinschaft wirklich aus den Frommen und Bewahrern des Bundes aus der Zeit des K rieges hervorgegangen und entstanden ist. In jener Generation aber waren längst nicht a lle Mitglieder dieser Gemeinschaft Weise und Schriftgelehrte, sondern man befolgte auch die Worte der Weisen. Die Pharisäer hatten sich näm lich zu einem Teil aus Weisen und zu einem anderen aus dem ‛am ha-areṣ zusammengefunden. Das einfache Vol k verehrte die Pharisäer, und man fand bei ihnen, wie man die miṣwot erfü llen konnte, sodass man sich schließlich ebenso wie sie verhielt (obwoh l die Leute des einfachen Vol kes bei den Pharisäers nicht a ls genauso zuverlässig hinsichtlich der Reinheits- und der Heiligkeitsgebote ga lten), und die Pharisäer ließen dies – nach ihren Aussagen – zu. In Glaubensweise und Erfü llung der Gebote bestand zwischen den frühen Pharisäern und den Rabbinen nach a llen uns zur Verfügung stehenden Zeugnissen der münd lichen Überlieferung kein Unterschied, nur dass sie zu jener Zeit eine eigene Sekte und Gemeinschaft [ ḥavura ] gebildet haben, was noch auszuführen sein wird. Um die Bedeutung und die Absicht dieses Satzes zu verstehen, seien hier [ z unächst ] a lle Nachrichten an anderen Orten und in frühen Schriften herangezogen, in denen die Pharisäer und die übrigen Sekten aus der Zeit des Zweiten Tempels erwähnt werden. Zunächst untersuchen wir das Materia l über die Pharisäer und Sadduzäer bei Yosef ben Mattatias [  Josephus ]. (Er hatte ja eigent lich zu den Pharisäern und zu den Aufständischen | zur Zeit der Zerstörung [ des Tempels ] gehört,) a lso in seinen Büchern, die er für die Römer und Griechen geschrieben hatte – auch er war ja wie die Juden A lexandriens in ihrer Gelehrsamkeit ausgebi ldet worden. Jene Bücher haben für uns aber die Griechen und Römer überliefert, nachdem sie eindeutig an einigen Stellen durch Irrtum oder aus Böswilligkeit der Abschreiber verfä lscht worden waren. [  Josephus ] berichtet [ a lso ] (A nt. XIII 5,9) : „Zu jener Zeit ( Jonatans, des Hasmonäers) gab es unter den Juden drei Sekten mit unterschied lichen Auffassungen über die mensch lichen Verhä ltnisse : die Sekte der Pharisäer, die Sekte der Sadduzäer und die Sekte der Essener. Die Pharisäer behaupten, dass nicht a lles das Werk des Schicksa ls sei, vor

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dem man nicht f liehen könne, sondern dass manches in den Händen des Menschen läge, ob es eintreffe oder nicht [ … ]. Der Erfolg Johannes Hyrkans erweckte den Neid und die Feindschaft bei den Juden, besonders unter den Pharisäern, die, wie ich bereits erwähnt habe, eine jüdische Sekte bildeten. Sie standen beim Vol k in so hohem A nsehen, dass sie stets Glauben fanden, selbst wenn sie etwas gegen den König oder den Hohepriester vorgebracht hatten. Hyrkan war Schü ler dieser Sekte und war bei ihnen hoch angesehen“ usw. [ A nt. XIII 10,5 ] (hierauf folgt die Geschichte über Eliʽezer ben Poʽira und die Versamm lung der Pharisäer, die wir noch erläutern werden). Doch die Pharisäer antworteten ihm, dass er – Eliʽezer – besser gefangen und gefesselt würde; dies jedoch nur, weil sie meinten, ein Mensch könne nicht aufgrund einer Verleumdung mit dem Tode bestraft werden, denn es entspricht der A rt der Pharisäer, mi ld zu bestrafen [ vgl. A nt. XIII 11,6 ]. In seinem Bericht über Judas, den Ga liläer, einen Pharisäer aus der Stadt Gadara in Ga liläa, erwähnt er auch einen gewissen Ṣadoq, mit dem gemeinsam er das Vol k aufstachelte, die Kopfsteuer nicht mehr an die Römer zu entrichten und ihnen nicht mehr zu dienen, denn es sei ihnen verboten, die K nie vor irgendjemand anderem zu beugen a ls vor Gott [ A nt. XVIII 1,1 ]. Er berichtet außerdem, dass das Vol k auf sie zu hören begann, und er merkt dazu an, dass hierin eine der Ursachen für die Zerstörung des Tempels und den Verlust der Staatlichkeit läge, a ls sie die Bräuche des Vol kes zu verändern begannen und sich neue Vorstellungen zu verbreiten begannen. Josephus fährt fort : „Vor Zeiten (betont er, oder es liegt ein Verderbnis durch den Abschreiber vor – jedenfa lls lag dies nicht mehr a ls 220 Jahre zurück !) gab es bei den Juden drei Sekten, drei A rten der Philosophie und Ethik … Die Pharisäer leben entha ltsam, sowoh l hinsichtlich des Essens a ls des Trinkens, und sie f liehen jedes Vergnügen. Was vernünftige Überlegung a ls gut erscheinen lässt, dem folgen sie und ha lten es genau ein; sie sagen, dass es gebührt, a lles zu ertragen, um die Gebote zu befolgen, die uns die Vernunft lehrt. Sie pf legen es, die A lten zu ehren, und sie wagen es nicht, was die A lten von jeher lehrten, aufzuheben. Auch wenn sie behaupten, a lles geschehe gemäß dem Schicksa l oder gemäß gött lichem Rat-

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sch luss, so leugneten sie dennoch nicht den Willen des Menschen, sich selbst zu bestimmen. Sie sagen auch, dass es Gott gefa lle, dass die Schicksa lsfügungen und das eigenständige Trachten des Menschen zusammenwirken, wesha lb jeder zwischen Gut und Böse entscheiden könne. Sie glauben auch, dass den Seelen eine K raft der Unsterblichkeit innewohnt und dass sie unter der Erde Lohn und Strafe erha lten für a lles, was sie an Gutem oder Sch lechtem vollbracht haben : Für diese ewige Bestrafung, für jene die K raft zum Leben und um ins Leben zurückzukehren. Daher werden sie beim Vol k sehr geachtet, sodass a lles, was Gebete und die Darbringung oder die Gelübde eines Opfers anbelangt, nach ihrer Auffassung zufolge beobachtet und vollbracht wird; das Vol k in den Städten behauptet sogar, dass die Pharisäer in a llen A ngelegenheiten, die das tägliche Leben betreffen, auf der besseren Seite stünden“ (A nt. XVIII 1,3). (Aus dem Buch über den jüdischen K rieg – den K rieg der Tempelzerstörung – Buch II 8 :) Die beiden bedeutendsten Sekten, vor a llem die Pharisäer, aber auch die Sekte Judas, des Ga liläers, die eigent lich auch zu jener zäh lt, außer in Bezug auf die unterschied liche Meinung betreffs der Unterwerfung : diese Phari74 säer a lso meinen, dass sie | die Tora treffender und besser auslegen; daher haben sie auch a ls erste eine Gemeinschaft gegründet. Und sie behaupten, dass a lles durch Gott vorherbestimmt sei und dass es eine natürliche Ordnung sowie einen Schicksa lsglauben gäbe, dennoch könne der Mensch auch zwischen Gut und Böse entscheiden, obwoh l in a llen Belangen eine gött liche Vorsehung existiere. Die Seele vergehe nach dem Tod nicht, und die Seelen der Weisen kehrten in ihre Körper zurück, die Seelen der Frevler jedoch erlitten unend liche Qua len. In seiner Autobiographie schrieb er : „ A ls ich sechzehn Jahre a lt war, fasste ich den Entsch luss, unsere Sekten zu prüfen, Pharisäer, Sadduzäer und Essener, um dadurch die beste ausfi ndig machen zu können, dass ich sie a lle kennen lernte … A ls ich neunzehn Jahre war, entschied ich, den Lebensweg der Pharisäer zu prüfen, die der stoischen Philosophie bei den Griechen am nächsten kommt“ [ Vita I 10.12 ]. Soweit die Worte Yosefs, des Priesters, über die Lebensweise der Pharisäer, die wir Wort für Wort nach unserem Vermögen übersetzt haben. A lles, was er über

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ihre Auffassungen und ethischen Maßstäbe berichtet, stimmt mit dem, was unsere Weisen berichten, weitestgehend überein. Die drei Themen der Eschatologie werden bei ihnen jedoch [ nur ] angedeutet : „ A lles ist vorherbestimmt (die Vorsehung und das Schicksa l), doch die Freiheit zur Wah l ist gegeben (die Wah lfreiheit), und die Welt wird in seiner Güte beurtei lt (das Gericht des Herrn gemäß der individuellen Vorsehung)“ (m Av 3,1). Ebenso heißt es : „A lles liegt in Gottes Hand, außer der Gottesfurcht“ (bBer 33b). Nach der richtigen Deutung durch den R av [ Moshe ben Maimon ] in seinem Schreiben1 umfasst a lle mensch liche Tat aufgrund freier Wah l die Gottesfurcht, und seine Belegstelle lautet : Damit er nicht im Krieg umkomme (Dtn 20,5), nach dem Diktum : „A lles liegt in Gottes Hand, außer einer Erkä ltung“ (bKet 30a). (Und in der A ntwort Davids an Abischai (1 Sam 26,10) : Der Ewige mag ihn hinraffen, oder der Tag wird kommen, dass er stirbt, oder er zieht in den Krieg hinab und wird hinweggeraff t. – Diese drei Streitpunkte sind ein Erweis des A lters der Auffassungen der ersten Pharisäer, was noch genauer in der Zusammenfassung der Hauptgedanken der Rabbinen erläutert werden wird.) Dass die Pharisäer maßvoll Recht sprachen, ist in einem anderen Diktum belegt : „Ein Synhedrion, das in einem Septennium eine Todesstrafe vollzieht, wird Verderben bringend genannt“ (mMak 1,10). Alles andere ist offensichtlich und bekannt und bedarf keines Nachweises. Jedoch soll man bedenken und wissen, dass a lle angeführten Worte der Pharisäer, die unserer Überlieferung entstammen, sich auf Erkenntnisse und ethische Taten beziehen, die durch einzel ne Personen vertreten wurden. Sie legen jedoch Zeugnis dafür ab, dass ihr Zusammensch luss gegenüber den anderen ihnen feind lich gegenüberstehenden Gruppen eine 1 K rochma l

bezieht sich auf die Acht K apitel, wo der angeführte Belegvers zitiert wird. Der hebräische Text fi ndet sich in den Ausgaben des Bavl i, Druck Wi l na, mit a llen Kommentaren : Seder Neziqin, Pirqe Avot, Shemone peraqim le-ha-R ambam, 3d (pereq shemeni). Für eine Übersetzung des arabischen Textes vg l. Acht K apitel. Eine Abhand lung zur jüdischen Ethik und Gotteserkenntnis, A rabisch und Deutsch von M. Wol ff. Mit einer Einführung und Bibl iographie von F. Niewöhner, 2. durchgesehene Auf lage, Hamburg 1992, 60.

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sich ständig vergrößernde Sekte war. Doch entstanden in ihr mit der Zeit auch negative Erscheinungen, wie es in jeder Gesellschaft und eigenständigen Gruppe vorkommt und sich trotz a ller guten A nfänge verfestigen kann; wie es im Kommentar über den Vers ihr sollt euch nicht teilen [ wörtlich : wund ritzen ] (Dtn 14,1) heißt : „Ihr sollt euch nicht in einzel ne Gruppen spa lten“ (bYev 13b). So kam es, dass sich die Sekte in der Generation nach der Tempelzerstörung auflöste und ihr Name vergessen und zu einem Schimpfwort wurde, wie es in einer a lten Baraita heißt : „Es gibt sieben A rten von Pharisäern“ usw. (bSot 22b). Auch wenn wir heute nicht mehr ihre ursprüngliche Bedeutung kennen, so ist doch k lar, dass sie a lle Bezeichnungen der Verachtung sind; wie der Kommentar zu dem Satz „Was ist unsere Pf licht; und wir werden sie erfü llen“ (bSot 22b) zeigt, dass unter den Weisen der Brauch aufkam, das Maß am A nteil an der zukünftigen Welt und der ethischen Vervoll kommnung mitzuteilen. So werden auch die übrigen Pharisäergruppen a ls unvernünftige Abspa ltungen dargestellt, die entweder Prah lerei oder Heuchelei pf legten. So kam auch die Bezeichnung „Hinterlist der Pharisäer“ (mSot 3) zustande : Einma l wird eine pharisäische Frau unter die Genießer gezäh lt, und man fragte in a ller Einfa lt : „Sollen wir etwa die Verse der Bibel nach A rt der Pharisäer auffassen und auslegen ? “ (bPes 70b). – Auch wird dort auf jemanden unter den Weisen verwiesen, der sich wie ein Pharisäer verhielt. Aus a ll dem wird ersichtlich, dass bereits den Rabbinen dieser Name befremd lich erschien. Mit dieser Frage haben wir uns nur desha lb so lange aufgeha lten, um denen, die eine andere Meinung vertreten, eine A ntwort zu geben. Man kann ihnen a lso antworten, dass a lle Makel und Beschimpfung der Pharisäer in jener Zeit und unter jenen Bedingungen entstanden sind : Sie waren die meiste Zeit eine gespa ltene und zerstrittene Sekte; dennoch pf lichten sie a llem bei, was die Pharisäer zu tun anordneten. Sie waren diejenigen, die auf dem Stuh l des Moses saßen, und man meinte : Durch sie sind die 75 Sch lüssel der Weisheit übergeben worden. | Über die A nfänge der sadduzäischen Sekte sind wir durch eine Aggada in Avot de-Rabbi Natan unterrichtet [ A RN A 5 (13b) ]; ihre A nfänge lagen in der Zeit des A ntigonus Ish Sokho, vor der Ver-

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folgung, in der ersten oder zweiten Generation der Tora-Lehrer. Jedoch bildeten sie bis nach dem K rieg, a lso bis um das Jahr 200 – 180 Jahre vor der Tempelzerstörung – der griechischen Zeitrechnung, keine besonders defi nierte Sekte. Der Grund für ihre Entstehung ist im Streit über die Entscheidungen der Schriftgelehrten und über die überlieferten Auslegungen der miṣwot zu suchen; vor a llem ging es um die wichtigste Lehre von a llen : den Glauben an das ewige Leben und daraus folgend den Glauben an die Auferstehung der Toten, die in der Tora begründet werden. In jenen frühen Jahren waren der Gegensatz und die tota le Meinungsverschiedenheit noch nicht hervorgetreten. Dies geschah erst, nachdem die Traditionen und die Überlieferung der Ä ltesten durch das Auftreten der Sekte der Pharisäer gefestigt worden waren und sie sich – wie es dem oben angeführten Bericht des Josephus zu entnehmen ist – zu einer eigenen Gemeinschaft formten. Auch in den Prophetien des Daniel, den Makkabäerbüchern und bei Josephus, dem Priester, fi nden sie in der Zeit des K rieges, a lso bis zum Jahre 170, keine Erwähnung. A nders dagegen die Gottlosen : jene, die widerspenstig wurden, gänz lich von der Tora abfielen und Griechen zu werden versuchten, nicht aber jene, die sich bemühten, die A nführer des mosaischen Glaubens im A llgemeinen wie im Besonderen zu sein, sondern die, die in ihren Auslegungen und mit ihrem Glauben diese Tradition abschütteln wollten. Es finden sich auch keine Hinweise darauf, dass sie über eines der vierundzwanzig Bücher der Heiligen Schrift und ihre Kanonizität stritten, wie es etwa die Samaritaner taten. Dies belegt auch der ungenaue Spruch in Avot de-Rabbi Natan (ARN A 5 [ 13b ]) : „Und sie lehrten ihren Schülern und den Schü lern ihrer Schü ler einen Ausspruch (den bedeutenden Spruch des A ntigonus von Sokho). Und sie sprachen : Was sahen unsere Väter, dass sie so sprachen“ usw. ? Auch hier möchte ich für denjenigen, der die Rabbinen kennt, eine Übersetzung der diesbezüg lichen Stelle aus Josephus darbieten (A nt. XIII 5,9) : „Die Sadduzäer wollen überhaupt nichts vom Verhängnis wissen und leugnen es sch lichtweg, sondern behaupten, a lles geschehe nach dem Willen des Menschen und wir a llein seien die Ursache a lles unseres Glücks, welches uns widerfährt, wie auch

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des Unglücks, welches uns wegen unseres Unverstandes zustößt.“ Nach dem Bericht über Hyrkan und Eliʽezer ben Poʽira fährt er fort : „Jonatan (der Sadduzäer) hetzte ihn so lange auf, bis er von den Pharisäern abfiel und in die Sekte der Sadduzäer eintrat. Und er verbat die Gesetze, die die Pharisäer dem Vol k gegeben hatten, und bedrängte jeden, der sie zu befolgen suchte. Daher kommt es, dass von da an der Hass des Vol kes sich gegen Hyrkan und seine Nachkommen richtete. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass die Pharisäer dem Vol k viele Worte (man kann auch ‚Gebote‘ übersetzen) auferlegten, die sie von den Vätern überliefert bekommen hatten und die sich nicht in den Geboten des Mose fi nden. Daher verwerfen die Sadduzäer sie und sagen, dass man nur verpf lichtet sei zu ha lten, was geschrieben steht, die Lehren (oder : Gebote) der Väter könne man aber verlassen.“ Über dieses Problem gab es zwischen beiden Seiten oft Diskussionen, heftigen Streit und große Zwistigkeiten; dabei hatten die Sadduzäer die Reichen und Mächtigen auf ihrer Seite, die Masse des Vol kes tendierte dagegen zu den Pharisäern (A nt. XIII 10,6). „Die Sadduzäer lehren a lso, dass die Seele mit dem Körper zugrunde geht, und sie rühmen sich, dass sie nur (geschriebene) Gesetze zu erfü llen brauchen. Und sie gewinnen sogar Oberhand über ihre Lehrer, die ihre Weisheit lehrten, um den Verstand zu erneuern; und dies rechnen sie sich zum Lob und Ruhm an. Diejenigen, die dieses System (man kann auch mit ‚Lehre‘ übersetzen) befolgen, sind nur wenige. Doch zum größten Teil gehören sie den höchsten Ständen an; dennoch betätigen sie sich nicht im öffentlichen und politischen Leben. Fa lls sie doch einma l genötigt werden, die Führerschaft zu übernehmen, so werden sie gegen ihren Willen gezwungen, anzunehmen, 76 was | die Pharisäer verordnen, denn ansonsten ertrüge sie das Vol k nicht“ (A nt. XVIII 1,4).1 „Die Sadduzäer sind die dritte [ eigentlich die zweite ] Sekte, leugnen das Schicksa l völlig und behaupten, dass Gott mit a llem, was er tut, sei es gut oder sch lecht, nichts zu tun habe. Sie meinen, es gäbe völlige Freiheit für den Menschen zu tun, was ihm gefä llt; sie lehnen auch die Unsterblichkeit der Seele 1 Die

Stellenangabe in K rochma l, Writings, 76 ist vertauscht.

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ab sowie die Bestrafung der Frevler in der She’ol [ Unterwelt ] und die Belohnung der Gerechten, nachdem sie gestorben sind … Die Sadduzäer pf legen rohe Umgangsformen, und sie sind gegenüber ihren Nächsten unnachgiebig; sie verha lten sich gegenüber ihren Brüdern in der Gemeinschaft genauso unnachgiebig wie gegenüber Fremden“ (Bell. II 8,14). Dies stimmt genau mit dem überein, was die Rabbinen an vielen Stellen in Ta l mud und Midrash berichten, und es ist nicht nötig, diese Stellen hier anzuführen. Denn was über die Stärken der Pharisäer und die Schwächen der Sadduzäer berichtet wurde, ist voll kommen zutreffend, und es wurde ungefähr zu ihrer Zeit, nur sechzig Jahre nach ihnen, niedergeschrieben. In jener Zeit gab es sogar noch vereinzelt Sadduzäer aus dem Sanhedrin oder aus der Hohepriesterschaft, wie aus ihren Bemerkungen ersicht lich ist, und wir wissen daher auch Genaueres über die Hohepriester Kephas und A nnanias. Von jener Zeit heißt es in Mishna Yoma : „Und sie beschwören ihn, dass er kein Sadduzäer (bei der Verrichtung seines Dienstes) sein soll “ (vgl. mYom 1,5). Und in der Tosefta wird an ihre A rt des Libationsopfers und die Zubereitung der Roten Kuh zur Zeit Rabban Yoḥanan ben Zakkais kurz vor Tempelzerstörung erinnert. Im Traktat Sanhedrin (52b) wird ein Gebot erwähnt, welches sich auf die Tochter eines Hohepriesters bezieht, die nach Auffassung des Sanhedrins Hurerei betrieben hatte und die die Magd eines Sadduzäers war. Auch dies soll kurz vor der Tempelzerstörung geschehen sein, a ls Rabbi Eliʽezer ben Hyrkanos noch ein Jüngling war. Außerdem sei hier die Stelle aus der Baraita des Rabbi Natan [ A RN A 5 (13b) ] vermerkt : „Die Sadduzäer benutzten si lberne und goldene Geräte; nicht dass sie darauf stolz waren, sondern die Sadduzäer pf legten zu sagen : Es entspricht der Tradition der Pharisäer, sich in dieser Welt zu kasteien, und in der Kommenden Welt werden sie nichts dafür erha lten.“ Demzufolge lebten sie a lso ein genussvolles und verschwenderisches Leben, und dies stimmt mit Josephus überein, dass sie zu den Reichen im Vol k gehörten und die einf lussreichen Ä mter besetzten. Er vergleicht die Pharisäer mit den A nhängern der stoischen Phi losophie, die das System der epikureischen Philosophen ablehnten; jene meinten, es gäbe

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[ näm lich ] nichts Höheres a ls die sinn lichen Genüsse. Diese beiden philosophischen Schu len, die sich in ihren Auffassungen und ihrer Lebensweise unterschieden, waren den Griechen zu jener Zeit woh l bekannt. Die Aussagen, dass sie nicht hochmütig waren, widersprechen a llerdings dem g laubwürdigen Zeugnis des Josephus in diesem Punkt : Auch bei den Griechen und Römern ga lten die A nhänger des epikureischen Systems nicht a ls demütige Menschen; insbesondere gi lt dies für ihre hervorragendsten Vertreter. Im Gegenteil : Sie waren hochmütige und stolze Menschen. Vielleicht liegt hier a lso eine Textverderbnis vor. Diese Mishna ist auch die einzige Stelle, die dies erwähnt, und sie wird an keiner anderen Stelle überliefert. Diese Baraita gehört im Übrigen auch nicht zu den ausdrück lich [ a ls solche eingeführten ] und wird ohne Erläuterung überliefert, wie es Rabbi Ḥiyya und Rabbi ‛Oshaya bei wenigen Baraitot gemacht haben. Wenn dort a lso die Bezeichnung Sadduzäer vom Namen des Mannes Ṣadoq abgeleitet wird, kann es sein, dass sie sich selbst im Gegensatz zu den Pharisäern oder zu den Frommen, die in der Zeit der Verfolgung den Ursprungskern der Pharisäer gebi ldet hatten, eigent l ich a ls Ṣaddiqim bezeichneten, dass der Name jedoch a ls Schimpfwort verstanden wurde, wie es im Traktat ʽAvoda Zara heißt : „Der Ort hieß Quelle für A lles, doch sie nannten ihn Quelle der Stachel “ (vgl. bAZ 46a). (A nmerkung 13) Es lohnt sich ebenso, über die dritte Sekte zu berichten ( Josephus nennt sie die zweite) : Die Essener oder die asketischen Naziräer, die eindeutig auch zu derjenigen Zeit entstanden sind, die wir gerade erläutert haben : Über sie berichtet Josephus (wiederum in seiner Autobiographie) sehr ausführlich, und auch Philo bzw. Yedidya dem A lexandriner und einigen der frühen paganen Gelehrten waren sie bekannt. Ihre Spuren lassen sich sogar bis in die Aussagen der Rabbinen verfolgen, die über ihre Auffassungen und Bräuche im Ta l mud und im Midrash berichten. Bei dieser Sekte dreht sich jedoch a lles um eine besondere Weisheit der gött lichen Lehre und Auslegung der Tora, die den verborgenen und a llegorischen Sinn deutet (auch wenn sie den Litera lsinn nicht gänz lich ablehnten). Ihren Ausgang nahm diese A rt des Studiums, diese | beson-

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dere Lebensweise jener Sekte, unserer Meinung nach unter den Juden der hellenisierten Metropolen – darüber hoffen wir noch, so Gott will, in einer gesonderten Pforte über die Erkenntnis bei den Juden A lexandriens zu berichten, und dort möchten wir auch die Aussagen über die Sekte der Essener in a llen Einzel heiten und chronologisch erläutern. Hier wollen wir uns mit einer a llgemeinen A nmerkung zu den Sekten, die es zur Zeit des Zweiten Tempels gegeben hat, begnügen : Nach a llem, was bisher über sie ausgeführt worden ist, kann man festha lten, dass sich die Sekten untereinander nicht völlig voneinander unterschieden, wie etwa wir uns von der Sekte der Karäer oder gar die verschiedenen christ lichen Konfessionen untereinander. Jene sind ja in a llen Belangen a ls grundverschiedene Glaubensgruppen zu betrachten mit ihren je verschiedenen re ligiösen Praktiken. Die Sekten zur Zeit des Zweiten Tempels dagegen waren in ihren Glaubensauffassungen und in einigen ihrer Bräuche sehr ähn lich und miteinander in einer Ku ltusgemeinschaft verbunden, so wie man auch heute unter uns in unser Feh lbarkeit Unterschiede in den Auffassungen und Bräuchen beobachten kann [ , wir aber dennoch ein Vol k sind ]. Jene Sekten waren nicht in höherem Maße voneinander unterschieden a ls die [ R ichtungen ] in heutiger Zeit. Zum Beispiel hören wir nichts darüber, dass man es vermied, untereinander zu heiraten. Auch nahmen a lle, trotz der dauernden Auseinandersetzungen, am Tempel ku lt teil und besuchten die Versamm lungs- und Gerichtshäuser. Besonders in den breiten Schichten des ungebi ldeten Vol kes scheint man auf jene Differenzen zwischen den verschiedenen Lehrweisen hinsicht lich der Tora und des Ku ltus nicht viel gegeben zu haben, obwoh l man – wie oben angedeutet – in jener Blütezeit in recht lichen und gesetzlichen Fragen stets den Auffassungen der Pharisäer und ihrer Führung zu folgen pf legte.

Doch kehren wir noch einma l zu Johannes Hyrkan zurück : Der bereits erwähnte Vorfa ll mit den Pharisäern, der seine Meinung über sie in Hass verwandelte, geschah aufgrund übler Nachrede hinsichtlich seiner Abstammung. Dies geschah tei lweise mittels ge-

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wöhn licher Lüge, doch geeignet für jeden, der einen Vorwand und Streit suchte – eine Ursache für Feindschaft und Nachstellungen in der gesamten Epoche des Zweiten Tempels und auch noch danach. Üble Nachrede wurde etwa gegenüber einigen Städten und Sippen geäußert : Besonders gegenüber Babylonien, aber auch, wie jener Stelle über die zehn Verwandtschaften im Traktat ‛Eduyot [ mEd 8,7 ] zu entnehmen ist, gegenüber der Sippe der Ṣerefa etc., was noch an anderer Stelle erläutert werden wird.

Der Geschichtsschreiber Josephus berichtet jedoch, wie oben erwähnt, dass ihn die Pharisäer, bereits bevor das Feuer des Hasses zwischen dem Fürsten und seiner Nachkommenschaft und der Sekte an lässlich dieses Vorfa lls ausgebrochen war, beneideten. Es war woh l nur der A n lass für diesen. Doch gibt es eine Mishna, die darüber genau berichtet, und wir führen sie hier an (sie ist eine jener apokryphen Mishnayot, die die Tannaiten über die Geschichte Israels und die Entwick lung der Rabbinen in reinstem späten Hebräisch lehrten; die meisten von ihnen sind im Laufe der Zeit verloren gegangen oder wurden von ihren Tradenten verfä lscht, sodass sie von Generation zu Generation immer weniger wurden; auch fanden sie keinen Eingang in die rabbinischen Yeshivot; auch die hier interessierende wird nicht ausdrück lich in den Ta lmudim erwähnt, sondern nur andeutungsweise im Zusammenhang mit den Geboten über verbotene Verwandtschaftsverhä ltnisse [ bQid 66a ]; außerdem geschah hier eine Vertauschung, denn dem Sohn wird zugedacht, was dem Vater geschah, und zudem wird am Ende der Stelle das Frühe a ls spät datiert. So tradiert in Wirk lichkeit Abayye diese Baraita hier, und er sagte tatsäch lich : „Er ist Yannai, der Johannes, und sie stritten über ihn zu Recht“ [ bBer 29a ]. So heißt es) : „Eine Baraita : Eine Geschichte von König Yannai, der nach Koḥ lit (wahrschein lich eine Wüstenregion, entsprechend dem ebenfa lls von den Rabbinen erwähnten Ḥu latha bei A ntiochia; a ll diese Gegenden werden Griechisch a ls Coelesyria bezeichnet) in die Wüste zog“ (bQid 66a). Und er eroberte dort sechzig Ortschaften. A ls er zurückkehrte, feierte er ein großes Fest, rief a lle Weisen Israels zusammen und sprach

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zu ihnen : „Unsere Väter (die Heimkehrer aus der Verbannung) aßen Gesa lzenes (nach Rashi : Gemüse), a ls sie den Tempel errichteten, lasst uns a lso auch Gesa lzenes in Erinnerung an unsere Väter essen.“ Sie brachten daraufhin Gesa lzenes auf einem goldenen Tisch und aßen es. Doch dort gab es einen üblen und nutz losen Mann, El iʽezer ben Poʽira sein Name (nach Josephus gehörte er der Sekte der Pharisäer an, und er favorisierte Jonatan a ls Fürst) : Eliʽezer | ben Poʽira sprach zu König Yannai : „König Yannai, die 78 Meinung der Pharisäer ist gegen dich !“ – „Was soll ich tun“ (um zu erfahren, dass er wirk lich gemeint ist) ? „Lege den Kopfbund auf deiner Stirn ab !“ (Gib den Kopfbund, das dein Haupt krönt ! Und sie stellten sich hin, denn auf ihm ist der gött liche Name geschrieben, und offenbarten ihr Herz, d. h. sie beteten [ obwoh l nicht die Zeit des Gebets war ] – Rashi [ z u bQid 66a s.v. heqim la-hem ba-ṣiṣ ]). Er nahm für sie den Kopfbund von seinem Haupt. Es gab dort aber auch einen A lten, Yehuda ben Gedidi sein Name, und Gedidi ben Yehuda sprach zu König Yannai : „König Yannai, lass dir die K rone des Königtums genug sein ! Überlasse die K rone der Priesterschaft den (unbef leckten) Nachkommen Aarons.“ Man erzäh lte näm lich : „Seine Mutter war in Modeʽin gefangen geha lten worden“ (bQid 66a). Doch a ls die A ngelegenheit untersucht wurde, fand sie sich nicht. (Letzteres ist ein Zusatz jener Mishna, die in übler Nachrede über seine Mutter berichtet, dass sie auf dem Berg Modeʽin, in der Heimat der Hasmonäer, gefangen geha lten worden sei; und man fügte hinzu, dass sich, a ls man den Vorwurf untersuchte, nichts darüber fand.) Die Weisen Israels trennten sich von ihm im Zorn. Eliʽezer ben Poʽira sprach zu König Yannai : „Sein Urteil ist wie das für einen gewöhn lichen Menschen. Du bist König und Priester, sollte so dein Urteil lauten ? “ (Im Zorn, den der König auf sie hegte : Soll er sein Urteil im Zorn ertragen, so wie du dein Urteil in deinem Zorn erträgst ? – Rashi [ z u bQid 66a s. v. wa-yivdelu ḥokhme Yisra’el bezaʽam) ]). (Nach Josephus verurtei lten sie Hyrkan aufgrund seiner Frage nur zur Geißelung.) „Was soll ich tun ? “ „Wenn du auf meinen Rat hören wi llst, trete sie [ sc. die Pharisäer ] nieder !“ „Doch was wird aus der Tora ? “ (Denn in ihren Händen liegt die Überlieferung, sie auszu legen.) Siehe, sie liegt aufgerollt in einer Ecke,

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wer sie studieren möchte, der komme und studiere. (Ohne dass er sie annehmen müsste nach Meinung der Sadduzäer.) „Und sofort loderte das Böse in Eliʽezer ben Poʽira hervor“ (das Wort ‫ותוצץ‬ kommt von der Wurzel ‫ [ ציץ‬Spross/Keim ]; auch dies macht deutlich, dass der Hass bereits vorher vorhanden war), „und sie töten a lle Weisen Israels“ (hierin tritt die Grausamkeit Yannais hervor, über die wir noch berichten werden), „und das Land wurde verwüstet, bis Shimʽon ben Sheṭaḥ kam“ (das Ende der Tage Yannais). „Er stellte die Tora wieder an ihren Ort“ (bQid 66a). (Er verringerte die Hochmut der Sadduzäer und ihren Einf luss im Sanhedrin.) Soweit die Baraita – und damit das Übel. Denn diese Zeit Israels war eine Zeit des Woh lergehens und der Freiheit von Fremdknechtschaft. Johannes Hyrkan wurde zum Vater Israels, der es in a llen politischen und religiösen Belangen beschützte und bewahrte. Er wird in a ller Mund gepriesen, seine Verordnungen werden in die Ha lakha aufgenommen und werden in der Mishna zweima l erwähnt; auch wenn der Streit der Pharisäer mit den Sadduzäern aus viel späterer Zeit stammt : (Nach einer Entscheidung verunreinigen die Heiligen Schriften die Hände.) Sie antworteten ihnen (mYad 4,6), ob nicht die Sadduzäer darin übereinstimmten, dass die K nochen eines Esels rein seien, die K nochen Johanans, des Hohepriesters, aber verunreinigen. Entsprechend dem Grundsatz : Nach ihrer Güte verunreinigen sie. Und anscheinend war dieser Satz in beiden Sekten anerkannt. Josephus, der Priester, berichtet, dass er mit der Ehre dreier K ronen bedacht wurde : Derjenigen der Staatsführung, der Hohepriesterwürde und der Gabe [ der K rone ] der Prophetie (im Sinne des hei ligen Geistes). Denn a ls er einma l aus dem Tempel trat, kündigte er dem Vol k den Sieg seiner Söhne über A ntiochus Kyzikenos an (was auch in der Tosefta Sota [ 13,5 (231) ] berichtet wird). Auch sah er voraus, dass seine beiden Söhne A ristobu l und A ntigonus nicht lange leben würden, und es kam so. Auf Grund dieser Berichte erlauben wir uns das Urteil, dass, soweit a lles, was Josephus, die erwähnte Baraita und an vielen anderen Orten über ihn berichtet wird, zutriff t, er gegen Ende seines Lebens die Pharisäer, seine Lehrer, verlassen hat und die Weisen und Führer ihrer Gemeinde zu verfolgen begann. Doch ließ

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er nach kurzer Zeit von den Verfolgungen und Unterdrückungen ab und ließ dem gesamten Vol k Gerechtigkeit widerfahren. Diese A nnahme wird dadurch gestützt, dass der erwähnte Zwischenfa ll erst am Ende seiner Tage geschah, was noch eindeutig [er] wird durch einige verstreute Legenden.1 Yehoshuaʽ ben Peraḥya war sicher einer der führenden Lehrer in einem der bedeutenden Versammlungshäuser | in Jerusa lem zur Zeit des Johannes, und er f loh 79 nach A lexandria, denn man erinnerte sich daran, dass einma l von Jerusa lem nach A lexandria geschrieben wurde (ySan 6,6[ 8 ] [ 23c ]) : „Mein Herr befi ndet sich bei euch, und ich bleibe a llein zurück.“ Dem ist zu entnehmen, dass, soba ld es Frieden gab, er dorthin zurückgekehrt ist. Dies geschah aber sicher noch zu Lebzeiten Johannes Hyrkans, denn A lexander Yannai hat mit seinem Vol k und den Weisen keinen Frieden geha lten. Dies erfolgte vielmehr erst nach seinem Tod, mit dem Auftreten Shimʽon ben Sheṭaḥs. Er wurde zum Vorsitzenden der Versamm lung ernannt und lebte eine Generation nach Yehoshuaʽ ben Peraḥya, wie noch erläutert werden wird. Doch der wichtigste Beweis wird durch Josephus angeführt, der berichtet, dass Johannes Frieden sch loss und a lle Streitigkeiten beendete und dann in Ruhe und Frieden gestorben ist; und dies, nachdem er die Hohepriesterwürde und die Führerschaft über das Vol k neununddreißig Jahre innegehabt hatte; nach einer anderen Lesart jedoch nur einunddreißig Jahre, im Jahre 206 nach der griechischen Zeitrechnung, d. h. 174 Jahre vor der Zerstörung des Tempels.

Danach währte die Blütezeit des Vol kes im Staat noch ungefähr vierzig Jahre lang. Die Zeit der guten und segensreichen Führer kam jedoch mit dem Tod Johannes Hyrkans aus dem Hause Hasmon zu einem Ende. A n ihrer Stelle erwuchsen aus jener Nachkommenschaft böse und grausame Menschen; Kampfeszwang und Rachgier auf ihre Feinde erfü llten ihre Herzen, und sie wurden zu 1 H ier

fand sich im Manuskript des Verfassers eine der vielen A nmerkungen bezüg l ich einer Hinzufügung, die nicht erha lten ist [ A nmerkung von Zunz ].

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blutrünstigen Menschen, die ihre Nachbarn versk lavten und um jeden Preis K rieg provozierten. Nach A rt des K rieges (insbesondere, wenn er ohne zwingende Gründe stattfi ndet), wandte sich [ das Geschick ] jedoch ma l zum Sieg, das andere Ma l zur Niederlage. Unter dem sorgenvollen Seufzen des Vol kes und beg leitet vom Ä rger über den Zwist der Sekten, der das Seine dazutat, beeilten sich die gewa lttätigen Herrscher, weiteres Blut zu vergießen, sodass sie zu Feinden des eigenen Vol kes wurden, dessen Väter sie zuvor noch gewäh lt hatten. Mit niedergesch lagenem Gemüt und völlig sprach los hören wir von jenen fa lschen Heldentaten. Sie erstrah len nicht mehr in reinem Morgen l icht und k larem Glanz, wie die Sonne strah lt am Nachmittag; sondern schon verringerte sich g leichsam ihre Geschwindigkeit, und die Schatten wurden länger, und die Zeit der Dämmerung kam. In dieser Zeit wurde das Vol k wieder zur leichten Beute für Fremde [ d. h. für die nicht-jüdischen Feinde ].

Judas Aristobu l, sein Sohn, herrschte nur ein Jahr. Er war der erste, dem die Hohepriesterschaft und die Fürstenschaft über ein ruhiges und red liches Vol k nicht mehr genügte, sondern der für sich auch die Königsherrschaft forderte. Nachdem er seine Brüder und seine Mutter aus Furcht vor ihren Nachstellungen ins Gefängnis hatte werfen lassen, setzte er sich die Königskrone aufs Haupt. So kehrte im Jahr 207 der Griechen die Königsherrschaft nach Israel zurück. Josephus bemerkt dazu, dass von dem Ende der Staatlichkeit Israels mit dem Tod Zedekias, dem letzten König zur Zeit des Ersten Tempels, bis zu A ristobu l 481 Jahre und drei Monate vergangen waren (A nmerkung …).1 Obwoh l die Königsherrschaft somit wieder in die Hände der Priester fiel, lag sie nicht bei der Nachkommenschaft Davids, wie es eigent l ich den [ eschatologischen ] Hoff nungen Israels entsprochen hätte. So gab man sich damit nicht zufrieden, und man spürte, dass dies nicht dem Willen des Herrn entsprach, sodass diese Herrschaft des Königs und 1 Auch hier fand sich im Manuskript K rochma l s ein H inweis auf eine A n-

merkung, die er nicht mehr nachtragen konnte [  A nmerkung von Zunz ].

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seiner Fürsten (a lle Thronfolger der Hasmonäer waren zu keiner Zeit sicher gewesen) in dem k leinen Königreich keinen Nutzen und Ertrag nach sich zog, sondern sie erzeugte stets nur Neid und Streit. Daher finden wir im gemeinen Vol k auch keine A nzeichen von Freude über dieses Ereignis. A ristobu l kämpfte gegen Yator, einen der arabischen Stämme, doch a ls ihn eine K rankheit befieh l, überließ er | die K riegsführung seinem Bruder A ntigonus. Er war 80 der einzige Bruder, dem er vertraute, und dieser vermochte sie zu besiegen und verhängte über sie, entweder ihre Wohngebiete zu verlassen oder zum Judentum überzutreten, so wie sein Vater Hyrkan mit den Idumäern verfahren war. Und so vollzogen sie es auch an Yator, beschnitten sie und assimi lierten sch ließlich ihre K inder. A ls A ntigonus zu seinem Bruder, dem kranken König, zurückkehrte, ermordete er ihn unschu ldig aufgrund frevel haften Verrats. Nachdem er sich von seiner Tat erholt hatte, starb er an seiner K rankheit und mit sch limmen Schmerzen für seine Böswilligkeit. Und auf wunderbare Weise hat sich der Herr so gegen die Frevler, gegen a lle grausamen Herrscher aus dem Hause der Hasmonäer und dem Hause des Herodes nach ihnen gewandt. Denn in der gesamten Zeit verließen sie nicht der Hass, der Zwist und die üble Nachrede. Sie brachten sie um und setzten ihnen ein Ende, sodass das Schwert ihrer Rache auch ihre Geißler außerha lb ihrer Nachkommenschaft traf. Nachdem A ristobu l gestorben war, befreite seine Frau Sa lome [ Shelamṣiyon ] seinen Bruder aus dem Gefängnis. A lexander Yannai ben Hyrkan, den sein Vater seit seiner K indheit hasste, trat aber die Königsherrschaft an und diente a ls Hohepriester. Über ihn bemerkte jedoch die Gemara : „Yannai, der früher ein Frevler war !“ (bBer 29a). Und es begann tatsäch lich damit, dass er seinen Bruder ermordete. A ls zweites ließ er den Ehebruch zu, und trotzdem blieb es im Vol ke ganz ruhig. Yannai war ein Held und unternahm aus unterschied lichsten Gründen K riegszüge gegen seine Feinde. Teils konnte er sie sch lagen, tei ls musste er schwere Niederlagen von ihnen hinnehmen. Auf seine Veran lassung hin fielen Tausende Israeliten im Kampf. Die große Zahl an K riegen führte er jedoch nicht, um sein Vol k zu beschützen, sondern wegen seines

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Wagemutes und wei l es ihm gefiel, seinen Ruhm zu vergrößern. Das Vol k freute sich aber über seinen Fa ll und a ls er durch seine Feinde eine Niederlage erlitt, obwoh l den größten Schaden dabei das Vol k selbst zu ertragen hatte. A ls er auch noch öffentlich der Lehre der Sadduzäer zu folgen begann, wurde er von den Pharisäern verstoßen. Auch deswegen und noch mehr wegen seiner Grausamkeiten wurde er sch ließlich dem Vol ke verhasst, sodass es den Pharisäern zu folgen begann und auf sie hörte. A ls er einma l an Sukkot auf dem A ltar stand und auf dem A ltar ein Opfer darbringen wollte, bewarf ihn das Vol k mit Etrogim, und man beschimpfte ihn a ls Sohn einer [ einstma ls ] Gefangenen ganz so wie die pharisäischen Lästerer den Hyrkan beschimpft hatten. Doch der König erhob daraufhin seine Hand und sprach : Schwert ! Und sofort überfiel seine Leibgarde die Menge und ersch lug viele von ihnen, ca. 6.000 Mann. Daraufhin begann das Vol k einen Aufstand, und dieser Bürgerkrieg dauerte fast sechs Jahre lang, bis in diesem zerstörerischen K rieg fast 50.000 Mann gefa llen waren. Auch wenn er einige Ma le zum Frieden mit dem Vol k aufrief, weigerte sich das Vol k, und man gab ihm zu verstehen, dass der Hass nur durch seinen Tod ein Ende fände. Auch bedrängten ihn in feind licher und rachedürstender Gesinnung Feinde von außerha lb. Doch nachdem er diese fast vernichtet hatte, begannen die Aufständischen und die äußeren Feinde, die Stadt zu befestigen, woraufhin Yannai sie belagerte und eroberte. A ls er in die Stadt zurückgekehrt war, bereitete er mit seinen Gespielinnen und mit seinen Freunden ein großes Gelage. In seiner Laune rächte sich der Grausame dabei an seinen Feinden auf eine so grausame Weise, wie es nie zuvor über einen anderen grausamen Diktator berichtet worden ist, indem er befah l, 800 der in der Zitadelle gefangenen Pharisäer zu kreuzigen. Bevor sie aber starben, ließ er vor ihren Augen auch ihre Frauen und K inder töten. Daraufhin f lohen im Jahre 225 der [ g riechischen ] Herrschaft um die 8.000 Vol ksmitglieder und A nführer der Pharisäer aus dem Land; die meisten nach A lexandria in Ägypten, und von dort sind sie nicht vor dem Tod des Königs zurückgekehrt. Unter ihnen befand sich auch Shimʽon ben Sheṭaḥ, sein Schwager, einer der führenden Lehrer in einer seiner Ver-

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samm lungen, der anscheinend sogar noch zu Lebzeiten des Königs zurückgekehrt ist. A ls das Land so in großer Furcht zu Ruhe gekommen war, wandte sich Yannai seinen K riegen im Ausland zu, wobei er große Erfolge davontrug; besonders zwischen den Jahren 229 und 231 konnte er viele Städte in Coelesyrien erobern, einem Herrschaftsgebiet, welches bis zur römischen Eroberung unbeugsam blieb. Daraufhin unterwarf sich das Vol k Yannai, und es empfing ihn bei seiner Rückkehr mit großem Ehrerweis, und der Streit mit ihm kam zu einem Ende. A lsdann ereignete sich jener Vorfa ll, der in der Gemara erwähnt wird und auf den Shimʽon ben Sheṭaḥ in seinem Diktum anspielt : „Die Tora ehrt mich“ (bBer 48a). Denn die K rone der Tora wird von der K rone der Königsherrschaft unterschieden, und sie verdient daher einen eigenen Ort. Auch der Vorfa ll von einem Sk laven König Yannais wird in der Gemara erwähnt (bSan 19a), und aufgrund dessen schuf man eine neue Halakha zugunsten des Friedens und der Ehre des Königtums : | „Ein 81 König richtet nicht und wird nicht gerichtet, und es sagen keine Zeugen gegen ihn aus.“ Offensichtlich bezog sich dies auf die letzten Tage Yannais, a ls er mit dem Vol k bereits Frieden gesch lossen hatte. Im Jahr 234 begann Yannai die Burg von Ragab in Transjordanien zu belagern. A ls er spürte, dass seine Tage gekommen waren, übergab er die Herrschaft seiner Frau A lexandra (die von den Weisen auch Sa lome oder Shelamṣiyon genannt wird). Und sie vermittelte zwischen ihm und seinen Brüdern, denn sie fürchtete die Rache der Pharisäer und des Vol kes. Er tröstete sie aber und beriet sich mit ihr, dass sie seinen Tod verheim lichen solle, damit sie es wage, die Burg einzunehmen. Daher solle sie nach Jerusa lem ziehen und die Pharisäer auf ihre Seite bringen, indem sie ihnen den Leichnam des toten Königs übergebe. Er wusste näm lich von ihrer Güte und Barmherzigkeit und dass sie ihn sch ließlich doch in Ehren bestatten und nicht das Strafgericht ihrer Rache an ihm vollziehen würden. Die Rabbinen erinnern auch an seinen k lugen Ausspruch : „Fürchte dich nicht vor den Pharisäern, fürchte dich nicht vor den Sadduzäern, sondern nimm dich vor den ‚Gefärbten’ [ den Scheinhei ligen ], welche den Pharisäern ähn lich fromm tun,

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in Acht, die dem Simri g leich handel n, aber den g leichen Lohn wie Pinḥas verlangen“ (bSot 22b)1. Dies belegt sein Lebenswandel : A nstatt dass der Zorn über ihn Überhand gewann, blieb er weise und diplomatisch. Sogar die Königin von Ägypten, K leopatra, schickte ihm Hilfstruppen unter der Führung der jüdischen a lexandrinischen Feldherren Ḥannanya und Ḥelqia. A lexander Yannai starb nach siebenundzwanzigjähriger Regierungszeit. Die Königin hörte auf seinen Rat und setzte ihren erwachsenen Sohn Hyrkan a ls König an Stelle ihres Vaters ein. A ristobu l, ihr zweiter Sohn, herrschte gemäß ihren A nweisungen. Zu dieser Zeit war Shimʽon ben Sheṭaḥ bereits Vorsitzender des großen Versammlungshauses. Indem die Königin einen Schatz an Waffen an legte und fremde Söldner a ls Truppen anstellte, sorgte sie sich auch um den Schutz des Landes vor äußeren Feinden. Diese Zeit wäre wie in den Tagen des Hyrkan eine erfolgreiche, eine die Wunden im Vol k und im Staat heilende und die Verbannten zurückführende gewesen, wenn sich dama ls nicht schon der Hass unter den Sekten und die Spa ltung innerha lb des Vol kes verbreitet und sich über jede A ngelegenheit gelegt hätte. Denn die Pharisäer erhoben sich nun und begannen, ihrerseits Rache an ihren Feinden zu üben. Der erste, den sie töteten, war ein gewisser Diogenes, ein Verwandter des Königs Yannai, denn es hieß, er sei einer der Berater des Königs bei der Hinrichtung der 800 Pharisäer gewesen. Danach ermordeten sie auch noch einige ihrer Feinde unter den Sadduzäern. A lle Sadduzäer und Sympathisanten Yannais begannen daraufhin, sich zu fürchten und um ihr Leben zu bangen, bis sie sich mit A ristobu l berieten und ihn zu ihrem Führer und Schutzherren machten. Und sie wandten sich auch an die Herrscherin und baten darum, sie möge gnädig von der Unterdrückung ablassen, denn sie wisse doch von ihrer Sympathie und ihrer Unterstützung für ihren Gatten und für das Haus der Hasmonäer gegen a lle ihre Verleumder, und nun würden sie nur gerade deswegen wie Vieh durch ihre Feinde gesch lachtet werden. Sie fügten hinzu, dass sie, die Sadduzäer, immer ein Grund zur Furcht gewesen waren und Widerstand gegen 1 Der

von K rochma l zitierte Text weicht von der übl ichen Edition ab.

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die pharisäischen Bedränger geleistet hätten. Wenn sie nun aber um ihr Leben bitten müssten, würden sie sich diesem nicht unterwerfen, sondern es vorziehen, das Land zu verlassen und zum König der A raber zu ziehen, der sie in Ehren aufnehmen würde. Doch sie vermochten bei der Königin nichts auszurichten, denn sie stand bereits unter dem Einf luss der Pharisäer und folgte ihrem Ratsch lag. Und sollten etwa ihre Verehrer durch ihre Feinde von außen gestärkt werden ? Sie baten sie, ihnen die befestigten Städte in Israel zu übergeben, damit sie wenigstens dort sicher und geschützt wohnen könnten. Und a ls sie sie bedrängten und sich auch noch einer ihrer Söhne unter ihren Beratern fand, gab ihnen die Königin nach. So gelangten die befestigten Städte und Ortschaften in die Hände der Sadduzäer und Freunde Yannais. Die übrigen Stützpunkte in Jerusa lem und im Land blieben jedoch unter der Obhut der Pharisäer. | 82 Und auf diese Weise kehrte nach einigen Jahren im Land Frieden ein, und tei lweise wurde es auch von seiner Unreinheit und von a llerlei Verderbnissen befreit. Auch herrschten a ls Folge ihrer Einsicht und ihres R atsch lusses in der gesamten Phase der Herrschaft A lexandras großer Frieden und Überf luss. Dennoch konnte die Königin nicht vollständig von ihren und den ihrem Haus treuen Truppen ablassen, und die Schrecken des K rieges hielten sie ebenso wenig davon ab, über ihre nächsten Nachbarn, die griechischen und syrischen, herzufa llen. Auch ließ sie es nicht zu, dass die Pharisäer nach Gutdünken auf die Politik Einf luss nehmen konnten, sogar nachdem sie sich ihnen in religiösen Fragen aus tiefstem Herzen angesch lossen hatte und sie ihnen jeden Gefa llen erwies.

Im neunten Jahr ihrer Königsherrschaft erkrankte sie an der K rankheit, an der sie sterben sollte. Da verließ A ristobu l heimlich die Stadt und lief zu den Sadduzäern über, die die Festungen besetzt hatten. Sie empfi ngen ihn ehrenvoll und riefen ihn zum König über Juda aus. Innerha lb weniger Tage eroberte er so zweiundzwanzig befestigte Städte und brachte eine große A nzah l an Truppen, die der Herrschaft der Pharisäer nicht woh lgesinnt wa-

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ren, auf seine Seite. A ls die Königin hörte, dass A ristobu l die Stadt verlassen hatte, erkannte sie seine Absicht und ließ seine Frau und K inder in der Burg Baris, die auch A ntonia [ ‫ ] נוני ה‬heißt, gefangen setzen, um sie a ls Geisel für ihren Sohn und ihre A nhänger festzuha lten. A ls die A nführer der Pharisäer zu ihr kamen, um sich mit ihr zu beraten, konnte sie sich wegen ihrer K rankheit schon nicht mehr verständ lich machen, und sie verlor ihre Macht. Immerhin konnte sie noch folgendes zu ihnen sprechen : Seht, das Vol k ist mit euch und Hyrkan, meinem Sohn; der Königsschatz und das Söldnerheer in meinen Diensten sind in eurer Hand. Tut und verfahrt mit a llem, wie es euch a ls richtig und recht erscheint ! Und Alexandra starb im 243. Jahr nach griechischer Zeitrechnung, 137 Jahre bevor der Tempel zerstört wurde. Damit ging zum zweiten Ma l die Zeit der Stärke und des Glanzes der Nation zu Ende. Dies sowoh l an der Wurzel des geistigen Lebens der Nation in Juda und in Jerusa lem a ls auch an fernen Orten der jüdischen Diaspora, besonders in den griechischen Städten und im römischen Reich, wie noch berichtet werden wird, wenn wir auf ihre Weisheiten zu sprechen kommen. Und wie bereits gesagt, dauerte diese Phase vom Einzug der Makedonen nach Asien bis zum Beginn des Hauses der Hasmonäer – den beiden Söhnen A lexander Yannais –, a ls jeder seinen Bruder bedrängte. Sie dauerte insgesamt 260 Jahre.

Es folgt ein kurzer Bericht über die Zeit des zweiten Niedergangs, über eine schwere Phase des erstaun lichen Niedergangs, der fast vollständigen Vernichtung und Unterbrechung jeden physischen und geistigen Zusammenha lts, sowoh l in Israel a ls auch in den übrigen Gebieten der Diaspora im römischen Reich, was noch je an seinem Platz erläutert werden wird. Sie erstreckte sich vom Tode A lexandras bis zur Einnahme Betars bzw. dem Ende des Aufstandes gegen den römischen Kaiser Hadrian und der Verfolgung durch die Römer. Und siehe, am A nfang meinte Hyrkan, dass er zu Recht a ls König herrschte und anstelle seiner Mutter auf dem Thron saß, da er der erbberechtigte Sohn sei. Doch da er ein schwacher und fau-

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ler Mensch war, befürchtete das Vol k, dass man sich auf ihn im Streit mit dem Bruder, der von starken und mutigen Sadduzäern unterstützt wurde, nicht verlassen könne. Soba ld der Streit zu einem anha ltenden K rieg bei Jericho ausgereift war, verließen Hyrkan viele und wandten sich dem A ristobu l zu. Da beeilte sich Hyrkan, mit seinem Bruder Frieden zu sch ließen und ihm sowoh l | die 83 Königsherrschaft a ls auch das Hohepriesteramt zu übergeben. Er selbst wohnte daraufhin in Jerusa lem in einem Haus, in dem zuvor A ristobu l gewohnt hatte, ohne A nteil an der Regierung und am Ku lt zu haben. Das Vol k in seiner Hoff nung auf Frieden war darüber sehr froh, denn seiner Meinung nach würde der Bund, den die Brüder gesch lossen hatten, Bestand haben. Doch es vergingen nur wenige Tage und A ntipater, ein A nhänger und Vorsteher seiner Sippe, ein weiser Mann und K riegsheld aus dem Gesch lecht der Idumäer, die in den Tagen Hyrkans zum Judentum übergetreten waren, beredete Hyrkan den ganzen Tag lang, um ihn davon zu überzeugen, dass A ristobu l immer noch sein Feind sei und nach seinem Leben trachtete. Er solle nicht meinen, dass solange Hyrkan lebe sein Stuh l sicher und sein Königreich gesichert seien. So überredete er ihn dazu, Jerusa lem zu verlassen und mit ihm zu einer Bergfestung in der nahen Wüste, in die Stadt des A retas, des Königs der A raber [ Nabatäer ], zu ziehen, um sich dort in Frieden und in Sicherheit niederzu lassen. Man kann sich bereits denken, dass es ihm nicht schwerfiel, Hyrkan zu bewegen, denn er sah schnell ein, dass es eine Möglichkeit und Aussicht darauf gäbe, durch die Hilfe der arabischen Truppen und der zah l reichen Pharisäer im Vol k, nach deren Meinung der Eifer des A ristobu l nicht rechtens war, wieder an die Königsherrschaft zu gelangen. Und es reute ihn sein Bund, und er brach sein Gelübde. So erbat Hyrkan von A retas genau dies, und er versprach ihm a ls Entschädigung zwölf unbefestigte Städte zurückzugeben, die Yannai einst mit Gewa lt von den arabischen Stämmen genommen hatte. Und A retas, der König der Nabatäer, zog im Winter des Jahres 247 mit 50.000 Soldaten nach Jerusa lem, und nachdem er Aristobu l gesch lagen hatte, plünderten die Truppen die Stadt, und das Vol k

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wandte sich Hyrkan zu. A ristobu l und mit ihm die meisten Priester, die im Tempel dienten, f lohen auf den Tempelberg, der schon lange zuvor befestigt worden war und nun noch weiter ausgebaut wurde, sodass sie sich dort ha lten konnten. A ls aber der erste Monat, der Monat Nisan, anbrach, war die Verwirrung groß, denn aus a llen Gebieten der Diaspora strömte Vol k nach Jerusa lem, um dort in Ruhe das Fest der ungesäuerten Brote zu feiern. Einige, vielleicht sogar die meisten, brachten daraufhin das Pesaḥ- Opfer im Oniastempel dar. In den Tagen der Belagerung wurden viele aus dem Vol k getötet. Nach Josephus ist dama ls etwa auch Ḥoni der K reiszieher, der auch von den Rabbinen erwähnt wird, ermordet worden (mTaan 3). Ihn hatte man – nach dem Zeugnis der Mishna – in den Tagen des Shimʽon ben Sheṭaḥ einma l gebeten, um Regen zu bitten und hiernach auch, den [ sofort einsetzenden heftigen ] Niedersch lag [ wieder ] zu verringern. So kam es aber zu seiner Ermordung : Das Vol k, welches mit Hyrkan von außen diejenigen auf dem Tempelberg belagerte, bat ihn, die Besatzung des Tempels, A ristobu l und seine Partei, zu verf luchen und den Herrn zu bitten, ihn in ihre Hände zu geben. A ls sie dahingehend auf ihn eindrangen, erhob der Gerechte seine Hände zum Himmel und sprach : Herr der Welt ! Diese bedrängen mich, und sie gehören deinem Vol k an, und jene, die belagert werden, sind deine hei ligen Priester. Dein Wille möge geschehen, dass die Stimmen beider sich nicht in ihrem Eifer gegeneinander erheben ! K aum hatte er dieses Gebet gesprochen, verfinsterte sich das Gemüt des Vol kes sehr, und er wurde auf der Stelle gesteinigt (A nmerkung 11). A ls es den Priestern an Sch lachtvieh für das festtäg liche Zusatzopfer und das Ganzopfer zu mangel n begann, erbaten sie von den Belagerern, ihnen für Geld so viel Vieh zu liefern, wie sie benötigten. Sie forderten aber 300 Drachmen, doch die Priester beeilten sich, das Geld zu schicken. Nachdem jene es erha lten hatten, verwarfen sie ihre Zusage und wollten ihnen das Vieh doch nicht übersenden. Die Priester erzürnten daraufhin sehr und sprachen über das Vol k in ihrem Zorn wegen dieses abscheu lichen Frevels einen ewigen Fluch aus, sodass eine Hungersnot im Land ausbrach.

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A ll dies steht in dem großen Werk des Josephus geschrieben, in den A ltertümern. Wir stehen hier am A nfang der ersten Generation des Niedergangs, und dennoch können wir bereits über seine Eigenart anhand der beiden erwähnten Geschichten ein Urtei l fä llen. Wie wir noch sehen werden, haben sich diese gewa ltigen Abscheu lichkeiten in der Generation vor der Tempelzerstörung wiederholt, und zwar im gesamten Vol k, | im öffentlichen wie im privaten Leben. Mit dem Hinschwinden und Schwächerwerden der Sadduzäer in jener Zeit ergab es sich, dass das Vol k immer mehr auf die Beobachtung der Tora und der miṣwot sowie auf die zah l reichen Verordnungen und Restriktionen achtete. Trotzdem wurden ihre Herzen durch die K rankheit des Stolzes, des Hochmutes, der Eifersucht, der Rachelust und des Triumphgeschreis über den Nächsten befa llen, und sie verließen den rechten Weg und die Pfade des religiösen Friedens. Es kam so weit, dass man vom Gesetz der Tora abließ und den Bund vom Horeb brach. Dies ist genau das, was wir bereits zu Beginn bemerkt haben : Bevor diese Epoche überhaupt begonnen hatte, war die Wurzel bereits verfau lt, das ganze Gemüt schon verdorben und korrumpiert : Jener gute Geist der Nation, der einst die, die im Staube gesessen hatten, gesammelt und aus der babylonischen Gefangenschaft zur Freiheit geführt, ja sogar die an a lle Enden der Erde Verstreuten verbunden hatte ; dieser Geist verwandelte sich nun in ein verzehrendes Feuer, das jeden brüderlichen Zusammenha lt zerbrach und eng verbundene Brüder auseinander dividierte. Doch kehren wir zum chronologischen Verlauf der Ereignisse zurück. Man darf ja nicht einfach die schreck lichen Ereignisse vorwegnehmen, wie es bei unseren Weisen geschieht. Zu jener Zeit hatten die Römer die großen Könige im Norden Asiens besiegt : Tigranes, den König A rmeniens, und Mithridates, den König von Pontus. Sie waren bis nach Syrien gezogen, das dama ls völl ig ungeschützt vor ihnen lag. A ristobu l beei lte sich, a ls die römischen Feldherrn zum ersten Ma l vor Damaskus auftauchten, Bestechungen an sie zu senden. Aus Furcht vor ihnen zog er die

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Belagerung sch ließlich ab, vermochte aber daraufhin die A raber vernichtend zu sch lagen. A ls dann Pompeius nach Damaskus gelangt war, versammelten sich zwölf Könige und Fürsten vor ihm, um sich dem Eroberer Asiens zu unterwerfen. Auch die beiden Brüder zogen zu ihm, um sich mit ihm über die Königsherrschaft zu beraten. Hyrkan bek lagte sich bei ihm, dem Rat seines Freundes A ntipater folgend, über das Unrecht, welches ihm sein Bruder zugefügt habe und über den ihm widerfahrenen Raub der Königsherrschaft, die ihm gebühre. A ristobu l erwiderte, dass ihn Hyrkan getäuscht und seinen Eid gebrochen habe. Da es Hyrkan an Verstand und Größe zur Führung des Vol kes feh le, habe ihn das Vol k entfernt, und durch diese Absetzung sei nur das Urteil über den Größenwahn seines Vaters bestätigt worden. Außer diesen Streitereien brachten beide auch noch Zeugen und Fürsprecher herbei, und zudem trat auch noch eine neue dritte Partei von einigen Ä ltesten des Vol kes auf. Auch diese kam mit einer Beschwerde vor den R ichterstuh l des Pompeius : Seit frühen Zeiten hätte die Führung immer in den Händen der Hohepriester gelegen, die aus dem Gesch lechte der Priester Gottes stammten und die den Ku ltus vollzogen hätten. Diese Hohepriester hätten das Vol k in Ruhe und Frieden geführt und über das gesamte Vol k Recht gesprochen; so auch die beiden Brüder wie ihre Väter. Doch obwoh l auch sie aus einer priesterlichen Familie stammten, forderten sie nun, entgegen Recht und Tora, für sich die Königsherrschaft, um so das Vol k zu Sk laven zu machen. Daher erf lehten sie von dem Feldherrn, er möge beiden die Herrschaft nehmen. – Der Römer aber neigte zunächst mehr dem Hyrkan in seiner Schwäche zu, denn er meinte, dass dieser der römischen Herrschaft eher von Nutzen sein könne a ls A ristobu l und seine Nachkommenschaft, die K riegshelden und tatkräftige Männer hervorgebracht hatte, auf dass nicht am Ende die Herrschaft sogar in die Hände des Vol kes fiele. Doch sch lug er letztlich a lle A ngebote aus, bis dass er a lles Um land erobert hatte und von A ristobu l a lle befestigten Städte Judas übergeben worden waren. A ls sich sein Heer Jerusa lem näherte, zog ihm A ristobu l entgegen, um noch einma l von ihm die Königsherrschaft zu erbitten, und er versprach ihm dafür eine große Summe Geld. Noch

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während er sich bei ihm aufhielt, schickte er einige seiner Fürsten in die Stadt zurück, um das Geld zu holen. Doch das Vol k versch loss vor ihnen die Tore und hinderte sie, sie zu betreten. Da wurde Pompeius zornig und setzte A ristobu l gefangen, belagerte die Stadt und beei lte sich, sie zu erobern. In dieser Lage war das Vol k gespa lten : Der Teil, der Hyrkan folgte, wollte die Stadt den Römern, den Eroberern des ganzen Erdkreises, übergeben. Der andere Teil, der hinter A ristobu l stand, meinte, man solle [ gegen die Römer ] kämpfen. Und letztere ließen sich sch ließlich nicht aufha lten, obwoh l sie die zah lenmäßig | Unterlegenen waren; und 85 auch diesma l f lohen sie auf den Tempelberg, brachen sogar die Brücke [ auf den Tempelberg ] hinter sich ab. Auf der anderen Seite öff nete das Vol k den Römern die Tore und unterstützte sie sogar bei der Belagerung des Tempelberges. Nachdem sie mit ihm nach a llen Regeln der Belagerungskunst fast drei Monate verfahren waren, haben sie ihn nach der Liste der Soferim am großen Fasttag (a lso wahrschein lich am Yom K ippur) des Jahres 249 der Zeitrechnung, 131 vor seiner letzten Zerstörung durch den Römer Titus, erobert. Josephus berichtet, dass in der Zeit der Belagerung der Ku ltus nicht geruht habe. Sch lacht-, Speise- und Trankopfer seien täglich dargebracht worden, und obwoh l viele im Verlauf der Belagerung einerseits durch die Römer, andererseits durch ihre eigenen Brüder von der Partei des Hyrkan umgekommen seien, hätten die Standmannschaften und Priester nicht von ihrer Aufgabe und ihrem täglichen Dienst abgelassen. Auch wenn sie ihre Brüder fa llen sahen und wussten, dass auch sie ba ld zur Sch lachtbank geführt werden würden, hätten sie nicht von ihrem Dienst gelassen. A ls sich Pompeius darüber verwunderte, ließ er jene am Leben, die ihr Leben wäh lten. Nur die bedeutenden Persön lichkeiten der Partei des A ristobu l ließ er heim lich ermorden. Unter ihnen befand sich Absa lom, der Sohn Johannes Hyrkans, ein Schwiegersohn A ristobu ls, der dama ls noch am Leben gewesen war. Es lohnt sich, hier noch eine weitere Begebenheit aus den historischen Berichten über diese Zeit anzufügen : Denn Pompeius musste erkennen, dass er auf den Tempelberg nur durch Kampf

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gelangen konnte und dass sich die Belagerten auf der Mauer sogar am Shabbat und am Feiertag zur Wehr setzten und nach a llen K räften um ihr Leben fochten. Nur dass sie sich an diesem Tage wie an Feiertagen völlig passiv verhielten und nichts gegen die Belagerungsmaßnahmen unternahmen wie an gewöhn lichen Wochentagen. Er kam daher mit sich überein, an diesen Feiertagen nicht direkt gegen sie zu kämpfen, sondern nur die Belagerungsmaßnahmen durch das Sch lagen von Holz und das Bauen von Belagerungstürmen, das Beschießen mit Wurfgeschossen und das Unterminieren der Schutzmaßnahmen zu verstärken. Dies war es, was die Einnahme des Tempels sch ließlich besch leunigte, noch bevor der Einbruch des Winters ihn hätte zur Aufgabe der Belagerung veran lassen können. Nach übereinstimmenden Berichten hat Pompeius dann bei der Eroberung auch den Tempel betreten und gelangte ins A llerheiligste. Doch wagte er es nicht, seine Hand nach dem Tempelschatz und den hei ligen Geräten auszustrecken, und ebenso befah l er am kommenden Tag, den Tempelberg von den Gefa llenen zu säubern, den Tempel und seine Kammern von jedem Schmutz und jeder Unreinheit zu reinigen und den Opferdienst wieder aufzunehmen. Doch im ganzen Land l ieß dieser R ichter nach seinem Gutdünken Recht wa lten an denen, die die beiden Brüder aufgenommen hatten : Die Städte in Coelesyrien, die Yannai, ihr Vater, eingenommen hatte, gab Pompeius an Syrien zurück und verwandelte sie so in eine römische Provinz, über die er Scaurus, einen seiner Feldherrn einsetzte. Die Mauern Jerusalems ließ er sch leifen. Hyrkan setzte er a ls Priester und F ü rsten des Vol kes, nicht aber a ls König ein. A ristobu l und seine Söhne brachte er nach Rom, um über sie zu triumphieren. Er und seine Feldherrn nahmen auch eine große Summe Geld von Hyrkan, außerdem eine goldene Rebe, die ihm A ristobu l anfangs überreicht hatte und die eine Geschenk A lexander Yannais gewesen war und im A llerheiligsten gestanden hatte. Sie wurde von dem Eroberer zwischen anderen Insignien des Sieges in einem römischen Tempel aufgestellt. So gelangte a lso unsere Nation aus freiem Willen unter das Joch der Römer. Während die Führer des Hauses Hasmon, Jonatan und sein Bruder Simon und sein Sohn Johannes Hyrkan, einige

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Ma le einen Bund a ls gleichberechtigte Freunde mit den Römern gesch lossen hatten, um sich gegen die Nachstellungen und Unterdrückungen der Könige Syriens und der Griechen in den Städten abzusichern (so bezeugen es auch g laubwürdige Urkunden in den Schriften des Josephus), wurden die Letzteren sch ließlich zu Sk laven Roms. Seit Pompeius blieben sie den Römern unterworfen, und Stattha lter wurden über sie ernannt, die von Syrien aus regierten. Rashi, der große Kommentator, hat auf dieses Unglück den Spruch bezogen : Ich wusste nicht wie, versetzte mich meine Lust unter die Wagen meines edlen Volkes (Hld 6,12).1 „Oder mit anderen Worten : Die Gemeinde Israel bek lagt sich : Nicht konnte ich mich von der Sünde fernha lten, um in meinem Stolz und Hochmut zu bestehen. Ich scheiterte an blindem Hass und an dem Streit, der die hasmonäischen Könige Hyrkan und A ristobu l erfasste, bis dass einer der beiden die Römer holte und von ihnen die Königsherrschaft übernahm und dadurch sein Vasa ll wurde, und seitdem ist wegen des Unglücks, das ich mir schuf, mein Leben von der Güte der übrigen Völ ker abhängig.“ | Doch vergingen seit diesem Zeitpunkt – im Jahre 249 – noch dreiundzwanzig Jahre unter der Hohepriester- und Führerschaft des Hyrkan. Die politische Führung lag aber eigent lich in den Händen des Heerführers A ntipater, der von Rom mit dem Titel Epitropos des Staates geehrt worden war. Er setzte seine Söhne a ls Staatsbeamte in verschiedenen Gebieten ein. Zu jener Zeit waren die Vorsitzenden des Versamm lungshauses Shema‛ya und Avṭa lyon, Gerechte und gezwungenermaßen zum Judentum Bekehrte. Wie sich an ihren häufig zitierten Sprüchen in der Mish na Avot und anhand der Gemara (bYom 71b) belegen lässt, verabscheuten sie die Regierung und suchten nach einem Ausgleich, wollten sich aber nicht weiter mit Politik beschäftigen. Mehr noch : Gegenüber ihren Schü lern, deren Gemüt noch hitzig, deren Phantasie noch sehr stark war, welche über ihren noch unreifen Verstand leicht Ober1 Vg l .

dazu Sefer Shir ha-Shirim ‛im perush R ashi Z’’L we-‛im shene perushim me-ha- Ga’on Eliyahu Z’’L mi-Wilna, Warschau 1842, nachgedruckt in den Miqra’ot Gedolot, Edition Eshkol, Jerusa lem 1976, 356.

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hand gewinnen konnte, äußerten sie sich sehr zurückha ltend, um sie auf diese Weise von jedem Eifer und jeder Schwärmerei fernzuha lten. Alle diese ethischen Maßstäbe wurden jedoch im Vergleich zu dem, was vorher gewesen war, und zu dem, was nachher kam, auf den Kopf gestellt. Und sicher wäre auch wieder Ruhe und Frieden ins Land eingekehrt, wenn nicht im Untergrund das Übel und das Chaos der römischen Herrschaft gewütet und besonders das Hei l ige Land betroffen hätte, wo von jeher Aufruhr und Verderben möglich waren. Auf der einen Seite befanden sich A ristobu l und seine Söhne, A lexander und A ntigonus, die wi lde Streiter waren, die nicht aufhörten, das Land a ll diese Jahre mit Übel zu überziehen oder es bei jeder Gelegenheit zu vergrößern. Ma l f lohen sie aus ihrer Gefangenschaft in Rom, ma l wurden sie befreit und kehrten mit der Hilfe der schnell wechselnden herrschenden Partei ins Land zurück. Dies geschah das erste Ma l nach dem Sieg des Ju lius Caesar über Pompeius. Nach seiner Ermordung übernahmen seine Mörder die Herrschaft im Osten, doch am Ende wechselte die Herrschaft erneut und ging an A ntoninus und Augustus, die Feldherrn der Mörder über, wie dies a lles den römischen Geschichtsbüchern dieser Zeit zu entnehmen ist. Auf der anderen Seite gehörten die Römer zu unseren Verderbern, denn jeder Feldherr oder Stattha lter, der aus Rom nach Syrien geschickt wurde, bedrängte das Vol k mit höheren Steuern, die er ihm ohne Recht und Ordnung um der Unterdrückung wi llen und a ls Vorwand auferlegte. Dennoch blieb Juda dem A nschein nach noch ein freier und selbständiger Staat und Verbündeter Roms. Es kam in jener wirren Zeit sogar vor, dass die Ältesten Roms den Stattha lter entfernten und bestraften, doch nach dem vorherigen wurde das darauf folgende Übel nur noch größer. Über den Feldherrn Crassus, den Stattha lter nach Gabinus, den zweiten Stattha lter Syriens, wird berichtet, dass er mit dem Vorwand auftrat, er benötige Geld, um a ls Verbündeter im Kampf Roms gegen die Parther in Mesopotamien kämpfen zu können. Daher wollte er nach dem Tempelschatz greifen. Ele‛azar, ein zuverlässiger Schatzmeister, wollte mit ihm zunächst einen Kompromiss sch ließen und ihm Goldbarren im Wert von 7.000 Pfund

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geben, die unter der Schwelle zum Tempel lagen. A m Ende brach der gierige Tyrann jedoch seinen Eid und raubte auch den rest lichen Schatz : Silber und Gold im Wert von 16 Millionen Goldstücken, 18 Golddukaten in unserer Währung : Dies war der große Tempelschatz, der von den Priestern in ihrer Zuversicht seit den Tagen der Freiheit im Laufe von hunderten von Tagen angelegt worden war und der aus Spenden aus a llen Ländern der Diaspora Israels und aus den Geschenken sämt licher heidnischer Könige zusammengetragen worden war (letztere hatten übl icherweise sehr viel an den berühmten Tempel in Jerusa lem gespendet, entsprechend der Zusicherung des Propheten : Der Ruhm dieses zweiten Hauses wird größer sein usw. [ Hag 2,9 ]). Ihn hatte sogar Pompeius bei seiner Einnahme des Tempels nicht angetastet, bis [ dann ] jener Tyrann ungefähr zehn Jahre nach ihm kam [ u nd ihn wegnahm ]. Die Geschichtsbücher berichten weiter, dass Crassus und a lle seine Truppen sch ließlich durch die Parther gefa llen sind, ja nie mehr habe es wieder eine so große Niederlage bei den Römern gegeben. Es war wie ein Wunder ! Doch danach übernahm Cassius, einer der Mörder Caesars, den Osten a ls sein Herrschaftsgebiet. Er legte auf a lle Gebiete wie auch auf Juda eine schwere Steuer. Dies ging so weit, dass vier Städte mit ihren Bewohnern a ls Sk laven verkauft wurden, da sie das ihnen Auferlegte nicht beg leichen konnten. | Sie wurden davon nicht 87 befreit, bis dass A ntoninus und Augustus gesiegt hatten, die Bluträcher des Ju lius [ Caesar ]. Während es so noch leichter für die Römer wurde, das Vol k zu unterdrücken, wurde die Feindschaft untereinander immer größer und damit die Eifersucht und der Wettstreit unter A ntigonus und seinen Brüdern, insbesondere gegen den mutigen K rieger Herodes. Soba ld näm lich ein neuer Stattha lter oder einer der großen Feldherren erschien, versammelten sich das Vol k und die A nführer der Aufwiegler zu Hunderten und beei lten sich, den Epitropus und seine Söhne, die Verwa lter, zu verleumden und ihre Absetzung zu fordern. Auch wenn sie am Ende nicht auf sie hörten, wurden die Verleumder zum größten Teil verhaftet und hingerichtet. A ntipater und seine Söhne (deren Führung weder gut noch sch lecht war) wurden durch die Ver-

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leumder gezwungen, sich stärker um die Gunst der Römer und jedes neuen Herrschers zu bemühen. So oder so, das Potentia l des Landes wurde in jenen dreiundzwanzig Jahren der Herrschaft des Hyrkan geschwächt. Und auch die K raft des Geistes Israels schwand dahin (A nmerkung …)1. Bis zum Jahre 272 der Griechen [ hat sich Folgendes ereignet ] : Die Parther überschritten den Euphrat und eroberten ganz Syrien von den Römern, die dama ls mit inneren Kämpfen und K riegen beschäftigt waren, zurück. Die Parther setzten A ntigonus, den Sohn des A ristobu l, der a ls Einziger von der Nachkommenschaft des A ristobu l übriggeblieben war, a ls König ein. Auf seine Bitte hin ergriffen sie Hyrkan und schnitten ihm die Ohren ab, damit er nicht mehr a ls Hohepriester dienen konnte, dann verbannten sie ihn nach Babylonien (wo er durch eine große Gemeinschaft empfangen wurde und bleiben konnte, bis er später aus freien Stücken in das Königreich des Herodes zurückkehren konnte). Den Papuel aber (den ä ltesten Sohn des A ntipater, der zuvor gestorben war), den Befeh lshaber Jerusa lems, töteten sie. Als Herodes, der Sohn des A ntipater, sah, dass sie den König A ntigonus nicht würden stoppen und die Übel nicht würden aufha lten können, kam er mit sich überein, seine Führer und ihre K inder in eine Festung der Idumäer – seines eigenen Vol kes – unter den Schutz seines Bruders Joseph zu stellen. Er selbst f loh über A lexandria nach Rom, denn er erkannte, dass sich die Parther westlich des Euphrat nicht würden ha lten können und dass am Ende wieder die Römer die Herrschaft in jenen Ländern übernehmen würden. In Rom verfolgte er den Plan, A ristobu l, den Neffen der beiden Brüder des Jannai (eine Tochter des Hyrkan war näm lich mit A lexander, dem Sohn des A ristobu l, verheiratet, der auch K rieg gegen seine Brüder führte), zu entmachten, denn dieser war noch ein junger K nabe. Die Ä ltesten Roms begriffen ba ld, dass es besser für sie wäre, einen mi litärisch mächtigen, aufrichtigen und Rom zu Dank verpf lichteten Verbündeten zu haben und erhoben 1 Auch

hier wie im Folgenden fand sich eine nicht mehr erha ltene A nmerkung [ Zunz ].

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ihn daher zum König über ein großes Land in weiten Grenzen, auf dass er immer gewi llt sei, ihnen in ihrem K rieg gegen die Parther zur Hilfe zu kommen. Sie schreckten dabei auch nicht davor zurück, die Königsherrschaft wieder einem Nachkommen des Hauses der Hasmonäer zu übergeben. A llerdings beobachteten sie ihn, der wie sein Vater ihnen immer treu gedient hatte, auf das Genaueste. Sch ließlich kamen sie jedoch überein, ihm den Titel „Treuer Freund des Staates“ [ socius ] zu verleihen, führten ihn auf ihre berühmte Burg, das Kapitol, und setzten ihm die Königskrone auf, und A ntoninus und Augustus sowie die übrigen Senatoren und Richter Roms bestimmten ihn zum König über Judäa. Dies geschah im Jahre 273 der Griechen. Herodes hatte sich nur acht Tage in Rom aufgeha lten, a ls er schon mit zwei römischen Legionen wieder in sein Land zurückkehrte. Nachdem er a ls Flüchtling fortgegangen war, kehrte er a ls gekrönter Herrscher zurück. Soba ld er ins Land kam (die Parther standen mit ihren Truppen bereits östlich des Euphrats), brach zwischen Herodes und A ntigonus, dem König von Jerusa lem, K rieg aus. Dieser konnte sich jedoch des Herodes nicht erwehren, trotz a ller Heldentaten und Listen und obwoh l er sich an die Römer wandte, um sie zu überzeugen, Herodes nicht zu unterschätzen, der die Königskrone geraubt hätte. Herodes gelang es ba ld, eigene Truppen zu sammel n und auch die Unterstützung des römischen Heeres unter der Führung des Sosius, Prokurators Syriens, zu erlangen, sodass er Jerusa lem belagern konnte. Obwohl Antigonus jede Anstrengung unternahm und über den Großteil der Vorräte und Waffen verfügte, | sodass 88 er die Belagerungsmaschinen und K riegsapparate seiner Feinde immer wieder zerstören konnte, wurde die untere Stadt nach zwei Monaten eingenommen, und die Belagerten mussten sich auf den oberen Marktbereich der Stadt und den Tempelberg zurückziehen. Herodes indes gab es nicht auf, ihnen Frieden anzubieten, und schickte ihnen auch das Sch lachtvieh für die Opfer im Tempel. Doch a ls sie sich zäh weigerten und keinen Frieden sch l ießen wollten, da überkam die belagernden Römer die Wut, und sie nahmen den Rest der Stadt und den Tempelberg ein, wobei viel Blut vergossen wurde und sogar Herodes, der ein blutrünstiger

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Mensch war, nachdem er seine unmäßige und bruta le Rache an seinen Feinden – unter ihnen Ä lteste des Sanhedrin aus a llen drei Sekten – vollzogen hatte, die Belagerer bat, von ihrem Morden und Rauben abzu lassen, denn er wolle nicht über eine geplünderte und menschen leere Stadt herrschen. Auch schwor er, jedem einen Lohn aus seinem eigenen Schatz zu geben, und so tat er es dann auch. Sosius und seine Generä le haben sogar von sich aus eine Abgabe an den Tempelschatz gegeben, der zuvor von Crassus ausgeraubt worden war. Diese Eroberung der Stadt und des Tempels durch Sosius und Herodes, der daraufhin zum König über Israel ernannt wurde, ereignete sich im Jahre 275 der Griechen, sechsundzwanzig Jahre nach der Eroberung durch Pompeius und 105 Jahre vor seiner letzten Zerstörung. A ntigonus war der letzte König aus dem Hause Hasmon, und er herrschte volle drei Jahre und drei Monate. Er wurde von den Römern verurtei lt und hingerichtet, nachdem er vor Sosius niedergefa llen war und dieser seinen Mutwillen mit ihm getrieben hatte. Damit ging die Herrschaft des Hauses Hasmon, die Hohepriesterschaft und Königsherrschaft vereinigt hatte, zu Ende. Sie währte vom Jahre 171 (das Jahr, in dem Simon die Herrschaft übernommen hatte) bis zum Jahre 275 – einhundertunddrei volle Jahre berechneten dafür unsere Weisen im Seder ‛Olam [ SOR 30 (hg. v. R atner 71b) ]. Ein weiteres Ma l war somit die Königsherrschaft durch Führung Gottes, sein Name sei gepriesen, zurück nach Yeshurun gekehrt – diesma l durch eine Familie von Proselyten aus Ashka lon, aus einem idumäischen Gesch lecht, das unter Johannes Hyrkan zum Judentum übergetreten war. Das Haupt dieser Familie, Herodes, Sohn des A ntipater, den seine Sympathisanten den Großen nannten, konnte das Gebiet Israels erweitern und unterwarf die k leinen und schwachen Länder in der Nachbarschaft. Es gelang ihm sogar, die Abhängigkeit von den Römern ein wenig zu mi ldern und, wei l er ihr Ansehen genoss, seine Macht nicht voll kommen den Römern zu unterwerfen. Doch auch ihm wurde auferlegt, militärische und logistische Hilfe für ihre K riege zu leisten. Es handelte sich jedoch

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nicht um eine regel mäßige Steuer, und diese wurde aufgegeben, nachdem das Römische Reich durch Augustus befriedet worden war. In die Führung der Stadt und des Staates mischten sich die Römer zur Zeit des Herodes nicht ein. Die Geschichte des Herodes und seiner K riege, seine frommen Taten und seine Freveltaten gegen das Vol k, seine Grausamkeiten und sein Eifer, sowoh l gegen das hasmonäische Haus, deren Rest [e] er beseitigte, a ls auch gegen seine eigenen Nachkommen, aber auch gegen die Gebäude, Städte, Märkte und Tempel, die er zur Zierde errichten ließ (besonders das Haus unseres Gottes, welches er fast vollständig neu in seiner Schönheit und durch f leißige A rbeit errichtete, wofür es kein Beispiel gibt), a ll dies wird wie der Bau des Tempels unserer Nation in den Büchern der Weltgeschichte ihm zugute geschrieben. Obwoh l wir hier nur auf den besonderen Zustand unseres Vol kes in jenen Zeiten eingehen wollen, möchten wir wenigstens zu erk lären versuchen, wie uns die besondere A rt des Wirkens des Geistes im weiteren Verlauf der langen Königsherrschaft des Herodes immer mehr verloren ging und wie Hoff nung und Furcht, jene beiden mächtigen K räfte, sowoh l auf die Elite a ls auch auf das gesamte Vol k einwirkten und dadurch die Gedanken und Absichten im Hinblick auf a lle ethischen Maßstäbe verwirrten und korrumpierten und wie sie damit im Laufe der Zeit und der Ereignisse, die ihnen widerfuhren, zurechtkamen. Dieser Aspekt ist sehr schwierig und kann durch uns aufgrund der zeit lichen Entfernung und dem Mangel an Büchern aus jener Zeit nicht genauer erk lärt werden. Josephus ist der einzige Geschichtsschreiber, der die Ereignisse aufgeschrieben hat, doch erwähnt er nur die po litischen Ereignisse und geht auf die Ursachen und die Hintergründe ein, die sie hervorbrachten, nicht ein. Er berichtet zwar über die rea lgeschichtlichen Begebenheiten, doch so gut wie nichts über den sie bewegenden Geist. Man bedenke jedoch etwa folgende Feststellung [ der Rabbinen ] (bYom 8b) : „Die Sünde der Ersten (der Generation des Ersten Tempels – gemäß den vom Geist inspirierten Soferim) wurde offenbart, und ihr Ende wurde ihnen offenbart, die der Letzten (der Generation des Zweiten Tempels), deren Sünde nicht offenbart wurde, deren Ende wurde auch nicht offen-

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bart.“1 Und an anderer Stelle wird ihr Vergehen | a llgemein a ls „unverdienter Hass“ [ ‫ ] שנאת חינם‬bezeichnet, was im Folgenden erläutert werden wird. Indem wir nun die Augen zu dem heben, der den in Treue die Wahrheit Suchenden die Wege erleuchtet, wollen wir an dieser Stelle mit dem Folgenden fortfahren : Wir deuteten bereits an, dass es in der ganzen Zeit des Zweiten Tempels nicht nur an vergäng l ichen Gütern mangelte, sondern auch viele geistige Güter feh lten. Und das Vol k hatte die Empfindung, dass an den Visionen gemessen, in denen die ersten Propheten Israels ewige Errettung [ vgl. Jes 45,17 ] in ihren Verkündigungen geschaut hatten, die Erlösung unvoll kommen geblieben war und dass auch das wiedererstandene Königtum niema ls auch nur im geringsten dem nach den Heiligen Schriften erhoff ten glich. Ferner gi lt es zu bedenken, dass sich schon nach der ersten Rückkehr aus der Verbannung, zu Beginn der persischen Königsherrschaft und erhebliche Zeit danach, eine besondere Hoff nung und Erwartung immer mehr steigerte, dass näm lich ein mit Urim und Tumim ausgestatteter geistbegabter Hohepriester auftreten werde, zuma l näm lich ein weiteres Problem dama ls war, den Tempel und seine heiligen Einrichtungen entsprechend der früheren Verordnungen richtig wieder neu zu begründen, denn manches war aufgrund der zeitlichen Umstände verändert worden. Es heißt ja : Und der Statthalter gebot ihnen, sie sollen nicht essen vom Hochheiligen, bis ein Priester für die heiligen Lose Urim und Tumim aufsteht (Neh 7,65). Und zur gleichen Zeit oder um diese Zeit tröstet sie und erweckt bei ihnen ein Prophet [ folgende ] Hoff nung : Und plötzlich wird der Herr, den ihr ersehnt, in seinen Tempel kommen; und der Engel des Bundes, den ihr begehrt usw. und er wird die Söhne Levis reinigen und sie läutern (Ma l 3,1.3). Über den a llgemeinen Zustand des Gemeinwesens war man sich dama ls im K laren gewesen, und man war sich bewusst, dass er im A rgen lag, sodass sogar Esra, Günstling des persischen Königs, in seinem Gebet eingestehen musste : Wir sind Knechte, doch unser Gott 1 Zum

Folgenden vg l. die ek lektische Tei lübersetzung von E. Frisch, Der Morgen 11,5 (1935), 208.

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hat uns nicht verlassen in unserer Knechtschaft (Esra 9,9). Beim Bundessch luss sprachen sie bei seiner Niederschrift : Siehe, wir sind heute Knechte; und in dem Lande, das du unseren Vätern gegeben hast, seine Früchte und Güter zu genießen usw. (Neh 9,36). Und darum wollen wir einen Bund schließen, sie aufschreiben usw. (Neh 10,1). Aus diesen Sätzen und den Denunziationen der Kutim [ Samaritaner ] gegen den Stattha lter [ Nehemia ] wird deut lich und verständ lich, dass schon dama ls die Liebe zu ihrem Land und zur Unabhängigkeit in ihren Gemütern so tief eingesenkt war, dass einzig die Hoff nung es belebte, aus ihrer eigenen Mitte werde einst ein großer König erstehen, der sie erlösen und ihren K ampf kämpfen werde : der verheißene König aus dem Stamme Davids. Denn a lle Propheten und ihre heiligen Bücher bezeugten und sagten übereinstimmend, dass Gott nur mit David und seiner Nachfolge einen Bund ewiger Königsherrschaft über Israel gesch lossen hatte so wie mit Aaron einen Bund über die Priesterschaft und mit Pinchas einen Bund über die Hohepriesterschaft. Zu erwähnen ist auch, dass lange nach der Rückkehr aus der Verbannung noch Menschen unter ihnen wei lten, die ihre Abstammung nicht a llein auf Sa lomo zurückzuführen wussten, sondern sogar auf David. Doch mit der Zeit wurden diese weniger beachtet und in ihrem A nsehen, das nach der Rückkehr aus der Verbannung zunächst noch geschätzt worden war, herabgewürdigt. Der erwähnten Chronik sind die Namen von mindestens sieben Generationen (von insgesamt zehn Generationen) zu entnehmen (SOR 19 – 20 [ hg. v. R atner 38a–44b ]), die nach Serubbabel erwuchsen, dem Sohn Jechonjas, der a ls Erster aus Babylonien zurückgekehrt war. Diese Generationenfolge reichte, wie uns scheint, bis zur Zeit des Befreiungskrieges gegen die Griechen. Auch muss man bedenken, dass in Babylonien ein Zweig dieser ed len Familie bestehen blieb, der von a llen Gemeinden der mesopotamischen Diaspora sowie von den Gouverneuren der Meder in Ehre geha lten wurde. Aus ihm gingen auch in der Zeit des Zweiten Tempels (nach dem Zeugnis der Chronik, welche Seder ‛Olam Zuta genannt wird1) 1 Seder

ʽOlam Zuta (hg. v. Neubauer, 166 f.).

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die Exilarchen hervor und sogar noch nach der Zerstörung des Tempels, zur Zeit der letzten Perser und unter den ismaelitischen Herrschern, fast tausend Jahre lang bis zum Ende der gaonäischen Epoche, wie es in unseren Geschichtsbüchern belegt ist (A nmerkung …)1. Doch kehren wir zur Hauptsache zurück. Wir hatten bereits erwähnt, dass das Vol k, selbst a ls die Hasmonäer sich die Königskrone auf ihr Haupt gesetzt hatten, nicht froh darüber wurde und es keinen Gefa llen daran fand und diesen 90 Hochmut zutiefst missbi ll igte.2 | Auch die Herrschaft der Priester, die das griechische Joch abgeschüttelt hatten, erweichte nicht das Gemüt des Vol kes oder einzelner seiner Vertreter. Was sollte aber erst daraus werden, a ls ein heuch lerischer Mensch, der den Römern schmeichelte, zur Macht gelangt war ? Außerdem war dieser von Geburt ein Nichtjude, nur mütterlicherseits entstammte er der Nachkommenschaft Jakobs. 3 Und in vielen grundsätz lichen Lebensdingen folgte er nicht einma l israelitischer Sitte, sondern den Gesetzen Roms, wo man ihn erzogen und ernannt hatte. Obwoh l man a lso befürchten konnte, dass Herodes sich gegenüber dem Vol k a ls grausam erweisen würde, hat er sich an ihm dennoch nicht so sehr vergangen wie A lexander Jannai. Auch unterjochten seine Söhne das Vol k nicht von neuem, wie es die Söhne Jannais getan hatten. Im Gegenteil : A lle Herodianer bemühten sich, Gefa llen beim Vol k und bei den Weisen zu fi nden, und zwar indem sie die Stadt befestigten und dem Vol k in Zeiten des Hungers und der Erdbeben Woh ltaten erwiesen (Herodes rühmte sich sogar gegenüber dem Vol k, dass die Hasmonäer im Verlauf der 125 Jahre ihrer Herrschaft nichts für die Instandsetzung des Tempels unternommen hatten). Zudem bemühte er sich um den Schutz der Diaspora, die im römischen Herrschaftsgebiete lag. Trotz a lledem blieb ein abgrundtiefer und verzehrender Hass zwischen dem Vol k und Herodes und seiner Nachkommenschaft bestehen; und dieser war viel ausgeprägter a ls gegenüber den letz1 Vg l.

die Hinweise zu den nicht erha ltenen A nmerkungen K rochma ls. Folgenden vg l. weiter Frisch, Der Morgen 11,5 (1935), 208 – 213. 3 So mit der Edition von Wol f. 2 Zum

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ten Vertretern des Hauses Hasmon. Der Grund hierfür ist offensichtlich : Die Basis und der Beginn der Regierung der Hasmonäer waren segensreicher und würdiger verlaufen. Sie hatten durch heldenhafte Taten sowie dank der Unterstützung der Frommen und Priester beide K ronen [ die der Priesterschaft und der Königsherrschaft ] erlangt. Nun lag dagegen a lles in der Hand eines fremden Vol kes, verfä lscht von A nfang an, durch das a lle Völ ker bedrängt und unterjocht wurden. Wer die Königsherrschaft von jetzt an erlangen wollte, erhielt sie aus den Händen der Römer, und zwar nur, nachdem er sich ihnen in heuch lerischer Weise unterworfen hatte. Dies ging so weit, dass die Hasmonäer in den Verdacht gerieten, sie hätten schon immer den Sadduzäern zugeneigt. Da sie es nun mit den Proselyten hielten, meinte man, sie seien in der Lage, das Vol k a ll mäh lich von den Satzungen und Bräuchen der Vorfahren abzuwenden und den Geboten eines fremden, fernen Vol kes zu unterwerfen. Dabei war der Bestand ihrer Herrschaft nicht einma l gesichert, denn die Römer ließen in der Familie des Herodes die Königswürde von einem zum anderen wandern, bis die Unabhängigkeit vollständig verloren war. Wir müssen ferner bedenken, dass mit dem Niedergang des A nsehens der Königsherrschaft im Vol ke auch die Würde des Hohepriestertums ständig weiter in Mitleidenschaft gezogen wurde. Denn seit Herodes das Haus der Hasmonäer ausgelöscht hatte und die Hohepriester von ihm selbst ernannt wurden – später auch von seinen Nachkommen und sch ließlich auch noch durch die römischen Stattha lter –, war der Glanz der Hohepriesterwürde tief in den Schmutz gezogen worden. Priester kamen und gingen, und a lles hing an der Will kür der Herrscher und an äußeren Umständen, nicht mehr jedoch an der Würde und Eignung für den Ku ltus. Dies können wir auch bei den Weisen erkennen, und selbst Josephus berichtet darüber, wie im Folgenden noch erläutert werden wird. Hier sei nur daran erinnert, was unsere Weisen [ die Rabbinen ] berichten : Denn was einst dem höchsten Nutzen des Vol kes diente, wurde nun zum Gespött. Die besondere Tempel ha lle für die Hohepriester an besonderen Festtagen hieß eigent lich Bou leuterion (der Fürsten), um somit ihren besonderen Status hervorzuheben.

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Nachdem [ sie das Priestertum käuf lich gemacht hatten, ] nannte man diese Ha lle spöttisch nur noch : Parhedrin [ Ha lle der Staatsbeamten ] (vgl. mYom 1,1). Und sie ernannten Minderwertige über das Tor der Früchte am Markt und Ä hn liches. Daher und wei l die Königsherrschaft dermaßen der Missachtung und dem a llgemeinen A rgwohn preisgegeben wurde, a ls ginge es um Fremdherrschaft, das Heiligste zu Spott und Schimpf geworden war und der Turban [ des Hohepriesters ] wie die Königskrone mit Füßen getreten wurden, wundert es nicht, dass die oben erwähnte Hoff nung auf das ba ldige | Kommen eines Retters, der a lle Entstellungen berichtigen würde, wieder stärker und größer wurde a ls je zuvor. Je länger jedoch der Niedergang der rea len und geistigen Werte andauerte, umso mehr verbreitete und verstärkte sich jene Hoff nung auch unter den anderen religiösen Sekten, unter den Pharisäern, den Sadduzäern, den Essenern und sogar unter den Kutim [ Samaritanern ]. Je nach A rt der A nschauung dieser Gruppen erschien der Weg, auf dem der Erhoff te und Ersehnte erscheinen würde, näher oder ferner; der Charakter seines Kommens und die Taten, die er vollführen würde, erhielten je nach Methode und Verfahren des Tora-Studiums unterschied liche Deutung. (Dies wird, so Gott es zu lässt, an anderem Ort erläutert werden.) A n der Spitze jeder Sekte standen jedoch sog leich Männer auf, die diese Erwartung und Hoff nung auf sich bezogen und die hierdurch eine große A nhängerschaft im Vol ke um sich scharten, sodass die Verwirrung auf das Höchste stieg und das Land von Blutvergießen erfü llt wurde. Sch ließlich kam es sogar so weit, dass jeder beherzte und listenreiche Mann, sei er einfacher Hirte oder Wegelagerer, sich nicht für zu gering erachtete, um a ls der ersehnte Erlöser oder zumindest a ls sein Wegbereiter aufzutreten. Die Wirren um die, die das Ende herbeiwünschten und den genauen Zeitpunkt nicht verpassen wollten, hatten unmittelbar nach dem Tode des Herodes begonnen, nachdem seine drückende Hand abgelassen hatte, und sie hörten bis zum Ende des Bar Kosiba-Aufstandes nicht mehr auf. Dies war a lso der Fluch, der jener Zeit besonders anhaftete, seine tiefsten Ursachen : Niedergang der Königsherrschaft, Geringschätzung der Hohepriesterwürde, der Wunsch nach neuen

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Ordnungen durch Veränderung der Sitten (A nmerkung …). Zu diesem kam noch hinzu : Vollständiger Niedergang des Wissens und der Erkenntnis, die Verwilderung des Vol kes infolge des Mangels an jeglicher religiöser und sitt licher Erziehung. Die Quellen der Weisheit waren jedoch bereits versch lossen, und das Studium und das Lernen waren durch die dreißig Jahre lang ununterbrochen währenden K riege und Unruhen im Land zu einem Stillstand gekommen : seit dem Jahre 245 [ der seleukidischen Zeitrechnung ], nachdem der Streit im Hause Hasmon begonnen hatte, bis zum Jahre 275, dem Jahr der Eroberung des Tempels und des Beginns der Herrschaft des Herodes. Besonders füh lbar wurde dieser Niedergang nach dem Tod Shema‛yas und Avṭa lyons, der Vorsitzenden der beiden Versamm lungen zur Zeit der Führerschaft Hyrkans, des Sohnes des Jannai, a ls die Zah l der Schu len und der Schü ler abgenommen hatte. Und um das Maß voll zumachen, hatte Herodes bei der Eroberung der Stadt den größten Tei l der Lehrer und Weisen, die seine Gegner gewesen waren, töten lassen. Denn seit den Tagen des Hyrkan, a ls er Stattha lter in Ga liläa war, ga lt er bei ihnen a ls verhasst. Denn er hatte einen gewissen Ḥizqiya hinrichten lassen, den A nführer einer Bande, die zuvor einige Bewohner dieses Landstriches überfa llen hatte, die a ls Verbündete Roms ga lten. Die tiefgreifenden Wirren bewirkten im Verlauf von dreißig Jahren, dass die in einheit licher Sprache und ebensolcher Ordnung auf den hohen Schu len nach der Überlieferung gelehrten Satzungen zum ersten Ma l in Vergessenheit gerieten. Mehr noch : Auch die Esoterik der Geheimnisse der Tora und die physiognomischen Einsichten über den Menschen gerieten in Vergessenheit. Und wenn auch nach der Befriedung des Landes und nach Wiederherstellung der Monarchie unter dem neuen König die Gesetze und Verordnungen der neuen Lehrer, der Vorsteher der beiden hohen Lehrhäuser Hillel und Shammai (sie hatte Herodes am Leben gelassen, da sie zu jenen gehörten, die dazu geraten hatten, ihm die Stadt zu öff nen) einigermaßen wieder zur Geltung gelangten, blieben das Vergessene und Untergegangene dennoch ein unersetzlicher Verlust, zuma l bis in diese Zeit a lle Satzungen und Vor-

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schriften münd lich tradiert worden waren. Hinzu kommt, dass auch die a lte Art und die Methoden der Auslegung und Gewinnung der Einsichten beim Bestimmen der Satzungen sich so sehr zu deren Nachteil veränderten, dass der Streit, der Hochmut und die Zwietracht auch unter den pharisäischen Weisen (besonders aber zwischen den Sekten untereinander) in ungekanntem Maß überhandnahmen und sich die Gesinnungen immer weiter voneinander entfernten. Wir werden dies a lles noch näher in einer eigenen Pforte über die münd liche Überlieferung untersuchen. Außer in den beiden A kademien wurde das Studium der Halakha nicht mehr mit dem entsprechenden Fleiß betrieben, und dies, obwoh l sich die Erziehung der Jugend der breiten Bevöl kerungsmehrheit dama ls a ls ein gewa ltiges Problem herauszustellen begann. Es wird uns angelegent l ich berichtet, dass schon Shim‛on ben Sheṭaḥ angeordnet hatte, die K leinkinder mögen in eine Schu le gehen. Sehr wahrschein lich ist daher, dass diese Schu92 len |, die es dauerhaft woh l nur in Jerusa lem gegeben haben kann, während sie andernorts je nach Geschick eingerichtet wurden, in diesen K riegen und Wirren vernach lässigt worden sind. Viele blieben daher woh l ganz ohne Erziehung und Bildung, und einen Beleg hierfür fi nden wir in einer von Rav überlieferten Baraita (bBB 21a – sie wird im Zusammenhang mit der Frage nach Überlieferung wertvoller a lter Gegenstände erwähnt, und sie g leicht der Baraita über den Abschluss des Kanons, die wir bereits in einer Anmerkung erwähnt haben), in der darüber berichtet wird, dass erst in jener Zeit, über die wir hier handel n, Schu len für K leinkinder im A lter zwischen sechs und sieben Jahren gegründet wurden. Sie fanden im ganzen Land erst in der Zeit kurz vor der Zerstörung des Tempels Verbreitung – veran lasst durch die Tatkraft eines gewissen Hohepriesters Yehoshuaʽ ben Gam la, der sch ließlich von den Zeloten im K rieg der Tempelzerstörung getötet worden ist. Die Jugend wurde daher von den Pharisäern angezogen, und sie strebte danach, es ihnen g leichzutun, zuma l der existierende Ku ltus keine K raft mehr zu haben schien und die Verwirrung, der Niedergang und die Zwietracht auch unter den Führern und Obersten des Vol kes immer deutlicher zu beobachten waren, wa-

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rum man sich mühte, wenigstens durch fromme Taten die Herzen des Vol kes von der Unreinheit zu reinigen. Und nicht umsonst zäh lt einer der ersten Mishna-Lehrer, über ihn Frieden, das ToraStudium v o r dem Ku ltus [ Gottesdienst ] zu den drei Dingen, auf denen die Welt ruht.1 Ferner wird der einsichtig Prüfende bemerken, dass unsere Weisen während der drei Generationen des Herodes bis zur Zerstörung [ des Tempels ] immer mehr Erlasse festgelegt haben, Verbote, Erschwerungen betreffs der Scheidung, der Reinheit und des Verbotenen, die weit über a lles Bisherige hinausgingen. Bekannt ist etwa der Erlass über die achtzehn Dinge, die die Rabbinen in der Mishna veröffentlichten, auch wenn sie von Späteren bezweifelt wurden.2 Dieser Erlass stammt aus der Zeit des Beginns der Königsherrschaft des Herodes; kurz vor seinem Tod wurden auch die so genannten Erlasse der „zwei Worte“ [ ‫ ] ב״ד‬festgelegt, achtzig Jahre vor der Zerstörung des Tempels ([ vgl. ] bShab 15a). So wurden bis zur Zerstörung des Tempels am Ende einer jeden Auseinandersetzung neue Erlasse besch lossen : ([ vg l. den ] Abschnitt über das „Ka lb, dessen Genick gebrochen wurde“ [ bSot 44b–49b ]), und – wie jeder Ta lmudkundige weiß – sind noch viele weitere erschwerende und vor Übertretung bewahrende Gebote erlassen worden. Zur Zeit dieses Missstandes gefiel es dem Herrscher, seinen Fürsten und einigen Führern des Vol kes, die Sitten der Römer zu übernehmen und den Kontakt zu ihnen zu vertiefen. Man fuhr nach Rom, oder sie kamen zu ihnen, und man nahm sich gegenseitig gastfreundschaftlich auf. Viele bedeutende Persön lichkeiten des Volkes schickten ihre K inder nach Rom, um sie dort in Wissenschaft und Kunst ausbi lden zu lassen. Viele gingen sogar in die Theater oder in andere Spielstätten, die der König auf seine Kosten in Jerusa lem, Damaskus, Caesarea und an anderen Orten hatte errichten lassen. A ll dies übernahm man aus freien Stücken; es bestand weder Zwang noch Strafandrohung, wie es zur Zeit der Griechen üblich gewesen war. 1 Vg l. 2 Vg l.

m Av 1,2. bShab 13b.

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Umso mehr müssen wir an dieser Stelle die andauernden Bemühungen der Weisen hervorheben, die die Massen davon zurückha lten wollten, auf jene Stimmen zu hören und sich zu sehr mit den Heiden einzu lassen. Gleichermaßen bemühten sie sich auch, den Einf luss der Pharisäer und derjenigen, die es mit den Geboten genau nahmen, von der Masse des Vol kes fern zu ha lten. Zu ihrer Rechtfertigung wird der Verständige fi nden, dass sie sich bei diesem Vorgehen, nach Maßgabe des Zustandes ihrer Zeit, unzweifel haft an jene vorbi ld l ichen, vom hei l igen Geist inspirierten Männer hielten, welche die ersten Heimkehrer aus Babylon zurückgebracht, und an die Frommen jener Generation, die den siegreichen Kampf gegen die Griechen durch ähn liche Verordnungen und Erschwerungen geführt hatten. Und von dieser Seite her können Sinn und Absicht dieser Maßnahmen unter Verhä ltnissen gebilligt werden, die den ku lturellen Bestand und die Sitten der Väter besonders gefährdeten. Doch hatte dies auch eine sch lechte und schäd l iche Seite. Denn in jenen ä lteren Zeiten war die äußere Lage sch limm und schwierig, das Herz aber rein – der Geist der Nation war aufrecht, vereinigend | und aussöhnend, wie wir es oben beschrieben haben; auch die Verordnungen der Weisen taten das ihre, um zum Woh l und zur Existenz der Nation beizutragen. A nders jetzt ! – Wie bereits angedeutet, waren wegen der Übel und mutwilligen Frevel, die im ganzen Land und in der heiligen Stadt geschehen waren, Herz und Geist in Mitleidenschaft gezogen worden. Wenn es den Weisen auch gelang, das religiöse Bewusstsein und die Ethik der Väter zu bewahren, so bewies eine gründ liche Prüfung doch, dass in Beziehung auf die Einigung des Ganzen und auf die politischen Sitten diese erschwerenden Gesetze und Verordnungen weder erha ltend noch einigend, sondern in einer Weise trennend wirkten, dass sie a lles entwurzelten und vollends vernichteten. Vor a llem wurde jetzt die Abtrennung und die gegenseitige Kontrolle selbst unter denen, die sich den Weisen und Pharisäern angesch lossen hatten, in einem unerhörten Maß vertieft und verschärft; und zwar so sehr, dass sich die die Gebote mit pein lichster Sorgfa lt befolgenden ḥaverim [ Pharisäer ] und der ‛am ha-areṣ [ das einfache Vol k ] fast zu zwei getrennten Völ kern

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entwickelten, die einander misstrauten, sich bekämpften und von tiefem Hass gegeneinander beseelt waren. Zum Zweiten : Durch diese harten und bitteren Prüfungen wurde der Vermehrung von Sekten aus Schü lern, Sich-Heiligenden und Sich-Frommachenden Tür und Tor geöff net. So entstanden jene bruta len Mörderbanden, die sich selbst Zeloten oder „Gotteseiferer“ nannten.1 Dagegen wurden jene Weisen und Priester, welche die rechtschaffen und fried lich Gesinnten führen wollten, sowie a lle Fried liebenden überhaupt a ls Heuch ler oder K nechte der Götzendiener verunglimpft. Das Vol k aber wurde durch sie von jeg licher Religion ganz nach ihrem Gutdünken entfremdet, und die wahren Weisen vermochten ihnen keinen Einha lt zu gebieten, auch nicht die Zeloten, die aus ihnen hervorgegangen waren. Darauf weisen sogar einige rabbinische Dikta hin und wird auch von Josephus anschau lich dargestellt und kurz berichtet. Drittens : Die Römer, die bekanntlich schon zur Zeit des Herodes in unser Land gekommen waren, bevor sie es erst nach seinem Tod vollständig in Besitz nahmen, haben diese immer schärfer zu Tage tretende Entfernung und Absonderung unserer Lebensweise a ls Hass gegen sie und a ls Menschenhass überhaupt aufgefasst. Gerade [ d ie Zeloten ] achteten ja sehr genau darauf, sich von ihnen [ den Römern ] fern zu ha lten (sie hielten sie für unrein wie Blutf lüssige und hielten sie für Feinde und von a llen Geschöpfen Gehasste). Dies führte sogar so weit, dass man uns für Hasser der mensch lichen Rasse (odium generis humani) hielt, was mehrma ls in ihren A nna len [ den A nna len der Römer ] erwähnt wird. Man darf sich darüber aber nicht wundern, denn sie sahen nur das Äußere der Bräuche, während ihnen der Inha lt und das Wesen unserer Tora, die nichts a ls Liebe und Güte für das gesamte Menschengesch lecht bedeutet und deren Wege fried lich sind, verborgen blieb. Das Sonderbare daran ist : Während in den Tagen des Ersten Tempels die unwürdige A ng leichung an die Nachbarvöl ker in Gottesdienst und Sitte den Untergang des Staates herbeiführte, wurde die Entfernung von der herrschenden Nation zu einer der 1 Vg l.

dazu Feiner, Haska lah, 123.

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Hauptursachen für die folgende Katastrophe. Schande und Hass wurden auf beiden Seiten derart vermehrt, dass das Fass überlief, die K raft zu ertragen versagte, es zu einem Aufstand kam, die Rebellion ausbrach und in dieser Verzweif lung a lles mit in den Untergang gerissen wurde.1 Doch kehren wir zunächst zur Chronologie der Ereignisse zurück (A nmerkung 14). Solange Herodes lebte, war die Regierungsgewa lt durch seine harte Hand geregelt. Doch soba ld er an der K rankheit erkrankt war, an der er sterben sollte, ließen die Sekten ihren Interessen freien Lauf. Yehuda ben Safrai und Matatia ben Marga lta, beides Lehrer, die aus frommen Pharisäer-K reisen stammten, wiegelten ihre Schü ler auf, den „ Ad ler“ – das Symbol der römischen Herrschaft – zu vertreiben und das, was König Herodes über dem östlichen Tor des Tempels gegen die A nweisungen der Tora hatte errichten lassen, zu zerstören. Die Jungen befolgten dann auch, wozu ihre Lehrer sie angestachelt hatten. Doch wurden vierzig von ihnen gefasst, und der König befah l, sie und ihre Lehrer zu verbrennen. Das Hohepriesteramt wurde Matatia genommen und seinem Schwager übergeben (A nmerkung …). A m Tage seines Hinscheidens freute sich das Vol k, und sie machten ihn, den 7. K islew, zu einem Feiertag, der in die Megillat Ta‛anit aufgenommen wurde. 2 So etwas hatte man bisher nur für Jannai, den Sohn | des Hyrkan, getan – nun a lso auch für Herodes, der durch wahrlich grausame Taten zu einem sch lechten König zu sch lechten Zeiten geworden war (A nmerkung …). Auch A ristobu l wurde vom Vol k für den Tod der Verbrannten verantwort l ich gemacht und angegriffen. Darauf sandte Varus, der römische Stattha lter von Syrien, den Sabinus nach Jerusa lem und mit ihm eine Legion. Er nahm die Festung in Besitz und verfuhr mit ihnen nach seinem Willen. Vor dem Wochenfest begannen sie jedoch einen Aufstand, sodass viel Blut vergossen wurde 1 Bis

hier die Tei lübersetzung von Frisch, Der Morgen 11,5 (1935),

208 – 213. 2 Vg l . E dition Neubauer, 14; L ichtenstein, Fastenrolle, 293; Noam, Megi llat Taʽanit, 46.

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und die äußeren Ha llen des Tempels niederbrannten. Das Vol k bestürmte und belagerte Sabinus daraufhin auf der Burg, und wenn ihm nicht die Truppen des Herodes zu Hil fe gekommen wären, hätte er nicht standgeha lten. Gleichzeitig nahm Judas, der Sohn jenes Ḥizqiya aus der Gau lanitis, den Herodes zuvor hatte hinrichten lassen und der für ihn vor dem Sanhedrin vor Gericht gestanden hatte, die Stadt Ṣippori [ Sepphoris ] ein; Shim‛on, ein Freigelassener des Herodes, ein gesitteter Mann, nahm den Pa last in Jericho ein. Ein anderer Bösewicht, Etronges, und seine vier Brüder sammelten eine Truppe in der Nähe der Stadt Emmaus und riefen ihn dort zum Landesfürsten aus. A lle diese Aufständischen verkündeten, dass das Ende der römischen Herrschaft und die Zeit für eine neue jüdische Königsherrschaft gekommen seien. Doch dann kam der römische Stattha lter selbst, und mit ihm kamen zwei römische Legionen und Hilfstruppen aus Tyrus, Sidon und A raber, und er rang die Aufständischen nieder und unterwarf sie. A ls er nach Jerusa lem kam, ließ er Tausende von den Verschwörern kreuzigen, viele wurden auch a ls Sk laven verkauft. Die Besten und die Truppen wurden so dem Vol k genommen oder vom Eifer dahingeraff t. So wurde der Aufstand unterdrückt und zum Schweigen gebracht, doch es gab immer noch einige, die weiterhin beabsichtigten, einen Aufstand zu unternehmen. Darum hießen sie seitdem Z e l o ten, und sie setzten sich aus a llen Sekten zusammen. Die Meisten von ihnen kamen jedoch von den Pharisäern, a lso den Frommen, die sich in ihrem Eifer dafür hingaben, für ihre Religion und Freiheit gegen jeden Feind zu kämpfen und dafür zu sterben. Der erste Aufstand gegen die Römer fand im Jahre 308 griechischer Zeitrechnung, 72 Jahre vor der Tempelzerstörung, statt. Es sei hier noch erwähnt, dass die Rabbinen gegen Ende des Traktates Sota, im Seder ‛Olam [ R abba ] und an verschiedenen Stellen im Ta lmud nur drei K riege und Aufstände gegen die Römer erwähnen; sie nennen sie aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten pu l musim (auf Griechisch : πόλεμος – „ K rieg“), denn sie kämpften in ihnen für die Freiheit von dem schwer auf ihnen lastenden römischen Joch. Den von uns a ls erstem K rieg bezeichneten K rieg nannten sie den K rieg des Sabinus [ vgl. mSot 9,14; SOR 30 (hg. v. Rat-

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ner 73a1) ]; den K rieg der Zerstörung [ des Tempels ] nannten sie den

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K rieg gegen Vespasian und Titus; den K rieg von Betar und was ihm vorangegangen war nannten sie den letzten K rieg oder K rieg von Trakhinus [ Trajan ] und Hadrian (A nmerkung …). In seinem Testament hatte Herodes sein Reich unter seinen Söhnen und seiner Familie unter der Bedingung aufgetei lt, dass auch sie dem römischen Kaiser Augustus, dem ein großer A nteil des Königsbesitzes zustand, weiterhin von ihrem Besitz einen A nteil entrichten sollten. Das Land Judäa gab er A rchelaus. A ls aber a lle A ngehörigen der Familie des Herodes nach Rom liefen, um vor dem Kaiser zu erscheinen, gesellten sich auch einige der Ä ltesten aus Israel hinzu, um gegen die gesamte Familie des Herodes und besonders gegen A rchelaus, der ihnen in dem erwähnten K riege schwere Gewa lt angetan hatte, Beschwerde zu führen. Er hörte sich daraufhin a lle ihre Beschwerden im Tempel des Apollo an, doch unsere Gesetzgeber sprachen über ihn den Fluch aus : Der Herr wird dich und deinen König, den du über dich gesetzt hast, unter ein Volk treiben, das du nicht kennst noch deine Väter, und du wirst dort anderen Göttern dienen : Holz und Steinen (Dtn 28,36). Nach einiger Zeit erging durch Augustus ein Gesetz, um das Testament des Herodes zu erfü llen. Allerdings enthielt es eine Änderung : Archelaus solle sich nicht König nennen, sondern nasi des Vol kes. Sein Herrschaftsgebiet solle Judäa und Samaria umfassen, in denen die großen Städte Jerusa lem, Caesarea, Sebaste, d. h. Samaria, lagen. Antipas, sein Bruder, solle Tetrarch über Ga liläa und Bashan, und Philippus, der dritte, Tetrarch über den Golan sowie die Trachonitis, Batanaia und Pamaia werden. Shu lamit [ Sa lome ], die Schwester des Herodes, solle die Herrschaft über das Gebiet süd lich von Yavne, Ashdod und Migda l Phasael erha lten (Anmerkung …).2 Das Geld aus seinem Erbe übergab der König seinen Söhnen. Archelaus behandelte das Vol k und diejenigen, die die Tora erfü llten, schlecht, und er folgte | dem sch lechten Beispiel seines Vaters, seine Wohltaten dagegen versuchte er nicht nachzuahmen. 1 Die

Lesarten in SOR variieren. hier stand eine nicht mehr erha ltene A nmerkung [ Zunz ].

2 Auch

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Da das Vol k und seine Ältesten von ihren Beschwerden vor dem Kaiser in Rom nicht abließen, setzte dieser ihn sch ließlich im Jahre 220 griechischer Zeitrechnung von seiner Herrschaft ab und verbannte ihn nach Ga llien. Judäa kehrte daraufhin in die Hegemonie des römischen Herrschers zurück und stand fortan erneut a ls Teil der syrischen Provinz unter der Herrschaft eines Stattha lters, der wiederum einen Hegemon in Jerusa lem oder Caesarea einsetzte, der für a lle Belange des Staates verantwortlich war. Die religiöse und zivi l rechtliche Führung in den Städten verblieb a llerdings nach wie vor bei den Priestern, Ältesten und den Weisen, die sich im Bedarfsfa ll im Sanhedrin versammelten. Etwas später gewannen auch die Feinde der herodianischen Familie wieder an Einf luss auf die Ernennung des Hohepriesters. Ihre Herrschaft begann, wie gesagt, mit dem Jahr 220, sechzig Jahre vor der Zerstörung, und wenigstens dem Anschein nach blieben sie unter Herodes und seinen Söhnen noch fünfundvierzig Jahre lang ein unabhängiger Staat. Doch noch im g leichen Jahr hatten sie begonnen, an Rom eine Kopfsteuer aufgrund von geschriebenen Listen zu entrichten. Ihre Abhängigkeit wurde dadurch erst recht offenbar. Und das Volk f loh vor ihr mehr a ls vor der Unterjochung durch die Herodianer selbst, und erst aus diesem Grunde haben sich dann Judas der Galiläer und Zadok erhoben, beides Pharisäer, die aus den Resten der Zeloten im Land eine besondere Gemeinschaft gründeten : Jene ga liläische Sekte näm lich, die wir bereits unter Verweis auf die Worte des Josephus über die Pharisäer erwähnten und die gegen die Römer in den Kampf zog, was bis zur Zerstörung des Tempels zu keinem Ende mehr kam. Sie folgte dabei übrigens nicht mehr dem Hohepriester Yo‛ezer und dem beschwichtigenden Rat der Feinde der Pharisäer, denn diese stritten selber darüber, ob sich ein Jude vor einem heidnischen Fürsten und Herrscher beugen dürfte. Diese Frage blieb dann eine der ha lakhischen Streitfragen (Anmerkung …). Josephus berichtet Erstaun liches über ihre Unnachgiebigkeit bei der Durchsetzung ihrer Vorstellungen; unter schweren Qua len nahmen sie sogar den Tod in Kauf, und Josephus merkt dazu an, er befürchte, man könne ihm keinen Glauben schenken, doch hätten es die Römer oft selbst mit eigenen Augen gesehen.

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Die Herrschaft der Stattha lter dauerte bis zum Jahr 249, neunundzwanzig Jahre lang. Die Namen der Stattha lter, deren A mtszeit nur kurze Zeit währte, sind bei Josephus verzeichnet. Sie ernannten häufig neue Hohepriester oder setzten sie wieder ab, um so, wie es A rchelaus gemacht hatte, ihre Herrschaft zu festigen und die stärkste Macht im Vol ke zu schwächen. Unter den namentlich erwähnten Hohepriestern befanden sich : Yo‛ezer ben Baytus, Eli‛ezer, sein Bruder, Yehoshuaʽ ben Sia, Ḥanan ben Shayit – unter seiner Ägide haben die Samaritaner einma l den Tempel durch Menschenknochen verunreinigt und damit den Ku ltus bis zu seiner Reinigung unterbrochen. Danach kamen Yishmaʽel ben Phiabi (der lobend von den Ha lakha-Lehrern erwähnt wird; sie nannten ihn : Schü ler des Pinḥas), Eli‛ezer ben Hanyan, Shim‛on ben Qimḥit, Yoḥanan ben Qimḥit und Yedidya, sein Bruder. Von diesem tadel nswerten Brauch, der in den letzten Tagen des Herodes begann und bis zur Tempelzerstörung andauerte, kommt die Rede von den „Söhnen der Hohepriester“, während der Ausdruck „Priester“ für einen ehema ligen Hohepriester verwendet wurde. Anstatt dass die Hohepriesterschaft vom Vater an den Sohn oder Bruder weitergegeben worden wäre, wurde es nun Sitte und Brauch, die Hohepriester für ein oder zwei Jahre aus irgendeiner ehrenwerten Familie zu ernennen, auch wenn so das A nsehen der Hohepriesterschaft weiter herabsank und sch ließlich für fast nichts mehr geachtet wurde – wie oben erwähnt. In der Tosefta (Menaḥot, K apitel 13) und in unserer Gemara (Pesaḥim 57a) wird eine Baraita aus jener Zeit überliefert, die jene Familien charakterisiert. Sie legt uns offen ihre A rt und Handlungsweise dar und stimmt mit dem, was Josephus in seinen Büchern berichtet, überein : „ Abba Sha’u l ben Baṭanit (der eine Generation vor der Tempelzerstörung lebte) sprach im Namen von Yosef ben Ḥanan : Wehe mir vor dem Hause Baytus ! Wehe mir vor ihren Stangensch lägen (Eisenstangen) ! Wehe mir vor dem Haus des Ḥanan und ihren Freveltaten (Betrügerei [en] ). Wehe mir vor dem Haus Katros (Simon ben Kantheras, der von König Agrippa ernannt worden war). Wehe mir vor ihrer Feder (einem sch lechten Schreiben [ aus ihrer Feder ]) ! Wehe mir vor dem Haus des Yishma‛el

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ben Phiabi, wehe mir vor dem Hause des Agrippa (von seinem Haus gingen viele Übel aus), die Hohepriester sein wollen, | deren Söhne 96 aber Schatzmeister und deren Schwiegersöhne Tempelherren sind und ihre Diener sch lagen das Vol k kräftig mit Stöcken.“ Daraus ersichtlich wird jedoch, dass trotz des Niedergangs ihres Dienstes den Hohepriestern noch die Macht geblieben war, um das Vol k, wenn sie einen Aufruhr befürchteten, in die Schranken zu weisen. Die Rabbinen brachten dies folgendermaßen auf den Punkt : „Sie erkauften sie [ d ie Hohepriesterwürde ] mit Blut“ (bYom 18a). Ansonsten herrschte zur Zeit der Stattha lter eine gewisse Ruhe. Der Vorsitzende der Versamm lung war zu jener Zeit Shim‛on, der Sohn Hillels. Der letzte Stattha lter brachte jedoch die Banner der Römer und auf ihnen das Bild des Kaisers Tiberius nach Jerusalem. Die Ä ltesten des Vol kes gingen daraufhin nach Caesarea und bedrängten den Stattha lter, indem sie sagten, sie stürben lieber a ls die Entweihung der Heiligen Stadt mit anzusehen. Sch ließlich gab er ihrem Drängen nach und entfernte sie aus der Stadt. A ls er jedoch Geld aus dem Tempelschatz nehmen wollte, um damit eine Wasserleitung für die Stadt zu bauen, erhoben sich die Zeloten gegen ihn, und viel Blut wurde vergossen, bis dieser Aufstand niedergesch lagen war. Wahrschein lich stammt aus jener Zeit die Ha lakha aus dem Traktat Sheqa lim : „Die Wasserleitung, die Mauer und ihre Türme, a lles für die Stadt Notwendige wurde aus dem Tempelschatz bestritten“ (mSheq 4,2). Herodes aber hatte a lles auf eigene Kosten bauen lassen. Im Jahr 349, a ls die Herrschaft der Stattha lter zu einem Ende gekommen und Kaiser Tiberius gestorben war, für den der Tetrarch A ntipas, der Sohn des Herodes, Tiberias – nach seinem Namen – hatte erbauen lassen, kam Vitellius, der Stattha lter Syriens, nach Judäa. A ls er es befriedet fand, befreite er es von seiner schweren Steuerlast und gab sogar das Gewand des Hohepriesters, das vor den Priestern in der Festung Nunya [ A ntonia ] verborgen worden war, in ihre Obhut am Tempel zurück.

Im gleichen Jahr setzte der neue Kaiser Ca ligu la, der in der Sprache der Rabbinen Gasqa lgas („dick leibiger Löwe“) genannt wird,

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Pforte 10

Agrippa, einen Neffen des Herodes, der in Rom aufgewachsen und von Jugend an ein Freund des Kaisers gewesen war, ein und machte ihn zum Fürsten und Herrscher über den Großteil des Besitzes des Herodes, den er für die Familie erworben hatte. Zu dieser Zeit entstand aber eine neue Not, die vom Kaiser ausging, da er in seinem Wahn und zur Abschreckung sein eigenes Standbild im Tempel zur A nbetung aufrichten lassen wollte. Doch wie sehr hat sich dagegen das gesamte Vol k gewehrt ! (Sogar die griechisch [sprachigen ] Juden A lexandriens, woran noch an anderem Ort erinnert werden wird.) Wie sehr bedrängten sie den Stattha lter Syriens, Petronius ! Und sie wären l ieber gestorben, doch Gasqa lgas starb selbst noch rechtzeitig [ , bevor der Plan in die Tat umgesetzt werden konnte ]. Dies berichtet Josephus a lles in genauer Übereinstimmung mit dem, was uns aus der Megillat Ta‛anit bekannt ist, in der der 22. Tammuz1 a ls Freudentag [ z ur Erinnerung an ] dieses Ereignis festgelegt worden ist. Auch Agrippa, der Freund des Kaisers, hatte sich dafür eingesetzt, ihn umzustimmen, außerdem hatte er sich um viele Wohltaten zugunsten der jüdischen Diaspora in Rom bemüht. Nachdem Gasqa lgas gestorben war, ernannte sich im Jahre 253 Claudius zum Kaiser. Er verlieh Agrippa erneut die Königswürde, und nachdem er aus Rom zurückgekehrt war, herrschte er über ganz Israel vom Jahr 254 an. Er opferte Brand- und Schlachtopfer, brachte im Tempel die wertvolle goldene Kette an, die ihm Gasqa lgas, sein Freund, geschenkt hatte, und, wei l die Königsherrschaft in seine Heimat und in sein Haus zurückgekehrt war, veransta ltete er ein großes Fest. Agrippa liebte die Vergnügungen und die Spiele, die er in Rom kennen gelernt hatte und die sich in ihrer Verderblichkeit und Lasterhaftigkeit über ganz Asien verbreitet hatten. Es wird berichtet, dass ihn einma l ein Pharisäer mit Namen Shim‛on für seine Spiele im Theater und Stadion getadelt hat. Der König ließ ihn darauf1 Korrigiere

zu Shevaṭ; vg l. Edition Neubauer, 17; Lichtenstein, Fastenrolle, 300; Noam, Megi llat Taʽanit, 46.

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hin ergreifen und setzte ihn während eines Spieles in Caesarea zu seiner Rechten. Danach fragte er ihn : Wodurch wird hierbei die Tora übertreten ? Da fiel der Pharisäer auf seine K nie, und er entließ ihn.1 Ausgenommen dieses Vorfa lls hat er nicht so wie seine Väter Sünden begangen. Er war ein rechtschaffender und gütiger Mensch, der der wahren Tora der Pharisäer folgte und der a lle anderen Sekten verabscheute, sodass man an ihn sogar in ihren Ha lakhot erinnerte (bYom 20b; bKet 17a; bSot pereq 7 [ 35b ]). Wie bereits erwähnt, hat er sich auch für den Schutz der übrigen Gebiete der jüdischen Diaspora im römischen Großreich eingesetzt. Er bemühte sich darum, dass ihnen Freiheitsurkunden gewährt würden, damit sie die Tora und ihre Bräuche | wie das staat liche 97 Recht einha lten könnten. Diese hat man dann in bronzene Tafeln gegossen und sie in den Gemeinden und bei den Stattha ltern eines jeden Landes aufbewahrt. Erstaun l ich und erwähnenswert ist, dass zur Zeit der Stattha lter und noch mehr unter König Agrippa Ruhe und ein wenig Woh lstand herrschten. Auch in heidnischen Schriften werden diese K nospen des geistigen Lebens des Vol kes und des Studiums erwähnt. Zum Beispiel : Außer den Versamm lungshäusern und Gerichten in Jerusa lem wurde auch eine Yeshiva [ Ta lmud(hoch) schu le ] in Yavne gegründet, einer bedeutenden Stadt und Heimstätte vieler Lehrer, doch weit entfernt vom Rang der Hauptstadt. Zu dieser Zeit begann man den nasi [ Fürst ] der Versamm lung durch die semikha [ Handauf legung ] einzuführen und ihn Rabban [ Unser Meister ] zu nennen. Die A nführer der Weisen wurden nun Rabbi genannt, und sie erhielten [ in den Synagogen ] einen besonderen Sitzplatz. Auch sind aus jener Zeit mehr a ls aus früheren Zeiten Namen von Weisen und Ta l mud-Lehrern überliefert. Es scheint, dass einige der Mishna-Traktate wie Yoma, Sheqa lim, Tamid in ihrer heutigen A nordnung aus jener Zeit stammen (wie noch in der Pforte über den Ursprung der Tradition der Ha lakha erläutert werden wird). Dies zeigt, dass dama ls das Studium gepf legt wurde und sich verschiedene K lassen – nach oben und nach 1 Vg l.

Josephus, A nt. XIX 7,4.

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Pforte 10

unten offen – bildeten. Der nasi der Versamm lung war zu jener Zeit R abban Gam l i’el ben Shimʽon ben Hillel (der im Gegensatz zu den beiden anderen, die nach ihm nasi wurden, der Ä ltere genannt wird). Er war der Glanz des Hauses Hillel, und er war es, der die große Bedeutung dieses Hauses für das Tora-Studium und für die säku laren Wissenschaften begründete. [ Letztere ] wurden dama ls für die Zierde und den Schmuck der Jugend geha lten und a ls griechische Weisheit bezeichnet, wie sein Neffe in der vierten Generation der Familie anmerkt (bBQ 83a) : „Eintausend K inder saßen im Hause Abbas. Ein Mishna-Lehrer [ Tannait ] unterrichtete sie in Tora, ein anderer Mishna-Lehrer unterrichte sie in griechischer Weisheit. Von der gesamten Familie blieben nur ich und mein Neffe, der Sohn des Abba (der bekannt lich nach der letzten Niederlage im K rieg von Betar lebte) in Asia übrig. So kam es nicht nur in dieser ed len Familie vor.“ (A nmerkung …)1 A lle ed len Familien jener Zeit haben ihre K inder auf diese Weise großgezogen und ausgebi ldet. Dies berichtet auch Josephus in seiner Autobiographie. Rabban Gam li’el war auch der Erste, der eine neue Methode zur Berechnung der Interka lation aufgrund der Früh lingstagundnachtg leiche einführte, wie die Formu lierung in seinem Mitteilungsschreiben an die Diaspora Babyloniens, Mediens und die übrigen Gebiete belegt. Er gilt sogar dem besonders gelehrten unter den Vätern der neuen Religion [ des Christentums ] a ls ein Gelehrter, und er war sein Schü ler und saß zu seinen Füßen (worauf die mishnische Wendung Bezug nimmt : „Bestäube dich mit dem Staub ihrer Füße“ [ m Avot 1,4 ]).2 Von ihm wird in den Geschichten über ihre Apostel berichtet, dass er vor dem Sanhedrin die Meinung vertrat, sie sollten nicht zu hart verfolgt und bestraft werden. Dies steht zu unserer Tradition nicht im Widerspruch, nach der zu seiner Zeit die bekannte Benediktion für die Beseitigung der verschiedenen Sekten und die Beilegung a ller Streitigkeiten und Denunziationen, die durch jene Stück für Stück in 1 Auch

hier fand sich eine A nmerkung, die nicht mehr erha lten ist

[ Zunz ]. 2 Für diesen H inweis auf Pau lus vg l. Apg 22,3.

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Gedanken und Taten Verbreitung fanden, eingeführt wurde. Sie bezog sich vor a llem auf die Zeloten, die in ihrem Eifer das Land und seine Bevöl kerung verdarben. Doch kehren wir noch einma l zu Agrippa zurück : Offensichtlich war er noch mehr a ls der a lte Herodes ein Diener Roms. Es wird näm lich häufig berichtet, wie sehr sein Königreich nach Meinung der Prokuratoren und der Griechen, der Bedränger Israels, darniederlag. Sogar [ eine ] Mishna bringt die angedeutete K lage zum Ausdruck : „Das Königreich ging verloren und wurde zuschanden“ (bSot 47b). Wenn er noch länger gelebt hätte, hätte er vielleicht das „brennende Feuer“ zum Erlöschen gebracht und die Überreste des Vol kes zusammengeführt. Denn wir sahen bereits, dass sich die Wege des Hauses Herodes besserten und sie sich nach und nach um das Vol k und ihren Gott bemühten. Nach dem Tod des grausamen Nero | und nach dem Ende des Gesch lechtes der verrückten Caesaren hatten ihre Schandtaten aufgehört, und es kamen weise und gutmütigere Kaiser. Doch unter uns war bereits der Eifer für Gott ausgebrochen, und a ls der König Agrippa plötzlich im Jahre 256 starb und sein Sohn noch ein K nabe war, wurden Judäa und Jerusa lem wieder römische Provinz. Unter den Hohepriestern zur Zeit des Agrippa befanden sich : Shim‛on ben Kantharos, Matatias ben Ḥanan und Elyehʽeno ben Haqof, von dem die Mishna [ m Par 3,5 ] berichtet, dass er eine Kuh a ls Opfer darbrachte. In den viezehn Jahren bis zur Tempelzerstörung herrschten noch sieben weitere Stattha lter, die sich in ihrer Niederträchtigkeit und Grausamkeit g lichen und nur ihren Vorteil suchten. A n ihre Namen wird wie an die miṣwot unserer Weisen und an die großen Frevler erinnert, wie man auch die Namen der Gerechten in Erinnerung ruft. Der erste dieser absch l ießenden Reihe von Stattha ltern Judäas hieß Fadus. Er wollte die K leider des Hohepriesters in der Burg Nunya in seine Obhut zurückgeben, die den Hohepriestern bereits zuvor für neun Jahre zurückgegeben worden waren. Die Hohepriester und den jungen Sohn des Königs Agrippa schickte man nach Rom, wo sie dem Kaiser Claudius unterstanden. Der letzte Agrippa sah die Zerstörung des Tempels und war beim Tod seines Vaters noch ein k leiner Junge. Er übergab

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die Tempelwache und das A mt der Ernennung des Hohepriesters dem Herodes, dem Bruder des Tetrarchen Agrippa, und setzte Yosef ben Qimḥit a ls Hohepriester ein. Der zweite Stattha lter : Tiberius A lexander, ein a lexandrinischer Jude, der die Lehre seiner Väter verlassen hatte. Er ließ Judas, den Ga liläer, den Gründer der Sekte der extremistischen Zeloten, hinrichten. Im Jahr 258 entstand eine große Hungersnot im Land, und Helena, Königin eines heidnischen Landes, unterstützte die Leidenden aus ihren eigenen Mitteln. Diese Königin Helena kam aus Adiabene an der Grenze zu Medien und war mit ihren K indern zum Judentum übergetreten und nach Jerusa lem gezogen. Ihre Söhne, Monobaz und Izates, kehrten in ihr Land zurück, und ihr Königreich und seine Nachbarn wurden Juden. Sie aber blieb bis zu ihrem Tod in Jerusa lem und vollbrachte große Woh ltaten und spendete für den Tempel und gab den A rmen A l mosen. Ihre Geschichte ist von Josephus ausführlich berichtet worden, und auch in den ha lakhischen Werken findet sie positive Erwähnung (mYom 3,10). Im Jahr 259 wurde Yosef ben Qimḥit vom Hohepriesteramt entfernt und ein gewisser Yoḥanan ben Nidbai ernannt, der in einer a lten Baraita (bPes 57a) erwähnt wird und der für seine Fressgier bekannt war. Im Jahr 260 kam der dritte Stattha lter : (A lexander, der Konvertit, kehrte nach Ägypten zurück;) Cumanus, ein grausamer und äußerst blutrünstiger Mensch, der das Vol k schwer unterjochte und die Unterdrückung des Vol kes und seine K nechtschaft deutlich vor Augen führte. Er ließ sogar an Feiertagen Truppen in den Ha llen des Tempels aufstellen, a ls aus a llen Gebieten der Diaspora Pilger nach Jerusa lem kamen, um dort das Pesaḥ- Opfer darzubringen. A ls ein Heide unter ihnen entdeckt wurde, nahm die Verbitterung des Vol kes so sehr zu, dass sie gewa ltig murrten. Cumanus versammelte a lle seine Truppen auf der Burg, von wo er auch den Tempel beschießen konnte. Das Vol k beeilte sich aber, auf den Tempelberg zu f liehen, und infolge einer Panik kamen Tausende von ihnen ums Leben. Umso mehr wuchs nun aber der Hass des Vol kes auf die römische Herrschaft. Selbst nachdem er einen seiner Soldaten, der eine Tora-Rolle zerrissen und verunreinigt hatte, festnehmen und zum Tode verurtei len ließ, beruhigte sich

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das Gemüt des Vol kes nicht, und sie begannen damit, einzel ne Römer, auf die sie trafen, zu ermorden. Im Jahr 263 hatten die Kutim [ Samaritaner ] einige Leute aus Ga l i läa, a ls sie nach Jerusa lem pi lgerten, ausgeraubt, und der Stattha lter tat so, a ls hätte er es nicht gesehen. Daraufhin begannen Viele aus dem Vol k einen Aufstand, und ohne den Ratsch lägen angesehener Pharisäer Gehör zu schenken, brannten sie einige Dörfer der Kutim nieder und töteten a lle, die sie fanden, sodass viel Blut vergossen wurde. In der Folge fiel Cumanus über die Brandstifter und Ruhestörer her und ließ sie niedermachen. A ls die Ä ltesten Jerusa lems versicherten, keinen A nteil an der Erhebung gehabt zu haben und sich nur nach Ruhe zu sehnen, erhörte sie der Stattha lter. Die Kutim gaben sich damit jedoch nicht zufrieden und brachten ihre Beschwerden vor den Stattha lter in Syrien. Daraufhin wurden a lle, die gewa lttätig geworden waren, Juden und Kutim, verurtei lt, und er befah l, sie in Lod und Samaria zu kreuzigen, und die Rädelsführer beider Seiten ließ er nach Rom deportieren. Von den Juden wurden die Priester Ḥanania und A nnanias, die über den Tempel ernannt waren, geschickt, und er befah l sogar, dass der Stattha lter vom Kaiser gerichtet werden solle. Ihr Fürsprecher bei der Gemah lin Kaiser Neros war ein gewisser Agrippa (der schon lange in Rom gelebt hatte und sich bereits für die Herrschaft des Herodes eingesetzt hatte), und sch ließlich wurden die Juden tatsäch lich freigesprochen, die kutäischen A nk läger jedoch hingerichtet. Vom Jahr 264 bis zum Jahr 274 herrschte der vierte Stattha lter über Judäa, Felix mit Namen. Unter seiner Ägide ergossen sich die Übel über a lles wie Wasser. Im Land traten immer mehr Zeloten auf, und der Stattha lter verließ Caesarea, um sie zu zerstreuen. Eigent l ich wollte er jedoch das Land in noch größere Unruhe stürzen, um so besser über das Vol k herfa llen zu können | und 99 es gänz lich niederzumachen. Infolge seiner Aufstachelung wurde auch der Hohepriester Jonatan meuch lerisch ermordet. Von da an mehrten sich die Meuchelmörder im Land, die mit kurzen Dolchen unter ihren Gewändern scheinhei lig auf jeden, den sie vermeintlich zu ihren Feinden zäh lten, losgingen. Diese wurden zunächst

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Sikarier (Dolchmänner) genannt (wegen des kurzen Messers, das Griechisch „sika“ heißt). Auch in unserer Mishna wird dieser Name überliefert (m Makh 1,6) : „Eine Begebenheit von den Männern Jerusa lems, die ihre getrockneten Feigen vor den Sikariern im Wasser versteckten.“ Ihr hebräischer Name war sch l icht „Mörder“. Einige von ihnen kamen von den Zeloten, und sie handelten so leichtsinnig wie Betrunkene. Ihr A nführer war Eli‛ezer ben Dinai, von dem Josephus berichtet, dass ihn Felix zu Beginn seiner Herrschaft hatte ergreifen und nach Rom schicken lassen. Dort war er jedoch auf Empfeh lung des Felix begnadigt worden und konnte nach Judäa zurückkehren. Die Sikarier erstanden a lso um das Jahr 269, elf Jahre vor der Tempelzerstörung. Diese Zeit wird in unserer Mishna a ls „die Zeit, a ls sich die Mörder vermehrten“, bezeichnet (mSot 9,9; bSot 47a) : „A ls sich die Mörder mehrten, wurde das Sühneka lb abgeschaff t, bis Eli‛ezer ben Dinai kam.“ (A nmerkung …)1 Zu jener Zeit ging Felix grausam gegen einen Empörer vor, der durch Wundertaten auf dem Ölberg einige vierhundert ha lt- und skrupellose Männer um sich [ geschart hatte ], die darauf hoff ten, dass er sie erlösen werde. Er [ Felix ] tötete jedoch diesen Wundertäter und a lle, die ihm folgten, wesha lb das Vol k die Römer noch mehr hasste und im ganzen Land Stimmen der Verschwörung und des Aufstandes laut wurden, und in jedem Dorf und jeder Ortschaft (k leine Sied lungen wie im Lande Israel üblich) loderte im Verborgenen dieses Feuer weiter. Im Jahr 273 wurde diese Flamme größer. In der Stadt Caesarea, die judaisiert und der Sitz des Stattha lters war, entstand ein Streit zwischen den Juden und den Bewohnern griechischer Abstammung, wem die Führung der Stadt gebühren solle. Die Griechen sagten, sie wären die Ersten gewesen, die in die Stadt bereits, a ls sie erbaut wurde, gekommen waren, um in ihr zu wohnen. Die Juden antworteten daraufhin, dass sie zunächst nur ein k leines Dorf gewesen sei und dass ihr König Herodes sie gebaut habe, daher 1 Auch

hier fand sich eine A nmerkung, die nicht mehr erha lten gebl ieben ist [ Zunz ].

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gebühre ihnen in ihrer Stadt und in ihrer Provinz die Führung. Es kam so weit, dass sie mit Schwertern aufeinander losgingen und die Juden [ z unächst ] den Sieg davontrugen. Doch Fel ix trat ihnen entgegen und ließ die Empörer der jüdischen Seite hinrichten. Auch dieser Vorfa ll trug dazu bei, dass das Feuer des Aufstandes immer weiter angefacht wurde.

Nicht genug mit diesen Schwierigkeiten, auch unter den Adeligen der Nation gab es Zwist und Streitereien : So etwa zwischen den Häusern der Hohepriester und der einfachen Priester. Denn a ls die stolzen Priester und ihre Diener auf die Tenne [ Sitz des Sanhedrins (vgl. bSan 36a) ] zurückkehrten, nahmen sie a lle Priesterabgaben an sich, ohne dass etwas für die armen Priester übrig geblieben wäre. Diese versammelten sich und veransta lteten ein großes Geschrei. Nur mit Mühe konnten die Ä ltesten des Vol kes und die bedeutenden Weisen den Aufruhr besänftigen, indem sie mit Gewa lt von den Schätzen der reichen Priester Besitz ergriffen und eine gerechte Teilung vollzogen. Dies ist zumindest das, was Josephus berichtet, der dies mit eigenen Augen beobachtet haben wi ll. Doch wird es unterstrichen durch das harte Diktum über die Sitten der Priester in jener Baraita, die wir oben zitiert haben. Überliefert wird auch etwas von Verbrechen gewa lttätiger Männer in der Priesterschaft, die sich die Besitztümer der Priester aneigneten, die Häute für die Heiligtümer und die Sykomorenplantagen in Jericho. Hohepriester war in jenem Jahr der oben erwähnte Yishmaʽel ben Phiabi, den Agrippa erneut ernannt hatte, der mittlerweile Herrscher über ein großes Reich geworden war. Außer den erwähnten Fürstentümern hatte er noch Gebiete in der Gau lanitis und Caesarea hinzu erha lten, außerdem das Erbe seines verstorbenen Onkels Philippus und in der Landschaft Galiläa Tiberias und Bethsaida sowie vierzehn weitere Städte. Diese Besitztümer verblieben bei dem letzten Agrippa [ II. ] bis zum letzten Aufstand und bis in die Zeit nach der Zerstörung des Tempels. Auch ließ er sich zusammen mit seiner Schwester Berenike einen Sitz im Tempel des Herodes I. errichten. Im Jahr 274 kam der fünfte Stattha lter mit Namen [ Porcius ] Festus. Beiden | gelang es jedoch

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nicht, a llein durch ihren guten Willen das Land zu befrieden. Im Gegenteil : Agrippa selbst war es, vielleicht wegen seiner Einfa lt, der Grund für neuen Streit bot. Er ließ im Tempel eine Mauer errichten, die höher a ls die Tempel ha lle selbst war, sodass er [ von ihr ] immer a lles beobachten konnte, was im Vorhof des Tempels vor sich ging. Dies missfiel den Priestern, und sie beei lten sich und bauten ihr gegenüber eine turmhohe Mauer, die den Einblick verhindern sollte. Da sie dies ohne die persön liche Erlaubnis des Kaisers unternommen hatten, schickten sie einen der bedeutenden Weisen nach Rom, den bekannten Yishmaʽel ben Elisha, einen Mystiker, Wahrsager und über die Opfergaben Ernannten. Nero aber hörte daraufhin auf den Rat seiner Frau Popaea, doch behielt er wegen der zah l reichen Erhebungen Geisel n in Rom zurück, die später getötet werden sollten. Dama ls wurde Ananias, ein Anhänger der sadduzäischen Sekte, zum Hohepriester ernannt. Er ließ den Sanhedrin einberufen und verurtei lte viele zum Tode, ohne dafür die Erlaubnis des Stattha lters eingeholt zu haben. Vorsteher des Tempels war Agrippas. Wir erwähnten bereits, dass die Sadduzäer hart in ihren Gerichtsurteilen waren und leichtfertig Blut vergossen. Dies ist das Gericht der Sadduzäer, welches im Traktat Sanhedrin angedeutet wird (bSan 52b). R abbi El i‛ezer ben Ṣadoq berichtet von seiner k leinen Mitgliederzah l. Doch A nanias wurde entfernt, und Yehoshuaʽ ben Dinai diente an seiner statt a ls Hohepriester. Im Jahr 276, vier Jahre vor der Zerstörung, a ls bereits der sechste Stattha lter mit Namen A lbinus, ein Geizha ls und jemand, der das Gesetz zu seinem Vorteil zu brechen pf legte, herrschte, da unternahm es auch Agrippa, um seinen Geldbedarf für die Bauten im Land seines Herrschaftsgebiets im Norden zu decken, in Caesarea und in Beirut, sowie übera ll da, wo es der Familie des Herodes gefiel, Bauten zu errichten. Zu diesem Zweck verkaufte er für eine große Summe Geld die Hohepriesterwürde an Yehoshuaʽ ben Gam la, der ihm hierfür eine Verlobte anvertraute, was auch in der Mishna und im Ta lmud Erwähnung fi ndet (mYev 6,4). Josephus berichtet, dass hierüber die Brüder der Hohepriester in Streit gerieten und er dies mit Gewa lt niedergesch lagen hat (A nmerkung …).

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Josephus berichtet auch von einem Streit unter den Leviten, die ihren Dienst im Tempel in leinenen Gewändern verrichten wollten (vgl. A nt. XX 9,6). (Dies ist zutreffend von Josephus kommentiert worden.) Sie sagten näm lich : In was für K leidern diente Mose während der sieben Tage der Einweihung [ des Stiftszeltes ] ? In weißen Leinengewändern, die keine Wolle entha lten. Die Priester suchten dies zu verhindern, doch Agrippa versammelte den Sanhedrin und ließ es ihnen erlauben. Wie bereits erwähnt, unternahm der Hohepriester Yehoshuaʽ ben Gam la viele Woh ltaten für das Vol k : Er verordnete, in jeder Stadt Israels Schu len einzurichten, um a llen Israeliten ab dem sechsten Lebensjahr das Lesen beizubringen. Daher sagte man über ihn : „ A llein deswegen sei sein Gedenken zum Guten !“ (bBB 21a). Weiter berichtet Josephus, dass dama ls die A rbeiten am Tempel vollendet worden sind, an dem seit Herodes insgesamt acht Jahre lang gebaut worden war. Dadurch verloren nun a llerdings 18.000 A rbeiter ihre Beschäftigung. Um diese A rmen zu versorgen, ordnete Agrippa an, die Stadt zur Gänze mit großen Steinen zu pf lastern. Und so können wir auch hierin Funken der Hoff nung auf ein Ende des Hasses und des Triumphes sowie eine Neigung des gesamten Vol kes zum Frieden erkennen. Das Zerstörungsurtei l über den Tempel und das Todesurtei l durch das Schwert sowie das Verbannungsurtei l für die zah lreichen Bewohner Judas war indes bereits gefä llt. Es kam ein siebter Stattha lter, der letzte, und der hieß Gessius Florus. Er vergrößerte die Eigensucht, Ruchlosigkeit und Grausamkeit so sehr wie keiner der Stattha lter vor ihm. Er scheint kein anderes Ziel verfolgt zu haben, a ls das Vol k zu unterdrücken und es zum Aufstand gegen Rom, die mächtigste und furchterregendste Nation, die dama ls die meisten bewohnten Länder beherrschte, anzustachel n. Dies führte zum Ausbruch des offenen Aufstands : Die Ä ltesten des Vol kes brachten ihre Beschwerde vor Ga llus, den Prokurator Syriens, und bek lagten die Ungerechtigkeit des Stattha lters. A ls dieser am Pesaḥ-Fest des Jahres 254 selbst nach Jerusa lem gezogen kam, gelang es dem Stattha lter zunächst, ihnen zu gefa llen. Dama ls waren gerade die Gesandten aus Rom zurückgekehrt, die dort

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erneut über die Zivilgerichtsbarkeit und die Leitung der Stadt zusammen mit den Griechen aus Caesarea verhandelt hatten. Nero, der Wahnsinnige, aber hatte diesma l den Griechen recht gegeben. Außerdem waren die Juden dort noch dadurch weiter verärgert worden, dass ihre Bedränger vor dem Eingang einer Synagoge in Caesarea Vögel opferten wie beim Opfer nach der Reinigung von 101 Aussatz. Um dies weiter anzustachel n, behaupteten sie, | die Juden Ägyptens seien einst von der K rankheit des Aussatzes befa llen gewesen und seien desha lb von dort abgeschoben worden. Der Streit wurde hierdurch so angeheizt, dass sogar Blut vergossen wurde. Die Juden brachten daraufhin ihre Frauen und K inder sowie ihre Tora-Rollen in die nahgelegenen Ortschaften in Sicherheit. Der Stattha lter aber, nicht nur, dass er ihre Verfolger nicht verk lagen ließ, im Gegentei l, er warf die, die sich bei ihm beschwerten, auch noch ins Gefängnis. Dadurch kam das Fass zum Überlaufen : Das Vol k sah keine Hoff nung mehr, denn in ihrem Land und Gebiet herrschten die Heiden nun wie die Herren, sie aber wurden wie K riegsgefangene völlig missachtet. Kurz nach diesem Vorfa ll verlangte Florus von den Ä ltesten siebzehn Ta lente Silber. Man weigerte sich jedoch, sie ihm zu geben, zuma l man sich an das in Caesarea Geschehene erinnerte. Es machten sich auch einige Leute über ihn lustig, die in der Stadt mit einer A l mosenbüchse herum liefen und für den armen Florus eine Spende erbaten. Um seine Schmähung zu rächen, kam er mit einer Truppe nach Jerusa lem und befah l, ihm die Spötter auszuliefern. A ls man sich weigerte, sie auszu liefern, befah l er seiner Truppe, zu plündern und zu morden. Fast dreitausend Unbewaffnete aus dem Vol k wurden auf diese Weise niedergemacht. Berenike, die Schwester des Agrippa (die dama ls in Jerusa lem weilte), ging barfuß zu dem Grausamen, versuchte zu vermittel n und bat so lange um Erbarmen, bis er sich erweichen l ieß. Die Ä ltesten und die Weisen bemühten sich andererseits, das Gemüt des Vol kes zu beruhigen. Es gelang ihm so, die Meinung des übrigen Vol kes auf seine Seite zu ziehen, und daraufhin zog er den übrigen Truppen des Florus, die nun nach Jerusa lem kamen, zur Begrüßung entgegen. A ls er ihnen den Friedensgruß entrichtete, missachte-

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ten sie jedoch diese Begrüßung und wünschten ihm keinen Frieden. Da schmähte das Vol k den Stattha lter mit lautem Geschrei, er habe seinen Eid übertreten und seine Friedenszusage gebrochen. So begann der Aufstand : Die Truppe versuchte in großer Eile, die Festung Nunya zu erreichen, und trampelte viele aus dem Vol k nieder. Das Vol k beeilte sich daraufhin, die Dächer der Häuser zu besteigen, um von dort mit Pfeilen und Steinen auf die Römer zu schießen, ohne jedoch zur Festung selbst zu gelangen. Da erhoben sich auch die Zeloten, bestiegen den Tempelberg und rissen die Schutzmauer, die die Römer von der Burg bis auf den Tempelberg errichtet hatten, nieder. A ls der Stattha lter sah, dass es sch lecht um ihn stand, wandte er sich um und verließ die Stadt. Nur wenige seiner Truppen ließ er bei den Priestern, die über die Ordnung wachen sollten, zurück. A ls dieses Gerücht vor den Prokurator kam, sandte er einen seiner Hauptmänner nach Jerusa lem, um den Fa ll zu untersuchen. Er traf den Agrippa in der Nähe von Yavne, da dieser immer noch bemüht war, das Gemüt des Vol kes zu beruhigen, und beide zogen sie daraufhin nach Jerusa lem, um sich vom Übel, welches der Stattha lter angerichtet hatte, zu überzeugen. A ls jedoch das Vol k Gesandte zum Kaiser nach Rom schicken wollte, riet Agrippa davon ab; entweder aus A ngst, Kaiser Nero könne sie töten lassen oder weil er ein Mann des Ausgleichs mit dem Stattha lter war. Er hielt ihnen daher eine g länzende Rede, die bei Josephus in seinem Buch über den K rieg [ Bell. II 16,345 – 401 ] zu finden ist. Darin forderte er sie auf, keinen Aufstand gegen die Römer zu unternehmen und dem Kaiser wie früher Steuern a ls Zeichen ihrer Untertänigkeit und ihres Gehorsams zu entrichten. A ls es gerade schien, dass ihm das Vol k einen Moment zuhören würde, wollte es Agrippa bitten, wie ehedem auch der Stimme des Stattha lters und seinen A nordnungen zu folgen, was dazu führte, dass das Vol k sofort dazu aufrief, ihn zu steinigen. Und so wurden er und seine Schwester gezwungen, aus der Stadt zu f liehen.

Nachdem dies innerha lb weniger Tage geschehen war, gewannen die Zeloten die Oberhand. Obwohl die Anführer der Priesterschaft,

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die Ältesten des Vol kes und die Weisen Frieden wollten und bereit waren, sich dem herrschenden Vol k zu unterwerfen, sch lossen sie sich gezwungenermaßen den Zeloten an. Doch riefen sie das Vol k nicht nur dazu auf, sich zu versammeln und a lles für den Krieg vorzubereiten, um so am Leben zu bleiben, sondern sie warnten das Vol k auch eindringlich, die Römer nicht unnötig herauszufordern und immer auch Raum für einen Friedenssch luss zu lassen. Innerha lb kurzer Zeit wurden die Festungen und Burgen in Judä a und Ga liläa befestigt und mit Nahrungsmitteln und Waffen bestückt, und über das Vol k wurden Hauptmänner und Festungskommandanten ernannt, zu denen dann auch Flavius Josephus, der Priester, gehörte. In seinem griechischen Geschichtswerk, in dem auch der Verlauf des Krieges genau geschi ldert wird, berichtet er, dass er zum Anführer und Feldherrn über Ga liläa ernannt wurde. Sein eigener Werdegang ist uns auch aus seiner Autobiographie bekannt. In Jerusa lem selbst bereitete man a lles auf K rieg und Belagerung vor, und sogar das einfache Vol k konnte dafür begeistert werden. Trotzdem ließ man nicht davon ab, sie zu warnen und ihnen Furcht vor dem in naher Zukunft Geschehenden einzuf lößen, fa lls sie die 102 Römer belagern oder sie zur Sch lacht reizen würden. Josephus | wie auch die Gemara berichten aus jenen Tagen von Vorzeichen des Schreckens und Prodigien der kommenden Katastrophe. Wenn sie auf diese Hinweise des Himmels und die Ratsch läge der Weisen gehört hätten, hätten sie sicher zu einem annehmbaren Frieden und einem vertretbaren Ergebnis gelangen können, etwa wenn sie bereit gewesen wären, weiterhin die Steuer zu entrichten und den Prokurator in Syrien im Krieg zu unterstützen. Es wäre dama ls nur nötig gewesen, die Herrschaft der Stattha lter zu beenden, das Joch ihrer Will kür und Grausamkeit von [ des Vol kes ] Schu ltern zu nehmen und die Führung über ihren Staat insgesamt in ihre Hände zu legen, so wie ihnen unter den Stattha ltern bereits ein großer Teil ihrer Autonomie zurückgegeben worden war. Die von den Pharisäern abstammenden Zeloten in ihrer übermäßigen Frömmigkeit und die Sadduzäer in ihrer Verbissenheit sowie die Sekte des Judas in ihrem Wahn – sie a lle versammelten sich jedoch, um das Vol k in die Irre zu führen und a lles zu zerstören.

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Das erste, was die Zeloten unternahmen, war, den Tempelberg und einige Teile der Stadt zu befestigen. Nur der obere Markt blieb in den Händen der Oberschicht und der Vertreter des Friedens. Danach veran lassten sie auf den Rat der beiden zelotischen Priester Eliʽezer ben Ḥanania und Zekharya ben Eukolos hin (die wir bereits in einer A nmerkung erwähnten …), das Opfer für den Frieden des Römischen Reiches einzustellen. Von ihren Unternehmungen berichtet Josephus außerdem [ Bell. IV 8, 155 ] : „Sie entfernten den dama ligen Hohepriester Matya ben Tiof’el1 und wollten einen neuen Hohepriester durch das Los bestimmen, wei l sie sagten, es sei auch früher Brauch gewesen, den Hohepriester durch Los zu bestimmen. Indes, dies ist ein Irrtum. Viel mehr kam es nun erst recht zur Abschaff ung bestehenden Rechts und Gesetzes, wei l nun kein Hohepriester aus der gerade nach der Ordnung damit zu beauftragenden Priesterfami lie genommen wurde (wie wir oben im Zusammenhang mit der Regel der Hohepriester nach der Mishna erwähnten). Das Los fiel auf einen völlig unwürdigen Mann, Pinḥas ben Shemu’el aus dem Dorf Habata [ Aphtia ]. Er wusste von nichts und war dafür völlig ungeeignet. Doch gegen seinen Willen holte man ihn vom Feld, k leidete ihn mit den Gewändern des Hohepriesters und machte aus ihm einen anderen Menschen, indem man ihn nach und nach lehrte, was er zu tun hätte. A ls die Priester sahen, dass die überkommene Lehre auf diese Weise zum Spott wurde, weinten und seufzten sie.“ Dies sind die Worte eines Augenzeugen. Über jenen Pinḥas, den Steinmetz, lehrte man (Sifra Emor [ 2 ] [ 94c ]; tYom 1,6 [ 222 ]) : „Eine Begebenheit von Pinḥas aus Habira (die Lesart nach Sifra : „Havra“, doch muss man woh l mit Josephus in „Havta“ verbessern) : Und sie fanden ihn, a ls er Steine behaute, und man fü llte den Schacht vor ihm mit Golddenaren. Rabbi Ḥananya ben Gam li’el sprach : Ein Steinmetz war er und nicht etwa ein Unbedarfter.“ Daraus und aufgrund der Erwähnung des Zekharya ben Avqu los [ Ekh R 4,2 (71b) ] und weiterer Stellen lässt sich belegen, dass sich unter den Zeloten auch Weise und Ha lakha-Lehrer befanden. 1 Vg l.

Bell. II 1 (hg. v. Bauernfeind, 181 mit A nm. 1).

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Pforte 10

A ls Beispiel sei angeführt (vg l. die Pforte über die Entwick lung der Ha lakha), dass die Mishna Yoma hauptsäch lich kurz vor der Tempelzerstörung durch Shim‛on, einen Mann aus Miṣpa und Schü ler des Rabban Gam li’el des Ä lteren, gelehrt worden ist. Die übliche Ausdrucksweise, mit der die Ältesten die Hohepriester anredeten, war : „Ihr Hohepriester !“ (vgl. bYom 18a). Möglicherweise ist diese Eigenart auf Judas den Ga liläer und seine Gruppe zurückzuführen. Sie vermieden es näm lich, irgendjemanden mit „Herr“ oder „Meister“ anzureden. Und dies, obwoh l die meisten Weisen unter den Pharisäern die A nhänger dieser Sekte zu den Apostaten zäh lten, wie wir bereits oben erwähnt haben. Die meisten von ihnen und ihre bedeutenden Persön lichkeiten befürworteten ja Frieden und Ruhe und widersprachen den Zeloten im Verborgenen oder offen, wie wir es etwa über Rabban Yoḥanan ben Zakkai und seine Schü ler aus dem Ta l mud und den Midrashim erfahren. So wird von Josephus auch über den Hohepriester Yehoshuaʽ ben Gama la, der in der Mishna gepriesen wird, in tiefer Sympathie zu ihm berichtet, dass er das Vol k wegen seiner Trägheit und Unterwürfigkeit gegenüber den Zeloten angek lagt habe. Dies gilt auch von Rabban Shim‛on ben Rabban Gam li’el dem Ä lteren, der in vierter Generation zum Hause Hillels, des nasi der Versamm lung, und zu den Zehn Märtyrern gezäh lt wurde, die kurz nach der Zerstörung des Tempels hingerichtet worden sind; von Josephus erfahren wir noch, der im A llgemeinen hinsicht lich der meisten Details zuverlässig ist, dass er zu den Ältesten gehörte, die Hinweise zur Kriegsvorbereitung gegeben haben. Josephus machte ihn zu einem seiner Feinde und wollte ihn aus seiner Machtstellung entfernen, da er ihn der Sympathie für die Römer bezichtigte (vielleicht in gewissem Maße zu Recht). Betreffs der Zeloten bemerkt er ausdrück lich, dass Gorion ben Yosef (vielleicht war sein Vater der reiche Naqdimon, der in Mishna und Aggada erwähnt wird1) und Shim‛on ben Gam li’el, a lso angesehene Persön lichkeiten aus dem Vol k, sie davon überzeugen wollten, das zelotische Joch | nicht auf sich zu nehmen. 1 Vg l.

Ekh R 1,5 (33a-b); t Ket 5,9 (256); bKet 66b; bGit 56a.

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Außerdem wird über die Verbrechen der Zeloten berichtet, dass sich ihr Eifer und Übermut gegen die Reichen und Woh l habenden in so großem Hass richtete, dass sie in ihrem törichten Zorn ihre Vorräte an Lebensmitteln und a llem, was man zum Leben benötigt, verbrannten (und auch dies ist in der Aggada angedeutet). Ä hn liches berichtet auch Josephus : Sie steckten das A rchiv mit den Schu ldscheinen, die dem Gericht in Jerusa lem überantwortet worden waren, in Brand, um so die Schu ldner von ihren Verpf lichtungen zu befreien. Offensichtlich wurden die Schu ldscheine dort gemäß der bekannten Verordnung des Hillel aufbewahrt, einer Verordnung, die eigent lich – wie die Rabbinen sagen – eine Verordnung zugunsten der A rmen wie der Reichen war (auch wenn dies nicht unter die Erk lärung des Wortes prosbu l fä llt, welches man sonst mit „für die Feldherrn und Stadträte“ übersetzte) [ vgl. bGit 36a ]; dies gefiel jenen Gewa ltherrschern jedoch nicht. Dies mögen die extremsten Taten der Zeloten zu Beginn des Aufstandes gegen die Römer gewesen sein. Von hier machten sie jedoch weiter, begingen noch größere Freveltaten und vergossen sogar das Blut ihrer Brüder und A nführer. Unter den Ermordeten befanden sich sogar einige Hohepriester; neben anderen der erwähnte Yehoshuaʽ ben Gam li’el. Ihre Verbrechen haben so Tag für Tag, bis zum Ende des K rieges immer größere Ausmaße angenommen. Es folgt eine kurze Zusammenfassung dieses schreck lichen K rieges, der fast drei Jahre lang dauerte und in dem im Lande Israel und in den Gebieten der angrenzenden Diaspora durch seine Wechselfä lle und Kämpfe fast 200.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Es war wie ein dreifacher Sch lag mit einem R iemen; sowoh l von innen a ls auch von außen. Von innen durch die drei Seiten : durch die Zeloten, durch diejenigen, die Frieden wollten und die es immer noch für mög lich hielten, sich den Römern zu unterwerfen, und durch die Herodianer, die die Römer unterstützten. Von außen : durch die römischen Legionen, durch die Truppen des Agrippa und durch die Zah l von Truppen der übel gesinnten Nachbarn aus der Umgebung. Wie mühsel ig aber mussten Ves-

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pasian und sein Sohn Titus jede Stadt und jede Festung einzel n einnehmen, bis der K rieg durch das Niederbrennen des Tempels und die Einnahme einiger Festungen aus der Hand der Zeloten erst zwei Jahre nach der Zerstörung beendet war ? Wie schwer wütete dann die Grausamkeit der Sieger gegen die Besiegten, die am Leben geblieben waren ? Die Zah l der Gefangenen belief sich auf einige Hunderttausend; die einen wurden zum Tode verurtei lt; die anderen, die man überleben ließ, wurden eine Beute der Spiele des Kaisers in Rom; die in Gefangenschaft gerieten, wurden ins Gefängnis geworfen oder in ewige Sk laverei verkauft. Diese Begebenheiten und Schauergeschichten werden von Josephus und den übrigen Geschichtsschreibern unseres Vol kes ausführlich und in a ller Länge berichtet. Wir übergehen sie hier und machen einen großen Sprung über das Schlachtfeld am Abend nach dem Kampfe, denn sie ha lten uns nur auf. Wir wollen uns in unserer Untersuchung lieber der Generation nach der Zerstörung, ihrem geistigen Zustand und ihrer Lage zuwenden. Eigentlich haben wir uns ja schon zu lange aufha lten lassen, und doch müssen wir noch den angerichteten Zornesbecher bis zum Ende der zweiten Phase des Niedergangs und des Vergehens – dem Umfang dieser Pforte entsprechend –, bis zur Gänze leeren.

Wir hatten bereits oben bemerkt, dass zu Beginn der zweiten Phase der Stärke und Voll kommenheit [ Menschen ] aus a llen Gebieten der Diaspora, im Osten und im Westen, sowoh l in ihren Wünschen a ls auch leibhaftig, ins Land und zum Tempel a ls ihrem Mittelpunkt zusammenkamen. Nach der Zerstörung des Tempels waren daher die Ödnis des Landes und der Schrecken der Verbannung der Bevöl kerung genauso groß wie nach der ersten Tempelzerstörung. Die Verbindung mit dem Land Israel schien voll kommen unterbrochen, und die meisten Bewohner der Diaspora wurden daher ba ld wie umherirrende Schafe vom Lande ihres Aufentha lts absorbiert. Doch wer weiß, ob nach den sich hierauf ereignenden Weltgeschehnissen genügend Potentia l geblieben wäre, um a ls Vol k zu überleben ? ! Die Gnade des Herrn beließ im Land jedoch vorläufig einen letzten Rest, und nach einigen Jahren konnte Judäa tatsäch-

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lich wieder gehei ligt und zur Wohnstätte bedeutender Gelehrsamkeit werden. Die bis an die Enden der Welt Verbannten konnten gesammelt werden, um | ein Band und eine Gemeinschaft sowie eine 104 Basis für Lehre und Ku ltus, für Gerechtigkeit und Mora l zu bilden. Dies geschah auch noch rechtzeitig bevor die Niederlassungen in der Diaspora erstarkten und ihre eigenen Wege suchten, um das geistige Leben und den Ku ltus wiederzubeleben. So können wir beobachten, dass noch zweihundert Jahre nach dem Ende dieser Phase des Niedergangs das Land Israel ein Sammel- und Ausgangspunkt für die Lehre und Führung in a llen religiösen Fragen in a llen Gebieten der jüdischen Diaspora blieb, ob im Osten und noch mehr im Westen bis weit nach Europa und Afrika hin. Wie kam es so weit, angesichts des Meeres an Übeln, welches sich über sie ergossen und a lles bedeckt hatte ? – A llein durch die starke Hand des Herrn, die Fürsorge dessen, der seinen Namen in jenem Hause [ dem Tempel ] wohnen ließ ! Er war es, der einen guten Geist im Land übrig gelassen hatte und den Rest [ des Vol kes ] nach seiner A rt wiederzubeleben vermochte, was wir im Folgenden noch schi ldern werden.

Weite Gebiete Ga liläas und Transjordaniens waren fast nicht zerstört worden, denn die meisten Orte hatten den Römern keinen Widerstand geleistet. Einige wurden auch direkt zu Beginn des K rieges erobert oder unterworfen. In Judäa selbst waren noch die A rmen des Vol kes, doch nur wenige von den A ngesehenen, die den Römern a ls fried liebende Männer bekannt waren, übrig geblieben. A ls man einen römischen Beamten schickte, der den Landbesitz und die Felder verkaufen oder a ls Geschenk an die Legionäre verteilen sollte, konnte dieses Land auch von Männern aus dem Norden gekauft werden. Viele Ländereien pachteten die Juden so von den Heiden oder bestellten sie im Auftrag der Eroberer oder auf irgendeine andere Weise. Zah l reiche Güter wurden so von ihren Besitzern genommen und wieder an sie zurückgegeben. A ndere wurden von ihren römischen Besitzern durch Kauf oder dauernde Pacht vom Vater auf den Sohn erworben – das meint die in der Mishna erwähnte „Pacht, die vom Vater auf den Sohn übergeht“ (yBik 1,9 [ 64b ]).

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Viele Gefangene wurden auf Bitten des Agrippa, des Josephus und anderer Notabel n hin befreit. Von den a ls Sk laven Verkauften konnten viele von den in der Diaspora lebenden Juden freigekauft werden und so in ihr Land zurückkehren. So gelangte ganz langsam und ohne Gewa lt und völlig rechtens der Erbbesitz wieder in die Hände ihrer ursprüng lichen Besitzer. Zu jener Zeit hörte man auf, das Gesetz des siqariqon zu praktizieren, welches vorher auf K riegsgefa llene angewendet worden war. Dies bedarf einer Erläuterung : Seit dem Beginn der Verfolgungen und Auseinandersetzungen nach dem Tod des Herodes, a lso in der Phase, die unsere Weisen a ls die Zeit des pu l mos [ K rieges ] des Sabinus bezeichneten (mSot 9,9, s.o.), mehrten sich Zwangseinforderungen und Ungerechtigkeiten. Die Schu ldnehmer forderten von ihren Schu ldnern a llen Erbbesitz a ls Strafe und Hypothek oder aus irgendeinem anderen Grund. Eine Baraita erk lärt dies wie folgt : „Man ging hin, versk lavte sie, nahm ihre Felder und verkaufte sie an andere“ (bGit 55b), wie es auch im Midrash Ekha (zu K lgl 2,5 [ 50b ]) heißt : „Die Ortschaften freuten sich über den Unglückstag Jerusa lems“, d. h. über die erwähnten Zwangseinforderungen, die durch die Eroberer Jerusalems unternommen wurden. Sie aber konnten ihren Besitz beha lten oder an andere verkaufen. Daher erging die Verordnung (vielleicht aufgrund des Gebotes der Tora hinsicht l ich des Schutzes vor dem Erwerb gestoh lenen Bodens), dass der Besitzer oder Erbe rechtmäßig dem Ha lter oder Erben des Mörders, a lso dem Enteigner, den Besitz nehmen darf. Diese Verordnung oder dieses Gesetz nannte man siqariqon (Gesetz des Enteignens1), und es wurde auch auf a lle Fä lle von Pacht und Einnahmen durch Heiden im Land Israel, bei denen Boden den Besitzer wechselte, übertragen. Nach dem K rieg der Zerstörung des Tempels und der darauf folgenden Verteilung und dem Verkauf des Bodens durch die Römer wurde dieses Gebot zeitweise aufgehoben, damit Juden Erbbesitz von K riegsgefa llenen durch K auf oder Pacht erwerben konnten 1 Vg l .

mGit 5,6; t Git 5,1 (257). Siehe dazu auch P forte 13, K rochma l, Writings, 220.

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und das Land nicht ganz im Besitz der Heiden verbl ieb. Nur so lässt sich die erläuterte Stelle im Traktat Neziqin besser verstehen (man muss dort die Lesart verbessern : [ es heißt ] „er nahm vom Enteigner“, doch muss es übera ll dort, wo | das siqariqon in 105 K raft ist, heißen, „dass der Enteigner ein Gewa lttäter ist“); später trat dieses Gesetz über unrechtmäßige Besitzer wieder in vollem Umfang in K raft. Diese Regelungen waren der Grund dafür, dass das Land in kurzer Zeit wieder in jüdischen Besitz zurückgekehrt ist. Titus und einige der ihm folgenden Kaiser ordneten jedoch an, dass die Juden in der Diaspora, die in ihrem Herrschaftsgebiet wohnten, nicht mehr den Tempel-sheqel ins Land Israel schicken sollten. Stattdessen befah len sie, man solle diese Summe in ihren Schatz und den Schatz ihres Gottes abgegeben. Sie selbst oder die K aiser, die nach ihnen kamen, haben diesen Erlass jedoch ba ld wieder aufgehoben. Offensichtlich hörten die Bewohner der Diaspora sogar bis dreihundert Jahre nach der Zerstörung nicht auf, ihren sheqel und ihre Abgaben an den nasi und die Versamm lung in Israel zu schicken. Die Sekten und ihre Auseinandersetzungen sind auf diese Weise im Meer der Sorgen untergegangen. Denn seit der Zerstörung [ des Tempels ] hören wir nichts mehr von ihnen, weder von den Sadduzäern noch den Boethusiern, auch wenn sie einst kaum unterscheidbare Sekten gewesen waren. Trotz ihrer Eigenart sind sie völlig in der Masse des Vol kes aufgegangen, und wir haben keine Eigenart dieser Sekten übernommen, sodass sich Israel nicht weiter mit ihnen auseinandersetzen musste, so wie es mit den Abspa ltungen geschah, die es im Ausland gegeben hatte. Der Tempel des Onias etwa wurde kurz nach der Zerstörung unseres Heiligtums, weil sich dorthin einige der Zeloten gerettet und erfolglos zum Aufstand angestachelt hatten, ebenfa lls zerstört. Durch diese Ereignisse wurden die Zwänge und Bedingungen geschaffen, die die Kontakte zwischen den Weisen im Lande Israel und der Diaspora stärkten : Sie unterrichteten sie in der Auslegung der Tora und interka lierten für sie die Monate und Jahre, um so die Festzeiten einha lten zu können. A lle Weisen Israels ver-

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sammelten sich aber unter dem Schutz des Rabban Yoḥanan ben Zakkai, dem A nführer einer fried liebenden Gruppe von Weisen in Jerusa lem und dem Vorsitzenden der Versamm lung nach der Zerstörung. Ihm hatten die Römer erlaubt, nach Yavne – einer Stätte der Weisheit von a lters her – zu ziehen. Bereits zu Lebzeiten Rabban Gam li’els des Ä lteren hatte es dort eine Lernstätte [ Yeshiva ] gegeben. Nun gründete man dort das erste bedeutende Lehrhaus der Rabbinen. Rabban Yoḥanan ben Zakkai, seine Gefährten und seine berühmten Schü ler haben an diesem Ort sämtl iche ha lakhischen A nordnungen und Mishna-Lehrsätze, die die gesamte dama ls bekannte jüdische Gelehrsamkeit enthielten, gesammelt. Hier erließen sie, den Umständen der Zeit und der Lage entsprechend, zukunftsfähige Verordnungen, insbesondere in Bezug auf den aufgehobenen Tempel ku lt. Zah l reiche dieser den Tempel betreffenden Verordnungen fi nden sich etwa in dem Mishna-Traktat Rosh ha-Shana.

A ls Rabban Yoḥanan ben Zakkai einige Jahre nach der Zerstörung starb, wurde der Vorsitz des Lehrhauses Rabban Gam li’el II. (von Yavne) übertragen, dem Sohn des Rabban Shimʽon, der im K rieg der Zerstörung getötet worden war. Zu seiner Gemeinschaft zäh lten Rabbi Eliʽezer ben Hyrkanos, Rabbi Yehoshuaʽ ben Ḥananya und die übrigen Weisen, die den Tempel und seine Zerstörung noch mit eigenen Augen gesehen hatten. Dies war die Zeit, a ls Domitian, der Sohn des Titus, Kaiser wurde. Dama ls verbesserte sich die Lage des Vol kes im Land Israel weiter. Viele kehrten aus der Diaspora zurück und vermehrten sich sehr. Wie an den Ha lakhot der in jener Zeit gelehrten Ordnungen Zera‛im und Toharot erkennbar ist, bestellten sie dama ls das Land mit großem Fleiß und Können, und zwar nicht nur zum Lebensunterha lt, sondern auch zu seiner Zierde. Nach dem Tod Domitians, der dreiundzwanzig Jahre nach der Zerstörung starb, oder zu Beginn der Tage des Trakhinus [ Trajan ], um das Jahr 44 nach der Zerstörung, sind – wie in vielen Baraitot berichtet – einige Rabbinen nach Rom gereist. Der Hauptgrund für diese Reise scheint der Versuch gewesen zu sein, vom Kaiser die

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Erlaubnis zu erlangen, das „Haus unserer Zierde“ wiederzuerrichten. Doch der dama lige Kaiser hatte für sie nur Verachtung übrig, woraufhin dieses A nsinnen ganz aufgegeben werden musste, wofür es zwei zuverlässige Belege gibt : 1. Nicht nur, dass man dama ls anfing, den Tempelberg bis hin zum heiligen Bereich und zum Vorhof der Israeliten nur noch unter strenger Befolgung der noch immer geltenden Reinheitsvorschriften zu betreten – von einem solchen Betreten durch Ä lteste und A nhänger der Römer hören wir ja an einer Stelle (bMak 24a) –, es ist vielmehr auch so gewesen, dass man dama ls, bis ungefähr dreißig Jahre nach der Zerstörung, noch nicht aufgehört hatte, in gewissem Umfang Opfer darzubringen. Dies belegt etwa eine frühe Ha lakha (bZev 62a), in der es heißt : „Man brachte Opfer dar, obwoh l es dort keinen Tempel mehr gab.“ Von Rabban Gam li’el, dem nasi, | einem der Rom-Reisenden, wird berichtet : „ Eine Begeben- 106 heit von Rabban Gam li’el, der zu Ṭavi, seinem Diener, sprach : Geh und sch lachte für uns das Pesaḥ-Lamm !“ (m Pes 7,2). Ohne Zweifel ist hier von dem Zweiten mit diesem Namen [ Gam li’el ] die Rede. 2. In einem Midrash und in einer a lten Baraita findet sich, dass sich bei der Rückkehr der Ä ltesten zah l reiches Vol k versammelte und mit dem Bau des Tempels beginnen wollte, die Römer sie jedoch davon abgeha lten haben. A ls die Weisen bemerkten, dass das Vol k einen Aufstand machen wollte, stand Yehoshuaʽ ben Ḥananya, ein weiser Politiker und guter Ratgeber Israels, auf (daher lehrte man : „A ls Rabbi Yehoshuaʽ starb, hörten die guten Ratsch läge und Gedanken in Israel auf“ [ bSot 49b ]) und beruhigte sie mittels der berühmten Fabel vom Löwen und der ägyptischen Bohne (BerR 64,9 [ 712 ]). Im Sinne a ller Weisen sprach er zum Vol k und überzeugte sie davon, dass jenes Vol k (die Römer) durch göttlichen Willen eingesetzt worden sei. Man pries sogar ihre Bemühungen, die Ruhe und Ordnung aufrechtzuerha lten, ebenso ihre Bautätigkeit, ihre Brücken, Badehäuser, Märkte und Ä hn l iches. Nach einigen guten und ruhigen Jahren, in denen sich das Vol k wundersam vermehrte, und nachdem es eine gewisse physische und geistige Reife

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erlangt hatte, einer fast fünfundvierzigjährigen Zeit nach der Katastrophe, waren a lle, die noch den Tempel und seine Zerstörung gesehen hatten – einige von ihnen waren dama ls noch k leine K inder gewesen –, gestorben. Die Auseinandersetzungen im Lehrhaus und die übrigen Vorkommnisse jener Zeit, über die im Ta l mud und den Midrashim berichtet wird, fassen wir zusammen und überspringen sie. Sie dürften ohnehin jedem, der diese Schrift liest, bekannt sein, zuma l sie auch in anderen Darstellungen unserer Geschichte zu fi nden sind. Wer mehr darüber erfahren möchte, der sei noch auf die Pforte über die Ha lakha verwiesen.

A ls nun eine neue Generation herangewachsen war, die die Wirren des K rieges der Zerstörung nicht miterlebt hatte, und a ls die Wunden des Landes und in der nahen Diaspora fast verheilt waren, entbrannte von Neuem der Wille zur Freiheit und die Begierde, das Banner der Ehre unter den unabhängigen Völ kern zu hissen. Der Mut zu neuen schreck lichen Aufständen überkam sie nah und fern, und man wollte die K räfte messen und den Niedergang beenden. Der Name für das nun Kommende – wir erwähnten es bereits – lautete : „Der letzte pu l mos [ K rieg ] des Trakhinus [ Trajan ] und des Hadrian“ (mSot 9,14). Auch auf seine Ursachen und seine Hintergründe müssen wir hier näher eingehen : Dama ls erstreckte sich die Herrschaft Roms bereits über den gesamten Orient bis zum Euphrat. A lle Bewohner stöhnten unter der schweren Last der Abgaben und der Will kür der Stattha lter. Selbst die trügerische Herrschaft, die die Römer den Fami l ienangehörigen des Herodes übergeben hatten, war erloschen, ihre Güter waren einem Stattha lter unterstellt worden. Doch die benachbarten Länder, die uns bedrängt hatten, hatten noch nicht ihre Macht verloren, und viele von ihnen versuchten, ein Stück des Landes zurückzubekommen. Israel eröff nete sich in dieser Lage ein k leiner Spa lt der Hoff nung : A ls näm lich im Jahre 38 nach der Zerstörung Kaiser Trajan K rieg gegen die Völ ker jenseits des Euphrat und die ehema ligen Bundesgenossen Roms führte (sie hießen eigentlich Parther, unsere Weisen nannten sie jedoch einfach

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Perser oder Assyrer, konnte ihr Heer den Kaiser sch lagen. Die Bevöl kerung des Ostens freute sich über die Niederlage des Kaisers so sehr, dass er sie zu verabscheuen begann. A ls darauf der Kaiser nach Rom zurückkehrte, wollten viele einen Aufstand unternehmen, und besonders in unserem Vol k erwachte die Hoff nung, das Joch noch einma l abzuschütteln zu können. Man meinte näm lich, dass nach der Niederlage der Römer im Osten ihre K raft geschwächt sei und ihre Herrschaft gelockert würde, wie dama ls, a ls die Herrschaft der Griechen über Syrien | geschwächt worden war. Und wie zur Zeit der Hasmonäer, standen auch diesma l ein oder mehrere Helden auf, die die Freiheit erkämpfen und ein Königreich oder die Herrschaft errichten wollten. Dies aber erk lärte man zu den „Wehen“ oder den „letzten Schritten der Endzeit“, die die endzeit liche Erlösung durch einen Davididen, der kommen und sein Horn erheben würde, vorbereiten sollten. Man lehrte dama ls näm lich (Ekh R 1,41 [ 18d ]1) : „Wenn du ein persisches Pferd an einem Grabma l im Lande Israel angebunden siehst, dann erwarte das Kommen des Messias“, wie es heißt : Und dann wird Friede sein : Wenn Assyrien in unser Land kommen wird (Mi 5,4). Außerdem waren einige Orte der mesopotamischen Diaspora sehr stark und mächtig geworden; in gewissem Maße zeichneten sie sich sogar durch einen hohen Grad an Gelehrsamkeit aus, etwa in den Versamm lungen der Rabbinen von Nehardea, Nisibis, Adiabene und Ginzaq in Medien. Es finden sich auch Belege, dass sie dama ls bereits Truppen aufzustellen begannen und einen K rieg gegen die Römer jenseits des Euphrat geführt haben. Auch wenn sich keine eindeutigen Indizien dafür fi nden, dass sie die Bevöl kerung der Diaspora im Verborgenen unterstützten und sie sich in die staat lichen A ngelegenheiten ihrer Brüder im Lande Israel einmischten, so bestand doch in Fragen der religiösen Führung wie auch der Interka lation, der Festlegung der Feiertage, der Entsendung von Weisen und Schü lern ein enger und offener Kontakt zwischen der Diaspora und dem Lande Israel. Gewiss entstand 1  I n

wiesen.

K rochma l, Writings, 107 wird (irrtüm l ich ?) auf ShirR 8,9 ver-

107

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in jener Zeit in den fernen Gebieten der Diaspora auch der Wunsch, unter Einsatz des Lebens erneut für die Freiheit zu kämpfen. Und so unternahm man Heldentaten und Gräuel so lange, bis auch das Vol k im Lande Israel zum Aufstand gegen das römische Joch bereit war. Doch wie bek lagenswert ist es, dass sich kein Berichterstatter mehr fand, um uns über diese Zeit Zeugnis abzu legen, wie es Josephus für den K rieg der Zerstörung des Tempels getan hat ! Wir können daher nur das Wenige, was die römischen Geschichtsschreiber berichten, auswerten, außerdem einige verstreute A ndeutungen in den Midrashim und Aggadot, die aber über Historisches, je nach Umstand und Kontext, nur zum Zwecke der Mora l oder des Mitgefüh ls berichten, anders a ls es in den Chroniken und Geschichtswerken üblich ist. Daher können wir nur einige wichtige Fakten in Erinnerung rufen und müssen uns ansonsten auf das unsere Gesamtdarstellung Betreffende beschränken :

Im Jahr 45 nach der Zerstörung, a ls sich Trajan gerade dazu anschickte, ein zweites Ma l gegen die K riegsmacht in Mesopotamien zu ziehen, erhoben sich die Juden in den Küstenstädten A frikas und übten an ihren griechischen Unterdrückern grausame und schreck liche Rache, sodass nur ein k leiner Rest nach A lexandria in Ägypten entkommen konnte. Die große Masse der aufständischen Juden verließ daraufhin ihre Niederlassungen in der Cyrenaika und den Städten Afrikas und zog wütend Richtung Ägypten. Daraufhin erhoben sich a llerdings auch die Griechen und Römer in Ägypten und richteten unter den Juden A lexandriens ein großes Blutbad an. Dies war das Blutbad unter Trajan, dem Frevler, welches sich in A lexandria zutrug. Es brachte die Zerstörung der bedeutenden Gemeinde A lexandrias, welche im Ta l mud und in den Midrashim des Öfteren erwähnt und in einer Baraita treffend charakterisiert wird (bGit 57a) : „Es wird gelehrt : Eli‛ezer der Große sprach : Es gibt zwei Flüsse in der Niederung, einer führt da hin, der andere dort hin“ usw. – „Damit ist der Nil kurz vor seiner Mündung gemeint, dort, wo er auch Delta heißt.“ Auch an anderen Orten in Griechen land und in Asien (Asia minor oder in der Sprache der Mishna „Länder des Meeres“) hat-

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ten sich die Juden erhoben; selbst die, die schon fast vollständig zu Griechen geworden waren und sich in ihrem Land schon fast vollständig assimi liert hatten. Diejenigen, die die Cyrenaika und die afrikanischen Städte verließen, gingen zum Teil in den Jemen oder brachen zu fernen Insel n auf. Manche zogen auch nach Israel oder siedelten sich an der süd l ichen Grenze des Landes, in der Wüste Seir nahe A rabien an. Dort gab es freie jüdische A nsiedlungsgebiete (die wahrschein lich schon zur Zeit des Tempels gegründet worden waren). In der Mishna heißen sie Har ha-melekh [ hebr. Königsberg ], in der Aggada auch Ṭur ma l kha [ a ram. Königsberg ] (Ekh R 4,2 [ 71b ]) oder Ṭur Shim‛on. Wahrschein lich geht letztere Bezeichnung auf den Aufständischen Lucius aus Kyrene zurück oder auf Shim‛on ben Kokhba, der erst später an die Macht gelangt ist. Zu Beginn des Aufstandes in der Cyrenaika schickte Trajan auf Schiffen unter der Führung seines Feldherrn Turba eilig Truppen nach A frika. Dies ist, worauf sich die Aggada in einer Auslegung des folgenden | Verses bezieht : Der Herr wird ein Volk über dich schi- 108 cken usw. (Dtn 28,49), d. h., es wird die Hand des Ad lers auf ihm sein (Ekh R 1,45 [ 17c ]). Nachdem er den Pöbel bestraft hatte, verfolgte er den A nführer Lucius aus Kyrene bis ins judäische Gebirge. Nach einem schreck lichen K rieg, über den nicht viel berichtet worden ist, trug Turba den Sieg davon, und der A nführer fiel im Kampf. Das meint man mit der Zerstörung von Ṭur Ma l kha, die in einer Aggada in der Ordnung Neziqin erwähnt wird (bGit 57a) und die demnach vor der Zerstörung Betars stattgefunden haben muss. Der Anführer aus der Cyrenaika wird dort mit dem Namen Bar Daroma [ Sohn des Südens ] (ebd.) angesprochen. A nscheinend war der Sieg der Römer jedoch nicht vollständig, und es gelang ihnen nicht, jenen Gebirgszug vollständig einzunehmen. So verblieben sie noch eine unbestimmte Zeit völlig frei auf diesem der Mishna und der Aggada bekannten Gebirgszug, auf dem sich viel Bevöl kerung in unzäh ligen Dörfern und Ortschaften niedergelassen hat. Von dort zogen sie bis tief nach A rabien, wo es bis fünfhundert Jahre nach diesen Ereignissen viele freie jüdische Gemeinden gab. Wir hören auch davon, dass et liche der Weisen aus dem Land Israel dorthin

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gef lohen sind, unter ihnen sogar Rabbi ‛Aqiva. Dass die Römer jenen Ort nicht vollständig erobern konnten, verwundert aufgrund der örtlichen und zeit lichen Umstände nicht. A nscheinend hatten sie nichts von ihnen zu befürchteten, und ähn lich waren auch die A raber von ihnen nicht vollständig unterjocht worden. Doch kehren wir zum Lande [ Israel ] und seinen Nöten zurück, denn in ihm ließ Kaiser Trajan nun seinem Zorn freien Lauf und verkündete harte Erlasse, um unsere Religion auszurotten : So verbat er dem Vol k, den Shabbat sowie die Feiertage einzuha lten und die Söhne beschneiden zu lassen. Den Weisen untersagte er, sich mit den Ha lakhot zu beschäftigen oder neue zu formu lieren, ebenso verbat er die Interka lation. Um dies zu überwachen, ernannte er Aufseher und setzte eine Belohnung für Denunzianten und Verräter aus. Zu Recht hatte der Diktator näm lich erkannt, dass er diese Nation nur durch die Ausmerzung ihrer Tora vernichten könne. Darin hat er a lle römischen Herrscher vor ihm, denen so etwas nicht eingefa llen wäre, übertroffen. Die Verfolgung der Römer währte (im Gegensatz zur Verfolgung der Griechen unter A ntiochus, 280 Jahre vorher) – durch Schärfe und Ohnmacht unterschieden, aber ohne dass es zu einer völligen Aufgabe gekommen wäre – die gesamte Regierungszeit Hadrians bis in die A nfangszeit A ntoninus I., der „der Fromme“ genannt wurde. Im Verlauf dieser Verfolgung ist die Religion Israels gestärkt worden, und es wurde ihnen k lar, auf welche Weise man einerseits gegenüber den Unterdrückern Stärke und Zuversicht zeigen konnte1 und wie man andererseits die tora-gemäßen Taten vor ihnen verheim lichen konnte. Davon zeugen viele Geschichten und Sprüche, die in den Talmudim und Midrashim verstreut sind. Auch sind dama ls viele Ha lakhot festgelegt worden, und aus der Mishna sind [ d iesbezüg lich ] folgende Wendungen bekannt : „In Gefahr“, „in Gefahrenzeiten“ oder „zur Zeit der Verfolgung“. Und der gebi ldete Leser weiß [ a n diesen Stellen ] sofort, dass von jener Zeit [ der Verfolgung ] die Rede sein muss. Dazu ist a llerdings anzumerken, dass das Vol k dama ls in zwei Gruppen gespa lten war : Die einen waren bereit, ihr Leben 1 Übersetzung

nach der Edition von Wol f.

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für jede K leinigkeit hinzugeben, und sie wären nicht einma l bereit gewesen, den R iemen an einer Sanda le zu verändern, ohne ihren Feinden in Erinnerung zu rufen, dass sie Juden seien; sie lauerten nur darauf, ihnen zeigen zu können, dass sie Juden sind, und heiligten den Namen [ sie begingen das Martyrium ] für jede K leinigkeit. Unter ihnen befanden sich sogar einige Unbedeutende und Mitglieder des ‛am ha-areṣ, von denen die Rabbinen folgenden Satz überlieferten : „Entweder ein Jude oder ein Gekreuzigter !“ (Shem R 42,9 [ 71d ]). Das heißt, eine dritte Mög l ichkeit kannten sie nicht. Von ihnen heißt es ferner : „ Für was wirst du zur Steinigung geführt ? Weil ich den Lu lav geschwenkt habe ! – Warum wirst du zur K reuzigung geführt ? Weil ich meinen Sohn beschnitten habe !“ (MekhY ba-ḥodesh 6 [ 227 ]). Auf der anderen Seite gab es diejenigen, die meinten, dass es nicht richtig sei, Selbstmord zu begehen, und dass man daher den Erlass befolgen und den Zorn darüber so lange verbergen müsse, bis er aufgehoben würde. Wenn es nicht anders ginge, könne man eine miṣwa übertreten. Unter den Letzteren befanden sich bedeutende Gelehrte wie z. B. Rabbi Yose ben Qamṣa, der meinte, in begründeten Fä llen (wenn der Verstand sagt, wie man sich entscheiden müsse) dürfe man nicht auf gött liches Eingreifen hoffen (etwa durch ein Wunder) (vgl. bAZ 18a). Einige Vertreter dieser R ichtung haben es a llerdings aus Furcht und Mangel an Glaubensstärke übertrieben und machten, damit man sie nicht daran identifizieren könne, mit dem Ska lpell sogar ihre Beschneidung rückgängig. Die Vorsicht hinsicht l ich | der Denunziationen scheint aber, 109 [ z. B. ] im Hinblick auf Verräter wie den Elisha‛ aḥer [ „der Andere“ ], berechtigt gewesen zu sein; sie kamen aus unseren Reihen und von Kennern unserer Religion. Offensichtlich gab es wegen der Frage, ob man Gebote brechen dürfe, heftige Auseinandersetzungen zwischen den beiden Seiten. Nur für drei Gebote müsse man bereit sein, den Tod auf sich zu nehmen : Götzendienst, Inzest, Blutvergießen [ Mord ]. Erstaun lich daran ist, wie sehr dies dem g leicht – sowoh l was die Vorwürfe a ls auch die Auffassungen der verschiedenen Seiten anbetriff t –, was später während der Verfolgung in Spanien geschehen ist.

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Die im Jahr 45 nach der Zerstörung einsetzenden schweren Erlasse verbitterten das Vol k noch mehr. Offensichtlich begann man jetzt selbst unter den Weisen und vor a llem aber unter ihren Schülern wieder mehr darüber nachzudenken, einen Aufstand zu unternehmen. Dies rufen auch Ta lmud und Midrash in Erinnerung : Zum Beispiel die zwölftausend Schü lerpaare, die Rabbi ‛Aqiva im Gebiet von Gabbat bis nach A ntipatris (verstreut über das ganze Land Israel) hervorgebracht hatte (vgl. BerR 61,3 [ 660 ]). Sie a lle sind zwischen Pesaḥ und Aṣeret [ Ende des Wochenfestes ] gestorben (d. h., sie verließen ihr Haus innerha lb kürzester Zeit, um am Aufstand teilzunehmen, und sind a lle im K riege umgekommen). Über die K naben in der Stadt Betar wird berichtet, dass sie sagten : „Wenn unsere Verderber über uns kommen, werden wir ihnen mit Griffeln in unseren Händen die Augen ausstechen“ (was Übertreibung ist), „denn sie verfolgten die Sünden“ usw. (yTaan 4,5 [ 68b ]). Gewiss hatte auch Rabbi ‛Aqiva, ihr Rav und Lehrer, seinen A nteil an der Aufwiegelung dieser apoka lyptischen Hoff nung. (Im Midrash werden daher auch zwei große Apoka lyptiker erwähnt : einer zur Zeit Eli‛ezer ben Dinais, über den wir oben berichtet haben; der zweite zur Zeit des Ben Kosiba.) Seine vielen Reisen nach A rabien, Mesopotamien und Ginzaq in Medien mögen dazu gedient haben, die Unterstützung der Diasporagebiete zu erlangen; a llerdings gibt es dafür keinen eindeutigen Beleg in unseren Ta lmudim. Sie berichten ganz im Gegenteil, dass er nur deswegen dorthin reiste, um die Festtage zu interka lieren, denn dies versuchten die Römer dama ls – und auch noch später – zu verhindern, um so in ihrem gesamten Herrschaftsgebiet ihren ju lianischen Ka lender durchzusetzen. Doch auch dies berichten unsere Weisen : A ls Ben Kosiba kurze Zeit danach einen Aufstand machte, sprach Rabbi ‛Aqiva : „Wir haben einen König Messias !“ (d. h., seine A nkunft ist nahe) (Ekh R 2,4 [ 51a ]). Rabbi Shimʽon ben Yoḥai berichtet : „Rabbi ‛Aqiva legte den Vers ein Stern aus Jakob“ (Num 24,17) auf ihn aus – er war jedoch ein Lügner aus Jakob“ (Ekh R 2,4 [ 51a ], A nmerkung …). In der Tat : Rabbi ‛Aqiva ist erst geraume Zeit nach der Zerstörung Betars getötet worden, und zwar nur, wei l er den Erlass bezüglich der Lehrversamm lungen [ Yeshiva ] und der Autorisation

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der Weisen nicht befolgt hat. Die Römer haben ihn zusammen mit einigen der bedeutenden Weisen – ungefähr zehn – hingerichtet, einen nach dem anderen, denn sie dachten, sie würden auf diese Weise end lich zu ihrem gewünschten Ziel, der Ausmerzung der Religion Israels, gelangen. Wie dem auch sei, die römischen Geschichtsschreiber berichten, dass es noch im g leichen Jahr (42 oder 46 nach der Zerstörung) zu einem Aufstand in Ga liläa gekommen ist, der durch den römischen Feldherrn Quietus niedergesch lagen wurde, der daraufhin zum Stattha lter von Judäa ernannt wurde. Im Jahre 48 starb Trajan auf einem Zug gen Osten, und Hadrian wurde Kaiser. Er entfernte Quietus, und ein gewisser A nius oder Tunius Rufus wurde Stattha lter (in der Gemara ist sein Name verderbt zu Turnus Rufus). Zu Beginn seiner Herrschaft wollte man sich mit dem Vol k versöhnen und die Last der Erlasse erleichtern. Eine Erinnerung daran fi ndet sich sogar in den aggadischen Midra shim, etwa in Zusammenhang mit jenen Fragen und Geschichten über den K aiser und Stattha lter sowie über das Vol k und die Weisen. Doch der durch die Verfolgung erzeugte Zorn war schon so zu Herzen des Vol kes gegangen, dass sich – besonders unter den Jüngeren – die große Wut nicht mehr unterdrücken ließ. Im fünfzigsten Jahr nach der Zerstörung wurde der Plan für den Aufstand den Römern bekannt. Die römischen Geschichtsschreiber berichten darüber folgendes : Rufus bemerkte, dass die guten und brauchbaren Waffen und Ausrüstungsgegenstände, die die jüdischen Schmiede anzufertigen und den Römern zu verkaufen hatten, vom Markt verschwunden waren; man ging dazu über, nur noch feh lerhafte zu verkaufen. Da begriff er, dass die Verschwörer die guten Waffen sammelten und sie zum Kampf verborgen hielten. A ls der Stattha lter dies dem Kaiser übermittel n ließ, befah l er, die Erlasse des Trajan in voller Schärfe wie zu Beginn durchzusetzen. In den folgenden zehn Jahren ließ Rufus den Tempel umpf lügen (woraufhin der Neunte Av a ls Tag seiner Zerstörung festgelegt worden ist, wie in der Mishna Ta‛anit erwähnt), das heißt, er beließ den Tempelberg umgepf lügt a ls Zeichen und Symbol, dass er nie wieder aufgebaut werden würde, | sondern auf ewig Acker 110 und Brach land bleiben solle. In Jerusa lem, welches seit der Zerstö-

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rung nahezu verlassen war, siedelte er Heiden aus den römischen Legionstruppen an. Juden dagegen, die dorthin gelangen wollten, benötigten, selbst wenn sie nur dort beten wollten, eine Erlaubnis. In dieser Zeit, a ls Rabbi ‛Aqiva im Gefängnis eingesperrt war, wurden viele der A nführer der Weisen getötet oder mussten nach Babel oder Asien f liehen. Unter ihnen befanden sich woh l auch, wenn sie zu dieser Zeit überhaupt noch am Leben waren, Rabban Gam li’el und Rabbi Eli‛ezer ben ʽAzarya, die nasi-Fürsten. Dama ls wurde auch die Trostbenediktion „Bone Yerusha layim“ über die Wiedererrichtung Jerusa lems [ in das Achtzehngebet ] eingeschoben. A llerdings wurde sie woh l erst später – vielleicht erst unter Rabbi – verpf lichtender Bestandteil dieses Gebetes. Wie treff lich und aus tiefstem Herzen ist sie formu liert ! Wie gut ist sie vor dem Hintergrund jener schweren, aber doch so hoff nungsvollen Zeit zu verstehen ! (A nmerkung …) Bis zum Jahr 60 nach der Zerstörung hat sich der Ausbruch des Aufstandes hinausgezögert. Dama ls brach Hadrian ein zweites Mal in den Osten auf, und auch dieser Zug findet in den Midrashim Erwähnung. Kaum war der Kaiser wieder nach Rom zurückgekehrt, erhob sich das judäische Vol k in einem Aufstand und kämpfte angesichts des Erlasses aus dem Jahre 61 nach der Zerstörung unter Einsatz seines Lebens für seine Tora, ihr Anführer wurde ein Mann namens Shim‛on Kokhva oder Bar Kokhva. Über die Herkunft dieses Mannes und über das, was er vorher gemacht hat, ist nichts bekannt. Auch wissen wir nicht, ob er aus der Familie des erwähnten cyrenischen A nführers, dessen Name Lucius – a lso : „Licht“ – war, stammte, oder ob er sich selbst den Namen „Sternen-Sohn“ [ Bar Kokhba ] gegeben hat. K lar ist zumindest, dass sein Name außer unter unseren Vol ksangehörigen später a ls „Bar Kozeva“ bekannt wurde (a lso ohne ein yud nach dem zayin, wie im Yerusha lmi oder in den Midrashim), um somit über sein betrügerisches Handeln zu spotten. Dieser Name war den römischen Geschichtsschreibern jedoch unbekannt. Sie nennen ihn immer nur Kokhva, wie auch die frühen christ lichen Mönche, wobei sie sogar davon berichten, dass sie mit eigenen Augen einen feurigen K reis wie einen Stern auf ihm gesehen hätten. Wie bereits bemerkt und angedeutet, hielt

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man ihn aber nicht für den Messias, sondern erwartete von ihm nur, dass er ihnen ihre Freiheit und eine Herrschaft wie unter den Hasmonäern zurückgäbe, sodass er a lso nur der Wegbereiter des ersehnten Messias aus dem Hause David sein sollte. Doch er besaß keine Wunderkräfte (wie in der Aggada des Traktates Sanhedrin angedeutet wird). Allein seine Kühnheit und sein Mut, die Hand zu erheben und die Verbitterung der Schü ler [ der Rabbinen ], die sich zu Tausenden um ihn sammelten, begeisterte das Vol k. Sie befestigten daher jeden Berg und Hügel und legten Vorräte mit Waffen und Ausrüstung an. Den K indern brachten sie das Bogenschießen bei, und von jeder Festung und Befestigung aus überfielen sie die im Land verstreuten Römer und töteten sie. Außerdem führten sie die Beobachtung der Gebote der Tora wie des Shabbat und der Beschneidung wieder ein, wie es in einer Ha lakha erwähnt wird : (yYeb 8,1 [ 8d ]; bYev 62a). In den Tagen des Ben Kosiba gab es viele, die „sie zurückschoben“; dies bezieht sich auf diejenigen, die die Vorhaut zurückschoben. A ls er und die Aufständischen die Oberhand gewonnen hatten, zogen sie nach Jerusa lem hinauf und konnten die Stadt mit Leichtigkeit im Jahr 62 nach der Zerstörung, dem zweiten Jahr des Aufstandes, einnehmen. A nscheinend rief sich [ Bar Kokhva ] dann selbst zum König aus. So scheint es zumindest aufgrund einer Baraita, die das Königreich Bar Kokhvas erwähnt, und aufgrund der Münzen, die er prägen ließ : Auf ihnen war auf der einen Seite sein Name [ sc. Bar Kokhvas ] geschrieben, auf der anderen Seite stand : Freiheit Jerusa lems. Diese Münzen werden auch in einer Mishna (Tosefta Ma‛aserot [ tMSh 1,6 (86) ]) unter der Bezeichnung „Geld der Kosbianer“ erwähnt. Einige von ihnen befinden sich noch heute im Besitz von Münzsamm lern. Nachdem er Jerusa lem erobert hatte, wurden seine Truppen noch stärker, und eine große und starke Truppe kam ihm a ls Unterstützung zu Hilfe, sodass ihm Rufus, der Stattha lter, nicht mehr widerstehen konnte. Die römischen Geschichtsschreiber berichten nur knapp, dass er innerha lb kürzester Zeit fünfzig befestigte Ortschaften und 985 Dörfer eingenommen habe. Die Herrschaft des Bar Kokhva dauerte aber nur bis zum Eintreffen des Ju lius Severus, dem Feldherrn Hadrians, der zuvor in

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Britannien gewesen war und nun vom Kaiser nach Judäa entsandt wurde. Nach seinem Eintreffen konnte das L and jedoch nicht gleich auf einma l zurückerobert werden. Stück für Stück musste er jede Festung einzel n zurückerobern. A ls er seine Position gefestigt hatte, zog er nach Jerusa lem und belagerte es. Dem Urteil der Geschichtsschreiber zufolge tobte der K rieg vor Jerusa lem sehr heftig, und die Römer verloren aufgrund der erbitterten Kampfweise des Vol kes viele ihrer Truppen. Und nachdem die Römer die Stadt bereits eingenommen und zerstört hatten, sammelte sich das Vol k in der Festung Betar oder Bitir (und wir äußerten bereits | die Vermutung, dass sich dies auf die seit der griechischen Zeit bekannte Festung Bet Ṣur an der Grenze zu Edom bezieht) und in den Festungen in den Bergen der Umgebung – immer noch unter der Führung des Bar Kokhva. A ls der römische Feldherr sich bemühte, das übrige Land zu erobern und die Aufständischen aus seiner Umgebung zu vertreiben, f lüchtete sich weiteres Vol k nach Betar. Bekannt ist die Geschichte, die unsere Weisen berichten, dass dort Rabbi Eliʽezer ha-Modaʽi getötet wurde, der zu den bedeutenden Rabbinen gehörte und aus der Stadt Modeʽin, der Heimat der Hasmonäer, stammte (die Rabbinen priesen ihn wegen seiner K lugheit mit dem Satz : „Und immer noch benötigen wir einen aus Modeʽin“ [ bShab 55b ]). Auch er war in die Festung gef lohen und wurde dort von Shim‛on selbst getötet, nachdem man ihm berichtet hatte, er wolle dem Hadrian hel fen und ihm die Stadt ausliefern. Dem Bericht der Geschichtsschreiber zufolge ist der Kaiser vor der Eroberung Betars sogar persön lich nach Judäa gekommen. Und sch ließlich, nachdem a lle Festungen der Umgebung eingenommen worden waren, konnte auch die Stadt – nach einer Tradition der Rabbinen wieder an einem Neunten Av – eingenommen werden. Dies geschah genau im Jahr 65 nach der Zerstörung, zwei Jahre, nachdem (nach einer anderen Lesart in den Midrashim) Shim‛on in Jerusa lem und Betar a ls König aufgerufen worden war, zwanzig Jahre vor dem Aufstand, der a ls der „letzte polemos“ [ letzte K rieg ] bezeichnet wird. Nach a llem, was wir anhand der aggadischen Berichte vermuten können, fand ein gewa ltiges und grausames Gemetzel bei der

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Eroberung Betars statt. Die römischen Geschichtsschreiber erwähnen nur knapp, dass durch diesen K rieg 500.000 Menschen aus dem jüdischen Vol k getötet worden sind, außerdem gerieten viele Aufständische und Nicht-Aufständische in Gefangenschaft, die dann bis nach Europa versch leppt wurden, sogar bis nach Ga llien, Spanien und Ashkenaz; die meisten aber wurden a ls Sk laven verkauft. Doch auch nachdem sie von den A ngehörigen der Diaspora Griechen lands und Roms und den sonstigen über Europa verstreuten [  Juden ] freigekauft worden waren, kehrten sie nicht mehr nach Judäa zurück, sondern l ießen sich dort [ i n der Diaspora ] nieder. Die Stadt Jerusa lem hat Hadrian völlig neu mit Tempeln, Spielhäusern nach der A rt der Heiden errichten lassen, sodass sich sowoh l ihr A nblick a ls auch ihre Ausdehnung stark veränderte. Auf dem Tempelberg pf lanzte man Bäume an, und zwischen ihnen errichteten sie eine Statue Hadrians. Kein Jude durfte die Stadt mehr betreten, und zudem wurde zu ihrer Schmach an einem Tor das Abbild eines Schweines angebracht. Ohne Zweifel haben dama ls a lle Juden die Stadt verlassen, sodass sie wieder zu einer heidnischen Stadt wurde wie zu der Zeit, bevor sie David erobert hatte (R ichter 1). Und wie ihr Name dama ls Jebus hieß, so wurde sie nun nach dem Namen des Gesch lechtes Hadrians in Aelia umbenannt. Der Name Jerusa lem wurde erst wieder unter den christ lichen Kaisern eingeführt, zweihundertfünfzig Jahre nach der Zerstörung. Auch in den Mishnayot, Ta lmudim und Midrashot jener Zeit wird er nicht mehr erwähnt. Nachdem der Aufstand beendet worden war, blieben die [ Verfolgungs-] Erlasse in ihrer Härte noch eine unbekannte Zeit lang in Geltung. Dama ls sind Rabbi ‛Aqiva, Rabbi Yehuda ben Baba (wei l er fortfuhr, Rabbinen der kommenden Generation zu autorisieren) und Rabbi Eliʽezer ben Shammua‛ auf grausame Weise hingerichtet worden. Über diese Zeit erfahren wir auch, dass derjenige, der uns dies in seinem Wahn zufügte, drei Jahre später, im Jahr 68 nach der Zerstörung, verstorben ist. Für einige Zeit erbarmten sich daraufhin die Sieger über die A rmen des Vol kes, die im Land verblieben waren, und sie erlaubten ihnen sogar, die Gefa llenen von Betar

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zu bestatten. Im Yerusha l mi heißt es : „Bis ein anderer Herrscher kam, der es zu ließ, sie zu beerdigen“ (yTaan 4,5 [ 68b ]). Von da an ist die Verfolgung offensichtlich nach und nach erleichtert worden, bis sie ganz aufgehoben wurde. Zur Unterstützung der A rmen und Niedergesch lagenen, deren Lage nicht mit der K atastrophe nach der Verfolgung durch die Griechen zu vergleichen war, richteten die Weisen die Benediktion ha-ṭov we-ha-meṭiv [ der du gütig gegen a lle und Gutes erweist ] 1 ein, um so die Erleichterung des Übels zu preisen, wie man das Gute bei seinem Eintreten preist und über beides im Hinblick auf die zukünftige Welt eine berakha spricht. Dies ist, was die Weisen an vielen Stellen lehren : „Die Benediktion ha-ṭov we-ha-meṭiv hat man in Yavne verordnet, a ls man gestattete, die Gefa llenen Betars zu beerdigen“ (bBer 48b). Den ersten Gnadenerweis ihrer Herrscher setzten sie in eine Benediktion um. Die Intention, dass diese berakha im Tischgebet nach der Benediktion für den Wiederaufbau des Tempels steht, ist darin zu erkennen, dem Becher [ über den vor der Mahlzeit der Segen gesprochen wird ] die Verbesserung des Zustandes zu verkünden und somit das Vol k über den Verlust ihrer Hoff nungen durch das erlittene Leid zu trösten. Nach unserer Meinung hat sich a llerdings der Wortlaut des Segens, wie er heute gebräuch lich ist, gegenüber jener Zeit, in der er festgelegt wurde, sehr verändert. Dies gilt übrigens für a lle Benediktionen – sei es, dass sich ihr Wortlaut mehr oder weniger verändert hat oder dass sich ihre Form oder ihr liturgisches Formu lar wie der Ort [ ihrer Verwendung ] verändert haben. Auch dieser Spruch ist uns von unseren Vorfahren überliefert : „In jener Zeit wurde das ‚ Horn Israel ’ abgesch lagen, und es wird nicht eher zurückkehren, bis dass der Sohn Davids kommen wird“ 112 (bSuk 48b). | [ Die Weisen, ] sel igen A ngedenkens, ahnten offensichtlich, dass durch dieses sch limme und bittere Ereignis der Grundstock ihrer physischen und geistigen K räfte gänz l ich zunichte gemacht worden war und dass sie, wenn sie überleben wollten, in Frieden auf ihrem Land leben mussten. Daher gaben sie – wie 1 Die

vierte Benediktion des Tischsegens (birkat ha-mazon).

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wir die Lage dargestellt haben – jede Hoff nung auf, dass wie vorma ls erneut eine [ u nabhängige ] Regierung das Land übernehmen könnte. Das ist auch die eigent liche Bedeutung der Wendung „der letzte pu l mos“, näm lich dass [ d ieser K rieg ] den Endpunkt dieser Phase markiert. Danach wurde der Rest unseres Vol kes für lange Zeit verstreut, und die Ehre eines unabhängigen Staatswesens ist uns für lange Zeit vorentha lten worden. Er kennzeichnet das Ende dieser zweiten Phase wunderbarer Ereignisse, die, wie erwähnt, mit dem Tod A lexandras, der Frau Jannais, begonnen hatte und demnach 210 Jahre gedauert hat.1 Damit sch ließen sich auch diese beiden Pforten, die zwei lange Zeitabschnitte entha lten, die wiederum in drei Phasen – Wachstum, K raft und Voll kommenheit sowie Niedergang und Verlust – untertei lt waren. Wir können diese Betrachtung und Auslegung jedoch noch nicht besch l ießen, ohne darauf hinzuweisen, dass auch die Geschichten, die darauf folgen werden, sich um dieselbe Achse drehen, die wir theoretisch entwickelt haben – a llein mit dem Unterschied, dass die Zeitabstände zwischen den in ihnen beschriebenen Phasen wie auch ihre Inha lte und der in ihnen wehende Geist in jeder Hinsicht völlig verschieden sein werden. Wir begnügen uns hier damit, darauf hinzuweisen, dass die dritte Phase des Wachstums in den Tagen der A ntoninen, am Ende einer Zeit schreck licher Verfolgungen [ u nter Hadrian ] begann. Unsere Lehrer [ die Rabbinen ] belegen diesen A nfang in beeindruckenden Baraitot : wie sie sich zunächst in Yavne versammelten und wie sie dann nach einiger Zeit nach Uscha im Norden des Landes zogen und dort viele gute, der Zeit entsprechende Verordnungen erließen, die auch zu dem erbärm lichen Zustand der Nation passten, der auch weiterhin einem verkoh lten Holzscheit glich. Doch die Lehrversamm lungen und die Führung durch den nasi kehrten sch l ießl ich an die Nachkommen Hi llels zurück, sodass der [ nasi ] und die Weisen seiner Gefolgschaft vor den Beamten

1 Vg l .

213 f.

ab hier die Tei lübersetzung von Meyer, Ideas of Jewish H istory,

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(Antipota1) in Caesarea oder auf ihren eigentüm lichen Reisen nach Rom Fürsprache ha lten konnten. Hierüber gibt es im Ta lmud und Midrash viele Berichte, und dies belegt auch das Diktum : „Ich verwerfe sie nicht usw. und [ wenn ] mein Bund mit ihnen nicht mehr gelten sollte usw. (Lev 26,44) – in den Tagen Roms. Und ich will ihnen zugute usw. – in den Tagen Rabbis und seiner Generation“ (bMeg 11a). Die dritte Phase der Stärke und der K raft begann um das Jahr [4]5002 des fünften Jahrtausends, a ls die Ismaeliten [ A raber ] an Einf luss gewannen und ihr Reich rasch vergrößerten. Seitdem gab es unter uns auch bedeutende Geonim, Soferim, Redner, Generä le und Anführer in jeder Hinsicht. Sie haben wundervolle und tiefsinnige Midrashim verfasst, wie den, der an den A nfang des Kapitels über das Kommen der Makedonen nach Asien gestellt wurde : „Wei l du uns erneuerst am ‚ Morgen’ der Reiche, damit wir wissen, dass deine Treue zu unserer Rettung groß ist“ (Ekh R 3,23 [ 66b ]).

Nach dieser [ z weiten ] Blütephase kommt die dritte Phase des Niedergangs, eine Phase finsterster Nacht, die durch wenige Lichtblitze erhellt wird. Dama ls starben der Rav [ Moshe ben Maimon ] und Moshe ben Naḥman, sel igen A ngedenkens. Zu Beginn des sechsten Jahrtausends3 gab es wieder Verfolgungen, Vertreibungen und unend liche Bedrängnisse, die bis zum Jahr [5]4004 andauerten. Die Beschäftigung mit a ll diesen Ereignissen ist sehr lehrreich und lohnend – auf dass wir in Zukunft weise werden gegen Ende unserer Tage [ ‫ [ ] למען נחכם באחריתנ ו‬vgl. Spr 19,20 – 21 ].5 Denen, 1 Ein

„Prokonsu l “. heißt 740 n. d. Z .; vg l. Sch lüter, Geschichtskonzeptionen, 189 mit A nm. 46 zur irrtüm l ichen Umrechnung von R awidowicz, Hegel ianer, 560; ders., Historiker, 61. 3 A l so nach 1240 n. d. Z . 4 Das heißt 1640, kurz nach den sog. Chmiel nicki-Massakern in Polen. 5 Der zugrundel iegende Vers wird auch in Mose ben M aimon, Führer I 34, 103 zitiert, wo er die Bedeutung des Studiums der Wissenschaften und L ogik a l s Voraussetzung für das Studium der Metaphysik erl äutert. Vg l. dazu Sch lüter, Geschichtskonzeptionen, 191 f.; Lehnardt, Maimonides, 443 A nm. 67. 2 Das

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die es genauer untersuchen wollen, ist auch noch viel Raum gegeben, um sich dabei auszuzeichnen.

Bereits erwähnt wurde von uns, dass wir die fi na le Kausa lität der aktua len Ursache zuordnen, denn ohne sie würde jene nicht existieren können. Ohne einen Zweck würde ein Ding [ a n sich ] grundlos sein, a ls ob es auf Zufa ll beruhen könnte. So wie, wenn jemand in einer unbewohnten, von Sand bedeckten Wüste ein schönes, wunderbares Bauwerk mit ebenmäßigen und rechten Winkel n entdeckte – wie nach den Regel n des Euk lid angefertigt – und daraufhin versuchte, den Hintergrund dieses A nblicks zu erk lären. Mag er sich auch vorstellen, welch überragender und geschmackvoller Geist dahinter steht, so müsste er dennoch ba ld eingestehen, dass auch die treffendsten Begründungen nicht ausreichen. Warum ? Aus dem einfachen Grund, weil, auch wenn sich viele Begründungen für das sich aus vielen Details und Teilen zusammensetzende Bild, in dem eins zum anderen passt, sodass sie ein einheitliches Ganzes ergeben, fi nden ließen, es dennoch so erscheint, a ls ob ihr Zusammenwirken weiterhin rein zufä llig ist und seine äußere Form keinen Sinn ergibt, obwoh l sie eigentlich eine einigende Form bilden.

P FORT E 11



Das Studium der Väter

(Zusätzliche A nmerkung zur vorangegangenen Pforte) Frage doch nach dem vorigen Geschlecht, und achte auf das, was die Väter erforscht ! (Ijob 8,8)

A nmerkung 1 (zu Seite 411) Doch wollen wir diese Angelegenheit noch genauer betrachten, zuma l dies die verbreitete Meinung im Vol k in jener frühen Epoche gewesen ist, insbesondere unter den Gebildeten, näm lich dass ein Einzelner sein geistiges Leben stets a ls Teil des geistigen Lebens des gesamten Vol kes führt; hierfür wollen wir einma l die Rechtfertigungsreden, die zwei Frauen zugeschrieben werden, genauer anschauen, und zwar die Abigails (1 Sam 25,4 – 20) und die der Frau aus Tekoa (2 Sam 14,5 – 17). Schon die Weisen [ Rabbinen ] haben darauf hingewiesen, dass zwischen diesen beiden Hu ldigungsreden A na logien bestehen, und zwar in Bezug auf die dama ls im Vol ke üblichen Ausdrucksweisen und Bräuche, sodass sich beide Reden tatsäch lich mit guten Gründen miteinander verg leichen lassen. Da aber die Frage der Frau aus Tekoa : Warum denn sinnst du dergleichen gegen göttliches Volk ? usw. (2 Sam 14,13), schwer zu verstehen ist, wird in ihrer Erk lärung dazu ausgeführt, dass das, was die Kommentatoren dazu meinten, näm lich dass es sich auf das bezöge, was der König [  Joab ] glaubte, dass es die Söhne der Familie einst tun würden, überhaupt nicht zutreffend sein kann. Denn die Formu lierung „ḥashav“ [ sinnen ] zusammen mit der Partikel „‛a l “ [ auf/gegen ] deutet stets darauf hin, dass jemand gegen einen 1 K rochma l ,

Writings, 51. Die Verweise beziehen sich auf die Edition 1851; die Paginierung der Erstausgabe und die Verweise wurden in späteren Drucken nicht korrigiert.

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anderen etwas im Schilde führt. Daher ist davon auszugehen, dass hier der König meinte, irgendeine fremde Gruppe würde etwas Böses gegen seine Nachkommen im Schilde führen, was er nicht verzeihen könne. Daher erscheint es denkbar, dass eine große Menge Vol kes, die dem ersten König zugeneigt war, vielleicht auch jene, die heim lich dem Absa lom nachgefolgt waren, a ls sie gewahr wurden, wie sehr der König seinem geliebten Sohn grollte, das Land verließen, sich verbargen oder aus A ngst vor seiner Rache f lohen. Die Frau spricht in ihrer Hu ldigungsrede a llerdings davon, dass das Gesetz eigent lich zugunsten der von ihrem Besitz, dem Land des Herrn, Vertriebenen spricht, dass sie wie Wasser seien, welches nur zusammenbleibt, wenn es [ in einem Gefäß ] zusammengeha lten wird, das aber völlig verloren geht, wenn sie hin und her f ließen und versickern. Insofern aber verbleibt auch der Seele, die sich von der A llgemeinheit löst, nichts von Gott; und dies möge man stets mit Nachsicht bedenken, dass dieser [ Gedanke ] in die Erzäh lungen über die Gnadenerweise [ Gottes ] und über Schu ld eingesch lossen ist. Denn wie käme der König auch sonst darauf, seine Vorgehensweise mit der Gottes gegenüber einem Menschen zu verg leichen, so a ls ob seine Gedanken die Gedanken der erwähnten Rächer in der Geschichte kennen und auf diese Weise die Zah l der Vertriebenen und Verlorenen durch seinen auch gegen seine Söhne gehegten schweren Groll vergrößern könnten ? Die zweite Stelle ist dieser ähn lich und berichtet von Abigails Rede an David, nachdem auch dieser vertrieben worden war und sich an den Grenzen des Landes und darüber hinaus verstecken musste. Sie sprach in ihrer Hu ldigungssrede : So möge das Leben meines Herrn festgebunden sein in das Bündel des Lebens bei dem Herrn, deinem Gott (1 Sam 25,29) (in seinem Besitz), … und das Leben deiner Feinde möge er dahin schleudern in der Pfanne der Schleuder (ebd.), d. h., 114 sie mögen unstet und rast los auf fremdem Lande sein. |

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A nmerkung 2 (zu Seite 431) Betreffs der Entstehungszeit der Trostprophetien im zweiten Teil des Buches Jesaja und die Erk lärung dunk ler Stellen darin von Rabbi Avraham Ibn Ezra : In dem Entwurf, den wir in der vorangegangenen Pforte hinsichtlich der Gesch lechterfolge der Rückkehrer aus der babylonischen Verbannung vorgetragen haben, erschien es uns entsprechend unserer Methode a ls absolut richtig, dass die Trostprophetien, die sich im Buche Jesajas von dem vierzigsten Kapitel an finden, nicht von Jesaja selbst oder aus seiner Zeit stammen – sie sind viel mehr in Babylonien entstanden, und zwar in der Generation, die die Grund lage für die Rückkehr von dort gelegt hat, und sie waren die letzten in diesem Lande vor der Generation Esras und Nehemias. Daher hatten wir aus diesen Prophetien Belege für die Beschaffenheit jener Gesch lechterfolge angeführt. Dies widerspricht jedoch a llem, was im Vol ke seit a lters her bekannt war, und zwar nicht nur im Ta l mud und in den Midrashim, sondern auch bei Yosef, dem Priester [  Josephus ], in seinem Buch A ntiquitates, der diese Trostprophetien ausdrück lich dem Jesaja zugeschrieben hat.2 Auch Ben Sira, der früher a ls dieser gewirkt hat, scheint so gedacht zu haben, jedenfa lls soweit uns seine Worte erha lten geblieben sind. 3 Daher müssen wir hier die Gelehrten der jüngsten Zeit und ihre Belege heranziehen, zuma l ihre Meinung bereits in sämt lichen Ein leitungswerken in die Heiligen Schrift verbreitet und sie auch in öffentlichen Vorträgen publik gemacht worden ist, sodass man sie hier nicht noch einma l zu wiederholen braucht. Doch nur um unserer Rechtfertigung wi llen sei darauf hingewiesen, dass jene Gelehrten zumindest zwei Belege kennen, denen man ansieht, dass sie auch unseren Vorfahren, seligen A ngedenkens, bekannt gewesen sind. Der eine, die kostbare 1 K rochma l,

Writings, 53. A nt. XI 1,2. 3 Vg l. Sir 48,19 – 28. 2 Vg l.

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Pforte 11

Baraita über die A nordnung der Propheten [-Bücher ] (bBB 14b), in der folgende Reihenfolge festgeha lten ist : Jeremia, Ezechiel, Jesaja und das Dodekapropheton, was jedoch aufgrund der zeit l ichen Aufeinanderfolge jener Propheten befremd lich erscheint. Daher meinen jene erwähnten Gelehrten, dass sich im Buche Jesaja außer den ersten Prophetien, die sicherlich auf Jesaja zurückgehen, noch weitere anonyme Prophetien aus unterschied lichen Zeiten finden. Ebenso enthä lt das Dodekapropheton Prophetien aus unterschied lichen, früheren und späteren Zeiten, und jede einzel ne von ihnen wurde mit einem eigenen Prophetennamen verbunden. Demzufolge müssen schon unsere Vorfahren jene beiden Bücher zusammengefügt und die späteren Prophetien demnach in einem weiteren Buche hinzugefügt haben, entsprechend der biblischen Reihenfolge der Propheten. Ein weiterer Beleg ist im Übrigen eine bekannte Tradition in den Midrashim, die darauf hinweist, dass sogar im ersten Teil des Buches einige Verse von einem anderen Propheten hinzugefügt worden sind.1 Fa lls es tatsäch lich so war, dass bereits unseren a lten Weisen darüber eine Tradition vorgelegen hat, so ist es denkbar, dass sie dies zum A n lass nahmen, die erkennbaren Widersprüche nicht öffentlich und nicht vor der breiten Vol ksmasse und auch nicht in der Yeshiva auszubreiten, es sei denn vor den züchtigsten unter den Schü lern, doch nur mittels A ndeutung und nur in den Grundlinien, sodass [ d ie Tradition ] sch ließlich völlig vergessen wurde, wie ein aufgrund von Zeitumständen und Bedrängnissen versiegeltes Buch. Doch diese Überlegung wird uns im Laufe der weiteren Auslegungen in dieser Pforte vermittels treffender Belege noch k larer werden.2 1 Vg l .

dazu Wa R 6,6 (142 f.); Ya lq Jes 8 § 413 (390b) u. ö., wo festgestellt wird, zwei Verse aus dem ersten Tei l des Buches Jesaja ( Jes 8,19 – 20) seien eigent l ich von einem anderen Propheten (Be’ari) verfasst worden; sie seien dennoch in das Jesaja- Buch aufgenommen worden, wei l es die einzigen Worte dieses Propheten sind. 2 Vg l. zum Folgenden E lbogen, Luzatto’s Stellung zur Bibel kritik, 467 f.; Margol ies, Samuel David Luzzatto, 104 – 107; Harris, Nachman K rochma l, 169 f.; Sh. Vargon, The Polemic over Abraham ibn Ezra as a Ref lection on the

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Wir wollen aber zu unserer Verteidigung noch hinzufügen, dass der weise Rabbi Ibn Ezra, seligen A ngedenkens, nicht der einzige unter den frühen Kommentatoren – deren Bücher noch nicht einma l a lle auf uns gekommen sind – gewesen ist, der auf dieses Rätsel in seinem Kommentar zum Buche Jesaja hingewiesen hat.1 Dies tat er jedoch nur im Verborgenen, wie es zu seiner Zeit üblich war. Auch tauschte er manchma l seine Meinung mit einer ihm widersprechenden aus – a lles zweifelsohne aus Furcht vor den Eiferern. Wir sahen es aber a ls nützlich an, seine Worte in dieser A ngelegenheit einma l zusammenzustellen, um das Logische an ihnen auf diese Weise richtig erk lären zu können. Es sei jedoch bereits vorweggenommen, dass es nach Meinung dieses Gelehrten Jojachin, König von Juda, gewesen ist, der in der babylonischen Gefangenschaft, und nachdem er von dort im Jahre 307 aus seiner Verbannung zurückgekehrt war, diese Trostprophetien und Heilsbotschaften selber geschaut hat. | Nachdem [ Ibn Ezra ] seine Meinung offen dargelegt hat, „dass sich näm lich a lles auf die babylonische Diaspora bezieht, und es in dem Buch [  Jesaja ] daher auch Aussprüche aus der babylonischen Verbannung gibt, die daran erinnern sollen, dass Kyrus die Verbannten zurückschickte, und es am Ende des Buches sogar Sätze gibt, die sich auf die Zukunft beziehen“, fügt er hinzu und sagt : „Und wisse, dass die Abschreiber der Gebote, sel igen A ngedenkens, meinten, das Buch Samuel sei von Samuel geschrieben worden, was der Wahrheit entspricht, bis auf den Satz und Samuel starb (1 Sam 25,1)“. Damit wollte er sagen, dass das Buch nach dem Namen Samuel bezeichnet wurde, obwoh l es logisch ist, dass es durch jemand anderen vollendet worden sein muss. „Dies belegen auch die Chronik-Bücher, in denen Gesch lecht nach Gesch lecht vor (es muss heißen : nach) Serubbabel aufgezäh lt werden“. Damit wollte man andeuten, dass die Chronikbücher von Haska lah, in : R. Bonfi l u.a. (Hg.), Samuel David Luzzatto. The Bi- Centennia l of His Birth, Ita l ia Conference Supplement Series 2, Jerusa lem 2004 (hebr.), 25 – 53, hier 48. 1 Vg l . P forte 17, K rochma l , Writings 356, mit einem H inweis auf den Kommentar von Moshe ha-Kohen Gikati lla.

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Esra geschrieben worden sind, denn dort werden (1 Chr 3,19 usw.) exakt sieben Generationen aus der Nachkommenschaft des Serubbabel aufgezäh lt. Es ist daher eine logische Sch lussfolgerung, dass diese Ergänzung von einem Gelehrten lange Zeit nach Esra, der mit der Aufzeichnung dieses Buches begonnen hatte, vorgenommen worden ist. Und es ist bezeugt : Könige sollen sehen und aufstehen, und Fürsten sollen niederfallen ( Jes 49,7). Zweifellos feh len in diesem Satz einige Zeilen, entweder irrtüm lich oder aus Absicht der Schreiber oder Drucker. Denn auch durch diesen Vers kann der Gelehrte belegen, dass dieses Buch durch einen anderen Propheten vollendet worden ist – und wie wir bereits erwähnten, meinte [ Ibn Ezra ] ja, dass dies Jojachin, König von Juda, gewesen sei. Und daher heißt es hier ausdrück lich und es ist bezeugt usw. Sein Kommentar zu der Stelle lautet aber, dass der Prophet dort ( Jes 49) über sich selbst spräche : Der Herr hat mich berufen von Mutterleibe an … ( Jes 49,7), so spricht der Herr zu dem, der verachtet ist und verabscheut von den Völkern, Könige sollen sehen und aufstehen, und Fürsten sollen niederfallen (ebd.). Es steht a lso geschrieben, dass die Könige und Fürsten mit eigenen Augen den Propheten sehen werden, und sie werden sich vor ihm erheben und sich vor ihm niederwerfen. Über Jojachin steht aber ebenso geschrieben : Und er setzte seinen Sitz über die Sitze der Könige, die bei ihm waren (2 Kön 25,28). „Und man muss darauf antworten, dass er, a ls sie den Namen des Propheten vernahmen, abwesend war“. Dies bedeutet, dass der Prophet vielleicht ja doch Jesaja war, und die Schrift scheint selbst zu belegen, dass die Könige, die in der gola seinen Namen hörten, meinten, er habe solches prophezeit, und dass sie ihn desha lb verehrten. Der Ausdruck und sollen sehen ( Jes 49,7) könnte sich a lso noch auf jene Ereignisse und nicht auf den Propheten selbst beziehen. Der Gebildete wird jedoch verstehen, welches [ Ibn Ezras ] wahre Meinung [ in dieser Angelegenheit ] gewesen ist. Siehe, da kommt mein Knecht, den ich halte ( Jes 42,1) : „Die meisten Kommentatoren beziehen das mein Knecht auf die Gerechten aus Israel, doch der Gaon1 meint, dass es sich auf Kyrus beziehe. Doch 1 G emeint

ist bei Ibn Ezra woh l R av Seʽadya Gaon, der auch weiter un-

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meiner Meinung nach ist es richtig, ihn auf den Propheten zu beziehen, denn der Abschnitt spricht doch auch zu seinen Gunsten, wenn er daran erinnert : Ich habe dich zum Lichte von Nationen und zum Bund für das Volk gemacht ( Jes 42,6)1. Dies bedeutet, auch zu A nfang dieser Reden fi ndet sich kein eindeutiger Beleg dafür, wer der Sprecher ist, da das Ganze von einer verborgenen dritten Person formu liert zu sein scheint. Und siehe, im Fortgang der parasha steht geschrieben : Ich, der Herr, habe dich berufen zum Heile und deine Hand gefasst und dich gebildet und dich eingesetzt zum Bunde für das Volk, zum Lichte von Nationen (ebd.). Dies gleicht dem Vers in Kapitel 49 : So stell ich dich hin zum Lichte der Völker, [ dass mein Heil gelange an das Ende der Erde ] usw. ( Jes 49,6) … Zur Gnadenzeit hab’ ich dich erhört, und am Tage des Heils steh’ ich dir bei, und ich habe dich gebildet und dich eingesetzt zum Bunde für das Volk ( Jes 49,8). Dies ist ein grundlegender A nha ltspunkt für den Gelehrten [ Ibn Ezra ], was im Folgenden noch erläutert werden wird. Wer ist blind, wenn nicht mein Knecht, und taub wie mein Bote, den ich sende ? ( Jes 42,19). „Dieser Vers belegt die Berechtigung meiner Kommentierung“.2 Damit meint er, dass dies auf das ung läubige Vol k zu beziehen sei, was auch im Munde des Jeremia ausgedrückt wird Jojachin, mein Diener ( Jer 28,4 ?), und dies soll a lso noch vor der großen babylonischen Eroberung geschehen sein, und es ist möglich, dass sich dama ls seine Augen erhoben haben und seine Ohren taub wurden, sodass er vor ihnen von seinem Posten enthoben und festgenommen wurde. Der Herr begehrt um seiner Gnade willen ( Jes 42,21) – „dieser Vers sollte auf den ihm nachfolgenden bezogen werden, da der Herr seine Gerechtigkeit gezeigt hat, und er hat dem Vol k in den Mund legt, der Prophet sei ein beraubter und verspotteter Blinder gewesen“. ten erwähnt wird; die kommentierte Übersetzung des Jesaja-Kommentars von Ibn Ezra durch M. Fried lander, The Commentary of Ibn Ezra on Isaiah I : Translation of the Commentary, London 1873,186, geht darauf nicht ein. 1 K rochma l zitiert den Vers in veränderter Reihenfolge. 2 Vg l. Fried l ander, Commentary, 191 A nm. 30.

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Wer unter euch mag solches hören ? ( Jes 42,23) „Wie der Prophet, über den sie sagen, er sei blind (und taub), und er höre die Zukunft.“ Wer hat der Plünderung preisgegeben ? ( Jes 42,24) – „dama ls bekannte das Vol k und sprach : wer hat uns der Plünderung preisgegeben ? “ So spricht der Herr von seinem Gesalbten, von Kyrus ( Jes 45,1) : „Es gibt welche, die sagen, dass ‚sein Gesa lbter’ den Propheten meint, und es gibt welche, die meinen, dass Kyrus gemeint sei. Doch beide könnten Recht haben. Denn der Prophet sprach : weil der Herr mich gesalbt ( Jes 61,1), und ebenso fi ndet sich die Stelle : und salbe den Hasael (1 Kön 19,15)“. Die erste Erk lärung weist entsprechend seiner Meinung auf Jojachin hin, den König von Juda und Gesa lbten des Herrn (nach unserer Auffassung bezieht sich auf ihn das K lagelied : Unseres Lebens Odem, der Gesalbte des Herrn ist gefangen [ K lgl 4,20 ]); in Bezug auf die Interpretation hinsicht lich des Kyrus ist zu bedenken, dass der Herr seinem Gesa lbten befah l, zu Kyrus zu sprechen, denn das im Folgenden Berichtete wird zweifellos in A nwesenheit des Kyrus gesagt. Für die zweite Interpretationsmög lichkeit spricht jedoch, dass sich der Ausdruck seinem Gesalbten [ ‫] למשיחו‬ ( Jes 45,1) auf Kyrus bezieht, sodass nach Meinung [ des Ibn Ezra ] beide Interpretationen richtig sein können. | Auf dass du erkennst, dass ich der Herr bin ( Jes 45,3) : „Denn zu Beginn war er kein Gottesfürchtiger“. Er meint damit, dass im Moment, in dem diese Prophetie gesprochen wurde, Kyrus Babylonien noch nicht erobert hatte und er noch nicht erlaubt hatte, zurückzukehren, wie es heißt : So spricht Kyrus, [ König von Persien ] : Alle Reiche der Erde hat mir der Herr gegeben, der Gott des Himmel s (Esra 1,2). – Ich liebkoste dich, ohne dass du mich kanntest ( Jes 45,4) : „denn er wollte nicht direkt zu den Menschen sprechen“. Er verbarg seine Gedanken im Munde des Propheten; und er spricht vielleicht ein wenig spöttisch auch zugunsten der anderen Meinung; denn seiner Meinung nach ist der Ausdruck ohne dass du mich kanntest dafür geeignet, sodass er ihn entsprechend der vorangehenden Stelle erk lärte. Und machte meinen Mund gleich einem scharfen Schwerte; mit dem Schatten seiner Hand hat er mich beschirmt ( Jes 49,2) : „Dies bedeutet,

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dass, obwoh l sein Mund einem scharfen Schwerte glich, er ihn mit dem Schatten seiner Hand beschirmt hat, sodass ihm die Babylonier und die Bösen aus Israel nichts anhaben konnten.“ Und er sprach zu mir : Mein Knecht bist du, Israel, an dem ich mich verherrliche ( Jes 49,3) : „Du bist Israel, denn ich gedenke deiner, a ls ob du Gesamt-Israel wärest.“ Und ich hatte gesprochen : Für nichts hab’ ich mich bemühet ( Jes 49,4) : „Auch diese Worte des Propheten sprechen über sein Leben, denn darauf bezieht sich, dass er zu einem von den Menschen Verachteten und zu einem Sk laven der Herrscher wurde (vgl. Jes 49,7). Dies ist auch die Erk lärung der Großen Israels, oder aber man versteht den Vers a ls Hinweis auf die Babylonier“.1 Folglich meint er, dass man ihn mit a ll diesen Bezeichnungen auch nach Meinung der ungläubigen Führer Israels, seinen größten babylonischen Gegnern, mit diesen Schmähreden ansprach. – Die Könige werden sich erheben und schauen (ebd.) : „siehe, darauf habe ich dich bereits hingewiesen, dass dies das Rätsel dieser Hä lfte des Buches ist.“ Seine diesbezügliche Meinung habe ich bereits erläutert, doch mit dem von ihm oft gebrauchten Ausdruck „Hä lfte des Buches“ möchte er auf den Unterschied zwischen diesem Teil des Buches [  Jesaja ] und dem vorangehenden Teil über die Rettung des Hiskia hinweisen. „ Nach Meinung vieler bezieht sich der Vers auf Könige wie Kyrus, der die Worte des Propheten gehört hatte (der a llerdings lange vor ihm lebte), und dass er sich vor ihm erhob und schaute. Wahrscheinl ich möchte der Gelehrte [ Ibn Ezra ] hier auf die Worte Yosefs [  Josephus ], des Priesters, hinweisen, der in seinem Buch darüber ausführt, dass Israel dem Kyrus die Prophetie des Jesaja über seine Zukunft kundgetan hat. Ebenso bemerkt er zu A lexander, dass man ihm die Prophetien des Daniel über ihn offen legte. Doch hinsichtlich beider Geschichten ist Yosef Tradent von Gerüchten und Legenden, kein Historiker.2 1 Die

Fassung des Kommentars in Fried lander, Commentary, 223 weicht an dieser Stelle von der von K rochma l zitierten ab. 2 Vg l. A nt. X 10,1. Siehe auch Yosippon 3 (hg. v. Flusser, 22; hg. v. BörnerK lein/Zuber, 60 f.).

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Der Heilige Israels, … er wird dich erheben ( Jes 49,7) : „Siehe, es steht hier geschrieben er wird dich erheben (ebd.), um damit die R ichtigkeit dieser Auslegung zu belegen.“ Dies aber nur durch eine A ndeutung, denn die vorliegende Wendung weist auf die Meinung des Weisen hin, dass Gott derjenige ist, der den Propheten auserwäh lt hat, der Retter zu sein, derjenige, der den Gefangenen sagt, gehet hinaus, und derjenige, der [ damit ] das [ betreff ende ] Gesch lecht und seine Nachkommenschaft erwäh lt. Zur Gnadenzeit hab’ ich dich erhört, und am Tage des Heils steh’ ich dir bei ( Jes 49,8). „Auch dies weist auf den remez [ den a llegorischen Schriftsinn ] hin“.1 Damit meint er, dass [ der Vers ] auf die Rettung Jojachins aus der Gefangenschaft hinweist. „Doch viele meinten, dass sich das steh ich dir bei auf Kyrus beziehe, doch siehe, diese parasha handelt nicht von ihm.“ Denn von Beginn der parasha an bis hier ist eine solche Erk lärung unmöglich, es sei denn, man versteht ihn so, dass er sich auf die Rettung des Propheten durch Gott bezieht. Zu dem Abschnitt Siehe, mein Knecht wird verständig sein ( Jes 52,13), schreibt der Gelehrte : „Dies ist eine sehr schwierige parasha; die A nhänger unserer Richtung … doch viele andere legten sie auf den Messias aus … , und man beachte, dass dies bei vielen Versen keinen Sinn ergibt, es sei denn, es handelt sich um übertragene Redewendungen usw. Der Gaon Rav Sa‛adya, seligen A ngedenkens, legte die gesamte parasha auf Jeremia aus, und gut hat er so ausgelegt … , doch das R ichtige in meinen Augen ist, dass die gesamte parasha einen Zusammenhang [ mit dem Vorangehenden und Nachfolgenden ] bi ldet. Denn was ergibt es für einen Sinn, Jeremia nach den Trostworten (für Babylonien) zu erwähnen, doch vor den Trostprophezeiungen (über die Tage des Messias, d. h. seiner offenkundigen Meinung nach auf jeden Fa ll von Kapitel 52 an, d. h. von der Prophetie über das, was sich in ferner Zukunft ereignen wird) ? Er handelt a lso von jedem Gottesknecht in der gola oder nur von Sei mein Knecht, wie Israel mein Knecht ist, sodass das eine von dem 1 Auch hier weicht der von K rochma l zitierte Text von Fried l ander, Com-

mentary, 224 ab.

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anderen eigent lich gleich weit entfernt ist [ d. h., beide Interpretationen genauso wahrschein lich oder unwahrschein lich sind ].1 Der Verständige möge aber das mein Knecht richtig interpretieren, dass er ihn näm lich noch erwäh len und erhaben machen wird“ usw. Nachdem er aber a lle diese Prophetien auf diese Weise ausgelegt hat, legt er nun das mein Knecht doch noch auf ganz Israel hin aus (wie viele der Kommentatoren aus jüngerer Zeit), und er fügt folgende Worte hinzu : „So habe ich dir nun die gesamte parasha ausgelegt, doch meiner Meinung nach bedeutet das Mein Knecht wird verständig sein ( Jes 52,13), dass dies der Prophet über sich selbst spricht, wie auch das Er sprach zu mir : Du bist mein Knecht ( Jes 41,9); da kommt mein Knecht, den ich halte ( Jes 42,1); der durch seine Erkenntnisse rechtfertigen wird den Gerechten, meinen Knecht bei den Vielen ( Jes 53,11); und es steht geschrieben : Meinen Rücken bot ich den Schlägern ( Jes 50,6) – doch das [ diesen Versen eigene ] Rätsel, auf das ich hingewiesen habe, fi ndet sich [ nur ] in der zweiten Hä lfte des Buches [  Jesaja ], sodass a lle diese Stellen miteinander zusammenhängen müssen.“ Seine [ Ibn Ezras ] Worte sind aber nur verständlich, wenn man die A ngelegenheit auf Jojachin bezieht, der, mit Gefängnis bestraft, übermäßige Leiden ertragen musste, so wie es dama ls und bis heute unter orienta lischen Gewa ltherrschern gegenüber Gefangenen adeliger Abstammung üblich war. | 117 Nachdem der Gelehrte [ Ibn Ezra ] die Worte : Neiget euer Ohr [ und kommet zu mir ] … ich will mit euch einen ewigen Bund schließen – die Gnadenverheißungen Davids, die bewährten ( Jes 55,3) und ebenso den Satz : Siehe, zum Gesetzgeber der Völker hab’ ich ihn bestellt usw. ( Jes 55,4) auf den Messias hin auslegte – so konnte er über die Verse, die nach ihnen kommen, sagen : Siehe, ein Volk, das du nicht kennst, rufst du, und ein Volk, das dich nicht kannte, eilet zu dir usw. ( Jes 55,5) : „und siehe, es wird nun k lar, was ich [ z uvor ] ausgelegt habe“, womit er sagen wollte, dass die soeben zitierten Verse in der zweiten Person dem Hörer andeuten, dass der Prophet selbst dama ls der Erlöser war, und d. h., dass er sich auf Jojachin beziehen muss oder sogar auf einen seiner bedeutenden Nachfahren und die ʽame ha-araṣot, die 1 Vg l.

dazu Fried lander, Commentary, 240 f.

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zu Beginn der Zeit des Zweiten Tempels dem Judentum zuzuneigen begannen, bis Esra und Nehemia der Gruppe von den Rückkehrern widerstanden, die [ vom Gebot ] abweichen wollten, und dies ist, was in Pforte [ 9 ] erläutert worden ist. – Außergewöhn lich an den Äußerungen des Gelehrten ist, wie er zwischen beiden Interpretationen hin und her schwankt und beiden einen Weg ebnet; offen erk lärt er den a llgemein bekannten Weg der Interpretation und erläutert die Prophetien in Bezug auf den Messias-König und hinsichtlich der eschatologischen Erlösung. Doch insgeheim versucht er, a lles mit Blick auf Jojachin und seine Nachfahren sowie die Zeit der Rückkehrer- Generation aus der babylonischen gola zu beziehen. Daraus wird aber auch ersicht lich, was er wegen dieser Eiferer für sein Leben am meisten befürchtete. „ Auch wenn dies wirk lich a lles richtig sein sollte, was wir in Bezug auf die parashat Ba laq [ Num 22,2 – 32,42 ] auslegten, sollten die Geistlosen nicht etwa meinen, dass [ ich, ] der Kommentator, das Wort „kokhav“ [ Stern ] nicht auf den David auslege und somit das Kommen des Messias abstreite … , doch benötigen wir keinen anderen Propheten auf dieser Welt a ls Mose, der der wichtigste von ihnen ist, selbst wenn sie deine Verstoßenen sein werden am Ende des Himmels (Dtn 30,4) usw.; so wird der Herr, dein Gott, zurückführen deine Gefangenen (Dtn 30,3).“ Doch wisse und verstehe, dass sich die besten unter den Kommentatoren niema ls dessen enthielten, zwischen der Vision künftiger Ereignisse, seien sie nahe oder fern, im Überblick oder hinsichtlich einzelner Details, die sich nur auf das unmittelbar Bevorstehende beziehen können, zu unterscheiden. Und so verfuhren sie in ihren Kommentaren, wenn auch woh l nicht nur aus verstandesmäßiger Überlegung, sondern auch aus dem uns eingepf lanzten Wahrheitsstreben heraus. Dies sei hier ein wenig näher erläutert : Denn ein Stilmittel a ller Propheten ist, dass ihre Prophetien in der Regel keine Einzelheiten entha lten, außer jenen, die sich auf die nicht a llzu ferne Zukunft beziehen; doch im Hinblick auf die weit entfernten Tage und die weit vorausliegenden Verhä ltnisse sehen ihre Augen für die Zukunft nur Allgemeines voraus, nichts zeit lich genau Bestimmbares und keine spezifi schen Hand lungen oder Ereignisse, und auch im Hinblick auf Personennamen und Orte, die

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sie andeuten [ , bleiben ihre Prophetien vage ]. Der Prophet steht, wie seine Bezeichnung a ls „Seher“ besagt, auf der Spitze eines heiligen Berges und schaut am helllichten Tag umher, doch umso weiter die Entfernung zwischen seinem Aussichtspunkt und dem wird, was er schaut, desto mehr feh lt es seiner Voraussage an K larheit. Wie bei einem Menschen, der von seinem Horizont aus nur das A llgemeine sehen kann, ohne zwischen den Einzeldingen unterscheiden und differenzieren zu können.1 Und siehe, selbst der Vater a ller Propheten, von dem die Tora sagt, dass keiner wie er in Israel erstand, trägt wunderbare Lieder der A nk lage vor, die sich nicht genug schätzen lassen, sodass sie zum Formu lar und zum Vorbild für a lle prophetischen A nk lagen nach ihnen werden. Ihr ganzes A n liegen bestand jedoch darin, den künftigen Generationen das, was zukünftig kommen wird, anzukündigen, wie geschrieben steht : Dass mir [ dieser Gesang ] zum Zeugen sei gegen die Kinder Israels (Dtn 31,19). Doch das Lied antwortet selbst darauf : Denn er wird nicht vergessen werden aus dem Munde seines Samens (Dtn 31,21). Und siehe, das Lied sagt tatsäch lich k lar und deutlich a lle guten und sch lechten Ereignisse voraus, die uns zugestoßen sind und uns zustoßen werden, wie es heißt : „ Dieses Lied [ des Mose ] ist bedeutender [ a ls a lle anderen Lieder ], wei l es auf das Jetzt, das, was vergangen ist, und auf das, was zukünftig kommen wird, hinweist“ (SifDev Haʽazinu 333 [ 383 ]), und wie es auch der Ramban, seligen A ngedenkens, einma l ausgedrückt hat : „a ls ob dieses Lied von einem der Astrologen geschrieben worden wäre“ … usw.2 – Daher (und um der Genauigkeit wi llen) lässt sich dies a lles a ls auf rationa ler Denkweise und geistiger Schau basierend erk lären; das Lied enthä lt jedoch keinerlei Erinnerungen an historische Ereignisse in unserer Geschichte. Der sich selbst fromm Machende und der sich mit seinem Glauben Schmückende, der sich jedoch nur selbst nahe ist – derjenige 1 Vg l.

zu diesem Abschnitt Lehnardt, Bibl ica l Criticism, 72. Perushe ha-Tora le-Rabbenu Moshe ben Naḥman, hg. v. Chavel, II 491; R amban (Nachmanides) Commentary on the Torah, hg. v. Chavel, V 369 (mit Unterschieden). 2 Vg l.

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wage es nicht zu behaupten, wir wollten hierdurch die Prophetie verneinen oder hielten es etwa für fa lsch, dass Gott, er sei erhaben, seine Hand über die Propheten geha lten habe. Dies sei ferne ! Wollen wir etwa die Hand des Herrn absch lagen ? Wir meinen aber, dass er in seiner unergründ lichen Weisheit so entschieden hat, aus seiner brennender Erkenntnis heraus, auch wenn es nur ein wenig war, und sei es auch nur, wei l es ihm gerade so gefiel und es ihn rührte, das, was zukünftig geschehen wird, zu hören – daher stammten die Worte der Propheten in jener Zeit, in der sie gesprochen wurden, aus einer voll kommen anderen Welt, und sie waren wie ein völlig versch lossenes Buch. Doch wie hätte das zuhörende Vol k auch nur ein wenig dieser Prophetie a ls für es selbst bestimmt verstehen können, wenn sie a lle Propheten gewesen wären ? Dann 118 hätten sie ja überhaupt nicht eines Propheten bedurft ! | Daher aber und auch im Hinblick auf die Zuordnung jeder Prophetie zu ihrer entsprechenden Zeit und um sie in Bezug auf eine bereits bekannte oder eine, deren Zeit unsicher war, richtig interpretieren zu können, gi lt uns der beschriebene Grundsatz a ls Prüfstein und Wegweiser, um hinsicht lich jeder A ngelegenheit richtig vorgehen zu können; doch damit soll es uns an dieser Stelle genügen.

A nmerkung 3 (Seite 461) A lle Geschehnisse über die ersten Rückkehrer aus der Diaspora, nach dem, was wir über sie in dieser Pforte aufgrund genauer Betrachtung der Bücher Esra, Haggai, Sacharja und Ma leachi und der Trostprophetien (des zweiten Teils des Buches Jesaja) berichtet haben – unserer Meinung nach gehört dazu auch jenes Dankund Loblied, welches mit der Ziffer 1072 unter den Psa l men Israels steht. Dieser Psa l m enthä lt so, wie er uns vorliegt, die Geschichte unserer Väter von der Zeit ihres Auszuges aus Ägypten land bis zur Mitte oder bis zum Ende der Tage der ga lut Babyloniens. Er schließt 1 K rochma l, 2 G emeint

Writings, 56. ist Psa l m 106.

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mit den Worten : Und er ließ sie Barmherzigkeit finden vor all ihren Bezwingern – hilf uns, Herr, unser Gott, und sammle uns aus den Völkern usw. (Ps 106,46 f.). Und ein weiterer Psa l m derselben A rt findet sich nach ihm : Danket dem Herr, denn er ist gütig (Ps 107,1), doch der erste hat stärker erzäh lenden Charakter und erläutert im Grunde den, der nach ihm steht, denn dieser gibt im Grunde nur Hinweise und ist einem maski l-Psa l m ähn lich. Da dies aber eine Stütze unserer Worte und eine Leuchte auf unseren Pfaden in diesem K apitel ist, können wir uns in a ller Kürze auf das Folgende beschränken : Die er erlöst aus Feindes Hand (Ps 107,2) – dies ist eine Umschreibung für die Rückkehrer aus der babylonischen Verbannung, und so werden sie auch in den Trostprophetien „Erlöste“ und „Befreite des Herrn“ genannt. Der Vers ist aber im Grunde eine Ein leitung für das, was nach ihm in der Geschichte folgt. Und aus den Ländern gesammelt hat, vom Aufgange und vom Niedergange, [ von Mitternacht ] und vom Meere (Ps 107,3) – hier wird das Wort yam [ Meer ] a ls Synonym für den Südwind verwendet, was nicht dem früheren Sprachgebrauch entspricht, wo es a ls Bezeichnung für den Westwind gebraucht wurde. Der Grund dafür ist woh l darin zu fi nden, dass das Mittel meer westlich des Landes Israel liegt und seine Begrenzung bildet. Als Bezeichnung für diese Seite wurde das Wort yam übernommen, wie man den Süden a ls negev bezeichnete, was aus dem A ramäischen abgeleitet werden kann und so viel wie „Wasserentbehrende“ bedeutet, was für die Sandwüsten an dieser Grenze des Landes steht. In Babylonien und in Persien sowie in ihren Grenzgebieten gewöhnte man sich jedoch daran, den Begriff yam a ls Bezeichnung für den Südwind zu verwenden, denn dort gab es den Ozean a ls süd liche Außenbegrenzung des Landes. Und mit dieser Bedeutung wird es auch in den Trostprophetien [ des Deuterojesaja ] verwendet : jene von ṣafon und jene von yam ( Jes 49,12). Sie irrten in der Wüste, in der Öde des Weges (Ps 107,4) – er meinte, dass einige der Rückkehrer in die Irre gingen und sich in der Wüste verliefen, die bekannt lich auf dem Wege liegt, doch der Herr stand ihnen bei. Auf dieses Ereignis spielen auch einige Trostverse an [ , wenn es heißt ] : Sie werden nicht hungern und nicht dursten usw.

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( Jes 49,10), und er war ihnen ein Wegbahner (vgl. Jes 57,14) und viele

weitere Verse. Die in Finsternis und Todesschatten wohnen usw. (Ps 107,10) – dies bezieht sich auf die wenigen, die unter den babylonischen Königen in Haft saßen, d. h. die gesamte könig l iche Nachkommenschaft und die meisten Fürsten und Adeligen, die in ihrer Überheblichkeit Widerstand geleistet hatten oder daran gedacht hatten, dieses zu tun, und die sich dem gött l ichen Erlass aus dem Munde des Jeremia nicht unterworfen hatten. Belege dafür fi nden sich für denjenigen, der danach sucht, in zah l reichen Versen dieser Trost reden. Nur aufgrund dieser Verse ersch ließt sich dem Gelehrten der Grund ihrer Mora l, denn sie waren widerspenstig dem Worte Gottes, und des Höchsten Rat verspotteten sie (Ps 107,11) – mit a ller K raft. Dass er zerbrochen eherne Türen und eiserne Riegel zersprengt (Ps 107,16) – damit sind die Gefängnisse gemeint, die in den letzten Tagen der Herrschaft der Babylonier und zu Beginn der persischen Herrschaft geöff net wurden, wie es in der Pforte erläutert wird. Toren leiden durch ihren sündigen Wandel (Ps 107,17) – d. h., einige der Rückkehrer waren mit K rankheiten gesch lagen und mit mangel nder Selbstbeherrschung, die nötig ist, um jemanden über eine so weite Entfernung in das Land zu bringen, eingedenk des K limawechsels und der unterschied lichen Wasser- und Lebensmittelverhä ltnisse. Ihre Lebenszeit war daher verkürzt, wie es oft an neuen Wohnorten üblich ist, was so weit ging, dass sie [ ein späterer ] Prophet [ mit folgenden Worten ] auf die Zukunft vertröstete : Wiederum werden sitzen Greise und Greisinnen in den Straßen Jerusalems usw. (Sach 8,4). Die das Meer befahren in Schiffen (Ps 107,23) – dies bezieht sich vielleicht auf jene, die aus dem Westen zurückkehrten, d. h. auf jene, die nach Kappadokien und in die griechischen Städte vertrieben worden waren. Sie l itten jedoch bei ihrer Rückkehr unter den 119 Sch lägen einer stürmischen See. | Doch man beachte, dass der Psa lm im Fortgang in Andeutungen von den Hauptereignissen seit der Wiederbesied lung des Landes bis zu einer gewissen Grenze berichtet, in jedem Fa ll bis zur Zeit

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des Nehemia, des guten ersten Stattha lters nach der Zeit Serubbabels. Wie es heißt, dass sie das Land bei ihrer Rückkehr verlassen, zerstört und mit Sa lz bestreut vorfanden, nachdem es zuvor ein fruchtbares und gutes Land gewesen war (er machte dort zwei Flüsse [ zur Wüste ] [  Jes 50,2 ] … Fruchtland zu Salzboden [ Ps 107,34 ]). Doch wie gelang es ihnen, dieses Land in den ursprüng lichen Zustand, dessen sich das Vol k erinnerte, zurückzubringen, solange es nicht wenigstens einigen unter ihnen gelungen war und sie an Zah l zunahmen ? (Er wandelt die Wüste in Wasserteiche … , und sie errichten eine Stadt des Wohnsitzes … , und besäen Felder und pf lanzen Weinberge… , und er segnet sie, und sie mehren sich [ Ps 107,35 – 38 ].) Danach erinnert er daran, wie sie durch die Herrschaft der Stattha lter [ in der Zeit ] vor Nehemia hinabgeführt, gedemütigt und verstreut worden waren; er erinnert an die Bedrängnis der Fürsten und Reichen unter den Rückkehrern und den von ihnen Abhängigen, wie in der Pforte beschrieben, wie es im Buche Nehemia heißt : Die Verschonten, die übrig geblieben von der Gefangenschaft, sind in großem Unglück und in Schmach (Neh 1,3). Dies a lles ist jedoch auch angedeutet in dem Satz : Und sie nehmen ab und sinken durch die Gewalt des Elends und Kummers (Ps 107,39). Es mag sein, dass jene Stattha lter und Regenten durch Gott oder durch Menschenhand eingesetzt wurden, wie es heißt : Er schüttet Schmach auf Edle aus (Ps 107,40). Auch erinnert er daran, wie dereinst die guten Zeiten begannen und sich die Größe des Vol kes mehrte, wie es kurz darauf sogar mit A ngabe der zeit lichen Umstände heißt : Und er erhebt den Dürftigen aus dem Elend und macht den Schafen gleich die Geschlechter (Ps 107,41). Doch wie kamen das Gute und die Gerechtigkeit mittels guter Herrscher zum Vol ke zurück ? [ Es heißt : ] Es schauen die Redlichen und freuen sich, und jegliche Ungerechtigkeit schließt den Mund (Ps 107,42). Doch am Sch luss trägt er einen Gedanken über den Wandel der Zeiten und Geschicke der Rückkehrergemeinde vor. Denn sie gehen für denjenigen, der sie mit Weisheit betrachtet, tatsäch lich auf göttliche Wundertaten und seine Vorsehung zurück, wer doch weise wäre, dass er dies merkte, und dass sie einsähen, die Huld des Herrn (Ps 107,43).

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Dies scheint uns die richtige Auslegung dieses ehrenwerten und schönen Psa lms zu sein. Unserer Meinung nach sollte er a llerdings babylonisches Ha llel genannt werden ana log zu dem ägyptischen Ha llel [ Ps 113 – 118 ], der Bezeichnung, welche unsere Vorfahren, seligen Angedenkens, für jene bekannten Psa lmen eingeführt haben. Dieses Ha llel sollte dann auch jenes [ Stück ] beinha lten, welches uns vorliegt, und es sollte auch mit der bekannten Sch lussformel für einen Segensspruch im Tempel abgesch lossen werden : Gepriesen seiest du, Herr, usw. Und dies sollte dann besch lossen werden mit den Worten : Und a lles Vol k spreche : A men, Ha lleluja ! A nmerkung 4 (Seite 481) (feh lt an dieser Stelle)

A nmerkung 5 (Seite 522) In der Mishna ḥeleq : „Rabbi ʽAqiva sagt : Auch der, der in den ‚äußeren’ Büchern liest“ (mSan 10,1). Darüber sagte man in der Gemara des Yerusha lmi : „Wie z. B. die Bücher Ben Sira und die Bücher des Ben Laʽana. Aber wer in den Büchern des Homer und in a llen (anderen) Büchern, die danach geschrieben wurden, liest, ist wie einer, der einen [ privaten ] Brief liest. Was ist der Grund ? [ Es steht geschrieben : ] Aber mehr als vor jenen, mein Sohn, hüte dich. [ Das viele Büchermachen hat kein Ende; und viel Nachdenken ermüdet das Fleisch ] (Koh 12,12). [ Der Vers meint : ] Zum Nachdenken sind sie gegeben, zum Mühen (im Studium) sind sie nicht gegeben“ (ySan 10,1 [ 28a ]). – In der Erk lärung dieser Stelle, um die sich die Kommentatoren sehr bemühten, heißt es, dass es hier genau um jene „außerkanonischen“ Schriften geht, wie die, die wir in dieser Pforte und in der betreffenden A nmerkung dort erwähnten. Einige von ihnen zäh l1 K rochma l, 2 Ebd.,

61.

Writings, 58.

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ten sie zur Schrift, doch bei uns wurden sie nicht a ls heilige angenommen; daher nannte man sie auch „äußere“ Schriften, da sie außerha lb der Sammlung der vierundzwanzig hei ligen Bücher verblieben, wie man auch jene Mishnayot ebenso wie jene Midrashim, die nicht fi xiert worden waren, Baraitot nannte – die „äußere“ Mishna. In der Sprache des Lesers bezeichnet der Terminus sefarim ha-hiṣoniim jedoch jene Schriften, aus denen in der Öffentlichkeit gelesen und ausgelegt wurde, so a ls ob es sich um Schriften aus den vierundzwanzig Büchern handele, und dies | trotz der Un- 120 terweisung in der Mishna [ Abschnitt ] kol kitve (bShab 16) bezüglich der Frage, ob man aus ihnen lesen dürfe oder nicht. Es versteht sich dabei von selbst, dass sich der Ausdruck „sifre Homeros“ eigent lich auf die Bücher des griechischen Dichters bezieht; hier wird er jedoch im Hinblick auf a lle in Griechisch verfassten Bücher verwendet, die nicht von Mitgliedern des jüdischen Vol kes aufgeschrieben worden sind. „Und a lle Bücher, die danach geschrieben worden sind“, d. h. die späteren Bücher, die sogar von jüdischen Autoren geschrieben wurden, und zwar in Form von Gleichnissen und Geschichtsberichten und ähn l ichem; sie werden von niemandem mehr für hei lige Schriften geha lten (dies gi lt a llerdings nicht für die Tora- und Ha lakha-Kommentare, in denen ihre Lektüre in der Öffentlichkeit aus einem anderen Grunde verboten wird, was noch in der Pforte über die Münd liche Tora erläutert werden wird). „Wer in ihnen liest, ist wie jemand, der einen Brief liest“, d. h. a lles, was in ihnen steht, wird dem Profanen zugerechnet, dem, was nicht beachtet werden muss und was nicht diskutiert werden kann oder von dem man keine Beweise ableiten könnte. Und dafür führte man den Vers Aber mehr als vor jenen … an, d. h., dass diejenigen Schriften, die nicht in den vierundzwanzig hei ligen Schriften entha lten sind, a llein dem individuellen Verstand zugäng lich sind, nicht aber dem Midrash und der öffentlichen Verlesung. Und wisse, dass auch die griechische Bezeichnung für diese Bücher, Apokryphen, „Verborgene“ oder „Versteckte“ bedeutet, was auf den erwähnten Unterschied [ z u den anderen Schriften ] hindeutet. Im Gegensatz zu dem zitierten Yerusha lmi-Text und ähn lichen Aussagen findet sich im Midrash

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Rabba, der ja bekannt lich auf die pa lästinische Aggada zurückgeht : „Und übrigens, (mein Sohn, sei gewarnt, denn des vielen Büchermachens ist kein Ende) (Koh 12,12). – Sei gewarnt, mein Sohn, wer mehr Bücher a ls die 24 ins Haus bringt, wie z. B. das Buch Ben Sira und das Buch Ben Tagla, bringt dadurch Verwirrung in dasselbe; und vieles Studieren ist Abmühung des Leibes (ebd.). Jene Bücher sind zum Nachdenken, nicht zum mühsel igen [ Studium ] gegeben“ (Qoh R 12,12 [ 31b ]). Ebenso heißt es in einem Zusatz [ Tosefta ] zu unserer Mishna, der in der Gemara überliefert ist : „Die Bücher der Minim“ (bSan 100b) – darunter fasste man auch die erwähnten Bücher, da man meinte, dass sie die Minim im Lande Israel zu jener Zeit besaßen und ihren Inha lt verfä lschten. Auch fertigten sie [ mit den heiligen Schriften ] verg leichbare Bücher an, um aus ihnen Beweise für ihre Irrlehren anführen zu können, und dies ist den Kundigen sicherlich bekannt. Aus a ll dem Gesagten wird nun aber deut lich, dass vor a llem unsere Weisheitsbücher von diesem Phänomen betroffen waren, sodass man ihren öffentlichen Vortrag und ihre schrift liche Exegese in Midrash-Werken absolut untersagte. Selbst das Buch Ben Sira, das aufgrund der großen Bekanntheit seiner Sprüche einige Ma le zitiert wird, durfte nur münd lich tradiert werden, und man entschied, an keiner Stelle, an der aus ihm zitiert wird, seinen Namen zu nennen. Und diese Erschwerung geschah unserer Auffassung nach zu Recht, denn man sah, welche Schwierigkeiten aus dem Gebrauch solcher Bücher erwachsen konnten. Allerdings achtete man in der Gemara des Babylonischen Ta l mud nicht mehr so streng darauf, insbesondere beim Buche Ben Sira, das man einige Ma le zitiert fi ndet, und zwar unter vollem Namen, und einma l wagte man es sogar, auf eine „Verdreifachung in den Hagiographen“ mittels eines Verses aus ihm hinzuweisen (bBQ 92b)1. Man verstehe aber, dass man eigent lich nach Gründen dafür suchte, seine Lesung und Auslegung in der Öffentlichkeit zu unterbinden, und man fand sie sch ließlich auch in der hebräischen Rezension, 1 Vg l.

bBQ 92b, wo Sir 13,15 zitiert wird. Korrigiere K rochma l, Writings, wo auf bBQ 22b verwiesen ist.

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die sich ohne Zweifel in ihrem Besitz befand, und verwies etwa auf einen gefä lschten aramäischen Wortlaut, der unter ihnen zirkulierte. Darüber äußerte sich etwa Rav Yosef, der Meturgeman der Ketuvim, folgendermaßen : „Die guten Worte, die sich in diesem [ Buche ] fi nden, tragen wir vor“ (bSan 100b), was Rashi so auslegte : „Wir bringen sie in der Öffentlichkeit zu Gehör“. Der Grund für diese Erleichterung ist unserer Meinung nach genau in dem Gegenteil der Begründung zu fi nden, die wir in Bezug auf die Weisen des Landes Israel vorbrachten, näm lich dass man in Babylonien nur auf den daraus entstehenden Schaden blickte, wie es einma l heißt : „In Nehardea, wo es keine Minim gibt“ (bPes 56a). Und dadurch ist die A ngelegenheit bereits erk lärt. Doch wie fern ab von der Wahrheit liegen die Kommentatoren, die den Ausspruch [ des Rabbi ʽAqiva ] über die „äußeren“ Bücher auf die Bücher des A risto und seiner Gefolgschaft unter den griechischen Philosophen beziehen. Denn diese sind ja überhaupt nicht zu der A rt von Büchern zu zäh len, die in den beiden Ta l mudim und in den Midrashim erwähnt werden, warum es bezüg lich dieser Bücher noch nicht einma l ein Verbot gibt. Das Yerusha l mi-Diktum bezüg lich der sifre Homeros kann man a lso nur dahingehend verstehen, dass man ihre Lektüre erlaubte. Ein weiterer Beleg für unsere Interpretation des Wortes hiṣoniim im Sinne von Apokrypha findet sich im Ya lquṭ ‛Eqev § 855 (295c), wo die Zah l der Verse des Tanakh genannt wird; dort heißt es : „außer der Zah l (der Verse aus den) äußeren [ so muss es zweifellos heißen ] Büchern.“1 Dies stammt woh l aus irgendeinem späten Midrash, der in einem Zusatz vielleicht auch im Midrash Tehillim zu Psa l m 90 notiert worden ist, sich dort aber nicht fi ndet. A nzunehmen ist aber, dass es sich um einen Midrash handelte, der für sich a llein niedergeschrieben worden ist, und dass dieser von Psa lm 90 ausging und dass in ihm eine von unseren Jahren ausgehende Liste der Verse [ der Bibel ] zu finden war.2 | 121

1  I n

Ya lq ‛Eqev 11 § 855 (295c) anders. MTeh 90,5 (196b).

2 Vg l.

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A nmerkung 6 (Seite 521) Wahrschein l ich wurde die Versamm lung „die große“ genannt, weil sie die erste war und zum Beispiel und Vorbild für kommende Generationen wurde. Doch nach großen Umbrüchen und in Zeiten, in denen der Zusammenha lt der Nation erschüttert und die Ehre des Vol kes verringert worden war, kamen die Häupter der Weisen Israels und ihre Gefolgschaft regelmäßig an einem besonderen Ort und zu einem festgelegten Zeitpunkt zusammen, um neue Verordnungen und Entsch lüsse zu fassen, die sie für die Aufrechterha ltung der Religion und die Ausrichtung der Gemeinde Jakobs für notwendig und nütz lich hielten. Eine solche Versamm lung fand nach der Zerstörung [ des Tempels ] in Yavne statt und eine weitere in Usha, nachdem die Verfolgung durch die Römer nach dem Aufstand und dem K rieg um Betar zu einem Ende gekommen war, nachdem sich unsere Rabbinen an jenen Orten, von denen in dieser Pforte die Rede war, versammel n konnten. Dies haben dann auch die frühen Christen übernommen, die sich ebenfa lls in solchen Synoden getroffen haben, wie es ihren Geschichtswerken zu entnehmen ist. Es ist aber auch mög lich, dass sie nur desha lb „die große“ [ Versamm lung ] genannt wurde, wei l sie wegen ihrer grundsätz lichen Bedeutung und wegen ihrer „Reste“ sehr lange währte – wie wir es erwähnt fi nden, „sieben volle Generationen“ lang, was etwa 200 Jahre bedeutet. Sie wurde dabei woh l aus jenen Weisen gebildet, die Soferim genannt werden, und die meisten unter ihnen waren durch den hei ligen Geist inspirierte Autoren, die den shone ha lakhot [ Tannaiten ] seit Shim‛on II., dem Sohn des Onias II., vorangegangen waren. A llerdings wurden jene Generationen fast völlig aus der Berechnung der Jahre im Seder ‛Olam2 gestrichen, und von ihnen blieb auch keine Erinnerung an einen Namen oder an diesen bedeutsamen Zeitabschnitt zwischen Esra und Shim‛on II., dem ersten unter den in der Mishna erwähnten Weisen, was a lles 1 K rochma l, 2 Vg l.

Writings, 62. etwa Seder ʽOlam Zuta (hg. v. Neubauer, 71).

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auch noch in der Pforte über die Münd liche Tora erläutert werden wird. Weil diese A ngelegenheit polarisiert und über sie bereits viele achtbare Meinungen geäußert wurden, möchten wir uns hier auf den angesprochenen Zeitraum und auf die verlangte K larstellung beschränken. Seit der Zeit Esras bis zum Beginn der Herrschaft der Griechen bzw. bis zum Ende des Perserreiches dienten vier Hohepriester in Folge : Der erste war Eljaschib, der mit Nehemia zu den Erbauern der Mauer Jerusa lems gehörte; der zweite Jojada, sein Sohn; der dritte Jonatan ben Jojada, der seinen Bruder ermordete; und der vierte war Jaddua ben Jonatan, der im hohen A lter A lexander entgegenzog, a ls dieser nach Asia einzuziehen sich anschickte, wie es in der Pforte berichtet wird. Die Zeitspanne dieser vier beträgt aber wenigstens achtzig Jahre, und dies ist uns auch von den Lebensdaten der letzten Könige Persiens bekannt, die in a ller K larheit von den griechischen Historikern dieser Zeit aufgeführt werden. Nach dem Tode Jadduas diente Onias, sein Sohn, a ls Hohepriester, und nach ihm kam Shim‛on I., und er wurde von Yosef, dem Priester [  Josephus ], mit dem Titel „der Gerechte“ bezeichnet, und seinem Zeugnis nach zu urtei len dauerte ihre Hohepriesterschaft insgesamt vierzig Jahre. Doch zu Beginn der Zeit dieses Shim‛on fing man an, sich nach der griechischen Zeitkunde zu richten, a ls das Land nach den K riegen unter den Diadochen A lexanders ruhiger geworden war. Dies geschah aber frühestens zwanzig Jahre, nachdem die Griechen gekommen waren, und dies führte dann auch zu einer anderen Berechnung der Daten, über die wir noch sprechen werden. Nach Shim‛on I., weil sein Sohn Onias noch ein K nabe war, diente sein Bruder A lexander a ls Hohepriester, und zu seinen Lebzeiten wurde die Tora in das Griechische übertragen. Nach A lexander diente für kurze Zeit Manasse ben Jaddua a ls Hohepriester, der Onkel der beiden Brüder Shim‛on und A lexander. Nach ihm kam Onias II., der Sohn des Shim‛on I., den – wie wir erwähnten – sein Vater bei seinem Tode a ls K nabe hinterlassen hatte. Er brachte Shim‛on II. hervor, der in unserer Mishna „der Gerechte“ genannt wird, und von dem wir in der Pforte angenommen haben, dass er der letzte der Ordnung der Soferim gewesen

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ist, der erste aber [ aus ] der Ordnung der Tannaiten. Da er um das Jahr 100 der Zeitrechnung a ls Hohepriester fungierte, vier oder fünf Jahre vor der Verfolgung, entsteht eine Differenz ; bei der Berechnung der Epoche Shim‛ons I. eine Differenz von ca. einhundert Jahren, und zwischen ihm und Esra von ca. 200 Jahren. Die Belege dafür aber, dass der erwähnte Shim‛on der Mishna der zweite dieses Namens war und dass er überhaupt zu der Zeit, die wir eingegrenzt hatten, gelebt hat (und dies ist für uns die Hauptsache), sind sehr zah l reich, und wir wollen hier nur einige von ihnen in Erinnerung rufen : 1. Antigonos, der Mann aus Socho, war, wie die Mishna erwähnt, sein Schü ler. Wenn wir aber davon ausgehen, dass er zur Zeit seiner Aufnahme unter seine Schü ler mindestens zwanzig Jahre a lt war, so ist dies die geringste Zahl, die denkbar erscheint. Der Name A ntigonos jedoch ist ein absolut griechischer Name – doch wie kann man annehmen, dass in den Tagen des ersten Shim‛on, nachdem noch nicht einma l zwanzig Jahre seit dem Einzug der Griechen vergangen waren, solche griechischen Namen unter uns ver122 breitet und übl ich geworden waren ? | 2. Die Sekten der Pharisäer, Sadduzäer und Boetusier fi nden in den Tagen der Verfolgung noch keine Erwähnung, auch nicht in den Befreiungskriegen danach und ebenso wenig in den beiden hasmonäischen Chroniken oder in den Schriften Yosefs, des Priesters, etwa so, wie wir oft nach dem griechischen Beispiel die Bezeichnungen „Übeltäter“ [ Barbaren ] für diejenigen verwendet finden, die sich zusammengerottet hatten, oder auch die Bezeichnung „Fromme“ [ Ḥasidim ] für diejenigen, die an ihrer Tora festhielten und sich freiwi llig dem K riege hingaben. Wir hatten aber bereits zur Kenntnis genommen, dass die Sekten des Ṣaddoq und des Boetus in den Tagen des A ntigonos aufgekommen waren, was bedeutet, dass dies zu Beginn der Griechenherrschaft stattgefunden hat – man fürchtete sich zu dieser Zeit, in den Tagen der Verfolgung und der K riege bereits vor den großen und berüchtigten Sekten, etwa vom Jahre 145 bis zum Jahre 170 ihrer Herrschaft an, d. h., man hatte von ihnen gehört, wie wir es z. B. k lar und deutlich in den Tagen Shim‛ons vernehmen können, und dies geht in den

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Tagen des Johannes Hyrkanos, seines Sohnes, sogar noch weiter, wie es in der Pforte ausgeführt ist. A llerdings ist demzufolge k lar, dass der in der Mishna erwähnte Shim‛on der Shim‛on war, der um ca. 100 vor [ der Zeitrechnung ] a ls Hohepriester gedient hatte, und A ntigonos, sein Schü ler, muss dann noch kurz vor der Verfolgung und dem K rieg [ gegen die Griechen ] gelebt haben. 3. Yose ben Yo‛ezer, der auch von Shim‛on ha-Ṣaddiq empfi ng (wie aus der von der Mishna gewäh lten Ausdrucksweise, „qibelu mi-hem“ [ m Av ], deutlich wird und wie auch die Kommentatoren deswegen angenommen haben), wurde während der griechischen Verfolgung getötet, zu Beginn des K rieges des Jahres 151, wie es in der Pforte erläutert wird. Er ist aber der g laubwürdigste Zeuge über die Zeit des Shim‛on ha-Ṣaddiq der Mishna, der nur eine Generation vor der Verfolgung gelebt hat. Wenn dem aber so ist, dann meint dies Shim‛on II.1 4. Hillel begann sein nasi-A mt auf keinen Fa ll vor dem Jahre 280 der Zeitrechnung, wie ihre Aussprüche belegen : „Hillel und Shim‛on Gamli’el und Shim‛on übernahmen ihre nasi-Stellung einhundert Jahre vor [ der Zerstörung ] des Tempels“ (bShab 15a); und der Tempel wurde bekannt lich im Jahre 380 der Zeitrechnung zerstört. Von Shim‛on ha-Ṣaddiq bis Hillel vergingen aber nur die fünf Generationen der Paare [ z ugot ], sodass man wie gesagt Shimʽon und A ntigonos einer Generation zurechnen musste. Wenn man aber für jede Generation sechsunddreißig Jahre annimmt, welches die größte Zeitspanne für die drei aufeinanderfolgenden Generationen ist, insbesondere wenn man nicht von Vater zu Sohn [- Generationen ] ausgeht, so müssen zwischen ihnen 180 Jahre vergangen sein; wenn man diese A nzah l von Jahren jedoch von den 280 Jahren abzieht, bleibt a ls frühester Zeitpunkt für Shim‛on ha-Ṣaddiq das Jahr 100, was genau zu der Zeit von Shim‛on II. passt. Ä hnliches kann man für Shim‛on ben Sheṭaḥ belegen, der in der vierten Generation nach Shim‛on und A ntigonos lebte. Er war der Neffe des A lexander Yannai, der in der vierten Generation zu Beginn des K rieges lebte. Wenn dem aber so ist, dann war Shim‛on Zeitgenosse 1 Vg l.

dazu de’ Rossi, Light of the Eyes, 351 – 353.

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des Mattatias, doch ein wenig ä lter a ls dieser, denn auch er war in der Zeit der Verfolgung bereits ein bedeutender Ä ltester.

Soweit unsere bedeutsamsten Überlegungen, die wir zugrunde gelegt haben, dass näm lich seit der Zeit des Hohepriesters Eljaschib und Esras, des Schreibers, bis zu Shimʽon ha-Ṣaddiq und seinem Gefährten und Schü ler A ntigonos sieben volle Generationen vergingen, auf keinen Fa ll weniger a ls 200 Jahre. Dies waren aber die Tage der Ordnung der Schriftgelehrten, was voll kommen mit dem übereinstimmt, was die Weisen, sel igen A ngedenkens, mit der Bezeichnung „Große Versamm lung“ [ k nesset ha-gedola ] oder „Reste der Großen Versamm lung“ versahen. Die Zeit beider dauerte aber bis zum Beginn des K rieges der Griechen, und danach kam und begann der Gerichtshof der Hasmonäer, wie es im Weiteren erläutert ist. A nmerkung 7 (Seite 531) Über eine a lte und kostbare Baraita (eine „nicht-kanonische“ Mish na) und die Erk lärung eines Abschnittes in ihr : „Esra schrieb sein Buch und die Genea logie der Chronik bis auf seine eigene (bBB 15a).“ 1. Über die A nordnung der hei ligen Schriften und ihre erstma lige Niederschrift gemäß ihres auf uns gekommenen Ranges, ist uns eine Lehre überliefert, [ u nd sie erläutert ] zu A nfang : „Die Reihenfolge der Nevi’im lautet“ usw. (bBB 15a) (und ein Beleg dafür fi ndet sich im Kontext [ desselben Traktates ] : „Wer schrieb sie auf ? Mose schrieb sein Buch“ usw. (bBB 14b), und es scheint, dass [ d iese Baraita ] die Grund lage für die A nordnung und die Reihenfolge der 123 Bücher der Tora ist). Und die Redaktoren | der babylonischen Gemara überlieferten sie uns in dem Traktat Bava Batra (folio 14b); und weil sie sie mit der Ein leitungsformel „tanu Rabbanan“, nicht etwa 1  I n

der Edition Seite 64.

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mit „tanya“ oder „tane“ usw. einführten, muss sie eine von den Weisen in der Yeshiva erk lärte und studierte gewesen sein. Auch ist sie in ihrer Wortwah l sehr kurz, wie es bei a llen a lten Baraitot üblich ist. Außerdem wird auch aufgrund ihres Inha ltes k lar, dass sie vollständig auf sehr a lter Überlieferung beruht. Ihr A lter und ihre Kürze verpf lichten uns aber dazu, sie genauer zu betrachten, um ihre Intention und ihre Hintergründe nach bestem Vermögen zu verstehen. Wenn wir darin aber nach lässig wären, verlören wir einen kostbaren Lohn, der für uns [ auch später ] verschwunden und verloren bliebe. Dies insbesondere auch deswegen, wei l ihre Worte in der Gemara nur zum Teil und gelegentlich durch eine Aggada erläutert werden, etwa in Bezug auf eine Differenz, die sie gelegentlich hinsichtlich der Erk lärung von ha lakhischen Baraitot hatten. Der Grund dafür ist unserer Meinung nach, dass es in ihr einige Ausdrücke gibt, die dama ls zu den esoterischen gehörten und die unsere Vorfahren nur in ihren Grundzügen lehrten, so wie wir es etwa auch in der voranstehenden A nmerkung bezüglich der A nordnung des Buches Jesaja nach den Büchern Jeremia und Ezechiel vermuteten. Deswegen müssen wir mit Hilfe des Herrn, gepriesen sei er, mit a ll unserem Vermögen in die Materie noch tiefer eindringen, auf dass es uns gelinge, sie zu verstehen und sie angemessen zu erk lären, sodass wir sie an den richtigen Stellen dieses Werkes heranziehen können, ganz unserer Methode der Beschäftigung mit der Tätigkeit Esras, des Schreibers, in dieser Pforte folgend. Wir wollen hier aber zunächst den oben zitierten Abschnitt erk lären : „Esra schrieb sein Buch und die Genea logie der Chronik bis auf seine eigene“ (bBB 15a). Und sämtliche Kommentatoren – schaue sie dir einma l genauer an – tun sich in ihrer Kommentierung sehr schwer damit. Einerseits verweisen sie darauf, dass Esra und Nehemia ein und derselbe Schreiber gewesen seien, und so werden sie stets auch zusammen in der A nzah l von vierundzwanzig hei ligen Büchern notiert, sowoh l bei den Rabbinen, seligen A ngedenkens, a ls auch bei den Historienschreibern. Und tatsäch lich mutet uns die Differenzierung zwischen [ diesen Büchern ] absolut fremd und seltsam an, ähn lich der [ erst nachträg l ich vorgenommenen ] K apiteleintei lung oder der Untertei-

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lung des Buches Samuel oder des der Könige in zwei Hä lften. Wenn dem aber so wäre, dann könnte es sein, dass a lle ihre Teile und Abschnitte hauptsäch lich und anfänglich von einem einzigen Autor a llein geschrieben worden sind. Dafür könnte man anführen, dass ab [ Esra ] Kapitel 10 ff. Nehemia a ls Sprecher erscheint, er a lso in der ersten Person Singu lar redet, und [ außerdem ] heißt es ausdrück lich : Worte Nehemias, Sohnes Hachlajas (Neh 1,1). Wie man auch in der Gemara zu diesem Buch bemerkte : „Und wer vollendete es ? Nehemia Sohn Hachlajas !“ (bBB 15a). 2. Das Buch Esra ist a llerdings auch keine Chronologie und keine fortlaufende Geschichtsdarstellung entsprechend ihrer Zeitenfolgen wie die Bücher der Vorderen Propheten [ Nevi’im rishonim ]. Es nimmt vielmehr unterschied liche Teile der Zeitabschnitte auf, indem es gelegentlich Phasen, die zwischen den einzel nen erzäh lten Teilen liegen, überspringt. Beginnend mit dem Bericht über das Edikt des Kyrus und den Beginn der Rückkehr der gola, folgt sofort eine Genea logie der ersten Rückkehrer – und sie war bestimmt einma l ein gesondertes Dokument, welches in das Schreiben aufgenommen wurde. Es belegt, dass Nehemia das Schreiben, so wie es war, abgeschrieben hat, oder mit seinen eigenen Worten : Und ich fand das Buch des Geschlechterverzeichnisses derer, die das erste Mal hinaufgezogen waren, und ich fand darin geschrieben (Neh 7,5) : Dies sind die Söhne der Landschaft, [ welche hinaufzogen ] usw. (Neh 7,6). (Doch beachte, dass man das waw in „we-ele“ [ ebd. ] im Buch des Esra hinzugefügt hat, a ls man [ diese Liste ] in das Buch aufnahm.) Danach fährt das Buch fort und berichtet von der Vorbereitung des Ortes, der Darbringung von Opfern und der Feier des Hüttenfestes sowie dem Beginn des Tempelbaus, dann aber auch von der Unterbrechung durch die Gewa lt ihrer Nachbarn, den Feinden Judäas und Benjamins. Dann sch ließt die Erzäh lung mit dem Satz : Und sie dingten wider sie Ratgeber, um zu stören ihren Entschluss all die Tage des Kyrus, des Königs von Persien, und bis zur Regierung des Darius, des Königs von Persien (Esra 4,5 f.). Dies ist aber die erste umfassende Liste in der Erzäh lung, welche sich auf die Zeit im ersten Jahr der umfassenden Regentschaft des Kyrus (seine tei lweise Regentschaft, die voranging, wird ihm in den Chroniken nicht ange-

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rechnet, da es schon genug Durcheinander gibt) bis zum zweiten Jahr des Darius bezieht, a ls man wieder mit dem Bau des Tempels begann. Was jedoch in diesen zwei [  Jahren ] geschah, wird in den Schriften nicht erläutert, doch wissen wir genug darüber aus den Schriften der persischen Geschichts- und Königslistenschreiber, woraus wir noch im Folgenden zitieren werden. – Nach [ d ieser Liste ] und anbei folgt ein kurzes Erinnerungsbuch, dem zu entnehmen ist, dass man zu Beginn der Regentschaft des A hashwarosh eine K lageschrift gegen die Einwohner Judäas und Jerusa lems verfasst hat. Die zweite Erinnerung ga lt der Tatsache, dass man in den Tagen des A hashwarosh auch eine K lage gegen den König von Persien bezüg lich des Baus der Stadt und ihrer Mauern, den das Vol k begonnen hatte, geschrieben hat. Der Abschreiber führt diese K lageschrift in aramäischer Sprach an, welche einige sogar benutzten, um den Gnädigen bzw. den Namen des Herrn anzurufen, näm lich sowoh l das Mischvol k in Samaria (kutim) a ls auch [ d ie Bewohner ] | des Zweistrom landes. Und auch die A ntwort des Kö- 124 nigs, die ihnen woh lgesonnen und [ der zu entnehmen ] war, dass das erwähnte Vol k nach Jerusa lem ziehen dürfe, sodass sie ihre A rbeit mit voller K raft wieder aufnehmen könnten, war [ in jener Sprache verfasst ] (und auch diese A ngelegenheit steht hier nicht an der richtigen Stelle). Daran sch ließt sich (Esra 4,24) eine zweite Liste an, die von der Wiederaufnahme der A rbeit bis zur Wiedererrichtung des Tempels im zweiten Jahr des Darius reicht; sie enthä lt einen Brief mit einer dies betreffenden A nfrage an den König von jenseits des Euphrat und seine Erlaubnis in einem speziellen Schreiben, die Vollendung des Tempels und seine Weihe im Monat Adar des sechsten Jahres des Darius betreffend. Bis hier reicht die Geschichte in aramäischer Sprache, doch am Ende sch l ießt die Liste in Hebräisch mit einer kurzen Geschichte über das erste zu dieser Zeit ausgerichtete Pesaḥ-Fest und das in Freude begangene maṣṣot-Fest, was mit dem Satz erläutert wird : Denn der Herr hatte ihnen Freude gegeben und das Herz des Königs von Assur ihnen zugewandt, dass er sie unterstützte in dem Werke des Hauses Gottes, des Gottes Israels (Esra 6,22). Die Zeitspanne, die diese Liste umfasst, wird dahingehend erläutert, dass sie vier Jahre von dem zweiten Jahr

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bis zum Jahre 6 des Darius währte. In diesen Jahren ergingen die Prophetien des Haggai und des Sacharja. Von da an (Esra 7) beginnt die Geschichte von Esra : seine Herkunft und sein Lobpreis, wie er mit einer neuen gola- Gemeinde in das Land kam, seine Taten dort und wie er fremdstämmige Frauen vertrieb. Der Erzähler berichtet in diesem Abschnitt zu Gunsten Esras, und auch die ersten Verse sprechen zweifellos für Esra selbst, und es wird über ihn in der dritten Person berichtet, was für den A nfang einer Ruhmesgeschichte passend erscheint. A lles ist zudem in Hebräisch verfasst, außer dem Erlaubnisschreiben und dem Gnadenerweis, den ihm der König seiner Zeit hatte zutei l werden lassen; sein Name lautete A ratachschasta (nicht der A rtachschaschta des erwähnten K lageschreibens, das Esra in aramäischer Sprache verfasst hatte). Von der dritten Liste wird in den Schriften jedoch nur erwähnt, dass sie nicht einma l ein volles Jahr umfasste, und zwar das siebte des A ratachschasta. Damit ist es für das Buch genug, und es überspringt danach zwölf Jahre, wie es auch zuvor die Zeit vom sechsten Jahr des Darius bis zum siebten des A ratachschasta, seines Enkels, übergeht. Dann folgt die vierte Liste, welche ausdrück lich a ls Worte des Nehemia (Neh 1,1) gekennzeichnet ist. In ihr spricht Nehemia in erster Person, und er erwähnt seinen Gefährten Esra mit seinen guten Verordnungen und Eljaschib, den Hohepriester seiner Zeit. Er rechnet sich selbst (Neh 5,14) in das zwölfte Jahr, a ls er peḥa [ Stattha lter ] im Lande Judäa wurde, d. h. seit dem zwanzigsten Jahr des A ratachschasta, in dem er nach Jerusa lem kam, bis zum zweiunddreißigsten Jahr dieses Königs. Er sagt auch (Neh 13,6), dass er in dem erwähnten Jahr zu diesem König zurückkehrte und dass er nach einer unbestimmten Zeitspanne schrift lich um Erlaubnis dieses Königs bat, nach Jerusa lem zurückkehren zu dürfen, a ls der Hohepriester immer noch Eljaschib war. Des Weiteren erwähnt er auch noch einige neue Verordnungen. Diese Liste in Buchform stammt nach dem Erwähnten aus dem zwölften Jahr, auf jeden Fa ll eine gewisse A nzah l von Jahren danach, die nicht weniger a ls zehn betragen haben dürfte. Das Buch sch ließt dann mit dem Todesjahr des A ratachschasta, des Freundes des Esra und des Nehemia, der, wie wir sicher wissen, zweiundvierzig Jahre lebte. – Aus

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a ll diesem wird k lar, dass die erste Grundfassung des Buches Esra aus einigen Listen und verschiedenen Rollen zusammengestellt worden ist. 3. A llerdings gibt es in dem Buch (Neh 12) noch eine kurze Genea logie der Priester und Leviten, der eindeutig zu entnehmen ist, dass es bis in die Tage des Esra und Nehemia sowie des A ratachschasta noch nicht vollendet worden sein konnte. Dies ist bereits daraus zu entnehmen, dass es in ihr (Neh 12,10 f.) eine Kette von sechs Hohepriestern gibt, die während des Zweiten Tempels Dienst taten, und zwar in ununterbrochener Reihefolge vom Vater auf den Sohn und so weiter, von Jeschua, Sohn des Jozadak, dem ersten Priester des Tempels, bis zu seinem Enkel Eljaschib, dem dritten Hohepriester in den Tagen des Esra und des Nehemia, weiter bis zu Jaddua, dem sechsten Hohepriester; er war derjenige, der am Ende seiner Tage dem Makedonen A lexander und den Griechen entgegenzog, a ls dieser a lle Länder des Ostens eroberte und die Herrschaft der Perser beendete. Dies ist bekannt und wird in der Pforte referiert. Man kann jedoch nicht sagen, dass dieser Bibelabschnitt nur desha lb dem Buch hinzugefügt wurde, um die Kette der Hohepriesterschaften bis zur Zeit des Kommens der Griechen in das Land zu ergänzen, denn es fi nden sich in dieser Genea logie auch folgende Sätze : Und in den Tagen des Jojakim waren Priester Stammeshäupter usw. (Neh 12,12); die Söhne Levis, die Stammeshäupter, sind aufgeschrieben im Buche der Zeitgeschichte, und zwar bis zu den Tagen Johanans, des Sohnes Eljaschibs (Neh 12,23) (gemeint ist sein Neffe, der vierte Hohepriester des Tempels); | die Leviten in den Tagen 125 des Eljaschib waren Jojada, Johanan und Jaddua (der dritte, vierte, fünfte und sechste), sie wurden für das Königreich des Persers Darius a ls Stammeshäupter aufgeschrieben. Gemeint ist dabei zweifellos Darius der letzte, der durch die Hand des A lexander fiel, a ls, wie erwähnt, Jaddua a ls Hohepriester diente. Dann fährt das Buch noch mit einer Liste der drei Generationen nach Esra und Nehemia fort, a ls Eljaschib a ls Hohepriester fungierte, und er war der dritte Hohepriester des Tempels. Der zeitliche Rahmen des Buches ist tatsäch lich mit dem Ende der persischen Herrschaft und dem Zug der Griechen gegeben.

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Doch in Bezug auf die Chronik-Bücher müssen wir im Hinblick auf unsere Untersuchung zwei Dinge anmerken : 1. Es scheint richtig zu sein, dass es vor der ersten Samm lung heiliger Bücher durch Esra und seine Gefährten eine viel ä ltere Samm lung gab, die früher geschaffen wurde a ls der letzte Absch luss der hei ligen Bücher, wie es im Folgenden erläutert werden wird. Es gab woh l genea logische Listen und Erinnerungen wie in unseren Chronikbüchern, die zusammengeheftet und die wie im Buch Esra a ls Buch mit jenen Erinnerungen und Genea logien zusammengefasst wurden. Die a llen gemeinsame Quelle waren aber die Erinnerungen an den Tempel und an seine Diener und an seine großen Festfeiern; und darüber hinaus : Rollen mit Abstammungslisten, die kurze Erinnerungsschreiben stets beg leiten, wie auch Erläuterungen der unterschied lichen Familienabstammungen, wie sie sich in Jerusa lem und den übrigen verstreuten Städten niedergelassen und sich angesiedelt hatten. Solche Erinnerungsschreiben wurden a lle im Tempel und in den Händen der Soferim und Leviten aufbewahrt. Dies war eine ihrer Bewahrungsaufgaben im Vol ke, statt des Zehnten sollten sie die genea logischen Schriftrollen im Vol ke weiterführen, sowoh l schriftlich a ls auch münd lich, sodass sie auch die Sied lungsgrenzen der Familien regelten (a ll dies wird noch an der dafür geeigneten Stelle erläutert werden; und es fi nden sich Beispiele dafür auch unter den frühen arabischen Chroniken). Doch siehe, der wichtigste Beleg für den Zusammenhang dieser beiden Bücher [ Esra und Chroniken ] besteht darin, dass man, nachdem sie vollendet worden waren und nachdem beide in zwei Teile geteilt worden waren, den Vers Und im ersten Jahr des Kyrus … wer irgend unter euch seines Volkes ist (Esra 1,1 – 3; 2 Chr 36,23) doppelt verwendete und ihn sowoh l an den Absch luss des Chronik-Buches stellte a ls auch an den A nfang des Buches Esra. Was jedoch am Sch luss des Chronik-Buches sofort an dem Wort „wa-yaʽa l “ und zu Beginn des Buches Esra an dem waw in „u-vi-shenat“ auff ä llt, ist, dass beide für sich genommen schwer zu verstehen sind, es sei denn unter der A nnahme ihrer Zusammengehörigkeit. Unserer Meinung nach gibt es dafür noch einen weiteren Beleg, denn in

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Griechisch gibt es eine ä ltere Fassung des Buches Esra, die ein wenig von der kanonischen Fassung, die uns zu eigen ist, abweicht. A nscheinend besaßen die griechisch [ sprachigen ] Juden A lexandriens noch vor dem endgü ltigen Absch luss des Buches eine hebräische Fassung des Buches Esra, aufgrund derer jene erste griechische Übersetzung angefertigt worden ist. Doch dies geschah, nachdem das Buch bereits richtig aufgeschrieben worden war, und diese richtige Fassung befand sich in ihrem Besitz, und sie befi ndet sich dort noch heute. Und siehe, nach jener frühen Rezension war das Buch bereits in zwei Teile geteilt, a llerdings mit dem Unterschied, dass es mit der Feier des Pesaḥ des Josia begann, d. h. dass in dieser Rezension die beiden letzten Kapitel des Chronikbuches die ersten des Buches Esra sind. 2. Im Gesch lechterregister Davids (1 Chr 3,19 – 24) wird die Genea logie ausgezogen bis zu den Nachkommen des Serubbabel, des ersten Stattha lters, der mit Jeschua, dem ersten Hohepriester, mit der Erlaubnis des Kyrus hinaufgezogen war. Sie erstreckte sich wenigstens sieben Generationen, ganz g leich, wie man sie auch zäh lt. Doch wird dort auch ein gewisser Hattusch erwähnt, der sehr wahrschein lich derselbe war, den Esra unter denjenigen erwähnt, die mit ihm hinaufgezogen waren (Esra 8,1) : Und das sind die Stammeshäupter und die Geschlechterverzeichnisse derer, die mit mir … hinaufzogen … von den Söhnen Davids : Hattusch. Nach diesem Hattusch dauerte die Gesch lechterfolge noch drei weitere Generationen, ungefähr so lange wie von Eljaschib, dem Hohepriester in den Tagen des Nehemia, bis zu Jaddua, dem letzten Hohepriester, der in den Chronik-Büchern erwähnt wird. Dennoch ging auch die genea logische Folge des Hauses David weiter, wie jene der Hohepriester, bis zum Ende des persischen Reiches und bis zum Kommen der Griechen und ihrer Herrschaft. Aufgrund a ll dieser Worte müssen wir nun aber erk lären, dass das gesamte Chronik-Buch und das Buch Esra auf den Tempel- Chroniken und den genea logischen Schriften einiger ed ler Gesch lechter beruhen, ergänzt um einige zusammengefasste Genea logien, | die in den Händen der Soferim und der Söhne Levis überliefert

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worden waren. Das Buch wurde jedoch zum ersten Ma l von Esra zusammengestellt, dem ersten der Soferim, und zwar aus den Rollen und Listen, die er geschrieben vorfand und die er verbesserte. Die Soferim nach ihm haben [ Weiteres ] aus den Listen des Nehemia, die er selbst angefertigt hatte, hinzugefügt, etwa auch aus genea logischen Schriftrollen und Listen von Priestern und Stammeshäuptern nach Nehemia. (Und tatsäch lich waren die Hohepriester nach Nehemia selbst wie Häupter des Vol kes, wie in der Pforte erläutert wird.) Dies ging so drei ununterbrochene Generationen lang bis zum Fa ll Persiens und bis zum Einzug A lexanders, erst danach ist das Buch vollendet und abgesch lossen worden. Wenn man nun die fünf Listen des Buches Esra nacheinander anordnet und die Zeitspannen so auftei lt, wie wir es gemacht haben, entsprechend der genauen Berechnung der Jahre durch die Chronisten der persischen Könige – dann fi ndet sich, dass die Zeitspanne der ersten [ Liste ], d. h. [ der Liste ] vom ersten Jahr der umfassenden Regentschaft des Kyrus bis zum zweiten Jahre des Darius, zweiundzwanzig Jahre umfasst. Die Zeit der zweiten Liste umfasst vier Jahre; und zwischen ihr und der dritten Liste des Esra, d. h. vom Jahr 6 des Darius bis zum Jahr 7 des Aratachschasta, seines Enkels, vergingen sechsundfünfzig Jahre. Die Zeitspanne der dritten umfasst dann nur ein Jahr, und zwischen ihr und der vierten Liste, der Liste des Nehemia, vergingen zwölf Jahre. Doch die Zeitspanne der vierten [ Liste ], d. h. vom zwanzigsten [  Jahr ] des A ratachschasta bis zu seinem Tode, umfasst dreiundzwanzig Jahre. Zusammengerechnet dauerte die Zeitspanne von der Rückkehr aus der Verbannung bis zum Ende der Zeit des Esra und Nehemia 116 Jahre, [ u nd ] in ihnen dienten ein Sohn und ein Vater dreima l aufeinanderfolgend a ls Hohepriester : Jeschua, Jojakim, Eljaschib. Ein bedeutender Zeitabschnitt der fünften Liste, doch nur ein geringer Teil der genea logischen Folge, näm lich vom Tod des A ratachschasta und von der mit ihm einhergehenden Aufhebung der persischen Herrschaft, dauerte 95 Jahre, und in ihnen dienten drei Hohepriester aus dem Gesch lecht des Jeschua : Jojada, Johanan, Jaddua, und in den Tagen des zu letzt genannten zog A lexander heran. Doch wisse und erinnere dich dessen, denn darin

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liegt ein großer Nutzen für zah l reiche Interpretationen unserer A ltertümer. Doch in Bezug auf den genea logischen Geschichtsbericht haben wir bereits an den oben zitierten Versen gesehen, dass sie in dem Buche Esra, welches wir anerkennen, gekürzt wurden, und der Autor weist sogar ausdrück lich darauf hin, dass sie [ eigent lich ] an anderen Orten aufgeschrieben worden sind. Doch auch über die Erinnerungslisten der Geschehnisse und Taten darf man sich nicht wundern, dass sie im Hinblick auf eine so lange Zeitspanne von mehr a ls 200 Jahren so wenig berücksichtigt wurden. Möglicherweise wurden einige von ihnen an andere Schriften angehängt, die später in den durch die zah l reichen K riege der Griechen verursachten Wirren und Nöten der Zeiten verloren gegangen sind. Vielleicht gingen einige dieser Listen sogar tatsäch lich auf die eigent lichen Autoren des gesamten Werkes zurück, wobei sie den Weisen später a llerdings verloren gingen, sodass sie bei der absch ließenden Redaktion der hei ligen Schriften nicht mehr berücksichtigt und daher nicht mehr akzeptiert worden sind, sodass sie zu den Apokryphen gerechnet werden. Ein k leiner Beleg für unsere Vermutung fi ndet sich in einer Notiz (Esra 4,6), die sich mit einer Stelle aus dem Ester-Buch zusammenbringen lässt, und es wird in ihr auf eigentüm liche Weise auf jene Stelle eingegangen. Des Weiteren belegt dies auch die erwähnte a lte Rezension, die die griechisch [ sprachig ]en Juden besaßen und die vor dem letzten Absch luss der [ Schrift ] entstanden sein muss, denn in ihr findet sich noch die bekannte a lte Geschichte von der A ntwort des Serubbabel an Darius I., den Tempelerbauer. Und nach derselben Methode wollen wir nun auch die andere Scheltrede, die dort verzeichnet ist, betrachten. Sie stammt aus der Zeit des Xerxes, des Sohnes des Darius, des Tempelerbauers. Wahrschein l ich hieß dieser mit hebräischem Namen eigent l ich Hashashta wie sein Sohn, entsprechend dem Brief des Esra und Nehemia an A ratachschasta. In der zweiten Namensform wurden jedoch die r [ = rho ]-Buchstaben gestrichen, wie es beim Übergang vom Hebräischen zum A ramäischen üblich war. Und noch in den Tagen des Xerxes, des Vaters des A ratachschasta, zur Zeit des

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Nehemia, wollte das Vol k Stadt und Mauer wiedererrichten, doch ihre Feinde hielten sie durch eine schänd liche A nk lage davon ab. Dies geschah a llerdings erst nach der Wiedererrichtung des Tempels unter Darius, in jenen vierundfünfzig Jahren zwischen der Vollendung des Tempels und dem Auftreten Esras, sodass es eigentlich erst in der zweiten Liste hätte erwähnt werden müssen. Schon der Gelehrte I. M. Jost bemerkt dazu in seiner Geschichte der Israeliten, dass diese historische Nachricht nicht an der richtigen Stelle stehe.1 Tatsäch lich haben wir in der Pforte einen Beleg vorgelegt, dass sie noch in den Tagen des Darius, a ls sie wegen der Verheißung der Propheten an die Wiedererrichtung des Tempels dachten, auch den Bau der Mauer der Stadt beabsichtigten, dass sie dann jedoch | durch die Prophetie des Sacharja davon abgeha lten wurden. Denn nachdem er zu Beginn sagt : Ich kehre heim nach Jerusalem (Sach 1,16), wird ihm später die Bemessung der Stadt zur Errichtung der Mauern offenbart – dann wird dem Engel gesagt : Laufe, rede zu jenem Jüngling also : Offen soll Jerusalem wohnen vor der Fülle von Menschen und Vieh darin. Und ich werde ihm sein, ist der Spruch des Herrn, eine Mauer von Feuer ringsum, und zur kavod werde ich sein darinnen (Sach 2,8 f.). Dies meint : an Stelle der aufgebrochenen Stadt, zur Schande des Vol kes, welches in ihr wohnt. Doch wollen wir zur Hauptsache zurückkehren und darauf Acht geben, dass, wenn dieses Ereignis nicht in den Listen dieses Buches aufgeführt wäre, so wie wir es für richtig ha lten – siehe, so wäre es sehr gut mög lich, dass sich dies auf Manasse, den bekannten Bruder des Hohepriesters, bezieht, wie es von Yosef [  Josephus ] erzäh lt worden ist und in einem für Israel schwierigen Kapitel seiner Geschichte überliefert wird.2 Dies ist, was in den beiden zu letzt genannten Schriften des Buches angedeutet wird, und es wurde von Jaddua, dem letzten Hohepriester, der in den hei ligen Büchern erwähnt wird, aufgezeichnet, wobei er jedoch den Namen seines 1 Vg l. I.

M. Jost, Geschichte der Israel iten II, Berl in 1821, 105 mit A nm. 8 (Zum neunten Buche). Vg l. dazu R awidowicz, Iyyunim II, 178 A nm. 79. 2 Vg l. A nt. X 7,2. Siehe auch Yosippon 10 (hg. v. Flusser, 57 f.; hg. v. BörnerK lein/Zuber, 148 f.).

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Bruders zu Gunsten seiner eigenen Ehre verheim lichte, so wie er auch völlig die Ermordung seines Vaters Johanan durch Joshua, seinen Bruder, im Tempel und die Bedrängnis, die deswegen vom transeuphratenischen Stattha lter bereitet wurde, verdrängte. Auch dies ist ein Ereignis, von dem Yosef [ der Priester ] berichtet und was in der Pforte [ ausführlich ] dargelegt wird. Möglicherweise wollte er sich auch nicht an den Religionswechsel und seine Flucht erinnern, auch nicht an seinen großen Verrat durch den Bau eines Tempels für die Samaritaner [ k utim ] auf dem Berge Garizim, zuma l dies wahrschein lich erst kurz nach dem Erlass des A lexander stattgefunden hat. Das Buch sch ließt aber genau wie wir sagten mit der Aufhebung der persischen Herrschaft. – Daraus ist zu folgern, dass dann, wenn es so war wie die Rabbinen (in jener Baraita [ bBB 15a ]) bezüglich einiger Bücher sagten, dass sie erst später1 vollendet worden seien, wie z. B. das Buch Josua, welches zunächst Eleʽazar, dann Pinḥas fortgeführt hat, auch dieses Buch durch Jaddua fortgeführt worden sein muss, so wie sie darüber bemerkten, dass es durch Nehemia vollendet worden ist. – Sie hoben damit aber a lle Schwierigkeiten und Widersprüche, mit denen sich Viele schwer getan hatten, einfach hinweg – insbesondere, was den Gelehrten de’ Rossi, seligen A ngedenkens, in seinem Buch Me’or ʽEnayim betriff t.2 Dieser hatte insbesondere bezüg lich der Anzah l der Könige Persiens und der Dauer der Zeit des Tempels bis zum Griechenzug auf die Methode der Baraita Seder ʽOlam vertraut (sie ist es jedoch auch, auf der a ll unsere Lehre [ ‫ ] תלמודנ ו‬basiert), was aber bei der Berechnung der Zeitabschnitte zu großen Widersprüchen mit dem einfachen Schriftsinn führen musste, sodass sich dieser Gelehrte, ganz seiner A rt entsprechend, in vielen k lugen und verständigen Worten ergehen musste. 3 Somit und aufgrund a ll des Gesagten wird uns der Satz : „Esra schrieb sein Buch und die Genea logie der Chronik bis auf seine 1 L ies 2 Vg l.

‫ מאוחר‬statt ‫מאחד‬.

De’ Rossi, The Light of the Eyes, 456, der auf SOR 30 (hg. v. R atner, 68b–69a) verweist. 3 I n SOR 30 (hg. v. R atner, 68b) : „ Kyrus ist Darius ist A rtaxerses.“

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eigene“ (bBB 15a) hinsichtlich seines Inha ltes und seiner Formulierung voll kommen einsichtig. Die Mishna erwähnt die beiden Bücher in ihrem Kommentar, da sie zu Beginn eine Einheit bi ldeten, stets gemeinsam, und man meinte, dass sich in den ChronikBüchern, wei l in ihnen die Listen und die Genea logien bis Esra vorhanden sind, eine Korrektur der uns heute vorliegenden Reihenfolge findet. Was man in den genea logischen Schriftrollen vorfand, näm lich ein wenig aus den Tagen Davids und ein wenig aus den Tagen der gerechten Könige Jotam, Hiskia und Joschija, dies fand man zum größten Tei l vertauscht, feh lerhaft oder in verwischter Schrift (wie es auch über sie einma l in einer Erk lärung geschrieben steht : und diese Worte sind sehr alt [ 1 Chr 4,22 ]) – es war aber möglich, diese [ Schriften ] nach bestem Vermögen zu verbessern, sodass sie bis zu ihrer Zeit selbst weitergeführt werden konnten. Doch aus Gründen und Umständen, die uns verborgen bleiben, die aber das gesamte Buch betreffen, wurden ausgerechnet die Genea logien in ihm nicht von diesem Durcheinander und dieser Konfusion verschont. Vielleicht rührt dies a lles aber auch daher, dass man [ d iese Genea logien ] in späterer Zeit kürzen musste; und es sei hier nur auf die Vertauschung einer Schriftnotiz über die Beziehungen zwischen einigen Stammeshäuptern zu ihrem Eigentum und ihrem Grundbesitz in Jerusa lem sowie in den übrigen Städten in den Chronik-Büchern (1 Chr 9,2) und an einer Stelle im Buche Nehemia (Neh 11,3) hingewiesen. Auf diese Vertauschung haben auch schon die Rabbinen, seligen A ngedenkens, mittels der ihnen eigenen Methode der Aggada hingewiesen, indem sie sagten : „Das Buch der Chroniken wurde nur überliefert, um es auszu legen“ (Wa R 1,3 [ 8 ]). Doch in dem Diktum und in der Ausdrucksweise des [ oben zitierten ] Lehrers „bis auf seine eigene“ (bBB 15a), in dem Nehemia überhaupt nicht erwähnt wird, liegt die zweite A ngelegenheit besch lossen, von der wir sprachen, dass näm lich einige der Genealogien und Listen in dem Gesamtwerk bis zum Ende der Perserherrschaft weitergeführt wurden, wovon sich noch Reste in beiden Geschichts- und Genea logiebüchern (so wie sie uns vorliegen) nachweisen lassen. Ebenso finden sich Listen der oben angeführ-

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ten Ereignisse, von denen wir zeigen konnten, dass sie notwendigerweise oder sehr wahrschein lich später a ls Esra und Nehemia a ls Fortsetzung jener drei Generationen entstanden sind. | 128

Erk lärung einer anderen Stelle aus der erwähnten Baraita : „Die Männer der Großen Versamm lung schrieben das Buch Ezechiel, das Dodekapropheton, Daniel und das Ester-Buch“ : Da wir uns in der Pforte lange mit den guten und rechtschaffenen Maßnahmen aufhielten, die man zur Errichtung der Nation im Verlaufe der Zeit und im Geiste der Gemeinschaft durchgeführt hatte, die man im Laufe der Jahre a ls Große Versamm lung bezeichnete, erscheint uns hier der richtige Ort dafür zu sein, einen weiteren Abschnitt aus der erwähnten Baraita, der durch ein besonders a ltes Zeichen in Erinnerung ist, zu erk lären. Er lautet : „Die Männer der großen Versamm lung schrieben das Buch Ezechiel, das Dodekapropheton, Daniel und das Ester-Buch“ (bBB 15a). Doch es scheint, a ls hätten dies die Verfasser der Gemara behauptet, was auch an dem mnemotechnischen Merkzeichen ‫ קנד"ג‬ersichtlich ist, das auf die Überlieferung [ der Baraita ] und ihren Wert hindeuten soll.1 Wir müssen daher, bevor wir zu ihrer Erläuterung fortschreiten können, etwas von dem von uns in der Pforte über die Zusammensetzung dieser hei ligen Gemeinschaft Gesagten rekapitu lieren. Und zwar Folgendes, dass sich, nachdem Esra und Nehemia nach Jerusa lem gekommen und der Bau der Mauer für die Stadt im Monat Elu l des zwanzigsten Jahres des A ratachschasta beendet worden war, a lle Priester, Fürsten und Großen des Vol kes im Monat Tishri versammelten und die Tora an lässlich der Festversamm lungen a ls Recht verlasen. A m Ende des Festes sch lossen sie einen Bund vor Gott und verfassten ein Beglaubigungsschreiben, in dem sie niederschrieben und festhielten, dass sie auf den Wegen der Tora wandeln und dass sie die in der Vergangenheit begangenen Übertretungen, die in der Gemeinde der Rückkehrer aus der Verbannung im Laufe dieser über sechzig Jahre seit 1 Vg l.

bBB 15a mit Tosafot s. v. we-ʽa l.

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der Wiedererrichtung des Tempels, in der sie sich stark vermehrt hatten, aufgekommen waren, unterbinden wollten. Die Rabbinen, seligen A ngedenkens, bezeichneten jene Versamm lung mit dem Namen „knesset ha-gedola“ (aus Gründen, die wir oben erläutert haben), und sie gingen von der A nnahme aus, dass es in jener Zeit noch insgesamt 120 Priester gegeben hat, worunter sich auch einige Propheten befunden hätten. Und dies nicht nur, wei l ihre A nfänge und ihre Entstehung in der Zeit des Esra und Nehemia sowie in der des Eljaschib, des dritten Hohepriesters am Tempel, in der Bibel angedeutet werden (Neh 8,13). Denn nachdem die Schrift dargelegt hat, dass man die Tora am Neujahrsfest öffentlich verlesen und k lar verständ lich dargelegt hatte (was auf den A nfang der Verordnung zur Verlesung der Tora zusammen mit Targum an Shabbatot und Festtagen hinweist), erwähnt sie außerdem : Und am zweiten Tage versammelten sich die Stammeshäupter des gesamten Volkes, die Priester und Leviten, zu Esra, dem Schreiber (in seinem Haus), um aufzumerken auf die Worte der Tora (Neh 8,13). In der Tat wird in der Schrift noch auf weitere ihrer A ktivitäten und auf einige ihrer guten Verordnungen, die in der Tradition erläutert werden, Bezug genommen, worauf wir bereits in der Pforte hinwiesen hatten. Es wird daran ersicht lich, dass diese Versamm lung über einige Generationen hinweg eine feste Institution geblieben ist, sodass die Verstorbenen stets durch andere Weise und Soferim ersetzt werden mussten; sie waren Schü ler des Esra und seiner Gefährten, der ersten Soferim, gewesen. Auf diese Weise verfuhren sie vier Generationen ungefähr 116 Jahre lang, bis zu Jaddua, dem letzten Priester, der in den Schriften erwähnt wird und in dessen Tagen die Griechen vorrückten; und danach noch vier volle Generationen lang unter der Herrschaft der Griechen bis zum Geschlecht von Shimʽon II., des Sohnes des Onias II., ungefähr bis zum 120. Jahr nach griechischem Zeitmaß und Berechnung. Von den Rabbinen wurde er Shimʽon ha-Ṣaddiq genannt; ihn und A ntigonos, seinen Schü ler, bezeichnete man a ls „die letzten der Soferim und die ersten der shone ha lakhot“. Dama ls hörte die Versammlung der Soferim auf zu bestehen, und es begannen die Notzeiten unter der Herrschaft der Griechen aus Syrien, der die grausame

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Verfolgung des Tyrannen A ntiochus folgte, und die Tage des Befreiungskrieges. Nachdem die Hasmonäer vom Jahre 160 an den Sieg davon trugen und im Jahre 170 das Joch der Griechen abgeschüttelt worden war, konnte der Gerichtshof der Weisen, der „bet din shel ḥashmonai“ (bSan 82a) genannt wurde, gegründet werden; er währte ungefähr bis zum Jahre 200. Man nannte die Weisen dieser ersten Generationen von Soferim, die noch Schü ler des Esra gewesen waren und noch zur Zeit der persischen Herrschaft gelebt hatten, die ursprüng liche Große Versamm lung [ ʽ iqar knesset ha-gedola ]; die Generationen danach, die unter der Herrschaft der Griechen gelebt hatten, Reste der Großen Versamm lung [ sheyare knesset ha-gedola ] (m Av 1,2). Auch Shimʽon, der in der Zeit der Griechennot lebte, gehörte zu den Resten der Großen Versamm lung.* Doch wisse, verstehe und erinnere dich an a ll dies, denn darin liegt der Sch lüssel und die Lösung für  Da dies wichtig ist und eine Sch lüssel frage darstellt, um die sich viele Auslegungen, auf die wir Bezug nehmen, drehen, sehen wir es a ls richtig an, hier vor den Gebildeten auch die ein leuchtendere Vermutung in Erinnerung zu rufen, mit der ein Opponent uns entgegnen könnte : Wenn du anerkennst, was du über die Jahre der persischen Könige und die Reihenfolge der Hohepriester während des Zweiten Tempels bis zu den Tagen der Verfolgung und des K rieges sagtest, so stimmt dies nicht mit dem überein, was unsere Weisen diesbezüg l ich in a ll ihren Büchern und vor a llem in der Megi llat Taʽanit [ Schol ion zum 21. K islew, hg. v. Noam, 152 ], die auch in der Gemara (bYom 69a) zitiert wird, sagten, näm l ich dass Shimʽon ha-Ṣaddiq in den Tagen des A lexander lebte. Wenn dem aber so war, dann müsste es sich eigent l ich um Shimʽon ha-Ṣaddiq, a lso um Jaddua selbst, gehandelt haben, der A lexander entgegengezogen ist, a ls dieser den Worten Yosefs [ des Priesters; Josephus ] zufolge auf dem Weg nach Ägypten gewesen ist. Oder es handelte sich tatsäch l ich um Shimʽon I., den Enkel des Jaddua, zu dessen Lebzeiten man mit der Zäh lung nach der griechischen Zeitrechnung begonnen hatte, sodass seine el f Jahre in die Zeit nach dem Tode A lexanders anzusetzen sind und er derjenige Shimʽon war, den Yosef a ls den Gerechten bezeichnete. Doch woher nimmt man dann, dass dieser in der Mishna Avot nach den Resten der Großen Versamm lung erwähnte Shimʽon ha-Ṣaddiq der zweite dieses Namens war ? K ann man etwa annehmen, dass diese Versamm lung danach weitergeführt wurde oder dass, gemäß deiner Ausdrucksweise, die Generationen der Soferim bis zum 102. Jahr nach griechischer Zäh lung andauer*

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die Beseitigung vieler Zweifel und die glaubwürdige R ichtigstel129 lung | großer Ungereimtheiten in der schrift l ichen und münd l ichen Überlieferung. Nach dieser Darlegung über das Verständnis der Rede von der Großen Versamm lung folgt eine Erläuterung der Verschriftlichung des Dodekaprophetons. 1. Es kann auch kein Zweifel darüber bestehen, dass Esra selbst zur Großen Versamm lung gehörte, ja dass er ihr Gründer gewesen ist. A llerdings ist es frag lich, in welchem Sinne der Terminus „knesset ha-gedola“ verwendet wurde, näm lich ob nur in Bezug auf die Versamm lung oder in Bezug auf a lle Soferim, die nach Esra lebten. Darüber hinaus gab es auch eine Meinungsverschiedenheit bezüglich der Interpretation der Zäh lung der hei ligen Schriften, ob Esra sein Buch und die Chroniken selbst geschrieben hat oder die Männer der Großen Versamm lung. Man lasse sich aber ten ? Doch darauf wollen wir wahrheitsgemäß mit Hi l fe der Informationen, die uns in der Megi ll at Taʽanit und in der erwähnten G emara mitgetei lt werden, antworten. Denn diese weisen darauf hin, dass der Name des erwähnten Königs tatsäch lich A lexander, der Makedonier, war, denn zu dieser Zeit hatte es noch gar keinen A n lass für eine Zerstörung des Berges Garizim gegeben. Es war ja gerade umgekehrt, dass die A nfänge der Errichtung einer Ku ltstätte auf diesem Berg auf sein Geheiß hin unternommen worden waren, nachdem er dem Manasse, dem Verräter seines Bruders Jaddua, eine Erlaubnis dafür gegeben hatte. Der erste aber, der den Tempel der Samaritaner zerstört hatte, war Johannes Hyrkanos, was a lles hin längl ich bekannt sein dürfte. Und so müssen wir festha lten, dass die [ erwähnte ] Baraita zu den durch eine frühe Textkorruption gestörten gehört. Sei dem wie dem sei, so müssen wir dennoch mit einem guten A rgument belegen, dass der Shimʽon ha-Ṣaddiq in Mishna Avot, der nach den Resten der Großen Versamm lung erwähnt ist, derselbe Shimʽon gewesen ist, der im Jahr 102 der Griechen gelebt hat, dass er auch nicht der Hohepriester Jaddua war und auch nicht Shimʽon I., der zur Zeit des Kommens der Griechen, zu Beginn ihrer Regentschaft lebte. Bezüg l ich dieser bereits behandelten Frage besitzen wir sch lagende Belege in der Pforte über den „Ursprung der Kommentare und der Ha l akha nach der münd l ichen L ehre“, doch wollen wir hier nur zwei von ihnen erwähnen : 1. Schü ler dieses Shimʽon war ein A ntigonos, a lso jemand mit einem wahrhaft griechischen Namen, und es geschah sicherl ich nicht erst in seinen Jugendjahren, dass er seine Lehre von ihm erha lten hat. Außerdem wird in seinem berühmten weisheit l ichen Lehrsatz bereits

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nicht in die Irre führen, wei l der Satz „die Männer der Großen Versamm lung schrieben“ usw. vor dem Satz „Esra schrieb“ usw. steht, denn an dieser Stelle geht auch Jeremia dem Hiskia und seiner Gefolgschaft voran. Gewiss geht es näm lich in diesem Abschnitt der Lehre, die mit der Frage „und wer schrieb“ beginnt, nicht um eine den Lebensdaten der Autoren entsprechende chronologische Reihenfolge, sondern nur um eine Reihenfolge, die der Anordnung der Bücher, die Abschnitt für Abschnitt niedergeschrieben wurden, folgen soll, sodass Ezechiel in der Reihenfolge der hei ligen Schriften dem Buch Esra voransteht. Und daher kommt es, dass der Satz „die Männer der Großen Versamm lung schrieben Ezechiel “ usw. dem Satz „Esra schrieb sein Buch“ usw. voransteht. – Es ist aber voll kommen undenkbar, dass die Generationen der Soferim nach Esra die ersten gewesen sein sollen, die jene Prophetien aufgrund die Bezeichnung „ Himmel “ synoynm für Gott, er sei erhaben, verwendet, was sich nicht an jeder Stelle der Schrift fi ndet, sondern auf griechischen Sprachgebrauch zurückgehen dürfte. Wie konnten sich in Israel und in seinen Gebieten aber griechischer Sprachgebrauch und Namen in diesem Ausmaße und in so kurzer Zeit ausbreiten, wenn es in der Mishna bereits um den Hohepriester Jaddua oder sogar um Shimʽon I. in den ersten vierzig Jahren der Königsherrschaft der Griechen hätte gehen sollen ? 2. Yose ben Yoʽezer, der von A ntigonos empfi ng und auch von seinem Lehrer Shimʽon (nach der korrekten Lesart „Yose ben Yoʽezer usw. … empfi ngen von ihm“ [ m Av 1,4 ]), wurde in der Zeit der Verfolgung durch den Griechen Bakchides getötet, a ls dieser gegen die Unterdrücker hetzte, was auch in den Midrashot [ sic !, Midrashim, Auslegungen ] erläutert wird. Dies geschah im Jahre 151 der Griechen, wie in den Chroniken der Hasmonäer erläutert wird. Daraus ist aber k lar zu beweisen, dass der Shimʽon, den unsere Mishna erwähnt und der zu den letzten der Großen Versamm lung gehört hat, der zweite, der Sohn des Onias II., gewesen sein muss, jener Hohepriester a lso, der bis kurz vor der Zeit der Verfolgung und des K rieges lebte. So dachte im Übrigen auch der Verfasser des Seder ha-dorot, [ Y. Hei lprin, K arlsruhe 1769, 35a ], indem er schrieb : „ Daher kann es nicht sein, dass die Männer der Großen Versamm lung in einer anderen Zeit oder in einem anderen Gesch lecht lebten, die mindestens aber acht Generationen lang währte.” A llerdings irrte er in der genauen Berechnung ihres Beginns, den er auf Yehoshuaʽ, das Haupt der Familie, festgesetzt hat. Die acht Generationen dürfen aber erst ab Eljaschib, seinem Neffen, gezäh lt werden, wie wir es erläutert haben.

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münd licher Überlieferungen aufgeschrieben haben. Im Buche Habakuk heißt es ausdrück lich : Schreibe die Offenbarung deutlich auf zwei Tafeln, auf dass es geläufig sei dem Leser (Hab 2,2) – d. h., hier ist eindeutig vom Aufschreiben die Rede, und zwar im Bezug auf jene kurzen Prophetien von nament lich bekannten Propheten, die den Soferim überliefert worden waren. Sie wurden eine nach der ande130 ren |, gesondert oder in k leineren Schriftstücken aufgeschrieben, sei es nun, dass dies die Männer der Großen Versamm lung taten oder die Soferim seit den Tagen des Esra. Sie waren es, die auf diese Weise die kompletten Bücher schufen, damit einzel ne [ Prophetien ] nicht verloren gingen (wie es auch in der Gemara angedeutet wird). Die hinsichtlich ihrer Abfassungszeit bekannten [ Bücher ] ordnete man aber entsprechend den Lebenszeiten [ der Propheten ] an, von Hosea, der für uns der erste nach Mose, über ihn Friede, war und der erste, der spezielle Prophetien in einer eigenen Schrift festga lten hat, bis zu Ma leachi, der den Absch luss der deutenden und namentlich bekannten Propheten bi ldete. Bei ihrer A nordnung wei lte aber der hei lige Geist unter ihnen, denn sie benötigten göttliche Hil fe dafür, insbesondere jene, die bereits a lt und hinsichtlich ihrer Sprache antiquiert erschienen. (Einen gewissen Beleg für diese Unterstützung der Soferim bei ihrer Niederschrift des Buches mag man darin fi nden, dass von König David berichtet wird, er sei einma l zu Hosea und zweima l zu A mos gegangen. Beide gehörten bekannt lich noch zu den ersten Propheten, wobei man an diesen Stellen das Wort „David“ mit einem zusätz lichen yud geschrieben hat, wie ansonsten nur im Buche Esra und in den Chronik-Büchern sowie dann noch sechs weitere Ma l in den absch ließenden Kapiteln des Buches des Propheten Sacharja.) Fa lls man mittels Exegese eines Verses in diesem Buch eine Stütze für diese Überlieferung fi nden möchte, a lso dafür, dass die Samm lung der zwölf [ Prophetenbücher ], wie wir sie kennen, auf die Generationen der Versamm lung in der Zeit nach Esra zurückgeht, wird sofort k lar, dass es unmöglich ist, diese Sammlung a llein in die Zeit der Verbannung bzw. in die Zeit vor Wiedererrichtung des Tempels zu verschieben, zuma l sich im Dodekapropheton auch die Prophetien des Haggai und Sacharja fi nden, die vom zweiten

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Jahre des Darius an ergingen, sie folglich zu den Erbauern des Tempels zu rechnen sind. Man kann die Samm lung auch nicht Haggai und Sacharja selbst zuschreiben, denn nach ihnen werden noch die Prophetien des Ma leachi angeführt, aus denen ersicht lich ist, dass der Tempel bereits lange vor ihnen wiedererrichtet worden war. Sie entha lten außerdem Unheilsprophetien gegen die Priester, gegen die Heirat mit fremden Frauen und gegen ihren Umgang mit dem Zehnten und mit der Priesterhebe, was a lles zu den Tagen des Esra und Nehemia passt, während dies in den Büchern Haggai und Sacharja nicht erwähnt wird. Wir hatten jedoch bereits darauf hingewiesen, dass vom Jahre 6 des Darius, nachdem der Tempel vollendet worden war, bis zum Auftreten Esras, im siebten Jahr des Aratachschasta, vierundfünfzig Jahre verstrichen waren, in denen sie wieder zu einem Vol k wurden, nachdem sie zu Beginn nur eine sehr k leine Gemeinde gebi ldet hatten. Es hatten aber auch die verschiedenen Übel zugenommen, die dann von Esra und Nehemia, den beiden guten A nführern, ausgewetzt werden mussten. Deutlich wird dies auch an der folgenden Schriftstelle : Bringet alle Zehnten in das Schatzhaus, dass Vorrat sei in meinem Hause (Ma l 3,10) – dies weist darauf hin, dass man schon dama ls Zehnt in die Kammer im Tempel zu bringen pf legte, was eine neue Verordnung war, die es vor Esra und Nehemia in Israel nicht gegeben hatte. Und sogar in dem Beglaubigungsschreiben war noch nicht verordnet worden, dass den Priestern ein Teil von dem Zehnt zustand, den die Leviten in a llen Städten erhoben hatten. Doch danach erließen sie eine Verordnung bezüg lich des Herbeitragens des Zehnten in die Kammer des Tempels, und dass er durch priesterliche und levitische Beamte vertei lt werde. Doch dieser Brauch wurde, a ls Nehemia in Persien wei lte, aufgegeben und erst mit seiner Rückkehr wieder eingeführt. A ll dies wird uns in einem Kapitel über den Ausgleich zwischen einigen Schriftstellen und die Meinungsverschiedenheiten über die rabbinischen Stellungnahmen dargelegt werden. Tatsäch lich scheint [ jedenfa lls der folgende Satz ] auf einer a lten Überlieferung (nicht etwa auf einem Midrash Aggada) zu beruhen : „Ma leachi ist Esra“ (bMeg 15a). Er ist aber verständig aufgenommen worden, wei l man meinte, Esra wolle auf diese Weise eine

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Grenze zwischen seiner Tätigkeit für das Heiligtum und für die Niederschrift und Unterweisung in der Tora sowie seiner prophetischen Tätigkeit a ls A nk läger und Visionär der Zukunft ziehen. Er nannte sich aber Ma leachi, weil der Priester in dieser Prophetie einige Ma le ma l ’akh [ Bote ] genannt wird [ vgl. Ma l 2,7; 3,1 ]. Wie dem auch sei, offensichtlich darf man die Prophetie des Ma leachi und auch die zu letzt diskutierte a llgemeine Versamm lung nicht früher ansetzen a ls das Jahr 12, auf jeden Fa ll mitten in die Zeit des Esra und Nehemia und an das Ende der Tage des A ratachschasta. Wir haben damit a llerdings noch nicht das Problem ausgeräumt, warum man diese Versamm lung nicht dem Esra zugeschrieben hat, warum man sie viel mehr mit den Tagen der auf ihn folgenden Schriftgelehrten in Verbindung brachte. Der gelehrte Leser möge dazu nun unsere These zur Kenntnis nehmen. Eine grund legende A nnahme unserer Weisen [ der Rabbinen ] an vielen Stellen ist, dass, nachdem die letzten Propheten Haggai, Sacharja und Ma leachi gestorben waren, das Sehertum aufgehört hatte und die Prophetie von Israel gewichen war. Ihre diesbezüglichen Äußerungen sind zweifelsohne k lar und eindeutig, wobei sich dies natürlich nur auf die hinsicht lich ihrer Prophetie berühmtesten, auf die begnadeten und nament lich bekannten unter den Propheten des Herrn bezog. So wie es in der Schrift heißt : Und es erkannte ganz Israel von Dan bis Beer Sheva, dass Samuel als Prophet dem Herrn bewährt sei (1 Sam 3,20). Trotzdem ist es natürlich denkbar, dass das Wort des Herrn auch nachher einzelnen seiner Verehrer offenbart wurde, sie zufä llig [ erei lte ] oder sogar für eine gewisse Zeitspanne [ auf ihnen ] der Geist ruhte, und daher mag [ die Prophetie ] sogar noch ungefähr hundert | Jahre oder mehr bzw. vier Generationen lang so weitergegangen sein. Der Leser achte einma l auf die Worte in der Liste des Nehemia : Auch hattest du Propheten aufgestellt, dich auszurufen usw. (Neh 6,7); und ich erkannte, dass ihn Gott nicht gesandt; denn die Weissagung sprach er nicht über mich (Neh 6,12); auch Noadja, der P rophetin, und den übrigen P ropheten, die mir bange machen wollten (Neh 6,14). Durch Sätze wie diese, wird dem Leser deutlich, dass, selbst wenn es zu jener Zeit auch nicht mehr viele Visionen gab, die Prophetie dennoch nicht voll kommen ver-

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schwunden war. Es gab a lso noch wahre Prophetie, und daher gab es an sie auch noch den üblichen A nspruch in Israel, auch wenn die traditionelle Form der Prophetie zweifelsohne bereits immer weiter im Schwinden begriffen war.* Dieser A nnahme folgend ist es nun nicht ferne liegend, dass man in dieser unserer Samm lung auch irgendwelche Propheten-Worte fand, die erst nach Esra gesprochen worden waren. Und die Tradition dieser Baraita, die die Sammlung mit dieser Annahme kombiniert, soll uns dafür Beleg genug sein. An dieser Stelle wollen wir darauf hinweisen, dass unser Hauptinteresse an a ll diesem nur den speziellen Prophetien gi lt, die am Ende des Sacharja [-Buches ] bzw. in seinem zweiten Teile stehen (Sach 9 – 14). Denn jeder verständige Leser dürfte durch ihren besonders mystischen Stil und ihre phrasenreiche Sprache, die sich von a llen anderen voranstehenden Prophetien des Sacharja unterscheidet, verstört werden. Da man sie nicht einma l mit den Worten des Ma leachi verg leichen kann, die darauf folgend in der Sammlung stehen, dürften sie woh l von einem anderen Propheten stammen, dessen Name uns unbekannt geblieben ist.  In einer Baraita, die in der Gemara [ des Traktates Megi lla ] (bMeg 17b) angeführt wird, fi ndet sich folgender Ausspruch über die Große Versammlung : „Hundertzwanzig Greise, unter ihnen viele Propheten, ordneten die achtzehn Segenssprüche nach ihrer Reihenfolge an.“ Im Yerusha l mi des Traktates Megi lla, erstes K apitel, heißt es [ yMeg 1,7 (70d) ] : „ Fünfundachtzig Greise, und unter ihnen dreißig oder sogar mehr Propheten“. Was mit dieser gut bezeugten A nzah l von fünfundachtzig zum Ausdruck gebracht werden sollte, war, dass sich dies auf die Unterzeichner der Beg laubigungsurkunde und des Bundes am Tag der Gründung der Versamm lung bezog, doch die Zah l der Unterzeichner ist in der uns vorl iegenden Fassung dreiundachtzig. Es ist insofern offensicht l ich, dass dort (10,10) zwei Namen fehlen; in der Baraita ergänzte man die A nzah l von 120 mittels der Propheten. Die richtige Lesart muss dort jedoch lauten : „mit ihnen“ [ ‫] עמהם‬, und zwar aufgrund der A nnahme, dass auch Haggai und Sacharja an der Versammlung tei l nahmen, obwoh l sie nicht zu den Unterzeichnenden hinzugezäh lt werden, und auch Esra und der Hohepriester Eljaschib nicht zu den Unterzeichnenden gehörten. Nach dem L itera l sinn und nach Berechnung [ der Chronologie ] waren Haggai und Sacharja zur Zeit dieser Veransta ltung aber bereits verstorben. *

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Wenn wir nun aber unsere Aufmerksamkeit auf die Erläuterungen jener Prophetien lenken, wird ersicht lich, dass a lle bedeutenden frühen Kommentatoren, seligen A ngedenkens – Rashi, Ravad aus Toledo in seinem Sefer Qabba la, Rabbi Dawid Qimḥi und Rabbi Ibn Ezra –, diese Prophetien entsprechend ihres Litera lsinns mit Blick auf die Zeit des Zweiten Tempels auslegten, insbesondere im Hinblick auf die griechischen Könige und die Geschehnisse, die uns unter ihnen zugestoßen sind. Einige haben ihre Erk lärungen einzelner Abschnitte a llerdings über die Zerstörung [ des Tempels ] hinaus ausgeweitet, andere nur bis zum Sieg der Hasmonäer. Unserer Meinung nach ist es aber gar nicht mög lich, sie en detail zu erläutern, diese Prophetien umfassend zu erk lären, a lles, was sich in ihnen angedeutet fi ndet, Gleichnisse und A llegorien, die die Taten und ihrer Täter spezifizieren, bis zu A ntiochus dem Großen : Er war es, der im Jahre 114 der Griechen die Ägypter und ihre Königin besiegte, a ls Ptolemäus V. noch ein K nabe war. Von da an kam das Land Israel unter die Herrschaft der Griechen in Syrien, nachdem es zuvor mehr a ls hundert Jahre unter der Herrschaft der Griechen in Ägypten gestanden hatte. Das A n liegen und die Bedeutung unserer K ritik dieser Zeit wird auch an dem im Buche Daniel A ngedeuteten k lar : Und kommen wird der König des Nordens (Syriens) … und die Armeen des Südens (Ägypten) werden nicht widerstehen (Dan 11,15), und er wird sich aufstellen im Lande des Ṣevi (das Land Israel) und Vernichtung in seiner Hand (Dan 11,16). Und dies ist hin länglich in der Pforte erläutert. Wisse aber auch, dass der wichtigste Grund, der die Kommentatoren zu ihrer Auslegung veran lasste, der bereits erläuterte Vers ist : Ich erwecke deine Söhne, Zion, gegen deine Söhne, Griechenland (Sach 9,13). Und dementsprechend legten a lle auch den folgenden Vers aus : Über die Hirten ist mein Zorn entbrannt (Sach 10,3) – dies bezieht sich auf die Könige Griechen lands. Und ebenso die Schriftstelle : Und gebeugt wird Assurs Stolz, und der Stab Ägyptens entweicht (Sach 10,11). Aus a ll diesen Worten ist jedoch ersicht l ich, dass der Prophet die griechischen Könige oder Seleukiden in Syrien mit dem Namen Assur und die griechischen Könige oder Ptolemäer | in Alexandria mit dem Namen Ägypten identifiziert, und dies ist ein-

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leuchtend und unstrittig. Ebenso verfährt er in dem Schriftvers : Denn ich habe mir Juda gespannt, als Bogen gefasst Efraim (Sach 9,13). Dazu bemerkte man, dass dies Bezeichnungen für Israel im Lande Judäa und für Israel jenseits des Jordan, in Ga liläa und in den Ländern der Völ ker seien, und auch dies ist sicher richtig. Es ist aber angebracht, den Verstand des Interessierten noch auf den Inha lt des A nfangs von Kapitel 13 hinzuweisen, wo es um das in Kürze bevorstehende völlige Ende der Prophetie geht, wonach sich jeder, der damit fortfährt, nicht nur von Seiten der Herrscher und A nführer in Gefahr begibt, sondern auch von Seiten seiner Familie. Dies geht sogar soweit, dass der Prophet sagt : [ Und es geschieht, so jemand noch weissagt, sprechen zu ihm sein Vater und seine Mutter, die ihn gezeugt : Du sollst nicht leben, denn Lüge hast du geredet im Namen des Ewigen ! ] Und es werden ihn durchbohren sein Vater und seine Mutter, die ihn gezeugt, da er weissagt (Sach 13,3). Ebenso diese geheimnisvolle Stelle : Und schaut auf mich, der durchbohrt und über den man Totenklage gehalten hat (Sach 12,10) – vielleicht geht sie aber auf einen skeptischen K ritiker der Prophetie zurück, der damit das Vol k aufrütteln wollte, und der in jener Zeit getötet worden ist. Dafür gibt es sogar einen Beleg in dem im Buche Daniel vom Ergehen des A ntiochus des Großen Berichteten : Und in selbigen Zeiten werden viele aufstehen wider den König des Südens, und die abtrünnigen Söhne deines Volkes werden sich erheben, um festzustellen das Gesicht, aber sie straucheln (Dan 11,14). Es ist aber eine k lare Erkenntnis, dass a lle Schwierigkeiten und großen Widersprüche in diesen Prophetien a lles in a llem daher rühren, dass in ihnen nur Details gewisser Ereignisse angedeutet werden, die dem Vol k und seinen Führern in den ersten hundert Jahren der griechischen Herrschaft zugestoßen sind. Wie z. B. die drei Hirten, die in einem Monat verstarben (d. h. in sehr kurzer Zeit; dies bezieht sich aber nach Meinung der besten Kommentatoren auf die drei Hohepriester, die A nführer des Vol kes zu jener Zeit), der Stab Noam und der Stab Hobelim [ vgl. Sach 11,10.14 ], die dreißig in den Tempelschatz geworfenen Silberstücke [ Sach 11,12 ] und der törichte Hirte [ Sach 11,15 ]. Und selbst Rashi, seligen A ngedenkens, und andere Kommentatoren wäh lten diese detai llierten

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A llegorien, um sie nach der A rt des Ezechiel a ls Hinweise auf die Taten der Könige während des Ersten Tempels zu erk lären. Doch ihr Sinn ergibt sich nicht a llein aus der Erk lärung dieser Verse. Nun wollen wir aber noch genauer betrachten, dass man aufgrund des in der vorangehenden A nmerkung erläuterten Grundsatzes nicht davon ausgehen kann, jene Prophetien wären überhaupt von Sacharja oder in der Zeit unmittelbar nach ihm entstanden – in der Zeit des Darius, des Tempelerbauers, und in der Blüte- und Erfolgszeit der persischen Herrschaft, der keine vergleichbare Epoche mehr folgte. Doch wie konnten die Israeliten überhaupt einen der tausend Hassausbrüche verstehen, mit denen sie durch eines der beiden griechischen Reiche, a ls sie das Lande besetzt hielten, konfrontiert wurden – sie kannten ja noch nicht einma l die Herkunft und den Namen jenes heidnischen griechischen Vol ksstammes ? Dies ist aber, was mit dem Schriftvers gemeint ist : Die ihr die Söhne Judas und die Söhne Jerusalems verkauft habt an die Söhne Griechenlands, um sie wegzuführen fern von ihren Grenzen ( Joel 4,6). Daraus ist für den Verständigen abzu lesen, dass auch die Prophetien des Joel nicht zu den ä ltesten gehören und dass sie auf keinen Fa ll früher a ls Esra entstanden sind – was ihre Erk lärung an dieser Stelle a llerdings in die Länge zöge, und dies ist für unser gewünschtes Ziel nicht notwendig. Nicht a llein aufgrund dieses Verses entsteht a llerdings der Eindruck, dass die Griechen a ls ein weit entfernt, im Meer-Land [ medinat ha-yam ] wohnendes Vol k betrachtet wurden, ohne dass man an die Möglichkeit dachte, sich mit ihnen zu verbünden.1 Rashi legte die Verse (Sach 9,12 – 13) Ja, heute erstatte ich die zwiefache Verheißung. Denn ich habe mir Juda gespannt, als Bogen gefasst Efraim, und ich erwecke deine Söhne, Griechenland folgendermaßen aus : „Noch heute erstatte ich dir eine weitere Verheißung außer der in Bezug auf die Errichtung des Tempels; doch welches war dieses zweite Geheiß, welches ich ihnen wiederum verkünde ? Denn ich habe mir Juda gespannt usw., [ d ies deutet darauf hin, ] dass die Söhne Griechen lands am Ende die Herrschaft von den persischen 1 Vg l.

hierzu Lehnardt, Bibl ica l Criticism, 70.

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Königen übernommen haben und ihnen zu Hirten wurden; und ich habe mir Juda gespannt, als Bogen gefasst, auf dass sie die Griechen in den Tagen der Hasmonäer bekriegen mögen.“1 Er bemerkte a lso die Schwierigkeit und versuchte sie durch seine passende Umschreibung zu glätten, wie er auch der durch die angedeuteten Einzelheiten verursachten Verwirrung und der Erk lärung der Vergangenheit zu entkommen suchte. Doch was machen wir angesichts der Tatsache, dass sich in dieser Schriftstelle und auch in den anderen späten Prophetien des Buches Sacharja kein Hinweis auf und keine Notiz über den Fa ll Persiens und die Übergabe ihres Reiches an die Griechen fi ndet, obgleich eine k leine Erinnerung daran wichtig gewesen wäre, um | die A ngelegenheit dem Vol ke verständ lich zu machen, d. h. den Hörern der Prophetie zur Zeit des Darius, der den Wiederaufbau des Tempels erlaubte, oder den Hörern in der Zeit der persischen Könige, die ihm nachfolgten, die uns bekanntlich kein Leid zugefügt haben, worauf bereits Rashi, seligen A ngedenkens, in seinen Ausführungen hingewiesen hatte ? Doch ist es eine andere A ngelegenheit, die uns noch mehr umtreibt und die wir unbedingt festha lten müssen, dass näm lich jener Prophet, der die letzten Prophetien ausgesprochen hat, die im Buche Sacharja stehen, nach dem Tode A lexanders lebte, a ls sich bereits die Herrschaft der Griechen in den Ländern des Orients ausgebreitet hatte. Seine Prophetien wurden aber jener großen Zusammenstellung zugeschrieben, die von den Männern der Großen Versamm lung veransta ltet worden war. Damit ist aber das bezeichnet, was unter der Bezeichnung „Rest der Großen Versammlung“ bekannt geworden ist, und diese Samm lung wird [ insofern ] zu Recht [ auch der Großen Versamm lung ] zugeschrieben. 2. Daniel, der auch a ls werter Mann [ vgl. Dan 10,11 ] bezeichnet wird, lebte in Babylonien und gehörte zu den ersten Verbannten im dritten Jahr des Jojakim, zu Beginn der a llgemeinen Herrschaft der Cha ldäer (zur Problematik dieses Details und zu seiner R ichtigstellung vgl. die Kommentatoren), und seine Zeit wird zu Beginn des Buches mit dem Ende ihrer Königsherrschaft in Verbin1 Miqra’ot

Gedolot, Edition Eshkol, IV 358.

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dung gebracht (Dan 1,21) : Und Daniel blieb bis zum ersten Jahre des Königs Kyrus. Darin besteht keinerlei Schwierigkeit, und wir haben sogar davon Kenntnis, dass er noch a ls K nabe nach Babylonien gekommen war und dort mindestens achtzig Jahre lang gelebt hat, ja wir besitzen genügend Materia l, um a lle Jahre der babylonischen Herrschaft zu rekonstruieren. – Ezechiel, der zu den Verbannten der zweiten Generation, die mit Jojachin gekommen waren, gehörte, erwähnt Daniel in seiner Prophetie gegen Tyrus (Ez 28,3), im elften Jahr seiner Verbannung, welches das Jahr der Zerstörung des Tempels war. Dies bereitet dem erwähnten Weisen a llerdings keinerlei Schwierigkeiten. Denn nach dem, was aus der Namensähn lichkeit mit dem erwähnten Weisen, seinen Auslegungen und Visionen über die Herrscher und Herrschaftszeiten, die Visionen zukünftiger Geschehnisse und Ereignisse ersicht lich ist, bestand darin eine Besonderheit cha ldäischer Weisheit jener Tage, und sie ist es im gesamten Orient auch in späteren Zeiten geblieben. Noch im Buche [ Daniel ] steht über ihn und seine Gefährten geschrieben, dass sie zu den berühmten unter den ersten Vertretern dieser Weisheit gehört haben : Und in jeglicher Geschicklichkeit und Einsicht, welcher der König von ihnen begehrte, fand er sie zehnfach überlegen, all den Zeichendeutern, den Sternsehern, die in seinem ganzen Königreiche waren (Dan 1,20). – A llerdings erwähnt er in seiner Prophetie auch einen Gerechten und gottgeliebten Menschen, einen Retter aus Not und Gefahr (demzufolge lebte er woh l kurz vor den Verfolgungen im Pa last der babylonischen Könige). Und dies ist [ , was über ihn geschrieben steht ] : Und es sind darin diese drei Männer, Noah, Daniel und Ijob; durch ihre Frömmigkeit würden sie ihr Leben retten usw. (Ez 14,14). Aufgrund a ll des über diesen berühmten Mann Gesagten hat unsere Baraita die Niederschrift des Buches, welches nach seinem Namen benannt ist, den Männern der Großen Versammlung zugeschrieben. Wir waren uns des Umfangs des mit diesem Namen Bezeichneten bereits bewusst, und wir wussten auch, dass sich seine Bedeutung nur auf die Samm lung, Verordnung und die R ichtigkeit dieser Niederschrift beziehen lässt. – Wenn wir aber das Buch, welches Daniel heißt, wei l über ihn an seinem Beginn gesprochen wird, a ls Ganzes betrachten, und wenn er es ist, der

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selbst an den meisten Stellen a ls Sprecher auftritt, so erscheint es uns aufgrund dessen, was uns nun vorliegt, dass das Buch aus irgendwelchen separaten Schriftrollen zusammengestellt worden ist. A ngesichts der A rt und Weise, wie die einzel nen Teile sprachlich und inha ltlich redigiert worden sind, ist jedoch nicht mehr zu erkennen, ob es zwischen den einzel nen Teilen Verweise und Bezugnahmen gegeben hat. Die erste Schriftrolle : Der Traum des Nebukadnezar von dem Bild, welches aus verschiedenen ehernen Materia len war, und die Deutung des Daniel. Sie sch ließt mit dem Satz : Und Daniel war im Tor des Königs (Dan 2,49). Die zweite Schriftrolle : Die Errettung der drei Hirten aus dem Feuerofen in den Tagen des Nebukadnezar. Sie sch ließt mit dem Satz : Hierauf machte der König groß den Schadrach, Meschach und Abed-Nego in der medinat Bavel (Dan 3,30). Doch in ihr fi ndet sich keine Erinnerung an Daniel. Die dritte Schriftrolle umfasst die Briefe, die Nebukadnezar an a lle Völ ker der Erde sandte. Der Erzäh ler in a ll diesen ist der König selbst, und zwar in der Sprache der Briefe, die er versandte. Zu Beginn heißt es : Nebukadnezar, der König, an alle Völker, Nationen und Zungen, die da wohnen auf dem ganzen Erdkreise : Eure Wohlfahrt möge wachsen (Dan 3,31) (was hier scheinbar eingefügt und in der dritten Person geha lten ist, weil es über den König berichtet; doch der Verständige wird erkennen, dass dies nur ein Stil mittel ist, um Ehrerbietung für sein Unterfangen auszudrücken). Die vierte Schriftrolle berichtet von dem Gelage des Belschazzar in jener Nacht und die Übernahme der Herrschaft durch den Meder Darius. Die fünfte Rolle : Die Rettung Daniels aus der Löwengrube in den Tagen des erwähnten Darius, | 134 der die Macht in Babylonien vor Kyrus inne gehabt hatte; sie endet mit dem Satz : Und selbiger Daniel war glücklich unter der Regierung des Darius und unter der Regierung des Kyrus, des Persers (Dan 6,29). Diese fünf Rollen sind in aramäischer Sprache und Ausdrucksweise geha lten, einem Aramäisch, welches mit einigen Wörtern Griechisch durchmischt ist. Auch sind sie in chronologischer Reihenfolge angeordnet, von den Tagen des Nebukadnezar über Belschazzar bis Darius, den Meder. Auch wenn es dabei, wie gesagt, keine Verbindung zwischen den einzel nen Schreiben gibt, jede einzel ne

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Schriftrolle vielmehr ihren eigenen A nfang und Sch luss hat, ist es doch wahrschein lich, dass sie zum ersten Ma le von mehr a ls einem Menschen aufgeschrieben worden sind. Sie stimmen darin überein, dass in a llen nicht mehr Daniel a ls berichtender Erzäh ler auftritt. Die sechste Schriftrolle ist zudem noch in aramäischer Sprache verfasst, doch hinsicht lich der chronologischen Reihenfolge geht sie bis in das erste Jahr des Belschazzar zurück; obwoh l von seiner Tötung bereits in der vierten erzäh lt worden war. Der Inha lt ist : Der eigene Traum des Daniel über die vier Tiere und ihre Deutung durch den Engel. A nders an dieser Schriftrolle ist auch die Notiz eines Schreibers zu ihrem Beginn : Im Jahre … schaute Daniel einen Traum, und Gesichte waren um sein Haupt; damals schrieb er den Traum auf, erzählte die Hauptsachen; Daniel hob an und erzählte (Dan 7,1 f.). Von hier ab ist Daniel der Erzäh ler, der über sich selbst berichtet : Ich schaute ein Gesicht usw. (Dan 7,2). Dann folgen noch drei weitere Schriftrollen mit Visionen, die a lle in Hebräisch verfasst sind. Sie sind in chronologischer Reihenfolge angeordnet, und außerdem sind sie mit der sechsten Schriftrolle, die ihnen folgt, verknüpft worden. Die Entstehungszeit dieser vier war das erste und dritte Jahr des Belschazzar, das erste Jahr des Darius, das dritte des Kyrus. Der Erzäh ler in diesen dreien ist wiederum Daniel selbst, der zu ihren Gunsten spricht, dem Inha lt entsprechend. Die siebte Schriftrolle enthä lt die Vision von dem Widder, dem Vogel und seinen Hörnern sowie ihre Erk lärung durch den Engel Gabriel [ vgl. Dan 8 ]. Die achte enthä lt das Gebet über die andauernde Zerstörung Jerusa lems, da Stadt, Vol k und Tempelberg noch zur Schande ihrer Umgebung daniederliegen, nachdem er bereits begriff, dass das Ende der siebzig Jahre, von denen Jeremia gesprochen hatte, gekommen war [ vgl. Dan 9 ]. Die A ntwort auf diese K rise gibt der Engel Gabriel, indem er erk lärt, dass die siebzig keine einfachen Jahre meint, sondern siebzig Brachjahre, in denen von a llem befreit werden wird. A m Sch luss steht eine neunte und letzte Schriftrolle, eine lange Vision : Hinsichtlich ihres Inha ltes muss man eines bedenken, was auch zu den wichtigsten A llegorien in der ersten und in den letzten vier Schriftrollen gehört und worin sie a lle voll kommen übereinstimmen, dass

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mit den vier fremden Königreichen, unter deren umfassende Herrschaft Israel unterworfen worden war, Babylonien, Persien, das Reich des Makedoniers A lexander und das Reich der Griechen in Syrien gemeint sind. Bezüglich des zu letzt Genannten und seiner Könige berichtet [ d iese Schriftrolle ] noch weitere Einzel heiten, bis zu A ntiochus Epiphanes, unserem Verfolger, und über sein übles Ende. Sie sch ließt mit einer kurzen eschatologischen Vision. Doch diese letzte Schriftrolle beginnt mitten in der Perserzeit und verkürzt die Geschichte von A lexander, um dann in einer Vision umso ausführlicher davon zu berichten, was der Mann in weißen Gewändern sagt, und von dem, was die Engel des Nordens und des Südens über die seleukidischen Griechen-Könige in A ntiochia und die ptolemäischen Griechen-Könige in A lexandria, über ihre K riege, Familiengeschichten berichten und wie es zur Vereinigung mit ihnen gekommen ist, zuma l dies ihre Hauptaufgabe gewesen ist. Wie es heißt : Und ich bin gekommen, um dich zu lehren, was begegnen wird deinem Volke in den letzten Tagen (Dan 10,14), und er hä lt sich dann etwas länger damit auf, was er über A ntiochus und sein Ende zu berichten hatte, bevor er mit einem kurzen eschatologischen Ausblick sch ließt. Und bereits in der Pforte hatten wir Erk lärungen für viele dieser Gleichnisse dargelegt. Wenn wir nun aber auf angemessene Weise das oben Gesagte betrachten und damit in Beziehung setzen, was bereits bekannt ist, dass näm lich die griechischsprachigen Juden noch drei weitere Schriftrollen überlieferten, und zwar von dem Drachen Bel und von Susanna (sei es a ls geheiligte in der Heiligkeit der Ketuvim oder auf einer niederen Stufe [ der Heiligkeit ], a llerdings in jedem Fa ll mit einer gewissen Heiligkeit, doch dies ist hier nicht von Interesse) – wir müssen aber von der A nnahme ausgehen, dass im Vol ke über Daniel und über seine drei Gefährten noch zah lreiche weitere Schriftrollen kursierten. Einige von ihnen dürften Wundergeschichten, die sich im Pa last der Könige ereignet hatten, sowie Worte der Weisen und ihre A nempfeh lung entha lten haben; andere werden Visionen und Gesichte der Geschichte unserer Nation und der A nführer der vier Königreiche entha lten haben. Diese weisen Gerechten waren im Vol k schon seit den Tagen der

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babylonischen Verbannung bekannt gewesen. Als aber die Schriftgelehrten a ls Samm ler an ihre Aufgabe herangingen, sammelten und bündelten sie jene Schriftrollen. Und danach schieden sie die 135 drei | in der griechischen Bibel erwähnten vom Rest, und wer weiß, wie viele dem Daniel zugeschriebene Geschichten und Visionen es noch gegeben hat, die ihnen jedoch fremd vorgekommen waren, sodass sie sie a ls „äußere“ beiseiteließen. Daher haben sie nur jene neun Schriftrollen unter die Schriften der hei ligen Bücher aufgenommen; bei ihrer Redaktion verfuhr man folgendermaßen : Man begann die Schriftrolle mit einer Endzeitvision, welche ins zweite Jahr des Nebukadnezar gehörte, und hinter sie stellte man, ebenso aus den Tagen des Nebukadnezar, zwei Schriftrollen mit Wundergeschichten, die keine eschatologische Vision enthielten, und danach zwei Rollen über Wunder, die sie selbst ausgewäh lt haben – die eine vom Ende der Tage des Belschazzar, über seiner Tötung, die zweite aus den Tagen des Darius. Dann kehrte man wieder zu den Visionsschriftrollen zurück, die man entsprechend der Reihenfolge der auf Nebukadnezar folgenden Könige auswäh lte; zwei aus den Tagen des Belschazzar, eine aus den Tagen des Darius und eine aus den Tagen des Kyrus. Auf diese Weise konnte man die überlieferten Schriftrollen so zusammenstellen, dass ein Buch entstand, welches von weiteren Zusätzen und vor jeder Fä lschung geschützt war. A n seinen A nfang stellte man die Genea logie Daniels und seiner drei Gefährten, und zwar dem entsprechend, was über sie zu jener Zeit bekannt war : wie sie in den Pa last des Königs gekommen waren und wie sie a ls Gerechte erachtet wurden, indem sie sich von heidnischen Speisen enthielten, und wie sie die cha ldäische Weisheit studierten und wie sie in ihr zu großer Voll kommenheit gelangten. Diese Eröff nung besch lossen die Schriftgelehrten mit der Nachricht, dass Daniel bis zum ersten Jahr des Königs Kyrus lebte (Dan 1,21) (außerdem ergänzten sie ein wenig von dem, was feh lte und vom Anfang der ersten Rolle verloren gegangen war, sei es aufgrund von Textverderbnis oder aus einem anderen Grund, um es schön mit ihrer Eröff nung zu verbinden). Das große Fragezeichen ist jedoch der Sch luss der letzten Vision des Buches, sie stammt aus dem dritten Jahr des Kyrus. Vielleicht meinte man, sie sei a ls

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A nhang dem Buch hinzugefügt worden, und zwar kurze Zeit nach der ersten Zusammenstellung durch die Schriftgelehrten. Doch auch das Ende der fünften Rolle bereitet Schwierigkeiten : Und selbiger Daniel war glücklich unter der Regierung des Darius und unter der Regierung des Kyrus, des Persers (Dan 6,29). Hinsichtl ich unserer Ausführungen fi ndet sich ein erhellender Ausspruch in den Überlieferungen unserer Vorfahren, seligen A ngedenkens : „Und ebenso (der Abschnitt ist a llerdings nicht an der richtigen Stelle aufgeschrieben) in der Nacht wurde der König Belschazzar getötet, und Darius, der Meder, übernahm die Königsherrschaft; und dies geschah im dritten Jahr der Königsherrschaft des Königs Belschazzar“ (BerR 85,2 [ 1032 ]) (zweifellos liegt hier eine irrtüm liche Streichung vor) – es muss heißen : Und dies geschah im ersten Jahr des Belschazzar, des Königs von Babylonien, und dies war das dritte Jahr der Regentschaft des Königs Belschazzar. Dies nimmt auf das erwähnte Problem der Reihenfolge Bezug, und wir haben es aufgrund des Litera lsinns zu erk lären versucht, dass die sechste und siebte Schriftrolle zum ersten und dritten Jahr des Belschazzar passen, nachdem seine Tötung bereits in der vierten Schriftrolle erwähnt worden ist). „ R abbi Ḥuna meinte : Man soll keine poetischen Formu lierungen verwenden, um daraus zu sch ließen, dass a lles im hei ligen Geist gesagt worden sei. Die Rabbanan sprachen (dies ist in einer anderen Sprache formuliert, [ näm lich Hebräisch ]) : Um das Buch sch ließlich dadurch zu begrenzen, [ meinten sie, ] dass es im hei ligen Geist verfasst worden sei.“ Der Prediger wollte damit offensichtlich auch mittels einer Aggada belegen, dass die Schriftrollen nicht entsprechend der chronologischen Reihenfolge ihrer Geschichten angeordnet worden waren, doch dass sie in dieser A nordnung den Soferim überliefert worden waren und sie sie im hei ligen Geist aufgeschrieben hatten. Außerdem wollte man zeigen, dass es sich nur um poetische Schriften handelt, wie es zweifellos bei jenen „äußeren“ [ nicht-kanonischen ] Schriftrollen zum Buche Daniel der Fa ll ist. Sie wurden zwar nicht [ a ls kanonisch ] angenommen, sie wurden aber trotzdem im Vol ke bis in die späte Zeit tradiert, was wir in einer A nmerkung zu der entsprechenden Mishna über denjeni-

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gen, der in den „äußeren“ Büchern [ Apokryphen ] liest, erläutert haben. – Der Gebildete möge auf den Wortlaut dieses Midrash achten, [ u m zu erkennen, ] dass sie die Formu lierung „dass es im hei ligen Geist verfasst worden sei“ nur desha lb wäh lten, um zum Ausdruck zu bringen, dass die Soferim, [ d. h. die ] Männer der Großen Versamm lung gemeint waren; d. h., dass sie es geschrieben und innerha lb der hei ligen Schriften überliefert hatten (dies meinten sie auch mit dem Satz „Ester wurde im hei ligen Geist geschrieben“ (bMeg 7a), was wir im Folgenden noch erläutern werden), es a lso nicht einfach auf „einen werten Mann“ [ vgl. Dan 10,11.19 ] der Vorzeit zurückging. Dies a lles soll a lso in unserer Baraita erläutert werden, dass die Männer der Großen Versamm lung (möglicherweise die Letzten „der Reste“) das Buch Daniel geschrieben haben, was bedeutet : Sie haben jene Schriftrollen, die sie für kanonisch erk lären wollten, verbessert und stellten sie zu einer Samm lung zusammen, die sie für hei lig erk lärten, wie bei den anderen hei ligen Schriften. Die Ergänzungen, die sie dabei anbrachten, fügten 136 sie mit der g leichen gött l ichen Unterstützung ein, mit der | sie auch a lle ihre anderen guten Taten, durch die sie der Nation und der Welt Leben eingef lößt hatten, vollbracht haben. Dies kann tatsäch lich a ls der zuverlässigste von ihm benannte Zeuge dafür gelten, dass er seinen hei ligen Geist unter ihnen wei len ließ. 3. Und hinsichtlich des Ester-Buches erscheint uns richtig zu sein, was wir von den jüngsten der christ lichen Forscher vernommen haben, näm lich die Entstehungszeit der Geschichte noch etwas später zu datieren, a ls man dies bislang zu tun gedachte.1 Dies bedeutet, man darf die Niederschrift des Buches, wie es sich unter unseren hei ligen Schriften fi ndet, nicht Mordechai und Ester, auch nicht der Zeit des Esra zuschreiben, sondern den Männern der Großen Versamm lung, und es ist voll kommen k lar, dass damit die Reste der Großen Versamm lung gemeint sein müssen. Es gibt zwingende Belege aus der Schrift selbst, aber auch deut liche Hinweise in den Schriften der Rabbinen, seligen Angedenkens, dass die 1 Vg l. J. G. Eichhorn, Ein leitung in das A lte Testament, L eipzig 1780; 1787,

4. Auf lage 1823 f., I, 111; II 575 – 610.

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Schrift so wie sie uns vorliegt die zweite Auf lage bzw. die zweite Rezension der Vorgängerversion ist. Sie gleicht der ersten zwar im Hinbl ick auf den Inha lt, ist ihr aber hinsicht l ich Inspiriertheit und Korrektheit weit überlegen. Die gegenwärtige Fassung ist a lso [ jünger ], und ihre Aufnahme unter die hei ligen Schriften ist erst viel später erfolgt a ls die Geschichte selbst bzw. die Abfassung ihrer ersten Rezension, die sicherlich in aramä ischer Sprache niedergeschrieben worden ist. – Da es sich hinsichtlich einer evidenten A ngelegenheit geziemt, sich kurz zu fassen, werden wir nur wenige Verse mit entsprechenden A nmerkungen dazu [ a ls Belege ] anführen : Daher feiern die Juden des f lachen Landes usw. (Est 9,19) (hier liefert der letzte Erzäh ler einen Grund für den Wandel, den man zu seinen Zeiten beobachten konnte, dass näm lich einige am 14., andere am 15. Adar feierten); und Mordechai schrieb diese Worte auf (Est 9,20) (dies meint die Niederschrift der ersten Rezension); und sandte Bücher usw. (ebd.) (das meint Briefe an die Diaspora- Gemeinden wie in früher Zeit üblich, etwa für die Festlegung eines Datums und für seine Beachtung); und die Juden nahmen auf sich, was sie begonnen hatten zu tun (Est 9,23) (dies deutet darauf hin, dass einige Zeit verging, bis das Purim-Fest festgelegt worden ist, was dem natürlichen Gang der Dinge entspricht); danach nannte man diese Tage Purim (Est 9,26) (Bemerkung des letzten Schreibers) ; deswegen, wegen all dieser Begebenheiten dieses Briefes, sowohl dessen, was sie erlebt dadurch, was zu ihnen gelangt ist : … bestätigen und nehmen [ die Juden ] auf sich (Est 9,26 f.) (die erste Rezension dieser Schriftrolle wurde demzufolge „Purim-Brief“ genannt; doch was wir a ls Brief bezeichnen, heißt in dieser Schriftrolle „sefarim“ [ Bücher ], und auch die Rabbinen, seligen Angedenkens, sprachen im Hinblick auf diese Schriftrolle von einem „Purim-Brief“); (Vers 28) und es bleiben diese Tage im Angedenken und werden gefeiert in jeglichem Zeitalter, jeglichem Geschlechte usw. (eine Bemerkung des letzten Schreibers in Bezug auf die Festlegung des Purim-Festes in seinen Tagen); und diese Tage des P urim vergehen nicht unter den Juden (ebd.) (eine Zukunfts-Verheißung im hei ligen Geist) (Vers 29); Und es schrieb [ Ester ] usw., um mit allem Nachdruck zu bestätigen diesen Brief der Purim, zum zweitenmal (d. h. die Bestätigung der A ngelegenheit, entsprechend

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der Rezension, wie sie uns in den vierundzwanzig hei l igen Büchern vorliegt, die zum größten Teil mit dem Inha lt der ersten Rezension übereinstimmt, jedoch hinsicht lich ihrer Inspiration, mit der sie geschrieben wurde, bedeutender ist; man schrieb ihre Abfassung jedoch auch Ester und Mordechai zu); (30) und er sandte sefarim usw. ([ d ies meint den ] zweiten Brief aus der Zeit der Soferim hinsicht lich seiner Einsetzung); (31) zu bestätigen [ diese Tage des Purim ] , … wie es Mordechai, der Jude, und Ester, die Königin, für sie bestätigt hatten usw. (dies ist der Vers, der die R ichtigkeit unserer Worte bestätigt). (32) Und das Geheiß Esters bestätigte diese Purim, und es wurde in einem Brief geschrieben ([ das „ba-sefer“ ] mit der Partikel „bet“ ist nur bekannt aus dem dritten Teil der vierundzwanzig heiligen Bücher [ der Bibel ]). Die absch ließenden Verse sollen die dauerhafte Einrichtung des Purim-Festes bestätigen : sei es seinen Inha lt oder die absolute Verpf lichtung, sich an ihm selbst und a lle anderen zu erfreuen; sei es, dass man den Purim-Brief oder die nun vorliegende kanonische Rolle öffentlich an ihrem Termin verlesen solle. Dies a lles geht dabei zweifelsohne auf den Hohepriester und seinen Gerichtshof, den A nführer der Soferim zurück, oder anders ausgedrückt : auf die Reste der Großen Versamm lung, die zu jener Zeit wirkten. Für die letzte Behauptung gibt es noch einen weiteren Beleg in den Chroniken der Hasmonäer und in einem Brief, der diesbezüglich an die griechischsprachigen Juden geschrieben wurde. Man kann die R ichtigkeit dieser Worte aber einfach belegen, da nämlich auch unsere Weisen für den Verständigen hinsicht lich dieses Problems zwischen zwei Fragen unterschieden : der Frage der ersten Festlegung des Purim-Festes, die gewiss aufgrund irgendeiner noch nicht kanonisierten Rezension dieses Briefes erfolgt war; außerdem die schrift l iche Abfassung unserer Megi lla und ihrer Aufnahme unter die hei ligen Schriften. Sie meinten nämlich : „Ester ließ die Weisen bitten, man möge ihr Fest für die Dauer festsetzen. Sie antworteten ihr : Willst du Hass auf uns unter den Völ kern erwecken ? Jene erwiderte : Ich bin bereits in die Chroniken der Könige von Medien und Persien eingetragen !“ (bMeg 7a) (vielleicht soll dies auf die erste Rezension hinweisen, die, wie wir

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sagten, woh l in aramäischer Sprache verfasst worden ist ; auch für die Perser und für ihre dama ligen offiziellen Schriften, wie bekannt ist. Dafür gibt es einen Beleg | aufgrund der Verwendung 137 des Wortes yehudi, welches mehrere Ma le für Mordechai und sein Vol k, selbst in der verbesserten Schriftrolle, welche wir besitzen, gebraucht wird. Dies mag im Übrigen darauf hindeuten, dass Mordechai unter den Juden sehr angesehen war). Sie sagten dort aber auch : „Ester ließ die Weisen bitten, man möge [ ihr Fest ] auf Dauer festsetzen (und im ʽEyn Yaʽaqov lautet die Rezension : „man möge mich in die [ hei lige ] Schrift aufnehmen“, und sie scheint die richtige zu sein); sie erwiderten ihr : Fürwahr, ich habe dirs dreifach geschrieben (Spr 22,20); dreifach und nicht vierfach. Bis sie dafür einen Vers in der Tora fanden : Schreibe dies zum Angedenken in das Buch“ usw. (bMeg 7a) – und untersuche dies dort. Die Hauptintention dieses Abschnittes und seine Bedeutung liegt demzufolge, nachdem er von seiner aggadischen Form und Eink leidung befreit worden ist – was jedem Verständigen stets a ls Verpf lichtung obliegt –, darin : Die Feier des Purim-Festes war dem Vol k sehr lieb und teuer, so wie sie es für sie bis heute ist (im Unterschied zum ḤanukkaFest, welches nicht so sehr in die Herzen aufgenommen wurde, sodass unsere Vorfahren, seligen A ngedenkens, a ls A ntwort darauf für Ḥanukka ein Bekenntnis und ein Ha llel festlegten, für das Purim-Fest aber nur ein kurzes Bekenntnis, welches man nicht mit einer Sch lussformel absch ließen muss, sondern sie legten fest „ … zu loben und zu preisen“). Doch aus einem uns unbekannten Grund wollten die Soferim im hei ligen Geist in der Megilla keinen von den hei ligen Namen [ Gottes ] erwähnen, denn das Wunder wollten sie nicht direkt auf Gott zurückführen, wie wir mit eigenen Augen verwundert feststellen müssen – sie wollten viel mehr, dass der Stoff auf einer Schriftrolle aufgeschrieben werde, d. h. sie erließen eine Verordnung, dass es a ls ein Buch betrachtet werde, sodass es zumindest auf einer geringeren Stufe der Heiligkeit a ls die übrigen hei ligen Schriften angenommen werde. Diesbezüglich bestand jedoch die Schwierigkeit und der Hinderungsgrund, dass man, wenn man schon keine weiteren hei ligen Schriften hinzufügen konnte, keine vierte Stufe der Heiligkeit von Schriften zu den

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drei von der Großen Versamm lung im hei ligen Geist festgelegten hinzufügen konnte (und im Yerusha l mi ist dies sehr deut lich dargelegt, dass sich die Ä ltesten darüber sehr den Kopf zerbrochen haben). Sch ließlich fanden sie jedoch eine Lösung in der Tora, und man kam diesbezüg lich überein, schrieb sie auf und ordnete sie den Ketuvim zu; es gibt sogar einen Beleg dafür, dass dies geschah, bevor das Buch Kohelet a ls letztes Buch unter die hei ligen Schriften aufgenommen worden ist, und diesen liefern wir im folgenden Paragraphen.* Wenn wir die Gemara des Traktates Megi lla an dieser Stelle weiter betrachten, aber auch die Gemara des Traktates Yoma (29a) und des Traktates Sanhedrin (100), so stellt sich heraus, dass einige unserer Weisen (wie Rabbi Yehoshuaʽ und Shemu’el) meinten, dass sie im hei ligen Geist gelesen, nicht aber im hei ligen Geist aufgeschrieben werden sollen. Die passende Erk lärung dafür ist, dass  Der Kommentar R ashis, sel igen A ngedenkens [ z u bMeg 7a ] : „ Sie erwiderten ihr : Fürwahr, ich habe dirs dreifach geschrieben (Spr 22,20); dreifach und nicht vierfach.“ – Das, was hier geschrieben steht, ist nichts weiter a ls eine Erinnerung an die Aufforderung zur Ausmerzung A ma leks [ wei l dreima l in der Schrift eingeschärft wird, das Gedächtnis A ma leks zu verti lgen; E x 17,14; Dtn 25,19; 1 Sam 15,2 – 3 ], denn bezüg l ich dieser drei Verse aus den hei l igen Schriften bestand eine Meinungsverschiedenheit. Der Maharsha [ Sh lomo Eger ], sel igen A ngedenkens, dem sich viele Kommentatoren ansch lossen, sch l ießt aufgrund seines k laren Verstandes, dass die wahre Bedeutung des Wortes hier „dreißig“ sei; doch ist ihm völl ig entgangen, dass es Zusätze in der griechischen Fassung dieser Schrift gibt, sodass man aufgrund seiner Vermutung nicht hinter die Bedeutung des „nicht vierfach“ kommt, zuma l von ihm auch übersehen wurde, was es mit der vierten Stufe der Hei l igkeit auf sich hat. So entging a llen früheren Kommentatoren die Bedeutung der diesbezüg l ichen Ha lakha in unserer Mishna : „R abbi ʽAqiva sagt : Auch der, der in den ‚äußeren‘ Büchern l iest“ (mSan 10,1). Dieser Satz bedeutet nicht, dass ihr Lesen generell verboten und beschränkt war, sondern nur, dass es in der Öffent l ichkeit und dass die Auslegung jener Schriften verboten war, so wie wir es bereits in einer vorangegangen A nmerkung erläutert haben. Doch einigen Stellen in dem ehrenwerten Buch [ Sefer Torat Nevi’im ha-mekhune ] Ele ha-miṣwot [ Zółkiew 1836, von R av Ṣwi Ḥayes, sel igen A ngedenkens ] zufolge ist gütigerweise sogar dieses erlaubt ; und man forsche dort nach [ vg l. etwa ebd., S. 320a ]. *

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ihre Urheber auf diese Weise eine Unterscheidung machen wollten, dass näm lich auch die Megilla-Ausgabe, die in der Öffentlichkeit verlesen und ausgelegt werden sollte, aus der Zeit der Soferim, der Männer der Großen Versamm lung, stammte (darin g leicht sie aber in a llem den übrigen hei ligen Schriften) – und damit ist ihre Niederschrift, d. h. die Entscheidung über ihre Aufnahme unter die Ketuvim und die vierundzwanzig hei ligen Schriften, nicht im heiligen Geist in unserer Sprache zur Zeit der Soferim erfolgt, sondern aufgrund einer Entscheidung der Rabbinen, a lso erst in der Zeit des letzten Absch lusses durch die Weisen des Gerichtshofes der Hasmonäer (dies wird noch in einer spezie llen A nmerkung erläutert werden). Demzufolge besteht ein Unterschied zwischen den Büchern, die durch die Soferim der Männer der Großen Versamm lung a ls heilig angenommen wurden, und jenen, die durch die nachfolgenden Weisen unter die Ketuvim aufgenommen wurden. Die Megilla stellt diesbezüglich a llerdings einen Sonderfa ll dar, | und ihre Heiligkeit ist nur wenig größer a ls die der Megillat 138 Taʽanit und der Megillat bet Ḥashmonai (die in den Ha lakhot Gedolot [ hg. v. Hildesheimer, Berlin 1848, 615 ] erwähnt wird, a ls ob sie ihr Verfasser gesehen hätte, und es heißt, sie wäre von den A lten, Hillel und Shammai, geschrieben worden, doch unserer Meinung nach gehört sie zu den frühen Chroniken der Hasmonäer, die man in den Zusätzen fand), die beide in derselben Zeit von den Rabbinen aufgeschrieben worden sind, wobei es sogar erlaubt wurde, die Megillat Taʽanit auszu legen, wie es im Ta l mud-Traktat Taʽanit heißt (18a). Dies ist der Kommentar zu diesem kurzen Diktum, und offensichtlich ist er die Achse, um die sich der bekannte Streit einiger R ishonim um einige Bücher der Ketuvim und ihre Verunreinigungsfähigkeit der Hände [ d. h. Kanonizität ] gedreht hat. Und so können wir auch die Tosafot zu dieser Stelle verstehen; man betrachte sie und verstehe, obwoh l wir uns hier nicht länger mit ihnen aufha lten können. Doch was machten die Vertreter dieser Auffassung mit dem Vers und es wurde in einem Buch aufgeschrieben [ ‫( ] ונכת ב‬Est 9,32); denn das Wort ist doch mit einem pataḥ voka lisiert, welches eindeutig die Entscheidung über seine Aufnahme in der jetzt vorliegenden Form unter die hei ligen Schriften zur

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Zeit ihrer Niederschrift durch die Schriftgelehrten der Männer der Großen Versamm lung belegt ? Dazu wird in der Gemara ausgeführt, dass dieser a lte Satz bedeute, dass [ das Buch ] Ester im heiligen Geist verfasst worden sei, sodass es nur deswegen unter die Ketuvim aufgenommen werden konnte. Sogar bezüg lich der Verordnung bestimmter Tage für die Verlesung der Megilla zwischen dem 11. bis zum 15. Adar bemerkten sie zu Beginn der Gemara des Traktates Megilla, dass sie aus der Zeit der Männer der Großen Versamm lung stammt, d. h. auf die Soferim zurückgeht, die sie niedergeschrieben hatten; dies sei mit der Formu lierung zu bestätigen … in ihren Zeiten (Est 9,31) angedeutet. Auch dies ist im Übrigen ein Beleg dafür, dass, wie wir bereits oben sagten, die Schrift eigentlich auf Bestätigungsbriefen basiert, die von den Soferim geschrieben worden waren. 4. Doch nun zum Buche Ezechiel, denn die Überl ieferung in dieser Mishna, nach der es die Männer der Großen Versamm lung geschrieben haben, ist dunkel, und wir besitzen keinen Grund, warum und weswegen man seine Entstehungszeit so spät datieren wollte und was die Belege dafür waren und welchen Zweck dies hatte. Denn a lle Prophetien, die in ihm überliefert werden, zeichnen sich durch einen Stil aus, der von jedem anderen Propheten leicht zu unterscheiden ist : seine Wortwah l ist maßvoll und verständ lich, nicht a ltertüm lich, aber auch nicht zu neuartig; auch die in ihm gewäh lte Rechtschreibung g leicht, soweit wir das erkennen können, nicht derjenigen der Soferim. Zum Beispiel schreibt er den Namen David [ ohne yud ] statt wie in den Büchern Esra und Chroniken [ mit yud ], außer an einer Stelle, wo es die Masora zu den fünf plene-Schreibweisen in den frühen Büchern zäh lt, die durch Befremd lichkeit auffa llen. Demgegenüber wird Daniel in dem Buch, welches auf seinen Namen lautet, mit yud und mit einem sere darunter geschrieben, was der aramäischen Schreibweise entspricht; doch an den drei Stellen, an denen der Name im Buche Ezechiel geschrieben steht, ist er defektiv ohne yud und ohne sere unter dem a lef geschrieben, was der a lten hebräischen Schreibweise entspricht. Dies stimmt mit der Einheitlichkeit des Propheten [ buches ] überein, mit seiner forma len und

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sti l istischen Spracheigenart, der Zuschreibung an eine frühere Epoche und mit der Stellung des Ezechiel, des Priesters und Propheten aus dem Lande Juda in der Verbannung im Lande Kasdim, die über das ganze Buch, von A nfang bis Ende, vertei lt Erwähnung findet, ohne dass an dem, was die Gegner behaupten, etwas dran wäre. Auch die Reihenfolge [ der Kapitel ] ist absolut richtig. [ Der Autor des Buches ] berechnet die Jahre seit der Verbannung unter Jojachin mit elf Jahren vor der Tempelzerstörung; seine Prophetien ordnet er nach der Reihenfolge, in der sie ausgesprochen wurden, vom fünften Jahr an, in dem sich ihm der Herr in einem speziellen und sehr erhabenen Gesicht offenbart hatte, bis zum 25. Jahr seiner Verbannung, dem Jahr des Absch lusses seiner großen Prophetien und Zukunftsvisionen. Man braucht [ in dem Buch auch ] keine Veränderung der Reihenfolge [ der Kapitel ] vorzunehmen, außer vielleicht bei der Prophetie gegen Tyrus [ vgl. Ez 26 – 28 ], die sich im Jahr 11 seiner Prophetie gegen Ägypten ereignete, die jedoch tatsäch lich schon im zehnten Jahr begann. Der Grund dafür ist offensichtlich, denn [ der Verfasser ] wollte nicht mitten in den ausstehenden Prophetien gegen Ägypten, die im Jahre 11 und 12 gesprochen wurden, unterbrechen. Außerdem gibt es noch eine kurze Prophetie, die nach a llen anderen Prophetien entstanden ist, und zwar im Jahre 27 seiner Verbannung. Sie richtet sich gegen Ägypten und bezieht sich auf den bekannten Feldzug des Nebukadnezar gegen Tyrus. Man stellte sie an den Sch luss der ersten Prophetie gegen Ägypten, was nicht schwer zu verstehen ist. Sch ließlich entschwindet somit die Begründung dafür, warum man das Buch nicht demjenigen zuschrieb, mit dessen Namen man es heute verbindet, näm lich Ezechiel selbst, der auch der Sprecher in ihm ist, vom A nfang bis zum Ende in der ersten Person. Doch hat man seine Niederschrift bis zu den Männern der Großen Versamm lung aufgeschoben, und wir sind uns über die Bedeutung dieser Zuschreibung bereits im K laren. Selbst wenn wir den Beginn des Werkes in das zwanzigste Jahr des A ratachschasta, das Jahr der Gründung dieser hei ligen Versamm lung, legen, müssen vom Absch luss | der Prophetie des Ezechiel bis zu diesem Zeit- 139 punkt – sogar nach der kurzen Berechnung in der Baraita de-Seder

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ʽOlam – nicht weniger a ls siebzig Jahre [ vergangen sein ]1; nach einer genaueren Berechnung der heutigen Historiker aber mindestens 150 Jahre. Wir haben jedoch bereits oben erläutert, dass diese Baraita nicht von den Männern der Großen Versamm lung zu Beginn der Zeit des Esra und Nehemia spricht, sondern von den ihr bis zu zweihundert Jahre später folgenden Generationen. Die Begründung, die Rashi, seligen A ngedenkens, dafür gibt, genügt hier nicht einma l dafür, die Abfassung des Buches durch Ezechiel selbst zu erk lären. Denn es wird bei ihm ja so dargestellt, a ls wäre es in seiner Zeit, zu Beginn der Rückkehr aus der Verbannung, veröffentlicht worden. Seine Meinung ist daher bereits von den Tosafot beiseite geschoben worden, und man untersuche dies dort. Möglicherweise besaßen unsere a lten Weisen, seligen A ngedenkens, auch noch eine geheime Begründung für diese Überlieferung, die jedoch verloren gegangen ist. Doch Worte der Erk lärung in dieser Angelegenheit sind in diesem Fa ll wenige, dagegen fi nden sie sich in anderen Fä llen reich lich. Und damit wollen wir unsere Erläuterung dieses Abschnitts einer a lten Überlieferung absch ließen. Ob dies und meine Interpretation der Wahrheit entsprechen, … – gepriesen sei der, der dem Menschen gnädig Verstand zutei l werden lässt. Fa lls ich aber geirrt haben sollte, … , der gütige Gott entsühne uns für unseren woh l meinend und um einer guten Sache willen begangenen Irrtum.

A nmerkung 8 (Seite 542) Das Buch Kohelet, die Zeit seiner Entstehung, seiner Komposition und die Entstehung seiner Gliederung; die Aufnahme des Buches unter die Ketuvim : Sei es in der Phase der Zusammenstellung [ des Kanons ] der hei ligen Bücher in drei Teile, mit der Esra und seine Schü ler, die Sofe1 Vg l.

SOR 20 – 29 (hg. v. R atner 44a–68a). Writings, 64.

2 K rochma l,

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rim, begonnen hatten, bis zum Absch luss und bis zur Vollendung [ des Kanons ] gegen Ende der persischen Herrschaft, a ls die Griechen samt der damit verbundenen K riegswirren heraufzogen, sei es in der Phase des letzten defi nitiven Absch lusses, von dem an nichts mehr hinzugefügt oder hinweggenommen und nichts mehr, nicht ma l ein Buchstabe in einem der vierundzwanzig Bücher verändert werden durfte : a ll dies geschah vom Jahre 170 an bis um das Jahr 200 der Griechen unter dem Gerichtshof der Hasmonäer (a ll dies wird an unterschied lichen Stellen dieses Beitrags erläutert) – die Hauptschwierigkeit bestand dabei darin, kein weiteres Buch und keine weitere Schriftrolle unter die A nzah l von heiligen Büchern oder unter die ihnen ähn lichen Schriften außerha lb [ des Kanons ] aufzunehmen, wobei es sich von selbst versteht, dass dies nur den Teil [ des Kanons ] der Ketuvim betraf. Deswegen und wei l die Ketuvim von den Weisen auch mit der Bezeichnung ḥokhma [ Weisheit ] bezeichnet wurden (ein Beispiel findet sich im [ Ta lmud ] Yerusha lmi : „Man befragte die Tora … , man befragte die Prophetie … , man befragte die Weisheit“ [ yMak 2,6 (31d) ]), so wird deutlich, dass jene absch ließenden Verse am Ende des Buches Kohelet, Worte der Weisen, wie die Stachel usw. (Koh 12,11), nicht nur Absch lussverse dieses Buches seien sollten (denn was könnte der Grund dafür sein, dass Sa lomo oder derjenige, der das Buch aufgeschrieben hat, davor warnte, nach seinem noch weitere Bücher zu schreiben ?), sondern Absch lussverse für das gesamte Bündel der Ketuvim-Bücher, mit dem die Teil nehmer an der hei ligen Versamm lung jener Zeit (die näher an dem Zeitpunkt des Kommens der Griechen lag, zu einer Zeit, da der Hohepriester Jaddua oder Shimʽon I. hieß) den dritten Teil [ des Kanons ] der hei ligen Bücher absch ließen wollten. Dies wird auch mit der Formu lierung Worte der Weisen (Koh 12,11) erläutert, denn dies bezieht sich auf die Verfasser hei liger Schriften, die wie Stachel n sein sollten, um zum rechten Lebenswandel anzustachel n. Die Männer der Versammlungen (ebd.), [ d ies meint ] die Soferim, Mitglieder jener Versamm lung, die sich mit der Zusammenstellung und Samm lung des Kanons befasst hat. Die Bezeichnung für diese Samm ler entspricht der Bezeichnung „knesset hagedola“; und ihr ähn lich ist die Bezeichnung „waʽad ḥakhamim“,

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die gegen Ende der Versamm lung der ersten shone Ha lakhot geprägt worden ist (m Av 1). Wir hatten jedoch bereits herausgearbeitet, dass sich folgende Schriftstelle auf den Beginn dieser Versamm lung, der Synode unter Esra, bezieht : Und es versammelten sich zu Esra, dem Schreiber usw. (Neh 8,13). Die Formu lierung, die gegeben von einem Hirten (Koh 12,11), deutet jedoch darauf hin, dass 140 a lle diese Bücher | eine gemeinsame Stufe der Hei l igkeit erreicht hatten. Was aber darüber ist, mein Sohn, da lass dich verwarnen : des vielen Büchermachens nähme kein Ende (Koh 12,12) – diese umfassende Verwarnung der Schü ler, die wie Söhne erachtet werden, meint, dass man keine weiteren hei ligen Bücher hinzufügen soll, die in der Öffentl ichkeit verlesen, ausgelegt und in der Versamm lung verbessert werden sollten, so wie man auch davor warnte, etwas auszureißen, was eine A nspielung auf die zitierten Stachel n und Nägel ist. Abgerundet wurde dies mit einem ethischen Absch luss : Im Schluss der Rede wird das Ganze verstanden (Koh 12,13), um damit darauf hinzuweisen, dass jedes Studium und jedes Erforschen der Bücher vor Gott in der Furcht Gottes und in der Bewahrung seiner Gebote gipfelt, [ wie geschrieben steht ] : Anfang der Weisheit ist die Furcht vor dem Herrn (Ps 111,10). Und von dem Vers Gott fürchte und seine Gebote wahre usw. (Koh 12,13) leitete man das letzte Gericht in der Kommenden Welt ab, da es viele in jener Zeit ablehnten, wie es z. B. von der Gruppe der Sadduzäer bekannt ist, was in den Chroniken der Hasmonäer erwähnt wird. Wunderbarerweise ist uns in unseren Kommentaren erha lten geblieben, was unsere Weisen in einem bekannten Midrash zu diesem Vers darüber meinten (Midrash Kohelet [ Qoh R 12,12 [ 31b ] ] und Yerusha l mi ḥeleq [ ySan 10,1 (28a) ]) : „Und übrigens, mein Sohn, sei gewarnt (Koh 12,12) : Wer mehr a ls 24 Bücher in sein Haus bringt, der bringt Verwirrung in sein Haus … Jene Bücher sind zum Nachdenken, nicht zur praktischen Umsetzung gegeben.“ Dies ist tatsäch lich der einfache Schriftsinn dieser Stelle, denn a llein durch die exakte Auslegung fi ndet sie Unterstützung durch die Aggada; und ihre Intention ist in der vorangehenden Anmerkung, in dem Kommentar über das, was man in „äußeren“ Büchern liest, erläutert worden. Wir entnehmen dem, dass zu jener Zeit das Buch Kohelet das letzte Buch in der Reihe der

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akzeptierten Schriften gewesen ist. Daher steht an seinem Ende auch dieser Absch luss, der sich auf a lle Ketuvim bezieht, was mit dem übereinstimmt, was wir in der voranstehenden A nmerkung beobachtet hatten, und zwar, dass das Buch Ester erst später unter die Ketuvim aufgenommen worden ist. Um der vor uns liegenden Bemühung in der der Erforschung der Geschichte gewidmeten Pforte willen und um in ihr a lles richtig aufzeigen zu können, müssen wir nun den Inha lt des Buches Kohelet behandel n : wer es wann geschrieben und wer es unter die Ketuvim aufgenommen hat. – Den Worten unserer Weisen, seligen A ngedenkens, zufolge stammt es sowoh l hinsichtlich Abfassung a ls auch Niederschrift eigent lich nicht aus der Zeit, mit der wir uns beschäftigen. Sein Verfasser sei viel mehr Sa lomo, der Sohn Davids, der König Israel, gewesen, und es sei von Hiskia und seiner Gefolgschaft aufgeschrieben worden. Doch sogar wenn es [ nach ihrer Auffassung ] nicht zu den Werken gehörte, die am Sinai offenbart wurden – warum nicht erlaubt wurde, es auszu legen, und es von den A nführern unserer Weisen nur sehr zurückha ltend an die züchtigsten unter ihren Schü lern weitergegeben wurde –, so gehörte es doch zu den Werken, die man den meisten Schü lern beibrachte oder die man dem Vol k in a ller Öffentlichkeit auslegte. Trotzdem kann man nicht behaupten, [ dass dieses Buch von Salomo stammt, ] viel mehr belegen k lare und eindeutige Beweise etwas anderes – und man fi ndet sie sogar in of f iz ie l l en u nd bek a n nten Verlautbarungen unserer Vorfahren, die diese Beurteilung stützten und sie vielleicht immer noch stützen würden. Wenn wir uns auf dem Feld der Exegese umschauen, so treffen wir bei a llen bedeutenden Gelehrten aus jüngster Zeit auf sch lagende Beweise, die der A nnahme einer Abfassung des Buches durch Sa lomo oder durch Hiskia zu ihrer Zeit entschieden widersprechen. A lle schreiben seine Entstehung viel mehr einem Mann zu, der ungefähr zu jener Zeit lebte, mit der wir uns [ in diesem Kapitel eigentlich ] beschäftigen und der sich hinter der Gesta lt des weisen Königs zu verstecken suchte. Unter vielen Zeitgenossen haben solche Überlegungen sogar bereits Gehör gefunden, und man kann davon in den wissenschaft lichen Auslegungen an den

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Universitäten [ ‫ ] במדרשי החוכמות‬hören, wie sie auch in a llen Ein leitungen in die Bibel von jenen Gelehrten zu lesen sind. Umso mehr sich aber zeigt, dass sie die Wahrheit behaupten, um so weniger sollten wir diese Entdeckung ängst lich unterbinden, selbst wenn man dann annehmen muss, dass unsere Vorfahren das wahre A lter dieser Geschichte zu verbergen suchten. Da unsere Worte aber keinen Schaden hinzufügen wollen, mögen sie zumindest einen gewissen Nutzen für die Forschenden aus unserem Vol ke entha lten. – Wir wollen hier daher in a ller Kürze sämtliche ihrer Behauptungen diesbezüg lich zusammenstellen : Sie meinten nämlich, dass es nicht angehe, Sa lomo habe seinen Namen geändert und sich in völlig unnötiger Weise verborgen; sie behaupten außerdem, es gäbe keine Grund lage für die Identifizierung [ des Verfassers des Buches Kohelet ] mit dem König von Jerusalem (Koh 1,1); Sa lomo sei König des Landes, eines weiten Landes, gewesen, wie geschrieben steht : Denn er waltete über das ganze Diesseits des Stromes … , über alle Königreiche (1 Kön 5,4). Doch was ist dann die Erk lärung für den Vers : | Ich war König über Israel in Jerusalem (Koh 1,12) ? Und wie hätte Sa lomo sprechen können : als alle, die vor mir waren über Jerusalem (Koh 1,16) ? Es gab doch vor ihm keinen König [ über Jerusa lem ] außer dem einem, der ihn an Größe übertraf, näm lich David, sein Vater. Das schwerwiegendste A rgument ist aber ein sprach l iches, denn bei einer äußerlichen Betrachtung erweist sich die Sprache des Buches a ls sehr a lt, ja sogar a ls ä lter a ls die Sprache der Bücher Esra und Nehemia, und es ist durchmischt mit A ramäisch, sowoh l hinsichtlich Wortwah l a ls auch Grammatik. Im Großen und Ganzen ist es tatsäch lich sowoh l in Satzbau a ls auch Phraseologie der Sprache der Mishna ähn lich : z. B. der Gebrauch des Relativpronomens ‫ ש‬statt ‫אשר‬, auch wenn man es manchma l etwas anders verwendet findet a ls in den Büchern, die vor der Zerstörung geschrieben worden sind, so ist es hier doch schon wesent lich üblicher a ls noch in einigen Büchern, die nach der Rückkehr aus Babylonien geschrieben worden sind. Dies ist ohne Zweifel bereits unter dem Einf luss des Pronomens ‫ די‬im A ramäischen erfolgt. Auch die Wörter ‫ובכן‬, ‫בטל‬, ‫גומץ‬, ‫זמן‬, ‫כשרון‬, ‫כבר‬, ‫בשכבר‬, ‫נהג‬, ‫ענין‬, ‫פרדס‬, ‫פשר‬, ‫פתגם‬,

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‫רעות‬, ‫רעיון‬, ‫של‬, ‫בשל‬, ‫ תקון‬sind eigent lich A ramäisch; sie fi nden sich

noch nicht in den früheren Büchern und sind erst im späteren Hebräisch der Mishna gebräuch lich. Einige von ihnen werden zwar hinsichtlich der Wurzel, nicht jedoch hinsicht lich der Flexion wie in den frühen verwendet, einige auch nur für den poetischen Ausdruck, wie z. B. die Wörter ‫הוה‬, ‫יהוא‬, ‫שיזועו‬, ‫נכסים‬, ‫סוף‬, ‫תקיף‬, ‫תתמה‬ und ähn liche mehr. Manchma l ist sogar zu erkennen, dass das Hebräische aus dem A ramäischen übernommen worden ist, wie bei ‫אלו‬, ‫)אילך( אילו‬, ‫)כל קבל( כל עומת‬, ‫בן חורין‬, ‫חשבון‬, ‫)בר מני( חוץ ממנו‬ und ‫)עובדיהון( עובדיהם‬, ‫( על דברת‬dies ist richtiges A ramäisch wie im Targum Daniel); die Wurzel ‫זכר‬, welches in [ der hebräischen ]

Sprache stets auf die Erinnerung eines in der Vergangenheit geschehenen Ereignisses hinweist, weist hier [ im Buch Kohelet ] auf die Beachtung einer Tatsache [ in der Gegenwart ] hin : Dass nicht viel sind seiner Lebenstage, bedenke er [ ‫( ] יזכור‬Koh 5,19); und denke der Tage der Finsternis (Koh 11,8); und gedenke deines Schöpfers (Koh 12,1). Außerdem bezeichnet er ganz Israel-Land a ls medina [ Provinz ], wie es in der Zeit der Perser und bei Esra üblich war : Und dies sind die Söhne der medina (Esra 2,1; Neh 7,6); die übrig geblieben von der Gefangenschaft, dort in der medina (Neh 1,3). Der Priester wird [ in dem Buch außerdem a ls ] „ma lakh“ [ Bote ] bezeichnet : und sprich nicht vor dem Boten (Koh 5,5), wie im Ma leachi-Buche : [ Denn die Lippen des Priesters sollen die Erkenntnis wahren … , ] denn ein Bote des Herrn der Heerscharen ist er (Sach 2,7). Man müsste sich daraufhin schon sehr bemühen, um zu erk lären, dass er nur aufgrund seines von den anderen Büchern unterschied lichen Inha ltes eine andere Sprache wäh lte, denn diese Erk lärung konnte nicht genügen. Jeder, der die hei lige Sprache [ Hebräisch ] versteht, wird anerkennen, dass die Wendungen : ‫( ולבי נוהג בחכמה‬Koh 2,3) [ und indem mein Herz veranstaltete mit Weisheit ]; denn der Gottesfürchtige kommt durch dieses alles durch (Koh 7,18), wie den, der einen Schwur scheut (Koh 9,2); darum kann er nicht rechten mit dem, der mächtiger ist als er (Koh 6,10) und ähn liche mehr, tatsäch lich in der Sprache der Mishna abgefasst sind. Dies gilt auch für die Sätze : dass es Gerechte gibt, denen widerfährt nach der Tat der Frevler, und es Frevler gibt, denen widerfährt nach der Tat der Gerechten

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(Koh 8,14); oder : dass der Mensch nicht vermöge auszufinden das Werk,

das unter der Sonne geschieht; wie sehr sich auch der Mensch mühe, zu suchen, er wird es nicht finden; und selbst der Weise, wenn er meinte, es zu erkennen, er vermag nicht, es zu finden (Koh 8,17). Und wer erkennt nicht, dass diese Wendungen nicht aus einer Zeit stammen können, da die hei lige Sprache am A nfang [ ihrer Entwick lung ] stand und sich erst entfa ltete, in der Zeit des Sa lomo, Hiskia und Jesaja ? Denn zu ihrer vollen Blüte gelangte sie erst in der Zeit des Zweiten Tempels (und wir wollen die Möglichkeit nicht aussch ließen, dass sie sich später unter einigen der von Gott Begnadeten sogar noch weiter entwickelte, insbesondere auf dem Gebiet der Poesie und Dichtkunst, doch sie g lich dann nicht mehr der Sprache der A lten, was der Natur jeder a lten Sprache entspricht). Diese Redewendungen gleichen aber sowoh l den Versen des Buches Ben Sira, die in Hebräisch auch im Ta l mud zitiert werden, a ls auch den Formel n der Segenssprüche und den Gebeten sowie der Sprache der Mishna insgesamt. Das letzte und schwerwiegendste A rgument ist der Inha lt : Wie weit ist doch die Theologie und Ethik, wie sie etwa in dem wundervollen Gebet des Sa lomo [ 1 Kön 3,6 – 9 ] zum Ausdruck kommt, von der in diesem Buch erkennbaren entfernt ! Die Weisheitssprüche in diesem Buch sind im Übrigen keinesfa lls mit dem vergleichbar, was sich an Preisungen der von Gott kommenden Weisheit in den Büchern der Sprüche, Ijob und in einigen Psa lmen, wie z. B. Psa lm 139, findet. Auch folgen sie überhaupt nicht der Hermeneutik der Griechen in ihrer Philosophie; sie bemühen vielmehr eine einfache und oberf läch l iche Betrachtungsweise, nach der die Dinge der Welt vergehen und sich nichts Gutes in ihnen fi ndet, das es wert wäre, darauf zu vertrauen; erst recht nicht auf das, was die Menschen selbst begründeten. A lles ist entweder absolut sch lecht oder gut, doch nichts ist beständig. Kein Bemühen oder Trachten kann etwas ausrichten, nichts hi lft gegen der Welten Lauf oder 142 gegen die ihr inhärente K ausa l ität | in den sich wandel nden Zeiten. A lles sieht wie prädestiniert und wie durch Gott festgelegt aus, was keine Willensanstrengung verändern kann. Daher gibt es nichts Gutes in der Welt, außer sich am Glück des Momentes

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und der Gegenwart zu erfreuen. Dies ist die Kernbotschaft des Buches, auch wenn doch einige seiner Sprüche entsprechend seiner Beschaffenheit aus den übrigen herausragen und gut und schön sind. Dies hätte jedoch überhaupt nicht die A rt und Weise oder das Ziel [ eines solchen Buches ] zur Zeit des Sa lomo oder des Hiskia sein können, ebensowenig in der Generation der Exilsrückkehrer. Man hat dagegen zwar behauptet, dass sich seine Sprüche nur mit der A rt des mensch lichen Trachtens befassen, zuma l wenn man berücksichtigt, dass die Erkenntnisse des Buches nicht mit a ll den in ihm erwähnten Sachverha lten übereinstimmen, a llzuma l [ in ihm ] sch ließlich, nachdem von ihm Widersprüche und Paradoxien dargelegt worden sind, stets auf die Erkenntnis des Glaubens verwiesen wird. Doch müssen wir [ noch ] beachten, dass wir nicht wissen, wie dem [ Autor des ] Buch [es ] diese positive Sichtweise zuteil geworden ist, zuma l sich in ihm kein Hinweis darauf fi ndet. Möge dies das Beste und Nützlichste sein, was uns aus den Forschungen der jüngeren [ Gelehrten ] über diese A ngelegenheit erwachsen ist ! Wenn wir uns aber der Tradition zuwenden und von ihr nur das Wichtigste vernehmen, so fi nden sich Notizen, die mit dem, was jene Gelehrten beschieden haben, tei lweise übereinstimmen : 1. In der Baraita über die Redaktion des Tanakh, die den meisten von uns bekannt sein dürfte, heißt es : „ Hiskia und seine Gefolgschaft schrieben Jesaja, das Buch der Sprüche, das Hohelied und Kohelet“ (bBB 15a). Aufgrund dessen kann man beweisen, dass man in dieser Mishna meinte, nur der Inha lt dieses Buches ginge auf Sa lomo zurück, dass es aber die Männer der Großen Versammlung aufgeschrieben hätten. Dies geschah woh l, weil man sich sehr schwer damit tat und kaum eine Lösung dafür fand, zuma l man davon ausging, die Worte [ in ihm ] seien so, wie Sa lomo sie gesprochen hatte, münd lich bis in die Tage des Hiskia tradiert worden. Darin gleicht die A ngelegenheit nicht einma l den Sprüchen im Buch der Proverbien oder den Liedern im Hohelied, denn bei ihnen könnte es sich ja tatsäch lich um Sprüche und Lieder des Sa lomo handel n, die er vielen schrift lichen Zeugnissen zufolge selbst formu liert und gesungen haben soll. Sie könnten auch in der

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Sprache der breiten Bevöl kerungsmasse geläufig gewesen sein, die dann auch schriftlich in irgendwelchen Schriftrollen fi xiert worden sind, wie es bei zah lreichen anderen Dichtern und Sängern neben Salomo geschehen sein mag. Der Titel „mishle Shlomo“ und die Wendung „asher le-Shlomo“ könnten im Übrigen jene Sprüche eingesch lossen haben, die nur nach dem Stil des weisen Königs verfasst worden sind. Auch die Einführung mit „mish le Sh lomo“ zu Beginn des Kapitels 14, die mit mishle Shlomo, die man abgeschrieben hat (Spr 25,1) und weitere Hinweise wie : Neige dein Ohr und höre die Worte der Weisen (Spr 22,17) ; und auch jene für den Weisen am Ende des 24. Kapitels ; die Worte des Agur, des Sohnes Jakes (Spr 30,1); Worte des Lemuel, des Königs (Spr 31,1), und das a lphabetische A krostichon zum Lob der tugendhaften Frau – a ll diese sind deutliche Fingerzeige darauf, dass wir es mit einer a llgemeinen Sammlung von Sprüchen zu tun haben. Möglicherweise entstand diese Samm lung, zumindest ihr größter Teil, in der aufgek lärten Generation des Hiskia, wie es etwa auch für das Hohelied zuzutreffen scheint. Wir erweitern somit aber den mög lichen Entstehungsort, was man für das Buch Kohelet nicht sagen kann, da dieses bestimmt aus einem Guss ist, welches mehr a ls einma l von demselben Autor erweitert worden ist. In dieses sind einzelne Sprüche eingewoben worden, die eindeutig von demselben Autor stammen müssen. Wie könnten wir aber von ihm behaupten, dass er aus der Erinnerung und mit frischer Sprache geschrieben hätte, nachdem bereits 280 Jahre seit dem Tode Sa lomos vergangen waren ? Daher kann hier auch nach ihren Worten keine Schrift Sa lomos vorliegen. Vielmehr enthä lt es einige seiner Worte und ist nach seinem Stil gemacht. Vielleicht ist darauf auch ein Hinweis in der Tatsache zu fi nden, dass das Buch a ls letztes unter die Folge [ der anderen Megillot ] aufgenommen worden ist, doch wollen wir dies hier nicht vertiefen. 2. Auch die Autoren der Midrashim bemerkten das Besondere der Sprache des Buches, dass sich der Autor des Buches nicht wie ein richtiger König äußert. Bekannt ist etwa ihre Bemerkung [ z u ] „ein König und ein zum einfachen Vol k gehöriger König“ (Qoh R 1,12 [ 5c ]) oder „ein zum einfachen Vol k gehöriger König und ein zum einfachen Vol k Gehöriger“. Doch wollte man Sa lomo auch gewisse

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A ffären zuschreiben, sodass man über ihn nur in poetischer Form berichtete, wie es zu ihrer Zeit üblich war, was noch in der Pforte über die Aggada erläutert werden wird. Doch die Geschichten, die in den Prophetenbüchern und in den Ketuvim über ihn berichtet werden, widersprechen dem voll kommen. Etwa, wenn über ihn geschrieben steht : Und Salomo herrschte über alle | Königreiche usw., und sie dienten dem Salomo all die Tage seines Lebens (1 Kön 5,1). Und es wohnte Juda und Israel ruhig, … alle Tage Salomos (1 Kön 5,5); ich will abreißen von dir die Königsherrschaft … nur in deinen Tagen will ich es nicht tun (1 Kön 11,11 f.).1 3. Unserer Mishna (mYad 3,5; m Ed 5,3) können wir entnehmen, dass unsere Vorfahren über dieses Buch stritten, ob es den A ltvorderen entsprechend der Verordnung hinsicht lich der Verunreinigung der Hände a ls heilig gelten könne. Auf jeden Fa ll gehört dies zu den Erleichterungen der Schu le Shammais [ d ie ansonsten erschwert ], (und es muss [ hier bezüg lich dieser Schu le ] angemerkt werden, dass [ das Buch Kohelet ] mit ihr übereinstimmt, indem sie sich bemüht und darum ringt, auf dem Wege der Ä lteren und der Überlieferung zu verbleiben, was noch in der Pforte über die Halakha erläutert werden wird). Und nach Rabbi Yose, der tatsäch lich befähigt gewesen sei dürfte, hinsicht lich einer [ solchen ] A ngelegenheit zu entscheiden, bestand unter den Ersten, die darüber eine Entscheidung zu fä llen hatten, keine Meinungsverschiedenheit; hinsichtlich der Verunreinigung der Hände hatten sie auch noch keine Sch lussfolgerung in Bezug auf seine Heiligkeit angestellt.2 Und so war es ihnen auch in Bezug auf das Buch Ester erschienen, für das die ersten [ Gelehrten ] noch gar keine Entscheidung gefä llt hatten. – Und in der Baraita der Gemara (bMeg 7a) [ heißt es ] : „Es wird gelehrt : Rabbi Shimʽon ben Menasya sagte : Das Buch Kohelet verunreinige nicht die Hände, weil es nur der Weisheit Sa lomos entsprang.“ Die Intention dieses Diktums ist offensichtlich : Dieser Tannait war der Meinung, es solle nicht unter die vom hei ligen Geist inspirierten Schriften gezäh lt werden. Doch was antwortete 1 Der

2 Vg l.

Text wird von K rochma l verkürzt wiedergegeben. mYad 3,5.

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man ihm daraufhin mit einem Schriftvers ? : Tu nichts hinzu seinen Worten (Spr 30,6), doch die Kommentatoren taten sich schwer mit seiner Interpretation; unserer Meinung nach lag dies aber an der Veränderung der Voka lisation des Wortes ‫( תוסף‬mit zwei shewa) [ wodurch das Wort im Sinne von „nimm nicht weg“ verstanden werden kann ], [ u nd zwar in A nspielung auf den Satz : ] „wer nicht zunimmt [ a n Wissen ], nimmt ab“ (m Av 1,13). Wenn dem aber so ist, führt dies zu der k laren Einsicht, dass das Buch dennoch von Salomo stammen muss. Wenn dies aber tatsäch lich die Meinung der Weisen gewesen wäre, hätten sie nichts [ in ihren Worten, nach denen (das Buch) Qohelet nicht die Hände verunreinigt, da es sich nur um die Weisheit Sa lomos handele ], verbergen wollen1; man könnte dann auch nicht die erwähnten Schwierigkeiten in ihren Überlegungen mit der Weisheit zu einem Ausgleich bringen, von der es ausdrück lich heißt, sie sei von Gott gegeben : [ Wie es heißt : ] Ich gebe dir einen weisen und einsichtigen Verstand (1 Kön 3,12); und Gott gab Weisheit dem Salomo (1 Kön 5,9); und der Herr gab Weisheit dem Salomo (1 Kön 5,26). 4. Auch von der Aufforderung zum Verbergen [ des Buches ] fi ndet sich kein Beleg in dem von uns hinsicht lich dieser Frage Ausgelegten. Denn diese war a llein in der Gefahr begründet und wei l einige Weise dieser Zeit (nach unserer Auffassung war dies die Zeit des letzten Absch lusses der hei ligen Schriften) dachten, dass es nicht wert sei, ausgelegt und in der Gemeinde verlesen zu werden. Auch über [ das Buch ] Ezechiel sagte man ja, dass man es versch lossen ha lten solle, und dies bezieht sich zweifelsohne auf das Buch des Ezechiel ben Busi, des Priester-Propheten des Exils am Flusse Kebar. Sei dem wie dem sei, wir müssen vor a llem darauf achten, wie sich die Rabbinen in ihren A nweisungen mit dem Buch Kohelet befassten und wie sie es zu schützen suchten. Im Bavli heißt es etwa (bShab 30b) : „Seine Worte [ d. h. des Qohelet ] widersprechen einander“. Und im Yerusha l mi und in den Midrashim wird oft wiederholt, dass man in [ d iesem Buch ] Sprüche fi ndet, die zur Häresie tendieren. In einem späten Midrash Aggada und 1 Zur

Übersetzung vg l. Harris, Nachman K rochma l, 176.

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vor den Ohren vieler [ Zuhörer heißt es sogar ] (bShab 30a) : „Wo ist, oh Sa lomo, deine Weisheit, wo ist deine Einsicht ? Nicht genug, dass deine Worte den Worten deines Vaters David widersprechen, sie widersprechen sogar sich selbst.“ Auch wenn dieser Gedanke dort mit einem Lobpreis sch ließt, ist dennoch die Tendenz zur Apologie des Buches erkennbar. Und in der Tat – immerwährende Ehre möge unseren frühen Weisen zutei lwerden [ vgl. Spr 3,35 ] ! – bemühten sie sich, nachdem das Buch schon einma l unter die Ketuvim aufgenommen war, es so auszu legen, dass es die jüngeren Gelehrten nicht mehr von seinem Platz verstoßen konnten oder wollten. Ebenso mögen unsere Glückwünsche auch den ersten unter den Litera lexegeten gelten, insbesondere dem Rabbi M [oshe ] ben Menaḥem [ Mendelssohn ], seligen A ngedenkens, der sich sehr darum bemüht hat, es so auszu legen, dass es nicht dem wahren Glauben widerspräche.1 Jeder [ d ieser Exegeten ] bemerkte auf seine Weise gelehrte Dinge, und die Einsicht des Forschenden ermög lichte es ihnen, wobei sich ihr Herz mit [ ihrem Verstand ] versöhnte. War dies aber tatsäch lich die Intention und die Absicht des Buches ? Diese Frage haben sich frühere Generationen noch nicht gestellt, doch wir füh len uns aufgrund der Forschung [ in ] der gegenwärtigen Zeit gezwungen, sie zu beantworten.2 Wir müssen daher noch einma l wiederholen und erk lären, dass, wie es in den vorangehenden Generationen die Gefahr gab, das Verborgene zu öff nen, es so [ auch ] in unserer Generation die Gefahr gibt, | das bereits durch andere Offensicht- 144 lich- Gemachte zu verbergen, was völlig sinn los und sehr schäd lich 1 Vg l. M.

Mendelssohn, Sefer Megillat Qohelet im bi’ur qaṣar u-maspiq le-havanat ha-katuv ʽal pi pshuṭo le-toʽelet ha-talmidim, Berl in 1770; ders., Der Prediger Sa lomo mit einer kurzen und zureichenden Erk lärung nach dem WortVerstand zum Nutzen der Studierenden von dem Verfasser des Phädon, aus dem Hebräischen übersetzt von dem Uebersetzer der Mischnah bey Jacob Ch. Posch, A nspach 1771, wieder in : ders., Hebräische Schriften I. Deutsche Übertragung, bearbeitet von D. K rochma l nik, A. Schatz, R. Wenzel, Moses Mendel ssohn G esammelte Schriften, Jubi l äumsausgabe, 20.1, Stuttgart 2004, 179 – 279. 2 Vg l. hierzu L ehnardt, Bibl ica l criticism, 73 f.

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ist und keinerlei Berechtigung hat. Die wahre Hilfe besteht aber darin, weiter zu suchen und zu forschen, und zwar an einem Gegenstand, der der gött lichen Wahrheit dient – an dem, von dem gilt, dass er die, die ihn suchen, nicht verlässt. Woh l uns, und wie groß ist unser A nteil, dass uns der Herr seine Tora gegeben hat, nach der man die Forschung und die Untersuchung nach jeder A rt und Weise nicht zu fürchten braucht !1 Doch wollen wir zum Problem dieses Buches zurückkehren. Denn was machen wir damit, dass sich die woh lmeinenden Kommentatoren an den meisten Sprüchen [ in ihm ] erfreuten und ihre Kapitel a ls Hinweise auf die Wahrheit des Glaubens verstanden ? – Wenn man sie a llerdings genau betrachtet, sieht man, dass der einfache Schriftsinn [ d ieser Sprüche ] überhaupt nicht darauf hindeutet; vielmehr stärken sie zum größten Teil die Widerlegung [ des Glaubens ]. So [ lautet ] etwa ein Vers aus der Ein leitung : Was ist des Menschen Gewinn bei all seiner Mühe, womit er sich müht unter der Sonne ? (Koh 1,3) – dies entspricht nicht der Tora, zuma l sich die Wendung unter der Sonne auf das, womit er sich abmüht, und nicht auf das, was ist des Menschen Gewinn (ebd.), bezieht, was etwa der Wendung entspricht : So lobe ich mir die Freude, dass nichts gut sei für den Menschen unter der Sonne, es sei denn, zu essen und zu trinken und froh zu sein, und das möge ihn begleiten bei seiner Mühe die Tage seines Lebens, die Gott ihm gegeben unter der Sonne (Koh 8,15). Ebenso : Eitelkeit der Eitelkeiten ! Sprach Kohelet, Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ist eitel (Koh 1,2), ein Vers, den man im Midrash, so wie er ist, für den A nfangs- und Sch lussvers, gleichsam zum Eckstein des gesamten Buches erk lärte. Doch legte man ihn so aus, dass er mit der Lehre der Tora übereinstimmt. Er gleicht jedoch eigentlich nur dem alles ist eitel, welches nach dem Vers : Denn das Geschick der Menschenkinder ist wie das Geschick des Viehs (Koh 3,19) usw. steht. Den Vers : Da dachte ich in meinem Herzen : Den Gerechten und den Ungerechten wird Gott richten, [ denn jegliche Angelegenheit hat ihre Zeit, und dort auch jegliche Tat ] (Koh 3,17) legten sie nach anfänglicher Betrachtung so aus, dass er auf das gött liche Gericht oder 1 Vg l .

zu diesem Abschnitt die Tei lübersetzung von Harris, Nachman K rochma l, 177.

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vielleicht sogar auf das Gericht am Ende der Tage hinweise. Wer ihn jedoch genauer betrachtet, erkennt, dass er mit der Denkweise des Buches über die absolute Vorsehung übereinstimmt, dass a lso a lle Taten des Menschen, seien es gute oder sch lechte, nicht seinem freien Willen überlassen sind. Dies begründet [ der Autor des Buches aber ] damit, dass er zu Beginn sagt, dass selbst für einen Gerechten manchma l das zu seinen Gunsten gefä llte Urteil aufgehoben wird, sodass der Schu ldige frei ausgeht und der Unschu ldige schu ldig. Dazu bemerkt er, dass das Urteil nicht in des richtenden Menschen Hand und in seiner Entscheidung liege, selbst wenn [ der Mensch ] aufgrund der gött lichen Taten und seinen Entscheidungen darauf sch ließen kann, wer gerecht und wer ein Frevler ist. Dabei beziehen sich die beiden Begriffe „Gerechter“ und „Frevler“ nur auf eine Gerichtsentscheidung, wie [ in dem Vers ] : Man gibt dem Gerechten Recht und spricht schuldig den Schuldigen (Dtn 25,1). In der Tora heißt es dazu im Gegensatz : ich werde nicht für gerecht gelten lassen den Schuldigen (Ex 23,7). Was aber zusätz lich auf die [se] Wahrheit hinweist ist der Kommentar eines Verses, dem seine wahre Begründung mitgegeben wird : Eine jegliche Angelegenheit hat ihre Zeit, und dort auch jegliche Tat (Koh 3,17), ein Vers dieses Buches, der sich auf die Vorsehung bezieht und der durch den folgenden erläutert wird : Alles hat seine bestimmte Zeit, und ihre Zeit hat jegliche Angelegenheit unter dem Himmel (Koh 3,1). Und woran wir in diesem Zusammenhang erinnern müssen, (obgleich die A ngelegenheit selbst einer vertieften Untersuchung und einer ausführlichen A na lyse wert ist) ist, dass sich die Ausdrucksweisen des Buches wie Gott wird richten (Koh 3,17), eine Gabe Gottes (Koh 3,13; 5,18) oder aus der Hand Gottes (Koh 2,24) und viele ähn liche mehr nur auf die Kausa litätskette und das, was ursächlich für sie ist, beziehen. Denn den physischen Erscheinungen zufolge, d. h. nach dem, was wir in der Welt sehen, verursacht jede Ursache eine Reaktion, die daraufhin selbst zur Ursache wird, deren Folgen sich ausweiten. Aufgrund a ll dieser gemeinsamen ursäch lichen Hand lungen, die sich wie eine ununterbrochene Kette bis zu ihrem gött lichen A nfang verfolgen lassen, von denen wir jedoch keine physisch nachweisbare Erfahrung haben, müssen

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a lle Hand lungen in der Welt vorherbestimmt und gegeben sein. Dies wird aber a ls die natürliche Vorsehung oder das Schicksa l bezeichnet, welche Gott, gepriesen sei er, zugedacht wird, da er der Schöpfer von a llem ist. Doch das Buch verweist nicht etwa darauf, dass die Vorsehung speziell Gott vorbeha lten ist, dass sie etwa dem Schicksa l aufgrund von Recht und Gesetz seiner großen Güte überlegen sei, d. h. dem eigent lichen ethischen Ziel, wie es unsere früheren Weisen, seligen A ngedenkens, lehrten, indem sie uns über diese Führung [ Gottes ] aufk lärten. Sie gingen davon aus, dass es drei A rten von Providenz gibt : die natürliche Vorsehung in Bezug auf die Kausa lität, die Vorsehung der Erwäh lung eines Menschen, der sich manchma l überwindet und manchma l in den natürlichen Lauf der Geschichte eingreift, sei es zum Guten oder zum Sch lechten. Sch ließlich die oberste Vorsehung Gottes, die ohne Mittler einzugreifen weiß. Dies ist etwa in dem kurzen, bekannten Diktum zum Ausdruck gebracht : „ A lles wird überwacht (Vorherbestimmung, eine Naturnotwendigkeit)1, doch die Willensfreiheit ist gegeben (die freie Wahl); mit Barmherzigkeit wird die Welt (Welt-Leitung nach der Idee des Guten) gerichtet“ (m Av 3,19) – und begreife, dass diese ihre Meinung auf einem k laren Bibelvers gründet, und 145 zwar (1 Sam 26,10) : Sondern der Herr | mag ihn hinraffen (was sich auf die göttliche Führung hinsicht lich des Gerichtes beziehen lässt), oder sein Tag wird kommen, dass er stirbt (dies meint gleichsam die natürliche Führung im Hinblick auf die Grenzen, die dem Menschen durch Geburt gesetzt sind), oder er zieht in den Krieg hinab und wird hinweggeraff t (die Führung durch Erwäh lung). Doch unser Buch er1 K rochma l

paraphrasiert die Mishna mittels phi losophisch vorgeprägter Begriffe, die er Deutsch in hebräischen Lettern zitiert. Vg l. I. K ant, K ritik der praktischen Vernunft. Mit einer Ein leitung, Sachanmerkungen und einer Bibl iographie von H. F. K lemme, hg. v. H. D. Brandt und H. F. K lemme, Hamburg 2003, I, 1. B. 3. Hpst.; zur Wendung ‫ נאטור נאטהווענדיקייט‬vgl. ebd., 128; zu ‫ אידעע דעס גוטען‬ebd., 81. Zu ‫ פרייע וואהל‬vg l. M. Mendelssohn, Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes, Erster Thei l, Berl in 1785, 197, Ndr. mit neuer Seitenzäh lung in : ders., Schriften zur Phi losophie und Ästhetik III, 2, bearbeitet von L . Strauss, Stuttgart, Bad Cannstatt 1974, 98, wozu K ant, a. a. O., 137 (mit A nm. 238) kritisch Stellung bezieht.

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kennt nach dem Zeugnis sämtlicher Erk lärungen nur die erste A rt der Vorsehung an, die gött liche Führung durch die Naturgesetze. Und die passende Begründung aus der Bibel [ binyan av ] dafür lautet (Koh 3,14 f.) : Ich habe erkannt, dass alles, was Gott macht, so bleibt auf ewig, hinzu ist nichts zu tun, und davon ist nichts zu nehmen; Gott aber hat es so gemacht, dass man sich fürchte vor ihm (vor seiner Macht und seiner Stärke, deren Entscheidungsgewa lt man sich nicht entziehen kann); was war, das war längst gewesen, und was noch sein soll, war längst gewesen (durch seine längst erfolgte Vorsehung); so sucht Gott das Hinweggeeilte auf (a ls ein Ausdruck der Wiederholung von Ma l zu Ma l; wie es auch in der Gemara heißt : [ Woher, ] dass man ihn beschwöre [ bMQ 16a ]; und der Grund dafür ist, dass dies zu jeder Zeit, für jede Tat und jede Gelegenheit, in der sich eine Ursache aktua lisiert und in die Wirk lichkeit tritt, geschieht, sodass jedes Ma l eine Hand lung eine neue Ursache hervorbringt). Des Weiteren, nachdem er sich über die absolute Determination ausgesprochen und die achtundzwanzig Zeiten [ Koh 3,1 – 8 ] aufgezäh lt hat, fügt er hinzu : Gleichwohl hat er die Ewigkeit ihnen ans Herz gelegt, ohne dass der Mensch ausfindet an dem Werk, das Gott gemacht, weder Anfang noch Ende (Koh 3,11) (dies meint, dass dem Menschen nur deswegen Verstand gegeben worden ist, um die sich wandelnde Zeit zu bedenken, die Zukunft und was in ihr geschehen wird, auf dass er erkenne, dass ihm nicht gegeben ist, sie zu verändern, und er sich fürchte und schweige angesichts der A ll macht Gottes). A llerdings handelt es sich bei diesem Buch, wie oben gesagt, nicht um ein philosophisches Werk mit einem fortschreitenden Gedankengang – dennoch verwundert es nicht, dass man in seinen Zeilen, insbesondere in seinen ethischen Sprüchen, Hinweise auf die Möglichkeit zur freien Willensentscheidung des Menschen fi ndet. Von der göttlichen Führung in ihrem weisen Ratsch luss und ewiger Gnade ist dagegen nur in ein oder zwei Versen, wenn überhaupt, die Rede, worüber gleich noch gehandelt werden wird. – Doch müssen wir hier auf den Pfad unseres Vorgehens zurückkehren und festha lten, dass auch der Schriftvers : Und zurück kehrt der Staub zur Erde, so wie er gewesen (Koh 12,7) zua llererst einma l darauf hinweist, dass so wie er ihnen den Geist nimmt, so versterben sie und kehren in ihren

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Staub zurück (Ps 104,29), wenn er seinen Hauch und seinen Odem in sich einzöge, es verginge alles Fleisch zumal, und der Mensch kehrte in den Staub zurück (Ijob 34,14 f.). Damit kommen wir zu den letzten meiner Äußerungen über solche Gedanken entsprechend der Tiefe der Wahrheit, und wir wollen auf diese Weise dem Gebildeten einen Weg ebnen, damit er auf ihm zur Wesenheit der Seele und zu ihrem Vorzuge gelange. In der Regel finden wir in der Forschung keinen k laren Schriftvers, der mit der Wahrheit oder dem Glauben übereinstimmt, außer einem : Aber wisse, dass ob all diesem dich Gott führen wird ins Gericht (Koh 11,9); er folgt aber dem Satz : Freue dich, Jüngling, deiner Kindheit … und wandle auf den Wegen deines Herzens und nach dem Anschauen deiner Augen (ebd.), und nach diesem Vers steht : Und schaffe Gram aus deinem Herzen, und beseitige das Leiden von deinem Leibe, denn Kindheit und Jugendzeit sind eitel (Koh 11,10) (deswegen ist es zu lässig, sich zu vergnügen, bevor [ d ie Tage der Jugend ] vorüber sind); und auch die beiden Sch lussverse : Im Schluss [ der Rede ] usw. (Koh 12,13), [ von denen a llerdings frag l ich ist, ] ob sie überhaupt zu dem Buch gehören und nicht etwa vom Redaktor der Ketuvim insgesamt verfasst wurden, was sehr nahe liegt. – Wir haben ihm ja bereits einige Verse über den Glauben zugeschrieben, wie auch die Schriftstelle : Und gedenke deines Schöpfers in den Tagen deiner Jugend, ehe denn herankommen die Tage des Leidens usw. (Koh 12,1). Und das yud in dem Wort ‫ בוריאך‬, „deines Schöpfers“, soll hier woh l auf die K räfte der Vorsehung hindeuten, von dem Ausdruck ‫ בריא‬, „Mästung“, ‫להבריאכם‬, „dass ihr euch mästet“ (1 Sam 2,29). Dies steht a llerdings dem Ausdruck des mishnischen Hebräisch : ‫ [ על בוריו‬MekhY Mishpaṭim (Neziqin) 6 (270) ] noch näher, der, wenn er nicht mit Plura lyud geschrieben wäre, nur auf die schöne Auslegung hinwiese, die unsere Rabbinen aus dem Wort aufgrund des Satzes in der Mishna gewonnen : „Betrachte drei Dinge usw. [ dann kommst du nicht zur Sünde : Wisse, woher du gekommen und wohin du gehst und vor wem du einst Recht und Rechenschaft abzu legen hast ]“ (m Av 3,1) [ Kurz : Sei eingedenk ] deiner Quelle [ ‫] באר ך‬, deiner Grube [ ‫] בור ך‬ und deines Schöpfers [ ‫ – ] בוראך‬eine Auslegung, die mehrma ls in den Rabbot-Midrashim vorkommt [ vgl. etwa Qoh R 12,1 (29d) ] – und es

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ist k lar, dass dieser Midrash nur auf dem Plura l-yud basiert, nicht etwa auf einer Notarikon-Auslegung, wie es der Kommentar Matnot Kehuna [ des Yissakhar Baer ben Nafta li ha-Kohen1 ] erk lärt. Wenn wir nun a ll dies zusammenzäh len und daraus die Summe ziehen, so muss man k lar festha lten, dass die Auffassung der modernen Gelehrten zutreffend und richtig ist, dass das Buch sicherlich nicht von Sa lomo stammen kann und auch nicht aus den Tagen des Hiskia, sondern dass es viel mehr in einer späten Phase der hebräischen Sprache und Literatur geschrieben worden ist. Es bleibt dann a llerdings die Frage, wer der Verfasser des Buches war, von dem wir nur wissen, dass er sich Kohelet nannte und dass er ein Sohn Davids und König in Jerusa lem gewesen sein soll ? Eine zweite Frage ist : Wie fand das Buch zum ersten Ma l Eingang unter die heiligen Schriften ? – Und uns ist diesbezüg lich nicht bekannt, welches Erk lärungsmodell die jüngsten unter den christ l ichen Forscher dazu vertreten, doch es scheint, sie meinten, der Autor hätte sich hinter dem Gewand des Königs Sa lomo versteckt, da er für seine Weisheit berühmt und auch der Schöpfer vieler Annehmlichkeiten seiner Zeit gewesen ist. Man hätte ihm die K lagen über die Eitel keit und den Mangel an positiver Einstellung sowie die Aufgabe der Zuversicht in den Mund gelegt. | Dies tendiert aber zu 146 der schönen Auslegung des Rabbi Tanḥuma : „Wenn einer ausgerufen hätte : Er hat a lles vortreff lich gemacht, so könnte man sagen : Dieser, der in seinem Leben nicht zwei peruta [ k leine Münzen ] besessen hat, usw. [ erk lärt a lles Geld in der Welt für verächtlich, a llein da sie aus dem Munde Sa lomos kommen, … so stand es ihm woh l an zu sagen : Eitelkeit der Eitelkeiten“ (Koh 1,2) ]. – A llerdings stimmt dies nicht mit dem überein, was dazu bereits ausgeführt worden ist, und dem, was noch folgen wird : Denn der Autor [ des Buches ] hat sich bei seiner Bemühung der Vertuschung [ des wahren Autors ] nicht sehr geschickt angestellt. Auch kann man sich nicht damit zufrieden geben, dass er einfach einen anderen Namen wäh lte und nicht einfach Sa lomo geschrieben hat. Was bei a ll 1 Ein

Kommentar aus dem 16. Jahrhundert, der sich in den k lassischen Midrash R abba-Ausgaben fi ndet.

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dem noch schwerer wiegt, ist : Es kann doch nicht angehen, dass wir, die Gemeinde der Gläubigen Israels und derjenigen, die die Erhabenheit der hei ligen Versamm lung anerkennen, hätten meinen können, man würde seine neue Vorgehensweise [ in dem Buch ] nicht bemerken, zuma l wenn es sich um eine Fä lschung gehandelt hätte, man es aber bestimmt nicht kritisiert hätte, wenn die Fä lschung in guter Absicht und nur aus der Intention heraus geschehen wäre, [ den Verfasser ] mit einem berühmten Stammbaum zu verbinden. Wir haben jedoch bereits dargelegt, dass hier nicht der Platz sein kann, um zu beantworten, welcher der einzelnen Sprüche und Sentenzen authentisch ist, ob [ das Buch ] zum größeren oder zum geringeren Teil auf Sa lomo selbst oder wenigstens auf seine Denkweise zurückgeht. Ebenso haben wir ja bereits erläutert, dass das Buch noch in der Zeit der ersten Redaktion durch die Hauptvertreter der Großen Versamm lung unter die hei ligen Schriften aufgenommen worden ist, d. h., dass es spätestens gegen Ende der persischen Herrschaft vor dem Kommen der Griechen niedergeschrieben wurde, in einer guten und von Not unbeeinträchtigten Zeit, a ls der hei lige Geist unter Israel weilte. – Was jedoch einige von ihnen meinten, dass näm lich der skeptische Inha lt des Buches auf eine Entstehungszeit hinweist, a ls unserem Vol k im Lande Israel bereits die griechische Philosophie bekannt geworden war – dies kann nicht sein. Wir sagten ja bereits, dass sich in ihm nicht das k leinste Stück griechischer Weisheit fi ndet, selbst nicht in den Abschnitten über das Eitle. Auch wenn wir aus ihm entnehmen könnten, dass der Autor vom griechischen Vol k und von seinen K riegen mit dem persischen Vol k Kenntnis hatte, so wie wir es im Folgenden noch ausführen werden (dies ist für uns ja auch ein wichtiger Beleg für seine Entstehungszeit gegen Ende der persischen Herrschaft), so gibt es in dem Buch darüber hinaus nicht die k leinste A ndeutung auf eine Abhängigkeit, weder von der hellenistischen Philosophie noch von ihrer charakteristischen Ausdrucksweise, d. h. von den im späten Hebräisch üblichen Bezeichnungen, die dem Griechischen ent lehnt werden. Zum Beispiel findet sich in ihm der Begriff ‫ עולם‬noch nicht in der Bedeutung von „Kosmos“, sondern nur in der geläufigen Bedeutung

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von „Ewigkeit“; ebenso nicht das Wort ‫ שמים‬a ls Bezeichnung für Gott, Wörter, die wir später, nach einem Jahrhundert der griechischen Herrschaft, bei Shimʽon ha-Ṣaddiq und A ntigonos Ish Sokho finden. Auch das Wort ‫ יפה‬weist in ihm noch nicht auf die Größe [ einer A ngelegenheit ] hin, sondern auf die Güte und die A ngemessenheit. So heißt es in ihm : [ Siehe, was ich ersehen habe, ] als ein Gut, das anständig ist (Koh 5,17). – Deswegen sind wir aber umso mehr gezwungen, einen Weg und eine Bahn zu fi nden, auf dem es uns vielleicht gelingen möge, aus dieser Verwirrung zu entkommen. Auch gibt es in unserer Sprache masku line Nomina, die feminine Form angenommen haben, wie im Esra-Buch : ‫סופרת‬, ‫פוכרת‬ (Esra 2,57). Man beachte auch den Gebrauch des bestimmten A rtikels heh in ‫( אמר הקהלת‬12,8), und ebenso der Satz in femininer Form : ‫( אמרה קוהלת‬Koh 7,27), was auf die Umformung eines Adjektivs zu einem Nomen hindeutet, ähn lich der Verwendung eines Adjektives zur Wortneubi ldung oder Sublimierung der Beschreibung einer A ngelegenheit, wie z. B. mit dem Substantiv ‫ פחה‬oder ‫ חליפה‬im Hebräischen (siehe dazu das Lexikon von Gesenius sub voce).1 Und Ibn Ezra sagte zum Hintergrund und a ls Erk lärung dieses Wortes [ Kohelet ], dass es sich auf die Weisheit, die in ihm versammelt wurde, beziehe.2 Die Wurzel ‫ קהל‬wird a llerdings nur in Bezug auf die Versamm lung einer Gemeinde verwendet. Besser ist daher das, was die Rabbinen, seligen A ngedenkens, dazu in einem Midrash bemerkt haben, in dem sie begründen wollten, dass sich [ das Wort Kohelet ] auf Sa lomo beziehe : „Warum wird er Kohelet genannt ? Weil er seine Sprüche in der Gemeinde [ be-qaha l ] vortrug !“ (Qoh R 1,1 [ 1b ]) – und sie taten richtig daran, diese Auslegung mit dem Vers zu stützen : Damals versammelte Salomo [ die Ältesten Israels ] (1 Kön 8,1); und : Selig sind deine Diener, die vor dir stehen und die deine Weisheit hören (1 Kön 10,8). Doch nach einer anderen Meinung deutet die Bezeichnung [ Kohelet ] auf eine Abtei lung oder 1 Vg l. W. G esenius, Hebräisches und cha ldäisches Handwörterbuch über

das A lte Testament, 4. Auf lage, Leipzig 1834, 233; 639. 2 Vg l . D. U. Rottzoll , A braham Ibn E sras Kommentare zu den Büchern Kohelet, Ester und Rut, Berl in, New York 1999, 30.

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einen Wachtposten hin, auf einen Vorsteher oder eine herausragende Persön l ichkeit in irgendeiner Versamm lung von Weisen, die sich der Weisheit und den Dingen, die aus ihr abzu leiten sind, widmeten. Sein zweiter Name ist „ben David“, was uns unter der Annahme, er habe zur Zeit der Soferim gegen Ende der persischen Herrschaft gelebt, zunächst keine Schwierigkeit bereitet. Er könnte ja von den Nachkommen des David abstammen, vielleicht aus der vierten oder fünften Generation nach Serubbabel, dessen Genea logie in der Bibel sogar noch weiter zurückreicht, wie zuvor bereits erläutert. Auf jeden Fa ll fand man in jener Zeit noch Nachkommen Davids, und diese blieben auch weiterhin geachtet. Selbst in unseren Mishnayot, in einem Werk, welches sprach lich [ Kohelet ] schon sehr ähn lich ist, ist belegt, dass von „ben David“ in Bezug auf seine 147 Nachkommen gesprochen wird. | Was jedoch den dritten Titel, König von Jerusa lem, anbelangt, so mag sich dieser zunächst auf seinen Reichtum und seine Größe, deren er sich selbst rühmte (vgl. Koh 2,4 usw.), beziehen. Doch ist uns nichts darüber überliefert, dass sich vor ihm a lle Völ ker niedergeworfen haben und ihm Könige aus fernen Ländern mit Geschenken und Weihegaben entgegenkamen, woraufhin er dann a lles nur a ls eitel bezeichnet hätte, etwa wegen der Ereignisse kurz vor seinem Tode, so wie es im Munde Sa lomos passend erschienen wäre. Vielmehr hören wir davon, dass er große Taten vollbrachte, Häuser baute und Gärten an legte; auch erwarb er Sk laven zusätz lich zu den Nachkommen des eigenen Hauses, R inder und Schafe, mehr denn a lle, die je in Jerusa lem waren, auch sammelte er Silber und Gold sowie Auserlesenes der Könige (d. h. Edelsteine u.ä.) [ vgl. Koh 2,4 – 7 ]. Doch dies a lles hat keinen Bezug zu irgendeiner Zeit, auch nicht zu der gepriesenen Epoche Sa lomos, entsprechend des Segens des Königs, sondern es passt eher zu dem Segen über den gemeinen Einwohner in Israel. Wie es auch der Schriftvers besagt : Und wenn du schöne Häuser bauest und bewohnest und deine Rinder und deine Schafe sich mehren und Silber und Gold sich dir mehrt und alles, was dein, sich mehrt (Dtn 8,12 f.). Denn dies sind a lles Ausdrücke, die sehr mit der Ausdrucksweise übereinstimmen, wie sie gegen Ende der

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Zeit Persiens verbreitet war, und sie geht woh l noch auf jene Adeligen, Vornehmen und Bevoll mächtigte zurück, die im Buche Nehemia oft erwähnt werden (Neh 2,16). Sie waren erhaben und edel entsprechend der guten Zeitspanne von zwei oder drei Generationen nach Nehemia, dem peḥa. Möglicherweise war er einige Zeit auch nur der peḥa der medina oder der Fürst der Stadt Jerusa lem. Wir wissen aber, dass in diesen Ländern und in jenen frühen Zeiten jeder Fürst, Vorsteher oder Besitzer von Grundstücken, Einwohnern und Sk laven, manchma l mit dem Titel König versehen wurde, wie z. B. auch bei A rauna, dem Yebusiter, der König genannt wird. Und im Chronik-Buch heißt es : Und seine Schwester ha-molekhet (1 Chr 7,18); und im Buch [ Kohelet ] selbst heißt es einma l : ein König über ein Ackerfeld (Koh 5,8), was so viel bedeutet, dass jemand, der über ein Feld herrscht, es auch selbst bearbeiten muss. In 1 Kön wird der König auch mit einem Reichen in Verbindung gebracht. [ Im Buch Kohelet ] heißt es [ aber ] auch : dessen König von ben ḥorin [ edler Abkunft ] (Koh 10,17). – Und es sei hier noch darauf hingewiesen, dass sich in der Schrift auch eine Erinnerung daran fi ndet, schon über Nehemia hätten seine Feinde das Gerücht verbreitet, er habe sich selbst a ls König von Juda bezeichnet (Neh 6,7). In späterer Zeit aber, gegen Ende der persischen Herrschaft, a ls sie in K riege verwickelt wurden und die äußeren Gebiete ihrer Herrschaft verloren gingen, ein Landstrich nach dem anderen, wobei sie in die Selbstbestimmung übergingen, wie es in der Pforte erläutert worden ist, da sollte es auch nicht verwundern, wenn sich irgendein Fürst oder peḥa in Jerusa lem während seiner Dienstzeit a ls König bezeichnet hätte, insbesondere wenn er selbst, wie wir annehmen, von den Nachkommen der früheren Könige abstammte, zuma l in einer Zeit der Verwirrung und des Durcheinanders in der Herrschaft der Oberen. Man kann sich aber mit dieser Erk lärungsart hinsichtlich a ll dessen, was den oben erwähnten Weisen aufgrund der Befremd lichkeit der oft wiederholten Bezeichnung [ König ] Schwierigkeiten bereitete, gut zufrieden geben : König von Jerusalem (Koh 1,1); ich war König über Israel in Jerusalem (Koh 1,12); ich habe größere und mehr Weisheit erlangt als alle, die vor mir waren über Jerusalem (Koh 1,16) : eine Umschreibung, die eigent l ich noch die Bezeichnung a ls

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König von Jerusalem übersteigt, die auch in den Worten Nehemias erwähnt wird. Wisse aber auch, dass die Könige Persiens von uns a ls „König der Könige“ angesprochen wurden, wie z. B. A ratachschasta, der im Esra-Buch einma l so bezeichnet wird. Doch bei den Griechen wurden bekannt lich die K riegsherren jener Zeit mit der Bezeichnung „der große König“ bezeichnet, und daher erscheint es uns sehr nahe zu liegen, dass sich die Schriftstelle (Koh 9,14) : Eine kleine Stadt, und der Leute wenig darin, und da kam gegen sie ein großer König und umringte sie usw., wie auch der spruchartige Vers (Koh 7,19) : Die Weisheit gibt Schutz dem Weisen, mehr als zehn Gewaltige, die in der Stadt sind, auf Athen in Griechen land bezieht, die Darius I., der Tempelerbauer, mit mehr a ls 100.000 Mann erobern wollte, was dann jedoch von Mi ltiades mittels seiner berühmten Weisheit des K riegshandwerkes in der Sch lacht von Marathon verhindert wurde. Sie [ Athen ] wurde jedoch „die K leine“ genannt [ vgl. yHag 2,2 (77d); ySan 6,6 [ 8 ] (23c) ], wie es ja tatsäch l ich im Vergleich mit den großen Städten im Osten, im Perserreich, zutriff t. Von den griechischen Schriftstellern ist dazu jedoch überliefert worden, dass es in der Stadt dama ls zehn A nführer gegeben hat, und sie a lle haben nicht den Rat ertei lt, die Stadt zu verlassen und zu kämpfen, sondern sich in ihr zu verschanzen. Und mit nur wenigen K räften gelang es Miltiades sch ließlich, den Sieg zu erringen und seiner Kriegskunst zum Durchbruch zu verhelfen. Die Griechen berichten auch noch darüber, dass die Einwohner der Stadt trotzdem nach einiger Zeit Verrat an ihm begingen und ihn zu einer Geldstrafe verurtei lten. A ls er jedoch nicht in der Lage war, sie zu bezah len, warfen sie ihn ins Gefängnis, wo der arme große Mann in Gefangenschaft verstorben ist. Dieser K rieg mit a ll seinen Großtaten und Ereignissen wurde | in a llen Ländern Persiens a ls der erste K rieg der Perser gegen die Griechen bekannt, und seitdem hörten die Kampfhand lungen nicht mehr auf, es sei denn für kurze Momente, bis ihr Reich durch A lexander endgü ltig zu Fa ll gebracht worden ist. Doch wollen wir zum eigent lichen Gegenstand unserer Untersuchung zurückkehren, damit von nun an a lles seinen richtigen

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Gang nehme. Der Verfasser des Buches war eine bedeutende Persön lichkeit aus dem Vol ke, ein Nachkömm ling Davids und Vorsteher einer Versamm lung von Weisen, die untereinander Betrachtungen austauschten und darum rangen. Vielleicht war diese Versamm lung eine Abteilung jener Großen Versamm lung der Soferim, die dama ls zusammengetreten war (um die Zeit des Priesters Jaddua, nach dem Ende der Perserherrschaft) und die sich zweifelsohne durch die lobenswerten Taten, die wir in der Pforte aufgezäh lt haben, auszeichnet hat. – Doch nimm zur Kenntnis und betrachte, wie dir nun die letzten Verse des Buches besser verständ lich werden; nachdem er mit den Worten Eitelkeit der Eitelkeiten ! Sprach Kohelet, Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ist eitel (Koh 1,2) begonnen hatte, sch l ießt er es mit wenigen Ruhmesworten. So wie er auch in ihm selbst davon spricht, dass er Weisheit vergrößern und hinzufügen möchte, insbesondere in Bezug auf die, die vor ihm in Jerusa lem waren [ vgl. Koh 1,16 ]. Er sagte : Und was mehr dartut, dass Kohelet ein Weiser war, fortwährend lehrte er das Volk Erkenntnis und erwog und forschte, verfasste viele Sprüche. Es trachtete Kohelet Wertvolles zu finden, was aufgezeichnet wird mit Recht, Worte der Wahrheit (Koh 12,9 f.). In diesen beiden zu letzt zitierten Versen (was danach folgt sind die Worte der Weisen usw. bis zum Ende des Buches, der Absch luss der gesamten Ketuvim von den Soferim, wie wir bereits oben erläutert hatten) gibt der Autor seine Absicht und die Intention seiner Bemühungen preis : Denn mehr a ls was er in der Versamm lung der Weisen seiner Einberufung lernte, lernte er außerha lb von ihr, vom Vol ke und den zah l reichen Sprüchen, die es hervorbrachte (und von denen er auch einige in sein Buch einzuweben verstand), denn dort gelang es ihm, Wertvolles zu finden, was aufgezeichnet wird mit Recht, Worte der Wahrheit. Die Wendung „mit Recht und Wahrheit“ aufzuschreiben, entspricht aber der mishnischen Ausdrucksweise : „Wie gleichmäßig ist diese Schrift !“ (bBB 164b). – Dies a lles ähnelt insofern tatsäch l ich ein wenig der Tätigkeit der hei ligen Versamm lung, die es dama ls für richtig ansah, das Buch sch lussend lich doch noch unter die Ketuvim aufzunehmen, und die es daher auf diese Weise besch ließen wollte. Sie stützten sich dafür auf eine Generation der Samm lung, die ihnen

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selbst vorangegangen war und die das Buch Ijob unter die hei ligen Schriften aufgenommen hatte, worüber es a llerdings auch keine Erinnerung in unserer Tradition und unserer Religion gibt, da es nach dem Zeugnis der Rabbinen, seligen A ngedenkens, nicht zu den wichtigen Besitztümern von Israel gehörte, wie noch an dem dafür vorgesehenen Platz erläutert werden wird. Trotzdem müssen wir dafür dankbar sein, denn nach einem beredten Satz gilt, dass nie ein Vers [ des Buches Ijob ] jema ls vollständig in die Welt ausgegangen ist, die Bedeutung des Buches Ijob a lso die des Buches Kohelet so sehr übersteigt wie der Abstand zwischen Himmel und Erde. Noch eine weitere Vermutung möchten wir hier mittei len, auch wenn es sich nur um eine schwache Stütze handelt, doch man beachte, dass das Buch [ Kohelet ] in der griechischen Schrift der griechisch [ sprachigen ] Juden, die wir bereits zuvor erwähnten, a ls Ecclesiastes bezeichnet wird, da Versamm lung in griechischer Sprache „Ekk lesia“ heißt. Demzufolge benannte man das Buch a lso nach seinem Autor, d. h. nach einem Mitglied der Versamm lung. Und ebenso hatte man ja auch das Buch Ben Sira mit der Bezeichnung Ecclesiasticus bezeichnet, wofür ich a llerdings keine Begründung kenne, zuma l sie vielleicht von christlichen Gelehrten verliehen worden ist. Unserer Meinung nach könnte es aber sein, dass es so genannt wurde, wei l sein Autor Yehoshuaʽ ben Sira, der Priester, ein Jerusa lemer war, mit absoluter Sicherheit ein Zeitgenosse des Shimʽon ha-Ṣaddiq, der zu den Resten der Großen Versamm lung gehörte hatte. Daher benannte man dieses Buch nach dem Namen seines Autors, wobei dann [ Ecclesiastes ] vielleicht so viel bedeuten sollte wie „ein Mann, der zu der Versamm lung zu rechnen ist“, d. h. nach Meinung der griechisch [sprachig ]en Juden hatte Ben Sira zu den Resten der Großen Versamm lung gehört, während Kohelet einer ihrer Hauptvertreter der Großen Versamm lung gewesen war. Deswegen aber hatte man Ben Sira in ihre Schrift mit aufgenommen, wenn auch nur auf der vierten Stufe [ der Heiligkeit ], wie zuvor bereits erwähnt. – Wie gut, dass dies bereits die Gelehrten unseres Vol kes in Ashkenaz genauer untersucht haben; 149 wir hätten gar nicht die notwendigen Mittel dafür. |

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Doch mit dem Beweis, dass der Autor des Buches Kohelet gegen Ende des Perserreiches und zu Beginn des Auftretens der Griechen lebte, erwächst uns aus [ dem Buch ], insbesondere aus seinen Sprüchen und ethischen Zusätzen, ein Eindruck davon, wie es unserem Vol ke in jenen, in den Geschichtsbüchern fast völlig vergessenen Generationen ergangen ist, a ls sämtliche hei ligen A ntiquitäten noch a ls geehrt und teuer ga lten, wie in der Pforte erläutert wurde. Zum Beispiel begann man in jener Zeit bereits mit Schiffen auf fernen Meeren Handel zu treiben; dazu fi ndet sich der folgende Spruch : Wirf hin dein Brot über die Wasser, denn auf die Länge der Zeit wirst du es wiederfinden (Koh 11,1). Außerdem wird hinzugefügt : Gib einen Teil an sieben und auch an acht, denn du weißt nicht, welches Unheil entsteht auf Erden (Koh 11,2). Dies meint aber nicht, wie es der Ramban, seligen A ngedenkens, ausgelegt hat, dass man wegen der Gefahr auf dem Meere seine gesamte Ware nicht mit einem einzigen Schiff verschicken dürfe; dies widerspräche dem A n liegen [ des Verfassers des Buches Kohelet ], durch das empfoh lene Verha lten glück lich und gestärkt zu werden. Die Aufforderung „gib einen Teil “ bezieht sich ja eigent lich gar nicht auf die Teilung in Portionen, worauf auch ein [ a nderer ] Satz in diesem Buch hinweist : Und einem Menschen, der sich gar nicht darum gemüht, gibt er es zu Teil (Koh 2,21). Und die Intention dieses Spruches ist genau gegenteilig : Es handelt sich näm lich um einen Ratsch lag, wie man bei einem bestimmten Geschäft mehr verdienen kann, wobei selbst die Gefahren des Meeres nicht a ls Hinderungsgrund für das Beladen vieler Schiffe mit Gütern gelten soll. Die Begründung dafür lautet, dass man auch auf Erden, d. h. auf dem Land, nicht wissen könne, welche Geschehnisse jemandem zum Nachtei l zustoßen können. – Dergleichen gibt es weitere Sprüche : Sei nicht vorschnell mit deinem Munde … , denn ein Traum kommt mit vieler Geschäftigkeit (Koh 5,1 f.); wenn sich die Wolken füllen … , wenn ein Holz fällt (Koh 11,3) – a ll diese sind passende Warnungen gegen a lle möglichen A rten von Aberglauben, die im Vol k während der Tage des Ersten Tempels Oberhand gewannen, wobei a llerdings aus einigen offensichtlich wird, dass diese Generation davon schon gereinigt und geeignet gemacht worden war. Einen Beleg dafür findet man hinsicht-

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lich der in unmittelbarer zeit licher Nähe befi nd lichen Generation in einer Geschichte, über die Yosef, der Priester, in seinem Buch Contra Apionem [ I, 201 – 204 ], über [ Apion ] den Griechen, berichtet : Demnach gab es jemanden in der Gefolgschaft des A lexander, der über eine seiner Reisen gen Osten notierte, dass er einma l in einer griechischen Karawane in der Nähe des Schilfmeeres vorbeigezogen sei und dass sich bei ihnen ein Mann aus Judäa befunden habe, der Meshu llam hieß; doch die Leute hätten ängst lich auf die Wahrsagung aufgrund des Vogel [f luge] s geachtet. A ls dann ein berüchtigter Vogel über ihre Köpfe gef logen kam, hätten sie sich sehr gefürchtet. Doch der Jude hätte ganz unbefangen mit seinem Bogen auf ihn geschossen – und siehe da, der Vogel sei vor ihnen auf die Erde gefa llen. Da hätte er über sie nur gespottet und gesagt : Wie konnte uns dieser gef lügelte Kerl etwas darüber mittei len, ob unsere Wege [ in der Zukunft ] gelingen werden oder nicht ? Er wusste ja noch nicht einma l, wie seine eigenen Wege sein würden, da ihm dieses Unglück durch meine Hand zustieß ? “ Ich habe hier mit rechtschaffenem Verstand, und ohne etwas verschweigen zu wollen, dargelegt, was mir in Bezug auf das Buch [ Kohelet ] richtig erscheint. Denn ich meinte, dass sich in [ d iesem Buch ] an mehr a ls einer Stelle eine Aufforderung für die Devise findet : Zeit zu handeln ist’s für den Herrn (Ps 119,126).1 Daher behaupte ich a llerdings auch mit voller Absicht und ruhigen Herzens, dass man a lle meine Worte und Überlegungen nicht frag los a ls Wahrheit hinnehmen sollte. Sämtliche meiner Ausführungen mögen viel mehr durch die professionellen Gelehrten überprüft und erörtert werden; denn a llein darin besteht Rettung für den, der sich an die Weisung [ Tora ] unseres Gottes hä lt. Und ein jeder, der daran Gefa llen findet, der fi ndet am Ruhme unserer Väter Gefa llen. 1 Zur Verwendung dieses Psa l ms a l s Rechtfertigung für die Übertretung

eines minder wichtigen Gebotes zugunsten der Verherrl ichung Gottes vg l. bBer 63a; bYom 69a; bGit 60a; bTem 14b, und siehe auch Maimonides, Führer, 19 (Ein leitung), wo der Vers freier wiedergegeben ist : „Wenn es gi lt, etwas für Gott zu tun, darf man auch das Gesetz unwirksam sein lassen.“ Siehe dazu Harris, Nachman K rochma l, 200 A nm. 38.

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A nmerkung 9 (Seite 541) Wir möchten hier noch kurz auf die Methode der Zeitberechnung eingehen, d. h. auf die Daten, die in unserem Vol k in jenen Vorzeiten gebraucht wurden, soweit es aus den Schriften und aus den Worten der Rabbinen, seligen A ngedenkens, die sie zah lreich in den Traktaten Rosh ha-Shana und ʽAvoda Zara überlieferten, und aus den Worten späterer Autoren [ ersicht lich wird ]. – Die wichtigste und nütz l ichste Einrichtung hinsicht lich a ller A rten von Gesch lechterfolge und ununterbrochener Geschichtsschreibung ist die Festlegung eines fi xen und von a llen anerkannten Datums. Das heißt, man nehme irgendein wichtiges und gut bezeugtes Ereignis, dessen exzeptionelle Bedeutung in der Geschichte unbestritten ist und welches wirk lich eine völlige Veränderung mit sich brachte, sodass es in jeder Erzäh lung der Ereignisse und Zeitenläufe erwähnt wird, wei l auf dieses Ereignis viele Dinge zurückgeführt und vor dessen Hintergrund a lles beurtei lt werden muss. Dies ist es, was unser Verständnis und unsere Kenntnisse der Ursachen und Entwick lungen der Geschichte und dessen, was | aus ihr folgte, erleichtern kann. Wenn aber in einer Geschichte dieses eine Datum a ls Bezugspunkt feh lt oder wenn es nicht voll kommen k lar und unumstritten ist, dann kann man der Verwirrung und dem Zweifel an der Datierung und der Möglichkeit eines Irrtums kaum entf liehen, insbesondere wenn man bedenkt, was die Ursache und der Grund [ der Ereignisse ] und dessen, was aus ihnen folgte und was sie beg leitete, gewesen war. Dies war aber auch der Grund, der die Tannaiten, die Tradenten des Seder ʽOlam und die späteren sowie die jüngeren Schriftgelehrten dazu veran lasste, gegen das in dieser Hinsicht anbrausende Meer von Zweifel n vorzugehen und Methoden und Berechnungsmöglichkeiten zu finden, um die unterschied lichen Generationen von der Erschaff ung der Welt über die Urf lut bis zu Abraham und den Auszug aus Ägypten, von den Jahren der R ichter und Könige von Israel und Juda festzulegen. Sie wollten damit jedes Ereignis zeit lich genau bestimmen; 1  I n

der Edition Seite 65.

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a lles aufgrund von Belegen, seien sie stark oder schwach, so gut a ls möglich. Aufgrund dessen gelang es dem letzten bedeutenden Tannaiten, dem Verfasser der Ha lakhot Seder ʽOlam [ Rabbi Yose ben Rabbi Ḥa lafta ], zu einem solchen bedeutenden fi xen Datum zu gelangen, einem Datum, welches tatsäch lich so a llgemein gü ltig und wichtig für die biblische Geschichte und die Weltgeschichte insgesamt ist, dass sich dies überhaupt nicht näher beschreiben lässt – gemeint ist das Datum der Schöpfung (welches auch die Autoren von Weltgeschichten zu bestimmen suchten, a llerdings ein jeder auf seine Weise).1 Dies diente dazu, a lle Geschehnisse mit einem Datum in Beziehung zu setzen, welches in unseren hei ligen Schriften noch nicht genauer festgelegt worden war. – Und wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass die Baraita Seder ʽOlam bei der Berechnung der Jahre stets die kürzest mög liche Dauer einer Epoche zur Grund lage der Berechnung nahm, sodass man aufgrund dieses Prinzips bei der Untersuchung stets zu einer relativ k laren Berechnung gelangt ist. Doch ist hierdurch auch eine gewisse Differenz hinsicht lich der genaueren Festlegung der unumstrittenen Zeitspannen entstanden. Allerdings hatten wir auch schon darauf hingewiesen, dass daraus einst großes Durcheinander entstanden ist, indem man die Epoche einiger Generationen aus der Zeit des Zweiten Tempels von uns fortnahm, sodass ein wertvolles und schönes Blatt in unseren Geschichtsbüchern feh lt, was der gebi ldete Leser an vielen Stellen unseres eigenen Buches sowie in den übrigen rabbinischen Chroniken und Geschichtswerken beobachten kann. Und man untersuche dies auch in dem ehrenwerten Buche Me’or ʽEnayim [ des ʽAzarya de’ Rossi ].2 Man begann die Zäh lung a lso vom A nfang [ der Welt ] bis zum Auszug aus Ägypten, bis zu einem Datum, welches im Nisan lag, sodass dieser Monat zum ersten der Monate des Jahres wurde. Und dem entspricht das Datum in unserer Tora : Und es brach auf von Elim und kam usw. am fünfzehnten Tage des zweiten Monats nach ihrem Aus1 Vg l.

SOR 1 (hg. v. R atner 1a) : „Von Adam bis zur Flut 1656 Jahre“. etwa auch ʽA zarya de’ Rossi, Sefer Me’or ʽEnayim, 193a; ders., The Light of the Eyes, 466. 2 Vg l .

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zuge aus dem Lande Ägypten (Ex 16,1); und im dritten Monat nach dem Auszug usw. (Ex 19,1); und es geschah im ersten Monat im zweiten Jahre (E x 40,17); und es geschah im zweiten Jahre im zweiten Monat (Num 10,11); und Aaron stieg hinan den Berg usw. im vierzigsten Jahre [ nach dem Auszuge der Kinder Israel ] im fünften Monat (Num 33,38); im vierzigsten Jahre im elften Monat (Dtn 1,3). Alles aber, was vor dem Auszug aus Ägypten geschehen war, wird in der Tora mit keinem Datum versehen und ist zeitlich daher nicht genauer festgelegt worden. Nur der Zeitpunkt des Auszuges selbst ist berechnet worden : Und es geschah nach Verlauf von vierhundertunddreißig Jahren (Ex 12,41). Doch ist der Zweifel an diesem Datum bekannt und auch, wie man ihn in der [ tanna itischen ] Lehre des Seder ʽOlam, auf die wir uns stützen, zu beseitigen suchte.1 – Nach dem Einzug in das Land, in den Tagen Josuas und der Ä ltesten nach ihm und in den Tagen der Richter sowie Samuels und Davids, finden wir dann auch kein Datum mehr, welches genauer festgelegt worden wäre (nur einma l findet sich in den Worten des Jiftach in einer K lage gegen die Söhne A mmons : Da Israel wohnte in Heschbon usw. dreihundert Jahre [ R i 11,26 ], und dies ist entweder eine Hilfe oder eine Schwierigkeit für die Chronisten), bis zum Bau des Tempels durch Sa lomo, Frieden über ihn, wie geschrieben steht : Und es geschah im vierhundertachzigsten Jahre nach dem Auszuge der Kinder Israel, im vierten Jahre im Monat Siw usw. der Regierung Salomos über Israel (1 Kön 6,1). Aus a ll dem ist zu entnehmen, dass man zu den besonders wichtigen Ereignissen auch den Auszug aus Ägypten zäh lte, doch gab es dama ls auch schon ein weiteres Datum, nach dem man die Regentschaften eines Königs in dieser Zeit berechnete, näm lich die Berechnung nach den Königen, welche in der gesamten Zeit des ersten Tempels gepf legt wurde, und mit ihrer Hil fe konnten sie überhaupt erst a lle Geschichten des Buches der Könige erzäh len (außer an seinem Schluss, wo man nach der Verbannung des Jojachin berechnete, die sich elf Jahre vor der Zerstörung ereignete : Und es geschah im siebenunddreißigsten Jahre der Wegführung Jojachins, Königs von Juda, 1 Vg l. SOR 5 (hg. v. R atner 12a). Zur L ösung des P roblems der Berechnung

siehe Seder ʽOlam Rabba ha-shalem, hg. v. Weinstock, 92.

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im zwölften Monat, am fünfundzwanzigsten des Monats [  Jer 52,31 ]). – Die Propheten, die vor der Zerstörung prophezeiten, berechneten ihre Prophetien auch nach den Jahren der Könige. Jesaja : Im Todesjahre des Königs Usija, da sah ich den Herrn ( Jes 6,1). Jeremia : Vom dreizehnten 151 Jahre | des Joschija ben Amon, des Königs von Juda, bis auf diesen Tag, diese dreiundzwanzig Jahre, erging an mich das Wort des Herrn ( Jer 25,3); und er ist es, der manchma l auch zusätz lich zu den Jahren des Königs von Israel die des Königs Nebukadnezar stellt : Im vierten Jahr des Jojakim ben Joschija, des Königs von Juda, das ist das erste Jahr Nebukadnezars, Königs von Babel ( Jer 25,1); im zehnten Jahre des Zidkija, Königs von Juda, das ist das achtzehnte Jahr des Nebukadnezar ( Jer 32,1) – und zweifelsohne hat er dieses Datum erst bei der Niederschrift seines Buches nach der Zerstörung [ des Tempels ] hinzugefügt. – Ezechiel gab seine Daten stets nach der Verbannung des Jojachin an, die für sich genommen eine Exilierung bedeutete. In seiner letzten Prophetie verknüpft er sie a llerdings mit dem Datum der Zerstörung : Im fünfundzwanzigsten Jahre unserer Wegführung, zu Anfang des Jahres, am zehnten des Monats, im vierzehnten Jahre, nachdem die Stadt geschlagen worden (Ez 40,1). – Unsere Weisen nahmen es aber a ls überliefert an : „Nisan ist das Neujahr für die Könige“ (m RHSh 1,1), was sich darauf bezieht, dass das Jahr der Könige Israels stets vom Beginn des Monats Nisan an gerechnet wurde. Dies geschah zweifelsohne, um auf diese Weise die Berechnung [ aufgrund der Könige ] besser und leichter mit der aufgrund des Auszuges aus Ägypten vergleichen zu können. Daher konnte es auch vorkommen, dass, wenn ein neuer König im Monat K islew erstand, das erste Jahr nach dem Auszug aus Ägypten berechnet wurde, nach den Daten der Könige war dies dann aber bereits das zweite. Wenn man solche Jahre von zwei Königen jedoch zwecks genauer Berechnung der Zeitläufe addieren wollte, sch lug man ein weiteres Jahr hinzu. Dies ist, was unsere R abbinen mit der Wendung „abgerissene Jahre“ [ ‫שני ם‬ ‫( ] מקוטעות‬SOR 29 [ hg. v. Ratner 66b ]) meinten, und damit sei es genug an Verwirrung und Zweifel an der Berechnung der Generationen nach der ersten Tempelzerstörung. Doch die späteren Propheten, Esra und Nehemia sowie a lle Rückkehrer aus dem Exil, berechneten ihre Jahre nur nach den Königen Persiens, die zu ihren Zeiten

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lebten. Und darüber gibt es ebenso Zweifel und sogar Streit unter den Rabbinen, seligen Angedenkens, ob näm lich ihre Regentschaft jeweils vom Beginn des Monats Nisan an wie bei den Königen Israels berechnet wird oder vom Monat Tishri an wie bei der Berechnung nach der Ä ra, die dann genannt wird, oder nach dem A mtsantritt des jewei ligen Königs, was mir aber tatsäch lich a ls sehr unwahrschein lich erscheint. Der Zweifel daran wird übrigens noch größer, wenn man bedenkt, dass es in jenen Generationen keinerlei zeitliche Festlegungen gibt, außer durch die zufä llig erwähnten Jahre von irgendwelchen persischen Königen. Die Mishna des Seder ʽOlam (die sicherlich auf keine münd liche Überlieferung hinsichtlich der Zeitberechnung vor dem A lexanderzug zurückgreifen konnte) konnte daher die Dauer der Generationenfolge nur aufgrund einer Zusammenstellung der erwähnten Jahre festlegen, so wie sie auch hinsicht lich der Berechnung der Jahre der Könige Israels und Judas verfahren ist. A llerdings gibt es in den Ketuvim keine durchgängige Kette der Könige Persiens nach ihrer Reihenfolge, so wie es sie für die Könige Israels und Judas gibt. Es ist dabei ganz k lar, dass viele von den persischen Königen der Zeit des Zweiten Tempels und auch in der Kette der Hohepriester, von der Zeit des Esra bis zum Kommen der Griechen in das Land, feh len, sodass dadurch auch eine lange Folge von Jahren bei der Berechnung der Generationenfolge verkürzt wurde. – Gleiches gi lt auch für die hundert Jahre, die das Land Israel unter der Herrschaft der Könige Griechen lands in Ägypten stand; in dieser Zeit scheint man nach den ptolemäischen Königen gerechnet zu haben. Doch erst nachdem sie unter die Herrschaft der griechischen Könige Syriens gekommen waren, den Nachkommen des Seleukos Nikanor, eines Feldherrn im Heer A lexanders, begann man nach einem fi xen Datum in ihren Listen zu rechnen, wie in den übrigen Briefen und Schriften und wie in den Chroniken der Hasmonäer. Dies ist einer der Vorzüge und guten Erbstücke jener Zeit, dass man sich auf ein fi xes und absolut unumstößliches Datum für die Geschichtsläufe einigte, sodass man nach ihm die Zeitenberechnung eindeutig und umfassend durchführen konnte. Und sogar in den Details der Geschichte findet sich danach keine Verwirrung der Berechnungen

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mehr. Doch an Orten, an denen man diese Berechnungsart aufgegeben hat und andere feststehende Daten erdachte, die nicht hinlänglich begründet und gut genug bekannt waren, nicht einma l unter a llen Schriftstellern a ls anerkannt ga lten [ , geriet man durcheinander ]. – Der Beginn der Epoche der seleukidischen Herrschaft in Babylonien lag aber im Monat Tishri, 380 Jahre vor der Zerstörung des Zweiten Tempels, 312 Jahre vor der christ lichen Zeitrechnung, elf Jahre nach dem Tode A lexanders (nach Meinung der Rabbinen, seligen A ngedenkens, sechs Jahre). Unsere Weisen gehen aber davon aus, dass die Regentschaftsjahre der heidnischen Könige immer von Tishri an berechnet werden müssen. Diese Berechnungsweise wird bei uns die Berechnung nach den ‫ [ שטרות‬Aufstellungen ] genannt; bei den Christen wird es dagegen a ls seleukidische Ä ra bezeichnet, bei den A rabern a ls Datum seit dem „Herrn der Hörner“ (eine im gesamten Orient verwendete Bezeichnung für A lexander, dem Buche Daniel entnommen1) – diese Berechnungsart ist im Orient und in den meisten jüdischen Diaspora- Gebieten sehr lange verwendet worden. Und damit ist die Zäh lweise gemeint, über die die Rabbinen, seligen A ngedenkens, 152 bemerkten : „Und in der Diaspora | berechnet man [ d ie Jahre ] nur nach den griechischen Königen“ (bAZ 10a). Auch Rav Sherira Gaon berechnet in seinem wertvollen Responsum, welches wir noch zu höherer Ehre erläutern werden, die Abfolge der Weisen und der Geschehnisse nach diesem Datum und sagt :2 „Da zog Rav nach Babylonien hinunter, im Jahre 530 der Zählung Griechen lands, an die wir gewöhnt sind.“ Und ebenso verfuhr noch der Rav [ Moshe ben Maimon ], indem er diese Berechnungsweise aufgriff, manchma l auch noch zusammen mit der Berechnung nach der Schöpfung entsprechend der richtigen Vorgehensweise in der Baraita. Die Rabbinen, seligen A ngedenkens, jedoch hatten [ die Berechnung nach der Schöpfung ] im gesamten Ta lmud übernommen (und ihr zufolge fand der Auszug aus Ägypten im Jahr 2448 statt, nach der Berechnung aufgrund der seleukidischen Ä ra aber im Jahr 3448, 1 Vg l.

Dan 8,20. Neubauer, 28; Sch lüter, Iggeret, 206 (§ 155).

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und der Tempel ist im Jahre 3828 zerstört worden). Mit Absch luss des Ta l mud begann man von der Schöpfung an zu zäh len, und diese Vorgehensweise verbreitete sich immer weiter, sodass sie bis heute unter a llen Diaspora- Gemeinden Israels gebräuch lich ist. Dies a lles ereignete sich aber zunächst nur in den Gemeinden des Orients und des Westens, während in Jerusa lem und im Lande Israel die Entwick lung anders verlaufen ist : Denn von der Zeit an, da man über diesen das Joch der Griechen im Jahre 170 zerbrochen hatte, hörte man in dieser Gemeinde auf, nach der seleukidischen Ära zu rechnen; man kehrte vielmehr zu der Berechnung nach den Fürsten und Königen des Hauses der Hasmonäer zurück, sodass man in Verträgen schrieb : So und so für XY, den Fürsten und Priester des höchsten Gottes. Und dies ist auch das, was wir noch in der Megillat Taʽanit fi nden : „[ A m dritten Tishri ] wurde die Erwähnung [ der Herrscher in Urkunden zur Datierung ] abgeschaff t“ usw., „denn einma l verordnete die griechische Herrschaft“ usw.1 Ebenso scheinen auch in den Tagen des Herodes noch einige seiner Nachkommen nach der Ä ra ihrer Könige [ ihre Schriftstücke ] datiert zu haben. Nachdem man aber voll kommen unter die Herrschaft der römischen Stattha lter geraten war und das Land Israel zu einer „hegemonia“ der römischen Regenten geworden war, begann man nach den römischen Kaisern zu datieren, wobei man manchma l auch den Namen des Stattha lters hinzugesetzt hat (so verfuhren etwa die Verfasser von Verträgen). Ihre unterschied lichen Versuche, Ordnung in die Zeitenfolgen zu bringen, wie in der Mishna des Seder ʽOlam oder auch in der Lehre des Tanna de-ve Eliyahu, gelangten jedoch a lle zu dem Ergebnis, dass „die Welt 6000 Jahre a lt ist“ usw. (SER 2 [ 6 ]), und ähn liche Aussagen finden sich auch in einigen Mishnayot, in denen auf eine gewisse Zeitenfolge angespielt wird – sie a lle zäh len a llerdings von der Zerstörung des Zweiten Tempels an. Doch das, was man im Seder ʽOlam 1 E dition

Neubauer, 12. Zur Deutung dieses Satzes vg l. L ichtenstein, Fastenrolle, 283 f., der wie K rochma l eine A nspielung auf die Abschaff ung der Erwähnung der seleukidischen Herrscher erkennen möchte. Vg l. noch Noam, Megi llat Taʽanit, 45.235 f.

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gelehrt hatte, übernahm man auch in der Gemara (bAZ 9a) : „Von da ab rechnete man seit der Zerstörung des Tempels“; und man vergleiche dazu den Beginn des Rashi-Kommentars : „Und sogar in Babylonien zur Zeit der A moräer verfuhr man so, obg leich man dort nie aufgehört hatte, nach der seleukidischen Ära zu rechnen“1 (woran wir auch durch die münd liche Überlieferung erinnert werden : „Und im Exil berechnet man [ die Jahre ] nur nach den griechischen Königen“ [ bAZ 10a ]). Sie pf legten aber unter ihnen sowoh l Rechnungen a ls auch Memoiren [ nach dieser A rt zu datieren ], doch der Tannait unserer Mishna [ SOR ] rechnete dann wieder nach der Zerstörung des Tempels. Deswegen suchte man aber nach einer Möglichkeit, die beiden Berechnungsweisen miteinander in Beziehung zu setzen und ihre Begründung durch verschiedene Indizien festzu legen, sodass beide [ Zäh lweisen ] sowoh l dem Tannaiten a ls auch dem [ Geschichts-]Schreiber bei ihren Bemühungen weiter helfen könnten.

A nmerkung 10 (Seite 592) Wir haben noch eine Vermutung, die tatsäch lich nichts weiter ist a ls eine unserer Thesen, für die es keinen richtigen Beleg oder Beweis aus den Überlieferungen der Rabbinen, seligen A ngedenkens, gibt. Wenn sie a llerdings entgegen dem, was die R abbinen und ihre A nhänger vertreten, zutreffen sollte (sodass a llein jene, und nicht etwa ich schu ldig wären), würfe dies nicht wenig Licht auf jene fernen Zeiten, mit denen wir uns befassen, Zeiten der Verfolgung und des Befreiungskrieges, a ls die Griechen noch in Syrien herrschten. Und daher können wir hier nicht anders, a ls unsere Meinung dazu festzuha lten : [ Unsere Vermutung geht aber dahin, ] dass einige von den hei ligen Liedern, die im Buche der Psa l men gesammelt worden sind, erst im Verlaufe jener Epoche entstanden sind, und dass jene Maskilim, Heilige und Fromme, auf die Daniel und die Chroniken aus der Zeit der Hasmonäer hindeuten 1 Vg l. 2  I n

R ashi zu bAZ 9a s. v. ma l khut Paras. der Edition Seite 70.

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und die durch Mattatias und Judas, seinen Bruder, die hasmonäischen Priester, geeint wurden, diejenigen waren, die sie rezitiert und gedichtet haben. Dies taten sie an lässlich der Nöte, Verfolgungen und K riege, die über sie durch die griechischen Herrscher und die übelgesonnenen Völ ker, die sich in Israel angesiedelt hatten, sowie die Frevler aus Israel und die Übeltäter, die es den Griechen gleichmachen wollten, hereingebrochen waren. Und sie wollten in ihnen den über a lle errungenen Sieg bejubel n und für die Rettung aus ihrer Hand danken. Wir haben aber bereits in der Pforte selbst wie auch in der vorangehenden A nmerkung hinsicht lich der Qua lität der beiden in griechischer Sprache erha ltenen Chroniken über die Hasmonäer erk lärt, dass insbesondere die erste von ihnen ursprüng lich in hebräischer Sprache und zweifellos in Judäa verfasst worden ist. Wir hatten aber auch festgestellt, dass in beiden die spezielle Bezeichnung für jene, die ihr Leben für die Erfü llung der Gebote hingegeben hatten und die freiwi llig für ihre Tora | kämpfen wollten, auch 153 in der griechischen Fassung des hebräischen Textes „Fromme“ [ Ḥasidim ] gewesen ist. Sie werden im Daniel-Buch a ls die Verständigen des Volkes (Dan 11,33), die viele zur Gerechtigkeit führen (Dan 12,3), die Heiligen des Höchsten (Dan 7,25), das Volk, das seinen Gott kennt (Dan 11,32) bezeichnet, und ebenso werden auch jene mit einer passenden Bezeichnung gekennzeichnet, die sich den Griechen assimilieren wollten und die die Ḥasidim daher verfolgten : Sie werden Frevler (Dan 8,23), diejenigen, die den heiligen Bund verlassen (Dan 11,30) und die am Bund Frevelnden (Dan 11,32) genannt. Nun wollen wir einige Beispiele a ls Beleg für unsere These zusammentragen : Psa lm 44 beginnt mit den Worten : Gott, mit unseren Ohren haben wir gehört, unsere Väter haben uns erzählt (Ps 44,2), doch dann folgen die Worte : Du gibst uns, Schafen gleich, zum Fraße hin, und unter die Völker zerstreust du uns (Ps 44,12); du verkaufst dein Volk um geringes Gut (Ps 44,13); du machst uns zum Hohne unseren Nachbarn, zum Gespött und Gelächter unseren Nachbarn (Ps 44,14) (und einiges von dem wird in den Chronik-Büchern anhand von A mmon, Moab, Edom, Tyrus und Hagrim, erläutert. Dies waren näm lich jene A raber, die, nachdem sie den Griechen im Verlaufe des K rieges gehol-

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fen hatten, sie zu belagern, in [ der Stadt ] wohnen blieben und die stets mit ihnen zogen, in der Hoff nung auf Beute und bedacht auf jüdische Gefangene, die sie besiegen und an denen sie sich rächen könnten. Wir finden aber nirgendwo, dass Israel zum Gelächter und zum Gespött für seine Nachbarn geworden ist, außer in jener Stunde und zu jener Zeit, a lle Tage des ersten Tempels lang). Denn du zerschlugst uns in der Wohnung der Schakale und bedecktest uns mit Todesschatten (Ps 44,20) (dies bezieht sich auf die Verstecke der Ḥasidim in den Höh len und Felsk lüften, die in den Chroniken erwähnt sind und in [ der vorangehenden ] Pforte beschrieben wurden); wenn wir vergessen den Namen unseres Gottes, und gebreitet unsere Hände fremden Götzen. Würde nicht Gott solches ergründen ? Denn er kennt die Geheimnisse des Herzens (Ps 44,21 f.) (wie schön und wahr ist dieser Satz, wenn man ihn jenen Ḥasidim zuschreibt); denn um dich werden wir gewürgt den ganzen Tag, werden dem Schafe der Schlachtbank gleich geachtet (Ps 44,23) (wie es über ihren Tod in den Höh len berichtet wird, a ls sie den Namen des Herrn nicht entweihen wollten; und bekannt ist auch die Geschichte von der Mutter und ihren sieben Söhnen; vor dieser Zeit finden wir noch keine Belege dafür, dass viele aus Israel wegen ihres Glaubens getötet worden wären); Erwache ! Warum schläfst du Herr ? ! (Ps 44,24). Aus a ll diesem geht hervor, dass die Entstehungszeit dieses Psa l ms genau mit dem Beginn der Verfolgung im Jahre 143 der seleukidischen Zeitrechnung zusammenfiel. Er sollte an die Nöte, die über sie hinweggegangen waren, erinnern, indem ihn die Leviten im Tempel bis in die Tage des Johannes Hyrkanos, der [ d ie Verfolgungen ] von ihnen fernhielt, vortragen sollten. Psa lm 74 : Warum, Gott, verstoßest du für immer (Ps 74,1). Beachte aber vor a llem die Worte : Alles hat misshandelt der Feind im Heiligtume (Ps 74,3) (dies bezieht sich tatsäch lich auf die Bogenschützen, die von der Zitadelle in der Zionsstadt auf den Tempelberg und auf die zu ihm Hinaufsteigenden herabschossen, wie es in den Geschichtsbüchern und in der Megillat Taʽanit angedeutet wird1); es 1 Vg l.

Josephus, A nt. XII 9,3. Edition Neubauer, 19; Lichtenstein, Fastenrolle, 279; Noam, Megi llat Taʽanit, 312 f. (zum 28. Adar).

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brüllen deine Feinde inmitten deiner Versammlungsorte, sie stellen ihre Zeichen als Zeichen auf (Ps 74,4) … sie stecken in Brand dein Heiligtum ([ d ies bezieht sich auf ] die Synagogen, die sie verbrannten); es ist kein Prophet mehr da (Ps 74,9) … bedenke dies : der Feind lästert den Ewigen, und niederträchtiges Volk höhnet deinem Namen (Ps 74,18); gedenke deiner Verhöhnungen von dem Niederträchtigen den ganzen Tag (Ps 74,22) ([ d ies bezieht sich auf ] die griechischen Herrscher, die in Syrien saßen, a ls ihre Macht bereits im Schwinden war und sie sch ließlich von den Römern unterworfen wurden, wie in der Pforte erläutert worden ist; ebenso wie die übelgesonnenen k leinen Nachbarvölker). – So möge man anerkennen, dass auch dieser Psa l m während der Verfolgung oder kurz danach verfasst worden ist. Psa lm 79 : Gott, Völker sind eingedrungen in dein Erbe (Ps 79,1) – der Gebildete wird verstehen, dass a lle Worte dieses Psa lms zur Geschichte jener Epoche passen, in die Mitte jener K riegsjahre, und sie dauerten nach der ersten Chronik [ der Makkabäer ] bis zum Zug des Bakchides, des Feldherrn des griechischen Heeres, zusammen mit Eljakim, dem Frevler, der für die Ermordung der sechzig Schriftgelehrten und Frommen im Jahre 151 verantwortlich gewesen war (unter den Ermordeten befand sich auch Yose ben Yoʽezer, der Fromme, während David, der Frevler, a ls Hohepriester diente). In [ diesem Psa lm ] wird außerdem eine Ausdrucksweise verwendet, nach der es heißt : das Fleisch deiner Frommen usw. (Ps 79,2). Und wisse, dass diese historische Reminiszenz zweifelsohne nach dem letzten Absch luss der hei ligen Schriften verfasst worden ist, denn es werden am Sch luss [ des Psa l ms ] ganz kurz auch die Taten des Johanan Hyrkanos und seine Machtfü lle erwähnt, wie es bereits in der Pforte erk lärt wurde. Psa lm 83 : Gott, nicht gönne dir Ruhe (Ps 83,2). Es möge dir aber gut verständ lich sein, dass das Erzäh lte [ in diesem Psa l m ] mit dem übereinstimmt, was wir in der ersten Chronik über die Kontakte zu den Völ kern der Umwelt Israels und über Judas und seine Heerscharen finden. Der Satz auch Assur ist ihnen verbündet (Ps 83,9) ist ebenfa lls eine Umschreibung für die Herrschaft der Griechen in Syrien, die sogar in Transeuphratene statt der Perser herrschten, einem Königreich, welches etwa im Esra-Buch auch a ls „Assur“

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bezeichnet werden konnte, wei l es zu den wichtigsten Ländern 154 des Reiches gehörte. | Psa lm 85 : Du hast gnädig aufgenommen, Ewiger, dein Land, hast zurückgeführt die Gefangenen Jakobs (Ps 85,2). Dies fand nach einem bedeutenden Sieg statt, wahrschein l ich in den Tagen des Fürsten Jonatan II.; und wir möchten hier nur noch auf folgende Sätze hinweisen : Hören will ich auf das, was redet Gott der Ewige; denn Frieden verhängt er über sein Volk und seine Frommen, aber dass sie nicht umkehren zur Torheit (Ps 85,9). Psa lm 132 : Gedenke, Herr, dem David all seine Mühe (Ps 132,1). A n einigen Stellen der Pforte haben wir erk lärt, wie sie von Beginn der Rückkehr aus dem Exil an, während der Perserherrschaft und a lle Tage der Zeit des Zweiten Tempels über ein starkes Gefüh l und eine gute Kenntnis von dem hatten, was die ersten Propheten von der ewigen Rettung für Israel gesagt hatten, dass aber deswegen die Erlösung nicht voll kommen sein könne. Deswegen aber könne niema ls mehr, auch in den besten Zeiten in jener langen Zeit, eine Regentschaft und Herrschaft erstehen, die nur im geringsten mit jener, in den hei ligen Schriften erhoff ten, vergleichbar wäre. Daher entwickelte sich und erstarkte die Hoff nung und Erwartung auf einen gerechten Priester, der den Zustand des Tempels und seiner Heiligtümer so verbessern würde, dass ein König aus dem Hause Davids erstünde, der sie rettete und ihre Ehre wieder aufrichtete. Denn zu jener Zeit befanden sich unter ihnen immer noch Abkömm linge aus seinem Gesch lechte, einige von ihnen gehörten sogar zu den A ngesehensten in Babylonien. Wir haben oben aber auch schon daran erinnert, dass die tüchtigen unter den ersten Hasmonäern, Judas und seinen Brüder, und diejenigen, die ihren Auffassungen folgten, dass ihre gesamte Heilstat eigentlich nur eine k leine Hilfe in ihrem Bemühen gegen die Leibeigenschaft der Griechen und bei der Zerstreuung unter die rest liche Diaspora unter den Völ kern gewesen ist. Sie und das Vol k hielten aber hinsichtlich ihrer positiven Hoff nungen eng zusammen, und [ d iese Hoff nung ] erweiterte dabei ihren Geist [ so weit ], um gegen die Unterdrücker aufzustehen. Doch nach diesem [ Interpretations-] Vorsch lag wollen wir kurz festha lten, dass dieser Psa lm auf ein

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positives Ereignis Bezug nimmt, näm lich auf den Sieg des Judas, der den Tempel aus den Händen der Feinde und Frevler zurückgewonnen hat. Man tat sich aber zusammen, um ihn zu reinigen und für den Ku lt wieder zu hei ligen. Der ehrwürdige Dichter dieses [ Psa l ms ] berichtet daher auch über David, der a ls erster das Haus unseres Gottes eingerichtet hatte, dass er auf die g leiche A rt und Weise wie Judas und seine Gefolgschaft, die Priester und Ḥasidim, einen Schwur abgelegt hatte, dass es auf Todesstrafe verboten sei, den Tempel den Feinden zur Eroberung preiszugeben, was schon in der Pforte erläutert wurde. Und bezüglich der Erneuerung des Gottesdienstes erinnert er daran : Deine Priester legen Heil an, und deine Frommen jubeln (Ps 132,9). Und im Hinblick auf die Zukunft und die Fortsetzung des Sieges heißt es : Und seinen Priestern leg’ ich Sieg an, und seine Frommen sollen jubeln (Ps 132,16). Und im Hinblick auf die Hoff nung auf einen Retter der Welt : Dort lass ich wachsen ein Horn dem David (Ps 132,17). Die [ folgende ] Wendung erscheine dir aber [ vor diesem Hintergrund ] nicht [ mehr a ls ] problematisch : Lade deiner Herrlichkeit (Ps 132,8), da doch im Zweiten Tempel dieser „Schrank“ feh lte. Der Dichter wäh lte mit Hilfe des heiligen Geistes auf seine Weise solche Formu lierungen aus, die in früherer Zeit üblich gewesen waren, womit er sich aber eigent lich nur auf die Einwohnung der Herrlichkeit [ Gottes ] beziehen wollte, wie sich auch im Weiteren zeigt, wo er an die Namen der Stämme nach ihrem Wohnort erinnert, die ihnen seit a lters her gehörten, wie wir bereits oben hinsichtl ich des Namens Assur gezeigt hatten. Auch in der Mishna des Traktates Yoma (welche von Shimʽon, dem Mann aus Miṣpe, in der Zeit des Zweiten Tempels eingeführt worden ist, wie wir an einem anderen Ort unseres Werkes dargelegt haben) lehrte man (bYom 52b) : „und ging dem Vorhange ent lang l inks, bis er an die Lade gelangte. A ls er an der Lade angelangt war, setzte er die Pfanne zwischen die beiden Stangen“ (mYom 5,4). Doch heißt es dazu schon in der Gemara : „[ Dies gilt nur vom ] Zweiten Tempel “ usw. (bYom 52b) – siehe dort. Psa l m 149 und 150 : Halleluja, singet dem Herrn ein neues Lied (Ps 149,1). Sein Inha lt bezieht sich auf den K ampf der Frommen mit

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geschärftem Schwert, auf den rettenden Sieg und auf die Ehre von Königen und Fürsten, die sich vor ihnen beugten. Doch wann und wo soll jema ls in unserer Geschichte ein solches Ereignis stattgefunden haben, wenn nicht in dem erwähnten K riege, und zwar gegen dessen Ende ? Daher ist es k lar, dass, nachdem das Land im Jahre 170 zur Ruhe kam, ihnen die syrischen Könige entgegenzukommen begannen, und ein jeder übertraf hierbei seinen Vorgänger, indem er dem Vol k und dem Feldherrn Simon Freiheitsurkunden und Bundessch lüsse anbot. Der letzte Eckstein der Mauer ihrer Freiheit wurde jedoch erst gelegt, nachdem die Festung in der Zionsstadt im Monat Iyyar [ des Jahres ] 171 gefa llen war, die von den Griechen und den Frevlern bis zu diesem Tage geha lten wurde. – Dama ls ist dieses neue Lied zum ersten Ma l gesungen worden, an dem Tag, a ls sie ein großes Freudenfest veransta lteten, wie es in ihren Chroniken erläutert wird und aufgeschrieben steht, dass man diesen Tag nach der Megillat Taʽanit sogar zu einem Feiertag machte : „ A m dreiundzwanzigsten desselben [ des Monats Iyyar ] zog die Besatzung der Burg aus Jerusa lem ab“ usw. 155 (Megi llat Taʽanit II).1 | Mein Verstand legt mir aber auch nahe, dass, wie sich in den Psa lmen ein ägyptisches Ha llel findet, auch ein assyrisches Ha llel existiert und ebenso, wie in der vorangehenden A nmerkung dargelegt, ein babylonisches Ha llel (wie es auch von meinem Freund, dem bedeutenden und gerühmten Rav [ Sh lomo Yehuda Rapoport ] im Vorwort seines Werkes She’erit Yehuda dargelegt worden ist2). Der uns vorliegende Psa lm aber, der ohne Zweifel denjenigen, der nach ihm steht, und vielleicht auch einige von den Ha lleluja-Psa lmen, die voranstehen, miteinander vereinigt, enthä lt das griechische Ha llel. Für den Verständigen brauchen wir hier dies aber nicht weiter auszubreiten, sondern möchten nur mit einem Herzensseufzer anmerken, dass dieses Ha llel sicher erst mit dem Ab1 Edition

Neubauer, 5. Vgl. Lichtenstein, Fastenrolle, 286 f.; Noam, Megi llat Taʽanit, 187. 2 Sh. Y. L . R appoport, Sheʼerit Yehuda kolel nes haṣalat Yisra’el ʽal Mordekhai we-Ester, Wien 1827, 12.

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sch luss des Psa l men-Buches Israels vollendet worden ist. Und seitdem hörten wie die großen Taten und die wirk lichen Wunder auch die Loblieder und Preisungen über sie auf. Die sieben Psa lmen, die wir hier zitierten, werden aber zu Beginn teils a ls „dem Assaf“ zugehörig gekennzeichnet, zwei auch a ls „den Söhnen des Korah“, und zwei erscheinen, ohne dass der Name eines Dichters genannt würde. Deswegen, wenn wir sagen, dass ihre Autoren levitische Ḥasidim aus der Zeit des K rieges [ mit den Griechen ] gewesen sind (denn ohnedies wissen wir, dass die Tora und jeg l iche geistige Fähigkeit dama ls nur unter den Priestern und Leviten tradiert worden ist), bringen diese Identifizierungen keinerlei Schwierigkeiten mit sich. Zu dieser Zeit besaßen sie außerdem noch zah l reiche genea logische Schriftrollen, insbesondere die Priester und Leviten achteten stets auf ihre Dokumente, die sie bestimmten Familien und den Familienoberhäuptern der Tempelwachmannschaften zuordnen konnten. Sie benannten sich nach ihren Namen wie noch in den Tagen des David, Hiskia und Joschija, was dem Verständigen ohnehin bekannt ist und keines weiteren Beleges bedarf.1 A llerdings möge der woh lgesonnene Leser unserer These auch bedenken, was Judas und seinen Brüdern sowie den übrigen A nführern der Ḥasidim zugestoßen ist und dass dies dem verg leichbar ist, was König David, über ihn Friede, widerfahren war. Er ist wie jene von Nichtjuden wie auch von Übeltätern aus Israel verfolgt worden; dieser wie jene musste sich in der Wüste und in Höhlen verstecken, er wie sie wurde durch seine Freunde verraten und seine Brüder, die Söhne seines Vol kes, wandten sich mehr a ls die in Sch lachtreihe kämpfenden Feinde gegen ihn. Sehr gut denkbar erscheint daher auch, dass die Ḥasidim einige ihrer Lieder über David gesungen haben, um somit ihr Herz aus Mitleid über sein Ergehen auszuschütten, wobei er zufä llig jemand war, dem es ähnlich ergangen war wie ihnen zu ihrer Zeit.

1 Vg l.

zum Folgenden die Tei lübersetzung von Harris, Nachman K rochma l, 184 f.

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Dadurch eröff net sich uns aber die Lösung eines großen Problems, welches aus der zu Beginn einiger Psa l men verwendeten Einführungformel „le-Dawid“ entsteht, denn aufgrund ihres Inha ltes können [ d iese Psa l men ] nicht das Werk des David sein. Und die Kommentatoren blendeten dies a lles aus, bis die meisten unter den nicht-jüdischen kritischen Philologen diese Überschriften verspotteten und sie für nichtig erachteten, während sie von den Vorfahren tatsäch lich a ls so a lt angesehen wurden wie die Psa lmen, über die sie geschrieben worden waren. Doch in der Zeit, in der wir leben, wird der Inha lt, wenn man diese Psa l men in den Mund jener Ḥasidim legt, verständ licher, und sie müssen [ dann völlig anders ] ausgelegt werden; die Überschriften [ d ieser Psa lmen ] erscheinen jedoch vor dem Hintergrund, den wir erläutert haben, a ls sehr passend. Zum Beispiel Psa lm 144, der David zugeschrieben wird, und mit den folgenden Worten beginnt : Gepriesen sei der Herr, mein Hort, der meine Hände übt zum Kampfe, meine Finger zum Kriege (Ps 144,1). Wie gut passt er zu Judas [ Makkabäus ] ! Noch mehr sogar zu seinem Bruder Jonatan, dem Hasmonäer, und er mag ihn nach der Weise des David gesungen haben. Und in ihm fi ndet sich auch der Vers : Der befreit David, seinen Knecht, von dem Unheilsschwerte. Befreie und errette mich aus der Hand der Fremden (Ps 144,10 f.) (dies meint die Griechen und ihre Heerführer im Lande [ Israel ]), deren Mund Falschheit redet, und deren Rechte sind Lügenrechte (Ps 144,11). Dies bezieht sich ganz eindeutig auf den Verrat, mit dem sie sie oftma ls hintergingen, und darauf, dass sie sie oft mit Hilfe der Frevler zu ergreifen suchten, obwoh l sie ihnen zuvor Sicherheit und Frieden für ihr Leben mit ihren Rechten zugesichert hatten, wie es in den beiden Chroniken [ der Makkabäerbücher ] und bei Yosef, dem Priester, geschildert wird. Ebenso wird auch Psalm 69 David zugeschrieben, und er beginnt mit : Hilf mir, o Gott ! Denn es dringen die Wasser mir ans Leben (Ps 69,2). Dies ergibt im Munde Davids, nach a llem, was wir aus den Ketuvim über ihn und seine Zeit wissen, überhaupt keinen Sinn. Auch heißt es in ihm : Denn der Eifer um dein Haus zehrt mich auf (Ps 69,10), und er sch ließt mit : Denn Gott wird Zion helfen und bauen die Städte

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Judäas (Ps 69,36) (dies bezieht sich auf die Zerstörungen und Nöte sowie die langen K riege, die ausgetragen worden war, a ls Eljakim und Bakchides im Jahre 151 kamen und Jonatan sehr verfolgten); und der Same seiner Knechte wird es besitzen, und die seinen Namen lieben, darin wohnen (Ps 69,37) (und nicht etwa die Griechen und die Frevler, wie es zu jener Stunde, [ da der Psa lm geschrieben wurde, ] der Fa ll gewesen ist). | Psa lm 59 : Von David, ein mikhtam, da Saul sandte und sie das Haus bewachten, ihn zu töten (Ps 59,1). Und es folgt zu Beginn : Rette mich vor meinen Feinden, mein Gott (Ps 59,2). Selbst wenn man davon ausgehen möchte, dass man die meisten Verse gezwungen auf David und seine angedeutete Stellung hin auslegen könnte, kann man doch nicht sämtliche Verse so interpretieren, wie z. B. auch den Vers : Erwache [ Gott ] , heimzusuchen all die Völker, begnadige nicht all die treulosen Unheilübenden (Ps 59,6); und sie sollen erfahren, dass Gott herrschet in Jakob bis an die Grenzen der Erde, sela (Ps 59,14). A llein im Munde Judas oder Jonatans oder eines anderen von den Ḥasidim, der ihn für sie oder für sich selbst formu lierte, machen diese Worte Sinn. Doch scheinen sie in einer Situation gesprochen, die der des David ähn lich war, da sie von Feinden bewahrt worden waren oder kurz davor gestanden hatten, in ihre Hände zu fa llen. Wir wollen aber die Beispiele mit Psa lm 60 besch ließen, wo es heißt : Von David, es zu lehren, al s er befehdete Aram Naharajim und Aram Zoba und Joab umkehrte und Edom schlug usw. (Ps 60,1 – 2). Zu Beginn wird hier gesagt, was wir auch aus der Schrift wissen, dass der König bereits lange vor der Eroberung Edoms durch David Erfolg hatte, und zu dem angezeigten Zeitpunkt war seine Macht sogar auf ihren Höhepunkt gelangt. Und daher ergibt das wortwörtliche Verständnis von Sätzen wie jenen keinen Sinn : Gott, du hast uns verstoßen, uns zerrissen; du hast gezürnt, o erstatt uns wieder ! Du hast erschüttert die Erde, sie zerspalten, heile ihre Risse, denn sie wankt. Du hast deinem Volk Hartes gezeigt, uns getränkt mit Taumel-Wein. Du hast denen, so dich fürchten, ein Panier gegeben, sich zu erheben, um der Wahrheit willen (Ps 60,3 – 6). Der gesamte Psa l m stimmt im Munde Davids nicht mit seinem angedeuteten Rang überein. Doch passt er genau im Munde Judas, des Hasmonäers, oder zu einem seiner

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Gefährten von den Ḥasidim und spricht zu ihren Gunsten. Um ihn aber voll kommen zu verstehen (und dies ist uns hier besonders wichtig), muss man wissen, dass Bet Ṣur (mit einem shuruq vokalisiert) eine Festung am süd lichen Ende des Gebietes von Edom [ vgl. 1 Makk 4,29 ] gewesen ist, für die widerstreitenden Parteien sehr wichtig und an der wie an einem Pf lock die Wechselfä lle des K rieges hingen. Es ist es aber wert, hier den Vers aus dem ersten Buch der Chroniken zu zitieren, auch wenn die A ngelegenheit dadurch etwas in die Länge gezogen wird. Über den A nfang des Aufstandes gegen die Griechen steht dort geschrieben : „Und Judas befestigte Bet Ṣur, damit sie eine Festung gegen Edom hätten“ (1 Makk 4,61). Nach dem großen Sieg, den Judas über die Nachbarn des Landes Israel davongetragen hatte, a lso über die Völ ker jenseits des Jordans, in Gilead und im oberen und unteren Ga liläa (vorma ls Erbbesitz der Stämme Israels) sowie über den Süden, Ashdod und Yavne (vorma ls Gebiete an der Grenze zu den Philistern) – nach diesen Erfolgen herrschte Eupator [ A ntiochus V. ] über ganz Syrien, und er zog mit großer Streitmacht ins Land, bis Judas ihm nicht mehr widerstehen konnte und er sich vor ihm in den Bergen und zwischen Felsen verbergen musste, sodass man dama ls über den König schrieb : „Sie zogen in das Land Edom und sch lugen in Bet Ṣur ein Lager auf“ (1 Makk 4,29); und sie brachten auf dem A ltar Rauchopfer dar; und die K inder Israels brachen aus der Stadt aus und warfen die Geräte ihrer Zerstörung ins Feuer; sie kämpften wie K riegshelden; und Judas belagerte die Festung, und die Juden sahen, dass die Streitmacht des Königs gewa ltig war und ließen von ihm ab … , und die Leute von Bet Ṣur konnten die Stadt nicht ha lten, weil der Hunger über sie Macht erlangt hatte; denn dieses Jahr war ein shmiṭṭa-Jahr; und der König sch loss mit ihnen einen Frieden; und sie zogen sicher aus der Stadt ab, er aber gab eine Truppe in sie, damit sie sie bewachen sollten [ vgl. 1 Makk 6,48 – 54 ]. Über den Zug des Bakchides und des Eljakim im Jahre 151 steht geschrieben : „und er befestigte Bet Ṣur“ (1 Makk 9,52). – Nachdem sie bis zum Jahre 160 auch Jonatan besiegt hatten, steht über diese Zeit : „Nur in Bet Ṣur blieben einige von denen zurück, die das Gesetz und die Gebote verlassen hatten; denn es diente ihnen a ls

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Zuf luchtsstätte“ (1 Makk 10,14). So wurde Bet Ṣur ein um das andere Ma l offen gelassen (sodass es sich meistens in den Händen der Feinde befand), bis es endgü ltig durch Shimʽon erobert wurde. In der Herrschaftsurkunde, die ihm das Vol k im Jahr 171 übergab, stand geschrieben, welche Großtaten er vollbracht hatte : „Er befestigte die Städte Judäas und Bet Ṣur an der Grenze Judäas, wo früher der (Haupt-)Waffenplatz der Feinde war, und stationierte dort Juden a ls Besatzung in ihr“ (1 Makk 14,33). Und noch öfter wiederholt der Erzäh ler solche Lobesworte über die Taten Shimʽons (und im hebräischen Urtext scheint es sich dabei um ein a lphabetisches A krostichon gehandelt zu haben), etwa wenn er bemerkt : „Er brachte viele K riegsgefangene zusammen und bemächtigte sich Gezers, Bet Ṣurs und der Burg (von Jerusa lem)“ (1 Makk 14,7). | Und in der Megillat Taʽanit steht geschrieben : „ A m vierzehnten Siwan wurde Migda l Ṣur geeint“ (was bedeutet : erobert). In der Baraita zur Migilla erk lärte man dazu : „Das ist Caesarea, die Tochter Edoms, das zwischen den Dünen liegt (im Süden, nicht etwa Stratonsturm oder Caesarea maritima), und sie war für Israel zur Zeit der Griechen wie ein Pfah l im Fleische. A ls aber das Königreich des Hasmonäerhauses Oberhand gewonnen hatte, eroberten sie es und siedelten wieder Juden in ihr an, und jenen Tag, an dem man es erobert hat, machte man zu einem Feiertag.“1 Doch beachte, dass für sie die Eroberung dieser Festung so wichtig war, dass sie an lässlich ihrer Eroberung sogar einen Feiertag einrichteten, wie auch an lässlich des wunderbaren Sieges über Nikanor, den griechischen Feldherrn, und an lässlich der Übergabe der Festung in Jerusa lem. Es ist aber sehr wahrschein lich, dass mit ihr trotz einiger Meinungsverschiedenheiten darüber (durch eine Verschiebung der Aussprache), die Festung Betar oder Bet Tar gemeint ist, wo das Horn Israels ungefähr siebzig Jahre nach der Tempelzerstörung zum letzten Ma le gefä llt worden ist, wie auch in der Pforte erzäh lt wurde. 1 Edition

Neubauer, 6. Zur Übersetzung dieses Abschnittes des Schol ion vg l. Lichtenstein, Fastenrolle, 281; Noam, Megi llat Taʽanit, 193 f.

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Der Dichter verglich im heiligen Geist jene Ereignisse mit denen um David. Denn so wie David Edom eroberte, nachdem er zuvor viele Völ ker jenseits des Flusses [  Jordan ] besiegt hatte, so auch Judas nach seinen Siegen jenseits des Jordan und im Land der ihn umgebenden Völ ker, über die er [ mit folgenden Worten ] zu lobpreisen pf legte : Gott hat geredet in seinem Heiligtume; ich werde frohlocken, will Sichem verteilen und das Tal Sukkot ausmessen; mein ist Gilead und mein Manasse usw. (Ps 60,8 – 9) – ermanne dich noch bei seinem Gott, um diese wichtige Festung zu retten oder sie ein zweites Ma l aus der Hand der Griechen zu erobern, und lies : Wer bringt mich in die feste Stadt, wer führt mich bis Edom ? (Ps 60,11). Der Satz : Nicht du, o Gott, der du uns verstoßen und nicht auszogst, Gott, mit unseren Heeren ? gleicht eindeutig dem Vers : Und du hast uns verstoßen und uns beschämt, und ziehest nicht mit unseren Scharen aus in Psa l m 44[ ,10 ], der den Söhnen Korachs zugeschrieben wird. Doch unserer Meinung nach kann kein Zweifel daran bestehen, dass er aus jener Zeit stammt, mit der wir uns hier beschäftigen. Auch halten wir es für sehr wahrschein lich, dass sich eine zweite Rezension dieses Psa lms in Psa lm 108 findet, der mit den Worten Fest ist mein Herz, o Gott (Ps 108,2) anhebt. Ihn haben woh l die Frommen in den Tagen Shimʽons oder kurze Zeit vor ihm aufgeschrieben, nachdem die Festung wieder in ihre Hand gelangt war. Mein Herz sch lägt mir bis zum Ha ls, hier solche neuen Thesen vorzustellen, die so ziem lich das Gegentei l dessen vertreten, was heutzutage im Vol k und unter seinen hervorragendsten Vertretern a ls anerkannt gi lt. Doch seitdem die wahren Gottesfürchtigen weniger werden und die Eiferer am Beginn des Weges lauern – wann wird a lso ein Wort aus dem Munde eines Forschers ausgehen, der das Gegentei l von dem, was man gewohnt ist, behauptet oder das Gegentei l dessen, das seinen Platz in ihrem k leinen Wissensschatz einnimmt ? – zuma l sie deswegen einen wahren K rieg anzettelten ?1 Daher unsere Bitte um Nachsicht, denn Gott weiß und Israel soll wissen ( Jos 22,22), dass man reinen Herzens zu keiner wahrhaften Erkenntnis gelangen kann, wenn die Furcht besteht, man 1 Zum

folgenden Abschnitt vg l. Harris, Nachman K rochma l, 180.

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könne dadurch die Grund lage des Glaubens verlieren. Das Gegenteil ist richtig ! Lob und Preis für Israel und Ehre der Tora ihrer Väter, doch Schande über die, die sich in unseren Tagen böswi llig unwissend stellen. Dem Gläubigen, wie in unserem Spruch, wenn sich denn Wahrheit in unserer These findet – welche Gefahr kann ihm denn dadurch zustoßen, wenn sich uns tatsäch l ich [ etwas davon ] vor das Licht der Wahrheit stellt ? Denn auch gegen Ende unserer Epoche und mit dem Längerwerden der Schatten unserer Erfolge müssen ja nicht a lle heiligen A nführer und Frommen des Höchsten, die geprüft und auserwäh lt worden sind, zu wirken aufgehört haben; es könnte ja auch weiterhin der hei lige Geist auf einigen geruht haben, a ls sie ihre Herzen vor ihrem König und ihrem Gott ausschütteten, für den sie während der gesamten Zeit des langen und schweren K rieges zu sterben bereit gewesen waren, sodass man anerkennen muss, dass einige der Psa l men, die bis heute Personen zugeschrieben werden, die vor ihnen lebten, von ihnen stammen ? Uns erscheint jedoch offensichtlich zu sein, dass die früheren Gelehrten dies wussten und es nicht verdeckten. Denn a llen ihren Schü lern übermittelten sie in ihrer of fenk u nd igen Lehre, dass das Buch der Psa l men durch zehn Ä lteste geschrieben worden ist (in der a lten Baraita über die „ Abfolge der Propheten [ bücher ]“, die von uns in unserem Buch schon oft zitiert worden ist, wird außerdem k lar, dass sie dies auch von den Tröstungen im Buche Jesaja wussten), wobei sie jedoch in ihren Predigten vor der Vol ksmasse gewohnt waren, das Buch insgesamt a llein dem David zuzuschreiben, sodass es a llgemein anerkannt werden konnte. Und so könnte es sein, dass sie diese Hintergründe in a llen Details mitsamt a llen Widersprüchen nur den züchtigsten unter ihren Schü lern mitgetei lt haben. | Nicht umsonst dürfte die 158 Überlieferung der Rabbinen, seligen A ngedenkens, die Generation der Verfolgung mit der Generation des Hiskia verglichen haben, zuma l ihnen diese a ls eine Generation der Erkenntnis ga lt und sie ihr die Niederschrift eines gewissen Teils der heiligen Schriften zugedacht haben. Und bedenke dies ! Es ist jedoch genau umgekehrt, der Schaden und die Gefahr in unseren Tagen ist, dass derjenige, wer ein Ohr hat zu hören oder

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der ein wenig von dem liest (insbesondere hinsicht lich der frühen Zeiten), was in den Schriften der nichtjüdischen Gelehrten steht (und mir ist bewusst, dass sich bezüg lich der oben erläuterten These einige der deutschen Gelehrten in jüngerer Zeit geäußert haben, doch habe ich [ ihre Werke ] noch nicht einsehen können), ohne sich darin zu sehr zu vertiefen oder Wahrheit und Lüge miteinander vermischen zu wollen, der gelangt auf diese Weise schnell zu merkwürdigen Geschichtsrekonstruktionen, die überhaupt nicht a llgemein anerkannt sind. A lles nur, wei l sie die A ngelegenheit nicht so sehen, wie man sie zu Beginn erk lärte und wie die Weisen des Vol kes sie rekonstruiert hatten, oder wei l sie ihr Ohr für eine wahre Beobachtung oder eine Sache, die man für wahr hielt, geöff net hatten; sodass ich am Ende meine These und Überlegung a ls unwahr darstellen müsste. Wenn aber aus einsichtigen Gründen (nicht etwa aus dem schwachen Grund heraus, der dem entnommen werden könnte, dass dama ls [ a ls der Text entstand ] die Sprache, Semantik und Ausdruckskraft des späten Hebräisch der Neigung der meisten Leute gefolgt sein sollen) meine These nicht das Gefa llen der Gelehrten Israels finden sollte, so müsste ich meine Worte selbst für nichtig und unwahr erk lären. Doch in Bezug auf das babylonische Ha llel bestehe ich auf meiner A nsicht und auf meiner Erk lärung, die dem red lichen Urteil des Gelehrten Luzzatto widerspricht, dessen Meinung diesbezüglich mir überhaupt nicht ein leuchten wi ll.1 – Sogar im Hinblick auf das griechische Ha llel gilt, dass, solange man uns noch keine eindeutige Überlieferung über den absolut letzten Absch luss der hei l igen Schriften vorlegen kann, insbesondere hinsicht l ich jener Schriften, die unsere Meinung widerlegen könnten, die These über dieses Ha llel – wobei es sich nicht mehr nur um eine These handelt – bestehen bleibt, auch wenn dies dem Ta l mud und einigen seiner Belege entgegensteht. Wir müssen hier jedoch darlegen, was ich dama ls für leicht verständ lich, was ich aber zu einem 1 Vg l. S. D. Luzzatto, Mikhtav 14, Kerem ḥemed 2 (1836), 121; vg l. etwa auch

ders., Iggeret 26, Kerem ḥemed 8 (1854), 85; siehe auch R awidowicz, Mavo, 134; Pell i, Kerem Ḥemed, 100.

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Beitrag, der sich nicht aussch ließlich mit ta lmudischen Fragen beschäftigt, für nicht zugehörig geha lten habe. Zu Beginn wollen wir festha lten, dass man heutzutage nicht mehr glauben sollte, man sei auf dem vollständigen Wissensstand, wenn man sich über die Worte der Aggada lustig macht. Denn bereits die Ausdrucksweise der oben erwähnten Baraita, nach der „David sein Buch [ der Psa l men ] durch zehn Ä lteste hat aufschreiben lassen“ belegt doch, dass man die Niederschrift des Psa l menBuches nicht zur Gänze David und seiner Zeit zuschreiben sollte, was sich auch an den Midrashim (Shir [ ha-Shirim ] Rabba [ 4,4 (23c) ], Kapitel ke-migda l David, und Qohelet Rabba [ 7,19 (21a) ] : ha-ḥokhma taʽoz le-ḥakham) belegen lässt, wo man ihn mit dem Ausdruck ta lpiot [ wörtlich : „hochgebaute Burg“, hier aber „viele Münder“ ] in Verbindung bringt, [ was im Midrash ] a ls Buch, welches durch „viele Stimmen“ [ ‫ ] שאמרו הרבה תלפיות‬verfasst worden ist [ , verstanden wird ]. Dort zäh lte man aber auch Esra, den Schreiber, zu den zehn Ä ltesten, und er lebte demnach in der dritten Generation der Rückkehrer aus dem Exil. – Wir wollen ebenso festha lten, dass nach dem, was aus der Mishna Sota (6,2) deutlich wird und noch k larer aus der Gemara des Traktates Sukka (38b) sowie aus vielen weiteren Stellen des Ta l mud und aus dem Litera lsinn einiger Schriftverse, die Wörter „Ha lleluja“ oder auch Danket dem Herrn, denn er ist gütig (Ps 136,1) usw. Ausrufe sind, mit denen das [ den Priestern im Tempel ] lauschende Vol k stets auf die Verlesung des Ha llel geantwortet hat. A n a llen Stellen a lso, an denen man diese Wörter fi ndet, zu Beginn oder am Ende oder sogar in der Mitte eines Kapitels, ist dies ein deut liches Zeichen, dass es dort um Ha llel- Gesang und Dank lieder geht, die zu bestimmten Zeiten vor dem Vol k vorgetragen wurden – sei es von einem Einzel nen oder von der Gemeinde, man antwortete mit diesen [ oben zitierten Formel n ]. Demzufolge können wir im Buche der Psa l men tatsäch lich einige weitere Abschnitte aus Ha llel- Gebeten fi nden, obwoh l unsere Weisen nur den Raum und die Gelegenheit fanden, die Erinnerung an jene beiden zu bewahren. Der Rahmen für a lle blieb jedoch g leich, so wie sie eines von [ d iesen Ha llel- Gebeten ] (wie es auf den ersten Blick erscheint) mit folgenden Worten ein-

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rahmten : „Die Propheten unter ihnen ordneten für Israel an, es bei jeder Gelegenheit und bei jedem nicht eintreffenden Unglücksfa lle zu sprechen. Und wenn sie [ dereinst ] erlöst werden, werden sie es über ihre Erlösung verkünden“ (bPes 117a). Wenn es aber um ihre Zäh lung geht, dann fi nden wir über sie Folgendes : 1. Die [ Psa l men ], die in dem Buch mit 105, 106 und 107 nummeriert sind : Die beiden ersten Kapitel werden zu Beginn und am Sch luss mit dem Responsionswort „Ha lleluja“ abgesch lossen (und a lle stimmen darin überein, dass das Ha lleluja, welches nach der Formel „barkhi nafshi et YY’“ steht, eine Eröff nung für das ihm Nachfolgende ist), und sein letzter Abschnitt wird zu Beginn mit der Phrase Danket dem Herrn, denn er ist gütig (Ps 136,1) gekennzeich159 net. | 2. Die mit den Ziffern 111 und 112 bezeichneten [ Psa l men ] : Ihre Abschnitte beginnen mit Ha lleluja, außerdem unterscheiden sie sich [ von anderen Psa l men ] dadurch, dass ihre Abschnitte mit einem A lefbet beginnen, sodass beide in jedem Vers jewei ls einen Buchstaben für drei ihm nachfolgende Wörter haben. Im gesamten Buch gibt es nicht noch einma l solche wie diese. 3. Derjenige [ Psa l m ], der mit 113 gezäh lt ist : Er wird von den Rabbinen mit der Oberbezeichnung ägyptisches Ha llel angesprochen, denn ihn las man im Tempel über die Schlachtung der PesaḥOpfer, dessen erstes [ bekannt lich ] in Ägypten dargebracht worden war; über seine Abschnitte ist im Ta l mud viel diskutiert worden. 4. Der mit 135 und 136 gezäh lte [ Psa l m ] wird von ihnen a ls großes Ha llel bezeichnet, und man stritt über seinen A nfang (bPes 111a). Untersuche dies dort ! Der mit 145 gekennzeichnete [ Psa lm ] beginnt mit einem Danklied und sch ließt mit einem Dank lied, und er ist a lphabetisch angeordnet. 5. Die mit 146 bis 150 gezäh lten [ Psa l men ], deren Teile a lle zu Beginn und am Sch luss mit einem Ha lleluja versehen sind. – Wir wollen hier aber jeden einzeln auslegen, a llerdings nur das, was zu der Problematik gehört, mit der wir uns hier beschäftigen. 6. Der erste [ hier zu untersuchende Psa l m ], den wir a ls babylonisches Ha llel bezeichneten, besteht zweifelsohne aus einem Teil,

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der noch in den Tagen Davids verfasst worden ist; über ihn steht in den Chroniken ([ 1 Chr ] 16,7) : Damals, an selbigem Tage, setzte David einen Dankgesang dem Ewigen, durch das Haupt usw. Der zweite Teil stammt aber zweifelsohne aus den Tagen des babylonischen Exils (und zu stürzen ihren Samen unter die Völker, und sie zu zerstreuen in die Länder [ Ps 106,27 ]; denn es werden vor euch Gnade finden vor euren Bezwingern [ 2 Chr 30,9 ]; hilf uns Gott [ 1 Chr 16,35 ]); den dritten Teil legten wir jedoch auf die Generationen der babylonischen Rückkehrer und ihr Ergehen aus, was unserer Meinung nach k lar ist. Auch der Maharsha1 [ Rabbi Shemu’el Eliʽezer Edels ] in seinen Novellen zu den Aggadot [ im Traktat ] Berakhot (Pereq ha-ro’e) in seiner treff lichen Überlegung zu dem Satz : Sprechet : Meine Rettung ist der Herr usw. (Ps 107,2) geht von vier A rten des Dankes für die Errettung aus Ägypten aus – nicht nur, dass sein Kommentar etwas gezwungen erscheint, auch passt er überhaupt nicht zu dem, was am Sch luss des Abschnittes steht : Er wandelte Ströme in eine Wüste usw. (Ps 107,33). Und jeder, der die Psa l men auch nur ein wenig kennt, weiß, dass dies keine Glosse ist, sondern dass diese Verse bereits zu den ersten (durch das Zeugnis der Responsionshinweise) eines Ha llel gehörten, welches aus verschiedenen Teilen zusammengestellt worden war und zu unterschied lichen A n lässen gesprochen wurde. Doch von einem gewissen Zeitpunkt der Epoche des Zweiten Tempels an sang man dieses Ha llel in Chören, und wann man damit aufhörte, wissen wir nicht (doch der Wechsel und der Wandel durch Zusatz und Kürzung der Bera khot und Tefillot sogar beim Rezitieren des Shemaʽ ist den Kennern bekannt; auch dass sich Formu lar und Ausdrucksweise nicht änderten). Doch wissen wir, dass man dies zur Zeit tat, a ls man die Singverse [ pesuqe de-zimra ] vor die Tefilla [ das Achtzehngebet ] stellte, wie es [ d ie Rabbinen ] sagten : „Stets stelle man den Lobpreis des Heiligen, gepriesen sei sein Name, vor, und nachher bete man [ das Achtzehngebet ]“ (bBer 1  S o

verbessert mit einer A nmerkung des Herausgebers [ Zunz ]. K rochma l hat : „ha-R av“. Der Kommentar Ḥiddushe Ha lakhot we-Aggadot fi ndet sich in den meisten Ausgaben des Wi l naer Ta l mud-Drucks beigebunden; die hier erwähnte Stelle fi ndet sich auf fol io 10b.

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32a), sodass man die Verse [ f ür die pesuqe de-zimra ] nicht von die-

sem Ha llel genommen hat (und jene Verse, welche wir sprechen, stammen aus den Chronikbüchern). – Ebenso wird unseren Vorfahren das Ha llel überlassen, welches wir a ls das zweite bezeichnen; wahrschein lich wurde es einst nur von einem Einzel nen gesprochen, worauf besonders die gegensätz lichen Wendungen hinweisen : Ich danke dem Herrn mit ganzem Herzen, in der Redlichen Rat und Gemeinde (Ps 111,1). Der dritte [ d ieser Psa l men ] ist jedoch der wichtigste, und ihn sollte man an Feiertagen und Freudenfesten sprechen, an achtzehn, in der Diaspora aber an einundzwanzig Tagen im Jahr (an Monatsanfängen bleibt es dem Brauch überlassen). Diese Anordnung stammt nach Meinung der Rabbinen, seligen Angedenkens, eindeutig aus a lter Zeit (bBer 33a), aus den Tagen der Großen Versamm lung. Zu Teilen handelt dieses Ha llel sicherlich von der Erlösung aus Ägypten; zu anderen Teilen erlaubte man es auch über andere Zeiten und über Ereignisse, Rettungen und Dankeserweise ganz Israels und seiner A nführer zu schreiben. Doch wusste man nicht genau, worüber es verfasst worden war, und die Rabbinen, über sie Frieden, haben darüber nur Vermutungen angestellt und überlieferten es ihren Schü lern nur in a ller Kürze. – So können wir auch die Mishna der Weisen interpretieren, die in der Gemara des Traktates Pesaḥim (bPes 117a) überliefert ist : „Es lehrten die Rabbanan : Dieses Ha llel, wer sprach es ? Rabbi Eliʽezer spicht : Mose und Israel sprachen es, a ls sie am Meer standen; sie sprachen : Nicht für uns, Herr, nicht für uns ! (Ps 115,1). Darauf erwiderte der hei lige Geist und sprach zu ihnen : Um meinetwillen, um meinetwillen tu ich es ( Jes 48,11). Rabbi Yehoshuaʽ (denn die Lesart im ʽEyn Yaʽaqov ist die richtige; nicht wie es in der Gemara gedruckt ist : Rabbi Yehuda) sagt : Josua und [ das Vol k] Israel dichteten es, a ls die kanaanäischen Könige wider sie aufstanden. Sie sprachen“ usw. „Rabbi Eleʽazar aus Modeʽin sagt : Debora und Barak dichteten es, a ls Sisra wider sie aufstand“ usw. „Rabbi Eliʽezer ben ʽAzarya sagt : Hiskia und seine Gefolgschaft dichteten es, a ls Sanherib wider sie aufstand“ usw. (hier fi ndet sich auch der Hintergrund für die A nnahme eines assyrischen Ha llel, welche Luzzatto Mühen bereitete und ihn zu einer fa lschen Einschätzung führte). „Rabbi

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ʽAqiva sagt : Hananja, Mischael und Asarja dichteten es, a ls Nebukadnezar wider sie aufstand“ usw.; „Rabbi | Yose, der Ga liläer, sagt : 160 Mordechai und Ester dichteten es, a ls Haman wider sie aufstand“ usw. (bPes 117a). Doch hier wird der Gebildete inneha lten und sich fragen, wie es sein kann, dass sich die Tradition und die geheimen Einzelüberlieferungen derart widersprechen, was an einer Stelle auch der Rashbam, seligen A ngedenkens, gegen den Kommentar im Qunṭres [ Rashis ] so auslegte : „Jeder Tannait legte es so aus, wie er es von seinem Lehrer empfangen hatte.“1 Doch es kann kein Zweifel daran bestehen, dass jede dieser einzel nen Traditionen entweder auf einen bestimmten Abschnitt des ägyptischen Ha llel [ Pss 113 – 118 ] Bezug nimmt oder (und dies erscheint uns noch ein leuchtender) auf a lle oben aufgezäh lten Kombinationen von Ha llel- Gesängen insgesamt, ohne einem bestimmten Ausdruck nachzuspüren oder eine Anordnung in Frage zu stellen, die der Redaktor der späteren Baraita bezüg lich eines Ha llel oder eines Satzes vorgenommen hat. Über diese Redaktoren der tanna itischen Baraitot bei den Weisen und über das, was die Späteren a ls Überlieferung und a ls Aggada besaßen, haben die Fach leute aufgrund von zah llosen Belegen in den Ta l mudim hinreichende Kenntnis. Wie es die R abbinen, seligen A ngedenkens, anstellten und ihre Dikta vorbrachten und sich dabei nicht fürchteten, eine Zeit genau festzu legen, obgleich dies vielleicht der Auffassung von Früheren entgegenstand, und wisse dies ! Das Wunderbare an der Form dieser Baraita ist aber, dass und wie sie in die Ordnung aufgenommen und erweitert worden ist, näm lich, dass jeder nachfolgende Tannait das Ha llel mit einem späteren Termin in Verbindung brachte – nach unserem Kommentar a lso ein Teil von ihm oder von irgendeinem anderen Ha llel –, von Mose bis Mordechai, von Rabbi Eliʽezer dem Ä lteren bis zu Rabbi Yose dem Ga liläer. Doch warum ärgert sich der Herr [ Luzzatto ]2 darüber so sehr, dass wir nun das letzte Ha llel noch viel später datieren wollen, sogar noch später 1 Vg l.

R ashbam zu bPes 117a s. v. Yehoshuaʽ we-kol Yisra’el. Luzzatto, Mikhtav 14, Kerem ḥemed 2 (1836), 121 (ohne ausdrück l ich auf K rochma l Bezug zu nehmen). 2 Vg l . S. D.

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Pforte 11

a ls die Zeit Mordechais und Esters, indem wir meinen (nicht etwa aufgrund einer a lten Tradition, sondern a llein aufgrund eigener A na lyse, d. h. a llein wegen seines Inha ltes und der Form der Psa lmen), dass es sich um ein neues Lied und um einen Lobpreis aus der Gemeinde der Ḥasidim handelt, der vor a llem über den Sieg der Hasmonäer und die Freiheit von der griechischen Unterdrückung gesungen wurde ? Es gibt dort in der Gemara des Traktates Pesaḥim weitere Ausführungen, und am Sch luss (119a) ist die Meinung des Rabbi Yoḥanan1 (von einem der berühmten Rabbanan de-aggadata) überliefert, doch bezieht er sich nur auf die Verse von Ich danke dir, dass du mich gehört hast (Ps 118,21) und weiter : Sie sollen von Samuel, David und von seinen Brüdern und von Isai, ihrem Vater, gesprochen worden sein [ vgl. bPes 119a ], und zwar in dem Moment, da David zum König erwäh lt wurde. Und ähn lich begründete auch der Gelehrte Luzzatto seine Meinung : „Und mir scheint, dass der Grund für dieses Ha llel gelegt wurde, a ls dieses Lied zum Gedächtnis an das Fest, welches David an lässlich seiner Ernennung zum König gefeiert hatte, verordnet wurde, gemeint ist der Jahrzeit-Tag ( ?)2 seiner Inthronisation.“ Doch unsere These ist für uns eine unumstößliche Tatsache, nicht etwa nur Phantasie ! Nicht nur, dass [ Luzzattos Meinung ] jeg licher Begründung entbehrt und g leichzeitig a llen Auffassungen unserer Vorfahren widerspricht, dieses Ha llel spreche nur von der Errettung aus einer Not, wie es auch am Ende der erwähnten Baraita heißt : „Doch die Weisen sagen :“ – nach einer verbreiteten Tradition – „Die Propheten unter ihnen ordneten an“ usw. (bBer 32a) wie in dem oben zitierten Abschnitt aus einer anderen Baraita, die Shmu’el überliefert haben soll. Dies ist aber die reine Wahrheit, doch nach ihrer richtigen Auslegung müssen wir sie von Widersprüchen befreien und hinzufügen : Propheten und Geistbegabte [ a nshe ruaḥ ] unter ihnen – sie waren es, die es erdichteten und jedes andere Ha llel ebenso. 1  I n

den bekannten Ausgaben des Bavl i : „R abbi Shemu’el bar Naḥmani sagte, es sagte R abbi Yoḥanan“. 2 Zunz ( ?) versieht hier das Wort „ Jahrzeit“ mit einem Fragezeichen.

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Über das von uns a ls fünftes bezeichnete Ha llel sagten sie in der Gemara (bBer 4b) : „Wer dreima l am Tag das Loblied Davids (Ps 145) spricht, dem sei versichert, dass er ein Sohn der zukünftigen Welt ist.“ Und man fragte : „Was ist die Begründung dafür ? Etwa, weil es in ihm ein Alphabet gibt ? (Anhand des [ Rashi-] Kommentars wird deutlich, dass dies eine aggadische Umschreibung für die Wertschätzung dieses Lobliedes ist, das Tora- und Ethik-Sprüche enthä lt und daher a lphabetisch geschrieben ist, was im Übrigen für jedes andere Alphabet in den Psalmen gilt). Sollte man dann nicht besser den Psa lm lesen : Heil den Vollkommenen im Wandel (Ps 119,1), der achtfach a lphabetisch ist ?! Vielmehr, weil es heißt : Er öff net seine (deine) Hand (Ps 145,16) (welcher ein umfassender Dank a ller Geschöpfe der Erde ist) ? So lese man doch lieber das große Ha llel [ Ps 136 ], in welchem es heißt : Allem Fleische gibt er Nahrung (Ps 136,25).“ Der Gaon Eliya von Wilna, seligen Angedenkens, machte dazu eine passende Beobachtung, die wir hier anführen wollen, | weil sie unsere Position unterstützt.1 Er sagte, der Kommentar Rashis, der bekanntlich nichts überf lüssig erläutert hat, räumt die Schwierigkeit aus, warum man den Psa lm Ich danke dem Herr mit ganzem Herzen (Ps 111,1) a lphabetisch anordnete (was nach unserem Verständnis auf besonders wertvolle Sätze hindeutet), denn wesha lb heißt es in ihm : Nahrung gab er denen, so ihn fürchten (Ps 111,5) (und dieser ist es, der bei uns auch zweites Hallel heißt). Rashi deutete dies dahingehend, dass durch diese [ Psa lmen ] ein erhabener Lobpreis geäußert werden sollte, demzufolge [ Gott ] Nahrung a llen Lebewesen gibt, nicht nur denen, die ihn fürchten. – Nach unserer Methode gehen wir jedoch davon aus, dass man das große Ha llel, welches nach unserer Zählung das vierte ist, nicht für die gewöhn lichen Wochentage verwendete, da es nicht akrostisch angeordnet ist. Man verwendete es vielmehr nur an Shabbatot und Feiertagen, zuma l wenn es sich um besondere Tage der Vergegenwärtigung von Wundern handelte, und zwar auf eine Weise, die wir gleich noch erläutern werden. Das Ha llel, welches man das letzte nannte, schufen unsere Vorfahren a lso, auf dass es nur einma l pro Tag gesagt werde. In der Ge1 Vg l.

El iyahu mi-Wi l na, Qol Eliyahu, Petersburg 1905, 35a (§ 175).

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mara des Traktates Shabbat (118b) heißt es dazu : „Es sprach Rabbi Yose : Mein Teil möge unter denen sein, die jeden Tag ein Ha llel vollständig lesen“. Und man fragte : „Dem ist ja nicht so, der Meister sagte ja, wer das Ha llel täglich liest, schmäht und lästert ! ? “ Und er antwortete : „Unter dem Ha llel, von dem wir sprechen, sind die pesuqe de-zimra zu verstehen.“ Doch dies legte Rashi [ bShab 118b s. v. pesuqe de-zimra ] folgendermaßen aus : „ Zwei Psa l men mit Lobpreisungen, Halleluja, lobet den Herr aus dem Himmel (Ps 148,1) bis Halleluja, lobet Gott in seinem Heiligtume (Ps 150,1).“ Ohne Zweifel waren damit auch die fünf Psa l men insgesamt gemeint, und sie gelten noch heute a ls Singverse [ pesuqe de-zimra ] des Wochentags, sowoh l unter [ den ] Ashkenazim a ls auch [ den ] Sefaradim. Dies ist aber ein k larer Beweis dafür, dass auch diese Psa l men von jenen Rabbinen a ls Ha llel bezeichnet worden sind. – Wir möchten aber noch eine Sache hinzufügen, die den Gebildeten vielleicht a ls richtig erscheinen wird, dass näm lich auch die Erk lärung dieses undurchsichtigen Satzes sehr schön zu unserer These passt; und zwar, dass das ägyptische Ha llel in der Hauptsache über Wundertaten gesungen wurde, über Dinge a lso, die außerha lb der Natur liegen und die aufgrund eines Eingriffs in die physische Rea lität der Welt stattgefunden haben, wie z. B., wenn geschrieben steht : das Meer sah und f loh (Ps 114,3). Und nur deswegen sah man es a ls richtig an, dass es nur an bestimmten Tagen gesprochen werden sollte, näm lich um der Verbreitung der Wundertaten und ihrer Erinnerung zu dienen, nicht aber an a llen übrigen Werktagen, „denn die Voll kommenheit eines Wunders liegt darin begründet, dass es nur selten vorkommt“, wie es ganz ähn lich auch der Rav haMaharsha1, seligen A ngedenkens, auszu legen pf legte. A llerdings bezieht sich das nicht auf jenes Ha llel, welches wir das griechische nannten. Dieses wurde näm lich von Beginn an nur über solche Erlösung und Rettung gesungen, bei der die kosmische Ordnung nicht außer K raft gesetzt werden musste. In ihm findet sich nur solche Ehrerbietung und Preisung, die zu der üblichen Weisen passt, mit der Gott die Welt lenkt, und die sich auf seine Güte und 1 Siehe

oben A nm. S. 377.

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auf seine Schöpferkraft sowie die verborgenen Wunder beziehen, die er an seinen ihm ewig treuen Frommen vollbringt. Möge das Rezitieren [ dieses Ha llel ] und der in ihm entha ltene Lobpreis für a lle Zeiten währen !

A nmerkung 11 (Seite 691) Um der Korrektheit unserer knappen Ausführungen in der Pforte willen [ wollen wir etwas hinzufügen ], näm lich etwas [ darüber ], was die neue Samm lung und die Unterscheidung dessen, was die äußeren [ Schriften ] sowie den Verlust einiger Schriften anbelangt, und zwar in der letzten und defi nitiven Fassung der heil igen Schriften aus dem Gerichtshof der Hasmonäer in den Tagen des Shimʽon und seines Sohnes, des Hohepriesters Jonatan, sowie des Nitai aus A rbel und des Yoshuaʽ Peraḥya und der übrigen Weisen seiner Generation, der Schü ler der Reste der Großen Versamm lung – dafür besitzen wir überzeugende Belege, und zwar folgende : 1. Das erwähnte zweite Buch der Chroniken [ der Makkabäer ] beginnt mit der Abschrift zweier Briefe, die die Einwohner Judäas und Jerusa lems sowie die Ä ltesten an die Juden A lexandrias in Ägypten betreffs der Bekräftigung des Ḥanukka-Festes sandten. Der erste stammt aus dem Jahre 169 und der zweite aus dem Jahre 188 nach der griechischen Zeitrechnung. – In ihnen fi ndet sich folgende Formu lierung : „Und Nehemia suchte die Bücher Davids und der Könige sowie das, was man über die Opfer geschrieben hatte, und er legte sie a ls Samm lung an; ebenso tat auch Judas, da er die Bücher sammelte, die in den Wirren des K rieges zerstreut worden waren und die uns zur Bewahrung übergeben sind. Wenn ihr nun Bedarf an diesen Schriften habt, so sendet Leute, sie euch zu bringen“ (2 Makk 2,13 – 15). Auch wenn die Ausdrucksweise an dieser Stelle etwas undurchsichtig und ungenau erscheint, wird deutlich, dass man, wie man dem Nehemia eine erste Samm lung [ von 1  I n

der Edition Seite 70.

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heiligen Schriften ] zuschrieb, auch den Männern der Großen Versamm lung, den Soferim [ , eine solche Samm lung zudachte ]. Die letzte Zuschreibung erfolgte aber an Judas, den Makkabäer, in dessen Tagen der Krieg schwer wütete und den Übel und Bedrängnisse umgaben, bis er im K riege fiel (und die mangel nde Genauigkeit hinsichtlich eines so unwichtigen Details [ wie der A nfertigung einer solchen Samm lung ] sollte daher nicht verwundern, insbesondere im zweiten Makkabäerbuch, in dem a lles viel knapper dargestellt wird und in dem man diese Tat auch nur deswegen Judas zu162 schrieb, | wei l er dama ls bekannter war a ls seine Brüder) – das hier hauptsäch lich Berichtete wird man nicht leugnen können : dass nämlich die Hasmonäer und ihr Gerichtshof noch vor dem Jahr 188 mit dieser wichtigen A rbeit beschäftigt waren, insbesondere wei l das Verbrennen der Bücher und die Fä lschungen auch in der ersten Chronik [ im ersten Makkabäerbuch ] erwähnt werden und sie viel genauer und zuverlässiger ist, was sogar zur Folge hatte, ihre Niederschrift Hillel und Shammai zuzuschreiben.1 2. Ein üblicher Ausdruck der Rabbinen, seligen A ngedenkens, im Ta l mud und in den Midrashim hinsicht lich der Verbergung ist [ eine Formu lierung ], die man den Weisen zuschrieb : „die Weisen wollten das Buch Ezechiel verbergen“ [ vgl. bShab 13b; 30b ]; „die Weisen wollten das Buch Kohelet verbergen“, und auch das Buch der Sprüche wollten sie verbergen (bShab ebd.). Von daher erscheint es k lar, dass die Tätigkeit der Weisen und shone ha-ha lakhot erst nach Shimʽon ha-Ṣaddiq stattgefunden hat. Vielleicht fanden ihre Tradierung und ihr defi nitiver Absch luss sogar noch vor ihm statt, in der Zeit der Soferim und in ihren sieben Generationen. Darüber sagten sie : „Die Männer der Großen Versamm lung suchten“, so wie sie sich auch hinsicht lich der Niederschrift einiger der oben erwähnten Bücher auszudrücken pf legten; sogar über die Niederschrift der sehr viel später entstandenen Ester-Rolle, a lso über die schriftliche Fixierung der gegenwärtig [ gebräuch lichen ] Rezension, wie bereits erläutert. 1 Vg l.

Halakhot Gedolot, hg. v. A. Hi ldesheimer, Berl in 1848, 615.

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3. Einiges über das Verbergen überlieferte uns Rav, über ihn Frieden, im Ta l mud, und zwar in einer sehr früh formu l ierten Baraita : „Wahrlich, jener Mann sei zum Guten gedacht, näm lich Ḥananya ben Hiskia; wenn nicht er gewesen wäre, wäre das Buch Ezechiel versteckt worden“ usw. „[ Was tat er ? ] Er saß auf seinem Söller und legte es aus“ (bShab 13b). Und diese Baraita wird auch im Traktat Ḥagiga unter der Überschrift „und über die Merkava nicht a llein“ [ bHag 13a ] zitiert. Ihr ursprüng licher Ort ist aber im Traktat Menaḥot, folio 45a, und siehe dort nach. – Ohne Zweifel bezieht sich dies aber auf die Zeit ihres Absch lusses und ihrer Vollendung; wenn wir a lso die Zeit dieses Ḥananya bestimmen könnten, so könnten wir auch die gesuchte Zeit oder zumindest das Ende der gesuchten Zeit ihres Absch lusses näher bestimmen. Dies aber aufgrund der A nnahme, dass es woh l niemandem aus Israel in den Sinn gekommen wäre, ein Buch oder Bücher abzuschaffen, die bereits seit geraumer Zeit in ganz Israel a ls heilig angenommen worden waren. – Aus der Mishna Shabbat und auch aus der Tosefta dieses Traktates ist ein Ḥananya ben Hiskia ben Garon bekannt (und nach der Gemara des Traktates ist er identisch mit einem Prediger namens Yeḥezqi’el), der lange lebte, und gegen Ende seines Lebens standen Shammai und Hillel und die Ä ltesten ihrer Versamm lungen auf, um ihn auf seinem Söller in seiner Abgeschiedenheit zu besuchen. Hillel lebte aber im Jahre 290 der [ seleukidischen ] Zeitrechnung, hundert Jahre vor der Zerstörung des Tempels. Diese Geschichte muss sich aber sehr viel früher ereignet haben, und es dürfte [ daher ] woh l aus verschiedenen Gründen unmög lich sein, dies genauer zu bestimmen. Wir können der Verwirrung aber vielleicht entkommen, wenn wir sagen, dass dieser Besuch mindestens dreißig Jahre vor der Ernennung des Hillel zum nasi stattgefunden haben muss (und dies desha lb, weil er ihre Dikta vierzig Jahre vor seinem nasi-A mt kennen lernte). Und selbst, wenn wir den A nteil Ḥananyas an der Absch lussgeschichte in die Zeit seiner Wahl vorverlegen, d. h. fünfzig Jahre vorher, sodass dies a lles achtzig Jahre vor der nasi-Herrschaft des Hillel stattgefunden hätte, so ergäbe dies hinsicht l ich des endgü ltigen Absch lusses immer noch einen Zeit [ punkt ] um das Jahr 200 nach der griechischen

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Zeitrechnung. Wisse aber auch, dass es einen Beleg dafür gibt, dass man mit der Niederschrift der Megillat Taʽanit in der Zeit des Hillel und Shammai begonnen hat, nach den Nöten und K riegen am Ende der hasmonäischen Epoche und zu Beginn der herodianischen Regentschaft. Der Ta l mud bringt die Niederschrift ebenfa lls mit Ḥananya ben Hiskia in Verbindung, und in der Baraita zur Megillat Taʽanit [ z um 28. Adar (hg. v. Noam, 132) ] selbst wird sie Rabbi El ʽazar ben Ḥananya ben Garon zugedacht, der einma l auch in Sifre [ Devarim ], pereq teṣe [ 25 (313) ], erwähnt wird. Demnach, wenn wir annehmen, dass der Text der Mishna Shabbat verderbt ist – was eigentlich schwer denkbar ist –, und wenn wir den Besuch bei Rabbi El ʽazar seinem Sohn, dem Schreiber der Megillat Taʽanit, zuschreiben, gewinnen wir eine Generation. Doch wie können die Altertumsforscher diese Schwierigkeit beheben, wo doch auch aus den Listen in den Worten der Rabbinen, seligen A ngedenkens, hervorgeht, dass man den Beginn des letzten Absch lusses nicht früher a ls das Jahr 170 ansetzen darf, das Jahr des K riegsendes ? Und auf der anderen Seite, darf man seine Vollendung auch nicht später a ls das Jahr 200 der [ seleukidischen ] Zeitrechnung ansetzen, 180 vor der Zerstörung, wie aus gewichtigen Belegen, deren Erinnerung verlängert werden möge, hervorgeht, wie wir in der Pforte bereits erläutert haben. A nmerkung 12 (Seite 611)

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A nhand der Geschichte von Judas, dem Ga liläer, und seiner Sekte können wir gut nachvollziehen, was in der Mishna bzw. Tosefta am Ende des Traktates Yadaim steht : „Ein ga liläischer Häretiker [ Min ] sagte : Ich k lage [ im Namen ] des Herrschers gegen euch Pharisäer, dass ihr mit dem des Mose im Scheidebrief schreibt [ d. h. den Scheidebrief nicht nach den Regierungsjahren der Kaiser datiert ]; da sagten die Pharisäer : Wir k lagen | gegen dich, ga liläischer Min, dass du den Namen des Pharao [ des aktuellen Herrschers ] 1 Seite

73 in der Edition.

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wie den Namen der Tora [ Gottes ] schreibst; und nicht nur das, sondern du schreibst den Namen [ Gottes ] unten, doch den Namen Pharaos [ des Herrschers ] oben, wie es heißt : Wer ist der Herr, auf dessen Stimme ich hören soll (Ex 5,2) (mYad 4,81). Dies bezieht sich auf die Tatsache, dass man in der Zeit des Zweiten Tempels entsprechend der Regentschaftsjahre des Herrschers datierte, der in dem Moment der Niederschrift eines Vertrages regierte. Und bereits vor der Tempelzerstörung datierte man so auch nach der Herrschaft der römischen Kaiser, wie wir bereits oben in Erinnerung gerufen haben. Wegen des Endes einiger dieser Zeitberechnungen und vielleicht auch zu dieser Zeit und hinsichtlich a ller [ a nderen Berechnungen ] ging man dazu über, [ in Verträgen ] von „ke-dat Moshe we-Yisra’el “ zu sprechen, wie auch jene nichtigen Schwärmer, Verächter jeder Herrschaft, die sich a ls Pharisäer in nutz losem Streit darüber erregten. Man antwortete ihnen darauf aber wie es sich geziemt, dass es sich dabei um unsinnige Frömmigkeit handele, denn die Tora achtet überhaupt nicht darauf, ob der besondere Name [ Gottes ] nahe dem des Pharao steht, der ihn völlig verleugnet. – Wir können hieraus ebenso ersehen, dass die meisten, wenn nicht a lle Pharisäer zu den Gegnern der römischen Herrschaft gehörten, sich ihr nur aufgrund gött licher Verordnung, die ihre Herrschaft bestimmt hatte, unterworfen hatten.

A nmerkung 13 (Seite 642) Obwoh l wir in der Pforte sagten, dass die Sadduzäer vor dem letzten Absch luss der hei ligen Bücher noch zu keiner unterscheidbaren Sekte geworden waren, wird derjenige, der die Ketuvim genau betrachtet, sehen und erkennen, dass jene kostbare Samm lung von Studienversen im Buche der Psa l men [ Ps 119 ], die auch unter der [ a ramäischen ] Bezeichnung „acht [ a krostichische ] Weisen“ 1 Der mischnische Text weicht von K rochma l s Vorl age ab und fi ndet sich

so auch nicht in der Tosefta. 2 I n der Edition Seite 76.

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[ ‫ ] תמניא אפי‬bekannt ist und in der ein junger Mann über seinen Herzenswunsch spricht, sich dem Studium der Tora und ihrer wahren Ausführung zu widmen, einzig und a llein auf jenen sadduzäischen Konf likt zurückzuführen ist. Die Weisen der Pharisäer legten sie ihren Schü lern in den Mund, um sie daran zu gewöhnen und sie zu dieser Lebensweise zu erziehen, sie auch von dieser sch lechten Lebensweise der Sadduzäer fernzuha lten. Wodurch hält ein Jüngling rein seinen Pfad ? (Ps 119,9); jung bin ich und verachtet (Ps 119,141) – diese Verse weisen darauf hin, dass jener Schü ler jung an Jahren gewesen sein muss und nicht etwa zu den erfahrenen A nführern gehörte. Du schiltst die verf luchten Übermütigen, die abirren von deinen Geboten (Ps 119,21); es bereiten gegen mich Lüge die Übermütigen (Ps 119,69); niedertrittst du alle von deinen Satzungen Abirrenden; denn eitel ist ihr Trug (Ps 119,118); Zweideutige (die sich über den Geist erheben) hasse ich, aber deine Lehre liebe ich (Ps 119,113); es höhlen mir Übermütige Gruben, was nicht nach deiner Lehre (Ps 119,85) (vielleicht eine doppelte Ausdrucksweise : ‫ שוחה‬ist ein Synonym für ‫ בור‬, doch deutet es auch auf ‫ שיחה‬hin, was so viel wie „Streitgespräch“ heißen kann); nahe kommen [ mir ] , die der Tücke nachjagen (d. h. der Logik ihres Herzens), von deiner Lehre fern sind (Ps 119,150). Worte wie diese und viele ähn liche in diesem Psa lm vermögen es, gegen die häretischen Tora-Auslegungen zu streiten und sie zu brandmarken. Es geht in [ dem Psa l m aber ] nicht um die Abwehr der Götzendiener, die zur Zeit des Ersten Tempels lebten, auch nicht um die, die die Tora voll kommen verlassen und sich den Griechen in der Generation der Verfolgung und des K rieges assimi liert hatten. Die Verse : Ich danke dir mit redlichem Herzen, wenn ich lerne deine gerechten Vorschriften (Ps 119,7); zerknirscht ist meine Seele vor Sehnsucht nach deinen Vorschriften zu jeder Zeit (Ps 119,20) (was in A ramäisch mit ‫ הונחה‬in Bezug auf die Wiederholung und das Lernen wiedergegeben wird); ja deine Zeugnisse sind meine Ergötzung, meine Ratgeber (Ps 119,24); den Weg deiner Befehle lass mich einsehen (Ps 119,27); ein ḥaver bin ich allen, die dich fürchten (Ps 119,63); von all meinen Lehrern bin ich verständig (Ps 119,99); mehr al s Älteste sehe ich ein (Ps 119,100) (wie durch deine Befehle hab ich Einsicht [ Ps 119,104 ]) und ähn l iche

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mehr – a lle weisen auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit hin, den Ä ltesten und den Soferim sowie der Lehre aus ihrem Munde zu vertrauen –, genau das Gegentei l von dem, was die Sadduzäer vertraten, wie in der Pforte erläutert ist. Die Verse : Wälze von mir ab die Schmach und Verachtung (Ps 119,22); ob auch Fürsten sitzen, von mir sich unterreden (Ps 119,23); und reden will ich über deine Zeugnisse vor Königen und mich nicht schämen (Ps 119,46); um Nichts haben sie mich verfolgt (Ps 119,86) beziehen sich auf das in der Pforte Berichtete. Denn die meisten hasmonäischen Könige, Fürsten und Befeh lshaber waren Unterstützer der Sadduzäer und verfolgten die Pharisäer offen oder heim lich. Die Regel, für die es a llerdings keinen zwingenden Grund gibt, ist – wer den Geschmack hat, zu probieren, der erkennt, dass sich sämtliche Verse der „acht Gesichte“ nur auf die Ausschweifungen der Sadduzäer und ihr Erstarken beziehen, nicht etwa auf Ausschweifungen in früheren Zeiten Israels. Es scheint ebenso angebracht, noch auf das A rgument hinzuweisen, dass sich in ihm sehr viele Schimpfwörter fi nden, mit denen die Gegner charakterisiert werden : Frevler, Übermütige, Verf luchte, Verfolger, Übeltäter, Abtrünnige, Übertreter der Tora, Täuscher, Lügner, Herzensfeiste – | a llerdings feh lt in ihm die Be- 164 zeichnung ‫ [ פושעים‬Bösewichte ]. Der Grund dafür ist unserer Meinung nach darin zu suchen, dass der Psa lm in der Erinnerung oder sogar noch zur Zeit seiner Entstehung besonders im Hinblick auf diejenigen rezitiert wurde, die den Bund verließen und die sich während der Verfolgung und des K rieges in ihren Hand lungen den Griechen assimi lierten. Dies unterscheidet sich aber voll kommen von den Vorwürfen gegen die Sadduzäer, die erst in der Zeit nach dem K rieg zu einer Sekte geworden sind, wie es in der Pforte dargelegt wurde.

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Anmerkung 14 (Seite 791) Diese Ausführungen, die ich euch in der Pforte vorgetragen habe, sind keine Erfi ndungen, sondern wir fanden sie bereits in verschiedenen g laubwürdigen Baraitot aufgeschrieben, deutlich und gut (vgl. Dtn 27,8), dass ein großer Teil der Guten unter den Weisen und Demütigen unter ihnen (und sie waren es, die zu letzt über die Ha lakha, die unentschieden geblieben war, entschieden) nicht geneigt waren, erschwerend zu entscheiden oder mittels der angedeuteten Verordnungen. Sie wollten gegen den Brauch widerstehen, der sich diesbezüg lich immer weiter ausgebreitet hatte, wenn sie nicht gezwungen würden, die Entscheidungen anzunehmen, [ nur ] wei l sie durch ein Quorum und die Mehrheit festgelegt und entschieden worden waren. Hinsichtlich der Entscheidung über die „achtzehn Dinge“ [ vgl. bShab 15a ], welche eine der berühmteren in unserer Geschichte ist, erwähnten die Rabbinen, seligen A ngedenkens, dass Hillel an diesem Tage gebeugt vor Shammai saß, wie einer von den Schü lern (bShab 17a), und dass „dieser Tag schwer für Israel war wie der Tag, an dem das [ goldene ] Ka lb angefertigt wurde“ (diese Ausdrucksweise wurde von ihnen üblicherweise im Hinblick auf ein schweres Unglück in der Geschichte verwendet), „und dass sie [ im Lehrhaus ] ein Schwert aufsteckten und sagten : Wer hineinkommen wi ll, trete ein, hinausgehen darf aber niemand“ (auf dass nicht einige von ihnen verlorengingen und das Ganze zunichte gemacht werde). Und an anderer Stelle heißt es (yShab 1,4 [ 4a ]) : „Sie bekräftigten ausdrück lich, dass sie zu den Worten der Schu le Shammais bezüg lich Blutgerichtsbarkeit und der Gefahr von [ u nnötigem ] Blutvergießen standen“. Das deutet darauf hin, dass sie anfangs Entscheidungen in ihrer Yeshiva mit Gewa lt durchzusetzen pf legten. Weiter heißt es in Tosefta Shabbat, Kapitel 1 [ tShab 1,17 (4) ], und ebenso wird auch in der Gemara des Yerusha lmi [ lies : Bavli ] (bShab 24b) überliefert : „Rabbi Yehoshuaʽ sagt : Genau an jenem Tag (an dem die achtzehn Dinge entschieden 1  I n

der Edition Seite 93.

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wurden) haben sie das sea [-Maß ] [ z u sehr ] abgestrichen.“1 Und dazu erk lärte man : „Die ganze Zeit über, wenn ein Maß zu fü llen ist, kann ein Mensch etwas hinzufügen, doch am Ende nimmt er a lles wieder aus ihm heraus.“ Dies gleicht dem, was Rabbi Ḥiyya lehrte (zitiert in BerR 19,3 [ 172 ]) : „Füge nichts seinen Worten hinzu, damit du den Zaun nicht wichtiger machst a ls den eigentlichen Inha lt, damit er nicht niederfa lle und dabei die Pf lanzen niederhaue.“ Auch der bekannte Rabbi Eliʽezer, der hinsicht lich der Methode des Studiums und der Umsetzung der Ha lakhot der Schu le Shammais folgte, stimmte zu, indem er sagte : „ A n eben diesem Tage hatten sie das sea [-Maß ] zu stark gehäuft“ (bShab 153b). Sicherlich ! A n diesem Tag oder an irgendeinem nach ihm haben sie ein nach Meinung a ller bereits volles sea [-Maß ] zu stark gehäuft, und sie säten es unter den durch die drängende Zeit verursachten Tränen aus, doch konnten sie ihre Trauer auch nach kurzer Zeit beenden. Nimm aber auch das über Rabbi Zekharya ben Eukolos in der Aggada der Ordnung Neziqin Erzäh lte zur Kenntnis. Denn dort und an anderen Stellen, an denen sein Name erwähnt wird, selbst wenn seine Worte in der Baraita überhaupt nicht zur betreffenden A ngelegenheit passen, fügten die Tannaiten zur Erinnerung stets den folgenden Kommentar hinzu : „Die Sanftmut des Zekharya ben Eukolos hat unser Haus zerstört, unseren Tempel verbrannt [ u nd uns aus unserem Land verjagt ]“ (bGit 56a). Im Bellum Yosefs [  Josephus ] des Priesters steht eindeutig, dass es unter den A nführern der despotischen Zeloten einen Eleʽazar ben Shimʽon und einen Zacharias ben A mphika llei gab, die beide Priester waren [ vgl. Bell. IV 1, 225 ]. Und dies meint zweifellos den [ in der Gemara ] Erwähnten. – Außerdem lehrten unsere Weisen mit einem Seufzer aus tiefstem Herzen (bYom 23a) : „Eine Geschichte von zwei Priestern, die die A ltarrampe hinauf liefen und sie waren g leich weit“ usw., „da nahm er sein Messer und stieß es ihm in das Herz“ usw. „da kam sein Vater und fand ihn noch sich bewegen. Sagte er : Möge 1 Das

heißt, durch die Übertreibung bei den Verordnungen wurde nur erreicht, dass die Übertretungen sich mehrten. Vg l. die Kommentare zu bShab 153b.

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mein Sohn eine Sühne für euch sein, er bewegt sich noch; das Messer ist nicht unrein geworden. Dies lehrt dich, dass die Reinigung der Tempelgeräte für sie schwerer wog a ls das Blutvergießen“. Sie sch lossen mit einer Mishna, in der sie ihre Zeit ([ d. h., die Zeit ] kurz vor der Tempelzerstörung, und der Beleg dafür ist, dass es heißt : „Es stand Rabbi Ṣaddoq auf“) mit der Zeit des Manasse verglichen : So heißt es auch : dazu vergoss Manasse viel unschuldiges Blut (2 Kön 21,16) usw. Wie sie es dort auch in der Gemara erläuterten : „[ Hieraus ist zu entnehmen ], dass das Blutvergießen geringschätzig war“ (bYom 23b). Und wenn du noch weiter wissen wi llst, ob unter diese Verordnungen auch die Bekräftigung durch den Besiegten gemischt wurde – betrachte, was Shammai dem Hillel antwortete, a ls man sie fragte : „Warum sollte denn das Winzern in Reinheit und das Olivenpf lücken nicht in Reinheit geschehen ? “ (bShab 17a). Er antwortete : „Wenn du mich ärgerst, verhänge ich die Verunreinigungsfähigkeit auch über das Olivenpf lücken“ (ebd.). Doch damit genug. Vielleicht habe ich ja mit meinem Gerede eine Sünde begangen. Der in die Herzen schaut, der möge gnädig sein und diese Schu ld sühnen !

P FORT E 12



Rätsel der Vorzeit Eine Darstellung der Theologie, die unter den Juden A lexandriens und in anderen hellenistischen Städten entstand und sich während der gesamten Zeit des Zweiten Tempels ausbreitete; des Weiteren eine Erinnerung an die Systeme, die sich im A nsch luss an sie aus ihr entwickelten. Was wir gehört haben und wissen und uns unsere Väter erzählt haben. (Ps 78,3)

Wir hatten bereits oben (Pforte 8) angedeutet, dass nachdem vom Stamme Juda der Fluch ausgegangen war : Und wird dich zerstreuen unter alle Völker auf der Erde (Dtn 28,64) usw. dies noch in den Tagen Josias [ in die Tat umgesetzt wurde ]. Und die erste große Diaspora entstand in Ägypten, nachdem sie dorthin auf Druck der Könige Assurs und Babyloniens vertrieben worden waren. A ls nach der Zerstörung Yoḥanan ben Qoraḥ und die mit ihm Vertriebenen dorthin zogen, [ u nd ] mit ihnen auch Jeremia und Baruch, da fanden sie bereits Juden dort wohnend vor. Und es steht geschrieben, dass er dort [ folgendermaßen ] prophetisch redete ( Jer 44,1) : An alle Juden, die im Lande Ägypten wohnen, in Migdol und Tachapanches – welche in der Nähe der Grenze des Landes Israel liegen, in der Ebene Ägyptens und in Nof, welches im mittleren Distrikt liegt, und in Patros, welches in Oberägypten liegt, dem Ort, von dem die Ägypter loszogen (und so wird auch im Buch Ezechiel der Landstrich Patros a ls das Land ihrer Schu ldknechtschaft genannt, und in der Prophetie des Jesaja über Ägypten, welche sich gegen Psametich, den Vater des Pharao Necho, richtet, der über die Fürsten Ägyptens Oberhand gewann und über Ägypten herrschte, was den Verständigen bekannt sein dürfte). Und bereits er sprach prophetisch über den Ursprung dieser Diaspora-Niederlassung ( Jes 19,18) : Und an selbigem Tage werden fünf Städte im Lande Ägypten sein, redend in der

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Pforte 12

Sprache Kanaans (in der heiligen Sprache) und schwörend bei dem Ewigen der Heerscharen. Dies bedeutet nichts anderes, a ls dass er dort eine Gemeinde von Juden vorfand. A llerdings hatte diese erste Diaspora in Ägypten keinen Bestand, und das Land versch lang sie durch Schwert, Hunger und K rankheit, die Übriggebliebenen kehrten aber nach Judäa zurück, wie es ihnen Jeremia prophezeite ( Jer 44,26) : Darum vernehmet das Wort des Herrn, ganz Juda, die ihr wohnet in Ägypten ! Siehe, ich habe geschworen usw. Wenn jemals noch mein Name irgendeines von Juda, die im Lande Ägypten sind, genannt wird, eines der sagt : So wahr Gott, der Herr, lebt ! Im ganzen Land Ägypten ! usw. Wir erwähnten bereits (Pforte 14), dass sich seit der Zeit A lexanders und der A nführer seiner Heere, die nach ihm herrschten, die Juden unter den Griechen niederließen und sich ihre großen Gemeinden in Alexandria und in den übrigen griechischen Städten K leinasiens sehr vermehrten : Kappadokien, Kilikien und in a llen Städten am Mittelmeer. Sie werden in unserer Mishna a ls „Medinat ha-yam“ (in Giṭṭin [ mGit 3,6 ] und an anderen Stellen) bezeichnet, | bis hin nach Athen und Griechen land und Makedonien. Dort vergaßen sie aber ihre angestammte Sprache, welche Hebräisch oder A ramäisch gewesen war, und nahmen die Sprache Griechisch an und sprachen in ihr, sie und ihre Nachfahren in den folgenden Generationen. – In a ll diesen Ländern hüteten sie sich vor der Teilnahme am Götzendienst und den übrigen Gemeinheiten des Götzendienstes. Sie hielten sich vielmehr an die Tora ihrer Väter, entsprechend a ller Gebote Gottes, und sie errichteten Versammlungshäuser für die Unterweisung und die Auslegung der Gebote und für das Gebet. A lles geschah aber in der griechischen Sprache, welche sich nur wenig in ihrem Munde veränderte, indem sie sich ein wenig dem Stil des Hebräischen der Heiligen Bücher anglich, warum die Weisen diese A rt der Sprache auch mit der speziellen Bezeichnung „elenisṭein“ bezeichneten und die Juden [ welche sie sprachen ] a ls „yehude elenisṭin“ – Hellenisten. Und bekannt ist die Begebenheit von dem Tempel des Onias, welcher in Ägypten in den Tagen und mit Hil fe des Ptolemäus IV. errichtet worden ist, und zwar durch Onias, den Sohn des Onias, Sohn Shim‛on des Gerechten, welcher dorthin gef lüchtet war, nachdem er einsah,

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dass die Hohepriesterwürde nicht mehr an seine Familie, die Familie des Yehoshua‛ ben Yehoyakhin, zurückfa llen würde. Doch trotzdem hielten sie sehr an Jerusa lem fest, sie zogen dorthin, um die Wa llfahrtsfeste zu feiern, und sie besaßen sogar spezielle Synagogen in Jerusa lem, denn im Ta lmud und in Schriften aus jener Zeit werden eine Synagoge der A lexandriner und ein Synagoge der Hellenisten erwähnt. Daher dürften sich jenem Tempel aber nur wenige angesch lossen haben. Und man beachte, dass Philo ihn an keiner Stelle seiner Schriften erwähnt, und er selbst scheint nach Jerusa lem gezogen zu sein. A nscheinend hatte dieser Tempel nicht lange Bestand, und er konnte überhaupt nur durch die Unterstützung des Königs und mittels seiner Macht existieren; denn so war es die Vorgehensweise der griechisch-ptolemäischen Könige in Ägypten, zu helfen und zu unterstützen, was sie in ihrem Reich a ls wertvoll und in anderen Reichen a ls ehrenwert erachteten. A ls ihnen aber das Land Israel durch Syrien gänz lich aus dem Herrschaftsbereich entg litt, da wollten sie einen Tempel für ihren eigenen Staat. Zur Bewahrung der Tora und zu ihrem Studium bedurften sie daher sofort, oder zumindest zu Beginn ihrer Inbesitznahme, einer Übersetzung der Tora und der übrigen hei ligen Bücher und Gebetsschriften. – Aus den Büchern der Geschichtsschreiber und auch der Rabbinen, seligen A ngedenkens (Ende der Megillat Ta‛anit [ batra 21 (hg. v. Lurie, 201) ]; Traktat Soferim [ 1,7 (102) ] und Traktat Megilla 9a), wissen wir aber, dass man ihnen in den Tagen des Ptolemäus II. Philadelphos die Tora ins Griechische übersetzte, jene Übersetzung, die auch unter dem Namen der siebzig Alten berühmt geworden ist, die Übertragung der Siebzig, über die und über deren Inha lt die Forscher auch hinsicht lich ihres A lters viele Untersuchungen anstellten; ebenso über den bekannten griechischen Bericht, welcher über die Entstehungsgeschichte verfasst worden, wie sie entstanden und wann, und durch wen sie angefertigt worden war. Diese Schrift [ Aristeasbrief   ] ist durch den gelehrten Verfasser des Me’or ʽEnayim ins Hebräische übersetzt worden.1 1 Vg l .

ʽA zarya de’ Rossi, Sefer Me’or ʽEnayim, 16a–40b (Hadrat zeqenim); ders., Light of the Eyes, 33 – 77.

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Von den Forschern aus jüngerer Zeit ist sie bereits oft untersucht worden (wie von dem Gelehrten [ ʽAzarya ] De’ Rossi, dem Verfasser des Me’or ʽEnayim, oder auch von dem Weisen R[abbi ] M[oshe ] ben Menaḥem [ Mendelssohn in der Ein leitung zu seinem ] Bi’ur la-netiva1 [ u nd auch durch ] Eichhorn in seiner Ein leitung in die Bibel 2 sowie von anderen mehr), sodass wir uns an dieser Stelle auf das Notwendige beschränken können. Was aber im Hinblick auf unsere A ngelegenheit nur zu beachten ist, ist, dass die Übersetzung unter den griechisch [sprachigen ] Juden nahezu a ls geheiligt angenommen wurde, wie der hebräische [ Text ], und daher erzäh lte man sich von Wundern und von dem Wirken des hei ligen Geistes bei seiner A nfertigung, und man verfasste für sie sogar Kommentare und Erläuterungen für einzel ne Verse, a lles nach der Maßgabe, dass sie a ls heilig anzusehen sei wie der hebräische [ Text der Bibel ] selbst. – In der Zeit kurz nach der Übersetzung [ der Tora ] fertigte man auch die Übersetzungen der übrigen hei ligen Bücher an (wie es die [ Forscher ] aus jüngerer Zeit dargelegt haben), doch a lle in ein und demselben Stil des Hebräischen, nach der erwähnten Art des Hebräischen, und außerdem fügten sie ihrer Bibel noch einige Bücher hinzu, ebenso wie Teile, die sich nicht bei uns fi nden. Es handelt sich aber um jene Bücher, die wir bereits oben erläutert haben. A ls der Enkel des Yehoshua‛ ben Sira in den Tagen des Ptolemäus IV. nach A lexandria kam, übersetzte er ihnen auch das Buch seines Großvaters, | und außerdem verfasste er ein Vorwort, welches uns erha lten geblieben ist. In ihm sagt er, dass sein Großvater die Tora und die Propheten sowie die übrigen Schriften studiert hatte und in ihnen bewandert war, sodass er von sich aus ein Weisheitsbuch verfassen konnte, und er hätte dieses dann nur noch nach seinem Vermögen übersetzt. Doch gibt es einen Beleg dafür, dass die griechisch [sprachigen ] Juden trotzdem die Zusätze nicht a ls in der Heiligkeit den vierundzwanzig [ hei ligen Büchern der Bibel ] gleichwertig erachteten. 1  M .

Mendel ssohn, Sefer Netivot ha-Shalom we-hu ḥibbur kolel ḥamisha ḥumshe Tora ‛im targum ashkenazi u-vi’ur, Wien 1846, I 36 – 37 (haqdama). 2 J. G. E ichhorn, E in leitung in das A lte Testament, L eipzig 1780, I 50 f..

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Außer jenen Büchern, die in ihrer Bibel gesammelt sind, verfassten die Weisen [ auch ] Gebete, Lieder und Geschichten, von denen uns a llerdings nur zwei oder drei Stücke erha lten geblieben sind. Es gab in den Tagen des Ptolemäus IV. unter ihnen einen großen Weisen, A ristobu los sein Name, ein Philosoph, und er verfasste einen langen Kommentar zur Tora des Mose, doch ging er verloren, und es blieben von ihm nur wenige Notizen und Erinnerungsstücke in der Überlieferung und in den Schriften der frühen christ lichen Weisen erha lten. Er zitierte aber viele Verse von den frühen griechischen Priestern und ihren Propheten, in denen sie auf die Väter anspielen und auf die R ichtigkeit unserer Tora hinweisen. Doch siehe, obwoh l die griechisch [ sprachigen ] Juden im Verlaufe dieser Epoche, mehr a ls 400 Jahre lang, stärker wurden und Erfolg hatten sowie in jeder griechischen Weisheit sehr bewandert wurden, insbesondere in A lexandria, welches in jener Zeit der Sitz und die Heimstätte jeg licher auf der Welt bekannten Wissenschaft, von Osten bis Westen, war – a ls ihre Spitze gekappt wurde und sie im Zeitraum zwischen der Tempelzerstörung und der Zerstörung Betars zum größten Teil getötet wurden und ihre Gemeinden durch Trajan, der auch Trakhinus1 genannt wurde, vernichtet wurden, endete und hörte auch ihre Weisheit sowie die meisten ihrer Schriften auf zu existieren. Und von ihnen blieb uns nur ein Schatten geworfen vom Feuer der Vernichtung. Doch selbst dieser erreichte uns nur durch unsere Gegner, und auch unter ihnen fand sich niemand, der sie genügend verstand und sie aufgrund ihres Inha ltes voll kommen begriff, entsprechend der Methode und Eigenart jener Juden. Dies geschah aber ohne Zweifel a ls eine Strafe dafür, dass sie die geerbte hei lige Sprache verlassen hatten – man möge die jüngste Generation betrachten und daraus seine Lehre ziehen ! Doch von einem der letzten ihrer Weisen (Phi lo) blieb uns eine große Samm lung von Schriften erha lten, von denen sich die meisten auf unterschied liche Abschnitte unserer Tora beziehen. 1  S o

mit der Edition Wol f und der übl ichen rabbinischen Schreibweise.

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Und wisse, dass dies ein bedeutendes und wichtiges Prinzip ist, welches uns prüfend leiten sollte, dass wir uns vermehrt und stets bemühen sollten, die Glaubensauffassungen, Belehrungen und Eigenarten in unserer Nation hinsichtlich ihrer geschicht lichen Entwick lung zu erforschen und zu untersuchen, auch eingedenk der Zeitläufe, die über uns vergingen, und hinsicht lich der Schriften und der Abhängigkeiten, die unter ihnen bestehen, die wir vergleichsweise viel mehr a ls jede andere Nation und Sprache verfasst haben; auch eingedenk dessen, wie wir verändert wurden und durch jene Glaubensauffassungen, Belehrungen und Eigenarten bewegt wurden und wie wir sie von Generation zu Generation behandelten, sogar jene, die sehr weit entfernt waren und sich uns nur ein wenig näherten, wie etwa die Griechen in der Zeit der letzten Platoniker, Plotin und Prok los1, von deren A nsichten wir einiges rezipierten, und umso mehr jene, die uns [ a nfäng lich ] nahe standen, sich dann jedoch von uns entfernten, wie jene A nhänger des Neuen Testamentes oder die A nhänger der Lehre des Philosophen Baruch [ Spinoza ] oder der Sekten, die nach ihm entstanden sind. – Es ist die Aufgabe der Geisteswissenschaft ler und Großen unter uns, [ d iese ] zu studieren und hinsicht lich ihrer Prinzipien und Wurzel n zu verstehen – a lles, um zur Erfü llung des Geforderten zu gelangen, näm lich zu k laren Aufzeichnungen und am Ende zur K lärung der Erkenntnis unseres Wesens und unserer Eigenart, welches die a llumfassende Seele Israels [ ‫] נפש ישראל הכללי ת‬ ist, wie sie in der Welt offenbar wird, in unserer Geschichte und in unseren Berichten der Ursachen und Zeitenwandel bis zum heutigen Tag, und was wir aufgrund dessen für die Zukunft ableiten können. Einiges von diesem fi ndet sich bereits bei den A nführern unserer Weisen, beim Rav [ Moshe ben Maimon ] und bei Moshe ben Naḥman, und in einigen ihrer kostbaren Äußerungen, von deren Tiefgründigkeit und deren reinen A nsicht sie etwas in ihrem Herzen verstanden. Doch bilden [ ihre Äußerungen ] nur wenige Samenkörner, entsprechend der Minderheit des erfahrungsbezogenen Samens und dem Mangel an der Verbreitung von Büchern 1  S o

mit R awidowicz, Mavo, 108.

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und dem sch lechten Zustand der [ handschrift lichen ] Kopien in jenen Tagen; [ d ies aber ] in ungefähr jener Zeit, a ls der Gegenstand, die Kenntnis und das Erkenntnisvermögen der Weisheit und der Eigenart eines jeden Vol kes in seiner Sprache und nach seiner besonderen Weise vermehrt wurden und sich Bücher und sogar für die Kenner erstaun lich genaue Kopien immer mehr verbreiteten. | 168

Samm lung von Aussprüchen in den Ta l mudim und Midrashim zwecks Erläuterung des Systems des Philo von A lexandrien. In bPes 12b, bShab 14a haben unsere Weisen ebenso gelehrt : Sheshet von den ta l mide ḥakhamim meinte, dass das Sefer Yedidya der Gemeinschaft der Essener1 zuzuschreiben sei. Rabbi Yoḥanan ha-Sand lar, über den man in (yHag 3,1 [ 78d ]) sagte, dass er ein A lexandriner war – ihm wird der Ausspruch zugeschrieben : „ Jede Vereinigung, die eine reine Absicht hat, wird sch ließlich bestehen; wenn sie aber keine Absicht hat, wird sie sch ließlich keinen Bestand haben“ (m Av 4,14) – und vielleicht weist auch dies auf jene Gemeinschaft hin, auf welche Weise auch immer, ob zum Guten oder Sch lechten. bBB 25a : Denn Rav Sheshet sagte [ z u seinem Diener ] : „Nach a llen R ichtungen darfst du mich stellen, nur nicht nach der öst lichen R ichtung, wei l die Minim diese wäh len.“ Dies stimmt mit dem überein, was Philo über die Therapeuten erzäh lt, die sich ebenfa lls in ihrem Gebet vor dem Sonnenaufgang nach Osten wandten, und Rabbi Abbahu sagt : „Die Shekhina befi ndet sich im Westen, wie Rabbi Abbahu sagte : Wesha lb heißt es avarya  ? Weil die Luft Gottes [ avir ya ] ist.“

Rabbi Eliʽezer ben ʽArakh von den Mystikern [ ba‛a le ha-sodot ] war folgender Ausspruch geläufig : „Sei wachsam, Tora zu lernen, wisse, was du dem epikoros erwiderst“ (m Av 2,19). Rabbi Ḥanina, einer der Vorsteher der Priester zur Zeit der Tempelzerstörung und in der 1  S o

mit der Edition Wol f : „ḥavurat ha-issim“.

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Zeit danach, sagte : Hätte es Furcht vor der römischen Herrschaft gegeben, wären die Sekten eine nach der anderen verschwunden. Rabbi Ḥanina ben Dosa, von dem man sagte, dass mit ihm die anshe ma‛ase [ Männer der Tat ] aufhörten zu wirken, er war es, der die drei folgenden Dikta sagte : „Jeder, bei dem Furcht vor der Sünde der Weisheit vorangeht, dessen Weisheit hat bestand“ usw.; „jeder, dessen Werke mehr sind a ls dessen Weisheit“ usw.; jeder, an dem der Geist der Menschen Wohlgefa llen hat (m Av 3,11) – und dies ist der Beweis dafür, dass jene anshe ma‛ase sich von den ba‛a le hasodot trennten und nicht völlig von der Beschäftigung mit den weltlichen Dingen und ihren Pf lichten gegenüber den Mitmenschen abließen. Und diesbezüglich besteht ein Unterschied zu der Bezeichnung „Ḥasidim“, die sich auf jene ba‛a le ha-sodot bezieht, die ihre Seele für die Schau und Vertiefung in die gött lichen Geheimnisse hingaben, indem sie sich zurückzogen und sich von a llen üblichen Lebensformen enthielten. Und die jüdischen Griechen bezeichneten diese entsprechend dem ersten Grad mit der Bezeichnung „Asketen“ nach ihrem Verha lten, der „Askese“. Und dieses Wort selbst ist auch in das spätere Aramäisch aufgenommen worden, und zwar a ls „ʽasaq“, und man nannte diejenigen, die auf solche Weise verfuhren, „‛oseq“, in Hebräisch aber „‛oved“, woraus dann „ish ma‛ase“ abgeleitet wurde. Die beiden letzten Stufen nach einer bekannten Baraita des Rabbi Pinḥas ben Ya‛ir1 sind : jemand, der sich vor einer Sünde fürchtet, und jemand, der auf den Wegen der Frömmigkeit wandelt und so zum heiligen Geist führt. Auch dieser | Gegensatz weist darauf hin, dass die Furcht vor Sünde eine Eigenart der anshe ma‛ase war, die sich noch nicht von den weltlichen Dingen und ihren Erkenntnissen verabschiedet hatten und die sich bemühten, sich vor der Sünde in Acht zu nehmen; doch die Lebensweise der Ḥasidim war es, sich völlig von der Welt und ihren Belangen fernzuha lten und sich der Kontemplation hinzugeben, um die Gottheit zu schauen. Doch die letzte Stufe ist es, die die intellektuelle Schau der göttlichen Geheimnisse und der Geheimnisse der Tora, die Möglichkeiten der Verstandesmethode so1 Vg l.

bAZ 20b; yShab 1,5 (3c); ySheq 3,4 (47c); mSot 9,15 u. ö.

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gar übersteigt : Und ähn lich ist der Gegensatz zwischen der Furcht vor Sünde und der Weisheit, wie es in dem Spruch in Traktat Avot [ Sprüche der Väter ] hinsichtlich der Schau der Gottheit und hinsichtlich der Geheimnisse der Tora gelehrt wird. Doch der Spruch im Traktat Avot weist auf die Notwendigkeit der Kenntnis der toragemäßen Gesetze und deren angemessene Anwendung hin, worauf auch Rabbi Ḥanina in seinen Diktum hinweist : „ Jeder, bei dem die Furcht vor der Sünde vorangeht, bei dem hat die Weisheit Bestand“ usw. (m Av 3,11). Das heißt, es ist ratsam, sich in der Tugend der Entha ltsamkeit (Askese) zu vervoll kommnen, um nachher auf die Stufe des Ḥasid zu gelangen, der sich von a llem Leiblichen enthä lt und sich ganz der Weisheit hingibt und sich mit der [ gött lichen ] Schau befasst. Und so lautet ein Ausspruch : „Jeder, dessen Werke mehr sind a ls dessen Weisheit, hat Bestand“ usw. (m Av 3,12). Rabbi Ḥanina ben Dosa war einer der Großen unter den anshe ma‛ase, und über ihn sagte man, dass mit ihm die anshe ma‛ase aufhörten, und a lle drei Dikta, die mit ihm verbunden sind, drehen sich um das Lob der Werke und die Beziehung zur Welt : „Jeder, bei dem die Furcht vor Sünde der Weisheit vorangeht“ usw. (m Av 3,11); „jeder, dessen Werke mehr sind a ls dessen Weisheit, dessen Weisheit hat Bestand“ usw. (m Av 3,12). Und entsprechend der Metapher, nach der eine [ g ute ] Tat der Wurzel eines Baumes gleicht, die in die Erde – in die Rea lität – eingepf lanzt ist, gleicht die Weisheit den Zweigen eines Baumes, der sich gen Himmel streckt – dies meint die theologische Erkenntnis [ Haska la ]. – Und so lautet ein weiterer Ausspruch : „Jeder, an dem der Geist der Menschen Wohlgefa llen findet“ usw. (m Av 3,13), womit darauf hingewiesen wird, dass man den Menschen nicht von der Gemeinschaft mit der Welt und von seinen Geschäften entfernen solle. Und Rabbi Eli‛ezer ben ʽAzarya war weise genug, um zu sagen, dass beides notwendig ist, das eine sei die Bedingung für das andere. Wie die Beobachtung der ToraGebote auf die Durchführung der einzelnen miṣwot angewiesen ist, so ist die Gemeinschaft auf die staat lichen Organisationen angewiesen. Ebenso soll er gesagt haben : „Wer in der Tora nicht bewandert ist, hat keine Umgangsform, wer keine Umgangsform hat, hat keine Tora-Kenntnis“ (m Av 3,21). So auch die Furcht vor Sünde,

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und sie impliziert Intention der Tat und Reinheit des Geistes in Bezug auf die Sitten sowie die Kenntnis der Gottheit und ihrer Geheimnisse. – Das eine ist ohne das andere nicht mög lich : „Ohne Furcht keine Weisheit; ohne Weisheit keine Furcht“ (m Av 3,21). Dies ist die Regel, auf die wir ausführlicher eingegangen sind, um auf die Wahrheit der Intention dieser Aussprüche hinzuweisen, an dem Ort, an dem sie sich gegenüberstehen : Tora – derekh ereṣ [ Sitte ]; Ehrfurcht – Furcht vor Sünde; Weisheit – Frömmigkeit; Ḥasidim – anshe ma‛ase. Und a ls Beleg für die Ḥasidim kann folgende bekannte Baraita angeführt werden : „Die ersten Ḥasidim warteten eine Stunde bevor sie beteten, und eine, nachdem sie gebetet hatten, und eine während des Gebetes. Und man fragte : Wann haben sie ihre Arbeit verrichtet  ? Und ihr Studium haben sie auf welche Weise durchgeführt  ? Und man antwortete : Da es sich um Ḥasidim handelte, wurde ihre Arbeit verrichtet und ihr Studium bewahrt“ (bBer 32b).1

Wie es in Mishna ʽEduyot gesagt wird : „Denn es ward hinter keinem in Israel der Tempel-Vorhof gesch lossen, der an Weisheit und Sünden-Furcht dem ʽAqavya ben Maha lel gliche !“ (m Ed 5,6). Man zäh lte ihn zu der ersten großen Abtei lung und fügte hinzu, dass man auch auf der zweiten Stufe niemanden fi nde, der ihm gliche. Rabbi Yoḥanan ben Zakkai war wie ein Fürst vor dem König und Rabbi Ḥanina [ bar Abba ] wie ein Diener (vgl. bBer 34b).2 bQid 40b; ARN A 39 (60a) : „Rabbi Eliʽezer bar Ṣaddoq sagte : Womit sind die Frommen auf dieser Welt zu vergleichen  ? Mit einem Baume, der ganz auf einem Platze der Reinheit steht, dessen Gezweig aber auf einen Platz der Unreinheit hinüberragt; wird das Gezweig abgeschnitten, so steht er ganz auf dem Platze der Reinheit. Ebenso bringt der Heilige, gepriesen sei sein Name, Züchtigungen über die Frommen auf dieser Welt, damit sie die zukünftige Welt erben, wie es heißt : Dein Beginn ist gering, dein Ende aber wird groß sein. Womit sind die Gottlosen auf dieser Welt zu 1 K rochma l

paraphrasiert. des Textes durch K rochma l.

2 Paraphrasierung

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vergleichen  ? Mit einem Baume, der ganz auf einem Platz der Unreinheit steht, dessen Gezweig aber auf einen Platz der Reinheit hinüberragt; wird das Gezweig abgeschnitten, so steht er ganz auf dem Platze der Unreinheit. Ebenso überhäuft der Heilige, gepriesen sei er, die Gottlosen auf dieser Welt mit Gutem, um sie in der zukünftigen Welt zu verstoßen und in die tiefste Stufe zu drängen, wie es heißt : Mancher Weg erscheint dem Menschen gerade, am Ende aber sind es die Wege des Todes (Spr 14,12).“ Und beachte, dass auch diese Baraita von jenen stammt, die von den Weisen a ls von den Geheimnissen der Tora handel nd gelehrt wurden, und sie behandelt das Geheimnis der Seele, | wie wir es für Philo und seine 170 Gefolgschaft erk lärt haben : d. h., das ist der Gerechte – auf der Stufe des Dieners –, dem es gelingt, im Gottesdienst die gött liche Verstandeskraft über die tierischen Triebkräfte siegen zu lassen, bis sie völlig bezwungen sind. Und auf welche Weise bemüht er sich nicht, den Einf luss der Gefüh le zu minimieren und sich nicht ihrer zum Woh lgefa llen zu bedienen, es sei denn für das Notwendige, weil die Seele nun einma l mit der irdischen Materie und dem f leisch lichen Leben verbunden ist (dem Ort der Unreinheit). Siehe, die K raft des sinn lichen Triebes ist bei einem Diener anfangs ein aufstrebender Baumwipfel, der sich der Unreinheit zuneigt, doch während seines Dienstes wird er zur Einsicht erhoben, und [ der Diener ] kann für sich selbst stehen, solange [ der Dienst ], dem er sich widmet, andauert. Denn hierdurch gelingt es ihm, sich über die Triebe zu erheben bis zur Erlangung der Voll kommenheit der Seele, (gleich dem Baum,)1 der an einem reinen Orte steht (die göttliche Scheidewand; ihre Bildung und Schau und das Anhängen an ihr2) – bis dass sich am Ende, noch zu Lebzeiten (in dieser Welt), wie fast zu a llen Zeiten, separater Verstand von der Sinn lichkeit 1 Vg l.

etwa ARN A (60a). dazu Acht K apitel. Eine Abhand lung zur jüdischen Ethik und Gotteserkenntnis, A rabisch und Deutsch von M. Wol ff. Mit einer Einführung und Bibl iographie von F. Niewöhner, 2. durchgesehene Auf lage, Hamburg 1992, 48 – 53. Für den hebräischen Text vg l. die Ausgaben des Bavl i, Druck Wil na mit a llen Kommentaren : Seder Neziqin, Pirqe Avot, Shemone peraqim le-ha-R ambam, 3c (pereq sheviʽi). 2 Vg l .

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(dem heiligen Geist) abwendet. Und man beachte die Hinweise auf die Baumspitze, dass sie von der Stufe des Gerechten und SündenFürchtigen auf die Stufe des Ḥasid und Sehers wachsen wird. Und das Gegentei l : Die Gottlosen, über deren Wille die K raft der Sinne herrscht, benutzen ihre Sinne für Luxus und f leisch liche Gelüste, bis dass der Baum (die Gesamtheit der Seele) an einem Ort der Unreinheit steht (dem Materiellen); und das Verstandesmäßige unterdrücken sie und unterwerfen es ihren Triebeswünschen, bis dass es völlig durch die Sinneswünsche unterdrückt wird und sich nicht einma l mehr ein kurzer Moment des Obsiegens über sie fi ndet. Doch dies ist der Baumwipfel, der sich der Reinheit zuneigt wie die Seele dem tierischen Trieb. Doch die Erk lärung, die dort in der Baraita angeführt wird und die von uns in K lammern nachgetragen worden ist, sie ist unserer Meinung nach auch später a ls das [ z uvor ] Gesagte entstanden, um somit diejenigen zum Verständnis und zum Nutzen der Masse und der Schü ler anzunähern, die noch nicht zu diesen Geheimnissen vorgedrungen waren. – Siehe, nach der nötigen Erniedrigung weisen sie auf die Züchtigungen hin, die ersten Stufen, die demjenigen, der sich um seine Seele müht, nutzt, indem er sich von den Gelüsten fernhä lt und von dem Luxus ablässt und die Genügsamkeit mit dem Wenigen [ entwickelt ], was möglich und sogar notwendig ist, und die Gedu ld, um Sch läge und A nk lagen zu ertragen. Der Hinweis auf das Woh lergehen der Gottlosen aber bezieht sich auf die sinn lichen Genüsse selbst, denn die K raft1 der Sinne verstärkt und schwächt den gött lichen Verstand und das Verhä ltnis zu jenen auf Gott bezogenen Hand lungen auf andere Weise, doch dies wird noch weiter ausgeführt. Doch wisse, dass unsere Erk lärung keinen Beleg und keinen A nha ltspunkt in dieser tannaitischen Überlieferung fi ndet, obwoh l sie der Intention nach genau mit ihr übereinstimmt. Und beachte auch das Wunderbare an diesem Gleichnis, dass demnach keinem Baum noch Wipfel Unreinheit eigen ist, es sei denn sie neigten sich dem Raum der Unreinheit (dem Materiellen) zu. Und dies bedeutet, dass es beim 1 L ies

‫ כחו‬statt ‫כמו‬. Vg l. K rochma l, Writings, 170 A nm. a.

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Menschen keinen Unterschied gibt zwischen dem, was wesent lich, d. h. übertragen die Spitze ist, es sei denn in Bezug auf sein Bemühen und sein Streben. Die Verbindung der Stufen des Sünden-Fürchtenden und des Ḥasid finden wir auch unter den Schü lern des Rabban Yoḥanan ben Zakkai, der ihre Vorzüge aufzäh lt : „Rabbi Yose ha-Kohen, ein Ḥasid; Rabbi Shim‛on ben Natan’el, ein Sünden-Fürchter“ (m Av 2,11). Und davon leitet die Tosefta (t AZ 3,10 [ 464 ]) ab, dass ihm [ sc. dem Shim‛on ben Netan‛el ] Rabban Gam li’el der Ä ltere seine Tochter zur Frau gab, unter der Bedingung, dass sie ihm nicht zu Diensten sein müsse.1 Und im Seder ha-Dorot2 legte man das so aus, dass er ein ‛am ha-areṣ gewesen sei, doch er war es nicht. Nur dass er eben auf der Stufe des Dieners und ish ha-ma‛ase verblieben war, ein wenig unter der Stufe der Ḥasidut und der Weisheit. Doch wenn man den Ḥasid nach dem guten oder sch lechten Weg fragt, dem man anhängen bzw. von dem man sich fernha lten solle, antwortet er : Der gute Nachbar und der sch lechte Nachbar (vgl. m Av 2,13; 2,14). Dies soll auf die Ḥasidim hinweisen und die Absonderung von den weltlichen Menschen. Doch der Diener aus den anshe ma‛ase antwortet : Wer den Neumond berechnet; wer leiht und nicht bezah lt, der schu ldet dem Menschen und dem A llgegenwärtigen. Zum ersten, wenn er der Pf licht zu A nfang der Tat gewahr wird im A nsch luss an die Welt, was aus ihr zum Guten wie zum Sch lechten folgt; zum zweiten nach der a llgemeinen Regel, dass ein Mensch seine Verpf lichtungen gegenüber seinen Mitmenschen und Gott erfü llen muss. – Aber Rabbi Eli‛ezer ben ʽA rakh, der eine A rt Stufenüberspringer ist, antwortet : Ein sch lechtes Herz, ein gutes Herz, denn [ das Herz ] ist die Wurzel der Reinheit der Seele. Und dieser Gegensatz von Weisheit und Sündenfurcht [ fi ndet sich ] an vielen Stellen bei den Weisen, seligen A ngedenkens. 3 | 1  I n

der Tosefta nur : „she-lo ta‛ase tehorot ‛a l gabaw”.

2 Vg l. Yeḥie’el ben Sh lomo Hei lprin, Seder ha-Dorot, K arl sruhe 1769, 41b–c. 3  I n

der Edition Wol f folgt hier der Abschnitt, der in K rochma l, Writings später, auf Seite 172 beginnt. Doch ist die gesamte Pforte nicht sehr durchdacht angeordnet. Siehe die editorische Bemerkung von R awidowicz.

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Pforte 12

Rabbi Pinḥas ben Ya’ir war ein Ḥasid und vorbildlicher Mann – und jeden Ḥasid hielt man für einen Mystiker, der die physische Natur verändern kann, wei l er über sie erhaben ist. Von ihm ist an keiner Stelle eine Ha lakha überliefert, denn von Anfang gehörte er zu den besonders begabten Schü lern, die sich Rabbi Shim‛on ben Yoḥai entgegenstellten, wie es heißt : „Bevor er sich den Geheimnissen der Tora und der Ḥasidut zuwandte“ (bShab 33b). Der folgende Spruch fi ndet sich in einer späten Mishna in der Schrift Pereq Qinyan [ Tora ] :1 „Das ist die rechte Weise für die Tora : Iss Brot mit Sa lz, trink Wasser nach Maß, und sch lafe auf der Erde, lebe ein Leben der Entbehrung und mühe dich mit der Tora“ usw. – [ d ies bezieht sich auf  ] die Mora l, auf die Disziplin, die sich ein Diener auferlegt, um die f leisch lichen Triebe zu besiegen, [ u nd zwar ] nicht nur seinen Auslöser, zuma l man auch von dem genießen darf, was einem nützt und dem Lebenserha lt dient. – Und siehe, Rabbi Eli‛ezer ha-Kappar, indem er sich oft mit dieser Lebensweise vertraut machte, prägte folgendes wichtiges Diktum bezüglich der ethischen Maßstäbe : „Der Neid, die Genusssucht und der Ehrgeiz bringen den Menschen aus der Welt“ (m Av 4,28). Doch man beachte, dass man diesen Ausspruch hinsicht lich der weltlichen Genusssucht a ls Übertreibung kritisieren muss, denn es wird in einer weiteren Mishna gelehrt (bNaz 19a; bNed 10a) : „Er schaffe ihm Sühne dafür, dass er sich an der Seele vergangen hat (Num 6,11). A n welcher Seele hat er sich vergangen  ? Weil er sich dem Weingenusse entzogen hat. Nun ist ein Sch luss vom Leichteren auf das Schwerere zu ziehen : Wenn dieser, der sich nur die Entha ltung des Weingenusses auferlegt, Sünder heißt, um wie viel mehr derjenige, der sich die Entha ltung jeglichen Genusses auferlegt. Hieraus folgt, dass, wer im Fasten verwei lt, Sünder heiße.“ Und ebenso richtet sich ein gelehrter Ausspruch gegen die Minim, die Gnostiker, in Mishna Avot : „Die geboren sind, werden sterben“ usw. (m Av 4,29), was wir noch genauer in der kommenden Pforte über die „Lehre der Abweich ler“ [ Pforte 15 ] untersuchen werden. 1 Pereq

Qinyan Tora 4 (im A nhang zu m Av).

R ätsel der Vorzeit

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Das Wort „zokhe“ [ f ür würdig befunden werden ] in der Konjugation Qa l, welches sich in der Mishna findet, ist aus dem A ramäischen abgeleitet, und zwar mit der ersten Bedeutung : der Sieg. Und dies entspricht der hier verhandelten Verha ltensweise, denn jeder Gottesdienst ist letztlich ein Bekämpfen und Obsiegen über das Materielle und die f leisch lichen Genüsse. Der Ausspruch „es möge Woh lgefa llen vor dir sein; [ d ies bedeutet, dass ] nicht vor dir Woh lgefa llen sein möge“ (bBer 60a) folgt dieser Verha ltensnorm, indem er davon ausgeht, dass die Lobpreisungen des Herrn, gepriesen sei er, aus seinem Wesen hervorgehen und für sich selbst existieren, auch wenn sie mit ihrer Quelle verbunden bleiben und sie eine besondere Funktion dabei übernehmen. Es gilt die a llgemeine Regel, dass sie aktive Eigenschaften oder Attribute sind, und unsere Weisen verliehen jedem Weg, jeglicher A nordnung und jedem Maß der Rea lität, jeder Eigentümlichkeit ein Attribut. Es gibt [ nach m Av 5 ] vier Eigenschaften beim Menschen : „[ Wer sagt, das Meinige gehört mir und das Deinige dir; das ist das Durchschnittsmaß; manche sagen, das ist das Maß von Sodom; ] das Meinige steht dir zur Verfügung und dafür das Deinige mir [ , das ist ein Ungebildeter; das Meinige und das Deinige stehen dir zur Verfügung, das ist ein Frommer; das Deinige und das Meinige gehören mir, das ist ein Bösewicht“ (m Av 5,13) ]. [ Vier Eigenschaften gibt es bei ] Charakteren : [ Wer leicht zu erzürnen und leicht zu besänftigen, dessen Nachteil wird durch seinen Vorzug aufgehoben; wer schwer zu erzürnen und schwer zu besänftigen, dessen Vorzug wird durch seinen Nachteil aufgehoben; wer schwer zu erzürnen und leicht zu besänftigen, ist ein Frommer; wer leicht zu erzürnen und schwer zu besänftigen, ein Bösewicht ] (m Av 5,14). [ Vier Eigenschaften fi nden sich bei ]1 Schü lern : Wer rasch begreift und [ rasch vergisst, dessen Vorzug wird durch seinen Nachteil aufgehoben; wer schwer begreift und schwer vergisst, das ist ein guter A nteil; wer schwer begreift und leicht vergisst, das ist ein sch lechter A nteil ] (m Av 5,15). [ Vier Eigenschaften finden sich bei denen, ] die A lmosen geben : Wer will, dass nur er 1 K rochma l

zäh lt nur drei Eigenschaften auf.

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Pforte 12

gibt [ u nd andere nicht geben sollen, der ist missgünstig mit dem, was andern gehört; andere sollen geben, und er gibt nicht, der ist missgünstig mit dem Seinigen; er gibt und andere sollen geben, der ist ein Frommer; er gibt nicht und andere sollen geben, der ist ein Frommer; er gibt nicht und andere sollen nicht geben, der ist ein Bösewicht“ (m Av 5,16) ]. [ Vier Eigenschaften fi nden sich bei denen, ] die in das Bet Midrash gehen : Wer hingeht und es nicht ausführt [ , empfängt den Lohn für das Gehen; wer ausführt und nicht hingeht, empfängt den Lohn für das Tun; wer hingeht und ausführt, ist ein Frommer; wer nicht hingeht und nicht ausführt, ist ein Bösewicht (m Av 5,17) ]. [ Vier Eigenschaften bei denen, ] die vor den Weisen sitzen : Ein Schwamm, ein Trichter, eine Seihe und eine Schwinge. [ Ein Schwamm, der a lles in sich aufnimmt; ein Trichter, der auf der einen Seite aufnimmt und es auf der anderen Seite hergibt; eine Seihe, die den Wein hergibt und die Hefen zurückhä lt, und eine Schwinge, die das Minderwertige hergibt und das Kernmehl zurückhä lt“ (m Av 5,18) ]. Und dem Herrn, gepriesen sei er, sind zu eigen : Die Eigenschaft des Gerichts, der Güte, wie es heißt : Es möge dir woh lgefa llen, dass du deine Güte über deine Eigenschaften offenbaren mögest, damit die Eigenschaften des Heiligen, gepriesen sei er, Güte sein mögen, doch es sind eigent lich nur Strafverfügungen. Wie oben erwähnt, zäh lt man zu den Attributen eines Ḥasid, dass er sage : „das Meinige gehört mir und das Deinige dir“, was eine Erschwerung dieses ethischen Systems impliziert, da man dazu verpf lichtet wird, a lle Besitztümer zu verlassen. Außerdem sollte er sagen : „Wer leicht zu erzürnen und leicht zu besänftigen“ – dies impliziert den Sieg über a lle Emotionen; und ebenso : „Wer will, dass er gibt [ u nd andere nicht geben sollen ]“ – dies ist woh l a ls Hinweis auf den Gemeinschaftssinn zu verstehen. Die Gottesbezeichnungen, die die Rabbinen üblicherweise verwendeten, sind : R ibbon ha-‛olamim, R ibbono shel ‛olam1, ṣaddiq, ḥay ha-‛olamim2, ṣaddiqo shel ‛olam3, shamayim (ha-qadisha le1 B eide

G ottesbezeichnungen (Herr der Welt o. ä.) fi nden sich in der rabbinischen Literatur sehr häufig. 2 yBer 6,1 (14a). 3 BerR 49,9 (510).

R ätsel der Vorzeit

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shamayim, bava la-ṣet yede shamayim1), und sie sind von den a lexandrinischen Griechen übernommen worden. Sogar die Bezeichnung „maqom“ [ Ort, A llgegenwärtiger ] ist eine von den Griechen übernommene Bezeichnung ([ wie in : ] hu meqomo shel ‛olam weeyn ‛olamo meqomo2; BerR 68,9 [ 778 ] über den Vers : trete nicht an [ vor ] den maqom [ Gen 28,11 ]); gevura (von der gevura hatten wir bereits gehört 3); [ ebenso die Bezeichnungen : ] raḥmana [ der Gnädige ]; der Heilige gepriesen sei er; König der Könige der Könige.4 | 172 bSot 44a : „Rabbi Eli‛ezer, Sohn des Rabbi Yose des Ga liläers, erk lärte : Verrichte dein Werk draußen (Spr 24,27), das ist die Schrift, die Mishna und der Ta lmud; bestelle es auf deinem Felde (ebd.), das sind die guten Werke; dadurch baue dein Haus (ebd.), forsche und erha lte den Lohn.“ (Und zukünftig usw. verrichte dein Werk draußen; und die Gemara : um eine Erk lärung zu geben, um die Bedeutung der Mishna und der Ha lakha zu verstehen, wie es gemeint ist. Rashi.) bSot 36b :5 „Es sagte Rabbi Yiṣḥaq : Joseph wurde ein Buchstabe hinzugefügt, denn es heißt : als Zeugnis“ usw. … „[ Es sagte ] Simon der Fromme [ Ḥasida ] : Joseph hei ligte den Namen des Himmels im Verborgenen, und man fügte ihm einem Buchstaben vom Namen des Heiligen, gepriesen sei er, hinzu; Rabbi Yoḥanan sagte : [ Dies lehre, ] dass beide eine Sünde beabsichtigt hatten“ usw. … „In jener Stunde erschien ihm im Fenster die Gesta lt seines Vaters“ usw. Es scheint uns, dass der Gegensatz zwischen dem Ḥasid, welcher ein Weiser und Seher ist, und dem, von dem sie sagen, dass er ein Ungebildeter sei (einer, der den Mund sehr voll nimmt), der vor lauter Erkenntnis dumm geworden ist – dass dieser Gegensatz zu einem ish ma‛ase darin besteht, dass er sich der Sünden-Furcht hingibt, während der ‛am ha-areṣ den Rabbinen a ls jemand erscheint, der den Vollzug der miṣwot [ in ungehöriger Weise ] erleichtert. Und darauf bezieht sich woh l die Mishna Avot 2,6 : „Ein 1 bBM

37a. 68,9 (778). 3 bMak 24a (etwas anders). 4 I n der Edition Wol f folgt hier der unten, K rochma l, Writings, 174, beginnende Abschnitt über Yedidya (Phi lo). 5 I n der Ausgabe „bSot 45“. 2 BerR

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Pforte 12

Ungebi ldeter scheut nicht die Sünde, ein ‛am ha-areṣ ist nicht fromm.“ Damit man nicht denke, dass es mög lich sei, dass ein ish ma‛ase, der [ seine Religion ] praktiziert, völlig bar jeder Erkenntnis ist. Oder dass ein Ḥasid, der die Erkenntnisse beherrscht, den Vollzug leicht nehmen könne. Und so pf legten sie zu sagen : „ Jeder, bei dem Furcht vor der Sünde der Weisheit vorangeht“ (m Av 3,12) – dies bedeutet nicht, dass derjenige überhaupt keine Weisheit besitzt (und man braucht eigent lich gar nicht mehr zu sagen, dass dies auch für einen ungebi ldeten Ḥasid gilt oder für einen ‛am ha-areṣ oder Sünden-Scheuenden, denn dies sind zwei offenbare Gegensätze). Und darüber sagte man im Yerusha l mi : „Wer einen Segensspruch mit a lef – lamed beginnt, siehe, der ist ein Unwissender“ (yBer 9,1 [ 12d ]),1 der keine A hnung von den [ h ierdurch ] angedeuteten [ Gottes-] Bezeichnungen hat und nichts über das Geheimnis des heiligen Namens weiß.2 „Und es schmerzte ihn in seinem Herzen (Gen 6,6) : Ein Gleichnis für einen König, welcher durch einen adrikha l (d. h. einen A rchitekten, wie es in bBM 118b heißt : „Ein Bauarbeiter, der einem adrikha l etwas übergibt, ist schu ld“)3 einen Pa last ausführen ließ. Als er ihn aber [ zum ersten Ma l ] sah, gefiel er ihm nicht – über wen wird derselbe aufgebracht sein  ? Doch woh l über den Baumeister  ? ! Ebenso nahm es sich Gott zu Herzen“ (BerR 27,4 [ 256 ]). „Es sagte Rabbi Yose : Ein Gleichnis für einen König, der Waren kaufte durch einen Unterhänd ler und Schaden davon trug – über wen wird er sich bek lagen  ? Doch woh l über den Unterhänd ler  ? ! Ebenso war auch Gott nur zornig über sein Herz“ (BerR 8,3 [ 59 ]). Eine andere Erk lärung : oman [ Künstler ] (und ich werde für ihn ein oman sein). Die Tora sagt : „Ich war das Werkzeug Gottes. Gewöhn lich ist es so : Wenn ein König von Fleisch und Blut einen Palast baut, so baut er ihn nicht nach eigener Einsicht, sondern nach Einsicht eines Baumeisters, und auch dieser baut ihn nicht nach 1 K rochma l

paraphrasiert die Yerusha l mi-Stelle. der Edition Wol f folgt hier ein anderer Abschnitt. 3 Der eingek l ammerte Text beinha ltet eine phi lologische A nmerkung K rochma ls. 2  I n

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eigenem Gutdünken, sondern er hat Pergamente und Notizblöcke, auf denen die Einteilung der Zimmer und Gemächer verzeichnet ist. Ebenso sah Gott in die Tora und erschuf die Welt. Und die Tora spricht : Mit reshit [ Weisheit ] schuf Gott die Welt, und es gibt keine reshit außer der Tora, wie es heißt : Der Herr hat mich geeignet als den Erstling [ reshit ] seines Weges“ (durch Weisheit) (Spr 8,22) (BerR 1,1 [ 1 ]). Rabbi Yehuda und Rabbi Neḥemya sagen : „Und er schuf Himmel und Erde zu ihrer Zeit und a lle Heerscharen zu ihrer Zeit. Sagte zu ihm Rabbi Neḥemya : Es steht doch geschrieben : Dies sind die Geschichten der Himmel und der Erde, da sie geschaffen wurden, woraus hervorgeht, dass sie an demselben Tage, an dem sie geschaffen wurden, sich auch fortentwickelten. Sagte zu ihm [ Rabbi Yehuda ] : Es heißt doch : Es ward Abend und es ward Morgen, der erste, zweite, dritte, vierte, fünfte und sechste Tag, worauf R abbi Neḥemya wieder entgegnete : Es verhä lt sich hiermit wie bei denen, welche Feigen pf lücken. Dieselben wachsen zwar zu g leicher Zeit, werden aber nicht zug leich gepf lückt, sondern jede einzel n zu ihrer Zeit. [ Ebenso verhä lt es sich mit den Weltschöpfungen; obwoh l die Werke zugleich erschaffen wurden, so erstrah lte jedes einzel ne Werk doch erst zu seiner Zeit. ] Rabbi Berekhya bemerkte zu dem, was Rabbi Neḥemya gesagt hatte : Es heißt aber : die Erde ließ hervorgehen, d. h. etwas, was in ihrer Hand lag.“ (BerR 12,4 [ 100 ]). | 173 Und in Bereshit Rabba findet sich [ auch ] etwas Auffä lliges in dem Gleichnis von dem Mak ler und dem adrikha l, und es ist ein großes Rätsel, welches nicht [ genau ] erk lärt werden konnte. Doch der Einsichtige beachte einma l, warum man hier den besonderen [ Gottes- ]Namen erwähnte, während in der gesamten Perikope über die Flut nur der Name Elohim verwendet wird ! Moshe ben Naḥman meinte,1 dass, wenn mit dem Mak ler und dem adrikha l auf das Herz hingedeutet werden soll, die oberste Sefira, die Ma lkhut [ Königreich ] genannt wird, gemeint sei; denn er sagt über den Vers : und siehe, ich will sie verderben mit der Erde (Gen 6,13), denn 1 Perushe ha-Tora le-R abbenu Moshe ben Naḥman, hg. v. Chavel, I 11; R amban

(Nachmanides) Commentary on the Torah, hg. v. Chavel, I 22.

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Pforte 12

die Erde [ ereṣ ] (die oberste Sefira Ma l khut) wird im Verderben sein, im Verderben der Erde ([ d. h. ] ein Ende der Verbindung und des Reichtums in ihr von den Sefirot unter ihr) werden sie verdorben werden. Und sie werden verdorben werden in der Kommenden Welt (worauf das Diktum hinweist : „Das Gesch lecht der Flut hat keinen A nteil an der Kommenden Welt“ [ mSan 10,3 ].) – Entsprechend dem [ Midrash über den Vers ] : Und es schmerzte ihn in seinem Herzen (Gen 6,6). Und [ Moshe ben Naḥman ] meinte darüber des Weiteren : Und es wird dazu außerdem in Bereshit Rabba (parasha 31) angedeutet : „Gleich einem Prinzen, welcher eine Hofmeisterin hatte, so oft jener sich verging, wurde er von dieser bestraft“ (BerR 31,7 [ 280 ]). Und er sagte außerdem, dass diese Sefi ra es ist, die sie bestraft; und bezüg lich der wahren Bedeutung von „weani“ [ u nd ich ], wie in dem Vers und ich habe euch gespannt [ stark gemacht ] (Hos 7,15); auch ich werde [ euch vergelten ] usw. (vgl. Lev 26,16). Daher sagte er auch : dies ist das Zeichen des Bundes, welches ich euch gebe (Gen 9,12.17). Ich werde sch lagen und durch meine Hand heilen, und der maski l wird verstehen [ , was damit gemeint ist ]. – Und man beachte, dass der Rav [ Moshe ben Naḥman ] die oberste [ Sefira ] adrikha l nannte, denn durch sie wurde die Welt geschaffen, sowie sie mit dem Wort „reshit“ gemacht wurde, welches a lle zehn Sefirot umfasst, doch besonders die Sefira Ḥokhma (sie ist die Sphäre des Logos der A lexandriner). Denn durch sie ist a lles begründet, wie es heißt : Der Herr hat die Erde mit Weisheit begründet (Spr 3,19) – und dies meint die teruma [ Hebe ], und es meint das Hei lige, für das es kein Maß gibt, außer die vertiefende Schau, welche aus ihr erschaffen wird. Und mit dem Wort bereshit wird außerdem auf die Sefira Tiferet hingewiesen, welche für die Tora steht. Auch meint das Wort bereshit Mose, und es deutet darauf hin, was er schaute, [ näm lich ] den hellen Spiegelglanz [ der Herrlichkeit (kavod) ], was auch auf die Sefira Ma l khut verweist. Und weiter meinte Rav [ Moshe ben Naḥman ] : „Und a ls man die zehn Middot [ Verha ltensweisen Gottes ] aufstellte und eine von ihnen erk lärte, so ist dies ein Hinweis auf die zehn Sefirot. Und die Weisen schauten die Dezime und sprachen über sie (so muss es dort verbessert heißen) (womit er sich auf die Pf licht des Einzel nen

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hinsichtlich eines Mischteiges bezieht); und Israel, welches auch reshit genannt wird (womit er sich auf die Auslegung des „bishvil Yisra’el “ bezieht), dies meint die Versamm lung Israel [ k nesset Yisra’el ] (was sich auf die oberste der Sefirot bezieht). Und im Hohelied wird [ Israel ] mit einer Braut verglichen, die die Schrift auch Tochter, Schwester und Mutter nennt.1 Und dies wird auch schon im Midrash angeführt, „daß er seine Mutter mit einer K rone krönte“,2 wie es an vielen Stellen heißt (dies bezieht er darauf, dass es in der Macht dieser Sefira steht, sich aufzuschwingen und sich gleichzustellen mit der Sefira Tiferet, d. h. [ der ] „Schwester“, und mit der Sefira Bina [ Einsicht ] oder der Sefira Ḥokhma [ Weisheit ], d. h. [ der ] Mutter). Es kann a ls Regel aufgrund dieser Einsicht gelten, sagte der Rav [ Nachmanides ], dass die Welt durch [ folgende ] drei Sefirot geschaffen worden ist : Ḥokhma, Tiferet und Ma l khut. Aber im Hinblick auf den Vers aus dem Buche Genesis ergänzte er : „Aber wenn ihr für würdig befunden werdet und die Bedeutung des Wortes bereshit versteht und wei l es in dem Vers nicht in umgekehrter Folge heißt : Gott schuf bereshit [ statt : bereshit schuf Gott ], wisse, dass die Wahrheit darüber von den Unteren gesagt und von den Oberen nur angedeutet worden ist. Das Wort bereshit aber weist auf die erwähnte Ḥokhma [ Weisheit ] hin, welche der A nfang von a llem ist, und daher übersetzte man das Wort [ bereshit ] im Targum Yerusha l mi [ z u Gen 1,1 ] mit „be-ḥokhmata“3 [ mit Weisheit ], und der Ausdruck wird am Anfang mit einem gekrönten Buchstaben bet geschrieben.“ „Denn es gibt manchen, der sich müht mit Klugheit und Einsicht und Tüchtigkeit (Koh 2,21). Rabbi Yudan sagte (indem er den Menschen mit Gott vergleichen wollte) : Groß ist die K raft der Propheten, denn sie vergleichen das Gebilde mit seinem Bildner, wie es heißt : Und ich hörte eine Stimme eines Menschen zwischen Ulai (Dan 8,16). Sagte Rabbi 1 Perushe ha-Tora le-R abbenu Moshe ben Naḥman, hg. v. Chavel, I 11; R amban

(Nachmanides) Commentary on the Torah, I 22. 2 Vg l. ShirR 3,25 (22c) u. ö. 3 I n den meisten Ausgaben „be-ḥokhma“; vg l . Miqra’ot G edolot, E dition Eshkol, I 2a.

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Yehuda bar Simon : Wir haben eine andere Schriftstelle, welche weit k larer a ls die beigebrachte ist, näm lich : Und oberhalb des Thrones war ein Bild anzusehen wie ein Mensch“ (Ez 1,26) (BerR 27,1 [ 225 f. ]). „A lles, was während der sechs Tage der Schöpfung geschaffen wurde, erfordert noch eine [ Zeit der ] Zubereitung; z. B. der Senf muss süß werden, die Erbsen müssen süß werden, der Weizen muss gemah len werden – so benötigt auch der Mensch noch [ eine Zeit ] der Verbesserung [ tiqqun ]“ (BerR 11,6 [ 95 ]). | „Rabbi Yehuda ha-Nasia fragte den Shemu’el bar Naḥman und sprach : Da ich gehört habe, dass du ein Aggadist bist, was ist der Sinn von : Machet Bahn dem auf Wolken Einherziehenden (Ps 68,5)  ? Sagte er zu ihm : Es gibt keinen Ort, wo nicht ein Mann über sein Haus gesetzt ist. Er fragte Rabbi El ‛azar, welcher zu ihm nur sagte : denn der Herr ist ein ewiger Fels ( Jes 26,4), und er sagte : Mit zwei Buchstaben hat der Heilige, gepriesen sei er, seine Welt erschaffen, doch wir wissen nicht, ob diese Welt mit dem heh oder mit dem yud erschaffen wurde“ usw. Und was sagte Rabbi Abbahu im Namen des Yoḥanan : „Mit dem Buchstaben heh erschuf er, entsprechend heißt es be-hibar’am [ Gen 2,4 ] [ ‫] בהבראם‬, d. h. diese Welt erschuf er mit heh“ (BerR 12,10 [ 108 ]). Es gibt einen a lten Streit zwischen Rabbi Eliʽezer und Rabbi Yehoshua‛ : „Nach Rabbi Ele‛azar wurde a lles, was in den Himmeln ist, von den Himmel n und a lles, was auf der Erde ist, von der Erde geschaffen (beide Elemente). Und der Beleg ist : Lobet den Herrn von den Himmeln usw. (Ps 148,1). Rabbi Yehoshua‛ : Alles, was in den Himmeln und auf der Erde ist, ist vom Himmel (himmlischer Äther oder vollkommener Geist, entsprechend seiner Dimension) [ , wie es heißt ] : Wenn er zum Schnee spricht, werde Erde ! (Ijob 37,6). So wie näm lich der Schnee, obgleich er auf der Erde liegt, doch seine Entstehung in den Himmel n hat (in der Atmosphäre, entsprechend der Auffassung des Autors des Sefer Yeṣira, der [ etwas ] vom Schnee unter dem Thron der Herrlichkeit weiß1). Und die A ḥaronim sprachen von einer dritten Unterteilung : Alles, was in den Himmeln und auf der Erde, ist von der Erde. Und ihr Beleg war : So wie näm lich der 1 Vg l.

Sefer Yeṣira I,11 (52).

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Regen, obgleich er vom Himmel herabkommt, doch von der Erde her entsteht, ebenso [ verhä lt es sich mit a llem, was in den Himmel n und auf der Erde ist ]. Rabbi Yudan brachte a ls Beleg : Alles ist geworden aus dem Staube, und alles kehrt zurück in den Staub (Koh 3,20) (BerR 12,11 [ 109 f. ]). Rabbi Yoḥanan sagte : Ein Gleichnis für einen König aus Fleisch und Blut, der einen Pa last baute : Er lässt zuerst das Untergeschoss und dann die oberen Geschosse bauen. Doch der Heilige, gepriesen sei er, schuf die oberen Geschosse und die Untergeschosse mit einem Schöpfungsakt. Resh Laqish sagte : Ein Gleichnis für einen König aus Fleisch und Blut, der ein Schiff baute usw. Doch der Heilige, gepriesen sei er, schuf seine Werke und seine Führer gleichzeitig [ , wie es heißt ] : der die Himmel erschaffen und sie aufgespannt ( Jes 42,5) (BerR 12,12 [ 110 ]). „Rabbi Natan [ sagte ] im Namen des Rav Aḥa und Rabbi Berekhya [ sagte ] im Namen des Rabbi Yiṣḥaq : Ich bin der El Shaddai (Gen 17,1; 35,11) – [ d. h. ] ich bin der, der den Himmel n und der Erde sagte, dai [ genug ] ! Denn wenn [ ich ] nicht [ so gesprochen hätte ], dann würden sie damit fortfahren zu brodel n bis jetzt“ (BerR 5,8 [ 37 ]). „Es sagte Rabbi Yirmeya ben El ‛azar : In der Stunde, da der Heilige, gepriesen sei er, den ersten Menschen erschuf, schuf er ihn a ls Androgynos, wie es heißt : männlich und weiblich schuf er ihn (Gen 5,2). Es sagte Rabbi Shemu’el bar Naḥman : In der Stunde, da der Heilige, gepriesen sei er, den ersten Menschen schuf, schuf er ihn doppelgesichtig, und er durchsägte ihn und schuf zwei Rücken aus ihm, den einen nach dieser Seite und den anderen nach jener Seite hin. Es heißt doch aber : Er nahm eine von seinen R ippen  ? Sagte er : [ Nein, ] von beiden Seiten [ nahm er ]“, … und das Wort ṣela‛ [ R ippe ] kann man [ mit ] seter [ Seite ] übersetzen; „Rabbi Tanḥuma [ sagte ] im Namen des Rabbi Benaya, und Rabbi Berekhya [ sagte ] im Namen des Rabbi El ‛azar : Zur Stunde, da der Heilige, gepriesen sei er, den Menschen erschuf, schuf er ihn a ls Golem, und er reichte von einem Ende der Welt bis zum anderen [ , wie es heißt ] : Meinen Golem sahen deine Augen (Ps 139,16). Rabbi Yehoshua‛ bar Neḥemya und Rabbi Yehuda bar Simon im Namen des Rabbi El ‛azar sagte : Die Welt ist von seinem Schöpfer voll “ (vgl. Dtn 4,32) (BerR 8,1 [ 55 ]).

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„Es wird gelehrt : Erzfromme [ wattiqim ] (d. h. rechtschaffene und gesetzestreue Menschen; Rashi) beendeten es – das Lesen des Shema‛- Gebetes – mit dem Sonnenaufgang (das Minḥa- Gebet muss dagegen mit Sonnenuntergang verrichtet werden; Rashi), um den Ge’u la-Segensspruch an die Tefilla [ d as Achtzehngebet ] zu binden; man betet dann am Tage : Rabbi Yose ben Elyaqim bekundete im Namen der hei ligen Gemeinde von Jerusa lem : Jeder, der den Ge’u la-Segensspruch an die Tefilla bindet (wie die Erzfrommen, die das Shema‛- Gebet vor Sonnenaufgang beten und die Tefi lla nach dem Sonnenaufgang; Tosafot [ bBer 9b s. v. LQ‘‘Sh ]), kommt den ganzen Tag nicht zu Schaden“ (bBer 9b). Doch in bYom 37b : „Auch machte sie [ sc. Königin Helene ] eine Tafel “ (vgl. mYom 3,9) usw. Und sie wussten : nicht wie die Erzfrommen, die [ das Shema‛- Gebet ] kurz vor dem Sonnenaufgang lasen.

Yedidya (Philo) und die griechischen Weisen

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In der Auslegungsweise des Philo, mit der er die Schrift exegetisiert, um aus ihr ihren a llegorischen Sinn herauszuziehen, begegnet uns gelegentlich eine nicht geringe Fremdheit. Und nicht nur, dass er die Bibel über ihren eigent lichen Wortsinn hinausgehend, weit hergeholt und manchma l auch völlig | der Sache unangemessen auslegt, denn er sucht für einzel ne Wörter unterschied liche Ableitungen und Wurzeln, die keinen A nha lt an der Grammatik ihrer Sprache haben; sondern er macht auch die Schriftverse tatsäch lich zu einer A rt Masse, und seine Absicht ist es dabei, aus ihr Belege für seine Weisheit herauszuziehen; und was noch sch limmer ist, dass er seine Kommentare und Hinweise aufgrund der griechischen Septuaginta anfertigt, die mit vielen Veränderungen des Hebräischen abgefasst wurde. Und demzufolge sieht sein Kommentar manchma l danach aus, a ls wolle er die Schrift wirklich verzerren. Auf der anderen Seite müssen wir einräumen, dass seine Hinweise schön sind wie das biblische Geschmeide von feinem Gold (Spr 25,12), so sehr, dass man über ihn wirk lich das festha lten kann, was Rabbi Ibn Ezra [ einma l ] über die Auslegungen der Rab-

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binen meinte : „Einige von ihnen sind wie dünne Seide, einige wie dickes Sacktuch.“1 – Und die A rt seiner Methode erscheint auch desha lb a ls so minderwertig, wei l es ihm nicht gelingt, auch nur einen Vers oder zwei aus einem Bibelabschnitt auszu legen, wie es die Rabbinen in ihren Midrashim zu tun pf legen. Sondern seine Lehre und a lles, was aus ihr hervorgeht, fi ndet er auf die Weise, dass er einen Abschnitt aus einem größeren herausnimmt, und zwar besonders innerha lb der Bücher der Tora – er müht sich und durchwüh lt den gesamten Bibelabschnitt, um somit die Lehre durch Kontextana lyse der Schriftverse bestätigt zu fi nden, und zwar bei jedem einzelnen Wort, wie wir anhand einiger im Folgenden vorgestellter Belege zeigen werden. 1. Er legt den Vers : Und kein Mensch sei in dem Stiftszelt, wenn er hineingeht, zu sühnen im Heiligtum, bis er hinauskommt (Lev 16,17) dahingehend aus, dass derjenige, welcher sich in seinen Gedanken zu dem A llerheiligsten, der Gottheit, emporschwingt, nicht mehr mensch liches Wesen bleibt, sondern er g leicht dem Hohepriester, der vor das A ntlitz Gottes tritt.2 2. A ristobu los interpretiert und ich streckte meine Hand aus (Ex 3,2) wörtlich im Sinne von „hinauswerfen“, d. h. des Hinauswerfens seiner K raft, nicht einfach im Sinne von „die Hand ausstrecken“. 3. In der Fassung der Septuaginta des Philo stand im griechischen Text geschrieben : Lasst uns Menschen machen, nach unserem Bilde und nach der Ähnlichkeit (Gen 1,26),3 d. h. nicht wie die andere Lesart, die unsere Weisen in Erinnerung hatten : „Ich will einen Menschen machen in Bild und Form“ (bMeg 9a). 4. Die Septuaginta übersetzte und die Erde war öd’ und wüst [ tohu wa-bohu ] (Gen 1,2) mit „unsichtbar und ungeordnet“,4 und die 1 Vg l .

Avraham Ibn Ezra in Vorwort zu seinem E kha-Kommentar in Miqra’ot Gedolot, Edition Eshkol, V3 370a. 2 Das Beispiel entnimmt K rochma l A . F. Dähne, G eschicht l iche Darstellung der jüdisch-a lexandrinischen Rel igionsphi losophie, Ha lle 1834, II 3 A nm. 4. 3 Vg l. Dähne, I 302 A nm. 352 mit dem Z itat aus de opificio mundi. 4 ἄορατος και ἀκασκευ ́αστος.

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a lexandrinischen Weisheitslehrer legten dies dahingehend aus, dass für die Schöpfung der Welt ein rein geistiges Gebilde notwendig war, eine sinn lich nicht erfahrbare Form der Erde und eine ungeordnete Masse, in welche jenes habe abgeprägt werden sollen.1 Und [ Philo ] sagt (de opificio mundi, Seite 6) : „Zu Beginn schuf der Schöpfer die Himmel nicht sinn lich erfahrbar und die Erde unsichtbar“, reinen geistigen Äther – oder gedank l ich2, während Aqui la mit „leer und nichtig“ (Gen 1,2) überträgt. 5. Sie übersetzten auch (Gen 2,9) : Und ließ aufsprossen der Ewige, Gott, aus dem Erdboden alle Bäume, lieblich zum Ansehen, und den Vers 19 (ebd.) : und es bildete der Ewige, Gott, aus dem Erdboden alles Getier des Feldes (Gen 2,19).3 Und dazu bemerkte Philo (leg. a lleg. II p. 1089) : Nicht ohne Grund habe Mose zu dem Wort ἒλασε [ u nd lies aufsprossen ] noch das Wort ἒτι [ noch ] beigefügt; früher seien die Ideen der Tiere (in der geistigen Welt) gebildet worden, nun aber noch die Individuen (aus irdischem Stoffe) in der irdischen Welt. 6. Dort übersetzten sie die Tora (ebd.) (Gen 2,4.5.6) : Dies ist die Entstehung usw. bei seinem Erschaffen; und alles Gewächs des Feldes war noch nicht auf der Erde und alles Kraut, und sie führten den Satz fort, a ls ob [ die Tora ] sagen wollte, dass Gott die Gesamtheit der Gewächse und die Gesamtheit der K räuter des Feldes geschaffen hätte, d. h. ihre geistigen Formen wie Abbilder der geistigen Entstehung und Beispiele wie für jene sinn lich erfahrbaren Pf lanzen auf der Erde. So legte es Philo in seinem ersten Buch der Quaestiones in Genesis [ 1,2 ] aus.4 7. Dort [ in der Septuaginta ] übersetzte man (Gen 1,11) mit : „Gewächs, K raut, Samen bringend nach seiner A rt und seinem Abbild“ (eigenartigerweise wird hier nicht das le-minehu, „nach seiner A rt“, übersetzt); „und ein Fruchtbaum, Früchte tragend“ 1  S o

fast wört l ich mit Dähne, II 11. griechischen Text, um dessen Wiedergabe sich R anaq bemüht, steht : ἀóορατον καὶ ἀέρος ἰδέαν. 3 Das Beispiel entnimmt K rochma l wört l ich Dähne, II 12. 4 Vg l. zu diesem Beispiel wiederum Dähne, II 13. 2  I m

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(hier feh lt „le-mino“, welches in dem hebräischen Urtext steht), „dessen Same seiner Art entspricht“ (und in dem Vers steht hier „le-mino ‛a l ha-areṣ“). – Und sie [ d ie Übersetzer der Septuaginta ] unternahmen diese Veränderungen entsprechend dem System ihrer Weisheit, dass a lles von Beginn an durch die Gesamtheit der Formen vorgegeben ist, die A rten und danach die einzelnen Individuen; und deswegen : Wie hätte gleich das erste Ma l die ihnen so wichtige Bezeichnung der Schöpfung nach Gattungen mangel n sollen  ? [ Und was lag ihnen hier daran, dass jeder Fruchtbaum nach seiner A rt Früchte bringe  ? Es war hervorzuheben, dass diese selbst in Gattungen hervorgebracht seien. ]1 Daher meinten sie, dass ihnen der Ausdruck „le-mino“ nicht feh len würde, und sie fügten in der Übersetzung hinzu „le-fi ha-min we-lefi ha-demut“, und es feh lte nachher [ doch ], dass nicht erk lärt wird, dass der Baum | jede Frucht nach sei- 176 ner A rt [ le-mino ] hervorbringt. Und sie fügten einen anderen Satz [teil ] hinzu, näm lich : „dessen Same in ihm“, um auf diese Weise k lar auf das erwähnte Denksystem hinzuweisen (und tatsäch lich wird die Schriftstelle so gelehrt : Gewächs, Kraut, Samen bringend nach seiner Art, und Fruchtbäume, Frucht tragend nach ihrer Art, worin ihr Same). 8. Die unterschied liche Lesart [ f ür Gen 5,2 ], an welche die Rabbinen (bMeg 9a) erinnern, nach der es heißt : männlich und weiblich schuf er i h n , nicht sie, erinnert sehr an ihr System, in dem sie meinen, dass ein Mensch eine gefäßartige Form habe, welche der Abguss oder dass Abbild der sexuellen Bestimmungen auf der Erde bilden, und sie dachten, dass jener intelligible Mensch männ lich und weiblich in einem sei, und er sei, woran sich auch die Rabbinen erinnern : „Doppelgesichtig [ du parṣufi m ] hat er ihn erschaffen.“ (BerR 8,1 [ 55 ]) Und daher änderte man den Bibeltext in „schuf er ihn“, um auf seine Einheit hinzuweisen, welche jede Gesamtheit in ihm selbst und jede Unterscheidung seines Gesch lechtes und jeden Unterschied zwischen den einzelnen Individuen aufhebt. Und es ist beeindruckend zu sehen, dass 1 Vg l.

dazu Dähne, II 14, mit den Sätzen, auf die R anaq Bezug nimmt.

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Philo die Lesart „schuf er sie“ [ bar’am ] vor sich hatte und dass auch er aus dieser Schriftstelle diese A ngelegenheit ableitete, und er bemerkt über [ den Menschen ], dass er eine Form, ein Abdruck, ein Gebilde, ungegenständ lich, ohne männ liche oder weibliche Eigenschaften sei (de opificio mundi 16.30; leg. a lleg. II 1089; Quis rerum divinarum heres sit 503). 9. Ich muss an dieser Stelle eine Baraita aus dem Traktat Bekhorot [ 53a ] genauer untersuchen, die sich mit den Geboten der Gemeinschaft befasst : Ein ḥaver kasut [ ein „k leidertragender“ ḥaver ], ein ḥaver kenafayim [ „zipfe l ha ltender“ ḥaver ], letzterer typisch für die Sekte der Essener und deren weiße Gewänder, was in deutscher Sprache „Schürze“ heißt, an die auch Philo und Josephus erinnern. Ebenso an die Hacke; schaue nach in der Mishna (Ende des letzten Kapitels von Para) : Wenn ein Reiner die unreine Hacke mit seinem K leiderzipfel festhä lt (das meint : an dem Zipfel seines Gewandes (Hag 2,12), an dem ihn der Reine festhä lt mit der unreinen Hacke und indem ein wenig davon auf ihn sprengt; vg l. ʽA rukh1). Und im 11. Kapitel des Traktates Kelim, Mishna 6 : „Wenn die Doppelf löte mit einem Behä lter für Flügel versehen ist, so ist sie in beiden Fä llen verunreinigungsfähig.“ Und was in der erwähnten Baraita in Bekhorot steht (bBekh 30b) : „Man nehme einen auf hinsicht lich des [ Fleisches im ] Gewandzipfel, und nachher nehme man ihn auf hinsichtlich der Reinheitsgesetze“.2 Und diesbezüglich steht in der Tosefta Demai im Abschnitt „ha-orez“ [ tDem 2,13 ], dass dies für das Waschen der Hände gilt. Und ebenso lautet der Kommentar bei Rashi zur Gemara des Traktates Bekhorot. Und demnach ist zu ersch ließen, dass die „Schürze“ dem Waschen und zum Reinigen der Hände diente. Auch der Spruch in Ḥagiga : „Die K leider derer, die Hebe essen, sind midras [ Unreines ] für 1 Vg l. A . Kohut (Hg.), A ruch completum sive lexicon vocabu l a et res, quae

in l ibris Targumicis, Ta l mudicis et Midrashicis continentur, expl icans auctore Nathane fi l io Jechiel is I-VIII, Wien 1878 – 1892, Ndr. New York 1955, IV 261 s.v. kanaf. 2 Vg l. die E rk l ärungen von G oldschmidt zu dieser Stelle in bBekh 30b. 3 I n der Edition Zuckermandel, 47 „ha-orez“ statt „de-orez“.

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Hebe“ (tHag 3,1 [ 386 ]), was auf Rabbi Yose ben Yo‛ezer, einen Ḥasid in Bezug auf die Priesterschaft, zurückgeht. 10.   „Rabbi Yoḥanan, nachdem er sein Gebet beendet hatte, pf legte Folgendes zu sagen : Möge es dein Wille sein, o Herr, unser Gott, dass du auf unsere Schmach blickest und auf unser Elend schauest, dass du dich mit deiner Barmherzigkeit bek leidest und mit deiner Macht bedeckest, dich in deine Liebe hü llest und mit deiner Gnade umgürtest; so möge doch deine Eigenschaft der Güte und der Sanftmut vor dich treten“ (bBer 16b). Abschriften aus den Büchern Philos [ Yedidya ]1 [ Mit vorzüglicher K larheit spricht sich Philo über das Wesen, die Bestimmung und das Verhältnis des praktischen Lebens zum theoretischen in der Stelle de prof. p. 453 sqq. aus. ] „Wenn du siehst“, sagt er, „wie ein Nichtswürdiger sich heftig gegen die Tugend auflehnt, große Rücksicht auf das nimmt, was er verachten sollte, auf Reichtümer, Ehre und Vergnügen, und die Ungerechtigkeit lobt, die zu den eben Genannten verhi lft (denn immer werden die Ungerechten am leichtesten reich und geehrt) : so sch lage nicht gleich den entgegengesetzten Weg ein und bef leißige dich etwa der Armut, der Einfachheit und eines sehr strengen und einsamen Lebens. | Du würdest deinen Widersacher dadurch nur reizen und dir 177 einen lästigeren Feind zuziehen. Sieh’, wie du es anfangen musst, um seinen Ringkünsten zu entf liehen. Lass dich auch mit ihnen ein, nicht mit den Kümmernissen um jene Gegenstände, woh l aber mit dem, was Ehre, Herrschaft, Silber, Gold, Güter, Farben, ausgezeichnete Formen und Schönheit dir zu Gebote stellt, und wenn du glück lich bist, so gib diesen irdischen Dingen die edelste Gestalt und vollbringe so ein lobenswertes Werk. Oder weißt du nicht, 1 Die

folgenden Abschnitte sind Übersetzungen von Dähne, I 413 – 416; dann auch Seite 66. Vgl. Rawidowicz, Writings, 176 A nm. g. Die deutsche Vorlage wird hier mit leichten Korrekturen der Orthographie wiedergegeben; griechische Wörter sind wie im Text K rochma ls weggelassen.

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dass, wenn es ein Unerfahrener übernimmt, ein Schiff zu retten, welches noch gerettet werden kann, er es oft zu Grunde richtet, während ein Steuerkundiger oft auch ein Schiff rettete, welches verloren schien  ? - - - Immer tadelt das, was mit Kunst ausgeführt wird, das, was ohne Kunst geübt wird, am besten und das begründete Lob für jenes ist ein unzweideutiger Tadel für dieses. Wenn du a lso den nichtswürdigen Reichen tadeln willst : so ziehe dich nicht vom Überf lusse und von Schätzen zurück. Jener wird sich nämlich in nicht eben freimütigem, vielmehr knechtischem Geiste a ls schmutzängstlicher Abwäger des Geldgewichts, a ls Wucherer, kurz, a ls Geiziger zeigen, oder im Gegenteile a ls unsinniger Verschwender, stets geneigt zu schweigen und zu prassen - - - ; du aber wirst die Armen unter deinen Freunden unterstützen, wirst dem Vaterlande reich liche Gaben zustellen, wirst Töchter armer Eltern reich lich ausstatten, kurz, wirst a lle, die der Güter würdig sind, zum Mitgenusse deiner Güter laden. Auf gleiche Weise, wenn du den Ehrsüchtigen und Prah lenden seiner Erbärm lichkeit überführen willst : so hast du es nur dann leicht, wenn du selbst geehrt bist und darum verschmähe das Lob der Menge nicht. Dann kannst du deinen Gegner, wenn er stolz sich brüstend einherschreitet, fä llen. Er wird sich seiner Auszeichnung bedienen, seinen Stolz zu befriedigen und andere Bessere verächtlich zu behandeln oder die Schlechten zu fördern. Du wirst dagegen a lle, die es wert sind, an den Vorteilen deines guten Rufs teilnehmen lassen, den Guten Sicherheit gewähren und die Bösen durch Ermahnungen bessern. Wenn du zu Trinkgelagen und reichbesetzten Tischen gehst : gehe guten Mutes und beschäme die Unmäßigen durch deine Entha ltsamkeit - - -. Genieße ohne Notwendigkeit nur mäßig, wenn du aber zu reich licherem Genusse genötigt sein solltest : so ist hierbei immer eine vernünftige Überlegung Führerin, und du wirst niema ls das Vergnügen tadelnswert erscheinen lassen, sondern, um so zu reden, aus Nüchternheit trunken werden. Daher mag die Wahrheitsliebe diejenigen sehr angemessen tadeln, welche ungeprüft die Beschäftigungen und Erwerbszweige des bürgerlichen Lebens verlassen und sagen, dass sie Ruhm und Vergnügen verachten. Sie prah len damit und verachten jenes keineswegs; sie leben

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schmutzig und dürftig, um sich den Schein zu geben, a ls seien sie Freunde der Ehrbarkeit, der Mäßigkeit und Entha ltsamkeit. Aber die Scharfsichtigen, die bis in das Innere blicken und nicht beim Äußern hängen bleiben |, können sie nicht täuschen. Dies sind 178 bloße Hü llen von anderen Dingen, die darunter verborgen liegen. Jene aber (die Scharfsichtigen) entfernen diese Hü llen und sehen zu, wie woh l das Innere ihrer Natur beschaffen sein möge, bewundern es, wenn es gut sein, spotten, wenn es sch lecht sein sollte, und hassen die Verstellung. Zu solchen (die ohne vorheriges praktisches Leben sich ihren Beschauungen hingeben) sagen wir : „ Ihr sehnt euch nach einem abgeschiedenen, gesellschaftslosen, stillen und ruhigen Leben  ? Was habt ihr denn früher für die mensch liche Gesellschaft Gutes vollbracht (dass wir glauben können, eure jetzige Entha ltsamkeit sei die wahre und gött liche)  ? Ihr verachtet den Reichtum. Seid ihr reich gewesen und habt gerecht gewandelt  ? Ihr nehmt den Schein an, a ls verachtetet ihr die sinn lichen Genüsse. Habt ihr euch in ihnen gemäßigt, a ls ihr im Besitze hinreichender Mittel für sie waret  ? Ihr verachtet den Ruhm. Waret ihr in Ehre und habt Bescheidenheit geübt  ? Ihr verlacht die bürgerliche Ordnung und habt vielleicht nie erfahren, wie nütz lich sie sei. Übt euch und sorgt vorerst für die diesem Leben eigentüm lichen und a llen gemeinsamen Geschäfte, und wenn ihr erst in vollem Maße um eurer Brüder willen in politischen und häuslichen Verhand lungen euch bewegt habt, dann geht über zu der anderen und besseren Lebensart, kämpft erst den zu den höheren Kämpfen vorbereitenden Streit im praktischen Leben, vor dem beschau lichen. So kommt ihr dem Vorwurfe der Trägheit und Untätigkeit entgegen.“

Dähne, Seite 66 [–67] : In seiner Schrift von der Wanderung Abrahams [ de migratione Abrahami p. 401 sq. ] sagt Philo in Erläuterung des Satzes „und ich werde deinen Namen offenbaren“ : „Man muss auch“, sagt er, „für einen guten Ruf Sorge tragen; denn er ist uns Not und fördert die A ngelegenheiten dieses irdischen Lebens mannigfach. Ein solcher wird nun aber fast a llen denen zu Teil, welche zufrieden mit den festgesetzten Gebräuchen

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nichts daran ändern, sondern die A nordnungen der Väter treulich beobachten. Dagegen gibt es nun Einige, welche die Worte des Gesetzes für Zeichen geistiger Gegenstände ha lten, sich auf die Deutung dieser vorzüg lich legen, jene aber gering schätzen. Ich möchte ihnen Leichtsinn zur Last legen; denn man muss sich um beides kümmern, sowoh l um das tiefere Eindringen in das, was verborgen ist, a ls auch um eine treue Beobachtung dessen, was offen vorliegt. Sie nun aber betragen sich, a ls lebten sie a llein in einer Wüste oder a ls wären sie körperlose Seelen und wüssten von keinem Umgange mit Menschen, setzten sich über a lles hinweg, was der größeren A nzah l woh lgefä llig ist, und suchen die reine Wahrheit, wie dieselbe an und für sich ist, zu erstreben. Dergleichen Menschen lehrt nun aber die hei lige Schrift, den guten Ruf nicht gering zu achten und nichts von den Gebräuchen aufzugeben, die heilige und größere Männer festgesetzt haben, a ls sie jetzt unter uns sind. So wollen wir a lso nicht etwa die gesetz lichen Gebräuche des Shabbat aufheben, Feuer anzünden oder im Lande arbeiten, Lasten tragen, K lage anstellen, Recht sprechen, Geliehenes zurückfordern, Zinsen einziehen oder etwas anderes tun, was an anderen nicht fest lichen Zeiten verstattet ist, wei l wir etwa wissen, dass die Siebenzah l und die schöpferische K raft des Ungezeugten und die natürliche Untätigkeit a lles Erzeugten lehren solle. Auch wollen wir keineswegs die jährlichen festlichen Zusammenkünfte abstellen, wei l sie Bild geistiger Freude und Dankes 179 gegen Gott sind, oder | die Zeremonie der Beschneidung, wei l sie Ausscheidung a lles Vergnügens und a ller Leidenschaft überhaupt und die Vernichtung des gott losen Irrtums andeutet, nach welchem der Geist sich selbst für geschickt hä lt, etwas zu erzeugen. Wir würden ja auch sonst den Tempeldienst und tausend anderes verwerfen müssen, wenn wir uns bloß an das ha lten wollten, was der geheime Sinn andeutet.“

Dähne, Seite 160 : [ Es ist schön und erhebend, dem Fluge der Begeisterung zu folgen, in welcher Philo so oft von dem Endziele seines heißesten Sehnens, seines unablässigsten Forschens, mit einem Worte seines Daseins

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redet : ] „Nach K räften ruft er, de monarch. I. p. 815 sq., sich selbst ermunternd und kräftigend zu, „den Urgrund a lles Vorhandenen seinem Wesen nach zu erforschen. Möge es auch die mensch liche K raft überschreiten, ihn zu fi nden; herrlicher gibt es nichts, a ls den wahrhaftigsten Gott zu suchen; denn schon das echte Streben ihn kennenzu lernen bewirkt an sich unaussprech liche Wonne und Freude. Zeugen sind“, spricht er, „die nicht bloß mit den äußeren Lippen die Phi losophie kosteten, sondern reich licher bewirtet worden sind mit ihren Sprüchen und Lehrsätzen. Müssten wir uns auch nach Weise der Wettkämpfer mit der zweiten Pa l me begnügen, wenn wir die erste verfeh len; müssten wir uns auch bei Vermutungen beruhigen, wenn eine k lare, lebendige A nschauung nicht zu erreichen steht; forschen wir doch auch immerhin mit Vorliebe in den Sternen und ergötzen uns vermöge unseres natürlichen Strebens nach Erkenntnis an wahrschein lichen Vermutungen über sie, wenn wir auch weder deut lich wissen, noch k lar zu erforschen vermögen, wie jeder einzel ne Stern seinem Wesen nach beschaffen sei. Und vermag auch das körperliche Auge nicht die Sonne selbst anzublicken : so sieht es doch den Ausf luss ihrer Strah len, der bis zur Erde dringt, und entzückt sich dann auch an dem äußersten Schimmer ihres Glanzes.“

Zusammenfassung der Worte Neanders über Philo und sein System der Gottheit [ elohiyut ] für die Pforte „Rätsel der Vorzeit“ über die Weisheit der A lexandriner.1 [ Elemente der Gnosis bei Philo ] „Die unter den Juden schon vorhandenen Schu len und Sekten der Rel igionsphi losophie waren die erste Quelle jener gnostischen Sekten, die wir im zweiten Jahrhundert in der christ lichen K irche auftreten sehen. Hätten wir daher von dem Religionszustande der 1 August Neander, G enetische E ntwick lung der vornehmen gnostischen

Systeme, Berlin 1818, 1 – 22. – K rochma ls Übersetzung bietet ergänzende Bemerkungen, lässt aber auch einige Sätze unübersetzt.

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Juden in den verschiedenen Gegenden, wo das Christentum sich verbreitete, und dem Verhä ltnisse ihrer verschiedenen Sekten und Schu len zueinander ein recht anschau liches und umständ liches, aus gleichzeitigen sicheren Quellen abgeleitetes Bild, so würden wir die genetische Bi ldung und Entwick lung jener christ l ichen Sekten besser erk lären können. Darauf müssen wir nun frei lich Verzicht tun, da uns von den Hauptsekten der Juden nur eine a llgemeine und von den Nebensekten fast gar keine Kenntnis geblieben ist. A lexandria, eine von den Städten, die wie Jerusa lem, Athen und Rom für die Geschichte der ganzen gebi ldeten Menschheit höchst wichtig geworden, der Sammel- und Kampfplatz der verschiedenartigsten mensch lichen Denkarten aus Weltgegenden, die sonst in keine Berührung miteinander zu kommen pf legen, der Mittelpunkt eines großen, geistigen Lebens – war der Hauptsitz, wo gnostische Schu len, wenng leich nicht erst entstanden, doch die aus anderen Gegenden gebrachten Elemente weiter ausbildeten. Desha lb ist es wichtig, die Elemente der Gnosis in der Religionsphi losophie aufzusuchen, und dazu gibt der in so vielen Rücksichten merkwürdige Philo den meisten Stoff. Nur muss man bei dieser Untersuchung berücksichtigen, dass der Platonismus in seinem Geiste das Vorherrschende war und er die vorgefundenen Lehren jüdischer Theologie oft nur a ls Allegorien platonischer Ideen behandelte, da hingegen bei den Gnostikern [ ‫ ] היודעי ם‬orienta lische Theosophie das Vorherrschende war und sie sie durch diese platonische Philosophie aufhellen und ihr Mangel haftes ergänzen, einen höheren Schwung ihr mittei len wollen, indem sie behaupten, dass Plato in die Tiefen | der Geisterwelt nicht eingedrungen sei.1 Unter den jüdischen Phi losophen war dama ls der Gegensatz vorhanden, der sich bei dem Verfa ll positiver Religionen immer zu bi lden pf legt, von der einen Seite engherzige Materia l isten [ ‫] דעות חומריות קצרי לב‬, die an dem Buchstaben k leben, und von dem himmlischen Geiste der Religion entfremdet sind, von der anderen Seite in hochmütiger Selbsttäuschung befangene Idea listen, die 1 H ier

lässt K rochma l ein Porphyr-Zitat (aus vit. Plotin) ausfa llen.

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unbekannt mit den wahren Bedürfnissen der mensch lichen Natur die Tatsachen der Offenbarung eines lebendigen Gottes zu toten Hü llen mensch licher Ideen machen. Philo stand in der Mitte zwischen diesen beiden Parteien, sich jedoch mehr zu den letzteren a ls den ersteren hinneigend. Mit Recht bekämpfte er die Vorstellungen jener Materia listen unter den Rabbinen a ls die göttlichen Dinge enthei ligend und die Religion der Heiden verächtlich machend. Er nennt diese auf ihre k lein lichen Untersuchungen stolzen Rabbinen [ Sich-selbst-Hochstellende ]1 (de somnietate 5802). Mit Recht sagte Philo gegen solche Leute, dass man die H[eiligen ] S [chriften ] nicht recht verstehen könne, solange man nur bei dem Buchstaben stehenbleibe, nicht von dem Geiste durchdrungen 3 sei und den innern Sinn für die Erkenntnis der gött lichen Dinge offen habe. Aber er fiel in einen Irrtum anderer A rt, weil er den Sch lüssel zum Geiste der hei ligen Schriften seines Vol kes nicht sowoh l in ihnen selbst a ls in einem hineingetragenen phi losophischen System suchte : [ den wahren Sch lüssel konnte er ohnehin nicht haben, wei l die Erleuchtung durch das Christentum, a ls den Mittelpunkt a ller göttlichen Heilsansta lten für die Menschheit ihm feh lte, ] weil die Hilfsmittel zu einem geschicht lichen Verständnisse jener Schriften, daraus das richtige Verhä ltnis des Geistes zum Buchstaben abzu leiten, so wie der Sinn, solche Hilfsmittel zu benutzen, ihm mangelten.“

Und siehe, „die für die Geschichte der Gnosis wichtigsten Grundprinzipien seiner Hermeneutik (soweit sie die Gnostiker betreffen) sind folgende : Der höchste Zweck der göttlichen Offenbarungen“, die er in den Hei l igen Schriften offenbarte, „ist der, dem Menschen die ewigen Wahrheiten mitzutei len, die sich auf den Geist a ls den wahren Menschen beziehen und diesen dadurch mit Gott 1 H ier

ist ein griechischer Satz aus de somn. nicht übersetzt. Der Herausgeber vermutet, K rochma l wollte an die Stelle zurückkehren, um sie später zu übersetzen. 2 I n der Edition irrtüm l ich „508“. 3 K rochma l transkribiert das Wort : ‫דורכדרונגען‬.

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und der Geisterwelt (κόσμος νοηθός1) in Verbindung zu setzen. Um nun den Menschen, der doch ohne die Erweckung seines eigenen innern Sinnes von dem Göttlichen nichts vernehmen kann, nach und nach aus sich selbst zu erwecken und auch zum Nutzen derer, die zu dieser höchsten Stufe des religiösen Lebens noch nicht gelangt sind, zu wirken, sind diese höheren Wahrheiten in die Hü lle einer zur sitt lichen Belehrung und Besserung dien lichen Geschichte und praktischer Religionseinrichtungen eingek leidet worden. Jene höheren Wahrheiten sind die eigent liche Seele des Ganzen, das Reelle, welches nicht weiter suchen lässt (τὸ σῶμα), die Geschichte in ihrem Verhä ltnis dazu nur ein Schatten (σκιά). Philo ließ im Ganzen auch den historischen Sinn stehen, ließ demselben seinen eigenen Wert für diejenigen, die nur bei dem in die Augen Fa llenden stehenblieben; nur gab er dem höchsten Standpunkt denjenigen, die in die innere Natur, die verborgene K raft, das wahrhaft Reelle einzudringen fähig waren. 2 Doch fand Philo einige Stellen, deren buchstäbliche, historische Bedeutung ihm mit seinen Ideen von Gott und göttlichen Dingen gar nicht vereinbar schien, und hier trug er kein Bedenken, das Historische geradezu für fabel haft zu erk lären. Er wusste dies durch sein System zu rechtfertigen : damit näm lich die Menschen nicht verleitet würden, den höchsten Sinn ganz aus den Augen zu verlieren, 181 habe manches eingestreut | werden müssen, was ohne diesen gar keinen Sinn gebe. Hier war a lso schon der A nfang gemacht zu einer Polemik nicht gegen das Judentum überhaupt a ls eine göttliche Stiftung; aber gegen ein Missverständnis desselben durch eine f leisch liche Menge … Von ihren einma l festgesetzten Prinzipien ausgehend warfen sie nicht die Frage auf, wie etwas eingeschoben sein könne, das notwendig zum Zusammenhang des Ganzen gehöre. 1 K rochma l

kannte die Z itate Phi los woh l nur aus den erwähnten Sekundärtexten. Ob ihm die Ausgabe C. E. R ichter, Leipzig 1828, zur Verfügung stand, ist unk lar. Unten nennt er die Edition Mangey, London 1742, die Neander verwendet hat. Einige Transkriptionen des Griechischen sind feh lerhaft. 2 H ier l ässt R anaq ein griechisches Z itat aus.

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Schon zu Philos Zeiten gab es zu Alexandria eine Partei von Idealisten, welche aus dem Grundsatze, dass der a llgemeine, geistige Sinn das a llein Wesentliche der Religion sei, a lles andere für bloße, leere Hü lle, mystische Eink leidung erk lärten, in der Einbi ldung ihres Hochmutes a lle äußeren Religionseinrichtungen a ls nur für die blinde Menge gehörend, unnütz für den, welchem der innere Sinn der Religion aufgegangen sei, verachteten und vernach lässigten. Und Philo bekämpfte diese Theosophen eben sowoh l a ls die f leisch lich gesinnten Rabbinen, denn ihm war auch das Ganze der a lten Religionseinrichtungen seines Vol kes heilig, er sah eine in ihrer A rt einzige Wirkung derselben vor sich. Ein Vol k a llein unter a llem Götzendienst entfernt, durch Sitten und Gesetze in dem Monotheismus befestigt, den sonst nur wenige echte Philosophen hätten erleiden können (de caritate 699). Er spricht gegen jene idea listischen Religionsphi losophen de migratione Abrahami p. 402, was wir oben abgeschrieben haben,1 aber er fügt hinzu : „Gleichwie wir für den Körper a ls das Haus der Seele Sorge tragen müssen, so auch für den Buchstaben des Gesetzes, durch dessen Beobachtung uns auch der innere Sinn k larer wird.“ „In der Theosophie Philos findet sich die a llen orienta lischen und den daraus abgeleiteten gnostischen Systemen gemeinsame Unterscheidung zwischen einem verborgenen, in sich versch lossenen, unbegreif l ichen, über jede Bezeichnung und Abbi ldung erhabenen Wesen der Gottheit und dessen Offenbarung a ls dem ersten Übergangspunkt zur Schöpfung, dem Grund a ller Lebensentwick lung (ὁ ὤν το ὀν). Der vierbuchstabige Name2 und seine Offenbarung oder der Inbegriff a ller in dem Wesen Gottes verborgener K räfte, wobei Philo immer vor Augen hat den Gegensatz zwischen einem Sein und dem ausgesprochen Geoffenbartwerden. Die unmittelbare Wirkung des verborgenen und insofern noch nicht schaffenden Gottes, nicht die Welt; sondern der λόγος3, durch den 1 Vg l. 2 B ei

oben Seite 178. Neander, 8 steht hier „ Jehovah“, was von K rochma l vermieden

wird. 3 I n der Sprache des O nqelos memra, „ Ausspruch”.

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er a lles Leben hervorgebracht (de sacrificiis Abelis et Caini [ 67 ], p. 140, und er unterscheidet [ dort ] zwischen dem ἀγενήτου λόγος und λέγων αὐτός).1 A lles Dasein und a lles Erkennen ist eine Offenbarung desjenigen, der in sich selbst unsichtbar a lles ans Licht fördert. [ Philo stellt die Gottheit dar a ls den Urquell a llen Lichts, von welchem Strah len nach a llen Seiten hin ausgehen. ] (Cherub. 124) Vermöge dieser Strah len hat Gott Leben aus sich hervorgebracht, wirkt durch dieselben immerfort im Welta ll und tei lt sich dem Empfänglichen mit; diese Strah len sind die δύναμις τοῦ ᾦντος 2. Vermöge derselben ist Gott übera ll gegenwärtig, denn kein Platz der Schöpfung ist von seinen K räften unerfü llt, durch diese verknüpft er a lles mit unsichtbaren Banden, daher ist er übera ll und nirgends, übera ll näm lich durch die A llerfü llung seiner K räfte; und doch nirgends, insofern das Wesen Gottes a ls solches, το ὀν, nicht erscheinen kann. (τὸ μὲν γὰρ ὑπεράνω τῶν δυνάμεων περιττεύειν εἰνου και εἰναι μον ỏ κατα, von welchem sich nur das Sein prädizieren lässt3 [ de confusione linguarum 339; De migratione Abrahami 406, und verg leiche beide ]). Wo a lso von Theophanien die Rede ist, ist es nicht der ὸν, der von keinem mensch lichen Geiste gefasst werden kann; sondern sind es nur seine K räfte (c. de mutatione nominum 10464; de Posteritate Caini, ed. Mangey, | 182 p. 258. und siehe dort). In einem anderen Fragment, [ wo Phi lo ] die Theophanie Ex 24,135 – „da stand Mose auf“, „und ging auf den Berg des Herrn“ usw. „und die kavod des Herrn ruhte auf dem Berg Sinai“; „und der Anblick der kavod des Herrn war wie ein verzehrendes Feuer, auf der Spitze des Berges“ – erk lärt, sagt er, man müsse nicht g lauben, dass der Name selbst – der ha-shem für sich selbst – auf den Berg herabgekommen sei, sondern seine δόχα (Shekhina), d. h. die ihn repräsentierenden K räfte, hier höhere Geister, wie die Herrlichkeit 1 Die

Übersetzung R anaqs ist hier nicht sehr frei. fügt den griechischen Ausdruck in hebräischer Umschrift

2 K rochma l

bei.

3 R anaq l ässt hier einen H inweis auf unterschied l iche L esarten im Phi lo-

Text aus. 4 I n MNZ irrtüm l ich : „1049“. 5 H ier zusätz l ich bei K rochma l die Versanfänge.

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eines Fürsten seine στρατιῶται δύναμις genannt werde. A ls ὀν ist Gott der ἁκατονόμαστος, über jede Bezeichnung erhaben, er wird nur bezeichnet in seinen K räften, diese sind daher ebenso viele Namen des an und für sich Unnennbaren (cf. Quis rerum divinarum heres sit p. 504; de nom. mutat. 1046). Unter diesen gött lichen K räften denkt sich Philo : 1.)1 teils die verschiedenen Relationen, in denen er unbegreif liche Gott der end lichen Vernunft erscheint a ls schaffend, herrschend, belohnend, strafend (cf. 309, 464 opp.), 2.) teils die einzel nen Voll kommenheiten, in welche sich das ὀν a ls versch lossener Inbegriff a ller Voll kommenheit entfa ltet. Wir finden unter diesen die Namen der gnostischen Äonen σοφία, von welcher schon Philo sagt, was nachher die Gnostiker in einem eigentlicheren Sinne nehmen und zu einer speku lativen, vielfach verwebten Theorie ausma lten, dass sie die Mutter des Welta lls sei wie Gott der Vater (legum a llegoriae III, 1096), was er auch an einer anderen Stelle von der ἐπι ́στημη sagt (Seite 244). Er nennt die Welt, was gleichfa lls die Gnostiker von den Sophia sagend weiter ausma lten, οἶκος μι ́ας τῶν του ὂντος δυνάμεων φρόνησις, δικαισύνη, ἐιρήνη, insofern der Mensch durch die Verbindung mit Gott den wahren Frieden in seinem Innern erhä lt. (p. 114). Diese K räfte, a ls von Ewigkeit her in dem Wesen Gottes verborgen und von demselben ausstrah lend, nennt er [ … ] (Seite 304) Bild der Wirksamkeit ihres Wesens, indem sie Gesta lt und Bildung dem Unorganischen mitteilen. Diese von den gött lichen K räften ausgeprägten, organisierten Formen sind ihm die platonischen Ideen ([ Plutarch ] de Iside et Osiride c. 59; de Monarch. 817).2 Die orienta lische Theosophie betrachtet die ganze Geisterwelt wie eine immer mehr individua lisierte Entfa ltung dieser gött lichen K räfte, jeder Geist ist insofern eine K raft Gottes, eine Offenbarung, eine Bezeichnung Gottes, die verschiedenen K lassen der Geisterwelt von den verschiedenen Verhä ltnissen zu diesen oder zu jenen der gött lichen K räfte herrührend, welche sie zu offen1 D ie

Zah len sind im MNZ eingefügt, um den Gedanken Neanders zu

g l iedern. 2 H ier l ässt K rochma l etwas aus.

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Pforte 12

baren und wirkend darzustellen bestimmt sind. In diesem Sinne überträgt Philo den Namen δυνάμεις auch auf die selbständigen Geister, und die platonischen Ideen mit den hypostasierten göttlichen K räften verschmelzend, sagt er, dass Gott, der in seinem Wesen eine Einsache sei, bei sich habe unzäh lige, heilbringende, hel fende, strafende K räfte, aus welchen der κόσμος νοηθός zusammengesetzt sei, der a ls das Urbild der Erscheinungswelt aus ἰδέαις ἀορατοῖς bestehe, wie diese aus sichtbaren Körpern. Die 183 ganze Schar der Engel sei in angemessene | K lassen eingetei lt und Gott bediene sich derselben zur Vollziehung derjenigen Werke, die durch sich selbst zu vollbringen seiner Würde nicht gemäß sei (de confusione linguarum I. 345). Im Verhä ltnis zu diesen gött lichen K räften in beiden verschiedenen Bedeutungen ist nun der λόγος die Metropolis, woraus a ls ἀποικι ́αι die übrigen a ls die Wirkungen des schon aus sich herausgetretenen, schon geoffenbarten Gottes, λεγόντος θεοῦ abgeleitet sind, er ist identisch mit dem κόσμος νοηθός, (wie bei den Platonikern der hypostasierte νοῦς, damit identisch, der Potenz nach a lle νόας in sich entha ltend) (de somnietate 574). Insofern das ỏν an und für sich über jede Beziehung erhaben ist und nur nach den von demselben ausstrah lenden K räften bezeichnet werden kann, a lle diese aber der λόγος in sich sch ließt, nennt er ihn vorzugsweise ὅνομα του θεοῦ und zug leich πολύνομος, a ls ἀρχάγγελος, wei l er nicht bloß eine einzel ne göttliche K raft darstellt; sondern a lle in sich fasst, legum a llegoriae, p. 99; cf. 341, die ἀρχή, das erste Glied und das erste Prinzip in der Kette der Lebensentwick lung, in dem das ὸν an und für sich mit derselben in keine Berührung kommt, wie die Gnostiker sich deut lich ausdrücken, nicht ἀρχή, sondern προαρχή, der höchste Gottesbetrachter, das Idea l der höchsten Kontemplation. Dasselbe, was er von der οὐρανοῖς σοφι ́α a ls ὁρασις θεοῦ sagt, diese personifi zierte himmlische Weisheit a ls Inbegriff der himm lischen Tugenden, welche Gott aus seinem geistigen Licht auf ewig unauslösch lich hervorgehen ließ (Seite 329). Wie der λόγος die a llgemeine Offenbarung des ὀν, das a llgemeine ἐικών του τοὺ ὀντος; so ist im Besonderen jeder Engel eine Offenbarung Gottes, jeder Geist eine Offenbarung des

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verborgenen Gottes. Philo definiert daher einen Engel ἐικών του ὂντος (Seite 612). Der λόγος a ls der a llgemeine Gottesoffenbarer heißt eben in dieser Rücksicht im Verhä ltnisse zu den einzel nen λογοίς ἀρχάγγελος (an einer Stelle S. 588 nennt Philo das ὀν selbst den Urgrund der Himmelsleiter ἀρχάγγελος). Auch der Geist, der eigentliche Mensch im Menschen nach Philo, hat dieselbe Bestimmung, Gott zu offenbaren und göttliches Leben in sich aufzunehmen und aus sich zu verbreiten, Philo hielt dabei die Seelen nicht für verschiedenartig von den himm lischen Geistern, denn er sah in ihnen nach einer nicht bloß platonischen, | 184 sondern in den ä ltesten Rel igionssystemen sich fi ndenden und viel mehr aus diesen in die griechische Phi losophie übertragenen Lehre himm lische Wesen, in die zeit liche, ihrer Natur fremdartige Welt hinab gesunken (θειοῖ λόγοι). Der mensch liche Geist ist a lso auch Bild des ὀν; aber nicht unmittelbar, denn der unmittelbare Abdruck, das Bild des verborgenen Gottes ist nur sein ewiger λόγος, jede end liche Vernunft nur eine Offenbarung und Abbild jener höchsten Gottesvernunft. A m deutlichsten setzt dies Philo auseinander in einem Fragment bei Eusebius (Praeparatio Evangelica L . VII c. 13. p. 3231). „Nach dem Bilde des höchsten A llvaters kann nichts Sterbl iches geschaffen werden, sondern nur nach dem Bi lde des zweiten Gottes, welcher der λόγος desselben ist. Der Charakter der Vernunft in den mensch lichen Seelen musste von dem göttlichen λόγος eingeprägt werden, wei l ὁ προ τοῦ λόγου θεοῦ höher ist a ls jede vernünftige Natur; so konnte dem über den λόγος Erhabenen, der den höchsten und von a llem anderen ausgezeichneten Platz einnimmt, nichts Geschaffenes ähn lich gebi ldet werden“.2 Der Mensch ist a lso das Abbild oder der Abdruck eines himmlischen Offenbarers, der verborgenen Gottheit, die das Mensch liche vergöttlicht, Offenbarung gött lichen Lebens in mensch licher Form, da das Leben des verborgenen Gottes dem Menschen nur 1  I m

MNZ irrtüm l ich 523. paraphrasiert hier : „bevor die Welt geschaffen, war er und a llein sein Name.” 2 R anaq

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nahegebracht werden konnte in mensch licher Form. Den a lten, jüdischen Theosophien schien die in a llen Theophanien vorkommende mensch l iche Form von großer Bedeutung (und Neander fügt hier die Bemerkung ein, dass diejenigen Religionen, welche, wie die indische, die Idee, dass die a llgemeine gött liche Offenbarungsform die mensch liche sei, zurücksetzen und Theophanien auch in anderen Gesta lten annehmen, die wahre Würde der Menschennatur a ls a lleinige Gottesoffenbarerin und die innige Verbindung der Religion mit Sittlichkeit in Vergessenheit brachten und den Menschen bis zur dumpfen A nbetung des Naturlebens erniedrigten). (Er meint damit, dass auch die Weisen dieser Religion verstanden oder füh lten, dass es ein gött liches Geistwesen in a llem Existenten gibt; und auch die Einfä ltigen unter ihnen verstehen, was es mit dem Menschen auf sich hat und dass seine Erscheinung etwas von dem Göttlichen besitzt und ihm nahe ist. Und daran gewöhnten sich die Erwähnten und dienten und verehrten solche Abbilder, nicht nur wegen des Geistigen, das unter ihnen weilte, welches unsichtbar blieb, sondern wegen des Materiellen und Sinn lichen – doch dies bedeutet Götzendienst, welcher die Gedanken und die Taten von der Wurzel an verdirbt.)1 Und siehe, Philo soll a lso gedacht haben, dass der λόγος vor der Form existierte, und er nahm an, dass durch sie die Menschheit insgesamt geschaffen worden sei, um das Zentrum der gesamten Offenbarung und Taten Gottes zu bi lden, um sich durch sein Emanieren und sein Imanieren aus seiner A ll-Einheit bei der Vereinigung der physischen Individuen in der Form ihrer Mensch l ichkeit sichtbar zu machen, und ihn hätte man später den adam qadmon [ Urmensch ] oder den adam shmemi [ gött lichen Menschen ] genannt (doch dies meint eigent lich das Abbild und das Vorbild, nach dem der Mensch an sich und seine Verha ltensweise geschaffen worden sind). Die wichtigste Belegstelle für diese Vorstellung bei Phi lo sei der Vers bei Sacharja gewesen : Siehe Ish Ṣemaḥ ist sein Name, denn aus seiner Stelle soll hervorsprießen – der soll den Tempel des Herrn bauen (Sach 6,12). (Neander meinte offenbar, dieser Vers verwiese 1 Das

Folgende fügt R anaq hinzu.

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auf seinen Glauben [ sc. das Christentum ], doch hat er ihn nicht richtig verstanden, was besonders für denjenigen nachvollziehbar sein dürfte, der es versteht, zwischen dem, was in ihren Schriften steht, und dem, was der Religion der Essener und ihren A llegorien entspricht, zu unterscheiden – und was dies anbelangt, macht es sich [ Neander ] stets zu einfach, einen Beleg in den Schriften unserer frühen Weisen zu fi nden – sei es [ in Bezug auf das ], was die Masse [ des Vol kes ] in ihrem Trachten und in ihrer Begeisterung hinzufügte, sei es, was einige der Haufen einiger Pharisäer in Judäa [ gemeint haben sollen ].) „Alle Begriffe, welche Philo mit dem Worte λόγος verbindet, lassen sich aus dem a llgemeinen Gegensatze zwischen dem ὀν und λόγος του ὂντος ableiten.1 Das Erkennen des ὀν nicht a ls solches, nicht in seinem verborgenen Wesen, sondern wie es sich offenbart, in seinem ewigen Worte, welches Ursache und beseelendes Prinzip der ganzen Schöpfung ist, durch die Schöpfung selbst a ls diese Offenbarung darstellend, durch einzelne Geister, durch einzelne von Gott erregte Gedanken | und Lehren (Seite 5832). Und a ls Kom- 185 mentar zu seinen A ndeutungen erk lärt [ Neander ] : Für die a llegorische Erk lärung sind ihm die Engel Symbole göttlicher Gedanken, die Gott in der Seele erregt (wie der Rav [ Moshe ben Maimon ] im More)3 – und dagegen vernehmen des ὀν in sich selbst. A ls Platoniker und Mystiker behauptete nun zwar Philo, dass das ὀν an und für sich kein Gegenstand wissenschaft licher Erkenntnis sei, dass sich von demselben kein Verstandesbegriff machen und überhaupt nichts prädizieren lasse; aber über a lle Verstandeserkenntnis, über a lle mittelbare Offenbarung desselben, über a lle ana logische von der Schöpfung auf den Schöpfer sch ließende Erkenntnis setzte er eine unmittelbare, innere A nschauung (κατάληψις νόητικη), wodurch der Geist eine über a llen λόγος und a lles λογικόν erhabene Gewissheit und K larheit erha lte. Und Philo drückt dies 1 Fortsetzung

der Paraphrase von Neander, 16. hat „538” statt 583. 3 Moshe ben Maimon, Führer II 6, 55 f.; II 7, 63 f. 2 MNZ

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so aus : Das Erkennen des ὸν in sich selbst und in seinem Schatten. So z. B. leg. a lleg. p. 79, wo er von der Erkenntnis Gottes aus der Schöpfung geredet : „Diejenigen, welche so denken, erkennen Gott durch seinen Schatten; es gibt aber einen voll kommenen und gereinigten Geist, der, eingeweiht in die großen Mysterien, nicht aus den Werken die Ursache erkennt, wie aus dem Schatten das Wahrhafte, sondern, über a lles Entstandene sich erhebend, die k lare Offenbarung des Ewigen erhä lt, sodass er ihn selbst in sich selbst erkenne und zug leich dessen Schatten, den logos und diese Welt“. Und an anderem Ort sagt er : Das ὀν wird vielmehr in seiner k laren Selbstoffenbarung erkannt a ls durch A rgumente bewiesen (de post. Cain. Opp. ed. Mangey, T. I. 258). In Rücksicht auf diese doppelte Erkenntnisweise, näm lich des ὀν, wie es in und durch sich selbst und wie es sich durch seinen λόγος offenbaret, nimmt Philo zwei Standpunkte der religiösen Betrachtung an : den Standpunkt der ὑιοι θεοῦ im eigent lichen Sinne, welchen die unmittelbare Anschauung des ὀν zu Teil geworden, und του λόγου ὑιοὶ (De confusione linguarum 334 – 341). Der Voll kommenen, denen sich Gott durch sich selbst offenbart, und der noch Unvoll kommenen, deren Gemüter er durch die ihn repräsentierenden Geister oder Engel erzieht und hei lt (Seite 576 – 594). Diesen beiden Standpunkten der Rel igionserkenntnis entsprechen nach Philos A nsicht zwei unterschied liche Standpunkte der praktischen Gottesverehrung. Die θεοῦ ὑιοὶ, welche die höchste Erkenntnis von Gott erlangt haben, fi nden a llein in der Gemeinschaft mit ihm ihre Besel igung und dienen ihm nur um seiner selbst willen, von der Liebe zu ihm beseelt. Die λόγου ὑιοὶ, welche Gott noch nicht nach seinem Wesen, sondern nur nach seinen Werken, welche den Schöpfer, nicht das ὀν, erkannt haben, sind noch nicht fähig, das Beseligende der Gemeinschaft mit Gott zu erfahren, noch nicht empfäng lich für die höchsten Triebfedern der Religion. Sie müssen noch durch Hoff nung auf Belohnungen und Furcht vor Strafen angetrieben und erzogen werden, und Gott lässt sich zu diesen ihren Bedürfnissen herab. Aber von ihm selbst unmittelbar kann keine Strafe rühren, er ist nur die Quelle des Segens und der Besel igung, für a lle, welche dafür empfäng l ich

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sind, | er vollzieht die Strafgerichte über solche, welche nur da- 186 durch erzogen werden können, durch dienende Geister, ὑπάρχους τοῦ θεοῦ. Auf diese bezog Phi lo a lle diejenigen Wirkungen und Erscheinungen Gottes in der miqra1, welche ihm des höchsten Gottes unwürdig schienen. Nehmen wir das Gesagte zusammen, so fi nden wir darin die Keime der gnostischen Unterscheidung zwischen einer Religion der πνέυματικοι und einer Religion der ψύχικοι, einem höchsten voll kommen nur von den πνέυματικοις erkannten Gott und einem diesen nur für die ψύχικους repräsentierenden Geist, welchem deren Erziehung und Regierung übertragen worden. Die aus dem Judentum herrührenden Gnostiker dachten sich zuerst unter dem Demiurgos gar nichts anderes, a ls einen solchen den höchsten Gott repräsentierenden Engel, einen Erzieher und Zuchtmeister der Welt. Eine hierher gehörende Stelle findet sich bei Philo de Abrahamo, 599. Er erk lärt die Theophanie Genesis, Kapitel 18, und beantwortet hier die Frage : Woher kommt es, dass vorher drei Engel genannt worden, nachher nur einer a ls κύριος redend eingeführt wird  ? Er erk lärt dies so : Es ist eine verschiedene Auffassung und Erscheinung des Einen Unwandelbaren nach verschiedenen Standpunkten, eine τριττή φαντασι ́α τοῦ ἑνὸς ὑποκειμένου, das ὀν und die beiden von demselben ausgehenden, dasselbe repräsentierenden K räfte, die schaffende und die herrschende, welche durch Strafen die Menschen zum Guten erziehen. „A ls eins erscheint das ὀν, wenn die Seele voll kommen gereinigt nicht nur über die Viel heit, sondern auch über die der Einheit am nächsten verwandte Zweiheit sich erhebt zu der reinen und selbstgenügsamen Idee. A ls drei erscheint die Seele, wenn sie erst in die k leinen Mysterien eingeweiht, der Weihung in die großen Mysterien noch nicht tei l haftig, das ὀν nicht unmittelbar wie es in sich selbst ist, erkennen kann, sondern nur durch seine Wirkungen entweder a ls schaffend oder a ls herrschend.“ Im Ganzen betrachtete Philo das jüdische Vol k a ls den höchsten Standpunkt der Religion darstellend, das dem Gott des vier1 Für

„ A ltes Testament“ l iest K rochma l „miqra“, Bibel.

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buchstabigen Namens1, dem ὀν, geweihte Vol k, das γένος ἰκέτικον, Priester und Propheten des höchsten Gottes für die ganze Menschheit, das Gesch lecht, dem unmittelbar Gott vorsteht, während die übrigen Völ ker höhere Geister, Engel Gottes, zu ihren Vorstehern hatten; eine Idee, die sich bekannt lich schon in der Septuaginta 2 Deuteronomium 32,8 fi ndet, worauf sich auch Philo berief; vgl. de Plantatione Noe p. 222; de Posteritate Caini, ed. Mangey, T. I. 242. Sehr natürlich bildete sich diese Idee unter den a lexandrinischen 187 Juden auf Grund ihr [ es ] Verkehrs mit den Griechen. | Die mi lder Gesinnten unter den Juden machten aus den θείοις ἔθναρχαις, γένεαρχαις πατρι ́οις der Heiden dem höchsten Gott untergeordnete Geister, welchen dieser die Regierung der übrigen Völ ker bis auf einen gewissen Zeitpunkt, bis zur Erscheinung des Messias anvertraut habe – und wiederum die Herrschaft Gottes a llein. – Durch die Erkenntnis des Namens werde der Mensch von der Herrschaft dieser untergeordneten Geister befreit. Aber Phi lo fand doch nicht unter der Masse seines Vol kes solche Religionsideen, wie er sie bei den im eigent lichen Sinn Gottgeweihten suchte. Es ist damit zu verbinden, dass ihm überhaupt die einzelnen Völ ker und Menschen in den hei ligen Geschichten nur a ls Symbole und sichtbare Repräsentanten a llgemeiner geistiger Formen der Menschheit, gewisser ewiger Charaktere erschienen. (Seite 357) Nach dieser A nsicht ist ihm das Vol k Israel Symbol des der Betrachtung des Höchsten geweihten Geistes (Seite 132). 3 Da nun Philo bei vielen seines Vol kes den reinen religiösen Gedanken und die erhabenen Religionsideen nicht fi nden konnte, die zur Erfü llung jener hohen Bestimmung ihm notwendig schienen, so konnte er leicht dazu veran lasst werden, unter diesen selbst einen Ἱσραὴλ αἰσθητóς und einen Ἱσραὴλ νοητός, das ὁρατικόν γένος im eigent lichen Sinne, welche in den inneren Sinn der Religion eingedrungen waren, zu unterscheiden. Von jener ersten K lasse konnte Philo über die Theophanien in der miqra erk lärend 1 Bei

Neander : „ Jehovah“. „Targum ha-shivʽim“, LXX. 3 H ier folgt ein Absatz, der sich bei Neander nicht fi ndet. 2 K rochma l :

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sagen, dass der höchste Gott, weil sie zu der reinen geistigen Gottesverehrung noch nicht fähig waren, ihnen Engel erscheinen lasse, die seine Stelle verträten (Seite 599) : Den rein geistigen und seiner Verehrung geweihten Seelen könne Gott sich offenbaren, wie er in sich selbst ist, gehe mit ihnen um, wie der Freund mit dem Freunde; denen aber, die noch im Körper seien, offenbare er sich unter der Gesta lt der Engel, nicht a ls ob er seine Natur verwandele, sondern indem er die Vorstellung bei ihnen errege, dass das Bild das Urbild selbst sei, wie diejenigen, welche die Sonne nicht selbst betrachten können, ihr Bild im Widerschein für sich selbst ha lten, so sehen diese Gottes Bild, seinen Engel, für ihn selbst an. Aus ähn l ichen Vorstellungen entwickelte sich die Lehre der von den Juden stammenden Gnostiker. Sie hielten keineswegs die ganze Religion | der Juden für etwas dem Gott mit dem vierbuch- 188 stabigen Namen Fremdes, in keiner Berührung mit demselben Stehendem; sie leiteten viel mehr den Ursprung a ller a lten Religionseinrichtungen ihres Vol kes von dem höchsten Gott ab, sahen die Juden a ls dazu bestimmt an, sein Vol k zu sein, und nahmen an, dass sich seine Erkenntnis und Verehrung vom A nfange an unter ihnen fortgepf lanzt habe. Aber dass er nicht a lles durch sich selbst, sondern vieles durch einen den Juden besonders vorgesetzten Engel (den Erlösungsengel, Sar ha-Panim und Sar ha-koaḥ, K i shemi be-qirvo und die übrigen Speku lationen und Traditionen nach der Ausdrucksweise der K abba l isten) gewirkt habe. Seine Verehrung und daher die Erkenntnis des höchsten innern Sinns der Religion sei immer nur Eigentum derer gewesen, die das Vol k Gottes im eigentlichen Sinn, die geistigen Israeliten gewesen seien, die Übrigen hätten jenen Engel, den Repräsentanten des vierbuchstabigen Namens, für ihn selbst geha lten und so übera ll die Sache selbst und das Bild verwechselt.“1

1 Der

absch l ießende Satz von Neander ist verkürzt wiedergegeben. Der Rest ist woh l verloren gegangen.

PFORT E 13



Der Ursprung der Kommentarüberlieferung und die Ha lakha in den Geboten der Münd lichen Tora Frage deinen Vater, der wird’s dir sagen, deine Ältesten. (Dtn 32,7)

Sage zur rechten Zeit, was gut ist und was nicht (Spr 15,23) : Shafan1 stand auf zu seiner Zeit, und Esra stand auf zu seiner Zeit, und R abbi ‛Aqiva stand auf zu seiner Zeit – und die Tora ward nicht vergessen in Israel . (SifDev ‛Eqev 48 [ 112])

Denn durch den Mund dieser Worte habe ich mit dir einen Bund geschlossen (E x 34,27) – Diese darfst du niederschreiben, doch die Halakhot [ der mündlichen Lehre ] darfst du nicht niederschreiben. (bGit 60b)2

Obgleich es der Verstand verlangt, dass jede umfassende Rechts[ordnung]3 zur Gänze nach Fachgebieten [ geordnet ] und nach Einzelfä llen festgelegt sein muss, sodass sich in ihm ein Leitfaden des Rechtes und Gesetzes findet, sowoh l für das gemeine Vol k a ls auch für das öffentliche Leben, sowoh l für die Familie a ls auch für das Individuum mit seinen Belangen und seinen Interessen, so ist es dennoch unmög lich, dass in ihm a lle Einzelfragen kommentiert und erläutert werden, denn sie kennen wirk lich kein Ende. Vielmehr ist es notwendig, dass das Ganze nach a llgemeinen Regel n 1 Vg l.

2 Kön 22,3. hierzu Bia loblotzki, 380 A nm. 1 : K rochma l zitiert hier nicht die Gemara, sondern eine Fassung aus der französischen Rezension des Iggeret R av Sherira; siehe dazu Sch lüter, Weise, 194. 3 Zu „nimus“ von νομóς vg l. K l atzkin, Thesaurus III, 31 f. I. E fros, Phi losophica l Terms in the Moreh Nebukim, New York 1924, 85 f. übersetzt mit „law, a legislated code (in opposition to revea led rel igion)“, was mit K rochma ls Verwendung nicht übereinstimmt. Vg l. Lehnardt, Entwick lung, 114 f. 2 Vg l .

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dargelegt wird, sodass auf diese Weise a lle zukünftigen im Laufe der Zeiten eintretenden Einzelfä lle unter diese a llgemeinen Regeln eingeordnet werden können. Und nicht nur das, sondern fa lls das Recht[ssystem ] bereits zu Beginn seiner Verordnung schriftlich fi xiert worden sein sollte, dann erscheint es unmög lich, dass bereits [  davor ] die erwähnten a llgemeinen Gesetze aufgeschrieben worden waren, jedes auf seine eigene Weise – will sagen, entsprechend des [ konkreten ] Bedarfs, des Geschäftes, der Lebensumstände und des Wohnortes des jewei l igen Gesch lechtes, von dem die Rechtsregel n schriftlich fi xiert worden sind. Und demnach ist es notwendig, dass jenen, in deren Hände die Führung in Recht[sfragen ] übergeben wird, auch die Methoden, wie diese a llgemeinen Regel n auszu legen sind, übergeben werden, in einer Zeit und an einem Ort und unter Lebensumständen, die sehr verschieden sind von jenen, die zur Zeit der Generation der Übergabe des Rechts[systems ] herrschten oder in den Generationen kurz nach ihr. – Und wir folgern hieraus und sagen, dass jenes Recht[ssystem ], [ ganz g leich,] was es nun im einzelnen enthä lt, auch schon jener ersten Generation und der ihr nachfolgenden gegeben war; [ u nd ] daher ist es mög lich und auch wahrscheinlich, dass es festgeha lten und schrift lich fi xiert worden ist, um so in vielen Abschriften unter a llen Führern und Rechtsgelehrten bekannt gemacht zu werden. Doch verl ief die Entwick lung nicht so in Bezug auf die Einzelfä lle, nicht einma l in der Frühzeit, auch wenn es A na logien zwischen Fä llen aus der ersten und aus späteren Zeiten gibt und man mit zeitbedingten Veränderungen rechnet – jene Einzel fä lle müssen und können nicht bereits zu Beginn des Rechts[systems ] schrift lich fi xiert worden sein. Und selbst wenn die Möglichkeit zur schrift lichen Kommentierung einiger [ d ieser Einzelfä lle ] gegeben gewesen wäre, siehe, so würde es sich hierbei um eine a llgemeine Weisheit oder Kunst handel n, nicht um ein[e] Recht[sordnung ]. Und deswegen war es nicht notwendig und auch nicht mög lich, dass jene [ Einzelfä lle ] a llen Gruppen von Rechtslehrern bekannt gemacht wurden, sondern sie bei den Häuptern und A nführern verbl ieben, damit sie das Vol k unterwiesen. Und dies gi lt umso mehr, a ls sich im Verlauf

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der Zeit die Einzel fä lle verkomplizierten und sich die Rahmenbedingungen stark veränderten, sodass man gezwungen war, auch dort | sprach- und schriftkundige Gelehrte und Gebildete in Recht 190 und Gesetz zu fi nden, die den Führern und Unterweisern helfen konnten, sie durch ihre Weisheit in ihrer Führerschaft zu unterstützen.

Doch was geschieht, wenn sich die Tage so sehr vermehren und sich sogar die Sprache, in der das Recht[ssystem ursprünglich ] gegeben worden war, zu verändern beginnt und sie von der Menge und den Einzelnen vergessen wird, woraufhin sie in diesem nur noch eine überkommene Unterweisung von Gesetzen und Redewendungen in einer antiquierten Sprache erkennen können ? (Denn die Bestimmung des Inha lts solcher Unterweisungen setzte sich zusammen und blieb ohne [ eine nähere Bestimmung ] nicht länger verständ lich, anders a ls bei den a llgemein rationa len Gesetzen eines Rechts[systems ] und in seinen Bestimmungen, die ihr Wesentliches sind.) Und um wie viel mehr kommt es zwangsläufig dazu, dass sich Kollegien und ganze Gemeinschaften bi lden, die in der Unterweisung der [ Rechts-]Sätze und [ einzel ner ] Gebote forschen und mittels A na logiesch luss vom A llgemeinen auf Einzelfä lle sch ließen und mittels Vorstellungskraft von einer Zeit auf eine andere übertragen, um so jede Veränderung und jeden Wandel in der Praxis und in der Theorie zu berücksichtigen ? Doch werden wir uns mit jenen Vorstehern der erwähnten Versamm lungen in ihren Kollegien [ noch gesondert ] befassen – welche Methoden sie von ihren Vorfahren übernahmen und welche tradierte Rechtswissenschaft [ sie verwendeten ] und welche traditionellen Symbole sie benutzten, um den Sinn und die richtige Bedeutung, die jeder A ngelegenheit zukommt, herauszufi nden. Und der Gebildete wird verstehen, dass, auch wenn die Samm lung a lt und antik und zu ihrem Beginn auch nicht so groß und umfangreich war, auch wenn die Niederlegung des Rechts[systems ] auf einfachen Lebensumständen und auf einfachen, unkomplizierten Wirtschaftsverhä ltnissen

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basierte, auch wenn die Sprache der Vorzeit kurz an Worten und lang und schwer an tief gehenden Gedanken war, die Notwendigkeit und die Bemühungen, zum eigent lichen Sinn zu gelangen, immer größer wurden. Auch wenn sich dies a lles nur auf das staatliche Recht bezöge, in dem die Genauigkeit nicht so geboten ist und der Wandel der Zeiten nicht so berücksichtigt werden muss und welches sich in der Regel nicht um das Leben des Einzelnen kümmert und das natürlicherweise nicht von so langer Dauer ist, bis dass sich die Zeiten wieder von Grund auf geändert haben. Doch was ist mit dem göttlichen Recht, das in seiner Eigenschaft für a lle Ewigkeit gegeben sein sollte ? Es bezieht und erstreckt sich auf die a llgemeinen Dinge und triff t auf a lle Teile und auf jedes Detail zu, das sich in der [ folgenden ] Zusammenstellung findet : sein Ruhen und sein Stehen, seine Bewegung und seine Beziehung zu seinem Schöpfer, auf das A llgemeine und auf das Individuelle und ihm entsprechend Spezifische. Umso mehr, a ls sie [ d ie Zusammenstellung von theologischen Gesetzen ] seit Beginn ihrer Offenbarung an Tradition und Weitergabe durch ihre Führer gebunden war und sich a lles, was wir erwähnten, bestätigt wurde, bis man es im Vol k verstand und befolgte und man sich danach richtete in a llen daraus entwickelnden Sektionen und Tatfä llen, die sich daraus ergaben, und in den sich fast end los verändernden Zeiten.1 Und siehe, dies ist einer der Eckpfeiler unseres Glaubens, dass uns außer der Tora, die sich in schrift licher Form in unseren Händen befindet, gleichwertig auch münd lich überlieferte Worte gegeben wurden, die auch Tora sind. Und sie wurden Mose am Sinai münd lich gegeben, und er übermittelte sie Josua und er nachher den Ä ltesten und den Propheten und den Weisen der [ nachfolgenden ] Gesch lechter in einer ununterbrochenen Kette, tradiert mittels ihrer Glieder bis zu den Weisen der Mishna und des Ta l mud, die von der Zeit des Zweiten Tempels bis vierhundert Jahre nach seiner Zerstörung lebten. Doch der Hauptteil jener Überlieferungen besteht aus den Gesch lechterfolgen, die seither erwuchsen, 1 Vg l.

hierzu Bia loblotzki, 346; Harris, Nachman K rochma l, 231.

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und zudem aus a llem, was die vielen Weisen der Generationen seither taten, was sie erneuerten und worauf sie sich geeinigt hatten in der langen Epoche von mehr a ls 1800 Jahren. A ll dies, was unsere Weisen getan hatten, wurde unter dem Oberbegriff Tora shebe-‛a l pe [ Münd liche Tora ] subsumiert. Und die Bedeutung dieser Bezeichnung und ihre Intention haben zwei Seiten : Die erste besteht darin, dass die Hauptsache jener Überlieferungen Mose am Sinai münd lich gegeben wurde; und die zweite ist darin zu fi nden, dass es den Weisen der Tora in der gesamten erwähnten Zeitenfolge nicht erlaubt war, auch nur ein Wort von den aufgezäh lten Überlieferungen schrift lich zu fi xieren (auch wenn sie eine nach der anderen festgelegt und redigiert und in eine feste Reihenfolge gestellt worden waren; etwas, was auch im letzten Drittel dieser langen Zeit geschehen ist), so wie man es niema ls zugestanden hat, eine Lesart in der schrift lichen Tora wie in irgendeinem anderen Buch zu verbessern, ganz entsprechend der oftma ls an die Rabbinen ergangenen Warnung : „Die Gebote der Schrift sollst du nicht münd lich vortragen, und die münd lichen Gebote sollst du nicht niederschreiben“ (bGit 60b). Das bedeutet, dass [ nur die Schriftliche Tora ] in einem Buch aufgeschrieben sein soll, sodass sie verbreitet und abgeschrieben und von vielen gelernt werden kann | 191 – und man bedenke dies a lles.* Und siehe, die Auslegung [ d ieses Buches ] eröff net ein großes und weites Meer, das die, die tief in es eintauchen, und die, die sich [ mit ihm ] abmühen, kräftigt. Auch in den ersten Tagen der Zeit des Zweiten Tempels, auch in den Tagen der Geonim und nach ihnen bis zum heutigen Tag, mühten sich und bestanden unsere großen Weisen darauf, diese A rt der Überlieferung zu bewahren – zunächst gegenüber Sadduzäern und Boetusiern, danach gegenüber den Karäern und gegen jeden, der [ d ie Münd liche Tora ] leugnete. Und zuverlässig verewigten sie so * Der

Beleg für die zweite Bedeutung der Wendung Tora she-be-‛a l pe lautet : „ Abraham, unser Vater, hat sogar [ d as Gebot ] des Speise-‛Eruv beobachtet, denn es heißt : meine Lehren (Gen 26,5), d. h. die schrift l iche und die münd l iche“ (bYom 28b). Vg l. hierzu auch den Kommentar R ashis : „Der Speise-‛Eruv, der keine Ha lakha le-Moshe mi-Sinai ist, sondern eine Verordnung von den Soferim, die sie erst in der Zukunft verordnen werden.“

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die Wurzel n der Überlieferungen, bewahrten und schützen sie vor jeder Infiltration. Und deswegen und aufgrund der eigent lichen Zielsetzung unseres Schreibens ersehen wir es für richtig an, dass auch wir entsprechend unserer Methode diese große A ngelegenheit untersuchen. Das heißt, wir werden eine k leine Pforte der K ritik für eine Untersuchung dieser A rt der Überlieferung öff nen, um ihre Gesetze und ihre Auswirkungen besser zu verstehen, insbesondere, was uns im Hinblick auf die Gegenwart und die sie beunruhigenden Verwirrungen betreffen könnte, auch um darzu legen, wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelte und was am Ende des erwähnten Zeitraums von vierhundert Jahren nach der Zerstörung des Tempels entsprechend jener Ordnung geschehen ist, wie es zu jenem tiqqun und der Veröffentlichung durch die Weisen und ihre Schü ler gekommen ist, die wir zur Zeit des Absch lusses des Babylonischen Ta l mud ansetzen, und wie nach einiger Zeit a ll dies schriftlich fi xiert werden konnte, was bis dahin nur münd lich und im Gedächtnis überliefert werden durfte, und warum man nun gestattete, es Vielen aus einem Buch zu lehren, entgegen dem früheren Verbot. A ll unser Forschen ist dabei wichtig für unser Hauptan liegen : eine A na lyse der Schriften und genaue Untersuchung der Zeugnisse über die ersten Weisen, die sich in ihnen erwähnt finden, hierbei immer differenzierend zwischen den zeit lich früheren und späteren, wie es der Eigenart unserer Vorgehensweise entspricht. Und wir weisen diesbezüg l ich sog leich darauf hin, dass wir hierbei keine Stützung durch den Befund in irgendeinem Midrash Aggada oder in einer einzelnen Erzäh lung suchen. Denn auch wenn sie für einen [ a nderen ] Zweck gut sein mögen, könnte es sein, dass sie doch keinen Nutzen a ls Beleg dessen bringen, was wir erforschen wollen, wie wir es im Folgenden noch vorbringen werden. Viel mehr wollen wir uns [ nur ] mit k laren und umfassenden Belegen begnügen, die die Dinge ans Licht befördern, mein Unterfangen voranbringen und das Herz aufsch ließen, [ diesen Belegen ] zuzustimmen.

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Und bei a ll dem wusste ich1 um die Kürze meiner Auffassungsgabe und den Mangel meiner Vertrautheit mit jenen Disziplinen, was insbesondere im Hinbl ick auf die Schriften der letzteren unter den rabbinischen Weisen [ A ḥaronim ] zutriff t. Siehe, ich erwähne es ohne Umschweife und mit reinem Herzen, wenn irgendeine Sache oder eine der Stellen, die wir vorstellen und erk lären, eine den Grundsätzen der Quellenwerke der Münd lichen Tora widersprechende Erk lärung fi nden. Ich möchte aber auch sagen, dass, fa lls wir uns an einen Beleg oder eine Vermutung ha lten, die auf einer verstandesmäßigen Entscheidung und auf aufrichtiger Überlegung beruht oder auf den Worten eines einzelnen unserer Weisen, über sie Frieden, beruht, und dann die A ngelegenheit untersucht wird und ein Widerspruch zu dem System der meisten anderen Weisen in den überlieferten Quellenwerken gefunden wird, dann die Überlieferung siegt und a lle unsere Worte in dieser A ngelegenheit hinfä llig werden; oder sie werden zumindest nicht wörtlich, sondern in übertragenem Sinn zu verstehen sein, zuma l uns a lle Weisen wie ein Mann erlauben, den wört lichen Sinn anstelle des übertragenen Sinnes zu betrachten, da er bekannt lich trotz a llem stets gü ltig bleibt. Und hiermit lasst uns beginnen, und der Herr Zebaot möge mit uns sein, denn auf ihn vertrauen wir und auf seinen großen Namen, der über uns gerufen ist – der Intention unserer Unternehmung entsprechend. Wir sehen, dass man schon zur Zeit des Mose, unseres Lehrers, über ihn Frieden, die Einzelprobleme, die ihnen aufgefa llen waren, genau beachtete, und man suchte sie nach der A rt des Lehrers zu begrenzen und sie unter die gegebenen a llgemeinen Regeln einzuordnen, denn außer den vielen Einzelfä llen, die nicht zusammen mit den sie betreffenden a llgemeinen Regel n genannt worden waren, kamen auch noch weitere Fä lle nach der Niederschrift der Tora im vierzigsten Jahr hinzu, wie es [ bereits ] vom Ramban [ Moshe ben Naḥman ] und von den besten unter den Kommentatoren angedeutet wird, im Besonderen wie im A llgemeinen (z. B.) : der 1 H ier

ist woh l mit Zunz ‫ ידעתי‬statt ‫ דעתי‬zu lesen.

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„zusätz liche“ Bock der Sühne, der vollständig verbrannt wurde am Tag der Einweihung des Stiftszeltes (Lev 10,12 – 15.16 – 20); Gebote den Samm ler [ von Holz (Num 15,32 – 36) ] und den Verf luchenden (Lev 24,11 – 16) betreffend; Unterweisung für diejenigen, die sich einer Verpf lichtung entha lten, um das Pesaḥ-Fest zu seiner Zeit zu entrichten; das Gebot betreffend den Erbtei l von Töchtern; das Gesetz betreffend die Heirat von Frauen, die ein Erbteil im Lande [ Israel ] besitzen; Unterweisung, wie man Gefäße von Nichtjuden reinigen kann und derg leichen. Doch erscheint es angebracht, darauf hinzuweisen, dass das Wort „erk lären“ hier im Sinne von Erweiterung der Erläuterung verwendet werden kann, was bereits im Buche Esra belegt ist (Und sie lasen im Buch der Tora Gottes, erklärt mit Angabe des Sinnes [ Neh 8,8]) 192 und sehr verbreitet unter den Worten | der Weisen war, während es sich in der Bibel nur noch an zwei weiteren Stellen findet, und zwar zweima l in der Tora, bezüglich zweier Fragen, die sich auf Einzelfragen bezüglich des Sammlers [ von Holz ] und des Lästerers [ beziehen ] : bis ihnen erklärt würde durch den Herrn; denn es war nicht erklärt, was mit ihnen geschehen sollte (Num 15,34). (Und vielleicht ist hiermit auch der Vers Sprüche 13,16, der Dumme erklärt [ ‫*]יפרו ש‬, was Torheit ist, zu erk lären, [ u nd zwar ] in dem Sinne, dass er die Bedeutung des Begriffes Torheit „auslegt“.) Aufgrund dessen scheint es, dass das Wort bereits von Beginn an für diese Tätigkeit, d. h. die A rbeit des Erk lärens der a llgemeinen Regel n und des Ableitens von Einzel heiten aus ihnen, verwendet wurde. A lle Einzelanordnungen, die wir erwähnt haben, fanden sich bereits in der Schriftlichen Tora und in [ logischen ] Sätzen, was zum Zeichen und zum Beispiel für die kommenden Generationen wurde, dass man jede gesetz l iche Einzelbestimmung je nach Bedarf verstehen, genau 193 befolgen und ausführen könne.** | * Eine

A nmerkung des Herausgebers [ Zunz] : Und bei uns wird ‫ יפרוש‬immer mit sin geschrieben und so auch bei a llen Früheren. ** Es lohnt sich, hier etwas genauer auf jenen Grundsatz einzugehen, auf den wir bereits oben in Kürze hingewiesen hatten. Und dieser besagt, dass jede einzel ne A ngelegenheit und jede Geschichte, die in der Tora steht, dem

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Und außerdem fanden wir die Ausdrücke : ‫( החודש השני‬im zweiten Monat) (1 Sam 20,34); ‫( יום המעשה‬der Werktag) (Ez 46,1).1 So etwa im Zusammenhang mit David bei A himelech, dem Priester, der ihm von dem Schaubrot gab, das man vor Gott darbot, um hiermit seine Wachstum und dem Nutzen der kommenden Generationen dienen soll, insbesondere die Taten, die vollbracht wurden und die Geschehnisse, die sich in der gesamten Nation und in a ll ihren Tei len ereigneten (und schon der R av [ Moshe ben Maimon ] berührte dies in einigen seiner Erläuterungen). Zum Beispiel die Geschichte von dem Streit mit Korah : Wir wissen bereits, dass sich in a llen Gesch lechtern und zu a llen Zeiten viel Neid und Missgunst zwischen den Leviten und Priestern ausbreitete und hielt. Auch Yosef, der Priester [  Josephus ], berichtet über solchen Eifer kurz vor der Zerstörung des Zweiten Tempels. Und wir erfahren aus den Ketuvim auch, dass es selbst in der Zeit des Samuel, David und Hiskia, und sogar noch in späteren Gesch lechtern, [ Streit ] zwischen den Fami l ien der Leviten und Korahiten gab, obwoh l die letzteren viel angesehener und höhergestellt hinsicht l ich ihrer Bi ldung waren; und deswegen offenbarte und erzäh lte die Tora von jener bitteren Strafe, die das Haupt des ed len Gesch lechtes erei lte nach dem Streit über die Priesterwache, die höher gestellt ist a ls die seine; und es wird diesbezüg l ich in der einen Erk lärung gesagt : Und werde nicht wie Korah und nicht seines Sinnes. – Und man beachte folgenden Vers (Ps 106,17) : Es öff nete sich die Erde und verschlang Datan und bedeckte die Gebeine Abirams. Zu ihm schrieb R ashi : „Es scheint, dass er den Söhnen Korahs die Ehre erwies, indem er ihren Vater erwähnte, was die Vernichtung von Datan und Abiram zur Folge hatte.“ Und man kann noch die Vermutung hinzusetzen, dass der Verfasser des Psa l ms wahrschein l ich ein Levit oder einer seiner Nachfahren war. Und überraschenderweise steht auch im Deuteronomium [ nur] : Und was er an Datan und Abiram getan usw. (Dtn 11,6), wie die Erde ihren Mund auftat usw. (ebd.), doch wird Korah nicht erwähnt. Und schon Ibn Ezra und der R amban verfassten dazu unbefriedigende Erk lärungen. Und es ist zwar richtig, dass das Deuteronomium dafür vorgesehen war, vor der Gemeinde zu Ohren des gesamten Vol kes, Männern, Frauen und K indern, verlesen zu werden, doch enthä lt es auch viele Befeh le und Ermahnungen bezüg l ich der Unterstützung der Leviten, damit man sie auch ja nicht vernach lässige. Daher verschont [ u ns ] die Schrift mit einem Bericht über das, was den Gesch lechterhäuptern der Großen der Leviten widerfuhr. – Und ebenso war der Stamm Reuben zu seiner Zeit der a ltehrwürdigste und hervorragendste der Stämme Israels, und mög l icherweise hörte ihr Eifer in den ersten Ge1 K rochma l verwendet die Singu l arform statt der masoretischen

‫ימי המעשה‬.

Lesart

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Diener zu ernähren. Auch die Ausdrücke : ‫( לחם חול‬unheiliges Brot) (1 Sam 21,5); ‫( לחם קודש‬heiliges Brot) (ebd.); ‫( דרך חול‬Verhalten bei Unheiligem) (1 Sam 21,6); ‫( יקדש בכלי‬es wird heilig bleiben im Geräte) (1 Sam 21,6); diese Wendungen, so sieht es aus, sind sehr wahrschein lich auf die Unterweisungsarbeit der Priester jener Zeit zurückzuführen, und sie ähneln sehr jenen, die sich bei unseren späteren Weisen finden. Und auf dieses Problem bezieht sich die Frage des Haggai an die Priester bezüg lich des Berührens von geweihtem Fleisch und der Berührung von unreinem Leben, denn sie verstehen das Problem gar nicht, und auch die Weisen waren unterschied licher Meinung nerationen nur desha lb nicht auf, wei l sie das Recht auf Ernennung sowoh l zur Priesterschaft a ls auch zur Königsherrschaft verloren hatten. Und deswegen wurde die Geschichte von Datan und Abiram sowie von den K indern des Reuben aufgeschrieben. Und ebenso wurde es offenbar und bekannt vor dem A llgegenwärtigen, dass sich in späteren Generationen die Fürsten und Priester bemühten, die Prophetie der Söhne der Propheten zu verringern, die sie zukünftig einsperren und ins Gefängnis werfen würden, vor a llem solange sie noch (siehe dazu ihre Midrashim) Neu l inge [ ṭ iron ] der Prophetie waren (ṭiron bedeutet im Griechischen „ Neu l ing“), damit sie nicht der Masse des Vol kes prophezeiten. Und dies wird in den Schriften häufig erläutert, und deswegen fi ndet sich in der Schrift die Geschichte von Eldad und Medad, von denen es heißt, dass sie i m L a g e r (vg l. Num 11,26) prophezeiten, sodass Josua zu seinem Herrn [ Mose ] sagen musste, dass man sie gefangen nehmen solle. Und der Größte unter den Propheten antwortete ihm : Eiferst du um meinetwillen ? Wollte Gott, dass alle im Volk des Herrn P ropheten wären ? Und dennoch wurde diese wertvolle Geschichte aufgeschrieben, damit man die Prophetie zu keiner Zeit und an keinem Ort begrenze. Und daher wurden auch die Reden von A aron und Mirijam, die größere Propheten a ls Mose waren, aufgeschrieben, um den großen Unterschied aufzuzeigen zwischen der Eigenart und dem Niveau seiner Prophetie und der Eigenart und dem Niveau der übrigen Propheten zu ihren Tagen und denen, die nach ihm kamen. – Und darüber heißt es im Erinnerungssti l der Tora, besonders in Bezug auf das Stück von dem Bock, der nach der Tora für einige der Sünden derjenigen verbrannt wird, die gegenüber Gott gesündigt haben, oder für schwerere und umfassendere Sünden; wie z. B. das R ind für den gesa lbten Priester [ kohen mashiaḥ ], das R ind für die Gemeinschaft, der Bock am Yom K ippur und die Böcke, die [ a ls Sühne ] für eine götzendienerische Hand lung [ ‛avoda zara ] dargebracht werden, wobei diese Sündopfer den Priestern nicht [ vollständig ] zum Verzehr gereicht werden, sondern nur die

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in Bezug auf die Auslegung dieser Stelle. Außerdem fanden wir Detailfragen in den Büchern Jeremia und Nehemia betreffend des A rbeitens am Shabbat, über das Hinaus- und das Hereintragen einer Last, über den Erwerb und das Verkaufen; auch betreffs des Heiratens (von Frauen) aus den Völ kern im Buch Esra und über Detailfragen über das Hinterherziehen nach einem Erwerb und auch bezüglich der Trauer und derg leichen. Doch ist es unangemessen, sich darüber zu wundern, dass sich in den Propheten und in den Ketuvim nur eine geringe A nzah l von Erläuterungen und Bestimmungen bezüg lich einzel ner Gebote [ der Tora ] fi ndet und ebenso wenig detai ll ierte Verwarnungen und Ermahnungen, [ sondern besseren Stücke von ihnen, was auf das Gute des Geistigen hinweisen soll, wie Blut und [ bestimmte ] Opferstücke, die entweder in der Ha lle des Tempels versprengt werden oder auf dem A ltar geräuchert. Und der Rest ist ein Symbol für die große Sünde : er wird außerha lb des Lagers auf dem bet hadeshen verbrannt, und er verursacht große Unreinheit, sodass der jenige, der ihn verbrennt, unrein und zum Waschen seiner K leider verpf l ichtet ist (und [ m an beachte ], dass in Bezug auf das R äuchern der Opferstücke nicht von ‚Geruch des Woh lgefa llens‘ gesprochen wird, wie schon der R av [ Moshe ben Maimon ] und der R amban [ Moshe ben Naḥman ], sel igen A ngedenkens, bemerkten). Doch bei den anderen Sündopfern wird ihr Blut nicht in das Hei l igtum hineingetragen, und nur bezüg l ich des Fleisches besteht die Pf l icht für die Priester, das Fleisch zu essen, wie geschrieben steht : Der P riester, der es al s Sündopfer darbringt, soll es essen (Lev 6,19), und außerdem steht geschrieben : Und sie sollen dieselben essen, durch welche sie versöhnt werden (E x 29,33), die Priester essen, und die Besitzer werden entsühnt. Und siehe, dadurch hoben die Priester die Sünde und die Schu ld des Einzel nen auf, so wie sie die Sünde ihrer Priesterschaft auf sich nahmen, auch wenn es sein kann, dass sich in einigen Generationen die Priester davon enthielten, die Sündopfer zu verzehren, und zwar wei l sie um ihr Leben fürchteten, wie es der Prophet den fremden Priestern darlegt, die nicht von den Söhnen, die sich unter den zehn Stämmen befanden, abstammten : Die Sünde meines Volkes essen sie, und nach seiner Schuld trachtet seine Gier (Hos 4,8). Und ebenso steht in der Tora die Geschichte geschrieben, in der Mose bezüg l ich des auf dem äußeren [ A ltar dargebrachten ] Opfers anordnet, dass es nicht gegessen werden solle. Und dies ist, was dort steht : da er es euch gegeben, um zu tragen die Schuld der Gemeinde [ und sie zu sühnen vor dem Ewigen ] usw. (Lev 10,17); und Aaron, der hei l ig dem Herrn war, antwortete, dass er sich von dem [  Opfer ] nur wegen seines Mitgefüh ls [ f ür Eleasar und Itamar ] enthielt.

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nur solche Sätze, ] die sich ganz a llein auf die Beobachtung von Geboten der Tora beziehen und im besonderen auch auf Rechtssatzungen und Sitte. Entsprechend wurden diese [ Gesetze ] und die Führung des gesamten Vol kes nur an die Propheten und die Träger des hei ligen Geistes übergeben, während die Aufsicht über die Führung und die spezifische Unterweisung in den Tora-gemäßen Verha ltensweisen für die Öffentlichkeit und die Einzelnen den Priestern und dem gesamten Stamm Levi übergeben wurde, und sie blieb bei ihnen a llein a lle Tage des Ersten Tempels bis zur Mitte der Zeit des Zweiten Tempels. Und dies bezeugen Schriftstellen, mehr a ls sich zäh len lassen : Wein und Berauschendes sollst du nicht trinken, du und deine Söhne mit dir usw. (Lev 10,9); auf dass ihr scheiden könntet zwischen Heiligem und Gemeinem und zwischen Unreinem und Reinem; und dass ihr unterweisen könnet die Kinder Israel in allen Satzungen, die der Ewige zu ihnen geredet hat durch Mose (Ez 42,20 f.); sie lernen die Aussprüche Jakobs (Dtn 33,10); und mein Volk sollen sie unterweisen in dem Unterschied zwischen Heiligem und Unheiligem usw. (Ez 44,23); und ohne lehrenden Priester und ohne Unterweisung (2 Chr 15,3); denn die Lippen des Priesters sollen die Erkenntnis bewahren (Ma l 2,7). Und beide Schichten [ der Unterweisung ] kommen oft auch zusammen in einer Schriftstelle vor, und folgende Schriftstellen deuten sogar genau auf den Unterschied hin : denn nicht verloren gehen wird die Lehre bei den Priestern und der Rat bei den Weisen und das Wort bei den Propheten ( Jer 18,18); seine Priester entweihen meine Lehre und entweihen meine Heiligtümer, zwischen Heiligem und Unheiligem unterscheiden sie nicht, und den Unterschied von Reinem und Unreinem tun sie nicht kund usw. (Ez 22,26); und ihre Priester wahrsagen um Lohn, und ihre Propheten wahrsagen um Geld (Mi 3,11); und außerdem steht geschrieben : und auch in Jerusalem stellte er Leviten und Priester an usw. (2 Chr 19,8); und jeder Streit, der zu euch kommt, von euren Brüdern, die in ihren Städten wohnen, zwischen Blut und Blut, zwischen Lehre und Gebot, Satzungen und Rechten usw. (2 Chr 19,10). Und aus diesen Versen können wir k lar ersehen, dass auch schon in der Zeit des Ersten Tempels Gruppierungen von Menschen bestanden, und zwar die Priester und Leviten, die in a llen Einzelheiten des Gesetzes unterwiesen gemäß der schriftlichen Tora, und dies geschah zweifelsohne nach den

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Grundsätzen der Auslegung und mittels des üblichen Vergleiches von Versen, und dies wurde unter ihnen münd lich weitervermittelt. Und an einzelne mag dies vielleicht auch in geheimen Schriftrollen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren, weitergegeben worden sein. Sch ließlich vermehrte sich aber die Zah l der Lehrer im Vol ke so sehr, dass es solche gab, die die Tora entweihten (vgl. Ez 22,26), oder solche, die gegen Bezah lung unterwiesen (vgl. Mi 3,11). Und trotz a lledem gibt es einen starken Beleg dafür, dass zumindest die Guten in Israel sehr genau auf die die Tora- Gebote betreffenden Fragen achteten und sie nicht auf die leichte Schu lter nahmen – sogar in der langen Zeit zwischen der Gabe der Tora bis zu der Zeit der Zerstörung des Ersten Tempels, entgegen der Träume der Queru lanten und Leichtgläubigen. Ob es aber unter den Stämmen andere außer dem Stamm Levi gegeben hat, die Weise in der Tora hervorbrachten, und ob es auch im Stamm Levi in jener oben erwähnten langen Zeit nicht doch Gruppierungen und Gemeinschaften von Tora-Auslegern, nach ihrem Verständnis Gebildete und Lehrer gegeben hat, wie später in der Zeit des Zweiten Tempels – worauf wir noch näher eingehen werden –, dies ist eine Frage, die sich nicht beantworten lässt, da sich hierfür keine eindeutigen Belege in den Schriften fi nden lassen. Immerhin ist für diese Zeit auch der Titel sofer [ Schreiber ] belegt, [ etwa wenn es heißt : ] den Stab des Schreibers führende (R i 5,14) oder und Shebnah1, der Schreiber (2 Kön 18,18), und auch in den Chronik-Büchern fi ndet sich der Terminus : Geschlechter von Schreibern (1 Chr 2,55) – eine Terminologie, die nach einiger Zeit auch für die Tora-Weisen übernommen worden ist, was a ls ein erster Beleg für die reine Schreiberarbeit gelten kann, die dama ls noch a ls etwas Besonderes ga lt, ganz dem angemessen, was niedergeschrieben wurde, sodass davon auszugehen ist, dass die Leviten Soferim waren. Und sie waren es, in deren Händen die Weiterführung jener Stammbaumschriftrollen [ megi llot ha-yuḥasin ] gelegt war, die man in jenen Tagen sehr genau in a llen Stämmen Israels dokumentiert hatte. Und obwoh l [ d as Wort Soferim ] – ent lehnt aus 1 K rochma l,

Writings, 193 hat ‫ שבנא‬statt ‫ שבנה‬im masoretischen Text.

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dem Ausdruck für Schreiben und Lesen von Tora und miṣwot (nach dem Mishna-Ausdruck für diejenigen, die über einem Buch sitzen) – spätestens von Beginn der Zeit des Zweiten Tempels an die Bezeichnung für a lle in der Tora bewanderten Gelehrten wurde, finden wird diesen Ausdruck nicht vor der Zeit Esras. Wisse außerdem, dass, obwoh l wir über Jehoschafat in Juda ge194 schrieben fi nden [ vgl. 2 Chr 19,8 – 10 ], | dass er zwei Priester und neun Leviten schickte, um das Vol k zu belehren, und dass sich bei ihnen eine Tora-Rolle befand, es dennoch k lar ist, dass er aus einer solchen Tora vor ihnen las, wie sie der König im shmiṭṭa-Jahr zu verwenden pf legte. A nscheinend unterwies man in gewissen religiösen und ha lakhischen Einzelfä llen nur entsprechend den A nlässen. Doch findet sich vor Esra kein deut licher Bibelbeleg dafür, dass die Priester und Leviten dem Vol k zu festgesetzten Zeiten und an speziellen Orten aus der Tora vorlasen, sie auslegten und a llgemein verständ lich machten, worauf in späterer Zeit der Ausdruck Soferim hinweist, in dem Sinne a lso, mit dem wir uns hier a llein beschäftigen. Doch darüber besitzen wir keine bedeutenden oder detai llierten Nachrichten; über die A rt der Unterweisung und die Extrapolation der Einzelfä lle aus dem A llgemeinen und ihre A nwendung in jenen ersten A nfangstagen. Und uns und jedem Gläubigen genüge es, was wir a ls belegbar über ihre Existenz aufgezeigt haben.

Doch von den Tagen des Esra an wird es immer heller, und wir können sichere Erkenntnisse über diesen ehrenwerten Weg der Forschung erlangen. Denn von dieser Zeit an finden wir den Namen Soferim a ls besondere Bezeichnung für die Interpreten und Erk lärer der Tora. Und weil über Esra geschrieben steht : Und er war ein geübter sofer in der Tora des Mose (Esra 7,7[6]); denn Esra hatte sein Herz gerichtet, zu erforschen die Lehre des Ewigen und auszuüben und zu lehren in Israel Satzung und Recht (Esra 7,11), so können wir annehmen, dass einem sofer zwei Hauptaufgaben oblagen : 1. für die Öffentlichkeit Tora-Rollen und für den Einzel nen PentateuchBücher zu schreiben (und daran fi ndet sich eine Reminiszenz in der aggadischen Baraita im Traktat Pesaḥim [ bPes 50b ] : „Vierund-

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zwanzig Fasttage berieten die Männer der Großen Versamm lung darüber, dass die Soferim der [ hei ligen ] Bücher, Tefillin und Mezuzot nicht reich werden mögen, denn würden sie reich, so würden sie nicht schreiben“); 2. die A nwendung des Überlieferten und die Definition und Auslegung der praktischen Durchführung der miṣwot entsprechend der Tradition und aufgrund des Studiums der Schriften. Und dies entspricht den beiden Bedeutungen des Wortes [ sofer ], die wir beleuchtet haben. Doch seine Hand lungsweisen, soweit sie unsere Erk lärung betreffen, d. h. die Gründung von Synagogen zur Verlesung, Übersetzung und Auslegung [ der Tora ] in der Öffentl ichkeit sowie die Gründung von Versammlungshäusern für die ḥakhamim und ihre Schü ler, haben wir bereits zu Beginn der zehnten Pforte erläutert, und was dort steht, mag uns genügen. Doch hier wollen wir nur erhellen, was es mit den Begriffen „Verständiger“ im Vergleich zur Mehrheit und „ta lmid“ [ Schü ler ] [ vgl. 1 Chr 25,8 mit Rashi ] auf sich hat, und ebenso mit den Wendungen „deutliche“ Lesung, Lesung „Verständnis bewirkend“, Verstehen „dessen, was man liest“ [ vgl. Neh 8,8 ], die dama ls geprägt wurden. Denn vor der Zeit Esras und seiner Gefolgschaft konnte man sie noch nicht vernehmen, und zuvor fi ndet sich noch keine Erinnerung an sie. In der Nachfolge Esras, dem ersten der Soferim, entstand eine lange Kette von Gefährten und Schü lern und Schü lern dieser Schü ler von Weisen, die die Tora abschrieben und erläuterten, und sie a lle wurden a ls Soferim bezeichnet. Und diese Ordnung der Soferim erstreckte sich von Esra, der, wie wir erwähnt haben, der einzige sichere Zeuge für diese Reihe ist, bis zu dem Hohepriester Shim‛on ben Ḥonio aus dem Gesch lecht des Yehoshua‛ ben Yehoṣadaq, des ersten Hohepriesters zur Zeit des Zweiten Tempels, dem ersten der Weisen der Mishna (die ihn unter dem Namen Shim‛on ha-Ṣaddiq erwähnt, einem Mitglied der Großen Versamm lung, deren Bestimmung wir bereits erk lärt haben). Dieser Shim‛on aber war der letzte der Soferim und gleichzeitig der erste der Weisen, der shone ha-Ha lakhot [ „Wiederholer“ oder „Lehrer“ der Ha lakhot ], die in A ramäisch Tannaiten genannt wurden – da sie münd lich unterschied liche und einzel ne Ha lakhot mit festge-

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legter Terminologie wiederholten und formu lierten, wie wir im Folgenden erläutern werden. Doch wir haben bereits angedeutet, dass es hinsicht lich der ersten Generationen des Zweiten Tempels ein großes Durcheinander der Zeitenabfolgen gibt, und es fi ndet sich darüber nur wenig, manchma l hier, manchma l dort. Doch nach eingehender Suche, nach genauer Forschung wird k lar, dass die Epoche der Soferim nicht weniger a ls zweihundert Jahre dauerte, in jedem Fa lle sieben volle Generationen, vom Vater auf den Sohn. Von daher ist es wirk lich zu bedauern, dass für die ganze Dauer dieser langen Zeit, mit ihren ganzen wertvollen Aussprüchen insbesondere für unser Anliegen, durch Zufa ll a lle ihre Chroniken vergessen und verloren sind. Wir kennen noch nicht einma l die Namen der Mitglieder der Großen Versamm lung, und uns blieb nur die a llgemeine Bezeichnung, mit der sie bezeichnet wurden, und zwar „knesset ha-gedola“ für die ersten vier Generationen, die noch zu Zeiten Esras lebten, und „sheyare knesset ha-gedola“ für die drei letzten Generationen bis Shim‛on ben Ḥonio II., nach dem, wie gesagt, die Abfolge der Soferim aufhörte und die Epoche der 195 shone | ha-Ha lakhot [ Tannaiten ] begann. Und deswegen – außer dem, was wir bereits in der erwähnten Pforte über ihre guten Taten angedeutet haben – müssen wir hier auch untersuchen, wie weit unsere Erinnerung reicht, um ihre Taten, die sie insbesondere im Hinblick auf die Erk lärung der Tora unternahmen, zu rekonstruieren. Unsere Absicht ist dabei eine Definition des Charakters und des Umfangs ihrer miṣwot, um die wahre Tradition und das Gedächtnis a ll ihrer Teilbereiche zu ermitteln, ohne dabei den A nspruch zu erheben, auf einen Sch lag a lle Früchte auf diesem bis heute kaum beackerten Wissensfeld ernten zu können. Und wir gehen von der Voraussetzung aus, dass kein einziges Gebot der Tora sich aufgrund oberf läch licher Lesung von selbst erk lärt (warum man auch von den „Worten der Tora“ spricht), sondern dass [ jedes der Gebote ] stets einer gewissen Erk lärung und Eingrenzung bedarf. Doch die Soferim erläuterten und erk lärten sie in jener erwähnten Epoche von ca. zweihundert Jahren entsprechend ihrer Überlieferung, nach der sie nahe der Zeit der Propheten wirkten, und entsprechend der Tiefe und des Umfangs

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ihres Wissens über die Sprache, da sie nicht lange nach der Zeit wirkten, zu der die Sprache der Tora noch gesprochene Sprache des Vol kes war, und wie es auch in der Mishna Avot (1,1) heißt : „Und die Propheten übergaben sie den Männern der Großen Versammlung“. Doch unsere Weisen bezeichneten jene Kommentare und Bestimmungen, die ihnen übergeben wurden und aus jener Zeit stammten, mit dem übergreifenden Namen „divre Soferim“. Und ebenso jede Begrenzung, jeden Zaun und jede Verordnung und tora-gemäße Unterweisung, a lles, was durch die Tora-Kundigen in jener erwähnten Zeit gemacht wurde, bevor die shone ha- Ha lakhot [ ihre A rbeit ] begannen, und auch jene wurden durch unsere Weisen „divre Soferim“ genannt. Entsprechend unserer Methodik lernen wir daraus, dass dies der ä lteste Teil in jenen a llgemeinen Regeln ist, der bei uns unter der Bezeichnung Tora she-be-‛a l pe zusammengefasst wird.

Und gemäß unserer Verfahrensweise, die uns zur Kürze zwingt, bringen wir hier lediglich einige Belege aus den Worten der Weisen, aus den logischen Entscheidungen und den Erk lärungen, in denen der nachforschende Verständige ohne Zweifel selbst finden kann, was wir darlegen wollen, näm lich dass sich die Bezeichnung Soferim in der Münd lichen Tora auf die Reihe jener Weisen bezieht, die zwischen Esra und Shim‛on ha-Ṣaddiq, dem ersten der Weisen der Mishna, wirkten, und worüber der [ von ] ihnen [ t radierte ] Ausspruch Zeugnis ablegt (bQid 30a) : „Daher werden die A lten Soferim genannt, wei l sie a lle Buchstaben der Tora zäh lten; das waw im Worte ‫ גחון‬ist die Hä lfte der Worte“ usw. Und es wird durch den Ta lmud und die Midrashim bezeugt, dass Esra und seine Mannschaft die ersten Masoreten waren, und daher wurden sie auch die ersten Soferim genannt im Unterschied zu jenen shone ha-Ha lakhot, die nach ihnen kamen. Wie wir bereits sagten, sie haben die Tora ausgelegt, die miṣwot festgesetzt und das Wesentliche an ihnen defi niert. A ll dies taten sie im Rahmen ihrer öffentlichen Verlesung an den Shabbatot und an den Feiertagen. Außerdem unternahmen sie dies noch an den gewöhn lichen Wochentagen in den von ihnen gegründeten Versamm lungshäusern. Und darauf

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beziehen sich die Verse im Buche Esra, die wir angeführt haben, sowoh l in der zehnten Pforte a ls auch in dieser. Der Beleg dafür, dass sich unsere Weisen mit dem Ausdruck „divre Soferim“ in der Regel auf die Kommentare der schrift lichen Gebote und irgendwelche Definitionen ihrer Geltung bezogen, im Unterschied zu einem gewöhn lichen Schriftvers, ist aus der verbreiteten rabbinischen Ausdrucksweise abzu leiten : „Worte, die hauptsäch lich auf der Tora basieren, sind den Worten der Soferim verwandt“ (bSan 7a; ySan 11,4 [ 11,6(4)])1, oder negativ formu liert : „eine Entweihte, von der die Tora spricht und nicht die Worte der Soferim“ (bQid 77a). Und man sagte außerdem : „Worte, die hauptsäch lich auf der Tora basieren, sind den Einschätzungen der Soferim verwandt“ (tMiq 5,4 [ 657]). Und auch der Kontext selbst, an dem dieser Spruch angeführt wird, weist darauf hin, und im Folgenden werden wir weitere Belege dafür anführen. Vor diesem Hintergrund aber verstehen wir die Tatsache, dass man nie den Ausdruck „Ha lakhot Soferim“ fi ndet. Denn man erarbeitete und legte sie nicht nach feststehenden Formu lierungen fest. Vielmehr sprachen sie, wenn sie [ die Tora ] öffentlich verlasen und die Schü ler unterrichteten, mit ihren Worten und legten aufgrund ihrer eigenen Kommentare aus. Ebenso versahen sie die Tora bei ihrem Schreiben mit Lesehilfszeichen (und dies werden wir im Folgenden noch näher erläutern). Und wir werden den Grund besser verstehen, woher es kommt, dass nahezu a lle Kommentare der Soferim zu den miṣwot sowie fast a lle ihre Verordnungen bei den Weisen, die nach ihnen kamen, nicht gelehrt wurden, auch nicht in den Mishnayot, die aus jenen besonderen Ha lakhot entstanden. Es findet sich von ihnen in der Mishna nur sehr wenig und wenn, dann nur bei läufig etwas, meist nur, um irgendeine Ha lakha her196 vorzuheben. Zum Beispiel : | Die Ha lakha möchte die Zeit für das Shema‛-Rezitieren festsetzen, doch erwähnt sie zuvor überhaupt keine Verpf lichtung zu seinem Rezitieren an sich, und dies woh l desha lb, weil sie sich einfach auf den bekannten Kommentar der Soferim zu dem Bibelvers wenn du dich hinlegst, und wenn du auf1  S o

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stehst (Dtn 6,7) bezieht. Ebenso erwähnt sie nicht die Verpf lichtung, Matzen zu essen, wie sie auch viele andere grund legende Gebote, die in der Tora erwähnt werden, nicht erwähnt. So führt sie auch nicht aus, welche Abschnitte im Shema‛ gelesen werden sollen, obwoh l dies selbst in der Bibel bei oberf läch licher Betrachtung nicht erläutert ist; a lles erfolgt a lso nur entsprechend der verbreiteten Auffassung der Soferim. Wie man zu sagen pf legte : „Worauf bezieht sich der Tannait, dass er lehrt : von wann an ? “ usw. „Der Tannait bezieht sich auf den Schriftvers“ (bBer 2a). Ebenso übernahm die Ha lakha in Bezug auf den Ausgang des Shabbat die Ausdrucksweise der Bibel : Niemand gehe von seiner Stelle (Ex 16,29), und sie [ sc. die Ha lakha ] stützte sich dabei auf die Erläuterung der Soferim, a ls wäre sie gut bekannt. Des Weiteren wird in der Halakha auch nicht erläutert, dass mit „eṣ hadar“ die Etrog-Frucht gemeint ist; ebenso wird nicht erwähnt, was mit Tefillin gemeint ist oder welche und wie viele Bibeltexte [ d ie Kapsel n ] entha lten sollen. Und dies a lles nur, wei l dies auf die Erk lärungen der Soferim zurückgeht, die [ solche Dinge ] bereits seit Vorzeiten wussten und in der Tora bewandert waren. Ebenso bestimmt die Ha lakha : „Mit was man anzünden und mit was man [ a n einem Shabbat ] nicht anzünden darf“ (mShab 2,1), ohne dass sie erwähnte, dass man überhaupt etwas anzünden muss. Ebenso bestimmt sie die Zeit für das Lesen der Megilla, doch erwähnt sie nicht, dass man zum Lesen verpf lichtet ist. Und in der Mishna wird mit keinem Wort erwähnt, dass man an Ḥanukka verpf lichtet ist, ein Licht anzuzünden, da es darüber keine Bestimmung in der Ha lakha gibt. Dies bezieht sich genau auf jene Verordnungen der Soferim, und wir dürfen zweifellos annehmen, dass sie [ von a lters her ] bekannt waren und dass sich die Ha lakha auf sie stützen konnte, wenn sie neue Beschränkungen und neue Einzelbestimmungen fest legen wollte – etwas, was noch nicht in den Kommentaren und Verordnungen der Soferim aufgenommen worden war. Und [ auch ] dies ist ein bedeutender Beleg dafür, dass den Soferim Kommentare und Verordnungen vorangegangen waren. – Von daher ist aber abzuleiten, dass in den divre Soferim zwei Hauptformen von Texten entha lten sind : erstens die Kommentare; und zweitens die Fest-

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legungen und Verordnungen. Innerha lb der Kommentare gibt es folgende Unterteilung :

1. „Worte der Tora“ [ d ivre Tora ], d. h. das, was man auf den ersten Blick einer Schriftstelle entnehmen kann. Doch ist es möglich, dass Zweifel in Bezug auf ihre Anweisung aufkommen, was auch den eigent lichen Sinn einer miṣwa betreffen kann, und vielleicht soll es so sein, dass man aufgrund dieser Stellen zu keiner Synthese und Festlegung gelangt. 2. „Worte der Soferim“ [ d ivre Soferim ] : dies meint durch die Soferim Geschriebenes, ihrer Auslegung und Definition folgend, gemäß der von den Vätern vermittelten Tradition aufgrund der ihnen vermittelten großen Sprachkenntnis und Autorität, wie es in dem besonderen Bibelabschnitt heißt : Wenn dir eine Sache unbekannt ist für den Rechtsspruch usw. (Dtn 17,8), und begib dich zu den Priestern und Leviten oder zu dem Richter, der in den selbigen Tagen sein wird usw. (Dtn 17,9). Und tue gemäß dem Ausspruch, den sie dir künden werden … gemäß der Weisung, die sie dir geben (Dtn 17,10 – 11). Und siehe, was sie sagten : „ Es heißt : und ferner, mein Sohn, sei behutsam; des vielen Büchermachens ist kein Ende ? (Koh 12,12) Mein Sohn, gehe mit den Worten der Soferim behutsamer um a ls mit den Worten der Tora; in der Tora gibt es Ge- und Verbote, wer aber die Worte der Schriftkundigen übertritt, verdient den Tod. Wenn du einwendest : Wesha lb wurden sie, wenn sie von solcher Bedeutung sind, nicht niedergeschrieben ? [ so heißt es ] : des vielen Büchermachens ist kein Ende (ebd.)“ (bEr 21b). Du wirst sofort einwenden, dass sich dies auf die Kommentare und Definitionen der Soferim im Hinblick auf [ die ] Gebote bezieht. Denn nur auf sie und nicht auf die Festlegungen, Erlasse und Verordnungen der Soferim triff t die Frage zu : Wesha lb wurden sie nicht in der Tora in a ller K larheit und Präzision aufgeschrieben ? Doch bedenke auch, dass die A ntwort des vielen Büchermachens ist kein Ende (ebd.) eigentlich nur eine Zusammenfassung der Worte ist, die zu Beginn dieser Pforte stehen. Und daher heißt es auch in der Mishna : „Die Auf lehnung gegen die Worte der Soferim ist eine schwerere Sünde a ls die gegen die Worte

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der Tora“ (mSan 11,3), was sich auf den Zaun aus den Worten der Soferim bezieht, so wie man es dort ausdrück lich erk lärt hat.

Und die zweite A ngelegenheit bezüg lich der divre Soferim betriff t die Beschränkungen, Erlasse und Verordnungen, die die Soferim in jene Generationen einführten, bevor die Ha lakhot [ durch Tannaiten ] gelehrt wurden, wie es in dem Spruch heißt, den sie zu lehren pf legten : „Und sie machten einen Zaun um die Tora“ (m Av 1,1). Man führte a ls eine Begrenzung der Autorität, die jedem Gerichtshof in Israel gegeben ist, ein. Doch die Verpf lichtung, diese zu akzeptieren, leitet sich aus eben jenem erwähnten speziellen Abschnitt [ der Tora ] ab : Nicht weiche von dem Ausspruche, den sie dir künden, rechts noch links (Dtn 17,11). Ebenso aus dem Schriftvers : Frage deinen Vater, und er wird es dir erzählen, deine Ältesten, dass sie dir künden (Dtn 32,7). Und die beiden unterschied lichen Teile sind : | 1. Miṣwot ha-Tora oder „Gebote der Tora“, in Aramäisch : de-oraita. 2. „Worte der Soferim“ [ d ivre Soferim ], „Gebote der Ä ltesten“ [ miṣwot ha-zeqenim ], und dies ist die Bezeichnung (die übrigens auch im Ta l mud an einigen Stellen vorkommt) wie auch „Tradition der Ä ltesten“ [ masoret ha-zeqenim ], die auch von Yosef, dem Priester [ Josephus ], erwähnt wird1, wie auch in einigen anderen a lten Schriften, die auf Griechisch verfasst worden sind und sich mit diesen A ngelegenheiten befassen.

Entsprechend unserer Methode lernen wir hieraus, dass a lle Kommentare und Festlegungen, die die Soferim auf ha lakhischem Gebiet schufen, nur der Präzisierung des Gesetzes dienten, dem wörtlichen Verständnis der Tora, denn so ist die Intention der Schrift zu verstehen. Und auch darauf gibt die erwähnte Mishna einen Hinweis : „Die Auf lehnung gegen die Worte der Soferim ist eine schwerere Sünde a ls die gegen die Worte der Tora. Wer sagt, es gäbe keine Tefillin-Pf licht, um damit die Vorschriften der Tora zu 1 Vg l.

Bell. I 5, 108.209.649-653; II 10, 192; u. ö.

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übertreten, ist nicht strafbar; wer sagt, es sollten fünf Gehäuse [ in den Tefillin-Kapseln ] sein, um so etwas zu den Worten der Soferim hinzuzufügen, ist schu ldig“ (mSan 11,3). Der Gegensatz hier erk lärt sich von selbst, denn das A n legen von Tefillin wird in der Tora überhaupt nicht erk lärt, doch die Schriftabschnitte sind vier, und welche es sind, dies geht auf eine Interpretation und Festlegung der Soferim zurück. Aber erst im Nachhinein erk lärte man es so, dass es mit der Schrift übereinstimmt; sowoh l das A n legen, der Inha lt der Abschnitte und ihre Anordnung, a lles entsprechend [ einer Festlegung durch die ] Tora. Ebenso heißt es daher in der Tosefta Miqwa’ot (worauf sich der Rav [ Moshe ben Maimon ] in seinem Kommentar zur Mishna Kelim 17,12 [ 70 f. ] stützt) : „Jede Sache, deren Verunreinigungsfähigkeit aus der Tora [ abgeleitet werden kann ], deren [ verunreinigungsfähiges ] Mindestmaß aber aus den Worten der Soferim, [ gi lt ] im Fa lle von Zweifeln [ a n diesen Festlegungen ] a ls unrein“ (tMiq 5,4 [ 657]). Der Grund dafür ist meiner Meinung nach k lar, denn „Maße“ und insbesondere das „dem Heiligen“ Geweihte ist auf logische Festlegung zurückzuführen, mithin auf die Erk lärung der Soferim, die meinten sich auf die Tora zu stützten, sodass „Zweifel “ im Sinne der Tora a ls Erschwerung auszu legen ist. Und anscheinend ist dies auch die Auffassung des Rav [ Moshe ben Maimon ] zu dem erwähnten Abschnitt. Und wisse außerdem, dass viele Streitigkeiten, die in späterer Zeit aufkommen, in der Mitte der Zeit der Tannaiten, der shone ha-Ha lakhot, nur daran hängen, ob das Verhandelte auf eine Auslegung der Soferim oder nur auf ihre Erlasse zurückgeht. Ein Beispiel dafür bietet eine Mishna in der Torat Kohanim [ Sifra ], Parasha Shemini [ 8,4 (55a)] : „Jede Flüssigkeit, welche in irgendein Gefäß gegossen wird, kann verunreinigen; dies lehrt, dass Flüssigkeiten (jedes) Gefäß verunreinigen können; Worte des Rabbi Yehuda. Rabbi Yose sagt, dass die Verunreinigung von Gefäßen durch Flüssigkeiten nicht auf die Tora zurückgeht, sondern auf die Worte der Soferim.“ Und es werden dort weitere Beispiele dafür angeführt, dass die Unreinheit gemäß der Tora nicht auf diese Weise übertragen werden kann (und forsche darüber nach, auch in den Kommentaren, doch hier können wir uns nicht lange damit aufha lten).

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Und des Weiteren sagt dort Rabbi Eliʽezer : „ Auf keinen Fa ll wird durch Flüssigkeiten – nach der Tora – Unreinheit übertragen.“ Und verstehe, dass die Rabbinen überhaupt nicht darüber stritten, was die Soferim überlieferten, sondern nur, ob sie es aufgrund der Auslegung einer Bibelstelle oder aufgrund ihrer eigenen Verordnung besch lossen. Wir haben bereits gesagt, dass die Kommentare der Soferim in den Ha lakhot nur manchma l und dann nur sehr kurz erwähnt werden, wie z. B. die Ordnung der Teqi‛ot dreima l drei (bRHSh 33), doch dies geht auf eine Erläuterung der Soferim zurück. Und in Sifre (Be-haʽa lotekha 73 [ 69]) heißt es : „Drei Blasstöße wurden für Rosh ha-Shana festgelegt, Shabbaton, Zikkaron und Terua‛, [ wie es heißt ] : Und lass Terua‛-Schall Schall ergehen (Lev 25,9); ein Tag des Terua‛ sei er euch (Num 29,1); zwei Ma l aufgrund von Worten der Tora und ein Ma l aufgrund von Worten der Soferim : Shabbaton, Zikkaron und Terua‛ (Lev 23,24), und : lass Terua‛-Schall ergehen (Lev 25,9) – aufgrund von Worten der Tora; ein Tag des Terua‛ sei er euch (Num 29,1) – aufgrund von Worten der Soferim, und dies ist an und für sich nötig.“ Doch nach unserer Methode bedeutet dies einfach, dass man aus dem Buch Ezechiel ableitete, Rosh ha-Shana läge im Yovel-Jahr im zehnten Monat (Ez 8). Daher sagte man, dass, weil das Wort Rosh ha-Shana dreima l zusammen mit dem Wort Terua‛ erwähnt wird, es auf die Soferim zurückgeht, die damit auf die Pf licht hindeuten wollten, dass man an Rosh ha-Shana drei Teru‛ot-Posaunenstöße abgeben müsse. Doch die Meinungsverschiedenheiten diesbezüg lich bestehen nur unter den Rabbinen, denn ohne die Erläuterung der Soferim würden sie sagen, dass in jenem Festtagsbibelabschnitt, der von Rosh ha-Shana handelt, nur von einer Terua‛ die Rede ist, zusammen mit jenen, die in dem Bibelabschnitt von den Opfern erwähnt werden; die für das YovelJahr erwähnte, wäre dann die zweite Terua‛ (obgleich diese Terua‛ nicht nur eine Terua‛ „zur Erinnerung vor dem Herrn“ sein soll, sondern auch die Befreiung von Sk laven signa lisiert). Oder, wenn wir annähmen, dass man hier nur eine Terua‛ meinte, hätten dann die Soferim entdeckt, dass man jede für sich selbst vornehmen müsse ? Doch ist mir auch nicht entgangen, dass in der Gemara (bRHSh 34a) eine andere Rezension der Baraita zu fi nden ist a ls die,

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die ich nach Sifre bzw. Ya lquṭ zitiert habe.1 Dort heißt es näm lich : „RaShba’’G2 sagte im Namen des Rabbi Yoḥanan“ usw. Und du sollst 198 Shofar-Schall vorüberziehen lassen, | deutet auf das Gebot der Tora; [ während der Vers : ] Shabbaton, Zikkaron und Terua‛ (Lev 23,24), und [ der Vers ] lass Terua‛-Schall ergehen (Lev 25,9) an und für sich, [ d. h. für den Voll zug des Gebotes ] nötig ist [ we-le-ta l mudo hu ba ]ˮ3 (bRHSh 34a) (eigent l ich ist a lso nur der Vers notwendig, der hinsichtlich der Durchführung des biblischen Gebotes gegeben worden ist, a ls Begründung für die Verpf lichtung zur Terua‛ an Rosh ha-Shana). Doch wie wir hier den Ausdruck „we-le-ta l mudo hu ba“ in Bezug auf das Wirken der Soferim interpretieren, ist nicht voll kommen abwegig, es fi nden sich viel mehr weitere Beispiele dafür.

Ebenso sagt man in der Mishna (mOrl 3,9) : „Neue Frucht ist nach der Tora übera ll verboten; die eben erwähnte Verordnung wegen der Ha lakha [ vom Sinai ] und die bezüg lich K il ʼayim aufgrund der Worte der Soferim.“ – Denn in Bezug auf neue Frucht heißt es ausdrück lich : Und Brot und geröstete Körner und frische Ähren dürft ihr nicht essen usw. (Lev 23,14). Eine ewige Satzung für eure Geschlechter in all eueren Wohnsitzen (Lev 3,17). Und auch ohne eine Erk lärung der Soferim handelt es sich um einen Brauch, der außerha lb des Landes gepf legt wurde. Doch von der Vorhaut heißt es : Und so ihr in das Land kommt usw. [ und irgendeinen Baum essbarer Frucht pf lanzet ] (Lev 19,23), und dies entspricht schon seit langem [ d. h. seit dem Einzug in das Land Israel ] der Ha lakha, doch war man darüber in der Gemara unterschied licher Meinung (bQid 38b), für welche Zeit genau [ das Gebot ] gü ltig war. Ebenso das K il ʼayim- Gebot – fa lls es sich [ nur ] auf das Pf lanzen eines Baumes bezieht, so geht es auf eine Erk lärung der Soferim zurück, die die Bibel sehr wörtlich auslegten, und dies ähnelt sehr dem, was geschrieben steht : Dein 1 Vg l.

Ya lq Be-haʽa lotekha 10 § 724 (237d). Vgl. zu den Varianten die A nmerkung in H. S. Horovitz (Hg.), Sifre de-ve Rav. Sifre ʽal Sefer Be-midbar we-Sifre zuṭa ʽim ḥillufe girsa’ot we-heʽarot, Leipzig 1917, 69. 2 I n der Edition Wi l na steht hier „ R abbi Shemu’el ben Naḥmani“. 3 K rochma l paraphrasiert den Ta l mud-Text.

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Vieh sollst du nicht belegen lassen in zweierlei Gattungen (Lev 19,19) – und demnach meint a lso der Ausspruch : „Und das Kil ʼayim-Verbot stammt von der Soferim“ (bQid 38b) – die Soferim haben ein Diktum der Tora ausgelegt, so wie es dort ebenso in Bezug auf das Pf lanzen heißt : „Man macht sich nicht der Prügelstrafe schu ldig wegen K il ʼayim – Worte der Tora. Doch wenn sich die Mishna auf die Vermischung von einem Weinberg [ mit Grünkraut ] bezieht, so stammt dies von den Soferim, d. h. es geht auf einen Erlass der Soferim zurück, und siehe ebenda in dem genannten Ta l mudAbschnitt. Und aus diesen Worten kannst du außerdem ersehen, dass es einen großen Unterschied hinsicht lich der Kommentare der Soferim und dem Midrash Miqra [ einem Midrash basierend auf Auslegung der Schrift ] gibt, auf dem der größte Teil der Ha lakha aufbaut; ebenso in Bezug auf die asmakhta [ A n lehnung ], auf die wir im Folgenden, so es der Herr will, noch eingehen werden. Doch zuerst ist es wichtig, darauf einzugehen, wie es den Soferim gelang, ihre Kommentare und Begrenzungen, die sie auf die Gebote anzuwenden pf legten, unter der Bevöl kerung zu verbreiten und zu festigen, und zwar nicht nur durch Studium und Lehre während der Verlesung [ der Tora ], sondern auch schon während des Niederschreibens der Tora entsprechend der Bestimmung ihrer Aufgabe. Dies geschah durch verschiedene Zeichen, auf unterschied liche Weise, womit sie Verschiedenes andeuten und auf die eigentliche Aussage hinweisen wollten. Und wie sich dieses Unterfangen im Unterschied zu ihren früheren ausweitete, selbst noch in späterer Zeit, was sogar soweit ging, dass es den Status der erwähnten asmakhta erhielt. Hier ein Beispiel für die simane haSoferim, die zweifellos auf ihre Auslegung und ihre Bestimmung des Gesetzes zurückgehen : Es steht in der Tora : [ Missfällt sie den Augen ihres Herrn, ] der sie sich bestimmt hatte, [ so muss er ihr zum Loskauf verhelfen ] (Ex 21,8), und sie ordneten an, es mit waw zu lesen, und stützten darauf das matri lineare Abstammungsprinzip. Und ebenso überlieferten sie in Bezug auf den Vers : „Was [ keine ] Gelenke hat [ oberhalb der Hinterbeine … dürft ihr essen ] (Lev 11,21) – auch wenn es jetzt keine hat, später aber solche bekommt“ (bHu l 65a);

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gleichsam in Bezug auf den Vers : „Die keine1 Mauer hat (Lev 25,30) – auch wenn sie jetzt keine mehr hat, so hatte sie dennoch zuvor eine“ (bA rakh 32b). Und an diesen drei Beispielen wird k lar, dass die richtige Lesart mit waw ist, denn ohne wären sie voll kommen unverständ l ich. Doch deswegen verl ießen sie sich auf den verständigen Leser und schrieben [ d ie Wörter ] dennoch mit a lef, um auf diese Weise auf die erwähnten Gebote hinzuweisen. Der Grund für diese A rt der A ndeutung ist indes offensichtlich und bedarf keiner Erk lärung. Ein anderes Beispiel findet sich in dem Abschnitt : Und so ihr es versehet und nicht tut all diese Gebote, die der Herr zu Mose geredet (Num 15,222). Es steht : ‫לחטת‬, und die Rabbinen bemerkten [ z u der Schreibweise ohne a lef ] : „[Beim Sündopfer wegen Götzendienstes ] feh lt [ im Worte ] hatat [ Sünde ] das a lef.“ (bHor 13a; bZev 90b). Dies erk lärten sie damit, dass bei den übrigen Sündopfern, die in der Tora erwähnt werden, stets Ganzopfer genannt sind, sodass das Ganzopfer dem Sündopfer stets vorangeht, wie es heißt : und das zweite bereite zum Ganzopfer (Lev 5,10), doch dieses Ganzopfer geht dem Sündopfer voran. Es entspricht dabei voll und ganz unserer Absicht und unserer Meinung, dass jedes öffentliche Ganzopfer verpf lichtend ist, wie auch ein Tamid- Ganzopfer und das Festtagstamidopfer. Oder wer an die Reihe kommt, um ein Erscheinungsganzopfer oder ein mi llu’im- Ganzopfer oder ein Gelübdeopfer darzubringen, a lles zum Geschenk und a ls Zeichen des Ehrerweises vor dem Herrn. Doch wenn damit ein Sündopfer verbunden ist, so muss das Ganzopfer dem Sündopfer stets vorangehen, wie es heißt : „Dem Fürbitter folgt das Geschenk“ (bZev 7b). Und darin ist dieses Opfer anders und spezieller a ls die in Bezug auf das Vol k und die in Bezug auf die Gebote angeordneten Opfer. Die Soferim aber meinten, dass auch diesem Opfer sühnende Wirkung zukommt, und zwar wahrschein lich weil ihnen der Gedanke nahe lag, dass das idea le Ganzopfer dem eigent lichen Vollzug des Opfers vorangehen müsse, und daher meinten sie, dass das Ganz1 Statt 2  I m

‫ לו‬lesen die Soferim ‫לא‬. Text steht irrtüm l ich Num 15,24, was von K rochma l selbst verbes-

sert worden zu sein scheint.

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opfer ruhig auch dem Sündopfer vorangehen dürfe. Darauf wollten sie durch diesen Hinweis [ mittels Schreibweise ] aufmerksam machen. Die Wurzel des Wortes ‫ לחטת‬ist ‫חט‬, was auf einen hebräischen bzw. aramäischen Ursprung hindeutet, wie folgende Ausdrücke : ‫חוט‬, ‫מחט‬, ‫ואושיא יחיטו בעזרא‬. Und die Soferim wiesen durch [ d ie Schreibweise ] des Wortes ‫ לחטת‬darauf hin, dass beide Opfer wie ein einzel nes für die Sühnung erachtet werden. Es finden sich außerdem einige Qere- und Ketiv-Lesungen, auf deren Hintergrund wir hier nicht einzugehen brauchen, denn sie entsprechen dieser Methode, d. h. sie verweisen auf den Kommentar und auf Einzelheiten der Gebote. Ein Beispiel für Zeichen | anderer A rt sind diejenigen, die auf 199 Feh lendes oder Hinzugefügtes hinweisen [ ha-ḥaser we-ha-ma le ], und wir müssen auch diese erläutern. Der Einsichtige wird wissen, dass in jeder profanen Schriftsprache Buchstaben beim Schreiben hinzugefügt werden, um durch sie einen Bedeutungswandel oder eine Veränderung des Genus oder des Numerus anzudeuten. Ohne sie wäre es nicht mög lich, eine Unterscheidung zu treffen, wie es etwa in der gesprochenen Sprache möglich ist. Dies geschah auch, weil zu Beginn der Schreibertätigkeit die Lautausbi ldungen, die Betonung und die Aussprache noch nicht festgelegt waren. Es gab auch noch keine Voka lisationszeichen wie in anderen Sprachen des Orients oder matres lectionis wie in europäischen Sprachen. Daher fügte man stumme Voka lbuchstaben hinzu, doch auch diese setzte man anfangs nur sehr spärlich ein und wenn, dann nur in Wörtern, die ungewöhn lich waren, um auf diese Weise Feh ler zu vermeiden. Erst mit der Zeit und entsprechend den Schreibergewohnheiten kam eins nach dem anderen hinzu. Zum Beispiel kam zu dem Wort ‫ [ איש‬ish; Mann ] das yud hinzu, um damit auf den Unterschied zu dem Wort ‫ [ אש‬esh; Feuer ] aufmerksam zu machen, ein Unterschied, der sofort beim Aussprechen vernehm lich wird. Dem Wort ‫ [ אשה‬isha; „Frau“ ] wurde ein stummes heh hinzugefügt, um somit auf den Genusunterschied hinzuweisen, auch wenn es sich dadurch nicht von dem Wort ‫ [ אשה‬isa; „Feueropfer“ ] unterschied und somit die Erkenntnislast auf dem verständigen Leser verblieb. In dem Wort ‫ [ בניו‬seine Söhne ] wurde ein yud eingefügt, um somit

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auf die Plura lform hinzuweisen. Dem profanen Schreiber aber ist es freigestellt, einen Buchstaben hinzuzufügen oder auszustreichen, nach mehr oder weniger eigenem Verständnis und gemäß Einsicht seiner Leser. Doch dies ga lt vor a llem in frühen Zeiten, a ls Bücher noch nicht so verbreitet waren und noch keine einheit liche Orthographie festgelegt worden war; und dama ls unterlag die Schreibweise noch sehr zeitbedingten Veränderungen, was dem Verständigen a llerdings längst bekannt sein dürfte. Beim Schreiben unserer Heiligen Schrift jedoch, insbesondere beim S ch reiben der Tora des H er r n – das leuchtet jedem Verständigen und Einsichtigen ebenfa lls ein – gi lt bei uns jede A rt des Schreibens und des Kopierens seit zweitausend Jahren trotz a ller Entdeckungen und Erhebungen, die wir gemacht haben, a ls das Werk des göttlichen Willens und der besonderen Vorsehung, und daher ist vor Ihm, er sei gepriesen, jeder Buchstabe und jedes Zeichen in [ der Tora ] gezäh lt, nummeriert und festgelegt worden. Denn a lles geschieht nach seinem Ratschluss, und entsprechend seiner Vorsehung wird geschrieben und kopiert, so wie es uns von Anfang an überliefert worden ist. Und trotzdem wollen wir hier nicht die in der Zeit des Esra erfolgte Veränderung der Schrift vom Althebräischen zum Assyrischen hin verheh len oder gar leugnen. Dies wird ja bereits im Ta lmud und an verschiedenen anderen Stellen erwähnt, insbesondere auch von dem großen Rabbi Eli῾ ezer ben Ya‛aqov, dessen Lehre rein und k lar war (vgl. bZev 62a) und der etwas von den Qua litäten der frühesten Erzväter besaß. Daher brauchen wir auch nicht die Veränderungen des Ketiv und des Qere leugnen, auch nicht die Verbesserungen und die K rönchen [ auf den Buchstaben ], die von den Soferim eingeführt worden sind, und die erst von den Rabbinen, seligen Gedenkens, bestätigt und a ls Gegenstand des Lernens mit reinstem Herzen übernommen wurden. Ebenso werden wir nicht leugnen, dass Ergänzungen und Zusätze zu der heute bekannten Voka lisierung gemacht wurden, obgleich sie später in den Talmudim und in den Midrashim überhaupt keine Erwähnung mehr fanden. Wir behaupten aber auch nicht, dass diese auf reinen Zufa ll zurückgehen oder dass sie wi ll kürlich erfunden worden wären, g leichwie es den Soferim und einzelnen

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Kopisten in den Sinn gekommen ist, sodass sie sich mit der Zeit auf natürliche Weise in die hei ligen Schriften Lesarten eingesch lichen hätten, wie es etwa bei profanen Büchern geschieht. Freilich muss man anerkennen und akzeptieren, dass a lles, was an jenen Büchern, insbesondere im Hinblick auf die Tora, die uns hier a llein beschäftigt, entsprechend der Entwick lungen und des Verlaufes der langen Zeit vorgenommen werden musste, zu Beginn durch die Propheten und später durch die Männer des hei ligen Geistes mittels Konzentration und Konsens durchgeführt worden ist. Sie a lle waren Anführer der Weisen Israels und ihrer Großen; auf ihnen ruhte mit großer Intensität der Geist, wie bei jeder großen Tat, die die Gründung einer Religion oder einer Nation betriff t. Doch es entscheide der Verstand, und wir werden uns wegen irgendeines hartnäckigen Heuch lers nicht [ von unserer Meinung ] abbringen lassen : Denn hätten die „Visionäre“ [ ṣofi m ] (sie werden in den Worten der Rabbinen, in einem frühen Ausspruch erwähnt [ bMeg 2b ] : „[Die Fina lbuchstaben ] mem, nun, ṣade, pe und kaf haben die ṣofim1 eingeführt.“) und die Soferim (die von den Rabbinen auch mit den Männern der Großen Versamm lung [ a nshe knesset hagedola ] identifiziert werden) nicht für unsere Vorväter und für uns kopiert, redigiert und angeordnet, die hei ligen Schriften wären schon lange zu einem Buch mit sieben Siegeln geworden, sodass sogar die Weisen und Gebildeten nicht mehr in ihnen lesen könnten, sodass sie – Gott behüte – sogar voll kommen vergessen worden wären. Etwas, was das Gegenteil dieses Verses bewirkt hätte : Denn es wird nicht vergessen werden aus dem Munde seines Samens (Dtn 31,21), und weiter : Meine Worte, die ich in deinen Mund gelegt ( Jes 59,21). Diese Formu lierung ist aber auf die Produktion von Büchern zu beziehen – d. h., man wollte andeuten, dass die Tora in ein Gewand aus Pergament und Tinte gek leidet wurde. Nach ihrem Inhalt und Geist wurde sie dabei jedoch überhaupt nicht verändert, | sodass sich in unseren Händen immer noch dieselben Unterweisungen, Gebote, Gesetze und Dokumente, a lso dieselben heiligen Schriften befinist mehrdeutig. Der Ausdruck wird schon bibl isch a ls Bezeichnung für Seher bzw. Propheten verwendet. 1 „ṣofi m“

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den, die Mose am Sinai gegeben worden sind. Und dieses uns beglückende Geschenk kam auf uns durch eine Kette treuer Tradenten, die Gott in seiner unend lichen Weisheit erwäh lt hat. Und auf die tiefere Bedeutung dieses Sachverha ltes verweisen nach dem Verständnis der Einsichtigen, d. h. der Liebhaber des Verstandes und der Beobachter der Tora, folgende Worte der Mishna : „Mose empfing die Tora am Sinai und gab sie an Josua weiter und Josua an die Ältesten und die Ältesten an die Propheten, und die Propheten tradierten sie den Männern der Großen Versamm lung“ (m Av 1,1). Der Glaube aber geht davon aus, dass die gesamte äußere Form einer Tora[-Rolle ] durch Meister und Spezia listen dank der Hilfe des auf ihnen wei lenden göttlichen Geistes angefertigt wird, und dies ist auch, was uns dazu veran lasst, eine Tora-Rolle, die durch einen Schreiber aufgrund eines zusätz lichen oder feh lenden Buchstabens verdorben worden ist, für ungü ltig zu erk lären. Wir wissen z. B. auch, dass die Schreiber, während der hei lige Geist auf ihnen weilte, das Wort ‫ אותם‬neununddreißigma l mit waw schrieben, doch die übrigen Ma le benutzten sie die defektive Schreibweise [ ohne waw ]. Und sie hatten dafür offensichtlich ihre Gründe, die uns nicht immer einsichtig erscheinen, wie man auch anhand der Bibelausgaben, die sie in ihren Versamm lungen lasen, beobachten kann. Wobei die Soferim mittels solcher [ z usätz l icher ] Zeichen eintrugen, dass etwa die Heiligung des Neumondes oder die Festlegung der Feiertage von der Entscheidung eines Gerichtshofes abhing, soba ld näm lich der Gerichtshof verkündet hatte : „mequdash“ [ gehei ligt ] ! Woraufhin a lles anwesende Vol k mit „mequdash, mequdash“ antwortete. Der Hintergrund eines solchen [ versteckten ] Hinweises ist somit offensichtlich. Aber was sollen wir tun, da uns der A llgegenwärtige zwingt, unsere A nnahmen mit Belegen von a llen Seiten zu stützen, um auf diese Weise einen Weg durch das dunk le, enge Ta l der Wahrheit zu finden ? – ein Ta l, welches uns vor dem Absturz in jene beiden gefährlichen Löcher schützt : das Verstocken und das Leugnen a ll dessen, was in unserer Generation bereits a ls anerkannt und a ls von den Gebildeten durch zuverlässige Beweise bewahrheitet gi lt, auch wenn diese Art des Negierens ein angenehmer und vielbegangener

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Weg jener Generation der geistig A rmen ist ? Oder das Profanieren des Heiligen und das Erachten der Tora a ls ein gewöhn liches Buch, deren Schreiber es verdorben und ihm nach ihrem Willen hinzugefügt hätten, bis dass sogar Ibn Ezra, einer unserer bedeutenderen Gelehrten, der Gott stets treu geblieben ist, in dieser Hinsicht auf Grund seiner Methode mehr a ls übertrieben hat.* Doch wollen wir zurückkehren, um uns mit weiteren Beispielen zu befassen, die unsere Darstellung noch k larer und besser begründen. Aus der oben zitierten Mishna erfahren wir etwas darüber, dass die vier Abschnitte in den Tefillin auf die Soferim zurückgehen. Es heißt (bMen 34b) : „totefet, totefet, totafot [ Ex 13,16; Dtn 6,8 und Dtn 11,18 zweima l defektiv geschrieben, singu larisch und einma l plene, plura lisch ] zusammen a lso vier [ woraus entnommen wird, dass die Kopfkapsel der Tefillin aus vier Gehäusen besteht ].“ Und wir hörten, dass die Soferim ein Zeichen hinterl ießen, warum [ d ies so seien soll ], dass man die vier parashiyot entsprechend der Schreibweise der drei Abschnitte ausführe. Nach der Meinung Rashis, sel igen A ngedenkens, soll der Grund für diese Deutung darin zu suchen sein, dass man das Wort ‫ לטטפת‬in dem Vers ‫והיה כי יביאך‬ und im ‫ שמע‬ohne waw nach dem peh geschrieben hat und ebenso, wenn auch im Singu lar, in dem Vers ‫ לטטפות – והיה אם שמוע‬mit waw * Etwa

im Vorwort zu seinem Tora-Kommentar und besonders auch in seinem Kommentar zum Abschnitt Jitro [ E x 18,1 – 20,26 ], wo er auf die sprach l ichen Unterschiede in den Fassungen der Zehn Gebote, die sich im Bundesbuch und im Deuteronomium fi nden, eingeht. Doch aufgrund seiner Worte in dieser A ngelegenheit und auch aufgrund anderer Stellen ist es k lar, dass er sich in ihnen vehement gegen die sophistischen Ausleger, die zu seiner Zeit und in den Generationen kurz vor ihm lebten, richtet, die die Bibel leichtfertig, ohne Sinn erk lärten, wie es die A rt der Kenntnislosen ist, eine eigent l ich gute Sache aufzunehmen und sie durch Scharfsinnigkeit und Übertreibung zu verderben. Und in dieser Hinsicht übertrieb auch Ibn Ezra, indem er die Pf lanze mit dem Unkraut ausmerzte und a lles [ was vor ihm war ] a ls leer und nutz los erachtete, ausgerechnet er, der stets die Traditionswahrer verehrt hat, die sich um die Auslegung der großen Weisen bis hinauf zu Esra bemüht hatten.

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nach dem peh, und demzufolge lehrten sie aufgrund eines Sch lusses von miu’t und rabbim, dass die Kapsel n vier batim entha lten müssten. Doch außer der Tatsache, dass dies gegen unsere Masora steht, findet sich hier kein eindeutiger Hinweis darauf, welche vier parashiyot gemeint sind, zuma l wenn man bedenkt, dass das Wort ‫ טטפת‬in der Tora, auch wenn es mit ḥolem nach dem peh geschrieben wird, nicht so eindeutig a ls Plura l zu identifizieren ist wie in dem Fa ll, wenn es mit waw geschrieben wird. Die Form lässt sich nur a ls Sammelbegriff für einen bestimmten Gegenstand verstehen; doch man muss sie von dem Wort ‫ טוטפת‬unterscheiden, welches nur in dem Mishna-Abschnitt „be-ma isha yoṣa’“ (mShab 6,1) erwähnt wird, welcher sich mit dem noch so eben nütz lichen Gewicht, welches man am Shabbat tragen darf, befasst, und dort handelt es sich voll kommen um eine Singu larform. Und wie die Soferim dort auf ein Gewicht, welches mit einem Sammelbegriff bezeichnet wird, hinweisen wollten, so wollten sie es, dass es [ in den Tefillin ] vier parashiyot in einem aus einem Stück gefertigten Gehäuse aus Leder gebe. Doch wenn man es mit einem waw nach dem peh geschrieben hätte, müsste dies bedeuten, dass es vie le Gehäuse aus Leder geben sollte. Man bedenke dies ! (Siehe auch die Kommentare Rashis und [ Moses Mendelssohns ] Netivot ha-shalom1 zu [ d ieser ] Bibel[stelle ], die beide meine Erk lärung stützen). Des201 wegen aber muss sich sowoh l nach der bekannten Masora, mit der | auch der Rav [ Moshe ben Maimon ] und a lle anderen Autoritäten übereinstimmten, a ls auch nach unserer Meinung der A n lass für diese Deutung der Soferim in dem Satz ‫ והיה כי יביאך‬und in dem Wort ‫לטוטפת‬, mit einem waw nach dem ṭeṭ, gesucht werden. Denn auf diese Weise kann man mittels eines Buchstabens darauf hindeuten, dass es hier um zwei Abschnitte [ in den Tefillin-Texten ] geht, und zwar durch jenen, der dem Wort vorangeht, d. h. der auf das Gebot selbst eingeht und in dem es ausdrück lich heißt : 1 Vg l.

R ashi zu E x 13,16, in Torat Ḥayyim, Sefer Shemot, hg. v. K atzenellenbogen, 158. Siehe auch Mendel ssohn, Sefer Netivot ha-Shalom II, 110; ders., Schriften zum Judentum III, 3 : Pentateuchkommentare in deutscher Übersetzung, hg. v. D. K rochma l nik, übersetzt von R. Wenzel, Moses Mendel ssohn Gesammelte Schriften, Jubi l äumsausgabe, 9.3, Stuttgart 2009, 144 f.

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‫לזכרון בין עיניך‬. Doch ebenso schrieb man ‫ והיה אם שמוע‬und das Wort ‫ לטוטפת‬plene [ d. h. mit waw nach dem ṭeṭ ], um so darauf hinzuweisen, dass mit ihm noch einma l ein Vers mit dem Wort in diesem Buch folgt, und zwar wiederum geschrieben ‫לטטפת בין עיניך‬.

Ebenso erscheint es uns in einer A ndeutung über Mezuzot, die die Rabbinen anzubringen und zu überliefern pf legten (bMen 34a), dass die Soferim im Hinblick auf die beiden Stellen, in denen in Bezug auf das Pesaḥ in Ägypten von Mezuzot die Rede ist, das Wort ‫ מזוזת‬ohne waw schreiben, um so darauf hinzuweisen, dass das Blut zunächst nur an der äußeren Seite der Tür angebracht werden musste, dann jedoch an beiden Pfosten der Tür. Ebenso an den beiden Stellen, in denen im Deuteronomium ‫ [ מזוזות ביתך‬plene geschrieben wird ] (Dtn 6,9; 11,20), um darauf hinzuweisen, dass jede Tür [ mit einer Mezuza versehen werden muss ], dann jedoch nur mit einer Mezuza. Desgleichen findet sich das Wort ‫ מושבותיכם‬in der Tora elfma l, und schon im Ta lmud findet sich eine vollständige sugya zu dieser Wendung, und der Fachmann wird sie kennen, eine sugya, die [ im Traktat ] Qiddushin (Folio 37) steht. Doch wir konzentrieren uns hier nur auf die Methode der Soferim, dieses Wort, so wie wir es in unserer Masora finden, auszudeuten. Sie waren es, die das Wort ‫ משבותיכם‬ohne waw nach dem mem schrieben, und sie wollten damit darauf hinweisen, dass die [ in diesen Versen erwähnten ] Gebote auch an den Grenzen und außerha lb des Landes beobachtet werden sollen, im Land aber auch zu der Zeit, a ls der Tempel nicht mehr stand. Der Hintergrund für diese A ndeutung ist die Ä hnlichkeit zwischen dem masoretischen Wort ‫ משבתיה‬in der Bibel : Es sehen die Feinde, lachen ihres Untergangs [ ‫( ] על משבתי ה‬K lgl 1,7). Doch man beachte, dass an drei Stellen auch die defektive Schreibweise überliefert ist, und zwar in dem Bibelabschnitt Wa-yaqhel : Ihr sollt kein Feuer anzünden in all euren Wohnsitzen [ ‫ ] במשבתיכם‬am Shabbattage (Ex 35,3). Ebenso in der Festlegung der Festzeiten im Zusammenhang mit der Ermahnung zur Darbringung der Erstlinge und auch im Zusammenhang mit dem Versöhnungstag, was im Übrigen mit unserer Auffassung übereinstimmt, dass die Halakha, nach der Erstlinge an jedem [ profanen ] Ort verboten sind, auf ein Gebot der

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Tora zurückgeht. Allerdings heißt es im Zusammenhang mit der Darbringung der beiden Schaubrote am Aṣeret-Fest in dem Abschnitt über die Festzeiten : Aus ihren Wohnsitzen [ ‫ ] ממושבתיכם‬sollt ihr bringen Brote zur Schwingung (Lev 23,17). Ebenso in dem Bibelabschnitt nesakhim : So ihr in das Land eurer Wohnsitze [ ‫] במושבתיכם‬ kommt, das ich euch geben werde (Num 15,2). Doch in dem Abschnitt roṣeaḥ : Eine ewige Satzung für eure Geschlechter in all euren Wohnsitzen [ ‫( ] במושבתיכם‬Lev 3,17), überlieferte man die plene-Schreibweise mit einem waw nach dem mem. Und auch dies stimmt [ mit unserer Meinung überein ], denn jenes waren die drei Gebote, die nur im Lande Israel befolgt wurden, solange der Tempel stand. Die Schwierigkeit besteht im Hinblick auf jene fünf Stellen, an denen das Wort nach unserer Masora in plene-Schreibweise überliefert wird, und zwar in Bezug auf die Frage, ob die darin formu lierten A nordnungen ein praktisch [ u mzusetzendes ] Gebot implizieren und ob sie nach der Zerstörung des Tempels auch außerha lb des Landes beobachtet werden müssen, wie etwa bei dem Gebot des Abschnitts Pesaḥ Miṣraʼim : in all euren Wohnsitzen [ ‫ ] במושבתיכם‬sollt ihr maṣṣot essen (Ex 12,20). [ Ebenso ] an den beiden Stellen in der Priester-Tora [ Levitikus ], an denen vor [ der Vermischung von ] Unsch litt und Blut gewarnt wird : Eine ewige Satzung für eure Geschlechter in all euren Wohnsitzen [ ‫ ]מושבתיכם‬: Alles Unschlitt und alles Blut sollt ihr nicht essen (Lev 3,17); und : und kein Blut sollt ihr essen in all euren Wohnsitzen [ ‫ ] במושבתיכם‬, es sei vom Vogel oder Vieh (Lev 7,26). Und am Shabbat des Wochenabschnitts Ha-mo‛adim : Shabbat ist dem Ewigen in all euren Wohnsitzen (Lev 23,3). Desgleichen in der Bibel in dem Abschnitt über die Heiligung des Aṣeret-Festes : eine ewige Satzung in all euren Wohnsitzen [ ‫ ] במושבתיכם‬bei euren Geschlechtern (Lev 23,21). Unserer Methode nach könnte man aber in a ll diesen Stellen einen Hinweis für die Begründungen fi nden. So etwa in der Vermahnung bezüglich des Essens von Unsch litt und Blut, die sich in der Priester-Tora findet, nach der es ihnen noch nicht erlaubt war, „Fleisch des Gelüstes“1 zu essen, sondern nur Fleisch von Heilsopfern, wel1 Das

heißt Fleisch solcher Tiere, die privat (nicht im Tempel a ls Opfer) gesch lachtet wurden, was erst nach Einzug in das Land Israel gestattet worden ist (vg l. Dtn 12,20).

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che im Zeltheiligtum dargebracht wurden, wie es in dem Bibelabschnitt beschrieben ist. Deswegen brauchten die Soferim darauf an dieser Stelle nicht ausdrück lich hinzuweisen; sie vermieden es anscheinend sogar, um nicht in die Irre zu führen, a ls sei ein Opfer außerha lb [ des Zeltheiligtums ] erlaubt, was stets ein Stolperstein und eine Versuchung für Israel sowoh l zur Zeit des Ersten a ls auch des Zweiten Tempels gewesen sein muss, wie es auch vom Tempel des Onias bekannt ist. Ä hn liches hielten sie auch in Bezug auf das Pesaḥ in Ägypten fest, indem sie nicht darauf hinwiesen, dass die maṣṣa an anderem Ort und zu a llen Zeiten zu verzehren sei, sodass man nicht irrtüm lich annahm, das Pesaḥ sei auch außerha lb des Landes darzubringen, worüber wir sogar eine versteckte Andeutung finden, wenn es heißt, dass man zur Zeit des Zweiten Tempels in Rom einma l ein Pesaḥ- Opfer dargebracht hat (bPes 13a). Deswegen aber, und damit die Minim daran keinen A nlass für K ritik fänden, entschieden sie, das Gebot so wie es ist zu belassen – damit es ein praktisch umzusetzendes Gebot und ein Brauch an jedem Ort und zu jeder Zeit sei, der ihnen a ls Maßstab dienen sollte, wie vor dem babylonischen Exil a ls sie noch unabhängig gewesen waren. Sie stützten sich aber auch auf die Doppelungen in der Tora, ohne es explizit zu erwähnen. In einer Schriftstelle etwa, die auf die Heiligung des Aṣeret-Festes eingeht, steht, dass sie befürchteten, es könne auch zu Irrtümern in Bezug auf die Darbringung der Erstlingsbrote kommen, denn es heißt in diesem Abschnitt : aus euern Wohnsitzen [ ‫ ] במושבתיכם‬sollt ihr bringen (Lev 23,17), und deswegen verließen sie sich woh l auch auf Doppelungen von Geboten, um sie a ls ribbui aufzufassen, was wiederum auf den erwähnten Grundsatz | hindeutet. Doch hinsichtlich des Wochenabschnitts 202 ha-mo‛adim wird uns der Grund nicht k lar, warum sie davon abließen, hier ‫ משבתיכם‬ohne waw zu lesen. Vielleicht taten sie es, wei l es in dieser Hinsicht schon vorher ausdrück lich heißt : Shabbat ist dem Ewigen, keinerlei Arbeit dürft ihr verrichten (Lev 23,3), und möglicherweise stützten sie diesen Satzteil dann auf den nachfolgenden : ein Shabbat des Herrn ist er (ebd.), und bezogen ihn auf das Musaf- Opfer, welches an [ einem Shabbat ] dargebracht werden soll – doch dies ga lt nur im Lande Israel und zu der Zeit, a ls der Tempel stand.

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Es sei hier aber darauf hingewiesen, dass auch das von uns zuletzt Geäußerte nur auf denkbaren Möglichkeiten beruht [ d ie wir für richtig ha lten ], die sich nur um unsere Masora drehen, die manchma l auch von der Gemara kritisiert wird und über die auch die Bücher unterschied licher Meinung sind, insbesondere die Bücher sefardischer und aschkenazischer Gelehrter. Wir wissen aber auch, dass in der sugya in dem Traktat Qiddushin, welches wir erwähnten, kein Wort über den angemerkten Unterschied hinsichtlich der defektiven oder plene-Schreibweise verloren wird. Viel mehr wird dort nur die Verfahrensweise verg l ichen, und man erinnert an einen tannaitischen Disput und an Baraitot, die viele unterschied liche Meinungen kennen, z. B. ob sich das Wort ‫ מושבתיכם‬auf die Zeit nach dem Erbantritt und der Inbesitznahme des Landes bezieht, oder [ zeit- und raum los ] auf jeden Ort, auf dem ihr euch niedergelassen habt. Denn in den Diskussionen der Gemara suchte man die Intention mancher Erwähnungen des Wortes ‫( מושבות‬nicht jedoch a ller) damit zu erk lären, dass die physische Durchführung eines Gebotes an a llen Orten und zu a llen Zeiten gilt. A ll dies ist auch [ mir ]1 nicht entgangen. Doch sollte der Leser bedenken und nicht vergessen, dass unsere Ausführungen keine Grund legung oder Zusammenfassung des Gesetzes sein möchten. Denn wir behandeln hier weder Ha lakhot noch Midrashim, auch nicht die Gemara mit ihren Dezisionen [ memrot ] und Problematisierungen [ hawayot ], sondern nur unseren Standpunkt hinsichtlich der Überlieferung der ersten Soferim und ihrer Intentionen. Doch diesbezüglich meinen wir, dass man unsere Worte in Bezug auf die Einzelfragen eher a ls eine A rt Kommentar des einfachen Schriftsinnes auffassen sollte, wie wir bereits zu Beginn unserer Ausführungen bemerkten. Deswegen, fa lls einigen Lesern unsere Erk lärungen a ls zu simpel erscheinen und sie unsere Überlegungen sogar a ls Hirngespinste erachten, wei l sie von dem üblichen Sprachgebrauch und der verbreiteten Methode, die sie seit ihrer K indheit kennen, abweichen, so sei ihnen dies anheimgeste llt. Aber man möge deswegen den Autor nicht beschu ldigen oder ihn 1  I m

Text steht ‫ממנו‬. K rochma l spricht von sich in der 3. Person.

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mit weitreichenden oder nichtigen Verdächtigungen überziehen, um somit Gutes mit Bösem zu vergelten. Denn unsere ganze Absicht in diesem Buch und besonders in diesem Kapitel sowie den ihm folgenden bestand a llein darin, unseren Weisen, ihrem Ruf und ihrem Gedenken die Ehre zu erweisen, um damit zwischen dem Verstand und den beiden offenbarten Lehren [ der Münd lichen und der Schriftlichen Tora ] einen Ausgleich zu schaffen und den Grund und die Wurzel der Vorurtei le und Behauptungen der Nichtjuden und Verächter unserer Religion, die sich über uns lustig machen, zu beseitigen. Lasst uns nun jedoch zu unseren Überlegungen zurückkehren, die am Ende eben doch durch die Mishna, die Baraitot und durch den gesamten Ta l mud belegt werden können, selbst wenn einige der Einzelbeobachtungen, die wir äußerten und die wir vertraten, auf einen Irrtum unsererseits zurückgehen mögen. Doch wollen wir noch weitere Beispiele für Hinweise auf Gebote der Soferim anführen, die auf Plene- oder Defektivschreibung basieren, für die es viele weitere k lare Belege gibt, die auch im Ta l mud angeführt werden. So z. B. die Schreibweise von ‫( כפת תמרים‬Lev 23,40), woraus sie wegen der defektiven Schreibweise entnahmen, dass man [ a m Laubhüttenfest ] nur einen Lu lav nehmen solle. Oder auch die Ausdeutung bei dem Wort ‫( חדשכם‬in dem Abschnitt haṣoṣrot) [ Num 10,10 ], das defektiv geschrieben ist, um damit auf Rosh haShana und die Pf licht, an ihm Posaunenscha ll erk lingen zu lassen, hinzuweisen. Daraufhin legten es so auch die Rabbinen aus (bRHSh 33 usw.), indem sie das Yovel [-Jahr ] und Rosh ha-Shana miteinander hinsichtlich Terua‛ und Teqia‛ und ähn lichen [ Posaunenscha ll ] verglichen. Darüber hinaus wollen wir hier noch auf ein weiteres Zeichen aufmerksam machen, und zwar das heh fi na l is, wie in dem Wort ‫( הנערה‬in Dtn 22,19), welches im Buch Deuteronomium über die Strafe für denjenigen erwähnt wird, der über eine junge Frau einen bösen Namen ausgesprochen hat. Dies geschah, weil die Soferim damit darauf hinweisen wollten, dass sie das Wort in masku liner und femininer Form gleich beließen (auch in der Bibel geht es ja um die münd liche Ausdrucksweise, die den Unterschied festlegt, wie es bereits oben erläutert wurde). Sie fügten a lso desha lb

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kein sti lles heh hinzu, um so auf den Genuswechsel hinzuweisen. Hierdurch sollte in der gesamten Tora [ der Unterschied ] bereits beim Lesen verdeut l icht werden, wie es besonders häufig auch bei dem Wort ‫ בתולה‬belegt ist. Oder sollte uns irgendein anderer Grund entgangen sein ? Ebenso verfuhr man mit dem Wort ‫הוא‬ [ , das man gelegentlich a ls feminine Form auffasste ], ohne es eindeutig in Bezug auf das Genus zu unterscheiden, außer an elf Stellen, an denen es in der Schreibweise ‫ היא‬mit yud überliefert ist, um so aus einem uns unbekannten Grund auf die feminine Form hinzuweisen. Doch siehe, wei l man ‫ הנערה‬nur ein einziges Ma l plene mit heh am Sch luss geschrieben hat, so geht dies ohne Zweifel auf die Soferim zurück, die damit auf irgendeine Bestimmung hinweisen wollten, etwa dass man keinen großen Unterschied zwischen den jungen Frauen machen solle, es sei denn, dass es sich um eine junge Frau handele, für die man eine Strafe zu zah len verpf lichtet ist. Der Hintergrund für diesen Hinweis ist woh l, dass ein heh am Sch luss eines Substantives in den meisten Fä llen auf einen durch 203 das Genus bedingten Sammelbegriff hindeutet, | wie bei den Wörtern ‫דגה‬, ‫ חטה‬und ‫שעורה‬. Und auch im A rabischen, welches dem Hebräischen sehr ähn lich ist, fi ndet sich das zusätz liche heh sehr oft, und auch hier ist es üblich, mit ihm Sammelbegriffe zu bilden. Daher stammt diese Näherbestimmung folglich sicher aus der Zeit der Soferim, und sie passt gut zu den Einschränkungen bezüg lich untauglicher junger Frauen, die wir aus der Zeit der Ha lakhot und Midrashim kennen. Jene A ndeutungen hinterließen die Soferim nicht nur, um zu unterweisen und um daran zu erinnern, wie sie Gebote auslegten und begrenzten, sondern auch in Bezug auf aggadische A ngelegenheiten und um zu ermahnen und um jedes ihrer Meinung nach wichtige A n liegen einzuschärfen. Ein Beispiel : Es steht ein überf lüssiges yud in dem Wort ‫ [ תיעשה‬Ex 25,13 ], um darauf hinzuweisen, dass die Menora von selbst gemacht wurde.1 Das Feh len des a lef in dem ‫ [ ונטמתם בם‬Lev 11,43 ] soll darauf hinweisen, dass das 1 Vg l.

Bam R 15,4 (65a); Tan shemeni 8 (198a).

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Essen von Verbotenem das Herz durcheinanderbringt [ ‫] מטמטם‬.1 Das großgeschriebene waw in ‫ [ גחון‬Lev 11,42 ] und das gimmel in ‫ [ והת גלח‬Lev 13,33 ] weisen darauf hin, wie viele Buchstaben und Wörter es in der Tora [ bis dahin ] gibt. Das da let in ‫ [ אחד‬Dtn 6,4 ] und das resh in ihr sollt euch vor keinen anderen Göttern [ ‫] לאל אחר‬ niederwerfen (E x 34,14) sind fett geschrieben, damit sie beachtet werden und beim Lesen um Himmels wi llen nicht verwechselt werden; das hängende ʽayin in ‫ [ יכרסמנה חזיר מיע ר‬es benagt ihn das Schwein aus dem Walde ] (Ps 80,14) soll auf eine Streichung hindeuten, sodass nur die Wurzel ‫ רמ״י‬stehenbleibt. Dies soll andeuten, dass der Vers auf die sie bedrängende böse Fremdherrschaft gedeutet wurde. [ Die Fremdherrschaft (der Römer) ] wurde von ihnen durch das Schwein angedeutet, wie wir es auch aus den Midrashim kennen (dieser Hinweis und das, was aus ihm folgt, wurde im Übrigen ohne Zweifel erst durch spätere Soferim vorgenommen a ls diejenigen, mit denen wir uns hier beschäftigen). Das hängende nun in ‫ [ יהונתן בן גרשום בן מ נשה‬R i 18,30 ] steht, damit unvorsichtige Leser nicht aus Versehen die Ehre des Mose mindern.2 A lle diese Stellen, die die Rabbinen a ls die berühmten „tiqqune Soferim“ bezeichnen oder auch a ls die achtzehn „tiqqune mi llin“ (Tanḥuma be-sha llaḥ 16 [ 116a ]), betreffen die Ehre des A llgegenwärtigen, er sei erhaben. Und sie gehen gewiss auf die hier in Frage stehenden früheren Soferim (der knesset ha-gedola) zurück. Mit diesem a llem verhä lt es sich aber genau so, wie es Ibn Ezra gesagt hat, dass „die unmittelbar einsichtigen Kommentare keine Verbesserungen der Soferim benötigen“, womit gemeint ist, dass die meisten dem Einsichtigen k lar und verständ lich sind (obwoh l sich dieser Gelehrte am Ende seines Sefer Ṣaḥut 3 davon abgewandt zu haben scheint). Doch a lles, was sie in dieser A rt von den Soferim seit den Tagen Esras veröffentlichten, und die Zeichen, die sie zur Unterweisung hinter1 Vg l.

bYom 39a (ein ‛a l tiqre-Midrash). dazu bBB 109b. 3 Vg l. Sefer Ṣaḥut me-ha-ḥakham ha-gadol R abbi Avraham be-R abbi Me’ir hasefaradi ha-mekhune ben Ezra, mevu’ar be’er hetev me’et Gavri’el Hirsh Lipmann, Fürth 1827, 2 – 4. 2 Vg l.

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ließen, dies nennt man die diqduqe Soferim (bMeg 19b) im Unterschied zu den diqduqe Tora, welche die Ha lakhisten aufgrund der biblischen Sprache festlegten. Weitere in diesem Zusammenhang genannte Wendungen sind : miqra Soferim, tiqqun Soferim, ʽiṭṭur Soferim, diqduqe Soferim, die wir, fa lls es Gott gefä llt, an anderer Stelle noch genauer erläutern werden. Hier war es nur unsere Absicht zu k lären und darauf hinzuweisen, dass es Kommentare und Bestimmungen der Gebote gibt, die die Soferim in dem erwähnten Zeitraum von Esra bis Shim‛on ha-Ṣaddiq aufstellten, zur A nfangszeit der Ausbildung von Ha lakhot, welche durch diese Kommentare und Definitionen begründet wurden, und zwar abseits des regu lären Tora-Lesens während der synagoga len Verlesung, mittels Zeichen über den Buchstaben und Wörtern, um auf diese Weise die Abschrift und die Formu lierung in den Tora-Rollen auf das Genaueste zu bewahren. Wenn ich nicht davor zurückschreckte, würde ich meinen, dass die Soferim gelegentlich sogar an den Rand der Blätter ihrer Bibelausgaben, die sie für das Vol k anfertigten, gewisse Zeichen in Bezug auf gewisse Kommentare und Auslegungen hinsicht lich a ller möglichen miṣwot angebracht haben. So hat man z. B. in dem Bibelabschnitt ha-‛arayot am Rand notiert, dass sie auf den Worten der Soferim basiert, d. h. auf den Besch lüssen gemäß ihres „ Zaunes“ [ u m die Tora ], wie es dem Satz entspricht : „Und sie bereiteten einen Zaun um die Tora“ (m Av 1,1). Auch finden wir eine Nachricht aus den Tagen des Rav Ashi (bYev 21b), in der auf die Aufzeichnungen hinsichtlich der zweitrangig Inzestuösen des Mar, des Sohnes Ravinas, hingewiesen wird; doch gab es anscheinend unterschiedliche Fassungen dieser Aufzeichnungen, wie aus der A ntwort des Rav Ashi deutlich wird, zuma l Mar seine Bemerkungen nicht selbst niedergeschrieben zu haben scheint. Wie man sich aber in Bezug auf eine ha lakhische A ngelegenheit auf solche Bemerkungen a ls ein bekanntes Mittel verließ, so stützte man sich auch auf schriftliche Notizen, worauf vielleicht auch die Bezeichnung „divre Soferim“ hindeutet, wie es bei den Rabbinen, seligen Gedenkens, heißt : „Diese schreibe nieder, nicht aber darfst du Halakhot niederschreiben“ (bGit 60b), woraufhin man a llein die Ha lakhot nicht schriftlich

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zu fi xieren pf legte. Desha lb aber können wir etwa auch im Hinblick auf Rabbi Me’ir sagen, dass er noch in viel späterer Zeit a ls der hier untersuchten noch a ls ein sofer gelten konnte. Er notierte auf „gilyonot“ irgendwelche Notizen über die Aggada, worüber im Midrash und im Yerusha lmi berichtet wird : „In der Lehre des Rabbi Me’ir fanden wir, dass statt ‫ כתנות עור‬geschrieben steht : ‫;כתנות אור‬ für ‫ טוב מאוד‬steht ‫( טוב מות‬BerR 9,5 [ 70]); für ‫ משא דומה‬steht ‫משא רומי‬ (vgl. yTaan 1,1 [ 3a ]).“ Dabei kam niemandem in den Sinn, Rabbi Me’ir hätte irgendetwas aus eigener Überlegung heraus verändern wollen, sondern nur, dass er es auf dem Rand vermerkte. (Und recht deutlich hat dies ein Weiser im Hinblick auf Rabbi Yishma‘el gesagt, um ihn zu überführen: | „Mein Sohn, sei vorsichtig bei dei- 204 ner A rbeit“ usw. (bEr 13a), damit man sich nicht daran gewöhne, Verbesserungszeichen anzubringen, und man selbst oder die nach einem kommen nicht in die Irre gehen und das Verbesserungszeichen in den Text der Buchrolle aufnehmen.) Doch wie dem auch sei, es gab auf a lle Fä lle nicht nur Zeichenhinweise, vielleicht so wie die Hinweise und kurzen Zeichen, die sie in der Masora, ihrem ersten Werk, anbrachten; zwar waren diese nicht ausformu liert, damit ihre Worte nicht etwa durch die Festleger der Ha lakhot erwähnt würden, wofür wir a llerdings auch keinen Hinweis finden. Doch über die Qua lität und den Inha lt der Gesetzeserläuterungen der Soferim, soweit sie uns aus den Ha lakhot der Mishna bekannt sind, werden wir noch in einem eigenen Kapitel über die A nfänge der Bibelauslegung, welche auch die Wege des Pa RDe’’S genannt wurden, gesondert sprechen. Hier soll uns genügen zu sagen, dass sie, so kurz sie nach den Propheten lebten und daher das Ihre von ihnen erhielten, so früh waren sie Gebildete der Sprache, und sie lebten nicht lange nach der Zeit, da die Tora im Munde des gesamten Vol kes zu finden war und sie a lle im Lande Israel lebten, die Bräuche und die Sitten aber noch sehr den früheren Generationen ähnelten. A ll dies weist darauf hin und bezeugt, dass ihre Erläuterungen und Definitionen der Gebote zutreffend, gut und von Nutzen für die A llgemeinheit und für den Einzel nen waren.

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Nach der Generation der Soferim beginnt die Generation der shone Ha lakhot [ d. h. Tannaiten ] mit Shim‛on ben Ḥonio II., dem Hohepriester, um das Jahr 100 der griechischen Königsherrschaft, 280 Jahre vor der Zerstörung des Tempels. Nachdem das Werk der Präzisierung und der Defi nition der Gebote und Gesetze durch die Soferim abgesch lossen war, begann ihre Ausführung und Definition im Hinblick auf eine praktikable A nwendung, wie etwa für die Tefillin, das Lesen des Shema‛ oder das [ Achtzehn-]Gebet, den Shabbat und die Festzeiten, die Opfer, das Shofar, die Begrenzung der wichtigeren Lektionen über das Verbotene und das Verwarnte sowie das Unreine, und ebenso die Gebote, die den zwischenmensch lichen Bereich betrafen. Diese Epoche begann in der Zeit des Shim‛on und des A ntigonos, in guten Zeiten a lso, nachdem sie von den Ptolemäern unter die Herrschaft des A ntiochus des Großen gelangt waren, wie wir bereits ausführlich erläutert hatten (Pforte 9), und sich die Beschäftigung und das Durchdenken der Tora entfa lten konnten. Man legte neue Einzeldezisionen und Begrenzungen der Gebote und Tatfä lle fest, solche, die zu Beginn der Betrachtung noch nicht in die Schriften der Tora aufgenommen worden waren, weder in den Kommentar noch in die versteckten Hinweise der Soferim, in ihre Tradition und ihre Lehre. Sie gelangten nun aber durch Untersuchung, Erforschung und logische Sch lussfolgerung sowie durch besondere Methoden der A nwendung der hermeneutischen Regeln zu weiteren Ergebnissen. Und durch dieses Bemühen und durch ihr genaues Forschen in dieser Generation gelang es den Weisen, viele Gebote neu zu fassen und stets etwas Eigenes behutsam hinzuzufügen. Da ihnen jedoch das Studium der Schrift zusammen mit den Zeichen und Kommentaren der Soferim nicht mehr genügte, hielten sie das, was ihnen a ls wichtig erschien, in kurzen Sentenzen fest, um somit ihr Erlernen mittels Wiederholung zu erleichtern. Diese Sätze verfassten sie in einer besonderen Sprache, doch andere auch in der Sprache der Mishna, [ in ] einem späten Dia lekt des rabbinischen Hebräisch. Sehr wenig, insbesondere in Bezug auf die Zeugnisse über die Weisen aus frühen Zeiten, verfassten sie auch in A ramäisch, der Umgangssprache in der

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Zeit des Zweiten Tempels. Diese kurzen Dikta bezeichneten sie a ls Ha lakhot, und sie lehrten und formu lierten sie münd lich und jeder der Weisen und jeder seiner Schü ler auf seine eigene Weise, und zwar nicht nur in ihren Versamm lungshäusern, die zu jener Zeit mit dem neuen Namen Bate ha-Midrash bezeichnet wurden, sondern auch in ihren [ privaten ] Häusern und auf Reisen. Es kam aber so weit, dass so viele Ha lakhot verfasst wurden, dass die Weisen sehr zur Genauigkeit bei ihrem Studium mahnten. Sie hielten sogar dazu an, jede Unterbrechung bei ihrem Studium zu vermeiden, auch wenn es sich um eine A ngelegenheit handelte, die man nebenbei münd lich verhandel n konnte. Sie meinten : „Wer auf der Reise ist und [ eine Ha lakha ] wiederholt, dann aber seine Mishna unterbricht und spricht“ usw. (m Av 3,9). Viel mehr finden wir sie, wie sie bis zu vierzigma l, ja sogar hundertma l an einem Stück [ eine Lehre ] wiederholen. Was war die Quelle oder die Wurzel für diese Ha lakhot, die, wie wir sagten, Definitionen, Einzelgebote und Tatfä lle, die sich ereigneten und die in der Tora nicht erk lärt worden waren, enthielten, und die nicht einma l in den Kommentaren und in den divre Soferim erk lärt worden waren, wie es auch in einem ihrer eigenen von ihnen gepf legten Aussprüchen zum Ausdruck kommt : „Wurde die Schriftliche Tora nicht | den Weisen überliefert, dass sie dir sagen … ? “ usw. (bHag 18a). Dazu gelangten die Weisen mittels tiefgehender A na lyse der hei ligen Tora samt ihrer Kommentare und kraft der Unterweisung ihrer Formu lierungen aufgrund des Vergleiches ähn licher, besser erk lärter Stellen oder mittels A na logiesch luss von einem Wort auf das andere und indem sie von den k lareren Worten Sch lüsse auf die unk laren zogen oder indem sie einen speziellen Begriff unter einen a llgemeineren Begriff subsumierten. Außerdem waren die Quelle und die Basis für viele Halakhot die Verstandesentscheidung und die uti litaristische Überlegung im Hinblick auf die A llgemeinheit und den Einzel nen, a lso die Notwendigkeit für die Festsetzung einer bestimmten Grenze bei bestimmten A ngelegenheiten. Häufig formu lierten sie dies folgendermaßen : „Das Maß der Weisen“ (bSot 16b), d. h., dass sie das Maß festlegten. Oder : „Dies ist das Maß der Weisen …“ (bMen 103b)

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in Bezug auf ein Detail des Eigentumsrechtes und seiner Strafen, deren Grund die Gerechtigkeit in diesen Geboten ist, da dieses Gesetz für a lle im Vol k gleich sein soll; dies a lles natürlich immer unter der Voraussetzung, dass a llein die Gesetze der Tora der primäre und prinzipielle Grund für diese seien.* Diese Worte verhandelten und studierten die ersten Weisen in ihren Yeshivot so lange mit ihren Schü lern und Genossen, bis sie sie durch Nachforschung 206 und sprach liche A na lyse gek lärt und, | wie wir sagten, zur Ha lakha *  E s

scheint ja deut l ich zu sein, dass a lle speziellen Gebote betreffs der mensch l ichen Lebensbelange zum größten Tei l keine Defi nition und keinen eindeutigen Beleg aus der Schrift oder ihren Erläuterungen sowie den frühen münd l ichen Überl ieferungen haben. Viel mehr behandelte man sie aufgrund der Verstandesabwägung, der Logik und der Nütz lichkeit, und sie fi nden ihre Basis vor a llem in dem a llgemeinen Grundsatz für die Gebote : Ein gerechtes Gericht sollen sie richten (Dtn 16,18). A lle diese [ verstandesmäßigen ] Gesetze, die sie lehrten, fi nden sich auch in den Ha lakhot, und viele von ihnen wurden auch in unsere Mishna aufgenommen. Von den ersten Lehrern der Mishna wurden sie „gezerot“ genannt. Zur Zeit des Tempels wurden für sie ordent l iche R ichter ernannt, um sie in den Toren und auf den Marktplätzen Jerusa lems und der großen Städte festzu legen. In Jerusa lem erhielten sie ihren Lohn aus der K ammerhebe, und zwei oder drei Namen dieser R ichter werden im letzten K apitel des Traktates Ketuvot genannt. Doch ihre Rechtsentscheide und a lle ihre Meinungsverschiedenheiten, die in diesem K apitel erwähnt werden, sind genau von der A rt, die wir erwähnt haben. So auch die Ha lakha in dem Traktat Bava Qamma (bBQ 58b) : „Biss [ ein Vieh ein fremdes ] Reis ab, so ist, [ w ie R abbi Yose im Namen ] der Verordnungsrichter [ z u Jerusa lem ] sagt, für ein einjähriges Reis zwei Si lberstücke [ z u ersetzen ].“ Ein weiterer Beleg für unsere Meinung ist, dass die Sadduzäer, die sich nicht auf solche Kommentare und Überl ieferungen stützten, ihre Rechtsentscheide nur aufgrund solcher gezerot trafen. In dem Zeitraum, da sie die Führung im Sanhedrin innehatten, hatten sie dafür sogar ein Buch in der Quaderkammer hinterlegt. Dies ist es auch, worauf sich die Megi llat Ta‛anit [ III (295); hg. v. Noam, 45 ] bezieht : „ A m vierzehnten Tammuz wurde das Buch der Verordnung abgeschaff t, man soll an ihm nicht trauern“ usw. Hierdurch löst sich auch das Problem in den Tosafot [ ebd. ] über das Diktum : „Die Verordnungsrichter [ z u Jerusa lem ] erhielten ihren Lohn aus der K ammerhebe, doch ist es nicht eigent l ich verboten, für Lohn Recht zu sprechenˮ usw. (bKet 105a). Die hier gegebene Lösung ist jedoch nicht befriedigend, denn es gab in Jerusa lem offenbar viele ordent l iche Gerichtshöfe, und nach

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erhoben hatten. Diese A rt der Untersuchung bezeichneten unsere Weisen jedoch mit dem Namen „Midrash“ oder „Ta lmud ha-Ketuvim“ [ Lehre/Studium der Schriften ], a ls ob man das Geschriebene „suchen“ oder es hinsicht lich seiner Bedeutung und seines Verständnisses „befragen“ wollte; ebenso fragte man nach der Bedeutung einzelner Bibelwörter und ihrer mög lichen Weisungsrelevanz, sowoh l münd lich a ls auch schriftlich. Auch wollte man wissen, auf welches Gebot die A nordnung der Bibelverse und ihre unserer Auffassung kann es durchaus sein, dass man in Bezug auf diese Gebote Erleichterungen schuf. So erinnert man sich (y Sheq 4,2[3 ] [ 48a]) daran, dass die Lehrer der Ha lakhot für [ d as Unterrichten der Priester bezügl ich ] des Schächtens und der qemiṣa [ d . h. des Abhebens des Meh les vom Meh lopfer mit der vollen Hand ] ihren Lohn aus der Quaderkammer erhielten, was man vielleicht damit begründen kann, dass diese Beschäftigung auch eine A rbeit und nicht nur die Kenntnis von Erlerntem bedeutete. A n dieser Stelle müssen wir a llerdings auch darauf hinweisen, dass die Weisen der Mishna und der Baraitot trotz a ller befundenen Ä hn l ichkeit und Verg leichbarkeit in den Formu l ierungen viele Wörter aus der römischen Sprache [ Latein ] entnahmen, was so weit ging, dass sie sie abschrieben oder übernahmen : So z. B. den Ausdruck ‫ מטלטלין‬und ‫שאינן מטלטלין‬, ‫נכסי צאן ברזל‬, ‫הניח מעותיו על קרן צבי‬. Ebenso das Wort ‫דמים‬, welches die bargeld lose Zahlung bezeichnet, dann auch das Wort ‫ [ טענה‬Gravamen]; und einige dieser Termini wurden von ihnen nicht einma l übersetzt, wie z. B. : ‫ אפותיקי‬und ‫פרוזבול‬. Selbst in der Struktur der Gebote lassen sich große Ä hn l ichkeiten ausmachen : So war es z. B. übl ich, dass ein Opponent vor entsprechenden Gelehrten aufstand, um seine Meinung vorzutragen, und so war es auch [ bei den Römern ] übl ich; ebenso fi nden wir Beg laubigungsurkunden, über die es im Yerusha l mi heißt : „Schiedsverträge, sie sind Kompromisse“ (yMQ 3,3 [ 82a]). Es entspricht ja dem Gang der Geschichte, dass, wenn ein L and erobert ist, die fremde Macht versucht, dass die Einwohner des L andes die a lten Bräuche und Gebote vergessen, indem es ihnen neue Gesetze gibt, welche ihre Väter noch nicht kannten. Zweifelsohne, nachdem uns die Römer besiegt hatten, ernannten sie R ichter von ihrer Seite, die jedoch auch Mitg l ieder unseres Bundes [ d. h. der Juden ] waren, die a ls Juristen und R ichter wirkten. Sie werden auch a ls „die R ichter der Verordnungen“ (m Ket 13,1) bezeichnet, und [ von ] daher erwuchs die große Ä hn l ichkeit zwischen den beiden Rel igionen. Es scheint außerdem so gewesen zu sein, dass sie ihren L ohn aus der Hand des Herrschers erhielten. Dies versucht auch ein Diktum des R av A ssi zu erk lären : „Wenn sie nicht wollten, fügte man ih-

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Redaktion hindeutete, was es damit auf sich hat, wenn ein Wort nach oder vor einem anderen steht, a lles nur, um so zu der von ihnen gewünschten Definition zu gelangen und zu dem Gesetz, welches sich ihm entnehmen ließ. Und man fragte bei so einem Vers : Was besagt die Lehre über ihn ? Und außerdem pf legte man zu sagen : „zu seiner Auslegung“ [ le-midrasho ] oder „zu seiner Lehre“ [ le-ta l mudo ]. Auch benutzte man den Ausdruck nitenu, „es ergibt sich (aus zwei Schriftstellen)“, um die gesetz lichen Verse und die Schriftstellen, die Gebote entha lten, auszu legen. Das heißt, sie entha lten potentiell, außer ihrem einfachen Schriftsinn, den die Soferim auslegten, noch weiteres, was durch Weise ausgelegt werden kann, um somit eine A ntwort und eine Lehre zu geben, die der nützlichen und entscheidenden Ha lakha dient. Aber weil die Ha lakha selbst in ihrer Ausdrucksweise und Fassung kurz ist, soll sie der Midrash, der ihre Grund lage und ihre nen Lohn hinzu“ (bKet 105a). (Und der Gelehrte R abbi Avraham K rochma l, der Barmherzige möge ihn bewachen und befreien, gerechter Spross und Sohn des Verfassers, sel igen Gedenkens, fügt hinzu, dass auch Menaḥem (m Hag, 2. K apitel), der dem König diente, nach dem Tod des Admon und des Ḥanan zu einem der R ichter aus der Versamm lung der „ R ichter der Verordnungen“ ernannt wurde. Es ist außerdem mög l ich, dass das „ Haus des Avidan“, welches in der Gemara des Traktates Shabbat und ʽAvoda Zara erwähnt wird, ein bekannter Hof der Fürsten war, der auch für die Versammlung der „ R ichter der Verordnungen“ diente. Von dort erging aber Recht im Sinne des römischen Brauches, und es wurde daher nicht nur „ Haus des Avidan“ [ ‫ ] בי אביד ן‬genannt, sondern „ Haus des ‚mein Vater ist ein R ichterʽ“ [ ‫] בית אבי דיי ן‬, nach der Bezeichnung für Gerichtshof : „Bet din“. Die Pharisäer aber bezeichneten sie a l s ‫ אבידן‬und bezeichneten die R ichter dieses Ortes a ls „R äuberrichter“ [ ‫] דייני גזילו ת‬. Dieses Gericht wurde in den Tagen des Shema‛ya und Avṭa lyon gegründet. Es hatte aber Bestand, bis das „Buch der Verordnungen“ in den Tagen des R abbi Yoḥanan ben Zakkai verbrannt wurde, ehe es nach der Tempel zerstörung wieder seine ursprüng l iche Stellung erlangte und man ihm ein Versamm lungshaus hinzugesellte.) [ A llerdings fand man auch dort Avoda Zara * Offenbar geht diese A nmerkung auf Zunz zurück ] [ {Nach einem Brief von A. K rochma l aus dem Jahre 1845 (in Schorsch, Production, 303 – 306 Brief 14) ist diese ursprüng l ich längere A nmerkung von K rochma ls Sohn Yosef nachgereicht worden, von Zunz wurde sie jedoch um einen Hinweis auf E. Gans gekürzt.}]

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Quelle ist, vollenden. Und das, was der Midrash hinzufügt, ist die Verhand lung in den divergierenden Exegesen und die Auswah l zwischen ihnen. Und auch die Entscheidung des Verstandes über die Vorstellungskraft oder über den Unterschied zwischen einer Ha lakha und einer anderen. Doch a lles, was zur K lärung ihres A nliegens, ihrer Vorgeschichte und Entstehung beiträgt, – dies a lles wird mit dem aramäischen Namen Gemara bezeichnet, was auf Hebräisch so viel wie „Vollendung/Ergänzung“ bedeutet, denn sie ergänzt die Ha lakha und erk lärt die Unterweisung in der praktischen Anwendung. Und weil dies so ist, stammen die Ha lakha, ihre Auslegung und ihre Vollendung tatsäch l ich aus derselben Zeit, denn a lle Ha lakhot oder zumindest ihr größter Teil wurden nicht anders a ls auf diese Weise festgelegt. Das heißt, sie wurden aufgrund der Schriftexegese gewonnen, und ihre Vollendung fanden sie durch Überlegung und Diskussion. Doch bei ihrer sprach lichen Festlegung und ihrer Redaktion war man oftma ls unterschied licher Meinung. Und auch dafür gibt es k lare Beweise und deutliche Zeugnisse bei den Rabbinen, dass die Ha lakhot ihrer schrift lichen Fixierung und übereinstimmenden Redaktion vorangingen, und erst nachher wurden die [ mündlich tradierten ] Midrashim zur Ha lakha1, zu letzt aber auch zur Gemara, die erst in sehr viel späterer Zeit redigiert wurde, wie im Folgenden noch ausgeführt werden wird. Doch wie gelangten die obersten Lehrer in den Lehrhäusern, wenn ihnen eine Sache entgangen war, zur Festlegung einer Halakha ? Oder wie legten sie einen Beispielfa ll, der sich tatsäch lich ereignet hatte, fest ? Wie verhielten sie sich, wenn bezüg lich einer Schriftexegese oder bezüg lich einer Erk lärung einer Sch lussfolgerung ein Streitfa ll aufkam ? Sie legten ihre A rgumente vor der Versamm lung der Weisen dar, die größer waren a ls sie selbst, bis es zu jener Großen Versamm lung auf dem Tempelberg kam, jene, die in der Eingangsha lle des Vorhofes (des Tempels) stattfand, die aber zu letzt aus jener Großen Versamm lung bestand, die in der Quaderkammer tagte und die zu jener Zeit mit dem Namen „Gro1  S o

mit der Edition Wol f.

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ßer Sanhedrin“ bezeichnet wurde (und wir haben darüber bereits in der zehnten Pforte gehandelt). Diese Versamm lungen wurden in einigen Städten und in Jerusa lem „Große Gerichtshöfe“ genannt (mit ihrem zunehmendem Einf luss auch Sanhedrin). Denn außer dem Unterricht der Schü ler, die in ihnen lernten, war auch die tora-gemäße Rechtsprechung Teil ihrer Aufgaben. Aus diesen Institutionen erhielt das Vol k Recht und Unterweisung, wobei die letzte Überprüfung von Zweifel n und Zwietracht mittels Mehrheitsentscheidung durchgeführt wurde, d. h. die Weisen standen zur Auszäh lung auf und stimmten ab und besch lossen die Ha lakha nach Mehrheitsmeinung. Gemäß dieser Mehrheit entschieden sie Rechtsfä lle und bestimmten dies zum Präzedenzfa ll für die kommenden Sitzungen. Und der Beleg für a ll dies findet sich in der bekannten Baraita : „ A m A nfang (a lso zu Beginn der Zeit der Festlegung der Ha lakhot) gab es keinen Streit in Israel (was für Generationen fest und sicher war) usw.“ (tHag 2,9 [ 383]). Und wir hatten (diese Baraita) bereits oben (Pforte 10) zitiert. Doch wisse und verstehe, wenn dies der in a llen Generationen übliche Brauch der Weisen geworden wäre, wie es anfangs gepf legt wurde – selbst nach einigen wichtigen Ruheperioden, manchma l auch mit göttlicher Hilfe –, so wäre dies bereits das Gute für Israel gewesen, in seinem sowoh l zeit(bedingten) a ls auch geistigen Erfolg. Doch in diesem Fa ll wurde die Ha lakha bezüglich eines von der Mehrheitslehre des Sanhedrins dissentierenden Lehrers [ zaqen mamre ] entsprechend des Abschnittes im Buch der R ichter festgelegt. Und man entschied gegen ihn und verbat, ihm zu vergeben. Dies a lles geschah zu Beginn dieser Epoche, a ls viele Zusammenkünfte abgeha lten wurden, um die Streitigkeiten in Israel nicht zu mehren. Doch in Folge seiner Sünden zerstritt sich die Nation, und sie zerfiel nicht nur in verschiedene Sekten, die untereinander über viele Auffassungen und Bräuche, über die wir bereits gesprochen hatten, zerstritten waren, sondern sie zerfiel auch unter denjenigen, die am geläuterten Glauben und an der von den Vätern überlieferten Tradition festhielten, d. h. unter den Tannaiten [ shone haha lakhot ], unter denen bezüg lich Lehre, Festlegung und Formu lierung der Ha lakha immer mehr Meinungsverschiedenheiten auf-

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kamen, wodurch es zu einer weiteren Spa ltung der Gemüter kam, die so weit ging, | dass man nicht mehr zu einem Konsens gelangte 207 und Eintracht erzielte. In der Folge trennte man sich in Lager, spezielle Gruppen, und besonders nach Shammai und Hillel wurden aus diesen Parteien zwei große Schu len, die sich um die Prinzipien der Methoden der Exegese und Hermeneutik stritten und in der Folge auch über viele Einzelentscheidungen und tora-gemäße Praktiken. Schon von A nbeginn der Ha lakha-Entwick lung hatte es zwei große Versamm lungshäuser gegeben, deren Oberhäupter unter der Bezeichnung „Paare“ [ z ugot ] bekannt wurden, was wir noch genauer in Erinnerung rufen werden. Von diesem Zeitpunkt an aber gelang es nicht mehr, die Weisen beider Seiten zu einen, um auf diese Weise zu einer methodisch geprüften und beweiskräftigen oder durch Mehrheitsbesch luss festgelegten Übereinkunft zu gelangen. Viel mehr zerfielen sie in weitere Gruppen, und (zwar oft) durch Zufa ll, nur aufgrund von K leinigkeiten. Doch auch für diese Detailfragen war eine grundsätz liche K lärung und Einigung nicht mehr mög lich, zuma l diese Meinungsverschiedenheiten ba ld in divergierenden Formu lierungen festgeha lten wurden und sie ihren Söhnen und Schü lern bereits samt dieser Differenzen überliefert wurden, ohne dass ihre Aufhebung noch mög lich gewesen wäre, sodass sie am Ende zu einem festen Bestandtei l des Lehrpensums der Rabbinen wurden. Dies aber vollzog sich zur Zeit des durch göttliche Gnade gewährten Absch lusses und der Redaktion unserer Mishna, und dama ls war es immer noch üblich, bei der Rekapitu lation der Streitfä lle die unterschied lichen Versionen, die unter den unterschied lichen Schü lern der Tannaiten gelehrt wurden, in Erinnerung zu rufen. Darauf bezieht sich, was wir im Traktat ʽEduyot (1,6) lesen : „Es sagt Rabbi Yehuda : Wenn dem so ist, warum erwähnt man die A nsicht eines Einzel nen gegen die der Mehrheit, um jene aufzuheben ? Damit, wenn jemand sagt : So ist mir überliefert worden – man ihm sagen könne : Du hast (deine Überlieferung) wie die A nsicht jenes (Einzelnen) vernommen.“ – Dies konnte geschehen, wei l sowoh l die Meinung des Einzel nen a ls auch die der Mehrheit noch nicht fest formu liert worden war. Nimm aber auch zur Kenntnis, dass die Ursache für den Mangel an

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Übereinkunft hinsicht lich der Ha lakha in dem Ausmaß des Streites zwischen den Weisen lag – des Streites unter Einzel nen und in der Gemeinschaft – und dass sich unter den Streit, der zu Beginn ohne Zweifel mit religiösem Interesse geführt wurde, später die Fürsorge für die Besiegten mischte, wie es an vielen Stellen der sechs Ordnungen der Mishna erläutert wird. Doch auf der anderen Seite müssen wir die Weisen für ihre Einsicht in den rechten Glauben loben, zuma l die Verfolgungen und K riege sowie die zah lreichen Bedrängnisse, die das Vol k und auch die Weisen trafen, die Hauptursache für das Schwinden des Konsenses unter den Weisen während ihrer großen Zusammenkünfte waren, was sch ließlich sogar zur völligen Entzweiung führte. Zu Beginn der Zeit, mit der wir uns beschäftigen (d. h. die Zeit der Halakhot), ereigneten sich die Verfolgung und der K rieg [ gegen die ] Griechen, die dama ls besonders die Rabbinen und Frommen verfolgten. Kurz nach dieser Zeit erstarkten und wuchsen die Sekten der Sadduzäer und Boetusier, die zu Weisen gemacht wurden, und zwar mit Hilfe der Mehrzah l der hasmonäischen Könige, die mit ganzem Herzen hinter den Sadduzäern standen. Bis in die Tage der Herodes-Könige gab es daher K riege und Verfolgungen gegen die Weisen. Kurz vor Ende der tannaitischen Gelehrtenfolge ereignete sich dann eine Verfolgung durch die Römer samt ihrer Erlasse, worunter besonders die hinsicht lich der Versamm lung und der Weihe von Weisen hervorzuheben sind. Es verwundert nicht, dass sich die Weisen von diesen Zeiten an davor hüteten, große Versamm lungen einzuberufen, zuma l solche anfangs nur durch den Befeh l und den Besch luss der Herrscher und der Fürsten einberufen worden waren, wobei sich dann unter sie Leute aus den verschiedenen Sekten gemischt hatten (und die Belege hierfür sind eindeutig). Sie zogen es daher vor, dass ein jeder in seinem eigenen Lehrhaus lehren und jeder seine eigenen Ha lakhot festlegen sollte, um erst nachher die scheinbar völlig unmögliche Übereinkunft und Einheit zu erzielen. Dies ist es, was wir im a llgemeinen über die Ursache der großen Unterschiede und Gegensätze zwischen den Ha lakhot und den großen Streit zwischen ihren Lehrern und über die Ursache der geringen Zah l von eindeutigen Ha lakhot und

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Rechtsentscheiden in Bezug auf die Zah l der Streitigkeiten vorzulegen für wichtig erachteten – dies führte sogar so weit, dass unsere Weisen, seligen A ngedenkens, bitteren Herzens die Tora a ls zwei Torot annahmen, gewissermaßen a ls Gegen leistung für den guten Ertrag, der aus der Tätigkeit der Soferim erwachsen war – aus ihren Verbesserungen, die ihnen Zustimmung und Beifa ll für ihre Kommentare und A nordnungen eingebracht hatten. Die erste Streitfrage, die in der Mishna erwähnt wird (m Hag 2), betriff t das Aufstützen auf das Festtagsopfertier an einem Feiertag. Diese Ha lakha wurde mit widersprüch lichen Meinungen in den beiden Schu len von Gesch lecht zu Gesch lecht überliefert, und sie blieb ungek lärt und k lärungsbedürftig. Selbst a ls man über sie zusammen beratsch lagte, wurde die Diskussion nie vollständig abgesch lossen. Möglicherweise entstand diese Verzögerung von Beginn an a ls eine Folge der Verfolgung und des K rieges der Griechen, und nachher wurde eine Übereinkunft | aufgrund der Leichtigkeit der Angelegenheit auf der einen Seite (denn die Handaufstützung vor der Darbringung des Opfers fä llt unter die Kategorie der shevut- Gebote) und auf der anderen Seite aufgrund des A nsehens der A ngelegenheit verhindert, womit die Vermeidung der Darbringung von Opfern an einem Feiertag gemeint ist. Und die Tannaiten fochten darüber in vielen Einzelfä llen manchen Streit aus (bBes 29; yBes 2 und yHag 2) – und wie übertrafen sich die Meinungen eine nach der nächsten ! ? Und wie war es, a ls Hillel die A ngelegenheit, sein Erscheinungsganzopfer in den Tempel brachte, wie es seine Gegner geahnt hatten; wie verhängte man über die Gegner Schweigen ? Und dennoch hörten sie nicht auf, die Oberhand zu beha lten ? Und trotzdem bezeugten unsere Lehrer, dass sich jeder Sieg nur im Versamm lungshaus ereignete, während man sich außerha lb untereinander fried lich und verbind lich verhielt; außerdem, und dies ist die Hauptsache, verursachte der Streit keine Spa ltung in Israel, denn sie waren gewarnt, dass, Gott behüte, nicht einer dem anderen zu nahe träte, wie es heißt (bYev 13b; mYev 1,3) : „dennoch unterl ießen sie es nicht, usw. [ sich bei der Zubereitung von reinen (Speisen) auf einander zu verlassen ]“ – auch wenn ein jeder nach seinem System zu verfahren pf legte.

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Doch kehren wir zur Form der Ha lakha zurück : Von Beginn an waren die festgelegten Sätze sehr kurz geha lten, nur drei oder vier Wörter lang, und vielleicht standen sie auch den Zeichen der Soferim nahe. Die kürzesten Beispiele sind die Ha lakhot, die zu Beginn des Traktates Bava Qamma stehen : „Vier Hauptarten von Schädigungen gibt es“ usw. (m BQ 1,1). „Bei a llem, das ich zu bewachen verpf lichtet bin, gelte ich a ls Urheber des von mir angerichteten Schadens. Bin ich nur tei lweise Urheber des Schadens, so bin ich zum Schadensersatz verpf lichtet, a ls wäre ich ganz Urheber seines Schadens. … von Gütern, die jemandes Eigentum sind, von Gütern der Bundes-Söhne,1 und an jedem Ort, mit Ausnahme des dem Schädiger eigentüm lichen Gebietes und des Gebietes, das dem Geschädigten und dem Schädiger gemeinschaft lich gehört, (gelten a lle Schadensersatz-Vorschriften); Geldschätzung, Geldwert …“ (m BQ 1,2 – 3). Und ebenso fi ndet man in dem Traktat ῾Eduyot auf A ramäisch : „[Es bezeugte Rabbi Yose ben Yo‛ezer aus Zereda,) dass die Ayil-Heuschrecke rein sei, dass die Flüssigkeiten im Schlachthause rein seien und dass, wer einen Toten berührt, unrein sei“ (m Ed 8,4). Ihnen ähn lich sind auch die Ha lakhot, die sich im Sefer Yeṣira finden, die sehr kurz gefasst sind, und die g leiche Form scheinen auch die Ha lakhot gehabt zu haben, die sich in der a lten Baraita Sod haʽIbbur fanden, die uns verloren gegangen ist :2 „Ging (der Mond) vor Mitternacht auf; ging er nach Mitternacht auf; manchma l zeigt er sich lang, manchma l kurz“. Jene einzigartigen Ha lakhot nannte man dort (in Babylonien) auch „die Ha lakha über den 14. (Nisan)“, da man über ihre Erläuterung (zu Beginn des Traktates Pesaḥim) stritt und dergleichen. Doch eine nach der anderen wurden die Ha lakhot erweitert und erläutert, doch damit hörten sie nicht auf, stets in einer festformulierten Sprache überliefert und in einer angemessenen Kürze rezitiert zu werden, wobei dann die Erk lärungen zur „ Absch ließung“ 1 K rochma l

paraphrasiert hier den Text der Mishna. S. D. Luzatto, in : Kerem ḥemed 7 (1843), 61 f., mit Zitaten aus der Baraita de-Shemu’el. – Vgl. auch OsM II, 404; Bh M II, 41 f. 2 Vg l.

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(Gemara) der Ha lakha, mit denen sie in ihrer Güte erweitert worden waren, fortgelassen wurden. Und dies hielt man etwa in dem Satz fest : „Stets unterrichte man seinen Schü ler auf kurze Weise“ (bPes 3b). In den meisten Fä llen scheint man den ersten Ausspruch an seinem Ort gelassen zu haben, erweiterte ihn durch eine Erk lärung und fügte dann weitere Dikta hinzu. Darauf deutet etwa der Satz hin : „Diese Mishna rühre nicht von der Stelle“ (bYev 32a). Auch weist der Ausspruch : „Dies ist die ursprüng liche Mishna“ (m Ket 5,3) darauf hin, oder : „Dies ist die Mishna [ des ] Rabbi ‛Aqiva, doch die ursprüngliche Mishna (lautete)“ (mSan 3,4) – auch ein Beleg für einen Gegensatz (zwischen zwei Mishnayot). Ein Beispiel für eine Erläuterung einer kurzen Ha lakha (m Pes 1,1) : „Und warum heißt es, zwei Reihen im Keller, ein Ort, der Untersuchung (nach Gesäuertem) bedarf“ usw. Dies war woh l der ursprüngliche Wortlaut der Mishna. Sie war zweifellos eine der ä ltesten Ha lakhot, über deren Wortlaut bereits die beiden Schu len auf ihren Versamm lungen gestritten haben. Wie sie lautet auch die (folgende) Ha lakha (bZev A nfang Kapitel 9) : „Der A ltar hei ligt das, was für ihn geeignet ist“ (m Zev 9,1). Darüber stritten R abbi Gam l i’el, R abbi Yehoshua‛ und Rabbi Shim‛on. Ebenso deutet die Wendung : „Womit darf die Frau ausgehen und womit nicht“ (mShab 6,1) auf eine frühe Ha lakha hin. Der Beweis ist die Bemerkung des letzten Tannaiten : „Übrigens ist es auch a llen anderen Menschen erlaubt, nur dass die Weisen das Beispiel aus der Wirk lichkeit nehmen“ (mShab 6,6). Und wir können noch weitere Beispiele dafür finden, dass die frühe Ha lakha in a ll ihrer Kürze in der Regel eine große Einheit bi ldete, und man erk lärte sie, indem man sie Satz für Satz einzeln auslegte, was auch die Phrasen und die Beispielsätze der ersten großen Gelehrten widerspiegeln, wie etwa : „Wenn ein A rmer draußen und der Hausherr im Innern ist; reicht der Arme seine Hand hinein“ usw. (mShab 1,1). Von jenen a lten Ha lakhot wurden wenig später Regeln abgeleitet, (wie es heißt) : „ A lles Bewegliche birgt Unreinheit, (wenn es so breit ist) wie die Dicke eines R indersteckens“ (m Kel 17,8). Und darüber lehrte man in dem Traktat Oha lot (mOha l 16,1) : „(A lles Bewegliche bringt die Unreinheit, wenn es die Dicke eines R indersteckens hat.) Hierauf sagte Rabbi Ṭarfon : Ich will meine K inder verderben,

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wenn dies nicht eine verderbte Ha lakha ist; und zwar hat sich ein Zuhörer geirrt. Einst ging ein Ackermann (an einem Grabe) vorbei, 209 der auf seiner Schu lter einen R inderstecken | trug, dessen eines Ende das Grab überdachte, und man erk lärte ihn für unrein wegen der den Toten überdachenden Geräte. Da sagte Rabbi ‛Aqiva : Ich kann es berechtigen, sodass die Worte der Weisen bestehen bleiben, näm lich : A lle beweglichen Dinge bringen die Unreinheit auf den dieselben tragenden Menschen bei der Dicke eines R indersteckens, auf sich selbst bei noch geringerem Maße, auf andere Menschen aber nur durch Geräte, die eine Handbreit dick sind.“ Und man untersuche [ diese Stelle ] dort, und im Traktat Shabbat (Folio 17a) findet sich der Kommentar zu dieser Mishna. Doch hier ist dafür nicht der Raum, und es sei hier nur a ls ein Beispiel angeführt, wie solche Ha lakhot entstanden sind und wie sie von Zeit zu Zeit weiter ausgesta ltet wurden, denn aufgrund ihrer Kürze erlaubten es sich die Tannaiten, von einem Einzelgebot und Beispielfä llen auf a llgemeinere Regeln zu sch ließen und sie hinzuzufügen. (Wie es heißt :) „Dies ist die Regel “ (mShab 12,1); „eine Regel stellten sie auf“. So etwa das Beispiel : „Eine a llgemeine Regel haben sie (die Weisen) betreffs der Ackerecke ausgesprochen : A lles, was zur Speise dient, was gehütet wird, was sein Wachstum unmittelbar aus der Erde entnimmt, dessen Ernte zu gleicher Zeit geschieht und was man zur Erha ltung einsammelt, unterliegt der Pe’a-Pf licht. Getreide und Hü lsenfrüchte sind nach dieser Regel a lso inbegriffen“ (m Pea 1,4). Und manchma l wurde die Regel aufgrund ganz unterschiedlicher Fä lle aufgestellt : „Nichts, was von Bäumen kommt, darf man am Shabbat zum Brennen gebrauchen, außer Flachs. So ist auch a lles, was vom Baume kommt, der Zelt-Verunreinigung nicht fähig, außer Flachs“ (mShab 2,3). Und ähn liche Beispiele gibt es viele, und so wurden auch die Methoden der Verknüpfung verschiedener Halakhot, die uns a ls völlig getrennt erscheinen, entwickelt. Daher ist davon auszugehen und tatsäch lich gibt es genügend Belege dafür, dass eine große A nzah l von Ha lakhot, die in unsere Mishna und in die Baraitot aufgenommen sind, sprach lich und auch betreffs ihrer A nordnung bereits in sehr früher Zeit entstanden sind. Zum Beispiel die Ha lakha, die zu Beginn der Mishna (Berakhot) steht :

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„Von welcher Zeit an liest man das Shema‛ am Abend ? Von der Zeit an, da die Priester eintreten, um von ihrer Hebe zu essen, bis zum Ende der ersten Nachtwache“ (m Ber 1,1). Wem wäre nicht bewusst, dass diese Bestimmung sehr früh festgelegt worden ist, und zwar noch vor der Tempelzerstörung ? ! Die Priester aber, a ls sie sie verfassten, zeigten ihr Verha lten dem Vol k; und waren es nicht die Priester, die die Stunden berechnen konnten, die Zeiten des Morgens und des Abends während des ganzen Jahres ? Tatsäch lich ist es schon fast überf lüssig, die Belege hierfür zu nennen, denn die meisten Ha lakhot, insbesondere jene in den Ordnungen Zeraʽim, Qodashim und Ṭoharot, bezeugen aufgrund ihrer Angaben für sich selbst, dass sie zunächst in einer sehr umfangreichen Samm lung festgelegt und gelehrt worden waren – a ls der Tempel noch stand und Israel in seinem Lande wohnte, d. h. in jenen zweihundertundachtzig Jahren zwischen Shimʽon II. und der Tempelzerstörung, wie wir es oben festgelegt hatten.

Und ich wusste, dass uns der Leser diesbezüg l ich hinterfragen wird, näm lich dass es keine rabbinischen Dikta gibt, die die frühe Entstehung der Ha lakhot und ihrer Lehrer jenseits der erwähnten Zeitgrenze belegen, sodass man sagen könnte, Mose habe einige Ha lakhot in den Tagen seiner Trauer vergessen und erst Otniʼel ben Kenaz habe sie aufgrund seines Nachforschens zurückgewonnen (vgl. bTem 16a).1 Sie sagten : In den Tagen Samuels wurde folgende Ha lakha gelehrt : „ A mmoniter, nicht aber A mmoniterin; Moabiter, nicht aber Moabiterin“ (bYev 77a). A ls jedoch Hagar mit (dieser Regel) in Verbindung gebracht wurde, mussten sie sie gewa ltsam ändern und im Bet ha-Midrash anders lehren. Auch heißt es in der Mishna : „Dies ist der Midrash, den Yehoyada, der Priester, lehrte“ (mSheq 6,6). In den Tagen des Neḥemia ben Ḥelqiya wurde diese Ha lakha gelehrt, „und man lehrte eine Ha lakha im Namen von Haggai, Sacharja und Ma leachi“ (bHu l 137b) – doch wie kann ich meinen, dass man die Ha lakhot nicht vor dem Jahre 290 vor 1 Vg l .

für das Folgende Ch. A lbeck, Ein leitung in die Mischna, Berl in, New York 1971, 103 – 108.

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der Tempelzerstörung zu lehren begann, zu einer Zeit, a ls die Generation der Soferim zu Ende ging ? Mehr davon wird der woh lgesonnene Leser später begreifen; wer es genau nimmt, wird jedoch vielleicht mit den Zähnen knirschen und wird mich ei ligst der Ketzerei an der Münd lichen Tora verdächtigen. Doch man beachte, dass sich eine nicht geringe A nzah l von Ha lakhot findet, von denen die Rabbinen ausdrück lich sagen, dass sie a ls Ha lakha le-Moshe mi-Sinai (bNed 37b) zu betrachten seien. Und der woh lgesonnene Leser hört darüber nur ein einziges Ma l meine Bitte um Nachsicht, danach nie wieder. Wisse, mein Freund, (die Notwendigkeit zwingt uns, das Gesagte mehr a ls dreima l zu wiederholen), dass es in dieser Pforte wie in dem gesamten Buch unsere Absicht ist, die in unseren Händen befind lichen Worte des Glaubens auf rationa le Weise und mittels k lar umgrenzter Forschung und durch das Suchen von wahrhaftigen Zeugnissen genau zu erläutern, um über jene drei mit Recht zu urtei len, [ u nd zwar gegen ] die Zweif ler, diejenigen, die [ fa lsche ] Behauptungen aufstellen, und diejenigen, die [ d ie überkommenen Lehren ] leugnen, sowie über a ll diejenigen, die vom richtigen Weg der Wahrheit durch Übertreibungen in welche Richtung auch immer abweichen – und dies ist die große Herausforderung für die gegenwärtige Generation. Und wir haben ebenfa lls wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass unser A n liegen tatsächlich mit dem des Rav [ Moshe ben Maimon ] im Führer [ der Verwirrten ] zu seiner Zeit übereinstimmt und dass wir stets, was die Vorgehensweise betriff t, seinem Vorbild folgen wollen – ohne Unterschied, außer dem, der zwischen den Verwirrungen zu seinen Lebzeiten sowie der dama ls notwendigen Mittel und der Stellung der gegenwärtigen Generation und der A ngelegenheit, die sie betriff t, besteht.1 Deswegen ist es auch gefordert und unsere Absicht, die Zeit genau einzugrenzen, ab wann man von dem Beginn der Entwick lung von Ha lakhot sprechen kann. Zwar möchten wir da210 mit nicht die Mögl ichkeit aussch l ießen, dass einzel ne | Gebote und Methoden der Auslegung im Vol ke früher bekannt waren a ls der 1 Vg l.

R awidowicz, Iyyunim II, 254; Lehnardt, Maimonides, 433.

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Kommentar der Schriften, wie ihn die Soferim vorlegten und wie er dann in die Hände der Weisen und Ha lakha-Lehrer gelangt ist, und zwar durch Überlieferung von den Vätern zur Zeit des Ersten Tempels und früher bis in die Tage der Späteren Propheten, sodass das Ganze sehr lange tradiert worden sein dürfte. Freilich ist auch dies k lar, dass man nicht an die verbreitete Regel glauben sollte, die erwähnten Einzelgebote seien bereits von der Zeit des Ersten Tempels an in der Form und in der Ausformu lierung der Ha lakha gelehrt worden, so wie wir es bereits auf voll kommen k lare Weise dargelegt und erk lärt haben. Weil aber die Bezeichnung Ha lakha aus dem A ramäischen abgeleitet wird (wie das Wort „ha-banut“ mit „ke-ha lakht“ übersetzt wird), ihre inha ltliche Form jedoch erst viel später a ls die Verlesung der Tora in der Öffentlichkeit bekannt wurde und sie sich erst mit den erwähnten begrenzten Kommentaren verbreitete, wie wir es erläutert haben, wobei sie sich stets auf [ d ie Tora ] stützte, sch ließt dies die Möglichkeit aus, sie früher a ls die Zeit Esras anzusetzen. Das Hebräisch, in dem sie gelehrt wurden, ist außerdem nicht das reine, a lte Hebräisch, sondern eine Sprache, die der Mishna eigen ist, über die wir noch gesondert handel n werden. Und dies gi lt auch für jene von uns erwähnten Wörter, die sich in den Aussprüchen der Rabbinen fi nden, in ihren Aggadot, und die in jeder Hinsicht die Zeit ihrer Entstehung und Formu lierung zur Zeit des Zweiten Tempels belegen, auch dass sie zu den ä ltesten unter den Ha lakhot gehören. Und dies bedeutet nicht etwa einen Verlust oder eine Schmä lerung in den Augen eines wahren Forschers, vielmehr ist ihre Ehre stets der Nutzen und der geistige und zeitgemäße Gewinn, der durch ihre (zeitliche) Festlegung und ihre Lehre unseren Vätern und uns zuteilwird. Das Zeugnis über ihre Wahrhaftigkeit aber ist die gü ltige Tradition und ihre Zuverlässigkeit seit der Zeit, da Israel in seinem Lande wohnte, der Tempel erbaut und die Priester ihren Dienst verrichteten, die Gerichtshöfe der Großen Versamm lung in jedem Bezirk wirkten wie der Gerichtshof der Siebzig plus einem in der Quaderkammer. Über ihre Existenz können wir auf jeden Fa ll aus jener Zeit mit Hilfe des Herrn weitere Belege anführen, wichtige Belege, die demjenigen, der die Wahrheit im Glauben sucht, sofort

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ein leuchten. Und wisse, dass, wenn es die Rabbinen gewollt hätten, ihre Ha lakhot [ pseudepigraph berühmten Personen der Vergangenheit zuzuschreiben ], Gott behüte, dann hätten sie sie „an hohe Bäume“ gehängt und hätten z. B. folgendermaßen gelehrt : Ka leb sagte so, und Otniʼel so, Worte des Joab und Worte des David; Mishna des Hiskia und Mishna des Jesaja, wie es die Weisheitslehrer mit den Namen der Tannaiten und A moräer zu tun pf legten, doch haben sie damit ihrer Weisheit mehr geschadet (denn auch dies ist Wahrheit, dass sie vordatierten aufgrund von Grundsätzen, die wir zu erläutern einer der weiteren Pforten vorbeha lten haben), a ls wenn sie ihre Ehre nur durch Lüge vergrößert hätten. Nicht so verfuhren die wahren Samm ler der ha lakhischen Überlieferung, die ihre Ha lakhot von Shimʽon ha-Ṣaddiq bis zu den Paaren zurückführten, und auch unter ihnen fi nden sich die ehrenwertesten Namen von Priestern, Fürsten und Frommen aus Israel, a llesamt aus jener Zeit, a ls die Ha lakhot ohne irgendeinen Zweifel begründet wurden. Ein weiteres Indiz für unseren Standpunkt finden wir darin, dass nur eine sehr geringe A nzah l von Ha lakhot ihren ersten und letzten Lehrern eine nach der anderen zugeschrieben wird, obg leich sich das Studium in den Yeshivot ausbreitete und sich die Präzedenzfä lle mehrten. Und dies stimmt mit der Natur der Sache überein, sowoh l von Seiten der Forschung selbst, die sich von Generation zu Generation fortentwickelt, a ls auch von Seiten der sich wandel nden Zeiten. Denn infolge der Bedürfnisse, der Umbrüche und Überarbeitungen vermehrten sich die Tatfä lle und Rechtsgegenstände; ebenso mehrten sich der Handel und die Beziehungen zwischen den Menschen, es kamen neue Fragen und Probleme auf, und damit vergrößerten sich auch die Notwendigkeit und das Verlangen der Rabbinen, diese durch Unterweisung zu regel n. Doch wisse auch, dass, wenn wir so gut wie durch eigene Betrachtung etwas über die Lebensweise in den Tagen des Josua und der Richter wüssten, ja sogar über die in den Generationen der Könige zur Zeit des Ersten Tempels, so sähen wir bereits, dass für eine große Anzahl von Ha lakhot kein Bedarf und keine Notwendigkeit bestand, und zwar sogar für solche, die uns durch die Gnade des Höchsten erha lten geblieben

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sind. Und die Vorsehung, die sicher über viele Ha lakhot entschieden hat, wird auch an der folgenden Geschichte deutlich. Da wir uns kurz fassen wollen, möge das Wenige, was dazu von irgendwelchen ä lteren Gelehrten und mit gött licher Hilfe von uns selbst ausgeführt wurde, in Zukunft von rechtschaffenen Forschern mit Gottes Hilfe, gepriesen sei er, überprüft werden – ob dies tatsäch lich ein zuverlässiger Beleg für die Wahrheit der uns anvertrauten ha lakhischen Tradition ist, wie etwa der Vers : (Und Kaleb sprach :) Wer Kirijat Sefer schlägt und es einnimmt ( Jos 15,16; vgl. bTem 16a) oder dort : Amsa, der Ismaelit (2 Sam 17,25; bYev 77a),1 oder der Satz : Und er stieg hinab und erschlug den Löwen in der Grube am Schneetage (2 Sam 23,20; vgl. bBer 18b) samt ihrer ein leuchtenden Auslegungen, zuma l wenn am Ende die an unzäh ligen Stellen überlieferte Grundsatzregel unserer Weisen, seligen A ngedenkens, angewandt wird, dass Beweise aufgrund von Midrashim und aggadischen Erzäh lungen (über die wir im folgenden Kapitel in a ller Ausführlichkeit handeln werden) die Zuverlässigkeit keines einzigen Sachverha ltes belegen können, zuma l wenn sie durch eine andere Meinung in Zweifel gezogen wird. Wie wir bereits zu Beginn | dieser Pforte dargelegt haben, besitzen wir keinen Beweis 211 dafür, dass man in den Tagen des Ersten Tempels die Tora öffentlich auslegte und studierte, so wie es offensichtlich von der Zeit Esras an und darauf folgend geschehen ist. Und man möge selbst entscheiden, ob uns etwas von dem in der Aggada über die Generation des Hiskia und des Jehoshafat Erwähnten entgangen ist. Wer wagte es, dies a lles zu leugnen, nach dem, was man den meisten ihrer Worte entnehmen kann ? Viel mehr wissen wir nicht, was jene Gesch lechter zu einsichtigen Gesch lechtern gemacht hat und wem der Verstand innewohnte. In jedem Fa ll wissen wir aber aus den Spruchsamm lungen im Buch der Sprüche, aus dem Buch der Psa lmen mit den Psa lmen aus der Zeit des Hiskia und auch aus den oben erwähnten Schriften des Jehoshafat nichts über Auslegung und Definition der Gebotsschriften oder die Festlegung und Lehre 1 Diese Stellen beziehen sich auf Rechtsentscheide aus der Zeit der R ich-

ter, die im Ta l mud diskutiert bzw. erwähnt werden.

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der Ha lakhot. Dies wollen wir nun untersuchen. Was die Sache dabei noch mehr erschwert, ist die Tatsache, dass uns unbekannt ist, ob die Aggada oder die Ausdrucksweise der Aggada die Methode der Geschichtsschreibung oder der übertreibenden Exegese, die wir im Folgenden erk lären werden, befolgte. Dies betriff t aber besonders das, was sie über die Tage des Jehoshafat berichtet haben, der ja eigent lich derjenige ist, der ihnen am nächsten war. So wie man nicht über den Vers : und er sah auch die Wagen (Gen 45,27; vgl. BerR 94,3 [ 1173]), den Josef überl iefert haben soll, im Zweifel sein kann, dass er sich auf runde Räder bezog und dass er nicht etwa zu seinen Brüdern sprach, sie sollten sich nicht mit einem Wort aus der Ha lakha befassen, oder wie es der Midrash zu wissen vorgibt, dass sie nicht von dem Gebot der Ha lakha abließen und ihnen der Weg verdrießlich wurde, was nur eine Auslegung dessen ist, was unter den Schü lern der Yeshivot in dieser Zeit üblich war. Mein Freund, nehme dich (vor solchen Auslegungen) in Acht ! Bei deinem Leben, diesbezüg lich und bezüglich ähn licher A ngelegenheiten, worin besteht der Schaden, wenn man fragt, ob solche derashot dieselbe Autorität beziehen wie biblisches Gebot ? Sollen wir etwa jenen Soferim g lauben, dass Otniel, der erste R ichter, durch scharfe Untersuchung jene vergessenen Ha lakhot wiederherstellte, dass A msa mit dem Schwert gegürtet in das Lehrhaus ging, um über den Absch luss der Ha lakha nach seiner Auffassung zu entscheiden (was sich tatsäch lich gelegentlich in sündiger Manier in jener Zeit ereignet haben mag), und dass Benjahu, der A nführer der Helden, jene kostbare und schwer zu verstehende Baraita über die Priestertora an jenem Wintertag lehrte und dass in den Tagen des Jehoshafat jeder aus Israel ein außergewöhn licher Gelehrter war ? Darauf müssen wir vielmehr bei unserem Leben antworten, dass jener bunte Haufen viel näher der Ketzerei steht, sogar der völligen Leugnung, a ls jene erwähnten derashot selbst.1 Denn es wäre unseren Lehrern, den Rabbinen, niema ls in den Sinn gekommen, dass solche Geschichten, die für homi letische Zwecke verfasst wurden, der [ h istorischen ] Wahrheit entsprechen. Der 1 Für

das Folgende vg l. Harris, Nachman K rochma l, 225.

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große Widersacher des Glaubens ist die Vermischung dessen, was sehr zweifel haft ist, mit dem, was sehr k lar ist, und a lso auch die [ Vermischung ] der Lüge mit der Wahrheit. Denn es gibt keinen größeren Schaden, a ls die Zeiten und Ereignisse zu vermengen, sodass sich kein Unterschied und keine Differenzierung mehr machen lassen. Dies würde jedem K ritiker Tür und Tor öff nen, a lles zu bestreiten, wie es auch unsere Weisen sagten : „Wenn es keine Erkenntnis gibt, woher soll man eine Differenzierung nehmen“ (yBer 5,2 [ 9b ]) ? Ebenso umgekehrt : Wenn es keine Differenzierung gibt, woher soll man Erkenntnis gewinnen ? Es gilt die Regel, dass das Wort besonders in unseren Tagen sehr schwach [ ‫ ] מסוכ ן‬ist, um damit die entscheidenden, doch nicht geg laubten Grundsätze zu belegen oder eine breite und g laubwürdige Plattform anstelle einer wack ligen zu errichten, selbst wenn sie eigent lich nie breit genug sein kann. Und dies möge a ls Erk lärung für den zuerst gemachten Einwand genügen.

Doch über die A ngelegenheit solcher Ha lakhot, die von unseren Weisen mit der Wendung Ha lakha le-Moshe mi-Sinai bezeichnet wurden, werden wir [ nun ] unsere Meinung in einer knappen Betrachtung darlegen. Es ist ja bereits weithin bekannt, dass man zu Beginn der Zeit, von der wir handeln, die Ha lakhot münd lich festlegte und tradierte, und zwar jewei ls einzel n für sich und auf sehr knappe Weise. Doch was du noch bedenken musst, dass man zu Zeiten der K riege, Heereszüge und Verfolgungen, a lso etwa gegen Ende der Königsherrschaft der Hasmonäer, a ls man sich gegenseitig bedrängte und bekämpfte, a ls sich unter Pompeius die Truppen der Römer über das Land Israel ausbreiteten, und zu Beginn der Herrschaft des Herodes (zur Zeit des Shemaʽya und Avṭa lyon sowie der Bene Betera) und auch während des K rieges der Zerstörung des Tempels – in diesen sch lechten Zeiten geriet unter den Weisen und ihren Schü lern immer mehr von jenem großen Buch der Halakhot in Vergessenheit, und zwar unter den meisten von ihnen, sogar unter jenen, die ihm von A nfang an gefolgt waren. Es gingen ihnen dabei nicht nur die Quelle des Midrash, | die A nzah l sowie der Absch luss verloren, sondern unter manchen von ihnen geriet

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auch die Erk lärung seines Sinns und seine Intention in Vergessenheit. Es gab (im Übrigen) [ immer noch ] welche, die es [ nur ] mündlich und wie ein versiegeltes Buch lehrten. Doch manchma l gelang es sogar den Weisen der ersten Generation nach der Zerstörung [ des Tempels ], den Schü lern des Rabban Yoḥanan ben Zakkai, und den Weisen der zweiten Generation, der Generation Rabbi ‛Aqivas und seiner Gefährten, die ursprüng liche Bedeutung der Ha lakhot mittels tiefschürfender Überlegungen wiederherzustellen. Dafür seien hier sofort einige Beispiele angeführt : „Es sprach Rabbi Yehoshua‛ : Ich habe gehört, dass die Ablösung [ temura ] eines PesaḥOpfers dargebracht wird, und wiederum, dass die Ablösung eines Pesaḥ- Opfers nicht dargebracht wird, kann es aber nicht erk lären. Da sagte Rabbi ‛Aqiva : Ich will es erk lären usw. (Wenn ein Pesaḥ noch vor dem Sch lachten des Pesaḥ gefunden wurde, so weide es, bis es sich einen Makel zuzieht)“ (m Pes 9,6). Ein weiteres Beispiel für diese kurze und treffende A rt der Übertreibung in der frühen Ha lakha und die Tiefe der Auslegung, die so weit reicht, dass man an einigen Details Zweifel haben könnte, fi ndet sich im Traktat ʽA rakhin (Beginn Kapitel 4) : „Für das Zureichen des Vermögens kommt nur der Gelobende in Betracht, für das A lter der, dessen ʽerekh [ Wert ] gelobt worden ist, der ʽerekh richtet sich nach dem, dessen ʽerekh gelobt worden ist, und nach der Zeit, da er gelobt 213 worden ist“ (m A rakh 4,1). Und untersuche (diese Mishna) dort.* | * Und

man sollte sich nicht darüber wundern, dass die meisten a lten Ha lakhot dunkel und rätsel haft sind, und zwar nicht nur aufgrund ihrer übertriebenen Kürze, sondern auch aufgrund ihrer Sprache, denn jeder R av wäh lte sich seinen eigenen Sti l und seine eigenen sprach l ichen Besonderheiten, und es oblag dem Schü ler, die Sprache in eine wirk l iche Sprache zu übertragen. Wie es in einem ihrer Dikta heißt : „Man ist verpf l ichtet, (die Tradition) mit dem Ausdruck seines L ehrers mitzutei len“ (m Ed 1,3). Und daher kommt es, dass auch unsere k lare und eindeutige Mishna, die dunk le Ausdrücke in den a lten Ha lakhot erk lärte und auslegte, wie wir noch im Folgenden erläutern werden, an einigen Stellen zerstückelte und kurze Mishnayot bewahrte, auch einzel ne Wörter und ungewöhn liche Redewendungen, a lle aus jener Ha lakha. A ls Beispiel hierfür sei auf m Pea 2,2 verwiesen : „ Bei a llen Bergen, die mit der Jäthacke umgegraben werden (, gibt man, obg leich das R ind mit dem Pf luge nicht hinüberkommen kann, nur eine Pe’a für das

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Doch siehe, nachdem sich einige der Beschwernisse der Tempelzerstörung gelegt hatten, wurden in Yavne, Lod, Peqi’in und anderen Orten Yeshivot eingerichtet, um in ihnen ihre Ha lakhot zu sammel n und sie zu erforschen, soba ld eine theoretische Frage oder ein spezieller Fa ll aufkam. Durch die Hand eines oder vieler von den Weisen und ihren Schü lern fand man dann eine feststeGanze).“ Ebd. 3,3 : „Wenn jemand grüne Zwiebel n für den Markt abschneidet und die trockenen für die Tenne stehen lässt, so gibt er Pe’a für jene besonders und für diese besonders.“ In dem K apitel bet kor (m BB 7,2) fi nden sich folgende Worte : „ist es mehr a ls so viel, so berechne man dasselbe“; m BB 7,4 : „so wird zwischen ihnen der Durchschnitt geschätzt“ [ meshamnin ], a lles Redewendungen, die ungewöhn l ich sind. Die letztgenannte Wendung wird sogar auch in den Traktaten Bava Meṣiʽa und Bekhorot erwähnt, und in a llen drei Stellen wird diese ungewöhn l iche Unterweisung g leich gebraucht, obwoh l die A ngelegenheit, um die es geht, völl ig verschieden ist. (bKet 75b; m Neg Ende K apitel 4 :) „ R abbi Yehoshuaʽ sagt : dunkel [ keha ]. (Was heißt dunkel ?)“ Und ähn liche Stellen gibt es zu Hunderten. Doch zweifelsohne beließ man solche Wendungen, übernahm sie zufä ll ig oder mit Absicht und behielt die Sprache der a lten Ha lakhot bei. So schrieb auch R av Sherira Gaon, sel igen Gedenkens, in seinem kostbaren Responsum : „R abbi ordnete sie a ls Ha lakhot an; einige von ihnen lehrte er in ihrem origina len Wort laut, und andere lehrte er so, wie er es für richtig hielt“ (Edition Neubauer, 10; Sch lüter, Weise, 89 [ § 50]). – Für diese Erweiterung der kurzen Ha lakhot wurde der Name Tosefta gebi ldet, das meint einen Zusatz der Erk lärung, und der Beleg dafür fi ndet sich im Yerusha l mi, wo erzäh lt wird, dass R abbi Abbahu sich sehr freute, wei l er eine a lte Tosefta gefunden hatte, die a ls Erläuterung dienen konnte (vg l. yShab 8,1 [ 11a]; ySheq 3,2 [ 47c]). Ebenso wird uns ein dunkeler Ausspruch erk lärt, der zweima l im Yerusha l mi, Pe’a und Ḥagiga, überl iefert wird, und so ist sein Wort laut : „R abbi Zeʽira und R abbi Yoḥanan : Wenn eine Ha l akha unter deine Hände kommt und du nicht weißt, welcher A rt sie ist, lass sie nicht gegen eine andere Sache streiten; denn, siehe, so viele Ha lakhot sind dem Mose am Sinai gesagt, und sie a lle sind in die Mishna eingesenkt. Sagte R abbi Abbin : Und das ist richtig für (das Problem) der zwei A rten Weizen, wo Naḥum gekommen ist und es uns erk lärt hat. Aber wissen wir den Grund dafür ? “ (yPea 2,4 [ 17a]; yHag 1,8 [ 76d]) Und dies ist die Erk lärung hierfür : „Wenn eine Ha lakha unter deine Hände kommt“ usw. – d. h., wenn du etwas gehört hast, was einem der Tannaiten in seiner Formu l ierung geläufig war; „und du nicht weißt, welcher A rt sie ist“, d. h., wenn du wegen ihrer Kürze nicht weißt, was sie bedeutet; „ lass sie nicht gegen eine andere Sache streiten“, d. h., lass deinen Verstand dadurch nicht

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hende und ausformu lierte Ha lakha und erließ sie a ls eine Grundlage, von der nicht mehr gewichen werden sollte. Wie es in ihrem Munde üblich zu sagen wurde : „Wenn es eine Ha lakha ist, dann nehmen wir sie an“ (mYev 8,3). Und sie sprachen : „Und über a lle sprach Rabbi Yehoshua‛ : Eine neue Auslegung legten die Soferim (ein Ehrentitel für diese und auch für die Großen unter denjenischnell ablenken, indem du auslegst, was dir gefä llt, vielleicht fi ndest du ja doch einen sinnvollen Gedanken, denn einige „ Ha lakhot sind dem Mose am Sinai gesagt“, d. h. sie gehörten zu den ä ltesten (wie wir den Begriff erk lärt haben), und sie sind aufgrund ihres A lters und ihrer Kürze unverständ l ich. „Und sie a lle sind in die Mishna eingesenkt“, d. h. es gelang den Weisen der Mishna, d. h. Rabbi und denen vor ihm, trotzdem, sie auszu legen und sie auszuweiten, ihnen einen Ort und eine Verbindung zu den k lareren Ha lakhot in unserer Mishna zu geben. (Die Aufnahme der auf diese Weise angenommenen Ha l akhot in unsere Mishna wurde daher „ Einsenkung“ genannt, was im Folgenden noch erläutert werden wird). „Sagte R abbi Abbin : Und das ist richtig“ usw. – dies stützt sich auf die Mishna in dem Traktat Pe’a : „Wer sein Feld mit zweierlei Saatgattung besät, gibt, wenn er auch zwei Tennen daraus macht, eine Pe’a; besät er es mit zwei A rten von Weizen, so gibt er, wenn er eine Tenne daraus macht, eine Pe’a; macht er aber zwei Tennen daraus, so gibt er zwei Pe᾽ot“ (m Pea 2,5). Siehe, diese Ha lakha ist eigent l ich für sich selbst verständ l ich, und sie benötigte gar nicht die Geschichte, die ihr sofort nachfolgt, zuma l sie nichts inha lt l ich hinzufügt : „ Eine Geschichte von R abbi Shim‛on aus Miṣpa, der vor R abban Gam l iel (auf letztere Weise) aussäte : Beide gingen hierauf zur Quaderha lle und fragten an. Da sprach Naḥum der Schreiber : Ich habe eine Tradition von R abbi Miyasha, der sie von seinem Vater empfi ng, welcher sie von den Paaren hatte, denen sie die Propheten tradiert hatten, a ls eine Ha lakha des Moses vom Sinai her : Dass, wenn jemand sein Feld mit zwei A rten Weizen besät, er, sofern er eine Tenne daraus macht, eine Pe’a gebe; macht er aber zwei Tennen daraus, so gebe er zwei Pe’ot.“ Sicherl ich ist diese Ha lakha so, wie sie in der Mishna auf uns gekommen ist, schon aus einer ä lteren und kürzeren Ha lakha erweitert; wie aus dem Ausdruck „zweierlei Saatgattung“ in dem Traktat Pe’a so auch in den Wendungen „zwei Reihen im Keller“ (m Pes 1,1); „el f Tage in Unreinheit [ n idda]“ (Sifra Ṣaw Pq. 11,6 [ 35a]), und man bedenke auch die Geschichte, mit deren Hi l fe diese a lte Ha lakha erläutert wird. Und dies meint auch der Hinweis, den Rabbi Abbin anführt, dass man a lte und dunk le Ha lakhot nicht aufspa lten sollte, denn einige von ihnen wurden sch l ießl ich doch erk lärt und konnten dann trotzdem in unsere k lare und eindeutige Mishna aufgenommen worden.

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gen, die die Ha lakha auslegten) aus, und ich habe nichts zu antworten“ (m Kel 13,6). Soweit es möglich war, gelang es ihnen, sie auszulegen und ihre Hintergründe mittels einer der hermeneutischen Methoden nachzuweisen, und dies nannte man dann „ Midrash Ha lakha“1. Sie nahmen darin auf und gaben in diesen Midrash, was aufgrund seiner zu tun sei, damit er nicht zu einem Irrglauben führe, und sie versuchten ihn mit dem zu verg leichen, was ihnen a ls anerkannte Ha lakha vorlag. A ll dies aber nennt man „Ta l mud“ oder „Absch luss der Ha lakha“. Fa lls sich jedoch bezüg lich einer der untersuchten A ngelegenheiten keine Ha lakha fand, gelang es ihnen, selbst einen Midrash der Schriftverse zu entwickel n, und zwar mittels der Methoden, die wir bereits erwähnt haben, wobei sie auf diese Weise neue Ha lakhot und Midrashim schufen. A llerdings entsprach es der Methode und Vorgehensweise einiger großer Weiser, sehr genau auf die a lten Ha lakhot zu achten, d. h. sie stets zu wiederholen, ihnen nachzustreben und sie vor dem Vergessen zu bewahren, sie stets von a llen Seiten auf münd liche Weise und aus dem Gedächtnis heraus den Schü lern und ihren Schü lern darzu legen, sodass sie nach und nach vor der schreckl ichen Zerstreuung bewahrt würden, die durch die erwähnten K riege verursacht worden war. Die Weisen pf legten dabei zueinander wie folgt zu sprechen : „Komm und untersuche die Ha lakhot, damit sie nicht schimmelig werden“ (SifDev Ha’azinu 306 [ 337]). Sie wäh lten sch ließlich immer mehr diesen Weg und legten auf diese Weise eigenständig neue Ha lakhot fest. Einige der Weisen aber, oder sogar ihre Mehrzah l, auch wenn sie die a lten Ha lakhot sehr verehrten, achteten nicht so sehr auf ihre A n liegen und verließen sich nicht völlig auf sie, sondern sie zogen es vor, sich auf ihre eigenen Midrashim und spitzfi ndigen Untersuchungen zu verlassen. Ein Gebot, welches vor sie gebracht wurde, erwiesen sie dann 1 K rochma l

verwendet hier zum ersten Ma l die Bezeichnung „Midrash Ha lakha“, die sich heute für die sogenannten tannaitischen Midrashim in der Forschung etabl iert hat. Siehe zu diesem Terminus auch L . Zunz, Die gottesdienst l ichen Vorträge der Juden historisch entwickelt. Ein Beitrag zur A ltertumskunde und bibl ischen K ritik, zur L iteratur- und Rel igionsgeschichte, Frankfurt a. M. 1832, Ndr. Hi ldesheim 1966, 50.

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gleich mittels hermeneutischer Methoden wie heqqesh [ Sachanalogie ] und sevara [ logischer Sch luss ] a ls unwahr. Für a ll dies, was wir erläutert haben, fi nden wir in vielen Dikta zah l reiche Belege in a llen Büchern der münd lichen Tora, die wir besitzen. Einige davon werden wir vielleicht noch im Folgenden ansprechen. Was die übrigen betriff t, stützen wir uns auf kundige Gelehrte, von denen sich unter uns eine nicht geringe Anzahl fand; sie entdeckten die Belege, die von uns nur angedeutet wurden, und mit ihnen kann man sie leicht an den betreffenden Stellen auffinden. Uns aber schuf der A llgegenwärtige hunderte [ weitere ], damit wir sie hier anführen können. So achte von nun an genau auf unsere Ausführungen :1 Wenn nun die Gelehrten der Lehrhäuser nach der erwähnten Zerstörung [ des Tempels ] oder auch die diesen Nachfolgenden, Tannaiten oder A moräer, irgendeine a lte Halakha vorfanden, und zwar in der A rt, dass sie eine umfassende Bestimmung hinsicht lich [ der Durchführung ] eines Gebotes oder sogar in Bezug auf eine Hinzufügung [ eines Verbotes, damit das Gebot nicht übertreten werde, ] oder eine Verordnung [ z ur Verbesserung des Gebotes ] enthielt, und zwar der Gesta lt, dass die Verrichtung [ dieses Gebotes ] völlig unmöglich gewesen wäre, wei l nicht auf [ d ie eine oder andere ] A rt noch zu Vorzeiten näher definiert worden war, oder dass man eine Ha lakha vorfand, von der sich die Tradenten erinnerten, dass sie bis auf die Paare zurückzuführen sei, d. h. bis auf [ d ie Zeit ] am Ende der Tage der Soferim; oder dass man [ hinsicht lich eines Gebotes ] eine Übereinkunft vorfand, über die es keine Meinungsverschiedenheit gab, von der jedoch nicht überliefert wurde, wann sie vollendet und abgesch lossen worden war – über so beschriebene Ha lakhot verhandelten und diskutierten die Weisen, insofern [ d iese näm lich ] zu den notwendigerweise ä ltesten Ha lakhot gehörten, ebenbürtig mit Hilfe der zuvor von uns untersuchten Explikationen der Soferim. Sie waren von [ den Soferim ] oder sogar von den Propheten oder sogar aus noch früheren Zeiten überliefert worden (auch wenn sie nicht 1 Vg l .

471 – 474.

L ehnardt, Entwick lung, 120 f.; Grözinger, Jüdisches Denken III,

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einma l dem Namen und der Form nach einer Ha lakha glichen), und deswegen bezeichneten sie solche Ha lakhot einerseits gewiss zutreffend, andererseits nur in übertragener Redeweise bzw. auch in völliger Übertreibung a ls Ha lakha le-Moshe mi-Sinai, d. h. um Ha lakha, die nicht mehr in die Explikationen der Soferim eingesch lossen war und die auch nicht auf einer Auslegung [ eines Bibelverses durch ] die Weisen basierte, die [ aber ] hinsicht lich ihrer Fixierung sehr a lt war, und von der es eine Erinnerung an ihre Überlieferung seit den Paaren gab, von deren [ genauer ] Entstehungszeit man aber keine A hnung mehr hatte, die aber dennoch a llseits anerkannt und nie umstritten war und die trotzdem in ihrem Nutzen, ihrer Notwendigkeit und ihrem A n liegen hinsichtlich einer Bestimmung den Explikationen der Soferim und ihren Begrenzungen glich. Und deswegen waren solche Ha lakhot vom Sinai bzw. [ eine Ha lakha ] „a ls ob [ dem Mose von Gott ] am Sinai [ gegeben ]“ nie gleichermaßen Gegenstand der Nachforschung und Interpretation, des Disputes und der mehrheit lichen Gerichtsentscheidung oder sogar der Überlieferung durch bestimmte Lehrer wie die meisten anderen Ha lakhot. Unter dieser Voraussetzung, doch a l l ei n u nter i h r, erübrigen sich a lle diese schwierigen Fragen, die diesbezüg lich unter den großen Gelehrten und Rabbanim diskutiert wurden. So gibt es z. B. unter diesen a ls Ha lakha le-Moshe mi-Sinai eingeführten Sätzen Einschränkungen der von den Rabbinen erlassenen Gebote oder sogar ihrer Verordnungen. Auch wird | unter dieser Bezeichnung im 214 Ta lmud das bezeichnet, was eigent lich nur lange gehegter Brauch war, wie z. B. die Vermeidung gewisser Paarungen. Manchma l findet sich sogar, dass über sie die letzten der Tannaiten streiten, und derlei große Schwierigkeiten gibt es viele, die man nicht a lle lösen kann, solange man diese Redeweise und Umschreibung [ sc. Halakha le-Moshe mi-Sinai ] nur im wört lichen Sinne versteht. Und schon folgen uns einige wenige Gelehrte auf unserem Weg (vgl. besonders die Shu’’t Ḥowwot Ya’ir, she’ela 1921 [ des Ya’ir Ḥayyim ben 1 Vg l. Ya’ir Ḥayim ben

Moshe Shimshon Bacharach, Sefer She’elot u-Teshuvot Ḥowwot Ya’ir, hg. v. Sh. B.-Z. Kots, Jerusa lem 1997, 506 ff.

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Moshe Shimshon Bacharach ], der viel über diese A ngelegenheit in unserem Sinne spricht und der ein großer Gelehrter war, der nach der Wahrheit mit a ll seiner K raft suchte). Uns genügt hier jedoch, in dieser A ngelegenheit die Worte des Rosh [ Rabbenu Asher ben Yeḥi’el ], seligen Angedenkens, zu zitieren (Traktat Nidda, Hil khot Miqwaʼot § 1)1 : „Rabbi Yehuda ( ?) sagt, dass wir keine Stelle fi nden, in der eine Ha lakha le-Moshe mi-Sinai eine Miqwe für untaug lich erk lärt. Wenn es aber doch eine Stelle gäbe, so müsste sie wie die (folgende) Ha lakha le-Moshe mi-Sinai erk lärt werden : A mon und Moab sondern im Siebentjahr den A rmenzehnt ab, wie es in einer Baraita im Traktat Ḥagiga heißt, was nichts anderes bedeutet, a ls dass diese Ha lakha so k lar wie eine Ha lakha le-Moshe mi-Sinai ist. Ebenso sind wirk lich a lle Sätze in den sechs Ordnungen der Mishna, die mit „be-emet ha lakha hi“ [ in Wahrheit (ist sie) Ha lakha ]2“ eingeführt werden, Worte der Rabbinen, wie im ersten Kapitel des Traktates Shabbat, wo es heißt : „Man darf nicht (bei einbrechender Dunkel heit) lesen, doch hat man gesetz lich erlassen [ be-emet ameru ], dass der ḥazzan zusehen darf, wie die K inder lesen, aber nicht selbst lesen darf“ (mShab 1,3; bShab 11a); Rabbenu Tam erk lärt dazu, dass jedes „be-emet ameru“ Ha lakha bedeute, was im Yerusha l mi steht : „Es ist eine Ha lakha le-Moshe mi-Sinai“, obwoh l das Verbot (bei A nbruch der Dunkelheit) zu lesen von den Rabbinen stammt; doch wei l es eine so k lare A ngelegenheit ist, wird sie wie eine Ha lakha le-Moshe mi-Sinai betrachtet“ – bis hier das Zitat. Unserer Erk lärung folgend ist gut nachzuvollziehen, was sie meinten, wenn es in ihren Aussprüchen heißt : „Immer wenn sie ‚in Wahrheit‘ [ be-emet ] sagten, [ ist ] eine Ha lakha le-Moshe miSinai [ gemeint ]“. 3 Dies bedeutet, dass das in der letzten Mishna zitierte Wort „ameru“ [ „sie sagten“ ] stets auf eine a lte Ha lakha hindeutet. So z. B. auch in „sie sagten : Zwei Reihen“ (m Pes 1,1), was 1 Vg l.

den Wi l naer Druck des Bavl i im A nhang zu bNid : R abbenu A sher, Hi l khot Miqwa’ot, § 1 (89d). 2 Das heißt, Sätzen, die mit „be-emet ameru“ (wört l. „wahrhaftig sagte man“) beginnen, wird die Autorität einer Ha l akha zuerkannt „wie dem Mose am Sinai gegeben“. 3 Vg l. yK i l 2,2 (27d).

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darauf hindeutet, dass dieses Gebot überliefert war, ohne jema ls in Zweifel gezogen worden zu sein. Daher sollte es sich um eine der ä lteren Ha lakhot handel n, und die erwähnte Wendung [ sc. Halakha le-Moshe mi-Sinai ] triff t zu Recht auf sie zu. So kam es, dass man die Bezeichnung auch auf solche [ Sätze ] übertrug, die sicher auf die Tätigkeit der Soferim mit ihrer Tradition zurückging, obwoh l auf [ sie ] die Bezeichnung Ha lakha nicht zutraf. Sie sprachen (bNed 37b) : „Die Lesung der Schriftschreiber, die Auslassungen der Schriftschreiber, die zu lesenden und nicht zu schreibenden und die zu schreibenden und nicht zu lesenden (Worte) sind sämtlich Ha lakha le-Moshe mi-Sinai.“ Selbst über die Sch lussbuchstaben sagten sie manchma l : (Die Fina lbuchstaben) mem, nun, ṣade, pe und kaf haben die ṣofi m eingeführt“ (bMeg 2b). Dies bezieht sich auf die ersten Soferim, unter denen sich sogar noch Propheten befanden. Und einma l heißt es daher auch, dass [ d iese Buchstaben auf ] Ha lakha le-Moshe mi-Sinai beruhen. Manchma l vereinigen sich diese beiden Bezeichnungen auch wie [ bei den ] Maßen, die im Tempel verwendet wurden, oder [ bezüglich der ] Lehrstunden über Verbote mit denen über Strafen. Einige von den wichtigeren unter ihnen stammten ohne Zweifel von den Soferim, auf die sie auch mit ihren Zeichen hinweisen. A ndere gehen auf die ä lteren, besser fi xierten Ha lakhot zurück. Sie werden manchma l auch mit „von den Worten der Soferim“ eingeführt, manchma l aber auch a ls „Ha lakha le-Moshe mi-Sinai“. In dem K apitel „Über die Maße“ (K apitel 17 des Traktates Kelim) werden die Maße a llerdings mit „ameru“ eingeleitet, wie es heißt : „Unter Granatäpfel n, von denen man gesprochen hat [ she-ameru ]“ (m Kel 17,5); „Warum aber sind die Granatäpfel von Baddan genannt worden ? “ (ebd.); „Die Ei- Größe, von der sie gesprochen [ she-ameru ]“ (m Kel 17,6); „Das Oliven-Maß, von dem sie gesprochen [ she-ameru ]“ (m Kel 17,7); „Das Linsen-Maß, von dem sie gesprochen [ she-ameru ]“ (ebd.). Und in der Mishna K il ʼayim (6,6) heißt es : „ A lle Maße, die die Weisen beim Weinberg festgestellt haben, erfordern keinen Überschuss, ausgenommen die Stücke des Weingeländers.“

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Das Folgende sei über das gesagt, was in den Aussprüchen der Weisen a ls die tiqqunim bezeichnet wird. Zu Beginn sei angemerkt, dass man zwischen tiqqunim [ Verbesserungen ] und taqqanot [ Verordnungen ] zu unterscheiden hat, was auch den Worten [ der Rabbinen ] zu entnehmen ist : Fa lls sie eine Feh lentwick lung korrigieren mussten, die aufgrund eines a lten minhag auf sie gekommen war, verbesserten sie sie, und diese taqqana erneuerten sie den Zeitumständen entsprechend, [ wie es heißt] : taqqana der (aus der gola) Heimkehrenden; taqqanat Usha. Und in den meisten Fä llen steht die taqqana gegen die Ha lakha, die dem Gesetz der Tora entspricht, wie es etwa in dem über das Geschworene und das Fortgenommene heißt : „ Hierbei lehrten sie bedeutende Ha lakhot. Sind diese denn Ha lakhot, es sind taqqanot ? “ (bBM 112b) – und das Verb, welches aus der Wurzel gebildet wird, heißt : „hitqin“. Doch der tiqqun ist bereits für sich genommen Basis für eine Entscheidung; und dies nicht a llein a ls Reaktion auf eine Feh lentwick lung, die ihm vorangegangen ist; und die Hand lung, die daraus abgeleitet wird, heißt tiqqun. Und dies bedeutet, dass sie a lle früheren tiqqunim, die zu einem unbekannten Zeitpunkt vorgenommen wurden, nur aufgrund einer bekannten Auslegung oder aufgrund eines bestimmten Schriftverses aufnahmen (nicht dass ein solcher Vers angeführt worden wäre, um etwas abzusch ließen, sondern er wurde angeführt, um [ einen anderen Vers ] zu erläutern; nicht [ um ihn zu ] versch ließen, sondern [ um ihn ] zu eröff nen), der sich auf eine frühere Zeit bezog, der jedoch nach Möglichkeit und Zweck diesem tiqqun dienen konnte. Sie sprachen : „Mose verordnete die Birkat ha-mazon [ den Tischsegen]“ (bBer 48b), denn schon zu seinen Lebzeiten benötigte man einen solchen Segensspruch über die Speise, wie es auch aus dem bekannten Kommentar der Soferim über den Schriftvers : Und du wirst essen und satt werden und du sollst segnen (Dtn 8,10) ersichtlich wird, dass man wirk lich an der Berakha selbst, so wie sie uns vorliegt, erkennen kann, dass sie nicht aus der Zeit des Mose stammt (denn in ihr werden z. B. die Wörter „zan“ und „mefarnes“ verwendet, die sich erst in späterem Hebräisch finden). Ebenso gi lt dies | für die Birkat ha-areṣ [ Segen über das Land, einem Teil des Tischsegens ], welche Josua

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zugeschrieben wird; und g leichfa lls gilt dies für die Berakha „bone Yerusha layim“, die David zugeschrieben wird. Der Beweis dafür, dass sie sie genau dieser Zeit zuschreiben konnten, die ihnen a ls passend erschien, d. h. der Zeit der Soferim, findet sich in bBer 33a : „Die Berakhot, Qedushot und Havda lot verordneten die Männer der Großen Versamm lung.“ „Zehn Verordnungen traf Josua : Dass man das Vieh [ in fremden ] Wä ldern weiden darf“ usw. (bBQ 80b81a). Ohne Zweifel stützte man dies auf den Vers : Und Josua schloss einen Bund mit dem Volke an diesem Tage und gab ihm Satzung und Recht in Sichem ( Jos 24,25). Oder wie der Ramban [ Moshe ben Naḥman ] den Vers über Masa, dort gab er ihm Satzung und Recht (Ex 15,25), treff lich auslegte, dass er sich auf die tiqqunim und die Ermahnungen der die Ordnung des Lagers Übertretenden bezieht. Man untersuche die Stelle dort.1 Ebenso schrieb man die Verbindung der Höfe [ ʽeruve haṣerot ] und die Waschung der Hände (vor dem Verzehr) von Geheiligtem Sa lomo zu, zuma l es scheint, dass die Israeliten vor seiner Zeit und von den Tagen der R ichter an Bauern [ ‛ovde adama ] waren, und fast a lle wohnten an unbefestigten Orten und in Gehöften, und ihre Häuser lagen über das Land verstreut und wurden mit zu dem Land gerechnet, wie es in der Tora heißt : Und Häuser und Flecken, die keine Mauer ringsherum haben, werden zu den Feldern des Landes gerechnet (Lev 25,31). Demzufolge bestanden keine Möglichkeit und auch keine Veranlassung für diesen tiqqun, denn es gab noch keinen Besitz eines Einzelnen, der neben dem Besitz eines Anderen lag. Doch zu Sa lomos Zeiten, durch den Zuwachs an Reichtum und die Verbesserung der Lebensumstände, vergrößerte sich der Reichtum an den verschiedenen Orten, und die Städte wuchsen samt ihrer Märkte und großen Höfe, die langsam zu einer Stadt zusammenwuchsen, wie es im Bi’ur erläutert ist, 2 dass er viele Vorrats- und Festungsstädte mit hohen Mauern und mit Tor und R iegel baute. Daher schrieb man ihm und den Weisen seiner Zeit diesen tiqqun 1 Vg l. Perushe ha-Tora le-R abbenu Moshe ben Maimon, hg. v. Chavel, I 359;

Ramban (Nachmanides) Commentary on the Torah, hg. v. Chavel, II 208. 2 Vg l. Mendel ssohn, Sefer Netivot ha-Shalom V, 204b (be-har).

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zu. Ebenso betrachtete man die Unreinheit der Hände a ls eine Verordnung, die aus seiner Zeit stammte, zuma l man noch bis in seine Zeit auf den Höhen Opfer darbrachte. Doch in seiner Zeit hielt man Einha lt, für Einzelne und in der Öffentlichkeit Opfer darzubringen. Dafür nahmen die Abgabe von Priesterhebe und die Weihgaben für Jerusa lem zu, und daher benötigte man auch immer mehr Verwarnungen, um die Reinheit zu bewahren, und nimm zur Kenntnis, was dazu in den Chronikbüchern steht : Daher, nach den letzen Worten Davids … sei die Stelle der Leviten an der Seite der Söhne Aarons, um der Reinheit alles Geheiligten willen (1 Chr 23,27 – 28). Und im Buch Nehemia wird über jene Zeit mit folgenden Wendungen berichtet : Und die Obhut hielten (über den Dienst) (Neh 12,45), und die Obhut über die Reinheit nach dem Gebot des David und des Salomo, seines Sohnes. Das Erstaun liche aber ist, dass hier im masoretischen Text ein waw-copu lativum steht. Möglicherweise haben a lso erst die frühen Soferim das Buch Esra und Nehemia vollendet, und vielleicht wollten sie damit andeuten, dass der Ausdruck „Obhut über die Reinheit“ auch die Gebote über das Händewaschen vor dem Berühren von Geheiligtem einsch ließt. Bekanntlich bezeichneten sie jeden tiqqun a ls bewahrenden „ Zaun“ [ seyag mishmeret ], und mittels Auslassens eines waw konnten sie andeuten, dass es sich um einen tiqqun Sa lomos handelte. Denn dieser konnte nur auf seine Zeit zurückgehen, und daher fi ndet man auch geschrieben : Daher, nach den letzten Worten Davids usw. Gemäß unserer Absicht ist es a llerdings nun auch angebracht, darauf hinzuweisen, dass auch die Waschung der Hände vor dem Gebrauch von Profanem auf eines der achtzehn Dinge zurückzuführen ist. Sie [ sc. die Christen ] berichten darüber in ihrem Evangel ium, dass es sich um eine Tradition der A lten handelte [ ‫] משלמנותא דקשיש א‬,1 und auch bezüg lich dieser Verordnung gi lt, dass sie nicht mehr a ls hundert Jahre, bevor darüber erzäh lt wird, entstanden sein kann. Einer der tiqqunim, der tatsäch lich aus jener Zeit stammt, der man ihn zugeschrieben hat, fi ndet sich in folgender Baraita des 1 Vg l.

Mt 15,2.

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Traktates Bava Qamma : „Zehn taqqanot (eigent lich müsste hier entsprechend der femininen Form „asara“ und gemäß der Differenzierung, die wir oben vortrugen, „tiqqunim“ stehen) (bBQ 82a) erließ Esra, die letzte von ihnen war, dass sich ein Samenf lüssiger einem Tauchbad unterziehen müsse, bevor er am in der Öffentlichkeit und in der Yeshiva durchgeführten Tora-Studium teilnehmen konnte. Sch l ießl ich hob man diese taqqana jedoch wieder auf, weil man um die Fortpf lanzung der Ta l mud-Schü ler fürchtete. Daher (heißt es im Traktat Ketubbot1) : „Shimʽon ben Shetaḥ verordnete die Ketubba für eine Frau“, denn zuvor war es üblich, ihr die Summe in Geld auszuzah len, doch er erließ, ihr schrift lich auszuhändigen, dass sie A nspruch auf den gesamten gemeinsamen Besitz habe. Das Wort Ketubba selbst ist ein Neologismus, und zweifelsohne ist es dem Griechischen nachgebi ldet. So ist es a lso richtig und notwendig, dass wir mit a ller K raft die einzel nen Äußerungen über Glauben und Wahrheit genauer untersuchen, sie auch mit a llem auf ihre A rt des Umgangs mit den Grundsätzen, auf die sie sich stützen, verg leichen und das nutzen, mit dem sie die Wahrheit der Tradition überhaupt erweisen, damit sie [ u ns ] durch ihre Übertreibungen an jenen Stellen, an denen man sie fi ndet, nicht in die Irre führen – damit der Verständige nicht etwa getäuscht werde durch den bekannten Spruch (yPea 2,6 [ 17a ]) :2 „A lles, was ein kundiger Schü ler einma l vor seinem Lehrer [ i n einer umstrittenen Sache ] entscheiden wird, wurde bereits dem Mose am Sinai gesagt.“ Denn die ihm eigene Übertreibung ist offensichtlich, und daher sahen wir uns durch das Gesetz unserer Weisen verpf lichtet, darauf hinzuweisen, was sich hinter ihm wirk lich verbirgt. Näm lich, dass die Wendung, „was ein kundiger Schü ler | einma l entscheiden wird“, auf die [ eigene ] Betrachtung und die verstandesmäßige Überlegung hinweist; doch man beachte an diesem Diktum, dass man demnach aus der Natur des Geistigen zu voll kommener Einheit gelangen kann, dass jeder Ge1  E s

muss heißen : bShab 14b. – Vg l. bKet 82b. auch yMeg 4,1 (74d); yHag 1,8 (76d).

2 Vg l.

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bildete von A nfang an a lle Zeiten läufe in sich aufnehmen kann, die, die sich ereignet haben, und die, die wiederkehren werden. Wie bei dem K reisbild, welches ein passendes Symbol dafür ist, fa lls man eine gerade Linie auf einen ihrer Ausgangspunkte zurückführt, denn schon unter dieser Bedingung sind bereits a lle Begrenzungen und Eigenschaften, die die Konstrukteure des K reises erwähnten, eingesch lossen, ohne dass man zuvor etwas erk lären müsste, sondern viel mehr ist a lles in diesem K reis eingeschlossen, nach der A rt, wie man etwas sagte, sind ihm bereits a lle wundersamen und bekannt gewordenen Bedingungen und Eigenschaften vorgegeben und man kann sie sich bereits innerha lb des K reises vorstellen. Doch solange man sie nicht erk lärt hat, sind sie noch in der Potentia lität eingesch lossen. Wenn man sie aber durch irgendeine rationa le A na lyse herausarbeitet, wenden sie sich in Relation zum Vorherigen in den Zustand der A ktua lisierung. Von daher gibt es auch eine Quelle für das bereits über den Sinn der Rezeption einer Sache Gesagte, dass er sich gegenüber dem Geber, dem Heiligen, gepriesen sei er, nur in der Potentia lität befi ndet, dass sich aus seiner Sicht aber kein Unterschied zwischen der Potenz und der A ktua lisierung, wie auch demjenigen, der sie aktualisiert, ausmachen lässt. Doch kehren wir zu unserer Auslegung der Ha lakhot zurück : Wir haben bereits dargelegt, dass der Hintergrund für den Zuwachs an Ha lakhot, die aufgrund von Midrash Ketuvim gewonnen worden waren, die Auslegung von Schriftversen war. Sie wurden mittels hermeneutischer Methoden und A na logien erhoben. Dies brachte es aber mit sich, dass nicht nur jedes Gebot für sich genommen, sondern auch jeder Vers der Tora und in den übrigen heiligen Schriften dazu beitragen konnte, irgendeine Neuerung oder Bestimmung betreffs irgendeiner Ha lakha zu finden. Darauf a llein aber bezieht sich der Gegensatz zwischen Worten der Tora und denen der Soferim, miṣwot der Tora und miṣwot der A lten. Erneut sei dabei auf einen Gegensatz hingewiesen : Schrift [ miqra ] und Halakha. Die Schrift, die sich auf das stützt, was aus ihr gelehrt wird, und die Ha lakha, die sich auf sie stützt und studiert wird. Sie sagten im Traktat Ḥagiga (m Hag 1,8) : „Die Lösung der Gelübde schwebt

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in der Luft; sie hat nichts, worauf sie sich stützen könnte; die Halakhot über den Shabbat, über die Festopfer und über die Veruntreuungen sind wie Berge, die an einem Haare hängen; denn sie bestehen aus wenigen Schriftworten und zah lreichen Bestimmungen. Die Rechtspf lege und die Opfergesetze, die Vorschriften über die Reinheit und Unreinheit und über Blutschande – sie haben, worauf sie sich stützen können, sie sind Hauptstücke der Tora“ (denn die schriftliche Tora geht ausführlich auf sie ein). Und in der Gemara desselben Traktates : „Der Aussatz wird in der Schrift viel behandelt, doch die ihn betreffenden Ha lakhot sind wenig“ usw. (bHag 11a). Ebenso sind die Schriftstellen, in denen die Unreinheit durch Bezeltung behandelt wird, wenige, doch die Ha lakhot viele. Sie sagten außerdem (bSot 16a) : „A n drei Stellen verdrängt die Halakha einen Schriftvers.“ Dieser Ausspruch macht einen a lttradierten Eindruck, warum er sehr ungewöhn lich ist. Er bedeutet ja so viel wie, dass die Ha lakha einen Schriftvers umgeht, a ls ob es ihr gelingen könnte, aus ihr das Gegentei l von dem zu erlangen, was in ihm steht. Wir erinnern aber auch daran, dass es viele Ha lakhot gibt, insbesondere auf dem Gebiet der Geldgeschäfte und Geldstrafen, für die es überhaupt keine Bibelbelegstellen gibt. Die meisten von ihnen finden sich in den Bavot der Ordnung Neziqin. Nach unserer Auffassung wurden sie von unseren Weisen „Verordnungen“ [ gezerot ] und „Gesetzesanordnungen“ [ ḥatukhe dinim ] benannt. Sie führen für sie Gründe an, die sie aufgrund eigener Überlegung gewonnen haben, und ihre Ratio beruht nicht a llein auf Schriftversen, auch wenn sie in der Regel sowoh l mit den Geboten der Tora a ls auch mit den Geboten der Rabbinen übereinstimmen. Daher legten sie den Vers und richtet (Dtn 1,16) folgendermaßen aus : „ Erwäge das Urteil und entscheide dann“ (bSan 7b).

Auch werden wir im Ta lmud an die Bezeichnung Hil khot medina [ Gebote für die Regierung des Landes bzw. Staatsgesetze ] erinnert, auch dass um sie herum sicherlich viele Gebote geschaffen worden sind, wie die erwähnte Mishna belegt. Doch über ihre Auslegung stritten bereits Shemu’el und Rabbi Yoḥanan, ob diese Hil-

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khot medina oder Ha lakha le-Moshe mi-Sinai seien.1 Tatsäch lich beziehen sich aber a lle Stellen, an denen es heißt, „an einem Ort, an dem man sich erinnerte, dass“ oder „an einem Ort, an dem man folgendermaßen zu tun pf legte“, auf diese Hil khot medina. Es scheint, a ls seien diese Ha lakhot mit dieser Bezeichnung versehen worden, weil sie einem spezifischen Brauch in ihrem Land entsprachen; wie man z. B. hinsichtlich des Erwerbs oder der Vermietung von Gegenständen, der Nachbarschaft oder der Auftei lung von Dingen Gebote und Ha lakhot fand. In Bezug auf ihre Gü ltigkeit sind sie jedoch ganz selbstverständ lich hinsichtlich ihrer A nwendung zu unterscheiden. Manchma l folgt ihnen am Ende lediglich die Erk lärung, dass dies a lles dem Brauch des Landes entspreche. Ha lakhot dieser A rt finden sich oft in dem Kapitel ha-shuttafi n (m Ned 5), und bezüg l ich desjenigen, der ein Haus verkauft, desjenigen, der ein Schiff verkauft in dem Traktat Bava Batra; auch in dem Kapitel Ha-meqabbel in dem Traktat Bava Meṣiʽa (m BM 9). Ihr Gegenstück bi ldet die Bezeichnung Hil khot qevu‛ot, die mehr den Erlassen [ gezerot ] g leichen, da sie sowoh l auf dem verstandesmäßigen a ls auch auf dem tora-gemäßen Recht basieren, nicht a l217 lein auf dem Brauch. Und dies ist, was sie darüber sagten : | „ Sagte Rabbi Naḥman, sagte Rabbi Shemu’el : Wenn die Brüder getei lt haben, so hat einer an den anderen keinen Anspruch hinsichtlich der Wege, der Leitern, der Fenster und der Wasserläufe“ (bBB 65a). Und sie verwarnten darüber, dass es sich hierbei um Hil khot qevu‛ot handele. Das heißt, die Absicht dahinter war : Sie war auf dem Grundsatz aufgebaut, dass die streitenden Brüder beide berechtigt waren, und indem man darauf verwies, dass es sich um eine Ha lakha qevu‛a handele, machte man auch darauf aufmerksam, auch Rabbi ‛Aqiva in der Mishna streite darüber mit den Weisen. Daher nannte man auch das Gesetz über die Schwüre eines Lohnarbeiters und die anderen Gebote über Schwüre und Befreiungen von diesen : Hil khot qevu‛ot, um davon die Hil khot medina auszunehmen. Tatsäch lich dürfen ja Hil khot medina in keiner Weise gegen das Tora- Gesetz verstoßen; sie dürfen ihm nur etwas hinzu1 Vg l.

bQid 38b.

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fügen, wie es heißt : „Fruchthüter dürfen nach den Hil khot medina essen, aber nicht nach (dem Gesetze) der Tora“ (bBM 93a), d. h., nach dem Vers wenn du kommst in den Weinberg deines Nächsten (Dtn 23,25), der sich nach dem Kommentar der Soferim nur auf die Tat bezieht. Die Regel, die aus a ll dem folgt, was wir erk lärt haben, ist, dass es hinsichtlich der Quellen oder Wurzel n der Ha lakhot vier Stufen gibt : 1. Es gibt (Ha lakhot), die aufgrund der Schrift mittels einer Auslegung [ derash ] gewonnen werden : Die Methoden dafür sind in den dreizehn hermeneutischen Regeln [ middot ] zu fi nden und darüber hinaus in den Methoden der exegetischen Halakha-Findung, und wir werden sie a lle noch genauer erläutern (und zwar in der angekündigten Pforte über den vierfachen Schriftsinn [ pardes ]). Nach Anlage und Recht basieren diese Ha lakhot zum größten Teil auf Tora- Gesetz, auch wenn ihre Midrashim bei unseren Weisen manchma l auch Midrash ḥakhamim genannt werden, wie auch die Kommentare der Soferim, deren Autorität derjenigen der schrift lichen Tora in nichts nachsteht. Diese werden dabei von ihnen auch Worte der Soferim genannt [ divre Soferim ]. 2. A lte Ha lakhot, für die sich keine Auslegung in der Schrift findet, wobei ihre Autorität derjenigen von früheren wegen ihres A lters und ihrer A llgemeingü ltigkeit gleicht. Sie werden a ls „Ha lakha le-Moshe mi-Sinai“ [ Ha lakha dem Mose am Sinai gegeben ] bezeichnet. 3. Jene, die nach unserer Auffassung a ls verordnete Rechtssätze [ d ine gezerot ] und festgelegte Rechtssätze [ Hil khot qevu‛ot ] zu bezeichnen sind. Sie sind der verstandesmäßigen Überlegung zuzuordnen, der Logik und dem Konsens hinsicht lich des Verständnisses der a llgemeinen Gü ltigkeit von Tora- Gesetzen. Manchma l findet sich für sie auch ein Beleg aus der Tora. Sie basieren jedoch nicht auf einer Auslegung mittels Midrash Halakha aus der Schrift, sondern sie stützen sich lediglich auf die Schrift (asmakhta).

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4. Staatsgesetze [ Hil khot medina ], d. h., was die Einwohner eines Staates [ den Juden ] auferlegten; dies musste nicht unbedingt der Schrift oder dem a llgemeinen und festgesetzten Recht, welches auf Verstandesentscheidung basiert, widersprechen. Doch fanden sie sich nicht in der Schrift, und dieses Recht stand daher außerha lb dessen, was die Weisen a ls umfassendes Recht in ihren Dikta festgelegt hatten. Wie sie sagten : Es gibt keine Ha lakha zur Hä lfte (vgl. bKer 22b)1.

Doch man bedenke, wie unsere Forschungen mit diesen Definitionen der unterschied lichen Ha lakhot und ihrer Funktionen, sei es aufgrund der Tora oder aufgrund einer erschwerenden Bestimmung der Rabbinen, übereinzustimmen scheint. Diese Betrachtung aber wurde in der Tat aus der Lehre der Gemara geschöpft und gehört eigent lich nicht zu dem von uns Untersuchten. Doch sei dem kundigen Leser zumindest die K ritik am Rav [ Moshe ben Maimon ] und seinem Sefer ha-Miṣwot durch den Ramban [ Moshe ben Naḥman ] in seinen Erwiderungen in Erinnerung gerufen :2 Tatsäch lich sind ja die Ausführungen beider großartig (ihr Andenken zum ewigen Segen !), sie sind aufrichtig und treffen auf jeden zu, der nach Erkenntnis sucht, und unserer Darstellung folgend kann man zwischen beiden leicht einen Vergleich anstellen. Nun wollen wir die Entwick lung zusammenfassen, wi ll sagen : Was geschah mit den Ha lakhot seit ihrer Entstehungszeit bis zu ihrer Festlegung und bis zum Absch luss unserer Mishna ? Wie wurden einige dieser Ha lakhot erk lärt ? – a lles gegen Ende der Tage Rabbis, des Heiligen, und in der Zeit kurz vor und nach ihm. Wir haben bereits erfahren, dass es sofort nach der zweiten Generation seit der Begründung der Ha lakhot für ihre Festlegung und Lehre 1 Dort

heißt es : „ Es gibt keine Wortana logie zur Hä l fte.“ Sefer ha-Miṣwot la-Rambam ʽal-pi defus rishon Qushta ‘270 ʽim hassagot ha-Ramban, hg. v. Ch. D. Chavel, Jerusa lem 1981. Siehe dazu F. Rosentha l, Die K ritik des maimonidischen „ Buches der Gesetze“ durch Nachmanides, in : W. Bacher/M. Brann/D. Simonsen (Hg.), Mose ben Maimon. Sein Leben, seine Werke und sein Einf luss, Leipzig 1908, 475 – 495. 2 Vg l.

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zwei große Lehrhäuser gab, von denen das eine das andere an Bedeutung und auch an zah lenmäßiger Stärke bei weitem übertraf. Auch folgte man stets ihrer Festlegung der Halakha. Die ihnen vorstehenden Lehrer waren die bekannten Paare, und zwar die ersten unter ihnen : Yosef (oder mit griechischer Betonung Yose) ben Yo‛ezer, der Mann aus Zereda, und Yose ben Yoḥanan, der Mann aus Jerusa lem. Die letzten unter ihnen waren : Hillel und Shammai. Doch in der späteren Großen Versamm lung, d. h. nach der Tempelzerstörung, gab es drei Große : Den nasi, den av bet din und den ḥakham – und daher dachte man auch den früheren Vorstehern der Versamm lungen diese Ehrentitel, nasi und av bet din, zu. Dem tiefschürfenden Forscher | jedoch dachte man keinen Namen zu, 218 und er erhielt auch keinen eindeutigen Rang. Der Zweifel darüber wird auch in den beiden Ta lmudim deutlich, und zwar sowoh l hinsichtlich des Paares Yehoshua‛ ben Peraḥya und Natai ha-ʽArbeli a ls auch hinsichtlich des Paares Yehuda ben Ṭavai und Shim‛on ben Shetaḥ – wer war von ihnen der nasi und wer der av bet din  ? Aus den Schriften des Josephus, auch von anderen Schriftstellern dieser frühen Zeit, wird jedoch deutlich, dass in a llen großen, sich von Zeit zu Zeit versammel nden Sanhedrin-Versamm lungen Ä lteste aus beiden Schu len anwesend waren. Stets war der Vorsitzende dieser Versamm lungen der Hohepriester dieser Zeit. In ihren erwähnten Schriften werden auch Shema‛ya und Avṭa lyon genannt, und sie wurden tatsäch lich zu Vorstehern der Lehrer und großen Persön lichkeiten des Vol kes – a llerdings werden sie ohne einen Titel nasi oder eine sonstige Ehrbezeichnung erwähnt. Ebenso haben wir bereits daran erinnert, dass Yoḥanan, dem Hohepriester, bedeutende tiqqunim hinsicht lich der Unterweisung zugeschrieben werden. Die Zeit, zu der dies geschah, war zweifellos die des Yehoshua‛ ben Peraḥya. Die erste Phase des Vergessens von Hilkhot qevu‛ot und von Ausdrücken von Hil khot, die gelehrt worden waren, lag in den Jahren der Not und des schweren K rieges, der wegen unserer Sünden zwischen den Familien der Hasmonäer gegen Ende ihrer Herrschaft ausgebrochen war, und sie dauerte bis Herodes während dreißig Jahren die Herrschaft erlangte. Diese Zeit des Vergessens lag nach

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Shema‛ya und Avṭa lyon, die nach der Berechnung der Generationen schon im Jahr 260 nach der Zeitrechnung starben, ungefähr einhundertfünfzig nach dem Beginn der Abfassung von Ha lakhot. Dama ls gab es keine großen Lehrer mehr im Lande Judäa, und die Yeshivot dümpelten vor sich hin. Zu jener Zeit wurden Ä lteste aus der Stadt Betera zu Lehrern, aus einer Stadt, die am Rande des Landes Israel lag und in der auch Juden aus Babylonien wohnten. Doch gegen Ende dieser sch lechten Periode entließ man sie aus ihrer Führungsposition. Ihr Name war im Übrigen nicht so groß, a ls dass er unter die nesi’im in der Mishna gezäh lt worden wäre, und sie zogen darauf nach Nisibis in Syrien und gründeten dort eine Yeshiva, die lange unter der Führung jener Familie, den Bene Betera, existierte. In Israel aber wurde Hillel zum A nführer, und auch er war ein Babylonier. Zu Beginn waren er und Menaḥem zu A nführern der verschiedenen Versamm lungen gemacht worden, die sich dama ls eine nach der anderen zusammenfanden. Danach kam Shammai, der ä lter a ls Hillel war, und wurde zum Kopf der zweiten Partei. Nachdem sie sich aber der Herrschaft des Herodes unterworfen hatten und sich von ihrem Zorn erholten, da wuchs und erblühte im Lande Israel das Tora-Studium im A llgemeinen und die Wissenschaft und Lehre der Ha lakhot im Einzel nen. Damit einher gingen a llerdings auch der Streit und die Konfrontation zwischen den beiden Schu len, und sie nahmen nach und nach immer weiter zu. Gleich zu A nfang dieser Epoche obsiegte die Schu le Shammais, sowoh l zahlenmäßig a ls auch an Macht und Willen, wie z. B. in dem Fa ll der achtzehn Erlasse, und man stellte drängende Fragen bezüglich ihre Ha ltung zur A rmut, zuma l Bescheidenheit und Schmeichelei, ihre Ausdrucksweise und ihre A rt des Studiums am Ende zunahmen, ganz davon abgesehen, was ihm [ Shammai ] und seinen Nachkommen durch die nesi’ut in der jüdischen Diaspora zutei lwurde, a ls unter römischer Herrschaft dreizehn Generationen ununterbrochen aufeinanderfolgen konnten. Man sagte über sie in der Mishna ʽEduyot, dass sie sich selbst erschwerende Gebote auferlegten, doch für [ das Vol k ] Israel [ d ie Gebote ] erleichterten. A ll dies ist gut belegt, und der Gelehrte, der darüber nachforscht, wird es mit Hilfe der Geschichtsbücher a lles wieder-

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finden. Wir müssen uns daher damit nicht weiter aufha lten, nur dass wir uns noch mit dem befassen wollen, was Hillel mit den Ha lakhot machte. Bereits vor Hillel war es so, dass es unter einigen Ha lakhot enge forma le Beziehungen gab, obwoh l sie hinsichtlich ihres Inha ltes eigent lich ganz unterschied lich waren. Das heißt, in jenen einhundertsiebzig Jahren, die die Ha lakhot von ihrer Grund legung bis Hillel durch liefen, fanden ihre Lehrer bereits irgendein Verbindungsmoment, woraufhin sie dann zusammengefasst werden konnten. Eine Beziehung zwischen den Sätzen konnte etwa aufgrund der Form oder des Inha lts einer Ha lakha oder aufgrund irgendeiner Verwandtschaft in der Formu lierung gefunden werden (wie z. B. bei Formu lierungen wie „kein Unterschied zwischen diesem und jenem, [ außer ]“1; „bei diesem wird strenger geurtei lt a ls bei jenem, und bei jenem strenger a ls bei diesem“2, „was bei diesem tauglich, ist bei jenem untaug lich“3, „nie weniger a ls und nie mehr a ls“4) oder aufgrund irgendeines inha ltlichen Grundsatzes (ein Gebot, welches aus vielen Teilen besteht, die logische Sch lussfolgerung aus diesem oder jenem sind), um zu erleichtern oder zu erschweren, oder auch aufgrund des Gemeinsamen hinsichtlich einer erwähnten Quantität („zwei, die eigent lich vier sind“ [ mShevu 1,1]); und dieser A rt ha lakhischer Vorschriften gibt es viele, und sie sind woh l bekannt. Solche Zusammenstellungen nannte man sch ließlich Massekhet, in aramäischer Sprache „massekhta“, was so viel wie Gewebe bedeutet – a ls ob man eine Zah l von Ha lakhot nach Inha lt und Gleichartigkeit zusammengewoben hätte. Und so entstanden langsam einzelne Massekhtot mit Ha lakhot. Wie man später sagte ([Sefer ha-]Yuḥasin 19,25) : „Bis Hillel gab es 600 Ordnungen Mishna.“ | Ebenso sagte man (bHag 14a) : „Das sind die Mishna- 219 Kundigen wie Rabbi Yehuda ben Betera (so die Lesart im Yuḥasin, und sie ist die richtige) und seine Gefährten, zu deren Tagen es 1 Vg l.

z. B. m Meg 1,10. m BQ 8,2. 3 Vg l. m Hu l 1,4 – 6. 4 Vg l. z. B. m Meg 4,1 – 2; m A rakh 2,3 – 5. 5 Vg l. Avraham ben Shmu’el Zacuto, Sefer ha-Yuḥasin, Zółkiew 1799, 56a. 2 Vg l.

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sechs- oder siebenhundert Ordnungen der Mishna gab.“ Siehe, dies bezieht sich auf das Land Israel in der Zeit vor Hillel. Noch einige Zeit nach ihm, unter den babylonischen Gelehrten (von denen bekannt ist, dass unter ihnen die Tora sowoh l während der Zeit des Tempels a ls auch nachher viel studiert wurde), wurden die Ha lakhot in vielen unterschied lichen Kontexten gelehrt. Vielleicht kam man auf diese Weise aufgrund einer annähernden Zusammenstellung der miṣwot auf die Zah l von 600 A nordnungen. Es waren aber zumindest 74 Bücher mit Rechtsentscheiden bekannt. Doch Hillel, a ls man zu Recht über ihn trauerte, a ls er gestorben war : „Oh, Frommer ! Oh, Sanftmütiger ! Schü ler des Esra !“ (bSot 48b) – er verschaff te der Tora Ohren und begründete, dass man Ha lakha aufrichtete, wie es Esra in dem Kommentar der geschriebenen miṣwot unternommen hatte. Er war es, der die sechs Ordnungen der Mishna mit ihren bekannten Namen festlegte. Er ordnete jedem ihrer Teile eine A nzah l von massekhiyot (in A ramäisch : massekhtot) zu, ein Gewebe aus Ha lakhot : Traktat Berakhot usw. Einige der großen Massekhiyot wurden jedoch in Pforten untertei lt (in A ramäisch : bavot), a lle wurden aber in peraqim untertei lt, die peraqim wiederum in Ha lakhot. Für die Grund legung dieser Ordnung insgesamt und für die Einzeluntertei lung in einer Massekhet gibt es eine Ursache und eine Begründung für die A nordnung der sedarim. Hinsichtlich der A nordnung der einzelnen Traktate entschied jedoch die Ausdrucksweise (denn a lles wurde ja noch münd lich gelehrt und war noch nicht aufgeschrieben). So brauchte die Reihenfolge der Traktate noch nicht festgelegt zu sein, wie die Ha lakhot innerha lb der Massekhtot, die ein Tannait lehrte und dabei über die erste, von Hillel festgesetzte Anordnung [ der Ha lakhot ] wachte. Aber bezüglich der Reihenfolge der Massekhtot konnten die Tannaiten ma l dieses, ma l jenes lernen, wie man sagte : „Der Mensch lernt aus der Tora nur das, wozu sein Herz Lust hat“ (bAZ 19a). Und daher lernte man nicht a lles auf einma l, und es blieb a lles in der Reihenfolge, die den Tannaiten gefiel.1 Auf jeden Fa ll gab es bis zu R abbenu ha- Qadosh [ R abbi 1 Vg l.

zum Folgenden Sch lüter, Spiritua l ity, 117.

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Yehuda ha-Nasi ] noch keine Ordnung der Traktate, und selbst lange Zeit danach blieb die A ngelegenheit in der Schwebe. Und auch wenn sich aus der Gewohnheit im Laufe der Zeit eine gewisse feste Ordnung herausbi ldete und die Geschichtsschreiber unter den letzten der A moräer der A nordnung der Massekhtot einen gewissen Sinn zu geben suchten, und nach ihnen auch der R av [ Moshe ben Maimon ] dies für a lle versuchte, so bezeugt doch Rav Sherira Gaon in seinem hochgeschätzten Responsum (es hat uns die ganze Zeit, a ls wir dieses Kapitel schrieben, vorgelegen), dass diese Ordnung nicht etwa von R abbi und seiner Gefolgschaft stammte, denn er meinte : „Und obwoh l wir Traktate sehen, wo wir sagen : Kommt dieser Tannait nicht vom Traktat XY her ? usw. So sind die Rabbanan gewohnt zu lehren, [ aber ] wenn es jemanden gibt, dem es angenehm ist, (einen Traktat) vorzustellen oder zurückzustellen, so ist er darin frei.“1 Sein Beleg dafür ist überzeugend, denn er gab ihnen dafür eine Begründung im Lehrbetrieb, dass es in den beiden Mishnayot über Streitigkeiten und anonyme Meinungen keine Ordnung gab. Doch für eine lange Massekhet, welche mehrere Pforten enthä lt, legte man sehr viel früher a ls für a lle anderen eine Reihenfolge fest. Aber auch sonst gibt es überprüfbare Belege, dass es in einigen Traktaten schon früher eine gewisse Ordnung gegeben hat, sowoh l, was ihre [ A nordnung in ] peraqim betriff t, a ls auch, was die A nordnung der Ha lakhot in jedem einzel nen Kapitel anbelangt. Dazu vergleiche man das Diktum des Rabbi Yose, der eine ganze Generation vor Rabbi lebte, denn er sagte über den Traktat Kelim : „Gepriesen seist du, Traktat Kelim, der du mit Geboten über Unreinheit beginnst und mit denen über Reinheit sch ließt“ (m Kel 30,4). Das bedeutet a lso, dass sich schon in dem Traktat Kelim der Mishna Rabbi Yoses (nicht nur in der Mishna des Rabbi Me’ir, die Rabbi a ls Grund lage für unsere Mishna diente) jene Ordnung fand, wie sie uns vorliegt, und wahrschein l ich stammt diese Ordnung des Traktates schon aus der Mishna des Rabbi ‛Aqiva [ entsprechend ] der meisten in ihm er1 Vg l.

Edition Neubauer, 13; Sch lüter, Weise, 72 (§ 36). Der Text wird von K rochma l paraphrasiert.

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wähnten Weisen. Es liegt insofern sehr nahe anzunehmen, dass, zumindest was die A nordnung der Ha lakhot betriff t, schon in den Tagen Hillels, des Begründers der meisten Traktate, eine solche Ordnung bestanden hat. Doch wir sagen bewusst, der meisten Traktate, denn es ist k lar, dass nicht a lle in unsere Mishna aufgenommenen Traktate von Hillel und seiner Gefolgschaft eingeführt wurden. Einige sind näm lich sicherlich erst viel später entstanden, denn man beachte, was man lehrte : „Denn auch den Abschnitt bo be-yom [ a n ebendiesem Tag ] wiederholten sie“ (bBer 28a). Und wir lernten : Jede Erwähnung der Wendung bo be-yom bezieht sich auf den Tag, an dem man Rabbi El ‛azar ben ‛Azarya aus der Yeshiva entfernte, zur Zeit des Rabban Gam li’el aus Yavne, in der fünften Generation nach Hillel. Ebenso sagte man : „Wer war der Tannait, der den Traktat Middot lehrte ? R abbi El i‛ezer ben Ya‛aqov !“ (bYom 16a). Und man warf die Frage auf, ob der tanna [ ha-shone ], der den Seder Yoma lehrte, Rabbi Shim‛on, der Mann aus Miṣpa, gewesen war, der zur Zeit des R abban Gam l i’el des A lten, des Enkels Hillels, lebte und noch die Zerstörung des Tempels gesehen hatten. Auch aus der Geschichte über die Auseinandersetzung Rabbi Me’irs und Rabbi Natans mit Rabban Shim‛on ben Gam li’el, dem Vater Rabbis (bHor 13b), wird uns deutlich, dass 220 der Traktat ‛Uqṣin (der letzte in der Ordnung | unserer Mishna) zu dieser Zeit noch nicht lange gelehrt worden war, und in der neuen Samm lung war er noch nicht einma l dem nasi geläufig. Außer diesem wenigen fi nden wir in den Ta l mudim keinen Hinweis auf die Zeit des Redaktors der Ha lakhot, der sie zu vollständigen Massekhtot in unserer Mishna zusammenstellte. Dies gilt für a lle Traktate, doch bei einigen von ihnen, und zwar besonders bei denen, die sich mit dem Privatleben befassen, ist die Sache ziem lich k lar : Die meisten von ihnen wurden bereits geraume Zeit vor Rabbi gelehrt – einige von ihnen von den Tagen Rabbi ‛Aqivas an, einige von der Zeit Hillels an; die kurzen a lten sogar, und auch sie waren nicht wenige, lange vorher, sodass man sogar bis zu ihrem Beginn zurückgelangt. Wir haben ja bereits Beweise für das A lter des Ausdrucks dieser a lten Ha lakha vorgelegt, und man beachte, wie Rabbi selbst, der sich zwischen den Einwohnern Ga liläas aufzuha l-

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ten pf legte, im Zweifel darüber war, ob man ‫ מעברין‬oder ‫מאברין‬ lehren sollte, ob es ‫ אכיזו‬oder ‫ עכוזו‬heißen sollte, und er befah l, dass man die Tannaiten in Judäa fragen solle, die mit der Sprache genauer umgingen. Doch auch hinsicht lich der Aussprache machten die Tannaiten Unterschiede, je nach dem, was sie von dem ersten Wiederholer empfangen hatten, wie sie sagen : „ In der Schu le des Rabbi Eliʽezer ben Yaʽaqov (d. h. unter den Mitgliedern seiner Yeshiva und unter denen, die seine Mishna lernten) lesen sie nämlich das a lef wie ʽayin und das ʽayin wie a lef“ (bBer 32a). Wisse aber auch, dass die meisten Wörter, die verwendet wurden, um ha lakhische Dinge zu bezeichnen, aus dem A ramä ischen genommen wurden, obwoh l sie hebräisch ausgesprochen wurden; bei einigen auch umgekehrt. Auch findet man darunter viele Wörter aus dem Griechischen, wie z. B. sanhedri, apotiqi, diateki, epitropos1 und ähn liche mehr in den Ordnungen Zera‛im und Toharot (es wurden sogar ganze Gesetze mit griechischen Namen bezeichnet : das Gesetz von den seleukischen Bürgschaften;2 das Gesetz über das demai [ Zweifel hafte ] ;3 das Gesetz über das siqariqon,4 und viele ähnliche mehr finden sich in den Mishnayot – ebenso die Wendungen, die sehr danach aussehen, a ls seien sie aus dem Griechischen und Lateinischen übernommen worden, wie „unterworfene Besitzgüter“, „freigelassene Besitzgüter“, „Früchte des Lobpreises“, „Urkunde“, „nutzbare Früchte“, „eiserne R ation“, „Finanzmittel “), und der Interessierte wird zweifellos noch viele weitere Beispiele finden können. Das eindeutigste Zeichen dafür, dass sie aus den erwähnten Sprachen übernommen wurden, ist ihr Zusammengehen mit den dazu passenden theoretischen Lehren in der Jurisprudenz. Passt ein Lehnwort zur griechischen Ausdrucksweise (wie 1 Vg l.

zu den Begriffen S. K rauss, Griechische und lateinische Lehnwörter im Ta l mud, Midrasch und Targum, mit Bemerkungen von Immanuel Löw, Berl in 1899, Ndr. Hi ldesheim 1987, II 401; 102; 197; 103 f. 2 Vg l. bYev 109b mit R ashi s. v. Sh LṢYN. Dazu Kohut (Hg.), A ruch completum, VIII 89b mit S. K rauss, Additamenta ad A ruch completum, 397. 3 Vg l . hierzu Kohut (Hg.), A ruch completum, III 80c s. v., wo erörtert wird, das Wort mit B. R atner etymologisch von δῆμος abzu leiten. 4 Vg l. mGit 5,6; t Git 5,1 (257). Vgl. oben (P forte 10), 105.

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z. B. bei den oben angeführten Wörtern), dann deutet dies darauf hin, dass sie aus jener Zeit stammen, a ls wir griechischer Herrschaft unterworfen waren, von der wir zuvor berichtet hatten (Pforte 14)1. Und auch dies ist ein Beleg für das A lter der Ha lakhot. Auch aufgrund des Stils gibt es Belege für das hohe A lter. Noch wichtiger und bedeutender ist aber die Mishna : „Einst geschah es, dass Ben Zakkai über die Stiele der Feigen ausfragte“ (mSan 5,2), die im Hinblick auf Sprache und Stil der Zeit Hillels näher stand, noch bevor Rabban Yoḥanan ben Zakkai zu A nsehen gelangt war (nach der Tempelzerstörung) und noch nichts auf seinen Aufstieg hinwies (kurz vor der Zerstörung), wie es unsere Weisen in der Gemara ausführlich schilderten (bSan 41a). Und ein Beleg dafür, dass schon die Zusammenstellung in Massekhtot sehr früh und gemäß der a lten Ha lakha erfolgt ist, wird in der Mishna ʽOrla (mOrl 2,6) überliefert : „Für welchen Fa ll hat man aber verordnet, dass a lles, was man säuere, würze oder mische, streng genommen werde  ? “ Und dies wird dort beantwortet.

Doch siehe, die erste Form und der erste Aufbau der Traktate zur Zeit ihrer Grund legung durch Hillel entsprach den Ha lakhot nach ihrer Reihenfolge, einige in der Sprache, in der sie festgelegt wurden, und einige mit erweiterter Formu lierung entsprechend ihres Bezuges. Aber a lle ohne Tradentennamen [ be-stam ] und ungeordnet. Nachdem die Massekhtot jedoch von Generation zu Generation tradiert wurden, fügten sie die Tannaiten zu jenen unvollendeten Ha lakhot hinzu, Gebote von beiderlei Art der Unterscheidung, und sie fügten sogar manchma l an Stellen, an denen ein einzel ner der Mehrheit widerspricht, ihre Gebote ein. Dies pf legte man besonders in der großen Yeshiva der Fürsten [ nesi’im ] (aus der auch unsere Mishna hervorgegangen ist), und zwar entsprechend der Methode des Hillel, des Sanftmütigen, wie sie es selbst überliefer1   Zu

diesem irrtüm l ichen Verweis vg l. die Ein leitung. Offensicht l ich ist die Reihenfolge der K apitel nachträg l ich umgestellt worden, ohne diese A ngabe zu korrigieren.

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ten : „Weil sie sowoh l ihre eigene a ls auch die A nsicht der Schu le Shammais studierten, noch mehr, sie setzten sogar die Worte der Schu le Shammais vor ihre eigenen“ usw. (bEr 13b). Es scheint, a ls sei man so in a ll den sieben Generationen von Hillel bis zum Absch luss der Mishna verfahren, sodass die Mishna die Meinung a ller beinha lte, die Mehrheitsmeinung und die Meinung des Einzel nen. So geschah es auch, dass man, a ls Rabbenu ha- Qadosh [ Rabbi Yehuda ha-Nasi ] und seine Gefolgschaft die eine Mishna absch ließen wollten, viele Ordnungen der Mishna vorfand. Denn außer jenen | größeren und k leinen Ha lakha-Schriften gab es eine große A n- 221 zah l von weiteren Ha lakhot, die von unterschied lichen Tannaiten gelehrt wurden. Und neben der Ha lakha und dem Midrash, die sie kannten und die diesen Weisen zueigen waren (darüber wir noch gesondert im Folgenden sprechen werden), die sie außerdem völlig verschieden angeordnet hatten a ls die des Hillel, stammte auch diese in der Hauptsache aus der Zeit des Hillel, und sie wurde die „Mishna der Großen Versamm lung“ genannt. Sie enthielt viele Unterschiede entsprechend der Differenz, die zwischen den verschiedenen Rabbinen in der Yeshiva bestand und die sich in jenen erwähnten Zusätzen zu den Ha lakhot und den Streitigkeiten darüber niedergesch lagen hatte. So wird bezüglich der A ntrauung eine Schu le des Lewi erwähnt, von der es heißt : „man lehrte [ außerdem ] über Ketubbot“ (vgl. bBB 52b; yKet 2,4 [ 26b–c ]). Ein anderes Ma l [ ist von einer ] „Mishna des Bar Qappara“ [ d ie Rede ] (yHor 5,3 [ 47d ]). Doch es kann kein Zweifel bestehen, dass a lle großen Weisen der Yeshiva des nasi die Mishna im Sinne Hillels lehrten – a llerdings ein jeder auf andere Weise, d. h. entsprechend der erwähnten Unterschiede in den Zusätzen. Im Traktat Nedarim des Yerusha l mi heißt es dazu, dass Rabbi selbst von seinen Lehrern dreizehn Arten der Ha lakha gehört hatte, er und Rabbi Ḥiyya. Dies benötigte er auch unbedingt [ a ls Beleg ] entsprechend seines großen Unterfangens hinsicht lich unserer Mishna, in die von a llen [ etwas ] aufgenommen werden sollte, selbst von jenen Mishnayot, die sich vollkommen von dem unterschieden und die außerha lb der Yeshiva mit bewundernswerter Weisheit und mit gött licher Hilfe gelehrt wurden. Hierauf werden wir noch eingehen. Dies geschah jedoch

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erst, nachdem er bereits die Grund lage für eine umfassende Mishna gelegt hatte, und zwar hinsicht lich A nordnung, Sprache und Methode, wie sie von Rabbi Me’ir vorbereitet worden war. Denn dieser hatte seine Grund lage bereits aus den großen Mishnayot des Rabbi ‛Aqiva, seines Lehrers, die in der Großen Versamm lung gelehrt worden waren, übernommen. Dies wird in einigen Midrashim ausdrück lich mit seinem Namen in Verbindung gebracht, und dies ist, was man lehrte : „Eine anonym überlieferte Mishna stammt immer von Rabbi Me’ir“ usw. (bSan 86a) – doch in der Regel entspricht [ eine solche Mishna ] der Meinung des Rabbi ‛Aqiva. Wir benötigen aber noch weitere Beispiele für die Begründungstätigkeit unserer Mishna bis zu ihrem Gesamtabsch luss und dem Absch luss ihrer Einzelbestimmungen, d. h. sowoh l für die A rbeit an den Massekhtot a ls auch an ihren speziellen Ha lakhot; dies mit doppelter Absicht, näm lich einma l, um die Studierenden der Gemara aufzuk lären, andererseits, um dem tiefer Forschenden den Weg zur Beantwortung seiner Fragen zu ebnen : 1. Unsere Weisen empfi ngen die Tradition und sprachen folgendermaßen : „Wer war der Tannait, der den Traktat Middot lehrte ? Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov !“ (bYom 16a). Man wollte damit zum Ausdruck bringen, dass er der Erste war, der die Ha lakhot über die Maße des Zweiten Tempels oder, der Genauigkeit ha lber, des Gebäudes des Herodes zusammenstellte. Doch auch das, was er dazu lehrte (da er noch jung war, a ls der Tempel zerstört wurde, und er lebte noch gewisse Zeit nachher), stammt von den Geschichten der A lten, die den Tempel noch gesehen hatten. Dies legt auch die sich bis heute in unserer Hand befind liche griechische Literatur nahe, die sowoh l von Yosef dem Priester [   Josephus ] stammt a ls auch auf jene anonymen griechischen Schriften aus der Zeit des Zweiten Tempels zurückgeht. Doch Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov war es, der die Massekhet über die Tempel maße zusammenstellte. Ohne Zweifel ist diese Bestimmung mittels des ersten Tannaiten auf die Tradition der Rabbinen zurückzuführen. Den letzten der A moräern gelang es dann (bYom ebd.), dies auch aufgrund der Sprache des Trak-

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tates selbst zu beweisen, und ihre diversen Belege werden wir im Folgenden vortragen : Nachdem die a llgemeine Mishna vorgetragen worden ist, heißt es : „ Die Stimme eines Leviten, der gesch lagen wird und dem die K leider verbrannt werden, wei l er auf seinem Posten gesch lafen hat“ (m Mid 1,2), dann erzäh lt der erste Tannait eine Geschichte von einem Verwandten mütterl icherseits, die ihm im Tempel zugestoßen war. Wei l aber diese Mishna eigent lich ohne Tradentennamen gelehrt wurde, muss der Redaktor [ ha-sotem ] (Rabbenu ha- Qadosh oder derjenige, der ihm darin voranging) den Namen des ersten tanna hinzugefügt haben, denn er spricht ja hier über sein eigenes Leben, und daher heißt es hier : „ R abbi El i‛ezer ben Ya‛aqov spricht : Den Bruder meiner Mutter hat man einma l sch lafend getroffen und ihm sein Gewand verbrannt“ (ebd.), und dies bedeutet, dass auch der vorangehende tanna Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov war. Siehe auch m Mid 1,8 : „Der Erwärmungsraum war [ usw. ] überwölbt, es war ein großer Raum, ringsumher waren stufenartige Mauervorsprünge, dort sch liefen die Ä ltesten der Priester-Abteilung, … ein jede [ Abteilung ] hatte ihr Lager auf der Erde.“ Dieser Abschnitt fi ndet sich auch im Traktat Tamid (und zu Beginn lauten beide Traktate gleich : „A n drei Stellen hielten die Priester Wache im Heiligtum, im Abtinasraum, im Zündfeuerraum und im Erwärmungsraum“); doch im Traktat Tamid, der eigent lich vom Dienst der Priester handelt, steht zusätzlich folgender Abschnitt : „Sie sch liefen nicht in den heiligen K leidern, sondern zogen sie aus, legten sie zusammengefa ltet unten zu ihren Häupten hin und deckten sich mit einer ihnen selbst gehörenden Decke zu“ (mTam 1,1). Im Traktat Middot jedoch, in dem es eigent lich um die Räume des Tempels, ihre Namen und seine Geräte geht, fi ndet sich ein anderer Abschnitt : „Eine Stelle war dort, usw. (eine Elle im Geviert, auf der eine Marmorplatte lag, daran war ein R ing befestigt, und eine Kette, an der die Sch lüssel hingen), (der Levit) nahm | sein 222 K issen und legte sich sch lafen“ (m Mid 1,9). Dann folgt ein beiden Traktaten gemeinsamer Abschnitt : „Stieß einem von ihnen ein nächt licher Zufa ll zu, so ging er durch den Rundgang

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hinaus, der unter dem Tempelgebäude entlang führte, Lampen brannten dort zu beiden Seiten, bis er nach dem Badehaus kam“ (mTam 1,1; m Mid 1,9). Dies bezieht sich auf die Nachtwachen, das Sch ließen der Tore; der nächtliche Samenerguss und das Verlassen des Tempelgeländes passen jedoch besser zum Traktat Tamid. Denn dieser handelt von den nächtlichen A rbeiten vor Tagesanbruch bis zum Zubereiten des Tamid- Opfers durch die Priesterwache. Wenn dies auch dem Traktat Middot zugeordnet wurde, dann nur wegen der Räume und Geräte, die in jenen Halakhot erwähnt werden. Auch ohne dies fi ndet man Hinweise darauf, dass der Traktat Tamid zeitlich vor dem Traktat Middot erstellt wurde. Daher können wir auch das Urtei l fä llen, dass R abbi El i‛ezer ben Ya‛aqov selbst diese Mishna aus dem Seder Tamid heraus fest legte. Doch der Abschnitt, der darauf in Tamid folgt, beginnt mit : „Darauf ging er zurück und setzte sich wieder zu seinen Brüdern“, usw. (mTam 1,1) (denn sie tei lten ihm für das zu, was er vor ihnen verunreinigt hatte). Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov widerstreitet jedoch gegen diese Meinung und erk lärt, es sei verboten, am Tage das Tauchbad zu vollziehen, zurückzukehren und zu warten, bis die Tore wieder geöffnet werden. Daher strich er diesen Passus aus unserer Mishna und sch ließt mit dem Bericht „über den Rundgang, der unter dem Tempelgebäude entlangführte“ (gemeint ist das nörd liche Tor des Tempelarea ls). Das ist der Grund dafür, dass er hier den Sch luss hinzufügt : „Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov sagte“, um damit darauf hinzuweisen, dass dies eine Einzel meinung ist und damit kein Widerspruch zwischen dem in dieser Mishna Gelehrten und der anonymen Meinung im Traktat Tamid besteht. Vor diesem Hintergrund verstehe man auch, wie manchma l an einer Stelle, an der die anonyme Redaktion keinen Namen eines Sprechers nennt, die ursprüng liche Ausdrucksweise der Mishna, wie sie einma l war, beibeha lten ist, worüber die Gemara dann aufk lärt, indem sie z. B. davon spricht : „Der eine Tannait sagt so, der andere Tannait sagt so“ (vgl. bShab 27b; 47a u. ö.); „wer lehrte so [ matnitin mani ] ? “ „Es war Rabbi XY !“ (vgl. bShab 3a; 156b u. ö.). (nebenbei bemerkt sei, dass es einen Unterschied gibt

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zwischen „manu“, was so viel bedeutet wie, „wer ist es“, und „mani“, was so viel wie „wessen ist es“ heißt; bekannt lich ist die Verwendung eines yud zur Kennzeichnung des Objektes im Syrischen und A rabischen üblich). Dann schildert die Mishna (m Mid 2,5) die Funktionen der vier Kammern des Frauenvorhofes, worauf es dann heißt : „ Die südwestliche, von ihr sagte Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov : Ich habe vergessen, wozu sie diente“ (ebd.). Wegen des „ich habe vergessen“ in der Rede musste der Redaktor den Namen des Tradenten hinzufügen. Ebenso in m Mid 5,4 : „Von der Holzkammer sagte Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov : Ich habe vergessen, wozu sie diente“. Dies ist bereits für die Gemara ein Beleg dafür, dass er der erste war, der diese Mishna überliefert erhielt. Kapitel 2,6 : „Ebenso war der Priestervorhof 135 Ellen lang und 11 Ellen breit, vorstehende Mauerba l ken bezeichneten die Grenze zwischen dem Männer-Vorhof und dem Priester-Vorhof. R abbi El i‛ezer ben Ya‛aqov sagte : Eine Stufe befand sich dort, eine Elle hoch, über dieser war der Duchan, an dem drei Stufen von je einer ha lben Elle waren, so ergibt sich, dass der Priester-Vorhof zweieinha lb Ellen höher lag a ls der Männervorhof.“ Doch in der Gemara erk lärte man den Beginn dieser Mishna etwas anders, denn nach ihrer Auffassung lagen der Männervorhof und der Priestervorhof auf derselben Ebene, mit Ausnahme der östlichen Mauer, damit der Priester, der die Kuh verbrannte, durch das öst liche Tor des Tempelberges in den Hekha l schauen konnte. Dies steht gegen die Meinung des Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov, der meint, der Vorhof der Priester sei zweieinha lb Ellen höher gelegen a ls der Männervorhof. In der Gemara schrieb man den A nfang der Mishna daher einem anderen Tannaiten zu, der meinte, dass der Vorhof der Priester und der Männer ebenerdig auf dem Tempelberg gelegen seien, und sie bewiesen, wie es im vierten Abschnitt dieser Mishna gelehrt wird : „ A lle Mauern, die dort waren, waren g leich hoch, ausgenommen die Ostmauer, damit der Priester, der die rote Kuh verbrannte, oben auf dem Ölberg stand und abpassen musste, dass er in den Eingang zum Hekha l hineinsah, während

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er das Blut sprengte“ (m Mid 2,4), dass dies genau der Meinung des Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov entgegensteht, der meinte, dass der Priestervorhof zweieinha lb Ellen höher war a ls der Vorhof der Männer. Dies war für sie der zweite Beleg dafür, dass der Redaktor des Traktates Middot Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov gewesen ist. Denkbar scheint es jedoch auch, dass Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov entsprechend der Meinung eines ihm vorangehenden Redaktors sein Traktat redigiert hat oder dass der Redaktor sie [ nur ] bis hier festgelegt hatte. Daher wissen wir, warum der Redaktor aus seiner Erinnerung Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov nannte. Ebenda heißt es (m Mid 2,6) : „Und dreizehnma l verneigte man sich dort; Abba Yose ben Ḥanan sagt : Entsprechend den dreizehn Toren“ usw. bis zum Ende der Ha lakha, dies ist die origina le Sprache der Mishna, a llerdings ohne einen Tradentennamen. Sie wird auch im Traktat Sheqa lim angeführt, um auf einen ähn lichen Fa ll von dreizehn Shofar-Blastönen hinzuweisen, und dort gehört sie zum Traktat Sheqa lim, wo sie auch zu ihrer Gänze in den Kontext eingewoben ist (siehe dort). Doch nur hier (im Traktat Middot) ergibt es einen Sinn, die Namen der Tore und ihre Funktionen zu nennen, wobei man hier auch noch die Erk lärung | für den Namen des Wassertores hinzufügte. Nach a ll dem ist aber k lar, dass Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov selbst die Mishna des Yose ben Ḥanan redigierte, der eine gewisse Zeit vor der Tempelzerstörung gelebt hat. Dies wird auch durch das Diktum belegt, welches wir bereits früher zitiert haben (Pforte 14).1 Daher erwähnte der Redaktor den Namen Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov, indem er sagte : „Und ich sage“, was ursprünglich vielleicht einma l von demjenigen gesagt wurde, der die Mishna begründete.

Wisse und verstehe aber, dass in diesem Traktat selbst (mMid 1,4) die Tore jedem der Vorhöfe zugeordnet werden, wobei jedes einen an1 H ier l iegt erneut ein H inweis darauf vor, dass die Reihenfolge der K api-

tel 13 und 14 vertauscht ist.

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deren Namen und eine andere Zah l erhä lt a ls in jenen Mishnayot, die wir erwähnt haben. Doch ebenso1 soll man sich des Ortes und der Begründung für die dreizehn Verbeugungen erinnern, die völlig verschieden von jenen sind, die in der erwähnten Mishna gegeben werden : „ A n dreizehn Stellen war (das Gitter) durchbrochen worden, die syrischen Könige hatten es durchbrochen, man hatte die Lücken dann aber wieder ausgefü llt und ihnen entsprechend ein dreizehnma liges Sichverbeugen eingeführt“ (m Mid 2,3). Dies ist aber zweifellos von den Späteren eingefügt worden, vielleicht a lso von Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov und Rabbi Yose ben Ḥanan, obwoh l diese Worte dann von dem Redaktor anonym in unser Traktat eingefügt wurden, ohne Erwähnung, wer sie lehrte, ein einzel ner oder die Mehrheit. Und so wird dies auch im Traktat Sheqa lim des Yerusha lmi erk lärt (4,2 [ 48a ]). Offensichtlich ist sie dabei aus dem Traktat Tamid entnommen worden (dort 3,7), denn es handelt von der Ordnung der Opferdarbringung : „ Er nahm den Sch lüssel, öffnete die Pforte und trat in den Seitenraum in den Hekha l “ (m Mid 4,2). R abbi El i‛ezer ben Ya‛aqov arbeitete diese Mishna nur ein, um damit den Satz „zwei Seitenpforten“ usw. abzusch ließen. Ebenso verfuhr er hinsicht lich der Kammern und der Mauern des Hekha l. Daher fügte der Redaktor die Auseinandersetzung mit Rabbi Yehuda ein : „(Rabbi Yehuda sprach :) Er ging den durch die Dicke der Mauer führenden Gang entlang“ usw. (ebd.) Doch dies strich er in Tamid, denn es gehört überhaupt nicht zum täg lichen Opfer. A m Sch luss des vierten Kapitels wird der Name von Rabbi Eliʽezer bar Ṣadoq erwähnt, der noch den Tempel und seine Zerstörung erlebt hatte. Wir möchten aber annehmen, dass sein Diktum eigent lich von Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov verfasst wurde, wie auch die Kommentatoren vermuteten. Die Rabbinen aber nahmen an, dass seine Mishna k lein, aber fein gewesen sei; daher hätte man dieses Diktum aus irgendeiner Aggada entnommen, um damit die Mishna abzusch ließen. Bedenke aber noch, dass weitere Namen und Meinungen in diesem Traktat vorkommen, wie z. B. Rabbi Yehuda, Abba Sha’u l, 1  S o

mit der A nmerkung des Editors.

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Rabbi Me’ir, Rabbi Yose und Rabbi [ Yehuda ha-Nasi ], die a lle später a ls Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov, der Urheber des Traktates, lebten. Es ist jedoch unmög lich anzunehmen, dass a lle diese Gelehrten mit Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov zusammen in einer Yeshiva saßen und mit ihm über den Absch luss des Traktates stritten, etwa nach der A rt, wie die unterschied lichen Meinungen, die in dem Traktat ʽEduyot zusammengestellt worden sind. Viel mehr müssen wir davon ausgehen, dass die den erwähnten Weisen in dem Traktat zugeschriebenen Dikta aus einzel nen Mishnayot zusammengestellt wurden, die die [ Gelehrten zuvor ] ein jeder für sich in Bezug auf eine spezifische A ngelegenheit gelehrt hatten. Offenkundig ist ja, dass Rabbi Yehuda, dessen Worte fünfma l in dem Traktat erwähnt werden, a lle auf die Maße des Tempels bezogen sind. A nscheinend hatte er seine eigene Mishna „über die Maße“, und aus ihr wird auch in der Gemara zitiert (bZev 58b) : „Es wird gelehrt : Der A ltar stand genau in der Mitte“ usw. Er ist es auch, der viel über Heiliges lehrte, wie wir noch sehen werden. Seine Mishna zitierte der Redaktor aber immer an jenen Stellen, an denen sie der Mishna des Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov widerspricht, und sie machte er zur Grund lage seiner eigenen Mishna. Damit hat man sich auch viel in der Gemara des Traktates Yoma beschäftigt, wo man zu beweisen suchte, dass sie nicht der Meinung des Rabbi Yehuda entspricht. Man wollte somit belegen, dass der Grundstock unseres Traktates Middot nicht derselbe ist, den er in Middot gelehrt hatte, dass sie viel mehr den drei oben erwähnten Redaktionen nahestünden, die eine andere Meinung vertraten und die der Mishna des Rabbi Yehuda entnommen waren. Dafür gibt es sogar einen schwachen Beleg in der Mishna selbst (7,1). Ebenso scheint es [ eine Mishna ] des R abbi Yose gegeben zu haben [ der hier in Bezug auf den A ltar erwähnt wird ] : „Es sagte Rabbi Yose : Ursprünglich hatte er nur achtundzwanzig“ usw. [ „ Ellen im Quadrat, trat dann beim Hinaufsteigen in der angegebenen Weise zurück, sodass a ls Platz für das A ltarfeuer nur ein Quadrat von zwanzig Ellen blieb“ ]. Nach der Rückkehr aus dem Exil lehrte man a lso noch eine andere Mishna über den Bau des Sa lomo (ähnlich der Baraita de-Melekhet ha-Mishkan, die uns erha lten geblie-

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ben ist), und auch die Gemara tradiert einige ihrer Dikta, zuma l [ Rabbi Yose ] einer derjenigen war, der es liebte, aus der Geschichte unserer Nation zu berichten, wie wir auch an seiner Lehre im Seder ‛Olam sehen können, die uns durch gött liche Gnade erha lten ist, aber auch an dem, was sein Sohn [ Rabbi Yishmaʽel ] vor seinem Tode im Namen seines Vaters berichtet haben soll (bAZ 8b1). In Kapitel 2,2 des Traktates Middot wird von einer Auseinandersetzung zwischen Rabbi Me’ir und Rabbi Yose in der Yeshiva berichtet, ebenso in Kapitel 3,4, wo sich Worte aus der Mishna | 224 Rabbis selbst finden, ohne dass beide inha ltlich zum Traktat Middot gehörten. Sie wurden hier zweifelsohne vom Redaktor eingefügt, um somit eine gewisse Verbindung herzustellen und wei l sie scheinbar ähn lich waren. Doch in den beiden Stellen, in denen Abba Sha’u l in unserer Mishna erwähnt wird, scheint es so, dass er bereits die Mishna des Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov lehrte, und es ist hinzugefügt, dass an beiden Stellen Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov sagte : „Ich habe vergessen“. Und so wurde es auch vor Rabbenu ha- Qadosh und seiner Gefolgschaft gelehrt.2 2. A n dem Traktat über die Ordnung des Tamid- Opfers kann jeder, der einen Gaumen hat, sofort schmecken, dass es sich um eine sehr a lte Samm lung handelt; dies sowoh l aufgrund der Sprache und aufgrund der A nordnung der Ha lakhot nach der Reihenfolge der täglichen Opfer, von ihrem Beginn bis zu ihrer Vollendung, a ls auch aufgrund der Berakhot der Wachtmannschaften, die in ihm in der a lten A nordnung vorkommen (mTam 5,1), und sch ließlich auch, wei l der Redaktor keine Diskussion hinzufügte; nur ein einziges Ma l eine Diskussion mit Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov (mTam 5,2), und zwar im Hinblick auf eine A ngelegenheit, die nicht direkt mit dem Tamid-Zeremoniell zusammenhängt; dann auch eine Diskussion mit Rabbi Yehuda (mTam 7,2) in einer dem Traktat völl ig fremden 3 Sache. Dabei ist offen1  S o

verbessert; die Edition hat „10“. dazu auch A lbeck, Ein leitung 453 A nm. 10. 3 So mit dem Korrekturvorsch l ag des Herausgebers. 2 Vg l.

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sichtlich, dass sie vom Redaktor wegen des Gegensatzes Tempel – Land eingearbeitet wurde. Ein weiterer Beleg ist, dass es in der Gemara des Traktates Yoma (bYom 14b), die wir bereits erwähnten, und auch in der Tosefta Yoma (Kapitel 1,13 [ 225]) heißt : „Dies sind die Worte des …“, woraus eindeutig zu belegen ist, dass die Rabbinen eine Tradition besaßen, dass der erste Tannait der Ordnung Yoma Rabbi Shim‛on, der Mann aus Miṣpa, gewesen ist, ein Zeitgenosse des R abban Gam l i’el des Ä lteren, des Enkels Hillels (wie aus der Mishna Pe’a erwiesen ist, die wir oben anführten). Und dort heißt es in der Baraita : Rabbi Shim‛on, der Mann aus Miṣpa unterrichtete in Tamid, und daher ist anzunehmen, dass die Ordnung Tamid unserer Mishna noch vor der Ordnung für den Yom ha-K ippurim entstand, die zu Lebzeiten des Rabban Gam li’el des Älteren oder kurz danach verfasst worden ist. Doch man beachte, wie man dort in der Gemara die Unterschiede zwischen der Ordnung Tamid und unserem Traktat sowie dem, was davon in Yoma gebracht wird, erk lärte. Nebenbei erwähnte man dabei auch den Unterschied gegenüber der Massekhet Middot, indem man dafür auf die verschiedenen Gruppierungen verwies, die es im Vorhof der Männer Israels gab. Doch sie kamen eigent lich nur davon, dass man den Namen und die Eigenart, mit der sie in Middot verbunden waren, änderte, doch man wollte eben unbedingt das durchsetzen, was sich in der Mishna Middot fand, um somit das, was den Zustand der Kammern betraf, zu einem Ausgleich miteinander zu bringen (und nebenbei bemerkt ist dies die letzte sugya dort, und sie ist eine Hinzufügung der savoräischen Rabbanan, denn weder ihre Sprache noch ihr Stil stimmen mit dem unseres Ta lmud überein, doch der Betrachter möge dies selbst untersuchen). Auch wird in dem Traktat ein Diktum des Mattya ben Shemu’el überliefert, eines der Vorsteher im Tempel zur Zeit des K rieges der Söhne der Hasmonäer, kurz vor Hillel, wie wir im Folgenden noch erläutern werden. Doch scheint es angebracht, auch einige Belege dafür zu bringen, dass jener Rabbi Eli‛ezer ben Diglai, der in dem Traktat erwähnt wird (mTam 3,8), der erste Redaktor der Ha lakhot

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Tamid gewesen ist, denn er spricht dort über seinen fami liären Hintergrund : „Mein Vaterhaus hatte Ziegen auf dem MakhwarGebirge“. So war es auch die A rt des Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov in seiner Rede : „Den Bruder meiner Mutter hat man einma l sch lafend getroffen“ (m Mid 1,2); „ich habe vergessen, wofür sie diente“ (ebd. 2,5). Dies ist a llerdings der einzige Beleg, dabei auch der schwächste, dass dieser gesamte Abschnitt nicht zu der Ordnung des Tamid- Opfers gehörte, sondern an dieser Stelle auf die Einarbeitung durch den Redaktor zurückgeht.* | * I n der G emara Yoma (56b) : „ Einst trat jemand vor R abba und rezitierte :

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Hierauf kam er heraus und stellte es auf das zweite Gestell im Hekha l; er nahm das Blut des Farren und setzte das Blut des Bockes ab“ usw. Und der Kommentar R ashis, sel igen A ngedenkens : „Dies bezieht sich auf den shel iaḥ ṣibbur, der hervortrat [ naḥit ], die Ordnung des Yom ha-K ippurim vorzutragen, wie wir sie rezitieren.“ Er möchte damit darauf hinweisen, das dem Tannaiten [ shone ha lakhot ] diese Ausdrucksweise geläufig war : „yetiv“ und „tane“, und ebenso „garis“; doch „naḥit“ wird übl icherweise nur im Hinbl ick auf das Gebet verwendet, wie in : „derjenige, der vor R abbi Ḥanina trat“, und ähn l iches mehr. – Doch der Interessierte verstehe, dass derjenige, der die Gottesdienstordnung betet, der benutzt die Sprache unserer Mishna, so dass er von dem Streit mit R abbi Yehuda ablassen kann, denn es gibt dort nur ein Gestell. Darüber erörterten sie jedoch lange, denn nach den Worten der Weisen, d. h. nach der anonymen Meinung der Mishna, die zuerst gelehrt wurde, sollte zuerst das Blut des Bockes genommen werden (dann erst das des zweiten Opfers), wie es heißt : „und er nahm das Blut des Farren“ (von dem ersten Priester). Doch er sagte, entsprechend dem Ende der Mishna, dass dies die Fortsetzung der Sprache der Mishna des R abbi Yehuda sei, denn es gibt dort nur ein Gestell. Daher steht es folgendermaßen in der Gemara : „er nahm das Blut des Farren“ (zuerst), „und stellte“ (nachher) das Blut des Bockes beiseite. Und ebenso (bYom 36b) : „Einst trat jemand vor R abba und rezitierte wie R abbi Me’ir (d. h. er ordnete es während des Sündenbekenntnisses des Hohepriesters an) : „ Ich habe gesündigt, habe Verfeh lungen begangen, Sünde begangen, wie es der Sprache unserer Mishna entspricht, und wie R abbi Me’ir in der Baraita, in der ein Beleg aus der Tora angeführt wird : der unsere Schu ld und unser Vergehen und Sünde trägt.“ | Sprach er zu ihm : Ich bin der A nsicht R abbi Me’irs, denn so steht es auch 225 in der Tora des Mose (in einigen Rezensionen steht es auch in A ramäisch). Uns scheint aber, dass dieser Ausdruck darauf hinweist, dass derjenige, der vor den Toraschrank tritt, in seiner A ntwort, in der Ordnung seines Siddur

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3. Entsprechend unserer Vorgehensweise haben wir gelernt, dass der Traktat Yoma von Rabbi Shim‛on, dem Mann aus Miṣpa, in den Tagen des Rabban Gam li’el des Ä lteren begründet wurde, a ls der Sanhedrin noch in der Quaderkammer tagte. 4. Im fünften Kapitel des Traktates Sheqa lim zäh lt der Tannait fünfzehn Aufseher auf, die es im Tempel gab, (d. h., jene hatten einen etwas geringeren Status a ls die Hauptvorsteher – griechisch katholik(os) –, amarkol und gizbar eingesch lossen). Er erwähnt dort die Aufseher sogar mit ihren Namen, und zusammen mit ihren Namen werden auch noch ihre Aufgaben genannt. So blieb es von den Tannaiten bis zu den Ha lakhot der Traktate Tamid, Yoma und Middot, wie es auch im Yerusha lmi (ySheq 5,1 [ 48c ]) heißt : „(Der Chronist) kommt und zäh lt die (Namen der) Würdigsten aus a llen Generationen auf“ – einem der andeuten wollte, was auch in den Worten der Mishna kurz zuvor zum Ausdruck gebracht wird : „Wie geschrieben steht in der Tora des Mose, deines Dieners !“ (mYom 3,8). Wir erwähnen diese Stelle aus der Gemara aber nur wegen der Reinheit ihrer Sprache. Und deswegen und wei l der Traktat Yoma darin unter den anderen Traktaten besonders ist, denn er geht und ordnet den Tag des Gottesdienstes nach der Reihenfolge seiner Verrichtungen – es kann sehr woh l sein, dass er von R abbi Shemu’el, dem Mann aus Miṣpa, in der zweiten Absicht redigiert wurde, um Israel auf diese Weise auf dem Land und in den Diaspora- Gemeinden für diesen großartigen Tag eine Gebetsmög l ichkeit zu geben. Daher wurde der Traktat in der Gemara auch Seder Yoma genannt, und er sch l ießt mit dem Abschnitt mit : „Und er bereitete seinen Freunden ein Fest, da er in Frieden aus dem Hei l igtum heimgekehrt war“ (mYom 7,4). Und dies wurde auch zum Absch luss[formu lar ] unseres Gottesdienstes am Yom ha-K ippurim, sowoh l für Ashkenazim wie auch für Sefaradim. – Doch aufgrund dessen kann man sagen, dass auch im Traktat Tamid gesagt ist, dass er vor der Redaktion des Seder Yoma entstanden ist und dass er außerdem mit der zweiten Absicht redigiert wurde, dass er im Gebet verwendet werden kann. Ein wichtiger Beleg dafür ist auch, dass an seinem Sch luss ausdrück l ich die Sch lussformel steht : „Dies ist die Ordnung des Tamid für den Dienst im Hause unseres Herrn, es möge ihm gefa llen, dass er es schnell, in unseren Tagen aufbaue, A men“ (m Av 5,23). Die Formel, „es möge ihm gefa llen“ usw. ist jedoch ein Zusatz des Redaktors aus der Zeit nach der Tempel zerstörung. Es scheint denkbar, dass diese beiden frühen Traktate a ls Vorlage und Beispiel für einige andere K apitel von Ha lakhot dienten, die ebenso tei lweise nach dem Ablauf ihrer Durchführung ange-

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wichtigsten Belege. – Einer der Aufseher wird dort sogar mit zwei Namen benannt : Mordekhai und Petaḥya. Sie meinten aber, dass der letztere ein Ehrentitel aufgrund seiner überlegenen sprach l ichen Bi ldung und seiner Fähigkeit zur Erk lärung dunk ler A ndeutungen war. In dem Traktat Menaḥot wird dazu eine Baraita überliefert (bMen 64b) : „A ls sich das Haus der Hasmonäer bekämpfte, da war Herodes draußen (d. h. außerha lb der Stadt Jerusa lem) und A ristobu lus innerha lb (d. h. auf dem Tempelberg)“ usw. Hinsichtlich jener Zeit (der Belagerung des Tempels) lehrten sie : „Einst holte man ‛Omer aus Gaggot Ṣerefin“ (m Men 6,2). Im Bavli und im Yerusha lmi erinnern sich die Rabbinen daran, dass jener erwähnte Petaḥya ihnen diese A ndeutungen bezüg l ich der Belagerten erk lärte, wie sie auf diese Weise während der Belagerung das ‛Omer- Gebot beobordnet wurden. So etwa der Traktat Avot, der in der Hauptsache und a l s Grund lage seiner Mishna die Wege des Tradenten und der Führung der Väter hinsicht l ich des Studiums der Tora beinha ltet und auch das Verhä ltnis der Schü ler zu ihren Lehrern festhä lt. Es scheint aber, a ls seien seine teuren Aggadot erst in einer Massekhet angeordnet worden und dann später auch in unsere Mishna aufgenommen worden, um so von den Studierenden vor und nach dem Studium in der Yeshiva aufgesagt werden zu können. Darauf bezieht sich auch der Absch luss : „Es möge ihm gefa llen, dass er seinen Tempel bauen möge, schnell, in unseren Tagen, und er möge uns unseren A ntei l an deiner Tora geben !“ Die Wörter „es möge ihm gefa llen“ sind früher verfasst worden, denn der Traktat ist lange nach der Tempel zerstörung redigiert worden. Sehr wahrschein l ich handelt es sich um eines der sehr spät redigierten Traktate, so wie die Traktate ‛Eduyot und ‛Uqṣin. – Man verstehe aber auch aufgrund des Gesagten, dass die Mishna über „das Lied, welches die Leviten singen“ usw. (mTam 7,4) am Sch luss des Traktates Tamid und ebenso die beiden letzten Mishnayot des Traktates Avot Baraitot sind und der Mishna hinzugefügt wurden. Sie sollten die Traktate absch l ießen, und so auch die letzte Mishna des Traktates Yoma, welche über den Hohepriester handelt; auch sie gehört nicht zum Grundstock, sondern sch l ießt, wie gesagt, den Abschnitt „und er machte einen Festtag“ ab, a ls ob es sich um eine der Ha lakhot handele, die aufgrund irgendeiner A ssoziation eingearbeitet worden sind, hier die Assoziation mit dem Hohepriester. Beachte auch, dass das letzte K apitel tatsäch l ich eine A ngelegenheit für sich ist, und es wäre eigent l ich angebrachter, den Traktat a ls „Massekhet vom Fasten am Yom ha-K ippurim“ zu bezeichnen.

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achten konnten. – Aus a ll dem Gesagten ergibt sich, dass diese Mishna über die Aufseher im Traktat Sheqa lim von Hillel gelehrt wurde, der kurz vor der Zeit des erwähnten Bruderkrieges lebte. Und dies gi lt auch von den mit Namen versehenen Aufsehern, Petaḥya und seinen Kollegen. | 226 5. Nach dem Zeugnis Shemu’els, eines bedeutenden Rabbis, war Hillel der erste Tannait, der erste, der die Mishna der Zehn lehrte, die aus Babylonien hinaufgezogen waren (bYev 37a). 6. Auch vom Traktat ‛Eduyot, wie oben angeführt, ist der A nfang bekannt. Es scheint uns, dass, nachdem man Rabbi Eli‛ezer den Älteren, den Sohn des Hyrkanos, aus der Yeshiva entfernt hatte, viele a lte Ha lakhot verloren gingen (wie daraus ersicht lich ist, dass er nur Dinge lehrte, die er noch aus dem Mund seines Lehrers gehört hatte, und ebenso aus der schreck lichen Geschichte über seinen Tod). Dama ls wurden mit ihm viele andere Tannaiten gewa ltsam und mit voller Absicht aus dem A mt entfernt, insbesondere jene unter ihnen, die aus der Schu le Shammais stammten. Dama ls wurde über die hermeneutischen Methoden entschieden, und am Ende gewöhnte man sich immer mehr an sie, indem man sie immer mehr für die Bildung neuer Midrashim verwendete, um auf diese Weise auch immer mehr Ha lakhot zu gewinnen und sie aus ihrer spitzfi ndigen Diskussion zu befreien, was nach Rabbi Eli‛ezer und seinen Gefährten überhaupt nicht rechtens gewesen wäre. Es scheint außerdem, dass durch die scharfe K ritik und durch den scharfen Streit gewisse tora-gemäße Fragen wegen der mangelhaften Tradition ständig umstritten waren, bis der nasi zur Zeit des Rabban Gam li’el von Yavne darauf drang, seinen Verstand und den Verstand seiner Anhänger durch die höhere Machtfü lle des nasi zu stärken. Dies geschah auch durch die Vertreibung des Rabbi Eli‛ezer, um hiermit das A nsehen des nasi zu schützen, für das und für den Ruf seines Vaters dieser nichts getan hatte. Und dies nur, damit ein Einzel ner sich nicht daran gewöhne, der Mehrheit zu widersprechen, damit nicht die Streitigkeiten in Israel zunähmen. Daher, a ls die Ä ltesten gegen ihn aufstanden, verordneten sie die Besch lüsse bezüglich der Entfernung von a lten Tannaiten

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(die meisten von ihnen ohne eine Begründung aufgrund eines Midrash). Daraufhin kehrten viele Tannaiten an die Yeshiva zurück und legten viele Zeugnisse über die Aussprache einzelner Ha lakhot ab, die man vorher noch nie gehört hatte. A ll dies ist dem Kundigen und Bewanderten aus den beiden Ta lmudim zur Genüge bekannt. Und mit den Worten des Gaon [ Sherira ] : „Doch dies war eine sehr wichtige Zeit, da es eine Periode der Beruhigung nach der Tempelzerstörung war. Zu dieser Zeit saßen sie, ihre Ha lakhot zu sammeln, die schon fast in den Verwirrungen der Tempel zerstörung und den Meinungsverschiedenheiten zwischen den Schu len Shammais und Hillels verloren gegangen waren.“1 Von daher verstehen wir nun besser, wie und warum eine neue Massekhet zusammengestellt wurde, indem man die verschiedenen Zeugnisse, die man besaß, fest legte, selbst die von denjenigen, die die Yeshiva verlassen hatten. Von dieser Zeit an lehrte es jeder große Gelehrte auf seine Weise und fügte das hinzu, was an Aussprüchen in den zwei Generationen seit ihrer Grund legung bis zu ihrem Absch luss hinzugekommen war, wie es heißt : „Rabbi Yose sagt : Sechs Dinge lehrte die Schu le Shammais, um zu erleichtern und um gegenüber der Schu le Hillels zu erschweren.“ Siehe auch den Ausspruch des Rabbi Yehuda : „Es sei ferne, dass Rabbi ‛Aqiva gebannt werde“ – beide Aussprüche stammen aus der Zeit der zweiten Generation nach der Entstehung des Traktates, bis Rabbi kam und die Gesta lt des Traktates, wie wir es kennen, fest legte. Die Weisen bezeichneten es aber a ls „das Ausgezeichnetste“ [ beḥirta ] wegen seiner großen Bedeutung. 7. Scheinbar ist die Mishna zum Sch luss des ersten Kapitels des Traktates Ḥagiga „die Befreiung von Gelübden, die in der Luft hängt“ usw. (m Hag 1,8) der ursprüng l iche A nfang einer sehr a lten Ha lakha-Samm lung, die ihren Ausgang von Überlegungen über den Unterschied zwischen aufgrund von Schriftversen entschiedenen Ha lakhot nahm. Es begann mit einer kurzen Mishna, die auf die Weise „man legt nicht aus“ ausgeweitet 1 Edition

Neubauer, 5; Sch lüter, Weise, 56 (§ 19).

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wurde. Nach einer ersten Mishna mit Streitigkeiten über Halakhot der A rt wie : „Yose ben Yo‛ezer sagt : Man darf die Hand nicht aufstützen“ usw. (mHag 2,2) wurden dann Ha lakhot der Art wie „die Schu le Shammais lehrt : Man bringt Friedensopfer dar“ (m Bes 2,4; m Hag 2,3), die auch in dem Traktat Yom Ṭov gelehrt wurden, zugeordnet. Doch a ll dies sagen wir nur aufgrund unseres Eindruckes von der Sache. Über das A lter der Mishna können wir aufgrund dessen, was in einer Baraita steht, urtei len : Schon Rabbi Eli‛ezer und Rabbi Yehoshua‛ suchten nach einem Schriftbeleg oder einem Hinweis, um über ihn zu streiten (vgl. yHag 1,8 [ 76c]). Wir haben im Übrigen bereits auf die Kürze und das A lter der Ha lakhot zu Beginn des Traktates Bava Qamma hingewiesen (der ersten Pforte des großen Traktates [ der Ordnung ] Neziqin1), und auch die Rabbinen wiesen darauf hin, dass der erste Tannait in ihnen ein Jerusa lemer war, wobei sie hierdurch darauf hinweisen wollten, dass es große Yeshivot in Jerusa lem gegeben hat : Aber nach der Zerstörung befanden sich die meisten in Ga liläa, die wenigsten in dem Landstreifen süd lich von Jerusa lem, wie wir bereits oben erwähnt haben (Pforte 14).2 Wir schließen mit Beispielen für die Redaktion der Traktate, um dann zu unserem Forschungsziel und zu der Geschichte zurückzukehren. Es folgen weitere Beispiele für die A rt der Absch lusses von Massekhtot. |

Alles, was wir über die Redaktion der Massekhtot und die Festlegung von Ha lakhot in jeder Generation erk lärt haben, von Hillel bis in die siebte Generation nach ihm, a lso bis in die Zeit des Rabbenu ha- Qadosh, des Redaktors unserer Mishna, bezog sich nur auf den Wortlaut der Ha lakhot selbst. Die Wurzel und die Quelle vieler Ha lakhot war jedoch, wie wir bereits erk lärten, der Midrash Ketuvim aufgrund der A nwendung hermeneutischer Regel n – entsprechend der A nordnung der 1 G emeint

sind die Bavot-Traktate.

2 Auch hier fi ndet sich ein H inweis darauf, dass die Reihenfolge der K api-

tel vertauscht ist. Vg l. dazu Sch lüter, Spiritua l ity, 106 A nm. 13.

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schriftlichen Gebote und ihrer Auslegungen, und daher der Name Mishna, der sich dama ls neu bi ldete, um auf diese Weise einige Ha lakhot einzelner aufzunehmen, aber auch um die Midrashim, die zusammen mit ihnen überliefert wurden, zu berücksichtigen, wie wir lernen : „Wessen Mishna ? Rabbi Me’ir sagt : Ha lakha; Rabbi Yehuda sagt : Midrash“ (bQid 49a). Und dies ist, was sie sagten : „ Er [ sc. ein Samenf lussbehafteter ] darf sich mit der Umgangslehre [ mit Ha lakhot in Zusammenfassung ] befassen, nur dass er nicht die Mishna erläutere (erweitere durch Kommentare und Streitigkeiten); Rabbi Yoḥanan ben Yosef sagt : Er darf die Mishna erläutern, doch darf er nicht den Midrash erläutern (so mit der Lesart bei Rashi, und sie ist die richtige); Rabbi Yoḥanan ben Avsha lom sagt : Er darf auch den Midrash erläutern, nur dass er nicht die Erinnerungszeichen ausspreche“ (die hei ligen Namen Gottes, die in den geschriebenen Midrashim stehen) (bBer 22a; yBer 3,4 [ 6c ]). Hierdurch ist die Methode der Lehre der Ha lakhot erk lärt, und zwar, dass man keine Redaktion in einer Massekhet benötigte, weil sie in dieser Hinsicht künst lich [ u nd ] wi ll kürlich ist. Der Zusammenhang zwischen den Ha lakhot ergab sich viel mehr aus der A rt der Reihenfolge der parashiyot der Tora, die man nacheinander lehrte. Und daran erinnerte man sich mit folgenden Worten (bMQ 9a) : „R abbi Yonatan ben Asmay“ usw. (und R abbi Yehuda, ein Proselytenabkömm l ing, studierten den Traktat von den Gelübden von Rabbi Shim‛on ben Yoḥai).“ Ebenso erinnerte man daran : „Zwei Drittel eines Drittels lehrte ich ihn im Levitikus [ Torat kohanim ], (und er stand nicht auf. Dieser erwiderte ihm : Vielleicht saß er und dachte darüber nach).“ (bQid 33a). Und über ebendiese A rt der Wiederholung von Ha lakhot schrieb der Gaon [ Sherira ] : „Und früher, in der Zeit des Tempels, in den Tagen der ersten Rabbinen (dies bezieht sich auf die Zeit vor Hillel), war dies die Weise, wie man lehrte (näm lich Ha lakhot)“.1

1 Vg l.

Edition Neubauer, 15; siehe auch Sch lüter, Weise, 123 mit A nm. 5 (§ 77) zu einer abweichenden Interpretation, insbesondere des von K rochma l hinzugefügten Wortes „Ha lakhot“.

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Doch wir sehen, dass sie noch einen dritten Weg kannten, näm lich den der Mishna, die a llein aufgrund der hermeneutischen Regel n [ middot ] gewonnen wurde. Dies will sagen, dass jeder Weise nach seinen exegetischen Methoden verfuhr, die er a llein für sich für richtig hielt, die er aber von seinem Lehrer überliefert bekommen hatte, samt vieler Beispiele für jede einzel ne : für den Sch luss vom Leichten auf das Schwere, den A na logiesch luss und so für a lle weiteren Methoden. Es sei daran erinnert, was darüber überliefert ist : „Rabbi Shim‛on sprach zu seinen Schü lern : K inder, lernt meine Methoden, denn meine Methoden sind ausgesucht von den ausgesuchten Normen Rabbi ‛Aqivas“ (bGit 67a). Ebenso : „Rabbi sagte : A ls ich a lle meine Methoden bei Rabbi Eli‛ezer ben Shammua‛ auszupressen ging“ (bMen 18a). Man sagte auch : „Hillel legte sieben Methoden vor den Bene Betera aus“ (tSan 7,11 [ 427]). Im Midrash [ Wayiqra ] Rabba ist es außerdem üblich, von den Hil khot und middot [ Methoden ] zu sprechen. „ Es ist ihm nur darum zu tun, ein Mekhilta-Kundiger genannt zu werden“ (Wa R 3,1 [ 55]) (Mekhilta ist das aramäische Wort für middot, und manchma l bezeichnete man dies auch a ls mishnat ha-midrash, da es zum größten Teil auf den middot fußte). Damit wird auch der folgende Ausspruch verständlich : „Niemand lehre einen Sch luss vom Leichten auf das Schwere aufgrund eigener Überlegung, und niemand lehre einen A na logiesch luss aufgrund eigener Überlegung, es sei nur aufgrund der Tradition seines Lehrers, d. h. aufgrund der Methode seiner Lehre“ (bPes 66a; vg l. R ashi zu bNid 19b s. v. eyn adam). Im K rieg der Zerstörung des Tempels wurden die meisten der vorhandenen Rabbinen und Lehrer getötet, ganz wie es der Absicht gegenseitiger Vergeltung entsprach, sowoh l unter den Zeloten a ls auch bei den Römern. Und die verbleibenden Schü ler wurden zu Tausenden a ls Sk laven verkauft. Dama ls vollzog sich die zweite Phase des voll kommenen Vergessens der Ha lakhot. Doch schon hatten wir a lles in dieser großen Katastrophe verloren, da ließ der Herr in seiner Gnade eine Medizin für unsere K rankheit erstehen, indem er einen zuverlässigen Grundstock für die Lehre in den hundert Jahren zwischen Hillel und der Grund legung der

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meisten Ha lakhot bis zur Zerstörung des Tempels legte. Er, er sei gepriesen, wollte jedoch außerdem, dass einer der großen Lehrer, Rabban Yoḥanan ben Zakkai, vor dem zerstörerischen Herrscher Gehör finde, sodass er eine ihm woh lgesonnene Gruppe sammeln konnte. A n ihrer Spitze standen die fünf, die sich in Yavne, der Stadt der Weisheit, zwei Generationen lang versammelten, dort eine Yeshiva gründeten und ihre Ha lakhot sammelten. Nachdem sie dort aber a lles Notwendige und Nützliche geordnet und verordnet hatten, | entsprechend der neuen Lage nach dem Verlust un- 228 seres hei ligen Tempels und nach der Verwüstung Jerusa lems, da nahm die Weisheit und Forschung in den Ha lakhot zu. Und auch in [ den Ha lakhot selbst ] finden sich [ Belege für den ] vorangegangenen Zwist und die Auseinandersetzung zwischen den A nhängern der beiden Schu len, die nun zusammen in ein und derselben Yeshiva vor demselben großen Lehrer saßen, der Schü ler beider [ Schu len ] gewesen war. Rabban Yoḥanan ben Zakkai starb ungefähr dreißig Jahre nach der Tempelzerstörung, dann übernahm die nasi- Herrschaft Rabban Gam li’el, der Sohn des Shim‛on, der zur Zeit des Tempels getötet worden war; er gehörte zum vierten Gesch lecht nach Hillel, und a ls erster erhielt er Befugnisse1 bezüglich der politischen Führung des Vol kes und seiner Repräsentation gegenüber dem römischen Stattha lter, der in Caesarea saß, und wir haben darüber bereits zuvor berichtet. Damit begann eine Zeit der Ruhe und des Nutzens für die Studien, die bis zu fünfzig Jahre nach der Tempelzerstörung andauerte und in der die Massekhtot in der großen Yeshiva begründet wurden. Dort wurden sie in ihren Grund lagen studiert, und man fügte ihnen sowoh l solche Diskussionen hinzu, die zwischen den Schü lern der beiden Schu len aufgekommen waren, a ls auch neue, die zwischen den Schü lern des Rabbi Yoḥanan ben Zakkai entstanden waren. Wir waren ja bereits auf die Geschichte der Yeshiva und die der Ha lakhot zu dieser Zeit eingegangen, auch darauf, dass man am Ende die Worte der Schu le Shammais völlig ablehnte (außer einiger a lter Ha lakhot und Erlasse, die 1  S o

mit dem Korrekturvorsch lag in K rochma l, Writings, 228.

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bereits in der Zeit des Tempels durch die Mehrheit besch lossen worden waren), für die Unterweisung wurde jedoch die Ha lakha des Hauses Hillel festgelegt. Danach sprang auf sie der Eiferzorn des Ben Koziva über, der sich gegen die Römer erhoben und eine neue Regierung in der Festung Betar errichtet hatte. Sein Aufstand begann gemäß der Lehre des Seder ‛Olam [ 30, hg. v. Ratner, 73b ] zweiundfünfzig Jahre nach der Zerstörung des Tempels, und er dauerte bis zu seinem voll kommenen Ende bis zum fünfundsechszigsten Jahr nach der Tempelzerstörung. Dama ls waren bereits die Schü ler des Rabban Yoḥanan ben Zakkai gestorben und mit ihnen auch Rabban Gam li’el, der nasi. Nachdem Betar genommen und das Horn Israels gefa llen war (wie wir bereits in der Pforte 14 berichtet haben1), kam die dritte Zeit des Vergessens der Ha lakha. Doch wie aus einigen Belegen deutlich wird, war dieses Vergessen nicht so gravierend, besonders was die Ha lakhot anbelangt. Es betraf vor a llem den Midrash a ls Grund und Erk lärung der Ha lakha, a lso a lles, was wir a ls „Ta lmud Ha lakha“ bezeichnet haben. Dies war nicht nur eine Folge der schreck l ichen Verluste unter den Tannaiten-Schü lern während des K rieges und der Eroberung von Betar (da sie zu den A nführern der Verschwörer gehörten), sondern es ent lud sich auch unter den Überlebenden der große Sturm der römischen Zerstörungswut. Seine Folgen für das Studium der Tora waren schwerwiegender a ls die Verfolgung durch die Griechen in der Zeit des Tempels; ihre Sch läge zielten gegen Versamm lungen zum Zwecke des Tora-Studiums, und ihre Maßnahmen waren gegen die Einsetzung von Schü lern zu Lehrern gerichtet, wie auch gegen eine gesetzgebende und eine den Ka lender festsetzende Versamm lung. Dama ls kam a ls Folge der Unheilsbesch lüsse und wegen ihrer Grausamkeit und aufgrund der vielen Überläufer sogar die Gefahr des völl igen Vergessens der Tora auf, [ u nd dies wäre woh l auch eingetreten ], wenn dem nicht in gött licher Gnade nach wenigen Jahren, d. h. nach etwas mehr a ls zwölf Jahren, Einha lt geboten worden 1 Auch

hier l iegt ein H inweis auf die ursprüng l iche Reihenfolge der Pforten vor.

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wäre. Vor diesem Übel und währenddessen wirkte der große Rabbi ‛Aqiva; ihn sandte Gott zur geistigen Wiederbelebung und um der großen Samm lung von Soferim und Weisen willen. Er war es, der mit seiner umfassenden Weisheit und durch seine zah lreichen Reisen in die Diaspora- Gemeinden das Haus Israel stärkte und ihm ein Ziel gab. Mit großer A nstrengung gelang es ihm, die Schü ler zu mehren und ihnen auf jede nur denkbare A rt und Weise die Erkenntnisse des tora-gemäßen Wissens beizubringen. Darauf weisen auch die Rabbinen hin, wie wir bereits zu Beginn der Pforte notiert haben; sie sagten darüber im Yerusha l mi des Weiteren (ySheq 5,1 [ 48c ]) : „ Deshalb werde ich ihm seinen Anteil geben unter den Großen, und mit den Mächtigen wird er seine Beute teilen ( Jes 53,12) – dies ist Rabbi ‛Aqiva, der Mishna, Ha lakhot und Aggadot geordnet hat“. Die Zeit seines Wirkens lag um das Jahr 50 bis zum Jahr 80 nach der Tempelzerstörung. Doch nach seinem Martyrium verschwanden die meisten seiner Schü ler im letzten K rieg von Betar, nur einige der jungen blieben übrig; sie waren noch von ihm oder von Rabbi Yehuda ben Baba zur Zeit der großen Verfolgung eingesetzt worden, wie man in einer Baraita erzäh lte : „1200 Schü ler hatte Rabbi ‛Aqiva von Gabbat bis A ntipatris (den Grenzen des Landes Israel von Norden bis Süden), und sie a lle starben auf einen Sch lag“ (bYev 62b). Und die Welt war leer, bis R abbi ‛Aqiva zu unseren Lehrern im Süden kam und ihnen folgendes lehrte : Rabbi Me’ir, Rabbi Yehuda, Rabbi Yose, Rabbi Shim‛on und Rabbi Eliʽezer ben Shammua‛, sie waren es, die er in jener Stunde ernannte (gegen Ende | der 229 Verfolgung, in der dritten Generation nach der Zerstörung des Tempels). Um das Jahr 85 nach der Zerstörung hörte die Verfolgung fast vollständig auf, nachdem R abbi ‛Aqiva das Martyrium erl itten hatte, um das Jahr 80. Es geschah dann, dass fast a lle Diaspora- Gemeinden, die unter die umfassende römische Herrschaft gelangt waren, außer denen in Babylonien und Medien, von Irrungen und Wirrungen, die in ihrer Mitte und in ihren Heerscharen entstanden waren, für lange Zeit zur Ruhe kamen. Sie verhielten sich sti ll und lebten in der Herrschaftszeit zweier nacheinander regierender Kaiser erfolg-

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reicher, vom Jahr 70 bis zum Jahr 112 nach der Zerstörung unseres heiligen Tempels. Die Namen der beiden Kaiser waren A ntoninos, der auch den Beinamen Pius erhielt, und der [ Name ] des zweiten war „der Philosoph“ (gemeint ist der Freund Rabbis), und die Darstellung der römischen Geschichtsschreiber geht so weit, dass sie ihre Zeit a ls die besten und g lück lichsten Tage der Menschheit beschrieben. A ls Folge der Verbesserungen der persön lichen Lebensumstände begann auch wieder eine Blütezeit der Ha lakhot, und in der Großen Versamm lung, die gegen Ende der Verfolgung in Usha einberufen worden war, sammelten sich wieder viele der erwähnten Rabbinen. Nasi wurde Rabban Shim‛on ben Gam li’el (aus Yavne), der Vater Rabbis; und der zweite, dem der Ehrentitel av bet din verliehen wurde, war Rabbi Natan, der aus Babylonien hinaufgezogen war. Der dritte war Rabbi Me’ir, der den bekannten Ehrentitel ḥakham [ Weiser ] erhielt. Sie und ihre zah l reichen Gefährten bemühten sich in einer Großen Versamm lung um die Lehre der Ha lakhot, ein jeder jedoch noch auf seine eigene Weise. Wir finden aber (bQid 52b) : „A ls Rabbi Me’ir starb, sagte Rabbi Yehuda : Führt nicht die Schü ler des Rabbi Me’ir hier hinein (in die Große Versamm lung)“ usw., „Somkhos wurde verstoßen“ usw., „Rabbi Yose sagte“ usw. Und so wurde die Form der Ha lakhot und des Ta l mud durch ihre Begründungen gestärkt und ausgebaut, bis zum Ende der Tage des Rabbenu ha- Qadosh, d. h. in jenen letzten fünfzig Jahren, die von der Erneuerung der Yeshiva um das Jahr 90 bis zum Jahr 140 nach der Zerstörung des Tempels, der Zeit des hohen A lters Rabbis, dauerten. Dieser weise und gerechte nasi (ihm g l ichen nur wenige der nesi’im, die ihm nachfolgten) vereinigte die Eigenschaften der beiden großen Leuchten, Esra und Nehemia, in sich. Dies ist, was die Rabbinen sagten : „dass ich meinen Bund mit ihnen brechen sollte (Lev 26,44) usw. – in den Tagen der Römer, wo ich für sie das Haus Rabbis und die Weisen des Zeita lters auftreten ließ“ (bMeg 11a). Bereits unsere Geschichtsschreiber haben die Berichte über seine Größe und seine Bescheidenheit sowie die Erhabenheit seines Hauses und der in ihm versammelten Weisen festgeha lten, die belegen,

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dass man zu ihm aus a llen Gemeinden der Diaspora, besonders aber aus Babylonien strömte (Rabbi Ḥiyya und seine Familie). Doch an uns ist es nun nur noch, seine große Tätigkeit an [ der Erstellung der ] Ha lakhot zu erk lären. Wir erwähnten bereits, dass Rabbi ‛Aqiva seinen Schü lern a lle Ha lakhot in jedem Seder lehrte, ihrer Eigenart entsprechend und soweit sie sie benötigten. Man erinnere sich etwa an den berühmten Ausspruch : „Eine anonym überlieferte Mishna geht auf Rabbi Me’ir zurück, eine anonym überl ieferte Tosefta geht auf R abbi Neḥemya zurück, ein anonym überliefertes Diktum aus Sifra geht auf R abbi Yehuda zurück, ein anonym überl iefertes Diktum im Sifre geht auf Rabbi Shim‛on zurück, doch sie a lle stimmen mit R abbi ‛Aqiva überein“ (bSan 86a).1 In dem Kommentar zu diesen beiden letzten Aussprüchen heißt es aber, dass nach der Lehre des Rabbi Yoḥanan für seine Schü ler davon auszugehen ist, dass „wenn du irgendeine anonyme Mishna über einen Bibelvers aus den letzten beiden Büchern der Bibel vor dir hast, aus dem Buch Numeri oder aus dem Deuteronomium, wisse, dass es sich um eine Überlieferung des Rabbi Shim‛on handelt.“ Denn jene Weisen sammelten auf diese Weise die Ha lakha aufgrund der Ordnung der Bibelabschnitte, und dies stets entsprechend ihrer Reihenfolge in der Bibel. Der Beleg dafür fi ndet sich dort : „ Ein Tannait lehrte dies vor Rav Sheshet : Wenn ein Mann dabei angetroffen wird, dass er einen von seinen Brüdern stiehlt (Dtn 24,7) usw. Nur wenn er ihn aus dem Gebiete seiner Brüder hinausgebracht hat, und du sagst, er sei strafbar. (Doch) es werde gelehrt : Er ist frei. Was ist dies denn für ein Einwand, vielleicht das eine nach Rabbi Shim‛on und das andere nach den Rabbanan ! ? “ (bSan 86a) (Das heißt, ref lektiert die Baraita etwa eine andere Meinung ?) Dies ist nicht ein leuchtend, denn Rabbi Yoḥanan sagte, eine anonyme Mishna sei von Rabbi Me’ir“ usw. Ebenso im Traktat Qiddushin (bQid 53a). Dort geht es darum, dass zwei Belege aus einer anonymen Mishna angeführt werden, die sich auf zwei Bibelverse beziehen : Alles, was im Tiegel bereitet wird, soll allen Söhnen Aarons gehören (Lev 7,9) usw., und : Alles, 1 Vg l.

dazu Sch lüter, Spiritua l ity, 114 f.

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was auf der Pfanne liegt usw. – sie stammen beide von Rabbi Yehuda, und dies gi lt ebenso für [ verg leichbare Stellen ] in der gesamten Sechsordnung der Mishna. Daraus folgt, dass Rabbi Me’ir aus dem schöpfte, was sein Lehrer Rabbi ‛Aqiva lehrte, wie er die Halakhot nach dem Vorbild des Hillel angeordnet hatte. Rabbi Neḥemya übernahm dagegen den Weg, die knappen a lten Ha lakhot zu lehren und sie zu erk lären; und Rabbi 230 Yehuda übernahm die Lehre des Midrash | zu den entsprechenden Schriftabschnitten des Buches Levitikus [ Torat kohanim ], sowoh l in Bezug auf die Ha lakha a ls auch in Bezug auf die Aggada. Und ebenso Rabbi Shim‛on für die beiden letzten Bücher der Tora, aus denen man die Lehre über den Abschnitt Nedarim ableitete, wie wir bereits oben erwähnt haben.1 Außerdem gab es noch sehr viele andere Mishnayot, oder wie man es im Midrash sagte : „Sechzig Königreiche gibt es – so wie es sechzig Massekhtot gibt“ (die in die bekannte Mishna aufgenommen wurden) usw. (BamR 18,21 [ 76c ]). „Und ihr entsprechend gibt es keine Anzah l “ – dies meint die nicht-kanonische Mishna [ Mishna hiṣona ]. (ebd.) Doch man lehrte sie auch in den Traktaten unserer Mishna; man erinnere sich etwa an den Spruch : „Es lehrte Rav Mesharshaya in Bezug auf Qiddushin, dass es sich um eine Lehre aus der Schu le des Lewi handelte“ (bBB 52b). „Es wurde in Bezug auf Ketubbot gelehrt“ (yKet 2,4 [ 26c ]). Auch finden sich andere Massekhtot, die nicht in unsere Mishna aufgenommen wurden, und in der Gemara erwähnt man sie a ls erleichternd in Bezug auf die Sündentora und in Bezug auf das Studium durch einen Samenf lussbehafteten. Ebenso auch der Traktat Ka lla (vgl. bShab 114a) und Massekhet Derekh Ereṣ, die von unseren Vorfahren häufig repetiert wurden. Auch gibt es einige Mishnayot, deren Einzelheiten und deren Gesamtaufbau wir nicht kennen, doch werden sie häufig erwähnt : tanna de-ve Rabbi Eli‛ezer ben Ya‛aqov (bShab 114a), tanna de-ve Rabbi Yishma‛el, auch die tanna Rabba bar Mari (bEr 19a) wie die de-ve Rabbi Yoḥanan ben Zakkai, tanna Abba Sha’u l (bKet 87a), die Mishna des Bar Kappara (yKet 3,8 [ 33b ]), tanna 1 Zur

Übersetzung und zur Abhängigkeit dieser Stelle vom Iggeret R av Sherira vg l. Sch lüter, Spiritua l ity, 115.

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de-ve Rabbi Shemu’el (bYom 70a) – a lle diese stammen aus den babylonischen Mishna-Sammlungen, die nach dem Zeugnis des Gaon ebenfa lls sehr zah lreich waren. Im Lande Israel wurden sie jedoch Mishnat Rabbi Natan des Babyloniers (bKet 93a) genannt. Was man noch wissen muss, ist, dass es zu dieser Zeit und auch danach, in den Tagen der A moräer, offizielle Tannaiten gab, die diese zah l reichen Mishnayot wiederholten und damit zur Erarbeitung der Rezensionen beitrugen. Sie saßen vor den Weisen auf dem Boden und sprachen münd lich aus, ein jeder die Mishna, die er gerade beherrschte. Dieser lehrte die Mishna-Samm lung, die dem Rabbi Yishma‛el und seiner eigenen Yeshiva zugeschrieben wurde (de-ve Rabbi Yishma‛el), jener lehrte die Mishna, die einem anderen und seiner Yeshiva zugeschrieben wurde. Ä hn liches wird in den Ta l mudim häufig erwähnt. Man darf solche Tannaiten jedoch nicht mit dem verwechsel n, was wir oben a ls seder tanna’im bezeichnet hatten, eine Bezeichnung für die Verfasser früher Halakhot. Denn diese Bezeichnung wurde sowoh l für die Verfasser a ls auch für die Lehrer der Mishnayot über Ha lakha und Aggada verwendet. Sie werden daher auch mesadre matnita [ Redaktoren der Mishna ] genannt. Manchma l aber, wenn sich der Redaktor getäuscht hatte, verbesserte ihn ein Weiser, indem er sagte : tane kakh [ man lehre (besser) so ]. Aus dem Ta l mud ist jedoch offenkundig, dass es in jeder Generation eine große A nzah l solcher Lehrer gab. Sie standen jedoch meistens, insbesondere zu diesen Zeiten, auf einer niedrigeren Stufe des Studiums und der Erk lärung, denn ihre A rbeit bestand hauptsäch lich im Memorieren und in der münd lichen Wiederholung, was so weit ging, dass Rav Naḥman über einen dieser Lehrer von Ha lakhot Sifra, Sifre und Tosefta im Scherz sagte : „Wehe, ein Korb voll Bücher ist hin !“ (bMeg 28b). Sein A ngedenken ist unseren Weisen geblieben, wie es heißt : „ Demnach kann, wer nicht sprechen kann, auch nicht lernen“ usw. (bHag 3a). Und im Yerusha l mi, den wir oben anführten, fi ndet sich jener Wäscher erwähnt, der Rabbi sechs A rten von Ha lakhot vorgetragen hat. Dies ging so weit, dass sie manchma l jene Weisen übernahmen und lehrten, wie es heißt : ohne dass die Bahnen der Welt für ihn wären (vgl. bSot 22a aufgrund von Hab 3,6), d. h. sie lehrten sie

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so, wie sie es für richtig hielten, und sie legten die Worte (am Ende des Ta l mud-Abschnittes Ellu meṣiʼut) „die, die euch hassen“ mit „dies meint die Verfasser der Mishna“ (bBM 33b) aus. Außerdem sagten sie : „Eine verbrauchte Tora-Rolle verwahre man neben einem ta l mid ḥakham, selbst wenn er nur Ha lakhot zu studieren pf legte“ (bMeg 26b) (dies meint jedoch nicht die bedeutenden ta lmide ḥakhamim, bei denen die Mishna stets zusammen mit Ta lmud gelehrt wurde). Weil sie die Worte ihrer Mishna nicht verstanden, erleichterte man ihnen, den Namen eines Tradenten zu verändern, sogar Verbotenes und Erlaubtes, Schu ldigmachendes und Befreites und ähn liche Gebote zu vertauschen, insbesondere nachdem sie a lt geworden waren und sie die K raft ihrer Erinnerung zu verlassen begann. So sank das A nsehen der Bezeichnung „tanna“ in der Spätzeit der A moräer dahin, wie auch die Bezeichnung Soferim in ihrem A nsehen gesunken war [ – eine Bezeichnung ], die anfäng lich für Esra und seine Schü ler, die Kommentatoren der Tora, verwendet worden war. Doch sch lussend lich lagen vor den Gebildeten doch wieder nur die fünf Bücher [ der Tora ] und die Schrift, so wie es die Gemara zu berichten weiß. Und man bedenke dies a lles ! Der Gebildete betrachte nun die Natur der Sache und erkenne mit Hil fe des Zeugnisses der Rabbinen, wie das Verhä ltnis zwischen der Vielzah l von Mishnayot und der geringen A nzah l von Arbeitern war, d. h. den Tannaiten, die ihre Rezensionen in dem einen oder anderen Stil oder mit dem einen oder anderen Ausdruck sammelten, in den Mishnayot jeder einzelnen Yeshiva. Aufgrund dieses [ Un-]Verhä ltnisses entstand der Zweifel an der R ichtigkeit der Rezension und der Lesart, und a ls Folge verdarben die [ Les231 arten der ] Mishnayot sehr : | Einige, wei l sie unter einigen wenigen Tannaiten verwaisten, einige, wei l sie von viel zu vielen Tannaiten gelehrt wurden. Über diesen Zustand des Durcheinanders sagten die Rabbinen (Sukka, Ende des ersten Kapitels) : „A ls die Tora von Israel vergessen wurde, stand Esra auf und legte für sie eine Grundfeste; a ls sie erneut vergessen wurde, stand Hillel der Babylonier auf und legte für sie eine Grundfeste; a ls sie wieder vergessen wurde, standen Rabbi Ḥiyya und seine Söhne auf und legten

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eine Grundfeste“ (bSuk 20a). Mit der letzten Zeit des Vergessens ist jedoch keine des voll kommenen Vergessens gemeint, denn über jene Zeit nach der Verfolgung sagte man auch : „Sie (die Schü ler des Rabbi ‛Aqiva) erhoben sie zu jener Zeit“. Und es ist außerdem offensichtlich, dass die fünfzig Jahre, die seit dem Ende der Tage Rabbis vergingen, eine Generation des außergewöhn lich großen Verstandes war, entsprechend der großen A nzah l von Gelehrtennamen, die uns aus dieser Zeit überliefert werden. Dies bezieht sich demnach auf die große Verwirrung und das Durcheinander der Mishnayot, die dama ls gelehrt wurden. Die Korrektur wurde dann mit Rabbi Ḥiyya und seinen Söhnen in Verbindung gebracht, der den Beginn und die Grund lage für Rabbenu ha- Qadosh legte. Dies mag auch mit dem Hintergedanken geschehen sein, die Weisheit der Babylonier, aus denen die drei [ f ünf ]1 Vorsteher stammten, zu verherrlichen. Er war außerdem ein Helfer Rabbis bei seiner A rbeit für die Mishna der gesamten Yeshiva, und er ordnete nach ihm zah l reiche Mishna- Ordnungen, wie wir im Folgenden noch erläutern werden. Wie bereits gesagt, fand Rabbenu [ Yehuda ha-Nasi ] große und k leine Ordnungen von Mishnayot vor, die sowoh l Allgemeines a ls auch Detai ll iertes entsprechend der A nordnung der einzel nen Traktate, der parashiyot und middot, enthielten. Alle wurden in der richtigen Reihenfolge gelehrt und untertei lt, entsprechend ihres Kontextes und ihres Inha ltes. Er versammelte dama ls in seiner großen Yeshiva, die in Sepphoris und in Bet Sheʽarim tagte, a lle Tannaiten, die jene Mishnayot gelehrt und formu liert hatten. Er und die Weisen seiner wunderbaren Yeshiva (fast a lle von ihnen waren von ihrer Jugend an auch spezielle Mishna-Lehrer) schätzten den Konsenz wie die Differenz untereinander, sodass sie einige Halakhot anonym lehrten, andere jedoch „im Streit“ [ be-maḥa loqet ] und einige entsprechend der Mehrheit, andere widerum aufgrund einer Einzel meinung. Sie entschieden darüber jedoch entsprechend der Mehrheit, die sich aus den Mishnayot und den zah lreichen ihnen vorliegenden Rezensionen ergab. Und auch in den 1  S o

mit der Edition Wol f.

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Begründungen und den Wurzeln der Angelegenheiten stellten sie ihre Überlegungen an und untersuchten sie genau. Sie erk lärten dabei jede Sache so, wie sie sie selbst lehrten und aus der Mishna der großen Schü ler Rabbi ‛Aqivas übernommen hatten. Durch die K raft dieser großen und wunderbaren A rbeit gelang es ihnen, eine einzige umfassende Mishna festzu legen, die im Prinzip aus a llen [ vorangehenden ] zusammengestellt worden war. Sie enthielt aufgrund ihres Inha ltes, aufgrund ihrer kurzen Ausdrucksweise und auch aufgrund ihres Verstandes a lles, was an Wichtigem über Kenntnis und Erinnerung an die Ha lakhot in verbesserter und richtiger Reihenfolge entschieden worden war. Um die umfassende Mishna zu begründen, legte man, wie gesagt, viel aus der Mishna des Rabbi Me’ir zugrunde. Sie war in ihrer k laren, reinen und hinsichtlich ihrer Kürze ausreichenden Anlage besser a ls a lle anderen, die ihnen dama ls vorlagen. Sie war es, die sie verbesserten, korrigierten und zu ihr aus anderen Mishnayot hinzufügten. Wenn wir aber a ll das oben hinsicht lich der Form, in der sie gelehrt wurden, Gesagte bedenken, wird k lar, dass in sie, neben dem, was ihre ersten Lehrer hinzufügten, vor a llem Samm lungen und frühere Massekhtot aufgenommen wurden. Aus diesem Grund erscheinen in ihr manchma l Ha lakhot doppelt, entsprechend den Massekhtot, in die sie eingebunden worden sind. Dadurch kam es, dass in die Mishna auch solche Ha lakhot aufgenommen wurden, die in offensichtlichem oder verborgenem Widerspruch zueinander stehen; manchma l handelt es sich um einen richtigen Widerspruch in Bezug auf das Gesetz, manchma l nur um einen Widerspruch hinsicht lich namentlicher Zuschreibungen einzelner Dikta. Zum Beispiel kommt es vor, dass einer eine Ha lakha anonym lehrt, a ls ob es sich um eine Mehrheitsmeinung handelt, obgleich es sich um die Lehre eines Schü lers handelt, der sie in der Sprache seines Lehrers, desjenigen, der sie zuerst gelehrt hatte, überliefert, ohne dabei den Namen seines Lehrers zu erwähnen. Doch derjenige, der nach ihm kommt, lehrt sie a ls Meinung eines Einzelnen, und dies zu Recht. Hierzu gehört, dass man von Seiten der Rabbinen nicht nur auf die Bindung von Ha lakhot an eine Aggada großen Wert legte und

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ihr viel Aufmerksamkeit schenkte, sondern man wollte auch wissen, wer der Tannait einer Mishna war, manchma l auch, wer eine gesamte Ha lakha bzw. eine Ha lakha in ihrem Kontext einer Massekhet gelehrt hatte. Doch auch hinsicht lich einer einzigen Mishna a llein konnte man die prinzipielle Frage aufwerfen : Wer war es [ , der sie lehrte ] ? Das heißt, wer war der erste Lehrer dieser speziellen Ha lakha, bevor sie in den Kontext, in dem man sie nun behandelt, gestellt worden ist ? Die A ntwort darauf versuchten sie mittels unterschied licher Methoden zu geben, wobei sie vor a llem nach dem Sinn und den Konsequenzen einer in einer anderen Mishna umstrittenen Aussage fragten und was daraus | hinsicht- 232 lich der dem Fachmann in der Weisheit der Gemara bekannten Methoden folgte. Im Weiteren werden wir einige wenige Beispiele hierfür bringen. Denn darauf wiesen manchma l auch diejenigen hin, die den Kontext durcheinanderbrachten und dem Vergessen anheimgaben, wie es heißt : „ Dies wurde wegen diesem gelehrt, und dies wurde wegen jenem gelehrt“. Und man trennte auch zwei Ha lakhot, die nahe beieinander lagen, und sprach : „Bedenke, wer lehrte dies, und wer lehrte dies ? “ (bBQ 47b). Manchma l fragte man auch in Bezug auf eine ganze Ha lakha : „Der Beginn entspricht der Meinung eines Tannaiten, und der Schluss entspricht der Meinung eines anderen Tannaiten“. Man bedenke von hier aus einma l, wie großartig und schwer die Arbeit war, aufgrund a ll dieser zah llosen Mishnayot eine umfassende Mishna festzusetzen und zu redigieren, wie sehr sie dabei darauf achten mussten, a ll die verschiedenen Yeshivot, die ihre eigenen Mishnayot lehrten, zufrieden zu stellen und dabei auch die Hindernisse zu vermeiden, die durch die erwähnten Widersprüche entstehen konnten. Berechtigt sind daher die Worte des Gaon, wenn er meint : „Mit Hilfe des Himmels wurde die Mishna verfasst.“1 Und wisse :2 Hätte es in der Hand des Rabbenu ha- Qadosh und der ihm nahestehenden Gruppe von Weisen gelegen, die Ordnun1 Vg l.

Sch lüter, Spiritua l ity, 115. Folgenden vg l. die Übersetzungen in A lbeck, Ein leitung, 157 und Harris, Nachman K rochma l, 253 f. 2 Zum

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gen und Verknüpfungen sowie die unk laren Formu lierungen, die ihnen in den Mishnayot vorangingen, ganz und gar zu verlassen und a lles, was sich an Ha lakhot vorfand, aufzuschmelzen und in seine Bestandtei le zu zerlegen, um daraus ein neues „Gewebe“ [ Massekhet ] in einer a llgemein verständ lichen und in k lare Formen gegossenen Sprache herzustellen – sei es sogar unterschieden zwischen dem, was a ls übereinstimmende Meinung a ller eine fest entschiedene Ha lakha darstellt, und dem, was sich noch in der Schwebe befindet und den Gegenstand von Kontroversen bi ldet, nach der A rt, wie es in den sonstigen Wissenschaften geschieht und wie es auch der Rav [ Moshe ben Maimon ] in den Ha lakhot [ der Mishne Tora ] getan hat –, so wäre ihnen dies ein sehr Leichtes gewesen. Eingedenk der Zah l der versammelten Weisen, ihrer großen Gelehrsamkeit sowie ihres umfassenden Tora-Wissens, hätte darin nach Meinung einiger auch nicht wenig Gutes gelegen; – aber au s ei ner R ei he von G r ü nden haben die Weisen jenes Standes solches nicht gewollt, und es lag dama ls auch gar nicht in ihrer Macht. Der hauptsäch lichste unter diesen Gründen war das dringende Erfordernis, dass die münd liche Lehre, welche die Tradition der Väter und die ura lten Überlieferungen umfasst, in der ihr angemessenen Weise besonders gesta ltet sei, ihrer Eigenart angepasst und deut lich erkennbar nicht a llein durch die Erwähnung der Namen ihrer Tradenten, sondern mehr noch durch Stil und Sprache sowie die A rt ihrer Überlieferung seit den Tagen der Vorzeit; denn das a lles sind au sgesprochene K en n zeichen dafür, dass ebendies in ihrem wesenhaften Kern die Lehre ist, die von den Vätern auf die Söhne überliefert wurde. Deswegen haben sich die erwähnten Weisen bei der gesch lossenen Zusammenstellung einer einheit lichen, umfassenden Mishna dafür entschieden, die früheren Verknüpfungen in ihrer Beschaffenheit wie in ihrer Sprache unangetastet zu erha lten, Einheitlichkeit und Gleichheit [ aber ] sowie K larheit und Ordnung nu r i n den G ren zen des äu ßerst M ög l ichen [ d. h. Zu lässigen ] wa lten zu lassen [ hineinzutragen ]. Insoweit dabei notwendigerweise noch Raum bleiben musste für Widerspruchsvolles, Schwieriges und Unk lares, so überließen sie es denjenigen, die nach ihnen kommen würden, die

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A rbeit zu vervollständigen und sich damit hervorzutun. Doch ihnen, es genügte ihnen die Heilung und der Nutzen, der durch ihre A ktivität entstand, der Notwendigkeit ihrer Zeit entsprechend. Gepriesen sei, der sie und ihre Mishna erwäh lte. Doch wisse dies und verstehe es ! Schon gegen Ende der Tage Rabbis erkannten a llerdings a lle Yeshivot und a lle Weisen der Generation die große Leistung dieser A rbeit an der Erstellung einer umfassenden Mishna an. Von da an lehrte und formu lierte man in der Öffentlichkeit der Yeshiva der Weisen a llein nach dieser Mishna und in ihrer festgelegten Sprache und Ausdrucksweise, ohne dass irgendwelche Veränderungen an ihr unter den einzel nen Tannaiten vorgenommen worden wären. In der Darstellung des Gaon :1 „Doch Israel verließ sich (nur) auf jene Ha lakhot, sie nahmen sie vertrauensvoll an, a ls sie sie sahen“. Sie erwiesen ihr wegen ihres g leichermaßen großen Umfangs und ihrer passenden, genügenden Kürze die notwendige Ehre, wie es der Gaon bestätigt : „Die Worte der Mishna haben sie wie Mose aus dem Mund der gevura empfangen, und sie g lichen einem Zeichen und Wunderma l.“2 Darüber hinaus erblickten sie in ihr einen tiqqun, welcher den großen Verlust durch die Vermehrung, den Wandel und die Widersprüch lichkeit in den Mishnayot voll kommen zu ersetzen vermochte. Drittens gelang es auf diese Weise, die Einheit ihrer Lehre wiederherzustellen, d. h. die Schü ler konnten durch diese eine Mishna besser lernen, festlegen und im Gedächtnis beha lten, sie wurde für sie zur R ichtschnur und zum Maß, um auf diese Weise die Begründungen für die Ha lakhot, ihre Geschichte und Verwandtschaft mit anderen besser zu verstehen. Man konnte sie nun auch besser verg leichen und ihren Wert gegenüber anderen Mishnayot, die zufä llig vor sie kamen oder absichtlich vor sie gebracht wurden, besser einschätzen.* | * I n

der Gemara ([bBava ] Meṣiʽa 33a) : „Befasst man sich mit der Schrift, so ist dies etwas, aber nichts Besonderes; wenn mit der Mishna – so nur in 1 Edition

Neubauer 12; Sch lüter, Weise, 100 (kürzer). zu den Abwand lungen des Sherira-Zitates Sch lüter, Spiritua l ity, 115 A nm. 67. 2 Vg l.

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Von dieser Zeit an, gegen Ende der Tage Rabbis und danach, verbreitete sich ein neuer Gegensatz, der Gegensatz zwischen Mishna [ matnitin ] und „äußerer“ Mishna [ matnitin baraita ]. Das Erste – unsere Mishna – lehrten die Lehrer in der Yeshiva mit a ll ihren Massekhtot, eine jede für sich genommen, doch entsprechend ihrer Untergliederung in Kapitel. Alles wurde dabei von den ḥaverim und den Schü lern, die vor ihnen in der Yeshiva saßen, münd lich studiert. Das Zweite – die äußere Mishna – ist die umfassende Bezeichnung für die übrig[gebliebenen ] Mishnayot, von denen viele weitere öffentlich wie unsere Mishna gelehrt wurden, die jedoch nach und nach verloren gingen. Dies ging so lange, bis der größte Teil von ihnen Ha lakha geworden war. Auch Aggada wurde dadieser Rezension –, so ist dies etwas, und man erhä lt dafür auch eine Belohnung; wenn aber mit Ta l mud, so gibt es nichts Bedeutenderes a ls dies. Laufe aber stets eher zur Mishna a ls zum Ta l mud. Dies widerspricht sich ja selbst : zuerst heißt es“ usw. „Sprach R abbi Yoḥanan : Diese Lehre (von „ha-‛oseq“ bis „ba-ta l mud eyn lekha“ usw.) ist zur Zeit R abbis entstanden (d. h., nachdem sie gegen Ende seiner Tage abgesch lossen worden war, eine umfassende Mishna, die vor der Zerstörung gerettet wurde), a l s a lle Welt [ d as Studium ] der Mishna verl ieß und sich dem Ta l mud zuwandte (d. h., a ls die Schü ler [ der Weisen ] von ihren Versionen und festgelegten Begründungen der Mishnayot Gebrauch machen konnten), trug er ihnen vor, dass man stets 233 eher zur Mishna | a ls zum Ta l mud laufe (damit man danach sehe, dass nicht auch seine Mishnayot in seiner Rezension so sehr verderben). – Doch im Yerusha l mi, Ende Traktat Horayot, steht, dass man diese Baraita gegentei lig lehrte, d. h., dass man, bevor die Mishna R abbis verordnet wurde, die Mishna lehrte, „und man laufe stets zur Mishna“ usw. Dies wurde gesagt, um die Mishna vor [ Text]verlust zu bewahren, der aufgrund der Benutzung weniger Rezensionen entstehen konnte. Doch in der Zeit Rabbis, a ls seine Mishna bereits umfangreich war und von tausenden Tannaiten bewahrt wurde, lehrte man : „Im Ta l mud findest du kein größeres Maß a ls dies.“ Und dies ist, was sie dort sagten : „(Das ga lt), bevor Rabbi die Mehrheit der Mishnasätze hineingesenkt hat. Aber nachdem Rabbi die Mehrheit der Mishnasätze hineingesenkt hat, (gi lt) usw. : (Für immer laufe dem Ta l mud mehr a ls der Mishna nach)“ (yHor 3,5 [ 48c]). – Die Tätigkeit R abbis wird im Yerusha l mi a lso a ls „Hineinsenken“ der Ha lakhot und Mishnayot in die umfassende Mishna bezeichnet, wie es auch in einem Ausspruch, den wir bereits oben (S. 162) zitiert haben, heißt : „Denn siehe, so viele Ha lakhot sind dem Mose am Sinai gesagt, und sie sind a lle in die Mishna eingesenkt“ (yPea 2,4 [ 17a]).

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bei im Laufe der Jahren vergessen (und zweifelsohne ist es richtig, über einige von ihnen auszurufen : Schade, dass sie verloren gingen !). Wie auch der Gaon schrieb : „Und die übrigen Ha lakhot wurden an die Seite gedrängt, und sie wurden zu Baraita, doch sie wurden wie ein Kommentar benutzt, auch wegen ihres elaborierteren Stils.“1 Doch trotz a lledem wurden viele Mishnayot auch weiterhin von besonderen Weisen gelehrt, insbesondere in den ersten Generationen der A moräer, unter denen sie, wie wir erwähnten, besonders geläufig waren, und zwar nicht nur unter denen aus dem Lande Israel, sondern auch unter denen aus Babylonien – besonders in denjenigen aus der Mishna des Rabbi Natan und in der aus der Schu le des Shmu’el. Doch unmittelbar nach dem Absch luss der Mishna wurden, tei ls um sie zu kürzen, tei ls um einige dunk le a lte Mishnayot zu erk lären, die Ha lakhot durch Rabbi Ḥiyya und seine Gefolgschaft gesammelt. Aus ihnen wurde die Tosefta gebildet, die der A nordnung unserer Mishna folgt und mit ihr verbunden ist. Sie stellt a llerdings eine gewisse Erweiterung dar und folgt darin dem System des Rabbi Neḥemya in den a lten Ha lakhot. Diese Tosefta von tannaitischen Lehren wird im Ta lmud mit der Bezeichnung „we-tane ‛a la“ erwähnt. A ls die Lehrer und die großen Weisen jedoch sahen, dass sie für ihre Lehre [ ta l mudam ] und um ihre Begründungen zu vertiefen, sowie um der neuen Traditionen und um der sich ereignenden Tatfä lle [ ma‛asim ] wi llen, diese verlorenen Mishnayot benötigten (von denen es ihnen immer weiter gelang, aufzuzeigen und zu beweisen, dass sie a lle ihrer geliebten Mishna angehörten), da wurde das Durcheinander und die Vermischung unter jenen Mishnayot groß und umfassend, wie wir oben erwähnten. Daher bemühten sich Rabbi Ḥiyya und etwa nach ihm auch Rabbi ‛Oshaya sowie Rav und seine A nhängerschaft in Babylonien, einige der aus jenen verlorenen Mishnayot gesammelten Ha lakhot in ihren Midrashim auszuformu l ieren und zu bewahren, insbesondere nachdem es ihnen gelungen war, sie nach ihren Möglichkeiten zu redigieren und sprach lich zu verbessern. Jene Erk lärungen waren es dann auch, die die zuerst erwähnten 1 Vg l.

Edition Neubauer, 12; Sch lüter, Weise, 72 (§ 36).

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Weisen annahmen, auch die späteren A moräer, und sie lehrten sie so in ihren Yeshivot. Sie werden in unseren Lernkompendien mit „tanu Rabbanan“ und unter der Bezeichnung „tanina“ angeführt, denn auch sie wurden in gewissem Umfang von der Mehrheit [ a nonym ] und in den Yeshivot gelehrt und ausformu liert, dabei uneigennützig, wie es heißt, manchma l durch einen einzigen Weisen oder irgendeinen Schü ler, der nur mit tanya [ „es wird gelehrt“ ], tani, teana oder tani Rabbi XY einführt wird. Dies a lles scheinen uns spezielle Bezeichnungen gewesen zu sein, die sich nach der mehr oder weniger großen Bekanntheit einer Lehre im Munde von mehr oder weniger vielen Tannaiten richteten. Auch von diesen verwendete man viele für den Absch luss der Ha lakhot, um damit auch die Mishna zu erläutern und die sich verbreitenden und sich erneuernden münd lichen Traditionen zu defi nieren (darüber und über ihre Festlegung fi nden sich einige wenige Nachrichten im Ta lmud), | wobei a llerdings mit Vorsicht und Zurückha ltung sowie Skepsis zu bedenken ist, ob es sich nur um erläuternde oder in Verderbnis verbliebene handelt.* Die Meinung des Gaon dazu lautet : „Die Baraitot haben keine Grenze. Jede einzel ne studierten die Rabbanan vom Munde ihres Lehrers, wie es im Traktat Bava * [ E s

sollte dir nicht schwer fa llen anzunehmen, dass einige Baraitot text l ich verderbt sind, denn (so mit der Ergänzung in der Edition Wol f) ] im Yerusha l mi sagten sie etwa, dass auch vor der ersten Tempel zerstörung die Stadt am 17. Tammuz eingenommen wurde. Und dort wird es dadurch erk lärt, dass in der Schrift steht : „am neunten Tammuz“ (yTaan 4,8 [ 68c]), diese [ Lesart ] sei aufgrund einer Feh lberechnung entstanden. Der R ashba [ R abbi Sh lomo ben Avraham Adret ], sel igen A ngedenkens, legte dies in seinem Kommentar zu den Aggadot folgendermaßen aus : „ Sicherl ich fand dies auch bei der ersten Tempel zerstörung am 17. statt, doch wegen der großen Bedrängnis irrte man bei der Berechnung des Datums und dachte, dass es am 9. des Monats geschehen sei.“ Das qere ist a ls ketiv aufgrund der Berechnung durch das Vol k zu verstehen. Wenn die Weisen diesen Irrtum in der Schrift auch verschwiegen, da sie meinten, dass die Schrift ohne Zweifel im hei l igen Geist geschrieben worden sei, so können wir dennoch im Hinbl ick auf die Berechnungen der Baraitot sagen, dass sie sowieso verderbt waren und viel im Munde ihrer L ehrer gelehrt wurden. Dies ging so weit, dass sie manchma l fragten : „Wer sagt uns, dass diese Lehre eine korrekte ist ? Vielleicht ist sie feh lerhaft ? “ (bShab 121b). Jene aber, die von der Mehrheit

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Meṣiʽa1 heißt : „[Rav Pappa bar Abba ] fand [ Rabba bar Shmu’el ]“ usw.2 Weiter lauten seine Worte : „Die amoräischen Rabbinen, die nach Rabbi lebten, benötigten diese Baraitot sehr, denn ihnen entnahmen sie das Verständnis a ller jener dunk len Stellen, die in der Mishna in knapper Weise, durch A ndeutungen oder auf prinzipielle Weise gesagt worden waren. Doch aus diesen [ den knappen Hinweisen, Andeutungen und prinzipiellen Äußerungen ] erwuchsen Verästelungen [ des Rechts ], Novellen und ha lakhische Ableitungen, denn Rabbi verfasste nur Prinzipien, ohne sie auszu legen oder die A na logien zu ziehen.“ Damit einhergehend bezeugt der Gaon, dass auch für die erläuternden Baraitot gi lt, dass sie zum größten Teil im Laufe der Zeit vergessen wurden. Er bemerkt dazu : „Weil jene ä lteren zu lang waren in ihren Abhand lungen und Diskussionen. Was immer die R abbinen jedoch (aus diesen ä lteren Baraita-Samm lungen) benötigten, sagten sie in der Gemara“ usw. Der Rest aber wurde vergessen, da er nicht benötigt wurde. Und dies, obwoh l die Baraitot der Schu le des Rav und des Shemu’el den babylonischen Rabbinen zugäng lich waren, und zwar genau und richtig angeordnet. Daher sagen wir aber auch in der Ordnung Yoma (bYom 70a) : „Es gibt keine korrekte Version, außer die des Rabbi El ‛azar, der der Schu le des Shemu’el angehörte, oder die des Rabbi ‛Aqiva, die in der Tosefta erha lten ist. Doch trotz a lledem wurden [ d ie Baraitot ] der Schu le Shmu’els beiseitegeschaff t. Und nun, wenn wir solche Rezensionen einer Baraita vergessen haben, stützen wir uns nicht auf sie“ usw. „ Das Gleiche gilt für ähn liche Baraitot, die die Rabbinen die k leinen nennen, wie z. B. Hil khot Derekh Ereṣ und andere aggadische Stücke.“3 der Weisen gelehrt wurden, waren sicherl ich von den „korrekten“. Und die meisten von den verbesserten waren jene, die eine praktische Relevanz für die Ha lakha besaßen, nicht etwa jene, die sich in der Aggada fanden, und um wie viel weniger jene, die sich im Seder ha-dorot und in anderen ihrer Geschichtsdarstellungen und Zeitska len fanden. 1 Das

folgende Zitat ist bShevu 45b entnommen. Vg l. dazu Sch lüter, Spiritua l ity, 115 A nm. 70. 2 Edition Neubauer, 16; Sch lüter, Weise, 132 (§ 88). 3 Edition Neubauer, 18 (48); Sch lüter, Weise, 142 f. (§ 98).

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Der verständige Fachmann betrachte, dass in den a lten Berichten in unserer babylonischen Gemara (die von ihnen auch die Erzäh lungen [ hawwayot ] von Rav und Shemu’el [ bSuk 28a ] genannt werden, denn von ihnen ausgehend dauerten sie drei Generationen : Rav und Shemu’el, Rav Ḥuna und Rav Yehuda, Rabba und Rav Yosef) die ta lmudischen Diskussionen in der Hauptsache darum gingen, auf welche Weise die Ha lakhot beurtei lt werden sollten, etwa aufgrund der Menge, in der sie in verschiedenen Traktaten in unserer Mishna überliefert worden waren, oder aufgrund der Menge, mit der sie in den „äußeren“ [ nicht-kanonischen ] Mishnayot auf uns gekommen waren. Durch a lle jedoch bemühte man sich darum, den Namen der ersten Tannaiten, die diese Ha lakha lehrten, zu eruieren, ihre Meinung und ihren Widerstreit zu ergründen, wie er ihnen aufgrund anderer Stellen erk lärt zu werden schien. Hierdurch und durch die genaue Betrachtung gelang es ihnen, unsere Mishna und ihre Ergänzung hinsicht l ich ihrer Intention zu erläutern und die Kürze der Redaktion durch R abbenu ha- Qadosh und seine Gefolgschaft zu erk lären. Dem entsprach das Prinzip der Diskussionen in den letzten drei Generationen der A moräer (Abbaye und Rabba, Rav Ashi, Mar und sein Sohn Ravina) : schwere Frage [ qushya ] und gesch liffene A ntwort [ teruṣ ], die A ntwort und die a llgemeine Differenzierung [ peruq ], die K asuistik [ pi lpu l ], die (vertiefende) Betrachtung [ ʽ iyyun ], die logische Sch lussfolgerung aufgrund a lles Vorhandenen. Dies wurde von ihnen „hawwayot de-Abbaye und Rabba“ genannt, da sie die ersten gewesen waren, die diesem Weg folgten. Doch die Bezeichnung [ hawwayot ] ist nur verstümmelt erha lten wie manche andere Ausdrücke in der Sprache der Gemara. Zur Gänze lautet der Begriff „hawwayot“, gebi ldet aus einer Wurzel, die im Syrischen geläufig ist, und die so viel wie „haska la“ bedeutet. Es folgen einige Beispiele, die ein wenig belegen können, was wir oben nicht zu Ende führen konnten, näm lich auf welche A rt und Weise die Weisen der Gemara, seligen A ngedenkens, in ihrer dünnen Erläuterung der Verbindungen und der Absch lüsse der Ha lakhot in unserer Mishna verfahren sind. Wegen der geforder-

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ten Kürze sei es [ im Folgenden ] dem Betrachter selbst überlassen [ z u beurtei len ], ganz unserem Ziel entsprechend. | 235 1. (bGit 3a-b) Dort sehen wir, dass ihnen die Meinung des ersten Tannaiten (des „tanna qamma“) der Mishna fraglich erschien. Doch ebenso warfen sie damit eine grundsätz lichere Frage auf : „Wolltest du sagen, tatsäch lich sei es der erste Tannait [ der Mishna : Rabbi Me’ir in mGit 1,1 ], und nach ihm sei das Schreiben auf ihren Namen nur nach der Tora nicht erforderlich, woh l aber rabbinisch, so sagte ja [ Rabbi Naḥman ], Rabbi Me’ir sei der A nsicht, dass, selbst wenn er [ einen Scheidebrief ] auf dem Misthaufen gefunden, ihn unterzeichnet und ihr gegeben hat, er gü ltig sei ? ! Wolltest du erwidern, nur nach der Tora, so sollte es heißen : Rabbi Me’ir sei der A nsicht nach der Tora ? “ – Danach schrieben sie eine Meinung Rabbi Ele‛azar zu, doch passte es ihnen auch nicht, sodass sie eine weitere dem Rabbi Yehuda zuschrieben. Doch sie wandten daraufhin ein : „Wesha lb ist [ die Mishna ] nicht von vornherein R abbi Yehuda zugeschrieben worden ? “ (ebd.). Sie lehrten dazu : „Wir bestreben uns, sie Rabbi Me’ir zuzuschreiben, wei l eine anonyme Mishna auf Rabbi Me’ir zurückgeht. Ebenso wiederholten sie, dass sie Rabbi Ele‛azar zuzuschreiben sei, wei l beim [ Gesetze von der ] Scheidung die Halakha nach ihm zu entscheiden ist.“ Ebensolche Sch lüsse und Regeln lassen sich aus der bereits zitierten sugya zu Beginn des Traktates Yoma und aus vielen anderen Stellen in den sechs Ordnungen der Mishna ziehen. 2. (bYom 56b) Gemeint ist, was wir oben bereits in einer Anmerkung1 notierten, näm lich, dass Rabbi das Ende dieses Mishna-Traktates redigierte : Das „er nahm das Blut des Farren und setzte das Blut des Bockes ab“ stammt aus der Mishna des Rabbi Yehuda und weicht von der Mishna des ersten Tannaiten ab (wahrschein lich war dies Rabbi Shim‛on, der Mann aus Miṣpa, der Autor der Massekhet). Das „hierauf kam er heraus und stellte es auf das zweite goldene Gestell in der Tempelha lle“ ist dann wieder aus der Mishna Rabbis aufgenommen worden. 1 Vg l.

oben K rochma l, Writings, 224.

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3. (m Hu l 5,3; bHu l 81a) In der Mishna heißt es : „Wenn jemand sch lachtet und es stellt sich heraus, dass es trefe ist, wenn jemand zu Ehren eines Götzen sch lachtet [ usw. ], einen zur Steinigung Verurtei lten [ usw. ] oder eine Sündopferkuh [ usw. ]. Rabbi Shim‛on erk lärt ihn für straff rei (wegen dieses [ Sch lachtens, durch das das Tier für den Genuss erlaubt wird ]). Doch die Rabbinen erk lären ihn für schu ldig. In der Gemara gelangen sie diesbezüglich zu der Einsicht, dass der Grund und die Erk lärung für diese Meinungsverschiedenheit darin zu suchen ist, dass das gesch lachtete Vieh, welches einem Verbot unterlag, nicht gegessen werden durfte. Denn Rabbi Shim‛on ist der A nsicht, man mache sich wegen dem, was später zur Darbringung geeignet ist, der Übertretung eines Verbotes schu ldig (nicht aber der Strafe der Ausrottung [ durch Gottes Hand ]); die Weisen aber sagen, wenn man sich der Ausrottung nicht schu ldig macht, übertrete man auch kein Verbot. [ Doch auf den Einwand, ] wenn außerha lb [ des Tempels etwas ] a ls Heiliges [ sch lachtet ], [ dann übertrete er ] wegen des anderen [ nur ] ein Verbot [ , antworten sie nicht ]. Ebenso findet man eine ähn lich lautende Mishna in Bezug auf das Bedecken des Blutes [ eines Opfertieres ] (ebd. Kapitel 6,21) : „Wenn jemand sch lachtet und es sich herausstellt, dass es trefe ist, wenn jemand zu Ehren eines Götzen sch lachtet [ usw. ], … ein Wild oder Gef lügel, das zur Steinigung verurtei lt ist, so verpf lichtet Rabbi Me’ir (zum Bedecken des Blutes), doch die Weisen befreien (von der Pf licht des Bedeckens).“ – Sie erkannten den Vorteil dieser Betrachtungsweise, denn hier geht es nur um eine Auseinandersetzung, in der die beiden hermeneutischen Methoden miteinander verg lichen werden : Rabbi Me’ir meint, dass es eine Sch lachtung darstellt, und daher ist man [ z um Bedecken ] verpf l ichtet, wegen des Gebotes vom Vieh und von seinem Jungen. Doch Rabbi Shim‛on meint, dass es sich nicht um eine Sch lachtung handelt, sodass er in Bezug auf beide befreit. Doch die anonyme Meinung und die Weisen in ihrer Nachfolge meinten, über die A ngelegenheit streiten 1  S o

verbessert aus „ K apitel 5“.

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zu müssen. Daher entschied die Ha lakha in Bezug auf das Vieh und sein Junges, [ dass ihr Blut ] verpf lichtend [ bedeckt werden müsse ]. Daran erinnert auch eine Meinungsäußerung des Rabbi Me’ir, die [ interessanterweise ] im Plura l formu liert ist. Hinsichtlich des Bedeckens des Blutes meinte er, dass dies eigentlich die Meinung des Rabbi Shim‛on sei, doch legte er fest, dass seine Meinung der Mehrheitsposition entspräche. Dazu sagten sie dort : „Rabbi gefiel die A nsicht Rabbi Me’irs beim [ Gesetze ] vom Vieh und seinem Jungen, und er lehrte sie im Namen der Weisen“ (bHu l 85a). (Und auch die erste Mishna dieses Kapitels, welches zur Sch lachtung von Geheiligtem außerha lb [ des Tempel hofes ] verpf lichtet, geht auf Rabbi Me’ir zurück, doch seine Meinung wurde zur anonymen Mehrheitsmeinung der Mishna erk lärt). Siehe auch die Worte des Rabbi Shim‛on hinsicht lich des Bedeckens von Blut und wie sie in der Sprache der Weisen gelehrt werden. 4. (bKet 97a) „Eine Witwe, ob nach der Verlobung“ usw. (m Ket 11,2). Die Begründung für diesen ersten Satz [ in dieser Mishna ] lautet, dass sich niemand wünscht, dass sich seine Frau bei Gericht herabwürdige. Und deswegen, ob sie nach der Verlobung oder nach der Verheiratung zur Witwe wurde, darf sie [ ihre Ketubba ] auch ohne Gericht verkaufen. Für Rabbi Shim‛on hängt die A ngelegenheit am Unterha lt der Waisen, der durch ihre Ketubba gedeckt werden sollte. Damit sie Unterha lt erhä lt, darf sie ihre [ Ketubba ] verkaufen, und damit die Waisen ihr nicht den Unterha lt verweigern, darf sie auch ohne Gericht verkaufen. Doch die Verlobte, die aufgrund der Höhe der Ketubba noch keinen A nspruch auf Unterha lt hat, darf nicht ohne Gericht verkaufen. Wenn nun aber auf diese Mishna eine Ha lakha folgenden Inha lts steht : „Verkauft [ d ie Witwe ] ihre Morgengabe oder einen Teil derselben, verpfändet sie ihre Morgengabe – den Zusatz – oder einen Teil derselben, so darf sie den Rest nur vor Gericht verkaufen“ (m Ket 11,3), so verstehe man in a ller Güte, dass es hierfür keine Begründung und dabei keinen anderen Unterschied gibt, außer dass der Verkauf der Ketubba, sogar eines Teils von ihr, nicht den Unterha lt meint. Daher meinten

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sie, dass diese Ha lakha, wei l sie anonym überliefert wird, nicht auf den ersten Lehrer [ shone ] in der Mishna, welcher ä lter ist a ls diese, zurückgeht, wobei sie auch nicht seine Meinung erörtert, dass sie sogar an einem Ort, an dem sie keinen [ A nspruch auf ] Unterha lt [ erhä lt ], ihre Ketubba ohne Gericht verkaufen darf. Doch dazu meinten sie, dass diese Ha lakha die Fortsetzung jener vorangehenden Mishna des Rabbi Shim‛on sei. Diesbezüg l ich ha l fen sie sich auch mit einer ihnen überl ieferten Baraita : „[ Dies wurde ] von wem gelehrt ? Von Rabbi Shim‛on !“ 236 (bKet 97b). Doch wei l danach | die Mehrheitsmeinung angeführt wird : „[ Die Weisen sagen : ] Sie verkaufe auch vier- und fünfma l “, usw. (m Ket 11,3), kann auch diese nicht dem ersten Lehrer [ shone ] und seiner Erk lärung zugeschrieben werden. Denn seiner Meinung nach müssen wir darauf nicht hören, wei l der Hauptstreitpunkt darin besteht, ob sie, wenn sie ein wenig von ihrer Ketubba verkauft, [ überhaupt A nspruch auf ] Unterha lt hat oder nicht. Doch der letzte Satz der Mishna, „und eine Geschiedene darf nur vor Gericht verkaufen“ (m Ket 11,3), folgt der erwähnten Begründung, dass „niemand möchte, dass“ usw. [ sich seine Frau vor Gericht herabsetze ]; sie kann, aus einem anderen in der Gemara erwähnten Grund auf die Mishna beider zurückgehen, denn nach den Worten des ersten Lehrers [ shone ] ging dies auf eine Verordnung der Weisen zugunsten der Frauen zurück, doch dies bedeutet, dass sie nur auf Rabbi Shim‛on zurückgehen kann. 5. (bBQ 156b) In der Mishna fi nden sich zwei Meinungsverschiedenheiten, die auf der Ä hn lichkeit der Ausdrucksweise Rabbi Eli‛ezers und Rabbi Yehoshuas basieren, und man redigierte sie in der Gemara zusammen mit einer Baraita, die erwähnt, wie Rabbi Me’ir und Rabbi Yehuda diese Meinungsverschiedenheit samt Unterschied und Veränderung lehrten. Daraus bewies man jedoch, dass die Form der Meinungsverschiedenheit, wie sie in unserer Mishna erscheint, zweifellos in der Mishna des Rabbi Yehuda abgesch lossen worden war, nicht etwa, wie üblich, dass Rabbi eine Mishna aus der Mishna des Rabbi Me’ir zur Grund lage der A nordnung einer umfassenden Mishna machte.

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6. (bKet 93a) Hier wird fast eine ganze Mishna gelehrt, die nicht nur außerha lb der Methode der Mishna des Rabbi Me’ir steht, sondern die auch nicht den Mishnayot des Rabbi ‛Aqiva, wie sie von seinen Schü lern gelehrt wurde, entspricht. Sie stammt viel mehr aus der babylonischen Mishna des Rabbi Natan. Das Erstaunlichste daran ist, dass man in der Gemara dazu folgende Baraita überliefert : „Es wird gelehrt, dies (d. h. die anonyme Meinung in dieser Mishna) entspricht der Mishna des Rabbi Natan. Es sprach aber Rabbi, ihm leuchten die Worte des Rabbi Natan hierzu nicht ein, vielmehr teilen sie gleichmäßig.“ Doch auch hier ist die Ausdrucksweise nicht k lar und eindeutig, denn die Intention der Aussage kann nicht tatsäch lich gleichmäßig meinen. Es kann vielmehr nur darum gehen, dass der Wert entsprechend jeder Ketubba gleichmäßig vertei lt ist. Dies verhä lt sich so z. B. auch bei der Ha lakha „von dem stößigen R ind“ [ vgl. bBQ 36a-b ] und an anderen Stellen in der Mishna und ebenso in dem Kommentar des Rabbenu Ḥanan’el. Siehe dort !1 7. (bBB 141a) Als Rav Ḥuna seine umfassende Tradition formulierte : [ Einst sprach jemand zu seiner Frau : Mein Vermögen soll dem gehören, mit dem du schwanger bist. Da entschied Rav Ḥuna : ] Er hat es einem Fötus zugeeignet, [ u nd wenn jemand etwas einem Fötus zueignet, so eignet er es nicht ], problematisierte er die Mishna ebd. (m BB 9,2) : „Wenn jemand gesagt hat : Gebiert meine Frau einen K naben,“ usw. [ „so soll er eine Mine erha lten, und so sie einen K naben gebiert, so erhä lt sie eine Mine“ ]. Doch er wandte ein : „Ich weiß nicht, wer diese Mishna lehrte“, was so viel bedeutet wie : Trotz seiner großen Kenntnis der Mishnayot der Weisen und Tannaiten konnte er nicht herausfi nden, wer diese Tradition widerlegen wollte, indem er die Möglichkeit eines pränata len Besitzerwerbs für unmög l ich erk lärte. Daraus folgte aber, dass er die Ausdrucksweise unserer Mishna auf die bereits des Öfteren begegnete Weise versch lechtern wollte, was zur Folge hatte, dass man sich sehr um ihre K lärung bemühte, was man tun könne, um für unsere Mishna ei1 Vg l.

R abbenu Ḥanan’el zu bBQ 36b.

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nen eindeutigen Lehrer zu fi nden (auch wenn er nicht Ha lakha festlegen sollte). Doch es gelang ihnen nicht, und sch ließlich erwähnten sie eine Gemara, die sie aus dem Lande Israel übernommen hatten (Rabbi Yiṣḥaq im Namen des Rabbi Yoḥanan), die sich mit dem erwähnten Grundsatz befasst, d. h., „wenn er [ eine Mine ] einem Fötus übereignet, dann hat er sie auch seinem Sohn übereignet.“ Daraus folgt aber, dass unsere Mishna durch jenen erwähnten Grundsatz und die Ha lakha erk lärt wird. Rabbi Yoḥanan aber lebte in der Zeit kurz vor Absch luss unserer Mishna, sodass sich zah lreiche Überlieferungen bezüglich dieser A ngelegenheiten von ihm fi nden, wie auch (bHu l 77a; 122b; 134a; bPes 4a) : „Reize mich nicht, denn ich lehre es nur a ls A nsicht eines Einzelnen.“ Ebenso sagte er (bHu l 137b) zu seinem Gegenüber in der Mishna : „Wenn dem so ist, was ist zwischen mir und dir ? “ Und Rashi legte dies folgendermaßen aus (s. v. ma beyn li we-lekha) : „Wenn ich die Erk lärung unserer Mishna nicht besser kenne a ls du, warum sollte ich dann größer sein a ls du ? “ Ebenso auch (bHu l 82a) : „Der Fa ll von der Kuh der Entsühnung ist keine Mishna“ (und) „der Fa ll vom genickgebrochenen Ka lbe ist keine Mishna“. 8. In der erweiterten Mishna, zu Beginn des Traktates Sanhedrin, bezüglich des für das Gericht Notwendigen, um ein Urteil zu fä llen und um a lle möglichen Gesetze und Gerichtsfä lle für einen Einzel nen und die Öffentlichkeit abzusch ließen, wird folgende anonyme Ha lakha überliefert : „Die ḥa liṣa [ vgl. Dtn 25,5 ff. ] und die Weigerungserk lärung durch drei“ (mSan 1,3). Auch hinsichtl ich der yavemet in dem K apitel über das ḥa l iṣa- Gebot wird folgende anonyme Ha lakha angeführt (mYev 12,1) : „Das Gebot der ḥa liṣa kann durch drei entschieden werden, sogar durch drei Laien“ (und dies wird in der Tosefta kommentiert : „Laien, die zumindest wissen, wie man die Gesetze richtig ausspricht“ [ tYev 12,9 (42)]). Eine weitere Ha lakha folgt im zweiten Kapitel des Traktates Yevamot, wo es heißt, dass ein Weiser eine Frau heiraten darf, an der die ḥa liṣa vollzogen wurde oder die sich dem verweigerte; und dazu heißt es : „wei l dies vor Gericht 237 geschieht“ (mYev 2,10) (d. h., dass dies vor dreien geschah, | und

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darüber gibt es keinen Zweifel). Über diese A ngelegenheit gibt es drei anonyme Meinungen, die besagen, dass die ḥa liṣa vor mindestens drei vollzogen werden muss; hinsicht lich der Weigerung gibt es [ nur ] zwei anonyme Meinungen, dass sie vor dreien vollzogen werden muss. Doch über das Gebot der ḥa liṣa aus der Mishna des Rabbi Yehuda findet sich in der Tosefta, dass sie auch vor fünf vollzogen werden darf. In dieser Baraita aber, die ihnen in Bezug auf die Weigerung gelehrt wurde, heißt es auch, dass ein Paar Weise eine Weigerung vor zweien für gü ltig erk lären. Die Rabbinen, seligen A ngedenkens, nahmen die Halakha jenes Paares a ls gü ltig an, doch in Bezug auf die ḥa liṣa, die a ls Ha lakha eines Einzel nen gelehrt wurde, entschieden sie trotzdem wie die anonyme Mishna. A ls die schwache Begründung für die Regel, dass die ḥa liṣa entsprechend der anonymen Mishna vor dreien, die Weigerung aber nur vor zweien vollzogen werden dürfe, fanden sie jedoch dort eine passende [ neue ] Begründung, näm l ich dass die festgelegte Zäh lweise auf die Mishna des Rabbi Yehuda zurückgeht, wie (im Unterschied zu unserer anonymen Mishna) bei der vom „genickgebrochenen Ka lbe“ und der Einsetzung von Ä ltesten vor einem Gericht von fünf. Doch legte er keine Meinungsverschiedenheit in Bezug auf die ḥa liṣa fest – daher ist k lar, dass der Redaktor diesen [ z ugrunde liegenden ] Streit nicht erkannte oder dass er ihn auf verderbte Weise weitergab, wie wir in Bezug auf jenes Paar sagten, von denen in der Mishna nichts [ Genaueres ] überliefert wird. Daher gibt es Raum für eine Tradition, die im Verlauf der Auseinandersetzungen gegen die Mishna Position ergriff, so wie auch an a llen anonymen Stellen prinzipiell gegen die entgegenstehende Meinung in der Baraita Position ergriffen wird.

Da wir entsprechend des Aufbaus dieser Abhand lung dieses Kapitel nun besch ließen wollen, können wir uns damit nicht länger aufha lten. Wir beenden unsere Ausführungen mit dem Bekenntnis, dass wir noch nicht zu dem Ziel gelangt sind, welches wir zu Beginn der Pforte aufgestellt hatten. Es feh lt uns näm lich noch die Erk lärung, wie und wann die „äußere“ Mishna, die uns dank

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göttlicher Gnade erha lten geblieben ist, in die übliche A nordnung in Mekhilta, Sifra, Sifre, Seder ‛Olam, Baraita de-Megillat Ta‛anit, [ Baraita ] de-Melekhet ha-Mishkan und die K leinen Traktate usw. gebracht worden ist. Auch blieb bislang nahezu ungek lärt, welche Methode die Gemara eingeführt hat. Vielleicht erbarmt sich der Herr meiner, dass ich dazu noch etwas in den folgenden Abschnitten hinzufügen kann. Im Moment genügt es uns aber, soweit es uns der Herr gelingen lässt, eine wahre und g laubwürdige Seite jenen Seiten, auf die sich unsere Schu le verlassen kann, hinzuzufügen, um damit die Herzen der Tora-Forscher für das Studium und die A na lyse zu wecken; und zwar die A na lyse jener Worte, die Wurzel und Quelle unserer Tradition sind. Doch hier wie an jeder Stelle, die es betriff t, wollen wir nicht unsere wahre Meinung in dieser A ngelegenheit verheh len : Nämlich, dass unsere Generation nicht gut daran tut1, das Studium der Gemara fast völlig für das der Poseqim aufzugeben (auch wenn man manches daraus in die Poseqim aufgenommen hat, außer den Raum für den Absch luss eines Disputes und die Erörterung seines Wesens). Wie man bereits seit langem das Studium der Wurzeln zugunsten ihrer Deduktionen und Dispute vernach lässigte. Und dies, selbst wenn die Erforschung der Poseqim im Hinblick auf die praktische Unterweisung für sich genommen gut ist – doch trotz a lledem sollte man das Erbe unserer ä lteren Väter nicht vernachlässigen, will sagen : das Studium und die Erforschung von Büchern der Quellen und Wurzel n der Münd lichen Tora, die den ersten Teil der umfassenden Weisheit der Tora bilden. Bereits die Rabbinen, seligen A ngedenkens, sagten : „Selbst a lle (Erfü llungen der) Gebote der Tora sind nicht einem Wort aus der Tora gleich“ (yPea 1,1 [ 15d ]). Des Weiteren sagten sie : „Ein Schriftvers sagt : und alle Kleinode sind ihr (= der Tora) nicht gleich (Spr 8,11). Und ein Schriftvers sagt : und alle deine Kleinode sind ihr nicht gleich“ (Spr 3,15) (yPea 1,1 [ 15d]). Dann sagte man noch (SifDev ‛Eqev 41 [ 85]) : „Ta l mud (d. h. die Erforschung der Worte der Ha lakha) ist groß, denn sie (er) führt zur erwünschten Praxis.“ 1  S o

mit der Edition Wol f.

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Die Aggada und die Schöpfer der Aggada Du möchtest den erkennen, der sprach, und die Welt ward ? – Lerne Aggada ! Denn aus ihr erkennst du ihn und hängst seinen Wegen an ! (SifDev ‛Eqev 49 [ 115])

R abbi Yehoshua‛ ben Lewi sagte : Diese Aggada, derjenige, der sie aufschreibt, hat keinen Anteil [an der Kommenden Welt ], wer sie auslegt, wird ausgelöscht, wer auf sie hört, wird dafür keinen Lohn empfangen; all meine Tage habe ich nicht auf Aggada geschaut usw. (yShab 16,1 [ 15c ])

Die Aggada, die sich verstreut über den Babylonischen Ta l mud, den Jerusa lemer Ta l mud und die Midrashim fi ndet, hat A n lass zu so großer Verwirrung gegeben, sodass sich bereits von frühester Zeit bis heute die Theologen über ihren Zweck [ sowie  ] über das stritten, was die Historiker darüber sagten, und über das, was man einigen speziellen Aggadot entnehmen wollte. Darum, gemäß dem Ziel unserer Studie, können wir uns nicht entziehen, über sie entsprechend unserer Methode in der angemessenen und dem rabbinisch Gebildeten – ihnen zunächst gelten ja unsere Worte – entsprechenden Bestimmtheit zu sprechen. Zu Beginn seien Definitionen der Begriffe Ha lakha, Aggada und Midrash erläutert, da wir sie im Folgenden [  des Öfteren ] brauchen : Jedes einzel ne der praktischen und der tora-gemäßen Gebote, mit dem ein recht licher Standard und seine Durchsetzung beschrieben wird, sei er im Spruch eines Dezisoren oder sei er kurz und knapp im Spruch eines Weisen oder eines seiner Schü ler überl iefert, wird mit dem aus dem A ramäischen abgeleiteten Wort „Ha lakha“ bezeichnet (übersetzt a ls Redewendung : ke-hi l kheta,

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„gemäß der Ha lakha“); sei es, dass es sich um die festgesetzte und von den Weisen seit der Sinai[offenbarung ] überlieferte Ha lakha handelte, die auch „Ha lakha le-Moshe mi-Sinai“ genannt wird, sei es, dass es sich um die in sehr frühen, nicht genau bekannten Zeiten festgelegte Ha lakha handelte (auch ihr Inha lt wurde gelegentlich metaphorisch zur „Ha lakha le-Moshe mi-Sinai“ erk lärt), sei es, dass man sie auslegte und gemäß ihrer Intention vor einem großen Gerichtshof behandelte, bis man sie zu einer bekannten Zeit festlegte und kodifizierte – a ll jene bezeichnet man a ls „Halakhot“, sie sind der Wurzelboden und die Basis der Münd lichen Tora. – Im Gegensatz zur Ha lakha, die nur auf die Bestimmung und die Definition der richtigen Durchführung der Gebote ausgerichtet ist, bezeichneten die ersten Weisen mit dem Wort „Haggada“ (so in der gesprochenen Sprache), bzw. die Späteren mit dem aramäischen Wort „Aggada“, a lles, was keine Vorschrift einer Handlung betriff t, d. h. a lle spezifischen ethischen Regeln und positiven Glaubensäußerungen sowie jede A ngelegenheit und Erzäh lung, die zu Mora l und Glauben hinführt.* Sowoh l die Erscheinungsformen dieser A rt von Schriften a ls auch die Bezeichnungen ihrer Vorgehensweise und ihrer besonde239 ren Methoden | bezeichnet man a ls „Midrash“. Doch gibt es demnach zwei A rten von Midrash : Den ha lakhischen und den aggadischen Midrash. Außerdem bezeichnet man die Ha lakha und den Midrash, der ihr gewidmet ist, mit der Oberbezeichnung Mishna [ Wiederho* Auch

die Bezeichnung der Haggada für das Pesaḥ-Fest geht auf eine derartige Unterweisung zurück, gemäß dem Vers : Und erzähle deinem Sohne (Ex 13,8). Daraus folgt ja die Pf licht eines jeden Israeliten, seinem Sohn und seinen Familienangehörigen vom Sinn a ller Gebote und dessen, was an Pesaḥ üblich ist, zu erzäh len und – seiner Erkenntnis entsprechend – zu erk lären, was die Frucht der Großtat des Auszuges der gesamten Nation aus der Gefangenschaft in die Freiheit war, und zu erzäh len, was die Größe ihrer Geschichte ausmachte und was zur Entfa ltung und zur geistigen Führung in unser Gemeinschaft und sch l ießl ich zur Verbreitung [ u nserer Lehre ] auf der ganzen Welt geführt hat. Aus den Erzäh lungen („Haggadot“) und den Unterweisungen für einige große Gelehrte und Schreiber der Tora entstand sch ließlich ein feststehendes Formu lar für ganz Israel.

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lung ] (von der Phrase tut es noch einmal, und sie taten es noch einmal [ 1 Kön 18,34 ] oder und ihr wiederholtet [ Dtn 6,7 ], denn münd l ich rekapitu lierten und wiederholten sie die Ha lakhot und ihre Auslegungen immer wieder), so wie sie sagten (bQid 49a–b) : „Was meint ‚Mishnaʽ ? R abbi Me’ir [ sagte ] : Ha lakha ! R abbi Yiṣḥaq [ sagte ] : ‚Midrash Toraʽ [ Auslegung der Tora ] !“ Eine gewichtige Regel lag demnach a ll unseren Vorfahren, seligen A ngedenkens, vor : „Ein Schriftvers kommt nicht aus seinem Wortlaute“ (bYev 24a), und : „Die derasha sollt ihr suchen“. Diese Sätze beziehen sich darauf, dass die Weisen die Fähigkeit besaßen, die Schrift sowoh l zu einem bestimmten Zweck a ls auch für einen bestimmten Nutzen auszu legen; hierdurch konnten sie einen Hinweis und eine Unterweisung geben, entweder auf eine traditione lle Ha lakha, die münd l ich gelernt, festgelegt und angeordnet worden war, oder auf eine ethische Lehre oder einen Gedanken über einen ethischen Maßstab (und der von den Weisen geprägte Begriff „derash“ [ Predigen, Auslegen ] meint, dass man in der Schrift forschen solle und auslegen könne, was in ihr und in ihrer Deutung potentiell eingesch lossen ist). Trotzdem kann niemand aus der Schrift vollständig erheben, was ihr einfacher Sinn beinha ltet, d. h., [ niemand kann ] a lles aus der „ersten“ geprägten Bedeutung der Wörter und Sätze sowie ihrer Formu lierung herausziehen oder mit dem verknüpfen, was im Kontext vorher und nachher steht oder was die nächsten [ Personen einer Erzäh lung ] an einer betreffenden Stelle und ihre Deutung in den hei ligen Büchern gesagt haben könnten. Doch über diese wertvolle Einsicht werden wir im Folgenden noch ausführlicher handel n, denn sie ist grund legend und überaus wichtig für den M id ra sh A g gad a , zuma l sich die Weisen bei [ d ieser A rt Midrash ] viel mehr Freiheit a ls beim Midrash Ha lakha herausnahmen, indem sie die Schriftverse von ihrer üblichen Bedeutung entfernten. Im M id ra sh H a l a k ha achtete man dagegen viel mehr auf die eigent l iche Aussage des Bibelabschnitts und riss einen Schriftvers nicht einfach aus seinem unmittelbaren und näheren Kontext. Auch achtete man stärker auf die A na lyse eines Spruches in a ll seinen Teilen, insbesondere achtete man auf die Wörter in ihrer gewöhn lichen und exzeptionellen Bedeutung, auf die Unter-

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weisung der Gebote selbst und auf ihre symbolische Bedeutung, ihre Wirkung hinsichtlich des Ganzen, des Teils und der Einzelheiten in ihm – auf die Art und Weise, wie der Erzäh ler über sein Prinzip und seine Absicht sprach, auf den einfachen Schriftsinn und den Midrash der Weisen über die Ha lakhot, die sie zum größten Teil zusammen auf die Waagscha len legten. Auch dies wird im Folgenden noch näher erläutert. Was sich jedoch eigent lich nicht im Midrash Aggada findet, weil es sich zum größten Teil auf Maßstäbe und Prinzipien stützt, die auf reinem Verstand und einem reinen Herzen gründen, und dessen Zweck für die Auslegung nur darin besteht, die ethisch gute Lehre in das Ohr des Hörers einzuführen, damit es ihm im Gedächtnis bleibe – auch dies scheuten sich die Weisen nicht aus jeder Schriftstelle, aus jedem Abschnitt, auf den sie zufä llig trafen, herauszuziehen. Darüber sagte man : „Man widerspricht nicht einer Auslegung [ derash ], noch wirft man hinsichtlich einer Aggada einen [ logischen ] Einwand auf“ (vg l. die Ein leitung in den More [ des Moshe ben Maimon ] gegen Ende und [ de’ Rossis ] Me’or ʽEnayim, Kapitel 15).1 Ein Beispiel2 hierfür ist, was der Schöpfer der folgenden Aggada meint : „Jakob, unser Vater, starb [ a ngeblich ] nicht, doch der Fragende erwiderte : Haben denn vergeblich die Trauernden getrauert, die Einba lsamierenden einba lsamiert und die Totengräber begraben ? Da entgegnete [ sein Gegenüber ] : Ich deute dies aus einem Schriftvers [ miqra ]“ (bTaan 5b), d. h., mein Bemühen ist, einer Schriftstelle diesen Sinn zu entnehmen. Doch der verständige Hörer kann diesem Abschnitt entnehmen, auf welche Weise man diese Methode glaubwürdig zu machen suchte. Ebenso, wenn man (bGit 7a) eine Schriftstelle auslegte, in der die Städte Israels aufgezäh lt werden, und der Fragende das Ausmaß der Befremd lichkeit bemerkt, wenn man den frag lichen Vers [  Jos 12,22 ] so weit von seiner ursprüng lichen Bedeutung entfernt auslegt. Er wirft daraufhin ein : „Weiß ich etwa nicht, dass er die Städte des Israel-Landes 1 Mose ben Maimon, Führer, 24 (Vorwort); de’ Rossi, The Light of the Eyes,

290 (vgl. yHor 3,5 [ 48c ]; Qoh R 6,2 [ 17a ]). 2 Dasselbe Beispiel fi ndet sich in de’ Rossi, The L ight of the Eyes, 293.

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aufzäh lt ? Aber R abbi Geviha aus A rgiza sagte hierzu eine Auslegung“ [ usw. ]. Die Auslegung bestand aber darin, auf Ethik und den richtigen Glauben hinzuweisen.1 Manchma l verfuhren sie jedoch auch andersherum, indem sie aus einer bestimmten Absicht aus aktuellem A n lass heraus Schriftverse tatsäch lich gleichnishaft oder entsprechend ihrer mystischen Bedeutung aufnahmen. So z. B., wenn sie den Vers und der Herr stieg auf den Berg Sinai herab (Ex 19,20) auslegten, dass er lehre, „dass [ der Herr die unteren und die oberen Himmel auf den Gipfel des Berges ] herunterbeugte“ (MekhY de-ba-ḥodesh 4 [ 216]); „[Wäre es nicht ein geschriebener Schriftvers, so dürfte man es gar nicht aussprechen : An jenem Tag ] wird der Herr mit dem Schermesser, das jenseits des Stromes gedungen ist, [ dem König von Assur Haupt- und Schamhaare abscheren, und auch der Bart wird eingehen ]“ (bSan 95a) – und ähn liche Verse. Sogar auf Tempus und sprechendes Subjekt nahmen sie keine Rücksicht in den Midrashim : „Wer Böses sucht, dem wird es begegnen – dies | bezieht 240 sich auf Haman“ (MMish 11,27 [ Edition Buber 35b ]). Und man legte Joab (bBB 21a) eine Empfeh lung für den exegetischen Sinn [ derash ] und die doppelte Bedeutung anhand des Verses aus dem Buch Jeremia in den Mund, in dem es heißt : Verf lucht sei, wer seinem Schwert Blut vorenthält ( Jer 48,10) usw.; auch legte man einem Römer eine derasha in den Mund, in der in Erinnerung gerufen wird, dass [ Gott ] mit Israel zwei Bundessch lüsse vollzogen hatte, die an Erhabenheit und Rang gleich waren, doch am Ende ließ er sie unter die universa le Herrschaft [ der Römer ] unterwerfen – darüber fragten sie (bAZ 8b) : „Worauf stützten sie [ ihre Auslegung ] ? [ Erst heißt es : ] Lass uns aufbrechen und weiterziehen, und ich will neben dir herziehen (Gen 33,12); doch nachher legten sie aus : Mein Gebieter wolle doch seinem Sklaven vorausziehen (Gen 33,14). Und wer ist so dumm, dass er nicht verstehe, dass dies a lles der im Folgenden erwähnten Meinung des Rav [ Moshe ben Maimon ] entspricht, die er im Hinblick auf die 1 Vg l.

dazu die Fortsetzung in b Git 7a, wo auf Jos 15,22 [ Qina, Dimuna, Ad da ] Bezug genommen wird : „Wenn jemand über seinen Nächsten in Zorn [ qina ] ist und dennoch schweigt [ domem ], so wird der in der Ewigkeit [ ade ad ] Weilende ihm Recht verschaffen.“

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bildreiche Sprache der Poesie äußerte, d. h. im Hinblick auf jene poetische Sprache der Schöpferkraft, die in jenen Tagen gepf legt wurde. Doch gibt es Zeiten, in denen sogar das, was dem Auge k lar und offenbar ist wie die Sonne mehr a ls hundertma l wiederholt werden muss. Hätte es doch gegen die beiden Sekten, die wir nun erwähnen müssen, ausgereicht ! Doch siehe, trotzdem gab es eine Möglichkeit, die erwähnten Schriftstellen auszu legen, denn die Weisen besaßen Regeln und spezielle Methoden für die exegetische A rbeit, wie z. B. die bekannten dreizehn Middot [ hermeneutischen Regeln ] für den Midrash Ha lakha und die zweiunddreißig Middot für den Midrash Aggada. Diese aber beinha lten Methoden, die sie aus ihren Midrashim ableiteten und zu [ hermeneutischen ] Regeln machten. A llerdings gibt es in Bezug auf die Aggada auch Regeln, die hinsichtlich ihrer Anwendung dunkel sind, und es würde sich lohnen, sie von rabbinisch Gebildeten näher untersuchen zu lassen. Zum Beispiel belegt der Satz, „man legt das Hohelied nicht zum Negativen aus“ (ShirR 1,55[57 ] [ 11d ]), dass sie prinzipielle Regeln besaßen, um diese Megilla auf die enge Beziehung zwischen Vol k und Gott, er sei erhaben, hin auszu legen, wobei sie das Lied der Lieder mit dem engen Verhä ltnis zwischen Israel und seinem Liebhaber [ Gott ] verglichen. So konnten sie den Versen [ dieser Rolle immer ] nur etwas bezüg lich des Lobes Israels entnehmen, nicht jedoch etwas bezüg lich seiner Schmähungen. Ebenso berühmte Aussprüche der Schöpfer der Aggada sind : „Dieses Wort ist eine Tradition in unseren Händen von Zeiten unserer Väter an, von den Leuten der Großen Versamm lung an“ (bMeg 10b); „dieser Midrash zog mit uns aus der gola hinauf“ (Wa R 11,7 [ 228]1); „jede Stelle, an der ‚und es geschahʽ [ wa-yehi ] steht, bezieht sich auf eine Bedrängnis; [ jede Stelle, an der ] ‚und es warʽ [ we-haya ], auf eine Freude/Erlösung“ (BerR 42 [ 399 – 407 ] und an einigen anderen Stellen) – sie sind nach unserer Auffassung nicht nur Regel n des Midrash Aggada, nicht nur Wegweiser, wie man die Erzäh lungen, die sich mit unserer Vergangenheit befassen, oder die Verheißungen 1 Ä hn l iche Stellen in Est R Petiḥta 11 (2b); Rut R Petiḥta 7 (2a); Tan shemeni

9 (199b). Korrigiere die A ngabe im Index von Greenbaum.

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dessen, was sich in Zukunft ereignen wird, auslegen soll. Die meisten Übertretungen aufgrund unserer Sünden sind negative Ereignisse, doch es liegt in der Hand des Exegeten, die betreffenden Bibelstellen mit a llen möglichen Übeln, die man seiner Meinung nach erleiden kann, in Verbindung zu bringen und im Gegensatz dazu kann man die Verse, die hinsichtlich unserer Zukunft gesagt sind, in Bezug auf a lle eschatologischen Ereignisse und Zukunftshoff nung, die sich aus ihnen entnehmen lässt, auslegen. Tatsächlich verfuhren die Schöpfer der Aggada ständig auf diese Weise, was die Verständigen sicherlich wissen. Aufgrund unserer A nalyse fa llen nun aber a lle in den Midrashim wegen dieser Regel auftretenden Schwierigkeiten auf, denn tatsäch lich hatte derjenige, der sie prägte, nicht beabsichtigt, eine genaue Tradition festzulegen. Es ist a llerdings auch mög lich, dass die späteren Schöpfer der Aggada (ohne die dies gar nicht zu erhärten wäre) ihre Fragen nur desha lb vorbrachten, wei l sie eine bestimmte A ngelegenheit aus den Schriften herausholen wollten, manchma l sogar aus einer Stelle, die den A nschein erweckte, [ ihr Inha lt ] sei unerträg lich. Und im Yerusha lmi (aggadat ḥeleq1) steht, dass der bedeutende Aggadist Rabbi Lewi sechs Monate lang den Schriftvers : „Es war niemand, der sich so verkauft hätte wie A hab“ usw. (1 Kön 21,25) auslegte, und zwar so viel, wie er hinsicht lich der Schmähungen des A hab ertragen konnte. A ls er ihm jedoch im Traume erschienen war, benötigte er noch einma l sechs Monate, um den Sch luss des Verses, „den seine Frau Isebel verführte“ (ebd.), im Sinne eines Lobes für A hab auszu legen. Siehe, wie weit sich vor ihnen der Weg bei solcher exegetischen A rbeit auftun konnte. Wisse aber auch, dass a lle Verse der vierundzwanzig hei ligen Bücher [ der Bibel ] für sie bei der erwähnten exegetischen A rbeit gleich wichtig waren, sodass sie sogar viele von den schwierigen und versch lossenen Stellen des Tanakh auswäh lten, dem bekannten Sprichwort folgend : „Dieser Vers sagt nichts anderes a ls : Lege mich aus !“ (Rashi zu Gen 1,12). Auch sagte man : „Das Buch der Chro1 Vg l. 2 Vg l.

ySan 10,2 (28b). Torat Ḥayyim, Sefer Bereshit, hg. v. Katzenellenbogen, 1.

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niken wurde nur gegeben, damit es erforscht werde“ (Wa R 1,3 [ 5]). Doch nicht nur die hei ligen Schriften, sondern auch a lles, was mit ihnen in den Versen stand und ihnen a ls R ichtschnur überliefert war, diente ihnen a ls geeignetes Mittel, um den einfachen Sinn der Worte auszu legen und durch sie das Gewünschte zu stützen. Ebenso das Buch Ben Sira, welches nicht unter die hei ligen Schriften aufgenommen wurde und zu den „äußeren“ [ außerkanonischen ] Büchern zäh lte; dies erachteten sie zu Recht a ls eines der „inneren“ Bücher, die im hei ligen Geist geschrieben worden waren und a ls heilig anerkannt werden mussten. Denn trotz [ a ller Vorbeha lte ] legten sie es aus und erlaubten, aus ihm auszu legen, und sie sagten : „Die guten Worte, die sich in diesem Buch finden, dürfen wir vortragen“ (aggadat ḥeleq) (bSan 100b). Doch noch mehr hat mich ein Freund und Gefährte unter den gegenwärtigen großen und guten Gelehrten1 angeregt, [ indem er mich darauf hin241 wies, ] dass man auch im Hinbl ick auf die Megi llat Ta‛anit, die | zum größten Teil noch in der Zeit des Tempels verfasst worden ist, sagte (bTaan 18a, aus einer Baraita [ Scholion ] zu dieser Megilla) : „Warum heißt es [ in der Fastenrolle ] gedoppelt : ‚an ihnen, an ihnen’ ? “2 Dies scheint notwendig gewesen zu sein, wei l man meinte, auch diese Megilla sei [ wie hei lige Schriften ] zur Auslegung und Kommentierung der in ihr befi nd lichen [ scheinbar ] überf lüssigen Wörter geeignet. Doch die Ha lakhot, auch wenn sie sie münd lich gut beherrschten – sie lehrten sie nur in sehr geringem Umfang mit Hilfe bildreicher Sprache, um auf diese Weise eine ethische Lehre zu unterbreiten : „Man rettet einen Schriftrollenbehä lter mit der Schriftrolle ? Man rettet den Elisha‛ [ a ḥer ] durch das Verdienst seiner Tora !“ (yHag 2,1 [ 77c ]). „A lle Schäden darf ein Mensch besichtigen, ausgenommen seine eigenen“ (m Neg 2,5). „[Auch lehren wir : ] In einem dunk len Haus breche man kein Fenster auf, um den Aussatz 1 Nach

H. P. Chajes, [ Nachruf ] R. Zebi Chajes, in : ders., Reden und Vorträge, hg. v. M. Rosenfeld, Wien 1933, 187 Anm. 1 ist hiermit Ṣevi Hirsch Ḥayes gemeint. Siehe dazu auch Ṣ. H. Ḥayes, Torat nevi’im, in : ders., Kol sifre morenu ha-Rav Ṣevi Ḥayes, Jerusa lem 1958, 151 – 154. 2 Der zitierte Text aus dem Bavl i weicht im Druck Wi l na leicht ab.

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zu besichtigen“ (bSan 92a). „A lles, was mit Unreinem verbunden ist, ist unrein; a lles, was mit Reinem verbunden ist, ist rein“ (bBQ 92b). Hinsicht l ich dieser A ngelegenheit erscheint uns angebracht, an die Zeugnisse von guten und weisen Gelehrten zu erinnern, zuma l der Hauptzeuge für a lles bislang Gesagte der Rav [ Moshe ben Maimon ] ist (More III 43), und wir möchten ihn hier zitieren :1 „Die Menschen sind näm lich in Betreff der derashot unterschiedlicher Meinung. Die einen bi lden sich ein, dass unsere Lehrer diese im Sinne der Erläuterung des Sinnes eines Schriftverses ausgesprochen haben, die anderen aber schätzen sie gering oder machen sich darüber lustig, da [ eine bestimmte Auslegung ] offenbar nicht der Sinn der Schriftstelle sein kann. Die ersteren bekämpfen jedoch diese Auffassung und geben sich a lle erdenk liche Mühe, die Wahrheit der derashot, wie sie sie verstehen, zu beweisen und aufrechtzuerha lten, [ u nd zwar ] in der Meinung, dass sie den Sinn des Schriftwortes angeben sowie dass von den derashot dasselbe gelte wie von den überlieferten Gesetzen. Doch keine der Parteien hat begriffen, dass sie a ls Dichtungen aufzufassen sind, deren Bedeutung keinem Denkenden zweifel haft sein kann. Diese Methode war aber zu jener Zeit a llgemein gebräuch lich, und jeder machte es in dieser Hinsicht, wie es die Liederdichter machen, indem sie sich poetischer Ausdrücke bedienten. So sagen unsere Lehrer : „Bar Qappara lehrt : Du sollst einen Spaten bei deinem Rüstzeug [ azenekha ] haben (Dtn 23,13) – hier lese man nicht azenekha, sondern oznekha [ deine Ohren ].2 Daraus sei zu folgern, dass man sich, wenn jemand etwas Ungeziemendes sagt, mit den Fingern die Ohren zuha lten muss. Ich wäre nun begierig, zu wissen, ob dieser Tannait wie jene Dummen hinsichtlich der Auslegung dieses Verses wirk lich so denkt, dass dies tatsäch lich der Sinn dieses Gebotes war, und ob „der Spaten“ so viel bedeutete wie „der Finger“ und azenekha dasselbe wie ozenekha. Ich glaube nicht, 1 Mose

ben Maimon, Führer III 43, 272. Das Zitat wird auch von de’ Rossi, Light of the Eyes, 281 angeführt. 2 Vg l. bKet 5a–b. Siehe dazu G. Veltri, Gegenwart der Tradition. Studien zur jüdischen Literatur und Ku lturgeschichte, Leiden, Boston, Köl n 2002, 274.

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dass jemand, dessen Vernunft sich in voll kommenem Zustande befindet, dies meinen kann. Viel mehr ist dies eine sehr schöne Poesie, in welcher die Ermahnung zur Tugend entha lten ist“ usw. Der Rashba [ Sh lomo ben Adret1 ] schreibt in seinem Aggada-Kommentar zum Traktate Berakhot, welcher im ‛Eyn Ya‛aqov zitiert wird : „Die Absicht unserer Weisen mit jenen Midrashim war, sie durch Wendungen, die unserem Gedächtnis nicht mehr entfa llen, auf Schriftverse zu stützen, nicht etwa, die Verse nur [ hinsicht lich ihres einfachen Schriftsinnes ] auszu legen.“2 Ibn Ezra bemerkt über sie in seiner A rt in seinem Vorwort 3 : „Einige von ihnen sind wie dünne Seide, einige wie dickes Sacktuch.“ Der Gelehrte de’ Rossi vergleicht [ Me’or ʽEnayim, Kapitel 15 ] einige aggadische Midrashim mit Engel n, die für einen Moment geschaffen werden, um ein Loblied vorzutragen, doch „dann wieder im Flusse Dinur verschwinden.“4 Doch der hochgeschätzte Weise Yashar von Kandia [ Yosef Shelomo Del medigo ] verg lich jene Aggadot, die sich leicht aus Versen ableiten lassen, mit Wein, der von selbst aus den Trauben tropft. Diejenigen aber, die weit vom Litera lsinn der Schrift entfernt abgeleitet werden, [ verg lich er ] mit Wein, der erst aus den Trauben herausgepresst werden muss. Für sie ersuchte er jedoch um Nachsicht und meinte : „Man belasse es solchen Schöpfern von [ kabbalistischen ] derashot und gematriot, die Verse [ der Bibel ] so zu behandel n, wie es ihnen gefä llt.“5 1 Vg l.

Sh. ben A. Adret, Ḥiddushe Aggadot ha-Shas, Jerusalem 1966. Ya‛aqov ibn Ḥaviv, ʽEn Ya‛aqov zu bBB 78b. Von de’ Rossi, Light of the Eyes, 281 wird es fä lsch lich dem Verfasser des Menorat ha-Ma’or zugeschrieben. 3 Es muss heißen : In seinem Vorwort zu seinem Kommentar zum Buch Ekha (der Text findet sich etwa in der Ausgabe der Miqra’ot Gedolot, hg. v. Eshkol, V 370a). Vgl. bereits oben K rochma l, Writings, 175. 4 Vg l. zu diesem Gleichnis bH ag 14a. Siehe auch De’ Rossi, The L ight of the Eyes, 291, wo diese Stelle nicht wört l ich zitiert wird, sondern nur auf sie Bezug genommen ist 5 Vg l. Yosef Shelomo Del medigo, Sefer Elim, hg. v. Manasse ben Yisraʼel, A msterdam 1629, 92. Vgl. die Übersetzung dieses Abschnittes in I. Barzi lay, 2 Das Zitat stammt aus

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Doch trotz a lledem kommt die Fähigkeit und die Qua lität der Schöpfer der Aggada und des Midrash auch in der bekannten Wendung zum Ausdruck : „Sind die Midrashot etwa mit dem Glauben vereinbar ? Es sei viel mehr so : Lege aus, und erha lte den Lohn dafür !“ (yNaz 7,1 [ 35a ]) – nach der Lesart in dem Kommentar Shilṭe Gibborim (pereq 75, 77a).1 Einige von den Weisen, wie z. B. Rabbi Yose aus Damaskus [ Dormasqit ]2, schimpften jedoch auch über die[se A rt der ] exegetischen Arbeit und bezeichneten sie a ls „Deformation der Schriften“ [ vgl. SifDev Devarim 1 [ 6]); andere Weise wollten die Aufmerksamkeit ihrer großen Schü ler mit dem Satz von ihr abwenden : „Was hast du mit der Aggada zu tun ? Begib dich mit deinen Reden usw. [ z u den eigentlichen Lehren zurück ]“ (bHag 14a; bSan 38b). Wir finden im Traktat Ma‛aserot des Yerusha l mi (yMaas 3,10 [ 51a ]), dass Rabbi Ze‛ira die Schöpfer der Aggada bezüglich des Verses befragt : „ Der Grimm der Menschen gereicht dir zur Ehre; den Rest gürtest du mit Zorn (Ps 76,11), was man folgendermaßen auslegte : Der Grimm der Menschen gereicht dir zur Ehre – dies meint diese Welt; den Rest gürtest du mit Zorn – dies ist die zukünftige Welt. Darauf antwortete Rabbi Zeʽira : Ich sage es andersherum. Und er fügte spöttisch hinzu : Diese Auslegung kehrt jene um, und jene Auslegung kehrt diese um, und es lässt sich nichts Gewisses daraus entnehmen !“ | Dies aber war das Wenige, was wir hinsicht lich des Midrash Aggada erk lären und in Erinnerung rufen wollten, d. h. hinsichtlich der Herausarbeitung von Schriftversen aus ihrem Litera lsinn und das Ableiten einer völlig fern liegenden A ngelegenheit aus einem Vers, nur um [ diese ] auf diese Weise dem Zuhörer a ls für sich genommen zutreffend, gut und nütz lich einzuprägen. 3 Yoseph Shel mo Del medigo, Yashar of K andia : his L ife, Works and Times, Leiden 1974, 252. 1 Zu H i l khot A l fasi, Nazir 77a. D er K ommentar Shi l ṭe Gibborim von Yehoshuaʽ Boʽaz ben Shimʽon Barukh wurde im 16. Jh. verfasst. 2 K rochma l interpretiert den Beinamen „dormasqit“, a l s stünde dort „de-min Dameseq“. A ndere verstehen den Namen im Sinne von „[Sohn ] der Damasznerin“. 3 Vg l. Grözinger, Jüdisches Denken III, 475.

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Es genüge hier jedoch a ls Rechtfertigung dieser Form der Aggada, dass sie in unserer Nation bereits seit frühester Zeit gepf legt wurde, und zwar nicht nur a ls Verdrehung der Wörter durch die Spitzfindigen unter den Gläubigen oder a ls Spiel der Spötter (was dem Gelehrten aus jüngerer Zeit sicher unangenehm sein würde, berücksichtigte er nicht den Hintergrund der Sache und den Wandel der Zeit und ihrer Motive), entsprechend den beiden Gruppen, die bereits der Rav [ Moshe ben Maimon in seinem Buch ] erwähnt und die bis heute existieren und wirken.1 A llerdings genügt dies a lles nicht hinsicht lich des eigentlichen Stoffes und des Inha ltes der Aggada selbst, und daher bleibt für uns die Pf licht einer a llgemeinen Erk lärung, aber auch [ einer Erk lärung ] jeder einzel nen in a ll ihren Verästelungen über die A rt und Weise und damit sie nicht gegen die Grundsätze des geläuterten Glaubens, des logischen Verstandes und der reinen Ethik verstoße. Doch auch darum [ sc. um die Einheit von Form und Inha lt der Aggada ] bemühten sich bereits die Gelehrten früherer Generationen, ein jeder entsprechend seiner Weisheit und der Methode, die zu seiner Zeit unter seinen Zeitgenossen üblich war. Wir wollen hier a lso ausführen, was uns an diesen Auslegungen hinsicht lich der a llgemeinen Regeln und der Wahrheit jener [ Detail-] Erk lärungen aufgegangen ist. 2 Wisse, dass es in der Ha lakha keinen Platz für Gleichnis und A llegorie gibt, auch nicht für die Übertreibung eines Maßstabes oder die Umschreibung und Eink leidung mittels poetischer Sprache. Es handelt sich [ bei ihr, ] wie wir erwähnten, um Sätze, die nur der äußerlichen und gesetzesmäßigen Entscheidung eines Rechtsfa lles dienten. Mit ihnen konnte ein Rechtsfa ll, der zu entscheiden war, entschieden oder z. B. auch von einer zu defi nierenden A ngelegenheit freigesprochen werden. Da die Aggada somit der Ver1 Vg l.

Mose ben Maimon, Führer, 10 (Ein leitung). Gemeint sind woh l diejenigen, die mit Hi l fe einer Aggada das Joch der Königsherrschaft Gottes brechen bzw. erleichtern oder das Joch erschweren. 2 Vg l. hierzu L ehnardt, Geschichte und Individuum, 371.

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mittlung einer rechten Einstellung und dem Erweichen der Herzen dienen sollte, um auf diese Weise dem Vol k Ehrfurcht, Mora l und Glauben an das Woh l des Einzelnen und der Gemeinschaft einzuf lößen, sahen es die Gelehrten jener Generationen a ls richtig an, diese erwähnten Methoden vermehrt und noch häufiger zu verwenden. Doch es entwickelte sich in dieser Zeit daraus nicht nur erhoff ter Nutzen und gutes Ergebnis, dessen Erreichen ohne Zweifel möglich gewesen wäre, so wie es uns etwa eindeutig auch dadurch ersichtlich wird, dass sie die Massen in jeder Schicksa lslage zu Gottesfurcht anhielten, sondern es entstand in viel späterer Zeit auch Schaden, den wir im Folgenden noch genauer erläutern werden. Es entwickelte sich so zunächst die Methode, Wörter in Begriffe zu k leiden, die der breiten Masse, den Hörern der derasha, verständ licher waren, um auf diese Weise auch dem ‛am ha-areṣ nachvollziehbar zu bleiben, damit es ihm vernehmbar eingeprägt würde, sodass es ihnen leicht verständ lich bliebe (und wisse, dass die meisten dieser a lten Aggadot aus Predigten hervorgegangen sind, die zunächst der breiten Masse vorgetragen worden waren). Das Beispiel hierfür fi ndet sich im Kommentar des Rav [ Moshe ben Maimon ] (im Vorwort seines Mishna-Kommentars1), wo er sich auf den Satz bezieht : „Der Heilige, gepriesen sei er, hat in seiner Welt nur vier Ellen Ha lakha“ (bBer 8a). Darüber wird daher gesagt : „Was sich im Herzen eines Weisen, der auslegt, findet, kann niema ls und absolut das Ende der Möglichkeiten sein, sowoh l nach seinem Geiste a ls auch nach seinem Wesen, denn a llein das Geistige ist die K raft, mit der man Erkenntnis und Verstand erlangt, und a lles andere sind Mittel und erste Schritte, um zu dem eigentlichen Ziel zu gelangen. Das eigentliche Ziel im Hinblick auf die Masse ist jedoch, ihr in ihren Hand lungen ein umfassendes Verständnis und eine k lare Einsicht in die Ha lakha zutei l werden zu lassen. Daher erfasste man und k leidete diese tiefsinnigen A n1 Vg l. Moshe ben

Maimon, Haqdama, in : Mishna ʽim perush Rabbenu Moshe ben Maimon tirgem me-ʽaravit ʽal-pi ketav ha-yad ha-meqor we-hosif mavo weheʽarot Yosef Dawid Kafih, Jerusa lem 1965, I 24.

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gelegenheiten in eine Sprache und in eine Ausdrucksweise, die der breiten Masse und deren Zuhörern unmittelbar verständ lich war. Man unterschied aber zwischen einer „äußeren“ und einer „inneren“ Methode des Studiums, wobei man [ d ie Methode ] je nach Erfordernis wäh len konnte, was sowoh l den Früheren a ls auch den Späteren wichtig blieb. Doch bis heute ist es ohne diese beiden nahezu unmög lich, etwas über die Theologie zu vermitteln [ ‫] ללמד דבר באלוהיות‬.

Ein anderer Weg, der wichtig und breit zur Aggada führt, ist das Gleichnis, die sechsundzwanzigste hermeneutische Regel von den zweiunddreißig Middot, mit denen die Aggada gefunden wird und die man auf jede A rt und Weise angewandt hat : 1. Eine A rt von Gleichnissen sind die Fuchsgleichnisse, die heute auch Äsop- Gleichnisse genannt werden, wie das von dem Fuchs und den Fischen (bBer 61b), das von dem Löwen und dem ägyptischen Huhn (BerR 64,91 [ 712]), das von dem Fuchs und dem Weinberg (Qoh R [ 5,20 (16c)]), das von dem Häcksel, dem Stroh und der Spreu, dem Stroh, dem Häcksel und dem Weizen (BerR Ende Kapitel 83 [ 1001]). Dies ging so weit, dass sie manchma l sogar nicht mehr sagten, dass es sich um ein Gleichnis handelte, wie z. B. in dem Satz : „A ls das Eisen geschaffen wurde, | begannen die 243 Bäume zu zittern“ (BerR Ende Kapitel 5). [ Ebenso : ] „Sie sprachen zur Kuh, warum hat man deine Stimme nicht hören können ? Doch sie sagte :“ usw. (BerR 16,3 [ 146]). „Man fragte die Schlange : Welchen Vortei l besitzt Du ? “ usw. (m A rakh 15,2). „Von a llen Hölzern gilt, soba ld sie brennen, hört man ihre Stimme nicht mehr“ (Qoh R 7,13 [ 19a ]); und ein ähn liches Gleichnis bietet auch die Aggada über das Meerlied [ Ex 15 ] von den Geschöpfen.2 2. Die zweite A rt von Gleichnis, das Gleichnis aufgrund eines Vergleiches, findet sich meist zu Beginn eines Gleichnisses [ , wie es heißt ] : „Sie stellten ein Gleichnis auf, wem die A ngelegenheit gliche …“ Mit Hilfe dieser A rt gelang es, die Bedeutung des 1 Korrigiere 2 Vg l.

die A ngabe „85“. MekhY be-sha llaḥ 6 (137).

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Gleichnisses stark anzuheben, und diese A rt ist es, die wir seit den Tagen des Tempels bis zum heutigen Tage verwenden. Diese Art der Verwendung a ls erk lärendes Gleichnis ging so weit, dass sogar der Gründer der christ lichen Religion sich wie seine Zeitgenossen ihrer in seinen Reden an die Vol ksmenge bediente. 3. Aus dieser entwickelte sich eine dritte A rt des Gleichnisses, und zwar die A llegorie, die entweder Mitgefüh l wecken oder das Herz des Hörers abtöten soll. Dafür wurde irgendeine wahre Geschichte aus den hei ligen Schriften genommen, diese in eine weniger bi ldreiche Sprache gek leidet und mit einer der kurzen Geschichte entsprechenden Ergänzung versehen, sodass sie für einen bestimmten Zweck ausgebaut werden konnte. Dies a lles geschah, um die Sinne des Hörers zu erweitern, um ihm auf diese Weise nachdrück licher irgendeine Lehre oder ethische Regel einzuprägen, die man zu seiner Zeit für besonders wichtig hielt. Um unsere Meinung dazu besser darlegen zu können, stellen wir hier eine kurze Geschichte vor, die mit ihrer Ausdrucksweise eigent lich auf einen anderen a ls den vordergründigen Sachverha lt hindeutet. Sie findet sich im Midrash Shoḥer Ṭov zu Psa lm 1 [ MTeh 1,15 (Edition Buber 7b) ], wird aber auch im Ya lquṭ Korah [ 16 § 750 (251a) ] im Hinblick auf die Vorwürfe Korahs gegen Mose und Aaron erwähnt. Der Ausleger entwirft von der A ngelegenheit vor seinen Hörern dabei folgendes Bild : „Was tat er ? Er versammelte vor ihnen die gesamte Gemeinde und begann dann mit folgenden Worten des Spottes vor ihnen zu sprechen : In meiner Nachbarschaft lebte eine Witwe, die zwei junge Waisenkinder hatte, doch sie besaß nur ein Feld. A ls sie hinging, um zu pf lügen, sprach [ Mose ] zu ihr : Du sollst nicht mit einem Rind und einem Esel zusammen pf lügen (Dtn 22,10); a ls sie hinging, um zu sähen, sagte er zu ihr : Du sollst dein Feld nicht mit zweierlei Arten Saat besähen (Lev 19,19); a ls sie sich anschickte, zu ernten und die Ä hren zu binden, sprach er zu ihr : Du sollst etwas übrig lassen und eine Ackerecke stehen lassen (vgl. Lev 19,9; Dtn 24,19). Als sie eine Tenne bereiten wollte, sagte er zu ihr : Gib mir die Hebe vom ersten Zehnten und den zweiten Zehnten ! Sie nahm das Urteil auf sich und gab es ihm. Doch was tat sie dann ? Sie

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Pforte 14

stand auf und verkaufte ihr Feld und erwarb zwei Schafe, um sich mit der Schurwolle zu bek leiden und von ihrem Nachwuchs Nutzen zu haben. Und a ls sie geworfen hatten, kam Aaron und sprach : Gib mir die Erstgeborenen, denn so hat der Heilige, gepriesen sei er, gesprochen : Jedes Erstgeborene usw. (Dtn 15,19) ! Sie nahm das Urteil an und gab ihm den Nachwuchs. A ls die Zeit des Scherens kam und sie die Schafe schor, sprach Aaron [ wiederum ] zu ihr : Gib mir das Erste von der Schur ! Da sprach sie : Ich habe keine K raft mehr, diesem Mann zu widerstehen, ich will die Schafe besser sch lachten und verzehren. Und nachdem sie sie gesch lachtet hatte, sagte [ Aaron wieder ] zu ihr : Gib mir die Schulterstücke, die Wangenknochen und den Magen. Sprach sie : Sogar nachdem ich sie gesch lachtet habe, bin ich nicht vor seinen Nachstellungen sicher, daher weihe ich sie [ dem Tempel ]. Sprach er zu ihr : Nun gehört mir a lles, denn so sprach der Heilige, gepriesen sei er : Alles, was in Israel geweiht wird, soll dir gehören ! (Num 18,14). Und er ließ sie mit ihren beiden Söhnen weinend zurück.“1 – Und man bedenke, dies soll noch in der Wüste geschehen sein, und in dem Abschnitt selbst heißt es dazu : Ist’s nicht genug usw. hatte er uns Grundbesitz als Acker oder Weinberg gegeben (Num 16,14) ? Auch war der Verzehr von Fleisch, nach dem einem der Sinn steht, nicht erlaubt, und selbst die Abgabe von Priesterhebe war noch nicht geboten. Daraus folgt, und wer wird es nicht merken, dass kein einziger Buchstabe in dieser phrasenreichen Geschichte der [ h istorischen ] Wahrheit entspricht, dass sie vielmehr ein a llegorisches Gleichnis darstellt, mit dem a llen, die je die Tora kritisieren wollten, eine Lehre erteilt werden soll, wie es heißt : Damit es ihm nicht ergehe wie Korah und seiner Rotte (Num 17,5). – Von dieser A rt Gleichnis ist auch das [ fi ktive ] Gespräch zwischen Josua und Mose, welches kurz vor dem Tod [ des Mose ] stattgefunden haben soll (Tem 132), und auch 1 K rochma l

verändert hier den Wortlaut der Ya lquṭ-Fassung (woh l aufgrund von MTeh). 2 Zu dieser bei Greenbaum nicht aufgelösten Stellenangabe vg l. Bh M I, 116.

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die Geschichte von dem Gespräch des Jeremia mit den Vätern zur Stunde, da der Tempel brannte, dem Beginn der ga lut unter Nebukadnezar, die lange ausholend in der Pesiqta für den Shabbat ḥazon [  Jes 1 ] erzäh lt wird, und folgendermaßen beginnt : „Es geschah zu der Zeit, a ls das K leinvieh sündigte und nicht mehr auf die Stimme der Hirten hörte“ usw. (PesR 26 [ 128b ]). Ebenso die Erzäh lung von dem Streitgespräch zwischen unserem Vater Abraham, über ihn Frieden, und dem Satan vor der Bindung [ Isaaks ] (BerR 56,4 [ 598 – 599]). A lle diese sind keine historischen Erzäh lungen, die sich tatsäch lich so, wie sie überliefert wurden, ereignet haben, sondern Erfindung und reine A llegorie, die darauf abzielt, die Sinne des Hörers zu wecken, auf dass ihn das erfundene Gleichnis affizieren möge. Und manchma l war selbst die äußere Form der Aggada ein wenig wie Dichtung und Piyyuṭ gesta ltet, wie jener Midrash über das Buch Ester in leicht verständ licher aramäischer Sprache, der auch a ls Targum Sheni bezeichnet wird, in dem sich tatsäch lich ein A krostichon und eine inversive A nordnung von Buchstaben zum Lobe des Salomo, über ihn Frieden, und das Gebet Esters und anderes mehr finden.1 Dies war zu jener Zeit tatsäch lich die Hauptform des Piyyuṭ, wie es | in einem Midrash heißt (ShirR 1,7 [ 2a]) : „Wenn ein 244 Dichter [ seine Gedichte ] nach dem Alfabet [ A krosticha ] abfasst, so macht er das Gedicht zuweilen vollständig, zuwei len lässt er es unvollständig.“ Manchma l wurde auf diese Weise wortreich der Heilige gepriesen, wie in einem Abschnitt aus einer aggadischen Baraita, die in Qohelet Rabba zu fi nden ist : „Es wird gelehrt : Sieht der Reiche sich lange Zeit im Besitze, wonach er anfangs so begierig gewesen, dann ist er ihm g leichzeitig verächtlich, aber auch der A rme, so dürftig auch sein Teil ist, sieht nur darum neidisch auf den, der höher a ls er dasteht, wei l ihn dieser schnöde behandelt. Beide, der Reiche und der A rme, teilen dasselbe Verlangen und dasselbe Schicksa l; auch im Grabe sind sie gleich – a lles ist eitel.“ (Qoh R 12,8[9 ] [ 30d ]). Siehe auch die Auslegung des Verses : Die Kühe liefen geradeaus [ wa-yisharna ] 1 Vg l.

Targum Ester Sheni 1,2 und 5,1.

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(1 Sam 6,12) usw. mit : „Sie sangen ein Loblied“ [ wa-yasharu ] usw. (bAZ 24b). – Und ähn lich ist auch die aggadische Parabel in bAZ

8b gesta ltet (welche ebenfa lls mehr einer bestimmten Lehre dienen sollte) : „Zweiunddreißig Schlachten lieferten die Römer den Griechen, und sie konnten sie nicht besiegen; da verbündeten sie sich mit den Israeliten und trafen mit ihnen folgende Vereinbarung : Werden von uns die Könige gewäh lt, so sollen von euch die Eparchen gewäh lt werden, und werden die Könige von euch gewäh lt, so sollen die Eparchen von uns gewäh lt werden.“ Der Kern dieses Gleichnisses ist historisch zutreffend, dass näm lich die Römer zur Zeit ihrer K riege mit den griechischen Königen Syriens und mit den frühen Hasmonäern einen Bund schlossen, sodass die römische Herrschaft zur Zeit der hasmonäischen Königsherrschaft noch immer auf ihren Beistand angewiesen war. Dies entwickelte sich ins Gegenteil, nachdem das Land Israel unter den Fürsten des Hauses Herodes aufgetei lt worden war und in Rom die Macht an die Kaiser überging. Doch man verhü llte diese Zusammenhänge, und man formte sie zu einer a llegorischen Beispielerzäh lung.* 4. Die vierte A rt des Gleichnisses, die Erfindung um irgendeiner tiefschürfenden Lehre willen, entnahm man der Weisheit von der Gottheit, den Geheimnissen natürlicher Gesetzmäßigkeiten oder dem Mysterium des rea len und geistigen Welten laufes. Diese k leidete man mit [ voller ] Absicht in irgendeine Geschichte über eine auf den ersten Blick seltsame und wunderliche Begebenheit, und aus dieser Geschichte wurden dann die Intention und das tiefere Geheimnis ersichtlich. Von dieser Gleichnisart ist etwa die Geschichte von der Tötung des bösen Triebes im Götzendienst oder die Erzäh lung über die Ausbreitung des bösen Triebes der Hurerei zu Beginn des Zweiten Tempels * Und manchma l erfanden sie auch eine ganze Erzäh lung aufgrund eines

einzigen Wortes. Ein Beispiel (Yerusha l mi, aggadat ḥeleq) : Aus der Wendung [ Es gab keinen wie Ahab, ] der sich verkauft hat, um Böses [ in den Augen des Herrn zu tun ] (1 Kön 21,25) entwickelten sie die Geschichte, dass er jeden Tag zu Hiʼel aus dem Haus des Eli, zu seinem Freund, sprach, er solle ihnen geben, wie viel sie wert seien, doch er gab das Geld für Götzendienst aus (ySan 10,2 [ 28b]).

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(bYom 69a). Das A n liegen [ d ieser Gleichnisse ] ist die Verinnerli-

chung und symbolische Deutung, worauf wir bereits zu Beginn der neunten Pforte unserer Schrift aufmerksam gemacht haben. Und man konnte sich hierfür auf den Schriftvers stützen : Und ich gebe meinen Geist in euch, dass ihr lebet (Ez 37,14); ebenso auf den Vers : Und der Herr, dein Gott, wird beschneiden dein Herz usw. (Dtn 30,6). Beide Verse sind ein weiterer ein leuchtender Beleg für die Abstraktionsleistung, die wir dort erläutert hatten. Desselbigen auch das Gleichnis von der K lage des Mondes [ vor Gott ] und von seiner Bestrafung (vgl. bHu l 60a), welches die Rabbinen auf verschiedene Weise auslegten, worauf wir noch im Weiteren näher eingehen werden. Das Gemeinsame an ihnen ist dabei, dass sie die ganze Geschichte a ls ein erfundenes pädagogisches Gleichnis verstanden, dessen Geheimnis in einem feststehenden Weltengesetz, und zwar sowoh l in der rea len a ls auch in der geistigen Welt bestand, nicht etwa nur in der Wahrheit eines einzelnen Ereignisses, welches sich so zu einer bestimmten Zeit zugetragen haben soll. Gleichfa lls [ das Gleichnis von der ] Beschwerde der Engel über die Erschaff ung des Menschen (bSan 38b) und viele andere mehr. Doch wir müssen hier über die Rätsel dieser A rt von Gleichnis sprechen, sowoh l im Prinzipiellen a ls auch hinsichtlich seiner Unterabtei lungen, da ihre Einf lussmacht groß ist und sie vieler Kenntnisse in der Weisheit des Glaubens bedürfen, worüber wir in dem Kapitel über „den Geist und seine Manifestation“ bereits gehandelt haben (Pforte 6), so wie wir in diesem ganzen Traktat über das Verhä ltnis der Wörter, mit denen er geschrieben wurde, zu jenem Geist [ der Weisheit ] handeln. Doch wollen wir nun zu dem eigentlichen Inha lt [ dieses Kapitels ] zurückkehren.

Es gehört näm lich auch zur Methode der Aggada, natürliche Handlungen, die an ihre Gesetzmäßigkeiten gebunden sind und sich nicht verändern können, im Sinne der Interessen [ der Schöpfer der Aggada ] zu verwenden, d. h., sie hinsichtlich irgendeiner ethischen Lehre anzuziehen, um das Herz traurig oder freudig zu berühren, zum Mitgefüh l oder zur Hoff nung anzustiften, ganz nach

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der Weise, wie es auch die profanen Schriften und Geschichten vermögen. Nicht, dass der Schöpfer einer Aggada hiermit den physischen Grund oder Zweck eines natürlichen Vorgangs erk lären wollte, denn dies a lles interessierte ihn nicht und war vielmehr anderen Weisen und ihren verschiedenen Auslegungsweisen zu eigen. Ein Beispiel : Warum ist das Ohr selbst aus hartem K norpelknochen, das Ohrläppchen jedoch weich ? (Es heißt :) „Man lasse seine Ohren keine unnutzen Worte hören [ , denn diese werden frü245 her a ls a lle anderen verbrannt ]“ usw. | (bKet 5b).1 [ Man verg leiche ] auch jene aggadische Baraita, die in Qohelet Rabba zitiert wird : „Es lehrte Rabbi Me’ir : Der Mensch tritt in die Welt mit gesch lossenen Händen, a ls wollte er andeuten : Die ganze Welt ist mein, ich nehme sie in Besitz; scheidet er dagegen von der Welt, so sind seine Hände ausgestreckt, a ls wolle er sagen : Ich habe von der Welt nichts geerbt.“ (QohR 5,20 [ 16c]). Von dieser Art ist auch [ die folgende Aggada ] : „Wegen viererlei tritt Sonnenfinsternis ein“ (bSuk 29a) – um damit a llgemein auf die Abscheu vor scheußlichen Taten aufmerksam zu machen. [ Desgleichen : ] „Was bedeuten [ Erd]beben ? “ usw. „[ Dies meint die ] Zeit, da der Heilige, gepriesen sei er, [ seiner Kinder ] gedenkt“ (vgl. bBer 59a; yBer 9,2 [ 13c ]) – [ näm lich, dass sie unter die Völ ker verstreut sind ] – dies steht geschrieben, um Trauer und Hoff nung angesichts des Zustandes in der Verbannung zu erregen, und viele andere Aggadot gleichen diesen [ Beispielen ].

Die Übertreibung ist, wie wir erwähnten, ebenfa lls eine spezielle und verbreitete Methode der Aggada. Dies aber desha lb, weil [ d ie Übertreibung ] und ihre A nwendung von A nfang an nicht nur für den Moment gedacht waren und wei l aufgrund ihrer auch nicht Ha lakha und Unterweisung für [ folgende ] Generationen [ festgelegt werden sollten ]. Daher hütete man sich auch nicht davor, wenn es darum ging, hinsicht l ich der Werte Rechtschaffenheit und Ungehorsam oder Lohn und Bestrafung zu übertreiben, so wie man es an unterschied lichen Orten und zu verschiedenen Zeiten für notwendig hielt. Wie [ es heißt ] : „Größer ist, der von seiner A r1 K rochma l

paraphrasiert den zitierten Text.

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beit genießt, a ls der Gottesfürchtige“ (bBer 8a); „jemand, der sein Gewand im Zorne zerreißt, der Gefäße in Wut zerbricht, der sein Geld in Wut versch leudert, der sei in deinen Augen wie jemand, der Götzendienst vollzieht“ (bShab 105b); „jeder, der seine Besitztümer verschwendet, ist wie jemand, der Götzendienst leistet“ (bPes 118a); „jeder Mensch, der frechen Gemütes ist, ist wie jemand, der Götzendienst begeht“ (bSot 4b); „jeder, der seine Augen von der Wohltätigkeit abwendet, ist wie jemand, der Götzendienst begeht“ (bBB 10a); „[einen ‛am ha-areṣ ] darf man metzel n“ usw. [ „an einem Versöhnungstag, der auf einen Shabbat fä llt“ ] (bPes 49b). Und tausende weiterer solcher Übertreibungen ! Eine [ besondere ] A rt der Übertreibung [ g uzma ] ist die [ hyperbolische ] Vergrößerung von Zah len ins Unermessliche, wie sie für drei Stellen belegt ist : „[A n drei Stellen gebrauchten die Weisen hyperbol ische Redewendungen, und zwar beim Aschenhaufen, beim Weinstock und beim Vorhang, ] von dem es heißt, viele Myriaden [ Fäden habe er gehabt ]“ (bHu l 90b) – und sie liebten es, mit ihnen zu beeindrucken, a lles nur, um damit die Aufmerksamkeit der Hörerschaft ihrer Auslegungen zu wecken, wie aus über hundert Stellen in den sechs Ordnungen der Mishna ersichtlich ist. Denn fast a lle ihre Hörer entstammten der breiten Bevöl kerungsmasse oder dem ‛am ha-areṣ, waren Frauen oder erschöpfte Rückkehrer aus der gola, teilweise auch einfach müde Werktätige, die während der Woche arbeiten mussten; sie waren es, die ihre Predigt an Shabbatot und Feiertagen zu hören kamen. Bekanntlich legt eine solche Gemeinschaft nicht a llzu großen Wert auf die Genauigkeit und [ d ie historische ] Zuverlässigkeit der Wörter, woran man sich auch in einem Midrash erinnert : „[Rabbi sah einma l, dass die Versamm lung bei seinem Vortrag ] eingesch lafen war. Um sie zu ermuntern, fi ng er an : Ein Weib in Ägypten brachte einma l 600.000 [ K inder ] zur Welt“ usw. (ShirR 1,15 [ 13a ]; vgl. MekhY be-sha llaḥ 9 [ 146]).1 Demnach ist a llein mit Rücksicht auf die Gemeinde, die sich vor ihnen einfand, diese für den Gebildeten und Rechtschaffenen un1 Das

Beispiel findet sich auch bei de’ Rossi, Light of the Eyes, 289. Siehe auch die folgenden Sätze, die ebd., 290 zitiert werden.

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gewöhn lich große Zah l gegenüber den oberf läch lichen Spöttern [ a ngesichts einer solchen Übertreibung ] zu rechtfertigen. Und insofern ist a lles, was keinen Schaden verursacht, [ erlaubt ], solange es nicht von den aufmerksamen Zuhörern a ls R ichtschnur der Unterweisung genommen wird; und hieraus folgt ja die Regel, die bis heute tatsäch l ich von Lehrern der Weisen befolgt wird : „Man erstellt weder aufgrund von Ha lakhot noch von Haggadot noch von Tosafot eine Lehre, sondern (nur) aufgrund von Ta l mud“ (yPea 2,6 [ 17a ]). Man legte darüber hinaus den Vers : Gott gibt ihm aber nicht die Macht, davon zu essen (Koh 6,2) folgendermaßen aus : „Das ist der Meister der Aggada, der etwas weder verbietet noch erlauben darf“ (yHor 3,8 [ 48c ]).

Doch noch immer genügt das bis hier Gesagte nicht, um damit jede die Eigenart der Aggada betreffende A ngelegenheit zu verteidigen und zu erk lären, insbesondere wenn man bedenkt, dass unsere Weisen, seligen A ngedenkens, der offenbaren Regel und dem Vorbild widersprachen und diesbezüg lich auch konträre Meinungen vertraten. Um diese zu rechtfertigen, sagte der Rav [ Moshe ben Maimon ] (More III 14) (und ihm sch lossen sich viele voll und ganz an) : „[Du darfst aber nicht von mir fordern, dass a lles, was sie über einen Gegenstand der Astronomie gesagt haben, mit dem übereinstimme, wie dieser Gegenstand wirk lich ist, da näm lich die mathematischen ] Kenntnisse zu jener Zeit noch mangel haft waren und unsere Lehrer über diese Dinge nicht desha lb sprachen, wei l sie sie von den Propheten a ls Überlieferung empfangen hatten, sondern weil sie in diesen Dingen die Gelehrten jener Zeita lter waren oder sie sie von den Gelehrten jener Zeita lter vernommen hatten.“1 Er meint damit, dass man sie, sei es, wenn sie aufgrund von eigener Betrachtung und Überlegung zu unwahren Erkenntnissen geraten waren, sei es, wenn sie [ ihre Einsichten ] freund lich von den berühmten [ Gelehrten ] ihrer Zeit und ihrer Gegend empfangen hatten, nicht dafür beschu ldigen oder die Ehrwürdigkeit ihrer Weisheit beschädigen kann, auch wenn sich uns Nachkommen1 Mose

ben Maimon, Führer III 14, 81.

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den genau das Gegentei l der von ihnen vertretenen Auffassung a ls wahr erweist. Dennoch können und müssen wir (ja, wir sind durch die Wahrheit, dem Siegel des Heiligen, gepriesen sei er, sogar dazu verpf lichtet) von jenen [ überholten ] Meinungen abweichen, so weit entfernt oder so nah sie zu dem Verbotenen oder zu dem Erlaubten sowie zu den übrigen Rechtsfä llen stehen mögen, die uns seit dem Sinai oder seit den Besch lüssen der großen Gerichtshöfe jeder Generation bekannt geworden sind. – Davon sind vor a llem | jene Aggadot betroffen, die sich mit der Schaff ung und der 246 Form des Kosmos befassen, mit der Beschaffenheit der physischen Welt, mit der Natur ihrer Geschöpfe, mit der Chronologie der Generationenfolge und mit den Erzäh lungen über die Geschichte der Königreiche, denn erst den Späteren wurde voll kommen k lar, dass sie zur Wahrheit in einem eindeutigen Widerspruch standen. Über diese Methode dachten bereits die Weisen zur Zeit der Geonim nach, ebenso seit den Tagen des Rav [ Moshe ben Maimon ] und des Ramban, seligen A ngedenkens, bis zu dem weisen Verfasser des Me’or ʽEnayim [ de’ Rossi ]. Denn sie wollten die Verbindlichkeit des Inha ltes der Aggada bewahren, und so war es bereits hinsichtlich vieler anderer Aggadot den Bedeutenden unter den Rabbinen, wie etwa dem Rashba1, dem Rav Ba‛a l ha-‛Aqeda2, dem Mahara l 3 von Prag sowie dem Rav Ba‛a l ha-ḥiddushin4 gelungen, 1 Sh lomo

ben Avraham Adret, siehe oben, 580. Yiṣḥaq A rama, Sefer ‛Aqedat Yiṣḥaq, ḥibbur haf le u-felle ‛al ḥamisha ḥummshe tora we-‛al ḥamesh megillot, hg. v. Ḥayyim Yosef Pollaq. A Reprint of the Pressburg Edition 1849, Jerusa lem 1988. 3 A kronym für „ Morenu ha-R av L oew“, der Hohe R abbi Yehuda L oew (ca. 1525 – 1609), der die Aggada gegen ihre rationa listischen K ritiker (vor a llem aus Ita lien) zu verteidigen suchte. Siehe zu seiner unter anderem in seinem Werk Be’er ha-gola dargelegten Wertung der Aggada G. Veltri, Yehuda Löw oder der hohe Rabbi von Prag a ls Philosoph des Judentums, in : W. P. K lein/G. Hartung (Hg.), Zwischen Narretei und Weisheit. Biographische Skizzen und Konturen a lter Gelehrsamkeit, Darmstadt 1997, 192 – 218; 347 – 350, bes. 208 f. 4 Gemeint ist Shmu’el El i‛ezer ben Yehuda ha-L ewi Edel s (1555 – 1631), der unter seinem A kronym Ma Ha R’’Sha bekannt wurde und religionsgesetz liche Novellen (Ḥiddushe halakhot) zum Ta l mud verfasste, die den meisten Ta l mudAusgaben beigedruckt wurden. 2 Vg l .

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ihre K ritik und ihr Befremden [ über die Aggada ] zu versöhnen und sie auf eine A rt und Weise zu erk lären, die mit dem reinen Glauben und mit dem logischen Verstand in Eink lang stand : Möge a llen dadurch voller Lohn von unserem Herrn, dem Gott Israels, zuteil werden, weil sie das Wort des weisen Königs bewahrt haben ! Verachte nicht deine Mutter, wenn sie alt wird (Spr 23,22), was die Rabbinen mittels einer passenden Auslegung auf die folgende Weise empfah len : „Wenn die Worte deiner Tora in deinem Munde a lt werden, sollst du sie nicht gering schätzen“ (yBer 9,5 [ 14c ]), d. h., man sollte nicht undankbar gegenüber den Weisen sein, die unser Woh l suchten und die sich um die Existenz der Verstreuten und die kommende End[zeit ] sorgten. Sie waren es, die uns eine zuverlässige Tradition aus der Zeit der Königsherrschaft und aus der Zeit der guten Tage für Israel überliefert haben.

Bis hier haben wir a lles gesammelt und wiederholt sowie einiges von uns aus hinzugefügt, was a ls A ntwort und Rechtfertigung der Schwierigkeiten, die sich in der Aggada finden, vorbringen lässt. Wir wollen dabei an lässlich unserer Ausführungen nicht verhehlen, was eigent lich unsere Herzen bewegt, doch müssen wir hier [ z unächst ] einha lten und unsere Worte mit dem besch ließen, was unsere Vorfahren hinsicht lich dieser A rt Auslegung gemeint haben. Dies war a llerdings bereits aus dem Buche Ijob bekannt, denn [ Ijob ] wirft seine Worte gen Himmel, auf dass ihm der Herr aus dem Sturm antworten und ihm Recht verschaffen möge. Seine Gefährten beschu ldigt er dabei und spricht : Denn ihr habt nicht zu mir geredet so aufrichtig (mit völl ig gleichmütigem und aufrichtigem Herzen) wie mein Knecht Ijob (Ijob 42,7). Und in der Gemara [ heißt es ] (bYom 69b) : „Da sie vom Hei l igen, gepriesen sei er, wussten, dass er wahrhaftig ist, so wollten sie ihm gegenüber nichts Unwahres sagen.“ Und im Yerusha l mi (yBer 7,3 [ 11c ]) lautet die Fassung : „Die Propheten wussten, dass ihr Gott ein wahrhaftiger Gott ist, und hatten es nicht nötig, ihm zu schmeichel n“. Wie sie Gott Ehre zutei l werden ließen, so lag ihnen die Liebe zur Wahrheit am Herzen, und sie hassten die Heuch ler vor dem, der die Herzen prüft, wie es heißt : [ Er selbst wäre mir zum Beistande; ]

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denn vor sein Antlitz dürfe kein Heuchler kommen (Ijob 13,16) – zur Ehre des Menschen, sei es, wer es sei, umso mehr ! Daher lasst uns an Gott, unserer Stärke, festha lten, danken und sagen, dass es in a llen Worten und in der zuvor entfa lteten Wahrheit sowie in a llen Reden und Kommentaren, auf die wir hingewiesen haben, nicht genug [ Möglichkeiten ] gibt, um a ll die Aggadot zu rechtfertigen, die sich in unserem Ta l mud und in einigen unserer Midrashim fi nden. Dies gilt aber in zweierlei Hinsicht : Einerseits könnte man sagen, dass es, wenn man a lle [ Aggadot ] rechtfertigen möchte, zu einer Herabsetzung kommen könnte – [ es kann das Problem aufkommen, ] wie man das bedeutende Gegenteil, welches sich im Recht unserer Rabbinen selbst findet, an die Aggada anpasst. Wie aus den sich widersprechenden Dikta, die wir zu Beginn der Pforte notierten, ersicht lich ist. Und dergleichen mehr : „Rabbi Ze‛ira tadelte diejenigen, die sich mit der Aggada beschäftigen; er nannte sie Zauberbücher“ (yMaas 3,4 [ 51a ]). „Rabbi Ḥiyya sah ein Aggada-Buch, [ u nd ] er sprach : ‚Wenn das, was geschrieben steht, [ g ut wäre ] …ʽ“ (yShab 16,1 [ 15c ]). Und ähn liche Dikta wie diese folgen noch im Weiteren. Doch letzteres [ Diktum ] bereitet einige Schwierigkeiten, was darauf hinweist, dass einige Aggadot keinen Ba lsam und keine Medizin für unsere Wunden entha lten. Doch was machen wir eigentlich mit unseren Geschwistern bezüglich einer Aggada an dem Tag, an dem sie ausgesprochen wird, die aber unsere Gemeinde verunreinigen und aus nicht-jüdischer Weisheit stammen könnte ?1 Wegen a ll jener zah l reichen Aggadot, die Aberglauben, befremd liche Zaubersprüche, Dämonenerzäh lungen und Geschichten entha lten, die jegliche K larheit eines geläuterten Glaubens verdunkel n, und wegen jener [ Aggadot ], die Tadel nswertes von Propheten und gerechten Königen berichten, und wegen jener [ Aggadot ], die verwerf liche Dinge und Schimpfwörter ergänzen, wegen jener [ Aggadot ], die noch nicht einma l aus Rücksicht auf die Ehre ihrer Tradenten davor zurückschrecken, ihre Rede zunichte zu machen, 1 Vg l.

zum Folgenden die Teilübersetzung von Grözinger, Jüdisches Denken III, 475.

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möge sich der Leser und Hörer vor ihnen in Acht nehmen ! Von a llen findet sich jedoch in den sechs Ordnungen [ der Mishna und des Ta l mud ] eine nicht geringe A nzah l. Aber was machen wir nun mit jenen Aggadot, die sich im Midrash fi nden und die die A nsicht unserer Gegner stützen können, mit denen sie uns bedrängen und die in den Auseinandersetzungen mit uns gesagt wurden ? (Wie die ausführliche Aggada über das qumi ori [  Jes 60,1 ] in der Pesiqta und in Ya lquṭ Jesaja1, oder die Erzäh lung von dem Ṭayya[-A raber ] und der Frau in Ekha Rabba2 und viele ähn liche [ Geschichten ] mehr, deren Spannung [ z ur rabbinischen Lehre ] der Weise [ Yiṣḥaq ] Abravanel ] in einem speziell diesem Thema gewidmeten Buch zu 247 l indern versuchte. 3) | A llerdings war R av Nissim Ga’on, sel igen A ngedenkens, der erste, der darauf hingewiesen hat, und so schrieb er über die Nekromantie im Traktat Berakhot : „Über dieses und a lles, was ihr [ sc. der Nekromantie ] gleicht, sprachen die Rabbanan : Man stütze sich nicht auf Worte der Aggada !“4 Der große Gelehrte, der Ravad [ Rabbi Avraham ben Dawid ], hat ebenfa lls ausdrück lich davon gesprochen, dass es Aggadot gibt, die den Intellekt schädigen (Hassaga, Kapitel 3, Ha lakha 7, Hil khot teshuva). 5 Sogar der Rav [ Moshe ben Maimon ] weist an einigen Stellen seines Buches und in einigen Briefen darauf hin, dass er manche Aggadot nicht hinreichend erk lären könne. Hier sei nur eine angeführt, und zwar in seinem Kommentar des kostbaren Ausspruches : „Einst trat jemand vor Rabbi Ḥanina [ u nd betete : Gott der Große, der Mächtige, der Furchtbare, der Starke, der Feste und der Mutige ]“ (bMeg 25a) – [ wahrlich, selbst die drei ersten Wör1 Vg l.

PesR 36 (161a–162b); Ya lq Jes 60 § 499 (404c–d). 2 Vg l. E kh R 1,16 (18c; Edition Buber 45a–b). 3 Vg l. Yiṣḥaq Abravanel, Yeshu‛ot meshiḥo, K arl sruhe 1828. – Zu dieser Erwähnung Abravanels und seiner Bedeutung für K rochma ls Entwick lung des Gedankens des Ruḥani ha-muḥ laṭ vgl. Rawidowicz, Iyyunim II, 283f. 4 R abbenu Nissim Ga’on wird von Ya‛aqov ibn Ḥ abib (ha- Kotev) in ʽEn Ya‛aqov zu bBer 59a zitiert. Vgl. dazu de’ Rossi, Light of the Eyes, 290. 5 Vg l. den Kommentar R avad in : Mishne Tora hu yad ha-ḥazaqa le-ha-nesher ha-gadol Rabbenu Moshe ben Maimon, Wil na 1900, I 55a.

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ter : Großer, A ll mächtiger, Ehrfurchtgebietender, ] dürften nicht gesprochen werden, wenn sie nicht Mose in der Tora gesprochen hätte (vgl. Dtn 10,17).1 Der voll kommene und auf Gott und sein Vol k vertrauende Rabbi Yehuda ha-Lewi sagte in seinem Buch (Kusari, Ende des dritten Buches) : „Ich will dir ja, oh Chasarenkönig, nicht leugnen, dass es im Ta l mud Dinge gibt, über die ich dir keine genügende Auskunft geben kann – nicht einma l ihre Zugehörigkeit zum Ganzen.“2 Auch der werte Rav, der Ramban, seligen A ngedenkens, erinnert in seinem Buch (Sefer Mil ḥamot Ḥova 3a [ K itve ha-Ramban I, hg. v. Chavel, 308 ] ebenso im Me’or ʽEnayim, K apitel 153) in dem Streitgespräch vor dem König Kastiliens daran, dass sein Widersacher ihm mit Hilfe der oben erwähnten Aggadot widersprechen konnte, da sie so aussahen, a ls ob sie für die Ernte auf einem anderen Feld geschaffen worden seien – darauf antwortet ihm der Rav, dass auch er ihnen keinen Glauben schenke. Und a ls der Widersacher polemisierend darauf verweist : Ha lten sie eure Rabbinen etwa nicht für glaubwürdig, und verbleiben sie nicht [ gerade ] ihretwegen im Bund [ Gottes ] ?, da antwortet er, dass dies nicht der Wahrheit entspräche, und wenn dem so wäre, dann wären diese keine guten Juden.4 In seinem Buch wird dies folgendermaßen ausgedrückt : „ Es möge sich an unserem Glauben [ entscheiden ] (näm lich hinsichtlich jener aggadischen Erzäh lung, nicht an ihren Worten, deren 1 Vg l.

Mose ben Maimon, Führer I 59, 206. Jehuda Ha-Lewi, Das Buch A l- Chazari, 181; Kusari, III 73, hg. v. Cassel, 318 f. Das Zitat findet sich auch in de’ Rossi, Light of the Eyes, 290. 3 Vg l. de’ Rossi, L ight of the Eyes, 289 mit A nm. 108. 4 In der Disputation von Barcelona 1263 war Moshe ben Naḥman einer der Hauptdisputanten. A ls A ntwort auf Fragen in Bezug auf Ekh R 1,16 (45b), wo angedeutet ist, der Messias sei an dem Tag geboren worden, an dem der Tempel zerstört wurde, soll Naḥman gesagt haben : „Wer immer es g laubt, gut, aber es schadet nichts, wenn man es nicht g laubt.“ Das heißt, er bi lligte den Aggadot scheinbar keine Autorität zu. Siehe Moshe ben Naḥman, Wikuaḥ ha-Ramban (Mil ḥamot ha-shem), in : ders., Kitve Rabbenu Moshe ben Naḥman I, hg. v. H. Chavel, Jerusa lem 1963, 308; H.- G. von Mutius, Die christlich-jüdische Zwangsdisputation zu Barcelona nach dem hebräischen Protokoll des Moses Nachmanides, Frankfurt am Main, Bern 1982, 70 – 74. 2 Vg l.

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Bedeutung für den Himmel [ offenbar ] ist), nicht an einem neuen Wort. Dies aber ist tatsäch lich eine wirk lich ewig wahre A ntwort ! Für diese fünf Hauptzeugen war die Aggada insofern manchma l wie ein Stachel, der in ihre Augen stach, manchma l wie ein Stein, der gegen ihre Füße stieß. Trotzdem bleibt schwierig zu begründen, warum die fremden Aggadot in den Ta l mud und in die Midrashim gelangten. Doch darüber schwiegen jene Großen, und sie legten nicht offen, was sie darüber dachten (mit Ausnahme vielleicht des Verfassers des Kusari [ Yehuda ha-Lewi ], der bereits bei läufig darauf hingewiesen hat, was noch folgen wird). Ich vernehme aber schon die Frage des gläubigen Lesers : Wenn schon jene Großen darüber schwiegen, es verdeckten und dabei hoff ten, für das Auslassen [ d ieser Aggadot ] mehr Lohn zu erha lten a ls für ihre Erk lärung, warum wi llst du dann, Autor, der du gläubig auf den Namen [ Gottes ] vertraust und an seiner Tora Gefa llen findest, diese problematische Erk lärung übernehmen ? Darauf wollen wir antworten : Habt ihr noch nicht gehört, und habt ihr nicht zur Kenntnis genommen, wie und in welchem Maße sich seither die Zeiten und Orte, die K limata und Naturwissenschaften gewandelt haben ? Dass sie von dama ls bis heute einen sehr großen Wandel durch l iefen, wie dies mitt lerwei le durch die Erfindung des Buchdruckes zu zigtausenden verbreitet worden ist und wie derlei Erkenntnisse aufgrund vieler unterschiedl icher Techniken in a lle Ländern verbreitet wurden ? Hat nicht auch die Zah l der Spezia listen zugenommen, und haben sich unter den Völ kern nicht die Zeitungen in leicht verständ licher Sprache vermehrt, durch die sich selbst die ‛ame ha-areṣ zuverlässig über die Entstehung der Welt, die Beschaffenheit der Erde und ihrer Teile, ihrer natürlichen Entwick lung und über ihren Wandel, über die Geschichte der Entstehung der Geschöpfe sowie die Urgeschichte in der gebotenen Kürze informieren können ? Doch wie sehr stiegen andererseits die Bedürfnisse und A nsprüche, sodass der Wunsch zunahm1, die K rone der Tora zu erlangen ? Ebenso 1 L ies

‫ וגבר‬statt ‫ וגדר‬.

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nahmen auch die Hochmütigen zu, die sich selbst rühmten, zur Wahrheit gelangt zu sein, ohne selbst auch nur ein wenig nach ihr geforscht zu haben ?1 Doch bereits in jenen erwähnten Vorzeiten, a ls man noch keine Bücher, kostbare oder bi llige gleichermaßen, besitzen konnte und sogar die Gelehrten aus den Völ kern noch keine jüdischen Bücher studiert hatten, a ls die meisten ihrer Zeitgenossen friedfertig waren, auch dama ls wurde man schon gezwungen und dazu gedrängt, zu sagen, was man sagen musste : wie gegen irgendwelche Verehrer des Rea lismus – so der Ravad [ Rabbi Avraham ben Dawid ];2 gegen irgendwelche Häretiker unter einigen angehenden Medizinern – so der Rav [ Moshe ben Maimon ];3 gegen irgendwelche Konvertiten, die Aggadot ins Feld führten – so der Ramban.4 – Was können nun aber Verehrer des Verstandes und Tora- Observante tun, wenn sie auf einen so engen Pfad gezwungen werden, von dem man weder nach rechts noch nach links abweichen kann ? Auf der einen Seite stehen die obskuren Vielwisser, die das Niveau und den Maßstab verringern und die heutzutage unter den unbedeutenden Studierenden der Tora zunehmen. Sie nehmen den aggadischen Sinn für den wört lichen, die poetische Eink leidung, die eigent lich dafür gedacht war, der breiten Masse den Wesenskern einer Sache einzuprägen, für rea l; die Übertreibung a ls R ichtschnur und Maßstab, die den besonderen Zeitumständen geschu ldeten Einzel meinungen für ewig gü ltige Wahrheit. Sogar über jene fremden Aggadot, auf die wir zu letzt hingewiesen haben, sagten sie, dass sie auf gött liches Geheimnis und diejenigen, die ihn fürchten, zurückgehen. Manchma l leiten sie aus ihnen | 248 Entscheidungen ab, die eigent lich dem übelsten Götzendienst nahestehen, wobei sie auf a ll das auch noch ein Gebäude von Irrsa len aufbauten, welches sie dann sogar a ls den Glauben Israels bezeich1 Vg l.

Harris, Nachman K rochma l, 288f. (in freier Wiedergabe). bei seiner K ritik an der rea listischen Auslegung der Aggada beim R ambam. Vgl. dazu etwa I. Twersky, R abad of Posquières, Havard Semitic Series 18, Cambridge Mass. 1962, 268 f. 3 Wie Ga lenus in den P irqe Moshe, hg. v. Munter, 321 ff. Vg l. oben Pforte 5. 4 Wie bei der Zwangsdisputation in Barcelona 1263, die der R amban mit dem Konvertiten Frai Pau l führte; vgl. von Mutius, Zwangsdisputation, 8. 2 Wie

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neten. Jeden aber, der dies leugnete, versahen sie mit der Bezeichnung kofer [ Ketzer/Abtrünniger ], eine A rt epikoros1. Doch um des Friedens willen wollen wir dies hier nicht vertiefen. [ Nur das eine ] Beispiel [ w urde hier vorgestellt ], um den großen Schaden zu verdeutlichen, der aus solchen [ Entwick lungen ] für den geläuterten Glauben und die erhabene Mora l entstehen konnte. A u f der a nderen S eite steht die Mehrheit der Vertreter der zah l reichen unterschied l ichen [ profanen ] Wissenschaften, die unterschied liche Auffassungen hatten und die noch nicht ausreichend in die Lehren des Glaubens eingeführt worden waren, die aber auch auf dem nun gegenüber den A nfangszeiten sehr viel weiteren Feld der Wissenschaft weideten. Unter ihnen waren sehr viele, die sich in der Welt herumtrieben, um Reichtum und Besitz zu machen, und auch viele andere, die zu den des Lesens Kundigen unter den europäischen Völ kern gehören, unter denen wir leben. Sie a lle aber spotten und machen einen Spaß aus jenen fremden Aggadot und daher auch aus der gesamten Gemara, sodass sie sogar die Ehre der Rabbinen, seligen A ngedenkens, beleidigen und ihre Verehrer verächt lich machen.2 Die Leute dieser beiden Sekten obsiegen a lso mit Hilfe dieser Aggadot über uns, denn sie sind über sie mitt lerweile durch die gedruckten Midrashim informiert, insbesondere auch durch die Gemara, die zu zigtausenden gedruckt und vervielfä ltigt worden ist, auch durch das Buch ‛Eyn Ya‛aqov (für dessen Existenz wir zum einen dankbar sein müssen, welches jedoch auch viele umtrieb und den Verstand und die Betrachtungsweise schärfte, [ auf dass ] die Erde der Erkenntnis des Ewigen voll werde [  Jes 11,9]). Beide bedrängen aber auf g leiche Weise, jedoch aus unterschied lichen Richtungen den gläubigen Exegeten, der die Sünde fürchtet und die Weisen ehrt, auf dass er von beiden [ Extremen ] g leich weit entfernt bleiben möge. Doch dabei gibt es für ihn keine wirk lich gute [ Lösung ], sei es, dass er sie beleidigt, um nicht selbst mutlos zu werden, auf die er jedoch wegen ihrer 1 Zu

„epikoros“ vg l. oben K rochma l, Writings, 19 (Pforte 5).

2 Bis hier vg l. Harris, Nachman K rochma l, 289. A nders a l s Mose ben Mai-

mon wendet sich K rochma l hier nicht gegen Karäer, sondern gegen wissenschaftlich Interessierte.

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Menge gar nicht a lle antworten kann, sei es, dass er öffentlich appellierte : Zeit zu handeln ist’s für den Ewigen, sie haben deine Lehre gebrochen (Ps 119,126). [ In jedem Fa ll ] ist er es, keiner außer ihm : der wahre Gläubige – er ist es, der sich auf seine derasha verlässt und sich auf sie stützt; der darauf baut, sie sei reinen Herzens und aus Furcht vor dem Herrn entstanden, damit die Ehre Gottes vermehrt und die Ehre der Weisen aufgerichtet werde, damit [ sie ] a ls fester Grund erhoben und gestärkt werde. A lles, was aus dieser Untersuchung und Forschung ersicht l ich wird, können wir nur a ls Vermutung unterbreiten, ohne auf zah lreiche weitere Belege eingehen zu können, wei l dies nach A n lage dieses Schreibens unmög lich wäre. Doch dem Ta l mud zufolge erstanden unter uns Prüfer unserer Geschichte und Generationenfolgen, die unsere Bücher und ihre Geschichten ana lysierten, und viele von ihnen waren weise Männer, die ihre A rbeit im Glauben und mit gutem Grund verrichteten (gebe der Herr seinen Segen in Ewigkeit) – ihnen können wir die Ausweitung dieses Gegenstandes und die Durchführung der Verstärkung oder Verbesserung unserer Lehren zuschreiben, sodass am Ende auch das letzte unserer Worte, auch wenn wir es bereits a ls Wahrheit betrachteten, nicht a llein aus einer Vermutung entspringen muss. 1. Der Beginn der Entstehung der Aggada lag in der Auslegung der Bibel [ Midrash Miqra’ot ] zum Zwecke der mora lisch-sittlichen sowie theologischen Unterweisung. Diese Auslegung nahm ein Weiser an den Shabbatot und Feiertagen in der Öffentlichkeit vor (nachdem er Ha lakha bezüglich des betreffenden Tages gelehrt hatte), sei es bezüg lich der Lesung aus der Tora oder der Propheten-Haftara des betreffenden Shabbat- oder Feiertages, wie sie sagten : „Der Shabbat welchen [ Auslegers ] war es ? “ usw. (bBer 28a). [ Mit anderen Worten : ] Wem oblag die Haggada des Tages ? Und demnach geschah dies a lles vor der gemeinen Masse, vor Frauen und ‛ame ha-areṣ. Manchma l bemühte man sich sogar (insbesondere in späteren Zeiten), die Ha lakha an die Aggada anzugleichen, wie aus dem Yelamdenu[-Midrash ] und dem Midrash Bemidbar und Devarim [ Rabba ] ersichtlich ist. Auch in

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der Gemara (bShab) wird eine ganze derasha über die A rt und Weise [ des Aggada-Vortrages ] überliefert. Doch stammt sie aus sehr viel späterer Zeit [ ; und dort heißt es ] : „ Folgende Frage wurde vor Rabbi Tanḥum gestellt“ usw. (bShab 30a). Und während sich der Fragende setzte, legte der Weise [ vor ihm ] aus und beendete [ mit ] : „Bezüglich der A ngelegenheit, die wir vor euch gefragt haben“ (bShab 30b) (schön wurde dies von Rashi,1 seligen A ngedenkens, hinsicht lich Demut und Sitte im Sinne von ‚nicht aber fragtet ihr vor mirʽ erk lärt) : „Die Tora wird Leuchte genannt, die Seele des Menschen wird Leuchte genannt, es sei besser, dass sie brennen“ usw. Doch Rashi legte dies so aus : „Man soll daraus nicht etwa lernen, dass man den Shabbat entweihen dürfe. Denn das Gebot der Lebensrettung [ piqquaḥ nefesh ] leiten wir aus dem Vers we-ḥay ba-hem [ damit man durch (die Gebote) lebe ] (vgl. Lev 18,5) und aus dem we-lo yamut ba-hem [ damit man durch sie nicht umkomme ] ab. 2 Doch das hier Gesagte dient nur dem Zweck, es mit der die Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Aggada zu einem Ausgleich zu bringen, denn es pf legten auch Frauen und K inder zu kommen, um die derasha zu hören. Die Prediger mussten sich daher bemühen, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.

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Der Beginn dieser Entwick lung wurde in sehr früher Zeit durch die anshe knesset ha-gedola eingeleitet, wie es heißt : Und sie lasen in dem Buche der Tora des Herrn, deutlich mit Angabe des Sinnes, sodass sie das Gelesene verstanden (Neh 8,8). Dies wurde unter anderer Bezeichnung, insbesondere im Lande Israel, bis in das Jahr 500 des | fünften Jahrtausends fortgesetzt.* – Jene Haggadot [ Erzäh* Der

‛am ha-areṣ, die Frauen und manchma l auch ihre K inder, gelangte aus den dörf lichen Niederlassungen und den offenen Städten (qaryata deereṣ Yisra’el) zu jenem nahe gelegenen Versamm lungsort, zu dem dann ein Weiser kam, um dort z. B. über den ‛eruv teḥumim zu predigen. – Der Prediger bereitete hierfür ausgefei lte Proömien vor, mit denen er ihnen aus1 Vg l. 2 Vg l.

den Rashi-Kommentar zu bShab 30b s. v. muṭav she-tekhabe nero. etwa Sifra A ḥare Pq. 13,14 (86b).

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lungen ], die aus Auslegungen entstanden waren (von denen einige noch aus der Erinnerung der Weisen stammten), wurden nicht mit einem bestimmten Wortlaut und in einer bestimmten A nordnung festgeschrieben. Sie wurden auch nicht münd lich von den Schülern überliefert, wie es bei den Ha lakhot üblich gewesen war. Erst in späterer Zeit, a ls sich die „Rabbanan de-Aggadata“ (vgl. yMaas 1,2 [ 48d ]) stritten und zusammenkamen (so einige Ma le im Yerusha l mi), traten auch Redaktoren der Aggadot [ mesadre aggadot ] auf. Da es jedoch keine a llgemein gü ltige Samm lung wie für die Gemara gab, gelangte man tatsäch lich bis in die Zeit der Niederschrift der Midrashim zu keiner feststehenden Ordnung. Sie erfolgte erst in viel späterer Zeit, wie noch im Folgenden erörtert werden wird. Sogar danach fi ndet sich noch das folgende Diktum : „Dies (diese Samm lung) ‚nährtʽ zu Beginn jene parasha XY.“ Daraus folgten jedoch auch die zah llosen Doppelungen in den Midrashim – fast so viele wie im Ta l mud Yerusha l mi. – Darüber wird in der Gemara a llerdings nur das A llernötigste mitgetei lt, näm lich, dass man [ d ie Midrashim ] in einer Versamm lung festlegte und sie geschmückt Erlaubtes erk lärte. Fa lls er aus einem anderen Ort kam (insbesondere von der Yeshiva), sch loss er mit einem schmeichel haften Midrash, um auf diese Weise die Gaststätte zu ehren. Nach der derasha beteten der Weise und seine Schü ler die Doxologie „u-va le-ṣiyyon“, welche Tora-Verse, Dank und Bitte bezüglich des Studiums enthä lt. Diese Verse der Heiligung übersetzten sie für die breite Masse der Hörer in ihre Sprache [ in das A ramäische ] (wobei sie den Vers aus den Hagiographen ausließen und stattdessen einen Vers aus der Tora rezitierten, denn sie besaßen [ z u dieser Zeit ] noch keinen traditionellen und geordneten Targum der Ketuvim, der es wert gewesen wäre, in der Öffentlichkeit rezitiert zu werden), und dies nannte man qedusha de-sidra. Doch von den Leuten der breiten Masse | [ 250 ] wurde Qaddish de-Rabbanan in ihrer Sprache gesprochen. Darüber heißt es (bSot 49a) : „Worauf ruht die Welt ? Auf der qedusha de-sidra und dem A men, yehe sheme rabba de-aggadata.“ Daher blieb bis heute der Brauch bestehen, dass ein Prediger mit dem Vers „u-va le-ṣiyyon“ sch ließt und einer der Zuhörer Qaddish spricht. Dies wird hier aber nur gesprochen, um dem Weisen zu danken und ihn für seine Predigt zu loben, auf dass zu seinen Lebzeiten und zu seinen Tagen der Name gehei ligt werde und die Erlösung kommen möge. Doch scheint man in jener Zeit diese Verse nicht täg lich rezitiert zu haben, nur die Schü ler nach dem Studium.

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mit Zeichen untertei lte. Doch kehren wir zu unserem eigent lichen A n liegen zurück, näm lich zu der Regel, dass die angedeuteten Aggadot nicht fi xiert und nicht gelehrt wurden.

Nach dem Gesagten kann man Folgendes nicht zur Aggada zäh len : 1. Die theoretischen und ethischen Mishnayot, wie z. B. die Mishna Avot, die auf einer Ethik gründet, die Lehrer und Schü ler betriff t. Sie wurde von Rabbenu ha- Qadosh in unsere Mishna eingeführt, um sie an den Yeshivot zu lehren. [ Ebenso ] Avot deRabbi Natan, die Baraita de- Qinyan Tora, die [ mit den Worten ] beginnt : „Rabbi Me’ir sagt : Jeder, der sich mit der Tora um ihrer selbst willen beschäftigt“ usw. (Pereq Qinyan Tora 1), die Baraita de-Megillat Ta‛anit, Seder ‛Olam Rabba und noch weitere wertvolle Baraitot, die uns aufgrund unserer Sünden verloren gegangen sind. Einige Abschnitte aus ihnen werden jedoch noch im Ta lmud und in den Midrashim zitiert; bei a llen handelt es sich jedoch um Mishnayot, auch bei jenen, die nicht aufgeschrieben wurden. Sie wurden in einer Fassung festgelegt und dann durch Weise und ihre Schü ler gelehrt. Wenn sie aber doch einma l a ls „Aggada“ bezeichnet werden, so nur aufgrund von Metaphern oder mittels synonymer Verwendung von Begriffen. 2. Es ist eigentlich gar nicht erforderlich zu erwähnen, dass man auch die Aggada über ma‛ase bereshit und ma‛ase merkava sowie die „Geheimnisse der (Be)deutung der Tora“ [ sitre ta‛ame Tora ] nicht zur Aggada zäh len kann. Denn auch unter ihnen befi nden sich festformu lierte Mishnayot, die nur im Munde der Großen unter den Weisen und ihrer bedeutenden Schü ler gelehrt wurden. Von ihnen sind uns die sehr kurzen Hil khot Yeṣira erha lten, auch vereinzelte Mishnayot, die in die Gemara und in die Midrashim aufgenommen wurden, von denen einige aber auch a ls verloren gelten müssen (wer weiß, wie viele tatsäch lich ?) : Die Baraita de-Ma‛ase merkava, Baraita de-Ma‛ase bereshit, die vom Anfang handelt (wie aus der Gemara des Yerusha lmi ersichtlich) : „Zu Beginn war die Welt Wasser aus Wasser“; die Baraita Sod ha-‛Ibbur [ vom Geheimnis der Interka lation ]. Manchma l sind einige von jenen Ha lakhot in kurzer Form erha lten. Es

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ist zwar richtig, dass die Gemara für sie, d. h. ihre Kommentare und ihre Ausprägungen, nie festgelegt wurde, aber jeder Weise konnte sie verstehen und interpretieren, sodass er über sie aus reinem Mund in das Ohr eines Einzelnen oder zweier seiner Erk lärungen unter speziellen Bedingungen sprechen konnte. Nur darauf bezieht sich im Ta lmud der diesbezügliche Ausspruch : „ma‛ase bereshit darf man bis und ich sah (Ez 1,27) lehren“ (bHag 13a). Offensichtlich bezieht sich dies a lles nicht auf eine Aggada, die erst vor Vielen gepredigt und danach in einem Buch aufgeschrieben wurde, denn offensichtlich bestand diesbezüg lich bereits die Verpf lichtung, [ diese Lehren ] zu verbergen. Denn sie lehrten auch : „Man trage nicht vor [ vor einem,]“ usw. es sei denn, dass er ein Weiser ist, der es aus eigener Erkenntnis versteht, dem die „ Anfänge der Entwick lung“ [ rashe peraqim ] überliefert sind, das meint die kurzen Halakhot, die wir erwähnten und deren Gesta lt wir beschrieben haben. Diejenigen aber, die von ihnen übrig geblieben sind, sind die, über die man [ auch münd lich ] sprach, und über sie werden wir an geeignetem Orte in einer der Pforten dieser Schrift noch gesondert handeln, denn gegen Ende dieser Zeiten, d. h. in der Zeit, in der wir leben, ist für uns das Gebot des Geheimha ltens [ dieser Lehren ] aufgehoben. | 250 3. Bezüglich der Aggada finden sich in den Büchern vier Stufen : Auf der ersten Stufe : Die Mishna und die Tosefta zu ihr; die Mekhilta, Sifra, Sifre, Avot de-Rabbi Natan sowie die übrigen kurzen, verstreuten Baraitot, da jeder Midrash und jede Aggada, die in ihnen vorkommt, wie reinstes Feinmeh l ist. Die meisten von ihnen sind aus öffentlichen Predigten entstanden, und zwar besonders zur Zeit der Tannaiten. Eine Stufe unter ihnen : Ein Tei l der Aggadot im Ta l mud Yerusha l mi und [ in ] a ll den zah l reichen Midrashim, die der Aggada des Landes Israel entstammen (wie es dem Verständigen sofort offensichtlich ist und was auch schon Rashi in seinem Kommentar zu dem Abschnitt Wa-yigash [ Gen 44,18 – 47,27]1 1 Vg l.

Torat ḥayyim, Sefer Bereshit, hg. v. Katzenellenbogen, 235, wo „Midrash Aggada“ erwähnt werden.

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erläutert hat), und auch die Midrashe Shoḥer Ṭov [ Psa l men ]. In ihnen fi nden sich nur sehr wenige der fremdartigen Aggadot, und die meisten von ihnen erscheinen dem Leser a ls gut und angenehm, geschmackvoll gesta ltet und in Kenntnis der Prolegomena, die wir zu Beginn unserer Ausführungen vortrugen [ , verfasst ]. Die dritte Stufe : Die späten Midrashim, Pesiqta de-Rav Kahana, Tanḥuma, Tanna de-ve Eliyahu und ähn liche mehr. Die vierte Stufe : Die „f remde Aggada“1 wegen der überhaupt die ganze Sorge notwendig ist; sie fi ndet sich etwa in unserer babylonischen Gemara, die außer zah lreichen guten und teuren Aggadot, über die sich der gebi ldete Gläubige aus vollem Herzen freuen kann und die er seinem Haupte a ls K rone aufsetzen kann, in einer nicht geringen Menge auch fremde Aggadot enthä lt, die das Herz wegen ihrer Fremdheit zutiefst erschrecken. 4. Es ist sicherlich k lar, dass noch viele hundert Jahre, bevor die Ha lakhot und die Gemara zu ihnen niedergeschrieben wurden, die Aggada vermischt mit mesha lim [ Gleichnissen ] und passenden Büchern, die die Aufmerksamkeit für die Ethik einiger spezieller Weisen wecken sollten (schon war der a lte Name Haggada in die aramäische Form Aggada übertragen worden oder auch in die tatsäch liche aramäische Form : Aggadata), überliefert wurden. Daher entstand auch die Bezeichnung „Sifre deAggadata“, die sich in den verschiedenen Ta lmudim häufig findet. Man sagte dazu (bShevu 46b) : „Rabba ließ einst von Weisen [ eine K leiderschere und 2 ] ein Aggada-Buch wegnehmen, wei l es Dinge sind, die man zu verleihen und zu vermieten pf legt.“ Auch sagten sie : „Wenn wir Rabbi Yoḥanan folgten, und er in den Abort gehen wollte, so gab er es, wenn er ein Aggada-Buch hielt, uns, wenn aber die Tefillin, so gab er sie uns nicht“ (bBer 23a). Des Weiteren : „Rabbi Yoḥanan und Resh Laqish lasen am Shab1 Aggadot

zarot; mit dem Adjektiv zar, „fremd“, kann auch „Götzendienst“, ‛avoda zara, konnotiert werden. Man könnte daher „aggadot zarot“ hier und im Folgenden auch mit „götzendienerische Aggadot“ wiedergeben. 2 Das Eingek l ammerte ist von K rochma l verkürzt worden.

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bat Aggada-Bücher, obgleich solche nicht geschrieben werden dürfen ? … Sondern, wei l wir sagen : Zeit zu handeln ist’s für den Ewigen, sie haben deine Lehre gebrochen“ (Ps 119,126) (bGit 60a). Doch in den im Yerusha l mi notierten Aussprüchen, die wir oben aus jenen Büchern zitiert haben, hielten sie die übrigen Dinge fest, die zum Zwecke der Erinnerung notwendig sind, wie es heißt : „Geh und schreibe Kynegos und Ba llistar und ihre Erk lärung in dein Aggada[-Buch ]“ (bHu l 60b); d. h., es gab einen Teil in [  jenem Buch ], der eine Fremdwörterliste enthielt. Manchma l schrieb man auch irgendeine Ha lakha hinein : „Rabbi Ya‛aqov bar A ha fand geschrieben in einem Aggada[-Buch ] aus der Schu le Ravs : Ein Noachide ist hinzurichten durch ei nen R ichter, durch ei nen Zeugen“ (bSan 57b). Und diese fi ndet sich auch in Bereshit Rabba in einem Midrash über das Blutvergießen bei einem Menschen. Es scheint außerdem, dass einzelne [ Exemplare ] jener Bücher Berakhot-Formu lare und Trost[gebete/-worte ] für Trauernde enthielten, und in diese waren auch derashot und Erzäh lungen eingewoben. Man begann sie in den Tagen des Rabbi Yishmaʽel niederzuschreiben, wie es heißt (bShab 115b), dass, a ls man befürchtete, [ dass ] ein Bündel Berakhot [ verbrenne ], es ein Schreiber | in Ṣaidan in ein Becken mit Wasser steckte. Diese 251 besondere Vorsorge ist unserer Meinung nach nur zu erk lären, wenn in dem Bündel Aggada aufgeschrieben war, nicht nur aus der fernerliegenden A nnahme, dass man [ das Bündel ] an einem Shabbat vor dem Verbrennen retten wollte. Dazu findet sich im Yerusha lmi der treff liche Ausspruch des Rabbi Yoḥanan ben Lewi, in dem es heißt : „Diese aufgeschriebene Aggada“ usw. (yShab 16,1 [ 15c]). Sei dem, wie dem sei, wir sehen, dass man schon in der Zeit des Rabbi Yoḥanan einigen Weisen erlaubte, statt Ha lakha oder Gemara, vor deren Niederschrift man noch viel länger warnte, worauf wir noch im Weiteren eingehen werden, zumindest Aggada-Bücher aufzuschreiben. Der Grund dafür ist vielleicht, dass es weder richtig verboten noch erlaubt war und [ d ie Aggadot ] nur für einen konkreten A n lass entwickelt wurden, a llein um aufzuwecken. Zudem waren sogar diejenigen, die auf der niedrigsten Stufe der Tora-Kenntnis standen,

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in ihr bewandert (und im Yerusha lmi heißen sie baʽa l ha-aggada [ Schöpfer der Aggada ]1) und konnten mittels ihrer für sich [ d ie Ha lakha ] erleichtern. 5. Weil wir i n u nserem Ta l mud sehen, dass die Aggadot, die sich mit Dämonen und Hexen, mit sonderbaren Zaubersprüchen und fremdartigen Geschichten beschäftigen, nicht etwa in der Sprache der Mishna oder in der Sprache der A moräer, die die Sprache der münd lichen Tradition und der Diskussion der Gemara war, aufgeschrieben sind, sondern in reinstem A ramäisch, vermischt mit Persisch, welches in jenen Tagen die Sprache der Vol ksmasse war (so erscheint es ganz k lar aus den zah lreichen Gleichnissen, die sich dort in der Gemara fi nden, d. h. aus dem, „was die Leute sprachen“, und dies wird auch aus der Gemara deutlich [ bQid 71a-b ], dass jene Sprache in der Gemara nicht die der breiten Bevöl kerung war). – Aus dem Gesagten, aber auch aus der Sache selbst lässt sich ableiten, dass nicht nur einige Weise, sondern auch einfache Leute aus der Masse [ des Vol kes ] k leine Aggada-Samm lungen an legten, und nur in diesen Samm lungen wurden auch jene aufgenommen, auf die wir [ oben ] hingewiesen hatten. So finden sich in ihnen auch Bücher zur Traumdeutung, und sie waren unter ihnen so verbreitet, dass sich das Diktum findet : „Um zu belegen, was gesagt wurde : A lle Träume richten sich nach dem Munde“ (bBer 55b). Und dies ist ein Beleg dafür, dass es ein Buch für Traumdeutung gab, wie es dort auch im Folgenden erzäh lt wird (bBer 56a) : „Es entfiel ihm das Traumbuch, … und er fand darin geschrieben : A lle Träume richten sich nach dem Munde.“ 6. Doch mit diesem Leid wegen der aberg l äubischen A g gadot in den Reden der breiten Masse nicht genug – es gab näm lich unter den Autoren solcher Aggadot auch solche Leichtfertigen, Hinterlistigen und Geschmack losen, die zu spotten beliebten. Bedenke aber, dass nichts überf lüssiger ist a ls dies ( yBer 2,1 [ 4b ] : „Es gibt kein Gesch lecht, in dem es keine Spötter gibt.“). A n ei1  S o

mit der Edition Wol f; etwas ist ausgefa llen. Die von Greenbaum verzeichnete Stelle lässt sich in yHor 3,5 nicht nachweisen.

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nigen Stellen in der Gemara wird jedoch angedeutet, dass es sogar im Haus des Exilarchen und unter seinen Sk laven seit dieser Zeit einige Verächter der Weisheit gab, die sie bedrängten und sich über sie lustig machten (bEr 11b; bGit 67a). – Jene Gleichgü ltigen aber fügten ihren [ Aggada-]Samm lungen beschämende Berichte hinzu, üble Nachreden und Schmähungen von Personen, die früher, zu Vorzeiten gelebt hatten. So etwa über Rav (bShab 149b; bYom 18a; bHag 5b), Shemu’el (Ha lakhot Gedolot, Hi l khot Giṭṭin; Rosh Ende Qiddushin), Rav Ḥisda (bShab 140b) und sogar noch über Größere und Bedeutendere a ls diese (bBM 4b). Vielleicht gehörte es ihrer Meinung nach zu den Vorzügen und zum Woh l k lang der Ausdrucksweise, mit der sie [ ihre Rede ] an die gute a lte Aggada der Weisen angleichen wollten, indem sie über sie unter Ba ldachinen und in Trinkhäusern Spottlieder sangen, wie es bei den Weisen, sel igen A ngedenkens, erwähnt wird : „Wer einen Vers vorsingt [ aus dem Hohel ied oder wer einen Schriftvers zur ungeeigneten Zeit vorliest, bringt Unglück über die Welt. ] Die Tora umgürtet sich näm lich mit einem Trauersacke“ usw. (bSan 101a). In Bezug auf die schmutzigen Reden, die sie in ihren Ba ldachinen zu jener Zeit pf legten, sagten sie : „ Jeder weiß, wozu eine Braut unter den Baldachin kommt, wer aber seinen Mund beschmutzt und Schänd liches aus seinem Mund hervorbringt“ usw. (bKet 8b). Ein Beleg dafür, dass es in jener Zeit Samm ler solcher Aggadot und törichter Spottgeschichten gab, die wie ein Kochtopf pfiffen, ist die Geschichte von Manasse, sel igen A ngedenkens, „der dasaß und Haggadot vortrug, die [ das Gesetz ] verspotteten; er sprach näm lich : Hatte denn Mose nichts anderes zu tun, a ls zu schreiben : die Schwester Lotans war Timna; oder : Timna war das Kebsweib des Eliphaz ? “ (bSan 99b). Dem Kenner ist jedoch bekannt, dass es die Methode unserer Weisen war [ u nd ] dass eine der hinreichenden Erk lärungen [ solcher Sätze ] für ihre Hörer darin bestand, | die vergangen Ereignisse 252 mit ihren Zeiten zu vergleichen und das Gute wie das Böse der früheren Generationen mit ihrer Gegenwart in Beziehung zu setzen. Doch auch deswegen gab es wahrschein lich sogar noch zu ihren Tagen viele von jenen Spöttern, die wir erwähnten.

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Man betrachte jedoch den Ausdruck „we-doresh“ [ u nd vortrug ] (bSan 99b), was an die Midrashe ha-ḥakhamim erinnert; ebenso beachte man die Wörter „Haggadot“ [ Legenden ] und „dofi“ [ Diffamierung ], die [ hier a ls ] Ausdrücke der Beschämung und der üblen Nachrede [ verwendet ] werden, und ebenso, dass die angeführten Verse über Frauen sprechen ! – Und wie gut ist es, dass sie die Gemeinheiten, die die Spötter dieser Generation anhand [ dieser Verse ] auslegten, nicht erwähnten. Sehr wahrschein lich aber glichen sie der derasha, die sie über Gomer bat Devlin überliefert hatten (bPes 87a-b); [ oder : ] „Warum wurde sie Orpa genannt ? [ Weil sie a lle von hinten besch liefen.]“ (bSot 42b); auch die Auslegung von : „a ls da kam Bat Sheva in den Raum des Königs“ [ „Sie sprach zu ihm : Heirate mich. Er antwortete ihr : Du bist mir verboten“. Da erwiderte sie ihm (spöttisch) : „ Feh lt dem Diebe der Mut, so wird er tugendhaft.“ ] (bSan 22a); [ oder : ] „A ls [ der Ehemann ] des Kebsweibes zu Gibea über sie übermäßige Strenge wa lten ließ“ (bGit 6b) und ähn liche [ Stellen ] mehr, vor denen das Schreibrohr und die Zunge gleichermaßen zurückschreckten und sich schämten, gäbe man sie wortwört lich wieder. Was [ z usammenfassend ] aus unseren sechs Beispielen deutl ich wird, ist, dass nur jene Aggada und Exegese, die öffentlich von den Weisen vorgetragen wurde, eine gute und lobenswerte darstellt; sie ist es, die die Masse in jeder Hinsicht und vor a llem im Hinblick auf Gottesfurcht bereicherte. Biswei len konnte [ d ie Aggada ] so ihre Hörer und Betrachter sogar zu kostbaren Einsichten geführt. Doch auf ihre Weise und unter Voraussetzung der Berücksichtigung ihrer Regel n (dies triff t insbesondere für die unter der zweiten Kategorie unterbreitete Möglichkeit zu, die wir a ls Aggada der Metaphern bezeichnet haben) ist auch sie des hier zitierten Lobes wert : „Du möchtest den kennen, der sprach, und die Welt ward ? “ Lies in den Aggada-Büchern ! (vgl. SifDev ‛Eqev 49 [ 115]). Allerdings muss man hinsicht lich der Aggada, die von den Letzteren aufgeschrieben und in den erwähnten Samm lungen gesammelt wurde, unterscheiden und besonders differenzieren, näm-

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lich einma l zwischen den guten Aggadot, von denen nicht einma l das Geringste aufgeschrieben worden ist, wei l sie für den Moment und nur zum Zwecke der Predigt verfasst worden waren; man ersuchte daher auch stets um Nachsicht, indem man darauf verwies, dass sie nur wegen der Motivation des Zeit zu handeln ist’s für den Ewigen [ , sie haben deine Lehre gebrochen ] (Ps 119,126) so verfuhren (jener Entschu ldigung, auf die bereits die Geonim verwiesen und auf die man sich wesent lich später stützte, um zu erk lären, warum das Aufschreiben von Ha lakhot und Gemara erlaubt sei); [ d ies betriff t aber ] sowoh l die abergläubischen Aggadot mit den Gespenstergeschichten und Zaubersprüchen sowie ähn liches mehr in ihren zah l reichen Samm lungen a ls auch die den Makel [ einer Person oder Sache ] hervorhebenden Aggadot, die sich in den Aggada-Sammlungen der Leichtfertigen finden. Und diese beiden stehen auch für jene beiden letzt[genannten ] Gruppierungen, die jene Weisen mit den oben erwähnten unermesslichen und bedingungslosen Schmähungen überzogen. Was aber den Ausdruck sifre qosmin [ Zauberbücher ] für [ ihre Werke ] rechtfertigt, sind die Samm lungen von Dämonengeschichten und [ Samm lungen ] von Namen [ d ieser Dämonen ] sowie Beschwörungen und Einf lüsterungen, die die Frevler und Verwirrten aus Israel in früheren Zeiten zusammenstellten, wie uns aus anderer Quelle bekannt ist. – Der Beleg dafür, dass sich die Schmähung auf rea lexistierende Weise bezog, obliegt a llerdings geschriebener Aggada, und zwar nur dem negativen Teil in ihr, wie man in der Fortsetzung des oben zu Beginn des Kapitels notierten Diktums von Rabbi Yehoshua‛ ben Lewi entnehmen kann (yShab 16,1 [ 15c]) : „Einma l habe [ ich in ein Aggada-Buch ] geschaut, und ich fand in ihr 175 Textstellen aufgeschrieben, in denen die Ausdrücke „reden“, „sagen“ und „gebieten“ vorkommen, entsprechend den Lebensjahren unseres Vaters Abrahams […]; die 147 Psa lmen, die im Buch der Psa lmen zu finden sind“ usw., „und sogar demjenigen, der so g laubt, dem wird eine K rone verliehen“. Denn siehe, sogar jemand, der in ihnen etwas Beachtenswertes fand und der in jener Zeit a ls ein Vertreter k larer Sprache angesehen wurde, meinte, dass [ durch solcherart Aggada ] ein Schaden entstünde. Um diese Zeit erblickte etwa auch

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ein Rabbi Ḥiyya bar Abba ein [ solches ] Aggada-Buch und sprach den Fluch aus : „Selbst wenn das in ihm Aufgeschriebene gut sei, möge die Hand dessen, [ der es abschreibt, ] abgehauen werden.“ Doch a ll dies [ w urde ] nicht a llein wegen der Verschriftlichung an sich [ gesagt ], denn daran hatte man sich bereits hinsicht lich vieler Aggadot gewöhnt, und Rabbi Yoḥanan und Rabbi Lewi, seine Lehrer, erlaubten es sich sogar, in [ solchen Sammlungen ] an einem Shabbat zu forschen, um [ etwa ] die Frage zu k lären, ob es erlaubt sei, von Herabgefa llenem zu essen. Zweifellos waren viele solcher Samm lungen a lso hinsichtlich ihres sch lechten Inha ltes sehr ungleich. Jedoch enthielten die ä lteren Samm lungen der Natur der Sache entsprechend umso mehr fremde Aggada, während die spätere die zu bevorzugende ist.

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Nun bleibt nur die Frage [ z u k lären ], wie jene um laufenden fremden Aggadot aus den zah l reichen sifre de-aggadata in einige der Midrashim der babylonischen Gemara aufgenommen wurden. Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir einige hinführende Überlegungen voranstellen, und zwar folgende : | Wisse, dass man in der Zeit Ravs und Shemu’els und ihrer Schüler begann, die Gemara zu fi xieren (die Hauptbedeutung des Wortes [ Gemara ] ist ja „Vollendung/Abschluss“, durch die die Ha lakhot und jegliche A rt von Unterweisung abgesch lossen werden sollte), sie auf besondere Weise anzuordnen, sie in einer Sprache zu edieren und anzuordnen. Zu Beginn wurde ein Kommentar zur Mishna angelegt (er wurde noch zur Zeit des Tempels begonnen und erst zur Zeit des Rabbenu ha- Qadosh abgesch lossen und verordnet), eine Begründung /Erk lärung und eine R ichtigstellung [ der Mishnayot ] in ihr, außerdem ein Vergleich mit der „außerkanonischen“ Mishna (Matnita baraita), die nicht in unsere Mishna aufgenommen worden ist (matnitin). Danach wurden auch die münd lichen Traditionen und die Aussprüche [ memrot ] der A moräer geordnet, ihre Erläuterungen und Berichtigungen. Seit der Zeit Abbayes und Rabbas und danach wurden auch jene schweren Fragen [ qushyot ] und gesch liffenen A ntworten [ teruṣim ], die hawwayot, in einer einheitlichen Sprache und in einer Ordnung festgelegt. Auf diese

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Weise wurde für die Dauer von vier Generationen der Absch luss jeder Halakha festgelegt und redaktionell bearbeitet, bis in den Tagen des Rav Ashi und Ravs bereits eine nach Traktaten geordnete Gemara bestand, so wie sie sich auch heute in unseren Händen befindet. Doch a lles formu lierten und studierten die Schü ler noch münd lich, und um ihrem Gedächtnis zu helfen, legten sie Gemara für Gemara Zeichen fest, und einige dieser Zeichen sind bis heute im Text stehen geblieben. Das a lles werden wir aber noch in einer eigenen Pforte über die Münd liche Tora genauer untersuchen.1 Wisse aber auch, was durch das Zeugnis der Geonim k lar belegt ist, dass Rav Ashi im Jahr 187 des fünften Jahrtausends gestorben ist,2 die Gemara aber bis zum Jahr 260 nicht abgesch lossen wurde, d. h. noch dreiundsiebzig Jahre nach seinem Tod. Daher wurden in sie in dieser Zeit noch weitere Zusätze und Diskussionen hinzugesetzt; durch Mar bar Rav Ashi und seine Gefährten vielleicht sogar einige Ä nderungen hinsicht lich ihres Aufbaus; danach vielleicht auch durch Ravina und seine A nhänger, er starb jedoch erst im Jahr 232. Schon in der Gemara heißt es dazu ausdrück lich (bBM 86a), dass R avina, oder mit vollem Namen R av Avina, der letzte aus der Ordnung der A moräer war, und man wies darauf mit dem Satz hin : „Avina, der letzte von ihnen“. Doch was waren der A n lass und der Grund für den Absch luss der Gemara ? Nach dem, was die Zuverlässigen unter den Geonim berichten (und es ist zu bedauern, dass so viele Bücher von ihnen verloren gegangen sind), verlief die Sache folgendermaßen : Nach Mar bar Rav Ashi kamen Notzeiten, K riege und große Aufstände in den persischen Ländern; außerdem aber auch Verfolgungen und Vernichtung, insbesondere das jüdische Vol k betreffend, worüber man in Babylonien zuvor noch nichts gehört hatte (und daher nannte man auch Rav Ṭavyomi, wei l mit ihm die guten Tage für Israel aufhörten). Der König Peroz aber, der vom Jahre 217 bis zum Jahre 248 regierte, bedrängte die Juden, und über ihn steht 1 Hier bezieht sich K rochma l auf Pforte 13, die ursprüng l ich hinter Pforte

14 stand; vgl. Lachower, Le-seder, 86 und die Ein leitung. 2 Vg l. Sch lüter, Weise, 235 (§ 186).

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geschrieben, dass er ihre K inder einfi ng und sie aus dem Leben riss im Monat Ṭevet des Jahres 234. Und dieser Peroz war der letzte König, der in der Gemara mit Persien in Verbindung gebracht wird (bHu l 62b) : „ A ls Merkzeichen diene dir : Der ruch lose Peros“. Nach ihm kam K asra A noshirwan, zu dessen Zeiten jene erwähnten K riege und Aufstände stattfanden, a ls deren Folge die Yeshivot aufgelöst und die bedeutenden Lehrhäuser in Babylonien gesch lossen wurden. Selbst die Zerstörung der Yeshiva-Städte wird noch in der Gemara erwähnt, und sie kritisierten damit, was Rav Ashi sagte : „Ich werde dafür sorgen, dass Mata Meḥasya nicht zerstört werde ! – Ist es aber nicht doch zerstört worden ? !“ (bShab 11a). Und ihre Schü ler wurden für ca. neunzig Jahre verstreut. Der Ta lmud a llerdings, die Mishna und die Gemara, a lles blieb vor ihrem Auge, gelehrt, redigiert und wiederholt im Munde der Weisen und ihrer Schü ler. Sie verblieben näm lich zum größten Teil an ihrem Ort, sodass sie auch in derselben Versamm lungsstätte verblieben wie zuvor. Vom Jahre 340 an und später wurden die K riege leichter und die Könige wurden wieder besser, bis das Königreich durch die Ismaeliten gestürzt wurde, sodass vom Jahre 349 an Israel wieder in Ruhe wohnte und zwei Yeshivot eröff net wurden. Deswegen aber verblieb der Ta lmud in derselben Fixierung und A nordnung, in der er vor dem Niedergang der Yeshivot durch die Verfolgungen des Peroz vom Jahre 234 und ihrem Ende durch den K rieg des Kasra im Jahre 260 festgelegt und angeordnet worden war. Seitdem (d. h. seit dem Niedergang der Yeshivot) wurde jedoch nichts mehr hinsicht lich der Ha lakha des Ta l mud und seiner Diskussionen hinzugefügt, es sei denn ein paar wenige kurze Sprüche, wie z. B. zu Beginn des Traktates Qiddushin, oder ähn li254 ches, etwa, wenn man eine Erläuterung [ sevara ] | oder eine Deutung ergänzte, um damit eine A ngelegenheit zu erhellen, die in einer a ltertüm lichen Sprache verfasst worden war (warum man sie auch „Rabbanan savora’e“ [ Saboräer ] nannte). Dies a lles wissen wir aber sehr genau durch das Zeugnis der Geonim, insbesondere durch den wahrlich zuverlässigen Gaon Israels, Rav Sherira, seligen A ngedenkens, in seinem Responsum an die Gemeinde von

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Kairouwan, die mit Fez vergleichbar war.1 A lles stimmt mit dem überein, was die Griechen und die A raber darüber in [ ihren ] Geschichtsdarstellungen niedergeschrieben haben. A lles Gesagte betriff t freilich nur die Festlegung der Gemara, ihre A nordnung und ihren Absch luss; ihre Niederschrift in einem Buch begann man jedoch erst einige Zeit nach 349, dem Jahr der Rückkehr der Yeshivot. Wahrschein l ich begann man mit ihrer Niederschrift sogar erst, nachdem die Ismaeliten, A ngehörige der Religion Mohammeds, das gesamte inguschische Perserreich übernommen hatten, und dies geschah im Jahr 411. Für die Entscheidung dieser Frage haben wir a llerdings keine Beweise, und nur die Belege dafür, dass auf jeden Fa ll vor dem Jahr 350 noch keine Ha lakhot aufgeschrieben worden waren, sind deut lich und gewa ltig, sowoh l aus der Mishna, den Baraitot a ls auch aus der Gemara. Das heißt, das, was a ls Buch um lief, wurde von vielen gelesen und abgeschrieben, und es kursierte auf diese Weise unter den Leuten, warum man sie sefer oder ḥibbur nannte. Doch in Bezug auf die Megillat Ta‛anit überlieferten sie (bEr 62b, und vgl. Megillat Ta‛anit, Kapitel IV2) : „[Die Fastenrolle ] ist niedergeschrieben und festgelegt, und dies geschah in der Zeit des Abbaye und des Rabba.“ Und auch bei ihr scheint es so gewesen zu sein, dass nur der A nfang ihrer Verse bereits zur Zeit des Tempels schriftlich fi xiert worden ist, und zwar in aramäischer Sprache, die dama ls unter der Bevölkerung üblich war; der Rest aber in der Sprache der Weisen, und er gehörte nicht zu der niedergeschriebenen Megilla, sondern bildete nur einen Kommentar dazu. Es handelt sich bei [ diesem Kommentar ] um eine Baraita, die wie die übrigen Baraitot münd lich gelehrt wurde. (Ein wichtiger Beleg für meine Vermutung ist aber, was mir der Rav, den ich diesbezüg lich bereits erwähnt habe, beigebracht hat, dass der Talmud an a llen Stellen, an denen er irgendeine Sache aus einer Baraita anführt, dies stets mit dem Ausdruck tanya einleitet; doch an zwei Stellen im Ta l mud zitiert er nur den Beginn ei1 Vg l.

Sch lüter, Weise, 192f. (§ 143).

2 Vg l. Edition Neubauer, 8 f.; Lichtenstein, Fastenrolle, 295; Noam, Megi llat

Taʽanit, 206.

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nes Abschnittes, und zwar in A ramäisch, was er dort mit dem Ausdruck : „wie in der Megillat Ta‛anit geschrieben steht“ [ bTaan 12a ] ein leitet.) Wann aber ist die Gemara niedergeschrieben worden ? Sie ist woh l von Soferim aufgeschrieben worden, die zu jener Zeit lebten, wobei sie sie direkt aus dem Munde der Weisen und ihrer Schü ler, von den bedeutenden Rabbinen der Yeshivot vernommen hatten, denn nur aus ihrem Mund ga lt sie a ls korrekt formu liert und a ls redigiert, so wie es a llen geläufig war. Soweit zum Absch luss der Ha lakha – doch wie steht es um die Niederschrift der Aggada ? Wir erk lärten bereits, dass von ihr viele Bücher kursierten. A llerdings hat es g leichzeitig den A nschein, und es gibt sogar einen Beleg dafür, dass man sie seit der Festlegung der Gemara genauso zu fi xieren begann, zumindest einiges von der guten Aggada, entsprechend der Zugehörigkeit einer Aggada zu einer abgesch lossenen oder sich an sie ansch ließenden Ha lakha (a llerdings haben wir nur im ersten Kapitel des Traktates Megilla einen vollständigen, sich ansch ließenden Midrash zur Megillat Ester gefunden, und auch in ihm fi nden sich nur einige wenige Ha lakhot, die der Gemara entsprechen). Wahrschein lich schrieben auch jene Aggada die Soferim auf, und zwar nach einer münd lichen Vorlage. Es blieb dabei a llerdings ein Gegenstand der Übung, dies zweifelsfrei rein überliefert, d. h. [ rein ] von fremder Aggada, in der einfachen Vol kssprache zu tun, wie es sich etwa in den erwähnten unreifen Samm lungen fi ndet. Doch (und dies ist unser Hauptan liegen) zur Zeit der Niederschrift der Gemara durch die erwähnten Weisen waren jene Soferim Gelehrte ohne Namen, und sie besaßen weder das Interesse noch die Macht, ihre Worte auf der Waage der A na lyse prüfen zu lassen. Einzig viele sifre deaggadata besaßen sie, und a ls sie die Gemara verfassten, nahmen sie es auf sich, a lle oder zumindest die meisten, die sie vorfanden, die guten wie die sch lechten, die den Verzehrer ebenso wie den Abfa ll betrafen, zu berücksichtigen – nicht etwa aufgrund ihrer Fremdheit oder nach äußerlichen K riterien. Nach dieser Methode verfuhr man bezüg l ich jeg l icher A rt „fremder Aggada“, a ls man sie in die Midrashim aufzunehmen begann. Man muss a llerdings wissen, dass auf diese Weise fast a lle

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[ Aggadot ] nur im Lande Israel oder in westlicher gelegenen Ländern niedergeschrieben worden sind (und es gibt nicht eine, die in Babylonien aufgeschrieben wurde). Unter sie gemischt wurden dabei auch jene sifre de-aggadata, in denen man einen Hinweis auf den erhoff ten Messias finden konnte, wie etwa [ Hinweise auf seine ] Namen oder Berichte über ihn, die uns, der Gemeinde Israels, ansonsten unbekannt geblieben wären, die jedoch im Aberglauben der Massen an vielen Orten kursierten und in Samm lungen aufgenommen worden waren und aus denen dann von den Soferim einzelne Berichte in die Midrashim aufgenommen worden sind. Unserer Meinung nach (und vielleicht wird der einsichtige Betrachter mit uns | übereinstimmen) geht die Aggada qumi ori 255 [  Jes 60,1 ], die wir oben erwähnt hatten, auf ein einzel nes Ereignis zurück – a ls sich näm lich ein Mann namens Efraʼim zum Messias erk lären wollte, es ihm aber nur wenige aus der breiten Bevöl kerung glaubten (wie auch aus der Aggada selbst ersichtlich). Doch nachdem er die Herrschaft ergriffen hatte, wurden sein Wille und die ihn betreffenden Hoff nungen in einem Aggada-Buch aufgeschrieben, und aus irgendeinem Grunde gelangte es von dort in die Pesiqta. – Ebenso triff t dies auf eine Schrift zu, die Massekhet Kelim de-Vet Miqdash [ der Traktat über die Geräte des Tempels ]1 bezeichnet wird und die von dem Gelehrten Azu lai2 veröffentlicht worden ist. Aufgeschrieben worden ist sie zur Zeit des David A lRoy3, der in Babylonien a ls Lügenmessias bekannt wurde. Verfasst wurde sie aber von seiner Gefolgschaft, und zwar in einem Stil, der den Eindruck hohen Alters erwecken sollte, womit die breite Masse getäuscht worden ist. Darin steht nun geschrieben, dass in dieser Zeit ein gewisser Mann offenbar werden würde, sein Name David ben David, der die Verstreuten aus Israel sammel n und ihnen in der Nähe der Stadt Bursif in Babylonien erscheinen werde, an dem Ort, an dem die Geräte des Tempels und ein großer Schatz aus der 1 Vg l. 2 Vg l.

OsM I, 260 – 262; Bh M II, 88 – 91; XXVIf. zu ihm M. S. Samet, A rt. Azu lai, Hayyim Joseph David, EJ 3 (1971),

1019 f. 3 So mit der Edition Wol f; die Lesart „Dawid a l-Dawid“ ergibt keinen Sinn. Vgl. A. N. Poliak, A rt. A l roy, David, EJ 2 (1971), 750 f.

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Zeit nach der ersten Tempelzerstörung verborgen seien. – Schlussend lich verschwanden dieser Mann und seine Gefolgschaft, doch das in die Irre führende Schreiben [ über ihn ] fi ndet sich immer noch unter unseren Schriften. A m sch limmsten jedoch ist, dass an [ d iesem Schreiben ] immer noch a ls [ einem Bestandtei l ] des Midrash festgeha lten wird. Seit der Zeit der Niederschrift der Gemara in Babylonien, der Stätte der Yeshivot, bis zu ihrer Verbreitung in den west lichen Ländern (a ls Schreibutensi lien noch sehr teuer waren, das Studium noch nicht verbreitet war und die Karawanen noch nicht so oft angetroffen wurden) vergingen bis zu hundert Jahre. Es scheint, a ls gelangten Abschriften [ des Ta l mud ] um das Jahr 500 oder 550 durch reiche Kauf leute, die sie für bescheidene und eifrig um Halakha und Verständnis der Gemara bemühte Studenten erworben hatten [ , nach Westen ]. Doch sie enthielten noch keinen Einspruch gegen die fremden Aggadot, die sich an ihren Rändern fanden. Des Weiteren beginnen genau in jener Phase, d. h. vom Jahre 450 an, die Bemühungen der Geonim der babylonischen Yeshivot a ls zuverlässige Hirten, Religion und Recht sowie rechtes Verha lten in ihren Responsen an die gesamte Diaspora der west lichen Länder weiterzuvermittel n. In ihren Schriften fassten sie den Ta l mud in den [ sogenannten ] Hil khot gedolot, [ Hil khot ] qevu‛ot und [ Hil khot ] pesuqot zusammen, oder sie ana lysierten in ihnen ein bestimmtes Sachgebiet [ des Ta lmud ]. So war es üblich bis zu Rav A lfas, seligen A ngedenkens, der den gesamten Ta lmud zusammenfasste und ihn zu einem reinen Feinmeh l-[Extrakt ] bereitete. – Um dieser Absicht willen konnten und wollten jene rishonim nicht mehr a lle Spitzen der fremden Aggada aus dem Ta l mud entfernen, sodass ein Rest blieb, der bis in unsere letzten Tage strukturell erha lten ist, d. h. bis heute, da der gelehrte Gläubige nach Inha lt und Gelegenheit sehr gut versteht, dass der Schaden durch ihr Verschwinden [ aus dem Gedächtnis ] größer wäre a ls der offenbare Schaden, den sie in den Tagen ihres A nfangs anrichtete. Tatsäch lich muss man einräumen, dass sich bei den Früheren kein ei n z iger H i nweis auf das, was wir hier a ls Vermutung vorge-

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stellt haben, findet, außer bei zweien : Der eine findet sich beim Rav [ Moshe ben Maimon ] im Vorwort seines More, wo er eine Begründung dafür zu geben versucht, warum er darüber nachdenkt, eine Schrift mit einem Kommentar der derashot (so nennt er das, was wir a ls Aggada bezeichnen) zu verfassen. Doch erachtete er dies dann a ls nicht so wichtig, weder für diejenigen, die voll kommen [ a n die Aggada ] glauben, noch für diejenigen, die sie absolut ablehnen, noch für den Mittelmenschen, der sich vor der Gemeinschaft zu rechtfertigen versucht. Er drückte sich dazu folgendermaßen aus : „Ich sah aber auch ein, dass ein Unwissender aus der Menge der Rabbinen, wenn er die Midrashim liest, darin keine Schwierigkeiten fi ndet, weil der Unwissende und Unbesonnene, der jeder Erkenntnis von der Natur des Seienden bar ist, das Unmögliche nicht für undenkbar hä lt. Wenn sie aber ein Voll kommener und Achtungswürdiger liest, so entgeht er einem von beiden nicht : entweder fasst er sie wörtlich auf und denkt sch lecht über den Verfasser, den er für den Unwissenden hä lt – er käme jedoch in diesem Fa lle nicht in Widerspruch mit den Grund lehren des Glaubens –, oder er legt ihnen einen tieferen Inha lt bei. Damit wäre er woh l gut davongekommen und hätte über den Verfasser eine günstigere Meinung erlangt, gleichviel ob ihm der tiefere Sinn des Ausspruchs k lar geworden ist oder nicht.“1 – Doch ohne die A nnahme unserer Hypothese wird man nicht verstehen, | wie man den Widerspruch 256 zu den Grund lehren des Glaubens auf löst, ob dies das ist, was wörtlich aufzufassen ist, oder ob dies das ist, was er sch lecht über den Verfasser, den er für den Unwissenden hä lt, denkt; oder ob er zu den bedeutenden Tradenten der Tora gehört, die uns überliefert worden ist. Doch wie konnte der Rav [ Moshe ben Maimon ] jene a ls „Voll kommene und Achtungswürdige“ bezeichnen ? Der zweite, der dies in seiner Erk lärung ein wenig erläutert, ist der weise Verfasser des Kusari (über den die Rishonim sagten, dass a lle Worte des Kusari wahr seien, und man bezog folgenden Vers auf ihn : Hüte dich davor, dass du nicht verlassest den Levi [ Dtn 12,19]), und er sagte in der Fortsetzung des oben zitierten Abschnitts : „Es 1 Vg l.

Mose ben Maimon, Führer 11 (Ein leitung).

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sind das Dinge, die der Ta l mud infolge der Gewissenhaftigkeit der Jünger in sich aufgenommen hatte, wei l sie der A nsicht waren, ‚dass selbst das gewöhn liche Gespräch der Weisen eines Studiums bedürfe‘ usw.“.1 … „Das a lles bezieht sich auf Dinge, die mit Ge- und Verbot nichts zu tun haben. Wir wollen uns durch dies nicht weiter bekümmern lassen, und das Werk wird bei diesen hier angegebenen Gesichtspunkten nichts verlieren.“ Der geneigte Leser, wenn er unsere Überlegungen mit jenen Worten der Großen vergleicht, möge seine Entscheidung zu unseren Gunsten fä llen ! Um zu einem Ende [ d ieser Ausführungen ] zu kommen – wir sind uns der Gnade Gottes gewiss, dass er uns unsere Nachforschung nicht a ls Sünde oder Ungehorsam auslegen wird, durch die sch lussend lich doch nur k lar werden sollte, dass die Ha lakha, die Mishna und ihre in die Ta lmudim eingesch lossenen Ergänzungen nicht durch die Hände der Massen gingen, dass sie nicht durch jene Disteln beschädigt wurden und dass nur aus ihnen der Ta lmud in seinen Hauptbestandtei len besteht, denen dabei weder etwas hinzugefügt noch weggenommen wurde, d. h., dass sie [ nur ] aufgrund der Grund lehren und Methoden, die in ihnen kundgetan werden, gelehrt wurden und dass sie a lle auf glaubwürdigen Traditionen basieren, die aus dem Munde weiser Lehrer stammen, die sie weisen Schü ler vorgaben. Sie a lle beruhten auf einer münd lichen Tradition von den H äupter n der Yesh ivot , jener L etz ten von den A moräer n; und sie a lle stammten aus dem Munde der Rabbinen, die sie [ z uvor ] einer dem nächsten erk lärt und die sie dann zusammen in den berühmten Yeshivot gelehrt hatten, [ u nd zwar so lange, ] bis Rav und Shemu’el kamen. Doch [ reicht die Kette ] von ihrem [ Auftreten ] bis zu Rabbi Yoḥanan ben Zakkai und seinen Schü lern [ z urück ], die noch zur Zeit des Tempels gelebt hatten, und von ihnen [ reicht die Kette ] bis zu Shim‛on ha-Ṣaddiq und der Folgegeneration des Gesch lechtes der Leute der Großen Versammlung, die noch Esra erlebt hatten, über den die Schrift Zeugnis ablegt, er sei ein emsiger Schreiber der Tora des Herrn, seiner Gebote 1 Vg l. Jehuda Ha-L ewi, Das Buch A l- Chazari, 181 f.; Kusari III 73, hg. v. Cas-

sel, 318 – 321.

Die Aggada und die Schöpfer der Aggada

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und Gesetze für Israel gewesen, und [ darüber hinaus reicht die Kette zurück ] bis zu den letzten der Propheten, auf denen noch der Geist des Herrn geruht und der ihnen die Formu lierung[en] in den Mund gelegt hatte. Eine ununterbrochene und zuverlässige Traditionskette wie diese sollte jedem Gläubigen vo l l kom men genügen, der seinem Vol k und seinem Gott Vertrauen schenkt. – A ll dies werden wir noch in der erwähnten, einer speziell der Münd lichen Tora gewidmeten Pforte näher erläutern. Doch nun wollen wir uns wieder einigen grund legenderen Dingen zuwenden.

PFORT E 15



Die Lehre der Abweichler Neige dein Ohr und höre die Worte der Weisen, und dein Herz öff ne dich meinem Sinnen; es heißt nicht „ihrem Sinnen“, sondern „meinem Sinnen“. (bHag 15b)

Bereits bekannt ist, dass aus der generellen Gegnerschaft, die sich unter den A nhängern unserer Lehre gegenüber jener Weisheit der Sefirot findet, die den meisten unter der Bezeichnung Kabba la bekannt ist, auch der Streit über ihre frühe oder späte Entstehungszeit entstanden ist. Die meisten Litera lexegeten, a lso die meisten der uns vorangegangenen Rabbinen, behaupten a llerdings, dass diese Weisheit erst in später Zeit entstanden ist, kurz vor den Tagen des Ramban, seligen A ngedenkens, und dass a lle Bücher, für die sie verantwort lich sind, d. h. die Grund lage und die Quelle für die Kabba listen, gefä lscht und verfä lscht sind und sämtlich in späteren Generationen verfasst und absicht lich ä lteren Tannaiten und Amoräern zugeschrieben wurden. Doch die Kabba listen würden [ dazu ] sagen : Ist es aufgrund des Ta lmud und der Midrashim nicht offensichtlich, dass ihnen Geheimnisse der Tora offenbart waren, die die Weisen untereinander und den züchtigsten unter ihren Schü lern einma l in der Woche überlieferten; und besaßen sie etwa keine geheime Lehren, die sie a ls ma‛ase bereshit [ u nd ] ma‛ase merkava bezeichneten, die a llerdings nur wenigen Einzelpersonen mitgeteilt wurden ? ! Doch die Litera lexegeten würden darauf antworten : Und wer bezeugt, dass jene Geheim lehren und mystischen Geheimnisse tatsäch lich diejenigen waren, die sich nun in euren Händen befanden ? Man beachte auch, was der Rav [ Moshe ben Maimon ] dazu sagt, dass a lle Prinzipien und Gebote, die er in den ersten vier Kapiteln seiner Hil khot yesode ha-Tora1 erk lärt, von 1 Vg l .

Das Buch der Erkenntnis. Sefer ha-Mada‛, zusammen mit einem

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den Weisen a ls ma‛ase bereshit, ma‛ase merkava und pardes bezeichnet werden. Und Moshe [ ben Maimon ], so wahrhaftig und auf Gott vertrauend er war, bekennt selbst (Vorbemerkung zum dritten Teil des More),1 dass er das, was er dazu ausführt, nicht überliefert bekommen habe und auch nicht mittels Prophetie auf ihn gekommen sei, sondern dass a lles aufgrund eigener Verstandesüberlegung und rationa ler Gedanken entstanden sei und dass es daher auch möglich ist, dass es nicht so gemeint oder dass die Intention [ vielleicht ] eine andere gewesen sei. – Doch dürfe man daraus nicht den Beweis entnehmen, die Weisheit, die sich in euren Händen befindet, sei dieselbe, auf die sich die erwähnten Andeutungen der Rabbinen beziehen. Vielmehr solltet ihr einen gü ltigen Beweis dafür erbringen, dass sich jene Lehren tatsäch lich bereits in der Epoche der Tannaiten und A moräer im Vol k fanden. – Doch die K abba l isten mühten sich, darauf zu antworten : Haben wir nicht den Sefer bzw. die Hil khot Yeṣira, dessen Wahrheit aus seinem Inha lt und seiner Sprache ersichtlich ist, und durch die offensichtlich ist, dass es sich um eine a lte Baraita aus der Zeit der Verfasser der Mishna handelt, die sogar im Talmud erwähnt wird (bSan 65b; 67b) und die die Geonim und die vorangehenden Weisen auslegten ? ! Über sie heißt es andeutungsweise in einem ihrer Aussprüche : „Beza lel verstand es, die Buchstaben zusammenzusetzen, mit denen Himmel und Erde erschaffen wurden“ (bBer 55a). Ebenso heißt es : „Diese Welt wurde mit einem heh geschaffen; die Kommende Welt mit einem yud“ (BerR 12,10 [108]). Auch [ ist zu berücksichtigen ], was sie dort bezüg lich des Namens von zwölf und zweiundvierzig Buchstaben erwähnen oder über die Bezeichnung shekhina; ebenso zu berücksichtigen ist die Redeweise von den middot des Heiligen, gepriesen sei er, und die Einbeziehung der Engel k lassen und Dämonen und so weiter – a lles dies stimmt mit unseren Lehren überein. Darauf konnten die Gegner antworten : Alles, was ihr behauptet, stimmt zwar, doch ist das, was ihr daraus ableitet, teilweisen Ndr. der Ausgabe von M. D. Rabinowitz, Mossad ha-Rav Kook, 1988, und der Übersetzung von Chaijm Sachs, Petersburg 1850, hg. v. E. Good manThau / Ch. Schu lte, Berl in 1994, 43 – 85. 1 Vg l. Mose ben Maimon, Führer III (Vorbemerkung), 3.

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nicht zwingend. Da das Sefer Yeṣira tiefgründig und seine Worte rätselhaft sind, haben es bereits die von euch angeführten Weisen auszu legen versucht : Rav Sa‛adya, der Verfasser des Kusari, Rabbi Avraham Ibn Ezra | und andere mehr. Doch ihre Kommentare sind 258 weit von euren Speku lationen entfernt. Wenn in ihm und auch in einigen der späten Midrashim zehn Sefirot erwähnt werden, so konnten sie dies interpretieren, ohne das, was ihr daraus lehrt. Die Aussprüche und die Formeln, die ihr zitiert – aber wie wenig sind sie doch Beispiel oder sogar Beweis für eure A nnahmen über das, was sich in unserem Vol k zu jener Zeit [ a n Traditionen ] gefunden haben soll, das, was sie [ a ngeblich ] gesagt haben sollen über eyn sof [ End losigkeit ], ṣimṣum [ Selbstverschränkung ], adam qadmon [ Urmensch ] und aṣilut [ Emanation ], die Angelegenheit, die ihr von den Sefirot versteht, von den Lichtern und dem Fa ll ihrer Funken, den Gefäßen und ihrem Zerbrechen, der Herkunft der Seelen, ihrer Wanderungen und Rückkehr an ihren Ort und viele ähn liche Lehren mehr, von denen sich nicht das Geringste in den beiden Ta lmudim und in den Midrashim findet. Doch wenn ihr durch die K raft dieser zah lreichen Bezeichnungen, die ihr angehäuft habt, meintet, die Grund lagen eurer Speku lationen belegen zu können, und ebenso durch gematria und seltsame Wortbildungen, die es euch erleichtern sollten, sie auf jeder Seite und an jeder Ecke nachweisen zu können – siehe, so wird euch ein verständiger Mensch verlachen und sagen, dass ihr in den Büchern nichts [ von a ll dem ] finden könnt, außer dem, was ihr selbst gewa ltsam in sie hineingelesen habt. Und selbst wenn es manchma l den besten unter euren Weisen gelingt, einige Bibelverse und rabbinische Dikta auf eure [ kabba listische ] Weise auszu legen, so könnt ihr, solange ihr keinen Beweis und keine zuverlässige Traditionskette für die Richtigkeit solcher Exegesen vorzu legen im Stande seid, nicht dem Verdacht entkommen, dass ihr – dem Beispiel der Masse folgend – „einen Fuß um den Schuh gemacht habt“.1 – Soweit der Hauptteil 1 Siehe

zu dieser Ausdrucksweise etwa Yiṣḥaq ben Moshe ʽA rama, Sefer ʽAqedat Yiṣḥaq, Venedig 1546, 17b (sha’ar 35). Unsicher ist, ob K rochma l auf diese Stelle Bezug nimmt.

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des Streites um das zeit liche A lter dieser Weisheit. – Wenn wir jedoch die erwähnten Thesen und Widerlegungen ohne Vorbeha lte und Polemik betrachten, so stellt sich a ls absolute und unwiderlegbare Wahrheit heraus, dass diese Weisheit den letzten unter den Geonim, Rav Sherira und Rav Hai, seinem Sohn, in den Mund gelegt wurde und sie es waren, die dann belegten, dass sie [ diese Traditionen ] von Ä ltesten in den vorangehenden Generationen überliefert bekommen hatten. Wenn dem aber so ist, dann nahmen sie auf jeden Fa ll [ erst ] in der Mitte der Epoche der Geonim, um das Jahr 500 des fünften Jahrtausends ihren Ausgang. K lar ist dann auch, dass [ diese Traditionen ] in die west lichen Länder, insbesondere nach Ita lien, erst durch irgendwelche Gelehrte aus den Yeshivot Babyloniens gebracht worden sind. Der bekannteste unter ihnen war der Rav Rabbi Aaron, der auch Haupt der babylonischen Yeshiva genannt wurde, und nach Ita lien ist er um das Jahr 650 gekommen. Seit seiner Zeit gab es etliche [ bis dahin unbekannte ] Megillot und k leine Qunṭresim, und möglicherweise und hoffentlich finden sich einige Beispiele für diese noch in den Buchschatzkammern, und wir werden uns mit ihnen im Folgenden noch eingehender beschäftigen. Sie bilden den Eckstein, auf den diese Wissenschaft gründete und von dem eine dünne Traditionskette bis zum Ramban, seligen A ngedenkens, reichte. – Doch für die vorangehende Epoche bis zur Mitte des fünften Jahrtausends spricht a lles für die Litera lexegeten, d. h., dass ihre Belege zutreffend und absolut richtig waren, und zwar so sehr, dass sie sich nicht mehr von der Stelle bewegen und sich durch keine Macht der Welt entkräften lassen, dass a lso der Zohar in a llen seinen Teilen und Abschnitten, die Bücher Bahir, Pelia, Qana, Temuna, Razi’el und dergleichen a lle erst in späteren Generationen verfasst worden sind, entgegen der Meinung derjenigen, die sie durch einen bedeutenden Stammbaum zu stützen suchten, um die Leute zu täuschen oder um sie zu beruhigen, ganz der Methode der Pseudepigraphie entsprechend, die ihre Verfasser manchma l anzuwenden pf legten.1 Doch jene haben auch desha lb Recht, weil weder aus der Mishna 1 Vg l.

R awidowicz, Iyyunim II, 270.

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noch aus a ll den Baraitot, noch aus den beiden Ta lmudim und den Midrashim, den Büchern Israels, die zu ihrer Zeit gelernt und bestimmt vor dieser Zeitgrenze geschrieben worden sind, die Existenz und auch die Nicht-Existenz dieser Weisheit, wie sie auf uns gekommen ist, zu beweisen ist. Auch kann man auf diese Frage aufgrund dieser Bücher keine eindeutige Antwort geben, zuma l einige unpassende Worte in einzelnen der Bücher verheim licht worden sind, die durch dayyanim [ Richter ] und musarim [ Sittenprediger ] verbreitet worden waren und die daher für a lle Menschen gleich sind. Doch aufgrund von Nichtvorhandenem und Verborgenem in einigen von ihnen und mittels verborgener Schätze lässt sich kein Beweis führen. – Allerdings unter den berühmtesten der christlichen Priestergelehrten, die zur Zeit der Tannaiten und der A moräer lebten und schrieben, sehen wir viele Dinge, die uns nicht wenig das Verdunkelte dieser erwähnten Zweifel erhellen helfen. Da wir uns in dieser Pforte jedoch nicht mit der Wahrheit der Theologie der Kabba listen befassen wollen (denn dafür sind wir nach Meinung unserer Gegner bestimmt nicht geschaffen), werden wir uns nur mit der literaturgeschicht lichen Frage befassen, ob sich in unserem Vol k zu einer bestimmten Zeit Geheim lehren und Auffassungen fanden, die mit jenen Lehren übereinstimmen, die unter einigen in unserer Gemeinschaft [ bis heute ] verbreitet sind. – Und diese Einsicht ist es wert, um a ls Zeugnis vor unseren Gerichtshof gebracht zu werden, wobei wir beabsichtigen, mit denen, die an sie glauben, streiten zu wollen, denn | sie kann uns bei dieser Mei- 259 nungsverschiedenheit, in der wir uns wiederfi nden, zu einer K lärung verhel fen. Doch auch in dieser A ngelegenheit bemühe ich mich wie der Rav [ Moshe ben Maimon ] darum, den zeitgenössischen Leser nicht zu bedrängen und ihn durch mein Vorhaben nicht zu schädigen, sondern ihm zu helfen. Des Weiteren möchte ich sagen, dass man sich auf die entsprechende Bitte um Nachsicht des Rabbi Me’ir, die er von einem Häretiker lernte, verlassen kann, wie sie zu Beginn der Pforte zitiert worden ist; ebenso auf den Ausspruch : „du sollst nicht lernen, es zu tun (Dtn 18,9), woh l aber darfst du lernen, um es zu verstehen und zu lernen“ (bRHSh 24b); auch darauf, was der Rav [ Moshe ben Maimon ] meinte, dass er [ näm lich ] wich-

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tige Einsichten durch die Lektüre im Sefer ha-Ṣa’ava [ Buch der Zabier ] gewonnen habe.1 Wisse, dass seit dem Ende des Zweiten Tempels bis zweihundert Jahre nach seiner Zerstörung in unserer Gemeinschaft verschiedene Sekten entstanden, die durch die fremden Gedanken und fa lschen Theologien einzel ner Personen, sowoh l in Tat a ls auch hinsicht l ich der Gebote und der übrigen Glaubensbereiche, genährt wurden. A lle diese entstanden im Lande Israel und in Syrien, und die meisten lehrten ihre Lehren anfangs im Verborgenen (wie man im Sifre, pereq re’e [151] lehrte : „be-seter – um damit zum Ausdruck zu bringen, dass sie ihre Lehren nur im Verborgenen verbreiteten“). Offen lehrte man sie nur im ägyptischen A lexandria, das dama ls einen Hort und eine Stätte des Studierens bi ldete, durchwirkt von griechischer Weisheit und der Weisheit der babylonischen, persischen und indischen Vorläufer. Einige dieser Sekten identifizierten sich ganz offen mit dem Judentum, im Verborgenen jedoch mit dem Christentum, andere verhielten sich genau umgekehrt. Die meisten von ihnen gerieten in so große Verwirrung, dass sie sogar den Göttern Griechen lands und Persiens freund lich begegneten. Sie waren es, die von den Rabbinen, seligen A ngedenkens, in den Ta lmudim und Midrashim mit der übergreifenden Bezeichnung Minim bezeichnet wurden, da sie in Bezug auf das Gesamtjudentum nur eine „ Abart“ bildeten, und jede von ihnen errichtete für sich auf der Basis eigener Gedanken eine andere Tribüne. Unter den christlichen Gelehrten wurde jede für sich mit einem eigenen Namen bezeichnet, und die am häufigsten verwendeten sind : evyonim [ Ebioniten ], naṣranim [ Nazoräer ], yod‛im [ Gnostiker ]. Und nachdem die a llgemeine Religion der Christen verfasst worden war, irrten a ll diese Sekten unter ihnen umher, und sie wurden verfolgt und verjagt, so wie gegen sie zuvor gestritten wurde und sie aus der Mitte unserer Gemeinschaft zur Seite gedrängt wurden. 1 Vg l.

Moshe ben Maimon, Führer III 29, 179 – 186, wo er auf das Buch der „nabatäischen Agriku ltur“ Bezug nimmt, welches ihm in einer arabischen Übersetzung bekannt geworden war. Vgl. dazu Weiss, in : Moshe ben Maimon, Führer III 29, 179 A nm. 1 und 186 A nm. 46.

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Und bedenke auch, dass die Sekte, die sich selbst mit der Bezeichnung „die Wissenden“ (Gnostiker) entsprechend ihres Systems der göttlichen Erkenntnis (und wir beschäftigen uns hier nur damit) benennt, zuerst unter den Christen im Jahre 130 der Zeitrechnung entstanden ist, ungefähr achtzig Jahre nach der Zerstörung des Tempels. Doch zu den Prinzipien dieser Sekte führen unterschied liche Wege, die aber a lle in der Grund lage und im System auf eins zurückzuführen sind, wie viele unterschied liche Zweige, die a lle aus einer Wurzel hervorgehen. Sie a lle gingen aber aus unserer Mitte hervor und traten dann zum Christentum über. Und nachdem ihre Gedanken offenbar geworden waren, stritten mit ihnen die weisen Priester und erachteten sie hinsicht lich ihrer Religion a ls Minim, und sie traten mit ihnen in Dispute und Streitigkeiten ein. Diese wurden in Schriften festgeha lten, zum Teil zusammen mit den Ausdrücken, Formu lierungen und den Qunṭresim der Minim selbst. Auch einige Philosophen dieser Zeit zitieren ihre Gedanken, um wider sie hinsicht lich des Wesens der Gottheit zu streiten. Die Namen der A nführer, die ein jeder nach seinem Gutdünken seinen Schü lern überlieferte, waren wie Traditionen von ihren Vorgängern, und manchma l wurden sie erachtet, a ls hätte der heilige Geist auf ihnen geruht und sie darin unterrichtet. Sie hießen : Ma l khio [ Basilides ], Ḥizqiya [ Va lentinus ], Ta l mi [ Ptolemäus ], Marqa [ Marcus ], Bar Ditzan [ Bardesanes ] und andere. Ihre Systeme werden hier zum Teil ausgebreitet werden, doch wir werden sie nur so weit zitieren, wie es unsere Belange betriff t, nämlich nur in Bezug auf den Glauben, nicht mehr und nicht weniger. – Ma l khio oder mit griechischem Namen Basilides lebte in Syrien; er erstand aus unserer Mitte, trat zum Christentum über und studierte in A lexandria ca. achtzig Jahre nach der Zerstörung, in der Generation des R abbi ‛Aqiva. Grund lage seines Denkens ist die Emanation a lles Seienden aus einem Höchsten, der Gottheit, die keinen bekannten Namen besitzt und auch keinen Namen besitzen kann. Dies ist die Wesenheit, die in sich selbst jedes Dasein und jede Vollendung einsch ließt, doch unter Vernach lässigung und im Gegensatz zu a llen Differenzierungen und jeder Fassungskraft. Und deswegen, noch bevor die Einzeldinge in Erscheinung treten,

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war es notwendig, dass die Lichtfunken und die gött lichen Attribute versprüht und diese zu einem voll kommenen Licht und so angeordnet würden, bis ein jedes von ihnen das Wesen der verborgenen Gottheit offenbaren kann. Doch dazu sagte er, dass anfangs einer jeden Erscheinung eines Einzeldings eine geistige Rea lität im Leben der Gottheit entspricht, seine Weisheit und die übrigen eine Angelegenheit betreffenden Attribute. Diese nannte man an anderer Stelle „sidre koḥot ha-eyn shem“ [ Ordnungen der namen losen K räfte ]1 (das, was in unserer Weisheit „Tiqqune ha-parṣufi m“2 heißt). Und diese Attribute emanierten, erwuchsen und entstanden eines aus dem anderen, so wie es der Verstand im Verhä ltnis 260 zu den anderen fi nden kann. | Und er sprach auch, dass die oberste Emanation, die früheste Offenbarung des Verhü llten der göttliche Geist und sein Gedanke ist, in Griechisch νοῦς. Danach kommt in der Reihe der Emanationen die Vernunft, in Griechisch λόγος. Die dritte Emanation ist der Verstand, in Griechisch φρόνησις. Die vierte ist die Weisheit, in Griechisch σοφία. Die fünfte ist die Macht, in Griechisch δύναμις (durch die das Denken in die Tat umgesetzt wird). Die sechste Emanation ist die Gerechtigkeit, in Griechisch δικαιοσύνη (sie umfasst das Recht und die Gnade und die Heiligkeit der göttlichen Führung); die siebte Emanation ist der Friede, in Griechisch ει ̉ρήνη (er umfasst das Gute und den Segen, der aus der Gerechtigkeit hervorgeht). In diesen sieben Attributen offenbart sich das Namen lose, und es wird bei ihm a ls „die erste Acht“ bezeichnet, die die Grund lage a ller ihrer nachfolgenden Rea lität sind. Und Ma l khio fand ein Abbild und Ikon für diese Achtheit in den sieben Gestirnen, von welchen die beständige Veränderung der irdischen Dinge abhängt und regiert wird, in Griechisch die κοσμοκράτορες, und über ihnen befi ndet sich das, was sich über dem Sternzeichen befi ndet, die Ruhe des Unwandelbaren. Und andere Abbilder sind die sechstausend Jahre der Weltendauer, der siebte Tag a ls Ruhetag, das siebte Jahrtausend g lücksel iger 1 Vg l.

dazu Neander, Genetische Entwick lung, 33 („innomina l ibus“). dieser kabba l istischen, aus dem Zohar und seinen Kommentaren bekannten Terminologie vg l. A mir, Leqsiqon, 60. 2   Zu

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Weltökonomie, und das achte Jahrtausend umfasst die Königsherrschaft Gottes im Himmel und auf Erden in Ewigkeit.1 – Von der ersten Acht gingen acht Sieben-K räfte aus, und sie bi ldeten zusammen mit der ersten Emanation eine zweite Acht. Doch diese erste ist die einzige, der A nfang und Ende zukommt, die eine eigene Existenz für sich besitzt. Und jede weitere Stufe ist Ausf luss und Abdruck der früheren bis zu der Zahl von 365 Geisterreichen, diese Zah l bezeichnet die ganze Lebensentwick lung. Und die Basilidianer nannten sie mit dem mystischen Namen Abraxas, was mittels gematria vielleicht auf die Zah l 365 hinweisen soll. – Eine weitere Grund lage seines Denkens war, dass es von A nbeginn an eine gute und eine sch lechte Seite gibt, einen Sitz des Lichtes und einen der Finsternis, zwei Herrschaftsbereiche (a llerdings nicht zwei wirkl iche Gottheiten). Den Reichen des Lichtes entsprechen die erwähnten 365 Geisterreiche. Auch sie reichen Stufe für Stufe hinab, sodass die gesamte Welt durch die vorangehende miteinander verbunden ist. A lle hängen somit mit dem gött lichen Bild zusammen, und a lle erkennen ihren Ort für sich an und vollführen den Willen des Namen losen, indem sie seinen Glanz und seine Ehre wie durch einen Spiegel offenbaren. Doch unter ihnen a llen und völlig von den anderen getrennt befi ndet sich das Reich der Finsternis. Es befindet sich auf der niedrigsten Stufe dieser Existenz, und dennoch existiert es, und es erreicht das Ziel, für welches es bestimmt ist. Auch sagte Ma l khio, dass es keine Substanz gebe, die sich nicht selbst genüge und in der es kein Gutes gäbe, und es gäbe auch kein absolutes Böses, nicht einma l im Reich der Finsternis. – Doch das, was die Basilidianer erzäh lten, dass, wenn die Stufen des Sitzes des Lichtes an ihr Ende gelangten und dafür die Mächte der Finsternis aufstiegen und Oberhand gewannen, sodass sie bis zu den Enden des Lichtes gelangten, sie das Verlangen verspürten, an dem Guten festzuha lten und sich mit dem wenigen, was aus ihm hervorgeht, zu verbinden. Und aus dieser Vermischung entwickelte sich das, was unsere Augen in der Natur dieser Welt und in der Natur der Seele des Menschen sehen können, d. h., wir finden sie verstreut in 1 Vg l.

Neander, Genetische Entwick lung, 35.

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der Welt der Seelen, die die Quelle des Ursprunges des Sitzes des Lichtes sind, gefangen in den leiblichen Gefängnissen, die aus lebloser Materie bestehen, und die nur leben durch die sie einnehmenden K räfte des Lichtes. Selbst in der Substanz der Seele findet sich eine Mischung von erleuchtetem Verstand (guter Trieb) und dunk lem Verlangen (böser Trieb). Und Ma l khio nannte diese Vermischung die Vermischung im A nfang [ oder prinzipielle Vermischung ].1 – Zur Korrektur dieser Vermischung ist die Weltbildung notwendig, deren Ziel und Absicht die Schöpfung und Durchführung der Wiederherstellung der unteren Lebewesen ist, die Abwendung der Vermischung und der Verbindung der Mächte und die K lärung der Lichter, die Sonderung des Lebendigen vom Toten, des Lichtverwandten von dem, was der Finsternis angehört. Dies wird von ihm a ls „Unterscheidung“ [ διακρι ́σις ] bezeichnet, und durch sie kehrt a lles an den ihm eigenen Wurzelgrund und zu dem ihm Verwandten zurück. Dies heißt bei ihm „die Wiederkehr“ [ ἀποκατάστασις ]. Das absolut Böse aber, welches nach Ma l khio nur wie Sch lacke ist, die nur durch die Sünde in Dunkelheit existiert und die durch die oben erwähnten K räfte geblendet wird, bleibt nicht bestehen, sondern wird verbrannt und vernichtet. Die Ord261 nungen der Schöpfung, d. h. die Gesetze | der Taten und ihrer Verdienste in der Welt, beruhen nicht a llein auf der Macht der Lichter, die von oben herabfa llen und die [ einfach ] höher sind. Denn sie a lle existieren verbunden und sind eines vom anderen unterschieden, die dabei eine neue geistige Welt schaffen, gleichzeitig verbunden mit den erwähnten geistigen Welten. Darüber sagte Ma lkhio : Der Führer dieser letzten Achtheit der geistigen Emanationen ist selbst der Schöpfer, der Bildner und Leiter der physischen Welt, und er nannte ihn Fürsten bzw. ἀρχῶν der Welt. Die Aufgabe dieses αρ̀ χῶν ist es, Geschöpfe zu schaffen und sie durch die Gesetze der Natur und des Schicksa ls zu bilden, wobei sie dem Wachsen, Leben und Sprechen ähn lich werden, und er bringt diese Naturordnungen g leich bei ihrer Entstehung nur zur Wirksamkeit. Und der ἀρχῶν erk lärt, dass diese Leitung seinem Willen und sei1 Neander,

Genetische Entwick lung, 37.

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nem Denken entspricht und dass es über ihm keine Führung gibt. Ohne dies wäre sie ohne Ziel der göttlichen Gedankentiefe, und sie ist für ihn nichts mehr a ls ein Mittel seiner Kunst, und seine Tätigkeit dabei ist nichts weiter, a ls die auf der Welt verstreuten Geistleben zu verwandeln, damit sie abheben und sich unterscheiden. Dies bezeichnete Ma l khio entsprechend des gesamten Welten laufes und des ihn beinha ltenden Lohnes und angesichts der Unterschiede zwischen dem Schicksa l der einzelnen Völ ker und Menschen a ls Prozess der Reinigung und Läuterung für die mit Dunkelheit vermischten Lichtwelten.1 Das Hauptziel dieses [ Prozesses ] war : Die Differenzierung, die Beantwortung [ der Zweifel ] und die Errichtung jener erwähnten neuen geistigen Welt. Doch der ἀρχῶν selbst weiß von a ll dem nichts, er ist bei a ll den Gesetzen und Führungsordnungen [ der Vorsehung ] nichts mehr a ls ein künst l iches Hi l fsmittel, um den gött l ichen Wi llen zu verwirklichen.* * Die

Meinung, dass der ἀρχῶν über Natur und Schicksa l herrscht und nichts von der Herrschaft, die über ihm steht, weiß, ist a llen Systemen der Minim gemeinsam, nur dass sie hinsicht l ich ihrer Bezeichnung wechsel n : Fürst, ἀρχῶν, Künst ler, Demiurgos und ähn l iche Bezeichnungen. Dies deutet aber darauf hin, dass sie a lle aus derselben Wurzel stammen, wie wir es oben angedeutet haben. Sie ist a ll diesen Systemen der Minim gemeinsam und die Quelle, aus der sie schöpften. – Auch die K abba l isten gingen von zwei A rchonten aus, und sie meinten, dass die letzte midda die oberste Führung bezeichne bzw. die nesiye nistar, die ohne Veränderung die Welt leitet (vg l. den Kommentar des R amban zu dem Vers : ich, el shaddai [ G en 17,1 ] [ hg. v. Chavel, I 98; R amban (Nachmanides) Commentary on the Torah, hg. v. Chavel, I 214 f.), zuma l die R abbinen, sel igen A ngedenkens, stets der Macht des Schicksa ls [ mazza l ] und des Rechtes gedenken und meinen, dass die Führung Israels und der Gerechten über dem Schicksa l [ mazza l ] steht, und so scheint es, dass auch ihre Meinung mit dieser Überlegung übereinstimmt. – Es lohnt sich aber zu durchschauen, dass diese [  Bezeichnung ] „Fürst der Welt“ ausdrück l ich auch in unserer Gemara erwähnt wird, und niemand verstünde diese ohne diese Einführung. (bHu l 60a) : „ A l s näml ich der Hei l ige, gepriesen sei er, bezüg l ich der Bäume sprach : nach seiner Art (Gen 1,11), folgerten es die Gräser auf sich“ usw. … hierauf kam jedes 1 Vg l.

Neander, Genetische Entwick lung, 39.

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Mit a ll dem verfolgte er sein Ziel, die Wege der göttlichen Vorsehung zu rechtfertigen, wer gerecht und wer frevel haft sei, böse oder gut, und die übrigen wundersamen gött l ichen Fügungen. Wenn es [ dem Menschen ] aber mög l ich wäre, den Prozess der Läuterung in seiner Gänze zu betrachten, so fielen a lle Zweifel nach seiner A rt hervor. Sodann begann der Fürst der Welt und sprach : Ewig währt die Herrlichkeit des Herrn, es freut sich der Herr seiner Werke (Ps 104,31).“ Dies bedenkt das wundersame und verborgene geistige Gesetz in der Natur der Pf lanzen samt a llem offen zutage l iegenden Durcheinander (bYev 16b) : „ Jung war ich und bin alt geworden, diesen Vers sprach der Fürst des Welta lls.“ Dieser Satz wundert sich darüber, dass seine Führung, die doch von der Determination und dem Schicksa l abhängt, den Guten nichts Gutes und den Bösen nichts Böses zu bringen vermag; sie kreist daher um den Gedanken, dass es über ihr ein offenbares Wunder zugunsten des Ergehens des Gerechten gibt. (bSan 94a) : „ Herrlichkeit für den Frommen ( Jes 24,16) dies sprach der Fürst der Welt : wi ll fahre diesem Frommen seinen Wunsch,“ dies bezieht sich auf Hiskia – dass er der erhoff te Messias sei. Und es wird ihm durch den Herrn, gepriesen sei er, gesagt : „Wehe mir, wehe mir ! ( Jes 24,16)“ (bSan 94a), d. h., er verbarg vor ihm die Tiefe seiner Gedanken hinsichtl ich der Führung der jüdischen Nation in der Geschichte, die jenseits seines Herrschaftsbereiches l iegt. Doch ich wüsste nicht, dass dieser Name noch an anderen Stellen der Bücher der R abbinen, sel igen A ngedenkens, erwähnt würde. – Nach Auffassung der Minim ist dieser Fürst a llerdings auch der Schöpfer dieser Welt, und er ist Vorbi ld und Abbi ld des Herrn, und sie riefen ihn daher auch mit der Bezeichnung „Gott“ [ el ] (was noch hinsicht l ich des Systems des Ḥizqiya [ Va lentinus ] erläutert werden wird) und mit vielen anderen Wörtern, die die Nichtigkeit mehrten, die sie damit ausdrückten, und ihr Gedächtnis wurde nicht bewahrt, denn a ll dies wurde von unseren Weisen an zah llosen Stellen ausgemerzt und völl ig geti lgt. Und zweifellos beabsichtigten sie, in der Mishna bekannt zu machen und zu erk lären, dass dieser Schöpfer- Gott eigent l ich der Erschaffer [ ha-bore ] sei. Doch darüber stritten die R abbinen mit den Minim, und ihre Streitigkeiten sind in den Ta l mudim und Midrashim belegt, was so weit ging, dass gegen sie und gegen ihre Behauptungen bezüg l ich der Gottheit und gegen ihre Übertretungen der Gebote die bekannte Berakha [ gegen die Minim ] festgelegt wurde, ca. siebzig Jahre nach der Tempel zerstörung. A ll unsere Worte in dieser Pforte sind jedoch der Sch lüssel für das Verständnis a ll dessen, was wir über sie, die R abbinen, sel igen A ngedenkens, berichten. Der Gebi ldete möge sie an der richtigen Stelle verstehen und interpretieren, uns ist hier jedoch nicht der R aum gegeben, uns länger damit aufzuha lten.

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von ihm ab.1 Denn seit den A nfängen der Schöpfung streben a ll diese verstreuten Lichter in einem ewigen Lauf danach, | sich von 262 dem Fremden und dem ihnen Äußerlichen zu reinigen, um somit zu ihrer Freiheit zurückzugelangen und sie in der Welt aus den geistigen Welten auszuformen. Sie übersteigen dabei jede Grenze und Inha lte geistiger Wesen Stufe für Stufe, von dem gegebenen f leisch lichen Zustand bis zu der dunk len Materie und seiner Schwerfä lligkeit, in dem sich das Geistige noch immer verbirgt und in das es eingepf lanzt ist, bis zur Stufe des Menschen und dem, was über ihm steht. – Ma l khio glaubte dabei an die einmalige Seelenwanderung, so wie es dem eigent lichen Geha lt dieses Ausdruckes entspricht, d. h., dass a lle in einem Durch lauf in den unterschied l ichen geistigen Welten auf- und absteigen bis zur leblosen Materie und dem Sandkorn, um dann von neuem einen K reislauf zu beginnen, rückwärts an Wichtigkeit und günstigen Umständen, bis man zum Bündel des göttlichen Lebens gelangt und ihm anzuhängen vermag. Dies a lles mit Hilfe und unter der Leitung des A rchonten der Welt und seiner Fürsten, die über jede Nation ernannt worden sind, und seiner Engel, die den einzelnen Menschen erfü llen und ihn auf dem Weg dieses erwähnten K reislaufes leiten, und zwar ohne dass irgendjemand etwas davon erkennen würde. Selbst die guten oder sch lechten Ereignisse im Leben eines einzel nen Menschen sind seiner Meinung nach Folge seiner Taten in vorangegangenen Stadien seiner Entwick lung, sogar jede Bestrafung und Bedrängnis ereignen sich nur, um ein Seelenübel, welches aus einem früheren Leben rührte, auszug leichen, sei es, dass das Übel Wirkung zeitigte oder nicht, wie bei gestorbenen K leinkindern. Er [ Ma l khio ] führt dafür a ls Beleg die Schriftverse an : Wer macht Reines aus Unreinem (Ijob 14,4) ?; der Gerechte erhä lt a lso seine Strafe gemäß seiner früheren Übertretung, und Belohnung ist erst in einem späteren Leben a ls diesem zu erwarten. Dies begründete Ma l khio a lso genau wie unsere kabba listischen Weisen, und er erk lärte die Sache mit dem Lebenszyk lus wie in der Schriftstelle von dem dritten und vierten Glied (Ex 20,5) 1 Vg l.

Neander, Genetische Entwick lung, 39.

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oder in [ dem Vers ] all dies wirkt Gott zweimal, dreimal gegen den Mann (Ijob 33,29). Aus a ll dem entnahm er, dass von oben nichts Böses herabsteige, dass [ das Böse ] viel mehr a llein auf die Gefangenschaft der Seelen und die Verbindung der Substanz des Lichtes mit der dunk len Materie, einer ihm fremden und andersartigen Sache, zurückzuführen sei wie der Rost auf Meta ll, und daher dachte er auch daran, diese Welt zu offenbaren und den Tempel des Herrn darin. – Außerdem sch ließt er sein System auf diese Weise ab : Da der A rchont keine Kenntnis davon hat, dass unter die Seelen, die ihm unterstellt worden sind, auch einige Lichtfunken aus sehr verborgenen Welten und Stufen gefa llen sind, die am Ende sogar viel höher a ls er selbst, der A rchont und der letzte unter den Emanationen, aufsteigen können, genügte ihm niema ls der Prozess der Reinigung, Läuterung und Rückkehr der Seelen im K reislauf vollkommen, um die gesuchte Gottheit zu erreichen, es sei denn durch den A rchonten selbst. Doch indem jenen erhabenen Seelen ihre Beschaffenheit und Stellung bewusst wurde, dass sie niemandes anderen mehr im Gang des K reislaufes von einer niederen auf eine höhere Stufe bedurften – zu diesem Zwecke offenbarte sich ihnen viel mehr der erste Emanierte, der Geist des Namen losen, um ihnen ihre Überlegenheit zu verkünden und ihnen mitzutei len, dass sie den A rchonten und seine Diener in dieser Welt besiegen können, indem sie sich umgehend mit dem Sitz des erwähnten Lichtes verbinden. Und von da kommt Ma l khio auf den Messias Gottes zu sprechen. Seiner Meinung nach geht [ dessen Kommen ] der offenbarten Erlösung voraus und unterscheidet sich voll kommen von dieser, da sie eine Erlösung Gottes durch die erste Emanation, den Geist des Namen losen, ist, der auf den Seelen derer ruht, die sich auf der höchsten Stufe befinden, wie z. B. Propheten und Gerechte der Gesch lechter; durch einen Geist, der sie über das Schicksa l hinaus erhebt, d. h. über die Herrschaft des Fürsten der Welt und über die Prozesse seiner Vorsehung, sodass sie nicht mehr in den niedrigen und geheimnisvollen K reislauf a lles Seienden zurückkehren müssen. Dies begründete er mit dem Schriftvers : Erlösung sandte er seinem Volke, gebot für ewig seinen Bund, heilig und furchtbar ist sein Name (Ps 111,9). Er dachte im Übrigen genauso wie die ande-

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ren Sekten der Minim, indem er sein System mit den bekannten messianischen Glaubensgrundsätzen des Christentums verband, was ihm jedoch nicht richtig gelang, was aber nicht zum A n liegen unserer Ausführungen gehört.

Das Haupt der anderen Sekte war Ḥizqiya, mit lateinischem Namen Va lentinus; er war Zeitgenosse des erwähnten Ma l khio, und auch er stammte aus dem Judentum und trat in A lexandria nach Studien zum Christentum über. – Dies ist der Hauptteil seines Systems, soweit es unsere Fragen betriff t : Er sagte, dass das von der Religion Offenbarte der breiten Masse und der auf niedriger Stufe Stehenden wert sei, die er a ls engelgleiche Wesen bezeichnete. Das Verborgene der Religion solle dagegen Mysterium eines k leinen Restes bleiben, und zwar für jene, die des Geistes mächtig seien, d. h. jene, die außer einem engelgleichen Geist | eine Erleuchtung von einer anderen und erhabenen Stelle erha lten haben. – Wie Mal khio nahm er a ls Grundlage an, dass es eine Differenz zwischen der Emanation und der Schöpfung gebe, d. h. zwischen den Prozessen der Attribute und den sich in Gott offenbarenden K räften der Gottheit selbst. Sie seien in ihm und zwischen der gött lichen K raft angeordnet, entsprechend dem, was sich in der Schöpfung der Welten findet, wobei sich die Potenz bereits davon getrennt habe und für sich selbst stehe und vermischt sei, a ls sei es eine fremde und andersartige A ngelegenheit.1 Grund lage und Quelle a lles Seienden und jeder Existenz ist die voll kommene ewige Substanz, die in unsichtbaren Höhen wohnt, wo sie kein Auge sehen und kein Mund besprechen kann. Sie wird von ihm „Unergründliches“ [ ʽomeq eyn-ḥeqer ]2 genannt; das, was über jeden Verstand und jede Schau zu ihrem Grund erhaben ist. Sie wird auch a ls „der nie A lternde“ [ av ha-qadum ] und „der ewig Junge“ [ rosh hareshit ] bezeichnet, insofern er an und für sich über jede Berührung mit den end lichen Dingen erhaben ist, außer mittels seiner Attribute, die ihren Urgrund und A nfang bilden. Die erste A ktivi1 Vg l. 2 Vg l.

Neander, Genetische Entwick lung, 94. K latzkin, Thesaurus II, 146.

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tät des Unergründ lichen war die Offenbarung der Ordnung und Möglichkeit seiner verborgenen K räfte. Und durch diese gewisse Auseinandersetzung und A nordnung fi ndet ein Begreif lich-Machen des Unbegreif lichen1 statt. Jene K räfte oder Auseinandersetzungen der obersten Substanz wurden mit dem Namen „Ewige“, in Griechisch αἰῶνες, bezeichnet, denn sie bestehen aus einer besonderen Substanz, welche ewig ist und die nie später entsteht a ls ihr Gedanke, d. h., dass es nie mög lich ist, diese Äonen zu denken, ohne dass wir vorher an das Unergründ liche denken. Und die Schü ler und Gefolgschaft des Ḥizqiya nannten jene Ewigen „die absolute Gottheit“. Doch gegen sie wandten sich die christ lichen Gelehrten, und sie stritten mit ihnen und warfen ihnen vor, sie glaubten an mehrere Gottheiten. Und Ephraem der Syrer, den wir vielleicht noch [ a n anderer Stelle ] erwähnen werden, wirft ihnen vor, dass sich ihre Worte widersprechen : Sie behaupten demnach die anfäng liche Einheit und sagen damit g leichzeitig, dass jene Äonen einer Substanz mit Gott sind und dem a llerersten A nfang entspringen. Und er zitiert sie tatsäch lich in syrischer Sprache [ Sermo 30 ]2 : „dass sie a lle durch ein gemeinschaft liches Wesen verbunden sind, obg leich voneinander durch bestimmte Grenzen gesondert.“3 In diesen Äonen findet sich Masku lines und Feminines, denn nur im Unergründ lichen ist a lles eins und gesondert. Zu Beginn der Erscheinung [ in dieser Welt ] tritt dann die Unterscheidung von männ lich und weiblich zutage, und das Masku line befruchtet das Weibliche, worin sich wiederum der Rest der Abstufungen jener Rea lität findet. Dies ist aber eine seiner Grundannahmen, dass a lle Welten sich komplementär zueinander entwickel n, d. h., dass man jedes Gesetz und jede Ordnung, welche man auf einer Stufe der Rea lität findet, entsprechend auf einer ihr höherstehenden Stufe wiederfi ndet. So versteht er auch die A ngelegenheit der Paarung, näm lich dass a lle Erleuchtung und Offenbarung von Verborgenem sowie Erhellung von Lebenskräften aus der Quelle 1 Vg l.

Neander, Genetische Entwick lung, 95. ebd. 3 Das Z itat bei Neander, G enetische E ntwick lung, 96. 2 Vg l.

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des Lebens und der Fortpf lanzung kommt und durch die Äonen vollbracht wird, sie sich gegenseitig erhellen, sich gegenseitig passend machen und sich miteinander vereinigen. Und übera ll gibt es ein Männ liches a ls das Wirkende, einen Schöpfer und Erzeuger; und das Weibliche empfängt die Wirkung und die Zeugung, und es bereitet jenes Wirkende zur Geburt und zur neuen Vollendung, in der die Äonen in ihrer Substanz, in ihrer Verbindung offenbar und ersicht lich werden, sei es nach der männ lichen oder der weibl ichen Seite. Die Gesamtheit des Offenbarwerdens der Äonenwelt wird „oberste Fü lle“, in Griechisch πλήρωμα, genannt. Es wird a llerdings auch a ls Ergänzung des Unergründ lichen bezeichnet, denn wie jedes der Äonen sein Gegenüber ergänzt und vollendet, so ergänzt und vollendet auch das Unergründ liche die Rea lität. – A ller A nfang ist, wie gesagt, das Unterfangen des Unergründ lichen, sich selbst zu offenbaren. Und indem es sich selbst erkannte, gebiert es seinen Geist, der a ls das Ewige oder a ls das Begreif lichwerden und das erste Begreif liche bezeichnet wird. Dieser göttliche Geist ist Urvater und A nfangsprinzip a llen Daseins, doch in seiner Begrenzung wird er nur mehr oder weniger ersichtlich.1 Und dieser Geist wird in Bezug auf das Unergründ liche auch „Name“ genannt, da es selbst keinen Namen hat; auch wird es a ls A ngesicht des Ur vaters und Monogenes [ yelid-yaḥid ] bezeichnet. A llerdings gehört es zum Wesen dieses Unergründ lichen, das es unbestimmt und verborgen bleibt und der Welt niema ls offensichtlich wird, | und dies erforschen zu wollen, bedeutet Bitter- 264 nis und Frevel. Wie der Geist des genannten Monogenes die a llgemeine Erleuchtung und Offenbarung des Unergründ lichen ist, so sind die Äonen Erleuchtung und Offenbarung dieses sich immer mehr individua lisierenden Lebens.2 Doch im Unterschied [ z u den anderen Wesen ] kann man im Unergründ lichen nicht mehr zwischen der Substanz und den unbekannten Erscheinungsformen unterscheiden – und jede Substanz, die über ihr steht, gründet im Unergründ lichen, seine Definition wird aber nur durch [ den Un1 Vg l.

2 Fast

Neander, Genetische Entwick lung, 93 f. wört l ich bei Neander, Genetische Entwick lung, 99.

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ergründ lichen ] und den Geist Gottes, den erwähnten Monogenes, erlangt. In der Bestimmung der Zah l der Äonen stimmen die Vertreter der va lentinianischen Systeme nicht überein.1 Während in einigen von einem Äon nur mittels verschiedener Bezeichnungen in Rücksicht auf verschiedene Beziehungen und Wirkungsweisen die Rede war, wurden in anderen daraus irgendwelche Hypostasen abgeleitet (so wie es auch unsere kabba listischen Weisen hinsichtlich einiger Sefirot, Netivot und She‛arim mit einem jeden zu tun pf legten), doch darin stimmten die meisten überein, dass die Zah l der Äonen dreißig betrug. – Auch dem Unergründ lichen verliehen sie einen Partner [ σ ύζυγος ] (was eigent lich ihrer Annahme seiner Unsichtbarkeit widerspricht, dass von ihm keine Erkenntnis mög lich sei, sodass ihn einige sogar den Sich-nicht-Paarenden nannten). Sie meinten näm lich, dass dadurch, dass er sich selber gedank lich entfa ltete, seine Gedanken seine Partnerin sein müssten, und daher bezeichneten sie diese auch a ls Stille [ σ ιγή ], Stimm lose, Fü lle der Unergründ lichkeit. Danach kommt der Geist, der bereits vorgestellt wurde. Da er Grund a ller Existenz und Basis des Denkens und Erkennens der Wesensarten ist, wird seine Partnerin Wahrheit und Glaube [ ἀλήθεια ] genannt. – Das Unergründ l iche und die Stille, der Geist und der Glaube, sie bi lden die erste Quadriga, die Wurzel n a ller Wurzel n für a lles.2 – Aus dem Geist und dem Glauben gehen der Verstand und das Leben [ ζωή ] hervor. Und sie sagten, dass sie mit a ll dem darauf hinweisen wollten, wie sich die verborgenen K räfte stufenweise entfa lten, bis sie vollständig und erkennbar werden. Wie die Existenz des Lebens durch seine Wirkung stärker erkennbar wird, die nicht sichtbar wird, so ist die erkenntnismäßige Durchdringung, die wie eine innere Stimme ist, offenbarer a ls der Geist der Wahrheit, die wie ein reiner Gedanke in Potentia lität ist, der sich noch nicht aktua lisiert hat. – Der Geist und seine Partnerin [ σ ύζυγος ], das Leben, sind die Gebärenden sechs weiterer Äonen mit ihrer Partnerin, dem λόγος [?]. Zuerst 1 Vg l.

Neander, Genetische Entwick lung, 99. anders Neander, Genetische Entwick lung, 101.

2 Etwas

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wurde dieser Äon a ls „Urmensch“ oder in Griechisch a ls ἄνθρωπος bezeichnet, und sein σύζυγος a ls die „himm lische Gemeinde“, in Griechisch ἐκκλησία.1 Und Va lentinus sagte : „ A ls sich Gott offenbaren wollte, wurde dies Mensch genannt.“ Einige nannten sogar die erste Emanation des Geistes [ νοῦς ] des Monogenes selbst „Mensch“. Und sie sprachen weiter, dass die Offenbarung eine A ktua lisierung einer Sache ist, die potentiell vorhanden ist, so wie der Same einer Pf lanze vorangeht oder das Materia l dem, was aus ihm geformt wird. – Dies beschreibt auch das Verhä ltnis zwischen einer erleuchteten Sache und einer Sache, die für sich genommen dunkel ist.2 – Der Urmensch und sein σύζυγος, die himm lische Gemeinde, zeugen sechs weitere Äonen. Das letzte Paar von ihnen und damit das Ende a ller Emanation und die Erfü llung des Höchsten ist das Ziel, die Spitze, auf die a lles abzielt, in Griechisch τέλος oder φιλητός, und sein σύζυγος ist die oberste Weisheit, in Griechisch σοφι ́α (ma l khut, ḥokhma tita’a oder ḥokhmat Sh lomo bei unseren kabba listischen Weisen).* Damit ist die Entfa ltung dieser fünfzehn Äonen-Paare vollendet, und sie erfolgte bislang in der korrekten und richtigen Reihenfolge; an ihnen hingen aber a lle Lebensformen sowie Glück und Wohlergehen, und sie existieren in der Tiefe des Unergründ lichen, * Dies

ist die A rt und Weise, diese Bezeichnungen und Maßstäbe, die in Bezug auf Gott, er sei erhaben, erdacht wurden, auszuweiten und sie so zu behandel n, a ls ob es sich um eigene Substanzen, in Griechisch ὑπόστασις, handelt. Dies war auch unter den zeitgenössischen Phi losophen sehr verbreitet, aber auch unter den R abbinen, sel igen A ngedenkens, die darauf etwa in Dikta wie diesen zurückgriffen : „Da sprach die middat ha-din vor dem Hei l igen, gepriesen sei er“ (bShab 55a); „aus dem Munde der gevura, und der hei l ige Geist antwortete ihr“ (bMak 24a); „die shekhina, was sagt sie ? “ (bHag 15a). Und im Midrash Mish le heißt es, dass „die shekhina vor dem Hei l igen, gepriesen sei er, aufstand“ (MMish 22,28 [ 47a ]). Aufgrund solcher Umschreibungen entstand aber jenes Durcheinander mit den Phantastereien der Minim, ähn l ich dem, was man von der Sekte der Sadduzäer und Boetusier erinnerte. 1 Vg l.

Neander, Genetische Entwick lung, 102. bei Neander, Genetische Entwick lung, 103.

2 A nders

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erhellen und offenbaren stets seine verborgenen Potenzen, die da265 her auch a ls Unergründ l iche1 bezeichnet werden. | A llerdings haben wir bereits oben darauf hingewiesen, dass die Suche nach einer Erk lärung für die Wurzel und die Quelle des physischen und geistigen Bösen, d. h. der Übel in der Welt und der Sünden in der Seele, zu einem Eckstein des gesamten Systems und der Systeme a ller Sekten dieser Gnosis wurde. Die Va lentinianer fragten und sagten : Wie ist diese Welt entstanden, in der wir positive göttliche Mächte sehen können, die mit der toten Materie verbunden sind, Schönheit und Ordnung aus der oberen Welt, die jedoch mit den Todesschatten des tohu und mit dem Chaos verbunden ist, Macht und göttliches Licht in seiner Lebenswelt sowie Glanz und Ordnung in a llen Geschöpfen, doch von Stufe zu Stufe abnehmend, bis es ganz in unscheinbaren und niedrigen Geschöpfen zu verschwinden droht ? Woher, dass wir bei den Menschen drei entgegengesetzte K lassen finden ? Die eine, die a llein hinter den materiellen Genüssen herjagen, die sich nur hinsicht lich leiblicher Dinge hervortun, um a ll ihre Genüsse und Will kür zu erfü llen. In jenen findet sich keine Spur der göttlichen Belange und geistigen Dinge. Die andere K lasse bilden die Mittleren, wobei auch ihre Tätigkeit nicht erhaben ist, und sie suchen das Woh l und das R ichtige in den Belangen ihrer Welt. Doch in ihren Herzen ist ein Verstand verborgen, der es ihnen ermög licht, den ewigen und gött lichen Dingen nachzustreben. Die dritte K lasse lehnt die A nnehm lichkeiten dieser Welt ab, und sie betrachten sich a ls Fremd linge in ihr und a ls Gefangene in einem Gefängnis, die danach streben, in eine höhere Welt aufzusteigen, da sie füh len, dass sie von dorther gekommen sind. A ll ihr Können richten sie auf die Beseitigung der Hindernisse und Differenz zwischen ihnen und dem großen Ziel.* * A nscheinend

beziehen sich auch die R abbinen, sel igen A ngedenkens, auf diese drei Sekten, indem sie meinen (bHag 14b) : „Sagte R abbi zu seinen Schü lern, a ls sie die merkava auslegten : Ihr, eure Schü ler und die Schü ler eurer Schü ler werdet zu einer dritten K lasse gerechnet.“ Und dies wurde bezüg l ich ihrer Beschäftigung mit der Auslegung der merkava gesagt. 1 Vg l.

K latzkin, Thesaurus II, 146.

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Ebenso gibt es im Menschen zwei Triebe : Einen, der ihn zu göttlichen Dingen, und einen, der ihn zu tierischen Gelüsten hinzieht. Die Regel, die wir in dieser Welt wahrnehmen, ist, dass es eine Welt gab, die an und für sich gut war, deren Güte aber immer mehr abnahm und mangel hafter wurde und einer Korrektur und Vollendung bedurfte. Woher entnehmen wir dies a lles ?1 Durch wen wurde dieses Übel verursacht ? – Va lentinus ging dabei anders a ls Ma l khio nicht von zwei Reichen aus, und dass es einen unabhängigen Sitz der Dunkel heit gebe und dass die Finsternisse über das Licht Oberhand gewönnen. Vielmehr meinte er, dass es nur eine Materie – ὕλη – gebe, ein wesen loses Chaos, das wie Schatten dem Licht zur Seite stehend ist, ein κενόν gegenüber einem πλήρωμα. Und diese besitzt an und für sich kein Leben, es sei denn, sie wird mit einer der K räfte oder Lichter des πλήρωμα durchwirkt, sodass sie aktiviert und die Schwierigkeit beseitigt wird, wobei dies der Widersacher und Gegner ihrer Bildung und der organischen K raft der geistigen Wirksamkeit ist. Va lentinus sagte (wie es auch der Rav [ Moshe ben Maimon ] in seinem More ausdrückte)2 : Diese Gegnerschaft im Großen und Ganzen werde Satan genannt. Doch dies brachte die erwähnte Frage bezüg l ich seiner Eigenart mit sich : Wie kommt es, dass die Äonen aus dem πλήρωμα in diese Welt hinausfinden und verloren gehen, um auf diese Weise den Satan und das absolute Böse zu bekämpfen und zu besiegen ? – und dies ist es, was bei ihm auf den Fa ll und das Herabfa llen, die Vernichtung der richtigen Ordnung unter den Äonen selbst, sei es teilweise oder vollständig, hinweist. – Und siehe, Va lentinus war darin der erste unter den ihm ähn lichen Sekten, doch erfand und verglich man mit diesem bedeutenden Fa ll viele andere Speku lationen, eine jede nach ihrer Weise und entsprechend der A rt, wie sie begeistern konnte. Und vielleicht werden wir dazu noch einiges im weiteren Verlauf dieses Schreibens erwähnen, z. B. [ d ie Lehre ], wie das πλήρωμα und das Licht übersprudel n, bis dass die Äonen aufgefü llt werden, sodass sie in das tote Chaos hineingezogen und 1 Vg l. 2 Vg l.

Neander, Genetische Entwick lung, 106. Moshe ben Maimon, Führer III 22, 136 unter Bezug auf bBB 16a.

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ausgegossen werden, wobei man diesen ausgegossenen A nteil a ls ta l orot [ Tau von Lichtern ] bezeichnete (was sich natürlich auf den Vers denn ein Tau von Lichtern ist dein Tau, aber zur Erde wirfst du Riesen [  Jes 26,19 ] bezieht)1; d. h. nur wie Tau war er, und er musste erst Gesta lt annehmen, um dann zu richtigem Niedersch lag zu werden. – A llerdings sollten wir hier auch ein wenig von dem erwähnen, was Va lentinus hinsicht lich der äußersten und letzten Weisheit der Äonen erdichtete, was er diesbezüg lich verschu ldete, indem er fä lsch lich verbreitete, dass sich aus ihr die umfassende Seele in diese physische Welt geboren hätte – a ls gäbe es eine Beziehung zur [ Lehre von ] der Reduzierung [ ha-qiṭruq ] und der Diminution [ ha-miʽuṭ ], der Verbannung [ ga lut ] und der Restitution [ tiqqun ], 266 welche die Sefi rot-Weisen erwähnen. | Außer dem Geist des Monogenes kannte er auch den Urvater [ av ha-qadum ], und seine A nerkenntnis, die ihm den Reichtum der A nnehm lichkeit des Äons bekräftigen sollte, wollte er auch an die übrigen Äonen weitergeben. Doch die Zurückha ltung des ruhenden Unend lichen im Willen des Urvaters, welche, wenn nicht aus den Äonen, aus seinem eigenen Willen und aus dessen Abstufung hervorgehen muss, sehnt sich nach ihrer A nerkennung; und wenn dem so ist, könnte es a llen übrigen Äonen gelingen, zu ihrem Monogenes vorzudringen und sich ihm zu nähern und durch ihre Hil fe auch zu der unsichtbaren Wurzel. – Je mehr sich die Äonen a llerdings demgegenüber von der verborgenen Wurzel entfernen, umso mehr nimmt ihr Bedürfnis zu, zu ihr [ der Wurzel ] aufzusteigen, und dieses Verlangen nimmt mit unermessl icher K raft beim letzten Äon, der äußersten Weisheit, zu. Man muss sogar sagen, dass sie meinten, dieses ungebührende Verlangen, in den Äonen nach oben aufzusteigen, begönne sofort, nachdem sie nach der Trennung von der Wurzel zu existieren anfi ngen, und zwar so lange, bis sich ein Zeichen der Zerstörung im letzten von ihnen zeige, wie bei einer im Körper verborgenen K rankheit, die erst durch ihre Behand lung in ihren Folgen offensichtlich wird. 1 Vg l. Neander, Genetische Entwick lung, 107 (mit Bezug auf die L ehre der

Ophiten, die K rochma l hier nicht erwähnt).

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Die Weisheit verabscheute daher ihren σύζυγος und wollte zum Urvater aufsteigen und sich mit ihm verbinden, um so das A ntlitz des Vaters zu schauen, wie der Geist den Monogenes. Dies brachte jedoch viel Bitterkeit und Zerstörung mit sich, was a llein durch ihr großes Liebesverlangen begründet war. Und sie wäre bereits während ihrer Ausbreitung zergangen, völlig versunken und verschwunden in der Glückseligkeit ihres Vaters (bei den Kabba listen vergleichbar mit „den sieben Königen [ Edoms nach Gen 36,31–39 ], die verstarben“)1, zu der sie versammelt zu pf legen wird, wäre ihr nicht der bedeutende keruv[-Engel ] begegnet, der in Griechisch ὃρος genannt wird, 2 der zu trennen, zu scheiden und wieder zurückzuführen vermochte, und der sie hinter ihre Begrenzung zurückstieß. Horus ist der Wächter auf dem Weg zum Unergründlichen; er setzt jedem Äon eine Grenze und bannt sie hinter ihre Beschränkung. Einige von ihnen sagen, dass er aus dem Geist des Monogenes hervorgegangen ist, ohne dass er eine σύζυγος hätte, um darauf hinzuweisen, dass seine Aufgabe nicht darin bestand, das πλήρωμα zu gebären oder zu vervoll kommnen, sondern die πληρώματα zu begrenzen. Er ist dabei das Abbild der höchsten Substanz, und er besitzt doppelte Wirksamkeit : Einma l hindert er die Äonen daran, sich selbst in der Tiefe der unergründ lichen Natur zu zerstören, und er verhindert mit der K raft des unaussprech lichen Namens [ d. h. des Tetragramms ], dass a lle ungeweihten Wesen außerha lb des πλήρωμα in dasselbe hineingezogen werden. Er besaß bei den Sekten dabei viele verschiedene Namen : „Zaun“, „Grenze“, „Läuterer“ und „Reiniger“ von zerstörerischen Gedanken, „Ernter des Feldes“, „Worfeler“ und „Hinzufüger“ zum Schatz der Seelen. Einige sprachen auch von zwei Torwächtern (einer, der den Weg zum Unergründ lichen bewacht, und einer, der das πλήρωμα behütet). Doch das erwähnte zerstörerische Sinnen verursachte ein großes Durcheinander und eine Verwirrung im πλήρωμα, was eine Wiederherstellung [ t iqqun ]3 erforderl ich machte. Diese wurde 1 Vg l.

Zohar III 128a; 135a–b; 142a–b; 292a–b. Neander, Genetische Entwick lung, 110. 3 Das Wort „Wiederherstellung“ bei Neander, Genetische Entwick lung, 113. 2 Vg l.

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durch einen neuen Äon vollbracht, der ebenfa lls aus dem Geist des Monogenes hervorging und Erlösungsengel oder auch Retter der Oberen Welten genannt wurde. Einige identifizierten sie auch mit dem erwähnten Begrenzungs-Äon. Sie meinten aber auch, dass es auf jeder Welt, d. h. auf jeder Stufe der Abstufungen der Rea lität, einen solchen Erlöser gäbe, der Abbild und Vorbild jener Rettung und Wiederherstellung des πλήρωμα sei. Dies bedeutet, dass die höhere Stufe die Verursacher ihrer Stufe wiederherstellt, und sie steigen durch sie auf und verbinden sich mit dem, was über ihnen steht; dies a llerdings nicht durch Unterdrückung und Zerstörung, welche Tod und Vernichtung mit sich brächten, sondern durch die Verbindung mit den zu ihr passenden Syzygien (was das Hauptan liegen des verborgenen und verdeckten Unergründ lichen ist), sodass sie bis zur Stelle ihrer ersten Verbindung aufsteigen. Jeder männ liche Äon gelangt so zum Urmenschen zurück sowie zu Verstand und Geist. Jeder weibliche Äon gelangt zur himm lischen Gemeinde sowie zum Glauben, und durch a lle gelangen sie zum Unergründ lichen und zum sti llen Stimm losen. Sie sagten, dass dies das war, was ihnen vom erwähnten Erlösungsengel mitgeteilt worden sei, dass näm lich ihre Substanz und ihre Unend lichkeit [ sc. der Äonen ] im Unend lichen nicht wahrnehmbar gewesen und ihre Existenz unabhängig im Geist des Monogenes angelegt gewesen sei. – Va lentinus lehrte in seinen seltsamen Phantasien außerdem, dass die oberste Weisheit in dem Moment, in dem sie im Begriff war, das Unend liche zu zerstören, ein unvollendetes Kind gebar, das sich nicht mehr mit dem πλήρωμα zu verbinden vermochte, sodass es in das Chaos fiel und in der ὕλη versank. Dieses K ind nannten sie ‫אחכמות‬, die gefa llene Tochter der höchsten 267 Weisheit, | auch Lebensmutter. Die Minim behaupteten aber, dies sei der Geist, der über den Wassern schwebte, die ὕλη, die in der Tora [ vgl. Gen 1,2 ] erwähnt wird. Sie [ die gefa llene Tochter ] ist es, die a lle Lichtfunken des Verstandes und des Lebens in dieser physischen Welt umfasst, die dazu bereit sind, am Ende wieder aufzusteigen. – Man bedenke in Bezug auf sie aber diese drei Charakteristika :

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1. Das Streben, aufzusteigen und zu ihrem Grund zurückzukehren. 2. Schmerz und Kummer über das Unvermögen, dieses Streben erfü llen zu können. 3. Große Furcht davor, nahe der Mutlosigkeit, voll kommen in der ὕλη zu verschwinden und verloren zu gehen.

Doch der göttliche Erlöser erbarmte sich über sie und verlieh ihr erst einma l eine vollständige Existenz, auch K raft und Hilfsmöglichkeit gab er ihr, um sich der ὕλη zu erwehren und sie zu besiegen. Und für diese K raft bereitete er einen festen Ort, in Griechisch τόπος μεσότητος, zwischen πλήρωμα und dieser Welt (der geschaffenen Welt oder der Thronwelt der Kabba listen). Aus ihr emanierten sieben Fürsten, und an ihrer Spitze stand der Fürst, der Weltenschöpfer (in Griechisch δημιουργός, der ἀρχῶν bei Basilides), und durch ihn baute die Weisheit ihr Haus in dieser sichtbaren physischen Welt. Dieser Fürst aber steht auf der Stufe des Bildes und Abbildes des Unergründ lichen, er ist es, der erschaff t und führt, der in seiner Weisheit und durch seinen Willen die physischen Geschöpfe macht. Dabei bleibt er a llerdings stets einem Menschen vergleichbar, der sich mit einer A ngelegenheit befasst, ohne zu wissen, wer derjenige ist, der ihn dazu bewegt. Und trotzdem nannte man ihn auch [ Repräsentanten ] des höchsten Gottes [ ‫] אל אדו ן‬.* * Und

[ d arauf bezieht sich ] der lange Streit der Minim mit R abbi Sim lai, der damit beginnt, wie viele Gottheiten die Welt geschaffen hätten, und der von den R abbinen, sel igen A ngedenkens, an vielen Stellen zitiert wird; seine Haupterwähnung fi ndet sich aber im Yerusha l mi im Traktat Berakhot, gegen Ende des Abschnittes ha-ro’e [ yBer 9,1 (12d) ]. Er ist an eine Baraita angelehnt, die sich gegen Ende der Tosefta des Traktates Berakhot fi ndet und folgendermaßen lautet : „Es wird gelehrt : Wer mit yud heh beginnt und mit yud heh sch l ießt, der ist ein Weiser; mit a lef lamed und sch l ießt mit a lef lamed, der ist ein Unwissender; mit a lef lamed und sch l ießt mit yud heh, der ist ein Mittel mäßiger; mit yud heh und sch l ießt mit yud heh, der ist ein Weiser; mit a lef lamed und sch l ießt mit a lef lamed, der ist ein Unwissender; mit a lef lamed und sch l ießt mit yud heh, siehe, der ist ein Mittel mäßiger; mit yud heh und sch l ießt mit a lef lamed, siehe, das ist eine a ndere R icht u ng.“ Dem Verständigen ist aber sofort k lar, worauf sich dies bezieht. Es

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Und sie sagen über ihn, dass er die Religionen begründete und der Führer der Nationen war, und viele solcher Nichtigkeiten, an die es keine Erinnerung mehr gibt. – Doch der Abstieg zu den Essenzen [ sollte es mit sich bringen ], dass das Geistige erweckt werden muss wie ein Mensch, der aus tiefem Sch laf geweckt werden muss, was auch Ma l khio kannte. In der Sekte der Va lentinianer wurde dies a ls Grund für den mit dem Wunsch nach Rückkehr und Aufstieg zur gefa llenen Tochter durchmischten Schmerz, der im heißt aber auch in a ller Kürze : „Hinsicht l ich der Berakhot richtet sich a lles nach dem, der die Berakha absch l ießt.“ Die Weisen besch lossen auch, dass derjenige, der [ d ie Berakha ] mit dem Eigennamen [ Gottes ] beginnt und mit el sch l ießt, zeigt, dass bei ihm der Name des Unergründ l ichen gemeint sei. Und man beachtet ihn nicht und sagt zu ihm nichts, und er hat die Berakha und das Lob des Herrn überhaupt nicht gesprochen, a ls ob er sie mittels eines Mediums oder einer Mitt lermacht gesprochen hätte, und dies ist eine heidnische Weise. Dies ist aber nichts anderes a ls eine Umschreibung für diese Minim, so wie man auch El isha‛, den bedeutendsten min, der aus ihrer Schu le hervorgegangen war, beschrieb, A ḥer, von dem man sagte, er g laube an zwei Mächte und dass er die Ausführung der Gebote abschaffen wolle : „ Denn das Wort des Herrn hat er verhöhnt (Num 15,31) – dies bezieht sich auf die Sadduzäer; und sein Gebot gebrochen (ebd.) – dies bezieht sich auf die Minim“ (SifBam shelaḥ 112 [ 121 ]; vg l. bSan 99a). Und man verstehe auch, wie man in der Mishna Avot davon sprach : „dass sie wissen, kundtun und erfahren, dass er der Gott ist, er der Schöpfer“ usw. (m Av 4,29); auch sagte man : „wende dich nicht Göttern [ el i l im ] zu“ (bShab 149a); „auf meine Erkenntnis (Spr 22,17), es heißt nicht auf ihre Erkenntnis“ usw. (bHag 15b), wie in dem Diktum, welches zu Beginn der Pforte aufgeschrieben ist, demzufolge man a lles bedenken darf, außer dem, was jene Gnostiker in ihren Geheim lehren bedenken (was die K abba l isten in Bezug auf Berakhot sagen, was sie damit begründeten, was die ḥayyot von dem Verborgenen ergreifen; untersuche dies in ihren Büchern, und vielleicht werden wir es, so Gott wi ll, noch selbst genauer erk lären). Dazu passt auch der Ausspruch des R abbi Abbahu (der es gewohnt war, mit den Minim zu streiten), nach dem die Weisen – die späteren woh lgemerkt – verordneten, dass man „barukh shem kevod ma l khuto le-‛olam wa-‛ed“ mit lauter Stimme sagen solle „wegen des Groll s der Minim“ (bPes 56a). Dies soll geschehen, damit sie nicht unterdrückt und uns zornig würden (wie bei der Fest legung des Zorns hinsicht l ich 1 Samuel) und wir nicht heim l ich die ihnen in der Schrift angedeuteten Grund lagen bekennen, sei es bezüg l ich der mehreren unterschied l ichen K räfte, sei es

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Moment der Geburt des Bildners und seiner Fürsten entsteht, angeführt. Sie sagten auch, dass dies das Verlangen nach der K raft ist, die in der zweiten Sekte sichtbar wird, den Vertretern einer engelgleichen Seele, bei denen es um den Schmerz darüber geht, dass sie [ sc. die Seelen ] nicht aufsteigen können, was wie die Schaffung stummer Lebewesen aussieht. Und dabei scheint dies so zu sein, a ls ob sie völlig verzweifel n würden und zur absoluten Stille hinabstiegen, dass das Geistige wie verloren und in der ὕλη verwegen der wirksamen Attribute in der Gottheit, a ls ob wir sie auch annehmen und sie preisen würden, wie sie es für ein jedes von ihnen in Liedern zu tun pf legten. Erstaun l ich ist dabei, dass auch die Gelehrten der geheimen Lehren [ K abba la ] unter uns heutigen meinen, dass die Wendung „barukh shem kevod ma l khuto le-‛olam wa-‛ed“ auf den Lobpreis der Sefi ra Ma l khut, der wirkärmsten von a llen, zu beziehen sei, um sie so in unseren Gebeten zu stärken. Sie [ sc. die R abbinen ] hätten dies aber in dem im Traktat Pesaḥim überl ieferten Gleichnis von der Königstochter (bPes 56a) angedeutet. Entsprechend unserer Methode wollen wir nun aber noch weitere solcher Streitigkeiten im Ta l mud erläutern : 1. (bHu l 87a) : „Einst sprach ein Sadduzäer (es muss hier zweifellos ‚Min‘ heißen) : Wer die Berge erschuf, hat den Wind nicht erschaffen; wer den Wind erschuf, hat die Berge nicht erschaffen, wie geschrieben steht : fürwahr, er hat die Berge gebildet und den Wind erschaffen (A m 4,13). Sprach er zu ihm : Tor, achte auf den Sch luss des Schriftverses : Herr der Heerscharen ist sein Name (ebd.). (Der richtige Kommentar | fi ndet sich beim Maharsha, doch entspre- 268 chend unserer Vorgehensweise meinte der min : Wer das Geistige erschaffen hat, kann nicht das Materielle erschaffen haben; und daher verwendete er die Worte „schaffen“ für „das Geistige“ und „erschaffen“ für das Materielle. Die A ntwort R abbis bezog sich auf den Sch luss des Verses, Herr der Heerscharen ist sein Name, d. h., sein besonderer Name bedeutete Herr von zwei Heerscharen.) Doch der Erzäh lung, die dort folgt, können wir entnehmen, dass ein anderer min zu Rabbi kam (nicht etwa, wie es Rashi erk lären wollte, dass [ der Min ] zu einem A ngehörigen R abbis kam) und er ihm eine Bühne bereitete, indem er zu ihm sagte : R abbi, wi llst du bei mir speisen ?, doch der Min eher den Becher des Tischsegens trinken wollte, wie es für den Gast übl ich ist, a ls vierzig Goldstücke zu nehmen – es scheint auch k lar, dass sich jene Minim dama ls nicht völl ig von ihrer Umwelt absonderten, da sie sich selbst ma l für Juden, ma l für Christen hielten. Vielleicht rechneten sie sich auch zu a llen dama ls existenten Rel igionen, d. h. auch zu den A nhängern der Zoroaster [ a mgushim ], der Griechen und Römer, wie oben erwähnt.

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sunken wäre. Doch die Seelen in der dritten Sekte entstehen, um die Welt wiederherzustellen und damit das reine Geistige und Erhabene in der Welt bekannt und offenbar werde. Dies ist für den Menschen die letzte Bestimmung. – Va lentinus fasste auf diese Weise a ll diejenigen Systeme zusammen, die seinem ähn lich waren. A ls der Schöpfer und seine Engel (die bei ihm Dienstengel der 2. (bSan 39a, pereq eḥad dine) : Entgegen dem oben erwähnten Ausspruch steht hier : „Der K aiser sprach zu R abban Gam l i’el : Wer die Berge erschuf, erschuf nicht den Wind, denn es heißt : denn fürwahr, er hat die Berge gebildet und den Wind geschaffen (A m 4,13). [ K rochma l hat hier irrtüm l ich den Wortlaut aus bHu l 87a. ] – Beim Menschen heißt es ja ebenfa lls er schuf (Gen 1,27; 2,7) und er bildete, demnach wäre auch bei diesem zu erk lären : Wer das eine [ Gl ied ] schuf, erschuf das andere nicht ? (auch diesbezüg l ich stimmt der Kommentar des Maharsha und ist zutreffend, sodass wir ihn hier genau abschreiben : Beim Menschen steht geschrieben : er schuf, was bedeutet : nach seinem Ebenbi ld hat er ihn geschaffen, was sich auf das geistige Ebenbi ld Gottes bezieht; es steht außerdem geschrieben, dass er seinen Körper bi ldete, was sich darauf bezieht, dass Gott den Menschen aus Staub der Erde geschaffen hat. Wenn du aber tatsäch l ich sagen solltest, er habe zwei geschaffen, den Körper und die Seele, sodass es sich um zwei getrennte Dinge handele, [ muss man nicht auch bedenken ], dass es sich um zwei verbundene Dinge handelt ? [ d as Fragezeichen nur in der Ed. princ. ] „ Zwei verschiedene L öcher hat der mensch l iche Körper auf einem R aume von e i n e r Handbreite; wi llst du etwa auch hierbei sagen, wer das eine erschuf, erschuf das andere nicht, wie es heißt : der das Ohr gepf lanzt hat, sollte nicht hören, der das Auge gebildet, sollte der nicht sehen ! ? (zwei Sinne, die aus der geistigen K raft der Seele hervorgehen, und sie werden einma l mit „pf lanzen“ und mit „bi lden“ umschrieben, doch dies bedeutet nicht, dass die beiden aus der Seele hervorgehenden Sinne auf zwei Schöpfer zurückzuführen sind). Sprach er zu ihm : (Obwoh l es so ist, sind es doch zwei, die er geschaffen hat, die Fähigkeit zu hören und die Fähigkeit zu sehen, a l so zwei unterschied l iche Dinge.) [ Frei l ich. ] Dieser entgegnete : Sollten sie bei seinem Tode Freundschaft gesch lossen haben ! ? “ (für beide gi lt doch : wer hat die Fähigkeit zu hören in seiner Hand und die Fähigkeit zu sehen, es stimmt doch dahingehend, dass man und er schuf und er bildete nur so verstehen kann, dass sie sich darauf beziehen, dass die Sinne in der Stunde des Todes miteinander versöhnt werden. Denn ansonsten könnte ein Rechthaber einwenden, dass wenn derjenige, der den Geist schaff t, seinen Teil, d. h. die Seele, von dem toten Körper des Schöpfers des Körpers wegnähme, dann könnte er die Seele auch entfernen, solange sie noch nicht versöhnt wäre.) Dies erk lärt noch

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gefa llenen Tochter heißen) bei der Schaff ung dieser Welt zum Menschen gelangten, erschraken sie sehr, a ls sie das Werk ihrer Hände sahen, ein Lebewesen, | welches um ein Vielfaches höher 269 stand, a ls sie es beabsichtigt hatten, da es ein Bild und Abbild für den Urmenschen geworden war, welches im πλήρωμα eingesch lossen ist.1 – So wie der Mensch manchma l erzittert vor der Größe seiner Finger Werk und vor seinen eigenen Werken niederfä llt (was besser den Ausspruch, den wir in dieser Pforte erwähnten : „dass sie wissen, kundtun und erfahren, dass er der Gott ist, er der Schöpfer“ usw. (m Av 4,29), um somit die Minim zu widerlegen, die den Schöpfer der physischen Welt „el “ nannten, d. i. ihr Demiurgos und der geistige Schöpfer, welcher einen besonderen Namen trägt, sodass beide zwei unterschied l iche Mächte bi lden, die beide Götter sind. 3. (bShab 88a) : „Ein min sah R abba, [ a ls er in einer Lehre vertieft war, ] usw. Sprach er : Gedanken loses Vol k, die ihr den Mund den Ohren [ vorgeschickt ], usw. Ihr solltet vorher hören, ob ihr sie euch nehmen könnt oder nicht. Sprach dieser : Von uns, die wir in Aufrichtigkeit wandel n, heißt es : Die Rechtschaffenen leitet ihre Unschuld (Spr 11,3); von jenen, die in Verdrehungen wandel n, heißt es : Die Treulosen richtet ihre Bosheit zugrunde (ebd.). (und dies ist einer der a llen Minim gemeinsamen Vorwürfe, dass die Tora a ls Sündenlast [ masa ] gegeben ist, und dass wir | uns in einem verf luchten Zustand be- 269 finden, entsprechend [ * ] dem, was geschrieben steht : Verf lucht, wer nicht jedes Wort der Tora aufrichtet [ Dtn 27,26 ]). Und er antwortete ihm, dass wir, die wir in Aufrichtigkeit wandel n und unser Leben hingeben, da die Tora nicht gegeben wurde, um zu erleichtern, sondern um uns an diesem Tag zum Leben zu führen. In den Worten R ashis (bShab 88b s. v. de-sagenan bi-shlemuta) : Wir wandelten mit ihr guten Gemütes, wie es solche tun, die es aus Liebe tun, und wir verl ießen uns auf sie, dass sie von uns nichts verlangen würde, was wir nicht erfü llen könnten. Der Maharsha erk lärte dies folgendermaßen : Dass ihnen Hil fe von Gott zutei l wurde, auch wenn es ihnen schwer fiel, so zu handel n, und dies meint der Satz : Die Rechtschaffenen leitet ihre Unschuld; und das Gegentei l meint : Die Treulosen richtet ihre Bosheit zugrunde. Außerdem heißt es : Dem, der kommt, um sich zu reinigen, hi l ft man, demjenigen, der kommt, um sich zu verunreinigen, dem stehen die Türen offen“ (bShab 104a). – Die Auseinandersetzungen des R abbi Yehoshua‛ ben Ḥananya mit den Ä ltesten Athens und die Auseinandersetzung mit dem epikoros (bHag 5b) über die richtige Weise des Gesetzes [ nomos ] fanden a llerdings woh l mit Römern statt, nicht etwa mit den christ l ichen Gnostikern. 1 Vg l.

zum Folgenden Neander, Genetische Entwick lung, 124 f.

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sich auf Götzendienst bezieht). Und er sagte auch : Zu Beginn sei der Mensch den Engel n ähn lich geschaffen worden, sein Körper aus feinem himm lischen Materia l wie seine Seele, und er habe im dritten von den sieben Himmel n gewohnt, welches für ihn das Paradies gewesen sei. A ls die Fürsten darüber erschraken, [ der Mensch ] könnte höher a ls sie aufsteigen, befah len sie ihm, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, doch a ls man nicht gehorchte, stieß man ihn aus der Höhe seines Sitzes auf die Erde hinab, in die dicke und schmutzige Materie. Um in ihr aber existieren zu können, bedurfte [ der Mensch ] eines Körpers, um sich vor jener Materie zu schützen. Und dennoch kam etwas von dem staubigen Geist in ihn, und man nannte dies hylische Seele oder den Geist des Bösen; und damit zusammen wurde er dem bösen Trieb unterworfen und dem Verlangen übergeben. Doch auch dabei waren der Schöpfer und seine Fürsten nur wie die A xt in der Hand eines, der damit [ Holz ] einsch lägt, um somit den Plan des himm lischen Erlösers zu erfü llen. Denn es lag nicht in ihrer Möglichkeit, die richtige Ordnung auf jeder Stufe der Rea lität durch die Aufhebung jedes Hindernisses wiederherzustellen, es sei denn, das reine und erhabene Geistige käme bis zur untersten Stufe herab. Daher mussten auch die geistigen Elemente bis zur irdischen Materie zerstreut werden, auf dass sie so im Kampf mit a ll dem ihnen Fremden und A nderen offenbar und verewigt würden, es einsch lössen und es beherrschten. Und Ḥizqiya spricht zu diesen in der Welt verstreuten Geistwesen :1 Ihr seid die K inder des πλήρωμα, K inder des ewigen Lebens, von A nbeginn sollt ihr leben und existieren, den Tod unter euch auf ewig tei len, ihr sollt die Welt auf lösen, doch die Welt löse nicht euch auf, und ebenso sollt ihr über jedes Geschöpf herrschen und über a lles, was vergäng lich und sterblich ist. – Aus dem, was Va lentinus sagt, ergibt sich, dass es drei A rten von Seelen unter den Menschen gibt, und demnach drei K lassen von Menschen : die Repräsentanten des Geistigen, in Griechisch πνευματικοί, die in dieser Welt Abbild und Gleichnis des πλήρωμα sind (entsprechend der Seele aṣilut unserer Sefirot- Gelehrten), und sie sind 1 Neander,

Genetische Entwick lung, 127.

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zur Formung zum ewigen Leben fähig. Diesen entgegengesetzt sind diejenigen, die nur dem Materiellen verbunden sind, sie sind die Materia listen, in Griechisch ψυχὴ ὑλική, und sie können, seiner Meinung nach, am Ende der Zeit völlig vernichtet werden. Eine zwischen diesen beiden stehende K lasse bilden die engelgleichen Wesen, in Griechisch ψυχὴ κοσμική (entsprechend der Seele der bri’a oder Seele der yeṣira der K abba listen); sie existiert seiner Meinung nach nicht ewig und nur in Verbindung mit der geistigen Seele, und sie gelten a ls vergänglich und nur a ls Zusatz (wie sich ihre Vergänglichkeit und Größe auch bei jüngsten Kabba listen findet), und sie können durch Glauben und gute Taten zu ewigem Leben gelangen, ihnen ist aber auch Lohn und Strafe bestimmt, und für sie werden Wunder vollbracht. Und demzufolge sollten sie auf einem Mittelplatz in der Welt des Schöpfers und seiner Fürsten stehen. – Sie meinten aber auch, dass der Hinweis in der Tora auf jene drei Seelen-K lassen in Kain, Abel und Seth zu finden sei. Kain sei das Wesen a ller materiellen Geister, Abel stehe für die engelgleichen Wesen und Seth für die aus dem πλήρωμα emanierende Erhabenheit. * – Den Absch luss dieses phantastischen gedank li* Auch

diese Auffassung von den Seelen scheinen die Minim von den Weisen Israels übernommen zu haben, denn grundsätz l ich stimmen sie mit ihren Meinungen überein. Sie sagten in Bezug auf die Seele der Erhabenheit aufgrund des Schriftverses : Mit dem König, in seinem Dienste, wohnten sie daselbst (1 Chr 4,23), dass er mit den Seelen der Gerechten herrschte und die Welt erschuf. Und im Traktat Ḥagiga | zäh lten sie zuerst die Seelen der Ge- 270 rechten auf, ohne dabei die Schöpfung zu erwähnen. Der Beleg dafür, dass die richtige Lesart dort [ ‫ ] נפשותיהם‬ist und nicht ‫ונפשותן‬, ergibt sich aus einigen Textzeugen, nach denen der Schriftvers lautet : Und die Seele meines Herrn usw. (1 Sam 25,29), und erst danach die Seelen und Geister, die zukünftig geschaffen werden. Doch sie sagten dazu : „ Die Seele sagte zu einer anderen Seele, und diese Seele sprach zu einem Engel.“ Und über diese Seele meinten sie insgesamt : „Und der [ über den Wassern ] schwebende Geist, das war der Messias.“ Entsprechend dem Vers : „Und er rief seinen Namen Seth, denn Gott hat mir einen anderen Samen gewährt (Gen 4,25) : Dies bezieht sich auf einen Samen von anderem Ort, und welcher ist es ? Dies meint den König Messias“ (BerR 8,5 [ 226 ]). Und in der Gemara des Traktates Bava Qamma [ es muss bShab 104a heißen ] steht : „ Der Fürst des Gehinnom sagte : Herr der Welt, lass mich die K inder Seths verzehren ! Sprach der Hei l ige, gepriesen sei er :

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chen Systems bildet die A nnahme, dass am Ende | der Zeiten die gefa llene Tochter erhoben oder die höchste Weisheit, die unter die ὕλη geworfen wurde, gehoben wird, zusammen mit a llen Lagerstätten des Geistigen, die in der Welt verstreut sind, sodass sie zur Mutter und Gebärerin zurückkehre und unter dem πλήρωμα aufgenommen werde. Und auf diese Weise sollen auch a lle Äonen zurückkehren, um in der richtigen Ordnung gerettet und bereichert zu werden, um so den Urvater in Harmonie und Liebe sowie mit Ehrfurcht und Froh locken zu preisen und zu verehren – dies wird von ihnen auch a ls die „pama lya shel ma‛a la“ [ d ie obere Familie, d. h. die Engel ] bezeichnet. – Es finden sich a llerdings noch speziellere Systeme von den A nführern jener Sekten, deren Namen wir oben aufgeführt hatten. Doch wollen wir sie hier nicht auff ühren, da sie grundsätz lich mit den beiden erläuterten Systemen überDu hast an ihnen keinen A ntei l !“ Doch fi nden sich nicht viele Aussprüche über die Seele in den Schriften der R abbinen, vielleicht um auf diese Weise vor ihnen das Geheimnis zu verbergen. – H insicht l ich der engelg leichen Seele sagten sie, dass sie am vierzigsten Tage geschaffen worden sei; und mittel s dreier Tei l haber gab der Hei l ige, gepriesen sei er, Geist und Seelen leben, d. h. in zah llose Menschen zu Beginn seiner Schöpfung. Und sie sagten darüber (bShab 152b) : „Die Seelen der Frevler werden hin- und hergesch leudert, und über die Seele des Gerechten : Die Gewänder sind in die Schatzkammer zu bringen.“ Dort werden sie unter dem Thron der kavod, dem mitt leren Ort nach der Lehre der Sekten, deponiert. Und so lauten die meisten rabbinischen Äußerungen bezüg l ich dieser Seele. – Über den materiellen Geist ist ihre Meinung aus der Geschichte über die beiden ruḥot aus den sefi rot zu entnehmen (Berakhot). Außerdem meinten sie, dass er dem Wächter und dem Fürsten g leiche, und er wurde mit einem griechischen Wort bezeichnet für die niedrigste Stufe (und wundere dich nicht darüber, dass man einen Engel mit einem griechischen Namen bezeichnete, denn so geschah es auch bei Metathron und Sanda l fon, und es scheint, dass man sich diesbezüg l ich auf das Diktum verl ieß, dass „die Namen der Engel mit ihnen aus Babylonien hinaufgezogen waren“ (yRHSh 1,2 [ 56d ]), d. h., dass es sich um aramäische Namen handele). Sie sagten : „ Es bringe hervor die Erde LebenAtmendes (Gen 1,24) – dies meint den Geist des Urmenschen“ (BerR 7,5 [ 54 ]), d. h. a llen materiellen Geist, und Gott behüte, dies sei der Geist, von dem es heißt, dass Gott ihn durch seine Nase eingeblasen habe [ vg l. Gen 2,7 ]. Doch aufgrund dessen und wegen dessen, was sie bezüg l ich der Verwandtschaft

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einstimmen, am meisten aber mit dem va lentianischen System. Allerdings k leidete eine jede ihre Worte in ein eigenes Gewand und Ideen, wie z. B. der Häretiker Marqa [ Marcus ], der aus dem Lande Israel stammte. Er kam in die Länder Europas ca. hundert Jahre nach der Zerstörung [ des Tempels ] und lehrte dort die ihm durch den Geist offenbarten Geheim lehren, wie er selbst bekundete. Er k leidete sein System der Offenbarung der Wirk lichkeit in ein Zahlenwerk und die Bezeichnungen des unaussprech lichen göttlichen Namens sowie die übrigen Buchstaben des Alphabetes, ähn lich der A rt, wie es in unserem Sefer Yeṣira zu fi nden ist. Von ihm stammt der Ausspruch : „Erreicht und doch nicht erreicht, gezeugt und doch nicht gezeugt“, um darauf hinzuweisen, dass man die Dinge nicht aufgrund ihres einfachen Wortlautes verstehen darf – wofür sich auch ein Beispiel in den Worten der Kabba listen findet –, und des Wächters der Nacht sagten, scheint es, dass ihre Auffassung vom Geist des Menschen nicht mit der Meinung der Minim übereinstimmte, nach der sie bis heute die einzige sei, die hinter dem Vorhang [ pargod ] zurückgeha lten werde. Auch diese Bezeichnung fi ndet sich a llerdings in der Lehre der Sekten, und mit ihr bezeichneten sie den reineren Bereich der ὑλη, von der die aḥokhmot bei ihrem Aufstieg ausgeht, und daher wurde eine Trennwand zwischen ὑλη und dem Ort des Schöpfers, dem mitt leren Ort, eingeführt. Doch im A llgemeinen scheint es k lar, dass nach Meinung der R abbinen, sel igen A ngedenkens, jedem Menschen zwei Seelen zu Eigen sind und sogar K raft und Zugang zu einer dritten, wenn man so wi ll, da es während ihrer Entstehung noch keine Trennung der Seelen gibt. Die Schaff ung der Menschen erfolgt bei ihnen insofern in Übereinstimmung mit den Minim. Sie sagten näm l ich (bSan 22a) : „Vierzig Tage zuvor“ usw. [ vor der Geburt eines K indes ergeht eine Ha llstimme ]; „und dieses meint den Gerechten und den Frevler, nicht wie er sagte“ (bNid 16b). Dies gründete auf ihrer Überzeugung von der voll kommenen Erwäh lung, und aufgrund dessen ist auch die Mishna im Traktat Berakhot [ es muss Megi lla heißen ] zu verstehen : „ Sagt jemand : Es segnen dich die Sel igen, so ist das die A rt der Minim“ (m Meg 4,9). Und dies entspricht dem Kommentar des R abbenu Yona [ Gerondi ] im A l fasi, ebd. – Es scheint, dass unter A nnahme der richtigen Lesart an der erwähnten Stelle a lle Äußerungen der R abbinen, sel igen A ngedenkens, bezüg l ich dieser Seele gut zu erk lären sind, die sich so sehr zu widersprechen scheinen. Und dies spürte woh l auch schon der Ramban, seligen A ngedenkens, a ls er sich dieser Sache annahm (er war es sch l ießl ich auch, der bemerkte, dass das ihm tradierte Geheimnis bezüg l ich Abels sehr groß war).

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er überlieferte seine geheimen Lehren in aramäischer Sprache. Ebenso Bar Ditzan, der aus Syrien stammte und aramäische Gedichte nach einem dem Va lentinus ähn lichen System verfasste; einige von ihnen sind in den Büchern des erwähnten Priesters, Ephraem des Syrers erha lten. Wir zitieren sie hier so, wie sie uns 271 überl iefert worden sind. – Und | Origenes, der Gelehrte, der in der Zeit Ravs und Shemu’els lebte, erwähnt, dass er eine dieser sehr a lten Sekten kennengelernt hat, und man nannte sie Ophiten [ ‫] בעלי הנח ש‬. Ihr System war auf große Tafel n aufgeschrieben, die große Bilder einbezogen, wobei zu jedem Buchstaben ein eigenes Bi ld und ein Buch gehörte, in dem sich drei unterschied l iche Hauptkapitel fanden. Zu ihrem Beginn steht das πλήρωμα in seinen Entwick lungsmöglichkeiten, in vollem Umfang und A ngemessenheit, sieben K reise entsprechend sieben Himmel n, die mit einem R ing abgesch lossen sind, auf dem geschrieben stand Leviatan, f lüchtige Sch lange, was sich auf die dunk le Materie und seine Fürsten beziehen sollte. Diese Tafel n nannten sie Doppelwesen, auch doppelte Buchstaben, in Griechisch δικονή1 [ oder ] διάγραμμα, denn sie bi lden Form und Abbild und Abdruck jeglicher Rea lität.* – Die christlichen Gelehrten berichten ebenso wie einer der zeitgenössischen Philosophen, dass die Schü ler dieser Sekten und ihre Gefolgschaft diese Gedanken läufe sehr korrumpierten und sich * Und damit kann man auch den folgenden Ausspruch verstehen (bShab

149a), der aus der Tosefta stammt (K apitel 18) : „Wer an einem Bi ldnis oder einem Gemä lde vorübergeht, darf es nicht betrachten; das Gemä lde darf er selbst an einem Wochentag nicht betrachten, denn es heißt : Ihr sollt euch nicht den Götzen zuwenden (Lev 19,4). Wieso geht dies daraus hervor ? R abbi Ḥanina sagte : Ihr sollt euch nicht dem, was ihr selber gefertigt, zuwenden.“ Es scheint, a ls sei hier das Wort ‫ אלילים‬durch die Ersetzung des a lef durch ein ḥet a ls ‫ חלילים‬ausgelegt worden, wie es R ashi interpretierte. Dies bezieht sich aber auf die R ahmen, in denen die Gemä lde hängen, und das „was ihr selber gefertigt“ bezieht sich auf jenes System, welches im femininen Genus a ls die Erkenntnis bezeichnet wird, dabei vielleicht mit dem griechischen Wort γνώσις zu verg leichen, welches a ll diesen Systemen zugrunde l iegt. 1 Das

Wort wird vom Herausgeber nicht in griechischer Schrift wiedergegeben, anders a ls das folgende Wort.

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jeder Begierde und Scheußl ichkeit hingaben. Sie behaupteten näm lich, dass sie innerlich bereits auf der obersten Stufe angelangt seien und ihnen das Niederreißen des Verbotenen und des Verwarnten auf den niederen Stufen erlaubt sei; sie befänden sich bereits in dem großen Meer, welches durch keinen Zaun eingeschränkt sei und durch keinen Schmutz verdreckt. – Wir wollen unsere Ausführungen mit zwei A nmerkungen besch l ießen, die sich frei lich auf das Hauptan liegen dieser Pforte beziehen. Zum Ersten : [ Eine Bemerkung zur ] großen Ä hn lichkeit jener Sekten, die aus unserer Mitte in früher Zeit erstanden sind, mit der Sekte des Shabbatai [ Ṣevi ], die erst in unserer Generation aus unserer Mitte verdrängt worden ist – sei es aufgrund der üblichen Glaubensauffassungen, sei es wegen des freund lichen Entgegenkommen gegenüber fremden Religionen oder ihrer verabscheuungswürdigen Praktiken. Und dies a lles auch mit großem Hass gegen uns, die Gemeinschaft der Gläubigen, den Fels, aus dem sie gehauen worden waren. Und nach dem, was den christ lichen Mönchen erzäh lt worden war, hielten uns die ersten unter den Minim noch in Ehre, doch die späteren verbreiteten über uns und die uns übergebene Tora Lügen und Nichtiges, an die es keine Erinnerung mehr gibt. Darauf bezogen sich jedoch die Rabbinen, seligen A ngedenkens (bShab 116a), wenn sie Feindschaft zwischen Israel und ihrem Vater im Himmel annehmen. Ebenso die Sekte des Shabbatai, von der bekannt ist, dass sie sch lussend lich gegen uns wetterte, indem sie meinte, wir seien aus dem einfachen Mob und sie a llein seien die einzig Glaubwürdigen. Bei a ll dem kann man sich nur darüber wundern, wie die Zeiten vergangen sind und sich a lles in seinem Wandel veränderte und [ die beiden Sekten ] dennoch vergleichbare Entwick lungen durch laufen haben. Zweitens sollte der Gebildete beachten, dass der A nfang und der Quell der Sünde der Vertreter dieser und ähn licher Systeme war, dass sie mit Verstand begannen, doch mit [ purer ] Phantasie sch lossen. Mit verständigem Blick ana lysierten sie den Unterschied zwischen Materiellem und Geistigem; das Aussehen, welches nur dem Sinn sichtbar, und das Wesen, welches nur dem Verstand erkennbar. Auch das Wesen untersuchten sie näher, wie es

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sein könne, dass eine Substanz viele Erscheinungsformen haben könne; wie die Form, die ursprüng lich eine Begrenzung und einen Zweck prägt, trotzdem bei Gott ohne Zweck sein konnte; wie das Verhä ltnis und die Verbindung zwischen dem End lichen und dem Unend lichen zu beschreiben sei, und was das Böse sei, eine Sache, die aktiv wirkt, oder lediglich ein Defizit, und ähn liche tiefschürfende Untersuchungen. Doch leichtfertig vernach lässigten sie den Verstand, der von selbst Grenze und Gesetz gebietet, und sie folgten dem Geist ihrer Phantastereien, bis das Wilde freigelassen und das Chaos ausbrach, sodass er in fremdartigen Visionen und Erzäh lungen verloren ging, sodass diejenigen, die sie vernehmen, vor ihrer Fremdartigkeit verstummen müssen, da es in ihnen nichts verstandesmäßig Nachzuvollziehendes gibt, da sie nur dem Spitzfindigen und Tiefsinnigen bei erster Betrachtung verständlich sind. – Weiteres zu diesen Ausführungen [ fi ndet sich ] in dem, was folgt, denn gerade sind die Wege des Herrn usw. (Hos 14,10).

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Begriffsdefinitionen und Erwägungen über die Weisheit des Glaubens, der Philosophie der Logik entnommen Der Herr schuf mich, seines Waltens Erstling, al s Anfang seiner Werke, vorlängst. (Spr 8,22)

1. Das qua litative Sein

Vorbemerkung :1 Wir sagten bereits, dass der Gegenstand der Weisheit des Glaubens [ Religionsphi losophie ] kein anderer sei, a ls der der positiven Religion, der von der Philosophie zum Gegenstand der Betrachtung gemacht wird, d. h., dass der Inha lt der Religion, der sich auf die Vorstellungen und auf Gefüh le nur beschränkt, in der Philosophie zu a llgemeinen Begriffsbildungen sich erweitert. In der geoffenbarten Religion sowoh l a ls in den Herzen ihrer Gemeinde, sind Gefüh le und Vorstellungen von Gott vorhanden, von seinen Attributen, von seiner Beziehung zur Welt a ls Kosmos und zu den Individuen; von der mensch lichen Seele, dem Guten und Bösen usw.2 Die Aufgabe der Religionsphi losophie ist a lso nur, die Wahrheit dieser Vorstellungen zu explizieren, d. h. von ihrer Individua lität zu abstrahieren und sie zu a llgemeinen Vernunftbegriffen umzubi lden.3 Es haben desha lb schon die ersten Religionsphi losophen unseres Vol kes, die die Grundprinzipien der Religion und Mysterien der Schrift zu deuten bemüht waren, tei ls 1 Vg l .

von hier mit Abweichungen die Tei lübersetzung von L andau, Nachman K rochma l, 39 f. 2 Die Stelle ist in beiden Ausgaben des MNZ verderbt; vg l. L andau, a. a. O., 40 A nm. 2. 3 Vg l. hierzu den fast g leich l autenden G edanken bei Hegel, Ein leitung in die Phi losophie der Rel igion : Der Begriff der Rel igion, 4 (Ein leitung). Zur Konjektur des hebräischen Textes vg l. Landau, ebd.

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diskret und nur in kurzen Bruchstücken, namentlich seit der Mitte des zweiten Tempelbestandes, tei ls öffentlich und in zusammenhängenden Darstellungen, seit [ Rav ] Sa‛adya und seit den ersten Kabba listen, für die von ihnen scheinbar neu geschaffenen Lehren auch neue Termini gebi ldet, um diese zu präzisieren,1 z. B. eyn sof [ Unend l icher ], ba‛a l ha-gevu l [ Herr der Dimensionen ] oder meḥuyav [ Notwendiges ] und efshar ha-meṣiʼut [ Potentia lität in der Welt ], den Begriff des Ewigen und des Vergänglichen, des Seins und des Nicht-Seins, des Materiellen und des Geistigen, der Erwäh lung und der Verfügung, der Existenz und der Nichtung und viele ähn liche mehr.2 A ll diese Explikationen waren ja virtua liter in der Religion vorhanden; jene Denker aber, haben sie [ von dem Inha lte der Vorstellung ] losgelöst und in die Form der a llgemeinen Vernunftbegriffe erhoben. Der Glaube an Gott3 und seine Tora aber ist gewiss der A nfang a ller Erkenntnis, des Unterrichts und der Erziehung zum Menschen; von ihm ist aber die Philosophie wiewoh l viel jünger, insoweit bedeutender, a ls die Vernunft, i. e. die universelle Gottesidee, die sich im Menschen ref lektiert, bedeutender ist a ls die Vorstellungen oder gar die Gefüh le. – Da nun die Religionsphilosophie in Wahrheit a lle anderen Wissenschaften umfasst und deren Vollendung besiegelt, haben unsere Gelehrten stets Begriffe und Bezeichnungen, deren sie oft bedurften, von anderen Wissenschaften ent lehnt, besonders aber von der Logik, deren Wesen darin beruht, die Vernunftbegriffe näher zu bestimmen und voneinander zu sondern.4 In jeder Generation werden sie vorgebracht, um sie zu rechtfertigen und Untersuchungen und Prolegomena vorzutragen, die bereits ohne Schwierigkeiten auf einem anderen geistigen Feld mittels Übertragungen durch das mensch liche Ge273 sch lecht, sowoh l durch die Masse | a ls auch den einzel nen, erlangt worden waren. Sie wurden verwendet, um dadurch das Innere der 1 Den

folgenden Satztei l lässt L andau aus. hier vg l. wieder L andau, a. a. O., 40 f. 3 H ier ist ein Satztei l bei L andau ausgel assen. 4 Ende der Tei lübersetzung L andaus. Zum Gedanken, dass die Rel igionsphi losophie M ittelpunkt a ller anderen Wissenschaften ist, vg l . Hegel, a. a. O., 3 (Ein leitung). 2  A b

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Tora und seiner Geheimnisse zu offenbaren, ihre Vorgehensweise und ihre letzte Absicht – dies ist die Religionsphi losophie. Wisse und verstehe aber, dass man die Bedeutung des Tora-Studiums nicht dadurch mindert, indem wir meinen, dass man vor ihm ein vorangehendes Studium bedarf, welches die Form der Buchstaben, ihre Flexionen und Aussprache, den Gebrauch der Verben und der Dek lination der Nomina betriff t, a lles a lso, was die Grammatik anbelangt. Man solle sich [ auch ] nicht wundern, dass wir vor die Weisheit über den geläuterten Glauben1 die Definitionen und Speku lationen der Weisheit der Philosophie stellen, wobei dieses Vorgehen kein qua litatives Vorangehen impliziert. So meint es auch der R av [ Moshe ben Maimon ], sel igen A ngedenkens, in seinem ehrenwerten Buch, dass das A n liegen des gesamten Werkes und a llem, was aus ihm hervorgeht, der wahren Religionsphi losophie entspricht, auch wenn sich in ihm zah l reiche Kapitel finden, die aussch ließlich philosophischen Inha ltes sind. Was aber die Gefüh le der Gläubigen [ u nseres Vol kes ] an dieser Vorgehensweise verletzt, ist nur aufgrund der Tatsache zu erk lären, dass diese Prolegomena und Betrachtungen zuerst in einem anderen Vol k a ls dem unsrigen bekannt geworden sind, so dass sie ihnen fremdartig erscheinen mussten, obg leich sie mit denselben Worten die Themen des tora-gemäßen Glaubens beschreiben. Die Erk lärung für diese scheinbare Fremdheit ist aber : Wer weiß denn, ob nicht auch in unserer Nation vorma ls jene Erkenntnisse und philosophischen Begriffe bekannt waren und erst durch jene bösen Leiden, die wir beschrieben haben, verloren gegangen sind; vielleicht waren sie ja einst auch nur Teil und Portion Einzelner, die sie von Mund zu Ohr überlieferten ? Wie auch der Rav [ Moshe ben Maimon ] meinte, diese Schwierigkeit in einem speziellen Kapitel rechtfertigen zu müssen, welches mit den Worten beginnt : „Die reichen Kenntnisse, die über das Wesen dieser Dinge in unserer Glaubensgemeinschaft vorhanden waren“ usw. (Führer, Erstes 1 H ier

l iegt vielleicht ein weiterer H inweis auf den ursprüng l ich von K rochma l in Erwägung gezogenen Buchtitel vor. Vgl. Zunz, in : K rochma l, Writings, B/2, und siehe die Ein leitung.

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Buch, 71. Kapitel).1 Dies ist der eine [ Grund ]. Des Weiteren ist zu bedenken, dass die Wissenschaften, insbesondere die Philosophie wie sie in unseren Tagen existiert, schon keine geringe Unterstützung durch die Hauptregeln des tora-gemäßen Glaubens von uns erha lten hat; ein erwäh lter Teil des mensch lichen Gesch lechtes bereits ca. 2000 Jahre lang. Ebenso auch die phi losophische Lehre bei den Griechen, von der wir mit Sicherheit wissen, dass ihre A nfänge zur Zeit des Königs Kyrus liegen und dass ihr Quellgrund in den Ländern des Ostens, Ereṣ Yisra’el und seiner Umwelt, lagen. Doch der verständige Forscher wird beurtei len und einschätzen können, wie sehr er durch den tora-gemäßen Glauben und die A llegorien der Propheten beeinf lusst ist. Selbst in der Spätzeit der Griechen zitierten und ana lysierten sie a ll die prophetischen Bücher und schrieben unsere theologische Gebildeten zah lreiche Bücher in der griechischen Sprache, von denen wir sogar noch einige besitzen. In a ller Kürze sei daher gesagt : So wie es zu den Grundannahmen des biblischen Glaubens gehört, dass das gesamte Menschengesch lecht am Ende der Tage zur Erkenntnis Gottes zurückkehrt (wie es oft in ihren messianischen Erwartungen und Gebeten zum Ausdruck gebracht ist), so müssen wir uns auf dem Gebiet der Religionsphi losophie nicht diesem Eiferzorn hingeben. Außerdem findet man häufig bereits in einem Ausspruch eines unserer Vorfahren ein grund legendes Prinzip der späteren Weisheit mit ihrer scheinbar höherstehenden Wahrheit. Der dies genauer Untersuchende möge sich darüber wundern, dass den Späteren nur insofern ein Vorteil entstand, a ls sie die A ngelegenheit ausweiten und besser k lären konnten, doch muss man den Späteren gerade dafür dankbar sein und sie loben, denn nur durch sie war es mög l ich, diese Dinge bei den Vorfahren wiederzufi nden. Sie konnten dies in ihrer umfassenden Betrachtungsweise meist nur sehr oberf läch lich beschreiben, zuma l sie nicht genügend Wörter und unterschied liche Begriffe kannten, um die A hnung und das A ngedeutete zu beschreiben. Dies ist es aber, was von uns durch entsprechende Beweise im folgenden Abschnitt dieses Schreibens 1 Mose

ben Maimon, Führer I 71, 273.

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erläutert werden wird, und von hier mögen wir mit dem, was wir uns vorgenommen haben, beginnen.

Wisse, dass das, was wir heute Philosophie nennen, in drei Hauptgebiete untertei lt wird : 1. Die Logik : Ihr Thema bilden die verstandesmäßigen Gedanken, d. h. die Ideen, Verstandesbegriffe und Begriffseinsichten, und wir wollen a lle hinsichtlich ihrer Prägung und Eigenart untersuchen, inwieweit sie tatsäch lich reine Begriffe sind, und wir wollen genauestens betrachten, was sich hinter diesen Begriffen verbirgt, wie sie angeordnet sind und in welcher Beziehung sie zueinander stehen, wie sie entstanden sind und wie sie sich einer nach dem anderen entwickelt haben. | 274 2. Das, was wir betrachten können, welchen äußeren Sinn jene Begriffe bilden, außerha lb der Seele, im Kosmos und in der Natur, und wir fi nden solche gedank lichen Begriffe in der Natur, wodurch wir etwas von der Wahrheit der Welt verstehen, wie sie dem vom Gefüh l und der Phantasie befreiten Verstand erscheinen. Dies wird die Philosophie der Natur genannt. 3. Die Seele und ihre Hauptkräfte : Das Gefüh l und die Phantasie, der Wille und der Verstand, die Existenz eines umfassenden geistigen Wissens von Gott innerha lb des geistigen Wesens; seine stufenweise Entwick lung von höheren auf niedrigere Stufen, Tota lität und Einheit, Bestimmung im Verstand der Denker, die A llgemeinheit des Kosmos, der Religion und der verschiedenen Wissenschaften und jeg licher gedank licher A rbeit und K ritik des mensch lichen Gesch lechtes, geistige Kunstschaffende – a ll dieses wird unter der Bezeichnung Philosophie des Geistes zusammengefasst. – Doch hier wollen wir uns nur mit ihrem ersten Teil befassen, und zwar mit der Erk lärung der Entstehung und der Eigenart von Gedanken und worin sie insbesondere nur Gedanken sind sowie die Begriffe, die entwickelt wurden, um sie zu bezeichnen. Wisse und verstehe aber, dass dies ein wichtiges und grund legendes Kapitel ist, und nur derjenige, der es genau betrachtet, wird insbesondere die beschreibenden Abschnitte des Rav [ Moshe ben Maimon ] und die übrigen dunk-

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len Abschnitte verstehen. Sie a llein aber und keine anderen bi lden den Sch lüssel, um zu den Wurzel n und zu den Grund lagen der frühesten jüdischen Weisheit vorzudringen, der Sefi rotWeisheit. Was von ihnen in den folgenden Pforten erläutert werden wird, bi ldet dabei den Eck- und Grundstein für a lles darüber bislang Gesagte, denn die folgenden A ngelegenheiten …1 Nach dieser etwas langen Einführung, die wir jedoch für notwendig hielten, wollen wir zu unseren A n liegen zurückkehren. Wir hatten ja bereits erläutert, dass es im Glauben Gefüh l und Gedanken gibt, die den Inha lt der Religionsphi losophie bi lden, wobei sich Form des Denkens und des Füh lens von der Form des Verstandes unterscheiden, so dass, wenn die Erkenntnis dazu gelangt, Glaubensvorstellungen zu abstrahieren und zu bedenken, die Weisen gezwungen wurden in der Religionsphilosophie die Begriffe Geistiges, Unend liches [ ‫] אין־סוף‬, Wille und Erwählung sowie ihre materiellen Gegensätze, Extreme, Notwendigkeit, Schicksa l, Sein und Nicht-Sein, Begierde und causa fi na lis, Existenz und Verlust und viele andere Begriffe mehr, die sie aus dem Glauben und den Worten der Kabba listen ableiteten, zu erörtern – wir waren ja selbst bereits gezwungen, einige dieser Wörter und ihre Definitionen zu erk lären, was sie beinha lten, und dies ist das Thema der Philosophie der Logik.

Wir haben bereits erk lärt, dass das Thema der Religionsphi losophie eigent lich die Religion selbst betriff t, a llerdings nur soweit, wie sie mit dem Verstand erfasst wird, so dass sie einführend sowoh l im Ganzen a ls auch im Einzel nen einer gedank lichen Durchdringung bedarf. Wir wollen a lso damit beginnen und Folgendes sagen :2 Der erste Ref lexionsdruck unserer Vernunft ist a llem A nscheine nach der des Seins, und die Qua lität, d. h. dass die Vernunft von jedem Ding, dass es sei behauptet und hierauf was es sei fragt, worauf wieder die A ntwort erfolgt : Es sei von dieser oder 1 H ier

ist etwas ausgefa llen. hier an vg l. L andau, a. a. O., 41 – 69, der den Text nur unvollständig wiedergibt. 2 Von

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jener Beschaffenheit. Wir haben hiermit zwei Ref lexionsausdrücke gewonnen : Es und dessen Bestimmung. Wenn wir sie beide nun zu a llgemeinen Begriffen erheben, ergibt sich hieraus, dass jedes qua litative Sein aus zwei Momenten zusammengesetzt ist : 1. dem reinen a llen Begriffen gemeinschaft lichen Sein und 2. der Bestimmtheit, wodurch das reine Sein in Dasein, konkretes Sein übergeht. Nach dieser Betrachtung ist der Begriff Sein, der erste a ller Vernunftbegriffe. Was nun aber noch ausdrück lich hervorgehoben werden muss, ist dass das Sein nicht nur a llem wirk lichen Sein, sondern auch a ller Bestimmtheit und Unterschiedenheit vorangeht, es enthä lt selbst das Leere, das Nichtsein wie Finsternis, Blindheit und Unwissenheit, da wir a lle, um sie zu denken, mit dem Begriffe Sein verbinden müssen; z. B. die Finsternis ist Abwesenheit [ des Lichtes ] nur.1 Es lässt sich desha lb mit diesem Begriffe keine qua litative attributive Bestimmung, keine | der Kate- 275 gorien verbinden, 2 wie sie unter der Bezeichnung Gebote bekannt wurden, die die A lten unter der Zehnzah l zusammenfassten, die späteren aber unter einer unbestimmten A nzah l. Das reine Sein ist noch frei von a llen Bezeichnungen, und da es sich auch keiner Vorstellung anpasst, bleibt es A nfang und Grund a ller weiteren Ref lexionen. 3 Das N ichts, wiewoh l dem Sein entgegengesetzt, hat mit demselben doch das gemeinschaft lich und kann, a ls im Seinbegriff entha lten, gedacht werden, wei l es eben genau wie jenes gedacht wird, d. h. denselben negativen Charakter hat, von derselben Bestimmungslosigkeit, und somit in ihm entha lten ist. Sagen wir ja auch, das Nichts ist nicht. Und diese Betrachtung erscheine dir nicht simpel.4 Den f lüchtigen Leseanfänger darf diese unsere 1 Vg l.

dazu G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Band : Die objektive Logik (1812/1813), hg. v. F. Hogemann und W. Jaeschke, Gesammelte Werke 11, Hamburg 1978 [ i m Folgenden zitiert als: Wd L (1812/13) ], 43; 53. Ders., Wissenschaft der Logik. Erster Tei l : Die objektive Logik. Erster Band : Die Lehre vom Sein (1832), hg. v. F. Hogemann und W. Jaeschke, Hamburg 1985 [ i m Folgenden zitiert als: Wd L (1832) ], 68. 2 Den folgenden Satztei l l ässt L andau, a. a. O., 42 aus. 3 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 55. 4 Diese Interjektion feh lt bei L andau, a. a. O., 43. Vg l. Hegel, WdL (1832), 69.

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Behauptung, dass das Sein und Nichts in Wahrheit entgegengesetzt und nichtsdestoweniger eins seien, dass zwischen ihnen kein Unterschied wahrgenommen werden können, wei l diese beiden Begriffe dieselbe Bestimmungslosigkeit haben, folglich auch nicht a ls unterschieden gedacht werden können, diese Behauptung darf nicht befremden, er darf nicht g lauben, dass es ein Begriff sei, der zwei Extreme in sich vereinigt, da die Identifizierung von Sein und Nichts vernünftig unmög lich sei. In der Tat erscheint der Widerspruch zwischen Sein und Nichtsein, weil er auch der erste, unmittelbare Widerspruch in unserem Denken ist, so offenbar, dass man die Vorstellung des Seins, gewa ltsam festha lten möchte, damit sie nicht in ihr Gegentei l, in das Nichts verschwindet. So glaubte man, um sich vor dem Wechselprozesse eine rechte Vorstellung zu machen, wie ein Gegenstand näm lich ganz vernichtet werden, ein anderer wieder neu entstehen könne, die Hypothese aufstellen zu müssen, dass der unveränderliche Stoff [ ‫ ] החומר היול י‬seine Form nur ändere. A llein, die Vorstellung von diesem ewigen Urstoffe ist nicht mehr reines, abstraktes, unvermitteltes und unbestimmtes Sein, das wir nun in Betracht ziehen. Jener Stoff ist bereits bestimmt mit der Möglichkeit a lles Wechsels und a ller Formveränderung behaftet, während wir ja das reine, ganz unbestimmte Seiende suchen. Da nun aber Sein und Nichts in Wahrheit unha ltbare Momente der erste A nfang a ller Ref lexion sind, so ist der menschliche Verstand bemüht, über sie hinauszukommen, d. h. die ihrer Einheit entstammenden, die aus ihnen folgenden Resu ltate zu fixieren, die, nicht mehr abstrakt und unbestimmt, rea les, konkretes Wissen fördern. Das Werden ist diese sonderbare Einheit des Seins und Nichts.1 Vom Werden kann sich woh l jedermann einen Begriff machen und zugeben, dass derselbe einzig [ selbständig ] ist, und nichtsdestoweniger Sein sowoh l a ls Nichts in sich vereinigt. Genau so verhä lt es sich mit dem A nfang eines Geschehens, es ist noch nicht, und nun schon geschehen. Wir müssen a llen A nfang stets in A nbetracht des Folgenden beurtei len. Unser Denken bleibt bei der Vorstellung des Werdens, mit der woh l ein Schritt 1 Vg l.

Hegel, Wd L (1832), 92.

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noch Vorwärts gemacht worden ist, nicht stehen. Aus dem Werden geht das D a sei n hervor.1 Es soll aber noch einma l ausdrück lich bemerkt werden, dass mit der Behauptung, dass Sein und Nichts eine Einheit bilden, nicht ihr Unterschied aufgehoben werden wi ll, was ja schon aus ihrer verschiedenen Beziehung hervorgeht.2 Da diese beiden Begriffe nun absolute Abstraktionen sind, die nicht a ls vorhanden, ja nicht einma l a ls voll kommene Begriffe gedacht werden können, schreitet die Vernunft notwendig weiter, zu den sich entwickel nden Vorstellungen und Begriffen, welche die Realität [ ‫ ] תושיה‬betreffen und das Gegenteil von jenen rein abstrakten Momenten, deren Widerspruch und Ha ltlosigkeit auf den ersten Blick ja hervortreten. 3 Wenn unsere Weisen a lso den Ausspruch taten : „Er wandele das Nichtsein in Dasein“ (Sefer Yeṣira II, 6 [ 55 ]), dachten sie an das Nichts in seiner Beziehung auf das Sein, und ebenso dürften sie in ihrer Behauptung : „Dem Menschen wäre besser nicht geboren zu werden“ (bEr 13b) an das Sein in Beziehung auf das Nichts gedacht haben. Da nun der Widerspruch dieser beiden Momente offenbar ist, schreitet das Denken an die Verknüpfung beider, und gelangt auf diese Weise zum Begriff des W erdens.4 Und das ist ihre Weisheit, | das Verschwinden des Nichts. 276 A n diesem Begriffe ist nun eine Unruhe, eine Bewegung zu vernehmen, wie es heißt : Alle Dinge sind rastlos (Koh 1,8). Die A nfangsbegriffe ruhten noch nebeneinander, ohne sich zu berühren, was ja ihren Widerspruch ausmachte. Im Begriffe des Werdens dagegen haben sich diese beiden Momente zu einem Begriffe vereinigt, die nicht mehr nebeneinander ruhende Teile, sondern bewegliche Momente sind, welche Bezeichnung ihnen beigelegt wird, um hiermit Ruhe und Bewegung zugleich auszudrücken. 5 (Momente von 1 Vg l.

Hegel, Wd L (1812/13), 59. Hegel, Wd L (1812/13), 44. 3 Vg l. Hegel, Wd L (1812/13), 46. 4 Vg l. zum Folgenden den Abschnitt „Werden“ in Hegel, Wd L (1812/13), 44 – 58; ders., Wd L (1832), 69 – 95. 5 Den folgenden Abschnitt l ässt L andau, a. a. O., 45 aus. Zum Moment a l s k leinstem Zeittei lchen vg l. G. W. F. Hegel, Die Phänomenologie des Geistes, neu hg. v. H.-F. Wessels und H. Clairmont, Hamburg 1988, 35. 2 Vg l.

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Zeit bezeichnen die k leinsten Zeitabschnitte, die sich im immerwährenden Zeiten lauf finden, und sie werden durch diesen Begriff gefasst, so dass er selbst Sein und Vergehen unterliegt, d. h. sich aus Sein und Nichtsein zusammensetzt). Uns wird dadurch k lar, dass beide wiederkehrende Abstraktionen sind und damit imaginär und wahnhaft, und ihre Wahrheit besteht im Werden der in ihnen wiederkehrenden Momente. Ein weiterer Begriff ist, wie bereits angedeutet wurde, der Begriff des Daseins oder der Qua lität.1 Versuchen wir nun denselben zu explizieren : Diese Bestimmtheit trägt scheinbar den Charakter der Ruhe, ist nicht wandelbar und schwankt nicht ba ld aus einem Begriff in den zweiten hinüber. Nach genauerer Betrachtung jedoch finden wir denselben, wie bereits erwähnt, a ls Seinsbegriff wieder in [ besonderer ] Bestimmung, d. h. a ls Qua lität. Wir können uns näm lich kein Etwas, kein Daseiendes denken, ohne es mit welcher qua litativen Bestimmtheit auszustatten, wie rot, weiß, lang, schwer, gut, böse, brauchbar etc. A ll diese Bestimmungen gelten uns a ls A ntwort auf die Frage : Was das Ding sei ? Jedes etwas mit einer Bestimmung, die ja nur Qua lität des Seins ist, wodurch dasselbe näher bezeichnet werden kann, jedes qua litative Sein a lso, ist Dasein.2 Wenn wir in unserer Betrachtung fortfahren, fi nden wir, dass die Bestimmung buchstäblich Begrenzung, Negation ist, die wir dem generellen Seinbegriffe, um ihn gedank lich fassen zu können, bei legen. Daraus geht a lso hervor, dass das Dasein ebenfa lls aus zwei Momenten zusammengesetzt ist, der Rea lität und Negation, d. h. das Sein ist Rea lität, seine Qua lität aber seine Negation geworden. 3 Wenn wir nun das Dasein in seiner Beziehung auf das Sein betrachten, ergibt sich aus der Qua lität sein eigenes Sein und ein außer ihm liegendes Sein – ein A nderes, und wenn wir dasselbe in Beziehung auf seine Qua lität prüfen, fi nden wir, dass dieselbe Rea lität des Seins … selbst durch Negation begrenzt 1 Vg l.

Hegel, Wd L (1812/13), 59. Hegel, Wd L (1832), 98. 3 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 96. Siehe dazu L andau, Nachman K rochma l, 46 mit A nm. 4. 2 Vg l.

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wird, was eben die End lichkeit a ller Qua lität bedeutet. Aus dieser Betrachtung folgt nun weiter, dass a lles gedank lich fassbare Dasein, 1. begrenzt ist, d. h., dass es das Sein und dessen Negation in sich zusammenfasst, 2. dass es veränderlich ist, d. h., dass es, kaum in die Ref lexion gesetzt, ein eigenes und ein außer ihm vorhandenes Sein zum Inha lte hat – und das bedeutet seine Verä nder u ng.1 Das Resu ltat unserer Betrachtung ist nun, dass der Begriff des Werdens, der Bewegung, sich zum Begriff des ruhenden und beziehungslosen Daseins erweitert hat, und scheint nur ein Moment jener beiden des Werdens zu sein, näm lich : Sein, a llein, da es begrenztes Sein und durch die Begrenzung gekennzeichnet ist, vereinigt es – wie ich wiederholt gesagt – beide Momente, das Sein und das Nichts.2 Aus der Betrachtung des Begriffs Veränderung geht hervor, dass das etwas, die durch ihre Qua lität es bestimmende Grenze überschreitet, um ein A nderes, Entgegengesetztes [ z weites = ‫] שני‬ zu werden – ein A nderes stammt ja aus derselben Wurzel wie Veränderung.3 Dieses Entgegengesetzte aber, das sich ebenfa lls innerha lb bestimmter Grenzen bewegt, d. h. aus den Momenten Sein und Nichts zusammengesetzt ist, überschreitet g leichfa lls die es absch ließende Grenze, um ein sich entgegengesetztes Sein weiter auszusondern, was so fort ins Unend liche geht.4 Wir sehen a lso, dass aus dem Begriff des A nderssein der Begriff der Unend lichkeit sowoh l a ls der der End lichkeit sich herausentwickel n. In der Tat geht aus einer tiefen Betrachtung hervor, dass dieser Prozess nicht zur wahren Unend lichkeit führt, dass das Dasein oder das Etwas, das ja Sein mit einer Grenze bedeutet, stets in anderes Begrenztes übergeht, welches | A ndere wieder nicht unend lich ist. Aus diesem 277 Prozess folgt nur die Anregung das Unend liche zu suchen, um dem Widerspruch von Sein und Nichts zu entgehen, was wir aber nie erlangen können. Der Widerspruch bleibt ungelöst, weil das neuher1 Vg l.

Hegel, Wd L (1832), 104 f. Hegel, Wd L (1832), 106. 3 Zu dem hebräischen Wortspiel , wie im D eutschen „ Ä nderung“ und „ A nderes“, vg l. L andau, Nachman K rochma l, 47 A nm. 3. 4 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 129. 2 Vg l.

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vorgegangene Dasein ebenfa lls Begrenztes ist, das zug leich über seine Grenze hinausgeht.1 Wenn wir nun den Begriff des Wechsels und das, was wir mit diesem Begriffe verbinden, näher prüfen, ergibt sich, dass mit dem ersten Wechsel, wenn wir näm lich behaupten, dass das Etwas in ein A nderes und dies A ndere wieder in ein A nderes übergegangen sei, das Sein sich insofern geändert hat, dass es ein A nderes des A nderen geworden; das Sein aber a ls solches bleibt jedoch unverändert und in seiner Beziehung auf sich selbst, ist es Fürsichsein, an dem das A ndere in stetiger Aufeinanderfolge vorübergeht. Wenn wir a lso den Begriff des Übergangs gedank lich fassen, dass jedes Etwas sein A nderes ist, d. h. weder beim veränderungslosen Sein noch bei dem durch den Wechsel aus ihnen Hervorgegangenen stehen bleiben, sondern bei der, aus den Beziehungen beider aufeinander hervorgegangenen Einheit, die die Einheit beider Momente des wechsel nden Daseins ist, sind wir zum Begriffe der wahren Unend lichkeit gelangt. Diese nannten die ersten Kabba listen Identitäts-Einheit [ ‫] אחדות השוה‬, d. h. die Einheit des Etwas und seines Wechselbegriffes [ Gegensatzes ].2 Sagen wir nun kurz : Unter Etwas verstehen wir das Sein mit einer Grenze, die es von einem anderen Sein trennt. Aber schon in dem Worte Grenze ist dessen Verhä ltnis zum anderen Sein bestimmt. Soba ld wir nun Grenze sagen, behaupten wir zug leich, dass das Etwas ein A nderes ist, d. h. Negation, wei l ja jede Grenze Negation ist. Wenn wir hierauf wieder von Veränderung sprechen, negieren wir jenes A ndere, die Negation näm lich, und durch die Negation der Negation bleibt wahrhafte Rea lität [ Existenz ] – und sie ist Unend lichkeit. Hiermit gelangten wir zum wahren Unend lichkeitsBegriffe, dem dritten in der Begriffsreihe. Zum Begriffe des Seins trat die Begrenzung a ls Negation, woraus der Daseinsbegriff hervorging, und aus der weiteren Begrenzung und Veränderung, der Negation, hat das Sein sich wieder hergestellt. Somit haben wir einen dritten Begriff, das aus dem Dasein zu sich selbst zurück1 Vg l. 2 Vg l.

l iche“.

Hegel, Wd L (1832), 129. Hegel, Wd L (1832), 123 f. „Übergang des End l ichen in das Unend-

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kehrende Sein. Ein Prozess, der sich ins Unend liche wiederholt. Denn so viel man das Sein wird begrenzen wollen, um es a ls Etwas zu bestimmen, wird ebenso viel davon negiert werden, wesha lb wir es auch das unend lich oft in sich selbst zurückkehrende Sein nennen und a ls Begriff des Fürsichseins uns denken. Und dadurch unterscheidet es sich vom A nfange des Seinbegriffes, dass jener, a ls der erste beziehungslos, A n-sich, unvermittelt ist, wogegen sich der Begriff des Fürsichseins durch Vermittlung ergeben hat, indem er zunächst a ls A nderes im Etwas erscheint, und hierauf durch Negierung seiner Grenze sowoh l a ls auch des Wechsels der im Dasein vereinigten Sein und Nichts zu sich selbst zurückkehrt. Dieser Begriff ist a lso nur an und für sich, und zwar das Resu ltat dreier Begriffe, näm lich des beziehungslosen Seins, des A nderen und des Fürsichseins nächst dem A nderen, und a lle diese drei Begriffe sind Momente des letzteren.1 Schon der gewöhn liche Verstand weiß bezüg lich der Tätigkeit, eine ref lexive Hand lung zu unterstreichen, wofür die Grammatik eine eigene Form besitzt. Auch dort lassen sich drei Stufen unterscheiden, näm lich die K raft bevor sie wirkt, ihre Beschaffenheit während sie wirkt und nachdem sie die Wirkung hervorgebracht hat. A llein, in Bezug auf das Sein geht es beim gewöhn lichen Verstande denn doch nicht an, weil es unbeweglich, ruhend und untätig ist, a ls Vernunftbegriff dagegen ist ja das ruhende Sein reine Abstraktion, die an Nichts grenzt und nur dann Rea lität gewinnt, wenn es in ein A nderes sich vermittelt und in sich dann a ls Fürsichsein zurückkehrt. Es folgt a lso hieraus, dass nur dem Rea l ität und Abstrakt losigkeit zukommt, das aus der Vermittlung seiner Momente hervorgeht. Ebenso | sind die drei Tätigkeitsformen, die K raft des Wirkens, das 278 Bewirktwerden und das sich selbst bewirken, Vermittlungskategorien für Begriffe, auf die ich noch zurückkommen werde. 2 Wir können uns a lso kein Sein ohne Tätigkeit denken, wei l es sonst, nur Vorstellung, Abstraktion ist. 1 Vg l.

Hegel, Wd L (1832), 145: „Fürsichsein als Solches“. ist K rochma l jedoch nicht mehr zurückgekommen. Vg l. L andau, Nachman K rochma l, 50 A nm. 2. 2 H ierauf

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Hiermit sind wir zu einem neuen Begriffe, dem des Fürsichseins [ ‫ היות בפני עצמו‬oder ‫] היות לנפשו‬, gelangt, den wir jetzt zum Gegenstand unserer Betrachtung machen wollen.1 Mit Fürsichsein bezeichnen wir etwas, das wir uns unmittelbar fürsichseiend denken, etwas, das keine „Beziehung und Gemeinschaft mit anderen“ hat.2 Wir dürfen uns desha lb an ihm nichts Attrahiertes, nichts Teilbares, denken, wei l Teile ein anderes Sein auf sich selbst zurückführen. Auf diesem Wege gelangen wir zum Begriff des reinen Eins [ das Eins an sich selbst ]. Im Begriff Mensch z. B. denken wir uns nicht seine Körpertei le und Gliedmassen, die viele sind, sondern abstrahieren von ihnen und ihrem Sein so lange, a ls bis wir zum Seinbegriff des Menschen gelangt sind, und immer, so oft wir von einem zusammengesetzten Ding sprechen, denken wir uns unter Zusammengesetzten eine Vielheit, die Teile aus welchen zusammengesetzt wurde, und unter Ding, das Sein-für Eines, von dem die Teile abstrahiert wurden, und dieses Sein nennen wir Fürsichsein, Fürsichseiendes. Dieses sich in sich Zurückziehen näher betrachtet zeigt, dass das Eins sich zurückziehend jedes andere Sein von sich repelliert, durch welche Hand lung aber das andere Sein gesetzt erscheint, ein anderes, das g leich ihm Fürsichsein oder Eins ist. Hierdurch hat sich eine Viel heit und somit der Begriff der Viel heit [ ‫ ] הריבו י‬herausgebi ldet. 3 Da wir uns aber hier mit den ersten Begriffen beschäftigen und keinen anderen Unterschied kennen a ls Sein, Dasein, a ls Sein mit einer Grenze, aus dem es hinausgeht um ein A nderes zu werden – sie verändert – und dann zu sich zurückkehrt, a ls Eins – so sind auch die anderen, die von ihm im in sich zurückkehren, Repellierten mit ihm vollständig identisch, so dass man sie getrennt gar nicht denken kann und die durch Repu lsion [ ‫ ] בחזירתו‬entstandenen Eins mit dem ersten Eins zusammenfassen.4 Das heißt, dass das Seinfürsich die A nderen im selben Moment repelliert und attrahiert, woraus sich wieder der 1 Vg l.

Landau, a. a. O., 50 – 54. Zum Ganzen vg l. Hegel, Wd L (1832), 144. Hegel, Wd L (1832), 146. 3 Vg l. dazu Hegel, Wd L (1832), 155. 4 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 146. 2 Vg l.

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Begriff der Repu lsion und Attraktion, der Zusammensetzung und Trennung ergibt, was wir an a llen Wesen wahrnehmen. Wenn wir z. B. an einem Ding eine Beobachtung anstellen und behaupten, es sei eine Elle lang oder aus Elementen zusammengesetzt, solche Eigenschaften besitze oder von bestimmter Beschaffenheit sei, so haben wir von ihm Ein Sein behauptet, das sich zug leich in viele Eins zertei lt, und somit auch dessen g leichzeitiger Zusammensetzung und Trennung. Diese sind, wie wir sagten, zwei Momente dieses Begriffs, die einander aussch ließen und nur in ihrer Einheit und ihrem wechselseitigen Übergang gedacht werden können. Hieraus ist das Wesent l iche der Atom lehre [ ‫ עצם הפרד י‬oder ‫ ] חלק שאינו מתחלק‬zu erk lären, die der Rav [ Moshe ben Maimon ] im Namen der Mutaka llimun [ ‫ ] המדברים‬zitiert und behandelt.1 Diese näm lich sagten, dass jeder zusammengesetzte Körper sich im Gedanken zumindest so lange tei len lässt, bis wir zu den einfachsten Teilchen gelangt sind, aus denen er zusammengesetzt ist, zu den reinsten Eins, die nicht mehr tei lbar sind, die keine Qua lität mehr besitzen. Sie aber fassten das Fürsichsein, seiner Vorstellung gemäß, a ls ruhendes, unbeweg liches und von seinen Momenten unvermitteltes Sein auf. Sie behaupteten dieses Dasein von den Atomen, weil sie das Moment der Repu lsion von dem der Attraktion bezüglich des Fürsichseins getrennt haben. In Wahrheit aber sind ja diese beiden Momente im Subjekt vereinigt.2 Ebenso wie das Dasein von den Momenten des Seins und Nichts vermittelt wird, woraus die Vorstellung der Grenze hervorgeht, diese letztere wieder, durch Negation vermittelt, das Fürsichsein hervorbringt, so wird das Fürsichsein durch das Moment der Repu lsion hervorgebracht, da die Repellierung des anderen Eins, | auch dessen Verhä ltnis zu denselben schaff t, die wir a ls Repu lsion und Attraktion zusammenfassen, zwei Momente des Eins und der Vielen unzertrennbar sind. Der gewöhn liche Verstand weiß bereits, dass sich vollständig verschiedene Dinge nur dann a ls Viele bezeichnen lassen, 1 Vg l.

Mose ben Maimon, Führer I 51, 158 f.; II 73, 321 ff. Hegel, Wd L (1832), 157. Siehe hierzu auch die Hinweise L andaus, Nachman K rochma l, 52 A nm. 3. 2 Vg l .

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wenn das ihnen Gemeinschaftliche charakterisiert wird. Pferde, Kamele und Esel können wir nur in dem Fa lle unter einen Begriff zusammenfassen, wenn wir an das ihnen gemeinschaft liche Tierische denken. Wir sehen aber nicht ein, dass mit der Behauptung der T ren nu ng das Zusammengesetztsein schon gesetzt ist und ebenso umgekehrt, dass die Zusammensetzung [ Attraktion ] die Setzung der Trennung [ Repu lsion ] bedeutet. Unser gewöhn l icher Verstand, der die Wahrheit des Begriffes nicht fasst, sieht auch nicht ein, dass das Fürsichsein selbst Übergang der beiden Momente ist, d. i. der vom Dasein zum Fürsichsein und von diesem zurück zu Dasein, was hier Viel heit, räum liche Ausdehnung und Konstruktion wird.1 Bis nun beschäftigen wir uns mit dem Begriffe des Seins in seiner qu a l it at iven Bestimmung, wie er zur vollständigen Bestimmtheit im Begriffe des Eins gelangt, und durch die ihm anhaftende Negation zu dem entgegengesetzten Begriffe der Vielheit zurückgekehrt war. Hieraus ergab sich ein neuer Begriff – der der Quantität. A nmerkung :2 Wisse aber, dass wir uns nicht etwa auf irgendeinen e lementaren A nfangsbegriff beziehen, der sich unausgeg lichen zwischen zwei Extremen bewegt, sondern wir beziehen uns auf das Verhä ltnis der gedank lichen Vorstellungskraft, von dem dieser A nfangsbegriff abstrahiert, und dies steht nicht im Widerspruch zu [ dem von ] uns [ Ausgeführten ], d. h. zum Ausgangspunkt unserer Überlegung, [ z uma l ] wir in ihr die Verbindung der erwähnten Bewegungen fi nden. Und nur eine solche gedank l iche Vorstellung eines A nfangsbegriffes bezeichneten wir a ls abstrakt und unvermittelt, bis sich im Verlaufe und in der Entwick lung der Gedanken auch die einzel nen erwähnten Momente der Vorstellungskraft zu erkennen geben und für jemanden zu wirk lichen Begriffen werden, wi ll sagen : zu speziellen Vorstellungen, obg leich sie potentiell bereits im ersten Gedanken vorhanden waren, wie sie sich bei unserer Untersuchung zu erkennen geben.

1 Vg l. 2 Die

Hegel, Wd L (1832), 161. folgende A nmerkung ist in der Übertragung Landaus ausgelassen.

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Bis hier haben wir über den Begriff der Qua lität gesprochen, und die Qua lität gelangt zur voll kommenen Synthese in einem Begriff. Durch die in ihm angelegte Negation gelangt es a llerdings wieder zu seinem Gegentei l mit der Viel heit. Und hierdurch gelangen wir zu einer weiteren Begriffsart, näm lich die Quantität. Wir haben bereits nachgewiesen, dass das Dasein qua litativ bestimmtes Sein ist, sei diese Bestimmung eine affi rmative oder negative, wie die der Blindheit, Kä lte und Torheit.1 Wenn nun aber die Bestimmung des Seins eine solche ist, dass sie nicht mehr notwendig erscheint und entfernt oder mit einer anderen ähn lichen verwechselt werden kann, so dass die Bestimmung dann woh l nicht ganz negiert, immerhin aber entfernt und umgetauscht erscheint, nennen wir dieselbe – Quantität [ ‫] כמות‬. So haben bereits die Mathematiker den Begriff der Größe a ls Etwas definiert, das ebenso vermehrt a ls vermindert werden könne. 2 Der Begriff des Hauses z. B. oder der Röte bleibt unverändert, wenn wir auch den Bau, respektive die Röte, vergrößern oder vermindern. 3 Wir haben nun gesehen, dass die Qua lität in der Tat ein aus zwei Momenten hervorgehender Begriff ist, und zwar aus der Rückkehr in sich selbst und der Negation jedes A nderen, der Repu lsion a lso, und dessen aus der Negation hervorgehenden Beziehung zum Anderen, der Attraktion. Da er aber von der Vorstellung a ls einfacher Begriff erfasst wird, erscheint er derselben a ls zweifache Quantität, und zwar a ls diskrete, wie eine A nzah l von Äpfel n, die nur im Gedanken zur Einheit vereinigt werden können, und a ls kontinuierliche, wie die Linie, die Fläche, der Körper, deren Teile kontinuierlich zusammenhängen und von deren Vielheit man sich nur im Gedanken eine Vorstellung machen kann.4 In Wahrheit aber sind diese beiden Momente nicht voneinander zu trennen, ihre Vermittlung ist die Wahrheit des Begriffes. Jede diskrete Quantität, die man sich 1 L andau,

a. a. O., 54 – 58. Vg l. Hegel, Wd L (1832), 173. Hegel, Wd L (1832), 175. 3 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 174 mit demselben Beispiel der Farbe Rot. 4 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 177. 2 Vg l.

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Pforte 16

denken mag, ist auch Kontinuität. Der Apfel z. B. ist eine aus seinen Teilen zusammengesetzte Größe, ebenso jedes Teilchen desselben. Und die kontinuierliche Quantität denken wir uns a ls ein aus Teilen Zusammengesetztes, die a lso seine Einheiten sind. Diszerniert ist die Quantität nur in Bezug auf die A nderen und damit eben ist sie wieder Kontinuität. Jede Kontinuität ist zusammengesetzt, wesha lb wir uns das eine Moment ohne das andere, ihm entgegengesetzte, nicht denken können. Somit besteht die Vollständigkeit dieses Begriffes nicht etwa in der Auffassung der Diskretion und 280 Kontinuität, a ls zwei | getrennter A rten der Quantität, sondern viel mehr in der Vermittlung beider Momente,1 die die Vorstellung und der Verstand ba ld von der einen Seite betrachten, a ls Moment der Einheit und der Repu lsion, ba ld von der anderen a ls Moment der Viel heit, der Attraktion.

A nmerkung : Der reine Begriff der Qua l ität ist außerha lb unseres Verstandes in den Begriffen von Raum, Zeit und Materie wiederzufi nden Raum, so viel wir ihn selbst, ohne die ihn verhü llende Enge, uns denken können, ebenso die Zeit ohne deren Ereignisse und die Materie, wenn wir nicht ihre Form, sondern sie in Bezug auf ihre Ausdehnung in Betracht ziehen. Die sind a lle reine Quantität ohne Qua lität.2 Hier aber tritt der Widerspruch oder die A ntinomie in Bezug auf die erwähnte Teilung hervor, ob wir von derselben behaupten, dass sie im Gedanken notwendig zu den einfachsten und nicht mehr tei lbaren Atomen gelangt, oder ob sie ins Unend liche fortgesetzt werden kann. 3 Manche und mit ihnen die Mutaka ll imun [ ‫ ] המדברי ם‬meinen (More [ nevukhim ] I 73)4, dass die Materie aus so k leinen Tei lchen zusammengesetzt sei, die wegen ihrer Winzigkeit nicht mehr getei lt werden können und keine Qua lität mehr haben. Ebenso behaupten sie von der Zeit, dass sie sich aus winzigen Zeittei lchen zusammengesetzt, an welchen die Teilung nicht fortgesetzt werden könne. Dasselbe behaupteten sie vom Orte, und suchten durch Beweise zu demonstrieren, dass etwas End liches wie die Materie 1 Vg l.

Hegel, Wd L (1832), 191. dazu Hegel, Wd L (1832), 178. 3 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 179. 4 Vg l. Mose ben Maimon, Führer I 73, 317. 2 Vg l.

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ein Teil des Ortes und der Zeit unmög lich unend liche Teilchen entha lte. Gegen diese Behauptung macht sich eine zweite Meinung geltend, dass die Teilbarkeit im Gedanken absolut ins Unend liche fortgesetzt werden kann, ohne je zu Einzelatomen zu gelangen. Auch die Vertreter dieser A nsicht führen starke Beweise ins Treffen, da die end liche Teilbarkeit näm lich unter anderen vornehm lich die Unmöglichkeit bedingt, dass die Diagona le des Quadrates einer der ihr an liegenden Seiten g leich sei, wodurch auch a lle geometrischen Beweise aufgehoben erscheinen, da sie die Unmögl ichkeit einer end l ichen Tei lbarkeit zur Voraussetzung haben. Untersuche dies im More [ nevukhim ] (MN I, 73). Der Rav [ Moshe ben Maimon ] behauptet hier, dass die Behand lung a ll dieser Prämissen ins Unend liche führe. Die A ntinomie ist nun k lar und beide einander widersprechenden Behauptungen scheinen hiermit unwiderlegbare Beweise für sich zu haben. A llein die Lösung dieses Widerspruches geht aus dem bis nun Gesagten deut lich hervor. Da die Quantität aus der Vermittlung oder Zusammensetzung beider Momente hervorgeht, indem eines das zweite übergeht, können sie unmög lich voneinander getrennt, um so einzel n, d. h. jedes Moment für sich, behandelt zu werden.1 In dem Fa lle würde keine Kontinuität und somit keine Ausdehnung stattfi nden. Wir würden die Zusammensetzung ins Unend liche fort negieren, um doch end l ich zum einfachen Eins zu gelangen, jede Quantität würde sich dann in einzel ne Momente auf lösen, so dass nichts Kontinuierliches zurückbliebe. Wenn wir wieder das zweite Moment herausgreifen sollten, d. h. aussch ließlich die Kontinuität der Qua lität, würden wir an den Größen keine Teile, von welchen die einen kontinuierlich, die anderen diszerniert wären, unterscheiden können, und würden nie zwei Teile finden, die nicht durch ein drittes k leineres Medium wieder zusammenhängend wären und hätten dann eine unend liche, ununterbrochene Qua lität. Diese beiden Fä lle sind aber nur in reiner Abstraktion möglich, während ihre Wahrheit auf dem Zusammenha lten beider Momente und ihrem gegenseitigen Übergang beruht, sie a llein bedeuten wirk liche Quantität; eines für sich ohne das zweite ist nicht zu denken, weil sich ja die kontinuierliche Quantität aus Vielen, d. h. vielen Eins zusammensetzt; ebenso ist die diskrete Quantität g leichfa lls Kontinuität, 1 Vg l.

Hegel, Wd L (1832), 181.

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Pforte 16

281 d. h., dass wir | um das Eins zu gewinnen das andere repell ieren und so

fort. Das Repell ierte aber ist ebenfa lls Eins, und diese Einheit ist es, die beide Momente zusammenhä lt.1 Die Einheit der diskreten und kontinuierlichen Qua lität kann auch noch auf folgende Weise erk lärt werden. Nach oberf läch licher Betrachtung scheinen wir zur Einheit der diskreten Quantität auf arithmetischem Wege zu gelangen; in der Tat aber lehrt uns die Geometrie nichts anderes a ls die Subjekte der Kontinuität [ d ie Raumfiguren ] miteinander zu verg leichen, z. B. Seiten, Winkel und ihre gegenseitige räum liche Entfernung, wobei wir aber noch immer zu deren vollständigen Bestimmung und Begrenzung der Zah l bedürfen. Wenn die Bestimmung des K reises rein geometrisch ist, „wei l er a llein auf der Gleichheit der Entfernung a ller in ihm mög lichen Punkte von einem Mittelpunkte beruht, wodurch er vollständig bestimmt ist, so reicht diese Bestimmung nicht für das Dreieck und Viereck aus; für sie ist die Zah l erforderlich.“ Die Definition der Linie, die den A nfang der kontinuierlichen Quantität bi ldet, lautet : Die Linie von einem im Raume sich bewegenden Punkte. Der Punkt ist somit die erste Bestimmung der Kontinuität, wie das Eins die erste Bestimmung der Diskretion ist und wahres Fürsichsein. In der Minute aber, in der wir ihn uns beweg l ich denken, ist er aus dem Fürsichsein hinausgetreten, hat er seine Bestimmung aufgehoben und sich in Beziehung zu einem A nderen gesetzt. Durch das Hinaustreten aber des Punktes aus dem Fürsichsein stellt er notwendig eine aus vielen Punkten bestehende Linie vor, die der „Grenze [ der Bestimmung ] der vielen Eins“ bedarf, wodurch Eins und Vieles für die Diskretion g leichwertig erscheinen. Ebenso verhä lt es sich mit den anderen Raumbestimmungen von Flächen und Körpern.2

Aus unserer Definition der Quantität, dass sie Sein sei, ohne von der qua litativen Seite beschränkt zu sein, geht ja hervor, dass sie eine Qua lität hat, die wir von ihr entfernen oder unbeachtet lassen, die Quantität überhaupt hat somit eine Grenze und ist daher eine Größe, d. h. ein durch seine Grenze bestimmtes Sein. 3 1 Hegel,

Wd L (1832), 187. Hegel, Wd L (1832), 196. 3 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 193.

2 Vg l.

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Jede Quantität ist so ein Quantum, d. h. die durch ihre Grenze bestimmte Quantität; da wir uns eine unbegrenzte Größe unmöglich denken können, was auch schon der Rav [ Moshe ben Maimon ] – Vorwort I, A nfang Teil 21 – a ls eines der Prinzipien aufstellt. Die Bestimmung der Quantität ist die Zah l und ihr Prinzip die Einheit und die A nzah l.2 Wir fassen näm lich im Gedanken einen Teil der Quantität zusammen, z. B. Zoll und ihn a ls Einheit – er ist dann die Grenze des Zusammenfassens und nehmen hierauf eine beliebige Zah l – 30, die dann die Grenze der Trennung ist, worauf wir dann sagen, dass diese Quantität 30 Tausend entha lte. Wenn wir 3 Tausend zusammenfassen, so ist zehn die A nzah l dieser Einer, wobei die Zah l der Quantität mit der ersten identisch ist. Hieraus folgt, dass die Operation der A rithmetik nur das Verhä ltnis zwischen der Einheit und der A nzah l angibt. 3 Beides geht aus der Tätigkeit der besprochenen Momente der Qua lität hervor. Wäre nicht das Moment der Kontinuität, der Attraktion, würden wir nie zur Zusammenfassung einer Einheit, z. B. Zoll, Elle gelangen, a lle Einer wären voneinander losgelöst und würden sich zu keiner Zah l vereinigen, und ebenso würde ohne das Moment der Diskretion, der Repu lsion keine Zah l zustande kommen, da die Quantität eine Einheit wäre. Nun gibt es bekannt lich zwei A rten der bestimmten Quantität oder der Größe :4 a) eine extensive, in der sich deren Teile nebeneinander wie im Raume oder nacheinander, wie in der Zeit ordnen. b) eine intensive wie z. B. der Grad der Wärme an dem man die Quantitätsmenge derselben abl iest. Ebenso unterscheidet man eine größere oder geringere Quantität der Röte oder Geschwindigkeit; Quantitäten, deren Teile nicht auseinander ruhend, sondern wechsel nde Grade sind, die beobachtet und bestimmt werden müssen. Denn wenn wir mehrere, in der Tat vorhandene, ge1 Mose ben Maimon, Führer II 2, 4 : „Das g leichzeitige Vorhandensein von

[ end l ichen ] R aumgrößen in unend l icher Zah l ist undenkbar“. 2 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 193 f. 3 Hegel, Wd L (1832), 197. 4 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 193.

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ringere Wärmegrade zusammensetzen wollten, würde sich uns aus denselben nicht die Summe a ll dieser Grade, sondern derselbe wahrgenommene Wärmegrad ergeben. Wenn wir z. B. Wasser von einem Grade Wärme in anderes vom selben Wärmegrad schütten, 282 gewinnen wir keinesfa lls zwei Grade, beide Wasserqua l itäten | beha lten dann den einen Grad, weil die extensive Quantität auf die intensive gar keinen Einf luss übt.1 Man definiert desha lb den Grad a ls Quantität, nicht aber der Sache selbst. Der Verstand hat a lso diese beiden Quantitäten vollständig voneinander getrennt. 2 Eine vernünftige Betrachtung dagegen fi ndet auch die Identität dieser Größen ba ld heraus, die durch ihre Momente zusammenhängen und voneinander gesondert nicht vernünftig begreif lich sind. Wir haben bereits gesehen, wie die aus Eins und A nzah l entstehende Zah l in das unbestimmte Eins übergeht, wodurch uns auch der Übergang aus der A nzah l, der steten Beziehung-auf-ein-Äußerliches in die einfache Bestimmtheit begreif lich wird. Aber auch für die Vorstellung ist es k lar, dass diese Größe in die Einheit der intensiven Größe übergeht, wo die Grenze mit der Größe [ Quantum ] identisch ist und, wie erwähnt, a ls Grad bezeichnet wird. 3 A nmerkung : Aus den bisherigen Ausführungen wird der Verständige erkennen, dass die Begriffe a ls solche die Vernunftbegriffe a llein, das Subjekt der Wissenschaft der Logik sind, deren Wesen und Bestimmung wir zu erforschen und zu prüfen haben, was sich aus diesen Begriffen herausentwickelt und wie sie auseinander hervorgehen. Die Frage, wie diese Begriffe ihren Objekten entsprechen und sich in denselben verwirk l ichen, ist Aufgabe der Naturwissenschaft [ ‫] פילוסופיאה של הטב ע‬. Ebenso ist die Behand lung der Psyche, ihrer wichtigsten K räfte wie 1 Dieselben Beispiele bei Hegel, Wd L (1832), 216. Siehe dazu auch Sa lomon

Maimon in seinem Givʽat ha-More, in : More Nebuchim sive Liber Doctor Perplexorum auctore R. Mose Majemonide arabico idiomate conscriptus R. Samuel Abben Thibbone in Linguam Hebraeam Translatus novis Commentaris uno R. Mosis Narbonnensis … a ltero anonymi eiusdam sub nomine Gibat hamore, nunc in lucem editus cura et impensis Isaaci Euchel i, Berl in 1795, 82b (hebr.). Vg l. L andau, Nachman K rochma l, 61 A nm. 1. 2 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 214. 3 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 210.

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Vorstellung, Verstand, Wille, Vernunft [ usw. ] Gegenstand der Psychologie [ ‫] פילוסופיאה של הרוחני‬.1 Mit diesen Wissenschaften wollen wir uns zukünftig in zwei speziellen Pforten befassen, mit der Hil fe des Herrn, der unsere Hände wirken lässt! Hier ist es unsere Absicht, sich aussch ließlich mit den logischen Begriffen und den für sie geschaffenen Bezeichnungen zu beschäftigen, womit er den Sch lüssel bieten wollte sowoh l zur Attributen lehre des Rav [ Moshe ben Maimon ] a ls auch zu den ersten Prinzipien der jüdischen Religionsphi losophie [ ‫] חכמת ישראל‬, der Sefirot, die hier auf den Waagscha len der A na lyse, so die Hand des gütigen Gottes auf uns ist, untersucht werden sollen. Ich kehre nun zuerst zum Begriffe des End lichen [ ‫ ] הסוף‬und Unend lichen [ ‫] האין־סוף‬ zurück und bemerke, dass wir auch hier noch immer nicht mit metaphysischen Denkbestimmungen operieren wollen, wie etwa von absolut höheren Wesen … , sondern so viel sie Gegenstand des Verstandes sind, und sage in meiner Betrachtung fortfahrend : Wenn wir diese beiden Begriffe so nehmen, wie sie uns die Vorstellung vorführt, d. h. dass jeder im Verstand an-und-für-sich sei, dass das End liche für sich abgesch lossen existierte und das Unend liche außerha lb seiner Grenze, ein Zweites sei, dann haben wir überhaupt kein Unend liches mehr, wei l es Eines von Zweien, ein Teil a lso ist und ein Unend liches das neben dem End lichen gedacht wird, dem das End liche Schranke ist, muss selbst end lich sein und ist nicht mehr der Begriff, den wir wünschen. A ndererseits ist das End liche der a llgemeinen Vorstellung, das an einem Ende a ls solches existiert mit dem anderen aber sich an das Unend liche eng ansch ließt, woh l selbst absolute Existenz und a ls voll kommenes absolutes Sein mit dem Unend lichen g leichwertig.2 Denjenigen, die uns entgegen ha lten wollten, dass die Existenz des End lichen vom Unend lichen bedingt sei, müsste ich antworten, dass sie ihre eigenen Worte, mit welchen sie den Gegensatz betonen, nicht verstehen. Da näm l ich die Vorstellung von diesen beiden Begriffen behauptet, dass sie ineinander nicht eingrei1 Dies entspricht der Eintei lung in G. W. F. Hegel, E nzyclopädie der phi lo-

sophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), neu hg. v. F. Nicol in und O. Pöggeler, Hamburg 1959 : Logik, Phi losophie der Natur und Phi losophie des Geistes. – Siehe dazu L achower, Le-seder, 91 A nm. 1. 2 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 126.

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fen, – wodurch ja das End liche gleich Nichts wird –,1 dass somit zwischen ihnen ein weiter Abstand sei und beide innerha lb ihrer Grenzen abgesch lossen voneinander ruhen; dass das End liche a lso nicht erreichen, in seine Grenze nicht eindringen könne, wird ja hiermit zugestanden, dass das End liche f lüchtiger Schatten ist, wodurch das Gegentei l von dem bewiesen wird, was die Vorstellung hervorzubringen die Absicht 283 hatte.2 Durch diese Sonderung wird das Unend l iche end l ich | und das End liche rea les Dasein. Nach unserer obigen Beweisführung aber, dass das qua litative Sein, das Dasein, eine Negation entha lte und beim Übergehen des Dasein in ein anderes, die Negation negiert werde, um einer anderen Platz zu machen und so fort, ergibt sich, dass der Prozess woh l Negation der Negation ist, das Sein aber unveränderlich und somit unend lich bleibt.3 Hierbei kann nicht mehr behauptet werden, dass auch durch diese Explikation das Unend liche end lich geworden sei. In Wahrheit bleibt das Unend liche unveränderlich und das End liche eine im Unend lichen vorhandene, f lüchtige, vorübergehende Vorstellung. Um nun die Bedeutung unserer Untersuchung nachzuweisen …4

1 Bei

Landau, a. a. O., 63 ist der Satz in runde K lammern gesetzt. Hegel, Hegel, Wd L (1832), 127 : „Das End l iche ist das rea le Dasein.“ 3 Vg l. Hegel, Wd L (1832), 128. 4 H ier endet der Text unversehens. L andau, a. a. O., 64 bemerkt dazu : „Hier bricht dieser Abschnitt plötz l ich ab, die wichtigere Hä l fte desselben, in der K rochma l mehr a ls wahrschein l ich den Nachweis führen wollte, dass die Termini ‚ Sof ’ und ‚ En Sof ’ von den K abba l isten im Sinne seiner Ausführungen verstanden und behandelt wurden, was er ja schon in der Ein leitung a ls das von ihm angestrebte Ziel ausdrück l ich angibt, ist abhanden gekommen. Dass ein Tei l zumindest vorhanden war, geht aus diesem Sch lusse mit Bestimmtheit hervor.“ 2 Vg l.

PFORT E 17



Die Weisheit des Armen1

Das System des Ibn Ezra Unsere Absicht [ im Folgenden ] ist, das System des Weisen Rabbi Avraham Ibn Ezra, seligen A ngedenkens, über die Gottheit, die Einheit des physischen Seins und die Geheimnisse der Tora und Prophetie zu erläutern. Da wir von ihm aber keine spezielle Schrift besitzen, können wir uns nur an einer Reihe von einzel nen Aussprüchen und kurzen Weisheits-Dikta orientieren, die sich in seinen Kommentaren und in einigen Schriften erlesener Weisheit finden. Da aber a lle seine darin entha ltenen Aussprüche tiefgründig und undurchschaubar, ja manchma l sogar rätselhaft sind, können wir unser Ziel nur erreichen, wenn wir seine Worte ein wenig genauer ana lysieren und Licht auf sie werfen, indem wir sie angemessen abwägen und ihre Formu lierungen und Sch lussfolgerungen eingehend behandel n. Dies ist ein schwieriges Unterfangen, dessen Schwierigkeit dadurch verdoppelt wird, dass das System seiner Weisheit, sowoh l dem Wesentlichen seines Inha ltes a ls auch seiner Form und der Eink leidung der in ihm (behandelten) Gegenstände nach, einsam dasteht und wenig Gemeinsamkeit aufweist mit dem System irgendeines seiner Vorgänger oder gebi ldeten Zeitgenossen aus unserem Vol ke. – Dabei ist diesbezüg lich auch die Beziehung und die Ä hn lichkeit der einzel nen Aussprüche untereinander noch keine entscheidende Hilfe und dies [ nicht ], um sie zu verkürzen, sie zu versch ließen und rätsel hafter zu machen, sondern um die Kette des Systems um die feh lenden und unk laren Glieder zu ergänzen, indem man die A na logien und Gedanken 1 Zur

Übersetzung der an Koh 9,16 (Die Weisheit des Armen ist verachtet) angelehnten Überschrift vg l. Greive, Studien, 20. Zur Einordnung des K apitels in den Stand der Ibn Ezra-Forschung siehe Harris, Nachman K rochma l, 93 f. A nm. 28.

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Pforte 17

seiner Ausführungen miteinander verg leicht. Wir müssen unser Unterfangen daher in a ller Vorsicht und unter Vermeidung von Zusätzen zu seinen Worten durchführen, da sie Gedanken entha lten könnten, die niema ls von ihm stammen können. Auch dürfen wir nicht aufgrund der potentiell in seinen Worten vorhandenen Ideen A na logiesch lüsse [ z u Gedanken ] anstellen, von denen er niema ls eine k lare Erkenntnis hatte. Und desha lb werden wir uns mit a ll unserem Vermögen bemühen, zu differenzieren und a lle Probleme der A lternativdeutungen anzumerken : a) Was in seinen Worten unserer Einschätzung nach erk lärt wird und welcher Gedankenwelt sie entstammen. b) Was demjenigen, der seine Äußerungen bedenkt, offensichtlich ist, das, was notwendigerweise mit dem, was von ihm gesagt wurde, verbunden ist, wofür es keine Entsprechung gibt und was diesem Weisen völlig k lar war, auch wenn es in den Dikta, die auf uns gekommen sind, nicht eindeutig gesagt ist (und viele von seinen Aussprüchen feh len uns). c) Um das, was uns die Notwendigkeit lehrt, gemäß der Denkweise unserer Zeit mitzutei len und zu erläutern, auch wenn es nur aus seinen Äußerungen abgeleitet oder lediglich für das voll kommene Verständnis nütz lich ist und wir nicht genau wissen, ob dies der Gelehrte tatsäch lich mit k larer Erkenntnis so gedacht hat. – Folglich hängt die Methode und Vorgehensweise der Erk lärung des Systems von verstreuten Aussprüchen ab, die zum größten Teil nicht gesagt wurden, um diese Weisheit [ f ür sich gesondert ] entsprechend ihrer Eigenart zu erläutern, sondern nur um der Erk lärung einzel ner Schriftverse und religiöser Auffassungen wi llen. – So wird der Gebildete nun auch verstehen, wie schwer es uns fiel, eine logische und angemessene Ordnung für unsere Ausführungen zu fi nden, sowoh l was die richtige Priorität a ls auch die Nachträge zu einzelnen Themen anbelangt, was fast unmög lich erscheint. Doch unsere Hoff nung besteht nun darin, dass der Gebildete am Ende, nach a ll unseren Ergänzungen und Erk lärungen, nachdem er sie a lle durchgesehen hat, zu einer k lareren Erkenntnis gelange, sodass sich ihm die Pforten des Systems öff nen mögen und ihm die Tiefe und der Stellenwert dieser Weisheit offenbar werde und er, fa lls er sich verwundert, auch Vergnügen und Lust

Die Weisheit des A rmen

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für sein Gemüt finde. Wir wollen diese Pforte a lso in sechs Teile gliedern : | 285 1. A llgemeine Einführung. 2. Die Hauptbestandtei le der Rea lität oder die Kette der Welten und ihr Zusammenhang, und zwar in Kürze und der Reihe nach. 3. Sch lüssel und Wurzel n der Untersuchung. Das Problem der Erk lärung des Mysteriums des [ gött lichen ] Namens und der „oberen Welt“ [ ‫] העולם העליו ן‬. 4. Das Problem der Erk lärung des Themas „mittlere Welt“ [ ‫] העולם תיכו ן‬. 5. Das Problem der Erk lärung der „niederen Welt“ [ ‫] העולם השפל‬, der ma‛ase bereshit und des Mysteriums des Menschen. 6. Geheimnisse der Tora und der Prophetie.

Und zu jedem dieser Paragraphen werden die entsprechenden Stellen notiert und von uns erk lärt werden, außer an den Stellen, die im Folgenden erläutert werden und die in dem betreffenden Paragraphen selbst erk lärt sind. Und nun wollen wir beginnen; und vom Herrn erbitten wir, er möge uns helfen. 1. A llgemeine Einführung

Grund und Eckstein des Systems des Gelehrten sind seine Dikta und Überlegungen über das A ll und das Einzelwesen, die a llgemeinen Dinge und die Einzel heiten, die A rten und ihre Einzelwesen. Da dies aber nicht an einer Stelle seiner Ausführungen in einer langen Überlegung erläutert wird, müssen wir dies entsprechend unseren heutigen Kenntnissen in diesen A ngelegenheiten erläutern. Und daher werden wir die entsprechenden Stellen auch am Sch luss [ d ieses Kapitels ] zusammenstellen, auf dass so belegt werde, dass wir nicht von seiner Auffassung abgewichen sind und auch nichts zu seinen Worten hinzugefügt haben, was nicht seiner Meinung entsprach.

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Pforte 17

Die Hauptsache der Erkenntnis findet im Verstand statt, nicht in den Sinnen. Wer niema ls ein Haus gesehen hat und dann eines gewahr wird, der wird fragen : Was ist dies ?1 Es genügt ihm, was er mit seinen Augen sieht, und das, was er tatsäch lich mit den Händen abtasten kann und was er mit vielen unterschied lichen Wörtern umschreiben kann : Steine, Mörtel und Ba l ken – a ls ob er versuchte, dass ihm aus diesen a llgemeinen Materia lien durch A rbeit eine Sache entstünde, eine a llgemeine Form, die ihm bekannt ist. Und welche Kenntnis ist dies ? [ Welche Erkenntnis ist es, ] die zu seinem Verstand gelangt und in ihm die Form des Hauses bildet, von der er, wenn zufä llig vor ihn Formen von Häusern gelangen, sagen kann, dass er ihre Funktion kennt ? Und man beachte, dass der Verstand bereits selbst für ihn die Differenzierung der ersten Form vornimmt, sodass er die Form und die Ausprägung, die für das von ihm erblickte Haus typisch sind, erkennen kann und a llein das behä lt, was für die [ Kenntnis der ] Form des Hauses notwendig ist, sodass er darauf im A kt des verstandesmäßigen Begreifens zurückgreifen kann. Dies bezeichnen wir so, dass er einen Begriff von dem Haus bildete. Die Wissenschaft von den sinn lichen Erfahrungen beschäftigt sich nun mit den Einzelerscheinungen der Dinge, die greifbar werden, indem sie durch das Gefüh l erfahrbar werden. Die Philosophie beschäftigt sich dagegen mit den a llgemeinen Begriffen, mit den Dingen, die sich verstandesmäßig begreifen lassen. Ebenso mit a llen Dingen sowie Sachen und mit dem A llgemeingü ltigen, d. h. ihrem Wesentl ichen, ihrer A nordnung und den Gesetz[en] ihrer Existenz und Tätigkeit, mithin mit dem Begriff einer Sache und dem, was von diesem zum Verstand gelangt. Form, Farbe und Materia l und a lles, was sonst an Details übrigbleibt, bleiben dagegen greifbar [ u nd konkret ], d. h. eine Rea lität a llein für die Sinne, [ u nd zwar genau ] so lange, bis sie zu irgendeiner a llgemeinen Stufe oder Gesetzlichkeit gelangen, durch die sie erst dem Verstand nachvollziehbar werden. Zum Beispiel : 1 Vg l.

G. W.  F. Hegel, Ein leitung in die Phi losophie der Rel igion : Der Begriff der Rel igion, Vorlesungen über die Phi losophie der Rel igion I, hg. v. W. Jaeschke, Hamburg 1993, 91 f.

Die Weisheit des A rmen

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eine Farbe, die weiß färbt, oder ein Geschmack[sstoff ], der süßt, solange ihre Wesensart und ihre Naturgesetz l ichkeit vom Verstand noch nicht begriffen worden ist, sind sie nur Gegenstand der sinn lichen Erfahrung [ ‫]  מדע חוש י‬1, eine Rea lität der Sinne und der Vorstellungskraft – in ihrem Vermögen liegt, nicht erkannt zu werden oder sich darzustellen, außer bei dem, was in Bewegung erkannt werden kann wie das Bewegen eines Augen liedes oder das Lächel n. Wenn man a llerdings feststellt, dass der A nblick des Geweißten aus einer Vermischung von a llen möglichen Farben entstanden ist, und ebenso der Geschmack des Gesüßten (entsprechend der Meinung einiger Naturwissenschaft ler), indem etwa einige Teile des Körpers selbst gesüßt sind durch ein rundes und gleitendes Aussehen, welches zum Lächel n beitragen kann, sodass es dann der Verstand nachvollziehen und er ihre Definition und das Gesetz ihrer Existenz auf die Rea lität zurückführen kann, so ist man zu einem besonderen Verständnis gelangt, | welches 286 man anehmen kann. Dies ist aber so, wei l diese Erscheinungsformen in a ll ihrer Individua lität in den Sinnen [ existieren ], ohne [ bereits ] durch Sprache oder durch einen Begriff dem Verstand definiert worden zu sein. Wenn nun aber eine Form zum Verstand hingelangt, so ist sie auf jeden Fa ll umfassender a ls nur die materielle sinn lich erfahrbare Form. Denn solange der Verstand seine Tätigkeit daran noch nicht vollendet hat, bleiben uns bei unserem Vergleich Variationen in den einzelnen Teilen und k leine Details, und beides bleibt somit noch den Sinnen überlassen, sodass es noch weiterer A ktivitäten und der Arbeit des Verstandes bedarf, sie voll kommen von diesen Sinneseindrücken zu reinigen und sie verstandesmäßig zu begreifen, ob sie für den Verstand im Wesen und im Absoluten zur Rea lität passen. Umso mehr a llerdings der Verstand fortschreitet, die Details der Dinge zu synthetisieren und sie zu vera llgemeinern, umso mehr er a lso fortschreitet und sich aufschwingt, aus dem Gefüh lten und aus der Rea lität der Sinne eine Rea lität des Verstandes zu erschaffen, umso mehr gelangt er 1 Vg l .

dazu R awidowicz, Iyyunim II, 224, wo er mit „sinn l iches Erkennen“ übersetzt. In R awidowicz, Mavo, 215 : „sinn l iche Erfahrung“.

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zu einem Reichtum an von Rea lien gereinigten Verstandesbegriffen, d. h. [ reinen ] Einzeleindrücken der Sinn lichkeit. – Doch man bedenke auch, dass – selbst wenn wir durch diese Abstraktion[en] und diese Verstandesleistung aufgrund unserer Empfi ndungen zu einem Verständnis ihres Wesens, ihrer natürlichen Beschaffenheit, den Gesetzen ihrer Existenz und den Verfahrensweisen ihrer A ktivitäten gelangen – auch dieses Etwas eine eigenständige Ausprägung besitzt, a lso an der Substanz die Materie, die a ll jene Eigenschaften trägt, wirksam bleibt.1 Wenn der Verstand aber auch nach ihm fragt und forscht, so wie er üblicherweise nach dem Begriff jeder Sache fragt, a lso, was die Substanz der Materie sei, d. h., was der [ rationa l nachvollziehbare ] Begriff in ihm ist. Und er antwortet sich selbst, die Substanz der Materie sei seine Ausdehnung an einem Ort und seine Begrenzung durch die drei Dimensionen, seine Erscheinung innerha lb dieser Dimensionen und die Schwere in der sinn lichen Wahrnehmung dessen, der sie auf sich nimmt – siehe, so jemand strebte und begann bereits vom Ende der verbleibenden Erkenntnis aus, näm lich der Materie der Allheit und der verstandesmäßigen Rea lität. Doch auch damit handelt es sich nicht um reinen Verstand, denn er hat sich noch nicht entpf lichtet, zu untersuchen, was es mit jener Schwere auf sich hat : welches ihr Ort ist, welches ihre Dimensionen ? Und was ist die Eigenschaft jener Bilder im Verstand, die dem sinn lichen Wahrnehmungsvermögen durch das Gefüh l und die Phantasie mittels sinn licher Formen zutei l werden ? Grundsätz lich lässt sich sagen, dass die Tätigkeit des Verstandes darin besteht, im Vorgang des Verstehens die Einzelheiten der sinn lichen Wahrnehmung aufzuheben, da sie zufä llige Einzelerscheinungen sind, die völlig unzusammenhängend existieren, und sie in Termini und verstandesmäßige Begriffe umzuwandeln, die selber ihrem Wesen und ihren Regeln und Gesetzen, die sie aufheben, folgen. Oder noch kürzer [ ausgedrückt : ] Durch ihre Tätigkeit werden das Materielle, das Sinnliche und das Abstrakte wieder geistige Rea lität, wird der Verstand mit der Substanz vereinigt, so wie die Materie sich bereits 1 Vg l.

Hegel, WdL (1832), 382.

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mit dem Gefüh l vereinigt hatte, sodass etwas erfahrbar geworden war, und mit der Vorstellung, sodass etwas zu einer abstrakten Form werden konnte. Bedenke auch, dass entsprechend den zah lreichen Wahrnehmungen, die es nur bei den sinn lichen Vorstellungen oder den zunächst in den Sinnen gebildeten Vorstellungen1 gibt, die Definition der Existenz eines Gegenstandes a llein der sinn lichen Wahrnehmbarkeit geziemt. So geschieht es etwa im Hinblick auf den Körper, den Menschen oder das Süße – über a ll diese kann man sagen, dass sie existieren. Doch über die Begriffe selbst und das, was im Verstand existiert, darüber kann man keine Definition aufgrund ihrer eigenen Rea lität entwickel n. Man sagt daher über diese, dass sie a llein im Verstand und in den Gedanken existieren. Dies ist zweifellos wahr, der Irrtum besteht nur in Bezug auf die Vorstellung der Menge, welche das Sein der Begriffe überhaupt leugnet. Doch die Gelehrten sagen im Gegensatz dazu (und darin sind sich a lle Systeme der Philosophen gleich, und sie unterscheiden sich mehr oder weniger nur hinsicht lich der k laren Erkenntnis und wie sie dies einfügten und in a llen Teilen ihrer Systeme ausführten)2, dass der Begriff und die A xiome nur im Sinne entstehen, dass sie a lso entsprechend dem Wandel und Vergehen keine wahre Existenz für sich haben, dass zu ihnen insofern die Bezeichnung Existenz nicht passt, sie viel mehr in einem Moment kommen und gehen und nur der durch jene Erscheinungen gebi ldete [ Begriff existiert ], und sie bilden die A llgemeinbegriffe, die die Grund lage für den Verstand bilden, sie sind die Substanz und der Essenz nach Verstand – zu ihnen passt die Bezeichnung Existenz und dauernde wahre Rea lität tatsäch lich. Die Weisen wurden aber gefragt, wie etwas für sich existieren könne, ohne mit dem Auge erkennbar zu sein, und sei es auch nur für den kürzesten Augenblick, und wie man sich davon einen Begriff bilden könne ? Zum Beispiel, und um die gemeinsame Erkenntnis dahinter näherzubringen, wussten sie, dass an jedem Tag und zu jeder Stunde von einem Menschen wie von jedem Lebe1 Vg l.

R awidowicz, Iyyunim II, 228. WdL (1832), 142 A nm. 2.

2 Hegel,

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wesen Teile abfa llen und geringer werden und dass sie durch andere mittels Nahrung ersetzt werden. Daraus folgt aber zwangsläufig die Annahme, dass von einem gewissen Zeitpunkt an bereits 287 a lle Tei le | des Körpers [ des Lebewesens ] ersetzt worden sind, die zu Beginn, bei seiner Geburt vorhanden waren (auch wenn es nur wenige waren, wei l sein Körper noch k lein war), und dass an ihrer Stelle andere entstanden sind.1 Wie kann man dann aber sagen, dass der gegenwärtige Körper derselbe ist, den derselbe Mensch zu A nfang besessen hatte ? Ebenso verhä lt es sich mit den physischen K räften, die in einem Körper sichtbar werden : Sie verharren nicht einen Moment lang im Stillstand, und selbst wenn sie auf der einen so erscheinen, a ls könnten sie zu Beginn ihrer Existenz nur zunehmen, so gehen sie auf der anderen Seite in jedem Moment [ ihres Daseins ] verloren. Ein Beispiel dafür ist, wenn ein Mensch bei seiner Geburt die innere K raft besitzt, um neunzig Jahre zu leben, doch ein anderer dank der notwendigen Mittel nur die K raft für siebzig Jahre, so feh lten beiden bereits nach einem Monat die K räfte, die sie für die verbleibende Lebenszeit benötigten. Und tatsäch lich verstrichen ja bereits die [ Zeit ] der ersten Ausgesta ltung und die einer anderen, die an ihre Stelle trat, und so geht es immer fort, zu jeder Stunde und in jedem Moment. – Wenn du nun zu uns sagen wolltest, dass der Körper und jene seine K räfte sich tatsächlich wandel n, wobei sich ihre Existenz verändert und für lange oder kurze Zeiträume verloren geht, sodass man [ nicht mehr feststellen könnte ], dass ich stets ein und derselbe Mensch bleibe, und ich derjenige bin, der erkennt und sich erinnert, dass ich ich bin und ich derselbe bin, der ich vorher war, sich a lso zwei [ Personen ] bildeten – so müssten wir dir antworten : Achte auf das, was dein Mund spricht : „Du bist und bleibst bei dir selbst“ – d. h., nur die Wesensart, die in dir ist, belegt, dass du ein Leben und ein Mensch bist, und dies ist der von dir ausgehende Verstand, er ist es, der tatsäch lich existiert und in Wahrheit unveränderlich ist. Doch a lles, was sichtbar, füh lbar und begreifbar sowie ähn lich beschaffen ist, a ll dies ist vergäng lich und kann in einem Moment verschwinden, 1 Vg l.

zu dem Gedanken Hegel, Phänomenologie des Geistes, 4.

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es besitzt keine Existenz und kein Dasein aus sich selbst, sondern nur aus deiner Substanz heraus. Diese [ Substanz ] ist eigent lich nur intelligibler Verstand, der die Naturgesetz lichkeit und Ordnung jener offensichtlichen und verborgenen Daseinsprozesse, die vor ihm kommen und gehen, erkennen kann. Dies ist aber, was sie dir gesagt haben, dass a llein dem Verstand wahre Existenz zukommt, denn den sinn lichen Wahrnehmungen selbst kommt keine wahre Rea lität zu, es sei denn in Verbindung mit einem Namen a llein. Wisse außerdem, dass jene Begriffe, Gesetzmäßigkeiten und Ordnungen, die wir erwähnten, insofern selbst Verstand sind, a ls sie ewig bestehen und nicht unter [ das Gesetz der ] Vergäng lichkeit der Zeit fa llen. Um dies zu verstehen, sei auf ein naheliegendes Beispiel verwiesen : Das Gesetz für ein Quadrat, dass eine Diagona le länger ist a ls seine Seiten länge und dass sie im Quadrat gleich ist zu dem Quadrat aus den beiden Seiten, die auf den beiden Ecken stehen.1 Man kann nicht sagen, dass dieser Satz [ erst ] aus der Zeit von vor tausend oder zweitausend oder von vor Hunderten von Jahren stammt, ebenso wenig wie man von dem Gesetz, dass das Ganze mehr ist a ls die Summe seiner Teile [ A ristoteles ], oder von dem Satz, dass die Zah l zwei im Quadrat die Quadratzahl ergibt, sagen kann, sie stammten aus irgendeiner bestimmten Epoche oder sie seien mit der Schöpfung der Welt oder sogar vor der Schöpfung entstanden. Viel mehr muss man sagen, dass diese Gesetze nicht unter die Zeit fa llen und dass die Zeit unter ihnen existiert. – Ebenso verhä lt es sich nun aber auch mit jedem a llgemeingü ltigen Begriff, denn das, was a llein begriff lich existiert und nicht sinn lich erfahrbar ist, steht in keiner Relation zu Zeit und Raum, ganz so wie [ d ie Begriffe ] Substanz, Zufa ll, Ursache, Dependenz der Ein- und Vielheit und ähn liche A llgemeinbegriffe 1 Der Satz des P ythagoras : In einem rechtwinkel igen Dreieck ist das Qua-

drat über der Hypotenuse c f lächengleich der Summe der Quadrate über den beiden K atheten a und b. Vg l. hierzu auch Hegel, Phänomenologie des Geistes, 30 f., der das g leiche Beispiel anführt, die mathematischen Grundsätze jedoch nicht wie K rochma l zu den phi losophischen Wahrheiten zäh lt. Siehe dazu L andau, Nachman K rochma l, 69 A nm. 1.

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mehr. Dies triff t ebenso auf a lle A rten und Kategorien zu, denn obgleich sie in der Welt und unter den Bedingungen der Zeit und des Raumes angetroffen werden, bleibt die ihnen zu entnehmende Idee ewig bestehen. Und wenn sie nicht geschaffen worden wären, so hätten wir dennoch eine Idee davon, dass sie Gott, gepriesen sei er, hätte schaffen müssen, und das Wesen ihres Konzeptes ist vorherbestimmt. So bezeichnet z. B. der Begriff Lebewesen a lle A rten von lebendiger Potenz, der verstandesmäßige A llgemeinbegriff, der aus den in der sichtbaren Rea lität der einzel nen Lebewesen erfahrbaren Einzelwesen hervorgeht, ist : das Wild, das Vieh, das Gef lügel und das K riechtier, und diese werden in weitere Arten unterteilt wie das Pferd, der Esel und ähn liche mehr. Diese Arten entwickelten sich weiter bis sie zu einzel nen Individuen gelangten. Doch die A rten existieren nicht ohne einen A llgemeinbegriff, der sich aus einzelnen Wesen oder Individuen konstituiert. Denn wenn jemand seine Individua lität und sein Spezifi kum verliert, kehrt er zu seiner a llgemeinen Beschaffenheit zurück. Es kann a lso nicht die A rt, sondern der einzel ne Mensch verloren gehen, und dann vollzieht die Natur das, was auch der Verstand tut, d. h., er hebt die Einzelerscheinungen auf und richtet sich a llein auf die A llgemeinbegriffe. Im A llgemeinen besitzen die existenten Dinge keinen Beweis, es sei denn durch die Substanz des universellen Ver288 standes, eingerichtet und defi niert | durch Eigentüm l ichkeit und eine bekannte Definition. Daraus folgt aber, dass die Substanz der Dinge, insofern sie verstandesmäßig nachvollziehbar sind, nicht der Zeitlichkeit, der sich wandel nden Form unterworfen sind und auch nicht dem Raum, der sich in der Rea lität exa ltierenden Form. Die sinn lich wahrnehmbare Rea lität hat jedoch keine Substanz, sie ist viel mehr ein Moment, der sich stets zu wandel n und zu vergehen anschickt, und er fä llt unter das Gesetz der Zeitlichkeit und des Raumes. Sie bedarf eines umfassenden Verstandes, welcher [ d ie Sinne ] in einer defi nierten Zeit verankert. Hinsichtlich dieser Funktion sagt der Rav [ Moshe ben Maimon ], dass die Rea lität ein Geschehnis ist, welches dem Dasein geschehen ist, womit er sagen will, dass die exoterische Rea lität des einzelnen Existenten die Potentia lisierung der Rea lität ist. Und a llein die Notwendigkeit der

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Sprache führt dazu, von dem Existenten zu sprechen, a ls ob es um einen Gegenstand ginge, der bereits vor seiner Existenz vorhanden gewesen ist, obwoh l doch in Wahrheit vor seiner Rea lisierung kein Gegenstand existent sein kann. Das heißt, die Substanz eines Einzeldings ist durch Zeit und Raum begrenzt, während seine Geistigkeit umfassend, unbegrenzt und frei von jeder Begrenzung ist. Entsprechend dieser Überlegung sagte man [ später ] auch, „es sei besser für den Menschen, nicht erschaffen zu sein a ls erschaffen“ (bEr 13b). Und auch dies verdankt sich Sprachkonventionen, doch die Worte selbst sind sehr a lt. Und wir werden zur Erk lärung dieser Worte noch im weiteren Verlauf der Pforte gelangen. Das Geistige und jede existente Substanz sind stets unveränderlich (und dies a llein bezeichnet der Weise a ls wahres Sein, und a lles Wandelbare gilt ihm a ls vergänglich und verloren), und dies wird von ihm mit der Bezeichnung Herrlichkeit [ kavod ] umschrieben. Diese Bezeichnung ist jener kavod ent lehnt, die unter uns a ls die Substanz der Seele des göttlichen Menschen wei lt, die dabei das Verständige ist. Darauf deuten folgende Verse hin : und führest mich zu Ehren [ kavod ] (Ps 73,24); um deinetwillen will ich singen : kavod (Ps 30,13); daher freut sich mein Herz und frohlockt meine kavod [ Geist ] (Ps 16,9). Die Hel me und ihre Soldaten werden die ‫הגויות הנכבדות‬ [ ehrenvollen Leiber ] genannt. Über die Welt, in der die Engel wohnen, sagt [ Ibn Ezra : ]1 Die ganze Welt ist kavod, und in ihrer Gänze beständig. Auch wird sie mit den viereinha lb [ Buchstaben ] bezeichnet oder mit dem Namen ‫אהיה השם הנכבד‬. Doch dies gilt nicht für die übrigen hei ligen Namen, und der Grund dafür wird im Folgenden erläutert. Damit wird uns aber auch der oft im Mund des Weisen [ Ibn Ezra ] zitierte Satz k lar :2 „Die A llgemeinheiten bleiben, die Einzel heiten vergehen.“ Und an anderer Stelle sagt er noch k larer ([ in seinem Kommentar zu ] Ex 3,16) : „Und die Weisen des Herzens verglichen die A rten mit den A llgemeinheiten, denn die Einzel1 Vg l.

Ibn Ezra zu E x 3,16. Rottzoll, Abraham Ibn Ezras langer Kommentar zum Buch E xodus I, 114. 2 Vg l. den Kommentar des Ibn Ezra zu Ps 102,26.

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heiten verschwinden, und sie verg lichen diese a llgemeinen A rten mit dem Schatten eines Baumes an einem ewig f ließenden Gewässer.“ Seine Absicht war es mit dieser A llegorie von einem Baum auf den ewigen und unwandelbaren Charakter des abstrakten Begriffes hinzuweisen, wie bei dem von uns oben angeführten Beispiel des Begriffes Leben. Doch bei dem Beispiel vom Schatten [ t riff t dies ] hinsicht lich der Begrenztheit des a llgemeinen Verstehens von Einzelbegriffen und ihrer Relationen und Gesetzlichkeiten zu. Sie deuten eigentlich auf A llgemeines hin, wie in unserem Beispiel etwa der Begriff Vieh, eine Unterbezeichnung für Lebewesen, und der Begriff Pferd oder Esel, die spezifischer sind. Mit der Redeweise von dem stets f ließenden Wasser meinte er die physisch erfahrbare Einzelerscheinung, die sich stets wandelt und die für keinen Moment in ihrer Ausprägung innehä lt. Weiter sagt er ([zu ] Psa lm 102) über den Vers : Die Erde, die du vordem gegründet, und deiner Hände Werk, die Himmel, sie vergehen (Ps 102,26 f.) : „R ichtig aber ist, dass dies die Erde meint, a lso das Land, und deiner Hände Werk, die Himmel, meint den Himmel. Sie bestehen in ihrer A llgemeinheit und gehen a ls Einzelerscheinungen verloren. Daher heißt es weiter : wie ein Kleid zerfallen sie (Ps 102,27), und er meinte dies im Hinblick auf ihre Einzelbestandteile, die aus dem A llgemeinen herausfa llen (sie teilen sich ab und gehen aus ihm hervor), denn sie wandel n sich und gehen verloren. Denn nur die a ls Gesetze wirkenden A llgemeinheiten, die Gesetzlichkeiten hervorbringen, gehen nicht verloren.“ Daraus ist aber ersicht lich, dass die A rten, A llgemeinheiten und die auf a lles Existierende zutreffenden [ Natur-]Gesetze bei ihm ein und dasselbe sind, d. h. die verstandesmäßigen Begriffe, die 289 a lle A llgemeinheiten umfassen. | Wir haben bereits daran erinnert, dass es Abstufungen des Verstandes gibt und dass er [ sc. der Verstand ] fortschreitet und aufsteigt zu stets höherer K larheit und Abstraktion, und zwar in dem Maße, da der Begriff im Verstand die sinn lichen Dinge formt, die A rten, Gesetze und Ordnungen, a lso a ll die in die Worte der Philosophen eingesch lossenen A ngelegenheiten, die hinsicht lich ihrer verstandesmäßigen Stufe auf den dem Weisen in der logischen Phi losophie bewanderten Stufen stehen. Eine intellektu-

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ell höher stehende Stufe ist eine, die universeller ist, und sie beinha ltet vernunftgemäße Vorstellungen wie die Vorstellung von dem abstrakten Begriff „Lebewesen“, dem Guten, Voll kommenen, Gefä lligen, von der Weisheit, dem Schönen, der Metaphysik und von ähn lichen mehr, die nur in der Idee existieren. Sie emanieren jedoch in eine intensive Existenz, in Einzelerscheinungen und A llgemeinheiten. Jene Begriffe im A llgemeinen und die erwähnten Verstandesbegriffe im Besonderen, das a lso, was Plato a ls Idee[n] bezeichnete, bi lden die den Gebi ldeten gut bekannten platonischen Formen. Über sie sagte Plato, dass sie a llein die existenten [ Formen ] sind und dass die materiellen und physischen Objekte nur der Schatten und das sichtbare Abbild jener Ideen sind (und von ihm hat auch der Weise [ Ibn Ezra ] seine diesbezüg lichen Ausführungen zu diesem Problem übernommen). Doch in Wahrheit triff t die A llegorie vom Schatten nicht genau genug auf diese Sache zu, denn die sinn lichen Dinge sind nicht Schatten, sondern das physisch Erfahrbare ist tatsäch lich nur wie ein Schatten, sei es etwa das Rötliche oder das Süße, welches erfahren wird, sie haben keine physische Wesenheit, und das Gesetz und der Begriff, die ihnen entnommen werden, sind bereits selbst die a llgemeine Idee, die durch ihre Individuierung aktua lisiert wird. Doch die Intention [ sc. die des Ibn Ezra ] ist identisch oder sehr ähn lich derjenigen des Plato, dessen Worte [ im Übrigen ] a lle Metaphern und A llegorien sind, was auch der Rav [ Moshe ben Maimon ] in einem seiner Briefe bemerkt.1 Und bedenke auch, dass sich dies so wie bei einem Körper und der Seele verhä lt, was ja a llen geläufig sein dürfte, oder wie die Materia lität und die Geistigkeit der Dinge, die beide keinem im Kosmos vorhandenen Gegenstand voll kommen feh len. Vielmehr verbirgt sich das Geistige in einigen Dingen mehr, wird in anderen dagegen immer deut licher sichtbar wie die unbelebten Körper, in denen eigent lich keine Seele und Geistiges erkennbar ist, obwoh l 1 Vg l. Moshe ben Maimon, Iggeret el R . Shmu’el Ibn Tibbon be-ʽinyane targum

‘ha-More’, in : L etters and Essays of Moses Maimonides II, hg. v. I. Shai l at, Maa leh Adumim 1988, 553 (hebr.).

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sie [ sc. die Seele ] doch in ihnen zu fi nden ist, da sie ihre vielen Potenzen und Dispositionen sind, die sich in ihnen fi nden, [ u nd zwar ] für a lle Wunder der chemischen Gesetzlichkeiten. Doch viel höherstehend a ls die Geistigkeit [ der Dinge ] ist das Wachsende, dessen Seele und Geistigkeit dem Betrachter offenbar wird. Wundersam sind die Taten der Weisheit in ihm [ dem Wachsenden ], und in seinem Werden und Sprießen erscheint es dem Forschenden [ w underbar ], ob nun beim Reis oder beim Ysop. Doch höher a ls es steht die lebendige Seele in ihm, die in den Lebewesen offenbar und sichtbar werden, im Gefüh l, in [ den ] Sinn[en] und in der Vorstellung; innere K räfte, die bereits weit über das Materielle erhaben sind. Doch gelangt in a ll diesen Stufen das Geistige nicht auf die Stufe des rationa len Erkennens, um einen A nderen oder sich selbst zu erkennen; und es erkennt nicht, ob er sich auf die A nderen bezieht, an die es denkt und die es zu verstehen sucht, sodass ihre Wesensart und ihre Geisteskraft dem Sch laf und dem Traum gleichen, die in der Dunkel heit der Potentia lität ruhen. Die Geisteskraft konnte sich aber nicht voll entwickeln, es sei denn in dem, der begriff, dass in der Substanz der Seelenkraft a lle Einzel heiten der erwähnten Stufen entha lten sind. Dieser ist der Mensch, in dem die Geistigkeit zur Gänze geweckt wurde, um a lle A nderen zu erkennen, ja mehr noch, sogar sich selbst zu erkennen. Doch desto mehr er begreift, umso mehr weicht die Finsternis der Potentia lität von ihm, und er wird zu einem Licht, das ihn selbst und seine gesamte Umgebung erleuchtet. Darin gleicht er aber einem rea len Licht, welches ebenfa lls zwischen zwei Welten steht : Dem Ende der erfahrbaren, materiellen Welt und dem A nfang der intellegiblen, geistigen Welt. So lässt sich auch seine Rede im ersten Kapitel seiner Schrift Sha‛ar ha-Shamayim1 verstehen (diese Schrift bildet 1 Zur irrtüm l ichen Zuschreibung der Schrift vg l. Greive, Studien, 22 mit

A nm. 90. Nach A zarya de’ Rossi, The Light of the Eyes, 14; 304, wurde sie von dem sefardischen Phi losophen und K abba l isten Yiṣḥaq ibn L aṭif (ca. 1210 – 1280) verfasst. – Zur Bedeutung der Schrift für K rochma l vg l. S. O. Heller Wi lensky, Isaac Ibn L atif – Phi losopher or K abba l ist, in : A. A ltmann (Hg.), Jewish Medieva l and Renaissance Studies, Cambridge 1967, 185 – 223, hier 222 f.

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eine Ein leitung zu seinem Kommentar der Urgeschichte, und wir besitzen von ihm nur dieses erste sehr kostbare Kapitel*, und es soll [ daher ] vollständig erläutert werden) : „Wisse, dass es sieben Abstufungen im Auge gibt (dies meint die Häute im Auge); das Innerste ist die Pupille im Weißen, doch siehe, das Licht [ des Auges ] ist nicht physisch [ g reifbar ], wie auch das Licht der Seele (dies ist die geistige Substanz, welche sich selbst und seine Umgebung, wie erwähnt, erkennt) | ein anderes äußeres Licht benötigt (um sich 290 [ der ] Sinn[e] zu vergewissern).“ Wenn du verstehen könntest, wie das Auge unterschied liche Formen in einem Moment [ gleichzeitig ] zu erkennen vermag und wie der Himmel [ Gott ] in einem weißen Samenkorn eingesch lossen wird, dann würdest du beginnen zu verstehen.“ Dies bezieht sich auf das, was wir bereits ausgeführt haben, dass man schon mit diesem ehrenwerten Sinn, und dies ist in diesem Fa ll der Sehsinn, beginnt, die Fesseln von Raum und Zeit abzustreifen und in einem Moment verschiedene Erscheinungsformen und die Weiten des Himmels auf die Dimension eines ha lben Fingers zu reduzieren und es somit zum Besitz der sinn lichen Wahrnehmung zu machen. Auch der große deutsche Philosoph [ Hegel ], der in unserer Generation lebte, hat in seiner Betrachtung über dieses Thema bemerkt, dass das Wort „aufgehoben“ [ ‫ ] אופגעהאבן‬in seiner Sprache sowoh l auf die Negation einer Sache a ls auch auf ihre Erhebung in ein wahreres und rea leres Dasein hinweist, und daher wurde es von ihm sehr häufig benutzt.1 Und man beachte, dass auch in unserer Sprache [ Hebräisch ] das Wort ‫ נעלה‬auf [ diese Grundbestimmung ] hinweist, noch mehr sogar der Ausdruck ‫ נתעלה‬oder ‫ נסתלק‬und die Substantive ‫התעלות‬ * Dieses K apitel ist in Kerem ḥemed 4,

Mikhtav 2 [ Seite 5 – 9 ] abgedruckt. Dort legt der gelehrte Autor, sel igen A ngedenkens, dar, was einen bestimmten Tei l seines angedeuteten Denksystems in wenige Worte hü llt. Doch fi ndet sich dort der zitierte Satz nicht, weder in der Handschrift selbst noch im Druck; wahrschein l ich l iegt hier wie im Folgenden ein Schreiberfeh ler vor, und er wollte woh l schreiben : „der kurze Kommentar zum Buche E xodus“, denn dort (Parashat Mishpaṭim [ E x 21,1 – 24,18 ] Seite 72) fi ndet sich der gesamte Abschnitt wie er richtig lauten muss. [ Zunz ] 1 Vg l.

Hegel, Wd L (1812/13) , 57 f.

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oder ‫ הסתלקות‬in spätem Hebräisch. Auch sie bezeichnen eine ideelle Form für eine a llgemeine geistige Rea lität unter der Existenzbedingung der einzel nen Sinneserfahrung (die idea le Existenz). Wir hatten bereits auf die sinn liche Erfahrung [ ‫] המדע החושי י‬, die durch das Gefüh l erworben wird, hingewiesen. Sie wird in der Rezeption der Sinne ein sinn lich erfahrbares Sein, dann zu einer Vorstellung. Denn wenn ich [ etwas ] höre, so dringen die Worte in mein Innerstes vor und werden mit ihm vereinigt, und dies ist bereits der Beginn ihrer Vergeistigung, bei der sie sinn l ich erfahrbar werden. Doch auch der Sinn umfasst in seinem Erkennen verschiedene und differierende Einzelphänomene auf k leinstem Raume. Die Sache selbst wird jedoch von Zeit und Raum abgelöst und mit dem Sinne umfasst und noch mehr von der Vorstellung. – Doch noch mehr a ls dies vermag der Verstand in seiner Auffassungsgabe die Substanz einer Sache zu begreifen und zu verstehen, und [ d iese ] werden zu Begriffen, die nicht unter [ d ie Bedingungen ] von Zeit und Raum fa llen. Es gibt aber keine Begrenzung für dieses rein Geistige, welches rezipiert und mit seinen Begriffen synthetisiert, sie ohne Zweck sammelt. Daher ist das verstandesmäßige Geistige in seiner Substanz das Ganze. Das Unbelebte und das Pf lanzliche, denen nicht die Möglichkeit zur Erkenntnis und zum Füh len zutei l wurde, siehe, sie sind in ihrer einzel nen Existenz nur Tei l [ eines größeren Ganzen ], doch das Lebewesen ist bereits ein ein wenig größeres Teil der Rea lität, da es viele Einzelheiten des Wachstums in Zeit und Raum umsch ließt. Der Mensch a llerdings umfasst dann im Wesen seiner Potentia lität das Ganze, selbst wenn er, indem er hinsicht lich seines Verstandes begrenzt ist, in seiner Hand lung[smöglichkeit ] immer nur ein Einzelwesen bleibt. Jeder [ Mensch ] aber, umso mehr er an Verstand gewinnt und zu den Begriffen der Dinge [ a n sich ] gelangt, sie in seiner rationa len Erkenntnis synthetisiert, desto mehr gelangt er zur [ Erkenntnis des ] Universa len. Doch damit genug der A na lyse der A llgemein- und Einzel heiten, der A rten und der Individuen, [ des ] Ganzen und [ des ] Teils. Weitere Erk lärungen dieser Dinge folgen in der Fortsetzung.

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2. Wurzel n und Grund lagen des Systems

Wisse, dass es zur Methode dieses tiefschürfenden Gelehrten [ Hegel ] gehört, danach zu streben, zur Wesenheit der Rea lität in ihrer Gänze und hinsicht lich ihres Mysteriums auf den Grund der Prinzipien und der intellektuellen Forschungen zu gelangen, um durch sie die unterschied lichen Philosophien und Wissenschaften nach ihrer A rt kennenzu lernen. Und aus a llen Eigentüm lichkeiten, die er findet und die er in jenen Philosophien betrachtet, zieht er eine A na logie aufgrund ihrer Vorfind lichkeit wie auch aufgrund [ ihrer ] a llgemeinen Existenz im Wesen des Schöpfers, gepriesen sei er, und in der Substanz der Welt der von ihm geschaffenen Wesen. – Du wirst dazu bei ihm stets geschrieben fi nden : „wenn du untersuchst, wegen der Summe“, oder auch : „und in der Weisheit seiner Ethik [ m iddot ]“, auch : „nach der A rt der Sprache … und nach der A rt der Metaphysik“; oder : „und durch Überlegung, und in Erkenntnis des Gegenstandes“ (und durch viele ähn liche Begriffe umschreibt er die Philosophie der Grund lagen der Ethik und des Denkens). Doch das Ziel dieser Redeweisen ist es, seinen Grundlagen ein Prinzip und eine Basis zu geben, welche aus der Substanz und der Natur des Einen [ Gott ] abgeleitet werden können, [ dem Einen, ] der das Prinzip der A rithmetik [ ‫ ] חכמת החשבו ן‬ist, der Ausgangspunkt, der das Prinzip der Ethik [ ‫ ] חכמת המדות‬ist, der Subjekt und Objekt und ihre Verbindung in der Rechtsentscheidung ist, Grund lage für die Logik | und für die Folgerichtigkeit der Substantive und Adjektive, die es in der Sprach logik gibt. Und er geht hin und betrachtet weiter den Charakter jener Prinzipien und a ll dessen, was aus ihnen erwächst, d. h. die Zah len, Bilder, A na logien und Symbole1, um durch sie a lle zu den Voraussetzungen des Daseins und ihrer Wesenheit zu gelangen. Dies sind a lso die Grundlagen und Folgen jener erwähnten Weisheit, Gesta lten und Formen [ ‫] תארי הגבלה‬, durch die die universa le geistige Substanz dem Auge des Verständigen erkennbar wird. Sie ist das, was a lles rea l werden lässt, denn jedes Prinzip und jede Grund lehre sind nichts weiter 1  I m

Druck sind die Buchstaben etwas verblasst.

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a ls einander umfassende gedank liche Proportionen und sich unend lich verzweigende Definitionen, in denen sich die eigent liche intellektuelle Substanz ohne begrenzenden und beschränkenden Zweck [ ausbreitet ] und [ in dem es ] sich selbst in ihnen erkennen kann, wie bereits oben erk lärt, was jedoch noch in unseren weiteren Ausführungen genauer erk lärt werden wird. Daher fügt der Gelehrte [ Ibn Ezra ] an a llen wichtigen Stellen, die es lohnen würde, genauer zu betrachten, wei l sie die Basis und den Grundstein seines Systems entha lten könnten, seinen Worten etwas von den Prinzipien der unterschied l ichen Phi losophien hinzu. Und wir wollen daher einen von jenen A nfangsgründen zitieren und näher erläutern. – (Kommentar zum Buche Daniel, [ Kapitel ] 10,21 :) „Das Eine, welches vor einer [ Bestimmung mittels einer ] Zah l [ existiert ], dieses Eine ist einerseits der Grund für die gesamte [ Berechnung ] der Zah l, andererseits bi ldet es die Zah l selbst; es kann zu ihm weder etwas addiert noch etwas subtrahiert werden, und es ist [ selbst ] weder mu ltiplizierbar noch subtrahierbar, es ist vielmehr die Voraussetzung für beides.“ Die Zah len-Philosophie des Gelehrten [ Ibn Ezra ] erk lärt sich uns dabei auf folgende Weise : Worin die Zah len den gezäh lten Objekten vorangehen, ist, dass sie a llein rationa le Vorstellungen sind. Und so wird in unserer Sprache [ sc. Hebräisch ] das Wort „Zäh lung“ [ ‫ ] חשבו ן‬von dem Ausdruck für „Gedanke“ [ ‫ ] מחשבה‬abgeleitet. Wenn wir ihrer [ sc. der Zahlen ] Eigenart und ihrem Charakter nachforschen, so fi ndet sich, dass wir in ihnen nur das Eine erkennen, welches immer wieder [ der Konvention entsprechend ] wi ll kürlich geschaffen wird, und der Verstand ist das Einzige, das es einige Ma le wieder erschaff t. Daher ist a lso jede [ A n]zah l durch Konvention darüber entstanden, was eine Einheit bildet, und sie wird von uns a ls Einheit bezeichnet durch die A ktivität des Verstandes in seinem Schaffen. Dies wird von uns a ls die Zäh lung oder a ls die Berechnung bezeichnet, erst durch sie wird das erwähnte Einzelne begründet. Zum Beispiel die Zah l sechzig, wenn man wi ll, kann man sie mu ltiplizieren und addieren [ ‫] ליחד ו‬, wir können sie in einzel ne Teile zu je zwölf teilen und mit fünf mu ltiplizieren, und das Eine kann durch die Zahl vier geteilt werden, ebenso durch drei und so weiter. Und ebenso wer-

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den für jede Zah l folgende drei Dinge bedacht : Die Ein[-Zah l ], die für sich selbst und a ls Grund lage gesetzt ist, die Mu ltiplizierung und die Nummerierung durch die Festlegung (oder in der Sprache der Mathematiker, bei denen dies berührt wird) des Wesens und der speziellen [ neuen ] Zah l und Nummer, die aus zwei [ Zah len neu ] entsteht. So gelangen wir zur ersten Einheit, dem Einen im Denken, vor dem es kein anderes [ Eins ] gibt, denn eigent lich gibt es zumindest in gebrochenen Zah len bereits eine Zah l [ , die diesem einen vorangehen müsste ]. Geteilt ergibt [ d iese Zah l ] zwei, durch drei geteilt, ergibt sie drei, doch bereits in der Baraita [ Sefer ] Yeṣira heißt es : „Und was zäh lst du vor der Eins ? “1 Bei jeder durch die Vorstellung, nicht durch rationa le Berechnung hervorgebrachten A ngelegenheit beschäftigen wir uns aber mit Zah len. Daher wird aber davon ausgegangen, dass auch das Eine, welches wir in einer Zah l voraussetzen, eine einzige Entität bi ldet, d. h. die Synthese eines Prozesses, der zu dieser Ein-Zah l führte, tatsäch lich gleich der Einheit sechzig und der Ziffer zwölf und vier wie auch der der Dreier, die wir erwähnten, ebenso auch beim kur[- Maß ], des se’a und des kav in den Maßeinheiten. Ebenso bi lden sich die erwähnten Zah len nicht zu Einheiten, bis sie nicht eine Ziffer gefunden haben, wie wir z. B. sagen können : drei ma l eins ergibt drei oder umgekehrt – ebenso verhä lt es sich mit der eins selbst, dass sie in ihrem Sein potentiell eine Rea lität, Fortsetzung und Größe bildet, die nicht zu einer ersten Einheit vollendet werden kann, es sei denn, dass dies durch den Verstand geschehe, indem er das Gesetz zugrunde legt : ein ma l eins ist eins. Das letzte „eins“ bi ldet dabei a llerdings schon eine besondere „ Eins“, da diese bereits das besondere Ergebnis [ dessen ] ist, was durch Berechnung des Verstandes und das Zäh len entstanden ist. Das „eins“, welches a ls zweites in dem Satz erwähnt wird, ist der rationa le Mu ltiplikator, der die Zah len beim Berechnen bewegt. Das „eins“, welches jedoch zuerst in ihm erwähnt wird, kann potentiell von selbst a lles, was im Fortgang genannt wird, die Größe und die Rea lität der [ a nderen ] Teile aufheben. Daher wird dieses einfache „eins“ Dimension 1 Sefer

Yeṣira I,7 (hg. v. Goldschmidt, 51).

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und Ende des Berechnens, ohne das kein A nderes begriffen wer292 den kann, genannt. | Es ist a llein desha lb ausgedacht worden, wei l es für die Berechnung des besonderen „eins“ notwendig ist. Doch ohne die Annahme einer unbestimmten ersten „ Eins“ ist die Wirksamkeit eines „einma l “ ebenso unbegreifbar wie die Entwick lung zu einer Zah l oder die Entdeckung der Existenz von Nummeriertem und Gezäh ltem. Hierdurch werden auch die Worte des Weisen k larer : „Das Eine, welches vor einer [ Bestimmung mittels einer ] Zah l [ existiert ]“ – [ dies meint das ] erste unbestimmte eins. „Dieses Eine ist der Grund für die gesamte [ Berechnung ] der Zah l “ – denn keine Berechnung kann ohne dieses Eins erfolgen, sie kehrt immer wieder zu diesem unbestimmten Eins zurück, zu der einfachen Überlegung der A nnahme seiner Existenz. „Es kann zu ihm weder etwas addiert noch etwas subtrahiert werden“ – denn es gibt in dieser Zah l weder groß noch k lein, ganz oder gebrochen, nur ein einzel nes eins, welches sich selbst immer wieder voraussetzt. Und dies ist die Ursache jeder Addition und Subtraktion. „Und es ist [ selbst ] weder mu ltiplizierbar noch subtrahierbar“ – [ denn ] das Eine, welches mit eins mu ltipliziert oder durch eins geteilt wird, bleibt Eines, wenn auch ein spezielles. „Es ist vielmehr die Voraussetzung für beides“ – indem es somit das Einzel ne und die A nzah l bildet. (Parashat Shemot [ z u Ex 3,15 ]) :1 Wisse, dass die [ Zah l ] Eins Voraussetzung jeder Zah l und ihre Basis ist, … denn jede Zah l ist eine potentielle Eins, und sie (die Eins) ist in jeder Zah l wirksam (potentiell vorhanden), und sie ist nur im Hinblick auf eine R ichtung angelegt, während jede [ a ndere ] Zah l in zwei R ichtungen zäh lbar ist. Und die Zäh lung geschieht im Hinblick auf die zweite Seite, denn ohne sie kann keine Zah l gezäh lt oder nummeriert werden. A lle Einser[-Zah len ] kehren dagegen logischerweise zu dem einen unbestimmten Eins zurück, wie auch a lle Zah len zu der einen einfachen Wirkung eines Einma l oder der unbestimmten Vorausset1 Vg l. Rottzoll, Abraham Ibn Ezras l anger Kommentar zum

Buch E xodus I, 86; D. Rosin, Die Rel igionsphi losophie Abraham Ibn Esra’s, MGWJ 42 (1898), 156 f.

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zung des einen Speziellen zurückkehren. Die Grund lage für a lles ist die unbestimmte Substanz, welche in sich selbst durch die Tätigkeit des Verstandes zu sich gelangt. In ihm potentiell eingesch lossen sind bereits a lle Zah len, in denen es keine Eins gibt, denn sie wird unbegrenzt durch die erwähnte Tätigkeit des Verstandes wirksam. – Para llel zur Eins, von der wegen ihrer Eigenart unter den Zah len die ersten Kabba listen nur a ls dem „Wunder der Eins“ [ ‫ ] פליאות האחדות‬sprachen, setzte der Gelehrte [ Ibn Ezra ] die Zahl Zehn. Dies beruht aber auf der Übereinkunft a ller Sterblichen [ Menschen ], die ein wenig Verstand besitzen, dass [ die Zah l Zehn ] auch zu einer wirksamen Einheit gehört, die zu einer zweiten Stufe gehört, wie die Eins zu einer ersten Stufe gehört. Heute könnte man sagen, dass diese Grenze [ durch die Zah l Zehn ] keine A ngelegenheit ist, welche aus den Zahlen [ selbst ] abgeleitet werden kann, vielmehr beruht sie a llein auf Konvention. Und hinsichtlich der Allgemeingü ltigkeit dieser Konvention könnte man sagen, dass sie aus der Gewohnheit, mit Hilfe der zehn Finger zu zäh len, erwachsen ist; und von Seiten der Logik [ könnte man darauf verweisen ], dass man immer wieder neu durch die Tota lität der sinn lich erfahrbaren Zeichen auf die erwähnte Zah l zurückgeführt wird. Doch der Weise [ Ibn Ezra ], und mit ihm einige der ä ltesten und angesehensten der Kabba listen, würde darauf ganz anderes antworten, indem er dieser Konvention einen rationa len Grund in der Substanz und in der Eigenart der Zah l selbst suchte. Die Äußerung des Weisen [ Ibn Ezra ] hierzu fi ndet sich an dem oben erwähnten Ort :1 „Siehe, a lle Zah len [ zusammengenommen ] sind neun von einer [ Betrachtungs-]Weise [ her ] und zehn von einer anderen [  Betrachtungs-]Weise her. … Von einer anderen [ Betrachtungs- ]Weise [ her ] sind sie [ sc. die Zah len ] zehn Sefi rot[-Zah len ] ‚ohne was‘ [ ‫] בלי מה‬,2 denn [ die ] Eins vermag nicht zu beginnen, wenn sie nicht Zehn werden, denn siehe, [ die ] Zehn gleicht der Eins, da sie ein umfassender Name der Einer ist, die von [ der Zah l ] Eins bis zur 1 Rottzoll,

Abraham Ibn Ezras langer Kommentar zum Buch E xodus I,

86 f. 2  Siehe dazu unten S. 711 mit A nm. 1.

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[ Zah l ] Zehn [ reichen ]. Der Name der Zehn[er] enthä lt sie mit ihrer ersten Zah l. Der A nfang der Zah len aber – sie g leichen den Einern, denn wenn du zur Zwanzig gelangst, dann sind sie zwei Zehner entsprechend zwei Einern … Aber wenn du zur Zahl Hundert (zehn Zehnern) gelangst – sie gleicht der Eins … Siehe, die zehn Sefirot[Zah len ] entsprechen der Zah l (der) zehn Finger.“ – Was er damit meint, erk lärt sich auf folgende Weise : Entsprechend dem Erläuterten wird jede Quantität begrenzt, wi ll sagen : es wird in ihr durch zwei Determinanten und Effekte eine bestimmte A nzah l hervorgebracht, die sich gegenseitig beschränken. Es wird damit ebenso k lar, dass die Seiten der Eins gleich sind, d. h., sie definiert sich selbst, und mit ihrer Setzung sind potentiell bereits a lle anderen Zah len in end loser Folge mitgesetzt. Jede Zah l ist daher nichts anderes a ls jene Eins, die [ einma l ] gesetzt immer wieder kehrt und wirksam ist. Wenn man aber noch genauer betrachtet, wie die Zah len entstanden sind, eine nach der anderen in ihrer Wirksamkeit, so ist zu erkennen, dass in [ der Eins ] bereits zwei potentiell vorhanden sind. Und in Relation zur Tätigkeit der Setzung oder der A nzah l, welche eine einfache Funktion ist, die ewig wirksam und unend lich ist, kehrt das, was potentiell zwei ist, in die Wirksamkeit zurück, einma l zwei zwei, d. h. eine Quantität, die uns in zweien begrenzt und spezifi ziert vorliegt. Da a llerdings ihre Seiten a und b nicht gleich sind, gleicht es hinsicht lich seiner Qua lität 293 nicht [ einer Eins ], | deren Seiten gleich sind und sich selbst genügt. Die [ Zah l ] Drei ist a lso potenziell in der Zwei vorhanden und steht in Relation von Wirkung zur Wirksamkeit [ z u ihr ] und ihren beiden Seiten eins [ u nd ] drei. Bei der Vier, a ls man sie in Wirksamkeit setzte, waren die beiden Seiten jedoch bereits zwei [ u nd ] zwei. Daher sagt der Weise [ Ibn Ezra ] über sie und jede Quadratzah l : „Denn die Quadratzah l ist wie eine Eins.“ Das heißt, sie ist eine a llgemeine Zah l, und sie kehrt in ihrem Verhä ltnis zu eins im Vorgang ihrer Setzung zu sich selbst zurück. – Doch zur Setzung der Eins, damit sie a ls Zahl erscheinen kann, a ls die sie zum Maß eines jeden Endes und jeder Zah l werden kann, bedarf es einer Drei : [ u nd zwar ] der unbestimmten, einma ligen und determinierten. Indem wir a lso sagen, dass die Eins sich selbst setzt und zu einer Zah l wird, indem

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a lso die Zäh lung zur Neun gelangt, so ist die Eins bereits voll kommen aus ihrem verborgenen Inneren herausgegangen, d. h. an ihrer Seite drei, [ u nd ] drei setzte a lles, was potentiell in ihr entha lten ist, in Gang, durch eine Bewegung von a llem, was sich in ihr befindet, und dies versetzt die Neun in actu und macht die Zehn möglich. Durch diese A nnahme einer einma ligen Bewegung entsteht eine neue Quantität Eins, deren Universa lität und Einheit auf einer anderen, zweiten Stufe steht, entsprechend der Tatsache, dass in der Zah l Neun bereits die Besonderheit und ihre Begrenzung zu Tage tritt. Dafür gibt es aber ein Bild in der Geometrie, und zwar den rechten Winkel – an dessen Winkel ist an sich nichts besonderes, ohne einen Zusatz oder eine Subtraktion. Und a lle, die spitzen und stumpfen Winkel bedürfen einer Näherbestimmung hinsichtlich ihres Maßes, welches durch Zusatz und Abzug ohne Ende geteilt wird. Ebenso ist aber die Zah l Neun nach dem System des Weisen [ Ibn Ezra ] in sich selbst besonders in Bezug auf ihren potentiellen Zweck. Sie wird aber erst wirksam in der Zehn, welche die nächste Stufe der Einheit bi ldet, und zwar auf die Weise, dass jede Zah l bis ins Unend liche im Verborgenen in der Potenz der Eins, welche a lle anderen einsch ließt, existiert. Die Zehn ist a lso das Eine, welches mehr Offenbartes und weniger Verborgenes potentiell einsch ließt, und ebenso die dritte Stufe der Zählung, nämlich die Einheit hundert und so weiter, ohne Ende. Präge dir dies ins Gedächtnis, da du es im Folgenden für das Verständnis der Ausführungen des Weisen [ Ibn Ezra ] über die Konstruktion der Welten und ihrer Eigenarten benötigen wirst. – Doch a ls der Weise fortschreitet, die Eigentüm lichkeiten der Eins zu ana lysieren und daraus Sch lüsse zu ziehen, bemerkt er einma l über das Geheimnis der Rea lität insgesamt (Parashat Tissa) : „Der ehrenwerte Name [ Gottes ] ist dieses Eins, es existiert für sich selbst, und es benötigt keine andere [ Zah l ], die ihr voran[ geht ]. Wenn du [ sie ] aber von der Seite der Berechnung betrachtest, so ist (die Eins) das Prinzip für a lles, und jede Berechnung geht von Einsern aus, näm lich von jener Eins, die a lles ist.“ Diese [ Äußerung ] bedarf a llerdings der näheren Erläuterung, und es wird k larer, nachdem wir in Erinnerung gerufen haben, wie der Weise [ Ibn Ezra ] das Problem seines

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Systems ana lysierte, und zwar hinsicht lich der Eigentüm lichkeiten der geometrischen Formen und der Proportionslehre. Dies wird uns folgendermaßen erk lärt : Wie die Eins Grund jeder Zah l ist und sein Geheimnis, so ist der Punkt Grund und Prinzip eines jeden Bildes und einer jeden Figur. Denn auch die Linie entsteht nur aus einer Bewegung eines Punktes in den freien Raum, und die Fläche entsteht durch die Bewegung der Linie und der Körper durch die Bewegung der Fläche. Doch trotzdem ist die Linie nicht von materiellen Punkten verbunden. Denn wenn dem so wäre, bi ldete der Punkt eine Fortsetzung und eine begrenzte Größe, die sich in Teile aufspa lten ließe, was dem logischen Hauptprinzip in jener Wissenschaft widersprechen würde, dass näm lich ein Punkt niema ls Teil ist oder ein quantitatives Maß besitzt. So wie eine Linie keinen Umfang, sondern nur eine Länge besitzt, eine Fläche keine Dicke. Und daher besitzt der Punkt in einer Linie nur eine geistige Rea l ität, d. h. durch die geistig intellektuelle A ktivität, durch die er immer wieder vorgestellt wird, was dann beim Betrachten des Sinnes zu einer Bewegung des Punktes wird, und so entsteht der Begriff und die erste Definition im Wesen des freien, des leeren und des für den Verstand nicht vorstellbaren Raumes. Ebenso ist der Punkt von anderer Seite das Prinzip a ller Bilder. Denn indem man sich ihn vorstellt, dehnt er sich und erweitert sich in jede Richtung aus und erzeugt so das Bild eines K reises, und so wird dieser selbst zum Zentrum, aus denen die Linien gezogen werden, die wie Strah len, die sich ständig erweitern, ausgehen. A n jeder Grenzlinie, die ihm entgegensteht, machen die [ von ihm ausgehenden ] Linien in ihrem Winkel die krumme Linie, die den K reis umgibt, und sie sch ließt ihn in das vollständige Bild ein. Dies geschieht auf die Weise, dass der Verstand sofort einen Punkt in den freien Raum setzt und dabei bereits ein Zentrum [ dieses Raumes ] bestimmt, der von dem Weisen „Zentrum“ [ ‫] מוצק‬1 genannt wird; dann [ w ird ] auch [ d ie ] Achse [ bestimmt ], um welchen sich der K reis dreht, welche von ihm | „Durchmesser“ [ ‫ ] רחב‬genannt wird. 1 Vg l.

Sh. Sela, Abraham Ibn Ezra and the R ise of Medieva l Hebrew Science, Leiden, Boston 2003, 113.

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Dies geschieht mittels geistiger Nachvollziehung der Bewegung, bei der die Linien der Diagona len immer weiter auseinandergehen, umso mehr sie sich vom Zentrum entfernen, selbst wenn sie zu Beginn von diesem Zentrum gemeinsam ausgehen und sich ebenso in der räum lichen Verlängerung vereinigen, sodass sich im Laufe seiner Entwick lung das Bild eines vereinigten K reises ergibt – die Form, welche tatsäch lich in ihrer Einheit am voll kommensten ist und in ihrem Wesen nicht von einer Ellipse [ ‫ ] העליפסע‬unterschieden ist. Und daher ist sie das Erste und das Letzte im Bedenken eines Punktes oder eines K reises, zuma l sie auch Raum und Ruhepunkt des ersten Bildes gerader Linien ist, eines Dreiecks a lso, welches a lle möglichen Formen und Seiten längen und Winkel in einem K reisbild einsch ließt, wie auch das Dreieck Grund und Urvater vieler weiterer Bilder ist, die im Verlauf ihrer Aufteilung a lle auf es zurückgeführt werden können (a ll dies ist den in Geometrie Gebildeten geläufig). Wir erkennen a lso sowoh l aufgrund der kontinuierlichen Größe [ sc. der Linie ] a ls auch aufgrund der A nzah l eine Bewegung hin zur Schaff ung einer Rea lität nach dem Prinzip, dass es durch diese zu einem Begriff und Abstraktum wird. Ein Geist für A lles, d. h. eine Substanz, welche hinter der Unend l ichkeit verschwindet, verborgen und sich hin- und herwendend über jeg licher Auffassungsgabe, wie die unbestimmte Eins bei Zah l[en], bei Distanz[en] und bei jeglicher Form und geometrischer Begrenzung von leeren und freien Raum[-Flächen ]. Doch hinsichtlich dieses Verborgenen entsteht gedank liche Bewegung, wie die A nnahme eines kontinuierlichen Punktes und die Bewegung eines Quorum und des Einma l bei der Zah l. Dieses ruht im tieferen Sinn der Rea lität, in seiner Urweisheit des obersten Wesens in ihr, die absolute Substanz, welche a lles umfasst. Und wenn Gott für sich selbst gedacht wird, so ist er ein unabhängiger Begriff in a ll seinen unendlichen, erhabenen Möglichkeiten, und trotzdem ist a lles [ Übrige ] mit ihm [ verbunden ], a lles ist stets auf ihn bezogen und hängt an der Wirk lichkeit seiner Substanz. Durch die A rt und Weise, wie wir verstehen, gelangt das an Zah l unbestimmte Eine zur Festsetzung seines Quorums, und der Punkt in einem K reis gelangt

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hierzu durch die Bewegung der Linie. Wir können dabei trotzdem erkennen, dass die Eins, welche sich selber setzt, selber a lle Zahlen in sich einsch ließt, wie auch der Punkt selbst ein K reis ist, der sich ausdehnt, und a lles ohne Zweck. Und in Wahrheit und entsprechend der Problemana lyse entsteht ein Begriff aus dem einen Unbestimmten, doch die freie Strecke ist eine A ngelegenheit für sich, zuma l die beiden auch dem Verstand a ls zwei offenbart werden. Und ebenso bi lden der Punkt und die einma lige geistige Tätigkeit eine A ngelegenheit. Doch beide A ngelegenheiten fi nden ihre Bestätigung in der abstrakten und absoluten Substanz, [ d ie ] ohne Begriff und Gesta lt [ existiert ]. Doch die erste Form umfasst jede andere Form und jeden Begriff einer Begrenzung in der Welt, wie noch im Folgenden erläutert werden wird, ebenso wie in einer speziellen Pforte, die wir der in unserer Gemeinschaft überlieferten Lehre vom System der Sefirot vorbeha lten. Denn auch die Kabba listen mehrten zu Beginn ihrer Ausführungen ihre Rede über jene beiden Grundprinzipien, und sie bezeichneten sie a ls ‫ פליאת האחדות‬und ‫סתימת הנקודה‬. – Doch in dem, was wir bei dem Gelehrten [ Ibn Ezra ] über diesen Aspekt des Punktes finden, heißt es (Parashat Tissa [ Ex 33,52 ]) : „Siehe, die Eins hat kein Bild“, womit er sagen wi ll, dass der Punkt eine kontinuierliche Größe besitzt, die noch kein Maß und keine Wirk lichkeit besitzt. Er ist das unbestimmte Eine, welches es in der A rithmetik gibt, und es ist die Grund lage für jede Figur, welche aus einem Punkt entsteht, nichts weniger a ls die abstrakte Potenz, welche die Existenz der Figur ermöglicht, „denn aus ihr geht sie hervor.“ Denn aus dem Punkt und mittels einer zweiten Bewegung, die demnach darin besteht, die Linie zu ersinnen, geht jener K reis hervor, in dem a lle übrigen in der Welt möglichen Figuren eingesch lossen sind. Der Gelehrte [ Ibn Ezra ] bemüht sich und vertieft an vielen Stellen seiner Kommentare und Schriften die Eigentüm lichkeiten der [ geometrischen ] Figuren und der Zah len in a ll ihren Unterschieden und Relationen zueinander : Die Eigenarten des K reises, des Dreiecks und des Quadrates; die Eigenart der Drei, Vier, Fünf, Sechs, Sieben, Zehn und ihrer Quadratzah len. Einige von ihnen besitzen eine ursprüng liche Eigenart, die auf dem natürlichen We-

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sen der Quantität basiert, welche mit Dimension und Natur zusammenhängt, der Wirkung einer Zah l überhaupt, zuma l einige von ihnen nur die konsequente Folge aus der Setzung der Zehn a ls Einheit der zweiten Stufe zu betrachten sind; wie bei der gemeinsamen Eigenart der Fünf und Sechs; „[ diese Zahlen ] bewahren sich stets selbst im Quadrat“1 (das Quadrat von fünf ist | fünfundzwan- 295 zig; das Quadrat von sechs ist sechsunddreißig). Und dies ist wie die Eigenschaft, die anstelle des „wenn du die Neun zum Quadrat nimmst“ festgestellt wird, dass es die eine [ Zah l ] gibt, welche [ bereits ] die Letzten unter den Kabba listen erwähnen, wonach jede Zah l, die aus der Neunheit gewonnen wird, auch in seiner Quersumme [ neun ergibt ] – bei der Berechnung der Zehner, Hunderter und Tausender usw. zu Einern von neun oder insgesamt Neunern – 18, 72, 99, 108, 270, 1215 –, und dies geht mit dem zusammen, was andere erwähnen, dass in unserer Liste der östlichen Sphären bei jeder Zah l der Welt, wenn man sie umgekehrt liest, die Differenz zwischen ihr und seinem Gegentei l neun oder ihre Quersumme neun ergibt, wobei dies a lles logisch aus der Zah lenanordnung und dem Dezima lsystem folgt. Dies verändert sich nur in Relation zu einer Veränderung dieser A nordnung, entsprechend einem anderen System. Der darüber nachdenkt, wird es jedoch verstehen, sodass wir die Erk lärung dieser angedeuteten Eigenarten nicht weiter vertiefen müssen. – Es ist jedoch geziemend, dass du auch weißt, dass tatsäch lich notwendigerweise jede Funktion das Gesetz des sich innerlich oder äußerlich ausdehnenden und polarisierenden Maßes beinha ltet, so wie ein Mensch nur etwas entsprechend seiner Größe und entsprechend seinem Vermögen bewegen kann. Und der Beleg dafür sind die Bewegungsabläufe insgesamt, sei es in der Musik [ ‫ ] מוזיקא‬oder seien es die Einheiten für die Verbindungen in der Chemie – denn a llein mit dieser würde es sich um eine leere und ziellos auf die Geheimnisse des Universums gerichtete Bewegung handel n, sowoh l insgesamt a ls auch in seinen Tei1 Vg l. den Kommentar zu E x 3,15; siehe Rottzoll, Abraham Ibn Ezras l an-

ger Kommentar zum Buch E xodus I, 90. Vg l. dazu auch Rosin, Rel igionsphilosophie, 157.

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len, ohne die Hilfe von Ana lyse und Bedenken der abstrakten Form und ihrer Eigenart sowie der Eigenschaft irgendeiner Zah l oder eines Bildes, entsprechend der A rithmetik und Geometrie, wie es diejenigen, die dem Pythagoras folgten, und viele von den Kabbalisten taten. Und entsprechend der Problematik der Betrachtung bilden die Zah l, die Linie und die Fläche und ihre Korrelate a llein Formen, die die nach außen dringende und vor lauter Materia lität sinn lich wahrnehmbare Rea lität differenziert [ u ntertei lten ]. Und daher sind sie [ sc. Zah l, Linie und Fläche ] es, die zwischen dem sinn lich Wahrnehmbaren und dem [ rein ] Gedank lichen stehen; doch außer diesem fi ndet sich in ihnen überhaupt kein gemeinsamer Schnittpunkt oder Inha lt. Wenn wir oben aber entsprechend dem System des Gelehrten [ Ibn Ezra ] gesagt hatten, dass sie sich potentiell und in actu gegenseitig bedingen und hervorbringen, so ist die Wahrheit, dass dies a lles nur in ihrem Verstandesbegriff vorhanden ist. Der Verstand a llein ist es, der mit ihnen in geistiger Vorstellungskraft, die die wahren [ Begriffe ] enthä lt, umgeht. Und ihre Beweise sind, dass es weder einen Weg noch einen Pfad zu ihnen gibt, solange sie nicht ausgedacht und bewusst geworden sind; ihr Wesen und ihre Eigenart, ihre Potenz und ihre Wirksamkeit, ihre Begrenzung und ihr Zweck, des Gefüh ls und des Verstandes, des Guten, Schönen und Gerechten, der Weisheit und der Metaphysik. Auch wenn wir einräumen und sagen müssen, dass sich bei unseren frühen Gelehrten für reine Ideen so gut wie keine Bezeichnungen fi nden, es sei denn ganz wenige, so bestand doch ein großen Nutzen darin, dass sie die Zah len und die abstrakteren [ geometrischen ] Figuren verwendeten, um von ihnen aus und mit ihrer Hilfe zur reinen Idee an den Wurzel n der Dinge und zur Wahrheit ihrer Rea lität vorzudringen. Doch durch [ Einführung ] sinn lich wahrnehmbarer Zeichen und geistig abstrakter Symbole für etwas rein Geistiges sind [ ihre Gedanken ] auch heute noch für uns geeignet. So können auch wir noch sagen, dass z. B. die Eins für uns a ls das erste einfache Symbol geeignet ist, und die Zwei ist das Symbol für ihre [ sc. der Eins ] Spa ltung von einem Entgegengesetzten (und daraus wird in unserem Ta l mud auf die Paare und ihre Nächsten gesch lossen), und die Drei a ls das Mittel und

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das, welches aus der Teilung [ von eins und zwei ] folgt usw. Doch der Punkt ist Symbol für das, was in seiner Potentia lität verloren gegangen ist, und die Linie für seine Emanation aus seiner Innerlichkeit in die exoterische Existenz. Und der K reis [ d ie Nu ll ? ] ist das Symbol für etwas, was immer und ewig bis zur Unend lichkeit wieder zu sich selbst zurückkehrt. Nachdem der Weise [ Ibn Ezra ] jenen Weg zu denen, die ihm von A lters wegen vorangegangen waren, gefunden hatte, wie bei den griechisch[ sprachigen ] Juden (wie bereits in der vorangegangen Pforte erwähnt) und ebenso in der a lten Lehre [ des Sefer ] Yeṣira – z. B., „vor der Eins, was zäh lst du vor ihr ? “; „zehn Sefirot ‚ohne etwas‘“ [ ‫] בלי מה‬1, „sechs Enden“ [ ‫] קצות‬, „und der hei lige Tempel “2 – ist die Sieben der Mittelpunkt – „das, was in der Mitte ist, warum die Sieben auch von Gott geliebt wird“ – da stieß der Weise [ Ibn Ezra ] auch auf sie und bedachte sie auf gründ lichste Weise. A ls er jedoch das, was daraus folgt, bedachte, und zwar auch dies entsprechend der Lehre des [ Sefer ] Yeṣira, [ etwa ] über Stimme und Rede sowie ihren Ursprung, über die Zeichen, die Rohstoffen ähnel n, und ihre Erschaffenheit und Lebenseinhauchung, und über das A lter unserer Sprache, ihre Phonetik, wobei sie der Form der Buchstaben ähnelt, sodass aus den Buchstaben ‫אהו״י‬, [ d ie für die Zah len 1, 5, 6 und 10 stehen3 ], die Substantive abgeleitet sind, wie es noch im Folgenden erläutert werden wird. – Doch im Verlaufe seiner weiteren Beschäftigung [ mit dem Thema ] und mit stärkerer K raft begründete der Weise [ Ibn Ezra ] sein System mittels A na lyse der Grund lagen der Dinge, die von ihm „Weg der Metaphysik“ [ ‫ ] מדרך התושי ה‬genannt wurde. Und wir wollen [ daher ] fortschreiten, um in Kürze etwas von seiner Meinung hinsicht lich der Substanz und der Form sowie der A kzidenzien zu erk lären. | 296 1 Sefer

Yeṣira I,2 (hg. v. Goldschmidt, 49 f. u. ö.). Siehe dazu : Sefer Jezira. Buch der Schöpfung. Aus dem Hebräischen übersetzt und hg. v. K. Herrmann, Frankfurt am Main und L eipzig 2008, 226 f. In der kabba l istischen Kommentarl iteratur wird „ohne etwas“ mit dem Begriff En Sof, dem höchsten Ausdruck für gött l iches Sein, in Verbindung gebracht. 2 Vg l. Sefer Yeṣira IV,5 (hg. v. G oldschmidt, 60). 3 Vg l. Rosin, Rel igionsphi losophie, 156.

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Für jedes Objekt, das mittels des Verstandes vergegenwärtigt werden kann, d. h., an dem sich irgendeine Wahrnehmungsmöglichkeit findet, für das muss man stets zwei Dinge bedenken : 1. Die Substanz [ ‫ ;] העצם‬2. die Form [ ‫] הצור ה‬. Die Substanz ist es, welche in sich und in ihrem Wesen jede Quantität und jedes spezifisches Attribut trägt, die der Verstand abstrahieren kann, indem er das Wesen qua lifiziert. Die Notwendigkeit zum verstandesmäßigen Begreifen der Substanz besteht in erster Linie darin, dass die Begriffe und Definitionen sowie a lle verstandesmäßigen Sätze nicht in das Nichts gehoben werden. Die Form aber ist a lles, was der Verstand an der Substanz erfasst, um sie zu defi nieren, zu erkennen und zu differenzieren sowie zu substantiieren, auf dass es nicht a llein zwischen jenen beiden aufgeht : dem universellen Wesen und dem, was diese Substanz mit einer spezifi schen Form ausprägt. Doch weil durch Differenzierung und Abstraktion in unserem Denken jegliche spezifische Ausprägung der Substanz gefunden wird, fi ndet es sich, dass das Wesen ä lter und eher [ entstanden ist ] a ls jegliche Auffassungsgabe. Unter dieser Voraussetzung ist a llerdings davon auszugehen, dass das Wesen zunächst völlig ohne Begriff existiert, denn jene Auffassung [ u nd Wahrnehmung ] von etwas funktioniert nur durch das Postu lat einer Qua lität und Form, in der das spezifische Wesen existiert, insofern das Wesen für sich selbst existierten kann, ohne sich auf etwas oder eine differente Form stützen zu müssen, die wir bereits zuvor ausgedacht hätten, sodass [ d ieses andere ] Bedingung jeg licher Qua lität, Idee und jegliches Denkens wäre, die a lle von ihm getragen würden. Doch [ d ie universa le Substanz ] existiert für sich selbst und bei sich selbst. Und a llein auf diese Weise können wir es [ sc. das Wesen ] verstandesmäßig denken, sodass wir auch nicht schu ldig werden, wenn wir etwas Abstraktes über sie fest legen, d. h., es mit irgendeiner Form oder mit einem Begriff versehen. Denn jede Form und jeglicher Begriff weisen bereits darauf hin, dass die universa le Substanz an eine Grenze stößt und eine spezifi sche Bestimmung erfährt. Doch hinsichtlich dieser Substanz sagten wir bereits, dass sie vor jeglicher Form existiert und dass sie a lles trägt. Insofern ist sie universell und unbegrenzt, ohne dass es sich durch eine

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Form definieren ließe oder dass man über sie sagen könnte, dass sie dies oder das sei, sich auf die eine oder andere Weise beschreiben ließe. – Um die A ngelegenheit dem Verstand etwas plausibler zu machen, sei dies damit verg lichen, dass es im Kern des Samens eines Baumes außer der äußerlich wahrnehmbaren Form ebenso eine Form des Baumes gibt, doch sie bleibt verborgen, a ls ob sie im Wesen des Kerns körperlich [ g reifbar ] wäre und sich nach einiger Zeit und unter den notwendigen Bedingungen ausbreite und aufsprieße. Doch der Kern enthä lt nicht nur eine Substanz, sondern auch hinreichend K raft [ z ur Ausbildung ] jeglicher Form, die verborgen und verdeckt in ihm [ r uht ]. Doch dahingehend legte der Weise [ Ibn Ezra ] folgenden Vers aus : Nicht verhohlen war mein Wesen (Ps 139,15) … Meine Masse sahen deine Augen (Ps 139,16). – Und deswegen existiert die Substanz für sich selbst, und sie wird von dem Weisen [ Ibn Ezra ] nicht „Etwas“ [ ‫ ] י ש‬genannt, denn dies bezeichnet das spezifische Wesen, welches durch den Verstand mittels seiner Beschreibung aufgenommen [ u nd begriffen ] werden kann. [ Es heißt bei ihm ] viel mehr „ohne etwas“ [ ‫] בלי מה‬. Das „Etwas“ [ ‫] י ש‬ existiert dagegen entweder körperlich oder abstrakt, immateriell oder rein geistig; doch sogar das Erhabenere und das der gött lichen Natur Entsprechende besitzt bereits ein [ spezifi sches ] Wesen und eine Form, Substanz vorma ls verborgen in einem spezifi schen Zweck, welcher nur mittels einer spezifischen Form gedacht und begriffen werden kann, der [ d ie Substanz ] mithin daran bindet und sie definiert, zu Existenz und Erkenntnis zu gelangen. Und siehe, es entwickelte sich die sinn liche Wahrnehmung, die Materie der körperlichen [ Wahrnehmung ] der Substanz, der Gesta lt, der Struktur, der Farbe und Ähnlichem mittels jener Form. Bereits im vorangegangenen Paragraphen haben wir jedoch erklärt, dass kein Ding an sich existiert, so, wie es dem Sinn erscheint, sondern nur so, wie es der Verstand zu denken vermag. Der umfassende Begriff für a ll diese Dinge ist dabei a llein das wahre Wesen seines Seins. Deswegen aber ist die Substanz [ das Wesen an sich ] durch die aktuellen Formen bestimmt; und die wahre Substanz jener Materie und jener durch die Sinne erkannten Formen und Eigenschaften, nur entsprechend dem, was uns durch jene Sinnes-

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eindrücke a ls Begriff im Verstand entsteht. Alles, was der Verstand aus jenen Formen und Eigenarten macht und wie er sie in die Gesamtheit seines Wesens einbindet, dies a llein entspricht der Wahrheit in ihnen und ihrer wahren Erkenntnis. Denn a llein durch sie wird die verborgene Substanz geschaffen, welche latent in ihm weilt, um so zu einem Begriff und zu Etwas [ ‫ ] י ש‬zu werden. All jene Formen und äußeren Erscheinung[sformen ], die in den Sinn gelangen und sich zu Beginn des Gedankens verbinden und sich dabei [ a llein ] auf die materielle Substanz stützen, konstituieren [  jedoch ] nicht die verborgene wahre Substanz, es sei denn in Relation zu dem, was jener Verstand zu denken vermag und wie er jenes Einzel [ding ] in Verbindung mit der Allheit Schritt für Schritt konstituieren kann, 297 | denn a llein hierdurch kann er wahre gedank lich-geistige Formen verstehen, [ Formen, ] die bis zur höchsten Form Bestand haben und universelle Gü ltigkeit besitzen : der erhabene Gedanke, die a llumfassende Form, d. h. jegliche Begrenzung und jeder Begriff geistiger Prägung bis zu keinem Ende. Doch in jener Urform nimmt die verborgene universa le Substanz Form an und wird sich selbst bewusst bis zu keinem Ende : „Die Ur-Weisheit [ ‫] החכמה הקדומה‬, durch die geschaffen a lles aus ‚ohne etwas‘ [ ‫] בלי מה‬.“1 Doch damit kommen wir, insofern sie hierhin gehören, zur Erk lärung einiger ehrenwerter Ausführungen [ des Ibn Ezra ]. (Parasha Teruma [ Ex 25,1 – 27,19 ] :) „Jedes Etwas existiert in zwei Weisen. Die eine : Das Etwas, welches einen Körper besitzt, das eine Länge, Breite und Tiefe hat, und dann gibt es ein Etwas, welches keinen Körper besitzt, und dies sind die Engel des Herrn, die Heiligen, auch die Seele des Menschen. Dies sind die beiden Wege, nach denen der Herr [ jedes Etwas ] erschaffen hat. Er kann aber kein Geschöpf erschaffen, welches der Substanz nach nur Körper ist, auch wenn es ein Etwas gibt, welches keinen Körper besitzt, welches ehrenwerter ist. Auch besitzt er nicht die Macht, es zu verti lgen, 1 Zur

irrtüm l ichen Zuschreibung dieses Kommentars an Ibn Ezra vg l. bereits Zunz im Vorwort, B/6, der ihn Moshe Qimḥi (12. Jh.) zuschreibt (vg l. Oṣar ṭov. Hebräische Beilage zum Magazin für die Wissenschaft des Judentums 9 [ 1882 ], 36). Siehe auch G. Scholem, Ursprung und A nfänge der Kabba la, SJ 3, Berlin, New York 22002, 280 A nm. 219.

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bis es völlig verschwunden ist und keine Existenz mehr besitzt“ [ z u E x 25,30 ]. Er [ sc. Ibn Ezra ] bezieht sich hier auf die Tatsache, dass jedem Etwas logischerweise eine Wesenheit innewohnt, und sie trägt die Form, und sie ist aus der verborgenen Ursubstanz erschaffen und bestimmt, und daher besteht sie ewig lich. „Und es gibt etwas, welches nahe zu dem Etwas steht und sich auf es stützt, und es fi ndet sich nicht a llein für sich, und dieses ist die Form“ [ z u E x 25,30 ]. Denn sie bi ldet und erläutert die abstrakte verborgene Substanz. „Doch auch sie in zweierlei Hinsicht : Die eine existiert [ immer ] und vergeht nicht wie die Form der Heiligen und die Weisheit im Lebensgeist [ ‫ ;] נשמה‬auch in der physischen Substanz wie der Gluthitze des Feuers und er Feuchtigkeit des Wassers“ [ z u E x 25,30 ]. Er wi ll damit sagen, dass auch die Hei ligen intellegible Substanzen sind, die Gott in der oberen Welt anhaften und mit ihm existieren (wie es im Folgenden noch erläutert werden wird), die notwendigerweise a ls Substanz und Form gedacht werden, a ls ein abstrakter und undefi nierter Gegenstand, der nur durch den Verstand erfasst wird. Auch in dem Lebensgeist ist ihre Form Potenz des in ihr ruhenden Verstandes, der in sich a lle weiteren über ihr stehenden Potenzen enthä lt, und in jener Form gelangt ihre Substanz zu Bewusstsein und wird ausgebi ldet. Denn auch hinsichtlich der Körper wie Feuer und Wasser muss eine universa le Form gedacht werden, [ eine Form, ] welche die Substanz zu einem Körper ausbi ldet, der durch seine Begrenzung und Differenzierung von a llem anderen entsteht. Dies jedoch ist ein verstandesmäßiger A kt, der ausgeht vom Eindruck der Sinne, indem sie die Substanz der Gluthitze und der Feuchtigkeit erkennen. Nicht dass die Gluthitze und die Feuchtigkeit so sind, wie sie gefüh lt werden, [ nur ] Formen, das [ a lso ], was der Gelehrte [ Ibn Ezra ] a ls „existente Form“ [ ‫ ] צורה עומד ת‬bezeichnet hat, was für ihn ein wichtiger Grundbegriff war. Denn das Gefüh l erreicht bei ihm nicht a llein der Zufa ll, welcher eine vergäng liche Form bildet, was er immer wieder betont : „Doch den einen Weg bilden die Zufä lle, welche keinen Bestand haben, sondern sich nur so ergeben, dann aber vergehen und verschwinden, und solche kann der Mensch [ selbst ] hervorbringen“ [ z u Ex 25,40 ]. Sie bilden im Hinblick auf die Eigenschaf-

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ten und die Formen der Dinge das, was man füh len [ u nd sinn lich erfahren kann ], und sie gelangen zu den einzel nen Sinnen und können sich stets wandel n, und sie bi lden keine beständigen verstandesmäßigen Regel n. Zwei [ Aussagen ] des Gelehrten [ Ibn Ezra ] dazu sind es wert, gehört zu werden und sie a ls Grund lage zum Verständnis seines Systems [ im Gedächtnis ] zu beha lten : 1. Sowoh l die Substanz a ls auch die wahre Form eines Objektes sind in Wahrheit geistig-abstrakt, in ihrer Wahrheit unbegreifbar für das Gefüh l. Das in ihr ruhende Wesen ist aber die verborgene [ u nd unbegreif liche ] K raft des Verstandes, und die von ihm erzeugten Formen sind die Substanz des verborgenen Verstandes, der durch eine spezielle Begriffsbestimmung zu Erkenntnis und Dasein gelangt. Das Theoretische [ ‫ ] השכל י‬wird a llein durch den rezeptiven Verstand erfasst, und so sagt er [ sc. Ibn Ezra ] es auch ausdrück lich in dem Kommentar der A ntwort Gottes an Mose, dass ihn kein Mensch schauen könne, der am Leben bleibt (vgl. Ex 33,20) : „Und dies ist die Wahrheit, denn die Gefüh le vermögen nur die Momente zu erfassen“ [ z u Ex 33,21 ], doch nicht die Substanz und nicht die Form, die [ d ie Substanz ] aufrichtet und defi niert, sodass sie Begriff wird. 2. Insofern sagt er hier, dass nur die Substanz an sich Bestand hat, wie er sich auch wiederholt zu betonen, dass diese Existenz nicht für sich selbst ist, sondern sich Gott, er sei erhaben, verdankt, wie [ er es etwa ] in [ seinem Kommentar zur ] Parasha Shemot [ sagt : ] „Dadurch, dass Gott ewig ist und für sich weilt, kann a lles [ a ndere ] existieren.“ [ z u Ex 3,15 ]. Daraus lässt sich aber entnehmen, dass auch die Substanz, welche jeder Sache inhärent ist, sogar seine wahre Form, eine Verbindung des Wesens und seiner Begrenzung darstellt, sodass sie ein Etwas bilden (denn es gibt kein Etwas ohne eine Form), beide kommen von Gott und emanieren aus ihm, [ u nd zwar ] auf die Weise, in der ihre Substanz | in dem verborgenen unend lichen Urwesen 298 weilt, sodass ihre Ausformungen durch die universelle Form begrenzt sind, durch „die Urweisheit“, aus der etwas ohne etwas [ ‫ ] בלי מה‬erschaffen wurde. Und dies ist die Grund lage für die

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Schöpfung, die verborgene K raft in ihr, und sie ist die verborgene Substanz, die das Wesen verleiht, d. h. die Qua lität und die Eigenart sowie die positive Begrenzung. Beides sind jedoch intellektuell geistige Angelegenheiten, was noch im Folgenden auf Grund des Wortes ‫ ברא‬erk lärt werden wird. – Der Vorgehensweise des Weisen entspricht es, an einer Stelle in eine kurze Zusammenfassung das einzusch ließen, was er an anderer Steller näher erläutert, wie er es in seinem Kommentar zu dem Bibelvers : Ich, ich bin es (Dtn 32,39) macht : Dies ist die Einheit, über der nichts steht. Denn jedes Etwas steht nicht für sich selbst. Und in seinem Kommentar zu : der Fels untadelig (Dtn 32,4) sagt er : „ A lles existiert in Dua lität [ Inha lt und Form ], außer dem Schöpfer !“1 Dies besagt, dass a lles Etwas eine Einheit in Dua lität bildet : Der Inha lt [ die Substanz ] und die Form, und jede Wesenheit enthä lt mehr a ls ihr in der Form zutei l werden kann. Die Substanz [ der Inha lt ] enthä lt in Wahrheit a lles, doch nur in Potentia lität. Das Etwas ist in actu, d. h. in der Dimension der Form spezifiziert oder vera llgemeinert. Es für sich gelangt nie zur Erkenntnis der Wahrheit selbst, außer Gott a llein, der keinen Unterschied zwischen Potenz und A kt macht. Daher spricht er : Ich, ich bin es (Dtn 32,39). Er sagt dazu aber in der Fortsetzung : „Daher kann der ehrenwerte Name [ Gott ] kein Abbild oder ein Bild sein. Er steht nicht, und er wird nicht erhoben. Denn er a llein schuf a lles [ Ex 25,40 ].“ Dies kommentiert er so, dass die Form die die Substanz Einende und Begrenzende ist. Und durch sie wird definiert, was eine Sache ausmacht, die Form und das Abbild, sei es, dass das Geistige in der Form existiert oder das Physische in der Form vergeht. Da aber a lle Dinge erst durch Gott existieren, existieren sie in ihrer Substanz, und sie werden in ihrer Form geschaffen und gebi ldet. Doch umfasst nicht Gott, er sei erhaben, die Wesensart und a lle möglichen Formen bis ins Unendliche, wie jede Substanz und jedes Abbild beschaffen sein soll, d. h. die Eigenart, die Form nach ihrer Begrenzung, selbst wenn 1 Vg l. Strickman/Si lver, Ibn Ezra’s Commentary on the Pentateuch. Deu-

teronomy (Devarim), 235.

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die Form höherstehend und umfassender wäre ? – Um dies auch dem Verstand nachvollziehbar zu machen, zitieren wir einen Gedanken des frommen Gelehrten und Verfassers des Sefer haYashar [ Rabbenu Tam ], dessen Philosophie dem System unseres Gelehrten [ Ibn Ezra ] sehr ähn lich ist, und so lautete seine Ausführung (Pforte 8) : „Denn die K räfte, die in ihnen wohnen, jede Sache wird durch seine Quantität und durch seine Qua lität definiert sowie durch seine Eigenschaft defi niert usw. … A ll jene K räfte existieren jedoch a llein durch die Potentia lität der Schöpfung. Doch vor der Schöpfung waren sie nicht existent. Dies gleicht aber dem Herstellen eines Floßes oder eines Tauchbades am Strand des Ozeans, in das dann Wasser des Meeres gefü llt wird, und die defi nierte Begrenzung des Floßes ist wie die der Schöpfung, und das Wasser im Floß gleicht den Geschöpfen. Doch das Wasser, welches im Meer ist, gleicht dem, was sich außerha lb der Schöpfung befindet. Man könnte jedoch einwenden, dass man das Floß in so viele Teile teilen könnte, wie man will, um so zu erkennen, wie tief und wie breit es ist, denn es ist ja begrenzt. Die Wasser aber, die außerha lb der Dimension sind, sie kann man nicht tei len und ihre Tiefe kann man nicht ergründen, man kann mit ihnen auch nicht a ll das machen, was man mit dem Floß machen kann. Denn sie haben keine Grenze und keinen Zweck (in Relation). Und der Schöpfer existiert vor der Schöpfung, auch wenn die Quantität und Qua l ität sowie die Definition nicht in ihm vorhanden sind, sodass der Schöpfer von ihnen nichts weiß.“1 Bis hier. Er fügt noch eine Erk lärung der existierenden Form oder der Wesenheit hinzu, auch der vergäng lichen und zufä lligen Form : „Denn jede Form existiert oder kommt zufä llig zustande. Und ich werde dir dafür ein weiteres Gleichnis geben“ [ z u Ex 28,40 ]. Die wahre Bedeutung ist jedoch, dass die Ausdrucksweise knapp gefasst ist, sodass wir ein Gleichnis für die vergäng liche Form geben wollen, an die wir zu letzt erinnert haben : „Weiße Töpferware“. Denn siehe, 1 Vg l.

Sefer ha-Yashar le-Rabbenu Tam z’’ l, Warschau 1851, 24a. – K rochma l wird die Ausgabe Wien 1811 benutzt haben.

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die Töpferware ist keine Dimension und Form für das Weiße an sich, es sei denn in Relation zu uns, den Betrachtern, und so auch bei den Zufä llen hinsichtlich a lles Existenten, sie besitzen keine Substanz und keine wahre Form, sondern nur sichtbare und vergängliche Attribute. | 299 „Und ich werde dir ein anderes Gleichnis geben : Wir wissen, dass die K raft der Seele jedem Körper innewohnt. Doch gibt es (trotz a lledem) Stellen im mensch lichen Körper, an denen es Schmerzen gibt, die vom Gehirn ausgehen und die wir stärker spüren a ls andere, wie bei den Augen und den Ohren, denn die K nochen und auch die Niere kann nichts füh len. Doch das Herz erhä lt mehr K raft aus der Seele a ls aus a llen an anderen Körpergliedern. Daher sollen ihr zah l reiche Glieder dienen [ z u Ex 25,40 ]“. Ohne Zweifel ist das Ziel der Weisen in dem zweiten Gleichnis, zu verstehen, wie sich die [ von ihm ] erwähnten Formen entwickelt haben. Dies ist jedoch zu fragen : Nach dem seiner Meinung nach a lles durch den einen Gott existiert und sich nicht verändert, woher kommt dann die Unterscheidung und die Differenzierung des Existenten ? Auch besteht die Frage nach der Eigenart : Nachdem das Prinzip der Existenz von Sachen die Substanz in ihnen ist, und die Substanz die K raft der Existenz ist, die g leichzeitig in a llem gleich ist, wie kann es sein, dass die Form in ihr durch die Substanz begrenzt und in dem Träger des Abbildes und des Bildes spezifiziert ist ? Jede Dimension ist Negierung, Mangel und Beendigung, das Gegenteil der Substanz. Darauf antwortete der Weise [ Ibn Ezra ] mit dem Gleichnis von den Lebewesen, denn a lles, was positive abstrakte und ebenmäßige K raft besitzt, breitet sich in jedem lebendigen Körper ebenmäßig aus. Siehe, jedes Glied existiert nur, insofern es Teil eines konkreten Lebewesens ist, defi niert durch ein bestimmtes Attribut. Denn die leblose Hand ist wie eine Hand, die etwas an die Wand ma lt, nicht nur eine Hand, sondern ein Lebewesen, und ebenso verhä lt es sich mit den übrigen Gliedern. Sie unterscheiden sich nur aufgrund der Quantität ihres lebendigen Gefüh ls, wie er erläutert hat. Daher müssen wir aber zwangsläufig sagen, dass die positive K raft aus der Potentia lität aktua lisiert

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wird, bis dass die abstrakte Substanz in den Dimensionen mehr oder weniger erkennbar wird. Jene Dimensionen sind aber sämtliche Glieder selber, die a lle eines nach dem anderen entsprechend der Körperstelle angeordnet sind. Das heißt, sie a lle ref lektieren die Begrenzung der einen einfachen Form, wie wir sie in ihrer Substanz denken können. Dies aber ist die Form des Lebewesens. – Von da kommt der Weise zu dem Vergleich, den er eigent lich in seinen Ausführungen darlegen wollte : „Durch die K raft des ehrenwerten Namens erkannten wir, dass seine Ehre die gesamte Welt erfü llt, a llein dass man Orte zu erkennen vermag, an denen die K raft Gottes größer ist a ls an anderen.“ Dies bezieht sich auf und ähnelt dem bekannten Ausspruch in den Worten unserer Vorfahren (bBer 10a) : „Mit fünf Dingen“ usw. „So wie die Seele den gesamten Körper erfü llt, so fü llt auch der Heilige, gepriesen sei er, die ganze Welt.“ Wie es auf den ersten Blick scheint, widersprechen diese Worte dem Grundsatz des Glaubens, dass Gott keine K raft im Körper ist. Der Gelehrte [ Ibn Ezra ] wiederholt sich aber, indem er betont : „die kavod ist das eigent liche Wesen [ einer Sache ]“ [ vgl. Ex 33,21 ]. Doch wie können wir behaupten, dass die kavod Gottes die Orte der natürlichen und körperlichen Welt erfü llt, die sich in Zeit und Raum erstreckt ? Doch darauf antwortet er mit dem großartigen Gedanken, welchen wir oben zitiert und erk lärt haben : „Wenn du verstehen könntest, wie das Auge unterschied liche Formen in einem Moment [ gleichzeitig ] zu erkennen vermag und wie der Himmel in ein weißes Samenkorn eingesch lossen wird, dann würdest du beginnen zu verstehen.“ Doch die Wahrheit ist, dass sowoh l der Ort a ls auch die Worte, weder dem Wesen noch der Wahrheit nach dem entsprechen, was durch das Gefüh l empfunden wird; sie sind vielmehr nur das, was von uns von ihnen im Verstand adaptiert wird. Darin besteht a lso der Sinn, dass sie a lle rationa l nachvollziehbare Relationen sind, sie sind Gedanken Gottes, er sei gepriesen, die in ihm entstehen, d. h. geistig intellektuelle Dimensionen, mit denen er das verborgene Wesen erfasst. Sie bilden aber die Formen der Teile der gesamten Welt und von a llem, was sich in ihnen befi ndet, in seiner uranfäng lichen Weisheit, mit der Er, er sei gepriesen, sich selbst erkennt. Er führt die determinativen Formen auf ihr Wesen

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zurück, bis ins Unend liche, und zwar auf die Weise wie ein Weiser, in dem sich der Lebensgeist in seinem Wesen mit dem Erscheinen vieler Glieder rea lisiert, differenziert nach der A nzah l ihres Erscheinens. Oder in einem zutreffenderen Gleichnis – und auch dies findet sich in den Worten des Weisen, die noch folgen werden : Demnach [ verfährt ] das Denken nach der A rt, dass sich die eine erkennende Seele abstrahiert und sich selbst gleichartig verhä lt, indem sie in actu in zah l reichen Gedanken und Vorstellungen erscheint, wobei sie sich a llerdings ineinander einsch ließen und in ihrer Bewegung und ihrer Vereinigung mit dem verborgenen Wesen eins werden, in ihrer anfäng lichen und spezifischen Potentia lität, was noch in dem Paragraphen über das Geheimnis Gottes und die obere Welt vorkommen wird. A llerdings ist das, was in der intellegiblen oberen Welt das uranfängliche verborgene Wesen ist, in seiner Emanation in die konkrete Welt die freie, leere Dimension, und das, was Objekt der Erkenntnis Gottes selbst ist oder der uranfänglichen Weisheit | im Sinne ist der Punkt und die Linie, 300 die K raft der Bewegung, der Verbindung und des Lebens, die das Leere und das Freie erfü llen, bis der Ort in sich das Sein und die Präsenz erfü llen – daher kann er zurecht meinen, dass die Unterscheidung zum Seienden durch einen Ort der Formung in der Welt bedingt ist, Himmel und Erde, das Obere und das Untere, das was differenziert – wie Gott, der liebevolle, und Gott, der ka ltherzige, was demjenigen, der darüber nachsinnt, schwer fä llt. Auch was noch umfassender und persön l icher ist, wie der den Mittelweg vertretende Gott, der ausgewogen ist und weise macht. Von hier aus gelangt der Weise [ Ibn Ezra ] vom vorliegenden Satz dazu, von den gehei ligten Orten zu sprechen, von ihrer Bedeutung für die Einwohnung der kavod in der unteren [ Welt ], was noch in dem Paragraphen über die Geheimnisse der Tora erläutert werden wird. Die eigent liche Absicht bezieht sich jedoch auf die Stufen [ der Erkenntnis ], auf das vom Objekt der Erkenntnis und vom geistigen, greifbareren und konkreteren Begriff bis zum spezifischen und in Relation zum Objekt der Erkenntnis Gedachte, welches in seiner Geistigkeit umfassender und heller ist, wie es auch die Beziehung des Minera l ischen zum Vegetabi len, die Beziehung des Vegeta-

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bilen zum Tierischen, und ebenso bei ihren einzel nen A rten und Familien. Doch wollen wir zurückkehren und noch in Kürze a lles betrachten, was aufgrund des Systems des Weisen abzu leiten ist. Auf welche Weise ihm die drei Arten des Einen ersichtlich wurden, die er aufgrund der Tiefe seiner A na lyse und auf der Grund lage und mittels der Prinzipien der Mathematik erkannte : 1. Die Eins ist vor jeder Zah l gegeben, die abstrakte Eins, die im Denken logisch voransteht und jeder A rt von Zäh lung vorangeht. Sie existiert ohne jede Tätigkeit und ohne jedes bestimmte Maß, enthä lt Attribut und Dimension, und man kann über sie nur sagen, dass sie ist, d. h., dass sie potentiell existiert, ohne latenten oder verborgenen Begriff in ihrem Inneren; bei der Berechnung ist ihre Figur k lein, bis in die Unend lichkeit. 2. Die Eins, die Grund für jede Berechnung ist, für die Mu ltiplikation und die Zäh lung, eine verstandesmäßige Funktion, die im Unbestimmten ihre Funktion ohne Begrenzung entfa ltet. Bei der Berechnung ist ihre Figur groß, bis in die Unend lichkeit. Aus der Gemeinsamkeit jener beiden Einsen geht folgende Funktion hervor : 3. Die Eins, die jede Zah l ist. Die Eins ist besonders, denn sie beinha ltet in sich auf geistige A rt a lle Zah len bis in die Unend lichkeit. Denn nach ihrem Prinzip sind sie nichts anderes a ls eine Eins und wieder eine Eins, und daher ist die Eins in ihrer geistigen Möglichkeit unend lich. Auch in der Rea lität in actu ist jede Zah l, sofern sie end lich ist, nummeriert und gezäh lt. Aufgrund der Geometrie erkannte er Folgendes : 1. Die Dimension, der Kosmos der Welt insgesamt, dehnt sich in die Unend lichkeit aus, und zwar vor dem Denken über jedes Einzelphänomen, welches nur in Bezug auf seine Ausdehnung gedacht werden kann, näm l ich die verborgene Ausdehnung, ohne Attribut und Begrenzung der Erkenntnis, außer der [ Ausdehnung ] der äußeren Erscheinung. Dazu wird aber nur gesagt, dass sie von Ihm stamme. 2. Die Funktion des Ausgangspunktes, die Funktion des Ausziehens dieses Punktes in eine sich unend lich erstreckende Linie.

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Und aus dem Gemeinsamen von beidem, ihrer freien Dimension und ihrer Funktion a ls Ausgangspunkt, geht hervor : 3. Die Figur des K reises. Auch sie ist in ihrer Gesamtheit unendlich, indem sie hoffentlich stets zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Ihr A nfang liegt an ihrem Beginn, ihr Beginn an ihrem Ende. Sie sch ließt in sich a lle Bilder ein, bis ins Unend liche, wobei ein jedes von ihnen end lich und begrenzt ist. Aus der Wissenschaft von den Prinzipien des Welta lls lernte der Weise [ Ibn Ezra : ] 1. Das verborgene Wesen, welches logischerweise gedank lich jedem organischen Wesen und jeder Form vorangeht, indem es dabei noch ohne Attribut und Funktion sowie Definition aktua lisiert, ohne einem bestimmten Erkenntniszweck zu dienen. Deswegen sagen wir über es nicht, dass es ist, wenn es ist, d. h. K raft ist über das latente und verborgene Sein in seinem geheimen Sinn. | 301 2. Die Form : Sie ist eine Funktion am Wesen und begrenzt und eint sie. Sie dient dazu, das Attribut einzusch ließen, und sie dient dem Erkenntnisvermögen. Auch ihre Aufgabe ist unbegrenzt, insofern es sich um eine Form handelt, die jede einzel ne Sache einsch ließt, ohne Ende. Denn jede einzel ne Form enthä lt etwas von einer höheren Form, die umfassender ist a ls diese : Die Form des Minera ls ist nach a ll ihren Einzel heiten in die der Pf lanze eingesch lossen, und die der Pf lanze in die des Lebewesens; die des Lebewesens aber in die Wüste und ebenso [ in etwas ] darüber, bis zur erhabensten, obersten Form (die Urweisheit). Und aus der Einheit beider, dem umfassenden verborgenen Wesen und der umfassenden Form, gehen sie beide hervor : 3. Das umfassende Welta ll, bei dem a lles, was erschaffen ist, end l ich ist und somit eine Grenze und eine Begrenzung des Fassungsvermögens besitzt, Wesen a llen Wesens, Form a ller Formen, gepriesen und erhaben die Beziehung in Wahrnehmung a lles Geschaffenen, welches durch sich selbst und seine Form begrenzt und geformt ist. Auf der Basis des Prinzips der

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Weisheit der Logik, welche von ihm „Weisheit der Vernunft“ [ ‫ ] חכמת הדבר‬genannt wurde – erst Rabbi Shmu’el Ibn Tibbon gelang es später, den Begriff ‫ [ הגיון‬Logik ] zu erfi nden –, hat er dann sein System errichtet. Und dazu bemerkt er ( [ im ] Sefer ha-Shem [ Pforte 4 ] ) : „Denn die erhabenen Sphären, die körperlos sind, existieren paarweise, Subjekt und Objekt.“1 Er meint damit, dass bekannt lich jede Urteilsfindung in der Logik Subjekt und Objekt hat. Das Subjekt ist der verborgene Sinn, welcher sich vor seiner Synthetisierung durch eine Entscheidung noch in der Abstraktion befi ndet, und daher handelt es sich um das Abbild der verborgenen Substanz. Das Subjekt ist aber eine Synthese und seine Eigentüm lichkeit ist die Definition, und für dies ist es Abbild der Form der Substanz, und das, was sich in actu befindet, sch ließt das Urteil mit ein. – Dies stimmt mit vielen Äußerungen des Weisen überein, und es fi ndet sich auch in dem, was die deutschen Philosophen aus jüngster Zeit schreiben, und der Gebi ldete möge dies [ bei ihnen ] nachschauen. Daher ist aber jede Sache, die in einem verständ lichen Urteil vorkommt, in jeg licher A rt Erkenntnis, logischerweise ein begrenztes Wesen. Außer des umfassenden und des aufgrund der Gesetze der Logik betrachtenden Verstandes in a llen Einzelerkenntnissen. Daher meint der Weise [ Ibn Ezra ], dass sogar das von äußerlicher Körperlichkeit reine Geistige, die erhabeneren Sphären, entsprechend dem, was wir mit dem Verstand erfassen können und wenn wir es für eine Rea lität ansehen, a ls Subjekt gedacht werden kann, a ls Wesen, Objekt und Form, welche [ das Abstrakte ] differenzieren und es zu einer unabhängigen definierten Größe vereinen, auch wenn es [ eigent lich ] zwei abstrakte Größen sind. Doch Gott a llein, er sei gepriesen, kann beide existentiell notwendigen Seiten erkennen, sodass Er, er sei gepriesen, sie ohne eine spezielle Form begreifen kann. Das heißt, er kann sie auch ungeschaffen oder vor ihrer Schöpfung erdenken. Auch kann er sie während ihrer Erschaff ung in einer 1 Vg l .

1970, 8a.

Sefer ha-Shem, hg. v. G. H. L ippmann, Fürth 1834, Ndr. Jerusa lem

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umfassenderen Form ohne Begrenzung erfassen – und so ist es auch unmög lich, dass über sie nicht irgendein Urteil gefä llt worden wäre, ob es nach Subjekt oder Objekt zu unterscheiden sei, da es a llein Subjekt ist. Daher unterliegt es aber auch nicht dem Urteil des Verstandes und seinen Gesetzen, selbst wenn es der Betrachtung des reinen, erhabenen Verstandes überantwortet ist. Das heißt, es in seiner Weisheit zu betrachten, indem er jegliche A rt der Begrenzung, des Attributes oder der speziellen Entscheidung über es negiert. Er sei gepriesen, der in seiner Gnade Wunder tut und nicht gegen seine erhabenen Geschöpfe eifert, wie er sagte : Nicht sprach ich zum Samen Jakobs, suchet mich ( Jes 45,19). Die Stellen, aus denen der Weise [ Ibn Ezra ] etwas a ls Grundlage oder Erk lärung in seine Wissenschaft der gesprochenen und geschriebenen Sprache aufgenommen hat, sind zah l reich. Einige von ihnen werden in der Pforte im Folgenden erläutert, und eine Liste findet sich in dem Paragraphen über die Geheimnisse der Tora. Dort wird besonders auf die Hauptstelle im Abschnitt Shemot mit einer Erk lärung des Eigennamens, mit dem Gott, er sei gepriesen, bezeichnet wird, hingewiesen : der Name der vier Buchstaben [ das Tetragramm ] und die Hä lfte dieses Namens sowie der Name ‫אהיה‬. Und er fügt im Vorwort hinzu : „Wisse, dass der Eigenname [ Gottes ] a ls Zeichen und Ma l von denjenigen genommen wird, die ihn lesen und hören, a ls Stätte für sein eigent liches Wesen usw.“ [ z u Ex 3,15 ].1 Und wir werden nun erk lären, was zu dem Besprochenen dazugehört usw. Im Sefer Ṣaḥut2 wird der Name [ von Ibn Ezra ] in drei Teile geteilt : Denn ein Teil kann den wesenhaften Körper bi lden, wie Reuben in Gad.3 Und der zweite Teil, der nicht zum eigent lichen Wesen gehört, ist nur A kzidenz (dies wollte er nur in übertragener Redeweise verstanden wissen, denn er bezieht sich nur auf 1 Vg l. Rottzoll, Abraham Ibn Ezras l anger Kommentar zum

Buch E xodus

I, 80. 2 Sefer Ṣaḥut me-ha-ḥakham ha-gadol R abbi Avraham b’’ R Me’ir ha-sefaradi hamekhune ben Ezra, N’’‛, hg. v. G. H. Lippman, Fürth 1827, 34b. 3 Vg l. Jos 15,6 und 18,17.

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die rea le Form, anscheinend aufgrund der [ oben genannten ] Gleichnisse) wie Rat der Weisheit und des Mutes. Dieser Name ist a lso von Wirkungweisen abgeleitet. „Und der dritte Teil ist das Attribut des Namens, und siehe, er | setzt sich aus den anderen beiden erwähnten zusammen wie bei einem „ Mann der Weisheit“, was so viel bedeutet wie ein Mann, in dem sich Weisheit findet, d. h., der weise ist. Wenn er gesagt hätte : Rechtet der Kluge mit dem Narren (Spr 29,9); oder : es ist kein so Einsichtiger und Weiser wie du (Gen 41,39), so wäre es genug. Doch siehe, hier sagt er, dass das konkrete Nomen vom Adjektiv nach vier A rten unterschieden wird : 1. Aus dem Adjektiv wird das Verb abgeleitet; aus dem Wort weise – werde weise im Imperativ. Mache dein Herz weise an der Vergangenheit, werde weise am Ende [ deiner Tage ] in Bezug auf die Zukunft. Doch aus einem Nomen, das manchma l von einer Hand lungs- oder Wesens[ beschreibung ] abgeleitet wird, kann nicht immer umgekehrt ein Verb gebildet werden. Sodass man nicht etwa aus der Form ‫ יצחק‬das Wort ‫ יצחקתי‬oder ‫ איצחק‬bilden kann. Er sch ließt dort aber mit der Redewendung : „Denn ein Nomen ist nicht wie eine Hand lungsbeschreibung.“ [ z u Ex 3,15 ]. Damit meint er, dass auch die Nomen diese Eigenschaft besitzen, dass das Wesen für sie a llein steht, ohne dass es bereits einen Inha lt oder eine Definition der Hand lung oder des Ereignisses beinha lte, die etwa für die Form des Wesens gelte und a llen a ls Subjekt diente. 2. Ein Eigenname kann nicht im Plura l gebi ldet werden. Man kann nicht sagen ‫אברהמים‬, wie man etwa von ‫ חכמים‬spricht. Der Grund dafür ist, dass das Wesen, welches sich ohne Form denken lässt, in einer sich selbst identischen Form gedacht werden muss, wie das eine Unpersön liche und die Dimension. Es gibt in ihnen keine Differenzierung und keine Homonymie, Relation oder A na logie. Daher wird auch ein persön licher Eigenname nur in Bezug auf dieses Wesen gebi ldet. Insofern sich a llerdings hinsicht lich dieses Wesens irgendeine Form, Qua lität oder Eigenart erkennen lässt, kann eine a llgemeine Bezeich-

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nung gebi ldet werden, wie etwa für die Bezeichnung Pferd der Name Vieh verwendet wird, dann [ noch a llgemeiner ] Tier. Dies ist aber, was der Gelehrte [ Ibn Ezra ] dazu bemerkt : „Und auch nicht von Israel, was ein Eigenname ist, a ls ob es dort zwei Menschen gäbe [ (deren Name so lautete) ]. Man spricht daher nicht von ‫ישראלים‬, sondern man drückt sich so aus : Wenn man sich zu einem Mann aus Israel in Beziehung setzt (derart beschaffen), so ist dies der Name der A rt.“ [ Ex 3,15 ]. 3. Dass das heh [ des bestimmten A rtikels ] beim Nomen nicht vorkommt, etwa vor Abraham [ sodass man ‫ ] האברהם‬lesen könnte, wie man von dem Weisen [ ‫ ] החכם‬spricht. Die Begründung dafür ist, dass das heh [ des bestimmten Artikels ] auf die Synthese von A llgemeinem und Speziellem hindeutet : Der Weise, seine Augen hat er in seinem Kopf, [ was sich auf ] jeden Weisen bezieht. Das Land ist das Spezielle. Das Allgemeine und das Spezielle von Seiten der Form, Begrenzung und Definition in Bezug auf das A llgemeine und Spezielle, doch das Wesen existiert ohne spezielle Form, und es gibt in ihm nichts Allgemeines oder Spezielles. Wie es sich auch nicht mu ltiplizieren oder sich addieren kann. Und der Weise [ Ibn Ezra ] erinnert daran, dass wenn der Name Adam ein Eigenname gewesen wäre, er nur für den ersten Menschen gegolten hätte, ansonsten wäre ihm kein heh [ des bestimmten A rtikels ] vorangestellt worden. „Und die Bezeichnung ‫ האדם‬ist ein Eigenschaftswort, und es hat eine tiefere Bedeutung, denn es ist eine Gattungsbezeichnung“ [ z u Ex 3,15 ]. Diese A ngelegenheit wird im Weiteren in Bezug auf das Geheimnis der Ursünde entsprechend des Systems dieses Gelehrten erläutert werden. 4. Dass der Eigenname nicht in Beziehung zu einem anderen Nomen steht. Man kann nicht von ‫ יצחק הדור‬sprechen (es scheint, a ls sei dies die Ausdrucksweise irgendeines Dichters in Bezug auf einen der vier großen Rabbinen, die in Sefarad lebten und deren gemeinsamer Name ‫ יצחק‬war, wie im Sefer ha- Qabba la des Ravad [ Avraham Ibn Daud ] erläutert,1 und darauf bezieht 1 Vg l.

G. D. Cohen, A Critica l Edition with a Translation and Notes of The Book of Tradition (Sefer ha- Qabba lah) by Abraham Ibn Daud, Phi ladelphia

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sich auch der Weise im Sefer ha-Ṣaḥut, dass näm lich derjenige irrt, der meint, es gäbe keine Nachfahren, die man ‫ יעקובים‬benannt hätte, a ls ob sie von unserem ‫ יעקוב‬abstammten), wie es der verständige Weise ausführt. Er sch ließt aber mit der Begründung : „Die Eins steht für sich“ [ z u Ex 3,15 ].

Und damit ist abgesch lossen, was wir in diesem Paragraphen hinsichtlich der Wurzeln und Grund lagen dieses Gelehrten insgesamt erläutern wollten. 3. Zusammenfassung des Aufbaus der Rea lität in ihren drei Teilen

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A lles, was sich in dieser niederen Welt findet, wandelt sich in sich selbst und im Zuge seiner A ktua lisierung, und dazu bemerkt der Weise (Ex 3,15) : „Und gemäß jener Wand lungen (der Konstellationen der Sterne) unterliefen a lle Geschöpfe in der niederen Welt Wand lungen, sowoh l im Wesen a ls auch hinsichtlich ihrer Geschicke.“ Doch die Meinung des Weisen [ Ibn Ezra ] geht dahin, dass es einen Wandel im Wesen nur so lange gibt, solange das Seiende füh lbar und physisch greifbar ist, und was an ihm intellegibel ist, wird niema ls von dem sich wandel nden Materiellen und Vergänglichen unterschieden, von dem, was sogar dauerhaft in einen anderen Zustand übergehen kann. Nur entsprechend der oberen Seele des Menschen | sagt er, dass sie von der oberen Welt kommt. Und es heißt dort (ebd.) : „Und die Seele des Menschen ist von ihrer A rt.“ ([ von der A rt ] der oberen Engel, von denen er sagt, dass sie keinen Körper besitzen und auch nicht in den Körpern vorhanden sind, wie die Seele des Menschen). Man sagte dort noch über den Menschen : „Und den Wandel krönt er sowoh l durch sich selbst a ls auch durch seinen Körper a ls auch durch seine Seele, entsprechend seinem Intellekt, auch durch seine Interessen und seine Be1969/70, 58 – 62 (hebr.); 78 – 85. Dort werden fünf R abbinen namens Yiṣḥaq aufgeführt.

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mühungen.“ Bis hier. [ (Verstehe seine Absicht mit dieser Rede gemäß seines Denkens. Denn nach der Wahrheit kann es überhaupt keinen Wandel in der intellegiblen Seele des Menschen geben, denn der Verstand existiert unwandelbar; er kennt und erkennt sich und seinen Herrn; er fi ndet Gefa llen am Guten der Welt, und nichts Böses steigt auf ihn von oben herab. Doch der Wandel in der Erkenntnis und im Wollen folgt auf eine Sinneserfahrung und eine Phantasie sowie die übrigen vita len K räfte, wie noch in diesem System erläutert werden wird. Nach dem Gesagten nimmt der Weise [ Ibn Ezra ] an, dass es drei Stufen der Rea lität gibt, und er bezeichnet sie a ls drei Welten. Die „obere Welt“ [ ‫] העולם העליו ן‬, in der Gott wohnt, ohne einen Mittler, und er ist es, der sie emanieren lässt. Und seine Macht liegt in den hei ligen K räften in ihm, die seine Maße und Führungskräfte in a llen seinen Welten sind. Wenn Gott, er sei gepriesen, sich selbst in seinen unend lichen Maßen denkt, so werden diese Gedanken zu existenten Wesen in ihm, und in ihnen befi ndet sich Geist. Sie befinden sich aber auf den zehn untereinanderliegenden Stufen. Und Gott in seiner Einheit umfasst diese Stufen, die K räfte auf ihnen, die die aktiven Wirkmächte Gottes, er sei gepriesen, sind. Sie existieren für sich und sind inhärent wie sich auch in ihrer Wesensart erhaben sind. Diese Welt aber ist die der geistigen Welt, was für die Engel steht, und ihr Wesen ist reiner Intellekt, „ihre Erhabenheit wird durch einander einfach gegenüberstehende Gedanken erschaffen“ [ z u E x 3,15 ]. Dies bedeutet, dass die Meinungen, und sie beruhen auf synthetischem Verstand samt ihren vita len und vegetabi len K räften, so leicht sind a ls ob sie nicht existierten, und sie verändern sich in Relation zum reinen Verstand nicht. Daher vollzieht a lso jeder Engel das Gebot des Herrn, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen. Und er sagt zu dem Vers, denn mein Name ist unter euch [ z u Ex 3,15 : ] „Denn er ist voll kommen kavod und voll kommen Gegenwart, nur sein Bestand weilt nicht in sich selbst, nur in seinem Namen.“ – Er meint damit, dass ihre K räfte und ihre Existenz sowie ihr Leben, ihre Möglichkeiten und Tätigkeiten, bei denen a lles eins und unkörperlich ist, durch eine Grenze begrenzter Verstand ist. Und es handelt sich dabei um den Verstand Gottes, des

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ehrenwerten, selbst; er ist selbst voll kommen unbegrenzt geistig. Dazu sagt er aber, dass der Name sie durch sein Denken, er sei gepriesen, zur Existenz ruft, indem er sich dieses begrenzten Weges des Engels bedient. Denn auch für [ d ie Engel ] stellt der Weise [ Ibn Ezra ] Abteilungen und K lassen auf, und über Michael sagt er : „Er wird der Große genannt, denn er ist ehrenwerter a ls viele andere“ [ z u E x 23,2 ]. Auch sagt er, dass dieser Engel Israel begleitet, [ u nd zwar ] in dem Abschnitt : siehe, ich sende einen Engel, womit Michael gemeint ist. Zu dem Vers : Und der Herr geht vor ihnen, des Tags (Ex 14,19), sagt er : „Wir wissen, dass der Herr ewiglich einwohnt und sitzt [ auf seinem Thron ] seit Vorzeiten, sela (er wandelt sich nicht und ist unbegrenzt, attribut los, denn es gibt kein Attribut, welches nicht auf eine Begrenzung hindeutete), wie es heißt : [ d ie Tora ] spricht [ hier in Ex 13,21 ] in der Sprache der Menschen, wei l es sich so verhä lt, dass die K raft Gottes mit Israel ging, gemäß des Verses : Der zur Rechten Moses den Arm seiner Herrlichkeit gehen ließ ( Jes 63,12). Und zu dem Vers [ E x 14,19 ], und der Engel Gottes brach auf, schrieb er : „Dies bezieht sich auf den großen Fürsten, der in der Wol ke [ vorher ]zog, und dies meint der Vers : „und der Herr zog vor ihnen, des Tags“. Dies dient a ls Beleg dafür, was wir sagten, dass der Engel für Gott eine K raft ist, und sein Wesen ist ein auf spezielle Weise begrenzter Verstand, d. h. mit mehr oder weniger großer Reinheit und Erleuchtung. Dies ist seine Meinung, welche auch die 304 obere Seele erwähnt; | sie ist von ihrer A rt, doch in ihrer Stellung niedriger a ls jene, indem sie ihre Grenze jener schma leren Begrenzung bildet, die sich nur im Körper fi ndet und mit ihm verbunden ist. Er nennt dies auch die geistige Welt (wie Daniel) : „Der A nblick der Herrlichkeit des höchsten Gottes“ [ z u Dan 10,21 ]. Dies bedeutet, dass jegliche Begrenzung des Wesens eigent lich geistig ist. Denn es gibt kein Endmaß seiner Begrenzung ohne Zweck, auch wenn es in ihren Augen dem Verstand angemessen wäre; [ der Zweck ] ist a llein der Herr, er sei gepriesen, ist. Auch sagt er dort, dass jene Welt keine Zeit und keinen Raum kennt. Dies wurde bereits oben anhand des Wesens des Verstandes und des Geistigen erläutert. Auch [ heißt ] es dazu : „Und der Name, der ehrenwerte, ist in ihrer Mitte“ [ z u Dan 10,21 ]. Dies meint aber entsprechend ihrer Eigen-

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arten den Verstand. Sie sind für sich selbst nur insofern begrenzt, weil sie in actu begrenzt sind, während sie potentiell a lles erdenken können, und nur insofern ist der Herr unter ihnen. Er ist in einem jeden von ihnen potentiell vorhanden, der ehrenwerte Name ist in ihrer Mitte, in dem er potentiell in ihnen vorhanden ist und keinem Zweck dient. Dazu sagt der Weise noch : „Dies ist jene erste Welt, entsprechend den Welten, die ihm nachgeordnet sind“ [ z u Dan 10,21 ]. Was er aber mit dem Begriff Eins meint, wird für dich noch im Folgenden erläutert werden. Und im ersten Kapitel seiner Schrift Sha‛ar ha-Shamayim1, welche ä lter a ls sein Kommentar der ma‛ase bereshit [ Genesis ] ist, dringt der Gelehrte [ Ibn Ezra ] noch tiefer ein, um verständ lich zu machen, wie sich die Welt der geistigen [ Emanationen ] mit Gott, er sei erhaben, vereinigte, indem er immer wieder Ausdrücke wie „ A nhängen an die hei ligen Engel “ benutzte. Auch spricht er dort mit folgenden Worten : „Und nun werde ich dir das Geheimnis des ehrenwerten und furchtbaren Namens [ Gottes ] und das der Engel erläutern. Und ich gebe dir ein Gleichnis vom Licht der Seele, welches aus dem Auge scheint (und dies entspricht der Meinung der Vorfahren, die meinten, dass das Licht, welches aus dem Auge fä llt, aus der Seele kommt, und es wird nur durch das äußere Licht, welches auf sie triff t, erweckt); wisse, dass sich sieben Stufen im Auge befi nden (sie sind die Häute des Auges), und das innerste ist das weiße Korn. Und siehe, das Licht ist physisch nicht greifbar. Und das Licht der Seele (es ist das Wesen des Verstandes, welches sich selbst und seine Umwelt erkennt) bedarf eines anderen, externen Lichtes (um es sinn l ich wahrnehmbar zu machen). Wenn du zu verstehen vermagst, wie kann dann das Auge verschiedene Formen in einem Moment erkennen ? Und wie kann dann der weiße Kern des Auges die Himmel erfassen ? Dann sollte man beginnen zu verstehen (er meint, dass schon der ehrenwerte Sinn, der dem Auge inne wohnt, die Beeinträchtigungen durch Raum und Zeit beseitigt, sodass er in einem Moment verschiedene Formen und die Weiten des Himmels erken1 Vg l.

dien, 22.

Mikhtav 2, in : Kerem ḥemed 4 (1839), 5 – 9. Siehe dazu Greive, Stu-

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nen kann, indem sie im Umfang eines ha lben Fingers umsch lossen werden und so zu seinem Besitz werden). Und betrachte die Sonne, denn das Licht, welches von ihr gesehen wird, ist so, dass es bewegt, doch mangelt es ihm selbst nicht.“ Bis hier. Und seine Meinung wird daraus k lar, wie die Angelegenheit vom Leichten auf das Schwere erk lärt werden kann beim unsichtbaren Licht des Auges, welches dünner ist und dem Wesen des geistigen Verstandes entspricht, wie bei dem unend lichen Verstand in den Engeln, d. h. den geistigen Wesen. Und auch aus ihnen in ihrer Beschränktheit geht hervor, dass die Sonne Schild des Namens ist. Dies findet sich aber in den Erk lärungen der Gleichnisreden der Rabbinen, seligen A ngedenkens. Dort sagt er, dass von ihnen diese geistige Welt mit der Bezeichnung „Tora“ versehen wurde, womit er reine Erkenntnis meinte und den Inha lt des Erkannten, so wie sie es auch die „mittlere Welt“ nannten. Dies umfasst die Sphären und das System, die a ls Thron der Herrlichkeit oder Wagen Gottes bezeichnet werden, da sie über a llem stehen. Auch er steht bereits an dem Ort, auf dem seine Welt ruht, wie auch jene beiden Vorwelten der niederen Welt der vier Elemente. Dies wird in einer A ndeutung der Rabbinen, sel igen A ngedenkens, erk lärt : „Ich habe bereits zuvor auf das a lte Gleichnis hingewiesen, dass die Tora und der kisse ha-kavod [ Thron der Herrl ichkeit ] vor der Welt erschaffen wurden, und Rabbi Abba sprach : Die Tora ging dem kisse ha-kavod voran.“ [ BerR 1,4 (6) ] – Der Meinung des Weisen [ Ibn Ezra ] entspricht auch, dass jene Grenzen des geistigen Wesens in den Dimensionen des Unendlichen liegen, wie es auch in dem Vers heißt : Gibt es eine Zahl für seine Scharen zu zählen ? (Ijob 25,3). Und entsprechend ihrer Begrenzungen bei der Reinheit der Erleuchtung des Verstandes geschieht ein Wandel ihrer Abstufung – in a ll dieses seien jene zehn Stufen eingesch lossen, die über ihm stehen, und darauf bezieht sich auch der verborgene Hinweis, dass die Welt mit zehn Worten geschaffen worden ist (die mitt lere und niedere, die durch die zehn Worte geschaffen worden sind, und der remez [ a llegorische Schriftsinn ], der darauf hindeutet, wird im Folgenden ausgeführt). Dies steht aber den Worten der Kabba listen nahe, die sagten, sie seien nicht in den zehn Sphären, die aus Gott emanierten, erschaffen worden.

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Und nach den Worten Philos, der über den Logos und seine K räfte [  jenes ] sagte, was wir in der vorangegangenen Pforte erläutert haben. Auch heißt es im Kommentar zur Parashat Teruma (Ex 26,6) : „Und siehe, aus zehn Zeltbahnen besteht das Stiftszelt, und das Stiftszelt nannten sie das A llumfassende. Denn jeder Körper ist nur eine Sache; er ist nur aus einzel nen zusammengesetzt. Und ebenso ist der ehrenwerte Name [ Gottes ] ein A llumfassendes, und er wird eins genannt, | ebenso wie die k leine Welt und die große.“ Und an anderer Stelle (Parashat Yitro) sagt er : „Die Wissenschaftler fanden, dass a lle Worte für Körper zusammen zehn ergeben (die bekannten zehn Aussprüche des A ristoteles). Und weiter wird deutlich, was der Weise meint, bei dem, was er über die Drei, Sieben, Zehn und die Eins in den nun folgenden Ausführungen über die Zah l sagt. In einem anderen [ Kommentar ] zum Buche Exodus, [ u nd zwar ] zum Vers : Sagt mir, wie sein Name ist (Ex 3,13), sagt er : „ Jegliches Ding hat ein Wesen, eine Form und eine Dimension. Das Wesen existiert unabhängig, und die Form ist das Gegentei l davon.“1 Dies meint das, was wir bereits in der A rgumentation erläutert haben, nämlich dass das Wesen a llein, solange es noch nicht mit einer Form belegt ist, welches es defi niert und auf die eine oder andere A rt bestimmt, noch keinen Begriff und keine Bezeichnung besitzt. Um es jedoch mit dem Verstand zu erfassen, benötigt man bereits eine Beschreibung hinsicht lich seiner auf dem Wesen beruhenden Qualität. Und deswegen muss es bereits in irgendeiner Definition erscheinen. Desha lb meinte er, es sei nicht angemessen, es ‫ יש‬zu nennen, d. h., wir benötigen einen Begriff zur rationa len Erkenntnis, der ihm wesenhaft für a lle Attribute, die ihm zugeordnet werden, vorgegeben ist. Und es a llein besteht für sich selbst, und es fi ndet sich für es noch eine Qua litätsform, die wir begrenzen. Doch jene Qua lität ist etwas, was nicht für sich a llein existieren kann; sie ist viel mehr etwas, was auf dem für sich selbst existenten Wesen 1 K rochma l

bezieht sich hier auf Kommentare, die in Shmuʼel ibn Ṣarṣa (Sene), Sefer Meqor Ḥayyim, Mantua 1559, 30, angeführt werden und dort tei lweise Ibn Ezra zugeschrieben sind.

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beruht und darauf auf liegt. – Und er fügt hinzu und sagt : „Daher sind beide wie eins; und jedes für sich ist nicht wie zwei.“ Das bedeutet, jede Sache, welche zur Wahrnehmung gelangt, sei sie auch noch so k lein und geistig, muss man mittels zweier Dinge denken : mittels seiner unbegrenzten Wesenheit und mittels seiner Form, welche ihm eine gewisse Dimension und Fassung gibt, wie bei der Zah l zwei, bei der der Verstand bereits annehmen muss, dass es eine gewisse Einheit gibt, es a lso ein gewisses Eins gibt, welches sich nicht aus der Vervielfä ltigung zusammensetzt, a ls ob es ein einfaches Eins sei, bis1 es durch Mu ltiplizierung zur Zwei wird. A llerdings ist für die A nnahme einer Eins nicht die A nnahme einer Zwei notwendig. Auch entsprechend der Dimension ist es notwendig, irgendeine Kontinuität, sei sie auch beschnitten und für sich selbst begrenzt, anzunehmen. Und deswegen muss die Eins in actu auch schon durch sich selbst begrenzt sein, wie es in etwa heißt, wenn wir die Eins mu ltiplizieren : Ein ma l eins ist eins. So ist das mu ltiplizierende Eins das Definierende, und das Eins ist das Wesen. Er meint damit a lso, dass entsprechend seinem System Gott für sich selbst und von keiner Sache abhängig existiert. Doch wenn er in seiner abstrakten Einheit existiert, kann man ihm keine Form nachsagen, die auf eine qua litätsmäßige Begrenzung oder ein Attribut hindeuten würde. Daher ist [ Gottes Wesen ] reines Wesen a llein, noch ohne Form und Definition, scheinbar dem Nichts gleich oder rein potentiell, dem Verstand noch unzugänglich, und es wird noch nicht ‫ יש‬genannt. Wenn wir es a llerdings bedenken und darüber sprechen, so defi niert es sich selbst, und seine unend l iche Potentia l ität hinsicht l ich des von ihm in seinen K räften und Formen erdachten. Dies bildet aber die zweite Welt, welches das Dasein ist, und sie ist die Form Gottes, er sei gepriesen. Dazu spricht er aber auch : „Und der eine, der ohne Form existiert, er existiert für sich a llein.“ (Und siehe, er sagte oben, dass jedem Dasein ein Wesen und eine Form zueigen sind, welche sie defi nieren.) Und deswegen ist seine Intention hierzu, dass das Wesen vor seiner Gesta ltwerdung zu einem verstandesmäßig 1 L ies

mit dem Hinweis des Herausgebers ‫ עד‬statt ‫עם‬.

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erfassbaren Wesen existent sein muss, und es ref lektiert a lle unend lichen K räfte, welche seine K räfte innerha lb der Grenze sind. Er beantwortet sie nach seinem abstrakten Wesen, welches a llem vorangeht. Denn dies ist das Wesen des Verstandes (Gott, er sei gepriesen, ist rein geistig, ohne Begrenzung). Und auch der Verstand ist end lich, indem er jeg liche seiner Potenzen erdenkt, d. h. seine K räfte in den Grenzen dieses oder jenem. Er führt jedoch a lle auf ihn selbst und ihre Sinne auf eine Wesensart zurück, indem er sagt : „Ich, ich, der ich lebe und füh le und weiß.“ – Dies ist aber, was er dazu hinzufügt : „Und auch die Zwei macht er durch die Eins existent, denn sie existieren nicht für sich selbst.“ Dies ist aber die Obere Welt, dessen Wesen Gott ist, die defi nierende Form seiner K räfte. Denn a lle sind Attribute der verstehenden Gedanken Gottes, nicht jedoch der Gedanken des Menschen, a ls ob die Gedanken lebten und existierten. Doch verstehe die Tiefe der Erkenntnis des Weisen [ Ibn Ezra : ] | 306 1. Dass das Wesen ohne Form keine Existenz besitzt. 2. Die Verleihung der K raft in das Wesen ist die Schöpfung; und daher ist die Schöpfung [ eine Schöpfung ] von etwas aus dem Nichts. 3. Dies ist die Schöpfung, eine Definition des Wesens in seiner Potentia lität, mit mehr oder weniger Potenz, da sie seine sich von ihm differenzierende Potenz ist. Und so kommen wir dazu, jede tiefere Bedeutung seiner Reden und Geheimnisse über das Wort „schöpfen“ [ ‫ ] בר א‬zu erk lären. – Zu dem Vers am Anfang schuf (Gen 1,1) [ bemerkt er : ] „ Die meisten Kommentatoren sagten, dass die Schöpfung die Schaff ung von etwas aus dem Nichts war, und ebenso, dass wenn er schuf, Gott schaffen werde. Doch siehe, sie vergaßen, dass Gott die Seeungeheuer erschuf, und zwar drei in einem Vers; und er erschuf den Menschen, und er erschuf die Dunkel heit, welche das Gegentei l des Lichtes ist, welches Sein [ ‫ ] י ש‬hat.“ Damit meint er, dass, fa lls sich das Wort ‫ ברא‬auf die Schaff ung aus dem absoluten Nichts bezöge, nichts von der Schaff ung der Seeungeheuer geschrieben stünde, nachdem a lle Wasser sich mit den Tieren des Wasser verbunden hät-

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ten; doch vom Menschen wird der Ausdruck „schöpfen“ dreima l verwendet. In dem Vers ‫ויברא‬, nachdem das Land bereits überhaupt lebendige Tiere hervorgebracht hat. Dies wird aber in der zweiten Parasha erläutert, in der es heißt : und Gott bildete den Menschen, von Staub aus Erden (Gen 2,7). Doch nachher gibt es keine Stützung auf jene, die aus dem Nichts geschaffen wurden, wie etwa die erwähnten Kommentatoren dachten, dass dies die Definition des Wortes ‫ ברא‬sei. Nicht nur, dass der Satz und er schuf Finsternis ( Jes 45,7) auf die Schöpfung aus dem Nichts hindeutet. Da auch das Licht zweierlei A rt umfasst, Inha lt und Form, und nicht Objekt der Erkenntnis dieses Weisen ist, wie ich bereits erk lärt habe. Die Finsternis sei daher die Abwesenheit dieses Etwas, und es ist das Wesen a llein, ohne Form, nicht das absolute Nichts, welches nicht a llumfassend sein kann (es war es nie, und es wird es nie sein). Von hier ab ana lysiert der Weise [ Ibn Ezra ] die Grund lage seiner Lehre, und er stellte fest, dass seine Hauptlehre auf einem Besch luss beruht, auf seinem Urteil über eine andere Lehre und auf der Errichtung von Abgrenzungen aufgrund dieses Urteils. (Und im Licht des Weisen kommt dies von der Wendung „das Schilfmeer teilen“, [ u nd zwar ] in Teile; oder von : „sie tei lten das K ind in zwei Teile“; oder von dem Ausdruck „Urteil “ [ ‫ ] הגזרה‬oder „Aufrichtung“ [ ‫] הבניה‬, welcher sich im Buche Ezechiel findet.) Und er führte den Vers an : Und rode dir [ ‫ ] ובראת‬im Buche Josua ( Jos 17,15), [ ebenso ] und zerhaue sie mit Schwertern im Buche Ezechiel (Ez 23,47). Und ähn lich wird das Wort ‫ ברא‬im Qa l im Hinbl ick auf die Unterweisung auf die „schwere“ Konjugation [ Piʽel, Puʽa l, Hitpaʽel ] verwendet. Und er sagte dementsprechend : „Der Grund dafür ist, dass eine Entscheidung um der Ziehung einer Grenze wegen geschieht, und der Verständige wird es verstehen“ [ z u Gen 1,1 ]. Und siehe, viele dachten, und mit ihnen seine meisten Kommentatoren, obgleich sie nicht bis zu Ende und hinsichtlich des Prinzips und der Folgen des Systems dachten, dass sie von daher beweisen könnten, der Weise sei von der Uranfänglichkeit der Welt überzeugt gewesen, oder zumindest von der Existenz eines Urmateria ls. Doch so ist die A ngelegenheit nicht, und man bedenke,

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was wir oben hinsicht lich des Wochenabschnitts ba-ḥodesh anführten : „Wer sagt : Gegenteil, der kehrt es um und zerstört die Grund lagen der Tora, erntet unter den Setz l ingen, reist die Prinzipien unseres Glaubens aus, verursacht Zweifel hinsichtlich der Erneuerung der Welt und denkt über den Schöpfer, er sei gepriesen, fä lschlich.“1 Und weiter heißt es dort : „Denn es ist offenbar und bekannt unter den Gläubigen unserer Tora, dass die Welt insgesamt mittels eines Wortes [ ‫ ] דיבור‬geschaffen wurde.“ Weiter heißt es ebenda : „Die Absicht dieses Kapitels ist es, zu erk lären, dass a ll jene Angelegenheiten, die so abstrahiert werden, jeglichem Eckstein dieses Grundsatzes widersprechen, will sagen der Erschaff ung der Welt, welche durch einen abstrakten Willensakt erschaffen wurde, die wir aus ihrer Abstraktion herausnehmen und a ls ein Gleichnis glauben müssen. Und jene Angelegenheiten besitzen ein verborgenes Geheimnis, und es wird denjenigen, die es genauer betrachten, offenbar.“ Und am Ende des Kapitels heißt es : „Dass es niemandem in den Sinn komme, es gäbe dort etwas, was vor der Welt erschaffen worden ist, denn die Rea lität ist das einzige, was wesent lich vor ihr erschaffen worden ist. Und er, dessen Name gepriesen sei, schuf aus Ungeschaffenem, und nicht aus etwas Vorma ligem.“2 Und auf diese Weise ist er nicht dafür berüchtigt, sich mit seinen Worten einschmeicheln zu wollen; auch verbirgt er manchma l etwas, was ihm nicht a ls logisch erscheint, damit seine Rede nicht auf ihn zurückfä llt, gleich nach dem Einfa ll. Auch kann man es nicht bezweifeln, dass seine Worte sich untereinander widersprechen, und dass er ein Wort zur Grund lage seines Urteils macht und das zu Beweisende nicht zu erlangen vermag, und er stellt aufgrund [ d ieses Wortes ] einen A na logiesch luss an bis zur letzten Konsequenz. – Und die Wahrheit ist, dass sein System diesbezüglich und hinsichtlich des einen wie an einer ununterbrochenen Kette zusammenhängenden A lls, und auch in Bezug auf die Schöpfung, nahe den grundsätz lichen 1 Vg l.

Kerem ḥemed 4, 7 : Zitat aus dem Sefer Sha‛ar Shama‛yim. ḥemed 4, 9.

2 Kerem

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Speku lationen der ersten Kabba listen steht, die ebenfa lls an die Schöpfung aus dem Nichts glaubten, und die das voll kommene und absolute Nichts negierten. Auch ihr System und ihre Auffassungen sind es wert, ihnen einen eigenen Abschnitt zu widmen und etwas aus ihren Thesen zu anzuführen. Der Kabba list und bedeutende Kommentator des Sefer Yeṣira [ Ravad ]1 nimmt auf die Antwort Gottes an Ijob zu Beginn seiner Schrift ausführlich Bezug, wenn er zunächst [ aus Ps 51,17 ] zitiert Herr, meine Lippen | öff ne, und mein Mund soll deinen Ruhm verkünden, und dann folgendermaßen fortfährt : „ Es ist bekannt, dass nichts entsteht, was zufä llig aus etwas Zufä lligem entsteht, es sei denn, beide fa llen unter die gleiche Gattung. Denn eine Quantität entsteht nicht aus einer Qua l ität, und keine Qua l ität aus einer Quantität, und ebenso wenig entsteht ein Einzelfa ll aus einem Wesen und kein Wesen aus einem Einzelfa ll, obwoh l beide unter den Bedingungen der Gegenwart existieren. Ebenso wenig entsteht ein Körper aus einem Nicht-Körper. Dies ist aber, was der Heilige, er sei gepriesen, den Ijob fragte, indem er sprach : Wo usw. (Ijob 38,4) ? Was so viel bedeutet wie die Erlangung des ersten Grundes, dem die Potenz zur A ktua lisierung innewohnt, [ u nd zwar ] in der Potenz seiner voll kommenen Emanation, die sich nicht von ihm unterscheidet.“ Außerdem heißt es dort : „Und du musst wissen, dass die Philosophen sagen, dass nichts aus nichts entsteht, sondern nichts aus etwas. Doch nach unserer Meinung und nach unserer hei ligen Lehre zufolge ist die Welt neu erschaffen. Auch wenn uns die epiqorsim fragen würden : Die Welt, wird sie nicht durch zwei Konditionen bedingt ? Entweder ist sie aus Urmateria l erschaffen, durch welches die Welt gemacht und erfü llt worden ist; oder es gab dort A ll-Materie, welche a llerdings nur emporgehoben worden ist ? Wenn du sagtest, dass es dort [ solche ] Materie gab, siehe, so könnten sie 1 Vg l. das Vorwort des R abbi Avraham ben Dawid zugeschriebenen Kom-

mentars in : Sefer Yeṣira ha-meyuḥas le-Avraham avinu we-ʽalaw kol shilṭe hagibborim ha-mefarshim ha-mequbba lim ge’one qadma’i u-vetare zekher ṣaddiqim li-vrakha, Jerusa lem 1989 [ Nachdruck der Ausgabe Warschau 1884 ], 4 f.

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glauben, dass es [ vor der Schöpfung ] außer Gott a llein noch etwas anderes gegeben hat. Dies würde aber die Leugnung der Tora implizieren. Wenn man sagte, dass es eine solche nicht gegeben habe, sondern dass der Heilige, gepriesen sei er, die Welt aus sich heraus geschaffen hat – wenn dem so wäre, wäre dann sein Wesen materia lisiert worden ? Hinsichtlich dieses Geheimnisses sagte er erk lärend : Wo warst du, als ich die Welt gründete ? Sag an, wenn du kundig bist (Ijob 38,4) ? Das bedeutet : aus der K raft der Weisheit und aus der K raft des Verstandes ist diese Welt erstanden.“1 Und im Sefer Miṭpaḥat Sefarim des R av R abbi Ya‛aqov [ Emden ]2, er ruhe im [ Garten ] Eden, Seite 59, heißt es kritisch zur Speku lation des Zohar und der Lehre der Kabba listen bezüglich der Schöpfung durch „Gottes Wort“ und durch den „Hauch seines Mundes“, dass sie nicht aus dem Nichts und aus dem Nichtigen erschaffen worden sei – das sei ferne ! Und er sagt dort : Dies ist [ z war der ] nahe liegende Gedanke, doch der Einwand, welcher die Entwick lung einer Sache aus einer nicht existierenden Sache negieren möchte (etwa wei l eine Sache ohne eine vorangehende verloren wäre, und nicht a lles aus a llem verloren gehen kann, so ist es im Gegenteil unmöglich, eine Sache in einer zu fi nden, die nicht vorhanden ist), wäre eine A nnahme, die sich selbst widerspricht; denn wenn du sagtest, dass aus einer Nicht-Sache, eine Sache werden kann, so müsstest du bereits von einem vorhandenen Wesen ausgehen, sodass eine Sache ein Subjekt wäre, das du nicht Subjekt nennen könntest. Deswegen ist dies ein in sich sinn loser Satz, anzunehmen, dass eine Sache aus einer Nicht-Sache entstehen könne. Denn dadurch verwandelt man ein Wesen von Existenz in ein Mysterium und ein Nichts. Denn seine Entwick lung und Existenz würde ich hinsicht l ich seiner A ktua l isierung für unmög l ich ha lten, würde es nicht in Bewegung versetzt oder zurückgeha lten werden. Bis hier seine Rede, und treffend hat darüber der Rav [ Yaʽaqov Emden ], der Eiferer, phi losophiert. Doch am Ende 1 Vg l. 2 Vg l.

R avad im Vorwort zu seinem Yeṣira-Kommentar, 5. Y. Emden, Sefer Miṭpaḥat Sefarim, A ltona 1768, 59.

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seiner Abhand lung meint er Folgendes : „Und die gelehrten Philosophen (er bezieht sich woh l auf den Kommentar zum Rav [ Moshe ben Maimon ] und auf Rav Sa‛adya sowie die übrigen, die von der Schöpfung aus dem absoluten Nichts und dem Nichtexistenten ausgehen) haben überhaupt keinen Beweis für ihre frei erfundene A nnahme usw. Der Fortgang der Schöpfung weist auf die Schöpfung des Etwas aus dem Etwas. Auch weil es heißt, dass er die Finsternis schuf“ usw. Auch hier hat [ Yaʽaqov Emden ] seinem Charakter entsprechend, doch nach A rt und Weise eines phi losophischen Lehrsatzes übertrieben, a ls ob keine Sache aus einer Nicht-Sache hervorgehen könne, bis er sogar so weit geht, zu behaupten, die Philosophen hätten [ diesen Gedanken ] von uns entwendet und hätten ihn absicht lich den Auffassungen der Kabba listen über die Emanation zugeschrieben, der Lehre des R abbi El i‛ezer und den bekannten Midrashim. Und dazu passt seine Rede : Die Schrift sagt, dass durch das Wort des Herrn der Himmel geschaffen wurde, und durch den Geist seines Mundes a lle seine Heerscharen [ Mächte ]. [ Die Wendungen ] Wort des Herrn und Geist seines Mundes sind aber nicht etwa Nichts und Nu ll, das sei ferne ! Und der Leser möge dort in der erwähnten Schrift nachsehen (Seite 59) – Worte, die prinzipiell stimmen, auch wenn [ ihr Autor ] nicht bis zur Tiefe des Problems in a ll seinen Aspekten durchgedrungen war, feh lte es ihm doch an Erkenntnis der vernunftgemäßen Voraussetzungen und Ursachen der Existenz. Ich werde auf das System des Weisen [ Ibn Ezra ] noch zurückkommen, da ich, wie gesagt, nur zur k lären beabsichtige, seine Lehre mittels seiner eigenen Worte auszu legen, um mich nicht aufgrund fremder Ausdrucksweisen von ihr abzu lenken zu lassen. Doch kam ich nicht dazu, denjenigen zurechtzuweisen, der seinen Blick abwandte, weil er nach Einwänden anderer suchte. Doch siehe, das Wesen a lles Seienden emaniert aus dem Wesen Gottes, er sei gepriesen. A llerdings ist das Wesen ohne Form kein Seiendes, d. h., es kommt nicht zur Wahrnehmung und wird überhaupt nicht begriffen; und sein Begriff, wenn er sich in einer Form bildet, in der Dimension, die sie uns bietet, aktua lisiert seine Form

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mittels der Form Gottes, | und sie dient seiner Selbsterkenntnis, 308 der Urweisheit, wie wir es erk lärt haben. Denn siehe, wenn du sagst, dass Gott sich selbst erkennt und sich selbst will, denkt und wirkt, so sagst du bereits von dir aus, dass er ein Wesen hat, und mittels seiner Erkenntnis und seines Willens und Denkens sowie in der Potenz seines Wirkens a lle formende Dimensionen, die dem Wesen eine Form und eine Essenz verleihen, vorhanden sind. Wenn die Begrenzungen a llerdings zu keinem Ende mehr gelangen, ohne Mittler und durch die prinzipiellen Begrenzungen, bis dass a lles Seiende durch eine Dimension und Form definiert ist, so erha lten wir dadurch ein Wesen und eine K raft; und in dem Wesen, welches seine Form und Begrenzung ist, wird das Seiende vereint, das Wesen emaniert aus dem Wesen Gottes und die Form aus seiner Urweisheit. Doch bedenke, dass das Wort „Schöpfung“ dem Wort „Wesen“ nicht angemessen ist, denn dieses bezeichnet etwas in sich selbst bestehendes, doch „ohne etwas“ [ ‫] בלי מה‬. Und hinsichtlich des Wortes „Form“, welches eine potentielle erste K raft beschreibt, haben wir bereits erk lärt, dass es dem Wort „Schöpfung“ angemessen ist, denn es bezeichnet eine aktive K raft, die auf das Wesen wirkt, es bestimmt und es defi niert. Doch weil a lles geistig ist, darf man sagen, dass durch sie auch darüber entschieden wird, ob es Subjekt oder Objekt bi ldet. Das abstrakte Subjekt, welches nur Wesen ist, ist noch undifferenziert (und daher meinten die jüngsten unter den deutschen Philosophen, dass a lles Seiende auf einer vorangehenden Differenzierung beruhe, auf „ein[em] Urteil “ [ ‫] איין אורטהיי ל‬1). Und in Erinnerung an die Einführung bedenke man, was wir mit der These erläutert haben, die Sprache sei dem Sinn lichen entnommen, sodass ‫ ברא‬entsprechend dieser These nur die ersten äußeren Linien bezeichnet. Diese wären dann mit weiterer Materie fortgeführt worden, bis das Ob1 Vg l. I. K ant, K ritik der Urtei l skraft, mit einer Ein leitung und Bibl iogra-

phie hg. v. H. F. K lemme, mit Sachanmerkungen von P. Giordanetti, Hamburg 2001, 19; 320 f. G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Zweiter Band : Die subjektive Logik (1816), hg. v. F. Hogemann und W. Jaeschke, Hamburg 1981, 53 f.

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jekt, welches erschaffen werden sollte, entstanden, die Materie differenziert und in einer gewollten Form aufgenommen worden war, wobei in ihm die Wurzel der Natur angelegt blieb. Und hinsichtlich der letzten Vervoll kommnung der geformten Teile wird das Wort ‫ עשה‬verwendet. A llgemein gi lt aber, dass man in der biblischen Sprache hinsichtlich der teilweisen Bildung von Form und ihrer Vervoll kommnung drei Ausdrücke verwendet hat : ‫ ברא‬, ‫יצר‬, ‫עשה‬. Doch diese [ d rei ] beziehen sich nur auf vergängliche Formen, die, wie wir bereits bemerkten, nur beg leitende A kzidenz ihres Wesens sind. Doch hinsichtlich der beständigen Form, in der wir auch gegenwärtig existieren, ruht die Schöpfung auf der Gabe einer a llgemeinen Grenze, einer ersten Potenz ihres Wesens. Mittels dieser K raft erschuf er für sich, indem er synthetisierte und differenzierte gemäß den einzelnen Eigenschaften ihrer K räfte. Die Wurzel ‫ עשה‬aber bezieht sich auf die Vollendung und die Vervoll kommnung seines Wesens in Relation zu anderen. Das Wunderbare daran ist, dass die Wurzel ‫ ברא‬auch dem Abstrakten entnommen ist, g leich wie auch die anderen beiden [ Wurzeln ], wie der Weise [ Ibn Ezra ] passend anhand dieser Wurzel aufgewiesen hat. Die Hebräer aber verwendeten es in ihrer hei l igen Sprache nur entsprechend seiner geistigen Bedeutung, und sie verliehen die Ehre des Schöpfens nicht dem Erschaffenen.

Und hinsichtlich der übrigen Erk lärung seiner Worte hinsichtlich dieser A ngelegenheit führen wir sein anderes System zur Schöpfung an : „Doch das Wort ‫ ברא‬deutet nicht etwa auf das hin, was die meisten dachten, näm lich auf die Schöpfung aus dem Nichts. Der Beleg dafür ist : Und Gott schuf die großen Seeungeheuer; und siehe, wir fanden : Und wenn es eine Schöpfung gibt, so hat der Herr sie erschaffen, sie ist dann einer Entscheidung zu verg leichen, die er getroffen hat, und so sagt es auch die Schrift : Und zu meiner Ehre habe ich sie erschaffen [ ‫] בראתי ו‬, was die Gabe der K raft in das Wesen bezeichnet, und nachher heißt es ‫עשיתיו‬, was sich auf die Vervoll kommnung bezieht, wie in und er beeilte sich, ihn zuzubereiten (Gen 18,7). Und der Ausdruck und er schuf sie meint einen Aus-

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druck der Entscheidung, und wenn es sich um eine Entscheidung handelt, dann ist es ein Ausdruck in „schwerer“ Konjugation [ Piʽel, Puʽa l, Hitpaʽel ]. Doch dazu steht geschrieben : Er schuf die Enden der Erde entsprechend der Tatsache, dass die Enden nicht die Sache selbst meinen. Ebenso „und er schuf Finsternis“, denn die Finsternis ist nichts, und nach Meinung vieler ist sie viel mehr eine A kzidenz. Ebenso ist sie Übertragung einer Sache, und der Verfasser des Buches Yeṣira bezeichnet dies a ls ‫תמורה‬. Doch wir haben seine Meinung bereits erk lärt, dass die Enden nicht die Inha lte meinen, was der Punkt und die Linie und die Fläche bedeuten, dass sie so lange noch abstrakte Gedanken des Seiens sind. Daher sind sie Beginn des Körpers und seine Begrenzung, und sie sind in sich selbst geistig. Und im Buche Jesaja, hinsicht lich des Verses und er schuf den Himmel ( Jes 42,5), sagt er : „Denn es gibt [ f ür die Himmel ] eine Linie, welche ihnen Grenze ist.“ Und du kennst diesen Kommentar bereits, dass die Linie die zehnte Sphäre meint, die geistig a lle anderen Sphären der Rea lität sowoh l intellektuell a ls auch forma l umfasst. Doch hinsichtlich des Verses er schuf die Enden der Erde : „Bereits in der Ordnung Bereshit habe ich erläutert, dass das Wort ‫ בורא‬der Form für ‚entscheiden‘ nahesteht. Und dies bedeutet, dass die Enden die Linie bedeuten, die sie nach Ansicht der Philosophen umgibt. Denn die Linie ist unkörperlich“ [ z u Jes 40,28 ]. Wir haben jedoch bereits seine Meinung zu ihrem Verschwinden erk lärt, dass sie nicht voll kommen Nichts ist, sondern Potenz in sich selbst, um K raft oder Form fortzunehmen. Doch nicht nur, dass es nicht nur Nichts ist, | sondern es handelt sich auch nicht um A kzidenz. Das 309 aber, was sichtbar und vergäng lich ist, ist nur eine Erscheinung, nach Meinung Vieler, und auch, wei l es nichts gibt und ebenso Wesentliches. Und er fügt hinzu : „Ebenso verhä lt es sich mit der Übertragung einer Sache.“ Will sagen, dass es tatsäch lich kein Zufa ll, sondern eine wahre K raft ist, die die Übermittlung einer anderen K raft negiert, und dies meint auch die Bestimmung der Temura im Sefer Yeṣira. Wie sie dort sagten : Wäre das Licht sichtbar (und forsche dort im Midrash Temura nach)1, dann wären jene 1 Vg l.

Midrash Temura 8, in: Bh M I, 111; OsM II, 582.

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Permutationen [ Temurot ] in Bezug auf jene Nichtigkeiten, die ich erwähnt habe, genauso ein leuchtend. Daraus folgt für uns, dass nach dem einfach und sinn lich Verständ lichen das Wort ‫ ברא‬auf dem ersten Schnitt basiert, jener, der durch äußere Einschnitte die Materie bündelt (mit einem anderen Ausdruck : Umriss). Und daraus folgt die Schöpfung der Seeungeheuer aus dem Materia l der wimmel nden Wasser. Er stützte sich auf die Übermaße ihrer Größe und Stärke, und in ihnen erneuerte sich die große K raft, und dies wird von der Tora bezeugt usw. Ebenso geschah die Erschaff ung des Menschen zuerst mit seinem Körper, aus Materie, die die Erde auf Geheiß Gottes hin hergevorbracht hatte : Und das Land brachte ein lebendiges Wesen [ ‫ ] נפש חי ה‬hervor. Er stützt sich aber auf Gott in der Fü lle seiner K räfte und seines Ebenbildes in der voll kommenen Welt. Er umfasst in sich, in seiner Geistigkeit eine vollständige k leine Welt, und von Seiten seiner Sprache liegt in ihm die Schöpfung des Weltlichen, die göttliche K raft in seiner Wesensart, und dies ist, was in den Versen eingesch lossen ist : und er blies in seine Nase (Gen 2,7) und in dem Ausdruck in seinem Ebenbild bzw. im Ebenbild Gottes. Ebenso liegt Schöpfung in dem ersten Vers, wie er hinsicht lich des Verses jenes sind die Geschlechterfolgen des Himmels und der Erde, nach ihrer Schöpfung (Gen 2,4) : „Als die raqia‛ geschaffen war, und das Land sichtbar wurde“, bezieht sich auf die erste K raft, die zu ihrer Schöpfung beitrug, und ebenso Schöpfer des Himmels ( Jes 42,55), Schöpfer der Enden der Erde ( Jes 40,28) – über die geistige K raft, die ihnen aus der K raft Gottes und seiner Weisheit zukam, welche die Form ist, welche dem Wesen gegeben ist, sodass Sein aus dem Nichts entstehen kann. Doch wisse und verstehe, dass a lle Kommentatoren davon ausgehen, dass die ma‛ase ha-beriya [ Schöpfungstat ] der yeṣira [ Bildung ] und der ʽasiya [ Bereitung ] voranging, nach dem, wie [ d iese Termini ] in der Bibel erschein[en], denn es heißt erst, dass „er schuf“ [ ‫] בר א‬, danach „er bi ldete“ [ ‫ ] יצר‬und noch später „er bereitete“ [ ‫] עש ה‬. Man hatte zwar bereits zwei abstraktere und geistigere a ls diese beiden erwähnten Beziehungen erdacht, doch der in geistiger Hinsicht so tiefschürfende Weise [ Ibn Ezra ] verweist darauf, dass die wichtigsten Voraussetzungen der Schöpfung die Bil-

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dung einer erdachten Form aus Wesen und Raum ist. Denn a lles ist aus geschaffenem Sein erdacht und geformt, und zwar auf die A rt, dass es aus dem Wesen Gottes und aus seiner Urweisheit geformt ist. Für die Erk lärung dieses Gedankens des Weisen sei etwa auf das Beispiel hingewiesen, dass ein mög liches Objekt der Erkenntnis die A rt des Lebewesen ist, welches durch Gott geschaffen worden ist. Nach ihrer Art sind Tiere etwa zu unterscheiden, entweder in Großvieh oder K riechtiere. Doch die A rten, denen sie zuzuorden sind, sind seine Gebilde [ ‫] יצירותי ו‬. Das heißt die individuellen Ausformungen, die sich an ihnen beobachten lassen, gehen auf seine Taten zurück, sind sein Werk. Vor diesem Hintergrund versteht man das tiefgründige Geheimnis seiner Ausführungen und seinen Kommentar zu dass Gott geschaffen, um zu fertigen (Gen 2,3), der da lautet : „Das Grundwesen in a llen A rten ist, dass er in sie die K raft legte, um ihr Abbild zu fertigen.“ Und du hast bereits gehört und seine Überlegung hinsicht lich der A rten und Personen begriffen, doch fügte er noch hinzu : „ Der Kommentar zu ‫( לעשות‬was sich auf das, was darauf folgt, bezieht) ist, dass es für ‫ [ עשה‬in der Vergangenheit ] steht. Auch steht ‫ [ עשה‬in der Vergangenheit ] für ‫ ברא‬, doch dies stimmt meiner Meinung nach nicht.“ Beim Menschen bezieht sich die beriya auf die [ Einhauchung der ] Seele mit Verstand. Die yeṣira bezieht sich auf das Herz, welches das Zentrum des Körpers ist. Doch die ‛asiya bezieht sich auf das Gefüge der Glieder in ihrer Stellung zueinander. Ebenso bezieht sich die beriya auf die obere Welt, welche voll kommen geistig ist, die yeṣira auf die mittlere Welt, die ‛asiya aber auf die niedere Welt, in der es individuelle Einzelwesen gibt. Wisse aber auch und verstehe, dass, insofern der Mensch eine k leine Welt ist, er in seinem Denken einem Tora-Studierenden g leicht, der Weisheit besitzt, und die A na lyse und die wahre Vertiefung verschaff t den Gedanken Weisheit, und der Schöpfer der Gedanken ist auch ihr Bildner, und der Bewerkstelliger der Pf lügearbeit ist a llein derjenige, der sie durchführt. Zu dem Vers ( Jes 57,19) : Schaffend der Lippen Frucht : Friede, Friede dem Fernen wie dem Nahen, sagte er : „ A lle Kommentatoren sagten, dass Gott derjenige ist, der schaff t [ ‫( | ] בור א‬will sagen, dass dieses ‫ בורא‬310 dem Namen [ Gottes ] hinzugefügt ist), und es feh lt das Wort ‫אמר‬

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[ er sagte ] (‫ אמר‬: Friede usw.), a ls ob es nicht wert gewesen wäre, neu zu schaffen, sodass ich sagen würde, dass der Ausdruck beriya aus der Ausdrucksweise : ‫ [ ובורא חושך‬u nd er schuf Finsternis ] (was nicht etwa nach der üblichen Bedeutung „schaffen“ [ ‫] ש אַפפע ן‬ meint, sondern „formen“ [ ‫] פאָרמע ן‬, „begrenzen“ [ ‫)] בגרֶענצע ן‬. Das Wort Frucht [ ‫ ] ניב‬bedeutet so viel wie ‫ [ פרי‬Produkt ], der Bodenertrag des A ll mächtigen, und dies ist der Sinn dieser Redeweise und ihre Erk lärung. Sie sprachen (ihr, die Schöpfer und Bildner, euch gelten die Worte der Lippen), Frieden dem Fernen und dem Nahen (von euren Orten, und dies kann sich nicht auf Gott beziehen). Sie bekannten, dass Gott Israel bereits gehei lt hat, und dies ist die Bedeutung von ich heile es ( Jes 57,19).“ Spricht der Herr ( Jes 57,19) – daraus erwächst das von uns bereits erläuterte Gesetz hinsicht lich des Systems des Weisen bezüg lich der Eins und der Zehn. Dies war es, was er zur Bedeutung der Zah l erläutert hat, dass man daraus die Existenz der Dimensionen der uranfäng lichen Unend lichkeit abgeleiten kann, welche der Gebildete selbst aus den Grenzen, die die Eins bildet, erkennen kann, seine uranfäng liche Weisheit. Dies meint die drei Maße, und eine jede sch ließt a lle Definitionen mit ein, wie Gott sie in sich selbst denkt, in ihren umfassenden Potenzen bis in die Unend lichkeit, die die Zehnte oder Heilige genannt wird. Sie umfasst a lles, und jede Einzel ne wird Teil [ d ieser Zehnten ] genannt. Und von hier kann man die Tiefe des Geheimnisses seiner Worte verstehen (in [ seinem Kommentar zum ] Abschnitt be-ḥuqqotai [ z u Lev 27,32 ]) : „Und siehe, das Erwäh lte ist Eins, und das Zehnte ist dem g leich, doch nur das Zehnte vermag uns zu erlösen und nicht etwa das Erste.“ In der Nähe zu dieser Stelle [ heißt es : ] „Doch wer ein Herz hat, das Geheimnis der Welt zu verstehen, der wird das Geheimnis von dem Ersten und dem Zehnten erkennen.“ Er fügt hinzu [ z u Lev 27,34 : ] „Und auch werde ich dir ein wenig von dem Geheimnis des Gedenkens an den Zweiten Zehnten offen legen, wenn mir eine Eins hilft, und es keine Zwei gibt.“ Im Abschnitt Re’e [ z u Dtn 14,22 ] :1 „Wisse aber, dass, wenn du von 1 Vg l. Strickman/Si lver, Ibn Ezra’s Commentary on the Pentateuch, Deu-

teronomy (Devarim), 95 f.

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der Spitze beginnst, die Zah l eins die erste ist. Wenn du von unten beginnst, dann ist die Zehn die erste Nummer. Dies ist das Geheimnis des Erstgeborenen und des Zehnten.“ Außerdem sagt er dort : „Wisse, dass die Eins nicht auf einer Summe basiert. Und ebenso die Zehn, denn sie ist das Gegenstück zur Eins. Sie ist der A nfang der zweiten Serie von Zah len und das Ende der ersten Serie.“ Damit meint er, dass sie für ihn A ndeutung des abstrakten Geistigen im Heiligen und das jedem Objekt innewohnende geistige innere Wesen sind. Der Erstgeborene deutet für ihn a lso auf die unabhängige Einheit des ersten Geistigen hin und der Zehnte auf das erhabene Geistige in seiner Existenz, welche das Geistige in zehn Erhebungen, mit denen es erhoben wird, umfasst, um auf diese Weise zur Voll kommenheit zu gelangen. Dies ist aber ein Hinweis darauf, dass die Zehn insgesamt ein Symbol [ remez ] für die Erlösung ist, indem sie andeutet, dass sie durch Tatkraft und Konsequenz des Denkens vorbereitet wird. So verhä lt es sich jedoch nicht in Bezug auf den Erstgeborenen, dessen verborgener Wink auf seinem grund legenden geistigen Wesen, welches sich in jedem Ding fi ndet, l iegt, wie es in dem zitierten Abschnitt des Sefer ha-Shem erläutert wird : „Man erfand (den Buchstaben a lef) : zwei Formen, da er für eine ha lbe Zehn steht, um somit auf beide hinzuweisen …, daher musste man die Zehn mit dem a lef-a lef-Zeichen belegen, denn die Eins lässt sich nicht ersetzen.“1 Doch in der Parashat K i tissa, in seiner Auslegung über den Eigennamen [ Gottes ] sagt er folgendes [ z u Ex 33,21 ] :2 „Was die Länge zwischen zwei Punkten betriff t : Der Punkt, der nahe dem Handelnden ist, ist der sar ha-panim [ Fürst des A ngesichts ] und der sar ha-koaḥ [ Fürst der K raft ], und der andere Punkt ist das Ende der K raft [ sof hakoaḥ ].“ Er besagt damit, dass der Abstand die eine durchgehende Linie von dem zentra len Punkt bis zu einer bestimmten Grenze ist, und er liegt im Zentrum, und er wird Mittelpunkt genannt. Der zweite Punkt liegt im Umkreis des K reises, welcher um das Zentrum bereitet ist, [ u nd zwar ] in dem Maß der Linie entfernt von 1 Sefer 2 Vg l.

ha-Shem, hg. v. Lippmann, 7a. Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentar zu E xodus II, 1025.

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dem Zentrum. Dieser wird der hintere Punkt genannt – siehe, er ist eigentlich das A llumfassende, und sein einer Punkt haftet an dem Zentrum der K raft, und er wird daher sar ha-koaḥ und sar ha-panim genannt (die Urweisheit des Wesens im Unend lichen). Sein zweiter Punkt ist die Begrenzung seines spezifischen, für sich existierenden Wesens. Dies wird sof ha-koaḥ genannt. Denn der Abstand oder die Linie bilden die erste Grenze, welche durch das Wesen des Ortes/Raumes vorgegeben wird. Wenn aber der Ort/ Raum noch von a llem völlig leer ist, er noch undifferenziert und unspezifiziert ist, er noch kein Attribut oder irgendeine Besonder311 heit besitzt – siehe, so ist er | der erste Eindruck auf das Hauptwesen, von dem wir erk lärt haben, dass es in der End lichkeit verborgen ist. Daher wird aber Gott von den Rabbinen, seligen A ngedenkens, „Ort/Raum“ [ maqom ] genannt. Sie sagten dazu : Er ist „sein Ort“ [ ‫] מקומו‬, die Welt, d. h. das Urwesen a llen Seins im Verstand.“ Und noch immer gibt es im „Ort“ keinen Gegenstand, und dies ist das Nichts. Wenn in ihm der Punkt potentiell angelegt ist, welcher den Raum und den K reis von a llen Seiten ausfü llt, siehe, dann bildet er die unbegrenzte Form für das unbegrenzte Wesen, und dieser ist die Urweisheit. Doch immer noch ist er die Erfü llung dieses Punktes, d. h. nur in Potenz die Erfü llung. Wenn, wie erwähnt, die Linie vom zentra len Punkt durch die Bewegung des Punktes ausgezogen wird, welcher der Ausgangspunkt aus der wundersamen Abwesenheit ist, wird der Ort in seiner Begrenzung erfü llt, und dies meint die beriya, die Verleihung der Potenz in das Wesen, die Bestimmung des verborgenen Wesens, welches die freie Dimension ohne Differenz und ohne Attribut hinsicht lich der definierten Wesen in ihrer Potenz und Erfü llung bildet. Wie das Wesen aus dem umfassenden Wesen, so ist die K raft aus der umfassenden K raft, es ist die Luft, welche aus dem Wesen, der Bewegung und dem Raum zusammengesetzt ist, welche geht, sich vereinigt und a lles, was sich der Mitte nähert, vermehrt (geistig k lar, ein erhellender und aufnahmefähiger Verstand hinsicht l ich seiner Begrenzung und in Bezug auf das, was über seiner Determination steht). Und er differenziert, erweitert und spezifi ziert a lles, was sich von seinem Mittelpunkt entfernt (seine Geistigkeit aus der

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Zeit der K lärung, und seine Aufnahme gelangt nicht bis zu seinem Wesen). Doch dies ist die Meinung des Weisen [ Ibn Ezra ], was die Linie oder die Länge und die Breite an den beiden Punkten, innen und außen, macht und was bei der Bewegung des Punktes in der einfachen und abstrakten Entfernung zum Abbild und zum A nblick der oberen Welt wird, auf dem Weg und hinsicht lich der Eigenschaft, welche sich erkennen lässt und in dieser Welt offenbar wird. – Und es sei in unserer Aufnahmekraft, entsprechend dem, was kurz und end lich in dieser Welt ist, das Umfassendere, das Verborgenere. Doch a lles, was sich mehr vereinigt und Definition hinzufügt, das vermehrt das Erkenntnisvermögen [ ‫ – ] היכר‬siehe, möge die L änge a llein noch unbegrenzt sein; doch soba ld die Grenze durch die Bewegung der Linie zur Schaff ung einer hohen und langen Fläche führt, wird sie konkreter und defi nitiver einen Ort von dem a llgemeinen, verborgenen Wesen zeichnen, welches das Abbild und der äußere Anblick der mittleren Welt bildet, in der es bereits das Bild einer runden Fläche gibt, die durch sämt liche Linien, die aus ihrer Mitte hervorgeben, gebi ldet werden. Denn der letzte Punkt ist der abrundende; er sch ließt die runde Fläche ab, welche a lle oberf läch lichen Bilder einsch ließt. Doch noch immer ist die Grenze umfassend und in ihrem Verhä ltnis zu uns verborgen, selbst wenn wir die rechten und linken Grenzen in ihrem Verhä ltnis zu den inneren und äußeren erfasst hätten, bis ein Körper erstanden wäre, der die kubische Fläche bildete und der den Grenzen der Einung noch zwei Begrenzungen, eine obere und eine untere, hinzufügte. Dies erst ist dann das, was das Wesen der verborgenen Dimension bezeichnet, sie vereint und defi niert, sie zu einem dem Auffassungsvermögen und den Sinnen erkennbaren Körper macht, einem Abbild und Grund der mittleren Welt. Und der Verständige betrachte, dass dies die im Verstand notwendige Reihenfolge und Tätigkeit ist. A llerdings ist dies a lles, was dazu gesagt und festgestellt werden kann; a lles geschieht nur entsprechend der äußeren A nsicht, d. h., was von dem verborgenen Geistigen nach außen, in die geschaffene Welt drängt, es bi ldet uns das geistig intellektuelle Wesen in seiner unend lichen Wirksamkeit entsprechend diesem Wege. Das heißt, dass das verborgene Wesen

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uns das äußere Abbild darstellt, welches sich aus dem freien Raum und aus der Dimension ergibt, die A ktivität der unend lichen K raft, welche ihre Urweisheit ist; es stellt sich uns wie ein abgesch lossener Punkt dar, welcher ausgeht und sich entsprechend ihrer K raft, ihrer Begrenzung und ihrer ersten Bestimmung ausbreitet. Und der zweite und der dritte, und jene, die uns in der Veräußerlichung jener K raft eine Line, Fläche oder Körper abbi lden, sie weist uns auf jene K raft ihres inneren Wesens hin, die in den Anfängen ihres veräußerlichten Augenblicks nur in Relation zur Zeit existiert, wie im Folgenden erläutert werden wird. Doch in Relation zur inneren Wahrheit der Dinge sind dies nur unterschied liche Erkenntnisweisen und theoretische Interpretationen, dem besonderen geistigen Charakter ihres Gegenstandes entsprechend. Und daher fügt [ Ibn Ezra ] zu der Methode, die wir a ls eine Möglichkeit erläutert haben, eine weitere hinzu. Denn der Weise [ Ibn Ezra ] führt in Bezug auf einen von uns bereits früher erläuterten Abschnitt weiter aus : „Die Eins besitzt kein Bild, und sie ist in der Regel (geistig abstrakt) im Hinblick auf a lle Abbildungen, denn aus ihr gingen sie hervor.“ Er fügt außerdem hinzu [ z u Ex 33,21 ] :1 „Siehe aber, die oberen Gebilde, die Leuchten [ Sonne und Mond ] und die Sterne haben keine Vorder- oder Rückseite; um wie viel mehr gilt dies für die Seele [ neshama ] des Menschen, die aus der Oberwelt stammt, und um wie viel mehr für die Diener des Höchsten und den Höchsten der Höchsten [ selbst ].“ Damit meint er, wie könne man über ihn, von seiner Geistigkeit ohne A nblick seiner Rück- und Vorderseite sa312 gen, dass man sie nicht | sehen solle. Und siehe, sogar bei einer sich ausgebreitenden Fläche, welche ein zur Sichtbarkeit ausgebreitendes äußeres Wesen abbi ldet, gibt es überhaupt keine Festlegungen einer sie defi nierenden Dimension, durch die sie a llein durch die A nnahme der Bildung eines Begriffes von Begrenzungen wie Punkt, Line und Fläche gelangen würde. Und ebenso die Lebewesen und der Verstand in seiner Wirksamkeit und in seinen unterschied lichen Manifestationen; auch sie unterlägen nicht den Begrenzungen der Zeit, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 1 Vg l.

Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentar zu E xodus II, 1025.

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es sei denn unter der Prämisse ihrer A ktivierung und K raftverleihung durch ein erstes Urwesen. Doch wenden wir uns den Worten des Weisen [ Ibn Ezra ] über die Mittelwelt zu, den Gestirnen, den Himmel n und ihren Heerscharen : Auch sie [ sc. die Mittelwelt ] erstreckt sich über mehrere Stufen, doch wird sie von a llen mit der Bezeichnung „die erhabenen Gefäße“ benannt, entsprechend seiner Meinung bezüglich des Wortes kavod, welches für die Gegenwart [ Gottes ] und die Existenz steht. Er sagt dazu (Ex 3,15) : „Siehe, fünf Sterne dienen ihrer großen Erhabenheit, denn sie bestehen für sich selbst, hören nicht auf [ z u existieren ], vergehen nicht, und es verändert sich nicht ihre Bewegung; sie nehmen nicht zu und nehmen nicht ab, sie steigen nicht auf und steigen nicht ab, sie bleiben stets in ihrer Konstellation (im Verhä ltnis zueinander) g leich, obgleich sich zah lreiche Ä nderungen ergeben usw. Und a ll dies im Gegenüber zur Erde …, doch sie selbst verändern sich in ihrer Helligkeit nicht, warum der Mond unter ihnen steht, denn a lle seine Phasen laufen weiter und weiter … doch über den Planeten befi nden sich die Sterne der Tierkreiszeichen, und sie befi nden sich in einer eigenen Sphäre und wandern nicht wie die Planeten, und auch ihr Durchmesser wandelt sich nicht, nicht ihre Stellung untereinander; sie machen eine Bewegung, ohne zuzunehmen oder abzunehmen […]; doch der Wandel ihres Aussehens beruht auf dem Standpunkt der Erde und der Stellung der Sonne.“ Bis hier. An anderer Stelle [ heißt es ] (Dan 10,21) : „Die zweite Welt ist die mittlere Welt, dort befi nden sich die neshamot, Formen der Wahrheit ohne Körper, auch neshamot in Körpern, sie haben bei uns keine Zah l, auch die Körper in den Körpern; und sie a lle sind erhaben.“ Bis hier. Die Erk lärung für seine Worte ist, dass die ersten Grenzen K räfte Gottes sind, die in ihm existieren und ihm anhaften, ohne sich von ihm zu unterscheiden, und sie tei len sich zu einem einzelnen, begrenzten und distinkten Wesen in seiner Besonderheit. A llerdings wird das geistige Wesen durch die Welt, in der es sich rea lisiert, begrenzt, sodass sie Geschöpfe für die neshama waren, d. h. geistige Einzelwesen, und auch zur Reinigung des geistigen Wesens dienten, indem sie ohne Körper existierten, a ls neshamot in den Kör-

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pern, und sie bi ldeten die nefashot der Tierkreiszeichen, welche mit a llen Vorfahren verbunden sind, indem man ihnen zum Leben und zur Erinnerung gedenkt. Und er sprach, dass sie keine end liche A nzah l bei uns haben, sodass unser Erkenntnisvermögen die unend lichen Einzelgebi lde in ihren unterschied lichen, unend lichen Begrenzungen nicht erfassen kann. Doch sie können nicht erfasst und gezäh lt werden, es sei denn von dem unend lich Geistigen im Absoluten, und so ist es gemeint, wenn er sagt : nach der Zahl ihr Heer ( Jes 40,26). Ebenso sagte er : „Denn die Körper sind wie Körper“, was darauf hindeutet, dass jene Körper nach ihrer Reinheit und ihrem Glanz nicht den niederen Körpern auf der Erde zu vergleichen sind. Sie sind aus himm lischer Materie gebi ldet, ähnlich der Materie des Lichts, die sich unter uns befi ndet, und sich noch mehr von ihr abhebt, und daher sind sie a lle erhaben. – Dort fügt er noch hinzu : „Diese Welt wird auch hekha l ha-qodesh [ heiliger Tempel ] genannt.“ Das heißt, dass sie hekha l und mishkan zur Heiligung Gottes sind, seiner Beschreibung, seinen Wirkweisen und K räften dienen, und er legt dafür die Worte des Targum hinsichtlich des Verses heilig, heilig, heilig, ist der Herr Zebaot ( Jes 6,3) usw. aus, dass sich [ d ieser Vers ] auf die drei Welten bezöge. Und der Targum gibt das erste heilig mit „in der Höhe der Wohnstatt seiner Heiligkeit“ wieder. Dies meint die merom, a lso die zweite Welt, das Haus seiner shekhina. Der Targum für das zweite heilig lautet : „ Auf der Erde wandelt seine gevura [ A ll macht ].“ Und dies bezieht sich auf die niedere Welt, welche sich in seiner gevura vorbereitet. Und der Weise [ Ibn Ezra ] sagte : „Siehe, beide Welten (im Druck heißt es aufgrund eines Irrtums : verborgenen), und er erwähnt nachher, dass das [ Gebet ] Qaddish be-‛a lme ‛a lmaya“ auf die obere Welt und ihre Stufen zu beziehen ist. – Und er sagte dort [ auch noch : ] „Dies sind die Himmel der Himmel [  Jes 10,21 ]“, denn der Teil, der ein wenig über der niederen Welt steht, ist der Ort des Zeltes des Ur-Feuers oder der ätherischen Luft im Munde, bis zu den Gebieten der Mondsichel; dies wird Himmel der Himmel genannt, „und dort steht der Thron der Herrlichkeit“ [ z u Jes 10,21 ]. Dies meint die bekannte achte Sphäre, die vom Rav [ Ibn Ezra ] ‛aravot und qiṣon genannt wird. Und an anderer Stelle (im kurzen

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Kommentar zum Buche Exodus) [ heißt es : ] Denn ich werde meinen Namen zu erkennen geben (Ps 8,4), [ dies bezieht sich ] auf das Werk deiner Finger (ebd.), z. B. indem sie der Himmel sind (wie es in ihm erwähnt wird), und die Himmel der Himmel (die sieben umkreisenden Sphären), samt Thron der Herrlichkeit, (die obere Himmelssphäre) Zehn. Diese sind das Ende a ller R äum l ichkeit und Begrenzungen, und dementsprechend und in dieser Hinsicht ist er kein Körper, da er die umkreisende Linie ist, die Grenzen des Körpers, die Linie und die Fläche aber sind keine Körper, es sei denn gedank liche. „Dort befinden sich Michael und Gabriel “, | d. h. jene Begriffsbestimmungen des unend lichen Verstandes. Soba ld diese sich substantia lisieren und zu mit Namen versehenen Wesen vereinen, gehören sie bereits zu der zweiten Welt. Und a ls ob sie mit den Körpern verbunden sind, erlangen sie eine ätherische Reinheit, d. h. eine Stufe reinen geistigen Seins in Erleuchtung ihres Wesens1 und in Erkenntnis ihrer selbst. Doch genug jetzt mit der Erk lärung der Erkenntnis des Weisen [ Ibn Ezra ] hinsichtlich der oberen Welt, kommen wir zur dritten Welt, welche von ihm a ls niedrigste Welt von a llen bezeichnet wird. Darüber sagt er (Ex 3,15) : „Sie steht über zah lreichen Stufen, doch gibt es in ihr nur drei, und der Mensch a llein steht auf der obersten Stufe der niederen Welt. Doch der Aufstieg ist an ihm selbst zu erkennen, an seinem Wesen, selbst an seiner Seele, wegen des Denkens, auch in seinen Augen und in a llen seinen Trieben.“ Bis hier. Der Kommentar zu diesen Worten entspricht dem in der Theorie Erk lärten, dass sich in a llem die drei Stufen finden, wie bei jedem wachsenden Lebewesen [ in der Fauna und Flora ], das K raft besitzt, so besitzt es auch ein abstraktes Wesen, welches in ihm sch lummert oder angelegt ist, ohne stets in das Licht zu geraten, welches dem Menschen zur Erkenntnis darüber verhi lft. Doch auch dieses Lebewesen unterliegt im Verlaufe seiner Hand lungen und Taten einem Wandel bis hin zum Verlust seines Körpers, und selbst an seiner Seele lässt sich ein Wandel ausmachen, a llerdings nur gemäß entsprechender Auffassungsgabe und Einsicht, die dem Empfi nden seiner Sinne ent1  S o

mit dem Korrekturvorsch lag des Herausgebers.

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spricht, wie wir es erläutert haben. – Und an anderem Ort ([ in seinem Kommentar zum Buch ] Daniel) sagt er : „Und die dritte Welt befindet sich unterha lb der raqia‛, und sie ist voller dünner, auch dicker Körper, und in den Körpern befi nden sich neshamot und auch ruḥot sowie nefashot. Doch der Mensch a llein ist das Geheimnis dieser niederen Welt, und um seinetwi llen ist sie erschaffen worden. Doch seine neshama ist mit den oberen neshamot verbunden.“ Bis hier. Der Kommentar seiner Worte ist, dass nur in der raqia‛ und darunter, d. h. in der grund legenden ätherischen Verdickung darunter die Welt des Wandels und des Wechsels beginnt. In ihr gibt es dünne und k leine Körper, und sie sind die k leinsten Elemente und die Bausteine der Materie, und Körper in ihnen bi lden nefashot, und sie bi lden das Wachsende [ Flora ]. Doch die weiteren in ihnen Befind lichen sind die ruḥot, und sie bi lden das Lebendige [ Fauna ], und der Mensch in dieser [ Welt ] besitzt die beseelte neshama. Und er sagte : „Denn der Mensch a llein ist das Geheimnis dieser Welt.“ Das heißt, dass mit ihm und bei ihm das wahre Wesen a lles Seienden aus seinem Sch lummer erwacht, und das Wesen gelangt zu Bewusstsein seiner Selbst und zur wahren Bedeutung seines Daseins. – Diese niedere Welt enthä lt vier Elemente, die von ihm die vier Wurzeln oder Grundelemente genannt werden : Die Erde im Mittelpunkt oder im Zentrum, welcher auch der Mittelpunkt der himm lischen Sphäre oder der Welten insgesamt ist, und um [ d iesen Punkt ] drehen sich die Wasser, und um ihn dreht sich die Luft und auf ihm das Urfeuer oder die ätherische Luft, welche auch raqia‛ genannt wird, raqia‛ ha-shamayim oder einfach auch shama‛yim. Dafür zitiert er zah l reiche Bibelverse a ls Beleg in seiner Schrift Yesod Mora1, unter anderem den Vers : „Ein Gewicht zu geben dem Winde [ ruaḥ ] , und das Wasser verteilt er nach dem Maße (Ijob 28,25); denn er, bis an die Enden der Erde schaut er, was unter dem ganzen Himmel, sieht er (Ijob 28,24).“ Und ebenso : „Wer maß mit 1 Sefer

Yesod Mora le-ha-Rav Avraham ibn Ezra kolel heʽarot nikhbadod ʽal haTora we-ha-miṣwot, Frankfurt a. M. 1840, 9; Abraham Ibn Esra, Jesod Mora. Grund lage der Gottesverehrung, oder Untersuchungen über das mosaische Gesetz und die Grundprinzipien der israel itischen Rel igion, in einer paraphrastischen Verdeutschung von M. Creizenach, Frankfurt a. M. 1840, 20 f.

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seiner Handhöhle die Gewässer, und maß aus mit der Spanne die Himmel, und fasste in ein Maß den Staub der Erde ( Jes 40,12).“ Und weiter : „Und die Sonne versank (dem Himmel entgegen), und die Erde besteht für immer, zu seinen Kreisen kehrt der Wind zurück (Koh 1,6), alle Flüsse gehen ins Meer (Koh 1,7).“ – Aus der Vermischung jener Elemente und ihrer Vermengung im unend lichen Wandel der Relation eines jeden zueinander entstehen a lle niederen Wesen. Doch die Vermischung und die Vermengung entstehen durch die Bewegungen unter den Sphären, die die Elemente mittels unterschied l icher und wechselnder Bewegungen aufrechterha lten. Sie können nicht ohne Wandel existieren, wie die Bewegungen der Sphären in ihrem Wesen. – Bis hier von der A rt und A nordnung der drei Welten, a llerdings muss man sich nun noch mit den K räften und A ktivitäten der Wesenheiten, welche aus ihnen emanieren, befassen. 4. Das Geheimnis Gottes und der oberen Welt

Wir erkannten, dass die Tora und nach ihr auch die Prophetie und jüdische Weisheit befieh lt und verheißt in der Forderung Gottes, er sei gepriesen, in Erkenntnis und A nerkenntnis sowie Kenntnis seiner Wege : So sollst du heute erkennen und zu Herzen nehmen, dass der Ewige der Gott ist in den Himmeln oben und auf  | Erden hier unten, keiner sonst (Dtn 4,39). Und der Herr, dein Gott, wird beschneiden dein Herz (Dtn 30,6). Und du, Salomo, mein Sohn, erkenne den Gott deines Vaters und diene ihm. Denn alle Herzen erforscht der Herr (1 Chr 28,9). Sondern des rühme sich, wer sich rühmen mag; einzusehen und mich zu erkennen, dass ich, der Herr, Liebe, Recht und Gerechtigkeit übe auf Erden, dass ich daran Wohlgefallen habe, ist der Spruch des Herrn ( Jer 9,23); und die Erkenntnis Gottes mehr als Brandopfer (Hos 6,6); wirst erlangen Erkenntnis seiner Wege (vgl. Spr 2,5) – und Verse wie diese sind zu zah l reich, um sie a lle aufzuäh len, denn ihnen können wir entnehmen, dass es im Menschen eine K raft gibt, um seinen Gott und seine Wege zu erkennen. Doch gibt es Erkenntnis nur durch Fassungskraft. Das Geistige wird aber nicht durch das Auge oder das akustisch wahrnehmende Ohr erfasst, und deswegen wird der absichtsvolle Ver-

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stand nicht durch die Sinneswahrnehmung oder durch die Vorstellung, sondern durch den Verstand und die Einsicht erlangt; es gibt da nichts Drittes. Die Erkenntnis des Verstandes aber ist die Weisheit, wenn dem aber so ist, dann sei uns das Dasein Weisheit der Erkenntnis Gottes, auf dass die Tora in ihrer Auslegung geboten sei und verheiße, zu ihr zu gelangen. – Auch die Rabbinen, seligen A ngedenkens, übertrieben hinsicht lich der Stellung einiger Ḥasidim, in ihren Namen, mit denen sie sich vor ihrem Schöpfer fromm machten, a ls sie sich Gott nähern wollten und es ihnen vergönnt war, auf der Scheidewand zu seiner shekhina zu stehen, die merkava zu schauen und die Maße seines Körpers [ shiʽur qoma ] zu erkennen. Doch worauf meine Rede zielt, das sind jene Symbole und Allegorien; siehe, sie sprachen mit Hilfe [ solche Symbole ] über ihre Wahrnehmung Gottes und die Erkenntnis seiner Wege. Doch sie benutzten sie nur so weit, wie es in ihrer Möglichkeit stand. Weil es aber nicht mög lich war, solche Wahrnehmungen auf sinnl iche Weise zu machen, durch Betrachtung mit dem Auge oder mittels eines groben Vergleichs, konnten sie darüber auch nicht sprechen, es sei denn in Verwirrung oder Verrücktheit – siehe, so haben auch sie die Absicht, irgendetwas zu verstehen und irgendetwas geistig zu durchschauen, dabei nach oben schreitend, vom Sinneseindruck zur Vorstellung. Und das Problem [ der Erkenntnis ] wird dadurch Gegenstand von Wissenschaft und Theologie; doch dem Zeugnis der Rabbinen zufolge ist es möglich und wert, zu ihr zu gelangen. Dem widerspricht absolut, was heute Konsens und unter fast a llen akzeptiert ist, dass näm lich dem Menschen keine K raft zur Erkenntnis des Geistigen zur Verfügung steht. Und wir werden darüber sprechen, dass nicht nur jene Menschen in der Welt, die sich vermehrt mit der Sinnlichkeit beschäftigen, sondern dass sich auch die weisen Tora-Verehrer darüber lange ausgebreitet haben und in ihren Predigten kritisierten und sie verkündeten, dass a ll ihre A ktivitäten und Bemühungen bei der Suche nach Gott und seiner Erkenntnis leer ausgehen : Was dir seltsam vorkommt, dass darfst du nicht erforschen !; Du sollst dich nicht mit den Mysterien befassen !; mit dem Zweck des Ganzen, auf dass wir erkennen,

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dass wir ihn nicht kennen – und ähn liche Ratsch läge mehr. Doch werden sie ihre Belege dafür ebenso aus den Ha lakhot „eyn dorshin“ [ m Hag 2 ] vorbringen, aus einer Mishna a lso, die zur Verwarnung der Schü lermassen [ u nd im Hinblick auf die Lehre ] in der Öffentlichkeit gelehrt wurde. Auch ist es leicht zu entscheiden, ob eine Erk lärung oder Begründung erkennen lässt, wer bereits in die Tiefe der Weisheit vorgedrungen ist (was uns am geeigneten Ort erk lärt werden wird). – Doch siehe, es stimmt mit den Worten der erwähnten Gegner überein, dass der Nutzen der Erkenntnis nicht nur für den Weisen unter den Narren besteht, für denjenigen, der sich a ll seine Tage mit leeren Belangen von Frauen und K indern befasst, sondern dass er auch jenen Menschen unter den Lebenden erreichbar ist, deren A nteil noch übler und schreck licher ist a ls jenes leere Begehren, demzufolge es keine Hoff nung auf seine Erlangung für den Menschen gibt. Da dies eine k lare Wahrheit ist, dass du die gesprochene Sprache nicht leugnen kannst, so ist ebenso in der Wurzel unserer Rea lität das große Begehren eingepf lanzt, unsere nefesh und unseren Schöpfer zu erkennen und die Grund lage der Wurzel a lles Seienden in ihrer Wahrheit zu verstehen. – Doch andere sagen, dass es uns genügen sollte, Gott und seine Wege zu erkennen, das, wodurch sein Geheimnis in seiner Tora und in den Worten der Propheten, seiner Diener, offenbart wird; und jene würden durch den Glauben erworben, und sie bedürften keiner Nachforschung und A na lyse. Auch wir folgen ihren Prolegomena, doch nicht hinsicht lich der Sch lussfolgerung, die sie daraus gezogen haben. Dies aber, da das Ende jener erwähnten Selbstoffenbarung durch in der Sprache vorgegebene Redensarten und Worte geschieht, die dem Auge gefa llen und gern gehört werden, [ u nd zwar ] von einem Einzel nen, der Gemeinde und auch vom gesamten Vol k. Die A ngelegenheit und der Inha lt jener Offenbarung ist jedoch nicht nur durch die Sinne, mittels Auge und Ohr erfassbar, sondern er ist auch dem Herzen und mit rechter Rede auch der Seele verständ lich und erkennbar. Oder genauer : im reinen Geistigen, welches der Verstand und die Erkenntnis ist. Siehe, auf jeden Fa ll ist die Notwendigkeit zur Erforschung und A na lyse dessen, was die Tora und die Propheten offenbarten,

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groß, um [ ihre Worte ] zu verstehen und sie mit unserem Herzen, unserer nefesh und unserem Verstand zu einem Ausgleich zu bringen. Doch a lle, die sich mit der Tora befassen, werden anerkennen, dass dem innigen Glauben [ ‫ ] אמונת הלב‬das Lesen der Tora nicht ge315 nügt, sondern dass dazu auch | das rationa le Denken und logische Verstehen gehören. Doch mit der Rückkehr aus der Verbannung wandten sie sich ihrem Herzen zu, befassten sich mit der Tora und verlasen sie in der Öffentlichkeit, sodass dazu passend geschrieben steht : Denn am zweiten Tag versammelten sie sich vor Esra, um sich in den Worten der Tora zu bilden (Neh 8,13). Wie es immer deine Seele begehrt, magst du Fleisch essen (Dtn 12,20). Denn die Erkenntnis erfolgte nur aufgrund der Gesetze und aufgrund tora-gemäßer A nweisungen, nicht aber aufgrund der Erkenntnis des Glaubens an Gott und seiner Beziehung zum Menschen insgesamt oder im Besonderen. Jeder, der es unternimmt, aus der Tora irgendeine religiöse Lehre zu entnehmen oder irgendeine Mora l, welche das Herz ausrichten und leiten soll, der versucht sie doch zu verstehen, ein jeder nach seiner Weise, sei es ein Gebildeter oder ein Studierender. Und dieses umfassende Verlangen zu verstehen hängt am und ist eingepf lanzt im Herzen, und es lässt niema ls von ihm ab, es sei denn zufä llig im Verlauf der Geschichte des Einzel nen oder der Nation, um dann jedoch am Ursprung der üblen Begebenheiten und im Zuge der Erneuerung der physischen K raft und Ausgeglichenheit zurückzukehren. Doch auf jede A rt und Weise, auf die es zurückkehrt, ist es angemessen und notwendig, dass sowoh l am A nfang a ls auch am Ende des Eifers die Erkenntnis Gottes und seiner Wege steht : Wahrl ich, du bist der Erste, und du bist der Letzte. Und so fanden wir sie in Wahrheit auch nach der Wiedererrichtung des Zweiten Tempels und darauf folgend; teilweise auch offenbart unter den hellenisierten Juden, und in größerer Verborgenheit bei den Frommen unter den Weisen im Lande Israel, wie es an vielen Stellen dieses Abschnittes erläutert und verständ lich wird. Dies wird uns an a llen Worten der Weisen von A nfang an bis zum Absch luss der hei ligen Schriften deut lich, etwa an den Sätzen : „auf drei Dingen [ r uht die Welt ]“ usw.; „seid nicht wie Sk laven“ (m Av 1,18 u. ö.) – [ a ll ] dies weist auf eine erhabene Stufe

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der Erkenntnis Gottes und seiner Wege hin, ebenso auf das Verständnis der Tora und ihre rationa le Interpretation. Gegen Ende der Zeit des Zweiten Tempels und nach seinem Untergang wurde dann die Lehre des Rabban Yoḥanan ben Zakkai und seiner Schüler verbreitet, ebenso die Lehre von den Vieren, die in den pardes eintraten. Wenn wir uns jedoch weiter mit der Sache auseinandersetzen, wird sich uns sofort und g leich zu A nfang zeigen, dass die Erkenntnis Gottes und das Verständnis für Theologie dennoch tiefe und sehr schwierige Probleme darstellen, zu denen nur wenige auf angemessene Weise gelangen, sodass es a llein schon deswegen angemessen wäre, sie zu ignorieren, wie geschrieben steht : Die Ehre Gottes ist, die Dinge verbergen (Spr 25,2). Wenn dem aber so ist, bezeugt dies die Notwendigkeit und den großen Nutzen dieser [ Erkenntnis umso mehr ]. Wenn wir es weiter wenden und es von einer anderen Seite betrachten, näm lich dass dies nach dem, was wir zuvor andeuteten, Ausdruck der geistigen Fassungskraft ist, so gelangt man zu Begriffen, die man auf stärkere und innerlichere Weise einsch ließt, a ls dies ein Sinn von den Sinnen vermochte. Doch das verstehende Geistige in uns, wie es uns nachvollziehbar ist, ist nicht unend lich – auf keinen Fa ll kann man auf irgendeine A rt verstehen, wie man bei etwas an die Grenze und das Ende der Auffassungsgabe des Verstandes gelangen kann, das selbst keine Grenze und kein Ende hat. Dieses Problem begegnet im Bezug auf die erste Erkenntnis wieder, wie es die erwähnten Gegner ausdrücken, und bekannt ist der a llegorische Satz : „Hätte ich ihn erkannt, so wäre ich [ mit ] ihm“.1 Auch Schriftverse deuten darauf hin : Wer steigt den Himmel hinan (Spr 30,4) ?; Gott kennt den Weg zu dir (Ijob 28,23); und wo ist die Stätte der Erkenntnis (Ijob 28,12) ? Was jedoch dagegen spricht, ist nicht nur die große Begierde der Erkenntnis, welche in uns eingepf lanzt ist, sondern auch die Abnutzung und der Mangel, der a lles Wissen für nichts und nichtig erachtet. Und es finden sich Schriftverse und Gebote, die darauf hindeuten und 1 Vg l.

etwa Yosef A lbo, Sefer ha-ʽIqqarim, ʽim bi’ur ṭov we-yafe … me-ha-Rav Gedalya Zalman Livshiṣ, Pressburg 1853, 109a.

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den Weg weisen, um zu ihr zu gelangen : Dem Herrn, eurem Gott, folget nach; ihm hanget an (Dtn 13,5), hänge seinen Attributen [ middot ] an. Wenn ihr ihn suchet, wirst du fi nden (vgl. 2 Chr 16,2). Zu zählen alle Deine Werke (Ps 73,28). „Ich soll einhergehen in deiner Wahrheit.“ Ich aber schaue durch Frömmigkeit dein Antlitz (Ps 17,15); Süßigkeit in deiner Rechten immerdar (Ps 16,11). Und viele ähn liche mehr, in der Bibel und in den Aussprüchen der Rabbinen, seligen A ngedenkens. Doch beachte, dass offenbar beide Verse a ls Beleg für den Verstand, die Weisung der Tora und für den hei ligen Geist dienen konnten. Wir sehen a lso, dass es für uns, solange wir noch außerha lb der Auslegung selbst stehen, keine Möglichkeit gibt, dem Widerspruch, Paradox und den Warnungen vor g leichermaßen widersprechenden und zustimmenden Behauptungen entkommen zu können. Doch nach einem inneha ltenden genauen Betrachten der gött lichen Worte der Weisen und a ll ihrer theologischen Systeme, und nach der richtigen Erwägung, wie sie vorgingen und wie sie die Ana lyse vertieften, was sie dem Netz ihrer Auslegungen entnahmen, erst dann besteht Hoff nung, das Geheimnis Gottes auch in dieser Pforte zu erheben, d. h., was zu seiner Weisheit und Gnade 316 für die zur | Schöpfung Bestimmten treibt, und inwieweit ihnen die Erkenntnis seiner Herrlichkeit und Wahrheit vermacht und verliehen wurde. Entsprechend der Vorgehensweise des Weisen in der Theologie führt er ein großes Vorwort an, um das Problem zu lösen und den erwähnten Widerspruch zu beseitigen, und daher sahen wir uns veran lasst, jene Worte voranzustellen, bevor wir die Geheimnisse Gottes, er sei erhaben, erläutern. Die Hil fe dafür kommt aber a llein von ihm, denn der Herr ist derjenige, der Weisheit aus seinem Munde der Erkenntnis und der Einsicht verleiht. – In der Parasha Shemot ([ Ex ] 3,2) sagt der Gelehrte [ Ibn Ezra ] :1 „Schöpfer Himmels und Erden (Ps 121,2), denn Gott [ schöpft ] beständig und lässt sie [ sc. Himmel und Erden ] vergleichbar dem Laut, der vom Mund des Menschen hervorgeht, bestehen.“ Dies stimmt mit dem überein, was der Ramban, seligen A ngedenkens, [ zu Gen 2,7 ] 1 Vg l.

Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentar zu Exodus I, 65 f.

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auslegte : „Der große Geist Gottes, aus seinem Munde verleiht er Erkenntnis (vgl. Spr 2,6) und Einsicht. Denn derjenige, der in eine andere Nase einbläst, der gibt etwas von seiner neshama in ihn.“1 Doch beachte, dass auch dies ein Gleichnis und eine Ana logie ist, um die Zuhörer verständig zu machen, wie a lles Seiende an dem Schöpfer des Anfangs hängt. In Wahrheit haben wir jedoch bereits erk lärt, wie das absolute, unend liche geistige Wesen durch sich selbst an eine Grenze stößt, sodass es unterschied lich abgestufte geistige Wesen werden, entsprechend dem Verhä ltnis des Geistigen in ihnen. Auch die Weisheit Gottes, er sei gepriesen, existiert in dieser Form, eine Form, die a lles schaff t und umfasst, was existiert (denn a lles ist im Grunde und nach seinem tieferen Sinn geistiges Wesen), ohne eine andere Sache, außer Gott, er sei gepriesen, auf dass es vor ihm sei wie Materie, aus der er erschaff t, a llerdings solche, die ä lter ist a ls a lles andere; A nfang und Vollendung a lles Existenten. – Er stellt im Kommentar zu dem Vers Der Herr hat mich geeignet als den Erstling seines Weges (Spr 8,22) fest : „Die Weisheit […] ist der Erstling seiner kawwana [ Intention ] im Verlaufe der Schöpfung […], [ d. h. sie existierte, ] bevor er tätig wurde […], und die Begründung dafür ist, dass sie der Welt voranging, so wie die der unmittelbaren Folge voranging; doch nicht der Zeit, denn sie geht auf die Gesamtheit der Schöpfung zurück, wie in der Erk lärung für den Vers : Mit Weisheit hat der Herr die Erde gegründet (Spr 3,19).“ Dies bedeutet, dass so, wie wir nicht die Wahrheit der Verstandesbegriffe und der Formen des Intellekts mit dem Gedanken der Zeit verbinden können, wie wir es bereits in der Vorstellung erläutert haben, so kann man auch nicht in der oberen geistigen Welt Zeit denken, a lso wann etwas entstand und wie lange es dauerte, denn dies gehört hier überhaupt nicht hin. Die Voranstellung des Gesagten steht hier nur im Dienste der logischen A rgumentation und Reihenfolge, so wie die Zahl Fünf der Zahl Sechs vorangeht, und die Eins a llen anderen. Oder das Bild des Dreiecks den übrigen geo1 Vg l. Perushe ha-Tora le-R abbenu Moshe ben Maimon, hg. v. Chavel, II 3;

Ramban (Nachmanides) Commentary on the Torah, hg. v. Chavel, I 66. Siehe auch Zohar I 49a.

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metrischen Formen, die aus ihm abgeleitet werden. Ebenso bei den Begrenzungen des geistigen Wesens, die in der oberen Welt mittels einer geistigen Nachstellung später a ls Gott, er sei gepriesen, erscheinen; deren Wahrheit nur gedacht werden kann, wenn sie einen A nfang und ein Ende besitzen, Götter der Vorzeit, aus denen sie entstammen, d. h. aus dem unend lichen Wesen, welches durch keine Form begrenzt wird und über das noch kein Wort gesprochen wurde. Denn a lle seine Attribute deuten auf eine Begrenzung, eine Einheit und ein oppositum hin. Es heißt [ hier ], dass „die Weisheit gründet“, d. h., sie ist die erste Form, mit der sie formt, und in ihrer Wahrheit enthä lt sie die übrigen Formen, sodass sie insofern bereits eine Begrenzung darstellt. Doch auch wenn sie sich am Ende mit ihrem Wesen vereint, geht sie ihrer A ktua lisierung voran, der frühesten ihrer A ktivitäten, aus denen durch weitere spezifischere Begrenzungen a lles entsteht. Doch dies ist die erste Begrenzung in ihr, durch sie wird das unend liche Wesen begrenzt, und das Unbegrenzte wird zur Grenze und ersten Form. Der Weise [ Ibn Ezra ] nennt sie an vielen Stellen üblicherweise „die Ur-Weisheit“ [ ‫] החכמה הקדומה‬, durch die a lles aus ‚ohne etwas‘ [ ‫] בלי מה‬ geschaffen.“1 Und durch meine Worte wird dies k larer verständlich. Hinsichtlich der Bezeichnung „bina“ [ ‫ ] בינה‬sagt er, dass sie aus der Wurzel ‫ בין‬abgeleitet ist, um so zwischen [ ‫ ] בי ן‬einzelnen Wörtern unterscheiden zu können. Dies bedeutet aber nichts anderes a ls das Verstehen einer Begrenzungsangelegenheit und einer Vereinung oder eines Wechsels bei einer Sache, die bereits begrenzt ist und in der bereits das geistige Wesen in der oberen Welt vereint ist. Dies ist die Tiefe der Absicht in den Worten des Weisen [ Ibn Ezra ] in seinem Kommentar zu dem Vers Ich bin die Einsicht (Spr 8,14) : „Und er sprach ich bin Einsicht (ebd.), doch sagte er nicht ‚mir ist Einsicht‘. Denn eine Sache ist stets außerha lb der Weisheit, der Beginn der Begrenzungen des ‚ohne etwas‘ [ ‫] בלי מה‬.“ Und in seinem Kommentar zu dem Vers aus dem Buch der Sprüche der Anfang der Weis1 Zu diesem Terminus und der irrtüm l ichen Zuschreibung des Satzes an

Ibn Ezra vg l. G. Scholem, Ursprung und A nfänge der K abba la, Neuauf lage mit einem Vorwort von J. Dan, Berl in/New York 2002, 280 A nm. 219.

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heit ist die Furcht vor dem Herrn, und Kunde des Heiligen ist Einsicht [ bina ] (Spr 9,10) : „Kunde des Heiligen meint das umfassende Verständnis der unterschied lichen intellektuellen geistigen Rea litäten. Denn die Erkenntnis ihrer Rea litäten ist die Hauptaufgabe der Einsicht [ bina ]. Von ihr gelangt man zur obersten Stufe, und so wie es heißt, dass dort, wo es keine Furcht gibt, es auch keine Weisheit gibt, so gibt es Erkenntnis auch nicht ohne Einsicht.“ Damit meint er, dass die hier erwähnte Weisheit die Weisheit des Menschen meint, die ihn befähigt, Gott, den Erhabenen, zu erkennen. Und indem er über a llem Ersten und Letzten steht, besitzt er die Wahrheit des Seins und der Existenz. Dazu meint er aber im Kommentar zu dem Vers hat ihre sieben Säulen ausgehauen (Spr 9,1) : „Die Säu len meinen die sieben Weisheiten, auf denen das Haus der Weisheit (die Göttlichkeit) | ruht.“ Dies ist aber die Weisheit, die der Grund für 317 a lles ist. Sie selbst ist die Furcht vor dem Herrn, dem Erhabenen, und dies meint er auch zu dem Satz, wenn es keine Furcht gibt, gibt es auch keine Weisheit. Und zu der Bezeichnung „bina“ legt der Weise [ Ibn Ezra ] noch Folgendes dar : „Um zwischen [ ‫ ] בי ן‬einer Sache und einer anderen zu unterscheiden.“ Und dies ist die Erkenntnis der Begrenzung, der Einheit sowie des Wechsels zu einem geistigen Wesen, welches unend lich und unbegrenzt ist. Die Kunde ist aber nichts anderes a ls die Kenntnis und A nerkenntnis, wie die geistigen und intellektuellen Wesen und die begrenzten und spezifischen neshamot. Er bezeichnet dies mit einem Namen im Kommentar zu den Sprüchen, zu dem Vers : Kunde sinnreicher Gedanken finde ich (Spr 8,12) : „Da die Kunde dasjenige ist, welches hinter der Weisheit und der bina steht, sagte er finde ich“. Und in einem Kommentar [ über den Tora-Abschnitt ] Tissa [ f ührt er im Hinblick auf ] Beza lel [ aus ] : „Die Weisheit umfasst die Formen, welche sich in den hinteren Schatzkammern des Gehirns verbergen. Das Wort ‫תבונה‬ bedeutet so viel wie ‫ [ בינה‬bina ] und leitet sich auch von der Wurzel ‫ בין‬ab (Ex 31,3). Es bezeichnet die Form, die zwischen dem Wort ‫דעת‬ und ‫ חכמה‬steht, auf der Mittelöff nung im Gehirn des Kopfes, denn die Weisheit steht der letzten Öff nung gegenüber, und die Kunde verbindet sich mit den Öff nungen des Gehirns auf der Stirnseite. Die bina befindet sich hinter dem mitt leren Loch, welches sich im

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Kopf befindet“ [ z u Jes 44,18 ]. Doch im Kommentar zu gedenke des Shabbat-Tages [ es muss eigent lich heißen : Und Gott sprach (Ex 20,1) : ] „Wisse, dass sich auf der Rückseite des Kopfes das Erinnerungsvermögen befindet und der Ort, in dem die Formen bewahrt werden, folglich die umfassende Erinnerungsbewahrung.“ – A ll demzufolge umfasst die Weisheit des Menschen das Vermögen zur Begriffsbildung, Gedanken- und Formenentwick lung sowie das Vermögen, Vorstellungen auszubi lden (Begriffe, Ideen [ ‫ בעגריפפע‬, ‫)] אידעען‬. Die K raft der Vorstellung beruht auf dem abstrakten und differenzierenden A na logiesch luss und darauf, dass man Formen erkennt (Verstand, Ref lexion, Vernunft [ ‫פערשטאנד‬, ‫רעפלעקסיאן‬, ‫)] פערנונפט‬. Die K raft der Erkenntnis liegt in der ersten Formbildung durch den Intellekt oder in der abstrakten Formengebung (sinn liche Vorstellungen [ ‫)] זיננליכע פארשטעללונגע ן‬.1 – Der Weise [ Ibn Ezra ] legte die gesamte Parasha nach dieser Methode aus, in dem er meinte, dass jedes Prinzip und jeder Vorsatz und jedes Wort von jeher durch die Weisheit vorgegeben ist, in der es zum erstem Ma l in seiner Begrenzung gegeben ist. Daraus folgt dann auch der Vorrang des Positiven, nicht des Zeitlichen. Ebenso zu dem Vers als sich türmten die Quellen der Tiefe (Spr 8,28); und ebenso auch hinsicht lich des Wortes ‫ בטרם‬, ‫לפני‬, ‫עד לא‬, ‫ראש‬. Doch legte er von hier ab auch den Vers aus : Als er den Himmel bereitete (Spr 8,27) usw. hinsichtlich dieser niederen Welt, welche in der Zeit geschaffen wurde. Dazu sagte er : „Das bet findet sich in ‫ בהכינו‬, ‫ בחוקו‬, ‫בשמו‬, ‫ בעזוז‬, ‫ באמצו‬, a ll [ d iese Formen ] beziehen sich auf Zeitliches.“ Denn sie beziehen sich auf die niedere Welt, die in der Zeit geschaffen wurde. Man könnte dann aber über die Weisheit sagen, dass sie dama ls zu finden war und dass ihr keine Geschöpfe vorangingen und Taten, die darin erwähnt werden. – Außerdem legte er den Satz „ich werde für euch ein Pf legling [ ‫ ] אומן‬sein“ (Spr 8,30) [ BerR 1,1 (1) ] folgendermaßen aus : „Von dem Ausdruck so wie die Hebamme das K leinkind hegt“ [ z u Spr 8,30 ]. Das Wort „oman“ [ ‫ ] אומן‬bezeichnet das, was geschieht (Erziehung [ ‫)] ערציעהונ ג‬, und diese geschieht wie durch einen Künstler. Zu dem zweiten Abschnitt des Verses, der da lautet, da 1 Vg l.

Kant, K ritik der reinen Vernunft, 232 und 426 f.

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war sein Ergötzen Tag für Tag (Spr 8,30), sagt er : „Dies ist möglicherweise so auszu legen : und nachher werde ich derjenige sein, den sie zum Ergötzen machen, und nicht in dem sie ihn zu einem Künstler machen.“ Weiter sagt er : „Man könnte es auch so verstehen, a ls ob ein bet feh lte, und dies bedeutete dann : während des Ergötzens Tag für Tag, d. h. zu a llen Zeiten.“ Dies stützt sich aber auf den dritten Teil des Verses, spielend vor ihm zu aller Zeit (Spr 8,30). In der Erk lärung zu dem Vers danach, spielend auf seinem Erdball, und habe mein Ergötzen mit den Menschenkindern (Spr 8,31) : „Man könnte ihn so auslegen, dass dieser Vers das oben Gesagte auslegt. Er sagte : Spielend auf seinem Erdball, welches sich auf sein Land bezieht (dies ist es); er legte spielend aus, vor sich selbst zu jeder Zeit. Habe mein Ergötzen mit den Menschenkindern legte er [ folgendermaßen ] aus : ich werde derjenige sein, der sie Tag für Tag ergötzt.“ Doch zu dem Wort Menschenkinder erläutert er : „Wie mit den Menschenkindern, denn sie sind es, die aufnehmen, und [ dieses Wort ] ist es, das tei lhaben lässt und dessen Ergötzen | in beiden g leich ist.“ – Die Ab- 318 sicht des Weisen [ Ibn Ezra ] mit diesen seinen Worten ist, dass sich durch das, womit sich Gott, er sei gepriesen, in seiner Weisheit selbst denkt, die erste frühe unend liche Begrenzung bildet, welche sich noch in seiner Geborgenheit in ihm befunden hat.1 Dies bezieht sich nicht etwa auf die Zeit, die überhaupt nicht an diesen Ort gehört, an dem wir stehen. Vielmehr geht es darum, dass es keinen Weg gibt, die Wahrheit a ll dieser drei Weltstufen zu erfassen, es sei denn, wir erkennen die in ihrer Geistigkeit unbegrenzte Substanz. Allerdings bei diesem Aufweis des Unend lichen im Absoluten kann man nicht irgendetwas in ihm oder von ihm bedenken, sagen und ersinnen, da es ein „ohne etwas“ [ ‫ ] בלי מה‬ist. Doch durch die A ktivität des ersten Geistigen (und schon gingen wir aus der Umzäunung des Unend lichen im Absoluten hinaus, ohne irgendeine Begrenzung und Form), näm lich durch das Bedenken seines unendlichen Wesens, entstand das erste Begrenzte, die Potenz des Seins aus dem „ohne etwas“ [ ‫] בלי מה‬. Und dazu sagte der Weise [ Ibn 1 Vg l .

464 f.

hierzu die Tei lübersetzung von Grözinger, Jüdisches Denken III,

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Ezra ], dass sie mit ihr in der Erziehung und nicht im Ergötzen war, eine Umschreibung für die übrigen geistigen Wesen, wenn sie in das offenbare Sein übergehen. Das heißt, dass das geistige Wesen immer weiter eingegrenzt wird. Da ihr Wesen aber die Weisheit ist, welche selbst das Wesen des Unbegrenzten ist, gehen a lle Begrenzungen an ihm vorüber und kehren zu ihrer Quelle zurück – siehe, diese ewig andauernde Tätigkeit der Weisheit nennt er ihre Ergötzung und ihr Spiel. Und dies war seine Absicht, dass sie Übung waren, und nachher wurde sie zu einem Spiel in der mittleren Welt und Ergötzen in der niederen Welt, d. h. im Menschen, der der Grund ihres Grundes ist. Doch da das Wesen nur in ihm offenbart wird und in ihm zu seinem [ sc. des Wesens ] Ursprung, welcher die Weisheit ist, zurückkehrt, und a lles außer dieser Begrenzung vorübergeht und das Wesen voraussieht, daher sagte er, dass die Ergötzungen sich nur in ihr fi nden. – Doch kehren wir dazu zurück, das System des Weisen [ Ibn Ezra ] in Bezug auf die obere Welt zu vervollständigen. Er nimmt a ls festgegründeten Grundsatz an, dass das Geheimnis a lles Seins eine geistige und intelligible Substanz ist, welche voll kommen neu aus dem geistigen intelligiblen Wesen des Unend lichen, welches ä lter ist a ls es selbst, hervorgegangen ist. Das A lter und die geistige Erneuerung ereigneten sich demnach nicht in der Zeit. Ebenso sagt er (im ersten Kapitel des [ Sefer ] Sha‛ar [ ha-]Shamayim) : „Die Absicht dieses Kapitels ist es, zu erk lären, dass a lle jene A ngelegenheiten (spätere, welche ihm dort einfa llen), was von ihrer einfachen Bedeutung ein leuchtet, sich widersprechen; sogar der Urstoff dieses Mysteriums, will sagen : die Neuschaff ung der Welt, die durch den freien Willen geschaffen wurde, welchen wir darstellen und auslegen müssen usw.“1 Er sagt dort weiter : Wir haben bereits daran erinnert, dass diese obere Welt mit dem kinnui „Tora“ versehen worden ist, und dies, weil sie voll kommen geistig abstrakt ist, nicht etwa Werk und Tat, die bereits eine Gesta lt angenommen haben. Allerdings wurden auch die zehn Begrenzungen der oberen Welt durch den Willen erschaffen, entsprechend dem, was seine Weisheit gebietet, und 1 Vg l.

Kerem ḥemed 4, 8.

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dies ist, was von ihm abstrakter Wille [ ‫ ] חפץ פשו ט‬genannt wird. Und dieser Wille a llein ist die Weisheit, das Prinzip von a llem. Dafür führt er ein Diktum des Rabbi Eliʽezer in seinem Kapitel an : „Bevor die Welt geschaffen war, gab es nur den Heiligen, gepriesen sei er, und seinen Namen a llein (PRE 3 [ 5b ]).“ Dazu sagt er : „Dies ist wahr und richtig.“1 Des Weiteren bemerkt er zu dem Diktum (bPes 54a) „sieben Dinge wurden vor der Schöpfung erschaffen“, dass es nicht sein kann, dass sich dies auf eine Rede [ Gottes ] vor der Vorzeit bezieht, und [ ebenso ] fi ndet sich die A nweisung für den Tempel an ihrer Stelle. Denn fänden sich die Zeit und der Raum vor der Welt erschaffen [ , oder mit seinen Worten : ] „und fa lls Zeit und Ort [ bereits ] existent gefunden würden, existierte dann [ nicht ] auch die Welt ? “2 Auch wenn wir sagten, dass dies ein Gleichnis vom Tempel wäre und sich auf die Vorvorzeiten bezöge, so fügte der Weise [ Ibn Ezra ] dennoch hinzu : „Und trotzdem besteht ein Problem an dieser Stelle, dass auch dies nur ein Zweig von den Zweigen ist, die die Urewigkeit a ls notwendig erscheinen lassen.“ Was so viel bedeutet wie, dass wenn man sagte, dass viele Worte, und unter ihnen auch solche elementaren Charakters, hinsichtlich [ ihrer ] Bedeutung der Rea lität der Welt vorangingen, so wären sie Gott, er sei erhaben, g leichgestellt, und er würde sie nach der A rt der ‫סממנים‬, welche man im Midrash verwendet, vorfi nden. Doch die Hauptsache ist, dass Gott demnach ä lter a ls jegliche Rea lität ist und dass jedes Wesen nach dem Willen seiner Weisheit, er sei erhaben, nur von ihm ausgeht. Deswegen erk lärt der Weise dort auch, dass ihm hinsicht lich dieser Erläuterung dieser Verwirrung durch den Midrash des Rabbi Tanḥuma in Bereshit Rabba geholfen worden ist, demzufolge nur die Tora vor der Schöpfung der Welt geschaffen worden ist (womit er die mitt lere und niedere Welt meinte), „und der Rest wurde im Denken geschaffen“ [ vgl. BerR 1,4 (6) ] (was bedeutet, sie waren das eigent liche Ziel der Schöpfung, und der Gedanke an das Ziel ging der Schöpfung voran). Er zitiert dort noch einen weiteren Spruch des Rabbi Abba, dass die Tora dem 1 Ebd. 2 Ebd.

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Thron der Herrlichkeit [ Gottes ] voranging, wie geschrieben steht : Der Herr hat mich geeignet als der Erstling seines Weges (Spr 8,22), und dies ist bereits | erläutert worden. Er sagt dort weiter : „Und derjenige, der das Gegenteil von diesem behauptet, vernichtet und zerstört die Grund lagen der Tora, und schneidet die Wurzeln ab (dies bedeutet, dass es nicht a lles Seiende zu einer Wurzel eint und zu Vielem schaff t,)1 und hierdurch schneidet er die Wurzeln eine von der anderen ab, und er differenziert zwischen ihnen und reißt die Prinzipien unseres Glaubens aus und verursacht zah lreiche Zweifel hinsichtlich der Neuschaff ung der Welt (was Gott hinsichtlich des A nfanges der Wahrheit a ller Dinge nicht beabsichtigt und was auch hinsicht lich dessen, was er in seinem Munde sagt, nichts nützt, dass es [ näm lich ] Neuschaff ungen des Seins aus dem Nichts gibt. Und wenn sie ihnen Glauben schenken, stehen sie für sich selbst, sodass er ihrer Strenge und ihrem Wesen glaubt, welche a ls Zeuge und Zeugnis gelten; und dies ist die Meinung der Vorfahren), und er meint bezüg lich des Schöpfers, er sei gepriesen, er irre“2 (wonach derjenige auch hinsicht lich der Erkenntnis der Göttlichkeit Gottes und seiner Wahrheit irrt). Zusammenfassend gesagt meint der Weise [ Ibn Ezra ], dass man keinen A nfang voraussetzen dürfe, es sei denn Gott und den Willen seiner Weisheit, die erste Begrenzung. Dazu bemerkt er : „Offenbar und bekannt ist es unter den an unsere Tora mit vollständigem Glauben Glaubenden, dass die Welt zu ihrer Gänze (in a ll ihren drei Teilen) mit einem Wort geschaffen wurde.“ Auch sagte er : „Und ebenso die Zehn Worte, mit denen er die Welt erschaffen hat, in denen es ein anderes Geheimnis und eine andere Intention gibt, und sie meinen zehn Elevationen [ Stufen ], eine jede höher a ls die andere, denn die gesamte mittlere und niedere Welt wurden durch ihre Hilfsmittel geschaffen. Der Weise meint damit die ersten geistigen Wesen, welche in ihren Grenzen in Gott, er sei gepriesen, existieren, entsprechend seinem urewigen Willen, und sie stammen voll kommen aus der 1 Unk l ar

ist, ob hier eine K lammer zu ergänzen ist. In K rochma l, Writings, 319 feh lt eine sch ließende K lammer. 2 Kerem ḥemed 4, 7.

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oberen Welt; was demjenigen, was die frühen Kabba listen sagten, sehr nahesteht, dass die gesamte Welt die Emanation in zehn Sphären ist, welche die wahre Gottheit ist. Der Weise [ Ibn Ezra ] fügt dazu hinzu, indem er auf ein weiteres Diktum verweist : „Und so sagten sie : Mit zehn Worten wurde die Welt erschaffen, und in drei [ Welten ] wurde sie eingesch lossen, wie es heißt : Der Herr hat in seiner Weisheit die Erde gegründet, die Himmel befestigt mit Geist (Spr 3,19); durch seine Einsicht wurden die Tiefen gespalten (Spr 3,20). Siehe, ich erkenne in deinen Augen der Erkenntnis jener Geonim folgend, dass die drei logischerweise masku lines Geschlecht besitzt und dass die Zehn nach der Art der Eins gebildet ist. Und verstehe dies gut.“1 Der Weise meint damit, dass sich in den Worten der Rabbinen, seligen A ngedenkens, k lar [ ausgedrückt ] fi ndet, dass die Welt mittels eines Wortes geschaffen wurde, und dieses bi ldete die erste Begrenzung, den Anfang von Allem, sodass durch dies jede Zehn eine Begrenzung des geistigen Wesens ist, vom Unend lichen zum End lichen. Und a lle zusammen bi ldeten den Anfang und die Vorgeschichte a ller Wesen, die nachher hinsicht lich ihrer Begrenzung keine Zah l kennen. Des Weiteren wird diese A ngelegenheit dadurch erk lärt, wenn wir an das Geheimnis der Weisheit der Zahlen rühren, welches sich auch im System des Weisen [ Ibn Ezra ] findet. – Der Weise erk lärt dabei auch den Satz, dass die Tora der Schaffung der Welt zweitausend Jahre vorangeht, und er sagte : „ Denn dies ist ein sehr tiefes Geheimnis,“ und indem er sagt, „zweitausend“, d. h. zwei ma l tausend (was so viel bedeutet wie, dass die obere, geistige Welt der niederen Welt zwei Stufen vorausgeht); und so sagt er [ zu dem Vers ] die Wagen Gottes sind zwei Myriaden, tausende Engel [ ‫( ] שנאן‬Ps 68,18), dass das Geheimnis in der Summe der Worte und Buchstaben nach ihren Einzelheiten besteht (d. h., dass sich in ihnen zah lreiche A ndeutungen [ remazim ] fi nden : die Wagen Gottes meint die beiden Welten, die die merkava für Gott bilden, sie bestehen in ihm und stützen sich auf ihn; „zah lreiche“, dies meint die beiden Mengen, eine Umschreibung für die große Anzahl, denn die gesamte Welt ist groß in ihren Begrenzungen und 1 Kerem

ḥemed 4, 7.

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Details bis ins Unermessliche. Tausende Engel, darunter besch ließt der Weise das Geheimnis der Tausend, da er der Rav ist, der sich an die Eins hä lt und mit ihr verbunden wird, und dies wird in dem Werk Sod ha-mispar erläutert1). Der Beleg dafür ist der Vers : Da werde ich bei ihm ein Pf legling (Spr 8,30), und danach heißt es : und ich war sein Ergötzen Tag für Tag (ebd.), was so viel bedeutet wie : spielend vor ihm a lle Zeit.“2 Der Weise fügt dem hinzu : „Der wichtigste Beweis ist, dass es danach keinen Zweifel gibt (was bedeutet, dass sich jene Ergötzungen auf den Menschen in der niederen Welt beziehen, sodass er an den Oberen der Oberen auf den Stufen der zwei Tausend in dieser Welt für die einzelnen Momente beziehen und für die Kommende Welt in Ewigkeit. So wie wir es noch im Weiteren in dem Abschnitt Sod ha-Adam erläutern werden); dies ist, was er sagte : Spielend mit dem Erdkreis und habe mein Ergötzen an den Menschenkindern (Spr 8,31) (auch dies wurde bereits oben erläutert), sodass zwei Prozent von den Visionen [ ‫] חוזים‬, von den fünfzig [ ‫] חמשים‬ übrig bleiben.“3 (Dies scheint mir der Intention des Weisen in diesem rätselhaften Satz zu entsprechen, dass er mit Hilfe des Wortes ‫ חוזים‬auf die Gründe [ in ] der mitt leren Welt hindeutet, und zwar die Lichter, mit denen er die Visionen einführt; doch durch das Wort ‫ חמשים‬verweist er auf die Gematria für das Wort ‫ האדם‬oder ‫אדמה‬, deren Summe [ der Buchstabenzeichen ] demzufolge fünfzig ergibt. Er meint, | dass sich spielend mit dem Erdkreis (ebd.), welches sich auf seine Erde bezieht, und habe mein Ergötzen an den Menschenkindern (ebd.), auf die beiden Welten bezieht, Einheit und A nhaften am Oberen. Dies ist bei ihm jedoch ein Prinzip, welches noch erläutert werden wi ll, dass a lles zur Einheit zurückkehrt. Und dort meint er dazu : „Derjenige, welcher das Geheimnis der Tausend versteht, der wird auch verstehen, wie sie a lle anderen Zah len umfasst, die Paare und die Einzelzah len, bis am Ende a lle in die Rechnung eingesch lossen sind. Wer hören kann, möge hören; wer auf1 Vg l. M. Si lberberg, Sefer ha-Mispar. Ein arithmetisches Werk von Abra-

ham ibn Esra. Text der Ein leitung des A. ibn Esra mit deutscher Ein leitung und A nmerkungen, Ha lle-Wittenberg 1891. 2 Kerem ḥemed 4, 9. 3 Ebd.

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hören möchte, möge es lassen.“ Ebenso ist die Methode des Weisen, etwas mit einem Schriftvers, der ihm geeignet erscheint, zu beschließen, an einer Stelle, die auf etwas ihm Wichtiges hinweist, um es durch eine A ndeutung zu erk lären. – Er sagte weiter am Schluss der Erk lärung des Satzes, nach der die Tora der Schöpfung zweitausend Jahre vorangeht : „So musst du a lso verstehen, wesha lb man das Geheimnis der A ngelegenheit mittels des Wortes ‚Jahr‘ ausdrückte“ (es deutet darauf hin, dass die ganze Welt – zehn ist ja in die Eins eingesch lossen – ein Gleichnis und ein Abbild der oberen Welt ist, eine Form für die Welt, die ihr nachfolgt), und daher bezieht er in die Rechnung das Wort ‫ שנאן‬ein. Auch hinsichtlich dieses verborgenen Satzes scheint es, dass er auf eine Gematria hindeuten möchte, denn die Summe von ‫ שנאן‬ergibt die Zah l 401 [ ‫] ת״א‬, was die Buchstaben einsch ließt, die die Summe a ller Wesen und Existenzen in a llen Welten ergeben. – Damit sch ließt sich für uns die Erk lärung der Tiefe der Worte des Weisen [ Ibn Ezra ] hinsichtlich der oberen Welt. Wir kommen nun dazu, seine Worte hinsichtlich der mittleren Welt zu erk lären. Ich fand noch zwei weitere Sätze hinsicht lich Gottes, des Ehrenwerten, und auch wenn sie unvollständig durch die Hand des verstorbenen Rav überliefert sind, dachte ich mir, ihnen am Ende dieses Paragraphen eine Erinnerung zu verschaffen. [ Zunz ]

Wie die Kabba listen und a lle frühen Theologen beginnt der Weise [ Ibn Ezra ] entlang seiner Erkenntnis Gottes fortzuschreiten, die er von selbst nicht erlangen konnte, d. h., wenn wir den Begriff nehmen und das, was wir logischerweise vom Beginn des Denkens annehmen müssen, dass es die Begrenzung Gottes ist, so können wir über ihn dennoch keinerlei Attribut in der Welt festlegen, er bleibt ins Unend liche verborgen : Denn was sein wird, wird jedem Attribut, mit dem er beschrieben wird, entsprechen, auch wenn es nicht seinem Gesetz entspricht. So nach dem System des Weisen. Beachte, dass der Weise seine Interessen nach den Gesetzen verfolgt, die für das Erlangen des Ziels seiner Interessen geeignet sind. Daher geschieht das Werk [ ‫ ] המעש ה‬außer uns und ohne uns, und wir benötigen es; auch mittels der Gesetze, die sich in ihnen

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finden, gelangen wir zu unserem Ziel, sie stehen für sich selbst und sind von uns nicht abhängig, und wir sind ihnen unterworfen. Doch wie könnte man dies a lles von Gott sagen, dessen Begriff ä lter ist a ls jede andere Sache ? Ebenso bei der gevura, welche über den Verursacher obsiegt und welche die Fähigkeit besitzt, das ihm Feh lende zu erlangen, und ebenso die Lebewesen, deren A ngelegenheit die Glieder des Körpers sind  - - Doch man beachte, dass es in unserer Sprache für Gott, er sei gepriesen, einen Namen gibt, dem a lle vier Funktionen zu eigen sind, die oben erläutert wurden. Sie haben die Qua lität eines Eigennamens, und es handelt sich um den Namen der vier [ Buchstaben ], welcher von dem Weisen [ Ibn Ezra ] der ehrenwerte und furchtbare Name genannt wird. Und deswegen ist seine Grund lage das verborgene Wesen, welches für den Verstand und das Denken überhaupt nicht zu fassen ist, da er ä lter ist a ls jede Form und Begrenzung. Doch der Weise sagt im [ Kommentar zum ] Buche Exodus [ z u Ex 3,15 : ] „So steht auch das Wort ‫ אהיה‬für den ehrenwerten Namen aus vier Buchstaben, denn beides sind Eigennamen.“1 Und im Sefer ha-‛Aṣamim (Meqor Ḥayyim, Parashat Naso)2 sagt er, seligen A ngedenkens : „Der Name, er sei gepriesen, ist keine Sache, die für sich a llein steht, und er ist er selbst, und nichts umfasst diesen Raum, und dies erscheint dem Verstand nachvollziehbar. Doch was wir sagten, dass er die Form des differenzierenden Verstandes hat, welcher jenen Raum nicht umfasst, diese selbstverständ liche Einsicht wiegt in der Vorstellung schwer. Denn die K raft der Vorstellung vermag nichts, solange sie sich nicht im Verstand ausgebreitet hat, dem Ort, an dem die Auffassungsgabe aktiv wird. – Doch wenn du sagst, dass dies das Wesen einer bestimmten Sache sei, enthä ltst du dich entsprechend unserer Ausdrucksweise nicht der Sünde. Wenn du aber sagtest, dass es das Sein sei, so ist dies der 1 Vg l. Rottzoll, Abraham Ibn Ezras l anger Kommentar zum

Buch E xodus

I, 79 f. 2 Vg l. Shmu᾽el ibn Ṣarṣa (Sene), Sefer Meqor Ḥayyim, Mantua 1559, 93. Die in K lammer gesetzte Korrektur der Belegstelle geht woh l auf Zunz (oder Steinschneider) zurück.

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Name, den die Philosophen hinsichtlich der Übertragung verwendeten : „Nicht Seiendes, sondern er selbst ist eins (?).1 Doch wenn du sagtest : Es ist die erste Vernunfterkenntnis [ ‫] העלה‬, wie man sie auch nannte, so entgeht man dadurch auch nicht der Sünde. Doch wenn du sagtest, es sei die überragende Vernunfterkenntnis, so handelte es sich um einen weiteren rätsel haften und mysteriösen Namen. Doch wenn du sagtest |, eine Funktion, was ist dies ?, so läge es mir näher, etwas eine Funktion zu nennen, [ wenn ] es durch den Intellekt und Verstand erhellt würde, so wie sie selbst durch Intellekt und Verstand anderer erhellt werden. Doch von jenen Verstandeskräften und durch jene K räfte, die K räfte anderer sind, und durch jene geistigen K räfte, die K räfte der Sphären sind, durch jene Sphären entstehen die Elemente, und aus den Elementen entstehen a lle Pf lanzen, Lebewesen und Minera lien. Doch bezüglich dieser A ngelegenheit heißt es, dass du sie a lle emaniert und von ihnen abstammend vorfi ndest, eine Ableitung von ihnen für ihre Existenz. Denn der Ausdruck für diese Angelegenheit wird in jeder Sprache abgekürzt, doch in Fremdsprachen wird [ zumeist ] vermieden, das Sein näher zu beschreiben, und stattdessen wird das Wort esse [ ‫ ] איש י‬oder ipse [ ‫ ] איפסע‬verwendet, ein Wort, welches bei ihnen [ so viel wie ] ‫ הוא‬ausdrücken soll. Doch dies ist gut. Und vielleicht findet man in anderen Sprachen einen abstrakteren Ausdruck a ls diesen. A llerdings besteht keine Hoff nung, dass man in der Welt eine Sprache fi ndet, in der der Gepriesene [ ‫ ] ית׳‬mittels eines abstrakten Ausdrucks beschrieben wird, ohne jede Komposition und ohne, dass in ihm jeg liche Gemeinsamkeit oder jeg licher A ffekt vorläge, das sei ferne von Gott, er sei gepriesen. Dies kommt daher, dass die Ausdrücke Umschreibungen sind und in jeder Sprache an den Empfindungen tei l haben; a llerdings werden sie wie von Wehen gepresst (von dem Ausdruck : bevor ihre Wehen gekommen [  Jes 66,7 ]), und so kommen die Wörter und die Gedanken heraus.“ Kurz danach sagte er : „Von ihm aber, er sei gepriesen, kommen die Hand lungen, die uns (unserer Verstandeskraft) eine 1  O b

das Fragezeichen und das, was danach geschrieben steht, von K rochma l oder Zunz stammen, kann nicht entschieden werden.

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Vorstellung1 des Erbarmens vermitteln, und [ dies sind ] die Tätigkeiten, in denen es große Weisheit gibt, und jene A ktivitäten sind [ z. B.] der Zorneseifer, aber jene A ktivitäten sch ließen auch den Heldenmut [ gevura ] ein. Jene Taten sind sehr furchteinf lößend …, und daher wird er [ Gott ] Furchteinf lößender genannt, entsprechend den Taten, die aus ihm hervorgehen, und aufgrund seiness Erbarmens wird er auch „der L angmütige“ [ raḥum ] genannt, ebenso gibbor, shaddai, qano, noqem, elyon, memit, a lles entsprechend seiner Fähigkeiten, wie auch das Feuer das „Verzehrende“ genannt wird, etwas, das sich verk leidet, a ls Magma und a ls Erz, doch [ diese Bezeichnungen ] meinen ein und dieselbe Sache. In der Ordnung be-sha llaḥ heißt es [ z u Ex 13,21 ] :2 „Wir wissen, dass Gott ein ewig Thronender ist, Heiliger ist sein Name ( Jes 57,15), und der seit Anbeginn thronet, sela (Ps 55,20).“ Dies bezieht sich auf den Inha lt, dass er für sich selbst genommen zu nichts, weder physisch noch geistig oder intellektuell in einer Relation steht, dass sie a lle von ihm geschaffen sind, und deswegen entstehen sie im Intellekt später a ls im verborgenen und abstrakten Wesen. Gott, der Erhabene, weist auf das verborgene Wesen in der Welt hin. A llerdings, nachdem wir es a ls Wesen erkannt haben, ist es voll kommen geistig, und es ist von da an für jeden Erkennenden und Wissenden ein Wesen für sich. Seine auf diese Weise erfolgende geistige Erfassung ist dann auch seine Begrenzung, und seine gedank liche Erfassung macht es existent, und sie bi lden die oben zah l reich erwähnten Geschöpfe. Deswegen spricht der Weise auch stets davon, dass a lles in ihm existiert mit Hilfe der mittleren und niederen Welt, ohne die Vermittlung der oberen Welt – von daher ist es a lso richtig zu sagen, dass das obere und unend liche Wesen, gepriesen sei es, das Wesen und der Träger der Geschöpfe ist, die sich in jeder Hinsicht durch eine Einheit und K raft auszeichnen, die sich in der Wesenheit jeder Sache findet, d. h. in dem, was lebendig wird durch Inha lt und Form, was existiert und vergeht sowie a llein dem A nblick 1 Nach R awidowicz, Writings, 321 A nm. 5 ist das Wort ‫ ציור‬von K rochma l

hinzugefügt worden. 2 Vg l. Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentar zu E xodus I, 376.

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sichtbar wird, die A kzidenzien. Auf dieses tiefe Mysterium verweist für ihn Gott, indem er nahe ist : ‫ אל אלוקים‬oder ‫אל צבאות‬. Dazu bemerkt er dort weiter : „ Da Gott ein ewig Thronender ist, steht er a llein [ (von daher ist der Name Gottes [ ‫ ] הוי ה‬ein verborgener Eigenname) ], in ihm existiert a lles, desha lb wird dieser Name auch einma l wie ein Attribut gebraucht …, und der Grund dafür ist, dass er aufrichtet [ (denn a lles in Wahrheit Existente ist eine wirk liche und unvergäng liche Rea lität, es besteht und existiert in Gott, er sei gepriesen) ]. Deswegen sind mit Gott die hei ligen Engel verbunden [ (die geistigen Wesen in der Welt, von denen er das sagt, was wir bereits oben zitiert haben, dass er a lle schaff t und sie a lle durch Gott geschaffen werden) ], und so heißt es : der Herr der Heerscharen des Himmels [ (denn sie existieren vor Gott durch die Vermittlung der Engel, d. h. durch die umfassenden Mittel ihrer Geistigkeiten in der zehnten Sphäre, welche voll kommen geistig intellektuell ist, wie erläutert) ]. – Die obere Welt wird von dem Weisen [ Ibn Ezra ] jedoch nicht „Ṣawa“, Heerschar [ Macht ] [ ‫] צבא‬, genannt, denn [ nach ihm ] ist das Geistige rein und existiert a llein in Gott, ohne dass es bereits aus ihm emaniert wäre. A llerdings ruht dabei die Macht über | dem Geistigen, bis dass sie aus seinem 322 Wesen emaniert und a ls Körper körperlich sichtbar wird. Diese hängen in den Sphären jedoch stets mit Gott zusammen, und er stützt sich auf sie. Doch auch im Geistigen auf der Erde, hinsichtlich a ll dessen, was aufnahmefähig ist, und in ihrer Auffassungsgabe im Moment der Rezeption und Unio mit Gott, stützt sich Gott auf sie. Er bezeichnet die zu diesem Zweck Erwäh lten a ls Menschen, a ls adama. Und wir haben diese Lehre über dieses wichtige Wort, welches existiert und bezeichnet, woraus der Bezeichnete besteht, bereits kennen gelernt, und deswegen ist es folgerichtig, dass sich [ Gott ] auf ihn stützen kann. Da sich dies jedoch auf den voll kommenen, gebi ldeten und aktiven Menschen bezieht, bezeichnet ihn der Weise [ Ibn Ezra ] mit dem Namen „Israel “. Er sagt zu dem durch Erde [ ‫ ] אדמה‬Ausgezeichneten, er solle Mensch [ ‫] אד ם‬ sein; der a ls Mensch ausgezeichnete solle Israel sein. Daher schließt die Rede von dem Herrn der Heerscharen auch den Menschen, welcher Israel genannt wird, ein, denn auch ihn rechnet man in der

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Schrift unter die Heerscharen Gottes, [ w ie in Formu l ierungen wie ] und ich holte mein Volk heraus, meine Heerscharen (Ex 7,4). Genauer werden wir dies erläutern, wenn wir zum Geheimnis des Menschen nach dem System des Weisen gelangen. Und im Kommentar zum [ Abschnitt ] Wa-yera [ Gen 17,1 : ]1 „Es steht geschrieben El Shaddai, was eine attributive Bestimmung ist, und es bedeutet so viel wie stark, […] aus der Wurzel ‫שודד‬, was so viel wie besiegen und überwinden meint, […] und es ist richtig, dass der ehrenwerte und furchtbare Name ihm entsprechend (warum es sich auch um einen attributiven Namen handelt) genannt wird (im Gegenüber zum Namen Shaddai), und dabei handelt es sich um eine Eigenschaftsbezeichnung, die der [ potentiellen ] Tat entspricht (was so viel bedeutet wie, dass dies der Name ist, welcher die K raft der Wand lung und des Zunichtemachens der Einzel heiten und der Teile enthä lt, und in ihm steigen sie zu A llgemeinheiten auf, so wie der Name Gottes [ ‫ ] הוי ה‬auf die K raft hindeutet, die die a llgemeinen Dinge erstehen lässt und in die dauernde Existenz ruft. Und a lles wird zur A llgemeinheit erhoben, d. h., freies, intellektuelles Geistiges wird aus der Begrenzung und der Negierung des Einzel nen befreit), denn die Welt ruht auf jenen beiden Namen ([ auf ] der Entstehung der Einzeldinge und [ auf ] ihrem Vergehen sowie ihrer Erhebung zu Einzeldingen); und wer das Geheimnis des Namens [ Gottes ] versteht, der wird g lauben.“ (Was so viel bedeutet wie, dass, nachdem Abraham die Bedeutung dieses Geheimnisses bekannt geworden war, dass mithin das Geistige das Körperliche besiegt, ebenso die natürlichen Gesetze und die Verkettung ihrer Ursachen, da g laubte er und ließ von den Astrologen ab, [ wei l er erkannte, ] dass die Gesetze der natürlichen Geschehnisse seinem System folgen, wie es aus den Sphären und den Himmelsentscheiden bestimmt wird). Dazu legte er kurz darauf aus : „ Abraham wurde mit dem zusätz lichen resh [ in seinem Namen ] zum Vater [ ‫ ] אביר‬vieler Völ ker, und Gott ließ es ihm nicht [ a n einem Buchstaben ] in seinem Namen mangel n, sondern er fügte ihm [ sogar einen Buchstaben ] hinzu.“ Damit will er sagen, 1  E s

muss heißen : Lekh lekha.

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dass er wie er durch das heh mit dem mem auf die Menge, d. h. die Einzelwesen hindeuten wi ll, so deutet das Wort ‫ אביר‬auf den Sieg des A llgemeinen über das Teil hin, nicht nur auf die Vaterschaft, und wenn dem so wäre, dann durch das feh lende resh in seinem Namen. Dazu fügte er hinzu, dass es auch im Namenswechsel der Sara aus Sarai einen Hinweis [ remez ] gibt, demzufolge der Name Sara a ls kinnui für ihn spricht, indem er auf das begrenzte Einzelding hindeutet, welches das spezielle Einzelwesen meint, und Sara deutet auf die umfassende geistige Form des Herrschenden und der geistigen Herrschaft über a lles hin. 5. Die mittlere Welt

Der Weise [ Ibn Ezra ] sagt, dass es in der oberen Welt stets die Engel und die neshamot gibt, welche die Formen der Wahrheit sind, und die werden von ihm dua le Existenzen genannt. So bemerkt er zu dem Vers (Dan 2,11), wo von deren Wohnungen die Rede ist : „Und bei den oberen Engel n, welche körperlose Formen der Wahrheit sind : von ihnen werden die neshamot abgetrennt wie das Licht von der Sonne. Die neshamot bi lden dann die Körper.“ Die mittlere Welt, in ihr gelangte das Seine bereits in den Körper, und aus den beiden Enden der R ichtung wurden die drei Dimensionen des Körpers. Und deswegen wurden sie von ihm „ Dreieck“ [ ‫ ] משול ש‬genannt. Doch das Unend liche und das „ohne etwas“ befi nden sich in dem Einen, in seinem Urwillen, und beides befi ndet sich auch in der oberen Welt, in den zehn Stufen der Begrenzung seines Wesens, und es ist auch in der Dreierdimension des Körpers sowie in der A ktivität des Menschen. Dies ist aber die eigent liche Intention des Weisen [ Ibn Ezra ], in dem, was er dort sagt : „ Dies ist der ehrenwerte Name, entsprechend der Tatsache, dass er sich in der Eins befindet und er für sich selbst steht. Da er sich in beiden fi ndet, auf die er sich stützt, daher sprach man von ‫ [ ה׳ אלוהים‬und ebenso von ] ‫ה׳ צבאות‬.1 Des Weiteren : „Die Begründung dafür sind die Worte 1 Diese Worte sind anscheinend einer Abschrift Luzzatos aus dem kurzen

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Jakobs der Herr war mir zu einem Elohim. Denn es gibt eine K raft im Dreieck, dies zu erfassen. Und man benötigt nicht etwa nur zwei.“ Dies a lles wird noch im Kapitel vom Geheimnis des Unaussprechlichen Namens [ shem ha-meforash ] erk lärt werden, und auch in dem [ Kapitel ] vom Geheimnis des Menschen, Sod ha-Adam. Dazu sagte | er an dieser Stelle weiter : „Deswegen sagte Yitro : Denn nun weiß ich, dass der Herr größer ist als alle Götter (Ex 18,11), und dies ist (neben anderem) die Begründung dafür, denn es heißt : Wer in lichter Höhe misst sich mit dem Herrn ? (Ps 89,7). Denn man spricht nicht zu seinem Schöpfer, es gibt niemand unter deinen Gefäßen wie dich.“ Weiter sagt er dort : „Die Erk lärung für das ‫ אהיה‬lautet, wie er es erk lärte : der, von dem gi lt, er werde sein; denn a lles Sein existiert nur, wenn Gott existiert oder in dem Gott existiert.“ A ll dies wird jedoch noch erläutert in dem Abschnitt über das Geheimnis des shem ha-meforash. – Doch über den Schriftvers im Buch Ijob doch er bleibt bei Einem, und wer mag ihm Einspruch tun ? (Ijob 23,13) schreibt der Weise [ Ibn Ezra ] „Es gibt welche, die sagten, dass der Buchstabe bet überf lüssig sei. Doch die Wahrheit ist, dass er nicht überf lüssig ist, aber wir können ihn nicht erk lären, denn er enthä lt ein großes Geheimnis.“ Der Verständige wird es aus seinen Worten heraus verstehen. – Doch in Bezug auf die mitt lere Welt sagt der Weise (Kommentar zu Shemot [ Ex 3,15 ]) : „Und so bilden die Sphären neun, die ehrenwerte Körper sind [ usw.], doch die zehnte ist heilig, und sie wird auch so genannt, denn ihre K raft liegt auf dem gesamten Thron der Herrlichkeit. Er ist der Starke, und er umfasst a lle Körper.“ Damit meint er, dass, wei l a lle Gestirne für sich genommen von Westen nach Osten ziehen, doch die Bewegung a ller himm lischer Heerscharen in ihrer täg lichen Bewegung über die vierundzwanzig Stunden von Osten nach Westen geht, was so weit ging, dass die Vorfahren eine weitere Sphäre über den Sphären des Tierkreiszeichens annehmen mussten, einen Teil, den sie den Tageskreis nannten. Der Weise erk lärt dann, dass es sich bei diesem K reis bereits nicht mehr um einen dreidimensiona len Kommentar des Ibn Ezra zum Buche Exodus entnommen; vg l. Kerem ḥemed 3, 173 – 179.

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Körper handelt, sondern um ein geistiges Sein, unkörperlich und nur zweidimensiona l. Der Motor von a llem ist wie die Seele für den Körper. Die Neunte, welche er dem erhabensten Körper vorbehielt, ist der Körper über dem elementaren oder ätherischen Feuer, die Konvexität der niederen Welt bis zur Sphäre des Mondes, und sie wird von ihm einfach a ls Himmel bezeichnet. Über ihm befi nden sich die sieben umherziehenden Sterne oder die Diener, und über ihnen der Tierkreis. In seinem Buch Yesod Mora schrieb er : „ Ferner ist bekannt, dass die Sphären des Feuers und die der Luft ein und dieselbe sind, ebenso die Sphären des Wassers und der Erde, und es umgeben sie acht voll kommene Schöpfungen.“1 Die zehnte Sphäre bi ldet demnach die des Zodiaks [ mazza lot ]. Dies ist a llerdings ein Widerspruch in sich selbst, auf den einige der Kommentatoren bereits hingewiesen haben. Doch an ihrem Geheimnis festzuha lten ist die richtige Entscheidung, denn entsprechend seiner Vorgehensweise hinsicht lich des Geheimnisses der Zah l, welche wir im Folgenden erläutern werden, differenziert er die Zah l Zehn in zweierlei Hinsicht : auf der eine Seite die K raft der Zah l deren Summe mit der der Zah l Neun oder Acht übereinstimmt, auf der anderen Seite ist sie das Einende für die Dezima lzah len, die nach ihr kommen. Die Sphäre der mazza lot ist die zehnte in der Gesamtsumme, sie ist daher körperlich, und für ihr Festha lten an der erhabenen Einheit wird sie in ihrer Konvexität zu einem Heiligen und einem geistigen Wesen, welches a lles eint, und seine Bewegung ist geistig. Da dies die Vorgehensweise ist, bi lden die zwei grund legenden Sphären in ihrer Gesamtheit erhabene Körper, und sie werden Grund lagen [ bzw. Elemente ] der Erde [ ‫] מוסדות האר ץ‬ genannt. Wir werden das noch erforschen, wenn wir zur niederen Welt gelangen. – Jene zehn K reise bezeichnet der Weise a ls ḥayyot [ Tiere ] und auch ofanim [ Räder ], aufgrund der Beschreibung der merkava bei Ezechiel entsprechend der Auslegung des Rav [ Moshe ben Maimon ], 2 dabei a llerdings intellektuell etwas tiefer schür1 Vg l.

Sefer Yesod Mora le-ha-Rav Avraham ibn Ezra, 46; Abraham ibn Esra, Jesod Mora, 121. 2 Vg l. Mose ben Maimon, Führer I 70, 278 f.

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fend a ls dieser. – Die zehnte ist hei lig, und er bezeichnet sie a ls raqia‛, welche über den Häuptern der ḥayyot ist, und zu Beginn seines Werkes über die Schöpfung sagt er :1 „Über den Häuptern des ḥayya befi ndet sich die raqia‛, welche Pforte des Himmels genannt wird, gepf lanzt über ihre Häupter, und sie trennt zwischen den Wassern.“ Auch wurde sie, wie wir erwähnten, Thron der Herrlichkeit genannt, da sie [ sc. die Wasser ] Thron der oberen Herrlichkeit sind, in der oberen Welt, in der er wei lt. Die zehnte wird Abbild des Thrones genannt, und ebenso, wie ich seine Worte zitiert habe, „dass seine K raft im gesamten Thron der Herrlichkeit steckt“ [ z u E x 3,15 ]. Der Beleg für unsere Auslegung der zehnten Sphäre ist die Einheit und Geistigkeit a ller Sphären. Diese nannte er daher Pforte des Himmels, wie es in einer A nmerkung im Kommentar zum Buche Exodus heißt : „Die Pforte des Auges kommt aus der Pforte des Himmels, denn in einem Augenblick kann man viele Bilder sehen, seien sie nah oder fern; doch so ist es nicht (auf dieser Stufe der Samm lung von a llem und der Geistigkeit) in Bezug auf die Pforte der Ohren, der Nase, des Gaumens und der Hand.“ Wir zitierten jedoch bereits seinen Spruch* : „Wenn du die Fähigkeit zu verstehen besäßest, wie das Auge in einem Moment unterschied liche Formen erkennen kann und wie man den Himmel im Weiß der Pupille ein324 fangen kann, dann würdest du beginnen, | verständig zu werden.“ In der Erk lärung sagt er, dass die Stufe des Auges im Menschen auf der Stufe der Pforte des Himmels steht, und dies belegt die Einheit der Sphären in ihrer Geistigkeit. Und so wird ihm der Schriftvers erk lärt : Dieser ist nichts [ anderes als Gottes Haus ] (Gen 28,17) usw., dass er sich auf die Pforte des Himmels bezieht, wie es auch im Folgenden erk lärt wird, wenn wir zur Erk lärung des Geheimnisses der niederen Welt gelangen. Man beachte, was der Weise (im ersten Kapitel des Sha‛ar haShamayim) in Erläuterung des bekannten Diktums Eliʽezers behauptete : „Doch was [ Rabbi Eliʽezer ] sagte, ist ä lter a ls jene : ‚Die Himmel, woher wurden sie erschaffen ?, aus dem Licht seiner Ein* Oben

im a llgemeinen Vorwort.

1 Kerem

ḥemed 4, 6.

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k leidung entnahm er sie und legte sie wie ein K leid an, wie geschrieben steht : Er hüllt sich in Licht wie in ein Gewand (Ps 104,2)‘ [ PRE 3 (7b) ]. Denn in dem er Licht sagt, bezieht er sich auf den Pfad der oberen Fü lle, welche über die Sphären emaniert, wie erk lärt.“1 Die Meinung des Weisen geht dahin, dass er wie das Licht ist, welches sich bei uns befi ndet, von dem er sagt, dass es ein Wesen, jedoch keinen Körper besitzt, das erste der Wesen dieser Welt ist, Erstling a ller Körper und letztes der oberen Wesen, welche einen Inha lt und eine Form besitzen. Ebenso ist das obere Licht eine geistige K raft, welche an eine Grenze und eine Form des unend lichen Wesens stößt. Es wird dabei immer weiter durch das Wesen der oberen Welt vereinigt, die Grenzen der ersten. Daher rührt die Wesenskraft der Sphäre, welche die K raft und der Reichtum, welcher aus ihr hervorgeht, ist; sie bi ldet das Licht des Oben. Ihr Wesen bestand jedoch in einem inneren, dünneren Licht, und ihre Form bildeten lautere Körper a ls die unseren aus. Man beachte, dass der Weise [ Ibn Ezra ] jene Flächen a ls zweidimensiona le erk lärt, und dies meint der Kommentar des Weisen zu dem Satz, dass die Himmel aus dem eingek leideten Licht [ ‫ ] אור הלבו ש‬geschaffen sind. (Doch die Rede von der Eink leidung meint die obere Welt, welche durch Gott existiert, und sie ist die Begrenzung des unend lichen Wesens; und es bi ldet sich in der Begrenzung und nach dem Maß seiner K räfte aus.)2 Warum bezeichnete man sie a ls Eingek leidete ? Er sagt dazu Folgendes : „Der Grund dafür ist die Bescheidenheit [ ‫] כניי ת‬3 der K leidung, und dies ist ein wunderbares Geheimnis. Denn das A n liegen der Eink leidung ist ein typisch mensch liches, und sie geschieht nicht um ihrer selbst willen, und sie ist [ dem Menschen ] näherliegend a ls die Dinge, die von ihm unterschieden sind. Er vertauscht dabei jede Zeit, die er möchte, sei es die gesamte oder nur ein Teil, und manchma l findet man ihn entblößt von dem Wenigen, welches er besitzt, doch manchma l findet man 1 Kerem 2 H ier

ḥemed 4, 9. fi ndet sich eine öff nende eckige K lammer, die nicht gesch lossen

wird. 3 I n Kerem ḥemed fi ndet sich die L esart ‫כניות‬.

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ihn auch eingek leidet, so wie er möchte und wie er es sich erwäh lt hat. Dieses Geheimnis wird weiter in der Parashat Bereshit erläutert, d. h. das sod ha-levush, und verstehe dies !“1 [ (Und dies wird im ehrenwerten Buch Sod ha-Shem erläutert2.) ] Der Weise sagte (Dan 10,21) : „Die Körper der mitt leren Welt werden festgelegt [ ‫ ] תחילינ ה‬und hören nicht auf [ ‫] תכלינ ה‬.“ Er meint damit, dass, wei l diese Welt auf der oberen Welt steht und sie ein geistiges Wesen besitzt oder ein oberes Licht, wenn sie begrenzt ist und immer weiter aufgetei lt wird, bis dass er sie zu spezifi schen neshamot macht, zu Dienstengel n, und die neshamot zu ewig lauteren Körpern, dann unterliegen sie nicht dem Wandel des Wesens, vielmehr bleibt ihr Wesen für immer identisch. Siehe, sie werden stets nach dem erwähnten abstrakten Willen geschaffen. Dafür kann der Weise seinen Beleg aus der Bibel anführen : „Und es steht über diese Welt geschrieben : es preisen dich deine Engel, auch deine Heerscharen (Ps 148,2), auch die Diener, auch die beiden Lichter. Er sagt noch hinsicht lich des A lls, dass er es befoh len und es erschaffen hat, und er hat es für ewig errichtet und für immer gab er ein Gesetz, welches nicht vergehen wird.“ Dies ist aber Beleg dafür, dass der Weise mit dem Satz, es wird festgelegt und nicht vergehen, nicht meint, dass [ das A ll ] keinen A nfang hat, denn er stimmt darin zu, dass er die umfassende Erneuerung der Welt anerkennt. Er warnt jedoch davor, einer Sache ein hohes A lter zuzuerkennen, es sei denn dem Schöpfer, er sei gepriesen. Aber seine Intention ist, dass der Beginn des Werdens und des Vergehens und des [ erneuten ] Werdens, d. h. ihre Begrenzung zu speziellen Wesen und ihr Vergehen, d. h. ihre Rückkehr zu ihrem unend lichen Wesen und ihre zweite und dritte Erneuerung bis ins Unend liche, sich nicht in der Zeit ereignet. Denn sie gelangt nicht zur Entstehung, es sei denn durch jene ehrenwerten Körper, durch den einfachen Willen, der seinen Grund in dem unbegrenzten Wi llen hat, für den es keinen Namen gibt. Und daher wird a lles durch den Befeh l „ohne 1 Kerem 2 Vg l .

1834.

ḥemed 4, 9. Avraham ibn Ezra, Sefer ha-Shem, hg. v. G. H. L ippmann, Fürth

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etwas“ erschaffen. – Des Weiteren leitet sich aus den Worten des Weisen ab, dass er der Meinung war, dass diese gesamte Welt und ihre Wirkung geistig ist und durch den Wi llen hervorgebracht wird; und ebenso ist ihre Bewegung keine natürliche und mechanische Bewegung wie die meisten Bewegungen in der niederen Welt, deren Bewegungen nur der verständige Mensch einem abstrakten Gesetz zuordnen kann. Doch in jenen Körpern in den Wesen findet sich immer noch kein Verstand, es sei denn natürlichmechanischer. Deswegen aber fi ndet er sich in den lauteren Körpern der mittleren Welt, | um so mehr a ls ihre Bewegungen geistig 325 sind mittels des Geistigen, welches in ihnen ihren lauteren Körper bewegt. Denn auch solche lautere Körper verha lten sich zum Geistigen natürlich-mechanisch, was für dieses seine Eink leidung ist, eine ihm ständig inhärente Bewegung. Dies ist aber die Bewegung des K reises und des Umkreisens mittels der geistigen Gesetze, die von den Weisen gekannt und erforscht werden. Denn dies ist ein Prinzip, dass kein Körper sich selbst bewegt, es sei denn durch die Seele [ nefesh ] in ihm. Er sagt daher [ in seinem Kommentar zu Dtn 5,23 ] zu dem Ausdruck Elohim ḥayyim (1 Sam 17,26.36 u. ö.) : „Meiner Meinung nach muss man zwischen Elohim und Ṣeva’ot [ Heerschar / treibender K raft ] unterscheiden, denn [ Elohim ] kann sich nicht von a llein bewegen.“ Dies war tatsäch lich auch die Meinung a ller Früheren, der Orienta len wie der Griechen, und ihnen folgend wurden auch von uns entsprechende Lobpreisungen und berakhot verordnet, wie etwa das A lphabet [-A krostichon ] des El adon.1 Der erste Abschnitt, selbst der zweite, handelt von der oberen Welt, und in ihm werden die Eigenschaften [ middot ] Gottes und seine Attribute in den aktiven Wesen beschrieben, seine Größe und seine Güte, Erkenntnis und Verstand, Lauterkeit und Rechtschaffenheit, Gnade und Barmherzigkeit, und danach folgen mehr die Verse über die mitt lere Welt. Und er sagt über sie, dass sie auf die noṣrim [ Christen ] zu beziehen seien, nach Erkenntnis und Verstand. Er gab ihnen die Macht, über die Welt zu herrschen, und dass sie sich an ihren Taten erfreuen, sodass sie in Furcht den Wil1 Vg l.

Siddur sefat emet. hg. v. Bamberger, 105 f. – bHag 3b.

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len ihres Schöpfers voll ziehen usw. Ebenso werden sie in der berakha die Täter der Wahrheit genannt, da ihre Taten Wahrheit sind. – Dazu erk lärt der Weise [ Ibn Ezra ], dass durch ihre Unternehmungen und durch den Einf luss ihrer Macht die Erschaff ung und das Vergehen entsteht sowie a lle Geschehnisse in der niederen Welt. Dies meint auch der von ihm überlieferte Satz, der sehr oft in seinen Büchern wiederholt wird, und wir werden im Folgenden einige Hauptstücke behandeln, auf dass es für seine Erk lärung genüge : „Und wisse, dass die vergangenen und zukünftigen Erlasse durch ein Zeichen des Himmels, welches die Worte Gottes sind, angekündigt werden. Denn es steht geschrieben : Ewiglich, Herr, besteht deine Wahrheit im Himmel (Ps 119,89), und das Geheimnis des Systems existiert von Beginn ihrer Schöpfung an, warum die Systeme der Himmel auch die Sphären sind.“ Und weiter heißt es (im Kommentar zum Buche Exodus) [ z u dem Vers ] und ich bin herabgekommen, um es zu retten (Ex 3,8) : „Da die Himmel erhabener sind a ls die Erde, erfü llt sie Gott mit seiner Herrlichkeit nur deswegen, weil a lle Bestimmungen ein Zeichen des Himmels sind. Daher findet sich die Redeweise und ich bin herabgekommen.“ Weiter (im Kommentar zu Wa-etḥanan [ z u Dtn 5,26 ]) sagt er : „Und wisse, dass die Wurzel a ller Taten und Hand lungen die Erlasse Gottes sind, und a lle Seienden unter dem Himmel, ihre K raft und ihr Wachstum haben aus der Sicht des oberen Systems ihre Wurzel n unten, so auch die Substrate (und auch) entsprechend ihrer täg lichen und jederzeitigen Bewegung. Denn ständig fi ndet ein Wandel statt, wie es auch der Verfasser des Sefer Yeṣira erk lärte.“ Auch nach Meinung der griechischen Phi losophen, denen der R av [ Ibn Ezra ] nach folgte, kommt aus den Bewegungen der Sphären die Vermischung und die Verbindung der vier Elemente der niederen Welt. Nach Auffassung dieses Weisen a llerdings, der darin den Weisen der Vorzeit nachfolgte, entstehen a lle Lebewesen und a lle K raft der Existenz und Dauer in dieser Welt nach ihren A rten und einzel nen Ausprägungen aus den Sphären, und er bezeichnete sie a ls die Emanation und die aus ihnen emanierte K raft. Dies wird den Sinnen erkennbar in der Ref lexion des Lichtes, und es wird von ihm a ls das erste Wesen in dieser Welt bezeichnet. Tatsäch l ich

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kann man nicht leugnen, dass die Sonne mit ihrem Erstrah len eine wichtige Funktion bei der [ Erschaff ung des ] Körperlichen übernimmt. Denn wenn wir den Strah len des Lichtes auf einer geraden Linie folgen, so sind sie es, die K raft und Stärke in a lle Wesen geben, welche Flora und Fauna bilden, sodass sie sich vermehren und wachsen können. Doch wer sie ein wenig davon abhä lt und die Strah len beugt, der wird ihre K raft abwenden und schwächen, sodass sch ließlich die Natur der Geschöpfe insgesamt vergeht und ihre Lebensjahre ha lbiert sein werden. Doch der Weise [ Ibn Ezra ] erk lärt, dass dies die starke, umfassende Wirkung der oberen Heerscharen ist, die auch für die Augen sichtbar sind, wie bei der Sonne und auch beim Mond, Wirkungen insbesondere an den Flüssigkeiten, [ u nd zwar ] solche, die dem Sinne wahrnehmbar werden, a ls auch solche, die dem Sinne nicht wahrnehmbar werden. Denn jene Wirkungen breiteten sich nicht nur in den ersten Elementen aus, sondern auch an a llen A rten und an den speziellen Einzeldingen, sodass sie sich differenzierten entsprechend dem Wandel und dem Wechsel jener Wirkung. Wären sie dabei stehen geblieben, wäre es gut gewesen. Doch a ls die ersten Cha ldäer kamen, hinderten sie die Erforschung der Bestimmung der einzel nen Sphären und Gestirne, indem sie meinten, ein gewisser Stern emaniere eine bestimmte K raft und habe eine spezielle Funktion, er stärke oder schwäche die K räfte und Funktionen entsprechend seiner geraden oder gekrümmten Laufbahn, senkrecht oder gebeugt über der Erde, je nach Beziehung zu seinem Nachbarstern und je nach Relation der übrigen Planeten zum Sternkreiszeichen und den Sternen, die die große Heerschar bi lden. Jene Relationen, welche enorm zah l reich sind, entsprechend dem Verhä ltnis der A nzah l von einzelnen Sternen | zur A nzah l von Bündeln von Sternen, wel- 326 che auch Sternbilder genannt werden, das, was von ihnen Himmelskonstellation genannt wird, zu einer bestimmten Stunde oder einem Zeitpunkt, einem Jahr oder einem besonderen Tag. – Sie besaßen in ihren A nnahmen jedoch keinerlei Begründung und gelehrte Grund lage dafür, sie konnten sich nur auf die Erfahrung stützen, indem sie die Stellungen und Konstellationen [ der Gestirne ] zu einem gewissen Zeitpunkt berechneten, und sie erfass-

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ten den Gang der Welt aufgrund der Elemente genauso wie anhand der Pf lanzen und Tiere und auch ganzer Nationen und einzel ner Menschen. Und entsprechend dieser Erfahrung defi nierten sie die Läufe der einzelnen Sterne ebenso wie in Relation zu ihren Konstellationen. Und sie diskutierten, stellten Grund lagen auf und nahmen a llgemein gü ltige Regel n an, wonach ein mazza l für das Wachsen und ein mazza l für das Pf lanzen steht, eine Konjunktion für die Liebe und eine Konjunktion für den Hass, Konjunktion [ von Saturn und Jupiter ] oder Opposition. In den Ländern [ der nichtjüdischen Völ ker ] deutete man aber die k limaktischen [ Gestirne ] entsprechend ihrer A nnäherung an den Äquator oder an den Zirkelpunkt. Ebenso tei lte man unter den Nationen ihren Einwohnern einem jeden von ihnen einen Stern oder ein Sternbild zu, und im Einzelnen erwäh lten sie den Moment der Schwangerschaft und den der Geburt, und entsprechend den Zeitpunkt der Zeugung und der Jugend, des Erwachsenseins und des A lterns. Doch die Funktionen der Konstellation hängen an bestimmten Zeitpunkten, und auf diese Weise wollte man die Eigenschaft eines gewissen Menschen, seine Lebensumstände und den Fortgang seines Lebens vorausbestimmt wissen. – Und der gesamte Orient hielt an solchen Auffassungen fest, und sie wurden berühmt dafür, indem sie es Horoskopie und Astrologie nannten, und auch von unseren weisen Vorfahren ist die A ngelegenheit sehr ernst genommen worden. Es wurde daher auch bekannt, was sie mehrheit lich über ein mazza l festlegten, was es bedeute, wenn jemand unter einem bestimmten Sternbild geboren worden war, er zu einer gewissen Stunde eines Tages geboren ist, an einem bestimmten Tag der Woche. – A llerdings ist es ba ld offensichtlich, dass a ll diese Speku lationen keinen rationa len Grund besitzen, auf den man sich verlassen kann. Denn soba ld wir etwas über den Lauf der Sonne in ihrem Lichte erkennen, wie sie den unteren Geschöpfen K raft und Stärke verleiht, soba ld wissen wir auch etwas von der Wirkung des Mondes. Die Wirkung der übrigen Sterne jedoch bleibt auf Grund ihrer weiten Entfernung zu uns völlig unk lar, und wir besitzen keine Möglichkeit, zu bestimmen, ob und wie stark sie sein könnte. Es mag insofern eine unumstößl iche Wahrheit sein, dass jede himm l ische

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Heerschar vielfältigen Auswirkungen auf der Erde hat, insofern sie wie ein Stern wirkt, d. h. wie einer jener Körper der kosmischen Gebilde unter den Sternen, oder, nach Meinung der A lten, wie ein A ngelpunkt innerha lb einer größeren Sphäre und mittels dieses auch unter den Elementen und Objekten, die sich aus den Elementen konstituieren. Doch kann es einem Menschen genügen, ob die Erde nahe oder doppelt so weit von der Sonne entfernt war. Denn ihr Feuer, Wasser, Luft und ihre Erde waren einst ganz anders beschaffen a ls jetzt, und es gibt andere Zusammensetzungen a ls die, die es einst gab. Immerhin kann man die Wirkung der anderen Himmelskörper nicht ganz leugnen, sowoh l in ihrem Verhä ltnis untereinander a ls auch in ihrer Beziehung zu unserer Erde, und sie vereinen und begrenzen mit ihrer Wirkung a lles, was sich auf der Erde ereignet. Ebenso verhä lt es sich aber mit der Erde selbst in ihrer großen Wirkung, denn umfassend ist ihre Wirkung auch auf die, die sich auf ihr befi nden, denn sie ist für sie wie eine Mutter, etwa bei einem Ortswechsel vom Berg ins Ta l, an ihren Äquator oder auf ihre höchste Stelle, ebenso hinsicht lich des Wechsels der Luft, des Wassers und der Nahrungsmittel. Für Forschungen dieser A rt hat man sogar eine spezielle Wissenschaft geschaffen, die sich einzig auf die empirische Erkenntnis stützt. Doch die Einf lüsse und Wirkungen jener Mächte und ihrer Konstellationen, selbst wenn sie rea l und wirksam sind, vielleicht sogar viel mehr a ls es uns in unserem schwachen Gefüh l und unserer kurzen Erfahrung möglich erscheint, denn wie von gestern sind wir und wissen Nichts (Ijob 8,9), [ doch diese Einf lüsse ] können wir nicht einfach aus einer jener Wirkungen in ihrer Bedeutung und Qua lität ableiten. Dies ist viel mehr die Methode des Horoskopes, an der der Weise wie viele seiner Zeitgenossen und Vorfahren, die die Methoden der Cha ldäer übernommen hatten, festhielt, obgleich sie trügerisch ist und nichts bietet, worauf man sich verlassen könnte, es sei denn auf eine zweifel hafte Erfahrung, die jedoch größtentei ls sicherlich irreführend ist : a ls läge der erste Grund für die Wirkung der oberen Körper in den unteren, und a ls ob das Werden a ller Dinge in dieser Welt durch jene K räfte bedingt wäre, die aus den Oberen emanieren. Ebenso gibt es für a lle ihre A ktua lisierungen in der Natur

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Wirkungen und Einf lüsse durch die Oberen, und dies entsprechend der Tatsache, dass die Rea lität ein Kontinuum bi ldet, was eine k lare Wahrheit ist. Doch ob dies zur Wahrheit des Systems des Weisen passt, dazu sind dies nur einige Vermutungen, insofern sie zweifel haft oder trügerisch schäd lich sind, oder ob sie Wahrheit entha lten, wie wir es erk lärt haben. – Wir haben uns mit diesem Gegenstand aber länger aufgeha lten, weil dieser Glaube an die Horoskope angesichts der unbewiesenen Tatsachen zu einer großen Schande für einen Gelehrten, ebenso zu einem Zeichen und Denkzettel hinsichtlich seiner Weisheit, Tiefgründigkeit und der Wahrheit seines Systems werden kann, insbesondere angesichts des oberf läch lichen Charakters [ d ieser Horoskope ] oder eines a llein post eventum gefä llten Urteils. Doch auf diese A ngelegenheit und ihre a llgemeine Bedeutung | zielen die Wirkungen der Oberen, was er im Folgenden anhand zah l reicher Schriftverse und Dikta erläutert. Und wir wollen nur einige von ihnen in Erinnerung rufen, neben denen, die er im Hinblick auf die Gebote und Mysterien der Tora vorbrachte, denn sie werden im Nachfolgenden noch gesondert dargestellt. Wir werden nun jedoch zunächst sein System der niederen Welt erk lären. 6. Die niedere Welt

Die Form der niederen Welt, oder der Welt der Elemente, nach Erk lärung des Weisen gemäß den meisten der Vorfahren, besteht aus vier großen K reisen und ineinander liegenden Durchmessern, und in ihrer Mitte liegt die Erdkugel, und um sie dreht sich von a llen Seiten, bis sie von a llen Seiten umgeben ist (und dies geschah bereits vor der Schöpfung dieser Welt), ein großer K reis aus Wasser. Und über den K reis aus Wasser stü lpt sich von a llen Seiten ein hoher K reis aus Luft, und über ihm kreist ein K reis aus ätherischer Luft, lauterer und reiner a ls die Luft, er gleicht in seiner Natur ein wenig dem Feuer, welches wir besitzen, und welches man das elementare Feuer nennt. Dieser K reis reicht von a llen seinen Seiten bis zu jenem K reis der Räume der Himmelshöhen, welcher Sphäre

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des Mondes genannt wird, nach dem Namen des Mondes, welcher in jenem Raum wohnt und sich mit ihm bewegt. – Dies war ihre Natur bereits vor der Schöpfung der Welt, und sie ruhten, lagen und vergingen, einer neben dem anderen. Doch indem irgendeine K raft und Bewegung ausgeht durch das Mittlere, so geschieht a lles von A nfang an, [ u nd ] es wird von seinem Ort erhoben. Und es wird angerührt werden, denn diese Bewegung erwärmt und trocknet das über der Erde erhobene aus, und es lässt die Wasser zusammenschrumpfen. Sie tauchen jedoch in die Tiefen des Ortes, an dem sie von dem Element der Erde entleert werden. Doch an diesem leeren Ort erha lten sie durch das Licht der Sonne und der übrigen Lichter ein neues Wesen. A m meisten jedoch durch die Sonne, die [ ihre Strah len ] auf die Erde wift und die wieder zurückgeworfen werden, und dies bi ldet den der Erde nahestehenden Teil der Lufthü lle, der heutzutage Sphäre des Atmens [ Atmosphäre ] genannt wird. In ihm befindet sich der Raum der komplexeren Geschöpfe, voll kommener a ls diejenigen, die sich auf dem Urgrund der Erde und auf dem des Wassers finden. Er sagt dazu (in einer anderen Fassung [ seines Kommentars ] zu Bereshit) : „Es erscheint mir richtig, dass das Land bedeckt war, und der Geist legte das Land trocken und ein Geist ging über das Land, und die Wasser gingen zurück. Erst dann konnte man (das Land) erkennen, und anstelle des Lichtes entstand ein Himmel, und er bildete den Luft-[Raum ], welcher über dem Land war, [ u nd so auch ] das Werk des Lichtes der Sonne, welches auf die Erde gelangte, nachdem es zunächst von oben ausgegangen war, der Dunkelheit auf der Erde entgegen, und sich dann die Luft erwärmte und sich die Vögel in ihr zu tummeln begannen. Doch darüber (über diesen Himmel) steht geschrieben : der ausspannt wie einen Flor die Himmel ( Jes 40,22); dies bezieht sich auf den Menschen unter ihm, entsprechend des Urtei ls Gottes.“1 – Hierdurch hat er seine Meinung offenbart, dass sich die Wirkung des Lichtes an den Elementen erst in der Zeit entfa ltet und in ihr beginnt. Nach seinem anderen Erk lärungsmodell zum Buche Genesis : „Die Meinung des Weisen (?) ist, dass Mose, unser Lehrer, 1 Vg l.

Sefer Meqor Ḥayyim, 3b; 4a u. ö.

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über ihn Friede, nicht von der Schöpfung der Welt der Engel, die aus dem Nichts geschaffen wurden, sprach, und nicht von der Schöpfung der mittleren Welt, die aus der Emanation der Engel geschaffen wurde; er sprach nur von der rea len und vergänglichen Welt, welches die sichtbare Welt meint. Doch nun werde ich dir eine Regel geben, dass Mose, unser Herr, die Tora nicht a llein den Forschern [ ‫ ] חכמי הלב‬gegeben hat, sondern a llen, nicht nur den Leuten seiner Generation, sondern a llen Generationen. Er sprach demnach nicht a llein über die ma‛ase bereshit, sondern über die niedere Welt, welche für den Menschen geschaffen wurde.“1 Des Weiteren steht dort geschrieben : „Und wir stützen uns auf die Worte des Mose, der einige Zeichen und Wundertaten vollbrachte, mit denen er zeigte, dass er ein Bote Gottes ist, ohne dass man etwas hinzufügen oder wegnehmen könne. Wenn man a llerdings Erk lärungen der Wissenschaftler fände, die Belege für ihre Worte anführen könnten, und sie so wie die Worte des Mose wären, würden wir uns über sie freuen, und ebenso wenn wir Geheimnisse in den Worten unserer Rabbinen, seligen A ngedenkens, fänden, die den Worten der Wissenschaftler gleichen, auch dann werden wir uns freuen. Deswegen werden wir nicht (darüber) nachforschen, wann die Engel geschaffen wurden (ob die Schaff ung der oberen Welt in der Zeit geschah), ob die Himmel zuerst oder die Erde zuerst geschaffen wurden (eine Frage, die das Wesen der mitt leren Welt betriff t); doch wir glauben, dass er die raqia‛ und das Land, die Gräser und die Lichter an der raqia‛, die Reptilien in den Wassern und das Gef lügel und die Lebewesen schuf, am Tag ungefähr vor fünftausend Jahren. Doch wir werden nicht nachforschen, ob 328 sie aus dem Sein erschaffen wurden.“2 Weiter erk lärte er | dort das Wort bereshit : „Das meint, dass Himmel und Erde einen A nfang hatten, und deswegen haben sie auch ein Ende.“ – Und er sagt dazu weiter (Parashat Yitro) : „Doch es sollte dem Gebildeten unter a llen Völ kern genügen, dass es heißt : Ich bin der Herr. Denn an die Schöpfung des Himmels und der Erde an einem Tag von fünftausend 1 Vg l. 2 Vg l.

Kerem ḥemed 4, 9. Sefer Meqor Ḥayyim, 3b.

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Jahren glaubt nur Israel a llein;1 auch wenn die Weisen der Völ ker nicht leugnen, dass Gott einzig ist, er den Himmel und die Erde gemacht hat, doch nur sie sagen, dass Gott derjenige ist, welcher stets schaff t, ohne Anfang und Ende.“2 Doch siehe, die Schöpfung, die in der Tora aufgeschrieben ist, eine Schöpfung außerha lb der Elemente, nur die raqia‛, welche in der Schrift auch shamayim [ Himmel ] genannt wird, und er ist der letzte Teil der Materie der Luft und des Landes, die Materie des Staubs, welche geformt wurde und bei seiner Erhebung in die Höhen über das Wasser wiedererkannt wurde, sodass seine Entwick lung umgestü lpt wurde, so wie die raqia‛ an die Stelle der Wasser getreten war. Damit kommen wir zur Erk lärung seiner Worte in der ersten Parasha von der ma‛ase bereshit, zu dem Abschnitt, der uns nun betriff t. – Er erk lärte das Wort bereshit in Ana logie zu dem Wort ‫ ברא‬, obwoh l es sich um ein Verb in der Vergangenheitsform handelt. Wie im Buch Hosea : Die erste Anrede des Ewigen an Hosea [ war ] (Hos 1,2) – und darauf basiert der zweite Vers, und seine Bedeutung ist : Am Anfang schuf usw. das Land war wüst (Gen 1,1 – 2). Wir erk lären den Namen Gottes auf Grund der K raft, welche aus Gott durch die obere und die mitt lere Welt emaniert. Wir erschufen aber den Glauben an Gott und das Geheimnis Gottes, und man erinnere sich hier des Verses : Er hüllt sich in Licht, wie in ein Gewand (Ps 104,2); was seine Exegese hinsicht lich der ma‛ase bereshit stützen soll, und seine Äußerungen dazu haben wir bereits zitiert. ‫ השמים‬: „Mit heh des bestimmten A rtikels geschrieben, um darauf hinzuweisen, dass er in Bezug auf jene, die gesehen werden, sprechen wird“ [ z u Gen 1,1 ]. Wie sie uns an der raqia‛ sichtbar werden, soweit der Horizont und der K reis der Luft sichtbar wird, um es aus dem Denken der Simplifizierer zu entfernen, die sagen, dies bezöge sich auf die oberen Himmel, und aus dem Denken der Kabba listen, die sagen, dies bezöge sich auf die obere Welt. Er erk lärte im Weiteren, dass, wenn sich dies auf andere Himmel bezöge dann auf die, die bei der Schöpfung des zweiten Tages erwähnt werden, a lso auf die raqia‛. Auch ist die Erde 1 Vg l. 2 Zu

Ps 90,4. Ex 20,1.

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nach Meinung des Weisen das nächste, was in der darauf folgenden Geschichte erwähnt wird, und mög licherweise umfasst sie sogar mehr a ls eine, denn sie ist der Mittelpunkt der beiden physischen Welten : „Doch meiner Meinung nach bi lden Himmel und Erde die raqia‛ und das Land; denn an je einem Tag, je eine Zutat : zu Beginn das Licht, am zweiten die raqia‛, am dritten die Pf lanzen, am vierten die Lichter, am fünften und sechsten die nefashot der Tiere“ [ z u Gen 1,1 ]. Das heißt, die Wassersamm lungen und die Sichtbarwerdung des Landes gehörten nicht zur Schöpfung, und sie werden nicht a ls ein eigenes Schöpfungswerk erachtet, denn dieses Werk wird nicht unter die Wesen und Geschöpfe, die geschaffen wurden, gerechnet, sondern nur zu den Wirkungen in den Elementen. Doch meiner Meinung nach ist das Licht die erste Wesenheit, die zweite die Luft, welche durchmischt ist [ u nd ] die durch das Trockenwerden des Wassers und das Sichtbarwerden des Landes entsteht, auch dass das Abtrocknen vom Element des Staubes und das sich Erwärmen der reinen Luft im raqia‛ ein und dieselbe Hand lung bi ldeten, wie es noch im Folgenden erläutert werden wird. „Ebenso besitzt der Name Elohim die K raft ihrer Schöpfung, um über dem Wasser zu stehen“, bevor der Zusatz zur K raft mittels der beiden Welten von Gott kommt, in dem sie der Same der Geschöpfe in den Elementen ist. Und zum Geist des Elohim (Gen 1,2) [ bemerkt er ] [ z u Gen 1,2 : ] „Der Geist ruhte auf dem Namen [ Gott ]. Insofern er Bote des Willens Gottes war, das Land zu trocknen.“ Denn die Wirkung der ersten Bewegung an den toten Elementen war, die Wasser zu trockenem Land zu verwandeln. „Doch die Bedeutung des Wortes ‫ מרחפת‬war, das Wasser nach oben blasen.“ Es werde Licht (Gen 1,3) : „Dies bedeutet, das Licht solle über dem Geist sein.“ Das heißt vor der Schöpfung, denn die Strah len der Sonne und Gestirne gelangten nicht zu den drei Elementen; ihre K reise blieben dunkel, wegen der Verdunstungen der Wasser und der Trockenheit jener Elemente. In sie drang kein Licht der Sonne, es sei denn in die reine, ätherische Luft, welche auch Urfeuer genannt wird. Als der Geist nach dem Willen des Herrn die Wasser zu trocknen begann, da verdrängten die Strah len des Lichts die Zwischenräume jener Elemente. – Es sei eine raqia‛ (Gen 1,6) : „Dies bezieht sich

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auf eine ausgespannte Fläche […], und diese raqia‛ besteht aus Luft, und wenn sich das Licht über der Erde ausgebreitet und der Wind das Land getrocknet hat, entsteht Wärme, und es bi ldet sich die raqia‛“. Dies meint, dass die Erde die ganze Zeit mit Wasser bedeckt war, sie war kein verhärtetes Gebiet, sondern aufgelöst wie Wasser, ähn lich einem Sch leim und f ließend wie Wasser. Doch die Lichtstrah len wurden von ihm nicht zurückgeworfen, sondern verschwanden | in ihm; die K raft des Lichtes war schwach. Durch die 329 K raft des Wortes wurden die Wasser gesammelt und wurden weniger auf der Erde. Das Land wurde trocken, indem die Wasser nach oben stiegen. A ls die Strah len des Lichts das Trockene trafen, wurden sie zurückgeworfen, wie es bis heute der Fa ll ist. Das Licht wurde dadurch heller und kräftiger, sodass die Luft in sich und von der Feuchtigkeit reiner wurde und die Atmosphäre aus Luft entstand, die die gesamte Erde umgibt, von der wir nur die Himmel erkennen können. Es entstanden in ihr der Regen und Schnee sowie der Hagel und die übrigen Aggregatzustände der Luft. Daher konnte der Weise [ Ibn Ezra ] diesen Teil des Äthers, den er sogar bis zu einem gewissen Abstand für die Erweiterung der Erde hielt (nach Ps 148,1 – 9) : ‫ [ סגריר‬schweren Regen ] nennen. Denn er nahm an, dass sie nur bis zu einem gewissen Grade aus der Vermischung der Elemente Feuer, Wasser, Schwefel und der übrigen Teile des Staubes bestanden, aus denen nachher a lle anderen Geschöpfe entstanden sind. – Er fügte a ls Beleg für sein System einen Vers aus Psa lm 1051 an, denn zu [ dem Vers ] wer den Himmel spannt wie ein Gewand (Ps 104,2) bemerkte er : [ dies meint eigent lich, ] wer die Wasser nach oben zieht, was sich auf die Bewegungen des Geistes über dem Wasser bezieht. Er erwähnt dort auch die Wol ken und den Geist, auch den Grund der Erde (Spr 3,19), und er deutet dies auf den Grund, welcher höher ist a ls die Wasser, „und so steht geschrieben : Denn er hat sie über Meeren gegründet (Ps 24,2)“ [ zu Gen 1,6 ]. – Siehe, er deutet er unterschied zwischen Wasser und Wasser so, dass er zwischen den Wassern auf dem Land und den Wassern des Regens, die bis zum äußeren Rand dieses Teils der Äther reichen, unterschied. 1 Korrigiere

zu Ps 104.

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– „Und der Grund dafür ist das es geschah so, d. h., dass das, was ihm nachfolgte, mit ihm zusammenhing“ [ z u Gen 1,7 ]. Das bedeutet, dass dies bedeutet, was bislang geschrieben steht, Gott schuf den raqia‛ bedeutet. Doch was ist die Bedeutung, noch zu sagen : es geschah so ? Darum, um auszudrücken, dass es so nachher geschah, nachdem der Herr gesagt hatte, die Wasser sollten sich sammeln, wie es auch kurz danach zu [ dem Vers ] heißt : Es sammeln sich die Wasser unterhalb des Himmels (Gen 1,9) : „Meiner Meinung nach hängt diese Parasha mit der ihr voranstehenden zusammen, denn die raqia‛ wurde so lange nicht bereitet, bis dass das Land trocken ward. Der Beleg dafür ist [ der Vers : ] An dem Tag, an dem der Herr, Gott, Erde und Himmel machte (Gen 2,4). Siehe, er machte sie an einem Tag !“ [ zu Gen 1,9 ]. Wie er bereits oben sagte, dass zuerst das Licht, dann die das Wasser sammelnde raqia‛ geschaffen wurde. Er fügt hinzu : „Doch das Sichtbarwerden einer verborgenen Sache (dies meint das Land, welches auf dem Trockenen sichtbar wird) und die Samm lung von verstreuten [ Sachen ] (dies meint die Wasser, welche verstreut sind, bis zur Grenze des obersten Teils der Luft, welcher der Geist ist), ist keine Schöpfung“ [ z u Gen 1,9 ].1 Denn es entsteht aus dieser Bewegung a llein kein neuer Gegenstand oder eine neue Sache auf diesem Feld der Schöpfung, denn er ist der K reis des Wassers und der Staub des leeren Raumes, welcher in ihm befind lich ist, durch die trockenen Flächen auf der Erde. Dafür gibt es aber keinen anderen Beleg a ls das Licht, welches von oben kommt, und die raqia‛, welche aus neuer Luft über der des Geistes geschaffen wird. Der Weise [ Ibn Ezra ] forschte jedoch noch tiefer, um Belege aus der Bibel anzuführen, denn dies ist die A rt der hebräischen Rede, auf dass es eine Begründung gäbe für den Satz : Und es sprach Elohim : Es sollen sich die Wasser sammeln. Und Elohim hatte bereits gesprochen (am zweiten Tag), doch der dritte Tag, der ist eigent lich nur ein Vorwort der Schöpfung des dritten Tages, beginnt mit der Bildung der Pf lanzen. Er sprach : „Der dazu passende Kommentar ist : Und Gott sah, dass es gut war (Gen 1,10), was sich auf die Schöpfung am zweiten Tag bezieht (welche dort feh lt). 1 Vg l.

Rottzoll, Abraham Ibn Ezras Kommentar zur Urgeschichte, 52 f.

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Und die Worte es lasse hervorsprießen, die Erde Gesproß (Gen 1,9) bezeichnen den Beginn des dritten Tages.“1 (Und auch diesen Vers besch ließt er mit es war gut.) – Zu dem Vers lasse hervorsprießen heißt es : „Die Schrift spricht von lasse sprießen in Bezug auf den Beginn des dritten Tages, es sollen wimmeln die Wasser (Gen 1,20), es bringe hervor (Gen 1,24), d. h., er legte K raft in das Land und in das Wasser, um nach den Geboten Gottes die Entstehung umzusetzen.“ Entsprechend dem System des Weisen [ Ibn Ezra ] gibt es in jedem Ding Weisheit, und sie ist die K raft, die sich in jeder Sache befindet und die sie selbst und ihr Innerstes bewegt, ausgenommen die äußere Bewegung und die Sache, welche in ihr erscheint. Daher ist diese K raft die Hauptsache, da sie die nefesh von a llem ist, und sie wird im Körper durch die Macht dieser K raft sichtbar aktua lisiert. Doch diese geistige K raft ist a llein ein Verstandesbegriff, und er ist das Wesen, welches nur im Verstand etwas gi lt. Die Dinge a llerdings, welche im Körper sind, sind vorübergehend und vergänglich, sodass sie für keinen Moment [ wirk lich ] Bestand haben, doch die K raft des Wesens hat Bestand. Seiner Meinung nach sind jene unabhängigen K räfte in der Welt verstreut, und sie kommen dorthin aus der Fü lle der Welt der Sphären, wie das sichtbare Licht, welches aus der Sonne hervorgeht. A lle Bewegungen von diesen Bewegungen sind unterschied liche K räfte, welche von ihm a ls die Entwick lung der Sache mittels der K raft bezeichnet werden. Die K raft selbst ist dabei nichts anderes a ls die Mutter der Bewegung; a llerdings nur so lange sie noch in ihrem Inneren wei lt, ohne an das Licht der physischen und sichtbaren Welt gedrungen zu sein und ohne dabei wirksam geworden zu sein, bis sie unter den Bedingungen, die geeignet sind, in die Tat umgesetzt wird. Diese Vorbereitung wird von ihm „Vorbild der Schöpfung“ [ ‫] מתכונת תולד ת‬ genannt. A ls jedoch die K raft dama ls bereit war, da trat sie ans Licht | und schuf das Objekt mittels Vermischung, welches jene K raft selbst die gesamte Zeit ihrer Existenz in jener Zusammensetzung in sich bewahrte. In der Parashat Mishpaṭim sagte er dazu : „Die K raft, welche den Körper zusammenhä lt, die der Mensch vom 1 Vg l.

Rottzoll, Abraham Ibn Ezras Kommentar zur Urgeschichte, 54.

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Himmel erhä lt, sie ist es, welche Wirkung [ ‫ ] תולד ת‬genannt wird“ [ z u Ex 23,25 ]. Doch er sagte, dass in a lle Geschöpfe auf der Erde und im Wasser von Gott mittels der Sefirot eine K raft gelegte wurde, um jene Geheimnisse der Schöpfung offenzu legen. Doch dies ist die Schöpfung, welche stets in ihnen vorhanden ist und die nun auf dem Trockenen und in der Luft sichtbar gemacht wird, sodass sie diese Zusammensetzungen tatsäch lich benötigen und dass sie jetzt an das Licht der Rea lität dringen. – Siehe, er geht hin und deutet entsprechend seiner Methode den Satz „es sollen Lichter sein“ dahingehend, dass die Lichter in der niederen Welt nicht recht gesehen werden, bis die Luft in ihrer Reinheit, das Land auf seinem Grund und in der Eink leidung des wenigen an Flora bereitet sind. Und er sagt : „Das R ichtige meiner Meinung ist, dass die Sonne und der Mond sowie a lle Sterne Zeichen für den Himmel sind, denn [ nur ] vor ihm können sie erkannt werden.“1 Nur seinetwegen können sie a ls Leuchten am Himmel bezeichnet werden, da sie von uns nur von ihm her gesehen werden können, er [ der Himmel ] a llein macht sie uns wahrnehmbar und sichtbar. Doch aus diesem Grund sagt er : „Wundere dich nicht über das Wort ‫ויתן‬, denn es steht geschrieben : Meinen Bogen gab ich (Gen 9,13). Auf dass sein Kommentar nicht dadurch schwer verständ l ich erscheine, meinte er, dass ihr Erscheinungsbi ld a llein am Himmel sei, nicht etwa sie selbst. Doch warum heißt es ‫ויתן‬, d. h. „er gab“ sie an den Himmel ? Darauf antwortet er, dass auch der Bogen nicht wirk lich „gegeben“ wurde, sondern dass er nur so erscheint. – Er fügt dazu noch einen Beleg anhand des Verses von dem Gef lügel, welches f liegt an der Fläche des Himmels (Gen 1,20) an. Denn das Gef lügel f liegt bis an die Grenze der Luft, wie gezeigt wurde. Entsprechend der Intention des verstorbenen Gelehrten, des Autors, befasst sich dieser Paragraph mit der Gesta lt der niederen Welt und ihrer Erschaff ung, auch enthä lt er den ersten Abschnitt über das Schöpfungswerk [ ma‛ase bereshit ], und in ihm wird das Geheimnis des Menschen [ Sod ha-Adam ] erläutert bis zu der Schriftstelle : von all seinem Werke, das 1 Vg l.

Gen 1,14.

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Gott geschaffen (Gen 2,3). Doch habe ich dazu nur einen Abschnitt gefunden, der auf die Überlegung des Rabbi Ibn Ezra hinsicht lich der Wirkungen der Oberen zurückgeht und welcher sich auf den vorangehenden Paragraphen stützt, an den der Autor nachträg lich die folgenden Worte notierte : „Dies gehört zu dem Paragraphen Sod ha-adam.“ Doch der Abschnitt ist der folgende [ Zunz ] :

Er sagt in der Parashat Mishpaṭim (Ex 23,26) : „Die K raft, welche den Körper zusammenhä lt, welche der Mensch vom Himmel erhä lt, sie wird ‫ תולדת‬genannt“ [ z u Ex 23,25 ]. Außerdem : „Doch gibt es K rankheiten, die von außerha lb des Körpers kommen, entsprechend der Luftveränderung nach dem Wandel der Konstellation der Planeten [ wörtl. Diener ].“ Auch heißt es dort : „Wisse, dass a llem, was geboren wird, Dinge zustoßen nach der Weise, auf die die Konstellation der Planeten hindeutet, und zwar in dem Moment der Geburt entsprechend dem Verhä ltnis [ der Planeten ] untereinander. Dies ist aber ein sehr bedenkenswertes A n liegen, ebenso wie die Geburt bei der Frau eine dem Verstand nachvollziehbare A ngelegenheit ist. Denn die Öff nung des Muttermundes (dient bei ihr), den zu Gebärenden umzudrehen [ ‫] להשכי ל‬, oder sie gi lt a ls unfruchtbar und kann nicht gebären. Doch wenn jemand an Gott anhaftet, bei seiner Geburt aber bestimmt war, keine Söhne zu haben“1 usw. Doch weiter : „Denn ich werde die Fortpf lanzung [ in der Natur ] [ ‫ ] תולד ת‬dirigieren, doch dies ist kein Dirigieren mittels des Systems der Gestirne, denn sie wurden nicht geschaffen, um die niedere Welt zu verbessern oder zu versch lechtern. Sie folgen ihrem Lauf vielmehr stets nur, um dem Herrn nach ihrem Vermögen zu dienen, und während ihres Laufes erha lten die Leute der niederen Welt ihren Teil und das Gegenteil davon; doch wenn wir es nicht bewahren können, werden wir es nicht aufnehmen“ [ z u Ex 23,28 ]. Doch in der Parasha K i tissa (Ex 32,23) schrieb er : „Es komme dir bloß nicht in den Sinn, dass sich die vier Fortpf lanzungen [ ‫] תולדות‬ im Himmel ereigneten usw., doch wurden sie so nur wegen der 1 Vg l .

Rottzoll, Abraham Ibn Esras langer Kommentar zum Buch E xodus II, 760 f.

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Kabba listen genannt. Die Diener können ihren Weg jedoch nicht verändern, und ein jeg licher folgt dem Gesetz, welches ihm Gott gegeben hat. Ebenso empfangen a lle himm lischen Heerscharen und die niederen [ Wesen ] von ihnen, entsprechend ihrer Konstellation; deswegen können sie weder guten noch sch lechten Einf luss ausüben. Demjenigen, der sich vor dem Himmelswerk niederwirft, wird es nichts nützen. Denn das, was über ihn erlassen worden ist, wird ihm, entsprechend der Sternenkonstellation bei seiner Geburt, geschehen. Außer wenn er die K raft des Höchsten stärker beobachtet“ usw. [ z u Ex 33,21 ]. | 7. Hinweise auf die Geheimnisse der Tora

Die Meinung des Weisen [ Ibn Ezra ] hinsichtlich der Urf lut ist, dass sie auf die Sterne zurückzuführen ist, in denen sich die sch lechten und zerstörerischen K räfte vereinigten, und sie bewirkten dieses Übel in der Natur. Doch dies geschah erst, nachdem das Geschlecht übel und verdorben war, sie Gott verließen zugunsten der natürlichen Zufä lle und ihrer Hintergründe. Doch weiter vertiefte er dies in seiner Weise, mit der er nachweist, dass, wei l sie ihre Wege verdarben, sie a lle K raft der Fortpf lanzung verließen, wie es in dem Kommentar zur Parashat Mishpaṭim erläutert wird. Doch auch wenn sie keine K raft von oben erhielten, um die Konstellation zu besiegen, welche sie von der Schandtat entfernen könnte, wie es noch nach seinem System erläutert werden wird, so ist es seiner tieferen Absicht zufolge ebenso : „Doch was unsere Vorfahren sagten, dass die Begründung für die A npassung a llen Fleisches an seinen Weg daran liegt, dass nicht a lle Lebewesen den Weg ihrer Fortpf lanzung beobachteten und den in sie gepf lanzten Weg krümmten. Doch wie ehrenwert ist das, was er darüber sagte, dass er sie mit Wasser vernichtete, näm lich dass Gott sie mit Wasser richtete. So wie die Wasser aber von oben und unten waren, so waren es auch die Wasser, mit denen er sie vernichtete“ [ z u Gen 6,11 ]. Die Erk lärung für seine Worte ist, wie wir erk lärt haben, dass mit der Tilgung der Pfade der Natur (deren Verpf lichtung sie zu be-

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wahren der Grund für das Verbot von Vermischtem [ K il ʼayim ] ist [ vgl. Lev 19,19 ]) die K raft zur Fortpf lanzung nach lässt, welche die Geschöpfe bewahrt und schaff t, die a lle Zeit aus den Paarungen hervorgehen. Es ist diese K raft, die von oben kommt; und von der gilt, dass diejenigen, welche sich paaren, zum Wasser zurückkehren, jener Materie, die immer a ls Wasser bezeichnet worden ist; und sie ist das Grundelement für jeg lichen lebendigen und f lüssigen Samen. Doch insofern der Mensch Abbild und eingravierter Abdruck der gesamten niederen Welt ist, wie es [ von Ibn Ezra ] im Sod ha-Adam erk lärt wird, so befi ndet sich sein Same in den ihm eigenen Gefäßen des Samens, und diese reichen vom Rückgrat bis hinauf ins Gehirn, welches sich im Kopf befindet. Und der Weise meinte, dass sie, so wie sie von Urzeiten an von oben nach unten verdorben wurden, so wurde auch die Ordnung der Elemente verdorben und die Welt durch das Wasser, welches sich in der Luft befindet, und das Wasser, welches sich auf der Erde befindet, beschädigt; an den Orten ihrer Rea lisation und Synthesen wurden sie vernichtet, wobei sie ihre aus der mitt leren Welt stammende K raft verloren, d. h. die K raft vermittelt durch eine Linse, und auch desha lb, weil die obere K raft nur von einem Ort der Voll kommenheit und Allgemeinheit kommen kann, wie noch im Folgenden erk lärt werden wird. Das Motiv für diese Erk lärung, wie wir in Erinnerung gerufen haben, rührt aus der Einzigartigkeit der hei ligen Namen, wie sie während der Urf lut und bei der Rettung Noahs erwähnt wurden, doch leitet es sich auch aus der Besonderheit der Zah len ab und daraus, dass es zwölf volle Monate für einen vollen Um lauf brauchte. Auch einige Worte der Rabbinen, seligen A ngedenkens, wie das Diktum des Rabbi Yehoshua‛ im Midrash „solange die Erde noch steht“ usw. „‫ ישבתי‬bedeutet so viel wie : sie sollen nicht ruhen, sie haben nicht geruht“ (BerR 34,11 [ 321 ]). Oder den Ausspruch des Rabbi Yoḥanan : „Die mazza lot dienten nicht die vollen zwölf Monate“; doch Rabbi Yoḥanan sagte dazu : „Sie dienten, doch wurden ihre Zeichen nicht erkennbar“ (BerR 34,11 [ 322 ]). Doch dazu sagte der Weise [ Ibn Ezra ] [ z u Gen 7,11 : ] „Und a ls über ihm die Wasser durchbrachen (jene in der Tiefe unter dem Grund aus Staub), da wurden die Luken der Speicher im Himmel geöff net (höher a ls

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die Luft), und a ls die Wasser hinabf lossen und das Land verwüstet wurde, da konnte man nicht mehr zwischen Tag und Nacht unterscheiden.“ Und bezüglich des Wortes ‫( הניחוח‬Gen 8,21) [ bemerkt er : ] „(Es kommt) von (derselben Wurzel wie) der Ausdruck ‫מנוחה‬. Das ‫ ח‬ist verdoppelt wie das verdoppelte ‫[ פ‬in] ‫( ונאפופיה‬Hos 2,4). Doch die Bedeutung geht dahin, dass der Geruch [ Gott ] vom Zorne ruhen ließ, oder dass er eine ewige K raft [ auf den Geschöpfen ] ruhen ließ.“ Seine Meinung wird dadurch k lar, dass er sich den zu seiner Zeit und den lange vor seiner Zeit im Orient verbreiteten Meinungen angesch lossen hat, wonach die [ Bewohner ] der niederen [ Welt ] die aus dem Sphärenkreis emanierende K raft empfangen haben, ohne auf diesen Empfang vorbereitet gewesen zu sein. Die Luft aber ist die Erste, welche dies empfängt, deswegen muss sie vom Schmutz und von Trübem gereinigt sein, wie es etwa durch Dampf und Rauch verursacht sein könnte. Und dort [ sc. in der Luft geschah ] Gewitter, Sturmregen und die Umwä l zung a ller Elemente. Doch auch bi ldet sie einen Auffangraum für die K raft des Höchsten durch Gott, welcher die Ruhestätte [ ‫ ] חו ל‬der shekhina ist, sodass der Raum wie auch der Mensch im Status der Reinheit und Sauberkeit sein müssen. Sein erster Beleg dafür ist : und bedecke deinen Auswurf (Dtn 23,14); dass er nicht an dir sehe irgend eine Blöße und sich abkehre von dir (Dtn 23,15). Auch dafür nützt das Räucherwerk, wie erk lärt werden wird. Deswegen sagte er : „Oder um die K raft des Höchsten zu beruhigen.“ Doch entsprechend seiner ersten Deutung kommt dieser Ausdruck für seine Elemente von ‫מנוחה‬, und die zweite Erläuterung bezieht sich auf das Wort ‫הנחה‬, und zwar mit Blick auf die Ruhestätte der K raft des Höchsten. Doch Gott errettete seinen Gerechten, welcher Gnade vor ihm gefunden hatte, zusammen mit einigen seiner Geschöpfe, um a ls ein Wunder und jenseits der mazza lot eine neue Niederlassung zu gründen. Weiter wird diese Erk lärung der gött lichen Vorsehung im Folgenden im Sod ha-Adam erk lärt. Er geht hin und erk lärt die Zah len, 332 die im gesamten Jahr der Urf lut | erwähnt werden, hinsicht l ich des Regens und in Bezug auf die überhandnehmenden Wasser sowie ihrer Aufnahme und ihre Zerstörung der Heerschar und ihrer Konstellation. Das Prinzip, welches dieses Motiv für diese A n-

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nahme ist, ist das, was in der Rea lität a ls Woh lgefa llen beschrieben wird, wenn von Gott, dem ehrenwerten, und ebenso von seinem Dankopfer die Rede ist. Oder wenn an den übrigen Stellen der Geschichte ma l vom ha-shem ha-nikhbad ma l vom ha-shem eloqim die Rede ist, welcher auch der Ausdruck für die natürlichen K räfte ist, die von ihm ausgehen, welche sein Wesen und seine K raft bilden. Und a lle ihre Bewegungen werden zu Recht mit ihm in Verbindung gebracht, wenn auch nicht im Gegenzug a lle seine Bewegungen mit ihnen. Und in seiner Genauigkeit bemerkt er : „Gott befah l dem Noah, die A rche zu bauen, viele Tage vor dem Kommen der Flut. A ls sich die Tage näherten, befah l Gott, der ehrenwerte, er und seine Familie sollten in die Arche gehen. Doch für den Bedarf für das Opfer befah l Gott, der ehrenwerte“ usw. [ z u Gen 6,18 ]. Und dies wird noch genauer erk lärt werden. – Ebenso lautet seine Meinung bezüg lich der Generation nach der Sintf lut. Denn seiner Meinung nach hatten sie keine sch lechte Absicht, a ls sie die Stadt und den Turm errichteten, und er sagt dazu : „ Jene Erbauer des Turmes waren nicht so dumm, dass sie meinten, sie könnten zum Himmel aufsteigen usw., doch jene Erbauer sahen in ihrem Ratsch luss, dass sich [ ihre Gemeinschaft ] nicht auf lösen würde, doch Gott riet ihnen nichts dazu, und so konnten sie nicht wissen“ [ z u Gen 11,3 ]. Und jede Erwähnung des Wortes ‫ירידה‬, welches von Gott gesagt wird, meint das Kommen der Macht und des Wesens aus ihm auf die Stufen, die sich unter ihm befi nden. Deswegen sagt er : „Der Ausdruck ‫ וירד ה׳‬deutet an, dass a lle Taten, die weiter unterha lb von ihm geschehen, von der K raft der Höheren und vom Himmel abhängen und die Hand lungen vorbereiten (dies bezieht sich auf die natürlichen Hand lungen und ihre Ursachen); daher wird sein Name auch Reiter des Himmels (Dtn 33,26) genannt, und der Thronende im Himmel (Ps 123,1).“1 Doch zu dem Vers siehe, ein Volk ist es (Gen 11,6), sagte er : „Dieses Wort sprach [ Gott ] zu den Engel n (die K räfte aus den Sefirot), und dies vor dem Ausdruck : und er stieg hinab (Gen 11,5); die Bedeutung von er stieg herab (Gen 11,5) ist : 1 Rottzoll,

Abraham Ibn Ezras Kommentar zur Urgeschichte, 212.

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weil er so gesprochen hatte.“1 Er meint damit, dass der Abstieg und die Rede die K raft bilden, die er in den oberen Heerscharen entwickelte, um in den unter ihnen befi nd lichen [ Welten ] zu wirken. Doch die Wirkweise dabei funktioniert so, wie es später gesagt wird : „Es erscheint mir richtig, dass sie von dort verbreitet wurden. Doch nachdem der König Nimrod aus Babylonien vertrieben worden war, erstanden andere Könige, und nach vielen Tagen, nach dem Tod der ersten Generation, wurde die Sprache der Vorfahren vergessen. Und Gott verstreute sie, und dies war gut für sie, und ebenso sagte er : Denn sie haben erfüllt das Land (Ez 8,17) [ z u Gen 11,7 ]. Und a llgemein ging man davon aus, dass die Zerstreuung der Menschen auf der Erde in ihrer Natur und in ihrer Entwicklung [ begründet ] lag. Doch seiner Meinung nach war sie auf eine höhere K raft zurückzuführen. In der Kunst und in der Astrologie wird bei der Deutung der Sternbilder, die mit ihrem Lauf auf diese Zerstreuung hindeuten, insbesondere auf den Saturn, verwiesen. Doch durch die große Zerstreuung änderten und vermehrten sich die Sprachen, entsprechend dem Wandel der Orte und der K limate, der Wasser[ vorkommen ] und der a llgemeinen Bedingungen, auch der Wert sowie der Aufbau der Möglichkeiten der Ausdrucksweise. Nach Meinung des Weisen [ Ibn Ezra ], dass nach der Urf lut, die das Land von seiner Unreinheit reinigte, der Ratsch luss der höchsten Weisheit erging, der Erde etwas von der höchsten K raft zuteilwerden zu lassen, da sie nun bereitet sei, diese K raft zu empfangen. Dieses stärkt nun aber das Licht der Sonne, und mit ihm a lle Emanationen, und a lle K raft der darunter Befindlichen. Dann entstand der Bogen, der vorher noch nicht existiert hatte, und dieser steht für die Ruhestätte der shekhina. Es verblieb aber die K raft, welche der Bund und der Schwur beinha lteten, die für die Wasserf lut des Noah über das Land [ gegeben worden waren ]. Auf diesem Hintergrund können wir seine Rede verstehen : „Siehe, ich habe einen Bogen in die Wol ken gegeben, was nicht so viel bedeuten kann wie dass, was der [ Gaon Rav Sa‛adya ] sagte, dass er bereits von A nfang 1 Vg l.

Rottzoll, Abraham Ibn Ezras Kommentar zur Urgeschichte, 212.

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an bestand [ z u Gen 9,13 ].“1 Und weiter : „Fa lls wir den Worten der Weisen Griechen lands glaubten, dass unter der Sonne der Bogen erschaffen wurde, so müssen wir sagen, dass Gott das Licht der Sonne nach der Urf lut stärkte, und dies ist die richtige A rt [ des Verständnisses ] für den Verständigen“ [ zu Gen 9,14 ]. „Die Erk lärung für und es war ein Bogen in den Wolken ist, dass er dort ewig im Verborgenen vorhanden ist, und Gott sieht ihn“ [ z u Gen 9,14 ]. „Dies ist das Zeichen des Bundes, von dem ich zu dir gesprochen habe, und dies ist der Schwur, welchen ich aufgerichtet habe“ [ z u Gen 9,17 ]. Des Weiteren sagte er zu dem Bibelvers : ich werde nicht noch einmal verf luchen (Gen 8,21), dass [ hier ein Rückbezug ] auf den Fluch [ im Zusammenhang mit ] Adam [ besteht ], denn so steht geschrieben : Verf lucht sei der Erdboden (Gen 3,17). Denn der Trieb des Menschen ist böse von seiner Jugend an : „Das meint die Natur [ ‫] תולד ה‬, die [ mit ] ihm geschaffen wurde.“ Daher benötigt er die K raft des Höchsten. Doch was der Weise [ Ibn Ezra ] bezüglich des Aufbaus des Stiftszeltes sagte, dass es Abbild und Beispiel für a lle Welten sei, jedes Bild und jede Form in ihm und in seinen Teilen, in seinen Gefäßen, in seinen Gewändern und in seinen priesterlichen Schmuckstücken, ein jedes werde in Relation zum keruv erwähnt. Doch sie erfü llen die Bilder und Formen des Denkens, welches der Verstand bilden kann, und wer sie betrachtet, um das A ll und die devequt in ihm zu verstehen, von dem erscheint es uns, dass sie a lle zum größten Teil den Worten | eines für uns in seiner Gänze verlorenen 333 Responsums entnommen worden sind, das Hai Gaon, seligen A ngedenkens, in Bezug auf jene Geheimnisse verfasste. Ein k leiner Teil davon ist jedoch erha lten, da es von Rabbi Moshe Botarel2 in seinem Kommentar zum Sefer Yeṣira zitiert worden ist. Wenn er sich uns in seiner Gänze erha lten hätte, würde er ein helles Licht auf die Tiefgründigkeit des Systems des Weisen werfen, doch ein wenig davon ist für unsere Überlegungen grund legend. Denn es 1 Vg l.

Rottzoll, Abraham Ibn Ezras Kommentar zur Urgeschichte, 190.

2 Vermut l ich l ag K rochma l die Ausgabe : Sefer Yeṣira ‛im d‘ bi’urim ha-R aved

we-ha-Ramban we-perush ha-Ari we-aḥarim ha-R . M. Botarel, Zołkiew 1742 – 1744 vor. Der Kommentar entstand im 15. Jahrhundert in Spanien.

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ist erstaun lich, dass der Weise Sätze im Verlauf seiner Ausführungen schreibt, die sich tei lweise genauso in dem Responsum finden, welches von Moshe Botarel zitiert wird, so wie sie zitiert vor uns liegen. Und es ist mir bekannt, dass Rabbi Moshe Botarel einiges in seinen Abschriften zitiert, ohne eine Grund lage dafür zu haben. Derjenige aber, der es genau überprüft, wird erkennen, dass a lle seine Abschriften korrekt sind, d. h. dementsprechend, was er in den Schriften, Pergamenten und Heften von Schreibern vorfand. Und der größte Teil stammt von ä lteren Sphärenwissenschaft lern. Doch kehren wir zum Beleg dieser Dinge zurück, denn der Weise sagt in seinem Kommentar zur Parasha Teṣawe, in seinen Ausführungen über das Geheimnis der Urim und Tumim : „Und Rabbenu Sh lomo sagt : Die Urim und Tumim waren mit dem shem ha-meforash beschrieben. Doch wenn man das Responsum des Hai Gaon betrachtet, erkennt man, dass er dies so nicht gesagt hat“ [ z u E x 28,6 ]. – Und in der Parasha Teruma, im Vorwort zum Sod haMishkan, bemerkt er : „Doch der Gaon erwähnt, dass sich achtzehn Dinge im Stiftszelt fi nden, welches für die mitt lere Welt steht, und ebenso in der oberen Welt, und so auch die k leine Welt“ [ z u Gen 25,40 ]. Wir haben aber keinen Zweifel daran, dass er sich hier auf Rav Hai in dem erwähnten Responsum bezieht, und er fügt noch hinzu : „ Jeder keruv ist nur dafür gemacht, um die K raft des Höchsten aufzunehmen“ [ ebd. ]. Dies ist a llerdings genau die Ausdrucksweise, welche in dem zitierten Abschnitt zu fi nden ist, und dies ist, was sich im Kommentar des Botarel findet : „Und Rav Hai Gaon, seligen A ngedenkens, schrieb Folgendes, und dies ist seine Ausdrucksweise : ‚Sechs Zeltstangen gibt es (und es liegt nahe, dass sich dies auf die Erk lärung der Zeltstangen des mishkan bezieht), will sagen, [ d ies steht für die ] sechs Ordnungen, die vier Winde und das über und unter ihnen, a ls siebtes der hei lige Tempel, welcher das Land bildet, in dem seine Ehre ruht.‘ Er befindet sich über der Welt, und die Erde ist voll der Fauna und Flora und ihresg leichen, welche die Ehre des Heiligen, er sei gepriesen, bi lden. Mittels dieses Gedankenganges gelangt der Mensch zu der Erkenntnis [ ‫( ] עגולה הרעיונית‬wahrschein lich handelt es sich dabei um eine Ausdrucksweise, welche aus der west lichen Redeweise entnommen

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ist, ähn lich dem, was wir a ls Ref lexion bezeichnen), dass die Welt nicht durch Zufa ll entstanden ist, sondern nach einer Ordnung, welche entsprechend einer bestimmten Regel verfügt wurde, aus der dann Etwas aus dem Nichts entstand. Er, Gott, er sei gepriesen, ordnete es nach der A rt des Zusammenhangs der Rea lität untereinander, und die Worte der Niederen und ihre Führung hängen an den Oberen, wie man es auch folgendermaßen sagen kann : Es gibt kein einziges Staubkorn unten, für das es kein mazza l oben gibt. Denn wer es triff t und zu ihm spricht : Wachse !, so ist dies wie, wenn es heißt : oder hast du eine Herrschaft über ihn bestellt auf der Erde ? (Ijob 38,33). Und die nefashot nach ihrer A rt sind eine mit der anderen verbunden, Stufe nach Stufe. Der voll kommene Mensch nach dem Geheimnis der Schöpfung, er vermag vor lauter Abgesch lossenheit in Weisheit die Zukunft vorherzusagen; denn vor lauter Abgesch lossenheit verschwanden seine Triebe und Gefüh le, und er gelangte bis zur ersten Stufe, aus lauter Nachforschung in den Geheimnissen des Daseins. Doch dann werden die K räfte seines Herzens zu Urim und Tumim, denn dies wird (‚nach seiner Meinung‘ ist hier zu ergänzen) mit dem Werk des Himmels verknüpft. Doch darin besteht sein A nhängen am Guten (vielleicht feh lt hier ein Diktum). Doch wei l der auf der Erde Geehrte der Mensch ist, so war auch die Gesta lt der keruvim ihm nachgebi ldet. Und weil er über den Geschöpfen des Unten steht, bestimmt er a ls ihr Ziel, Israelit zu sein. Denn der unter den Menschen ehrenwerteste ist der Israelit. Der Mensch bi ldet jedoch eine k leine Welt, und jeder keruv ist geschaffen, um die K raft der Oberen aufzunehmen. Indem die nefesh jedoch bereit ist, die kavod und die emanierte kavod aufzunehmen, wird die Form hinsichtlich des höchsten Leiters erneuert. Daher heißt es, dass ‚mein Name in seiner Mitte‘ weilt, denn er ist kavod, welcher kavod empfängt, und er ist der Mann, welcher sich in die Stoffe eink leidet. Das mazza l für Israel aber ist der Wassermann [ ‫] דל י‬. Dies ist über die K raft der Prophetie ernannt, doch der Planet des mazza l für Israel ist der Saturn. Die Ehre des Herrn, er sei gepriesen, erfü llt die gesamte Welt, und weil es Orte gibt, an denen die K raft des höchsten Leiters sichtbarer wird a ls an anderen Orten; dies aus zwei Gründen : Der

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erste entspricht dem System der rezeptiven Natur; der zweite entsprechend dem Höchsten, der aus seinem Winkel auf das Haupt des Empfangenden schaut. Denn die Emanation kommt wegen der Weisheit [ z ustande ], sie wird daher auch die Urweisheit genannt. – Dies ist aber ein mystisches Geheimnis in der Auslegung, welche die Rabbinen, seligen A ngedenkens, brachten, dass die Tora der Welt tausend Jahre vorangegangen sei. Doch nach der A rt des großen Geheimnisses in dieser Weisheit wird diese Auslegung erk lärt : Denn die Tora ist die Weisheit, und die Weisheit ist ein Geheimnis mit zweiundzwanzig Willenskräften (den Buchstaben der Tora). Und die Weisheit dient der Welt der Sphären und der niederen Welt, und dies war ein Geheimnis für zweitausend Jahre. Damit will ich sagen, es gibt zwei höchste Prioritäten : Die Priorität des 334 Seins und die Priorität des Oben. Dies ist ein Geheimnis | des Geistes, des lebendigen Geistes, beide sind Geist von Geist. Das „zweitausend“ [ ‫ ] אלפי ם‬kommt von dem Ausdruck und ich will dich Weisheit lehren [ ‫( ] ואאלפך‬Ijob 33,33), und „Jahr“ [ ‫ ] שנ ה‬von dem Wort für „zwei“ [ ‫] שני ם‬, wie es heißt : Und wegen der Wiederholung des Traumes des Pharao zum zweiten Mal (Gen 41,32). – Die Weisheit aber war Erste a ller Wesen. – Wenn der Mensch sein Herz ausrichtet, welches der erste Träger des Geheimnisses der Herkunft vom Baum der Erkenntnis ist, so werden ihm wundersame Geheimnisse offenbart, denn er ist der hei lige Tempel, welcher in die Mitte ausgerichtet ist, und dies meint das Geheimnis der Prophetie.“ Bis hier die Ausführungen des Rav Rabbenu Hai Gaon, seligen A ngedenkens. Moshe Botarel sagte : Die Worte des Rabbenu Hai, seligen A ngedenkens, basieren auf wunderbaren Geheimnissen, und nach dieser Weise wird die Majestät [ ‫ ] הו ד‬auf die Geschöpfe emaniert. – Von hier ab spricht Moshe Botarel gemäß seinem bekannten Vorgehen über die Vermischung der Dinge, über die Prophetie und die Traumdeutung. A llerdings muss man daraus sch lussfolgern, dass diese A ntwort im Prinzip auf das A n liegen der Prophetie und den heiligen Geist sowie die Schau von Prodigien abzielte, denn der Gaon verfasste über diese A ngelegenheit tatsäch lich ein anderes Responsum nach Spanien für Rabbi Shemu’el ha-Nagid, um seine Frage hinsicht lich der Geschichte von den Vieren, die in den Par-

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des gingen, zu k lären. Er zitiert sie hierfür nach dem ʽEyn Yaʽaqov, anstatt die Baraita [ aus bHag 14b; 15a-b selbst ] anzuführen, obgleich auch sie beachtenswert ist. Die Gebi ldeten werden ihren Wert einzuschätzen wissen. Daher scheint uns das von Botarel zitierte nur die Fortsetzung des erwähnten Responsum zu sein, und deswegen führt sie Botarel im Namen des Buches des Gaon an. Doch fand sie der Freund zur Gänze nicht bei dem Kata lonier, der sie aus einem Buch abgeschrieben hatte, welches sich in seinem Haus befand, so wie er dort aus einem anderen Responsum des Nagid zitiert; [ wenn auch ] manchma l nur wenige Sätze nach der A rt : „Und dies ist von dem, was er ihm schrieb.“ Es scheint jedoch so gewesen zu sein, dass es in den Tagen des Rashba [ Rabbi Sh lomo Ibn Adret ] mindestens zwei Abschriften dieses Buches in Barcelona in Kata lonien gegeben hat, und zwar aus bekanntem Grund, weil es gegen die Gelehrten in der Provençe gerichtet war. Doch strichen sie in ihnen a ll das aus, was gegen ihre Interessen gerichtet war. – Es ist jedoch woh l so, dass noch der Verfasser des Ohel Yosef dieses Responsum zur Gänze einsehen konnte, denn er erwähnt, dass in ihm stand, dass man mit Hilfe des shem ha-meforash [ des Unaussprech lichen Namens Gottes ] und der Namen der Engel die Zukunft nicht voraussagen und Erfolg haben könne.1 Doch die Absicht bei der münd lichen Nennung der Namen besteht genau darin, worüber sich der Weise [ Hai Gaon ] an verschiedenen Stellen beschwert. Und man darf annehmen, dass der Gaon das knappe, aber an Weisheit und Geha lt so reiche Responsum im weit vom spanischen A nda lusien entfernten Babylonien verfasst hat. Doch über Kairouan in A frika konnte er es sch ließlich mit Hilfe von Rav Nissim übermittel n, wie es Rav Avraham [ ibn Daud ], seligen A ngedenkens, im Sefer ha- Qabba la berichtete.2 1 Vg l .

den Ibn Ezra-Kommentar Ohel Yosef des R abbi Yosef bar El iʽezer Ṭov Elem ha-Sefaradi (Y. Bonfi ls) in dem Ḥumash A msterdam 1712/13 oder R adischow 1817. 2 Vg l. G. D. Cohen, A Critica l Edition with a Transl ation and Notes of The Book of Tradition (Sefer ha- Qabba lah) by Abraham Ibn Daud, Phi ladelphia 1969/70, 77; 63 (hebr. Text) [ V II 270 ]; siehe auch Seite 187.

Zusammenfassungen aus den Büchern des Rabbi Avraham Ibn Ezra (Bereshit, Noaḥ und Lekh lekha) (Bereshit.) Im Anfang (Gen 1,1).1 Gemäß meiner A nsicht ist es (sc. das Wort ‫ )בראשית‬ein status constructus, verg leichbar (der Aussage) : Am Anfang der Herrschaft Jehojakins ( Jer 26,1). […] Siehe auch : Am Anfang des Redens des Herrn [ (mit Hosea : Da sprach der Herr zu Hosea) ] (Hos 1,2) und : Stadt des Lagerns Davids ( Jes 29,1). Die Bedeutung (des Begriffs ‫ )בראשית‬wird dir im (im Zusammenhang des) zweiten Verses erk lärt werden. ‫ ברא‬: (…)2 Wir finden (das Verb ‫ ברא‬zudem in dem Vers) : Haue es dir dort heraus (‫ ( )ובראת‬Jos 17,15) […], wie in : (Die Versammlung) zerhaue (‫ )ברא‬sie (Ez 23,47). Seine Bedeutung [ des Wortes ‫ ] ברא‬ist, etwas zu zerschneiden und eine Grenze zu setzen, (durch die etwas bereits Bestehendes) beschnitten wird. Der Verständige wird es verstehen. (Eine andere Erk lärung) :3 Das Wort ‫ ברא‬bedeutet nicht etwa, wie die meisten Ausleger meinen, eine Schöpfung aus dem Nichts. Und der Vers, der dies belegen kann, lautet : Da schuf Gott die Seeungeheuer (Gen 1,21). Daraus können wir aber ableiten, dass die Schöpfung, die er schuf, eine Zerschneidung, die er vornahm, war. So sagt es auch der Vers : den ich zu meiner Ehre geschaffen ( Jes 43,7), was das Übergeben von K raft an ein Wesen bezeichnet, und nachher heißt es : gebildet und bereitet (ebd.), was die Verbesserung bezeichnet. Der Ausdruck ‫ברא אותהן‬ geht auf die Aussprache zurück, und daher steht geschrieben ‫ בורא קצות הארץ‬, denn ‫ [ תקצווה‬Enden ] meint keine ‫ [ גופות‬Körper ]. Und ebenso heißt es : Der das Licht schaff t ( Jes 45,7), denn das Licht ist kein Gegenstand, sondern ein Geschehen, das durch Vieles bedingt wird, ebenso eine Übertragung eines Gegenstandes. Der 1 Vg l .

zu den folgenden Auszügen aus Ibn Ezras langem Genesis-Kommentar Rosin, Rel igionsphi losophie; Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentar zur Urgeschichte, 32 ff. 2 Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentar zur Urgeschichte, 34 f. 3 A nders übersetzt Rottzoll.

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Verfasser des Sefer Yeṣira nannte dies temura.1 ‫ אלהים‬: Nachdem wir (an anderen Stellen der Bibel) das Wort ‫( אלוה‬a ls singu larischen Ausdruck) fanden, wissen wir, dass ‫ אלהים‬eine Plura lform ist. Die Wurzel dieser Ausdrucksweise ist, dass jede Sprache ehrenvolle (Redewendungen besitzt) usw. (…). Der Logik [ ‫] תושי ה‬2 entnehmen wir, dass das Sprechen ‫ שפה‬genannt wird, wei l es so aussieht, a ls ob es von ihr [ sc. der Lippe ] hervorgebracht wird. Und ebenso wird die Seele des Menschen ‫ לב‬genannt – das Herz aber ist körperlich, während [ d ie Seele ] nicht körperlich ist –, wei l das Herz der erste Ruheplatz für [ die Seele ] ist. Weil aber das ganze Werk des Herrn durch die Hand der Engel, die seinen Willen tun, gemacht wurde, wird [ Gott ] so [ ‫ ] אלהים‬genannt. Zu dem Vers : denn mein Name ist in ihm (Ex 23,21) werde ich etwas von dem Geheimnis des Namens (Gottes) erk lären. […] Die Bedeutung (des Ausdrucks) ‫ אלהי צבאות‬ist gleich der Bedeutung (des Ausdrucks) ‫אלהי האלהים‬. Die Bedeutung des ‫ אלהים‬ist die von ‫ [ מלך‬König/Engel ]. Menschenkinder aber, die sich mit dem Recht beschäftigen, werden ebenso ‫ אלהים‬genannt. Dieses ist aber ein Adjektiv und kein Eigenname; man fi ndet es nicht a ls Vergangenheit[s-] oder Zukunft[sform ]. Denke nicht usw. [ dass die Engel aus Feuer und Wind [ erschaffen wurden ], wei l wir [ geschrieben ] fi nden : Der seine Engel zu/aus Winden macht (Ps 104,4) ]. David spricht anfangs nur über das Werk der Schöpfung. Er beginnt mit dem Licht und sagt : Er hüllt Licht um sich (Ps 104,2), und hernach (sagt er) : Er spannt den Himmel aus (ebd.) – das meint die Himmelsfeste, oberha lb derer Wasser, Feuer, Schnee und Wind sind. [ Und er (sc. David) sagt, dass der Wind Gottes Gesandter ist, um zu dem Ort zu gelangen, zu dem er ihn schickt. ] [ David ] sagt weiterhin : er gründete die Erde auf ihrem Fundament (Ps 104,5) – das ist das Festland. (…) ‫ השמים‬: (…)3 Meine Meinung aber ist, dass der Himmel und die Erde, [ von denen in Gen 1,1 gesprochen wird, ] die Himmelsfeste 1 Vg l.

dazu Sefer Meqor Ḥayyim, 3a–b. Mavo, 218 und Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentar zur Urgeschichte, 35. 3 Vg l. Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentar zur Urgeschichte, 41. 2 Vg l. R awidowicz,

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und das Festland meinen, denn pro Tag wurde nur eine Sache erschaffen : A m ersten [ Tag ] das Licht, am zweiten [ Tag ] die Himmelsfeste, am dritten [ Tag ] die Pf lanzen, am vierten [ Tag ] die Lichter, am fünften und sechsten [ Tag ] die Lebewesen. Und der Psa l m, der erwähnt wurde [ sc. Ps 104 ], [ d ient ] a ls Schriftbeweis [ h ierfür ]. Und die Erk lärung hierfür ist, dass es zu Beginn der Schöpfung der Himmelsfeste und des Festlandes kein Trockenes gab, sondern [ d ie Erde war ] mit Wasser bedeckt. Und so stellte ‫ אלהים‬die K raft ihrer Entwick lung über die Wasser. […] Denn Mose sprach hier nicht von der Kommenden Welt, denn sie ist die Welt der Engel, sondern über die [ gegenwärtig ] seiende, vergäng liche Welt. ‫ רוח אלהים‬: [ Das Wort ] ‫ [ רוח‬steht ] mit dem Namen [ Gottes ] im status constructus, wei l er der Abgesandte des Willens Gottes war, um das Wasser [ a n den Stellen des späteren Festlands ] zu [ ver- ] trocknen. (…) ‫ אור‬: Dieses Licht war oberha lb des ‫רוח‬. Die Bedeutung des Ausdrucks ‫„ [ ויבדל‬da schied er“ ] ist : [ er schied sie, indem er sie mit ] Namen benannte. Die Bedeutung der Wendung ‫יום אחד‬ [ nimmt Bezug ] auf die Bewegung des [ Sonnen- ]Rads. Es gibt aber einen tieferen Sinn bezüglich der Erk lärung [ des Midrash : ] Sechstausend [ Jahre wird die Welt bestehen und eintausend Jahre zer336 stört sein ]. | ‫ רקיע‬: [ Dies meint ] etwas Ausgespanntes, und ebenso [ heißt es : ] Er breitet ihn [ den Himmel ] aus wie ein Zelt […] ( Jes 40,22). (…) Diese Himmelsfeste aber – sie meint die Atmosphäre, denn wenn das Licht kraftvoll auf die Erde scheint und [ den mit Luftfeuchtigkeit versehenen ] Wind von der Erde ausgetrocknet hat, verwandelt sich die Gluthitze und wird zur Himmelsfeste. Ebenso heißt es in einem Psa l m : Der den Himmel ausspannt …, der bälkt im Wasser (Ps 104,2 f.). Und [ der Psa lmist ] erinnert [ daraufhin an ] die Wol ken (vgl. Ps 104,3), den Wind (vgl. Ps 104,3 f.) und die Gründung der Erde (vgl. Ps 104,5). Sie [ die Erde ] aber ist oben auf dem Wasser. Und so schreibt er [ ein anderer Psa l mist : ] Denn er gründete sie auf dem Wasser (Ps 24,2). ‫ יקוו המים‬: Nach meiner Meinung hängt dieser Abschnitt mit dem voranstehenden zusammen. [ Zu Gen 1,9 : ] Die Himmelsfeste wurde erst geschaffen a ls die Erde trocken ward. Der Schriftbeweis (hierfür ist der Vers) : Am Tag des Machens Gottes, des Herrn, Erde und Himmel (Gen 2,4). Siehe, an ein [ u nd demselben ] Tag

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wurden sie gemacht. Das Sichtbarwerden einer verborgenen Sache und die Samm lung von zerstreuten [ Sachen ] ist keine Schöpfung. Somit ist seine [ sc. des ‫ ] ויאמר‬Bedeutung [ in Gen 1,9 : ] Gott hatte bereits gesagt, es sammle sich das Wasser (Gen 1,9). ‫ תדשא‬: Die Bedeutung von ‫ תדשא‬ist wie : wachsen lassen. Siehe, wir lernen vom Wort ‫תדשא‬, dass Gott, der Ehrfurchtsvolle, [ d ie ] K raft in die Erde legte, Pf lanzen wachsen zu lassen. ‫ ברקיע השמים‬: Es gibt keinen oberen Körper oberha lb der Gestirne. Denn die Schrift sagt : An die Himmel sfeste des Himmel s (Gen 1,14), was lehrt, dass es einen Himmel oberha lb der [ Himmelsfeste ] gibt. Und ebenso [ heißt es ] : der Himmel der Himmel (Neh 9,6). [ Und : ] zum Reiter im Himmel, dem Urhimmel (Ps 63,34). Und [ d as Wort ] ‫ [ קדם‬Ur- ] [ meint ] an dieser Stelle [ sc. in Ps 68,34 ] nicht den Osten […]. Das R ichtige aber ist in meinen Augen, dass die Sonne, der Mond und a lle Sterne Leuchten an der Himmelsfeste [ genannt werden ], wei l sie dort gesehen werden. ‫ הגדולים‬: [ die großen Lichter ] [ Wenn der Midrash sagt : ] Dieses (sc. die Sonne) war nicht größer a ls jenes (sc. der Mond), so gibt es einen tieferen Sinn. [ Zu Gen 1,17 : ] ‫ ויתן‬: Wundere dich nicht über den Ausdruck : da gab er (Gen 1,17), denn ebenso steht geschrieben : meinen Bogen gab ich in die Wolken (Gen 9,13). [ Zu Gen 1,20 : ] Der Schriftvers, [ der sagt, ] dass die Vögel f liegen sollen auf / vor usw. ist ein [ z usätz licher Schrift ]beweis für meine [ oben gegebene ] Erk lärung der Himmelsfeste. ‫ נעשה אדם‬: (…) Wisse, dass das ganze Schöpfungswerk wegen der Ehre des Menschen geschaffen wurde durch einen Befeh l Gottes. Die Pf lanzen aber, die Erde und das Wasser l ießen sie hervorgehen, und (auch) a lle anderen Lebewesen (wurden von ihnen beiden hervorgebracht). Und hernach sagte Gott zu den Engel n : Wir wollen einen Menschen machen (Gen 1,26), [ d. h.,] wir [ selbst ] wollen uns mit ihr (sc. der Schöpfung des Menschen) befassen, nicht aber [ sollen ] das Wasser und die Erde [ dies tun ]. ‫ בצלמנו כדמותנו‬: Nachdem wir erfahren hatten, dass die Tora in der Sprache der Menschen sprach. Denn so wie derjenige, der spricht ein Mensch ist, so ist auch der Hörer [ ein Mensch ], und niemand kann über Dinge sprechen, die über oder unter ihm stehen, es sei denn mittels mensch licher Bilder, so wie es heißt : Mund des Landes [ ‫] פי האר ץ‬, Hand des Jordan [ ‫( ] יד הירד ן‬Num 13,29), von den Hügeln ward ich gezeugt (Spr 8,26). Und

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wehe, wehe eines dieser Bildworte sei […]1 Die höchste Seele des Menschen wird mit dem Sein Gottes verglichen. Sie erfü llt seine [ sc. des Menschen ] Gänze. Der Körper des Menschen aber ist wie eine k leine Welt. Es sei der Name Gottes gepriesen, der mit dem Großen begann und mit dem K leinen endete. Und auch der Prophet [ Ezechiel ] sagte, dass er die Herrlichkeit Gottes dem Aussehen eines Menschen verg leichbar sah (vgl. Ez 1,2.26). Gott aber – er ist einer, er ist der Schöpfer von a llem, er ist A lles. Ich vermag [ mehr ] aber nicht zu erk lären. [ Zu Gen 1,27 : ] Der Mensch wurde anfangs mit zwei Gesichtern geschaffen, sodass er [ z ug leich ] einer und auch zwei war. Und siehe, im Ebenbild Gottes (Gen 1,27) [ meint : im Ebenbild eines ] Engels – aber er wurde männ lich und weiblich geschaffen. [ Zu Gen 2,3 : ] ‫ ויברך‬: (…) A n diesem Tag (sc. dem Shabbat) [ meint das Wort Segen ] eine Selbsterneuerung der Körper [ bezüglich ihres ] Hervorbringungsvermögens und der Lebensodem (= Seelen ?) [ bezüglich ihres ] Bewusstseins- und Erkenntnisvermögens. ‫ לעשות‬: [ Die Erk lärung dieses Ausdrucks ist ] : Die Wurzel n a ller A rten – [ Gott ] gab in sie die K raft, gemäß ihrer Gesta lt zu tun. ‫ בהבראם‬: [ Dieser Ausdruck meint : ] A ls die Himmelsfeste zu sein begann und die Erde sichtbar wurde. Das Wort ‫ עשות‬bezeichnet einen tiqqun [ den Augenblick der Festsetzung ]. [ Zu Gen 2,8 : ] ‫ האדם‬: (Daraus, dass das Wort) ‫ [ האדם‬hier mit dem ] bestimmten A rtikel [ versehen wurde, ergibt sich, dass ] ihm ein tieferer Sinn zu eigen ist. [ Ein bestimmter A rtikel ] findet sich auch [ vor anderen Eigennamen, z. B. in den Sätzen ]): der Stamm des Manasse (Dtn 3,13) (…) Aber es ist auch mög lich, dass dies so ist, wei l der Name [ ‫] אד ם‬ von dem Wort ‫ אדמה‬abgeleitet wurde. Er (sc. der Name Adam ) kann ein Eigenname oder ein Adjektiv sein. Und beachte, dass der erste Vers bis ‫ לעשות‬nur von Elohim spricht. Und erst danach erwähnt er auch den furchtbaren Namen [ Gottes ]. Und wie kostbar sind die Worte unserer Vorfahren, die meinten : „Der volle Name [ Gottes ] wird nur von der voll [ ausgebi ldeten ] Welt gebraucht“ (BerR 13,3 [ 115 ]). Denn es gab keine K raft außer der des Namens. Und ich werde die tiefere Bedeutung des Namens und dessen, was zu 1 Vg l.

Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentar zur Urgeschichte, 69.

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ihm gehört, in dem [ entsprechenden ] Abschnitt des Buches Exodus erk lären. [ Zu Gen 3,2 : ] Nicht einma l die Sch lange erwähnt den ehrenvollen und furchtbaren Namen [ Gottes ], denn sie kannte ihn noch nicht. [ Zu Gen 3,3 : ] Auch die Frau fügte zu den Geboten des [ göttlichen ] Namens hinzu, [ näm lich die Worte ] : Berührt ihn nicht (Gen 3,3). Und es wurde ihm der tiefere Sinn der Sch lange offenbart. Und siehe, | der Mensch [ sündigte folglich ] nicht unwissend. Denn 337 Mensch und Tier beseelte ein Geist, durch den Welt ward und erfüh lbar wurde […], außer des oberen Teils, durch den der Mensch dem Tier überlegen ist. [ Zu Gen 3,7 : ] ‫ הדעת‬: Dies meint die Erkenntnis im Sinne einer Umschreibung für Beisch laf.1 ‫ כאחד ממנו‬: (Dies bezieht sich auf) die Rede Gottes mit den Engel n. [ Zu Gen 3,23 : ] ‫ כרובים‬: Gemäß meiner Meinung aber [ ist es so ], dass das Wort ein A llgemein[begriff ] für jegliche Gesta lt ist. (…) Hier aber sprach er von Keruben, den bekannten – und sie sind die Engel. In ihrer Hand ist ein Schwert, das Flammen [ aussendet ] und zweischneidig ist. Dies ist aber eine Erk lärung [ des Ausdrucks ] : ‫( המתהפכת‬Gen 3,24). Wisse, dass a lles, was wir [ in dieser Geschichte ] fanden, wahr ist und so geschehen ist, und es gibt daran keinen Zweifel. [ Trotzdem ] aber gibt es in ihr einen tieferen Sinn, denn vom Licht der Einsicht ging ‫ חפץ‬hervor, und von der zweiten [ sc. ‫ ] חפץ‬stieg er [ sc. der Mensch ] zur hohen Stufe auf, denn die Bewegung der ‫ חפץ‬ist vor ihm. Auch sind die auf [ die Geschlechtsorgane gelegten ] Feigenbaum[ blätter ] [ h ierfür ] ein Zeichen. Der dritte aber wird gemäß dem Namen ‫ בחינה‬benannt, denn anfangs existierte nur K raft ohne Tat. [ Derjenige ] aber, der diesen tieferen Sinn versteht, wird [ auch ] verstehen, wie der Fluss geteilt wird. Dies ist der tiefere Sinn des Gartens Eden und der Hautk leider. Auch lehrt dies den tieferen Sinn, dass es im Menschen eine Fähigkeit gibt, dass er für lange Zeit lebt. Der Verständige aber wird verstehen, dass dies a lle Menschen [ betriff t ]. [ Zu Gen 4,1 : ] A ls der Mensch sah, dass er in seinem eigenen Körper nicht für ewig leben würde, war er gezwungen, die A rt am Leben zu erha lten. Desha lb sagte sie [ sc. Eva : ] Ich habe mir geeignet einen Mann (Gen 4,1). Es wird [ in diesem Zusammenhang ] aber nicht 1 Vg l.

Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentar zur Urgeschichte, 105.

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das Wort ‫ אלהים‬erwähnt, denn siehe, [ der Herr ] wird auf der Erde in [ der mensch lichen ] A rt gefunden wie in den oberen [ Regionen ] in den Substanzen.1 Das Wort ‫ [ טוב‬bezieht sich auf die ] Gesamtheit. Ebenso steht geschrieben : Da sah Gott alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut (Gen 1,31) : sch lecht aber ist [ nur ] ein Teil. [ Zu Gen 4,4 : ] ‫ וישע‬: [( Das Wort gehört in eine) Wortgruppe mit (dem Ausdruck) ‫ויחר‬, [ der in dem Satz gebraucht wird : ] da entbrannte (der Zorn ) Kaijns (Gen 4,5).] Meines Erachtens liegt es nahe, dass das Wort wie : wendet euch [ ‫ ] שעו‬von mir [ Jes 22,4 ] zu verstehen ist. Die Opfer brachten sie nach der Weise des Geheim[ ritua ls dar ].2 [ Zu Gen 4,14 : ] ‫מפניך אסתר‬. Die Bedeutung [ d ieses Ausdrucks ] ist, dass es einen Ort gibt, [ wo ] er (sc. der Mensch) K raft empfängt und an dem die Gewa lt des Herrn erscheint. Aber a lles ist von seiner Herrlichkeit erfü llt. [ Gen 5,24 : ] ‫כי לקח אותו‬. Und die Bedeutung [ fi ndet sich ] in den Worten von Asaf : Und hernach nimmst du mich ehrenvoll auf (Ps 73,24) und im Psa l m der Korachiten : Aber Gott wird mich erlösen aus der Hand der She’ol, denn er wird mich nehmen, sela (Ps 49,16). Und der Weise wird [ es ] verstehen ! [ Zu Gen 6,3 : ] ‫ בשגם‬: [ Nur der Geist des Menschen a llein wurde von Gott gegeben, wei l dies die Gewa lt und ] wei l der Mensch Fleisch ist. Er gelangt aber bis zur Zeit [ des Todes ], und es wird ihm etwas feh len, wenn das Geschöpf den Schöpfer (sc. Gott) besiegt. Noah : [ Gen 6,18 : ] ‫ ברית‬: Es gibt welche, die sagen, dass ‫ ברית‬eine geschnittene Grenze [ meint ]. (Gen 7,19 :) [ Gen 6,3 : ] [ Ebenso sprach Kohelet : ] Und der Geist wird zu Gott zurückkehren, der ihn gab (Koh 12,7). Nur der Geist des Menschen a llein [ w urde von Gott gegeben ], wei l dies die Gewa lt und weil der Mensch Fleisch ist. Und viele meinten, dass er so genannt wurde, wei l er vom Himmel sei, wenn es sich jedoch um zwei Wurzel n handelte, so würde man sie zusammen finden. [ Zu Gen 8,22 : ] ‫עוד כל ימי הארץ‬. Dies ist ein Zeichen dafür, dass ihr [ sc. der Erde ] ein Ende gesetzt worden ist. Wie ehrenvoll aber 1 Vg l .

Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentar zur Urgeschichte, 123 mit A nm. 3. 2 Vg l . Rottzoll, A braham Ibn E sras Kommentar zur Urgeschichte, 125 A nm. 9. Doch scheint frag l ich, ob K rochma l die Stelle in diesem Sinne verstanden hat.

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ist der Midrash [ bezüg lich dieser Worte ] : Ein Umfang von achtzehntausend (Ez 48,35), nur wissen wir es nicht, [ höchstens ] einer von tausend. [ Zu Gen 9,4 : ] ‫אך בשר‬. Denn die Seele allen Fleisches ist sein Blut, in seiner Seele ist es [ Lev 17,14 ]. Diese Seele aber – sie bewegt [ das Blut ] [ u nd ] lässt [ den Körper ] füh len. Und das Wort Fleisch bezieht sich auf einen Körper. Denn er füh lt etwas, doch das Wesen füh lt nichts. Lekh lekha : El shaddai (Gen 17,1). [ Dies ist ] ein Titel, und seine Bedeutung ist „entsch lossen/fest“. Und ebenso heißt es : ‫קול שדי‬ (Ez 1,24) [ Donnerstimme des shaddai ], der Allmächtige ist dein Golderz (Ijob 22,25), was so viel bedeutet wie und in Staub Gelegtes (Ijob 22,24). Und das Wort shaddai entspricht dem Metrum von ‫( ולבי דוי‬Klgl 1,22) [ mein Herz ist siech ]. Und das Wort ‫( רבים‬ebd.) leiteten sie von der Wurzel ‫ שדד‬ab, was so viel bedeutet wie überwinden oder besiegen. Die Bedeutung dessen, dass dieser Name hier erwähnt wird, liegt darin, dass Abraham sich fürchte und er beschnitten werde. Und dies ist richtig, denn der ehrenwerte und furchtbare Name wurde ihm kund getan, und dieser Name ist entsprechend der Tat gewäh lt. Denn die Welt ruht auf jenen beiden Namen. Und derjenige, der die tiefere Bedeutung dieses Namens versteht, der wird es glauben. Abraham [ bedeutet aber ] Starker über viele Völ ker. Und ‫ שר׳‬ist ein umfassenderer Titel, nicht wie ‫שרי‬.

Abschriften einiger Stellen aus dem Buche Exodus1 Namen und Gedanken Gottes vertieften sie (vgl. Ps 92,6). Und wer kann sein[e] Geheimnis[se] ergründen ? Und ihm a llein wurde ein Hort bereitet (vgl. 1 Sam 2,3). Vielleicht umgab ihn dieser Name, damit Mose im Königshause aufsteige, sodass seine Seele auf der höchsten Stufe des Studiums und der Gewohnheiten stünde. Und es sollte | keine Erniedrigung und Steinigung im Sk lavenhause geben. Doch siehst du dennoch, dass er [ Mose ] den Ägypter tö1 Der

folgende Text entspricht nicht dem von Rottzoll übersetzten langen E xodus-Kommentar.

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tete, weil dieser Gewa lt getan hatte ? [ Auch ] ha lf er, die Midianiterinnen aus den Händen der Hirten zu retten usw. [ z u Ex 2,3 ]1. Der Name Mose ist aus der ägyptischen Sprache in die hei lige Sprache übersetzt. Und sein Name bedeutet in Ägyptisch ‫] ? מענעס [ מוניוס‬. So steht es auch im Buche ‛Avodat ha-Adama2 geschrieben, das von der (koptischen) Sprache in die arabische übersetzt worden ist. Und so auch in den Büchern der griechischen Weisen (Philo ?). Und vielleicht lernte die Tochter des Pharao unsere Sprache, oder sie fragte danach (?) (vgl. Ex 2,10). Und weil die Hebammen Gott fürchteten (E x 1,21) – und beachte, dass diese Ausdrucksweise nicht von den aktiven oder transitiven Verben stammt, sondern passiv formuliert ist, wonach ein Mensch die Furcht durch jemanden anderen erhä lt. Und daher heißt es auch : sie fürchteten sich vor [  ‫] יראו מאת‬ [ Gott ]. Dies ist die richtige Ausdrucksweise; und sie verwendeten nur eine kürzere, a ls sie schrieben ‫יראו את ה׳‬. Daher ist das Wort ‫ נורא‬nicht im Nif‛a l gebi ldet wie ‫נולד‬, ‫ נשבר‬oder ‫נכדא‬. Und der Gelehrte wird verstehen. (?) [ Zu Ex 2,1 : ] ‫ בת לוי‬: Es spricht aber nichts R ichtiges [ derjenige ], der sagt, dass [ nur ] die Erträge des Feldes, die in ein anderes Feld gesät werden, Erfolg haben, während sie in jenem Feld selbst keinen Erfolg haben, wie es würdig ist. [ In Wahrheit verhä lt es sich jedoch so, ] dass [ der ] Grund [ des ] Verbotes (der) Scham[losigkeit der ] ist, die Israeliten hei lig sein zu lassen. – Und dem, was in den Chroniken des Mose3 geschrieben steht, glaube nicht ! Denn eine Regel sagt dir, dass man sich auf ein Buch, welches nicht von den Propheten oder den Weisen nach der Tradition niedergeschrieben wurde, nicht stützen soll. Auch finden sich in ihm Worte, die die richtige Erkenntnis leugnen. Ebenso das Sefer Zerubbavel, das Sefer Eldad ha-Dani und ähn liche mehr. – (Den Vers über den [ brennenden ] Dornbusch behandeln wir innerha lb 1 Vg l .

Rottzoll, Abraham Ibn Esras langer Kommentar zum Buch E xo-

dus I, 47. 2 Vg l . zu diesem Buch, welches auch a l s S efer ha-‛Avoda der Nabatäer bezeichnet wird, Rottzoll, Abraham Ibn Esras langer Kommentar zum Buch E xodus I, LXXVII f. Siehe oben. 3 Vg l . Rottzoll, A braham Ibn E sras l anger Kommentar zum Buch E xodus I, LXXX.

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[ des Kapitels ].) – [ Zu Ex 3,3 : ] ‫ את המראה הגדול‬: Dies ist das erste Zeichen, das in der Tora geschrieben steht, das Gott durch seinen Propheten Mose tat. Desha lb sagte er zu ihm : Und dies sei dir das Zeichen, dass ich dich sandte (Ex 3,12). – [ Zu Ex 3,4 : ] ‫ וירא ה׳ כי סר‬: Auch dies sind Worte Moses am Ende. Und der Engel wurde mit dem ehrenwerten Namen [ Gottes ] benannt, entsprechend dem Satz : denn mein Name ist in ihm (Ex 23,21) – und [ d ies ] werde ich an der Stelle auslegen. Und ebenso der Engel, der Gideon erschien. Und [ auch ] dort steht : Und es sprach zu ihm der Herr (R i 6,12). Desha lb steht (hernach das) Wort ‫( אלהים‬geschrieben). Dieser Name [ sc. ‫ ] אלהים‬aber ist kein Eigenname, sondern ein Adjektiv, wie ich erk lären werde. [ Dem ist so, ] da er a lle heiligen [ Wesen ] einsch ließt, die weder einen Körper noch K raft im Körper haben, wie geschrieben steht : Die Engel [ ‫] אלהי ן‬, deren Wohnort mit Fleisch nicht ist (Dan 2,11), denn es [ sc. das Wort Fleisch ] [ ist ein Synonym für ] den Körper. [ Zu Ex 3,6 : ] ‫ ויסתר משה פניו כי ירא מהביט אל אלהים‬: [ Dies ist ] gemäß der Weise [ formu liert ] : Denn ich sah Gott [ von ] Angesicht zu Angesicht, und meine Seele rettete sich (Gen 32,31). Das Tor des Auges (vgl. Neh 2,14) ist vom Tor des Himmels (vgl. Gen 28,17), denn in ein [ u nd demselben ] Augenblick sieht es viele Bilder, ferne [ z usammen ] mit nahen. Es ist das Tor der Ohren aber nicht so – und (ebenso wenig) die Nase, der Gaumen und die Hand. Aufgrund seiner Furcht aber verbarg [ Mose ] sein Gesicht. [ Zu Ex 3,7 : ] ‫ ויאמר‬: Der Gesandte spricht in der Sprache seines Senders. [ Zu Ex 3,8 : ] ‫ וארד‬: [ Das meint : ich werde herabsteigen ], weil die Himmel ehrenvoller sind a ls die Erde. [ Oder die Erk lärung ist : Obwoh l zwar ] die Herrlichkeit Gottes a lles erfü llt, aber es trotzdem [ so ist ], dass a lle Urteilssprüche vom Himmel her kommen, desha lb [ steht das ] Wort : Ich werde herabsteigen (Ex 3,8) [ geschrieben ]. Fernerhin [ verhä lt es sich so ], dass die Stufe des Engels mächtig[er a ls die Stufe des Mose ] ist, da es keine Fähigkeit in Mose gab, zum Himmel aufzusteigen. – ‫ ולהעלותו‬: [ Das ist ] gegenüber [ dem Begriff ] ‫ [ וארד‬gesagt ]. Denn wie ich [ sc. der Engel ] an einem oberen Ort wohnte, so werde ich sie an einem Ort wohnen [ lassen ], der oberha lb von jedem Land ist. Dies aber sind die Worte des Engels. (Zu Kapitel Ex 3,13 – 19 siehe in dem Kapitel selbst). [ Zu E x 4,3( !) : ] Und er sprach (die A ngelegenheit mit dem Stab und der

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Sch lange). Die wissenschaftlichen Autoren fragen sich aber, wie dies sein konnte. Und sie mussten zu [ der Erk lärung greifen ], zu sagen : Um die Trockenheit weichen zu lassen (?). Doch a ll ihre Worte sind Wind (vgl. Ijob 16,3). Denn seine Vorgehensweise [ beruht auf einem ] Wunder und nicht auf der Weise der Natur. – [ Ex 4,16 : ] Denn Aaron glich einem Mund, aus dem die Rede der Seele entwich, die nicht gesehen werden konnte. Wie bei den Engel n, die nicht gesehen werden können, da sie keinen Körper haben. Und siehe, Mose glich a lso der A rt eines Engels. Und daher heißt es : Du wirst mir zum Engel [ ‫ ] אלהים‬sein (Ex 4,16). Siehe, [ der Begriff ] ‫( אלהים‬wird) in der ganzen Schrift nur [ in Bezug auf ] den ehrenvollen Namen [ Gottes ] oder seine hei ligen Engel [ gebraucht ]. Denn durch ihre Hand wird das Werk Gottes auf Erden sichtbar, oder durch die Heiligen der unteren [ Regionen, die die ] Rechtssatzungen Gottes auf Erden [ u msetzen ]. [ Zu Gen 4,24 : ] Wundere dich aber nicht, wei l geschrieben steht : Da traf ihn der Herr (Ex 4,24), | und ebenso : Und der Herr ging vor ihnen tags (Ex 13,21), und dort steht [ ebenfa lls ] geschrieben : Da zog der Engel Gottes (Ex 14,19 ). [ Zu Ex 5,1 : ] So spricht der Herr. Diesen Namen [ Gottes ] hörte der Pharao [ bis dahin ] nicht. Desha lb erwähnte [ Mose hernach die Apposition ] : Der Gott Israels (Ex 5,1), deren Bedeutung ist : [ Der Gott ] des Vol ks Israel und nicht Jakobs a llein. [ Zu Ex 5,2 : ] Und er sprach : Wer ist der Herr ? Er [ war ] ein Fragender : Wer ist der Herr, [ der beansprucht ], dass er Gott ist ?

Abschriften aus dem Buche Levitikus Zur Erk lärung des theologischen Systems des Weisen und der Geheimnisse der Tora Wa-yiqra [zu Lev 1,1] : Wir können den Bund eines Einzelnen für zwei Worte finden. Es kann aber auch eine miṣwa für viele Dinge stehen, wie die miṣwa des ‛ola und des qorban. Denn durch das Darbringen eines jeden Teils zu seiner Zeit wird jenes Teil herausgezogen, welches das Teil für die Kommende Welt enthä lt. Daher ist die Erk lärung für ‫לכפר‬, einen ‫„ כופר‬geben“. Von Beginn des Abschnittes Ki tissa an steht geschrieben : auf dass er uns nicht anfalle mit Pest und

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Schwert (Ex 5,3). Auch hinsichtlich der ‛olot gibt es im Hinblick auf die Eschatologie tiefere Sinne. Auch sollte man an jedem Opfer den tieferen Sinn des Effektes und der Sühne und des Aufgezäh lt-Seins (so sollte es heißen) bedenken, der die Lehrer der Tora belebt. Der Sinn des und es rief Mose (Lev 1,1) ist aber, dass Mose es nicht (ertragen) konnte, dass ihn die kavod [ Gottes ] aus dem Stiftszelt rief, dort hineinzukommen, sodass er mit ihm dort spreche. Und die kavod befand sich vor dem Vorhang. Und dorthinein ging Mose, wie es geschrieben steht, und dies ist der (tiefere) Sinn des Verses : Dass er ein Abbild des Herrn schaue (Num 12,8). Die Bedeutung besteht aber darin, die Opfer vor den Geboten zu erwähnen. Denn die shekhina wird sich von ihrem Ort abwenden, wenn sie nicht das Gebot der ‛ola befolgen. Und so geschah es. Doch wehe, wehe, wenn man einma l eines ‛ola bedurfte. Und so steht geschrieben : Wenn ich hungerte – dir sagt ich es nicht (Ps 50,12). Nur, dass [ auch dieser Vers ] einen tieferen Sinn besitzt. [ Zu Lev 1,4 : ] Denn die A rt [ der Behand lung ] des Bockes, der gesandt wird, ist anders a ls bei a llen anderen Opfern. – [ Zu Lev 2,1 : ] Und der Körper, der dargebracht wird, um zu sühnen a ls ‛ola, auf dem Geist, der wird ‛ola genannt; ebenso der, der a ls Sühnopfer oder Sündopfer dargebracht wird. Man erwähnt dabei die Seele [ d ie eigent liche Intention ? ] (beim Minḥa- Opfer), denn das Minḥa- Opfer ist eine freiwi llige Spende [ nedava ]. Und auch die Seele kann nedeva genannt werden, (wenn es heißt :) und mit willigem Gemüt stütze ich mich (Ps 51,14). [ Zu Lev 3,4 : ] Und es wird ‫ כליות‬genannt gegenüber der K raft der Begierde des Beisch lafs. Dies wird abgeleitet aus der Form : und schmachtete [ ‫ ] כלתה‬meine Seele (Ps 84,3). [ Zu Lev 4,6 : ] Und den Sinn für die sieben Ma le fi ndet man in der Parashat Balak. Entsprechend der Bedeutung des Priesters sprengt man von ihrem Blut der Sühne auf den Vorhang des Heiligtums und die Hörner des Räuchera ltars. [ Zu Lev 4,6 : ] Und das gesamte R ind, außer den Fettstücken, wird außerha lb verbrannt, denn es handelt sich nicht um ein ʽola. – [ Zu Lev 4,14 : ] Und das Sündopfer der Gemeinde ist wie das Sündopfer des Hohepriesters in a ll seinen Geboten. Der Hohepriester

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wird gegen ganz Israel aufgewogen. Und der nasi bringt einen Bock nach der A rt eines zarzir oder eines tish dar, wie es im Kommentar des Gaon zum Buch der Sprüche steht. Und [ d ies ] erinnert an die hohe Stellung des nasi. Nur darf er ihr Blut nicht in das Innere des Tempels bringen. Sondern die Priester verzehren das Sündopfer für ihn, um für ihn damit die Sühne zu vollziehen. Denn so steht es geschrieben : Der Hohepriester soll sein Sündopfer nicht selbst essen (vgl. Lev 4,23). (Eine Person) aus dem Volke (Lev 4,27) – dies bezieht sich auf a lle aus Israel, und auch die Priester, die ungebi ldeten Laien und a lle Leviten. [ Zu Lev 4,28 : ] ‫ שעירת‬bezieht sich auf weibliche Ziegen. Denn seine [ sc. des Hohepriesters ] Stellung ist höher a ls die des nasi. Der tiefere Sinn besteht darin, dass ihm vergeben wird, wie es in der Parashat Shelaḥ erläutert wird. (Langmut bis er voll kommene Umkehr begeht.) Ṣaw : [ Zu Lev 6,2 : ] Dies meint das ‛ola. Es wird auch desha lb ‛ola genannt, wei l es voll kommen auf dem A ltar verbrannt wird. Und hier weist er darauf hin, dass ein ‛ola nicht in der Nacht dargebracht werde, sondern die gesamte Nacht nur auf dem Herd bleibe. [ Zu Lev 6,2 : ] und bei dem Altar – außerha lb der Ecke des A ltars (weit entfernt von dem Ort der kavod). Und der Sinn ist : Es soll nicht [ gesäuert ] gebacken werden (Lev 6,10). [ Lev 6,7 : ] Dies ist die Hauptsache [(Gesäuertes es ist verboten, doch es besteht keine Verpf lichtung zu maṣṣot) ] wie bei den Geboten für das Pesaḥ. [ Zu Lev 6,16 : ] Der Ort der Sch lachtung des Sündopfers ist nörd lich. [ Zu Lev 6,18 : ] hochheilig sind sie, denn sie sind wie eines der Opfer, die der Priester, der entsühnt, darbringt. A ls ob er sagte : Der die Sünde von dem Sünder abwendet. [ Zu Lev 6,20 : ] An einem heiligen Ort – dies meint den 340 Hof vor dem Stiftszelt. Denn es gibt einen Unterschied | zwischen heilig und rein. Denn siehe, der Ort des Vorhangs wird „hei lig“ genannt. Denn der Hof ist gegenüber dem Stiftszelt profan(er). Doch auch der [ Raum ] vor dem Vorhang gegenüber dem Stiftszelt wird „heilig“ genannt, wie etwa in dem Vers : Mit diesem darf Aaron in das Heiligtum gehen (Lev 16,3). Das Blut aber sühnt für das Leben des Aaron. Denn wegen des in dem Blut vorhandenen Lebens kann es sühnen. Und seine Begründung ist : Denn die Seele des Fleisches ist im Blute (Lev 17,11). Doch siehe (auch den Vers :) Leben für Leben (Ex 21,23;

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Lev 24,18). Und dem ähn lich ist die Bedeutung von : und rührte seine Füße (Ex 4,25).

Shemini : Und seine Bedeutung ist, dass ihnen bereits Mose sagte, dies sei Gebot für sie, welches sie tun sollten. Auf dass sie geben sollen einen Ziegenbock, ein Ka lb, ein Schaf und einen Steinbock. Dann wird euch die kavod des Herrn erscheinen (Lev 9,6) – dies bedeutet : auf dem Feuer, welches hervorgeht. Denn kein Mensch kann für einen anderen Menschen die Sühne vollziehen, solange er nicht rein von a llen Sünden ist. Und sie starben vor dem Herrn (Lev 10,2) – denn sie dachten, dass sie ein woh lgefä lliges Werk vor ihm (sc. dem Herrn) vollbracht hatten. Und seine Bedeutung ist : Aber eure Brüder, das ganze Haus Israel – worauf sich ein Hinweis in der Parasha Re’e anokhi (Dtn 11,26 – 16,17) findet. Macht euch nicht zum Scheusal – (das meint) eure Seelen; in dem sie verunreinigt und beschmutzt sind. Und werdet nicht unrein an diesen (Lev 18,24), denn es ist bekannt, dass der Körper, der gegessen wird, wieder zu Fleisch wird, in dem Körper, der [ das Fleisch ] isst. Dass ihr dadurch unrein werdet (Lev 11,43) – und es gibt welche, die meinen, dass sie zwei Wurzel n sind. Und der Belegvers ist : sind dumm in euren Augen (Ijob 18,3). Und seine Deutung geht dahin, dass dem Menschen keine Erkenntnis gegeben ist. Die Deutung von denn ich bin der Ewige (Lev 11,45) ist : Denn ich habe euch nur aus Ägypten hinausgeführt, damit ich euch Gott sein kann. Und wenn ihr nicht hei lig sein werdet, kann ich euch nicht Gott sein. Deswegen : Wenn ihr wollt, dass ich euch Gott sein soll, dann sollt ihr hei lig sein. Tazria‛ : Und viele haben bereits gesagt, dass wenn eine Frau Samen bringt und einen Knaben gebärt ! (Lev 12,2) [ vgl. bBer 60a ]. Und daher kommt auch die Erkenntnis des griechischen Weisen [ Ga lenus ? ], dass der Same für eine Frau wie männ licher Same etwas gerinnen lässt. Und jeder Sohn entsteht aus dem Blut der Frau. So ist die Erk lärung des ‫ תזריע‬: Gib Samen ! Denn [ eine Frau ] ist wie das Land. Der Grund für ihre siebentägige Unreinheit ist aber, dass sie so lange benötigt, um zu ihrem Zyk lus zurückzukehren. So findest du es auch bei den Tagen der K rankheit, dass der Wandel [ z um Besseren ] erst nach dem Ende von sieben Tagen sichtbar wird. [ Zu Lev 12,5 : ] Gott besch loss über das Männ liche wie über die A nzah l

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[ der unreinen Tage beim ] Männ lichen, dass seine Form im Bauch [ der Frau ] vollendet werde und dass [ d ie Tage der Unreinheit ] bei der Frau [ nach der Geburt ] doppelt so lang seien. Und dies ist eine k lare und geprüfte A ngelegenheit. [ Lev 12,7 : ] Es gibt aber welche, die sagen, das Schaf für das ‛ola [ sei desha lb zu entrichten ], damit ihr in der Stunde der Geburt wegen der großen Schmerzen kein [ böser ] Gedanke käme. Und ein Sündopfer, damit sie nicht mit ihrem Mund [ Sch lechtes ] rede. Und sie ist rein von der Quelle ihres Blutes (Lev 12,7). Dies ist ein A nzeichen dafür, dass sie nicht von ihrer Geburt rein wird bis zu den abzuzäh lenden Tagen. Und der Priester sühne sie, und sie ist rein (Lev 12,8) : dies weist darauf hin, dass, wenn er sie nicht sühnt, sie nicht rein wird. Und dieses [ Gebot ] ist von [ der A nwesenheit ] im Land abhängig. [ Zu Lev 13,2 : ] Er führt den ger hinein, damit er nicht unrein werde, denn der Aussatz ist eine der vom K ranken auf den Gesunden übertragbaren K rankheiten. [ Zu Lev 13,41 : ] Meiner Meinung nach [ bezieht sich dies auf den Fa ll ], dass [ der Aussatz ] auf der Stirn oben auf dem Kopf ist. Und nicht erwähnt wird dabei die Frau. [ Dies ] zugunsten der vielen Ausf lussarten, die ihr [ sc. der Frau ] eigen sind – daher wird ihre Stirn nicht geschoren. Denn das Haar ist ein Abbild des Grases. Und ein Kleid, so an ihm der Ausschlag des Aussatzes entsteht, [ ist er unrein ] (Lev 13,47) – vier Stützen gibt es dafür. Und es gibt in der Schrift fünf K riegshelden. [ Wie in : ] ‫מלאכת עבודת בית ה׳‬. Und a lle [ Wörter ] beziehen sich auf Gott, der a lle Gefa llenen aufrichtet. Meṣora‛ : [ Lev 14,4 : ] Zedernholz, Karmesin und Ysop (Lev 14,4) – dies sind die größten und die k leinsten unter den Pf lanzenarten, und der Beleg dafür findet sich in den Worten der Weisheit Sa lomos […]. Der Ausdruck ‫ מצורע‬steht den Wendungen Haus des Aussatzes und Totenunreinheit nahe. Sie ähneln dabei dem Vorbild des Pesaḥ Miṣrayim [ ägyptischen Pesaḥ (im Unterschied zu den später begangenen Pesaḥ-Feiern) ]. Auf das freie Feld (Lev 14,7) – [ dies meint einen Ort, ] an dem es keine Wohnniederlassung gibt, an dem a lso kein Aussatz übertragen werden kann. Denn die Krankheit Aussatz kann durch die Tätigkeit der Zunge übertragen werden, und daher sollte man ein Schaf a ls ‛ola darbringen, entsprechend dem Gesetz : Jedes ‛ola entsprechend der Intention. Und nach einem Schu ld-

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opfer, gemäß dem Satz : Jedes Schu ldopfer. Und ein weibl iches [ Tier ] entsprechend dem Gesetz : Jedes Sündopfer. Doch derjenige, der den Körper vom Aussatz reinigt, ist selbst wie der Priester, der seine Hand öff net, denn die Sünde ist wie Aussatz in der Seele. [ Zu Lev 14,14 : ] Und der Daumen ist der Ort der Verbindung, | und er ist 341 das Prinzip a ller Taten. Und die Rechte steht für die K raft der rechten Seite. Der Ohrzipfel aber ist eine Erinnerung an das, was er uns befah l. [ Zu Lev 14,32 : ] Denn sie würden in das Land Kanaan gelangen. Denn dies[es Verfahren ] (beim häuslichen Aussatz) wurde so nur im Lande [ Israel ] gepf legt, wegen der großen Bedeutung des Landes. [ Zu Lev 14,33 : ] Denn der Tempel ist unter euch [ errichtet worden ], und die Herrlichkeit wei lt im Tempel. [ Zu Lev 14,34 : ] So verhänge ich Ausschlag (Lev 14,34) – die K rankheit hängt a lso vom Verhängen durch Gott ab. [ Zu Lev 15,31 : ] Und ihr sollt euch fern halten (Lev 15,31) – seine Erk lärung ist wie für dass sie sich fern halten von den Heiligtümern (Lev 22,2) oder wie ich habe sie entfernt (Ez 11,16) [?]. Und daraus [ entstand ] der nazir, der seine Seele von den Begierden der Welt fernhielt. Aḥare mot : Denn in der Wolke (Lev 16,2). Der Grund dafür ist, dass er [ das Stiftszelt ] nur mit einem Räucheropfer betrat, damit er eine Wol ke mache und die Herrlichkeit nicht gesehen werde, dass er nicht sterbe (ebd.). Und es sprach Rav Shemu’el : Obwoh l geschrieben steht, dass der Ziegenbock der Sühne dem Herrn [ geweiht ] ist, steht auch, dass der Bock, der [ in die Wüste ] geschickt wird, dem Herrn [ geweiht ] ist. Doch dies muss nicht so sein, denn der [ Bock ], der geschickt wird, ist kein [ r ichtiges Sch lacht-]Opfer, denn er wird nicht gesch lachtet. Wenn man das Geheimnis, welches hinter dem Wort Asasel (den in die Wüste [ Geschickten ]) steht, verstehen könnte, dann würde man auch sein Geheimnis, das Geheimnis des Namens [ sc. Gottes ] verstehen. Denn es findet sich seinesg leichen in der Schrift. Und ich will dir ein wenig von dem Geheimnis in A ndeutung offenbaren. Wenn du dreiunddreißig Jahre a lt bist, wirst du es verstehen (dreiunddreißig Verse nach der Parasha 16, Vers 8, in dem das Wort Asasel zum ersten Ma l erwähnt wird, und es ist der Vers : Auf dass sie nicht ferner opfern ihre Schlachtopfer den Teufeln [ Lev 17,7 ]). Und davor steht : Damit die Kinder Israel ihre

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Schlachtopfer herbeibringen, die sie auf offenem Felde schlachten, und sie bringen dem Ewigen dar (Lev 17,5). Dies bedeutet, dass durch das Opfer gesühnt wird (durch die Besprengungen), indem das Blut sühnt. Damit es nicht verderbe für die Unreinheit der Unreinen. Um auf ihm zu sühnen (für den Bock, der [ in die Wüste ] geschickt wird), denn derjenige, der die Sühne vollzieht, wird auf ihm sein. Und dies bedeutet, dass er ihn schicken wird. Und er lege auf die (Lev 16,8) (die Vergehen und Sünden) – einer, der sie von Israel wegnimmt. A ls ob sie auf das Haupt des Bockes gelegt worden wären und sie zu einem Ort gingen, an den man sich nicht mehr erinnern soll. Und die Schrift spricht davon, um a lles verständ lich zu machen. Denn an jenem Tag wird er für sie sühnen. Der Priester. [ Zu Lev 16,30 : ] Daher sagten die Kommentatoren, dass der Bock, der [ in die Wüste ] geschickt wird, lebendig sein soll, wenn über ihm gesühnt wird. Denn seine Aufstellung ist bereits Sühne. Eine Shabbatfeier (Lev 16,31) – es gibt welche, die sagen, damit sei Ruhe für Körper und Seele gemeint. Und andere sagten, dass es um eine voll kommene Ruhe ging, die durch keine übertroffen werden könne. Damit die Kinder Israel bringen [ ihre Schlachtopfer ] (Lev 17,5) – dies ist die Begründung für dieses Gebot (verboten sind diejenigen, die außerha lb sch lachten), d. h. auf dem Feld, und die nicht weiter sch lachten ihre Sch lachtopfer (wie im Folgenden geschrieben steht). Den Teufeln [ ‫( ] לשעירי ם‬Lev 17,7) – dies meint die Kobolde, und sie werden auch ‫( שישתער‬so muss es heißen) genannt, der Körper, der sie sieht. Wahrschein lich wird derjenige, der den A nblick der ‫ שעירים‬sieht, wie die Verrückten, von denen gi lt, dass sie ihnen hinterher huren. Denn jeder, der sie sucht und an sie g laubt, der begeht Hurerei an seinem Gott. Er ist wie einer, der abwägt, ob es etwa jemanden geben könnte, der es mir besser oder sch lechter gehen lassen könnte, a ls der ehrenwerte und furchtbare Name [ Gottes ] ? Und davon handelt dieser Abschnitt (von den außerha lb des Lagers Schlachtenden), damit sich die Israel[iten ] nicht zum Götzendienst wenden, wenn sie im Lande Israel weilen. Ebenso das gesamte Gesetz über verbotenen Blut[ genuss ], da [ das Blut der Sitz des ] Lebens ist. Denn das Fleisch [?] ist im Blut [ eingebettet ]. Und die Wahrheit ist, dass das Leben in ihm im Menschen sein wird wie das

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Blut des Herzens. [ Zu Lev 17,13 : ] Mit dem Leben sollt ihr sühnen – mit dem Leben, in dem sich etwas befi ndet, was sühnt. Der Sinn ist : Seele/Leben für Seele/Leben (Ex 21,23; Lev 24,18). Es ist auch denkbar, dass [ d ies so erlassen wurde ], wei l er befah l, dass Blut nicht gegessen und nicht gesehen werde außerha lb des A ltars Gottes. Er befah l, a lles Blut, welches nicht geopfert wird, vor dem A ltar zu bedecken. Damit derjenige, der den A nbl ick sah, nicht darüber nachsann, ob es sich um das Blut eines Hirschbockes oder eines Vogels handelt. Denn ein Sch lachtopfer, welches gesch lachtet wird, [ ohne sein Blut zu bedecken, ] ist für Götzendienst bestimmt. Und in der Parashat Anokhi werde ich das Geheimnis dieses Verses [ Lev 17,13 ] erk lären. [ Zu Lev 17,14 : ] das Blut mit seiner Seele (Lev 17,14) : Denn es hängt an der Seele, denn es ist bekannt, dass die Venen, die aus der linken Seite des Herzens hinausführen zur einen Hä lfte für Blut und zur anderen für Geist/Atem sind, wie der A nblick von Olivenöl [ durchwirkt von ] Luft. Und dafür, dass sie sich der Gebote bezüglich der Böcke, die sie in Ägypten zubereiteten, erinnerten, wurden diese Parasha und die von der Scham vor den in Kanaan üblichen Hand lung in Verbindung gebracht. Denn so wird es | am Schluss ausdrück lich gesagt; und die Begründung dafür ist : Ich bin der Herr, euer Gott (Lev 18,30). Dies aber nur unter einer Bedingung (was darauf folgt) : Ich werde euer Gott sein (Lev 18,4). [ Zu Lev 18,4 : ] Ich werde euer Gott sein (Lev 18,4) – dann (meine Vorschriften usw.) werde ich euer Gott sein. Und die Erk lärung dafür ist : Wahret meine Satzungen und meine Vorschriften (Lev 18,5) [ (denn der Mensch, der sie tut, wird durch sie leben) ], um damit zu erk lären, dass diejenigen, die die Gebote befolgen, in zwei Welten leben werden. Wer ihr Geheimnis versteht, wird in der Welt, in der er leben möge, leben und wird niema ls sterben. Deswegen steht geschrieben : Ich werde euer Gott sein (Lev 18,4), wie ich es ausgelegt habe. Seiner Blutsverwandten (Lev 18,6) – dies ist in erster Linie eine Umschreibung für a lle A rten von Blutschande, erst in zweiter Linie ist hier ein Einzelfa ll im Blick. Doch Rav Aaron ha-Kohen [ 14. Jh. ] meinte, seine Erk lärung [ g inge dahin ], um Samenerguss aus Verschwendung auszunehmen. Die Blöße (Lev 18,6) – ein ungehöriges Wort für etwas Entblößtes, das bedeckt bleiben muss. Und die Begründung dafür

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ist : Ich bin der Herr (ein anderer sollte sich nicht nähern, ihre Scham aufzudecken), denn der Herr liebt das, was an seinem Diener unterschied lich ist, damit er sein Wort höre. Der Berg Sinai sei Zeuge (Ihr sollt heilig sein, nahet keinem Weibe [ Ex 19,15 ]), auch der erste, und dies ist das Geheimnis des Menschen. Und weil er das Herz des Menschen wie das des Viehs erschaffen hat, kann er nicht a lles Feminine verbieten. Doch er verbat, dass a lle zu jeder Zeit bei ihm sind. In der Parasha K i teṣe [ Dtn 21,10 – 25,19 ] werde ich dir aber ein versch lossenes und verborgenes Geheimnis offenbaren (eine Pollution : Denn jeder, der einen nächtlichen Vorfall hatte, erscheine nicht [ vor dem Herrn ] usw., und er bleibe zurück). Doch jeder, der sich erlöst hat, entferne er sich von dort (von jenem Ort). Daher heißt es : Ich bin der Herr (Lev 18,6) (ohne den Zusatz euer Gott). Als Nebenbuhlerin (Lev 18,18) – doch siehe, dass die Parasha Qedoshim keine Strafe für denjenigen nennt, der mit zwei Schwestern sch läft, ebenso wie sie keine Strafe für denjenigen nennt, der mit der Tochter seines Sohnes oder mit der Tochter seiner Tochter sch läft. Und jener Kommentator irrte, der meinte, dass Rachel und Lea nicht Schwestern gewesen seien. Denn sein Beleg sind a ll die Gräuel [ vor ] Gott (die die Schrift bereits vor der Gabe der Tora aufzäh lt und unter den Völ kern ausmacht). Doch dies ist kein vollständiger Beleg (denn es kann sein, dass dies nur im Lande Israel a ls Gräuel bezeichnet wurde). Und auf den Fragenden, wie Gott (Kanaan) für etwas bestrafen konnte, vor dem er es nicht gewarnt hat, kann man antworten, dass bereits die Nachkommen Noahs hinsichtlich des Verbotes des Aufdeckens der Scham unterwiesen worden waren. A ndere wiederum sagten (a ls A ntwort auf die Frage Jakobs) : Obwoh l die Schrift von a llen Gräuel n spricht, bedeutet dies nicht tatsächlich a lle, sondern die meisten. Und meine Meinung diesbezüg lich wirst du in der Parasha Wa-yelekh Moshe [ Dtn 31,1 – 32,52 ] erfahren (zu dem Vers : Und nachbuhlen den Göttern der Fremden des Landes [ Dtn 31,16 ]). Und mit dem Weibe deines Nächsten sollst du nicht Beischlaf halten (Lev 18,20). Wenn die Begierde ihrer Triebe über das Sinnen ihres Herzens Oberhand gewinnt; darin verirrten sie sich, was sich auf das Beischlaf halten bezieht. Und wir erkannten bereits, dass sich

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der Beisch laf in drei Teile gliedert. Der erste bi ldet die Fortpf lanzung ohne Lustbegierde; der zweite die Erleichterung der Fü lle des Körpers. Der dritte aber dient der Lust, die mit der Begierde des Viehs verglichen wird. Nachdem aber die Schrift gesagt hat, Beischlaf halten (ebd.), was so viel meint wie soga r Beisch laf ha lten, so bedeutet dies [ nichts anderes ], a ls dass es absolut verboten ist. […] Und sie fügt hinzu, und durch sie unrein werden (Lev 18,20), denn jeder, der sie berührt, wird nicht rein werden. Und er bleibt für a lle Zeiten unrein. [ Lev 18,21 : ] und das du entweihst [ den Namen des Herrn ] (Lev 19,12) – dies bezieht sich auf den Namen, der über dich gerufen wurde, der ist : Dein Gott, in deinem Haus, aus hei ligem Samen, um zu herrschen. Nachdem aber das Männ liche geschaffen wurde, um zu schaffen, und das Weibliche, damit aus ihm geschaffen werde, warnt die Schrift davor, dass man die Gebote Gottes nicht verkehre. [ Lev 18,23 : ] ‫ [ לרבעה‬um sie zu belegen ]. Und dieses Wort ist aus der Form ‫ ארבעה‬abzu leiten. […] Und dies ist [ d ie ] Regel : Die Schrift verbat jede A rt [ Lebewesen ], mit der sich ein Mensch [ theoretisch ] verbinden könnte. Die Frau eines Mannes, die Fremde, und die, die nicht gebären kann. Denn eine A rt kann nur von und nach der A rt seinesgleichen gebären. [ Lev 18,24 : ] Und du sollst nicht unrein werden. Die Schrift erinnert hierdurch a lle, dass sie die Seele verunreinigen. [ Lev 18,25 : ] Denn die usw. und es spie sie aus usw. Wenn du aber ein Herz besitzt, kannst du verstehen, dass es in den Tagen des Jakob erlaubt war, zwei Schwestern in Hauran zur Frau zu nehmen, und nachher kam A mram, der in Ägypten seine Tante zur Frau genommen hatte, und sie wurde dadurch nicht verunreinigt. Der Grund dafür ist, dass a lles […] [ Lev 18,26 : ] Dies sollt ihr wissen, sowoh l ihr a ls auch eure Söhne. Damit ihr sie bewahret, und damit das Land rein bleibe und es euch nicht ausspeie. Qedoshim : [ Lev 19,4 : ] Mit den ‫ אלילים‬sind die Götzenbi lder gemeint. Sie wurden desha lb so genannt, wei l sie Lügen [ gleich ] sind, wie in dem Satz nichtige Ärzte seid ihr [ ‫( ] רופאי אלי ל‬Ijob 13,4). Möglicherweise ist dies aus der Wurzel ‫ אל‬abzu leiten. Es bedeutet so viel wie : dem keine Existenz eignet. Gegossene Götter [ ‫ – ] אלהי מסכה‬um die Macht der Oberen [ sc. der Engel ] aufzunehmen. Denn er bedarf

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keiner anderen Gottheit mit ihm. Daher steht geschrieben : Ich bin der Herr, euer Gott (Lev 19,4). [ Lev 19,5 : ] Und so ihr opfert. Dies hängt mit dem Vers oben zusammen, dass man nicht den Geistern und keinem anderen Gott opfern solle, es sei denn dem Herrn a llein. [ Lev 19,4 : ] Du soll st deinen Bruder nicht hassen – dies ist die Kehrseite 343 von : du soll st deinen Nächsten lieben (Lev 19,18). Doch siehe, | jenes sind die Gebote, a lle seien euch in das Herz eingegeben. [ Lev 19,17 : ] und indem sie es bewahrten, wei lten sie im Lande. Denn aufgrund des sinn losen Hasses wurde der Zweite Tempel zerstört. Nachdem du geheiligt bist, auf dass du keinem Menschen wie dir Frevel tust. Und dies sollst du auch nicht dem Vieh antun. Auf dass man das Werk Gottes nicht verändere. Daher steht geschrieben : Meine Satzungen sollt ihr beobachten (Lev 19,19). Auf dass man beachte, dass sich keine A rt mit einer anderen vermische. Kilʼayim (Lev 19,19) : (bei Großvieh). Zwei A rten. Und ich werde nun das Wort K il ʼayim noch weiter erk lären : Die Begründung für [ d as Verbot der Saat von zweierlei A rten ] auf einem Feld und [ das Weben ] eines Gewandes [ mit zweierlei Stoff ] (ebenso die Vermischung von zweierlei Saaten und auch zweierlei A rten K leidungsstoff, gilt jedoch nicht für die Vermischung von zweierlei Arten [ von Lebewesen ], die tatsäch lich vom Menschen zusammengebracht werden müssen) dient a ls Erinnerungs[ zeichen ] (um auf diese Weise, die Unterschiede in der Welt zu bewahren, und die Vermischung unter den Tieren und den Bäumen zu verbieten). Denn es gibt viele weitere Gebote, die der Erinnerung dienen. Wie das maṣṣot-Fest, Sukkot und die Ṣiṣit, sowie das Shofar, die Mezuza und die Tefillin. Und hier möchte ich dich auf eine tiefere Bedeutung hinweisen : Wisse, dass das Vollständige sehr vollständig meint. Daher heißt es in der Schrift : Avra-h-a-m [ nicht nur Avram ]; [ es heißt an anderer Stelle : ] Meine Vorschrift, meine Gebote, meine Satzungen und meine Lehren (Gen 26,5). Und auch das Gebot von der Vorhaut der Frucht soll lediglich a ls Erinnerung[ szeichen ] dienen. Weil [ d ie Schrift ] aber den Samen des Feldes und den Samen [ in der ] Frau erwähnt, die hierin einem Stück Land gleicht, erwähnt sie auch das Gepf lanzte. Es ist aber bekannt, dass die Frucht [ eines Baumes ] bis zum dritten Jahr keinen Nutzen bringt, sie schadet viel mehr wie ein Fisch, der keine Flossen und

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keine Schuppen hat, dem Körper schadet. Und der Seele [ a ls dem Sitz der ] Weisheit schadet das Fleisch eines jeden Greifvogels und eines jeden unreinen Großviehs. Und der Gebildete wird dies verstehen. Die Bedeutung des ihr sollt euch von der Vorhaut entvorhauten ist, darauf hinzuweisen, dass die Vorhaut der Frucht genauso wichtig ist wie die Frucht selbst. Doch [ ihr Verzehr ] schadet und bringt keinen Nutzen. Wie bei einer Vorhaut vor dem Mund oder dem Ohr und wie bei der Vorhaut des Fleisches. Und zu den ‫ריקי מוח‬ sagten sie :1 Wären die Geistbeschwörer wahrhaftig, so wäre auch der Weg der Zauberei richtig, und er wäre von der Schrift nicht verboten worden. Doch ich sage : Kehre ihre Worte um ! Denn die Schrift verbietet nicht die Wahrheit, sondern nur die Lüge. Und dies bezeugen die elilim und die pesa lim. Doch weil wir uns damit nicht länger aufha lten wollen, möchte ich noch die A ngelegenheit des Geisterbeschwörers durch k lare Belege erk lären. Der hierfür gebräuch liche Ausdruck ‫ אובות‬kommt von Wendungen wie [ gleich Schläuchen ] jungen Mostes [ ‫( ] כאובות חדשים‬Ijob 32,19). Denn dies bildet die Grund lage für diese Kunstfertigkeit. Und der Begriff ‫הידעונים‬ [ Gnostiker ] wird von der Wendung ‫„ [ דעת‬Erkenntnis“ ] abgeleitet. Denn jene versuchten die Zukunft zu ergründen. Und der Grund für das wendet euch nicht [ den Beschwörern ] zu (Lev 19,31) – es bezieht sich auf die Kenner dieser Kunst […]. Sucht nicht zu fragen wie ein Seher [ ‫] כשאו ל‬. Die Begründung dafür ist : Ich bin der Herr, euer Gott (Lev 19,31). Auf dass sie nur den Namen [ des Herrn ] a llein suchen. [ Zu Lev 20,7 : ] Dies wird aber um der Unreinheit wi llen gesagt. Denn die Seele, die sich [ den Beschwörern ] zuwendet und danach sucht, ist unrein. Denn sie hängt nicht dem Namen [ des Herrn ] an. Die Begründung dafür ist, dass so diejenigen, die mit Israel wohnen, eingeführt werden – sie sind verpf lichtet, sich zu hei ligen, denn sie wohnen in einem hei ligen Land. [ Zu Lev 20,14 : ] Unzucht ist dies (Lev 20,14) – dies bezieht sich auf Unzucht in Gedanken. Blutschuld ist das (Lev 20,17) – eine zusätz liche A rt der Unzucht. Es wird nicht die Strafe durch die Brüder des Vaters erwähnt, auch nicht die Be1 Der

Herausgeber weist darauf hin, dass K rochma l hier etwas durch Umstellung der Reihenfolge im Kommentar des Ibn Ezra hervorhebt.

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strafung zweier Geschwister. Und der Verständige wird verstehen. [ Zu Lev 20,19 : ] Auch die Worte [ d ieser ] Tradition sind wahr. Die Begründung dafür ist, dass sie das Land nicht ausspeie, was ich in der Parasha Wa-yelekh erläutern werde (und das Gegenteil des Landes ist das A nhängen an den Zeiten, dem Rest). Die Begründung dafür ist, um die Unreinheit [ z u verhindern ]. Damit du weißt, dass er rein ist, sowoh l in Gedanken a ls auch in [ der ] Rede. Damit du dich grau lst vor dem Federvieh. Deswegen soll der Fremd ling nichts Unreines essen in einem reinen Land. Denn dies ist die Bedingung, die unter uns wei lt. Wenn ihr a ll das befolgt, was ich euch geboten habe, dann werdet ihr hei lig sein. Denn ihr seid verpf lichtet, mir nachzufolgen, denn ich bin hei lig (vgl. Lev 20,24). Emor : [ Zu Lev 22,2 : ] Die Begründung lautet aber [ u nd du hast dieses Leben ausgerottet : ] vor mir, ich bin der Herr ! (Lev 22,2). Denn nachdem du vor dem Herrn ausgerottet wurdest, wirst du nicht bestehen. Wie ich im [ Buch ] Sod ha-Shem ausgelegt habe. Und in eurem Land verrichtet nicht (‫)מעוך ונתוק וכרות‬, damit ihr das Werk des Herrn nicht ändert. [ Zu Lev 20,17 : ] Und vom achten Tage an und später darf er es vollbringen. Wie der zu Beschneidende bis zum vierzigsten [ Tag ]. Und vom Tag nach dem Shabbat. Doch die Rabbinen meinten, dies bedeute auch vom Tag nach dem Feiertag usw. Doch siehe, ich wi ll dir ein Geheimnis erk lären, dass näm lich a lle Festzeiten von einem bekannten Tag des Monats abhängen. So wird vom Festtag des Shavu‛ot keine Zah l genannt (einundsechzigster Tag des Festes), entsprechend der Zäh lung [ der Tage ], die ein Gebot ist. Und die Rabbinen, seligen A ngedenkens, zitierten dafür : Denn am Tag des Wochenfestes geschah die Gabe der Tora. Und dazu heißt es : Denn ein Fest des Herrn ist es für uns (Ex 10,9). Wenn es 344 nicht die Tradition gäbe, so scheint mir, dass die Zäh lung der Tage | der der Yovel-Jahre [ entspräche ] (denn auch in Bezug auf sie steht : Und du sollst zählen wie es auch im Traktat Nidda heißt, dass man sie zäh len solle). Doch diejenigen, die dieses verneinten, meinten, dass dies durch die Red lichkeit bedingt sei, dass der erste Shabbat nicht auf den Tag fa lle, der mit und am darauf folgenden beschrieben wird. Sie sollen fünfzig Tage zählen (Lev 23,16). Denn so lautet die Zah l in der Tora (denn die erwähnte Zah l bezieht sich auf das vorher,

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und sie sch ließt die A ngelegenheit nachher aus). Und ebenso gi lt dies für den „achten Tag“ an a llen Stellen [ a n denen dieser Ausdruck erwähnt wird ] (etwa hinsicht lich der Yovel-Jahre, der für Opfer geeigneten [ Tiere ], und des Aṣeret-Festes). Es ist möglich, dass die Schrift dies lehrte hinsicht lich des ersten Jahres entsprechend des ersten Anfangs. Es gibt auch welche, die sagen, dass Rind und Bock so kostbar sind oder dass zwei R inder und ein Bock genauso kostbar sind, je nach dem Ermessen des Priesters. Wir haben jedoch noch nie eine miṣwa wie diese gesehen. Und in der Parashat Pinḥas werde ich den wahren Grund dafür erk lären. (Denn, nachdem das Opfer für Shavu‛ot, welches dort beschrieben wird, ein Schwingbrot ist, zwei Brotlaibe Gesäuertes vom Ersten der Ernte des Getreides, samt eines R indes und zweier Widder sowie sieben Schafen zum Ganzopfer, einen Bock zum Sündopfer, und zwei Schafe zum Ganzopfer. Und in der Parasha über die Festopfer in dem Abschnitt Pinḥas steht : Und an dem Tag der Erstlinge, bei ihrem Darbringen als neues Minḥa- Opfer nach euren Wochen (Num 28,26). Und dies meint ein Opfer, zwei R inder und einen Widder. Sieben Schafe zum Ganzopfer und einen Bock zum Sündopfer. Siehe, der Weise sagt hierzu a ls A ntwort auf diejenigen, die verneinen, dass im ersten Jahr der erste Tag des Pesaḥ-Festes auf einen Shabbat fiel, dass man am ersten Tag das ‛Omer und sein Ganzopfer darbrachte, sodass das Wochenfest auch auf einen ersten Wochentag fiel. Und sie brachten Erstlingsfrüchte mit und Ganz-, Sünd- und Shelamim- Opfer, wie es hier geschrieben steht, und in der Parashat Pinḥas ist vom Opfer des Tages des Festes die Rede.) Doch ich, der Erwähnte, werde dir ein Geheimnis offenbaren, und richte dein Herz darauf aus, und du wirst vielleicht verstehen. Die Tradenten sagten, dass der Tag des Neujahrsfestes der Tag des Gerichtes sei. Die Begründung dafür ist, dass der Posaunen-Stoß Erinnerung an die Königsherrschaft ‫ מלכות‬Gottes ist (andere Lesart : ‫)מלכיות‬. Demzufolge ist das Haupt a ller Monatsanfänge der Monatsanfang Nisan. Er war dadurch besonders ehrenwert, da in ihm das Stiftszelt errichtet wurde. Und im Hinblick auf das Eschaton sprach der Prophet Ezechiel vom Ersten, vom ersten des Monats. Und so sollst du tun hinsichtlich der Woche, entsprechend

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des Quadrates. Doch siehe, fünfzehn für die Gegenwart. Und am siebten Tag auch (so muss es heißen) im Quadrat. Und am Zweiten Pesaḥ werden Bedeutendes und Unbedeutendes vertauscht. Demnach ist der Tag des Neujahrsfestes der wichtigste von a llen. Und obwoh l er ein Tag des Gerichtes ist, ist es verboten, an ihm zu fasten. Dies belegt auch Esra. Der Versöhnungstag ist der unbedeutendste in der Liste. Doch siehe Sukkot ist wie das Pesaḥ-Fest, nur dass es an ihm einen achten und keinen siebten gibt. Von daher wird dir das Wesen des Geheimnisses k lar und ebenso das Geheimnis des Shabbat. Werde ich vertilgen (Lev 23,30) – es gibt einen Unterschied zwischen diesem (und jenem werde ich vertilgen, welches bei der Durchführung der A rbeit am Versöhnungstag erwähnt wird). Und ebenso bei dem es werde ausgerottet (Lev 17,3) (welches in Bezug auf die Leben, welche am Yom ha-K ippurim nicht kasteit werden dürfen, gesagt wird). Und ich kann es nicht erk lären. Und nehmt euch am ersten Tage (Lev 23,40). Und dies deutet auf die Verbannung aus dem Lande Qedar in das Land Edom, wenn man Augen hat, [ dies ] zu erkennen. Erkenne das Geheimnis dieses Gebotes (?). Zwei Holzschichten (Lev 24,6) nach der A nzah l der Stämme im Geheimnis des Efod und des Ḥoshen. Und zwei (so muss es heißen) Zehntel entsprechend der A nzah l der Holzschichten (?). Und es ist richtig, dass das Wort „Elohim“ ein Attribut ist, und so werden die Engel „Elohim“ genannt. Ebenso die dayanim [ R ichter ]. Doch wer kann wissen, was sich im Herzen des Fluchenden abspielt ? Doch wenn man den ehrenwerten Namen nicht dahingehend auslegt, ihn a ls Attribut zu verstehen, kann es nicht zu einer Vermengung mit dem Namen kommen. Denn er ist einzig. Be-har : [ Zu Lev 25,1 : ] Der Grund dafür ist, dass der Herr ruhte wie an einem Shabbat. Und hier wird eine A ndeutung hinsichtlich des Geheimnisses der Tage der Welt gemacht. Denn mir ist der gesamte Erdkreis (Lev 25,23). Ebenso sprach Mose in seinem Gebet : Du bist uns wie ein Wohnstätte, und ein Gesch lecht kommt, ein Gesch lecht geht. Be-ḥuqqotai : Ich legte meine Wohnstatt unter euch. Und fürchtet euch nicht, dass ihr durch einen Mangel auf die Welt kommt. Denn meine Ehre weilt unter euch, und meine Seele wird nicht Ekel an

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euch haben (Lev 26,11). Und ich bin nicht wie ein Mensch, der an seiner Seele Ekel hat, um an einem Ort zu weilen. Und ich werde wandeln unter euch (Lev 26,12). Und weiter : Und wenn ihr auf dem Land eurer Feinde weilt, und das Heiligtum ist nicht unter euch, so wird meine Ehre unter euch wei len. Und siehe, ich werde euch Gott sein, und ihr mein Vol k sein. Siebenmal (Lev 26,18) – entsprechend der vollen A nzah l, wie es a ls Ausdrucksweise für den Plura l verwendet wird. Und meine Seele wird | Ekel haben an euch. 345 Sodass die shekhina von euch weicht. Dann werden eure Städte vernichtet und die Seele eurer Heiligtümer. Die Begründung dafür lautet : Zu Beginn waren sie mein Heiligtum. Und sie werden nicht im Woh lgeruch duften. Die Erk lärung dafür lautet, dass die Ehre Gottes den Himmel und die Erde erfü llt (?). [ Zu Lev 26,39 : ] Und über Noah steht geschrieben : Und der Herr roch den woh lgefä lligen Duft. Die Erk lärung dafür ist, dass er nachher von ihnen kein Ganzopfer annahm. Auch hinsichtlich der Sündenschu ld der Väter. Entsprechend der Erk lärung : Unsere Väter sündigten, und sie existieren nicht mehr. Im Buch der K lagelieder habe ich dies näher erläutert. So habe auch ich es mit euch gemacht : Und ich habe sie in das Land ihrer Feinde geführt, bis dass sie ihr unbeschnittenes Herz beugten. Dies werden wir noch näher erk lären. Welches dem Herrn gewidmet ist (Lev 27,26) – [ d. h., ] es ist bekannt, dass es Gott [ geweiht ist ].

Abschriften aus dem Buche Numeri zur Erklärung der Pforte und Erläuterung seines Systems Über den tieferen Sinn des Namens [ Gottes ] und das Geheimnis der Welt sowie der Tora (Be-midbar :) In der Wüste Sinai (Num 1,1)1 – [ Dieser Vers ] informiert dich darüber, dass Mose nicht [ mehr ] auf dem Berg Sinai stand, denn die Herrl ichkeit [ Gottes ] befand sich nun im Stiftszelt 1 Vg l.

zum Folgenden die Übersetzung von Strickman/Si lver, Ibn Ezra’s Commentary on the Pentateuch. Numbers (Ba-Midbar), 1.

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(Lev 26,39). Und wenn du es genau betrachtest, wirst du erkennen,

dass das Haupt der Süden und der Schwanz der Norden ist. Und dies kann ich nicht erk lären. Daher ist [ das Gebiet ] Rubens im Süden, denn er ist das Haupt. Und Dan im Norden. [ Num 1,19 ] Doch unsere Vorfahren sprachen davon, dass auf dem Banner Rubens die Form eines Menschen zu erkennen war, im Midrasch abgeleitet aus dem Wort ‫ [ דודאים‬A l raunen ]. Auf dem Banner Judas war die Form eines Löwen, denn mit ihm verg lich man Jakob. Auf dem Banner Efraims die Form eines Ochsens aufgrund des Verses : Das Erstgeborene des Ochsen (Num 18,17). Auf dem Banner Dans das Abbild eines Ad lers, der fast den keruvim ähnelt, die Ezechiel, der Prophet schaute. [ Num 3,15 : ] Einen Monat alt und darüber – bis [ die Sonne und der Mond ] wieder in Konjunktion zueinander stehen. Oder bis [ der Mond ] zu seiner ursprüng lichen Ausgangsstelle gelangt ist und sie nahe zueinander stehen. Und der Verständige wird es verstehen. Das mishkan (Num 3,15) – dies bezieht sich auf die zehn Vorhänge. Und das Zelt (ebd.) – ich machte zehn Zeltbahnen. [ Num 3,29 : ] Kohat wurde rechts platziert, da er der angesehenste a ller Söhne Levis, und der rechte ist wichtiger a ls der linke oder der hintere. Es gibt keine Seite, mit Ausnahme des Ostens, die wichtiger ist. Da Gershom der Erstgeborene vor Levi war, hat er einen großen Vorteil gegenüber Merari, denn er trug das, was heilig ist, im Unterschied zu dem, was Merari trug. Gershom lagerte sich daher im Westen wie der Banner Efraims und Merari im Norden, wie der Banner Dans, der der Sohn der Magd war. (Lev 3,35) : Möglicherweise ist das Wort ṣafona [ nordwärts ] vom Wort ṣafanta [ auferlegt ] in wie groß ist dein Gut, das du geborgen hast denen, die dich fürchten (Ps 31,20); das Wort ṣafon in dem Gerechten bleibt [ der Reichtum des Südens ] (Spr 13,22). Der Norden wird so genannt, wei l es [ ihn ] nicht im Süden gibt. [ Num 3,38 : ] Gegen Osten, was östlich der Sonne bedeutet. Das Wort mizraḥa bedeutet „dem Sonnenaufgang entgegen“. Dies bezieht sich auf die Zirkel, die zusammenkommen. Und siehe, im Osten das Zelt des Mose und das des Aaron, und das Zelt seiner K inder und seiner K indeskinder und a ll seiner Söhne. [ Num 4,3 : ] Von dreißig Jahren (Num 4,3) – nahezu vier Wochen. Bis zu […] siebenundfünfzig Wochen, denn dann feh lt die physische

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K raft. [ Num 4,17 : ] Über Aaron und seine Söhne ist befoh len, darauf zu achten, dass die Söhne Korachs nicht unter die Ausrottungsstrafe fa llen. Der Befeh l rotte sie aus wurde Mose gegeben, Aaron und seinen Söhnen. Und sie mögen leben. [ Num 4,17 : ] Auf dass ihre Leben verlängert werden mögen und sie nicht durch die Ausrottungsstrafe sterben mögen. [ Num 4,20 : ] Und siehe zwei Vermahnungen. Dass sie nicht die hei ligen Geräte berühren, es sei denn, wenn sie in Gewändern getragen werden, und sie das Heilige nicht sehen können. Naso : Die Parasha, dass sie entlassen aus dem Lager (Num 5,2) [ bezieht sich darauf ], dass die shekhina in den Lagern wei lte bei ihrem Fortziehen und bei ihrem Niederlassen. Jeder Aussatz und jeder Ausf luss und jeder Totenunreine. Jene stammen von den sieben Verunreinigungen, und sie vermögen, die anderen zu verunreinigen (daher ent ließen sie sie aus dem Lager, welches meiner Meinung nach Israel umfasste. Die Rabbinen stritten jedoch darüber, ob der Aussätzige hinausgeschickt wird außer a lle anderen. Der Blutf lüssige ist im Lager Israels erlaubt und wird von beiden hinausgeschickt, und der Totenunreine ist sogar im Begleitlager erlaubt, und er wird nicht hinausgeschickt, nur vom Lager der shekhina, welche inmitten der Sch leuderer wei lte). Daher musste auch nicht der Samenf lüssige das Lager verlassen (ein Israel it, der niemand anderen verunreinigen kann). Denn es gibt Streitigkeiten zwischen ihnen (was so viel bedeutet wie, dass die kavod [ des Herrn ] nur im Stiftszelt ruhte, welches sich in der Nähe | des Lagers befand, nicht im Lager Israels selbst). Die Parasha K i teṣe maḥane (in der geschrieben steht, dass wenn sich jemand unter dir befindet, der unrein ist durch einen nächt lichen Zwischenfa ll, so gehe er aus dem Lager usw., und ein Zeichen sei für dich außerha lb des Lagers usw. denn der Herr, dein Gott, ergeht sich in der Nähe deines Lagers, um dich zu retten usw., und es werde nicht die Blöße deines Körpers gesehen, und man kehre ihm den Rücken zu) spricht über ein k leines Lager (für den K rieg), in dem es keine Frau gibt (und derjenige, dem ein nächt licher Zwischenfa ll zugestoßen war, befindet sich im Zustand der Unreinheit aufgrund von Eile und von Gedanken), und die Lade befand sich mitten unter ihnen,

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und sie (das ‫ ואין‬bedeutet in A ramäisch so viel wie ‫ )והם‬umkreisen sie (die anderen, nach der Lesart ‫ )ואין‬im Lager Israels (welches größer war a ls das in der Wüste), denn die shekhina wei lt in [ ihrer ] Mitte (a llein), und wir werden dies noch weiter auslegen. Bitteren Wasser (Num 5,18) – nach meiner Meinung ist das Wort ‫ מי‬eine Konstruktusform. Das Wort ‫ מרים‬ist dagegen eine attributive Bestimmung. Trotzdem ist sein tieferer Sinn bekannt. Möglicherweise wurde es aber auch so genannt, wei l dies ihrem Ende entsprach. Auch ist es möglich, dass sie so genannt wurden, wei l die Bezeichnung für ihr Ende so lautete. Die Begründung dafür fi ndet sich in einem Buch, ein Buch, welches theologisches Wissen enthä lt. [ Zu Num 5,31 : ] Denn der Grund für die meisten Übertretungen ist der Wein. Denn die Bezeichnung nazir ist ein positives Attribut. Auch wenn ihre tiefere Beschreibung bekannt ist. Und man leitete es aus seiner Wurzel ab. Der sich von seinen Begierden entfernt, und der dies zu einem Gottesdienst macht. Denn der Wein vernichtet den Verstand und den Gottesdienst. Und die Parasha K i teṣe maḥane deutet auf ein Geheimnis hin. [ Num 6,3 : ] Dies handelt von der Frau des Manoach. [ Dies bezieht sich auf ] jede Unreinheit und a lles, was aus dem Stock des Weines hervorgeht. Und es gibt welche, die meinen, dass das Wort nazir aus der Wendung denn ein nazir Gottes sei er abgeleitet wird : denn die nezer [ Diadem ] seines Gottes ist auf seinem Haupt (Num 6,7), und sie ist nicht ferne. Und wisse, dass a lle Menschen Sk laven der profanen Gelüste sind. Und der König, der tatsäch lich ein Diadem und eine Königskrone auf dem Haupte trägt, ist wie jemand, der von den Gelüsten frei ist. Gepriesen seiest du ! (Num 6,24) – [ d ies bezieht sich auf die ] Verlängerung des Lebens und Reichtum. Und behütet seiest du (ebd.) – und die Verlängerung sei dir gewährt. Und an diesem Tag machte ich dir [ aus einem ] zehn Tage [ Num 7,72 : ] Bereits im Sefer Moznayim habe ich dir erk lärt, warum ausgerechnet diese Zah l gelehrt wurde.1 Die Begründung 1 Der

Hinweis bezieht sich woh l auf Abraham ibn Ezra, Sefer Moznayim. Introcucción (en castellano e ing lés), edición crítica del texto hebreo y versión castellana de Lorenzo J. Patón, revisada, completada y reelaborada par Á ngel Sàenz-Badi llos, Cordoba 2000, 64* (hebräischer Text).

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dafür ist ‫ עשתי‬wie ‫ [ עשתנותיו‬vgl. Ps 146,7 ]. Was brachten sie hervor : seine Gedanken. A ls ob die zehn [ etwas ] hervorbringen kann, und dies ist ein großes Geheimnis (?). Die Begründung dafür ist, dass er vernehmen möge, dass er a llein die Stimme vernimmt. Doch sie konnten nicht hören, wer in dem Zelt der Versamm lung, jenseits des Vorhanges war. Auch dies triff t zu, denn Gott kann mittels Wahrnehmung seiner Ohren ebenso etwas hinzufügen wie er mittels Licht die Augen des jungen Elisha öff nete, und ebenso öff nete der Herr die Augen des Bileam. Be-ha‛alotekha : [ Num 11,17 : ] Die Bedeutung von ‫ ואצלתי‬ist : ich werde dies davon nehmen, was du besitzt. Und wisse, dass Geist Weisheit bedeutet. Und wenn einiges von der Weisheit Rubens an Simon gegeben wurde, feh lt der Weisheit Rubens nichts. Sie bleibt einfach so, wie sie war. Und dies ist wie das Gleichnis von dem Licht. Heiligt euch (Num 11,18) für den morgigen Tag, und esst Fleisch. Dies steht, um den Ausdruck heilige dich zu preisen und ihn zu schmähen (so ist seine vollständige Bedeutung), und ebenso im A na logiesch luss (im Buche Haggai), der unreiner Ausdrucksweise entspricht. Denn Mose erkannte nicht, dass Gott ein neues Zeichen oder Wunder gibt, es sei denn, um seine Prophetie zu rechtfertigen, wie ich noch erk lären werde. Wie angesehen sind aber die Ausführungen unserer Vorfahren, die über die Ä ltesten sagten : Gepriesen sind sie, doch wehe ihren Frauen. Doch siehe, sie prägten, dass Mose sich nicht davon enthielt, sich zu Zippora zu legen, außer aus dem Grund, sie könne nicht schön sein. In einer Vision (Num 12,6) – in den Visionen der Nacht. In einem Traum spreche ich mit ihm. [ Zu Num 12,8 : ] Der Grund ist, dass ich mit ihm ohne einen Mittler spreche. Doppelt, entsprechend den Prophetien. In meinem gesamten Haus wird ihm vertraut (Num 12,7) – wie ein Sohn des Hauses, der ohne Erlaubnis eintritt. Und ihr : Wenn ich es euch kundtue, werdet ihr es erkennen im Traum. Wenn nicht, so habt ihr auch keine Erlaubnis, danach zu fragen. Von Mund zu Mund werde ich mit ihm sprechen (Num 12,7). Dies bedeuet : ohne Mittler. Im Anblick (Num 12,8) – der Grund dafür ist, dass ich ihm die Rede zeige (es muss heißen : das Gebot), welches [ hier gemeint ist ]. [ Num 12,8 : ] Nach der Form des Stiftszeltes : nicht nach der A rt der Schärfe.

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Wie der große Ad ler. Und das Bild des Herrn betrachtet. Entsprechend der Begründung : Zeige uns doch deine Ehre (Ex 33,18). Oder [ bedeutet das ], dass Gott mit Mose spricht und er wach ist ? Und er geht (Ex 33,18) – dies bezieht sich auf die Herrlichkeit [ Gottes ]. Und dies bezeugt [ der Vers ] und die Wolke wich (Num 12,9). Von dem Zelt (Num 12,9) – von über der Öff nung des Zeltes (wei l oben geschrieben steht : Und er sah den Herrn in der Wol kensäu le, und er stand in der Öff nung des Zeltes). | Shelaḥ lekha : Bis zum Tale Eshkol (Num 13,23). Die Worte des Moses (die er geschrieben im vierzigsten Jahre, und er nannte den Ort daraufhin nach dem Namen Eshkol, an dem er die Boten empfing). Es ist möglich, dass dies dem [ folgenden Vers ] entspricht : und er verfolgte sie bis Dan (Gen 14,14) (der Schriftvers handelt von Abraham. Und sein Neffe Dan war zu dieser Zeit noch nicht geboren). Doch dort ist es nicht mög lich, dass Mose es so geschrieben hatte, denn er nannte den Ort nicht Dan, solange die R ichter noch nicht gestorben waren und ihn die Söhne Dans noch nicht erobert hatten. Und es heißt : Er nannte seinen Namen Dan, denn dort richtete Dan ihre Väter), um einen anderen Namen zu erha lten (vgl. Num 13,24). (‫ – בצורי‬dies meint, dass Mose einen anderen Namen schrieb a ls den, der dama ls bekannt war, wie es geschrieben steht [ in dem Vers : ] und er verfolgte bis dort. Und die späteren Abschreiber veränderten die bekannten Namen zu ihren Zeiten). Sie hörten, dass du der Herr der Herrlichkeit bist, in der Mitte dieses Volkes (Num 14,13). [ Num 14,14 : ] Von dem gilt, Auge in Auge (Num 14,14). Entsprechend der Ehre, welche die Ä ltesten sahen, oder entsprechend dem A nblick der Herrlichkeit des Herrn vor den Augen der K inder Israel. Und dies ist das R ichtige. [ Zu Num 14,22 : ] Dieses zehn Ma l, was so viel bedeutet wie viele Ma le. Es wird zehn gesagt, damit es eine große Summe ergebe. Denn er ist das eine Ende [ der einstell igen Zah len ] und der Beginn der Zehner in der zweiten Reihe der Zahlen. [ Zu Num 14,30 : ] Für das ich meine Hand erhoben habe. Entsprechend der Sprache der Menschen. Denn der Himmel (das, was bei ihm geschworen wird [ wenn man die Hände zu ihm beim Schwur emporhebt ]) ist oben (entsprechend dem Menschen). [ Zu Num 14,35 : ] In dieser Wüste. [ Gott ] hat für jeden einen spezifi schen

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Moment des Todes gesetzt. Und dort werden sie sterben (ebd.) – a lle von ihnen, nahe am Ende [ der von Gott gesetzten Zeit ]. Dies ist die Sünde, dass sie nicht taten, was ihnen befoh len worden war, zu tun. Und er irrt. Er ist wie ein Satz, den man irrtüm lich bi ldet, in Bezug auf das, was man nicht tun soll. Eine Tora (Num 15,29). Dies ähnelt der Formu lierung : Dies ist die Tora der Sündopfer (Num 6,18). Siehe, dies entspricht dem Satz, wer etwas irrtüm l ich tut, was ihm befoh len war, nicht zu tun (vgl. Num 15,27). Dies entspricht der Sündopfer-Tora (vgl. Num 15,29). Mit erhobener Hand (Lev 15,30) – um zu zeigen, dass a lles, was er tut, nicht vor dem Herrn zurückschreckt. Lästert (ebd.) – entsprechend der Ausdrucksweise der Menschen. Denn er verhöhnt das Wort des Herrn (ebd.) – dies meint „mit erhobener Hand sprechen“. [ Zu Num 15,31 : ] Ausgerottet werde dieselbe Person; ihre Schuld ruhe auf ihr. Sie wird nicht Entvöl kerung bedeuten, nach den Worten die irren Geistes sind. Sondern sie bedeutet nur die Verbindung der Seele mit dem Körper. Ihre Schuld ruhe auf ihr. Wie : Sein Blut komme über ihn (Ez 33,4). Doch siehe, es ist jedem geboten, der ein Gewand trägt, sich vier Zipfel an ihm anzubringen, entsprechend dem Vers, den man beim shema‛-Rezitieren spricht : Und ihr sollt euch Ṣiṣit anbringen (Num 15,39). Doch meiner Meinung nach ist er stärker verpf lichtet, sich in den anderen Stunden a ls denen des Gebetes in den Ṭa llit zu hü llen, damit er sich erinnere, sich nicht irre und zu keinem Moment eine Übertretung begehe. Denn zur Stunde des Gebets begeht man keine Übertretung. Nach eurem Herzen (Num 15,39) – welches sich der Lust hingibt. Das Auge sieht und das Herz trachtet [ nach Lust ]. Die Ṣiṣit sollen ein Zeichen und ein Merkma l sein, dass der Mensch nicht den Wünschen seines Herzens folge und a llem, was seine Augen [ z u sehen ] wünschen. Denen ihr nachbuhlt (Num 15,39) – denn, wer seinen Gelüsten folgt, der begeht eine Sünde, statt seinem Gott zu dienen. Damit ihr euch erinnert (Num 15,39) – denn, wenn ihr euch erinnert, werdet ihr hei lig sein, und ihr werdet nicht erlöst von der Lust eures Herzens, der den verstehenden Geist verdeckt. Ich bin der Herr, euer Gott (Num 15,49) – ich bin es, der euch hinausgeführt hat, um für euch Gott zu sein. Daher sagte ich euch : Ich bin der Herr euer Gott (ebd.).

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Korah : [ Zu Num 16,1 : ] Denn die gesamte Gemeinschaft bestand aus Heiligen, und dies weist auf Erstlinge hin, die a ls heilig gelten. Denn so steht geschrieben : Heilige mir jedes Erstgeborene (Ex 13,2). Sie waren die Priester, die dem Herrn nahe kommen (Ex 19,22) (das Geschriebene steht bei der Gabe der Tora, vor dem Aaron Priester wurde). Und sie sind die Wichtigsten der gesamten Gemeinde. [ Zu Num 16,3 : ] Denn die gesamte Gemeinde (Num 16,3). Denn die gesamte Gemeinde seit dem Tag, an dem sie am Sinai stand, war hei lig und unter ihnen wei lte der Herr. Denn die Leviten wurden erwäh lt, nachdem die Herrlichkeit unter den Israeliten wei lte. Und selbst wenn es Mose wusste, a ls er am Sinai war, dass der Stamm Levi erwäh lt werden würde, so wusste es doch nicht Israel. [ Zu Num 16,12 : ] Wir werden nicht hinaufkommen (Num 16,12). Möglicherweise befand sich das Stiftszelt im Lager an einer erhöhten Stelle, warum es „hinaufkommen“ heißt. Oder : Wer geht zum Dienst des Herrn ? Oder : Zu einem erwäh lten Ort, der ‫ עולה‬heißt ? [ Zu Num 16,15 : ] Und Mose war sehr zornig (Num 16,15). Diesen Ausspruch habe ich bereits ausgelegt. Denn das Ganzopfer und das minḥa- Opfer nehmen den Zorn von den Bösen. Und Datan und Abiram waren bedeutende Menschen und brachten minḥa vor diesem Ereignis dar. Und die Begründung dafür ist : Ein Gott der Furcht ist er, der die Macht besitzt, a lles in einem Moment zu zerstören, und er | ist der Gott der Geister. [ Zu Num 16,22 : ] Dies ist die Bedeutung des Terminus El, denn er vermag es, die Geister zu zerstören, denn in seiner Hand sind sie. Es gibt welche, die sagen : El, Gott der Geister (Num 16,22), denn er besitzt die K raft, die Geister zu suchen, denn er ist ein einziger Gott, und er erkennt, dass a llein Korah derjenige ist, der eine Sünde beging, und er wird auch a ls derjenige angesehen, der andere zur Sünde anhielt. [ Num 16,28 : ] Alle diese Taten tun (Num 16,28). Sodass die Leviten den Platz der Erstgeborenen einnehmen. Und wisse, dass es eine große und schmerz liche Sache für denjenigen war, der nicht daran g laubte, dass Gott befoh len hatte, die Erstgeborenen aus ihrer Position a ls Priester zu entfernen und diesen Status lediglich auf die Familie des Moses übertragen zu sehen. Dies a lles geschah nur aufgrund der Sünde des Ka lbes, denn [ daher ] brachten sie shelamim- Opfer dar (was im Bundesbuch steht,

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welches bei der Gabe der Tora erwähnt wird, bevor [ Mose ] auf den Berg stieg), die Erstl ingsfrüchte brachten sie dar. Denn sie a llein waren die Priester und Leviten, die die Verehrer des Ka lbes töteten (jene ersten Priester). Doch gibt es diesbezüg lich eine Frage (warum wurde Aaron auserwäh lt, um ein Ka lb herzustellen ?). Und die A ntwort auf diese Frage fi ndet sich in der Parasha Wa-yelekh Moshe (in dem Vers Dtn 31,16 : und nachbuhlen den Göttern der Fremden). [ Zu Num 16,30 : ] Neues [ ‫] בריאה‬. Es gibt welche, die sagen, das Wort bedeute, dass etwas hervorgebracht werden soll, was zuvor nicht existierte. Ich habe aber bereits ausgelegt, dass das Wort Neues [ ‫ ] בריאה‬nicht nur mit der Wendung und er schlug sie ab [ ‫( ] וברא אתהן‬Ez 23,47) verbunden ist. Und viele Städte sind bereits erobert worden, und diejenigen, die in ihnen wohnten, sind in die Grube gefa llen (wenn dies zutriff t, ist dies überhaupt keine Neuerung). Siehe aber, wie man es (das Wort Neues [ ‫ ] בריאה‬hier) auslegte, entsprechend seiner Bedeutung in dem Kontext (wie etwa auch in der Form ‫ הבניה‬in dem Buch Ezechiel [ 11,13 ]). [ Num 16,30 : ] Dass die Erde auftut ihren Mund (Num 16,30) – ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die obere Seele des Menschen bereitet ist, um dann zu denen, die höher sind a ls sie zu sprechen (zu Gott und zu den Engel n), entsprechend ihres Pa lastes, welcher der Körper ist. [ Zu Num 16,30 : ] Und ebenso auf die niederen von ihnen (Tiere und Pf lanzen sowie die Elemente der Toten). Und die Begründung (für beide) ist, dass man die Hörenden verstehe. Meiner Meinung nach ist nur der Ort des Datan und Abiram festgelegt worden. [ Zu Num 16,34 : ] Und Korah stand mit seiner Kohlenpfanne usw. [ Zu Num 17,2 : ] Denn sie sind heilig (Num 17,2) – denn nachdem man sie Gott a ls Opfer darbrachte, siehe, da sind sie hei lig. Dass sie zum Denkzeichen werden (Num 17,2) – zur Erinnerung und zum Zeichen. [ Zu Num 17,6 : ] Ihr habt getötet (Num 17,6). Die Begründung dafür lautet : Welches war die Begründung dafür, dass der Stamm Levi der erwäh lte war, und Aaron wurde zum Hohepriester erwäh lt. Und es ist möglich, dass ihr bei euren Gebeten oder in eurem Ratsch luss, den ihr erkanntet, die Opfer verbranntet. Die Kohlenpfanne (Num 17,11), die bekannte. Und lege Räucherwerk [ auf sie ] (ebd.) – es heißt nicht das Räucherwerk. Der Gebildete wird es verstehen. [ Zu Num 19,19 : ] Ein

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Salzbund – ein Bund sch loss er vom Ertrag des Landes, Frucht zum sa lzen. Und der Ort des Sa lzes ist wie ausgestorben. An ihm wächst keine Frucht. Wie mit Sa lz so auch mit Schwefel. Ḥuqqat : Zedernholz (Num 19,6). Wie für einen Aussätzigen. Und dort habe ich auf ein Geheimnis hingedeutet. Sagte der Gaon, dass die Wasser des Besprengens wie der Honig sind, der wie roter Aussatz schadet und derjenige, der eiterig ist. [ Zu Num 19,9 : ] [ Ein Wasser für das Besprengen ] Und es besteht dafür kein Bedürfnis. Für ‫ – מי נדה‬seine Erk lärung ist fern liegend. Wie die Formu lierung ‫מנדיכ׳‬. [ Num 19,10 : ] Und der Fremde, der unter euch wohnt (Num 19,10) – dafür war das Land Israel heilig, denn die Herrlichkeit wohnte dort. [ Zu Num 19,12 : ] Derselbe lasse damit entsühnen (Num 19,12) – er soll seine Sünde von ihm nehmen, oder wie es heißt : Reinige dich mit Ysop, und ich werde dich reinigen. Und diejenigen, die mit dem Geheimnis der Zah len vertraut sind, wissen, dass die Zah l Drei gleich der Zah l Sieben ist. [ Num 20,8 : ] Nimm den Stab (Num 20,8) – es gibt viele Auslegungen für dieses Ereignis usw. Der richtige Kommentar dafür in meinen Augen ist der, der uns in A ndeutungen offenbart wird. Wisse, dass wenn das Teil das Ganze kennen würde und dem Ganzen anhaftete (richtiger : anhaften würde), [ dann ] würde es mit a llen Zeichen und Wundern erneuert werden. Und es ist wahr, dass der Herr zu Mose und Aaron sagte : Und ihr sollt nicht sprechen. Und sie sprachen nicht über das R ingen Gottes mit Mose. Doch siehe, das Teil [ blieb ] Teil. Und ebenso der Fels; und nicht gingen aus ihm Wasser hervor, bis dass er ihn ein zweites Ma l sch lug. Und weiter : nicht hei ligten sie seinen Namen, und sie rebellierten und erhoben sich im Irrtum. Auch kann der Erk lärer dies darauf anwenden, [ was in dem Versteil ] und er übereilte sich mit seinen Worten (Ps 106,33) [ gemeint ist ] (was eigent lich schwer zu erk lären ist), doch wurde er so bestraft, dass er nicht für wert erachtet wurde, ein Wort zu sprechen, bis er nicht den Auftrag des Herrn erfü llt hätte (es a lso nicht zum Streit und Zornesausbruch käme). Auch wird es der Auslegung unserer Vorfahren, sel igen A ngedenkens, entsprechen, dass Sünde dafür angerechnet wurde, dass er sagte : Höret doch, ihr Widerspenstigen (Num 20,10). Und sie deuteten darauf hin, dass dies eine tiefere Bedeutung habe (dass

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daraus ersicht lich sei, dass er sehr zornig gewesen ist). (Und darüber hinaus schrieb er : Und Mose und Aaron gingen von der Versammlung hinweg (Num 20,6). Wie solche, die f liehen.1 Wegen des Streites fürchteten sie sich und f lohen, | und sie vollzogen nicht den Wil- 349 len des Herrn, und deswegen verließ ihn seine K raft). [ Num 20,10 : ] Aus diesem Fels (Num 20,10) – wir besitzen die K raft, aus ihm Wasser hervorzuholen. Weil ihr nicht geglaubt habt, um mich zu verherrlichen (Num 20,12) – dies bezieht sich auf die tiefere Bedeutung, auf die ich verwies, dass Gott nicht durch sie gehei ligt wird. [ Num 20,13 : ] Und er heiligte mit ihm Mose und Aaron. [ Unser Vers hat dieselbe Bedeutung wie : ] An den mir Nahen will ich geheiligt werden (Lev 10,3). [ Num 20,14 : ] Und er sandte einen Boten (Num 20,14) – wie es gemeint ist. Und ebenso heißt es in der Schrift : und der Engel seines Antlitzes half ihnen ( Jes 63,9). Und Viele legten es auf Mose aus, denn sie fanden [ den Vers : ] Und es sprach Haggai, Bote des Herrn (Hag 1,13). Doch dies ist nicht meine Meinung. [ Num 21,8 : ] Mache dir ein Bild wie eine Sch lange, einen Serafen aus neḥoshet. Denn so steht es geschrieben (in den Chronik-Büchern) […]. Und Viele gerieten dadurch durcheinander und sagten, dass dies das Abbild sei, durch das man die Macht über die höchsten [ Wesen ] erlangen könnte. Und wehe, wehe, diese Sache geschehe aufgrund eines gött lichen Befehls usw. Doch die Wahrheit ist, die Erkenntnis des Höchsten ist über sie erhaben. Balaq : [ Num 22,7 : ] Mit Wahrsagerlohn in ihrer Hand. Und ein Buch, das er geschrieben, welches sandte zu den Wahrsagern wie zu ihm. Und weiter, nachdem er es nicht verhindern kann, zu sagen : Ich finde einen erwäh lten Tag und eine erwäh lte Stunde, um zu gehen und um auszuwölben. Denn sie sind die Männer seines Vertrauens. Und Gott kam (ebd.) – zur Ehre Israels. Denn der Herr wusste etwas über den Fa ll von Ba‛a l Pe’or im Voraus. Und hätte sie Bileam verf lucht, dann hätte die gesamte Welt gesagt, die Plage sei nur wegen Bileams Fluch gekommen. Denn sie sind gepriesen [ Num 22,12 : ] Seine Bedeutung ist : du kannst ihm nicht f luchen, 1 Vg l .

Strickman/Si lver, Ibn Ezra’s Commentary on the Pentateuch. Numbers (Ba-Midbar), 158.

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denn ich habe ihn gepriesen. Sein Haus voll [ Num 22,18 : ] melo beto bedeutet : sein Haus voll. Ebenso wie : Melo kol ha-areṣ kevodo [ d ie ganze Erde ist seiner Ehre voll ]. Denn Viele irrten, die dachten, dass die Bedeutung des letzteren [ Satzes ] sei : Die Herrlichkeit des Herrn sei voll der Erde, wie in dem Vers : die Erde ist des Herrn, und was sie füllet (Ps 24,1). (Demzufolge ist in der Schrift gemeint, dass die Herrlichkeit des Herrn und seine shekhina die Erde erfü llen, wie in und voll werde seiner Herrlichkeit die ganze Erde [ Ps 72,19 ]. Nicht, dass er meinte, die Erde sei voll und ihre Emanationen verliehen Gott erst ihre Herrlichkeit). [ Zu Num 22,22 : ] Einen Widersacher [ Satan ] gegen ihn (Num 22,22) – ich habe bereits im Buch Ijob ausgelegt, dass der Satan ein Engel war. Und nach den Worten des Gaon war der Satan ein mensch liches Wesen, das zu nichts nutzte und nichts verhinderte. [ Num 22,28 : ] Und der Herr öff nete (Num 22,28). Die Rabbinen, seligen A ngedenkens, sagten, dass zehn Dinge am Vorabend des Shabbat, in der Dämmerung geschaffen wurden. Doch nach meiner Meinung ist die Begründung dafür, dass Gott dadurch festlegen wollte, Zeichen zu erschaffen, die außerha lb der Natur[ gesetze ] stehen. Und daher meinte der Gaon, dass die Eselin nicht sprechen könne; und Rav Shemu’el ben Ḥofni verstand ihn. Rabbi Shemu’el (es muss Shelomo [ ibn Gavri’ol ] heißen), der Sefarde und Verfasser von Gedichten (Reimen), gedachte, das Gü ltige zu retten. Und wisse, dass die Forscher logisch folgerten, wie die Dinge zu erk lären seien. Denn sie sagten, dass Gott kein Wunder in der Welt schaffe, um ihren Lauf, mit dem er sie geschaffen habe, zu verändern, es sei denn, es handele sich um seine Propheten. Doch sie sprachen nicht die Wahrheit, denn siehe, Ḥananya, Misha’el und ʽAzarya bereitete er ein Wunder, und sie waren keine Propheten. Es gibt auch welche, die sagen, dass Bileam ein Prophet war. Und die Wahrheit ist, dass seine Prophetie der Herrl ichkeit Israels diente (nur dieses eine Ma l), denn er war ein Zauberer. Und so wird er auch im Schriftvers (im Buche Josua) genannt. Es gibt auch welche, die sagen, er kannte den Verstand der Höchsten, ihre K raft unten in ihrer Form anzunehmen. Dies ist der Grund dafür : Welche er erleuchtet [?]. Und das R ichtige in meinen Augen ist, dass er die mazza lot kannte, und in dem Moment, in dem er das mazza l

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Adams erblickte, a ls die Zeit seines Sündenfa lls gekommen war, da verf luchte er ihn. Und a ls das Übel über den Verf luchten hereinbrach, dachten die Zuschauer und Hörer, die sich einfanden, dass das Übel wegen seines Fluches über ihn kam. Und beachte, wie trügerisch er mit den A nführern des Ba lak sprach. Und dies ist der Grund dafür, dass er nicht die Stimme Gottes, des Herrn, übergehen konnte. Denn das Erschaffene kann das Werk oder den Entsch luss des Schöpfers nicht verändern (der Entsch luss Gottes ist die Ordnung seines Systems). Und der tiefere Sinn ist, dass ein Teil den [ a nderen ] Teil nicht verändert (dies bezieht sich darauf, dass a lle Teile und a lle Schöpferpersön lichkeiten nur wie eine Kette in der Reihe der wirkenden Ursachen sind; und a lle sind spezifiziert und logische Folge entsprechend den Ursachen ihres Hervorgehens, durch die sie verbunden werden), nur der Entsch luss des Ganzen verändert die Bestimmung des Einzelteils (d. h., dass das Geistige in sich die Permutationen enthä lt, und dies ist Gott), und die geistigen [ Emanationen ], die ihm anhängen, sind frei von der materiellen Logik und seinen mechanischen Zwängen. Und dies hat der Weise [ Ibn Ezra ] bereits zuvor hinreichend durch Gleichnisse erk lärt). Und ich kann dieses Geheimnis nicht genügend offenbaren, denn es ist sehr tiefgründig (der | [ Weise ] trägt dies vor, um zu erk lären, dass es unmög lich ist, die Natur Gottes zu ana lysieren oder seine Werke zu verabscheuen oder sich von ihm zu distanzieren wie Bileam, indem man Wunderzeichen vollbringt oder die Konstellation ändert, es sei denn derjenige, der das Geheimnis Gottes wahrhaft und in seiner Weisheit erkennt und seinen reinen Werken anhängt, wie noch in der Parasha Wa-ere erläutert werden wird). Es ist aber zutreffend, dass die Eselin sprechen konnte (so wie seine einzige Prophetie nur zu Ehren Israels gesprochen wurde, so wurde auch dieses Wunderzeichen für sie vollbracht). Wenn du aber das Geheimnis der Engel Abrahams verstehst, auch das [ der Engel ] Jakobs, dann wirst du auch die Wahrheit erkennen (d. h., dass a lles im A nblick war und die Schöpfung schreck licher Visionen gegen die Seher in ihren Vorstellungen). [ Num 22,31 : ] Und der Herr enthüllte (Num 22,31) – wie dem jungen Elischa [ vgl. 2 Kön 6,17 ]. [ Gott ] fügte zu dem Licht seiner Augen hinzu oder sch lug ihn an-

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fangs mit Blindheit. Die Begründung dafür lautet : Und jene machte ich wieder lebendig, denn jeder Mensch muss beim A nblick des Engels sterben. Der Beleg dafür ist : Rette meine Seele (Gen 32,30). Und dies ist zum Beleg gesagt. Ebenso das Vieh, welches keinen A nteil am Geist der Engel hat wie der Mensch. [ Num 23,29 : ] Sieben Altäre. Es gibt tiefe Geheimnisse, die man nicht verstehen kann, es sei denn bei ungraden Zah len. Wie es die sieben Tage und die Monate gibt, ebenso gibt es die zwei und sieben Schafe des Ganzopfers, und so gibt es auch diese sieben [ hier ]. Der Herr spricht zu Ijob : Nehmt euch sieben Rinder und sieben Widder (Ijob 42,8). Und indem man ein sha lem für ein sha lem gibt, wird der Geist der Erkenntnis erneuert. Der Verständige aber wird es verstehen. [ Num 23,3 : ] Und ich will gehen she-fi (Num 23,3). Und die Bedeutung ist, dass er zu einem [ Ort ] Shefi ging (einem Berg oder einem Hügel, um die Sterne zu betrachten). Es fehlt hier jedoch das Wort „zu/nach“ [ ‫] אל‬. Wie in : Und er kam Jerusalem. Ebenso in : Sie zogen Ḥaṣrot (Num 11,35). Und es gibt viele [ Verse ] wie diese. Siehe, er wahrsagt bei seinem Gehen (a ls er ihre Opferstätte besichtigt), denn so steht geschrieben (im letzten Gleichnis) : Denn er ging nicht wie üblich, sondern indem er sich mit den Wahrsagern [ ‫ ] נחשי ם‬traf [ vgl. Num 24,1 ]. Auch hier deute ich auf den symbolischen Sinn hin (meiner Meinung nach ist dieser angedeutete Sinn, dass er auf der Opferstätte die Häresie des Peor erkannte [ vgl. Num 24 ]). Denn vom Gipfel der Felsen [ Num 23,9 ] werde ich es zeigen. Denn er stand auf dem Shefi, und er war hoch. Dies bezeugt, dass mit Shefi das gemeint ist, was ich ausgelegt habe (die Schau der [ Sternen-]Konstellation). Und er ging nicht, wie er üblicherweise ging, um sich mit den Wahrsagern zu treffen, und er wandte sich in die Wüste und nicht zum Shefi. Auch ist es möglich, dass das mi-rosh ṣurim [ vom Gipfel der Felsen ] (Num 23,9) ein Gleichnis ist für die Entsch lüsse, die von den Oberen hinabkommen. Denn er sah in seiner Weisheit, dass diese Nation a llein steht, und nicht mit einem anderen vermischt wird, welches über es obsiegt und es veran lasst, seine Tora zu verlassen, wie a ll die anderen Völ ker (dies sah er in den Sternzeichen, entsprechend dem System, nach dem jedem Vol k ein mazza l zugeordnet ist). [ Num 23,9 : ] Und unter die Völker lässt es sich nicht rechnen (Num 23,9). Dies werde ich

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an lässlich des Verses : Da der Höchste den Völkern Besitz gab (Dtn 32,8). Und sei ein solcher mein Ende (Num 23,9) – der Grund dafür ist, dass die Lust zum Tode führt, und sein Ende wird wie das Israels sein, die ein Teil Gottes sind, und nicht Teil der Sterne. [ Zu Num 23,10 : ] Denn er war ein Zauberer. [ Num 23,21 : ] Nicht schaut man Verwerf liches (Num 23,21) – Meiner Meinung nach rührt von diesem Wort, dass Ba laq die Frauen Moabs in das Lager Israels schickte. Die Begründung ist, dass Gott nicht wie ein Mensch ist, dass er sich über sie erbarme. Denn er sah nichts Verwerf liches in Israel. Wenn aber Verwerf liches in Israel gewesen wäre, wäre das Wort Gottes nicht eingetroffen. Denn a ll seine Worte sind konditiona l gesprochen, (außer) bei einem Schwur. So sagt der Prophet : Und zu einer Zeit tue ich den Ausspruch ( Jer 18,9) usw. Dies ist der Grund für das Wort Bileams (dies geschah näm l ich beim Ausspruch Bi leams). Er sieht nichts Eitles (Num 23,21) : Die Begründung lautet : Was bringt den Menschen am Sch luss zum Eitlen ? Verwerf liches ! Doch solange er nichts Verwerf liches in Jakob sieht, so ist Gott mit ihm (die gött liche Providenz entsprechend der geistigen Verbindung [ mit Gott ], doch es berührt nicht das Böse in der [ gött lichen ] Konstellation) [ Num 23,22 : ] Gott, der sie geführt aus Ägypten (Num 23,22). Dies bezieht sich auf Gott, der mit ihnen wirksam war [(?)]. Und er ließ sie in Ägypten Zeichen sehen. […] Die Begründung dafür ist, dass sich dies auf Gott, den Herrn, die Stärke Israels, bezieht. A ll dies dafür, dass er Gott anhängt, und er sucht sie nur von ihm. Denn sie besitzen keinen Sinn, es sei denn für den Wahrsager. Und der Zauberer (der die himm lischen Besch lüsse verkündet, die über ihnen sind). [ Zu Num 23,23 : ] Zur Zeit wird Jakob (Num 23,23) – zu dieser Zeit. Und dies bedeutet : zu jeder Zeit spricht er zu ihnen, ohne dass es der Nachforschung durch Wahrsagerei bedürfte. Was Gott im Werke hat (Num 23,23) – was er tun wird. Und das Wort ‫ עבר‬steht für a lles, was er besch ließt. Wenn es sich etwa auf die Zukunft bezieht, so ist es bereits besch lossen. Dies ist, was er zu Israel in der Form einer Prophetie spricht, dass es wahr sei. Wie gleich einem jungen Löwen wird er erstehen (Num 23,24) – dies ist ein Hinweis darauf, dass er die Könige Kanaans besiegen wird. Was aber dem Verstand naheliegt, ist auch dem Wort[sinn ] nahe. Wie der K rieg gegen Midian,

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ein K rieg, von dem man nichts derg leichen zuvor gehört hatte | usw. [ Num 23,28 : ] Und nicht richtete er sich nach den Wahrsagereien. Daher lag der Geist des Herrn auf ihm. Dies [ geschah ] dafür, weil er sah, dass er nicht gegen Jakob wahrsagte. Es gibt welche, die sagen, dass der Grund dafür war, dass er hörte und auch schaute, was er wahrsagte. Dem Verstand liegt jedoch nahe, dass er auf die Weise der Prophetie wie im Traum schaute, wie Elifas ein stummes Bild erblickte, und eine Stimme werde ich hören (und dort wird der Traum a ls nächtliche Vision erläutert werden). Und er erkennt die Kunde des Höchsten (Num 24,16). Auf die Weise der Prophetie, nicht etwa durch Zauberei. (In demselben Moment.) Pinḥas : Ein Ziegenbock zum Sühnopfer dem Herrn (Num 28,15) – wie das Los auf ihn fiel, so bereiteten sie das Sühnopfer. Und wisse, dass das Sühnopfer des Vol kes von der hei ligen Ausdrucksweise abgeleitet wurde : Das Sühnopfer hängt nur von dem ab, der die Sünde begangen hat (ein k larer Hinweis, und dies bedeutet, dass die Sünde nicht etwa von Gott kommt). Und nicht möge meine Sünde meinem Vater kund werden. Dies ist das Gegenteil des ausgelegten Schriftsinns (bringt mir ein Sühnopfer dar). Doch [ der Vers ] enthä lt einen mystischen Sinn. Maṭṭot : [ Zu Num 31,19 : ] Ihr und eure Gefangenen (ebd.) – wegen der kavod, die unter ihnen wei lte. Vor dem Herrn (Num 32,22) – denn die Lade befand sich dort. Vor dem Herrn ist so zu verstehen, dass es immer in einer positiven Bedeutung verwendet wird. Mase‛ : [ Zu Num 34,17 : ] Dies sind die Namen der Menschen, die Besitz ergreifen werden. El‛azar (Num 34,17) : Er wird zuerst genannt, denn Josua ging auf Grund seines Gebotes hinaus. Des Weiteren ist El ‛azar ein Sohn Aarons. Nicht erwähnt die Schrift die Fürsten der Stämme Ruben oder Gad, denn sie haben bereits ihren Teil erha lten. Und die Kommentatoren [ meinen ], dass die Schrift mit Juda beginnt, denn auf ihn fiel das Los zuerst. Doch gibt es ein gewichtiges A rgument gegen sie (wie tat Gott dies von vornherein kund, und wie konnte man nachher das Los dazu bringen ?). Dennoch ist der Kommentar richtig, wie es uns erscheint (und vielleicht deutet darauf auch der Zusatz der Schreiber [ hoṣʼafat soferim ] hin). [ Zu Num 35,34 : ] Und verunreinige nicht (Num 35,34). Das Land. Oder es ist

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ein Befeh l. Denn weil ich in ihm wohne. Nicht aber etwa zur Ehre des Landes, sondern zur Ehre der K inder Israel. Daher sagte er, dass ich, der Herr, unter den K indern Israels wohne (nachdem er sagte, ich wohne in ihm [ sc. in dem Land ]). [ Num 36,13 : ] Am Jordan von Jericho (Num 36,13) – am Ost[ufer ].

Abschriften aus dem Buche Jesaja zur Erklärung der Pforte Weisheit des Armen, Geheimnisse besonderer Tiefe und Erhabenheit. Sie werden sehen, die verständigen Herzens sind, und sie werden sich verwundern. Es gab Gott Kraft dem Abraham, und er kommt, um das Buch Jesaja auszulegen1 Der Herr ist einer, und sein Wort ist [ immer ] ein und dasselbe. Nur die Prophetien wechseln, entsprechend dem Vermögen eines jeden Propheten, denn ihr Vermögen ist nicht immer g leich. Es gibt welche, die ihre Prophetien nur aufgrund einer nächt lichen Vision erhielten, wie Abraham (es erging das Wort in einer Vision usw. [ Gen 15,1 ]), Gad der Seher (1 Chr 29,29) und Jesaja ( Jes 1,1) (dessen Prophetien ḥazon [ Vision ] genannt werden). (1) Und dieser Vers erwähnt ( Jes 1,5) den Kopf und das Herz, dass sie zwei Leitungsorgane seien. Auch das Wort ‫ ( שבעתי‬Jes 1,11) folgt dem Prinzip, dass die Schrift in der Sprache des Menschen [ mittels A nthropomorphismen ] spricht. Doch die Wahrheit ist, wenn ich verhungern würde, so würde ich es dir nicht kundtun [ vgl. Ps 50,12 ]. Dies bezieht sich [ auch ] auf den Herrn über die R ichter, die Herren des Landes sind. Und ebenso der Herr der Heerscharen, der wirk lich Herr ist und die Heerscharen seine Zeugen. Und warum wird der 1 Vg l.

zum folgenden Abschnitt : The Commentary of Ibn Ezra on Isaiah, edited from Mss. and Translated, with Notes, Introductions, and Indexes, by M. Fried länder, I : Translation of the Commentary, London 1873, Nachdruck New York o. J. mit zum Tei l erheblich abweichenden Fassungen des hier übersetzten Kommentars. – Wie die bereits im MNZ eingefügten Fragezeichen deut l ich machen, stellt dieser Textabschnitt vor einige Verständnisprobleme.

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Name [ Gottes ] mit dem Begriff Zebaoth verbunden ? Dies wird im Samuel-Buch begründet (bei der ersten Erwähnung dieses Namens in der Bibel, wird er von Hanna gebraucht [ vgl. 1 Sam 1,11 ]) (dieser Kommentar [ des Ibn Ezra ] ist uns nicht erha lten geblieben). Abir Yisra’el [ Starker Israels ] (vgl. Jes 49,26; 60,16; Ps 132,2.5), [ dies bezieht sich auf das, ] was sich unten auf der Erde ereignet, im Unterschied zu den Heerscharen im Himmel. Denn sie werden auch in der Tora Heerschaaren Gottes [ Ex 12,21 ] genannt. (2) Doch siehe, er sprach auch von den Tagen der Endzeit ( Jes 2,2), dies meint die Zeit des Messias, welches die letzten Tage der Welt sind. Wir wissen aber, dass der Tempelberg [ in dieser Zeit ] nicht hoch sein wird. Die Wendung in [ Jes 2,2 ] deutet viel mehr an, dass der Tempelberg ebenerdig sein wird, sodass man auf ihn von a llen vier Enden der Erde zu laufen kann, so, a ls ob er genauso hoch | wäre wie a lle anderen Höhen. Von Kindern der Fremden wimmeln sie ( Jes 2,6) – was sie in Gedanken geboren hatten. Denn das Resu ltat aus zwei K räften wird Produkt [ ‫ ] נול ד‬genannt. […] Dies deutet an, dass sie genug mit dem säku laren Wissen hatten und nicht nach prophetischem suchten, welches eigent l ich das beste Erkenntnismittel ist. Denn jenes [ Wissen ] ist vor Urzeiten entstanden. Und meiner Meinung nach ist es richtig, dass es bereits unter den ersten Menschen in A ram aufgekommen ist. So steht es auch geschrieben : Aram von vorn und die Philister von hinten ( Jes 9,11) – mehr als das Morgenland und Wolkendeuter wie die Philister ( Jes 2,6) (was er auf die Astrologie nach der Weisheit der Cha ldäer bezieht). Und hiermit erk lärt sich auch seine nächststehende Bemerkung, dass sie siech sind usw. ( Jes 1,5). Doch weiter oben erwähnt er, dass sie weise sind; und in diesem Vers [ deutet er auch noch an ], dass sie (reich) und mächtig waren. Und voll ist ( Jes 2,7), [ in dem Sinne ] wie es auch Jeremia benutzt ( Jer 9,23). Und hebst ihnen nicht [ auf ] ( Jes 2,9). Und es wird so angedeutet, dass es niemanden geben würde, der ihr Haupt oder ihr Leben aufnimmt (was auf den Bibelvers hindeutet : … das nicht aufgenommen wird (2 Sam 14,14). Und über all die Berge ( Jes 2,14), nach meiner Meinung kommt das Wort von der Wurzel ‫הרה‬, was ich noch im Kommentar zu den Psa lmen erläutern werde. (3) Der Richter ( Jes 3,2), [ d ies meint, ] der uns ersucht und uns

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unterweist auf dem rechten Weg im Glauben. Und ebenso der Prophet. Auch der Astrologe, der in der Weisheit der Sternbilder [ Gebildete ]. [ Oder der ] Greis, der seine Lebensweisheit mit sich bringt. Die Zauberverständigen ( Jes 3,3), dies meint den Künstler; und der Beschwörungskünstler (ebd.); dies meint den, der die Sch langen zu beschwören versteht. Und es gibt welche, die sagen : Es kommt von dem Ausdruck ‫ [ מתחלשים‬Flüsterer ] (2 Sam 2,19). Hingestellt hat sich zu rechten der Ewige, und er steht Völker zu richten ( Jes 3,13). Dies bezieht sich auf die von ihm verhängten Strafen. Gehäuse des Lebens [ vgl. Jes 3,20 ], [ d ies bezieht sich auf ] auf die Brust, denn sie ist das Gehäuse für das Herz. (4) (zu Jes 4,3) Der gesamte Vers bezieht sich auf das Leben in Jerusa lem. Wir werden ihn in unserem Kommentar zu den Zwölf Propheten auslegen, und zwar zu dem Vers Ma leachi 3,16. (5) Und das Werk des Ewigen werden sie nicht schauen ( Jes 5,12). Wie bei den Meisten, die sich um den Lohn sorgen, ohne die Wege des Herrn zu kennen. Ebenso bezieht sich dies auf den, der irrtümlich [ eine Übertretung begeht ] und [ daraus ] keine Sch lüsse zieht. Wehe den Helden ( Jes 5,22), dies bezieht sich darauf, dass ihr Verstand durch den Wein verloren gegangen ist. [ Die den Schuldigen ] rechtfertigen ( Jes 5,23), das meint, der Wein verdunkelte ihr Herz. Not und Licht ( Jes 5,30), dies bezieht sich darauf, dass das Land Israel durch die Not verdunkelt wurde, ebenso wei l sich das Licht während seiner Zerstörung verdunkelte. Denn es stieg Qua l m auf und verdunkelte die Sonne. (6) Hoch und erhaben ( Jes 6,1), dies sind Attribute des Thrones, [ n icht für Gott ], wie viele meinen. Es bezieht sich aber darauf, dass er höher steht a ls die ḥayyot, was ich noch im [ Kommentar zum ] Buch Ezechiel erläutern werde. Und seine Schleppen ( Jes 6,1) – dies meint die Schleppen des Thrones. Denn so war es Brauch, dass Könige [ ihren Thron ] in Gewänder sch lugen. Serafim ( Jes 6,2) – der [ Prophet ] nannte sie Serafim, weil sie seinen Mund verbrannten [ ‫] ששרפו פי ו‬. Und standen über ihm (ebd.) wie und sie stehen über ihm zu seiner Rechten und Linken (1 Kön 22,19). Und auch hier spricht die Tora in der Sprache der Menschen [ a nthropomorph ], um den Menschen verständ lich zu sein. So gilt es auch für die Erzengel. Dies

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bezieht sich auf ihre Flügel, was ich noch in dem [ Kommentar ] der Visionen Ezechiels auslegen werde. Und er bedeckt [ mit zweien ] sein Antlitz ( Jes 6,2) wie es heißt : Da verhüllte Mose sein Antlitz (Ex 3,6) und ebenso seine Füße (ebd.) aus Ehrerbietung. Und mit zweien f liegt er (ebd.), um den Auftrag des Herrn zu erfü llen. Und rief ( Jes 6,3) – doch die A nzah l [ der Serafim ] wird nicht genannt. Es gibt welche, es seien zwei gewesen. Doch richtig ist, dass es viele waren. Heilig (ebd.) – ein Adjektiv [ Gottes ]. Und die Heiligkeit verändert sich nicht substantiell an anderen Orten. Gott ließ Jesaja diese Vision schauen, damit er sich von der Unreinheit seiner Lippen reinige. Denn Gott ist heilig, ebenso seine Diener und Gesandten. Die Bedeutung von Heerscharen ( Jes 6,3) ist Engel, die sich in den oberen [ Welten ] befi nden, auch wenn er hei lig ist und voll die Erde seiner Herrlichkeit ist, die sich in der unteren Welt befindet. Die Bedeutung von voll die Erde seiner Herrlichkeit ist, dass die auf ihr wohnen [ gemeint sind ], wie in Ps 24,1 : die Erde ist des Herrn und was sie füllet. Und er vermahnt [ sie mit dem Versteil ] voll ist die Erde seiner Herrlichkeit. Dies bezieht sich meiner Meinung auf den Propheten mit unreinen Lippen, der unter dem Vol k Israel aufwuchs, die sowoh l nach Rede a ls auch nach Tat unrein waren. Und man beachte, dass er von ihren Reden gelernt hat. Doch als er mich warnte, auf dem Weg dieses Volkes zu gehen ( Jes 8,11), da sprach [ der Prophet : ] ein Mann unreiner Lippen bin ich, und unter einem Volke unreiner Lippen weile ich, denn den König, den Ewigen der Heerscharen haben meine Augen gesehen ( Jes 6,5). Doch ich fürchtete mich wegen unreiner Lippen, ihn zu heiligen. Und obwoh l er sagt, er habe mit eigenen Augen gesehen, [ bedeutet dies, ] dass er ihn in einer prophetischen Vision schaute. 353 Eine Zange ( Jes 6,6) wie | bei den Menschen. Dies bedeutet aber, dass der A ltar, wei l das Feuer auf ihm rein war, kein götzendienerischer war. Und die Bedeutung von Hier bin ich, sende mich ( Jes 6,8) ist : Nachdem ich meine Lippen gereinigt habe, bin ich würdig, ein Gesandter zu sein, was ich zu Beginn noch nicht war. Daher meinte ich, dies sei ein Kommentar zum Beginn der Prophetie des Jesaja. So weicht deine Schuld ( Jes 6,7) : dies meint die Sünde durch Nachrede, wie ihr seine Zeitgenossen anhingen (und so bemerkte er bereits oben, dass der Prophet sich ihren Sitten angesch lossen hatte, a ls

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er eine Last sprach, damit unseren Sünden vergeben würde. Oder a ls er heranwuchs und von ihren Aussprüchen lernte). Wie Terebinte und Eiche, bei deren Fällung [ shalleḥet ] ( Jes 6,13) – zwei Bäume befanden sich im Tor Scha llechet [ vgl. 1 Chr 26,16 ], und sie waren sehr mächtig. (8) Ihn haltet heilig ( Jes 8,13) – ihn a llein. Denn bei Menschen ist es üblich, dass sie sich vor dem Heiligen fürchten. Wie in dem Vers : Denn ein heiliger Mann Gottes ist er (2 Kön 4,9). Dies meint ein geheiligter, ein Stein des Anstoßes ( Jes 8,14), ein Ort, zu dem ein Mann hingeht, um an ihm zu wachsen und bestärkt zu werden. So hielt er am A nstoß-Tempel fest, dem Stein des A nstoßes, zu dem man pi lgert, um auf ihm erhoben zu werden. (9) Über seine Jünglinge freut sich [ der Herr ] nicht ( Jes 9,16). Entsprechend anthropomorpher Redeweise; wie sich Menschen freuen, wenn ihr Werk gelungen ist. (11) Und es ruht ( Jes 11,2) – dies bezieht sich auf den Geist Gottes, ein Geist der Weisheit und des Verstandes. So steht etwa über Josua in der Tora (im Abschnitt Pinchas : Nimm dir Josua, Sohn des Nun, einen Mann, in dem Geist ist [ Num 27,18 ]; und am Schluss der Tora : Und Josua, Sohn des Nun, war voller Geist der Weisheit [ Dtn 34,9 ]). Und seinen Wohlgeruch [ sein Gefallen ] hat er ( Jes 11,3), in zweierlei Hinsicht : Das Ohr nimmt manchma l Dinge wahr, die gar kein Geräusch machen. Auch das Auge kann sich täuschen und sieht Dinge, die scheinbar ruhen, obwoh l sie sich bewegen. Nur der Geruchssinn täuscht sich nicht. Und seinen Wohlgeruch [ sein Gefallen ] hat er ( Jes 11,3), a ls ob das Subjekt aufgrund seiner Gottesfurcht einen Geruch absondern würde. Er wird jedoch nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, und nicht nach dem, was er hört. Denn die Beweise dieser Zeugen könnten fa lsch sein. Sie tun nichts Böses … denn voll ist die Erde der Erkenntnis des Herrn ( Jes 11,9). Denn es ist bekannt, dass der Herr nie ins Verderben führt, vielmehr aufrichtet und recht macht. Wie Wasser (ebd.) – und so ist es, denn die Erkenntnis [ Gottes ] vermehrt sich wie die Wellen auf dem Meer. Auf das sie nicht ende, sondern ihr viel mehr hinzugefügt werde. [(12)] Ya ist sein Name – das meint, es ist sein ha lber Name wie im Buch der Psa l men.

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(13) Der Ewige und die Geräte seines Grimmes ( Jes 13,5). Dies bezieht sich auf die gött lichen Strafen, und die Geräte seines Grimmes waren Persien und Medien. Und seine „Orione“ [ ‫ ( ] הכסלים‬Jes 13,10). Es gibt welche, die behaupten, dass der Orion jener Stern sei, der dem süd lichen Pol am nächsten stünde, dass Kamele stürben, wenn sie ihn [ den süd lichen Pol ] erblicken. Meine Meinung ist, dass ‫כסיל‬ den Mittelpunkt des Sternbildes Skorpion bezeichnet. Es könnte aber auch sein, dass ‫ הכסלים‬etwas nahe der Pole Befind liches bezeichnet. Rabbi Yona [ ibn Ganaḥ ] weist darauf hin, dass es nur ein Gestirn gibt, welches ‫ כסיל‬bezeichnet wird.1 Doch hier ist durch den Plura l angedeutet, dass unter ihm noch weitere Sterne subsumiert wurden. Wie etwa auch bei den Häusern aus Elfenbein [?] (A mos 3,15). [(14)] Ausbrechen sie [ in Jauchzen ] ( Jes 14,7) – in der Sprache A rabiens bedeutet [ d ie Wurzel ‫ פצח‬so viel wie ] poetisch Reden. Die Abgeschiedenen ( Jes 14,9) : dies meint die Toten. Möglicherweise ist das a lef nach dem heh ein rafe. Glanzstern ( Jes 14,12) meint sehr wahrschein lich den Morgenstern (Venus). Dies wird dadurch bezeugt, dass der Morgenstern an bestimmten Tagen früh am Morgen sichtbar wird, und es gibt keinen unter den Sternen und Planeten, der heller leuchtet a ls dieser. Daher wird er auch Glanz[stern ] genannt, wie in der Wendung ihr Licht glänzt ( Jes 13,10). Geschworen hat ( Jes 14,24) : Der Schwur des Herrn bezieht sich auf die Strafe, die er besch lossen hat. [(16)] Redet zu ( Jes 8,10) : Dies bezieht sich auf die Strafverfügungen, die er verhängte. Wie ein König, der seinen Untertanen befieh lt, so zu tun, nach A rt der Gleichnisse, um das Überlieferte zu verstehen. [(17)] Wipfel ( Jes 17,6) : Dies bezieht sich auf die Spitze des Olivenbaums. So auch im Arabischen. Und die Bedeutung von und schauen seine Augen auf den Heiligen Israels ( Jes 17,7), auf das sie keinen Göt1 Vg l. Sepher Haschoraschim. Wurzelwörterbuch der hebräischen

Sprache von Abuwa l îd Merwân Ibn Ḡanâh (R . Jona), aus dem A rabischen in’s Hebräische übersetzt von Jehuda ibn Tibbon, hg. v. W. Bacher, Berl in 1896, 226 (hebr.).

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zendienst mehr sehen mögen. Denn du sollst nur an den Ort der Herrlichkeit gehen [ vgl. Dtn 16,6 ]. Liebliche [ Pf lanzung ] ( Jes 17,10) : In der Bedeutung wie im A rabischen. Und | sie möge schnell heran- 354 wachsen. Zogest du groß ( Jes 17,11) : Von der Wurzel ‫שגיא‬, d. h., ziehe sie schnell groß. Und ebenso und am Morgen machtest du aufsprossen dein Eingesätes (ebd.). Und man beachte, was a ls a llgemeine Regel für die prophetischen A nk lagereden gi lt, dass man meist von einem Versteil auf den anderen sch ließen kann. (18)1 Reitet einher auf leichter Wolke ( Jes 19,1) : Hinweis auf die in Kürze hereinbrechenden Verfügungen. Dies bezieht sich auf das Land Judäa, auf der die shekhina ruht. Die Sprache Kanaans ( Jes 19,18) : hieraus entnehmen wir, dass die Kanaanäer in der hei ligen Sprache [ Hebräisch ] sprachen. (20) [ Zu Jes 20,2 ] Und es ist ein schwieriges Problem, wie der Prophet nackt gehen konnte, um a ls Zeichen für Ägypten zu dienen. Mit Gottes Hilfe werde ich dies zu Beginn meines Kommentars zu dem Zwölfprophetenbuch erk lären. (24) Sie übertraten Lehren [ Torot ] ( Jes 24,5). Dies meint rationa l erschlossene Regeln, denen a lle zustimmen können. Überschritten das Gesetz (ebd.) : sie brachen, wie es in Jes 2,18 heißt, und sie schwinden ganz und gar. Und das Gesetz Gottes meint die natürliche Ordnung der Dinge, wie es in der Wendung sie übertraten den Bund „der Weltordnung“ ( Jes 24,5) angedeutet wird. Und der Prophet sprach : die Seele und ihre Spitze bleiben [ (auch hier ist etwas ausgefa llen, was sich nicht mehr fi ndet) ], nach Weise der Menschen, um die Überlieferung zu verstehen. Und richtig und gut von beidem (vgl. Jes 24,12). Schleusen aus der Höhe ( Jes 24,18) : wie Fenster, doch dies bezieht sich auf die Strafverordnungen vom Himmel. Auf die oberen Mächte des Firmaments. Die meint die Engel, die bereitstehen, um dem einen Vol k zu helfen und das andere zu verk lagen, wie es im Buche Daniel erläutert wird. Dazu bemerkte er die Könige des Erdenbodens für den Erdenboden ( Jes 24,21), denn die Königsherrschaft der [ irdischen ] Könige hing an der Herrschaft der Engel. Und es errötet der Mond und schämt sich die Sonne ( Jes 24,23), denn die Königsherr1  E s

muss mit Edition Wol f 19 heißen.

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schaft wird über dem Zion erscheinen und denen, die ihm treu bleiben, wird Ehre erwiesen werden. Dies bezieht sich darauf, dass die Sonne und der Mond Herrscher sind, und entsprechend kann es auch von den Königen heißen, dass sie beschämt werden. Auch wird der Mond die Sonne verfi nstern, und dann wird die Königsherrschaft über dem Zionsberg offenbar werden und denen, die ihm anhangen, wird Ehre zutei lwerden. Es gibt jedoch welche, die behaupten, dies bezöge sich auf die Verehrer von Gestirnen, doch passt dies nicht zum Kontext (welcher nicht vom Götzendienst handelt, sondern vom verdorbenen Zustand der Erdenbewohner, in Zeiten des Übels von Gog und Magog oder Sanheribs, vom Übel der Sternkreiszeichen und der Offenbarung der gött lichen Führung, die sich über a llen Zeiten auf Erden, seinem Erbbesitz, und über diejenigen, die Gott anhangen, erstreckt, entsprechend seinem Denksystem. Und darauf verweist er bereits vorher : Räuber rauben, und Raub rauben Räuber [ Jes 24,16 ]. Denn jeder Mensch raubt einen anderen Raub. Oder in [ Jes 24,17 ] : Grauen und Grube … – Und daher kommt Übel über jedes Vol k). [(25)] Er macht verschwinden den Tod ( Jes 25,8) : Und [ Gott ] wird sie verschwinden machen usw. Denn sie brachten große Übel über a lle. (19) Tuet auf die Pforten ( Jes 26,2) : Die Tore dieser Stadt sollten nur für diejenigen geöff net werden, um darin zu wohnen, die gerecht sind wie die Israeliten. Sinn ( Jes 26,3) : Wer Dir nahe bleibt, denn Du bist der Herr, der ihm Frieden schaff t. Vertrauet auf den Ewigen, denn er ist ein ewiger Fels ( Jes 26,4) : Denn der Heilige Israels, er sei gepriesen, mit Yah richtet er Recht. Ewiger Fel s (ebd.) : ewige Stärkung. Denn es gibt Bücher, in denen a lle Buchstaben des A lphabets mit dem ‫ יה‬kombiniert werden, dem nach A nzah l der Buchstaben ha lben Namen Gottes. Im [ Kommentar ] zum Buch der Psa lmen werde ich dies weiter ausführen, und zwar zu Ps 68,5 : macht Bahn dem auf Wolken Einherziehenden. Und wofür dies, dass es keinen Pfad für den Gerechten gibt ? Weil der Pfad für den Gerechten geebnet ist ( Jes 26,7). Selbst usw. ( Jes 26,8) : dies bezieht sich auf die Aussprüche der Gerechten, die auf den Herrn hoffen, er möge sein Recht in der Welt erscheinen lassen. Denn die Seele sehnt sich nach deinem Namen. Meine Seele begehret Dein in der Nacht ( Jes 26,9) wie der Gedanke : auch

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mein Geist in meinem Innern (ebd.). Und man entnehme daraus, dass der Mensch eine Seele und einen Geist hat, wie ich auch im [ Kommentar zum ] Buch Kohelet dargelegt habe. Denn aller unser Tun vollführtest du uns ( Jes 26,12) : Stets hast du an uns bewirkt, etwas zu tun, von dem wir nicht wussten, dass wir es taten. Geschaltet haben über uns Herrn ( Jes 26,13) : Dies bezieht sich darauf, dass wir Dir dienten, auch a ls andere Herren über uns herrschten. Wie er Geld erstattet an dessen Eigner (Ex 21,34), so riefen wir trotz a lledem deinen Namen. Und die Bedeutung von außer dir ( Jes 26,13) ist, dass du unser Retter bist. A ls ob er sagen wollte, keine Hilfe außer von Dir. Daher vermochten wir, Dir zu hu ldigen. Tau von | Lichtern ( Jes 26,19) – und 355 es gibt welche, die meinen, dass ‫„ אורות‬K räuter“ bedeutet, so wie in der Wendung „K räuter ernten“. Und sie sind wie Pf lanzen, die sich auf die Sonne und den Mond hin ausrichten. Und siehe, der Herr tritt heraus aus seinem Orte ( Jes 26,21) : dies meint die Strafverfügungen, die vom Herrn ausgehen. (27) Ich der Herr, sein Hüter ( Jes 27,3). Dies bezieht sich auf die shekhina auf dem Zion. Tränk ihn jeglichen Augenblick (ebd.), eine Metapher für die Prophetie, die nicht aufhören möge. [(28)] An selbigem Tage ahndet der Ewige ( Jes 27,1). Dies verwandelt das stolze Diadem Efraims. Denn die Königsherrschaft Gottes wird über Zion offenbar werden. Wesenheit ( Jes 28,29), d. h. Weisheit. Rabbi Moshe ha-Kohen [ ibn Gikatilla ] leitet das Wort ‫תושיה‬ [ Wesen heit/Weisheit ] von der Wurzel ‫ [ יש‬Sein ] ab. (29) Gleich aus dem Schatten [ der Erde ] ( Jes 29,4) wie bei neuen Flaschen. Denn dies entsprach ihrem Glauben. (30) Und es geschieht, auf jedem hohen Berge und auf jedem ragenden Hügel werden Bäche, Wasserströme sein, am Tage des großen Würgens, wenn Türme fallen ( Jes 30,25), d. h., dass Menschen sterben werden. Doch dies ist ein Trostwort, denn wenn zehn sterben, werden Tausende dadurch überleben. Auch wenn eine Witwe durch die umfa llende Mauer getötet wird, wird Gott den Regen nicht stoppen, der viele am Leben erhä lt. Denn der Regen hat kein Bewusstsein dafür, an welcher Stelle er niedergeht, an der einen oder anderen. Der Odem des Herrn lodert dahin ( Jes 30,33), dies ist eine Metapher für die in Bä lde hereinbrechenden Strafverfügungen.

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(31) Und nicht Geist ( Jes 31,3) : Ein Engel. Wie in dem Vers Gott der Heerscharen und sein Geist ( Jes 48,16). (34) Und verwelkt ihre himmlische Heerschar ( Jes 34,4). Wenn der Tag des Hinscheidens kommt, verdunkelt sich ihm die Sonne, wie es über den Todestag geschrieben steht (Koh 12,2). Meiner Meinung nach sind diese Wörter darauf zu beziehen, dass jedes Vol k im himmlischen Regiment einen Helfer besitzt, wie es im Buch Daniel dargelegt wird. Denn trunken im Himmel usw. ( Jes 34,5) : Dieser Vers stützt, worauf ich bezüg lich der Strafverfügungen hingewiesen hatte. In Bozra ( Jes 34,6) : Es gibt welche, die meinen, dies sei Konstantinopel. Doch dies kann nicht sein. Denn sie ist heute seit ihrer Gründung noch keine tausend Jahre a lt; dies meint viel mehr eine Provinz in Edom. Forschet in dem Buche des Ewigen ( Jes 34,16) : Ein Hinweis auf die himm lischen Verfügungen, die mit dem Finger Gottes geschrieben wurden. Denn mein Mund hat es geboten (ebd.) : Ein Hinweis auf die Verfügungen, die aus dem Munde Gottes ergingen. Der Geist seines Mundes (ebd.) : eine Wiederholung desselben Gedankens. Mit der Messschnur ( Jes 34,17), welches die Grenzschnur der Wahrheit meint. [(35)] Und mit Jubel und ewiger Lust auf ihrem Haupte ( Jes 35,10) : Denn das Potentia l der Seele findet sich im Kopf. [(38)] Und genas ( Jes 38,9). Wie in bis sie ganz wurden ( Jos 5,8). Wie das Wort ‫עמידה‬, Aufrichten [ vgl. Rashi zu Jes 3,13 ]. Wie in : Du machst alle wieder lebendig (Neh 9,6). Ebenso in : Grenze des Lebens [?]. She’ol ( Jes 38,10) : Dies meint das Grab unter der Erde; das Gegentei l des Himmels, der sich über der Erde spannt. Doch der Beleg dafür ist : Und mach ich die Unterwelt zum Lager, bist du da (Ps 139,8), sodass ein Gehinnom nicht existiert. Des Restes meiner Jahre ( Jes 38,10), wie in dem Vers (Ex 23,26) : die Zahl deiner Tage werde ich voll machen. Und dort [ im Exodus-Kommentar ] habe ich dies ausgelegt.1 Nicht soll ich schauen Yah ( Jes 38,11) : Der Ewige ist nicht Gegenstand von A kzidentia, sodass ihn das Auge fassen könnte; er wird nur in seinen Taten kund. Dies meint, dass seine Taten in dieser Welt nicht sichtbar 1 Vg l.

Rottzoll, Abraham ibn Esras langer Kommentar zum Buch E xodus II, 754 – 762.

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werden, denn wer kann die Taten Gottes in dieser Welt erkennen ? (?) Im Lande der Lebenden (ebd.) (es muss heißen Yah im Lande der Lebenden) – a ls ob er seine Worte selbst auslegen würde. Denn siehe, zu Beginn erwähnt er das Woh lergehen des Menschen in dieser Welt. Doch derjenige, welcher die Taten des Herrn kennt und sich nachher öffentlich vergnügt samt seiner Gefährten, der wird nie mehr einen Menschen sehen. […] Und vielleicht wurde diese Welt ‫ [ חדל‬Vergänglichkeit ] ( Jes 38,11) genannt, denn der Mensch auf dieser Welt ist vergäng lich (immer). Bin ich sehr betrübt ( Jes 38,17) – a ls ich in der Hä lfte meiner Lebenszeit war. Demnach war er [ Hiskia ] neununddreißig Jahre a lt, a ls er erkrankte. Wenn das cholerische Temperament [ die rote Ga lle ] im Verlaufe des Lebens eines Menschen mehr wird, erkrankt er in seiner Jugend, doch bleibt im A lter gesund. Das Gegentei l gilt aber, wenn das ph legmatische Temperament [ d ie weiße Ga lle ] mehr wird, so sind die mitt leren Jahre [ eines Menschen ] die ausgeg l ichenen. Denn hinter Deinen Rücken warfst du all meine Sünden (ebd.) – a ls Gleichnis für den Menschen, der nicht sehen kann, was hinter ihm geschieht. Daher können wir annehmen, dass der Schöpfer a ller Geschöpfe Rücken besitzt. […] Gedenke doch, dass ich vor Dir gewandelt bin, und das Gute in Deinen Augen habe ich getan ( Jes 38,3) – beachte, dass er hier die Intention und die Tat meint. Nicht das Totenreich preist dich ( Jes 38,18) : Dies meint den Leichnam, der in der She’ol begraben wird. […] Doch viele haben sich gewundert, wie der Prophet solche Worte | schreiben 356 konnte, die die Auferstehung der Toten negieren. Man muss darauf antworten, dass der Leichnam keine K raft und keinen Verstand mehr besitzt, soba ld die Seele aus ihm entwichen ist. Und warum verwunderte man sich dann ? Weil es vorkommt, dass, selbst wenn die Seele mit einem Körper verbunden ist, kein Verständnisvermögen besteht. Das Gleiche ist auf Nicht der Tod [ lobt dich ] (ebd.) anzuwenden. Der Lebende, der Lebende ( Jes 38,19) – zweima l, a ls ob er sagen wollte, „wer so lebt wie ich“ oder „derjenige, der von K rankheit gehei lt ist“, der möge [ ihn ] preisen (vgl. ebd.), was meint, man möge ihn mittels (vielleicht auch „durch“) Loblieder[n] preisen, bei denen die Verbindung von Seele und Körper deutlich wird. Vater den Kindern tut kund (ebd.) – dies bezieht sich auf die Künste.

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(40) Tröstet, tröstet mein Volk ( Jes 40,1) : Dieser Abschnitt ist angefügt, weil oben erwähnt wird, dass a lle Schätze des Königs und auch seine Söhne nach Babylonien fortgeschaff t worden waren. Daher folgen hier Trostworte. Doch nach Meinung von Rabbi Moshe ha-Kohen, er möge in Eden ruhen, beziehen sich diese den zweiten Tei l des Buches ein leitenden Trostworte auf den Zweiten Tempel. Meiner Meinung nach jedoch auf [ d ie kommende Erlösung ] von unserem [ jetzigen ] Exi l. Erfüllt ist seine Dienstzeit ( Jes 40,2) – wurden seine Tage erfü llt. Und ebenso wie in : Alle Tage meiner Dienstzeit (Ijob 14,14) oder hat nicht der Mensch seine Dienstzeit auf Erden (Ijob 7,10). Die Kommentatoren nehmen es meist in seiner üblichen Bedeutung (a ls Hinweis auf die Verfügung der himm lischen Heerschar). Doch die erstere Deutung ist die richtige und offensichtliche. Wenn der Herr aber erneuert, dann ist dies das Wunder, dann wird die Herrlichkeit des Herrn offenbar, denn der Mund des Herrn hat geredet ( Jes 40,5). Er hing an der Herrlichkeit des Herrn, denn sie sprachen, er a llein möge sich erheben, doch nicht wie ein mensch liches Wesen. Der Gewässer Maß ( Jes 40,12) – es gibt welche, die sich darüber wundern, wie es sein kann. Hat nicht der Herr a lles erschaffen und weiß daher, wie viel Wasser sich im Meer befindet, a ls ob er es eigenhändig vermessen hat ? Kennt er nicht auch die Dimensionen des Firmamentes ? Denn er hat sie in seiner Machtfü lle erschaffen entsprechend seiner Weisheit, sodass sie ihm doch nicht unbekannt sein können. Die Schrift spricht hier jedoch nach mensch licher Weise. Wer ermaß den Geist des Herrn ( Jes 40,13) ? Er bringt hier den Geist mit Gott in Verbindung, wie in dem Vers der Geist Gottes schwebend (Gen 1,2). All die Völker ( Jes 40,17) – es ist zu bedenken, dass der Gaon Menschen für ehrenwerter hä lt a ls die Engel des Herrn. Er muss gerade dieses Kapitel gelesen haben. Und wem wollt ihr Gott vergleichen ( Jes 40,18) ? – ohne das heh des definitiven A rtikels davor, wie in doch Gott ist allwissend (Ijob 22,22) (es müsste eigent lich heißen „Gott, der Herr, der a llwissend ist“). Wisset ihr nicht ( Jes 40,21) ? Aufgrund eigener Abwägung, was das Wichtigste ist. Habt ihr nicht gehört (ebd.) ? Seid ihr nicht von anderen informiert worden ? Wurde es nicht von Anfang an gesagt (ebd.) ? Dies meint die niedrigste Form von Kenntnis. Von Anfang an (ebd.) :

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vom ersten Tag deiner Existenz. Doch selbst wenn ihr überhaupt keine Kenntnis gehabt hättet, würdet ihr nicht die Grundpfeiler der Erde bedacht haben (ebd.) ? Erdenkreis ( Jes 40,22) – vgl. den Ausdruck ‫ ( במחוגה‬Jes 44,13) „mit der Schnur“, was auf das Instrument hindeutet, mit dem man einen K reis macht. Und somit wird belegt, dass die Erde rund und nicht eckig ist, obwoh l dies zu belegen eigentlich nicht notwendig wäre, da es hierfür hinreichende Zeugnisse gibt. Und die Bedeutung von er thronet über dem Erdkreise ( Jes 40,22) ist, dass a lles seiner Ehre voll ist. Der ausspannt wie einen Flor die Himmel (ebd.), wie ein Ba ldachin, ähn lich der Form eines Zeltes. – Die erwähnten Himmel meinen aber nicht die Ofanim (die Räder, die unsichtbar sind, wie ich es im Kommentar zum Buche Genesis [ 1,6 ] erläutert habe). Und ich verg leiche es mit spricht der Heilige ( Jes 40,25), denn Hei l iger bezieht sich hier auf Gott, denn Gott ist zu heilig, um mit einem seiner Geschöpfe verg lichen zu werden. Vor Allmacht Fülle ( Jes 40,26), denn Gott ist gewaltig an Kraft (ebd.), er lässt niemanden fa llen. Dies bezieht sich aber auf die Konstellation oder den Einf luss der Sterne, die niema ls vergehen. Und man beachte, dass ein Mensch durch diese K raft bestimmt wird. Doch für diesen Menschen ist Gabriel zuständig. Weißt du nicht, dass man aufgrund eigenständigen Denkens dazu gelangen kann ? Jeder Gebildete kann doch aufgrund k larer Zeugnisse seinen Schöpfer erkennen. Hast du nicht gehört ( Jes 40,28) ? Man sollte den Worten der Gebildeten Glauben schenken. Ein Gott für immerdar (ebd.) – d. h. ewiger Gott. Dies meint, so wie er war, ist er, und er wird sich nicht ändern. Der erschaffen die Enden der Erde (ebd.). Bereits im Kommentar zum Abschnitt Bereshit habe ich erläutert, dass das Wort „schaffen“ eng mit dem Wort „besch ließen“ verwandt ist. Die Bedeutung von Enden ist die Linie, die die Scheibe umgibt. Nach Meinung der Wissenschaftler existiert die Linie nicht in der Rea lität. Doch nach einiger Zeit hatte sich diese Bezeichnung für immer eingebürgert. Und siehe die Erde ist hierfür Beleg, denn [ Gott ] hä lt sie beständig zwischen den einzelnen Sphären, obwoh l sie auf dem „Ohne etwas“ [ ‫ ] בלי מה‬ruht. Er ermüdet nicht, unergründlich ist seine Einsicht (ebd.) – und folglich werden seine Macht und seine Weisheit niema ls von ihm weichen.

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[(41)] Mein Freund ( Jes 41,8) – nicht Geliebter, denn ein Freund ist aktiv, ein Geliebter ist passiv. Das transitive Verb deutet an, dass es ein Geliebter ist, auf den Liebe übertragen wird, der wiederum passiv ist. Fasse deine Rechte ( Jes 41,13) – denn dies ist ein Wunder, dass Babylon eingenommen und seine jungen Männer im Lande 357 getötet wurden, und dass Israel gerettet wurde. | Fürchte nichts ( Jes 41,14) – dass du etwa mit den Babyloniern getötet würdest. Denn ich bin Deine Hilfe (ebd.) – es wird hier in der Vergangenheitsform formu liert, was in der Zukunft geschehen wird, denn a lle auf die Zukunft gemachten Verfügungen werden erachtet, a ls ob sie bereits geschehen sind. Denn Vergangenheit und Zukunft betreffen nur die Geschöpfe. Heiliger Israels (ebd.) – er erschuf es [ Israel ]. Nach meiner Meinung bedeutet dies so viel wie „er bestimmte es“. Nach Meinung Vieler erschuf er aus dem Wasser, nicht aus dem Vorhandenen. In der Folgezeit ( Jes 41,23) – dies meint die kommende Zeit. Denn die vergangene Zeit wird Vorzeit (vgl. Rut 4,7) genannt. (42) Der erschaffen die Himmel ( Jes 42,5). Sie haben einen Rahmen, der sie begrenzt. Und sie ausspannt (ebd.). Dies bezieht sich auf den „Äther“ (Luft), mit dem er dem Menschen Leben einhaucht. Und er sprach über sie bezüg lich ihres aufrechten Wandel ns. Und Lebenshauch (ebd.) – den Tieren, die darin wandel n. Ich ( Jes 42,6) : Dies bezieht sich auf die Rede des Propheten, die ihm der Herr bezüglich seines eigenen Lebens eingegeben hat. Ich bin der Herr (ebd.), dies ist mein Name, der ehrenwerte. Denn es findet sich in der Schrift kein anderer Eigenname a ls dieser. (43) Geschaffen, gebildet und auch bereitet ( Jes 43,7). Dies bezieht sich auf seine A nordnungen. Doch Rabbi Shelomo [ ibn Gavri’ol ], der Verfasser von Gedichten und Reimen, bezog dies auf das Geheimnis der Welt. Doch dies stimmt nicht mit dem Kontext des Abschnittes überein. Auf dass ihr erkennet und mir glaubet, dass ich es bin ( Jes 43,10) – dies bezieht sich auf die sublimste Einheit Gottes. Denn jedes andere Wesen unterscheidet sich von seiner wahren Form. Vor mir ward kein Gott gebildet (ebd.) – und dies bezieht sich darauf, dass er der Erste und er der Letzte ist. Und es heißt „gebi ldet“ in Bezug auf Gott, was bedeutet, dass ein Gott neben ihm nur ein [ von Menschen ] geschaffener sein kann. Unverständige mögen

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denken, dass die Redeweise dem Propheten unbeabsichtigt einfiel, a ls ob der Herr geschaffen sei, doch dies sei ferne ! Sie haben nur nicht richtig verstanden. Ich, ich bin der Herr, und niemand außer mir ist Retter ( Jes 43,11). Die Bedeutung des doppelten Ich, ich ist, dass „Ich werde mich nicht wandel n“, wie sich die oberen Heerscharen gegenüber ihrem Zentrum (der Erde) wandel n. [ (Und nicht wie) ] sich die irdischen Dinge hinsichtlich ihres Wesens und ihrer Form wandel n. Daher kann ich jederzeit a ls Retter auftreten. (44) Der Herr der Heerscharen ( Jes 44,6). Denn er ist auf ewig König, und die himm lischen Heerscharen sind dafür Zeugen. Gibt es [ einen Gott außer mir ] ? Und es ist kein Hort, den ich nicht kenne ( Jes 44,8). Und es triff t zu, dass dies ein Hinweis auf die Menge im Himmel ist. Zeichnet es [ mit dem Stifte ] ( Jes 44,13) – er skizziert seine Form. Und es meint dasselbe wie Und die Grenze zog sich herum ( Jos 15,9) wie ein Modell. Sie erkennen nicht [ und sehen nicht ein ] ( Jes 44,18) – der Sitz der Erkenntnis, der der Stirn näher liegt. Das Verstehen hat seinen Sitz auf der mitt leren Stirn, innerha lb des Kopfes. Und er führt es nicht zu Gemüte ( Jes 44,19) – ein Hinweis auf den Verstand, der das Wichtigste ist. Dehnte aus die Erde außerhalb von mir, aus meiner Macht ( Jes 44,24) – denn Gott ist körperlos. Und es steht geschrieben : (in zwei Wörtern) ‫מי אתי‬, und siehe, es meint dasselbe wie „ich a llein“. Und bedenke, was der Vers meint mit : ausspannt ich die Himmel allein, dehnte die Erde aus meiner Macht (ebd.) – dass Gott ihre Existenz andauernd gewährleistet. Zeichen der Lügenredner ( Jes 44,25), das meint solche, die ihrer Intuition folgend reden. Und zwar so wie in : Deinen Erdichtungen schwiegen Männer (Ijob 11,3). Doch zutreffender ist es, das Wort von der Wurzel ‫( בד״ד‬a llein sein), denn es gibt Seelen, die sich von ihrem Körper zurückziehen können. Und die Wahrsager ( Jes 44,25) – dies meint die Astrologen. Und dies sind Leute, die aufgrund rationa ler Beobachtung entscheiden, wie es kommen wird. Die Lügenredner sind dagegen Leute, die nicht aufgrund rationa ler Überlegung entscheiden. Er heißt die Weisen zurücktreten (ebd.) – dies meint die Eingeweideschauer und Wahrsager (a lles Lügner und ihre Werke sind Lüge). (45) Ich ziehe vor dir einher ( Jes 45,2) – dies bezieht sich entweder auf den Herrn, oder es handelt sich um eine A ndeutung auf den

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Fürsten von Persien, wie im Buche Daniel (Dan 10,20) erwähnt. Ohne dass du mich kanntest ( Jes 45,4) – denn er hatte noch nicht zum Geschaffenen gesprochen (dies widerspricht dem Propheten in Bezug auf die Furcht vor Edom). Der Licht bildet usw. ( Jes 45,7) – in diesem Vers werden Dinge, die sich widersprechen, aufgeführt. Finsternis schaff t (ebd.) – das Wort „schaffen“ hat hier die Bedeutung von „besch ließen“. Denn die Finsternis ist nichts a ls Mangel an Licht. Und Unheil schaff t (ebd.) – gleichermaßen (d. h., nach der Eigenart des Guten, die Frieden gewahr werden lässt). Und Unheil bedeutet nichts anderes a ls K rieg, das Gegenteil von Frieden, oder physische Schwäche eines Menschen, der mit seinem A lter zu kämpfen hat. Bei mir habe ich geschworen usw. ( Jes 45,23) – bei mir, wei l ich [ ewig ] existiere. Und an jedem Ort, an dem ich einen Schwur tue, ist er wie ein Erlass, der verordnet wurde, und er wird nicht aufgehoben werden. [(46)] Ich habe es entworfen, und ich werde es auch ausführen ( Jes 46,11). Ich habe es entworfen in einer himm l ischen Verordnung, und so werde ich es auch auf der Erde umsetzen. Israel meinem Ruhm usw. ( Jes 46,13). Oder dies meint so viel wie : Für Israel, das mein Ruhm ist. Und dies ist die bessere Erk lärung : von dem gi lt, dass ich durch dich verherrlicht werde. | (47) Deine Klugheit und deine Einsicht, die verführen dich ( Jes 47,10), und du warst sicher (ebd.). Ein Hinweis auf den rationa len Verstand, der die Existenz Gottes verneint. (Er bezieht sich auf die A ktivität der Magier, die das Geistige schmä lern, und die A nfertigung von Ta lismanen.) Die den Himmel abmessen ( Jes 47,13) [ ‫ – ] הוברי שמים‬ohne Sicht. Und dies bezieht sich auf die Himmelskund ler, d. h. die Astrologen. Doch gibt es welche, die es von dem Wort ‫„ [ ברור‬k lar“ ] ableiten. Und dies bezieht sich darauf, dass man die Zeit nicht berechnen kann, wenn das Wetter nicht k lar und der Himmel [ nicht ] blau ist. Doch ist dies weit hergeholt, zuma l das ‫ ה‬wichtig ist. Kund machen mit jeglichem Monde (ebd.) – dies bezieht sich auf ihre Wissenschaft. Denn sie betrachten a lles, was sich am Himmel hinsichtlich des Wetters und in den Ländern ereignet, und zwar vor a llem, wenn die Planeten in bestimmten Konstellationen zueinander stehen. Denn sie bi lden die Grund lage ihres Glaubens. Und dies wird

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hier durch das Wort ‫„ [ לחדשים‬über Monde“ ] angedeutet. Was über dich kommen wird (ebd.) – dies passt eigent lich nicht zu der Rede von dem, der dir hi lft [ vgl. Jes 47,15 ]. [ (48) ] Und dies bezieht sich darauf, dass man g lauben möge, dass ich der Erste und der Letzte bin. Und siehe, vertraue auf die Wahrheit (auf den Schriftvers : Ich bin der Herr, bin der Erste, und bei den Späteren bin ich derselbe [ Jes 41,4 ]) (zu Jes 48,12). Ja, meine Hand ( Jes 48,13) – dies meint die linke Hand, gleichnishaft gesprochen. Die rechte Hand wird dagegen im Hinblick auf den Himmel erwähnt, da sie höherwertig ist a ls die Erde. Ich rufe ihnen zu, sie stellen sich ein allzumal ( Jes 48,13) – aus diesem Vers entnahmen einige Kommentatoren, dass Himmel und Erde gleichzeitig und nicht nacheinander geschaffen wurden. Dem wörtlichen Schriftsinn ist jedoch zu entnehmen, dass ich sie gemacht habe. Und wenn ich sie rufe, um meinen Willen zu erfü llen, stehen sie beide vor mir wie Diener. So wie es heißt : Nach deinen Vorschriften stehen sie auf (Ps 119,91). Doch wie hätte Gott sie rufen können, a ls sie noch nicht existierten ? [(49)] Höret ( Jes 49,1) – dies sind Worte des Propheten (der Herr hat mich berufen vom Mutterleibe an). Der Herr, Gott, hat mich gesandt, und sein Geist ist der Bote. Ihm [ zum Knechte ] ( Jes 49,5) (lies ‫ [ לו‬statt ‫)] לא‬, so mit der Masora, nach der [ lamed ] waw zu lesen ist. So auch in dem Vers[tei l ] ‫לא יאסף‬, der nach Meinung des Gaon [ Yehuda Ḥayug ] bedeutet, „er wird nicht sterben“. Denn er pf legte sowoh l entsprechend dem Qere und dem Ketiv auszu legen. Doch was ich meinte, ist nichtsdestotrotz richtig. Das Wort mit a lef geschrieben steht nur für das Wort mit waw geschrieben, so wie es der Grammatiker Rabbi Yehuda, seine Ruhe sei Wonne, ausgelegt hat.1 (Und die Absicht hinter dieser Schreibweise mit a lef ist, eine a lte Schreibweise des ḥolem anzudeuten, wie sie später unter dem waw üblich wurde. Und beides dient der Erläuterung der Lesung an den notwendigen Stellen, oder um den Schreibern etwas anzudeuten, 1 Vg l.

J. W. Nutt, Two Treatises on Verbs Containing Feeble and Double Letters by R. Jehuda Ḥayug of Fez Translated into Hebrew from the Origina l A rabic by R. Moses Gikati l ia of Cordova, to which is Added the Treatise on Punctuation by the Same Author Translated by Aben Ezra Edited from Bodleian Mss., London, Berl in 1870, 11.

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so wie wir es in dem Kapitel über die Tradition der Ha lakha erläutert haben. Und an jenen Stellen, an denen sie keine besonderen Zeichen machten, sprechen wir von einer unk laren Masora). (51) Hebet zum Himmel eure Augen und blicket zur Erde hierunten; denn die Himmel, wie Rauch zergehen sie, und die Erde zerfällt wie ein Kleid, und ihre Bewohner, wie Mücken sterben sie hin, aber meine Hilfe wird ewig bestehen usw. ( Jes 51,6). Aus diesem Vers entnahmen die Philosophen, dass die Seele des Menschen unsterblich ist, und ihre Lehre ist zutreffend. A llerdings enthä lt dieser Vers diese [ Lehre ] nicht. Das Wort „Himmel “ bezieht sich auf das Himmelszelt (den Äther, der ihn a llein umgibt und unvergäng lich ist, nicht auf den Himmel; und dies meint die Sphärenkreise, die sich über den Elementen ausbreiten). Und das „[ zur Erde ]“ bezieht sich auf Bewohntes (d. h., die bewohnte [ Erde ] entsprechend seiner zweiten Unterweisung bezüg lich der unumstößlichen Elemente. Und ebenso bestehen Himmel und Erde nach dem ersten Vers der Tora ewig, und ebenso bestehen Himmelszelt und Erde in Ewigkeit, so wie Gottes Fähigkeit zu retten, seine Providenz und seine Gerechtigkeit. Zu pf lanzen die Himmel ( Jes 51,16) – dies ist eine symbolische Ausdrucksweise, um anzudeuten, dass die Länder ihre frühere [ Beschaffenheit ] zurückerlangen werden. (52) Erwache ( Jes 52,1) – dies ist eine Prophetie, die sich auf das bezieht, was noch in der Zukunft geschehen wird. Alle Kommentatoren stimmen diesbezüg lich überein. Und zwar obwoh l er später ( Jes 52,11) bemerkt : Entweichet, ziehet von dannen (doch dies bezieht sich sicher auf Babylonien, entsprechend der Formu lierung ziehet fort aus ihr ( Jes 52,11). Doch dies ist die Meinung des Rabbi Moshe [ ha-Kohen ibn Gikatilla ], doch geht er darin feh l usw. Dass mein Volk umsonst hinweggenommen ( Jes 52,5) – dies bezieht sich auf Babel, auf Edom und auf jedes Fremdvol k. Seine Zwingherren prahlen ( Jes 52,5) – dies bezieht sich auf die A nführer Israels. Sie sind tatsächlich so wie jene, über die man sagt, dass sie über sie herrschen. All die Enden der Erde ( Jes 52,10) – und man wundere sich nicht, dass dieser Vers erscheint, a ls ob er [ Gott ] Hand, Fuß, Bauch und Mund zuerkenne. Doch der Sinn ist, dass der Sprecher ein Mensch ist, und ebenso der Hörer, sodass ersterer in a llegorischer Redeweise

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formu liert, a ls ob er von einer mensch lichen | Form spräche, um 359 so seinen Hörern verständ lich zu bleiben. Denn vor euch her geht der Herr ( Jes 52,12) – die Herrlichkeit des Herrn. Doch meiner Meinung nach bezieht sich dies darauf, dass sie der Herr umgibt, denn die Herrlichkeit geht vor und hinter ihnen, wie in [ dem Vers Num 10,25 ] von Nachzug aller Lager die Rede ist. (55) Schaffet Vorrat und esset ( Jes 55,1). Denn die Weisheit ist für die Seele wie Nahrung für den Körper. Warum ( Jes 55,2) beschäftigtest du dich mit fremden Wissenschaften, die dir nichts nützen ? (Dies bezieht sich auf die Wissenschaft der Astrologie, die zu nichts nutze ist, die auf einer zwanghaften Urteilsfindung beruht, anders a ls der Glaube an Gott, der die wahre Erkenntnis vermittelt.) Siehe, zum Zeugen ( Jes 55,4) – dies bezieht sich auf den Messias. Sehr wahrschein lich, weil der Messias eine Zeuge ist, dass es keinen anderen König auf der Welt gibt a ls Gott. Da er sich finden lässt ( Jes 55,6) – von denen, die ihn suchen. Denn es ist bekannt, dass sich Gott findet an a llen Orten und zu jeder Zeit. Dies bezieht sich auf die Zeit vor dem göttlichen Erlass, und ebenso bezieht sich da er nahe ist (ebd.) darauf, dass die shekhina im Heiligtum zu fi nden ist. Seinen Weg ( Jes 55,7) – auf dem zu gehen er gewohnt ist. Und der Mann der Untat seine Gedanken (ebd.) – man beachte, dass der Gedanke und die Tat am wichtigsten sind. [(56)] Ihm zu dienen ( Jes 56,6). – Der Dienst des Herrn bedeutet das Beobachten seiner Gebote. Unbändiger Gier [ ‫ ( ] עזי נפש‬Jes 56,11) – Das Wort ‫ נפש‬wird in der Bibel meist auf den zum Essen strebenden Teil der Seele bezogen [ vgl. Ijob 33,20 ]. (57) So sprach er auch : Hoch und erhaben ( Jes 57,15). Der ewig Thronende (ebd.). Das hier gebrauchte Wort ‫ עד‬bezieht sich auf eine Zah l, die kein Mensch zäh len kann. Und der Begriff „thronend“ bezieht sich darauf, dass sich a lles Erschaffene bewegt, selbst die Gestirne bewegen sich und sogar die Seele. Hoch und heilig wohne ich (ebd.) – die Bedeutung von „wohne ich“ ist : unter den Engel n. Und bei dem Zerschlagenen und dem, der gebeugten Gemütes ist (ebd.), auf der Erde. Denn der Lebensodem schmachtet vor mir dahin, und die Seelen, die ich geschaffen ( Jes 57,16) – mit doppelter Bedeutung. Seine Wege sah ich, und ich will es heilen und vollen Trost gewähren, ihm und seinen Trauern-

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den ( Jes 57,18). Dieser Vers belegt die R ichtigkeit meiner Auslegung dieses Buches. (Das heißt, er bezieht sich darauf, dass er ihn bereits in der Vergangenheit gehei lt und getröstet hat; und daher liegt ein Beleg dafür vor, dass er von den Rückkehrern aus der babylonischen Verbannung verfasst worden ist.) [(60)] Nicht wird dir sein die Sonne ( Jes 60,19) – du wirst das Licht der Sonne nicht benötigen im Lichte der shekhina. Deine Sonne wird nicht mehr vonnöten sein. Diese Sonne wird nicht mehr untergehen, und der Mond sich nicht mehr zurückziehen ( Jes 60,20) usw. [(63)] Die Kelter trat ich ( Jes 63,3) – dies bezieht sich auf die Vernichtung Edoms und die Aufhebung der Vorherrschaft seiner Lehre. Und der Engel seines Antlitzes half ihnen ( Jes 63,9). Und ebenso steht geschrieben : Er sandte einen Engel und ließ uns aus Ägypten führen (Num 20,16); dies bezieht sich auf gar keinen Fa ll auf Mose. Sie empörten sich und kränkten seinen heiligen Geist ( Jes 63,10) – a llegorisch gesprochen. Einige verstehen unter dem hei ligen Geist den Engel der Herrlichkeit. Wo ist der, der in ihrer Nähe ( Jes 63,11) ? In der Nähe von Mose. Einige verstehen darunter einen Hinweis auf die Herrlichkeit in der Nähe Israels. Der zur Rechten Moses wandeln ließ den Arm seiner Herrlichkeit ( Jes 63,12) – dies bezieht sich auf den Engel des Herrn, der vor dem Lager Israels einhergeht. Warum lassest Du uns, Herr, abirren ( Jes 63,17) ? Denn Gott ist der höchste Grund, er ist der erste, daher sagte er lassest Du uns abirren. A ndere geben dazu kund, dass dies eher so zu verstehen sei, wie es unsere rabbinischen Vorgänger, seligen A ngedenkens, verstanden haben : „den führt keine Fügung zur Umkehr“ (m Av 5,21). Doch andere meinen, dieser Vers beruhe a llein auf Einbildung (einiger geringschätziger Menschen). Noch andere meinen, dies beziehe sich, wei l wir in der Verbannung lebten, auf die Gebote, die vom Aufentha lt im Lande Israel abhingen. [(65)] Denn, siehe, ich erschaffe neue Himmel und eine neue Erde ( Jes 65,17) – manche erk lären dies so, a ls ob [ er erschaffen würde ]. Doch Rabbi Yehuda der Grammatiker, seine Seele in Eden, sagte, dass sich die Schaff ung der Himmel und der Erde auf die K reaturen beziehe. Die richtige Deutung ist aber, dass mit Himmel das Firmament gemeint ist. Und der Herr wird eine gute Atmosphäre

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erschaffen, sodass die Menschen physisch gesund sein und viele Jahre leben werden; ebenso wird er die Fruchtbarkeit des Landes fördern, so, a ls ob sie neu wäre. Fort und fort ( Jes 65,18) – lange Jahre. Doch danach wird er sterben (vgl. Jes 65,20). Ich erschaffe Jerusalem (ebd.) – aufgrund dieses Verses kann bewiesen werden, dass ‫ברא‬ nicht „erschaffen“ [ ex nihi lo ] bedeutet[ , sondern „formen“ ], wie es a lle Kommentatoren sagen : Es ist auf das Wort „neu“ (oder das „Neue“) zu beziehen (dies meint, dass auch im Neuen eine Form | 360 und ein Abbild angelegt sind, wie es heißt : siehe, ich erschaffe Neues [  Jes 65,17 ]). Sünder, wer hundertjährig verf lucht wird ( Jes 65,20). Dieser Vers bezeugt, dass die Welt am Ende so sein wird wie an ihrem A nfang (sodass die Menschen wieder leben würden wie zu Zeiten des Adam und Noah). Wolf und Lamm ( Jes 65,25) – dies sind Zukunftsvisionen, die sich a llein auf das Land Israel beziehen, denn die Schrift hä lt ausdrück lich fest : auf meinem ganzen heiligen Berge (ebd.). (58) Der Himmel ist mein Thron ( Jes 66,1) – Wir erkannten bereits, dass die Herrlichkeit des Herrn Himmel und Erde erfü llt hat (gleichermaßen). Doch der Sinn (dass Himmel und sein Thron in Beziehung gesetzt werden) ist, dass vom Himmel a lle Geschehnisse auf der Welt vorherbestimmt werden, und zwar gehen sie von ihm aus, während der König auf seinem Thron sitzt. Der Schemel seiner Füße (ebd.) – denn sie ist in seinem Besitz, und sie gehört ihm. Und der Sinn ist, dass sie, nachdem sie in meinem Besitz ist, dass der Thron und der Schemel auch von mir gemacht sind. Stimme aus dem Tempel ( Jes 66,6) – dies bezieht sich auf das Haus des Herrn [ auf der Erde ] oder auf den himm lischen Tempel, der auch hei liger Tempel genannt wird. Sollte ich erschließen den Mutterschoß und nicht gebären lassen ( Jes 66,9) ? Ich, der ich die ganze Welt hervorgebracht habe, sollte ich etwa aufha lten ? Und ihr werdet schauen und euer Herz wird schauen ( Jes 66,14) – ein Hinweis auf die Seele, denn sie ist das wichtigste Organ des Menschen. Und eure Gebeine (ebd.) – denn sie sind das Gerüst (für den Körper). Denn mit Feuer richtet der Herr ( Jes 66,16) – der Sinn ist, dass das Urtei l ganz plötz l ich verhängt wird. Vor mir bestehen ( Jes 66,22) – und dies bezieht sich darauf, dass der Herr die Ursache a lles Bestehenden ist. Und viele meinen, dass [ der Vers ] und ihr Feuer nicht verlöschen ( Jes 66,24) auf die Trennung

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der Seele vom Körper zu beziehen ist. Wenn sie nicht zu den Engeln des Herrn aufzusteigen vermochte, verbleibt sie in der Sphäre des Feuers. Die ä lteren Gelehrten meinten, dies bezöge sich auf die Zeit nach der Auferstehung der Toten. Und ihr Beleg dafür war, was Daniel sagte, dass a lle Übeltäter erwachen werden zu ewiger Abscheu (vgl. Dan 12,2). A ll dies ist wahr.

Abschriften und Zusammenfassungen des Kommentars zu den zwölf Kleinen Propheten zum Verständnis der Pforte Weisheit des Armen inklusive der Theologie des Weisen Hosea1 (1) Sprach Abraham [ Ibn Ezra ], der Autor : Es sei ferne, dass Gott tatsäch lich befoh len hat, eine Hure zur Frau zu nehmen und Hurenkinder von ihr zu empfangen. Und derjenige, der zu seinem Diener sagt, er solle so sein wie sein Herr, kann nicht mit diesem Fa ll in Verbindung gebracht werden, denn die Redewendung von dem „hinter dem Herrn her Huren“ ist eine A llegorie. Nur in Bezug auf einen Menschen bezeichnet [ d iese Redeweise ] eine Tat. Es ist daher meine Meinung, dass dieser Prophet in einem prophetischen Gesicht (oder) in einem nächt lichen Traum empfangen hat, dass Gott zu ihm gesagt hat : Geh und nimm dir eine hurerische Frau (Hos 1,2), und dass er hinging und eine bekannte Frau nahm, die schwanger wurde und gebar – a ll dies in einer prophetischen Vision, wie Gott (selbst) erk lärte : „Fa lls es einen Propheten unter euch gibt – das heißt, außer Mose selbst –, so mache ich mich ihm kund in einer Erscheinung, in einem Traum spreche ich zu ihm (Num 12,6). Wundere dich nicht, dass er [ sc. Hosea ] solche Dinge im Traum sehen konnte, gehen und [ eine Hure als Frau ] nehmen konnte (Hos 1,3), denn sogar im Traum eines gewöhn lichen Menschen, der keine Prophetie enthä lt, heißt es einma l : die Rinder verzehrten … (Gen 41,4). Und ebenso heißt es über Jesaja, den Propheten : Wie mein Knecht 1 Vg l.

A. Lipshitz, The Commentary of R abbi Abraham Ibn Ezra on Hosea. Edited from Six Manuscripts and Translated with an Introduction and Notes, New York 1988, 20 f.

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Jesaja nackt und barfuß ging ( Jes 20,3), was ebenfa lls auf prophetische Weise gesagt worden ist. Denn warum sollte der Prophet nackt und barfuß gegangen sein für Kusch und Ägypten ? Und ebenso : Nimm dir einen Ziegel (Ez 4,1), ebenso : Und lege dich auf deine linke Seite (Ez 4,4), auch : du nimm dir Weizen (Ez 4,9); auch (Ez 5,1). Auch das Wort von dem A lten (dies bezieht sich meiner Meinung nach auf den Vers nimm dir ein schweres Schwert, ein Schermesser der Bartscherer nimm dir, und fahre damit über dein Haupt und über deinen Bart. Fa lls sich seine Prophetie auf den a lten Propheten in Bet El bezöge oder auf den Fa ll des Mannes Gottes, der aus Juda gekommen war, ergäbe diese Vision meines Erachtens keinen Sinn. Es entsteht außerdem dort [ in diesem Vers ] der Eindruck, dass sich das Ganze auf die Geschichte mit Josia bezöge). Und gibt auf a ll das Acht, was Ezechiel zu Beginn seines Buches spricht : Ich sah eine Vision Gottes (Ez 1,1); in Gesichten Gottes brachte er mich nach dem Lande Israel (Ez 40,2). Wundere dich nicht, dass zu Beginn seiner Prophetie [ hier ] keine Visionen erwähnt werden, denn so heißt es auch (Sach 1,1) von dem Wort, welches an Sacharja erging. Und dort heißt es erst nachher : | Ich habe diese Nacht gesehen (Sach 1,8); und ich erhob meine Augen und schaute (Sach 2,1). Es heißt auch von Abraham, (dass der Herr zu ihm kam) in einer Vision (Gen 15,1); so verhielt es sich auch mit seiner gesamten Prophetie (wie der Bundsch luss beyn ha-betarim). Und so sprach [ Gott ] zu ihm auf prophetische Weise, er solle eine hurerische Frau nehmen, denn das Land hat in buhlerischer Weise gehurt (Hos 1,2). Und in Sefarad gab es einen Weisen, der legte den Mann, [ der sich die Hure a ls Frau nehmen sollte, ] auf einen Mann aus, der die Astrologie hervorgebracht hat. Denn man ernannte auch ein Tierkreiszeichen für die Gestirne, und sie hatten Verehrer. Denn sie bi ldeten die Heerscharen des Himmels. [ Hos 3,4 : ] Ohne Efod und Terafim. Wir können an keiner anderen Stelle Efod in negativer Bedeutung fi nden. Es ist meiner Meinung nach richtig, dass (die Kinder Israel bleiben …) ohne Erinnerung an Gott, eine Maṣebe und ohne Efod für das Vol k, keine Terafim für Götzendienst, wie sie Elia für sie bezeichnete. [ Hos 4,15 : ] Noch schwöret, so wahr der Ewige lebt ! Es steht (aber) in der Tora : In seinem Namen sollt ihr schwören (Dtn 10,20). Und die Erk lä-

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rung dafür ist, dass der Satz : Den Herrn, deinen Gott, sollst du fürchten (ebd.) bedeutet, man solle kein Verbot befolgen aus Furcht vor einem König, vor einer üblen Nachrede oder vor einem körperlichen Schaden, sondern a llein aus Furcht vor dem Herrn. Ihm sollt ihr dienen (ebd.) bezieht sich auf die Gebote, sei es, dass sie mit dem Mund oder mit einer Tat erfü llt werden. Und ihm hange an (ebd.) bezieht sich darauf, dass man mit den Gedanken seines Herzens Gott anhangen soll, damit man mit a llem Vermögen kein (Gebot) übertreten könne, wei l man der Werke Gottes und seiner Wunder in den oberen, mitt leren und unteren Welten und den Zeichen der Propheten gedenkt. Und nachdem man eine enge Beziehung zum Herrn aufgebaut hat, ist man verpf lichtet, in jeder Äußerung den Namen [ Gottes ] zu erwähnen und in seinem Namen zu schwören; damit a lle anderen Sterblichen (?), die zuhören, verstehen, dass er an der Liebe Gottes tei l hat, wobei sein Name und sein Gedächtnis in seinem Mund in Liebe stets vorhanden sind. Und a lles Vol k wird von ihm über diese Liebe und Ehrfurcht lernen – dies aber war der Brauch der Propheten, dass sie schwuren wie David, Elija und Elisha. Und dem vergleichbar ist (der Satz) : Bei mir hab ich geschworen ( Jes 45,23). [ Hos 6,3 : ] Und lasset uns Acht haben und nachtrachten dem Herrn (Hos 6,3). Und lasset uns Acht haben, dass nachtrachten usw., denn dies ist das Geheimnis a ller Weisheit, für die a llein der Mensch geschaffen worden ist. A llerdings ist es keinem Menschen möglich, Gott zu erkennen, bis er sich mit vielen Wissenschaften beschäftigt. Denn sie sind wie eine Leiter, die zur höchsten Stufe [ des Wissens ] führt. Die Wendung wie das Frührot (Hos 6,4) bedeutet, dass der weise Mensch Gott zunächst nur an seinen Werken erkennt, wie die Morgendämmerung am Frührot, doch Moment für Moment wird das Licht heller, bis er die Wahrheit erkennt. Er kommt zu uns wie Regen (ebd.) bedeutet, dass Gott uns erwecken und uns die Wahrheit zeigen wird, bis (es heißt) : Träuf le wie Regen meine Lehre usw. (Dtn 32,2). Und dies bedeutet, dass es keine Heilung gibt, außer durch ihn. [ Hos 12,4 : ] Im Mutterleib hielt er die Ferse seinem Bruder (Hos 12,4). (Der Kommentator behauptet,) dass sich dies auf (den Zeitraum be-

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zieht, in dem sich Jakob noch) im Mutterleib befand, da gab ich ihm Macht. (…) Und danach kämpfte er mit dem Engel, und er konnte ihn nicht besiegen (Gen 33,26), obgleich ein Engel die gesamte A rmee der Assyrer sch lagen konnte. Und die Menschen fürchteten sich angesichts eines solchen A nblicks – wie es David geschah –, auch a ls er mit ihm kämpfte. Die Bedeutung (dieses Ereignisses, näm lich dass Jakob die Verse des Esau ergriff ), war es, a llen Menschen der Welt bekannt zu machen, dass seine Nachkommen für ewig bestünden und er am Ende [ der Tage ] seine Feinde besiegen werde. Doch Efraim dachte, dass er (Efraim) a llein solche Stärke gefunden hätte. Und er kämpfte (Hos 12,5). [ Der Prophet erk lärt nun, ] wie ( Jakob) mit einem Gott(-ähn lichen Wesen) kämpfte. Und übermannte (ebd.) – den Engel. Und er weinte fast, und er erbarmte sich seiner und sandte ihn fort. Und dies meint, dass er ihn vor Sonnenaufgang fortschickte, damit Jakob sich nicht fürchte. Und die Wendung zu Bet El würde er ihn finden, a ls er zu seinem Vater zurückkehrte, meint, dass er dort den Engel [ ein weiteres ] Ma l traf. Weil er den Engel in Bet El zweima l traf, wurde der Ort Tor des Himmels genannt. Deswegen sprachen ich und A mos prophetisch über Jerobeam in Bet El, dem Ort seiner Königsherrschaft, wie ich erk lären werde. Der Herr ist der Gott der Heerscharen, der Herr ist sein Andenken (Hos 12,6) – dies meint, dass der Engel mit ihrem Vorvater sprach. Gott, der Gott der Engel, offenbarte seinen Namen nur dem Mose, damit er ihnen zum Elohim [ Gott ] werde; daher heißt es hier : der Herr ist sein Andenken. [ Hos 14,5 : ] Ich will heilen [ ihre Abtrünnigkeit (‫( ] )משובתם‬Hos 14,5). Das Wort ‫ משובה‬ist [ a ls Hinweis auf ] eine physische K rankheit zu verstehen.

Joel [(1)] Und wie ein Wolkenbruch vom Herrn kommt er ( Joel 1,15). Dies bedeutet : Wer kann vor einem Wol kenbruch, der vom Herrn kommt, f liehen ? Und der Nagid [ Shmuʼel ha-Nagid ],1 seligen A ngedenkens, 1 Vg l.

zu ihm Rottzoll, Abraham Ibn Ezras langer Kommentar zum Buch E xodus I, CXXIV f.

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sagte, dass das Wort ‫ שוד‬eine Bezeichnung ist wie in ‫עלי לבי דוי‬ ( Jer 8,18) [ Mein Herz in mir ist krank ]. Er meinte nur, dass das yud ein Doppelbuchstabe sei, wie in ‫( דליו שוקים מפסח‬Spr 26,7). Es bedeutet aber so viel wie „er besiegt“ und „er gewinnt“. Daher sagt er : A n diesem Ort findet sich kein ehrenwerter Name wie in : und die Stimme war wie Getöse (Ez 43,2), wie die Stimme des Allmächtigen (Ez 10,5). 362 Und so | ist der A ll mächtige dein Golderz (auf dass sein Golderz gü ltig sei). Und Zeuge und Silber der Gruben dir (Ijob 22,25)1 (auf dass er auch gü ltig sei wie in : wie die Höhen des Reem ist er ihm (Num 23,22). Und ebenso steht geschrieben : Und in Staub Gelegtes wird Golderz (Ijob 22,24) (was ein Beleg dafür ist, dass ‫ צריך‬ein kostbares Gut, ein kostbarer Besitz war). [ Zu Joel 1,16 : ] Und gut hat er gesprochen : Und das Zerbrechen des Herzens entsprach dem : Beschneidet nun die Vorhaut eures Herzens (Dtn 10,16). Und ebenso steht geschrieben : und ich will zerreißen das Schloss ihres Herzen (Hos 13,8). Dies bedeutet, dass er die Decke über ihrem Herzen zerreißen wollte. Denn er nahm an, dass das Herz nicht verstehen konnte. Was so viel bedeutet wie : Die Wahrheit zu verstehen. Darüber steht aber auch geschrieben : Jeder Kluge handelt mit Verstand (Spr 13,16) (er möchte, dass die Unterweisung des K lugen darauf basiert, dass sein Herz nicht verdeckt ist, wie es heißt : verstockt bleibe das Herz dieses Volkes [ Jes 6,10 ]). Die Sonne ( Joel 3,4) – dieser [ Vers ] berichtet von Finsternis, die sich ereignet, wenn sich die Sonne mit dem Mond vereinigt. Und der Mond läuft zusammen, und er wird [ blut]rot. Dies wird geschehen, wenn er weit vom Haupt des (Sternbildes) Waage und sein Schwanz nahe an sechs Höhen reicht, und immer sind [ dies die ] A nzeichen für K rieg und ein Zeichen, dass viele Völ ker umkommen werden.

A mos

Und es fand sich nichts mehr [ Zunz ].

1 Der

Text weicht vom masoretischen Bibeltext ab.

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Nützliche Abschriften, die zum Verständnis der Pforte Weisheit des Armen gebraucht werden aus dem Kommentar zu den Psalmen1 Abschriften aus dem Buche Ijob Abschriften aus dem Kommentar Daniel | Zusammenfassungen des Kohelet-Kommentars des Weisen [ Ibn Ezra ] zum Verständnis der [ vorangegangenen ] Pforte (Vorwort :)2 [ Der ] Weg [ des ] Lebens für den Verständigen [ zielt ] auf die obere [ Welt ], damit [er] f liehen kann aus der She’ol unten. Denn wie der Wanderer, der gefangen wurde, [ danach ] begehrt, zum Land seiner Geburt zurückzukehren, um mit seiner Familie zu sein, so sehnt sich der verständige Geist [ danach ], sich festzuha lten an den Stufen der Höhe, bis dass er aufsteigt zum Bereich des lebendigen Gottes (1 Sam 17,26.36). Denn er [ sc. der verständige Geist ] ist kein Bewohner des Hauses der Materie (Ijob 4,19) – denn die Körper gleichen Häusern, denn im Staub ist ihre Grundlage (Ijob 4,19) –, entsprechend der Aussage : Deren Wohnung mit dem Fleisch nicht ist (Dan 2,11). Dies aber wird geschehen, wenn sich der Geist reinigt und sich absondert von den Unreinheiten der Begierden der Körper, die bef leckt sind [ u nd das ] Heilige beschmutzen, um in die She’ol unten eingemischt zu werden. Er aber wird zurückkehren zu seinem Herz, um seinen [ Ur-]Grund zu erkennen und sein Geheimnis zu sehen mit den Augen der Weisheit, die nicht trüb werden, sodass das Ferne wie [ das ] Nahe vor ihm [ sc. dem verständigen Geist ] und die Nacht wie [ der ] Tag ist. Dann wird er vorbereitet sein für [ d ie ] Erkenntnis [ der ] Richtigkeit [ der ] Aussage[n der ] Wahrheit (Spr 22,21), und sie [ sc. die Aussagen der Wahrheit ] werden 1 Dieser

Tei l (Seite 362 – 386) bleibt unübersetzt. zum Folgenden die Übersetzung von D. U. Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentare zu den Büchern Kohelet, Ester und Rut, Berl in, New York 1999, 23 ff. Der von Rottzoll übersetzte Text entspricht mit geringen Abweichungen dem bei K rochma l wiedergegeben. Vg l. dazu H. Liss, in : Bibl ische Notizen 99 (1999), 14 – 19. 2 Vg l.

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eingraviert sein auf ihn, damit sie nicht ausgewischt werden bei seinem Abschied von seinem Körper, denn die Schrift war die Schrift Gottes (Ex 32,16). Denn um ihn [ sc. den verständigen Geist ] sehen zu machen, wurde er hierher gebracht; desha lb wurde er eingekerkert im Gefängnis bis zur Zeit [ des ] Endes, a ll dies aber, um ihm zu nützen und Gutes zu tun. Wenn er aber [ viele ] Jahre lang Mühe erleidet, so wird er ewig, ohne Ende, ruhen und sich freuen. [ Es verhä lt sich so, ] dass jedes Werk sich trennen und zu [ einer von ] vier Kategorien gehören wird (Gen 2,10) : a) [ Das in ] seiner Gänze Gute. b) [ Das in ] seiner Masse Gute und in seiner Minderheit Sch lechte. c) [ Das in ] seiner Gänze Sch lechte. d) [ Das in ] seiner Masse Sch lechte und in seiner Minderheit Gute. Der erste Teil ist der A nteil der Söhne Gottes; der zweite Teil ist [ der A nteil ] der Lebenden, die auf der Erdenoberf läche sind; und die beiden [ Teile ], die feh len, werden abwesend sein, man vermag sie nicht [zu] fi nden, denn Gott, der Herr, macht nur gute Sache[n], denn das Ganze ist stets gut. Ebenso steht geschrieben : Da sah Gott alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut (Gen 1,31). Wenn dort aber Sch lechtes [ vorhanden ] ist, [so] ist es [ lediglich ] in seiner Minderheit [ vorhanden ]. Denn wegen etwas Sch lechtem ist es nach der Weise der oberen Weis387 heit nicht [so], die Masse | des Guten zurückzuha lten. Die Ursache des Sch lechten aber ist die Mangel haftigkeit des Empfängers. Wir aber haben nur die Möglichkeit, das Werk Gottes mit seinem Werk zu vergleichen, denn a lles ist sein Werk [ a nstelle dessen, was sein Werk ist ]1. Siehe, wir sahen : Die [ auf einer Wiese ] ausgebreiteten K leider werden durch die Sonne gebleicht, während sie [ sc. die Sonne gleichzeitig ] das A ngesicht des Wäschers verdunkelt. Geht aber nicht die eine Auswirkung aus dem einen Auswirker hervor ? Daher ändern sich die Auswirkungen wegen der Ä nderung der Natur der Empfänger, und [ auch die ] Gedanken [ der ] Menschen ändern sich entsprechend [ der ] Natur jedes einzelnen Körpers. Die Ä nderungen der Natur aber [ t reten ein ] wegen der Ä nderung der oberen Konstellationen, des Orts der Sonne, des Empfängers ihrer 1 H ier

hat K rochma l eine andere L esart aufgenommen, oder er paraphrasiert den Text.

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K raft, der Staaten, der Religionen und der Nahrung; wer vermag, sie a lle aufzuzäh len ? Aber jeder Weg des Menschen ist rein/lauter in seinen Augen (Spr 16,2). Da erweckte der Herr, der Gott Israels, den Geist (1 Chr 5,26) Sa lomos, seines Gel iebten, um gefällige Worte (Koh 12,10) zu erk lären und ihm den rechten Weg zu lehren, dass jedes Werk, das ein Geschöpf macht, nicht bestehen wird, denn a lle Geschöpfe mühen sich [ vergeblich ] ab, eine elementare Substanz zu schaffen, oder sie [ sc. die Substanz ] zu verti lgen, bis dass sie verschwindet. A llein, a ll ihre Werke sind [ lediglich ] ein Ebenbild, Abbild und eine A kzidenz : [ sie machen nichts anderes, a ls ] zu trennen, [ was ] verbunden ist, zu verbinden, [ was ] getrennt wurde, zu bewegen, [ was ] ruht, und ruhen zu lassen, [ was sich ] bewegt. Desha lb ist jedes Werk [ des ] Menschen nichtig und leer – außer der Gottesfurcht. Niemand aber vermag, heranzukommen zur Höhe seiner [ sc. Gottes ] Furcht bis zu seinem [ sc. des Menschen ] Aufstieg auf der Leiter der Weisheit und [ bis ] er auf Vernunft/Einsicht baut und gründet. (1) [ Der Ausdruck hevel havalim (Koh 1,2) steht gedoppelt, ] damit niemand in seinem Herzen sage, dass es in den Dingen der Welt [ z war ] Nichtigkeit, es aber in ihr [ auch ] eine beständige Wurzel [ ‫ ] שורש עומד‬gäbe. Siehe, [ desha lb ] besch ließt er [ den Vers mit den Worten ] : Alles ist nichtig (Koh 1,2). Die Bedeutung des unter der Sonne (Koh 1,3) ist die Zeit des Um laufs, denn die Sonne a llein gebiert die Zeit, denn der Tag hängt von der Sonne ab [ u nd dauert ] von der Zeit ihres Erstrah lens bis zu ihrem Untergang usw.1 Ebenso [ heißt es ] : Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter (Gen 8,22) entsprechend den Neigungen der Sonne zum Horizont [ des ] Nordens oder [ des ] Südens. Obwoh l es [ eine Beeinf lussungskraft ] für den Mond auf die Flüsse, die frischen Gewächse und auf das Gehirn [ g ibt, wo der Mond ] angenehme Werke [ oder Gedanken verursacht, sowie des ] K ima[ gestirns ] zu binden und [ des ] Kesil[ gestirns ] zu öff nen (vgl. Ijob 38,31), gibt es kein Werk [ von ] ihnen [ sc. Mond, K ima 1 H ier

lässt K rochma l einen Absatz aus.

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und Kesil ] a llen entsprechend ihrem [ sc. der Sonne ] Werk, sondern [ sie sind nur ] ein Teil von vielen Teilen. Wenn aber die Sonne eine ist, ändern sich ihre Werke gemäß den Änderungen der 120 Konjunktionen der sieben [ Planeten ]. Die Ä nderungen der Um läufe [ von ] ihnen a llen [ geschehen zusammen ] mit der Bewegung der obersten Sphäre, aus der[en Mittel-] Punkt sie hinausgeht. Desha lb findest du nicht, [ dass die ] Konstellation des Werks der Himmel einer anderen Konstellation [ auch nur für ] einen Augenblick gleichen. Diesbezüglich wird im Sefer Yeṣira erwähnt : „ Zwei Steine bauen zwei [ Häuser ]“ bis neun, „das vermag der Mund nicht zu sagen, und das Ohr vermag es nicht zu hören“.1 Die Mühe, um Weisheit zu ersuchen, bis dass sein Geist k lar wird – es gibt für sie [ sc. die Mühe ] einen Lohn [ ‫] יתרו ן‬, denn der Geist des Menschen ist nicht [ wie der Geist eines der Geschöpfe ] unter der Sonne (Koh 1,3). (2) [ Koh 1,4 : ] Weil a lles, was unter der Sonne (Koh 1,3) existiert, zusammengesetzt ist aus [ den ] vier Elementen, gehen aus ihnen [ a lle ] Dinge hervor und kehren zu ihnen [ a lle Dinge ] zurück. Sie sind : a) das Feuer; b) der ruhende Wind, der die Luft ist; c) das Wasser; d) die Erde. Er erwähnt die[se] vier Elemente und beginnt mit der Erde [ in Koh 1,4 ], da sie wie eine Gebärende ist. Hernach erwähnt er [ in Koh 1,5 ] die Sonne (an) Stelle des Feuers wegen der Größe ihrer Hitze; sie aber ist das Feuer, das Gebärende. Hernach [ erwähnt er in Koh 1,6 f. ] den Wind und das Wasser. Und er sagt über die Erde, dass a lle [ Geschöpfe ], die von ihr geschaffen wurden, zu ihr zurückkehren werden, entsprechend der Aussage : Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren (Gen 3,19); sie [ sc. die Erde ] aber hat Bestand (Koh 1,4).

Ein Geschlecht kommt, und ein Geschlecht geht (Koh 1,3) [ Und aufgeht [ sc. die Sonne ] (Koh 1,5) ]. Es erk lärten bereits die Geometriker [ ‫] אנשי המד ה‬, dass sich a lle Schöpfungen, die gesehen werden, auf zehn Teile [ vertei len ], die Sonne aber größer a ls sie a lle sei, denn 1 Sefer

Yeṣira II,18 (hg. v. Goldschmidt, 64).

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es sei nicht einer [ von den Planeten ] wie sie [ sc. die Sonne ]. Sie sei die Wurzel/Hauptsache im Werk des Himmels, vergleichbar dem Punkt in der Geometrie und der [ Zah l ] Eins in der A rithmetik. [ Koh 1,7 : ] Die Bedeutung bezüg l ich der Erwähnung dieser vier [ Elemente ] usw. [ a) die Sonne, die an Stelle des Feuers steht, b) der Wind, c) das Wasser und d) die Erde, ] ist, dass sie erwähnt werden, weil a lles unter der Sonne Existente von ihnen geboren wird : usw. [ d ie Pf lanzen, die Tiere, (die) Menschen, die Vogel(schar) und die Fische des Meeres ]. Aber wenn sie, da sie die Elemente sind, die Gepf logenheit haben, zu dem Ort/Zustand zurückzukehren, wo/wie sie (einst) waren, wie können (da die Sachen) Bestand haben, die von ihnen geboren werden ? Denn wenn sie an ihrem A nfang hevel waren, so werden sie auch an ihrem Ende [ hevel sein ]. Und wenn der Mensch nichtig ist, um wie viel mehr ist [ dies ] sein Werk, das wie A kzidenz [ in Bezug auf ] ihn ist; und um wie viel mehr sind seine Gedanken [ nichtig ], die A kzidenz von A kzidenz [ ‫ [ ] כמקרה המקר ה‬usw. ] [ Zu Koh 1,8 : ] Nachdem er [ sc. Kohelet ] die vier Elemente kundtat, die gemäß ihrer [ genuinen ] Konstitution bestätigt sind, die aber, wenn ihnen Bewegung akzidentiert wird, am Ende [ in den Zustand ] zurückkehren, wie sie waren. Wahr (es muss [ statt ‫] אמת‬ heißen „er sagte“ [ ‫ )] אמר‬: Wir vermögen die Universa lie[n] zu erkennen, [ nicht ] aber die Spezifi ka, die von ihnen [ sc. den vier Elementen bzw. den Universa l ien ] erzeugt werden [ u nd ] nicht einen Moment gemäß ein [ u nd derselben ] Konstitution bestehen; desha lb vermag der Mensch nicht, sie zu zäh len, und wird das Auge nicht satt von ihrem A nblick. Denn der Grund für das Sehen des Auges sind die Bilder, die in der reinen Luft/Atmosphäre erscheinen, sie bestehen aber nicht einen Moment. Das Ohr wird nicht voll vom Hören der Spezifi kationen, denn auch die Ursache des Hörens ist das Eintreten der Luft [ ins Ohr ], denn es gibt in ihr K langbilder; auch sie haben aber keinen Bestand. Desha lb vermag das Auge nicht, die Spezifi kationen zu bewä ltigen, und das Ohr [ vermag nicht ], ihre Zah l zu hören. | Denn es gibt weder 388 Ende noch Zah l für sie bei [ ihrer Betrachtung und ihrem Gehörtwerden durch den ] Menschen. Desha lb kennt a llein der Schöpfer

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die Universa lien und die Spezifi kationen, denn ein Werk seiner Hände sind sie a lle. Was gewesen ist, dasselbe wird sein (Koh 1,9). Der Dichter sagte über die oberen Schöpfungen : Denn er befahl, und sie wurden geschaffen. Er lässt sie bestehen für immer und ewig (Ps 148,5 f.). Über die Schöpfungen unten sagte er aber : Denn sein Name allein ist erhaben (Ps 148,13). Die Bedeutung [ der letztgenannten Aussage ] aber ist, dass sie [ sc. die unteren Schöpfungen ] a llesamt nichtig sind [ vgl. 1 Sam 12,21 ]. Die Aussage, was gewesen (Koh 1,9), [ bezieht sich ] auf die Sphären und ihre [ Himmels-]Heere, denn sie sind wie fortwährend wiederkehrende K reise, [ denn ] ihr A nfang ist wie ihr Ende und ihr Ende wie ihr A nfang. Und was geschehen ist, dasselbe wird geschehen (Koh 1,9) – [ d as bezieht sich ] auf die Universa lien, die ewig / bleibend sind, etwa [ d ie ] Gattung Mensch, [ d ie Gattung ] Pferd, die Gattung jedes Lebewesens und die Gattung jeder Pf lanze. Deren Natur aber ist von den Wirkweisen der Oberen [ abhängig ]. Wenn aber die Oberen beständig sind, werden die Universa lien bestehen, die ein Ebenbild der Konstellationen der [ Himmels-]Heere [ sc. der Sterne/Planeten ] sind. [ Die Bedeutung aber ist : ] Obwoh l ich nicht vermag, die Spezifi kationen zu zäh len, sind ihre Universa lien ewig, bestimmt und zäh lbar/ begrenzt. Auf diese Weise wirst du die obere Welt erkennen. [ Die ] unterste Welt aber besteht auf einem [ a nderen ] Weg : und es gibt nichts neues unter der Sonne (Koh 1,9). [ Koh 1,12 : ] In Jerusalem sagte er, wei l ihr (sc. Jerusa lems) Ort bereitet wurde, um die Weisheit zu empfangen, [ denn es ist bekannt, dass der bewohnte (Teil der Erde) in sieben Teile geteilt wird ] … es ist aber bekannt, dass Jerusa lem auf dem 33. Breitengrad und [ damit in der ] Mitte des bewohnten (Teils der Erde) liegt, … A ls er sich aber bemühte, die Wurzel n der Werke zu sehen, fand er, dass sie nichtig und Weiden (des) Windes (Koh 1,14) sind. Unter dem Himmel (Koh 1,13) bedeutet demnach so viel wie unter der Sonne (Koh 1,3 u. ö.) (Bezeichnungen für die untere Welt). Es kann aber sein, dass eine A ndeutung im Wort : unter den Himmeln (Koh 1,13; 2,3; 3,1) [ verborgen ] ist – entsprechend [ der Aussage ] : Unter der Sonne (Koh 1,3 u. ö.) [ in dem darauffolgenden Vers ] –, [ was meint ] : in Bezug auf die höch[st]e Sphäre, denn dort ist das ganze

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Heer der Himmel [ erhaben durch den Geist und zwar täg lich ]. Die Astronomie aber [ basiert ] auf den achtundvierzig [  Stern-]Formen der Sphäre. Nachdem er aber speku lativ die Wurzel a ller Dinge erkannt hatte, die auf Grund der K raft Gottes hervortreten – siehe, [ da erkannte er, ] dass es ein leidiger Drang (Koh 1,13) ist. [ Denn es ] ist schwer wegen [ der ] Begrenztheit [ des ] Verstands [ der ] Menschen, die Gebärenden zu zäh len; um wie viel mehr gilt dies für a lle Geborenen. Es gibt aber keine Zah l für die Regimenter der Himmel, und die Früheren vermochten nur 1022 zu erkennen. [ Koh 1,15 : ] Die Bedeutung ist gemäß der Weise der [ oben im Zusammenhang mit Koh 1,13 f. ] gegebenen ersten Erk lärung auf die beiden Verse [ sc. Koh 1,13 f. ] [ z u beziehen ], denn sie stehen beide vor diesem [ Vers ] : Nachdem er sah, dass a lles nichtig ist, vermag die Nichtigkeit nicht zurückzukehren wie Bestehendes, denn das Gekrümmte vermag nicht, gerade zu werden, denn seine Natur ist das Gekrümmt-Sein. Ein Gegenstand des Mangels aber – es gibt kein Vermögen ihm bezüg l ich, mit den voll kommenen Dingen gezäh lt zu werden. … Gemäß der zweiten Erk lärung aber [ wäre zu folgern ], dass er mit einer mangel haften Wesenheit geboren wurde, [da ] in ihm keine K raft existiert, seine Seele [ ‫ ] נפש‬zu vervoll kommnen. Siehe, es findet sich, dass wer sich [ damit ] beschäftigt, die Wurzel der Naturen des Werks des Himmels zu erforschen, sich mit Nichtigem beschäftigt. Dies ist richtig mit [ Blick auf ] die Masse der Menschen und [ mit Blick auf ] ihre Taten.1 [ Schon sein Kommentar zum Abschnitt K i teṣe stellt fest ], dass das Herz der Wohnsitz des Geistes ist. Es wurde im Körper zuerst geschaffen, da es [ sc. das Herz ] ein Ebenbild des Königs ist.2 Der [ Begriff ] Herz [ aber ist eine ] Umschreibung für Weisheit, K lugheit, Verstand und Gedanken, wei l dies die erste Dimension für die obere Seele des Menschen ist – ebenso werden die Reden [ des Menschen ] mit dem Ausdruck „Lippe“ [ ‫ ] שפה‬bezeichnet, wei l der Ausgang der Worte von ihr [ heraus geschieht ]. 1  A b

hier folgt ein Kommentar K rochma ls. Und siehe Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentare zu den Büchern Kohelet, Ester und Rut, 59, der auf den fragmentarischen Kommentar Ibn Ezras zu Gen 2,7 (Ende) verweist. 2 I n der Edition sind die letzten Wörter ergänzt.

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[ Koh 2,13 : ] Und ich sah, dass es einen Vorzug gibt (Koh 2,13). Gleichwie

das Licht die Formen (der Dinge) unterscheidet, sodass man die nahen und fernen (Dinge) und jede Sache auf ihrem Bereich platziert sieht, so ist die Weise der Weisheit. [ Koh 2,21 : ] [ Die ] Bedeutung [ hiervon ist ] : Der A nteil, der durch sein Los herausgeht vom Himmel, wie unsere Vorfahren, ihr Angedenken sei zum Segen, sagten : „Söhne, Leben und Nahrung“ usw. (bMQ 28a).1 [ Koh 3,1 : ] Jede Zeit (Koh 3,1). Das ist richtig, dass es für jede Sache unter den Himmeln (Koh 3,1) eine [ festgesetzte ] Zeit und einen [ determinierten ] Zeitpunkt gibt. Denn beim Zerstört-Werden der Geburtskonstellation würde der zu Gebärende sterben. Und wenn [ eine bestimmte ] Konstellation entsteht, lässt sie ihn reich werden; [ es ist ] aber [ ebenso mög lich, dass sie ] das Gegenteil des Reichtums bewirkt, denn [ die ] Zeiten sind festgesetzt, und beim Eintreffen einer Zeit bewegt sich [ der ] Mensch zu der [ Richtung hin, die ] ihm bestimmt wurde. Seine [ sc. des Menschen ] Bewegungen aber sind entsprechend der Bewegung [ des Stern-]Bildes gemäß der Aussage : Nur im [ Stern-]Bild geht man einher (Ps 39,7). Aber wenn dem so ist, [ dann gi lt : ] aber um Tand lärmen sie [ ‫ [ … ] אך הבל יהמיו ן‬Koh 3,2 : ] Auch sagt er, dass die Zeiten nicht a llein dem Menschen zugetei lt sind, denn siehe, den Pf lanzen sind sie ebenso [ z ugetei lt ]. [ Koh 3,5 : ] Selbst die Begierde, die in das Herz des Menschen gepf lanzt wurde – es gibt für sie eine Zeit, und das ist : Zu umarmen/ liebkosen (Koh 3,5) die im Schoß liegende [ Frau ], und der [ Ausdruck ] : ‫( לרחוק‬Koh 3,1) [ meint : sich ] von ihr [ z u entfernen ]. [ Koh 3,7 : ] Siehe, 389 es erwähnt Sa lomo [ h ier, dass es ] | selbst [ f ür ] das Reden eine Zeit gibt. [ Koh 3,8 : ] Sowoh l die Liebe a ls auch der Hass [ sind ] abhängig von der Zeit und vom Zeitpunkt. [ Koh 3,12 : ] (…) Siehe, die Sache der Zeiten [ ist so, dass es ] für jede Sache [ eine Zeit gibt ], zum Reichtum aufzusteigen oder von ihm [ sc. dem Reichtum ] herabzusteigen. Und auf ihn kann man nichts hinzufügen, und von ihm kann man nichts wegnehmen (Koh 3,14). [ Koh 3,15 : ] (…) Die Bedeutung aber ist, dass Gott von der Zeit wünscht, dass sie [ beständig der vorange1 Zur

Zitationsweise vg l. Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentare zu den Büchern Kohelet, Ester und Rut, 76 f. A nm. 89.

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gangenen Zeit ] nachjagt (Koh 3,15), [ das heißt ] : Eine Zeit jagt hinter einer [ a nderen ] Zeit her und soll [ damit ] nicht aufhören, sodass die Zeit, die verging, beständig wiederkehrt und was geschehen wird (Koh 3,15) zurückkehrt, wie es verging und [ d ann wieder ] zurückkehrt, [ denn ] die Zeit ist eine. [ Die Zeit ] aber tei lt sich in [ die ] Zeit [ der ] Zukunft, [ d ie Zeit der ] Vergangenheit und das Trennende zwischen ihnen. Diese Bedeutung aber wird k lar durch den K reis/ die Sphäre, denn jeder Teil/Punkt von ihm/ihr geht um den mittleren Punkt herum, er [ sc. der mitt lere Punkt ] aber ist fi xiert. Er wird aber Mittelpunkt [ ‫] מוצק‬1 genannt wegen der Zentra lität des Ortes. Und die erste Linie aber ist die Breite, denn so [ heißt es ] : Eine Breite, kein Mittelpunkt statt ihrer (Ijob 36,16) … Und das Kontinuierliche aber ist der Mittelpunkt. [ Koh 3,21 : ] Die Bedeutung (des Wortes) ‫ מי‬ist : Wer in [ der Masse ] der Menschen kennt den Unterschied, den es zwischen dem Geist des Menschen und dem Geist des Viehs gibt ? Die Bedeutung ist, dass man nicht einen unter tausend (Ijob 33,23) [ Menschen ] findet, [ der diesen Unterschied kennt ], denn die Kenntnis des Geistes ist [ sehr ] tief [ gründig ] und bedarf [ vieler ] Beweise. [ Diese Beweise ] aber vermögen [ die meisten Menschen ] nicht zu verstehen, selbst [ nicht ] ein [ k leiner ] Teil [ von ] ihnen, sondern [ dies ist nur ] den Verständigen [ mög lich ], denen er [ sc. der Geist ] ihre Gedanken k lar werden ließ in der Waage der Weisheit und in seinen vier Grund[lagen ]. [ Es verhä lt sich dabei so, ] dass die drei [ ersten dieser vier Grund lagen ] folgende sind : ‫ספר‬, ‫ ספר‬und ‫ [ ;ספור‬d ie vierte Grund lage ] aber ist zusammengesetzt aus zweien (es scheint, a ls deute er hier an, warum man in der Logik von der bekannten sensitiven, verstandesmäßigen und überlieferten Erkenntnis spricht). Aber von der Tora unseres Gottes [ her ] vermag er [ sc. der Verständige ] das zu verstehen, denn siehe, sie [ sc. die Schrift ] sagte bezüg lich der Pf lanzenarten : Er lasse die Erde hervorgehen (Gen 1,11). Aber, siehe, es gibt für die Erde das Vermögen, hervorgehen zu lassen gemäß dem Worte Gottes. Aber wegen [ des Befeh ls bezüglich ] des Hervorgehen lassens [ des ] Körpers, gehen sie [ sc. die Pf lanzen ] von ihr [ sc. der Erde ] her1 Vg l.

zu diesem Neologismus Sela, Abraham Ibn Ezra, 113 f.

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vor und kehren zu ihr zurück. (…) Ebenso sagt [ die Schrift (wörtlich übersetzt) ] : Es wimmle das Wasser nefesh ḥayya (Gen 1,20), denn siehe, die Wasser gebaren die Seele [ ‫ ] נפש‬der ganzen Erde, die Vogel[ scharen ] und [ d ie ] Fisch[e] gemäß dem Wort Gottes. Und ebenso sagt [ die Schrift ] : Es bringe die Erde nefesh ḥayya gemäß ihrer Art hervor (Gen 1,24). [ Es heißt ] in der Tora aber nicht : [ Die Erde bringe die ] Seele [ ‫ ] נפש‬des Menschen [ hervor ], sondern es heißt : Lasst uns einen Menschen machen in unserem Ebenbild, gemäß unserer Ähnlichkeit (Gen 1,26). [ Die Schrift ] erwähnt aber, dass er seinen Körper vom Erdboden schuf, und hernach [ heißt es ] : Da blies er in seine Nase nishmat ḥayyim (Gen 2,7). (Der Begriff ) ḥayyim aber deutet an, dass sie [ sc. die neshama ] Bestand hat und nicht zugrunde gehen wird wie die Seele [ ‫ ] נפש‬des Viehs. Es gibt [ folglich ] einen Unterschied zwischen [ dem ] Begriff Lebensgeist [ ‫ ] נשמה‬und Seele [ ‫] נפש‬, denn wir fi nden in der ganzen Schrift [ den Begriff ] Lebensgeist nur [ in Bezug ] auf den Menschen [ gebraucht ] usw. [ Koh 4,3 : ] Und glücklicher [ als beide ] , wer noch gar nicht geworden. (…) Viele aber wunderten sich : Wie [ kann er ] ‫ וטוב‬zu jemandem sagen, der nicht geschaffen wurde ? (…) Es gibt keinen Grund zur Verwunderung, [ denn ] wegen der Kürze der Sprüche [ ist es üblich ], nur gemäß der Weise der Ä hn lichkeit zu sprechen. Ebenso sagten die Weisen, seligen A ngedenkens : Glück lich ist derjenige, der nicht erschaffen wurde. Entsprechend sagten die Phi losophen [ ‫חכמי‬ ‫ שקול הדעת‬: ] Jede Sache ist [ entweder ] existent oder nicht existent. Aber wenn es eine Sache ist, wie [ kann ] sie nicht existent sein  ? [ Koh 5,7 : ] Und wisse, dass Gott über dir steht und dich behütet und deine Worte hört. Denn er wohnt im Himmel ganz oben, und du bist auf der Erde und unter dir gibt es nichts. […] Denn seine Güte ist mit ihm in jedem Moment, auf dass er lebe und Vergnügen habe und mit Gefüh lsregungen. […] Es gab einen Weisen in Frankreich – auch er verfasste eine Bitte, deren A nfang (lautet) : ‫ [( הרחבת עלמות אין להם גבול‬d ie ] Breite/Verbreiterung [ der ] Welten – es gibt für sie keine Grenze), denn das, was für sich keine Grenze hat, wurde nicht geschaffen ! Und er sagte : ‫( שמך בך ובך שמך‬Dein Name ist in dir, und in dir ist dein Name). (Auch diese Aussage ist unsinnig,) denn wenn er gewusst hätte, was (die) Erk lärung/

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Bedeutung (des Begriffs) ‫ שם‬ist, wäre diese Aussage nicht in sein Herz hinaufgestiegen ! Ein jeder ist ein Hoher über die Hohen (Koh 5,7). [ Es gibt ] aber viele Hüter, ein Mensch kennt ihre Zahl nicht, denn sie sind hoch (Koh 5,7) über diesen [ sc. den Menschen ], denn ihre Stufe ist nicht g leich. [ Derjenige ] aber, der das Geheimnis Gottes kennt, weiß, dass [ bezüglich der Aussage ] : Ein jeder ist ein Hoher über die Hohen (Koh 5,7) [ g ilt, dass ] sie fünfundfünfzig sind; ich vermag dies hier nicht näher zu erk lären. [ Koh 7,3 : ] Besser Betrübnis al s Lachen (Koh 7,3). Bereits die Phi losophen [ ‫ ] חכמי ראיות‬haben erk lärt, dass es im Menschen drei Seelen gibt … [ (forsche für den Moment dort nach) ]. [ Koh 7,10 : ] Sprich nicht : Wie ging es zu, dass die früheren Zeiten besser waren usw. (Koh 7,10) gleich wie die Toren sprechen, wenn sie von ihrer Größe herabsteigen : | Die Welt veränderte sich bereits. Denn der Verständige weiß, dass die Tage gleich sind, die oberen Konstellationen aber – sie [ entscheiden das Schicksa l des Menschen, denn ] sie [ sc. die Menschen ] sind nur die Empfangenden; [ desha lb ] ändert sich ein jeder Mensch gemäß seinem A nteil. [ Koh 7,12 : ] Die Weisheit belebt ihre Besitzer (Koh 7,3), denn die Weisheit ist eine Form der oberen Seele, die beim Tod des Körpers nicht stirbt. Der Weise, der kein Erbteil und Geld hat, freut sich an seiner Weisheit und zürnt nicht wegen seiner A rmut, denn es wurde bereits über ihn besch lossen, was von den sechs Schöpfungstagen [ her ] besch lossen wurde. Die Verständigen des Werks der Himmel werden es verstehen. [ Die ] Erk lärung [ der Worte ] : Das Gott geschaffen (Gen 2,3) aber ist, dass Gott in jedes Werk K raft legte, gemäß der ersten Gesta lt [ z u tun ]. Derjenige aber, dessen Konstellation/ Horoskop gekrümmt war in [ Bezug auf ] die Sache des Reichtums oder [ in Bezug auf ] eine andere Sache – es gibt für ihn keine Besserung/Heilung. [ Koh 7,14 : ] Auch dieses dich an jenem (Koh 7,14) – [ das ist ] entsprechend der Bedeutung [ dessen zu verstehen ], was im Sefer Yeṣira gesagt wird : „Sieben Doppelungen ‫ בג״ד כפר״ת‬.“1 Dies meint, dass 1 Sefer

Yeṣira IV,1 (hg. v. Goldschmidt, 59).

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er [ sc. Gott ] dies gleich jenem machte (Koh 7,14), und der Mensch nichts [ von Gott ] zu beanspruchen vermag, wei l die Mangelhaftigkeit vom Empfangenen kommt, wie ich am A nfang des Buches erk lärte. [ Koh 7,18 : ] Es ist gut, dass du das eine ergreifst (Koh 7,18). Ich erk lärte bereits im Vers : Besser ist Zorn als Lachen (Koh 7,3) (etwas) von den Teilen der Seele. Ein Mensch des Verstandes gibt jeder [ der drei ] Seelen einen A nteil in seiner Zeit. Er hat es aber nicht nötig, zu erforschen, was er tun soll, sondern er [ braucht a llein ] hinter der Tora unseres Gottes her[zu]gehen, ohne von ihr [ nach ] rechts und links ab[zu]weichen. [ Auch wird er ] die Gebote bewahren, [ denn ] der Mensch, der sie tut, wird durch sie leben (Lev 18,5) in den beiden Welten. (…) [ Koh 7,19 : ] [ Er erwähnte die ] Zah l Zehn wegen [ der ] Summe [ der ] Zah len. Sie [ sc. die Zah l Zehn ] aber ist der A nfang der Dekaden, denn [ jede Zah l ], die es oberha lb von ihr gibt – das sind vergrößerte Einer. Aber wegen des Wurzel-Seins [ von ] jeder Sache – des A nfangs, ihrer Mitte und ihrem Ende – ist [ die Zah l ] Eins in der heiligen Sprache am A nfang und [ d ie Zah l ] Zehn am Ende. Aber siehe, es sind [ d ie Zah len ] Fünf und Sechs Mittel[zah len ], und die vier Buchstaben – sie [ d ienen a ls ] Dehnungsbuchstaben. Es kann aber nicht sein, dass man einen Buchstaben oder einen Voka l findet, ohne dass einer von ihnen herangezogen wird mit ihm. [  Die Zah len ] Eins und Zehn aber bewahren sich selbst in den Zah len wie ein Zaun, die Zah len Fünf und Sechs sind [ dagegen ] Kugelzahlen. Ein großes Geheimnis aber ist in ihnen a llen, im ehrenvollen und furchtbaren Namen [ Gottes ], denn er ist kein Name [ des ] Maßes, denn er ist von den erwähnten Buchstaben. [ Koh 7,20 : ] Es gibt keinen Menschen, der nicht sündigt (1 Kön 8,46) in seinem Werk oder in seiner Rede oder in seinen Gedanken, wie im Buch der Sprüche unter den sieben Gräueln (Spr 6,16) geschrieben steht : Ein Herz, das sündige Gedanken schmiedet (Spr 6,18). [ Koh 7,25 : ] Ich wandte mich (Koh 7,25) – [ d as meint ] : Ich wandte mein Gesicht und meine Gedanken in meinem Herzen, um zu erkennen, ob [ es mög lich ist, dass ] die Weisheit und Rechenkunde (Koh 7,25) sich verbinden [ können ] – denn das ist die Erk lärung des

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Gedankens des [ Begriffs ] ‫( דעת‬Koh 7,25) – mit dem Frevel, dem Unverstand und der Torheit (Koh 7,25). [ Koh 7,26 : ] Ich fand (Koh 7,26) : Das Begehren macht die Augen der Weisen blind und verwirrt ihre Gedanken, sodass ihre Weisheit dahinschwindet. [ Koh 7,27 : ] Siehe, das hab ich gefunden, … : Eine und noch eine usw. (Koh 7,27). (…) Die Bedeutung aber ist, dass der Mensch nicht vermag, einen Gedanken zu finden – das ist [ eigent lich ] der Wunsch –, bis dass er einen an den anderen (Koh 7,27) reiht, denn es ist bekannt, dass die erste Prämisse [ ‫ ] מחבר ת‬aus Subjekt [ ‫ ] נוש א‬und Satzaussage [ ‫ [ ] נשו א‬besteht ], ebenso aber die zweite Prämisse [ sich aus Subjekt und Satzaussage zusammensetzt ]. A llein, im [ Zusammenhang ] der A n lehnung [ der beiden Prämissen gibt es drei Möglichkeiten ] : a) [ Bei der einen Prämisse ] ist die Satzaussage am A nfang [ u nd ] das Subjekt am Ende [ während es sich bei der anderen Prämisse umgekehrt verhä lt ]; b) die beiden Subjekte oder c) die beiden Satzaussagen sind [ bei beiden Prämissen ] in derselben [ Position. Bringt man die beiden Prämissen aber zusammen ], dann wird zwischen den zwei Prämissen eine Konk lusion [ ‫] דעת שלישי ת‬ geschaffen. Siehe, so ist es bei den Dingen der Seele [ ‫] נפש‬, um wie viel mehr [ geschieht dies aber ] bei den körperlichen Dingen. Der Sinn ist [ daher ], dass es für den Weisen [ eigent lich ] überhaupt nicht würdig ist, sich mit einer Frau [ gesch lechtlich ] zu verbinden, wenn [ es ] nicht so wäre, dass er sein Ebenbild – das ist die Konk lusion ! – nur [ dadurch ] nach sich übrig zu lassen vermag, dass sich der Vater mit der Mutter verbindet. Und eine andere Erk lärung ist [ dass dieser Vers mit dem nach ihm kommenden Vers verbunden ist ], sodass die Erk lärung des Worts ‫ חשבון‬Gedanke oder Berechnung [ ‫ ] מניי ן‬ist. Der Sinn aber ist : Wenn du über [ irgendeine ] Sache nachdenkst, wirst du sie nicht [ in sich ] a llein [ existierend ] finden, bis dass sie sich an eine andere [ Sache ] an lehnt. Entsprechend [ verhä lt es sich mit den Begriffen ] ‫ גדול‬und ‫קטן‬, denn man nennt [ etwas ] nur groß in Relation zu [ etwas ] K leinem; bei dem K leinen aber [ verhä lt es sich ] umgekehrt. Und ebenso ist es [ beim ] Weisen und Toren der Fa ll, ebenso [ beim ] Gerechten und Frevler. Genauso ist es mit der Berechnung, denn bei der Addition von Eins

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und Eins (Koh 7,27) entsteht [ der ] Anfang der Zahl [en]. Wenn du aber eine [ weitere Zah l ] hinzuaddierst zum A nfang [ der Zah len ], wird es wie ein Ende. Bei der Addition einer [ weiteren Zah l ] zum Ende, wird es [ z um ] Quadrat (Potenz 4). Bei der Addition einer [ weiteren Zahl ] wird es zur Kugelzahl. Die Kugel[ zah l aber wird bei der Addition einer weiteren Zah l zu einer ] regelmäßigen (Zah l) [ ‫] מיושר‬, die regel mäßige [ Zah l wird bei der Addition einer weiteren Zah l zur ] vollständigen/voll kommenen [ Zah l ], und die vollständige [ Zah l wird durch die Addition einer weiteren Zah l sch ließlich zur ] Körper[ zah l ] [ ‫] גוף‬. Der Sinn ist aber [ auch ] : Man findet keinen einsichtigen, weisen und [ gottes ]fürchtigen Mann [ vgl. Ex 18,21 ], der ein [ auf ]rechter Mensch ist, [ sondern ] selbst [ d iesen ] fi ndet man nur in Relation zu anderen Menschen; und man fi ndet unter Männern a llein [ auch nur ] einen unter tausend (Ijob 33,23) (vgl. 7,28). [ Koh 8,1 ] [ Der Trotz seines Angesichts wird gemildert ] – Denn die Weisheit führt zur Bescheidenheit. Denn wenn sich die ‫ נשמה‬über die ‫ רוח‬stärkt, weichen der Zorn und die Frechheit der Stirn. [ Koh 8,3 : ] A lso [ ein Gleichnis für einen König ] aus Fleisch und Blut. Wenn (dies für einen Menschen gi lt), [ u m wie viel mehr gilt dies ] auch für den wahren König, dessen Herrlichkeit die oberen und unteren [ Regionen ] erfü llt. (…) [ Koh 8,5 :] (Den Ausdruck :) ‫( יודעי בינה לעתים‬1 Chr 12,33) erk lärten 391 bereits | unsere Lehrer, ihr A ngedenken sei zum Segen, [ denn sie sagten, ] dass sie [ welche ] von [ denen waren, die ] Kenntnis der Jahreseinscha ltungen [ besaßen. Unter den ] ‫ יודעי העתים‬aber sind die Astrologen [ z u verstehen ]. [ Koh 8,7 : ] Er weiß nicht, was sein wird (Koh 8,7), und wenn er [ es doch ] weiß, [ so ] weiß er die Dinge [ lediglich ] auf a llgemeine Weise oder durch Experimente, die er unternahm. Wer will ihm sagen, wie es sein wird ? (Koh 8,7). [ Das meint : ] Im Besonderen, wie (Koh 8,7) die Dinge sein werden. [ Koh 8,8 : ] Es gilt keine Beute im Krieg (Koh 8,8). [ Die Bedeutung des Ausdrucks ist ] ‫משלחת המלחמה‬. Es gibt aber Erk lärer, [ die interpretieren den Begriff ] ‫( במלחמה‬Koh 8,8) [ im Sinne von ] : K rieg der Konstellation [ ‫ [ – ] מלחמת המתכונ ת‬gemeint ist die Konstellation, ] die den Körper bis zur Zeit des Endes (Dan 11,35) bewahrt – bis zu der

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K rankheit, die in den Körper eintritt. Wenn die Konstellation aber schwach würde, würde der Mensch sterben. Und das Unrecht rettet seinen Herrn nicht (Koh 8,8) : [ Die Erk lärung des Begriffs ‫ רשע‬ist : ] Die Masse der Bewegung und der Sieg, entsprechend der Aussage : Er verhält sich ruhig, und wer ‫( ? ירשיע‬Ijob 34,29), und an jedem [ Ort, zu ] dem er sich wendet ‫( ירשיע‬1 Sam 14,47). [ Koh 9,11 : ] (…) Der Beweis [ f ür die R ichtigkeit dieser Interpretation ] ist, dass die Weisen Herren des Wissens [ u nd ] Väter der A rbeit sind, es für sie aber kein Brot gibt, sondern Geschick und Zufall triff t sie alle (Koh 9,11). [ ‫ [ ] עת‬Die ] Erk lärung [ dieses Begriffs ] ist : Das, was es in der Konstellation der oberen, ersten Konstellation gibt. Und die Erk lärung für ‫ פגע‬ist : [ Zusammen-]Treffen einer von den Konstellationen in/mit einer von den sieben [ Aspekten ], dass er die [ eine ] Hä lfte vor sich und seine [ a ndere ] Hä lfte hinter sich hat und sein Drittel und seine Hä lfte vor sich und hinter sich hat und sein Drittel und seine Hä lfte vor sich und hinter sich hat. [ Koh 10,1 : ] Wundere dich aber nicht, dass jede Sünde [ entweder ] k lein oder groß gemäß der Stufe ihres Täters ist, [ was ] mit der Aussage übereinstimmt : Durch die mir Nahen werde ich geheiligt (Lev 10,3). Wie ehrenvoll ist [ der ] Midrash [ von den ] vor uns gewesenen [ Weisen ], ihr A ndenken sei zum Segen, bezüglich des Verses : Und in seinem Umkreis stürmt es sehr (Ps 50,3). Ebenso wurden schwere Worte geschrieben über Größere a ls Sa lomo, den König, wegen einer leichten Sache. Aber es wurde nicht getan in Bosheit, sondern andere verdrehen die Sache. [ Koh 10,2 : ] Ein verständiges Herz (Koh 10,2). Er spricht nicht über das körperliche Herz, das bei jedem [ Menschen ] in der Mitte ist, dem Weisen und dem Toren, obwoh l seine [ sc. des Herzens ] Spitze [ im Körper ] zur linken Seite geneigt ist. Seine Bedeutung ist viel mehr, dass der Verstand des Weisen mit ihm ist und er ihn in der Stunde der Notwendigkeit sofort in a ll seinen A ngelegenheiten in Schnelle findet. [ Das ] Gegenteil dieser [ Sache triff t aber für ] den Toren [ zu, denn es ist ], a ls ob [ das ] Herz [ des ] Weisen zu seiner Rechten ist (Koh 10,2), denn für die Rechte [ gibt es ] mehr K raft a ls [ f ür ] die Linke und mehr Schnelligkeit, weil sich die Quelle des Bluts, die die Leber ist, auf der rechten [ Körper-]Seite fi ndet. Es ist aber kein A rgument [ gegen diese In-

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terpretation einzuwenden, dass es ] linkshändige Menschen [ gibt ], denn das Gleichnis ist gemäß [ der ] Weise zu verstehen, die in/ bei der Masse der Menschen gefunden wird. [ Koh 10,18 : ] ‫ [ בעצלתים‬durch Trägheit ] – es ist bekannt, dass jedes Wort, das sich auf zwei [ Dinge bezieht ], eine Dua l [form ] ist; entsprechend [ heißt es ] : Ebenso bei dem Wort ‫ עינים‬usw., ebenso bei dem Wort ‫שמים‬. Derjenige aber, der das Geheimnis der Sphären versteht, weiß solches [ d ie Bewegung eines K reises um seinen R adius und um zwei Achsen ]1. Ebenso [ heißt es ] ‫ [ פעמים‬z weima l ], ‫ [ מים‬Wasser ] – es gibt für es [ sc. das Wort ‫ ] מים‬aber ein verborgenes und versiegeltes Geheimnis. [ Koh 11,2 : ] Gib einen Teil an sieben (Koh 11,2). Die Wurzel [ des Wortes ] ‫( שבעה‬Koh 11,2) in der Schrift ist das, was der Verfasser des Sefer Yeṣira sagte : „Der Hekha l des Heiligen wurde in der Mitte gegründet.“2 [ ‫ ] לשמונ ה‬Er [ sc. Kohelet ] sagte [ d iesen Begriff ] in Bezug auf die Tage der Woche, denn der achte Tag ist wie der Tag, an dem sie zu existieren begann. Die Bedeutung aber ist : Beständig, ohne Pause. [ Koh 11,7 : ] ‫ מתוק‬: [ Dieser Vers ist mit dem nach ihm kommenden (Vers) verbunden. ] Er [ sc. Kohelet ] sagte über das Licht, dass es süß (Koh 11,7) sei, es aber keine Sache sei, die man essen [ k ann ]. Der Grund für diese [ Ausdrucksweise ] ist, [ d ass man solches sagen kann, ] wei l sich die [ f ünf ] Sinne an einem Ort, der oberha lb der Stirn ist, verbinden. Und er ist ein Ort (?).3 [ Das ] Wort, das bezüglich dieses Sinnes bekannt ist, bezüg lich eines anderen Sinns sagen. [ Koh 12,2 : ] [ Die Erk lärung des Begriffs ] ‫( והאור‬Koh 12,2) ist, dass er das Licht des Morgens [ meint ], das heraufsteigt, bevor die Sonne erstrah lt, und nach ihrem [ sc. der Sonne ] Untergehen [ noch ] 1⅓ Stunde[n] von den g leichmäßigen Stunden [ a m Himmel ] ist. ‫( שומרי הבית‬Koh 12,3), es gibt welche, [ d ie sagen, die Lenden und die Seiten, es gibt welche, die ] sagen, dass sie die vier ‫ [ ממונים‬K räfte, Instanzen ] in jedem einzel nen Körperg l ied seien, [ d ie dazu da 1 Eine

erläuternde A nmerkung K rochma ls. Yeṣira IV,4 (hg. v. Goldschmidt, 60). 3 Das Fragezeichen stammt von K rochma l oder Zunz, dem Herausgeber. Zu einer verbesserten Übersetzung vg l. Rottzoll, Abraham Ibn Esras Kommentare zu den Büchern Kohelet, Ester und Rut, 234. 2 Sefer

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wären ], ihn zu bewahren, die [ d ie folgenden ] sind : die herbeiziehende, der verdauende, die festha ltende und die reinigende. Auch wird erk lärt, [ der Ausdruck ] ‫( אנשי החיל‬Koh 12,3) [ meine ] den Ernährer, den Gebärer und den Former. (…) [ Koh 12,5 : ] ‫ותפר האביונה‬. Die Bedeutung ist : Es wird zerstört [ ‫] תפ ר‬ (Koh 12,5) der R atgeber von seinem R at, das aber ist der Geist [ ‫] רו ח‬. (…) Dieses Wort [ ‫ ] אביונ ה‬aber fungiert a ls Adjektiv [ z um Begriff ] ‫ [ בינה‬Verstand ] und ist eine Bezeichnung für den Geist, den Herr/ Besitzer des Verstandes. [ Koh 12,6 : ] ‫חבל הכסף‬, das ist das Band der Wirbelsäu le, man nennt es ‫( כסף‬Koh 12,6), weil es weiß ist. ‫ גולה הזהב‬, das ist das Gehirn; er verglich es aber mit dem Gold wegen der Haut, die sich auf ihm findet, die rot ist. Der ‫ כד‬ist die Ga lle, die ‫ כד‬genannt wird, wei l sich in ihr das rote Bittere verbindet. Und der ‫ מבוע‬ist die Leber. [ Koh 12,7 : ] Und zurückkehrt der Staub zur Erde (Koh 12,7). Vom Körper bleibt nichts außer den K nochen übrig; auch sie kehren zurück, Staub [ zu werden ]. Und der Geist kehrt zurück (ebd.). Dieser Vers widerspricht denjenigen, die sagen, der Geist sei [ nur eine Form der ] A kzidenz, denn die A kzidenz kehrt nicht zurück. [ Koh 12,8 : ] [ ‫] הקהל ת‬. Es steht [ h ier ] ein A rtikel in Verbindung mit [ dem Wort ] ‫( קהלת‬Koh 12,8), weil es ein Adjektiv ist, denn es wird hier nicht gemäß des Gebrauches eines Eigennamens verwendet. [ Koh 12,9 : ] ‫דברי חפץ‬, das bezieht sich auf die höchste Weisheit, [ d ie er begehrte, ] bis | er sie fand. Die Bedeutung aber ist, [ dass er 392 fragte ] : Was für einen ‫ חפץ‬gibt es in dieser Sache, die so geschaffen wurde, und warum ist [ sie ] so ? [ Koh 12,14 : ] ‫כי את כל מעשה האלוהים‬. [ Es ist ein ] Geheimnis, dass im Buch Genesis bis [ z um Vers, der mit dem Wort ] ‫( ויכולו‬Gen 2,1) [ beginnt, ] nicht das Tetragramm erwähnt wird, sondern [ lediglich von ] ‫ [ אלוהים‬d ie Rede ] ist; es [ fi ndet sich dasselbe ] Geheimnis [ aber auch im ] Kohelet-Buch ! [ Koh 12,13 : ] Im Schluss der R ede [ w ird das Ganze verstanden ] (Koh 12,13). Bereits habe ich dir a lles zu Gehör gebracht. Oder : du hast bereits a lle Meinungsverschiedenheiten der Weisen gehört. Dies tue : Fürchte Gott (ebd.); denn dies ist der ganze Mensch (ebd.) – dies bezieht sich auf das frühere Thema zurück, dass der Mensch

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in seinem Leben und in seinem Tod ‫ הבל‬ist. Seine Bedeutung aber ist, dass dieses Geschick jeden Menschen [ betriff t ] – oder [ es ist gemeint, ] dass dies die Wurzel [ d. h. das Wesen ] jedes Menschen ist. Daher kehre er um zur Furcht des ehrenvollen und furchtbaren Namens.1

Ester Es sprach Avraham, der Sefarde, der auch Ben Ezra genannt wurde : Es gibt keine Hilfe, außer der, die vom Herrn kommt, der ein ewiges Gesetz in das Herz des Verständigen zu seiner Erweckung eingraviert hat, [ u nd ebenso ] spricht er zu ihm auch im Traum. Er unterstützt ihn bei seinem Beginnen, jedes Werk zu tun. Auch erinnert sich [ der Verständige ] stets seiner [ sc. Gottes ], bevor [ er ein Wort ] herausgehen lässt [ aus ] seinem Mund. Siehe, [ daher ] gibt es in dieser Schriftrolle keine Erwähnung des Namens [ Gottes ], sie ist aber [ dennoch eine ] von den hei ligen Schriften. [(?)] [ Est 1,7 : ] ‫ [ כיד המלך‬d as meint ] : Die Macht erscheint durch die Hand. ‫ [ – שונים‬d ieses Wort ist ] von der Formengruppe [ des Begriffs ] ‫שנוי‬. [ Es ist ein Adjektiv, das in seiner Formbi ldung ] wie ein Partizip Passiv [ ‫( ] פעו ל‬vielleicht Pi‛el) erscheint. Und ebenso : ‫( ועם שונים‬Spr 24,21). ‫ [ – יודעי העתים‬hierunter sind ] Astrologen oder Historiker [ z u verstehen ], denn sie besitzen Kenntnis über die [ Zeit der ] früheren Könige. (…) Im Buch der Könige Persiens steht aber geschrieben, dass es vier Stufen von Fürsten gibt : Die erste Reihe [ haben jene inne, die ] am A nfang vor dem König sitzen; dies ist die Bedeutung [ der Worte ] : [ Die zuvorderst sitzen ] im Königtum (Est 1,14), [ w i ll sagen ] : In der ersten Reihe des Königtums. [ Est 3,7 : ] Es gibt [ welche, die ] sagen, dass er zur Vernichtung der Israeliten den Monat Adar auswäh lte, usw. [ A ndere sagen, ] wegen der oberen Konjunktion im Sternbild Steinbock [ gewäh lt ], das [ das ] zwölfte [ Sternbild ] bezüglich des Sternbilds Wassermann ist, das das Stern[ bi ld ] Israels ist. 1 K rochma l

(oder seine Vorlage) hat den letzten Abschnitt des KoheletKommentars des Ibn Ezra umgestellt.

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[ Est 4,3 : ] (…) Das Nächst l iegende [ scheint ] mir aber [ z u sein, ]

dass seine [ sc. Daniels ] [ Lebens-]Tage nicht dauerten, bis Achaschwerosch herrschte, denn er [ sc. Daniel ] war [ bereits sehr ] a lt [ in den Tagen von Kyros, ] und die Stufe der Weisheit weicht [ norma lerweise ] nicht [ vom Menschen ] (wie es heißt, dass man ihn von seiner Ehrenstellung wegen seines A lters enthob).1 ‫ אל [ תדמי‬: ] Von derselben Formengruppe [ kommt es wie ‫ דמיתי‬in ] : Wie ich dachte (Num 33,56; Jes 14,24). Die beiden aber [ kommen ] von [ der ] Formgruppe ‫( דמיון‬und meinen) : In der Vorstellung der Seele. [ Est 7,8 : ] ‫ )…( חפו‬denn so war das Gesetz der Könige Persiens, dass die K nechte des Königs [ das ] A ngesicht dessen bedeckten, über den der König zürnte, damit der König ihn nicht weiterhin sieht. Diese Sache aber ist bekannt in den Büchern Persiens.

Hohelied2 (Vorwort) Dies ist ein ehrenwertes Buch, und insgesamt handelt es von Liebe usw., doch enthä lt es einen verborgenen, tieferen Sinn. Denn es beginnt mit den Tagen des Abraham, unseres Vaters, und reicht bis in die Tage des Messias, und so steht im Lied ha’azinu : Da der Höchste den Völkern Besitz gab (Dtn 32,8). Von der Generation der Flut bis zur Rückkehr ins [ Land ] Israel. Von der ga lut nach dem K rieg von Gog und Magog. Und wundere dich nicht darüber, dass die Gemeinde Israel mit einer Braut verglichen wird und der Allgegenwärtige mit einem Geliebten [ ‫] דוד ה‬. Denn so verfuhren bereits die Propheten usw. Und wehe, wehe, [ demjenigen, der meint ], das Hohelied würde von Lust außer auf a llegorische Weise sprechen. Doch trotz seiner Bedeutung wurde es aus tieferem Grund [ z unächst ] nicht unter die hei l igen Schriften aufgenommen. Doch nun gibt es keinen Streit mehr darüber, dass es die Hände ver1  Diese Bemerkung geht auf K rochma l zurück. 2  Der im Folgenden übersetzte Text ist nicht identisch mit H. J. Mathews, Abraham Ibn Ezra’s Commentary of the Canticles, after the fi rst Recension : Edited from the Mss., with a Translation, London 1874.

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unreinigt (?). Forscher wollten es a ls A llegorie auf das Geheimnis der Welt und die A rt und Weise der Verbindung der oberen Seele mit dem Körper, der sich auf einer niedrigeren Stufe befindet, erk lären. Und andere legten es im Hinblick auf die Vorbilder aus …, doch dies entspricht nicht der Wahrheit, sondern a llein das, was unsere Vorfahren, sel igen A ngedenkens, abschrieben, dass sich dieses Buch auf die Gemeinde Israel bezieht. Und nachdem ein Vers belegt, dass der A llgegenwärtige dem Sa lomo mehrfach 393 zeigte, welche Mysterien es | in ihm gibt, und dass es über die Zukunft prophezeit, [ ist es k lar, ] dass dieses Buch im hei ligen Geist spricht. Und ebenso fi ndet man es in Bezug auf Assaf, den Dichter, und Heyman (vgl. 1 Chr 6,18), dass sie Lieder im hei ligen Geist dichteten, die Visionen und Prophetien genannt wurden. Und dies (sc. das Folgende) ist daher die richtige A rt [ der Auslegung ], die man nicht leugnen kann, es sei denn gewunden und gezwungen. (1) Menschen, die keinen Gott hatten, machte [ Abraham ] zu Monotheisten. Seine Gemächer (Hld 1,4) – vielleicht war er weise geworden, und er sann über die verborgenen Geheimnisse nach. Obwoh l ich mich für einige böse Taten interessiere, bemühe ich mich sehr um die Bewahrung des Bundes und des monotheistischen Glaubens. [ Zu Hld 1,6 ] ‫ [ נטרה‬Hüterin : ] Auf das ich behütet werden möge [ vor ] fremden Religionen, und ich verließ meinen (Besitz) (in Ägypten). [ Hld 1,12 : ] ‫ [ במוסבו‬in seinem Kreise : ] Wie ein perfekter und ehrenwerter Platz. [ Hld 1,13 : ] zwischen meinem Busen ruhend : (dies meint) zwischen den keruvim oder inmitten des Lagers Israel. [(5)] [ Zu Hld 5,2 : ] Nachdem die shekhina in den Himmel aufgestiegen war, wurde Israel verbannt. Öff ne mir, mein Geliebter – dies bezieht sich auf seine K inder [ Israels zur Zeit des ] Zweiten [ Tempels ]. Sie dachten, die shekhina würde unter ihnen wei len, wie ihnen die Propheten versicherten : Ich weile in deiner Mitte (Sach 2,14.15), und bei ihm waren sie auf rechtem Wege. Doch siehe, die shekhina ging nicht mit ihnen, und daher (heißt es) : ich suchte ihn usw. (Hld 5,6) … sein Haupt feinstes Gold (Hld 5,11) – dies bezieht sich auf den Thron der Herrlichkeit; seine Locken herabrollend, rabenschwarz (ebd.) – wie das Sein der Dunkel heit, ihr Mysterium, ihre Umgebung und Bedeckung. Seine Augen wie Tauben (Hld 5,12) – wie in der A ngelegen-

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heit : an jedem Ort seine Augen (Spr 15,3). In Milch sich badend (ebd.) – wie reinen Blicks, nichts Böses schauend (Hab 1,13). [ Zu Hld 5,13 : ] Seine Wangen – dies bezieht sich auf die Fürsten des A ngesichts. Seine Lippen (ebd.) – dies bezieht sich auf die Engel, die zu den Menschen gesandt werden, wie Gabriel. Seine Hände goldene Ringe (ebd.) – dies meint die Ofanim. Mit Chrysolit besetzt (ebd.) – wie der A nblick der Ofanim und ihre Taten wie Tarshish. Sein Leib (ebd.) – dies bezieht sich auf die mittlere Efod-Statue, auf dem sich Bilder der Gestirne finden. Seine Schenkel Marmorsäulen (Hld 5,15) – dies meint den Körper, aus dem die Welt erschaffen wurde. Und der Marmor enthä lt sechs Enden. Gegründet auf goldenem Fußgestell (ebd.) – dies meint die Erde; wie : Worauf sind die Füße gesenkt ? (Ijob 38,6). Seine Gestalt wie des Libanon (Hld 5,15) – dies bezieht sich darauf, dass es auf dem Libanon Bäume gibt ohne Zah l bei den Menschen, wenn er einen von ihnen sieht, denkt er, dass es keinen wie ihn gibt. Und er möge nicht gehen, es sei denn auf dem Libanon. Es findet sich aber mehr von dem Wunderbaren und dem Ehrenwerten, den Taten des A llgegenwärtigen. Ein Jüngling, den Zedern gleich (Hld 5,15) – der aufsteht, und so sind auch seine Taten. Und sie hören nicht auf, sondern alle Morgen neu, und groß ist (s)eine Treue (K lgl 3,23). [ Zu Hld 6,2 : ] Um zu hüten in den Gärten. Dies bezieht sich auf den, der zu den Höhen aufgestiegen, und er wohnt mit den Engel n, die die Gerechten sind. Dein Haar (Hld 6,5) – denn es gab in dem Haus zwei nezirim. Deine Zähne (Hld 6,6) – [ die ] Helden. Deine Wange (Hld 6,7) – die Priester. Nussgarten (Hld 6,11) – eine A llegorie für die Gemeinde Israel. Denn die Frucht (der Nuss) wird erst sichtbar, nachdem die [ Scha le ] zerbrochen ist [ Dürre ], umgewendet und Yeshurun fett geworden und zertreten. [ Zu Hld 7,6 : ] Dein Haupt auf dir ist dem Karmel gleich. Dies meint Neḥemia ben Ḥushiel, der aus den Söhnen des Joseph war. Und die Locken deines Hauptes (ebd.) – dies meint Elia. Ein König gefesselt in den Netzen (ebd.) – dies bezieht sich auf den Messias, der gefangen war, wie es unsere Vorfahren notierten. Denn er wurde an dem Tag geboren, an dem Jerusa lem zerstört wurde. [ Zu Hld 8 : ] A ls Israel aus den Wüsten der Völ ker aufstieg, sprachen sie zum Messias, der a ls ‫ דודה‬bezeichnet wird, wisse, dass

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sich unter dem Apfelbaum weckte ich dich (Hld 8,5) darauf bezieht, dass du gefangen und sch lafend warst und dass ich dich nur durch Gebete wecken durfte. Wenn aber schon ein Bösewicht wie Haman es nicht vermochte, die Religion Israels zu verändern, so muss dies bedeuten, dass der A llgegenwärtige seine Tora bewahrt, wie es heißt : Herr, bewahre sie (Ps 12,8), und der den ersten Vers wiederholt, des Herrn Sprüche sind reine Sprüche (Ps 12,7). Wir haben eine kleine Schwester (Hld 8,8) – dies sagte die Gemeinde Israel, nachdem sie versammelt worden war : Wir haben noch eine Schwester, die jenseits des Flusses Kusch weilt. Die Stämme und ein Ha lbstamm. Am 394 Tage, an dem um sie geworben wird (ebd.) – am Tage | der Gnade. Wie : Sprechet zum Herzen Jerusalems ( Jes 40,2). Ist sie eine Mauer (Hld 8,9) – wenn sie sich selbst behütet hat und sie die Religion nicht verlassen hat, werden wir ihr einen Platz und eine Festung voll von Silber geben, so wir auf ihrem Wege gehen. Ist sie eine Tür (ebd.) – dass sie die Gebote nicht beobachtet hat und gebrochen hat a lles, was ihr auferlegt, so werden wir sie daran hindern, zu uns zu kommen. Wenn sie dann antwortete : Ich bin eine Mauer (Hld 8,10) – ich war ein religiöser Bewachter ! Schriftliche und münd liche Tora besaß ich. Dann wird ganz Israel in Frieden wei len. Die shekhina, die in den Gärten wohnt, sagte : Du bist die Gemeinde Israel ! (vgl. Hld 8,13). Wie sehr verzehren sich aber die Engel, dein Lied zu hören. Da antwortete die Gemeinde Israel : Wenn es dir gefä llt, mein Liebling, f liehe vor den Engel n und steige auf die Gewürzberge (vgl. Hld 8,14), die die Berge Zions meinen. Denn dort erließ der Herr den Segensspruch für das Leben bis in Ewigkeit.

Rut

(Und es fand sich nichts mehr) [ Zunz ]

R EGIS T E R U N D V E R Z E IC H N ISSE

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1. PERSONENREGISTER

Aaron XX, 116, 118, 120, 122 f., 143, 163, 183, 207, 355, 450 f., 512, 549, 585 f., 818, 820, 834 f., 840843, 848 Aaron, Rabbi (Rosh Yeshivat Bavel) 626 Aaron ha-Kohen 825 Abbaye 182, 612, 615 Abbahu 399, 414, 503, 648 Abba Sha’u l (ben Baṭanit) 220, 533, 535, 550 Abigail 261 f. Abimelech 108 Abraham XLVI, 55, 73, 95, 107110,114, 122, 353, 423, 429 f., 445, 587, 611, 727, 776 f., 815, 828, 838, 845, 849, 870 f., 893 f. Abravanel, Yehuda ben Yiṣḥaq 6, 596 Absa lom 197, 262 Achashdarpan 138 Adret, Sh lomo ben 580, 593 f., 807 Agnon, Shmu’el Yosef X, XXX Agrippa 15, 220-223, 225-227 Agrippa II. 229-233, 237, 240 A ḥad ha-‛A m (Asher Ginsburg) XXX A lbeck, Chanoch 495, 535, 555 A lbinus (Stattha lter) 230 A lbo, Yosef 6, 759 A lexander der Große 147 A lexander, der Konvertit 226 A lexander Yannai 15, 185, 187, 190, 192, 198, 285

A lexandra, Königin 15, 189, 191 f., 257 A l kimus 163 A l-Roy, Dawid 617 A mir, Yehoshua XXIX A mir, Yehoyada XVI, XXXV, XLVII, LXXV, 24, 109, 630 A msa, der Ismaelit 499 f. A n(n)anias 179, 230, 227 A ntigonus 184, 187 A ntigonus, Sohn des A ristobu l 200-204 A ntigonus Ish Sokho (von Sokho) 176 f., 482 A ntiochus IV. Epiphanes (der Große) 15, 151, 158 f., 160, 248, 301, 308 f., 315, 482 A ntiochus V. Eupator 370 A ntiochus IX. Kyzikenos 184 A ntipater 15, 193, 196, 199, 201 f., 204 A ntoninus 16, 55, 200 f., 203 A ntoninus I. Pius 248 Appel, Shmu’el Abba XXI f. Apollo 218 ʽAqavya ben Maha lel 402 ʽAqiva, Rabbi 16, 248, 250, 252, 255, 278, 281, 322, 379, 441, 493 f., 502, 516, 524, 528, 541, 544, 547, 549 f., 553 f., 561, 567, 629 Aquila 418 ʽA rama, Yiṣḥaq ben Moshe 625 A ratachschasta 290 f., 294 f., 299, 305, 306, 325, 348 A rchelaus 218, 220

Personenregister

A retas 193 A risteas 395 A ristobu l, Judas I. 184, 186 f. A ristobu l II. 190 f., 192 f., 194 f., 196-198 f., 200, 202, 216, 397, 417, 539 A ristoteles, auch A risto XLI, 13, 51, 69, 691, 733 Asher ben Yeḥi’el (Rosh) 508, 609 Ashi, Rav 151, 480, 562, 613 f. Ashkenazi, Yissakhar Baer (Mattnot kehuna) 343 Ashmodai 151 Avṭa lyon 199, 211, 486, 501, 519 f. Avraham ben Dawid (von Posquière) 596, 599 Avraham ibn Daud XLIV, 727 Avraham ben Me’ir ben Ezra (Ibn Ezra) XIV f., XXXIII, 6, 263, 265-269 A zu lai, Ḥayyim Yosef David XLIV, 617 Ba‛a l ha-‛Aqeda, Rav, siehe A rama, Yiṣḥaq 593 Baʽa l Shem Ṭov, siehe Yisra’el ben Eliʽezer Bacharach, Ya’ir Ḥayyim 507 f. Baḥya ibn Paquda 84 Bakhides 163-165 Bar Daroma 247 Bardesanes 629, 656 Bar Ditzan, siehe Bardesanes Barhan, Rabbi Matiel XXXIV Bar Kokhva, Shimʽon (Bar Kochba) 16, 252-254 Baron, Sa lo W. XLVII, XLIX, L

899

Baruch, Sohn des Nerija 151, 393 Barzi lay, Isaac IX, XXIV Basilides 18, 629, 630-633, 635637, 643, 647 f. Basnage, Henri XIV Beer, Bernhard XXXV Bel, Drache 152 Belschazzar 313 f., 316 f. Ben Laʽana (Bücher des) 278 Ben Sira, siehe Jesus ben Sira Ben Tagla (Buch des) 280 Benyahu, Meir XLVIII Ben Yehuda, Eliezer XXX Ben Ze’ev, Yuda Leib XII Bene Betera 501, 520, 544 Berekhya, Rabbi 411, 415 Bergman, J. 59 Bernfeld, S(h)imon XIV, XXIV,

XXX Bia le, David XIII Bia loblotzki, Samuel 441, 444 Bick [Byck], Yaʽaqov Shmu’el XVI, XXVII Bigeleisen, Wil hel m XXIII Bileam 114, 837, 843-845, 847 Bilga 160, 166 Bloch, Shimshon XIII, XXV-XXVI Bodek, Ṣevi Hirsch XX, XXVII f. Bodek, Ya‛aqov XV f., XX, XXXIV Boetus (Sekte des), Boetusier 241, 284, 445, 490, 641 Bonfils, Y., siehe Yosef bar Eliʽezer Ṭov Elem ha-Sefaradi Botarel, Moshe 803 f., 806 f. Breuer, M. XLVI

Ca ligu la (Gasqa lgas) 221

900

Register und Verzeichnisse

Cassius 201 Chajes, H. P. (Ḥayes, H.P.) XXII, XXVIII, 578 Chavel (Shevvel), Ḥayyim D. 92, 111, 150, 152, 273, 411, 413, 511, 518, 597, 633, 761 Claudius 222, 225 Cohen, Gerson D. XLIV, 727, 807 Crassus 200 f., 204 Cumanus 226 f. Dähne, August Ferdinand XV, 17, 418-424 Daniel 16, 18, 102, 149, 152, 155, 158-161, 165, 177, 269, 299, 308 f., 311-318, 324, 358, 360 f. Darius I. 144, 288-291., 294-297, 305, 310 f., 313 f., 316 f., 348 David 24 f., 115, 324, 329 f., 337, 343, 346, 349, 355, 363-365, 368 f., 372 f., 375, 377, 380 f., 383; 449, 498, 511 f., 617, 808 f., 872 f. David ben Mordechai XVII David, Bruria Hutner XXII Debora 117, 378 Delitzsch, Franz Ju lius XLII Del medigo, Yosef Shelomo XLVI, 6, 580 f. Deuterojesaja XXV, 275 de’ Rossi, ʽA zarya (min ha-Adumim) XIV, XXXI, XLII f., XLVIIIL , 6, 146, 285, 297, 354, 574, 579 f., 591, 593, 596 f., 395 f. Dohrn, Verena LI Domitian 242 Dubnow, Simon XVIII

Eber (Hebräer) 107 f. Edels, Rabbi Shmu’el Eliʽezer (Maharsha) 377, 593 Eichhorn, Johann Georg XXVIII, XLII, XLVII, XLIX, 318, 396 El ʽazar ben Shammua‛, auch Eliʽezer ben Shammuaʽ 255, 544, 547 Elbogen, Ismar XXV, XXXII, 264 Eldad 450, 816 Elefin, Yisra’el XXXIII Elia 123, 871, 895 Eliʽezer ben ʽA rakh 399 Eliʽezer ben ʽA zarya 378 Eliʽezer ben Diglai 536 Eliʽezer ben Dinai 228, 250 Eliʽezer ben Ḥanania 235 Eliʽezer ben Hyrkanos 179, 242 Eliʽezer ben Poʽira 173, 178, 183 f. Eliʽezer ben Ṣadoq 230 Eliʽezer ben Shammuaʽ, siehe El ʽazar ben Shammua‛ Eli῾ ezer ben Ya‛aqov 468, 524, 528 f., 537, 550 Eliʽezer ha-Kappar 406 Elisha 123, 230, 837 Elishaʽ aḥer (Elisha‛ ben Avuya) 249, 578, 648 Eliya ben Sh lomo, Gaon von Wilna 381 Eljaschib 137, 144, 283, 286, 290 f. Eljaschib (Neh 14,4) 291, 293 f., 300 Emden, Yaʽaqov XLVI, 739 f. Ephraim 115, 121-123, 136 Erter, Yiṣḥaq XV, XVIII Esra, Esra-Buch 15, 135, 138-140,

Personenregister

144, 152, 154, 167, 207, 263, 266, 272, 274, 282 f., 284, 286-296, 298307, 310, 318, 325-329, 331, 345, 348, 357, 363, 375, 441, 448, 451, 454-458, 468, 471, 479 f., 497, 499, 512 f., 522, 548, 552, 620, 758, 832 Ester XXV, 16, 18, 152, 155, 295, 299, 318-321, 324, 329, 335, 379 f., 385, 587, 616, 892 f. Etronges 217 Euchel, Isaak XXXVI, 680 Euk lid 62, 259 Eusebius 433 Ezechiel 16, 38, 118, 155, 264, 287, 299, 303, 310, 312, 324-326, 336 f., 356, 384 f., 393, 463, 736, 779, 812, 831, 834, 841, 851 f., 871

Fadus 225 Feierberg, Mordekhai Ze’ev XXX Feiner, Shmuel XIII-XXV, XVIII f., XXV f., XXVIII, 7, 25, 52, 131, 215 Felix 227-229 Feuerbach, Ludwig XXIII Fichte, Johann Gottlieb XV Finn, Samuel Josef XXX Florus, Gessius 231 f. Fränkel, Zacharias LV Fried länder, David XII Fried lander, M. 267, 269-271, 849 Fromm, Erich XXIX Fürst, Ju lius IX, XIX, XL , LXXVI Gabinus 200 Gafni, I. M. XXII Gad 725 f., 848 Gad, der Seher 849

901

Ga lenus, Claudius 14, 55, 69-74, 77, 599, 821 Ga llus 231 Gans, Eduard 486 Gam li’el I., Shimʽon (der A lte) 524, 536, 538, 548 Gam li’el II., Shimʽon ben Hillel, Rabban XLVII, 224, 235 f., 242 f., 252, 405, 493, 504, 524, 540, 545 f., 548, 650 Garve, Christian XV Gasqa lgas, siehe Ca ligu la Geviha aus A rgiza 575 Geda lja ben Achikam 15, 125 Geiger, Abraham XXX, XLVI Gelber, Nathan Michael X Gesenius, Wil hel m XLVII, 345 Gideon 117, 817 Ginzburg, Dow Baer XII Ginzburg, Markus Aaron XXX Glatzer, Nahum N. XXXV, 105 Goetschel, Roland XIV f. Goldberg, Avraham XXVII, 8 Goldenberg, Shmu’el Leib XIX, XXXVII f., XL , L , 12 Gomer bat Devlin 610 Gorion ben Yosef, siehe auch Naqdimon 236 Graetz, Heinrich XIV f., LXXIV Greenbaum, Abraham XXXV, XLII, LXXV, 55, 458, 576, 586, 608 Greive, Hermann XIV, LIII, 683, 696, 731 Grözinger, Karl E. XLV, 87, 99, 101, 105, 506, 581, 595, 765 Guenzig, I. A. XXVIII

902

Register und Verzeichnisse

Gutensohn, D. B. XXVI Guttmann, Ju lius VII Hadrian 192, 218, 244, 248, 251 f., 253-257 Haggai 135 f., 274, 290, 304-307 Hai (bar Sherira) Gaon 626, 803 f., 806 Ḥanina (auch Ḥananya, Vorsteher der Priesterschaft) 399 Ḥanina [bar Abba] 402 Ḥanina ben Dosa 400 f., 537, 596, 656 Ḥananya ben Hiskia ben Garon 385 f. Harris, Jay M. VIII, XIV, XVII, XXXVIII, L , 106, 148, 264, 336, 338, 352, 367, 372, 444, 500, 555, 599 f., 683 Harviainen, T. XVII Hasael 268 Hasmon, Haus des Hasmon 151, 161, 163, 166 f., 170, 185, 198, 204, 209, 211 Hasmonäer 15 f., 164, 183, 187, 190, 193, 203, 208 f., 245, 253 f., 286, 301, 303, 308, 311, 323, 327, 359 f., 364, 368 f., 371, 380, 383 f., 501, 519, 536, 539, 588 Hatrashta 137 Hayes, H. P., siehe Chajes, H. P. Ḥayes, Ṣevi Hirsch XXII, XXVIII f., XL , 322, 578 Ḥayug, Yehuda 865, 868 Hegel, G. W. F. XV, XXXVI, XXXVIII, L f., 30, 41, 59, 84 f., 88, 659 f., 665-682, 687-699, 741

Heilprin, Yeḥi’el ben Sh lomo XLV, 303, 405 Helena 226 Heller Wilensky, S. O. 696 Herodes (König) 15, 187, 201-205, 208-211, 213, 215-220, 225, 227229, 231, 240, 244, 259, 490, 501, 519 f., 528, 539, 588 Herodes A ntipas 218, 221 Hillel (Haus bzw. Schu le Hillels) 5, 151, 211, 221, 224, 236 f., 257, 285, 323, 384-386, 390, 392, 489, 491, 519-522, 524-527, 536, 540 f., 542 f., 544-546, 550, 552 Hiram 120 Hiskia 116, 124, 269, 298, 303, 329, 332-334, 343, 367, 373, 378, 385, 449, 498-499, 634, 859 Ḥiyya, Rabbi 180, 391, 527, 549, 552 f., 559, 595, 612 Ḥizqiya, siehe Va lentinus Ḥizqiya aus der Gau lanitis (Räuber) 210, 217 Homer, Bücher des 278 f., 281 Holtz, Avraham X Holzer, J. XIII Horovitz, H. S. 464 Horovitz, Yiṣḥaq (ha-Lewi) XXIII Horowitz, Neṭaʽ [Natan] XII, XXI, XXXI f., XXXIV, XL Hosea 18, 123, 304, 791, 808, 870873 Ḥuna, Rabbi 317 Ḥuna, Rav 25, 562, 567 Hurwitz, Shai XXX

Personenregister

Ijob 109, 312, 332, 350, 594,738, 778, 846, 875, 884 Isaak 108 f., 120, 587 Isai 380 Isebel 577 Izates 226 Jaddus 144, 147 f. Jafet 151 Jehoshafat 124, 454, 499 f. Jerobeam, Sohn des Nabat 115, 122 f., 873 Jesaja 133, 135, 263-265, 269, 271, 274, 287, 332 f., 356, 373, 393, 498, 743, 849,852, 870 f. Jesus ben Sira 15, 150, 157, 263, 278, 280, 332, 350, 578 Joel 18, 310, 873 f. Johannes Hyrkan 151, 166, 169171, 173, 181, 184 f., 197 f., 204, 285, 302, 362 Jojarib (Ordnung) 161 Jojakim 124, 137, 291, 294, 311, 356 Josef 500 Joseph II., Kaiser X Josephus, Flavius (Yosef, der Priester; Yosef ben Mattatias) XLII, XLIX, LXXVI, 133, 144, 148, 162, 172 f., 177, 179-186, 194 f., 197, 199, 205, 209, 215, 219-224, 226, 228-231, 233-238, 240, 246, 263, 269, 283, 296, 301, 352, 362, 391, 420, 449, 461, 519, 528 Jost, Isaak Markus XLVII, 296 Josua 115, 117, 142, 159, 171, 297, 355, 378, 444, 450, 470, 499, 510 f., 586, 736, 845, 848, 853

903

Josua ( Jeschua) ben Jozadak 137, 168, 291 Jotam 298 Juda 115, 117, 121-123, 309-311, 386, 393, 834, 848 Judas, der Ga liläer 173 f., 219, 226 f., 234, 236 Judas Makkabäus 163 f., 166, 364 f., 367 f., 369 f., 372, 383 f. Ju lius Caesar 200 f. Ju lius Severus, Feldherr Hadrians 253 Juwel, Moshe Mordekhai XXVIII Kaddari, Menahem Z. XII Kahan, K. XLIV Ka leb 488 f. Karniel, J. XI Karo, Yosef, siehe Shu l ḥan ʽA rukh Kasra A noshirwan 614 Katzenellenbogen, M. L . 472, 577, 605 Kephas 179 K ilcher, A ndreas B. XXVI K izilov, M. XVII K latzkin, Josef XLI, 39, 441, 637, 642 K lausner, Yosef VIII, XIII, XXI, XV, XXV f., XXVII, XL K leopatra 190 Kohut, A lexander XLV, 420, 525 Korah 372, 449, 814, 835 K ressel, G. XII, XV, XIX, XXII, XXVIII K rochma l, A nna XXIV K rochma l, Avraham XXXIV, 486 K rochma l, Yosef ( Joseph) XXI, XL

904

Register und Verzeichnisse

K rochma l, Kune XX, XXIII K rochma l nik, Sha lom X Kyrus 133 f., 157, 265 f., 268-270, 288, 292 f., 297, 312-314, 317, 662, 893 Lachower, Fishel XIV, XXIX, XXXVII f., XXXIX f., XLIX-L , 59, 613, 681 Landau, Judah Loeb VIII, XXI, XXIX, XXXVIII, L , LXXV, 30, 40-42, 52 f., 60-62, 72, 83, 87, 659-660, 664 f., 667-673, 675, 680, 682, 691 Lechner, Hillel XXVIII, XXXIV Lemberger, Tirza XIX Leonowicz, Abraham XVII Lessing, G. E. XV, 6 Letteris, Meir (Max) VIII, XIIIXVI, XXI, XXIII f., XXVI, XXXV,

XLVIII Levi, Leviten 24, 111 f., 115, 117 f., 120, 122, 131, 135, 138 f., 140 f., 143, 170, 206, 231, 291 f., 293, 300, 305, 362, 367, 449, 452-454, 460, 512, 529, 539, 550, 820, 834, 840 f. Levi ben Gershom 6 Levin (Lefin), Menaḥem Mendel (Satanow) XII, XLVIII Levinsohn, Yiṣḥaq Baer XXVI f. Lewi, Rabbi (der Aggadist) 577, 612 Lilienblum, Moshe Leib XXX Löw, Immanuel 525 Löw, Leopold XXVII Loew, Rabbi Yehuda (Mahara l), siehe Yehuda Liwai ben Beṣa l ’el

Lot 109 Lucius aus Kyrene 247 Luzzatto, Moshe Ḥayyim (Ramḥa l) XXV f. Luzzatto, Shmu’el David (Shada l) XIX-XXI, XXV, XXVI f., XLIV, 264 f., 374, 378 f., 380 Mahara l von Prag, siehe Yehuda Liwai ben Beṣa l ’el Maharsha, siehe Edels, Rabbi Shemu’el Eliʽezer (Maharsha) Mah ler, Raphael X, XVIII Maier, Johann XXXVI Maimon, Sa lomon XV Maimonides, siehe Moshe ben Maimon Ma l khio, siehe Basilides Manasse 16, 124, 144, 372, 392, 609, 812 Manasse ben Jaddua 283, 302 Manasse ben Yisra’el XLVI, 580 Mapu, Abraham XXX Mar bar Rav Ashi 613 Mar, Sohn des Ravina 480, 562 Marcus 629, 655 Margolies, Morris B. XIX, XXV, 264 Marqa, siehe Marcus Marx, A lexander XXXIII Matatia ben Marga lta 216 Matatias ben Ḥanan 225 Mattatias 151, 161 f., 165, 168, 286, 361 Matya ben Tiof’el 235 Medad 450 Me’ir, Rabbi 481, 523 f., 528, 534 f.,

Personenregister

537, 543, 547, 549 f., 554, 563, 565567, 573, 590, 604, 627 Meisl, Josef XXX Melchizedek 95 Mendelssohn, Moshe (ben Menaḥem) VIII, XI, XIV, XLII, 6, 34 f., 337, 340, 396, 472, 511 Meshu llam 352 Metathron 654 Meyer, Michael 23, 93, 105 f., 114, 127, 131, 257 Michael, R. XLVII Mieses, Fabius XXVIII Miltiades 348 Mithridates, König von Pontus 195 Miyasha, Rabbi 504 Mohammed XLVII, 108, 615 Mohr, A. M. M. XXV Monobaz 226 Mordechai 152, 318-321, 379 f. Mose (Moshe Rabbenu) (biblisch) XX, XLIV, 5, 14, 17, 33, 37, 55 f., 71-75, 77, 108, 114 f., 117, 139, 142, 155, 176, 178, 231, 272 f., 286, 304, 378, 379, 386, 397, 412, 418, 430, 585 f., 597, 716, 730, 789 f., 810, 815-819, 821, 832-835, 837 f. Moshe ha-Kohen ibn Gikati lla 265, 857, 860, 866 Moshe ben Maimon (Rambam) XXXVI, XL , XLI, 54, 56, 70, 78, 80, 86, 88, 258, 574, 579, 582, 592, 597, 600, 609, 619, 624, 662, 673, 676, 679 f., 695, 779 Moshe ben Naḥman (Ramban) 91, 111, 150, 152, 258, 273, 398,

905

411-413, 447, 449, 451, 511, 518, 593, 597, 599, 623, 626, 633, 655, 760 f., 803 Muntner, S. 599 Mutius, Hans- Georg von 597

Nad ler, A llen XXIII Naḥman, Rabbi 516, 563 Naḥum der Schreiber 504 Naqdimon, Vater des Gorion ben Yosef 236 Natan, Rabbi 176, 180, 415, 524, 548, 551, 559, 567, 604 f. Natan ben Yeḥiʽel von Rom XLV, 420 Natanson, Dov Baer XXVI Neander, August XV, XXXVIII, 17, 425, 428 f., 431, 434 f., 438 f.,630633, 635, 637,638-645, 651 f. Nebukadnezar 130 f., 133, 313, 316, 325,356, 379, 587 Necho 393 Neḥemia ben Ḥelqiya 495 Neḥemia ben Ḥushiel 895 Nehemia, Sohn des Hach laja 15, 137-141, 143-145, 207, 263, 272, 277, 283, 287 f., 290 f., 293-300, 305 f., 326, 330, 347 f., 356, 383, 451, 512, 548 Neḥemya, Rabbi 411, 549 f., 559 Nero 225, 227, 230, 232 f. Neu, Barukh Ṣevi XIII Neumark, David XXXVIII Nikaso, Tochter des Sanba llat II. 144 Nissim Ga’on, Rabbenu (Rav) 596, 807

906

Register und Verzeichnisse

Nitai aus A rbel 383 Noam, Vered XLIV, 148, 164, 216, 222, 301, 359, 362, 366, 371, 386, 484, 615 Notkis, Ben Ṣevi XVIII Nutt, J. W. 865 Onias 283 Onias II. 153, 157, 282, 300, 303 Onias III. 159 Onias IV. 116, 194, 241, 394, 475 Or(e)nstein, Ya‛aqov VIII Origenes 656 ‛Oshaya, Rabbi 180 Otniʼel ben Kenaz 495 Papuel 202 Pastor, Yehuda Leib XVIII Pau lus XLVI 224 Pelli, Moshe XIX, 374 Perachja 171 Peroz, König Persien 613 f. Petronius, Stattha lter Syriens 222 Pharao 386 f., 393, 806, 816, 818 Pharisäer XLIX, 210, 212, 214, 216, 218 f., 222 f., 227, 234, 236, 284, 386-389, 435, 486 Phasael, Sohn des A ntipater (Turm) 218 Philo von A lexandrien (Yedidya) XV, XXXVI, XXXVIII f., XLII, XLIX, LXXVI, 8 f., 17, 180, 367, 395, 397, 399, 403, 409, 416-439, 733, 816 Philippus, Sohn des Herodes 218, 229

Pinchas 118, 207 Pineles, Ṣevi Menaḥem (Hirsh M.) XXVI, XXXIV, XLVI Pinḥas aus Habira 235 Pinḥas ben A haron ha-Kohen, siehe Pinchas Pinḥas ben Shemu’el 235 Pinḥas ben Ya‛ir 400 Plato, Platonismus 71, 79, 152, 398, 426, 431-433, 435, 695 Plotin 398, 426 Plutarch 431 Pölitz, Karl Heinrich Ludwig 25 Pompeius 148, 196-201, 204, 501 Popaea, Frau Neros 230 Porphyr 426 Prok los 398 Psametich 393 Ptolemäus (Gnostiker) 629 Ptolemäus I. Soter 148 f., Ptolemäus II. Philadelphos 395 Ptolemäus IV. Philopator 394, 396 f. Ptolemäus V. Epiphanes 308 Pythagoras 691, 710 Qimḥi, Dawid 308 Qimḥi, Moshe 19 Qoraysh 108 Quietus, Feldherr 251 Rabba 537, 562, 606, 612, 615, 651 Rabba bar Mari 550 Rabbenu Asher, siehe Asher ben Yeḥi’el (Rosh) Rabbenu ha- Qadosh, siehe Rabbi Yehuda ha-Nasi (Rabbi)

Personenregister

Rabbenu Tam 508, 718 Rabbenu Ḥanan’el 567 Rabbi, siehe Yehuda ha-Nasi Rabinovitz, Z. R. XLV Rafa’el (Engel) 151 Rambam, siehe Moshe ben Maimon Ramban, siehe Moshe ben Naḥman Rapoport, Sh lomo Yehuda IX f., XI, XIII f., XVI, XVIII, XX f., XXIV, XXVII, XLI, XLVIII, 366 Rashba, siehe Adret, Sh lomo ben Avraham Rashi, siehe Shelomo ben Yiṣḥaq (Rashi) Ravad, siehe Avraham ben Dawid Ravid, Benjamin VIII, XIV, XXXI,

XXXV Ravina (Rav Avina) 480, 562, 613 Rawidowicz, Simon XXVII f., XXIX, XXXI-XXXV, XXXIX, XLII, XLIV, XLI, XLVIII, XLIX, L , LXXV, 55 f., 81, 93, 258, 296, 374, 398, 405, 421, 496, 596, 626, 687, 689, 774, 809 Resh Laqish 415, 606 Rosentha l, Ferdinand 518 Rosenzweig, Franz XXIX Rosner, Fred 70 Ross, J. J. XLVI Rosshansky, Sh. X Rottzoll, Dirk U. LXVI, 345, 693, 702 f., 709, 725, 747, 750, 760, 772, 774, 794 f., 797, 801, 803, 808-810, 812, 813-816, 858, 873, 875, 881883, 890

907

Sa‛adya Gaon 6 Sabinus 216 f., 240 Sacharja 16, 131, 135, 137, 141, 274,290, 296, 304-306, 310 f., 434, 495, 871 Ṣadoq 173, 180 Sadowski, Dirk XI Sa lome, siehe Shelamṣiyon Sa lomo 115 f., 120, 123 f., 126, 150, 168, 207, 327, 329 f., 332-337, 343346, 355, 511 f., 534, 587, 755, 822, 877, 882, 889, 894 Samuel 116-118, 121-123, 129, 139, 265, 288, 306, 355, 380, 449, 495, 648, 850 Sanba llat II. 145 Sanda l fon 654 Sanherib 116, 378, 856 Ṣarṣa (Sene), Shmu᾽ el ibn 733, 772 Satanow, I., siehe Levin (Lefin), Menaḥem Mendel Sau l, König 116, 119, 369 Schatz, A ndrea XIII Schäfer, Peter VII Schechter, Sa lomon IX, XIII, XV, XX Schelling, Friedrich W. J. XV, L Schiller, Friedrich XXVI Sch lüter, Margarete XII, XXXIX, XLI, XLIII f., L , 105, 147 f., 258, 358, 441, 503, 522 f., 541-543, 549 f., 555, 557, 559, 561, 613, 615 Schnayder, Joseph XXXIV Scholem, Gershom VII, 714, 762 Schorr, Joshua Heshel, siehe Schorr, Yehoshua‛ Heshel

908

Register und Verzeichnisse

Schorr, Yehoshua‛ Heshel XVII, XXII, XXVII f. Schreiner, Stefan XXVI Sebu lon, Stamm 117 Seleukos, Nikanor (Nikator) 167, 357 Seligsohn, M. XXVI Sem 107 f. Ṣerefa, Sippe des 182 Shabbatai Ṣevi XLVI, 657 Shafan 441 Shammai (Haus bzw. Schu le Shammais) 151, 211, 323, 335, 384 f., 390-392, 489, 519 f., 527, 540-542, 545 Shapira, Eli‛ezer Yiṣḥaq XIX,

XXXIII Shebnah, der Schreiber 453 Shelamṣiyon (Sa lome) 187, 189 Shel mo ben Me’ir (Rashbam) 379 Shelomo ben Yiṣḥaq (Rashi) XXVI, 101, 183, 199, 281, 308-311, 322, 326, 360, 379, 381 f., 409, 416, 420, 445, 449, 455, 471 f., 525, 537, 543 f., 568, 577, 602, 605, 649, 651, 656, 858 Shelomo ibn Gavri’ol 6 Shemaʽya, siehe Avṭa lyon Shemu’el bar Naḥman(i) 380, 414 Shemu’el ben Ḥofni 844 Sh(e)mu’el ha-Nagid 23, 807 Shemu’el (ibn) Tibbon LXXV, 6, 695, 724 Shem Ṭov (Fa laquera) 6 Sherira Gaon, siehe auch Quellen 614, 626 Sheshet (Rav) 399, 549

Shiff, Zeʽev Ṣevi XVII, LII Shim‛on ben Gam li’el 236, 285, 524, 548 Shimʽon ben Hillel 224 Shimʽon ben Ḥonio I. und II. 455 f., 482 Shimʽon ben Mattatyahu, siehe Simon, Sohn des Mattatias Shimʽon ben Menasya 335 Shimʽon ben Natan’el 405 Shimʽon ben Sheṭaḥ 184 f., 188190, 194, 513 Shimʽon ben Yoḥai, auch Shimʽon bar Yoḥai XLV, 250 Shimʽon, der Mann aus Miṣpe 365 Shimʽon ha-Ṣaddiq (der Gerechte) 286, 300-302, 345, 350, 384, 386, 498 Shu l man, Ka l man XXX Sicilius Nikator 148 Sim lai 647 Simon, Ernst A. XXIX Simon aus Kyrene 151 Simon ben Kantheras 220 Simon, Sohn des Mattatias 164, 168 Simri 190 Smolenskin, Perez XXX Somkhos 548 Spicehand ler, Ezra XXII, XXVII Spiegel, Sha lom XXXI Spinoza, Baruch XV f., XXIII, 398 Steinschneider, Moshe [Moritz] IX, XXXIII, 22, 772 Strelisker, Mordekhai XXVIII Ta lmi, siehe Ptolemäus (Gnostiker)

Personenregister

Tanḥum, Rabbi 602 Tanḥuma, Rabbi 343, 415, 767 Ṭarfon, Rabbi 493 Tigranes, König A rmeniens 195 Titus 197, 218, 238, 241 f. Tobit, Buch des 151 Trajan 218, 243 f., 246-248, 251, 397 Trakhinus, siehe Trajan Tunius Rufus, auch Turnus Rufus 251 Turba 247 Twersky, Isadore XIV, 599 Usija, König von Juda 356 Va lentinus 18, 629, 634, 637 f., 641, 643 f., 646, 650, 652, 656 Vargon, Shmuel 264 Vico, Giambattista 93 Vinograd, Yeshayahu XXVIII Weinberg, Joanna XLVIII Weinreich, Uriel X Weiss, Nelly X Weißberg, Max XXX, 7 Werses, Shmuel IX, XV, XVIII,

XXX Wessely, Nafta li Hartwig XLII Wunderbar, Ruben XXX

Xerxes 295 Yaʽaqov ibn Ḥaviv 580 Yannai, siehe A lexander Yannai Yashar von Kandia, siehe Del medigo, Yosef Sh lomo

909

Yator, arabischer Stamm 187 Yedaʽya ha-Penini 6 Yedidya, siehe Philo Yehoshuaʽ bar Neḥemya 415 Yehoshuaʽ ben Dinai 230 Yehoshuaʽ ben Gam(a)la 212, 230 f., 236 Yehoshuaʽ ben Ḥananya 242 f. Yehoshuaʽ ben Peraḥya 185, 519 Yehoshuaʽ ben Sia 220 Yehoshuaʽ ben Sira, siehe Jesus Sirach Yehoshuaʽ ben Yehoyakhin 395 Yehoshuaʽ ben Yoṣadaq 165 Yehoyada, der Priester 495 Yehuda ben Yiṣḥaq Abravanel, siehe Abravanel Yehuda bar Simon, Rabbi 414 f. Yehuda ben Baba, Rabbi 255, 547 Yehuda ben Gedidi 183 Yehuda (ben Illaʽi) 411 Yehuda ben Safrai 216 Yehuda ben Ṭavai 519 Yehuda ibn Shmu’el (Kaufmann)

XXX Yehuda ha- Gelili (der Ga liläer), siehe Judas der Ga liläer Yehuda ha-Lewi, siehe auch Kusari 597 f. Yehuda ha-Nasi (Rabbi), auch Rabbenu ha- Qadosh 5, 17, 378, 414, 523, 527, 529, 535, 542, 548, 553, 555, 562, 604, 612 Yehuda ha-Nasia 414 Yehuda Liwai ben Beṣa l ’el (Mahara l) 593 Yirmeya ben El ‛azar 415

910

Register und Verzeichnisse

Yiṣḥaq (ibn) Laṭif XIV, 6, 696 Yishma‛el, Rabbi 481, 535, 550 f., 607 Yishmaʽel ben Elisha 230 Yishma‛el ben Phiabi 220 f., 229 Yisra’el ben Eliʽezer (Baʽa l Shem Ṭov) XI, XLV Yoḥanan, Rabbi 380, 409, 414 f., 421, 464, 503, 515, 612, 799 Yoḥanan ben Lewi 607 Yoḥanan ben Nidbai 226 Yoḥanan ben Qimḥit 220 Yoḥanan ben Qoraḥ 393 Yoḥanan ben Zakkai, Rabban 179 f., 236, 242, 402, 405, 486, 502, 526, 545 f., 550, 620, 759 Yoḥanan ha-Sand lar 399 Yona ben Avraham Gerondi, Rabbenu 655 Yona ibn Ganaḥ (Rabbi Yona) 854 Yonatan ben Asmay 543 Yonatan, der Hohepriester 15 Yose (ben Ḥa lafta), Rabbi 111, 354, 523, 535 Yose ben Ḥanan (Abba) 532 f. Yose ben Yo‛ezer, Rabbi 154, 165, 285, 421, 492, 519, 542

Yose ben Qamṣa 249 Yose ben Yoḥanan 519 Yose ha- Glili (der Ga liläer) 379 Yosef bar Eliʽezer Ṭov Elem haSefaradi 807 Yosef ben Ḥanan 220 Yosef ben Qimḥit 226 Yosef Sh lomo Del medigo, siehe Del medigo, Yosef Shelomo Yoshuaʽ Peraḥya 383 Zacuto, Avraham ben Shmu’el XLIV f., 521 Zamość, Moshe ha-Lewi XII Zarfati, Dawid Ṣevi XXVII Zarza, siehe Ṣarṣa, ibn Shmu’el Zeitlin, William XXIII Zekharya ben Avqu los, auch Zekharya ben Eukolos 235 Zunz, Leopold (Yom Ṭov Lipman) IX, XI-XVII, XIX-XXI, XXIII, XXIV, XXVI, XXXI-XXXV, XXXVII-XL , XLV f., XLVII f., LXXV f., 5-22, 55, 156, 185 f., 202, 218, 224, 228, 377, 380, 447 f., 486, 505, 661, 697, 762, 771-773, 797, 874, 890, 896

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2. ORTS- UND SACHREGISTER

Aberglauben XVIII, 13, 21, 31, 33, 92, 97 f., 351, 595, 617 Achtzehngebet (ʽA mida, Tefilla) 377 – Da‛at: 4. Segensspruch 47 f. – Ge’u la: 7. Segensspruch 416 – Bone Yerusha layim: 14. Segensspruch 252 Adam (adam qadmon, Urmensch) 354, 434, 625, 727, 803, 812, 845 Adiabene 226, 245 Ägypten 91, 108, 110-112, 114, 116 f., 124 f., 127, 129, 134, 136, 140, 148 f., 159, 188 f., 226, 232, 246, 274, 301, 308, 325, 353 f., 355358, 376-378, 383, 393-395, 473, 475, 591, 821, 825, 827, 847, 855, 868, 871, 895 A frika VIII, 147, 239, 246 f., 807 Aggada, siehe auch Haggada, Midrash Aggada, Gleichnis, Parabel XXV, XXVIII, XXVI, 8, 11, 17 f., 176, 236 f., 237, 247, 253, 280, 287, 298, 317, 328, 335, 375, 379, 391, 481, 499 f., 500, 533, 550 f., 554, 558, 561, 571 ff., 576, 584, 616 – A mbiva lenz 375, 500, 592 – Aggada der Metaphern, siehe auch Gleichnis 604 – Aggadot zarot (fremde Aggadot) 606, 616-618 – A rten des Gleichnisses 584-589 – Autorität der Aggada 596 – Definition 604-610

– Entstehung 601 ff. – Hyperbel 591 – Redaktion (mesadre aggadot) 603 – Methode der Aggada 589, 591 – Zweck der Aggada 582 f. A ḥaronim 44, 414, 447 A lexandrien XV, XXXVI, XLII, 17, 151, 172, 181, 222, 246, 293, 393, 399 A lgebra 59 A llegorie, siehe auch Gleichnis, Parabel 38 f., 63, 66, 88, 308, 310, 314, 426, 435, 582, 585, 587, 662, 694-696, 756, 870, 894 f. ‛A m ha-areṣ 170 f., 215, 249, 405, 409 f., 583, 591, 602 A mmon, A mmoniter 119, 355, 361, 495 A nda lusien 807 A ntiochia 148, 182, 315 A ntipatris, auch A ntipros 250, 547 Apokryphen (zum Tenakh) XLII, 15 f., 149 f., 167, 279, 295, 318 Apostaten 236 ʽA rukh, siehe Natan ben Yeḥiʽel von Rom A rithmetik 678 f., 699, 708, 710, 879 Ashdod 142, 218, 370 Ashkenaz, Ashkenazim XII, 6, 10, 255, 350, 382, 538 Asien 16, 107 f., 123, 128 f., 136, 147, 149, 151, 192, 196, 222, 246

912

Register und Verzeichnisse

Assur 115, 123 f., 136, 289, 308, 363, 365, 393, 575 Athen 348, 394, 426, 651 Attrahieren, Attrahiertes 672 Attribut, Attributen lehre 96, 129, 407 f., 630, 637, 648 f., 659 f., 681, 722 f., 725 f., 730, 734 f., 748, 760, 762, 771, 775 f., 783, 832, 836 Aufheben (Hegel) 688, 701 Aufstand gegen Rom (66-74 n. d. Z.) 231 ff. (115-117 n. d. Z.) 218, 242, 244 Autonomie X, 97, 234 ‛Avodat ha-Adama (Buch) 816 ʽAvoda zara, siehe Götzen/Götzendienst Babylonien 102, 124 f., 126 f., 132136, 138, 152, 182, 202, 207, 224, 263, 268, 270, 274 f., 281, 311-313, 315, 317, 330, 358, 360, 364, 393, 492, 520, 540, 548 f., 860, 866 Babylonisches Exil (gola), siehe auch Diaspora 24 f., 104, 127, 129, 131, 336, 377, 475 Bahir, Buch XLVI, 626 Baraita (Definition) 286 f. Baraita de-Melekhet ha-Mishkan 534 Baraita de-Shemu’el, siehe Sod ha-ʽIbbur Baris (A ntonia), Burg 192 Beer Sheba (Be’er Shevaʽ) 110, 306 be-emet ameru 508 Begriff(e), siehe Vernunftbegriffe Betar 15-17, 192, 218, 224, 247, 250, 254-256, 282, 371, 397, 546 f.

Betel, Bet El 110, 115, 122, 871, 873 Bet Ṣur 164, 254, 370 f. Bel und der Drache, Buch 152 Bina (III. Sefira) 413 Boetusier 241, 445, 490, 641 Bozra 858 Brody (Stadt) X-XII, XVIII, XX, XXVII f., XXIV Bursif in Babylonien 617 Caesarea 213, 218 f., 221, 223, 227230, 232, 258, 371, 545 Causa causans 67 Causa fi na lis 66, 80, 664 Causa sui 64 Coelesyria 182 Chassidim, siehe auch Ḥasidim XVII f. Chassidismus XVII f., XXVII Christen (noṣrim), Christentum XIV, XLVII, LI, 224, 282, 358, 426 f., 435, 512, 627-629, 637 f., 649, 783 Chroniken der Hasmonäer, siehe Makkabäerbücher Chroniken des Mose 816 Cyrenaika 246 f. Dämonen 595, 608, 611, 624 Damaskus 119, 121, 195 f., 213, 581 Dan, Stadt 115, 306 Derekh Ereṣ (Traktat) 550, 561 Devekut (Unio) 13 Drohobytsch XXI

Orts- und Sachregister

Ecclesiastes, siehe Kohelet Edom, Edomiter (siehe auch Idumäer, Chiff re für Rom) 15, 108, 119, 121, 164, 168, 254, 361, 369-372, 832, 858, 864, 867 f. ʽEduyot 17, 182, 402, 489, 492, 520, 534, 539 f Efraʼim, Messias 617 Elam 102, 106 Eldad ha-Dani (Buch) 816 Epikoros 59, 399, 600, 651 Eschatologie, siehe Kommende Welt, Messias Essener XLIX, 10, 172, 174, 180 f., 210, 399, 420, 435 ‛Eyn Ya‛aqov, siehe Yaʽaqov Ibn Haviv Fauna 62, 65, 69, 80, 753 f., 785, 804 Fez 615, 865 Flora, siehe Fauna Frankfurt am Main XXI, XXIV Fromme, siehe Chassidim, Ḥasidim Gabbat 250, 547 Gadara 173 Ga liläa 173, 211, 218, 227, 229, 234, 239, 251, 309, 370, 525, 542 Ga lizien XI, XVI, XVII f., XXVI f., L Garizim 142, 145, 297, 302 Gebet(e) – Intention 31, 46 f., 752, 839, 896 – Wortlaut 256 – Formu lar 256, 273, 277, 538, 607, 649

913

Gebot(e) 13, 32, 91 ff., 249, 352, 441 ff. – Begründung, Sinn 461 ff., 484 ff., 571 ff., 602 Geist (das Geistige) – absou lter, „ha-ruḥani hamuḥ lat“ 14, 90, 101 ff. – Essenz 13, 96, 99 – Heiliger 149, 155, 304, 344, 373, 378, 470, 629, 641 – Rea lität des Geistigen 13 Geister, siehe Dämonen Gelehrte aus jüngster Zeit 11, 20, 38, 96, 329, 724 Gelehrte, jüdische in Ashkenaz 350 Geometrie 59, 678, 705, 707, 710, 722, 879 Geschichte, Phasen der 15 f., 105 f., 114 f., 121, 126, 128 f., 146, 148, 192, 238, 257 f., 326 f. Geschichtsschreiber, siehe Historiker Gilga l 110, 114, 119 Ginzaq in Medien 245, 250 Gleichnis(se) (masha l), siehe auch Aggada 11, 411, 584-589, 649, 719, 837 Gnosis/Gnostiker XV, 18, 406, 425 f., 428, 431 f., 437, 439, 628 f., 642, 648, 651, 829 Götzen, Götzendienst (ʽavoda zara; Fremdku lt) 5, 13, 31, 39, 83, 97 f., 103, 107 f., 115 ff., 122, 124 f., 131 ff., 162 ff., 215, 249, 362, 388, 394, 429, 434, 450, 466, 564, 588, 591, 599, 606, 652, 656, 824, 827, 852, 856, 871

914

Register und Verzeichnisse

Gott, Name(n) Gottes 18, 90, 99 ff., 108, 387, 411 f., 424, 429 f., 438 f., 447, 543, 598, 603, 638 f., 645, 648, 685, 693, 705, 717, 725, 729, 731, 733, 745, 747, 772-778, 791 f., 799, 805 ff., 809-813 Griechen land, Griechen 129, 144149, 154, 159, 161 ff., 177, 180, 199, 202 f., 214, 228, 232, 245 ff., 255, 283 f., 286, 291 ff., 308, 310, 348, 357 f., 394, 628, 803 Große Versamm lung (knesset ha-gedola) 15 f., 152 f., 286, 299, 301, 307, 548 Haggada, siehe auch Aggada 18, 572, 602, 606 Haggada shel Pesaḥ 572 Ha lakha XXVIII, XXXVIII, XLVI, LI, 11, 17, 32, 136, 142, 153, 157, 165 f., 169, 171, 184, 189, 212, 220 f., 223, 235 f., 244, 302, 335, 390, 406, 409, 441-576, 582 f., 590, 601, 607 f., 613 f., 616, 618, 620, 866 Ha lakha le-Moshe mi-Sinai 17, 445, 496, 501, 507-509, 516 f., 572 f. Ha llel (Pss 113-118) XLII, 163, 278, 366, 374-383 Ha lythsch (Ha lizc) XVII Hannover XXIV Ḥanukka 151, 166, 321, 383, 459 Ha-ruḥani ha-muḥ lat, siehe Geist, absoluter Ḥasidim, siehe auch Fromme, Chassidim 15, 17, 161, 164 f., 166,

284, 361 f., 365, 367, 369, 370, 380, 400, 402, 405, 756 Haska la VII f., XII, XXVII, 401, 562 Hebron 110, 119 Heilige, das 14, 89 f., 200, 412, 835 Heiligung 32, 44, 89 f., 470, 474 f., 603, 752 Hellenisten 394 f. Hermeneutik (9 bzw. 32 Regel n der Aggada) XLIII, 9, 43, 489, 584 Hil khot medina (Staatsgesetze) 515-518 Hinterlist, der Pharisäer 13, 32 Historiker 269, 892 – arabische 108 – griechische 145, 283 – heutige 10, 326, 571 – römische 200, 253 f., 548 Ḥokhma (II. Sefira) 412 f. Horiten 109

Idee(n) 13, 32, 38, 42, 56 f., 67, 73, 90 f., 96, 340, 418, 426-428, 431 f., 434, 437 f., 655, 660, 663, 684, 692, 695, 710, 712, 764 Idumäer 168 Indien, indische Religion 434, 628 Islam, siehe Mohammed Ita lien XLIX, 293, 626 Jabesh Gilead 118 f. Jebus, Jebusiter 120, 255 Jerusa lem 116, 120, 122, 135, 137, 143-145, 149, 151, 157, 162 ff., 185, 189 ff., 213 ff., 223 ff., 225 ff., 242, 251 ff., 283, 289, 292, 296, 299, 314, 330, 343, 346 ff., 359, 366,

Orts- und Sachregister

371, 383, 395, 416, 426, 846, 851, 859, 880, 895, 896 – Aelia (Capitolina) 255 Juda, Judäa 123, 125, 127, 129, 131, 135 f., 138, 142 f., 145, 149, 157, 191 f., 196, 200, 201, 203, 218 f., 221, 225, 228, 231, 234, 238 f., 251, 254 f., 265 f., 268, 289, 290, 309-311, 325, 335, 347, 352, 354 f., 356 f., 369, 371, 383, 394, 435, 454, 520, 525 Judit, Buch 151

Kabba la, siehe auch Mystik XXXVI, XXXVIII, XLV f., XLIX, 11, 439, 623, 649, 711 f. Kairouwan 615 Ka lla (Traktat) 550 Kambyses 133 Kanaan/äer 107, 109 f., 378, 394, 823, 825 f., 847, 855 Kanon 16, 152, 155, 167, 212, 278, 293, 317 f., 320, 323, 326 f., 578 Karäer XVII, XVII f., 181, 445, 600 Katros 220 Kebar 24, 128, 336 Ketuvim (Hagiographen) 153, 155, 281, 315, 322 f., 326 f., 329, 335, 337, 342, 349, 357, 368, 387, 449, 451, 603 Ketzerei (minut) 496, 500 K ittäer 159 K nesset Yisra’el (X. Sefira), siehe Ma l khut Kommende Welt, Zukünftige Welt 64, 176, 180, 256, 328, 381, 402 f., 412, 624, 770, 818

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Konstantinopel 858 Kukizów XVII Kusari, siehe Yehuda ha-Lewi Kuta 107, 136 Kutäer, siehe Samaritaner Latein (römische Sprache) XVI, 151, 485, 637 Lemberg, siehe Lwiw Leviten, siehe Levi Logik XXXVI, XLI, 13, 18, 29, 40, 258, 484, 517, 659 ff., 663, 680, 724 Logos, bei den A lexandrinern u. Philo 412, 436, 733 Lwiw (Lemberg, Lviv) VIII, X, XV, XVIII, XXII, XV, XXXIV, 55 LXX, siehe Septuaginta Ma‛ase bereshit 13, 38 f., 107, 604 Ma‛ase merkava 13, 38 f., 605, 623 f. Magnesia 158 Makedonen 129, 192, 258, 291 Makkabäer, Bücher (Chroniken der Hasmonäer) 303, 320, 327 f., 357, 361 Makkabäer, siehe Hasmonäer Ma l khut (X. Sefira), siehe auch K nesset Yisra’el 411-413, 641, 649 Mar (Zutra) 480, 562 Mara 5 Maski lim IX, XII-XIV, XVIII f., XXVII, XXIX f., 360 Masoreten 457 Mata Meḥasya (Sura) 614 Mazza l, siehe auch Vorsehung 68, 102, 633, 779

916

Register und Verzeichnisse

Maxime 45, 51, 95, 102 Medien, Meder 133, 224, 226, 245, 250, 320 Megillat bet Ḥashmonai 151, 323 Megillat Shushan 152 Megillat Ta‛anit, siehe Stellenindex Mekhi lta 544, 570 Memra, memrot 429, 476 Meqor Ḥayyim, Sefer, siehe Ibn Sina Messias 18, 245, 250, 253, 270-272, 438, 598, 617, 634 Metaphysik, siehe auch Ma‛ase merkava XXXVI, 9, 13, 18 f., 38, 258, 695, 699, 710, 712 Metapher 45, 89, 401, 604, 610, 695 Midrash(im) – Ha lakhischer Midrash 505, 517, 573, 576 – In der Gemara 463 f. – Midrash Aggada 573, 576, 581 ff., 605 – Midrash Ha lakha 573, 576 – Midrash Ketuvim 514, 542 Migda l Phasael 218 Migda l Ṣur (Bet Ṣur) 164, 371 Middot (hermeneutische Regel n) 9, 517, 544, 553, 576, 584 Middot (Attribute, Verha ltensweisen [Gottes]) 412, 624, 699, 760, 783 Middot, Traktat von den Tempelmaßen 17, 166, 524, 528 ff., 532, 534-538 Minim („Häretiker“) 168, 280 f.,

406, 475, 628 f., 633 f., 637, 641, 646-657 Miqra, siehe Bibel, Tanakh Mishna – Ḥiṣona (äußere) 550, 569 – Ordnungen 553 f., 559 – Redaktoren (mesadre matnita) 529, 532, 534, 536 f., 542, 551 – Sprache der 246, 330 f., 332, 482 f., 532, 537, 608 Miṣpe 119, 125, 365 Miṣwa, miṣwot (Bedeutung der), siehe Gebot(e) Mithridates, König von Pontus 195 Moab 119, 142, 361, 495, 508, 847 Modeʽin 183, 254, 378 Moria 110, 120 Münd liche Tora (Tora she-be-ʽa l pe) XXXIX, 140, 153, 156, 279, 283, 441 ff., 445, 613 Mutaka llimum (Medabrim) 673, 676 Mystik, Mystiker, siehe auch Kabba la 18, 34, 399, 406, 435

Nabatäer 193, 816 Name(n) Gottes, siehe Gott Naturgesetze 7, 9, 30, 38, 134, 341, 687, 691, 694, 776, 844, 855 Naturwissenschaft 131, 598, 680, 687 Naziräer 138, 166, 180 Nehardea 135, 245, 281 Neues Testament, siehe Stellenindex; Christen Nevi’im (Prophetenbücher), siehe Prophet/Prophetie

Orts- und Sachregister

Nichtjuden, siehe Christen und Völ ker Niedergang (Phase) 98, 121, 123, 127, 130, 141, 171, 192, 195, 199, 210 f., 221, 238 f., 244, 257, 614 Nisibis 135, 245, 520 Nof 393 Notarikon 343 Nunya [A ntonia] 221, 225, 233 Odessa XXI Ohel Yosef, siehe Yosef bar Eliʽezer Ṭov Elem ha-Sefaradi Pardes (Paradies) 39, 624, 759 Pardes (vierfacher Schriftsinn) 517 Patros 393 Pelia (Buch) 626 Peqi’in 503 Peroz, König 613 f. Perser 129 f., 144-147, 208, 245, 283, 291, 298, 313, 315, 317, 321, 331, 348 ff., 363 f., 615 Perushim, siehe Pharisäer Peshaṭ (einfacher Schriftsinn, Litera lsinn) 8, 17 Pesiqta 587, 596, 617 Pesiqta de-Rav Kahana 606 Pesuqe de-zimra (Sing- oder Psa l mverse) 377 f., 382 Pharisäer XLIX, LII, 13, 15, 32, 169-171-184, 188 f., 190-193, 210, 212, 214, 216, 219, 222 f., 227, 234, 236, 284, 386-389, 435, 486 Phase(n), siehe Geschichte Philosophen 689, 694, 773, 884 f.

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Philosophen, griechische 179 f., 281, 784, 866 Philosophen, jüdische 426, 429, 659, 740 Philosophen, aus jüngster Zeit, zeitgenössische 6 f., 51 f., 86, 629, 641, 656, 724, 741, 743 Philosophie, Hauptsache der 62 Phylakterien, siehe Tefillin Piyyuṭ, Poesie 587 Polen XVIII, 6, 258 Poseqim 570 Priester, siehe Aaron, Leviten Propheten/Prophetie 5, 16, 23, 33, 86, 91, 123 f., 129, 132, 135 f., 155, 263 ff., 275, 305 ff., 324 ff., 356, 450, 683, 685, 755 f., 805 f., 849 Proselyten (Gerim) 137, 141, 143, 204, 209, 543 Psychologie 681 Qaddish 603, 752 Qana (Buch) 626 Qiryat Ye’arim 118 Quntresim (Notizblöcke) 626, 629 Ramatayim 117, 119, 123, 139 Razi’el, Buch des Engels 626 Religionsphi losophie (Ḥokhmat ha-emuna) XXXVI, 425 f., 659662, 664, 681 Repellieren, Repelliertes 672, 678 Rom, Römer XLV, 15 f., 109, 148, 158 f., 172 f., 180, 189, 192, 195209, 213, 215-219, 221-223, 225 ff., 230-235, 242, 246 ff., 251, 254,

918

Register und Verzeichnisse

258, 475, 479, 485 f., 501, 520, 544 ff., 575, 588, 649, 651

Saboräer (savora’im) 536, 614 Ṣaddiqim (Gerechte, Heilige) 31, 180 Sadduzäer XLIX, 15 f., 171-174, 177-180, 184, 188-191, 193, 195, 209 f., 230, 234, 241, 284, 328, 387 f., 389, 445, 484, 490, 641, 648 f. Samaria, Sebaste 218 Samaritaner (Kutim, Kutäer) 136, 144 f., 168, 177, 207, 210, 220, 227 Sanhedrin, auch Synhedrion 175, 179, 184, 204, 217, 219, 224, 229 ff., 484 f., 488 Schwärmerei 13, 30, 33, 200 Seder ʽOlam, siehe Stellenindex und Yose ben Rabbi Ḥa lafta Sefarad, Sefaradim 382, 538, 871 Sefer ha-ʽAvoda, siehe ʽAvodat ha-adama Sefer ha-Ṣa’ava 628 Sefer Zerubbavel 816 Sein – Dasein 424 f., 430, 629, 639, 665 ff., 675 ff., 682 – Fürsichsein 670 ff. – Nichtsein 665 ff. – Werden 666, 787 Seleukia 148 Septuaginta (LXX) 149, 416-419, 438 Shekhina (Einwohnung Gottes) 102, 106, 399, 431, 641, 752, 756,

800, 802, 819, 833, 835 f., 844, 855, 857, 867 f., 894, 896 Shilo 115 f., 118 Shu l ḥan ʽA rukh 32 Sichem (Stammvater, Stadt) XXIX, 109 f., 115, 142, 372, 511 Sidon 158, 217 Sifra 551, 570 Sifre 551, 570 Sikarier 15, 228 Ṣimṣum (Selbstverschränkung Gottes) 625 Sinai 104, 142 – Offenbarung 329, 430, 444 f., 464, 470, 504, 572, 593, 826, 833 Siqariqon (Konfiszierung) 240 f., 525 Sod ha-ʽIbbur (Baraita deShemu’el) 492 Soferim 5, 9, 15, 17, 140, 145, 152-154, 156 f., 161, 164 f., 167, 169, 197, 205, 258, 282, 283, 292 f., 299-318, 320, 323 f., 327, 346, 349, 384, 389 Ṣofim (Visionäre), siehe auch Prophet 469 Susanna, Buch 152, 315 Synhedrion, siehe Sanhedrin Syrien 133, 149, 159, 161, 195, 198 ff., 222, 227, 231, 234, 245, 300, 308, 315, 357, 360, 363, 370, 395, 588, 620, 628 f., 656

Tanḥuma (Midrash) 606 Tanna de-ve Eliyahu 359, 606 Tannaiten (shone ha lakhot) 18, 140, 182, 282 ff., 353, 360, 392,

Orts- und Sachregister

455, 456, 461 f., 482, 488 ff., 493 f., 498, 503, 506 f., 522, 525 ff., 537541, 551 ff., 555, 557-564, 627 Taqqana, Taqqanot (Verordnungen) 510, 513 Targum(im), siehe Stellenindex Tefillin (Phylakterien) 455, 459, 461 f., 471 f., 482, 606, 828 Tekoa 261 Teleologie XXXVI, 18, 660 ff. Temuna, Buch 626 Ternopi l (Tarnopol) XX, XXIV Therapeuten (bei Philo) 399 Tiberias 221, 229 Tiferet (VI. Sefira) 412 Tifsach 138 Tlusta XXIII Toledo 308 Transjordanien 138, 189, 239 Traum 31, 152, 313 f., 351, 577, 608, 696, 806, 837, 848, 870, 892 Ṭur ma l kha bzw. Ṭur Shimʽon 16, 247 Tyrus 158, 217, 312, 325, 361

Übertreibung 33, 45, 49, 250, 391, 406, 471, 496, 502, 507, 513, 582, 590 ff., 599 Uhr 66 Universität(en) (Midrashe ḥokhmot) 330 ʽUqṣin 524, 539 Usha 282, 510, 548 Vernunftbegriff (e) 13, 41 f., 85, 103

919

Versamm lung, siehe Große Versamm lung Völ ker, siehe Nichtjuden, Christen Vol ksgeist L , 14, 96-98, 127 f. Vorsehung, Prädestination 5, 23, 56, 91, 93, 110 ff., 114, 132, 174 f., 277, 339-341, 468, 499, 633 f., 800 Weisheit Sa lomos 150, 335, 822 Werkhei ligkeit, A nhäufung von Werken 13, 32 Wunder, Wundertaten 9, 17, 32 f., 75 ff., 112 f., 130, 134, 201, 277, 315 f., 321, 367, 381-383, 396, 634, 653, 696, 703, 790, 800, 818, 837, 844, 860, 862 Yadayim (Ebene) 16 Yavne 218, 223 f., 242, 256 f., 282, 370, 503, 524, 540, 545, 548 Yeshiva (Lehrversamm lung, Ta lmudhochschu le) 223, 242, 250, 264, 287, 390, 539-541, 545, 548, 551-553, 557 f., 603, 614, 626 Zabier, Buch der 628 Zeloten 15, 212, 215-217, 219, 221, 225 f., 227 f., 233-239, 241, 391, 544 Zerubbavel, Sefer 816 Zoroaster [amgushim] 649 Zukünftige Welt, siehe Kommende Welt

920

3. BIBELSTELLENREGISTER ■ Genesis

1 ............................................................... 69 1,1 .......... 577, 735 f., 791, 792, 808 f. 1,1–2 ...................................................... 791 1,1 – 6,8 ................................................... 18 1,2 ......................... 417 f., 646, 792, 860 1,3 ......................................................... 792 1,6 ...................................................... 792 f. 1,7 .......................................................... 794 1,9 .......................................... 794 f., 810 f. 1,10 ....................................................... 794 1,11 .............................................. 418, 883 1,14 ........................................................ 811 1,17 ........................................................ 811 1,20 ................................. 795 f., 811, 884 1,21 ....................................................... 808 1,24 .............................................. 795, 884 1,26 .................................... 417, 811, 884 1,27 ....................................................... 812 1,31 ....................................... 74, 814, 876 2,1 .......................................................... 891 2,3 ............................. 745, 797, 812, 885 2,4 ............................. 414, 744, 794, 810 2,4.5.6 ................................................... 418 2,7 ............................ 736, 744, 760, 884 2,8 ......................................................... 812 2,9 .......................................................... 418 2,10 ........................................................ 876 2,19 ........................................................ 418 3,2 ......................................................... 813 3,3 ......................................................... 813 3,7 .......................................................... 813 3,17 ....................................................... 803 3,19 ....................................................... 878 3,23 ....................................................... 813

3,24 ....................................................... 813 4,1 ......................................................... 813 4,4 .......................................................... 814 4,5 .......................................................... 814 4,14 ........................................................ 814 4,24 ........................................................ 818 4,25 ....................................................... 653 5,2 ................................................ 415, 419 5,24 ........................................................ 814 6,3 .......................................................... 814 6,6 ................................................ 410, 412 6,9 – 11,32 .............................................. 18 6,11 ....................................................... 798 6,13 ........................................................ 411 6,18 .............................................. 801, 814 7,11 ....................................................... 799 7,19 ........................................................ 814 8,21 ............................................. 800, 803 8,22 .............................................. 814, 877 9,4 .......................................................... 815 9,12.17 ................................................. 412 9,13 .................................... 796, 803, 811 9,14 ....................................................... 803 9,17 ....................................................... 803 10,21–31 ............................................... 107 11,3 ....................................................... 801 11,5 ....................................................... 801 11,6 ....................................................... 801 11,7 ....................................................... 802 12,1 – 17,27 ............................................ 18 14,14 ..................................................... 838 15,1 .............................................. 849, 871 15,16 ...................................................... 110 17,1 ..................................... 415, 776, 815 17,5 ....................................................... 108

Bibelstellenregister

18,7 ........................................................ 742 18,19 ...................................................... 110 20,13 ..................................................... 108 25,40 .................................................... 804 26,5 ....................................................... 828 28,11 ..................................................... 409 28,17 ............................................ 780, 817 32,30 .................................................... 846 32,31 ...................................................... 817 33,12 ...................................................... 575 33,14 ...................................................... 575 33,26 .................................................... 873 34,10 ..................................................... 109 35,11 ..................................................... 415 36,31–39 ............................................. 645 41,4 ........................................................ 870 41,32 ..................................................... 806 41,39 ..................................................... 726 44,18–47,27 ....................................... 605 45,27 .................................................... 500 46,3 ........................................................ 111 46,4 ........................................................ 111 49,10 ..................................................... 115 ■ E xodus

1,19 ....................................................... 112 1,21 ........................................................ 816 2,1 .......................................................... 816 2,3 .......................................................... 816 2,10 ........................................................ 816 3,2 .......................................................... 417 3,3 .......................................................... 817 3,4 .......................................................... 817 3,6 ................................................ 817, 852 3,7 ........................................................... 817 3,8 ................................................ 784, 817 3,12 ........................................................ 817

921

3,13 ....................................................... 733 3,13–19 ................................................. 817 3,15 ..... 702, 716, 725 – 729, 751, 753, 772, 778, 780 3,16 ....................................................... 693 4,3 .......................................................... 817 4,16 ........................................................ 818 4,24 ........................................................ 818 4,25 ........................................................ 821 5,1 ........................................................... 818 5,2 ................................................ 387, 818 5,3 .......................................................... 819 7,4 ........................................................... 776 10,9 ....................................................... 830 10,23 .......................................................... 6 12,12 .................................................... 100 12,20 ..................................................... 474 12,21 .................................................... 850 12,38 ..................................................... 140 12,41 ..................................................... 355 13,2 ....................................................... 840 13,8 ........................................................ 572 13,16 .............................................. 91, 471 13,17 ..................................................... 120 13,21 ................................. 730, 774, 818 14,19 ............................................ 730, 818 15 ........................................................... 584 15,25 ..................................................... 511 16,1 ....................................................... 355 16,29 ..................................................... 459 17,14 ...................................................... 322 18,1–20,26 ........................................... 471 18,11 ..................................................... 778 18,21 ..................................................... 888 19,1 ....................................................... 355 19,6 ........................................................ 102 19,15 ..................................................... 826

922

Register und Verzeichnisse

19,20 ...................................................... 575 19,22 ..................................................... 840 20,1 ....................................................... 764 20,2 ....................................................... 134 20,5 ....................................................... 635 20,21 ................................................... XLII 21,1–24,18 .......................................... 697 21,8 ....................................................... 465 21,23 ........................................... 820, 825 21,34 .................................................... 857 23,2 ....................................................... 730 23,7 ........................................................ 339 23,21 ........................................... 809, 817 23,25 ................................................. 796 f. 23,26 ........................................... 797, 858 23,28 .................................................... 797 24,13 ..................................................... 430 24,18 ..................................................... 697 25,1–27,19 ........................................... 714 25,8 ........................................................ 102 25,13 ...................................................... 478 25,30 .................................................... 715 25,40 ................................. 715, 717, 719 26,6 ....................................................... 733 28,6 ....................................................... 804 28,15–30 ............................................. 129 28,40 .................................................... 718 29,33 ...................................................... 451 29,43 ........................................................ 90 31,3 ........................................................ 763 32,16 ...................................................... 876 32,23 .................................................... 797 33,18 ..................................................... 838 33,20 ..................................................... 716 33,21 ............... 716, 720, 747, 750, 798 33,52 ..................................................... 708 34,14 ...................................................... 479

34,27 .................................................... 441 35,3 ........................................................ 473 40,17 ..................................................... 355 ■ Levitikus

1,1 ........................................................... 819 1,4 ........................................................... 819 2,1 .......................................................... 819 3,4 .......................................................... 819 3,17 .............................................. 464, 474 3,35 ....................................................... 834 4,6 .......................................................... 819 4,14 ........................................................ 819 4,23 ....................................................... 820 4,27 ....................................................... 820 4,28 ....................................................... 820 5,10 ....................................................... 466 6,2 ......................................................... 820 6,7 ......................................................... 820 6,10 ....................................................... 820 6,16 ....................................................... 820 6,18 ....................................................... 820 6,19 ........................................................ 451 6,20 ....................................................... 820 7,9 .......................................................... 549 7,26 ........................................................ 474 9,6 ........................................................... 821 10,2 ........................................................ 821 10,3 ...................................... 90, 843, 889 10,9 ....................................................... 452 10,12–15 .............................................. 448 10,16–20 ............................................. 448 10,17 ...................................................... 451 11,21 ..................................................... 465 11,42 ...................................................... 479 11,43 ............................................ 478, 821 11,45 ...................................................... 821

Bibelstellenregister

12,2 ........................................................ 821 12,5 ........................................................ 821 12,7 ....................................................... 822 12,8 ....................................................... 822 13,2 ....................................................... 822 13,33 ..................................................... 479 13,41 ..................................................... 822 13,47 ..................................................... 822 14,4 ....................................................... 822 14,7 ....................................................... 822 14,14 ..................................................... 823 14,32 ..................................................... 823 14,33 ..................................................... 823 14,34 ..................................................... 823 15,30 .................................................... 839 15,31 ..................................................... 823 16,2 ....................................................... 823 16,3 ....................................................... 820 16,8 ....................................................... 824 16,17 ...................................................... 417 16,30 .................................................... 824 16,31 ..................................................... 824 17,3 ....................................................... 832 17,5 ....................................................... 824 17,7 ..................................................... 823 f. 17,11 ..................................................... 820 17,13 ..................................................... 825 17,14 ............................................ 815, 825 18,4 ....................................................... 825 18,5 .................................... 602, 825, 886 18,6 .................................................... 825 f. 18,18 ..................................................... 826 18,20 ................................................. 826 f. 18,21 ..................................................... 827 18,23 .................................................... 827 18,24 .................................... 40, 821, 827 18,25 .................................................... 827

923

18,26 .................................................... 827 18,30 .................................................... 825 19,4 .................................................... 827 f. 19,5 ....................................................... 828 19,9 ....................................................... 585 19,12 ..................................................... 827 19,17 ..................................................... 828 19,18 ..................................................... 828 19,19 ........................ 465, 585, 799, 828 19,23 .............................................. 26, 464 19,31 ..................................................... 829 20,7 ....................................................... 829 20,14 ..................................................... 829 20,17 .................................................. 829 f. 20,19 ..................................................... 830 20,24 .................................................... 830 22,2 .............................................. 823, 830 23,3 .................................................... 474 f. 23,14 ..................................................... 464 23,16 ..................................................... 830 23,17 .................................................. 474 f. 23,21 ..................................................... 474 23,24 ................................................. 463 f. 23,30 .................................................... 832 23,40 ........................................... 477, 832 24,6 ....................................................... 832 24,11–16 .............................................. 448 24,18 ............................................ 821, 825 25,1 ....................................................... 832 25,9 .................................................... 463 f. 25,23 .................................................... 832 25,30 .................................................... 466 25,31 ...................................................... 511 26,11 ..................................................... 833 26,12 ..................................................... 833 26,16 ..................................................... 412 26,18 ..................................................... 833

924

Register und Verzeichnisse

26,39 .......................................... 47, 833 f. 26,44 ................................. 132, 258, 548 27,26 ..................................................... 833 27,32 ...................................................... 746 27,34 ...................................................... 746 ■ Numeri

1,1 .......................................................... 833 1,19 ....................................................... 834 3,15 ....................................................... 834 3,29 ....................................................... 834 3,38 ....................................................... 834 4,3 ......................................................... 834 4,17 ....................................................... 835 4,20 ....................................................... 835 5,2 ......................................................... 835 5,18 ....................................................... 836 5,31 ....................................................... 836 6,3 ......................................................... 836 6,7 ......................................................... 836 6,11 ....................................................... 406 6,18 ....................................................... 839 6,24 ....................................................... 836 7,72 ....................................................... 836 10,10 ..................................................... 477 10,11 ..................................................... 355 10,12–15.16–20 ................................ 448 10,25 ..................................................... 867 11,17 ..................................................... 837 11,18 ..................................................... 837 11,26 ..................................................... 450 11,35 ..................................................... 846 12,6 .............................................. 837, 870 12,7 ....................................................... 837 12,8 ....................................... 46, 819, 837 12,9 ....................................................... 838 13,2 ....................................................... 128

13,23 .................................................... 838 13,24 .................................................... 838 13,29 ..................................................... 811 14,13 ..................................................... 838 14,14 ..................................................... 838 14,22 ..................................................... 838 14,30 ..................................................... 838 14,35 ..................................................... 838 15,2 ........................................................ 474 15,22 .................................................... 466 15,27.29.31 ......................................... 839 15,32–36 ............................................. 448 15,34 .................................................... 448 15,39 .................................................... 839 15,49 ..................................................... 839 16,1 ....................................................... 840 16,3 ....................................................... 840 16,12 ..................................................... 840 16,14 ..................................................... 586 16,15 ..................................................... 840 16,22 ..................................................... 840 16,28 ..................................................... 840 16,30 .................................................... 841 16,34 .................................................... 841 17,2 ....................................................... 841 17,5 ....................................................... 586 17,6.11 ................................................. 841 18,14 ..................................................... 586 18,17 ..................................................... 834 19,6 ....................................................... 842 19,9 ....................................................... 842 19,10 ..................................................... 842 19,12 ..................................................... 842 19,19 ..................................................... 841 20,6 ....................................................... 843 20,8 ....................................................... 842 20,10 .................................................. 842 f.

Bibelstellenregister

20,12 .............................................. 90, 843 20,13 ..................................................... 843 20,14 ..................................................... 843 20,16 ............................................ 108, 868 21,8 ....................................................... 843 22,2–32,42 ......................................... 272 22,7 ....................................................... 843 22,12 .................................................... 843 22,18 ..................................................... 844 22,22 .................................................... 844 22,28 .................................................... 844 22,31 .................................................... 845 23,3 ....................................................... 846 23,9 .......................................... 125, 846 f. 23,10 ..................................................... 847 23,21 .................................................... 847 23,22 ........................................... 847, 874 23,23 .................................................... 847 23,24 .................................................... 847 23,28 .................................................... 848 23,29 .................................................... 846 24,1 ....................................................... 846 24,16 ..................................................... 848 24,17 ..................................................... 250 27,18 ..................................................... 853 28,15 ..................................................... 848 28,26 ..................................................... 831 29,1 ....................................................... 463 31,19 ..................................................... 848 32,22 .................................................... 848 33,38 .................................................... 355 33,56 .................................................... 893 34,17 ..................................................... 848 35,34 .................................................... 849 36,13 ..................................................... 849

■ Deuteronomium

925

1,3 ......................................................... 355 1,16 ........................................................ 515 3,13 ....................................................... 812 4,7 .......................................................... 113 4,8 ......................................................... 113 4,15 .......................................................... 46 4,19 ........................................................ 102 4,32 .............................................. 113, 415 4,34 ....................................................... 134 4,39 ........................................................ 755 5,23 ....................................................... 783 5,26 ....................................................... 784 6,4 .......................................................... 479 6,7 ................................................ 459, 573 6,8 .......................................................... 471 6,9 .......................................................... 473 8,10 ........................................................ 510 8,12 f. ................................................... 346 10,16 ...................................................... 874 10,17 ..................................................... 597 10,20 ..................................................... 871 11,6 ....................................................... 449 11,18 ...................................................... 471 11,20 ..................................................... 473 11,26–16,17 ........................................ 821 12,19 ...................................................... 619 12,20 .................................................... 758 13,5 ....................................................... 760 14,1 ........................................................ 176 14,22 ...................................................... 746 15,19 ..................................................... 586 16,6 ....................................................... 855 16,18 ..................................................... 484 17,8 ....................................................... 460 17,9 ........................................................ 460

926

Register und Verzeichnisse

17,10–11 .............................................. 460 17,11 ...................................................... 461 18,9 ....................................................... 627 20,5 ........................................................ 175 21,10–25,19 ....................................... 826 21,14 ...................................................... 152 22,10 ..................................................... 585 22,19 ..................................................... 477 23,13 ...................................................... 579 23,14 ..................................................... 800 23,15 ..................................................... 800 23,25 ..................................................... 517 24,7 ....................................................... 549 24,16 ........................................................ 47 24,19 ..................................................... 585 25,1 ........................................................ 339 25,5ff. .................................................. 568 25,19 ...................................................... 322 27,8 ....................................................... 390 27,26 ...................................................... 651 28,36 ..................................................... 218 28,49 ...................................................... 247 28,64 .................................................... 393 29,20 ...................................................... 143 29,25 ...................................................... 102 30 ........................................................... 130 30,1 ....................................................... 132 30,3 ....................................................... 272 30,4 .............................................. 132, 272 30,6 .............................................. 589, 755 30,14 ........................................................ 45 30,20 .................................................... 113 31,1–32,52 .......................................... 826 31,16 ............................................ 826, 841 31,19 ..................................................... 273 31,21 ............................................ 273, 469 32,2 ....................................................... 872

32,4 ........................................................ 717 32,7 .............................................. 153, 461 32,8 ............................. 93, 102, 847, 893 32,39 ...................................................... 717 33,10 ..................................................... 452 33,26 .................................................... 801 34,9 ....................................................... 853 ■ Josua

5,8 ......................................................... 858 10,12 ...................................................... 117 12,22 ..................................................... 574 15,9 ....................................................... 863 15,16 ..................................................... 499 15,22 ..................................................... 575 17,15 ............................................ 736, 808 22,22 ........................................... 101, 372 24,25 ..................................................... 511 ■ R ichter

1 255 2,10 .......................................................... 23 5,2 ............................................................ 33 5,14 .............................................. 117, 453 6,12 ........................................................ 817 11,26 ..................................................... 355 18,30 ..................................................... 479 ■ 1 Samuel

1,6 ......................................................... 121 1,11 ....................................................... 850 2,3 ......................................................... 815 2,29 ....................................................... 342 3,1 ........................................................... 118 3,20 ....................................................... 306 6,12 ....................................................... 588 12,21 .................................................... 880

Bibelstellenregister

13,19 ...................................................... 119 13,22 ..................................................... 119 14,47 ..................................................... 889 15,2–3 ................................................... 322 17,26.36 ...................................... 783, 875 19,20 ...................................................... 118 20,34 .................................................... 449 21,5 ....................................................... 450 21,6 ....................................................... 450 25,1 ....................................................... 265 25,4–20 ................................................. 261 25,29 .................................................... 262 26,10 ............................................ 175, 340 ■ 2 Samuel

1,18 ........................................................ 117 2,19 ........................................................ 851 14,5–17 ................................................. 261 14,13 ...................................................... 261 14,14 ..................................................... 850 16,8 ....................................................... 120 17,25 ..................................................... 499 23,20 .................................................... 499 ■ 1 Könige

1 Kön ................................................... 347 3,6–9 ..................................................... 332 3,12 ....................................................... 336 5,1 .......................................................... 335 5,4 ................................................ 138, 330 5,5 ......................................................... 335 5,9 .......................................................... 336 5,26 ....................................................... 336 6,1 ......................................................... 355 8,1 ......................................................... 345 8,46 ....................................................... 886 10,8 ....................................................... 345

927

11,11 f. ................................................. 335 18,34 .................................................... 573 19,15 ..................................................... 268 21,25 .................................................... 577 22,19 ...................................................... 851 ■ 2 Könige

4,9 ......................................................... 853 6,17 ....................................................... 845 17,9 ......................................................... 117 18,18 ..................................................... 453 21,16 ..................................................... 392 25,28 .................................................... 266 17 ........................................................... 123

■ Jesaja

1,1 .......................................................... 849 1,5 ...................................................... 849 f. 1,5–66,24* ................................ 849–869 1,11 ....................................................... 849 2,2 ......................................................... 850 2,3 .......................................................... 152 2,6 ......................................................... 850 2,7 ......................................................... 850 2,9 ......................................................... 850 2,14 ....................................................... 850 2,18 ....................................................... 855 3,2 ......................................................... 850 3,3 .......................................................... 851 3,13 .............................................. 851, 858 3,20 ........................................................ 851 4,3 .......................................................... 851 5,12 ........................................................ 851 5,22 ........................................................ 851 5,23 ........................................................ 851 5,30 ........................................................ 851 6,1 ................................................ 356, 851

928

Register und Verzeichnisse

6,2 ................................................ 851, 852 6,3 ................................. 46, 90, 752, 852 6,5 .......................................................... 852 6,6 .......................................................... 852 6,7 .......................................................... 852 6,8 .......................................................... 852 6,10 ........................................................ 874 6,13 ....................................................... 853 8,10 ....................................................... 854 8,11 ........................................................ 852 8,13 ....................................................... 853 8,14 ....................................................... 853 9,11 ....................................................... 850 9,16 ....................................................... 853 10,21 ...................................................... 752 11,1–2 .................................................. 130 11,2 ....................................................... 853 11,3 ....................................................... 853 11,9 ............................................. 600, 853 11,10 .......................................................... 6 11,13 ..................................................... 121 13,5 ....................................................... 854 13,10 ..................................................... 854 14,7 ....................................................... 854 14,9 ....................................................... 854 14,12 ..................................................... 854 14,24 ............................................ 854, 893 17,6 ....................................................... 854 17,7 ........................................................ 854 17,10 ..................................................... 855 17,11 ..................................................... 855 19,1 ....................................................... 855 19,18 ............................................ 393, 855 20,2 ....................................................... 855 20,3 ....................................................... 871 22,4 ........................................................ 814 24,5 ....................................................... 855

24,12 ..................................................... 855 24,16 ..................................................... 856 24,17 ..................................................... 856 24,18 ..................................................... 855 24,21 .................................................... 855 24,23 .................................................... 855 25,8 ....................................................... 856 26,2 ................................................ 28, 856 26,3 ....................................................... 856 26,4 .............................................. 414, 856 26,7 ....................................................... 856 26,8 ....................................................... 856 26,9 ....................................................... 856 26,12 ..................................................... 857 26,13 ..................................................... 857 26,19 ........................................... 644, 857 26,21 .................................................... 857 27,1 ....................................................... 857 27,3 ....................................................... 857 28,29 .................................................... 857 29,1 ....................................................... 808 29,4 ....................................................... 857 30,25 .................................................... 857 30,33 .................................................... 857 31,3 ....................................................... 858 34,4 ....................................................... 858 34,5 ....................................................... 858 34,6 ....................................................... 858 34,16 ..................................................... 858 34,17 ..................................................... 858 35,10 ..................................................... 858 38,3 ....................................................... 859 38,9 ....................................................... 858 38,10 ..................................................... 858 38,11 .................................................. 858 f. 38,17 ..................................................... 859 38,18 ..................................................... 859

Bibelstellenregister

38,19 ..................................................... 859 40,1 ....................................................... 860 40,2 .............................................. 860, 896 40,5 ....................................................... 860 40,12 ........................................... 755, 860 40,13 ..................................................... 860 40,17 ..................................................... 860 40,18 ..................................................... 860 40,21 .................................................... 860 40,22 .................................. 789, 810, 861 40,25 ..................................................... 861 40,26 .................................... 56, 752, 861 40,28 ........................................ 743 f., 861 41,4 ................................................ 23, 865 41,8 ....................................................... 862 41,9 ....................................................... 271 41,13 ..................................................... 862 41,14 ..................................................... 862 41,23 .................................................... 862 42,1 .............................................. 266, 271 42,5 .................................... 415, 743, 862 42,6 .............................................. 267, 862 42,9 ....................................................... 135 42,16 .......................................................... 7 42,19 ..................................................... 267 42,21 .................................................... 267 42,23 .................................................... 268 42,24 .................................................... 268 42,55 ..................................................... 744 43,7 .............................................. 808, 862 43,10 ..................................................... 862 43,11 ..................................................... 863 44,6 ................................................ 84, 863 44,8 ....................................................... 863 44,13 ........................................... 861, 863 44,18 ............................................ 763, 863 44,19 ..................................................... 863

929

44,20 ....................................................... 31 44,24 .................................................... 863 44,25 .................................................... 863 45,1 ....................................................... 268 45,2 ....................................................... 863 45,3 ....................................................... 268 45,4 ............................................. 268, 864 45,7 .................................... 736, 808, 864 45,11–13 .............................................. 134 45,15 ..................................................... 134 45,16 ..................................................... 134 45,17 ..................................................... 206 45,19 ..................................................... 725 45,23 ................................. 140, 864, 872 46,11 ..................................................... 864 46,13 .................................................... 864 47,10 ..................................................... 864 47,13 ..................................................... 864 47,15 ..................................................... 865 48,11 ...................................................... 378 48,12 .................................................... 865 48,13 .................................................... 865 48,16 ..................................................... 858 49 ........................................................... 266 49,1 ....................................................... 865 49,2 ....................................................... 268 49,3 ....................................................... 269 49,4 ....................................................... 269 49,5 ....................................................... 865 49,6 .............................................. 140, 267 49,7 .................................... 266, 269, 270 49,8 .............................................. 267, 270 49,10 ...................................................... 276 49,12 ..................................................... 275 49,26 ..................................................... 850 50,2 ....................................................... 277 50,4 ............................................................ 5

930

Register und Verzeichnisse

50,6 ....................................................... 271 51,6 ....................................................... 866 51,16 ..................................................... 866 52,1 ....................................................... 866 52,5 ....................................................... 866 52,10 ..................................................... 866 52,11 ..................................................... 866 52,12 ..................................................... 867 52,13 .................................................. 270 f. 53,11 ..................................................... 271 53,12 ..................................................... 547 54,13 ....................................................... 84 54,15 ...................................................... 141 55,1 ....................................................... 867 55,2 ....................................................... 867 55,3 ....................................................... 271 55,4 .............................................. 271, 867 55,5 .............................................. 141, 271 55,6 ....................................................... 867 55,7 ....................................................... 867 55,11 ..................................................... 128 56,3 ........................................................ 141 56,5 ........................................................ 141 56,6 ....................................................... 867 56,7 ........................................................ 141 56,8 ........................................................ 141 56,11 ..................................................... 867 57,14 ...................................................... 276 57,15 ............................................ 774, 867 57,16 ..................................................... 867 57,18 ..................................................... 868 57,19 .................................................. 745 f. 59,21 ..................................................... 469 60,1 .............................................. 596, 617 60,19 ..................................................... 868 60,20 .................................................... 868 61,1 ....................................................... 268

61,3 ........................................................ 147 63,3 ....................................................... 868 63,9 ............................................. 843, 868 63,10 ..................................................... 868 63,11 ..................................................... 868 63,12 ............................................ 730, 868 63,17 .............................................. 47, 868 64,4 .......................................................... 47 65,17 ............................................ 868, 869 65,20 .................................................... 869 65,25 .................................................... 869 66,1 ....................................................... 869 66,6 ....................................................... 869 66,7 ....................................................... 773 66,9 ....................................................... 869 66,14 ..................................................... 869 66,16 ..................................................... 869 66,20 ..................................................... 141 66,21 ..................................................... 141 66,22 .................................................... 869 66,24 .................................................... 869 ■ Jeremia

2,8 ............................................................ 33 4,22 .......................................................... 98 5,24 .......................................................... 56 8,18 ........................................................ 874 9,23 .............................................. 755, 850 10,16 ...................................................... 101 18,9 ....................................................... 847 18,18 ..................................................... 452 25,1 ....................................................... 356 25,3 ....................................................... 356 26,1 ....................................................... 808 28,4 ....................................................... 267 32,1 ....................................................... 356 41,1–3 .................................................. 126

Bibelstellenregister

42,11 ...................................................... 102 44,1 ....................................................... 393 44,26 .................................................... 394 46,25 .................................................... 100 48,7 ....................................................... 100 48,10 ...................................................... 575 52,31 ..................................................... 356 ■ Ezechiel

1,1 .......................................................... 871 1,2.26 ................................................... 812 1,24 ....................................................... 815 1,26 ........................................................ 414 1,27 ....................................................... 605 3 ............................................................. 132 4,1 ......................................................... 871 4,4 ......................................................... 871 4,9 ......................................................... 871 5,1 .......................................................... 871 8 ............................................................. 463 8,1 ......................................................... 132 8,17 ....................................................... 802 10,5 ........................................................ 874 11,13 ..................................................... 841 11,16 ..................................................... 823 12,22 .................................................... 132 14 ........................................................... 132 14,14 ...................................................... 312 16,7 ....................................................... 112 16,8 ....................................................... 112 17,8 ........................................................ 147 18 ........................................................... 132 20 ........................................................... 132 20,32 .................................................... 128 22,26 ........................................... 452, 453 23,47 .................................. 736, 808, 841 26–28 ................................................... 325

931

28,3 ........................................................ 312 33 ........................................................... 132 33,4 ....................................................... 839 36,23 ....................................................... 90 37,3 ....................................................... 127 37,11 ..................................................... 127 37,14 ............................................ 127, 589 38 ........................................................... 132 40,1 ....................................................... 356 40,2 ....................................................... 871 42,20f. ................................................. 452 43,2 ........................................................ 874 44,23 .................................................... 452 46,1 ....................................................... 449 48,35 .................................................... 815 ■ Hosea

1,2 ................................... 791, 808, 870 f. 1,3 .......................................................... 870 2,4 ......................................................... 800 3,4 ......................................................... 871 4,8 .......................................................... 451 4,15 ....................................................... 871 6,3 ......................................................... 872 6,4 ......................................................... 872 6,6 .......................................................... 755 7,15 ....................................................... 412 12,4 ....................................................... 872 12,5 ....................................................... 873 12,6 ....................................................... 873 13,8 ........................................................ 874 14,5 ....................................................... 873 14,10 ..................................................... 658 ■ Joel

1,15 ....................................................... 873 1,16 ........................................................ 874

932

Register und Verzeichnisse

3,11 .................................................... 452 f. 4,5 ............................................................ 93 5,4 ......................................................... 245

8,23 ........................................................ 141 9,12–13 ................................................. 310 9,13 .................................................... 308 f. 9–14 ...................................................... 307 10,3 ....................................................... 308 10,11 ..................................................... 308 11,10.14 ............................................... 309 11,12 ..................................................... 309 11,15 ..................................................... 309 12,10 ..................................................... 309 13,3 ....................................................... 309

■ Habbakuk

■ Ma leachi

3,4 .......................................................... 874 4,6 .......................................................... 310 ■ A mos

3,15 ....................................................... 854 4,13 .................................................... 649 f. ■ Micha

1,13 ....................................................... 895 2,2 ......................................................... 304 3,6 .......................................................... 551 ■ Haggai

1,13 ............................................. 136, 843 1,14 ........................................................ 131 2,1 .......................................................... 578 2,5 ................................................ 102, 137 2,9 ................................................ 201, 488 2,12 ....................................................... 420 ■ Sacharja

1,1 .......................................................... 871 1,8 ......................................................... 871 1,16 ....................................................... 296 2,1 ......................................................... 871 2,7 .......................................................... 331 2,8 f. ............................................. 137, 296 2,14.15 ................................................. 894 4,6 .......................................................... 131 6,12 ....................................................... 434 8,4 .......................................................... 276 8,20 ........................................................ 141

2,7 ................................................ 306, 452 3,1 .......................................................... 306 3,1.3 ...................................................... 206 3,6 .......................................................... 105 3,10 ....................................................... 305 ■ Psa l men

8,3 ............................................................ 54 8,4 .......................................................... 753 12,7 ....................................................... 896 12,8 ....................................................... 896 16,9 ....................................................... 693 16,11 ..................................................... 760 17,15 ..................................................... 760 19,8 .......................................................... 25 20,9 ....................................................... 106 24,1 .............................................. 844, 852 24,2 .............................................. 793, 810 24,6 .......................................................... 23 30,13 ..................................................... 693 31,20 ..................................................... 834 34,13 ................................................. 23, 35 34,14 ........................................................ 23 39,7 ....................................................... 882

Bibelstellenregister

44,2 ........................................................ 361 44[,10] .................................................. 372 44,12 ..................................................... 361 44,13 ..................................................... 361 44,14 ...................................................... 361 44,20 .................................................... 362 44,21 f. ................................................. 362 44,23 .................................................... 362 44,24 .................................................... 362 49,16 ...................................................... 814 50,3 ....................................................... 889 50,12 ............................................ 819, 849 51,14 ...................................................... 819 51,17 ..................................................... 738 55,20 ..................................................... 774 59,1 ....................................................... 369 59,2 ....................................................... 369 59,6 ....................................................... 369 59,14 ..................................................... 369 60,1–2 .................................................. 369 60,3–6 .................................................. 369 60,8–9 ................................................... 372 60,11 ...................................................... 372 63,34 ..................................................... 811 68,5 .............................................. 414, 856 68,18 ...................................................... 769 68,34 ..................................................... 811 69,2 ....................................................... 368 69,10 ..................................................... 368 69,36 ..................................................... 369 69,37 ..................................................... 369 72,19 ..................................................... 844 73,24 ........................................... 693, 814 73,28 .................................................... 760 74,1 ....................................................... 362 74,3 ....................................................... 362 74,4 ....................................................... 363

933

74,8 ....................................................... 153 74,9 ....................................................... 363 74,18 ..................................................... 363 74,22 ..................................................... 363 76,11 ..................................................... 581 78,3 .............................................. 124, 393 79,1 .............................................. 170, 363 79,2 ....................................................... 363 80,5 ........................................................ 101 80,14 ...................................................... 479 83,2 ....................................................... 363 83,9 ....................................................... 363 84,3 ........................................................ 819 84,7 ............................................................ 7 85,2 ....................................................... 364 85,9 ....................................................... 364 89,7 ....................................................... 778 92,6 ....................................................... 815 94,9-10 .................................................... 56 102 ........................................................ 694 102,26 f. .............................................. 694 102,27 .................................................. 694 104,2 ....................... 781, 791, 793, 809 104,2f. ................................................... 810 104,3 ..................................................... 810 104,3f. ................................................... 810 104,4 ..................................................... 809 104,5 ................................................. 809 f. 104,29 .................................................. 342 104,31 .................................................. 634 105 ........................................................ 793 106 ............................................... 274, 376 106,17 .................................................. 449 106,27 .................................................. 377 106,33 .................................................. 842 106,46 f. .............................................. 275 107 ......................................................... 274

934

Register und Verzeichnisse

107,1 ..................................................... 275 107,2 ............................................ 275, 377 107,3 ..................................................... 275 107,4 ..................................................... 275 107,10 .................................................... 276 107,11 .................................................... 276 107,16 .................................................... 276 107,17 .................................................... 276 107,23 ................................................... 276 107,33 .................................................. 377 107,34 .................................................. 277 107,35–38 ........................................... 277 107,39 .................................................. 277 107,40 .................................................. 277 107,41 ................................................... 277 107,42 ................................................... 277 107,43 ................................................... 277 108,2 ..................................................... 372 111 ......................................................... 376 111,1 ............................................ 378, 381 111,5 ..................................................... 381 111,9 ..................................................... 636 111,10 .................................................. 328 112 ......................................................... 376 113 ......................................................... 376 113–118 ...................................... 278, 379 114,3 ..................................................... 382 115,1 ...................................................... 378 118,21 .................................................. 380 119 ........................................................ 387 119,1 ..................................................... 381 119,7 ..................................................... 388 119,9 ..................................................... 388 119,20 .................................................. 388 119,21 .................................................. 388 119,22 .................................................. 389 119,23 .................................................. 389

119,24 .................................................. 388 119,27 .................................................. 388 119,46 .................................................. 389 119,63 .................................................. 388 119,69 .................................................. 388 119,85 .................................................. 388 119,86 .................................................. 389 119,89 .................................................. 784 119,91 .................................................. 865 119,99 .................................................. 388 119,100 ................................................ 388 119,104 ................................................ 388 119,105 ................................................... 23 119,113 ................................................ 388 119,118 ................................................ 388 119,126 .................... 352, 601, 607, 611 119,141 ................................................ 388 119,150 ................................................ 388 121,2 ..................................................... 760 123,1 ..................................................... 801 132,1 ..................................................... 364 132,2.5 ................................................. 850 132,8 .................................................... 365 132,9 ..................................................... 365 132,16 .................................................. 365 132,17 .................................................. 365 135 ......................................................... 376 136 ......................................................... 376 136,1 ...................................................... 375 136,25 .................................................. 381 137 ......................................................... 131 139 ......................................................... 332 139,8 ..................................................... 858 139,15 .................................................. 713 139,16 .......................................... 415, 713 139,23 ..................................................... 23 144,1 ..................................................... 368

Bibelstellenregister

144,10 f. ............................................... 368 144,11 .................................................. 368 145 ........................................................ 381 145,16 ................................................... 381 146–150 ................................................ 376 146,7 ..................................................... 837 148,1 ............................................ 382, 414 148,1–9 ................................................ 793 148,2 ...................................................... 782 148,5f. .................................................. 880 148,13 .................................................. 880 149,1 ..................................................... 365 150 ......................................................... 376 150,1 ..................................................... 382 ■ Ijob

3,22 .......................................................... 26 4,19 ....................................................... 875 7,10 ........................................................ 860 8,4 ............................................................ 47 8,8 .......................................................... 261 8,9 ......................................................... 787 11,3 ....................................................... 863 11,12 ........................................................ 80 13,4 ....................................................... 827 13,16 ..................................................... 595 14,4 ....................................................... 635 14,14 ..................................................... 860 16,3 ........................................................ 818 18,3 ........................................................ 821 22,22 .................................................... 860 22,24 ........................................... 815, 874 22,25 ........................................... 815, 874 23,13 ..................................................... 778 25,3 ........................................................ 732 26,11 ........................................................ 29 28,12 .............................................. 54, 759

935

28,23 ..................................................... 759 28,24 .................................................... 754 28,25 .................................................... 754 32,19 ..................................................... 829 33,20 .................................................... 867 33,23 .......................................... 883, 888 33,29 .................................................... 636 33,33 .................................................... 806 34,14 f. ................................................. 342 34,29 .................................................... 889 36,16 ..................................................... 883 37,6 ........................................................ 414 38,4 .................................................... 738 f. 38,6 ....................................................... 895 38,31 .................................................... 877 38,33 .................................................... 805 42,7 ....................................................... 594 42,8 ....................................................... 846 ■ Sprüche

2,1 ..................................................... 25, 26 2,5 .......................................................... 755 2,6 .................................................. 54, 760 2,10 .......................................................... 54 3,15 ........................................................ 570 3,18 .......................................................... 26 3,19 ........................... 412, 761, 769, 793 3,20 ........................................................ 769 3,35 ........................................................ 337 6,16 ....................................................... 886 6,18 ....................................................... 886 8,11 ........................................................ 570 8,12 ........................................................ 763 8,14 ........................................................ 762 8,22 ........................... 411, 659, 761, 768 8,26 ........................................................ 811 8,27 ....................................................... 764

936

Register und Verzeichnisse

8,28 ....................................................... 764 8,30 .......................................... 764 f., 770 8,31 .............................................. 765, 770 9,1 ........................................................... 763 9,10 ........................................................ 763 11,3 ........................................................ 651 13,16 ............................................ 448, 874 13,22 .................................................... 834 14,12 ..................................................... 403 15,3 ....................................................... 895 15,23 .................................................... 441 16,2 ....................................................... 877 19,20 ..................................................... 125 19,20–21 ............................................. 258 22,17 ..................................................... 334 22,20 ....................................... 155, 321 f. 22,21 .................................................... 875 23,22 .................................................... 594 24,21 .................................................... 892 24,27 .................................................... 409 25,1 ....................................................... 334 25,2 ........................................................ 759 25,12 ...................................................... 416 26,7 ........................................................ 874 29,9 ....................................................... 726 30,1 ....................................................... 334 30,4 ........................................................ 759 30,6 ....................................................... 336 30,21 ....................................................... 29 31,1 ....................................................... 334 ■ Hohel ied

1,4 .......................................................... 1,6 ......................................................... 1,12 ....................................................... 1,13 ....................................................... 5,2 .........................................................

894 894 894 894 894

5,6 ......................................................... 894 5,11 ....................................................... 894 5,12 ....................................................... 894 5,13 ....................................................... 895 5,15 ....................................................... 895 6,2 ......................................................... 895 6,5 ......................................................... 895 6,6 ......................................................... 895 6,7 ......................................................... 895 6,11 ....................................................... 895 6,12 ....................................................... 199 7,6 .......................................................... 895 8 ............................................................. 895 8,4 ............................................................ 24 8,5 ......................................................... 896 8,8 ......................................................... 896 8,9 ......................................................... 896 8,10 ....................................................... 896 8,13 ....................................................... 896 8,14 ....................................................... 896 ■ Kohelet

1,1 ................................................. 330, 347 1,2 .................................. 338, 349 f., 877 1,3 .................................. 338, 877 f., 880 1,4 .......................................................... 878 1,5 ......................................................... 878 1,6 .......................................................... 755 1,7 ................................................. 755, 879 1,8 ................................................ 667, 879 1,9 .......................................................... 880 1,12 .................................... 330, 347, 880 1,13 .................................................... 880 f. 1,14 ....................................................... 880 1,15 ....................................................... 881 1,16 .................................... 330, 347, 349 2,3 .......................................................... 331

Bibelstellenregister

2,4 ......................................................... 346 2,4–7 ..................................................... 346 2,13 ....................................................... 882 2,21 .................................... 351, 413, 882 2,24 ........................................................ 339 3,1 ................................................. 339, 882 3,1–8 ..................................................... 341 3,2 ......................................................... 882 3,5 ......................................................... 882 3,7 .......................................................... 882 3,8 ......................................................... 882 3,11 ....................................................... 341 3,12 ....................................................... 882 3,13 ........................................................ 339 3,14 ....................................................... 882 3,14 f. .................................................... 341 3,15 ............................................. 882, 883 3,17 .................................................... 338 f. 3,19 ....................................................... 338 3,20 ....................................................... 415 3,21 ....................................................... 883 4,3 ......................................................... 884 5,1 f. ....................................................... 351 5,5 .......................................................... 331 5,7 ....................................................... 884 f. 5,8 ......................................................... 347 5,17 ....................................................... 345 5,18 ........................................................ 339 5,19 ........................................................ 331 6,2 ......................................................... 592 6,10 ........................................................ 331 7,3 ....................................................... 885 f. 7,10 ........................................................ 885 7,12 ....................................................... 885 7,14 ..................................................... 885 f. 7,18 ....................................................... 886 7,19 ............................................. 348, 886

937

7,20 ....................................................... 886 7,25 .................................................... 886 f. 7,26 ....................................................... 887 7,27 .......................................... 345, 887 f. 8,1 ......................................................... 888 8,3 ......................................................... 888 8,7 ......................................................... 888 8,8 ...................................................... 888 f. 8,15 ....................................................... 338 8,14 ........................................................ 332 8,17 ........................................................ 332 9,2 .......................................................... 331 9,11 ....................................................... 889 9,14 ....................................................... 348 10,1 ....................................................... 889 10,2 ....................................................... 889 10,17 ..................................................... 347 10,18 ..................................................... 890 11,1 ........................................................ 351 11,2 .............................................. 351, 890 11,3 ........................................................ 351 11,7 ....................................................... 890 11,8 ........................................................ 331 11,9 ....................................................... 342 11,10 ..................................................... 342 12,1 .............................................. 331, 342 12,2 .............................................. 858, 890 12,3 .................................................... 890 f. 12,5 ........................................................ 891 12,6 ........................................................ 891 12,7 .................................... 341, 814, 891 12,8 ........................................................ 891 12,9 ........................................................ 891 12,9 f. ................................................... 349 12,10 ..................................................... 877 12,11 ............................................ 327, 328 12,11 f. ................................................. 155

938

Register und Verzeichnisse

12,12 .................... 278, 280, 328 f., 460 12,13 ........................................... 328, 891 12,14 ...................................................... 891 ■ K lagel ieder

1,7 ........................................................... 473 1,22 ....................................................... 815 3,23 ....................................... 11, 147, 895 4,20 ....................................................... 268 ■ Ester

1,7 .......................................................... 892 1,14 ....................................................... 892 3,7 .......................................................... 892 4,3 ......................................................... 893 7,8 .......................................................... 893 9,19 ........................................................ 319 9,20 ........................................................ 319 9,23 ........................................................ 319 9,26 f. .................................................... 319 9,31 ........................................................ 324 9,32 ....................................................... 323 9,28–32 ................................................. 319 ■ Daniel

1,20 ........................................................ 312 1,21 .............................................. 312, 316 2,11 ..................................... 777, 817, 875 2,49 ........................................................ 313 3,30 ........................................................ 313 3,31 ........................................................ 313 6,29 .............................................. 313, 317 7,1 f. ....................................................... 314 7,2 ........................................................... 314 7,25 ........................................................ 361 8 .............................................................. 314 8,16 ....................................................... 413

8,20 ....................................................... 358 8,23 ........................................................ 361 9 .............................................................. 314 9,27 ....................................................... 160 10,11 ............................................ 102, 311 10,11.19 ................................................ 318 10,14 ...................................................... 315 10,20 ..................................................... 864 10,21 ..................... 103, 730 f., 751, 782 11,14 ..................................................... 309 11,15 ............................................ 158, 308 11,16 ..................................................... 308 11,20 ................................................. 158 f. 11,21 ..................................................... 159 11,28 .................................................... 159 11,29 ..................................................... 159 11,30 ........................................... 159, 361 11,31 ..................................................... 160 11,32 ................................... 159, 161, 361 11,33 ...................................................... 361 11,34 ..................................................... 165 11,35 ..................................................... 888 12,2 ........................................................ 870 12,3 ........................................................ 361 ■ Esra

1,1–3 ..................................................... 292 1,1 ................................................. 134, 292 1,2 ......................................................... 268 2,1 .......................................................... 331 2,57 ....................................................... 345 4,5 f. ...................................................... 288 4,6 ......................................................... 295 4,24 ....................................................... 289 6,22 ....................................................... 289 7 ............................................................. 290 7,6 .......................................................... 139

Bibelstellenregister

7,7 .......................................................... 454 7,9 .......................................................... 135 7,10 ............................................... 140, 154 7,11 ....................................................... 454 7,25 ....................................................... 154 8,1 ......................................................... 293 9,9 .......................................................... 207 10,8 ....................................................... 127 12,8 ....................................................... 345 ■ Nehemia

1,1 ................................................ 288, 290 1,3 ................................................ 277, 331 2,14 ........................................................ 817 2,16 ....................................................... 347 5,14 ....................................................... 290 6,7 ................................................ 306, 347 6,12 ....................................................... 306 6,14 ....................................................... 306 7,5 .......................................................... 288 7,6 ................................................. 288, 331 7,65 ....................................................... 206 8 ............................................................. 154 8,8 .................. 139, 153, 448, 455, 602 8,12 ....................................................... 139 8,13 .......................... 139, 300, 328, 758 9,6 ................................................. 811, 858 9,36 .............................................. 138, 207 9,37 ....................................................... 138 10,1 ....................................................... 207 10,38 ...................................................... 143 10,39 ...................................................... 143 11,3 ....................................................... 298 12 ........................................................... 291 12,10 f. ................................................. 291 12,12 .................................................... 291 12,23 .................................................... 291

939

12,45 ..................................................... 512 13,3 ........................................................ 143 13,6 ....................................................... 290 ■ 1 Chronik

2,55 ....................................................... 453 3,19 ....................................................... 266 3,19–24 ................................................ 293 4,22 ....................................................... 298 4,23 ....................................................... 653 5,26 ....................................................... 877 6,18 ....................................................... 894 7,18 ....................................................... 347 9,2 ......................................................... 298 9,22 ........................................................ 118 12,33 .................................................... 888 16,7 ....................................................... 377 16,35 ..................................................... 377 23,27–28 .............................................. 512 25,8 ....................................................... 455 26,16 ..................................................... 853 28,9 ................................................ 85, 755 29,29 ..................................................... 849 ■ 2 Chronik

13,9 ....................................................... 13,10 ..................................................... 15,3 ....................................................... 16,2 ....................................................... 19,8 ....................................................... 19,8–10 ................................................ 19,10 ..................................................... 30,9 ....................................................... 36,23 ....................................................

122 106 452 760 452 454 452 377 292

940

4. APOKRYPHEN (SEFARIM ḤIṢONIIM) ■ Jesus Sirach

6,34-37 ................................................ 38,24[25] ............................................. 39,1 ....................................................... 48,19-28 ..............................................

157 157 157 263

■ 1 Makkabäer

1,54 ........................................................ 162 2,37 ........................................................ 162 2,41 ........................................................ 162 2,42 ff. ................................................... 162 2,44 ........................................................ 162 3,46-49 ................................................. 162 4,29 ........................................................ 370 4,44 f. .................................................... 163 4,59 ........................................................ 163 6,48-54 ................................................. 370 5. CHRIST L ICHE AUTOREN

Neues Testament 1,17 ..................................................... XLVI 15,2 ....................................................... 512 ■ Apostelgeschichte

22,3 ....................................................... 224

■ Eusebius

Praeparatio Evangelica ............. 433 Sermo 30

...........................................

■ 2 Makkabäer

2,13-15 ................................................ 383 14,3f.,6 ................................................. 163

6. PAGANE AUTOREN

Ga lenus, Claudius – De usu partium III 10 .................. 55

■ Matthäus

■ Ephraem der Syrer

7,12-17 .................................................. 163 7,16 ......................................................... 165 9,23 ........................................................ 163 9,52 ........................................................ 370 9,71 ........................................................ 163 10,12 f. ................................................. 164 10,14 ..................................................... 371 13,47 ..................................................... 164 13,50 .................................................... 164 13,50f. ................................................. 164 14,7 ....................................................... 371 14,33 ..................................................... 371

638

Plutarch – De Isiside et Osiride ................. 431

941 7. RABBINISCHE LITERATUR ■ Targum Yerusha l mi

zu Gen 1,1 ......................................... 413 zu Dtn 32,8 f. ....................................... 99 ■ Targum Yonatan

zu Num 24,24 .................................. 159 zu Jes 6,3 ........................................... 752 ■ Megi llat Taʽanit

(hg. v. Lichtenstein) 3. Tishri: XVI (282 f.) .................... 126 7. K islew: XXX (293) ..................... 216 *22. Shevaṭ: XXXI (300) .............. 222 28. Adar: XII (279) ............... 362, 386 23. Iyyar: XVII (286 f.) ................. 366 14. Siwan: XV (281) .............. 164, 371 14. Tammuz: III (295) ................... 484 22. Tammuz, siehe 22. Shevaṭ ■ Schol ion zu Megi llat Taʽanit

(hg. v. Noam) ohne Stellenangabe ................. XLIV 21. K islew ................................. 148, 301 28. Adar ............................................. 362 14. Siwan ........................................... 371

■ Pea

1,4 2,2 2,5 3,3

494 ......................................................... 502 ......................................................... 504 ......................................................... 503 .........................................................

■ K i l ᾽ayim

6,6 ......................................................... 509 ■ Maʽaser Sheni

5,15 .............................................. 168, 170 ■ ʽOrla

2,6 ......................................................... 526 3,9 ......................................................... 464 ■ Shabbat

1,1 ......................................................... 493 1,3 ......................................................... 508 2,1 ......................................................... 459 2,3 ......................................................... 494 6,1 ................................................ 472, 493 6,6 ......................................................... 493 12,1 ....................................................... 494 ■ Pesaḥim

■ Megi llat Ta‛anit batra

(hg. v. Lurie) 21 (201) ............................................... 395

1,1 ..................................... 493, 504, 508 7,2 ......................................................... 243 9,6 ......................................................... 502

■ Mishna (hg. v. A lbeck)

■ Sheqa l im

Berakhot 1,1 ......................................................... 495 5,1 ......................................................... 535

4,2 ......................................................... 221 6,6 ......................................................... 495

942

Register und Verzeichnisse

■ Yoma

1,1 ......................................................... 1,5 ......................................................... 3,8 ......................................................... 3,9 ......................................................... 3,10 ....................................................... 5,4 ......................................................... 7,4 ..........................................................

210 179 538 416 226 365 538

■ Sukka

5,8 ................................................ 160, 166

■ Beṣa

2,4 ......................................................... 542 ■ Rosh ha-Shana

1,1 ......................................................... 356 ■ Megi lla

1,10 ....................................................... 521 4,1–2 ..................................................... 521 4,9 ......................................................... 655 ■ Ḥagiga

1,8 ................................................ 514, 541 2 .......................................... 486, 491, 757 2,1 ..................................................... 37, 45 2,2 ......................................................... 542 2,3 ......................................................... 542 ■ Yevamot

1,3 ......................................................... 2,10 ....................................................... 6,4 ......................................................... 8,3 ......................................................... 12,1 .......................................................

491 568 230 504 568

■ Ketubbot

5,3 ......................................................... 493 11,2 ....................................................... 565 11,3 .................................................... 565 f. 13,1 ....................................................... 485 ■ Nedarim

5 .............................................................. 516

■ Sota

3 .............................................................. 176 6,2 ......................................................... 375 9,9 ............................................... 228, 240 9,14 .............................................. 217, 244 9,15 ....................................................... 400 ■ Giṭṭin

1,1 ......................................................... 563 3,6 ......................................................... 394 5,6 ............................................... 240, 525 ■ Bava Qamma

1,1 ......................................................... 1,2–3 .................................................... 3,11 ....................................................... 8,2 .........................................................

492 492 169 521

■ Bava Meṣiʽa

9 .............................................................. 516 ■ Bava Batra

7,2 ......................................................... 503 7,4 .......................................................... 503 9,2 ......................................................... 567

R abbinische Literatur ■ Sanhedrin

1,3 ......................................................... 568 3,4 ......................................................... 493 5,2 ......................................................... 526 10,1 .............................................. 278, 322 10,3 ....................................................... 412 11,3 .............................................. 461, 462 ■ Makkot

1,10 ....................................................... 175

■ Shevuʽot

1,1 ......................................................... 521

■ ʽEduyot

1,3 1,6 5,3 5,6 8,4 8,7

......................................................... ......................................................... ......................................................... ......................................................... ......................................................... .........................................................

■ Avot

502 489 335 402 492 182

1 ............................................................. 328 1,1 ............................ 156, 461, 470, 480 1,2 ...................................... 157, 213, 301 1,3 ............................................................ 33 1,4 ...................................... 224, 301, 303 1,13 ....................................................... 336 1,18 ....................................................... 758 2,6 ......................................................... 409 2,11 ....................................................... 405 2,13 ....................................................... 405 2,14 ....................................................... 405 2,19 ....................................................... 399 3,1 ............................................... 342, 175 3,9 ......................................................... 483

943

3,11 .................................................... 400 f. 3,12 .............................................. 401, 410 3,13 ....................................................... 401 3,18 ................................................ 20, 113 3,19 ................................................ 47, 340 3,21 ............................................. 401, 402 4,14 ....................................................... 399 4,28 ....................................................... 406 4,29 .................................... 406, 648, 651 5 ............................................................. 407 5,13 ....................................................... 407 5,14 ....................................................... 407 5,15 ....................................................... 407 5,16 ....................................................... 408 5,17 ....................................................... 408 5,18 ....................................................... 408 5,21 ....................................................... 868 5,23 ....................................................... 538 ■ Pereq Qinyan Tora

4 ............................................................. 406 ■ Zevaḥim

9,1 ......................................................... 493

■ Menaḥot

4,4 ............................................................ 89 6,2 ......................................................... 539 ■ Ḥu ll in

1,4–6 .................................................... 521 5,3 ......................................................... 564 ■ ʽA rakhin

2,3-5 ..................................................... 521 4,1 ......................................................... 502 15,2 ....................................................... 584

Register und Verzeichnisse

944

4,7 ......................................................... 503

■ Tamid

1,1 ...................................................... 529 f. 3,7 ......................................................... 533 3,8 ......................................................... 536 5,2 ......................................................... 535 7,1 .......................................................... 534 7,2 ......................................................... 535 7,4 .......................................................... 539 ■ Middot

1,2 1,4 1,6 1,8 1,9 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 3,4 4,2 5,4

529, 537 ......................................................... 532 ......................................................... 166 ......................................................... 529 ...................................................... 529 f. ......................................................... 535 ......................................................... 533 ......................................................... 532 ......................................................... 531 ......................................................... 532 ......................................................... 535 ......................................................... 533 ......................................................... 531 ................................................

■ Kel im

11,6 ....................................................... 13,6 ....................................................... 17,5-7 ................................................... 17,8 ....................................................... 17,12 ..................................................... 30,4 .......................................................

420 505 509 493 462 523

■ Oha lot

16,1 ....................................................... 493 ■ Negaʽim

2,5 ......................................................... 578

■ Yadayim

3,5 ......................................................... 335 4,6 ......................................................... 184 4,8 ......................................................... 387 ■ Tosefta (hg. v. Lieberman / hg. v. Zuckermandel)

Demai 2,1 (47)* ............................... Ma‛aser Sheni 1,6 (86) ................. Shabbat 1,17 (4) ................................................ 18,1 (80) .............................................. Yoma 1,3 (225) ................................ Ḥagiga 2,9 (383) .............................................. 3,1 (386) .............................................. Sota 13,5 (231) ................................ Ketubbot 5,9 (256) ........................ Yevamot 12,9 (42) ......................... Sanhedrin 7,11 (427) ................... ʽAvoda Zara 3,10 (464) ................. Miqwa’ot 5,4 (657) .........................

420 253 390 656 235 488 421 184 236 568 544 405 458

■ Midraschim Mekhi lta de-Rabbi Yishma’el Be-sha llaḥ 6 (137) ......................... 584 Be-sha llaḥ 9 (146) ......................... 591

Ba-ḥodesh 4 (216) ............................ 83 Ba-ḥodesh 6 (227) ......................... 249 Mishpaṭim (Neziqin) 6 (270) ... 342 ■ Sifra (hg. v. Weiss)

Ṣaw Pq. 11,6 (35a) .......................... 504 Shemini Psh. 8,4 (55a) ................ 462 A ḥare Pq. 13,14 (86b) .................. 602

R abbinische Literatur ■ Sifre Bemidbar (hg. v.

Horovitz) Be-haʽa lotekha 73 (69) ................ 463 Shelaḥ 112 (121) ............................................. 648 115 (128) ............................................ 128 ■ Sifre Devarim (hg. v. Finkelstein)

Devarim 1 (6) .................................. 581 Wa-etḥanan 32 (54) ........................ 64 ‛Eqev 41 (85) ..................................... 570 ‛Eqev 48 (112) .................................. 441 ʽEqev 49 (115) ......................... 571, 610 Re’e (151) ........................................... 628 Ha’azinu 306 (337) ........................ 505 Ha’azinu 333 (383) ........................ 273 ■ Bereshit R abba

(hg. v. Theodor/A lbeck) 1,1 (1) .......................................... 411, 764 1,4 (6) .......................................... 732, 767 2,4 (16 f.) ............................................. 160 3,4 (20) ................................................... 46 5 (Ende) .............................................. 584 5,8 (37) ................................................ 415 7,5 (54) ................................................ 654 8,1 (55) ....................................... 415, 419 8,3 (59) ................................................ 410 8,5 (226) .............................................. 653 9,5 (70) ................................................ 481 10,6 (80) ................................................. 68 11,6 (95) .............................................. 414 12,4 (100) ........................................... 411 12,10 (108) ................................ 414, 624 12,11 (109 f.) ..................................... 415 12,12 (110) ......................................... 415

945

13,3 (115) ........................................... 812 16,3 (146) ........................................... 584 19,3 (172) ............................................ 391 27,1 (225 f.) ........................................ 414 27,4 (256) ............................................ 410 31,7 (280) ........................................... 412 34,11 (321–322) ............................... 799 39,1 (365) ....................................... 55, 63 42 (399–407) ..................................... 576 49,9 (501) ........................................... 408 51,3 (535) .............................................. 47 56,4 (598–599) ................................. 587 61,3 (660) ........................................... 250 64,9 (712) ................................. 243, 584 68,9 (778) ........................................... 409 83 (1001) ............................................. 584 85,2 (1032) ......................................... 317 94,3 (1173) ......................................... 500 ■ Shemot R abba (Wi l na)

42,9 (71d) ........................................... 249 52,4 (82c) ........................................... 120

■ Wayiqra R abba (hg. v. Marga liout)

1,3 (5) ................................................... 1,3 (8) .................................................. 3,1 (55) ................................................ 6,6 (142 f.) .......................................... 11,7 (228) ...........................................

578 298 544 264 576

■ Bemidbar R abba (Wi l na)

15,4 (65a) ........................................... 478 18,21 (76c) ......................................... 550 ■ Devarim R abba (Wi l na)

1,22 (100a) ......................................... 100

Register und Verzeichnisse

946

■ Ekha R abba (hg. v. Buber)

1,5 (33a–b) ........................................ 236 1,16 (45a–b) ...................................... 596 1,16 (45b) ........................................ 596 f. 2,4 (51a) .............................................. 250 2,5 (50b) ............................................. 240 3,23 (66b) .................................. 147, 258 4,2 (71b) .................................... 235, 247 ■ Ekha R abba (Wi l na)

1,16 (18c) ............................................ 596 1,41 (18d) .................................. 245, 247 1,45 (17c) ............................................ 247 ■ Ester R abba (Wi l na)

Petiḥta 11 (2b)

................................

■ Midrash Mish le (hg. v. Buber)

11,27 (35b) ......................................... 575 22,28 (47a) ......................................... 641 ■ Midrash Tehillim (hg. v. Buber)

1,15 (7b) .............................................. 585 90,5 (196b) ........................................ 281 ■ Midrash Temura (in: Bet haMidrash, hg. v. Jellinek)

8 ............................................................. 743 576

■ Rut R abba (Wi l na)

Petiḥta 7 (2a) ................................... 576 ■ Shir ha-Shirim R abba (Wi l na)

1,7 (2a) ................................................ 587 1,8 (2b) ........................................... 11, 54 1,15 (13a) ........................................... 591 1,55[57] (11d) ................................... 576 2,1 (95a) ................................................. 99 3,25 (22c) ........................................... 413 4,4 (23c) .............................................. 375 8,9 ......................................................... 245 ■ Qohelet R abba (Wi l na)

12,1 (29d) ........................................... 342 12,8[9] (30d) ..................................... 587 12,12 (31b) ............................... 280, 328

1,1 (1b) ................................................ 345 1,12 (5c) .............................................. 334 5,20 (16c) ........................................... 590 6,2 (17a) ............................................... 574 7,13 (19a) ............................................ 584 7,19 (21a) ............................................ 375

■ Pesiqta R abbati

(hg. v. Friedmann) 26 (128b) ............................................ 587 36 (161a-162b) ................................. 596 ■ Pirqe de-R abbi El iʽezer

(hg. v. Luria) 3 (5b) .................................................... 767 3 (7b) .................................................... 781 3 (7b–8a) ............................................... 46 ■ Seder El iyahu R abba

(hg. v. Friedmann) 2 (6) ...................................................... 359 ■ Seder ʽOlam R abba

(hg. v. Ratner) 1 (1a) .................................................... 354 1-10 (7a-23a) ...................................... 114 2 (6b) .................................................... 111 5 (12a) ................................................. 355

R abbinische Literatur

15 .......................................................... 16 (34a) ............................................... 19-20 (38a-44a) ............................... 20-29 (44a-68a) .............................. 26 (60a) ............................................... 29 (66b) ............................................... 30 (68b-69a) ..................................... 30 (71a) ............................................... 30 (71b) ............................................... 30 (73a) ............................................... 30 (73b) ...............................................

121 126 207 326 126 356 297 146 204 217 546

■ Seder ʽOlam Zuṭa

71 .......................................................... 282 166 f. ..................................................... 207 ■ Tanḥuma be-sha llaḥ 16 (116a) .................... 479

shemeni 8 (198a) ........................... 478 shemeni 9 (199b) ........................... 576 be-ḥuqqotai 3 (237b) ...................... 54

■ Targum Ester Sheni ohne Stellenangabe .................... 587

1,2 ......................................................... 587 5,1 ......................................................... 587

(237d) .................................................. Korah 16 § 750 (251a) ................... ‛Eqev 11 § 855 (295c) .................... Jes 8 § 413 (390b) ............................ Jes 60 § 499 (404c-d) .....................

■ Ta l mud Yerusha l mi

(K rotoschin) Berakhot 2,1 (4b) ................................................ 608 3,4 (6c) ................................................ 543 5,2 (9b) ................................................ 501 6,1 (14a) .............................................. 408 7,3 (11c) .............................................. 594 9,1 (12d) .................................... 410, 647 9,2 (13c) .............................................. 590 9,5 (14c) .............................................. 594 ■ Pea

(hg. v. Neubauer)

■ Ya lquṭ Shimʽoni Be-haʽa lotekha 10 § 724

947

464 585 281 264 596

1,1 (15d) ............................................. 570 2,4 (17a) .................................... 503, 558 2,6 (17a) ..................................... 513, 592 8,8 (21a) ................................................ 32 ■ K i l ᾽ayim

2,2 (27d) ............................................. 508 ■ Maʽaserot

1,2 (48d) ............................................. 603 3,4 (51a) .............................................. 595 3,10 (51a) ........................................... 581 ■ Bikkurim

1,9 (64b) ............................................. 239

■ Shabbat

1,4 (4a) ................................................ 390 1,5 (3c) ................................................ 400 8,1 (11a) .............................................. 503 16,1 (15c) ................ 571, 595, 607, 611 ■ Rosh ha-Shana

1,2 (56d) ............................................. 654

948

Register und Verzeichnisse

■ Beṣa

2 ............................................................. 491 ■ Taʽaniyot

1,1 (3a) ................................................ 481 4,5 (68b) ................................... 250, 256 4,8 (68c) .............................................. 560 ■ Sheqa l im

■ Ketubbot

2,4 (26b-c) ......................................... 527 2,4 (26c) .............................................. 550 3,8 (33b) ............................................. 550 ■ Qiddushin

1,7-8 (61b) ............................................. 91

■ Sanhedrin

3,2 (47c) .............................................. 503 3,4 (47c) .............................................. 400 4,2[3] (48a) .............................. 485, 533 5,1 (48c) .................................... 538, 547

6,6[8] (23c) .............................. 185, 348 10,1 (28a) .................................. 278, 328 10,2 (28b) .................................. 577, 588 11,4 (11,6[4]) ..................................... 458

■ Megi lla

■ Makkot

1,7 (70d) ............................................. 307 4,1 (74d) .............................................. 513

2,6 (31d) ............................................. 327

■ Ḥagiga

3,5 (48c) ..................................... 558, 574 3,8 (48c) .............................................. 592 5,3 (47d) ............................................. 527

1,8 (76c) .............................................. 542 1,8 (76d) .................................... 503, 513 2 ............................................................. 491 2,1 (77a) .......................................... 37, 40 2,1 (77c) .............................................. 578 2,2 (77d) ............................................. 348 3,1 (78d) ............................................. 399 ■ Moʽed Qatan

3,3 (82a) ............................................. 485 ■ Yevamot

8,1 (8d) ................................................ 253

■ Sota

3,4 (19a) ................................................. 32 7,3 (21c) .............................................. 122

■ Horayot

■ Ta l mud Bavl i (Wi l na)

Berakhot 2a .......................................................... 459 4b .......................................................... 381 7a .............................................................. 46 8a ................................................. 583, 591 9b .......................................................... 416 10a ................................................. 67, 720 16b ........................................................ 421 17a ........................................................... 47 18b ........................................................ 499 22a ........................................................ 543 23a ........................................................ 606 28a ............................................... 524, 601 29a ............................................... 182, 187

R abbinische Literatur

32a ................................. 377 f., 380, 525 32b ........................................................ 402 33a ........................................................ 511 33b .................................................. 47, 175 34b ........................................................ 402 48a ........................................................ 189 48b ............................................... 256, 510 55a ........................................................ 624 55b ........................................................ 608 56a ........................................................ 608 58b ........................................................... 65 59a ............................................... 590, 596 60a ............................................... 407, 821 60b ........................................................... 46 61b ........................................................ 584 63a ........................................................ 352 ■ Shabbat

3a ........................................................... 530 11a ............................................... 508, 614 13b ........................................... 213, 384 f. 14a ........................................................ 399 14b ........................................................ 513 15a ..................................... 213, 285, 390 16b ........................................................ 279 17a ........................................................ 390 22b ........................................................ 102 24b ........................................................ 390 27b ........................................................ 530 30a .............................................. 336, 602 30b .............................................. 384, 602 33b ........................................................ 406 47a ........................................................ 530 55a ........................................................ 641 55b ........................................................ 254 88a ........................................................ 651 89b ........................................................ 111

949

104a ............................................. 651, 653 105b ..................................................... 591 114a ...................................................... 550 115b ..................................................... 607 116a ...................................................... 657 118b ..................................................... 382 121b ..................................................... 560 140b ..................................................... 609 149a ............................................ 648, 656 149b ...................................................... 609 152b ..................................................... 654 153b ..................................................... 391 156a ...................................................... 102 156b ..................................................... 531 ■ ʽEruvin

11b ........................................................ 609 13a ........................................................ 481 13b ...................................... 527, 667, 693 19a ........................................................ 550 21b ........................................................ 460 62b ........................................................ 615 ■ Yoma

8b .......................................................... 205 14b ........................................................ 536 16a ........................................... 524, 528 f. 18a ..................................... 221, 236, 609 20b ........................................................ 223 23a ........................................................ 391 23b ........................................................ 392 28b ........................................................ 445 29a ........................................................ 322 36b ........................................................ 537 37b ........................................................ 416 39a ........................................................ 479 52b ........................................................ 365

950

Register und Verzeichnisse

56b ........................................................ 563 69a ........................... 148, 301, 352, 589 69b ........................................................ 594 70a ............................................... 551, 561 71b ........................................................ 199 72b ............................................................. 7 ■ Pesaḥim

3b .......................................................... 493 4a .......................................................... 568 12b ........................................................ 399 13a ........................................................ 475 49b ........................................................ 591 50b ........................................................ 454 54a ........................................................ 767 56a ..................................... 281, 648, 649 57a ........................................................ 226 66a ........................................................ 544 70b ......................................................... 176 87a-b ..................................................... 610 111a ...................................................... 376 117a ................................ 156, 376, 378 f. 118a ...................................................... 591 119a ...................................................... 380 ■ Sukka

20a ........................................................ 28a ........................................................ 29a ........................................................ 38b ........................................................ 48b ........................................................ 56b ........................................................ ■ Beṣa

553 562 590 375 256 160

29[a-b] ................................................. 491

■ Rosh ha-Shana

24b ........................................................ 627 33 ................................................ 463, 477 34a ..................................................... 463 f. ■ Taʽanit

2a ..................................................... XXVII 5b ........................................................... 574 12a ......................................................... 616 18a ........................................................ 578 ■ Megi lla

2b ................................................ 469, 509 7a ................. 156, 318, 320 f., 322, 335 9a ................................................. 417, 419 10b ............................................... 116, 576 11a .............................................. 258, 548 13a ........................................................... 54 15a ........................................................ 305 17b .............................................. 156, 307 19b ........................................................ 480 25a ........................................................ 596 26b ................................................. 92, 552 28b ........................................................ 551 29a ............................................... 102, 106 80a ........................................................ 151 ■ Moʽed Qaṭan

9a .......................................................... 543 16a ........................................................ 341 28a ........................................................ 882 ■ Ḥagiga

3a ........................................................... 551 3b .......................................................... 783 5b ................................................. 609, 651 11a ........................................................ 515

R abbinische Literatur

13a .............................................. 385, 605 14a ..................................... 521, 580, 581 14b .............................................. 642, 807 15a .............................................. 641, 807 15b .................................... 623, 648, 807 18a ........................................................ 483 ■ Yevamot

13b ............................................... 176, 491 16b ........................................................ 634 21b ........................................................ 480 24a ........................................................ 573 32a ........................................................ 493 37a ........................................................ 540 47b ........................................................ 141 62a ........................................................ 253 62b ........................................................ 547 64a ........................................................ 102 77a .............................................. 495, 499 109b ..................................................... 525 ■ Ketubbot

5a-b ...................................................... 579 5b .......................................................... 590 8b .......................................................... 609 17a ........................................................ 223 19b ........................................................ 165 30a ........................................................ 175 66b ........................................................ 236 75b ........................................................ 503 82b ........................................................ 513 87a ........................................................ 550 93a ............................................... 551, 567 97a ........................................................ 565 97b ........................................................ 566 105a ............................................ 484, 486

951

■ Sota

4b .......................................................... 591 16a ........................................................ 515 16b ........................................................ 483 21b ........................................................... 32 22a ........................................................ 551 22b ............................................... 176, 190 35b ........................................................ 223 36b ........................................................ 409 42b ......................................................... 610 44a ........................................................ 409 44b–49b ............................................. 213 47a ........................................................ 228 47b ........................................................ 225 48b ........................................................ 522 49a ........................................................ 603 49b ............................................... 151, 243 ■ Giṭṭin

3a-b ...................................................... 563 6b ........................................................... 610 7a ........................................................ 574 f. 36a ........................................................ 237 55b ........................................................ 240 56a ............................................... 236, 391 57a ..................................................... 246 f. 57b ........................................................... 24 60a .............................................. 352, 607 60b .................................... 441, 445, 480 67a .............................................. 544, 609 ■ Qiddushin

30a ........................................................ 457 33a ........................................................ 543 37 ........................................................... 473 38b ........................................... 464 f., 516 40b ................................................. 46, 402

952

Register und Verzeichnisse

49a ........................................................ 543 49a-b ................................................... 573 52b ........................................................ 548 53a ........................................................ 549 66a ............................................... 182-184 71a-b ................................................... 608 77a ........................................................ 458

25a ........................................................ 399 52b ............................................... 527, 550 65a ......................................................... 516 78b ........................................................ 580 141a ...................................................... 567 109b ..................................................... 479 164b ..................................................... 149

■ Bava Qamma

■ Sanhedrin

22b ........................................................ 280 36a-b ................................................... 567 36b ........................................................ 567 47b ........................................................ 555 58b ........................................................ 484 80b-81a .............................................. 511 82a ........................................................ 513 83a ........................................................ 224 92b .............................................. 280, 579 156b ..................................................... 566 ■ Bava Meṣiʽa

4b .......................................................... 609 33a ........................................................ 557 33b ........................................................ 552 37a ........................................................ 409 86a ........................................................ 613 93a ......................................................... 517 112b ...................................................... 510 118b ..................................................... 410 ■ Bava Batra

10a ........................................................ 591 13b ........................................................ 155 14b .............................................. 264, 286 15a ......... 155, 286-288, 297-299, 333 16a ........................................................ 643 21a ..................................... 212, 231, 575

7a ........................................................... 458 7b .......................................................... 515 19a ........................................................ 189 21b ........................................................ 139 22a ............................................... 610, 655 25a ........................................................ 128 36a ........................................................ 229 38b ........................................ 87, 581, 589 39a ........................................................ 650 41a ........................................................ 526 46a ........................................................ 167 52b ............................................... 179, 230 57b ........................................................ 607 65b ........................................................ 624 67b ........................................................ 624 74a ........................................................ 165 82a ............................................... 166, 301 86a .............................................. 528, 549 92a ........................................................ 579 94a ........................................................ 634 95a ........................................................ 575 99a ........................................................ 648 99b ..................................................... 609 f. 99b-100a ............................................... 59 100 ........................................................ 322 100b ........................................ 280 f., 578 101a ...................................................... 609 104b ..................................................... 120

R abbinische Literatur

105a ...................................................... 128 111a ......................................................... 46 ■ Makkot

24a ..................................... 243, 409, 642

■ Shevuʽot

15b ........................................................... 92 45b ........................................................ 561 46b ........................................................ 606

■ ʽAvoda Zara

8b ....................................... 535, 575, 588 9a ................................................ 126, 360 10a .............................................. 358, 360 18a ........................................................ 249 19a ........................................................ 522 20b ........................................................ 400 24b ........................................................ 588 46a ........................................................ 180 ■ Horayot

13a ........................................................ 466 13b ........................................................ 524 ■ Zevaḥim

7b .......................................................... 466 58b ........................................................ 534 62a ..................................... 136, 243, 468 A nfang Kapitel 9 ........................... 493 90b ........................................................ 466 ■ Menaḥot

18a ........................................................ 544 34a ............................................... 471, 473 45a ........................................................ 385 64b ........................................................ 539

953

103b ..................................................... 483 ■ Ḥu ll in

7b ............................................................. 47 40a ........................................................... 83 60a ............................................... 589, 633 60b ........................................................ 607 62b ......................................................... 614 65a ........................................................ 465 77a ........................................................ 568 81a ........................................................ 564 82a ........................................................ 568 85a ........................................................ 565 87a .............................................. 649, 650 90b ........................................................ 591 122b ..................................................... 586 134a ...................................................... 586 137b ........................................... 495, 568 ■ Bekhorot

30b ........................................................ 420 53a ........................................................ 420 ■ ʽA rakhin

12b ........................................................ 126 32b ........................................................ 466

■ Keritot

22b ........................................................ 518 30a ........................................................... 47 ■ Nazir

4b .......................................................... 166 19a ........................................................ 406 ■ Nedarim

10a ........................................................ 406

954

Register und Verzeichnisse

37b .............................................. 496, 509 ■ Nidda

16b ........................................................ 655 19b ........................................................ 544 ■ Temurot

14b ........................................................ 352 16a .............................................. 495, 499

Kleine bzw. Außerkanonische Traktate ■ Avot de-R abbi Natan

(hg. v. Schechter) ARN A 5 (13b) ..................... 176 f., 179 ARN A 39 (60a) ................................ 402 ■ Baraita de-Melekhet ha-

Mishkan ................................... 534

■ Massekhet Kel im de-Vet

Miqdash ................................... 617

■ Soferim (hg. v. Higger)

1,7 (102) .............................................. 395

955 8. JÜDISCH-HELLENISTISCHE AUTOREN ■ Flavius Josephus

A ntiquitates Judaicae X 7,2 ..................................................... 296 X 10,1 ................................................... 269 XI 1,2 ................................................... 263 XI 7,1 .................................................... 144 XI 8,2 ................................................... 148 XII 9,3 .................................................. 362 XIII 5,9 ....................................... 172, 177 XIII 10,5 .............................................. 173 XIII 10,6 .............................................. 178 XIII 11,6 .............................................. 173 XVIII 1,1 ............................................. 173 XVIII 1,3 .............................................. 174 XVIII 1,4 ............................................. 178 XIX 7,4 ................................................. 223 XX 9,6 .................................................. 231 Bellum Judaicum I 5,108.209.649-653 ....................... 461 II 8 .......................................................... 174 II 8, 14 .................................................. 179 II 1 ......................................................... 235 II 10, 192 ............................................. 461 II 16, 345-401 ................................... 233 IV 1, 225 ............................................. 391 IV 8, 155 ............................................. 235 IV 1, 225 ............................................. 391

Contra Apionem I, 201-204 ........................................... 352 Vita I, 10.12 .................................................. 174 ■ Phi lo von A lexandrien

De caritate 429 De Cherubim 430 De confusione linguarum 430 De migratione Abrahami 423, 429, 430, 437 De monarchia 425, 431 De mutatione nominum 430 De opificio mundi 417 f., 420 De plantatione Noe 438 De posteritate Caini 430, 438 De sacrificiis Abeli et Caini 430 De somnietate 427, 432 Legum a llegoriae 431 f. Quaestiones in Genesim 418 Quis rerum divinarum heres sit 420, 431

956 9. MITTELALTERLICHE UND NEUZEITLICHE AUTOREN ■ Adret, Sh lomo ben Avraham

(Rashba) Kommentar zu den Aggadot 560 ■ A lbo, Yosef

Sefer ha-ʽIqqarim 6, 759 ■ Asher ben Yeḥi’el, R abbenu Nidda, Hil khot Miqwaʼot

§ 1 508 Qiddushin (Ende) 609

■ Avraham ibn Daud Sefer ha- Qabba la (hg. v. Cohen) XLIV, 727, 807 ■ Avraham ben Me’ir ibn Ezra Bibel kommentar

Zu Genesis 18, 808-815 Zu Exodus 697, 702 f., 709, 725, 747, 750, 760, 772, 774, 794 f., 797, 801-803, 815-818 Zu Levitikus 18, 818-833 Zu Numeri 18, 833-849 Zu Ekha (Vorwort) 417 Zu Jesaja 18, 266-274, 849-870 Zu Hosea 18, 870-873 Zu Joel 873 f. Zu Kohelet 18, 345, 875-892 Zu Ester 18, 892-893 Zu Hohelied 19, 893-896 Sod ha-Mispar 770 Sefer ha-‛Aṣamim, siehe Ṣarṣa, Ibn Sefer ha-Shem 724, 747, 782 Sefer Moznayim 836

Sefer Ṣaḥut 479, 725 Sha‛ar ha-Shamayim (Pseudo-Ibn Ezra) 696, 731 Yesod Mora 754, 779 ■ Avraham ben Dawid (R avad) ohne Stellenangabe 599 Hassagot (le-Mishne Tora) Hassaga 3, Ha lakha 7, Hil khot

teshuva 596

■ Bacharach, Ya’ir (hg. v. Kots)

Shut Ḥowwot Ya’ir 507

■ Boʽaz, Yehoshuaʽ ben Shimʽon Shilṭe Gibborim

pereq 75 (77a) 581

■ de’ Rossi, ʽA zarya Me’or ʽEnayim XIV, XVI, XLIIXLIV, XLVIII, 146, 297, 354, 395 f.,

574, 580, 593, 597 Hadrat zeqenim (A risteasbrief) 395 ■ Edels, Shemu’el El iʽezer

(Maharsha) ohne Stellenangabe 593, 649-651 Aggadot Berakhot (Pereq ha-ro’e), 10b 377 ■ El iyahu mi-Wi l na (GR‘‘A) Qol Eliyahu (Petersburg 1905) 381

Mittela lterl iche und neuzeit l iche Autoren ■ Emden, Yaʽaqov

Sefer Mitpaḥat Sefarim 739 f.

........ XLVI,

■ Ha lakhot Gedolot

(Venedig 1548) 141 ........................................................ 150 (hg. v. Hildesheimer, Berlin 1848) 615 ........................................................ 323 ■ Ha-Lewi, Yehuda Kusari (hg. v. Cassel) ohne Stellenangabe .................... 619 III 73 ............................................ 597, 620 ■ Ḥayes, Ṣevi Hirsh Ele ha-miṣwot (Zołkiew 1836)

320a ...................................................... 322 ■ Hei lprin, Yeḥi’el (1660 – 1746) Seder ha-dorot (Karlsruhe 1769) ohne Stellenangabe .......... XLV, 561

35a ........................................................ 303 41b-c .................................................... 405 ■ Ya‛aqov ibn Ḥaviv (1460 – 1516)

ʽEn Ya‛aqov zu bBB 78b ........................................ 580 zu bBer 59a ...................................... 596 ■ Moshe ben Maimon (R ambam)

Iggerot ʽa l ḥokhme Montpell ier (hg. v. Shai lat) 480 ........................................................... 97

957

■ Kommentar zur Mishna

(hg. v. Kafih) Haqdama (Vorwort) (24) .......... 583 Shemone peraqim 7 (48-53) .... 403 Shemone peraqim 8 (262) ......... 175 m Men 4,4 ............................................. 89 m Kel 17,12 ........................................ 462 ■ More nevukhim

(Übers. A. Weiß) Ein leitung (Führer, 4) ............ 37, 86 Ein leitung (Führer, 5) ................... 30 Ein leitung (Führer, 10) .............. 582 Ein leitung (Führer, 11) .............. 619 Ein leitung (Führer, 12–14) .......... 88 Ein leitung (Führer, 17 f.) ............. 54 Ein leitung (Führer, 19) .............. 352 Ein leitung (Führer, 24) ............... 574 I 51 (Führer I 51, 158 f.) ............... 673 I 59 (Führer I 59, 206) .................. 597 I 71 (Führer I 71, 273) .................. 662 I 73 (Führer I 73, 317) ............... 676 f. II 2 (Führer II 2, 4) ........................ 679 II 73 (Führer II 73, 321 ff.) .......... 673 III (Vorbemerkung) (Führer III, 3) ............................... 624 III 13 (Führer III, 13, 63-65) ......... 80 III 14 (Führer III 14, 81) ............... 592 III 22 (Führer III 136) ................... 643 III 22 (Führer III 129-139) ............. 88 III 29 (Führer III 179-186) .......... 628 III 43 (Führer III 43, 272) ............ 579 ■ Mishne Tora

Sefer ha-Madaʽ I-IV .................................................... 623 f.

958

Register und Verzeichnisse

■ Pirqe Moshe bzw. Pirqe ha-

refu’a (hg. v. Munter) ohne Stellenangabe ....................... 55 25 (62–68) ............................................. 55 321 ff. ................................................... 599 372-390 ........................................... 70-79 ■ Sefer ha-Miṣwot (hg. v. Chavel) ........................... 518 ■ Moshe ben Naḥman

Kommentar zum Tanakh (hg. v. Chavel) zu Gen 2,7 ......................................... 760 zu Gen 17,1 ....................................... 633 zu Gen 32,14 ..................................... 273 zu Gen 46,3 ....................................... 111 zu Ex 13,16 ........................................... 91 zu Ex 15,25 ....................................... 511 zu Dtn 21,14 ..................................... 152 ■ Wikuaḥ ha-R amban Sefer Mil ḥamot Ḥova

3a ........................................................... 597 ■ Natan ben Yeḥi’el

(hg. v. Kohut) ʽA rukh Band IV s.v. kanaf ......................... 420 ■ R abbenu Ḥanan’el zu bBQ 36b ........................................ 567 ■ R abbenu Tam

Sefer ha-Yashar (Warschau 1851) ............................................................... 718

■ Ṣarṣa (Sene), Shmu’el ibn

Sefer ha-‛Aṣamim (Meqor Ḥayyim) Pereq Naso ....................................... 772 ■ Seder Tannaim we-A moraim ................................................... XLIV ■ Shelomo ben Yiṣḥaq (R ashi) Bibel-Kommentar

zu Gen 1,1 ......................................... zu Gen 44,18–47,27 ....................... zu Ex 12,12 ....................................... zu Ex 13,16 ........................................ zu Jes 3,13 ......................................... zu Sach 9,12–13 .............................. zu Ps 106,17 ...................................... zu Hld 6,12 ........................................ zu 1 Chr 25,8 ....................................

577 605 100 472 858 310 449 199 455

■ Shelomo ben Yiṣḥaq (R ashi) Ta l mud-Kommentar

bBer 9b s. v. wattiqim 416 bShab 30b s. v. muṭav shetekhabe nero 602 bShab 88b s. v. de-sagenan bish lemuta 251 bShab 118a s. v. pesuqe de-zimra 382 bYom 28a-b s. v. qiddesh yadayim we-rag layim 445 f. bMeg 7a s. v. sha lishim 322 bYev 109b s. v. Sh LṢYN 525 bQid 66a s. v. heqim la-hem baṣiṣ 183 bQid 66a s. v. wa-yivdelu ḥokhme Yisra’el be-zaʽam 183 bSot 44a s. v. we-tana tuna 409

Mittela lterl iche und neuzeit l iche Autoren

bAZ 9a s. v. ma l khut Paras 360 bSan 100b s. v. darshinan 281 bNid 19b s. v. eyn adam 544 bHu l 137b s. v. ma beyn li welekha 568

■ Yeṣira, Sefer (hg. v. Goldschmidt) ohne Stellenangabe ......... 492, 605,

■ Shel mo ben Me’ir (R ashbam) Ta l mud-Kommentar bPes 117a s. v. Yehoshuaʽ we-kol Yisra’el 379 ■ Sherira Gaon (hg. v. Neubauer [Übers. Sch lüter])

Iggeret ohne Stellenangabe ............. XLIIIf., 441, 550, 557 5 (56) (§ 19) ........................................ 541 10 (89) (§ 50) ..................................... 503 12 (72) (§ 36) ..................................... 559 12 (100) (§ 100) ................................ 557 13 (72) (§ 36) ..................................... 523 15 (123) (§ 77) ................................... 543 16 (132) (§ 88) ................................... 561 18 (142 f.) (§ 98) ............................... 561 28 (206) (§ 155) ................................ 358 ■ Tosafot

bBer 9b s. v. le- Q’’Sh [Qeriyat shemaʽ] ........................................... 416 bSot 21b s. v. zeh .............................. 32 bBB 15a s. v. we-ʽa l ....................... 299 bHu l 40a s. v. gadda de-har ........ 83 ■ Yissakhar Baer Ashkenazi

Matnot Kehuna

.............................

959

343

624 f., 655, 743, 784, 803, 809 I, 2 (49 f.) ............................................ I,7 (51) ................................................. I,11 (52) ............................................... II,6 (55) ................................................ II,18 (64) ............................................. IV,1 (59) .............................................. IV,4 (60) .............................................. IV,5 (60) ..............................................

711 701 414 667 878 885 890 711

■ Pseudo-R avad (siehe auch

Avraham ben Dawid) Kommentar zum Sefer Yeṣira ( Jerusa lem/Warschau) Vorwort .......................................... 738 f. ■ Yosippon, Sefer (hg. v. Flusser) ohne Stellenangabe ........ XLIX, 148

1 (9-20) ............................................... 3 (22) .................................................... 10 (55) .................................................. 10 (57 f.) ..............................................

159 269 148 296

■ Zohar ohne Stellenangabe .... XVI, XLV f.,

626, 630, 739

I 29a 49a

120 ......................................................... 761 ........................................................

III 128a ..................................................... 135a-b ................................................. 142a-b ................................................. 292a-b .................................................

645 645 645 645

CORRIGENDA

S. X A nm. 14: … wird der Name ‫ קראכמל‬geschrieben. S. XXIII A nm. 84: … The Berlin Period of Simon Rawidowicz. S. 16, Z. 3: Bar Kokhva S. 23, Z. 26: ‫חכמי הפשט‬ S. 59 A nm. 2: vgl. Lachowe, Le-seder S. 83, Z. 17: gadda de-har S. 106, Z. 9: … wurden nach Elam verbannt S. 153, Z. 3: Münd liche Tora S. 241, Z. 23: Boetusiern S. 253, Z. 15: yYev 8,1 S. 273, Z. 23: Ha’azinu S. 291, Z. 11: … von Josua, Sohn des Jozadak S. 418, Z. 27: Quaestiones in Genesim