Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung: Rechtliche Anforderungen an den Einsatz eines neuen behördlichen Handlungsinstrumentes [1 ed.] 9783428500512, 9783428100514

Die Autorin beschäftigt sich mit dem zukünftig verstärkt zu erwartenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz in öffentlic

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Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung: Rechtliche Anforderungen an den Einsatz eines neuen behördlichen Handlungsinstrumentes [1 ed.]
 9783428500512, 9783428100514

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SABINE TÖNSMEYER-UZUNER

Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung

Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik Herausgegeben von Prof. Dr. Horst Ehmann und Prof. Dr. Rainer Pitschas

Band 21

Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung Rechtliche Anforderungen an den Einsatz eines neuen behördlichen Handlungsinstrumentes

Von

Sabine Tönsmeyer-U zuner

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Tönsmeyer-Uzuner, Sabine: Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung : rechtliche Anforderungen an den Einsatz eines neuen behördlichen Handlungsinstrumentes / von Sabine Tönsmeyer-Uzuner. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik ; Bd.21) Zug!.: Bremen, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10051-4

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 2000 Duncker &

ISSN 0940- 1172 ISBN 3-428-10051-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

e

Meinen Töchtern Louisa und Filiz

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen im Sommersemester 1999 als Dissertation angenommen, das Promotionskolloquium hat am 15.06.1999 stattgefunden. Bis Oktober 1999 erschienene Literatur wurde in der Publikation berücksichtigt. Die Arbeit entstand aus dem interdisziplinären Doktorandenstudium "Umwelt" an der Universität Bremen heraus und wurde von der Universität Bremen großzügig mit einem Stipendium unterstützt, wofür ich mich hiermit bedanken möchte. Mein Dank gilt darüber hinaus insbesondere dem Betreuer der Arbeit, Prof. Dr. Karl-Heinz Ladeur (jetzt Universität Hamburg), dessen Ideen und Anregungen mir inhaltlich entscheidende Impulse gegeben haben. Seine menschliche Unterstützung hat mir darüber hinaus über manche "Schaffenskrise" hinweggeholfen. Mein Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Robert Francke, der die Aufgabe des Zweitgutachters übernommen hat. Neben den fachlichen Förderem möchte ich auch die Menschen nicht unerwähnt lassen, die mir in privater Hinsicht Unterstützung gegeben haben: Bedanken möchte ich mich dafür zunächst bei meinen Eltern, Angelika und Manfred Tönsmeyer, die mich stets gefördert haben und die mit meiner Ausbildung das Fundament auch für diese Arbeit legten. Daneben gilt mein Dank meinem Mann Bülent, der mir neben seiner Funktion als "Kummerkasten" insbesondere auch dabei geholfen hat, die praktischen Probleme, die der Einsatz von Computern mit sich bringt, zu bewältigen. Schließlich möchte ich noch ganz herzlich meinen Schwiegereltern, Nevin und Yilmaz Uzuner, danken, ohne deren ungezählte Stunden liebevoller Kinderbetreuung ich weder die Zeit noch die Ruhe gehabt hätte, die Arbeit fertigzustellen. Bremen, im Oktober 1999

Sabine 1önsmeyer-Uzuner

Inhaltsverzeichnis Einführung

23

Erster Teil Expertensysteme als Instrumente behördlichen Handeins

26

I. Abschnitt Einsatzpotentiale von behördlichen Expertensystemen

26

A. Definition und Abgrenzung des Begriffs ,,Expertensystem" .........................

26

I. Ziele und Methodik von Expertensystemen ....................................

27

11. Struktur von Expertensystemen ................................................

28

III. Abgrenzung von Expertensystemen im Hinblick auf die Fragestellungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit ..............................................

29

B. Potentielle Anwendungsgebiete von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung ................................................................................

30

I. Kategorien von Expertensystemen .............................................

30

11. Ansatzpunkte für den Einsatz von Expertensystemen im Aufgabenbereich der öffentlichen Verwaltung .......................................................

31

1. Unterstützung von Mitarbeitern der Verwaltung durch die BereitstelIung von Expertenwissen in Entscheidungssituationen ................................

32

2. Übernahme von Routinetätigkeiten .........................................

34

3. Qualifizierung von Mitarbeitern ............................................

34

10

Inhaltsverzeichnis 4. Konservierung von behördlichem Wissen bei gleichzeitiger Unabhängigkeit von einzelnen Mitarbeitern .................................................

35

5. Beratung von Bürgern, z. B. in Umweltfragen . ... . .. . . . ... . .. . . . . . . . . .. . . . . .

36

a) Das Herbizid-Beratungssystem HERBASYS als Beispiel für einen Einsatz von Expertensystemen zu Beratungszwecken .......................

40

b) Funktionsweise von CHEMPROG, einem Teilmodul des Expertensystems HERBASYS zur Abschätzung von Grundwassergefährdungen durch organische Chemikalien .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

2. Abschnitt

Chancen und Risiken eines behördlichen Einsatzes von Expertensystemen

46

A. Analyse der erwarteten Vorteile eines Einsatzes der Expertensystemtechnologie ....

47

I. Schnelle und permanente Verfügbarkeit von Informationen und Expertenwissen ... ...... ........... ... ...... ...... ..... ......... ......... ........... .......

47

11. Kostengünstigkeit und dadurch bedingte Einsetzbarkeit von Expertensystemen auf breiter Basis ...............................................................

48

III. Leichte Aktualisierbarkeit der Wissensbasis .............. . ....... . ............

50

IV. Selbständige Lernfahigkeit von Expertensystemen .............................

51

V. Laiengerechte Wissensdarstellung und damit die Vision vom behördlichen Expertensystem für jedermann ...................................................

52

VI. Quantifizierbarkeit und Handhabbarrnachung von Ungewißheiten .............

54

VII. Zusammenfassung.............................................................

56

B. Risiken des Einsatzes von Expertensystemen

56

I. Allgemeine Gefahren der Automation .........................................

57

I. Fehler bei der Entwicklung bzw. Installation von Systemen ............... . .

57

2. Datenschutz ................................................................

57

3. Manipulierbarkeit von Daten................................................

59

Inhaltsverzeichnis 11. Darüber hinausgehende, expertensystemirnrnanente Risiken

11 59

1. Mängel beim Aufbau und der Wartung der Wissensbasis ....................

60

2. Fehlende Kontrolle von Systementscheidungen infolge mangelhafter Transparenz der Entscheidungsfindung ...........................................

62

3. Unkritische Übernahme von Systementscheidungen .........................

64

4. Qualifikationserosion .......................................................

65

5. Mangelhafte Überwachung und Weiterentwicklung von Systemen ..........

65

6. Manifestierung der herrschenden Meinung ..................................

66

7. Fehlende abschließende Testbarkeit der Systeme infolge des spezifischen Benutzereinflusses auf die Qualität der Ergebnisse ..........................

67

8. Negative Neben- und Fernwirkungen .......................................

68

III. Ergebnis . .. . .. . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . .. . . . . . . .. . .. . . . . .. . . . . .. . . . . . .. .. . . . .. . . .. .

69

3. Abschnitt

Die Rechtsnatur von entscheidungs- bzw. beratungsunterstützenden Expertensystemen der öffentlichen Verwaltung

69

A. Rechtliche Qualifizierung von behördlichen Expertensystemen als Verwaltungsvorschrift ..............................................................................

71

I. Strukturelle Gemeinsamkeiten von Verwaltungsvorschriften und behördlichen Expertensystemen .............................................................

71

11. Formelle Aspekte einer Qualifizierung als Verwaltungsvorschrift ..............

72

I. Formfreiheit ermöglicht unterschiedliche Erscheinungsformen von Verwaltungsvorschriften ...........................................................

72

2. Die Zusammenfassung einer Vielzahl von Verwaltungsvorschriften in einer Verwaltungsvorschrift ......................................................

74

III. Technische Regel im Sinne eines antizipierten Sachverständigengutachtens? ...

75

IV. Überwindung der bei der Arbeit mit Verwaltungsvorschriften charakteristischen Trennung von Subsumtionsvorgabe und Subsumtion bei der Entscheidungsfindung durch bzw. mit Hilfe von Expertensystemen .....................

78

V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

12

Inhaltsverzeichnis

B. Rechtliche Qualifizierung von behördlichen Expertensystemen als Plan.............

83

I. Abgrenzung von planerischer Tatigkeit und Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

l. Normstruktur als äußerliches Unterscheidungskriterium von planerischer Gestaltungsfreiheit und Gesetzesvollzug? ...................................

85

2. Die Entwicklung von entscheidungs- bzw. beratungsunterstützenden Expertensystemen der Verwaltung als planerischer Prozeß ........................

87

a) Offene Programmierung im Hinblick auf das Handlungsziel .............

87

b) Planerische Abwägung als charakteristische Ausprägung rechtsstaatlicher Planung............ ...... ...... ..... ......... ...... .....................

89

aa) Planerische Abwägungsprozesse bei der Festlegung von umweltrechtlichen Grenzwerten ............................................

90

bb) Vergleichbarkeit mit Expertensystemen .............................

92

c) Inhaltliche Festsetzungen von Expertensystemen im Vergleich mit anderen Plänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

aa) Fehlende unmittelbare Rechtswirkungen von Expertensystemen. . . . .

95

bb) Kombination von abstrakten und konkret-individuellen Festsetzungen... ............ ... ... ........... ... ...... ......... ......... ......

97

cc) Vorläufigkeit der programmierten Erkenntnisse von Expertensystemen zur Entscheidungs- bzw. Beratungsunterstützung .............. .

98

3. Zusammenfassung.......................................................... 100 11. Rechtsfolgen einer Einstufung von Expertensystemen als Plan................. 101 IH. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 103

c. Die Entscheidungsfindung mit Hilfe bzw. durch Expertensysteme als neuer Typus

eines Verwaltungsverfahrens ....................................................... 104 I. Der enge Begriff des Verwaltungsverfahrens im Sinne von § 9 VwVfG ........ 104

11. Das Verwaltungsverfahren im weiten Sinne.................................... 105 III. Die Programmierung behördlicher Expertensysteme als eine verwaltungsrechtlich neuartige Mischform aus administrativer Normsetzung und Verwaltungsverfahren ...................................................................... 107 D. Ergebnis: Qualitative Besonderheiten des Instrumentes Expertensystem verhindern die Einordnung in das traditionelle Handlungsinstrumentarium der öffentlichen Verwaltung und erfordern eine Qualifizierung behördlicher Expertensysteme als "Instrumente sui generis" .............................................................. 109

Inhaltsverzeichnis

13

Zweiter Teil

Rechtliche Voraussetzungen eines Einsatzes von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung

111

I. Abschnitt Vereinbarkeit des Einsatzes von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung mit dem Grundgesetz A. Auswirkungen des Grundsatzes der Grundrechts- und Gesetzesbindung der vollziehenden Gewalt (Art. lAbs. 3, 20 Abs. 3 GG) auf den Einsatz von behördlichen Expertensystemen .....................................................................

11l

111

I. Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes ....... . ................ . . . . . ............. 112

11. Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes ........................................ 114 1. §§ 28 Abs. 11 Nr. 4; 37 Abs. IV; 39 Abs. II Nr. 3 VwVfG als mittelbare Ermächtigung für den Einsatz von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Computersysteme mit Hilfsmitte1charakter .............................. 118 b) Expertensysteme in der öffentlichen Verwaltung als "automatische Einrichtungen" im Sinne der §§ 28 Abs. 11 Nr. 4; 37 Abs. IV; 39 Abs. II Nr. 3 VwVfG? ................................................................ 120 c) Das Beispiel "HERBASYS" ..... . ....................................... 122 d) Ergebnis ................................................................ 123 2. Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung .................................... 124 a) Befugnis zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften ....................... 125 b) Grundrechtsrelevanz und Grundrechtsbetroffenheit der Programmierung und des Einsatzes von behördlichen Expertensystemen .................. 129 aal Beeinträchtigung materieller Grundrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 129 (1) Grundrechtsre1evanz der Speicherung und Verarbeitung von Da-

ten in behördlichen Expertensystemen .......................... 129 (a) Personenbezogene Daten .................. . .......... . ..... 129 (b ) Unternehmensbezogene Daten .............................. 130 (aa) Speicherung und Verarbeitung von Daten über wirtschaftliche Zusammenhänge eines Unternehmens ..... 132 (bb) Speicherung und Verarbeitung von betrieblichem Know-how ............................................ 133 (cc) Speicherung und Verarbeitung von Informationen, die geeignet sind, rufschädigende und imagebeeinträchtigende Wirkungen zu entfalten ......................... 133

14

Inhaltsverzeichnis (2) Grundrechtsrelevanz von inhaltlichen Festsetzungen am Beispiel behördlicher Expertensysteme für den Bereich des Umwelt- und Technikrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (a) Vergleichbarkeit gefährdungsabschätzender behördlicher Expertensysteme mit fachrechtIichen Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften .................................... (b) Betroffenheit einzelner Grundrechte ........................ (c) Grundrechtsrelevanz der Programminhalte von ausschließlich zu Beratungszwecken eingesetzten behördlichen Expertensystemen ................................................

138

139 143

146

(3) Zusammenfassung.............................................. 148 bb) Beeinträchtigung von grundrechtsrelevanten Verfahrensrechten ..... 150 ce) Gefahr rechtswidriger Verwaltungsentscheidungen .................. 152 c) Zusammenfassung ...................................................... 153 3. Menschliche Kontrolle als Voraussetzung der Gesetzmäßigkeit.............. 154 4. Die Doppelbindung an "Gesetz und Recht" (Art. 20 Abs. III GG) ........... 155 5. Zusammenfassung.......................................................... 157 B. Der Einsatz der Expertensystemtechnologie im Verwaltungsverfahren als Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip? ............................................ 158

2. Abschnitt Qualitative Anforderungen an ein die Expertensystemtechnologie als Handlungsform der Verwaltung zulassendes Gesetz

159

A. Regelungsdichte eines Gesetzes zur Programmierung und zum Einsatz von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung......................................... 160 I. Die "Wesentlichkeit" eines Regelungsgegenstandes als Abgrenzungskriterium von Rechtssatz- und Parlamentsvorbehalt ...................................... 160

1. Der Parlamentsvorbehalt in Verwaltungsverfahren mit ÖffentIichkeitsbeteiligung ........................................................................ 162 2. Gesetzliche Normierung bei ungewissen Sachverhalten ..................... 166 a) Ungewißheit der Auswirkungen eines Einsatzes der Expertensystemtechnologie in der öffentlichen Verwaltung auf die Qualität behördlicher Entscheidungen bzw. Beratungen ........................................... 171 b) Ungewißheit bezüglich der weiteren Entwicklung der Expertensystemtechnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

Inhaltsverzeichnis

15

11. Struktur eines die Programmierung und den Einsatz von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung regelnden Gesetzes ............................... 174

B. Verfassungsrechtliche Anforderungen an strukturelle Verfahrensvorgaben im Zusammenhang mit der Programmierung und der Pflege von behördlichen Expertensystemen ........................................................................... 176 I. Der Umfang der gesetzgeberischen Regelungsverpflichtung ................... 176 11. Die Beteiligung von Grundrechtsbetroffenen und Sachverständigen an Verwaltungsverfahren mit Expertensystembeteiligung ................ ~ . . . . . . . . . . . . . .. 178 1. Wesentliche Fragestellungen im Zusammenhang mit der Beteiligung Dritter am Verwaltungsverfahren ................................................... 179 2. Die Modalitäten der Verfahrensbeteiligung .................................. 180 a) Die unterschiedlichen Beteiligungsformen ............................... 180 b) Gesetzgeberische Bindungen bei der Gestaltung der Beteiligung von Betroffenen und Sachverständigen ......................................... 181 aa) Der verfassungsrechtlich gebotene Mindeststandard einer Beteiligung Betroffener in Verfahren zur Programmierung und Pflege von behördlichen Expertensystemen . . .. . . . .. . . . . .. . .. .. .. . . . .. . . . . .. . . .. 181 (1) Das Recht auf Beteiligung in der Phase der Programmierung von Expertensystemen .......................................... 185 (2) Entbehrlichkeit der Beteiligung im konkreten Verfahren durch Beteiligung und Rechtsschutz bei Installation des Systems? ..... 189 bb) Gesetzgeberische Bindungen bei der Entscheidung über den am Verfahren zu beteiligenden Personenkreis .............................. 195 (1) Die Beteiligung der in ihren (Grund-)Rechten Betroffenen...... 195

(2) Die Beteiligung von externen Sachverständigen. . . . . . . . . . . . . . . .. 199 III. Zusammenfassung............................................................. 201

C. Modell einer gesetzlichen Verfahrensstrukturierung von behördlichen Verwaltungs-

verfahren mit Expertensystembeteiligung ........................................... 202 I. Vorüberlegungen .............................................................. 202 1. Wesentliche Regelungsinhalte einer gesetzgeberischen Verfahrensstrukturierung ........................................................................ 203 2. Die Bedeutung des Rechts auf Beteiligung in Verfahren mit Expertensystembeteiligung ................................................................. 203

16

Inhaltsverzeichnis 3. Grundzüge des nachfolgenden Modells einer gesetzlichen Regelung des Einsatzes von behördlichen Expertensystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 208 11. Die inhaltliche Ausgestaltung von Expertensystemen.......................... 210 1. Das Programmierungsverfahren .......................................... . .. 210 a) Behördlicher Vorschlag eines Expertensystems .......................... 213 b) Veröffentlichung des Vorschlages........................................ 214 c) Einwendungsrechte der Betroffenen ..................................... 217 d) Erörterungstermin ....................................................... 218 2. Systemeinführung und behördliche Zurechenbarkeit von Maßnahmen ....... 219 3. Das Verfahren bei Änderungen des Inhaltes von Expertensystemen.......... 221 4. Zusammenfassung .......................................................... 225 III. Bereitstellung von Strukturen zur Gestaltung des Einsatzes von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung ............................................ 226 1. Normierung von Struktur und Entscheidungsverfahren einer ..Technologiekommission" ............................................................... 227 2. Gesetzliche Aufgabenbestimmung der Kommission ......................... 230 a) Ermittlung von Risiken eines Einsatzes von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung ................................................... 232 b) Formulierung und Offenlegung von Ungewißheiten im Zusammenhang mit der Risikoprognose ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 233 c) Darstellung der Auswirkungen eines Einsatzes der Expertensystemtechnologie in der öffentlichen Verwaltung .................................. 233 d) Entwicklung von Strategien zur Risikominimierung ..................... 234 aa) Maßnahmen zur Vermeidung fehlerhafter Verwaltungsentscheidungen ................................................................. 235 bb) Entwicklung von Instrumentarien zur Gewährleistung der Kontrollmöglichkeiten durch den Benutzer .................................. 236 ce) Maßnahmen zum Schutz von Rechten der durch behördliche Expertensysteme Betroffenen ............................................. 237 e) Veröffentlichung der den Expertensystemeinsatz in der öffentlichen Verwaltung ausgestaltenden Vorgaben und Beschränkungen ................. 238

Inhaltsverzeichnis

17

IV. Strukturierung von fortlaufenden, systematischen Risikoermittlungrnechanismen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung .............................................................. 239 I. Entwicklung von Mechanismen zur Risikobeobachtung ..................... 241 2. Organisation des Einflusses neuer Informationen auf den ProzeB der RisikoNutzen-Bewertung.......................................................... 243 V. Organisation des Informationsrückflusses an den Gesetzgeber ................. 245

Dritter Teil

2 Thnsmeyer-Uzuner

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesenform

246

Glossar

254

Literaturverzeichnis

257

Sachwortverzeichnis

283

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen a.A. AbfG.

anderer Ansicht Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (Abfall gesetz) vom 27. 08. 1986 (BGBl. I S. 1410), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.09. 1990 (BGBl. 11 S. 885)

ADV

Automatische Datenverarbeitung

AfP

Archiv für Presserecht (Z)

AI

Angewandte Informatik (Z)

AMG

Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24. 08. 1976 (BGB!. I S. 2445), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. 04. 1990 (BGB!. I S. 717)

AO AöR

Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts (Z)

ArbuR

Arbeit und Recht (Z)

Art.

Artikel (des Grundgesetzes)

AtG

Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) in der Fassung vom 15.07. 1985 (BGB!. I S. 1565), zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.11. 1990 (BGB!. I S. 2428)

AtVfV

Verordnung über das Verfahren bei der Genehmigung von Anlagen nach § 7 des Atomgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. 03. 82 (8GBl. I S. 411)

Aufl.

Auflage Baugesetzbuch in der Fassung vom 08. 12. 1986 (BGB!. I S. 2253), geändert durch Art. 21 § 5 Steuerreformgesetz 1990 vom 25. 07. 1988 (BGB!. I S. 1093)

BauGB

BayVbl.

Bayerische Verwaltungsblätter (Z)

BB

Betriebs-Berater (Z)

Bd.

Band

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BlmSchG

Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (BundesImmissionsschutzgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.05. 1990 (8GBl. I S. 880)

BlmSchV

Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes

BMBl.

Bundesministerialblatt

BML

Bundesministerium für Landwirtschaft

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen BVerfGE

19

Entscheidungen des BVerfG

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des BVerwG

ChemG

Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz) in der Fassung vom 14.03. 1990 (BGBI. I S. 521)

CR

Computer und Recht (Z)

DB

Der Betrieb (Z)

ders.

derselbe

Diss.

Dissertation

DJT

Deutscher Juristentag

DÖV

Die öffentliche Verwaltung (Z)

DV

Datenverarbeitung

DVBI.

Deutsches Verwaltungsblatt (Z)

DVR

Datenverarbeitung im Recht (Z)

EG

Europäische Gemeinschaft(en)

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EuR

Europarecht (Z)

f. ff.

folgende (Seite) folgende (Seiten)

FN

Fußnote

FS

Festschrift

FStrG

Bundesfernstraßengesetz in der Fassung vom 08. 08. 1990 (BGB\. I S. 1714)

GefStoffV

Verordnung über gefährliche Stoffe (Gefahrstoffverordnung) vom 26.08.1986 (BGBI. I S. 1470), zuletzt geänden durch VO vom 23. 04.1990 (BGBI. I S. 790)

GenTG

Gesetz zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz) vom 20. 06. 1990 (BGBI. I S. 1080), geänden durch Gesetz zu dem Einigungsvenrag vom 23.09. 1990 (BGBI. 11 S. 885)

GewO

Gewerbeordnung in der Fassung vom 01. 01. 1987 (BGBI. I S. 425)

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

GGO

Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil (GGO 11). GM BI. 1976, S. 550 ff.

GMBI.

Gemeinsames Ministerialblatt

GRUR

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Z)

HdUR

Handbuch des Umweltrechts

h.M.

herrschende Meinung

i.a.

im allgemeinen

IuR

Informatik und Recht (Z)

Hrsg.

Herausgeber

HStR

Handbuch des Staatsrechts

JA

Juristische Arbeitsblätter (Z)

JUS

Juristische Schulung (Z)

JZ

Juristenzeitung (Z)



20

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen

KJ

Kritische Justiz (Z)

KritV

Kritische Vierteljahres schrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Z)

Lit. LuftVG

Literatur Luftverkehrsgesetz in der Fassung vom 14.01. 1981 (BGB\. I S. 61), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. 10.94 (BGB!. I S. 2978) Media Perspektiven (Z)

MP m. w. Nachw.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Z)

Nr. NuR NVwZ NZWehr

Nummer Natur und Recht (Z)

ÖVD OLG

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Z) Neue Zeitschrift für Wehrrecht (Z) Öffentliche Verwaltung und Datenverarbeitung (Z) Oberlandesgericht

OVG

Oberverwaltungsgericht

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung vom 19.02.1987 (BGB!. I S. 602), geändert durch Gesetz vom 17. 05. 1988 (BGB!. I S. 606)

PfISchG

Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz) vom 15. 09. 1986 (BGB\. I S. 1505), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28.06. 1990 (BGB\. I S. 1221)

Rdnr. SGB

Randnummer Sozialgesetzbuch Sozialgesetzbuch, X. Teil, 1. und 2. Kapitel, vom 18. 04. 1980 (BGB!. I S.I469) und andere

SGB-X

u. a. UBAG

Gesetz über die Errichtung eines Umweltbundesamtes vom 22. 07. 1974 (BGB\. I S. 1505), geändert durch VO vom 26.11. 1986 (BGB\. I S. 2089)

UIG

Umweltinformationsgesetz vom 08.07. 1994 (BGBl.I S. 1490)

UmweltHG

Umwelthaftungsgesetz vom 10. 12. 1990 (BGB\. I S. 2634)

Univ.

Universität Umwelt- und Planungsrecht (Z)

UPR UVP

VBmw

Umweltverträglichkeitsprüfung Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 12.02. 1990 (BGB!. I S. 205), geändert durch Art. 3 Drittes Gesetz zur Änderung des BImSchG vom 11. 05. 1990 (BGB!. I S. 870) und Art. 4 Gesetz zur Regelung von Fragen der Gentechnik vom 20. 06. 1990 (BGB\. I S. 1080) Verwaltungsakt Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg (Z)

VersR

Versicherungsrecht (Z)

UVPG

VA

VerwArch

Verwaltungsarchiv (Z)

vg\.

vergleiche

VO

Verordnung

VOP

Verwaltungsführung, Organisation, Personalwesen (Z)

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen VVDStRL VwGO VwVfG WUR

Z ZAU z.B.

ZBR ZG

ZRP ZSchweiR z.T. zug\. ZUR

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz vorn 25. 05. 1976 (BGB\. I S. 1253) Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht (Z) Zeitschrift Zeitschrift für Angewandte Umweltforschung (Z) zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht (Z) Zeitschrift für Gesetzgebung (Z) Zeitschrift für Rechtspolitik (Z) Zeitschrift für Schweizerisches Recht (Z) zum Teil zugleich Zeitschrift für Umweltrecht (Z)

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Einführung Durch die großen Fortschritte in der Entwicklung der Künstlichen Intelligenzforschung in den letzten Jahren ist es gelungen, die sogenannte 3. Generation von Computersystemen zu entwickeln, zu denen auch Expertensysteme gezählt werden I. Im Gegensatz zu bisherigen Computerprogrammen, die lediglich zur "sklavischen Durchführung eines Berechnungsverfahrens" in der Lage waren 2 , erhofft man sich von der Expertensystemtechnologie, daß durch sie das Spezialwissen sowie die Schlußfolgerungsfähigkeit von qualifizierten menschlichen Experten nachgebildet werden kann. Ging man zunächst von einer Ersetzbarkeit menschlicher Experten durch derartige Systeme aus, wird heute angesichts einer Vielzahl unbewältigter Problemstellungen eher deren Potential einer Unterstützung menschlicher Experten in Entscheidungssituationen hervorgehoben. Angesichts der mit der Expertensystemtechnologie verbundenen Erwartung, Expertenwissen unabhängig von menschlichen Individuen durch eine ,,Maschinisierung der Kopfarbeit,,3 verfügbar zu machen, verwundert es nicht, daß die Expertensystemtechnologie mehr als alle anderen EDV-Anwendungen euphorisch bejubelt wurde, und die Begeisterung über die erhofften technischen Möglichkeiten verbunden mit Visionen über mögliche Awendungsfelder den Blick auf hiennit verbundene gravierende, bis heute unüberwundene Probleme teilweise verstellt hat. Viele Berichte in der Wirtschafts- und Technikpresse sahen Expertensysteme bereits Ende der 80er Jahre vor einer breiten Markteinführung4 , zu der es bis heute jedoch noch nicht gekommen ist. Grundsätzlich gestaltet sich die Einschätzung des Entwicklungsstandes von Expertensystemen allerdings als schwierig, da verschiedene Infonnationsquellen den Entwicklungsstand je nach ihrer Sicht interpretieren, wobei Möglichkeiten und reale Anwendungen vennischt werdens. Viele der mit der Expertensystemtechnologie verbundenen Hoffnungen müssen jedoch bereits heute als Mythen bezeichnet werden, schon die Bezeichnung als "intelligente Systeme" kann vor dem Hintergrund einer ausschließlichen Einsetzbarkeit einzelner 1 Zur Entwicklungsgeschichte der Künstlichen Intelligenz (KI) oder auch Artificial Intelligence (AI) vgl. z. B.: W. Lentz, in: Berichte über Landwirtschaft 1991, S. 69 ff. (83 ff.); siehe darüber hinaus unten, I. Teil, I. Abschnitt, A. (S. 26 ff.). 2 K. Kornwachs, in: CR 1992, S. 44 ff. (45). 3 W. Coy, in: H. Bonin (Hrsg.): Entmythologisierung von Expertensystemen, S. 29 ff. (29). 4 Hierauf hinweisend: R. Schneider, in: CuR 1991, S. 238 ff. (238). S Zu diesem Problem vgl. I. Schubertl C. Krebsbach-Gnath: Chancen und Risiken des Einsatzes von Expertensystemen, S. 53 ff.

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Einführung

Expertensysteme in eng abgegrenzten Wissensbereichen streng genommen nicht länger aufrechterhalten werden. Auch die Hoffnungen auf eine Verfügbarkeit von Expertenwissen für jeden (Laien) in unterschiedlichsten Wissensbereichen, die Erwartungen bezüglich der Erklärungsfähigkeit und damit Transparenz der Systeme sowie die leichte Aktualisierbarkeit der Datenbasis konnten in der Praxis bisher noch nicht unter Beweis gestellt werden 6 . So existieren zwar eine Vielzahl von Entwicklungsprojekten in unterschiedlichen Stadien, die tatsächlichen Einsatzzahlen im deutschsprachigen Raum mit unter 10% nehmen sich jedoch gering aus 7 • Die Euphorie um die wissensbasierten Systeme ist angesichts dieser Zahlen wenn vielleicht auch nicht "gestorben"s, so doch auf ein vernünftiges Maß als Voraussetzung einer (kritischen) Auseinandersetzung mit dieser Technologie gesunken. Die Expertensystemtechnologie, ihre Potentiale und Einsatzmöglichkeiten als Gegenstand einer kritischen Auseinandersetzung kann sich jedoch nicht auf den Bereich der Informatik begrenzen. Auch aus rechtswissenschaftlicher Sicht wirft diese Technologie eine Viezahl neuer Fragestellungen auf, deren Beantwortung insbesondere aus verwaltungsrechtlicher Sicht bis heute noch nicht einmal ansatzweise als geklärt bezeichnet werden kann. So hat sich die Diskussion in der juristischen Literatur bisher hauptsächlich auf die Frage konzentriert, wie potentielle juristische Expertensysteme ausgestaltet werden könnten, daneben gibt es zivilrechtliehe Publikationen insbesondere zu haftungsrechtlichen und urheberrechtlichen Fragen. Der Einsatz von Expertensystemen, insbesondere wenn er, wie verschiedentlich angeregt, im Bereich der öffentlichen Verwaltung erfolgen soll, beinhaltet jedoch, wie zu zeigen ist, eine grundlegende Veränderung bisheriger Entscheidungsverfahren öffentlicher Verwaltungen und bedeutet letztlich eine neuartige qualitative Einflußnahme von Computersystemen auf die am Ende eines Verfahrens stehende Entscheidung. Die vorliegende Arbeit soll daher in Anknüpfung an erste Problematisierungen von Expertensystemen unter verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten9 eine rechtliche Qualifizierung von Expertensystemen vornehmen. Ausgehend von der Fragestellung, ob ein Handeln der Verwaltung durch oder mit Hilfe von Expertensystemen Rechtsqualität besitzt, und ob bzw. wie ein solches gegebenenfalls in das verwaltungsrechtliche Handlungsinstrumentarium eingeordnet werden kann, sollen rechtliche Voraussetzungen für den Einsatz von Expertensystemen als Entscheidungs- bzw. Beratungsunterstützung der öffentlichen Verwaltung for-

6 Zu den mythosverdächtigen Vorstellungen über Expertensysteme vgl. im einzelnen: H. Fiedler, in: H. Bonin (Hrsg.): Entmythologisierung von Expertensystemen, S. I ff. (5 ff.). 7 H. Weule, in: F. Puppe I A. Günter (Hrsg.): Expertensysteme 93, S. I ff. (2 f.). 8 So: Handelsblatt vom 13.2.1991, S. 14. 9 Vgl. die Dissertationen von R.-M. Polomski: Der automatisierte Verwaltungsakt und P. Lazaratos: Rechtliche Auswirkungen der Verwaltungsautomation auf das Verwaltungsverfahren sowie den Bericht der Enquete-Konunission des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 111

7990.

Einführung

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muliert werden. Abschließend soll das Modell einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Regelung des Einsatzes von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung skizziert werden, mit dem ein "Wildwuchs" des Expertensystemeinsatzes in öffentlichen Verwaltungen verhindert werden soll.

Erster Teil

Expertensysteme als Instrumente behördlichen Handeins 1. Abschnitt

Einsatzpotentiale von behördlichen Expertensystemen A. Definition und Abgrenzung des Begriffs ,,Expertensystem" Der Begriff "Expertensystem" als Bezeichnung für einen Teilbereich der Künstlichen Intelligenz (KI)\ wird in der Literatur nicht immer eindeutig definiert, so wird er z. B. u. a. teilweise synonym mit dem Begriff des "Wissenbasierten Systems" verwendee. Um sicherzustellen, daß bei der Behandlung der rechtlichen Probleme im Rahmen dieser Arbeit von einer einheitlichen Begriffsbildung ausgegangen wird, soll zunächst erläutert werden, was nachstehend unter ,,Expertensystem" verstanden wird. Hierbei geht es allerdings nicht darum, eine informatischtechnisch exakte Abgrenzung der Expertensysteme von anderen Systemen der KI bzw. eventueller Mischformen vorzunehmen, Ziel ist vielmehr, eine eher untechnisehe, im juristischen Sinne problemorientierte Definition herauszuarbeiten, um den Anwendungsbereich für die nachfolgend behandelten juristischen Problemstellungen abzustecken. Für eine Definition des Begriffes ,,Expertensystem" gibt es in der Literatur mehrere Ansätze: Zum einen wird die Charakterisierung anhand von Ziel und Methodik des Systems, zum anderen der Vergleich mit anderen Programmtypen, die Ab1 Zu Entwicklungsgeschichte, Definition und Arbeitsbereichen der KI vgl. H. Helbig: Künstliche Intelligenz, S. 11 ff.; F. Hayes-Roth, in: Computer 1984, S. 11 ff. (12 ff.); C. Kowalski: Lösungsansätze für juristische Expertensysteme, S. 6 ff.; H.-J. Bullinger/K.-P. Fähnrich, in: H.-J. Bullinger u. a.: Expertensysteme, S. I ff.; kritisch zum Begriff der KI: EnqueteKommission, BT-Drs. 1117990, S. 15. 2 So z. B. bei P. Schnupp/C. T. Nguyen Huu: Expertensystempraktikum, S. I f.; vgl. hierzu auch: Biethahn/Hoppe (Hrsg.): Entwicklung von Expertensystemen, S. 14; zum Begriff des wissensbasierten Systems als einem "Softwaresystem, bei dem das Fachwissen über ein Anwendungsgebiet explizit und unabhängig vom allgemeinen Problemlösungswissen dargestellt wird", vgl. K. Kurbel: Entwicklung und Einsatz von Expertensystemen, S. 17 f.

I. Abschn.: Einsatzpotentiale von behördlichen Expertensystemen

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grenzung mit Hilfe von als notwendig erachteten Eigenschaften sowie anhand der Struktur des Systems vorgenommen 3.

I. Ziele und Methodik von Expertensystemen Nach Definitionen, die auf Ziel und Methodik des jeweiligen Systems abstellen, sind Expertensysteme "wissensbasierte Informationssysteme, die bereichsspezifisches Wissen eines Experten beinhalten und einem Anwender in einer benutzernahen und erklärenden Form zur Verfügung stellen,,4. Sie benutzen Wissen und Inferenzverfahren, um Probleme zu lösen, die immerhin so schwierig sind, daß ihre Lösung ein beträchtliches menschliches Fachwissen erfordert"s. Abgrenzend zu herkömmlichen Informationssystemen, mit deren Hilfe entscheidungsrelevante Daten lediglich bereitgestellt werden, zeichnet sich ein Expertensystem dadurch aus, daß dem Anwender Wissen vermittelt wird, das System zusätzlich zu den Daten also Verwendungsanleitungen liefert, mit dessen Hilfe Problemlösungen ermöglicht werden 6 . Als die bei der Entwicklung klassisch angestrebten Eigenschaften eines Expertensystems gelten Problemlösungsfähigkeit, Transparenz, Flexibilität, Benutzerfreundlichkeit, Kompetenz und Lemfähigkeit des Systems, Eigenschaften, die aufgrund der technischen Unvollkommenheit bisheriger Systeme als Abgrenzungskriterien jedoch nur begrenzt geeignet sind7 •

3 Zu den zahlreichen Klassifizierungsversuchen vgl. z. B.: F. Hayes-Roth, in: Computer 1984, S. 263 ff. (264 f.); P. Gorny, in: Gesellschaft für Rechts- und Verwaltungsinformatik (Hrsg.): Riskante Systeme; K. Komwachs, in: CR 1992, S. 44 ff. (45 f.); M. H. Meyer/K. Foley Curley, in: Sioan Management Review 1991, S. 21 ff. (22); R. E. Susskind, in: Modem Law Review 1986, S. 168 ff. (172 f.); ders., in: Oxford Journal of Legal Studies 1984, S. 145 ff. (145 f.); vgl. auch den Überblick bei C. Kowalski: Lösungsansätze für juristische Expertensysteme, S. 28 ff. 4 E. Zahn, in: F. X. Bea u. a.: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 493. S P. Harmon I D. King: Expertensysteme in der Praxis, S. 3 unter Bezugnahme auf E. Feigenbaum. 6 Zur Unterscheidung von Daten und Wissen vgl. F. Puppe: Einführung in Expertensysteme, S. 4; zur Unterscheidung von Expertensystemen von konventionellen Computerunterstützungen siehe H.-U. Wandel: Expertensysteme in der strategischen Planung, S. 19 ff. 7 Zu den Anforderungen an Expertensysteme und den real existierenden Restriktionen derzeitiger Realisationen vgl. T. M. Weidenhaupt, in: Biethahn I Hoppe (Hrsg.): Entwicklung von Expertensystemen, S. 9 ff. (15 f.); J. Biethahn, in: ders.lHoppe (Hrsg.): Entwicklung von Expertensystemen, S. 281 ff. (290 ff.); einen Vergleich der 3 Generationen von Expertensystemen vornehmend: G. v. Drabich-Wächter, in: H.-J. Bullinger u. a.: Expertensysteme, S. 54 ff.

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1. Teil: Expertensysteme als Instrumente behördlichen HandeIns

11. Struktur von Expertensystemen

Neben dem funktionellen Ansatz werden Definitionen von Expertensystemen hauptsächlich anhand der Struktur jeweiliger Systeme vorgenommen, wobei im folgenden lediglich die Grundstruktur dargestellt werden soll. Als charakterisierend für ein Expertensystem wird zunächst in Abgrenzung von herkömmlichen Programmiennethoden die Trennung des eingebauten Expertenwissens von den Problemlösungsstrategien hervorgehoben. Diese Trennung spiegelt sich in der für den Anwender erkennbaren Unterteilung des Systems in zwei Hauptmodule wieder, die zum einen als Wissensbasis zum anderen als das sogenannte Steuersystem bezeichnet werden. Während in der Wissensbasis das bereichsspezifische Wissen (Fakten und Regeln) in einer fonnalisierten Weise implementiert und abrufbar gehalten wird 8 , stellt das Steuersystem (auch Expertensystem-Shell genannt) den eigentlichen ,,Motor" eines Expertensystems dar9 • Es setzt sich aus den Unterkomponenten ,,Inferenzkomponente (= Problemlösungskomponente-)", ,,Erklärungskomponente", "Wissenserwerbskomponente" und ,,Dialolgkomponente" zusammen. • Die Problemlösungskomponente als der entscheidende Teil des Steuersystems interpretiert das in der Wissensbasis gespeicherte Expertenwissen zur Lösung des vom Anwender spezifizierten Problems. Hierfür zieht sie Schlußfolgerungen aus dem repräsentierten Wissen lO, die Reihenfolge, in der das Wissen ausgewertet wird, bestimmt sich dabei auf Grundlage einer bestimmten, zuvor einzugebenden Abarbeitungsstrategie. • Die Erklärungskomponente dient dazu, dem Anwender den beschrittenen Lösungsweg offenzulegen und somit Transparenz zu erzeugen ". • Die Wissenserwerbskomponente ennöglicht es dem Experten, neues fonnalisiertes Wissen in die existierende Wissensbasis einzugeben, vorhandenes zu ändern oder obsoletes Wissen zu entfernen 12 • 8 Zu den unterschiedlichen Wissens typen in der Wissens basis vgl. F. Puppe: Einführung in Expertensysteme, S. 1; zu den Darstellungsmöglichkeiten des Fachwissens: K. Kurbel: Entwicklung und Einsatz von Expertensystemen, S. 36 ff. 9 W. Lentz, in: Berichte über Landwirtschaft 1991, S. 69 ff. (87). 10 Zu den unterschiedlichen Schlußfolgerungstechniken vgl. F. Puppe: Einführung in Expertensysteme, S. 43 ff.; siehe (mit weiteren Nachweisen) auch die Übersicht bei A. Rupertseder: Der Einsatz einer Expertensystemshell, S. 136 ff. 11 W. Lentz, in: Berichte über Landwirtschaft 1991, S. 69 ff. (87) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß eine Erklärung im Sinne von Beratung oder Schulung derzeit noch nicht möglich erscheint. Zu den Anforderungen an die Erklärungsfähigkeit vgl. auch: S. Kolb, in: J. Biethahn I U. Hoppe (Hrsg.): Entwicklung von Expertensystemen, S. 144 ff. 12 Zu Modellen, Techniken und Problemen der Wissensakquisition vgl. K. Kurbel: Entwicklung und Einsatz von Expertensystemen, S. 68 ff.; speziell zum Problem der Konsistenz: K. Kornwachs, in: eR 1992, S. 44 ff. (48); W. Lentz, in: Berichte über Landwirtschaft 1991, S. 69 ff. (87).

1. Abschn.: Einsatzpotentiale von behördlichen Expertensystemen

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• Die Dialogkomponente schließlich stellt die Schnittstelle zum Anwender dar und steuert den Dialog zwischen dem Benutzer und dem System durch eine für den Benutzer verständliche Aufbereitung des systeminternen Wissens. Abhängig von der Systemgestaltung werden an dieser Stelle möglicherweise auch automatisch erhobene Meßdaten eingelesen. Ein System, das sich aus diesen fünf Teilkomponenten zusammensetzt (vgl. Abb. I), wird als vollständiges Expertensystem bezeichnet 13 •

fall~

spezifisches Wissen

Interviewer- : : ErkIlinmgs- :: Wissens•• erwerbskomponente:• :•komponente:: : : : : komponente

.---1------- ._...~..--_.. .....---.----

._ .. _.... __ .__ ......l..... __ ... ______ ..... ProbJemlösungskornponente

Zwischenergebnisse und Problemlösungen

Abb. 1: Aufbau eines Expertensystems 14

III. Abgrenzung von Expertensystemen im Hinblick auf die Fragestellungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit Vor dem Hintergrund der zu behandelnden rechtlichen Probleme eines Einsatzes von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung erscheint es als nicht notwendig, den Begriff des Expertensystems abschließend positiv zu definieren. Zur Ermöglichung einer möglichst umfassenden Diskussion soll an dieser Stelle daher 13 Details zu den einzelnen Komponenten von Expertensystemen siehe bei: T. M. Weidenhaupt, in: 1. Biethahn/U. Hoppe (Hrsg.): Entwicklung von Expertensystemen, S. 16 ff. 14 Quelle: F. Puppe: Einführung in Expertensysteme, S. 13.

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1. Teil: Expertensysteme als Instrumente behördlichen Handeins

vielmehr von einem allgemeinen Begriff von Expertensystemen ausgegangen werden, wonach solche Computersysteme als Expertensysteme zu bezeichnen sind, die einer der skizzierten Sichtweisen genügen bzw. die selbst den Anspruch erheben, Expertensysteme zu sein l5 • Einschränkend für eine Einstufung als Expertensystem, da für die rechtlichen Betrachtungen entscheidend, sollen jedoch folgende Eigenschaften als konstituierend gelten: • Expertensysteme beinhalten ein Maß an Wissen eines Spezialgebietes, das sie befähigt, auf dem Level eines Experten zu agieren. Als solche "intelligenten Assistenten,,16 sind sie insbesondere in der Lage, Wissen selbständig zu verarbeiten und zwar in einer über eine reine Berechnungsfunktion hinausgehenden Form. Hierdurch unterscheiden sie sich von Systemen, die ausschließlich mit eindeutigen Lösungsstrategien ("Algorithmen") operieren. • Expertensysteme ermöglichen die Verarbeitung von "unscharfem Wissen" durch die Eingabe von Faustregeln (sogenannten Heuristiken) zur Lösung von Problemen, für die keine eindeutigen Lösungsstrategien bekannt sind. Durch deren Anwendung finden wertende Elemente Eingang in den systeminternen Entscheidungsprozeß. • Der Einfluß wertender Entscheidungselemente auf expertensystemunterstützte Entscheidungsprozesse erfolgt durch die Eingabe von Heuristiken, Abarbeitungsstrategien, Metawissen bereits zum Zeitpunkt der Programmierung eines Expertensystems.

B. Potentielle Anwendungsgebiete von Expertensystemen in der öffentlichen Verwaltung I. Kategorien von Expertensystemen In der Literatur werden vielfältige Ansätze zur Kategorisierung von Expertensystemen vorgenommen, Einteilungen erfolgen teilweise nach Einsatzgebieten, Problemklassen oder anderen Kriterien 17. Im folgenden soll eine Unterscheidung nach den Problemklassen erfolgen, wobei jedoch nur die drei Hauptkategorien skizziert werden sollen 18.

15 Von einern solch allgemeinen Begriff von Expertensystemen ausgehend auch: T. Jandach: Juristische Expertensysteme, S. 10. 16 Zum Begriff des "intelligent assistant" vgl. R. Susskind, in: Modern Law Review 1986, S. 168 ff. (172). 17 Zu dem auf F. Hayes-Roth, D. A. Waterman und D. B. Lenat zurückgehenden bekannten und gebräuchlichen Klassifikationsschema mit zehn unterschiedenen Expertensystemkategorien vgl. F. Hayes-Roth u. a. (Hrsg.): Building Expert Systems, S. 13 ff.; D. A. Waterman: A Guide to Expert Systems, S. 32 ff.

1. Abschn.: Einsatzpotentiale von behördlichen Expertensystemen

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Expertensysteme können danach für drei Hauptkategorien von Anwendungen entwickelt werden 19 : 1. Diagnosesysteme: Mit Hilfe der Interpretation von Daten, Befunden und Symptomen werden Fälle klassifiziert und Handlungsempfehlungen entwickelt2o• Charakteristisch für eine Lösung von Diagnoseaufgaben mit Expertensystemen ist dabei, daß die Inferenzkomponente Fragen generiert, von deren Beantwortung durch den Benutzer der weitere Problemlösungsprozeß abhängig ist. 2. Planungssysteme: Dienen der Auswahl von Elementen aus einer Vielzahl von möglichen Alternativen und stellen mit Hilfe von Selektionsvorgängen komplexere Gebilde zusammen 21 . Der Problemlösungsprozeß läuft dabei genau entgegengesetzt wie bei den Diagnosesystemen: Dem System werden Randbedingungen, Einflußfaktoren, Planungsobjekte und weitere notwendige Größen zur Problemlösung mitgeteilt, unter deren Zugrundelegung (Alternativ-) Pläne entwikkelt werden 22 3. Unterrichts systeme: Dienen der Weitergabe von Wissen durch Ausbildung, Training, Simulation

11. Ansatzpunkte für den Einsatz von Expertensystemen im Aufgabenbereich der öffentlichen Verwaltung

Die Expertensystemtechnologie bietet gegenüber herkömmlichen Instrumentarien der EDVentscheidende weitergehende Möglichkeiten der Entscheidungsunterstützung, die auch von der Verwaltung genutzt werden könnten. So kann der Bearbeiter u. a. im Dialog mit einem Expertensystem ein zu lösendes Problem eingrenzen, neben Informationen auch Bearbeitungsregeln bereitgestellt bekommen sowie (in Zusammenarbeit mit dem System) spezielle Problemlösungen für den Einzelfall erarbeiten. Erleichtert wird der Aufbau von Expertensystemen in der öffentli18 Zu weiteren (Fein-)Einteilungen siehe K. Kurbel: Entwicklung und Einsatz von Expertensystemen, S. 138 ff.; Enquete-Kommission, BT-Drs. 1117990, S. 19; mit einer empirischen Auswertung juristischer Expertensysteme: T. Jandach: Juristische Expertensysteme, S. 10 ff. 19 Siehe die Einteilung bei: H. W. Früchtenicht/J. Kippe, in: Umschau 1984, S. 26 ff. (29). 20 Zu Funktionsanforderungen an Diagnosesysteme vgl. A. Kellner u. a., in: Bullinger, H.J. Bullinger / K.-P. Fähnrich: (Hrsg.): Expertensysteme, S. 93 ff.; als praktisches Beispiel vgl. darüber hinaus: S. Kockskämper u. a., in: F. Puppe/ A. Günter (Hrsg.): Expertensysteme 93, S. 14 ff. mit der Darstellung des Expertensystem "SHOPSY" zur Diagnose schiffstechnischer Anlagen. 21 Vgl. zu existierenden Expertensystemapplikationen in der strategischen Planung sowie deren Zukunftsperspektiven (mit praktischen Beispielen): H.-U. Wandel: Expertensysteme, S.67. 22 V. Steinhoff: Anforderungen und Gestaltungskriterien bei der Entwicklung von Benutzerschnittstellen rur Expertensysteme, S. 53 ff., 133 ff.

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1. Teil: Expertensysteme als Instrumente behördlichen HandeIns

chen Verwaltung darüber hinaus durch die Tatsache, daß innerhalb der Verwaltung eine starke Spezialisierung besteht, gleichzeitig ennöglicht die Größe des Verwaltungsapparates einen Einsatz jeweiliger Softwareprodukte an vielen Stellen und damit eine Umlegung der Entwicklungskosten 23 . Im Rahmen dieser Arbeit kann und soll keine Bewertung erfolgen, inwieweit das von Expertensystemen zur Verbesserung der Entscheidungssituation in der Verwaltung erwartete Potential mit derzeit existierenden technischen Möglichkeiten realisierbar ist oder nicht24 • Dieses erscheint nicht allein aus Gründen der Interdisziplinarität dieser Fragestellung als unmöglich, eine genaue Analyse, welche Teile von Verwaltungsentscheidungen erfolgreich durch die Expertensystemtechnologie unterstützt werden könnten, scheitert gleichfalls an der bislang mangelnden rechtstheoretischen Durchdringung des tatsächlichen Entscheidungsprozesses innerhalb der Verwaltung 25 • Im folgenden soll daher nur kurz ein Überblick gegeben werden, in welchen Bereichen von einem Einsatz von Expertensystemen zur Entscheidungsunterstützung innerhalb der öffentlichen Verwaltung Potentiale erwartet werden 26 .

1. Unterstützung von Mitarbeitern der Verwaltung durch die Bereitstellung von Expertenwissen in Entscheidungssituationen

Zunächst verspricht man sich von dem Einsatz der Expertensystemtechnologie in der öffentlichen Verwaltung einen weiteren, entscheidenden Schritt in Richtung Entscheidungsautomation, mit der u. a. Schwächen menschlicher Entscheidungstätigkeit möglichst ausgeschaltet werden können 27 • Die Vorteile einer solchen Automation, so hofft man, seien dabei nicht allein quantitativer, sondern gleichfalls qualitativer Natur. Insbesondere die Verbesserung der Entscheidungsgrundlagen im Bereich der Sachbearbeitung und des mittleren Managements durch das Zurverfügungstellen 23 R. Traunmüller, in: H. Bonin (Hrsg.): Entmythologisierung von Expertensystemen, S. 53 ff. (64). 24 Zu dem Problem der Handhabung schwach strukturierter Probleme vgl. z. B. U. Frank: Expertensysteme, S. 203 f. 25 Darauf hinweisend: K. Lenk, in: H. Bonin (Hrsg.): Entmythologisierung von Expertensystemen, S. 67 ff. (S. 71); W. Hoffmann-Riem, in: AöR 1990, S. 401 ff. (405 f.); Mit dem Versuch einer Darstellung der konstitutiven Bedingungen des Entscheidungsverfahrens: K. Grimmer, in: H. Bonin (Hrsg.): Entmythologisierung von Expertensystemen, S. 169 ff. (S. 170 ff.); vgl. auch: N. Luhmann: Die Paradoxie des Entscheidens. In: VA 1993, S. 287 ff.; zu den Entscheidungstheorien: W. Schmidt, in: AöR 1971, S. 321 ff. (327). 26 Zu den allgemeinen Nutzeffekten von Expertensystemen vgl. A. v. Weissenfluh: Expertensysteme, S. 56 ff. 27 Zu den (fünf) Ansatzpunkten einer Entscheidungsunterstützung in (öffentlichen) Verwaltungen vgl. K. Lenk, in: H. Bonin (Hrsg.): Entmythologisierung von Expertensystemen, S.74f.

1. Abschn.: Einsatzpotentiale von behördlichen Expertensystemen

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von Informationen 28 und Regeln in Entscheidungssituationen scheint geeignet, Verwaltungsentscheidungen auf breiter Basis qualitativ zu verbessern und dadurch u. a. Vollzugsdefizite zu beheben. So scheitert der Vollzug zahlreicher Gesetze, insbesondere im Umweltrecht, abgesehen von verschiedenen Defiziten auf gesetzgeberischer Ebene 29 , an der sowohl qualitativ als auch quantitativ unzureichenden personellen Ausstattung 30 sowie an Informationsdefiziten der unteren Umweltverwaltungsbehörden. Insbesondere auf kommunaler Ebene sind die für die komplexen Problemlösungen z. B. des modernen Umweltrechts erforderlichen Elemente "Datenmaterial" und "Expertenwissen" nur begrenzt vorhanden, ein Umstand, der den Vollzug des Umweltrechts letztlich hemmt 3 !. Könnten diese Faktoren durch den Einsatz der Expertensystemtechnologie dem menschlichen Bearbeiter nicht nur in der Behördenspitze, sondern behördenweit bereitgestellt werden, wäre hiermit die Chance einer Verbesserung des Verwaltungshandelns verbunden 32 . Über die reine Informationsverschaffung hinaus, wie sie bereits heute z.T. durch Datenbanken erfolgt, bieten Expertensysteme das Potential, dem Bearbeiter nicht allein Fakten, sondern gleichzeitig Bearbeitungsregeln zur Verfügung zu stellen. Das System kommt durch die Verarbeitung des ihm inhärenten Wissens darüber hinaus zu einem eigenen Entscheidungsvorschlag, den es dem Bearbeiter unterbreitet und idealerweise nachvollziehbar erklärt. Durch die Speicherung des Lösungsweges neben der reinen Information könnten, so die Vision, Wissensdefizite einzelner Sachbearbeiter damit ausgeglichen werden und unabhängig von personellen Kapazitäten Expertenwissen auf breiter Basis zugänglich gemacht werden. Hierdurch könnte eine gleichbleibende Qualität von Verwaltungsentscheidungen z. B. bei der Durchführung der UmweltverträglichkeitspTÜfung erzeugt werden, als weitere Anwendungsgebiete wird die Abschätzung einzelner Gefahrenpotentiale sowie die Unterstützung der gesamten kommunalen Planungsaufgaben genanne 3 . 28 Zum Informationsbegriff vgl. J. Seggelke, in: Böhret/ Hili (Hrsg.): Ökologisierung, S. 43 ff. (44 ff.). 29 V gl. hierzu A. Lorenz, in: UPR 1991, S. 253 ff. (254 f.). 30 Vgl. hierzu G. Lübbe-Wolff, in: NuR 1993, S. 217 ff. (S. 228 f.); U. Lahl, in: ZUR 93, 249 ff. (255). 31 Zu Informationsdefiziten als Ursachen von Vollzugsdefiziten: A. Schink, in: ZUR 93, S. I ff. (9); ders., in: ZAU 1993, S. 16 ff.; E. Bohne, in: Böhret/Hill (Hrsg.): Ökologisierung, S. 128 ff. (132). 32 K. Lenk, in: DÖV 1985, S. 85 ff. (88) weist in diesem Zusammenhang auf die gegenteilige Möglichkeit einer Dysfunktionalität infolge von zu großer Informationsbereitstellung hin. 33 Zu potentiellen Einsatzfeldern von Expertensystemen im Bereich der kommunalen Umweltverwaltung vgl. K. Grimmer, in: H. Bonin (Hrsg.): Entmythologisierung von Expertensystemen, S. 169 ff. (175); zu bisherigen Computeranwendungen im Umweltschutz siehe die Analyse von L. Hilty/B. Page, in: AI. 1985, S. 409 ff.; zu Möglichkeiten der Unterstützung von Expertensystemen bei der UVP vgl. A. Baumewald-Ahlmann, in: A. Schwabl u. a. (Hrsg.): Rechnerunterstützung für die UVp, S. 53 ff. (58 ff.).

3 Tönsmeyer-Uzuner

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1. Teil: Expertensysteme als Instrumente behördlichen HandeIns

2. Übernahme von Routinetätigkeiten

Neben der Bereitstellung von Expertenwissen in Entscheidungssituationen erhofft man sich von der Expertensystemtechnologie eine Entlastung von Experten bei Routinetätigkeiten u. a. durch die selbständige Lösung von Problemen durch Expertensysteme. Chancen versprach man sich hierbei insbesondere im Bereich der gut strukturierten Entscheidungsfindungsprozesse, in dem eine "starke und gut etablierte Basis an formalem Wissen" existiert, "das in eine kleine Anzahl einfacher Regeln gefaßt werden kann,,34, eine Voraussetzung für eine selbständige Problemlösung durch Expertensysteme. Mittlerweile hat man jedoch weitgehend erkannt, daß eine expertenersetzende Funktion von Expertensystemen derzeit noch nicht realistisch ist 35 . So fehlen gegenwärtigen Expertensystemen wesentliche Eigenschaften von Experten, die eine völlige Automation verhindern. Insbesondere das Verstehen des Problems, das Überblicken von Randgebieten sowie die Fähigkeit, eigenes Wissen sowie Wissenslücken einzuschätzen, Kompetenzen, die für einen echten Experten unerläßlich sind, fehlen den bisher technisch realisierbaren Systemen 36 . Somit ist auch bei einem Einsatz der Expertensystemtechnologie die Vollautomation auf die reinen Wenn - Dann Entscheidungen beschränkt, bei denen es sich um eigentlich unechte Entscheidungsprobleme mit reiner Subsumtion handelt.

3. Qualifizierung von Mitarbeitern

Als ein weiteres Potential der Expertensystemtechnologie wird die nicht in erster Linie angestrebte, aber als eine Art unbeabsichtigte Folgewirkung eintretende Möglichkeit der Qualifizierung von Mitarbeitern durch die Arbeit mit entsprechenden Systemen genannt. Bei zunehmender Regelungsdichte könne, so die Hoffnung, sich der Sachbeabeiter durch das System in mehreren für seine Arbeit benötigten Fachdisziplinen auf dem laufenden halten 37 . Die durch das System vorgenommene Wissensstrukturierung erleichtere dabei den Überblick über eine eventuell bestehende Informationsflut, aber auch über bestehende Informationsdefizite. Insbesondere bei Berufsanfängern, so hofft man, könnten Expertensysteme regelrecht als Ausbildungssysteme eingesetzt werden, da mit ihnen eine Nachvollziehung real existierender Fälle sowie die Simulation neuer Fallkonstellationen in spielerischer Form möglich sei 38 . 34 Hierauf hinweisend: K. Grimmer, in: H. Bonin (Hrsg.): Entmythologisierung von Expertensystemen, S. 169 ff. (169); J. Biethahn, in: J. Biethahn!U. Hoppe (Hrsg.): Entwicklung von Expertensystemen28I ff. (291). 3S Zur Unterscheidung von "experten-ersetzenden" und "experten-unterstützenden" Systemen siehe B. Lutz! M. MoIdaschI: Expertensysteme, S. 27 ff. 36 F. Puppe: Einführung in Expertensysteme, S. 5 f. 37 So K. Grimmer, in: H. Bonin (Hrsg.): Entmythologisierung von Expertensystemen, S. 169 ff. (S. 169).

1. Abschn.: Einsatzpotentiale von behördlichen Expertensystemen

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Dieses Argument scheint auf den ersten Blick zu bestechen. Denkt man jedoch an einen Verwaltungsalltag mit Routineeinsätzen von Expertensystemen wird fraglich, inwieweit die hier genannte Chance tatsächlich genutzt werden wird. Vor dem Hintergrund eines täglichen Umgehens mit einem Expertensystem unter Entscheidungs- und Zeitdruck scheint fraglich, inwieweit der entsprechende Sachbearbeiter nach einer Eingewöhnungszeit, in der er sich von der Funktionalität des Systems überzeugen konnte, weiterhin die Neigung verspürt, Entscheidungsvorschläge, die ihm das System präsentieren könnte, selbst zu erarbeiten. Folgt er jedoch weitgehend den Systemvorschlägen, besteht in großen Bereichen nicht mehr die Notwendigkeit und damit Motivation, eigenes Wissen zu erweitern oder zu aktualisieren. Der routinemäßige Einsatz von Expertensystemen würde dann für den menschlichen Bearbeiter zu einem Verlust von Erfahrungsmöglichkeiten führen, der eine Weiterqualifizierung infolge von praktischer Tatigkeit verhindert. Schließlich besteht infolge der mangelnden Übung von Arbeitsabläufen und einer dadurch bedingten Erfahrungslücke infolge der Automatisierung sogar die Gefahr eines Verlustes von Wissen und Können39 . Abgesehen von der erworbenen Qualifikation im Umgang mit dem System sind dann bei einem Routineeinsatz von Expertensystemen für den menschlichen Bearbeiter eher entqualifizierende Folgen zu erwarten, die Enquete-Kommission zur Technikfolgenabschätzung spricht insoweit von der Gefahr einer Qualifikationserosion4o . Darüber hinaus sind wesentliche Fähigkeiten eines Experten nicht durch formalisiertes Wissen abbildbar wie z. B. das "sichere Gespür" für bestimmte Probleme oder die Fähigkeit, erprobte Lösungswege auf ein akut auftretendes Problem in einer völlig anderen Situation zu übertragen. Diese Qualifikationen können allein durch eine langjährige Erfahrung erworben werden und sind durch ein Expertensystem weder erfaß- noch an den Anfänger vermittelbar. 4. Konservierung von behördlichem Wissen bei gleichzeitiger Unabhängigkeit von einzelnen Mitarbeitern

Einen weiteren positiven Faktor durch den Aufbau von Expertensystemen stellt die damit verbundene Erhebung, Systematisierung und Dokumentation behördli38 Zum Nutzen von Expertensystemen als Ausbildungs- und Trainingssystemen: J. Wernstedt, in: Wissenschaft und Fortschritt 1986, S. 59 ff. (62); L. Philipps, in: C.-E. Eberle (Hrsg.): Informationstechnik in der Juristenausbildung, S. 182; kritisch hierzu: R. Kuhlen, in: H. Bonin (Hrsg.): Entmythologisierung von Expertensystemen S. 87 ff. (97). 39 Hierauf hinweisend: R. Kuhlen, in: H. Bonin (Hrsg.): Entmythologisierung von Expertens)lStemen S. 87 ff. (97, 99). 40 Enquete-Kommission, BT-Drs. 1117990, S. 31 f.; zu den erwarteten Folgen des Einsatzes der Expertensystemtechnologie auf die Qualifikation industrieller Facharbeiter vgl. B. Lutz I M. Moidaschi: Expertensysteme und industrielle Facharbeit, S. 38, 77 ff.; insgesamt optimistischer, was die Auswirkungen der Informationstechnologie auf die Qualifikation des Verwaltungspersonals betrifft: H. Reinermann: Verwaltungsinnovation und Informationsmanagement, S. 25 ff.



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I. Teil: Expertensysteme als Instrumente behördlichen HandeIns

chen Wissens dar. Gleichzeitig folgt aus dessen Konservierung in einer Wissensbasis die Tatsache, daß dieses erhobene Expertenwissen einzelner Mitarbeiter der Behörde auch nach deren möglichem Ausscheiden erhalten bleibt41 • Voraussetzung für die tatsächliche Nutzung dieser Chance ist jedoch einerseits die Akzeptanz auf Seiten des behördlichen Experten, der bereit sein muß, sein Wissen preiszugeben und für die Eingabe in ein jeweiliges Expertensystem zur Verfügung zu stellen. Dieses wird nur dann der Fall sein, wenn es gelingt, den Mitarbeiter von der Qualität des Systems zu überzeugen, und er gleichzeitig in der Zusammenarbeit mit dem System für sich seIbst eine Chance erblickt, sein eigenes Image bzw. seine Karriere zu fördem 42 . Darüber hinaus besteht jedoch das grundsätzliche Problem, das für eine Entscheidung tatsächlich relevante Wissen zu modellieren und damit in einem Expertensystem zu erfassen43 . Die Enquete-Kommission Technikfolgenabschätzung weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß insbesondere die Tendenz besteht, das theoretische Wissen zu Lasten der anderen Wissensarten überzubewerten, da nur dieses vom Wissensingenieur erkennbar und formalisierbar ist44 .

5. Beratung von Bürgern, z. B. in Umweltfragen

Der Schutz der Umwelt als Schutz menschlicher und tierischer Lebensgrundlagen ist im Zeitalter des permanenten technischen Fortschritts und dessen gleichzeitiger ökonomischer Nutzung zu einem der dringlichsten ungelösten gesellschaftlichen Probleme aufgerückt und damit zu einer zentralen Aufgabe staatlicher Steuerung geworden. Diese Aufgabe ist, wie sich gezeigt hat, mit den traditionellen Handlungsformen der Verwaltung nicht zu bewältigen45 . Neben den klassischen (ordnungsrechtlichen) Instrumenten des Verwaltungshandelns bedient sich das modeme Verwaltungsrecht daher neuer Handlungsformen, deren charakteristisches Element in einer sogenannten "weichen Steuerung" besteht46 . Anstelle des traditionellen Einsatzes von hoheitlichem Zwang wird durch 41 Diesen Aspekt für den Einsatz in produzierenden Unternehmen hervorhebend: A. B. Crerners u. a.: Expertensysteme für die Planung der Produktion. S. 86 42 Zum Problem der Bereitschaft, das eigene Erfahrungswissen mit dem System zu teilen: R. Kuhlen, in: H. Bonin (Hrsg.): Entmythologisierung von Expertensystemen, S. 87 ff. (99). 43 Zu den spezifischen Problemen beim Aufbau und der Wartung von Wissensbasen vgl. I. Teil. 2. Abschnitt, B.II.I. (S. 60 ff.). 44 Enquete-Kornrnisssion, BT-Drs. 11/7990, S. 20. 45 Zu den modernen Instrumenten im Umweltrechts vgl. u. a.: E. Rehbinder, in: J. Salzwedel (Hrsg.): Grundzüge des Umweltrechts, 04/173 ff.; mit einem verfahrensrechtlich geprägten Alternativansatz siehe in verschiedenen Publikationen K.-H. Ladeur (zuletzt, in: VersR 1993, S. 257 ff.); vgl. auch: K. Lange, in: VerwAreh 1991, S. I ff. 46 Zur Übersicht über die neuen Handlungsformen des Staates vgl. W. Hoppe/ M. Beckmann: Umweltrecht, S. 149 ff.; M. Kloepfer, in: JZ 1991, S. 737 ff. (S. 738 ff.).

I. Abschn.: Einsatzpotentiale von behördlichen Expertensystemen

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diese neuen Instrumente die Motivation der Betroffenen zu beeinflussen gesucht, um das erwünschte Ziel zu erreichen. Neben Umweltabgaben 47 , entsprechenden Haftungsregelungen und ökonomischen Anreizen für umweltfreundliches Verhalten, z. B. durch Subventionen, stellt das informelle Verwaltungshandeln, das u. a. behördliche Informationspolitik umfaßt, eine Ausprägung dieser Etablierung neuer Instrumente dar48 . Die Bedeutung des Schutzgutes Umwelt macht jedoch nicht allein ein Umdenken in bezug auf staatliche Handlungsformen, sondern gleichfalls ein Nachdenken in bezug auf deren möglichst optimale technische Umsetzung notwendig. Auch die Methodik muß sich demzufolge einer Überprüfung stellen, der mögliche Einsatz moderner Technologien als Option überdacht werden. Mit der Expertensystemtechnologie stünde der Verwaltung ein Instrument zur Verfügung, mit dessen Hilfe eine Beratung der Öffentlichkeit in Umweltfragen möglicherweise effektiver als bisher zu realisieren wäre 49 . Staatliche Beratung der Öffentlichkeit in Umweltfragen im Sinne eines Bestrebens, durch Information und Aufklärung das Handeln von Personen an dem Schutz der Umwelt auszurichten 50, wie sie derzeit praktiziert wird, erfolgt bisher im wesentlichen in zwei unterschiedlichen Ausprägungen. Zum einen findet zusätzlich zu den an den Beteiligtenstatus geknüpften verfahrensabhängigen Informationsrechten Dritter über den Stand eines Verwaltungsverfahrens SI eine allgemeine Verbraucheraufklärung durch Behörden des Bundes und der Länder statt, die unabhängig von einem bestimmten Verwaltungsverfahren und einer gezielten Nachfrage durch den einzelnen Bürger in Form von behördlichen Erklärungen erfOlgt 52 • Als Beispiel hierfür ist u. a. die Pflicht zur Information über den Stand V gl. W. Köck: Die Sonderabgabe als Instrument des Umweltschutzes. Zu der umfangreichen Literatur über informatives Verwaltungshandeln als einer neuen Handlungsform des Staates vgl. z. B.: F. Ossenbühl: Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen; ders., in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1987, S. 27 ff.; M. Kloepfer, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1987, S. 3 ff. (14 ff.); R. Gröschner, in: DVBI. 1990, S. 619 ff.; ders., in: WUR 1991, S. 71 ff.; M. Heintzen, in: NuR 1991, S. 301 ff.; H.-G. Henneke, in: NuR 1991, S. 267 ff.; G. Lübbe-Wolff, in: NJW 1987, S. 2705 ff.; M. Schulte, in: DVBI. 1988, S. 512 ff. 49 Zu den diesbezüglichen Potentialen der Informationstechnik im allgemeinen vgl. H. Reinermann, in: ders. u. a. (Hrsg.): Neue Informationstechniken - neue Verwaltungsstrukturen, S. 38 ff. (46 f.). 50 P. C. Mohr, in: NuR 1989, S. 101 ff. (101). 51 Zu § 29 vgl. S. Schwab: Das Recht auf Akteneinsicht; siehe auch: R. Bieber, in: DÖV 1991, S. 857 ff. 52 Die Aufklärung der Öffentlichkeit in Umweltfragen in diesem Sinne ist dem Umweltbundesamt mit dem Gesetz über die Einrichtung eines Umweltbundesamtes vom 22. 07. 1974 (BGBI. I S. 1505) ausdrücklich zugewiesen worden. Zum Streit, ob es sich bei dieser gesetzlichen Bestimmung um eine Aufgabenzuweisung oder darüber hinausgehend um eine Eingriffsermächtigung handelt vgl. verneinend: F. Ossenbühl: Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, S. 38 ff.; M. Schulte, in: DVBI. 1988, S. 512 ff. (518); im Zusammenhang mit dieser Fragestellung auf eine dogmatische Neubewertung abstellend: 47

48

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1. Teil: Expertensysteme als Instrumente behördlichen HandeIns

der Umwelt aufzuführen 53 . Darüber hinaus werden konkrete Beratungs- und Aufklärungspflichten in speziellen Rechtsbereichen formuliert 54 . Inwieweit konstituierte Informations- und Beratungspflichten von Behörden in der Praxis jedoch tatsächlich zu erfüllen sind, hängt nicht zuletzt von dem Vorhandensein der zwei Faktoren "Information" und ,,Expertenwissen" auf behördlicher Seite ab 55 . Die Qualität einer staatlichen Beratung bestimmt sich somit entscheidend danach, wie schnell, in welchem Umfang und mit welcher Qualität (Richtigkeit und Aktualität) diese Faktoren zu beschaffen sind, und wie schnell und umfangreich sie im weiteren an den Bürger weitergegeben werden können. Dieser Prozeß der Informationsbeschaffung und -weiterleitung ist mit herkömmlichen Mitteln sehr personalintensiv und damit bei der personellen Ausstattung der überwiegenden Behörden insbesondere in individualisierter Form nur begrenzt leistbar56 . Von einem Einsatz von Expertensystemen verspricht man sich daher, eine solche individualisierte Beratung einfacher, schneller, kostengünstiger und damit flächendeckender als bisher zu ermöglichen, aufgrund ihres als groß eingeschätzten Potentials für den Bereich der Beratung wird z. T. bereits von "Consulting systems" als einer besonderen Spezies von Expertensystemen gesprochen 57 . In allen Bereichen der Verwaltung, so die Vision - könnten Expertensysteme als Beratungsorgane den Bürger mit Informationen versorgen und zwar zu einem Zeitpunkt, der vom Bürger selbst bestimmt werden kann, bei weitgehender Unabhängigkeit von Qualifikation und Vorhandensein behördlicher Berater58 und in ei-

R. Gröschner, in: WUR 1991, S. 71 ff. (75 ff.); G. Lübbe-Wolff, in: NJW 1987, S. 2705 (2707 ff.). 53 Zum Umfang des Anspruches auf Informationen über die Umwelt vgl. § 4 UIG; A. Turiaux: UIG-Kommentar zu § 4; T. Schomerus: UIG-Kommentar zu § 4; C. Vahldiek, in: ZUR 1997, S. 144 ff.; siehe auch (vor Erlaß des Umsetzungsgesetzes erschienen): C. Arzt, in: ZRP 1993, S. 18 ff.; E. Gurlit, in: ZRP 1989, S. 253 ff. (255); dieselbe: Die Verwaltungsöffentlichkeit im Umweltrecht: ein Rechtsvergleich Bundesrepublik Deutschland - USA. Düsseldorf: Werner, 1989; R. Röger, in: D. Hegele/R. Röger (Hrsg.): Umweltschutz durch Umweltinformation, S. I ff. (27); M. v. Schwanenflügel, in: DÖV 1993, S. 95 ff.; ders., in: DVBI. 1991, S. 93 ff. 54 Z. B. durch § 3411 Nr. 3 PfISchG; zu den unterschiedlichen Formen der Bürgerinformation sowie zum Umfang behördlicher Informationspflichten vgl. A. Gagei, in: H. Reinermann u. a. (Hrsg.): Neue Informationstechniken - neue Verwaltungsstrukturen, S. 244 ff. (244, 250 f.). Zum Zusammenhang von Information und Konsumentenverhalten vgl. H.-P. Obladen: Grundlagen der Umweltberatung, S. 16 ff. 55 Zur Steigerung der Beratungskompetenz in Behörden durch den Einsatz von Informationstechnik vgl. K. Lenk, in: H. Reinermann u. a. (Hrsg.): Neue Informationstechniken, neue Verwaltungsstrukturen, S. 85 ff. (88 f.). 56 Zur herkömmlichen Organisation der staatlichen Umweltberatung vgl. F. Zeller, in: D. Hegele/R. Röger (Hrsg.): Umweltschutz durch Umweltinformation, S. 83 ff. (92 ff.). 57 P. Mertens, in: M. R. Wolff (Hrsg.): Entscheidungsunterstützende Systeme im Unternehmen, S. 249 ff. (249); zur Beratungsfunktion von Expertensystemen vgl. darüber hinaus: H. König, in: H. Reinermann u. a. (Hrsg.): Neue Informationstechniken - neue Verwaltungsstrukturen, S. 159 ff. (180 f.).

I. Abschn.: Einsatzpotentiale von behördlichen Expertensystemen

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ner Form, die speziell auf die Probleme des Anfragers zugeschnittene Lösungen bietet. Anwendungspotentiale für Expertensysteme als Beratungsorgane der öffentlichen Verwaltung sind dabei in all den Bereichen denkbar, in denen allgemeine behördliche Pflichten zur Beratung der Öffentlichkeit in einem begrenzten Fachgebiet existieren. Ausgenommen erscheinen aus wirtschaftlichen Gründen hiervon lediglich Bereiche, die konkrete Verwaltungsverfahren betreffen, wie z. B. das Akteneinsichtsrecht des Beteiligten gemäß § 29 VwVfG, bei denen infolge eines stark eingeschränkten Kreises von potentiell Auskunftsbegehrenden 59 auch bei Verwendung sogenannter ExpertensystemsheIls die Entwicklungskosten in keinem Verhältnis zu dem quantitativen Nutzen stehen würden 60 . Denkbar wäre jedoch die Erfüllung der - infolge zunehmender Komplexität der verwaltungsverfahrensrechtlichen Zusammenhänge - ausgeweiteten behördlichen Beratungs- und Betreuungspflicht aus § 25 VwVfG durch Expertensysteme. Expertensysteme könnten hier bei der Beratung bei der Abgabe von Anträgen und Erklärungen sowie bei der Auskunft über verfahrensmäßig bestehende Rechte und Pflichten die behördliche Arbeit unterstützen 61 . Neben der Unterstützung bei dieser speziellen Beratungsaufgabe erscheinen weitere Anwendungspotentiale für den Einsatz von beratenden Expertensystemen in der allgemeinen Beratung bzw. Aufklärung zu liegen, wo die Verwaltung in der Vergangenheit insbesondere in Fragen des Umwelt- aber auch Gesundheitsschutzes verstärkt tätig geworden ist. Als Beispiel hierfür mag die Aufklärung über die Umweltschädlichkeit von paradichlorbenzolhaltigen Toilettensteinen 62 gelten. Charakteristisch für diese Form der Beratung ist, daß sie außerhalb eines konkreten Verwaltungsverfahrens erfolgt und darauf abzielt, den Bürger über das Instrument Information zu einer bestimmten Handlungsweise zu motivieren 63 .

58 Zu den Vorteilen eines Zugangs zur Verwaltung ,,rund um die Uhr" durch den Einsatz von Informationstechnik zu Beratungszwecken vgl. H. Reinermann: Verwaltungsinnovation und Informationsmanagement, S. 37. 59 Gleiches gilt für die §§ 99 und 100 VwGO, § 10 UmweltHG. 60 Zu dem Wirtschaftlichkeitsaspekt der Entwicklung von behördlichen Expertensystemen vgl. unten, I. Teil, 2. Abschnitt, A. 11. (S. 48 ff.). 61 Zu den Möglichkeiten eines Einsatzes von Informationstechnologien bei Beratungspflichten von Behörden: A. Gagei, in: H. Reinermann u. a. (Hrsg.): Neue Informationstechnologien - neue Verwaltungsstrukturen, S. 244 ff. (253 ff.). 62 Vgl. hierzu Erklärung des Umweltbundesamtes und des Bundesgesundheitsamtes vom März 1985 (Bundesgesundheitsblatt 28 NT. 3 vom März 1985, S. 86 f.). Die diesbezügliche Auseinandersetzung in der Literatur zusammenfassend: R. Gröschner, in: DVBI. 1990, S. 619 ff. (625 ff.). 63 Zur Umweltberatung als einem neuen umweltpolitischen Steuerungsinstrument vgl. z. B.: G. Lübbe-Wolff, in: NJW 1987, S. 2705 ff.; M. Kloepfer, in: JZ 1991, S. 737 ff. (738 f.); P. C. Mohr, in: NuR 1989, S. 101 ff.

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1. Teil: Expertensysteme als Instrumente behördlichen HandeIns

Durch die Errichtung und das Zugänglichmachen von Expertensystemen könnte diese Informationsaufgabe individualisiert und damit möglicherweise effektiviert werden. Im Dialog eines Benutzers mit einem Expertensystem könnten in einem derartigen Beratungsgespräch konkrete Handlungsoptionen erarbeitet werden, die individuell auf das Beratungsbedürfnis zugeschnittene Lösungen zu einem vom Bürger zu bestimmenden Zeitpunkt bieten. Ein Einsatz von Expertensystemen zu Beratungszwecken erscheint vor dem Hintergrund der Vergleichbarkeit in der Beratungssituation daher insbesondere in der individuellen Beratung möglich 64 , denkbar wäre über die Unterstützung des menschlichen Beraters durch Bereitstellung der Faktoren Information und Expertenwissen sogar ein direkter Zugang des Bürgers zu dem System, durch den der menschliche Berater vollständig ersetzt sowie eine Unabhängigkeit von behördlichen Öffnungszeiten erzielt werden könnte. Schließlich könnten Expertensysteme potentiell zur Erfüllung der sich aus dem Umweltinformationsgesetz ergebenden behördlichen Pflichten eingesetzt werden, nach denen - über das ohne den Nachweis eines Interesses für den Teilbereich Umwelt bestehende subjektive Recht auf Zugang zu Umweltinformationen hinaus den Behörden aktiv die Pflicht auferlegt wird, die Bevölkerung über allgemeine Informationen über den Zustand der Umwelt zu unterrichten 65 . Auch bezüglich der Erfüllung dieser Informationspflicht scheinen Expertensysteme Potentiale zu bieten: So könnte insbesondere ihre über das Leistungsvermögen traditioneller Datenbanken hinausgehende Fähigkeit, einer Verarbeitung von Informationen (z. B. durch die Auswertung implementierter Dosis-Wirkungsbeziehungen) den Informationswert für einen potentiellen Benutzer erheblich steigern, da dieser z. B. neben der Information über eine erfolgende Immission gleichzeitig Kenntnisse über deren zu erwartende Wirkungen erlangen.

a) Das Herbizid-Beratungssystem HERBASYS als Beispiel für einen Einsatz von Expertensystemen zu Beratungszwecken

Zur Veranschaulichung eines Einsatzes von Expertensystemen zu Beratungszwecken in Umweltfragen soll im folgenden das Expertensystem HERBASYS (Herbizid-Beratungssystem) als Beispiel herangezogen werden. Insbesondere dessen Teilkomponente "CHEMPROO" mit ihrer Möglichkeit zur Abschätzung potentieller Orundwassergefahrdungen durch organische Chemikalien (z. B. Herbizide) wird darüber hinaus auch im weiteren Verlauf der Arbeit problemspezifisch diskutiert werden.

64 Bei der allgemeinen Verbraucherberatung erscheint demgegenüber infolge der Allgemeinheit der Infonnationen sowie des großen Adressatenkreises der Einsatz von Expertensystemen lediglich in Fonn einer behördeninternen Unterstützung bei der Entscheidungsfindung als sinnvoll. 65 Zum Umfang der behördlichen Infonnationsptlichten vgl. FN 53.

1. Abschn.: Einsatzpotentiale von behördlichen Expertensystemen

41

HERBASYS, ein computergestütztes Expertensystem, wurde als ein Beratungsinstrument für die Landwirtschaft am Institut für Unkrautforschung der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Braunschweig in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen entwicke1t 66 . Als solches sollte es Hilfen zu Auswahl und Einsatz von Herbiziden und zur Beurteilung des Abbau- und Einwaschungsverhaltens sowie der Auswirkungen der Rückstände im Boden auf Nachbaukulturen geben. Die Einsatzgebiete von HERBASYS sahen die Entwickler zunächst im Bereich der landwirtschaftlichen und gartenbaulichen sowie der agrarmeteorologischen Beratung67 , eine Nutzung unmittelbar durch Landwirte aber auch durch die Pflanzenschutzindustrie wurde darüber hinaus jedoch für möglich gehalten 68 . Ab dem Frühjahr 1991 sollte das Programm in der landwirtschaftlichen Praxis zum Einsatz kommen, infolge personeller Veränderungen an der Biologischen Bundesanstalt Braunschweig konnte dieses Projekt jedoch nicht realisiert werden, eine Weiterentwicklung von HERBASYS wurde seitdem nicht vorgenommen. Trotz des nicht erfolgten tatsächlichen Einsatzes von HERBASYS in einem Bereich der öffentlichen Verwaltung soll im folgenden das Modul CHEMPROG von HERBASYS herangezogen werden, um die Möglichkeiten eines in Umweltfragen beratenden Expertensystems darzustellen, da es sich hierbei um eines der wenigen Expertensysteme handelt, das (u. a.) für den Bereich der öffentlichen Verwaltung entwickelt wurde und eine über einen Prototyp hinausgehende Entwicklungsstufe erreicht hat.

b) Funktionsweise von CHEMPROG, einem Teilmodul des Expertensystems HERBASYS zur Abschätzung von Grundwassergefährdungen durch organische Chemikalien

Bei HERBASYS, einem Expertensystem zur Beratung beim Herbizideinsatz, handelt es sich um ein System, bei dem unterschiedliche Beratungsaspekte Berücksichtigung gefunden haben. Einerseits wollte man dem jeweiligen Benutzer Entscheidungshilfe69 bei der gezielten Suche nach dem jeweils geeigneten Herbizidpräparat leisten (Teilkomponente HERBASEL), andererseits sollten Hinweise auf 66 Vgl. BML-lahresbericht 1989 Teil H, H 50; W. Pestemer, in: Die Landwirtschaft 1991, S. 85 ff. (87). 67 Als Pflanzenschutzdiensten obliegt den Länderbehörden nach § 34 Abs. 11 Nr. 3 PflSchG u. a. die Beratung, Aufklärung und Schulung auf dem Gebiet des Pflanzenschutzes; Vgl. hierzu A. Lorz: Pflanzenschutzrecht, § 34. 68 B. Gottesbüren u. a., in: Zeitschrift für Pflanzenkrankheiten und Pflanzenschutz 1990, S. 394 ff. (413). 69 Auf die Funktion von HERBASYS als Entscheidungshilfe und nicht als Entscheidungsträger ausdrücklich hinweisend: B. Gottesbüren u. a., in: Agrarinformatik 1990, S. 163 ff.

(173).

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I. Teil: Expertensysteme als Instrumente behördlichen Handeins

die Persistenz der jeweiligen Substanzen und deren Auswirkungen auf Nachbaukulturen gegeben (Teilkomponente ANPROG) sowie eine Abschätzung des Verhaltens organischer Chemikalien im Boden mit einer schlagspezifischen Grundwassergefährdungsabschätzung ermöglicht werden (Teilkomponente CHEMPROG). Da bei der Teilkomponente CHEMPROG der Umweltschutzaspekt innerhalb von HERBASYS am deutlichsten hervortritt, wurde dieses Modul mit seinem gegenüber den anderen Teilmodulen gut abgrenzbaren Wissensgebiet im folgenden als Beispiel für einen potentiellen Beratungseinsatz von Expertensystemen in öffentlichen Verwaltungen ausgewählt. Der Sinn von CHEMPROG wurde von den Entwicklern dabei darin gesehen, Berater beim Einsatz von Herbiziden in der Landwirtschaft bei der Erkennung potentiell grundwassergefährdender Situationen aufgrund ungünstiger Kombinationen von Boden, Witterung, Pflanzenschutzmittel und Applikationsbedingungen zu unterstützen, die bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nicht im Einzelfall Berücksichtigung finden können. Mit Hilfe dieses Wissens sollte der Anwender dann in die Lage versetzt werden, durch eine veränderte Mittelwahl, eine Änderung des Applikationstermins oder eine Veränderung der Kulturführung prospektiv zum Grundwasserschutz beizutragen7o . CHEMPROG ermöglicht daher eine schlagspezifische Abschätzung des Verhaltens organischer Chemikalien (z. B. Herbizide) im Boden, wobei betriebsspezifische Standort- und Bodeneigenschaften sowie regionale Klimadaten berücksichtigt werden 7l . Die Abbildung auf der folgenden Seite gibt den schematischen Aufbau von CHEMPROG wieder. Für die Teilkomponente CHEMPROG wurde aus einer Vielzahl unterschiedlicher Abschätzverfahren zur Grundwassergefährdung durch Chemikalien 72 von den Entwicklern ein vorwiegend regelbasiertes Verfahren ausgewählt, das Witterungsbedingungen mit Standort- und Wirkstoffeigenschaften kombiniert und dessen Ergebnisse letztlich auf der (ermittelten) Mobilitätsstufe und dem mittleren Grundwasserhochstand beruhen. Insgesamt wird von CHEMPROG abschließend eine qualitative Abschätzung der relativen Gefährdung mit einer Einteilung in fünf Gefährdungsklassen vorgenommen, anhand derer der Einsatz des Mittels als unbedenklich, weniger empfehlenswert bis bedenklich eingestuft wird, wobei die Abschätzung mehrerer Alternativpräparate für einen Standort möglich ist.

70 B. Gottesbüren, Konzeption, Entwicklung und Validierung des wissensbasierten Herbizid-Beratungssystems HERBASYS, S. 125 f. 71 Zur Funktionsweise von CHEMPROG im einzelnen vgl. B. Gottesbüren: Konzeption, Entwicklung und Validierung des wissensbasierten Herbizid-Beratungssystems HERBASYS, S. 49 ff., 115 ff.; B. Gottesbüren u. a., in: Agrarinformatik 1990, S. 163 ff. (167 ff.); W. Pestemer u. a., in: Zeitschrift für Pflanzenkrankheiten und Pflanzenschutz. Sonderheft XII. 1990, S. 179 ff. (183ff.). n Vgl. die Übersicht bei B. Gottesbüren: Konzeption, Entwicklung und Validierung des wissensbasierten Herbizid-Beratungssystems HERBASYS, S. 126 ff.

1. Abschn.: Einsatzpotentiale von behördlichen Expertensystemen

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Abb. 2: Schematischer Aufbau von CHEMPROO 73

Voraussetzung für eine derartige Abschätzung ist jedoch das Vorhandensein des entsprechend benötigten Wissens in der Wissensbasis, wobei die Mobilität innerhalb von CHEMPROG mit Hilfe der Sorptions-74 sowie Eliminierungsstufe 75 von Wirkstoffen unter Berücksichtigung spezifischer Standortfaktoren ermittelt wird. In die Wissensbasis von CHEMPROG wurden daher u. a. im Versuch bzw. durch 73 QueUe: B. Gottesbühren: Konzeption, Entwicklung und Validierung des wissensbasier· ten Herbizid-Beratungssystems HERBASYS, S. 49. 74 Diese wird wiederum anhand von Bewertungskennzahlen zur Sorption und den schlagspezifischen Humus- und Tongehalten berechnet (vgl.: B. Gottesbüren: Konzeption, Entwicklung und Validierung des wissensbasierten Herbizid-Beratungssystems HERBASYS, S. 51). 7S Die Eliminierungsstufe von Wirkstoffen wird bei CHEMPROG aus der relativen Abbaustufe (d. h. aus dem in der Vegetationsperiode zu erwartenden Abbau bei mittleren Temperaturen im Sommerhalbjahr) abgeleitet.

1. Teil: Expertensysteme als Instrumente behördlichen Handeins

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Schätzung ermittelte Daten über das Abbauverhalten von Wirkstoffen 76 , in Versuchen ermittelte Dosis-Wirkungs-Beziehungen sowie ein ausgewähltes Verfahren zur Berechnung der Herbizidsorption eingegeben. Untenstehende Abbildung (Abb. 3a) stellt ein Beispiel für die Eingabemaske von CHEMPROG dar, anhand derer die vom Benutzer einzugebenden Daten sowie das Ergebnis der Bewertung durch CHEMPROG erkennbar sind. Die auf der nächsten Seite folgende Abb. 3b gibt die Angaben der Erklärungskomponente wieder, anhand derer die Vorgehensweise bei der Abschätzung für den Benutzer nachvollziehbar gemacht werden soll.

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