Exemplarisches Krisenwissen: Gender in Narrativ und Narration des frühen Prinzipats [1 ed.] 9783666302282, 9783525302286

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Exemplarisches Krisenwissen: Gender in Narrativ und Narration des frühen Prinzipats [1 ed.]
 9783666302282, 9783525302286

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Tim Helmke

Exemplarisches Krisenwissen Gender in Narrativ und Narration des frühen Prinzipats

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Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Friedemann Buddensiek, Sabine Föllinger, Hans-Joachim Gehrke, Karla Pollmann, Christiane Reitz, Christoph Riedweg, Tanja Scheer, Benedikt Strobel Band 217

Vandenhoeck & Ruprecht

Pausch_Zeitmontagen.indb 2

22.03.2023 09:54:09

Tim Helmke

Exemplarisches Krisenwissen Gender in Narrativ und Narration des frühen Prinzipats

Vandenhoeck & Ruprecht

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22.03.2023 09:54:09

Verantwortliche Herausgeberin: Tanja Scheer

Diese Arbeit ist als Dissertation am Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Osnabrück angenommen und begutachtet worden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Iulia Domna 196–211 n. Chr. Rückseite der Münze: PVDIC-I-TIA. Pudicitia sitzt nach l., Kopf in der Vorderansicht. Die r. Hand ist auf die Brust gelegt, in der l. Hand hält sie ein Zepter. Lizenziert als Public Domain Mark 1.0. Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, 18204686. Aufnahme durch Dirk Sonnenwald. Satz: le-tex publishing services, Leipzig Umschlaggestaltung: SchwabScantechnik, Göttingen

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-3407 ISBN 978-3-666-30228-2

Pausch_Zeitmontagen.indb 4

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Inhalt

Vorwort ................................................................................................

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1. Einleitung ........................................................................................ 1.1 Forschungsfrage.......................................................................... 1.2 Methodik und Gliederung der Arbeit ............................................ 1.3 Forschungsbericht....................................................................... 1.4 Weiblichkeit am Fallbeispiel .........................................................

11 11 14 22 31

2. Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen .......................... 2.1 Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia ........................ 2.1.1 Krisenzeit: Männer und das Problem der Emotion.................. 2.1.2 Weibliche Gendertransgressionen und Krisenwissen ............... 2.1.2.1 Emotion und Genderperformanz .............................. 2.1.2.2 Weibliches Wissen und die Krisenlösung .................... 2.1.3 Weibliche Katalysatoren von Männlichkeit............................. 2.1.3.1 Weibliche Perspektive und männliche Krise ................ 2.1.3.2 Weibliche Krisenwahrnehmung und das Problem der Männlichkeit ........................................ 2.2 Weibliches Krisenwissen und normative Weiblichkeit ...................... 2.2.1 Die Affirmation der weiblichen Rolle .................................... 2.2.2 Männliches Wissen und das Ende der Wertekrise ................... 2.2.2.1 Die Transformation des pudicitia-Wissens .................. 2.2.2.2 Fokalisierung und normative Körperlichkeit ............... 2.3 initium turbandi omnia a femina ortum – weibliche Macht als Genderproblem der Königszeit................................................. 2.3.1 Männliche Herrschaft und weibliche Werteideale ................... 2.3.2 Transgressive Perspektiven und männliche Defizite................. 2.3.2.1 Tanaquil – Katalysator männlicher Macht ................... 2.3.2.2 Transgression und Konstruktion von Männlichkeit ...... 2.4 Fazit ..........................................................................................

35 39 42 47 48 52 57 59

3. Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit................ 3.1 Krisennarrative der römischen Frühgeschichte im tiberianischen Diskurs ................................................................. 3.1.1 Krisenzeit – die teleologische Dynamik der Krise ................... 3.1.2 Figurale Wertekrisen...........................................................

63 66 68 73 75 79 84 86 90 92 96 101 105 108 110 114

6

Inhalt

3.2 Geschlecht und normative Erinnerung .......................................... 3.2.1 Die Episteme der Weiblichkeit.............................................. 3.2.1.1 Männliches Wissen und ideale Weiblichkeit ................ 3.2.1.2 Kultische Weiblichkeit und Genderambivalenz ............ 3.2.2 Weiblichkeit und monumentale Erinnerung der Republik........ 3.3 Weibliche Gendertransgression und normative Männlichkeit ........... 3.3.1 Weibliche Gendertransgression und männliche Exemplarität ... 3.3.2 Grundsätzlich weiblich: Frauen-Exempla und ihre Rezeption ... 3.3.3 Die Krise der nichtrömischen Männlichkeit ........................... 3.4 Exemplarisches Geschlecht und normatives Urteil........................... 3.4.1 Verstaatlichung geschlechtlich markierter Beziehungen ........... 3.4.2 Normative Weiblichkeit und institutionalisierte Rezeption....... 3.5 Fazit .......................................................................................... 4. Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise....................................................................... 4.1 Krisenwissen und Gender: ein Problem römischer Deutungshoheit... 4.1.1 Kollektive Weiblichkeit und männliches Geschlechterwissen.... 4.1.2 Transgressives Wissen und männliche Rezipienten ................. 4.2 Ethnizität und Gender – die römische Krise aus anderen Augen........ 4.2.1 Außensicht: Weiblichkeit und die Krise der anderen? .............. 4.2.1.1 Frauen und männliche Perspektive ............................ 4.2.1.2 Die weibliche Perspektive der Macht .......................... 4.2.2 Der livianische Scipio: epistemische Konstruktion eines männlichen Helden .................................................... 4.2.2.1 Auswärtige Weiblichkeit und römisches Exemplum ..... 4.2.2.2 Weibliche Dekonstruktion auswärtiger Männlichkeit ... 4.3 Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise ...................................... 4.3.1 Genderkrise auf Distanz: die Metalepse in der Krisennarration .. 4.3.1.1 Weiblichkeit, Distanz und Moraldefizite ..................... 4.3.1.2 Metalepse, Distanz und die Krise im Inneren .............. 4.3.2 Pudicitia und die Männer in der Krise ................................... 4.3.2.1 Ideale pudicitia und weibliche Transgression ............... 4.3.2.2 Das Problem der Rezeption....................................... 4.4 Fazit ..........................................................................................

118 121 122 126 131 136 138 144 149 153 155 159 165

171 175 178 183 187 189 190 194 198 200 207 211 214 215 219 223 226 230 236

5. Krise ohne Ende? Genderkrise zwischen Republik und Prinzipat......... 239 5.1 Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem.............................. 242 5.1.1 Weibliches Krisenwissen – weibliches Krisenhandeln .............. 243

Inhalt

5.1.2 Die Genderstruktur der fides im Spiegel der Wertekrise des Bürgerkrieges ............................................... 5.1.2.1 Weibliche Exempla und die Grenze der Männlichkeit... 5.1.2.2 Die fides und die Struktur der Krise ........................... 5.1.3 Valerius Maximus und die Wertekrise: Weiblichkeit und auktoriales Urteil ......................................................... 5.1.3.1 Die libidines und die Dekonstruktion von Männlichkeit........................................................... 5.1.3.2 sub specie feminae – weibliche Öffentlichkeit ............... 5.1.3.3 Auktoriales Krisenmanagement durch moralische Bewertung.............................................. 5.2 virtus restituta – Frauen und die kaiserliche Männlichkeit ............... 5.2.1 Calpurnia, Augustus – und die Krise des Übergangs? .............. 5.2.1.1 Augustus-Panegyrik und Geschlechterrollen ............... 5.2.1.2 Normatives Geschlecht und die mutatio status............. 5.2.2 Weiblichkeit aus erster Hand – der Princeps als moralische Instanz.............................................................. 5.2.2.1 Augustus – Princeps der Geschlechterbeziehungen ...... 5.2.2.2 Frauen und männliche Memoria ............................... 5.3 Fazit ..........................................................................................

247 249 253 257 258 262 266 269 272 273 277 281 283 287 292

6. Ergebnisse ...................................................................................... 297 7. Bibliografie ...................................................................................... 7.1 Primärliteratur............................................................................ 7.1.1 Titus Livius und Valerius Maximus ....................................... 7.1.2 Andere Autoren ................................................................. 7.2 Sekundärliteratur ........................................................................

307 307 307 307 308

8. Register........................................................................................... 8.1 Stellenregister ............................................................................. 8.2 Namensregister........................................................................... 8.3 Sachregister................................................................................

323 323 325 328

7

Vorwort

Diese Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2020 am Fachbereich für Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Osnabrück angenommen wurde. Die Dissertation entstand im Forschungsprojekt ›Die Krise ist weiblich. Soziale Struktur und diskursive Macht als Gender-Problem im klassischen Altertum‹ im Projektverbund der Universitäten Osnabrück und Göttingen. Ohne die Unterstützung von vielen Seiten ist eine Arbeit wie diese nicht möglich. So weiß ich mich vielen Personen zu tiefstem Dank verpflichtet, die in allen Phasen der Promotionszeit zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Mein Dank gilt an erster Stelle Prof. Dr. Meike Rühl. Sie hat mir nicht nur dieses lohnenswerte Forschungsfeld erst zugänglich gemacht. Zugleich stand sie stets für Fragen und Diskussionen bereit und ließ mir vertrauensvoll jeden Freiraum für die Arbeit. Ebenso bin ich auch Prof. Dr. Christiane Kunst zu großem Dank verpflichtet, die nicht nur im Forschungsprojekt als Diskussionspartnerin ihren Beitrag leistete, sondern freundlicherweise auch das Zweitgutachten übernahm. Außerdem danke ich den übrigen Mitgliedern des Forschungsprojekts, Prof. Dr. Egelhaaf-Gaiser und Prof. Dr. Tanja Scheer, für die Diskussionen und Anregungen aus unterschiedlichen Fachgebieten. Ganz besonders möchte ich Anna Katharina Romund danken. Ich freue mich sehr, in einem freundschaftlichen Arbeitskontext viele wichtige Impulse aus der Perspektive einer Althistorikerin bekommen zu haben, die diese Arbeit mit Sicherheit bereichert haben. An dieser Stelle sei auch auf ihre Arbeit ›Die Krise ist weiblich. Weibliche Handlungsspielräume als Gegenstand des Krisenmanagements der Krise der römischen Republik‹, die ebenfalls in diesem Forschungsprojekt entstand, hingewiesen. Als Althistorikerin hat sie unter anderem ebenfalls die Frauengestalten bei Livius und Valerius Maximus untersucht. Thematische Überschneidungen sind daher nicht zu vermeiden, sondern sogar gewünscht, da sie mit einer anderen Forschungsperspektive auf die Texte blickt. Die Lektüre auch dieses Buches wird hiermit ausdrücklich empfohlen. Ich freue mich, dass meine Arbeit in die Reihe Hypomnemata aufgenommen wurde, und danke den Herausgeber:innen ganz herzlich. Für die umsichtige Lektüre der Arbeit und zahlreiche Korrekturvorschläge danke ich Lukas Kumke, Mattes Schmerdtmann, Eva Helmke, Dominic Hermes, Nina Helmke, Dr. Jens Gering und Niklas Wieczorek. Ich möchte mich an dieser Stelle ebenso bei meinen Eltern sowie meiner Großmutter bedanken. Sie unterstützten mich, wo sie nur konnten, und haben daher einen großen Anteil daran, dass ich diese Arbeit schreiben konnte.

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Vorwort

Ein besonderer Dank geht an meine Frau Eva und meine Tochter Thea. Sie haben mich in meinem Vorhaben immer unterstützt, mir in anstrengenden Phasen den Rücken freigehalten und oft auf mich verzichten müssen. Damme, im Februar 2023

Tim Helmke

1.

Einleitung

1.1

Forschungsfrage

Die römische Geschichtsschreibung ist seit ihren Anfängen auf die Darstellung von Handlungsweisen männlicher Gestalten ausgerichtet.1 Diese werden in der historiographischen Literatur für die Textform des Exemplums als zentrale Protagonisten platziert, um dadurch für den antiken Leser Handlungsanweisungen und -vorbilder zu konstruieren. Besonders im Kontext der Krise dienen solche »moralisch qualifizierten Handlungsepisoden [als] ›institutionalisierte Geschichte‹«2 und erzeugen auf diese Weise einen personalisierten Wissensbestand der eigenen Vergangenheit. Sie liefern gleichermaßen Paradigmen für praktische und moralische Belange, welche die Narrative der römischen Kultur und Frühgeschichte in Form von Handlungsmaximen widerspiegeln.3 Doch entgegen der Annahme einer durchweg männlich geprägten Historiographie sind es auch Frauengestalten, die in entscheidenden Momenten der römischen Geschichte auf den Plan treten und deren Handeln gleichermaßen zum Exemplum erhoben wird. Diese Frauengestalten dringen in ein Spannungsfeld sich überlagernder Krisenebenen von figuraler und institutioneller Reichweite und stereotyp männlichen Handlungsweisen ein. Sie geben damit Einblick in eine Krisenwahrnehmung jenseits eines staatlich-institutionalisierten Krisenhandelns, das weitgehend von männlichen Akteuren ausgeführt wird.4 Exemplarisch lassen sich die Mechanismen weiblicher Krisenintervention anhand zweier lateinischer Werke deutlich machen: Titus Livius’ Ab urbe condita und Valerius Maximus’ Facta et dicta memorabilia.5 Sie spiegeln die Bedeutung einer Memoria der römischen Geschichte

1 Die Ausrichtung auf Taten von Männern in der Geschichtsschreibung wird durch Quintus Ennius begründet: moribus antiquis res stat Romana uirisque (Enn. ann. 5,500). Ebenso legt der Historiograph Tacitus in späterer Zeit an prominenter Stelle den Brauch der Überlieferung männlicher Taten dar: clarorum uirorum facta moresque posteris tradere antiquitus usitatum (Tac. Agr. 1,1). 2 Haltenhoff 2001, 217. 3 Vgl. Chaplin 2000, 3. 4 Einen aktuellen Überblick gibt Golden 2013. 5 Für Livius werden die textkritischen Ausgaben von Ogilvie 1979, Walters/Conway 1979, Walters/ Conway 1982, Walsh 1982a, Walsh 1986, Briscoe 1991a, Briscoe 1991b genutzt. Für Valerius Maximus liegen die Ausgaben von Briscoe 1998a und Briscoe 1998b zugrunde. Die Textstellen aus Valerius Maximus sind sämtlich vom Verfasser übersetzt worden. Für die Übersetzungen von Ab urbe condita hat die Arbeit von Feix 2007 und Hillen 1997, Hillen 1998 und Hillen 2007a–d in weiten Teilen den Maßstab gesetzt. Die folgenden Übersetzungen des Verfassers orientieren sich teilweise daran oder sind partiell daraus übernommen.

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Einleitung

für die Prinzipatsherrschaft in der Literaturproduktion wider.6 Im Rückgriff auf tradierte Narrative der römischen Kultur weisen beide Werke einen reichen Fundus an Frauengestalten auf, denen vor allem in der Überlieferung der Frühgeschichte Roms eine entscheidende Bedeutung zukommt. Auffallend ist, dass beide Autoren oft von der stereotypen literarischen Inszenierung von Frauen abweichen. Diese Frauengestalten brechen in Krisenmomenten aus dem stereotyp weiblichen Raum innerhalb des sozialen Gefüges in der römischen Gesellschaft aus, der zwischen patriarchalischen Strukturen einerseits und dem gesellschaftlichen Ansehen als mater familias andererseits klar definiert und determiniert ist.7 Vielmehr werden das Handeln von Frauen oder die von ihnen abgebildeten weiblichen Ideale explizit in Krisennarrative eingebunden. Die vorliegende Arbeit geht daher von der Annahme aus, dass die Platzierung von Frauengestalten in der lateinischen Literatur eng an die Entstehung, Entwicklung und Lösungsansätze von Krisen gekoppelt ist. Sie erhalten in diesen Krisen einen eigenen Stellenwert als Exempla. Späth stellte nämlich bereits fest: »Und die römischen Geschichtsschreiber machen nirgendwo die Frauen zum Objekt ihrer Darstellung. Sie stellen die Frauenfiguren ihrer historischen und biographischen Erzählungen vielmehr in den Zusammenhang der politischen Ereignisse, die ihr eigentliches Thema sind.«8 Es ist daher erforderlich, über diese im Allgemeinen verbleibenden Verknüpfungen von Frauen und politischen Ereignissen hinaus zu erforschen, wie Frauen in Krisen dargestellt werden und unter welchen Bedingungen ihnen eine eigenständige Bedeutung als Exempla zugeschrieben wird. Valerius fügt seiner Exempla-Rubrik 2,1 de institutis antiquis an prominenter Stelle einen weiblichen Tugend-Katalog ein,9 der für Weiblichkeit das Ideal der

6 Vgl. Gowing 2005, 2; ähnlich Langlands 2006, 124f. Valerius Maximus zum Wert der römischen Geschichte für die kaiserzeitliche Gegenwart: opus est enim cognosci huiusce uitae, quam sub optimo principe felicem agimus, quaenam fuerint elementa, ut eorum quoque respectus aliquid praesentibus moribus prosit (Val. Max. 2, praef.). Der Wert des von Valerius Maximus verfassten Textes als römisches Geschichtszeugnis ergibt sich entsprechend der Textgattung weniger aus der Darstellung eines zusammenhängenden Geschichtsbildes, sondern vielmehr aus der Bedeutung der Vergangenheit für die tiberianische Zeit, die sie durch die zu analysierenden Inszenierungsprinzipen der Exempla erhält, vgl. dazu auch Wiegand 2013, 152–154. 7 Vgl. Kowalewski 2002, 5. Zur unterschiedlichen Eingrenzung des Begriffs der Frühgeschichte für beide Autoren vgl. Kapitel 2 und 3. 8 Späth 1994, 182. 9 Themann-Steinke 2008 vermutet, dass zur Strukturierung des Werkes bereits in der ersten Ausgabe Überschriften zu den einzelnen Rubriken vorhanden gewesen seien. Skidmore 1996, 31 hat allerdings nachzuweisen versucht, dass die gegenwärtigen Überschriften nicht die originalen seien.

Forschungsfrage

uniuira am Wert der pudicitia definiert. Dieser Tugendkatalog wird zum Maßstab für den gesamten Diskurs der tiberianischen Zeit erhoben.10 quae uno contentae matrimonio fuerant corona pudicitiae honorabantur.11 (Val. Max. 2,1,3)

Auf der Grundlage der hier formulierten Bedeutung von Weiblichkeit ist für Valerius ebenso wie für Livius nach den narratologischen Eigenschaften von Krisenereignissen zu fragen, die weibliches Handeln auf den Plan rufen. Es ist zu klären, unter welchen Bedingungen das von Valerius postulierte Ideal eingefordert oder weibliches Handeln genutzt wird, um eine »degeneration from an idealized past«12 sichtbar zu machen.13 Die Inszenierung von Weiblichkeit zu analysieren, wird ein Raster von narratologischen Mechanismen zutage fördern, die genderspezifisches Handeln und geschlechtliche Markiertheit des exemplarischen Figurenhandelns aufzeigen. So wird jeweils an Fallbeispielen der Frage nach der Bedeutung von Geschlechteridentitäten im Rahmen der lateinischen Historiographie nachgegangen. Dabei ist hinsichtlich der Narrativierung von Geschlechterverhältnissen zu untersuchen, ob Frauen dezidiert als Frauen von Krisen betroffen sind oder ob und unter welchen Bedingungen die Grenzen der Geschlechteridentitäten verschoben werden und Frauen eine männliche Krisensicht erhalten können. Dazu wird durch die Perspektive der Genderforschung ein differenzierter Blick auf die Kategorie der Weiblichkeit in der Darstellung beider Autoren gelegt. Diese Kategorie soll durch die Untersuchung ihren eigenen Stellenwert in Narrativ und Narration des frühen Prinzipats erhalten. Dafür ist es notwendig, für die beiden Werke narratologische Kriterien zu formulieren, die konstitutiv für die Abbildung von Weiblichkeit sowie von ihren ambivalenten Transgressionen sind. So soll ein Beitrag zur Gendernarratologie der frühen Kaiserzeit im diachronen Überblick für beide Autoren geleistet werden. Von besonderer Bedeutung wird es dabei sein, geschlechterspezifische Zuständigkeiten für bestimmte Werte herauszustellen und die dargestellten weiblichen Genderidentitäten in diesen Kontexten zu untersuchen. Die Werke von Livius und Valerius Maximus bieten durch den Abgleich von augusteischem und tiberianischem Narrativ zudem die Chance zu

10 Themann-Steinke 2008, 121 weist an dieser Stelle darauf hin, dass nur einer uniuira die Teilnahme am Kult der Pudicitia gestattet war. 11 Frauen, die mit einer einzigen Ehe zufrieden waren, wurden mit der Krone der weiblichen Sittsamkeit geehrt. 12 Langlands 2006, 129. 13 Einen ähnlich paradigmatischen Wert für ideale Weiblichkeit lässt sich für Livius an der Figur der Lucretia erkennen, vgl. Milnor 2005, 30; Langlands 2006, 81 und Kapitel 2.1.2.

13

14

Einleitung

erforschen, ob und inwieweit sich die Geschlechterbilder in den Exempla der jeweiligen Wertediskurse um die Wende zum Prinzipat verändern. Auf diese Weise soll das von Milnor aus der Historikerperspektive aufgezeigte Forschungsdesiderat – die bis heute noch unzureichend behandelte Frage nach der Bedeutung von Frauen für den Moraldiskurs der frühen Kaiserzeit – narratologisch erschlossen werden.14

1.2

Methodik und Gliederung der Arbeit

Zur Analyse der Kategorie ›Weiblichkeit‹ in Krisen nutzt die vorliegende Arbeit einen diskursanalytischen Zugang, um Darstellungsweisen dieser beiden Kategorien, die Livius und Valerius Maximus eigen sind, differenziert betrachten zu können. Beide Autoren geben in ihren Werken die Diskurse augusteischer und tiberianischer Zeit wieder und zeigen Aussagen über Krisen- und Geschlechterdarstellungen auf, die einem veränderten Formationssystem entstammen.15 Dadurch bilden sie diskursive Veränderungen innerhalb eines diachronen Überblicks ab, spiegeln den Vorher-Nachher-Zustand an der Wende zum Prinzipat und erlauben damit einen Blick auf die moralisierende Intention der Historiographie ihrer Zeit.16 Ein diskursanalytisches Vorgehen legt das Denksystem offen, in dem diese Memoria konstruiert wird, und erfasst damit die Voraussetzungen der Narrative. Es dient im Folgenden dazu, das jeweilige Verständnis von Geschlecht und Krise aufzuzeigen.17 Auf diese Weise sollen die Möglichkeiten der Bedeutungszuweisungen an die Analysekategorie des Geschlechts erfasst und einer narratologischen Betrachtung unterzogen werden.18 Dieses Vorgehen erlaubt es, über den Einzeldiskurs hinaus

14 Milnor 2005, 3, 10f., 14, 39 hat vor allem für die augusteische Zeit auf die Bedeutung von Frauen als Werteträger im System des Prinzipats hingewiesen. 15 Vgl. Foucault 1982, 156; Titzmann 1991, 406; Winko 1996, 467. Gleichsam weist Foucault 1997, 20f. auf die Autor-Funktion als Instanz der »Einfügung in das Wirkliche« hin. 16 Für Valerius Maximus wurde die Bedeutung des tiberianischen Diskurses bereits in Bezug auf die Darstellung des Bürgerkrieges gezeigt von Gowing 2010, 252–254. Für Livius und den augusteischen Diskurs grundlegend vgl. Walsh 1955, 381; Walsh 1961, 26; Konstan 1986, 213f. 17 Vgl. Foucault 1997, 32; Winko 1996, 466; Gardt 2007, 33. Chaplin 2000, 5 hat Livius’ Werk als Zeugnis eines Geschichtsdenkens der Triumviratszeit und des augusteischen Prinzipats gedeutet; ähnlich Gowing 2005, 21f. Ebd., 49–51 hat dieses Wechselverhältnis der Bedeutung des tiberianischen Diskurses für das Werk des Valerius aufgezeigt und im Vergleich mit dem livianischen Werk auf eine stärkere Ausrichtung des Narrativs auf die Inszenierung des herrschenden Princeps als exemplarische Bewertungsinstanz hingewiesen. 18 Zum Diskursbegriff vgl. Späth 2006, 68: »Daraus wird deutlich, dass in meinem Verständnis Diskurs sich nicht auf Sprache und nicht auf sprachliches Handeln beschränkt, sondern die Regeln gesellschaftlich-kulturellen Handelns generell umfasst.«

Methodik und Gliederung der Arbeit

nicht nur einen generellen Wandel der exemplarischen Funktion von Weiblichkeit aufzuzeigen, indem weibliches Handeln im Bedingungsgefüge mit anderen Diskursen verortet wird.19 Vielmehr lassen sich so dezidiert frühkaiserzeitliche Wirklichkeitsbilder von Weiblichkeit herausstellen, die weibliche Handlungsräume offenbaren und in Relation zu männlichem Handeln gestellt werden. Ausgehend von der communis opinio, dass in den vorliegenden Werken Figuren stets einer exemplarischen Funktionsweise unterliegen,20 sollen im Folgenden die Konstruktionsmechanismen von Geschlecht in den Exempla aufgedeckt werden.21 Die dadurch geschaffenen exemplarischen Genderidentitäten sind geformt durch die Maßstäbe des Diskurses, denn diese »implizieren und legen im vornherein die Möglichkeiten der vorstellbaren und realisierbaren Konfigurationen der Geschlechteridentität in der Kultur fest.«22 Geschlecht – genauer die Geschlechtsidentität (gender) – wird damit zum Ergebnis von Differenzierungsakten. Ausgehend von der Annahme einer diskursiv hervorgebrachten Genderidentität, die auf einer körperlichen Oberfläche performativ erzeugt wird,23 betrachtet die vorliegende Arbeit die Analyse von Weiblichkeit auf der Grundlage konstitutiver Akte. Im Zentrum dieser Untersuchungen stehen damit die Prozesse, welche für die Konstitution von Genderidentitäten verantwortlich sind. Diese ergeben sich als kontextuelles Phänomen, das die zugrunde liegenden Diskurse durch ihre kulturelle Matrix hervorbringen.24 Daher muss nach den Bedingungen und Mechanismen gefragt werden, die diese Identitäten konstruieren. Daraus lassen sich dann Kriterien der Narration ableiten, welche die Konstruktion von Weiblichkeit in den Narrativen der römischen Geschichte bestimmen. Narration bezeichnet hier den »produzierenden narrativen Akt«25 , in dem die Veränderung eines Zustands dargestellt wird, die an Bedingungen gekoppelt ist: Die Veränderungen müssen entlang einer temporalen Struktur verlaufen und eine Äquivalenz von Anfang- und Endpunkt aufweisen. Zudem müssen sie sich auf dasselbe Subjekt beziehen.26 Die Narration von Weiblichkeit wird in verschiedenen Narrativen der römischen Geschichte untersucht. »Narrative sind sinnstiftend, das heißt, sie überführen Erlebtes in bekannte Kategorien, stellen vertraute Kontexte her. Elemente werden verknüpft,

19 20 21 22 23

Vgl. Gardt 2007, 41f. Vgl. beispielhaft Rawson 2006, 326 und Kapitel 1.1. Eine Untersuchung zum grammatikalischen Geschlecht hat bereits Corbeill 2015 vorgelegt. Butler 2016, 27. Vgl. ebd., 191–193, 200f.; Butler 2002, 301, 304. Ähnlich formuliert Beauvoir 1981, 265 die Geschlechteridentität als eine Konstruktion, setzt jedoch einen aktiven Handlungsträger dabei voraus. 24 Vgl. Butler 2016, 29, 37–39; Butler 1995, 171. 25 Genette 2010, 12. 26 Vgl. Schmid 2008.

15

16

Einleitung

ausgewählt, weggelassen und auf das Narrativ hin zugespitzt. Das Narrativ erklärt und interpretiert bereits, setzt häufig Neues in Bezug mit Altem und führt zu etwas hin. Narrative sind kulturspezifische, individuelle und kollektive Denkmuster, die Wahrnehmungen und Verhalten bilden und ausdrücken.«27 Somit ist es ein zentrales Anliegen dieser Arbeit, einerseits zu untersuchen, mit welchen Mitteln der Narration Frauen in den Narrativen inszeniert werden. Andererseits muss auch gefragt werden, inwiefern sich Narrative, die beide Autoren überliefern, und damit auch die Diskurse verändern und welche Auswirkungen dies auf die Darstellung von Frauengestalten hat. Späth hat für die Altertumswissenschaften bereits postuliert, dass Geschlecht seine Existenz ausschließlich durch die Zuweisung von Bedeutungen erhalte und damit der Prozess dieser Geschlechterkonstruktion im Fokus der Forschung stehen müsse.28 Um diese Zuweisung geschlechtlich markierter Bedeutungen an Figuren in den Erzählungen von Livius und Valerius Maximus sichtbar zu machen, ist eine Analyse der performativen Akte nötig,29 welche die jeweiligen Geschlechteridentitäten generieren. Geschlecht wird so erst im Spannungsfeld dessen analysierbar, was die Diskurse der Erzählung und die darin abgebildeten performativen Akte bereitstellen, um die Geschlechteridentitäten zu verhandeln.30 Mit dem Geschichtswerk Ab urbe condita und der Exempla-Sammlung Facta et dicta memorabilia stützt sich die Arbeit auf zwei Textcorpora, die sich durch eine grundsätzliche generische Verschiedenheit auszeichnen. Für Livius’ Geschichtswerk ist sein programmatisches Konzept entscheidend, das er in seiner Praefatio darstellt. Die Intention, einen moralischen Verfall in der römischen Geschichte aufzeigen zu wollen und damit einen Wandel sowie eine Entwicklung aufzuzeigen, erfüllt ein zentrales Gattungsmerkmal der Historiographie.31 Entsprechend zielt Livius darauf ab, ein zusammenhängendes Geschichtsbild zu zeichnen, wie es der augusteische Diskurs als programmatisches Konzept vorgibt.32 Die Exempla dienen dabei als Vehikel, die den moralischen Wandel sichtbar machen.33 Für den Leser offenbaren sich hier »ethics in action.«34 Dagegen entstammt die Exempla-Sammlung des Valerius Maximus gattungsspezifisch einer gänzlich anderen Tradition. Nicht das Ansinnen, eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen, bestimmt den Inhalt.

27 Hülk 2013, 118; ähnlich Genette 2010, 13. 28 Vgl. Späth 2006, 47. 29 Butler 2002, 311: »Als gegebene zeitliche Dauer innerhalb des gesamten Vollzugs sind ›Akte‹ eine gemeinsame Erfahrung und jeweils ›kollektive Handlungen‹.« 30 Vgl. Späth 2006, 71f. 31 Vgl. Roller 2018, 22; Chaplin 2000, 28, 164–166. 32 Vgl. ebd., 31. 33 Vgl. ebd., 28. 34 Vgl. Langlands 2018, 237.

Methodik und Gliederung der Arbeit

Vielmehr ist memoratu digna das Aufnahmekriterium der Sammlung, die Exempla dekontextualisiert in thematische Rubriken einordnet.35 Somit fehlt dem Werk seiner Gattung gemäß ein programmatischer Rahmen. Stattdessen liefert Valerius Maximus Texte nicht nur zum Zweck der Deklamation. In erster Linie dienen seine Exempla dazu, die Moral der Kaiserzeit zu kodifizieren.36 Ungeachtet einer historischen Genauigkeit aktualisiert Valerius Maximus die moralische Bedeutung tradierter Exempla nach dem kaiserzeitlichen Wertekanon.37 Im Spannungsfeld dieser Gattungen und ihrer Intentionen sollen im Folgenden die Funktion von Frauengestalten und die Inszenierung von Genderidentitäten betrachtet werden. Die vorliegende Arbeit betrachtet die römischen Diskurse anhand von Exempla, welche die Autoren auf der Ebene der Figuren inszenieren. Die Analyse zielt darauf ab, die Funktionsmechanismen der diskursiven und kulturellen Konfiguration von Weiblichkeit offenzulegen.38 Daher soll das Kriterium des figuralen Wissens herangezogen werden, das Frauen auf Grundlage eines geschlechtlich markierten Wissensbestandes als Differenz erkennbar macht.39 Diese Methodik macht es möglich, die performativen Akte und damit die Zuschreibung geschlechtlich markierter Bedeutungen zu analysieren. Dazu wird auf der Figurenebene das epistemische Bedingungsgefüge des Geschlechterverhältnisses offengelegt, das die Diskurse dem Text einschreiben. Auf dieser Grundlage soll narratologisch erfasst werden, inwiefern Figuren in ihrer Funktion als Exempla anhand des Figurenwissens performativ inszeniert werden.40 Das geschlechtlich markierte Wissen, welches Figuren in den Erzählungen erhalten, wird somit zum zentralen narratologischen Kriterium für die Analysekategorie ›Geschlecht‹. Für diese Analyse wird das von Allrath und Surkamp für die Literaturwissenschaft adaptierte Konzept eines geschlechtlich markierten Blicks genutzt, das geschlechterspezifische Wirklichkeitssichten anhand der Perspektiven abbildet: Mit dem Konzept der Fokalisierung nach Genette – hier vornehmlich der internen Fokalisierung – dient ein formales narratives Darstellungsverfahren dazu,41 Mechanismen der Bedeutungskonstruktion von Geschlechtern durch eine Analyse 35 Vgl. Wiegand 2013, 148f. 36 Vgl. Langlands 2018, 236. Maslakov 1984, 454 sieht Valerius’ Interesse vor allem in den Belangen privater und öffentlicher Moral. 37 Vgl. Langlands 2018, 236, 245; Wiegand 2013, 150; Zum fehlenden historiographischen Anspruch der Exempla-Sammlung vgl. Weileder 1998, 28. 38 Butler 2016, 60 fasst dies unter dem Begriff der Geschlechter-Ontologie, die über den Zugriff auf Denk- und Sprechsysteme wirksam wird, vgl. auch Villa 2010, 149. 39 Butler 2016, 53 deutet das Weibliche als einen Mangel, der als Differenz durch differenzierende Sprachregelungen hervorgebracht wird. 40 Vgl. Butler 1993a, 124f. 41 Vgl. Genette 2010, 121–124, der in Bezug auf die interne Fokalisierung darauf hinweist, dass dieser Modus kaum in aller Strenge durchgehalten werde, sondern einer variablen Gestaltung unterworfen

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Einleitung

genderspezifischer Wirklichkeitssichten aufzuzeigen.42 Indem die Fokalisierung der vermittelten Inhalte untersucht wird, werden geschlechtlich markierte Wissensbestände offengelegt. Auf diese Weise wird ein methodischer Zugang geschaffen, der Frauen innerhalb der Diskurse verortet, welche die Werke von Livius und Valerius Maximus abbilden.43 So bietet dieses Analyseverfahren die Möglichkeit, weibliches Wissen zum Kriterium für Betrachtungen von Frauenbildern zu machen, die diese Texte erzeugen, indem der epistemische Zugang von Frauen auf die sie umgebenden Werte- und Normensysteme der Diskurse zum konstitutiven Merkmal wird.44 Diese methodische Ausrichtung der Arbeit auf die Untersuchungen einer weiblichen Perspektive macht qualitative Unterschiede im figuralen Wissen messbar: So soll eine geschlechtlich markierte Sicht auf Krisen anhand des Kriteriums einer epistemischen Krisenteilhabe aufgezeigt werden, welche die Genderidentität von Frauengestalten hinsichtlich ihrer Funktion als Exempla definiert. Maßgeblich bezieht sich dieser Ansatz auf die Theorie der Performanz nach Butler. Sie betrachtet die Geschlechterzugehörigkeit als einen performativen Akt des Tuns, Dramatisierens und Reproduzierens, der als Strategie des kulturellen Überlebens zu verstehen und durch die Zwänge des Diskurses konstituiert ist.45 Legt ein weiblicher Wissensbestand nämlich den Rahmen performativer Akte offen, aus denen sich ein Konzept von narrativ erzeugter Weiblichkeit ablesen lässt,46 trägt dieser Ansatz der Prozesshaftigkeit von Geschlecht innerhalb der Diskurse Rechnung. Zugleich kann durch die Analyse weiblich figurierten Wissens nicht nur der Rahmen der Performativität beleuchtet werden. Ebenso wird ein Kriterium geschaffen, das die Repräsentation von Weiblichkeit innerhalb der Genderinteraktion »in ihrer essentiellen Alterität zur repräsentierten Männlichkeit«47 narratologisch erschließt. Auf diese Weise leistet die vorliegende Arbeit einen Beitrag dazu, genderkonstitutive Mechanismen in den lateinischen Werken aufzuzeigen, und kennzeichnet eine

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sei. Beinahe synonym bezeichnen andere Narratologien das, was Genette unter Fokalisierung versteht, als Perspektive oder point of view, vgl. Schmid 2008, 107–141. Vgl. Allrath/Surkamp 2004, 161f., 170; ähnlich Allrath/Gymnich 2004, 36; Nünning/Nünning 2010, 258. Zur Bedeutung der Perspektive für geschlechtliche Hierarchisierungen vgl. Allrath/ Surkamp 2004, 166. Nünning/Nünning 2004, 20 sehen in diesem methodischen Zugriff einen Ausdruck der Zweistimmigkeit des Diskurses, die eine Perspektive von Weiblichkeit in der Erzählung verortet. Vgl. Allrath/Surkamp 2004, 164f. Vgl. Butler 2002, 305, 312. Vgl. Allrath/Surkamp 2004, 168 und grundlegend dazu Butler 1993a, 123f. Hinsichtlich der narrativen Performativität deutet Stritzke 2006, 100–103 diese Akte im zeichentheoretischen Sinne, durch die mit Bezug auf das Symbolische geschlechtliche Bedeutungen erzeugt und verhandelt werden. Bronfen 1995, 412.

Methodik und Gliederung der Arbeit

genderspezifische Teilhabe von Frauengestalten an Krisen in der Darstellung des frühkaiserzeitlichen Diskurses. Die so sichtbar werdenden performativen Differenzen generieren Subjekt- und Objektpositionen innerhalb einer kulturellen Ordnung. Auf diese Weise bringen die Diskurse zugleich die Handlungsfähigkeit (agency) eines Subjekts hervor.48 Somit fragt diese Arbeit auf der Basis eines geschlechtlich markierten personalisierten Wissensbestandes, welche geschlechterspezifische Handlungsmacht sich daraus anhand von Subjektpositionen für die Figuren ergibt.49 Dies ist ein wichtiges Kriterium für die vorliegende Arbeit, da daran im Folgenden das Figurenhandeln qualitativ in Bezug auf die Genderperformanz gemessen und darin Abweichungen von weiblichen Geschlechteridentitätskonstruktionen (›Transgressionen‹) aufgezeigt werden. Die Handlungsmacht ist ein wesentliches Analysekriterium von Krisen, da daran geschlechtlich markiertes Krisenhandeln ebenfalls einer qualitativen Bewertung unterzogen werden kann. Krise kann nämlich nach Nünning narratologisch als eine »Latenzphase bzw. [als] eine Phase der Suspendierung von Ereignishaftigkeit, bei der ein Wandel bevorsteht, sich aber noch nicht vollzogen hat«50 , definiert werden. So wird mit der Qualität von Geschlechterhandeln ein Kriterium formuliert, anhand dessen Krisenhandeln genderspezifisch messbar wird. Es wurde bereits verschiedentlich formuliert, dass sich Krisen vor allem dadurch auszeichnen, dass einst bewährte Handlungsmuster ihre Kraft verlieren, sie verändert oder neue entwickelt werden müssen.51 In dieser Gemengelage von zu entwickelnden Handlungsoptionen soll daher in der vorliegenden Arbeit nach dem Wert und der Funktion eines geschlechtlich markierten Wissens gefragt werden. Dieses Genderwissen muss im Kontext von Entscheidungssituationen, die prozesshaft gestaltet sind und Übergangsphasen markieren,52 betrachtet werden, um die Bedeutung der Analysekategorie ›Geschlecht‹ für die Krisennarration zu klären. Gerade in diese Phasen von Entscheidungen und Wandel – so die These – binden Livius und Valerius Maximus in verstärktem Maße Frauen ein. Dabei lassen sich nicht nur die Konstruktionsmechanismen ihrer jeweiligen Genderidentitäten in diesen Entscheidungsprozessen klären. Ebenso muss auch die Reichweite definiert werden,

48 Vgl. Butler 1993b, 44f. Ähnlich bezeugt Butler 2016, 209–212, dass Identitäten erst performativ hervorgebracht werden und negiert damit die Existenz eines vordiskursiven Subjekts. Zur Kritik vgl. Benhabib 1993, 108–113. Als narratives Analysekriterium erfasst nach Stritzke 2006, 101 die »Performativität [die] Gleichzeitigkeit von konstitutiven Zwängen und Handlungsfähigkeit.« 49 Butler 1993a, 127 schreibt Subjekten Willen, Freiheit und Intentionalität zu. 50 Nünning 2013, 124. 51 Vgl. Vierhaus 1978, 322, 324; Friedrichs 2007, 16. 52 Vgl. Koselleck 1982, 627; Sawilla 2013, 161. Hülk 2013, 115 definiert ein Bedeutungskontinuum von »kapitale[n] Entscheidungen, Urteilsfindungen, Zuspitzungen und Wendepunkte[n].«

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die weibliche Krisenteilhabe erhält. Dafür ist das subjektive »Krisenbewusstsein«53 ausschlaggebend. Das Kriterium lässt die Frage zu, ob Frauen ein weibliches Krisenbewusstsein zugestanden wird. Dazu soll das Wechselverhältnis von weiblichen oder transgressiven Genderidentitäten und figuralem Krisenwissen geklärt werden. Dieses Verständnis von Krise stellt somit weibliche Wissensbestände und ihre Funktion innerhalb der Krise ins Zentrum der Arbeit. Friedrichs weist darauf hin, dass sich Krisen auf verschiedene gesellschaftliche Ebenen mit unterschiedlichem Effekt niederschlagen.54 Die Differenzierung soll genutzt werden, um Frauen und ihre Perspektive in den Narrativen zu verorten. Ein derartiges Verständnis von Krise eröffnet die Möglichkeit, die Validität des Figurenhandelns mithilfe der Kategorie ›Gender‹ zu untersuchen. Hierzu soll das Spannungsverhältnis von figuraler Handlungsmacht, die aus einem weiblichen Krisenwissen resultieren kann, und deren Wirkung auf die Latenz in der erzählten Handlung betrachtet und damit die Handlungsfähigkeit am Maßstab des Geschlechts gespiegelt werden.55 Auf diese Weise kann geklärt werden, welche Genderidentität für Frauen und Männer Handlungsfähigkeit ermöglicht oder hemmt. Somit dient das Spannungsverhältnis der narrativen Zeitgestaltung nicht nur als Indikator der Validität von Handlungen. Vielmehr wird es im Folgenden gleichermaßen genutzt, um Wechselwirkungen zur Inszenierung von Genderidentitäten zu untersuchen.56 Zudem lässt sich dieser Befund auf seine Reziprozität hinsichtlich eines geschlechtlich markierten Krisenhandels prüfen. Gleichzeitig ist die genderspezifische Handlungsmacht für die Analyse des Diskurses von besonderem Wert. Der Diskurs ist nämlich jeweils »der Horizont der Handlungsfähigkeit«57 . Er spiegelt in der Gestalt der textlichen Darstellungen die Möglichkeiten wider, Weiblichkeit nach den Maßgaben des augusteischen und tiberianischen Denksystems zu inszenieren.

53 Sawilla 2013, 160; ähnlich Scholten 2007, 6. 54 Vgl. Friedrichs 2007, 16–18. 55 Zur Analyse der erzählten Zeitdauer dienen hier besonders die narrativen Tempi der Summary, Pause, Ellipse und Szene, um die Zeit, die versuchtes Krisenhandeln in Anspruch nimmt, und damit auch dessen Wirksamkeit bemessen zu können. Vor allem die Gegensätzlichkeit von summarischen und annähernd isochronen Erzählformen ist im Spannungsfeld von geschlechterspezifischem Handeln zu beleuchten, vgl. Genette 2010, 53–71. Feeney 2009, 145f. hat die annalistischen Prinzipien der römischen Historiographie, die sich in ihrer strengen Chronologie an den Amtszeiten von Herrschern und Konsuln orientieren, als Ideal einer transparenten Zeitgestaltung erkannt. Zur Wirkung der Abweichungen von diesem Muster als Indikator der Krisennarratologie vgl. Feeney 2009, 148. 56 Kilian 2004, 88 hat auf die Wirkung einer Verlangsamung des Erzähltempos auf die Auserzählung geschlechtlich markierter Inhalte hingewiesen. 57 Butler 1993a, 125.

Methodik und Gliederung der Arbeit

Um eine genderspezifische Konstruktion von Wertevorbildern in Krisen für beide Autoren aufzuzeigen, wird im Folgenden einleitend die Darstellung der römischen Frühgeschichte in beiden Werken untersucht. Darin wird gezeigt, wie Livius und Valerius Maximus jeweils ein eigenes Bild normativer Weiblichkeit inszenieren. Daraus lassen sich dann der Wert und die Funktion weiblicher Ideale in der frühkaiserzeitlichen Krisenwahrnehmung ableiten.58 Auf diese Weise soll nicht nur ein für den jeweiligen Autor normatives Weiblichkeitskonzept, sondern ebenso die veränderte Konstitution der zugrunde liegenden Diskurse aufgezeigt werden. Dabei wird zu zeigen sein, dass dem livianischen Narrativ ein gänzlich anderes Denksystem zugrunde liegt als dem des Valerius Maximus. Für Livius steht die gesamte Gründungspentade59 im Zeichen einer Geschlechter- und Wertekrise, welche darauf zielt, eine römische Identität zu finden und zu festigen. Die anschließende Gegenüberstellung der frühen Exempla des tiberianischen Autors wird zeigen, dass die Inszenierung von Werten und Gender von einem veränderten Diskurs geprägt ist, der beide Kategorien unter den gefestigten Bedingungen des Prinzipats konstruiert. Dieser Befund soll insbesondere durch eine Analyse parallel überlieferter Frauengestalten aufgezeigt werden, bei denen sich in tiberianischer Zeit eine Zuschreibung anderer Werte manifestiert als zuvor in der augusteischen Darstellung. Daraufhin widmet sich die Arbeit dezidierten Abweichungen von einer als normativ empfundenen Darstellung von Weiblichkeit und ihrem narratologischen Ausdruck. Deutlich wird bei beiden Autoren, dass vor allem eine räumliche Distanz von Figurenkonstellationen mit Konfliktpotential eine grundlegende Strategie des narratorialen Krisenmanagements darstellt. Bei Livius gilt dies insbesondere für die von nicht-römischen Frauen besetzte Narration des zweiten Punischen Krieges: Eine auswärtige weibliche Perspektive kennzeichnet diesen Krieg als eine Wertekrise, die sich vor allem auf nichtrömischer Seite auf der Geschlechterebene artikuliert. Auf römischer Seite zeichnet Livius hingegen Werte-Exempla männlicher römischer Protagonisten. Dazu nutzt er das Kriterium des Geschlechts, um ein römisches Männlichkeitsbild zu konstruieren und dadurch eine moralische Unterlegenheit ausländischer Völker zu inszenieren, was die augusteische Krisenwahrnehmung dieses Krieges abbildet. Diese römischen Gender- und Werteprobleme im ausgehenden dritten Jahrhundert scheinen vor allem noch Krisen abzubilden, denen sich der augusteische Historiograph aus der Distanz einer nicht-römischen weiblichen Perspektive nähert. Dagegen fällt es dem Narrativ innerrömischer Krisen der Folgezeit zunehmend schwerer, das anhand der Frühgeschichte konstruierte

58 Vgl. Kapitel 2 und 3. 59 Zum Begriff und zur Abgrenzung der ersten Pentade als in sich geschlossene thematische Einheit vgl. Miles 1986.

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Idealbild aufrecht zu erhalten und in diesem Sinne den in der Praefatio ausgemachten moralischen Niedergang in Rom erzählerisch auf Abstand zu halten. Dies zeigt sich in der narrativen Gestaltung der Zeit nach dem zweiten Punischen Krieg. Anstelle einer räumlichen Distanz sind nun die strukturellen Merkmale des Textes darauf ausgerichtet, zwar die Ursprünge dieser Entwicklung aufzuzeigen, aber eine narrative Distanz zu den einleitend formulierten Idealen aufzubauen.60 Abschließend sollen dann die krisenhaften Entwicklungen in werte- und geschlechterspezifischer Hinsicht aufgezeigt werden, die Valerius Maximus in seinem Werk entwirft und im Folgenden in einem zweigliedrigen Vorgehen nachgewiesen werden. Er verortet einen solchen Niedergang in der Bürgerkriegszeit, die zum Referenzpunkt der frühen Exempla wird und zu einer Umdeutung von Werten führt. Dieses veränderte Werteverständnis wird durch die Geschlechterordnung sowie durch die moralische Dekonstruktion von männlichen Protagonisten sichtbar. Die Umkehr einer normativen Geschlechterordnung soll in einem ersten Schritt gezeigt werden.61 Die Krisenhaftigkeit der Bürgerkriege manifestiert sich insbesondere durch die Gegenüberstellung eines kaiserlichen Männlichkeitsbildes, wofür in einem zweiten Schritt die Analyse kaiserzeitlicher Exempla angeschlossen wird. Beide Autoren konstruieren also ihre Krisenwahrnehmungen durch diachrone Entwicklungen ihrer Exempla. Dies wird deutlich, wenn Werte und ihre geschlechterspezifischen Zuständigkeiten und Geschlechteridentitäten generell umgedeutet werden. Somit bietet sich eine methodische Herangehensweise an, die ihre narratologischen Untersuchungen auf ein chronologisches Vorgehen stützt. Auf diese Weise soll gezeigt werden, dass für beide Werke eine normative Autorität der ›alten‹ Exempla ein Ordnungskriterium der moralischen Darstellungsweise darstellt.62

1.3

Forschungsbericht

Ein Versuch, Frauen und ihre Genderperformanz in römischen Krisen anhand der Werke von Livius und Valerius Maximus zu verorten und ihre geschlechtlich markierte Funktion darin narratologisch zu erschließen, kann nur von einer bisweilen recht lückenhaften Forschungsbasis ausgehen. Es lassen sich zahlreiche Forschungsdesiderate aufdecken, die zumindest in der genannten Absicht in dieser Arbeit gefüllt werden sollen. Dass Werte-Exempla in Situationen, die als moralische Krisen wahrgenommen werden, in gesteigertem Maße auftreten und Krisennarrative damit konstitutiv für die Textgattung des Exemplums in der frühen Kaiserzeit sind, 60 Vgl. Kapitel 4. 61 Vgl. Kapitel 5. 62 Damit kann die These von Wiegand 2013, 142, der Aufbau der einzelnen Rubriken sei weder chronologisch noch klimaktisch, um ein strukturierendes Kriterium differenziert werden.

Forschungsbericht

gilt jedoch als communis opinio der Forschung.63 Hinsichtlich des Forschungsinteresses für beide Autoren wird jedoch ansonsten ein großer Unterschied deutlich: Während Livius’ Ab Urbe Condita in vielerlei Hinsicht bereits die Aufmerksamkeit der Forschung erfahren hat, zeigen die folgenden Ausführungen, dass Valerius Maximus’ Facta et dicta memorabilia erst seit etwa um die Jahrtausendwende zunehmend mehr, jedoch überwiegend historisches Forschungsinteresse geweckt haben – auf eine philologische Tradition kann die Valerius-Maximus-Forschung noch nicht zurückblicken, wovon die bislang einzigen Kommentare zu den ersten beiden Büchern zeugen.64 Für beide Autoren ist ›Geschlecht‹ als Analysekriterium insbesondere in philologischer und literaturwissenschaftlicher Hinsicht bisher wenig erschlossen. Erste umfangreiche Analysen von Weiblichkeit im Geschichtswerk des Titus Livius verdankt die Forschung zuerst McClain und später Kowalewski.65 Beide erfassen sämtliche Frauengestalten in Ab urbe condita, ordnen sie überwiegend anhand von historischen Ereignissen und erschließen sie inhaltlich, sodass diesen Publikationen das Verdienst einer kontextuellen Analyse von Frauen innerhalb des Geschichtswerks zukommt. Zugunsten einer umfassenden und ausführlichen Betrachtung aller Frauengestalten in diesem Werk verzichten allerdings beide Autorinnen auf eine konkrete Analyse der Frauen unter einer genderspezifischen Fragestellung. Vielmehr untersuchen sie darin Frauenhandeln mit besonderem Fokus auf Frauen der mythischen Frühzeit anhand von moralischen Gesichtspunkten und betrachten sie als Exempla der augusteischen Geschichtsschreibung. Beide verzichten zudem auch überwiegend auf übergreifende moralische Kategorien, sondern stellen stattdessen die Funktion der Frauengestalten ins Zentrum, indem sie vor allem hinsichtlich ihres Einflusses auf historische Ereignisse bewertet werden. Einerseits wurde dabei insbesondere das Kriterium des Raumes als konstitutiv für die Analysekategorie ›Weiblichkeit‹ herausgestellt: McClain hat im häuslichen und privaten Kontext Funktionen von Frauen als Opfer und Rächer, Fürsorgende und Angreifer herausgestellt. Im öffentlichen Raum wurden Frauen in ihrer Funktion als Unterstützer, Vermittler und Katalysatoren im militärischen Kontext behandelt.66 Andererseits hat Kowalewski die Funktion von Frauen als Exempla betrachtet.67 Weiblichkeit wurde hierin zum einen am Beispiel zentraler Werte wie der weiblichen pudicitia untersucht, wofür die einschlägigen Exempla etwa der Lucretia und der Verginia genutzt wurden, um daran weibliche Ideale aufzuzeigen. Zum anderen wurden darin parallel Handlungsweisen von Frauen untersucht, 63 64 65 66 67

Vgl. Korpanty 1991, 432; für Livius vgl. Walsh 1996a, 67, 71. Vgl. Wardle 1998; Themann-Steinke 2008. Vgl. McClain 1994; Kowalewski 2002. Vgl. McClain 1994, x. Vgl. Kowalewski 2002, 7.

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wenn etwa Tanaquil und Tullia in ihrer historischen Rolle als ›Königsmacherinnen‹ betrachtet wurden. Diese Perspektiven auf Weiblichkeit nähern sich dieser Analysekategorie, indem sie Geschlechteridentitäten weitestgehend absolut setzen und die Geschlechterverhältnisse überwiegend semantisch ausdeuten.68 Ein narratologischer Zugang bleibt – auch bedingt durch die jeweilige Forschungsperspektive – ein Desiderat beider Arbeiten. In Hinblick auf die Platzierung von Weiblichkeit in historischen Kontexten haben jedoch beide Autorinnen bereits gezeigt, dass Livius Frauen vor allem in Ausnahmesituationen der römischen Geschichte in die Erzählung integriert, ihnen in diesen Momenten besondere Aufmerksamkeit widmet und bedeutenden Einfluss zugesteht: McClain hat dabei die »vital roles in the process of historical chance«69 festgestellt. Kowalewski hat etwa bereits die pudicitia explizit als weibliche Kardinaltugend des livianischen Werkes herausgestellt. Davon ausgehend hat sie gezeigt, dass weibliche Exempla – wie in Livius’ Praefatio angekündigt – als »remedia (Liv. praef. 9) zur Bewältigung der durch moralischen Verfall ausgelösten Krisen Roms«70 dienen, und so einen Bezug von Weiblichkeit und Moral innerhalb einer republikanischen Krise skizziert. Es ist für Livius bereits als communis opinio der Forschung zu bewerten, dass Frauen in Ab urbe condita in Momenten der Erzählung platziert werden, die im weitesten Sinne als Krise zu bezeichnenden sind.71 Zugleich kann die jüngste Forschung mit der Arbeit von Albrecht ›Hegemoniale Männlichkeit bei Titus Livius‹72 auf eine erste umfassende genderspezifische Analyse der Kategorie ›Männlichkeit‹ für das livianische Werk zurückblicken. Aus der Forschungsperspektive eines Althistorikers beleuchtet diese Arbeit livianische Männlichkeitsbilder und ihre Repräsentationen als Exempla in der sozialen Interaktion, um so durch die Betrachtung männlicher Performanz ein Konstrukt hegemonialer Männlichkeit zu bestimmen.73 Albrecht hat darin gezeigt, dass für Livius hegemoniale Männlichkeit einer stetigen performativen Erneuerung männlicher Dominanz und Handlungsmacht bedarf.74 So wurde anhand der Darstellung der lex Oppia-Debatte nachgewiesen, dass dieses Männlichkeitsbild für Livius in erster Linie auf der Einhaltung einer männlich organisierten Gesellschaftsordnung basiert, in der die konservative Sicht des Cato die fehlende Handhabe

68 69 70 71 72 73

Vgl. ebd., 8, 58. Vgl. McClain 1994, ix. Kowalewski 2002, 7f. Ähnlich auch Milnor 2005, 204. Vgl. Albrecht 2016. Vgl. ebd., 32f. Besondere Aufmerksamkeit erhält diese Arbeit im folgenden Kapitel bei der Analyse livianischer Männer der Königszeit, vgl. Kapitel 2. 74 Vgl. Albrecht 2016, 63f.

Forschungsbericht

von Männern gegenüber Frauen als Krise der Männlichkeit kennzeichnet.75 Dabei schafft Albrecht durch die Analyse männlicher Handlungsmacht sinnvolle Anknüpfungspunkte für die Betrachtung von Weiblichkeit innerhalb dieses Geschlechterverhältnisses. Neben diesen ersten hinsichtlich des Geschlechts differenzierten Betrachtungen des livianischen Werkes lag das Forschungsinteresse vor allem in der Textgattung des Exemplums im Kontext der augusteischen Literaturproduktion: In der neueren Forschung ist daher auf die Arbeit von Walsh ›Livy. His historical aims and methods‹ zu verweisen. Er hat in Ab Urbe Condita einen römischen Wertekatalog aufgezeigt, dessen Inszenierung durch berühmte Vorbilder der Frühzeit als ein Reflex der moralischen Degeneration der livianischen Gegenwart gedeutet wurde, dem der patriotische Anspruch einer moralischen Überlegenheit Roms gegenübersteht.76 Dabei wurde vor allem der Wert der concordia als Maßstab eines männlich definierten Handelns herausgestellt.77 In zahlreichen Arbeiten wurden dazu die Kontexte betrachtet, in denen Livius derartige Exempla platziert. Neben einer besonderen Inszenierung der moralischen Integrität römischer Protagonisten, die in der Frühgeschichte der ersten Pentade identifiziert wurde,78 ist vor allem der zweite Punische Krieg als Fundus römischer Werte-Exempla der frühen Kaiserzeit bezeichnet worden.79 Mit einem narratologischen Zugriff haben zudem Chaplin in ›Livy’s Exemplary History‹ und Jaeger in ›Livy’s Written Rome‹ später versucht, die erzählerischen Konstruktionsmechanismen der Exempla aufzuzeigen: Chaplin gebührt in diesem überwiegend von historischen Arbeiten dominierten Forschungsfeld, eine Analyse der livianischen Narration vorgelegt zu haben, die sich in literaturwissenschaftlicher Weise dem Werk nähert. Dabei gelang es ihr, der Instanz des Rezipienten einen konstitutiven Wert in der Konstruktion von Exempla zuzuweisen, die in textinterne und -externe Rezeption differenziert wird.80 Es wurde deutlich, dass nicht nur das Exemplum selbst, sondern auch dessen Rezipienten von besonderem Wert für die Narration sind. Diese Instanzen, figuriert etwa durch den römischen Senat, stellen nämlich nicht nur die Folie für die Qualitäten des Exemplums dar, sondern dienen zugleich zur Absicherung augusteischer Wertmaßstäbe.81 Jaeger dagegen

75 76 77 78 79

Vgl. ebd., 82f. Vgl. Walsh 1996a, 66f. Vgl. ebd., 92. Vgl. ebd., 52; ähnlich Miles 1986; Miles 1988. Vgl. Walsh 1996a, 96–107 mit besonderem Fokus auf die Figur des Scipio Africanus; ähnlich Jaeger 1997, 99f.; Chaplin 2000, 54–64. 80 Vgl. ebd., 48, 51. 81 Vgl. ebd., 192–195.

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hat die Inszenierung der livianischen Exempla anhand der Erzählperspektive untersucht und dabei die als Exemplum abgebildete Figur selbst sowie die narratoriale Gestaltung der Perspektive in den Blick genommen. Sie konnte etwa anhand der Darstellung des Sabinerkrieges und der Figur des Scipio Africanus zeigen, dass die Verlagerung von Perspektiven dazu beiträgt, sowohl historische Ereignisse als auch das exemplarische Handeln der Protagonisten selbst aus verschiedenen Blickwinkeln zu erschließen und so eine neue und von römischen Wertmaßstäben bestimmte Sicht zu vermitteln.82 Zuletzt untersuchten zwei Arbeiten die Textgattung des Exemplums. Langlands widmete sich in ›Exemplary Ethics in Ancient Rome‹ der Frage, wie Exempla in der römischen Literatur konstruiert werden und auf den Leser wirken. Darin wurde gezeigt, dass das Exemplum ein Kommunikationsmedium darstellt, das sowohl ethische Normen vermittelt als auch gleichzeitig als eine »shared cultural resource«83 dient. Insbesondere Krisen wurden als Anlässe für Exempla definiert, in denen die Taten großer Männer sowie soziale Hierarchien abgebildet werden.84 Es wurde gezeigt, dass Erinnerungen in Exempla der Vergangenheit stets erneuert werden müssen, um im Kontext der Gegenwart eine aktualisierte Bedeutung zu erhalten. Somit wirkt der jeweilige Diskurs, in dem sie rezipiert werden, auf den moralischen Gehalt der Exempla und schreibt ihnen eine Relevanz zu.85 Roller hat mit Blick auf die Wirkungsweise von Exempla darauf hingewiesen, dass einerseits das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart und andererseits die moralischen Diskurse, in denen Exempla geschaffen werden, entscheidend sind für die Bedeutung, die sie für einen Rezipienten erhalten.86 Am Beispiel der Cloelia-Figur wurden die Wirkungsweisen des Exemplums für Livius und Valerius Maximus untersucht. Für die uirtus, die Livius in dieser Episode abbildet, wurde ein ambivalentes Verständnis des Wertes formuliert: Ihre uirtus wurde im Spannungsfeld von männlichem Handeln und einer männlichen Darstellung ihres Körpers einerseits sowie einem weniger geschlechtlichen, sondern philosophischen uirtus-Begriff andererseits verortet.87 Für die Geschlechteridentität Cloelias bei Valerius Maximus wurde ebenfalls ihre Männlichkeit darin ausgemacht, dass sie männliche Handlungsmuster übernimmt.88 Das Verständnis von Männlichkeit, das die zu-

82 83 84 85 86 87 88

Vgl. Jaeger 1997, 175–178. Langlands 2018, 4. Vgl. ebd., 68, 71, 122. Vgl. ebd., 188, 200, 204. Vgl. Roller 2018, 9–11, 18. Vgl. ebd., 82–84. Vgl. ebd., 78–80.

Forschungsbericht

grundeliegenden Diskurse der Cloelia-Figur zuschreiben, ist in beiden Fällen für die Rezeption ihrer Geschlechteridentität ausschlaggebend.89 Während bei Livius damit die Analysekategorie des Geschlechts bereits mit Forschungsinteresse an Männlichkeit und Weiblichkeit bearbeitet wurde, konzentriert sich dieses bei Valerius Maximus vornehmlich auf die Betrachtung männlicher Exempla. Naturgemäß standen für die Facta et dicta memorabilia überwiegend moralische Fragestellungen im Vordergrund. Prägend ist dabei vor allem für die frühere Valerius-Maximus-Forschung der 90er Jahre die Auffassung: »[Examples] which aim at invoking the authority (auctoritas) of the great men of the past were no doubt the most effective to the traditionally-minded Romans, to whom the precedent of famous men (clari viri) was the ultimate guide and sanction.«90 Skidmore betrachtet in seiner Arbeit ›Practical Ethics for Roman Gentlemen. The Work of Valerius Maximus‹ dementsprechend vor allem Männer in ihrer Funktion als Werte-Exempla und bildet so ein männlich zentriertes Moralbewusstsein der tiberianischen Zeit ab, das sich vornehmlich auf männlich markierte Werte wie die uirtus bezieht.91 Der Fokus dieser Forschung zeigt, dass die Facta et dicta memorabilia vornehmlich dazu dienten, ein Moralbewusstsein einer männlichen Aristokratie offenzulegen, was deutlich den Rezeptionsrahmen der Exempla-Sammlung definiert.92 Bloomer hat in ›Valerius Maximus & the Rhetoric of the New Nobility‹ gezeigt, dass Valerius Maximus insbesondere die führenden Männer der Republik inszeniert und damit die Erinnerungskultur der frühen Kaiserzeit abbildet.93 Diese Studie der Exempla-Konstruktion thematisiert nicht nur die summi uiri der Republik, sondern stellt sie zudem in den moralischen Kontext des tiberianischen Wertediskurses. Bloomer zieht dabei deutliche Verbindungen zwischen moralischen Idealen und der Herrschaft des Prinzipats. Einerseits nimmt er darin Wertezuschreibungen an Männer vor, durch die diese als Exempla inszeniert werden, und bildet so einen männlich-imperialen Wertekanon ab. Andererseits verortet er diese Exempla in der tiberianischen Prinzipatsideologie, indem die Nähe der Vorbilder zum julischen Herrscherhaus als zentrales Kriterium der exemplarischen Qualität herausgestellt wird.94 Ein ähnliches Forschungsinteresse liegt der Arbeit von Weileder zugrunde. Auch er widmet sich den Reflexen des Prinzipats in der Exempla-Sammlung des Valerius und untersucht dazu die Werteideale, die den Caesares zugeschrieben oder mit denen männliche Republik-Exempla als Spiegel der kaiserlichen Ideologie

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Vgl. ebd., 72f., 77. Skidmore 1996, 86. Vgl. ebd., 54f., 78, 86. Vgl. Honstetter 1977, 70–97. Vgl. Bloomer 1992, 20; ähnlich Gowing 2005, 138f., 157. Vgl. Bloomer 1992, 195f., 204f.

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versehen werden. Bloomer wie auch Weileder sind allerdings aufgrund ihrer Forschungsperspektive dazu verleitet, Männlichkeit und männliche Exemplarität ausgehend vom Befund eines ideologischen Mechanismus der teleologischen Geschichtsschreibung des Valerius weitestgehend absolut zu setzen.95 In diesem Zusammenhang ist zudem die Arbeit von Wiegand ›neque vere neque libere. Die Literatur unter Tiberius und der Diskurs der res publica continua‹ zu erwähnen, in der die Autorin die Werke von Velleius Paterculus, Valerius Maximus, Phaedrus und Seneca d. Ä. unter der Fragestellung betrachtet, inwiefern ideologische Aspekte des prinzipalen Herrschaftssystems die Literaturproduktion der tiberianischen Zeit bestimmen. Sie konnte dafür literarische Mechanismen in der Exempla-Sammlung nachweisen, die dazu dienen, ein von Kontinuität gezeichnetes Herrschaftssystem zu inszenieren, das die Unruhen der Bürgerkriege ausblenden kann. Als maßgeblicher Faktor dieser erzählerischen Bemühungen wurde die Verschiebung von Konfliktparteien des Bürgerkrieges in den Exempla herausgestellt, um die moralische Autorität und Integrität der Caesares zu erhalten.96 Obgleich aufgrund der Forschungsperspektive nicht moralische Kategorien, sondern vielmehr die Mechanismen der Prinzipatsinszenierung im Mittelpunkt stehen, konnten dennoch etwa mit uirtus und clementia moralische Kategorien aufgezeigt werden, die als Maßstab der Bewertung der Caesares und ihrer Gegner dienen und somit moralische Kriterien in einem Konflikt prinzipaler Männer beschreiben.97 Innerhalb dieser literarischen Bemühungen der Konfliktvermeidung wurde bereits ein potentieller weiblicher Handlungsraum im tiberianischen Wertediskurs formuliert.98 Eine narratologische Standortbestimmung, die über diese Faktoren des herrschaftlichen Diskurses hinaus auf der Ebene der Figuren nach den Bedingungen weiblichen und männlichen Handelns fragt, erfolgte jedoch bisher nicht. Die Ebene der Geschlechterverhältnisse wurde in einem differenzierteren Ansatz erst mit der Arbeit von Lucarelli ›Exemplarische Vergangenheit. Valerius Maximus und die Konstruktion des sozialen Raumes in der frühen Kaiserzeit‹ erschlossen. Ihre Arbeit betrachtet die Kategorie ›Geschlecht‹ im Spannungsfeld von sozialen Beziehungen und leistet damit einen Forschungsbeitrag aus der Disziplin der Alten Geschichte, der die Geschlechterverhältnisse im Diskurs der frühen Kaiserzeit untersucht. Sie konnte nachweisen, dass in Valerius’ Werk in den Exempla der mores maiorum männlich regierte Beziehungen normativ konstruiert werden

95 Zur teleologischen Darstellung der Geschichte vgl. Bloomer 1992, 192; ähnlich Weileder 1998, 167–171. 96 Vgl. Wiegand 2013, 164–167, 173–181; ebenso Lucarelli 2007, 63. 97 Vgl. Wiegand 2013, 170–172; zuletzt auch Krasser 2011; ebenso zuvor bereits Maslakov 1984, vor allem 446; Carney 1962, 317f. 98 Vgl. Milnor 2005, 192f.

Forschungsbericht

und in den Beispielen aus der späten Republik eine moralische Umdeutung der abgebildeten Werte erfahren.99 Hierbei gelang es, einen Wertekanon zu formulieren, der dieses männlich regierte Geschlechterverhältnis abbildet: Im Verständnis der tiberianischen Zeit wurde ein geschlechtlich definiertes Wertekonstrukt nachgewiesen, in dem Ideale wie etwa fides, pudicitia und continentia zu normativen Postulaten an das weibliche Geschlecht wurden und eine männliche Handhabe über Frauen am Wert der seueritas bemessen wurde.100 Auch hier wird zugleich der kaiserzeitliche Diskurs zum Analysegegenstand: Während Wiegand darauf zielt, das Verhältnis von Princeps und Gegnern in der Exempla-Sammlung des Valerius Maximus auszuleuchten, stellt Lucarelli hingegen explizit geschlechtlich markierte Verhältnisse in den Kontext des Prinzipats. Zwar registriert diese Arbeit einen Rückzug in die Paarbeziehungen und einen Wandel der dargestellten Werte bei Valerius für die Zeit der späten Republik ebenso wie einen damit verbundenen moralischen Niedergang.101 Allerdings nimmt sie keine qualitative Analyse von Geschlecht in diesen Exempla vor, um auf diese Weise die Veränderungen der Werte und der Beziehungsdarstellung hinsichtlich der Genderperformanz zu spiegeln und so ein Zusammenspiel von Geschlecht und Wertediskurs zu analysieren. Unerlässlich ist jedoch für die vorliegenden Untersuchungen zudem der Rückgriff auf die Arbeiten zum spätrepublikanischen und – weitaus prominenter vertretenen – frühkaiserzeitlichen Genderdiskurs. In Hinblick auf die skizzierte Fragestellung nach der Narrativierung von Geschlechterverhältnissen im frühkaiserzeitlichen Genderdiskurs ist insbesondere noch auf die Ergebnisse der überwiegend historischen Forschung zur Weiblichkeit in der frühen Kaiserzeit zu verweisen: Große Aufmerksamkeit wurde bereits der Rolle der Frau zuteil, die den Weiblichkeitsdiskurs der frühen Kaiserzeit anhand zahlreicher prominenter Beispiele abgebildet hat. Nennenswert ist dabei der mittlerweile als Standardwerk geltende Sammelband von Dettenhofer: Die darin enthaltenen Beiträge machen ebenfalls gesellschaftliche Auflösungserscheinungen in der Krise der späten Republik aus und attestieren Frauen in Krisenzeiten einen erweiterten Handlungsspielraum.102 Späth begründet etwa weibliche Handlungsräume damit, dass die Bedeutung gesellschaftlicher Konstrukte wie der Ehe schwinden.103 Doch dieser Befund kennzeichnet vornehmlich sozial-gesellschaftliche Faktoren, welche die Inszenierung von Weiblichkeit bestimmen, und lässt die Ebene eines Geschlechterverhältnisses außer Acht. Erklärungen für den wachsenden Einfluss von Frauen in Krisenzeiten wurden zudem

99 100 101 102 103

Vgl. Lucarelli 2007, 178. Vgl. ebd., 164–172. Vgl. ebd., 178; ähnlich Späth 1994, 182, 192–195. Vgl. Dettenhofer 1994; Späth 1994; ähnlich bereits Dettenhofer 1992. Vgl. Späth 1994, 170–172.

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Einleitung

im Fehlen von Männern gesucht,104 was ebenfalls die literarische Ausformung des Männlichen hinsichtlich der Geschlechterinteraktion vernachlässigt. Hingegen betrachten in der neueren Forschung etwa Langlands in ›Sexual Morality in Ancient Rome‹ sowie Milnor in ›Gender, Domesticity, and the Age of Augustus‹ die Rolle der Frau sowie ihre moralische Funktion im frühkaiserzeitlichen Rom ausführlich. Milnor nimmt die Frau in ihrer häuslichen Rolle und in Opposition zu Männern in der kaiserzeitlichen Gesellschaft verstärkt in den Blick. Darin weist sie nach, dass Frauen im Genderdiskurs den Restaurationsbestrebungen der augusteischen Zeit unterworfen und in ein männlich regiertes Gesellschaftsbild integriert sind. Für Livius konnte etwa anhand seiner Darstellung der lex Oppia-Debatte ein konservatives Werte- und Frauenbild aufgezeigt werden, das auf die normative Überordnung von Männern zielt.105 Für Valerius Maximus wurde dagegen eine Verlagerung des weiblich markierten Raumes hin zur häuslichen Sphäre formuliert.106 Insbesondere wurde innerhalb dieses sozialen Raumes ein außerordentlicher Einfluss der Proskriptionen auf die moralische Inszenierung eines Geschlechterverhältnisses ausgemacht: »[T]he triumviral proscriptions are imagined as a crossroads of Roman morality as much as in Roman politics, and the extent of the rot which had consumed republican governance is measured by its penetration into the sphere of private life.«107 Langlands hat darüber hinaus die römische Sexualmoral vornehmlich anhand der weiblichen pudicitia in Opposition zur männlich markierten libido untersucht. Während für das livianische Werk eine deutliche moralische Degeneration auf männlicher Seite konstatiert wurde, konnte Langlands für Valerius Maximus zeigen, dass neben der negativen libido auch die abstinentia und continentia von Männern als positives männliches Pendant zur weiblichen Sittsamkeit für die Exempla prägend sind.108 So hat Langlands eine sittliche Integrität, die auf der moralischen Qualität eines männlich regierten Geschlechterverhältnisses fußt, als Reflex der tiberianischen Sittenideologie formuliert.109 Milnor und auch Langlands gehen jedoch davon aus, dass Geschlechteridentitäten als absolute Größen im Wertediskurs gebraucht werden. Keine dieser genannten Arbeiten betrachtet allerdings die Analysekategorie des Geschlechts kontrastierend auf der Grundlage

104 Vgl. Dettenhofer 1992, 794. 105 Vgl. Milnor 2005, 155–171; ähnlich mit Blick auf die Inszenierung männlicher Handlungsmacht vgl. Albrecht 2016, 80–100. 106 Vgl. Milnor 2005, 174–189. Zur Häuslichkeit der Mutter in der Darstellung des tiberianischen Diskurses vgl. Lucarelli 2007, 131–135. 107 Milnor 2005, 192. 108 Zu Livius vgl. Langlands 2006, 81–84; zu Valerius Maximus vgl. ebd. 134f. 109 Vgl. ebd., 153f.; ähnlich Langlands 2008.

Weiblichkeit am Fallbeispiel

zweier Autoren, die einen Wandel der Narrative am Umbruch des Prinzipats untersucht, so die Genese dieses Geschlechterverhältnisses im diachronen Blick auf Livius und Valerius Maximus betrachtet und Gender vor dem Spiegel des jeweiligen Wertediskurses analysiert.

1.4

Weiblichkeit am Fallbeispiel

Im Folgenden soll die Episode der Fabia minor, von der Livius im sechsten Buch berichtet, dazu dienen, die in dieser Arbeit genutzte Methode einer geschlechterspezifischen Perspektive für die narrative Konstruktion von Genderidentitäten aufzuzeigen. Livius integriert die Frau in einer Erzählung der Ständeunruhen, in der Fabias Unmut über fehlende Würden und Einflussmöglichkeiten sowie den mangelnden Ehrgeiz ihres plebejischen Mannes im Zentrum stehen. Durch die Gegenüberstellung eines männlichen Defizits und eines weiblichen Ehrgeizes ist der Konflikt zwischen Plebejern und Patriziern bei der Besetzung von Staatsämtern für Livius auf der Figurenebene dezidiert ein geschlechtlich markiertes Problem. Erst auf das von Fabia gegenüber ihrer Schwester geäußerte Unbehagen hin wird nämlich eine männliche Initiative generiert. Diese mündet in Ansehen für das Haus der Fabia minor und in den Erlass der leges Liciniae Sextiae, die plebejische Macht auf staatlicher Ebene regulieren. Eine exemplarische Analyse dieser Episode soll zudem zeigen, dass die Methodik dieser Arbeit nicht nur dazu beiträgt, weibliche Wissensbestände zu identifizieren; vielmehr kann auf dieser Grundlage die epistemische Anlage des Geschlechterdiskurses aufgedeckt und damit die Genderinteraktion betrachtet werden. Somit gilt es, die Bedeutung eines figuralen Wissens im Spannungsfeld von geschlechtlich markierter Handlungsmacht aufzuzeigen. Die Anlage macht nämlich sichtbar, dass Fabias Wissen konstitutiv ist für eine dezidiert weibliche Performanz. Fabia unterliegt selbst patriarchalischen Strukturen, innerhalb derer sie entsprechend weiblicher Rollenerwartungen handeln kann. So ambivalent die Gestalt der Fabia minor hinsichtlich ihrer Genderidentität bewertet wurde,110 so eindeutig kann mithilfe der oben beschriebenen Methodik gezeigt werden, dass sich die junge Frau schließlich gänzlich im Rahmen der Maßstäbe bewegt, die der augusteische Diskurs an eine Frau stellt.111 Entscheidend dafür ist die Opposition ihres Vaters, die neben der vorangegangenen Verortung

110 Während McClain 1994, 191 in Fabias Handeln die Rollenerwartungen an eine Matrona, Schwester und Tochter erfüllt sieht, schreibt Kowalewski 2002, 139–141 ihr erhebliches transgressives Potential zu. 111 Kraus 1994, 275 attestiert Fabia hingegen durchaus transgressives Potential, wenn sie nicht nur die ambitio ihres Mannes schürt, sondern ihn sogar kritisiert.

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der Frau im häuslichen Lebensbereich eine weitere strukturelle Eigenschaft dieser Episode abbildet. Durch die Präsenz des Mannes in der Erzählung wird eine Mann-Frau-Binarität geschaffen. Diese legt über die Handlungsfähigkeit die Genderperformanz beider fest, aus der sich über das geschlechtlich markierte Wissen von Vater und Tochter die Geschlechtsidentitäten konstituieren. Diese Interaktion beschreibt Livius folgendermaßen: confusam eam ex recenti morsu animi cum pater forte uidisset, percontatus »satin salue?« auertentem causam doloris, quippe nec satis piam aduersus sororem nec admodum in uirum honorificam, elicuit comiter sciscitando, ut fateretur eam esse causam doloris, quod iuncta impari esset, nupta in domo, quam nec honos nec gratia intrare posset. consolans inde filiam Ambustus bonum animum habere iussit: eosdem propediem domi uisuram honores, quos apud sororem uideat.112 (Liv. 6,34,8–10)

Der auffälligste Befund, der sich hinsichtlich der Genderperformanz dieser Episode finden lässt, nimmt seinen Ausgang in der Frage des Vaters satin salue?. Während diese in der Lucretia-Episode noch ein deutliches Anzeichen eines fehlenden männlichen Zugriffs auf die pudicitia war,113 ist der Verlauf der Handlung hier ein gänzlich anderer. Nachdem Fabia ihm nämlich ihren Unmut über die Zurücksetzung schilderte, die sie aufgrund fehlender honores ihres plebejischen Ehemannes empfinde, verändert sich die performative Anlage der Geschlechterordnung. An dieser Stelle wird die Fokalisierung der Passage bedeutsam, um geschlechterspezifische Wissensbestände aufzuzeigen, die der augusteische Diskurs Männern und Frauen zugesteht. Damit lässt sich die geschlechtliche Handlungsfähigkeit entlang der Maßgaben dieses Diskurses formulieren. Die Erzählung evoziert durch die Nachfrage des Vaters eine männliche Handlung, welche die Interaktion der Geschlechter prägt, wie es das figurale Wissen zeigt: Fabias Perspektive auf die Ständeunruhen bezieht sich einzig auf ihre unmittelbare figurale Betroffenheit. Ihre Innensicht in diese Krise ist also beschränkt auf einen Wissensbestand, der sich aus ihrer Position ergibt. Dieses strukturelle

112 Als ihr Vater sie, wie sie vom frischen beißenden Schmerz ihres Herzens verstimmt war, zufällig sah, erkundigte er sich: »Ist alles in Ordnung?« Obwohl sie den Grund des Kummers verheimlichen wollte, der ja weder besonders liebevoll gegenüber der Schwester noch für ihren Ehemann äußerst ehrenvoll war, entlockte er ihr mit freundlicher Nachfrage, dass sie zugab, der Grund des Kummers sei, dass sie mit einem nicht ebenbürtigen Mann vermählt sei und in ein Haus eingeheiratet habe, zu dem weder Ehre noch Einfluss Zugang hätten. Daraufhin tröstete Ambustus seine Tochter und befahl ihr, guten Mutes zu sein. Sie werde dieselben Ehren demnächst in ihrem Haus sehen, die sie bei ihrer Schwester sehe. 113 Vgl. Kapitel 2.1.2.2.

Weiblichkeit am Fallbeispiel

Merkmal resultiert vor allem aus der Opposition des Mädchens zu ihrem Vater. Fabias emotionale Sicht ist auf ihr eigenes Unbehagen reduziert,114 aus der sie auf die Werte honor und gratia zugreift. Dagegen legt die Reaktion ihres Vaters, er werde für ein ehrenvolleres Ansehen ihrer Familie sorgen, einen Zugriff auf diese Werte offen, der eine männliche Handlungsfähigkeit in dieser Krise offenbart. Dieses Darstellungsverfahren zeigt, welche Bedeutung die Unterscheidung von ›male gaze‹ und ›female gaze‹ für die Narration der Republik in der frühen Kaiserzeit hat.115 Dies legt die enge Wechselbeziehung zwischen einem Wertezugriff und der damit verbundenen Performativität von Geschlecht als ein Merkmal offen, anhand dessen Livius Geschlechter konstruiert.116 Zum anderen lässt sich anhand dieser Unterscheidung am Kriterium der dadurch hervorgebrachten Genderidentitäten auch eine qualitative Bewertung des geschlechtlich markierten Wissens vornehmen:117 Fabias Perspektive beschränkt sich auf eine figurale Betroffenheit, wenn die Ständeunruhen für sie lediglich ein persönliches Problem darstellen: in domo quam nec honos nec gratia intrare posset. Livius schreibt der Frau damit ein Wissen zu, das den Konflikt zwischen Plebejern und Patriziern durch eine weibliche Wirklichkeitssicht in Form von Fabias »Minderwertigkeitskomplexen«118 artikuliert. Die Bezeichnung in domo als Verweis auf den weiblich markierten häuslichen Bereich stützt den Befund eines ausdrücklich weiblichen Wissens.119 Gleichzeitig verweist diese Inszenierung auf den häuslichen Einflussbereich der Frau, den der frühkaiserzeitliche Diskurs ihnen gewährt, wenn die Sorge um das Ansehen der Familie als eine weibliche Zuständigkeit gilt.120 Die Figur der Fabia spiegelt so aus ihrer weiblichen Perspektive ein Wertekonstrukt des Prinzipats wider, das die Frau in ihrer weiblichen Rolle sozial verortet.121 Diese Inszenierung führt zu einer Konstitution eines weiblichen Subjekts innerhalb des

114 Zur emotionalen Darstellung Fabias durch confusam vgl. Weiẞenborn/Müller 2000c, 76. 115 Zur Funktion der Geschlechterordnung dieser Episode als republikanisches Korrektiv vgl. Kapitel 2.3.2.2. 116 Vgl. Butler 1993a, 125: »In diesem Sinne ist der Diskurs der Horizont der Handlungsfähigkeit, aber außerdem ist es wichtig, Performanz als Umdeutung neu zu denken.« Zur Bedeutung von Handlungsfähigkeit für die Performativität vgl. Stritzke 2006, 101f. 117 Zur Qualität geschlechterabhängiger Wissensvermittlung durch die Fokalisierung vgl. Allrath/ Surkamp 2004, 162f. 118 Kowalewski 2002, 139. 119 Zur verstärkten Festlegung der Frau auf die häusliche Sphäre als privater Ausdruck institutioneller Transformationen in der frühen Kaiserzeit vgl. Milnor 2005, 3f. 120 Vgl. McClain 1994, 192. 121 Zur Funktion der Perspektive als Indikator eines sozial definierten Werte- und Normensystems vgl. Allrath/Surkamp 2004, 164f.

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Diskurses und trägt damit der Bedeutung von Frauen für die moralische Integrität der frühen Kaiserzeit Rechnung.122 Diese weibliche Perspektive unterscheidet sich qualitativ deutlich von der männlichen Innensicht in der Krise. Fabias Vater formuliert mit seinen Worten eosdem propediem domi uisuram honores einen umfassenden Wertezugriff. Auf der einen Seite ist es sein explizit männliches Handeln, durch das er nicht nur die figurale Krise der Tochter, sondern auch die institutionelle Krise der Ständeunruhen zugunsten der Plebejer beeinflusst. Seine Bemühungen münden schließlich in den Erlass der leges Liciniae Sextiae, die dazu führen, dass ein Plebejer erstmals zum Konsul gewählt werden kann.123 Auf diese Weise wird männliche Handlungsmacht in institutionellen Bereichen erzeugt, die zum Abbild eines augusteischen Geschlechterverhältnisses wird.124 Auf der anderen Seite fokalisiert der Vater mit dem Relativsatz quos apud sororem uideat den Geltungsanspruch der Tochter und greift damit auf ihre Perspektive zu. Diese Transformation von einem vormals weiblich zu einem nun männlich erzeugten Wissensbestand offenbart auf einer weiteren strukturellen Ebene die männliche Anlage, die dem Krisenhandeln zugrunde liegt. Somit ist das figurale Wissen eine entscheidende Kategorie zur Untersuchung eines geschlechtlich markierten Figurenhandelns und der hierarchischen Strategien, die dieses bedingen.125 Anhand der Figur der Fabia minor und ihrer Rolle in den Ständekämpfen konnte gezeigt werden, dass das Kriterium der Perspektive für die Untersuchung von Genderidentitäten und spezifischen Wertezugängen von großem Nutzen ist. Es können dadurch strukturelle Darstellungsverfahren offengelegt werden, die figurales Wissen geschlechtlich differenzierbar machen. Geschlechtlich markierte Wissensbestände ermöglichen es damit, Frauengestalten im Gender- und Wertediskurs der frühen Kaiserzeit zu verorten. So kann einerseits – wie im Fall der Fabia minor – auf der Grundlage des Figurenwissens ein Idealbild eines augusteischen Geschlechterverhältnisses bestimmt werden. Andererseits kann mithilfe dieser Methodik gezeigt werden, wie Geschlechterverhältnisse in diskursiven Ereignissen wie Krisen stets neu verhandelt und ihre Grenzen ausgelotet oder verschoben werden.126

122 Milnor 2005, 14–16 hat auf die besondere Bedeutung der Frau als Werteträgerin des augusteischen Diskurses hingewiesen. Diese Funktion als Werte-Exemplum bildet ab, was Villa 2010, 151 als »sprachliche Formationen« bezeichnet, die im Sinne von Butler Ausdruck einer Subjektwerdung sind. 123 Zur Rolle Fabias in diesem Kontext vgl. Kowalewski 2002, 139f. 124 Zur Binarität aus Weiblichkeit im häuslichen und Männlichkeit im institutionellen Bereich in augusteischer Zeit vgl. Milnor 2005, 11. 125 Zur Korrelation von genderspezifischem Wissen und hierarchischen Strukturen vgl. Allrath/ Surkamp 2004, 166. 126 Zur Instabilität von Geschlecht als Ergebnis des Diskurses vgl. Villa 2010, 148.

2.

Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen

Die römische Geschichte von der Gründung der Stadt bis zum Sieg der Römer über die Gallier und die darauffolgende Bezeichnung des Diktators Marcus Furius Camillus als conditor alter urbis (5,49,7) bilden im Werk des Livius eine geschlossene Einheit. Sie vollzieht den Transformationsprozess von Roms Aufstieg und Anerkennung als hegemoniale Macht nach und kann durch das zugrundeliegende geschlechterspezifische Wertekonzept der ersten Pentade als Reflex des frühkaiserzeitlichen Krisendiskurses gedeutet werden.1 Zugleich demonstriert die erste Pentade eine deutliche Nähe zu Augustus’ Prinzipatsideologie:2 Nach den Wirren des Bürgerkriegs blickt die livianische Narration nun auf die Gründung eines ›neuen‹ Roms unter der Herrschaft des Augustus.3 Im Folgenden soll gezeigt werden, dass vor allem Kriege der römischen Frühgeschichte im Geschichtsverständnis des Livius als Ereignisse wahrgenommen werden, die diese Entwicklung einleiten. Sie initiieren grundlegende Lösungsansätze in sozialen und politischen Konflikten.4 Die Kriege der Frühzeit stellen damit krisenhafte Anlässe dar, die diese Entwicklungsphase strukturieren, indem Entscheidungen und Entwicklungen zur Überwindung einzelner Krisen notwendig gemacht werden. Auf übergeordneter Ebene fügen sich die Anlässe, die sich von den Kriegen gegen Sabiner und Albaner über die Absetzung der Könige bis zu den Kriegen gegen Etrusker und Gallier erstrecken, zu einem Transformationsprozess. Dieser vollzieht Roms Aufstieg zur Hegemonialmacht als Entwicklung nach, die von einer übergeordneten moralischen Legitimationskrise der römischen Herrschaft bestimmt ist. Es lässt sich somit in der ersten Pentade von Ab urbe condita ein dichotomer Krisenbegriff erkennen, der sich einerseits punktuell in den unmittelbaren Kriegen, andererseits in Roms längerfristiger Entwicklung artikuliert. Beide Aspekte vereint jedoch, dass in moralischer und auch geschlechtlicher Hinsicht die Eckpfeiler einer römischen Identität als Weltmacht verhandelt werden.5

1 Zur Geschlossenheit der ersten Pentade vgl. Mette 1961, 276; Miles 1986; Miles 1988, 192–194; Stadter 2009, 93f.; Vasaly 2015b, 218. Zur Gleichsetzung von Camillus und Augustus vgl. Vasaly 2015a, 1. 2 Vgl. Petersen 1961, 440f.; Walsh 1961, 29; Walsh 1996a, 10f. Zur Unterscheidung der livianischen von pro-republikanischen Haltungen Ciceros und Sallusts vgl. Vretska 1953, 196. 3 Vgl. Walsh 1982b, 1064. 4 Vgl. Miles 1988, 192; mit Blick auf den darauffolgenden Aufstieg Roms zum Weltreich vgl. Petzold 1983, 253f. 5 Zum Krisenbegriff vgl. Kapitel 1.2.

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Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen

Wenn in der Praefatio dezidiert nach den Männern als Träger dieser Exempla gefragt wird,6 macht dies eine genderspezifische Betrachtung der einzelnen Krisen und ihrer Wertekonzepte unerlässlich. Auch neuste Betrachtungen des livianischen Werkes haben die Kategorie des Geschlechts nämlich gänzlich außer Acht gelassen.7 Männern kommt die von Livius postulierte Aufgabe zu, die römische Herrschaft in Kriegs- und Friedenszeiten zu vergrößern. Männliche Handlungsmacht ist damit zur Lösung von Situationen kriegerischer Anspannung dringend erforderlich. Livius formuliert für Männlichkeit und männliche Leistungen in Krisen also einen moralischen Maßstab für das Handeln im Sinne Roms.8 Dabei verhandelt der Historiograph auf individuell-figuraler exemplarischer Ebene das moralische Fundament des römischen Selbstbildes, das in diesem Entwicklungsprozess konstruiert wird. Hierin offenbart sich der Wertediskurs augusteischer Zeit, die als moralisch verkommene Gegenwart (praef. 5) bezeichnet wird und die ihren Idealzustand in den Ursprüngen Roms erkennt. Diesen mores maiorum schreibt Livius normative Bedeutung zu.9 Damit verlegt Livius die wegweisenden römischen Leistungen und moralischen Exempla in die Frühgeschichte. So stellt sich die Frage, welche mores in dem Bestreben, den Aufstieg Roms nachzuerzählen, mithilfe von Werte-Exempla inszeniert werden.10 Hier zeigt sich die generische Eigenheit des Textcorpus: Die Historiographie ist darum bemüht, eine Relation von Vergangenheit und Gegenwart herzustellen. Dazu werden moralische Handlungen aus der frühen römischen Geschichte in die Gegenwart projiziert und vom Wertediskurs augusteischer Zeit adaptiert.11 Diese Handlungen von Helden der Vergangenheit werden von Livius als Exempla inszeniert. Langlands hat bereits erkannt, dass insbesondere unter Augustus Exempla als Abbild der Ideologie gebraucht werden.12 Die Bedeutung dieser Exempla muss damit sowohl für die frührömischen Krisen als auch für den zugrundeliegenden kaiserzeitlichen Wertediskurs geprüft werden. Daraus lässt sich dann die Bedeutung der römischen Frühgeschichte für die moralische Identität Roms herausarbeiten und mit Blick auf das augusteische Genderkonzept untersuchen.

6 Liv. praef. 9: qui mores fuerint, per quos uiros quibusque artibus domi militiaeque et partum et auctum imperium sit. 7 Vgl. etwa Vasaly 2015a, 29. 8 Zur Tradition des Begriffs der mores vgl. Vretska 1953, 194. 9 Vgl. Roller 2018, 14. 10 Walsh 1955, 370 führt hier einen Kanon an artes auf: »principles of religious, political, and private activity – pietas and fides; concordia, disciplina, clementia, prudentia; virtus, pudicitia, dignitas, frugalitas and the rest. In Livy the great Romans embody these artes.« 11 Vgl. Roller 2018, 11, 17–19. 12 Vgl. Langlands 2018, 71.

Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen

Gleichzeitig ist die erste Pentade nämlich so reich an Frauengestalten wie keine andere Einheit dieses Werkes. So kann im Folgenden nicht nur ein männlich definiertes römisches Wertekonstrukt, sondern in diesem Kontext ebenso auch ein konsistentes Weiblichkeitsbild gezeigt werden, das Livius anhand zentral platzierter Frauen-Exempla der Frühgeschichte vermittelt.13 Livius konstruiert hierin nicht nur die Idee der römischen Einheit, welche die Gründung der Stadt und ihre sukzessive hegemoniale und institutionelle Festigung nachvollzieht. Parallel dazu schafft er in diesem Teil seines Werkes ein konsistentes Bild normativer Weiblichkeit, das sich entlang krisenhafter Ereignisse entwickelt. Dieses Frauenbild trägt dem augusteischen Konservatismus Rechnung: Es wird deutlich, dass Frauen punktuell und auf informellem Wege durchaus Einfluss auf Männer ausüben können, dass in der Öffentlichkeit jedoch kein Platz für Frauen vorgesehen ist.14 Eine Analyse des geschlechtlich markierten Wissens soll diesen Befund weiter schärfen und ein stark differenziertes Genderkonzept in der Gründungspentade aufzeigen: Weibliche Initiative ist im Krisenkontext und im normativ inszenierten weiblichen Verhaltensrepertoire stets limitiert. Dennoch ist explizit weibliches Wissen punktuell notwendig, um erfolgreiches Krisenmanagement von Männern anzuregen oder Frauen selbst zum krisenlösenden Exemplum werden zu lassen. Es zeigt sich, dass Livius entgegen aller Ambivalenz im Verlauf der ersten Pentade sukzessiv ein normatives Weiblichkeitsbild etabliert. Dazu wird transgressives Frauenhandeln, das für den augusteischen Diskurs als unzulässig erscheint, ausgemerzt und im Verlauf dieses Werkteils und im Folgenden stetig durch korrektive Exempla ersetzt. Ein derartiges Narrativ der Frühgeschichte spiegelt den Diskurs einer augusteischen Rom-Ideologie, die gleichermaßen auch für das Genderkonzept prägend ist.15 Dabei soll gezeigt werden, dass die Krise der Königszeit eine besondere Öffnung der epistemischen Gestaltung zugunsten von Frauengestalten kennzeichnet. Die weiblichen Wissensbestände werden auf der Grundlage defizitärer Männlichkeit zum Ausdruck eines geschlechterspezifischen Krisenhandelns. Männliche Wertedefizite erzeugen auf Seiten der Frauen ein Spannungsverhältnis aus normativer Weiblichkeit und einer weiblichen Perspektive auf Werteideale sowie einer transgressiven Inszenierung von Frauengestalten. Einerseits soll im Folgenden eine

13 Einen Überblick über die generelle Platzierung von Frauengestalten in diesen Büchern liefert Kowalewski 2002, 7; überblicksartig für das gesamte livianische Werk vgl. auch McClain 1994, 46–48. 14 Vgl. Kunst 2008, 62f., 94. 15 Kowalewski 2002, 7f. erkennt etwa die Vorbildfunktion römischer Tugend von Lucretia, Verginia und Cloelia sowie den Sabinerinnen und Coriolans Mutter Veturia; hinsichtlich der Konstruktion eines konsistenten Weiblichkeitsbildes in der ersten Pentade können diese Beobachtung allerdings noch differenziert werden. McClain 1994, 107 illustriert das ideologische Konzept des Genderdiskurses hingegen am Beispiel der lex Oppia-Episode.

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Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen

Würdigung von punktuellen Transgressionen nachgewiesen werden, wenn etwa in der Episode des Sabinerkrieges weibliche Perspektiven genutzt werden, um männliche Wissensbestände zu erschließen. Andererseits wird zu zeigen sein, dass Livius die Einnahme einer männlichen Perspektive durch Frauen, die nicht dazu dient, männliches Wissen zu erschließen, selbst als Krise bewertet. Dies ist etwa bei den transgressiv inszenierten Frauengestalten Tanaquil und Tullia mit ihrer männlichen Perspektive zu beobachten. Krisen werden auf diese Weise für beide Geschlechter gleichermaßen zu diskursiven Ereignissen, sodass für diesen Werkteil eine geschlechtlich markierte Krisenwahrnehmung berücksichtigt werden muss. Mit der Betrachtung der figuralen Perspektiven soll im Folgenden nach den moralischen Wissensbeständen gefragt werden, durch die Livius ein Geschlechterverhältnis in Krisen artikuliert.16 Diese weibliche Teilhabe ist konstitutiv für die Rolle von Frauen in Livius’ Geschichtswerk. Die Fähigkeit oder auch Unfähigkeit von Männern, dem livianischen Postulat entsprechend die römische Herrschaft in der Königszeit zu vergrößern,17 ist dabei das entscheidende diskursive Moment des Geschlechterkonzepts. Livius verhandelt dafür die geschlechtliche Ambivalenz von Frauengestalten stets vor dem Hintergrund eines männlichen Krisenhandelns. Weibliche Initiativen werden nämlich durch männliche Defizite bedingt und erforderlich. Weibliches Handeln ist somit stets als Reflex eines Männerhandelns zu verstehen. Daher muss in den vorliegenden Fällen nach den unmittelbaren Bedingungen gefragt werden, die das Auftreten von Frauen evozieren. Hierbei stehen die Grenzen eines männlichen Krisenmanagements zur Disposition. Die Unfähigkeit, Krisen lösen zu können, ist dabei ein zentrales Kriterium, an dem das Figurenhandeln einer genderspezifischen Untersuchung unterzogen werden kann. Die defizitäre männliche Handlungsmacht kann mithilfe des Kriteriums der Geschwindigkeit einer Erzählung gemessen werden:18 Zu betrachten ist das Spannungsverhältnis von erzählter Krisendauer und dem Wirkungsgrad männlichen Handelns, um eine qualitative Bewertung genderspezifischer Performanz und eine wertegeleitete Beurteilung derer vornehmen zu können. Auf dieser Grundlage ist die Frage nach einem geschlechterbezogenen

16 Die Krisenwahrnehmung der ausgehenden Königszeit wird selbst in der jüngsten Forschung als ein rein männliches Problem betrachtet, das sich aus den Figuren der etruskischen Könige ergibt, vgl. Fox 2015, 287–290; Martin 2015, 265–268. Einzelanalysen der Frauengestalten verblieben hingegen bisher weitgehend in Betrachtungen, die das Geschlechterverhältnis außer Acht ließen. 17 Zur Ausdehnung römischer Macht als Leitmotiv der livianischen Narration der Königszeit vgl. beispielhaft Martin 2015, 263. Auf dessen besondere Bedeutung in augusteischer Zeit hat Syme 1959, 22 hingewiesen. 18 Nach Genette 2010, 53–71. Zum Konzept der Zeit in römischer Historiographie vgl. Feeney 2009. Die von Pausch 2011 erkannten Strategien der Retardation zur Erzeugung von Spannung bei Livius gilt es in diesem Zusammenhang auf eine geschlechterspezifische Anwendbarkeit zu prüfen.

Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia

Wertekonzept zu stellen, wie es bisher vornehmlich für die Ideale von uirtus und pudicitia identifiziert wurde.19 Dafür wird im Folgenden weibliches Handeln auf die exemplarische Funktion hin untersucht, um den normativen Wert dieser Exempla für den augusteischen Wertediskurs aufzeigen zu können. Dies erfordert eine dezidierte Auseinandersetzung mit den Grenzen des männlichen Krisenhandelns, das Raum für weibliche Handlungsmacht bietet, was am Beispiel der Kriege mit den Nachbarvölkern im ersten Buch geschieht. Zudem soll in Abhängigkeit davon am Beispiel der Königszeit nach den Konstruktionsmechanismen ambivalenter Weiblichkeit gefragt werden, um die genderspezifische Performanz anhand des zugrunde liegenden Diskurses bewerten und daraus ein normatives Weiblichkeitskonzept ableiten zu können.

2.1

Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia

Anhand der römischen Kriege im ersten und zweiten Buch Ab urbe condita gegen Sabiner, Albaner und Volsker lässt sich ein livianisches Krisenverständnis abbilden, das vor allem ein Problem römischer Männer innerhalb eines Gründungsprozesses darstellt. Darin werden wesentliche Elemente einer Krisenwahrnehmung präsentiert, die sich in diesem Kriegsnarrativ niederschlagen. Auf zwei Ebenen argumentiert Livius bei der Darstellung der Auseinandersetzungen: Erstens wird in jedem dieser kriegerischen Konflikte sowohl der Fortbestand römischer Macht als auch deren Ausweitung verhandelt. Zweitens werden diese Krisen zu integrativen Prozessen, weil zur Lösung jedes Konflikts stets die Vereinigung von Völkern oder im Falle der Coriolan-Episode die innerrömische Einheit gegenüber dem Feind erforderlich ist. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Krisen in der römischen Frühgeschichte damit als Transformationsprozesse zu verstehen sind, die den Macht- aber vor allem auch den Identitätsdiskurs abbilden, der in augusteischer Zeit die Memoria der Königszeit bestimmt. Die krisenhafte Gestaltung dieses Narrativs legt durch ihre Inszenierung männlichen Krisenhandelns nahe, dass in einer genderspezifischen Analyse dieses Werkteils auch die Darstellung von Männlichkeit nicht außer Acht gelassen werden darf. Diese Genderperspektive dient somit dazu, die Dimensionen dieser Krisen in der Narration des frühen Prinzipats aufzuzeigen und Männlichkeit zum Marker von Krisen zu machen.20

19 Zur männlich markierten uirtus vgl. McDonnell 2006; zur weiblichen pudicitia vgl. Langlands 2006, 46–48. 20 Dies erweitert den von Gowing 2005, 21 formulierten Wert des livianischen Werkes als Reflex einer augusteischen Erinnerungskultur von »politically charged events« jener Zeit um eine genderspezifische Perspektive.

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Um die These eines kongruenten Frauenbildes in der ersten Pentade zu stützen, ist daher im Folgenden das Genderkonzept zu prüfen, das diesen Transformationsprozessen zugrunde liegt. Während vor allem die hegemoniale Macht und Ausdehnung Roms als eine genuin männliche Art der Krise verstanden werden kann,21 zeigt das livianische Narrativ dieser Krise deutlich die Grenzen männlicher Handlungsmacht auf. Die römische Einheit dient dabei als Folie einer geschlechterspezifischen Analyse: Nicht nur im ersten Buch bemisst Livius die Kriege des Romulus gegen umliegende Völker, die auf eine Vereinigung zu einem römischen Volk zielen, am Wert der concordia (1,11,2), und unterstellt den Krieg des Tullus Hostilius gegen die Albaner dem Leitmotiv der Einheit.22 Auch im zweiten Buch ist die Erzählung von Coriolans Krieg gegen Rom vom Wert der concordia wie auch im weiteren Verlauf von der republikanischen libertas bestimmt.23 Es soll nachgewiesen werden, dass der Wert der römischen Eintracht – sei es die anfängliche Vereinigung zu einem römischen Volk oder später die Bewahrung dieser Einheit in Krisensituationen – einen zentralen Stellenwert in der augusteischen Memoria der Königszeit und der frühen Republik einnimmt.24 So spiegelt dieser Wert die Bedeutung der concordia in der Zeit des Umbruchs von der Republik zum Prinzipat wider: Das livianische Narrativ idealisiert diesen Wert als einen deutlichen Kontrast zur discordia, welche die Erinnerung an die Bürgerkriegszeit prägt, die Livius’ Werk zugrunde liegt, und ein gefährliches Übel in der frühkaiserzeitlichen Wahrnehmung darstellt.25 Es soll zudem gezeigt werden, dass sich dieses Wertekonstrukt der Einheit im zeitgenössischen Diskurs in der augusteischen Erinnerungskultur dezidiert als ein Genderproblem niederschlägt. Die einleitende Betrachtung der männlichen Handlungsfähigkeit eröffnet eine genderspezifische Perspektive in diesem Wertediskurs, sodass am Maßstab der concordia eine qualitative Analyse männlichen Krisenhandelns möglich wird. Hierfür soll in einem ersten Schritt die Inszenierung von Männlichkeit und männlicher Performanz in Krisen analysiert werden. Dazu wird beispielhaft der Blick auf das Handeln der prominenten männlichen Protagonisten gerichtet und so die Bedeutungen von Romulus, Tullus Hostilius und Coriolan für die Lösung der Wertekrisen

21 Albrecht 2016, 49 weist darauf hin, dass bereits zu Beginn der römischen Geschichte der Wettbewerb unter Männern um Macht ein zentrales Anliegen der Geschichtsdarstellung ist. 22 Liv. 1,23,2: euentus tamen belli minus miserabilem dimicationem fecit, quod nec acie certatum est et tectis modo dirutis alterius urbis duo populi in unum confusi sunt. 23 Liv. 2,39,7: sed externus timor, maximum concordia uinculum, quamuis suspectos infensosque inter se iungebat animos. Zum Leitmotiv der libertas bei Livius vgl. Lefèvre 1983, 33. Zur besonderen Bedeutung der Coriolan-Episode innerhalb der ersten Pentade vgl. Vasaly 2015b, 221. 24 Zur Bedeutung von libertas und concordia in augusteischer Zeit vgl. Walsh 1961, 29. 25 Vgl. Haehling 2007, 73; Mineo 2015, 133–135. Walsh 1996a, 69f. gesteht dem Leitmotiv der concordia erst im livianischen Narrativ der Ständekämpfe herausragende Bedeutung zu.

Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia

bewertet, die den Narrativen zugrunde liegen. Exemplarisch soll hieran die Wahrnehmung einer dezidiert männlichen Wertekrise aufgezeigt werden, die Livius in der Memoria jener Zeit verortet. Dafür wird männliches Handeln auf zwei Ebenen betrachtet: Einerseits wird auf der Ebene der Figuren die Bedeutung der Emotionen für die Charakterisierung von Männern als Hemmnis ihres Handelns analysiert. Andererseits soll auf narrativer Ebene eine Verlangsamung des Erzähltempos nachgewiesen werden. Diese lässt sich anhand zweier Faktoren nachweisen, für die eine genderspezifische Funktion formuliert werden kann: Sowohl die Verlagerung des Fokus auf detaillierte Raumdeskriptionen als auch eine Fülle von aitiologischen Exkursen sorgen dafür,26 dass die Narration erheblich verlangsamt und dadurch das männliche Krisenhandeln gebremst wird.27 In einem zweiten Schritt soll gezeigt werden, dass diese Dekonstruktion männlicher Handlungsmacht eine Leerstelle in der Erzählung generiert, die Raum für weibliches Handeln bietet. Vor diesem Hintergrund eines performativen Defizits von Männern wird weiblichem Handeln eine gendertransgressive Wirkung zugestanden, die sich – wie zu zeigen sein wird – ebenfalls aus zwei Faktoren ergibt: Erstens ist für Frauen eine Handlungsfähigkeit in entscheidenden Momenten von Krisen nachweisbar. Kunst hat mit dem weiblichen Bitten bereits einen bedeutenden Modus der Einflussnahme von Frauen identifiziert.28 Zusätzlich ergibt sich aus dem Frauenhandeln auch explizit transgressives Potential gegenüber Männern: Im Gegensatz zu Männern wird ihnen darin die Fähigkeit zugeschrieben, ihre Emotionen regulieren und daraus eine transgressive Performanz generieren zu können.29 Gleichzeitig wird die Genderidentität der Männer dadurch dekonstruiert. Zweitens ergibt sich hieraus der für die Analyse von Gender- und Wertediskurs bedeutendere Faktor der weiblichen Perspektive. Livius verortet Frauen an zentralen Schnittstellen von Krisennarrativen, an denen männliches Handeln stagniert. Die epistemische Inszenierung von Frauen erzeugt dabei eine weibliche Innensicht, durch die ein Zugriff auf die entscheidenden Werte der Krisen geschaffen und somit eine epistemische Gendertransgression erzeugt wird.

26 Dies erweitert die communis opinio eines verstärkten Interesses an der eigenen römischen Vergangenheit im frühen Prinzipat, wie es etwa Fox 2015, 291 formuliert. 27 Der Analyse der erzählten Zeitdauer dienen hier besonders die narrativen Tempi der Summary, Pause, Ellipse und Szene, um die Zeit, die versuchtes männliches Krisenhandeln in Anspruch nimmt und damit auch dessen Wirksamkeit bemessen zu können, vgl. Genette 2010, 53–71. 28 Vgl. Kunst 2016, 209–211. 29 Ogilvie 1978, 65 hat die emotionale Struktur der Sabinerinnen-Episode und deren Wirkung auf den Handlungsverlauf bereits aufgezeigt: »His method is to use the Sabine women like a Greek chorus as a constant background to each episode and to allow their emotions gradually to change with circumstances.« Im Kontext der Genderinteraktion ist die weibliche Emotion hingegen nicht betrachtet worden.

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In einem dritten Schritt soll die Funktion von Frauen als Katalysatoren männlichen Handelns gezeigt werden: Ebenfalls aus einem weiblichen Krisenwissen ergibt sich der Wert Horatias und Tarpeias, die beide wesentlich mit dem Konzept eines geschlechterbezogenen Krisen-Exemplums verknüpft sind.30 Nicht transgressiv, sondern als Ausdruck eines rein weiblichen Exemplums lässt Livius die Frauen auf Krisen blicken. So soll abschließend eine negativ bewertete und explizit weibliche Perspektive in den Blick genommen werden: Diese Frauen sind außerstande, global Krisenhaftes wahrzunehmen, sondern nehmen stattdessen nur von ihrer eigenen Betroffenheit Notiz. Diese Frauen wiederum dienen als Katalysatoren eines männlichen Krisenhandelns, welche die Handlungsfähigkeit von Männern initiieren. Die Männer dieser Exempla sind für Livius die patriotischen Protagonisten der Kriege. Sie rezipieren mit ihrer römischen Perspektive des Roman gaze die weiblichen Exempla.31 Somit ergibt sich weibliches Aufbegehren hier jeweils aus einer Frauen zugestandenen weiblichen Innensicht, der eine umfassende Krisenwahrnehmung fehlt. Diese weibliche Epistemologie, die das transgressive Frauenhandeln abbildet, ist damit das entscheidende Kriterium der Geschlechterperformanz. Auf diese Weise wird es möglich, eine weibliche Krisenperspektive im Spannungsfeld des Geschlechterhandelns funktional zu verorten. 2.1.1

Krisenzeit: Männer und das Problem der Emotion

In genuin männlichen Krisen lässt sich ein narratives Muster aufzeigen, mit dem Livius die Unfähigkeit der Protagonisten zur Krisenlösung darstellt. Dieses Defizit im Krisenmanagement kommt für Männer deutlich in militärischen Krisen zum Ausdruck und lässt sich im Umgang mit den Konflikten des Sabiner- und Albanerkrieges sowie im Verlauf der Belagerung Roms durch Coriolan aufzeigen. Das ausschlaggebende Kriterium, das dieses Unvermögen der Kriegsherren aufdeckt, ist die Gestaltung der Zeit. So offenbart eine Analyse der Zeitdauer der Narration das Problem, das sich aus dem fehlenden männlichen Zugriff auf die concordia in dieser Krise ergibt und sich als spezifisch römisches herausstellt. Römischen 30 Bauman 1969, Tyrrell 1974, Watson 1979, Solodow 2009 rezipierten den Fall der Horatia dagegen allein hinsichtlich des Aitions der prouocatio ad populum. Ebenso standen Person und Charakter des Tullus Hostilius sowie die stereotype Darstellung beider Kriegsparteien im Zentrum des Forschungsinteresses, vgl. Mensching 1966, Briquel 2004, Noonan 2006, Bittarello 2009. Eine Ausnahme stellt die Arbeit von Watson 1979 dar. Die Funktion weiblichen Handelns als »markers of disruption in the world of men« hat Welch 2012, 180 am Beispiel von Tarpeia und Horatia erkannt, ohne das Figurenhandeln jedoch einer geschlechterspezifischen Analyse zu unterziehen; ähnlich Stevenson 2011. Ansonsten galt das Interesse an der Tarpeia-Episode vor allem der moralischen Deutung ihres unpatriotischen Handelns, vgl. Brown 1995, Kowalewski 2002, Stevenson 2011, Müller 2014. 31 Zum Konzept des Roman gaze vgl. Fredrick 2002.

Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia

Männern – allen voran Romulus – bleibt über die zeitliche Gestaltung vermittelt die Möglichkeit vorenthalten, ihre jeweiligen Krisen zu lösen. Dies schlägt sich in zweierlei Weise in der Erzählung nieder: Einerseits lässt sich auf der narrativen Ebene mit der Einbindung von Aitien und detaillierten Raumbeschreibungen eine Verlangsamung des Erzähltempos erkennen.32 Andererseits ist auf der figuralen Ebene ein emotionales Konzept männlicher Protagonisten auszumachen, das für Livius zum Hemmnis männlichen Handelns wird. Somit soll im Folgenden eine erzählte Dekonstruktion männlicher Handlungsmacht als Kennzeichen einer Krise nachgewiesen werden, die sich aus einem fehlenden männlichen Wertewissen ergibt und damit explizit ein Genderproblem darstellt.33 Vor die Herausforderung gestellt, den Frauenmangel zu beseitigen, bietet die Figur des Romulus einen Einblick in die Strategien männlichen Krisenhandelns, das Livius dem ersten römischen König zugesteht. Das Spannungsverhältnis aus dem narrativen Interesse dieser Episode, Aitien und Raumbeschreibungen der römischen Frühgeschichte zu platzieren, und der Bedeutung der Emotion für die männliche Handlungsmacht lässt sich hieran beispielhaft verdeutlichen: cui tempus locumque aptum ut daret, Romulus aegritudinem animi dissimulans ludos ex industria parat Neptuno equestri sollemnes; Consualia uocat. indici deinde finitimis spectaculum iubet.34 (Liv. 1,9,6)

Bereits hier zeigt sich ein emotionales Konzept, das die Handlungsfähigkeit des römischen Königs bestimmt. Als ausdrückliche Kennzeichen königlich-männlichen Handelns stehen ex industria parat, was auf eine rationale Anlage seines Vorgehens verweist,35 und iubet für die Handlungsmacht, die Romulus zugestanden wird. Die Bezeichnung des Königs als aegritudinem animi dissimulans zeigt, dass sich auch bei ihm wie bei der gesamten römischen Jugend die Ablehnung und die damit einhergehende Verschärfung der Krise als ein emotionales Problem von 32 Die aitiologische Funktion des Sabiner-Krieges und die sukzessive Erschließung der römischen Topographie sind bereits von Pausch 2008 aufgezeigt worden und erhalten hier eine geschlechterspezifische Bedeutung. 33 Die communis opinio einer kritischen Bewertung der Königszeit bei Livius, die etwa von Forsythe 1999, 59 erkannt wurde, erhält damit eine genderspezifische Differenzierung. Zusätzlich ist so eine Krisenwahrnehmung nachweisbar, die bereits deutlich vor dem übereinstimmend formulierten Niedergang der Monarchie unter den etruskischen Königen einsetzt, wie es beispielhaft von Martin 2015, 265 konstatiert wurde. 34 Um dafür einen passenden Zeitpunkt und einen geeigneten Ort zu bieten, verbarg Romulus seine Verärgerung und bereitete geschäftig feierliche Spiele zu Ehren des Pferde-Neptun vor; Consualien nannte er sie. Daraufhin ließ er den Nachbarn das Schauspiel ankündigen. 35 Vgl. Lambertz 1943, 1276,31–45.

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Männern niederschlägt.36 Allerdings verdeutlicht die semantische Qualität von dissimulare, dass Romulus als ein Mann charakterisiert wird, der imstande ist, seine Affekte zu regulieren – wenn auch nicht gänzlich auszublenden.37 Somit wird die Affektkontrolle zum konstitutiven Moment der Handlungsmacht, die dem König zugestanden wird. Das hier platzierte Aition der Consualien zeigt, dass das Interesse der Narration weniger in der Inszenierung eines männlichen Krisenmanagements als vielmehr in einer Darstellung identitätsstiftender Aspekte in der Memoria der römischen Frühgeschichte liegt.38 Diese bringt eine deutliche Verlangsamung des Erzähltempos des männlichen Krisenhandelns mit sich, sodass die männliche Handlungsfähigkeit des Romulus im Sabinerkrieg durchaus einer differenzierten Bewertung bedarf.39 Wie sehr allerdings die unregulierte Emotionalität von Männern zu einem Problem des Geschlechterhandels wird, das sich auch in der narrativen Ebene der Darstellung des Sabinerkrieges widerspiegelt, zeigt exemplarisch der erneute Ausbruch der Kriegshandlungen zwischen beiden Seiten.40 Als die Sabiner nach dem Verrat der Tarpeia in die römische Burg eindringen, erreicht die Erzählung einen zentralen Wendepunkt,41 der sich auch hinsichtlich der Inszenierung von Männlichkeit nachweisen lässt: Livius begründet das Vorgehen der Römer mit ira et cupiditate reciperandae arcis (1,12,1) und zeichnet damit das Bild männlichen Handelns, das von Emotionen bestimmt und durch diese gehemmt ist.42 Anders als zuvor wird den Männern hier nicht die Fähigkeit einer Regulierung ihrer Affekte zugeschrieben – im Gegenteil: Emotionalisierende Charakterisierungen der auf dem Schlachtfeld kämpfenden ferocissimi iuuenes (1,12,9) mit dem Superlativ, der bei Livius ansonsten ausschließlich in Bezug auf Nichtrömer verwendet wird,43 und die Zuschreibung der audacia an die Römer prägen die Erzählung.

36 Liv. 1,9,6: aegre id Romana pubes passa. Zur besonderen Bedeutung der Emotion an dieser Stelle vgl. Penella 1990, 209. 37 Bannier 1916, 1481,52–1481,31 setzt dissimulare mit occultare und silere gleich. 38 Zu dieser Ausrichtung vgl. Jaeger 1997, 30. Pausch 2008, 41, 46f., 49 schreibt Livius das Verdienst einer »aitiologischen Grundsteinlegung« anhand von Romulus’ Herrschaft zu, die Erklärungen der Identität des römischen Volkes liefere und eine emphatische Wirkung in der Narration habe. Als eine Kritik an der Ausdehnung Roms und damit ebenfalls negativ deutet Fox 2015, 290 die durch dieses Aition bezeichneten Vorgänge. 39 Albrecht 2016, 49, 88 setzt männliches Handeln unter Romulus absolut und sieht hierin die Begründung einer männlich-hegemonialen Ordnung Roms. 40 Dies macht die These römischer Überlegenheit im Kampf auf dem Forum nach Jaeger 1997, 46 in geschlechtlicher Hinsicht differenzierbar. 41 Dies ist bereits von ebd., 36 erkannt worden. 42 Vgl. Janssen 1972, 419. 43 Mit Ausnahme von Liv. 23,8,3. Zur pro-römischen Artikulation der ferocia vgl. Eckert 1970, 93. Der Superlativ mit Bezug auf Romulus ist nur hier belegt, vgl. Penella 1990, 212.

Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia

Zeitgleich erzeugt die Narration durch die detailreiche Darstellung des stadtrömischen Raumes eine Retardation. Statt männliches Krisenhandeln zu erzählen, zeichnet Livius den Einfall der Sabiner vom Palatinus Capitolinusque collis (1,12,1) über die porta Palati (1,12,3) bis hin zu dem Teil der Burg, toto quantum foro spatium est (1,12,8) nach. So wird in diesem Raum, der einen Teil der republikanischen Erinnerungslandschaft abbildet, eine krisenhafte Dynamik geschaffen,44 die in Verbindung mit dem emotionalen Handeln der Römer das Erzähltempo reduziert. Damit gelingt es Livius, das Krisenhandeln römischer Männer zu dekonstruieren. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund eines Konfliktes mit einem auswärtigen Volk bemerkenswert: Anders als etwa in Narrativen späterer Kriege wird die nichtrömische Opposition hier nicht dazu genutzt, die römische Seite und die männliche Handlungsmacht zu idealisieren.45 Stattdessen ist diese kritische Inszenierung ein deutliches Indiz für eine Krisenwahrnehmung, die auf einer defizitären männlichen Handlungsmacht gründet. Dieses Muster einer männlichen Krise bestimmt das Männerbild der ersten Pentade bei Livius und insbesondere das der Königszeit. Für die Episode des Krieges zwischen Römern und Albanern formuliert der Historiograph ebenfalls bereits einleitend die Zielsetzung einer Vereinigung beider Völker und legt darin eine Krise der männlichen Handlungsfähigkeit offen.46 Deutlich tritt nämlich ein Spannungsverhältnis zwischen diesem Anspruch und einem Männerhandeln zutage, das aufgrund von Emotionen stark gehemmt ist. Die Kriegstreiberei unter dem Leitmotiv der ferocia bestimmt den Konflikt beider Parteien, der auf diese Weise zu einer Krise wird. Tullus wird darin als rex bellicosus (1,31,5) bezeichnet, sein Vorgehen gegen die Albaner als ferocior etiam quam Romulus (1,22,2), ferox (1,23,4) und schließlich cum indole animi, tum spe uictoriae ferocior (1,23,10). Im Gegensatz zu Romulus zu Beginn des Sabinerkrieges ist Tullus nicht imstande, seine ferocia zu regulieren. Jegliche Reflexion über diesen Affekt hinaus beschränkt sich bei Tullus darauf, den Krieg beginnen zu können.47 Dass dies explizit eine Krise römischer Männlichkeit beschreibt, zeigt die Tatsache, dass Livius dem Albanerkönig Mettius Fufetius die Reflexionsfähigkeit zugesteht, die ihn das aus einer militärischen Es-

44 Vgl. Pausch 2008, 43. Jaeger 1997, 33 hat an dieser Stelle auf die Wirkung der Darstellung auf den Leser hingewiesen. 45 Diese männliche Handlungsfähigkeit haben Bernard 2015, 39 und Mineo 2015, 127, 129 im livianischen Narrativ der Kriege gegen Gallier und Karthager nachgewiesen. 46 Liv. 1,23,1f.: et bellum utrimque summa ope parabatur, ciuili similimum bello, prope inter parentes natosque [...] euentus tamen belli minus miserabilem dimicationem fecit, quod nec acie certatum est et tectis modo dirutis alterius urbis duo populi in unum confusi sunt. 47 Liv. 1,22,2: senescere igitur ciuitatem otio ratus undique materiam excitandi belli quaerebat. Burck 1964, 191f. hat hingegen strukturelle Parallelen in der Darstellung von Romulus und Tullus Hostilius nachgewiesen.

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kalation resultierende Unheil und das Problem der Affekte erkennen lässt: cupido imperii duos cognatos uicinosque populos ad arma stimulat (1,23,8).48 Somit wird das moralische Defizit der cupido durch eine Außenperspektive den Römern vor Augen geführt.49 Diese dient zugleich als Impulsgeber einer Krisenlösung, wenn daraufhin beschlossen wird, eine Entscheidung des Krieges durch den Kampf der Drillingsbrüder herbeizuführen. Ein ähnliches Problem des emotionalen Krisenhandelns lässt sich im Konflikt zwischen Römern und Volskern aufzeigen. Auf römischer Seite ist eine versuchte Lösung der Krise rein affektiv evoziert: multitudo ingens pacem poscentium primum seditioso clamore conterruit (2,39,9). Parallel dazu lässt Livius auch Coriolan indirekt seine emotionale Schwächung eingestehen, wenn dieser darum bemüht ist ut appareat exilio sibi inritatos, non fractos animos esse (2,39,11). Auch hier lässt bereits die Semantik militärisches Handeln scheitern, wenn appareat lediglich den Anschein erweckt, vorhandene Affekte zu unterdrücken.50 Affektives Handeln ist damit ein Topos eines männlichen Krisenhandelns, das die moralische Integrität der Männer infrage stellt. Es weist motivisch auf dessen Verlauf und eine folgende strategische Pattsituation voraus und stellt damit ein retardierendes Muster der Erzählung dar. Sowohl in der Episode des Albanerkrieges als auch in der des Coriolan prägt nämlich die narrative Raumgestaltung die Erzählung und sorgt für eine Verlangsamung des Erzähltempos: Ohne den entscheidenden Beitrag zur Lösung dieser Krisen zu bieten, verlagert Livius seine Darstellung auf eine Dynamik der räumlichen Annäherung beider Parteien. Livius lenkt den Fokus nicht nur beim Konflikt zwischen Römern und Albanern,51 sondern ebenso bei Coriolans Zug vor die Tore Roms auf eine Auserzählung räumlicher Details.52 Auf diese Weise erhält das im Sabinerkrieg formulierte Interesse an Aitien und an der Erschließung des stadtrömischen Raumes eine zusätzliche Bedeutung. Da dieses Element der Erzählung eng mit dem männlichen Krisenhandeln verknüpft ist, wird die Darstellung räumlicher Details zum Mittel einer Retardation. Wie die beiden weiteren Episoden exemplarisch verdeutlichen, ist die Emotion von

48 Zur moralisch ambivalenten Charakterisierung des Albanerkönigs an dieser Stelle vgl. Noonan 2006, 338. Somit muss Mensching 1966, 109 Recht gegeben werden, der die Kriegsschuld nicht allein im Versagen einer Seite sieht. 49 Zum Problem der cupido als Reflex des auitum malum der cupido regni von Romulus und Remus (1,6,4) in diesem Zusammenhang vgl. Konstan 1986, 207; Martin 2015, 265. 50 Albrecht 2016, 90 sieht in der fehlenden Standhaftigkeit im Ertragen der Verbannung ein Anzeichen mangelnder hegemonialer Männlichkeit. 51 Liv. 1,23,5: ea res ab statiuis exciuit Mettium. ducit quam proxime ad hostem potest. 52 Liv. 2,39,5: postremum ad urbem a Pedo ducit, et ad fossas Cluilias quinque ab urbe milia passuum castris positis, populatur inde agrum Romanum. Nur negativen Bewertung von Coriolans Männlichkeit vgl. Albrecht 2016, 90f.

Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia

Männern ein Hemmnis der figuralen Handlungsmacht, das durch eine Verlagerung der Erzählung auf die Raumdarstellung dem Interesse an aitiologischen und identitätsstiftenden Elementen der Narration Rechnung trägt. 2.1.2

Weibliche Gendertransgressionen und Krisenwissen

Die Dekonstruktion von männlicher Handlungsmacht in den betrachteten Krisennarrativen der ersten Pentade schafft Leerstellen in der Inszenierung des genderspezifischen Krisenhandelns. Diese Leerstellen kennzeichnen Krisen durch eine Stagnation der Handlung und die daraus resultierenden Situationen der Spannung als ein Genderproblem. Im Folgenden soll anhand der oben gezeigten Krisen nachgewiesen werden, dass die livianische Narration diesem männlich markierten Defizit der Performanz ausdrücklich Frauen gegenüberstellt, die in diese Leerstellen der Erzählung intervenieren und das Krisenhandeln vorantreiben. Erstens wird der Aspekt der Emotion dafür ein Analysekriterium bieten, das nicht nur dazu dient, die Darstellung von Emotionalität in Krisen als ein Genderproblem zu betrachten.53 So soll das Defizit emotionaler Männlichkeit als Hemmnis der Handlungsfähigkeit dem weiblichen Vermögen gegenüber gestellt werden, Emotionen und Affekte punktuell regulieren und daraus Handlungen generieren zu können.54 Zudem sollen aus diesem Befund Eigenschaften der Narration abgeleitet werden, die Weiblichkeit in dieser Mann-Frau-Opposition auszeichnen: Eine geschlechterspezifische Analyse ermöglicht es, Krisen zu strukturieren, wenn der Blick dezidiert auf weibliche Interventionen gelegt wird. Weibliches Handeln initiiert darin einen Lösungsprozess. Zweitens erlaubt dieser Fokus auf die Kategorie ›Geschlecht‹ eine differenzierte Charakterisierung der Protagonistinnen und Protagonisten der Episoden. Ihre Inszenierung lässt eine Umkehr der Geschlechterrollen auf performativer Ebene erkennen.55 Darüber hinaus gewährt die Analyse der Genderperformanz weitere Einblicke in die Inszenierung von Weiblichkeit. Das geschlechterspezifische Krisenwissens eröffnet dabei einen Blick auf die Narrativierung der Geschlechterverhältnisse. Geschlechtlich markierte Perspektiven auf Wertekrisen werden erkennbar. Auf diese Weise sollen weiblich figurierte Wissensbestände offengelegt werden, die zeigen,

53 Zur Häufung der Schilderung von Emotionen in Krisensituationen vgl. beispielhaft Walsh 1996a, 178. 54 Die von Miles 1992, 166 formulierte Auffassung normativer Männlichkeit im livianischen Narrativ erhält hinsichtlich der Performanz eine weiblich figurierte Perspektive. 55 Burck 1964, 214 hat auf die Bedeutung weiblicher Emotion für das Figurenhandeln hingewiesen: »Als die Sabinerinnen sich zwischen zwei Schlachtreihen werfen (1,13), und als Veturia und Volumnia Rom vor dem Angriffe Coriolans retten (2,40), gibt er die Handlung in knappen Strichen, arbeitet aber eindringlich die seelische Haltung der Frauen heraus.«

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dass Gendertransgressionen nicht nur in performativer Hinsicht vollzogen werden, sondern vielmehr auch vor dem Hintergrund des Figurenwissens verhandelt werden.56 So wird in den Interventionen von Frauen eine weibliche Innensicht geschaffen, die einen Zugriff auf die zentralen Werte dieser Krisen artikuliert.57 Damit ist die transgressive Perspektive der Frauen von besonderer Bedeutung für die Narration von Wertekrisen, da sie die Schnittstelle von Geschlecht und Wertediskurs kennzeichnet.58 Entsprechend soll im Folgenden gezeigt werden, dass die concordia in der Zeit des Romulus sowie in der Coriolan-Episode, die darin inszenierte libertas und gleichermaßen auch das Ideal der pudicitia in der Lucretia-Episode auf eine von Frauen vermittelte Innensicht angewiesen sind, um die jeweilige Leerstelle männlicher Handlungsmacht im Krisenmanagement zu schließen. Sie werden damit zu Trägerinnen römischer Werte, die eine in der Frühgeschichte verortete moralische Überlegenheit der Römer gegenüber anderen Völkern abbilden.59 Dafür macht die livianische Erzählung eine punktuelle Gendertransgression notwendig, die am Kriterium des weiblichen Krisenwissens vollzogen wird.60 2.1.2.1 Emotion und Genderperformanz

Die livianische Erzählung knüpft die Zuschreibungen von Emotionen und Affekten an die Genderidentität der Figuren und bietet so Einblicke in den zugrunde liegenden Genderdiskurs. In den Kriegen der Römer gegen Sabiner und Volsker sowie im Konflikt um die pudicitia Lucretias hemmt die emotionale und affektive Betroffenheit der Männer ihre Handlungsmacht und legt somit die Grenzen des männlichen Krisenhandelns offen. Dieses Kriterium hat bedeutende Auswirkungen auf die Anlage der Handlung in der Narration: Anders als Männer können Frauen nämlich ihre Emotionen regulieren. Wenn sie in Krisenerzählungen auftreten, ist mit dieser Fähigkeit die Voraussetzung geschaffen, dass sie anstelle von Männern punktuell zu Handlungsträgerinnen werden können. Auf diese Weise werden performative Gendertransgressionen sichtbar, die zu einer Umkehr des Geschlechterverhältnisses führen und gleichermaßen die Inszenierung von Frauengestalten bestimmen. Am 56 Auf diese Weise kann der Befund eines zunehmenden weiblichen Einflusses etwa auf Romulus, den Jaeger 1997, 54 erkannt hat, erklärt werden. 57 Ohne genderspezifische Analyse hat Stevenson 2011, 187 die Funktion von livianischen Frauen im ersten Buch erkannt: »These women exist in the narrative ostensibly as supporters of their men [...]«. 58 Dieser Befund differenziert die These von Albrecht 2016, 92f., Frauen dienten in Krisen »als Korrektive außer Kontrolle geratener Wettbewerbe unter Männern« um narrative Kriterien der Konstruktion von Genderidentitäten. 59 Vgl. dazu auch Walsh 1996a, 66. 60 Dies kennzeichnet insbesondere für die Charakterisierung der Sabinerinnen eine punktuelle Abkehr vom vielfach formulierten matronalen Ideal ihrer Darstellung, vgl. dazu etwa Stehle 1989, 149; Miles 1992, 168–170.

Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia

Beispiel des Einschreitens von sabinischen Frauen in das Kriegsgeschehen auf dem Forum soll im Folgenden die Bedeutung der Affektkontrolle aufgezeigt werden, die ihnen erheblichen Einfluss in männlichen Bereichen zugesteht.61 Diese Darstellung zeigt dabei ein Muster performativer Gendertransgressionen in den Interventionen von Frauengestalten der ersten Pentade. Transgressive Frauen werden darin zum zentralen Bezugspunkt der Krisen. Dieses Muster lässt sich gleichermaßen auch auf die geschlechterspezifische Analyse der Inszenierung von Veturia gegenüber Coriolan sowie von Lucretia gegenüber den Männern dieser Episode anwenden. Nach der Erzählung des ergebnislosen Kampfes zwischen römischen und sabinischen Männern auf dem Forum, die sich in einer Verlangsamung des Erzähltempos auszeichnete und eine sich zuspitzende Krise der Vereinigung beider Völker abbildet, stagniert der Konflikt zwischen beiden Seiten. Daraufhin platziert Livius das Einschreiten der Sabinerinnen, die erst hier als Zuschauerinnen des Kampfes genannt werden,62 an einer zentralen Stelle seiner Darstellung. Nicht nur strukturell markiert ihre Intervention einen Wendepunkt in der Krise, wenn damit die Lösung des Konflikts eingeleitet wird;63 auch die transgressive Genderperformanz der Frauen steht im deutlichen Kontrast zum männlichen Krisenhandeln: tum Sabinae mulieres, quarum ex iniuria bellum ortum erat, crinibus passis scissaque ueste, uicto malis muliebri pauore, ausae se inter tela uolantia inferre, ex transuerso impetu facto dirimere infestas acies, dirimere iras [...].64 (Liv. 1,13,1)

Die sabinischen Frauen sind hier mit ihrer ideal-männlichen Performanz imstande, ihrer stereotyp weiblichen Furcht (pauor) den aktiv konstituierten Wagemut (ausae) entgegenzustellen,65 über ihren Habitus der Trauer crinibus passis scissaque ueste

61 Zum männlich markierten Kontext des Konflikts vgl. etwa ebd., 181. Jaeger 1997, 48 und Kowalewski 2002, 28 haben zwar auf die Bedeutung der weiblichen Emotion an dieser Stelle hingewiesen; eine geschlechterspezifische Einordnung im Abgleich zur Charakterisierung männlichen Handelns fehlt jedoch. Bei Stehle 1989 findet die Bedeutung des Männlichen für die Charakterisierung der Frauen hingegen keine Berücksichtigung. 62 Vgl. Jaeger 1997, 47. 63 Ogilvie 1978, 78 deutet diesen Moment als Peripetie der Erzählung. 64 Da besiegten die Sabinerinnen, deren Raub den Krieg hatte ausbrechen lassen, aufgrund des schrecklichen Geschehens ihre weibliche Angst und mit aufgelösten Haaren und zerrissenen Kleidern wagten sie es, sich zwischen die fliegenden Geschosse zu werfen, drangen von der Seite her vor, brachten die verfeindeten Schlachtreihen auseinander, beseitigten den Zorn [...]. 65 Vgl. Miles 1992, 172; Brown 1995, 307.

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(1,13,1) hinwegzutreten und in das Kriegsgeschehen auf dem Forum einzugreifen.66 Damit bilden nun die Frauen eine ideal-männliche Performanz ab. Das bewusste Überwinden der weiblichen Angst markiert ebenso auch einen Gegensatz zur Genderidentität, die ihnen zuvor sowohl als Opfer des Raubes als auch durch ihre emotionale weibliche Betroffenheit zugeschrieben wurde.67 Somit legt das Kriterium der Emotion in dieser Passage eine performative Gendertransgression offen, die den Frauen in einer männlichen Sphäre punktuell Handlungsmacht zugesteht. Dieser Befund wirkt sich deutlich auf die Erzählung aus, sodass sich die Handlungsmacht, die aus dieser Übernahme eines männlichen Verhaltensrepertoires resultiert, auch in der Gestaltung des Erzähltempos niederschlägt. Nachdem die Handlung der Männer zuvor stagnierte, wird der Einfluss der weiblichen Intervention unmittelbar sichtbar: Verknappt durch die Verwendung von Ablativi Absoluti und Partizipien sowie den parallel verwendeten historischen Infinitiven gewinnt die Erzählung deutlich an Geschwindigkeit.68 Dieses gestalterische Element spiegelt den Inhalt der Erzählung wider, die den Sabinerinnen erheblichen Einfluss auf die Beendigung des Kampfes zuschreibt, sodass ihr Eingreifen männlich zu bewerten ist.69 Auf diese Weise erhält die Opposition von männlichem und weiblichem Krisenhandeln einen zusätzlichen Nachdruck, wenn sowohl die Charakterisierung der Frauen als auch die Inszenierung ihrer Handlung deutlich dem der Männer entgegensteht. Die performative Gendertransgression der Frauen, die sich aus ihrer Affektkontrolle sowie ihrem Einfluss auf den weiteren Handlungsverlauf ergibt, kann als Muster von weiblichem Einschreiten in männlich markierten Krisen identifiziert werden. So zeichnen sich auch die Charakterisierungen anderer Frauengestalten der ersten Pentade durch die Fähigkeit aus, die eigene emotionale Betroffenheit regulieren und in konkretes Handeln artikulieren zu können. Livius macht diese Eigenschaft zur Bedingung des Erfolges der Veturia bei ihrem Unterfangen, ihren Sohn Coriolan von einem Angriff auf Rom abzubringen. Auch in dieser Krisenerzählung hat das Einschreiten von Frauen strukturierende Wirkung, indem dadurch

66 Vgl. Weiẞenborn/Müller 2000a, 125; Hemker 1985, 43; Mustakallio 2013, 246. Albrecht 2016, 88 deutet das Schlachtfeld – wie auch das Forum – als einen männlich markierten Ort. Zum weiblichen Habitus der Frauen vgl. Ogilvie 1978, 78. 67 Zur passiven Rolle der Sabinerinnen als geraubte Frauen und zu ihrer weiblichen Emotionalität vgl. beispielhaft Liv. 1,9,14: nec raptis aut spes de se melior aut indignatio est minor. Auf die Wirkung von rapere für die Inszenierung passiver Weiblichkeit hat Vogel 2010, 47f. hingewiesen; ähnlich Seel 1960, 13; Hemker 1985, 42; Miles 1992, 168. 68 Zur Verkürzung des Ausdruckes und Steigerung der Geschwindigkeit in der Handlung vgl. auch Ogilvie 1978, 78f. 69 Vgl. dazu auch Miles 1992, 172f.; McClain 1994, 204.

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ein neuer Abschnitt des Krisenhandelns eingeleitet wird, der in dem Auftreten Veturias seine Klimax erhält.70 Ihre direkte Rede an Coriolan (2,40,4–9) ist das entscheidende Zeugnis ihrer weiblichen Handlungsmacht, da sie damit in Opposition zum vorherigen erfolglosen Krisenhandeln von Männern und Frauen positioniert wird.71 Sie ist imstande, sich über die affektive Betroffenheit eines muliebris timor (2,40,1) hinwegzusetzen, welche die Darstellung des weiblichen Kollektivs bestimmt, das sich zuvor an den Führer der Volsker gerichtet hatte. Obgleich auch ihre folgende Rede von starker Emotion geprägt ist,72 ist Veturia im entscheidenden Augenblick in der Lage, ihre Emotionen punktuell zu regulieren. So artikuliert sie in ihrer Rede an ihren Sohn konkretes Krisenhandeln: mulier in iram ex precibus uersa (2,40,5). Diese Beschreibung ihrer Emotionalität kennzeichnet den zentralen Moment der Episode:73 Einerseits reguliert sie hier aktiv ihre Gefühle (uersa), andererseits verfügt sie über die Fähigkeit, mit ihrer Rede daraus eine Handlungsinitiative ableiten zu können. Diese beiden Faktoren machen ihre Gendertransgression evident, die einen zentralen Beitrag zur Lösung der Krise leistet.74 Ihre Intervention markiert damit deutlich den Moment einer punktuellen Gendertransgression der Frau, die ein männliches Handlungsrepertoire übernimmt.75 Dieses aktive Überwinden weiblicher Emotionen geht gleichermaßen auch bei Lucretia dem konkreten weiblichen Figurenhandeln voraus, das als entscheidender Beitrag zur Lösung der Krisen zu werten ist. So beschreibt Livius auch Lucretia als pauida (1,58,3), wenn der Königsspross Sextus Tarquinius ihr gegenübertritt, um sie zu vergewaltigen. Dies bildet zugleich ihre passive Unterlegenheit gegenüber ihrem Peiniger ab,76 die nach der Vergewaltigung gleichermaßen als maesta (1,58,6) bezeichnet wird. Erst als sich die Frau in ihrer direkten Rede an die eintreffenden Männer wendet und ihre Lage schildert, ändert sich ihre Genderperformanz. Mit

70 Reichenberger 1931, 384 sieht hierin eine Steigerung, wenn sich erst Männer und dann Frauen an Coriolan wenden. 71 Der Befund hegemonialer Männlichkeit auf römischer Seite nach Albrecht 2016, 89 ist somit nicht haltbar. 72 Vgl. Kowalewski 2002, 37f. Zur in Veturias Rede hervorgebrachten Genderidentität vgl. auch Kapitel 2.2.1. 73 Vgl. dazu auch Reichenberger 1931, 390. Weiẞenborn/Müller 2000b, 105 weisen darauf hin, dass preces statt eines veränderten Gemütszustandes genannt werden. 74 Ähnlich auch Janssen 1972, 431. Hier ist eine qualitative Anmerkung notwendig, um das emotionale Konzept deuten zu können: Ebd., 431f. hat mit Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei Veturia um eine positive ira handle, da sie zum Wohle der Gemeinschaft geäußert wird. Diese geschlechterspezifische Differenzierung des Frauenhandelns fehlt bei McClain 1994, 212f. 75 Albrecht 2016, 91 bemerkt, dass Veturia stellvertretend für eine Vaterfigur auftritt und in ihrem Eintreten für die concordia eine identitätsbildende Funktion übernimmt. 76 Vgl. Kowalewski 2002, 114f.

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ihren Worten gewinnt Lucretia an Handlungsmacht und veranlasst die Männer um Brutus, gegen die Königsfamilie vorzugehen (1,58,7f.). Sie wird so zum Ausgangspunkt eines Lösungsprozesses in der Krise, da sie imstande ist, aus ihrer emotionalen Betroffenheit eine konkrete Handlung zu generieren. Dadurch erlangt sie aktive Kontrolle über die eigene Moral,77 was einen geschlechtlich markierten Wendepunkt in der Krisenerzählung darstellt. Doch die Fähigkeit, die emotionale Betroffenheit regulieren und gegenüber Männern punktuell eine performative Handlungsmacht generieren zu können, ist nicht das einzige genderspezifische Merkmal dieser Episoden. Vielmehr ebnen performative Gendertransgressionen für diese Frauen den Weg in eine punktuell tiefgreifendere Umkehr der Geschlechterverhältnisse zugunsten der Frau. Diese weibliche Performanz ist nämlich die Voraussetzung dafür, dass die Frauen auch in epistemischer Weise zu zentralen Protagonistinnen der Krise werden können. So wird ihnen in Krisen nicht nur die Handlungsmacht zugeschrieben, sondern zugleich auch ein figuraler Zugriff auf die zentralen Werte der Krisen. 2.1.2.2 Weibliches Wissen und die Krisenlösung

Die wachsende Handlungsmacht von Frauen in Krisensituationen, die eine performative Umkehr der Geschlechterrollen bewirkt, beeinflusst auch die Perspektive der Figuren und das Wissen, das ihnen in der Erzählung zugestanden wird. Insbesondere das Wissen über das moralische Fundament des römischen Wertekosmos, das in den Krisen der Frühzeit verhandelt wird, schreibt Livius Frauen zu. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass gerade die Perspektive von Frauen dazu dient, eine moralische Innensicht in diesen Krisen zu erzeugen. Frauengestalten können durch diesen explizit weiblichen Zugriff auf die zentralen Werte einen notwendigen Beitrag zur Krisenlösung leisten. Auf diese Weise wird der Wissensvorsprung in der epistemischen Anlage von Frauen gegenüber Männern zum weiteren Kennzeichen umfassender Gendertransgressionen.78 Frauen sind so für Livius Marker einer moralischen Männlichkeitskrise. Dazu soll in den Narrativen des Sabiner- und des Volsker-Krieges sowie in der Lucretia-Episode die Fokalisierung von Frauengestalten untersucht werden, um daran figural konstruierte Wertezugriffe von

77 Vgl. dazu auch Langlands 2006, 93. Zur Bedeutung von Lucretias Rede für die Inszenierung der pudicitia als ein Genderproblem vgl. Kapitel 2.1.2.2. 78 Der Wissensvorsprung des Lesers, der durch die unterschiedlichen Grade der Fokalisierung gegenüber Figuren erzeugt wird, ist bereits von Pausch 2011, 218 als ein gestalterisches Mittel zur Erzeugung von Spannung gedeutet worden. Die in der vorliegenden Arbeit genutzte Methode des geschlechtlich markierten Wissens ermöglicht auf dieser Grundlage eine Genderperspektive auf die Anlage des Figurenwissens.

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Frauen nachzuweisen: Diese kennzeichnen nicht allein epistemische Transgressionen gegenüber Männern. Zudem legen sie ein weibliches Wertewissen offen, das zur Lösung von Krisen notwendig ist. Es zeigt sich, dass es sich für Livius hierbei um normativ männliches Wertewissen des augusteischen Diskurses handelt, das Frauen den defizitären Männern erst erschließen müssen.79 Raum für weibliches Handeln und für weibliches Krisenwissen entsteht etwa, als die Römer um Romulus nicht im Sinne der concordia handeln können. Der fehlende Wertezugriff verhindert eine von Männern geschaffene Lösung des Konflikts mit den Sabinern in dieser concordia-Krise.80 Zwar kann Romulus die Sabinerinnen rauben und militärische Siege gegen Nachbarvölker erringen, aber der Wert der concordia wird erst aus Perspektive seiner Frau Hersilia erschlossen. Sie bittet ihren Mann um Nachsicht gegenüber den Eltern der geraubten Mädchen und um deren Integration in die römische Gemeinschaft. Sie schafft damit das moralische Fundament der römischen Eintracht. Dies begründet sie mit ita rem coalescere concordia posse (1,11,2). In indirekter Rede aus der Perspektive Hersilias erschließt Livius hier erstmals in seinem Werk den Wert der concordia als politisches Ideal der römischen Gesellschaft.81 Sie leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Zusammenführung von Römern und Sabinern und kann so ein gegenwärtiges Problem des Romulus lösen.82 Dazu eröffnet ihr die Fokalisierung dieser Passage einen Zugriff auf das Konzept der römischen Eintracht und schreibt explizit der Frau des Königs die Zuständigkeit für diesen Wert zu. Die zentrale Rolle, die Livius ihr für den Prozess der Vereinigung zugesteht,83 ergibt sich also im Wesentlichen aus ihrer Innensicht, die ihr transgressive Handlungsmacht in dieser Krise ermöglicht.84 Romulus wird dabei zum Rezipienten des weiblichen Exemplums, indem er als exekutive Instanz ihres Wunsches fungiert: facile impetratum (1,11,2). Allerdings offenbart die Rolle des Königs, dass er im Gegensatz zu seiner Frau lediglich performativ, nicht aber epistemisch in die Krise eingreifen kann. Das Krisenmanagement des Romulus ist somit aufgrund seines fehlenden Wertewissens auf einen weiblichen Zugang zur concordia angewiesen. Die Bedeutung des Königs als »founding father of Rome«85 muss in dieser Krise hinsichtlich der römischen Eintracht also stark eingeschränkt

79 Die normative Kategorie männlicher Zuständigkeit für Werteideale hat Welch 2012, 185 insbesondere für die Coriolan- und Lucretia-Episoden nachgewiesen. 80 Zur concordia als Maßstab männlichen Handelns vgl. Walsh 1996a, 92. 81 Zur Bedeutung der concordia in der Intervention Hersilias vgl. Brown 1995, 302f.; ähnlich Janssen 1972, 418. 82 Vgl. Mustakallio 2011, 47; ähnlich Brown 1995, 301f. 83 Vgl. Mustakallio 2011, 46; Stevenson 2011, 177; ähnlich Kowalewski 2002, 22, die allerdings Hersilias Verdienst der concordia unberücksichtigt lässt. 84 Eine gewisse Aporie ob der Handlungsmacht Hersilias konstatiert Stevenson 2011, 177f. 85 Mustakallio 2011, 47.

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werden.86 Stattdessen zeigt bereits Hersilias Funktion als concordia-Exemplum, dass es eine transgressiv inszenzierte Frau ist, die an der ersten Schlüsselstelle der römischen Entwicklung die Geschicke entscheidend leitet. Im Genderdiskurs, den Livius in der ersten Pentade seines Werkes vermittelt, wird das figurale Krisenwissen auf diese Weise zum entscheidenden Kriterium der Geschlechteridentität. Frauen erhalten aufgrund ihrer Perspektive nicht nur Handlungsmacht. Sie füllen vielmehr auch in epistemischer Hinsicht die Leerstelle, die durch die Dekonstruktion von männlichem Krisenhandeln geschaffen wird. Das von Frauen vermittelte Wertewissen zeigt damit die besondere Bedeutung von Weiblichkeit für den augusteischen Wertediskurs auf. Dies gilt auch für die Rolle Veturias in der Coriolan-Episode: Explizit wird darin aus Veturias Sicht Bezug auf die römische libertas genommen. Sie plädiert vor ihrem Sohn für dessen Abkehr von seinen Plänen einer Eroberung Roms und bezieht sich dafür auf die Freiheit: nisi filium haberem, libera in libera patria mortua essem (2,40,8). Dazu setzt sie sich über ihre mütterliche Betroffenheit hinweg und beruft sich auf die libertas.87 Es wird deutlich, dass hier eine weibliche Perspektive transgressiv in den männlichen Raum einer militärisch geschaffenen Wertekrise eindringt und die Freiheit als ein zu erstrebendes Ideal erschließt: Sie ist imstande zu erkennen, dass im Zuge der Einnahme Roms durch die Volsker die römische Freiheit verloren gehe. »Diese Worte der Veturia, worin sie die eigene libertas mit der libertas patriae identifizierte«88 , sprechen Coriolans römischen Patriotismus an und initiieren so den Lösungsprozess der Krise,89 sodass Livius dem explizit weiblichen Wissensbestand der libertas einen erheblichen Einfluss auf das Krisenhandeln zugesteht. Sie dient mit dem Wertewissen, das sie Coriolan gendertransgressiv erschließt, als Katalysator für dessen folgendes Krisenhandeln. Doch nicht nur im Kontext staatlicher Krisen werden Frauen als Katalysatoren römischer Werteideale platziert. Ebenso erschließt Livius auch das weibliche Sittenideal der pudicitia einer normativen männlichen Zuständigkeit. Auch in dieser Hinsicht ist die weibliche Perspektive von zentraler Bedeutung für den Genderund Wertediskurs, wie die Lucretia-Episode erkennen lässt. Die epistemische Transgression Lucretias wird sichtbar, als ihr Ehemann sie nach seiner Ankunft fragt, ob alles in Ordnung sei. Daraufhin eröffnet sie den Männern aus ihrer Perspek-

86 Stevenson 2011, 178: »Romulus hardly comes across as a figure of any political depth at the close of this incident.« Dieser Befund schränkt die Deutung des Romulus von Brown 1995, 302 als »independent author of a bold new policy« ein; Ähnliches gilt für die undifferenzierte Sicht auf Romulus in Hemker 1985, 43. 87 Vgl. dazu auch Kowalewski 2002, 38. 88 Janssen 1972, 432. 89 Zum römischen Patriotismus des Coriolan vgl. Schönberger 1955, 246; Kowalewski 2002, 38.

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tive das Problem ihrer geschändeten pudicitia und begründet so ein männliches Wertewissen: »minime«, inquit. »quid enim salui est mulieri amissa pudicitia? [...] sed date dexteras fidemque haud impune adultero fore. Sex. est Tarquinius, qui hostis pro hospite priore nocte ui armatus mihi sibique, si uos uiri estis, pestiferum hinc abstulit gaudium.«90 (Liv. 1,58,7f.)

Auch in der Lucretia-Episode wird der weibliche Wissensbestand, der die pudicitia erfasst, zum gendertransgressiven Moment gegenüber den Männern. Livius fokalisiert so das zentrale Wertewissen durch die Rede Lucretias weiblich.91 Bereits hier wird ihre Funktion als Exemplum und Katalysator für einen männlichen Zugang zur Krise sichtbar, was die Forschung bislang hingegen überwiegend erst im Selbstmord Lucretias erkannt hat.92 Wenn Livius Männer weitgehend marginalisiert und Collatinus lediglich fragen lässt satin salue? (1,58,7), werden diese als epistemische Leerstelle erkennbar.93 Ihre Perspektive auf die pudicitia ermöglicht es Lucretia nicht nur, selbst für ihr Werturteil einzutreten.94 Gleichzeitig ergibt sich aus ihrer figuralen Innensicht auf die Wertekrise einerseits das Wissen, das zur Krisenlösung notwendig ist, und damit andererseits auch ein Wissensvorsprung gegenüber den Männern. Das Wertewissen der Frau wird damit zum Ausdruck ihrer epistemischen Gendertransgression. Die Anlage des Wissens hat in dieser Episode ebenfalls einen großen Einfluss auf das Geschlechterhandeln. Lucretias transgressive Perspektive ermöglicht ihr auch performative Wirkung auf die Handlungsmacht von Männern.95 Erst fordert sie explizit ein Vorgehen der Männer gegen ihren Peiniger ein (date) und spricht diese etwa durch das Zeugma dexteras fidemque eindringlich an.96 Daraufhin kennzeich-

90 »Keineswegs«, sagte sie. »Wie kann denn bei einer Frau alles in Ordnung sein, nachdem sie ihre pudicitia verloren hat? [...] Aber gebt eure Rechte als Versprechen, dass dieses Verbrechen für den Schänder nicht straflos bleiben wird. Es ist Sextus Tarquinius, der sich als Feind anstatt als Gast in der letzten Nacht bewaffnet und gewaltsam hier einen für mich und – wenn ihr Männer seid – auch für ihn Verderben bringenden Genuss verschaffte.« 91 Zur grundlegenden Bedeutung der pudicitia in der Rede Lucretias vgl. Kowalewski 2002, 117; Langlands 2006, 172. 92 Vgl. Moses 1993, 41; Calhoun 1997, 151; Langlands 2006, 96; Albrecht 2016, 209. 93 Zur fehlenden Macht und mangelndem Zugriff des Mannes auf die pudicitia vgl. auch Joshel 1991, 120; Calhoun 1997, 155; Langlands 2006, 88, 94. 94 Vgl. Freund 2008, 319. 95 Eine in geschlechtlicher Hinsicht unspezifische Zunahme an Handlungsmacht bei Lucretia beobachtet auch Langlands 2006, 95. 96 Vgl. Gould/Whitely 2004, 215. Zum emphatischen Ausdruck dieser Stelle vgl. auch Ogilvie 1978, 224f.

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net sie dies auch nachdrücklich als ein männliches Verhaltensrepertoire: si uos uiri estis. Sie wird damit zur Triebfeder des folgenden, durch die Absetzung des Königs eingeleiteten Umbruchs, wenn sie selbst männliche Handlungsfähigkeit initiiert, die sich in Brutus’ Vorgehen gegen die Tarquinier niederschlägt.97 Somit erhält Lucretia eine zweifache Innensicht auf dieses Werteproblem, das sowohl den Wert als auch die männliche Zuständigkeit dafür formuliert. Es wird also deutlich, dass die geschlechterspezifische Perspektive an dieser Stelle das entscheidende Merkmal in der Konstruktion von Genderidentitäten in der Lucretia-Episode ist. Lucretias Aktivierung männlicher Handlung legt somit das Genderkonzept der pudicitia offen. Dieser Wert stellt nicht nur als Teil eines normativen Frauenbildes ein weibliches Gegenstück zur männlichen uirtus dar.98 Vielmehr dient Lucretias transgressive Performanz dazu, eine männliche Zuständigkeit für diese weibliche Tugend zu etablieren. Albrechts Beobachtung, das passive Zusehen der Männer bei Lucretias Selbstmord sei konstitutiver Bestandteil des männlichen Exemplums, das schließlich in die Absetzung der Tarquinier münde, ist vor diesem Hintergrund nicht überzeugend.99 Nicht erst ihr Selbstmord mit dem Messer, der bisher von der Forschung als Ausdruck einer veränderten Genderperformanz rezipiert wurde,100 ist für Lucretias Genderidentität entscheidend. Stattdessen macht das Figurenwissen deutlich, dass bereits die eigentliche Umkehr der Geschlechterordnung in Lucretias epistemisch-performativer Transgression liegt, als sie sich vor den Männern auf die pudicitia beruft. Für den Genderdiskurs bedeutet dies dreierlei: Zuerst sind Frauen im Gegensatz zu Männern in der Lage, ihre Affekte im Sinne einer Krisenlösung zu regulieren. Zweitens gelangen sie sowohl performativ als auch epistemisch in eine den Männern überlegene Position. Ein Blick auf den weiteren Verlauf der Handlungen in den skizzierten Episoden zeigt drittens, dass diese transgressive Position der Frauen entscheidend ist für den Fortgang der Handlung und für die Konstruktion männlicher Handlungsfähigkeit: So ist Lucretias Ansprache von entscheidender Bedeutung für die Validität männlichen Handelns. Männer sind für Livius fortan

97 Vgl. Joplin 1990, 64; Joshel 1991, 125; Ross 1997, 215; Vasaly 2015a, 51. Kowalewski 2002, 121 setzt das folgende Vorgehen der Männer gegen die Königsfamilie absolut und übersieht somit das Genderproblem der Episode. Zur Bedeutung der Rede Lucretias vor ihrer Familie vgl. Moses 1993, 42. Zum libertas-regnum-Gegensatz vgl. auch Lefèvre 1983, 41f. 98 Vgl. Freund 2008, 312, 314f. 99 Vgl. Albrecht 2016, 209. 100 Vgl. Dutsch 2012, 197. McClain 1994, 160 deutet Lucretia als Inspiration für Männer. Zur Bedeutung des Messers als Metapher der Kontrolle vgl. Joshel 1991, 120. Zur geschlechterspezifischen Umdeutung vgl. Val. Max. 6,1,1: dux Romanae pudicitiae Lucretia, cuius uirilis animus maligno errore fortunae muliebre corpus sortitus est, [...], dazu vgl. Kapitel 3.3.1.

Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia

imstande, die Ideale römischer Sitten zu kontrollieren.101 Auch die übrigen epistemischen Transgressionen offenbarten die Funktionen der Frauen als Katalysatoren eines männlichen Krisenwissens. Diese exemplarischen Inszenierungen werden durch punktuelle Umkehrungen der Geschlechterordnungen vorgenommen, wenn Frauen anstelle von Männern auf zentrale Werte zugreifen können. Die livianischen Frauen dienen in den Krisennarrativen dazu, fortan moralische Zuständigkeiten für Männer zu formulieren. Dafür aktivieren Frauen mit ihrem weiblichen Wertewissen Männer als Handlungsträger.102 Auf diese Weise ist die Fokalisierung von besonderer Bedeutung für die Konstruktion und Auflösung von männlichen Wertekrisen: Die concordia im Narrativ des Sabinerkrieges und ebenso die pudicitia der Lucretia und die libertas in der Coriolan-Episode erfordern für Livius Frauengestalten, die Männern das Wissen über grundlegende Werte des augusteischen Wertediskurses erschließen, ehe diese daraus männliches Krisenhandeln generieren können. 2.1.3

Weibliche Katalysatoren von Männlichkeit

Livius zeichnet in seinem Narrativ der römischen Frühgeschichte eine Krise der Männlichkeit. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass Männern die Fähigkeit zum Krisenhandeln fehlt, da sie epistemisch nicht auf die Werte zugreifen können, die für die Krisenlösung notwendig sind. Weibliche Interventionen sind ein narratives Mittel, um Männern mithilfe weiblicher Gendertransgressionen die zentralen Werte der jeweiligen Krise zu erschließen. Gleichzeitig enthalten die Krisennarrative dieser Gründungsgeschichten mit Tarpeia und Horatia zwei prominente Frauengestalten, bei denen eine dezidiert weibliche Sicht auf die krisenhafte Darstellung des römischen Wachstums zum Genderproblem wird, das männliches Krisenhandeln evoziert.103 Beide Figuren legen dabei einen weiblichen Blick auf das Krisengeschehen der Erzählungen offen. Auch ungeachtet ihrer sozialen Rollen lässt sich anhand ihrer genuin weiblichen Perspektiven und ihrer weiblichen Wissensbestände eine explizit weibliche Genderidentität herausarbeiten. So ist bereits vielfach auf Tarpeias Rolle als Vestalin und ihrer daraus folgenden weiblichen Identität hingewiesen worden, da Livius einleitend berichtet, die Frau habe Wasser für Opferhandlungen geholt, bevor sie den Sabinern Einlass in die römische Burg gewährt.104 Gleichermaßen liegt auch der Inszenierung der Römerin Horatia, die mit einem Albaner

101 Zur Kontrolle als männliches Ideal der Republik vgl. Haberman 1980, 9; Joplin 1990, 63; Joshel 1991, 117, 119. 102 Männer als Träger dynamischen Entwicklung von Handlung hat ebd., 117 identifiziert. 103 Vgl. Welch 2012, 169f. 104 Liv. 1,11,6: aquam forte ea tum sacris extra moenia petitum ierat. Vgl. dazu zusammenfassend Kowalewski 2002, 23f.

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verlobt ist, in der Darstellung des römischen Krieges gegen Alba Longa eine weibliche Rollenzuschreibung zugrunde: Als ihr Verlobter im Kampf fällt und sie offen um ihn trauert, wird sie daraufhin von ihrem Bruder ermordet. Als Schwester und Verlobte wird sie dabei in eine männlich regierte Hierarchie eingeordnet.105 Zwei Aspekte der Darstellung und Funktion von Weiblichkeit sollen im Folgenden an diesen Beispielen diskutiert werden: Erstens soll gezeigt werden, dass die durch diese Frauengestalten vermittelte Perspektive weibliche Wissensbestände offenlegt, die zum Abbild der Krise werden. Beiden Frauen wird eine Krisensicht zugeschrieben, durch die sie auf ihre figurale Betroffenheit beschränkt sind. Sie sind damit außerstande, die Auswirkungen ihrer Handlungen für den Krisenprozess wahrzunehmen. Diese unpatriotische Perspektive der Frauen,106 die sich aus ihrer Betroffenheit ergibt, legt das Krisenverständnis dieses Gründungsnarrativs offen: In einer Krise, die von dekonstruierter Männlichkeit geprägt ist, wird stereotype Weiblichkeit zur Herausforderung der Erzählung. So soll zweitens nachgewiesen werden, dass die Inszenierung von weiblichen Perspektiven zwar männliches Krisenhandeln motiviert und Frauen somit Katalysatoren von Männerhandeln werden. Es wird jedoch ein deutlicher Unterschied zu transgressiv inszenierten Frauen deutlich: Während jene mit ihrem Wertewissen moralisch fundiertes Krisenhandeln von Männern generierten,107 zeigt sich, dass die weibliche Perspektive in beiden Fällen zum Problem wird. Zwar initiiert sie männliches Handeln, in der Horatia-Episode sogar das patriotische Exemplum des Bruders, der die Frau tötet, nachdem sie um den Feind getrauert hat.108 Allerdings markiert in beiden Erzählungen das weiblich evozierte Männerhandeln keinen Lösungsprozess der Krisen, wie es bei den transgressiv erschlossenen Wertezugängen der Fall war.109 Es soll gezeigt werden, dass Weiblichkeit in Krisen, die von männlichen Wertedefiziten bestimmt sind, zum zentralen Problem wird. Dabei löst ein männliches Vorgehen gegen die unpatriotischen Perspektiven von Frauen nicht die Krise, sondern trägt zu einer weiteren Zuspitzung bei. Somit soll die Funktion weiblicher Perspektiven als Spiegel einer Krise der römischen Männlichkeit betrachtet werden. Defizitäre Männer erhalten in diesen Erzählungen – anders als in den oben gezeigten Beispielen – nicht durch weibliche Gendertransgressionen den entscheidenden moralischen Impuls zur Lösung von Krisen. Frauengestalten wie diese werden damit zur negativen

105 Zum weiblichen Darstellung Horatias vgl. ebd., 44f.; Welch 2012, 188. 106 Vgl. McClain 1994, 203, 208. Zur patriotischen Ausrichtung der Tarpeia-Erzählung vgl. Kowalewski 2002, 24. 107 Vgl. Kapitel 2.1.2. 108 Vgl. Stevenson 2011, 182. 109 Zur unterschiedlichen Qualität des Männerhandelns bei Tarpeia und Horatia vgl. Welch 2012, 170: »In contrast to Tarpeia’s story, in which no one is heroic, Horatia’s story is full of commendable behaviors.«

Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia

Kontrastfolie zu Figuren wie Lucretia, Veturia und den Frauen im Sabinerkrieg. Während jene den Männern punktuell transgressiv das römische Wertefundament erschlossen und damit eine Leerstelle schließen konnten, sind die Frauen hier in ihrer weiblichen Sicht vielmehr der Marker einer defizitären Männlichkeit. Ihr explizit weibliches Auftreten wirft jeweils ein Schlaglicht auf eine Krise der Männlichkeit. 2.1.3.1 Weibliche Perspektive und männliche Krise

Livius berichtet am Beispiel von Tarpeia und Horatia von römischen Frauen, deren Handeln und Gesinnung aus römischer Sicht zu einem Problem wurden. Für beide Fälle lässt sich zeigen, dass ihre weibliche Performanz einer stereotyp weiblichen Inszenierung entspricht, die ihre Teilhabe an der zugrunde liegenden Krise schmälert. Livius stellt die Frauen als negatives Paradigma dar, wenn ihr Handeln von einer explizit weiblichen Perspektive geleitet ist, durch die sie diese lediglich als ein rein figurales Problem wahrnehmen können.110 Damit lässt sich ein Muster für weibliches Krisenwissen formulieren, das auf einer anti-römischen Grundlage beruht. Die Frauen werden zum Marker von Krisen,111 indem sie aus einer explizit weiblichen Perspektive auf diese blicken und so grundlegende moralische Probleme der Narrative sichtbar machen. In der Darstellung der Horatia soll beispielhaft das Muster einer stereotyp weiblichen Perspektive aufgezeigt werden, das für die Männer in Livius’ Frühgeschichte zum Problem wird. So tritt Horatia in tiefer Trauer ihrem Bruder entgegen, der im Kampf gegen die Albaner siegreich gewesen ist. Er tötete darin nämlich Horatias Verlobten, der auf der Seite der Feinde gekämpft hatte. Hiermit fordert sie mit ihrer Wahrnehmung der Krise die männlich regierte Geschlechterordnung heraus, als sie sich gegen ihren Bruder stellt. In einem ersten Schritt soll die performative Ebene betrachtet werden, bevor diese durch eine Analyse der epistemischen Krisenteilnahme fundiert wird: princeps Horatius ibat, trigemina spolia prae se gerens; cui soror uirgo, quae desponsa uni ex Curiatiis fuerat, obuia ante portam Capenam fuit, cognitoque super umeros fratris paludamento sponsi, quod ipsa confecerat, soluit crines et flebiliter nomine sponsum mortuum appellat.112 (Liv. 1,26,2)

110 Zur bloßen figuralen Betroffenheit in der Wahrnehmung Tarpeias vgl. McClain 1994, 202f.; ähnlich weist Kowalewski 2002, 25 auf die persönliche Gier der Frau als Motiv hin. Zum figuralen Problem der Horatia vgl. ebd., 44. 111 Vgl. Welch 2012, 179f. 112 Voran ging der Horatier und trug die erbeutete Rüstung der Drillinge vor sich. Ihm kam seine Schwester, ein junges Mädchen, das mit einem von den Curiatiern verlobt gewesen war, an der

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In performativer Hinsicht prägt der Gestus des Horatius als siegreicher Held beim Einmarsch nach Rom die Geschlechterordnung.113 Er steht als princeps im Zentrum, als er mit der Beute heimkehrt. Die feierliche Präsentation der spolia entspricht zusätzlich seinem persönlichen Triumphzug.114 Livius nutzt diese Darstellung dazu, den princeps Horatius dem vorherigen männlichen Krisenhandeln der Anführer beider Seiten emphatisch gegenüber zu stellen,115 und ihn zum Exemplum männlichen Handelns zu machen. Diese Inszenierung bestimmt die Genderidentität der Horatia, als sie ihm in Trauer um ihren Verlobten entgegentritt. Dem männlichen Exemplum steht das Auftreten Horatias gegenüber, die hier gemäß dessen handelt, was von einer Frau im Trauerfall zu erwarten ist: Mit soluit crines wird auf eine Trauerpraxis verwiesen, die ein übliches und kodifiziertes Verhalten beim weiblichen Bittflehen darstellt.116 In gleicher Weise wird Horatia stereotypes Frauenverhalten zugeordnet, indem der Ausruf des Namens ihres Verlobten als flebiliter bezeichnet wird. Ihr emotionaler Ausbruch zeigt, dass sie von ihrer Trauer überwältigt ist und dieser ungezügelt nachgibt.117 Zwei Aspekte verorten Horatia darüber hinaus in einer männlich regierten Geschlechterordnung: Einerseits äußert sie stereotyp weiblich in der Öffentlichkeit ihre Trauer.118 Andererseits wird sie in dieser Episode ausschließlich über die soziale Perspektive von Männern definiert, wenn Livius sie in ihrer Rolle als soror gegenüber dem Bruder sowie als desponsa gegenüber ihrem Verlobten ins Geflecht männlich regierter Beziehungen einordnet.119 Zugleich zeigt sich die Grundlage für eine weibliche Inszenierung der Frau in ihrer figuralen Sicht auf die Krise, die zum Problem des Narrativs wird: Horatias Blick offenbart ein explizit weibliches Wissen, wenn Livius sie in ihrer Rolle als Verlobte auf das Geschehen sehen lässt. Ihre weibliche Innensicht ist dabei ausschließlich auf ihre eigene Betroffenheit gerichtet. Horatia blickt auf den Kriegsmantel ihres

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Porta Capena entgegen. Nachdem sie über den Schultern ihres Bruders den Kriegsmantel ihres Verlobten, den sie selbst angefertigt hatte, erkannt hatte, löste sie ihr Haar und rief weinerlich den toten Verlobten beim Namen. Zur Inszenierung des Horatius vgl. Ogilvie 1978, 114. Vgl. Künzl 1988, 129; Hölkeskamp 2006a, 260, 268f.; Beard 2007, 306; Deuchler 2015, 58. Die Anführer Mettius Fufetius und Tullus Hostilius verschwinden hingegen glanzlos von der Bildfläche und der Abzug beider untätig gebliebenen Heere wird lediglich knapp und elliptisch mit ita exercitus inde domos abducti (Liv. 1,26,1) zusammengefasst. Vgl. Kowalewski 2002, 44; Šterbenc Erker 2006, 230; Šterbenc Erker 2011, 44. Vgl. Šterbenc Erker 2006, 218; Šterbenc Erker 2011, 45, 49. Vgl. ebd., 40, ähnlich auch Loraux 1992, 29, 37; Segal 1994, 16. Zur moralischen Intention vgl. McClain 1994, 202f.; Brown 1995, 304. Vgl. Welch 2012, 189.

Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia

Verlobten als Teil der Beute, der somit weiblich fokalisiert wird: quod ipsa confecerat. Dies ist für Horatia der Anlass, sich aus ihrer eigenen Betroffenheit heraus gegen ihren Bruder und damit gegen Rom zu stellen.120 Der Verweis auf den von ihr gefertigten Mantel markiert diese Wahrnehmung darüber hinaus als weiblich.121 Mit ihrer verengten Sicht auf die Krise nimmt die stereotyp weiblich inszenierte Horatia die Situation nur als ein rein figurales – und damit weibliches – Problem wahr. Die Krise wird damit weiblich markiert. Die Episode der Tarpeia zeigt, dass Livius stereotyp weiblich dargestellten Frauengestalten, die nicht transgressiv in das Krisengeschehen eingreifen, lediglich eine weiblich markierte Innensicht auf Krisen zugesteht. Auch Tarpeia ist nicht imstande, ihre Affekte dahingehend zu kontrollieren, der Bestechung durch den Sabinerhauptmann zu widerstehen. Sie wird zur Verräterin, als sie die Feinde in die römische Burg einlässt. Ihre Bestechung offenbart die geschlechterspezifische Ordnung dieser Episode: Ihrer cupiditas unterlegen folgt Tarpeia der männlichen Handlungsmacht des Sabinerhauptmanns Tatius: uirginem auro corrumpit (1,11,6).122 Diese weibliche Inszenierung ist auch in dieser Erzählung ein Reflex ihrer geschlechtlich markierten Perspektive. Als Abbild ihrer weiblichen Figurensicht fordert sie als Lohn dafür, die Sabiner in die römische Burg einzulassen, quod in sinistris manibus haberent/esset (1,11,8f.). So sieht Tarpeia in ihrer Gier nur aureas armillas magni ponderis [...] gemmatosque magna specie anulos (1,11,8). Ihre Wahrnehmung ist damit so sehr auf den Schmuck reduziert, »that she cannot even see the weapons which the Sabines also wear on their left arms.«123 Livius legt das Hauptaugenmerk der Erzählung auf die Bestechung der Tarpeia,124 die ihrer rein weiblichen Sicht auf die Bedrohung durch die Sabiner geschuldet ist. So wird auch hier eine stereotyp weibliche Inszenierung mit einer Wirklichkeitssicht verbunden, welche die Krisen für die Frauen lediglich als ein figurales Problem abbildet. Die Qualität der Krisenperspektiven von Horatia und Tarpeia steht im deutlichen Kontrast zu den transgressiv erzeugten Perspektiven von Frauen wie Lucretia und Veturia. Für sie war nämlich ein figuraler Wertezugriff der Marker einer Umkehr der Geschlechterrollen und ein Impuls für das männliche Krisenhandeln. Die Platzierung innerhalb der Erzählungen macht nun deutlich, dass diese Darstellung

120 Ähnlich ebd., 188; McClain 1994, 208. 121 Zur Weiblichkeit des lanam fecit-Motivs vgl. Larsson Lovén 1998, 86f. Hierin lässt sich zusätzlich eine intertextuelle Beziehung zwischen Horatia und der stereotyp weiblichen Darstellung Lucretias erkennen, vgl. Liv. 1,57,9. 122 Vgl. auch Müller 2014, 315. Zu Tarpeias weiblicher Darstellung vgl. Kowalewski 2002, 23f.; Welch 2012, 191f. 123 McClain 1994, 203. 124 Vgl. Kowalewski 2002, 23; Müller 2014, 315.

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Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen

Krisen auf der Folie der Weiblichkeit figural abbildet und somit zu einer Frage der Geschlechteridentität macht. Sowohl die Krisensicht der Tarpeia, die für den Einlass der Sabiner in die römische Burg verantwortlich ist und damit für eine weitere Zuspitzung der Krise sorgt,125 als auch die der Horatia, welche das Defizit einer fehlenden Liebe gegenüber Rom sowie der eigenen Familie abbildet,126 legen weitere bedeutende Aspekte der Krise offen und kennzeichnen sie durch eine weibliche Perspektive. Dieser Befund legt nahe, dass in Krisennarrativen, die von dekonstruierter männlicher Handlungsmacht gezeichnet sind, stereotype Weiblichkeit zu einer Herausforderung der Geschlechterordnung wird. Weiblich inszenierte Frauengestalten sind für die Männer dieser Episoden nicht als Frauen rezipierbar. Stattdessen legen diese Frauen männliche Defizite in ihrer Stellung innerhalb der Geschlechterordnung offen, sodass sich die Krise zuspitzt. In beiden Fällen initiieren diese negativen Exempla weiblicher Innensichten schließlich jedoch männliches Krisenhandeln und führen damit zu Wendepunkten in der Narration.127 Horatia etwa stellt nämlich daraufhin ihren Bruder vor die Herausforderung, auf ihr antirömisches Auftreten zu reagieren. Zwar dienen Frauen hier ebenfalls als Katalysatoren männlichen Handelns. Allerdings kann eine andere Qualität des Männerhandelns beobachtet werden als zuvor bei transgressiven Frauengestalten. Männer können nur mittelbar zur Lösung der Krisen beitragen,128 erhalten für ihr Handeln jedoch kein moralisches Fundament. Stattdessen bildet Livius an dieser Stelle das Problem dekonstruierter Männlichkeit ab. Die stereotyp weiblichen Krisenperspektiven von Horatia und Tarpeia kennzeichnen nämlich jeweils das zentrale Problem der Narrative: Dekonstruierten Männern fehlt ein moralischer Zugriff, um Krisen lösen zu können. Weiblich perspektivierte Frauengestalten können aufgrund einer verengten Wahrnehmung ebenfalls den zentralen Kern der Krise nicht erfassen. Die generelle Unfähigkeit zum Krisenhandeln überträgt die Krise schließlich auf die Geschlechterordnung, die sich in diesen Episoden auflöst. Weder Männer selbst noch transgressives Frauenhandeln erfüllen darin das Postulat einer normativ männlichen Handlungsmacht, sodass diese Krisen explizit als Geschlechterkrisen zu verstehen sind.

125 Zur einschneidenden Wirkung von Tarpeias Verrat in der Krise vgl. auch Welch 2012, 175. 126 Vgl. McClain 1994, 208; Kowalewski 2002, 42; Welch 2012, 180, 187. 127 Zur negativen Bewertung vgl. Weiẞenborn/Müller 2000a, 121; Welch 2012, 187; Müller 2014, 311f. Zur Wirkung weiblicher Interventionen als Wendepunkte vgl. Jaeger 1997, 36; Welch 2012, 195. 128 Vgl. Kapitel 2.1.3.2.

Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia

2.1.3.2 Weibliche Krisenwahrnehmung und das Problem der Männlichkeit

Das durch weibliche Krisensichten generierte männliche Krisenhandeln zeigt deutlich, dass das livianische Narrativ die Gründungskrise als ein Problem von Männern wahrnimmt. So hat bereits eine Analyse der Schlachtenbeschreibung auf dem Forum zwischen Sabinern und Römern, die auf den Verrat Tarpeias folgt, die Dekonstruktion männlichen Handelns beispielhaft offengelegt.129 Im Folgenden soll die Darstellung der Ermordung Horatias durch ihren Bruder mit Blick auf die Qualität von dessen Handlungsfähigkeit untersucht werden. Als ein Fallbeispiel dafür dient Horatius’ Reaktion auf das Auftreten seiner Schwester und ihre Trauer um den Feind. Davon ausgehend sollen in einem nächsten Schritt die Funktion und der Wert von Weiblichkeit als Katalysator männlichen Handelns bestimmt werden. Die begrenzte Innensicht der Frauen legt dabei Wechselwirkungen mit dem männlichen Vorgehen gegen diese nahe. Daher muss insbesondere ein Blick auf die Reichweite des Männerhandelns und die damit verbundene Verortung von Frauen im Krisengeschehen geworfen werden, um den normativen Rahmen von Weiblichkeit im augusteischen Genderdiskurs zu diskutieren.130 Die Reaktion, die Livius dem Horatius mit der Ermordung der Schwester zuschreibt, ist am Krisenhandeln der bisher analysierten Männerperformanz sowie an der Perspektive auf das Geschehen zu bemessen. So lässt sich die Qualität und der Raum seines Handelns bestimmen: mouet feroci iuueni animum comploratio sororis in uictoria sua tantoque gaudio publico. stricto itaque gladio simul uerbis increpans transfigit puellam. »abi hinc cum immaturo amore ad sponsum«, inquit, »oblita fratrum mortuorum uiuique, oblita patriae. sic eat, quaecumque Romana lugebit hostem.«131 (Liv. 1,26,3f.)

Horatias Trauer um den ermordeten Curiatier induziert die affektbedingte Handlung des Bruders. Dieser – vom Hyperbaton mouet [...] comploratio gerahmt – wird durch den Stimulus der weiblichen Trauer geleitet, sodass auch hier die männliche Emotion seine Charakterisierung bestimmt. Dennoch ist es verfehlt, hieraus

129 Vgl. Kapitel 2.1.1. 130 Welch 2012, 195 hat am Beispiel der Horatia auf »Livy’s concern with gender and domesticity as participating in the ideas and anxieties of the age« hingewiesen. 131 Das Wehklagen seiner Schwester traf den jungen Mann bei seinem Sieg und dem so großen Jubel aller. Nachdem er daher sein Schwert gezogen hatte, durchbohrte er das Mädchen und rief es gleichzeitig laut scheltend mit den Worten an: »Geh’ weg zu deinem Verlobten mit deiner unzeitigen Liebe! Vergessen hast du deine toten Brüder und den lebenden, vergessen hast du deine Heimat. So soll eine jede Römerin dahingehen, die um einen Feind trauern wird!«

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Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen

Horatia eine allzu große Wirkung darauf zuzugestehen, die Agency des Mannes zu hemmen, wie es Ogilvie versucht.132 Anders als Romulus und seine Kämpfer im Krieg gegen die Sabiner oder zuvor Tullus kann Horatius nämlich trotz seiner emotionalen Betroffenheit als ferox iuuenis Taten folgen lassen, wenn Livius die ferocia zum Leitmotiv dieser Darstellung macht.133 Diese Emotion kann Horatius zielgerichtet artikulieren, als er seine Schwester tötet.134 Die ferocia wird damit zum Ausdruck eines heldenhaften Patriotismus.135 Seine Emotionalität wird somit performativ dazu als patriotische Affirmation der römischen Identität genutzt, was den Rahmen seines Krisenhandelns in diesem Exemplum festlegt.136 Die Innensicht, die dem Mann durch den Katalysator der weiblichen Intervention erschlossen wird, spiegelt den Handlungsraum des Exemplums zusätzlich: In seiner »Roman perspective«137 formuliert Livius mit Horatius’ Worten den Vorwurf an das Mädchen als parallele Klimax: oblita fratrum mortuorum uiuique, oblita patriae. Auf diese Weise wird Horatius’ Perspektive genutzt, um das normative Postulat ihrer Treue zum römischen Volk zu konstruieren.138 Dies ergibt sich ebenfalls aus der von Horatius als immaturus bezeichneten Liebe des Mädchens zum Feind. In einer Sicht auf das Unrömische im Verhalten der Horatia,139 die sich aus ihrer Zuordnung auf die Seite des hostis ergibt, macht Livius die Zuständigkeit von Horatius’ Krisenhandeln und die Bedeutung einer männlich regierten Geschlechterordnung für diese Darstellung deutlich: Zuvor diente die stereotyp weibliche Inszenierung Horatias als Verlobte und Schwester dazu, die Ambivalenz zwischen Römertum und Feindlichkeit abzubilden.140 Nun erhält auch die Performanz des Bruders durch die Frau eine Projektionsfläche, auf der die geschlechtliche Qualität des Exemplums sichtbar wird. Nicht nur sein Vorgehen gegen die öffentliche Trauer

132 Ogilvie 1978, 114: »hero victorious over men but brought low by a woman is a perennial theme in myth.« 133 Vgl. Oakley 2010, 133. Langlands 2018, 300 deutet ferox als ein heroisches Attribut. Zum Ausdruck der ferocia bei den Horatiern und Curiatiern vgl. Penella 1990, 211; Solodow 2009, 300. Ebenso hat ebd., 299 auf das Muster der »verbal echoes« von Schlagworten in dieser Passage hingewiesen. Das Attribut ferox mag eines der hervorstechendsten Beispiele dieser Repetitio sein. Zur besonderen Wortstellung von feroci iuueni vgl. Weiẞenborn/Müller 2000c, 166. 134 Zum Zusammenwirken von ferocia und ratus in der Charakterisierung des Horatius vgl. Oakley 2010, 133f. 135 Vgl. Solodow 2009, 301f.; Watson 1979, 441. 136 Vor dem Hintergrund kann eine rein negative Beurteilung seines Motivs als »result of his own lack of control« nach McClain 1994, 209 nicht überzeugen. 137 Welch 2012, 188. 138 Zur Forderung von Horatias Loyalität gegenüber Rom vgl. McClain 1994, 208. 139 Vgl. Burck 1964, 153; Kowalewski 2002, 46. 140 Vgl. Welch 2012, 187, 189.

Weiblichkeit und die männliche Krise der concordia

der Frau als Gefahr für die römische Moral,141 sondern insbesondere seine Perspektive auf die Krise als ein innerrömisches Problem, das sich auf der Ebene der Geschlechterordnung artikuliert, präsentiert die Qualität seines Handelns. So zeigt diese Episode, dass die begrenzte Frauensicht auf Krisen sich in einer männlichen Krisenwahrnehmung widerspiegelt, die sich ebenfalls in dieser weiblich erzeugten Folie abspielt. Dies ist als ein deutlicher Reflex des augusteischen Genderdiskurses zu verstehen, den Livius mithilfe dieser Inszenierung stereotyper Weiblichkeit abbildet. Sie wird explizit in männlich regierten sozialen Nahbeziehungen verortet und erzeugt damit einen Raum, der für die Konstruktion einer Geschlechterkrise ausschlaggebend ist. Zwar ergibt sich hier deutlich eine moralische Ambiguität, die vor allem in der späteren juristischen Beurteilung des Schwesternmordes evident wird, und die Multidimensionalität des Exemplums.142 Es zeigt sich jedoch, dass die Horatia-Episode in erster Linie eine Krise darstellt, die auf der Ebene des Geschlechts verhandelt wird. Die Analyse des Figurenwissens zeigt, dass es für Livius zentral darum geht, patriotisches Männerhandeln exemplarisch zu inszenieren. Livius zeichnet dazu Krisen figuraler Betroffenheit von Frauen. Sie werden damit in der Erzählung zum notwendigen Katalysator, um in einer übergeordneten gesamtrömischen Krise dekonstruierter Männlichkeit nun männliche Handlungsmacht generieren zu können. Horatias Darstellung verzichtet darauf, ihr epistemisch ein eigentlich genuin männliches Wertewissen zuzuschreiben. Es kommt also nicht zu einer epistemisch bedingten Umkehr der Geschlechterrollen. Stattdessen skizziert Livius hier mit Horatias Trauer normativ weiblichen Handlungsraum, in dem sie als Katalysator männlicher Handlungsmacht agieren kann. Indem Livius die Frau also abseits der staatlichen Krise und eindeutig als Frau auftreten lässt, bildet dieser Rahmen einen weiblichen Handlungsraum der frühen Kaiserzeit ab, in dem sich weiblicher Einfluss jenseits der Öffentlichkeit artikuliert.143 Während gendertransgressives Auftreten von Frauen in männlichen Krisen ihnen auch in einem übergeordneten Krisenkontext Einfluss ermöglicht, der zur Aktivierung männlicher Initiative notwendig ist, konstruiert Livius für weiblich inszenierte Frauen einen normativen Handlungsraum in einer männlichen Geschlechterordnung. So wird Gender in der Horatia-Episode zum Kriterium einer innerrömischen Stabilität.144 Die Konstruktion eines männlich organisierten sozialen Raums im Gründungsnarrativ der römischen Frühgeschichte ist damit ein Reflex augusteischer Zeit, in der unrömisch

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Vgl. Šterbenc Erker 2006, 211f. Vgl. Langlands 2018, 301, 335. Vgl. Späth 1994, 195f.; Milnor 2005, 170. Vgl. Welch 2012, 179f.; zur Bedeutung von Gender als destabilisierende Macht in augusteischer Zeit vgl. Milnor 2005, 63.

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Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen

charakterisierte Weiblichkeit zur Folie einer männlichen Kontrolle innerhalb dieses Raumes wird.145

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Weibliches Krisenwissen und normative Weiblichkeit

Zwar bildet die epistemische Position von Frauen eine Geschlechterordnung ab, in der defizitäre Männlichkeit punktuell auf weiblich erschlossene Wissensbestände angewiesen ist, um daraus Krisenhandeln zu generieren. Dennoch zeigt das livianische Werk enge Grenzen dieser Gendertransgressionen auf, was als Wechselwirkung des augusteischen Diskurses zu verstehen ist.146 In der Darstellung eines Gründungsnarrativs ist daher die Strategie prägend, ein normatives Konzept von Weiblichkeit nach den Maßgaben des Werte- und Genderdiskurses unter Kaiser Augustus zu konstruieren. In dieser Ausrichtung verzeichnet die erste Pentade auch neben den Sabinerinnen noch weitere Frauengestalten, die in ihrer Funktion als »foundational mothers«147 das Ideal frühkaiserzeitlicher Weiblichkeit abbilden. Nicht nur die am Beispiel des Raubes der Sabinerinnen abgebildete Institution der römischen Ehe steht im Zeichen der augusteischen Herrschaft.148 Ebenso schafft Livius mit einem breiten Spektrum an weiblichen Exempla ein Wertekonstrukt normativer Weiblichkeit und verankert dies im römischen Gründungsnarrativ.149 Dieses normative Konstrukt von Weiblichkeit und die diesem zugrunde liegenden Werte verhandelt das livianische Werk diskursiv anhand des Kriteriums des exemplarisch inszenierten Geschlechts von Frauengestalten, das sich aus performativen und epistemischen Aspekten ihrer Genderidentität ergibt. Die besondere Bedeutung von Frauen für den augusteischen Wertediskurs,150 die dieser normativen Darstellung von Weiblichkeit zugrunde liegt, gründet insbesondere auf der Geschlechterinszenierung, die durch weiblich markierte Perspektiven auf Krisen geschaffen wird. Im Folgenden soll daher nach der Bedeutung der Genderidentität für die weiblich vermittelten Innensichten der Krisennarration gefragt werden, um auf dieser Grundlage die Funktion der Frauen für den Gender- und Wertediskurs

145 Entsprechend sieht Albrecht 2016, 207f. in der Inszenierung der Männer in der Horatia-Episode Exempla von patria potestas und uirtus. Zur normativen männlichen Kontrolle des sozialen Raumes unter Augustus vgl. Milnor 2005, 169–171. 146 Vgl. Milnor 2005, 168. 147 Welch 2012, 182. 148 Umfassend hat Miles 1992, 186–188 diese Episode in dieser Hinsicht betrachtet. 149 Die Ausrichtung auf grundlegende Werte, Institutionen und Traditionen der römischen Identität, die von Luce 1977, 247–249 und Miles 1992, 185f. erkannt worden ist, erhält damit eine Differenzierung hinsichtlich eines normativen Geschlechterverhältnisses. 150 Vgl. Kowalewski 2002, 7f.; Milnor 2005, 14.

Weibliches Krisenwissen und normative Weiblichkeit

bestimmen zu können. Diese epistemische Anlage von Frauengestalten für die Vermittlung zentraler Werte legt durch ihre zentrale Platzierung in Krisennarrativen zudem nahe, dass auch das daraus resultierende Geschlechterverhältnis in der Genderinteraktion betrachtet werden muss, die in diesen Krisen der Männlichkeit erzeugt wird. Dies dient dazu, die Funktion weiblichen Wissens für die Krisennarration zu bewerten. Da die Forschung die Geschlechterordnung in diesen Episoden bislang ausschließlich mit Blick auf die Performanz der Frauengestalten bewertet hat,151 kann die Funktion von Weiblichkeit mithilfe der Fokalisierung noch deutlich genauer erfasst werden. Die Analyse weiblicher Wirklichkeitssichten macht es möglich, die Rolle von Frauen als Exempla für konkrete Werteideale zu bestimmen. Dazu soll das Kriterium des weiblichen Figurenwissens im Folgenden analysiert werden, indem zwei Aspekte der Fokalisierung von Frauen beleuchtet werden: Erstens sollen die weibliche Perspektive und das Figurenwissen hinsichtlich ihrer sozialen Genderidentität betrachtet werden. Am Beispiel von Sabinerinnen und Coriolans Mutter soll gezeigt werden, dass Livius ihr Einschreiten mit einer explizit weiblichen Perspektive versieht, indem er sie aus ihrer sozialen Rolle als Ehefrauen und Mütter auf die Krisen blicken und daraus ihre Argumentation vor den Männern generieren lässt. Dadurch wird die Bedeutung matronaler Ideale als zentraler Aspekt für die Konstruktion einer römischen Identität sichtbar, welche weibliche Tugenden am Maßstab des frühkaiserzeitlichen Wertediskurses bemisst. So bildet die Ambivalenz von punktueller Transgression und weiblicher Tugend nur einen scheinbaren Widerspruch ab, den Livius in den Dienst einer weiblichen Rollenzuschreibung einer »female domesticity«152 stellt. Diese Darstellung soll als Strategie betrachtet werden, die dazu dient, eine matronale Identität von Frauen innerhalb einer heteronormativen Geschlechterordnung zu schaffen, um weibliche Ideale des augusteischen Werte- und Genderdiskurses aufzuzeigen und diese durch Frauen selbst zu vermitteln. Zweitens wird die Analyse des Figurenwissens ebenfalls genutzt, um zu zeigen, dass auch eine explizite Zuschreibung von männlichen Werten an Frauengestalten wie den der uirtus an Cloelia dennoch im Zeichen einer weiblichen Inszenierung steht. Sie beweist nämlich explizit als Frau ihre uirtus, als sie im Krieg gegen die Etrusker Geiseln aus dem feindlichen Lager rettet und nach Rom zurückführt.

151 Diese Forschungsperspektive differenziert etwa die Beobachtungen von Kowalewski 2002, 8, die dem Aspekt der rein performativ hervorgebrachten Geschlechterordnung eine zu große Bedeutung zuweist und damit die transgressive Komponente der Darstellung von Sabinerinnen und Coriolans Mutter tendenziell überhöht. Ein ähnliches Problem ergibt sich bei McClain 1994, X, die sich bei ihrer Analyse insbesondere auf das Kriterium des weiblichen Handlungsraumes stützt. 152 Milnor 2005, 39.

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Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen

Auf diese Weise soll die Notwendigkeit einer Konstruktion dieses Wertes mit einer ausdrücklich weiblichen Bedeutung aufgezeigt werden,153 der eine weibliche Krisensicht zugrunde liegt. In einem abschließenden dritten Schritt soll dann die Wirkung der weiblichen Figurensicht auf die Konstruktion weiblicher Körperlichkeit geklärt werden. Dieser Aspekt wird durch die prominente Inszenierung körperlich definierter Werteideale von castitas und pudicitia, die insbesondere in der livianischen Darstellung der Frühgeschichte kennzeichnend für den Genderdiskurs der frühen Kaiserzeit sind,154 zu einem lohnenswerten Analysekriterium. In den Inszenierungen des pudicitia-Exemplums der Lucretia sowie der castitas von Vestalinnen soll dazu die Bedeutung einer figuralen Perspektive für die Konstruktion weiblicher Tugenden diskutiert werden. Auf diese Weise wird es möglich, die marginalisierte Darstellung von Frauen bei der Konstruktion weiblicher Sittenideale, welche bereits vielfach für die augusteische Zeit beobachtet worden ist,155 durch einen weiteren genderkonstitutiven Aspekt zu differenzieren und das spezifisch Weibliche in diesen Wertekonstrukten zu bestimmen. 2.2.1

Die Affirmation der weiblichen Rolle

Trotz der Gendertransgressionen, die in der Darstellung der Sabinerinnen und der Coriolan-Mutter Veturia bereits gezeigt wurden, legen diese Figuren dennoch eine genuin weibliche Perspektive auf diese Krisen offen. Darin erschließen Frauen den Zugang zu concordia und libertas, die als zwei zentrale Werte der ersten Pentade von Ab urbe condita auf der Grundlage weiblichen Wissens verhandelt werden. Gleiches gilt auch für die uirtus der Cloelia, die in der Erzählung des Etruskerkrieges ebenfalls dem Leitmotiv der libertas unterliegt.156 So sollen im Folgenden weibliche Wissensbestände in den Interventionen dieser Frauen nachgewiesen werden, indem mithilfe der Fokalisierung der Figuren ein weiblicher Zugang zu diesen Werten aufgezeigt wird. Darüber hinaus legt die jeweilige Würdigung des Frauenhandelns als Exemplum nahe, dass auch die Rezeptionsmechanismen von Weiblichkeit für die Inszenierung und Bewertung geschlechtlich markierten Wissens nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Auf diese Weise soll gezeigt werden, dass dieses transgressiv initiierte weibliche Krisenwissen im livianischen Narrativ stets als Strategie zu verstehen ist, die heteronormative Struktur des augusteischen Genderdiskurses

153 Die Unterscheidung einer »womanly virtus« nimmt bereits Roller 2004, 38–42 vor, stützt diese aber überwiegend auf performative Eigenschaften. Kowalewski 2002, 54 setzt hingegen die uirtus der Cloelia absolut. 154 Vgl. ebd., 7; Milnor 2005, 48; Langlands 2006, 46–48, 51. 155 Vgl. zusammenfassend Milnor 2005, 170f.; Langlands 2006, 82; Milnor 2011, 616. 156 Liv. 2,9,2: satis libertatem ipsam habere dulcedinis. Vgl. Burck 1964, 55 und Lefèvre 1983, 53.

Weibliches Krisenwissen und normative Weiblichkeit

affirmativ zu inszenieren.157 Zugleich lässt diese Darstellung jedoch Rückschlüsse sowohl auf die Bedeutung von Weiblichkeit für diese Werte als auch auf die Funktion von Frauen in der Abbildung von männlichen Krisen zu. Die Perspektive der Sabinerinnen, die ihnen die Erzählung bei ihrem Eingreifen in den Kampf auf dem Forum zugesteht, bildet beispielhaft das Muster eines weiblichen Krisenwissens ab. Livius lässt sie sich in ihrer Rolle als matronae auf die Familienbeziehungen berufen, die sich nach dem Frauenraub zwischen Sabinern und Römern ergeben haben. Dies stellt ihren Zugang zur concordia dar und zeigt durch die Fokalisierung deutlich, dass die Frauen in dieser Krise aufbegehren, um ihre matronale Rolle zu festigen:158 hinc patres, hinc uiros orantes, ne se sanguine nefando soceri generique respergerent, ne parricidio macularent partus suos, nepotum illi, hi liberum progeniem.159 (Liv. 1,13,2)

Diese Inszenierung der Sabinerinnen markiert deutlich den Rückgriff auf eine explizit weibliche Einflussnahme. Neben der durch die flehende Semantik erzeugte Hierarchisierung sprechen aber besonders die aus der figuralen Perspektive geäußerte parallele Bezeichnung der Männer als patres [...] uiros und die folgend genannten Verwandtschaftsverhältnisse klar für eine aktive Annahme einer weiblichen Identität.160 Zugleich werden die Frauen durch ihre Fokalisierung in der Krisenerzählung verortet: Ihre begrenzte Sicht, die auf ihrer figuralen Betroffenheit basiert, platziert sie nun jenseits des männlichen Einflussbereichs der Krise. Vielmehr definiert ihr Blick auf die Krise die Stellung der Frauen in der römischen Gesellschaft, indem sie hier als Exemplum inszeniert aktiv ihren Beitrag zur eigenen gesellschaftlichen Integration leisten.161 Die Perspektive zeigt, dass diese Rolle ihr Krisenwissen reguliert und ihnen nunmehr nur in dieser Hinsicht Handlungsmacht zugestanden wird, sodass die Argumentation der Sabinerinnen eine genderkonstitutive Bedeutung erhält.162 157 Vgl. Milnor 2005, 55f. 158 Vgl. Miles 1992, 171; McClain 1994, 153. Zur concordia als eheliches Ideal vgl. Dixon 2004, 107f. 159 Sie flehten hier ihre Väter, dort ihre Männer an, sich nicht als Schwiegerväter und Schwiegersöhne mit frevelhaftem Blut zu beflecken, ihre Nachkommen – die einen ihre Enkel, die anderen ihre Kinder – nicht mit einem Mord an den Verwandten zu entehren. 160 Vgl. Briquel 1976, 172; Miles 1992, 162; McClain 1994, 204. Zur Stilistik vgl. Kowalewski 2002, 29. 161 Zur gesellschaftlichen Integration der Sabinerinnen vgl. Jaeger 1997, 54f. 162 Diese Bedeutung unterschätzt Miles 1992, 162, wenn die aus der Perspektive der Sabinerinnen geäußerten Verwandtschaftsverhältnisse lediglich als Beleg einer angenommenen Hochzeit gedeutet werden. Ebenso ist somit die Beurteilung des Frauenhandelns als Verzweiflungstat nach Kowalewski 2002, 28 nicht haltbar.

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Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen

Dass diese Handlung für das livianische Narrativ von normativem Wert ist, zeigt nämlich die Rezeption der figural konstituierten Weiblichkeit in der Darstellung ihres Einschreitens auf zweierlei Weise. Erstens ist für Livius also die Lösung des kriegerisch-männlichen Konfliktes auf ein explizit weibliches Exemplum der Frauen angewiesen, wenn die Sabinerinnen aus dieser Perspektive heraus in direkter Rede als Ehefrauen und Schwiegertöchter wirkungsmächtig an die Männer appellieren können: mouet res cum multitudinem tum duces (1,13,4). Vor allem die figurale Äußerung ihrer Rolle zeigt deren besonderen Wert: Eine weibliche Argumentation hat also derartigen Erfolg, dass kriegerische Handlungen unterbrochen und ein Lösungsprozess dieser Krise initiiert wird, und erfüllt zudem Romulus’ Forderung quibus fors corpora dedisset, darent animos (1,9,15).163 Zweitens legt der Erfolg ihres matronalen Exemplums wiederum die Bewertungsmechanismen des augusteischen Genderdiskurses offen. Erst durch die aktive Annahme einer matronalen Rolle wird ihr Handeln als Exemplum rezipierbar. Die Folgerung von Stehle, »foreigners [...] just as women can be absorbed into the patriarchal structure without disturbing it«164 , greift gar noch zu kurz. Vielmehr ist die aktive Konstitution von Weiblichkeit in diesem Narrativ notwendig, um männlich regierte Strukturen erst zu schaffen, wodurch schließlich der Wert der concordia zum Verdienst normativer Weiblichkeit wird.165 Nicht nur die Vereinigung zu einem römischen Volk wird so inszeniert. Zugleich bildet das Narrativ auch das eheliche Ideal der concordia ab, das Augustus im Zuge seiner Gesetzgebung propagiert.166 Die Konstruktion eines weiblichen Krisenwissens muss als Strategie der Narration verstanden werden, die normative Geschlechterordnung der frühen Kaiserzeit abzubilden und als Aspekt der mores maiorum in der Frühgeschichte zu verankern. Die Wertezugriffe von Coriolans Mutter Veturia auf die libertas sowie die von Cloelia erschlossene uirtus konstruieren in den Narrativen einen krisenhaften Raum weiblicher Exemplarität. So tritt auch Veturia ihrem Sohn explizit in ihrer Mutterrolle gegenüber, sodass ihr Exemplum für die libertas weiblich definiert wird. Sie beruft sich ebenso als Mutter auf den Wert der Freiheit für ihre römische Heimat,

163 McClain 1994, 204 vernachlässigt in ihrer Deutung des weiblichen Erfolges die Kategorie ›Geschlecht‹, sondern geht stattdessen vor allem auf die soziale Dimension dieses Ereignisses für die römische Gesellschaft ein. 164 Stehle 1989, 150. Sie lässt jedoch den Aspekt der transgressiven Performanz und deren narrative Strategie außer Acht. Zur Bedeutung des Sabinerinnen-Raubes für die römische Identität und den Gründungsmythos vgl. ebd., 149; Miles 1992, 168f. 165 Entsprechend deutet auch Brown 1995, 307f. die Beschreibung uicto malis muliebri pauore ausae als Ausgestaltung einer geschlechterspezifischen Unterscheidung. Im Sinne dieser Affirmation normativer Weiblichkeit ist der von McClain 1994, 152f. beobachtete Verzicht auf Vergewaltigungsszenen zu verstehen. 166 Vgl. Dixon 2004, 113.

Weibliches Krisenwissen und normative Weiblichkeit

indem sie Coriolan als Feind dieser römischen libertas bezeichnet: ergo ego nisi peperissem, Roma non oppugnaretur; nisi filium haberem, libera in libera patria mortua essem (2,40,8). Auch Veturia argumentiert also aus einer weiblichen Perspektive, wenn sie sich ebenfalls auf die familiären Verbindungen zwischen beiden Seiten beruft.167 Ihre Rolle als Mutter bildet auch hier mit ihrer figuralen Betroffenheit ihr weibliches Krisenwissen ab, mit dem sie für eine Lösung der Krise eintritt,168 indem Livius es im Spannungsfeld von mütterlicher Perspektive und römischem Patriotismus konstruiert.169 Veturia gebührt somit das Verdienst der Krisenlösung.170 Auch ihre weibliche epistemische Perspektive ist nämlich verantwortlich für ihren Erfolg und Ausdruck einer normativen Geschlechterordnung. Nur mit dem weiblichen Wissen einer Mutter kann die Frau den Einfluss auf ihren Sohn ausüben,171 durch den sie ihn schließlich zur Abkehr von Rom bewegen kann. Die Charakterisierung der Frau als »powerful figure demanding obedience«172 muss damit unbedingt im Rahmen stereotyp weiblicher Episteme verstanden werden. Sie nimmt die Belagerung Roms nämlich vor allem als eine Krise figuraler Betroffenheit wahr, wie die Repetitio von libera [...] libera zeigt. Veturia argumentiert also ausdrücklich als Mutter im Sinne der libertas. Die Rezeption ihrer Intervention durch die uiri Romani (2,40,11) macht die weibliche Identität der Frau deutlich: Explizit wird hier normative Weiblichkeit erzeugt, indem zur Erinnerung an dieses Frauenhandeln der Tempel der Fortuna muliebris (2,40,12) geweiht wird. Erst an dieser Stelle kann auf römischer Seite wieder von männlicher Handlungsmacht die Rede sein.173 Ein weibliches Exemplum auf der Grundlage eines weiblichen uirtus-Begriffs konstruiert Livius auch am Beispiel der Cloelia. Die Analyse der Fokalisierung dieser Figur zeigt nämlich, dass der Tapferkeit der Frau ein dezidiert weiblich markierter Blick zugrunde liegt. Dieser legt nahe, die uirtus der Cloelia nicht absolut als Nachahmung männlicher Tugend,174 sondern als eine eindeutig weibliche Leistung zu verstehen. Cloelias Innensicht in dieser Erzählung hilft dabei, den Wert der Weiblichkeit für die römische libertas zu klären, welche die Darstellung der frühen Republik bestimmt.175 So lässt Livius zwar Cloelias Verdienst, das sie sich durch die 167 168 169 170 171 172 173 174

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Vgl. Kowalewski 2002, 37. Liv. 2,40,10: complexus inde suos dimittit et ipse retro ab urbe castra mouit. Vgl. Walsh 1996a, 91. Vgl. Janssen 1972, 431; McClain 1994, 214. Zur besonderen Wirkung der familiären Verbindung in der Argumentation Veturias vgl. Burck 1964, 75. Mustakallio 2011, 50. In dieser Hinsicht muss Albrecht 2016, 88 differenziert werden. Zur geschlechterspezifischen Ambivalenz der uirtus in Livius’ Cloelia-Episode vgl. Roller 2018, 78f., 81. Lefèvre 1983, 51f. setzt ihr Handeln jedoch als weibliche Entsprechung des Mucius absolut; ähnlich Burck 1964, 58. Vgl. Walsh 1996a, 164.

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Rettung römischer Geiseln aus der Gefangenschaft erworben hatte, auch aus der Sicht des Etruskerkönigs Porsenna ehren: et apud regem Etruscum non tuta solum, sed honorata etiam uirtus fuit (2,13,9). Roller weist darauf hin, dass Porsenna allerdings hiermit in erster Linie Cloelias Handeln im militärischen Kontext ehrt und damit zwei Aspekte eine Annäherung an Männerhandeln bedingen: Einerseits bewertet der Etrusker Cloelias Tat vor dem Hintergrund der Leistungen von Horatius Cocles und Mucius Scaevola und zielt bei der Zuschreibung von uirtus vor allem auf die Handlung der Frau, die parallel zum Handeln von Männern erzählt wird. Andererseits lässt ihre sexuelle Unversehrtheit als uirgo eine weitere Parallele zur Inszenierung von Männlichkeit zu.176 Allerdings ist auch hier neben der bloßen Performanz die weibliche Perspektive auf die Krise entscheidend. Aus ihr ergibt sich der zentrale Unterschied zu männlicher Handlungsmacht. Die Innensicht, mit der sich Cloelia weitere Geiseln ausbedingt, die ihr von Porsenna als Lohn ihrer uirtus versprochen wurden, legt nämlich zugleich einen weiblich markierten Blick auf das Krisengeschehen offen. Dieses weibliche Krisenwissen erzeugt eine auf der Ebene der Narration nachweisbare Weiblichkeit, die über körperliche Merkmale der Frau hinausgeht:177 productis omnibus elegisse impubes dicitur; quod et uirginitati decorum et consensu obsidum ipsorum probabile erat eam aetatem potissimum liberari ab hoste, quae maxime opportuna iniuriae esset. pace redintegrata Romani nouam in femina uirtutem nouo genere honoris, statua equestri, donauere.178 (Liv. 2,13,10f.)

Wenn Cloelias Tapferkeit auch auf männlicher Seite geehrt wird, zeigt sich, dass ihre Darstellung gänzlich weiblichen Konventionen unterliegt: Roller hat in diesem Zusammenhang die uirtus der Frau beschrieben als »residing in achievements considered appropriate to her specific sex or age [...] so that she remains identified as a female [...], doing actions that are merely dignified with the label virtus and not at all identical to what men do.«179 Diese Einschätzung gründet auf der Rezeption

176 Vgl. Roller 2018, 81–84. 177 Roller 2004, 39–41 definiert diese weibliche uirtus auf der Grundlage ihres Status als Jungfrau: »Being ›not penetrated‹ may be a necessary condition for ›manliness‹«, sowie anhand performativer Aspekte. 178 Sie soll, nachdem alle vorgeführt worden waren, junge Männer ausgewählt haben. Dies war sowohl für ihre Stellung als junge Frau schicklich und fand auch nach einhelliger Meinung der Geiseln selbst Zuspruch, dass gerade die Altersstufe aus den Fängen des Feindes befreit werde, die der Entehrung besonders ausgesetzt war. Nach Wiederherstellung des Friedens ehrten die Römer diese bei einer Frau neue Tapferkeit mit einer neuen Art der Ehrung – einem Reiterstandbild. 179 Roller 2004, 42f.

Weibliches Krisenwissen und normative Weiblichkeit

ihrer Tat etwa durch das Reiterstandbild zu Ehren ihrer weiblichen Verdienste. Die Fokalisierung ihrer Figur zeigt hingegen, dass Livius der Frau selbst eine weibliche Innensicht zugesteht, die den von textinternen Rezipienten formulierten Erwartungen an weibliches Handeln entspricht.180 Cloelia wird mit ihrem Handeln dem Normempfinden von Weiblichkeit gerecht,181 da ihr selbst durch das Auswahlkriterium probabile ein figurales Bewusstsein für das weibliche decus zugeschrieben wird. Diese Darstellung formuliert ein normatives Konzept frühkaiserzeitlicher Weiblichkeit somit von außen durch die Rezeption ihres Handelns, aber gleichsam auch durch ein weibliches Krisenwissen, das als Exemplum inszeniert und gewürdigt wird. Auf diese Weise sorgt ein Zusammenwirken aus dem von einer Frau erwartetem Handeln und ihrem Wissen dafür, dass Cloelias Exemplum konsensfähig und zu einem weiblichen Element der augusteischen Erinnerungskultur wird.182 Dieser Befund eines weiblichen Wissens zeigt ein Muster auf, nach dem sämtliche transgressive Interventionen in Performanz und Motivation zu differenzieren sind. Zwar kann die bloße Handlung durchaus transgressiven Mechanismen unterliegen, die Frauen punktuell über stereotype Merkmale ihrer Genderidentität hinwegtreten lässt. Dennoch konnte gezeigt werden, dass ein Konzept normativer Weiblichkeit diesem Handeln zugrunde liegt, durch das Konventionen und Erwartungen an Frauen in der römischen Gesellschaft zu augusteischer Zeit verhandelt und erfüllt werden. Auf diese Weise werden mit der concordia der Sabinerinnen und der libertas, die schließlich aus den Exempla von Veturia und Cloelia resultiert, zwei zentrale Werte der ersten Pentade weiblich markiert, was als Reflex einer Krise der Männlichkeit in diesem Werkteil zu deuten ist. 2.2.2

Männliches Wissen und das Ende der Wertekrise

Für die Geschlossenheit der ersten Pentade von Ab urbe condita, die sich aus der Konstruktion der römischen Identität ergibt, ist die Darstellung normativer Weiblichkeit von zentraler Bedeutung. In einer livianischen Krisenwahrnehmung, die von fehlenden männlichen Wertezugängen bestimmt ist, konnte bereits gezeigt werden, dass weibliche Perspektiven genutzt werden, um nicht nur matronale

180 Kowalewski 2002, 54 berücksichtigt diesen Aspekt bei der Gleichsetzung von weiblicher und männlicher uirtus nicht. 181 Vgl. Roller 2004, 42. Lefèvre 1983, 51 deutet die Cloelia-Episode entsprechend als »ideelle Demonstation«. 182 Das Kriterium weiblicher Exemplarität, das hier am Wert der uirtus bemessen wird, kann die von Welch 2012, 177 bemerkte unterschiedliche Memoria von Tarpeia und Cloelia erklären, die sich aus der Erwähnung der Cloelia-Statue und der Auslassung des Tarpejischen Felsens bei Livius ergibt.

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Werteideale zu vermitteln. Zugleich dienen sie auch dazu, aus diesem Wissen eine männlich regierte Geschlechterordnung zu schaffen. Im Folgenden soll am Beispiel von Werten der weiblichen Sitten, die Livius vornehmlich anhand von pudicitia und castitas thematisiert,183 nach den Konstruktionsmechanismen dieses Wissens über Weiblichkeit gefragt werden. Diese Betrachtungen zielen darauf ab, den Umbruch von der Königszeit zur Republik hinsichtlich der weiblichen Moral aufzuzeigen, indem eine Transformation des geschlechtlich markierten Wissens über weibliche Sittenideale sichtbar gemacht wird.184 So soll die republikanische Ausrichtung der livianischen Geschichtsschreibung ab dem zweiten Buch nachgewiesen werden,185 indem die Wende zur Republik in gender- und wertespezifischer Hinsicht als eine Transformation des Wissens über weibliche Tugenden identifiziert wird. Beispielhaft wird diese Entwicklung am pudicitia-Begriff in der Lucretia- und Verginia-Episode analysiert. Während die Darstellung von Männlichkeit im ersten Buch noch von moralischen Defiziten geprägt war,186 soll der Umbruch des Herrschaftssystems als eine Spiegelachse eines männlichen Wertewissens über pudicitia und castitas verstanden werden. Beide weiblichen Tugenden gelten als Ausdruck eines normativen Konzepts der Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft Roms.187 Ein männlicher Zugriff auf diese weiblichen Werte soll daher im Folgenden als Abbild einer erstarkenden männlichen Handlungsmacht verstanden werden. Die Verortung von Konflikten dieser weiblichen Ideale in Krisen der libertas, die auch in den Erzählungen von Lucretias und Verginias Schicksal als Leitmotiv der sie umgebenden Krisen wirkt,188 zeigt, dass hierbei zudem die Bedeutung weiblicher und männlicher Tugend für diese Wertekrisen nicht außer Acht gelassen werden darf. Auf dieser Grundlage soll in einem ersten Schritt die Transformation eines Wissens über Weiblichkeit in eine männliche Zuständigkeit als Charakteristikum der livianischen Republik-Memoria analysiert werden, um hieraus Implikationen hinsichtlich der Inszenierung republikanischer Männlichkeit abzuleiten. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Livius den Umbruch von der Königszeit zur Republik mit der Wende hin zum Prinzipat gleichsetzt, ist dieser Befund von zentraler Bedeutung für das Verständnis von normativen Geschlechterverhältnissen in der frühen

183 Zur besonderen Bedeutung dieser weiblichen Ideale als Teil der Gründungslegende vgl. Freund 2008, 308. 184 Diese Forschungsperspektive stützt die These einer Sonderrolle des ersten Buches innerhalb der ersten Pentade, vgl. Walsh 1996a, 6f.; Fox 2015, 287. 185 Zur Idealisierung der Republik im zweiten Buch Ab urbe condita vgl. Martin 2015, 268f. 186 Vgl. Kapitel 2.1. 187 Vgl. Freund 2008, 308, 314f. 188 Vgl. Langlands 2006, 81; Freund 2008, 325.

Weibliches Krisenwissen und normative Weiblichkeit

Kaiserzeit.189 In einem zweiten Schritt wird davon ausgehend die Bedeutung der Fokalisierung von Weiblichkeit für die Konstruktion einer weiblichen Körperlichkeit im Spannungsfeld von königszeitlicher Krise und republikanischer Männlichkeit betrachtet, um die Konstruktionsmechanismen normativer Weiblichkeit in der Erzählung der Republik-Memoria zu erschließen. 2.2.2.1 Die Transformation des pudicitia-Wissens

Die Bedeutung des Wertes der libertas ist für die Krisen der frühen Republik – wie bereits aufgezeigt wurde – immens. Die Inszenierung idealtypischer Weiblichkeit zeigt jedoch zusätzlich, dass der Wert republikanischer libertas eng mit männlicher Handlungsmacht über die weibliche Sittsamkeit korreliert. Einerseits ist die römische Freiheit nämlich auf eine valide männliche Handlungsmacht angewiesen. Andererseits wird diese auf der Projektionsfläche weiblicher Sittsamkeit konstruiert. Dieses Verständnis männlicher Handlungsmacht ist für Livius in der Umbruchphase zwischen Königszeit und Republik im Wandel.190 Während Lucretias Transgression noch nötig war, um einen männlichen Wertezugriff auf die pudicitia und damit schließlich auch ihr Handeln für die libertas zu initiieren, wandelt sich der Wert der pudicitia im Zuge eines erstarkten männlichen Wertewissens. Die Vergewaltigung der Verginia wird damit zum diskursiven Ereignis, das nun valide männliche Handlungsmacht auf der Projektionsfläche weiblicher Sittsamkeit sichtbar macht. Die Analyse der Fokalisierung des geschlechterspezifischen Wissens legt den entscheidenden Aspekt der darin erzeugten Genderidentitäten offen: das Figurenwissen. Auch hier ist Handlungsmacht nicht allein auf einen performativen Zugang zur Krise angewiesen. Vielmehr zeigt sich, dass ein epistemischer Zugriff von Männern auf die zugrunde liegenden Werte notwendig wird,191 um diese Krise lösen zu können. Der männliche Wissensbestand wird damit zum Kriterium eines in der Republik veränderten Verständnisses von Männlichkeit: Die Schändung der Verginia ist nur noch ein Problem von Vater und Verlobten des Mädchens auf der einen und dem ihrem Peiniger auf der anderen Seite, die jeweils als Repräsentanten des plebejischen und patrizischen Lagers den Ständekampf vor dem Hintergrund der pudicitia austragen. Ein männlicher Wertezugriff und die daraus erwachsene Geschlechterordnung ist für den augusteischen Diskurs damit ein Ideal, das in der Republik-Memoria verankert ist.

189 Zur Gleichsetzung dieser politischen Umbrüche vgl. Martin 2015, 269. 190 Zur Bedeutung der pudicitia in Umbruchphasen vgl. Joshel 1991, 121; Moore 1993, 39; Calhoun 1997, 124. 191 Zur männlichen Zuständigkeit für weibliche pudicitia vgl. Joplin 1990, 63, 66; Calhoun 1997, 155; Krause 2013, 265.

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Anhand der pudicitia bildet Livius einen Wertekonflikt ab,192 in dem dieses weibliche Ideal der libido des Königssohns Tarquinius gegenübersteht, als dieser sie vergewaltigt: quo terrore cum uicisset obstinatam pudicitiam uelut uictrix libido, profectusque inde Tarquinius ferox expugnato decore muliebri esset, Lucretia maesta tanto malo nuntium Romam eundem ad patrem Ardeamque ad uirum mittit, ut cum singulis fidelibus amicis ueniant.193 (Liv. 1,58,5)

In der Lucretia-Episode beschreibt Livius die Schändung der Frau mit einer typischen Gegenüberstellung von weiblicher pudicitia und männlicher libido.194 Indem die männliche Lust alliterativ mit uelut uictrix hervorgehoben und der junge Tarquinius als ferox bezeichnet wird, verleiht Livius der von Affekten bestimmten Anlage des Narrativs Ausdruck.195 Diese Opposition bildet somit einen Wertekonflikt ab, der sich auf der Figurenebene unmittelbar zwischen Mann und Frau artikuliert. Erst durch das daraus resultierende Leid wird Lucretias Initiative motiviert, ihrem Mann das Problem der pudicitia zu eröffnen und somit eine männliche Wertesicht zu generieren.196 Daraufhin leisten die Rache der Männer an der Königsfamilie und deren Vertreibung aus Rom für Livius einen entscheidenden Beitrag zur republikanischen libertas. Diese genderspezifische Struktur des Wertes prägt auch die Darstellung der Vergewaltigung Verginias und zeigt, dass die männliche Markiertheit der pudicitia das normative Geschlechterkonzept in der livianischen Republik-Memoria bestimmt. Diese Episode bildet beispielhaft ab, dass zwar ein Problem der Affekte, das auch der Lucretia-Episode zugrunde liegt, die Erzählung prägt. Die veränderte Werteperspektive republikanischer Männer führt nun allerdings zu einer Verlagerung des Konfliktes in dieser Krise. Im besonderen Maße ist der Decimvir App. Claudius von seiner uirginis plebeiae stuprandae libido (3,44,2) geleitet;197 die alliterative Be192 Vgl. Joshel 1991, 120. 193 Nachdem durch diese Bedrohung die Lust über die beharrliche Sittsamkeit wie eine wirkliche Siegerin gesiegt hatte und Tarquinius außer sich nach der Bezwingung der weiblichen Ehre aufgebrochen war, schickte die über diese so üble Tat traurige Lucretia denselben Boten nach Rom zu ihrem Vater und nach Ardea zu ihrem Ehemann: Sie sollten jeder mit einem treuen Freund kommen. 194 Vgl. Langlands 2006, 59, 91. 195 Zur Bedeutung der Emotion vgl. Freund 2008, 310. 196 Zum figuralen Wertewissen als männliches Problem vgl. Kapitel 2.1. 197 Packard 1968, 84 hat gezeigt, dass männliche libido für App. Claudius einen größeren Stellenwert hat als für Tarquinius, wenn für ersteren 13, für letzteren nur drei Belegstellen angeführt werden können.

Weibliches Krisenwissen und normative Weiblichkeit

zeichnung amore amens (3,44,4) verdeutlicht das Problem der Affekte zusätzlich.198 Der Mann ist auch hier nicht imstande, Affekte zu regulieren, sondern amens. Dies markiert für Livius ein moralisches Defizit, das sich als performatives Manko der Männer in Opposition zur pudicitia niederschlägt.199 Die republikanische Struktur der pudicitia zeigt allerdings, dass sich die Affekte des Decemvirn auf einer anderen figuralen Ebene der Geschlechterordnung artikulieren als in der Lucretia-Episode.200 Dies machen die Worte von Verginias Verlobtem Icilius deutlich, mit denen er sich vor Gericht gegen App. Claudius richtet: uirginem ego hanc sum ducturus nuptamque pudicam habiturus. [...] non, si tribunicium auxilium et prouocationem plebi Romanae, duas arces libertatis tuendae, ademistis, ideo in liberos quoque nostros coniugesque regnum uestrae libidini datum est. saeuite in tergum et in ceruices nostras: pudicitia saltem in tuto sit.201 (Liv. 3,45,6–9)

Die Worte des Verlobten offenbaren zweierlei: Erstens verfügt der Mann über einen umfangreichen Wertezugriff. Anders als bei Lucretia ist dem Icilius hier bereits aus eigener Perspektive das Problem der pudicitia bekannt, das er ebenfalls in Opposition zur libido des Decemvirn einordnet. Zugleich ist er imstande, den Wert der Sittsamkeit in die Krise der plebejischen libertas einzuordnen. Diese Beobachtung macht deutlich, dass Livius hier aus einer männlichen Sicht das Krisenwissen mit den grundlegenden Werten vermittelt und das Exemplum damit in erster Linie ein männliches ist.202 Livius macht auf diese Weise die pudicitia zu einer Tugend, die eindeutig männlich markiert ist und so zum männlich formulierten Postulat an Frauen wird. Mit Blick auf die Konzeption dieses weiblichen Ideals weist die Verginia-Episode daher deutlich weniger Entwicklung auf als die von einer

198 Müller 1905, 1881,22–28 deutet dies als Wortspiel. Zur negativen Bewertung von Appius’ amentia vgl. Liv. 3,47,4: tanta uis amentiae uerius quam amoris mentem turbauerat. 199 Vgl. Langlands 2006, 98. 200 Der vielfach gemachte Befund einer Parallele von Vergina und Lucretia, vgl. Vasaly 2015a, 68, muss daher differenziert werden. 201 Ich will diese junge Frau heiraten und ich will eine keusche Braut haben. [...] Wenn ihr der römischen Plebs die Hilfe der Tribunen und das Recht auf Berufung genommen habt, die beiden Festungen für den Schutz der Freiheit, ist euren zügellosen Begierden deswegen keine unumschränkte Macht auch über unsere Kinder und Ehefrauen gegeben worden. Wütet gegen unseren Rücken und gegen unsere Nacken. Die Keuschheit wenigstens soll in Sicherheit sein. 202 Dieser Befund liefert eine geschlechtliche Differenzierung des Exemplums, die etwa bei Joshel 1991, 124 fehlt.

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Transformation des Wissens geprägte Lucretia-Erzählung.203 Vielmehr zeigt diese Darstellung, dass die Verginia-Episode als eine männliche Affirmation einer normativen Geschlechterordnung zu verstehen ist, die am Beispiel von Lucretias pudicitia erzeugt wurde. Keuschheit wird auf diese Weise zum Abbild männlicher Qualitäten, was nach Joshel die Neudefinition und Institutionalisierung weiblicher Moral unter Augustus spiegelt,204 indem Livius hier einzig Männern einen epistemischen Zugang zur pudicitia gewährt und sie so zu Rezipienten dieser Tugend macht. Somit wird die pudicitia-Inszenierung der Verginia hier eindeutig in den Dienst einer heteronormativen Geschlechterordnung gestellt. Die Frau dient also in diesem Exemplum dazu, einen männlichen Wertezugriff abzubilden. Zweitens konstruiert dieses Wertewissen eine andere Projektionsfläche der Krise. Die Zuständigkeit von Männern für die weibliche Sittsamkeit artikuliert die libido des Decemvirn unmittelbar in einem Konflikt unter Männern und schafft damit andere Fronten als die Erzählung von Lucretias Vergewaltigung.205 Die geschlechtliche Verortung der pudicitia in männlicher Hand macht das affektgeleitete Verhalten des App. Claudius zu einem Problem unter Männern, das auf die weibliche Tugend projiziert wird.206 Die Analyse der geschlechtlich markierten Perspektiven macht deutlich, dass es Livius erst auf diese Weise gelingt, auf den zentralen Konflikt des Narrativs zu verweisen. Dieser artikuliert sich in der Gegenüberstellung des Decemvirn und des Verlobten, die an den Idealen der Männlichkeit des augusteischen Genderdiskurses gespiegelt werden. Die Affekte des Claudius und seine spätere Absetzung kennzeichnen einen Kontrollverlust als ein Problem männlicher Disziplin und Herrschaft.207 Die livianische Erzählung der Ständekämpfe wird durch diese Inszenierung als Wertekrise dezidiert zu einem Geschlechterproblem, da es dazu dient, die Kontrolle der pudicitia zur Bewertung von Männlichkeit zu nutzen. In der Darstellung des Umbruchs zur Republik wurde die fehlende männliche Sorge um dieses Ideal zum Ausdruck eines negativen Urteils über die Königsherr-

203 Freund 2008, 320 sieht hingegen in der Konzeption des ausgeweiteten Handlungsraumes in der Verginia-Episode ein Anzeichen für ein größeres Entwicklungspotential, da in dieser Darstellung eine größere Reichweite des pudicitia-Problems erzeugt wird. 204 Vgl. Joshel 1991, 121. 205 Moore 1993, 42 sieht die Aufmerksamkeit des Historiographen hingegen nicht bei den Männern, sondern allein bei Verginia. 206 Die für die Frauen der pudicitia-Erzählungen von Joshel 1991, 120 formulierte Funktion als Folien eines Wertediskurses trifft also mehr für Verginia als für Lucretia zu. Die von Calhoun 1997, 163–165 erkannte Opferrolle der Lucretia gilt damit ebenfalls im stärkeren Maße für Verginia und wird durch die vorliegenden Betrachtungen zusätzlich als männliches Problem sichtbar. 207 Vgl. Joshel 1991, 119f.; Vasaly 2015a, 68f.

Weibliches Krisenwissen und normative Weiblichkeit

schaft;208 gleichermaßen initiiert die Schändung weiblicher Keuschheit auch hier einen politischen Umbruch.209 Obgleich beiden Episoden damit eine vergleichbare Wirkung zukommt,210 konnte mithilfe der geschlechtlichen Fokalisierung eine Entwicklung innerhalb von Werte- und Genderdiskurs sichtbar gemacht werden, die sowohl das Verständnis Krise erhellt als auch normative Geschlechterideale formuliert. Einerseits konstruiert die im livianischen Narrativ der frühen Republik valide männliche Handhabe der pudicitia nunmehr eine Krise allein männlicher Protagonisten.211 Andererseits zeigt die Gegenüberstellung von männlichem Wertezugriff und Handlungsmacht in der Lucretia- und der Verginia-Episode eine Umdeutung von Männlichkeit. Für Livius geht in seinem Republik-Narrativ ein männliches Wertewissen über die pudicitia mit valider männlicher Handlungsmacht einher, das im Sinne der libertas artikuliert werden kann. Die Analyse der Fokalisierung legt damit das entscheidende Moment des sich wandelnden pudicitia-Diskurses offen. Das Postulat männlich regierter Sittsamkeit von Frauen offenbart ein Charakteristikum eines augusteischen Genderkonzepts in der Erzählung der Republik. Die livianische pudicitia-Darstellung wird damit nicht nur zum Abbild des Wertediskurses,212 die ein bloßes sittenhaftes Vorbild für Frauen schafft,213 sondern erzeugt zugleich eine normative männlich regierte Geschlechterordnung. Diese Entwicklung eines republikanischen Geschlechterkonzepts bildet somit die Geschlossenheit der ersten Pentade ab, da hierin die moralischen Ideale des augusteischen Diskurses in der Erzählung der Frühgeschichte und der mores maiorum verankert werden. 2.2.2.2 Fokalisierung und normative Körperlichkeit

Livius konstruiert auf der Folie weiblicher Tugenden eine normative Geschlechterordnung, die eine männliche Werteperspektive abbildet. Auf der Grundlage des augusteischen Wertediskurses wird dadurch die Rolle der Frau in der römischen Gesellschaft definiert, sodass der Stellenwert von Weiblichkeit im Geschichtswerk bestimmt werden kann. Zugleich legt diese Inszenierung von weiblicher Tugendhaftigkeit aus der Perspektive von Männern neben einem grundlegenden moralischen Konzept von Weiblichkeit auch eines der Körperlichkeit offen. Im Folgenden soll

208 209 210 211

Vgl. Joplin 1990, 53. Vgl. Moore 1993, 46; Kowalewski 2002, 142. Vgl. Joshel 1991, 114; Freund 2008, 308. Prescendi 2000, 221 hat Lucretias Funktion als Katalysator männlichen Handelns erkannt. Zur besonderen Funktion der Vaterrolle vgl. Albrecht 2016, 209. 212 Vgl. Joshel 1991, 120. 213 Vgl. Stevenson 2011, 186.

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daher die Fokalisierung dazu dienen, die physischen Machtverhältnisse als Ausdruck einer Kontrolle über weibliche Tugenden zu analysieren und im Kontext der Narrativierung einer republikanischen Geschlechterordnung zu betrachten. Dies trägt der These von Langlands Rechnung, pudicitia beschreibe eine Kontrolle über die Sittsamkeit anderer.214 Am Beispiel der pudicitia in der Lucretia- und Verginia-Episode sowie der castitas, einem körperlich definierten Ideal weiblicher Integrität von Vestalinnen,215 soll eine moralische Perspektive von Männern nachgewiesen werden. Diese trägt wesentlich dazu bei, die in der Erzählung abgebildete Körperlichkeit von Frauen zum vergeschlechtlichten Medium ihrer exemplarischen Rollendefinition zu machen. Somit wird die Fokalisierung als narrative Strategie erkennbar, die dazu dient, eine männliche Kontrolle über den weiblichen Körper als Abbild der augusteischen Sittenpolitik normativ zu inszenieren.216 Livius bildet mit der pudicitia-Inszenierung von Lucretia und Verginia nicht nur eine Entwicklung im Zugriff auf diese Tugend nach. Ebenso macht die Analyse der Perspektiven auf die weibliche Sittsamkeit eine veränderte Darstellung physischer Macht in der Geschlechterordnung sichtbar. Bereits die mit physischer Gewalt erzwungene Einwilligung Lucretias offenbarte vor allem eine körperliche und nicht geistig-moralische Schuld.217 Dies legt nahe, dass das Kriterium weiblicher Körperlichkeit Aussagen über die Geschlechterordnung in dieser Krisenerzählung zulässt. So ist in der Darstellung Lucretias noch pudicitia-Wissen und physische Kontrolle darüber in der Figur der Frau verortet, da Livius sie vor ihrem Selbstmord konstatieren lässt: »ceterum corpus est tantum uiolatum, animus insons; mors testis erit.« (1,58,7). Diese Äußerung der Frau sowie der Selbstmord zeigen die Bedeutung eines Körperkonzepts für den zugrundeliegenden Wertediskurs: Die Fokalisierung legt offen, dass Wertewissen mit physischer Macht einhergeht. Dieser Ausdruck von Kontrolle über weibliche Sittenideale ist es,218 der Lucretias transgressive Inszenierung hervorbringt. So wird eine normative Opposition von männlicher physischer Macht über körperliche Ideale von Frauen formuliert, die schließlich in der Handlungsmacht des Brutus ihren Ausdruck findet.219 Eine Affirmation dieser normativen Geschlechterordnung zeigt schließlich die Ermordung Verginias durch ihren Vater, indem darin eine männliche Kontrol-

214 Vgl. Langlands 2006, 152. 215 Vgl. Staples 1995, 135. 216 Zur Abbildung der »body politics« durch diese Frauengestalten vgl. Langlands 2006, 102. Zur männlichen Kontrolle über Frauen und ihren Körper als Charakteristikum augusteischer Sittenideale vgl. Joshel 1991, 121f. 217 Vgl. Moses 1993, 43. 218 Vgl. Joshel 1991, 120; Langlands 2006, 173. 219 Zur parallelen Gestaltung von Lucretia und Brutus vgl. Joshel 1991, 127.

Weibliches Krisenwissen und normative Weiblichkeit

le über den weiblichen Körper und den Wert der pudicitia abgebildet wird:220 »hoc te uno quo possum«, ait, »modo, filia, in libertatem uindico.« (3,48,5). Werden weibliche Ideale bei Lucretia und Verginia im Konflikt rivalisierender Männer konstruiert,221 zeigen beide Fälle eine Entwicklung in ihrer geschlechterspezifischen Anlage auch im Spannungsfeld von epistemischem Wertezugang und performativer Handlungsmacht auf. Dieser umfangreiche Zugriff auf die weibliche Performanz stellt für Livius eine Voraussetzung des männlichen Krisenhandelns im Sinne der plebejischen libertas dar. Damit wird die männliche Fokalisierung der pudicitia im augusteischen Diskurs zur Strategie, eine männliche Handlungsmacht durch die Opposition männlicher und weiblicher Physis normativ in der Republik-Memoria zu inszenieren.222 Während Lucretia und Verginia jeweils in der Lage sind, in stark unterschiedlichem Maße selbst performativ aufzutreten, kennzeichnet das Konzept exemplarischer Körperlichkeit besonders die Inszenierung der Vestalinnen. Damit erweitert die livianische Erzählung die wertespezifische Reichweite dieses weiblichen Körperkonzepts auf die castitas, die als ein kultisches Ideal der Vesta-Priesterinnen gilt.223 Dieser Wert einer rein körperlichen Jungfräulichkeit im Sinne einer uirgo gilt als eine Pflicht der Priesterinnen, die eine Bedingung für die Sicherheit Roms in moralischer und religiöser Hinsicht darstellt.224 Die Konstruktion der Bewertungsmaßstäbe in den Vestalinnen-Exempla folgt dabei dem Muster einer männlichen Werteperspektive: Die Darstellungen von Bestrafungen der Vestalinnen Oppia und Postumia wegen ihres mutmaßlichen Verstoßes gegen das castitas-Gebot ermöglichen es, einen männlichen Zugriff auf weibliche Ideale nachzuweisen. Dieser zeigt sich in erster Linie durch das figurale Wertewissen. Daraus resultiert nämlich männliches Krisenhandeln, das sich durch die geschlechtliche Opposition physischer Macht ausdrückt. Auf diese Weise soll die insbesondere von der historischen Forschung bemerkte Ambivalenz der vestalischen Geschlechteridentität, die sich aus ihrer besonderen sozialen Stellung innerhalb der römischen Gesellschaft ergibt, für das livianische Werk und die vorliegenden Krisennarrative differenziert werden.225 220 Vgl. Langlands 2006, 102, 109. 221 Vgl. Joplin 1990, 59. 222 Dies erweitert die These einer idealisierten Vergangenheit in der Verginia-Episode nach Langlands 2006, 52 um einen geschlechterspezifischen Aspekt. 223 Vgl. Hommel 1972, 416. 224 Vgl. Beard 1980, 15f; Beard/North/Price 1998, 53; Parker 2004, 564. Cic. leg. 2,29: ei colendae uirgines praesint, ut aduigiletur facilius ad custodiam ignis, et sentiant mulieres [in] naturam feminarum omnem castitatem pati. 225 Zu den Privilegien der Vestalinnen und deren Wirkung auf die Darstellung ihrer Genderidentität vgl. Beard 1980, 13–17; Staples 1995, 152; Beard/North/Price 1998, 52, 296; Rawson 2006, 328.

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Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen

Das livianische Narrativ ahndet in beiden Fällen die vermuteten Verstöße von Vestalinnen gegen das castitas-Gebot unmittelbar nach der Schilderung von Krisengeschehen, was als charakteristisch für Narrative republikanischer Krisen zu verstehen ist.226 Die stark verknappte Darstellung der Bestrafung Oppias ist ebenso stereotyp: qui terrores tandem eo euasere, ut Oppia uirgo Vestalis damnata incesti poenas dederit (2,42,11). Aus auktorialer Perspektive wird eine Opposition aus fehlender weiblicher castitas und der Bestrafung der Vestalin geschaffen, die als eine physische männliche Macht des Pontifex Maximus gegen das incestum zu deuten ist.227 Auf diese Weise schafft die livianische Narration eine männlich perspektivierte Bewertungsinstanz, die eine männlich regierte Geschlechterordnung generiert. Das Ideal der castitas erfasst also über die physische Eigenschaft hinaus auch die gesamte »ritual persona of the priestess«.228 Die Behandlung einer Vestalin wie Oppia, die gegen dieses Gebot verstoßen hat, kann formelhaft mit damnata incesti beschrieben werden,229 sodass ein auf ihre castitas reduzierter exemplarischer Körper der Vestalinnen abgebildet wird. Dagegen erweitert der Fall Postumias das vestalische Frauenbild: eodem anno Postumia uirgo Vestalis de incestu causam dixit, crimine innoxia, ab suspicione propter cultum amoeniorem ingeniumque liberius, quam uirginem decet, parum abhorrens. eam ampliatam, deinde absolutam pro collegii sententia pontifex maximus abstinere iocis colique sancte potius quam scite iussit.230 (Liv. 4,44,11f.)

Auch für Postumia wird der körperliche Wert der castitas zum Ausdruck einer heteronormativen Geschlechterordnung.231 Dabei wirken männliches Wertewissen

226 Parker 2004, 579 beschreibt das stereotype Vorgehen gegen die Vestalinnen als »logical sequence of events« in Krisenerzählungen; ähnlich auch Beard/North/Price 1998, 53, 81. 227 Zur Bewertungsinstanz des Pontifex Maximus bei der Bestrafung von Vestalinnen vgl. ebd., 57. 228 Staples 1995, 135. Ähnlich Weiẞenborn/Müller 1982, 95. 229 Dieselbe formelhafte Beschreibung aus Verurteilung und Bestrafung bei der Ahndung vestalischer castitas-Vergehen verzeichnen die livianischen Periochae für Sextilia und Tuccia: Sextilia, uirgo Vestalis, damnata incesti uiua defossa est (Liv. per. 14) und Tuccia, uirgo Vestalis, incesti damnata est (Liv. per. 20). 230 In demselben Jahr verantwortete sich die vestalische Jungfrau Postumia wegen Unkeuschheit vor Gericht. Sie war des Vergehens unschuldig, trat aber dem Verdacht aufgrund ihres reizenderen Auftretens und ihres freizügigeren Wesens, als es sich für eine Jungfrau ziemt, zu wenig entgegen. Diese Angelegenheit vertagte man, dann befahl ihr der Pontifex Maximus, nachdem sie auf Beschluss des Kollegiums freigesprochen worden war, sich von Schäkereien fernzuhalten und sich eher keusch als fein zu geben. 231 Vgl. Wildfang 2006, 54.

Weibliches Krisenwissen und normative Weiblichkeit

und männliche Handlungsmacht zusammen und bestimmen so die Narrativierung vestalischer Weiblichkeit. Dies macht der konkrete Vorwurf deutlich, der Postumia mit cultum amoeniorem ingeniumque liberius gemacht wird. Es zeigt sich, dass castitas neben der physischen Integrität auch eine moralische Reinheit beinhaltet.232 Entscheidend ist hierfür die Gestaltung des Wissens: Livius konstruiert im Vergleichssatz quam uirginem decet den Vorwurf als auktoriales Wertewissen. Gleiches gilt auch für die Bewertung parum abhorrens. Ungeachtet der späteren Bezeichnung der Vestalin als crimine innoxia wird dennoch deutlich, dass sämtliche Sorge um die physische wie moralische Integrität der Vestalin als ein männlich definiertes Werturteil zu lesen ist. Obgleich historisch die Instanz des Pontifex Maximus für diese Verurteilung zuständig war, erzeugt die auktoriale Perspektive dieses Werturteils eine andere Wirkung: Das Wissen über die Ideale eines weiblichen Erscheinungsbildes, das hier infrage steht,233 wird in der livianischen Erzählung nicht konkret figuriert vermittelt, wie es die pudicitia-Darstellungen der Lucretia und Verginia zeigten. Vielmehr schafft diese Darstellung durch ihre Perspektivierung des Wertewissens den Eindruck eines Allgemeinwissens über weibliche Ideale. Anders als bei der pudicitia ist die vestalische castitas auf diese Weise zum moralischen Gemeingut der Römer geworden. Die Darstellung dieses Wertewissens steht nicht nur im Zeichen einer unter Augustus wiedererstarkenden Bedeutung vestalischer Keuschheit.234 Ebenso ist dies Strategie einer Normativierung weiblicher Ideale, indem es insbesondere für diesen grundsätzlich krisenbehafteten Wert der Vestalinnen zu einer Ausweitung von Werteperspektive und Zugriff auf weibliche Körperlichkeit kommt. Livius konstruiert diese Geschlechterordnung durch eine verstärkte Opposition der physischen Macht von Männern und Frauen, wie das allein auf physische Bestrafung ausgerichtete Vorgehen gegen castitas-Vergehen von Oppia und Postumia exemplarisch zeigt. Mithilfe der Fokalisierung konnte somit nachgewiesen werden, dass männliches Wertewissen zugleich männliche Macht über Frauen und ihre Sittenideale ausdrückt. Diese männlich definierten Werteideale sind somit für die pudicitia- und castitas-Exempla im livianischen Narrativ der frührepublikanischen Zeit konstitutiv. Die Erklärung dafür ergibt sich aus der reziproken Exemplarität dieser Werte, die innerhalb der Mann-Frau-Interaktion geschaffen werden. Indem nämlich beide Ideale stets auf eine urteilende Rezeptionsinstanz angewiesen sind, werden somit nicht nur weibliche Ideale auf der Folie von Frauen projiziert. Ebenfalls wird eine männliche Handlungsmacht durch die Fähigkeit abgebildet, durch einen

232 Vgl. Beard 1980, 12. 233 Vgl. Cornell 1981, 27; Wildfang 2006, 53. 234 Vgl. Beard/North/Price 1998, 193; ähnlich Cornell 1981, 37; Rawson 2006, 327f.

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Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen

Wertezugriff die weiblichen Ideale physisch zu kontrollieren. In den republikanischen Narrativen sind weibliche Werte- und Normkonstrukte schließlich fest in Männerhand. Wenn etwa die Verurteilung und Opferung der Vestalinnen ihre Geschlechteridentität gegenüber der männlichen Opposition bestimmen,235 zeigt dies die Strategie, männliches Krisenhandeln in moralischer Hinsicht abzubilden. Gleichzeitig erlaubt diese Tendenz eine zunehmende Marginalisierung von Weiblichkeit in der literarischen Darstellung, die insbesondere in der castitas der Vestalinnen zum Ausdruck kommt.

2.3

initium turbandi omnia a femina ortum – weibliche Macht als Genderproblem der Königszeit

Auch die Königszeit stellt vor allem mit ihrem Ende eine Zeit der Krise im livianischen Geschichtswerk dar. Während Livius die Herrschaft des Romulus aufgrund von dessen Beitrag zur Festigung der hegemonialen Stellung durchaus positiv bewertete, die Verdienste von dessen Nachfolger auf verschiedenen Bereichen anerkannte, und auch ausdrückliche Anerkennung der Herrschaft des Servius anführen kann,236 weicht die Darstellung der Tarquinier davon deutlich ab. Vasaly hat zuletzt auf die Bedeutung der ambitio hingewiesen, die unter den etruskischen Königen in der politischen Gemengelage der ausgehenden Monarchie zum zentralen moralischen Übel der Erzählung wird.237 Für Livius beginnt hiermit der Niedergang der römischen Monarchie, welcher bereits mehrfach von der Forschung an dieser Stelle identifiziert wurde.238 Ebenso wurde die Bedeutung, die Frauen in diesem Zusammenhang zukommt, von der Forschung erkannt: Erst Tanaquil und später im ganz besonderen Maße Tullia rufen bei den jeweiligen Königen die ambitio hervor, die sich in deren Streben nach Macht artikuliert.239 Eine Analyse der geschlechterspezifischen Perspektive lässt nun einen differenzierteren Blick auf diese Krise der römischen Monarchie zu und zeigt, dass diese Entwicklung für Livius im Kern ein Werteproblem auf der Geschlechterebene ist. Genauer lässt sich dies als ein dezidiert männliches Wertedefizit identifizieren: Männern fehlt in der livianischen Darstellung ein figuraler Zugriff auf die Macht, sodass diese gänzlich weiblich initiiert wird. Frauen fungieren als Triebfedern der Könige, die ambitio bei den Männern entfachen. Anstatt eigene Handlungsmacht

235 Parker 2004, 579 beschreibt die Vestalinnen aufgrund ihres Status als eine leicht zu opfernde Gruppe. 236 Vgl. Miles 1988, 194. 237 Vgl. Vasaly 2015a, 48. 238 Vgl. Fox 2015, 293; Martin 2015, 265; Vasaly 2015a, 44. 239 Vgl. Fox 2015, 293f.; Vasaly 2015a, 49.

initium turbandi omnia a femina ortum – weibliche Macht als Genderproblem der Königszeit

auszuüben, werden die Männer zu den Marionetten weiblichen Machtstrebens – eine Entwicklung, die sich sukzessive steigert und im Einfluss Tullias ihren Höhepunkt erreicht.240 Im Folgenden soll also gezeigt werden, dass Livius am Ende des ersten Buches eine Krise der Männlichkeit zeichnet, die erst den Raum für weibliche Interventionen eröffnet, und diese in erster Linie als ein Geschlechterproblem versteht.241 Betrachtungen der geschlechtlich markierten Perspektiven sollen verdeutlichen, dass als Reaktion auf einen fehlenden männlichen Wertezugriff nun aus Frauenperspektive die entscheidenden politischen Werte honor und dignitas fokalisiert werden. Wenn nämlich so Tanaquil und Tullia anstelle einer normativ männlichen Zuständigkeit dieses Wertewissen zufällt, markiert dies das transgressive Potential ihrer Inszenierungen und kennzeichnet ihre Verantwortung in Livius’ Bericht einer Krise, die sich aus einem wachsenden männlichen Wertedefizit entwickelt.242 Von beiden Frauen wird ein Anspruch auf Einfluss und Macht formuliert, woraus sich im frühkaiserzeitlichen Diskurs des livianischen Narrativs ein bedeutendes Werteproblem entwickelt. So präsentieren diese Passagen in einer Krise des Königtums ein Werteideal, das als Reflex der republikanischen Krise im Übergang zur Kaiserzeit verstanden werden muss. Indem Livius am Beispiel von ambitio, honor und dignitas Werteprobleme in den Narrativen der ausgehenden Königszeit und der frühen Republik als Krisen inszeniert, greift die Darstellung auf die Ideale der republikanischen Herrschaftsstrukturen zurück: Von der historischen Forschung wurde insbesondere die dignitas und das Streben nach diesem Ideal in den von Meritokratie geprägten Machtstrukturen als Marker der Krise der ausgehenden Republik verstanden,243 was im Wesentlichen für die politischen Spannungsverhältnisse dieser Zeit verantwortlich gezeichnet wird.244 Im Folgenden soll daher ebenso bei der Inszenierung von Weiblichkeit im Streben nach dignitas und honor nach den Bewertungsstrategien des weiblichen Handelns gefragt werden. Ein transgressiv-weiblicher Zugriff auf diese Werte lässt sich so als zentraler Bestandteil dieser Geschlechterkrise ausmachen. Dass für Livius die Machtmechanismen der Republik eine idealtypische Referenz abbilden, soll am Beispiel der Fabia minor

240 Vgl. ebd. 241 Dies differenziert den Befund einer generell positiven Wahrnehmung der Monarchie bis zur Herrschaft des Tarquinius Superbus nach Albrecht 2016, 50. 242 Zur Bedeutung beider Frauen für den politischen Wandel am Ende der Königszeit vgl. Stevenson 2011, 183, 185. 243 Zur dignitas in der republikanischen Meritokratie vgl. Hölkeskamp 2006b, 385; Morstein-Marx 2009, 117f., 120. 244 Vgl. Meier 1997, 297–299; Morstein-Marx 2009, 123f.

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in der Darstellung der Ständekämpfe nachgewiesen werden,245 indem die Inszenierung ihrer exemplarischen Weiblichkeit der Darstellung vom Machtstreben Tanaquils und Tullias gegenübergestellt wird. Auf dieser Grundlage wird es möglich, die Bedeutung einer transgressiven weiblichen Perspektive für die Genderund Wertekrise der ausgehenden Königszeit zu identifizieren und diesem Narrativ eine normative Geschlechterordnung der Republik gegenüberzustellen. Somit soll in der Narrativierung der Geschlechterverhältnisse ein normatives Wertekonstrukt der Weiblichkeit im augusteischen Diskurs identifiziert werden, das über die bereits gezeigte geschlechterspezifische Darstellung der pudicitia hinausgeht.246 2.3.1

Männliche Herrschaft und weibliche Werteideale

Bei Livius kommt Frauen in den innerrömischen Krisen der Königszeit und der Republik eine entscheidende Stellung zu, die durch Exempla markiert wird. Maßgeblich sind dafür die Werte honor und dignitas. Für beide Werte konstruiert Livius ein Genderkonzept, das die Bedeutung dieser Ideale für die römische Herrschaft und die innere Stabilität verdeutlicht. Am Beispiel dreier Frauengestalten soll die geschlechterspezifische Darstellung und Bewertung ihres epistemischen Zugriffs auf diese Werte aufgezeigt werden: Den Ausgangspunkt bilden Tanaquil und Tullia. Beide stellt Livius als Triebfedern der Machtbestrebungen ihrer Männer dar,247 die später als Tarquinius Priscus und Tarquinius Superbus an die königliche Macht gelangen. Es soll dabei nachgewiesen werden, dass Livius mit diesem weiblichen Zugriff auf einen männlichen Wertebestand ein Genderproblem offenlegt. Der Historiograph inszeniert es als eine Wertekrise, wenn Frauen diese Machtund Werteansprüche äußern, denen ihre Männer nicht gerecht werden.248 Dieses männliche Defizit wird aus weiblicher Perspektive wahrgenommen, lässt die Frauen aufbegehren und Einfluss auf ihre Männer ausüben. Dies stellt den geschlechterspezifischen Kern der Krisen dar, wenn Frauen honor und dignitas und das Streben nach Einfluss für sich beanspruchen. Demgegenüber soll die Machtperspektive Fabias betrachtet werden, die anstelle ihres plebejischen Ehemannes ebenfalls auf diesen männlichen Wertebestand zugreift. Daran wird deutlich, dass Livius die

245 Die Forschung hat bisher vor allem die Wirkung ihres Aufbegehrens beachtet, das in die lex Licinia Sextia mündet, vgl. Kowalewski 2002, 139. Die Figur Fabias blieb hingegen weitestgehend unberücksichtigt, vgl. etwa Pellam 2014, 284. 246 Vgl. Kapitel 2.2.2. 247 Vgl. Albrecht 2016, 95. 248 Ogilvie 1978, 142 weist deutlich auf die literarische Formung einer unrömischen Tanaquil im livianischen Narrativ hin.

initium turbandi omnia a femina ortum – weibliche Macht als Genderproblem der Königszeit

ausgehende Monarchie und die Ständekämpfe als ein männliches Werteproblem versteht, das jeweils Leerstellen für weibliche Wissensbestände schafft.249 Für Tanaquil wird das Streben nach diesen Werten zum Ausgangspunkt ihres Einflusses auf ihren Ehemann Lucumo, der in seiner Heimat Tarquinii außerstande ist, zu Macht und Ansehen zu gelangen. Diese Ideale, die für Tanaquil besondere Bedeutung haben, werden zum Genderproblem: spernentibus Etruscis Lucumonem exsule aduena ortum, ferre indignitatem non potuit, oblitaque ingenitae erga patriam caritatis, dummodo uirum honoratum uideret, consilium migrandi ab Tarquiniis cepit.250 (Liv. 1,34,5)

Diese Darstellung Tanaquils markiert den Beginn einer Strategie der livianischen Erzählung, die darauf zielt, männliche Akteure zu dekonstruieren, weibliche Figuren transgressiv auftreten zu lassen und auf diese Weise die Wertekrise des Königtums zu einem Problem auf Geschlechterebene zu machen. Die Zurücksetzung ihres Mannes ruft bei Livius die Initiative Tanaquils auf den Plan. Das Motiv eines Mannes ohne honor prägt seit Tanaquil fortan die weiblichen Protagonisten. Aus ihrer Perspektive wird die indignitas ihres Mannes zum unerträglichen Problem, das sie in der Position des Subjekts hier nachdrücklich zur Triebfeder ihres Strebens nach honor werden lässt.251 Livius lässt den Leser auch aus Tanaquils Sicht auf den von ihr formulierten Machtanspruch blicken: dummodo uirum honoratum uideret. Anstelle ihres Mannes liefert Livius mit weiblichem Wissen eine Vorausschau auf die Werte dignitas und honor, die so zum transgressiven Moment dieser Geschlechterdarstellung wird. Das Tanaquil zugeschriebene Wissen ist der Marker eines männlichen Wertedefizits, das Livius nicht erst bei Tarquinius Superbus verortet.252 Auch für diesen letzten römischen König gilt allerdings dieses Leitmotiv von weiblich perspektivierten Herrschaftsansprüchen. So lässt Livius dessen Frau Tullia ebenfalls anstelle ihres Mannes einen eigenen Machtanspruch artikulieren: domi se

249 Parallelen in der Inszenierung dieser Frauengestalten sieht auch McClain 1994, 178–188, die diese in ihrer Arbeit unter der Kategorie »Political Catalysts/Controllers« betrachtet, allerdings fehlt ihrer Betrachtung eine übergreifende Analyse der Männlichkeit, um die Strategien weiblicher Macht als ein Genderproblem aufzuzeigen. Die Konstruktionsprinzipien der weiblichen Perspektive Fabias wurden exemplarisch dargestellt in Kapitel 1.4. 250 Da die Etrusker auf Lucumo als Sohn eines Zugewanderten herabsahen, konnte sie die unwürdige Behandlung nicht ertragen, vergaß die angeborene Liebe zur Heimat und fasste den Plan, aus Tarquinii fortzugehen, solange sie nur ihren Mann geehrt sehe. 251 Vgl. Martin 1985, 6. 252 Zur Deutung der moralischen Degeneration von Männlichkeit durch Tarquinius Superbus hingegen vgl. Fox 2015, 293.

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propediem uisuram regnum fuisse (1,46,8). Auch hier wird die dignitas durch Tullias Sicht anstatt durch die ihres Mannes fokalisiert: Mit defuisse, qui se regno dignum putaret (1,47,2) überträgt sie nicht nur den Machtanspruch auf ihren Mann. Ebenso wird auch das im augusteischen Diskurs stark negativ konnotierte regnum auf diese Weise zu einem weiblich begründeten Problem.253 Aufgrund ihrer Perspektive auf die Machtstrukturen steigert die Darstellung Tullias das durch Tanaquil begründete Machtproblem254 und verdeutlicht das Problem transgressiver Weiblichkeit in diesem Narrativ. Die epistemische Gestaltung der Episode zeigt somit, dass nicht nur das Wertewissen, sondern auch die moralisch verkommene Königsherrschaft auf männlichen Wertedefiziten und weiblicher Transgression gründet. Eine erste strukturelle Parallele lässt sich an dieser Stelle zum weiblichen Machtstreben aufzeigen, das Livius der Fabia minor im Narrativ der Ständekämpfe zugesteht: Über eine transgressive Perspektive nach dem aufgezeigten Muster verfügt auch die junge Frau, als sie das Defizit eines fehlenden Ansehens bei ihrem plebejischen Verlobten aus ihrer Warte ausmacht: nupta in domo, quam nec honos nec gratia intrare posset (6,34,9). Auch hier vermittelt die Erzählung durch eine weibliche Figur das Genderproblem männlicher Wertedefizite,255 wenn die Frau auf ein Wertekonstrukt zugreifen kann, das Männern hingegen verwehrt ist.256 So wird deutlich, dass sowohl die Königszeit als auch die Ständekämpfe für Livius’ Erzählung eine männliche Herrschaftskrise darstellen. Beide Erzählungen sind strukturell für die Wissensvermittlung der zentralen Werte auf weibliche Katalysatoren angewiesen. Weibliche Figuren dienen somit dazu, Männer am Maßstab republikanischer Ideale zu dekonstruieren. Während der transgressive Zugriff etruskischer Frauen zuvor deutlich negativ markiert war, kann die Erzählung Fabia, durch die diese Werte fokalisiert werden, als Exemplum würdigen. Sie generiert schließlich männliches Handeln,257 sodass die Abweichung vom Konstrukt eines normativen Geschlechterverhältnisses insbesondere in der Darstellung der Königszeit für Livius’ Abbildung des augusteischen Diskurses zum Problem wird. Nachdem bereits auf die Bedeutung von Affekten als Hemmnis der männlichen Handlungsmacht hingewiesen wurde,258 zeigt eine Betrachtung des Geschlechter-

253 Zur negativen Bewertung von regnum als Problem der ausgehenden Republik vgl. Morstein-Marx 2009, 131. Zur negativen Darstellung des Tarquinius Superbus bei Livius vgl. Fox 2015, 294; Martin 2015, 267. 254 Vgl. Fox 2015, 293. 255 Zur fehlenden männlichen Initiative vgl. Pellam 2014, 284. 256 Ungeachtet einer unterschiedlichen Wertegrundlage wurde ein Vergleich zwischen Fabia und Tullia gesehen von McClain 1994, 192. 257 Vgl. ebd. 191. Albrecht 2016, 96f. schränkt die Bedeutung des weiblichen Aufbegehrens mit der Begründung ein, die späteren Bemühungen um Macht würden ohnehin von Männern ausgeführt. 258 Vgl. Kapitel 2.1.1.

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verhältnisses in diesen Episoden, dass die Darstellungen Tanaquils und Tullias nur auf den ersten Blick ein Anzeichen eines besonderen Einflusses etruskischer Frauen sind.259 Bedeutender ist das Männlichkeitsbild, das der frühkaiserzeitliche Wertediskurs erzeugt. Lucumo und der jüngere Tarquinius fungieren dabei als Leerstellen, die mit Werteansprüchen besetzt werden, welche aus Frauenperspektive formuliert wurden. So werden die Frauen zu entscheidenden Werte- und Handlungsträgerinnen stilisiert, die damit eine epistemisch bedingte Umkehr der Geschlechterrollen markieren.260 Diese Transgressionen werden durch die Darstellung der Affekte sichtbar, lassen eine qualitative Beurteilung der männlichen Handlungsmacht zu und dienen somit schließlich als Erklärung für die communis opinio der Forschung über eine negative Deutung der ausgehenden Königszeit. So erzeugt Livius eine weiblich initiierte Machtgier von Männern, welche die augusteische Wahrnehmung dieser Wertekrise bestimmt. Tanaquil evoziert dies bei Lucumo: facile persuadet, ut cupido honorum et cui Tarquinii materna tantum patria esset (1,34,7).261 Auf diese Weise wird die ausgehende Königszeit dem moralischen Leitmotiv der späten Republik unterstellt, das sich bereits bei Sallust niederschlägt.262 Indem Livius auch hier den Affekt der cupido als Triebfeder ihrer Machtambitionen inszeniert, verweist die Bewertung damit nicht nur auf die fehlende moralische Grundlage dieses Machtstrebens.263 Zugleich wird auch ein Bezug auf die in der Praefatio programmatisch formulierten uitia des augusteischen Wertediskurses hergestellt.264 Dass die Bedeutung der Affekte nicht nur männliches, sondern gleichermaßen auch weibliches Machtstreben kennzeichnet, zeigt deutlich, dass weibliche Zugriffe auf diese Werte ebenfalls im Zeichen eines Genderproblems stehen und Livius starke Wechselwirkungen von männlichen und weiblichen Affekten erzeugt. Anders als in der concordia- und libertas-Krise initiieren Frauen hier nicht als Katalysatoren männliches Handeln, sondern füllen selbst die männlich figurierten Leerstellen: So erhält Tullia durch ihre Transgression zusätzlich auch performative Macht über ihren Mann und sorgt für eine umfassende Umkehr der Genderidentitäten, wenn sie als ferox Tullia (1,46,6) bemerkt: nihil materiae in uiro neque ad cupiditatem neque ad audaciam esse (ebd.). Auffallend ist in der exemplarischen Rolle der Geschlechter

259 Ein erweiterter Handlungsspielraum dieser Frauen ist erkannt worden von Heurgon 1955, 60f.; Altheim 1956, 106; Heurgon 1961, 140, 150; Martin 1985, 11; Briquel 1998, 398. 260 Johner 1992, 29 verortet den geschlechtertransgressiven Moment Tullias dagegen in ihrem Auftreten als »la dame au char«. 261 Für Tanaquils Wirkung vgl. Martin 1985, 7. 262 Sall. Cat. 3,5: ac me, quom ab relicuorum malis moribus dissentirem, nihilo minus honoris cupido eadem quae ceteros fama atque inuidia uexabat. 263 Zur moralischen Qualität des weiblichen Handelns vgl. auch Meulder 2005, 545; ähnlich Martin 2015, 265. 264 Liv.,praef. 11f. Zur programmatischen Verurteilung bestimmter uitia vgl. auch Mineo 2015, 133f.

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bei Tullia und ihrem Mann zweierlei hinsichtlich Tullias moralischer Inszenierung: Während Tanaquils dignitas zum Maßstab ihres Handelns wurde, ist Tullias Initiative deutlich ambivalenter, wenn audacia und ferocia das Frauenhandeln der Episode prägen.265 Anstatt nämlich stellvertretend für Männer einen männlichen Wissensbestand zu aktivieren, zielt Tullias Perspektive auf ein Werteverständnis ab, das cupiditas und audacia zu Idealen ihres Handelns erhebt und damit zum Abbild ihrer Transgression wird. Tullias cupiditas und audacia gelten dabei ebenfalls als zentrale und explizit männlich markierte Laster der livianischen Zeit,266 die als negative Synonyme zu ambitio und uirtus zu deuten sind.267 Entsprechend stark wirkt hier die Darstellung verkehrter Geschlechterrollen. Ein deutlich transgressives Wissen liegt dabei der Figur Tullias zugrunde: Livius lässt die Frau an ihrem ersten Ehemann nicht nur einen generellen Mangel an Ehrgeiz, sondern zugleich auch an muliebris audacia (1,46,6) feststellen. Das Adjektiv muliebris zeigt, wie deutlich dieses Werteproblem für Livius weiblich markiert ist. Explizit beansprucht sie damit einen männlichen Wissensbestand für sich,268 sodass deutlich wird, dass Tullias Handeln von Beginn an auf einer Wertegrundlage außerhalb normativer Weiblichkeit beruht. Stärker als Lucumos und Licinius’ cupido sind es die cupiditas und audacia des jüngeren Tarquinius, die diese Zeit zur Krise werden lassen, indem diese negativen Werte dignitas und honor als Machtmechanismen ersetzen,269 welche die livianischen Männer selbst nicht mehr zu verfolgen imstande sind. Somit ist die Krisenwahrnehmung der ausgehenden Königszeit durch die moralische Schwäche der Männer, vornehmlich des L. Tarquinius, bedingt. Die Wertekrise, die Livius in der Praefatio beschreibt und in der affektgeleitetes Machtstreben als ein Werteproblem der ausgehenden Republik ausgemacht wird, findet damit eine Entsprechung in den vor- und frührepublikanischen Krisenphasen. Für diese ist eine Ausweitung der weiblichen Perspektive auf die den Männern verwehrten Werte von Macht und Einfluss konstitutiv. 2.3.2

Transgressive Perspektiven und männliche Defizite

Das Konzept einer heteronormativen Geschlechterordnung wird für das livianische Narrativ zum Abbild eines erfolgreichen Krisenhandelns. Für Livius liegt die

265 Meulder 2005, 551 versteht ferocia als Ausdruck des Bürgerkrieges. Zur Ambivalenz von ferox im Krisenhandeln vgl. Kapitel 2.1.3.1. 266 Zu Tullias männlich konnotierter audacia vgl. Ogilvie 1978, 188. 267 Vgl. Liv.,praef. 11. Zur geschlechtlichen Markiertheit und Bewertung vgl. McDonnell 2006, 59f. 268 Die männliche Konnotation der audacia wird von Kowalewski 2002, 76f. hingegen nicht berücksichtigt. 269 Vgl. Morstein-Marx 2009, 117f. Ähnlich McClain 1998, 17.

initium turbandi omnia a femina ortum – weibliche Macht als Genderproblem der Königszeit

Lösung von Wertekrisen in der ausgehenden Königszeit und der frühen Republik nämlich stets darin, dass eine männlich regierte Geschlechterordnung konstruiert wird, die auf männlichem Wertewissen gründet. Die Krisen der ausgehenden Republik sind für Livius weiblich begründete Probleme von honor und dignitas. Nicht Männer, sondern Frauen streben nun nach diesen Werten und erlangen einen figuralen Zugriff auf diese. Ein weibliches Wertewissen setzt in der livianischen Darstellung innerrömische Machtmechanismen außer Kraft. Auf dieser Grundlage soll im Folgenden anhand von Tanaquil und Tullia auf der einen Seite sowie ihrem republikanischen Korrektiv der Fabia minor auf der anderen Seite die ambige Funktion von Weiblichkeit aufgezeigt werden:270 Dabei sind männliche Handlungsmacht und weibliche Transgression eng miteinander verbunden. Vor diesem Hintergrund wird Tanaquils Funktion als Katalysator männlicher Handlungsmacht diskutiert.271 In einer diachronen Betrachtung zeigt das Beispiel Tullias, wie weibliche Ambitionen zu einer völligen epistemischen Dekonstruktion des Männlichen führen und das Ende der Königszeit dezidiert zu einer Genderkrise wird. Dass es dann im Narrativ der republikanischen Ständekämpfen Fabia gelingt, männliches Streben nach machtpolitischen Werten zu initiieren, zeigt deutlich: Die Qualität von Männlichkeit verändert sich. Nach einer Krise der männlichen Moral am Ende der Königszeit ist mit dem Beginn der Republik der Wendepunkt hin zu einer moralisch erstarkten Männlichkeit erreicht. Auf diese Weise wird ein weiteres Konstruktionsprinzip eines normativen Geschlechterverhältnisses aufgezeigt, indem Weiblichkeit im Kontext einer Krise aristokratischer Werteideale verortet wird.272 Gleichzeitig werden die Wechselwirkungen von Genderdiskurs sowie der Darstellung und Bewertung beider Krisen von Herrschaftssystemen sichtbar, die anhand des Kriteriums des Geschlechts analysiert werden sollen.273 Die Betrachtung geschlechterspezifischer Krisenteilhabe durch das figurale Wissen macht es möglich, die Krisen der Königszeit sowie der Ständekämpfe im livianischen Narrativ jenseits eines institutionellen Krisenhandelns auf der Figurenebene zu betrachten.274 So soll das Problem weiblicher Transgressionen für die politische Ordnung aufgezeigt und ein Krisenbewusstsein abgebildet

270 McClain 1994, 192 hat bereits auf der Grundlage der Darstellung der sozialen Rolle beider Frauen eine Unterscheidung der Qualität des Exemplums vorgenommen, ohne dabei aber die Genderidentität der Figuren im Blick zu haben. 271 Diese Betrachtungen differenzieren die negative Bewertung Tanaquils von Fox 2015, 293f. 272 Zur Deutung einer aristokratischen Wertekrise vgl. Hölkeskamp 2009, 5, 24; Hölkeskamp 2006b, 385, 389. 273 Zur Idealisierung der Republik im Vergleich zur Königsherrschaft ohne geschlechterspezifische Forschungsperspektive vgl. zum Überblick Martin 2015, 265. 274 Golden 2013, 22–24 hat institutionalisiertes Krisenmanagement im Ständekampf in der Einsetzung von Diktatoren erkannt.

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werden, welches das livianische Streben nach Stabilität offenlegt. Die Darstellung von Störfaktoren, die hier auf der Ebene des Geschlechts konstruiert werden, ist dabei als Reflex eines nach den Wirren des Bürgerkriegs stabilisierten Staates zu verstehen:275 Der in diesen Erzählungen beschriebene Werteverfall am Ende der Königszeit ist geprägt von der Wahrnehmung des moralischen Niedergangs, den Livius bereits in der Praefatio seines Werkes als moralische Krise beschreibt.276 2.3.2.1 Tanaquil – Katalysator männlicher Macht

Die Konstruktion von Tanaquils Figurenwissens in der Interaktion mit männlichen Protagonisten zeigt, wie Livius die Männlichkeit des Königs Tarquinius Priscus bewertet und welche Funktion dessen Frau Tanaquil dabei erhält: Livius inszeniert Tanaquil als Katalysator eines männlichen Handelns. Sie ist in der Lage, männliche Handlungsmacht zu initiieren. So stellt ihre Inszenierung nicht nur die Qualität männlicher Handlungsmacht zur Disposition.277 Es wird ebenso deutlich, dass Tanaquils Rolle noch im Zeichen einer Krisenwahrnehmung steht, die für Livius in erster Linie ein Genderproblem darstellt, da die Inszenierung von Weiblichkeit auf die Dekonstruktion von Männlichkeit abzielt. Somit soll am Fallbeispiel der Figur Tanaquils die erzählerische Strategie aufgezeigt werden, durch die in dieser Episode der vielfach von der Forschung erkannte moralische Niedergang der Königsherrschaft deutlich als ein Problem defizitärer Männlichkeit konstruiert wird, das von weiblichen Gendertransgressionen markiert wird. Dass Tanaquil gegenüber Lucumo in der Funktion eines Katalysators männlicher Handlungsmacht wirkt, zeigt die Transformation der Wertegrundlage des Machtstrebens: Anstatt einer affektiven cupido honorum als moralisches Fundament des Männerhandelns kann Tanaquil bei Lucumo erfolgreich ambitio initiieren. Allerdings liegt hierin ein qualitativer Unterschied: Während die Frau nämlich einen epistemischen Zugriff auf Werte erhielt, die ihr Machtstreben moralisch begründeten, gesteht Livius’ Erzählung dem König Tarquinius Priscus zwar Handlungsmacht entsprechend der ambitio zu, wenn seine Bemühungen um Macht und Einfluss von Erfolg gekrönt sind. Einen figuralen Wertezugriff erhält der Mann jedoch nicht. Somit muss nach einer Wechselwirkung von weiblich initiiertem Handeln und auktorialen Bewertungsmechanismen gefragt werden. Einerseits geht die Darstellung auf eine deutliche Distanz zu einer moralisch positiven Bewertung, wenn sich Livius dabei auf externes Wissen beruft: isque primus [...] petisse ambitiose regnum

275 Vgl. Fox 2015, 294. 276 Vgl. Haehling 2007, 70. 277 Zur positiven Bewertung der Herrschaft des Tarquinius Priscus vgl. Heurgon 1955, 64; Briquel 1998, 400, 407f.

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[...] dicitur (1,35,2).278 Andererseits wird auch im weiteren Verlauf die ambitio des Mannes nur aus der auktorialen Perspektive gewürdigt: ergo uirum cetera egregium secuta, quam in petendo habuerat, etiam regnantem ambitio est (1,35,6). Somit ist dies nicht Ausdruck einer umfassend positiven Bewertung der Königsherrschaft. Livius schreibt dem König zwar diesen Wert von außen zu.279 Allerdings wird deutlich, dass sich dieser weiblich markierte Ehrgeiz in der Qualität des Männerhandelns niederschlägt, wenn dem Mann ein figuraler Wertezugang vorenthalten wird und damit ein Genderproblem gekennzeichnet wird.280 Wenn Livius den König als uirum egregium bezeichnet, muss also differenziert werden, dass sich das Anerkennenswerte hier in erster Linie aus einer rein performativen Qualität ergibt (regnantem), die allerdings keine moralische Innensicht der männlichen Figur aufweist.281 Dass die transgressive Innensicht Tanaquils, mit der sie auf die Wertekrise der Königszeit blickt, auch im Folgenden die Erzählung bestimmt, zeigt sich schließlich in der livianischen Darstellung ihrer Handlungen, als Tarquinius Priscus im Sterben liegt. Die Frau trifft nämlich Vorbereitungen für die Einsetzung des Servius Tullius als dessen Nachfolger. In der Passage, die das Flammen-Prodigium enthält, aus dem Tanaquil zukünftige Macht für Servius ableitet, kann sich die Frau auf einen männlichen Wissensbestand berufen, der ihr erhebliche Handlungsmacht eröffnet. Auf diese Weise ist die Deutung des Prodigiums auch von genderspezifischem Wert:282 »tuum est«, inquit, »Serui, si uir es, regnum, non eorum, qui alienis manibus pessimum facinus fecere. erige te deosque duces sequere, qui clarum hoc fore caput diuino quondam circumfuso igni portenderunt. [...] et nos peregrini regnauimus; qui sis, non unde natus sis, reputa. si tua re subita consilia torpent, at tu mea consilia sequere.«283 (Liv. 1,41,3)

278 Die Initiation durch Tanaquil übersieht Penella 2004, 631. 279 In dieser Hinsicht ist die Deutung von Meulder 2005, 545 zu differenzieren, der die gleiche ambitio bei beiden sieht. 280 Die negative Bewertung der ambitio entsprechend dem von Sallust abgebildeten spätrepublikanischen Wertediskurs nach Fox 2015, 290 ist allerdings nicht haltbar. 281 Penella 2004, 633 setzt diese positive Bewertung hingegen absolut. 282 Der Aspekt des Prodigiums stellt einen zentralen Rezeptionsgegenstand der Rolle Tanaquils dar. Zu ihrem Auftreten als etruskische Frau vgl. Martin 1985, 6–9; McClain 1994, 182; Meulder 2005, 545. Boëls-Janssen 2005, 81 bezieht die divinatorische Funktion Tanaquils unabhängig von ihrer Herkunft auf ihre weibliche Geschlechteridentität. 283 »In deiner Hand«, sagte sie, »liegt die Königsherrschaft, Servius, wenn du ein Mann bist, nicht bei denen, die mit feindseligen Händen das überaus schändliche Verbrechen begangen haben. Erhebe dich und folge den dich führenden Göttern, die diesem Haupt einst Ruhm prophezeiten, als sie es mit göttlichem Feuer umgaben. [...] Auch wir haben als Fremde die königliche Macht innegehabt.

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Die Fokalisierung dieser Rede Tanaquils an den jungen Servius bildet die transgressive Innensicht der Frau ab. Wie auch zuvor in der Lucretia-Episode kann sich nun auch diese Frau explizit auf Wissen über Männlichkeit berufen: si uir es.284 Dies ist nicht nur als Stärkung des männlichen Ehrgefühls und Selbstbewusstseins zu deuten,285 sondern markiert ohne Zweifel eine Umkehr der Geschlechterrollen. Tanaquil kann sich bei der Deutung des Prodigiums eines männlichen Wissensbestandes bedienen, sodass auch ihr religiöses Handeln genderspezifische Bedeutung erhält.286 Indem Livius so ebenfalls eine weibliche Perspektive auf Männlichkeit schafft, die eine strukturelle Parallele zu Lucretia darstellt, wird das Motiv einer Krise der Männlichkeit bereits hier verortet. Die Erzählung weist hiermit ein genderspezifisches Charakteristikum der folgenden Protagonistinnen auf, die für den moralischen Niedergang des Königtums stehen.287 Jenseits der bereits gezeigten männlichen ambitio des Tarquinius Priscus zeigt der Tanaquil zugeschriebene Plural regnauimus deutlich, dass die weibliche Innensicht, die männliches Machtstreben einst initiierte, auch fortan die Darstellung des Geschlechterhandelns bestimmt und weiblichen Einfluss manifestiert, sodass die von Kowalewski beschriebene »Rolle der Königsmacherin«288 für die gesamte Darstellung dieser Frau gelten muss. In dieser Funktion tritt Tanaquil in zweifacher Hinsicht transgressiv hervor, indem sie die Machtansprüche aus ihrer Perspektive erschließt: Sowohl ihrem Ehemann als auch später Servius Tullius verhilft Tanaquil zur Herrschaft.289 Die Perspektive dieser Handlungsmacht ist damit das grundlegende Genderproblem der Episode, das auch für die folgende Analyse von Tullias Performanz gilt. Strukturell zeigt Tanaquils Fallbeispiel die Übernahme männlichen Wissens und die Fähigkeit der Vorausschau als gendertransgressive Momente ihrer Inszenierung, wenn sie den Wert ihrer eigenen consilia denen des Servius antithetisch gegenüberstellt. Auf diese Weise wird es Livius möglich, den männlichen Protagonisten hier soweit auszublenden, dass keine Reaktion seinerseits notwendig ist,290 da wesentliche Inhalte der Erzählung weiblich vermittelt werden. Zwar stellt Livius Tanaquils Auftreten mit männlicher Handlungsmacht auch in den Dienst

284 285 286 287 288 289 290

Bedenke, wer du bist, nicht woher du kommst. Wenn deine Entschlusskraft durch den plötzlichen eingetretenen Umstand gelähmt ist, folge du aber meinen Ratschlägen.« Liv. 1,58,8: si uos uiri estis. Vgl. Kowalewski 2002, 68. Ogilvie 1978, 161 sieht hierin Tanaquils Spott gegenüber dem Mann. Briquel 1998, 398 reduziert Tanaquils Funktion auf ihr religiöses Verdienst und deutet lediglich Tullia in politischer Funktion. Fox 2015, 294 sieht eine inhaltliche Parallele in der Abbildung der Gefahr der Tyrannei durch Frauengestalten. Kowalewski 2002, 68. Vgl. Vasaly 2015a, 45. Vgl. Kowalewski 2002, 69.

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der Wiederherstellung öffentlicher Ordnung:291 Tanaquil inter tumultum claudi regiam iubet [...] cum clamor impetusque multitudinis uix sustineri posset [...] populum Tanaquil adloquitur. iubet bono animo esse (1,41,1/1,41,4f.). Indem Livius hier allerdings die transgressive Handlungsmacht einer Frau der Bezeichnung eines tumultus entgegenstellt, wird das Genderproblem insbesondere hinsichtlich der Männlichkeit evident. Für die livianische Krisenerzählungen steht ein tumultus mit der Ernennung eines Diktators – dem Inbegriff männlicher Handlungsmacht – in Verbindung und erzeugt damit beim Leser entsprechende Erwartungen.292 Da eine derartige männliche Instanz hier fehlt, wird einmal mehr die männlich markierte Leerstelle in der Genderperformanz dieser Episode deutlich.293 So prägt der transgressive Charakter der Frau diese Erzählung und gesteht ihr einen Handlungsraum zu, der klar über das hinausgeht, was Späth als üblichen informellen Einfluss kaiserzeitlicher Frauen der Oberschicht kennzeichnet.294 Diesen Handlungsraum, der sich Tanaquil aufgrund der Marginalisierung von Männern in der Erzählung bietet, füllt die Frau nämlich mit ihrem männlichen Wissensbestand. Die in ihrer Perspektive und ihrem Wissen verankerten weiblichen Machtansprüche zeigen deutlich, dass hier performative und epistemische Transgression in der Inszenierung Tanaquils zusammenwirken und durchaus ein weibliches Machtmotiv darstellen. So ist die These von McClain, »she does not desire power, only order«295 , kaum zu halten. Indem sie epistemisch den Männern dieser Episode überlegen ist, erhält sie – wie die Darstellung von Tarquinius Priscus’ ambitio zeigte – einen kontinuierlichen Einfluss auf die Erzählung.296 Von der Forschung wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Figur der Tanaquil gerade für die Literatur der frühen Kaiserzeit von Bedeutung ist. Ihre Rolle als Katalysator, die in zweiter Reihe Einfluss auf männliches Handeln übt, wurde dabei mehrfach mit Livia, der Ehefrau des Kaisers Augustus verglichen. Der frühkaiserzeitliche Diskurs schreibt auch ihr ein Frauenhandeln zu, das auf die innerstaatliche Ordnung zielt und die bis zu Augustus’ Tod nicht etablierte Thronfolge im Blick hat.297 Auf diese Weise wird ein Genderdiskurs abgebildet, der die epistemische und performative Überlegenheit von Frauen nutzt, um Krisen der Männlichkeit

291 Vgl. McClain 1994, 183. 292 Vgl. Golden 2013, 46. 293 Ähnlich hat Martin 2015, 265 für die Figur des livianischen Tarquinius Priscus auf seine fehlende uirtus hingewiesen. Zur fehlenden Individualisierung königlicher Herrscherfiguren vgl. Fox 2015, 294. 294 Vgl. Späth 1994, 199. 295 McClain 1994, 183. 296 Vgl. Kowalewski 2002, 73. Dagegen Heurgon 1955, 61. 297 Vgl. Bauman 1994, 182; ähnlich Heurgon 1955, 63. Zum Stereotyp einer etruskischen matrona vgl. McClain 1994, 181.

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durch weiblich generiertes Krisenwissen zu lösen. In Abhängigkeit von defizitärer Männlichkeit akzeptiert die livianische Erzählung weibliche Gendertransgression jenseits einer normativen Geschlechterordnung. Dieser Befund trägt der augusteischen Ideologie Rechnung, die Gender als destabilisierende Kraft wahrnimmt:298 Die hiermit initiierte Umbruchszeit wird dadurch als eine Krise dekonstruierter Männlichkeit sichtbar, die eine Herrschaftskrise zugleich zu einem Genderproblem macht. 2.3.2.2 Transgression und Konstruktion von Männlichkeit

Anhand des weiblichen Einflusses, der Frauen in ihrer Interaktion mit moralisch dekonstruierten Männern zukommt, lässt sich eine qualitative Unterscheidung der Bewertung von ausgehendem Königtum und später Republik sowie den Krisen der Machtstrukturen dieser Epochen vornehmen. Dazu soll eine Analyse der Genderperformanz und die damit einhergehende Inszenierung geschlechterspezifischer Handlungsräume einen Beitrag leisten, die durch weiblich figurierte Episteme erkennbar werden. Während nämlich die umfassende Innensicht in öffentlichen und privaten Räumen bereits als Abbild der transgressiven Genderperformanz Tanaquils herausgestellt wurde, zeigt die Inszenierung Tullias die Zuspitzung einer Gender- und Wertekrise, die der livianischen Darstellung des Königtums geschuldet ist.299 Eine Ausweitung der weiblichen Perspektive auf das Wertewissen und die Macht auf der einen und ein sowohl moralisches als auch performatives Defizit von Männern auf der anderen Seite bilden dieses Krisenbewusstsein ab. Demgegenüber steht Fabias Aufbegehren nach Macht und Einfluss, die sie im Zuge der Ständekämpfe für ihren plebejischen Ehemann beansprucht. In der korrektiven Wirkung dieses Exemplums lässt sich eine in der Republik veränderte Machtstruktur erkennen. Dazu muss der normative Wissensbestand von republikanischen Frauengestalten in den Blick genommen werden, der ihrem weiblichen Einfluss zugrunde liegt. Der augusteische Republik-Diskurs wird also am Kriterium der Weiblichkeit analysierbar, wenn Ideale des frühkaiserzeitlichen Wertediskurses die Inszenierung von Fabias Krisenperspektive bestimmen.300 Livius verknüpft die Figur Tullias untrennbar mit dem Höhepunkt der moralischen Degeneration des Königtums.301 Dieses Stadium einer Entwicklung wird im

298 Vgl. Milnor 2005, 63. 299 Vorwiegend ist ihre Inszenierung unter dem Motiv der Machtgier subsumiert worden, vgl. McClain 1994, 185; Kowalewski 2002, 75. 300 Dies zielt insbesondere auf die »female domesticity« nach Milnor 2005, 39, die sich in der epistemischen Anlage der Frau widerspiegelt. 301 Zu dieser communis opinio vgl. in der neueren Forschung Fox 2015, 293f.; Martin 2015, 267; Vasaly 2015a, 49.

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vorliegenden Narrativ insbesondere durch die transgressive Inszenierung Tullias gekennzeichnet. Über die bereits gezeigten Bezüge auf ein männliches Wertekonstrukt hinaus weist ihre Figur nämlich einen deutlichen Zugriff auf machtpolitische Werte und Handlungsweisen auf. Diese werden maßgeblich durch die Leerstelle männlicher Handlungsmacht geschaffen. Anders als bei Tanaquil steht hier jedoch nicht die weibliche Konstruktion männlicher Handlungsmacht im Fokus. Vielmehr ist Tullias Darstellung deutlich stärker von Affekten geprägt, aus denen sie erheblichen Einfluss auf das Männerhandeln generiert, sodass Livius konstatiert: sed initium turbandi omnia a femina ortum est (1,46,7). Die Frau greift dazu nicht nur auf die Wertegrundlage des Machtstrebens im Zeichen ihrer transgressiven Darstellung zu. Sie ist vielmehr auch die entscheidende Instanz, die für die Einsetzung des Tarquinius Superbus als König verantwortlich ist: »si tu is es, cui nuptam esse me arbitror, et uirum et regem appello; sin minus, eo nunc peius mutata res est, quod istic cum ignauia est scelus.«302 (Liv. 1,47,3)

Tullias Perspektive auf die römischen Machtstrukturen steht damit im Gegensatz zu der Tanaquils, die den Wunsch nach honor auf ihren Mann überträgt. Dagegen folgt Tullias Verlangen nicht dem Ziel, die Initiative in die Hand eines Mannes zu legen. Livius gesteht ihr einen Wissensbestand der Männlichkeit zu, durch den er sie autonom sowohl für die Konstruktion von Männlichkeit als auch von männlicher Herrschaft verantwortlich zeichnet: et uirum et regem appello.303 Auf diese Weise markiert Livius eine Verweiblichung der Institution der Königsherrschaft, die in der gezeigten Dekonstruktion von Männlichkeit begründet ist. So ist die Krise der Monarchie nicht nur ein Genderproblem, das aus männlichen (Werte-)Defiziten entsteht. Vor allem ist es ein Problem der weiblichen Episteme, die den dadurch geschaffenen Handlungsraum füllen. Dieses Eindringen in männliche Räume kennzeichnet für Livius die entscheidende Normtransgression. Tullia ist es schließlich, die Tarquinius auf dem Forum von ihrem Wagen herab als König anspricht:

302 Wenn du derjenige bist, den ich glaube geheiratet zu haben, nenne ich dich Mann und König. Wenn nicht, hat sich meine Lage nun verschlechtert, weil hier das Verbrechen zur Feigheit dazu kommt. 303 Ähnlich McClain 1994, 185.

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carpento certe, id quod satis constat, in forum inuecta nec reuerita coetum uirorum euocauit uirum e curia regemque prima appellauit.304 (Liv. 1,48,5)

Nicht nur ihr Wagen und die Öffentlichkeit des Forums werden zum männlichen Attribut.305 Viel deutlicher wird ihre Verkehrung der Geschlechterrollen nämlich durch die Anrede als König, durch welche seine Amtseinsetzung als rex allein zur weiblich perspektivierten Handlung wird. Besiegelt wird dies durch Tullias Schändung der väterlichen Leiche. Wenn die Frau dabei auf dem Wagen fahrend inszeniert wird, lässt sich dies als Ausdruck eines Sieges lesen.306 Die Fokalisierung zeigt durch die Perspektive auf die Königsherrschaft, dass dieser Sieg vor allem ihr selbst gehört. Zusätzlich hält sie in ihrer durch amens agitantibus furiis (1,48,7) affektiv bezeichneten transgressiven Performanz sprichwörtlich die Zügel in der Hand. Auch darin zeigt sich, dass die Transgression der Frau die Inszenierung des Mannes wesentlich beeinflusst. Tullias Zugriff auf die Macht macht deutlich, dass es nicht »le brutal appétit du pouvoir«307 des Tarquinius ist, der das moralisch verkommene Ende der römischen Monarchie begründet. Stattdessen lässt die Analyse des Figurenwissens keinen Zweifel daran, dass für Livius die Frau und ihr epistemischer Zugriff auf die Herrschaft sowie ihre dadurch geschaffene Handlungsmacht an der Schlüsselstelle dieser Entwicklung stehen. Die Krise der Königsherrschaft schlägt sich somit maßgeblich in der Verschiebung genderspezifischer Handlungsräume nieder und mündet in uneingeschränkte Anlässe der Gendertransgression. Dagegen zeichnet das livianische Narrativ der beginnenden Republik eine veränderte Geschlechterordnung in der römischen Gesellschaft hin zu einer Festigung der Geschlechterrollen nach. Livius konstruiert mithilfe der Kategorie ›Geschlecht‹ einen idealen Gegenentwurf im Wertediskurs, der sich in machtpolitischen Entwicklungen abzeichnet. Das Aufbegehren der Fabia minor in den Ständeunruhen bildet diese Veränderung ab, wenn sie als republikanisches Korrektiv für weibliches Handeln gegenüber den Frauen der Königszeit inszeniert wird. In dieser Episode offenbart Livius eine veränderte Innensicht der Frauen und zeigt daran die qualitative Entwicklung einer weiblichen Krisenbeteiligung auf, da sich die weibliche Teilhabe an den Ständeunruhen auf einen genuin

304 Mit einer Kutsche fuhr sie jedenfalls, das steht ziemlich fest, auf das Forum und sie scheute sich nicht vor der Versammlung der Männer, rief ihren Mann aus der Kurie heraus und nannte ihn als erste König. 305 Vgl. Johner 1992, 32. 306 Vgl. Meulder 2005, 550. 307 Heurgon 1955, 64; ähnlich Gagé 1963, 37. Zur Wirkung von amens in der Figurencharakterisierung vgl. Kapitel 2.2.2.1.

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weiblichen Bereich beschränkt. Dazu wird Fabias Wunsch nach honor innerhalb geschlechtlich definierter Konventionen artikuliert, wodurch schließlich männliches Handeln initiiert wird. Anhand des Figurenwissens in dieser Episode wurde bereits gezeigt, dass Fabia hier einem weiblichen Werte- und Normensystem gemäß handelt, das ihr der augusteische Diskurs bereitstellt, und in ihrer Interaktion mit dem Vater eine männlich organisierte Geschlechterordnung zum Ausdruck kommt.308 Darüber hinaus zeigen nun weitere Merkmale der Erzählung ein verändertes Geschlechterbild im Abgleich mit dem Figurenbestand der Königszeit, das Fabias Funktion als republikanisches Korrektiv schärft. Kaum zufällig erscheint hier die intertextuelle Beziehung zu Tullia: Beide beschreiben sich gegenüber ihren Männern als impar (1,46,7/6,34,9), beide hoffen auf den baldigen Ertrag ihres Ehrgeizes.309 Die Fokalisierung der jeweiligen Passagen zeigt jedoch eine Verlagerung des geschlechtlich markierten Zugriffs auf die Mechanismen des politischen Einflusses: Lautet das Versprechen des Vaters gegenüber Fabia nun eosdem propediem domi uisuram honores, quos apud sororem uideat (6,34,10), so legt dies eine offensichtliche Veränderung gegenüber Tullia offen: domi se propediem uisuram regnum fuisse, quod apud patrem uideat (1,46,8). Der wesentliche Unterschied dieser eng verwandten Textpassagen liegt in ihrer Anlage der Fokalisierung. Während Tullia selbst noch anstelle ihres Mannes als Subjekt zu uideat auf die Königsherrschaft blickt, ist es im Falle der Fabia ihr Vater, der ihr Ansehen verspricht. Während Livius der Tullia eine Gendertransgression zugesteht, ist sämtliches Wissen über den Ehrgeiz Fabias nun männlich fokalisiert und determinert damit den Einfluss der Frau. Dadurch wird die republikanische Politik als eine männliche Angelegenheit definiert.310 Entsprechend ist die hierarchische Gestaltung dieser Passage männlich organisiert.311 308 Vgl. Kapitel 1.4. 309 Oakley 1997, 667 deutet impar im Kontext einer zu vergrößernden dignitas einer Frau durch Heirat und weist damit auf den Wertebezug Fabias hin; ähnlich auch Kraus 1994, 276; McClain 1998, 17. 310 Albrecht 2016, 80–110 hat dies am Beispiel der lex Oppia-Debatte und dem Bacchanalienskandal gezeigt. Diese Umdeutung eines männlichen Wissensbestandes spiegelt sich auch bereits in der Nachfrage des Vaters satin salve? (6,34,8) wider, wenn dieser intertextuelle Bezug auf die Nachfrage des Collatinus nach Lucretias Vergewaltigung (1,58,7) verweist, vgl. dazu auch Kraus 1994, 275; Weiẞenborn/Müller 2000c, 77. Dies legt ebenfalls, wie in Kapitel 1.4 gezeigt, eine Umdeutung männlicher Handlungsmacht offen, die in der Republik anders als noch in der Königszeit nun imstande ist, auf das zugrunde liegende Wertesystem zuzugreifen. Zur Parallele von Lucretia und Fabia vgl. Kraus 1991, 314f., 317f.; Oakley 1997, 666; Kowalewski 2002, 140f. 311 Oakley 1997, 666 macht dies an der Frage satin salve? fest, welche die väterliche Autorität gegenüber Fabia ausdrücke. Die geschlechterspezifische Deutung der Interaktion kann der Analyse von McClain 1998, 16 hinzugefügt werden, die richtigerweise auf das zurückhaltende Verhalten Fabias gegenüber ihrem Vater hingewiesen hat. Zur Wechselwirkung von figuraler Wissenskonstruktion und Hierarchisierung als Genderkriterium vgl. Kapitel 1.4.

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Ambustus befiehlt seiner Tochter (iussit), optimistisch zu sein, und verheißt ihr in indirekter Rede baldige Ehren. Der Zugriff auf diesen Wert sowie die performative Annäherung daran ist somit männlich definiert.312 Anders als etwa bei Lucretia können die Männer der Republik auf das nötige Wertewissen und die Handlungsmacht zugreifen, nachdem Fabia dieses Defizit artikuliert und damit männliches Handeln initiiert hat.313 Wenn der Vater Ambustus auf Fabias Unmut hin dann seinem Schwiegersohn zu Ehren verhilft, zeigt sich, dass auch hier der Geschlechterdiskurs zum Abbild der innerrömischen Krise wird. Wie zuvor die Hierarchie zwischen dem Vater und der Tochter das Handeln des Patriziers Ambustus initiierte,314 so ist auch dessen Stellung gegenüber seinem Schwiegersohn und dem hinzugezogenen L. Sextius ähnlich organisiert: inde consilia inire cum genero coepit adhibito L. Sextio, strenuo adulescente et cuius spei nihil praeter genus patricium deesset.315 (Liv. 6,34,11)

Indem consilia unter Männern geschmiedet werden, ergibt sich eine weitere geschlechterspezifische Unterscheidung zur Königszeit, als noch die weiblichen consilia Tanaquils für die Konstruktion männlicher Handlung notwendig waren.316 An dieser Stelle herrscht nun zwischen beiden Männern eine männliche Initiative und eine Hierarchie, die den Patrizier zum Zentrum der Bemühungen um die von Fabia geforderten honores macht und dem Plebejer überordnet. Licinius und Sextius unterliegen der vom Patrizier koordinierten Handlung, wenn das genus patricium zum Maßstab ihrer politischen Karriere wird und ihre Handlungsmacht damit ihrer Selbstständigkeit beraubt.317 Es gelingt diesen plebejischen Männern in der Folge, die Rechte der Plebs zu etablieren und einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der Ständeunruhen als innerrömischer Krise zu leisten. Dennoch wird deutlich, dass Livius die patrizische Macht so am Ausgangspunkt dieser Entwicklungen platziert,

312 Zur männlichen Initiative der Patrizier vgl. Kraus 1991, 323. 313 In dieser Hinsicht muss die Gleichsetzung von Fabia mit Lucretia und Verginia von Holloway 2014, 140 grundsätzlich infrage gestellt werden. 314 Bereits gesehen von Kraus 1991, 317f. 315 Daraufhin begann er, Pläne mit seinem Schwiegersohn zu schmieden und zog auch L. Sextius hinzu, einen tüchtigen jungen Mann, dem zu einer hoffnungsvollen Karriere nichts fehlte außer eine patrizische Abstammung. 316 Vgl. Kapitel 2.3.2.1. 317 Die Bedeutung der patrum auctoritas hat Pellam 2014, 286 aufgezeigt. Zur Charakterisierung beider vgl. Smith 2010, 275. Zur Trennung von männlicher und weiblicher Handlung vgl. Kraus 1991, 321.

Fazit

dass der Ausgang der Krise von der Initiative eines Patriziers abhängig und von weiblich-patrizischem Willen zuvor initiiert ist. Fabia ist damit ein entscheidender Katalysator des politischen Wandels.318 Dazu werden auf der Folie der plebejischen Macht die gesellschaftlichen Verhältnisse während der frühen Republik verhandelt, als das patrizische Machtmonopol zugunsten der Plebs aufgelöst wird.319 Die Darstellung des von Fabia geäußerten Unmuts bildet gerade in Opposition zur weiblichen Machtgier der Königszeit ein republikanisches Frauenbild ab,320 wenn ihr Aufbegehren männlich artikuliert wird. Somit schafft Livius durch die Gegenüberstellung der Weiblichkeit von Tullia und Fabia ein republikanisches Normkonstrukt und schließt den Kreis der Narrativierung eines Geschlechterverhältnisses. Der augusteische Diskurs bildet dazu einerseits valide Handlungsmacht von Männern ab. Andererseits wird Weiblichkeit in Abhängigkeit davon auf ein genuin weibliches Verhaltensrepertoire reduziert. Ein derartiges normatives Weiblichkeitsbild schließt einen epistemischen wie performativen Zugang in die männlichen Sphären aus. Stattdessen werden Möglichkeiten der Einflussnahme auf einen informellen Bereich innerhalb männlich regierter Nahbeziehungen verlagert. Die weibliche Krisenperspektive bildet damit den Horizont des normativ weiblichen häuslichen Rahmens in augusteischer Zeit ab.321 So schafft Livius im Verlauf seiner Gründungsgeschichte eine Memoria, die das normative Konzept von Weiblichkeit des frühkaiserzeitlichen Genderdiskurses in die frühe Republik projiziert. Die Einflussnahme der Fabia minor im sechsten Buch ist fern vom transgressiven Handeln Tullias zu verorten. Vielmehr idealisiert Livius auf diese Weise das abgebildete Geschlechterverhältnis nach den Maßgaben des zeitgenössischen Genderdiskurses und macht republikanische Weiblichkeit zum Marker einer Restauration der Republik unter Augustus.322

2.4

Fazit

Eine Analyse von Weiblichkeit in der römischen Frühgeschichte der ersten Pentade von Ab urbe condita, die bereits als geschlossene Einheit einer Gründungsphase erkannt wurde, konnte zeigen, dass Livius Frauengestalten in Krisen an zentralen Stellen platziert. Parallel zur Auserzählung der Stadtgründung etabliert er darin eine konsistente Geschlechterordnung. Die Narration dieses Werkteils zielt darauf ab, in Krisenerzählungen die Ideale des augusteischen Werte- und Genderdiskurses 318 319 320 321 322

Vgl. Smith 2010, 318; ähnlich Kraus 1991, 318. Vgl. Smith 2010, 265f. Vgl. McClain 1998, 17f. Vgl. Milnor 2005, 27, 39; Kunst 2016, 211f. Vgl. Milnor 2005, 157.

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sukzessive in der römischen Frühgeschichte zu verankern. Für die livianischen Frauengestalten konnte gezeigt werden, dass sie hierfür als Katalysatoren geschlechterspezifischer Werteideale fungieren. Dabei wurde deutlich, dass insbesondere das Narrativ der Königszeit im ersten Buch als eine Krise der Männlichkeit inszeniert wurde. Livius sieht Männer außerstande, die zentralen Werte abzubilden, die der augusteische Diskurs in die Frühgeschichte projiziert. So wurde ein epistemisches Genderproblem sichtbar, das zu einem Hemmnis männlicher Performanz wurde. Die figuralen Wertezugriffe von Frauen sind in livianischen Krisennarrativen somit von zentraler Bedeutung für die Konstruktion von Geschlechteridentitäten. Sie zielen bei der Lösung von Krisen darauf ab, einen männlichen Wertezugang und Handlungsmacht zu generieren, eine normative, männlich regierte Geschlechterordnung zu schaffen und so schließlich Frauen auf der Grundlage eines augusteischen Wertefundaments erzählerisch in die römische Gesellschaft zu integrieren. Die Betrachtung der livianischen Krisendarstellung hat gezeigt, dass hinsichtlich der involvierten Genderidentitäten ein dichotomer Krisenbegriff erforderlich ist. Weibliches Handeln ist in Krisen stets an das Schwinden einer männlichen Handlungsfähigkeit gekoppelt. Dieses männliche Defizit tritt zutage, wenn Männer nicht in der Lage sind, Krisen zu lösen, die sich in äußeren Konflikten wie Kriegen ergeben. Als Ursache konnte ein fehlender Wertezugriff nachgewiesen werden, der dafür verantwortlich ist, dass die Erzählung durch eine Phase fehlender männlicher Handlungsmacht stagniert und sich schließlich zu einer Wertekrise entwickelt. Gleichermaßen liegt das Problem, welches das ausgehende Königtum zu einer Krise werden lässt, ebenfalls in einer fehlenden männlichen Zuständigkeit für machtpolitische Werte, auf die stattdessen Frauen auf Grundlage einer ausgeweiteten Figurenperspektive zugreifen können. Die Dichotomie von Krisen ergibt sich im livianischen Werk somit aus einer fehlenden Wertegrundlage für männliches Handeln auf institutioneller Ebene, das ein – wie gezeigt wurde – explizit weibliches Handeln auf einer figuralen Ebene der Krise ermöglicht. Dass institutionelles Handeln für Livius ein Postulat an das männliche Geschlecht ist, zeigt die gendertransgressive Inszenierung von Frauen, die wie Tullia und Tanaquil in dieser Hinsicht Handlungsmacht für sich beanspruchen. Livius konstruiert eindeutig männliche Wertekrisen, indem Männer insbesondere in der Darstellung der Königszeit als epistemische Leerstellen dargestellt werden. Ihre moralischen Defizite machen sie zum Ursprung von Krisen, da sie so Handlungsraum für transgressive Weiblichkeit eröffnen. Eine solche Krisenwahrnehmung wird in zweierlei Hinsicht zum Reflex des augusteischen Diskurses. Mit Blick auf dezidiert weibliche Ideale konnte am Beispiel der Sabinerinnen gezeigt werden, dass sie mithilfe einer punktuellen Gendertransgression schließlich affirmativ für eine explizit weibliche Geschlechteridentität gemäß dem Ideal der matronae eintreten. Indem sie sich dabei auf den Wert der concordia beriefen, der männlichem Krisenhandeln vorenthalten war, trugen sie

Fazit

maßgeblich zur Einigung der römischen Gesellschaft bei. Dabei wurde deutlich, dass Livius das Exemplum dieser Frauen ebenso wie das der Coriolan-Mutter Veturia, die für die libertas des römischen Volkes eintritt, auf der Grundlage eines genuin weiblichen Wissens konstruiert. So schafft der augusteische Genderdiskurs in der Erzählung ein normatives Konzept der Frau, das die weiblichen Ideale der livianischen Zeit im Wissensbestand dieser Frauengestalten abbildet. Somit konnte nachgewiesen werden, dass die weiblichen Ideale des augusteischen Diskurses in einer Krise der Männlichkeit durch eine weibliche Perspektive vermittelt werden, um das Genderproblem zu lösen. Es wurde deutlich, dass diese explizit weiblichen Zugriffe nicht nur die soziale Rolle der Frau innerhalb der Gesellschaft generieren. Zugleich trägt dieses weibliche Wertewissen dazu bei, eine normative und männlich regierte Geschlechterordnung zu schaffen, wenn dadurch männliche Handlungsmacht initiiert wird. Diese Konstruktion geschlechterspezifischer Wissensbestände im frühkaiserzeitlichen Narrativ der römischen Frühgeschichte steht daher deutlich im Zeichen einer sozialen Funktion von Geschlecht, da diese als Reflex des Genderdiskurses der augusteischen Kaiserzeit zu verstehen sind. Dagegen spiegelt der fehlende männliche Zugriff auf machtpolitische Werte, welcher transgressives Frauenhandeln ermöglichte, einen zweiten Aspekt wider, der den frühkaiserzeitlichen Diskurs abbildet. Im Gegensatz zum normativen Konzept der Weiblichkeit erzeugt Livius eine Krisenwahrnehmung im Narrativ der Tarquinier-Dynastie. Darin stellt eine fehlende Wertegrundlage der Herrschaft für die Könige ein weiteres epistemisch begründetes Genderproblem dar. Dieses Defizit männlicher Wissensbestände wurde als entscheidender Moment eines Niedergangs der Königsherrschaft in der livianischen Darstellung identifiziert. Die epistemische und performative Leerstelle der Männlichkeit bietet Raum für weiblichen Einfluss, der ausgehend von Tanaquil fortan zu einer sukzessiven Dekonstruktion männlicher Protagonisten führt. Die konsequente Ausweitung der weiblichen Machtperspektive, welche die Erzählung den Frauen zugesteht, konnte am Beispiel der Tullia schließlich als eine Verweiblichung der Institution der Königsherrschaft gedeutet werden. Darin bildet Livius eine vollständige Umkehr der Geschlechterrollen und eine deutliche Abweichung vom normativen Konzept der Weiblichkeit im augusteischen Diskurs ab. Transgressives Frauenhandeln dekonstruiert die etruskischen Könige in moralischer und performativer Hinsicht. Die Fokalisierung der Episoden zeigte nämlich, dass fehlendes männliches Wissen einerseits und ein weiblicher Zugriff auf Werte und Handlungsweisen der Herrschaft andererseits diese Krise der ausgehenden Königszeit kennzeichnen. Dieser moralischen Degeneration auf der Geschlechterebene stellt Livius in seiner römischen Frühgeschichte republikanische Exempla normativ gegenüber. Als wesentliches Merkmal hierfür konnte die sukzessive Konstruktion männlichen Wertewissens aufgezeigt werden. Im klaren Kontrast zur krisenhaften Königszeit steht schlussendlich die Lucretia-Episode. Lucretias Bedeutung für das livianische

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Livius und weibliche Ideale in frührömischen Krisen

Narrativ konnte mithilfe der Fokalisierung neu bestimmt werden. Die Anlage des Figurenwissens legt eine wesentliche Veränderung des geschlechtlich markierten Wissens offen. Lucretia dient als Katalysator eines männlichen Wertebewusstseins, wenn sie den Männern mit der pudicitia ein weibliches Ideal des augusteischen Wertediskurses erschließt. Dieses Wertewissen geht für die Männer mit einem deutlichen Gewinn an Handlungsfähigkeit einher. Fortan ist das Wertwissen von Männern eng mit ihrer Handlungsmacht verknüpft. In der Lucretia-Episode zeigt sich dies auf institutioneller Ebene, wenn daraufhin der letzte König vertrieben werden kann und libertas hergestellt wird. Die Verginia-Episode zeigt, dass männliches pudicitia-Wissen und Handlungsmacht bereits normativ in der Republik-Memoria verankert sind. Auch die Einflusswege der Fabia minor machen deutlich, dass die Funktion republikanischer Frauen darin liegt, als Katalysator valide männliche Handlungsmacht punktuell durch ein ideales weibliches Verhaltensrepertoire zu initiieren. Die Analyse von Weiblichkeit konnte auf diese Weise auf eine strukturelle Eigenschaft der Erzählung in der ersten Pentade hinweisen. Diese machte eine Konstitution einer frühkaiserzeitlichen Geschlechterordnung und ihre sukzessive Festigung deutlich, indem insbesondere die Königszeit hierin als eine Krise der Männlichkeit dargestellt wird. Dieser steht die Inszenierung valider Handlungsmacht und figuralen Wertezugriffen von Männern gegenüber, die das Narrativ der frühen Republik seit Lucretia prägt. Dies gilt vor allem für matronale Tugenden: Nicht nur die pudicitia, sondern auch die Definition der matronalen Rolle, die eine Analyse der Darstellungen von Sabinerinnen und Horatia im ersten Buch zeigte, dienen Livius dazu, ein normatives Genderkonzept innerhalb des Narrativs der Königszeit zu schaffen, das in der Republik Geltung erhält. Durch diese Memoria konnte nachgewiesen werden, dass Livius die frühe Republik als Spiegel der frühkaiserzeitlichen Gender- und Werteideale nutzt und normative Handlungsweisen des augusteischen Diskurses mit der Autorität der maiores versieht. Das Geschlechterkonzept wird so in den Dienst einer Restauration republikanischer Werte gestellt.

3.

Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Die Frühgeschichte Roms nimmt in den Facta et dicta memorabilia des Valerius Maximus einen besonderen Stellenwert ein. Im Vergleich zum Geschichtswerk des Livius zeigt ein quantitativer Befund, dass die Frühzeit weniger oft und weniger umfangreich für Beispiele herangezogen wird und damit ein veränderter Wert der römischen Frühgeschichte in tiberianischer Zeit zu erkennen ist. Das eindrücklichste Beispiel hierfür ist die Reduzierung der Sabinerinnen-Episode, deren Intervention bei Livius noch zur Notwendigkeit für ein römisches Krisenmanagement und zum Ideal der concordia wurde. Dort dient es als Spiegel des Umbruchs zwischen Republik und Prinzipat, da die Bedeutung der concordia in augusteischer Zeit wieder aktuell war und prägende Exempla gebraucht wurden. Sowohl der Krieg mit den Sabinern als auch die Erlangung der Eintracht zwischen den beiden Völkern zur Vereinigung zu einem römischen Volk ist in den Facta et dicta memorabilia zur historischen Randnotiz geworden. Lediglich das Aition der Consualia bezieht Valerius Maximus aus diesem Ereignis. Nicht die Eintracht, sondern die Praxis kultischer Spiele in der Rubrik de institutis antiquis kennzeichnet die Erinnerungskultur tiberianischer Zeit, in der das Ereignis des Frauenraubes nur noch verkürzt den historischen Rahmen bietet und die Vereinigung der Völker bereits aus dem Narrativ verschwunden ist.1 Langlands stellt fest, dass besonders in Zeiten, die als Krisen wahrgenommen wurden, in Exempla nach neuer Relevanz gesucht wurde, um die moralischen Grundlagen einer Gesellschaft aufzuzeigen. Als Beispiel hierfür führt sie die Zeit unter dem ›schlechten‹ Herrscher Tiberius an.2 Diese Beobachtung führt zu der Frage, welchen Wert die frührömischen Exempla für Valerius besitzen und welche Krisenwahrnehmung in tiberianischer Zeit darin noch enthalten ist. Unter Berücksichtigung dieser narrativen Veränderung muss der Befund von Weileder und Wiegand, alte Exempla seien prägend für die Exempla-Sammlung

1 Val. Max. 2,4,4: quod primus Romulus raptis Sabinis Consualium nomine celebrauit. Damit liegt der Wert dieses Exemplums verstärkt auf der gesellschaftlich-institutionellen Entwicklung Roms, vgl. Dumézil 1987, 562. Zum Wandel des narrativen Interesses und der Bedeutung der Religion bei Valerius Maximus vgl. Mueller 1998, 222; Mueller 2002, 2, 4. Zur Bedeutung von Sittenpolitik und religiöser Erneuerung unter Tiberius vgl. Wiegand 2013, 63. Zur Darstellung bei Livius vgl. Kapitel 2.1.1. Fleck 1974, 123–125 hat Varro als Quelle des Valerius erkannt, woraus sich weitere Erklärungsmöglichkeiten für die inhaltlichen Abweichungen vom livianischen Werk ergeben. 2 Vgl. Langlands 2018, 64, 68.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

des Valerius Maximus,3 differenziert werden. In seinem Exempla-Bestand der Königszeit und der Republik stellt Valerius Maximus in chronologischer Reihung den einzelnen Rubriken stets die ältesten Episoden mit besonderer Autorität voran. Dabei wird deutlich, dass er sich für den Rückbezug auf die mores maiorum nicht einer zeitlich geschlossenen Epoche bedient, wie es für die ersten Pentade bei Livius der Fall war. Vielmehr lässt sich ein moralisches Konzept in der Exempla-Sammlung erkennen, das mithilfe ›alter‹ Exempla aus dem Bestand der maiores ein konsistentes und normatives Wertekonzept schafft. Valerius Maximus rekonstruiert damit moralische Normen alter Zeit und adaptiert sie in seine Gegenwart, um die Ideale der alten Zeit zum Maßstab für seine Rezipienten zu machen. »Roman exemplarity encourages the sense of constant striving to reach the excellence of an earlier time.«4 Darin stehen die Ideale der maiores und ihre Adaption im tiberianischen Wertediskurs für die öffentliche und private Moral in deutlicher Opposition zur moralischen Degeneration, die Valerius in der späten Republik ausmacht.5 Die Exempla-Sammlung trägt dazu bei, in einem top-down-Mechanismus die moralischen Grundsätze der tiberianischen Herrschaft zu vermitteln. Die Narrative, auf die sich die Exempla berufen, werden dabei als ein Medium genutzt, das dazu dient, Lesern einen moralischen Kompass zu bieten und damit schließlich auch soziale Kontrolle im Sinne der Herrschaftsideologie zu gewährleisten.6 Eine Untersuchung dieser Exempla zielt auf vier Fragen ab: In einem ersten Schritt soll geklärt werden, worin zu tiberianischer Zeit das Interesse und der exemplarische Anlass der einzelnen Beispiele lag, um daraus auf ein Krisenbewusstsein in der Wahrnehmung der frührömischen Geschichte zu schließen, das diesen Narrativen zugrunde liegt. Obgleich erhebliche Zweifel an der Analyse eines

3 Vgl. Kornhardt 1936, 22; ihr folgend mit Bezug auf Valerius Maximus Weileder 1998, 30f. Gowing 2005, 54f. und Krasser 2011, 248 sehen den in der Kaiserzeit prägenden exemplarischen Zeitraum dagegen insbesondere in der Republik. Wiegand 2013, 149 enthält sich einer epochalen Verortung der Exempla. Die Beispiele vorrepublikanischer Zeit bleiben in diesen Einordnungen unberücksichtigt. Gries 1956, 339 hat anhand von Val. Max. 1,8,7 einen – wenn auch kritisch betrachteten – bedeutenden Wert tradierter Exempla festgestellt, diese aber nicht zeitlich und qualitativ differenziert. 4 Langlands 2018, 43. 5 Val. Max. 5,8,3: prudentissimoque uiro succurrebat effigies maiorum cum titulis suis idcirco in prima parte aedium poni solere, ut eorum uirtutes posteri non solum legerent sed etiam imitarentur. Vgl. auch Wiegand 2013, 160f.: »Dies setzt eine Akzeptanz der neuen (politischen) Verhältnisse bei gleichzeitigem Einverständnis mit den ererbten Moralvorstellungen (mores maiorum) voraus.« Zur Opposition zweier moralischer Epochen unterschiedlicher Qualität vgl. Lucarelli 2007, 260. Zur Wirkung der mores maiorum als Korrektiv und der daraus folgenden Kontinuität der Moralvorstellungen vgl. Gowing 2005, 57. Die Ausrichtung auf die öffentliche und private Moral anstelle historiographischer Ziele beschreibt Maslakov 1984, 454. 6 Vgl. Langlands 2018, 6.

Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Geschichtsdenkens in der Exempla-Sammlung formuliert wurden,7 soll dennoch eine Krisen-Memoria herausgearbeitet werden, die sich aus den einzelnen Exempla und Exempla-Kategorien ergibt. Nicht ein zusammenhängendes Narrativ der Frühgeschichte, sondern verschiedene Einzelepisoden dieser Zeit sollen in den Blick genommen werden, um einerseits herauszuarbeiten, welches Krisenbewusstsein sich hierin in tiberianischer Zeit nachweisen lässt. Andererseits muss in diesem veränderten Verständnis der römischen Frühgeschichte der Raum für weibliches Handeln erneut bestimmt werden.8 Unterliegt die Darstellung der römischen Frühzeit einem anderen Diskurs, als es in augusteischer Zeit der Fall war, so zielt die Untersuchung in einem zweiten Schritt darauf ab, in Abhängigkeit von einem veränderten Geschichtsbild die Konstruktionsmechanismen von Weiblichkeit in diesem tiberianischen Diskurs offenzulegen. Drittens steht dann die Inszenierung von Männlichkeit im Fokus, um nach dem Raum für weibliche Gendertransgressionen zu fragen. Für die Betrachtung der Krisen- und Geschlechterdarstellung erweist sich auch hier das Kriterium des Krisenwissens als gewinnbringend. Dadurch können die Inhalte einer auf moralische Aspekte des tiberianischen Diskurses umgedeuteten Krisennarration aufgezeigt werden. Dies bietet die Grundlage dafür, dezidiert die Perspektive von Frauen und deren Funktion in der Erzählung sowie die darin konstruierte Genderidentität zu betrachten.9 Die geschlechtlich markierte Fokalisierung der Exempla für die Wissensvermittlung der Narration wird somit zum entscheidenden Kriterium der Analyse.10 Anhand des Figurenwissens soll analysiert werden, welche Bedeutung Valerius Maximus weiblichem Wissen bei der Konstruktion seiner Exempla zuschreibt. Auf diese Weise sollen die konstitutiven Mechanismen normativer Weiblichkeit identifiziert, ihr Wert in der Krisenerzählung geklärt und so die entscheidenden Faktoren ihrer Narrativierung innerhalb der tiberianischen Memoria aufgezeigt werden. Ein vierter Schritt wird sich abschließend der Rezeption von Geschlecht und Weiblichkeit widmen. Dazu soll die Fokalisierung der Exempla im Hinblick auf die Bewertungsinstanzen untersucht werden, um vor dem Hintergrund einer normativen Geschlechterordnung

7 Wiegand 2013, 152 konstatiert, es bleibe »eine Analyse des ›Geschichtsdenkens‹ des Autors [...] ergebnislos.« 8 Auf die Bedeutung der Kategorie ›Gender‹ als Analysekriterium hat bereits Mueller 1998, 222 hingewiesen. Zum Wert der Exempla-Sammlung aufgrund ihres breiten Spektrums an Themen und Anliegen vgl. Bloomer 2015, 119. 9 Die Anpassung der Erinnerungskultur an die politische Tradition des Prinzipats nach Maslakov 1984, 440, 453f.; Bloomer 1992, 19, 25 soll dabei hinsichtlich einer tiberianischen Krisenwahrnehmung sowie eines besonderen und normativen Wertes der älteren Exempla für die Analyse eines entsprechenden weiblichen Wertekonzepts differenziert werden. 10 Vgl. Kapitel 1.2.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

nach den textinternen Mechanismen und Bedingungen der Rezipierbarkeit von Geschlecht zu fragen. Die normativen Frauen-Exempla sind vor allem aufgrund ihrer Bedeutung interessant, die Valerius Maximus ihnen zuschreibt. Weiblichkeit wird für sein Werk als Zeugnis eines tiberianischen Wertediskurses nämlich zu einer wichtigen Kategorie: Das zweite Buch der Facta et dicta memorabilia, das sich den elementa der römischen Vergangenheit widmet und sie auf ihren Wert für die tiberianische Zeit hin prüft,11 befasst sich an prominenter Stelle des ersten Kapitels de institutis antiquis mit den Idealen, die der zugrunde liegende Diskurs für Frauen und die Geschlechterordnung formuliert.12 Ausgehend von der darin geschaffenen Bedeutung von Weiblichkeit ist für Valerius Maximus zu prüfen, wie Frauen-Exempla als Abbilder eines tiberianischen Normempfindens konstruiert werden. Damit kann dann eine geschlechterspezifische Betrachtung von mores maiorum und Weiblichkeit vorgenommen werden. Dafür sollen einerseits weibliche Wissensbestände analysiert werden, die der tiberianische Diskurs Frauen zuschreibt und als tugendhaft bewertet, und gleichzeitig die Bedeutung einer solchen Inszenierung für die Krisennarration bestimmt werden. Andererseits ist ebenso zu prüfen, nach welchen moralischen Maßstäben gendertransgressives Frauenhandeln in Krisennarrativen inszeniert und bewertet wird.13 Erst auf diese Weise ist es möglich, den Wert weiblicher Exempla in der Konstruktion tiberianischer Narrative zu bestimmen. Davon ausgehend kann die Relevanz geschlechterspezifischer Inhalte der mores maiorum innerhalb dieses Wertediskurses umfassend geklärt werden.

3.1

Krisennarrative der römischen Frühgeschichte im tiberianischen Diskurs

Die frührömischen Exempla der Facta et dicta memorabilia vermitteln – wie am Beispiel der Sabinerinnen-Episode bereits angedeutet – einen deutlich veränderten

11 Val. Max. 2,praef.: opus est enim cognosci huiusce uitae, quam sub optimo principe felicem agimus, quaenam fuerint elementa, ut eorum quoque respectus aliquid praesentibus moribus prosit. 12 Langlands 2006, 126 deutet den Wert der mores maiorum als Teil einer »formal education«, welche die besondere moralische Bedeutung der Mann-Frau-Beziehungen abbilde; ähnlich Themann-Steinke 2008, 114f. Nicht haltbar ist dagegen die Einteilung von Honstetter 1977, 31, der das Kapitel 2,1 im Gegensatz zu den folgenden als allein auf den privaten Bereich ausgerichtet versteht, leitet Valerius hieraus doch ein Normverständnis der Geschlechterordnung ab, das sich als Abbild eines tiberianischen Weiblichkeitskonzepts auf gesellschaftlicher Ebene artikuliert, vgl. Kapitel 3.4.2. 13 Transgressives Frauenhandeln ist von der Forschung bisher überwiegend im Zuge einer Analyse der moralischen und sozialen Degeneration im Verlauf der Bürgerkriege betrachtet worden, vgl. etwa Milnor 2005, 224–226; Lucarelli 2007, 132–135 und Kapitel 5.

Krisennarrative der römischen Frühgeschichte im tiberianischen Diskurs

Wissensbestand der eigenen Vergangenheit.14 Dies wird besonders mit Blick auf die Historiographie augusteischer Zeit deutlich. Während Livius noch die Sabinerinnen, Tarpeia und Horatia in äußere Konflikte mit Nachbarvölkern integrierte, die den ausführlich auserzählten Rahmen für die exemplarische Inszenierung dieser Frauen schufen,15 ist der krisenhafte Kontext bei Valerius Maximus deutlich enger gefasst. Frührömische Kriege wie auch die ausgehende Königszeit und die Ständeunruhen werden in der Exempla-Sammlung gemeinsam mit Erzählungen aus dem zweiten Punischen Krieg als exemplarisch fruchtbare Episoden inszeniert. Diesen verschiedenen Erzählungen aus unterschiedlichen Epochen der römischen Geschichte ist eines gemein: Valerius Maximus konstruiert hierin Exempla, die normative Geltung in seinem tiberianischen Wertekosmos erhalten. Die moralische Bedeutung dieser Exempla wird im Vergleich zur augusteischen Zeit nach den Maßstäben des zeitgenössischen Diskurses aktualisiert und in den Narrativen der frührömischen Geschichte verortet.16 So weist die Exempla-Sammlung eine deutlich von Livius abweichende Strategie der Memoria auf, wie etwa die Integration des Narrativs des zweiten Punischen Krieges in den normativen Exempla-Bestand zeigt. Der in diesen Exempla bei Valerius geschaffene Wertekosmos steht dann in den Episoden der späten Republik zur Disposition, wenn die Zeit der Bürgerkriege als eine republikanische Wertekrise inszeniert wird. Auf dieser Grundlage muss einleitend nach der Bedeutung von Krisen für die Memoria in tiberianischer Zeit und den darin platzierten Exempla gefragt werden. Da Valerius die Exempla und die Narrative vor dem Hintergrund des tiberianischen Diskurses segmentiert und aktualisiert, ist es zudem lohnenswert, den Einfluss der Prinzipatsideologie auf die Narration zu klären.17 In diesem Sinne soll im Folgenden gezeigt werden, wie diese teleologische Wahrnehmung der römischen Geschichte für die Konstruktion eines Erinnerungsraumes prägend ist,18 in dem Valerius das figurale Krisenhandeln verortet. Dafür ist in einem ersten Schritt die Darstellung von Dynamik in Krisennarrativen mit weiblich besetzen Exempla zu analysieren.19 Hier soll gezeigt werden, dass Valerius seine Darstellungen der römischen Geschichte in den Dienst der tiberianischen 14 Vgl. Gowing 2005, 55. 15 Vgl. Kapitel 2.1.1. 16 Zur besonderen Bedeutung alter Exempla zur Konstruktion einer kollektiven Identität bei Valerius Maximus vgl. Krasser 2011, 242f., 248; ähnlich Gowing 2005, 57. 17 Vgl. Maslakov 1984, 440, 444; Wiegand 2013, 160f.; ferner Gowing 2010. Zur Segmentierung der römischen Geschichte in der Exempla-Sammlung vgl. Klotz 1942, 63–66; ferner Honstetter 1977, 56; Wiegand 2013, 152. 18 Vgl. Weileder 1998, 168. 19 Für die teleologische Inszenierung des Krisengeschehens ist das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit entscheidend, um den Wert der exemplarisch genutzten Ereignisse zu bestimmen, vgl. Genette 2010, 17f.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Erinnerungskultur von republikanischen Krisen stellt. Dazu werden diese ihres umfassenden Kontextes beraubt und auf abgeschlossene Ereignisse verkürzt. Dies legt im Vergleich zur augusteischen Narration eine deutliche Veränderung der Narrative und eine ideologische Umdeutung des Erinnerungswürdigen in tiberianischer Zeit offen.20 Daraufhin soll in einem zweiten Schritt der Aktionsraum bestimmt werden, in dem Valerius Maximus weibliche Exempla platziert. Dabei hat die Forschung, allen voran Lucarelli, bereits bemerkt, dass der Raum der sozialen Nahbeziehungen bei Valerius von zentraler Bedeutung ist. Dieser Befund wurde damit begründet, dass Valerius die Exempla segmentiert, damit weitestgehend von ihren historischen Ereignissen loslöst und stattdessen den Fokus verstärkt auf die Protagonisten legt, was sich auch auf die Krisennarration übertragen lässt.21 Diese beiden methodischen Schritte dienen dazu, in der Erzählung die Konstruktionsmechanismen von frührömischen Krisen im tiberianischen Diskurs zu identifizieren. Davon ausgehend ist schließlich danach zu fragen, welche Funktion weiblichem Handeln in den Exempla zukommt, die in einem derart veränderten sozialen Raum der Krise geschaffen werden. 3.1.1

Krisenzeit – die teleologische Dynamik der Krise

Das Kriterium der Zeit erfüllt im Werk des Valerius Maximus eine entscheidende Funktion, um die Exempla und ihre Inszenierung innerhalb von Krise zu verorten. Dadurch lässt sich zudem die Bedeutung der Krisen als Folie des Exemplums bestimmen. Diese Betrachtungen zeigen, dass die Dynamik des Krisengeschehens, die an der zeitlichen Gestaltung ablesbar ist, in der Exempla-Sammlung auf die individuelle Handlung des jeweiligen Beispiels begrenzt wird. Ein Einfluss auf eine Rahmenhandlung ist nicht mehr erkennbar. Entsprechend wird der Krisenkontext nur noch auf die Funktion einer Projektionsfläche für die exemplarische Handlung reduziert. Das Exemplum wird durch diesen eingeschränkten Rahmen der Handlungsdynamik seiner Entwicklungsfähigkeit beraubt.22 Dies ist als Reflex eines Konzeptes der teleologischen Geschichtsschreibung zu deuten und durch die strukturelle Ordnung der Exempla-Sammlung bedingt. Bei Livius bildeten noch konkrete Krisensituationen den Rahmen einer exemplarischen Handlung ab. Die dekontextualisierte Anordnung der Exempla macht es Valerius Maximus dage-

20 Wiegand 2013, 159–163 hat auf die Entpolitisierung des historischen Stoffes und die Fokussierung auf exemplarische Aktanten zugunsten einer kausalen Ereignisverknüpfung hingewiesen; ähnlich auch Bloomer 1992, 19; Langlands 2008, 161f. 21 Vgl. Lucarelli 2007, beispielhaft 56–72; ferner Maslakov 1984, 454f.; Bloomer 1992, 19; Wiegand 2013, 163. 22 Zur fehlenden Entwicklungsfähigkeit von Protagonisten vgl. ebd., 162.

Krisennarrative der römischen Frühgeschichte im tiberianischen Diskurs

gen unmöglich,23 die Memorabilia einer Rubrik mit einem konkreten Schema von initialen Krisenanlässen zu verknüpfen. Vielmehr sorgt diese »strukturelle Orientierung an inhaltlichen Kategorien – Gliederungsprinzip sind ja nicht die Personen, sondern Wertebegriffe und Verhaltensnormen –«24 ebenfalls dafür, dass Exempla weitestgehend auch ihrem historischen Rahmen enthoben werden.25 Wenn etwa der Verrat Tarpeias, der zur Einnahme der römischen Burg durch die Sabiner führt, nicht mehr – wie bei Livius – in die Darstellung des Sabinerkrieges integriert, sondern unter der Rubrik 9,6 de perfidia aufgeführt wird, beraubt Valerius Maximus das Exemplum seiner historischen Festlegung zugunsten eines »Wertehorizontes [als] Beitrag zur kollektiven Identitätsstiftung.«26 Die Ordnungsstruktur des Werkes ermöglicht dem Moralisten, die Exempla unabhängig von ihrem historischen Kontext zu platzieren. Dies ist allerdings nur der erste Schritt einer Dekontextualisierung.27 Am Beispiel der Tarpeia-Episode soll eine Strategie in der Platzierung und Funktion weiblicher Krisenbeteiligungen nachgewiesen werden. Valerius Maximus verortet Frauen zwar in den entsprechenden Episoden, jedoch außerhalb der konkreten Handlung. So wird ein Raum für Weiblichkeit in der Erzählung geschaffen, in dem Frauen jenseits jeglicher Dynamik und Entwicklungsfähigkeit sowie ohne Einfluss auf die exemplarische Handlung platziert werden. Stattdessen dienen sie als Projektionsflächen der Exempla. Die Ermordung Tarpeias durch die Sabiner zeigt dies exemplarisch: loco potitum agmen Sabinorum puellam praemium flagitantem armis obrutam necauit, perinde quasi promissum, quod ea quoque laeuis gestauerant, + soluit +. absit reprehensio, quia impia proditio celeri poena uindicata est.28 (Val. Max. 9,6,1)

Dass eine Kontextualisierung von Tarpeias Exemplum, die über eine historische Verortung hinausgeht,29 von nachrangiger Bedeutung ist, lässt sich aus der Darstellung des sabinischen Eindringens in die römische Burg ableiten. So zeigt die 23 Zur Dekontextualisierung der Exempla vgl. ebd., 149. 24 Krasser 2011, 242. 25 Honstetter 1977, 56 beschreibt Exempla als in der Kaiserzeit auftretende »neue Textformen [...], welche lediglich Segmente der Geschichte zum Inhalt hatten.« 26 Krasser 2011, 243; ähnlich Gowing 2005, 54. 27 In dieser Hinsicht bedarf die Beobachtung von Wiegand 2013, 149 weiterer Differenzierung, die narratologischen Maßstäben Rechnung trägt. 28 Das Heer der Sabiner nahm den Platz ein und ermordete das Mädchen, das seine Belohnung forderte, indem es mit Schilden überhäuft wurde – so als ob es das Versprechen einlösen würde, weil sie auch diese in ihrer linken Hand getragen hatten. Sie soll kein Tadel treffen, weil die Frevelnde mit einer raschen Bestrafung gerügt wurde. 29 Val. Max. 9,6,1: Romulo regnante Spurius Tarpeius arci praeerat.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Beschreibung loco potitum agmen als vorzeitiges Partizip, dass für Valerius Maximus eine sich entwickelnde Handlung des Exemplums nicht mehr möglich oder notwendig ist. Vielmehr macht diese Tempusgestaltung deutlich, dass die römische Frühgeschichte aus dieser Perspektive nur noch eine retrospektive Sicht auf ein abgeschlossenes Geschehen zulässt.30 Indem nämlich »exemplary acts may be evaluated in hindsight, when we already know their consequences«31 , verhindert Valerius die Entwicklungsfähigkeit der Exempla. Die auktoriale Narration erfasst auf diese Weise nicht den Verlauf des Geschehens im Sinne einer chronologischen und historiographisch veranlagten Krisenerzählung.32 Stattdessen wird ein Zustand zugrunde gelegt, der in rückblickender Perspektive diesen Aspekt der römischen Geschichte in die frühkaiserzeitliche Memoria überführt. Die fehlende figurale Innensicht der Frau zeigt, dass ihr selbst keine aktive Beteiligung an der Handlung ermöglicht wird. Vielmehr nutzt Valerius die als Objekt passiv abgebildete Tarpeia dazu, das Augenmerk auf die Verurteilung ihrer perfidia zu richten und sie damit zum Ausgangspunkt eines exemplarisch inszenierten Vorgehens gegen eine Normtransgression zu machen.33 Es zeigt sich hier also, dass Valerius Maximus die Tarpeia-Episode dazu nutzt, ein Wertesystem tiberianischer Zeit abzubilden, und dafür statische Krisenerzählungen schafft. Diese Werte werden in eine Darstellung von Weiblichkeit hineinprojiziert, die darauf ausgerichtet ist, moralische Exempla durch Verurteilung von uitia zu konstruieren.34 Es wird deutlich, dass das tiberianische Genderkonzept Frauen einen sehr klar definierten und eng gefassten Raum in der Erzählung zuweist und sie jenseits von erzählter Krisendynamik platziert. So gelingt es, Weiblichkeit normativ als Projektionsfläche einer zum Exemplum stilisierten Handlung zu funktionalisieren. Das Muster eines weiblichen Exemplums außerhalb der Krisendynamik verzeichnet auch die Episode der Cloelia. Darin wird in der Rubrik 3,2 de fortitudine ihre Befreiung aus der Geiselhaft im römischen Krieg gegen die Etrusker gewürdigt. Gleichermaßen verortet Valerius nämlich auch ihre Tat in Abhängigkeit von männlicher Exemplarität der voranstehenden Episode des Horatius Cocles.35 Dies 30 Diese Tendenz der Archivierung des Alten und der mythischen Vergangenheit hat Wiegand 2013, 74 bereits als Element der Geschichtsauffassung des Valerius Maximus gedeutet, das sich auch in der Bildkunst seit Augustus widerspiegelt. Dieser Befund bedarf damit einer weiteren Differenzierung, um das Bestreben einer bloßen Archivierung von Krisenwissen deutlich zu machen, das als Folie einer Inszenierung der Exempla dient. 31 Langlands 2011, 114. 32 Vgl. Maslakov 1984, 462. 33 Lucarelli 2007, 144 hat auf die untergeordnete Bedeutung von Töchtern bei Valerius Maximus hingewiesen. 34 Zur Bedeutung der uitia in den Exempla vgl. Skidmore 1996, 55, 79; Loutsch 1998, 32; David 1998, 17. 35 Val. Max. 3,2,1: totumque hostium agmen [...] infatigabili pugna sustinuit.

Krisennarrative der römischen Frühgeschichte im tiberianischen Diskurs

macht der einleitende Rückbezug von Cloelias Darstellung aduersus eundem hostem (3,2,2) bereits deutlich. Zwar weist Roller darauf hin, dass der Darstellung beider Protagonist:innen hier einzig moralische Interessen zugrunde liegen.36 Dennoch ist eine geschlechterspezifische Differenzierung notwendig, um die Funktion von Weiblichkeit in der Krisennarration hinreichend zu bestimmen. Entgegen dem livianischen Leitmotiv der libertas ist die römische Freiheit bei Valerius Maximus kein Anliegen mehr, nachdem das erfolgreiche Handeln des Cocles dargestellt wurde: ut patriam periculo imminenti liberatam uidit (3,2,1).37 Die Konstruktion des Accusatiuus cum Participio gibt hier eine ausdrückliche Zustandsbeschreibung des Staates als liberatam ab,38 der durch den Wahrnehmungsvollzug der Dynamik einer Kriegshandlung entzogen wird. Dies bildet den Rahmen für Cloelias Intervention: equum conscendit celerique traiectu fluminis non solum obsidio se sed etiam metu patriam soluit (3,2,2). Anders als bei Livius fehlt Cloelias Tat so ein argumentativ eingebundener Beitrag zur Beendigung der Belagerung. So ist die Befreiung von metus ihr einzig verbleibendes Verdienst in dieser Darstellung der Krise. Die Krisendarstellung der Facta et dicta memorabilia gründet damit auf einer streng dichotom organisierten Anlage der Handlung, wie der Parameter der Zeit hinsichtlich der Entwicklungsfähigkeit von Figuren und Handlung verdeutlicht. Wie im Folgenden noch zu zeigen ist, konzentriert das Narrativ die Handlung auf einen exemplarischen Kern,39 während die krisenhafte Rahmenhandlung außerhalb dieser Dynamik entwickelt wird. Entscheidend ist dabei, dass bereits Valerius’ Exempla der Königszeit von einer teleologischen Geschichtsauffassung bestimmt sind.40 Entsprechend gering sind also die Handlungsräume für die Protagonisten der Exempla. In der strengen Dichotomie einer »Freund-Feind-Einteilung, wie sie in der Frühzeit Roms noch existierte«,41 konzentriert sich die Erzählung auf das vorbildhafte Handeln Cloelias. Dabei lässt sie eine von äußeren Feinden verursachte Bedrohung sowie die damit einhergehende Reaktion Roms außen vor. Von einer krisenhaften Gemengelage wird also nicht berichtet. Diese Darstellungsweise ermöglicht kein Entwicklungspotential eines Exemplums, wenn der Fortlauf der Handlung außer Frage steht. Ein derartiges Verständnis der Frühgeschichte erklärt die moralische Umdeutung von Cloelias Exemplum, das bei Livius noch im Krisenkontext der libertas, nun aber unter der Rubrik der fortitudo angeführt wird.

36 Vgl. Roller 2004, 32. 37 Zur Bedeutung der geschlechterspezifischen Perspektive des Horatius Cocles und der Cloelia an dieser Stelle vgl. Kapitel 3.1.2. 38 Vgl. Szantyr 1977, 387. 39 Vgl. Kapitel 3.1.2. 40 Vgl. Weileder 1998, 168 erkennt die Ursprünge dieser Darstellungsweise bereits in den Exempla der Königszeit. 41 Vgl. Lucarelli 2007, 179.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Darüber hinaus kennzeichnet diese Ausrichtung den weiblichen Handlungsraum, wenn Tarpeia und Cloelia außerhalb einer Entwicklung der Erzählung platziert werden. Hierin schlägt sich eine teleologische Geschichtsauffassung als Reflex einer tiberianischen Perspektive nieder, in der neben der Hegemonialstellung Roms auch die innerrömische Entwicklung für Valerius bereits gleichermaßen außer Frage steht. Entsprechend wird auch auf Dynamik und Entwicklung zugunsten eines Kontinuitätsdenkens verzichtet.42 So wird deutlich, dass diese ideologische Sicht auf die Frühgeschichte von einer Darstellungsweise geprägt ist, der eine veränderte Krisenwahrnehmung zugrunde liegt. Das Kriterium der Handlungsdynamik verlegt damit die Aufmerksamkeit des Narrativs von einer staatlichen Ebene, die noch im livianischen Geschichtswerk im Zentrum stand und eine historiographische Zielsetzung abbildete, auf eine individuell-figurale Ebene, wenn die Frage nach der moralischen Bewertung der Tat sowohl bei Tarpeia als auch bei Cloelia ausschlaggebend ist. Diese Ereignisse, die in der Historiographie augusteischer Zeit noch als Krisen inszeniert wurden, erfordern in der Exempla-Sammlung des Valerius Maximus nicht nur individualisierte Werte-Exempla,43 sondern schaffen gleichermaßen einen ebenfalls individualisierten Hintergrund für diese. In diesem Bestreben werden nicht nur historische Details reduziert,44 sondern zugleich auch staatliche Krisen zu persönlichen verkürzt. Das römische Selbstbild und die teleologische Geschichtsauffassung tiberianischer Zeit ermöglichen es Valerius auf diese Weise, staatliche Dynamiken außer Acht zu lassen und die Wirkrichtung der Exempla zu verringern. In derart dargestellten Ereignissen kann exemplarisches Handeln selbst nämlich nur noch eingeschränkt auf den Verlauf einer Krise wirken, sodass moralische Wertmaßstäbe vielmehr außerhalb der Kriegsbedrohung als Exempla konstruiert werden.45 3.1.2

Figurale Wertekrisen

Valerius Maximus nutzt Krisenereignisse nach den Prinzipien der teleologischen Geschichtsauffassung als Zustandsbeschreibungen, um Projektionsflächen für Werte-Exempla zu schaffen. Dadurch wird der exemplarische Handlungsraum auf

42 Vgl. Maslakov 1984, 464; Bloomer 1992, 153f.; Weileder 1998, 167f.; Wiegand 2013, 162. Bloomer zeigt in diesem Zusammenhang, dass in Val. Max. 6,3,6 nicht nur der Albanerkrieg selbst, sondern das Interesse an der juristischen Dimension dieses Ereignisses ebenfalls in den Hintergrund tritt. 43 Vgl. Langlands 2011, 104. 44 Vgl. Bloomer 1992, 153. 45 Erst die Instanz der Horatia steht in Verbindung mit dem übergeordneten Krisenkontext. Zur Bedeutung des Geschlechts vgl. Kapitel 3.2.1.1.

Krisennarrative der römischen Frühgeschichte im tiberianischen Diskurs

eine individualisierte Ebene verlegt.46 Diese Verlagerung des Krisenraumes ist dabei mehr als nur die Folge einer Übertragung historiographisch überlieferter Darstellungen in die Textgattung des Exemplums. Vielmehr legt der daraus folgende, angepasste Krisenkontext den Fokus auf den individuell-figuralen Bereich des Exemplums. Ohne Dynamik und ohne Einflussmöglichkeiten auf die verkürzt dargestellte Geschichte ist in den Texten aus tiberianischer Zeit exemplarisches Handeln nur noch mit verringerter Reichweite auf der Figurenebene möglich. In den Facta et dicta memorabilia verschiebt sich somit auch der Raum von Krisen. Nicht staatliche, sondern individuell-figurale Probleme evozieren Exempla, die innerhalb eines individualisierten Krisenzugangs auf der Figurenebene wirksam sind. Diese teleologische Auffassung von Krise stellt ein Muster in der Krisennarration des Valerius Maximus dar, das vor allem in der römischen Frühgeschichte Anwendung findet. Gerade kriegerische Bedrohungen gehen nicht mehr mit moralischen, militärischen oder institutionellen Krisen einher, wie es noch im livianischen Narrativ der Fall war. Dies zeigt die Darstellung der Bedrohung Roms durch Coriolan. In der Rubrik 5,2 de gratis referiert Valerius über die Bedrohung durch die Truppen der Volsker unter der Führung des verbannten Römers. Er knüpft die Bedrohung, die damit einhergeht, eng an die Person des Heerführers: Marcium + patriae conantem +, admotoque portis urbis ingenti Volscorum exercitu funus ac tenebras Romano imperio minantem, Veturia mater et Volumnia uxor nefarium opus exsequi precibus suis passae non sunt.47 (Val. Max. 5,2,1)

Ein bloßer Krieg mit umliegenden Völkern stellt für Valerius ob der erreichten römischen Hegemonialstellung kein Problem mehr dar. Stattdessen wird Marcius als funus ac tenebrae bezeichnet. Dies impliziert ein Krisenverständnis, das auf die Ebene bestimmter Figuren verschoben ist. Auch hier ist es nicht das Vorrücken des Feindes selbst, das ebenfalls durch einen absoluten Ablativ ausgedrückt und damit abgeschlossen ist. Während die äußere Bedrohung so der Dynamik enthoben ist, zeigt das Partizip minantem, dass dieses Problem für Valerius akut ist und das folgende Exemplum Veturias kontextualisiert. Die dem Staat drohenden tenebrae

46 Bereits erkannt von Langlands 2011, 104; vgl. auch Kapitel 3.1.1. 47 Mit ihren Bitten ließen seine Mutter Veturia und seine Ehefrau Volumnia nicht zu, dass Marcius, der einen Versuch unternahm, die Waffen gegen sein Vaterland zu richten und dem römischen Reich, nachdem er ein riesiges Volskerheer vor die Tore der Stadt gebracht hatte, mit Untergang und Verderben drohte, sein ruchloses Werk ausführte. (Zugrunde liegt hier abweichend die Konjektur von Halm, der die stark korrupte Textkonstitution an dieser Stelle durch arma inferre zu heilen versucht.)

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

verweisen damit auf den Kern der Krise, wenn sie in der Exempla-Sammlung die Wirren des späteren Bürgerkrieges beschreiben.48 Mit Veturia mater et Volumnia uxor [...] passae non sunt zeigt die Fokalisierung, dass es der Blick zweier Frauen ist, für die diese Situation zur Krise wird. So verlegt Valerius den Fokus des Erwähnenswerten weg von einem drohenden Krieg zwischen beiden Völkern hin zu einem Problem zwischen dem Mann und seiner Mutter und seiner Ehefrau. Innerhalb dieses Nahverhältnisses wird auch im zweiten Coriolan-Exemplum ein Konflikt zwischen beiden Seiten konstruiert,49 in dem es die pietas des Mannes ist, deren Fehlen erst den Bürgerkrieg auslöst, die ihn dann aber schließlich dazu bewegt, von einem Angriff abzusehen.50 Dieser Konflikt wird aber explizit innerhalb dieses sozialen Gefüges der Familienbeziehung abgebildet, da es der Unwille von Mutter und Ehefrau ist, das nefarium opus Coriolans zuzulassen. Valerius nutzt die sozialen Verhältnisse, um anhand der Wirkmechanismen von gratia und pietas erga parentes et fratres et patriam die Bedeutung dieser Wertebegriffe für das Wohl des Staates abzubilden.51 Beide moralischen Ideale bezeichnen jeweils die Rubriken, denen Valerius die beiden Coriolan-Exempla 5,2,1 und 5,4,1 zuordnet. Mit dem Bezug auf die pietas adaptiert der Moralist hier einen Wert der sozialen Nahbeziehungen.52 Das Exemplum berücksichtigt vor allem mit dem letztgenannten Wert ein moralisches Konstrukt der Bürgerkriegszeit.53 Es offenbart dabei nämlich, dass in tiberianischer Zeit Krisenerzählungen im Rahmen der Nahbeziehungen ihren Ursprung haben und erst daraus eine Krise auf staatlich-institutioneller Ebene abgeleitet wird. Diese heteronormative Inszenierung schafft einerseits einen weiblichen Handlungsraum,54 der andererseits den Rahmen eines Exemplums erzeugt,

48 Val. Max. 7,3,9: qui, cum a triumuiris inter proscriptos nomen suum propositum audisset, continuo praeturae insignia inuasit [...] ac tam audaci usurpatione imperii in maxima luce densissimas hostilibus oculis tenebras offudit. 49 Zur Bedeutung von Nahverhältnissen vgl. Gelzer 1983, 68 und davon ausgehend Lucarelli 2007, 214–216. 50 Val. Max. 5,4,1: ergo pectus dolore acceptae iniuriae, spe potiendae uictoriae, uerecundia detractandi ministerii, metu mortis refertum, totum sibi pietas uacuefecit, uniusque parentis aspectus bellum atrox salutari pace mutauit. 51 Die Präferenz des Staatswohles in den Coriolan-Exempla wurde bereits erkannt von Lucarelli 2007, 107. In einem weiterführenden Schritt bilden diese Nahverhältnisse gesamtgesellschaftliche Strukturen ab. Diese Bildhaftigkeit der sozialen Verhältnisse stellt literarisch die von Weileder 1998, 239 bemerkte Gefahr des Bürgerkrieges dar. 52 Vgl. Rawson 2004, 24. 53 Mueller 2002, 36: »Not only was pietas towards parents valued, but it was in fact one of the Roman virtues par excellence. This private religious value had also in a past not too distant from Valerius’ own day, been carried into the public arena of civil war and celebrated in a great national epic.« 54 Zur Konstruktion normativer Weiblichkeit in der Coriolan-Episode vgl. Kapitel 3.2.1.

Krisennarrative der römischen Frühgeschichte im tiberianischen Diskurs

in dem pietas auf figuraler Ebene abgebildet und schließlich als Wert einer äußeren Krise stilisiert wird.55 Krisen, die in historiographischer Darstellung augusteischer Zeit noch als staatsgefährdend inszeniert wurden, bildet Valerius Maximus auf einer sozialen Ebene ab. Die Beziehungen von Einzelpersonen zueinander repräsentieren dagegen die Krisenhaftigkeit. Valerius Maximus bildet Werteprobleme im Raum der innergesellschaftlichen Nahbeziehungen ab, der den Kontext des weiblichen Krisenhandelns beschreibt. Während auf der staatlichen Ebene, wie oben gezeigt, jegliche Dynamik gehemmt ist, bieten die sozialen Strukturen der Exempla Anhaltspunkte für ein individuelles Krisenhandeln. Mit größter Deutlichkeit zeigt sich diese Verlagerung auf eine sozial eng gefasste Ebene am Beispiel der Ermordung Horatias im Krieg gegen die Albaner, als die Frau um einen Feind trauert und daraufhin von ihrem Bruder ermordet wird: fratris dextera tantum consanguineo quantum hostili cruore gloriae haurire potuit (8,1,abs.1). Entscheidend ist hier, dass Valerius Maximus nur noch dieses figurale Problem, das sich auf der Ebene der Nahbeziehungen artikuliert, für berichtenswert hält. Die politische Dimension ist weitestgehend aus dem Narrativ verschwunden. Diese Gleichsetzung von kriegerisch-staatlichem Krisenmanagement und dem innerhalb familiärer Nahbeziehungen zeigt, dass die Krisen-Memoria dieser Exempla ihren Fokus auf die Ebene sozialer Strukturen in der römischen Gesellschaft verlegt und darin erfolgreiches Handeln in ein Bedingungsgefüge mit dem äußeren Krisenhandeln integriert wird.56 In der Forschung besteht hinsichtlich des tiberianischen Diskurses Konsens darüber, dass dieser von einer ideologischen Darstellungsweise bestimmt ist, die nicht nur die hegemoniale Stellung Roms nicht mehr infrage stellt. Gleichzeitig ist die Erzählung des Valerius auch durch die gefestigten Verhältnisse von Frieden und Herrschaft im Prinzipat geprägt,57 die den Princeps als alleinigen Protagonisten des Zeitgeschehens anerkennt.58 Diese Perspektive ist maßgeblich konstitutiv für den Krisendiskurs tiberianischer Zeit, der innergesellschaftliche Konflikte in einer engmaschigen Sozialstruktur zum Reflex römisch-staatlicher Krisen werden lässt. Während also Rom nach außen hin einen status quo erreicht hat, der nicht mehr verhandelbar ist, stellt die gesellschaftliche Integrität maßgebliches Konfliktpotential dar.59 Indem jegliche Handlungsdynamik auf diese soziale Ebene verlegt wird, zeigt

55 Zur Bedeutung des Raumes in den pietas-Exempla vgl. Skidmore 1996, 68. 56 Lucarelli 2007, 111, 179 hat dieses Exemplum vornehmlich als Abbild eines Vater-Sohn- bzw. eines Bruder-Schwester-Verhältnisses gedeutet. 57 Vgl. Bloomer 1992, 205; Weileder 1998, 253. 58 Vgl. Wiegand 2013, 179. 59 Lucarelli 2007, 12–15 hat auf die Integrität der römischen Sozialbeziehungen – insbesondere der Familien-, amicitia- und Klientelbeziehungen – als bedeutendes Problem der Exempla-Sammlung hingewiesen und sieht deren Bedrohung im Zuge des gesellschaftlichen Umbruchs als wesentlichen

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

sich deutlich die Krisenwahrnehmung des Valerius, der die Handlungsfähigkeit der Protagonisten auf dieser Beziehungsebene inszeniert. Wie der Fall Horatias mit großer Deutlichkeit abbildet, ist die geschlechtliche Regulierung gesellschaftlicher Strukturen der zentrale Gegenstand des Krisenmanagements, das sich in der Handlung des Horatius niederschlägt. Diese Anlage der Exempla verlegt damit die Dynamik auf eine Ebene, die Krise hier in erster Linie vor dem Hintergrund männlich regierter Beziehungen verhandelt. Erfolgreiches Krisenhandeln äußert sich dabei in der Auslöschung innergesellschaflicher Gegner in diesen geschlechtlich definierten Beziehungen. Dies zeigt ebenfalls die Tarpeia-Episode, wenn Valerius die Ermordung Tarpeias – wie auch die der Horatia – exemplarisch inszeniert und bewertet: absit reprehensio, quia impia proditio celeri poena uindicata est (9,6,1).60

3.2

Geschlecht und normative Erinnerung

Das Krisenverständnis bei Valerius Maximus zielt verstärkt auf die Mechanismen sozialer Beziehungen ab und lässt diese zum Raum der Krise werden. Es ist daher zwangsläufig eng mit dem konkreten exemplarischen Wert einzelner Figuren im Werk des Valerius Maximus verknüpft. Im Folgenden soll die Inszenierung einzelner Exempla und der ihnen zugrunde liegenden Genderidentität im Interaktionsfeld des sozialen Raums betrachtet werden.61 Diese Analyse zielt darauf ab, die geschlechterspezifischen Werte des tiberianischen Diskurses zu untersuchen. Ebenso soll davon ausgehend gezeigt werden, wie unter Tiberius bekannte Narrative und die darin abgebildeten Geschlechter- und Wertekonzepte gegenüber der augusteischen Zeit umgedeutet werden. In diesem Kapitel, das sich wesentlichen Konstruktionsmechanismen tiberianischer Weiblichkeitsideale widmet, soll daher ein explizit weibliches Krisenwissen erschlossen werden. So lässt sich die Funktion weiblicher Exempla für den zugrunde liegenden Wertediskurs klären. Darüber hinaus wird dann der Blick auf das Geschlechterverhältnis gelegt, in dem diese weiblichen Exempla verortet werden. Dazu muss auch das männliche Wissen, das die Fokalisierung der Erzählung männlichen Figuren zuschreibt, in geschlechterspezifischer Weise betrachtet werden. So wird der Wert der Memoria, welche Valerius Maximus durch frührömische und repu-

Themenbereich bei Valerius Maximus. Zur anhaltenden Bedeutung dieser Beziehungen im Prinzipat vgl. Verboven 2011, 414f. 60 Gleichermaßen ist die Einbindung Horatias in die Rubrik de seueritate zu bewerten. 61 Die geschlechtlich definierten Rollen innerhalb des sozialen Raumes hat bereits Lucarelli 2007 ihren Analysen zugrunde gelegt, verzichtet aber auf eine explizite Verknüpfung von Geschlecht und Werte-Exemplum.

Geschlecht und normative Erinnerung

blikanische Exempla generiert, in Hinblick auf die Kategorie des Geschlechts in Krisennarrativen bestimmt.62 Die Individualisierung von staatlichen Krisen durch die Verlagerung auf die direkte Mann-Frau-Interaktion schlägt sich deutlich im Genderkonzept des Werkes nieder. So soll in zwei Arbeitsschritten gezeigt werden, dass eine nach den Maßstäben des tiberianischen Diskurses als tugendhaft-ideal empfundene Weiblichkeit im Wesentlichen durch die exemplarische Inszenierung des Männlichen konstruiert wird. Erstens wird dafür die weibliche Innensicht und damit das weiblich vermittelte Wissen der Krisennarration betrachtet, um zu zeigen, dass die soziale Rollenzuschreibung an Frauen bedeutende Auswirkungen auf ihre figurale Perspektive hat. Frauen werden mit ihrer weiblichen Innensicht zu bloßen Folien eines männlichen Krisenhandelns.63 In diesem Zusammenhang ist allerdings die Analyse von Frauengestalten aus dem Bereich des Kultes bemerkenswert, bei denen ein eigener Wertezugang zu religiösen Tugenden wie der weiblichen castitas nachzuweisen ist, was nicht zuletzt als Reflex des sozialen und geschlechtlichen Sonderstatus der Vesta-Priesterinnen zu verstehen ist.64 In einem zweiten Schritt steht die Konstruktion der republikanischen summi uiri im Zentrum der Betrachtungen. Am Beispiel der Inszenierung von Tiberius Gracchus und vor allem von P. Cornelius Scipio Africanus soll die Funktion von Frauen bei der Konstruktion einer von großen Männern bestimmten Memoria analysiert werden. Diese zielt in erster Linie auf männliche Werte-Exempla ab und zeichnet republikanische Helden entsprechend der tiberianischen Erinnerungskultur. Diese steht deutlich im Zeichen einer monumentalen Darstellung von historischen Protagonisten der Republik, wie sie etwa auf dem Augustus-Forum vergegenwärtigt werden.65 Um ein Verständnis traditioneller uirtus in den neuen politischen Umständen des Prinzpats zu etablieren,66 erhält Weiblichkeit zur Konstruktion einer männlichen Memoria daher eine entscheidende Bedeutung.

62 Der spezifische Wert der frührömischen Exempla ist für das Werk des Valerius Maximus noch nicht hinreichend ergründet, da verallgemeinernd auch noch republikanische Exempla in der Kategorie der alten Exempla subsumiert wurden, vgl. etwa Wiegand 2013, 149. 63 Lucarelli 2007, 164, 167, 178 hat bereits auf die exemplarische Darstellung von Männern in den Kapitel 4,6 de amore coniugali, 6,7 de fide uxorum erga uiros und auch 6,3 de seueritate hingewiesen; zu Kapitel 6,3 auch Honstetter 1977, 89; Maslakov 1984, 469. 64 Zur Ambiguität der genderspezifischen Rolle von Vestalinnen vgl. überblicksartig Beard 1980, 21: »Thus the ambiguity of their sexual status, the way they share the characteristics of virgins, matrons and even men need to be regarded [...] as a crucial element in designating their sacredness.« Ähnlich Hallett 1989, 68. 65 Gowing 2005, 138f., 157 hat hinsichtlich der Wirkung für die Republik-Memoria auf die Nähe der Exempla-Sammlung zum Augustus-Forum und auf die Kraft monumentaler Darstellungen hingewiesen; ähnlich auch Hölkeskamp 2012, besonders 399–406. 66 Vgl. Maslakov 1984, 454.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Diese Praxis der Erinnerung, welche der »Bestätigung geltender Ideologien, Werte und Orientierungen dient«67 , stellt Frauen in den Dienst einer männlich regierten Memoria und schreibt dieser einen normativen Wert zu. Der Befund einer normativen Geschlechterordnung, die sich mithilfe der epistemischen Anlage der Exempla aufzeigen lässt, hilft dabei, die Gestalt und den Wert der frühen römischen Geschlechterverhältnisse in tiberianischer Zeit beurteilen zu können. Dabei soll vor allem anhand dieser männlich geprägten Erinnerung nachgewiesen werden, dass Valerius hierüber teleologisch den Aufstieg Roms zu imperialer Größe nachzeichnet und in der zeitgenössischen Erinnerungskultur verankert.68 Dafür soll in den nachfolgenden Betrachtungen die moralische Bedeutung der weiblichen Exempla geklärt werden, mit der sie in ihrer Funktion als weibliche Katalysatoren einer normativ-männlichen Exemplarität dienen. Auf diese Weise wird eine männlich regierte Geschlechterordnung und eine Konstruktionsweise geschlechtlich markierter Exempla sichtbar. Valerius Maximus konstruiert in diesen Narrativen der Königszeit und der frühen bis hohen Republik Genderund Werteideale des tiberianischen Diskurses.69 Die folgende Untersuchung zielt somit darauf ab zu zeigen, dass Frauen darin als Folien männlich figurierter Ideale dienen. Dadurch wird ein normativer Exempla-Bestand geschaffen, der einer geschlechtlich vermittelten Degeneration der römischen Moral in der späten Republik gegenübersteht. Valerius lässt diese Negativbeispiele in der chronologischen Anordnung der einzelnen Rubriken auf die jeweils einleitend präsentierten Werteideale der römischen Vergangenheit folgen. Die Exempla, die diese Degeneration von Werteidealen aufweisen, werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit untersucht, um eine akute Krisenwahrnehmung aus dem Bürgerkriegsnarrativ herauszuarbeiten.70 Darüber hinaus soll in diesen älteren Exempla ein Männlichkeitsbegriff definiert werden, der als Reflex der imperialen Herrschaft unter Tiberius und dessen kaiserliche Handlungsmacht in moralischen Belangen zu bewerten ist,71 die am Kriterium des Geschlechts sichtbar wird.

67 Hölkeskamp 2012, 406; ähnlich Gowing 2005, 56f. 68 Vgl. Weileder 1998, 167–171; Hölkeskamp 2012, 401, 406. 69 Zur konstitutiven Wirkung der späten Republik und der frühen Kaiserzeit auf die Narrative der Frühzeit vgl. Gowing 2010, 254. 70 Vgl. Kapitel 5. 71 Val. Max. 1,praef.: te igitur [...] certissima salus patriae, Caesar, inuoco. Vgl. Honstetter 1977, 76; Maslakov 1984, 446; Bloomer 1992, 153, 227; Gowing 2010, 254. Zur Inszenierung des Tiberius als Wächter imperialer Moral vgl. beispielhaft Skidmore 1996, 60–62.

Geschlecht und normative Erinnerung

3.2.1

Die Episteme der Weiblichkeit

Weiblichkeit wird in der Exempla-Sammlung im Wesentlichen über zwei Faktoren erzeugt, die im Folgenden zu bestimmen sind. Der erste Faktor bezeichnet einen explizit weiblichen Wissensbestand, den Valerius Maximus seinen weiblichen Exempla zuschreibt und welcher in einem ersten Schritt definiert werden soll. Dabei steht vorwiegend eine matronale Perspektive im Fokus, welche bereits wesentlich durch die oben gezeigte Zuweisung eines weiblichen Raumes in der unmittelbaren Mann-Frau-Beziehung der Krise festgelegt ist.72 Valerius’ Krisenerzählung lässt Veturia in der Coriolan-Episode und Horatia in der Darstellung des Krieges gegen Alba Longa jeweils im sozialen Raum der Nahbeziehungen auftreten. Diese Verortung und die daraus erwachsene Perspektive der Frauen auf die Krisen ist von zentraler Bedeutung für die weiblichen Werte-Exempla. Weibliche Figuren und ihre Ideale werden nicht mehr wie bei Livius im Kontext der concordia geschaffen, sondern durch die weibliche Innensicht bestimmt, durch welche sie dezidiert als Frauen auf diese Krisen blicken. Die konservative Konstruktion weiblicher Exempla im matronalen Bedeutungsbereich am Maßstab der mores maiorum wird damit zur beherrschenden Tendenz des tiberianischen Genderdiskurses, der von einer Degeneration weiblicher Moral gekennzeichnet ist.73 Auf der einen Seite schafft Valerius auf diese Weise eine stereotyp weibliche Innensicht, mit der sie ausdrücklich als Frauen ihrer Rolle entsprechend einen epistemischen Zugriff auf einen weiblichen Wissensbestand erhalten. Somit wird durch ihre figurale Perspektive die weibliche Genderidentität abbildet. Dieser Inszenierung normativer Weiblichkeit steht auf der anderen Seite eine explizit männliche Perspektive gegenüber, welche im Sinne einer grundsätzlich männlich regierten Geschlechterordnung die exemplarische Konstruktion von weiblichen Exempla leitet. Die Fokalisierung macht dabei eine qualitative Unterscheidung des genderspezifischen Wissens erkennbar. Diese männliche Innensicht spiegelt insbesondere die Bedeutung der Kategorie des Geschlechts für die Narration kultischer Exempla in den Facta et dicta memorabilia wider: Die Abbildung kultischer Belange ist als Reflex einer veränderten Realität zu deuten, die politische Bedeutung erhält und die Konstitution der geschlechtlich markierten Moralvorstellungen des tiberiani-

72 Vgl. Kapitel 3.1.1. 73 Zur Darstellung einer weiblich markierten Degeneration bei Valerius Maximus vgl. Mueller 2002, 2. Diese Umdeutung der Funktion von Weiblichkeit wurde von Maslakov 1984, 454 als eine Manipulation der Geschichte bezeichnet, auf deren Grundlage Valerius Exempla für die private und öffentliche Moral schaffen könne. Zur besonderen Bedeutung einer konservativen Auslegung der weiblichen Sexualmoral im tiberianischen Werte- und Geschlechterdiskurs vgl. Langlands 2006, 126.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

schen Diskurses spiegelt.74 Auf dieser Grundlage soll also als zweiter Faktor der Inszenierung von Weiblichkeit der männliche Wissensbestand analysiert werden, der zur Konstruktion weiblicher Exempla genutzt wird und die normative Wirkung kultischer Belange auf die Kategorie des Geschlechts überträgt.75 Dazu sollen die geschlechterspezifischen Inszenierungen von Vestalinnen in 1,1 de religione und 5,4 de pietate erga parentes et fratres et patriam genutzt werden, um diese männliche Perspektive zu betrachten.76 Ihr gegenübergestellt wird ein weiblicher Wertezugriff einer Vestalin in 8,1 infames rei quibus de causis absoluti aut damnati sint. Hier ist die Genderidentität in Abhängigkeit von ihrem Exemplum der castitas zu prüfen,77 weil dieser Wert im kultischen Bereich den idealen Wissensbestand einer Frau beschreibt. Über einen männlich regierten Wertekosmos hinaus wird hierbei deutlich, dass anders als bei Livius in tiberianischer Zeit das weibliche Sittenideal der castitas nicht mehr männlich organisiert ist. Vielmehr zeigt ein figuraler Wertezugriff von Frauen, dass dieses Ideal bereits Eingang in das Normenkonzept der Frau gefunden hat. 3.2.1.1 Männliches Wissen und ideale Weiblichkeit

In seiner Konstruktion eines sozialen Raumes kommt der Rolle von Frauen eine besondere Bedeutung zu, da Valerius Maximus ein Geschlechterkonzept entwirft, das Frauen in die römische Gesellschaft integriert. Seine Exempla-Sammlung postuliert dabei ein Frauenbild, das weit konservativer ist als das des Livius, was sich bereits aus der Anlage des Geschlechterhandelns innerhalb der dort geschaffenen gesellschaftlichen Ordnung offenbart. Männlich geprägte Hierarchien werden in der Exempla-Sammlung streng eingehalten und definieren auf diese Weise den weiblichen Raum klar. Die daraus resultierenden Genderidentitäten von Frauengestalten vermittelt Valerius Maximus vor allem über einen geschlechtlich definierten Zugriff auf genuin weibliches Wertewissen. Damit lassen sich diese Frauen als stereotyp weiblich charakterisieren.78

74 Mueller 2002, 2: »In Valerius’ own times, Tiberius too had trouble filling the post. Patrician remained unwilling to marry according to the ritually prescribed form of confarreate marriage, a union stipulating that the wife enter into the manus, of full legal power, of her husband [...] The restored religion of the restored republic mirrored a changed political reality.« 75 Zur besonderen normativen Wirkung kultischer Exempla in Buch 1 vgl. Honstetter 1977, 45; ähnlich Wardle 1998, 25; Mueller 2002, 4. 76 Zum normativen Wert kultischer Exempla des ersten Punischen Krieges vgl. auch Wardle 2005, 384. 77 Zur castitas als bedeutender weiblicher Wert im kultischen Kontext bei Valerius Maximus vgl. exemplarisch Mueller 2002, 53; ähnlich Wildfang 2006, 54f. 78 Referenzpunkt hinsichtlich der Beurteilung von Weiblichkeit bilden die Ergebnisse zu den parallel überlieferten Frauengestalten bei Livius, vgl. Kapitel 2.1.3.

Geschlecht und normative Erinnerung

Wie in der Analyse des exemplarischen Handlungsraumes von Weiblichkeit gezeigt wurde, wird die Bedrohung Roms durch die Volsker unter Coriolan als ein Problem auf der familiären Beziehungsebene zwischen dem Sohn, seiner Mutter und seiner Ehefrau dargestellt. Dieser Befund impliziert bereits ein zugrunde liegendes Geschlechterkonzept,79 in dem Valerius im Kapitel de pietate erga parentes et fratres et patriam diesen Konflikt als familiäres Problem konstruiert, wenn er beide Frauen in ihrer verwandtschaftlichen Beziehung zu Coriolan auftreten lässt: tunc Veturia mater Coriolani, Volumniam uxorem eius et liberos secum trahens, castra Volscorum petiit. quam ubi filius aspexit, »expugnasti«, inquit »et uicisti iram meam, patria, precibus huius admotis, cuius utero quamuis merito mihi inuisam dono«, continuoque agrum Romanum hostilibus armis liberauit.80 (Val. Max. 5,4,1)

In diesem wie auch im vorausgegangenen Coriolan-Exemplum (5,2,1) wird die Inszenierung der Frauen durch explizit weibliche Wege der Einflussnahme auf den Mann ausgefüllt, wenn er durch preces zum Abzug bewegt wird.81 Die Schlussfolgerung, »dass der Aktionsbereich einer Mutter auch deutlich über domus und Familie hinausreichen konnte«82 , erscheint so allenfalls in Bezug auf den Raum, nicht aber auf die soziale Interaktion ergiebig, da Valerius sie hier mit ausdrücklich weiblichen Handlungsweisen versieht. Frauen werden hier nicht nur durch ihre Rolle geschlechtlich markiert. Zugleich ergibt sich ihre Genderidentität auch aus dem Wertezugriff und der daraus entstehenden hierarchischen Ordnung. Die fehlende weibliche Handlungsmacht gegenüber Coriolan resultiert dabei aus einer Konstruktion des Exemplums: Wenn Valerius Maximus diese Erzählung unter der Rubrik de pietate erga parentes et fratres et patriam fasst und damit den Wert der pietas zum Maßstab des Figurenhandelns macht, wird deutlich, dass allein der Mann dieses Ideal abbildet. Frauen sind hingegen selbst weder Trägerinnen noch Rezipientinnen des Exemplums.83 Exemplarische Handlungsmacht wird allein dem Mann zugeschrieben: Einerseits wird Veturias Aufbegehren aus der Perspektive

79 Durch dieses können die Beobachtungen der Analysen des sozialen Raumes bei Valerius Maximus von Lucarelli weitergehend differenziert werden können. 80 Dann eilte Veturia, die Mutter Coriolans, mit dessen Ehefrau Volumnia und Kindern an ihrer Seite in das Lager der Volsker. Sobald ihr Sohn sie erblickt hatte, sagte er: »Du, Heimat, hast meinen Zorn bezwungen und besiegt, indem du die Bitten der Frau zu Hilfe genommen hast. Wegen ihres Mutterleibes verzeihe ich dir, die du mir noch so verdientermaßen verhasst bist!« Und unmittelbar darauf befreite er das römische Gebiet von den feindlichen Waffen. 81 Val. Max. 5,2,1: Veturia mater et Volumnia uxor nefarium opus exsequi precibus suis passae non sunt. 82 Lucarelli 2007, 135. 83 Vgl. dazu auch ebd., 109.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Coriolans mit precibus huius admotis erfasst, andererseits schreibt Valerius ihm auf dieser Grundlage allein das Vermögen zu, die Krise zu lösen, indem jegliches Handeln aus seiner Warte fokalisiert und artikuliert wird: aspexit [...] inquit [...] liberauit. Indem der Mann auf das Bitten der Mutter hin auf seine pietas zugreifen und diese krisenlösend einsetzen kann, bleibt den Frauen hingegen ein Wertewissen vorenthalten. Die Anlage des Figurenwissens zeigt, dass sie in Valerius’ Exempla keinen Zugriff auf diesen Wert haben. Stattdessen aktivieren sie ihn lediglich in ihrer Rolle des sozialen Gefüges, das ihnen keinen Handlungsraum in der Krise zugesteht.84 Unter dem Gebot der pietas wird eine Familienbindung abgebildet, die nicht nur ein rollenspezifisches Ideal eines Sohnes formuliert,85 sondern ebenso die Rolle der Frau definiert. Sie wird zum Katalysator eines männlich organisierten moralischen Exemplums. Ihr fehlender Zugriff auf diesen Wert legt ihre Genderidentität fest und macht pietas zu einem Wert, der von Männern verhandelt, aber nicht gegenüber Frauen, sondern über diese hinweg schlussendlich dem Staat erwiesen wird.86 Langlands hat den Wert der pietas in der Rubrik pietas erga patriam explizit als einen männlichen Wert identifiziert, der nicht nur von Coriolan in seinem Handeln für sein Vaterland zum Ausdruck gebracht wird. Auch das patriotische Handeln römischer Helden wie Mucius Scaevola und Marcus Curtius wird in diesem Zusammenhang als männlich gekennzeichnet, da sie mit ihrer Männlichkeit sinnbildlich für die Macht Roms stehen.87 So wird deutlich, dass die Kategorie des Geschlechts für Valerius Maximus maßgeblich die Konstruktion von Werte-Exempla bestimmt. Explizit weibliche Wissensbestände werden dabei genutzt, um Frauen zu Katalysatoren männlicher Exempla zu machen. Ein ideales männliches Wertebewusstsein steht dabei dem Wissen über weibliche Ideale gegenüber. Diese Funktion von Weiblichkeit, die als Projektionsfläche eines vorbildhaften Männerhandelns dient, liegt ebenso den Exempla Horatias und Tarpeias zugrunde. Beide Erzählungen machen den Wert der pietas zum Maßstab des Frauenhandelns und tadeln die Frauen als impia. Die geschlechterspezifische Anlage folgt dafür auch hier einer männlich gelenkten Hierarchie, die beispielhaft anhand der Ermordung Horatias und dem folgenden Freispruch ihres Bruders aufgezeigt werden soll:

84 Auf die hierarchische Struktur der pietas, die gegenüber Eltern zu erweisen ist, und auf die Probleme der Definition einer sozialen Struktur des Wertes hat Saller 2004, 146 hingewiesen. 85 Vgl. Honstetter 1977, 36. 86 Wiegand 2013, 63 knüpft die pietas an die Person des pater familias und versteht diese als einen reziproken Wert, der zwischen Männern verhandelt wird. Entsprechend hat Lucarelli 2007, 109 bereits erkannt, dass die Mutter nicht als Empfängerin der pietas gelten kann, sondern diese zugunsten des Staatswohles artikuliert wird. Somit beschreibt pietas hier nicht, wie es Schröder 2012, 345 formuliert hat, eine hierarchische Ordnung zwischen Mutter und Sohn. An dieser Stelle zum Staat als Rezipienten der pietas vgl. Kapitel 3.4. 87 Vgl. Langlands 2018, 34–36.

Geschlecht und normative Erinnerung

M. Horatius, interfectae sororis crimine a Tullo rege damnatus, ad populum prouocato iudicio absolutus est. quorum alterum atrocitas necis mouit, alterum causa flexit, quia immaturum uirginis amorem seuere magis quam impie punitum existimabat.88 (Val. Max. 8,1,abs.1)

Diese Argumentation, die sich auf seueritas und pietas beruft, bedient sich einer heteronormativ organisierten Geschlechterordnung. Sie kommt vor allem in der Begründung zum Ausdruck, mit der die Ahndung von Horatias Liebe als seuere magis quam impie punitum bezeichnet wird: Die Strenge des Bruders bildet nachdrücklich eine männliche Macht über das weibliche Geschlecht ab,89 wie es bereits im vorangegangenen Horatius-Exemplum (6,3,6) in der Rubrik de seueritate inszeniert wurde.90 Die seueritas in Horatius’ Vorgehen ist dabei konstitutiv für die Genderidentitäten, da sie seine Schwester als eine Projektionsfläche für sein Exemplum nutzt. Dies ist maßgeblich auf die männliche Übermacht in dieser sozialen Beziehung angewiesen, die zum Ausgangspunkt des vorbildhaften männlichen Handelns wird. Die Verlagerung auf ein Genderproblem im familiären Kontext ermöglicht es Valerius, die juristische Dimension dieses Falls außer Acht zu lassen,91 und vermittelt ein geschlechtlich definiertes Machtgefüge in diesem sozialen Raum. So trägt die Anlage der Genderidentitäten maßgeblich dazu bei, Frauen als Folie des moralisch idealisierten Männerhandelns zu inszenieren. Dabei wird deutlich, dass Männer diejenigen sind, die diese Werte aktiv verhandeln, indem sie einen Werteanspruch artikulieren, der auf dieser Folie normativer Weiblichkeit sichtbar wird. Die Beispiele von Coriolan (pietas) und Horatius (seueritas und pietas) zeigen, dass ein männlich fokalisiertes Wertewissen mit männlicher Handlungsmacht einhergeht. Die Männer treten dadurch für die Werte ein, indem sie diese selbst hervorbringen oder von Frauen einfordern. Beiden Möglichkeiten der Konstruktion von pietas ist somit gemein, dass eine männliche Macht auf die Einhaltung eines Wertes abzielt, der als soziale Tugend im Kontext der Familie eine familiäre

88 M. Horatius ist, obwohl aufgrund des Mordes an seiner Schwester von König Tullus verurteilt, vor dem Volk freigesprochen worden. Den König bewegte die Abscheulichkeit des Mordes, das Volk erweichte der Grund dafür, da es glaubte, die verfrühte Liebe des Mädchens sei eher streng als frevelhaft bestraft worden. 89 Lucarelli 2007, 188 deutet die aus der Strenge resultierende zweifache Erwähnung des Gerichtsverfahrens gegen Horatius in 6,3,6 und 8,1,abs.1 als Indiz für eine kontroverse Bewertung seiner Tat. 90 Auf das Geschlecht als Ordnungskriterium des Kapitels 6,3 de seueritate hat bereits Honstetter 1977, 64 hingewiesen. 91 Vgl. Bloomer 1992, 154.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Hierarchie abbildet.92 Zusätzlich nutzt die Erzählung bei einer Erweiterung des sozialen Raumes wie etwa bei Tarpeia in der Genderinteraktion dieselbe Hierarchie, um dieses Exemplum geschlechtlich zu markieren: Sie fällt als impia (9,6,1) ebenfalls einer männlichen Handlungsmacht zum Opfer, die ihr Vergehen tadelt. Dabei agieren Frauen stets nach den Rollenerwartungen, die der Text an sie stellt: Horatia unterliegt als soror und uirgo den Mechanismen der seueritas ihres Bruders, der diese im Sinne der pietas artikuliert.93 Ebenso zeigt die Einordnung Veturias in den matronarum ordo (5,2,1), dass hier das Ideal der Matrona den Rahmen des Erwartbaren vorgibt. Eine weibliche Performanz der beteiligten Frauen ist damit konstitutiv für eine männlich organisierte Inszenierung von Werteidealen. Eine derartige Anlage der Geschlechterrollen legt in den abgebildeten verwandtschaftlichen Nahbeziehungen, die von Valerius krisenhaft dargestellt werden, ein normatives Weiblichkeitskonzept offen, das pietas zum entscheidenden Wert in diesem sozialen Raum erhebt. Lucarelli hat bereits gezeigt, dass diese konfliktualisierten Verwandtschaftsbeziehungen und die zugrunde liegenden Werteprobleme stets öffentlich verhandelt werden.94 Indem dabei pietas zum geschlechtlich markierten Postulat wird, das auf der Darstellung eines spezifischen Weiblichkeitsbildes gründet, entsteht ein Geschlechterkonzept, das im öffentlichen Raum normative Wirkung erhält.95 3.2.1.2 Kultische Weiblichkeit und Genderambivalenz

Die Facta et dicta memorabilia spiegeln deutlich die besondere Bedeutung des Kultischen und der Religion in der tiberianischen Zeit wider,96 sodass auch hier die Funktion von Weiblichkeit für die Abbildung eines Wertekonstrukts zu klären ist. So konnte bereits gezeigt werden, dass bei Livius’ Darstellungen der Hinrichtungen von Vesta-Priesterinnen aufgrund eines vermuteten Verstoßes gegen das castitas-Gebot Eingang in die Krisennarration fanden, in der ein männlicher Wertezugriff die genderspezifische Inszenierung bestimmte.97 Bei Valerius Maximus hingegen wird nicht nur eine veränderte zeitliche Ausrichtung der Erzählungen von Vestalinnen-Vergehen evident, wenn vor allem Exempla aus der Epoche des zweiten Punischen Krieges präsentiert werden. Ebenso zeigt sich eine deutlich abweichende Zuschreibung geschlechtlich markierter Werte: Zwar platziert Valerius

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Vgl. Schröder 2012, 341. Vgl. Lucarelli 2007, 187. Vgl. ebd., 55f. Zur öffentlichen Wirkung normativer Weiblichkeit und der damit einhergehenden Verstaatlichung von geschlechtlich definierten Beziehungen vgl. Kapitel 3.4. 96 Vgl. Mueller 2002, 4. 97 Vgl. Kapitel 2.2.2.2.

Geschlecht und normative Erinnerung

in der Rubrik 1,1 de religione gleichermaßen die Figur des Pontifex Maximus als Rezeptionsinstanz der castitas-Exempla von Vestalinnen und erzeugt dadurch eine männlich regierte Geschlechterordnung.98 Dennoch weist die Exempla-Sammlung eine deutlich von Livius abweichende geschlechtliche Konstruktion dieses vestalischen Ideals auf. So soll im Folgenden ein Genderkonzept der castitas nachgewiesen werden. Dies basiert einerseits auf männlicher Handlungsmacht; andererseits zeigt aber die Fokalisierung in der Erzählung der Vestalin Tuccia (8,1,abs.5) beispielhaft, dass diese Tugend in weiblichen Wissensbeständen verankert ist. Mit Blick auf diese geschlechtliche Konstruktion von Werte-Exempla ist die vielfach bemerkte Orientierung des Valerius an traditionellen und konservativen Idealen kultischer Belange zu differenzieren,99 um ein tiberianisches Verständnis von kultischer Weiblichkeit in moralischer Hinsicht zu formulieren. Die Ausrichtung von Weiblichkeit als bloße Projektionsfläche einer männlichen Handlungsmacht, die einen rein performativen Rückbezug auf die rituellen Praxen der maiores sichtbar macht, zeigt das Exemplum einer anonymen Vestalin. Sie wird für das Erlöschen des Feuers im Tempel vom Pontifex Maximus gemaßregelt. Dieser Episode setzt Valerius das nachfolgende Beispiel einer Schülerin der Vestalin Aemilia als Korrektiv zur vorangegangenen Nachlässigkeit hinzu: adiciendum his, quod P. Licinio pontifici maximo uirgo Vestalis, quia quadam nocte parum diligens aeterni ignis custos fuisset, digna uisa est, quae flagro admoneretur. maxime uero uirginis Aemiliae discipulam extincto igne tutam ab omni reprehensione Vestae numen praestitit. qua adorante, cum carbasum, quem optimum habebat, foculo imposuisset, subito ignis emicuit.100 (Val. Max. 1,1,6f.)

Diese Darstellung der beiden Frauen ermöglicht Aussagen über die geschlechterspezifischen Werteideale der Vestalinnen bei Valerius Maximus und Rückschlüsse auf das Narrativ des zweiten Punischen Krieges in der Exempla-Sammlung. Beide Beispiele zeigen, dass ein männlich regierter Wertekosmos zentral für die Rolle

98 Zur Bedeutung des Pontifex vgl. Val. Max. 1,1,1: maiores statas sollemnesque caerimonias pontificum scientia [...] explicari uoluerunt. Vgl. dazu auch Wardle 1998, 21; Mueller 2002, 47–49. 99 Vgl. exemplarisch Wardle 1998, 24f. 100 Diesen Dingen ist hinzuzufügen, dass eine vestalische Jungfrau dem Pontifex Maximus P. Licinius würdig schien, mit der Geißel gezüchtigt zu werden, weil sie eines Nachts nicht aufmerksam genug das ewige Feuer bewacht hatte. Besonders aber hielt die göttliche Macht der Vesta eine Schülerin der vestalischen Jungfrau Aemilia geschützt vor jedem Tadel, nachdem das Feuer erloschen war. Während sie betete, schoss plötzlich die Flamme hervor, nachdem sie das beste Leinentuch, das sie besaß, in den Herd gelegt hatte.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

der Vestalinnen ist. Der Pontifex Maximus wird in dieser Episode zur urteilenden Instanz, da ihm das Wissen über die Pflichten der Vestalinnen zugeschrieben wird: P. Licinio pontifici maximo uirgo Vestalis [...] digna uisa est. Valerius schreibt dem Mann daher die Sorge um die Flamme im Tempel der Vesta zu und stellt damit in erster Linie die rituelle Funktion von Weiblichkeit sowie die Disziplin der Frau in den Vordergrund.101 Über den Priester wird somit das für die Vestalinnen postulierte Werteideal fokalisiert. Aus diesem Figurenwissen folgt seine Handlungsmacht, wenn er für die Bestrafung für eine fehlenden Pflichterfüllung verantwortlich gezeichnet wird. Die Frau dient in ihrer kultischen Funktion dabei als Projektionsfläche dieser männlichen Handlungsmacht für die religiösen Belange, die bei Vergehen von Frauen sichtbar wird. Religion und kultische Ideale sind in Valerius’ Narrativ des zweiten Punischen Krieges Männersache. Durch die figurale Perspektive des Mannes werden weibliche Pflichten gegenüber den Göttern abgebildet und damit die Rolle der Frau durch einen männlich vermittelten Wissensbestand definiert.102 Somit schafft Valerius Maximus ein weibliches Normenkonstrukt, das die weibliche Pflicht in das Ermessen eines Mannes stellt. Indem dieses Exemplum auf der Wahrnehmung einer figuralen Perspektive aufbaut, wird die Darstellung stark individualisiert. Anders als die livianische Version dieses Ereignisses, die diesen Vorfall im Tempel der Vesta aus auktorialer Sicht und als Ausdruck eines institutionalisierten Krisenhandelns wie in den übrigen Vestalinnen-Episoden vermittelt,103 basiert diese Darstellung wesentlich auf einer dezidiert männlichen Sicht und wird so zu einem Geschlechterproblem. Diese Inszenierung von Vestalinnen, die in der Darstellung der Schülerin der Vestalin Aemilia mit der Emphase weiblicher Pflichten beim Erhalt des Herdfeuers ihr Korrektiv findet,104 vermittelt den geschlechtlich markierten Wissensbestand von Weiblichkeit der Vesta-Priesterinnen. Dieser ergibt sich aus der Struktur beider Exempla: Innerhalb der Mann-Frau-Beziehung bildet Valerius das Vergehen einer Priesterin aus einer männlichen Perspektive ab, während die Unschuld und somit auch die weiblich-religiöse Integrität der Schülerin Aemilias anhand der Rezeption des Exemplums durch die Gottheit erwiesen wird, die das Feuer wieder aufleuchten lässt.105

101 Vgl. Wardle 1998, 93; Mueller 2002, 47f. 102 Zur Kategorisierung des ersten Buches als religiösen Pflichtenkatalog vgl. Honstetter 1977, 26, 45. 103 Liv. 28,11,6: plus omnibus aut nuntiatis peregre aut uisis domi prodigiis terruit animos hominum ignis in aede Vestae exstinctus, ob quam causam caesa flagro est Vestalis, cuius custodia eius noctis fuerat iussu P. Licini pontificis. Zur institutionalisierten Bestrafung von Vestalinnen bei Livius vgl. Kapitel 2.2.2.2. 104 Vgl. Mueller 2002, 49. 105 Vgl. Wildfang 2006, 86.

Geschlecht und normative Erinnerung

An dieser Stelle offenbart sich jedoch eine Dichotomie in der Genderidentität der Vestalinnen. Während Valerius ihre Vergehen durch die männliche Handlungsmacht des Pontifex Maximus zu züchtigen weiß, ermöglicht er vorbildhaft inszenierten Frauen durchaus ein eigenes Wertewissen über das Ideal der castitas. Dies zeigt das Exemplum der Vestalin Tuccia, die sich auf ihre castitas berufen und sich so vom Vorwurf der Unkeuschheit freisprechen kann. Obgleich sie im Verdacht des incestum steht, beruft sie sich im sicheren Bewusstsein ihrer Unschuld selbstständig auf ihre castitas.106 So bildet Valerius das für die rituelle Disziplin nötige Wertewissen durch eine weibliche Innensicht ab: »Vesta«, inquit, »si sacris tuis castas semper admoui manus, effice, ut hoc hauriam e Tiberi aquam et in aedem tuam perferam.«107 (Val. Max. 8,1,abs.5)

Auf der einen Seite lässt Valerius die Vestalin mit ihrer Figurenrede nachdrücklich selbst auf ihre eigene Tugendhaftigkeit hinweisen, indem sie sich auf ihre castae manus beruft. So befähigt die Erzählung die Frau dazu, auf der Grundlage ihres eigenen figuralen Wertewissens für ihre Unschuld und das weibliche Ideal der castitas einzutreten. Durch diese weibliche Innensicht auf das Werteproblem ist sie imstande, als Exemplum wirksam zu werden. Sie kann sich an eine göttliche Rezeptionsinstanz ihrer Tugend zu wenden, um die Unschuld zu beweisen und als Wertevorbild Geltung zu erhalten.108 Auf der anderen Seite nutzt Valerius hier ähnlich wie Livius ein transgressives Auftreten der Vestalin, das mit audaciter et temere (8,1,abs.5) beschrieben wird, zur Affirmation weiblicher Ideale.109 So wird sichtbar, dass Valerius nicht nur die castitas selbst weiblich markiert, sondern der Frau zur eigenständigen Behauptung dieser Tugend transgressiven Handlungsspielraum zugesteht. Der Zugriff auf die eigene castitas einerseits und die männliche Zuständigkeit für die rituellen Pflichten andererseits sind kennzeichnend für die Konstruktion kultischer Genderidentitäten. Die historische Forschung gesteht den Vestalinnen einen genderspezifischen Sonderstatus zu, der aufgrund ihrer Privilegien, die sich

106 Val. Max. 8,1,abs.5: eodem auxilii genere Tucciae uirginis Vestalis, incesti criminis reae, castitas infamiae nube obscurata emersit. quae conscientia certa sinceritatis suae spem salutis ancipiti argumento ausa petere est. 107 »Vesta«, sagte sie, »wenn ich deinen Kult immer mit keuschen Händen vollzogen habe, sorge dafür, dass ich so Wasser aus dem Tiber schöpfe und in deinen Tempel bringe.« 108 Val. Max. 8,1,abs.5: audaciter et temere iactis uotis sacerdotis rerum ipsa natura cessit. Zur göttlichen Rezeption weiblich-religiöser Tugend vgl. auch Wildfang 2006, 85f.; Cancik-Lindemaier 2000, 113; Langlands 2006, 73. 109 Zur Affirmation von weiblichen Idealen durch punktuelle Gendertransgressionen vgl. Kapitel 2.2.1.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

aus ihrem Amt ergeben, und ihrer sozialen Funktion evident wird.110 Bei Valerius Maximus wird deutlich, dass die Priesterinnen zwar nach den geschlechtlichen Maßstäben des Wertediskurses der tiberianischen Zeit inszeniert werden.111 Allerdings konnte insbesondere die Analyse der Tuccia-Episode dieses Bild für Valerius Maximus differenzieren: Die Fokalisierung zeigt, dass der tiberianische Genderdiskurs einer Vestalin ein figurales Wertewissen zugestehen kann und dies mit Handlungsmacht für die Einhaltung des castitas-Gebotes in Verbindung bringt. Zugleich konnte eine männliche Sorge für die vestalische Reinheit nachgewiesen werden. Diese geschlechtliche Dichotomie aus weiblich erzeugten Werteidealen auf der einen und deren männlicher Rezeption auf der anderen Seite bildet die Ambivalenz der vestalischen Genderidentität im Werk des Valerius Maximus ab. Frauen werden hier selbstständig in den Dienst des Kultes gestellt, was die Rezeption ihres Exemplums durch die Göttin zeigt,112 sodass der tiberianische Genderdiskurs in diesem Bereich eine eindeutig weibliche Handlungsmacht abbildet.113 Diese Inszenierung der weiblichen Moral ist im zeitgenössischen Diskurs als Abbild einer Annäherung der Vestalinnen an die Kaiserfamilie zu verstehen, in der die Priesterinnen die moralische Integrität der Frauen im Haus des Tiberius repräsentieren.114 Somit erhält die moralisch integre Weiblichkeit der Vestalinnen einen zentralen Stellenwert in der tiberianischen Republik-Memoria, wenn Valerius Maximus die Tugend dieser Frauen und zugleich eine Zuständigkeit des Mannes konstruiert. Darüber hinaus erhalten die Frauen zur Affirmation ihrer Genderidentität und weiblichen Tugenden zugleich eine figurale Wertesicht, die ihnen die Verantwortung dafür zuschreibt. Aus dieser dichotomen Genderidentität heraus ergibt sie die Bedeutung der kultischen Weiblichkeit: »The situation of this anecdote thus brings together in the midst of crisis a god, the state, an individual, outward conduct, inner conscience, human prayer, divine obligation, nature, and a miracle.«115 In diesem Spannungsfeld zeichnet Valerius Frauen selbst dafür verantwortlich, die castitas als Exemplum hervorzubringen.

110 Zum männlichen Status der Vestalinnen vgl. Hallett 1989, 68: »The masculine aspect of Vestals, then, would seem connected with the recognition that Vestals served as public and religious representatives of their male blood relations.« 111 Vgl. Wildfang 2006, 87; Langlands 2006, 73. 112 Vgl. dazu auch Wildfang 2006, 86. 113 Die Beobachtung von Langlands 2006, 124 »Valerius’ world is defined by interlocking moral structures: the multifaceted and delicate relationship between mortals and gods« erhält damit eine weibliche Standortbestimmung. 114 Vgl. Mueller 2002, 52. 115 Ebd.

Geschlecht und normative Erinnerung

3.2.2

Weiblichkeit und monumentale Erinnerung der Republik

Valerius Maximus individualisiert das Wissen der Exempla, indem er den sozialen Raum der Krise in die familiäre Sphäre und damit in die unmittelbare Mann-FrauInteraktion verlegt. Diese Strategie findet ihren dramaturgischen Höhepunkt in der Inszenierung von männlichen Exempla im Narrativ des zweiten Punischen Krieges und liefert einen deutlich stärker auf Einzelfiguren ausgerichteten Wissensbestand als die livianische Erzählung. Valerius nutzt eine weiblich markierte Innensicht dazu, Wertekategorien zu erzeugen, um die Frauen in eine exemplarische Inszenierung zu integrieren. Dazu werden sie als Träger des Wertewissens in den Dienst einer Charakterisierung bedeutender Männer der Republik gestellt. Namentlich dienen Frauen in ihrer Funktion als Charaktantinnen dazu,116 die moralischen Qualitäten der summi uiri Tiberius Gracchus und P. Cornelius Scipio in Szene zu setzen.117 Auf diese Weise legen die Frauen dieses Narrativs eine reziproke Wertestruktur offen: Einerseits bilden sie selbst weibliche Tugenden vorbildhaft ab, andererseits präsentieren sie damit in den Kapiteln 4,6 de amore coniugali und 6,7 de fide uxorum erga uiros wiederum die Verdienste ihrer Männer und lassen die männlichen Exempla umso stärker erstrahlen.118 Die Exempla-Sammlung wird in diesem Sinne zum Ausdruck eines monumentalen Darstellungsprinzips republikanischer Helden. Die Kategorie des Geschlechts ist dabei von konstitutiver Bedeutung.119 Dass Valerius in diesen Episoden auf die Inszenierung männlicher Exempla zielt, soll im Folgenden anhand struktureller Eigenschaften der Konstruktion von Wertevorbildern gezeigt werden, die einen Archetyp einer fides-Struktur abbilden.120 Dazu soll die Ausrichtung auf männlich geprägte Hierarchien für die Konstruktion einer ideologiekonformen Vergangenheit der römischen Republik nachgewiesen werden. Valerius Maximus erzeugt auf diese Weise eine Memoria, welche die zugrunde liegenden Mann-Frau-Beziehungen innerhalb normativer Wertestrukturen zeichnet.121

116 Charaktanten dienen nach Lahn/Meister 2016, 243 zur interpersonellen Charakterisierung: »Konturiert eine Figur durch ihr Handeln oder eine Beschreibung den Charakter einer anderen Figur, wird sie damit ein Charaktant.« 117 Zur besonderen Bedeutung Scipios bei Valerius Maximus vgl. Bloomer 1992, 227. 118 Zur stereotypen Platzierung Scipios in Opposition zu Frauen vgl. Burckhardt/ Ungern-Sternberg 1994, 100. 119 Gowing 2005, 138f., 157 hat hinsichtlich der Wirkung für die Republik-Memoria auf die Nähe der Exempla-Sammlung zum Augustus-Forum und auf ihre monumentalisierende Kraft hingewiesen. Zum ambivalenten Bild der Republik-Memoria vgl. Wiegand 2013, 85. 120 Zur Struktur der fides vgl. Hölkeskamp 2004, 115f. 121 Diese Reziprozität ist für Valerius Maximus das Ideal dieser Beziehung zwischen den Geschlechtern, Val. Max. 4,6,praef.: legitimique amoris quasi quasdam imagines non sine maxima ueneratione contemplandas lectoris oculis subiciam, ualenter inter coniuges stabilitae fidei opera percurrens […].

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Die exemplarischen Protagonisten sind für Valerius Maximus in beiden Rubriken die Männer, was mindestens für Kapitel 6,7 de fide uxorum erga uiros überraschend erscheinen mag. Beide Exempla-Rubriken zielen nämlich klar auf eine von weiblicher Passivität bestimmte Inszenierung der Frauen ab, die für die Konstruktion der Werte sowie für die Genderperformanz von Frauen in der Erzählung kennzeichnend ist.122 Die fides als Wert der Geschlechterbeziehung bezeichnet in ihrem republikanischen Ideal einen von männlicher Autorität bestimmten Wert. Dies verdeutlicht die Handlung des Tiberius Gracchus bei der Deutung des SchlangenProdigiums in Exemplum 4,6,1 de amore coniugali, als er seiner Frau Cornelia darin seine Treue erweist. Als er vor der Entscheidung steht, entweder eine männliche Schlange freizulassen und den Tod seiner Frau in Kauf zu nehmen oder der weiblichen Schlange zu seinen eigenen Gunsten die Freiheit zu schenken, wird eine eindeutig männliche Handlungsmacht als Exemplum inszeniert. Gracchus zeigt eine explizit männliche fides gegenüber seiner Frau als Zeichen der Liebe, wenn er seinen eigenen Tod zur Rettung seiner Frau hinnimmt: Ti. Gracchus [...] salutarem coniugui potius quam sibi partem augurii secutus, marem necari, feminam dimitti iussit. Besonders in Hinblick auf die in 4,6 und 6,7 dargestellte Übernahme exemplarischen Handelns am Beispiel der fides ist im Exemplum von Tiberius Gracchus die ihm zugestandene Handlungsmacht entscheidend, die ihn zur epistemischen Instanz dieser Episode macht.123 Während das Exemplum von Gracchus und Cornelia eine Kongruenz von Handlungsmacht und Wertezugriff auf männlicher Seite verzeichnet, zeigt das Exemplum von Scipios Frau Aemilia, dass selbst ein weiblicher Zugang zum Wert der fides nicht mit einer Ausweitung des weiblichen Handlungsraumes verbunden ist. Diesem normativen Charakter der Inszenierung folgend bleibt Aemilias Ausdruck von fides auf passive Stereotype einer aristokratischen Matrona der hohen Republik beschränkt, deren Raum auf private Bereiche begrenzt war.124 Bereits ihre einleitende Bezeichnung als Tertia Aemilia, Africani prioris uxor, mater Corneliae Gracchorum (6,7,1) weist nämlich auf eine Inszenierung stereotyp-weiblicher Ideale einer römi-

122 Die generelle Bedeutung der fides als Ideal der Republik und der frühen Kaiserzeit zeigt Hölkeskamp 2004, 107 auf. 123 In dieser Hinsicht kann eine genderspezifische Betrachtung die von Lucarelli 2007, 173 erkannte »valerische Gewichtung« dieses Exemplums noch ergänzen. Zur übergeordneten Rolle des Tib. Gracchus vgl. auch Burckhardt/Ungern-Sternberg 1994, 104 und besonders Dixon 2007, 6: »Snake stories are sometimes associated in the ancient world with divine and semi-divine characters (heroes).« 124 Zur Beschränkung der Scipionen-Frauen auf den häuslichen Bereich vgl. Burckhardt/ Ungern-Sternberg 1994, 108.

Geschlecht und normative Erinnerung

schen Matrona in der Funktion als Ehefrau und Mutter hin.125 Daher deutet sich eine Beschränkung der weiblichen Handlung auf ein explizit weibliches Repertoire an. Entsprechend konstruiert Valerius auch ihre fides, die Aemilia ihrem Mann erweist, im Zeichen weiblicher Passivität. Sie reagiert überaus nachsichtig, als sie von Scipios Affäre mit einer Dienerin erfährt:126 tantae fuit comitatis et patientiae. Gegenüber der Autorität ihres Mannes Scipio Africanus gilt der Wert der fides als ein Postulat der Genderinteraktion an die Frau, das ihr passive Nachsicht abverlangt und so in erster Linie Scipio als Exemplum idealisiert.127 Aemilias Zugriff auf die fides bietet für sie daher keinen Gewinn an Handlungsmacht, da dieser Wert lediglich ein Postulat an das weibliche Geschlecht beschreibt, das sie zu ihrer ideal-weiblichen Rolle gegenüber einer männlichen Autorität verpflichtet. Die Darstellung dieser Frauen und ihrer Männer wird damit zum Spiegel der kaiserzeitlichen Sittenpolitik. In deren Zeichen bildet der Wert der fides ein ideales Verhaltensrepertoire einer Matrona ab.128 Außerdem offenbart diese fides ebenso die Bedeutung des Geschlechts als Konstruktionsmechanismus der frühkaiserzeitlichen Republik-Memoria. Diese erinnerungskulturelle Bedeutung ergibt sich dabei vor allem aus der asymmetrischen Reziprozität des Wertes:129 Die fides schafft nämlich die moralische Grundlage dafür, aristokratische Frauen in den Dienst einer idealisierten Charakterisierung von republikanisch-aristokratischer Männlichkeit zu stellen. Diese Bedeutung zeigt sich etwa in der Verbindung von Aemilias fides gegenüber Scipio und der Inszenierung von dessen Verdiensten als Sieger über Karthago:130 ne domitorem orbis Africanum, femina magnum uirum, inpatientiae reum ageret, tantumque a uindicta mens eius afuit, ut post mortem Africani manumissam ancillam in matrimonium liberto suo daret.131 (Val. Max. 6,7,1)

125 Vgl. dazu auch Dixon 2007, 50. Zur Ausrichtung der Darstellung Cornelias und Aemilias nach den Maßstäben idealtypischer Weiblichkeit im Narrativ der frühen Kaiserzeit vgl. Burckhardt/ Ungern-Sternberg 1994, 98; Schuller 1987, 17. 126 Entsprechend passiv äußert sich damit das im Relationsbegriff der fides enthaltene aktive Ausüben von Vertrauen, vgl. Hölkeskamp 2004, 113. 127 Vgl. Schuller 1987, 17. 128 Zur Ausrichtung von Exempla familiärer Belange der Nobilität vgl. Maslakov 1984, 445. 129 Die asymmetrische Struktur der fides ist aufgezeigt worden von Hölkeskamp 2004, 115f.: »In eben diesem Akt besteht die aktive Beteiligung des Unterworfenen an der Begründung einer fides-haltigen Beziehung, die die für die fides typische Reziprozität generiert.« 130 Zur fides in diesem Exemplum vgl. auch Helmke 2022, 56f. 131 [...], damit nicht eine Frau einen großen Mann, den Welteroberer Africanus, wegen Unenthaltsamkeit anklagte, und Rache lag ihr so fern, dass sie die freigelassene Dienerin nach dem Tod des Africanus ihrem Freigelassenen zur Frau gab.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Kennzeichnend hierfür ist besonders, welche Bedeutung P. Scipio zugeschrieben wird. Die Bezeichnung als domitor orbis Africanus offenbart Valerius’ Sicht auf Scipios Sieg bei Zama, wenn der erfolgreiche Feldherr in diesem Exemplum dreimal mit seinem Beinamen Africanus bezeichnet wird und sein dortiger Sieg über Hannibal mit der Erlangung der Weltherrschaft gleichgesetzt wird.132 Dieser Autorität Scipios ist die Performanz Aemilias verpflichtet, da sie ihrer fides durch Nachsicht Ausdruck verleiht und dies die geschlechterspezifische asymmetrische Reziprozität des Wertes auszeichnet. Da auch hier explizit weibliche Passivität männlicher Autorität und Handlungsmacht gegenübersteht,133 ist Aemilia trotz einer von ihr ausgehenden Treue dennoch in eine geschlechtlich markierte Hierarchie eingebunden. Deutlich wird eine männliche Überlegenheit ausgedrückt und dieses Treueverhältnis damit in den Dienst einer ideologisch ausgerichteten Inszenierung gestellt.134 Entsprechend wird Aemilias Unterordnung in dieser sozialen Hierarchie, die sich in der Antithese gegenüber Scipios Geltung als domitor orbis offenbart,135 dazu genutzt, die hierarchische Struktur auf die Treueverhältnisse der Mann-Frau-Interaktion zu übertragen. Darin schlägt sich ein Geschlechterverhältnis und die Rolle der Frauen nieder, was der frühkaiserzeitlichen Sittenpolitik Ausdruck verleiht, die Valerius in seinem Werk abbildet. Auf diese Weise bietet das Exemplum der Aemilia neue Möglichkeiten, den genderspezifischen Kontext zu untersuchen und eine polyphone Genderinszenierung als Stategie bei Valerius Maximus sichtbar zu machen. Nicht nur die männlich organisierte Geschlechterordnung, sondern auch die eindeutig weiblich markierte Innensicht tragen zur Konstruktion der Genderidentitäten bei. So weist auch das männlich regierte fides-Verhältnis zwischen Tiberius Gracchus und Cornelia der Frau ihre Rolle im frühkaiserzeitlichen Gender- und Wertediskurs zu.136 Diese Darstellungsweise trägt zugleich zu einer Standortbestimmung der republikanischen Männlichkeit im tiberianischen Diskurs bei: itaque Corneliam nescio utrum feliciorem dixerim, quod talem uirum habuerit, an miseriorem, quod amiserit (4,6,1). Entscheidend ist aber zudem auch hier das weibliche Wissen: Aus Cornelias Perspektive wird das Exemplum vermittelt und der Protagonist als talis uir bezeichnet.

132 Vgl. Weileder 1998, 51, 193, der zudem auf die schlagwortartige Platzierung von Herrschaftsbegriffen bei Valerius Maximus hingewiesen hat, vgl. 84f. 133 Zur Inszenierung der moralischen Integrität Scipios vgl. Burckhardt/ Ungern-Sternberg 1994, 99. 134 Zur Inszenierung des Scipio vgl. auch Helmke 2022, 55f. Zur fides-Konstruktion im Sinne ideologischer Strukturen im aristokratischen Kontext vgl. Hölkeskamp 2004, 115, 133f. 135 Vgl. Weileder 1998, 89f. 136 Zur moralischen Inszenierung der Cornelia vgl. Burckhardt/Ungern-Sternberg 1994, 128, 130.

Geschlecht und normative Erinnerung

So nutzt Valerius die Inszenierung von Weiblichkeit auf der einen Seite in performativer Hinsicht, indem männlich regierte Interaktionen abgebildet werden und so das Weibliche als positiver Hintergrund eines positiven männlichen Exemplums in die Erzählung eingebunden wird. Auf der anderen Seite wird auch weibliches Wissen wiedergegeben, um dadurch die Polyphonie aus männlicher und weiblicher Exemplarität abzubilden. Was von diesem normativen Genderkonstrukt abweicht und damit das Idealbild einer männlich regierten Geschlechterordnung einschränken könnte, wird jedoch zugunsten republikanischer Männlichkeitsideale aus dem Narrativ verbannt.137 Vielmehr wird deutlich, dass die Inszenierung idealer Weiblichkeit erheblich dazu beiträgt, ambivalente Eigenschaften dieser ideologisch inszenierten Protagonisten auszublenden.138 So dient Cornelias weibliche Sicht ausschließlich dazu, den Leser auf die Ideale des Mannes innerhalb der ehelichen Beziehung blicken zu lassen. Gleichermaßen nutzt Valerius Aemilias ideale Weiblichkeit dazu, einen Rahmen zu erschaffen, in dem die Stellung des Scipio uneingeschränkt und unproblematisch gepriesen werden kann.139 Diese Befunde korrespondieren mit der transgressiven Darstellung der Vestalinnen: Während bei diesen ein figuraler Wertezugriff die Grenzen der normativen Weiblichkeit kennzeichnete, zeigen die männlich regierten Werte-Exempla, in die Cornelia und Aemilia integriert werden, hingegen die Idealisierung des Männlichen. Der tiberianische Genderdiskurs bedient sich somit einer Inszenierung von Weiblichkeit, die im Wesentlichen von Frauen in ihrer prestigeträchtigen Relation zu männlichen Verwandten geprägt ist.140 So nutzt diese Darstellung Cornelia und Aemilia gleichermaßen dazu, sie durch den Wirkmechanismus der fides in ein Treueverhältnis einzubinden, das in erster Linie aristokratische Männer als Exempla inszeniert. Sie dienen dazu, die summi uiri der Republik in prominenter Position in der Memoria zu platzieren. Auf diese Weise wird Weiblichkeit von Valerius Maximus in den Dienst der Männlichkeit gestellt.

137 Hinsichtlich der Ausrichtung auf die Inszenierung idealer Männlichkeit in der Republik kann Lucarelli 2007, 172 ergänzt werden. Zur Entpolitisierung Cornelias und ihrer Funktion als matronales Exemplum in der Kaiserzeit vgl. Burckhardt/Ungern-Sternberg 1994, 131f. 138 Wiegand 2013, 164–166 hat dies insbesondere für die Zeit der Bürgerkriege zugunsten der Caesares nachgewiesen. Zur krisenhaften Auflösung dieser normativen Strukturen im Bürgerkriegsnarrativ vgl. Kapitel 5.1.2. 139 Zum ambivalenten Bild Scipios bei Livius vgl. Kapitel 4.3.1. 140 Vgl. Dixon 2007, 6, 50.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

3.3

Weibliche Gendertransgression und normative Männlichkeit

Die weibliche Perspektive und ein weiblicher Wertezugriff sind für die Konstruktion von Weiblichkeit von zentraler Bedeutung. Die vorangegangene Analyse der Genderidentität von Vestalinnen zeigte bereits, wie ein weiblich figurierter Wertezugriff die Frauen in der Exempla-Sammlung des Valerius Maximus der normativen Mann-Frau-Beziehung enthebt. Die Vesta-Priesterinnen unterlagen dabei den moralischen Maßstäben ihrer Rolle im tiberianischen Gender- und Wertediskurs. Im Folgenden soll dagegen die Darstellung transgressiver Genderperformanz von Frauengestalten in den Blick genommen werden, indem ihre geschlechterspezifische Perspektive in der Krisennarration analysiert wird. Dazu betrachtet das vorliegende Kapitel erst die Funktion weiblicher Gendertransgressionen und das Geschlechterverhältnis transgressiv inszenierter Frauen zu römischen Männern, die im jeweiligen Kontext ebenfalls als Exempla dargestellt werden. Daraufhin werden kontrastierend Geschlechterverhältnisse zwischen transgressiven Frauen und Männern in nichtrömischen Exempla analysiert. Diese Untersuchungen verfolgen also das übergeordnete Ziel, die Funktion von Weiblichkeit für die Konstruktion eines Männlichkeitsbildes zu bestimmen. Zugleich soll explizit der Stellenwert von transgressiv inszenierten Frauengestalten bestimmt werden, indem nach Wechselwirkungen zwischen den Genderidentitäten gefragt wird. Das dabei geschaffene Männlichkeitsbild stellt Valerius Maximus explizit in den Dienst einer von römischer Überlegenheit nach außen geprägten Erinnerungskultur der Republik. Insbesondere wird dies in den Epochen der mythischen Frühzeit sowie des zweiten Punischen Krieges evident. So wird eine Genderperspektive auf die von der Forschung vielfach erkannte ideologische Ausrichtung dieses Narrativs geschaffen.141 Für diese Frauengestalten soll daher im Folgenden die Bedeutung ihrer epistemischen Gestaltung in Opposition zu Männern und im Kontext der Genderinteraktion betrachtet sowie eine Krisenwahrnehmung aufgezeigt werden. Dabei wird ein Krisenbegriff sichtbar, der auf die Konstruktion geschlechtlich definierter Werteprobleme abzielt, in der eine männliche Exemplarität nicht absolut abgebildet, sondern vor dem Hintergrund weiblicher Transgression verhandelt wird.142

141 Zur Ideologie der römischen Hegemonie in diesen Narrativen vgl. überblicksartig Weileder 1998, 71–76, 84–90, der überwiegend männlichen Protagonisten wie Scipio Africanus absolut setzt. 142 Zum bedeutenden Stellenwert der Inszenierung führender Männer der Republik in den Facta et dicta memorabilia vgl. Bloomer 1992, 20; Skidmore 1996, 85f. Die These eines Rückgriffs auf etablierte und damit absolut gesetzte Figuren als Exempla nach Simon 2002, 148 ist damit nicht haltbar, da nämlich Weiblichkeit einen entscheidenden konstitutiven Faktor darstellt; zur Kritik an dieser These ohne geschlechterspezifische Argumentation vgl. auch Langlands 2008; Krasser 2011.

Weibliche Gendertransgression und normative Männlichkeit

Für die Analyse von transgressiven Inszenierungen auf römischer Seite sollen in einem ersten Schritt die weibliche Innensicht in den Exempla analysiert und so ein qualitativer Unterschied in der geschlechtlich markierten Perspektive sichtbar gemacht werden. Der darin erkennbare Diskurs mit seinen geschlechtlich definierten Exempla legt den Wert von Weiblichkeit und die Wahrnehmung einer männlichen Wertekrise offen. In diesem Zusammenhang wird gezeigt, dass Valerius die Figuren der Cloelia und Lucretia transgressiv mit männlich markierten Attributen wie uirtus (3,2,2) und uirilis animus (6,1,1) versieht, mit denen sie sich in Kriegshandlungen oder im Kampf um die pudicitia hervortun. Gleiches gilt auch für die Figur der Tullia, an der eine Abbildung einer transgressiven Geschlechteridentität erkennbar wird, wenn sie mit den Umwälzungen im etruskisch-römischen Königshaus in Verbindung gebracht wird.143 Am Beispiel dieser Frauengestalten soll nachgewiesen werden, dass Valerius Frauen zwar Handlungsmacht in männlichen Sphären zugesteht, ihre fehlende exemplarische Innensicht allerdings eine stets normative epistemische Überlegenheit von Männern anzeigt, die durch weibliche Exempla erst sichtbar wird. Dass diese Frauen-Exempla durchaus innerhalb eines diskursiv erzeugten Raumes verhandelt werden, der durch ein normatives Konzept von Weiblichkeit geprägt ist, zeigt die Rezeption der Beispiele. Neben der Zuschreibung einer weiblichen Perspektive wird auch das Fehlen interner – und männlich markierter – Rezipienten zum Marker weiblichen Handelns. Stattdessen ist die auktoriale Rezeption der Exempla, die transgressives Frauenhandelns gemäß dem tiberianischen Diskurs bewertet, ein entscheidender Faktor der Konstruktion von normativer Weiblichkeit anhand dieser älteren weiblichen Exempla.144 Für diese Gruppe von Frauen-Exempla sowie das der Apulierin Busa, die durch ihre Freigiebigkeit römische Soldaten nach der Schlacht von Cannae unterstützt und damit im männlichen Handlungsräumen verortet wird, soll daher in einem zweiten Schritt die Bedeutung der Rezeptionsmechanismen nachgewiesen werden. Durch diese strukturelle Eigenschaft gelingt es Valerius nämlich, trotz aller Zuschreibung von männlichen Attributen das Handeln der Frauen nach den Maßstäben eines weiblichen Normkonzepts zu bewerten. Die Auslassung interner Rezeption dient dabei vor allem als Strategie der Kommunikation mit einem externen Rezipienten. Sie ist dem Ziel

143 Lucarelli 2007, 145 hat bereits Tullia und Lucretia jeweils hinsichtlich ihrer sozialen Rollen als Töchter einer vergleichenden Analyse unterzogen und dabei die Bedeutung der sozialen Beziehungen für das Konfliktpotential ihrer Exempla dargestellt. 144 Auf diese Weise kann die These von neutralen, aber in Orientierung am römischen Wertekanon wiedergegebenen Exempla nach Wiegand 2013, 156 in geschlechterspezifischer Hinsicht differenziert werden. Entsprechend gilt für die Kategorie transgressiver Weiblichkeit im besonderen Maße nach Maslakov 1984, 440 das Postulat einer Spiegelung der Exempla an den politischen Traditionen, die Valerius in seinem Werk vermittelt.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

geschuldet, die in diesen Exempla abgebildeten mores maiorum dem zeitgenössischen Leser und den Maßstäben der frühkaiserzeitlichen Diskurse zugänglich zu machen. Entsprechend soll gezeigt werden, dass Valerius transgressives Frauenhandeln vor allem inszeniert, um die in der Praefatio formulierten Werte- und Normideale der tiberianischen Restauration der Sitten zu verhandeln und dazu die ambivalenten Genderidentitäten vor dem Hintergrund der mores maiorum abzubilden.145 Auf diese Weise wird darzulegen sein, dass für Valerius Maximus die Krisennarrative der Königszeit und der Republik in erster Linie einer moralischen Standortbestimmung und der Legitimation der tiberianischen Sittenpolitik sowie ihrer Verankerung in der römischen Erinnerungskultur dienen. Eine zusätzliche Perspektive auf Weiblichkeit eröffnet darüber hinaus die Inszenierung nichtrömischer Frauengestalten. Das fortitudo-Exemplum aus dem syrakusischen Herrscherhaus in 3,2,ext.9 und das der Frau des Galater-Fürsten Ortiago in 6,1,ext.2 de pudicitia lassen einerseits Aussagen über die ethnische Komponente der Exempla-Inszenierung zu, die dem frühkaiserzeitlichen Wertediskurs zugrunde liegt. Andererseits erlaubt eine Betrachtung nichtrömischer Exempla auch eine ethnische Gegenüberstellung der Bewertung des Geschlechterhandelns.146 In einem dritten Schritt soll daher nachgewiesen werden, dass nichtrömischen Frauen im Gegensatz zu römischen ein epistemischer Wertezugriff zugestanden wird, was nicht nur als ein männliches Werteproblem zu deuten ist. Vielmehr zeigt der weibliche Zugriff auf Werte des römischen Tugendkanons auch die Bedeutung der ethnischen Zugehörigkeit in der Darstellung äußerer Krisen auf und verhandelt Werte vor den Kriterien von Ethnizität und Geschlecht. Damit lässt sich zugleich das römische Sendungsbewusstsein, das diesen Narrativen zugrunde liegt, auf der Ebene des Genderdiskurses untersuchen. 3.3.1

Weibliche Gendertransgression und männliche Exemplarität

Weitaus enger als Livius verhandelt Valerius Maximus die Grenzen weiblicher Genderidentitäten. Während die Übernahme einer epistemischen Funktion als wesentliches Merkmal von Gendertransgressionen bei Livius identifiziert wurde, wird in den Exempla des Valerius das exemplarische Wissen gänzlich dem

145 Val. Max. 1,praef.: [...] Caesar, inuoco, cuius caelesti prouidentia uirtutes, de quibus dicturus sum, benignissime fouentur, uitia seuerissime uindicantur. Vgl. dazu auch Römer 1990, 101; Thurn 2001, 84. 146 Nach Weileder 1998, 72–76 weise die Darstellung auswärtiger Exempla zwar eine Überlegenheit von Nichtrömern auf manchen Gebieten, überwiegend aber eine Marginalisierung zugunsten einer Inszenierung römischer Exempla auf. Diese Beobachtung gilt es hinsichtlich des normativen Geschlechterkonzepts zu differenzieren.

Weibliche Gendertransgression und normative Männlichkeit

weiblichen Einflussbereich enthoben. Geschlechtliche Transgressionen werden auf diese Weise in der Exempla-Sammlung nur noch als rein performative Umdeutungen von Genderidentitäten ermöglicht. Dabei wird ein weiblich markiertes exemplarisches Wissen vermittelt, welches der tiberianische Diskurs einer transgressiven Inszenierung von Weiblichkeit zuordnet. So soll im Folgenden anhand der Figuren Cloelia und auch Tullia die Marginalisierung weiblicher zugunsten männlicher Perspektiven aufgezeigt werden. Das pudicitia-Exemplum der Lucretia dient anschließend dazu, die Funktion von Weiblichkeit für die Konstruktion dieser Werte-Exempla aufzuzeigen. Statt die weibliche Genderperformanz mithilfe einer figuralen Perspektive umzudeuten, zeigt sich, dass diese Darstellungen bei Valerius Maximus stets auf die Vermittlung männlicher Episteme und Exempla ausgerichtet sind. Abseits davon gelten für Frauen weiblich markierte Wertebegriffe. Auf dieser Grundlage wird es möglich, das bisher in der Forschung vorherrschende Verständnis genderunabhängiger Wertebegriffe dahingehend zu differenzieren,147 dass eine explizit weibliche Bedeutung dieser Werte sichtbar wird. Explizit schreibt Valerius Cloelia im Kapitel 3,2 de fortitudine mit der uirtus eine genuin männliche Tugend zu. Seine Bewertung basiert dabei rein auf Cloelias Performanz.148 Roller vergleicht Cloelias Handeln mit dem von Mucius Scaevola und Horatius Cocles und konstatiert, dass sie hier durchaus einem Mann ähnlich agiert.149 Eine epistemische Transgression bleibt der Frau allerdings verwehrt, da ihre Perspektive nicht auf ein figurales Wertewissen ausgeweitet wird. Zwar schreibt Valerius der Frau männliche Wertebegriffe zu, die in der Bewertung im tiberianischen Narrativ Anhaltspunkte männlich konnotierten Handelns aufweisen, wenn Cloelias Tat aufgrund ihrer uirtus gelobt wird: uiris puella lumen uirtutis praeferendo (3,2,2). Dennoch ist zu beachten, dass sie ausdrücklich als Frau inter ceteras enim uirgines in einen weiblichen Kontext eingeordnet wird, bevor sie durch das

147 Damit erhalten Thesen, die einen grundsätzlichen Normcharakter gendertransgressiv abgebildeter Werte formulieren, eine geschlechterspezifische Differenzierung, vgl. etwa Römer 1990, 101–104; Thurn 2001, 84–89; Krasser 2011, 243–247. Zu männlichen Epistemen in der Kategorie de pudicitia vgl. Val. Max. 6,1,praef.: unde te uirorum pariter ac feminarum praecipuum firmamentum, Pudicitia, inuocem? Vgl. dazu auch Langlands 2006, 138f., 145f. Damit bestimmt diese Analyse den Stellenwert von Frauen in den von Bloomer 1992, 31 erkannten männlichen Strukturen der Exempla-Sammlung. 148 Zum Zusammenwirken beider Werte vgl. Val. Max. 3,2,praef.: nos, quia iam initia procursusque uirtutis patefecimus, actum ipsum persequemur, cuius ponderosissima uis et efficacissimi lacerti in fortitudine consistunt. Vgl. dazu auch Thurn 2001, 84: »Ebensowenig darf man schließen, daß Valerius Maximus unter virtutes alle Tugenden des stoischen Kanons oder alle denkbaren Tugenden gemeint habe [...]; ebenso kann gemeint sein, Tiberius fördere eben ganz bestimmte, als römisch empfundene Tugenden, und Valerius Maximus lege seinem Werk eine römische Virtus-Vorstellung zugrunde.« 149 Vgl. Roller 2018, 69, 82.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Durchschwimmen des Tibers eine performative Transgression generieren kann,150 die zum Ausgangspunkt ihrer uirtus wird. Im Abgleich mit der exemplarischen Qualität des voranstehenden Exemplums des Horatius Cocles wird deutlich, dass trotz des Befundes eines »Panorama[s] der Tapferkeit, das alle Zeiten und alle gesellschaftlichen Gruppen umfasst«151 , hier ein ausdrücklich weiblicher fortitudoBegriff konstruiert wird. Insbesondere die Einordnung als uirgo ist entscheidend: »Indeed, being unmarried and sexually immature, Cloelia has key commonalities with properly constituted males.«152 Diese genderspezifische Ambivalenz lässt sich allerdings lediglich mit Blick auf körperliche Aspekte erkennen. So zeigt nicht nur die Chronologie der Exempla, in der Cloelias Tat auf die von Horatius folgt, dass die Frau diesem männlichen Exemplum folgt und es auf weibliche Weise adaptiert. Auch qualitative Unterschiede lassen sich durch das geschlechterspezifische Wissen aufdecken.153 Valerius Maximus lässt daher Cocles, der erfolgreich eine Brücke über den Tiber gegen die Etrusker verteidigt, so ihren Einfall nach Rom verhindert und entscheidend zur Lösung dieser kriegerischen Bedrohung beigetragen hat, das Ergebnis seines Handels aus der figuralen Perspektive wiedergeben. Dieser wird somit nicht nur zur performativen, sondern auch zur epistemischen Instanz: patriam periculo imminenti liberatam uidit (3,2,1).154 Dagegen fehlt der Darstellung von Cloelias Intervention eine vergleichbare Grundlage. Die männliche fortitudo ist also nicht allein ein körperlicher Wert,155 was den entscheidenden Unterschied zur weiblichen Tapferkeit markiert. Weniger heldenhaft gelingt es ihr lediglich, sich selbst zu befreien, obgleich Valerius mit seiner Würdigung den exemplarischen Wert ihrer Handlung zu steigern sucht.156 Da ihr Handeln hier keine vergleichbare epistemische Teilhabe an der Krisenlösung vorweisen kann, repräsentiert ihr Exemplum ein rein weibliches Verständnis von uirtus und fortitudo.157 Die Männlichkeit in der Genderidentität Cloelias wird auf

150 Roller 2004, 19, 41 hat dies für Horatius Cocles als Zeichen körperlicher Stärke und Männlichkeit gedeutet. 151 Krasser 2011, 246. 152 Roller 2018, 80. 153 Zur Chronologie als Ordnungsprinzip der fortitudo-Exempla vgl. Thurn 2001, 86; ähnlich Klotz 1942, 67. Zur intendierten Nähe der Darstellung von Cloelia und Cocles hinsichtlich der Struktur beider Exempla vgl. Roller 2004, 30. 154 Wie Roller 2004, 4 richtig bemerkt, verstärkt die aus römischer und etruskischer Perspektive fokalisierte Bewertung von Horatius’ Handeln dessen exemplarische Rolle. Zur besonderen Autorität dieses Exemplums vgl. Krasser 2011, 245f. 155 So versteht es hingegen Honstetter 1977, 33. 156 Val. Max. 3,2,2: non solum obsidio se sed etiam metu patriam soluit. Zur auktorialen Bewertung vgl. auch Kapitel 5.1.3. 157 Roller 2018, 85 misst dem Figurenhandeln bei seiner Deutung von Cloelias uirtus eine deutlich größere Bedeutung bei.

Weibliche Gendertransgression und normative Männlichkeit

ihre Performanz begrenzt.158 In ihrer auf sich selbst begrenzten Handlung fehlt ihr eine figurale Innensicht auf das Krisengeschehen, die ihr eine Ausweitung ihres Krisenwissens und einen männlichen Zugriff nach dem Vorbild des Horatius Cocles ermöglicht hätte.159 Transgressiv handelnden Frauen wird also nur ein bedingter Zugriff auf männliche Werte zugestanden. Das Geschlecht muss daher als notwendiges Kriterium der Differenzierung herangezogen werden, da dadurch ein dichotomer Begriff der fortitudo erkennbar wird, der eine explizit weibliche Bedeutung des Wertes formuliert.160 Diese fehlende weibliche Innensicht in Krisen ist kennzeichnend für den zugrunde liegenden Genderdiskurs, der wesentlich darauf abzielt, Frauen durch ihre epistemische Ausgrenzung in der Erzählung zu marginalisieren. Dies zeigen das Exemplum einer apulischen Frau namens Busa in der Rubrik de liberalitate, die nach der Niederlage von Cannae römische Soldaten mit Nahrung versorgt, oder auch das Exemplum der Tullia, die hier anders als bei Livius jenseits machtpolitischer Interessen verortet wird. Beide Exempla verfügen nicht über eine weibliche Innensicht in den Krisensituationen, in denen sie platziert sind. Vehement bemüht sich Valerius nämlich, auch im Exemplum der Busa nicht nur ihre Verdienste zu loben,161 sondern an dieser Stelle die bereits im vorangegangenen Exemplum 4,8,1 angeführten Leistungen des Quintus Fabius als unerreichten Maßstab in den Mittelpunkt zu stellen. Dessen Verdienst der Freigiebigkeit, mit seinem Privatvermögen römische Gefangene von Hannibal zurückzukaufen, ist für Valerius der Referenzwert dieser Kategorie und der Maßstab männlicher Leistung im Krieg. Zwar wird die Frau durch die Präsenz des Quintus Fabius im männlich markierten Raum verortet und ihr dadurch eine transgressive Performanz zugeschrieben. Allerdings zeigt die im Vergleich ausbleibende weibliche Innensicht in die Krise Roms nach Cannae, dass Valerius hier die Erzählung auf der Grundlage männlicher Episteme erzeugt. Männliches Handeln erhält einen figuralen Zugriff auf die Krise,162 während Weiblichkeit vor allem dazu dient, diese Verdienste abzubilden und somit vorbildhaftes männliches Krisenhandeln zu inszenieren. Das fehlende weibliche Krisenwissen macht also auch in diesem Exemplum deutlich, dass die Reichweite von Busas Transgression auf ihre Performanz begrenzt ist.

158 Entsprechend ist die fortitudo des Kapitels 3,2, mittels derer sie uirtus erlangt, als rein körperliche Tugend aufzufassen, vgl. Honstetter 1977, 33. 159 Weileder 1998, 303 deutet diese Inszenierung Cloelias noch vor dem nachfolgenden Exemplum des Romulus als Steigerung der Spannung. 160 Eine weibliche uirtus erkennt auch Roller 2004, 38. Zum polyphonen Wertekonstrukt der fortitudo vgl. Römer 1990, 101f. 161 Val. Max. 4,8,2: femina Busa [...] merito quidem liberalitatis testimonium receperit, sed excellentes opes suas Fabianis rei familiaris angustiis non comparauerit. 162 Val. Max. 4,8,1: se enim patrimonii quam patriam fidei inopem esse maluit.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

In gleicher Weise ist die Genderidentität Tullias veranlagt. Valerius stellt sie im Kontext der Ermordung des Königs Servius Tullius dar und beschreibt, wie dessen Tochter Tullia den väterlichen Leichnam schändet, indem sie ihren Wagenlenker anweist, diesen zu überfahren. Wenn erzählt wird, dass sich die Frau daraufhin zu ihrem Ehemann Tarquinius Superbus begibt, steht auch diese Darstellung im Kontext eines Machtwechsels im etruskischen Herrscherhaus. Die Erzählung basiert ebenfalls auf einer deutlichen Ambivalenz in der Inszenierung von Weiblichkeit. Tullias transgressivem Handeln bei der Beschreibung der Leichenschändung steht eine stereotyp weibliche Perspektive gegenüber, die sich in der Interaktion mit ihrem Ehemann zeigt und die genderspezifische Charakterisierung der Frau bestimmt: cum carpento ueheretur et is, qui iumenta agebat, succussis frenis constitisset, repentinae morae causam requisiuit, et, ut comperit corpus patris Seruii Tulli occisi ibi iacere, supra id duci uehiculum iussit, quo celerius in conplexum interfectoris eius Tarquinii ueniret.163 (Val. Max. 9,11,1)

Zweierlei zeigt sich in der genderspezifischen Anlage: Erstens verfügt Tullia gegenüber Tarquinius über einen Wissensbestand, der sie als Frau abseits machtpolitischer und historischer Umstände der Ermordung des Königs Servius Tullius platziert, da die Verantwortung dafür allein in die Hände des interfectoris eius Tarquinii gelegt wird.164 Die ihr zugeschriebene Perspektive quo celerius [...] ueniret verortet sie jedoch in ihrer Rolle als Ehefrau in einer sozialen Nahbeziehung gegenüber Tarquinius, aber auch gegenüber Tullius, was sich schließlich in ihrer Verurteilung als impia widerspiegelt.165 Zweitens manifestiert sich diese eingeschränkte Teilhabe auch in ihrer performativen Darstellung. Ihre auf persönliche Interessen beschränkte Perspektive auf die Krise der ausgehenden Monarchie limitiert die Reichweite ihrer transgressiven Performanz auf ebendiesen Bereich. Gegenüber Tullius generiert ihre Perspektive ihr transgressives Verhalten. Innerhalb dieser Nahbeziehungen wirken epistemische und performative Teilhabe zusammen und erzeugen punktuell eine Umkehr der Geschlechterordnung. Entscheidend ist jedoch das auf die figurale Betroffenheit beschränkte Wissen der Tullia. Dies kennzeichnet ihre weibliche Perspektive im vorliegenden Narrativ. Hier wird ein deutlicher Unterschied zu Livius’ Version deutlich: Ein Einfluss oder eine Teilhabe

163 Als sie mit dem Wagen unterwegs war und der Wagenlenker nach einem Zügelzug Halt gemacht hatte, erkundigte sie sich nach dem Grund des plötzlichen Halts und ließ, nachdem sie erfahren hatte, dass der Körper ihres getöteten Vaters Servius Tullius dort liege, den Wagen über diesen lenken, um umso schneller in die Arme von dessen Mörder, Tarquinius, zu gelangen. 164 Die Auslassung und Umdeutung historischer Umstände des ausgehenden Königtums wurde bereits bemerkt von Bloomer 1992, 140; ähnlich Wiegand 2013, 158f. 165 Zur pietas der Tullia vgl. Lucarelli 2007, 145.

Weibliche Gendertransgression und normative Männlichkeit

am politischen Geschehen wird Tullia nicht zugestanden, da ihr ein epistemischer Zugriff auf diesen Bereich gänzlich fehlt. Gleiches gilt in noch deutlicherem Maße auch für die Figur der Tanaquil, die auch hier abseits machtpolitischer Einflussnahme in der ideologisch unproblematischen Rubrik 1,6 de prodigiis verortet und auf ihre matronale Rolle reduziert wird.166 Der weibliche Figurenbestand bei Valerius Maximus zeigt, dass der Grad der Transgression maßgeblich durch das Figurenwissen bestimmt wird, das ihnen das Werte- und Normverständnis tiberianischer Zeit zuschreibt. Normativ stehen Frauen außerhalb einer männlichen Einflusssphäre, in der männliches Handeln ausschließlich absolut gesetzt ist, sodass Frauen vor diesem Hintergrund nicht auf einen männlichen Wissensbestand zugreifen können. Das anhand von Cloelia aufgezeigte Phänomen einer transgressiv-weiblichen Bedeutung von fortitudo und uirtus gilt dabei auch für die Darstellung Lucretias bei Valerius Maximus. Sie wird folgendermaßen vorgestellt: dux Romanae pudicitiae Lucretia, cuius uirilis animus maligno errore fortunae muliebre corpus sortitus est, a Sex. Tarquinio regis Superbi filio per uim stuprum pati coacta, cum grauissimis uerbis iniuriam suam in concilio necessariorum deplorasset, ferro se [...] interemit [...].167 (Val. Max. 6,1,1)

Durch die Charakterisierung als dux und die Zuschreibung eines uirilis animus wird sie ebenfalls mit männlichen Attributen versehen.168 Allerdings weist diese Rolle als dux Romanae pudicitiae gleichermaßen einen weiblichen Wissensbestand auf, der sich aber lediglich auf die eigene Betroffenheit bezieht, die Valerius die Frau schildern lässt: cum grauissimis uerbis [...] deplorasset. Weder sie selbst noch der ansonsten hierarchisch übergeordnete Familienrat hat jedoch einen umfassenden Zugriff auf die pudicitia.169 Zwar stilisiert Valerius die Frau zum exemplarischen

166 Val. Max. 1,6,1: quod prodigium Anci regis Marci uxor Tanaquil admirata, serua natum in modum filii educauit et ad regium fastigium euexit. 167 Lucretia, das führende Vorbild der römischen Sittsamkeit, deren männlicher Geist durch einen böswilligen Fehler des Schicksals einen weiblichen Körper erhalten hat, ist von Sex. Tarquinius, dem Sohn des Königs Superbus, gewaltsam dazu gedrängt worden, die Schändung über sich ergehen zu lassen. Nachdem sie in einer Zusammenkunft ihrer Nächsten mit harten Worten das erlittene Unrecht beklagt hatte, nahm sie sich mit einem Dolch [...] das Leben [...]. 168 Zur männlich markierten Semantik vgl. Langlands 2006, 143. Zur engen Verbindung beider Exempla vgl. Roller 2004, 30. 169 Die von Lucarelli 2007, 79f. beschriebene Zuständigkeit des Familienrates muss an dieser Stelle aufgrund eines fehlenden Wertezugriffs ebenfalls eingeschränkt werden.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Träger der pudicitia,170 wenn er ihr einen uirilis animus zuschreibt. Jedoch kann ihre Männlichkeit allenfalls in der Beschreibung ihres Selbstmordes liegen. Lucretia verbleibt nämlich außerhalb der epistemischen Reichweite der pudicitia, worin der entscheidende Unterschied zur livianischen Lucretia sichtbar wird, die sich selbst zum exemplum pudicitiae erheben konnte. Diese Darstellung zeigt, dass eine männliche Markiertheit der pudicitia für Valerius von Beginn an einen normativen Bestandteil dieses Wertes abbildet. Somit legt das Lucretia-Exemplum ein im Vergleich zur augusteischen pudicitia-Inszenierung abweichendes Genderkonzept offen: Wie der Verweis auf einen malignus error fortunae zeigt, ist die Sorge um die weibliche Keuschheit Männersache. Auf diese Weise zeigt das weibliche Wertewissen eine in tiberianischer Zeit veränderte Qualität männlicher Handlungsmacht, welche die Funktion der Frau definiert.171 Eine valide männliche Handhabe dieser geforderten männlichen Zuständigkeit für die pudicitia fehlt diesem Exemplum jedoch und findet erst in der Verginia-Episode ihren normativen Ausdruck.172 In allen Episoden war also ein begrenztes Figurenwissen dafür verantwortlich, dass Transgressionen von Frauen stets auf einen normativ weiblichen Bereich begrenzt blieben und männlich regierte Strukturen im Wertediskurs eingehalten wurden. 3.3.2

Grundsätzlich weiblich: Frauen-Exempla und ihre Rezeption

Die Inszenierung transgressiv handelnder Frauengestalten bei Valerius Maximus stellt die Narration nicht nur vor die Herausforderung, diese ambivalente Weiblichkeit in Abgrenzung von männlicher Exemplarität zu inszenieren. Zugleich werden transgressive Frauen auch zu einem Problem von Rezeption und Bewertung. Exemplarische weibliche Tugenden werden nämlich bei Valerius Maximus durch männliche Instanzen textintern rezipiert und erhalten damit eine normative Wirkung. Dagegen lässt sich für transgressive Genderidentitäten eine ausschließlich auktoriale Rezeption aufzeigen, die Gendertransgressionen einen spezifischen Bewertungsmechanismus zuweist. Einerseits werden Frauen durch diese besondere Form der Rezeption ihres Handelns in einer klaren Opposition zur Inszenierung und Bewertung männlicher und normativ-weiblicher Tugenden platziert. Andererseits hebt die auktoriale Bewertung des Frauenhandelns die Trennung von zeitlich

170 Vgl. dazu auch Thurn 2001 90; ferner Langlands 2006, 142. Diese männlich markierte Zuständigkeit ist als Teil des von Honstetter 1977, 86 erkannten Normcharakters der pudicitia in geschlechterspezifischer Hinsicht zu ergänzen. 171 Entsprechend muss die von Langlands 2006, 144 beschriebene Geltung, »Lucretia is not merely a pawn in the dealings of men. She is herself a warrior on behalf of pudicitia and country«, eingeschränkt werden. Ebenso ist die Bedeutung der pudicitia nach Lucarelli 2007, 166 in diesem Narrativ geschlechterspezifisch zu differenzieren. 172 Vgl. Kapitel 3.4.2.

Weibliche Gendertransgression und normative Männlichkeit

entfernter römischer Vergangenheit und imperialer Gegenwart auf und vermittelt so eine historische wie moralische Kontinuität.173 Damit dient diese Art der Rezeption in erster Linie dazu, Werte des tiberianischen Genderdiskurses auch auf frühe Exempla zu übertragen. So wird Weiblichkeit darüber hinaus genutzt, um Kontinuität in der Krisendarstellung zu schaffen. Frauenhandeln markiert zwar punktuell Krisen, ein fehlender epistemischer Zugang zu diesen hat jedoch zweierlei Effekt: Erstens steht diese Darstellung im Kontrast zu vorbildhaftem Männerhandeln. Zweitens platziert Valerius Frauen durch eine Rezeption außerhalb der figuralen Erzählebene jenseits der eigentlichen Krisennarration und kann diese damit entsprechend eines tiberianischen Werte- und Krisenbewusstseins ideologisch entschärfen. Diese von außen angelegte Rezeption des tiberianischen Diskurses, der von einer moralischen Restauration bestimmt ist, spiegelt diesen Befund, sodass die durch die maiores vermittelte Krisenerinnerung vor allem eine männliche ist.174 Die vorliegenden Fälle von weiblichen Exempla, denen Valerius aus seiner auktorialen Perspektive heraus männliche Eigenschaften und Werte wie etwa die uirtus zuschreibt, korrespondieren eng mit der normativ exemplifizierten Darstellung von Männern und weisen Frauen ihren weiblichen Stellenwert im Erinnerungsraum dieser Krisennarrative zu. Dies zeigt beispielhaft die auktoriale Würdigung Cloelias: non solum obsidio se sed etiam metu patriam soluit, uiris puella lumen uirtutis praeferendo (3,2,2).175 Die auf sie selbst bezogene Handlung der Frau wird für Valerius Maximus zum Anlass, ihr das lumen uirtutis zuzuschreiben. Roller hat bereits darauf hingewiesen, dass dies im Falle der Cloelia entsprechend der explizit weiblichen uirtus insbesondere mit der Bewahrung der körperlichen und moralischen Unversehrtheit einhergeht.176 Dies schlägt sich in der Darstellung des Valerius mit dem Verweis auf non solum obsidio se [...] soluit nieder. Das Exemplum stellt für eine weibliche uirtus somit den Aspekt der figuralen Betroffenheit ins Zentrum, der sich für Cloelia in erster Linie aus ihrer eigenen Gefahr ergibt. So verweist Valerius Maximus auf eine weibliche Tapferkeit, die sich insbesondere durch die tapfere

173 Vgl. Gowing 2005, 57: »Through ›gazing‹ (respicere) at the heroes of the past, we are ›lifted up‹ (exsurgamus) and ›remade‹ (recreemus). The republican past here is not distinct from an imperial present, but rather constitutive of it.« 174 Entsprechend sind geschlechterspezifische Markierungen der mores maiorum aufzuzeigen und diese nicht als absolut anzusehen wie etwa bei Loutsch 1998, 32; Wiegand 2013, 168. 175 Sie befreite nicht nur sich selbst von der Geiselhaft, sondern auch das Vaterland von Furcht, indem sie als Mädchen den Männern das Licht der Tapferkeit vorantrug. 176 Roller 2004, 39f.: »Being »not penetrated« may be a necessary condition for »manliness«, but is hardly sufficient. The »manly« ethical categories of virtus and ἀνδρεία must, like most other Roman ethical qualities, be won and maintained by the performance of consequential actions in the public eye, in this case normally (if not excusively) through displays of valor in combat.« Ebenso Roller 2018, 80. Zu diesem Verständnis von Männlichkeit vgl. auch Wildberger 2015.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Bewahrung der weiblichen Unversehrtheit auszeichnet. Der Aspekt der Körperlichkeit zeigt, dass transgressives Frauenhandeln in dieser Krisen-Memoria dennoch am Maßstab der Weiblichkeit gemessen wird. Dadurch wird Frauenhandeln von männlicher uirtus und von der Interaktion mit der Krise distanziert. Somit erhält Weiblichkeit vielmehr eine moralisch-körperliche Bedeutung. Vor diesem Hintergrund wird auch die Bezeichnung der Lucretia als dux Romanae pudicitiae und die Zuschreibung eines uirilis animus (6,1,1) an die Frau als Ausdruck einer Kontrolle über den eigenen Körper verständlich.177 Daraus generiert sie bei Valerius ihre transgressive Genderidentität,178 nachdem sie zuvor als Opfer der Vergewaltigung mit per uim stuprum pati coacta in einer männlich organisierten Hierarchie als weiblich markiert wurde.179 Auch hier schreibt Valerius Maximus ihr männliche Attribute zu und kennzeichnet damit ihren Zugriff auf den eigenen Körper. Bei Lucretia wird der Bezug auf den Körper durch den Wert der pudicitia abgebildet. Auf dieser Grundlage kann Valerius ihren Selbstmord schließlich als tam animosus interitus bezeichnen.180 Sowohl für Cloelia als auch für Lucretia ist die Zuschreibung und Würdigung männlich konnotierten Frauenhandelns von besonderer Bedeutung für die geschlechterspezifische Betrachtung der dadurch bezeichneten römischen Krisen. Nicht interne männliche Rezipienten bewerten dieses Handeln, sondern eine auktoriale Perspektive, welche die Maßstäbe eines tiberianischen Genderdiskurses anlegt. So nutzt Valerius Maximus diese Exempla weniger dazu, im livianischen Sinne eine männliche Zuständigkeit für den weiblichen Körper zu postulieren, als vielmehr eine frühkaiserzeitliche Deutungshoheit hieran zu formulieren.181 Damit knüpft Valerius moralische Belange dieser Episoden an die Ideale des tiberianischen Diskurses und erzeugt normative Zugriffe, noch bevor etwa im Exemplum der Verginia interne männliche Rezipienten für die weibliche Moral eingesetzt werden.182 Die auktoriale Rezeption von Weiblichkeit ist damit eine Strategie, um eine normative

177 Vgl. Langlands 2006, 170, 173. 178 Ebenso wie uirilis ist auch die Bezeichnung Lucretias als dux männlich markiert. Klassisch ist dux bei römischen Frauengestalten nur für Lucretia und Cloelia belegt; ansonsten findet dieses Wort lediglich für Frauengestalten der griechischen Mythologie Verwendung, vgl. Hey 1934, 2325,1–38. Entsprechend hat Langlands 2006, 143 auf die militärische Semantik der LucretiaEpisode hingewiesen. 179 Wie bei Livius ui gilt auch hier per uim aus Ausdruck einer geschlechtlich definierten Hierarchie, vgl. Moses 1993, 45f., 48; Langlands 2006, 146, 151. 180 In der Literatur der späten Republik und der frühen Kaiserzeit gilt animosus zumeist als Ausdruck eines kriegerischen und männlichen Mutes, vgl. Vollmer 1901, 88,38–89,5. Bei Valerius Maximus bezeichnet animosus auch bei der Vestalin Claudia ein männlich markiertes Handeln im Sinne einer uirilis pietas (Val. Max. 5,4,6), vgl. dazu auch Kapitel 3.4.1. 181 Zur Autorität des Tiberius vgl. Maslakov 1984, 454. 182 Zum tiberianischen Zugriff auf die pudicitia vgl. Langlands 2006, 123f., 153.

Weibliche Gendertransgression und normative Männlichkeit

Geschlechterordnung zu konstruieren und in der Memoria zu verankern. Mit ihr richtet Valerius die exemplarische Bewertung direkt an den zeitgenössischen Leser, indem er das Werte- und Normbewusstsein jener Zeit aktiviert. Die hier genutzten Krisennarrative erhalten so eine zweifache Funktion, wenn diese Krisen-Memoria neben einer politischen Dimension ebenso dazu dient, die mores maiorum dem tiberianischen Wertediskurs zu erschließen und Tugendbegriffe im Sinne einer moralischen Restauration geschlechtlich zu markieren.183 Die Zuschreibung männlicher Attribute und Tugendbegriffe sowie ihre auktoriale Rezeption bilden einen tiberianischen Zugriff auf die mores maiorum ab. Tradierte Exempla werden auf diese Weise aktualisiert. Dies lässt ebenso Rückschlüsse auf die moralische Qualität der Männlichkeit in diesen Narrativen zu. Valerius erschließt nämlich damit die moralische Instanz der prinzipalen Männlichkeit, die durch ihre Werte- und Genderperspektive auch in dieser Hinsicht zum Referenzpunkt wird. Hiermit nimmt Valerius Bezug auf die Darstellung monumentaler Exemplarität von Männern als vorbildhafte summi uiri in der kaiserzeitlichen Erinnerungskultur auf dem Augustus-Forum.184 Auch hier wird durch Cloelias und Busas Auftreten im Krieg gegen Etrusker und Karthager im Text ein Raum für die Exemplarität gendertransgressiven Handelns geschaffen. Deutlich verweist die fehlende Innensicht Cloelias mit ihren Parallelen zur voranstehenden Darstellung des Horatius Cocles auf dessen exemplarische Qualitäten, sodass die Frau zur Charaktantin wird, welche die monumentale Erinnerung an den Mann erzeugt.185 Gleiches gilt für die auktoriale Würdigung des Quintus Fabius im Exemplum der Busa: Fabius in honorem patriae paupertatem inopia mutauit (4,8,2). In beiden Exempla wird männliches Handeln lediglich extern am Maßstab des auktorial vermittelten tiberianischen Diskurses bewertet. Die damit verbundenen weiblichen Exempla dienen dazu, durch die abgebildeten Werte eine geschlechterspezifische Bedeutung zu konstruieren und damit in den Normbestand der restaurierten mores maiorum zu integrieren. Führenden Männern der Republik stehen Frauen gegenüber,186 die in erster Linie dazu dienen, Männer und ihre Taten deutlicher zu konturieren. Die strukturelle Eigenschaft einer ausschließlich auktorial rezipierten Exemplarität ist als kommunikative Strategie der Narration zu verstehen, durch die Valerius Maßstäbe des tiberianischen Genderdiskurses an diese Memoria anlegt. Die abgebildeten

183 Zur ideologischen Legitimation des tiberianischen Prinzipats durch den Rückgriff auf alte Exempla vgl. Humm 1998, 73, 85; ähnlich Skidmore 1996, 60, 62. Zur genderspezifischen Darstellung Cloelias als Reflex soziopolitischer Umstände des Prinzipats vgl. Roller 2004, 51. 184 Vgl. Bloomer 1992, 11, 257f.; Skidmore 1996, 53; Weileder 1998, 275; Gowing 2005, 139. 185 Vgl. Roller 2004, 32; ähnlich Helm 1939, 149; Weileder 1998, 160, 218. 186 Zur Ausrichtung auf männliche Exempla vgl. Bloomer 1992, 20; Loutsch 1998, 39. Zur exemplarischen Autorität republikanischer Helden wie Quintus Fabius in der Tradition der Kaiserzeit vgl. Gries 1956, 337; Skidmore 1996, 16, 27.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Krisen werden in den Erzählungen zum Anlass einer Legitimation tiberianischer Geschlechterideale, die hierin verhandelt werden.187 Gendertransgressives Frauenhandeln hat für Valerius Maximus somit im Wesentlichen die Funktion einer Konstruktion eines weiblichen exemplarischen Raumes. Er wird geschaffen, indem Werte einem geschlechtlich definierten Normkonzept entsprechend markiert werden. Darin kennzeichnen weibliche Handlungsräume und Wertezugänge Valerius’ Verständnis idealer Weiblichkeit. Doch auch die transgressive Genderidentität Tullias, deren Exemplum das Kapitel 9,11 dicta improba aut facta scelerata einleitet,188 ist schlussendlich diesem normativen Zweck unterstellt. Tullias Eile, nach der Schändung von Tullus’ Leichnam zurück zu Tarquinius zu kommen, bezeichnet Valerius nämlich als tam impia tamque probrosa festinatione (9,11,1). Dieses Urteil rekurriert auf ihre fehlende pietas in der Vater-TochterBeziehung als ein Grund des Tadels im vorliegenden Exemplum.189 Es legt damit erneut den Fokus auf die sozialen Nahbeziehungen. Nicht nur als Ehefrau, sondern auch als Tochter tritt sie transgressiv in Erscheinung, was moralisch entschieden verurteilt wird. Dadurch kommentiert Valerius Maximus aus zeitgenössischer Perspektive auktorial die Darstellung des Treueverhältnisses und formuliert einen Zugriff des tiberianischen Wertediskurses auf Tullias als uitium verurteiltes Verhalten. Bewertet wird dies am Ideal der pietas, die in Tiberius’ Sittenpolitik und deren Ausrichtung auf die soziale und geschlechtliche Ordnung des Privatbereichs mit politischer Bedeutung aufgeladen ist.190 Nicht zuletzt nutzt Valerius diese Schwerpunktsetzung des Exemplums auch dazu, die Memoria der ausgehenden Königszeit zum moralischen Problem des privaten Raumes zu machen. Dazu werden Teile der Erzählung, die bei Livius noch zum Narrativ gehörten, ausgeblendet oder die Erzählung auf explizit weiblich markierte Aspekte verlagert. Dadurch gelingt es Valerius, Tarquinius aus dem Fokus der Krisennarration zu nehmen und so eine von erzählter Kontinuität bestimmte Erinnerung zu schaffen, die einen historischen Umbruch hin zur Republik negiert.191

187 Dieser Befund ergänzt die Gedanken von Bloomer 1992, 16f., 22 zur intendierten Leserschaft in der Nobilität; zur Rezeption vgl. ferner Skidmore 1996, 106f. 188 Klotz 1942, 65f. führt dies ausschließlich auf die Chronologie als Ordnungskriterium der Kapitel zurück. 189 Vgl. Lucarelli 2007, 145. 190 Vgl. Wiegand 2013, 63. Thurn 2001, 93 weist darauf hin, dass nicht der Tod selbst, sondern vielmehr das todbringende uitium im Fokus der Exempla-Reihe 9,1–11 steht, die von tödlichen moralischen Vergehen bestimmt ist. 191 Zur Kontinuität durch Aus- und Überblendung heterodoxer Inhalte vgl. Wiegand 2013, 169; ferner Maslakov 1984, 463f.; Bloomer 1992, 153 und als Strategie einer Ausblendung von Konflikten durch weibliche Beteiligung im Narrativ der Bürgerkriege vgl. Kapitel 5. Zur Möglichkeit

Weibliche Gendertransgression und normative Männlichkeit

Es wird deutlich, dass die Inszenierung transgressiven Frauenhandelns in allen betrachteten Fällen darauf zielt, einen normativen Bedeutungsrahmen von Weiblichkeit innerhalb des tiberianischen Geschlechter- und Wertediskurses zu konstruieren. Auf der einen Seite dient diese Strategie dazu, Werte geschlechterspezifisch zu markieren und in Opposition von männlichen Exempla zu präsentieren. So kann Valerius selbst in den Exempla von Cloelia und Busa eine männliche Überlegenheit abbilden. Auf der anderen Seite zeigten die Exempla von Lucretia und Tullia, dass Valerius Maximus Weiblichkeit zusätzlich dazu nutzt, moralische Defizite von Männern aus der Erzählung zu tilgen. Lucretia ersetzt als transgressiv inszenierte Frau eine männliche Zuständigkeit für die pudicitia, während die Figur der Tullia eine Ausblendung des Tarquinius Superbus vornimmt und damit das Narrativ der Krise des Königtums entschärft. Die Platzierung transgressiver Weiblichkeit wird in allen Fällen als Strategie genutzt, idealisierte mores maiorum im Sinne einer frühkaiserzeitlichen Restauration der Moral zu konstruieren.192 3.3.3

Die Krise der nichtrömischen Männlichkeit

Anders als römische Frauen, die im männlichen Raum verortet werden, können nichtrömische Frauen in den Facta et dicta memorabilia durchaus einen epistemischen Zugriff auf die in ihren Exempla abgebildeten Werte erlangen. Dies lässt einerseits Rückschlüsse auf die Darstellung nichtrömischer Männer und deren Qualität als Träger moralischer Exempla zu. Andererseits legt es das Krisenbewusstsein offen, das Valerius darin konstruiert. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass das tiberianische Narrativ weibliche Gendertransgressionen dazu nutzt, nichtrömischen Männern moralische Qualitäten abzuerkennen. Damit wird eine Krisen-Memoria sichtbar, die diese Ereignisse auf der Grundlage der geschlechterspezifischen Anlage der Erzählungen nicht mehr als römische Krisen wahrnimmt. Stattdessen verlagert sie die Krisenhaftigkeit gänzlich auf den nichtrömischen Bereich, wenn allein dort und ohne römisch figurierte exemplarische Beteiligung diese Werte zur Disposition stehen. Die vorbildhafte Qualität von Frauen in Opposition von Männern soll am Beispiel der durch die Frau des Ortiago verteidigten pudicitia sowie der fortitudo der syrakusischen Harmonia und ihrer Amme aufgezeigt werden.193 Hinsichtlich der pudicitia ist dabei ein alleiniger weiblicher Zugriff gegenüber einem männlichen

einer positiven Darstellung des Tarquinius bei Val. Max. durch die Verlagerung in entsprechende Exempla-Kategorien vgl. Wiegand 2013, 158. 192 Die korrigierende Wirkung der maiores nach Wiegand 2013, 168 erhält damit eine geschlechtliche Bedeutung. 193 Die Übernahme der Handlungsmacht durch nichtrömische Frauen, insbesondere durch die Frau des Ortiago, ist bereits gezeigt worden von Langlands 2006, 150, 171.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Wertedefizit festzustellen. Auch die fortitudo wird hier allein als weiblicher Wert formuliert. Während die pudicitia für Valerius Maximus auf römischer Seite stets in die Hände männlich markierter Exempla gelegt wird und das transgressive Frauenhandeln Lucretias dabei lediglich eine körperliche, nicht aber eine epistemische Qualität der Frau bezeichnet, zeigt die Inszenierung der Frau des Galater-Fürsten Ortiago eine vollständige Übernahme dieser beiden Aspekte: Ortiagontis reguli uxor mirae pulchritudinis a centurione [...] stuprum pati coacta, [...] Gallograecis lingua gentis suae imperauit, ut eum occiderent. interfecti deinde caput abscisum manibus retinens ad coniugem uenit, abiectoque ante pedes eius iniuriae et ultionis suae ordinem exposuit.194 (Val. Max. 6,1,ext.2)

Anders als Livius, der diese Episode in die Erzählung eines moralischen Niederganges im römischen Heer integriert,195 steht bei Valerius Maximus ein defizitärer pudicitia-Zugriff eines nichtrömischen Mannes im Fokus des Exemplums. Dieses Wertedefizit bildet das Genderproblem vor dem Hintergrund eines ethnischen Aspekts des tiberianischen Wertediskurses ab. Die Darstellung von Ortiago und seiner Frau nutzt dafür eine ähnliche Struktur der Fokalisierung, die auch der livianischen Lucretia-Episode zugrunde liegt. So lässt er die Frau anstelle ihres Mannes als Rächerin ihrer pudicitia auftreten und sie damit aktiv eine in diesem Diskurs als männlich markierte Handlung übernehmen.196 Damit wird die Frau zur epistemisch überlegenen Instanz dieses Exemplums, wenn iniuria und ultio allein aus ihrem Blickwinkel fokalisiert werden, während Ortiago selbst wie auch im livianischen Narrativ keinen Zugriff auf den Vorgang erhält. Anders als bei Livius dient dieses Exemplum nicht dazu, eine durch den römischen Zenturio verkörperte moralische Degeneration abzubilden. Dieser wird nämlich ohne eigene Perspektive und damit ohne figurales Wissen konstruiert. Seine moralische Charakterisierung liegt also ganz offensichtlich nicht im exemplarischen Interesse der Narration. Vielmehr zielt diese Version auf die nichtrömische Mann-Frau-Interaktion und damit schließlich auf die Inszenierung männlicher Wertedefizite ab. Moralische

194 Die wundersam schöne Frau des Fürsten Ortiago, die von einem Zenturio gezwungen wurde, die Schändung über sich ergehen zu lassen, befahl den Galatern in der Sprache ihres Volkes, ihn zu töten. Dann kam sie mit dem abgeschnittenen Kopf des Getöteten in den Händen zu ihrem Ehemann, warf ihm diesen vor die Füße und schilderte ihm der Reihe nach das Unrecht und ihre Rache. 195 Vgl. Moore 1993, 45. 196 Vgl. Langlands 2006, 150, 171.

Weibliche Gendertransgression und normative Männlichkeit

Defizite des Mannes sind es nämlich, die einen transgressiven weiblichen Handlungsraum eröffnen, welcher sich in diesem Fall in der Rede der Frau artikuliert.197 Das Wissensdefizit der Männer nach der Vergewaltigung der livianischen Lucretia projiziert Valerius nun auf einen nichtrömischen Mann, der ebenfalls anders als die voranstehenden Exempla römischer Männer im Kapitel de pudicitia keinen Zugriff auf die Sittsamkeit seiner Frau aufweist.198 Auf diese Weise konstruiert Valerius hier in erster Linie ein Werteproblem, das am Maßstab einer normativen römischen Geschlechter- und Werteordnung auf die Dekonstruktion von nichtrömischen Männern in ihrer Autorität als Werte-Exempla abzielt. So wird das moralische Selbstverständnis des tiberianischen Narrativs abgebildet.199 Somit wird dieses pudicitia-Exemplum zu einem Problem des geschlechtlich markierten Wissens, wenn die Frau ihrem Mann die Inhalte der verletzten Keuschheit eröffnet. Außerdem hat diese männliche Dekonstruktion auf nichtrömischer Seite auch Auswirkungen auf die auktoriale Beurteilung des Exemplums, indem Valerius abschließend konstatiert: nam neque animus uinci nec pudicitia capi potuit (6,1,ext.2). Während die Inhalte der Erzählung durch die Frau fokalisiert und einem unkundigen Mann eröffnet wurden, ändert sich hier die fokalisiernde Instanz der Narration. Das Werturteil wird nun explizit aus der auktorialen Perspektive vermittelt. Das pudicitia-Ideal wird als Maßstab römischer Tugend an die Charakterisierung nichtrömischer Figuren angelegt und bildet damit die allumfassende Reichweite des römischen Wertekosmos sowie die moralische Überlegenheit der Römer ab.200 Dazu konstruiert Valerius auf nichtrömischer Seite ein männliches Werteproblem, das durch weibliche Gendertransgression zusätzlich als solches markiert wird. Diese Darstellung folgt der Strategie, einen von ethnischen Gegensätzen geprägten Wertediskurs abzubilden. Dafür machen die Wertedifizite nichtrömischer Männer dieses römische Wertewissen sichtbar. Verantwortlich dafür ist die auktoriale Perspektive, durch die das Exemplum rezipiert und am Maßstab des römischen Wertekosmos gemessen wird.201

197 Zur Bedeutung der Rede vgl. Langlands 2006, 172. 198 Vgl. ebd., 173. 199 Diese moralische Überlegenheit Roms anhand der pudicitia hat Mueller 1998, 227f. erst für die teutonischen Frauen in Val. Max. 6,1,ext.3 festgestellt. Weileder 1998, 83 hat diese römische Selbstwahrnehmung auch gegenüber Griechen anhand von Val. Max. 6,1,ext.1 nachgewiesen. Zur Opposition und Abgrenzung von römischen und nichtrömischen Exempla vgl. Milnor 2005, 174. Zur Bedeutung der pudicitia zur nationalen Abgrenzung bei Valerius Maximus vgl. Thurn 2001, 90. 200 Vgl. Langlands 2006, 152; ferner mit Bezug auf die Funktion der Lucretia-Erzählungen vgl. Joshel 1991, 120. 201 Zur Ausrichtung einer moralischen Überlegenheit Roms auf die tiberianische Herrschaft vgl. Weileder 1998, 63.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Dass Valerius Maximus Weiblichkeit zur Abbildung nichtrömischer Werteprobleme nutzt, zeigt darüber hinaus auch das fortitudo-Exemplum in 3,2,ext.9, das im syrakusischen Herrscherhaus verortet wird. Auf römischer Seite prägte die Gegenüberstellung der fortitudo von Horatius Cocles und Cloelia die geschlechterspezifische Bedeutung dieses Wertes, in der nur männliche Tapferkeit eine moralische Innensicht in Krisen erhielt. Dagegen geht transgressives Frauenhandeln auf nichtrömischer Seite mit einer Ausweitung des figuralen Wissens und mit einer moralischen Bewertung am Maßstab römischer Tugend einher.202 Valerius stellt diesem Exemplum emphatisch die muliebris fortitudo voran und weist damit auf die zentrale Bedeutung der Weiblichkeit für die Konstruktion nichtrömischer Tapferkeit hin.203 Die fortitudo wird erwiesen, als aufständische Kräfte in Syrakus alle Angehörigen der Königsfamilie, darunter auch die Königstochter Harmonia, zu töten beabsichtigen. Daraufhin kleidet sich die Amme des Mädchens in königliche Gewänder, um die Angreifer zu täuschen, sich selbst anstelle der Königstochter töten zu lassen und diese damit schließlich zu retten. Daraufhin wird Harmonia zur epistemischen Instanz des Exemplums: admirata illius animum Harmonia [...] tantae fidei superesse non sustinuit (3,2,ext.9). Die Werte der fortitudo und auch der fides werden in dieser Darstellung durch eine Frau fokalisiert und platzieren sie in Abwesenheit von Männern als Trägerin dieser Exempla. Auf diese Weise werden auch die Exempla nichtrömischer Frauen zum Teil eines normativen Exempla-Bestandes, welcher die Darstellung von Weiblichkeit dazu nutzt, männliche Exempla zugunsten transgressiv inszenierter Frauen zu konstruieren. Dafür erhalten Frauen eine epistemische Funktion, die bei römischen Exempla nur Männern zugestanden wird. Zudem konstruiert Valerius Maximus damit die römische Sicht nach außen. Indem nichtrömische Männer nämlich in deutlicher Opposition zur moralischen Exemplarität römischer Männer stehen,204 bildet die Narration die ideologische Grundlage der römischen Weltherrschaftsansprüche in tiberianischer Zeit ab.205 Dazu macht der zugrunde liegende Wertediskurs dezidiert Frauen zu Trägerinnen männlicher und römischer Werte. So wird Valerius’ Erzählung von Krisen allein zum moralischen Problem für die nichtrömische Seite, genauer gesagt: für ihre Männer. Das weiblich abgebildete Konstrukt römischer

202 Zur fortitudo als Bestandteil eines Romanus animus vgl. Val. Max. 3,2,11: eiusdem temporis et notae miles qui Cannensi proelio, quo Hannibal magis uires Romanorum contudit quam animos fregit […]. Zur Ausrichtung dieser nichtrömischen Exempla auf eine römische fortitudo vgl. auch Weileder 1998, 231–236. 203 Bei Val. Max. ist fortitudo nur an dieser Stelle mit dem Adjektiv muliebris belegt, vgl. Hey 1920, 1168,73–76. 204 Zur Exemplarität römischer Helden vgl. Kapitel 3.2.2. 205 Vgl. Weileder 1998, 61f.

Exemplarisches Geschlecht und normatives Urteil

Werte zeigt hingegen das moralische Sendungsbewusstsein Roms nach außen: Diese Exempla stattet Valerius mit der Perspektive des auktorialen Wertewissens aus, um explizit römische Maßstäbe an die moralischen Inszenierungen von nichtrömischen Männern anzulegen. Auf diese Weise ist es Valerius möglich, die moralische Überlegenheit Roms als normatives Idealbild in sein Narrativ zu integrieren, das auf der Folie weiblicher Transgressionen sichtbar wurde.206

3.4

Exemplarisches Geschlecht und normatives Urteil

Valerius Maximus nutzt die frührömischen Narrative der Facta et dicta memorabilia zur Konstruktion eines normativen Weiblichkeitskonzepts auf römischer Seite. Zweierlei Aspekte gilt es dafür im Folgenden aufzuzeigen: Im ersten Schritt soll der Raum als konstitutives Element der Geschlechteridentitäten untersucht werden. Valerius verlegt nämlich die Krisennarration in den Kontext des sozialen Raumes der Familie und konstruiert darin Werteprobleme des öffentlichen Raumes. So wird deutlich, dass die Krisen-Memoria in tiberianischer Zeit das Wohl der res publica vor allem vor dem Hintergrund von Werten der sozialen Nahbeziehungen verhandelt.207 Für Valerius Maximus wird somit die Familie zum Spiegel für öffentliche Probleme, die der tiberianische Wertediskurs auf dieser engen Beziehungsebene verhandelt. Die Verstaatlichung individuell-figuraler Beziehungen gilt so als wesentlicher Bestandteil eines erfolgreichen Krisenmanagements. Der solchermaßen ausgestaltete soziale Raum ist entscheidend für die Bedeutung von weiblichen Exempla. Bereits in der Coriolan-Episode war zu sehen, dass die pietas in diesem sozialen Raum verhandelt wird und darin eine geschlechtlich definierte Bedeutung erhält, wenn Coriolans pietas durch weibliche Figuren sichtbar gemacht wird. Auf diese Weise wurde eine Verbindung von weiblicher Genderidentität und einer erfolgreichen Krisenlösung nachgewiesen, welche in dieser Erzählung die tiberianische Memoria abbildet. Frauen werden in diesen Exempla allerdings nicht nur innerhalb der MannFrau-Interaktion durch ihre Opposition zu Männern weiblich markiert. Ein zweiter Schritt betrachtet daher die Rezeption der Exempla, die für die Konstruktion von

206 Diese moralische Grundlage der römischen Herrschaft ist für Valerius bereits seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. ein normativer status quo, vgl. Val. Max. 4,3,6: nam quae urbs uoluptati plurimum tribuit, imperium maximum amisit, quae labore delectata est, occupauit, et illa libertatem tueri non ualuit, haec etiam donare potuit. Vgl. dazu auch Weileder 1998, 196–198. 207 Zur Verortung der Exempla im privaten Raum vgl. Milnor 2005, 170, 174, 200. Lucarelli 2007, 56 hat dies für den Wert der pietas in verwandtschaftlichen Beziehungen bereits erkannt. Mit Bezug auf die seueritas vgl. Maslakov 1984, 469. Weileder 1998, 41 deutet die moralische Neuorientierung unter Tiberius am Beispiel der pietas allerdings ohne einen sozialen Bezugsrahmen.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Geschlechteridentitäten entscheidende Bedeutung hat. Es muss nämlich gerade ein Blick auf die Mechanismen der textinternen Rezeption der Exempla gelegt werden, um zu zeigen, dass diese wesentlich zur Konstitution geschlechtlich definierter Handlungsvorbilder beitragen. Es sollen daher die Rezeption und deren Wirkung als Reflex des zugrunde liegenden Genderdiskurses analysiert werden. Dabei wird zu zeigen sein, dass Valerius weibliche Exempla im Krisenkontext der sozialen Nahbeziehungen stets durch die Einsetzung interner Rezipienten absichert, wenn darin Frauen explizit in ihrer Rolle als Frauen etwa von staatlichen Instanzen wie dem römischen Senat rezipiert werden. Weiblichkeit wird nicht nur als Projektionsfläche exemplarischer Männlichkeit genutzt, wie etwa die Inszenierung Scipios zeigte. Gleichzeitig dient sie dazu, ein normatives Konzept institutionalisierter Weiblichkeit zu erzeugen, wie es Valerius auch im Kapitel 2,1 de institutis antiquis beschreibt: sed quo matronale decus uerecundiae munimento tutius esset, in ius uocanti matronam corpus eius attingere non permiserunt, ut inuiolata manus alienae tactu stola relinqueretur.208 (Val. Max. 2,1,5)

Valerius Maximus integriert dieses Weiblichkeitsbild in die von den maiores übernommenen moralischen elementa (2,1,praef.), denen er in diesem Kapitel einen normativen Wert zuschreibt.209 Exemplarisch soll in den folgenden weiblich besetzen Exempla gezeigt werden, dass die textinterne Rezeption als strukturelle Eigenschaft der Narration genutzt wird, um dieses Idealbild als Postulat des Genderdiskurses an die Weiblichkeit im Narrativ zu verorten.210 Dass es sich hierbei um eine eindeutig männlich figurierte Rezeptionsinstanz handelt, die Valerius einsetzt, wird in diesem Zuge ebenso nachgewiesen wie deren Wirkung auf die Geschlechterordnung, die dadurch geschaffen wird. Das Beispiel der Coriolan-Episode zeigt, dass Valerius mit dem Senat eine staatliche Institution in den Text integriert, die das Verdienst der Frauen würdigt, Coriolan von einer weiteren Belagerung Roms abgebracht zu haben. Die Inszenierung staatlich-institutioneller Autoritäten wie dem Senat, dessen Zuständigkeit für die Einhaltung traditioneller Sitten bei Valerius Maximus bereits erkannt worden ist,211 und der institutionalisierte Zugriff auf Weiblichkeit sollen daher als eine narrative Strategie für die Konstruktion eines

208 Aber damit die Würde einer verheirateten Frau durch den Schutz der Scham sicherer sei, erlaubten sie demjenigen, der eine verheiratete Frau vor Gericht lud, nicht, deren Körper zu berühren, damit ihr Kleid unangetastet von der Berührung einer fremden Hand blieb. 209 Vgl. dazu auch Langlands 2006, 126. 210 Zum Idealbild der Weiblichkeit in Kapitel 2,1 vgl. auch Bloomer 1992, 123; Langlands 2006, 126–128. 211 Vgl. Coudry 1998, 139f.

Exemplarisches Geschlecht und normatives Urteil

normativen Geschlechterverhältnisses identifiziert werden. So wird deutlich, dass die Mechanismen der Rezeption von Weiblichkeit als Strategie zu verstehen sind, Frauen eine normativ weibliche Rolle zuzuweisen und diese in den Dienst einer moralischen Restaurationspolitik zu stellen.212 3.4.1

Verstaatlichung geschlechtlich markierter Beziehungen

Für Valerius Maximus konnte bereits nachgewiesen werden, dass in der ExemplaSammlung mithilfe männlich regierter Geschlechterverhältnisse normative Weiblichkeitsbilder konstruiert werden. Dadurch wird die Rolle der Frauen nach den Maßgaben des tiberianischen Genderdiskurses definiert.213 Im Folgenden wird davon ausgehend gezeigt, dass Valerius die Konstruktion normativer Weiblichkeit im Spannungsfeld von sozialen Nahbeziehungen und staatlicher Bedeutung der Exempla verortet. Dazu werden öffentliche Werteprobleme auf die Geschlechterebene im familiären Raum verlegt. Für die Erzählung von Krisen und deren erfolgreicher Bewältigung ist es daher bedeutend, ein Geschlechterverhältnis im sozialen Raum zu konstruieren, das männlich regiert wird und einem normativen Konzept von Weiblichkeit gegenübersteht. Auf diese Weise wird eine Funktion von Weiblichkeit sichtbar, die weibliche Tugend in den Dienst eines institutionalisierten Krisenhandelns stellt. Die Narration des Valerius Maximus zeigt, dass erst auf der Folie normativer Weiblichkeit die entscheidenden Werte dieser Wertekrisen auf staatlicher Ebene artikuliert und zur Lösung der Krisen genutzt werden können. So erfordert der tiberianische Genderdiskurs nicht nur in den sozialen Nahbeziehungen,214 sondern ebenso auf der Ebene staatlicher Wertekrisen weibliche Genderidentitäten. Dieser Nexus zwischen weiblicher Inszenierung in der Familie und einer institutionalisierten Bedeutung von Weiblichkeit soll im Folgenden nachgewiesen werden. Valerius Maximus vermittelt in diesen frühen Exempla ein normatives Frauenbild, das sich in sozialen Nahbeziehungen artikuliert und darüber hinaus die Kategorie Geschlecht »institutionalisiert«. Dazu wird mit dem Senat eine staatliche Zuständigkeit für matronale Tugend in der Coriolan-Episode als Rezeptionsinstanz weiblichen Handelns formuliert:215 in quarum honorem senatus matronarum or-

212 Milnor 2005, 219 deutet die Zuschreibung der Frau in die häusliche Sphäre als wesentliche Eigenschaft der frühkaiserzeitlichen Restaurationsbestrebungen. Zur Bedeutung der augusteischen Restauration in der Exempla-Sammlung vgl. Wiegand 2013, 154. 213 Vgl. Kapitel 3.3. 214 Auf die Konstruktion von rollenkonformen Verhaltensweisen innerhalb der verwandtschaftlichen Nahbeziehungen der Kapitel 5,4–6 hat Honstetter 1977, 36f. hingewiesen. 215 Zur Bedeutung der institutionalisierten Rezeption von Weiblichkeit als Abbild des tiberianischen Genderdiskurses vgl. Kapitel 3.4.2.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

dinem benignissimis decretis adornauit (5,2,1).216 Aus institutioneller Perspektive des Senats erfahren Veturia und Volumnia den Dank für ihre Verdienste, indem stellvertretend für sie der gesamte ordo matronarum staatliche Ehren erhält. Die Ehrung markiert beide Frauen in ihrer gesellschaftlichen Stellung als matronae explizit weiblich. Dies wird zum institutionalisierten Akt der Integration von Frauen in eine staatliche Geschlechterordnung, der die Rolle der Frau als maßgeblichen Bestandteil der kaiserlichen Sittenpolitik abbildet. Weiblichkeit ist für Valerius Maximus damit eine Staatsangelegenheit.217 Inmitten dieses Beziehungsgeflechts zwischen Veturia, Coriolan und der res publica offenbart sich ein weiteres geschlechtlich markiertes Verhältnis ausgehend vom Mann. Wenn sich dieser nämlich auf die Bitten der Frauen hin an die patria wendet, um seine pietas zu bezeugen, wird die genderspezifische Wirkrichtung dieses Wertes deutlich: »expugnasti«, inquit, »et uicisti iram meam, patria, precibus huius admotis [...].« [...] ergo pectus dolore acceptae iniuriae, spe potiendae uictoriae, uerecundia detractandi ministerii, metu mortis refertum, totum sibi pietas uacuefecit, uniusque parentis aspectus bellum atrox salutari pace mutauit.218 (Val. Max. 5,4,1)

Lucarelli bemerkt richtigerweise, dass die pietas erga parentes et fratres et patriam, die hier belohnt wird, für Valerius Maximus einen bedeutenden politischen Wert darstelle und die Mutter des Coriolan zwar formal als Adressat dieses Wertes fungiere, diese aber eigentlich an die res publica gerichtet sei.219 Dieser Befund legt ein Muster offen, das die exemplarische und geschlechtliche Rolle von Frauen in der Exempla-Sammlung festlegt. Die pietas Coriolans wird nämlich so der persönlichen Interaktion zwischen Mutter und Sohn enthoben, in einen institutionellen Bedeutungsbereich überführt und erhält dort ihre durch die Klimax expugnasti [...] et uicisti als umfassend gekennzeichnete Wirkung. Dieser Wert wird damit ebenso wie das darin postulierte Krisenhandeln, durch das Coriolan schließlich von der

216 Zu ihren Ehren ehrte der Senat den Stand der Matronen mit den gütigsten Beschlüssen. 217 Nach Weileder 1998, 38 kann die Integration von Frauen als restaurative Bemühung und zentrales Leitmotiv der Sittenpolitik unter Tiberius gedeutet werden. Diese staatlichen Ehren dienen somit der »Verortung des Individuums in neuen politischen Umständen«, vgl. Wiegand 2013, 160. Römer 1990, 103 deutet dies noch allein als zwischenmenschliche Beziehungen. 218 »Du«, sagte er, »hast meinen Zorn bezwungen und besiegt […].« […] Also leerte die pietas sein vom Schmerz über das erlittene Unrecht, von der Hoffnung auf einen zu erreichenden Sieg, von der Scheu, seine Dienstpflicht zu verweigern, von der Furcht vor dem Tod erfülltes Herz. Der Anblick eines einzelnen Elternteils verkehrte den heftigen Krieg in heilsamen Frieden. 219 Vgl. Lucarelli 2007, 136.

Exemplarisches Geschlecht und normatives Urteil

Belagerung Roms ablässt, als eine männliche Zuständigkeit beschrieben.220 Deutlich gründet diese Bedeutung der pietas nämlich auf einer Wirkrichtung, die sich ausgehend vom figuralen Bezug (sibi) Coriolans in Richtung der patria artikuliert. Die Wirkrichtung dieses Wertes in einem männlichen Beziehungsgeflecht definiert das Vorgehen Veturias, das zu diesem pietas-Beweis führt, somit explizit als weiblich. Es liegt nämlich in der Hand des Senats, die Frauen als matronae zu ehren und ihnen gratia (5,2,1) zu erweisen. Das Eingreifen dieser staatlichen Instanz offenbart das Kräfteverhältnis in Valerius’ Werteordnung. Der Wert basiert nicht auf einer reziproken Abhängigkeit zwischen den Geschlechtern, sondern auf einer Wechselbeziehung, die eine männlich dominierte Ordnung herstellt. Anders als die weiblich konnotierten Frauen der Coriolan-Episode ermöglicht ein männlich markierter Wert der Vestalin Claudia, in das moralische Wirkgefüge ihres Exemplums einzutreten und selbst zu dessen Trägerin zu werden. Explizit wird ihr dazu eine uirilis pietas (Val. Max. 5,4,6) zugeschrieben. Auf der Grundlage dieses Wertes verhilft sie ihrem Vater zu einem Triumph, als sie ihm gegen den gewaltsamen Übergriff eines Volkstribunen tatkräftig zur Seite steht. Daraufhin kann sie einen Triumphzug zum Vesta-Heiligtum und ihr Vater einen eigenen zum Kapitol führen. Ihre pietas ist also die Voraussetzung des väterlichen Triumphs.221 Ein Zugriff auf die pietas geht auch in diesem Fall mit einer männlichen Genderidentität einher. Entsprechend transgressiv kann die Vestalin als handelnde Protagonistin auf den Plan treten, da ihr das nötige Wertewissen zugestanden wird. Zwar lassen sich mehrere Interventionen von Frauen im kultischen Kontext ausmachen, in denen sie für familiäre Interessen eintreten.222 Der figurale Wertezugriff zeigt aber zusätzlich: An der transgressiv inszenierten Frau ist es nun, anstelle eines Mannes moralische Verantwortung zu übernehmen und damit in das männliche Wirkgefüge gegenüber Staat und Göttern einzutreten.223 Gleichermaßen zeigt auch die Horatia-Episode, dass Familienverbindungen für Valerius Maximus zur Staatsangelegenheit werden und mit klar definierten MannFrau-Gegensätzen arbeiten. Nachdem sie für die Trauer um ihren Verlobten – ein Feind, den ihr Bruder im Kampf getötet hatte – trauerte und dafür von ihm ermor-

220 Die pietas erscheint durch ihre Lösung aus der Mutter-Sohn-Beziehung als männlicher Wert, vgl. Simon 2002, 147. Ebenfalls für die Deutung einer rein männlichen pietas spricht die Komposition dieser Rubrik, wenn es im Folgenden Männer sind, die diesen Wert untereinander verhandeln und im Dienst für den Staat einbringen, vgl. etwa Scipio, L. Manlius Torquatus und M. Cotta (Val. Max. 5,4,2–4). 221 Vgl. Mueller 2002, 56. 222 Vgl. Kunst 2016, 205. 223 Um diesen geschlechterspezifischen Aspekt der pietas in einem männlich markierten Wirkgefüge ist die von Mueller 2002, 55f. erkannte Rolle Claudias zu ergänzen, wenn er ihre Intervention für den väterlichen Triumphzug verantwortlich zeichnet.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

det wird, steht Horatius schließlich für den Schwesternmord vor Gericht. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit seiner Verurteilung wird abschließend im Berufungsverfahren vor dem Volk verhandelt, das ihn freispricht und sich in seinem Urteil auf die pietas beruft: immaturum uirginis amorem seuere magis quam impie punitum existimabat (8,1,abs.1). Horatius als Agens und das Volk als urteilende Instanz verhandeln hier diesen Wert auf dem Rücken Horatias, die selbst ebenso wie Veturia in der Coriolan-Episode nur passiv den Rahmen des Exemplums schafft. Auch hier wird die pietas, die auf der Folie des Frauenhandelns sichtbar gemacht wird, zu einer institutionellen Tugend, die in der Verhandlung des Schwesternmordes eine staatliche Bedeutung erhält. Gleiches gilt für die pudicitia, die Valerius in der parallelen Erzählung dieses Ereignisses in der Rubrik 6,3 de seueritate als Grund für die Rechtmäßigkeit des Mordes anführt: parum pudicas ratus lacrimas (6,3,6). Es zeigt sich, dass auch die Beziehung zwischen Bruder und Schwester über einen männlichen Wertezugriff reguliert wird. Wie bei der weiblichen Sittsamkeit ist für Valerius Maximus auch hier die Zuständigkeit eines Mannes erforderlich. In diesem Exemplum – und für Valerius Maximus generell – ist die pudicitia ein Wert, über den römische Männer verfügen. Es wird ein Mann-Frau-Verhältnis geschaffen, in dem die weibliche Sittsamkeit allein durch die Werteperspektive des Mannes konstruiert wird.224 Die Konstruktion einer Geschlechterordnung, in der Männer – wie in der Coriolan-Episode benannt – über Werte für die salus rei publicae (5,2,1) wachen, spiegelt nicht nur den Gender-, sondern ebenso den Krisendiskurs der tiberianischen Zeit wider. Bloomer zeigte bereits, dass es Valerius hier im Wesentlichen um die gesellschaftliche Integration von feindlichen Kräften der Bürgerkriege in die römische Gesellschaft ging.225 Das Krisenhandeln der Männer offenbart die moralische Dimension der Exempla-Sammlung:226 Die Verengung des sozialen Referenzraumes der Exempla,227 der sich hierbei auf geschlechtlich markierte Nahbeziehungen verlagert, zeigt, dass eine Krise für Valerius nunmehr ein innerrömisches Problem darstellt. Die Problemlösung zielt darauf ab, eine männlich organisierte Geschlechterordnung zu festigen. Die römischen Sittenideale sind dabei von zentraler Bedeutung, was die Relevanz der kaiserlichen

224 Vgl. Val. Max. 6,1,praef.: unde te uirorum pariter ac feminarum praecipuum firmamentum, Pudicitia, inuocem? Zur besonderen Bedeutung der pudicitia bei Valerius Maximus sowohl für Frauen als auch für Männer vgl. Langlands 2006, 139. Zur Geschlechterordnung der pudicitia vgl. Kapitel 3.4.2. 225 Vgl. Bloomer 1992, 154. Dieser Befund stützt die Annahme von Weileder 1998, 239, bei drohenden Bürgerkriegen wie im Zuge der Bedrohung durch Coriolan würden römische Kriegshandlungen negativ dargestellt. 226 Zur Deutungsambivalenz historischer Ereignisse in der Darstellung des Valerius Maximus vgl. Honstetter 1977, 21. 227 Diese Beobachtung machte Krasser 2011, 246f. für die soziale Verortung des Exempla-Bestandes.

Exemplarisches Geschlecht und normatives Urteil

Sittengesetzgebung zeigt.228 In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass sich die kaiserlichen Sittenideale für Valerius Maximus vor allem auf Grundlage einer geschlechtlich definierten Gesellschaftsordnung artikulieren. 3.4.2

Normative Weiblichkeit und institutionalisierte Rezeption

Die Werte des Weiblichkeitskonzepts erhalten bei Valerius Maximus normative Bedeutung, indem interne Rezipienten für moralische Ideale in den Exempla eingesetzt werden. Dazu werden institutionalisierte und explizit männliche Instanzen in die Narration integriert, die Frauen in ihrer moralisch zugewiesenen Rolle als Frauen rezipieren. Am Maßstab der Werte pietas und pudicitia, die durch diesen männlich markierten Zugriff auf eine staatliche Ebene übertragen werden, wird die Bedeutung normativer Weiblichkeit als Grundlage eines erfolgreichen und explizit als männlich zu bewertenden Krisenhandelns offenkundig. Diese beiden Werte sind moralische Postulate an das weibliche Geschlecht, die es gegenüber einer männlichen Instanz zu erweisen gilt. Sie einzufordern, ist ein wesentlicher Bestandteil eines geschlechterspezifischen Handlungsrepertoires zur Lösung von Krisen. Frauen werden im Genderdiskurs also anhand eines Wertewissens definiert, das aus dem Blickwinkel von Männern fokalisiert wird. Es sind nämlich stets Männer, die auf pietas und pudicitia zugreifen können. Im Folgenden soll nachgewiesen werden, dass Valerius Maximus im Sinne moralischer Restaurationsbestrebungen Frauen textintern weiblich rezipiert und damit ein normatives Geschlechterwissen erzeugt.229 Dafür müssen männlich markierte Rezeptionsmechanismen als eine strukturelle Eigenschaft in der Narration nachgewiesen werden. Sie dienen dazu, in Krisennarrativen nicht nur restaurierte Moralvorstellungen, sondern ebenso eine institutionalisierte Anerkennung weiblicher Werteideale sichtbar zu machen, welche für die moralische Festigung und Kontinuität der Exempla steht.230 Diese auf moralische Kontinuität ausgerichtete Wertekonstruktion ist für Valerius vor allem eine Frage von normativen Genderidentitäten, da sie auf der Grundlage einer idealisierten Memoria der republikanischen Vergangenheit erzeugt wird.231 228 Vgl. Wiegand 2013, 63, 156, 163. 229 Dies verortet Frauen und ihre normative Weiblichkeit innerhalb des von Weileder 1998, 39–44 erkannten moralischen Erneuerungsprogramms, vgl. ebenso Milnor 2005, 3, 219. Langlands 2006, 126 weist im Kontext weiblicher Ideale vor allem auf die Ausgestaltung des moralischen Programms des Werkes in Val. Max. 2,1 hin, das sich dezidiert mit der Mann-Frau-Beziehung und deren Wertegrundlage befasse. 230 Die Intention einer Darstellung römischer Kontinuität erkennt bereits Wiegand 2013, 76, 162f. Die Analyse der Kategorie des Geschlechts macht sich diese Erkenntnis zum Ausgangspunkt und differenziert sie in moralischer Hinsicht. 231 Diese erinnerungskulturelle Rolle der Republik hat Mueller 2002, 106 anhand der Bedeutung der mores maiorum ausgemacht.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Am Beispiel der pudicitia Lucretias und Verginias wird erkennbar, dass für Valerius Maximus republikanische Werteideale verhandelt werden und anhand der Kategorie des Geschlechts zur Disposition stehen. Im Vergleich beider Episoden lässt sich anhand des männlichen Wertewissens deutlich erkennen, dass der Zugriff auf die pudicitia in der Verginia-Erzählung Männersache ist. Während Lucretias transgressive Inszenierung für den Moralisten erforderlich war, um eine männliche Zuständigkeit für diese moralische Qualität zu erzeugen,232 macht Verginias Exemplum deutlich, dass sich die geschlechtliche Bedeutung der pudicitia im Verlauf der ersten beiden Abschnitte des Kapitels 6,1 wesentlich ändert.233 Langlands hat richtigerweise auf die Gegensätzlichkeit beider Exempla hingewiesen, die Verginia jegliche Subjektivierung abspricht und sie anhand der Antithese von den Bezeichnungen dux (Lucretia) und deductam puellam (Verginia) als Opfer männlichen Handelns deutet.234 Entscheidend für diese veränderte Inszenierung von Frauen ist die Anlage des moralischen Wissens dieser Episode. Die Fokalisierung von Verginias Vater Verginius legt die pudicitia in dessen Hände, indem Valerius das Urteil aus der Perspektive des Vaters schildert: pudicaeque interemptor quam corruptae pater esse maluit (6,1,2). Durch das Hinzutreten einer dritten, männlichen Instanz in die Figurenkonstellation aus pudicitia-Opfer und Peiniger etabliert diese Erzählung ein Wertekonstrukt, das fortan gänzlich auf männliche Handlungsmacht vertraut und eine Progression im Wertezugriff abbildet.235 Diese Männer, die über weibliche Sittsamkeit zu wachen imstande sind, nehmen nämlich genau die Position ein, die noch zuvor vom uirilis animus Lucretias ausgefüllt wurde. Auf diese Weise verankert Valerius ein normatives Wertekonstrukt auf Grundlage seines Genderkonzepts. Dies schreibt Männern fortan die Aufgabe und die Fähigkeit zu, für diese Werteideale einzutreten.236 Zudem schafft Valerius Maximus mit Verginius einen Protagonistentypus, der die männliche Autorität in der Frage der weiblichen Moral abbildet.237 Die Analyse des Figurenwissens zeigt jedoch deutlich, dass dies weniger eine bloße Frage der männlichen Handlungsmacht ist, die Verginius’ Stellung definiert. Vielmehr konnte gezeigt werden, dass ein normativer pudicitia-Zugriff überhaupt erst die Voraussetzung dafür ist, dass Männer diese Handlungsmacht übernehmen können. Protagonisten dienen dabei als Werteinstanz einer geschlechtlich definierten Hierarchie. In diesem Verständnis etabliert das Narrativ Männer als

232 233 234 235

Vgl. Kapitel 3.3.1. Zur Progression der Exempla am Beispiel der pudicitia vgl. Langlands 2006, 125. Vgl. ebd., 144. Ebd., 139 hat in diesem Zusammenhang auf die Fähigkeit von Vätern hingewiesen, für die pudicitia der Töchter einzutreten. 236 Honstetter 1977, 83f. erkennt diese männliche Zuständigkeit am Fallbeispiel von Val. Max. 6,1,13. 237 Vgl. Langlands 2006, 148.

Exemplarisches Geschlecht und normatives Urteil

custodes pudicitiae und schafft so ein normatives Weiblichkeitskonzept innerhalb einer männlich organisierten Hierarchie.238 Diese männliche Werteinstanz liegt ebenso den anderen Exempla zugrunde, die auf die mores maiorum rekurrieren. Auch für Horatia ist nämlich die in ihrem Exemplum gezeigte Weiblichkeit, die an den Maßstäben von pudicitia und pietas konstruiert wird, Ausdruck eines frühkaiserzeitlichen Normempfindens. Ihre Sittsamkeit erfordert ebenfalls ein explizit weibliches Paradigma der pietas (8,1,abs. 1) zwischen ihrem Bruder und dem Staat,239 das durch die oben gezeigte Hierarchie des Narrativs deutlich wird.240 Die Fokalisierung zeigt, dass in diesem Fall das römische Volk als textinterner Rezipient eingesetzt wird, indem es sich auf den Wert der pietas bezieht. Dem römischen Volk wird dabei nicht nur ein Zugriff auf die pietas zugestanden, als es sich für die Rechtmäßigkeit von Hortias Ermordung ausspricht. Es ist also hier ein Zeichen von pietas gegenüber Rom, Horatias Liebe zum Feind zu ahnden, indem man sie tötet. Zugleich wird das römische Volk in diesem Zusammenhang als custos acer pudicitiae bezeichnet.241 Das Volk wird mit seiner Werteperspektive als eine moralische Instanz im Beziehungsgeflecht konstruiert, die eine Bewertung in der Horatia-Episode vornimmt. Schreibt der Moralist an dieser Stelle ausdrücklich dem Volk die Fürsorge um die Einhaltung der pudicitia zu, so legt dies ebenso ein Postulat an das weibliche Geschlecht wie auch ein Wertebewusstsein offen, das dieses weibliche Ideal zu einem staatlichen Konstrukt werden lässt.242 Die weibliche Sittsamkeit beschränkt sich für Valerius nicht mehr allein auf ein Konzept von Keuschheit, das Frauen gegenüber ihrem Ehemann leben. Hier wird erkennbar, dass das sittlich angemessene Verhalten einer Frau gegenüber Rom Eingang in den pudicitia-Begriff gefunden hat. Einerseits ist dies ein Ausdruck eines tiberianischen Sittendiskurses.243 Andererseits installiert Valerius damit eine weitere Bewertungsinstanz in der Erzählung, welche die moralischen Normen tiberianischer Zeit vermittelt. Sie tritt in einem polyphonen Geflecht von moralischen Urteilen auf und erhält eine eigene figurale Position, die neben dem Protagonisten Horatius die Ideale des Wertediskurses aufzeigt.244

238 Val. Max. 6,1,4: quid P. Maenius ? quam seuerum pudicitiae custodem egit. Vgl. Langlands 2006, 145. 239 Vgl. Lucarelli 2007, 188. 240 Vgl. Kapitel 3.4.1. 241 Val. Max. 8,1,abs.2: acrem se tunc pudicitiae custodem populus Romanus, postea plus iusto placidum iudicem praestitit. 242 Diese normative Moralinstanz im Urteil des Valerius Maximus vernachlässigt Langlands 2006, 145 Anm. 52, wenn sie die Bezeichnung custos acer pudicitiae allein auf Horatius bezieht. 243 Vgl. Honstetter 1977, 80; Langlands 2006, 153f. 244 Diese mag nach Honstetter 1977, 38 die in der Praefatio dem Tiberius zugeschriebene Rolle des Sittenwächters figurieren, ähnlich Maslakov 1984, 438; Bloomer 1992, 205; Wiegand 2013, 179.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Valerius Maximus beschreibt mit diesem staatlichen Zugriff auf Weiblichkeit Maßnahmen eines Krisenmanagements, das auch in institutioneller Hinsicht auf eine weibliche Genderidentität angewiesen ist. Darin lassen sich weitere Reflexe der ideologischen Grundlage der Exempla-Sammlung aufdecken: in quarum honorem senatus matronarum ordinem benignissimis decretis adornauit: sanxit namque, ut feminis semita uiri cederent, confessus plus salutis rei publicae in stola quam in armis fuisse, uetustisque aurium insignibus nouum uittae discrimen adiecit. permisit quoque iis purpurea ueste et aureis uti segmentis. super haec aedem et aram Fortunae Muliebri eo loco, quo Coriolanus exoratus fuerat, faciendam curauit, memorem beneficii animum suum exquisito religionis cultu testando.245 (Val. Max. 5,2,1)

Hierin offenbart sich der Stellenwert, der Frauen in der Argumentation dieses Krisennarrativs zugeschrieben wird. Wenn der Senat ihre Verdienste ehrt und ihnen Privilegien zugesteht, so ist dies nicht als Ausweitung eines weiblichen Handlungsraumes zu deuten, sondern bedarf einer differenzierenden Betrachtung. Frauen werden hier im Kollektiv des ordo matronarum geehrt. Damit legt die männliche Bewertungsinstanz des Senats die Rolle von Frauen auf ihre explizit weiblichen Eigenschaften fest.246 Zugleich bilden die Senatsdekrete mit diesem Weiblichkeitsbild den Ausgangspunkt für das Handlungsmodell, das der imitatio dient.247 Dabei legt die Inszenierung von Veturia und Volumnia ihre Bedeutung als Exemplum fest: Valerius Maximus schafft einen Rezeptionsrahmen weiblicher Tugend, in dem Weiblichkeit kollektiviert wird. Dies hat Auswirkungen auf die Schwerpunktsetzung des Exemplums: Statt weibliche Protagonistinnen und ihr Handeln zu individualisieren, zielt die Episode darauf ab, die explizit männliche Handlungsmacht des Senats im Prozess der Krisenlösung zu demonstrieren und zu idealisieren. Nur in diesem engen Rahmen stereotyper matronaler Tugend ist Weiblichkeit für den tiberianischen Autor also rezipierbar. Zwar ist weibliches Handeln auch in dieser

245 Zu ihren Ehren würdigte der Senat den Stand der Matronen mit überaus gütigen Beschlüssen: Er bekräftigte nämlich, dass Männer auf dem Fußweg den Frauen Platz machen sollten, indem er bekannte, dass das Wohl des römischen Staates mehr in den Gewändern vornehmer Damen als in Waffen gelegen habe, und fügte den alten Zierden des Ohres die neue Unterscheidung der Kopfbinde hinzu. Darüber hinaus ließ er an der Stelle, an dem Coriolan inständig gebeten worden war, einen Tempel und einen Altar für die weibliche Fortuna errichten, indem er seine Einstellung eingedenk der Wohltaten durch den ausgewählten religiösen Kult beschwor. 246 Langlands 2018, 122 hat auf die große Präsenz von Frauen in der Rubrik de gratis hingewiesen. 247 Die von Wiegand 2013, 179 bemerkte Ausblendung von individuellen Protagonisten findet hier in der Kollektivierung des Weiblichen Anwendung. Zur imitatio der alten Vorbilder in der ersten Werkhälfte des Valerius Maximus vgl. Honstetter 1977, 46.

Exemplarisches Geschlecht und normatives Urteil

Darstellung einer männlich regierten Geschlechterordnung unterworfen und deren normativer Raum jenseits einer politischen Sphäre zu verorten.248 Dennoch definiert diese Kollektivierung das Konzept von Weiblichkeit im gesellschaftlichen Rahmen, indem es dem Werturteil einer männlichen Autorität unterliegt. Zugleich bildet diese moralische Bewertung der Frau Wechselwirkungen mit ihrer Genderidentität ab. Die vorausgegangene weibliche Konstruktion gegenüber Coriolan wird durch die Rezeption als matronae im Senatsbeschluss gefestigt.249 In dieser Inszenierung von Frauen legt das tiberianische Narrativ ein normatives Geschlechterverhältnis fest, das durch eine männliche Instanz fokalisiert wird (confessus). So wird nicht nur ein männliches Genderwissen abgebildet. Gleichzeitig werden Frauen in der Krise auf ihre Rolle als Matronen festgelegt. Dies macht die Bedeutung von Weiblichkeit offenkundig, die in tiberianischer Zeit exemplarisch rezipierbar ist.250 Der parallele Vergleich in stola quam in armis erzeugt mit seiner Voranstellung eines weiblichen Attributes ein Geschlechterverhältnis, das Frauen nachdrücklich von kriegerischen Handlungen ausschließt und auf diese Weise eine strikt heteronormative Ordnung evoziert.251 Dieser Befund zeigt deutlich, dass sich das Weiblichkeitskonzept von augusteischer in die tiberianische Zeit stark gewandelt hat, wie das geschlechterspezifische Krisenhandeln zeigt. Ausschlaggebend dafür ist Valerius’ Bestreben, ein Konstrukt einer normativen römischen Frühgeschichte in seinen Exempla zu verorten. Während bei Livius Frauen in Krisensituationen selbstständig und transgressiv für ihre weibliche Rolle eintraten,252 offenbart diese Gegenüberstellung von männlichen und weiblichen Handlungsmodellen eine gefestigte tiberianische Krisen- und Genderideologie. Die salus rei publicae basiert für Valerius auf einem Genderkonzept, in dem eine männliche Handlungsmacht in Krisen sichtbar wird. Diese zeigt sich in der Narration durch die Einsetzung einer männlich figurierten Rezeptionsinstanz von Weiblichkeit. Valerius Maximus setzt diese als Autorität des tiberianischen Wertediskurses ein, deren Aufgabe es ist, Weiblichkeit nach den Maßstäben matronaler Ideale zu definieren. Diese erzählerische Struktur verortet die Rolle von Frauen in einem reziproken Wirkgefüge zwischen Männern und dem Staat. Männliche 248 Zur Konzentration auf das Private als Kennzeichen der kaiserzeitlichen Darstellung vgl. Milnor 2005, 199. 249 Zur Bedeutung staatlicher Instanz in dieser Episode vgl. Lucarelli 2007, 109; mit Bezug auf die pietas vgl. Bloomer 1992, 20. 250 Wiegand 2013, 179 hat bereits die Verdienste für den Staat als Bewertungskriterien der Exempla und ihre Ausrichtung an den moralischen Maßstäben der Prinzipatsideologie aufgezeigt, was hier hinsichtlich der Kategorie des Geschlechts differenziert werden kann. 251 Vgl. Val. Max. 2,1,5: sed quo matronale decus uerecundiae munimento tutius esset, in ius uocanti matronam corpus eius attingere non permiserunt, ut inuiolata manus alienae tactu stola relinqueretur. Vgl. dazu auch Langlands 2006, 127. 252 Vgl. Kapitel 2.1.2.2.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Instanzen fokalisieren dabei das weibliche Normkonzept und formulieren es als ein Postulat an Frauen. Diese Vermittlung von weiblichen Werten ist das zentrale Element der Darstellung von Weiblichkeit in Krisennarrativen. Dies muss als Strategie der Inszenierung von matronaler Weiblichkeit verstanden werden. Auch das auf die Coriolan-Episode folgende Exemplum der Vestia Oppia und Cluvia Facula, welche die Römer während der Belagerung Capuas durch Opfergaben und Lebensmittellieferungen unterstützten, wird auf gleiche Weise konstruiert. Hier wird mit dem römischen Senat ebenso eine männliche Instanz geschaffen, die ihr Handeln würdigt. Die männlich figurierte Rezeption des Frauenhandelns durch eine römische Institution trägt zu einer Institutionalisierung eines normativen Weiblichkeitskonzeptes bei.253 So schafft Valerius narrative Strukturen, die Weiblichkeit in Abhängigkeit vom tiberianischen Genderdiskurs als Exempla inszenieren. Mithilfe eines figuralen Wertewissens können diese institutionalisierten Autoritäten als textinterne Rezipienten Frauen dezidiert matronale Tugenden zuschreiben, die dem zeitgenössischen Diskurs zugrunde liegen.254 Zwar stellt Langlands richtig fest, dass sowohl die Frauen in der Coriolan-Episode als auch Vestia Oppia und Cluvia Facula patriotischen Mut aufweisen und damit als Präzedenzfälle für folgende Exempla von Männern gelten, die patriotisch für Rom eintreten.255 Entscheidend ist jedoch, dass die intratextuelle Rezeption dennoch nicht eine Genderoder Normtransgression dieser Frauen würdigt, sondern explizit weibliche Aspekte ihrer Genderidentität. Die Verlagerung der Wertungsinstanz ist bei Valerius somit der Indikator eines weiblichen Wertekonzepts. Auf diese Weise gelingt es nämlich, anders als in der livianischen Erzählung eine Wertekrise zu inszenieren, welche einzig auf die Konstruktion normativ weiblicher Ideale ausgerichtet ist und darin den zentralen Aspekt der Krisenlösung offenbart. Die Rezeption von Weiblichkeit dient dabei der Narrativierung einer Geschlechterordnung. Dazu projizieren frühkaiserzeitliche Rezeptionsmechanismen ein zeitgenössisches Werteverständnis in die römische Frühzeit und schaffen dort eine männlich regierte Gesellschaftsordnung, die eine normative Bedeutung erhält.256 Indem Valerius dabei Weiblichkeit nach

253 Val. Max. 5,2,1: urbe illa oppressa senatus iis et libertatem et bona restituit et, si quid amplius praemii petissent, libenter se daturum adseuerauit. uacasse tanto gaudio patribus conscriptis duabus humillimis feminis referre gratiam, nedum tam prompte rettulisse mirandum. 254 Zur institutionalisierten Rezeption weiblicher Transgression in der Darstellung von Giftmorden aus dem Jahr 331 vgl. Val. Max. 2,5,3: ueneficii quaestio, et moribus et legibus Romanis ignota, complurium matronarum patefacto scelere orta est. 255 Vgl. Langlands 2018, 123. 256 Anhand der Geschlechterordnung wird die frühkaiserzeitliche Funktion des Senats als »legitimatorischer Background der politischen Fiktion des ersten Bürgers«, Wiegand 2013, 54, sichtbar, die in diesem Narrativ die kaiserliche Ideologie vermittelt.

Fazit

restaurativen moralischen Idealen konstruiert, offenbart sich eine Funktion dieser Krisenerzählungen. Weibliche Exempla der maiores dienen dazu, Frauen in dieser idealisierten Memoria in ein normatives Werte- und Geschlechterkonzept zu integrieren. Dieses Idealbild der römischen Vergangenheit stellt den moralischen Gegensatz zur ebenfalls weiblich erzählten Degeneration der späteren Krise der Bürgerkriege dar.257

3.5

Fazit

Die Analyse der Frauen-Exempla, die Valerius Maximus aus der römischen Frühgeschichte in seinem Werk platziert, konnte einerseits das normative Konzept von Weiblichkeit in tiberianischen Krisennarrativen aufzeigen. Andererseits zeigte sie, dass sich im Vergleich zur augusteischen Historiographie des Livius sowohl der Genderdiskurs als auch die Wahrnehmung von Krisen deutlich verändert haben. Livius nutzte den Umbruch zwischen Königszeit und Republik und die Inszenierung zentraler Werte wie die concordia und libertas zur Konstruktion eines Wertekanons, der die Werteideale augusteischer Zeit verzeichnet und ihnen als identitätsstiftende Ideale der maiores im zeitgenössischen Wertediskurs eine neue Bedeutung zuschreibt. Dagegen verlagert sich unter Tiberius das exemplarische Interesse der weiblich besetzten Krisennarration deutlich. Anhand von Betrachtungen der Dynamiken und exemplarischer Handlungsräume von überwiegend parallel überlieferten Erzählungen konnte eine deutlich veränderte Bedeutung von weiblichen Exempla in diesen Narrativen der tiberianischen Zeit nachgewiesen werden. Den Krisenerzählungen des Valerius Maximus ist gemein, dass exemplarisches Handeln stets dem unmittelbaren Kontext einer akuten römischen Krise enthoben ist, die noch für Livius den Rahmen seiner historiographischen Darstellungen bot. Stattdessen bilden diese Anlässe für den tiberianischen Autor lediglich den Ausgangspunkt seiner Werte-Exempla. Diesen Befund allein mit dem abweichenden Interesse eines Moralisten im Vergleich zur livianischen Historiographie zu erklären, greift allerdings zu kurz. Ebenso wenig reicht es aus, die Abgeschlossenheit historischer Ereignisse in der Darstellung in der Exempla-Sammlung mit dem Prinzip der teleologischen Geschichtsschreibung zu begründen. Entgegen diesen Erwartungen zeigte die Funktionalisierung weiblicher Exempla durch ihre Adaption eines tiberianischen Wertesystems in ein normatives Weiblichkeitskonzept der frühen Kaiserzeit. Valerius’ Geschichtsauffassung ist somit dafür verantwortlich,

257 Zur moralischen Degeneration durch transgressive Weiblichkeit vgl. Milnor 2005, 225–238 und Kapitel 5. Zur Opposition idealisierter mores maiorum und einem moralischen Niedergang vgl. Bloomer 1992, 49.

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

dass anhand weiblicher Exempla in Krisennarrativen ein solches Normempfinden tiberianischer Zeit abgebildet wird. Dies wird etwa durch die gezeigte Verlagerung des exemplarischen Raumes in den privaten Bereich der sozialen Nahbeziehungen ermöglicht, die einen weiblichen Raum und nicht zuletzt auch die Perspektive von Frauen in Krisennarrativen bestimmte. Steht für Valerius Maximus die Entwicklung des Geschehens in diesen Krisen außer Frage, so hat dies schließlich bedeutende Auswirkungen für die Konstruktionsmechanismen des Geschlechts. Sobald die Handlung auf der Ebene einer staatlichen Krise in diesem Narrativ nicht mehr bedeutungstragend ist, verlagert sich diese allein auf soziale Beziehungen, was die von Lucarelli gezeigte Bedeutung dieses Handlungsraumes hinsichtlich der Kategorie der Krise erweitert. Für die Konstruktion von Wertevorbildern bedeutet dies zweierlei: Einerseits konstruiert dieser Handlungsraum eine weibliche Perspektive, die ein weibliches Normkonzept vermittelt. Andererseits zielt diese Inszenierung von Weiblichkeit innerhalb der unmittelbaren Mann-Frau-Interaktion vor allem auf die Konstruktion männlicher Exempla ab. In Hinblick auf diese Wechselbeziehung konnte gezeigt werden, dass Frauen in diesen Beziehungen eine weibliche Perspektive einnehmen, die gegenüber der männlichen auf ihre matronale Rolle beschränkt ist. Durch diesen epistemischen Ausschluss aus der Krisenhandlung werden sie als Charaktantinnen männlicher Exempla funktionalisiert: Dies konnte beispielhaft in der CoriolanEpisode nachgewiesen werden, in der die weibliche Innensicht Veturias ausschließlich dazu diente, die pietas ihres Sohnes sichtbar zu machen, die sich gegenüber dem römischen Staat artikuliert. Normative Weiblichkeit wird damit als Postulat weiblicher Exempla genutzt, um männliches Handeln für die salus rei publicae in Krisen gleichermaßen exemplarisch zu artikulieren. Dieser Befund geht also deutlich über die Verortung von Frauen und ihre matronale Funktion innerhalb der sozialen Nahbeziehung hinaus, da Valerius dadurch ein Krisenwissen vermittelt, das auf der einen Seite Weiblichkeit über die figuralen Perspektiven eine normative Rolle zuschreibt. Auf der anderen Seite verortet diese weibliche Sicht Frauen in einem moralischen Gefüge zwischen männlichem Krisenhandeln gegenüber dem Staat. Auf diese Weise konstruiert Valerius anhand seines Konzepts normativer Weiblichkeit eine Krisen-Memoria, die Frauen im tiberianischen Werte- und Krisendiskurs verortet. Dazu wird ein Handlungsraum der Exempla geschaffen, der abseits historischer Umbrüche diese Krisen als Werteprobleme im sozialen Bereich abbildet und damit eine Ideologie republikanischer Kontinuität vermitteln kann, die Umbrüche auf staatlich institutioneller Ebene negiert. Dieses Verständnis von Männlichkeit bestimmt zudem die Repräsentation republikanischer summi uiri. Ihre Inszenierung, die ebenfalls in der Nahbeziehung zu Frauen auf der Grundlage matronaler Tugendhaftigkeit generiert wird, steht im Zeichen einer tiberianischen Erinnerungskultur, die männliche Protagonisten als zentrale Abbilder republikani-

Fazit

scher Tugend absolut setzt. Valerius’ Exempla sind damit ein literarischer Reflex der monumentalen Darstellung bedeutender Männer auf dem Augustus-Forum. Wie die Exempla rezipiert werden, ist für die Konstruktion und tugendhafte Inszenierung von Weiblichkeit ein bedeutendes Kriterium der Narration und ihrer exemplarischen Bewertung. So konnte etwa in der Coriolan-Episode gezeigt werden, dass Valerius Maximus die weibliche Charakterisierung des Frauenhandelns durch eine textinterne Rezeption mithilfe der Instanz des Senates würdigt. Durch diese strukturelle Eigenschaft der Exempla wird die Bedeutung von Frauengestalten erkennbar, die der tiberianische Genderdiskurs normativ formuliert, wenn Frauen in ihrer matronalen Genderidentität rezipierbar werden. Im Gegensatz dazu wurde etwa am Beispiel Lucretias ein Problem dieser Rezeptionsmechanismen deutlich, die einen wesentlichen Aspekt der Krisennarration des Valerius Maximus widerspiegeln: Im Gegensatz zu Verginia fehlt dem pudicitia-Exemplum der Lucretia eine männlich figurierte textinterne Rezeption in Gestalt männlicher Protagonisten. Dies konnte im Zeichen einer Wertekrise gedeutet werden, in der eine transgressive Inszenierung der weiblichen Performanz zum Abbild eines fehlenden männlichen Wertewissens wurde. Diese Transgression dient Valerius dazu, dieses männliche Defizit zu kompensieren. Allerdings macht Valerius Maximus im Sinne einer von Kontinuität geprägten Geschichtsauffassung dieses männliche Werteproblem – anders als Livius – nicht zum Ausgangspunkt eines Umbruchs. Stattdessen nutzt er die Möglichkeit, das pudicitia-Exemplum der Lucretia aus auktorialer Perspektive zu würdigen und so als textinterne Rezeptionsinstanz zu fungieren. Auf diese Weise kann die transgressive Inszenierung Lucretias absolut gesetzt werden, indem an dieser Stelle eine männliche Zuständigkeit für den Wert der pudicitia für den tiberianischen Diskurs zum verbindlichen Bestandteil eines Weiblichkeitskonzepts wird. Zudem wird deutlich, dass diese Konstruktion einer männlichen Werteperspektive, die im Fall der Lucretia noch auf eine Frauengestalt ausgelagert ist, seit dem folgenden Verginia-Exemplum allerdings als moralische Norm gilt. Männliches Wertewissen ist im Wesentlichen dafür verantwortlich, dass Valerius’ Darstellung auf die Erzählung einer historischen wie moralischen Kontinuität zielen kann. Anders als die livianische Darstellung, die einen Umbruch zwischen Königszeit und Republik mit einem Erstarken männlicher Handlungsmacht verknüpfte, ist dieses Postulat eines männlichen Wertewissens für Valerius zentraler Bestandteil dieser Krisennarration, das erst im Rahmen von Gendertransgressionen, dann durch eine männliche Werteperspektive erfüllt wird. Diese auktoriale Werteperspektive kompensiert männliche Wertedefizite. Zugleich prägen ausschließlich männlich figurierte Bewertungsinstanzen und männliche Exempla die Inszenierung von Weiblichkeit. Diese beiden Faktoren definieren die Bedingungen weiblicher Gendertransgressionen in den Exempla. Indem nämlich anders als bei Livius Frauen selbst keine moralische Innensicht zugestanden und damit keine Kongruenz aus Performanz und epistemischer Anlage der

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Valerius Maximus und die weiblichen Exempla der Frühzeit

Genderinszenierung erzeugt wird, unterstreicht Valerius den Stellenwert und den Ausnahmecharakter einer Abweichung von den normativen Idealen. So ist zwar eine männliche Performanz zulässig, eine moralische Innensicht, die als wesentliche Voraussetzung einer Gendertransgression herausgestellt wurde, bleibt Frauen allerdings vorenthalten. Stellvertretend muss dieses Wertewissen durch narrative Strategien wie der Anlage von Rezeptionsmechanismen etabliert werden. Dieser Befund wirkt sich auch auf die geschlechterspezifische Darstellung von transgressivem Frauenhandeln aus, das nicht bloß zur Kompensation männlicher Defizite dient, sondern auf die Ausweitung weiblicher Handlungsmacht zielt, wie etwa das Beispiel der Tullia zeigt. Ihrer transgressiven Handlung fehlt im Gegensatz zur livianischen Parallelüberlieferung ebenso eine figurale Innensicht in die dort abgebildete Wertekrise wie eine auktoriale Würdigung ihres männlich markierten Handelns – im Gegenteil: Deutlich wird ihr transgressives Genderhandeln von Valerius extern rezipiert und verurteilt. Eine Ausnahme in dieser weiblichen Innensicht stellen allenfalls die Vesta-Priesterinnen dar, die im tiberianischen Narrativ als Reflex ihrer ambivalenten Genderidentität als einzige Gruppe von Frauengestalten einen figuralen Zugriff auf weibliche Tugenden des religiösen Kontextes, namentlich der castitas, erhalten. Männern konnte dabei die Funktion von Rezipienten dieser weiblichen Moral zugeschrieben werden. Dies zeigt, dass Valerius hier eine ideale Interaktion der Geschlechter konstruiert, in der Männer im Bereich des Kultischen weibliche Ideale rezipieren und damit kontrollieren. Somit konnte dieses Kapitel zeigen, dass Valerius Maximus die Memoria der Königszeit und Republik nutzt, um ein normatives Weiblichkeitskonzept zu generieren. Darin tragen Frauen wesentlich dazu bei, eine männlich zentrierte Zuständigkeit für moralische Belange in der Adaption der mores maiorum durch den tiberianischen Wertediskurs sichtbar zu machen. Weiblichkeit vermittelt daher eine Krisenerinnerung in der römischen Geschichte, die Krise vor allem am Kriterium männlicher Handlungsmacht bemisst, welche durch die epistemische Innensicht von Männern in Krisenkontexten gewährleistet wird. Anders als Livius kompensiert Valerius diese moralischen Defizite im Zweifelsfall allerdings nicht durch punktuelle Gendertransgressionen von Frauengestalten. Stattdessen legt die auktorial dargestellte externe Rezeption die moralischen Maßstäbe des tiberianischen Gender- und Wertediskurses an das weibliche Figurenhandeln an, die ansonsten durch interne Rezipienten weiblichen Handelns abgebildet werden. Dadurch wird die als normativ inszenierte Weiblichkeit, welche die mores maiorum spiegelt, zur bedeutenden Folie eines frühkaiserzeitlichen Werteverständnisses, das auf die Darstellung männlicher Episteme ausgerichtet ist. Zusätzlich verlagert Valerius Maximus römische Krisen auf die Mann-Frau-Interaktion und macht dadurch Werte sichtbar, die Frauen in einem Beziehungsgeflecht zwischen Männern und staatlichen Autoritäten verorten. Frauen sind dabei Projektionsflächen männlicher Exempla, wenn etwa die männliche pietas gegenüber dem Staat durch

Fazit

Frauengestalten sichtbar gemacht wird. Darüber hinaus übertragen die derartig inszenierten Werte den Gedanken staatlicher Stabilität auf den Gender- und Wertediskurs, sodass diese Narrative des Valerius damit in deutlichem Gegensatz zur livianischen Erzählung von der Einigung des römischen Volkes steht. Bei Livius wurde die Emphase von concordia und libertas als Reflex der augusteischen Zeit und der Suche nach Einheit erkannt, die auf die Wirren des Bürgerkrieges folgt. Dagegen ist der Wert von normativer Weiblichkeit in den ›alten‹ Exempla bei Valerius von entscheidender Bedeutung für die moralische Ausrichtung des Wertediskurses nach innen, hin zu einer moralischen Normierung des sozialen Raumes.

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4.

Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

Nicht nur die Gründungspentade von Livius’ Ab urbe condita ist von dem Bestreben geprägt, ein normatives Weiblichkeitskonzepts im Sinne matronaler Werte zu konstruieren. Auch die Narrative großer römischer Krisen der Republik bieten einen reichen Fundus an Exempla, die ebenfalls besondere Mechanismen der Inszenierung von Weiblichkeit offenlegen. Für den geschlossenen narrativen Rahmen der Gründung Roms konnte gezeigt werden, dass Livius in der Gründungsphase matronale Ideale inszenierte, während transgressives Frauenhandeln für den augusteischen Gender- und Wertediskurs zum Marker von Krisen wurde. Darin erhielten weibliche Exempla in diesen Krisenphasen eine weiblich-römische Innensicht, die zur Lösung der Spannung beitrug und ihnen damit einen erheblichen Wert für ein pro-römisches Krisenmanagement zuwies. Gleichermaßen erhalten Frauen nun auch in den Krisen der Republik, etwa im zweiten Punischen Krieg oder in den moralischen innerrömischen Krisen wie dem Bacchanalien-Skandal, eine zentrale Bedeutung.1 Die Frauengestalten in den livianischen Narrativen des zweiten Punischen Krieges und der innerrömischen Unruhen der Nachkriegszeit sollen im Folgenden analysiert werden, indem nach ihren genderspezifischen Darstellungsweisen und ihren Funktionen in den Erzählungen gefragt wird. Dafür wird ein dreigliedriges Vorgehen genutzt: Die ersten beiden Analyseschritte dienen dazu, die weiblich fokalisierten Wissensbestände zu untersuchen, um die Qualität einer weiblichen Krisenwahrnehmung bestimmen zu können. In Abhängigkeit davon wird dann der Blick auf die männlichen Rezeptionsmechanismen weiblicher Exempla gelegt. Dort zeigt sich, dass in Krisen ein normativ männliches Wissen über weibliche Ideale zur Disposition steht und als Gradmesser einer Krisenwahrnehmung auf der Geschlechterebene verstanden werden kann. Erstens werden dazu römische Frauengestalten und die Rezeption ihres als Exemplum inszenierten Handelns analysiert. Zweitens stehen nichtrömische Frauengestalten im Mittelpunkt. Diesen Betrachtungen liegt die These zugrunde, dass jeweils durch stereotyp weibliche

1 Der veränderte Wert weiblicher Exempla, die moralische Paradigmen und weibliche Ideale abbilden und so eine restaurative Funktion in der Krise eines Werteverfalls erhalten, ist bereits von Kowalewski 2002, 7f., 12f. erkannt worden – allerdings fehlt diesem Zugang eine übergeordnete genderspezifische Methodik. Zum zweiten Punischen Krieg als Leitmotiv der dritten Dekade vgl. Luce 1977, 6; Chaplin 2000, 54; Pausch 2011, 115; differenzierter Walsh 1996a, 7. Zur übergeordneten Bedeutung der Bacchanalien in Buch 39 vgl. Luce 1977, 105; Pausch 2011, 214f.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

Charaktantinnen männliche Exempla konstruiert und als Teil eines livianischen Krisenmanagements dargestellt werden. Dabei wird deutlich, dass das Narrativ des zweiten Punischen Krieges im Gegensatz zur Gründungspentade von Ab urbe condita ausschließlich auf die Inszenierung männlicher Protagonisten ausgerichtet ist und Livius damit ein verändertes Verständnis von Männlichkeit abbildet. Der dritte Schritt widmet sich schließlich der Narrativierung von Weiblichkeit in einer Krise römischer Männlichkeit: Eine Betrachtung des geschlechtlich markierten Wertewissens dient dazu, einen fehlenden Wertezugang von Männern offenzulegen, die eine Wahrnehmung eines moralischen Niedergangs in der Nachkriegszeit als ein männliches Problem versteht.2 Im ersten Teil des Kapitels soll dazu die innerrömische Konstruktion und Rezeption von Weiblichkeit betrachtet werden. Es zeigt sich darin, dass Frauengestalten auf einen matronalen Tugendkanon festgelegt sind, welcher durch eine Betrachtung weiblicher Perspektiven auf die Krise sichtbar gemacht werden kann. Zudem legt eine Analyse männlich figurierter Rezeptionsmechanismen von Frauen-Exempla eine valide männliche Werteperspektive offen, die als Ausdruck männlicher Handlungsmacht zu deuten ist. Diese Untersuchung trägt dazu bei, die von Albrecht für diese Narrative weitestgehend absolut gesetzte »männlich-republikanische Ordnung«3 genauer zu bestimmen. Nicht nur in der lex Oppia-Debatte können die geschlechterspezifischen Inszenierungen von Männern qualitativ differenziert werden. Mithilfe des figuralen Wertewissens soll auch die Erzählung des zweiten Punischen Krieges unter dem Aspekt einer Legitimation männlicher Handlungsmacht betrachtet werden. Dazu soll das Zusammenwirken von geschlechterspezifischem Handeln und figuralem Wertezugriff untersucht werden. Im zweiten Teil soll das Kriterium der Ethnizität von Frauen dazu dienen, die Funktion nichtrömischer Frauen als Charaktantinnen römischer Männer aufzuzeigen.4 Dabei spiegelt insbesondere die Figur des P. Cornelius Scipio Africanus sowohl das Sendungsbewusstsein Roms in der augusteischen Zeit als auch die Erinnerungskultur unter Augustus wider, die auf eine Sichtbarkeit von republikanischen Helden neben denen des Prinzipats abzielt und so eine ideologische Konstruktion

2 Zum moralischen Niedergang in der vierten Dekade vgl. beispielhaft Walsh 1996a, 65f.; zur Funktion von Frauen als Exempla dieser Degression allerdings weitestgehend ohne erzähltextanalytischen Zugang vgl. Milnor 2005, 165–175. 3 Albrecht 2016, 46–79 legt ein normatives Konzept von Männlichkeit und männlicher Herrschaft in der Republik dar, das zwar in seiner Entwicklung nachgezeichnet wird, jedoch qualitative Aspekte von Geschlechtlichkeit auch für die republikanischen Narrative weitestgehend außer Acht lässt und erst im Zuge der lex Oppia-Debatte eine Krise der Männlichkeit wahrnimmt, vgl. ebd., 82f. 4 Dabei soll der von Pausch 2011, 155 bestimmte Wert der Karthager zur negativen Charakterisierung der Römer um eine geschlechterspezifische Dimension erweitert werden. Zur Bedeutung der auswärtigen Perspektive für eine Kritik am römischen Imperialismus vgl. auch Walsh 1996a, 84.

Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

der Republik-Memoria vornimmt.5 Hier zeigt sich das Interesse der augusteischen Historiographie, große Helden der republikanischen Aristokratie als Exempla zu inszenieren.6 Daher soll gezeigt werden, dass die Platzierung von Weiblichkeit eine narrative Strategie ist, um diese männlichen Protagonisten gemäß der augusteischen Ideologie vorbildhaft darzustellen. Dieser Deutung liegt die These von Burck zugrunde: »Die sittlichen Werte und Kräfte Roms können zwar durch jene Siege der Carthager eine Weile verdunkelt werden, sind aber latent doch immer vorhanden und rechtfertigen Roms endgültigen Triumph über Carthago.«7 Doch auch die karthagische Perspektive soll in diesem Zusammenhang betrachtet werden. Eine Analyse des auswärtigen Krisenwissens von Frauen soll aufzeigen, dass karthagische Frauen mit ihrem jeweiligen Figurenwissen nicht nur dazu beitragen, die Exempla römischer Männer zu konstruieren. Gleichzeitig wird in ihrer Interaktion mit nichtrömischen Männern deutlich, dass Livius Nichtrömerinnen transgressiv auftreten lässt, um ihre Männer gemäß der augusteischen Herrschaftsideologie moralisch zu dekonstruieren. Das Narrativ zeichnet auf der Geschlechterebene eine moralische Überlegenheit der Römer nach. Das Kriterium des Geschlechts bietet damit eine Möglichkeit, einen weiteren Konstruktionsmechanismus römischer Exempla im Narrativ des zweiten Punischen Krieges aufzudecken. Dieser Befund geht noch über die Unterschiede einer ethnisch differenzierten Perspektive von Karthagern und Römern auf die Ereignisse des Krieges hinaus, wie sie Jaeger erkannt hat.8 An dieser Stelle kann für das livianische Werk eine Intersektionalität, also Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Formen der Ungleichheit, nachgewiesen werden.9 Sie ergibt sich hier aus dem Zusammenspiel der Kategorien Gender und Ethnizität. Auf dieser Grundlage wird zudem eine Neujustierung von Walshs Beobachtung eines römischen Patriotismus in der livianischen Darstellung notwendig, welcher eine karthagische Perspektive überlagere.10 Die vielfache Platzierung nichtrömischer Frauen-Exempla legt nämlich nahe, dass deren Funktion im Zusammenhang mit einer patriotischen Ausrichtung des Narrativs berücksichtigt werden muss. So soll gezeigt werden, dass nicht nur hinsichtlich des livianischen Patriotismus die dritte Dekade eine geschlossene Einheit bildet.11 Vielmehr weist dieser Abschnitt des Werkes auch eigene Implikationen für die Funktion von Geschlechterdarstellungen auf, wenn Frauen-Exempla in den Dienst einer Inszenierung patriotischer Männer-Exempla gestellt werden.

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Vgl. ebd., 11, 16f.; Jaeger 1997, 182f.; Chaplin 2000, 174, 188. Vgl. Langlands 2018, 71. Burck 1962, 27. Vgl. Jaeger 1997, 113–115. Zur Begriffsbestimmung vgl. etwa Lenz 2010 und Lenz 2019. Vgl. Walsh 1996a, 283. Vgl. Walsh 1982b, 1059.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

In einem dritten Schritt soll Livius’ Darstellung von innerrömischen Krisen betrachtet werden, die geprägt ist von einer Destruktion römischer Männlichkeit. Für den Geschichtsschreiber wird dies zu einer moralischen Krise, die sich aus weiblichen Gendertransgressionen ergibt, wenn Frauen in die Leerstellen dekonstruierter Männlichkeit eindringen. Dazu wird die Bedeutung figuraler Werteperspektiven von Frauen als Marker verkehrter Geschlechterrollen nachgewiesen. Kennzeichnend dafür sind weibliche Wissensvorsprünge, die als interne Prolepsen eine Analyse der Geschlechteridentitäten ermöglichen.12 Beispielhaft soll auf dieser Grundlage etwa die livianische Darstellung des Bacchanalien-Skandals als eine explizit männliche Wertekrise gedeutet werden, deren Lösung auf transgressiv hervorgebrachtes Wissen von Frauen angewiesen ist.13 Die Forschung hat bereits erkannt, dass dieses Ereignis für Livius ein Problem männlicher Moral ist.14 Die Analyse des geschlechtlich markierten Wissens soll die Funktion von Frauen in diesem Krisenkontext klären. Sie tragen nämlich dazu bei, den Männern das fehlende Wertewissen zu erschließen, und können so die Spannung der Krise lösen. Der Befund eines weiblichen Wissens, welches männliches Krisenhandeln einleitet, spiegelt die Bandbreite des genderspezifischen Handelns von Frauen in ihrer Funktion für den Wertediskurs des frühen Prinzipats und die moralische Restauration.15 Auch in anderen Episoden wird deutlich, dass für Livius ein moralischer Niedergang nach den Punischen Kriegen wesentlich mit der Inszenierung von weiblichen Gendertransgressionen verknüpft ist, welche nicht auf die Aktivierung männlichen Wissens zielen. Der Text weist auktoriale Eigenschaften auf, die zeigen, dass Livius Transgressionen römischer Frauen in Rom erzählerisch ›auf Distanz‹ zu halten sucht, sofern die Möglichkeit einer räumlichen Distanzierung fehlt. Diese Distanzierung lässt sich nach Genette als Metalepse beschreiben. Hierzu werden Brüche im Modus der Narration geschaffen, die vom auktorialen Erzählen abweichen. Dies geschieht immer dann, wenn Livius von weiblichen Normabweichungen auf römischer Seite berichtet. Es soll gezeigt werden, dass Livius in diesen Momenten die Richtigkeit seiner Quellen diskutiert, Überlieferungen infrage stellt und sich auf diese Weise seiner auktorialen Verantwortung als Erzähler entzieht. So verschiebt der Autor die epistemische Verantwortung der Narration auf eine

12 Vgl. Genette 2010, 42–47. Zum Gebrauch bei Livius als Merkmal einer Abweichung vom linearen Schema der Historiographie sowie eines intern fokalisierten figuralen Wissensbestandes vgl. Pausch 2011, 89, 140–142. 13 Die epistemische Konstruktion der livianischen Darstellung des Bacchanalien-Skandals ist bereits von ebd., 218–223 untersucht worden, dessen Ergebnisse auf dieser Grundlage um eine genderspezifische Bedeutung ergänzt werden sollen. 14 Vgl. Langlands 2006, 115. 15 Zur grundsätzlichen Funktion von Frauen als Werte-Exempla des frühkaiserzeitlichen Diskurses vgl. Milnor 2005, 13f.

Krisenwissen und Gender: ein Problem römischer Deutungshoheit

übergeordnete erzählerische Ebene. Er selbst geht als Autor, der dem augusteischen Wertekosmos unterliegt, stets auf Distanz zu diesen Normabweichungen von Frauen. Diese Auslagerung der epistemischen Instanz innerhalb des Textes wird für Livius zum probaten Mittel einer Darstellung von transgressivem römischen Frauenhandeln, da es so möglich wird, die eigene erzählerische Position auf Distanz zu weiblich-transgressiven Normabweichungen zu bringen.16 Dennis Pausch gebührt das Verdienst, diese Strategie in der livianischen Geschichtsschreibung aufgezeigt zu haben, mit der Zweifelhaftes und Widersprüchliches überliefert und diskutiert sowie die Plausibilität der historiographischen Darstellung gesteigert wird.17 Davon ausgehend soll gezeigt werden, dass Livius’ Narration sich dieser Verschiebung von Verantwortung als Ausdruck eines ›narrativen Krisenmanagements‹ bedient, um transgressives Frauenhandeln und damit verbundene Krisen auf Distanz zur Erzählung der römischen Geschichte zu halten.

4.1

Krisenwissen und Gender: ein Problem römischer Deutungshoheit

Das Narrativ des Krieges gegen Karthago weist nicht nur allein eine deutlich geringere Anzahl an Frauengestalten auf. Vor allem fehlen dieser livianischen Krisenerzählung auch große römische Protagonistinnen, wie sie noch das Narrativ der Gründungszeit prägten.18 Diese Befunde machen es unerlässlich, die zugrunde liegenden Wahrnehmungen von Gender und Krise auf römischer Seite für das vorliegende Krisennarrativ neu zu bestimmen. Insbesondere steht hierbei die Frage im Mittelpunkt, inwiefern sich nach der Gründungszeit eine veränderte moralische Bewertung der Republik auf die Narrativierung von Geschlechterverhältnissen auswirkt. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Livius gerade auf römischer Seite den Handlungsraum von Frauen in den vorliegenden Narrativen des Punischen Krieges und der Nachkriegszeit einschränkt. Dabei wird die eine männliche Zuständigkeit für weibliche Tugenden in der Erzählung sichtbar. Diese schlägt sich textintern in männlichen Rezipienten weiblicher Exempla nieder, wodurch die Möglichkeiten transgressiven Handelns auf römischer Seite stark einschränkt werden. Zusätzlich werden auf diese Weise weibliche Exempla auf der Grundlage einer männlichen Werteperspektive konstruiert. Dadurch wird für Weiblichkeit eine

16 Zur Funktion von Metalepsen vgl. Genette 2010, 150–152. Zum Regelfall der ›olympischen‹ Perspektive in der Geschichtsschreibung vgl. Pausch 2013, 200; ähnlich Jaeger 1997, 97. 17 Vgl. Pausch 2013. Luce 1977, 113 hat bezüglich der vierten Dekade erkannt: »Livy [...] never so combines his source material that he produced a version essentially of his own making.« 18 Diesen Befund deutet Kowalewski 2002, 5, 7 mit einem Hinweis auf die besondere Funktion von Frauen in der mythischen Frühgeschichte an.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

institutionalisierte männliche Bewertungsinstanz durch römische Rezipienten geschaffen. Diese Instanz rezipiert und reguliert damit auch die weibliche Performanz in den Exempla, indem ihr ein figurales Wertewissen zugeschrieben wird, das die Normen der Weiblichkeit abbildet. Somit ist für Livius im Narrativ des zweiten Punischen Krieges die Konstruktion weiblicher Exempla und ihre Festschreibung auf einen weiblichen Tugendkanon eng mit einer Inszenierung männlicher Bewertungsinstanzen verbunden. Diese bilden eine normative Geschlechterordnung ab, die sich durch einen männlichen Zugriff auf die weibliche Moral auszeichnet und insbesondere charakteristisch für die livianische Krisenwahrnehmung in der Darstellung des Krieges ist. Die Inszenierung von Weiblichkeit durch eine männlich regulierte Ordnung weiblicher Normen auf römischer Seite unterliegt dabei ideologischen Tendenzen des augusteischen Wertediskurses, die sich im vorliegenden Narrativ niederschlagen. Die konservative Darstellung von Weiblichkeit und weiblicher Moralvorstellungen in der Erzählung des zweiten Punischen Krieges macht deutlich, dass für Livius das in der Nachkriegszeit im Zuge der lex Oppia-Debatte wieder verhandelte Konzept der Frau und die von Cato vertretene konservative Sicht einer gänzlich männlich regierten Gesellschafts- und Werteordnung prägend sind.19 Der livianische Genderdiskurs setzt damit auf einen innerrömischen Konservativismus als geschlechterspezifisches Krisenmanagement.20 Dieser soll im Folgenden aufgezeigt werden, indem die Darstellung kollektiver Weiblichkeit als ein Reflex eines männlichen Werte- und Genderwissen gedeutet und in der Erzählung sichtbar gemacht wird. Auf diese Weise wird erkennbar, dass Livius auf der Folie tugendhafter Weiblichkeit ein hegemoniales Männlichkeitskonzept abbildet, das als Legitimierungsstrategie einer geschlechtlichen und zugleich gesellschaftlichen Ordnung dient.21 So wird die männliche Perspektive auf Weiblichkeit zum Marker einer männlichen Handlungsmacht. Sie spiegelt den augusteischen Genderdiskurs und ist ein Abbild der zugrunde liegenden Krisenwahrnehmung. Alle Frauen-Exempla, die in diesem Kapitel besprochen werden, stammen nämlich aus der ab Buch 26 behandelten Zeit, für die Stadter einen Wendepunkt der Krisenwahrnehmung seit der Belagerung Capuas ausgemacht hat.22 Das Kriterium des Geschlechts ermöglicht einen Blick auf die Erzählung, die eine veränderte Wahrnehmung des Krieges als Krise aufweist. Der augusteische Diskurs erzeugt darin auf einer weiblichen Projektionsfläche eine männliche Handlungsmacht und zeichnet sie für eine optimistische Bewertung dieser Wertekrise verantwortlich. 19 Vgl. Albrecht 2016, 81f. 20 Vgl. Kowalewski 2002, 7f. Zur Bedeutung des augusteischen Diskurses in der Darstellung von Catos Konservatismus bei Livius vgl. Dettenhofer 1992, 785f. 21 Vgl. Albrecht 2016, 83. 22 Vgl. Stadter 2009, 94.

Krisenwissen und Gender: ein Problem römischer Deutungshoheit

Das Narrativ der Gründungskrise formte für den Formationsprozess der römischen Identität eine Memoria anhand weiblicher Protagonistinnen. Nun setzt die Erzählung von Weiblichkeit im zweiten Punischen Krieg darauf, Frauengestalten gegenüber einer männlichen Handlungsmacht zu entindividualisieren. Männlichkeit konstruiert Livius dagegen in diesem Kontext mit Bezug auf die mores maiorum als ein remedium gegen einen Niedergang.23 Männliche Rezeption auf der einen, eine daraus resultierende weibliche Inszenierung auf der anderen Seite prägen das Narrativ. In einem ersten Schritt soll daher nachgewiesen werden, dass die Bedeutung weiblicher Exempla wesentlich durch matronale Ideale bestimmt ist,24 die Livius – wie etwa die Inszenierung der Claudia Quinta bei der Einführung des Magna-Mater-Kultes zeigt – in weiblichen Kollektiven verortet.25 Zusätzlich wird deutlich, dass für weibliche Exempla männliche Bewertungs- und Rezeptionsinstanzen geschaffen werden. Claudia Quintas Einführung des Kultes wird etwa die Figur des P. Cornelius Scipio Nasica gegenübergestellt, der schließlich als männlicher Protagonist textintern die Würdigung des Frauenhandelns übernimmt. Diese Figur markiert die Memoria des historischen Ereignisses männlich und erzeugt eine männlich regierte Narrativierung einer Geschlechterordnung. Gleiches soll für die Darstellung von Vestalinnen und ihre Züchtigung durch den Pontifex Maximus in diesem Narrativ auf Ebene des Kultes gezeigt werden, die über eine genderunabhänige Bedeutung hinausgehen.26 In einem zweiten Schritt soll daher gezeigt werden, dass auch gendertransgressive Inszenierungen von Frauengestalten im männlichen Raum des Krieges für Livius erforderlich und akzeptabel sind. Voraussetzung dafür ist, dass diese Frauen trotz ihrer Verortung in männlich markierten Räumen schließlich durch männliche Rezeptionsmechanismen gewürdigt werden. So ist auch hier die Inszenierung eines männlichen Wissens ausschlaggebend für die Konstruktion einer Geschlechterordnung.27 Im Folgenden soll also nachgewiesen werden, dass nicht nur die bereits von der Forschung erkannte fehlende Individualisierung von Frauengestalten, sondern dabei auch die Rezeption durch männliche Instanzen auf römischer Seite einen wesentlichen Beitrag zur Narrativierung von Weiblichkeit leisten.

23 Vgl. Milnor 2005, 160. Dies trägt gewiss der Ausrichtung auf männliche Taten Rechnung, vgl. Liv.,praef. 9, vgl. dazu auch Jaeger 1997, 109. 24 Vgl. Kowalewski 2002, 8. 25 Ähnlich auch Langlands 2006, 57. 26 Zum genderunabhängigen Postulat der Ausübung religiöser Praxen im Krisenkontext vgl. Scheid 2015, 86. Langlands 2006, 57 weist darauf hin, dass die Einführung dieses Kultes ähnlich wie jener der Pudicitia Plebeia im Kontext nationaler Krisen geschieht. Kowalewski 2002, 197 lässt die Funktion der darin erzeugten Geschlechterordnung im Kontext des Krieges jedoch unberücksichtigt. 27 Chaplin 2000, 70 hat auf die Bedeutung des Senats als zentraler textinterner Rezipient in der dritten Dekade hingewiesen; ähnlich Mineo 2015, 127.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

4.1.1

Kollektive Weiblichkeit und männliches Geschlechterwissen

Livius verzichtet in seiner Darstellung der römischen Geschichte hinein bis ins dritte Jahrhundert und insbesondere in der Erzählung des zweiten Punischen Krieges weitestgehend darauf, weibliche Protagonistinnen als Exempla auf römischer Seite zu platzieren. Eine Ausnahme stellt die mit Claudia Quinta in Verbindung gebrachte Einführung des Magna-Mater-Kultes dar. Abgesehen davon fällt Weiblichkeit für Livius stets mit unheilvollen Ereignissen zusammen, in denen Männer weibliches Verhalten reglementieren. Dies geschieht etwa im zweiten Punischen Krieg mit der Bestrafung von Vestalinnen als Reaktion auf Prodigien oder der Unterdrückung weiblicher Trauer nach der Niederlage von Cannae.28 Dieser Befund stellt die Frage nach einem kohärenten Frauenbild und der Funktion von römischer Weiblichkeit. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die augusteische Memoria den Krieg als diskursives Ereignis dazu nutzt, Weiblichkeit durch einen epistemischen Zugriff von Männern in den Dienst einer männlichen Konstruktion von weiblichen Werten zu stellen.29 In diesem Zuge verliert der Konflikt mit Karthago an kriegerischer Relevanz. Ziel dieser Narrativierung von Geschlecht ist vielmehr, eine männliche Zuständigkeit für weibliche Normen zu etablieren und Frauen auf ein normatives Wertekonzept festzuschreiben. Dieses Konzept kommt schließlich durch die männliche Fokalisierung von castitas und pudicitia zum Ausdruck und steht dabei für das in augusteischer Zeit geltende Ideal von Weiblichkeit in der Mann-Frau-Beziehung.30 Exemplarisch zeigt dies die Figur der Claudia Quinta. Es kann gezeigt werden, dass die in der Frühgeschichte konstruierte männliche Zuständigkeit für diese Ideale nunmehr valide erscheint. Das weibliche Wertekonzept, das in dieser Episode zum Ausdruck kommt, wird nämlich in einem männlichen Wissensbestand verortet. Männer sind verantwortlich und imstande, ihren Dienst für die Einführung einer römischen Staatsreligion zu leisten, die somit auch geschlechterspezifische Relevanz erhält.31 Ein diachroner Blick darauf, wann und wo Frauen im weiteren Verlauf dieses Narrativs genannt werden, vermittelt deutlich den Eindruck, dass Livius die Geschlechterverhältnisse im kultischen Kontext nach den unter Augustus geltenden

28 Diese Beobachtung ist bereits gemacht worden von Walsh 1996a, 170; Jaeger 1997, 100–108; Kowalewski 2002, 364f. Vgl. Liv. 22,55,3; 22,56,4. 29 Zur Weiblichkeit als augusteisches Genderproblem im Narrativ des zweiten Punischen Krieges vgl. Milnor 2005, 155, 165f. 30 Zur Ausrichtung auf ihre moralische Integrität ohne genderspezifische Analyse ihrer Perspektive vgl. McClain 1994, 222. 31 Beard 2012, 352f. hat am Beispiel des Magna-Mater-Kultes auf die Bedeutung einer Staatsreligion für die Konstruktion einer römischen Identität hingewiesen; ähnlich mit besonderem Fokus auf die Memoria des zweiten Punischen Krieges vgl. Smith 1993, 4f.

Krisenwissen und Gender: ein Problem römischer Deutungshoheit

Normen idealisiert. Die Inszenierung der Claudia Quinta sowie die Darstellung des Vestalinnen-Frevels folgen nämlich ebenso den Mechanismen eines augusteischen Genderdiskurses, der Weiblichkeit nachdrücklich der epistemischen Instanz römischer Männer unterwirft. Konservative Ideale spiegeln die Krisenwahrnehmung der frühen Kaiserzeit wider, die diese Erzählung formt und in männliche Hände legt. Dies zeigt der livianische Bericht von der Einführung des Magna-Mater-Kultes in Rom: P. Cornelius cum omnibus matronis Ostiam obuiam ire deae iussus; isque eam de naue accipere et in terram elatam tradere ferendam matronis. [...] matronae primores ciuitatis, inter quas unius Claudiae Quintae insigne est nomen, accepere; cui dubia, ut traditur, antea fama clariorem ad posteros tam religioso ministerio pudicitiam fecit.32 (Liv. 29,14,10–12)

Diese Darstellung legt den Raum fest, in dem sich dieses normative Konstrukt von Weiblichkeit in Rom bewegt, wenn die hierarchischen Strukturen dieser Passage stark ineinander verwoben sind. Einerseits liegt die Emphase deutlich auf der Figur des P. Cornelius Scipio Nasica, der als uir optimus diesen Zug anführt und dessen Stellung auch durch das redundante is hervorgehoben wird.33 Ihm wird explizit die Zuständigkeit für einen Kult zugeschrieben, der sich mit der pudicitia einem matronalen Ideal des augusteischen Wertediskurses widmet.34 Das prominente Personal dieser Einführung des Kultes legt nicht nur den Schluss nahe, dass das Ereignis als bedeutsamer im Vergleich zur eigentlichen Ausführung bewertet werden kann.35 Livius stellt zudem mit Scipio einen uir optimus voran und zeichnet ihn damit verantwortlich für die Einführung eines matronalen Kultes. Er bildet so nicht nur die traditionellen Ideale der römischen Elite ab, wie es von Beard gesehen wurde.36 Gleichzeitig erzeugt Livius durch diese Figur eine männliche Werteperspektive auf weibliche Ideale im Zeichen einer heteronormativen Ordnung. Die

32 P. Cornelius wurde aufgefordert, der Göttin mit allen verheirateten Frauen nach Ostia entgegenzugehen, und er wurde aufgefordert, sie vom Schiff in Empfang zu nehmen und sie, nachdem man sie an Land gebracht hatte, den Frauen zum Tragen zu übergeben. [...] Die angesehensten Frauen der Bürgerschaft, unter denen der Name der Claudia Quinta als einziger herausragend ist, nahmen sie in Empfang; der für sie vorher – wie überliefert wird – zweifelhafte Ruf machte ihre Keuschheit durch einen so gottesfürchtigen Dienst bei den Nachfahren noch berühmter. 33 Vgl. Weiẞenborn/Müller 1968b, 29. 34 Vgl. Hänninen 1998, 113f. 35 Vgl. ebd., 119; Kowalewski 2002, 198. Zur Bedeutung der Scipionen-Familie in religiösen Belangen vgl. Bauman 1992, 28. Auch die Parallelüberlieferung bei Val. Max. 1,8,11 legt diesen Schluss nahe, da auch dort im Zusammenhang mit Bränden im Tempel der Magna Mater durch die Nennung von Claudia Quinta und P. Cornelius Scipio Nasica auf die Einführung des Kultes rekurriert wird. 36 Vgl. Beard 2012, 348.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

passivische Bezeichnung iussus, die den Mann aber nicht zum autark handelnden Protagonisten stilisiert, lässt zusätzlich die institutionelle Bedeutung dieser Kulteinführung hervortreten. Zwar lenkt P. Cornelius diesen Akt; zusätzlich zeigt die passive Konstruktion seines Handelns allerdings, dass auch er wiederum auf Geheiß institutioneller Autoritäten agiert. Die Einführung des Magna-Mater-Kultes ist damit ebenso wie die Sorge um die weibliche pudicitia der Kontrolle römischer Institutionen unterworfen.37 Dies zeigt den polyphonen Zugriff auf die weibliche Moral, die diese Erzählung bestimmt. Sowohl durch männliche Protagonisten als auch durch einen Zugriff institutioneller Autoritäten schafft Livius weibliche WerteExempla. Sie bilden das moralische Krisenmanagement in seiner Darstellung des zweiten Punischen Krieges ab und setzen einen Fokus der augusteischen Memoria auf moralische Belange, nachdem diese Krise ihre kriegerische Relevanz bereits verloren hat.38 Mit der Claudia-Quinta-Episode demonstriert Livius ein römisches Ideal von Weiblichkeit im livianischen Gender- und Wertediskurs, da es auf die Darstellung eines männlichen Zugriffs auf weibliche Werte abzielt. Ihre Charakterisierung ist ausschließlich darauf ausgerichtet, sie zur Projektionsfläche einer männlich definierten pudicitia zu machen. Der weibliche Figurenbestand ist dabei auf die matronae primores ciuitatis begrenzt, was als Zeichen einer männlich organisierten Kollektivierung und damit einer Marginalisierung von Weiblichkeit zu verstehen ist.39 Nur Claudia Quinta kann aufgrund ihrer pudicitia in den Vordergrund treten. Dies beschreibt den Rahmen, in dem das Narrativ einen weiblichen Handlungsraum zulässt. Ihre Handlungsmacht wird einzig anhand ihres Dienstes am Ideal weiblicher Keuschheit bemessen.40 Auch die Rezeption der Frau unterstreicht diesen Befund: Ihre pudicitia wird zum Gegenstand des Exemplums und dazu textintern von Männern auf figuraler Ebene rezipiert. So erzeugt Livius die Memoria einer männlich regierten Zuständigkeit für den Kult, sodass der männliche Zugriff auf die weibliche Sittsamkeit, die der augusteische Werte- und Genderdiskurs formuliert, Eingang in die Erzählung des zweiten Punischen Krieges erhält. Zusätzlich verleiht Livius dem weiblichen Wertebestand dieses Exemplums Nachdruck, indem Zweifelhaftes aus der auktorialen Erzählung ausgelagert wird: Die dubia fama der Claudia Quinta wird durch ut traditur auf eine externe Instanz verschoben, sodass die Verlässlichkeit dieser Information stark eingeschränkt ist.41 So ist es weniger

37 Zur Bedeutung institutioneller Instanzen zur Kontrolle von Frauen vgl. Hänninen 1998, 119. 38 Beard 2012, 329 verweist darauf, dass der Krieg gegen Hannibal in den Jahren 205/204 bereits beinahe gewonnen ist. 39 Vgl. Milnor 2005, 171. 40 Vgl. Kowalewski 2002, 197f. 41 Zur Funktion von fama als Marker unzuverlässiger Information bei Livius vgl. Feldherr 2009, 311f.

Krisenwissen und Gender: ein Problem römischer Deutungshoheit

die Eigenleistung der Frau, die ihren ehemals schlechten Ruf durch die pudicitia überwindet.42 Vielmehr greift hier eine Strategie des Livius, Charaktereigenschaften in der Erzählung unschädlich zu machen, die der weiblichen Tugend in dieser männlich organisierten Werte-Inszenierung widersprechen.43 Livius schafft so einen weiblichen Handlungsraum in der Memoria, welche zeigt, dass die Funktion von Frauen am Ende des zweiten Punischen Krieges insbesondere darin liegt, als idealtypische Projektionsfläche weiblicher Werte zu dienen.44 Zugleich verleiht sie aber auch diesen männlich definierten weiblichen Tugenden normative Geltung. Hier werden die Gedanken der von Livius vertretenen religiösen Restauration der frühen Kaiserzeit sichtbar,45 die sich mit aller Deutlichkeit in der Narrativierung von Geschlechterverhältnissen und Werteidealen artikulieren. Die in Buch 34 aufkeimende Debatte um die Abschaffung der lex Oppia macht deutlich, wie grundlegend die am Beispiel der Claudia Quinta konstruierte Geschlechterordnung den livianischen Genderdiskurs bestimmt. Livius’ Darstellung zeigt, wie sehr er die konservative Position Catos favorisiert. So lässt er ihn im Rededuell gegen L. Valerius die Emanzipation von Frauen aus der patria potestas als schwerwiegenden Verstoß gegen die Sitte der Vorfahren verurteilen und somit eine männliche Kontrolle von Frauen postulieren.46 Diese Darstellung eines männlichen Wertezugriffs auf die pudicitia im zweiten Punischen Krieg bildet also das von Cato formulierte Idealbild ab, das Frauen männlicher Handlungsmacht unterwirft und dessen Auflösung schließlich zur Krise der Männlichkeit wird.47 Dies entspricht zudem der Rezeption der Kulteinführung in dieser Debatte durch Cato. Auch hier schafft Livius durch Catos Blick auf das Ereignis männliche Episteme in der Memoria.48 Livius gelingt es so, mithilfe von Vergangenheitsmythen Präzedenzfälle zu konstruieren, in denen Frauen ein normativ weiblicher Handlungsspielraum zugestanden wird.49 Sowohl die Rezeption des Ereignisses als auch der Bericht der Einführung des Magna-Mater-Kultes selbst wird somit zum Ausdruck weiblicher Ideale des augusteischen Genderdiskurses. Zwar lässt sich hieraus und aus den

42 So deutet es hingegen Köves 1963, 344; ähnlich McClain 1994, 222. 43 Zur Bedeutung der Fokalisierung als livianische Strategie einer Auslagerung von Inhalten, die weiblichen Idealen zuwider sind, vgl. Kapitel 4.3. 44 Vgl. Bauman 1992, 214; Langlands 2006, 57. 45 Vgl. Burck 1962, 143. 46 Liv. 34,2,11: maiores nostri nullam ne priuatam quidem rem agere feminas sine tutore auctore uoluerunt, in manu esse parentium, fratrum, uirorum: nos, si dis placet, iam etiam rem publicam capessere eas patimur et foro prope et contionibus et comitiis immisceri. Vgl. dazu auch Kowalewski 2002, 348. 47 Vgl. Albrecht 2016, 82f. 48 Liv. 34,3,8: at non pietas nec sollicitudo pro suis, sed religio congregauit eas: matrem Idaeam a Pessinunte ex Phrygia uenientem accepturae sunt. quid honestum dictu saltem seditioni praetenditur muliebri? Dazu auch Milnor 2005, 175. 49 Vgl. Dettenhofer 1992, 785.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

übrigen Präzedenzfällen auch ablesen, dass Frauen bereits zur Zeit der lex Oppia umfangreichen Handlungsspielraum hatten, dessen Erhalt in der späteren Debatte verhandelt wird.50 Eine Analyse geschlechterspezifischer Wissensbestände zeigt allerdings, dass Livius weniger dafür argumentiert, weibliche Handlungsräume zu beschränken, sondern das Frauenhandeln vielmehr gänzlich männlicher Kontrolle zu unterstellen. Eine männlich erzeugte Inszenierung weiblicher Tugenden, »when Rome was on the brink of victory, not in the throes of defeat«51 , zeigt deutlich, dass eine männliche Deutungshoheit von Weiblichkeit für Livius ein entscheidender Faktor der Narration von Krise ist.52 Nicht allein die Reglementierung weiblichen Handelns, sondern in erster Linie die Konsolidierung eines männlichen Zugriffs darauf steht im Zentrum von Livius’ moralischem Krisenmanagement. Auch die Darstellung der Bestrafung einer Vestalin ist ein Reflex dieser Bestrebungen des livianischen Narrativs. Nachdem vorherige Vestalinnen-Episoden stets castitas-Vergehen beschrieben, widmet sich Livius in Buch 28 erstmals einem anderen Vergehen. Darin wird das Erlöschen des Feuers im Vesta-Tempel berichtet, wofür der Pontifex Maximus schließlich eine Vestalin auspeitschen lässt.53 Bei der Bestrafung wird eine männliche Handlungsmacht durch die Rolle des Pontifex als Sittenrichter ausgedrückt: ob quam causam caesa flagro est Vestalis [...] iussu P. Licini pontificis (28,11,6).54 Auf diese Weise erzeugt Livius auch hier eine männliche Zuständigkeit für weibliche Belange im Kontext des Kultes, das männliches Krisenhandeln ausdrückt. Es fällt auf, dass in diesem Moment des zweiten Punischen Krieges Handlungen, die der Wahrung der pax deorum dienen, zum Marker einer Krise werden.55 Allerdings zeigt diese Darstellung, dass die in vorherigen Vestalinnen-Exempla thematisierte castitas hier keine Rolle mehr spielt. Daraus ergibt sich der Schluss, dass für Livius die in der Frühgeschichte konstruierte Geschlechterordnung nun als gefestigt anzusehen ist. Aus diesem Grund bilden die Erzählungen aus dem kultischen Bereich nun die valide männliche Handlungsmacht gegenüber weiblichen Normen ab. Die strenge Züchtigung einer Vestalin als restriktives Exemplum im Sinne einer restaurativen Sittenpolitik ist für Livius daher

50 Vgl. ebd., 785f., 788. 51 Gruen 1990, 7. 52 Zur Verbindung von moralischer, physischer Integrität und der politischen Dimension dieser Eigenschaften vgl. Staples 1995, 135. 53 Liv. 28,11,6: plus omnibus aut nuntiatis peregere aut uisis domi prodigiis terruit animos hominum ignis in aede Vestae exstinctus; ob quam causam caesa flagro est Vestalis, cuius custodia eius noctis fuerat, iussu P. Licini pontificis. id quamquam nihil portendentibus dis ceterum neglegentia humana acciderat, tamen et hostiis maioribus procurari et supplicationem ad Vestae haberi placuit. 54 Vgl. Weiẞenborn/Müller 1968a, 170. 55 Vgl. Scheid 2015, 86, der allerdings den Begriff ›Krise‹ vermeidet und auf eine kontextuelle Einordnung verzichtet.

Krisenwissen und Gender: ein Problem römischer Deutungshoheit

nicht mehr notwendig.56 Die Konstruktion von Werten wie der castitas als normatives Ideal ist hier kein Anliegen mehr. Weiblichkeit dient auch an dieser Stelle dazu, die männliche Handlungsmacht im Bereich des Kultes sichtbar zu machen. Dieses Männlichkeitsbild ist als Reflex einer Krisenwahrnehmung zu deuten. Für Livius steht die Inszenierung männlicher Handlungsmacht im Zeichen einer positiven Bewertung der römischen Situation im Krieg gegen Hannibal.57 Insbesondere Frauen aus dem kultischen Kontext werden somit genutzt, um römisches Krisenhandeln, aber auch die moralischen Ideale gemäß der mores maiorum abzubilden,58 die das Selbstbild der Römer in diesem Krieg prägen. 4.1.2

Transgressives Wissen und männliche Rezipienten

Auf römischer Seite unterliegt Frauenhandeln restriktiven Bewertungsmechanismen, die Gendertransgressionen ausschließen. Dagegen gesteht Livius nichtrömischen Frauen einen Handlungsraum zu, welcher über den der Römerinnen hinausgeht und in männliche Sphären eindringt. Die Bedingung für die Transgressionen nichtrömischer Frauen ist, dass sie dabei für Rom eintreten. Das Narrativ würdigt die Interventionen ebenfalls durch eine männliche Perspektive römischer Institutionen und bemüht so dieselbe Instanz als internen Rezipienten dieser Exempla. Dadurch werden diese Frauen zu Abbildern eines römischen Sendungsbewusstseins, das römische Wertmaßstäbe nach außen trägt.59 Diese römische Perspektive nach außen ermöglicht es, römische Wertmaßstäbe für die Konstruktion nichtrömischer Genderidentitäten anzulegen. So werden vor dem Hintergrund eines krisenhaften Konservativismus und der Einhaltung weiblicher Normen auswärtige Frauen zur Krisenlösung eingesetzt.60 Indem die epistemische Instanz jedoch römisch besetzt wird, zeigt sich das römische Selbstbild, das die Inszenierung von Geschlecht bestimmt. Als fokalisierende Instanz auf römischer Seite, durch die Livius transgressives pro-römisches Frauenhandeln würdigt, dient vornehmlich die Institution des römischen Senats.61 Er fungiert als textinterner Rezipient und erhebt das Handeln

56 Vgl. Wildfang 2006, 82. 57 Zur Wechselwirkung von Vestalinnen-Bestrafung und der Lage Roms unter den Scipionen im Kriegsnarrativ vgl. Bauman 1992, 28. 58 Vgl. Bernard 2015, 46f. 59 Zur Idealisierung römischer Qualitäten und der Inszenierung des Patriotismus vgl. Walsh 1996a, 96. 60 Zur Tendenz des Konservativismus in der livianischen Darstellung des zweiten Punischen Krieges und zur Bedeutung der maiores vgl. auch ebd., 80. 61 Zur idealisierten Darstellung des Senates bei Livius vgl. ebd., 283.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

auswärtiger Frauen zum Exemplum. Der Anerkennung ihrer Taten geht die genderspezifische Inszenierung der Frauen voraus. Diese lässt sich besonders deutlich anhand der Intervention von Vestia Oppia und Pacula Cluvia erkennen. Beide werden als Exempla angeführt, nachdem sich die Lage im Ringen um die zu den Karthagern übergelaufene Stadt Capua zugunsten der Römer gewendet hat.62 Die Inszenierung dieser Frauen soll daher im Folgenden analysiert werden. Nachdem Rom nämlich Capua einnehmen konnte, was Livius als wichtigen Schritt der Kriegserzählung kennzeichnet, wird im Senat die Frage nach der Behandlung der Besiegten diskutiert. Mit der Rede des M. Atilius Regulus gibt Livius die Erinnerung an Verdienste der Kampaner wieder. Hierbei ist es ein dezidiert männliches und römisches Wissen, das sich ausschließlich auf Verdienste kampanischer Frauen gegenüber Römern beruft, woraufhin Livius die Reaktion des Senats anschließt: »duas mulieres compertum est, Vestiam Oppiam Atellanam Capuae habitantem et Paculam Cluuiam, quae quondam quaestum corpore fecisset, illam cottidie sacrificasse pro salute et uictoria populi Romani, hanc captiuis egentibus alimenta clam suppeditasse.« [...] ex hoc plebei scito senatus consultus Oppiae Cluuiaeque primum bona ac libertatem restituit: si qua alia praemia petere ab senatu uellent, uenire eas Romam.63 (Liv. 26,33,8; 26,34,1f.)

In genderspezifischer Hinsicht sind zwei Aspekte der Inszenierung des auswärtigen Frauenhandelns bemerkenswert: Erstens stellt Livius hier zwei ambivalente Handlungsweisen gegenüber. Vestia Oppia entspricht mit ihren Gebeten pro salute et uictoria einem stereotypen Handlungsrepertoire von Frauen im Krieg und leistet nur indirekte Hilfe. Dagegen kann sich Pacula Cluvia als ehemalige Hetäre außerhalb matronaler Vorgaben wesentlich freier im sozialen Raum bewegen und die Römer damit unmittelbarer unterstützen.64 Zweitens nimmt diese exemplarische Erinnerung an die Taten beider Frauen keine qualitativ abweichende Bewertung vor, die eine geschlechtliche Differenzierung vermuten lässt. Gleichzeitig fehlt außer-

62 Liv. 26,12,1: ceterum non quantum Romanis pertinaciae ad premendam obsidione Capuam fuit tantum ad defendendam Hannibali. 63 »Man brachte in Erfahrung, dass es nur zwei Frauen gebe, Vestia Oppia, eine aus Atella stammende und in Capua wohnende Frau, und Pacula Cluvia, die einst vom Hurengewerbe gelebt hatte: Jene habe täglich für das Wohl und den Sieg des römischen Volkes Opfer dargebracht, diese den bedürftigen Gefangenen heimlich Nahrung zur Verfügung gestellt.« [...] Dieser Verlautbarung des Volkes entsprechend wurde der Senat befragt. Er gab Oppia und Cluvia zuerst ihr Vermögen und ihre Freiheit zurück. Wenn sie vom Senat noch irgendwelche anderen Belohnungen erbitten wollten, sollten sie nach Rom kommen. 64 Vgl. McClain 1994, 135; Kowalewski 2002, 305f.

Krisenwissen und Gender: ein Problem römischer Deutungshoheit

dem eine genderspezifische Innensicht der Figuren.65 So wird einerseits deutlich, dass das transgressive Potential der auswärtigen Frauen ausschließlich in ihrer Performanz, nicht aber in ihrer epistemischen Autorität liegt. Andererseits ist die männlich fokalisierte Erinnerung an die Exempla genderspezifisch markiert: Deutlich lässt Livius nämlich die duas mulieres als Einheit in Opposition zu den übrigen Kampanern treten, die im Gegensatz dazu nichts im Interesse der Römer getan hätten.66 Diese exemplarische Würdigung nichtrömischer Frauengestalten ist als erzählerische Strategie in Livius’ Darstellung des zweiten Punischen Krieges zu verstehen. Nicht nur die beiden Frauen aus Capua, sondern auch die Apulierin Busa werden nämlich an prominenter Stelle ins Narrativ des Krieges eingebunden. So macht Livius die apulische Frau Busa aufgrund ihrer Freigebigkeit gegenüber Römern unmittelbar nach der Niederlage von Cannae zu einem Exemplum, das er in den Wissensbestand der Memoria dieses Krieges überführt: pro qua [Busa] ei munificentia postea bello perfecto ab senatu honores habiti sunt (22,52,7).67 Interne männliche Rezipienten dienen Livius also dazu, auswärtige Exempla in eine römische KrisenMemoria zu überführen. Dass auf weiblicher Seite jedoch vor allem die Würdigung punktuellen Handelns für Rom im Mittelpunkt der Inszenierung dieser Frauengestalten steht, zeigt die Würdigung von Busas munificentia als ein Wert, den Livius explizit auch römischen Matronen zuschreibt.68 Die Konzeption derartiger transgressiver Genderidentitäten wird dadurch bestimmt, dass Livius die Frauen durch die Rezeption in ein römisches Moralkonstrukt überführt. Das transgressive Potential von Frauen in ihrer Intervention für Rom wird durch die Erzählung und Würdigung ihres Handelns mittels interner Rezipienten ausgeblendet. Dazu vermittelt Livius die Erinnerung aus einem männlichen Wissensbestand und legt auf diese Weise ein weibliches Wertebild zugrunde, das auf die Nichtrömerinnen übertragen wird. So konstruiert das Narrativ eine exemplarische Vergangenheit, in der ein römisches Wertebewusstsein nach außen projiziert wird. Dabei zeigt sich, dass die zentrale Bedeutung des römischen Senats für die Darstellung dieses Krieges und die Deutung und Konstruktion von Exem-

65 Ohne eine genderspezifische Perspektive zum Fehlen einer figuralen Innensicht vgl. McClain 1994, 135. 66 Liv. 26,33,9: ceterorum omnium Campanorum eundem erga nos animum, quem Carthaginiensium fuisse. Zur Sonderstellung der Frauen in Opposition zu den übrigen Kampanern vgl. auch Weiẞenborn/Müller 1976b, 93; Levene 2010, 370. 67 Die beiden Kampanerinnen und Busa werden bereits von Kowalewski 2002, 305–307 aufgrund ihrer Verdienste für den römischen Staat in eine Kategorie eingeordnet. Die vorliegende Untersuchung erweitert diesen Befund narratologisch. 68 Vgl. Moore 1993, 105.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

pla auch in geschlechterspezifischer Hinsicht gilt.69 Diese fokalisierende Instanz auswärtigen Frauenhandelns bietet externen Rezipienten der Exempla ein Bild von Weiblichkeit nach den Vorgaben eines römischen Moral- und Genderdiskurses augusteischer Zeit, sodass eine republikanische Institution zum Medium frühkaiserzeitlicher Diskurse wird. Der Senat steht dabei für eine römische Handlungsmacht in diesem Krieg. Livius integriert diese Frauen in einen römischen Wertekosmos, um auf der Folie einer weiblichen Genderperformanz dem Leser eine römische Überlegenheit durch einen männlich-institutionalisierten Zugang zum römischen Wertesystem zu vermitteln.70 Gleichzeitig bildet eine solche Republik-Memoria das Krisenbewusstsein und das Sendungsbewusstsein der livianischen Gegenwart ab. Auch hier wird das transgressive Potential von Frauen auf einen rein performativen Aspekt verlagert. Sie werden eines geschlechterspezifischen Wertezugangs beraubt und erhalten schließlich erst von männlichen Instanzen eine moralische Bedeutung. Daraus ergibt sich eine offensichtliche Parallele zur Struktur der Cloelia-Episode.71 Der entscheidende Unterschied liegt jedoch darin, dass es in der livianischen Erzählung des zweiten Punischen Krieges ausschließlich römische Instanzen sind, die Nichtrömerinnen als Frauen in ein explizit römisches Wertesystem integrieren, was dem augusteischen Wertediskurse und dem Sendungsbewusstsein nach außen geschuldet ist.72 Livius erzeugt in der Erzählung eine reziproke Wirkrichtung dieser Exempla: Einerseits werden Rom Verdienste von außen zuteil, andererseits wird dies zum Anlass, den eigenen Wertekosmos nach außen zu tragen, sodass ein Rom-zentriertes Bedingungsgefüge entsteht. Das trägt nicht nur dazu bei, die livianische Darstellung Capuas zu erhellen: »Yet this picture of Capua as the site of universal and undifferentiated anti-Roman feeling is repeatedly undermined.«73 Vielmehr demonstriert die Rezeption nichtrömischen Frauenhandelns durch den Senat deutlich dessen Handlungsmacht. Livius präsentiert dem Leser damit auf der Geschlechterebene eine moralische Überlegenheit Roms. Auswärtige Frauen dienen dazu, diesen römischen Wertekosmos als Teil der frühkaiserzeitlichen Erinnerungskultur in der Republik-Memoria zu verankern.74 Dieser Befund erweitert die These von 69 Auf die narrative Funktion des Senats als interner Rezipient von Exempla hat bereits Chaplin 2000, 70 hingewiesen. Zur idealisierten Funktion des Senats im Krieg gegen Hannibal in der livianischen Darstellung vgl. Walsh 1996a, 166f. 70 Zum Patriotismus im Narrativ des zweiten Punischen Krieges vgl. ebd., 96, 283. Zur Bedeutung figuraler Fokalisierung von Exempla auf römischer Seite im zweiten Punischen Krieg vgl. Chaplin 2000, 62, 64. 71 Vgl. Kapitel 2.2.1. 72 Vgl. Walsh 1996a, 271f. 73 Levene 2010, 372. 74 Zur Bedeutung der Republik-Memoria für die augusteische Konstruktion einer res publica restituta im livianischen Geschichtswerk vgl. Gowing 2005, 138f.

Ethnizität und Gender – die römische Krise aus anderen Augen

Levene, Livius nehme in dieser Erzählung eine Differenzierung der kampanischen Haltung gegenüber Rom vor.75 Capua wird zum diskursiven Ereignis, mithilfe dessen Livius eine moralische Überlegenheit Roms konstruiert, die auch wesentlich anhand des Geschlechts deutlich wird. Weiblichkeit kennzeichnet diese Krise in der augusteischen Erinnerung dabei als Spannungsverhältnis zwischen weiblichem Handeln und dessen Überführung in einen römischen Wissensbestand. Zum einen fokalisiert der Senat das Frauenhandeln und deklariert es als eine erfolgreiche pro-römische Krisenintervention; zum anderen wird dadurch das exemplarische Krisenhandeln jedoch in die Hand dieser römischen Institution verlagert. Somit ist die institutionelle Rezeption von Frauenhandeln sowohl für die Konstruktion des Geschlechts als auch für die Inszenierung römischer Handlungsmacht in der Krise ausschlaggebend.

4.2

Ethnizität und Gender – die römische Krise aus anderen Augen

Die Affirmation einer matronalen Identität bot für die römische Frühgeschichte den einzigen Anlass einer transgressiven Performanz im Verständnis eines normativen Weiblichkeitskonzeptes. Nun wendet sich die Funktion von Frauengestalten im Verlauf von Ab urbe condita von einer innerrömisch-sozialen Bedeutung von Weiblichkeit hin zu einer ideologischen Standortbestimmung, die im Wesentlichen zur moralischen Abgrenzung nach außen dient. Diese Dichotomie, die durch das Kriterium der Ethnizität geschaffen wird, soll im Folgenden einer genderorientierten Analyse unterzogen werden.76 So verzeichnet das Narrativ des zweiten Punischen Krieges etwa mit der Figur der Numiderin Sophoniba einen transgressiven Wissensbestand, den diese gegenüber numidischen Männern zum Ausdruck bringt. Die dadurch konstruierte weibliche Perspektive auf Seiten der Numider und die römische Betrachtung dieser Ereignisse durch die livianische Erzählinstanz erzeugen dabei ein Spannungsfeld im vorliegenden Narrativ. Daraus ergeben sich zwei zentrale Fragestellungen, die es im Folgenden zu untersuchen gilt: Erstens ist zu fragen, welche Bedeutung die Analysekategorie Geschlecht in der Gegenüberstellung von Römern und Numidern erhält. Zweitens muss die Bedeutung

75 Zur moralischen Bewertung der Kampaner bei Livius vgl. Levene 2010, 370–372; Albrecht 2016, 148, 273f. 76 Zur Rom-Fremde-Dichotomie ohne eine genderorientierte Analyse, wie sie bereits vornehmlich anhand des zweiten Punischen Krieges aufgezeigt wurde, vgl. vor allem Chaplin 2000, 38, 42, 75–78, 107, 118; ähnlich auch Walsh 1996a, 87; in Bezug auf die römischen Kriege der ersten Dekade vgl. Jaeger 1997, 33.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

der Ethnizität für das figurale Krisenwissen und -handeln geklärt werden.77 Es soll gezeigt werden, dass die transgressive Ausweitung des weiblichen Wissens stets das Fehlen eines männlichen Wertezugriffs voraussetzt. Defizitäre Männlichkeit und transgressives Frauenhandeln kennzeichnen damit eine Krise auf Seiten der Nichtrömer. Auf diese Weise wird deutlich, dass zudem ein Blick auf die Bedeutung von Weiblichkeit für die Inszenierung nichtrömischer Männer geworfen werden muss. Nach Albrecht wird nämlich auswärtige Männlichkeit dazu genutzt, »das eigene Spiegelbild, in das historische ›Außerhalb‹ versetzt, erscheinen [zu lassen]«78 . So sollen weibliche Exempla aus Numidien und Syrakus betrachtet werden, um am Kriterium des Geschlechts zu zeigen, dass auswärtige Frauengestalten einerseits eine Geschlechterkrise bei den Feinden Roms abbilden und andererseits eine römische Selbstwahrnehmung nach außen vermitteln. Die folgende Analyse zieht dazu als wesentliches Kriterium den geschlechterbezogenen Wissensbestand heran. Hierbei ist in einem ersten Schritt vor allem die Frage ausschlaggebend, inwiefern sich männliche und weibliche Wissensbestände qualitativ unterscheiden und wie sich etwaige Unterschiede auf das genderspezifische Handeln auswirken.79 Dazu bietet eine Untersuchung der Fokalisierung von männlichen und weiblichen Figuren entscheidende Hinweise. Aus dieser Wahrnehmung von Geschlechterverhältnissen auf Seiten der Nichtrömer soll dann ein Krisenbewusstsein abgeleitet werden, das sich in augusteischer Zeit für die Erinnerung an die Kriege ausmachen lässt.80 Vor diesem Hintergrund soll in einem zweiten Schritt gezeigt werden, dass für Livius auf nichtrömischer Seite weibliche Transgressionen stets dazu führen, dass die Männer nicht nur in ihrer Handlungsmacht, sondern auch moralisch dekonstruiert werden. Dieses Setting einer Geschlechterordnung steht in starkem Kontrast zum normativen Konstrukt, das der augusteische Diskurs in die Vergangenheit projiziert. Damit erzeugt Livius eine Negativfolie bei Nichtrömern, deren Bedeutung dann wiederum auch für die Inszenierung römischer Werte-Exempla geklärt werden muss.81 Dabei zielt die Analyse insbesondere auf die Inszenierung bedeutender römischer Männer ab, welche im Sinne des oben gezeigten Patriotismus die Memoria des zweiten Punischen Krieges

77 Die Bedeutung von karthagischen und römischen Perspektiven auf den zweiten Punischen Krieg ist für dieses Narrativ bereits von Jaeger 1997, 113f. ohne die Berücksichtigung des Geschlechts aufgezeigt worden. 78 Albrecht 2016, 263. 79 In dieser Hinsicht hat die Forschung vor allem die Affekte von Nichtrömern als Hemmnis des Figurenhandelns erkannt, vgl. Haley 1989, Haley 1990. 80 Jaeger 1997, 113f. hat gezeigt, dass die römische Perspektive Entwicklungen zugunsten der Römer vermittelt. 81 Moore 1989, 3, 13f. hat auf die Bedeutung der Ethnizität für die Konstruktion tugendhafter Exempla hingewiesen und sie am Beispiel der uirtus aufgezeigt.

Ethnizität und Gender – die römische Krise aus anderen Augen

in diesem Krisennarrativ prägen.82 Hierbei steht vor allem die Figur des Scipio Africanus im Fokus der exemplarischen Darstellung,83 für dessen Qualitäten als Werte-Exemplum die Bedeutung der Geschlechts als Analysekategorie zu prüfen ist. 4.2.1

Außensicht: Weiblichkeit und die Krise der anderen?

Im Folgenden sollen die Funktionsweisen von Geschlecht im geschlossenen System der nichtrömischen Figuren betrachtet werden. So lassen sich die Mechanismen geschlechterspezifischer Markierungen klären, die Livius in der Erzählung des zweiten Punischen Krieges nichtrömischen Frauen und Männern zuschreibt und damit eine nichtrömische Geschlechterkrise inszeniert. Hierfür bieten sich zwei Frauengestalten an: Am Beispiel Sophonibas soll die Funktion einer weiblichen Außenperspektive auf den Krieg aufgezeigt werden. Diese wird von ihrem Vater, dem karthagischen Feldherrn Hasdrubal, als Spielball im Ringen um die Gunst des Numinder-Königs Syphax genutzt, wenn eine Ehe arrangiert und Syphax damit als Bündnispartner Karthagos gewonnen werden soll.84 Die Platzierung Sophonibas zielt somit darauf ab, die Liebe des Syphax als ein Genderproblem römischer Bündnispolitik zu inszenieren. Gleiches lässt sich für die Figur der Damarata während des Umsturzes im Herrscherhaus von Syrakus zeigen. Auch hier nutzt Livius eine Frau, um männliches Handeln in dieser Krise aufzuzeigen, das sich gegen Rom richtet. Ausgehend von einer figuralen Perspektive auf die Macht gelingt es der Frau, ihren Mann vom Abfall von Rom zu überzeugen. Eine Frau offenbart hier eine Perspektive, durch die Livius den Krieg gegen Karthago lediglich in der Außenperspektive zu einer Krise werden lässt und klar als ein Problem nichtrömischer Männlichkeit inszeniert.85 In beiden Fällen tragen Frauen nämlich nicht nur dazu bei, ein von Männern verhandeltes Bündnis mit Rom – und damit eine eindeutig männliche Ordnung – aufzulösen,86 sondern zugleich auch männliches Handeln zu dekonstruieren.

82 Albrecht 2016, 274f. sieht in dieser Darstellung von nichtrömischer Männlichkeit einerseits die Funktion einer Ein- und Abgrenzung römischer Männlichkeit, andererseits die daraus resultierende Projektion bestimmter Verhaltensweisen auf einen nichtrömischen Figurenbestand; beide dienen dem Ziel einer Abbildung der römischen Hegemonialideologie. 83 Vgl. Hadas 1940, 449. 84 Zuletzt ist von Bernard 2015, 39f. am Beispiel der Darstellung der Karthager auf die klischeehafte und kollektivierende Charakterisierung und negative Bewertung von auswärtigen Völkern hingewiesen worden. 85 Albrecht 2016, 277 hat die livianische Beschreibung der Zustände in Syrakus bereits als eine nach römischen Maßstäben negativ bewertete Entwicklung dargestellt, konzentriert sich dabei aber methodisch bedingt insbesondere auf die Figur des Hieronymus. 86 Damit erhält die von Eckstein 1980, 201 in die Verantwortung des Hieronymus gelegte Lossagung von Rom durch die Figur Damaratas eine geschlechterspezifische Differenzierung. Zur entsprechenden Bedeutung Sophonibas gegenüber Syphax vgl. Haley 1989, 174.

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Auf dieser Grundlage sollen Eigenschaften der Ethnizität im livianischen Genderund Wertediskurs aufgezeigt werden, um deren Einfluss auf die Charakterisierung von auswärtigen Männern und Frauen sowie deren geschlechterspezifische Sicht auf diese Krise bewerten zu können. So soll die Beobachtung einer genderunabhängigen Inszenierung moralischer Defizite auf nichtrömischer Seite differenziert werden.87 Dafür wird in einem ersten Schritt ein weiblicher Wissensbestand aufgezeigt, der Frauen im Spannungsfeld zwischen Einflussnahme in männlichen Räumen und genuin weiblichen Wahrnehmungsbereichen verortet. In einem zweiten Schritt wendet sich die Analyse der Darstellung nichtrömischer Männer zu. Am Beispiel von Sophonibas Ehemann Syphax soll nicht nur die Bedeutung dieser weiblichen Innensicht auf das männliche Krisenhandeln und die Krisensicht bestimmt werden. Ebenso werden die Wechselwirkungen in der nichtrömischen Geschlechterinszenierung sichtbar. Anders als bei römischen erzeugt Livius bei auswärtigen Beispielen Gendertransgressionen auf der Grundlage einer explizit weiblichen Perspektive und verzichtet auf die weibliche Übernahme männlichen Wissens, was als Reflex der Dekonstruktion auswärtiger Männer zu verstehen ist.88 In beiden Analysen steht also die Bewertung einer geschlechtlich markierten Perspektive im Vordergrund, durch die eine Außensicht auf römische Krisen anhand von genderspezifischen Kriterien nachgewiesen werden soll. 4.2.1.1 Frauen und männliche Perspektive

Nichtrömische Frauengestalten stehen bei Livius stets im Kontext männlichen Handelns auf Seiten der Feinde Roms und tragen dazu bei, dieses Männerhandeln zu charakterisieren. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Inszenierung von Geschlecht dabei auf einer Konstruktion geschlechterspezifischer Wahrnehmungsbereiche gründet, welche die Genderidentität, die Livius beiden Geschlechtern zuschreibt, und deren Handeln definiert. In dieser Hinsicht konturieren Frauen in vielfacher Weise eine männliche Handlungsmacht, wenn etwa Sophoniba zum Spielball der Bemühungen Hasdrubals wird,89 den Numider-König Syphax als Verbündeten gegen Rom zu gewinnen. Denselben Befund hinsichtlich einer Funktion von Weiblichkeit lassen auch die Darstellungen von Frauengestalten aus

87 Zur generellen Zuschreibung negativer Werte an auswärtige Völker bei Livius vgl. Bernard 2015, 42. Besondere Aufmerksamkeit der Forschung galt dem Stereotyp der Affekte bei den Numidern (Liv. 29,23,4: et sunt ante omnes barbaros Numidae effusi in uenerem), vgl. Haley 1990, Mëry 2008. 88 Die These einer Gleichsetzung von Damarata mit der römischen Tullia nach Albrecht 2016, 276 muss auf diese Weise differenziert werden, da sie den Aspekt der Weiblichkeit für die Inszenierung von Männern außer Acht lässt. 89 Vgl. Haley 1989, 174; Kowalewski 2002, 219f.; zu Sophonibas weiblicher Rolle in diesem Zusammenhang vgl. McClain 1994, 228.

Ethnizität und Gender – die römische Krise aus anderen Augen

der Perspektive von Makedonen-König Philipp V. oder von Seleukiden-König Antiochos III. zu. Allen Fällen ist gemein, dass diese Darstellung männliche Werteprobleme auf Seiten der Gegner Roms abbildet,90 die von Frauen sichtbar gemacht werden, indem sie in ein männliches Handeln und eine männlich fokalisierte Perspektive auf diese Wertekrise eingebunden sind. Eine Betrachtung männlicher Wissensbestände, die von weiblichen Figuren sichtbar gemacht werden, macht deutlich, dass diese augusteischen Narrative als Wertekrisen auf gegnerischer Seite konzipiert sind. Dass nämlich das Überlaufen des Numider-Königs Syphax zu den Karthagern als ein männliches Werteproblem zu verstehen ist, legt die Figur Sophonibas offen: ad eam rem consummandam tempusque nuptiis statuendum – iam enim et nubilis erat uirgo – profectus Hasdrubal, ut accensum cupiditate – et sunt ante omnes barbaros Numidae effusi in uenerem – sensit, uirginem a Carthagine arcessit maturatque nuptias. […] ceterum Hasdrubal, memor et cum Scipione initae regi societatis, et quam uana et mutabilia barbarorum ingenia essent, ueritus, ne, si traiecisset in Africam Scipio, paruum uinculum eae nuptiae essent, dum accensum recenti amore Numidam habet, perpellit blanditiis quoque puellae adhibitis, ut legatos in Siciliam ad Scipionem mittat, per quos moneat eum, ne prioribus suis promissis fretus in Africam traiciat.91 (Liv. 29,23,4–7)

An dieser Stelle macht Sophoniba ein moralisches Problem sichtbar, das explizit zu einem auf numidische Männer bezogenen Defizit wird. Livius macht dies einleitend aus der Perspektive Hasdrubals aus: accensum cupiditate [...] sensit. Aus der Sicht des Karthagers beschreibt Livius die Liebeslust als ein Problem des Numiders

90 Chaplin 2000, 79–81 sieht die Nichtrömer außerstande, das moralische Wissen als Exempla abbilden zu können. Bernard 2015, 41, 46 deutet diesen Befund in einer Dualität aus römischen und nichtrömischen Exempla als Ausdruck eines moralischen Überlegenheitsanspruchs seitens der Römer. 91 Um die Sache abzuschließen und einen Zeitpunkt für die Hochzeit festzulegen – das Mädchen war nämlich auch bereits im heiratsfähigen Alter – brach Hasdrubal auf, sobald er bemerkt hatte, dass dieser vor Begierde brannte – und die Numider lassen sich mehr als alle Barbaren im Liebesgenuss gehen –, holte das Mädchen aus Karthago herbei und brachte die Hochzeit voran. […] Doch Hasdrubal erinnerte sich daran, dass sowohl vom König ein Bündnis mit Scipio geschlossen worden war, als auch dass das Wesen der Barbaren wankelmütig und launisch ist. Weil er fürchtete, dass diese Hochzeit, wenn Scipio erst nach Afrika übergesetzt habe, nur eine schwache Verbindung sei, setzte er, solange er den von frischer Liebe entbrannten Numider in seiner Hand hatte, auch unter Einbeziehung von Schmeicheleien des Mädchens durch, dass Syphax Gesandte zu Scipio nach Sizilien schicke, durch die er ihn warnen sollte, nicht im Vertrauen auf frühere Versprechungen nach Afrika überzusetzen.

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Syphax,92 sodass Weiblichkeit in dieser Darstellung zweifach durch männliche Augen erfasst wird. Auf diese Weise wird sie zum Marker eines römischen Problems. Sie deckt nämlich den Wankelmut, der sich aus der cupiditas ergibt, als Stereotyp der Barbaren auf und macht damit die fehlende Treue gegenüber Rom als Folge eines Geschlechterproblems sichtbar.93 Dieses Bild des Syphax spiegelt die moralische Bewertung der barbari bei Livius wider.94 Die Affekte des Numiders offenbaren sich hier, da eine Frau involviert ist, die in ihrer passiven und konturlosen Art der Darstellung bloß als Charaktantin eines männlichen Defizits dient. Zugleich lässt die Parenthese, welche auf die Barbarenstereotype verweist, vermuten, dass der Herausgeber dies für einen auktorialen Kommentar gehalten hat. Dies verdeutlicht zusätzlich, dass die moralische Dekonstruktion nichtrömischer Männlichkeit das livianische Werk prägt. So erhält die Beobachtung einer römischen Überlegenheit im Werk des Livius eine geschlechterspezifische Bedeutung,95 wenn Livius die Dekonstruktion nichtrömischer Männer als eine Strategie des Textes nutzt, um eine moralische Distanz zu römischen Maßstäben abzubilden. Doch die epistemische Konstruktion dieser Passage zeigt, dass nicht nur Sophoniba in den Bemühungen Hasdrubals dessen Handeln unterliegt. Auch Syphax ist den Absichten des Karthagers aufgrund der durch Sophoniba hervortretenden Affekte machtlos ergeben, was sich aus der Fokalisierung der vorliegenden Darstellung durch die Perspektive Hasdrubals ergibt. Livius präsentiert dessen Wissen über die moralischen Defizite des Numiders. Außerdem wird aus Hasdrubals Sicht die Erkenntnis vermittelt, dass amor und nuptiae allein nicht ausreichen, um Syphax als Bündnispartner zu gewinnen, sodass er durch die epistemische Perspektive Handlungsmacht über den Numider erhält und so eine ethnisch definierte Hierarchie geschaffen wird.96 Sophoniba kennzeichnet damit auf Seiten der barbari ein Werteproblem, das nicht nur allein darauf abhebt, die Numider als römischen Bündnispartner zu diskreditieren und so den ethnischen Diskurs des livianischen Narrativs abzubilden.97 Vielmehr gewinnt diese Darstellung ihre Wirkung insbesondere dadurch, dass Livius dem Leser die Sichtweise Hasdrubals

92 Zum Stereotyp der cupiditas in der Darstellung des Syphax bei Livius vgl. Haley 1989, 174. 93 Vgl. Walsh 1996a, 87; Haley 1990, 375; Cazeaux 2015, 301f. 94 Liv. 28,17,6: foedus ea tempestate regi cum Carthaginiensibus erat; quod haud grauius ei sanctiusque quam uolgo barbaris, quibus ex fortuna pendet fides, ratus fore, oratorem ad eum C. Laelium cum donis mittit. 95 Zur Deutung einer genderneutralen Überlegenheit Roms im Narrativ des zweiten Punischen Krieges vgl. Bernard 2015, 41f.; ähnlich auch Weiẞenborn/Müller 1968b, 51. Walsh 1996a, 87f. bezieht das abgebildete moralische Problem allein auf die Figur des Syphax. 96 Zur moralischen Überlegenheit der Karthager in Abgrenzung zu den livianischen barbari vgl. Levene 2010, 220f. 97 Vgl. ebd., 247f.

Ethnizität und Gender – die römische Krise aus anderen Augen

präsentiert. Diese Außenperspektive Hasdrubals legt als Strategie der Figurendarstellung Krisenhaftes in die Verantwortung von Nichtrömern. Deren mangelnde Qualität als Verbündete Roms artikuliert sich in ihrer Interaktion untereinander. Zugleich lässt dieser Befund Rückschlüsse auf die Inszenierung der römischen Expansion in diesem Narrativ zu. An der Figur Sophonibas wird die moralische Distanz verdeutlicht, die Livius zwischen Barbaren und Römern herstellt und die es zu überwinden gilt, bevor die Numider im Zuge der späteren Darstellungen von römischen Expansionsbestrebungen als Verbündete Roms in den römischen Wertekosmos integriert werden können.98 Somit weist Livius’ Platzierung passiver Weiblichkeit auf nichtrömischer Seite im Fall der Sophoniba auf die folgende Ausweitung eines römischen Wertekosmos auf die Numider durch Scipio voraus.99 Dazu werden nichtrömische Männer auf der Grundlage ihrer stereotypen Darstellung moralisch dekonstruiert. Zugleich konstruiert Livius hier eine römische Krise, die insbesondere als moralische Krise der barbari verstanden werden muss. Diese kennzeichnet der Historiograph durch die auktorialen Bewertungsmaßstäbe, die eine moralische Distanz zu römischen Idealen aufdecken und die es zu überwinden gilt, um die von außen konstruierte Wertekrise zu lösen. Livius nutzt diese Strategie einer moralischen Distanzierung, die auf der Figurenebene abgebildet wird, nicht nur in der Sophoniba-Episode. Vielmehr wird deutlich, dass die römische Expansion für Livius nicht nur im Kontext einer Wertekrise im nichtrömischen Raum stattfindet.100 Ebenso machen römische Expansionsbestrebungen Geschlechterprobleme unter Nichtrömern sichtbar. Diese Darstellungsweise zielt somit vornehmlich darauf ab, die moralischen Defizite nichtrömischer Männer mithilfe einer ebenso stereotyp erzeugten Weiblichkeit abzubilden. Zu beobachten ist dieses narrative Muster bei zwei weiteren nichtrömischen Frauengestalten. Livius berichtet, dass Polycratia aus Argos der libido regia (27,31,7) des Makedonen-Königs Philipp V. zum Opfer fällt und ebenso ein Mädchen aus Chalkis dafür verantwortlich ist, dass sich Seleukiden-König Antiochos III. amor, uoluptates und luxuria (36,11,1–3) hingibt.101 In beiden Fällen zeichnet Livius das Bild eines Herrschers, der sich seinen Affekten hingibt, was weitreichende Probleme nach sich zieht. Die luxuria, die Antiochos als amore captus uirginis Chalcidensis (36,11,1) an den Tag legt, wird schließlich zum Grund für ein Nachlassen der

98 Zur Integration von Feinden in ein römisches Wertesystem bei der Darstellung der römischen Expansion vgl. Levene 2010, 259; ähnlich Walsh 1996a, 271f., 283. 99 Vgl. Kapitel 4.2.2. 100 Vgl. Bernard 2015, 43. 101 Zur strukturierenden Platzierung der römischen Kriege gegen Philipp und Antiochos vgl. Luce 1977, 33, 75, 82. Stadter 2009, 94f. fasst die livianische Darstellung des Makedonischen Krieges ab Buch 31 als geschlossenen Teil des Werkes.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

militärischen Handlungsfähigkeit im Krieg gegen die Römer.102 Bei Antiochos verurteilt Livius damit ebenso dessen königliche Begierden,103 wie es bei Philipps Affekten der Fall ist.104 Wie bereits Sophoniba in der Interaktion mit Syphax machen Frauen nun auch bei diesen Königen ihre Affekte evident, was eine Analyse ihrer Perspektiven zeigt. Beider Wahrnehmung ist auf die weiblich erzeugten Affekte beschränkt: Antiochos wird als amore captus bezeichnet. Auch bei Philipp von Makedonien zeichnet Livius die libido für dessen ausschweifende Gewalt gegen Frauen verantwortlich: et libertatem, cum aliis uanam ostendisset, totam in suam licentiam uerterat. (27,31,6) In beiden Fällen nutzt Livius Weiblichkeit, um die moralischen Defizite dieser Männer offenzulegen. So wird sowohl männliche Handlungsfähigkeit geschmälert als auch die negative Bewertung nach römischen Wertmaßstäben hervorgehoben.105 Auch in diesen Episoden nutzt Livius also eine stereotyp-passive Platzierung von Weiblichkeit, um durch sie die fehlende Moral auf Seiten nichtrömischer Männer abzubilden.106 So wird eine Außenperspektive einer Krise geschaffen, die eine moralische Überlegenheit der Römer verdeutlicht. Entscheidend für die Geschlechterverhältnisse auf Seiten der Nichtrömer ist jedoch, dass Weiblichkeit dazu genutzt wird, nichtrömische Männer moralisch zu dekonstruieren und ihnen so ihre Handlungsfähigkeit zu nehmen. Werteprobleme bei den Feinden Roms kennzeichnen – wie bereits in Bezug auf Syphax gezeigt – die Expansion der römischen Herrschaft und bilden die moralische Distanz zwischen dem römischem und dem nichtrömischem Wertekosmos ab.107 4.2.1.2 Die weibliche Perspektive der Macht

Für Hasdrubals Tochter Sophoniba sowie für Damarata, die Tochter des Hiero II. von Syrakus, lässt sich in Ab urbe condita ein Zugang zur Macht und ein Verhältnis zu ihren Ehemännern aufzeigen, deren Machtwillen sie forcieren. Beide üben dabei ausdrücklich eine weibliche Form der Einflussnahme aus. In den Interaktionen zwischen Mann und Frau sollen geschlechtlich markierte Wissensbestände aufgezeigt werden, die eine qualitative Bewertung des Geschlechterhandelns ermöglichen.

102 Liv. 36,11,3f. Zur Darstellung und Wirkung der luxuria des Antiochos gemessen am Kriterium der disciplina militaris vgl. Kowalewski 2002, 284. 103 Vgl. Mëry 2008, 322. 104 Vgl. Kowalewski 2002, 315. In dieser Hinsicht muss die von Walsh 1996a, 106 formulierte Anerkennung Philipps als Herrscher eingeschränkt werden. 105 Vgl. Kowalewski 2002, 316; Mëry 2008, 324. 106 Walsh 1996a, 107 hat auf Livius’ Kritik an Philipps »unkingly behaviour« hingewiesen. 107 Vor diesem Hintergrund ist der Hinweis von Albrecht 2016, 265f. zu ergänzen, dass die Inszenierung Philipps kein konsistentes Griechenbild abgebe, sondern als eine »kulturelle Herausforderung für römisch-männliches Handeln«, die sich auf der Grundlage des Wertediskurses offenbart.

Ethnizität und Gender – die römische Krise aus anderen Augen

Zwei Aspekte sollen auf diese Weise nachgewiesen werden: Erstens ist die Außenperspektive auf römische Krisen von einer Darstellung nichtrömischer Männlichkeit bestimmt, bei der ein fehlender epistemischer Zugang zur Krise die männliche Handlungsfähigkeit hemmt. Zweitens wird diese Leerstelle, die aus defizitärem Männerhandeln erzeugt wird, von weiblichen Protagonistinnen gefüllt, deren Blick auf die Krise die Perspektive der Feinde Roms vermittelt.108 So präsentiert Livius durch die Figuren von Sophoniba und Damarata eine explizit antirömische Krisenperspektive.109 Diese Beobachtung ergänzt den anhand von Männern konturierten moralischen Aspekt der Krise durch die Konstruktion einer weiblichen Perspektive. Sie bildet, wie gezeigt werden soll, einen weiblich-transgressiven Wissensbestand ab und erzeugt dadurch einen weiblichen Einfluss auf Männer aufgrund der »personal desires«110 von Frauen. Eine Analyse der jeweils weiblichen Perspektive von Sophoniba und Damarata lässt eine geschlechterspezifische Differenzierung der Einflussnahme dieser Frauen zu. Dies hilft dabei, die Mechanismen eines weiblichen Wirkens in dieser männlichen Wertekrise auf Seiten der Feinde Roms aufzuzeigen. Da ihnen nämlich nicht nur in der livianischen Bewertung durch textinterne Rezipienten,111 sondern auch als communis opinio der Forschung ein bedeutender Einfluss auf ihre Männer attestiert wird,112 soll gefragt werden, welche Rolle dabei die Analysekategorie des Geschlechts und die Anlage der Geschlechterordnung spielen. Ein Paradebeispiel, an dem sich die weibliche Einflussnahme auf Männer zeigen lässt, ist Sophonibas Bitte um Mitleid, die sie an Syphax richtet: et ad Syphacem legati missi summa ope et ipsum reparantem bellum, cum uxor non iam ut ante blanditiis, satis potentibus ad animum amantis, sed precibus et misericordia ualuisset, plena lacrimarum obtestans, ne patrem suum patriamque proderet iisdemque flammis Carthaginem, quibus castra conflagrassent, absumi sineret.113 (Liv. 30,7,8f.)

108 Vor diesem Hintergrund ist die Festlegung des weiblichen Einflusses auf das von Sophoniba erzeugte Mitleid, wie es Levene 2010, 255 formuliert, nicht ausreichend. 109 Auf einen eigenen Wissensbestand Damaratas hat bereits Kowalewski 2002, 94 hingewiesen, ohne dies aber in einen geschlechterspezifischen Kontext einzuordnen. 110 McClain 1994, 195, die Damarata jedoch im Kontext eines Machtstrebens römischer Frauen betrachtet und damit den Aspekt der Ethnizität bei der Analyse von Weiblichkeit ungeachtet lässt. 111 Vgl. zu Sophoniba Liv. 30,13,12: illis nuptialibus facibus regiam conflagrasse suam; illam furiam pestemque omnibus delenimentis animum suum auertisse atque alienasse, nec conquiesse donec ipsa manibus suis nefaria sibi arma aduersus hospitem atque amicum induerit. 112 Vgl. zu Sophoniba Walsh 1996a, 230; Kowalewski 2002, 222; McClain 1994, 228f.; zu Damarata vgl. Kowalewski 2002, 91, die sie mit Tullia gleichsetzt; ähnlich McClain 1994, 193f. 113 Und Gesandte wurden zu Syphax geschickt, der sich auch selbst abermals mit größter Kraft zum Krieg rüstete, da seine Frau nicht mehr wie zuvor mit Schmeicheleien, die das Herz eines Liebenden

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

Dass Sophonibas Auftreten vor Syphax hier stereotyp weiblichen Merkmalen verpflichtet ist, lässt sich an ihrer Performanz bei der Einflussnahme auf ihren Ehemann und an den Intentionen erkennen, die Livius ihr aufgrund ihrer weiblichen Perspektive zuschreibt. Hinsichtlich ihres Handelns greift die Frau nach wie vor auf ein weibliches Verhaltensrepertoire zurück. Statt die blanditiae weiblicher Reize, die zuvor ihren Einfluss sicherten,114 zu nutzen, beruft sie sich nun mit devotem Bitten um Mitleid auf Prinzipien stereotyp weiblichen Handelns. Die Handlung obtestans bildet semantisch diese Untertänigkeit ab und lässt den flehentlichen Aspekt des Bittens erkennen.115 Doch nicht allein auf diese Weise erhält Sophoniba schließlich ihre »persuasive power to obtain whatever she wants«116 . Zugleich bildet sich die Weiblichkeit ihres Handelns auch in ihrem Blick auf diesen Konflikt ab, da eine Innensicht fehlt: Livius konstruiert Sophoniba außerhalb der römischen Krise, die sich aus moralischen Defiziten von Verbündeten und Feinden im Krieg gegen Hannibal ergibt. Mit ihrer Forderung ne patrem suum patriamque proderet offenbart sie ihre eigene Sicht, die auf eine figurale Betroffenheit beschränkt ist und die Livius sie mit dem ebenso weiblichen Figurenhandeln artikulieren lässt. Sophonibas Effektivität gegenüber Syphax wird somit wesentlich durch ihr explizit weibliches Auftreten erzeugt. Weiblichkeit ist der entscheidende Faktor ihres Handelns und ihrer Einflussnahme, nicht aber die Art ihrer Rede selbst.117 Livius schreibt weiblichem Handeln und einer weiblichen Perspektive auf die Krise so einen bedeutenden Einfluss auf das Handeln von Männern zu. Gleichzeitig verlagert er aber die Gendertransgression auf Männer, was sich in der Einschränkung der männlichen Handlungsmacht zeigt. Dies zielt darauf ab, weibliche in männliche Wissensbestände zu überführen. Diese transgressive Wirkung der weiblichen Intervention artikuliert sich schließlich in der Effemination des Syphax: stimulabant aegrum amore uxor socerque (30,11,3). Die Voranstellung des Prädikats stimulabant unterstreicht Sophonibas Macht und verlegt ihren Einfluss auf die Affekte des Mannes. Auf diesem affektgeleiteten und irrationalen Weg kann also die Frau gegenüber dem Numider-König Einfluss ausüben,118 der dessen Handeln

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genug zu beeinflussen vermögen, sondern durch ihr Bitten und Jammern Einfluss ausgeübt hatte, indem sie ihn unter vielen Tränen beschwor, er solle nicht ihren Vater und ihre Heimat verraten und nicht zulassen, dass Karthago von denselben Flammen vernichtet werde, in denen das Lager aufgegangen sei. Vgl. Kowalewski 2002, 222. Zur Semantik von obtestari vgl. Glare 2012, 1351. Haley 1989, 174. Walsh 1996a, 230 sieht die Effektivität der Rede Sophonibas hingegen in ihrer »dramatic supplicatio«. Vgl. Haley 1989, 176.

Ethnizität und Gender – die römische Krise aus anderen Augen

evoziert.119 Auf ebendiesem Weg einer weiblichen Einflussnahme gelingt es in Syrakus auch Damarata, ihren Ehemann Adranodorus in ihrem Sinne zu beeinflussen. Auch hier ermöglicht Livius weiblichen Einfluss, wenn er den Mann als fessus [...] uxoris uocibus monentis (24,24,2) bezeichnet, nachdem sie zuvor ihren Mann mit Argumenten nicht hatte überzeugen können.120 So begründet Livius weiblichen Einfluss mit einer männlichen Charakterschwäche, wie die Adjektive aegrum und fessus zeigen.121 Sophoniba dient also dazu, die Affekte und die fehlende temperantia et continentia libidinum des Syphax offenzulegen, was als eine Abweichung von männlichen Idealen römischer Tugend zu deuten ist.122 Damarata hat in der Erzählung über die Unruhen in Syrakus, die nicht zuletzt auch darauf abzielt, die Maßlosigkeit des Volkes beim Vorgehen gegen die Königsfamilie abzubilden,123 für Livius hingegen im doppelten Sinne eine weibliche Funktion. Diese ist sowohl in der weiblichen Performanz als auch in der epistemischen Anlage der Figur angelegt. Auch sie kann einen explizit weiblichen Einfluss geltend machen und sich dabei auf einen weiblichen Wissensbestand berufen. So setzt sie sich ebenfalls in ihrem Machtstreben gegen ihren Mann durch und kennzeichnet ein männliches Moraldefizit. Wie Sophonibas Bitten um den Schutz ihrer eigenen Heimat auf ihrer figuralen Betroffenheit gründete, ist auch Damaratas Perspektive angelegt: Retrospektiv blickt sie auf die Instabilität der Verhältnisse in Syrakus, die durch ihre muliebres blanditiae (24,4,4) erzeugt wurden und durch die sie auf eine Einflussnahme auf die Nachfolgeregelung des Hieron zielt. Gleichermaßen ist ihr epistemischer Zugriff gegenüber ihrem Ehemann strukturiert. Während sich dieser in seinem Machtstreben auf die libertas (24,22,12–15) sowie die concordia (24,22,17) berufen kann, steht die Frau außerhalb dieses Wertezugangs. Sie bringt ihren Einfluss im Moment der Instabilität und entgegen der libertas der männlichen Perspektive zum Ausdruck: qui fessus tandem uxoris uocibus monentis nunc illud esse tem-

119 Liv. 30,11,4: igitur omnibus, qui bello apti erant, in unum coactis equos arma tela diuidit; equites in turmas, pedites in cohortes, sicut quondam ab Romanis centurionibus didicerat, distribuit. 120 Liv. 24,22,11: haec muliebria consilia Adranodorus neque tota aspernatus est neque extemplo accepit, tutiorem ad opes adfectandas ratus esse uiam, si in praesentia tempori cessisset. 121 Zur Bedeutung von aegrum für Syphax vgl. Haley 1989, 176. Das Adjektiv fessus ist als Ausdruck eines weiblichen Einflusses nur an dieser Stelle belegt, vgl. Pflugbeil 1915, 610,47–84. 122 Liv. 30,14,5f.: atqui nulla earum uirtus est, propter quas tibi adpetendus uisus sim, qua ego aeque ac temperantia et continentia libidinum gloriatus fuerim. hanc te quoque ad ceteras tuas eximias uirtutes, Masinissa, adiecisse uelim. Vgl. Walsh 1996a, 87; Haley 1989, 175; Moore 1989, 8; Burck 2009, 282. 123 Vgl. Kowalewski 2002, 97.

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pus occupandi res, dum turbata omnia noua atque incondita libertate essent [...] (24,24,2).124 In der Darstellung der Interaktion von Sophoniba und Damarata mit ihren Ehemännern schafft Livius eine Geschlechterordnung, die einerseits weiblichen Einfluss vor dem Hintergrund einer männlichen Charakterschwäche sichtbar werden lässt. Andererseits basiert ihre Einflussnahme auf einem Wissensbestand, der eine eingeschränkte Perspektive offenbart, welche Ausdruck einer figuralen Betroffenheit der Frauen ist. Sophonibas Bitten um Mitleid und auch Damaratas Handeln außerhalb eines Wertezugangs erzeugen eine weibliche Außenperspektive auf die Krise des zweiten Punischen Krieges. Diese Krisenwahrnehmung zielt wesentlich auf eine moralische Dekonstruktion von männlicher Handlungsfähigkeit am Maßstab römischer Wertideale ab. Dabei zeigt sich ein Unterschied zu Gendertransgressionen römischer Frauen, die auf der weiblichen Aneignung eines männlichen Wissensbestandes gründeten. Dagegen ist auf nichtrömischer Seite das charakterliche Defizit der Affekte in der Inszenierung nichtrömischer Männer dafür verantwortlich, dass Frauen hier eindeutig als Frauen und mit einem weiblichen Wissensbestand eine Umkehr der Geschlechterrollen herbeiführen können. Dies resultiert im Wesentlichen aus der ideologischen Bewertung nichtrömischer Männer, sodass die Ethnizität zugleich ein Genderproblem offenlegt. Das Kriterium der Intersektionalität prägt damit die Darstellung der Numider bei Livius. Das Narrativ erzeugt Gendertransgressionen also nicht durch eine Umkehr von Geschlechterrollen, sondern vielmehr durch eine Verlagerung des transgressiven Potentials auf Männer, deren Wertedefizit zu einem Genderproblem wird. 4.2.2

Der livianische Scipio: epistemische Konstruktion eines männlichen Helden

Livius’ Narration zeigt deutlich, dass nichtrömische Weiblichkeit in erster Linie dazu genutzt wird, insbesondere männliche Werte-Exempla auf römischer Seite zu konturieren. Dafür sollen im Folgenden zweierlei Strategien beleuchtet werden, die allerdings beide ihren exemplarischen Bezugspunkt auf römischer Seite in der Figur des P. Cornelius Scipio, dem späteren Africanus, finden.125 Die Figur der Numiderin Sophoniba steht exemplarisch für einen Typus Frau, der in zweifacher Weise Weiblichkeit zur Konstruktion römischer Männer-Exempla nutzt. Dafür ist

124 Er gab zuletzt dem Drang seiner Gattin nach, die ihm immer wieder einredete, jetzt sei die rechte Zeit zum Eingreifen, solange noch alles bei der neuen und noch nicht gefestigten Freiheit in Unordnung stecke [...]. 125 Zur zentralen Bedeutung dieser Figur im livianischen Narrativ vgl. Hadas 1940, 449; Walsh 1996a, 74, 77, 94–100; Walsh 1982b, 1064; Jaeger 1997, 118, 139–149; Chaplin 2000, 64.

Ethnizität und Gender – die römische Krise aus anderen Augen

nicht ihre weibliche Inszenierung allein verantwortlich. Vielmehr legen ihre weiblichen Reize die stereotypen uitia der numidischen Männer offen, mit denen die Frau Einfluss auf sie ausübt. Explizit als Frau erlangt sie damit Handlungsmacht über verweiblichte nichtrömische Männer, die mithilfe von Weiblichkeit in geschlechterspezifischer und moralischer Weise dekonstruiert werden. Diese Dekonstruktion bildet einerseits eine moralische Überlegenheit der Römer ab und lässt andererseits die exemplarischen Qualitäten Scipios auf der Folie männlicher Nichtrömer umso stärker leuchten.126 Das soll anhand ihrer transgressiven Performanz gegenüber dem Numider Masinissa aufgezeigt werden.127 Die zweite Funktion von Weiblichkeit, die dazu beiträgt, in einer Synthese der Kriterien von Ethnizität und Gender römische Exempla zu konstruieren, liegt darin, dass Frauen auf die Rolle von reinen Charaktantinnen reduziert werden, die Scipios Tugenden in Szene setzen. Dieser Befund zeigt, wie untrennbar nicht nur die exemplarische Darstellung römischer Protagonisten, sondern auch die Dekonstruktion nichtrömischer Männer mit der Inszenierung von auswärtigen Frauen verbunden ist, sodass Weiblichkeit als Analysekriterium von eigenem Wert ist.128 Zusätzlich muss dabei berücksichtigt werden, dass die zentrale Opposition von Livius nicht verallgemeinernd in einem Römisch-Nichtrömisch-, sondern in einem Rom-Karthago-Dualismus geschaffen wird,129 der mithilfe von Frauengestalten erzeugt wird. Dabei soll in Abhängigkeit von der ethnischen Verortung des Frauenhandelns eine qualitative Differenzierung vorgenommen werden. Es lässt sich zeigen, dass sich Nichtrömerinnen explizit als Frauen auf römische Werteideale berufen und sie auswärtige Männer an diesen Maßstäben dekonstruieren können. Gleichzeitig werden Frauen in ihrer Funktion als Charaktantinnen des Römers zum Abbild idealer Weiblichkeit, indem sie in einem reziproken Abhängigkeitsverhältnis vom römischen Exemplum profitieren. Dieser Befund soll darüber hinaus in den Kontext einer livianischen Krisenwahrnehmung gestellt werden: An den männlichen und weiblichen Gegenspielern Scipios soll aufgezeigt werden, dass ausländische Frauen im augusteischen Diskurs dazu dienen, ein Krisennarrativ des zweiten Punischen Krieges zu erzeugen, das die zeitgenössische Selbstwahrnehmung auf die Darstellung des Krieges projiziert. Frauen konturieren damit das männliche Selbstbewusstsein in einer Krisen-Memoria, die römische Männlichkeit durch

126 Zum Selbstverständnis einer römischen Überlegenheit als Leitmotiv augusteischer Literaturproduktion vgl. Jaeger 1997, 9. 127 Zur stereotypen Neigung zu affektgeleitetem Handeln der Numider vgl. Haley 1989; Haley 1990. 128 Albrecht 2016, 280f. verortet die Dekonstruktion nichtrömischer Männer hingegen ausschließlich »im Spannungsfeld von Fremdheit und römischen Männlichkeitsvorstellungen« und lässt dabei die Funktion von Frauen weitestgehend außer Acht. 129 Vgl. Levene 2010, 221f.

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weiblich dekonstruierte auswärtige Männer sowie durch exemplarische Weiblichkeit abbildet. So macht etwa die Effemination Masinissas durch Sophoniba eine geschlechterspezifische Feinjustierung der Charakterisierung dieses numidischen Mannes nötig, der meist als wichtiger und einflussreicher Verbündeter der Römer in Afrika rezipiert wurde.130 Die uirtus Scipios aber wird zugleich in Opposition zu diesen auswärtigen Defiziten abgebildet. So wird im Folgenden deutlich, dass nichtrömische Frauen als direkte Charaktantinnen oder durch ihre moralische Dekonstruktion auswärtiger Männer in dieser Darstellung zur Konstruktion römischer Werte-Exempla beitragen.131 Eine vergleichende Analyse weiblich evozierter figuraler Wissensbestände soll zeigen, dass Livius die Figur Scipios anhand moralisch dekonstruierter Nichtrömer und auswärtiger Weiblichkeit als Exemplum konstruiert. Dies eröffnet einen differenzierteren Blick auf die Figur Masinissas. Levene hat zuletzt die Interaktion des Numiders mit Scipio genderneutral am Kriterium der Ethnizität analysiert und dabei vor allem auf seine Qualitäten als römischer Verbündeter und seine unrömischen moralischen Defizite hingewiesen.132 Auf diese Weise platziert die Erzählung den Römer auf der Grundlage seiner moralischen Qualitäten in beträchtlicher Distanz zur Niederlage von Cannae und kann dem Narrativ aufgrund der moralischen Überlegenheit Roms nicht nur eine optimistische Färbung im Sinne der römischen Hegemonie verleihen.133 Die Beobachtung von Walsh, die zweite Pentade der dritten Dekade stehe im Zeichen eines zu erwartenden Sieges der Römer in diesem Krieg,134 wird so auch auf der Ebene des Geschlechts gespiegelt. Zugleich bildet diese Darstellung die Prinzipatsideologie ab, in der Rom als Machtzentrum stilisiert wird.135 Für die Analyse der Inszenierung eines ethnisch geprägten Wertediskurses ist die nichtrömische Weiblichkeit im Folgenden von zentraler Bedeutung. 4.2.2.1 Auswärtige Weiblichkeit und römisches Exemplum

Die Figur des P. Cornelius Scipio zeichnet sich bei Livius neben seinen Qualitäten als Feldherr im Krieg gegen Hannibal im Wesentlichen durch seine Selbstbeherrschung und seine clementia aus.136 Es konnte bereits gezeigt werden, dass

130 Dieses Bild von Charakter Masinissas zeichnet Walsh 1965, 149–151; ähnlich Walsh 1996a, 87; Ilevbare 1981, 78; Ripoll 2003, 104. 131 Der methodisch bedingte Fokus auf männliche Protagonisten auf römischer und nichtrömischer Seite sorgt dafür, dass Albrecht 2016, 282f. den Numider Masinissa als Spiegelbild Scipios deutet. 132 Vgl. Levene 2010, 252f., 258f. 133 Vgl. Mineo 2015, 128f.; ähnlich Albrecht 2016, 283. 134 Vgl. Walsh 1982b, 1069f. 135 Vgl. Mineo 2015, 130. 136 Vgl. Walsh 1996a, 77, 97; Walsh 1982b, 1067; ähnlich Kowalewski 2002, 204.

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transgressives Frauenhandeln dazu dient, diese moralische Überlegenheit nach außen durch moralisch dekonstruierte Nichtrömer abzubilden. Im Folgenden sollen darüber hinaus die Wechselwirkungen zwischen dem livianischen Scipio und nichtrömischen Frauen in unmittelbarer Interaktion analysiert werden. Dafür ist insbesondere der qualitative Unterschied weiblichen Handelns gegenüber der Performanz Sophonibas zu beachten. Ein Paradebeispiel, an dem sich zeigt, wie sehr die Repräsentation matronaler Tugenden durch nichtrömische Frauen dazu beiträgt, Scipio als moralische Instanz abzubilden, stellt die Ehefrau des Ilergeten-Fürsten Mandonius dar.137 Diese Analyse der Inszenierung von Geschlecht soll dazu dienen, eine Krisenwahrnehmung bei Livius zu identifizieren, die im Zeichen einer moralischen Überlegenheit Roms und imperialer Politik steht. Die Darstellung normativer Weiblichkeit wird damit in den Dienst eines römischen Herrschaftsanspruches gestellt, der explizit mithilfe männlich markierter Werte formuliert wird.138 Betrachtet man die pro-römisch agierenden Frauen im Machtkampf in Syrakus sowie Frauen, die in Spanien mit Scipio interagieren, so wird deutlich: Livius schreibt diesen Frauen explizit römische Tugenden zu. Er konstruiert sie damit als einen Spiegel eines normativen römischen Wertekonzepts der Frau.139 Dafür einleitend ein Blick nach Syrakus: In der Erzählung des zweiten Punischen Krieges werden auch nichtrömische Frauen nach den matronalen Idealen des augusteischen Diskurses konstruiert. Diese Figuren werden moralisch ›romanisiert‹ und sind so Ausdruck römischer Herrschaftsansprüche im Krieg gegen Karthago, da mithilfe von Frauengestalten das Sendungsbewusstsein sowie der Gedanke einer moralischen Überlegenheit abgebildet wird. Dies ist nicht nur auf Frauen im Kontext der Figur Scipios beschränkt. Bereits vor dessen Platzierung in Interaktion mit der uxor Mandonii in Spanien im 26. Buch schafft Livius Frauengestalten auf der Seite pro-römisch agierender Kräfte in auswärtigen Nationen. Auch für die von politischer Ambivalenz gezeichnete Heraclia, die ihren Tod in den Umwälzungen in Syrakus findet, gilt dies. Ihre Inszenierung befindet sich bei Livius im politischen Zwiespalt: Es wird berichtet, dass sich nach Hieronymus’ Ermordung der Hass des Volkes auf die Kräfte richtet, die nach einer Abkehr von Rom und einem Bündnis mit Karthago strebten. Heraclia, die Tochter des Rom-freundlichen verstorbenen Herrschers Hieron, trifft diese Wut des Volkes, da sich ihr Ehemann Zoippus ebenfalls für einen Abfall von Rom eingesetzt und Einfluss auf Hieronymus

137 Die Wechselwirkungen von männlicher Moral auf römischer Seite und der Inszenierung ausländischer Frauen wurden von der Forschung bisher weitestgehend außer Acht gelassen, vgl. etwa Walsh 1996a, 74. 138 Zur positiven Bewertung Scipios in Spanien vgl. Burck 1982, 1187. 139 In dieser Weise wird die von Albrecht 2016, 275–277, 280–283 für die Syrakus-Episode und für die Inszenierung Scipios am Beispiel der Masinissa-Episode gebildete These, Männer seien von Livius als Spiegel römischer Ideale platziert worden, um eine weibliche Perspektive erweitert.

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geübt hatte.140 Nur wenig Aufmerksamkeit widmet Livius dem Zoippus;141 größere Bedeutung erhält Heraclia, der Livius eine umfangreiche Rede zugesteht und die darin in Opposition zur Rom-feindlichen Damarata inszeniert wird. Livius lässt sie argumentieren, sie treffe schuldlos der Hass gegen Teile ihrer Familie, welche sich die Macht zu sichern suchte, sie selbst aber habe keine Machtambitionen. Vielmehr leide sie unter den Zuständen, da ihr Ehemann vor dem Hass des Volkes in freiwilliger Verbannung lebe, sie aber allein mit ihren Kindern in Syrakus verblieben sei (24,26,4–9). Die Darstellung ihrer Argumentation zielt dabei auf eine weibliche Inszenierung ihrer Perspektive ab, wenn ihr in ihrer an Zoippus gerichteten Rede ein weiblicher Wissensbestand zugeschrieben wird:142 in liberata patria coniugem eius ac liberos de uita dimicare, quid obstantes libertati aut legibus? 143 (Liv. 24,26,7)

Einerseits drückt Heraclias Perspektive auf die Krise die Ablehnung der Tyrannei aus, wenn mit ihrem Wissensbestand argumentiert wird, dass sie der Freiheit und den Gesetzen – alliterativ durch libertati aut legibus hervorgehoben – nicht entgegenwirke.144 Andererseits wird deutlich, dass sie explizit in ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter spricht und auf dieser Grundlage nicht nur auf die »Beteuerung [...] bezüglich ihrer eigenen politischen Harm- und Bedeutungslosigkeit«145 zielt. Zugleich definiert sie auch der gesamte Habitus in ihrer Inszenierung als weiblich, wenn dieser mit resolutis crinibus miserabilique alio habitu (24,26,2) bezeichnet wird.146 Erst in dieser Darstellung einer matronalen Genderidentität wird die Funktion der Frau evident, die sich aus ihrer Krisenperspektive ergibt: Emphatisch lässt Livius sie die liberata patria und die libertas erfassen. Somit wird durch ihre emotionale Rede nicht nur Sympathie erzeugt.147 Ebenso wird ein Wissensbestand offengelegt, der auf die Lösung dieser römischen Krise zielt. Livius präsentiert

140 Vgl. Liv. 24,4,3. Zur Deutung des Männerhandels im Verlauf dieser Ereignisse als Verstoß gegen die Ideale römischer Männlichkeit vgl. Albrecht 2016, 276. 141 Vgl. Kowalewski 2002, 98. 142 Die Bedeutung ihrer Rede hebt Walsh 1982b, 1073 hervor. 143 Im befreiten Vaterland kämpften seine Gattin und seine Kinder um ihr Leben – wie stehen sie der Freiheit oder den Gesetzen im Wege? 144 Zur Ablehnung der Tyrannei als Abbild der livianischen Ideologie vgl. Mineo 2015, 130; Albrecht 2016, 277; ähnlich Weiẞenborn/Müller 1976a, 63. 145 Kowalewski 2002, 99. 146 Vgl. dazu McClain 1994, 194; Kowalewski 2002, 98. Zur Mutterrolle vgl. ebd., 105. 147 Vgl. Walsh 1996a, 215.

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mit der Perspektive Heraclias das Ideal der libertas von Syrakus und ordnet die epistemische Anlage der Frau damit in Opposition zur Tyrannei ein, die in erster Linie den Abfall von Rom bedeutet hätte. Damit wird die bedeutende Funktion der Frau sichtbar:148 Ganz offenkundig nutzt Livius eine Frauengestalt, um nicht nur den Wert der libertas, sondern zugleich zentrale Elemente der Krisenlösung zu fokalisieren. Damit ist explizit eine nichtrömische Frau innerhalb des Dualismus aus römisch und nichtrömisch ein Spiegel livianischer Ideale. Somit muss Albrechts These, Livius spiegle mithilfe von nichtrömischen Männern römische Ideale als Zeichen hegemonialer Bestrebungen, erweitert werden.149 Frauen wie Heraclia spiegeln nicht nur ein moralisches Ideal, das ihr vorgelebt wird. Vielmehr kann sie im vorliegenden Narrativ sogar selbstständig auf den römischen Wertekosmos zugreifen. Einerseits zeigt sich, dass Frauen für Livius wesentlich dafür verantwortlich sind, die moralische Hegemonie der Römer nach außen zu tragen. Andererseits fällt auf, dass nichtrömische Männer in diesem Fall zu Leerstellen im Krisennarrativ werden, da sie keine epistemische Funktion besitzen. Dass die Zuschreibung weiblicher Tugend auf nichtrömischer Seite für Livius stets mit der Inszenierung von Exempla einhergeht, die zentrale Ideale des augusteischen Wertediskurses abbilden und der Darstellung römischen Krisenhandelns dienen, zeigt beispielhaft die Figur der Ehefrau des Ilergeten-Fürsten Mandonius. Livius inszeniert an ihr matronale Ideale und nutzt sie zugleich, um Scipio als Exemplum römischer Moralvorstellungen zu legitimieren, wenn sie sich als Geisel im Lager der Römer befindet und dort für die würdige Behandlung weiblicher Geiseln eintritt (curam cultumque feminarum, 26,49,11). Allein diese Sorge um die Unversehrtheit der Geiseln,150 die sich in der Hand der Römer befinden, bildet die Perspektive der Frau auf das Kriegsgeschehen ab, wenn sie ihr Anliegen dem römischen Feldherrn vorträgt.151 Livius nutzt damit auf nichtrömischer Seite eine weibliche Perspektive, um die Wissensbestände weiblicher Moral außerhalb Roms abzubilden. Dieser Inszenierung der Frau in ihrer Funktion als Charaktantin stellt Livius den römischen Kriegsprotagonisten Scipio gegenüber. Durch einen weiblich erzeugten Werteanspruch wird nun aus der Perspektive Scipios ein explizit römisches Werte-

148 Auch Kowalewski 2002, 100 sieht in diesen Worten den Höhepunkt von Heraclias Figurenrede. 149 Zur Bedeutung der Spiegelungen römischer Ideale durch nichtrömische Männer in dieser Episode vgl. Albrecht 2016, 278, 283f. 150 Kowalewski 2002, 206 deutet diese Worte als vage Formulierung einer zu befürchtenden Vergewaltigung; McClain 1994, 168f. lässt dies bei ihrer Deutung hingegen offen. 151 Liv. 26,49,12: »alia me angit cura aetatem harum intuentem; nam ipsa iam extra periculum iniuriae muliebris sum.«

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wissen abgebildet. Es zeigt, dass Livius Frauen nutzt, um moralische Qualitäten in einen römischen Wissensbestand zurückzuprojizieren:152 tum Scipio »meae populique Romani disciplinae causa facerem«, inquit, »ne quid, quod sanctum usquam esset, apud nos uiolaretur: nunc ut id curem impensius, uestra quoque uirtus dignitasque facit, quae ne in malis quidem oblitae decoris matronalis estis.«153 (Liv. 26,49,14f.)

Diese Figurenrede Scipios macht deutlich, dass für Livius in diesem Narrativ eine moralische Überlegenheit gegenüber Nichtrömern prägend ist, was in den Worten des Feldherrn insbesondere als eine Frage des Geschlechts deutlich wird. Livius setzt Scipio als epistemische Instanz und Autorität der Erzählung ein,154 der über das decus matronale und das Ideal der römischen disciplina wacht,155 das die Darstellung des Feldherrn leitmotivisch bestimmt.156 Durch seinen Zugriff auf einen römischen Tugendkatalog, der es ihm zudem ermöglicht, der Frau uirtus dignitasque zuzuschreiben, ist der Römer für Livius die moralische Instanz dieser Erzählung. Wenn Livius dem Römer dieses Wertewissen zugesteht, das hier in Interaktion mit einer Frau sichtbar wird, wirkt sich dies auf die Inszenierung der römischen Moral und auf die Konstruktion der Geschlechterverhältnisse aus. Der Hinweis des Scipio auf die eigene disciplina gegenüber den weiblichen Geiseln schafft auf römischer Seite eine männliche Zuständigkeit für die weibliche Integrität. Überraschenderweise zeigt dieser Befund, dass Scipios Wertewissen nicht nur für die römische Moral entscheidend ist. Vielmehr ist seine epistemische Perspektive auch auf die moralische Integrität von Nichtrömerinnen ausgerichtet. Durch diese epistemische Inszenierung kann Chaplins Befund eines römischen Überlegenheitsanspruchs, der sich auf römische uirtutes gründet, auf geschlechterspezifischer Ebene erweitert werden:157 Für Livius geht es in seiner Version des zweiten Punischen Krieges in der Interaktion mit Nichtrömern wesentlich darum, die römische Hegemonie zu 152 Dieser Befund erweitert die These von Albrecht 2016, 267, die eine Rückprojektion von römischen Idealen auf der Folie griechischer Männer nachgewiesen hat. 153 Dann sagte Scipio: »Um meiner und des römischen Volkes Disziplin willen würde ich allein schon dafür sorgen, dass niemals etwas, was bei uns heilig ist, entehrt werde. Dass ich mich darum nun umso nachdrücklicher sorge, gebietet mir auch eure Tugend und eure Würde, die ihr nicht einmal im Unglück eure weibliche Ehre vergessen habt. 154 Vgl. Jaeger 1997, 138. 155 Zur disciplina in dieser Episode als ein Wert, der zum Erhalt des decus matronale anhält vgl. Kowalewski 2002, 207. Das Adjektiv matronalis ist hier erstmals in der Prosa belegt, vgl. Weiẞenborn/ Müller 1976b, 138. 156 Vgl. Bernard 2015, 42. 157 Vgl. Chaplin 2000, 64.

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beschwören. Dazu konstruiert er ein Konzept von Männlichkeit, das diese Überlegenheit in moralischer Hinsicht auf der Figurenebene abbildet.158 Mehr noch zeigen die Worte Scipios: Die Zuschreibung von uirtus und dignitas an die Frau des Mandonius würdigt die Sorge um die weibliche Integrität und verortet die Frau dadurch auch in einem römischen Wertekonzept. Auf diese Weise offenbart sich eine Reziprozität im exemplarischen Gefüge dieser Episode: Die uirtus der spanischen Frau kennzeichnet dabei ihren Mut beim Eintreten für weibliche Ideale. Die Frau des Mandonius tritt Scipio in einem unterwürfigen und damit weiblichen Habitus entgegen,159 was die durch ihre Interaktion mit Scipio erzeugte Wertezuschreibung spiegelt. Indem Livius die männliche Gegenseite und damit die Figur des Mandonius selbst außer Acht lässt,160 stattdessen ihn sogar nur zum Attribut seiner Ehefrau degradiert, wird jedoch deutlich, dass diese Darstellung auf eine Umkehr der Geschlechterordnung auf nichtrömischer Seite abzielt. Auf römischer Seite hingegen sorgt diese weibliche Darstellung für die Inszenierung Scipios, der ihren Mut beim Eintreten für die weibliche Integrität mit der Bezeichnung der römischen Tugendbegriffe dignitas und uirtus würdigen kann.161 Es wird deutlich, dass die exemplarischen Darstellungen männlicher und weiblicher Normideale auf römischer und nichtrömischer Seite eng verknüpft sind. Wie bereits in der Darstellung des Umsturzes in Syrakus ist auch hier zu beobachten, dass eine männliche Exemplarität fehlt, wenn einer nichtrömischen Frau dignitas und uirtus zugeschrieben werden. Dies zeigt, dass es keine absolute Zuschreibung dieser Tugenden an die Frau ist, wie es Kowalewski versteht.162 Vielmehr können zwei Ursachen dieses weiblichen Exemplums angeführt werden: Ergänzend zu Bernards Beobachtung von ethnischen und geographischen Kriterien zur Konstruktion einer moralischen Überlegenheit der Römer, die aber mit einer negativen Inszenierung von Nichtrömern verbunden wird,163 muss hier erstens auf das Bild nichtrömischer Männlichkeit hingewiesen werden. Livius blendet Männer in Interaktion mit Scipio gänzlich aus und spricht stattdessen einer Frau Werte zu, die nach römischem Verständnis männlich markiert sind. Auch in der Episode aus Syrakus treten Männer in moralischer Hinsicht lediglich als Leerstellen auf. Sowohl für das libertas-Exemplum Heraclias in Syrakus als auch für das uirtus-Exemplum der uxor Mandonii lässt sich eine erzählerische Strategie erkennen: Beide Frauen können zentrale Werte des römischen Diskurses verkörpern und zeigen damit

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Vgl. Albrecht 2016, 182f. Liv. 26,49,11: flens ad pedes imperatoris procubuit obtestarique coepit. Vgl. Levene 2010, 67. Vgl. auch Moore 1989, 8. Zur uirtus bei Frauen zur Bezeichnung von mutigem Verhalten vgl. McDonnell 2006, 163. 162 Vgl. Kowalewski 2002, 207. 163 Vgl. Bernard 2015, 42.

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in erster Linie, dass auf Seiten der Nichtrömer keine Männerfiguren vorhanden sind, die anhand des römischen Wertekosmos als Exempla dienen können. Die Dekonstruktion nichtrömischer Männer geschieht also überaus deutlich, wenn es sogar Frauen möglich ist, die auf der performativen Ebene dezidiert weiblich auftreten, die Geschlechterordnung umzukehren. Allein die epistemische Anlage der Figuren birgt ihr transgressives Potential. Entscheidend ist allerdings, dass sich dieses Potential auf die nichtrömische Welt beschränkt. Zweitens zeigen nämlich beide Exempla, dass das vorliegende Narrativ auf eine Ausweitung römischer Werte und explizit weiblicher Ideale nach außen abzielt: In ihrer weiblichen Inszenierung dient etwa die uxor Mandonii dazu, von Scipio fokalisierte Werte abzubilden und die Frau als Charaktantin eines römischen Exemplums zu nutzen, wenn explizit das decus matronale zum Motiv ihres Handelns wird, auf das der Römer Bezug nimmt. Zwei Schlüsse lässt dieser Befund zu: Erstens unterstreicht diese Darstellung der spanischen Frau ihre besondere Bedeutung in der livianischen Narration abseits von stereotypen Charakterisierungen, wie sie insbesondere Männern im militärischen Kontext zugeschrieben werden.164 Stattdessen nutzt Livius sie als Projektionsfläche eines römischen Wertediskurses nach außen, der ihre Sonderstellung in diesem Werk erklärt. Diese Einbindung von Frauen in die Inszenierung römischer Moral beschreibt eine Strategie des Livius, die weniger auf eine moralische Abgrenzung nach außen zielt, wie es die Forschung bisher ohne Genderperspektive formuliert hat,165 sondern vielmehr auf die Ausweitung eines römischen Wertebestandes zum Ausdruck römischer Hegemonialansprüche. Zweitens erzeugt Livius auf dieser Grundlage dann eine heteronormative Geschlechterinteraktion zwischen einer nichtrömischen Frau und einem Römer. In dieser moralischen Überlegenheit der Römer, die diese Erzählung bestimmt,166 bildet Livius nicht nur eine ethnisch, sondern ebenso eine geschlechtlich definierte Hierarchie ab. Somit werden nichtrömische Frauen zum integralen Bestandteil eines reziproken Gefüges, das die moralische Überlegenheit der Römer markiert. Der Römer bildet so in erster Linie ein Konzept von Männlichkeit ab, das in diesem Moment des zweiten Punischen Krieges eine Wertekrise kennzeichnet. Indem Scipio die Unversehrtheit der Frauen garantiert, wird nicht nur die politische Stabilität gewahrt und ein möglicher auf eine Schändung der Frauen folgender Umsturz verhindert.167 Ebenso offenbart sich ein von ethnischer Zugehörigkeit geprägtes Geschlechterproblem in dieser Wertekrise, wenn Livius darauf zielt, 164 165 166 167

Vgl. ebd., 41. Vgl. dazu etwa Mineo 2015, 128. Vgl. Bernard 2015, 41. Zum Bezug dieser Episode auf die Vergewaltigung Lucretias und den folgenden Umsturz vgl. Chaplin 2010, 60f.; dazu vgl. ebenso Kapitel 2.1.2.

Ethnizität und Gender – die römische Krise aus anderen Augen

Scipio als epistemische Instanz in einem Konflikt zu inszenieren: Auf der Projektionsfläche normativer Weiblichkeit macht seine Figur nach außen gerichtet einen durch Wertezuschreibungen geschaffenen moralischen Überlegenheitsanspruch der Römer erkennbar. So wird die Ausweitung eines römischen Wertekosmos durch einen männlichen Protagonisten wie Scipio für Livius zum zentralen Moment eines moralischen Krisenmanagements. 4.2.2.2 Weibliche Dekonstruktion auswärtiger Männlichkeit

Epistemische Leerstellen kennzeichnen in Livius’ Narrativ des Krieges gegen Karthago eine fehlende Handlungsfähigkeit der Gegner Roms und machen dies zu einem dezidiert nichtrömischen Genderproblem. Transgressiv auftretende Frauen waren dabei imstande, diese Leerstellen zu füllen und mithilfe weiblicher Innensichten in diesen Werteproblemen erfolgreich Einfluss auf Männer zu artikulieren. Dieses Handlungsvermögen von Frauen und ihr damit verbundenes Figurenwissen geht in der Mann-Frau-Interaktion mit einer vollständigen Dekonstruktion des Männlichen einher.168 Die Bedeutung von Weiblichkeit soll in diesem Zusammenhang anhand der Figur Sophonibas, der Tochter des Hasdrubal, welche als Ehefrau des Numiders Syphax in die Gefangenschaft von dessen Widersacher Masinissa geriet, aufgezeigt werden. Ausschlaggebend dafür sind zwei Faktoren: Einerseits weist diese Strategie der Charakterisierung von Mann und Frau, die sich in der Interaktion zwischen Sophoniba und Masinissa erkennen lässt, eine strukturelle Eigenschaft auf, die der Frau eine moralische Innensicht in das Geschlechterhandeln ermöglicht. Andererseits sind die Werte, welche zwischen den Geschlechtern verhandelt werden, explizit römische, wie sich in der nachfolgenden Interaktion mit Scipio zeigt.169 Livius lässt Sophoniba damit die Männlichkeit ihres Mannes dekonstruieren, indem sie sich als ausländische Frau auf ein römisches Wertewissen beziehen und so moralische Defizite ihres Ehemannes aufdecken kann. Auf diese Weise kann Livius den Numider in einen römischen Moral- und Geschlechterdiskurs integrieren sowie eine moralische Vorherrschaft Roms in Afrika etablieren.170 Livius konstruiert die Figur Sophonibas in der Interaktion mit Masinissa dabei ebenso nach den performativen Stereotypen weiblicher Einflussnahme. Entscheidend für die Inszenierung des Mannes ist jedoch ihre moralische Innensicht, mit

168 Entsprechend wird der von Levene 2010, 253 bei Livius erkannte Zweifel an Masinissa als Verbündeter Roms durch eine geschlechterspezifische Betrachtung des Narrativs sichtbar. 169 Diese Stilisierung des Scipio haben ohne genderspezifische Betrachtung auch Walsh 1996a, 233–235; Jaeger 1997, 118, 183 festgestellt. 170 Zum römischen Patriotismus dieser Episode vgl. Walsh 1996a, 233; Ilevbare 1981, 74.

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der sie ihm römische Werte der Männlichkeit zuschreibt, diese aber durch das Ausspielen weiblicher Reize schließlich ad absurdum führt:171 »omnia quidem ut possis«, inquit »in nobis, di dederunt uirtusque et felicitas tua; sed si captiuae apud dominum uitae necisque suae uocem supplicem mittere licet, si genua, si uictricem attingere dextram, precor quaesoque per maiestatem regiam [...] hanc ueniam supplici des, ut ipse, quodcumque fert animus, de captiua tua statuas, neque me in cuiusquam Romani superbum et crudele arbitrium uenire sinas.« […] forma erat insignis et florentissima aetas. itaque cum modo dextram amplectens in id, ne cui Romano traderetur, fidem exposceret, propiusque blanditias iam oratio esset quam preces, non in misericordiam modo prolapsus est animus uictoris, sed, ut est genus Numidarum in uenerem praeceps, amore captiuae uictor captus.172 (Liv. 30,12,12–18)

Ähnlich wie Damarata im Kampf um die Macht in Syrakus zeigt auch die livianische Darstellung der Interaktion zwischen Sophoniba und Masinissa das Spannungsfeld von weiblicher Performanz und einer weiblichen Innensicht in der Krise auf. Damarata konnte dabei einen Einblick in die Krise, der sich auf ihre Machtansprüche gründete, zum Ausgangspunkt ihrer Gendertransgression gegenüber ihrem Ehemann machen. Dagegen liegt das transgressive Potential bei Sophoniba in ihrem Bezug auf ein Wertekonstrukt, das sie Masinissa zuschreibt. So lässt Livius die Frau ihre Rede noch in devotem Gestus vortragen und sie mit eigenen Worten ihre Unterordnung als captiua gegenüber der mächtigen Stellung des Mannes durch die emphatische Voranstellung von omnia beschreiben. Das entscheidende Merkmal ihrer Rede besteht jedoch in dessen Charakterisierung durch die Werte uirtusque et felicitas tua, die in moralischer Hinsicht vor allem durch die Zuschreibung der uirtus

171 In dieser Hinsicht muss der von Walsh 1996a, 87 erkannte Kontrast zwischen Syphax und Masinissa umgedeutet und in Zusammenhang mit der Figur Sophonibas verstanden werden. Ähnlich verallgemeinernd auch Haley 1990, 375–377. 172 »Gewiss«, sagte sie, »haben dir die Götter deine Tapferkeit und dein Glück gegeben, dass du alle Macht über uns hast. Aber wenn es einer Gefangenen erlaubt ist, vor ihrem Herrn über ihr Leben und ihren Tod demütige Worte vorzubringen, deine Knie, deine siegreiche rechte Hand zu berühren, bitte ich dich flehentlich bei deiner königlichen Würde [...], du mögest einer demütig Bittenden die Gnade gewähren, dass du selbst, was auch immer du vorhast, über deine Gefangene bestimmst und mich nicht in die hochmütige und grausame Macht irgendeines Römers kommen lässt.« […] Ihre Schönheit war außerordentlich und sie war im blühendsten Alter. Als sie deshalb bald seine rechte Hand umfasste und sein Versprechen dafür forderte, keinem Römer übergeben zu werden, und ihre Rede schon mehr aus Schmeicheleien als aus Bitten bestand, wurde das Herz des Siegers nicht nur mitleidig, sondern, wie das Volk der Numider sich Hals über Kopf zur Liebe hinreißen lässt, wurde der Sieger von der Liebe zu der Gefangenen erfasst.

Ethnizität und Gender – die römische Krise aus anderen Augen

Sophoniba in geschlechtlicher Opposition zu Masinissa positioniert.173 Zusätzlich verweist die Bezeichnung dominum uitae necisque auf die weibliche Unterordnung der Frau innerhalb der Familie.174 Die Figurenrede legt nicht nur die Innensicht der Sprecherin charakterisierend offen und erzeugt so ein »psychological portrait of [her] qualities«175 , sondern die weibliche Perspektive erhält durch die Zuschreibung dieser Werte eine besondere Bedeutung für die Genderinteraktion.176 Während diese stereotyp weibliche Unterordnung der Frau noch keinen transgressiven Charakter im Geschlechterkonzept der vorliegenden Passage bezeichnet, ist die dann folgende Umdeutung der Genderidentitäten umso deutlicher und offenbart dabei die Ambivalenz von den durch Sophoniba zugeschriebenen Werten und der männlichen Performanz. Indem Livius die Schönheit der Frau zum entscheidenden Faktor ihres Einflusses auf Masinissa macht,177 sodass ihre Schmeicheleien auf einer subjektiven Ebene durch die Haltung und die Erscheinung der Frau betören,178 wird deutlich, dass auch anhand von Masinissa »the importance of temperantia«179 als Problem der Männlichkeit dargestellt wird. An dieser Stelle offenbart sich nun durch den Einfluss der Frau, dass Masinissa den Wertmaßstäben und seiner damit einhergehenden Genderidentität, die ihm unmittelbar zuvor von Sophoniba zugeschrieben wurde, nicht standhalten kann. Wenn sich Masinissa hier von seinen Affekten leiten lässt und Livius ihn in der pointierten Schlusssentenz zum amore captiuae uictor captus macht,180 tritt durch Antithese und Polyptoton hervorgehoben die Gegensätzlichkeit der Geschlechteridentitäten im Moment der veränderten Hierarchie hervor.181 Darüber hinaus wird nun Sophonibas Funktion erkennbar: Sie schreibt Masinissa insbesondere mit der uirtus eine moralische Qualität zu und wird gleichzeitig zur Folie eines grundlegenden Verstoßes gegen die Ideale dieses männlichen Tugendbegriffs, der als Gegenbild eines affektiven Handelns verstanden werden muss.182 Sie ist es also, deren Wertewissen die Grundlage dafür schafft, dass Masinissa sich schließlich vor dem Hintergrund eines weiblichen Exemplums selbst effeminiert, wenn seine Perspektive auf eine eigene affektive Betroffenheit (amor) beschränkt ist. 173 Zur Formel uirtus felicitasque als Ausdruck eines überwiegend männlichen Erfolges vgl. Moore 1989, 11. 174 Vgl. Weiẞenborn/Müller 1968a, 107. 175 Walsh 1996a, 220. 176 Zur emphatischen Bedeutung der Figurenrede bei Livius vgl. auch Gries 1956, 124; Walsh 1996a, 177. 177 Vgl. Fischler 1994, 117; Kowalewski 2002, 237. 178 Vgl. dazu auch Kowalewski 2002, 228. 179 Haley 1990, 376. 180 Vgl. Liv. 36,11,1: amore captus uirginis Chalcidensis. 181 Zur Gegensätzlichkeit vgl. auch Weiẞenborn/Müller 1968a, 107. 182 Vgl. Moore 1993, 6.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

Doch nicht nur die auktoriale Feststellung bezüglich des Problems numidischer Affekte,183 sondern vor allem eine figurale Perspektive auf dieses Werteproblem legt den entscheidenden Konflikt dieser Episode offen. Indem Sophoniba nämlich zur Konstruktion eines Wertemaßstabs genutzt wurde, platziert Livius mit der Figur des Scipio eine weitere Instanz, die Masinissas moralische Qualitäten spiegelt. Sie macht deutlich, dass die zuvor von der karthagischen Frau bezeichnete uirtus von Livius an römischen Maßstäben gemessen wird. Der Römer richtet sich nämlich an Masinissa: »atqui nulla earum uirtus est, propter quas tibi adpetendus uisus sim, qua ego aeque ac temperantia et continentia libidinum gloriatus fuerim. hanc te quoque ad ceteras tuas eximias uirtutes, Masinissa, adiecisse uelim.«184 (Liv. 30,14,5)

Hier zeigt sich, dass das Bild des Numiders als »foreigner with almost all the Roman virtues«185 differenziert und im Zusammenhang mit den Kriterien von Ethnizität und Gender betrachtet werden muss. Erst das Wertewissen, das Livius Sophoniba gegenüber Masinissa zugestanden hat, ermöglicht es ihm, diesen nach römischen Maßstäben zu bewerten.186 Dazu nutzt Livius zuerst eine weibliche Perspektive, um die moralischen Defizite des Mannes auf ebendieser Projektionsfläche ins Werk zu setzen. So liegt die destruktive Wirkung nicht allein in ihrer Rede,187 sondern vielmehr in dem ihr zugeschriebenen Wertewissen, diesen Maßstab formulieren zu können. Indem Masinissa auf diese Weise bereits durch das Exemplum Scipios die Qualitäten von temperantia et continentia libidinum als Bestandteile seiner uirtus einbüßt,188 schafft das Narrativ durch das Kriterium der Ethnizität eine exemplarische Hierarchie zugunsten des römischen Wertevorbildes, dessen Bedeutung hier durch die Opposition hervortritt.189 Rom ist für Livius – daran lässt das Zitat Scipios keinen Zweifel – in der Gegenüberstellung von Römern und Nichtrömern

183 Liv. 30,12,18: ut est genus Numidarum in uenerem praeceps. 184 »Doch unter den Tugenden, derentwegen ich dir erstrebenswert schien, gibt es nun keine, derer ich mich genauso gerühmt habe wie der des Maßhaltens und der Selbstbeherrschung gegenüber Begierden. Ich wünschte, dass auch du, Masinissa, diese zu deinen übrigen außerordentlichen Tugenden hinzugefügt hättest.« 185 Walsh 1996a, 87. 186 Zum Rom-Bezug von temperantia et continentia libidinum vgl. Haley 1989, 177. 187 So sieht es ebd., 176: »The effect of her speech (30,12,12–16) upon Masinissa shows the destructive tendencies of passion.« 188 Zur intemperantia als Problem männlicher uirtus vgl. Moore 1989, 8. 189 Moore 1993, 8: »In only three passages does Livy use virtus in the singular to mean a particular excellence.«

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

die überlegene Moralinstanz.190 Sophoniba ist damit für Livius unerlässlich, um Masinissa in einer ausländischen Genderhierarchie zu verorten, in der der Numider schließlich Scipio gegenübertritt. Der Römer macht mit seinen Worten den Numinder zum Charaktanten seines eigenen Exemplums. Ausländische Weiblichkeit wird auf diese Weise zu einer narrativen Strategie zur Dekonstruktion nichtrömischer Männer, indem Frauen durch eine Innensicht in einen Wertekonflikt männliche Defizite sichtbar machen können. Gleichzeitig schafft Livius so eine Krisen-Memoria, die republikanische Helden nicht nur zur inneren Vergegenwärtigung männlicher Tugend im Sinne einer augusteischen Erinnerungskultur nutzt,191 sondern die eigenen exemplarischen Qualitäten anhand von Weiblichkeit und Verweiblichung nach außen spiegelt.

4.3

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

Die Konstruktion von Exempla in diesem Narrativ einer römischen Wertekrise, welche die Erzählung der Zeit seit dem Punischen Krieg prägt,192 ist von erzählter Nähe und Distanz bestimmt. Livius erzeugt dabei mithilfe seiner Narration eine Distanz zur moralischen Degeneration, die er in Rom im Laufe des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts ausmacht. Auch hier ist die Anlage des moralischen Wissens entscheidend. Der Leser erfährt von dieser krisenhaften Entwicklung der Sitten nicht etwa aus der auktorialen Perspektive des livianischen Erzählers oder von römischen Gewährsmännern, die als Exempla inszeniert werden. Stattdessen greift die Erzählung auffällig oft auf Außenperspektiven auf die römische Moral zurück. Musterhaft machen dabei nichtrömische Charaktantinnen die uitia von Römern sichtbar. So sind es etwa eine Numiderin, eine Thessalierin und eine Galaterin, die mit den moralischen Defiziten der Römer in Berührung kommen. Es ist für Livius kein Problem unter Römern. Dadurch lagert die Erzählung diese moralische Krise als ein abseitiges Problem aus dem römischen Wertekosmos aus.193 Anders als in der Inszenierung des großen Helden Scipio Africanus im zweiten Punischen Krieg bilden Frauen nun nicht mehr männliche Ideale der Römer ab. Vielmehr

190 Vgl. Haley 1989, 176. 191 Diesen Befund formuliert Jaeger 1997, 180–183. 192 Vgl. Walsh 1996a, 272. Pausch 2011, 184 hat zudem eine zunehmende Rom-Kritik in der vierten und fünften Dekade aufgezeigt. Zur Periodisierung der römischen Geschichte und der Darstellung eines moralischen Verfalls nach 146 v. Chr. im Sinne der Geschichtsauffassung Sallusts vgl. Kowalewski 2002, 13. 193 Damit wird die Funktion von Frauen für den augusteischen Wertediskurs dieses Narrativs nach Milnor 2005, 13f. differenziert.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

dienen Frauen als Charaktantinnen dazu, Römern den Spiegel vorzuhalten. Kurios ist, dass nun gerade moralisch integre Nichtrömerinnen diesen Niedergang der römischen Ideale abbilden.194 Zugleich machen diese Nichtrömerinnen aber auch die moralischen Defizite von Männern auf der eigenen Seite erkennbar. Es soll gezeigt werden, dass der livianische Wertediskurs in moralisch integren Frauengestalten seine zentralen Akteure findet, die dazu dienen, eine Wertekrise aus Rom auszulagern und auf erzählter sowie räumlicher Distanz zu halten. Auch im Narrativ eines moralischen Niedergangs innerhalb Roms ist Livius bestrebt, diese Entwicklung möglichst weit auf Distanz zu halten vom einstigen Idealbild. Doch diese Erzählung innerrömischer Entwicklungen kann nicht mit nichtrömischen Figuren eine räumliche und figurale Distanz zwischen Ideal und Niedergang erzeugen. Stattdessen nutzt Livius hier erzählerische Strategien, um einen römischen Niedergang der einstigen Ideale isoliert zu berichten, ihn aus dem römischen Wertekosmos auszulagern oder gar in Zweifel zu ziehen.195 Auch hier ist es nicht mehr explizit das Wissen eines Erzählers, der dem Leser in der dritten Person von zweifelhaften Entwicklungen berichtet. Mithilfe von Metalepsen wechselt Livius dazu die Ebene der Erzählung. Aus der ersten Person Singular meldet sich der Erzähler zu Wort, um die Richtigkeit der Überlieferung zu diskutieren oder in Zweifel zu ziehen. Damit scheint er in Momenten, in denen von der weiblich figurierten Degeneration matronaler Ideale zu berichten ist, nicht die erzählerische Verantwortung dafür übernehmen zu wollen. Stattdessen werden Abweichungen von weiblichen Tugenden durch die Präsentation von Varianten verwässert.196 Metaleptisches Erzählen wird damit in den Dienst eines livianischen Geschlechterkonzepts gestellt, das Krise und Weiblichkeit in eine polyphone Erzählstruktur einbindet. Diese Polyphonie ergibt sich aus Livius’ Diskussion von verschiedenen Überlieferungen, wenn etwa statt eines auktorialen credo (ich glaube) ein passives creduntur (man glaubt) genutzt wird und damit verschiedene Grade der aukto-

194 Hinsichtlich der Funktion der Sichtbarmachung von römischen uitia ist die Beobachtung einer allein auf Römer ausgerichteten exemplarischen Darstellung bei Livius nach Chaplin 2000, 38 zu differenzieren. 195 Pausch 2011, 178–187 hat die Funktion von Barbaren-Reden nachgewiesen, die dazu dienen, eine erzählerische Polyphonie zu erzeugen und so Kritik an Römern äußern zu können. 196 Metalepse bezeichnet nach Genette 2010, 152 »[j]edes Eindringen des extradiegetischen Erzählers [...] ins diegetische Universum.« Zur Metalepse als Strategie einer Steigerung des literarischen Charakters und der historischen Plausibilität der livianischen Geschichtsschreibung sowie zur Abgrenzung dieses narratologischen Befundes von der Diskussion von Überlieferungsvarianten vgl. Pausch 2013. Die Bedeutung der Perspektive bei der Charakterisierung Scipios im Narrativ einer innerrömischen Unruhe vgl. Jaeger 1997, vor allem 147 und 175.

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

rialen Zustimmung erkennbar werden.197 Sie dient Livius als eine Strategie, eine Wertekrise erzählbar zu machen, ohne die Degeneration der römischen Moral allzu explizit in Rom zu verorten.198 Zugleich schreibt diese Erzählung weiblichen Exempla eine veränderte Bedeutung zu:199 Ein weiblicher Zugriff auf die pudicitia dient nämlich einer moralischen Standortbestimmung innerhalb des römischen Wertekosmos, die auf die Rekonstruktion eines römischen Wertewissens abzielt und erneut die pudicitia an prominenter Stelle des Diskurses platziert. Der Wert, der seit Lucretia im normativ männlichen Wissensbestand verortet ist,200 kennzeichnet in der livianischen Version des Bacchanalien-Skandals ein fehlendes männliches Wertewissen. Die Ausweitung der weiblichen Perspektive wird erforderlich. In der Erzählung des Bacchanalien-Skandals ist es etwa eine ehemalige Hetäre, die mit Wissen über die Gefahren des Kultes für weibliche Sittenideale den Männern diesen Teil des römischen Wertekosmos erschließen kann. Ihre weiblichen Wissensvorsprünge, in der Erzähltextanalyse Prolepsen genannt, sind damit von essenzieller Bedeutung für die Rekonstruktion einer männlich regierten Moral. So erhält die Kategorie Geschlecht im augusteischen Wertediskurs einen besonderen Stellenwert in der Erzählung eines moralischen Status quo.201 Wie sehr Livius dabei ganz offenbar mit den moralischen Idealen augusteischer Zeit ringt, macht der Raum in den Erzählungen offenkundig: Zwar agieren römische Frauen in einem »familiären/ maritalen Handlungskontext [...] als Maklerinnen für andere«202 , loten aber durch ihr transgressives Potential, das sich aus ihrem Wissen ergibt, die Grenzen der Geschlechterordnung und ihrer weiblichen Rolle erneut deutlich aus.

197 Langlands 2018, 149, 158f. hat diese Strategie ohne genderspezifischen Ansatz in den Exempla des Valerius Maximus identifiziert. Dort wurde nachgewiesen, dass auch Valerius mithilfe von Metalepsen auf Distanz zu Inhalten geht, die nicht mit der Prinzipatsideologie vereinbar sind. 198 Forsythe 1999, 48–52, 62 hingegen sieht die Erklärung für die Verlagerung der Informationsgrundlage in der livianischen Erzählung vor allem in einer Quellenproblematik. Er deutet entsprechend durch dicuntur und ferunt eingeleitete Ausführungen als eine gewisse Vorsicht des Autors gegenüber seinen Quellen, sodass diese Art einer Verlagerung epistemischer Verantwortung beinahe beliebig erscheint. Die folgende Analyse geht vielmehr von den Beobachtungen polyphoner Strukturen zur Abbildung kontroverser und ambivalenter Inhalte aus, die bereits ohne genderspezifische Deutungen von Jaeger 1997, 180 und Pausch 2011 145–148 gezeigt worden sind. 199 Dies offenbart die Ambivalenz von Weiblichkeit für die Bedeutungszuweisung an das weibliche Geschlecht in der von Milnor 2005, 13f. aufgezeigten Bedeutung von Frauen für den Wertediskurs des Prinzipats in diesem Narrativ der Republik. 200 Vgl. Kapitel 2.1. 201 Diese Kategorie ergänzt die vielfach anhand der Bacchanalien festgestellte räumliche Abgrenzung Roms vom Fremden des griechischen Kultes vgl. beispielhaft Walsh 1996a, 61. Zur Bedeutung der weiblichen Tugend der pudicitia für die moralische Integrität Roms vgl. Langlands 2006, 120f.; ähnlich Walsh 1996a, 76. 202 Kunst 2016, 200.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

4.3.1

Genderkrise auf Distanz: die Metalepse in der Krisennarration

Der Raum, in dem Livius seine Vorbilder verortet, ist vor allem in der Narration der späteren Bücher Ab urbe condita ein entscheidendes Kriterium. Nicht nur die Erzählung des zweiten Punischen Krieges arbeitet mit diesem Kriterium, um eine Krisenwahrnehmung von moralischer Verkommenheit auf Seiten der Feinde Roms zu erzeugen. Vor allem in den Büchern 38 und 39, in denen Livius das augusteische Narrativ eines moralischen Niedergangs nun als ein innerrömisches Problem konstruiert,203 wird der Raum zum kompositorischen Mittel einer Krisenerzählung. Livius verlagert diesen Niedergang geografisch nach außen und suggeriert damit in seiner Erzählung eine räumliche Distanz zu Rom. Dies dient als Strategie, römische Moraldefizite zu berichten. Es soll gezeigt werden, dass eine Wertekrise somit für Livius nur außerhalb Roms stattfindet. Indem nichtrömische Frauen aber diesen verkommenen Römern als Wertevorbilder gegenübergestellt werden, schafft Livius es, gleichzeitig Exempla für eine Rückbesinnung auf Tugenden der maiores zu präsentieren.204 Anders als in Livius’ Version des zweiten Punischen Kriegs bilden nichtrömische Frauen hier also nicht römische Ideale ab, sondern werden dem Leser als korrigierende Vorbilder platziert, die von außen auf den römischen Wertekosmos wirken. Zweierlei Phänomene sollen dafür aufgezeigt werden: In einem ersten Schritt soll die konkrete räumliche Verlagerung dieser moralischen Degeneration nachgewiesen werden, wenn nichtrömische Frauen in ihrer Distanz von stadtrömischen Werteidealen verortet und als Folie männlicher Wertedefizite genutzt werden. Dies soll zum einen beispielhaft an der Episode der Theoxena gezeigt werden, deren Familie den Vertreibungen durch Philipp V. in dessen Krieg gegen Rom zum Opfer fiel. Da der Makedonen-König die Rache der Vertriebenen fürchtet, erteilt er den Befehl, deren Nachkommen zu töten. Livius berichtet in der im Folgenden behandelten Episode vom kollektiven Selbstmord ihrer Familie, den Theoxena initiiert, um ihre Familie vor dem drohenden Schicksal zu bewahren. Zum anderen wird die Episode der Chiomara herangezogen. Die Frau des Galater-Fürsten Orgiago fällt in Livius’ Version des römischen Krieges gegen Antiochos III. der libido eines römischen Zenturionen zum Opfer. Hierin beschreibt der Historiker einen moralischen Niedergang im römischen Heer,205 der durch weibliche Beteiligung auch eine geschlechterspezifische Bedeutung erhält. In einem zweiten Schritt wird nachgewiesen, wie sich Livius bei einer unvermeidbaren Beschreibung eines moralischen Niedergangs in Rom den Möglichkeiten

203 Vgl. Luce 1977, 263; Pausch 2011, 184. 204 Vgl. Luce 1977, 230–234. 205 Vgl. Briscoe 1982, 1103f.; Burck 1982, 1188.

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

des metaleptischen Erzählens bedient. Auf diese Weise werden Wissensbestände auf andere epistemische Autoritäten ausgelagert und die Darstellung problematischer Inhalte von ihrem Rom-Bezug befreit. Diese Art der Erzählung ist daher als Maßnahme eines auktorialen Krisenmanagements zu deuten. Es soll gezeigt werden, dass dies einen Mechanismus darstellt, der dezidiert auch Normverstöße römischer Frauen markiert.206 Hierzu sollen die Berichte innerpolitischer Vorgänge betrachtet werden: Der Zerfall politischer Strukturen, den Livius am Beispiel der Scipionen-Prozesse und einem weiteren Eingreifen von Frauen in die Politik aufzeigt, wird anhand weiblich besetzter Episoden sichtbar. 4.3.1.1 Weiblichkeit, Distanz und Moraldefizite

Livius hält nicht nur nichtrömischen Figuren in Ab urbe condita den Spiegel römischer Wertmaßstäbe vor. Dies war noch im Bericht des zweiten Punischen Krieges der Fall, in dem sich ein Krisenbewusstsein vornehmlich aus der Darstellung moralischer Defizite auf Seiten auswärtiger und feindlicher Nationen ergab. Auch für die Nachkriegszeit schafft der Historiograph nichtrömische Frauengestalten, die moralische Defizite sichtbar machen – mit dem Unterschied, dass diese Werteprobleme nun auf römischer Seite liegen. So verzeichnen die Bücher 38 und 40 mit Chiomara, der Frau des galatischen Fürsten Orgiago,207 sowie der Thessalierin Theoxena zwei Frauen, die nicht nur eine räumliche, sondern auch eine moralische Distanz zu Rom aufweisen. Livius gestaltet Chiomaras Mord an einem römischen Zentrurio zur Bewahrung ihrer pudicitia und den von Theoxena initiierten kollektiven Selbstmord ihrer Familie zur Rettung vor Philipp V. als Exempla aus und nimmt dabei eine Inszenierung matronaler Eigenschaften nach römischen Wertmaßstäben vor. Es wird eine Krisen-Memoria erzeugt, die dem moralischen Verfall in Rom den Spiegel vorhalten soll.208 So soll gezeigt werden, dass diese exemplarische Abbildung auswärtiger Frauen als ein weiterer Mechanismus zu verstehen ist, der die moralische Krise in Rom räumlich buchstäblich auf Distanz hält. Dabei wird nachgewiesen, wie diese Gestaltung der Erzählung dabei hilft, durch auswärtige Exempla einen expliziten Verstoß – auch durch römische Protagonisten – gegen römische Werte

206 Walsh 1996a, 47, 139–144 hat eine auktoriale Distanz anhand von Formulierungen wie traditur als Ausdruck des Zweifels und fehlender historischer Genauigkeit festgestellt. Forsythe 1999, 55–62 hat den Einsatz des Nominativus cum Infinitivo in der ersten Dekade zum Zweck einer narrativen Distanz zu den vorliegenden Quellen und einer auktorialen Meinung nachgewiesen. 207 Zu ihrer namentlichen Bezeichnung in verschiedenen Parallelüberlieferungen vgl. Kowalewski 2002, 179. 208 Pausch 2011, 154f. und 184 hat diesen Effekt bereits bei der Darstellung römischer Niederlagen im zweiten Punischen Krieg und bei der Vermittlung von Rom-Kritik aus Perspektive von Griechen in der vierten und fünften Dekade beobachtet.

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und Normen weitestgehend zu vermeiden und stattdessen antithetische Exempla zu schaffen. Die Orgiagontis reguli uxor Chiomara und Theoxena dienen Livius dazu, weibliche Ideale auf nichtrömischer Seite zu konstruieren. Livius nutzt diese Darstellung dazu, die Bedeutung der Ethnizität und des Geschlechts innerhalb des augusteischen Wertediskurses abzubilden. Die Inszenierung transgressiver Weiblichkeit von nichtrömischen Frauen ist dabei eng mit einer Dekonstruktion von nichtrömischer aber auch römischer Männlichkeit verknüpft. Beide Episoden können als Abgrenzung nach außen verstanden werden, wenn Livius einerseits das Handeln des Makedonen-Königs Philipp V. darin verurteilt,209 andererseits König Orgiago defizitär charakterisiert. Vielmehr macht die Chiomara-Episode deutlich, dass Livius diese Frauen vor allem dazu nutzt, den Römern mithilfe dieser Außenperspektive den moralischen Spiegel vorzuhalten und durch weibliche Exempla römische Defizite aufzudecken. Orgiagontis reguli uxor forma eximia custodiebatur inter plures captiuos; cui custodiae centurio praeerat, et libidinis et auaritiae militaris. is primo animum temptauit; quem cum abhorrentem a uoluntario uideret stupro, corpori, quod seruum fortuna erat, uim fecit. deinde ad leniendam indignitatem iniuriae, spem reditus ad suos mulieri facit, et ne eam quidem, ut amans, gratuitam.210 (Liv. 38,24,2–4)

Diese Passage weist nicht nur durch den Einsatz von stuprum und uis gegen die Weigerung der Frau und ihre ebenfalls passive Rolle eine Parallele zur LucretiaEpisode auf.211 Nicht bloß dieses Motiv einer gewaltsam geschändeten Keuschheit (uiolatae per uim pudicitiae (38,24,10)) erzeugt eine Nähe zu Lucretia. Sie enthält auch hinsichtlich der Inszenierung von Weiblichkeit deutliche Entsprechungen zu diesem römischen Vorbild: Nun wird nämlich das römische Ideal der pudicitia auf eine Nichtrömerin angewendet, um auch hier auf eine römische Wertekrise

209 Vgl. Walsh 1996a, 188; Moore 1993, 44f. Luce 1977, 194f., 213f. beobachtet einen deutlichen Fokus auf zahlreiche Details zu den Vorgängen auf makedonischer Seite. 210 Die außerordentlich schöne Frau des Fürsten Orgiago wurde mit noch mehr Gefangenen bewacht. Ein Zenturio von der Zügellosigkeit und Gier eines Soldaten kommandierte diese Wachmannschaft. Zuerst suchte er ihr Herz zu gewinnen. Als er sah, dass sie die freiwillige Schändung verabscheute, fügte er ihrem Körper, der durch das Schicksal ein Sklave war, Gewalt zu. Daraufhin machte er der Frau, um die Niederträchtigkeit des Unrechts zu lindern, Hoffnung auf die Rückkehr zu den Ihrigen, aber nicht einmal dies, wie ein Liebender es tun würde, ohne Gegenleistung. 211 Vgl. Kapitel 2.2.2.1. Zur weiblichen Passivität ähnlich der Lucretia und Verginia vgl. Ratti 1996, 106; Kowalewski 2002, 181f.; Langlands 2006, 84; ähnlich stellt auch McClain 1994, 164–167 Verginia und Theoxena gegenüber.

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

hinzuweisen. Livius erinnert den Leser mit dem Rückbezug auf diesen pudicitiaBegriff an die weibliche Keuschheit, die als eine Tugend idealer Römerinnen in Opposition zu einer männlichen Bedrohung steht. Durch die Konstruktion eines auswärtigen Wertmaßstabs erhält die livianische Erzählung eine Außenperspektive, die den Römern ihr eigenes Ideal von außen vor Augen führt und gleichzeitig eine moralische Degeneration auf römischer Seite sichtbar macht: Chiomara dient in der Erzählung dazu, einen Niedergang militärischer Tugend der Römer und das neue Laster der auaritia von außen abzubilden.212 Indem sie sich in Opposition zur affektiv-lüsternen Figur des Römers positioniert,213 wird ihre ideale Weiblichkeit zur Projektionsfläche der moralisch dekonstruierten römischen Männlichkeit. Ebenso zeichnet Livius auch anhand der Thessalierin Theoxena Weiblichkeit nach den Idealen einer römischen Matrona. Die Episode beginnt mit ihrer Inszenierung als uniuira: Sie und ihre Schwester Archo werden einleitend als uiduitate relictae (40,4,2) bezeichnet, aber nur Theoxena bleibt dem Ideal der uniuira treu, wenn sie vorerst nicht erneut heiratet und erst nach dem Tod ihrer Schwester deren Ehemann in Sorge um die Erziehung der Kinder ehelicht.214 Sowohl Chiomara als auch Theoxena schreibt Livius die römische Tugend der pudicitia zu. Er integriert sie damit in den römischen Wertekosmos. Allerdings zeigt sich hier, dass dies von besonderer Bedeutung für die Genderidentität dieser Frauen ist, was nicht zuletzt auch zum Problem von Männern wird. Die Darstellung gesteht beiden Frauen erhebliche Handlungsmacht gegenüber Männern zu: Chiomara befiehlt ihren Verwandten, die zur Übergabe des Lösegeldes gekommen sind, den Römer zu töten.215 Livius bezeichnet sie daraufhin als iugulati praecisum caput ipsa inuolutum ueste ferens (38,24,9), wenn sie den Kopf des Römers zu ihrem Ehemann bringt. Hierin vollzieht sich eine deutliche Vermännlichung ihres Handelns. Diese Pose erinnert nämlich an siegreiche Männer, die Livius in seiner Erzählung des zweiten Punischen Krieges zeichnet, wie ein intertextueller Bezug verdeutlicht.216 In erster Linie erzeugt Livius hier eine performative Umdeutung der Geschlechterrollen, durch die Chiomara ihrem Mann den Wert der pudicitia aufzeigt.217 Einen männlichen Zugriff auf die pudicitia gesteht Livius dem Orgiago

212 Vgl. Langlands 2006, 109, 113, 121. 213 Vgl. Ratti 1996, 104. 214 Liv. 40,4,3–5: Theoxena multis petentibus aspernata nuptias est: [...] Theoxena, ut in suis manibus liberi sororis educarentur, Poridi nupsit; et tamquam omnes ipsa enixa foret, sororisque filios in eadem habebat cura. Zu Theoxenas rollengerechtem Verhalten vgl. auch McClain 1994, 166. 215 Liv. 38,24,8: mulier lingua sua stringerent ferrum et centurionem pensantem aurum occiderent imperauit. 216 Liv. 23,24,11: spolia coporis caputque praecisum ducis Boii ouantes templo. Ähnlich Ratti 1996, 105; Kowalewski 2002, 184. 217 Vgl. Ratti 1996, 104.

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hingegen vorerst nicht zu. Erst durch die Perspektive der Frau wird dem Mann der Wert der pudicitia erschlossen: et iniuriam corporis et ultionem uiolatae per uim pudicitiae confessa uiro est (38,24,10). Somit geht Chiomaras performative Transgression gegenüber ihrem Peiniger mit einer epistemischen gegenüber ihrem Ehemann einher. Auch Theoxena setzt sich in ihrer Performanz über ihren Ehemann Poris hinweg. Epistemisch ist sie imstande, die Bedrohung durch Philipp zu erfassen und dessen libido damit zu spiegeln: ludibrio futuros non regis modo sed custodum etiam libidini rata (40,4,6). Die Versuche ihres Ehemannes, vor den Häschern Philipps zu fliehen, müssen lediglich als Retardation und damit als Ausdruck seiner fehlenden Handlungsfähigkeit verstanden werden.218 Dagegen wird Theoxenas Initiative zum kollektiven Selbstmord der Familie durch ihre emphatische Opposition ferox interim femina deutlich, die sich an die Darstellung des männlichen Handelns anschließt. Das Attribut ferox verweist dabei auf die Bewertung Tullias,219 deren transgressives Streben nach Macht ebenfalls durch diese Charakterisierung gekennzeichnet wurde, sodass ferox sowohl für Römerinnen als auch für Nichtrömerinnen transgressives Handeln beschreibt. Somit vollzieht diese Zuschreibung die Umkehr der Geschlechterrollen, wenn dies eine Entschlossenheit anzeigt,220 die Poris fehlt. Diese vermännlichte Verteidigung eines römischen Werte- und Normempfindens durch nichtrömische Frauen kennzeichnet Livius’ Wahrnehmung dieser Wertekrise: Die Initiative, die Livius der Theoxena zugesteht, legt erneut die libido Philipps V. von Makedonien offen. Dieses uitium bildet einen wesentlichen Aspekt einer moralischen Diffamierung nach außen ab und markiert ein Werteproblem, das »the dismal end of Philip V. of Macedon«221 darstellt. Zugleich nimmt die Darstellung Theoxenas und Chiomaras mithilfe ihrer Außenperspektive auf diese römischen Werteideale eine generelle Dekonstruktion des Männlichen vor. In beiden Fällen wird eine Umkehr von Geschlechterrollen zur Grundlage dieser Exempla. Auf diese Weise kennzeichnen sie in erster Linie männliche Wertedefizite von Nichtrömern. Für diese moralischen uitia schafft Livius durch die Frauengestalten textinterne Rezipienten, welche dazu dienen, etwa die libido Philipps abzubilden. Diese erhalten durch ihre Platzierung in der Erzählung zudem einen besonderen Stellenwert, wenn auf die libido Philipps dessen Absetzung durch das Volk – einen weiteren

218 Liv. 40,4,8–12. Vgl. auch Kowalewski 2002, 243. 219 Vgl. Kapitel 2.3.1. 220 Zur Bedeutung von ferox vgl. Weiẞenborn/Müller 1978, 128; Kowalewski 2002, 243; Oakley 2006, 586. Diese Qualität von ferocia ist auch in der Inszenierung des Horatius im Krieg gegen die Albaner erkennbar, vgl. Kapitel 2.1.1. 221 Moore 1993, 43. Vgl. dazu auch Walsh 1996a, 107; Luce 1977, 194f.; Kowalewski 2002, 246.

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

textinternen Rezipienten – folgt.222 Einerseits wird die Krise damit in räumlicher Distanz zu Rom verortet. Andererseits lässt Livius nichtrömische Figuren römische Werteideale vertreten. Diese Frauen decken damit gleichzeitig auch Defizite in der römischen Moral auf. Auch hier ist die Distanz, die durch nichtrömische Figuren vermittelt wird, eine erzählerische Strategie, mit der Livius den Römern den Spiegel vorhält. Die nachfolgenden Untersuchungen sollen zeigen, dass das Ausweichen auf einen auswärtigen Exempla-Bestand als Zeichen einer innerrömischen Krise der Weiblichkeit zu verstehen ist. Livius erzählt damit eine römische Wertekrise in einer Zeit, in der sich die römische pudicitia in schwerem Fahrwasser befand. Dass dieser Wert erst im Zuge des Bacchanalien-Skandals wieder zu einer normativ männlich regierten römischen Kardinaltugend wird, soll in diesem Zuge nachgewiesen werden. An dieser Stelle wird erkennbar, dass Livius indes auf eine räumliche Auslagerung von Problematischem setzt, um so durch nichtrömische Exempla Rom den Spiegel vorzuhalten. Römische Wertedefizite werden, wie die Chiomara-Episode zeigt, nicht ausgeblendet. Durch ein nichtrömisch figuriertes Exemplum gelingt es Livius aber, römische libido abzubilden und gleichzeitig die Integrität von pudicitia zu erhalten.223 Auch die emphatische Darstellung der libido, die mit dem Angriff auf familiäre Ideale die staatliche Stabilität gefährdet,224 wird auf diese Weise aus Rom ferngehalten. Eine räumliche Distanz wird somit zur narrativen Strategie in der Erzählung einer innerrömischen Wertekrise. 4.3.1.2 Metalepse, Distanz und die Krise im Inneren

In seiner Darstellung einer moralischen Degeneration in Rom und einem Verfall einstiger Ideale wird deutlich, dass Livius als Erzähler ebenfalls auf Distanz zu dieser Entwicklung geht. Zuvor gelang es Livius durch die Konstruktion auswärtiger Exempla, diese innerrömischen Probleme aus der erzählerischen Ferne zu betrachten. Dagegen steht er bei der Darstellung von römischen Figuren vor der Herausforderung, die historiographische Aufgabe wahrzunehmen, aber zugleich die Erzählung der römischen Geschichte in Einklang mit dem augusteischen Wertediskurs zu bringen, der für die normative Inszenierung von Weiblichkeit die mores maiorum zum Maßstab erhebt.225 Auch hier kann gezeigt werden, dass Livius

222 Liv. 40,5,1: ut uolgo impsum liberosque exsecrarentur. Zur Kausalität von libido und politischen Umbrüchen bei Livius vgl. McClain 1994, 164; Kowalewski 2002, 249. 223 Zur Geltung einer vom römischen Wertekodex abweichenden pudicitia, die es Chiomara erlaubt weiterzuleben, vgl. McClain 1994, 171. 224 Vgl. ebd., 174. 225 Zur Geltung der mores maiorum in der Narration der späten Republik vgl. Miles 1988, 206–208.

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Weiblichkeit, die dem augusteischen Werteempfinden unterliegt, und die Degeneration von weiblichen Idealen ebenfalls in der Erzählung auf Distanz zueinander hält. Dabei fällt auf, dass die Erzählung eines solchen weiblich figurierten Niedergangs von Werteidealen römischer Frauen in einer Vielzahl der Fälle mit einem Wechsel zwischen verschiedenen Erzählebenen verbunden ist, was in der Erzähltextanalyse als Metalepse bezeichnet wird.226 Anhand römischer Frauen-Exempla, die eine moralische Degeneration in Rom abbilden, soll gezeigt werden, dass die narrative Strategie der Metalepse als ein Erzählmechanismus zu verstehen ist, der Livius dazu dient, Abweichungen von weiblichen Idealen zu kennzeichnen und narrativ ›unschädlich‹ zu machen, indem eine Distanz zur ansonsten auktorialen Darstellung hergestellt wird.227 Insbesondere die Darstellung der Aemilia, Ehefrau des Scipio Africanus, kennzeichnet dieses Phänomen im livianischen Bericht der Scipionen-Prozesse, in denen sich eine massive Gegnerschaft zum zuvor von Livius als republikanischen Helden inszenierten Scipio abzeichnet.228 Bereits Jaeger hat darauf hingewiesen, dass Livius’ Bericht vom Lebensende des Scipio Africanus überaus unzuverlässig ist. Aufgrund widersprüchlicher Quellen und Überlieferungstraditionen könne kein eindeutiges Bild vom Prozess gegen Scipio sowie von dessen Sterbezeit und -ort gezeichnet werden.229 Doch Scipios Verschwinden aus der historiographischen Aufmerksamkeit allein als einen Hinweis auf die Aporie des Erzählers zu verstehen,230 greift als Erklärung dieser vermeintlichen Diskussion verschiedener Überlieferungen zu kurz. Vielmehr ist hier der erzählerische Effekt zu beachten, welcher sich aus der Metalepse ergibt und welchen Livius mit der Abwägung verschiedener Varianten und ihrer Einbindung in einen Erzählkontext erzeugt.231 Die Funktion von Metalepsen wird vielmehr als »›metahistorische‹ Botschaft [verstanden, durch die] unterschwellig Kritik an der ausgesprochen zuversichtlichen Rekonstruktion der römischen Vergangenheit

226 Das Konzept der Metalepse nach Genette 2010, 152–154. Zur Bedeutung und Wirkung der Metalepse als Strategie einer Steigerung des literarischen Charakters und der historischen Plausibilität der livianischen Geschichtsschreibung und zur Abgrenzung dieses narratologischen Befundes von der Diskussion von Überlieferungsvarianten vgl. Pausch 2013. 227 Zur Prävalenz der auktorialen Erzählung im Sinne einer römischen Perspektive im Geschichtswerk vgl. Pausch 2011, 132; ähnlich Pausch 2013, 200. 228 Vgl. Briscoe 1982, 1100–1102. 229 Liv. 38,56,1: multa alia in Scipionis exitu maxime uitae dieque dicta, morte, funere, sepulcro, in diuersum trahunt, ut, cui famae, quibus scriptis adsentiar, non habeam. Ähnlich auch Liv. 39,52,1–6. 230 Jaeger 1997, 142: »The narrator’s ignorance on this point is suggestive, first because he places so much stress on it, and second because he draws attention to the monuments and documents that fail do preserve this information.« Als livianisches Versagen im Umgang mit den Quellen liest Luce 1977, 92 diese Episode. 231 Die Bestimmung dieser Stellen als Metalepsen nach Pausch 2013, 203.

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

durch den Princeps geübt werden soll, wie sie den Zeitgenossen etwa in den Statuengalerien des Augustusforums mit – im Wortsinn – monumentalem Anspruch gegenübertrat.«232 Dies erschließt auch eine Perspektive auf die Darstellung von Weiblichkeit: Im livianischen Bericht über die Scipionen-Prozesse, in denen Scipios Stellung im Staat thematisiert wird,233 wird abschließend ausführlich die politisch motivierte Verlobung der Scipionen-Tochter Cornelia mit Tiberius Gracchus thematisiert. Publius Scipio gibt die Tochter seinem politischen Widersacher Gracchus zur Frau, da sich dieser im Zuge der Scipionen-Prozesse gegen eine Inhaftierung des L. Scipio eingesetzt hatte (38,57,3f.). Nicht nur aus dieser politischen Erwägung der Verlobung, sondern auch aus dem Aufbegehren von Scipios Ehefrau Aemilia gegen die Entscheidung ihres Mannes, von der sie ausgeschlossen war, wird dieses Ereignis in geschlechterspezifischer Hinsicht relevant. Indem nämlich auch der Bericht dieser Vorgänge noch in die Metalepse eingeschlossen ist,234 wird auch das hierin abgebildete Geschlechterverhältnis zum Gegenstand der metahistorischen Aussage. Wesentlich zielt diese Darstellung einer innerrömischen Unruhe der ScipionenProzesse, die nicht nur durch die Anklage Scipios abgebildet wird, damit auf die emphatisch inszenierte Konstruktion von normativer Weiblichkeit durch Africanus. Dieser handelt hier letztmalig, ehe er von der livianischen Bildfläche verschwindet:235 cum illa, muliebriter indignabunda nihil de communi filia secum consultatum, adiecisset non si Ti. Graccho daret, expertem consilii debuisse matrem esse, laetum Scipionem tam concordi iudicio ei ipsi desponsam respondisse.236 (Liv. 38,57,7f.)

Diese Darstellung von Scipios abschließender Handlung nutzt die metaleptische Gestalt zur Abbildung normativer Geschlechterrollen. Mit illud parum constat (38,57,3) berichtet Livius, dass über die Verlobung der Tochter von Publius Scipio

232 Ebd., 200. 233 Liv. 38,50,8: alii, neminem unum tantum eminere ciuem debere, ut legibus interrogari non possit; nihil tam aequandae libertatis esse quam potentissimum quemque posse dicere causam. Zum Konfliktpotential des Scipionen-Prozesses bei Livius vgl. Briscoe 1992, 78: »These clashes encompass all the events described in the rest of book 38.« 234 Vgl. Liv. 38,57,2–8. 235 Vgl. Jaeger 1997, 158. 236 Als jene – wie eine Frau eben ist – unwillig darüber, dass man wegen der gemeinsamen Tochter nichts mit ihr gemeinsam beraten hatte, angemerkt hatte, dass eine Mutter nicht von der Entscheidung ausgeschlossen sein dürfe, selbst wenn er sie dem Tiberius Gracchus gebe, habe Scipio froh über ein so übereinstimmendes Urteil erwidert, genau mit diesem sei sie verlobt worden.

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und Aemilia nichts sicher feststehe. Auch Aemilias Aufbegehren wird noch in der davon abhängigen indirekten Rede als Metalepse erzählt. Geschlechterspezifisch konstruiert Livius hier das Bild idealer Weiblichkeit in der römischen Aristokratie: Das vorangestellte muliebriter schmälert die Reichweite von Aemilias Handeln beträchtlich, wenn es ihre Entrüstung auf ein matronales Verhalten »what one expected of a woman«237 reduziert. Hingegen wird auf diesem Handlungs- und Überlieferungsstrang Scipio als performativ und epistemisch überlegene Instanz eingesetzt, welche für die weibliche Rolle Aemilias konstitutiv ist. Livius lässt den Mann über die Frau hinweg handeln, wodurch er nicht nur selbstständig die concordia durch schließlich übereinstimmende Vorstellungen organisiert,238 sondern auch eine weibliche Handlungsmacht negiert. Eine doppelte Funktion erfüllt diese metaleptische Inszenierung einer aristokratischen Geschlechterordnung: Einerseits gelingt es auf diese Weise, Scipio zum Zentrum des Geschlechterhandelns zu machen und die Darstellung dieser Zeit auf den Aspekt einer männlich organisierten familiären Stabilität zu lenken. Andererseits ist diese männliche Macht über das Weibliche der Ausdruck einer livianischen Erinnerungstradition des Scipio: Livius versagt sich so nicht gänzlich einer Anerkennung Scipios, wenn trotz aller Kritik an dessen Stellung in Rom durch die Diskussion von Überlieferungsvarianten ein Raum geschaffen wird,239 in dem der Römer zu exemplarischer Geltung gelangt. Anstatt also den Vorwurf, Scipios Stellung sei im Staat zu herausragend, auszuerzählen und Kritik an der Figur zu üben, wird der Mann in der augusteischen Memoria auf der Folie der Weiblichkeit in die Erzählung integriert, wenn Livius das Exemplarische des Scipio hier nunmehr ausschließlich am Kriterium des Geschlechts bemisst. Doch nicht nur die Konstruktion einer solch exemplarischen Weiblichkeit, wie sie Aemilia und – ihr übergeordnet – Scipio darstellen, kann durch die Verwendung von Metalepsen als Ausdruck des livianischen Genderdiskurses gewertet werden. Gleichermaßen dient dieses narrative Instrument dazu, eine erzählerische Ausgliederung von moralischen uitia und Verstößen gegen weibliche Normen in geschlechterspezifischer Hinsicht vorzunehmen. Die erzählerische Distanz von problematischen Werte- und Normabweichungen von Frauen ist damit die Strategie eines narrativen Verfahrens, das dazu beiträgt, dezidiert römische Moraldefizite in das augusteische Narrativ zu integrieren: Diese Distanz wird auch in zwei anderen Episoden durch Metalepsen geschaffen. Livius berichtet etwa, dass der ehemalige römische Konsul L. Quinctius Flaminius einen Gefangenen hinrichten lässt, nachdem 237 Briscoe 2008, 203; ähnlich Dixon 1988, 62f. 238 Vgl. Jaeger 1997, 159. 239 Liv. 38,54,6: Petilii nobilitatem et regnum in senatu Scipionum accusabant. Zur Kritik an der Stellung Scipios in Rom vgl. Walsh 1996a, 97–100; Jaeger 1997, 146f.; zu dessen grundsätzlich positiven Bewertung bei Livius durch den Umgang mit dem Quellenmaterial vgl. Walsh 1996a, 93–96.

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

durch eine Dirne aus Placentia bei ihm libido et crudelitas (39,43,1) entfacht wurden. Auch hier übernimmt Livius nicht als Erzähler die auktoriale Verantwortung. Stattdessen beruft er sich bei seiner Darstellung dieser Abweichung von weiblichen Idealen auf seine Quelle Valerius Antias. Er ist für Livius der Gewährsmann eines Frauenhandelns, das Flaminius zur Hinrichtung eines Gefangenen animiert und damit zum Ursprung von libido und crudelitas wird. Darin markiert die Frau ein moralisch-religiöses Vergehen, wenn statt eines Speiseopfers auf dieser negativen Wertegrundlage ein Gefangener getötet wird.240 Die Auslagerung der epistemischen Instanz lässt sich auch in einer weiteren Episode dieser Zeit beobachten: Darin erzählt Livius, dass Quarta Hostilia für den Giftmord an einem Konsul verantwortlich sei, um so ihrem Sohn Zugang in dieses Amt zu verschaffen. Es wird berichtet: necatus a Quarta Hostilia uxore dicebatur (40,37,5).241 Durch den Nominativus cum Infinitivo wird die sichere Kenntnis ihrer Urheberschaft infrage gestellt.242 Gleichzeitig kann Livius die Frau so mit transgressivem Handeln auf höchster Ebene des Staates nach Macht und Einfluss greifen lassen.243 Es wird auf diese Weise ein Frauenhandeln in Form einer Metalepse erzählt, das in zweifacher Hinsicht transgressiv ist. Nicht nur gegenüber dem Konsul, sondern auch gegenüber ihrem Sohn kehrt Quarta Hostilia die Geschlechterrollen um, da sie darauf bedacht ist, diesem zu Amt und Würden zu verhelfen. Die Inszenierung narrativer Distanz ist damit einer augusteischen Memoria verpflichtet, die eine epistemische Variabilität der Narration dazu nutzt, dem Ideologem des frühkaiserzeitlichen Gender- und Wertediskurses nachzukommen. Problematisches kann durch die Auslagerung einer epistemischen Verantwortung zwar erwähnt, aber mittels der Bewertung durch die auktoriale Deutungshoheit flexibel in den Dienst des augusteischen Wertediskurses gestellt und damit erzählerisch unschädlich gemacht werden. Durch die Polyphonie aus Metalepsen und auktorialer Verantwortung kann ein normatives Weiblichkeitskonzept parallel zur Darstellung einer Wertekrise vermittelt werden kann. 4.3.2

Pudicitia und die Männer in der Krise

Die livianische Darstellung einer innerrömischen Werte- und Geschlechterkrise zielt darauf ab, eine männliche Zuständigkeit für weibliche Tugenden zu vermitteln.

240 Zur Bewertung des L. Quinctius Flaminius vgl. Kowalewski 2002, 289. 241 Auch hier deutet Luce 1977, 111 die Unsicherheiten der Narration als Nachlässigkeiten mit dem Quellenmaterial. 242 Zur Funktion des Nominativus cum Infinitivo bei Livius vgl. Forsythe 1999, 55–62. 243 Vgl. Pailler 1987, 120; Kunst 2016, 200. Zur Männlichkeit des ueneficium und zur »male aesthetic of life-giving« vgl. Currie 1998, 161.

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Auf diese Weise wird ein Bild der römischen Gesellschaft entworfen, in der Männer, vor allem aber römische Institutionen zur moralischen Instanz eines Weiblichkeitskonzepts werden, das Livius hier als Abbild des augusteischen Wertediskurses schafft.244 Hinsichtlich der in dieser Arbeit genutzten Methodik eines geschlechtlich markierten Wissensbestandes bedeutet dies: Die Einrichtung einer männlichen Werteperspektive, die die Geschlechterordnung des Narrativs konstituiert, ist in einem genderorientierten Ansatz das entscheidende Kriterium der Inszenierung von Geschlecht. Am Beispiel des livianischen Berichts des Bacchanalien-Skandals245 soll im Folgenden eine Krisenwahrnehmung aufgezeigt werden, welche von einem fehlenden männlichen Zugriff auf die weibliche pudicitia ausgeht und schließlich auf die Narrativierung eines heteronormativen Geschlechterverhältnisses durch die Konstruktion genderspezifischer Episteme abzielt. Livius berichtet darin, wie die Ausschweifungen des Bacchus-Kultes immer bedrohlichere Ausmaße annehmen und durch ihre nächtlichen Orgien zur Gefahr für die römische Sittsamkeit werden. Am Beispiel einer Romanze zwischen dem bürgerlichen Aebutius und dessen Geliebten, der ehemaligen Hetäre Hispala Faecenia, bildet Livius die von dem Kult ausgehende Gefahr für die öffentliche Moral als ein Geschlechterproblem ab. Als Aebutius nämlich auf Geheiß seiner Mutter in den Kult eingeführt werden soll, interveniert Hispala, die als Sklavin früher selbst mit ihrer Herrin an den nächtlichen Veranstaltungen teilgenommen hat und um die Gefahren des Kultes weiß. Ihre Intervention für die pudicitia ihres Verlobten nutzt Livius, um dem Leser anhand einer Liebesgeschichte den Bacchanalien-Skandal und dessen Gefahr für die römische Moral zu erschließen. Schließlich mündet die Erzählung in institutionelle Maßnahmen gegen den Bacchus-Kult und für die Bewahrung der pudicitia. Weibliche Gendertransgressionen werden zum wesentlichen Element der Erzählung, wenn die Aufdeckung des Skandals auf das weibliche Wertewissen Hispalas angewiesen ist, das dem fehlenden männlichen Zugriff auf die pudicitia gegenübersteht.246 An dieser Stelle in der livianischen Geschichtswahrnehmung werden geschlechtliche und moralische Bezüge auf das Gründungsnarrativ sichtbar. Auch hier nutzt Livius bei Hispala Faecenia weibliche Wissensvorsprünge, als sie mit ihrem Wissen den Bacchanalien-Skandal aufdeckt. Ihre epistemische Überlegenheit im Vergleich zu den Männern ist in dieser Episode als eine transgressive Inszenierung von Geschlecht zu werten.247 Die in der Darstellung des Bacchanalien-Skandals evident 244 Vgl. Walsh 1996a, 76; Milnor 2005, 140–142, 157f. 245 Auf die besondere Bedeutung des Bacchanalienskandals in der livianischen Darstellung weist Briscoe 1982, 1100 hin. 246 Zur moralischen Gegensätzlichkeit von Hispala und Bacchanalia vgl. Šterbenc Erker 2013, 232. 247 Zur epistemischen Anlage der Episode vgl. Pausch 2011, 218–222, ferner Langlands 2006, 116.

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

werdende Geschlechterordnung zielt darauf ab,248 die epistemische Transformation eines Geschlechter- und Wertewissens vorzunehmen. Livius überführt dieses Wissen aus der figuralen weiblichen Perspektive der Hispala in einen institutionalisierten und damit normativen Wissensbestand, der von Männern repräsentiert wird. Diese Darstellung legt jedoch die aktualisierte Bedeutung von Weiblichkeit offen: Es soll im Folgenden in einem ersten Schritt gezeigt werden, dass Livius ein pudicitia-Exemplum konstruiert, das auf eine weibliche Tugend der Republik zurückgreift, welche seit Lucretia und Verginia zum männlichen Wissensbestand sowie zum entscheidenden Faktor einer gesellschaftlichen Stabilität wurde.249 Damit steht hier eine Gender- und Werteperspektive zur Disposition, die eine männliche Innensicht neu verhandelt. Es wird deutlich, dass die transgressiv inszenierte Weiblichkeit dazu beiträgt, ein weibliches Werte- und Normkonzept zu konstruieren, das am Ideal der pudicitia gemessen wird. Hier zeigt sich ein verändertes Verständnis von Weiblichkeit: Im Gründungsnarrativ trugen Livius’ Frauengestalten auf transgressive Weise dazu bei, männliche Wissensdefizite aufzudecken und zu kompensieren, um so ihre matronale Funktion erst affirmativ hervorzubringen, wie etwa bereits die geschlechtliche Anlage der Sabinerinnen-Intervention oder der Lucretia-Episode zeigten. Dagegen zeigt sich in einer diachronen Entwicklung eine im augusteischen Diskurs veränderte Bedeutung von Weiblichkeit. Weibliches Handeln im Narrativ des Bacchanalien-Skandals ist einzig auf das Ideal der weiblichen Sittsamkeit ausgerichtet.250 Andere Wertekonzepte müssen für Livius offenbar fortan nicht mehr verhandelt werden. Nur für die pudicitia muss eine normativ männliche Handhabe neu definiert werden. In einem zweiten Schritt soll daher die Normativität dieser rekonstruierten und männlich regierten pudicitia aufgezeigt werden. Zugleich lässt sich ihre besondere Bedeutung für die vierte Dekade des livianischen Werkes nachweisen. Dabei zielt die Erzählung in erster Linie darauf ab, Männer zur konstitutiven Instanz weiblicher Exempla zu machen. Wenn Livius am Beispiel des Bacchanalien-Skandals als Liebesgeschichte geschlechtlich markierte Moralvorstellungen verhandelt, ist dies als Reflex eines augusteischen Wertebewusstseins zu bewerten. Bereits in der livianischen Debatte um die Aufhebung der lex Oppia, die in Buch 34 berichtet

248 Langlands 2006, 115 hat auf die im Narrativ des Bacchanlien-Skandals verkehrte Struktur römischer pudicitia hingewiesen, in der nun Frauen als Bedrohung dieser Tugend inszeniert werden. 249 Vgl. Walsh 1996a, 76; Kowalewski 2002, 273f. und Kapitel 2.2.2. 250 Die Prävalenz der pudicitia bei Livius wurde bereits gesehen von Langlands 2006, 115–121. Kowalewski 2002, 252–282 legt hingegen den Fokus der Analyse von Weiblichkeit vor allem auf die Funktion von Frauen zur Aufdeckung des Skandals, ohne der pudicitia besonderen Wert zuzuschreiben.

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wird, zeigt sich deutlich, dass die Konstruktion eines normativen Geschlechterverhältnisses durch die übergeordnete Rolle von Männern als Wächter weiblicher Sitten zum zentralen Anliegen wird. Dies schlägt sich insbesondere in den Worten des Konsuls M. Porcius Cato in dessen Rededuell gegen den Volkstribun L. Valerius nieder.251 Bei Livius »beschwört [Cato] eine Krise der Männlichkeit«252 . Albrecht hat bereits gezeigt, dass Weiblichkeit in der Debatte um die lex Oppia als Ausgangspunkt für die Inszenierung von Catos hegemonialer Männlichkeit dient.253 Damit wird die Darstellung von Weiblichkeit funktional mit der Prävalenz der Position Catos verknüpft.254 Im Folgenden soll daher gezeigt werden, dass die Erzählung des Bacchanalien-Skandals ein Reflex dieser Debatte ist, der auch in narratologischer Hinsicht erkennbar ist. Die Konstruktion eines männlichen pudicitia-Zugriffs als Vorgehen gegen die Bacchanalia dient dazu, ein normatives Wertewissen zu schaffen, das der konservativen Moral Catos Rechnung trägt. Erst als durch Hispalas Intervention dem Konsul Sp. Postumius Albinus das Problem der weiblichen Tugend erschlossen wird, kann auf institutioneller Ebene diese Wertekrise gelöst werden.255 Diese Mechanismen männlicher Episteme im livianischen Werk sollen daher die Bacchanalien als Krise eines männlichen Wertewissens sichtbar machen, die Livius im Zeichen des augusteischen Werte- und Geschlechterdiskurses inszeniert.256 4.3.2.1 Ideale pudicitia und weibliche Transgression

Diese Erzählung einer römischen Wertekrise fordert die Konstruktion eines normativen männlichen Werte- und Geschlechterwissens, das auf eine männlich markierte Innensicht auf die pudicitia angewiesen ist. Hierzu ermöglicht die livianische Erzählung des Bacchanalien-Skandals eine gendertransgressive Performanz von Frauen, die Männern diesen Zugriff auf das Wissen über Weiblichkeit und weibliche Werteideale erst erschließt.257 Die Inszenierung der pudicitia in der Darstellung

251 Vgl. Albrecht 2016, 81f. Zur Normativität einer männlich regierten Werteordnung gegenüber einer marginalisierten Darstellung von Weiblichkeit in der lex Oppia-Debatte vgl. Milnor 2005, 159–162. 252 Albrecht 2016, 82f. 253 Vgl. ebd., 83. 254 Luce 1977, 252: »Doubtless Livy’s desire to put Cato in the limelight was a factor in his decision to feature the debate so prominently.« 255 Gruen 1990, 35 setzt das Handeln des Konsuls hingegen absolut; ähnlich Bauman 1990, 336. 256 Zur augusteischen Lesart der lex Oppia-Debatte vgl. Milnor 2005, 171. 257 Zur zentralen Funktion der Hispala vgl. etwa Kowalewski 2002, 258. Gruen 1990, 59 erkennt zwar Hispalas bedeutende Rolle in dieser Erzählung, widmet sich aber überwiegend der historischen Dimension der Bacchanalien. Zur hervorgehobenen Bedeutung des Bacchanalien-Skandals bei Livius vgl. Luce 1977, 106; Pausch 2011, 214.

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

des Bacchanalien-Skandals zeigt nämlich ein umfassendes männliches Wertedefizit auf: Obwohl das moralische Wissen über die weibliche Keuschheit für Livius seit Lucretia in den Händen von Männern liegt,258 kann in der Bacchanalien-Episode einzig eine Frau auf dieses Wertewissen zugreifen. Hispala markiert damit transgressives Frauenhandeln, das in ihrem moralischen Wissensvorsprung gegenüber Männern zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus legt Livius mit dem transgressiven Handeln der Frau eine Bedeutung von Weiblichkeit offen, das dazu dient, diese pudicitia in einen männlichen Wissensbestand zu überführen. Auf diese Weise wird ein normatives Wertekonzept der Weiblichkeit vermittelt, sodass diese Erzählung einen bedeutenden Stellenwert für die livianische Konstruktion von Geschlechterrollen hat.259 Livius beschränkt das transgressive Frauenhandeln auf den Erhalt der weiblichen Sittsamkeit. Damit wird deutlich, dass dieses Krisennarrativ Weiblichkeit allein an der moralischen Tugend von Frauen bemisst, wenn das transgressive Handeln Hispalas auf diesen Aspekt perspektiviert und in den Dienst der moralischen Stabilität Roms gestellt wird. Die livianische Darstellung des Bacchanalien-Skandals zielt auf die Abbildung einer in der römischen Gesellschaft ausgebreiteten libido ab, welche sich gegen die moralische Integrität Roms richtet.260 Dazu nutzt Livius auch hier die zuvor gültige Opposition von männlichen Lüsten und weiblicher Integrität zum Ausdruck dieser sittlichen Vergehen.261 Mit dieser Darstellung markiert Livius einen Rückbezug auf das in den Erzählungen von Lucretia und Verginia geschaffene weibliche Wertekonzept. Darin war die moralische Integrität von Frauen die Bedingung für politische Stabilität.262 Dass die Zustände im Zuge der Ausbreitung des Kultes in Rom zu einer moralischen Krise angewachsen sind, zeigt die epistemische Anlage der Episode. Während Livius nämlich in vorangegangenen pudicitia-Erzählungen etwa mit Brutus bei Lucretia und Verginius bei der Schändung der Tochter stets textinterne und vor allem männliche Rezipienten der weiblichen Sittsamkeit bereitstellen und damit die exemplarische Wirkung der pudicitia abbilden konnte, fehlen der livianischen Schilderung der Bacchanalien nun Männer, die dem Muster männlich rezipierter Sittsamkeit von Frauen nachkommen können.263 258 Vgl. Langlands 2006, 120 sowie Kapitel 2.2.2. 259 Vgl. Pausch 2011, 214f. 260 Auf die moralische und politische Reichweite dieses Sittenproblems hat Langlands 2006, 121 hingewiesen. 261 Liv. 39,8,6: cum uinum animos , et nox et mixti feminis mares, aetatis tenerae maioribus, discrimen omne pudoris exstinxissent, corruptelae primum omnis generis fieri coeptae, cum ad id quisque quo natura pronioris libidinis esset paratam uoluptatem haberet. nec unum genus noxae, stupra promiscua ingenuorum feminarumque erant, sed falsi testes falsa signa testamentaque et indicia ex eadem officina exibant. 262 Vgl. Langlands 2006, 81. 263 Zur normativen Rezeption durch Männer vgl. ebd., 94–96.

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Die Verlagerung der Krisenerzählung auf die Romanze zwischen der ehemaligen Hetäre Hispala Faecenia und ihrem Verlobten Aebutius macht das Werteproblem sichtbar, das Livius hier dezidiert als ein Genderproblem entwirft. Das zuvor geschaffene Muster einer männlichen Rezeption von pudicitia wird ins Gegenteil verkehrt, wenn gerade eine frühere Dirne für die pudicitia eines Mannes eintritt, als sie von den Absichten seiner Mutter und seines Stiefvaters erfährt, den jungen Mann in den Bacchus-Kult einzuführen: admiratus cum uerba tum perturbationem tantam adulescens parcere exsecrationibus iubet: matrem id sibi adsentiente uitrico imperasse. »uitricus ergo«, inquit, »tuus – matrem enim insimulare forsitan fas non sit – pudicitiam famam spem uitamque tuam perditum ire hoc facto properat.« eo magis mirabundo quaerentique, quid rei esset [...] ancillam se ait dominae comitem id sacrarium intrasse, liberam numquam eo accessisse. scire corruptelarum omnis generis eam officinam esse.264 (Liv. 39,10,3–6)

Diese Passage zeigt eindrucksvoll die Bedeutung des Figurenwissens für die Anlage der Genderidentitäten, wenn sich das männliche Unwissen und Wundern (admiratus [...] mirabundo quaerentique) und das weibliche Wissen (scire) gegenüberstehen. Aus dieser Position heraus bringt sie emphatisch ihre Perspektive auf die pudicitia durch die alliterative Gestaltung pudicitia [...] perditum [...] properat hervor.265 Was als Kennzeichen eines männlichen Wissensrückstandes sicherlich auch Spannung erzeugt,266 ist schließlich das genderspezifische Kriterium: Das fehlende männliche Wertewissen ist auf die Perspektive einer Frau, noch dazu eines ehemaligen scortum nobile,267 angewiesen, um von ihr einen Zugang zur weiblichen Kardinaltugend der Römer zu erhalten. Nicht nur später gegenüber dem Konsul ist es Hispala, die das Wissen über den Kult vermittelt.268 Auch hier gegenüber ihrem Verlobten erfährt der Leser von der verderblichen Wirkung der Bacchanalien aus der Perspektive

264 Verwundert sowohl über die Worte als auch besonders über ihre so große Unruhe forderte der junge Mann sie auf, sich in ihren Verwünschungen zu mäßigen. Seine Mutter habe ihm dies mit der Zustimmung seines Stiefvaters befohlen. »Also hat dein Stiefvater«, sagte sie, »– deine Mutter zu beschuldigen dürfte nämlich vielleicht nicht zulässig sein – es eilig damit, deine Sittsamkeit, deinen Ruf, deine Hoffnung und dein Leben auf diese Weise zugrunde zu richten.« Als er sich umso mehr darüber wunderte und sie fragte, was für eine Sache das sei […], sagte sie ihm, sie habe, als sie eine Sklavin gewesen sei, als Begleiterin ihrer Herrin dieses Heiligtum betreten, als Freie sei sie niemals mehr dorthin gegangen. Sie wisse, dass dies eine Quelle von Verderben jeder Art sei. 265 Weiẞenborn/Müller 1978, 21 weisen auf die Bedeutung von properat in diesem Zusammenhang hin und betonen die Achtlosigkeit des Stiefvaters. 266 Vgl. Pausch 2011, 218f. 267 Vgl. Kowalewski 2002, 258f. 268 Vgl. Langlands 2006, 116; Pausch 2011, 220.

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

der Frau. Dieser Zugriff auf die pudicitia ist für die Beziehung zwischen Mann und Frau das bestimmende Kriterium der Hierarchie, durch welche die Frau ihre Handlungsmacht generiert. Sie dient Livius als epistemische Instanz für die Transformation eines männlichen Wertewissens, über das weder ihr Verlobter noch im späteren Verlauf der Konsul verfügen und das sie nachdrücklich in oratia recta hervorbringen kann.269 Die Inszenierung der Hispala markiert damit nicht nur ein verändertes Verständnis von Krise. Zusätzlich erhält Weiblichkeit eine neue Bedeutung in diesem Krisennarrativ: Hier tritt eine Frau in ihrer transgressiven Innensicht nämlich nicht gegen das stuprum eines männlichen Machtmissbrauchs ein, der bei Lucretia und Verginia zum Ausgangspunkt der Exempla wurde.270 Vielmehr steht sie einer männlichen wie weiblichen libido gegenüber. So wird eine veränderte Qualität der pudicitia-Krise und der Funktion von Weiblichkeit deutlich: In der Lucretia-Episode ermöglichen eine Unterscheidung von moralisch integrem Geist und geschändetem Körper sowie der Wunsch nec ulla deinde impudica Lucretiae exemplo uiuet (1,58,10) der Frau ausdrücklich eine moralische Innensicht und werden so zum Argument ihrer exemplarischen Qualität, welche auf ihre Figur ausgerichtet ist.271 Hispalas Blickrichtung ist mit dem Hinweis auf die Gefährdung von pudicitiam famam spem uitamque tuam ihres Verlobten hingegen ausschließlich nach außen gerichtet.272 Nicht nur dadurch, dass Livius im Bacchus-Kult Frauen als Quelle der Bedrohung von pudicitia beschreibt, werden die Strukturen der vorangegangenen Erzählungen von weiblicher Sittsamkeit umgekehrt,273 in der Männer Ausgangspunkt von libido waren. Auch die Zuständigkeit für die pudicitia ist umgekehrt. Die ehemalige Hetäre markiert damit ein explizit männliches Werteproblem und kennzeichnet durch ihre nach außen auf die männliche Integrität gerichtete Perspektive eine veränderte Bedeutung der pudicitia. Dieser Wert ist nicht mehr ein Phänomen, das Männer auf einer weiblichen Projektionsfläche verhandeln. Vielmehr wird durch die weibliche Sorge um eine männliche Sittsamkeit ein gesellschaftliches Werteproblem offengelegt, für das hier punktuell eine Frau zur Garantin einer republikanischen Werteordnung wird.274 Durch ihre figurale Innensicht in dieser moralischen Krise wird Hispalas Funktion sichtbar, die Livius der Frau im augusteischen Narrativ zuschreibt.275 Ihre

269 270 271 272 273 274 275

Zur Wirkung dieser oratio recta vgl. Kowalewski 2002, 261. Vgl. Langlands 2006, 107. Liv. 1,58,7–10. Vgl. auch Langlands 2006, 93. Zur klimaktischen Aufzählung hin zu uita als stärkstem Glied vgl. Briscoe 2008, 258. Vgl. Langlands 2006, 115. Vgl. dazu auch Albrecht 2016, 104. Dohnicht 2006, 130 reduziert Hispalas Darstellung hingegen auf das Stereotyp der »selbstlosen Kurtisane«.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

moralische Perspektive erfasst die Bedrohung der pudicitia und markiert die Ausweitung der Bedeutung dieser vormals rein weiblichen Tugend als ein männliches Moraldefizit, das eine römische Wertekrise kennzeichnet.276 Hispala zeigt, dass Männer nicht mehr auf die pudicitia zugreifen können, die zuvor normativ in ihrem moralischen Wissen verankert war. Ebenso bestimmt dieser Befund ihrer moralischen Wahrnehmung den Grad von Hispalas transgressiver Genderidentität: Indem ihre Perspektive nicht wie die der Lucretia allein auf der eigenen Betroffenheit gründet, sondern nach außen gerichtet ist, wird ihre Gendertransgression deutlicher sichtbar als im frühen pudicitia-Exemplum. Obgleich Albrecht hinsichtlich des männlich geprägten Handlungsraumes dieser Erzählung eine besondere Bedeutung männlicher Akteure formuliert hat,277 offenbart die Analyse der epistemischen Anlage, dass weibliches Wissen hier einen zentralen Stellenwert einnimmt. Hispala zeigt in der Beziehung zu Aebutius durch ihre Genderperformanz den fehlenden männlichen Wertezugriff an,278 der einst durch Lucretias Handeln etabliert wurde. Auf diese Weise wird Weiblichkeit für Livius zum Marker einer männlichen Krise, die durch das Fehlen geschlechtlich definierter Beziehungen die staatliche Stabilität infrage stellt und eine Transformation des Werte- und Geschlechterwissens erfordert, die Livius durch Hispala und die Umdeutung ihrer Geschlechterrolle initiiert. Allein dieser Wertezugriff macht sie in Abgrenzung von der defizitären Männlichkeit der Episode zur »heroine of the story«279 . 4.3.2.2 Das Problem der Rezeption

Für Livius stellt das Fehlen eines männlichen Werte- und Geschlechterwissens einen zentralen Aspekt von Krisen dar. Vor allem ein fehlender männlicher Zugriff auf die weibliche pudicitia ist seit der Lucretia-Episode untrennbar mit der Stabilität Roms verbunden. Auch die Anlage der Bacchanalien-Erzählung weist ein männliches Defizit in der Handhabe der weiblichen Sittsamkeit auf und schreibt dadurch – wie oben gezeigt werden konnte – einer Frau ein erhebliches gendertransgressives Potential zu, durch welche die fehlende moralische Integrität Roms als ein männliches Problem identifizierbar wird. Erzähltextanalytisch bedeutet

276 Smethurst 1950, 81: »Not only did she obviate the danger which, in Livy’s opinion, threatened the stability of the Roman State, but she was able to atone for her doubtful past by her selfless love for Aebutius.« 277 Vgl. Albrecht 2016, 107, 110. Hinsichtlich der Handlungsfähigkeit von Männern im institutionellen Kontext beim Vorgehen gegen den Bacchus-Kult vgl. Kapitel 4.3.2.2. 278 Erst mit diesem Befund eines fehlenden Wertezugriffs des Mannes wird die Bewertung von Kowalewski 2002, 272, Aebutius spiele insgesamt nur eine unbedeutende Rolle, nachvollziehbar. 279 Walsh 1996b, 196.

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

dieser Befund, dass Livius diese Erzählung durch das Fehlen textinterner Rezipienten der weiblichen Exempla zu einer Wertekrise werden lässt. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Livius textinterne männliche Rezipienten für die pudicitia einsetzt und so narratives Krisenmanagement betreibt. Durch diese Rekonstruktion eines männlichen Wertewissens rekurriert die Erzählung nämlich wieder auf die normative Geschlechterordnung, die mithilfe der weiblichen Sittsamkeit erzeugt wurde.280 Wie bei Lucretia ist damit auch bei Hispala eine weibliche Innensicht in dieser Wertekrise dafür verantwortlich, ihre Handlungsmacht gegenüber Aebutius zu generieren, schließlich dieses Wissen dem Konsul Postumius zu erschließen und damit einen entscheidenden Beitrag zur Aufdeckung des Kultes zu leisten.281 Durch ihr Wissen und den daraus resultierenden Wertezugriff wird die ehemalige Hetäre zum Gegenentwurf der Verkommenheit der Bacchanalien und so zum Sittenvorbild stilisiert.282 Wie bei der Intervention der Sabinerinnen ist Hispalas epistemische Transgression jedoch ausschließlich der Affirmation weiblicher Ideale geschuldet.283 Diese Position in ihrer Rolle gegenüber Aebutius macht sie zu einem Exemplum, welchem im Moment ihrer transgressiven Intervention sowie ihrer moralischen und epistemischen Überlegenheit gegenüber dem Mann eine interne Rezeption durch eine übergeordnete Instanz fehlt. Das Exemplum wird hingegen ausschließlich durch den Leser extern rezipiert. Intern rezipierbar wird Hispalas Exemplum schließlich erst, als sie zuerst vor Aebutius,284 dann vor dem Konsul explizit weiblich in einer männlich organisierte Hierarchie auftritt und damit männliche Handlungsmacht abbildet. Die »heroic role«285 des Konsuls muss dabei eingeschränkt werden, da er maßgeblich auf die von Hispala eröffnete Innensicht angewiesen ist.286 Das Figurenwissen ist somit nicht nur dafür verantwortlich, die bedeutende Rolle der Hispala zu verdeutlichen. Zugleich zeigt sich, wie sehr Livius’ Erzählung schließlich darauf ausgerichtet ist, hier eine männliche Geschlechterordnung zu entwerfen. Die Frau tritt nämlich mit ihrer Aussage, die nun bemerkenswerterweise in indirekter 280 Diese Erzählung spiegelt die von Chaplin 2000, 126 gezeigte Konstruktion neuer Exempla nach bekannten Mustern für die textinterne Rezeption wider, die als Akt erneuter moralischer Selbstvergewisserung und aktualisierter Bedeutungszuschreibung zu verstehen ist. 281 Liv. 39,13,10: ex quo in promiscuo sacra sint et permixti uiri feminis, et noctis licentia accesserit, nihil ibi facinoris, nihil flagitii praetermissum. plura uirorum inter sese quam feminarum stupra esse. 282 Vgl. Šterbenc Erker 2013, 232; Albrecht 2016, 104. 283 Vgl. Šterbenc Erker 2013, 234. 284 Liv. 39,10,8f.: orare inde atque obsecrare, ut eam rem quocumque modo discuteret, nec se eo praecipitaret, ubi omnia infanda patienda primum, deinde facienda essent. neque ante dimisit eum, quam fidem dedit adulescens ab his sacris se temperaturum. 285 Walsh 1996b, 193. 286 Vgl. Pausch 2011, 221f.; ähnlich Walsh 1996b, 198.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

Rede (39,13,8–14) wiedergegeben wird, in einer männlich dominierten Geschlechterhierarchie auf, wenn Livius ihre Performanz stereotyp weiblich gestaltet.287 Erst dann wird Hispala wieder als eine Frau rezipierbar, nachdem männliches Wissen sowie männliche Handlungsmacht und damit eine normative Geschlechterordnung wiederhergestellt sind. Einerseits bildet Hispalas Unterordnung gegenüber dem Konsul dessen Autorität ab.288 Andererseits deckt diese Hierarchie die genderspezifische Relevanz auf: Erst als sie explizit weiblich auftritt und damit ihre weibliche Rolle als Exemplum performativ affirmiert, erhält das livianische Narrativ einen textinternen Rezipienten von Hispalas weiblicher Sittsamkeit. Die Transformation des Wissens über weibliche Ideale in einen männlichen Wissensbestand ist hiermit abgeschlossen, wie in den Worten des Konsuls sichtbar wird: »hi cooperti stupris suis alienisque pro pudicitia coniugum ac liberorum uestrorum ferro decernent? minus tamen esset, si flagitiis tantum effeminati forent [...], a facinoribus manus, mentem a fraudibus abstinuissent: numquam tantum malum in re publica fuit, nec ad plures nec ad plura pertinens. quidquid his annis libidine, quidquid fraude, quidquid scelere peccatum est, ex illo uno sacrario scitote ortum esse.«289 (Liv. 39,15,14–16,2)

Nachdem männliches Unwissen über die gefährdete pudicitia einleitend als zentrales Problem dargestellt wurde, ändert sich die damit einhergehende Geschlechterordnung nach Hispalas Aussage. Die Übertragung des pudicitia-Wissens sorgt für eine neue Bedeutung der Männlichkeit. Livius schreibt dem Konsul hier eine Innensicht auf den Wert zu, welche durch die direkte Rede des Mannes deutlich wird. Summarisch erfährt der Leser schließlich nach Hispalas Interventionen vor Aebutius und dem Konsul selbst noch ein drittes Mal, welch große und geschlechterübergreifende Gefahr von den Bacchanalien ausgeht, ohne hierbei inhaltlich über das ehemals weibliche Wissen Hispalas hinauszugehen.290 Der Konsul kon287 Liv. 39,14,1: peracto indicio aduoluta rursus genibus preces easdem, ut se ablegaret, repetiuit. Vgl. dazu auch Walsh 1996b, 198. 288 Vgl. Šterbenc Erker 2013, 214. 289 »Werden diejenigen mit der Waffe für die Sittsamkeit eurer Frauen und Kinder kämpfen, die durch die eigene und mit Fremden getriebene Unzucht besudelt sind? Dennoch wäre es weniger wichtig, wenn sie nur durch Schändlichkeiten weibisch geworden wären [...], ihre Hände von den Verbrechen, ihren Geist von den Freveltaten ferngehalten hätten: Niemals gab es im Staat ein so großes Übel, das mehr Menschen betraf und mehr nach sich zog. Ihr sollt wissen, dass alles, was in diesen Jahren mit Gelüsten, Frevel und Verbrechen begangen worden ist, seinen Ursprung in dieser einen Kultstätte hatte.« 290 Zur summarischen Gestalt der Perspektive des Konsuls vgl. Pausch 2011, 221; ähnlich auch Langlands 2006, 116.

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

struiert nun aber explizit eine Wertekrise der Männlichkeit (effeminati), die von diesem Kult ausgeht.291 Diese Krise eines männlichen Wertewissens erklärt zudem, warum Livius berichten kann, dass römische Institutionen nichts über die Gefahr des Kultes gewusst hätten.292 Vor dem Hintergrund einer epistemischen Konstruktion von Geschlecht zeigt sich die transgressive Bedeutung eines Wertewissens, das Hispalas Intervention gegenüber den Männern dieser Episode auszeichnet. Zudem wird in den Worten des Konsuls das Zusammenwirken von Wertezugriff und Handlungsmacht deutlich. Die Figur der ehemaligen Hetäre dient im livianischen Narrativ einer männlichen Wertekrise damit als unverzichtbarer Katalysator einer männlichen Perspektive. Sie gibt nämlich den Wissensbestand vor, der Gegenstand dieses epistemischen Transformationsprozesses ist, welcher durch das Geschlechterhandeln inszeniert wird.293 Albrecht formuliert, dass der Konsul Postumius als zentraler männlicher Protagonist stets mit umfassender administrativer Handlungsmacht ausgestattet sei und damit einen »hegemonial[en] Mann und Repräsentanten der res publica«294 abbilde. Dessen Rolle muss vor dem Hintergrund der epistemischen Funktion Hispalas neu bestimmt werden: Der Konsul ist als ein Mann ohne figurales Wertewissen unverzichtbar auf die Transgression der Frau angewiesen. Erst daraus werden männliche Handlungsmacht und erfolgreiches Krisenmanagement bei Livius generiert. So wird eine epistemische Geschlechterordnung erzeugt, die interne männliche Rezipienten der Intervention Hispalas bietet und ihr Handeln institutionalisiert. Dieses männliche Wissen ist die Bedingung dafür, die Frau schließlich nachdrücklich als Frau gemäß matronaler Ideale zu würdigen, wenn der Senat Hispala nicht nur von den Einschränkungen einer Unfreien befreit, sondern zugleich auch eine Eheschließung zwischen ihr und Aebutius ermöglicht.295 Somit endet diese Romanze aller Transgressionen zum Trotz schlussendlich mit der Konstruktion einer heteronormativen Geschlechterordnung. Diese Darstellung des Bacchanalien-Skandals als eine männliche Wertekrise ist kennzeichnend für Livius’ Erzählung, die Krise hier anhand der Kategorie des Geschlechts verhandelt. Die darin abgebildete männliche Handhabe weiblicher

291 Zur Fokussierung auf männliche Akteure vgl. Albrecht 2016, 107. 292 Walsh 1996b, 198 bezweifelt hingegen, dass dem Konsul und dem Senat tatsächlich das Wissen darüber gefehlt habe. 293 In dieser Hinsicht ist die Beobachtung einer erhöhten Leserbindung durch die parallele Nebenhandlung der Romanze, die Pausch 2011, 216 erkannt hat, um eine geschlechterspezifische Dimension zu erweitern; zum Zusammenwirken von männlichen und weiblichen Werteproblemen vgl. Langlands 2006, 120. 294 Albrecht 2016, 110. Ähnlich setzt auch Kowalewski 2002, 267 die Handlungsmacht des Konsuls absolut. 295 Liv. 39,19,3–7. Vgl. dazu auch Kowalewski 2002, 271; Briscoe 2003, 307.

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Werte rekurriert auf die livianische Debatte um die Aufhebung der lex Oppia (34,1–8). Das von Livius dargestellte Rededuell zwischen der liberalen Position des Volkstribunen L. Valerius, der für die Aufhebung des Gesetzes plädiert, und der konservativen Sicht des Konsuls Cato diskutiert dabei nicht allein die Rolle der Frau. Insbesondere steht das damit verbundene Bild männlicher Dominanz,296 aber auch die Deutungshoheit von Geschlecht zur Disposition. Zwar steht die von Livius begünstigte Position Catos, die weibliche Ausschweifungen als bedeutende Gefahr für den Staat formuliert,297 mit ihrem Verweis auf die livianische Praefatio deutlich im Zeichen der konservativen Sittenpolitik der augusteischen Zeit.298 Dennoch zeigt sich auch in den Worten des Volkstribuns L. Valerius ein beinahe unterschiedsloses Bild weiblicher Ideale. Auch dieser greift mit den Exempla der Sabinerinnen, der Frauen in der Coriolan-Episode und bei der Einführung des Magna-Mater-Kultes auf Episoden zurück, die matronale Ideale innerhalb einer heteronormativen Geschlechterordnung abbilden.299 Livius postuliert durch beide Positionen ein Frauenbild, das männliche Rezipienten dieser matronalen Ideale erfordert. Indem dieses Geschlechterbild zum Leitmotiv des augusteischen Genderdiskurses wird, muss die in der Bacchanalien-Episode geschaffene Geschlechterordnung als ein Reflex der lex Oppia-Debatte verstanden werden. Zwar lässt Livius ein Urteil über diese Debatte noch offen und bemüht stattdessen den Leser als externen Rezipienten von exemplarischer Weiblichkeit,300 da textinterne Rezipienten von Weiblichkeit fehlen. Die Bacchanalien-Episode zeigt jedoch, dass die Erzählung fortan darauf zielt, Männer in einer epistemisch übergeordneten Position zu konstruieren und sie zu Rezipienten weiblicher Ideale zu machen. So zeichnet Livius eine Krise der römischen pudicitia, die auf die Konstruktion eines männlichen Gender- und Wertewissens und damit einer normativen Geschlechterordnung ausgerichtet ist. Somit ist – anders als Albrecht vermutet – durchaus eine Krise der Männlichkeit erkennbar.301 Frauen sind nicht nur unverzichtbare Katalysatoren eines männlich regierten pudicitia-Zugriffs; vielmehr wird Weiblichkeit und weibliches Wissen für Livius punktuell zum konstitutiven Moment einer augusteischen Geschlechterordnung. Die Inszenierung von Weiblichkeit in der Erzählung des Bacchanalien-Skandals zeigt, dass die Transformation eines geschlechterspezifischen Wertewissens darauf abzielt, männliche Bewertungsinstanzen von exemplarischer Weiblichkeit zu

296 Albrecht 2016, 99 verweist auf die Konstruktion weiblicher Räume. 297 Vgl. Luce 1977, 252; Albrecht 2016, 83. 298 Vgl. Smethurst 1950, 83. Zur Catos Konservativismus und Traditionalismus in der livianischen Darstellung vgl. Walsh 1996a, 228; Kowalewski 2002, 348, 354f.; Milnor 2005, 164f. 299 Vgl. auch Albrecht 2016, 99. 300 Vgl. Chaplin 2000, 100f. 301 Vgl. Albrecht 2016, 82f.

Geschlecht und epistemische Distanz – Narrative Strukturen der römischen Krise

schaffen. Dieser Konstruktionsmechanismus von weiblichen Exempla gemäß dem augusteischen Gender- und Wertediskurs prägt die Krisenerzählung des Livius. Diese Memoria der Republik entwirft ein Krisenverständnis, in dem fehlende Instanzen der exemplarischen Rezeption zum Abbild einer Krise der Männlichkeit werden. Den Ausgangspunkt nimmt diese Entwicklung in der Darstellung der lex Oppia-Debatte. Doch nicht erst mit der Erzählung des Bacchanalien-Skandals stellt Livius eine männliche Perspektive auf Weiblichkeit bereit, die eine weibliche Rolle in der Erzählung definiert. Ein prominentes Beispiel liefert die bereits weiter oben erwähnte Episode der Scipionen-Prozesse: Darin verlobt P. Scipio Africanus aus politischen Erwägungen seine Tochter mit seinem Widersacher Tiberius Gracchus, nachdem sich dieser gegen die Verhaftung des L. Scipio eingesetzt hat. Scipios Ehefrau Aemilia ist daraufhin empört darüber, von den Überlegungen ausgeschlossen worden zu sein. Die Inszenierung von Scipios Ehefrau wird darin durch einen zweifach männlich fokalisierten Zugriff auf Weiblichkeit geschaffen, wenn sowohl Scipio selbst als auch der Senat Aemilias Rolle und auch die der Tochter Cornelia definieren.302 Einerseits wird die communis filia (38,57,7) hier zum männlichen Spielball zwischen Vater und Senat,303 sodass ihre Rolle klar männlich organisiert ist. Andererseits wird auch Aemilia zum normativen Exemplum einer Matrona,304 wenn Livius sie zwar ihren Unmut über die alleinige Entscheidung bezüglich der Verlobung der Tochter äußern, sie aber dennoch ihr generelles Einverständnis geben lässt.305 Männlich organisiertes Handeln und eine männliche Fokalisierung von Weiblichkeit liegen dieser Darstellung Aemilias zugrunde.306 Für Livius können Aemilia sowie auch Hispala in der Bacchanalien-Episode erst Geltung als Exempla beanspruchen, wenn Männer als textinterne Rezipienten ihr Handeln gemäß den weiblichen Idealen des augusteischen Diskurses würdigen können. Die Konstruktion männlicher Bewertungsinstanzen ist damit im livianischen Werk Ausdruck einer normativen Geschlechterordnung.

302 Liv. 38,57,5f.: senatum eo die forte in Capitolio cenantem consurrexisse et petisse, ut inter epulas Graccho filiam Africanus desponderet. quibus ita inter publicum sollemne sponsalibus rite factis cum se domum recepisset, Scipionem Aemiliae uxori dixisse filiam se minorem despondisse. 303 Vgl. Jaeger 1997, 158. 304 Vgl. Schuller 1987, 38. 305 Liv. 38,57,7f.: cum illa, muliebriter indignabunda nihil de communi filia secum consultatum, adiecisset non, si Ti. Graccho daret, expertem consilii debuisse matrem esse, laetum Scipionem tam concordi iudicio ei ipsi desponsam respondisse. Vgl. dazu auch 4.3.1.2. 306 Zu Scipios Handeln gemäß Aemilias Vorstellungen vgl. auch Jaeger 1997, 159.

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

4.4

Fazit

In der augusteischen Narration republikanischer Krisen konnten zwei Faktoren herausgearbeitet werden, mithilfe derer Livius diese Krisen auf der Projektionsfläche der Weiblichkeit erzählt. Ein erstes wesentliches Merkmal ist die Distanz, die Livius in der Erzählung erzeugt, um die Degeneration geschlechterspezifischer – insbesondere weiblicher – Sitten auf Abstand zu römischen Idealen zu halten. Livius nutzt in dieser vom Narrativ des zweiten Punischen Krieges bestimmten Darstellung republikanischer Krisen überwiegend nichtrömische Frauengestalten und erzeugt auf diese Weise eine Außenperspektive einer römischen Krisenwahrnehmung. Diese transgressiv inszenierten Frauen dienen dazu, deren Männer – Feinde Roms in der Kriegserzählung – geschlechtlich und moralisch zu dekonstruieren. Dies hilft Livius dabei, nichtrömische Männer in der Interaktion mit männlichen römischen Exempla moralisch zu unterwerfen. Zum moralischen Maßstab wird dabei das Ideal von römischer Männlichkeit, das als epistemische Instanz eine wertespezifische Innensicht erhält. Das zweite Merkmal dieser Krisenerzählung ist das fehlende Wertewissen von Männern. In der Erzählung der Kriege gegen Karthago sorgte das fehlende Wertewissen von nichtrömischen Männern dafür, dass diese verweiblicht wurden. So konnten gar nichtrömische Frauengestalten, die selbst über keine epistemische Innensicht verfügen, zu den übergeordneten Instanzen nichtrömischer Geschlechterverhältnisse werden. Die Darstellung innerrömischer Werteprobleme zielt in der Folgezeit darauf ab, ein verlorengegangenes Wertewissen von Männern zu reaktivieren, um dadurch eine normative Geschlechterordnung männlicher Werte-Episteme zu generieren. Es konnte nachgewiesen werden, dass Livius am Beispiel der pudicitia eine innerrömische Krise abbildet und damit einen Wert nutzt, der in der normativen Darstellung der Frühgeschichte sinnbildlich für die Narrativierung einer Geschlechterordnung des augusteischen Gender- und Wertediskurses steht. Im Einzelnen lassen diese unterschiedlichen Perspektiven auf römische Krisen Rückschlüsse auf ein römisches Werte- und Krisenempfinden zu, das auf der Grundlage von Weiblichkeit erzeugt wird. Durch nichtrömische Frauengestalten schafft Livius eine Distanz zur römischen Moral im Narrativ des zweiten Punischen Krieges, wodurch dieser Krieg schließlich zu einer Wertekrise auf Seiten der Feinde Roms wird. Am Beispiel der Numiderin Sophoniba konnte nachgewiesen werden, dass ihr stereotyp weibliches Verhalten gegenüber Syphax und Masinissa darauf zielte, die moralischen Defizite dieser Männer sichtbar zu machen. Indem sie nämlich weiblich auftritt, legt sie die Affekte von Männern und ihren Mangel an temperantia und continentia offen. Dieses weiblich evozierte Werteproblem wird durch die Figur Scipios aufgedeckt, dessen Exemplum vor diesem Hintergrund umso stärker glänzen kann. Die verweiblichten und moralisch dekonstruierten Männer konturieren am Maßstab eines römischen Wertekosmos somit nicht nur

Fazit

die Qualitäten Scipios, sondern ebenso die moralische Überlegenheit der Römer. Der Feldherr stellt bei Livius die entscheidende moralische Instanz dar. Ihm wird das Wertewissen geschlechtlich definierter Ideale zugeschrieben, das er auch gegenüber nichtrömischen Frauen zum Ausdruck bringt. Frauengestalten dienen somit dazu, die Bedeutung der Ethnizität für den augusteischen Genderdiskurs aufzuzeigen: Weiblichkeit und Verweiblichung auf Seiten der Nichtrömer reduziert deren Funktion auf die von Charaktanten eines römischen Sendungsbewusstseins, wenn moralische Defizite den römischen Werte-Exempla gegenüberstehen. Das männliche Wertewissen von Römern ist auch in der Narration einer innerrömischen Krise entscheidend, denn dort fehlen der Erzählung die epistemischen Instanzen, sodass Raum für weibliche Transgressionen gegeben und die normative Geschlechterordnung zur Disposition gestellt wird. Es konnte gezeigt werden, dass die Übernahme des pudicitia-Wissens durch die Hetäre Hispala für Livius eine notwendige epistemische Gendertransgression darstellt, um während des Bacchanalien-Skandals allen beteiligten Männern das verlorengegangene Wertewissen erneut zugänglich zu machen. So wurde deutlich, dass Wertekrisen für Livius aus einem fehlenden normativ männlichen Zugriff auf geschlechtlich markierte Ideale entstehen. Die Analyse zeigte, dass die Konstruktion männlichen Wissens zur Bedingung eines erfolgreichen Krisenhandelns wird, sodass die weibliche Transgression an der zentralen Schaltstelle dieser Bemühungen platziert wird. Dass für Livius die erfolgreiche Lösung einer Gender- und Wertekrise entsprechend in der Konstruktion eines männlichen Wertewissens liegt, das Männern die moralische Handhabe von Frauen ermöglicht, konnte anhand der Debatte um die lex Oppia aufgezeigt werden. Wie entscheidend der Wert der pudicitia den moralischen Zustand Roms kennzeichnet, wurde am Beispiel der von einem römischen Zenturio vergewaltigten Frau des Orgiago aufgezeigt: Wenn hier ein Römer sich dieses Vergehens schuldig erweist, ist dies ein weiteres Indiz einer moralischen Degeneration auf römischer Seite. Wenn zudem auch auf nichtrömischer Seite kein Mann als epistemische Instanz einer geschändeten pudicitia zu finden ist, öffnet dies beträchtlichen Raum für eine Umkehr der Geschlechterrollen. So wurde die Funktion dieser transgressiv auftretenden Frau identifiziert, die dort nun selbst für die eigene Sittsamkeit eintreten muss. Es konnte gezeigt werden, dass Livius somit keine männlichen Rezipienten von Werten auf nichtrömischer Seite verzeichnet, die diesem pudicitia-Ideal gerecht werden. Da so explizit römische Wertmaßstäbe in der Erzählung angelegt werden, wurde deutlich, dass auch hier das Kriterium der Ethnizität entscheidend ist, wenn römische Normvorstellungen von anderen Völkern unerreicht bleiben. Die weibliche Außenperspektive dient insbesondere zur exemplarischen Inszenierung einer römischen Moral, die in Opposition zu moralischen Defiziten von Nichtrömern steht. Diese Figuren bilden fern von Rom eine Wertekrise ab. Dagegen ist die Distanz, die strukturell in der Narration der innerrömischen Vorgänge nach-

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Wertekrisen auf Distanz – Livius’ Frauen und die Verlagerung der Krise

gewiesen werden konnte, auf eine epistemische Auslagerung weiblich figurierter Wertekrisen ausgerichtet. Dafür ist auf die Bedeutung von Metalepsen hingewiesen worden, die mit besonderer Deutlichkeit die Wissensvermittlung auf höhere narrative Ebenen auslagern, sodass Livius so buchstäblich auf Distanz zur Erzählung weiblicher Wertekrisen geht. Der Historiograph kennzeichnet auf römischer Seite Abweichungen von weiblichen Idealen dadurch, dass diese nicht mit der epistemischen Autorität einer auktorialen Erzählung vermittelt werden. Vielmehr wurde deutlich, dass sich die Darstellung auf andere Quellen beruft oder gar ihren Zweifel an diesen Berichten äußert, sodass Heterodoxes ausgelagert und auf deutlicher Distanz zu den Idealen des augusteischen Diskurses gehalten werden kann. Sofern die epistemischen Transgressionen von Frauen nicht dazu genutzt werden, männliches Wertewissen zu initiieren und so männliche Rezipienten weiblicher Werte-Exempla zu schaffen, wird diese Umkehr der normativen Geschlechterordnung für Livius zu einem Genderproblem, das aus der Erzählung ausgelagert wird.

5.

Krise ohne Ende? Genderkrise zwischen Republik und Prinzipat

Das Narrativ der ausgehenden Republik vom Beginn des Bürgerkrieges zwischen Sulla und Marius bis zur Einrichtung des Prinzipats ist bei Valerius Maximus von einer erheblichen Stimmung gesellschaftlicher Zerrüttung geprägt.1 Ein breites Spektrum an Frauengestalten, die Valerius im Verlauf des Bürgerkrieges auf den Plan treten lässt, zeugt davon, dass diese Epoche nicht nur eine Phase der Unruhe darstellt, sondern dass sie im Wesentlichen über das Kriterium des Geschlechts verhandelt und der Bürgerkrieg so zu einem Geschlechterproblem wird. Dies ist somit weniger eine bloße Folge der Krise,2 sondern vielmehr eine Krise von eigener Bedeutung. Im folgenden Teil dieser Arbeit soll am Beispiel verschiedener Episoden aus dem Bürgerkrieg gezeigt werden, in welcher Hinsicht diese Zeit nicht nur allein als ein konsistentes historisches Konstrukt in der Exempla-Sammlung verstanden werden muss, sondern ebenso als ein Zeitraum gelten kann, der von geschlechterspezifischen Wertekrisen geprägt ist. Während Weiblichkeit in den frührömischen Exempla ausschließlich dazu diente, ein tiberianisches Geschlechterkonzept zu inszenieren, dienen Gendertransgressionen von Frauen im Bürgerkriegsnarrativ dazu, sie in Opposition zu den Caesares zu platzieren. So kann der Konflikt entschärft und auf Pfade umgelenkt werden, die für das Kaiserhaus unproblematisch sind. Auf diese Weise wird nämlich eine direkte Konfrontation beider Konfliktparteien zugunsten der Caesares vermieden.3 Gleichzeitig macht diese Funktion von Weiblichkeit evident, dass die kaiserliche Memoria entlang ideologischer Vorgaben umgedeutet und angepasst wird. Eine Häufung weiblicher Exempla aus dieser Zeit ist vor allem vor dem Hintergrund interessant, dass sich Valerius ansonsten über-

1 Die Zeit des Bürgerkrieges zwischen Sulla und Marius wurde hinsichtlich der Darstellung bei Valerius Maximus bereits von Wiegand 2013, 177 als »schlimmste Epoche der römischen Geschichte« gedeutet. Bloomer 1992, 160 hat differenzierter die Bedeutung des Bürgerkrieges in den Protagonisten Marius, Cinna und Sulla in ihrer narrativen Funktion als negative Folien republikanischer Exempla erkannt, die sie u. a. in ihrer Gegensätzlichkeit zu Caesar als Maßstab der Inszenierung gewinnen. Für die Folgezeit stellt die Zeit zwischen dem ersten Triumvirat bis zur Festigung der Herrschaft Octavians eine geschlossene Phase der Bürgerkriegsunruhen dar, vgl. ebd., 185. 2 So versteht es hingegen Dettenhofer 1992, 775f. 3 Die Tendenz einer Aus- und Überblendung jeglicher Kritik an den Caesares ist bereits erkannt worden, vgl. Wiegand 2013, 164–166; punktuell auch Bellemore 1989, 69. Bloomer 1992, 150, 192, 206, 229 hat Valerius’ Mechanismen aufgezeigt, mit denen Widersprüchliches in Bezug auf die Caesares umgangen und Geschichte nach den Maßgaben der kaiserlichen Ideologie geformt wird.

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Krise ohne Ende? Genderkrise zwischen Republik und Prinzipat

wiegend Episoden bedient, die aus der Zeit vor 42 v. Chr. stammen und damit das Problem politischer Stellungnahme umgehen.4 Diesem Muster folgend sind es nicht die proskribierten Männer im Konflikt mit den Triumvirn, denen Valerius in seiner Darstellung der Jahre 43/42 v. Chr. besondere Aufmerksamkeit widmet, sondern Frauen, die in Opposition zum Bündnis zwischen Octavian, Antonius und Lepidus handeln. Das oben gezeigte normative Konzept, das Valerius Maximus für die Geschlechterordnung seiner Werte-Exempla entwirft,5 gerät im Verlauf der Bürgerkriege somit teils erheblich ins Wanken und zeigt, dass vor allem die Zeit des zweiten Triumvirats, aber auch die Jahre des Kampfes zwischen Sulla und Marius Phasen sind, in denen die Geschlechterordnung zur Disposition steht. Die soziale Umdeutung dieser Ordnung, durch die Frauen in aktive Rollen geraten, ist ein historischer Befund, der Frauen nach der Ermordung von Männern einen erweiterten Handlungsspielraum zugesteht.6 Die narrativen Strukturen der Facta et dicta memorabilia lassen differenziertere Schlüsse zu: Strukturell dienen Frauen dazu, in die Interaktion mit caesarischer Handlungsmacht zu treten, um ideologische Konflikte in der Inszenierung dieser Zeit zu vermeiden.7 Diese Strukturen finden besonders deutlich ihren Ausdruck in einem veränderten geschlechtlichen Zugriff auf den Wert der fides in den Rubriken 4,6 de amore coniugali und 6,7 de fide uxorum erga uiros. Dieser wird nun für Valerius Maximus zum Indikator der Krise,8 wenn fortan nicht mehr Männer, sondern Frauen diesen Wert verhandeln, der sie in direkte Interaktion mit den Konfliktparteien treten lässt. Der hier gezeigte weibliche Widerstand gegen die Triumvirn bestimmt auch die Bewertung von Hortensias Auftreten vor Gericht, deren Rede – anders als die übrigen weiblichen Normtransgressionen – in ihrer Gegnerschaft zu den Triumvirn ein explizit positives Urteil erhält. Dieser Mechanismus, Frauen stellvertretend für ihre Männer in den Konflikt des Bürgerkrieges einzubinden, kann als Strategie gedeutet werden, das Bürgerkriegsnarrativ zugunsten der Caesares zu gestalten. Ebenso zeigt sich, dass nicht

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Vgl. Bellemore 1989, 69f. Vgl. Kapitel 3.4.2. Vgl. Milnor 2005, 192–198, 207, 216; ähnlich auch Dettenhofer 1994. Wichtig ist in diesem Zuge der Befund von Bloomer 1992, 223, Octavian werde von Valerius nie in Verbindung mit den Triumvirn gebracht. Die von Freyburger 1998, 116 gesehene implizite Verbindung Octavians mit den Triumvirn auf Grundlage von Val. Max. 5,7,3; 6,7,2–3 kann dagegen nicht überzeugen. Vgl. dazu auch Kapitel 5.1.2. 8 Zur wachsenden Bedeutung der fides als weibliche Qualität in der Bürgerkriegszeit vgl. Lucarelli 2007, 133, 135; ähnlich Dixon 2004, 112. Lucarelli 2007, 164 hat in diesem Zusammenhang eine Schwerpunktsetzung auf den Wert der fides im Kontext der Ehe für die beiden vorchristlichen Jahrhunderte ausgemacht. Nach Honstetter 1977, 38 stelle die fides einen zentralen Wert für das gesamte sechste Buch dar. Diese Beobachtung gilt es im Folgenden hinsichtlich der Krisendarstellung innerhalb des 1. Jh. v. Chr. zu differenzieren.

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nur Männer der Gegenpartei zur Triumviratszeit, sondern bereits seit sullanischer Zeit erheblich ambivalent inszeniert werden.9 Dies gilt besonders für C. Marius, für den erstmalig eine Übertragung eines männlichen Wertewissens auf Frauen festzustellen ist und der auf diese Weise selbstständig eine Dekonstruktion von Männlichkeit einleitet. Indem zusätzlich sein Wirken auf auswärtige Verdienste beschränkt und durch auswärtige Frauen abgebildet wird, zeigt sich eine erzählerische Strategie, die es Valerius noch erlaubt, Marius unproblematischer in die Erzählung des Bürgerkrieges zu integrieren, als es für die Exempla in Gegenwart der Caesares möglich ist. Einen weiteren diachronen Kontrast zur Darstellung der Caesares bilden die Frauen-Exempla in 9,1 de luxuria et libidine ab, die deutlich auf männliches Fehlverhalten und die Dekonstruktion von Männern als Werte-Exempla abzielen. Das folgende Kapitel nutzt ein zweischrittiges Vorgehen, das der abweichenden Geschichtswahrnehmung von Bürgerkriegs- und Prinzipatszeit in der ExemplaSammlung Rechnung trägt.10 In einem ersten Schritt wird das Krisenhafte der Bürgerkriegszeit aufgezeigt, das oben bereits skizziert wurde. Im zweiten Schritt wird dann am Beispiel von kaiserzeitlichen Exempla gezeigt, dass sich diese Tendenz der Idealisierung der Caesares in den Bürgerkriegsepisoden in der Darstellung späterer Ereignisse in deutlicher Herrscherpanegyrik niederschlägt.11 Diese wird ebenfalls auf der Folie von Weiblichkeit abgebildet. Für die Bürgerkriegsepisoden soll so nachgewiesen werden, dass sie bei Valerius insofern als Krise wahrgenommen werden, als darin ein Wertekonstrukt des kaiserzeitlichen Diskurses anhand der Geschlechterordnung der ausgehenden Republik verhandelt und legitimiert wird. Eine Betrachtung der Kategorie des Geschlechts wird darüber hinaus besonders vor dem Hintergrund einer Geschichtsauffassung interessant, die nicht nur das Ende des Bürgerkrieges, sondern auch jeglicher historischer Dynamik mit der Herrschaft der Caesares erreicht sieht.12 Für die Exempla des Prinzipats bis zur Zeit des Tiberius soll davon ausgehend gezeigt werden, dass die Einrichtung des Prinzipats in zweierlei Hinsicht die Darstellung von Geschlecht prägt. Einerseits wird durch die Einsetzung und Omnipräsenz männlicher Herrscherfiguren, welche die Kontinuität des Prinzipats gewährleisten,13 ein Rückbezug auf die Werte- und Geschlechterideale hergestellt, die in der Darstellung der Frühgeschichte konstruiert wurden. In diesem Abschnitt soll gezeigt werden, dass Valerius weibliche Exempla dazu nutzt, das Herrschaftssystem

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Zur Ambivalenz in der Darstellung der Bürgerkriegsprotagonisten vgl. Bloomer 1992, 158–161. Vgl. Wiegand 2013, 37. Vgl. dazu Honstetter 1977, 82; Weileder 1998, 63. Vgl. Bloomer 1992, 185, 204f.; Wiegand 2013, 163. Wiegand 2013, 76 hat darauf hingewiesen, dass das Bestreben, eine Kontinuität von Herrschaft auszudrücken, als ein Anliegen der tiberianischen Zeit zu verstehen sei.

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des Prinzipats moralisch zu legitimieren.14 Andererseits wird dabei deutlich, dass dies mit der Konstruktion prinzipaler Männlichkeit einhergeht. Somit werden Frauen in kaiserzeitlichen Exempla stets in den Dienst eines Männlichkeitsbildes gestellt, das auf die panegyrische Inszenierung der julischen Herrscher und die Produktion einer systemkonformen Memoria ausgerichtet ist.15 Dieses Bestreben prägt den Genderdiskurs, der sich schon in den Exempla des Bürgerkrieges abbildet, da nun die Perspektive des Princeps zum Maßstab der Geschlechterordnung wird. Die folgenden Untersuchungen von Frauen-Exempla, die unmittelbar im augusteischen Herrscherhaus zu verorten sind, sollen zeigen, dass diese in der direkten Mann-Frau-Interaktion entlang der kaiserlichen Ideologie konstruiert werden.

5.1

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

Für Valerius Maximus ist der Übergang von der Republik in die Kaiserzeit ein beinahe nahtloser Prozess, dessen Inszenierung in der tiberianischen ExemplaSammlung im Sinne der Kontinuität auf jeglichen Bruch mit der republikanischen Vergangenheit verzichtet. Dieser Befund ist bereits verschiedentlich formuliert und als communis opinio in der neueren Forschung anerkannt worden.16 Untersucht man strukturelle Merkmale der Erzählung jedoch mithilfe einer Analyse der Kategorie des Geschlechts, so wird entgegen dieser communis opinio deutlich: Das erste vorchristliche Jahrhundert stellt einen weitaus weniger bruchlosen Zeitraum dar, als die oben gezeigten Beobachtungen vermuten lassen, und dennoch ist eine Krisenwahrnehmung in den Texten erkennbar. Valerius nutzt die Platzierung von Frauen vornehmlich dazu, Männer durch einen weiblich belegten Wertezugriff moralisch zu dekonstruieren. Dies soll im Folgenden am Beispiel des C. Marius gezeigt werden, der noch selbstständig zur Übertragung von moralischem Wissen und daraus resultierender Handlungsmacht auf eine Frau beiträgt. Dagegen wird in einem zweiten Schritt erkennbar, dass Männern in der Darstellung des Triumvirats auch diese aktive Handlung genommen wird. Stattdessen lässt das Narrativ Frauen zu Trägerinnen der fides werden. Das Bürgerkriegsnarrativ ist also bestrebt, Frauen als zentrale epistemische Instanzen in den Konflikt einzubinden und darin das Krisenhafte zu verorten. Konflikthaltige Rivalitäten – insbesondere gegenüber den

14 Vgl. Weileder 1998, 288–300; Wiegand 2013, 45, 162. 15 Gowing 2005, 32 hat auf die Darstellung des Tiberius als Beschützer des römischen Staates in seiner Rolle als Princeps hingewiesen und zudem dessen zentrale Bedeutung in der Memoria der frühkaiserzeitlichen Literaturproduktion aufgezeigt. 16 Vgl. Bellemore 1989, 74; Bloomer 1992, 11, 192f., 204f.; Wiegand 2013, 163, die gar so weit geht, die Zeit seit Sulla bis zum Prinzipat als bruchlos zu bezeichnen, vgl. ebd., 172f. Weniger differenziert auch Weileder 1998, 167f.

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

Caesares – werden dazu aus der Erzählung getilgt und zugleich weiblich besetzte Oppositionen geschaffen, um ein direktes Aufeinanderprallen problematischer Figurenbestände zu vermeiden.17 Das Ziel dieser Strategie liegt darin, die späte Republik und den Übergang in die Kaiserzeit konfliktfrei zu gestalten, um die moralischen Ideale ungetrübt fortleben zu lassen. 5.1.1

Weibliches Krisenwissen – weibliches Krisenhandeln

In einem Geschlechterdiskurs, der für die Zeit der ausgehenden Republik vornehmlich auf die Dekonstruktion des Männlichen abzielt, verzeichnet Valerius’ Werk Momente, in denen weibliche Transgressionen nicht nur aus fehlender Handlungsfähigkeit von Männern heraus konstruiert werden. Ebenso präsentiert es Exempla, in denen die Inszenierung von Frauen explizit durch männliches Wissen bestimmt ist und damit männliche Handlungsfähigkeit voraussetzt, die im Folgenden zu bestimmen ist. Wie bereits in der römischen Frühgeschichte schreibt Valerius auch in der Bürgerkriegszeit einer männlich markierten pudicitia punktuell erneut eine große Bedeutung zu.18 Die Konstruktion dieses Wertes zeigt, dass durch dessen Zuschreibung konkret weibliche Handlungsmacht generiert und eine Gendertransgression erzeugt werden kann. Wie bereits am Beispiel der fides gezeigt wurde, geht ein Wertewissen mit Handlungsmacht einher. Somit ist ein figuraler Wertezugriff im Bürgerkriegsnarrativ stets als Kriterium einer transgressiven Genderperformanz und bei Frauen als Anzeichen einer männlich konnotierten Genderidentität zu werten.19 Dies gilt auch für den Wert der pudicitia, wie Valerius ihn im Beispiel 8,2,3 de priuatis iudiciis insignibus von Marius und Fannia einer erneuten Verhandlung unterzieht. Die genderspezifische Prägung zeigt jedoch, dass diese Episode deutlich von der Normvorstellung der pudicitia abweicht, die in den Exempla der Frühzeit geschaffen wurde. Dabei tritt C. Marius als Richter zwischen der Frau und ihrem Ehemann C. Titinius auf, der sich aufgrund von impudicitia von ihr scheiden lassen will und die Mitgift zurückfordert. Marius wird in dieser Angelegenheit zugleich zum Richter über die weibliche Sittsamkeit, die er der Fannia als Ideal erschließt. Va-

17 Dies kann als eine Maßnahme der von Wiegand 2013, 159 erkannten Entpolitisierung des historischen Stoffes gedeutet werden. Ähnlich beschreibt dieses Bestreben einer positiven Inszenierung der Caesares Freyburger 1998, 117: »Pour éviter d’avoir à dire du mal des premieres Césars, il préfère taire les anecdotes embarrassantes ou dévier du sujet principal [...].« 18 Wohingegen Lucarelli 2007, 167 für diese Zeit insgesamt eine geringere Relevanz der pudicitiaThematik festgestellt hat. 19 Vgl. dazu auch Kapitel 5.1.2.

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lerius schreibt der Frau damit einen Wertezugriff zu, der es ihr erlaubt, später entscheidend zur Rettung des Marius vor Sullas Häschern beizutragen:20 nam cum C. Titinius Minturnensis Fanniam uxorem, quam inpudicam de industria duxerat, eo crimine repudiatam dote spoliare conaretur, sumptus inter eos iudex in conspectu habita quaestione seductum Titinium monuit, ut incepto desisteret ac mulieri dotem redderet. [...] mulierem impudicitiae sestertio nummo, Titinium summa totius dotis damnauit. [...] Fannia autem haec est, quae postea Marium hostem a senatu iudicatum caenoque paludis, qua extractus erat, oblitum, et iam in domum suam custodiendum Minturnis deductum, ope quantacumque potuit adiuuit, memor, quod impudica iudicata esset suis moribus, quod dotem seruasset illius religioni acceptum ferri debere.21 (Val. Max. 8,2,3)

Nachdem die Verurteilung wegen impudicitia also auf einer Bewertung des Marius beruhte, beschreibt diese Textstelle nun die Übernahme eines pudicitia-Zugangs durch Fannia. Es wird deutlich, dass Marius’ Handlungsfähigkeit, die von seiner Rolle als Richter hin zur passiven Bezeichnung custodiendum deductum degradiert wird, unabhängig von seinen juristischen Qualitäten konstruiert wird,22 sondern vielmehr auf der geschlechtlich markierten Epistemologie beruht. Einleitend ist Marius auf der Grundlage seines Wertezugangs in der Verhandlung wegen impudicitia in der Subjektposition und verfügt über Handlungsmacht in einer Geschlechterordnung, die Valerius Maximus durch die männliche Handhabe der weiblichen Sitten konstruiert. Somit beschreibt die Exposition dieses Exemplums den normativen Zustand einer geschlechterspezifischen Wertezuschreibung.

20 Beschreibt dieses Exemplum die Übertragung von geschlechtlicher Handlungsmacht, so wird deutlich, dass dies im Zusammenhang einer männlichen Krise des Bürgerkrieges nicht im Zeichen der »Unberechenbarkeit mancher Vorgänge vor Gericht« gelesen werden muss, wie vorgeschlagen von Honstetter 1977, 41. 21 Als nämlich C. Titinius aus Minturnae seine Ehefrau Fannia, die er im Bewusstsein ihrer Unkeuschheit geheiratet hatte, um ihre Mitgift berauben wollte, da sie aufgrund dieses Vorwurfs verstoßen worden war, ist er (Marius) als Richter zwischen beiden in einer öffentlichen abgehaltenen Anhörung hinzugezogen worden. Er nahm Titinius zur Seite und ermahnte ihn, von diesem Vorhaben abzulassen und der Frau die Mitgift zurückzugeben. [...] Die Frau verurteilte er wegen Unkeuschheit zu einem Sesterz, Titinius zur gesamten Summe der Mitgift. [...] Fannia war aber diejenige, die später Marius, der vom Senat öffentlich zum Feind erklärt, vom Schmutz des Sumpfes, aus dem er herausgezogen worden war, beschmiert und schon zur Bewachung in ihr Haus nach Minturnae fortgebracht worden war, mit allem unterstützte, was in ihrer Macht lag. Sie erinnerte sich daran, dass ihrem eigenen Verhalten zuzurechnen sei, dass sie als Unkeusche verurteilt worden war und dass seiner Zurückhaltung zuzurechnen sei, dass sie ihre Mitgift zurückerhalten hatte. 22 Auf diese Qualitäten zielt Carney 1962, 296 ab.

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

Diese männliche Handlungsmacht schwindet im Augenblick der Vorausschau auf die spätere Rettung des Marius in Fannias Haus in Minturnae im Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Sulla.23 Fannia wird als Protagonistin im abschließenden Teil des Exemplums emphatisch vorangestellt und so in Opposition zu Marius fortan in der Funktion des Subjekts positioniert, sodass eine Umdeutung der Geschlechterrollen vollzogen wird. Somit verzeichnet Valerius eine im Verlauf seiner Bürgerkriegsdarstellung auftretende Dekonstruktion des Männlichen. Ihrer späteren Initiative wird darüber hinaus mit ope quantacumque potuit erheblicher Nachdruck verliehen. Valerius schreibt ihr damit entscheidende Handlungsmacht im Bürgerkrieg zu und erzeugt eine Krise der Männlichkeit, wenn Marius in der Abhängigkeit von weiblichem Handeln verortet wird. Der Verweis auf das spätere Schicksal des Marius ist eine erratische Vorausweisung auf künftige Ereignisse des Bürgerkrieges mit demselben Figurenbestand, da die Exempla-Sammlung von fehlender Systematik im Umgang mit Verweisen auf verwandte Ereignisse gekennzeichnet ist.24 Vielmehr sind beide Ereignisse eng verknüpft: Fannias Rückbesinnung auf ihr eigenes Verschulden der impudicitia und ihre Fähigkeit der Reflexion (memor) werden zur Grundlage ihres Handelns. Damit transformiert Valerius geschlechtlich markiertes Wissen, das als ursächlich für dessen Rettung verstanden werden kann. Während nämlich zuvor das pudicitia-Wissen die Projektionsfläche von Marius’ Handeln war, ist der Zugriff auf die eigene Sittsamkeit fortan konstitutiv für Fannias transgressive Performanz gegenüber dem Mann und kennzeichnet damit eine Umkehr der Geschlechterrollen. Diese weibliche Transgression macht damit eine starke Ambivalenz in der Charakterisierung des Mannes sichtbar.25 Das ambivalente Bild des Marius wird durch die Zuschreibung von religio in diesem Exemplum verstärkt, die ihm trotz seiner Dekonstruktion auf der Geschlechterebene erhalten bleibt. Hierin liegt die Erklärung für Fannias unbedeutende Rolle in Exemplum 1,5,5,26 das Marius’ Flucht aus ihrem Haus aufgrund eines Omens thematisiert, die Frau ansonsten aber ausspart. Gleichzeitig gewährt ihm seine religiöse Kompetenz punktuelle Handlungsfähigkeit im Bereich der religio.27 Allerdings wird im Gegensatz zu seinem von religio geleiteten Handeln eine Dekonstruktion vor allem dann sichtbar, wenn er auf dieser Grundlage deutlich eingeschränkter agiert

23 Der Prozess zwischen Fannia und Titinius fällt nach ebd., 309 ins Jahr 100, während Bailey 2000b, 208 die Rettung des Marius durch die Frau in das Jahr 88 datiert, vgl. Val. Max. 1,5,5. 24 Carney 1962, 309 deutet dies als kompositorische Schwäche des Werkes. 25 Diese wurde bereits ohne eine genderspezifische Bewertung festgestellt von Wiegand 2013, 174. 26 Val. Max. 1,5,5: C. autem Mario obseruatio ominis procul dubio saluti fuit, quo tempore hostis a senatu iudicatus in domum Fanniae Minturnis custodiae causa deductus est. 27 Val. Max. 1,5,5: quo spectaculo deorum prouidentia, quod sequeretur, oblatum ratus, alioquin etiam interpretandarum religionum peritissimus. Zur schwerpunkthaften Verortung des Marius in den Rubriken de superstitionibus und de ominibus vgl. Carney 1962, 311.

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und sich mit der Flucht nach Afrika auf die einzige Option festlegt, sodass sein Handeln nach Maßgabe der religio erkennbar an Kraft verliert.28 Die Würdigung von Fannias Frauenhandeln in 8,2,3, das zur Rettung des Marius führt, steht in deutlicher Opposition zur Darstellung des Mannes, sodass das Kriterium des Geschlechts für die Inszenierung des Mannes bedeutsam ist.29 Dass der eigene weibliche Zugriff auf pudicitia für die Frauen selbst gendertransgressives Potential birgt und zur Dekonstruktion des Männlichen erheblich beiträgt, zeigt auch das Exemplum 6,1,ext.3 de pudicitia. Darin bitten teutonische Frauen Marius nach dem römischen Sieg um ihre Aufnahme in den Vesta-Kult, um nach dem Tod ihrer Männer so ihre pudicitia beweisen zu können. Auf der einen Seite ist bereits dieser Bezug auf das weibliche Ideal ein Anzeichen einer transgressiven Performanz: Die Frauen beanspruchen anstelle ihrer getöteten Männer die pudicitia für sich und nehmen sich selbst das Leben, als ihre Bitte abgelehnt wird.30 Auf der anderen Seite ist diese Transgression von auswärtigen Frauen für Valerius allerdings vor allem auf römischer Seite von Belang. Da moralische Qualitäten fehlen, die von teutonischen Männern verkörpert und epistemisch reguliert werden, ist dies ein Grund für den römischen Sieg. So wird offenkundig, dass es den Teutonen an uirtus mangelt, welche ihre Frauen stellvertretend für sie durch ihr Eintreten für pudicitia verkörpern.31 Dieses Exemplum kann zwar der Verteidigung der römischen pudicitia durch Marius dienen,32 jedoch ist besonders die dadurch entstehende Ambivalenz der Marius-Inszenierung entscheidend. Während nämlich zuvor sein Urteil bezüglich Fannias pudicitia bereits im Schatten eines späteren Wechsels der Geschlechterrollen stand, ermöglicht es die Opposition zu teutonischen Frauen zwar, seine Verdienste in Germanien in der Erzählung zu würdigen.33 Zudem hilft diese Darstellung auch dabei, Marius’ männliche Qualitäten auf außerrömische Angelegenheiten zu verlegen. Wie sehr dieser Befund im Zeichen einer Dekonstruktion von Männlichkeit steht, verdeutlicht das Exemplum Porcias, die in 3,2,15 de fortitudine von Brutus dabei beobachtet wird, wie sie sich für den Fall eines missglückten Caesar-Attentats 28 Vgl. ebd., 313, 321. 29 In dieser Hinsicht muss die These von Wiegand 2013, 174 zugunsten einer geschlechtlich definierten Ambivalenz differenziert werden, die Marius’ Handeln in Exemplum 8,2,3 als Abbild seines Ruhmes deutet. 30 Zur Subjektivität der Teutoninnen durch ihren pudicitia-Anspruch vgl. Langlands 2006, 170–172. Die männliche Zuständigkeit für pudicitia wurde bereits gezeigt in Kapitel 3.3.1 Zur Bedeutung des Selbstmordes für die weibliche Genderidentität vgl. Calhoun 1997, 165. 31 Val. Max. 6,1,ext.3: di melius, quod hunc animum uiris earum in acie non dederunt: nam si mulierum suarum uirtutem imitari uoluissent, incerta Teutonicae uictoriae tropaea reddidissent. 32 Vgl. Carney 1962, 310, 312. 33 Zur Anerkennung dieser militärischen Leistung vgl. ebd., 330, 335; ähnlich versteht auch Langlands 2006, 146 die Teutoninnen vornehmlich als Beute des Marius.

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

auf den Selbstmord vorbereitet, und von ihrem Mann zur Rede gestellt wird. Valerius Maximus schreibt auch ihr transgressives Potential zu, sodass es ihm gelingt, die männliche Instanz des Brutus, der als Caesarmörder für Valerius erhebliches Konfliktpotential birgt, durch Porcias Genderperformanz zu überblenden.34 Entsprechend lässt Valerius Maximus auch sie aufgrund ihres minime muliebris animus (3,2,15) selbst zur epistemischen Instanz der Mann-Frau-Beziehung werden, was als transgressive Inszenierung zu werten ist.35 Dies muss als Strategie verstanden werden, Brutus’ Männlichkeit zugunsten einer caesarischen Ideologie zu dekonstruieren. 5.1.2

Die Genderstruktur der fides im Spiegel der Wertekrise des Bürgerkrieges

Für die Figur des Scipio Africanus war der Wert der fides ein bedeutendes Merkmal seiner Inszenierung als domitor orbis in Kapitel 6,7 de fide uxorum erga uiros. Sie wurde bereits als Ausdruck einer Geschlechterhierarchie analysiert, innerhalb derer diese Treuebezeichnung ein Postulat an seine Frau Aemilia darstellt, das sie gegenüber der übergeordneten Instanz des Mannes zu erfüllen hat. Dabei war die Treue, die ausschließlich von der Frau ausging, ein Ideal einer normativen Geschlechterordnung.36 Diese Struktur konnte ebenso in der Inszenierung des fides-Verhältnisses zwischen Tiberius Gracchus und Cornelia in der Rubrik 4,6 de amore coniugali nachgewiesen werden. Das Leitmotiv der fides zwischen Männern und Frauen bildete mit Rückgriff auf die republikanische Memoria eine geschlechterspezifische Struktur ab, die nicht nur die asymmetrische Reziprozität dieses Wertes, sondern ebenso eine männliche Hierarchie formulierte. Dieses Verhältnis beschreibt damit ein normatives Ideal in der Genderinteraktion.37 Ausgehend von diesem republikanischen Wertekonstrukt soll im Folgenden die Krise der späten Republik als eine Wertekrise analysiert werden, welche für Valerius vornehmlich dadurch gekennzeichnet ist, dass die normative Genderstruktur der republikanischen fides erheblich ins Wanken gerät und eine Verlagerung der Handlungsmacht

34 Zur Technik der Ausblendung von heterodoxen Inhalten bei Valerius Maximus vgl. Wiegand 2013, 166f. Zur Bedeutung dieses kompositorischen Mittels für die Narrativierung einer Geschlechterordnung im Bürgerkriegsnarrativ vgl. Kapitel 5.1.2. 35 Val. Max. 3,2,15: »non est hoc«, inquit, »temerarium factum meum, sed in tali statu nostro amoris mei erga te certissimum indicium: experiri enim uolui, si tibi propositum parum ex sententia cessisset, quam aequo animo me ferro essem interemptura.« 36 Vgl. Kapitel 3.2.2. 37 Diese Reziprozität ist für Valerius Maximus Ideal dieser Beziehung zwischen den Geschlechtern, Val. Max. 4,6,praef.: legitimique amoris quasi quasdam imagines non sine maxima ueneratione contemplandas lectoris oculis subiciam, ualenter inter coniuges stabilitae fidei opera percurrens […].

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auf Frauengestalten verzeichnet. Diese Auflösung der männlichen fides-Struktur ist als Indikator einer Werte- und Geschlechterkrise der ausgehenden Republik zu betrachten, die sich in sozialen (Nah-)Beziehungen artikuliert.38 Die spätrepublikanische fides wird im tiberianischen Narrativ damit zum Leitmotiv einer frühkaiserzeitlichen Krisenwahrnehmung,39 die Valerius Maximus vor dem Hintergrund des Geschlechts abbildet. Die fides in der Mann-Frau-Beziehung dient im Folgenden dazu, die im Bürgerkriegsnarrativ veränderte Bedeutung des weiblichen Geschlechts offenzulegen. Auf der einen Seite soll gezeigt werden, dass sich die Struktur des Wertes von einem Postulat bloßer weiblicher Pflichterfüllung hin zu einer Verlagerung der Handlungsmacht wendet. Frauen wird fortan die Initiative in die Hände gelegt, ihre Männer vor den Proskriptionen zu retten.40 Auf der anderen Seite legt die Innensicht der Exempla einen gänzlich anderen Schluss nahe: Die Fokalisierung der weiblichen Figuren zeigt nämlich, dass Frauen bei Valerius Maximus trotz ihrer veränderten performativen Rolle stets als Frauen auf die Krise des Bürgerkrieges blicken und durch diese epistemische Anlage der Narration eine weibliche Bedeutung erhalten.41 So muss daher in einem ersten Schritt die geschlechtliche Bedeutung der fides-Exempla analysiert und gezeigt werden, dass der Wert eine Bürgerkriegskrise abbildet, wenn etwa in sullanischer Zeit und im Zuge der Proskriptionen Frauen zur Instanz werden, die über diesen Wert gegenüber Männern verfügt.42 Der Wert bildet damit die sozialen Auflösungserscheinungen dieser Zeit ab.43 In einem zweiten Schritt soll die Wirkung der veränderten Struktur für das Krisennarrativ des Bürgerkrieges geklärt werden. Diese narrative Eigenschaft der Exempla, in denen Frauen performativ ins Zentrum der Erzählung rücken, verzeichnet nämlich ebenso eine Veränderung der Krisenstruktur, wenn Frauen stellvertretend für Männer in die Krise involviert werden. Auf diese Weise verschieben sich die Fronten des Bürgerkriegs, wenn Frauen in die Erzählung integriert werden. Nicht mehr die Gegner der Triumvirn, sondern deren Frauen werden in Opposition zu den Caesarianern platziert. Diese Krisendarstellung spiegelt damit 38 Die Bedeutung der sozialen (Nah-)Beziehungen und als Aufgabe der Frau in Abwesenheit von Männern ist bereits von Lucarelli 2007, 135 aufgezeigt worden. 39 Vgl. Milnor 2005, 197. Zur besonderen Bedeutung der fides in Buch 6 der Exempla-Sammlung vgl. auch Honstetter 1977, 38. 40 In dieser Hinsicht kann die vielfach vertretene These einer verstärkten weiblichen Handlungsmacht in der späten Republik gestützt werden, so etwa bei Späth 1994; ähnlich Milnor 2005, 192f. 41 Lucarelli 2007, 135 hat bereits auf die Bedeutung der Familie in Val. Max. 6,7,3 als Reflex der augusteischen Restaurationspolitik hingewiesen und damit die matronale Rolle der Frauen betont. 42 Durch diese strukturelle Eigenschaft der Narration kann eine Parallele in der Wahrnehmung beider Krisen nachgewiesen werden. Zur fehlenden Verbindung von sullanischer Zeit zu den Proskriptionen vgl. Bloomer 1992, 53. 43 Zur Umkehr der fides-Struktur in Sklaven-Exempla vgl. Helmke 2022, 58–61.

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

die Kontinuitätsbestrebungen der Facta et dicta memorabilia wider, da das Narrativ durch die Einsetzung von Frauengestalten seines Konfliktpotentials beraubt wird.44 5.1.2.1 Weibliche Exempla und die Grenze der Männlichkeit

Bei einer diachronen Lektüre des Kapitels 4,6 de amore coniugali und 6,7 de fide uxorum erga uiros wird ein Bruch in der geschlechterspezifischen Zuständigkeit für die fides augenscheinlich. Die Archetypen, die für beide Exempla-Reihen geschaffen werden, bilden eine Geschlechterordnung ab, in der entsprechend der fides-Struktur mit Tiberius Gracchus und Scipio Africanus Männer als die übergeordnete Instanz inszeniert und Frauen in einem Abhängigkeitsverhältnis eines geschlechtlich markierten Beziehungsgefüges verortet werden. Die folgenden Exempla aus der Zeit Sullas und des zweiten Triumvirats zeigen hingegen deutlich, dass dieser Wert ein Indikator einer in der Auflösung begriffenen Geschlechterordnung ist und damit ein soziales Problem offenlegt. Wenn sich die Struktur des Wertes verändert, kann darin eine Verlagerung der geschlechtlich markierten Handlungsmacht abgelesen werden, die Frauen dennoch auf der Grundlage der fides in eindeutig weiblichen Exempla platziert. Die Forschung hat bereits vielfach konstatiert, dass das fides-Verhältnis nicht von einer ausgewogenen Wechselseitigkeit bestimmt ist, sondern ein asymmetrisches soziales Machtgefüge zwischen dem Träger und dem Empfänger der fides beschreibt.45 Auffällig ist, dass Valerius Maximus dieses Gefüge im Verlauf der Bürgerkriegszeit zugunsten von Frauen umdeutet und ihnen damit neue exemplarische Handlungsräume in ehelichen Beziehungen erschließt. Valerius schafft ein Verhältnis zwischen Mann und Frau, in dem – anders als in den vorangegangenen Exempla 4,6,1–2 – nun auch Frauen aktiv ihrer Treue Ausdruck verleihen. In einem reziproken Wirkungsgefüge erweist Orestilla, die Frau eines Sullaners, ihrem Mann fides, indem sie ihm im Kriegsverlauf treu bis nach Asien folgt. Im Gegenzug beweist dieser ihr die Treue, als er sich nach ihrem Tod ebenfalls das Leben nimmt.46 Weiblichkeit dient hinsichtlich der ehelichen Treue nicht mehr dazu, eine männlich regierte Kardinaltugend und männliche Memoria zu inszenieren. Stattdessen wird Treue nun als ein Wechselverhältnis dargestellt, das die eheliche

44 Zur Vermeidung des Konfliktpotentials durch die Ausblendung von Augustus’ Beteiligung am Triumvirat vgl. Freyburger 1998, 112, 116; Wiegand 2013, 165–167. Zur Auswahl des Figurenbestandes auf Seiten der Proskribierten vgl. Freyburger 1998, 117; Milnor 2005, 193. Diese Strategie wurde auch für die Platzierung von Sklaven-Figuren nachgewiesen, vgl. Helmke 2022, 65f. 45 Vgl. Heinze 1929, 151; Pöschl 1980, 8f.; Hölkeskamp 2004, 115f. 46 Val. Max. 4,6,3: atque ibi uxor eius Orestilla, quae illuc eum prosecuta fuerat, morbo pressa decessisset, funerata ea et in rogum imposita inter officium unguendi et osculandi stricto ferro incubuit.

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fides als Ideal der Ehebeziehungen beschreibt.47 Valerius Maximus macht dabei die Bedeutung dieses Beziehungsgeflechts deutlich: saneque, ubi idem et maximus et honestissimus amor est, aliquanto praestat morte iungi quam distrahi uita (4,6,3). Hierbei bildet das Kriterium räumlicher Distanz, das als Chiasmus formuliert wird, den beiderseitigen Beitrag zum et maximus et honestissimus amor ab. Für die Analyse der Geschlechterordnung der fides bedeutet dies: Dieses Narrativ sieht Männer damit noch imstande, ihren Teil der fides und ihre Verbindlichkeiten in der sozialen Struktur der Ehe zu erfüllen, was Rückschlüsse auf die männliche Handlungsfähigkeit in dieser Periode des Bürgerkrieges zulässt.48 Zudem ist es nun auch eine weibliche Aufgabe, ebenfalls ihre fides als Ausdruck der Liebe aktiv buchstäblich nach außen zu tragen, da ihr dazu eine erhebliche Mobilität und damit ein ausgeweiteter Handlungsraum zugestanden werden. Einen unverkennbaren Bruch dieser Strukturen präsentiert Valerius Maximus in den Exempla aus der Zeit des zweiten Triumvirats. Die mit den Proskriptionen einhergehende Bedrohung von politischen Gegnern der Triumvirn bewirkt eine Umkehr der fides-Struktur, die sich gegenüber den Ehefrauen vollzieht und sich durch die Geschlechterrollen artikuliert. Diese strukturelle Veränderung des Wertes lässt sich exemplarisch anhand der Beziehung zwischen Turia und ihrem Mann Q. Lucretius erkennen:49 Q. Lucretium, proscriptum a triumuiris, uxor Turia inter cameram et tectum cubiculi abditum una conscia ancillula ab imminente exitio non sine magno periculo suo tutum praestitit, singularique fide id egit, ut, cum ceteri proscripti in alienis et hostilibus regionibus per summos corporis et animi cruciatus uix euaderent, ille in cubiculo et in coniugis sinu salutem retineret.50 (Val. Max. 6,7,2)

47 Diese Schwerpunktsetzung und der Rückbezug auf eheliche Ideale ist Ausdruck eines »grundlegenden Wandels, der das valerische Bild der Ehebeziehungen und ihrer gesellschaftlichen Bedeutungen in den letzten beiden Jahrhunderten der Republik prägt«, Lucarelli 2007, 164. Heinze 1929, 165 und Hölkeskamp 2004, 108, 117f. verstehen fides als einen Ausdruck sozialer Machtverhältnisse, die sich auch innerhalb von sozialen Nahbeziehungen wie der Ehe artikulieren, und bieten damit ein Wertekriterium, das an genderorientierten Maßstäben bewertet werden kann, wenn Macht als geschlechtliche Handlungsmacht verstanden wird. 48 Gloyna 1999, 69 hat anhand von Cicero die Bedeutung der durch fides gebotenen Verbindlichkeiten als »Grundlage für Stabilität (stabilitas) und Beständigkeit (constantia)« beschrieben; ähnlich Hölkeskamp 2004, 108. 49 Zur Unterscheidung dieses Exemplums von der als laudatio Turiae bekannten Inschrift vgl. Milnor 2005, 214f. 50 Q. Lucretius, proskribiert von den Triumvirn, wurde von seiner Ehefrau Turia zwischen der Schlafzimmerdecke und dem Dach versteckt. Mit nur einem Sklavenmädchen als Mitwisserin bewahrte sie ihn nicht ohne Gefahr für sich selbst vor dem drohenden Tod. Dies tat sie mit so einzigartiger

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

Subjekt der Erzählung ist Turia, die im Zuge der Proskriptionen also die Handlung lenkt. Männliche Handlungsfähigkeit tritt dabei in den Schatten weiblicher Versuche, ihren Ehemann vor der drohenden Ermordung zu retten. Während in früherer Zeit die eheliche fides eine wechselseitige Interaktion bezeichnete, fehlt es der am Beispiel von Turia erkennbaren Struktur des Exemplums an einer solchen Reziprozität. Lucretius wird nämlich lediglich als proscriptum a triumuiris bezeichnet und damit seiner Handlungsfähigkeit beraubt. Seine Ehefrau ist dagegen durch ihre singularis fides imstande, seine Rettung zu übernehmen. Nicht nur eine bloße Verlagerung der Handlung auf Frauen zeichnet dieses Exemplum nach.51 Vielmehr kann mithilfe dieses Wertes ein differenzierterer Befund gemacht werden: Anhand der fides und der Handlungsmacht, die sich aus der moralischen Verpflichtung für die Frau ergibt, wird die Transgression der weiblichen Genderidentität deutlich, wenn der Wert die Konstruktion der Genderidentitäten bestimmt. Turia nimmt durch ihre fides die übergeordnete Position ein, in der die Treue ein weiblich markiertes Postulat an die Frau darstellt. Dagegen begibt sich Lucretius ihr gegenüber in eine passive Position und unterliegt damit der Macht seiner Frau.52 Die Inszenierung eines Treue- und Abhängigkeitsverhältnisses in dieser familiären Beziehung ist damit für Valerius Maximus ein Geschlechterproblem, das sich aus der Bedrohung durch die Triumvirn ergibt. Für ihre proskribierten Widersacher ist diese mit dem Verlust der männlichen Handlungsmacht verbunden. Weitere Implikationen für die Darstellung von Männern im Bürgerkriegsnarrativ lassen sich daraus ableiten: Valerius Maximus schafft in den Rettungsinitiativen der Frauen einen Handlungsraum für Männer, der diese einer direkten Krisenbeteiligung entzieht: ille in cubiculo et in coniugis sinu salutem retineret (6,7,2). Der weibliche Raum des cubiculum verbildlicht die Eingrenzung des männlichen Raumes, in dem allein Lucretius noch abseits des direkten Konflikts mit den Triumvirn Handlung zugestanden wird (ille [...] retineret).53 Nicht nur die Seite der Triumvirn wird in dieser Darstellung ausgeblendet.54 Ebenso wird das männliche Handeln

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Treue, dass jener – während die übrigen Proskribierten unter größten Qualen von Körper und Geist geradeso in fremde und feindliche Gegenden entkamen – in seinem Schlafzimmer und an der Brust seiner Gattin unversehrt blieb. Vgl. dazu beispielhaft Milnor 2005, 192f.: »The fact that women [...] are such significant players in the proscription tales both accords them a very real role in one of the signal episodes of late republican history, and marks the period as somehow distinct from the standard record of public events.« Zur passiven Position des Untergebenen in der sozialen Hierarchie der fides vgl. Hölkeskamp 2004, 113, 115f.; ähnlich Pöschl 1980, 9. Zum Rückzug in die engste private Sphäre vgl. Milnor 2005, 197. Bloomer 1992, 223f. hat gezeigt, dass die Triumvirn anonymisiert und als Personengruppe mit dem Ziel einer Entkonfliktualisierung Octavians marginalisiert werden. Dies lässt sich als weitere

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der Gegenseite räumlich so verlagert, dass Männer aus diesem Konflikt isoliert und gegenüber einer weiblichen Werteinstanz zum passiven Objekt werden. Zwar zeigt die Umkehr der hierarchischen fides-Struktur und damit auch der Geschlechterrollen, dass die Frau mit einem erheblichen transgressiven Potential in ihrer Genderidentität ausgestattet wird. Allerdings offenbart das Handeln Turias dennoch eine starke geschlechtliche Ambivalenz, welche durch die Konstruktionsmechanismen dieses Wertes zustande kommt. Die fides verortet die Frau im privaten Raum und die Pflichterfüllung, die sich aus dem moralischen Postulat ergibt, definiert gleichzeitig Turias Rolle als Ehefrau. Das Exemplum Porcias in der Rubrik de amore coniugali, in dem ihre tödliche Selbstgeißelung nach dem Tode ihres Mannes als Ausdruck ihrer Liebe mit tuos quoque castissimos ignes (4,6,5) bezeichnet wird, weist eine vergleichbare Ambivalenz auf. Es konstruiert ihre ehelichen Treuebezeugungen am Maßstab ihrer castitas. Es wird ein Wertebegriff bemüht, welcher – der Beziehung des amor entsprechend – ein weibliches Idealbild formuliert, an dem Porcias Tat bemessen wird.55 Da all diese Exempla weiblicher fides eine Übernahme der Handlungsmacht durch Frauen verzeichnen, ist es notwendig, die Genderidentitäten der Frauen neu zu bestimmen und dabei die weibliche Fokalisierung zu berücksichtigen. Dies wird am Beispiel der Sulpicia deutlich, die ihrem proskribierten Ehemann zum Ausdruck ihrer Treue auf dessen Flucht folgt und sich schließlich sogar selbst proskribiert. So bildet die ihr zugeschriebene Motivation ihrer fides eine genuin weibliche Perspektive auf diese Wertekrise ab: ut ei fides sua in coniuge proscripto constaret (6,7,3). Die fides und die daraus folgende Handlungsmacht werden also in die Hand von Sulpicia gelegt.56 Valerius konstruiert dieses Werteideal damit im Spannungsfeld von weiblicher Handlungsmacht, die aus dem Wertezugriff erwächst, und weiblicher Pflichterfüllung im Beziehungsgeflecht der Ehe, die sie explizit als Frauen in die Krise des Bürgerkrieges integriert.57 Dieser weibliche Zugriff auf die fides wird daran deutlich, dass es anders als im oben gezeigten Exemplum der Orestilla nicht mehr der Mann ist, der sich auf den Tod der Frau

geschlechtlich markierte Maßnahme einer Entpolitisierung des historischen Stoffes deuten, vgl. Wiegand 2013, 159; ähnlich auch Maslakov 1984, 452. 55 Val. Max. 8,15,12: et ex omnibus matronis centum, ex centum autem decem sorte ductae de sanctissima femina iudicium facerent, cunctis castitate praelata est. Entsprechend versteht Bloomer 1992, 188 den Selbstmord Porcias nicht als einen politischen Akt, sondern als Ausdruck ehelicher Verpflichtungen einer Frau gegenüber dem Ehemann. Zur Rezeption von Porcias Exemplums als weibliches Ideal vgl. Dixon 2004, 105. 56 Zum exemplarischen Wert der Sulpicia als Abbild restaurativer weiblicher Tugenden vgl. Hallett 2011, 85. 57 So bezeichnet sie auch ebd., 92 als »a religiously endorsed paragon of chastity«. In dieser Hinsicht hilft das Kriterium der weiblichen Innensicht, die von Milnor 2005, 192f., 198 beobachtete Konstruktion weiblicher Protagonistinnen genderspezifisch zu differenzieren; ähnlich auch bei Späth 1994, 150f.

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

hin ebenfalls das Leben nimmt, sondern hier die Frau die Möglichkeiten einer aktiven Ausübung der Treue vornehmen kann. Nichtsdestotrotz nutzt Valerius die von Frauen gewährte Treue und Loyalität gegenüber ihren Ehemännern dazu, im Spannungsfeld weiblicher Macht und männlicher Schwäche die Widersacher der Triumvirn zu dekonstruieren, indem weibliche Protagonistinnen in ihrer Qualität als Werte-Exempla an die Stelle von Männern treten. 5.1.2.2 Die fides und die Struktur der Krise

Im Bestreben, die Macht- und Konfliktverhältnisse in der Mitte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts ideologisch umzudeuten, geht es Valerius Maximus jedoch nicht nur darum, die Widersacher der Triumvirn und damit die Gegner Octavians auf der Grundlage veränderter Wirkweisen der fides unschädlich zu machen. Vielmehr konstruiert er Krisen, die das Konfliktpotential durch Erzählstrukturen in Gänze verlegen: Einen direkten Konflikt des caesarischen Lagers und dessen Gegnern verzeichnet das Narrativ nicht mehr. Stattdessen wird der Konflikt einerseits zu einem formelhaften Konstrukt,58 in dem eine Wertekrise abgebildet und mit der fides ein zentraler Wert der ausgehenden Republik verhandelt wird. Andererseits ist zu erkennen, dass Feinde der Caesares über das Mittel der Geschlechterrollen nicht nur performativ isoliert, sondern vollkommen aus der Erzählung getilgt werden. In ihrer Funktion als Charaktanten der Frauen konturieren sie nur noch einen Konflikt, in dem nun ihre Ehefrauen der caesarischen Gegenseite gegenüberstehen. Im diachronen Blick auf die weibliche Genderperformanz zeigt sich so eine sukzessive Vermännlichung – erst durch die Einbindung in männliche Sphären, dann durch die Übernahme von Handlungsmacht. Erzeugen kann Valerius dies in Abhängigkeit von der oben gezeigten fides-Struktur. In dieser Darstellungsweise handelt es sich um einen narrativen Mechanismus, durch den ein ideologisches Krisenmanagement in der Krisenerzählung des Valerius Maximus offenkundig wird, wenn ambivalente Genderidentitäten von Frauen an der Front dieses Konfliktes platziert werden. Besonders deutlich tritt das Bestreben, ein Aufeinanderprallen der Bürgerkriegsparteien zugunsten der panegyrischen Inszenierung der Caesares zu vermeiden, im Exemplum von Caesars Tochter Iulia in der Rubrik 4,6 de amore coniugali zutage. Sie bricht erschüttert zusammen, als sie ein blutgetränktes Kleidungsstück ihres Mannes Pompeius erkennt und daher dessen Tod vermutet. Daraufhin erleidet sie eine Fehlgeburt, was Valerius mit einer folgenschweren Entwicklung des Bürgerkrieges in Verbindung bringt:

58 Vgl. Maslakov 1984, 444f.

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territa metu, ne qua ei uis esset adlata, exanimis concidit, partumque, quem utero conceptum habebat, subita animi consternatione et graui dolore corporis eicere coacta est, magno quidem cum totius terrarum orbis detrimento, cuius tranquillitas tot ciuilium bellorum truculentissimo furore perturbata non esset, si Caesaris et Pompei concordia communis sanguinis uinculo constricta mansisset.59 (Val. Max. 4,6,4)

Iulias Exemplum ist gezeichnet von der Feindschaft zwischen Caesar und Pompeius. In dieser Konstellation wird sie als Mutter eines Kindes in diesen Konflikt eingebunden, das als Verbindung zwischen beiden verfeindeten Seiten gedient hätte. In ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter lässt Valerius Iulia weiblich auftreten. Dennoch: Die Erzählung inszeniert die Frau im Spannungsfeld von Genderidentitäten, wenn sie eine eindeutig weibliche Identität als Mutter des Kindes fordert und zugleich die Verantwortung des Bürgerkrieges auf ihre Schultern lädt. Diese Verantwortung enthebt sie ihrer matronalen Rolle und erzeugt eine deutliche Genderambivalenz in Iulias Charakterisierung, indem der Verlust ihres Kindes als Unterpfand der Eintracht emphatisch durch das Hyperbaton magno [...] detrimento abgebildet wird.60 Der Intention folgend, die Bürgerkriegszeit ideologiekonform mit dem Bild der Caesares in der tiberianischen Zeit in Einklang zu bringen, werden Iulias Trauer um Pompeius und ihre Fehlgeburt politisiert. Durch Iulias Platzierung kann eine Verantwortung Caesars für den Krieg verschwiegen und eine Schuldzuweisung an Pompeius vermieden werden. So wird Weiblichkeit politisch und ideologisch eingebunden, um beide Konfliktparteien in die Erzählung zu integrieren.61 Ein Aufeinanderprallen beider Seiten vermeidet Valerius durch diese weibliche Instanz. So schafft er es, die Verantwortung in ideologisch unproblematische Hände zu legen. Zudem wird mit der erzählerischen Strategie der Selektion und Über- und Ausblendung der eigentliche Konflikt aus dem Narrativ isoliert.62

59 Von der Furcht, dass ihm irgendeine Gewalt angetan worden sei, in Schrecken versetzt brach sie ohnmächtig zusammen, und das plötzliche Entsetzen sowie der schwere körperliche Schmerz brachten sie dazu, das Kind, das sie in ihrem Bauch trug, mit einer Fehlgeburt auf die Welt zu bringen – mit einem großen Schaden für die ganze Welt. Deren Ruhe wäre nicht durch das überaus furchtbare Wüten so vieler Bürgerkriege gestört worden, wenn die Eintracht zwischen Caesar und Pompeius durch Bande gemeinsamen Blutes unauflöslich geblieben wäre. 60 Zur genderspezifischen Bedeutung von weiblicher Verantwortung bei Valerius Maximus am Beispiel von Coriolans Mutter Veturia vgl. Kapitel 3.4.1. 61 Zur Integration des Pompeius und Würdigung seiner Verdienste wird er in Opposition zu Caesar als moralische Instanz platziert, um seine Darstellung dadurch ideologisch zu entschärfen, vgl. Bloomer 1992, 187, 210f.; ferner Freyburger 1998, 114f. 62 Zu den Techniken des ideologiekonformen Erzählens vgl. auch Maslakov 1984, 444f.; Bloomer 1992, 150; Freyburger 1998, 117; Wiegand 2013, 164–167.

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

Die offensichtlichste narrative Ausblendung von Widersachern der Caesares wurde bereits anhand der Porcia-Exempla aufgezeigt,63 in denen der Caesar-Mörder Brutus lediglich in seiner verwandtschaftlichen Beziehung erwähnt, ansonsten allerdings Cato, der Vater der Frau, als tugendhafter Vergleichspunkt herangezogen wird. Die Tendenz einer Marginalisierung von kritischen Figuren wie Brutus ist charakteristisch für ihre Inszenierung in diesem Werk.64 Die fides, die Brutus von Porcia erwiesen wird, verlagert sich durch die Gleichsetzung der Frau mit ihrem Vater (mulierbri spiritu uirilem patris exitum imitata) auf einen für Valerius unproblematischen Figurenbestand. Durch den Verweis auf ihren Vater erhält Porcia eine transgressive Genderidentität und wird im vorliegenden Exemplum in den Fokus der Aufmerksamkeit gestellt. Zugleich wird sie durch die imitatio von Catos Tugenden von ihrem Ehemann distanziert. Diesen charakterisiert Valerius aufgrund seiner moralischen Integrität als abstraktes Werte-Exemplum positiv und enthebt ihn damit seiner Gegnerschaft zu Caesar.65 Als Trägerin der Memoria des Vaters wird sie vielmehr zum tugendhaften Maßstab des Exemplums, wenn ihr Selbstmord in diesem Vergleich gar als fortius gilt. Porcia übertrifft Brutus, der hier lediglich mit apud Philippos uictum et interemptum uirum tuum als historische Relation des weiblichen Exemplums erwähnt wird, hinsichtlich der geschlechtlichen Handlungsmacht. Sie wird so zu seiner Stellvertreterin in einem Konfliktnarrativ, das Frauen in ihrer Gegnerschaft zu den Caesares platziert. Weiblichkeit wird auf diese Weise zum narrativen Mittel der Distanzierung im Sinne der von Wiegand gezeigten Tendenz der Überblendung. Die Krise wird erzählerisch nicht nur durch die Aussparung des Brutus zugunsten von Cato, sondern in zweiter Instanz durch die exemplarische

63 Vgl. Kapitel 5.1.2.1. Bloomer 1992, 188f. hat gezeigt, dass Porcia ausdrücklich als Ehefrau und nicht als politische Figur agiert. 64 Weileder 1998, 33 deutet diese Darstellung als Zeichen einer Verdammung der Caesar-Mörder. Bloomer 1992, 188–190 hat in diesem Zusammenhang Cato als die für die Darstellung der Bürgerkriegszeit ideologisch unproblematischere Figur erkannt. Zur moralischen Geringschätzung des Brutus vgl. Val. Max. 6,4,5: M. Brutus, suarum prius uirtutum quam patriae parentis parricida – uno enim facto et illas in profundum praecipitauit et omnem nominis sui memoriam inexpiabili detestatione perfudit [...]. Dazu vgl. auch Bloomer 1992, 223. Weniger hart wird die Verurteilung des Brutus bei Valerius gedeutet von Freyburger 1998, 115. 65 Wiegand 2013, 167 hat diese narrative Technik als Aus- und Überblendung von problematischen Inhalten bezeichnet und am Beispiel Catos ausgeführt, dessen Gegnerschaft zu Caesar nicht nur ausgeblendet, sondern gar mit der Inszenierung Caesars überblendet wird; ähnlich auch Maslakov 1984, 454. Im konkreten Fall Catos formuliert Bloomer 1992, 190f.: »The grandness that Cato has assumed in the literary tradition simplifies Valerius‘ task: the historical character is easily introduced and the point or moral of the incident easily asserted; such a Cato is ready for rhetorical classification [...] Cato has thus been successfully stripped of any political blame, his motives are always those of an abstract virtue.«

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Inszenierung Porcias entschärft. Diese narrative Strategie kennzeichnet somit eine Verschiebung der Memoria hin zu einer weiblichen Krisennarration.66 Zweierlei zeigt diese Funktionalisierung von Geschlecht. Erstens wechselt die Bewertungsperspektive der weiblichen Normen. Während sie in der mythischen Frühzeit durch institutionelle und männliche Moralinstanzen vermittelt wurden,67 zeichnen sich die vorliegenden Exempla durch auktoriale Bewertungsperspektiven aus. Dies ist in moralischer Hinsicht als eine soziale Auflösungserscheinung der Geschlechterordnung zu deuten, wie die fides-Struktur zeigt. Diese konstruiert Weiblichkeit allerdings weniger nach den moralischen Vorgaben jenes Normempfindens, das auf die epistemische Konstruktion männlicher Exempla ausgerichtet war.68 Stattdessen richten sich diese fides-Exempla nun vielmehr nach den Geboten einer caesarischen Ideologie, wie sie die tiberianische Zeit formuliert. Zweitens hat dies im diachronen Verlauf erheblichen Einfluss auf die Genderidentitäten der Frauen. Wurde Iulias Exemplum noch bestimmt durch die Gegenwart der Caesares, so gesteht das Fehlen männlicher Protagonisten anderen Frauen wie etwa Porcia in 4,6,5 in diesen fides-Beziehungen ihren Handlungsraum zu, was das transgressive Potential dieser Figuren deutlich macht.69 Valerius spart so das Aufeinandertreffen männlicher Protagonisten auf beiden Seiten in der Erzählung dieser Krise aus und positioniert Frauen an ihrer Stelle in verantwortlicher Funktion. Es ergibt sich hieraus gleichzeitig ein qualitativer Unterschied in der Inszenierung von Weiblichkeit gegenüber dem dadurch implizierten männlichen Figurenbestand. Gänzlich auf die Inszenierung der Caesares ausgerichtet, erhält Iulia lediglich eine moralische Handlungsmacht und lotet damit die Grenzen weiblicher Genderambivalenz gegenüber ihrem Vater aus.70 Die Exempla de amore coniugali stehen damit im Zeichen einer Strategie, die Konfliktlage des Bürgerkrieges zugunsten Caesars zu entschärfen. In gleicher Weise müssen auch die Exempla de fide uxorum erga uiros gedeutet werden, wenn die beteiligten Männer, allesamt Widersacher der Triumvirn, lediglich formelhaft als proscripti a triumuiris bezeichnet werden,71 ohne den Konflikt zwischen beiden Seiten auszugestalten.72 Werden Exempla des Bürgerkriegs überwiegend im Lager 66 67 68 69

Zum politischen Einfluss der Porcia in der Darstellung bei Cic. Att. 15,11f. vgl. Späth 1994, 137. Vgl. Kapitel 3.4. Vgl. Kapitel 3.2.2. Zur Verantwortung Caesars für die moralische Regeneration im tiberianischen Narrativ vgl. Maslakov 1984, 452. 70 Ebd., 455 erkennt Valerius’ Bestreben in der moralischen Neuausrichtung der Geschichtsdarstellung, die eine Behandlung von Familiengeschichten zwar nutze, aber flexibel und diesem Zweck dienend manipuliere. 71 Diese Anonymisierung als ideologisches Mittel vgl. ebd., 452; Bloomer 1992, 224; Freyburger 1998, 116; Wiegand 2013, 166. 72 Zur Verortung der Sulpicia in Val. Max. 6,7,3 im Konflikt mit den Triumvirn vgl. Hallett 2011, 89.

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

der Verlierer rekrutiert,73 so offenbart sich bei diesen also der Bürgerkrieg als ein zunehmendes Genderproblem, das Frauen dieser Seite in Abhängigkeit von Moral und Ideologie Handlungsraum zugesteht. Valerius schafft durch diese Erzählstrategie eine Vergangenheit, die den Bürgerkrieg aus diesen Gründen wesentlich als eine weibliche Memoria konstruiert. Weiblichkeit und weibliche Gendertransgressionen ergeben sich dabei aus der Anwesenheit der Caesares und einer Dekonstruktion von Männlichkeit auf der Gegenseite. 5.1.3

Valerius Maximus und die Wertekrise: Weiblichkeit und auktoriales Urteil

Anhand der fides konnten bereits exemplarisch soziale Auflösungserscheinungen in der Zeit der Bürgerkriege hinsichtlich ihrer Geschlechterordnung in den Erzählstrukturen des Valerius Maximus zugunsten einer caesarianischen Ideologie aufgezeigt werden. Doch nicht nur am Kriterium eines geschlechtlich markierten Wertezugriffs lässt sich eine Krisenatmosphäre ablesen. Im diachronen Überblick über Frauen-Exempla der 50er und 40er Jahre bildet der Moralist eine Krisenwahrnehmung ab, die sich aus dem Wegfall von Männern in ihrer Rolle als moralische Werteinstanzen ergibt. Dieser Befund eines männlichen Defizits in moralischen Belangen hat für Valerius zweierlei Folgen: Erstens zeichnet die Exempla-Sammlung ein Bild spätrepublikanischer Männlichkeit, das deutlich von einem fehlenden Zugriff auf Werteideale geprägt ist. Diese Charakterisierung wird in der Mann-Frau-Interaktion erkennbar. Der zugrunde liegende Wertediskurs nutzt daher Frauen in ihrer Funktion als reine Charaktantinnen, um ein männliches Problem abzubilden.74 Zweitens führt dieses Geschlechterbild dazu, dass die bestätigende und männlich besetzte Rezeptionsinstanz in diesen Exempla, die den Erzählungen exemplarischen Wert zu- oder abspricht, ebenfalls ausfällt.75 Die folgenden Betrachtungen stützen sich auf die Thesen, die einen wachsenden weiblichen Einfluss im Machtvakuum nach Caesars Tod feststellen,76 und differenzieren sie in narratologischer Hinsicht. Dafür soll im Folgenden gezeigt werden, dass Valerius Maximus Männlichkeit nicht nur hinsichtlich ihrer Rolle als fides-Exempla, sondern grundsätzlich als moralische Instanz dekonstruiert. Die Exempla 9,1 de luxuria et libidine und

73 Freyburger 1998, 117: »Il est clair que les vertus des anciens Romains n’y sont plus véhuculées que par des «perdants».« 74 Das Fehlen männlicher Protagonisten in der Öffentlichkeit und die zunehmende Politisierung von Frauen ist aus historischer Perspektive bereits von Späth 1994, 141f. erkannt worden. 75 Vgl. Kapitel 3.4 und Langlands 2011, 115. 76 Vgl. zusammenfassend Dettenhofer 1994, 136–142.

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8,3 quae mulieres apud magistratus pro se aut pro aliis causas egerunt zeigen einerseits einen Zuwachs weiblicher Handlungsmacht,77 andererseits einen Zerfall männlicher Handlungsmacht, infolgedessen sich das Narrativ neuer moralischer Wahrnehmungs- und Bewertungsebenen bedient. Somit kennzeichnen diese Exempla einen moralischen Verfall, der charakteristisch für Valerius’ Darstellung der späten Republik ist.78 Auf diese Weise wird das Wertewissen nicht mehr figural vermittelt, sondern verzeichnet eine signifikante Zunahme von Werteurteilen aus auktorialer Perspektive, durch die Valerius die dekonstruierte Männlichkeit mit seiner auktorialen Urteilskraft zu kompensieren sucht. Weiblichkeit wird dabei zum Spiegel einer sinkenden männlichen Moral und motiviert das Eingreifen der Erzählinstanz, um moralisch über die Exempla zu urteilen. Die Dekonstruktion männlicher Instanzen verursacht und bedingt damit zugleich eine Umdeutung der römischen Vergangenheit aus tiberianischer Perspektive zugunsten einer weiblichen Memoria. Diese erzählerische Dekonstruktion von Männlichkeit muss als ein zeitlich definiertes Phänomen verstanden werden, das sich auf die letzten Dekaden der Republik bezieht und darin eine Krise der Männlichkeit sieht. Dagegen bleiben die normativen Ideale der frühen und mittleren Republik hinsichtlich ihrer Wertestrukturen unangetastet.79 5.1.3.1 Die libidines und die Dekonstruktion von Männlichkeit

Ein drastisches Bild eines Werteverfalls, der sich auf Seiten der Männer artikuliert und nicht zuletzt durch die Anwesenheit von Frauen lanciert wird, zeichnet Valerius in der Rubrik 9,1 de luxuria et libidine an prominenten Beispielen der römischen Aristokratie.80 Dafür liefert er libido-Exempla, die das moralische Fehlverhalten des Konsuls Metellus Scipio und des Volkstribunen (9,1,8) sowie des Catilina (9,1,9) beschreiben. In beiden Fällen argumentiert Valerius mit einer ausschweifenden männlichen Lust, die ihren Ursprung in der Einbindung von Frauen nimmt. Die beiden Prostituierten Mucia und Fulvia sowie Catilinas Geliebte Aurelia Orestilla

77 Zu Frauengestalten in männlichen Sphären in Val. Max. 8,3 vgl. Hallett 1989, 67: »Valerius Maximus’s remarks on female orators, however, suggests a resolution to these inconsistencies: namely, that the blood ties between women and similarily-behaving male kin legitimate women’s public display of what were considered masculine qualities in masculine spheres of activity, as well as providing an explanation for such masculine behavior in the first place.« 78 Lucarelli 2007, 178 hat eine Zunahme von Exempla aus der Zeit nach 200 v. Chr. festgestellt, die sich statt den mores maiorum nun den Lastern von libido und auaritia widmen. 79 Zur normativen Struktur republikanischer Werteideale vgl. Kapitel 5.1.2. 80 Honstetter 1977, 45 bezeichnet Buch 9 als Buch der uitia. Entsprechend kann dieses Buch als Abbild eines moralischen Niedergangs in Rom verstanden werden, vgl. Maslakov 1984, 448f. Zur Intention, Exempla zur Abkehr von luxuria und libido in dieser Rubrik zu schaffen, vgl. Skidmore 1996, 79–81.

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

inszeniert Valerius Maximus als passiven Ausgangspunkt männlicher libido und legt damit ein Charakteristikum der Männer offen. Diese moralische Dekonstruktion von Männlichkeit kennzeichnet einen sittenhaften Verfall im Verlauf der ausgehenden Republik als diachrones Phänomen und verdeutlicht ein Wertedefizit, das den Ausfall von Männern als moralische Instanzen konturiert. Jenseits einer weiblichen Verantwortlichkeit, die Frauen für das Handeln der Männer zukommt, konstruiert die tiberianische Erzählung die moralischen Verfehlungen der römischen Aristokraten jener Zeit als ein rein männliches Problem. Dieser männliche Ursprung des aristokratischen Werteverfalls zeigt sich deutlich im Catilina-Exemplum: uerum praecipue Catilinae libido scelesta: nam uesano amore Aureliae Orestillae correptus, cum unum impedimentum uideret, quo minus nuptiis inter se iungerentur, filium suum [...] ueneno sustulit, protinusque ex rogo eius maritalem facem accendit ac nouae maritae orbitatem suam loco muneris erogauit.81 (Val. Max. 9,1,9)

Deutlich wird hier die Geschlechterstruktur der libido erkennbar. So ist es nicht eine weibliche Zügellosigkeit, die auf Männer übergreift. Im Gegenteil: Die Figur der Aurelia Orestilla bleibt die passive Folie des von Catilinas verbrecherischer Lust geleiteten Handelns. Aus seiner von libido erfüllten Perspektive konstruiert Valerius das Exemplum. Sämtliche Überlegungen und Handlungen vermittelt er aus der Sicht des Mannes (uideret) und bringt damit ein moralisches Manko zum Vorschein, das allein Catilina eigen ist und zum Movens des Geschehens wird. Er allein wird als Urheber des Mordes an seinem Sohn dargestellt, wenn seine Lust und Liebe ihn seinen Sohn als Hindernis ausmachen lassen. Dabei wird deutlich, wie der uesanus amor auf den Mann wirkt: Jegliche Wahrnehmung, die Valerius Catilina zuschreibt, ist auf die eheliche Verbindung mit Aurelia ausgerichtet, wenn dessen Handeln auf nuptiae, martiales faces und seine noua marita beschränkt ist. Zugleich zeigt die Semantik darüber hinaus, dass Valerius mit Catilinas Ergriffenheit von Liebe ein rein männlich konnotiertes Moraldefizit widerspiegelt, da correptus in den Facta et dicta memorabilia im Zusammenspiel mit amor ausschließlich in Bezug auf Männer und zum Ausdruck ihrer sittenhaften Verkommenheit Verwendung findet.82 Damit wirken sich sowohl Catilinas Wahrnehmung, die ihm

81 Aber besonders verbrecherisch war die Lust Catilinas: Ergriffen von der rasenden Liebe nach Aurelia Orestilla, schaffte er seinen Sohn mit Gift aus dem Weg, weil er ihn als einziges Hindernis für die gemeinsame Ehe sah. Er entzündete die Hochzeitsfackel sogleich von dessen Scheiterhaufen und gab seine eigene Kinderlosigkeit anstelle eines Geschenks seiner neuen Ehefrau. 82 Val. Max. 5,7,ext.1: [...] Seleuci regis filius Antiochus, nouercae Stratonices infinito amore correptus, memor quam improbis facibus arderet, impium pectoris uolnus pia dissimulatione contegebat.

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erzählerisch zugestanden wird, als auch sein Handeln, das dieser Liebe geschuldet ist, auch auf die Handlungsfähigkeit des Mannes aus. Unterliegt er nämlich hier passiv (correptus) den Zwängen von libido und amor, so liegt eine qualitative Einschränkung männlicher Handlungsmacht vor, die als eine Norm- und Gendertransgression des Mannes gelten kann. Nicht weibliche Ausschweifungen werden für Valerius Maximus zum Gegenstand eines moralischen Exemplums.83 Vielmehr verdeutlicht die Marginalisierung der Frau, auf deren Folie dieses männliche Defizit sichtbar wird, dass der tiberianische Diskurs die Ursache eines moralischen Verfalls vor allem in einem Niedergang männlicher Sittenideale sieht. Dieser Befund gilt gleichermaßen für die semantische Breite von erogauit, das Valerius bereits in 9,1,7 als Ausdruck von quanta luxuria et libido verwendet.84 Somit wird die Bedeutung einer männlichen Lust evident, die für Catilina sämtliches Handeln in diesem Exemplum regiert. Aurelia Orestilla hingegen wird außerhalb seines Handelns verortet. Sie stellt als Objekt des amor den Ausgangspunkt von Catilinas moralischem Problem dar und ist das Ziel sowie das Motiv (nouae maritae [...] erogauit) bei der Ermordung seines Sohnes. Ausdrücklich wird die anhand von Catilina abgebildete libido ein Problem, das allein auf einem männlichen Wertewissen gründet. Das Narrativ verzeichnet nämlich in tiberianischer Zeit keinen aktiven weiblichen Einfluss mehr, der noch bei Sallust maßgeblich dafür verantwortlich war, dass beide gemeinschaftlich Catilinas Sohn ermorden.85 Die Funktion der Frau ergibt sich wesentlich daraus, dass Valerius die Exempla darauf ausrichtet, männliche uitia zu erzählen. Wenngleich der tiberianische Genderdiskurs Einfluss von Frauen auf männliches Handeln kennt,86 blendet dieses Exemplum diesen Aspekt im Catilina-Exemplum aus. Stattdessen dient Aurelia Orestilla vornehmlich als Charaktantin der männlichen libido. Noch deutlicher formuliert Exemplum 9,1,8 die männliche Urheberschaft von libido: [Gemellus] lupanari enim domi suae instituto, Muciam et Fuluiam [...] et

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Val. Max. 8,1,damn.8: non supprimenda illius quoque damnatio, qui pueruli sui nimio amore correptus [...]. Erstmals bezeichnet die Junktur amore correptus an dieser Stelle den weiblichen Einfluss auf Männer, vgl. Lambertz 1908, 1043,21. Ebenso ist uesanus in Bezug auf amor erstmals an dieser Stelle belegt, ansonsten nur in Plin. nat. 7,12,7. Zur Gefahr weiblicher Maßlosigkeit als Topos der Kaiserzeit vgl. Späth 1994, 195. Val. Max. 9,1,7: P. autem Clodi iudicium quanta luxuria et libidine abundauit! in quo, ut euidenter incesti crimine nocens reus absolueretur, noctes matronarum et adulescentium nobilium magna summa emptae mercedis loco iudicibus erogatae sunt. Sall. Cat. 15,2: postremo captus amore Aureliae Orestillae, quoius praeter formam nihil umquam bonus laudauit, quod ea nubere illi dubitabat timens priuignum adulta aetate, pro certo creditur necato filio uacuam domum scelestis nuptiis fecisse. Zur Intertextualität und der deutlichen Übernahme eines Ausdrucks »of moral indignation« vgl. auch Bloomer 1992, 112. Hierbei bietet das Kriterium des Geschlechts ein narratives Merkmal, hinsichtlich dessen Bloomers Analyse zu differenzieren ist. Vgl. Späth 1994, 195.

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

nobilem puerum Saturninum in eo prostituit. Eindeutig zeichnet die Erzählung Gemellus verantwortlich dafür, mit den Frauen und dem Knaben ein Bordell in seinem Haus eingerichtet zu haben. Auch hier sind die Frauen das bloße Objekt einer Männerbegierde. Dennoch zeigt die Semantik von prostituit nur im begrenzten Maße eine männliche Handlungsfähigkeit, die sich anhand des Verfügens über Frauen abbildet. Zusätzlich stigmatisiert es den zuvor als tribunizischen Boten bezeichneten Gemellus in seiner Tätigkeit als officii intra seruilem habitum deformis und sorgt damit für eine soziale Abwertung, die mit seiner Funktion als Kuppler korrespondiert, der Frauen zur Prostitution bereitstellt.87 Im Sinne einer sozialen Herabsetzung argumentiert Valerius in diesem Exemplum deutlich antithetisch: Gemellus steht – seiner libido ergeben und sozial abgewertet – Frauen und einem Knaben gegenüber, die Valerius allesamt der römischen Aristokratie zuordnet.88 Umso deutlicher nutzt Valerius die libido, um männliche Moraldefizite aufzudecken, eine soziale Distinktion vorzunehmen und Gemellus in deutlicher Distanz zur Aristokratie zu verorten.89 Das geschlechterspezifische Verständnis von libido prägt auf diese Weise den Werte- und Genderdiskurs, der sich in einer moralischen Krise der 60er und 50er Jahre niederschlägt. Darin gilt vor allem männliche Lust für Valerius Maximus als besorgniserregend,90 welche die Perspektive von Männern einschränkt, ihre Handlungsmacht schmälert und sie sozial herabsetzt. Während am Beispiel der fides gezeigt werden konnte, dass Valerius Maximus eine veränderte Struktur dieses Wertes dazu nutzt, männlich besetztes Konfliktpotential zu umgehen, zeigt die Funktion der libido einen weiteren Mechanismus, Konflikte in männlichen Machtstrukturen zu entschärfen. Wenn – wie Langlands gezeigt hat – »Roman virtue is of course closely associated with the exercise of power; a truely great person is one who can master his or her desires«91 , dann ist die Unfähigkeit von Catilina und Gemellus, sich den weiblich motivierten Gelüsten zu widersetzen, ganz offensichtlich ein Indiz fehlender Tugend. Die daraus gewonnene Inszenierung von Männlichkeit ist jedoch als Reflex eines Genderdiskurses zu verstehen, der im Zeichen der Prinzipatsherrschaft eine Dekonstruktion des Männlichen 87 Die Semantik von prostituo verlangt entweder ein reflexives Handeln einer sich zur Prostitution hingebenden Person oder die Figur des Kupplers, vgl. Glare 2012, 1502. Zur sozialen Geringschätzung von Kupplern vgl. Stumpp 2018, 193. 88 Mucia war die Tochter des Q. Mucius Scaevola und Ehefrau des Pompeius; Fulvia kann als Ehefrau von Clodius, Curio und Marcus Antonius identifiziert werden, vgl. Bailey 2000a, 300; Schuller 1987, 51. 89 Somit bildet diese Funktion Fulvias das Interesse der tiberianischen Zeit ab und grenzt dieses Narrativ deutlich von denen Ciceros, Appians und Cassius Dios ab, auf die sich Dettenhofer 1994, 139 bezieht. 90 Vgl. Langlands 2006, 138. 91 Ebd., 134.

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entlang der ideologischen Maßstäbe vornimmt. Valerius Maximus aktualisiert damit das Narrativ der ausgehenden Republik, das vom Konzept dekonstruierter Männlichkeit bestimmt ist. Die moralischen Defizite prominenter Figuren der spätrepublikanischen Aristokratie sind darin ein prägendes Element. So zeichnet er hier Geschlechterbilder einer imperialen Realität, indem die Geschichte mit ihren männlichen Handlungsträgern gemäß einer caesarianischen Ideologie deformiert wird.92 In der diachronen Entwicklung zeigt sich, dass Männer nicht mehr nur gemäß der kaiserzeitlichen Ideologie moralisch dekonstruiert werden. Es konnte gezeigt werden, dass die Proskriptionen den Höhepunkt dieser Dekonstruktion des Männlichen darstellen, wenn Männer beinahe gänzlich aus dem Narrativ verschwinden. Die Erzählung der ausgehenden Republik steht somit deutlich im Zeichen eines moralischen Niedergangs der späten Republik, der als eine explizit männliche Wertekrise inszeniert wird. Frauen fungieren mit Blick auf die libido vor allem als deren Marker, sind jedoch nicht mehr die entscheidenden Triebfedern. Vielmehr schafft Valerius so einen Ausgangspunkt und einen negativen Gegenpol folgender politischer Entwicklungen, die ihr Ende in der Prinzipatsherrschaft finden und mit der Caesaren-Dynastie einen moralischen Idealzustand erreichen. 5.1.3.2 sub specie feminae – weibliche Öffentlichkeit

Die Exempla-Rubrik 8,3 quae mulieres apud magistratus pro se aut pro aliis causas egerunt stellt eine geschlossene Gruppe von drei Frauengestalten dar, für deren Inszenierung ebenfalls die Bewertungen auktorial vermittelt werden. Dabei wird deutlich, dass auch hier das moralische Urteil über weibliches Handeln eng mit der Darstellung von Männern verknüpft ist. Auf diese Weise wird einerseits das Auftreten von Frauen in der Öffentlichkeit bereits zum Indikator einer Krise. Valerius selbst verwehrt Frauen nämlich nach alter Sitte generell ein öffentliches Auftreten, unter der Bedingung sed ubi domestica quies seditionum agitata fluctibus est (3,8,6) lässt er allerdings eine Abkehr von diesem Grundsatz zu.93 Andererseits steht öffentliches Frauenhandeln für Valerius Maximus jedoch wesentlich im Zeichen einer Inszenierung von Männlichkeit nach den Vorgaben der tiberianischen Ideologie, sodass das Vordringen von Frauen in den öffentlichen Raum für Valerius Maximus ein diskursives Ereignis der Kategorie Gender darstellt.94 Als wichtigstes

92 Bloomer 1992, 229: »Valerius is not just a ›slavish‹ admirer, if this slavery means the constant and consistent deformation of history along Caesarian lines.« Ähnlich Gowing 2005, 32. 93 Vgl. Val. Max. 3,8,6. Vgl. dazu Dettenhofer 1994, 133f. 94 Honstetter 1977, 41 deutet die Frage nach der Rechtmäßigkeit von Frauen vor Gericht lediglich vor dem Hintergund eines allgemeinen gesellschaftlichen Interesses für Vorgänge vor Gericht, vernachlässigt dadurch aber die Bedeutung, welche diese Exempla durch eine geschlechterspezifische Untersuchung erhalten.

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

Kriterium nutzen diese Exempla eine narrative Struktur, die Frauen in Opposition zu Männern platziert. Es zeigt sich, dass die Männer, in deren Kontext Frauen öffentlich auftreten und ihre transgressive Performanz sichtbar wird, für Valerius der entscheidende Indikator dafür sind, ob Gendertransgression entschieden getadelt oder ebenso deutlich gutgeheißen werden. Valerius lässt keinen Zweifel daran, dass das Auftreten von Frauen in diesen öffentlichen Kontexten durchaus ein Überschreiten der sozialen Normen darstellt, die für Frauen in der Kaiserzeit gelten. Eine solche Tätigkeit verstößt nämlich gegen die condicio naturae et uerecundia stolae (8,3,praef.). Dass diese Normvorstellung jedoch ambivalenten Beurteilungskriterien unterliegt, zeigt bereits das einleitende Exemplum 8,3,1. So gesteht Valerius Maximus einer Frau namens Maesia Erfolg mit ihrer Rede zu, wenn es ihr gelingt, sich vor dem Praetor L. Titius zu verteidigen und bereits nach der ersten Rede weitestgehend ihre Unschuld zu belegen.95 Das abschließende Urteil quam, quia sub specie feminae uirilem animum gerebat, Androgynen appellabant verdeutlicht jedoch das gendertransgressive Potential, das Valerius hierin sieht und sich aus einer historischen Gemengelage ergibt. Frauen drängen anstelle von Männern in die Öffentlichkeit. Im Verlauf sozialer Umwälzungen der Bürgerkriegsunruhen lassen die Umstände dies zu oder rechtfertigen es gar.96 Ganz so leicht macht Valerius Maximus die genderspezifische Beurteilung dieser vermeintlich homogenen Gruppe von Frauen jedoch nicht. Maesia wird in ihrem Auftreten zwar Erfolg beschieden, eine klare Bewertung bleibt jedoch aus.97 Erst das folgende Exemplum gibt differenzierter Auskunft über die zugrunde liegenden Bewertungsmechanismen von transgressiver Weiblichkeit. Deutlich entschiedener tadelt das Exemplum 8,3,2 das Auftreten Carfanias vor Gericht, indem es ihr Verhalten als muliebris calumniae notissimum exemplum bezeichnet und daraufhin die improbi feminarum mores verurteilt. Entscheidend für diese strikt negative Bewertung des Auftretens der Frau in der Öffentlichkeit ist die zeitliche Einordnung, die Valerius vornimmt, wenn er ihren Tod mit dem zweiten Konsulat Caesars datiert.98 Durch diesen Bezug wird dem Exemplum ein Vertreter der Caesares als oberste ideologische Moralinstanz eingesetzt.99 Valerius wendet auf diese Weise mit der sittlichen Verurteilung weiblicher Öffentlichkeit die Ideale der augusteischen

95 Val. Max. 8,3,1: motusque omnes ac numeros defensionis non solum diligenter sed etiam fortiter exsecuta, et prima actione et paene cunctis sententiis liberata est. 96 Vgl. Milnor 2005, 225f., 236. 97 Zur negativen Bewertung vgl. ebd., 224. Diese Verurteilung beider Frauen in den Exempla 8,3,1f. ist – wie zu zeigen ist – ungenau und bedarf einer Differenzierung. 98 Val. Max. 8,3,2: prorogauit autem spiritum suum ad C. Caesarem iterum Seruilium consules. 99 Zur ideologischen Einbindung der Caesares vgl. Maslakov 1984, 452.

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Restaurationspolitik an.100 Diese Darstellung bedient sich so eines Anachronismus, der die Zeit ab Caesars Konsulat hinsichtlich normativer Ideale der Weiblichkeit zu einem moralischen Kontinuum werden lässt. Unter Caesar, der als Vorfahre des Tiberius eine moralische und ideologische Autorität darstellt,101 lässt das Narrativ somit eine Abkehr von der idealen Norm von Weiblichkeit nicht zu. Es stilisiert gemäß dem Kontinuitätsdenken die caesarische Zeit bereits von ihren Anfängen an im Sinne augusteischer und tiberianischer Moralvorstellungen.102 Auf diese Weise formuliert Valerius ein normatives Weiblichkeitsbild nach den Maßgaben des Prinzipats. Diese moralische Standortbestimmung ist auch für die Bewertung der transgressiven Genderperformanz Hortensias in Exemplum 8,3,3 entscheidend. Ihre Intervention vor Gericht ist bereits einstimmig als Beispiel eines positiv beurteilten Auftretens einer Frau in der Öffentlichkeit bezeichnet worden.103 Im Verständnis eines frühkaiserzeitlichen Genderdiskurses ist ihr Auftreten von deutlicher Geschlechterambivalenz geprägt. Dieser zum Trotz ist ihre positive Beurteilung der narrativen Strategie des Valerius geschuldet, die Hortensias transgressive Performanz ideologiekonform integrieren kann: Hortensia uero Q. Hortensi filia, cum ordo matronarum graui tributo a triumuiris esset oneratus nec quisquam uirorum patrocinium eis accommodare auderet, causam feminarum apud triumuiros et constanter et feliciter egit: repraesentata enim patris facundia impetrauit, ut maior pars imperatae pecuniae iis remitteretur. reuixit tum muliebri stirpe Q. Hortensius uerbisque filiae aspirauit.104 (Val. Max. 8,3,3)

Die Gründe für die Akzeptanz und das Lob von Hortensias Intervention hat man bislang auf zwei Weisen zu erklären versucht: Einerseits wurde die Qualität ihrer weiblichen Rede gemäß der facundia ihres Vaters als Rechtfertigung ins Feld geführt. Andererseits wurde die Erklärung in den politischen Umständen des zweiten

100 Vgl. Milnor 2005, 219. 101 Vgl. Maslakov 1984, 447. 102 Dettenhofer 1994, 134f. deutet diese Aburteilung einer Frau in der Öffentlichkeit bei Valerius Maximus als Teil einer augusteischen Propaganda und glaubt, im Zuge der politischen Entwicklungen der ausgehenden Republik, in der ein verstärktes Auftreten von Frauen in der Öffentlichkeit zu beobachten sei, ein besonderes Interesse für solche Normabweichungen festzustellen. 103 Vgl. ebd., 140f.; Milnor 2005, 224f. 104 Hortensia aber, die Tochter des Q. Hortensius, trat standhaft und erfolgreich vor den Triumvirn für die Sache der Frauen ein, als der Stand der Matronen von den Triumvirn mit einer großen Abgabe belastet wurde und es kein Mann wagte, für sie die Verteidigung zu übernehmen: Sie ließ die Redegewandtheit ihres Vaters nämlich wieder aufleben und erreichte, dass ihnen der überwiegende Teil der auferlegten Abgabe erlassen wurde. Damals lebte Q. Hortensius durch seine weibliche Nachkommenschaft wieder auf und stand den Worten seiner Tochter zur Seite.

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

Triumvirats gesucht, die im entstandenen sozialen Chaos Frauen den öffentlichen Raum erschlossen.105 Neben diesen historischen Ansätzen macht die Textstruktur allerdings deutlich, dass beide Argumentationen in der Darstellung bei Valerius Maximus untrennbar miteinander verknüpft sind. Die Bezeichnung sub specie feminae uirilem animum gerebat, mit der noch Carfania abgeurteilt wurde, ist programmatisch für die Inszenierung dieser Frauengruppe in Kapitel 8,3 und Voraussetzung für die positive Bewertung Hortensias. So schafft die Frau eine weibliche Struktur der Handlung, wenn das Exemplum den Triumvirn auch hier eine Frau gegenüberstellt.106 Im gleichen Zuge spricht Valerius aber den Männern Hortensias constantia ab (constanter [...] egit) und verweiblicht sie, indem diesen die Handlungsfähigkeit genommen wird (nec [...] auderet). Diese männliche Verweigerung kann nicht nur als Reflex eines Klimas der Angst vor Proskriptionen gelten,107 sondern überträgt das am Beispiel der fides aufgezeigte Muster auf diesen öffentlichen Raum, wenn durch Frauen der Konflikt mit den Caesares entschärft wird. Mehr noch: Hortensias Erfolg wird auf die facundia ihres Vaters zurückgeführt, was Valerius durch die emphatische Stellung von repraesentata [...] reuixit in Bezug auf die Eigenschaften des Hortensius hervorhebt. So steht sich in diesem Konflikt schließlich eine ideologisch unproblematische Figurenkonstellation gegenüber, wenn mit der Beredsamkeit des Hortensius auf republikanische Ideale Bezug genommen wird. Somit nimmt hier letztendlich das Exemplum eines herausragenden republikanischen Mannes erheblichen Raum ein, sodass »das Verhalten der Tochter erst vor dem Hintergrund des väterlichen Vorbilds seine ganze Aussagekraft bekommt.«108 Auch bei der Beurteilung transgressiver Performanz von Frauen in der Öffentlichkeit des Gerichts ergibt sich der Wert dieser Frauen als Exemplum vor allem daraus, inwiefern dieses Phänomen in Einklang mit der Prinzipatsideologie gebracht oder davon abgegrenzt werden kann. Dazu nutzt Valerius Maximus den Topos von Frauen in der Öffentlichkeit und zeigt die Bedeutung dieser historischen Begebenheit an.109 Er stellt die Transgression jedoch in den Dienst einer augusteischen Restaurationspolitik, welche den Rückzug von Frauenhandeln aus der Öffentlichkeit propagiert. In diesem Sinne wird der in 8,3,2 gezeigten Transgression

105 Vgl. Hallett 1989, 66; Dettenhofer 1992, 776; Dettenhofer 1994, 141; Milnor 2005, 225, die allesamt die politischen Unruhen zum diskursiven Ereignis der Geschlechterordnung erklären. 106 Zur Opposition von Hortensia und den Triumvirn vgl. Dettenhofer 1992, 781. 107 Vgl. Milnor 2005, 188. 108 Lucarelli 2007, 142; ähnlich auch Skidmore 1996, 86. Milnor 2005, 221–226 deutet die Erscheinung der Tochter hingegen deutlich emanzipierter von ihrem Vater und weist ihrem Auftreten einen bedeutenderen eigenen Wert für die spätrepublikanische Geschlechterordnung zu. Zum Vorbildcharakter des Q. Hortensius bei Valerius Maximus vgl. Lucarelli 2007, 50; zur Ausrichtung auf führende Männer der Republik vgl. Bloomer 1992, 20. 109 Vgl. Milnor 2005, 226.

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mit der Gegenwart Caesars der Raum genommen, während Hortensias Auftreten durch die Präsenz ihres Vaters gerechtfertigt, aber durch ihre Gegnerschaft zu den Triumvirn gefordert wird. 5.1.3.3 Auktoriales Krisenmanagement durch moralische Bewertung

Diese transgressiven Inszenierungen von Frauenhandeln in den letzten Dekaden der römischen Republik stellen Valerius Maximus vor das Problem der moralischen Beurteilung. In den Exempla der frühen Republik fanden nämlich institutionalisierte Bewertungsinstanzen auf der Grundlage eines männlichen Wertewissens Geltung – eine Aufgabe, die in der Kaiserzeit den Caesares zukommt. Anhand dieser ambivalenten Darstellung von Weiblichkeit wird nun sichtbar, dass eine solche Instanz als Repräsentant normativer Ideale fehlt. Aufgrund dieser fehlenden Möglichkeit einer Figuralisierung der Bewertungsebene lässt sich an den oben genannten Exempla deutlich erkennen, dass Valerius in diesen Fällen mittels der auktorialen Perspektive zur Hilfe kommt und das moralische Urteil fällt.110 Dieser Befund ist als Reflex geschwächter Männlichkeit zu verstehen, der das Wertewissen fehlt und die so transgressiver Weiblichkeit Raum gibt. Transgressiv auftretende Frauen vertreten Männer zwar performativ, sie ersetzen sie aber nicht als moralische Instanzen. In der Funktion eines tiberianischen »Sittenrichters« macht Valerius Maximus deutlich, dass sein Werturteil vom frühkaiserzeitlichen Genderdiskurs geprägt ist. Gleichzeitig steht er vor der Herausforderung, einen moralischen Niedergang in sein Narrativ der ausgehenden Republik zu integrieren. Anhand des Exemplums 9,1,8 de luxuria et libidine zeigt sich, dass dies vor allem über die Verurteilung männlicher Sitten geschieht:111 probrosae patientiae corpora, ludibrio temulentae libidini futura! epulas consuli et tribunis non celebrandas sed uindicandas! 112 (Val. Max. 9,1,8)

110 Synoym ist dieser Modus auch als Nullfokalisierung oder unfokalisierte Erzählung zu bezeichnen, vgl. Genette 2010, 121, 123; Schmid 2008, 110f. 111 Skidmore 1996, 79f. hat zwar Männer als intendierte Leserschaft der Exempla-Sammlung identifiziert und in diesem Zusammenhang die vorliegende Rubrik dieser uitia als ein zentrales Problem römischer Moral gekennzeichnet. Eine genderspezifische Zuordnung dieser Kategorie wird allerdings nicht vorgenommen. 112 Körper von schändlicher Duldsamkeit, künftiges Spielwerk der berauschten Lust! Für Konsuln und Tribune kein Schmaus, dem beizuwohnen, sondern der zu bestrafen ist!

Bürgerkrieg und Wertekrise als Genderproblem

Diese Passage legt mit dem abschließenden Werturteil die auktoriale Perspektive offen, durch welche das gesamte Exemplum konstruiert wird. Entscheidend ist allerdings, dass anstelle eines figuralisierten Wertewissens die erzählerische Übersicht der auktorialen Perspektive Gemellus’ libido scharf verurteilt. Besonders die Nachdrücklichkeit, mit der Valerius dies hervorbringt, sticht heraus: Einerseits wird diese durch die breuitas der Ausrufe erzeugt, wenn Verbalhandlungen durch Partizipialien und Gerundiva verknappt werden. Andererseits unterstreichen alliterierende Ausdrucksweisen wie probrosae patientiae und ludibrio [...] libidini oder die parallele und antithetische Anordnung non celebrandas sed uindicandas die Schlagworte dieses Urteils. Zugleich bildet das Exemplum an dieser Stelle deutlich das Genderproblem einer moralischen Krise ab. Valerius schreibt auch hier durch die antithetische Anordnung von weiblicher Passivität und männlich gelenkter Handlung den Männern die Schuld für dieses moralische Problem zu.113 Die patientia dient nämlich als Bezug auf die weibliche Rolle, die dem ludibrium der männlichen Lust gegenübergestellt ist.114 Übernimmt Valerius Maximus durch diese Art des Urteils moralische Verantwortung, so zeigt dies einmal mehr, worin für ihn das Krisenhafte in dieser historischen Situation der ausgehenden Republik besteht: Nicht allein die Tatsache, dass Männer in den Facta et dicta memorabilia die entscheidenden Protagonisten des Sittenverfalls sind, ist Ausdruck einer Krise.115 Vielmehr stellt ihr fehlendes Wertewissen und damit der Mangel einer integren Bewertungsinstanz die Erzählung vor eine Herausforderung. Wenn etwa der Transgression von Frauen, die sich in der Öffentlichkeit des Gerichts zu Wort melden, erst durch die Caesares Einhalt geboten werden kann,116 dann machen diese Überlegungen deutlich, dass die vor-caesarische Zeit als Phase eines moralischen Vakuums verstanden werden muss. Sie wird im Gegensatz zum darauffolgenden Kontinuum der Sittenideologie des Prinzipats konstruiert, deren Anfang Valerius bereits in die Zeit Caesars vor-

113 Die weibliche patientia wird zum Ausdruck einer explizit passiven Teilhabe an der männlichen Handlung. Der Befund, dass diese Duldsamkeit erst seit Sen. contr. im Kontext von stuprum gebräuchlich ist, zeigt einen verstärkten Fokus auf die Passivität der involvierten Frauen, vgl. Stella 1990, 713,76–714,13. Vor diesem Hintergrund kann der Vorwurf einer fehlenden imitatio von väterlichen Verhaltensweisen durch die Frauen nicht als zentrales Problem gelten, wie formuliert von Lucarelli 2007, 142. 114 Skidmore 1996, 80 hat die Konstruktion von Gegensätzen zur emphatischen Inszenierung der uitia bereits als kompositorisches Merkmal der Erzählung erkannt. 115 Ebd., 19, 86–88 hat insbesondere die moralischen Qualitäten von Männern als ein geschlechterspezifisches Element der Exempla-Sammlung herausgestellt, während eine männliche Verantwortung für eine moralische Degeneration nicht thematisiert wird, vgl. dazu auch Kapitel 1.3. Zum Topos des moralischen Niedergangs in Kapitel 9,1 in der Tradition Sallusts vgl. Lucarelli 2007, 49f. 116 Vgl. Kapitel 5.1.3.2.

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verlegt.117 Fortan kann diese auktoriale Wertungsperspektive derartiges Auftreten von Frauen verdammen.118 Die fehlende Möglichkeit, Figuren moralisches Wissen zuzuschreiben, bildet somit ein Spannungsverhältnis ab, welches die tiberianische Erzählung zwischen republikanischem Sittenverfall und einer moralischen Neuorientierung konstruiert. Die auktoriale Übernahme moralischer Verantwortung ist dabei für Valerius nicht nur ein Weg, seine negative Haltung zur späten Republik in das Narrativ zu integrieren.119 Vielmehr nimmt er eine Wertungshaltung ein, die ebenso auf eine Neuausrichtung traditioneller uirtutes abzielt und gleichzeitig die republikanische Vergangenheit an den moralischen Ansprüchen des neuen Systems bemisst.120 Auf diese Weise ist die von Valerius Maximus übernommene Wertungsinstanz als Ausdruck eines auktorialen Krisenmanagements zu verstehen. Diese erzählerische Strategie hilft über die Transformationsphase, die sich in diesen Exempla in moralischer Hinsicht offenbart, hinweg und ermöglicht der Exempla-Sammlung eine Neuorientierung, die tiberianisches Wertewissen ohne figurale Protagonisten in den Wertediskurs einbringt. Auf diese Weise bietet Valerius Maximus doch deutliche Anhaltspunkte, die eine Differenzierung zwischen Republik und Kaiserzeit zulassen.121 Der kaiserzeitlichen Narration der letzten republikanischen Dekaden fehlt nämlich ein moralischer Fixpunkt, durch den eine Kontinuität der Wertevorstellung, wie sie Valerius für die Kaiserzeit etabliert, geschaffen wird. Gleichzeitig offenbart diese narrative Strategie einen Paradigmenwechsel. Galt in den Exempla der Frühzeit noch der Maßstab der mores maiorum, so zeigt die Verortung einer auktorialen Wertungsperspektive, dass für die ausgehende Republik ein verändertes Wertekonstrukt formuliert wird. Diese widmet sich mit luxuria und libido in Kapitel 9,1 insbesondere den uitia, die der frühkaiserzeitliche Wertediskurs als negative Verhaltensweisen jener Zeit erkennt.122 Die Umwälzungen zugunsten eines imperialen Systems bestimmen jedoch nicht allein die Bewertung, sondern legen zugleich die Grenzen der Memoria fest. Nirgends in der Exempla-Sammlung wird das Zusammenspiel aus Werturteil und Selektionsprinzipen so deutlich wie in den Exempla dieser Zeit: Gowing hat gezeigt, dass Valerius Maximus das Erinnerungswürdige der Figur Carfanias gemäß der tiberianischen Memoria-Kultur auf ihr Ableben begrenzt: magis quo tempore exstinctum quam quo sit ortum memoriae

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Vgl. Wiegand 2013, 71. Val. Max. 8,3,2: tale enim monstrum. Zur künstlerischen Aufarbeitung der Republik vgl. Wiegand 2013, 73. Vgl. Maslakov 1984, 454–456; zur Prinzipatsideologie in der Darstellung der Republik vgl. Milnor 2005, 186. 121 Dahingegend ist Wiegand 2013, 163 zu ergänzen, die keine Differenzierung und keinen Bruch zwischen Republik und Prinzipat wahrnimmt. 122 Dieser Paradigmenwechsel wurde bereits gesehen von Lucarelli 2007, 178.

virtus restituta – Frauen und die kaiserliche Männlichkeit

tradendum est (8,3,2).123 Dass diese Kongruenz von auktorialer Wahrnehmungsund Wertungsperspektive im Zeichen konservativer Moralvorstellungen der Caesares steht, welche die republikanische Memoria formen, lässt sich sowohl für Kapitel 8,3 als auch für Kapitel 9,1 feststellen. Carfanias Exemplum ist dabei in einer didaktischen Reihung der Beispiele von Transgression, Konsequenz und Vorbild zu deuten, wenn Maesias Charakterisierung als Androgyne von der Erinnerung an den Tod einer transgressiv auftretenden Frau gefolgt wird. Diesen wird mit einer deutlichen Ausrichtung auf die Exemplifizierung von Männern das Vorbild der Hortensia gegenübergestellt.124 Diese auktoriale Wahrnehmung, durch die eine Bewertungsperspektive zum Ausdruck kommt, liegt gleichermaßen den Exempla 9,1 de luxuria et libidine zugrunde. Das negative Urteil über diejenigen Männer, die sich der libido schuldig gemacht haben, prägt hier die Memoria der Republik. Wenn nämlich die republikanische Vergangenheit nicht getrennt von der imperialen Gegenwart betrachtet werden kann, sondern sie diese konstruiert,125 dann wird das Erinnerungswürdige auf die moralischen Qualitäten von Männern verlegt – jedoch nicht von diesen selbst, sondern durch die auktorial erzeugte Bewertung. Die mit uindicandas (9,1,8) verbundene Aufforderung, die libidines zu meiden, kennzeichnet aus auktorialer Perspektive einen Wertekonflikt, der im tiberianischen Wertediskurs einen Kontrast zwischen den verkommenen Sitten der Republik und den Idealen der Kaiserzeit herstellt. Hierfür schafft Valerius kein figurales Werturteil, nachdem Männer als Rezeptionsinstanzen dekonstruiert wurden, sondern liefert stattdessen eine auktoriale Bewertung.

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Das tiberianische Narrativ nimmt in seiner Darstellung der römischen Kaiserzeit – oder auch im Sinne des Valerius Maximus genauer: in der Zeit der Caesares – eine im Vergleich zur Republik grundlegend veränderte Zuschreibung an die Geschlechterrollen wahr. Durch die Einrichtung des Prinzipats durch Augustus werden die institutionellen Grundlagen für einen politischen wie sozialen Wandel gelegt, für den es im republikanischen System keine Möglichkeit gab.126 Das folgende Kapitel soll zeigen, dass sich diese Festigung der Verhältnisse auch auf die Ebene des Geschlechts niederschlägt. Die Zeit der ausgehenden Republik seit 123 Vgl. Gowing 2005, 55f. 124 In dieser Hinsicht muss die Beobachtung von Dettenhofer 1994, 141, Hortensia trete »ohne männlichen politischen Schutz« auf, differenziert werden. 125 Vgl. Gowing 2005, 57. 126 Vgl. Meier 1990, 55f.

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den Bürgerkriegen zeichnete sich durch stark transgressives Frauenhandeln aus. Dafür deutete Valerius sein republikanisches Wertekonstrukt um und dekonstruierte männliche Figuren in seiner Erzählung nach den Vorgaben der caesarischen Ideologie. Dagegen verzeichnet der Genderdiskurs in den Facta et dicta memorabilia einen Bruch mit dem Beginn des Prinzipats: Zwar wird die Kaiserzeit von einer wesentlich geringeren Anzahl an Exempla repräsentiert,127 welche aber mit prominenten Frauengestalten aus dem Kaiserhaus besetzt sind. Vor allem aus historischer Forschungsperspektive wurde bereits übereinstimmend festgestellt, dass die Kaiserzeit im Geiste einer augusteischen Restaurationspolitik eine Rückkehr der Frau in den häuslichen Bereich mit sich bringt. Dies geht damit einher, dass der Princeps nun die übergeordnete moralische Instanz verkörpert und so auch Geschlechterordnung ideologiekonform reguliert.128 Dieser Befund lässt sich auch für das Werk des Valerius Maximus feststellen und bedarf einer Differenzierung: Die tiberianische Darstellung des Prinzipats zielt nicht vordergründig darauf ab, Frauen dezidiert auf ihre häusliche Funktion festzulegen. In erster Linie geht es in der Exempla-Sammlung darum, den männlichen Protagonisten der Kaiserzeit eine neue Qualität als moralische Exempla zuzuschreiben. Männer ausschließlich aus dem Kreise Caesares dienen dabei nicht nur als moralische Instanzen eines neuen Systems.129 Gleichzeitig ist ihre Perspektive insbesondere auch für die Konstruktion von Weiblichkeit entscheidend. Auf diese Weise ergeben sich deutliche Wechselwirkungen aus der Darstellung von kaiserzeitlicher Männlichkeit und einer daraus resultierenden Konstruktion von Weiblichkeit nach den Normen des kaiserlichen Systems, sodass der ideologische Rahmen des Werkes klar umrissen wird.130 Auf Grundlage einer genderorientierten Betrachtung des Wertediskurses der frühen Kaiserzeit muss die These, Valerius Maximus verzeichne keine Brüche in Staat und Gesellschaft nach der Zeit Sullas hin zur Kaiserzeit,131 neu diskutiert werden. Nach einer ersten Phase des Umbruchs und der Unruhe im Verlauf des Bürgerkrieges wird mit Blick auf die Geschlechterordnung der frühen Kaiserzeit sehr wohl ein Bruch deutlich. Valerius Maximus macht nämlich mit dem Erreichen der augusteischen Herrschaft einen erneuten Umbruch in der Darstellung von Weiblichkeit erkennbar, die sich aus der neuen Rolle imperialer Männlichkeit

127 Vgl. Bellemore 1989, 69, 74. Maßgeblich für die Konstruktion einer kaiserzeitlichen Moral unter Rückbezug auf die republikanischen Sittenideale sind die Protagonisten der Republik, vgl. Bloomer 1992, 11, 20. 128 Vgl. Milnor 2005, 219; Lucarelli 2007, 166; Wiegand 2013, 63. 129 Vgl. Maslakov 1984, 454f.; Wiegand 2013, 172. Zudem sind Männer der Oberschicht als intendierte Leserschaft der Exempla-Sammlung identifiziert worden, vgl. Skidmore 1996, 79. 130 Bloomer 1992, 13 hat Unterstützer des Prinzipats als intendierte Leserschaft identifiziert und damit die ideologische Färbung des Werkes hinsichtlich der Darstellung der Kaiserzeit beschrieben. 131 Vgl. Bloomer 1992, 205; Wiegand 2013, 163, 172.

virtus restituta – Frauen und die kaiserliche Männlichkeit

ergibt. Wesentliches Merkmal dieses Umbruches im Genderdiskurs ist die qualitative Bewertung von Männlichkeit. Insbesondere die Caesares, die als Idealbild der Männlichkeit gelten, stellen den moralischen Maßstab der Exempla dar. Ihnen spricht Valerius Maximus die Rolle als telos der historischen Entwicklung Roms zu. Sie sind in der Exempla-Sammlung die Garanten einer kaiserzeitlichen Moral und stecken damit den ideologischen Rahmen ab, in dem Valerius seine Exempla konstruiert.132 Dieses an den Caesares orientierte Männlichkeitsbild bestimmt auch die Inszenierung weiblicher Exempla. Auf der einen Seite figurieren die Caesares die Wissensbestände, aus denen die moralischen Ideale kaiserzeitlicher Weiblichkeit erzeugt werden. Besonders herausragend ist dabei die Figur des diuus Augustus, der als umfassende moralische Instanz die gesamte Erzählung bestimmt.133 Das Wertewissen, das den Caesares zugeschrieben wird, ist die Grundlage einer Inszenierung kaiserzeitlicher Frauen, die sich an den Normen der Prinzipatsideologie orientiert. Auf der anderen Seite bildet dieses Konstrukt von imperialer Weiblichkeit die kaiserliche Handlungsfähigkeit ab. Sie stellt einen Reflex einer Krisenwahrnehmung dar, die eine dekonstruierte Männlichkeit in der Republik als Ausdruck einer Geschlechter- und Wertekrise verstand. Im Folgenden soll daher die Männlichkeit der Caesares und ihre Autorität für die Konstruktion einer Geschlechterordnung untersucht werden, um die Wechselwirkungen von Geschlecht und kaiserlicher Herrschaft in der Exempla-Sammlung aufzuzeigen. Im ersten Schritt wird dazu die Bedeutung von Weiblichkeit für die Konstruktion der Prinzipatsherrschaft betrachtet. Dafür wird die Episode des Traumes der Calpurnia herangezogen, die in der Nacht vor den Iden des März die Ermordung Caesars voraussieht und ihren Mann von der Teilnahme an der Senatssitzung abzuhalten versucht. In einem zweiten Schritt steht die Figur des Princeps als moralische Instanz der Geschlechterbeziehungen im Fokus, um zu zeigen, dass Valerius mit dem Kaiser einen textinternen Rezipienten schafft, der zum Abbild der kaiserzeitlichen Sittenpolitik wird.134 Auf diese Weise soll nachgewiesen werden, dass die Rolle als certissima salus patriae, die Valerius Maximus Tiberius in der Praefatio zu Buch 1 emphatisch zuschreibt, in erster Linie ein Reflex des frühkai-

132 Augoustakis 2006, 638 zieht in der Panegyrik des Valerius eine Linie von Caesar bis zu Tiberius. Zur Funktion der Caesares vgl. auch Bloomer 1992, 185. 133 Zur Funktion des Augustus als moralische Instanz vgl. ebd., 204. Das Attribut diuus ist bei Valerius Maximus bereits in den Exempla des Bürgerkrieges erkennbar, vgl. Wiegand 2013, 299. 134 Weileder 1998, 40 hat die besondere Bedeutung der augusteischen Sittenpolitik für die ExemplaSammlung nachgewiesen, ähnlich Wiegand 2013, 63.

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serzeitlichen Genderdiskurses ist, der die Figur des Kaisers inszeniert und auf der Folie der Weiblichkeit ein männliches Herrscherideal konstruiert.135 5.2.1

Calpurnia, Augustus – und die Krise des Übergangs?

Nicht nur als historischen Protagonisten erster Güte, sondern zugleich als Repräsentanten eines imperialen Wissensbestandes bindet Valerius Maximus die Figur des Princeps Augustus in die Auserzählung der frühen Kaiserzeit ein. Durch dessen Perspektive eröffnet Valerius den tiberianischen Werte- und Genderdiskurs, der die Konstruktion von Weiblichkeit bestimmt. Die Darstellung von weiblichen Normen in der Republik bediente sich noch institutionalisierter männlicher Wissensbestände. Dagegen ersetzt Valerius Maximus in seiner Erzählung der Kaiserzeit jegliches Wertewissen durch kaiserliche Bewertungsinstanzen von moralischen Idealen. Diese werden in den Exempla der Kaiserzeit durch eine umfassende Werteperspektive des Princeps geschaffen, der den zeitgenössischen normativen Idealen Ausdruck verleiht. Diese augusteisch-tiberianische Perspektive mit ihrer ideologischen Färbung gibt einen Einblick in den Weiblichkeitsdiskurs der Kaiserzeit und stellt die moralischen Ideale von Frauen des Kaiserhauses in den Dienst panegyrischer Inhalte.136 Dieses Zusammenwirken von kaiserlicher Perspektive und weiblich erzeugter Panegyrik lässt sich beispielhaft am Exemplum 1,7,2 de somniis belegen. Diese Schilderung eines Vorzeichens ist ein Charakteristikum der späten Republik. Traum-Erzählungen dienten gerade im Niedergang der Republik dazu, das politische Klima abzubilden und auch Augustus in seiner Rolle als Princeps in religiöser Hinsicht zu etablieren.137 Calpurnias Intervention gegenüber Caesar in der Absicht, ihn von der verhängnisvollen Senatssitzung an den Iden des März fernzuhalten, zeigt, dass ihre Wirkung als Exemplum vor allem darin liegt, dessen Männlichkeit zu glorifizieren. Bei Valerius ist nämlich seit den Caesares eine erstarkte männliche Handlungsfähigkeit zu beobachten, die in diesem Exemplum ihren Anfang nimmt. Mit Caesar tritt eine Wahrnehmungsperspektive der voraugusteischen Vergangenheit auf, die Kontinuität in der Darstellung dieser Geschichte schafft. So wird ein moralisches Kontinuum geschaffen und der Umbruch zwischen der von defizitärer Männlichkeit gezeichneten Republik und den Idealen der Kaiserzeit durch einen Perspektivwechsel bereits auf Caesar vorverlegt, um die nachfolgende Zeit des Umbruchs auszublenden.

135 Skidmore 1996, 114 sieht in der Tiberius-Widmung das Verhältnis zwischen Patron und Klient und verweist damit ebenfalls auf eine hierarchisch organisierte Struktur. Zur Bedeutung der Figur des Tiberius für die Konstruktion einer frühkaiserzeitlichen Memoria vgl. auch Kapitel 3.2. 136 Entgegen der These von Honstetter 1977, 20 lassen sich anhand von Frauengestalten im Umfeld der Caesares sowohl panegyrische als auch zeitkritische Elemente nachweisen. 137 Vgl. Santangelo 2013, 240–242, 245.

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5.2.1.1 Augustus-Panegyrik und Geschlechterrollen

Die Gegenwart der Caesares ist prägend für die Inszenierung von Weiblichkeit. Dies gilt nicht nur für die negative Beurteilung von weiblichen Transgressionen während der letzten Jahre der Republik vor der Herrschaft Caesars, sondern in besonderem Maße auch für die moralische Inszenierung der Folgezeit. Vor allem Kaiser Augustus wird im tiberianischen Narrativ zur Grundlage von Exempla, in denen ihm normative Bedeutung zukommt.138 Das Phänomen einer kaiserlichen Bewertungsinstanz, welche die Werteideale der tiberianischen Zeit vermittelt, wird in der Einleitung des Calpurnia-Exemplums 1,7,2 erkennbar. Darin schildert Valerius, wie Calpurnia ihren Ehemann Julius Caesar vergeblich bittet, der für ihn verhängnisvollen Senatssitzung fernzubleiben, da sie im Traum seine Ermordung vorhergesehen habe.139 Auch wenn augenscheinlich der Tod Caesars im Vordergrund dieses Exemplums steht, kommt auch diese Darstellung nicht ohne einen lobpreisenden Bezug auf die spätere Herrschaft seines Adoptivsohnes aus. Valerius verknüpft an dieser Stelle Calpurnias Version mit der Rettung des späteren diuus Augustus, die im vorangegangenen Exemplum thematisiert wurde. Der spätere Kaiser schenkt vor der Schlacht von Philippi dem Traum seines Arztes Artorius Beachtung, als dieser den erkrankten Feldherrn davor warnt, im Lager zu bleiben und so in die Fänge des Brutus zu gelangen.140 Entscheidend für die Inszenierung von Weiblichkeit ist in diesem Exemplum, dass Augustus als zentrale Figur eingesetzt wird,141 was für die Erzählung zweierlei Wirkung hat: Erstens rückt im Exemplum Calpurnias der erste Princeps in den Vordergrund, während die Ermordung Caesars vor diesem Hintergrund erheblich an Bedeutung verliert. Dabei ist die Darstellung Octavians charakteristisch für den Bericht frühkaiserzeitlicher Vorzeichen.142 Zweitens bleibt diese augusteische Perspektive ebenso für die Darstellung der Calpurnia nicht ohne Folgen, wenn ihr Exemplum mit Augustus noch eine weitere männliche Instanz erhält, welche für die Beurteilung ihres Handelns und zugleich für die Konstruktion ihrer Genderidentität ausschlaggebend ist.

138 Vgl. Wiegand 2013, 154. 139 Zur Häufung von Vorzeichen im Kontext der Ermordung Caesars vgl. Santangelo 2013, 237. 140 Val. Max. 1,7,1: eius medico Artorio somnum capienti nocte, quam dies insecutus est, quo in campis Philippiis Romani inter se exercitus concurrerunt, Mineruae species oborta praecepit, ut illum graui morbo implicitum moneret, ne propter aduersam ualitudinem proximo proelio non interesset. quod cum Caesar audisset, lectica se in aciem deferri iussit. ubi dum supra uires corporis pro adipiscenda uictoria excubat, castra eius a Bruto capta sunt. 141 Zur Ausrichtung der Exempla auf Augustus als Tendenz des frühen Prinzipats vgl. Bloomer 1992, 204. 142 Vgl. Santangelo 2013, 241.

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Augustum uero praeter naturalem animi in omnibus rebus subtiliter perspiciendis uigorem etiam recens et domesticum exemplum, ut Artori somnio obtemperaret, admonuit. audiuerat enim diui Iuli patris sui uxorem Calpurniam nocte, quam is ultimam in terris egit, in quiete uidisse multis eum confectum uolneribus in suo sinu iacentem, somnique atrocitate uehementer exterritam rogare non destitisse, ut proximo die curia se abstineret. at illum, ne muliebri somnio motus id fecisse existimaretur, senatum, in quo ei parricidarum manus adlatae sunt, habere contendisse.143 (Val. Max. 1,7,2)

Diese Darstellung von Calpurnias Traum zeigt eindrucksvoll, wie durch die Konstruktion einer epistemischen Position das Ereignis des drohenden Todes Caesars in das tiberianische Narrativ integriert wird. Der auktoriale Blickwinkel des Exemplums wird anhand der nach-augusteischen Perspektive deutlich, durch die nicht nur die Traum-Ereignisse in der Wahrnehmung des ersten Princeps verortet, sondern zuvor panegyrische Elemente bezüglich des Augustus vermittelt werden. Dadurch wird die Relevanz des Traumes für diesen in der Schlacht von Philippi unterstrichen. Entsprechend äußert Valerius diese Panegyrik, indem er Augustus naturalem animi [...] uigorem bescheinigt. Diese Eigenschaft wird im Sprachgebrauch des Autors häufig zum Lob geistiger Fähigkeiten verwendet und bezieht sich in der ExemplaSammlung auf römischer Seite beinahe ausnahmslos auf das julisch-claudische Herrschergeschlecht.144 Die apotheotische Augustus-Panegyrik wird mit seinem uigor also um eine Qualität ergänzt, die zwar eine weltliche Eigenschaft des Princeps benennt, durch das Attribut naturalem allerdings gleichzeitig auf göttliches Wirken zurückgeführt wird.145 Wardle deutet die hier gelobte Eigenschaft entsprechend 143 Ein unlängst entstandenes Beispiel aus seinem eigenen Haus ermahnte Augustus abgesehen von der natürlichen Stärke seines Geistes in der scharfsinnigen Wahrnehmung aller Ereignisse, dem Traum des Artorius Beachtung zu schenken. Er hatte nämlich gehört, dass Calpurnia, die Ehefrau seines Vaters, des göttlichen Julius, in der letzten Nacht, die er auf der Erde verbrachte, im Schlaf gesehen hatte, wie er von zahlreichen Wunden niedergestreckt in ihrem Schoß lag. Durch die Furchtbarkeit des Traums heftig erschreckt, hatte sie nicht aufgehört, ihn zu bitten, sich am nächsten Tag von der Kurie fernzuhalten. Aber jener habe darauf bestanden, die Senatssitzung abzuhalten, in der die Hände der Vaterlandsverräter gegen ihn gerichtet wurden, damit man nicht von ihm glaubte, er sei durch den Traum einer Frau bewegt worden, dies zu tun. 144 Die Bedeutung von uigor ist anhand der übrigen Verwendung bei Valerius zu erkennen: Neben diesem Bezug auf Augustus schreibt Valerius dessen Stiefsohn Drusus uigor zu (Val. Max. 4,3,3; 5,5,3). Weitere römische Vertreter dieser Eigenschaft sind mit Marcus Claudius Marcellus (3,2,5) und den Scipionen (9,11,ext.4) bedeutende Persönlichkeiten des zweiten Punischen Krieges. Auch Wardle 1998, 220 unterstreicht uigor als Eigenschaft des Marcellus und als »safeguard of the Roman Empire«. 145 naturalis ist neben klassischer Verwendung ebenso bei christlichen Autoren belegt. Ohne Unterschied bezeichnet es aber sowohl zu klassischer als auch zu nachklassischer Zeit das Ergebnis eines Wirkens, das außerhalb menschlichen Einflusses liegt. Es beschreibt mit körperlichen und geistigen

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als »a double compliment to Augustus on his perspicuity and his obedience to devine promptings«146 . Zusätzlich erzeugt die Erzählung eine erhebliche zeitliche Nähe, wenn recens nicht nur auf die Ermordung Caesars aus der Perspektive des Augustus verweist,147 sondern zugleich auch die geringe Distanz der Schilderung zu diesem Ereignis deutlich macht. Dass dieses Exemplum die Kontinuität der Caesaren-Herrschaft abbildet, zeigt ferner die Bezeichnung domesticum, die es als römisch markiert und im römischen Kaiserhaus verortet.148 Mit dieser Inszenierung des Augustus figuriert Valerius eine Perspektive für Calpurnias Traum. Damit wird auf der einen Seite ein ideologischer Maßstab für die Konstruktion einer augusteischen Vergangenheit angelegt. Auf der anderen Seite schafft er eine entsprechende Geschlechterordnung, indem er Caesars Ehefrau in die Erzählung einbindet. Ein Blick auf audiuerat, welches die Traum-Schilderung einleitet, verrät nämlich, dass Augustus die Instanz ist, durch deren Perspektive das Wissen über Calpurnias Traum erzeugt wird.149 Diese männlich zentrierte Vermittlung ihrer Intervention wird fortgeführt: Bevor Calpurnia namentlich genannt wird, setzt das Attribut diui Iuli patris sui uxorem sie in Relation zu ihrem Mann, der ihr mit dem Attribut diuus vorangestellt wird, behält aber in der indirekten Rede durch das Reflexivum sui Augustus als zentralen Bezugspunkt des Berichts bei. Dabei schafft Valerius männliche Instanzen, die durch eine anachronistische Ausrichtung des Geschichtsbildes gezeichnet sind, wenn nicht nur Octavian bereits zum Zeitpunkt der Schlacht von Philippi auf den Traum blickt,150 sondern auch Caesar schon als pater bezeichnet wird.151 Die Perspektive des Narrativs wird als ein Rückblick auf die erfolgreichen Qualitäten des Augustus gestaltet. Valerius konstruiert damit eine explizit augusteische Vergangenheit, die jegliche Ambivalenz dieser Figur ausblenden und seinen ideologiekonformen Beginn seiner Herrschaft

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Eigenschaften das, »quod proprium est naturae uniuscuiusque uel quod natura ortum, fundatum est neque opera hominis uel casu.« Der naturalis animi uigor des Augustus ist somit keineswegs ein allein menschliches Verdienst, vgl. Beikircher /Ottink 2011, 189,70–190,38. Wardle 1998, 219. So versteht es ebd., 220. Gleichermaßen bezeichnet domesticus im engeren Sinne die Zugehörigkeit in ein Haus als Ausdruck verwandtschaftlicher Verhältnisse. Flory 1996, 293 hat diese Verwendung von domesticus seit Ovid auch als Bezug auf das augusteische Kaiserhaus nachgewiesen. Dagegen ordnet Wardle 1998, 220 domesticum als Synonym für römisch ein. Die von ebd. aufgeworfene Frage, ob Octavian auf Grundlage von audiuerat eine schriftliche oder lediglich eine mündliche Überlieferung von Calpurnias Traum gekannt haben kann, wird aus philologischer Sicht vor dem Hintergrund irrelevant, dass vor allem die Perspektive des Octavian in diesem Bericht ausschlaggebend ist. Vgl. Bloomer 1992, 224. Vgl. Wardle 1998, 220.

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in die Memoria überführen kann.152 Dies bildet kaiserzeitlichen Herrschaftsdiskurs ab, wenn die Konstruktion des Wissens nicht nur dafür verantwortlich ist, dass Augustus gepriesen, sondern auch Caesar als diuus Iulius bezeichnet werden kann.153 Damit schafft das Narrativ ein Männlichkeitskonzept, das männliche Qualitäten der Kaiserzeit exemplarisch verkörpert und so durch die augusteische Perspektive zum Referenzpunkt einer frühkaiserzeitlichen Memoria wird. Die so konstruierte männlich-imperiale Sicht prägt die Darstellung Calpurnias. Valerius lässt Augustus auf eine Geschlechterordnung zwischen Caesar und Calpurnia blicken und vermittelt die Erzählung über den Traum in oratio obliqua aus zweiter Hand – nämlich aus Augustus’ Perspektive: [Calpurniam] somnique atrocitate uehementer exterritam rogare non destitisse. Besonders die Semantik dieses Berichts über die Intervention der Frau ist aufschlussreich, bezeichnet doch rogare bereits ein weibliches Verhaltensrepertoire, indem sie sich ihrem Mann bittend unterwirft.154 Der augusteische Bericht zeichnet hier das Bild einer starken emotionalen Betroffenheit,155 was die Bezeichnung uehementer exterritam sowie ihr unablässiges Bitten indizieren und schließlich innerhalb einer männlichen Hierarchie zum Hemmnis ihrer weiblichen Handlungsfähigkeit wird.156 Diese Darstellung ist in zweifacher Hinsicht männlichen Oppositionen unterlegen – nämlich epistemisch der Instanz des Augustus, performativ der Caesars. Sie macht deutlich, dass Calpurnia für Valerius Maximus nicht die Rolle einer »tragic heroine«157 einnimmt, da ihr durch diese männlich fokalisierte Geschlechterordnung jegliche Möglichkeit der Handlung genommen wird. Die durch diese männlichen Strukturen erzeugte Hierarchie bildet einen kulturell-gesellschaftlichen Mechanismus ab, wenn Calpurnia als Medium eines Omens dies einem männlichen Vertreter der römischen Elite kommuniziert, für den es bestimmt ist.158 Das Exemplum erhält durch die Perspektive des Augustus nicht nur eine männlich markierte, sondern

152 Vgl. ebd.. Dies ist als imperialer Mechanismus des Narrativs nach der Ausblendung von Octavians ambivalenter republikanischer Vergangenheit zu verstehen, wie sie erkannt wurde von Wiegand 2013, 166; Maslakov 1984, 454. Zur Caesar-Panegyrik als Verdienst in tiberianischer Zeit vgl. Wardle 1997, 327. 153 Zur Emphase der Beziehung zwischen Caesar und Augustus vgl. Wardle 1998, 220. Zur nachrepublikanischen Rezeption von Caesars diuinitas vgl. Richardson 2012, 22, 39. 154 Vgl. Romund 2018, 105. 155 Zur Bedeutung der Emotion im Kontext der Vorzeichen vgl. Santangelo 2013, 243. 156 Vgl. Romund 2018, 105 mit besonderem Fokus auf die emotionale Performanz Calpurnias als Ausdruck weiblichen Handelns; ähnlich Ripat 1996, 160, 166. 157 Kragelund 2001, 55. 158 Ripat 1996, 160 hat auf die hierarchische Struktur eines Omens hingewiesen, das niedriger gestellte Personengruppen als Boten göttlicher Nachrichten an übergeordnete Adressaten der römischen Elite nutzt.

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zudem auch eine kaiserliche Bedeutung, wenn seine Wahrnehmung dieses Ereignis in den Dienst des Prinzipats stellt. Zugleich weist auch die Sicht Calpurnias entsprechend der ihr zugeschriebenen Rolle einen genderspezifischen Wissensbestand auf. Ihre Perspektive, die allein auf die Mann-Frau-Interaktion der familiären Nahbeziehungen beschränkt ist,159 konstruiert Weiblichkeit in der kaiserzeitlichen domus und trägt damit dem Genderdiskurs der frühen Kaiserzeit Rechnung.160 Daraufhin stellt Valerius ihren Bitten Caesars Ablehnung nachdrücklich mit at gegenüber und schließt mit dem Hyperbaton illum [...] contendisse das Festhalten an seinem Vorhaben an.161 Dies rahmt seine Absicht, nicht als muliebri somnio motus erscheinen zu wollen, ein und untermauert noch einmal die männliche Hierarchie dieses Exemplums, sodass das Ereignis zu einer Bewährungsprobe der Geschlechterordnung wird.162 Dieser Moment markiert mit der Ermordung Caesars das Ende der Republik und den Beginn einer Umbruchphase hin zum Prinzipat. Eine derartige Darstellung zeigt allerdings deutlich, dass aus tiberianischer Perspektive kein Bruch im Herrschaftssystem wahrnehmbar ist, da Valerius rückwärtsgewandt auf dieses Ereignis blickt. Diese kaiserzeitliche Perspektive hat bereits diuus Augustus als Princeps im vorliegenden Narrativ verinnerlicht. Dabei hat das Calpurnia-Exemplum auf der einen Seite gezeigt, dass dieser Moment für Valerius vielmehr einen Wandel in der Geschlechterordnung bezeichnet, wenn Calpurnia ausdrücklich weiblich inszeniert und in eine neugeschaffene männliche Hierarchie integriert wird. Auf der anderen Seite legt die Darstellung eine anachronistische Betrachtung der römischen Geschichte offen, wenn hier anhand dieser Strukturen imperialer Männlichkeit eine Kontinuität erzeugt wird, die auf Caesar unmittelbar Augustus als Princeps folgen lässt. 5.2.1.2 Normatives Geschlecht und die mutatio status

Die Frage nach einer Fortführung von Caesars Herrschaft ist für Valerius Maximus – und daran lassen die bisherigen Ergebnisse keinen Zweifel – eine Entwicklung, die keine Alternative zulässt. Octavian, der bereits als späterer Augustus auf die Ermordung seines Adoptivvaters blickt, steht als künftiger Herrscher außer Frage. In gänzlich optimistischer Sicht ist der Tod Caesars eine Voraussetzung dafür,

159 Romund 2018, 102, 105 hat gezeigt, dass die Konstruktion eines weiblichen Handlungsraumes innerhalb der Familie für Calpurnias Darstellung bei Valerius Maximus sowie für sämtliche parallelen Überlieferungen von Nikolaos von Damaskus bis Cassius Dio und Obsequens kennzeichnend ist. 160 Vgl. Saller 1984, 338f.; Bloomer 1992, 224; Flory 1996, 287. 161 Zum emphatischen Gebrauch von at vgl. Szantyr 1977, 345f. 162 Vgl. Wardle 1998, 220.

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dass Augustus als römischer Herrscher die zuvor abgebildeten Eigenschaften zum Ausdruck bringen kann. Valerius schafft in diesem Kontext ein Krisenempfinden, das nach Caesars Tod auf die Übertragung der Herrschaft auf Augustus zielt. Darin lässt er die panegyrische Inszenierung der Caesares und ihrer Männlichkeit aus der tiberianischen Perspektive auf eine Phase gesellschaftlicher Zerrüttung folgen. Gleichzeitig sind panegyrische Elemente nicht nur für die Darstellung der Caesares entscheidend. Ebenso wird damit die Funktion Calpurnias offenkundig, an deren Traum-Schilderungen Valerius seine Urteile über Caesar und Augustus anschließt. Für ihn wird Weiblichkeit zur Projektionsfläche einer panegyrischen Inszenierung der Caesares: non + est + inter patrem et filium ullius rei conparationem fieri praesertim diuinitatis fastigio iunctos, sed iam alter operibus suis aditum sibi ad caelum struxerat, alteri longus adhuc terrestrium uirtutum orbis restabat. quapropter ab hoc tantummodo impendentem mutationem status cognosci, ab illo etiam differri di immortales uoluerunt, ut aliud caelo decus daretur, aliud promitteretur.163 (Val. Max. 1,7,2)

Diese Argumentation, mit der Valerius beide Herrscher gleichermaßen preist, gründet insbesondere darauf, dass Caesar zuvor Calpurnias Warnung missachtet, stirbt und auf diese Weise Platz für die diuinitas des Augustus macht. Calpurnias weibliche und damit erfolglose Intervention vor ihrem Ehemann ist die Voraussetzung dieser panegyrischen Darstellung. Wenn Valerius nämlich hier die Gründe für die diuinitas beider Herrscher gegenüberstellt, liefert dieser parallele antithetische Abgleich die Begründung für ihre Göttlichkeit: Die opera sua des Vaters sind der Grund für seinen aditum [...] ad caelum. Die hier vorgenommene Lobpreisung findet post mortem statt und zielt auf seine Vergöttlichung ab, welche die Caesar-Memoria der Kaiserzeit widerspiegelt.164 Nachdem Valerius in diesem und im vorangegangenen Exemplum Augustus und Caesar gleichermaßen das Attribut diuus zugesprochen hat, wird diese Eigenschaft – durch den Zusatz praesertim hervorgehoben – nun zum entscheidenden Kriterium für die Bewertung beider. Dem Exemplum der Calpurnia kommt dabei die Bedeutung zu, diese Qualitäten Caesars offenzulegen, indem sie als Charaktantin einer Inszenierung von Männlichkeit dient. Darüber

163 Zwischen dem Vater und dem Sohn muss kein Vergleich in irgendeiner Hinsicht hergestellt werden, zumal sie ja durch ihren Rang als Götter verbunden sind, aber der eine hatte sich bereits durch seine Taten einen Weg in den Himmel bereitet, dem anderen blieb noch ein langer Kreis von Tugenden auf der Erde. Aus diesem Grund wollten die unsterblichen Götter, dass von diesem nur die nahe bevorstehende Veränderung der Umstände wahrgenommen, während sie von jenem noch verzögert wurde, sodass der eine Glanz in den Himmel gegeben, der andere versprochen wurde. 164 Vgl. Wardle 1997, 323.

virtus restituta – Frauen und die kaiserliche Männlichkeit

hinaus markiert das Exemplum zugleich den Beginn der augusteischen Herrschaft, wenn es die Handlung des ersten Princeps lenkt und so zur Grundlage und Voraussetzung der Augustus-Panegyrik wird. Diese Inszenierung steht mit Betonung seiner irdischen Verdienste denen seines Vaters antithetisch gegenüber. Augustus’ longus [...] terrestrium uirtutum orbis definiert den status quo des Prinzipats.165 Calpurnias Funktion liegt damit sowohl darin, die übergeordnete Rolle Caesars sichtbar und ihn zum Referenzpunkt des nachfolgenden Princeps zu machen,166 als auch die Verknüpfung beider zu ermöglichen: diuinitatis fastigio iunctos. Die Erzählung schafft an dieser Schnittstelle eine Kontinuität, da sie zwar den Tod Caesars, aber ebenso die uirtutes seines Nachfolgers markiert.167 Das Frauenhandeln wird dabei in den Dienst der Vereinbarkeit beider Caesares ohne comparatio gestellt, so dass die diuinitas Caesars ihre Entsprechung im caelestis spiritus (Val. Max. 1,7,1) des Augustus findet.168 Für die Beurteilung der Krise ist die Äquivalenz der diuinitas von Caesar und dem künftigen Augustus das entscheidende Merkmal, aus dem sich die Begrifflichkeit ergibt, die den Übergang von caesarischer zu augusteischer Herrschaft bezeichnet: Valerius preist beide gleichermaßen anhand dieses Kriteriums und macht keinen Unterschied zwischen dem Wert ihrer Taten und ihren Tugenden aus, sodass er den Umbruch von der Republik zum Prinzipat als tantummodo pendentem mutationem status bezeichnen kann. Nicht nur zwischen den Qualitäten beider Herrscher, sondern auch zwischen beiden Herrschaftsformen ist für Valerius Maximus keine Unterscheidung möglich. Nicht als ein Umbruch in der römischen Geschichte, sondern vielmehr als »seamless teleological progression to the Caesars«169 beschreibt er die Wende von der Republik zum Prinzipat. Die vorangegangene narrative Struktur und diese abschließende Bewertung der Begebenheiten machen eines deutlich: Diese Krise der Republik ist aus tiberianischer Sicht nicht mehr eine Spannungsphase von Entscheidungen – sie sind nämlich längst gefallen. Von Anfang an regiert die Perspektive des Augustus. Ein alternativer Ausgang dieser Periode der Entwicklung ist nicht vorgesehen. Entsprechend sind Caesars Tod und die Frage der Zukunft Roms für Valerius Maximus vornehmlich eine Gelegenheit, Augustus’ gottesgleiche uirtutes und die Zukunft des augusteischen Herrscherhauses und des römischen Staates abzubilden. Der vom ersten Princeps fokalisierte

165 Zur Bedeutung der römischen Ausdehnung als zentraler Bestandteil der prinzipalen Herrscherpanegyrik vgl. Weileder 1998, 62f. 166 Wardle 2000, 483 zeigt allerdings, dass Caesar im Werk des Valerius Maximus als Begründer der Dynastie ein weitaus größerer Stellenwert eingeräumt wird als seinem Nachfolger. 167 Zur Bedeutung von opera und uirtutes und ihrer stilistischen Gegenüberstellung vgl. auch Wardle 1997, 336f. 168 Vgl. dazu auch Mueller 2002, 103. 169 Wardle 2000, 483.

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Traum Caplurnias dient so wesentlich dazu, die ideologische Kontinuität aus dieser chronologischen Gestaltung zu sichern und in den Dienst seiner eigenen Herrschaft zu stellen.170 Zugleich ermöglicht der augusteische Blick dieses Exemplums, die Wirren des Bürgerkrieges und das Ringen verschiedener Kontrahenten um die Macht im Staat ebenso auszublenden wie die folgende Schlacht bei Philippi, und geht dabei wortlos über das Krisenpotential dieser Ereignisse hinweg.171 Auf diese Weise ist eine veränderte Bedeutung dieses Exemplums erkennbar. Nicht nur die Relevanz des Bürgerkrieges – hier am Beispiel der Schlacht – wird minimiert. Mit dem Augenmerk auf die augusteische Perspektive tritt auch die Figur Caesars in den erzählerischen Hintergrund des Augustus. Diese Ausrichtung auf den ersten Princeps zeigt, dass sich die Darstellung der Schlacht und des Traumes nicht um eine Frage des Herrschaftssystems, sondern vielmehr um eine figurale Inszenierung dreht, die auf die Fortführung der caesarischen Herrschaft ausgerichtet ist.172 Vor allem Augustus dient Valerius Maximus also dazu, einen Männlichkeitsbegriff mit Ausrichtung auf den Prinzipat neu zu definieren.173 Dafür wird die Apotheose Caesars erneut zum Maßstab für Augustus’ Herrschaft erhoben, dem dieser freilich zu genügen vermag. Auch hier verknüpft Valerius den Ruhm beider Herrscher parallel, sodass sie untrennbar miteinander verbunden scheinen: aliud caelo decus daretur, aliud promitteretur. Valerius lässt keinen Zweifel daran, dass Augustus wie auch sein Vater zum decus für den Himmel werden – Apotheose inbegriffen,174 wie die anachronistische Bezeichnung diuus Augustus bereits in der Schlacht von Philippi gezeigt hat.175 Somit lässt Valerius Maximus ebenfalls keinen Zweifel daran, dass das Ende einer Wertekrise der sozialen Nahbeziehungen für ihn in der Herrschaft der Caesares erreicht ist. Als fokalisierende Instanz steht insbesondere Augustus im Zentrum der Exempla und repräsentiert eine moralisch valide männliche Handlungsmacht.

170 Zur Bedeutung ihrer Intervention für die augusteische Herrschaft vgl. Kragelund 2001, 55f.; zur Bedeutung von Traum-Exempla am Beispiel Calpurnias für die frühkaiserzeitliche Herrschaftsideologie vgl. Bloomer 1992, 20. 171 Zur Bedeutung und zum Ausmaß der Schlacht von Philippi vgl. bespielhaft Richardson 2012, 41f. 172 Ebd., 44–46 sieht die Zielsetzung der Bürgerkriegsbestrebungen in einer Fortführung, nicht in einer Auslöschung der caesarischen Herrschaft. 173 Vgl. Maslakov 1984, 454f. 174 Vgl. Mueller 2002, 103. Die Ableitung von decus aus den uirtutes eines Herrschers ist leitmotivisch, vgl. Val. Max. 3,2,19: nunc etiam siderum clarum decus, diuum Iulium, certissimum uerae uirtutis effigiem. Zur beiderseitigen Vergöttlichung der Caesares vgl. Val. Max. 2,1,10: inde, imquam, caeli clarissima pars, diui fulserunt Caesares. 175 Val. Max. 1,7,1: quid ergo aliud putamus quam diuino numine effectum, ne destinatum iam immortalitati caput indignam caelesti spiritu fortunae uiolentiam sentiret? Vgl. dazu auch Kapitel 5.2.1.1.

virtus restituta – Frauen und die kaiserliche Männlichkeit

Seine Perspektive auf die Handlung der Exempla lässt den Übergang in den augusteischen Prinzipat als eine bruchlose mutatio status erscheinen. Mit der Emphase auf den Willen der Götter (dii immortales uoluerunt) zeigt sich Valerius’ teleologisch bestimmte Perspektive auf den Übergang von der Republik zum Prinzipat, die den Princeps am Ende einer Entwicklung sieht und schließlich in dessen Herrschaft mündet: »For V[alerius] Caesar’s death is willed by the gods, but he apportions no blame on them because the long reign of Augustus was in waiting.«176 Die Darstellung und Einbindung von Calpurnias Traum trägt somit erheblich dazu bei, die augusteische Herrschaft dem Willen der Götter zu unterstellen wie zuvor den Tod Caesars. Während die Inszenierung des Augustus darauf abzielt, diesen Krieg als Phase eines zielgerichteten Übergangs ohne Alternative darzustellen,177 lässt Valerius ihn auf ein Ereignis blicken, in dem Caesar und Calpurnia die Voraussetzungen dafür innerhalb der familiären Nahbeziehungen schaffen. Eine solche Deutung hilft dabei, Erklärungen für die Darstellung von Caesars Ermordung zu differenzieren, die bisher vor allem darauf zielen, ein Ableben Caesars zu inszenieren, das seinem gesellschaftlichen Rang und seinem Bild als Herrscher entspricht.178 Vielmehr müssen für das Narrativ des Valerius Maximus die Inszenierungsmechanismen von Geschlecht vor dem Hintergrund einer politischen und sozialen Ideologie betrachtet werden. Hierin liegt die zentrale Erklärung dafür, dass Weiblichkeit dazu genutzt wird, die kaiserliche Männlichkeit als Exemplum abzubilden.179 5.2.2

Weiblichkeit aus erster Hand – der Princeps als moralische Instanz

Die Interaktion zwischen Caesar und seiner Ehefrau Calpurnia hat durch die Linse des Prinzipats eine männlich organisierte Hierarchie in der sozialen Nahbeziehung und ein ideologisches Konzept dieser augusteischen Perspektive, die diese Geschlechterordnung impliziert, offengelegt. Entsprechend markiert die Herrschaft des Augustus für Valerius Maximus nun eine Epoche omnipräsenter kaiserlicher

176 Wardle 1998, 221; ähnlich Weileder 1998, 163. 177 Diese Alternativlosigkeit findet sich auch in den übrigen Exempla, welche die Schlacht von Philippi thematisieren: Auch in militärischen Belangen ist die diuinitas Octavians kennzeichnend dafür, dass kein anderer Ausgang als sein Sieg für Valerius denkbar ist (1,8,8). In dieser und anderen Schlachten des Bürgerkrieges ist der göttliche Wille für Valerius stets auf Seiten der Caesarianer: vgl. 1,4,7; 1,5,6; 1,5,7; 1,6,12. 178 Diese führt Ripat 1996, 173 an: »Spontaneous murder was precisely the sort of end Caesar wished for.« 179 Vgl. ebd., 174. Zugleich liefert diese perzeptive und ideologische Struktur des Exemplums einen weiteren Grund für die von Romund 2018, 19 u. a. am Beispiel Calpurnias formulierten Kriterien für erfolgreiches Frauenhandeln.

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uirtus.180 Der Princeps persönlich ist nicht nur die fokalisierende Instanz, durch die Exempla vermittelt werden. Zugleich verzeichnen die kaiserzeitlichen Exempla des tiberianischen Narrativs ein aktives Eingreifen des Augustus. In den MannFrau-Nahbeziehungen, welche die Darstellung sozialer Interaktion prägen, verortet Valerius die Figur des Kaisers und schreibt diesem so eine kaiserliche Handlungsmacht zu, die sich im geschlechterspezifischen Handeln der Exempla realisiert. Anders als die von fehlender männlicher Initiative gezeichneten Bürgerkriegserzählungen weist Valerius’ Inszenierung der Kaiserzeit ein gänzlich verändertes Männlichkeitskonzept auf, das die Konstruktion von Weiblichkeit lenkt. Im Folgenden dienen vor allem die Exempla 7,7,4 de testamentis quae rescissa sunt über Augustus’ Regelungen zum weiblichen Erbrecht sowie 4,3,3 de abstinentia et continentia dazu, nicht nur die Figur des Augustus selbst als moralische Instanz der geschlechtlich markierten Beziehungen im tiberianischen Narrativ der Kaiserzeit zu verorten. Gleichzeitig soll auch der durch den Princeps figurierte Wissensbestand auf der Ebene des Geschlechts in den Blick genommen werden. Erstens wird gezeigt, dass gerade Exempla mit weiblicher Beteiligung die Anwesenheit des Princeps in der Erzählung erfordern. Während Frauen in Opposition zu den Triumvirn in Valerius’ Darstellung des Bürgerkrieges dazu dienten, den künftigen Princeps aus den Konflikten herauszuhalten,181 dient seine Gegenwart dazu, eine frühkaiserzeitliche Geschlechterordnung zu etablieren und zu regulieren. Dadurch wird ein von Augustus figuriertes geschlechterspezifisches Wertewissen evident. Es verzeichnet nicht nur die Konzentration eines moralischen Wissensbestandes in der Figur des Kaisers. Ebenso wird durch die narrative Struktur der Exempla eine umfassende Autorität erzeugt, sodass der Genderdiskurs eine veränderte Qualität einer männlichen Werteperspektive im Vergleich zu vorkaiserzeitlichen Darstellungen dokumentiert. Zweitens zeigt eine Analyse der Erzählstruktur, dass das Genderund Wertewissen in den Exempla der Kaiserzeit nun flexibel verschiedenen Erzählinstanzen und Figuren aus dem Kaiserhaus zugeschrieben werden kann. Dieser Befund verdeutlicht, dass in Valerius’ Exempla in der Kaiserzeit eine communis opinio etabliert ist, die Weiblichkeit nach den sittenhaften Idealen des tiberianischen Narrativs konstruiert. Auf diese Weise zeichnet Valerius Maximus unter dem Deckmantel herrschaftlicher Kontinuität gesellschaftliche Verhältnisse,182 welche sich nach den Bürgerkriegen moralisch stabilisieren und hier besonders am Beispiel geschlechtlich markierter Beziehungen inszeniert werden. In beiden Fällen gewinnt die Figur des Princeps ihre herausragende Stellung vor allem aus der Opposition zu

180 Die Bezeichnung uirtus verweist in diesem Kontext lediglich auf ein allgemeines männliches Wertekonstrukt der Kaiserzeit, vgl. dazu auch Maslakov 1984, 454f. 181 Zur Figurenstruktur des Bürgerkriegsnarrativs bei Valerius Maximus vgl. Kapitel 5.1. 182 Vgl. Wiegand 2013, 65.

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den männlichen Figuren dieser Exempla, welche Augustus antithetisch gegenübergestellt werden und damit maßgeblich zur Glorifizierung des Kaisers beitragen.183 Ein durch den Princeps figuriertes Wissen wird für Valerius also zur Instanz, welche persönlich die Erinnerungskultur der Kaiserzeit bestimmt. 5.2.2.1 Augustus – Princeps der Geschlechterbeziehungen

Die kaiserzeitlichen Exempla verzeichnen neben einer Omnipräsenz der Principes und anderer Vertreter des Kaiserhauses auch eine signifikante Wirkung dieses Figurenbestandes auf die Bewertung der Handlungen aller dargestellten Figuren. Es wird eine augusteische Struktur der Beziehungen sichtbar, die den Werte- und Geschlechterdiskurs der frühen Kaiserzeit widerspiegelt. In der Einsetzung des Princeps findet diese diachrone Evolution ihren qualitativen Höhepunkt. In den Exempla der Frühzeit wurde nachgewiesen, dass institutionalisierten männlichen Instanzen ein geschlechter- und wertespezifischer Wissensbestand zugeschrieben wird. Dieses Wissen verlagerte sich erst in der Zeit des Bürgerkrieges auf weibliche Protagonisten, was als Ausdruck einer Geschlechterkrise zu verstehen war. Nun rückt jedoch die Figur des Augustus als exemplarische Autorität ins Zentrum des Narrativs. So finden Frauen-Exempla nicht nur in den Beispielen aus dem Kaiserhaus in der Inszenierung männlicher Vertreter, vornehmlich des Augustus, ihren exemplarischen Protagonisten und moralischen Bezugspunkt. Auch Episoden jenseits des julischen Herrscherhauses rücken mit Augustus dezidiert einen kaiserlichen Protagonisten ins Zentrum, der die Moralvorstellungen des Prinzipats abbildet und damit zum allumfassenden Maßstab wird. Dies legen etwa die Exempla der Rubrik 7,7 de testamentis quae rescissa sunt anhand der Erbregelungen für Frauen offen.184 In den Exempla werden Strukturen erkennbar, die nicht nur die Beziehungen, in denen Valerius Frauen auftreten lässt, augusteisch markieren, sondern auch die Werturteile bezüglich ihres Handelns nach den Maßgaben der augusteischen Ideologie formulieren. Dieser Befund ist vor allem bemerkenswert, weil die kaiserzeitlichen Exempla damit im starken Gegensatz zu denen der Bürgerkriegszeit stehen, die sich durch die defizitäre Moral von Männern auszeichneten.185 Gemessen am Kriterium männlicher Handlungsfähigkeit verzeichnet das tiberianische

183 Zur Stilistik der antithetischen Gegenüberstellung von Caesares und ihren politischen Gegnern am Beispiel der fides vgl. Kapitel 5.1.2. 184 Zur Platzierung des Princeps überwiegend in fremden Familien anstelle seiner eigenen vgl. Milnor 2005, 199. Unter dieser Prämisse kann die Deutung der zweiten Hälfte von Buch 7 als Reihe von Unglücksfällen, die Honstetter 1977, 39f. formulierte und komplementär zur von fortuna geprägten ersten Buchhälfte erkannte, nicht überzeugen. 185 Vgl. Kapitel 5.1.

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Narrativ also am Beispiel der Caesares, die als Autoritäten der Werte-Exempla dargestellt werden, ein moralisches Erstarken von Männlichkeit. Die augusteische Ausrichtung kam bereits im Exemplum der Calpurnia zum Tragen, das die Herrschaft des Princeps in geschlechterspezifischer Hinsicht begründet.186 Nun eröffnet das tiberianische Narrativ von Augustus’ Prinzipat einen Einblick in einen Genderdiskurs, der die augusteische Herrschaft als eine Phase der Reformation einer geschlechtlichen und sozialen Ordnung und als Ausgangspunkt gesellschaftlicher Kontinuitätsbestrebungen ansieht. Anders als die Frage der Herrschaft ist die einer moralischen und gesellschaftlichen Ordnung nämlich mit den Caesares nicht unmittelbar geklärt. So muss der tiberianische Diskurs den ersten Princeps als Begründer einer solchen Ordnung erst etablieren, wie die Darstellung seines Vorgehens gegen die Praxis weiblicher Erbregelungen in 7,7,4 zeigt: a quibus aditus diuus Augustus et nuptias mulieris et suprema iudicia improbauit: nam hereditatem maternam filios habere iussit, dotem, quia non creandorum liberorum causa coniugium intercesserat, uirum retinere uetuit. si ipsa Aequitas hac de re cognosceret, potuitne iustius aut grauius pronuntiare? 187 (Val. Max. 7,7,4)

Das Kriterium eines geschlechterspezifischen Wissensbestandes, den Valerius dem Princeps zuschreibt, prägt die Anlage dieses Exemplums. Augustus wird zum Richter über den letzten Willen Septicias, die erneut heiratet, um ihre Kinder als Erben zu übergehen, und ihren Mann zum alleinigen Erben macht. Diese Darstellung sorgt dafür, dass die Frau in Interaktion mit dem Princeps als Sittenrichter tritt und dass »durch den expliziten, Augustus in den Mund gelegten Tadel, die Ehe sei nicht creandorum liberorum causa geschlossen worden, [...] das exemplum der Beschränkung auf die Familie enthoben«188 wird. Dabei handelt Augustus antithetisch zu Septicia, deren Erklärung eines letzten Willens nur auf das Unrechtmäßige reduziert wird,189 was die klimaktische Gestaltung des Trikolons improbauit [...] iussit [...] uetuit zeigt. Augustus übernimmt somit als Korrektiv das Frauenhandeln und kennzeichnet so eine performative wie epistemische Überlegenheit. In dieser

186 Vgl. Kapitel 5.2.1. 187 Diese traten an den göttlichen Augustus heran und er erkannte sowohl die Heirat der Frau als auch ihren letzten Willen nicht an. Er befahl nämlich, dass die Söhne das mütterliche Erbe erhalten sollten, und verbot dem Mann, die Mitgift zu behalten, weil die Ehe nicht bestanden hatte, um Kinder zu zeugen. Wenn die Gleichheit selbst über diese Sache Gericht halten würde, hätte sie denn ein gerechteres und erhabeneres Urteil verkünden können? 188 Lucarelli 2007, 133. Zur negativen Bewertung von Ehen ohne die Absicht der Fortpflanzung vgl. Späth 1994, 170f. 189 Val. Max. 7,7,4: testamento etiam utrumque praeteriit.

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Hinsicht ist die Einsetzung des Augustus als Bewertungsinstanz für das Exemplum entscheidend. Dadurch findet einerseits das herrschaftliche Anliegen des Princeps, umfassenden Einfluss auf alle Bürger auszuüben und damit den »pater familias [...] durch prinzipale Strukturen zu ersetzen«190 , seine Umsetzung. Andererseits schlägt sich der tiberianische Genderdiskurs darin nieder. Obgleich Frauen seit der späten Republik ihre Erbschaftsangelegenheiten selbst übernehmen konnten,191 wird durch die figurierte Gegenwart des Princeps mit dieser Praxis gebrochen und der Raum weiblicher Handlungen unter den Bedingungen des Prinzipats neu verhandelt. Durch die epistemische Allmacht des Princeps konstruiert Valerius auch die soziale Funktion von Weiblichkeit unter den Bedingungen des Prinzipats neu. Diese Anlage positioniert Augustus hier ebenso wie im voranstehenden Exemplum 7,7,3, in dem in Gestalt des Augustus der Nachlass eines Vaters zugunsten seines Sohnes und zuungunsten der Witwe geregelt wird,192 in direkter Opposition zu Frauen. Valerius greift so eine Struktur aus der Darstellung des Bürgerkrieges wieder auf, in der Augustus als Octavian ebenfalls einer weiblichen Gegenseite gegenübersteht. Gleichermaßen wacht auch die Perspektive des Augustus über dessen Schwester Octavia in 9,15,2, als ein Betrüger sich öffentlich als ein von ihr verstoßenes Kind ausgibt. Der Princeps kann durch die Bestrafung des Mannes moralischen Schaden von der Kaiserfamilie abwenden. Anders als im Bürgerkrieg dient Weiblichkeit nicht als Strategie, Konflikte zu entschärfen und männliche Krisen zu verschleiern. Vielmehr wird sie als Projektionsfläche für die Handlungsmacht des Princeps und seines sittenhaften Krisenmanagements genutzt.193 Dies zeigt auch die kaiserzeitliche Inszenierung weiblicher fides. Sie wird – anders als in der Darstellung der Triumviratszeit194 – innerhalb einer männlich organisierten Hierarchie sichtbar, sodass nun eine veränderte Struktur des Wertes zu erkennen ist. Entsprechend ist etwa die Treue von Drusus’ Ehefrau Antonia hier als Gegenleistung zur continentia des Mannes zu verstehen.195 Drusus wird als ex-

190 Wiegand 2013, 63; ähnlich Späth 1994, 203. 191 Vgl. Lucarelli 2007, 133. 192 Val. Max. 7,7,3: diuus Augustus in bona paterna ire decreto suo iussit, patris patriae animo usus, quoniam Tettius in proprio lare procreato filio summa cum iniquitate paternum nomen abrogauerat. 193 Val. Max. 9,15,2: ne diui quidem Augusti etiam nunc terras regentis excellentissimum numen intemptatum ab hoc iniuriae genere. 194 Vgl. Kapitel 5.1.2. 195 Val. Max. 4,3,3: Antonia quoque, femina laudibus uirilem familiae suae claritatem supergressa, amorem mariti egregia fide pensauit. Zum Nachdruck dieses weiblichen Verdienstes vgl. auch die Diskussion der Textgenese bei Bailey 2003, 476. Entsprechend sieht auch Honstetter 1977, 35 den Fokus von Buch 4 auf den »Möglichkeiten des Ich gegen die eigene Unvollkommenheit und zugunsten der Anderen« und schreibt damit auch explizit der männlichen Instanz exemplarische Handlungsmacht zu.

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emplarische Autorität konstruiert und spiegelt die moralische Vorbildfunktion des Kaiserhauses wider.196 Somit steht durch eine solche Platzierung der Frau besonders ihre gesellschaftliche Bestimmung im Zentrum der Darstellung. Valerius inszeniert darin vorbildhaft die fides der Antonia, die sie ihrem Mann erweist. Damit wird ein moralisches Normkonstrukt einer männlich regierten Hierarchie geschaffen, das Weiblichkeit im sozialen Kontext der Mann-Frau-Beziehung verortet.197 Exemplarisches männliches Wertehandeln tritt bei Valerius also einerseits bei weiblichen Verstößen gegen frühkaiserzeitliche Sittenideale hervor. Andererseits wird es bei Ereignissen erforderlich, die zur Wahrung der sittlichen Integrität des Kaiserhauses aufrufen. In beiden Fällen ist der Princeps jedoch selbst die moralische Instanz, die für die Einhaltung augusteischer Normvorstellungen eintritt. So müssen diese Exempla also im Kontext eines frühkaiserzeitlichen Weiblichkeitskonzepts gelesen werden, die das Augenmerk der Erzählungen auf die gesellschaftliche Relevanz von Weiblichkeit legen.198 In dieser Geschlechterhierarchie ersetzt Augustus jedoch nicht nur einen männlichen Figurenbestand, sondern erhält etwa im Exemplum der Septicia eine moralische Handlungsmacht, indem er durch sein Urteil die Gottheit der Aequitas personifiziert.199 Die Bezeichnung Aequitas ist als ein Leitmotiv eines augusteischen Sendungsbewusstseins in moralischen Belangen zu verstehen.200 Die Bedeutung tritt insbesondere vor dem Hintergrund einer Krisenwahrnehmung in den Exempla der sullanischen Zeit und ihrer Sullana uiolentia im tiberianischen Diskurs hervor.201 Der Kontrast von sullanischer Herrschaft und Prinzipat soll dabei als ein Wandel zum Guten hinsichtlich häuslicher Belange verstanden werden.202 Die epistemische Bedeutung der Caesares und ihre Omnipräsenz in den Exempla dieser Zeit zielen darauf, eine gesellschaftliche Ordnung zu etablieren, indem sie eine Geschlechterordnung formulieren. Die Frauen-Exempla der Kaiserzeit dienen also dazu, Augustus in die epistemische und performative Position eines Princeps zu bringen und zum Garanten der Einhaltung weiblicher Normen zu machen. Das ist für Valerius Maximus in der Kaiserzeit eine Frage, die allein am Kriterium des Geschlechts entschieden 196 Zur moralischen Bedeutung des Kaiserhauses vgl. Lucarelli 2007, 165f. 197 Den Fokus auf die Mann-Frau-Beziehung in der häuslichen Sphäre zeigt Val. Max. 4,3,3: hoc cubiculum talibus experimentis summam imponat. 198 Zum Fokus der Exempla in Kapitel 7,7 auf die augusteische Ehegesetzgebung vgl. Lucarelli 2007, 133. Als juristischen Sachverhalt innerhalb eines Werkabschnittes, der sich juristischen Fragen widmet, deutet dies hingegen Bloomer 1992, 24. 199 Zur Deutung der Aequitas als Gottheit in diesem Kontext vgl. Vollmer 1902, 1017,3f. 200 Vgl. Weileder 1998, 64. 201 Val. Max. 9,15,5: uerum postquam a Sullana uiolentia Caesariana aequitas rem publicam reduxit, gubernacula Romani imperii iustiore principe obtinente, in publica custodia spiritum posuit. 202 So versteht es etwa Milnor 2005, 199.

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wird. Dies zeigt die moralische Autorität, mit der Augustus hier ausgestattet wird. Dass dieses kaiserliche Moralwissen daher ein zentraler Bestandteil der Kaiserpanegyrik ist, macht das Exemplum 7,8,2 zu weiblichem Erbrecht deutlich. Darin lässt Valerius auch in einem republikanischen Beispiel keinen Zweifel an seiner kritischen Haltung gegenüber der Nachlassregelung einer Frau namens Aebutia, die ihre Tochter Afronia enterbt. Da Valerius in diesem republikanischen Exemplum eine äquivalente Moralinstanz fehlt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Entrüstung der enterbten Tochter auktorial zu überliefern und so den kaiserzeitlichen Diskurs zu vermitteln.203 Indem Afronia schließlich dem Willen ihrer Mutter honor entgegenbringt, wird die Handlung damit moralisch abgesichert.204 Das Eingreifen des Augustus in moralische Problemfälle der Kaiserzeit bezeichnet also im tiberianischen Narrativ eine männliche Instanz, die im Gegensatz zu seinen republikanischen Vorgängern weibliche Sitten zu regulieren imstande ist. Die Exempla bilden eine durch die Figur des Princeps veränderte Qualität männlichen Handelns ab. Kaiserliche Männlichkeit steht also im Zentrum einer umfassenden männlichen Werteperspektive im tiberianischen Genderdiskurs. 5.2.2.2 Frauen und männliche Memoria

Die Exempla der Kaiserzeit vermitteln eine wesentlich veränderte Bedeutung des männlichen Geschlechts, wenn Männer selbst im Fokus der exemplarischen Aufmerksamkeit stehen oder als Bewertungsinstanz für weibliches Handeln eintreten. Valerius Maximus erzeugt dabei nicht nur ein Wertekonstrukt, das im Gegensatz zu den Beispielen aus der Zeit des Bürgerkrieges, in denen Werte über einen Zugriff von Frauen verhandelt werden, auf eine männlich geprägte Struktur des Wertes abzielt. Ebenso präsentiert der tiberianische Diskurs eine Gender- und Werteordnung, die frühkaiserzeitliche Sittenideale absolut setzt und als eine communis opinio des Narrativs vermittelt. Sie lässt keinen Zweifel daran zu, dass in der Darstellung des Valerius Maximus mit der Herrschaft des Augustus ein qualitativer moralischer Höhepunkt erreicht ist. Gleichzeitig klärt diese Inszenierung auch Valerius’ Verhältnis zur Republik. Die männlichen Ideale der republikanischen Exempla spiegeln sich nun in der Memoria kaiserzeitlicher Protagonisten wider, was ebenso die Funktion von Weiblichkeit in diesen Erzählungen bestimmt.205 Antonia, die Frau des Drusus Germanicus, wird für ihre egregia fides gelobt, die sie ihrem Ehemann als Anerkennung für seine sexuelle Selbstbeherrschung 203 Zur Bedeutung des frühkaiserzeitlichen Diskurses in Val. Max. 7,8,2 vgl. Lucarelli 2007, 133. 204 Val. Max. 7,8,2: Afronia [...] testamentumque matris patientia honorare quam iudicio conuellere satius esse duxit, eo se ipso indigniorem iniuria ostendens, quo eam aequiore animo sustinebat. 205 Eine deutliche Distanz des Valerius Maximus zum republikanischen Programm stellt hingegen Bloomer 1992, 11 fest.

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entgegenbringt. Die Figurenkonstellation des Exemplums wird vor allem durch die übrigen Exempla dieser Rubrik 4,3 de abstinentia et continentia entscheidend für die Deutung der Geschlechterrollen. Valerius platziert darin stets bedeutende Männer im Zentrum seiner Darstellung, die diesen Werten überwiegend gegenüber von ihnen unterworfenen Völkern Ausdruck verleihen. So werden die Tugenden in dieser Rubrik ansonsten in den Dienst einer kaiserzeitlichen Herrschaftsideologie gestellt, die römisches Kriegshandeln exemplifiziert und im Sinne eines Herrschaftsanspruches formuliert. Ausschlaggebend ist dabei die kaiserzeitliche Perspektive der Exempla, die republikanische Männlichkeit als Kennzeichen einer moralischen Überlegenheit sowie als Voraussetzung für die Macht Roms versteht.206 Dieses Muster legt Valerius in Exemplum 4,3,1 mithilfe der Inszenierung des Scipio Africanus an. Es wird eine Struktur der Werte-Exempla erkennbar, die diese Männer hierarchisch überlegen agieren lässt. Valerius konstruiert ihre Überlegenheit, um ihre abstinentia et continentia gegenüber unterlegenen Figuren zum Ausdruck zu bringen und sie dabei in ein Abhängigkeitsverhältnis zu integrieren, das der Macht- und Herrschaftsideologie des kaiserzeitlichen Diskurses entspricht. So stehen etwa in Exemplum 4,3,1 trotz weiblicher Beteiligung der Verlobten des spanischen Fürsten Indibilis die sittenhaften Qualitäten Scipios und die moralische Überlegenheit der Römer im Mittelpunkt.207 Valerius nutzt diese als Grundlage seines Scipio-Exemplums, in dem der Protagonist der Frau, die als eximiae [...] formae uirginem aetatis adultae beschreiben wird, seine continentia erweist: Scipio [...] postquam comperit inlustri loco inter Celtiberos natam nobilissimoque gentis eius Indibili desponsam, arcessitis parentibus et sponso inuiolatam tradidit. aurum quoque, quod pro redemptione puellae allatum erat, summae dotis adiecit. qua continentia ac munificentia Indibilis obligatus Celtiberorum animos Romanis applicando meritis eius debitam gratiam rettulit.208 (Val. Max. 4,3,1)

206 Val. Max. 4,3,praef.: magna cura praecipuoque studio referendum est quantopere libidinis et auaritiae furori similis impetus ab inlustrium uirorum pectoribus consilio ac ratione submoti sint, quia ii demum penates ea ciuitas id regnum aeterno in gradu facile steterit, ubi minimum uirium ueneris pecuniaeque cupido sibi uindicauerit. Weileder 1998, 62f., 149, 244f. hat auf die Bedeutung von abstinentia und continentia in machtpolitischen Kontexten hingewiesen, diese aber nicht als geschlechterspezifische Moralvorstellungen betrachtet. Ähnlich Skidmore 1996, 61. 207 Vgl. Weileder 1998, 125, 153f. 208 Scipio [...] übergab sie, nachdem er erfahren hatte, dass sie bei den Keltiberern von hoher Abstammung und mit Indibilis, dem edelsten dieses Volkes, verlobt sei, den herbeigeholten Eltern und dem Verlobten unversehrt. Auch das Gold, das herbeigebracht worden war, um das Mädchen loszukaufen, fügte er der Summe der Mitgift hinzu. Durch diese Selbstbeherrschung und Freigebigkeit verpflichtete Indibilis die Herzen der Keltiberer den Römern und leistete seinem Wohltäter den fälligen Dank.

virtus restituta – Frauen und die kaiserliche Männlichkeit

Überraschenderweise ist es die Verlobte des Indibilis, die zur Rezipientin von Scipios continentia wird. Sie dient somit als eine passive Charaktantin für Scipios Exemplum. Sämtliches Wissen über die gesellschaftlichen Strukturen der Hispanier liegt beim Römer (comperit). Ebenso lenkt er auch die Handlung, die darauf zielt, die weiblichen Ideale zu bewahren (inuiolatam tradidit). Damit verschieben sich auch hier die Fronten des Krieges, wenn die Frau in direkter Interaktion mit Scipio platziert wird. Nichtrömische Weiblichkeit ist für Valerius damit eine passive Folie der männlichen Werteideale eines römischen Protagonisten. Der Mann erfährt erst daraufhin diese moralische Qualität. Er ist ebenfalls passiv der moralischen Übermacht des Römers unterlegen (obligatus). Nur in diesem römisch regierten Abhängigkeitsverhältnis kann der Celtiberer handeln und als Reaktion auf die römische continentia seine gratia erweisen. Die Emphase der römischen Überlegenheit lässt Valerius die politische Relevanz dieses Ereignisses in den Hintergrund rücken und Spanien als Verbündeten Roms moralisch legitimieren.209 Auf diese Weise wird die Hierarchie, die Valerius am Kriterium der Ethnizität schafft, auf den Genderdiskurs übertragen. Valerius zeichnet auf der Seite der Feinde Roms ein Geschlechterverhältnis, das einzig darauf ausgerichtet ist, Scipios Ideale zu inszenieren. Weiblichkeit dient dabei als passive Projektionsfläche für diese römischen Werte. Dies zeigt sich nicht nur in der Funktion der Verlobten. Auch Indibilis, eigentlich der nobilissimus unter den Keltiberern, wird durch Valerius’ Wertekonstrukt gegenüber Scipio in einer unterwürfigen, verweiblichten Position verortet. So wird ein Konstrukt von Männlichkeit abgebildet, das leitmotivisch diese Exempla-Kategorie bestimmt. Die Bezeichnung Scipios als uictor (4,3,1) steht in der Struktur des Kapitels 4,3 dabei nicht nur im Zeichen des Genderdiskurses. Gleichzeitig legt dies die ideologische Perspektive der Exempla-Sammlung offen, welche den Römer bereits als Sieger im Punischen Krieg versteht.210 Somit wird deutlich, dass Valerius für diese Wertekategorie ein imperiales Männlichkeitsbild generiert und mit exemplarischen Qualitäten versieht. Dieses Muster nutzt Valerius auch in seiner Erzählung der frühen Kaiserzeit im Exemplum des Drusus. Während in den übrigen Exempla der Rubrik der Gedanke einer römischen Überlegenheit im Zentrum des Interesses steht, nimmt das der Antonia mit seinem Figurenbestand des Kaiserhauses aber eine Sonderstellung ein. Eine römische Frau dient nämlich als Bezugspunkt der continentia, die von Drusus Germanicus abgebildet wird. Besonders deutlich tritt dabei hervor, dass der Wert der continentia und die moralische Qualität ihrer kaiserzeitlichen Träger nunmehr außer Frage stehen, wie die Vermittlung dieses Wertewissens zeigt:

209 Vgl. Weileder 1998, 154. 210 Zur Bezeichnung Scipios als uictor im Zeichen des römischen Selbstverständnisses der Kaiserzeit vgl. ebd., 125; ähnlich Bloomer 1992, 150, 227.

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Drusum etiam Germanicum, eximiam Claudiae familiae gloriam patriaeque rarum ornamentum, et, quod super omnia est, operum suorum pro habitu aetatis magnitudine uitrico pariter ac fratri, duobus rei publicae diuinis oculis, mirifice respondentem, constitit usum ueneris intra coniugis caritatem clausum tenuisse. Antonia quoque, femina laudibus uirilem familiae suae claritatem supergressa, amorem mariti egregia fide pensauit.211 (Val. Max. 4,3,3)

Innerhalb der hier konstruierten Geschlechterordnung zielt das Exemplum nicht nur darauf ab, die panegyrische Inszenierung der Caesares ausgehend von Augustus und Tiberius auf Drusus Germanicus auszuweiten. Es gibt zugleich einen Einblick in die Autorität der Kaiserzeit-Memoria, in der die Qualitäten männlicher Protagonisten – insbesondere derer aus dem Kaiserhaus – absolut gesetzt werden. Sicherlich trifft die Deutung von Weileder zu, der dies als Huldigung an das Kaiserhaus und als moralische Grundlage der römischen Expansionsbestrebungen versteht,212 sodass dieses Exemplum gänzlich im Sinne der kaiserlichen Ideologie gelesen werden muss. Allerdings ist ein entscheidendes Merkmal der kaiserlichen Exempla, dass Valerius hier eine communis opinio der männlichen continentia schafft. Dazu erhält Weiblichkeit nun die Funktion einer römischen Folie für die kaiserliche Moral. Die Überführung dieses Wertewissens in ein moralisches Allgemeinwissen der Kaiserzeit durch constitit zeigt nämlich in diesem auktorialen Modus deutlich, dass die männliche Qualität hier außer Frage und ein solches Selbstverständnis im Gegensatz zur abgewerteten continentia des Bürgerkrieges steht.213 Entsprechend tritt auch im vorliegenden Beispiel die Panegyrik auf Drusus hervor, wenn seine Verdienste aufgrund ihrer magnitudo und er als eximiam Claudiae familiae gloriam patriaeque rarum ornamentum gepriesen werden, was diesem durch die parallele Gestaltung umfassende Bedeutung für das Kaiserhaus und den Staat zuschreibt. Auf diese Weise wird Drusus in eine Reihe mit den prominentesten Vertretern seines Herrschergeschlechts (uitricio pariter ac fratri) gestellt. Außerdem können durch die Bezeichnung duobus [...] diuinis oculis zugleich auch Tiberius göttliche

211 Es war gemeinhin bekannt, dass auch Drusus Germanicus, der vortreffliche Glanz der claudischen Familie und seltener Schmuck des Vaterlandes und, was über allem steht, aufgrund der Größe seiner Taten entsprechend seines Alters gleichermaßen seinem Stiefvater und seinem Bruder, den beiden göttlichen Augenpaaren des Staates, auf wundersame Weise entsprechend, seine sexuelle Aktivität auf die Liebe zu seiner Ehefrau beschränkt gehalten hatte. Auch Antonia, die als Frau durch ihren Ruhm den Glanz ihrer Familie übertraf, hat die Liebe ihres Ehemannes durch ihre ausgezeichnete Treue aufgewogen. 212 Vgl. Weileder 1998, 261; ähnlich Maslakov 1984, 446. Zur Bedeutung der Eroberung Germaniens bei Valerius Maximus und zum cognomen Germanicus vgl. Weileder 1998, 107. 213 Val. Max. 4,3,14: quae quidem tam misericors continentia plebis tacitum crudelium uictorum conuicium fuit. Vgl. dazu auch Bloomer 1992, 177.

virtus restituta – Frauen und die kaiserliche Männlichkeit

Eigenschaften zugeschreiben werden.214 So wird kaiserliche Männlichkeit zum Hauptanliegen dieses Exemplums. Sie stellt ein kaiserzeitliches Pendant zur monumentalen Memoria republikanischer Männer auf der Folie idealer Weiblichkeit dar, welche bereits aufgezeigt wurde.215 Valerius stellt in dem Exemplum Drusus und Antonia gegenüber und verlegt dabei den Fokus auf die private Sphäre. Diese Strategie steht im Gegensatz zur Ausrichtung auf erfolgreiches Männerhandeln gegenüber Feinden im machtpolitischen Kontext, wie sie die übrigen Exempla der Rubrik 4,3 zeigen. Dies spiegelt den tiberianischen Gender- und Wertediskurs wider: Einerseits zeigt diese Darstellung, dass das tiberianische Narrativ für die Kaiserzeit keine hegemoniale Ausdehnung mehr verzeichnet, die Eroberung Germaniens somit mehr status quo als Ereignis ist.216 Andererseits stellt Valerius männliche continentia und weibliche fides gegenüber und schafft daraus ein reziprokes Verhältnis. Dieses Wertekonstrukt bildet die moralische Kontinuität und die kaiserzeitlichen Werte- und Genderideale ab, wofür das Narrativ des Valerius eine wertebezogene communis opinio schafft.217 Abseits einer moralischen Diktion der maiores versieht Valerius die continentia mit einer neuen Bedeutung, wozu Frauen in das Wertekorsett der fides gezwängt werden. So werden sowohl eine Geschlechterbeziehung, die Valerius zur Voraussetzung von exemplarischem Männerhandeln macht, als auch eine neue Vergangenheit der Kaiserzeit geschaffen. Sie ist darauf ausgerichtet, Frauen im sozialen Kontext der imperialen Gesellschaft zu verorten. Dadurch können machtpolitische Entwicklungen und die Konstruktion hegemonialer Hierarchien nunmehr zugunsten sozialer Beziehungen außer Acht gelassen werden.218 In den continentia-Exempla wird der passive Part, der in Exemplum 4,3,1 durch Feinde Roms weiblich repräsentiert wurde, nun römischen Frauen zugewiesen. Dadurch entsteht im römischen Wertekosmos eine normative Geschlechterordnung, in der Frauen dezidiert als Feinde idealer Männlichkeit gelten. Ihnen kommt nur noch die passive Funktion einer Projektionsfläche männlicher Moral zu. Dass die Konstruktion einer frühkaiserzeitlichen Memoria der Herrscherfamilie ein zentrales Anliegen der Narration des Prinzipats darstellt, demonstriert die epistemische Gestaltung eines weiteren Exemplums. Als nämlich in 9,15,2 de iis

214 Vgl. Weileder 1998, 297. 215 Vgl. Kapitel 3.2.2. 216 Zur Ausrichtung auf die Weltherrschaftsideologie des Val. Max. vgl. Weileder 1998, 52; zur Vordatierung der römischen Weltherrschaft vgl. ebd., 193. 217 Zur Konstruktion geschlechtlich markierter fides in den Kaiserzeit-Exempla vgl. Kapitel 5.2.2.1. 218 Skidmore 1996, 59 setzt hingegen mit Blick auf die continentia-Exempla in Buch 2 die Autorität der maiores absolut. Entsprechend muss die Beobachtung von Milnor 2005, 199 differenziert werden, die dieses Exemplum als Rückkehr zu einer traditionellen Familienstruktur deutet, dadurch aber die ideologische Bedeutung der continentia im Kontext von Kapitel 4,3 außer Acht lässt.

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qui infimio loco nati mendacio se clarissimis familiis inserere conati sunt ein Betrüger behauptet, ein verstoßener Sohn von Augustus’ Schwester Octavia zu sein, berichtet Valerius, dass der Princeps dadurch einen erheblichen Schaden für seine sanctissima soror (9,15,2) und zugleich auch für die Integrität des Kaiserhauses befürchtet.219 Daraufhin nutzt die Erzählung erneut einen auktorialen Modus, um die moralischen Qualitäten des Augustus aus tiberianischer Perspektive bereits als Teil der Memoria erscheinen zu lassen. Das wichtigste Anzeichen dafür, dass Valerius mit seiner Memoria der sanctissimi penates durchaus römisches Allgemeinwissen präsentiert, ist, dass uidelicet der nebensatzeinleitenden Subjunktion vorangestellt ist. Während die übrige Erzählung als Präsentation einer Anekdote verstanden werden kann, weist die Erzählperspektive diesem Urteil eine Allgemeingültigkeit einer kaiserzeitlichen Erinnerungskultur zu. Auf diese Weise wird nicht nur für die Zeit des Übergangs von der Republik zum Prinzipat das Bestreben eines von Kontinuität geprägten Geschichtsbildes deutlich. Auch die Folgezeit ist aus der tiberianischen Perspektive ein moralisches Kontinuum.220 Unter den Bedingungen der Literatur des Prinzipats, die eine Exemplifizierung von Einzelpersonen zugunsten der Herrscherpanegyrik vernachlässigt,221 nutzt Valerius also den Figurenbestand des Kaiserhauses, um gesamtgesellschaftliche Moralideale zu etablieren. Augustus und Drusus stehen dabei für eine wiedererstarkende männliche uirtus. Diese lenkt als zentraler Wert die von Maslakov erkannte Neukonstruktion der mores unter den ersten beiden Principes.222 Diese uirtus der Caesaren-Familie bestimmt also maßgeblich die Konstruktion von Weiblichkeit und die Verortung von Frauen in der römischen Gesellschaft des Prinzipats. Ein Rückbezug auf die mores maiorum wird deutlich, wenn auch hier männliches Wertewissen für die Inszenierung von Weiblichkeit entscheidend ist, diese aber nachdrücklich in die Hände des Kaiserhauses gelegt wird.

5.3

Fazit

Die Analyse der ausgehenden Republik seit der Bürgerkriegszeit kann sich in den Facta et dicta memorabilia auf eine signifikant höhere Anzahl von Frauen-Exempla

219 Val. Max. 9,15,2: exstitit, qui clarissimae ac sanctissimae sororis eius Octauiae utero se genitum fingere auderet, + propter summam autem imbecillitatem corporis ab eo cui datus erat perinde atque ipsius filium retentum +, subiecto in locum suum proprio filio, diceret, uidelicet, ut eodem tempore sanctissimi penates et ueri sanguinis memoria spoliarentur et falsi sordida contagione inquinarentur. 220 Vgl. Gowing 2005, 31f. 221 Vgl. Wiegand 2013, 179, die Tiberius in den kaiserzeitlichen Exempla als einzige konkret handelnde Figur identifiziert hat. 222 Vgl. Maslakov 1984, 454f.

Fazit

stützen. Dass Frauen vermehrt in Erscheinung treten, kann seinerseits bereits als Indikator einer Krisenwahrnehmung in der Exempla-Sammlung verstanden werden. Hierbei konnte gezeigt werden, dass diese Frauen explizit im Zeichen einer Krise auftreten, die maßgeblich als eine Geschlechterkrise gekennzeichnet wird. Zwei zentrale Phänomene konnten herausgestellt werden, die offenlegen, dass das vermehrte Auftreten von Frauengestalten in den Exempla mit moralischen Defiziten von Männern zu erklären ist und somit eine Krise der Männlichkeit in der späten Republik erzählt wird: Erstens legen Frauen diese männliche Krise als ein Werteproblem offen, indem sie etwa hinsichtlich der fides die übergeordnete Instanz in einer geschlechtlich markierten Hierarchie von Werten der sozialen (Nah-)Beziehungen darstellen. Frauen sind sowohl Repräsentantinnen als auch die Garantinnen der fides. Die Gegenüberstellung idealtypischer fides-Exempla, welche die männlichen Protagonisten der republikanischen Aristokratie gemäß einer frühkaiserzeitlichen Republik-Memoria inszenieren, und spätrepublikanischer fides machte deutlich, dass dieser Wert im tiberianischen Diskurs zur Abbildung von Genderproblemen dient. Zweitens wurde nämlich dargelegt, dass diese veränderten Geschlechterhierarchien, die Frauen an die vorderste Front des Bürgerkrieges stellen, aus der politischen Opposition zu Caesarianern und Triumvirn resultieren. Da die überwiegende Zahl der Frauen aus dem Lager der Caesar-Gegner und Proskribierten stammt, wird deutlich, dass Valerius gerade dort eine moralische Krise der Männlichkeit ausmacht. So wurde anhand verschiedener fides-Exempla der 50er und 40er Jahre erkennbar, dass Valerius die Gendertransgressionen von Frauen insbesondere dazu nutzt, die Verantwortung der Handlung in seiner Darstellung des Bürgerkrieges zu verlagern. Indem nämlich so eine Krise erzählt wird, in der Frauen anstelle der Gegner der Caesares die Handlung zugeschrieben wird, gelingt es Valerius, das Konfliktpotential des Bürgerkrieges zu verringern, die Widersacher der caesarischen Ideologie aber dennoch in das Narrativ zu integrieren. Anstatt etwa Figuren wie dem Caesarmörder Brutus einen Platz in der römischen Geschichte zuzuweisen, verlagert Valerius die Bürgerkrieg-Memoria. Er stellt dazu dessen Frau Porcia ins Zentrum des Exemplums und kann den Mann dadurch beinahe gänzlich ausblenden. Es konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass Valerius Maximus in seiner Darstellung die spätrepublikanische Krise vor allem als ein männliches Problem beschreibt. Dieser Befund schlägt sich literarisch in der moralischen Dekonstruktion des Männlichen nieder, die Valerius zur Abbildung der Krise vornimmt. Seine Narrative der Frühgeschichte und des Prinzipats mit männlich figurierten maiores auf der einen und den Caesares auf der anderen Seite bieten wirkungsmächtige exemplarische Protagonisten und nutzen sie als moralische Urteilsinstanzen. Dagegen wird die Zeit der Bürgerkriege vor allem deswegen zu einer Krise, weil moralische Bewertungsebenen fehlen, durch die ein Wertewissen vermittelt wird. Stattdessen macht Valerius die Widersacher der Caesares zu den Ergebenen ihrer Frauen und

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Krise ohne Ende? Genderkrise zwischen Republik und Prinzipat

kann sie dadurch aus dem Narrativ der Krise des Bürgerkrieges ausblenden, wie die Beispiele der proskribierten Männer in der Rubrik 6,7 de fide erga uiros gezeigt haben. Diesen dekonstruierten Männern fehlt nämlich ein figuraler Wertezugang. Zugleich wurde auch ersichtlich, dass dieses moralische Defizit Männer nicht nur performativ, sondern auch räumlich aus dem Konflikt mit den Caesares tilgte, indem ihnen ihre Handlungsmacht genommen wurde und sie ihrer Frau hierarchisch unterlegen in den häuslichen Raum verlagert wurden. In dieser Strategie dient das Kriterium des Geschlechts für Valerius Maximus in besonderem Maße dazu, das Narrativ der ausgehenden Republik und somit auch die frühkaiserzeitliche Erinnerungskultur in die Vorgaben der caesarischen Ideologie zu integrieren. Zudem wird mithilfe dekonstruierter männlicher Widersacher auch das Konfliktpotential dieser Krise der Bürgerkriege erheblich verringert. Anhand der Fokalisierung alternativer Werturteile, die der Ausfall moralischer Instanzen in der Darstellung der vor-caesarischen Zeit erforderlich macht, wurde die Bedeutung auktorialer Bewertungsstrategien deutlich. Insbesondere die Zeit seit den Unruhen zwischen Sulla und Marius bis hin zu den moralischen Ausschweifungen der 60er und 50er etwa durch Catilina konnte in der Darstellung der Facta et dicta memorabilia als Phase einer zunehmenden Dekonstruktion des Männlichen und somit als eine sich zuspitzende Wertekrise identifiziert werden. Valerius fehlen für seine Erzählung nun nämlich männliche Protagonisten, die als epistemische Instanzen dienen können. Erzähltextanalytisch konnte nachgewiesen werden, dass die Narration in diesen Exempla in den auktorialen Modus wechselt, um Werturteile zu vermitteln, die zuvor über männliche Protagonisten vermittelt wurden. Durch das Fehlen von moralisch integren Männern tritt der tiberianische Diskurs in diesem auktorialen Erzählmodus also besonders deutlich hervor. Der Werte- und Geschlechterdiskurs zielt mit der Ausblendung von exemplarisch verantwortlichen Männern nicht nur auf eine Dekonstruktion von Männlichkeit, sondern zugleich auch von Werteidealen ab. Dieser Befund markiert den moralischen Niedergang entschieden als ein vor-caesarisches Phänomen. Das Ende dieser Phase eines gesellschaftlichen und moralischen Spannungsverhältnisses sieht Valerius Maximus einzig in der Herrschaft der Caesares. Dafür ist nicht nur die verschiedentlich beobachtete Tendenz einer teleologischen Geschichtsschreibung eine ausreichende Erklärung. Wird nämlich die vor-caesarische Krisenstimmung als ein explizit geschlechtlich bedingtes Problem betrachtet, so zeigt sich, dass Valerius nicht nur teleologisch die Ereignisse der römischen Geschichte bewertet. Vor allem dieses telos sieht er in der Konstruktion frühkaiserzeitlicher Geschlechterideale erreicht. Eine Analyse der wenigen Exempla, die Valerius aus der Kaiserzeit verzeichnet, zeigt, dass die Notwendigkeit einer narrativen Verlagerung von Handlungen auf das weibliche Geschlecht in dieser Zeit nicht mehr gegeben ist. Fortan werden nämlich Frauen stets in Opposition zu einer männlich regierten Handlung platziert. Anstatt Frauen wie im Bürgerkriegsnarrativ gegen-

Fazit

über ihren Männern zu verorten, beschränkt Valerius’ Erzählung der Kaiserzeit diese Genderinteraktion auf eine Figurenkonstellation von Frauen aus dem Kaiserhaus auf der einen und Caesares – vornehmlich Augustus – auf der anderen Seite. Diese kaiserliche Ausrichtung der sozialen Nahbeziehungen der Frauen-Exempla ist für Valerius Maximus mit einer wesentlich veränderten qualitativen Bewertung der prinzipalen Männlichkeit verbunden. Während nämlich die Memoria der Triumviratszeit Männer außerstande sah, auf römische Werteideale zuzugreifen, rekrutiert Valerius seine kaiserzeitlichen Protagonisten, die als Werte-Exempla dienen, allein aus dem Kreis der Caesares. Allen voran diuus Augustus figuriert die moralische Perspektive, indem er in der Darstellung der Kaiserzeit als übergeordnete Instanz inszeniert wird. Aus seiner Sicht vermittelt Valerius die Ereignisse einschließlich der Ermordung Caesars. Das Narrativ verlegt durch die anachronistische Perspektive, die ebenfalls Octavian schon lange vor der Zeit des Prinzipats als diuus Augustus bezeichnet, auch die Wahrnehmung des Caesar-Mordes auf den ersten Princeps. So wird deutlich, dass der Umbruch des Herrschaftssystems durch die Diktion der Kaiserzeit zur gottgewollten und alternativlosen mutatio status wird. Dieses Narrativ ist damit auf die Inszenierung caesarischer Kontinuität ausgerichtet. Es ist für die Konstruktion einer tiberianischen Memoria maßgeblich auf ein Genderkonzept angewiesen, das die kaiserlichen Männer in die Position einer geschlechterspezifischen Autorität stellt. In diesem Sinne dienen die weiblichen Exempla in erster Linie dazu, durch ihre männlich ausgerichteten Wertekonstrukte zur Projektionsfläche von Männerhandeln zu werden und zugleich die Caesares zur epistemischen wie moralischen Autorität werden zu lassen.

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6.

Ergebnisse

Die vorliegende Untersuchung zielte darauf ab, die Narrativierung von Geschlechterverhältnissen in Krisen der römischen Geschichte exemplarisch anhand des Geschichtswerkes Ab urbe condita von Titus Livius und der Exempla-Sammlung Facta et dicta memorabilia des Valerius Maximus zu untersuchen. Der Fokus dieser Arbeit lag dabei insbesondere darauf, die Funktion von Weiblichkeit im Genderdiskurs der frühen Kaiserzeit offenzulegen. Die Untersuchung ging dabei von der Annahme aus, dass beide Werke Einblicke in einen im Wandel begriffenen Diskurs eröffnen, der in augusteischer Zeit Weiblichkeit gänzlich anders bewertet als unter Tiberius. Ausgegangen wurde dabei von der Prämisse, dass in literarischen Texten, deren Protagonisten in der Tradition römischer Geschichtsschreibung vorwiegend Männer und deren vorbildhaften Taten und Qualitäten sind, die Verlagerung von Handlungen auf Frauengestalten selbst bereits als Marker von Krisen gesehen werden kann. So konnte Weiblichkeit als Analysekategorie eines Krisendiskurses der frühen Kaiserzeit erschlossen werden.1 Auch Krisen konnten dabei als eine durchgängige Analysekategorie identifiziert werden. Für beide Autoren ließ sich nachweisen, dass in inneren und äußeren Spannungssituationen römische Werteideale zur Disposition stehen. In Krisennarrativen wird entweder der römische Wertekosmos neu verhandelt oder es werden einzelne Werte in ihrer Bedeutung aktualisiert. Krisen konnten in den frühkaiserzeitlichen Narrativen daher als Wertekrisen gedeutet werden. Für diese Wertekrisen ist die Kategorie ›Geschlecht‹ von zentraler Bedeutung. Für eine Bewertung geschlechterspezifischen Handelns ist dabei entscheidend, dass der Zugriff auf Werte und das Wissen um die Werte jeweils an bestimmte Figuren der Erzählung gebunden sind. Dies ist im Besonderen bei weiblichen Werte-Exempla der Fall. Im diachronen Abgleich zeigte sich, dass sich eine Änderung der Werte innerhalb des frühen Prinzipats gerade an den weiblichen Figuren manifestiert. So wurde Weiblichkeit nicht nur zum Reflex eines im Wandel begriffenen Wertediskurses. Zugleich wurde durch die Analyse der Darstellung von Frauengestalten sichtbar, dass die Inszenierung von Weiblichkeit deutliche Rückschlüsse auf die Narrativierung eines Geschlechterverhältnisses insgesamt zulässt. Durch eine Analyse, wie Wertewissen an Figuren gebunden ist (›figuraler Wertezugriff‹), konnte somit nicht nur die Funktion von Weiblichkeit innerhalb der

1 Diese Diskussion der Ergebnisse verweist auf eine detailliertere Darlegung in den jeweiligen Zwischenfaziten der einzelnen Kapitel, vgl. Kap. 2.4; 3.5; 4.4; 5.3.

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Ergebnisse

Geschlechterordnung gezeigt, sondern auch eine weitere Perspektive auf die Bedeutung von Männlichkeit und ihrer Funktion in den frühkaiserzeitlichen Exempla geschaffen werden. Für beide Autoren gilt, dass den Texten ein normatives Konzept von Weiblichkeit zugrunde liegt, welches nicht nur in Krisensituationen zu Tage tritt, sondern vor dem Hintergrund von Krisen auch neu verhandelt wird. Durch eine Untersuchung, inwieweit Figuren Einsicht in die Ursachen der jeweiligen Krisen haben (›epistemische Perspektive‹) und wann diese Einsicht an weibliche Figuren gebunden ist, konnte für beide Werke eine Bewertung der Kategorie ›Geschlecht‹ in der Darstellung der römischen Vergangenheit vorgenommen werden: In einem ersten Schritt konnte nachgewiesen werden, dass das livianische Geschichtswerk in der ersten Pentade im Narrativ einer Gründungskrise Frauen die normative Rolle der römischen matrona zuschreibt und sie mit einer figuralen Werteperspektive versieht. Diese Figuren sind also so gestaltet, dass sie aus ihrer Perspektive Einsicht in einen matronalen Wertekanon haben. Die ersten fünf Bücher Ab urbe condita wurden dadurch auch hinsichtlich einer römischen Geschlechterordnung als ein geschlossener Abschnitt erkennbar. Für die Facta et dicta memorabilia zeigte sich hingegen ein Befund, der ein verändertes Interesse an der römischen Frühgeschichte zu tiberianischer Zeit offenlegte: Für Valerius Maximus wurde deutlich, dass weniger die Formation eines römischen Volkes von Bedeutung ist, wie es das livianische Narrativ prägte. Vielmehr stellt er Weiblichkeit in den Dienst der römischen Selbstwahrnehmung als Hegemonialmacht in der Zeit der Republik. In einem zweiten Schritt wurde dann aufgezeigt, dass in beiden Werken die Geschlechterordnung in Krisen erneut diskursiv verhandelt wird. Diesen jeweiligen Krisennarrativen liegen Krisenwahrnehmungen zugrunde, die Schlaglichter auf unterschiedliche Perioden der römischen Geschichte werfen. Für Livius konnte eine Geschlechterkrise in der Zeit ab dem zweiten Punischen Krieg ausgemacht werden, die sich während des Krieges noch außerhalb Roms abspielt und erst in der Folgezeit auf Rom ausdehnt. Valerius Maximus konstruiert dagegen die Zeit der Bürgerkriege am Ende der Republik als geschlechterspezifische Wertekrise. Im livianischen Werk wurde mithilfe des Figurenwissens nachgewiesen, dass die geschlechterspezifische Perspektive von Frauen auf frührömische Krisen von entscheidender Bedeutung ist. Ein normativ weiblicher Blick von Frauen initiiert in Krisen eine männliche Werteperspektive erst, indem sie Männern nicht nur das Wissen über matronale Ideale erschließen. Gleichzeitig trägt das Wissen dazu bei, die normative Geschlechterordnung zu erzeugen und zu festigen. Somit ist das Wertewissen, das Livius über weiblich inszenierte Frauen eröffnet, auch die Grundlage für die Konstruktion einer römischen Gesellschaft. Die mythischen und frührepublikanischen Frauengestalten konnten nämlich einen weiblich markierten Wissensbestand sichtbar machen, der ihre Genderidentität maßgeblich bestimmt. So wurden etwa die Krisen des Sabinerkrieges oder der Belagerung Roms durch Coriolan als von Weiblichkeit geprägte Krisen gekennzeichnet. Darin

Ergebnisse

wurden Protagonistinnen und ihre figuralen Werteperspektiven an den Schlüsselstellen des Krisenmanagements platziert, die als elementarer Bestandteil der Krisenlösung fungierten. Auf diese Weise konnte nachgewiesen werden, dass Frauen trotz performativer Überschreitung ihres weiblichen Verhaltensrepertoires doch ausdrücklich als Frauen auf Krisen blicken: Die Sabinerinnen berufen sich in ihrer Intervention explizit auf ihre Rolle als künftige römische Matronen, als sie vor den Männern sprechen. Ebenso spricht Veturia dezidiert als Mutter zu Coriolan. Aus dieser weiblichen Krisenteilhabe gewinnen Frauen in der livianischen Erzählung der Frühgeschichte ihre Handlungsmacht und machen so die Leerstellen in der Sicht und im Verständnis der Männer erkennbar. In der ersten Pentade von Ab urbe condita ergibt sich somit das Bild einer geschlechterspezifischen Wertekrise. Hier werden nämlich ausschließlich die Perspektiven der weiblichen Figuren auf Werte dazu genutzt, um männliche Defizite in diesem Bereich zu kennzeichnen und die männlichen Figuren der Erzählung zur Reflexion über die bestehenden Werte anzuregen. Diese ›epistemischen Transgressionen‹ von Frauen gegenüber Männern aufgrund ihres Wertewissens haben sich damit als konstitutives Moment der Narrativierung einer Geschlechterordnung herausgestellt. Es konnte nachgewiesen werden, dass Frauen zwar in epistemischer Hinsicht Männern punktuell überlegen sind. Indem Livius sie aber als Frauen auf Krisen blicken lässt, konnte hierin eine Affirmation der weiblichen Genderidentität durch eine geschlechtlich markierte Perspektive aufgezeigt werden. In der ersten Pentade von Ab urbe condita ließen sich somit zwei Funktionen von Weiblichkeit formulieren: Einerseits bilden Frauen einen explizit weiblichen Tugendkanon ab, den der augusteische Diskurs auf diese Weise in der römischen Frühgeschichte verortet. Andererseits sind Frauen für Livius notwendig, um Männern den epistemischen Zugriff auf diese Werte zu erschließen. Diese Strategie zielt im Wesentlichen auf die Konstruktion einer männlichen Werteperspektive ab, die für Livius zur Krisenlösung notwendig ist. Nur über die Perspektive der Frauen erhalten Männer im Sabinerkrieg einen Zugriff auf den Wert der concordia, nachdem die Sabinerinnen diese bereits als künftige römische Ehefrauen eingefordert haben. Eine normative Geschlechterordnung, deren Wertewissen bei Männern liegt, ist das Ziel dieses Narrativs der römischen Gründungsphase. Das Postulat einer männlichen Zuständigkeit für weibliche Werte spiegelt dabei den Werte- und Genderdiskurs unter Augustus wider. Darin ist es das zentrale Anliegen, weibliche Sitten durch Männer zu regulieren. Bei Livius schlägt sich dieses Bestreben im pudicitia-Exemplum der Lucretia nieder. Zunächst ist dieser Wert explizit im weiblichen Wissensbestand verortet. Lucretia ist für Livius notwendig, um ausdrücklich als Frau Männern dieses Wertewissen zugänglich zu machen. Im Narrativ der römischen Republik ist als Folge von Lucretias Exemplum die pudicitia fortan ein Ideal, das normativ im Wissensbestand von Männern verankert ist, wie die Verginia-Episode zeigt. Die Gründungspentade in Ab urbe

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condita konnte in geschlechterspezifischer Hinsicht als ein geschlossener Teil des Werkes identifiziert werden, da sich hierin sukzessive ein männliches Wertewissen etabliert. Eine Geschlechterkrise ergibt sich also vor allem aus einem fehlenden männlichen Wertewissen, das erst aus weiblichen Perspektiven erschlossen wird. Livius konstruiert damit Wertezugriffe von Männern, sodass eine normative Geschlechterordnung Eingang in das Narrativ findet. Diese Abfolge zielt in erster Linie auf die Legitimation männlicher Handlungsmacht und die Festlegung von Genderidentitäten ab. Beispielhaft zeigt dies etwa die Verginia-Episode mit ihrem streng männlich organisierten pudicitia-Zugriff als Reflex der Lucretia-Erzählung. Dass männliches Wertewissen für Livius das Ideal einer Geschlechterordnung abbildet, konnte mithilfe einer Analyse negativ bewerteter Exempla nachgewiesen werden. Epistemische Transgressionen, die etwa in der Tullia-Episode nicht auf die Konstruktion männlichen Wissens abzielten, waren für Livius der Grund eines negativen Urteils. Dieser weiblichen Transgression konnte die normative Darstellung eines indirekten weiblichen Einflusses auf männliche Instanzen gegenübergestellt werden, wie sie in der Erzählung der Fabia minor nachgewiesen werden konnte. Lediglich als Katalysatoren eines männlichen Wertewissens entsprechen Frauen den Idealen des augusteischen Diskurses. Im diachronen Abgleich mit den weiblichen Exempla aus der mythischen Frühzeit und der römischen Republik bei Valerius Maximus konnte festgestellt werden, dass sich die Exempla-Sammlung auf einen abweichenden Zeitraum beschränkt, aus dem der tiberianische Autor normative Weiblichkeitsexempla schöpft. Auf der Grundlage einer ebenfalls abweichenden räumlichen Verortung von Frauengestalten konnten zwei entscheidende Faktoren der Facta et dicta memorabilia herausgestellt werden, die den Genderdiskurs unter Kaiser Tiberius widerspiegeln: Innerhalb dieses zeitlichen Kontinuums, das bei Valerius den Episoden aus der Zeit der Bürgerkriege vorangestellt ist, wurde anhand der geschlechtlich markierten Perspektive ein normatives Werte- und Geschlechterkonstrukt identifiziert. Dies steht im Zeichen der für Valerius Maximus vielfach formulierten und auf historische Kontinuität ausgerichteten teleologischen Geschichtsauffassung und zeigt, dass sich dieses Bild der römischen Vergangenheit auch auf der Ebene des Geschlechts niederschlägt. So konnte gezeigt werden, dass sich weiblicher Handlungsraum in der Exempla-Sammlung ausschließlich in den unmittelbaren sozialen Nahbeziehungen zwischen Männern und Frauen bietet. Stärker als bei Livius tritt bei Valerius Maximus die Konstruktion matronaler Ideale zutage: Der tiberianische Genderdiskurs bildet diese normative Weiblichkeit durch ein genuin weibliches Figurenwissen innerhalb männlich regierter Geschlechterhierarchien ab. Während Livius den Frauen epistemische Transgressionen gegenüber Männern zugesteht, um Krisen der Männlichkeit abzubilden, beschränkt sich die Darstellung von Frauen bei Valerius auf die Abbildung einer männlich regierten Geschlechterordnung. Dazu erhalten Frauen ein gänzlich weiblich markiertes Wissen. Zentrale Kardinaltugenden wie

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die pudicitia sind für Valerius Maximus normativ männliche Wissensbestände. Auf diese Weise wurde für Valerius Maximus im Vergleich zu Livius vor allem eine veränderte exemplarische Qualität des Männlichen nachgewiesen, welche die geschlechterspezifische Ordnung der Episoden prägt. Anhand der figuralen Perspektive von Frauengestalten in der ExemplaSammlung konnte auf diese Weise eine normative Genderstruktur des tiberianischen Wertediskurses offengelegt und die Bedeutung von Weiblichkeit in der zugrunde liegenden Erinnerungskultur bestimmt werden. So konnte am Wert der fides beispielhaft gezeigt werden, dass Valerius Maximus Weiblichkeit in der Genderinteraktion dazu nutzt, eine männlich regierte Werteordnung zu schaffen. In der Inszenierung der ehelichen Treue zwischen Scipio Africanus und seiner Frau Aemilia wurde dieser Wert als ein explizites Postulat an das weibliche Geschlecht gedeutet, das es dem Mann zu erweisen gilt. Die Reziprozität, die diesem Wert inhärent ist, gibt Valerius hingegen zugunsten einer exemplarischen Inszenierung des Männlichen auf und stellt allein den Mann ins Zentrum des Exemplums: Stattdessen wird nämlich ein auf Scipio ausgerichtetes Werte-Exemplum konstruiert, das der Mann auf eine Ebene jenseits der verwandtschaftlichen Nahbeziehung der weiblichen Interaktion überträgt. Dazu werden in einem Exemplum, das die fides zwischen ihm und seiner Frau thematisiert, in erster Linie seine Verdienste für die römische Republik gepriesen. Die weibliche Funktion in dieser Ordnung ergibt sich aus der fides, die ein moralisches Postulat an die Frau gegenüber einer männlich figurierten Instanz darstellt. Valerius’ fides-Begriff legte einen geschlechterspezifischen Mechanismus der tiberianischen Erinnerungskultur offen: Auf der einen Seite stehen weiblich perspektivierte Werte, die Frauen gegenüber ihren Männern artikulieren. Auf der anderen Seite stehen Männer als Rezipienten dieser Werte-Exempla, die diese Werte als summi uiri der republikanischen Memoria in einen staatlichen Kontext überführen. Auf diese Weise erhalten Frauen die Funktion von ›Katalysatoren‹ des Wertediskurses, die dazu dienen, eine explizit männliche Memoria der römischen Frühzeit zu konstruieren. Diese Funktion offenbarte zudem eine Umdeutung der Narrative sowie des Wertediskurses: Etwa anhand der Coriolan-Episode konnte dargestellt werden, dass Frauengestalten genutzt werden, um die pietas des Mannes zu evozieren, die er gegenüber dem römischen Staat zu erweisen hat. Geprägt durch den veränderten Raum der verwandtschaftlichen Nahbeziehungen inszeniert Valerius damit Werte, die auf die Initiative von Frauen angewiesen sind. Frauen treten dabei als passive Charaktantinnen männlicher Exempla und eines männlichen Wertewissens auf. Dass diese Verlagerung des Weiblichen in die Sphäre der unmittelbaren Mann-Frau-Interaktion ebenfalls von normativer Bedeutung ist, konnte anhand der Tullia-Episode aufgezeigt werden. Anders als bei Livius hat sie in der Exempla-Sammlung aufgrund ihrer weiblichen Perspektive keinen epistemischen Einfluss auf die Einsetzung des Tarquinius Superbus als König. Hingegen wird

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die Schändung der väterlichen Leiche auf einen abseitigen Strang der Erzählung verlegt. So wird außerhalb der konkreten Handlung des Exemplums ein weiblicher Raum geschaffen, in dem Tullias Transgression jenseits einer staatlichen Bedeutung erzählt werden kann. In erzähltextanalytischer Hinsicht ließen sich auf diese Weise geschlechterspezifische Kriterien der Textgattung des Exemplums formulieren, die sich für beide Autoren auf die textinterne Rezeption von Geschlecht beziehen. Im livianischen Werk fehlt den Männern gerade in der Darstellung der römischen Frühgeschichte häufig ein Wertewissen über weibliche Ideale. Dies konnte als Fehlen einer textinternen Rezeptionsinstanz von Weiblichkeit gedeutet werden. Es konnte nachgewiesen werden, dass dieses Fehlen stets eine transgressive weibliche Perspektive auf matronale Werteideale notwendig macht. Frauen initiierten dabei als aktive Katalysatoren mit figuralem Wertezugriff ein männliches Wertewissen. Dieses Problem einer männlichen Innensicht wurde damit als zentraler Aspekt einer Krisenwahrnehmung bei Livius herausgestellt. Entsprechend der männlich regierten Werte- und Geschlechterordnung konnte bei Valerius Maximus eine polyphon männliche Rezeption der Exempla nachgewiesen werden: Einerseits konstruiert die Erzählung Männer, die zur rezipierenden Instanz weiblich erzeugter Werte werden, wenn etwa Scipio der Empfänger der fides seiner Frau ist. Andererseits wurden etwa mit dem römischen Senat ebenfalls männlich figurierte Instanzen identifiziert, durch die weibliche Werteideale rezipiert und in einen normativen Wissensbestand des frühkaiserzeitlichen Gender- und Wertediskurses überführt werden. So wurde gezeigt, dass Valerius Maximus diese Art der Rezeption in der Narrativierung einer Geschlechterordnung nutzt, in der aus der Perspektive von Männern ein weiblich geschaffenes Wertewissen vermittelt wird. Diese männlich figurierten Rezeptionsinstanzen in den Facta et dicta memorabilia bilden damit eine moralische Stabilität in der Geschlechterordnung ab, die sich in der Historiographie unter Augustus noch nicht abzeichnet. Auf diese Weise konnte anhand des figuralen Wertewissens die Krisenwahrnehmung in beiden Werken differenziert werden: Während ein fehlender männlicher Zugriff bei Livius zum geschlechterspezifischen Krisenmoment wurde, wird die männliche Rezeption weiblicher Exemplarität und das damit verbundene Wertewissen von Männern zum Abbild einer Memoria, die es ermöglicht, teleologisch auf die erfolgreiche Bewältigung von Krisen zu blicken. Es hat sich also gezeigt, dass die weibliche Werteperspektive, die abhängig von einem männlichen Wertezugriff erkennbar ist, den diskursiven Moment in der Narrativierung von Geschlecht darstellt. Die Analyse figuraler Werteperspektiven konnte im weiteren Verlauf der Arbeit dazu genutzt werden, eine Krisenwahrnehmung in den Werken zu identifizieren, in denen die normativen Geschlechterordnungen zur Disposition gestellt werden. Der Abgleich von beiden Werken konnte zeigen, dass auf diese Weise Schlaglichter auf zwei gänzlich voneinander abweichende Krisennarrative geworfen werden. Livius

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nimmt erstmals im Narrativ des zweiten Punischen Krieges Bezug auf diese normative Geschlechterordnung, indem er sie zum Maßstab nimmt, um die moralische Degeneration in seiner Darstellung als eine Krise zu kennzeichnen. Dort wird der zuvor geschaffene männliche Wertezugriff auf römischer Seite zur Abgrenzung nach außen und zur moralischen Dekonstruktion der Feinde Roms genutzt. Erst in der Folgezeit stellt Livius diese normative epistemische Struktur männlicher Werteideale im Narrativ einer innerrömischen Krise zur Disposition und markiert damit eine Verlagerung der Krise von außen nach innen. Valerius Maximus verlegt hingegen die Neuverhandlung dieser Geschlechterordnung ausschließlich in die Zeit der Bürgerkriege. Mithilfe einer Analyse des geschlechtlich markierten Wertewissens konnte in der Exempla-Sammlung eine Umkehr der epistemischen Struktur nachgewiesen werden, durch die zuvor männliche Exempla erzählt wurden. Dieses Phänomen ließ sich als ein erzählerischer Reflex einer Krise deuten, die sich für Valerius Maximus wesentlich auf der Ebene der Genderinteraktion niederschlägt. Das Figurenwissen zeigt deutlich, dass Livius das Narrativ des zweiten Punischen Krieges dazu nutzt, römische Werteideale nach außen abzugrenzen. Dazu wurde männliches Wertewissen auf römischer Seite nachgewiesen. Es dient dazu, ein moralisches Sendungsbewusstsein Roms zu vermitteln. Die Opposition von moralischer Dekonstruktion auf Seiten der Feinde und einer moralischen Überlegenheit der Römer erwies sich als eine Schnittstelle von Ethnizität, Gender- und Wertediskurs und prägt damit als zentrales Merkmal das augusteische Narrativ. So konnte beispielhaft die Figur des Scipio Africanus auch im livianischen Werk als eine moralische Instanz identifiziert werden. Anders als bei Valerius Maximus ist dieser bei Livius allerdings in den Dienst eines Kontrastes moralischer Qualitäten von Römern und Nichtrömern gestellt. Sein Exemplum dient dazu, die Männer auf nichtrömischer Seite moralisch und geschlechtlich zu dekonstruieren. Dass die Dekonstruktion jedoch wesentlich auf weibliche Protagonistinnen angewiesen ist, offenbarte etwa die Sophoniba-Episode: Transgressives weibliches Handeln ist für Livius hier nötig, um auf Seiten der Numider moralische Defizite von Männern aufzuzeigen, bevor schließlich das Wertewissen des Scipio aus römischer Sicht eine moralische Überlegenheit formulieren konnte. Transgressiv weiblich erzeugte Wertedefizite nichtrömischer Männer generieren somit nicht nur eine Umkehr der Geschlechterrollen auf Seiten der Feinde Roms. Sie konstruieren zugleich in der Interaktion mit römischen Protagonisten eine Hierarchie, die Numider wie Karthager effeminiert und damit unterlegen erscheinen lässt. Das im livianischen Werk prägende Narrativ des zweiten Punischen Krieges nutzt nichtrömische Frauen, um diesen Krieg punktuell als eine Krise der nichtrömischen Männlichkeit erscheinen zu lassen. Der daraus abgeleitete Überlegenheitsanspruch wurde anhand der Kriterien von Ethnizität und Geschlecht als ein Muster im Wertediskurs dieses Narrativs herausgestellt. Nicht nur einzelne männliche Protagonisten, sondern ebenso etwa

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mit dem römischen Senat wurden weitere Rezeptionsinstanzen identifiziert, die ein römisches Wertewissen abbilden und damit eine Hierarchisierung zugunsten Roms schaffen. Wie bereits die livianische Version des zweiten Punischen Krieges zeigte, ist die Verlegung des Konfliktortes eine wichtige strukturelle Eigenschaft der frühkaiserzeitlichen Krisenerzählung: Wenn Livius für die Zeit nach diesem Krieg einen Niedergang der römischen Moral ausmacht, wird auch das Werteproblem nach außen verlegt und zwischen Römern und transgressiv inszenierten nichtrömischen Frauen verhandelt. Das Beispiel der Chiomara, die von einem römischen Zenturio geschändet wurde und daraufhin ihren Peiniger ermordet, weist etwa auf das Problem der pudicitia hin und offenbart eine moralische Krise auf römischer Seite. Nun sind nämlich römische Männer nicht mehr die epistemischen Träger dieses Ideals, sondern verkörpern vielmehr diejenigen, die diesen Wert pervertieren. Zudem kennzeichnete die weibliche Perspektive auf den Wert der pudicitia das Defizit eines Wertewissens auf beiden Seiten. Dies wurde als Reflex einer moralischen Krise gedeutet, in der sich Rom befindet und die durch weitere Expansionsbestrebungen nach außen getragen wird. Weibliches Wertewissen und dadurch ausgelöstes transgressives Genderhandeln waren also Indizien einer römischen Wertekrise, die am Kriterium des Geschlechts verhandelt wurde. Ebenso wurden in Livius’ Narrativ einer innerrömischen Wertekrise narrative Strategien aufgezeigt, die transgressives Frauenhandeln und Abweichungen von normativen Idealen auf römischer Seite zwar nicht auf räumlicher Distanz, aber doch auf erzählter Distanz zu Rom halten. Es konnte nachgewiesen werden, dass Livius dazu krisenhafte Moraldefizite von römischen Frauen mit einem Wechsel des Erzählmodus kennzeichnet. Anstelle einer auktorialen Vermittlung des Wissens hilft die metaleptische Erzählung dabei, die Verantwortung für die Erzählung einer geschlechtlichen Wertekrise auf andere Quellen auszulagern oder diese gar infrage zu stellen. Damit geht die Erzählung auf auktoriale Distanz zur Darstellung von genderspezifischen Werteproblemen. Dass die darin erzählte punktuelle oder gänzliche Umkehr der Geschlechterrollen zum moralischen Problem wird, konnte anhand der livianischen Darstellung des Bacchanalien-Skandals aufgezeigt werden. Die weibliche Überschreitung der Geschlechtergrenzen wurde dazu genutzt, um durch diesen Akt die männliche Kontrolle über die pudicitia der Frauen neu zu festigen, die als normatives Ideal einer römischen pudicitia den augusteischen Wertediskurs prägt. Es wurde deutlich, dass das livianische Narrativ ausdrücklich auf die Konstruktion eines männlichen Wertezugriffs abzielt, durch den weibliche Exempla am Maßstab matronaler Tugenden rezipierbar werden. Vergleicht man die Ausrichtung auf weibliche Sittenideale im vorliegenden Narrativ mit den sozial-gesellschaftlichen Werten der Frühzeit, so fällt auf, dass sich das exemplarische Interesse des Wertediskurses an Weiblichkeit wandelt: Deutlich stärker als zuvor nimmt Livius Frauen selbst in die Verantwortung, wenn sie nicht nur dazu dienen, verloren gegangenes Wertewissen bei Männern

Ergebnisse

neu zu initiieren, sondern zugleich auch selbst zum transgressiven Abbild einer moralischen Degeneration werden. Die Konstruktion von weiblichen Werte-Exempla auf römischer Seite, die sich vor allem am matronalen Ideal der pudicitia bemaß, ist für Livius als ein zeitgenössischer Reflex weiblich inszenierter Restaurationsbestrebungen des augusteischen Wertediskurses zu verstehen. Dagegen wurde anhand des Bürgerkriegsnarrativs bei Valerius Maximus eine gänzlich andere Funktion weiblicher Gendertransgressionen aufgezeigt. Diese kennzeichnete eine deutliche Abkehr von den Idealen einer normativen Geschlechterordnung. Mithilfe der fides-Exempla in der Darstellung der Proskriptionszeit konnte beispielhaft eine Umkehr der zuvor formulierten normativen Geschlechter- und Wertestrukturen aufgezeigt werden. Dieses Phänomen wurde als Muster im Genderdiskurs des Bürgerkriegsnarrativs formuliert: Die Handlungsmacht von Frauen gegenüber ihren proskribierten Ehemännern, die aus ihrem figuralen Wertezugriff resultiert, sorgt durch diese Umkehr der Geschlechterrollen dafür, dass das Konfliktpotential verlegt wird. Die Frauen von Gegnern der Caesares übernehmen nämlich anstelle ihrer Männer das exemplarische Wissen und treten so in den unmittelbaren Konflikt ein. Indem auf der Erzählebene die Konflikte auf Frauen verlagert wurden, konnte eine Umdeutung der Erinnerungskultur der Bürgerkriegszeit unter Tiberius zugunsten der Caesares sichtbar gemacht werden, durch die jegliche Gegnerschaft zu den Ahnen des Tiberius ausgeblendet wird. Dieser Befund spiegelt die Ausrichtung auf den Princeps wider. Dem entspricht der Rückgriff auf normative Strukturen der geschlechterspezifischen Konstruktion kaiserzeitlicher Exempla. Die epistemische Anlage der Exempla, in denen Mitglieder des Kaiserhauses die zentralen Protagonisten sind, zeigte deutlich, dass Valerius Maximus das moralische Wissen in der Kaiserzeit auf das julische Herrscherhaus konzentriert. Allein hier verortet er die moralischen Ideale sowie das Wissen über die Geschlechterordnung. Insbesondere Augustus ist für Valerius der Princeps einer kaiserzeitlichen Werte- und Geschlechterordnung. Somit konnte herausgestellt werden, dass Weiblichkeit seit dem Bürgerkrieg in den Dienst der Caesares gestellt wird. Sie trägt durch ihren Rückgriff auf die Ideale der maiores dazu bei, eine moralische Kontinuität abzubilden, die den Übergang zwischen Republik und Kaiserzeit bruchlos erscheinen lässt. Diese Arbeit konnte somit unterschiedliche Strategien der Narrativierung von Geschlechterverhältnissen in Krisen zeigen, die eine veränderte exemplarische Bedeutung von Weiblichkeit durch die zugrunde liegenden Diskurse markiert. Bei Livius dient Weiblichkeit und exemplarisches weibliches Wissen in augusteischer Zeit als stabilitätsstiftendes Element in Wertekrisen, das männliche Defizite ausgleicht. Das Ziel liegt für Livius stets darin, eine normative Geschlechterordnung zu schaffen, in der das Wertewissen dezidiert bei Männern liegt. Dieser Intention unterliegen die Frauengestalten im Werk Ab urbe condita, das die moralischen Restaurationsbestrebungen augusteischer Zeit in die Frühzeit projiziert und dort

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Ergebnisse

analog zum Prinzipat männliche Garanten der römischen Moral konstruiert. Dagegen ist Stabilität in tiberianischer Zeit für Valerius Maximus kein Anliegen der Geschichtsdarstellung mehr. Stattdessen werden Frauen und ihre Werteperspektive in der Exempla-Sammlung dazu genutzt, das Bürgerkriegsnarrativ umzudeuten. Mithilfe der Analysekategorie ›Geschlecht‹ konnte gezeigt werden, dass damit nicht nur die Wogen des Bürgerkrieges in der Erzählung geglättet werden. Gleichzeitig wird so die Republik-Memoria gemäß der kaiserlichen Ideologie idealisiert.

7.

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8.1

Stellenregister

Livius – 1,9,6 43 – 1,9,15 70 – 1,11,2 53 – 1,11,6 61 – 1,11,8 61 – 1,12,1 44, 45 – 1,12,8 45 – 1,12,9 44 – 1,13,1 49, 50 – 1,13,2 69 – 1,13,4 70 – 1,22,2 45 – 1,23,4 45 – 1,23,8 46 – 1,23,10 45 – 1,26,2 59 – 1,26,3f. 63 – 1,31,5 45 – 1,34,5 87 – 1,34,7 89 – 1,35,2 93 – 1,35,6 93 – 1,41,1 95 – 1,41,3 93 – 1,46,6 89, 90 – 1,46,8 99 – 1,47,2 88 – 1,47,3 97 – 1,48,5 98 – 1,48,7 98 – 1,58,3 51 – 1,58,5 76 – 1,58,6 51

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

1,58,7 55, 80 1,58,7f. 52, 55 1,58,10 229 2,13,9 72 2,13,10f. 72 2,39,9 46 2,39,11 46 2,40,1 51 2,40,4–9 51 2,40,5 51 2,40,8 54, 71 2,40,11 71 2,40,12 71 2,42,11 82 3,44,2 76 3,44,4 77 3,45,6–9 77 3,48,5 81 4,44,11f. 82 5,49,7 35 6,34,8–10 32 6,34,9 88 6,34,10 99 6,34,11 100 22,52,7 185 24,4,4 197 24,22,12–15 197 24,22,17 197 24,24,2 197, 198 24,26,2 202 24,26,4–9 202 24,26,7 202 26,33,8 184 26,34,1f. 184

324

Register

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

26,49,11 203 26,49,14f. 204 27,31,6 194 27,31,7 193 28,11,6 182 29,14,10–12 179 29,23,4–7 191 30,7,8f. 195 30,11,3 196 30,12,12–18 208 30,14,5 210 34,1–8 234 36,11,1–3 193 38,24,2–4 216 38,24,9 217 38,24,10 216, 218 38,57,3 221 38,57,3f. 221 38,57,7 235 38,57,7f. 221 39,10,3–6 228 39,13,8–14 232 39,15,14–16,2 232 39,43,1 223 40,4,2 217 40,4,6 218 40,37,5 223 praef. 5 36 praef. 9 24

Valerius Maximus – 1,1,6f. 127 – 1,5,5 245 – 1,7,1 279 – 1,7,2 272–274 – 2,1,3 13 – 2,1,5 154 – 2,1,praef. 154 – 3,2,1 113, 140

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

3,2,2 113, 137, 139, 145 3,2,15 246, 247 3,2,ext.9 152 4,3,1 288, 289 4,3,3 282, 290 4,6,1 132, 134 4,6,1–2 249 4,6,3 250 4,6,4 254 4,6,5 252, 256 4,8,1 141 4,8,2 147 5,2,1 115, 116, 123, 126, 156–158, 162 5,4,1 116, 123, 156 5,4,6 157 6,1,1 137, 143, 146 6,1,2 160 6,1,ext.2 138, 150, 151 6,1,ext.3 246 6,3,6 125 6,7,1 132, 133 6,7,2 250, 251 6,7,3 252 7,7,4 282, 284 7,8,2 287 8,1,abs.1 117, 125, 158, 161 8,1,abs.5 129 8,2,3 243, 244, 246 8,3,1 263 8,3,2 263, 265, 269 8,3,3 264 8,3,praef. 263 9,1,7 260 9,1,8 260, 266, 269 9,1,9 259 9,6,1 111, 118, 126 9,11,1 142, 148 9,15,2 285, 291, 292

Namensregister

8.2

Namensregister

A Aebutia 287 Aebutius 224, 228, 230–232 Aemilia (Vestalin) 127, 128 Aemilia, Tertia (Frau d. Scipio Africanus) 132–135, 220–222, 235, 247, 301 Afronia 287 Ambustus 100 Antiochos III. 191, 193, 194, 214 Antonia 285, 291 Atilius Regulus, M. 184 Aurelia Orestilla 258–260 B Busa

137, 141, 147, 149, 185

C Caecilius Metellus Pius Scipio, Q. 258 Calpurnia 271–281, 284 Carfania 263, 265, 268 Chiomara 138, 149–151, 214–219, 237 Claudia (Vestalin) 157 Claudia Quinta 177–181 Claudius, App. 76–78 Cloelia 26, 67, 68, 70–73, 112–114, 137, 139, 140, 143, 145–147, 149, 152, 186 Cluvia Facula 164 Cornelia (Tochter d. Scipio Africanus) 132, 134, 135, 221, 235, 247 Cornelius Scipio Africanus, P. 26, 119, 131, 133, 134, 172, 193, 198, 200, 201, 203–207, 220–222, 236, 249, 288, 289 Cornelius Scipio Nasica, P. 177, 179 Cornelius Sulla Felix, L. 239, 240, 244, 245, 249, 270, 294 D Damarata 208

189, 194, 195, 197, 198, 202,

Dirne aus Placentia 223 Drusus Germanicus 289, 290, 292 F Fabia minor 31–34, 85, 86, 88, 91, 96, 98–101, 104, 300 Fabius Maximus, Q. 141, 147 Fannia 243–246 Fulvia 258 Furius Camillus, M. 35 G Gemellus

261, 267

H Hannibal 134, 141, 183, 196, 200 Harmonia 152 Hasdrubal 189–193 Heraclia 201–203, 205 Hersilia 53, 54 Hieron II. 194, 197, 201 Hispala Faecenia 224, 227–233, 237 Horatia 42, 57, 59–65, 104, 109, 117, 118, 121, 124–126, 157, 161 Horatius 60, 63, 64, 118, 125 Horatius Cocles 72, 112, 113, 139–141, 147, 152 Hortensia 240, 264, 265 Hostilius, Tullus 40, 45 I Icilius, L. 77 Iulia (Frau v. Pompeius) 253, 254, 256 Iulius Caesar, C. 254, 272, 273, 275–279, 281 Iunius Brutus, L. 52, 56, 80, 227 Iunius Brutus, M. 246, 255, 273, 293

325

326

Register

L Licinius Stolo, C. 90, 100 Livia Augusta 95 Lucretia 23, 48, 49, 51, 52, 54–56, 59, 61, 77, 80, 81, 83, 94, 104, 137, 139, 144, 146, 149, 151, 160, 167, 216, 225, 227, 229, 231 Lucretius, Q. 250, 251 Lucumo s. Tarquinius Priscus, L. M Maesia 263, 269 Marcius Coriolanus, Cn. 39, 40, 42, 46, 48–51, 54, 57, 67, 70, 71, 115, 116, 123–125, 153–156, 163, 166, 167, 234, 298 Marcus Curtius 124 Marius, C. 239–246, 294 Masinissa 199, 200, 207–210, 236 Mettius Fufetius 45 Mucia 258 Mucius Scaevola, C. 72, 124, 139 O Octavia 285 Oppia 81–83 Orestilla 249, 252 P Pacula Cluvia 184 Philipp V. 193, 194, 214–216, 218 Polycratia 193 Pompeius Magnus, Cn. 253, 254 Porcia 246, 252, 255, 256, 293 Porcius Cato, M. 24, 176, 181, 226, 234, 255 Porsenna 72 Postumia 81–83 Postumius Albinus, Sp. 226, 231, 233

Q Quarta Hostilia 223 Quinctius Flaminius, L. R Romulus

222

40, 43–45, 48, 53, 64, 84

S Sabinerinnen 49, 50, 53, 66–70, 73, 102, 104, 109, 231, 234, 299 Sempronius Gracchus, Tib. 119, 131, 132, 134, 221, 247, 249 Septicia 284, 286 Sergius Catilina, L. 258–261, 294 Sextius, L. 100 Sophoniba 187, 189–198, 200, 201, 207–211, 236 Sulpicia 252 Syphax 189, 190, 192, 194, 196, 197, 207, 236 T Tanaquil 24, 38, 84–87, 89, 91–97, 100, 102, 103, 143 Tarpeia 42, 44, 57, 59, 61–63, 109, 111, 112, 114, 118, 124, 126 Tarquinius Collatinus, L. 55 Tarquinius Priscus, L. 86, 87, 89, 90, 92–95, 97 Tarquinius Superbus, L. 76, 86, 87, 97, 142, 148, 149, 301 Tarquinius, Sex. 51 Tatius, T. 61 Theoxena 215–218 Titinius, C. 243 Titius, L. 263 Tuccia 127, 129, 130 Tullia 24, 38, 84–87, 89–91, 94, 96–99, 101–103, 139, 141, 142, 148, 168, 218 Tullius, Ser. 93, 94, 142 Turia 250–252

Namensregister

U uxor Mandonii 201, 203, 205, 206 uxor Orgiagontis s. Chiomara uxor Ortiagontis s. Chiomara V Valerius Flaccus, L. 234 Verginia 23, 74–76, 79–81, 83, 144, 146, 160, 167, 225, 227, 229

Verlobte des Indibilis 288, 289 Vestia Oppia 164, 184 Veturia 49–51, 54, 59, 61, 68, 70, 71, 73, 103, 115, 121, 123, 156–158, 162, 166 Volumnia 156, 162 Z Zoippus

201

327

328

Register

8.3

Sachregister

A abstinentia 30 Affekte 44–51, 56, 61, 63, 76–78, 88, 89, 92, 97, 98, 192–194, 196–198, 209, 210, 217, 236 Aition, Aitiologie 41, 43, 44, 46, 47, 105 Alba Longa 58, 121 Albaner 39, 40, 45, 46, 57, 59, 117 ambitio 84, 85, 90, 92–95 audacia 44, 90 Augustus-Forum 119, 147, 167

E Ehe 29, 66, 189, 250, 284 Emotion 41, 43–48, 50–52, 60, 63, 64, 202, 276 Erinnerungskultur 27, 40, 73, 105, 110, 119, 120, 133, 136, 138, 147, 166, 172, 186, 211, 283, 292, 294, 301, 305 Erzähltempo 41, 45, 46, 49, 50 Ethnizität 138, 172, 173, 187, 190, 198–200, 210, 216, 237, 289, 303 Etrusker 35, 67, 72, 112, 140, 147

B Bacchanalien 171, 174, 213, 219, 225, 226, 231, 233–235 Bürgerkrieg 22, 35, 40, 92, 109, 116, 120, 158, 165, 239–243, 245, 248–250, 252–254, 256, 257, 263, 270, 280, 282, 283, 285, 287, 292–294

F ferocia 45, 64, 90 fides 29, 131–134, 152, 243, 247, 249, 250, 252, 253, 257, 285, 291, 293 Fokalisierung 17, 32 fortitudo 140, 143, 149, 152

C Cannae 137, 141, 178, 185, 200 Capua 164, 176, 184–186 castitas 68, 74, 80–84, 119, 122, 127, 129, 182, 183 clementia 28, 200 concordia 40, 42, 48, 53, 57, 68–70, 73, 89, 102, 105, 121, 165, 169, 222 Consualien 44 continentia 29, 30, 236, 285, 288–291 D dignitas 85–88, 90, 91, 205 disciplina 204 diuinitas 278, 279

G Gallier 35 Gattung – Exempla-Sammlung 16, 27, 28, 105–107, 109, 110, 114, 121, 122, 131, 155 – Historiographie 11, 13, 14, 16, 36, 109, 114, 165, 173 gratia 33, 116, 157, 289 Gründungspentade 21 H honor

32, 33, 85–87, 90, 91, 97, 100, 287

I Intersektionalität K Karthago

173, 198

175, 178, 189, 201, 207, 236

Sachregister

L leges Liciniae Sextiae 31, 34 lex Oppia 30, 172, 176, 181, 182, 234, 235, 237 libertas 40, 48, 54, 57, 68, 70, 71, 73–75, 79, 81, 89, 103, 104, 113, 165, 169, 203 libido 30, 76–78, 219, 227, 229, 259–262, 268, 269 luxuria 193, 260, 268 M Magna-Mater-Kult 178–181, 234 mater familias 12 Metalepse 212, 215, 220–223, 238 mores maiorum 28, 36, 79, 106, 108, 121, 138, 147, 149, 168, 177, 183, 219 P Panegyrik 242, 253, 272, 274, 278, 279, 287, 290 patriarchalische Strukturen 12, 31, 74 Patriotismus 58, 64, 65, 71, 124, 164, 173, 188 pietas 116, 117, 124–126, 148, 153, 156–159, 161, 166, 168, 301 Prolepse 174, 213 Proskriptionen 30, 248, 250, 251, 262, 265, 293, 305 pudicitia 13, 23, 24, 29, 30, 32, 39, 48, 54–57, 68, 74–76, 78–80, 83, 86, 104, 143, 144, 146, 149, 151, 158–161, 167, 179, 180, 215–217, 219, 224–227, 229, 231, 232, 234, 236, 237, 243, 244, 246 R Rezeption – extern

137, 168

– intern 25, 73, 108, 137, 144, 146, 154, 159, 161, 164, 167, 168, 175, 177, 180, 183, 185, 195, 218, 227, 231–235, 271, 302 S Sabinerkrieg 26, 38, 39, 44–46, 57, 59, 64, 111, 299 Schlacht von Philippi 273–275, 280 Scipionen-Prozesse 215, 220, 221, 235 Sittenpolitik 133, 134, 138, 148, 156, 182, 234, 271 Ständekämpfe 34, 75, 78, 86–88, 91, 96 summi uiri 27, 119, 131, 135, 147, 166 Syrakus 152, 188, 189, 194, 197, 201–203, 205, 208 T teleologische Geschichtsauffassung 109, 110, 113–115, 120, 165, 281, 294, 300, 302 Triumvirat, zweites 240–242, 248, 250, 265, 282, 285, 293, 295 U uirtus 26–28, 39, 56, 67, 68, 70–72, 90, 140, 143, 145, 146, 205, 210 uniuira 13, 217 V Vestalinnen 80, 81, 84 Volsker 39, 46, 51, 52 Z Zama 134 zweiter Punischer Krieg 21, 22, 109, 126, 136, 171, 172, 178, 181, 182, 187, 189, 198, 199, 211, 214, 236

329