Fahrunsicherheit oder Blutalkoholgehalt als Merkmal der Trunkenheitsdelikte -: zugleich ein Beitrag zur Rechtsentwicklung [1 ed.] 9783428500024, 9783428100026

Die Autorin untersucht die für alkoholisierte Kraftfahrzeugführer geltenden Sanktionstatbestände (§ 24a StVG, §§ 315c un

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Fahrunsicherheit oder Blutalkoholgehalt als Merkmal der Trunkenheitsdelikte -: zugleich ein Beitrag zur Rechtsentwicklung [1 ed.]
 9783428500024, 9783428100026

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SABINE RIEMENSCHNEIDER

Fahrunsicherheit oder Blutalkoholgehalt als Merkmal der Trunkenheitsdelikte zugleich ein Beitrag zur Rechtsentwicklung

Strafrechtliche Abhandlungen . Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser em. ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg

und Dr. Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 127

Fahrunsicherheit oder Blutalkoholgehalt als Merkmal der Trunkenheitsdelikte zugleich ein Beitrag zur Rechtsentwicklung

Von

Sabine Riemenschneider

Duncker & Humblot . Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Riemenschneider, Sabine:

Fahrunsicherheit oder Blutalkoholgehalt als Merkmal der Trunkenheitsdelikte - zug!. ein Beitrag zur Rechtsentwicklung / von Sabine Riemenschneider. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 127) Zug!.: Gießen, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10002-6

Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-10002-6 Gedruckt auf aIterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Juni 1999 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Justus-Liebig-Universität Gießen als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt vor allem meinem akademischen Lehrer Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Cramer. Er hat die Arbeit angeregt und ihren Fortgang sowie mein Interesse für das Strafrecht in vielfältiger Weise engagiert gefördert. Besonders verbunden bin ich ihm für viele lehrreiche und fröhliche Jahre der Arbeit an seinem Lehrstuhl. Herzlich danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Günter Heine für die Zeit und Mühe, die er auf die Erstellung des Zweitgutachtens sowie die Förderung des Disputationsverfahrens verwandt hat. Meinen ehemaligen Kollegen Herrn Dr. Panos Pananis und insbesondere Herrn Harald Paetzold danke ich herzlich für ihren Zuspruch und ihre fortwährende Diskussionsbereitschaft. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Frau Sonja Petri, die mich beim Lesen des Manuskripts mit fleiß und Genauigkeit unterstützt hat, sowie den Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, welche wesentlichen Anteil am Zustandekommen der rechtsvergleichenden Ausführungen haben. Meinen Eltern gebührt ein besonders herzlicher Dank für Ihre liebevolle Fürsorge in den nicht immer leichten Zeiten der Erstellung dieser Arbeit. Schließlich bin ich Herrn Prof. Dr. Friedrich-Christian Schroeder sehr verbunden für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe "Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge". Wiesbaden, November 1999

Sabine Riemenschneider

Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

Teil] Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestimmungen im Verkehrsstrarrecht

23

A. Die geschichtliche Entwicklung bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

I. Das Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. 5. 1909 ............

23

I. § 4 KFG - Entziehung der Fahrerlaubnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

2. Die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte .........................

25

11. Die Kraftfahrzeugverordnung i. d. F. vom 10.5. 1932 .........................

26

I. § 17 KVO - Verbot der Fahrzeugführung im Zustand alkoholbedingter Fahrunsicherheit ...........................................................

26

2. § 51 RStGB - Zurechnungsunfähigkeit ....................................

27

3. Actio libera in causa. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . .. . .

29

JII. Das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. 11. 1933 ...............................

30

I. § 330a StGB - Vollrauschtatbestand ........................................

30

2. § 51 StGB - Verminderte Zurechnungsfahigkeit ................... . .......

32

3. § 81 a StPO - Körperliche Untersuchung. Blutprobe. .. . .. . . . . . . . . . . . .. . .. . .

32

IV. Die Reichsstraßenverkehrsordnung vom 28. 5. 1934 ....... . ..................

33

1. § I 11 RStVO ..............................................................

34

2. § 25 RStVO ...............................................................

35

V. Die Straßenverkehrs- und die Straßenverkehrszulassungsordnung vom 13.11.1937 ..................................................................

35

1. § 2 StVZO - Eingeschränkte Zulassung....................................

36

2. § I StVO - Grundregeln ...................................................

36

8

Inhaltsverzeichnis VI. Die Bedeutung der Blutalkoholkonzentration bis 1945

37

I. Das Blutalkoholbestimmungsverfahren nach Widmark .....................

37

2. Der Beweiswert der Blutalkoholkonzentration in der Rechtsprechung .... . .

38

B. Die Rechtsentwicklung nach 1945 ............. . .............. . . . . . . . . . . . . . .......

40

I. Das erste Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. 12. 1952 .... ....

41

I. § 315a - Verkehrsgefährdung..............................................

41

2. Das Verständnis des Begriffs der Gemeingefahr in Rechtsprechung und Literatur .....................................................................

43

3. Der Vorschlag eines abstrakten Gefährdungsdeliktes .......................

46

4. Weitere Neuregelungen ................................ . ...................

48

11. Der Beweiswert der Blutalkoholkonzentration in der Rechtsprechung nach 1945 bis zum Urteil des BGH vom 5. 11. 1953 (BGHSt 5, 168) ...............

49

1. Terminologische Unsicherheiten ...... . ...................... . .............

49

2. Die Rechtsprechung des BGH .............................................

51

3. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und die Ansicht der Literatur

53

4. Die Bedeutung des Sachverständigengutachtens ....... . ...................

54

III. Die Einführung der "absoluten" Fahrunsicherheit bei 1,5%0 durch das Urteil des BGH vom 5. 11. 1953 (BGHSt 5, 168) ....................................

55

1. Darstellung ............ . ..... . ........ . ....................................

55

2. Stellungnahme................................... . .........................

57

3. Reaktion von Rechtsprechung und Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . .. . . . .

59

IV. Das Gutachten des Bundesgesundheitsamtes aus dem Jahre 1955 .............

60

1. Methoden zur Blutalkoholbestimmung .... .. .... . . . ... . .. . . . . . . .. .. . . . . .. . .

60

2. Blutalkoholkonzentration und Fahrunsicherheit ...... . .....................

62

3. Stellungnahme.............................................................

63

4. Reaktion von Rechtsprechung und Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

5. Die Denkschrift der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin aus dem Jahre 1961 ...............................................

67

Inhaltsverzeichnis

9

V. Die ersten zwei Teilgutachten des Bundesgesundheitsamtes aus den Jahren

1962 und 1963 ...............................................................

69

I. Empfehlung eines Gefahrengrenzwertes in Höhe von 0,8%0 ................

69

2. Empfehlung eines Grenzwertes der absoluten Fahrunsicherheit in Höhe von 1,2%0 ......................................................................

71

3. Reaktion von Rechtsprechung und Literatur.. . . . . . . ... . . . . . . . . . .. . . . ... ... .

72

VI. Das zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26. 11. 1964 ......

74

I. Das Gesetzgebungsverfahren ..............................................

75

2. § 316 StGB - Trunkenheit im Verkehr .....................................

77

3. § 315c StGB - Gefährdung des Straßenverkehrs ...........................

77

4. Sonstige Neuregelungen ...................................................

79

VII. Das dritte Teilgutachten des Bundesgesundheitsamtes aus dem Jahre 1966 ....

80

I. Darstellung ................................................................

80

2. Reaktion von Rechtsprechung und Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

3. Stellungnahme zum Gesamtgutachten .. . . . . . . . . . . . . ... ... . . . . . . .. . . . . . . . . . .

82

VIII. Die Herabsetzung des Grenzwertes auf 1,3%0 durch den Beschluß des BGH vom 9. 12. 1966 (BGHSt21, 157) ............................................

84

I. Darstellung ................................................................

84

2. Reaktionen und Stellungnahme ............................................

86

3. Die Rückwirkungsproblematik .... . . . . . .. . .. . ... . . . . . . . . . ... . . . . . ... . .. . . . .

88

IX. Die Einführung des § 24a StVG durch das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 20. 7. 1973 ............................................

93

I. Das Gesetzgebungsverfahren ....................................... . ......

94

2. Der Sicherheitszuschlag im Rahmen des § 24a SVG .......................

97

3. Maßgeblichkeit der Körperalkoholkonzentration auch beim Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit (BGHSt 25, 246) .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .

99

X. Die "Legalisierung" der Rechtsprechung zur Frage zweifelhafter Schuldunfähigkeit bei der Rauschtat ..................................................... I ()() Xl. Das Gutachten des Bundesgesundheitsamtes aus dem Jahre 1977 ............. . 102 XII. Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Promillegrenzen ..................... 103

10

Inhaltsverzeichnis XIII. Die Herabsetzung des Grenzwertes auf 1,1%0 durch den Beschluß des BGH vom 28.6. 1990 (BGHSt 37,89) .............................................. 109 I. Vorankündigung Salgers, Reaktionen und Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . 109 a) Herabsetzung des Grundwertes auf 1,0 Promille ........................ 109 b) Das Gutachten des Bundesgesundheitsamtes zum Sicherheitszuschlag aus dem Jahre 1989 und dessen Herabsetzung auf 0, I Promille

113

c) Der Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit als Beweisregel

118

2. Reaktion von Rechtsprechung und Literatur................................ 121 XlV. Reformüberlegungen im Gefolge der Wiedervereinigung ..................... 124 XV. Ergänzung des § 24a StVG um eine gesonderte 0,5-Promillegrenze ........... 125

C. Zusammenfassung ........................................... . ... . ... . ............ 128

Teil 2 Die gegenwärtige Rechtslage

130

A. Sanktionierung alkoholisierter Kraftfahrzeugführer de lege lata ................ 130 I. Die äußeren Tatbestände des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts .......... 131 I. Blutalkoholkonzentrationen bis 0,3 %0 ..................................... 133 2. Blutalkoholkonzentrationen von 0,3%0 bis 1,1%0 - §§ 316, 315c I Nr. I a StGB ...................................................................... 134 a) Führen eines Fahrzeugs ................................................ 134 b) Alkoholbedingte Fahrunsicherheit ...................................... 136 aal Feststellung nach den Grundsätzen der relativen Fahrunsicherheit .. 137 bb) Stellungnahme .................................................... 143 c) Konkrete Gefahr LS.v. § 315c StGB ... .. .................... .... ....... 145 aal Gefährdungsgrad ................... . .................. . ........... 146 bb) Ursachenzusammenhang .......................................... 149 3. Blutalkoholgehalt von 0,5 bis 0,8 %0 und 0,8 bis J,J %0 ..................... 151 a) Anwendungsbereich des § 24a StVG .................... .. ............. 151 b) Führen eines Kraftfahrzeugs ...... .. .. . .. .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. 154

Inhaltsverzeichnis

Il

4. Blutalkoholgehalt über 1,1 %0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 157 a) Beweisgrenzwert für Kraftfahrzeugführer .................. . ... . ....... 157 b) Beweisgrenzwerte für andere Verkehrsteilnehmer

158

II. Der subjektive Tatbestand .................................................... 162 I. Fahrunsicherheit als Bezugspunkt des Vorsatzes ........................... 162 a) VorsatzfeststeIlung auf der Grundlage der h.M. ........... . ........... . . 163 b) Alternative Ansätze.................................................... 169 aal AbsteIlen auf die Trinkrnenge ..................................... 170 bb) Trinken in Fahrbereitschaft ................................ . ....... 172 cc) Fahrunsicherheit als Begleitwissen ................................ 172 dd) Die Position SchnebJes .................................. . ......... 177 c) StelJungnahme ......................................................... 180 2. Fahrunsicherheit als Bezugspunkt des Fahrlässigkeitsvorwurfs ............. 183 a) Inhalt des Fahrlässigkeitsvorwurfs nach der h.M. ........... . ........... 183 b) StelJungnahme ......................................................... 185 3. Gefahrengrenzwerte des § 24a StVG als Bezugspunkte des subjektiven Tatbestandes .................................................................. 191 III. Schuldrelevante Blutalkoholkonzentrationen (ab 2,0%0) . . . . . . . . .. . . ... . ... . . .. 193 I. §§ 20, 21 StGB ................................. . .......................... 193

2. actio libera in causa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3. Der VolIrauschtatbestand - § 323a StGB .... . ................ . . . . . . . . . . . ... 201 a) Rauschbegriff .......................................................... 202 b) Die im Rausch begangene Tat............... . . . ... . .................... 204 4. Ergebnis................................ . ... . ..... . ............ . ..... . ..... 209

B. Zusammenfassung .............. . . . ............................................... 210

Teil 3 Neuregelung der Sanktionstatbeslände für alkoholisierte Kraftfahrzeugführer 213 A. Verfassungsrechtliche Aspekte des Reformbedarfs .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 213 I. Verfassungsmäßigkeit der Strafnormen ........ . ................ . ..... . ....... 213

12

Inhaltsverzeichnis 11. Verfassungskonformität der Anwendung der Vorschriften durch die Strafgerichte......................................................................... 216 1. Analogieverbot ............................................................ 217

2. Willkürverbot .............................................................. 219 3. Rückwirkungsverbot .... . .......... . ................ . . . .................... 219 4. Zusammenfassung................................................... . ..... 221

B. Reformvorschlag ........................................................... .. ..... 221 I. Bestimmung der Gefahrengrenzwerte ........... . .. . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . .. . . .. 222

I. Absolutes Alkoholverbot ............................. . .................... 222 2. Einheitlicher Gefahrengrenzwert .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 228 a) Einheitlicher Grenzwert im Ordnungswidrigkeitenrecht ................ 228 b) Einheitlicher Grenzwert im StGB ...................................... 231 3. Die Grenzwerte im einzelnen .............................................. 233 a) Grundwert und Sicherheitszuschlag .................................... 234 b) Festlegung der strafbewehrten Gefährdungsgrenze ................. . ... 236 aa) Höhe des Grenzwertes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 236 bb) Kreis der einzubeziehenden Verkehrsteilnehmer................... 239 c) Festlegung der Höhe des bußgeldbewehrten Grenzwertes. . . . . . . . ... . . .. 243 aa) Gefährlichkeit geringer Alkoholmengen ............... . ..... . ..... 244 bb) "Konsumsperre" ................................................... 247 cc) Gedanke der Rechtsangleichung ................................... 248 dd) Politische Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 249 4. Gesonderter Grenzwert der Atemalkoholkonzentration ..................... 250 11. Sanktionsvoraussetzungen ................................. . .................. 256 1. Bestimmung der Tathandlung .............................................. 256

a) Anknüpfung an Trinkmenge ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 257 b) Vorverlegung des Gefahrenbereichs .................................... 260 2. Die BAK-Werte als objektive Bedingung der Strafbarkeit.................. 262 3. Ergebnis................................................................... 270

Inhaltsverzeichnis

13

III. Eingliederung der Neuregelung in die bestehende Gesetzessystematik

271

I. Beibehaltung der rauschmiuelbedingten relativen Fahrunsicherheit

271

2. Einführung eines absoluten Verbotes ausgewählter Drogen in § 24a StVG .. 273 3. Wegfall der alkoholbedingten relativen Fahrunsicherheit ................... 275 4. Wegfall des § 315c I Nr. I a StGB ......................................... 278 5. Verhältnis der Neuregelungen der §§ 316 StGB und 24a StVG zu §§ 315c I Nr. I b, Nr. 2 StGB und 2 I StVZO .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 279 a) Wegfall des § 315c I Nr. I b StGB ......................... . ... . ........ 280 b) Verhältnis der Neuregelungen zu § 2 I StVZO .......................... 282 6. Straf- und Bußgeldrahmen der Neuregelung ............................... 282 7. Ergebnis................................................................... 283

Schlußbetrachtung ................................................................... 285

Literaturverzeichnis " . . . .. . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . .. .. 288

Sachwortverzeichnis . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . .. . . . .. .. .. . . .. . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . .. .. 306

Abkürzungsverzeichnis a. A.

anderer Ansicht

a. E.

am Ende

a. F.

alter Fassung

AAK

Atemalkoholkonzentration

a. a. O.

am angegebenen Ort

abI.

ablehnend( er)

Abs.

Absatz

AG

Amtsgericht

and.

anders

ÄndG

Änderungsgesetz

Anm.

Anmerkung

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

BA

Blutalkohol (zitiert nach Jahr und Seite)

BAK

Blutalkoholkonzentration

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BayObLGSt

Entscheidungen des Bayerisches Oberstes Landesgerichts in Strafsachen

BezVG

Bezirksverwaltungsgericht

BGBI.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt.

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite)

BO-Kraft

Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrtunternehmen im Personenverkehr

BR-Drs.

Bundesratsdrucksache

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

BtMG

Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln

BVerfGE

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band und Seite)

bzw.

beziehungsweise

d. h.

das heißt

DAR

Deutsches Autorecht (zitiert nach Jahr und Seite)

DAR/M

Deutsches Autorecht (Martin in DAR) (zitiert nach Jahr und Seite)

Abkürzungsverzeichnis

15

DAR/R

Deutsches Autorecht: Die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Verkehrsstrafsachen und Bußgeldverfahren (zitiert nach Jahr und Seite)

ders.

derselbe

DJ

Deutsche Justiz (zitiert nach Jahr und Seite)

DJZ

Deutsche Juristenzeitung (1.1896-41.1936; zitiert nach Jahr und Spalte)

DRiZ

Deutsche Richterzeitung (zitiert nach Jahr und Seite)

DVR

Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V.

EGOWiG

Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

EGStGB f. (ff.)

folgende Seite(n)

Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch

Fußn.

Fußnote

GA

Goltdammer's Archiv für Strafrecht (zitiert nach Band, Jahr und Seite bzw. ab 1953 nach Jahr und Seite)

gern.

gemäß

GG

Grundgesetz

ggf.

gegebenenfalls

GrS

Großer Senat

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

h. L.

herrschende Lehre

h.M.

herrschende Meinung

HRR

Höchstrichterliche Rechtsprechung

hrsg. / Hrsg.

herausgegeben / Herausgeber

i. d. F.

in der Fassung

i.d.R.

in der Regel

i. d. S.

in diesem Sinne

i.E. i. S. d. i. S. v. i. V. m.

im Ergebnis im Sinne des/ der im Sinne von in Verbindung mit

insb.

insbesondere

JA

Juristische Arbeitsblätter (zitiert nach Jahr und Seite)

JK

Jura Karteikarten

JR

Juristische Rundschau (zitiert nach Jahr und Seite)

Jura

Juristische Ausbildung (zitiert nach Jahr und Seite)

JuS

Juristische Schulung (zitiert nach Jahr und Seite)

JW

Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite)

JZ

Juristenzeitung (zitiert nach Jahr und Seite)

k+v

Kraftfahrt und Verkehrsrecht (zitiert nach Jahr und Seite)

KFG

Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen

KfzPIVV

Kraftfahrzeug-PfIichtversicherungsverordnung

16

Abkürzungsverzeichnis

KG

Kammergericht

krit.

kritisch

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung (zitiert nach Jahr und Seite

KVO

Verordnung über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen

LG

Landgericht

LM

Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs,begründet v. Lindenmaier, Fritz I Möhring, Philipp (zitiert nach Paragraph und Nummer)

m.

mit

m.a.W.

mit anderen Worten

m.Anm.

mit Anmerkung

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

MDR

Monatsschrift für deutsches Recht (zitiert nach Jahr und Seite)

MschrKrim.

Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (zitiert nach Band, Jahr und Seite)

n. F.

neue Fassung

Nds.Rpfl.

Niedersächsische Rechtspflege (zitiert nach Jahr und Seite)

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite)

Nr.

Nummer

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite)

NStZl J

Rechtsprechung des BGH bei Janiszewski in NStZ

NStZ-RR

Neue Zeitschrift für Strafrecht - Rechtsprechungs-Report (zitiert nach Jahr und Seite)

NZV

Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (zitiert nach Jahr und Seite)

o.

oben

o. ä.

oder ähnliches

o. g.

oben genannt(e) (en)

OLG

Oberlandesgericht

OLGSt

Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht (zitiert nach Paragraph und Seite)

OVG

Oberverwaltungsgericht

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PrOVG

Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichtes (zitiert nach Band und Seite} I Preußisches Oberverwaltungsgericht

RegE

Regierungsentwurf

RG

Reichsgericht

RGBI.

Reichsgesetzblatt

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite)

RN

Randnummer(n)

RStGB

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich

Abkürzungsverzeichnis RStVO

Reichsstraßenverkehrsordnung

S.

Seite

SchlHA

Sch1eswig-Holsteinische Anzeigen (zitiert nach Jahr und Seite)

SchöffG

Schöffengericht

sog.

sogenannte(r)

std.

ständig(e)

Sten.Ber.

stenographische Berichte

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozeßordnung

17

str.

streitig

StV

Strafverteidiger (zitiert nach Jahr und Seite)

StVE

Straßenverkehrs-Entscheidungen, Loseblattsammlung hrsg. v. Peter Cramer, Ulrich Berz, Alexander Gontard (zitiert nach Nummer und Paragraph)

StVG

Straßenverkehrsgesetz

StVO

Straßenverkehrsordnung

StVR

Straßenverkehrsrecht

StVZO

Straßenverkehrszulassungsordnung

u. u. a. u. U.

unten/und unter anderem unter Umständen

usw.

und so weiter

v.

vom

Verf.

Verfasserin

VerkSichG

Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs

vgl.

vergleiche

VGT

Deutscher Verkehrsgerichtstag; Veröffentlichungen der dort gehaltenen Referate und erarbeiteten Entschließungen, hrsg. v. der Deutschen Akademie für Verkehrswissenschaft e.Y., Hamburg (zitiert nach Jahr und Seite)

VkBI.

Verkehrsblatt (zitiert nach Jahr und Seite)

VM

Verkehrsrechtliche Mitteilungen (zitiert nach Jahr und Seite)

VO

Verordnung

VOR

Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht (zitiert nach Jahr und Seite)

Vorbem.

Vorbemerkungen

VRS

Verkehrsrechts-Sammlung (zitiert nach Band und Seite)

WStG

Wehrstrafgesetz

z. B. z. T.

zum Beispiel

ZfS

Zeitschrift für Schadensrecht (zitiert nach Jahr und Seite)

Ziff.

Ziffer

2 Riemenschneider

zum Teil

Abkürzungsverzeichnis

18 zit.

zitiert

ZRP ZStW

Zeitschrift für Rechtspolitik (zitiert nach Jahr und Seite)

zust.

zustimmend

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zit. nach Band, Jahr und Seite)

Einleitung Auch wenn die Anzahl der Straßenverkehrsunfälle mit Personenschäden, in denen als Unfallursache Alkoholeinfluß ermittelt werden konnte, in den letzten Jahren rückläufig ist, beträgt der durch Alkoholunfälle verursachte Anteil der getöteten Personen immer noch fast 20% 1. Die Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit durch alkoholisierte Fahrzeugführer stellt damit ein zentrales Problem des sich zudem stetig verdichtenden Kraftfahrzeugverkehrs dar. Die Bedeutung des Problems "Alkohol im Straßenverkehr" und ein entsprechendes Sanktionsbedürfnis sind vom Gesetzgeber bereits früh erkannt worden. Er hat schon im Jahre 1932 einen Übertretungstatbestand 2 geschaffen, mit dem diejenigen Kraftfahrzeugführer erfaßt wurden, die aufgrund der Wirkung des genossenen Alkohols nicht mehr zur sicheren Führung ihres Fahrzeugs in der Lage waren. Sowohl die Begrifflichkeit dieser Vorschrift als auch ihre Konstruktion als abstraktes Gefahrdungsdelikt finden sich noch heute im geltenden § 316 StGB wieder. Das Merkmal der Fahrunsicherheit 3 ist damit seit jeher zentraler Anknüpfungspunkt der Trunkenheitsdelikte. Während der Gesetzgeber jedoch seinerzeit zur Umschreibung der vom Alkohol ausgehenden Gefahr auf die Verwendung von Allgemeinbegriffen, wie "Trunkenheit" oder "Fahrunsicherheit" angewiesen war, weil es an medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen über Alkoholwirkungen fehlte, bietet der Fortschritt auf dem naturwissenschaftlichen Gebiet der Blutalkoholforschung heute die Möglichkeit, die Unterscheidung zwischen Recht und den verschiedenen Stufen des Unrechts an quantitative Parameter zu knüpfen. Zwar bestand bereits zu Beginn der dreißiger Jahre mit der Entwicklung des Widmark-Verfahrens vergleichsweise früh die Möglichkeit, das Maß der Alkoholbeeinflussung über die Höhe des Blutalkoholgehaltes festzustellen. Aber erst die fortan einsetzende Blutalkoholforschung führte zu umfangreichen und heute weitgehend als gesichert geltenden Erkenntnissen über die Wirkung des Alkohols auf das Leistungsvermögen, insbesondere auf die Fähigkeit zur Fahrzeugführung. Damit ist die Abhängigkeit der Beeinträchtigung der Fahrsicherheit vom vorangegangenen Alkoholgenuß über das Merkmal der Blutalkoholkonzentration quantifizierbar geworden. I Vgl. S. 9 des Jahrgangsberichts "Alkoholunfalle im Straßenverkehr 1996", hrsg. vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden. 2 § 17 11 KVO, RGBI. I 1932, S. 209. 3 Vgl. zu diesem und gleichbedeutend verwendeten Begriffen u. Teil I B 11. I. Fußn. 177, 178.

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Einleitung

Der Fortschritt auf dem Gebiet der Blutalkoholforschung hat dazu geführt, daß sich auch die Rechtsprechung zur Konkretisierung des Begriffs der Fahrunsicherheit zunehmend an der Höhe des Blutalkoholgehaltes orientiert. Neben dem von der Rechtsprechung für die Annahme von alkoholbedingter Fahrunsicherheit geforderten Mindestblutalkoholwert von 0,3%0, gipfelte diese Entwicklung schließlich in der Festlegung eines "Grenzwertes der absoluten Fahrunsicherheit" von derzeit 1,1%0. Mit Erreichen dieses Wertes gilt seither jeder Kraftfahrzeugführer ohne weiteres als fahrunsicher. Dagegen bereitet der zwischen diesen beiden Eckwerten liegende Bereich der sog. "relativen Fahrunsicherheit,,4 in der forensischen Praxis erhebliche Schwierigkeiten, da die Feststellung der Fahrunsicherheit hier nicht allein durch den Nachweis der Blutalkoholkonzentration erfolgen kann. Sie ist vielmehr vom Vorliegen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen abhängig. Von besonderer Problematik ist vor allem der Nachweis der subjektiven Tatbestandsseite. Anerkanntermaßen hat eine nicht nur unbedeutende Alkoholisierung neben Beeinträchtigungen der physischen Leistungsfähigkeit auch Störungen im psycho-physischen Bereich zur Folge. Vor allem vorübergehende Persönlichkeitsveränderungen, wie Enthemmung, Sorg- und Kritiklosigkeit sowie gesteigerte Risikobereitschaft, führen bei stark alkoholisierten Personen zu einer mit der Realität nicht mehr in Einklang zu bringenden, subjektiven Überschätzung des eigenen Leistungsvermögens. Trotz hoher Blutalkoholkonzentrationen mißlingt daher häufig der Nachweis einer für die Beurteilung der eigenen Fahrsicherheit erforderlichen und für die Vorsatzbildung ausreichenden Kritik- und Selbsteinschätzungsfähigkeit. Der Fahrlässigkeitsvorwurf unterli.egt in diesem Fall ebenfalls Zweifeln. Aber auch bei geringerer Alkoholbeeinflussung gestaltet sich der Vorsatznachweis schwierig. Zwar wird in der Regel die Erkenntnis- und Selbsteinschätzungsfähigkeit vorliegen. Dafür fehlt es oft an deutlich alkoholbedingten Ausfallerscheinungen, die den Nachweis zulassen, daß der Fahrzeugführer die Alkoholwirkung bemerkt und als verkehrsrelevant hat beurteilen müssen. Die Spannungen, die sich damit aus den Anforderungen an den gerichtlichen Nachweis des Tatbestandsmerkmals der Fahrunsicherheit einerseits und den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen andererseits ergeben, sind schließlich auch von gerichtsmedizinischer Seite erkannt und erstmals in der Denkschrift der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin im Jahre 1961 5 umfassend festgehalten worden. Obwohl deren Ergebnisse kurz darauf auch vom Bundesgesundheitsamt bestätigt wurden und zu der bis heute auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur oft wiederholten Forderung geführt haben, das unscharfe und der Ausfüllung durch die Rechtsprechung bedürfende Merkmal der Fahrunsicherheit durch einen konkreten, gesetzlich fixierten Blutalkoholwert zu ersetzen, ist der Be4 Zu den Begriffen "absolute Fahrunsicherheit" und ,,relative Fahrunsicherheit" vgl. näher u. Teil I B Il. 1. Fußn. 180, 181.

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BA 1961, 33.

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griff der Fahrunsicherheit im Bereich der Strafvorschriften bis heute zentraler Anknüpfungspunkt geblieben. Wahrend der medizinisch-technische Fortschritt auf dem Gebiet der Blutalkoholforschung rasch von der Strafrechtspraxis rezipiert worden ist, spiegelt er sich in der Gesetzgebung nur unvollständig und mit erheblicher zeitlicher Verzögerung wieder. Erst im Jahre 1973 führte der Gesetzgeber unter Beibehaltung der auf den Begriff der Fahrunsicherheit abstellenden Strafvorschriften die O,8-Promillegrenze in Gestalt der Ordnungswidrigkeit des § 24a StVG ein. Für den Bereich der Straftatbestände hat dagegen die Rechtsprechung mit der Entwicklung des Grenzwertes der absoluten Fahrunsicherheit übernommen, was der Gesetzgeber nicht durchsetzen konnte. Das Gesetz stellt somit teils auf das Merkmal der Fahrunsicherheit und teils auf einen gesetzlich festgelegten Blutalkoholgehalt ab. Diese Anknüpfung an unterschiedliche Gefahrenschwellen stellt das Grundproblem der Sanktionierung alkoholisierter Fahrzeugführer dar. Wenn die geltende Rechtslage trotz eines vergleichsweise überschaubaren Bestands einschlägiger Vorschriften für den juristischen Laien kaum verständlich ist und auch Fachleuten Schwierigkeiten bereitet, so beruht dies vor allem darauf, daß die Reichweite der auf Fahrunsicherheit abstellenden Strafvorschriften von vielen Fahrzeugführern verkannt wird und auch in öffentlich geführten Diskussionen um die Herabsetzung der O,8-Promillegrenze nicht genügend herausgestellt worden ist6 . Den meisten Kraftfahrern ist wohl kaum hinreichend geläufig, daß sie bereits bei einem Blutalkoholgehalt unterhalb der im Ordnungswidrigkeitenrecht festgelegten Gefahrengrenzwerte Gefahr laufen, sogar den Tatbestand einer Strafnorm zu verwirklichen. Nach alledem muß es verwundern, daß der Gesetzgeber für die Strafvorschriften bis heute am Tatbestandsmerkmal der Fahrunsicherheit festgehalten hat. Hier darf wohl der außergewöhnlich hohe Einfluß der öffentlichen Meinung, die sich heftig gegen jede Einschränkung im Bereich der Kraftfahrzeugbenutzung sträubt7 , als mögliche Ursache nicht unterschätzt werden. Dies zeigt bereits die von Kompromissen gekennzeichnete historische Entwicklung der Trunkenheitsdelikte, insbesondere das langwierige Gesetzgebungsverfahren zu § 24a StVG 8 und auch die 6 Vgl. zur jüngsten Diskussion um die Herabsetzung des Gefahrengrenzwertes in § 24a StVG (BT-Drs. 1311439, 13/7906) die Fernsehsendung ,,Pro und Contra" ARD v. 24.7.1997; Der Spiegel 40/ 1997, S. 27; Stern 43/ 1997, S. 42 ff. 7 Ronellenfitsch ist beispielsweise der Auffassung, daß die Rechte der Autofahrer durch vermehrte Geschwindigkeitsbeschränkungen, 30-km-Zonen und "die grundrechtsdogmatische Schreckensversion der autofreien Innenstädte" unzulässig beschnitten würden, DAR 1994, 13. Bei den zahlreichen, häufig mit verfassungsrechtIichen Erwägungen gerechtfertigten Maßnahmen bliebe das aus der Gesamtheit der grundrechtIichen Mobilitätsgehalte abzuleitende Grundrecht auf Mobilität, weIches auch das Grundrecht, Auto zu fahren beinhalte, unberücksichtigt, DAR 1994,9, 12 f. Vor diesem Hintergrund sei der Slogan ,,Freie Fahrt für freie Bürger" durchaus ernst zu nehmen, DAR 1994, 12. R Vgl. dazu u. Teil 1 B IX. I.

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Einleitung

jüngste Diskussion um die zum wiederholten Male angestrebte Herabsetzung der darin festgeschriebenen 0,8-Promillegrenze 9 . Zwar haben die gesetzgeberischen Initiativen nunmehr endlich in einer Gesetzesänderung ihren Niederschlag gefunden 10. Doch statt der erstrebten Absenkung des bisherigen, mit einem Bußgeld und einem Regelfahrverbot versehenen Gefahrengrenzwertes von 0,8 auf 0,5%0 wurde § 24a StVG lediglich um einen zusätzlichen, allein bußgeldbewehrten 0,5-Promillegrenzwert erweitertlI. In kaum einem anderen Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts wähnen sich Normadressaten derart sachkundig und üben immer wieder heftigen Widerstand gegen Novellierungen. Dies darf den Gesetzgeber aber nicht daran hindern, dem verfassungsrechtlichen Auftrag nachzukommen, Tatbestandsvoraussetzungen von Strafvorschriften so allgemein verständlich und eindeutig wie möglich zu fassen, um dem Normadressaten die Vorhersehbarkeit des bei Strafe verbotenen Verhaltens zu ermöglichen und der Rechtsprechung eine zuverlässige und feste Grundlage zu bieten. Die vorliegende Arbeit hat sich daher zum Ziel gesetzt, diese Zusammenhänge bewußt zu machen und den Boden der Einsicht für ein Reformbedürfnis zu bereiten. Sie mündet in einem umfassenden Vorschlag zur Neugestaltung der sanktionsrechtlichen Erfassung alkoholisierter Kraftfahrzeugführer. Die beschriebenen Probleme, die die geltende Rechtslage mit sich bringt, lassen sich dabei nur durch eine einheitliche Anknüpfung an bestimmte Blutalkoholwerte sowohl im Straf- als auch im Ordnungswidrigkeitenrecht und den Verzicht auf das Merkmal der Fahrunsicherheit beseitigen. Es wird sich jedoch zeigen, daß es allein mit der Ersetzung des Begriffs der Fahrunsicherheit durch einen bestimmten Blutalkoholwert als Tatbestandsmerkmal nicht sein Bewenden haben darf. Um die Widersprüche im Bereich der Vorsatzfeststellung auszuräumen, empfiehlt es sich vielmehr, die Gefahrengrenzwerte als objektive Bedingung der Strafbarkeit aufzunehmen. Die erheblichen Bedenken, die die Dogmatik gegen diese Rechtsfigur erhebt, erweisen sich jedenfalls für den vorliegenden Problembereich als unbegründet.

Vg\. auch die Nachweise soeben in Fußn. 6. Vg\. dazu u. Teil I B XV. 11 BGB\. 1998 I, S. 795; vg\. dazu auch u. Teil I B Xv.; zur entsprechenden Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung vg\. BGB\. 19981, S. 1655,1657. 9

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Teil 1

Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestimmungen im Verkehrsstrafrecht Die nachfolgende Betrachtung schildert die Entwicklung der Sanktionsbestimmungen für alkoholisierte Kraftfahrzeugführer, ausgehend vom Beginn der Motorisierung bis hin zur heutigen Rechtslage. Eine solche Auswertung bisher vom Gesetzgeber ergriffener und geplanter Maßnahmen steht nämlich trotz der dem Problem ,,Alkohol im Straßenverkehr" zugeschriebenen Bedeutung noch aus 1 • Auch die Rechtsprechung zum Begriff der Fahrunsicherheit wird einer kritischen Betrachtung unterzogen. Dabei soll vor allem die Abhängigkeit der Justiz von medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der Alkohol- bzw. Rauschmittelforschung aufgezeigt werden. Neben der Abhängigkeit von Fachwissen ist aber auch der außergewöhnliche Einfluß der öffentlichen Meinung bemerkenswert. Zu erwähnen sind hier nicht nur die Masse der Kraftfahrzeugführer und die Automobilclubs 2 als ihre Interessenvertreter, sondern auch die Verbände der Verkehrssicherheitsforschung 3 und nicht zuletzt das getränkeherstellende und -vertreibende Gastgewerbe4 .

A. Die geschichtliche Entwicklung bis 1945 I. Das Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. 5. 1909 Erst durch die um die Jahrhundertwende erfolgte Erfindung und Produktion des Kraftwagens als Beförderungsmittel ergab sich für den Gesetzgeber die ErforderI Vgl. nur den Überblick bei Janiszewski, 1. Aufl., RN 13 ff., 3 J3 sowie bis 1973 Hentrich BA 1973, 177 ff. 2 U.a. der Allgemeine Deutsche AutomobiJclub e.V.(ADAC), der Automobilc1ub von Deutschland e.v. (AvD), Verkehrsc1ub Deutschland e.V. (VCD) etc. 3 Z. B. der Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr e.V. und die Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaft e.v. (einschließlich des Deutschen Verkehrsgerichtstages), beide Mitglied im Deutschen Verkehrsicherheitsrat e.v. 4 Nickel DRiZ 1994, 380; für das Gesetzgebungsverfahren zu § 24a StVG Händel BA 1976, 209; zur Erhöhung des Blutalkoholgrenzwertes im Gebiet der vormaligen DDR Weinacht! Leuerer I Retsch KritV 1995, 78 ff.; Beispiel aus der Tagespresse zum Vorschlag zur Absenkung der Promillegrenze des § 24a StVG: "Kneipensterben durch 0,5%0" Gießener Anzeiger v. 20.4. 1995.

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Teil I: Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestimmungen im Verkehrsstrafrecht

lichkeit einer Kodifizierung des Verkehrsrechts. Da das Verkehrsrecht ursprünglich landesrechtlich geregelt war und damit auch der Verkehr mit Kraftfahrzeugen nicht der reichsrechtlichen Regelungskompetenz unterworfen war, erstellte der Bundesrat am 3. 5. 1906 zunächst nur "Grundzüge betreffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen". Diese wurden durch Verordnungen im gesamten Reichsgebiet umgesetzt und beseitigten damit die bestehende Rechtsungleichheit in den verschiedenen Ländern6 . Bei der Schaffung des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. 5. 19097 (KFG) - Grundlage unseres heutigen Straßenverkehrsgesetzes (StVG) - waren diese Grundzüge Ausgangspunkt für die Verkehrsvorschriften. Daneben enthielt das KFG bereits Vorschriften über die Haftpflichtfrage und auch Strafbestimmungen. Der polizeirechtliche Teil des Gesetzes schrieb erstmalig für private Führer eines Kraftfahrzeuges eine Fahrerlaubnis vor, die durch Ablegung einer Prüfung zu erlangen war (§§ 2, 3 KFG). Durch das KFG zog der Reichsgesetzgeber die ursprünglich nicht unter die Reichszuständigkeit fallende Regelungsmaterie des Kraftfahrzeugverkehrs kraft seiner Kompetenz-Kompetenz mit Zustimmung des Bunderates endgültig an sich8 .

1. § 4 KFG - Entziehung der Fahrerlaubnis In diesem Zusammenhang wurde die erste Regelung geschaffen, die im Rahmen des Polizeirechtes die Möglichkeit bot, zumindest Kraftfahrzeugführer, die der Trunksucht verfallen waren, aus dem Verkehr zu ziehen. § 4 KFG sah nämlich den Entzug der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde vor, wenn eine Person zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet war: "Werden Tatsachen festgestellt, welche die Annahme rechtfertigen, daß eine Person zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, so kann ihr die Fahrerlaubnis dauernd oder für bestimmte Zeit durch die zuständige Verwaltungsbehörde entzogen werden; nach der Entziehung ist der Führerschein der Behörde abzuliefern. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist für das ganze Reich wirksam."

Eine solche zum Entzug der Fahrerlaubnis führende Ungeeignetheit nahm die Rechtsprechung von Beginn an nicht nur bei körperlichen und geistigen Gebrechen, sondern auch, wenn der Fahrzeugführer "dem Trunke ergeben,,9 war. Vg\. Art. 4 der Reichsverfassung v. 16. 4. 1871. Eger, Reichsgesetz, Einleitung S. XlV. 7 RGB\. 19091, S. 437. 8 Gern. Art. 78 der Reichsverfassung v. 16.4. 1871 war es möglich, durch ein Sondergesetz eine materielle Verfassungsänderung dergestalt vorzunehmen, daß das Reich eine ihm nicht zugewiesene Zuständigkeit erwerben konnte, wenn sich im Bundesrat nicht 14 Stimmen dagegen erklärten; vg\. auch Müller, AutomobilG, vor § I, S. 95. Anschließend galt das KFG gern. Art. 178 Il der Weimarer Reichsverfassung v. 14.8. 1919 fort; die Gesetzgebungskompetenz des Reichs für den Verkehr mit Kraftfahrzeugen zu Land war dort in Art. 7 Ziff. 19 festgeschrieben. 5

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A. Die geschichtliche Entwicklung bis 1945

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Sanktionsmöglichkeiten für alkoholisierte Kraftfahrzeugführer, insbesondere Strafvorschriften für das einmalige Führen eines Automobils unter Alkohol, existierten zu dieser Zeit noch nicht.

2. Die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte

Da man jedoch zunehmend die wachsende Gefährlichkeit des Alkoholmißbrauchs für den Straßenverkehr erkannte 10, entwickelte sich - vor allem in den dreißiger Jahren - zur Frage der Ungeeignetheit ll i. S. d. § 4 KFG eine strenge Rechtsprechung l2 . Das Preußische Oberverwaltungsgericht beschrieb die Anforderungen an die Geeignetheit im Leitsatz einer grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1924 wie folgt: "Der Kraftfahrzeugführer hat alkoholische Getränke nur im unzweifelhaft nicht schädlichen Maße zu sich zu nehmen, und falls er dieses Maß überschritten hat, unter allen Umständen auf die Führung des Fahrzeuges zu verzichten. Genügt der Fahrer dem nicht, so ist er zur Führung von Kraftfahrzeugen ungeeignet.,,13. Bereits das einmalige Führen eines Kraftfahrzeuges in angetrunkenem Zustand rechtfertigte grundsätzlich die Annahme der Ungeeignetheit und damit die Entziehung der Fahrerlaubnis 14. Ausnahmen kamen nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände in Betracht l5 . Nicht einmal die Feststellung erheblicher Angetrunkenheit oder schwerwiegender Verkehrsverstöße war erforderlich, bereits der Genuß geringer Alkoholmengen reichte aus l6 . Die Rechtsprechung ging schließlich so weit, daß der Kraftfahrer zur Bejahung der Ungeeignetheit nicht einmal sein Fahrzeug tatsächlich gesteuert haben mußte; es genügte, wenn er unter Alkoholwirkung den ernstlichen Willen zum Fahren gefaßt und diesen auch in irgendeiner Form betätigt hatte l7 • Gemessen an strafrechtlichen Maßstäben wurde damit bereits der "Versuch" des Führens eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinwirkung zumindest mit vorübergehendem Ausschluß aus dem Kraftfahrzeugverkehr "bestraft". Eger, Reichsgesetz, § 4, S. 33. Schon Mitte der dreißiger Jahre wiesen Unfallstatistiken Alkoholmißbrauch im Straßenverkehr als maßgebliche Ursache für die steigenden Unfallzahlen aus, insbesondere für folgenschwere Unfälle; vgl. Hoffmann, Alkoholnachweis, S. 9; Kallfelz JW 1937,2336 m. w. N. in Fußn. 4. 11 Zur Kraftfahrungeeignetheit alkoholisierter Kraftfahrzeugführer aus heutiger Sicht vgl. Jagusch I Hentschel § 4 StVO RN 8. 12 Vgl. zusammenfassend Hiller JW 1937,364. 13 PrOvo 79, 118; vgl. auch OVO Hamburg JW 1937, 1847: " .... sind die Anforderungen an die Nüchternheit des Kraftfahrers hoch zu bemessen ... " 14 PrOvo 79, 118; 93, 95 f.; JW 1934, 2585 m. Anm. Müller JW 1938, 1855; vgl. auch später für den Amerikanischen Sektor BezVO Berlin VRS 1,303 und für den Britischen Sektor BezVO Berlin VRS 1,213. 15 PrOvo 93, 95 f. 16 PrOvo JW 1934, 2585 m. zust. Anm. Müller. 17 PrOvo JW 1938, 1855 f. 9

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Teil I: Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestimmungen im Verkehrs strafrecht

11. Die Kraftfahrzeugverordnung i. d. F. vom 10. 5. 1932 Zur gleichen Zeit wuchs die Einsicht, daß das verwaltungsrechtliche Instrumentarium - trotz der strengen Rechtsprechung - zur Bekämpfung des Alkohols im Straßenverkehr nicht ausreichte. Daher wurde in einer Neufassung der aufgrund der §§ 6 und 27 KFG erlassenen Verordnung über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. 2. 1910 18 (KVO) erstmals ein alkoholisierte Kraftfahrzeugführer betreffender Straftatbestand aufgenommen l9 •

1. § 17 KVO - Verbot der Fahrzeugführung im Zustand alkoholbedingter Fahrunsicherheit

Der Übertretungstatbestand 20 des § 17 11 KV0 21 wurde durch Neufassung der KVO vom 10. 5. 193222eingeführt: "Wer unter der Wirkung von geistigen Getränken oder Rauschgiften steht und infolgedessen zur sicheren Führung nicht imstande ist, darf ein Kraftfahrzeug nicht führen."

Bei Zuwiderhandlungen drohte § 21 KFG - entsprechend der Verweisung in § 50 KV0 23 - Geldstrafe bis zu 150,- Reichsmark oder Haft an 24 . Damit hatte der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß er das Fahren von Kraftfahrzeugen unter Alkoholeinfluß für so gefährlich hielt, daß eine Bestrafung des alkoholisierten Kraftfahrzeugführers auch dann möglich sein sollte, wenn kein von der Rechtsordnung mißbilligter Erfolg in Form einer Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung eingetreten war. Ausreichend war allein die Unfähigkeit zur "siRGBI. 11910, S. 389. Die Kompetenz zur Regelung des allgemeinen Fahr- und Straßenverkehrs hatte die Reichsregierung den Ländern nach Maßgabe eines einheitlichen Musters einer Straßenverkehrsordnung überlassen. Durch Art. VI des Änderungsgesetzes zum KFG vom 21. 7. 1923 (RGBI. 1923 I, S. 743) war das Reich zum Erlaß von polizeilichen Verordnungen "über den allgemeinen Fahrverkehr" nur soweit ermächtigt, wie "dies in Rücksicht auf den Kraftfahrzeugverkehr erforderlich" war; vgl. F1oegel, 4. Aufl., Vorbem. S. 3. Daher enthielt die KVO im übrigen keine Verkehrsregeln, sondern beschränkte sich auf Vorschriften über die Zulassungsvoraussetzungen sowohl für das Kraftfahrzeug als auch für den Kraftfahrzeugführer sowie einige strafbewehrte Pflichten des Fahrzeugführers. 20 Gern. § I des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich vom 15.5. 1871 galt damals eine Dreiteilung der strafbaren Handlungen in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen. Letztere waren Handlungen, die mit Haft oder Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Reichsmark bedroht waren. 21 RGBI. I 1932, S. 209. 22 RGBI. I 1932, S. 201. 23 RGBI. I 1932, S. 222. 24 Veröffentlichte Rechtsprechung findet sich jedoch zu dieser Vorschrift nicht. da die KVO bereits zwei Jahre später von der Reichsstraßenverkehrsordnung abgelöst wurde. 18

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cheren Führung" eines Kraftfahrzeugs. Der Begriff Fahrunsicherheit war damit bereits Ausgangspunkt des ersten Trunkenheitsdeliktes. Dies entsprach dem damaligen Kenntnisstand der Wissenschaft: Eine Anknüpfung des gesetzlichen Tatbestandes an bestimmte quantitative Alkoholmengen im Körper war noch nicht möglich, da weder auf ausreichende naturwissenschaftliche Erkenntnisse über Alkoholwirkungen, noch auf geeignete Untersuchungsmethoden und Meßverfahren zur Feststellung der Alkoholbeeinflussung zurückgegriffen werden konnte 25 .

2. § 51 RStGB - Zurechnungsunrähigkeit Der Alkoholabusus wirkte sich nicht allein auf den Regelungsbereich des Verkehrsstrafrechts aus, sondern erforderte auch Regelungen im Bereich des Allgemeinen Teils des StGB. Mit Strafe war Trunkenheit im Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich i. d. F. von 1871 (RStGB) allerdings nur in § 361 Nr. 5 für den Fall bedroht, daß jemand durch "Spiel, Trunk oder Müßiggang" hilfsbedürftig wurde; gemeint war nur die chronische Trunksucht26 . Es existierte aber mit § 51 RStGB bereits eine dem heutigen § 20 StGB entsprechende Regelung, aus der sich für stark alkoholisierte Straftäter die Möglichkeit der Straflosigkeit ergab 27 . Die darin aufgezählten biologischen Zustände der "Bewußtlosigkeit oder krankhaften Störung der Geistesthätigkeit" führten zum Ausschluß der Strafbarkeit, wenn ihre Wirkung auf die Psyche dazu führte, daß die "freie Willensbestimmung ausgeschlossen war". Da die Willensfreiheit als Schuldelement anerkannt war, schloß somit die auf der Grundlage der - auch heute noch für §§ 20, 21 StGB geltenden sog. "biologisch-psychologischen (gemischten) Methode,,28 ermittelte Willensunfreiheit die Schuldfähigkeit, damals "Zurechnungsfähigkeit" aus 29 . Trunkenheit wurde überwiegend unter das Merkmal der "Bewußtlosigkeit" subsumiert, welches auch damals schon im weiteren Sinne verstanden wurde, da bei völliger Bewußtlosigkeit eine strafrechtlich relevante Handlung zu verneinen iseo. Die Rechtsprechung forderte daher zwar nicht grundsätzlich eine "bis zur Sinnlo25 Die Gerichte waren bis zum Beginn der dreißiger Jahre darauf angewiesen, die Alkoholbeeinflussung mit Hilfe der allgemeinen Beweismittel, wie z. B. Zeugenaussagen über das Auftreten und den Alkoholgenuß des Betroffenen oder dessen eigener Einlassung, nachzuweisen; vgl. PrOVG 79,118,119; JW 1936, 1403,2832; auch später noch RG JW 1936,48. 26 Weitere Strafvorschriften enthielt das Militärstrafgesetzbuch, Stier, Trunkenheit, S. 57 ff. 27 Vgl. schon RGSt 5,338 f. 28 Schönke/ Schröder-Lenckner § 20 RN I; näher u. Teil 2 A III. I. 29 Frank-Schäfer, Nachtrag zur 18. Aufl. StGB, § 51, S. 147: "Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welche seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war." 30 Stier, Trunkenheit, S. 116 f.; Frank-Schäfer, Nachtrag zur 18. Aufl. StGB, § 51, S. 147; teilweise wurde auch eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit angenommen vgl. RGSt 63,46,48.

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Teil I; Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestimmungen im Verkehrs strafrecht

sigkeit gesteigerte" Trunkenheit3l , aber zumindest einen äußerlich erkennbaren "Zustand hochgradiger Trübung des Bewußtseins" in Bezug auf die konkrete Straftae 2 . Äußere Symptome für das Vorliegen eines solchen der Beurteilung der gerichtsmedizinischen Sachverständigen unterliegenden Zustandes waren ungenügende Orientierung, übermäßige Gefühlsreaktionen gegenüber Unbeteiligten, Erinnerungsverlust, Sinnlosigkeit des Handeins oder Gegensätzlichkeit des Trunkenhei tsverhaltens zum sonstigen Charakter33 . Zum Ausschluß der Zurechnungsfähigkeit führte der biologisch anomale Zustand der "Bewußtlosigkeit", wenn dadurch die freie Willensbestimmung, d. h. die Fähigkeit des Täters, vernunftgemäß zu handeln und Anreize zu einer strafbaren Handlung und Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen, nicht nur vermindert, sondern gänzlich ausgeschlossen war34 . Da es darauf ankam, daß die freie Willensbestimmung in bezug auf die strafbare Handlung ausgeschlossen war, wurde der aus dem damaligen JGG stammende und unserer heutigen Regelung in § 20 StGB entsprechende Ausdruck der "Unfähigkeit, das Ungesetzliche der Tat einzusehen oder seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu bestimmen" als Definition für einen die "freie Willensbestimmung" ausschließenden Zustand verwendet 35 . Lag lediglich eine Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit vor, wurde die Strafbarkeit von der Rechtsprechung bejahe 6 , der Umstand jedoch trotz Fehlens einer Vorschrift über die verminderte Zurechnungsfähigkeit im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt37 . Da nicht etwa der Angeklagte seine Zurechnungsunfähigkeit zu beweisen hatte, sondern vielmehr das Gericht die Zurechnungsfähigkeit als Voraussetzung der Schuld nachweisen mußte, führten Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit entsprechend dem Grundsatz in dubio pro reo zum Freispruch, auch wenn die Zurechnungsunfähigkeit i. S. d. § 51 nicht positiv festgestellt werden konnte 38 . Damit dem Angeklagten zumindest verminderte Zurechnungsfähigkeit nachgewiesen und eine möglichst weitreichende Verantwortlichkeit für alkoholisierte Straftäter erreicht werden konnte, stellten sowohl die Gerichte als auch die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen unsachgemäß strenge Maßstäbe an die Bejahung der Zurechnungsunfähigkeit 39 .

31 RGSt 5, 338, 339; 64, 349, 353; 67, 149 f.; Stier, Trunkenheit, S. 117 f.; Frank-Schäfer, Nachtrag zur 18. Autl. StGB, § 51, S. 147 32 Stier, Trunkenheit, S. 116 f. 33 Stier, Trunkenheit, S. 118 ff. 34 RGSt 57, 76 f.; 63, 46, 48; 67, 149 f.; JW 1930, 1593; Frank-Schäfer, Nachtrag zur 18. Autl. StGB, § 51, S. 149 f. 35 RGSt 64,349,358; 67, 149. 36 RGSt 5,338,339; 67, 149 f. 37 RGSt 68, 171, 173; 69, 110, 112; im Schrifttum wurde insoweit die Einführung einer gesetzlichen Strafmilderung vorgeschlagen; vgl. Frank-Schäfer, Nachtrag zur 18. Autl. StGB, § 51, S. 151. 38 RGSt21, 131;63,46,47.

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3. Actio libera in causa Oft wurde verkannt, daß auch ohne die strenge Handhabung des § 51 a. F. StGB eine Strafbarkeit der zur Tatzeit zurechnungsunfähigen Person nach den bereits damals anerkannten 40 - inzwischen weitgehend eingeschränkten41 - Grundsätzen der "actio libera in causa" zu erreichen gewesen wäre42 • Darunter ist die Zurechnung eines verantwortlichen Handeins oder Unterlassens zu verstehen, das im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit zu einer Tatbestandsverwirklichung geführt hat 43 . Da Täter der nach dieser Rechtsfigur für die im Defektzustand begangene Tat selbst bestraft wird, müssen sich Vorsatz oder Fahrlässigkeit im Zeitpunkt der Zurechnungsfähigkeit sowohl auf die Herbeiführung der Zurechnungsunfähigkeit als auch auf die auszuführende Tat erstrecken 44 . Für die im Zustand der alkoholbedingten Zurechnungsunfähigkeit begangene Handlung wurde an den Beginn des Betrinkens angeknüpft45 . So wurde der betrunkene Fahrer eines Pferdefuhrwerkes wegen fahrlässiger Körperverletzung bestraft, weil er sich schuldhaft und in zurechnungsfähigem Zustand in starke Trunkenheit versetzt und fahrlässig nicht bedacht hatte, daß er noch mit seinem Fuhrwerk fahren mußte und dabei jemanden verletzen könnte46 . In einer Vielzahl der Fälle konnte jedoch für den Zeitpunkt des Betrinkens weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit hinsichtlich der späteren Erfolgsverursachung nachgewiesen werden, so daß eine strafrechtliche Verantwortlichkeit auch nach dieser Rechtsfigur zu verneinen war. Dieser als Strafbarkeitslücke empfundene Zustand führte zu der bereits angesprochenen weitreichenden - dem Trunkenheitszustand jedoch nicht gerecht werdenden - Bejahung der Zurechnungsfähigkeit47 • Abhilfe schaffte erst die Einführung des heute in § 323a StGB geregelten Vollrausch tatbestandes. 39 Vgl. Stier, Trunkenheit, S. 107 f.; Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 6 f.; aus der Gerichtsmedizin: Aschaffenburg, MschrKrim. 16 (1925), 152: "Bei einer einfachen sinnlosen Betrunkenheit, dem Alltagsrausch, aber wurde von den Psychiatern im allgemeinen die Zurechnungsfähigkeit bejaht, da die Auswirkungen der Exkulpierung aller hochgradig Betrunkenen untragbare Folgen nach sich gezogen hätten. ". 40 RGSt 22, 413; Stier, Trunkenheit, S. 126; Frank-Schäfer, Nachtrag zur 18. Auf!. StGB, § 51, S. 151 m. w. N. 4\ Vgl. BGHSt 42, 235 dazu u. Teil 2 A 111. 2. 42 Krit. Kitzinger, MschrKrim. 17 (1926), 34, der in den überzogenen Anforderungen an die Bejahung des § 51 nicht nur eine der Ursachen dafür sah, daß die Konstruktion der actio libera in causa selten zur Anwendung gelangte, sondern auch ein Verdecken von Gesetzeslükken, die, wenn sie fühlbar zutage getreten wären, den Gesetzgeber zu Reformen veranlaßt hätten. Gemeint war die Forderung nach einem Vollrauschtatbestand. 43 Zu den erst aus der Nachkriegszeit stammenden dogmatischen Erklärungsmodellen dieser Rechtsfigur vgl. Schänke! Schräder-Lenckner, § 20 RN 35; und u. Teil 2 A 111. 2. 44 Schänke! Schräder-Lenckner, § 20 RN 36 f. 4S Vgl. schon Stier, Trunkenheit, S. 126. 46 RGSt 22, 413; später 70, 85, 87 ff.; 73, 177, 182. 47 Vgl. o. Fußn. 40.

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III. Das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. 11. 1933 Mit dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher vom 24. 11. 193348 (GewVerbrG), dessen Grundlagen bereits auf die Bemühungen um eine Strafrechtsreform in der Weimarer Zeit zurückgingen, sollte den dringlichsten Reformbedürfnissen gegen die "Verweichlichung der Verbrechensbekämpfung" genüge getan werden49 • Kernstück des GewVerbrG war die Einführung der ,,Maßregeln der Sicherung und Besserung" (§§ 42a ff.), wobei der überwiegende Teil der Maßnahmen dem Sicherungszweck diente; lediglich die Unterbringung in eine Heiloder Pflegeanstalt bzw. in eine Trinkerheil- oder Entziehungsanstalt gemäß § 42b und c StGB bezweckte vornehmlich die Besserung bzw. Heilung des Untergebrachten 50 . Die Anordnung dieser Maßnahme - heute in § 64 StGB geregelt - kam für gewohnheitsmäßige Trinker in Betracht, wenn sie im Rausch oder im ursächlichen Zusammenhang mit der Gewöhnung an Rauschgifte ein Verbrechen oder Vergehen begangen hatten oder aufgrund des gleichzeitig neu eingefügten Vollrauschtatbestandes verurteilt worden waren. 1. § 330a StGB - Vollrauschtatbestand

Die Einführung des im wesentlichen dem heutigen § 323a StGB entsprechende Vollrauschtatbestandes 51 des § 330a StGB a. F. bezweckte die Schließung der zuvor erwähnten Strafbarkeitslücke für den Hauptanwendungsfall der schuldhaft herbeigeführten Zurechnungsunfähigkeit aufgrund alkoholbedingter Rauschzustände52 . Gleichzeitig wurde damit auch außerhalb des Verkehrsrechts der Kampf gegen den Mißbrauch von Alkohol mit strafrechtlichen Mitteln aufgenommen 53 . Die mit dem GewVerbrG 54 verabschiedete und am 1. 1. 1934 in Kraft getretene Fassung des § 330a StGB lautete: "Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berauschende Mittel in einen die Zurechnungsfähigkeit (§ 51 Abs. I) ausschließenden Rausch versetzt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren öder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht. RGB\. 1933 I, S. 995, 999. Vg\. Schäfer / Wagner / Schafheutle, S. 35. 50 Schäfer / Wagner / Schafheutle, S. 111. 51 Im Jahre 1941 erfuhr der Tatbestand insoweit eine Strafschärfung, als die Begrenzung der Gefängnisstrafe auf zwei Jahre wegfiel, RGB\. 1941 I, S. 549 f. 52 RGSt 70, 85; LK-Mezger, 8. Aufl., § 330a Anm. II; andere als durch Alkohol verursachte Rauschzustände besaßen damals nur eine sehr untergeordnete praktische Bedeutung, vg\. eramer, Vollrauschtatbestand, S. 2. 53 Schäfer / Wagner / Schafheutle S. 209; vg\. zur Entstehungsgeschichte auch LK-Spendel § 323a RN 3 ff. 54 RGB\. 1933 I, S. 995, 999. 48

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Die Strafe darf jedoch nach Art und Maß nicht schwerer sein, als die für die vorsätzliche Begehung der Handlung angedrohte Strafe. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein, wenn die begangene Handlung nur auf Antrag verfolgt wird."

Danach war nunmehr auch strafbar, wer in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand den Tatbestand eines Strafgesetzes rechtswidrig verwirklichte, auch wenn er zum Zeitpunkt des Berauschens die Möglichkeit der Begehung einer Straftat nicht einmal fahrlässig verkannt hat55 . Unter dem Gesichtspunkt eines abstrakten Gefährdungsdeliktes56 knüpft die Vorschrift auch noch in ihrer heutigen Fassung (§ 323a StGB) an die schuldhafte Herbeiführung des Rauschzustandes 57 an und bezweckt, den sinnlos Berauschten für die von ihm ausgehende Gemeingefahr zu bestrafen58 . Die im Vollrausch begangene Straftat stellte daher bereits damals nach h. M. eine objektive Bedingung der Strafbarkeit dar59 . Vorsatz oder Fahrlässigkeit mußten lediglich hinsichtlich des Sichversetzens in den die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand der Volltrunkenheit vorliegen. Obwohl die Vorschrift als Rauschtaten selbstverständlich auch Verkehrsstraftaten, insbesondere auch Trunkenheit im Verkehr (§ 1711 KVO), erfaßte, verfolgte sie keine spezifischen verkehrsstrafrechtlichen Zwecke. Vielmehr hatte der Gesetzgeber allgemein die schuldhafte Herbeiführung der Unzurechnungsfähigkeit für strafwürdig erklärt bzw. indirekt das Gebot der Aufrechterhaltung der eigenen Zurechnungsfähigkeit aufgestellt. Konnte weder die Zurechnungs unfähigkeit noch die Zurechnungsfähigkeit sicher festgestellt werden, ließ die Rechtsprechung zunächst auch Wahlfeststellung zwischen einer Verurteilung nach § 330a StGB a. F. und der im Rausch begangenen Tat zu60.

55 RG JW 1936,935; 1131; Frank-Schäfer, Nachtrag zur 18. Auf). StGB, S. 120; Schönke, StGB, § 330a, S. 680. 56 Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 46 m. w. N., 99 f. 57 Gegen die von einem Teil der Literatur vertretene Ansicht, Strafgrund der Regelung sei die Rauschtat, so daß § 330a StGB a. F. als Haftungserweiterung hinsichtlich der unverschuldet verursachten Rauschtat und damit als Durchbrechung des allgemeinen Prinzips von § 51 I StGB a. F. auszulegen sei, vgl. Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 17 ff. 58 Frank-Schäfer, Nachtrag zur 18. Auf). StGB, S. 120; Kohlrausch/Lange, § 330a, S. 663; vgl. zur Problematik des Strafgrundes des § 323a StGB u. Teil 2 A BI. 3. 59 Std. Rechtsprechung seit RGSt 69, 187 f., vg\. auch BGHSt 1 274,277; 327 f.; für w.N. zur h. L. vg\. Cramer, Vollrauschtatbestand, S. 84. 60 RGSt 70, 42, 44; 70, 85, 87; 70, 326 f. Dies war damals allerdings nur unter der Geltung des § 2b StGB i. d. F. vom 28. 6. 1935 (RGB\. I, S. 839) zulässig, der entsprechend der damaligen Kriminalpolitik die Wahlfeststellung auch ohne Vergleichbarkeitserfordernis zuließ; vg\. dazu Wolter, Wahl feststellung, S. 29, 76.

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2. § 51 StGB - Verminderte Zurechnungsfähigkeit Anlaß für die Regelung der venninderten Zurechnungsfähigkeit (Schuldfahigkeit) war ebenfalls eine mit dem GewVerbrG eingefügte Maßregel der Sicherung und Besserung: § 42b StGB a. F. sah die Unterbringung in eine Heil- oder Pflegeanstalt sowohl für den Fall des Begehens einer Straftat im Zustand der völligen Zurechnungsunfähigkeit als auch im Zustand der "venninderten Zurechnungsfähigkeit" vor. Dieser Begriff mußte daher auf den der Zurechnungsunfähigkeit abgestimmt werden. Die bisher nur im festgesetzten Strafrahmen strafmildernd berücksichtigte venninderte Zurechnungsfähigkeit wurde dabei in Absatz 2 des neu gefaßten § 51 StGB als fakultativer Strafmilderungsgrund aufgenommen 61 • Zur KlarsteIlung wurde darüber hinaus der Begriff der "Bewußtlosigkeit" durch den der "Bewußtseinsstörung" ersetzt und der Wortlaut damit der praktizierten Auslegung der alten Fassung angepaßt. Für die Zurechnungsunfahigkeit wegen Trunkenheit galten weiterhin die bereits dargelegten Grundsätze 62 . Die Anwendung des milderen Strafrahmens des Absatz 2 wurde entsprechend dem Willen des Gesetzgebers gerade bei selbstverschuldeter Trunkenheit weiterhin restriktiv gehandhabt63 •

3. § 81a StPO - Körperliche Untersuchung, Blutprobe Durch das Ausführungsgesetz zum GewVerbrG 64 sind schließlich eine Reihe weiterer Gesetze angepaßt worden. Hervorzuheben ist hier insbesondere die Schaffung der für die Gewinnung von Beweismitteln bei Trunkenheitsdelikten wichtigsten Ennächtigungsgrundlage des § 81 aStPO. Körperliche Eingriffe, d. h. die Beibringung auch nur geringfügiger Verletzungen des Körpers, durften bis dahin grundsätzlich nur mit Einverständnis des Betroffenen vorgenommen werden 65 . Allenfalls die Zulässigkeit der zwangsweisen Blutprobenentnahme war von der Literatur diskutiert worden66 , da etwa zur glei61 Vg\. Schäfer I Wagner I Schafheutle, S. 174, 181: "War die Fähigkeit, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, zur Zeit der Tat aus einem dieser Gründe erheblich vermindert, so kann die Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs gemildert werden." 62 RGSt 68, 171, 173; 73, 121; Frank-Schäfer, Nachtrag zur 18. Aufl. StGB, S. 1\0; LKMezger, 8. Aufl., § 51 Anm. 5 a; Schäfer/WagnerlSchafheutle, S. 175; Schönke, StGB, § 51, S. ISO. 63 Zur gesetzgeberischen Intention vg\. Schäfer I Wagner I Schafheutle, S. 184; zur Anwendung RGSt 68, 167 f.; Frank-Schäfer, Nachtrag zur 18. Aufl. StGB, S. 112 m. w. N.; Schönke, StGB, § 51, S. 152. M Art. 2 Nr. 4 des Ausführungsgesetzes zum GewVerbrG. v. 24. 11. 1933, RGB\. I, S.IOOO. 65 RGSt 64, 162 m. Anm. Alsberg JW 1931,69; RGSt 66, 274; Wachinger JW 1932, 3041.

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chen Zeit erstmals ein praxistaugliches Verfahren zur Ermittlung des Alkoholgehaltes im Blut vorgestellt wurde 67 . § 81a StPO beseitigte bestehende Zweifel und räumte der Blutalkoholbestimmung ausdrücklich verfahrensrechtliche Bedeutung als Beweismittel ein: ,,Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Andere Personen dürfen ohne ihre Einwilligung nur untersucht werden, wenn festgestellt werden muß, ob sich an ihrem Körper eine bestimmte Spur oder Folge einer strafbaren Handlung befindet. Entnahme von Blutproben und andere Eingriffe, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, sind ohne Einwilligung des zu Untersuchenden zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu besorgen ist. Die Anordnung steht dem Richter, bei Gefahr im Verzug auch der Staatsanwaltschaft und den Polizei- und Sicherheitsbeamten zu, die als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft ihren Anordnungen Folge zu leisten haben." Bei der einfachen körperlichen Untersuchung i. S. d. Absatzes 1 der Vorschrift handelte es sich um eine Untersuchung zur Feststellung, "ob aus dem Zustand des Körpers auf die Begehung einer strafbaren Handlung geschlossen werden kann,,68. Darunter fiel die Begutachtung auf äußere Anzeichen von Alkoholbeeinflußtheit. Mit der in Absatz 2 getroffenen Regelung über die Entnahme von Blutproben blieb der Gesetzgeber ausnahmsweise auch nicht hinter den kriminaItechnischen Ermittlungsmöglichkeiten zurück, sondern war seiner Zeit sogar etwas voraus. Das Vereinheitlichungsgesetz vom 12.9. 195069 stellte die Vorschriften über die Untersuchung anderer Personen als der des Beschuldigten in einen neuen § 81c StPO ein. Die heutige Fassung erlangten die §§ 81a, 81c StPO durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. 8. 1953 70 , weIches vor allem den Bedenken ärztlicher Seite Rechnung getragen und klargestellt hat, daß die körperlichen Eingriffe von einem Arzt vorzunehmen sind.

IV. Die Reichsstraßenverkehrsordnung vom 28. 5. 1934 Die Vorschrift des § 17 TI KVO wurde schon zwei Jahre nach Inkrafttreten von der Reichsstraßenverkehrsordnung vom 28. 5. 193471 (RStVO), ebenfalls Ausfüh66 Wachinger JW 1932, 3041; Schäfer I Wagner I Schafheutle, S. 243; vom Reichsgericht wurde die erzwungene Blutentnahme indes fur rechtswidrig erachtet, vgl. RG DJZ 1930, 1202. Nach RGSt 64, 160 m. Anm. Alsberg JW 1931,69 konnte die erforderliche Zustimmung auch noch nachträglich erteilt werden. 67 Vgl. hierzu u. VI. 1. 68 Löwe/Hellweg/Rosenberg-Hartung, StPO, 19. Aufl., § 8laAnm. 3. 69 BGBI. 1950 I, S. 455. 70 BGBI. 19531, S. 735. 71 RGBI. 19341 S. 457,478, aufgrund der §§ 6, 27 KFG i. d. F. vom 13. 12. 1933 erlassen.

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rungsverordnung zum KFG, abgelöst. Hintergrund für die Neureglementierung war die besondere Förderung des Straßenverkehrs durch Hitler. Dazu sollten neben dem Bau der Reichsautobahnen und dem Aufbau des Volkswagenwerkes72 auch die rechtlichen Grundlagen durch eine einheitliche und vereinfachte Neuregelung73 beitragen. Der allgemeine Straßenverkehr, der mit Ausnahme des Kraftfahrzeugverkehrs bis dahin landesrechtlieh geregelt war, wurde damit erstmals einer reichsrechtlichen Regelung unterworfen 74 . Die Verordnung bestand aus lediglich 36 Vorschriften und hatte somit i. S. d. Einleitung "alle Hemmungen durch die Zersplitterung des Rechts und kleinliche Reglementierung des Verkehrs,,75 ausgeräume 6 . Der erheblichen Rechtsvereinfachung im Sinne "nationalsozialistischer Rechtsauffassung" fiel u. a. auch § 17 II KVO zum Opfer; die RStVO hatte keine entsprechende Sondervorschrift für alkoholisierte Kraftfahrzeugführer übernommen. 1. § 1 11 RStVO Statt dessen wurde mit § 1 RStV077 eine Vorschrift geschaffen, die das Führen eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand zwar erfaßte 78, deren Anwendungsbereich aber erheblich größer war. Der heute durch § 2 I StVZO im wesentlichen fortgeltende Tatbestand betraf nicht nur Kraftfahrzeugführer, sondern alle Verkehrsteilnehmer; und beschränkte sich nicht nur auf die durch Rauschmittel bedingte Fahrunsicherheit: "Wer infolge körperlicher oder geistiger Mängel sich nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn in geeigneter Weise - für die Führung von Fahrzeugen nötigenfalls durch Vorrichtungen an ihnen - Vorsorge getroffen ist, daß er andere nicht gefährdet." Vgl. Freisler DJ 1939,34. Vgl. die Einleitung zur RStVO, RGBI. 1934 I, S. 457; die Ausführungsanweisung zur RStVO RGBI. 1934 I, S. 869; RGSt 69,350,351. 74 Die o. 11. Fußn. 19 erwähnte Beschränkung des Reichsgesetzgebers auf polizeiliche Anordnungen im Bereich des Kraftfahrzeugverkehrs war durch die Neufassung des § 6 I Nr. 2 KFG (Art. I Nr. 5 des ÄndG vom 13. 12. 1933; RGBI. I, S. 1058) aufgehoben worden. Das Reichsverkehrsministerium wurde ermächtigt, "die sonstigen zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit auf den öffentlichen Wegen und Plätzen erforderlichen Anordnungen ... über den allgemeinen Straßenverkehr" zu erlassen. Die Ermächtigung wurde damit in doppelter Beziehung erweitert: Sie ist nicht mehr auf die Bedürfnisse des Straßenverkehrs beschränkt und erstreckt sich auf die Regelung des Straßenverkehrs überhaupt. Mit der RStVO hatte das Reichsverkehrsministerium erstmals von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht; vgl. F1oegel, 4. Aufl., Vorbern. S. 3. 75 Vgl. die Einleitung RGBI. 1934 I, S. 457. 76 Als Vorläufer der heutigen StVO und StVZO war sie in drei Teile gegliedert. Teil A betraf die Zulassung zum Verkehr sowohl der Personen als auch der Fahrzeuge, Teil B das Verhalten im Verkehr und Teil C beinhaltete Schlußbestimmungen. 77 RGBI. 1934 I, S. 457. 78 KG JW 1935, 2075 f. 72

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Auch diese Vorschrift knüpfte wiederum an die Fähigkeit an. sich ..sicher im Verkehr bewegen" zu können. Da als körperliche oder geistige Mängel auch solche vorübergehender Natur in Betracht kamen. fielen darunter auch die durch Alkoholwirkungen ausgelösten Mänge1 79 . Betont wurde dies in der Ausführungsanweisung zur RStV0 80 • wo sich der ausdrückliche Hinweis findet. daß ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen insbesondere sei ...wer unter erheblicher Wirkung geistiger Getränke oder Rauschgifte Fahrzeuge oder Tiere geführt" hat. Auch das Reichsgericht entschied wiederholt: ..Unter den körperlichen und geistigen Mängeln des § 1 Abs. 2 RStraßVerkO ist auch ein Zustand erheblicher Beeinflussung durch Alkohol zu verstehen,,81. Unterliefen dem Fahrer in diesem Zustand Unsicherheiten bei der Fahrzeugführung. wurde ihm zumindest eine fahrlässige Zuwiderhandlung gegen § 1 I1 RStVO vorgeworfen. die gemäß dem Übertretungstatbestand des § 36 RStV0 82 mit Geldstrafe bis zu 150.- Reichsmark oder mit Haft bestraft werden konnte 83 .

2. § 25 RStVO War zusätzlich ein schädlicher Erfolg. eine vermeidbare Behinderung oder Belästigung eingetreten. drohte die gleiche Strafe auch wegen Verstoßes gegen § 25 RStV0 84 : ,Jeder Teilnehmer am öffentlichen Verkehr hat sich so zu verhalten, daß er keinen Anderen schädigt oder mehr, als den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt." Die Vorschrift enthielt die allgemeine Regelung der Sorgfaltspflicht von Verkehrsteilnehmern. die zuvor in § 17 I KVO festgelegt war und dem heutigen § 1 StVO entspricht.

V. Die Straßenverkehrs- und die Straßenverkehrszulassungsordnung vom 13. 11. 1937 Die erhebliche Zunahme des Kraftfahrzeugverkehrs veranlaßte nach kurzer Zeit wiederum eine Erweiterung der Verkehrsvorschriften 85 . Aus Abschnitt Ader RStVO wurde die Straßenverkehrszulassungsordnung und aus Teil B die StraßenFloegel. 4. Aufl., § I RStVO Anm. 8. RGBI. 1934 I. S. 869. 81 RG JW 1935. 1493; 2075; vgl. auch RG HRR 1935, Nr. 1203; JW 1936.48 f.; 450, vgl. w.N. bei Floegel, 4. Aufl .• § I RStVO Anm. 8 und bei Hoffmann, Alkoholnachweis, S. 48 f. 82 RGBI. 1934 I, S. 464. 83 RG JW 1936,48. 84 RGBI. 1934 I, S. 462; KG JW 1935,2075 f.; Müller, Anm. zu PrOVG JW 1934,2586. 85 Vgl. die Einleitung zur StVO, RGBI. 1937 I, S. 1180. 79

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verkehrsordnung, beide vom 13. 11. 193786 (StVO, StVZO). In die StVO wurden die Vorschriften über das Verhalten im Straßenverkehr eingeordnet, während die StVZO die Regeln über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen (einschließlich deren Bau und Ausrüstung) aufgenommen hat. Beide Regelungswerke existieren in erheblich erweiterter Fassung heute noch.

1. § 2 StVZO - Eingeschränkte Zulassung Die § 1 TI RStVO ablösende Vorschrift des § 2 I StVZ087 wurde lediglich um einen Satz 2 ergänzt und lautete nunmehr: "Wer infolge körperlicher oder geistiger Mängel sich nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn in geeigneter Weise - für die Führung von Fahrzeugen nötigenfalls durch Vorrichtungen an diesen - Vorsorge getroffen ist, daß er andere nicht gefährdet. Die Pflicht zur Vorsorge liegt dem Verkehrsteilnehmer selbst oder einem für ihn Verantwortlichen, z. B. einem Erziehungsberechtigten ob."

Diese Fassung entspricht abgesehen von sprachlichen Anpassungen der heutigen und erfaßte vorerst weiterhin den durch Trunkenheit eingetretenen Zustand mangelnder Verkehrssicherheit88 • Die Rechtsfolgen blieben ebenfalls gleich 89 .

2. § 1 StVO - Grundregeln Der Übertretungstatbestand des § 25. RStVO wurde durch § 1 2. Halbsatz abgelöst. Die damalige Fassung des § 1 StV090 entspricht dem heutigen Absatz 2 des § 1 der StVO und lautete: ,,Jeder Teilnehmer am öffentlichen Straßenverkehr hat sich so zu verhalten, daß der Verkehr nicht gefährdet werden kann; er muß ferner sein Verhalten so einrichten, daß kein anderer geschädigt oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird."

Neben den bereits in § 25 RStVO genannten Folgen der Schädigung, Behinderung oder Belästigung wird im I. Halbsatz bereits die bloße Gefährdung anderer 86 ROB!. 1937 I, S. 1179 ff., 1215 ff.; erlassen aufgrund der §§ 6, 27 KFO i. d. F. vom 10. 8. 1937, ROB!. 1937 I. S. 907. 87 ROB!. 1937 I, S. 1215. 88 Oülde, § 2 StVZO Anm. 6. 89 Die als Rechtsfolge auch Haftstrafe anordnenden Vorschriften der §§ 71 StVZO, 49 StVO wurden jedoch 1%2 wegen Verstoßes gegen Art. 103 II und 104 I S. I 00 für nichtig erklärt, vg!. BVerfOE 14, 174 bzw. 14,254. Statt dessen wurde unmittelbar im Anschluß die Strafbestimmung des § 21 StVO angewendet, die dieselbe Rechtsfolge beinhaltete und für verfassungskonform erklärt wurde, vg!. BVerfOE 14,245; zur Anwendung vg!. OLO Hamm DAR 1%2,367, OLO Bremen DAR 1962,369. 90 ROB!. 1937 I, S. 1179.

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Verkehrsteilnehmer erfaßt. Damit hatte erstmals der Gefährdungsgedanke Eingang in das Verkehrsstrafrecht gefunden. Nach h. M. setzte § I StVO in seiner ersten Alternative eine konkrete Gefahr voraus, worunter "die Herbeiführung eines Zustandes" verstanden wurde, "durch den in dem in Frage kommenden Fall nach seiner besonderen Gestaltung in der Tat ein anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet worden ist,,91. Ebenso wie für die Bejahung der Kraftfahreignung i. S. d. § 4 KFG 92 durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung genügte auch für die Feststellung der Fahrunsicherheit i. S. d. jeweiligen Strafvorschriften der Genuß verhältnismäßig geringer Mengen Alkohol 93 .

VI. Die Bedeutung der Blutalkoholkonzentration bis 1945 Die tatsächliche Beeinträchtigung der Verkehrstauglichkeit des Betroffenen konnte damals lediglich aufgrund einer Untersuchung äußerer Umstände, etwa Auftreten und Verhaltensweisen des Täters festgestellt werden 94 • Verfahren zur quantitativen Bestimmung des Alkohols im menschlichen Körper durch Ermittlung des genauen Alkoholgehaltes in der Atemluft, der Rückenmarksflüssigkeit, im Harn oder auch im Blut erwiesen sich aus unterschiedlichen Gründen für die Anwendung in der täglichen Praxis zunächst noch als untauglich 95 . Zum Nachweis der Alkoholbeeinflussung bediente man sich daher allein klinischer Untersuchungsmethoden 96 , die jedoch wegen der rein subjektiven Beurteilung der Wahrnehmungen durch die Untersuchungsperson und daraus folgender mangelnder Objektivität kritisiert 97 wurden. Zudem bestanden zahlreiche Einflußfaktoren, die das Untersuchungsergebnis beeinträchtigen konnten, etwa das Allgemeinbefinden, die Stimmungslage, Krankheiten etc. 98

1. Das Blutalkoholbestimmungsverfahren nach Widmark Schließlich gelang es dem schwedischen Forscher Widmark, eine in der forensischen Praxis wegen der geringen Menge benötigten Blutes einsetzbare Methode der Blutalkoholbestimmung vorzustellen. Widmark beschrieb sein Verfahren erstmals im Jahre 1922 und stellte es in den Jahren 1932 und 1934 ausführlich der 91 Müller, StVR, 17. Autl., § I StVO Anm. 5. 91 93 94

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Vgl. o. I 2. SchöffG Cottbus JW 1938,2665; BGH DAR 1952; 44; Gülde, § 2 StVZO Anm. 6. Gülde, § 2 StVZO Anm. 6. Hoffmann, Alkoholnachweis, S. 18, Kallfelz JW 1937,2337 m. w. N. V gl. o. 11. 1. Fußn. 25. Hoffmann, Alkoholnachweis, S. 18, Kallfelz JW 1937,2337 m. w. N. Hoffmann, Alkoholnachweis, S. 13, 18.

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Teil I: Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestimmungen im Verkehrsstrafrecht

Wissenschaft vor99 • Die modifiziert noch heute praktizierte Untersuchungsmethode 100 setzte sich schließlich ebenso wie die von Widmark ermittelte Formel zur Rückrechnung des Blutalkoholgehaltes auf den maßgeblichen Tatzeitpunkt 101 gegen Ende der dreißiger Jahre durch 102. Durch Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innem v. 25. 9. 1936 wurde die Blutuntersuchung auf Alkohol nach dem Verfahren Widmarks allgemein für diejenigen Beteiligten einer Straftat angeordnet, bei denen begründeter Verdacht alkoholischer Beeinflussung bestand 103.

2. Der Beweiswert der Blutalkoholkonzentration in der Rechtsprechung Verwaltungs- und Strafgerichte betonten zwar die Gewichtigkeit dieses Beweismittels im Verhältnis zu den allgemeinen Beweismitteln, insbesondere zur klinischen Untersuchung. Die forensische Feststellung der Alkoholbeeinflußtheit wurde aber zunächst noch nicht allein vom Erreichen eines bestimmten Blutalkoholgehaltes abhängig gemacht 104. Allerdings weisen einige Entscheidungen bereits den Weg zur späteren Grenze der absoluten Fahrunsicherheit in Höhe von 1,5%0. Ausdrücklich bezeichnete das OLG Dresden bereits im Jahre 1936 1,5%0 als den Schwellenwert, " ... über den 99 Widmark, Die theoretischen Grundlagen und die praktische Verwendbarkeit der gerichtlich-medizinischen Alkoholbestimmung, Be~lin 1932. 100 Die Widmark-Methode der Blutalkoholbestimmung beruht auf dem Prinzip, daß Alkohol Bichromatschwefelsäure reduziert. Dazu wird ein Destillationskolben, der sog. Widmarkkolben, mit einer gen au abgemessenen Menge Bichromatschwefelsäure gefüllt. In einen in diesem Kolben über der Bichromatschwefelsäure hängenden Einsatz wird eine ebenfalls gewogene Menge Blut gefüllt. Mit einer konstanten Temperatur wird der Widmarkkolben erwännt. Dabei verdampft der Alkohol und reagiert mit der Bichromatschwefe1säure. Da der Alkohol das Bichromat reduziert hat, wird die Alkoholkonzentration über eine Titration der nicht verbrauchten Bichromatschwefe1säure ermittelt, vgl. schon Kallfelz, JW 1937, 2338; umfassend Grüner, Alkoholnachweis, S. 65 ff.; Forster! Joachim, Blutalkohol und Straftat, S. 29. Bei den heute allgemein üblichen Modifikationen des Widmarkverfahrens von Grüner und Vidic tritt an die Stelle der Titration eine photometrische Messung der Farbänderungen des Reagenz, vgl. BretteI, in: Forster (Hrsg.), Praxis der Rechtsmedizin, S. 434. 101 Eine derartige Rückrechnung ist erforderlich, da der Abbau der Blutalkoholkonzentration in dem Zeitraum zwischen Blutentnahme und Tatzeit zu berücksichtigen ist. 102 Vgl. die zahlreichen Nachweise bei Kallfelz JW 1937, 2338 f. Fußn. 24, 39 und bei Hoffmann, Alkoholnachweis, S. 7, 19 ff.; OVG Hamburg JW 1937, 1847 f. 103 Kallfelz JW 1937, 2337; vgl. den Originalabdruck bei Hoffmann, Alkoholnachweis, S. 53 f. 104 Gülde, § 2 StVZO Anm. 6. Auch heute noch ist die Anordnung einer Blutprobenentnahme mit einer umfassenden klinischen Untersuchung verbunden, vgl. Ziff. 3.5.2 der von den Bundesländern vereinbarten Richtlinien über die Feststellung von Alkohol-, Medikamenten- und Drogeneinfluß bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, abgedruckt bei Mühlhaus! Janiszewski, StVO, § 316 RN 40.

A. Die geschichtliche Entwicklung bis 1945

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hinaus erfahrungsgemäß 100% aller Menschen nicht mehr die nötige Sicherheit zum Führen eines Kraftfahrzeuges haben .. ."IOS. Unter Hinweis auf diese Entscheidung führte kurz darauf auch das OLG München aus: "Wissenschaft und Rechtsprechung halten schon bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 1,6%0, ja sogar bei 1,5%0 einen Zustand für erwiesen, in dem der Betreffende sich nicht mehr sicher im Verkehr bewegen kann" 106. Zurückhaltender wies das OVG Hamburg in einer Entscheidung aus dem Jahre 1937 darauf hin, daß auch der Alkoholgehalt im Blut nicht ohne weiteres einen festen Anhaltspunkt für den Grad der Rauschwirkung gibt. Er sei ein wichtiges Erkenntnismittel, das jedoch durch andere Prüfungen ergänzt werden müsse 107. Dieser Auffassung war auch das Schöffengericht Cottbus 108: "Bei der Feststellung der im Einzelfall genossenen Alkoholmenge und der hiernach zu stellenden Diagnose des Grades der Alkoholbeeinflußtheit stellt außer den sonstigen allgemeinen Beweismitteln und der klinischen Untersuchung das Widmarksche Blutalkoholbestimmungsverfahren ein Hilfsmittel dar, dessen Beweiswert äußerst zuverlässig ist, und das daher stets maßgeblich, wenn nicht entscheidend, bei der Wahrheitsfindung herangezogen und berücksichtigt werden muß."I09 Sowohl das OVG Hamburg als auch das Schöffengericht Cottbus stützen sich in ihren Entscheidungsgründen aber bereits auf Forschungsergebnisse, nach denen bei einem Blutalkoholgehalt von 1,5%0 bereits 82% aller Personen fahruntüchtig seien, bei 2,1%0 betrage der Prozentsatz der Fahruntüchtigen 96% und bei 2,3%0 schließlich sogar 99%110. Im Schrifttum trat dagegen schon vereinzelt die Forderung auf, zahlenmäßige Blutalkoholwerte und -grenzen als allein maßgebend anzuerkennen und Fahrunsicherheit i. S. d. § 1 11 RStVO bzw. § 2 I StVZO a. F. mit dem Erreichen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration unwiderleglich zu bejahen; 1,5%0 wurde auch hier als der Wert angesehen, ab dem "normalerweise Fahruntüchtigkeit ohne weiteres angenommen werden kann" II I. Die zunehmende Orientierung am Blutalkoholgehalt gipfelte schließlich in einer Entscheidung des Reichsgerichts vom 6.3. 1941 112 . Darin vertrat das RG die Auffassung, daß es wissenschaftlich allgemein anerkannten Erkenntnissen entspreche, bei einem Blutalkoholgehalt von 1,5%0 im allgemeinen und bei 2%0 stets FahrunOLG Dresden DAR 1936, 13. OLG München DAR 1937,9. 107 OVG Hamburg JW 1937, 1847 f. für einen Kraftfahrzeugführer mit 2,37%0, dem zwar die Fahrerlaubnis entzogen wurde, der aber im Strafverfahren vom Vorwurf des Fahrens in angetrunkenem Zustand freigesprochen wurde. Eine solche der strafgerichtlichen Feststellung widersprechende Entscheidung hätte heute wegen § 4 III StVG keinen Bestand. 108 SchöffG Cottbus JW 1938,2664. 109 Hervorhebung durch Verf. 110 OVG Hamburg JW 1937, 1848; SchöffG Cottbus JW 1938,2665. 111 Kallfelz JW 1939,661; 1937,2339 m. w. N.; krit. Seidel DJ 1939, 1425. 112 RG, HRR 1942, Nr. 95. 105

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Teil I: Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestirnrnungen im Verkehrsstrafrecht

tüchtigkeit anzunehmen. Unter Hinweis auf ein Urteil zur Blutgruppenbestimmung als "ein einwandfreies, naturwissenschaftlich gesichertes Erkenntnismittel" 1I3, führte es aus: "Will ein Gericht von einem in der Wissenschaft als sicher anerkannten Satz abgehen, muß es sich auf sorgfältig vorgenommene und wissenschaftlich begründete Gegenuntersuchungen oder anerkannte Autoritäten stützen oder wenigstens aussprechen, auf welchem Wege es zu seiner abweichenden Überzeugung gekommen iSt.,,1I4 Das Gericht habe also die gegenteilige wissenschaftliche Lehrmeinung zu prüfen und darzulegen, warum dieser der Vorzug gegeben werde 115. Allerdings sollte wohl auch nach Ansicht des RG das Erreichen eines Blutalkoholgehaltes noch nicht i.S. absoluter Fahrunsicherheit 1l6 zwangsläufig zur Feststellung von Fahrunsicherheit ausreichen, denn einschränkend fügt es hinzu, es müsse auch untersucht werden, wie der Alkohol gerade auf den Angeklagten gewirkt habe 117 • Die Diskussion um den Beweiswert der Blutalkoholkonzentration wurde dann durch den zweiten Weltkrieg unterbrochen. Schon der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone nahm aber wiederum an, daß ein Blutalkoholgehalt von über 1%0 regelmäßig Fahrunsicherheit nach sich ziehe 1l8 .

B. Die Rechtsentwicklung nach 1945 Die Bundesrepublik hatte zunächst das Straßenverkehrsrecht in seinem wesentlichen Kern übernommen 1l9 • Entsprechend Art. 125 Nr. 1 GG wurde Recht, welches Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes betraf, Bundesrecht, soweit es innerhalb einer oder mehrerer Besatzungszonen einheitlich galt. Da dem Bund gemäß Art. 74 Nr. 1 und Nr. 22 GG die konkurrierende Gesetzgebung über die Gebiete des Strafrechts und des Straßenverkehrs zusteht, galten das KFG, die StVO und die StVZO als Bundesrecht fort. Die heutige Ausgestaltung der Trunkenheitsdelikte ist anschließend durch zwei große Novellen, nämlich die des ersten und zweiten Gesetzes zur Sicherung des Straßenverkehrs, bestimmt worden.

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RG DJ 1938,950. RG, HRR 1942, Nr. 95; RG DJ 1938,950. RG, HRR 1942, Nr. 95. V gl. dazu sogleich u. B III. RG, HRR 1942, Nr. 95 unter Hinweis aufRG DJ 1938, 1501. BezVG Berlin (Brit.Sektor) VRS 1,214. Floegel/ Hartung, 9. Aufl., Einleitung S. I ff.

B. Die Rechtsentwicklung nach 1945

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I. Das erste Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. 12. 1952 Während in den ersten Nachkriegsjahren der Kraftfahrzeugverkehr nahezu zum Erliegen kam, gab der nach der Währungsreform einsetzende wirtschaftliche Aufschwung auch der Motorisierung einen gewaltigen Auftrieb. Infolge der stark anwachsenden Verkehrsdichte und der technischen Verbesserung der Kraftfahrzeuge, insbesondere immer höherer Geschwindigkeiten, stieg die Zahl der Verkehrsunfälle sprunghaft an l20 . Da sich die Verbesserung der Lebensverhältnisse auf alle Bereiche, also auch auf den Verbrauch alkoholischer Getränke, auswirkte, nahmen auch die alkoholbedingten Kraftfahrzeugunfälle zu 121 . Diese Entwicklung war Anlaß für die erste Reform der verkehrsrechtlichen Regelungen nach Kriegsende. Mit dem (ersten) Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19. 12. 1952 122 (1. VerkSichG), in Kraft getreten am 23.1. 1953, sollten vor allem die Sanktionen für Verkehrszuwiderhandlungen verschärft werden. Als Übertretungen konnten bis dahin Verstöße gegen § 2 I StVZO oder § 1 StVO gern. §§ 71 StVZO, 49 StV0 123 höchstens mit 150 Reichsmark Geldstrafe oder sechs Wochen Haft geahndet werden. Die Übertretungsstrafe hielt der Gesetzgeber jedoch als Sanktion gerade für unter Alkoholeinfluß stehende Kraftfahrer, die zu den größten Gefahren des Straßenverkehrs gezählt wurden l24 , nicht mehr für ausreichend. Die schwerwiegenderen Strafdrohungen der Vergehens- und Verbrechenstatbestände kamen bis dahin nur zur Anwendung, wenn eine Verkehrszuwiderhandlung zu einem Unfall geführt hatte und damit eine Verletzung fremder Rechtsgüter in Form von Sach- oder Personenschaden eingetreten war. Die bloße Gefährdung fremder Rechtsgüter reichte nicht aus, eine Vergehensstrafe zu begründen. Gerade hiervon versprach man sich jedoch eine wirksamere Bekämpfung der Verkehrsunfälle 125 . Daher wurde ein Tatbestand eingeführt, der ausgewählte, als besonders unfallträchtig geltende Verkehrsverstöße im Falle einer schuldhaften Herbeiführung einer Gefahr als Vergehen bestrafte. 1. § 315a - Verkehrsgefahrdung

Als Anknüpfungspunkt für eine solche Regelung diente der damalige Vergehenstatbestand des § 315 StGB a. F., ein den Eisenbahnverkehr betreffendes Gefähr120 Vg\. Begründung der Regierungsvorlage eines Gesetzesentwurfs zur Bekämpfung von Unfällen im Straßenverkehr, später Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs benannt, BTDrs. 112674, S. 7. \2\ BT-Drs. 1/2674, S. 15. \22 BGB\. 11952, S. 832. \23 Vg\. zu diesen Vorschriften bereits o. Teil 1 A V. I. \24 F1oegel/Hartung, 9. Aufl., § 315a Anm. 4. \25 BT-Drs. 112674, S. 15.

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Teil 1: Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestirnrnungen im Verkehrs strafrecht

dungsdelikt im Abschnitt über gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen l26 . In Gestalt des § 315a wurde ein Tatbestand der Verkehrsgefährdung als gemeingefährliches Vergehen eingefügt, der dreistufig aufgebaut war. Durch die in vier Handlungsalternativen aufgezählten Verhaltensweisen mußte die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt und dadurch wiederum eine Gemeingefahr herbeigeführt worden sein. Strafgrund war der Schutz der "Sicherheit des öffentlichen Verkehrs" vor Störungen "in einer für die Benutzer der Verkehrswege gefährlichen Weise,,127. Diese Vorschrift war im Gesetzgebungsverfahren stark umkämpft. Meinungsverschiedenheiten ergaben sich vor allem bei der Frage, welche Verkehrsverstöße "für den Fall des Herbeiführens einer Gemeingefahr als besonders gefährlich und strafwürdig,,128 mit einer Vergehens- statt mit einer Übertretungsstrafe zu ahnden seien. Einigkeit bestand insofern allein darüber, daß jedenfalls das Führen eines Fahrzeugs unter Alkoholeinwirkung und mit sonstigen körperlichen oder geistigen Mängeln erfaßt werden sollte. Die Regierungsvorlage sah aber darüber hinaus vor, allgemein jeden Fahrzeugführer zu erfassen, der "rücksichtslos fährt" 129. Der Vorschlag des Bundesrates stellte dagegen auf jeden "schweren Verstoß gegen die zur Regelung des Straßenverkehrs erlassenen Vorschriften" ab l3o . Angesichts der unbestimmten Fassung beider Formulierungen entbehrt es dabei nicht einer gewissen Ironie, daß die Bundesregierung ihren eigenen Entwurf mit der Begründung bevorzugte, der Vorschlag des Bundesrates verstoße gegen den Grundsatz der Tatbestandsklarheit, dem Staatsbürger könne nicht zugemutet werden, jederzeit die Gesamtheit der verschiedensten und verstreuten Verkehrsvorschriften gegenwärtig zu haben 131. Letztlich war es den Bemühungen der Bundestagsausschüsse zu verdanken, daß schließlich eine Fassung verabschiedet wurde, "die mit der erforderlichen rechtsstaatlichen Bestimmtheit die in der Praxis hauptsächlich vorkommenden Fälle trifft, die zu Unfällen führen"l32. Die Vorschrift lautete: "Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er I. Anlagen oder Beförderungsmittel beschädigt, zerstört oder beseitigt, Hindernisse bereitet, oder einen ähnlichen Eingriff vornimmt 2. ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses geistiger Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, BT-Drs. 1/2674, S. 14. BT-Drs. 1/2674, S. 7; auch später wurde vor allem die Sicherheit des Straßenverkehrs als geschütztes Rechtsgut neben dem Schutz der Individualrechtsgüter der Verkehrsteilnehmer hervorgehoben, vgl. Kohlrausch / Lange, § 315a Anm. I, LK-Werner, 8. Aufl., § 315a Anm.2. 128 BT-Drs. 1/2674, S. 15. 129 BT-Drs. 1/2674, S. 4. 130 BT-Drs. 1/2674, S. 22. 131 BT-Drs. 1/2674, S. 25. 126 127

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Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen BT-Drs. 1/3774, S. 5.

B. Die Rechtsentwicklung nach 1945

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3. ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge geistiger oder kÖlperlicher Mängel sich nicht sicher im Verkehr bewegen kann und keine Vorsorge getroffen ist, daß er andere nicht gefährdet, oder 4. in grob verkehrswidriger und rücksichtsloser Weise die Vorfahrt nicht beachtet, falsch überholt, oder an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen oder -einmündungen zu schnell fährt und dadurch eine Gemeingefahr (§ 315 Abs. 3) herbeiführt, wird mit Gefängnis bestraft. In den Fällen des Absatzes I Nummern I bis 3 ist der Versuch strafbar. In besonders schweren Fällen des Absatzes I Nummer I kann auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren erkannt werden."

In § 316 StGB war darüber hinaus die fahrlässige Begehensweise der in §§ 315 und 315a StGB aufgeführten Taten unter Strafe gestellt 133. Das bisher allein unter den Übertretungstatbestand des § 2 StVZO fallende Führen eines Fahrzeugs im Zustand mangelnder geistiger oder körperlicher Eignung war damit für den Fall zu einem Vergehen angehoben, daß eine Gemeingefahr herbeigeführt worden war. § 2 I StVZO blieb als Rechtsgrundlage für fahrunsichere Kraftfahrzeugführer bestehen, die keine Gemeingefahr verursacht hatten. Der Zustand erheblicher Beeinflussung durch Alkohol - bis dahin als "körperlicher Mangel" ebenfalls unter § 2 StVZO subsumiert - war in der Nummer 2 wieder ausdrücklich geregelt. Zwanzig Jahre nach Einführung der ersten, speziell alkoholisierte Kraftfahrzeugführer erfassenden Vorschrift des § 17 n KVO l34 knüpfte somit auch diese Neuregelung wieder an das Merkmal der alkoholbedingten Fahrunsicherheit an. Der Anwendungsbereich des Vergehenstatbestandes war allerdings im Gegensatz zur Übertretungsregelung des § 17 11 KVO auf Fälle beschränkt, in denen die Fahrunsicherheit zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs geführt hatte und eine Gemeingefahr verursacht worden war. In der Legaldefinition des § 315 III StGB a. F. bezeichnete der Gesetzgeber als Gemeingefahr "eine Gefahr für Leib oder Leben, sei es auch nur eines einzelnen Menschen, oder für bedeutende Sachwerte, die in fremdem Eigentum stehen oder deren Vernichtung gegen das Gemeinwohl verstößt."

2. Das Verständnis des Begriffs der Gemeingefahr in Rechtsprechung und Literatur Die Anwendung des schärferen Strafrahmens für alkoholisierte Kraftfahrzeugführer gern. § 315a I Nr. 2 StGB hing somit davon ab, ob durch die Trunkenheits133 Wie zuvor auch schon die Übertretungstatbestände der §§ 1,49 StVO und 2, 71 StVZO konnte auch der Vergehenstatbestand des § 315a StGB im Rahmen der Konstruktion der actio Iibera in causa zur Anwendung gelangen oder eine Rauschtat i. S. d. § 330a StGB darstellen; vgl. Hartung DAR 1953, 143 f.; Liebers JR 1953,93; LK-Werner, 8. Aufl., § 315a Anm. 5. 134 Vgl. O. A 11 I.

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fahrt der Erfolg einer Gemeingefahr i. S. d. § 315 III StGB, d. h. einer Gefahr für Leib, Leben oder bedeutende Sachwerte, verursacht worden war. Aus der Auslegung dieses bis dahin völlig unproblematischen Tatbestandsmerkmals erwuchsen jedoch in kurzer Zeit zahlreiche Meinungsstreitigkeiten in Literatur und Rechtsprechung 135 , die sich überwiegend bis zur heute geltenden Fassung des § 315c I Nr. 1 a StGB gehalten, angesichts des heutigen § 316 StGB jedoch an Tragweite verloren haben l36 . Unklarheit bestand zunächst über den erforderlichen Gefährdungsgrad. Mit Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte der §§ 315a, 316 11 StGB herrschte lediglich Einigkeit darüber, daß allein die abstrakte Gefahr, die dadurch herbeigeführt wird, daß eine der in § 315a StGB genannten regelwidrigen Verhaltensweisen verwirklicht wird, z. B. das Fahren unter Alkoholwirkung auf menschenleerer Straße, keine Gemeingefahr im Sinne der Verkehrstatbestände darstellt. Denn die Tathandlung war eine Voraussetzung, zu der die Herbeiführung einer Gemeingefahr als weiteres Tatbestandsmerkmal hinzutreten mußte 137. Nach Auffassung einiger Oberlandesgerichte 138 und zunächst lediglich vereinzelt vertretener Ansicht in der Literatur 139 ergab sich daher die Gemeingefahr aus dem weiteren Umstand, daß die in § 315a StGB geschützten Rechtsgüter in den Gefahrenbereich des alkoholisierten Fahrzeugführers gelangten, d. h. eine räumliche und zeitliche Beziehung zwischen einem Menschen oder bedeutenden Sachwerten und dem fahrunsicheren Kraftfahrzeugführer hergestellt wurde. Dies habe ohne Rücksicht auf die Fahrweise des Taters zu gelten, denn der infolge Alkoholgenusses fahruntüchtige Fahrer könne aufgrund der verminderten Reaktionsfähigkeit jederzeit einen Fahrfehler begehen l40. Demgegenüber vertrat das Bayerische Oberste Landesgericht unter Zustimmung weiterer Oberlandesgerichte sowie großer Teile des Schrifttums die Ansicht, daß eine Gemeingefahr solange zu verneinen sei, wie die Fahrweise nicht zu beanstanden gewesen sei 141. Die danach für die Bejahung einer Gemeingefahr erforderliche fehlerhafte Fahrweise müsse durch die Trunkenheit bedingt worden sein (" ... und dadurch .... "), da es sich bei § 315a StGB um eine konkrete Gefährdungstat handele 142.

Vgl. die ausführliche Darstellung des Streitstandes bei Straube NJW 1955, 407. Vgl. dazu die Ausführungen u. 2. Teil AI. 2. c). 137 OLG Hamm VRS 6, 151; BayObLG VRS 6,458; OLG Köln DAR 1954,92 f.; Hartung JZ 1954,486; Straube NJW 1955,407; später auch BGHSt 8, 28, 31. 138 OLG Köln DAR 1954,92 f.; OLG Oldenburg VRS 7, 460; DAR 1954, 115. OLG Neustadt NJW 1961,2223,2224. 139 Straube NJW 1955,408. 140 Vgl. soeben Fußn. 20, 21. 141 BayObLG VRS 6, 302; 458; OLG Hamm VRS 7, 459; OLG Karlsruhe DAR 1954, 187; OLG Stuttgart NJW 1955, 114; Schmidt-Leichner NJW 1955, 1297 ff.; Weigelt DAR 1953,91,92; Floegell Hartung, 9. Aufl., § 315a Anm. 2 d; Hartung JZ 1954,486. 142 BayObLG VRS 6, 302, 303. 135

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Die Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichtes wurde u. a. wegen der Konsequenz der eingeschränkten Anwendbarkeit des § 315a I Nr. 2 StGB kritisiert l43 . Das Kausalitätserfordernis zwischen Trunkenheitsfahrt und Fahrfehler öffne Schutzbehauptungen Tür und Tor, da es wohl kaum einem Kraftfahrer schwer falle, sich trotz des Alkoholgenusses für fahrtauglich zu halten und für einen Fahrfehler andere Ursachen, wie z. B. Glätte der Fahrbahn oder Blendung durch andere Fahrzeuge zu benennen 144. Fordere man im objektiven Tatbestand eine verkehrswidrige Fahrweise, wäre darüber hinaus nur selten eine Vorsatztat denkbar, da der alkoholisierte Fahrzeugführer Fahrfehler kaum vorsätzlich begehe. Aus diesem Grund liefe auch die in § 315a 11 StGB für die Nr. 2 angeordnete Versuchsstrafbarkeit ins Leere, obwohl der Versuch des Führens eines Fahrzeugs darin erblickt werden könne, daß der Täter sich alkoholisiert ans Steuer setze und den Motor anlasse. Sähe man die Gemeingefahr aber bereits darin, daß andere in die Gefahrenzone des fahruntüchtigen Fahrers gelangen, nehme der alkoholisierte Kraftfahrer die Gefahr in Kauf, wenn er sich betrunken in den Straßenverkehr begebe, da er dort mit der Anwesenheit anderer Verkehrsteilnehmer rechnen müsse l45 . Auch der 4. Senat des BGH 146 lehnte schließlich die Ansicht des Bayerisehen Obersten Landesgerichtes ab. Die regelwidrige Fahrweise könne zwar Indiz für das Vorliegen einer Gemeingefahr sein, stelle aber kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 315a I Nr. 2 StGB dar. Der Umstand, daß sich der fahrunsichere Kraftfahrer zusammennehme und sein Fahrzeug, ohne einen Schaden hervorzurufen, durch den Straßenverkehr gesteuert habe, schließe die Annahme einer Gemeingefahr nicht aus 147 . Ursache für die Gemeingefahr müsse aber das Fahren in fahrunsicherem Zustand sein; dieser Zusammenhang bestehe, "wenn das reibungslose Ineinandergreifen einzelner Verkehrsvorgänge ohne Verursachung von Schäden an Personen oder Sachen gerade mit Rücksicht auf den alkoholbedingten Zustand des Fahrers weniger wahrscheinlich war als das Gegenteil,,148. Daneben bestanden Meinungsverschiedenheiten über die Anforderungen an das Gefährdungsobjekt. Zwar war allein vom Wortlaut des § 315 III StGB grundsätzlich auch die Gefährdung des Lebens einer einzelnen Person eindeutig erfaßt l49 . Zum Begriff der "Gemeingefahr" gehörte jedoch darüber hinaus, daß von der konkreten Situation eine Gefährlichkeit ausging, durch die die Allgemeinheit betroffen erschien l5o . Nach Ansicht einiger Autoren konnte die Allgemeinheit jedoch nicht Vgl. ausführlich Straube NJW 1955,407. Straube NJW 1955,408. 145 Straube NJW 1955,409. 146 BGHSt 8, 28, 31; zustimmend Kohlrausch/Lange, § 315a Anm. IV; LK-Werner, 8. Aufl., § 315a Anm. VIII. 147 BGHSt 8, 28, 32. 148 BGHSt 8, 28, 31 f., krit. Schmidt-Leichner NJW 1955, 1299; i.d.S. auch schon RGSt 10,173,176; 75, 70; OLG Köln DAR 1954,93; w.N. bei eramer, StVO 2. Aufl., § 315c RN 48. 149 Floegel/ Hartung, 9. Aufl., § 315a Anm. 2 d, Kohlrausch/Lange, § 315 Anm. 111 2. 143

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Teil I: Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestirnrnungen im Verkehrsstrafrecht

durch eine Einzelperson vertreten werden, weshalb eine Gemeingefahr stets die Gefährdung mehrerer Personen erfordere l51 • Daran schloß sich die Streitfrage an, ob Insassen des verkehrswidrig geführten Fahrzeugs taugliche Gefährdungsobjekte des § 315a I Nr. 2 StGB sein können 152 . Dies wurde zwar zunächst vom 1. Senat des BGH uneingeschränkt bejaht 153 , vier Jahre später jedoch vom 4. Senat l54 zurückgenommen. Die Gefährdung einer Einzelperson stelle nur dann eine die Allgemeinheit betreffende Gemeingefahr dar, wenn es sich um eine unbestimmte Person aus dem Publikum, also einen beliebigen Verkehrsteilnehmer handele; die einzelne Person müsse als Repräsentant der Allgemeinheit gefährdet worden sein 155. Gezielte Angriffe auf andere Verkehrsteilnehmer, etwa auf Polizisten, unterfielen damit - bei nicht nachzuweisendem Tötungsvorsatz - weiterhin nur den Übertretungstatbeständen 156. Schließlich war die Frage umstritten, ob auch das vom Täter gelenkte, fremde Fahrzeug taugliches Gefährdungsobjekt sein könne. Dies verneinte der BGH zum einen mit der Erwägung, daß das Fahrzeug als notwendiges Tatmittel für die Verwirklichung des Tatbestandes nicht gleichzeitig Schutzobjekt sein könne; zum anderen sei das von § 3l5a StGB geschützte Rechtsgut - die allgemeine Sicherheit des Straßenverkehrs - noch nicht dadurch beeinträchtigt, daß der Täter nur das von ihm geführte Fahrzeug gefährde l57 ; es sei nicht Sinn und Zweck der Vorschriften zur Sicherung des Straßenverkehrs, den Eigentumsschutz zu erhöhen i58 . Die Einführung des Merkmals der Gemeingefahr hatte somit eine Fülle von Problemen aufgeworfen, die auch nur zu einem geringen Teil dadurch ausgeräumt worden sind, daß der Gesetzgeber den Begriff der Gemeingefahr später durch den der konkreten Gefahr ersetzt hat l59 •

3. Der Vorschlag eines abstrakten Gefährdungsdeliktes In seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf des I. VerkSichGes hatte der Bundesrat darüber hinaus die Aufnahme eines abstrakten Gefährdungstatbestandes empfohlen, der gerade die Trunkenheit am Steuer auch ohne Verursachung beRGSt 75, 70; LK-Wemer, 8. Aufl., Anm. III. Birk NJW 1954, 1146 f. 152 Vgl. Kohlrausch I Lange, § 315a Anm. IV. 153 BGHSt 6, 100, \02. 154 BGHSt 11, 199,201 ff. 155 BGHSt 11,199,201 f.; zust. Kohlrausch/Lange, § 315aAnm. IV. 156 Hartung NJW 1960, 1417; Floegel/Hartung, 14. Aufl., § 315a RN 6; vgl. z. B. OLG Hamm VRS 27, 278. 157 BGHSt 11, 148, 151. 158 OLG Celle VRS 33, 202, 204. 159 Vgl. dazu u. VI. 3. und Teil 2 A I. 2. cl. 150 151

B. Die Rechtsentwicklung nach 1945

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stimmter Gefährdungserfolge als Vergehen erfassen sollte. Die als § 139c vorgeschlagene Strafvorschrift l60 lautete: "Wer auf öffentlichen Straßen ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses geistiger Getränke oder anderer berauschender Mittel in der sicheren Führung des Fahrzeugs behindert ist, wird, soweit die Tat nicht nach anderen Vorschriften mit einer schwereren Strafe bedroht ist, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar."

Der einzige Unterschied zum Wortlaut des früheren § 17 11 KVO und des heutigen § 316 StGB bestand somit darin, daß nach § 139c schon die Behinderung in der sicheren Fahrzeugführung genügen sollte. Mit dieser Differenzierung in der Formulierung sind indes keine Unterschiede im Bedeutungsgehalt verbunden. Jede Behinderung der sicheren Fahrzeugführung beeinträchtigt die Fahrsicherheit und hat damit im Umkehrschluß zur Folge, daß der Fahrzeugführer eben nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug sicher zu führen. Allerdings hätte die vorgesehene Versuchsstrafbarkeit den Anwendungsbereich im Vergleich zu § 17 11 KVO und dem jetzigen 316 StGB insofern erweitert, als - da ein Gefährdungsvorsatz nicht erforderlich gewesen wäre - bereits das unmittelbare Ansetzen zur Fahrzeugführung erfaßt gewesen wäre 161. Zunächst schienen auch alle Umstände für eine Verabschiedung dieser Vorschrift zu sprechen. Die Bundesregierung stimmte in ihrer Gegenäußerung der Empfehlung des Bundesrates ZU 162 • Der Ausschuß für Verkehrswesen hielt - im Gegensatz zum Rechtsausschuß - an der Vorschrift des § 139c gerade mit der Begründung fest, daß andernfalls in den Fällen des Versuchs einer Trunkenheitsfahrt eine Strafbarkeitslücke entstehe l63 • Erst in der zweiten und dritten Beratung des Gesetzes stellten CDU-Abgeordnete den Antrag auf Streichung des § 139c StGB I64 mit der Begründung, derart lediglich vorbeugende Vorschriften seien dem Strafgesetzbuch grundsätzlich fremd. Außerdem führe die zu erwartende Behandlung durch Polizei organe - Überprüfung eines jeden Kraftfahrers auf Alkoholgenuß, Blutentnahme bei geringstem Verdacht des Alkoholgenusses - zu nicht hinnehmbaren Beschränkungen der persönlichen Freiheit, die an einen Polizeistaat erinnerten l65 . Da ein Antrag der Föderalistischen Union schließlich auch noch die Streichung der §§ 315a und 316 StGB forderte 166, fiel § 139c letztlich einer Kompromißlösung zum Opfer, um zumindest die §§ 315a, 316 StGB beizubehalten l67 • BT-Drs. 1/2674, S. 22. Müller, 17. Aufl., § 315a S. 13 f. 162 BT-Drs. 1/2674, S. 25. 163 BR-Drs. 1/3774, S. 5. Die Versuchsstrafbarkeit des § 315a 1 Nr. 2 StGB wurde praktisch nicht relevant, da vor allem der Nachweis eines Geflihrdungsvorsatzes kaum möglich ist. 164 Steno Ber. 19521/237. Sitzung, S. 10947. 165 Abgeordnete GengIer Steno Ber. 19521/237. Sitzung, S. 10948. 166 Steno Ber. 19521/237. Sitzung, S. 10947, 10949. 167 Vgl. Abstimmungsergebnis Steno Ber. 19521/237. Sitzung, S. 10952. 160 161

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Teil I: Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestimmungen im Verkehrsstrafrecht

Es blieb daher bei der ursprünglichen Fassung des Regierungsentwurfs. Das Führen eines Kraftfahrzeuges in alkoholbedingt fahrunsicherem Zustand ohne Eintreten eines Gefahrenerfolges unterfiel weiterhin dem Übertretungstatbestand des § 2 StVZO. Der Gesetzgeber meinte dennoch, dem Strafbedürfnis mit der verbleibenden Vorschrift des § 315a I Nr. 2 StGB ausreichend Rechnung getragen und unter einhelliger Zustimmung der Literatur zum Ausdruck gebracht zu haben, daß ein infolge Alkoholgenusses fahrunsicherer Kraftfahrer wegen der außerordentlichen Gerahrlichkeit für Leben und Eigentum der übrigen Verkehrsteilnehmer kriminelles Unrecht begehe 168 •

4. Weitere Neuregelungen

Die gemäß § 4 KFG bislang allein den Verwaltungsbehörden obliegende Möglichkeit zur Entziehung der Fahrerlaubnis ist durch das 1. VerkSichG auch den Gerichten eingeräumt worden. Eine solche Befugnis war von seiten der Richter seit langem für den Fall gefordert, daß sich die Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeuges aus strafbaren Handlungen ergebe 169. Die Verwaltungsbehörden hatten sich jedoch heftig dagegen gewehrt. Auch der Bundesrat hatte davon in seiner Stellungnahme zum Entwurf der Bundesregierung mit der Begründung abgeraten, daß die damit verbundene Zweigleisigkeit des Verfahrens zur Entziehung der Fahrerlaubnis eine Reihe von Kollisionsnormen erfordere und dem Zweck der schnellen Behandlung von Verkehrsverstößen und damit der wirksamen Bekämpfung von Straßenverkehrsunfällen zuwiderlaufe l7o. Der Bundestag wies diese Befürchtungen zurück und setzte sich letztlich mit folgenden Erwägungen durch: Zum einen sei es eine Forderung der Gerechtigkeit, daß der Richter in einer Verkehrssache neben dem Strafmaß auch über die Entziehung der Fahrerlaubnis entscheide; denn ein gerechtes Urteil sei nur möglich, wenn der Richter über die Gesamtheit aller Maßnahmen gegen den Angeklagten verfügen könne und nicht mit der Ungewißheit belastet sei, ob dem Täter auch die Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde entzogen werden würde l7l . Zum anderen gebiete es die Prozeßökonomie, die eingehende Aufklärung des Sachverhalts im Strafverfahren auch für das Entziehungsverfahren nutzbar zu machen 172 . Schließlich wurde angeführt, daß die Entziehung der Fahrerlaubnis aus Anlaß von Straftaten nur unter denselben 168 BT-Drs. 1/2674, S. 7; F10egell Hartung, 9. Aufl., § 315a StGB Anm. 4.; Lackner MDR 1953,75; Liebers JR 1953,93; Maassen NJW 1953, 201. 169 Vgl. Lackner MDR 1953,73; Maassen NJW 1953,202. 170 BT-Drs. 1/2674 Anlage 2, S. 21. 171 BT-Drs. 1/2674 Anlage 3, S. 24; Bedenken gegen diese Argumentation wegen unzulässiger Vermischung von Strafe und Maßregel insbesondere bei Schmidt-Leichner NJW 1953,1850. 172 BT-Drs. 1/2674 Anlage 3, S. 24; vgl. auch Lackner MDR 1953, 73; Maassen NJW 1953,202.

B. Die Rechtsentwicklung nach 1945

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rechtsstaatlichen Garantien wie Strafurteile, d. h. frei von jeglicher verwaltungspolitischer Zweckmäßigkeit ausgesprochen werden sollte J73. Inhaltlich entsprach die als Maßregel der Besserung und Sicherung eingeführte Vorschrift des § 42m StGB a. F. im wesentlichen den heutigen §§ 69, 69a StGB, mit Ausnahme des § 69 II StGB. Der Befürchtung, daß durch das künftige Nebeneinander von Befugnissen der Verwaltungsbehörden und der Gerichte Unklarheiten eintreten könnten, wurde mit der Regelung der Kollisionsfälle in den Absätzen 2 und 3 des § 4 KFG bzw. nunmehr StVG - das KFG wurde gleichzeitig unter der Bezeichnung "Straßenverkehrsgesetz" neu bekanntgemacht J74 - Rechnung getragen 175. In strafprozessualer Hinsicht erfuhr § 42m StGB durch die Einfügung des § lIla in die StPO eine Ergänzung, die für dringende Fälle, in denen mit der Entziehung der Fahrerlaubnis durch Urteil zu rechnen war, die vorläufige Anordnung dieser Maßnahme schon im Vor- bzw. Hauptverfahren erlaubte J76 .

11. Der Beweiswert der Blutalkoholkonzentration in der Rechtsprechung nach 1945 bis zum Urteil des BGH vom 5. 11. 1953 (BGHSt 5, 168) Die Diskussion über die Bedeutung der Blutalkoholkonzentration zur Feststellung der Fahrunsicherheit wurde nach dem zweiten Weltkrieg zu Beginn der fünfziger Jahre wieder aufgegriffen. Unter weIchen Voraussetzungen jedoch eine strafrechtlich relevante, d. h. eine das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges ausschließende Alkoholbeeinflussung i. S. d. Strafvorschriften anzunehmen war, ist der Rechtsprechung bis 1953 nicht ohne weiteres zu entnehmen.

1. Terminologische Unsicherheiten Zunächst sind terminologische Unklarheiten festzustellen, da zur Umschreibung des im Gesetz beschriebenen Zustandes verschiedene Begriffe benutzt wurden. Begriffe wie "Fahruntüchtigkeit", "Fahrunfähigkeit" , "Fahruntauglichkeit" oder "Fahrungeeignetheit" sind z. T. schon damals kritisiert worden, da sie die Fehlin173 BT-Drs. 1/2674 Anlage 3, S. 24; vg\. auch Lackner MDR 1953,73; Schmidt-Leichner NJW 1953, 1850. 174 BGB\. 1952 I, S. 832; aufgrund der §§ 1,2,6 und 27 des StVG wurden auch die StVO und die StVZO am 24. 8. 1953 neu erlassen, BGB\. 1953 I, S. 120 I, 1166. 175 Ausführlich BT-Drs. 1/2674, S. 8. 176 BT-Drs. 1/2674, S. 16. Eine Anrechnung der Dauer einer vorläufigen auf die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis war zwar noch nicht ausdrücklich geregelt; fand aber in der Praxis bereits Berücksichtigung, vg\. BGH JZ 1954, 164; OLG Karlsruhe NJW 1954, 164.

4 Riemenschneider

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Teil 1: Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestimmungen im Verkehrsstrafrecht

terpretation nahe legen, daß erst, wer überhaupt nicht mehr in der Lage sei, sein Fahrzeug zu führen, den Tatbestand erfül1e l77 . Der im Gesetz verwendete Ausdruck "nicht sicher" drücke demgegenüber ein "Weniger" aus. Es ist daher zu begrüßen, daß jedenfal1s im Schrifttum heute überwiegend der Begriff der "Fahrunsicherheit" gebräuchlich ist 178 • Weitere terminologische Unklarheiten resultierten aus der Bestrebung, abkürzende Begriffe für die Verfahrens weise bei der forensischen Feststel1ung von Fahrunsicherheit zu formulieren. Vereinzelt und mit unterschiedlicher Bedeutung wurden hierfür bereits die Begriffe der "relativen" bzw. "bedingten" und der "absoluten" bzw. "unbedingten" Fahruntüchtigkeit verwendet. Teilweise wurde darunter aber auch der Grad der Alkoholbeeinflussung und des daraus resultierenden Ausmaßes der Fahruntüchtigkeit verstanden 179, während andere die Begriffe durchaus schon im Sinne ihres heutigen Inhalts, d. h. zur Bezeichnung der unterschiedlichen Formen der Beweisführung heranzogen 180: Absolute bzw. unbedingte Fahrunsicherheit bedeutet danach, daß zur Feststel1ung der Fahrunsicherheit al1ein die Höhe der Blutalkoholkonzentration ausreicht, während bei der relativen bzw. bedingten Fahrunsicherheit weitere Beweisanzeichen erforderlich sind l81 . Neben diesen terminologischen Verwirrungen herrschte aber auch Uneinigkeit in der Sache. Trotz der bereits zahlreichen Entscheidungen und der umfangreichen Literatur, finden sich kaum Definitionen für den in § 315a I Nr. 2 StGB a. F. bzw. § 2 StVZO a. F. beschriebenen Zustand der Fahrunsicherheit. Erstmals stel1te Hesse eine brauchbare - der späteren Definition des BGH I82 sehr nahekommende - Definition vor. Fahrunsicherheit sol1 danach vorliegen, "wenn die für einen Fahrzeugführer erforderliche Leistungsfähigkeit herabgesetzt ist und somit die Gefahr besteht, daß dieser nicht al1e im Straßenverkehr vorkommenden Verkehrssituationen wie ein nüchterner ,Durchschnittsfahrer' zu meistem vermag.,,183 Al1erdings räumt auch Hesse ein, daß diese Beschreibung gerade in Zweifelsfäl1en dem Richter bei der Feststel1ung des Tatbestandsmerkmals kaum hilfreich ist, da das Problem der Fahrunsicherheit eben auch ein medizinisches ist l84 . Mit Ausnahme von Fäl1en der eindeutig nach außen hervortretenden Trunkenheit bedienten sich die Gerichte daher zur Feststel1ung der Fahrunsicherheit bereits damals des mediziniAusführlich bereits Hesse, Fahrunsicherheit, S. 3; v. Below BA 1965166,564. Kritisch zum Begriff der "Fahruntüchtigkeit" Janiszewski RN 332; Hentschell Born RN I. Auch der noch in der Überschrift des § 316 StGB zu findende Begriff der "Trunkenheit" wird zu Recht als irreführend bezeichnet, da jedenfalls der Laie darunter im allgemeinen erst einen Zustand erheblicher, nach außen deutlicher Alkoholbeeinflussung versteht, vgl. schon Hesse, Fahrunsicherheit, S. 4. 179 OLG Düsseldorf VRS 3, 363; Weltzien DAR 1953,51. 180 OLG Hamm VRS 5, 397. 181 Vgl. HentschellBorn RN 4,124 und u. III. sowie Teil 2 A I. 2., 4. 182 BGHSt 13, 83; vgl. dazu nachstehend IV 4. a. E. 183 Hesse, Fahrunsicherheit, S. 10. 184 Hesse, Fahrunsicherheit, S. 10. 177 178

B. Die Rechtsentwicklung nach 1945

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sehen Sachverständigen. Doch diese stützten sich im wesentlichen wiederum auf die Höhe des Blutalkoholgehaltes 185, so daß der Beweiswert der Blutalkoholkonzentration zunehmend an Bedeutung gewann. 2. Die Rechtsprechung des BGH In der Rechtsprechung läßt sich zunächst kaum eine einheitliche Linie bei der Frage feststellen, weIcher Beweiswert dem Blutalkoholgehalt für die Feststellung der einzelnen Tatbestandsmerkmale zukommen S01l186. Dies beruht vor allem auf dem Umstand, daß die Tatbestandsmerkmale selbst nicht immer ausreichend auseinandergehalten wurden. Bei der Subsumtion unter § 2 StVZO waren zwei Merkmale auseinanderzuhalten: Zunächst mußte ein körperlicher oder geistiger Mangel vorliegen, d. h. der Kraftfahrer muß Alkohol in einer Menge genossen haben, die zu einem körperlichen oder geistigen Mangel führt. Ein hiervon zu unterscheidendes Merkmal betraf die Frage, ob der Kraftfahrer sich infolgedessen nicht sicher im Verkehr bewegen konnte 187. Alkoholgenuß in einer Menge, die einen körperlichen oder geistigen Mangel hervorruft, durfte also nur dann eine Strafbarkeit nach sich ziehen, wenn die genossene Alkoholmenge darüber hinaus dazu geführt hatte, daß der Kraftfahrzeugführer nicht mehr in der Lage war, sein Fahrzeug mit der im Verkehr erforderlichen Sicherheit zu steuern. Wenn der 4. Strafsenat des BGH beispielsweise im Leitsatz einer der ersten, die Maßgeblichkeit des Blutalkoholgehaltes betreffenden Entscheidung aus dem Jahre 1951 zu § 2 StVZO ausführte, daß bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8%0 nach allgemeinen medizinischen Erfahrungen eine Alkoholbeeinflussung wahrscheinlich ist l88 , war damit keine Aussage über die Bedeutung des Blutalkoholgehaltes für das Merkmal der Fahrunsicherheit getroffen worden, sondern lediglich ein körperlicher Mangel festgestellt. Folglich kann es nicht als widersprüchlich bezeichnet werden, wenn der BGH gleichzeitig forderte, die Herabsetzung der Fahrsicherheit aus der Fahrweise des Angeklagten zu schließen 189. Diese Differenzierung wurde nicht immer ausreichend berücksichtigt I 90. Im Sinne einer Beschreibung des Tatbestandsmerkmals ,,körperlicher Mangel" sind auch die Ausftihrungen einiger Oberlandesgerichte und Teile der Literatur zu verstehen, wonach ab 0,8%0 eine Beeinflussung durch Alkohol möglich sei. Zumindest mißverständlich ist demgegenüber die Annahme des OLG Düsseldorf, es Vgl. dazu sogleich u. 4. Vgl. die Zusammenstellung der Rechtsprechung und Literatur bei Hesse, Fahrunsicherheil, S. 89 ff. 187 BGH DAR 1952,43. 188 BGH DAR 1952,43; ebenso VRS 3,420,421. 189 BGH DAR 1952,43. 190 OLG Düsseldorf VRS 3, 362 f.; Weigelt DAR 1953,92; zutreffend aber Aoegell Hartung, 9. Aufl., § I Anm. 5; Müller, 17. Aufl., § 2 StVZO S. 439. 185

186

4'

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sei anerkannte Rechtsprechung, daß "bereits bei einem Blutalkoholgehalt von mehr als 0,8%0 die Verkehrstüchtigkeit herabgemindert" sei 191. Die nachfolgenden Entscheidungen des BGH, wonach eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit ab einem Blutalkoholgehalt von 1,1%0 192 bzw. 1,04%0 193 für möglich gehalten wurde, stellen daher nur die Fortsetzung der für das Merkmal des körperlichen Mangels begonnenen Promillerechtsprechung dar. Während der BGH ab 0,8%0 eine zu einem körperlichen oder geistigen Mangel führende Alkoholbeeinflussung für wahrscheinlich gehalten hat, hielt er ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 bzw. 1,04%0 darüber hinaus das Vorliegen von Fahrunsicherheit möglich. Unter Beachtung dieser Differenzierung ist in den Entscheidungen des BGH relativ früh eine Tendenz erkennbar, die in der späteren Festschreibung des Grenzwertes der absoluten Fahrunsicherheit bei 1,5%0 mündet, an die ja auch das Reichsgericht bereits angeknüpft hatte l94 . Der Sache nach hat der 4. Senat bereits im Leitsatz einer Entscheidung aus dem Jahre 1951 einen - allerdings nicht absoluten - Grenzwert aufgestellt: ,,Auch ohne Zu ziehung eines Sachverständigen kann das Gericht bei einem Blutalkoholgehalt von 1,5%0 annehmen, daß die Fahrsicherheit zum mindesten beeinträchtigt iSt.,,195. Für darunterliegende Blutalkoholwerte führte anschließend der 3. Senat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1952 aus: "Allgemein und mit Sicherheit kann die Beeinträchtigung der Fahrsicherheit bei einem Blutalkoholgehalt von weniger als 1,5%0 keinesfalls angenommen werden."I96. Auch bei einem Wert von 1,3%0 hielt der BGH eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zwar für möglich, lehnte aber die grundsätzliche Annahme von Fahrunsicherheit ab 197. Bei einem Blutalkoholgehalt unterhalb von 1,5%0 bedurfte die Annahme von Fahrunsicherheit somit einer Einzelfallprüfung. Die Alkoholbeeinflussung führte nur dann zur Bestrafung, wenn sich die Fahrunsicherheit aus der Fahrweise oder sonstigen Begleitumständen abzeichnete 198. Ab 1,5%0 ließ der BGH zwar in einigen Entscheidungen schon allein den Blutalkoholgehalt zum Nachweis genügen l99, schloß aber nicht grundsätzlich den Gegenbeweis der Fahrsicherheit aus. Jedenfalls hielt der 5. Strafsenat in einer Entscheidung vom 5. 6. 1952 selbst bei 1,95%0 den Gegenbeweis der Fahrsicherheit noch für möglich, verlangte aber eine besonders sorgfältige prüfung 2OO . 191 192 193

194 19S

OLG Düsseldorf VRS 3, 362 f.; Hervorhebung durch Verf. BGH VRS 4, 359. BGH VRS 4, 426 f. V gl. dazu o. A VI. 2. BGH VRS 4, 48.

197

BGH VRS 5, 42. BGH VRS 4, 309.

198

BGH VRS 4, 309; 4, 359; 4, 426.

196

199 200

BGH VRS 3, 233; VRS 4, 48; VRS 5, 528: 1,7%0. BGH VRS 4, 549.

B. Die Rechtsentwicklung nach 1945

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3. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und die Ansicht der Literatur

Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte war dagegen uneinheitlich. Überwiegend wurde der Höhe der Blutalkoholkonzentration zwar entscheidende Bedeutung zugemessen, eine zwangsläufige Bejahung der Fahrunsicherheit mit dem Erreichen bestimmter - auch sehr hoher - Blutalkoholkonzentrationen aber als mit dem damaligen Stand der Wissenschaft nicht begründbar abgelehnt 201 . Andere Oberlandesgerichte gingen - durchaus im Einklang mit der Rechtsprechung des RG und BGH - davon aus, daß bei einem Blutalkoholgehalt von 1,5%0 nach allgemeinen Erfahrungssätzen jedenfalls in der Regel Fahrunsicherheit angenommen werden könne 202 , während das OLG Hamm schon vor der grundlegenden Entscheidung des 3. Senats des BGH bei 1,5%0 stets von Fahrunsicherheit ausging 203 . Bei höheren Blutalkoholkonzentrationen nahmen die Oberlandesgerichte zwar einen Erfahrungssatz des Inhalts an, daß ab 2,0%0 nicht nur die Annahme einer sehr starken Alkoholbeeinflussung, sondern auch einer dadurch bedingten Fahrunsicherheit nahe liege 204 . Auch bei sehr hohen Blutalkoholkonzentrationen müsse aber im Einzelfall die Möglichkeit bestehen, diesen Erfahrungssatz durch schlüssigen Gegenbeweis auszuräumen 205 . Damit bestand zwar die Möglichkeit bei Werten um 2,0%0 eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit auch ohne weitere Beweisindizien zu bejahen 206 . Lagen aber besondere Umstände vor, die der Annahme einer Beeinträchtigung der Fahrsicherheit trotz hohem Blutalkoholgehalt entgegen standen, war auch eine abweichende Entscheidung zulässig. Beispielsweise wurde bei einer BAK über 2,0%0 die Anwendung des § 2 StVZO verneint, wenn der Fahrer durch sachgemäßes und geistesgegenwärtiges Reagieren in der konkreten Verkehrssituation bewiesen hatte, daß er durch den Alkoholgenuß nicht seine Fahrsicherheit verloren hatte 207 • Auch in der Literatur wurde im Anschluß an Bedenken einiger Oberlandesgerichte Kritik an einer schematische Bewertung der Blutalkoholkonzentration geübt 201 OLG Hamburg DAR 1952, 187; OLG Celle DAR 1952, 127; OLG Köln DAR 1953, 178; OLG Neustadt DAR 1953, 60. 202 OLG Koblenz VRS 3, 279 f.; OLG DüsseldorfVRS 3, 362 f.; OLG Oldenburg VRS 4, 232 f. 203 OLG Hamm VRS 5, 397 bei Nachtfahrten sogar schon bei 1,3%0; vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1953,597: 1,69%0. 204 OLG Oldenburg DAR 1951, 161 m. Anm. Guelde; OLG Hamm VRS 4,39,41; HansOLG Hamburg DAR 1952, 187; OLG Neustadt DAR 1953, 60; ebenso OLG Köln DAR 1953, 178 für Blutalkoholkonzentrationen knapp unter 2,0%0 (1,9%0). 205 HansOLG Hamburg DAR 1952, 187; OLG Celle VRS 4, 390; OLG Neustadt DAR 1953, 60; OLG Köln DAR 1953, 178. 206 Vgl. OLG Koblenz VRS 3, 279, 280. 207 AG Hagen DAR 1951, 162 m. Anm. Guelde; OLG Celle DAR 1952, 127 f.

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Teil 1: Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestirnmungen im Verkehrsstrafrecht

und auf die Notwendigkeit einer individuellen Prüfung der Fahrsicherheit hingewiesen208 .

4. Die Bedeutung des Sachverständigengutachtens Wie eingangs 209 bereits erwähnt, waren - und sind - die Gerichte bei der Feststellung des Merkmals der Fahrunsicherheit auf Sachverständigengutachten angewiesen. Zur Feststellung der Höhe des Blutalkoholgehaltes muß sich der Richter zwangsläufig eines Sachverständigen bedienen, da diese Tatsache nur aufgrund besonderer Sachkunde wahrgenommen werden kann 21O • Auch die Art der unter Alkoholeinfluß zu erwartenden Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit kann der Sachverständige dem Gericht als allgemeinen Erfahrungssatz mitteilen. Das Sachverständigengutachten ist jedoch nur ein Baustein, welchen der Richter ebenso wie andere Beweismittel im Rahmen seiner Pflicht zur freien Überzeugungsbildung einer selbständigen und eigenverantwortlichen Prüfung zu unterziehen und insbesondere auf seine Überzeugungskraft, Widersprüche oder Denkfehler hin zu überprüfen hat2ll . Nicht ausreichend wurde damals jedoch berücksichtigt, daß die unter Beachtung des Grundsatzes "in dubio pro reo" zu beantwortende Frage, ob die im konkreten Fall vorliegenden Umstände den Rückschluß auf eine Fahrunsicherheit i. S. d. Straftatbestände zulassen, eine rechtliche Würdigung erfordert, die allein vom Gericht vorzunehmen ist 212 • Zwar warnten seinerzeit auch gerichtsmedizinische Sachverständige grundsätzlich vor einer schematischen Bewertung der Fahrunsicherheit nach der Höhe der Blutalkoholkonzentration, neigten aber im Widerspruch zu ihren eigenen Ausführungen dennoch dazu, den Gerichten - je nach Auffassung des jeweiligen Gerichtsmediziners differierende - Richtwerte vorzugeben 213 • Ponsold stufte beispielsweise in der ersten Auflage seines Lehrbuchs einerseits jeden Fahrzeugführer mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,5%0 mit Sicherheit als fahrunsicher ein 214 , bestritt aber andererseits, daß es Grenzwerte gebe, mit deren Vorliegen das Fehlen der im Verkehr erforderlichen 208 Hartung DAR 1953, 144; Schmidt-Leichner NJW 1953, 1852 f.; OLG Hamburg DAR 1952,187; OLG Köln DAR 1953, 178; OLG Neustadt DAR 1953,60. 209 Vgl. o. I. 2\0 Vgl. zur Einordnung der Verfahren zur Bestimmung der BAK-Höhe als gesicherte naturwissenschaftliche Erkenntnis KK-Hürxthal § 261 StPO RN 46; SK-Schlüchter § 261 StPO RN 59. 211 Vgl. zum Sachverständigengutachten als Beweismittel schon ausführlich BGHSt 8, 113. 212 Vgl. aber schon Hesse, Fahrunsicherheit, S. 54 f., Martin, Trunkenheit am Steuer, S. 18; vgl. dazu näher u. VIII. 2. und XIII. I. cl. 213 Weltzien DAR 1953,48 ff.: regelmäßig absolute Fahruntüchtigkeit ab 1,3%0; Mueller, Gerichtliche Medizin, S. 758 f.: regelmäßig ab 1,5%0. Weitere Beispiele bei Hesse, Fahrunsicherheit, S. 101 f. 214 Ponsold, Gerichtliche Medizin, S. 426.

B. Die Rechtsentwicklung nach 1945

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Fähigkeiten zwangsläufig verbunden sei; eine Alkoholwirkung müsse daher in jedem Falle einzeln nachgewiesen werden 21S . Nur vereinzelt wurde bereits der Vorwurf erhoben, die Gerichte würden die Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Gutachten ohne weiteres übernehmen und sich damit in eine unreflektierte Abhängigkeit gegenüber medizinischen Sachverständigen begeben 216 . Daß dieser Vorwurf nicht ganz zu Unrecht erging, verdeutlicht eine bereits angesprochene Entscheidung des OLG Dresden 217 . Bei der Feststellung der alkoholbedingten Fahrunsicherheit ersetzten die Ausführungen des Sachverständigen, wonach ab 1,5%0 erfahrungsgemäß 100% aller Menschen (!) nicht mehr fahrsicher seien, die richterliche Subsumtion. Schon die Feststellung, ab welcher Blutalkoholkonzentration und damit verbundener Leistungsbeeinträchtigung Fahrunsicherheit vorliegt, obliegt allein dem Gericht, welches das herangezogene Sachverständigengutachten auf dessen Überzeugungskraft hin hätte prüfen müssen. Dabei hätte auffallen müssen, daß diese Aussage - unter Zugrundelegung des damaligen Erkenntnisstandes - in dieser Absolutheit nicht haltbar gewesen ist. Mit wachsender Abhängigkeit der Gerichte von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der Blutalkoholforschung zeichneten sich daher Aufweichungen der Kompetenzgrenzen zwischen Sachverständigen einerseits und Gerichten andererseits ab 218 . Die Uneinheitlichkeit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Beweiswert der Blutalkoholkonzentration war somit vor allem eine Folge der unterschiedlichen Ansichten der Gerichtsmediziner.

111. Die Einführung der "absoluten" Fahrunsicherheit bei 1,5 %() durch das Urteil des BGH vom 5. 11. 1953 (BGHSt 5, 168) 1. Darstellung Im Anschluß an die zuvor erwähnten Entscheidungen des BGH aus den Jahren 195 I bis 1953 betreffend die Bedeutung der Blutalkoholkonzentrationswerte konkretisierte der BGH in einer weiteren Entscheidung des 4. Senats vom Juni 1953 seinen Standpunkt wie folgt: ,,Mit steigendem Blutalkoholgehalt nimmt die Möglichkeit, zugunsten des Taters den Fortbestand der vollen Fahrsicherheit anzunehmen, ab, bis schließlich Werte erreicht werden, die auch unter günstigsten Bedingungen die Fahrsicherheit ausschließen.,,219 In den Entscheidungsgründen wird

2IS

216 217 218

Ponsold, Gerichtliche Medizin, S. 421. Hesse, Fahrunsicherheit, S. 101; Schmidt-Leichner NJW 1953, 1852. OLG Dresden DAR 1936, 13. Vgl. dazu bereits Hesse, Fahrunsicherheit, S. 54 f., Martin, Trunkenheit am Steuer,

S. 18. 219

BGH VRS 5, 541.

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Teil I: Die Rechtsentwicklung der Alkoholbestimmungen im Verkehrs strafrecht

eine erhebliche Beeinträchtigung der Fahrsicherheit bei einem Blutalkoholgehalt von mehr als 1,5%0 als sehr naheliegend bezeichnet 22o. Die grundlegende Entscheidung des 3. Senats vom 5. 11. 1953 zum Grenzwert der "absoluten" Fahrunsicherheit stellt somit eine Fortsetzung dieser Rechtsprechung dar. Darin wurde der Wert, ab dem auch unter günstigsten Bedingungen Fahrsicherheit ausscheide, endgültig bei 1,5%0 festgesetzt; so heißt es im Leitsatz: "Der Kraftfahrer ist bei einem Blutalkoholgehalt von mehr als 1,5%0 mit Sicherheit fahruntüchtig.,,221 In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ergab die entnommene Blutprobe einen Blutalkoholgehalt von 1,8%0. Die Revision hatte die fehlende Vernehmung eines Sachverständigen gerügt, da der Strafkammer die notwendige Sachkunde zur Feststellung der Fahrunsicherheit gefehlt habe. Der Angeklagte sei schließlich trotz des Alkoholgenusses noch in der Lage gewesen, Störungen in einer Fernsprechzentrale zu beseitigen und die dabei erforderlichen Arbeiten einwandfrei durchzuführen. Der BGR wies die Rüge mit der Begründung zurück, es sei "das Ergebnis wissenschaftlich gesicherter Erfahrung", daß ein Kraftfahrer mit den beim Angeklagten festgestellten 1,8%0 mit Sicherheit fahruntüchtig sei 222 . Weiterhin wird ausgeführt: ,,Bei einem Blutalkoholgehalt von 1,0%0 ist die Leistung bereits so beeinträchtigt, daß die meisten Menschen fahruntüchtig sind"; nur aus "Sicherheitsgründen - wegen der Schwankungsbreite der sog. Widmarkschen Reaktion und wegen gewisser Ungenauigkeiten, die sich bei spät durchgeführter Blutentnahme ergeben können -" wurde deshalb der Beginn "unbedingter, d. h. von sonstigen Beweisanzeichen unabhängiger Fahruntüchtigkeit erst bei einem Blutalkoholgehalt von 1,5%0 angesetzt,,223. Bei der so gewählten Sicherheitsgrenze sei auch eine erhöhte Alkoholverträglichkeit berücksichtigt, so daß keinem Kraftfahrer, auch nicht dem trinkgewohnten, Unrecht geschehe 224 . Dieses Urteil hat den Grundstein für die heute noch geltende Rechtsprechung gelegt, die für den Nachweis der Fahrunsicherheit in erster Linie auf die Blutalkoholkonzentration abstellt 225 . Für die unterschiedlichen Arten des Nachweises oberhalb und unterhalb des sog. Grenzwertes von 1,5%0 haben sich die irritierenden, aber auch heute noch gebräuchlichen Begriffe der ,,relativen" und "absoluten" Fahruntüchtigkeit durchgesetzt 226 . Unter "absoluter" bzw. "unbedingter" Fahrunsicherheit ist seither eine diesen Grenzwert erreichende Blutalkoholkonzentration zu verstehen, die für sich allein den Nachweis erbringt, daß der Kraftfahrzeugführer BGH VRS 5, 543. BGHSt 5, 168 = VRS 6,21; die Entscheidung erging zu § 2 StVZO, galt aber ebenso für den Begriff der Fahrunsicherheit i. S. d. neuen § 315a I Nr. 2 StGB; vgl. BGH VRS 6, 203,205. 222 BGHSt 5, 170. 223 BGHSt 5, 170. 224 BGHSt5,171. 225 Anschließend BGH VRS 8, 199; BGHSt 8, 28, 30; 10,265; 13,83; 19,243; 21,157; 37,89. 226 Vgl. schon Mueller, Gerichtliche Medizin, S. 758; Martin DAR 1954,78 und 0.11. 1. 220 221

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i. S. d. Strafvorschriften "nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen" bzw. i. S.v. § 2 I StVZO "sich nicht sicher im Verkehr bewegen kann". Bei einem darunter liegenden Blutalkoholgehalt reicht das Ergebnis der Blutuntersuchung allein nicht zum Nachweis aus. Es müssen weitere Beweisumstände hinzutreten, die zusammen mit dem Ergebnis der Blutuntersuchung die richterliche Überzeugung rechtfertigen, der Angeklagte sei nicht mehr in der Lage gewesen, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen; eine derart nachgewiesene Fahrunsicherheit wird seitdem als ,,relative" bzw. "bedingte" Fahrunsicherheit bezeichnet.

2. Stellungnahme Eine genauere Betrachtung der Entscheidungsgründe 227 zeigt, daß die Argumentation des BGH nicht geeignet ist, daß im Leitsatz formulierte Ergebnis zu tragen und der grundsätzlichen Bedeutung, die dieser Entscheidung noch heute zugeschrieben wird, gerecht zu werden. Während aus dem Leitsatz hervorgeht, daß jeder Kraftfahrer mit Sicherheit bei einem Blutalkoholgehalt von mehr als 1,5%0 fahruntüchtig ist, wird in den Gründen als "Ergebnis wissenschaftlich gesicherter Erfahrung" eine Fahruntüchtigkeit für jeden Kraftfahrer mit Sicherheit bei einem Blutalkoholgehalt von 1,8%0 angenommen 228 . Wie sich der im Leitsatz genannte Wert von 1,5%0 zusammensetzt, geht aus den Gründen nicht eindeutig hervor. Wenn jedoch bei einem Blutalkoholgehalt von 1,0%0 lediglich "die meisten Menschen fahruntüchtig sind,,229, aber eben nicht alle, kann dieser Wert jedenfalls nicht den Grundwert im heutigen Sinne repräsentieren, bei dem diese medizinische Erkenntnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für alle Menschen gilt23o. Wenn der BOH unmittelbar im Anschluß daran ausführt, "nur aus Sicherheitsgründen - wegen der Schwankungsbreite der sog. Widmarkschen Reaktion und wegen gewisser Ungenauigkeiten, die sich bei spät durchgeführter Blutentnahme ergeben können", sei "der Beginn unbedingter, d. h. von sonstigen Beweisanzeichen unabhängiger Fahruntüchtigkeit erst ab einem Blutalkoholgehalt von 1,5%0 angesetzt", so legt dies die Annahme nahe, daß es sich bei den aufaddierten 0,5%0 um den heute so benannten Sicherheitszuschlag handelt 231 . Der Zuschlag von 0,5%0 erfolgte nämlich allein, um Ungenauig227 Wegen der mit dieser Entscheidung verbundenen Weichenstellung für die nachfolgende Rechtsentwicklung bis hin zur heute praktizierten Rechtsanwendung kann es nicht mehr allein bei der Darstellung der historischen Entwicklung verbleiben. Es soll daher im weiteren Fortgang der Untersuchung zu einzelnen Ereignissen - hier zu den Entscheidungsgründen des BGH - ausführlicher als bislang Stellung genommen werden. 228 BGHSt 5, 170. 229 BGHSt 5, 170; Hervorhebung durch Verf. 230 Vgl. zum Grundwert näher u. XIII. 1. a). 231 I.d.S. Martin, Trunkenheit am Steuer, S. 11 und die vom BGH angegebene gerichtsmedizinische Literatur u. a. Mueller, Gerichtliche Medizin, S. 757 f.; zweifelnd, ob von diesem

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keiten bei der Blutalkoholbestimmung auszugleichen und nicht etwa, um das Fehlen einer gesicherten medizinischen Erkenntnis betreffend die Fahrunsicherheit aller Menschen bei 1,0%0 auszugleichen. Folglich hätte der BGH nicht zu dem Schluß kommen dürfen, daß jeder Kraftfahrer bei 1,5%0 mit Sicherheit fahruntüchtig ist, sondern eben nur dazu, daß die meisten Kraftfahrer bei diesem Wert fahrunsicher sind. Dann hätte jedoch im Einzelfall der Gegenbeweis der Fahrsicherheit auch bei darüberliegenden Blutalkoholkonzentrationen weiterhin zugelassen werden müssen. Zwar hatte sich aus den vorherigen Entscheidungen des BGH die Tendenz zur Festlegung eines Grenzwertes bei 1,5%0 bereits abgezeichnet. Die diesem Richtwert nunmehr zugeschriebene Bedeutung als "Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit", mit dessen Erreichen unwiderleglich Fahrunsicherheit verbunden ist, widersprach jedoch den vorangegangenen Entscheidungen anderer Senate, die den Gegenbeweis durchaus für zulässig erachteten. Die Entscheidung setzte sich damit insbesondere in Widerspruch zu der bereits erwähnten Entscheidung des 5. Senats vom 5. 6. 1952232 , in der der Gegenbeweis der Fahrsicherheit - wenn auch unter besonders sorgfaltiger Prüfung - noch bei einem Blutalkoholgehalt von 1,95%0 zugelassen worden war. Eine Auseinandersetzung mit diesem Urteil ist weder den Entscheidungsgründen des 3. Senats zu entnehmen noch wurde eine Entscheidung des Großen Senats herbeigeführt. Wenn darüber hinaus angeführt wird, die medizinische Wissenschaft halte vielfach "bereits einen Blutalkoholgehalt von 1,0%0 als Höchstmaß dessen, was noch einigermaßen verantwortet werden kann, sofern mit der Bekämpfung der durch AIkoholgenuß verursachten Verkehrsunfalle wirklich ernst gemacht werden soll,,233, so stellt dies eine unter verkehrs- und kriminalpolitischen Aspekten sicherlich zutreffende Erwägung dar, läßt aber den Rezug zu der erforderlichen konkreten Feststellung des Tatbestandsmerkmals der Fahrunsicherheit eines jeden einzelnen Kraftfahrzeugführers vermissen. Schließlich ist die Entscheidung schwerlich mit den erst kurz zuvor im Gesetzgebungsverfahren zum 1. VerkSichG geführten Diskussionen in Einklang zu bringen, in denen man sich gerade auf einen Vergehenstatbestand geeinigt hatte, der für die Strafbarkeit nicht an eine bestimmte Promillegrenze, sondern an das Tatbestandsmerkmal der Fahrunsicherheit knüpft. Vor diesem Hintergrund hätte es wohl einer etwas ausführlicheren Begründung bedurft, wenn der BGH schon vor Ablauf eines Jahres nach Inkrafttreten der neuen Vergehenstatbestände und ungeachtet der vor einer schematischen Bewertung des Blutalkoholgehaltes warnenden Stimmen den Grundsatz aufstellt, mit dem Erreichen einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,5%0 liege unwiderleglich bei jedem Kraftfahrer Fahrunsicherheit vor234 . "Sicherheitskoeffizienten von 0,5%0" alle zu Ungunsten des Angeklagten möglichen Unsicherheitsfaktoren abgedeckt sind, auch Goltz JR 1955, 172. Vgl. zum Sicherheitszuschlag näher u. XIII 1. b). 232 BGH VRS 4, 549; vgl. o. 11. 2. a. E. 233 BGHSt 5, 171.

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3. Reaktion von Rechtsprechung und Literatur Die Entscheidung löste seinerzeit auch zunächst heftige Kritik aus, in der sich die Literatur ganz überwiegend gegen einen unwiderlegbaren Beweisgrenzwert aussprach und statt dessen eine sorgfältige Prüfung der Umstände des Einzelfalles forderte 235 . Auch die Mehrheit der Oberlandesgerichte - insbesondere das OLG Hamburg und das OLG Neustadt - akzeptierten die Entscheidung des BGH vorerst nicht236 . Sowohl die Rechtsprechung als auch die Literatur verwiesen dabei u. a. auf die Versuchsreihe der sog. ,,Bonner Alkoholversuche,,237 vom 27.- 29.1. 1954, in der für die Ermittlung des Blutalkoholgehaltes nach der Widmarkschen Methode Schwankungen in der Genauigkeit der Meßergebnisse von bis zu 0,4%0 festgestellt worden waren 238 . Nur wenige Oberlandesgerichte vertraten dagegen die Auffassung, die bei dieser Versuchsreihe zutage getretene Schwankungsbreite der Meßergebnisse sei in dem vom 3. Senat des BGH gewählten Grenzwert von 1,5%0 berücksichtigt 239 . Das BayObLG sah sich jedenfalls noch im Jahre 1956 in einer Aufsehen erregenden Entscheidung veranlaßt, die Verurteilung eines Kraftfahrers wegen alkoholbedingter Fahrunsicherheit trotz eines Blutalkoholgehaltes von 3,2%0 aufzuheben 24o , da der Angeklagte auch in den diversen klinischen Untersuchungen keinerlei Ausfallerscheinungen zeigte 241 . Obwohl es nach heutigem Kenntnisstand durchaus nicht ungewöhnlich ist, daß auch erheblich alkoholisierte Kraftfahrzeugführer noch in der Lage sind, routinemäßige Alltagsaufgaben korrekt zu bewältigen und nahezu unauffällig zu erscheinen 242 , hätten doch zumindest in den klini234 BGH VRS 8, 199 stellte klar, daß auch schon bei einem Blutalkoholwert von genau 1,5%0 unbedingte Fahruntüchtigkeit anzunehmen ist. 235 Goltz JR 1955, 171 f. m. w. N.; Hartung JZ 1954, 138; Hesse, Fahrunsicherheit, S. 116; Mattil DAR 1954, 193; Schmidt-Leichner, Anm. zu BGH (3 StR 504/53) NJW 1954, 160; 1953, 1852; Weigelt DAR 1955, 132; Wiethold 1Grüner NJW 1955,371; Schönkel Schröder, 7. Aufl., § 315a Anm. II 2; Wimmer, Bericht über Verkehrsjuristentagung, NJW 1954,62; zust. dagegen Jagusch DAR 1955,208; Martin DAR 1956,60, Fußn. 17; Kohlrausch/Lange, § 315a Anm. 11 2. 236 OLG Hamburg NJW 1954,813; 1171; DAR 1954,214; OLG Neustadt DAR 1959, 137; OLG Düsseldorf NJW 1954, 165; OLG Schleswig SchlHa 1954,257; LG NürnbergFürth DAR 1957, 308; dem BGH zustimmend OLG Hamm VRS 5, 397; OLG Köln VRS 6, 307; OLG Frankfurt NJW 1955, 1330. 237 Bei dieser im Rahmen eines ausgesetzten Verfahrens von einem Bonner Gericht veranlaßten Versuchsreihe, wurden fünf Personen jeweils sieben Blutproben entnommen und diese dann an sieben verschiedene gerichtsmedizinische Institute zur BAK-Bestimmung gesandt, DAR 1954, 9 - 11. Zu Reaktionen vgl. Veldenz, Kriminalistik 1954, 84. 238 Veldenz, Kriminalistik 1954,85 f.; OLG Hamburg NJW 1954, 1171; vgl. zu diesem und Ergebnissen anderer Versuche dieser Art Hesse, Fahrunsicherheit, S. 18 - 27. 239 OLG Oldenburg DAR 1954, 115 f. 240 BayObLG DAR 1956, 255 m. Anm. Berthold. 241 Vgl. zu diesem Urteil auch Hesse, Fahrunsicherheit, S. 95 f. 242 Vgl. Brinkmann 1Püschel BA 1982, 558.

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schen Untersuchungen Einbußen der Leistungsfähigkeit festgestellt werden müssen, da eine Blutalkoholkonzentration von 3,2%0 an sich einen schweren Rauschzustand anzeigt. Dieses Ergebnis gab daher auch den Sachverständigen Rätsel auf und ließ an sich nur den Schluß zu, daß die mögliche Fehlerquote bei der Blutalkoholbestimmung doch noch erheblich größer war, als bis dahin angenommen 243 . Letztlich mußten aber auch Kritiker der Entscheidung des BGH einräumen, daß der Blutalkoholgehalt häufig die einzig feststellbare Tatsache für die Beurteilung der Fahrsicherheit sei. Daher wurde seinerzeit erstmals die Forderung erhoben, das Tatbestandsmerkmal der Fahrunsicherheit durch einen festen Grenzwert der Blutalkoholkonzentration zu ersetzen 244 .

IV. Das Gutachten des Bundesgesundheitsamtes aus dem Jahre 1955 Zur Beseitigung der Unklarheiten über die Beweiskraft des Blutalkoholgehaltes und der durch die Bonner Alkoholversuche aufkommenden Zweifel an der Zuverlässigkeit des Widmarkschen Alkoholnachweisverfahrens erteilte das Bundesjustizministerium dem Bundesgesundheitsamt im Jahre 1955 erstmals einen umfassenden Gutachtenauftrag. Das unter dem Titel ,,Blutalkohol bei Verkehrsstraftaten" veröffentlichte Gutachten 245 enthielt Untersuchungen über die Zuverlässigkeit verschiedener Methoden der Blutalkoholbestimmung und nahm zu der Frage Stellung, ob sich ärztliche Erfahrungssätze über die Einwirkung unterschiedlicher Blutalkoholkonzentrationen auf die Fahrsicherheit und insbesondere darüber aufstellen lassen, von welchem Grad an auf jeden Fall Fahrunsicherheit vorliege 246 . Rechtlicher Hintergrund bildete das insoweit allen einschlägigen Verkehrsdelikten gemeinsame Tatbestandsmerkmal der Unfähigkeit, das Fahrzeug sicher zu führen bzw. sich im Verkehr sicher zu bewegen. Im Gutachten als Fahrtüchtigkeit bezeichnet, wurde der Begriff abgegrenzt von der bloßen Fahrfähigkeit, welche allein die Fähigkeit beschrieb, das Fahrzeug technisch zu handhaben 247 • 1. Methoden zur Blutalkoholbestimmung

Hinsichtlich des ersten Themenkomplexes kam das Gutachten zu dem Ergebnis, daß die Widmark-Methode unter Einhaltung bestimmter Bedingungen ein auch für 243 Berthold, Anm. zu BayObLG DAR 1956,255; vgl. zu möglichen Fehlerquellen bei der Blutalkoholbestimmung Roth-Stie1ow NJW 1956, 1785; Hesse, Fahrunsicherheit, S. 17 ff. 244 Goltz JR 1955, 173; Hesse, Fahrunsicherheit, S. 117, unter dem Vorbehalt einer zuverlässigen Methode zur Bestimmung des BlutalkoholgehaItes. 245 Im folgenden Gutachten 1955 genannt. 246 Gutachten 1955, S. 5. 247 Gutachten 1955, S. 9 f.

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forensische Zwecke ausreichend zuverlässiges Verfahren zur Feststellung des Blutalkoholgehaltes darstelle 248 • Da dieses Verfahren aber "zu den empfindlichsten chemischen Bestimmungsmethoden" gehöre, hätten sich bei einigen Untersuchungsstellen Fehler eingeschlichen 249 . Diese seien indes nicht der Methode an sich zur Last zu legen. Vielmehr sei sorgfaltigste Beachtung der gleichzeitig aufgestellten Arbeitsanweisungen über die Technik der Blutentnahme 250 sowie der Richtlinien für das Verfahren der BlutaIkoholbestimmung nach Widmark 251 erforderlich, um insbesondere eine Verunreinigung des zu untersuchenden Blutes zu vermeiden. Zur Erhöhung des Beweiswertes wurde darüber hinaus die Vornahme einer weiteren Untersuchung nach dem ADH-Verfahren 252 empfohlen, für welches ebenfalls entsprechende Verfahrensrichtlinien 253 erarbeitet worden waren. Schließlich empfahl das Bundesgesundheitsamt, nur solche Institute mit der Feststellung von Blutalkoholkonzentrationen zu betrauen, deren Eignung zuvor durch die zuständigen Behörden festgestellt worden ist254 , und die Meßqualität täglich mittels Testlösungen überprüfen zu lassen, die zuvor mit einer bestimmten Menge Alkohol versetzt wurden 255. Neben der Blutalkoholbestimmung 256 wurde aber auch die Notwendigkeit ergänzender klinischer Untersuchungsmethoden zur Feststellung von alkoholbedingten Veränderungen des Wahmehmungs- und Reaktionsvermögen betont, beispielsweise über Pupillenreaktion, Gang, Orientierungsvermögen usw. 257 Da in diesem Bereich zwar einerseits eine Vielzahl - zum Teil äußerst komplexer - Testmethoden zur Verfügung stünden, andererseits jedoch die Gefahr von Fehlbeurteilungen Gutachten 1955, S. 5. Gutachten 1955, S. 24 f. 250 Anlage I, Gutachten 1955, S. 47. 25 I Anlage 3, Gutachten 1955, S. 50. 252 Gutachten 1955, S. 5 f. Bei diesem ebenfalls noch heute praktizierten Verfahren wird die Oxydation des Alkohols mittels des Enzyms ADH (Alkoholdehydrogenase) zu Acetaldehyd katalysiert; der hierbei frei werdende Wasserstoff wird auf ein Coenzym übertragen, dessen hydrierte Form photometrisch gemessen wird, vgl. BretteI, in: Forster (Hrsg.), Praxis der Rechtsmedizin, 434 f.; Forsterl Joachim, Blutalkohol und Straftat; 40 ff.; Grüner, Alkoholnachweis, 154 ff. 253 Gutachten 1955, S. 58. 254 Gutachten 1955, S. 29. m Gutachten 1955, S. 26. 256 Daneben wurden auch andere Verfahren zur Bestimmung der genossenen Alkoholmenge untersucht, von denen nach Auffassung des Bundesgesundheitsamtes im Ergebnis zwar keines die Blutalkoholbestimmung ersetzen, u. U. aber ergänzen könne. Dabei habe sich die Harnalkoholuntersuchung zwar in Ergänzung von zwei, in zeitlichem Abstand erfolgten Blutuntersuchungen als aussagekräftig erwiesen, sei für diesen Fall als Bestimmungsverfahren aber nicht mehr zwingend notwendig; die Atemalkoholuntersuchung sei lediglich als Mittel für die Verdachtsgewinnung im vorbereitenden Verfahren der Polizei geeignet; vgl. Gutachten 1955, S. 30 f. m Gutachten 1955, S. 15,33 f. 248

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durch weniger erfahrene Untersuchungspersonen - zu denen zum Teil auch Ärzte zu zählen seien -, mit der Komplexität der gewählten Untersuchungsmethoden wachse, sei nur ein Mindestmaß an "grobsinnnlichen Prüfmethoden", welche auch weniger erfahrene Ärzte beherrschten, zur Verwendung in der forensischen Praxis geeignet 258 . Die insoweit vom Bundesgesundheitsamt befürworteten Untersuchungsmethoden wurden in einem Protokollformular zusammengestellt 259 . Insgesamt sprach das Bundesgesundheitsamt allgemeinärztlichen Untersuchungsbefunden aber nur eine sehr beschränkte Beweiskraft für den Nachweis von Alkoholbeeinflussung zu. Dies sei zum einen darin begründet, daß sich der Betroffene während der Untersuchung in einer psychischen Ausnahmesituation befinde und sein Verhalten daher während eines solchen Tests nicht dem in einer realen Verkehrssituation entspreche 260. Zum anderen könne mittels solcher Untersuchungen der Wahmehmungs- und Reaktionsfähigkeit nicht die beginnende und sich zunächst nur auf die tiefere Persönlichkeit auswirkende Alkoholbeeinflussung festgestellt werden 261 . Die Persönlichkeitsveränderung durch die dem menschlichen Willen nur bedingt unterliegende Enthemmung sei jedoch mindestens ebenso bedeutsam für das Versagen alkoholisierter Verkehrsteilnehmer wie deren verminderte Leistungsfähigkeit. Die alkoholbedingte Enthemmung führe zur Sorglosigkeit des Fahrers, welche sich über Rücksichtslosigkeit bis hin "zu einem nicht mehr zu beherrschenden Bewegungstrieb und egozentrischer Einstellung zur Verkehrssituation" entwickeln könne262 . Dementsprechend sei darauf hinzuweisen, daß eine negativ verlaufende Untersuchung auf äußere Anzeichen von Alkoholbeeinflussung gleichwohl eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit nicht ausschließe 263 . M.a.W. sind damit nach Ansicht des Bundesgesundheitsamtes klinische Untersuchungen allein geeignet, Fahrunsicherheit zu verifizieren, nicht aber sie zu widerlegen.

2. Blutalkoholkonzentration und Fahrunsicherheit Mit der Beantwortung der Fragestellung, "Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen beeinflußt Alkoholgenuß die Verkehrstüchtigkeit ?" sollte das Gutachten Aufschluß darüber geben, ob es eine BlutaIkoholkonzentration gibt, von der an bei jedem Menschen in jedem Fall Fahrunsicherheit vOrliegt264 . Hier kam das Bundesgesundheitsamt zum Ergebnis, daß der obere Richtwert von 1,5%0 "sich zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit nach statistischen Untersuchungen als signifikant er258 259

260 261 262

263 264

Gutachten 1955. S. 15 f. Anlage 2. Gutachten 1955. S. 48 f. Gutachten 1955. S. 34. Gutachten 1955. S. 34. Gutachten 1955. S. 36 f. Gutachten 1955. S. 16. 34. Gutachten 1955, S. 5. 10.

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wiesen" habe 265 . Es seien ,,keine wissenschaftlich begründeten Tatsachen bekannt, aufgrund derer angenommen werden könne, daß jenseits einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,5%0 noch Fahrtüchtigkeit besteht,,266. Dieses Ergebnis beruht auf einer Untersuchung Ponsolds, der die Häufigkeit des Vorkommens der einzelnen Blutalkoholkonzentrationen bei Sistierten untersucht hat 267 . Bei der kurvenmäßigen Darstellung der Häufigkeitsverteilung der den Blutalkoholwerten zugrunde liegenden Fälle, bei denen Alkohol für die Sistierung bzw. den Unfall einerseits "rechtsunerheblich" und andererseits "entscheidend" gewesen ist268 , ergaben sich Gipfelbildungen bei 0 und bei 1,8%0. Da die Kurve mit den rechtsunerheblichen Blutalkoholkonzentrationen regelmäßig bei 1,5%0 auslief, kam Ponsold zu der Überzeugung, "daß kaum jemand eine daTÜberliegende Blutalkoholkonzentration aufweist, ohne nachweislich in den Bereich des Kollektivs mit rechtserheblicher Alkoholeinwirkung zu fallen,,269.

3. Stellungnahme Obwohl dieses Gutachten von der nachfolgenden Rechtsprechung als Bestätigung der vom 3. Senat eingeführten Grenzwertrechtsprechung herangezogen wurde27o, ist es bei genauerer Betrachtung nicht geeignet, die Ausgangsfrage - ob es eine bestimmte Blutalkoholkonzentration gibt, von der an jeder Mensch fahruntüchtig ist - strafrechtlichen Anforderungen genügend zu beantworten und wissenschaftlich zu untermauern. Die Literatur hat zwar mit heftigem Widerspruch auf die Einführung des Grenzwertes der absoluten Fahrunsicherheit durch den BGH reagiert, die Ausführungen des Gutachtens aber kaum einer vertieften Auseinandersetzung unterzogen. Bereits die Fragestellung des Gutachtens ist im Hinblick auf die bereits erwähnte 271 Abgrenzung der Aufgabenbereiche von ärztlichen Sachverständigen einerseits und Gerichten andererseits nicht korrekt. Die Frage, inwieweit Alkoholgenuß die Verkehrstüchtigkeit beeinflusse, übernimmt als Untersuchungsgegenstand das Tatbestandsmerkmal der Fahrsicherheit bzw. Fahrunsicherheit272 . Eine nähere Beschreibung oder Definition dieses vom Gesetz geforderten Zustands enthält das Gutachten nicht. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Kompetenzverteilung haGutachten 1955, S. 6. Gutachten 1955, S. 6,46. 267 Gutachten 1955, S. 43. 268 Gutachten 1955, S. 43. 269 Gutachten 1955, S. 43; Hervorhebung durch Verf. 270 Vgl. dazu sogleich im Anschluß u. 4. 271 Vgl. o. 11. 4. 272 Der vom Bundesgesundheitsamt verwendete Begriff der Verkehrstüchtigkeit entspricht der hier zur Umschreibung der tatbestandlichen Formulierung gewählten Bezeichnung "Fahrsicherheit bzw. Fahrunsicherheit", vgl. dazu bereits o. 11. I. 265 266

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ben sich naturwissenschaftliche Sachverständige jedoch der Beurteilung darüber zu enthalten, welche Anforderungen an die Fähigkeit zur sicheren Fahrzeugführung i. S. d. Verkehrsvorschriften zu stellen sind. Da dem Gutachtenauftrag auch von juristischer Seite keine Maßstäbe zur Feststellung der "Verkehrstüchtigkeit" vorgegeben worden sind, fragt sich, auf welcher Grundlage die medizinischen Sachverständigen zu dem Ergebnis kommen konnten, daß "Fahrtüchtigkeit" ab 1,5%0 grundsätzlich nicht mehr erwartet werden könne. Der Untersuchung Ponsolds ist insofern lediglich zu entnehmen, daß sie auf der statistischen Auswertung auffälliger Kraftfahrzeugführer basiert, wobei offensichtlich zwischen "rechtserheblicher und -unerheblicher Alkoholwirkung" unterschieden wurde273 . Es bleibt jedoch offen, was unter "rechtserheblicher Alkoholwirkung" zu verstehen ist und in welchem Zusammenhang die Häufigkeitsverteilung rechtserheblicher Alkoholeinwirkungen mit dem Tatbestandserfordernis der Fahrunsicherheit steht. Damit rechtfertigen die Untersuchungsergebnisse Ponsolds nicht die auf die Ausgangsfragestellung hin formulierte Schlußfolgerung. Aus der zurückhaltenden Formulierung, daß bei einer Blutalkoholkonzentration über 1,5%0 "kaum" jemand ohne gleichzeitige rechtserhebliche Alkoholeinwirkung zu verzeichnen sei 274 , folgt eben auch, daß es nicht stets und in jedem Einzelfall so war bzw. ist. Damit unvereinbar ist ein Gutachtenergebnis, welches im Ergebnis feststellt, daß keine wissenschaftlich begründeten Tatsachen bekannt seien, wonach auch bei mehr als 1,5%0 noch Fahrtüchtigkeit bestehe. Überdies ist nicht ersichtlich, ob in dem letztlich angegebenen Richtwert von 1,5%0 der Sache nach bereits ein Sicherheitszuschlag berücksichtigt ist. Mit der Berücksichtigung eines solchen setzt sich das Gutachten überhaupt nicht auseinander. Unerwähnt bleiben soll schließlich nicht, daß selbst zwischen den an der Erstellung des Gutachtens beteiligten Gerichtsmedizinern Uneinigkeit über die Beantwortung der den Zusammenhang von Blutalkoholgehalt und Fahrsicherheit betreffenden Gutachtenfrage herrschte. Der Gerichtsmediziner Laves nahm eine umfassende Auswertung ärztlicher psycho-physischer Untersuchungs befunde vor und kam zu dem Ergebnis, daß bei 0,8%0 eine Gefährdungsgrenze erreicht sei, von der an mit Hilfe eines Sachverständigen unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhaltes eine Einzelfallprüfung über die Frage der Fahrtüchtigkeit entscheiden solle 275 • Hiergegen wurden die bereits genannten Bedenken gegen die Zuverlässigkeit psychisch-physischer Untersuchungsmethoden durch Ärzte angeführt und betont, daß das Ergebnis dieser Untersuchungen bei positivem Ausfall Beweiskraft haben könne, bei negativem Ausfall dagegen bedeutungslos sei 276 . Die alkoholbedingte Einschränkung der für die Fahrtüchtigkeit erforderlichen Funktionen könne auf diesem Wege ebensowenig ermittelt werden, wie die bereits angesprochene Gutachten 1955, S. 43 f. VgI. soeben Fußn. 151. m Gutachten 1955, S. 45. 276 Gutachten 1955, S. 46. 273

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Persönlichkeitsveränderungen277 . Das Gutachten teilt jedoch nicht mit, auf welche andere Weise - wenn nicht durch sinnliche Wahrnehmung - diese grundsätzlich durchaus naheliegende Veränderung der "Tiefenpersönlichkeit" erkannt und gemessen werden kann, um dann als Indikator zur Feststellung der Fahrunsicherheit zu dienen. Es leuchtet zwar ein, daß die genossene Alkoholmenge "mangels anderer Beurteilungsmöglichkeiten ... durchaus gewisse Rückschlüsse auf den Grad der alkoholbedingten Störung der Tiefenperson und das Maß der eingetretenen Enthemmung" hat 278 . Jedoch kann die Blutalkoholkonzentration auf ihre Tauglichkeit als Meßinstrument zur Feststellung der Veränderung der tieferen Schichten des Bewußtseins einer Person an sich nur geprüft werden, wenn zuvor mittels anderer Parameter festgestellt wurde, ab welcher Blutalkoholkonzentration diese Veränderungen ein solches Ausmaß angenommen haben, daß Fahrunsicherheit vorliegt. Außer den von Laves untersuchten äußerlich erkennbaren Veränderungen des Leistungsvennögens sind aber keine weiteren Umstände ersichtlich, die insoweit als Parameter dienen könnten 279 . Warum vor diesem Hintergrund den Untersuchungsergebnissen Laves' nach Auffassung der anderen Gerichtsmediziner ,,kein entscheidender Wert beigemessen werden,,28o kann, ist nicht einsichtig. Hinzu kommt, daß die vom Bundesgesundheitsamt vorgenommene Beweisgewichtung äußerer Anzeichen von Alkoholbeeinflussung aus juristischer Sicht nicht zwingend ist. Auch wenn nach Ansicht der Sachverständigen das Fehlen jeglicher Ausfallerscheinungen nicht das Vorliegen von Fahrsicherheit indiziert, muß dieser Umstand im Rahmen der forensischen Beweiswürdigung doch geeignet sein, vernünftige Zweifel am Vorliegen der Fahrunsicherheit zu wecken. Dies wäre für einen Freispruch ausreichend 281 , während Zweifel an der Fahrsicherheit eben nicht zur Verurteilung genügen.

4. Reaktion von Rechtsprechung und Literatur Unter Hinweis auf die erneute Bestätigung der schon zuvor als gesichert geltenden medizinischen Erkenntnisse durch das Gutachten des Bundesgesundheitsamtes schloß sich nunmehr auch der 4. Strafsenat282 ausdrücklich den Ausführungen des 3. Senats 283 an. Im Leitsatz seiner Entscheidung aus dem Jahre 1957 bestätigte der Gutachten 1955, S. 46. So das Gutachten 1955, S. 37. 279 Gutachten 1955, S. 37. 280 Gutachten 1955, S. 46. 281 Vgl. Kleinknecht I Meyer-Goßner, § 261 RN 2. 282 BGHSt 10, 265 unter KlarsteIlung der mißverständlichen Ausführungen in BGHSt 8, 30. Darin hatte der 4. Senat ausgeführt, "daß im allgemeinen bei einem Blutalkoholgehalt von 1,5%0 und mehr.... Fahrunsicherheit anzunehmen sei. Diese Feststellung wurde beispielsweise von Schwarz, § 315a Anm. 2 B b dahingehend mißverstanden, daß entgegen BGHSt 5, 168 ein Blutalkoholgehalt von 1,5%0 meist, aber nicht stets für die Annahme von Fahrunsicherheit genüge. 277

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5 Riemenschneider

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4. Senat, daß "von einem Blutalkoholgehalt von 1,5%0 an ... jeder Führer eines Kraftfahrzeugs, auch der an Alkohol gewöhnte, nicht mehr in der Lage" sei, "das Fahrzeug sicher zu führen" 284. Dagegen könne kein Kraftfahrer mit Aussicht auf Beachtung oder Erfolg geltend machen, auf ihn träfen diese Erkenntnisse nicht zu; ein Gegenbeweis sei mithin ausgeschlossen 285 . Einige Oberlandesgerichte weigerten sich dagegen immer noch hartnäckig, alkoholisierte Kraftfahrzeugführer allein aufgrund des Blutalkoholgehaltes als fahrunsicher zu qualifizieren 286 • Insbesondere das OLG Neustadt akzeptierte unter Hinweis auf die Bonner Versuche und weitere Veröffentlichungen die von einem gerichtsmedizinischen Institut mitgeteilte Blutalkoholkonzentration nicht als einen den Richter bindenden, naturwissenschaftlich feststehenden Erfahrungssatz. Da nach dem derzeitigen Stand der Untersuchungsmethoden eben nicht ausgeschlossen werden könne, daß das Ergebnis der Blutuntersuchung unrichtig, insbesondere niedriger gewesen sei, habe es in dubio pro reo zu entscheiden 287 • Auch in der juristischen und gerichtsmedizinischen Literatur wurde der Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit ganz überwiegend wegen der im Gutachten hervorgehobenen Störanfälligkeit der Blutalkoholbestimmungsverfahren und nicht etwa grundsätzlich wegen des fraglichen Zusammenhangs zwischen dem Erreichen einer bestimmten BAK und Fahrunsicherheit angezweifelt 288 . Den dagegen vereinzelt sogar schon einsetzenden Bestrebungen nach einer Herabsetzung des Grenzwertes der absoluten Fahrunsicherheit von 1,5%0289 trat der 4. Senat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1959 jedoch ausdrücklich entgegen 290 • Der BGH befaßt sich darin ausführlich mit den möglichen Fehlerquellen der Blutalkoholbestimmungsverfahren und den Wirkungsunterschieden bei steigendem und fallendem Blutalkohol und kommt zu dem Ergebnis, daß bei einem zufälligen Zusammentreffen mehrerer solcher Umstände eine Abweichung des wahren Blutalkoholgehaltes von der gemessenen BAK nicht auszuschließen sei 291 . Erstmals wird hier ausdrücklich die Feststellung getroffen, daß sich der Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit aus einem Grundwert von 1,0%0 und einem Sicherheitszuschlag von 0,5%0 zusammensetzt 292 . Außerdem findet sich hier die überkommene BGHSt 5, 176. BG HSt 10, 265; Hervorhebung durch Verf. 285 BGHSt 10,265,268 f. 286 LG Nürnberg-Fürth DAR 1957,308; OLG Neustadt DAR 1959, 137 ff. 287 OLG Neustadt DAR 1959, 137 ff. 288 Vgl. die Berichte von Thewissen DAR 1956,5 f. u. Weigelt DAR 1956,9 f. über die Würzburger Tagung der Arbeitsgemeinschaft der Laboratoriumsärzte Deutschlands vom 31.10.-1. I!. 1955. 289 Vgl. z. B. Ponsold, Gerichtliche Medizin, 2. Aufl., S. 260. 290 BGHSt 13, 83; vgl. für Kraftradfahrer auch BGHSt 13, 278. 291 BGHSt 13, 83, 88. 292 BGHSt 13.83,85. 283 284

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Definition des Begriffs der Fahrunsicherheit, wonach ein Kraftfahrer fahrunsicher ist, wenn "seine Gesamtleistungsfähigkeit, besonders infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer und körperlicher (psycho-physischer) Leistungsausf.ille so weit herabgesetzt ist, daß er nicht mehr fahig ist, sein Fahrzeug eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern"293. Allerdings bestätigte der Senat die in einer kurz zuvor verkündeten Entscheidung 294 vorgenommene Herabsetzung des Grenzwertes für Kraftradfahrer 295 . Da an diese Fahrzeugführer die verkehrstechnisch höchsten Anforderungen im Straßenverkehr gestellt würden, seien sie bereits bei einem Blutalkoholgehalt von 1,3%0 unbedingt fahruntüchtig 296 . Den Urteilsgründen ist allerdings nicht zu entnehmen, wie sich dieser neue Grenzwert zusammensetzt, d. h. ob er sich allein aus der Herabsetzung des für andere Fahrzeugführer geltenden Grundwertes von 1,0%0 auf 0,8%0 ergibt, oder ob auch der Sicherheitszuschlag gesenkt wurde.

5. Die Denkschrift der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin aus dem Jahre 1961 Die Problematik des Zusammenhangs zwischen den forensischen Anforderungen an den Nachweis des Tatbestandsmerkmals der Fahrunsicherheit einerseits und den medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen über die Wirkungen des Alkohols andererseits werden erstmals in der Anfang 1961 erschienenen Denkschrift der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin 297 auf den Punkt gebracht. Sie fachte die Diskussion um die Kritik an den geltenden Strafvorschriften erneut an. Darin wird zunächst darauf hingewiesen, daß ein auf der Grundlage der derzeitigen Regelung festzulegender Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit aus rechtlichen Gründen - nämlich um der Zuverlässigkeit der naturwissenschaftlichen Aussage willen, daß ab diesem Grenzwert überhaupt kein Kraftfahrer mehr fahrtüchtig sei - eine sehr hohe Blutalkoholkonzentration bezeichnen müsse. Dadurch werde zwar eine Erleichterung der Beweisführung und Vereinheitlichung der Rechtsprechung erreicht, gleichzeitig aber nur ein kleiner Teil der alkoholbedingt fahruntüchtigen Verkehrsteilnehmer erfaßt 298 . Eine Herabsetzung des Grenzwertes sei jedoch nicht mit dem vom Gesetz verwendeten Begriff der Fahrunsicherheit BGHSt 13,83. BGH NJW 1959, 1046. 295 BGHSt 13, 83, 89. 296 BGH NJW 1959, 1046 f.; a.A. OLG Frankfurt DAR 1958, 199. 297 BA 1961,33. 298 Denkschrift der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin BA 1961, 34,36; Laclmer BA 1961/62,219. 293 294

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und der damit verbundenen Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten jedes einzelnen Kraftfahrers vereinbar299 . Da sich der Nachweis der Fahrunsicherheit bei Alkoholwerten unter 1,5%0 allein an äußerlich erkennbaren Ausfallerscheinungen und damit an Beeinträchtigungen der Sinnesleistungen und der psychomotorischen Reaktionsfähigkeit orientieren könne, blieben aber die Persönlichkeitsveränderungen, die anerkanntermaßen schon bei sehr viel niedrigeren Blutalkoholwerten auftreten, unberücksichtigeoo . Bei der derzeitigen Rechtslage finden diese Umstände, wie z. B. Enthemmung und mangelndes Verantwortungsbewußtsein, nämlich erst Berücksichtigung, wenn sie zu konkretem fehlerhaften Fahrverhalten geführt haben. Gerade diese auch im Gutachten des Bundesgesundheitsamtes angeführten Veränderungen der "Tiefenpersönlichkeit" im Hinblick auf ethische Werthaltungen und verkehrssoziales Verhalten seien aber für einen Großteil der Trunkenheitsunfälle verantwortlich 301 . Aus der Anknüpfung an Fahrfehler als Beweisindiz für (relative) Fahrunsicherheit folge zudem die schwierige Feststellung, welche Anforderungen an diese zusätzlich zu dem Blutalkoholgehalt erforderlichen Ausfallerscheinungen zu stellen sind. Diese Problematik schlage sich insbesondere in der Rechtsprechung zu der Frage nieder, ob bei der Feststellung der relativen Fahrunsicherheit auch solche Verhaltensweisen zu berücksichtigen sind, die häufig auch bei nüchternen Kraftfahrern zu beobachten sind 302. Das Abstellen auf äußerlich erkennbare Alkoholwirkungen einerseits und einen hohen Blutalkoholgehalt andererseits erfasse daher die für die Fahrleistung bedeutsame Gesamtpersönlichkeit nur unvollkommen 303 . Der Rechtsbegriff der Fahrunsicherheit sei mangels scharf umgrenzter Entsprechung im biologischen Bereich als Anknüpfungspunkt einer strafrechthchen Vorschrift ungeeignet 304 . Im Interesse einer wirksamen Verkehrssicherheitspolitik sei ein abstraktes Gefährdungsdelikt zu fordern, mit dem das Führen eines Kraftfahrzeugs ab einem bestimmten Gefährdungsgrenzwert, d. h. einem Blutalkoholwert, der geeignet ist, die Verkehrstauglichkeit zu beeinträchtigen, verboten wird 305 .

299 Denkschrift der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin BA 1961, 36; Lackner BA 1961/62,219 f. 300 Denkschrift der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin BA 1961, 36; Elbell Schleyer, Blutalkohol, S. 176 f. 301 Denkschrift der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin BA 1961, 35; Lackner BA 1961/62,220. 302 Vgl. dazu die Zusammenstellungen der älteren Rechtsprechung bei Mayer BA 19651 66, 277 ff.; Schneb1e BA 1%9,53. 303 Denkschrift der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin BA 1961, 35 f.; Elbel 1Schleyer, Blutalkohol, S. 178 f. 304 Lackner BA 1%1/62,218,221. 303 Denkschrift der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin BA 1961, 36; Lackner BA 1961/62,221.

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v. Die ersten zwei Teilgutachten des Bundesgesundheitsamtes aus den Jahren 1962 und 1963

Aufgrund der fortschreitenden Entwicklung der gerichtsmedizinischen Forschung und der nicht abbrechenden Diskussion um den Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit sah sich das Bundesjustizministerium Anfang 1960 erneut veranlaßt, ein Gutachten in Auftrag zu geben. Das allerdings erst 1966 fertiggestellte Gutachten mit dem Titel "Alkohol bei Verkehrsstraftaten,,306 wurde unter Mitwirkung einer Kommission unabhängiger Sachverständiger in Form von vier Teilgutachten erarbeitet, von denen für die vorliegende Problematik lediglich die ersten drei von Interesse sind.

1. Empfehlung eines Gefahrengrenzwertes in Höhe von 0,8 %0 Das im April 1962 zuerst abgefaßte Teiigutachten 307 sollte die Frage beantworten, ob ein Blutalkoholwert bestimmt werden kann, von dem ab die überwiegende Mehrheit der Kraftfahrer als fahruntüchtig anzusehen iseo8 . Da diese Frage vor dem Hintergrund einer möglichen Neuregelung der Trunkenheitsdelikte durch Einführung eines als Tatbestandsmerkmal festgeschriebenen Gefahrengrenzwertes gestellt wurde, erforderte die Beantwortung auch die Untersuchung der geltenden Rechtslage. Als Ausgangspunkt der Untersuchung diente dabei die von der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin in der soeben erwähnten Denkschrift geübte Kritik an den geltenden Vorschriften, insbesondere am Begriff der Fahrunsicherheie09 . Sie wurde im Ergebnis durch das Gutachten in vollem Umfang bestätige 1o . Bei der Beurteilung der geltenden Rechtslage orientierte sich die Gutachterkommission zunächst an der Gefcihrlichkeit des alkoholisierten Kraftfahrers im Vergleich zum nüchternen, insbesondere an den Ergebnissen einer Untersuchung Freudenbergs über die stochastische Abhängigkeit 311 des Gefährlichkeitsgrades des alkoholisierten Kraftfahrers von der Blutalkoholkonzentration 312 . Danach sei die Gefährlichkeit eines Kraftfahrzeugführers in bezug auf Unfälle mit Getöteten sowie mit Verletzten bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,5%0 bereits mehr als verdoppelt, bei 0,8%0 etwa viermal so hoch und bei 1,5%0 etwa 16mal höher als bei Im Folgenden Gutachten 1966 genannt. Die Teilgutachten sind in der Veröffentlichung des Kirschbaum Verlages nicht in der Reihenfolge ihrer Fertigstellung dargestellt (vgl. Gutachten 1966, S. 9). 308 Gutachten 1966, S. 8, Frage 3, S. 35 ff. 309 Gutachten 1966, S. 35. 310 Gutachten 1966, S. 47. 311 Eine stochastische Abhängigkeit liegt vor, wenn zwar eine statistisch nachweisbare, aber keine gesetzmäßige Abhängigkeit der einen Variablen von der anderen besteht. 312 Gutachten 1966, S. 36 f., Anlage 8, Tabelle 3, S. 162. 306 307

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nüchternen Kraftfahrern. Da der Anteil derjenigen Fahrzeugführer, die mit einer Blutalkoholkonzentration zwischen 0,5 und 1,0%0 am Straßenverkehr teilnehmen, wesentlich höher ist als der Anteil der mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,5%0 fahrenden Kraftfahrer, seien die Unfallzahlen in diesen niedrigeren BAK-Bereichen naturgemäß höher als diejenigen der stark alkoholisierten Kraftfahrzeugführer. Hieraus erkläre sich, daß der statistische Anteil der Verletzten mit steigendem Blutalkoholgehalt sinke. Die Problematik der strafrechtlichen Erfassung dieses Teils der Kraftfahrzeugführer bestehe aber darin, daß in den Bereichen zwischen 0,5 und 0,9%0 oft auch die für die relative Fahrunsicherheit erforderlichen Trunkenheitsanzeichen fehlen. Daher werde gerade der verkehrspolitisch wichtigste Teil der alkoholisierten Kraftfahrer durch die an den Begriff der Fahrunsicherheit anknüpfende Regelung nicht hinreichend erfaßt 313 • Dem könne jedoch nicht mit einer Senkung des absoluten Grenzwertes begegnet werden, da die unwiderlegbare Beweisvermutung für das Vorliegen von Fahruntüchtigkeit bei jedem Kraftfahrer unter 1,5%0 wissenschaftlich nicht gesichert sei. Des weiteren gaben die Sachverständigen des Bundesgesundheitsamtes zu bedenken, daß im biologischen Bereich keine scharfe Grenze vom Zustand der Fahrsicherheit zu dem der Fahrunsicherheit festgesetzt werden könne 314 • Der Übergang vollziehe sich vielmehr fließend, weshalb selbst sehr ausführliche, in der Gerichtspraxis kaum anwendbare Sachverständigengutachten keine sichere Entscheidung ermöglichten. Vielmehr könne nur eine Aussage mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit getroffen werden 315 • Daher entspräche eine Neuorientierung, nämlich die Umwandlung in ein "Formaldelikt" mit einem bestimmten "Gefahrengrenzwert" den wissenschaftlichen Ergebnissen d