Evangelischer Glaube und politische Verantwortung: Martin Luther als politischer Berater seiner Landesherrn und seine Teilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens [2. Aufl. Reprint 2020] 9783112322512, 9783112311240

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Evangelischer Glaube und politische Verantwortung: Martin Luther als politischer Berater seiner Landesherrn und seine Teilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens [2. Aufl. Reprint 2020]
 9783112322512, 9783112311240

Table of contents :
INHALT
VORWORT
I. VORBEMERKUNG
II. Die Grafen von Mansfeld
III. Friedrich der Weise
IV. Johann der Beständige
V. Johann Friedrich der Großmütige
VI. Schlußbemerkung

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Hermann Kunst Evangelischer Glaube und politische Verantwortung

Hermann Kunst

Evangelischer Glaube und politische Verantwortung Martin Luther als politischer Berater seiner Landesherrn und seine Teilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens

&f EVANGELISCHES VERLAGSWERK

STUTTGART

LEKTORAT: Walter Schmidt

ISBN 3 7715 0172 5 Erschienen 1976 im Evangelischen Verlagswerk Stuttgart. 2. Auflage 1979 Alle Redite vorbehalten. Druck: J. F. Steinkopf KG, Stuttgart. Bindearbeiten: Ernst Riethmüller, Stuttgart. Umschlag: Klaus Dempel.

Meiner lieben Frau Elisabeth geb. Quade

den Mitgliedern des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland von 1949—1977

allen Mitarbeitern meiner Dienststelle in Bonn

meinen Freunden und Weggefährten

in großer Dankbarkeit zugeeignet

INHALT

Vorwort

9

I. Vorbemerkung

11—15

II. Die Grafen von Mansfeld

16—34

1. Der Beginn der Beziehungen zu den Mansfeider Grafen . 2. Die Auseinandersetzungen um die Bergwerke 3. Der Streit zwischen den Grafen Gebhard und Albrecht . 4. Die Mansfelder Schlichtungsverhandlungen 5. Die Verträge von 1546

. .

III. Friedrich der Weise

35-95

1. Die persönlichen Beziehungen 2. Temporalia et Spiritualia 3. Der „Brief an die Fürsten zu Sachsen" 4. Die Wittenberger Unruhen von 1520 5. Stellenbesetzungen 6. Eintreten für Bittsteller 7. Finanzfragen 8. Die Witwe Landmann 9. Nikolaus Pfaffenbeck 10. Die Gebrüder Leimbach 11. Jakob Strauss und die Zinsfrage 12. Rechtsfragen 13. „Große Politik" 14. Das „politische" Schrifttum Luthers aus der F r ü h z e i t . . . IV. Johann der Beständige 1. Die persönlichen Beziehungen 2. Der Bauernkrieg 3. Das Gutachten für den Erfurter Rat über die 28 Artikel. 4. Kriegsdienst und Türkenkrieg

16 18 24 26 31

35 42 52 56 61 63 68 71 73 76 80 84 89 91

97—261

.

97 108 162 171 7

5. Die Einrichtung der Visitationen und die Anfänge des landesherrlichen Kirchenregiments . . . 6. Die Auseinandersetzungen mit dem Zwickauer Rat . . . 7. Die Packschen Händel 8. Die Entstehung des Schmalkaldischen Bundes und die Frage des Widerstandsrechtes gegen den Kaiser . . . . V. Johann Friedrich der Großmütige 1. Die persönlichen Beziehungen 2. Die Korrespondenz des Jahres 1532 3. Luther und Herzog Georg von Sachsen 4. Luther und Kurfürst Joachim I. von Brandenburg . 5. Luther und Albrecht von Mainz 6. Handel und Wirtschaft 7. Die Rückeroberung Württembergs 1534 8. Die Wurzener Stiftsfehde 1542 9. Die Feldzüge gegen Braunschweig 1542—1545 VI. Schlußbemerkung

8

191 207 217 225

263—397

.

.

.

263 270 288 317 329 350 366 369 375

399-402

VORWORT Die überaus freundliche Aufnahme meines Aufsatzes über „Martin Luther als politischer Berater seines Landesherrn " in der Festschrift für Ulrich Scheuner (Berlin 1973, S. 307-362) hat mich veranlaßt, das Thema ausführlicher zu behandeln. Hier mußte ich mich auf die Behandlung der Beziehungen Luthers zu den Grafen von Mansfeld und Friedrich dem Weisen beschränken. Wenn ich jetzt die Untersuchung auf Johann den Beständigen und Friedrich den Großmütigen, d. h. auf die ganze Lebenszeit Martin Luthers, ausgedehnt und gleichzeitig das Thema durch die Behandlung der Teilnahme Luthers an den Fragen des öffentlichen Lebens seiner Zeit erweitert habe, so geschah das nicht ohne Zögern. Es war, jedem Eingeweihten verständlich, sowohl durch den Umfang des Materials wie die Schwierigkeit des Stoffes verursacht. Wenn ich mich trotzdem zur Inangriffnahme der Arbeit entschloß, so mit Rüdksicht darauf, daß ich Ausschnitte aus dem neuen Stoff bereits früher behandelt hatte (z. B. „Martin Luther und der Krieg", Stuttgart 1968) und darauf zurückgreifen konnte, wie im Hinblick darauf, daß damals der Gegenstand in der reformationsgeschichtlichen Literatur kaum behandelt worden war. Denn es gab nichts als K. Alands Aufsatz: Martin Luther als Staatsbürger (Kirchengeschichtliche Entwürfe, Gütersloh 1960, S. 420—451), der an einzelnen ausgewählten Beispielen darlegte, welcher Schatz noch ungehoben in den Briefen Luthers lag. Inzwischen ist z. B. die (katholische) Dissertation von Karl Trüdinger erschienen: Luthers Briefe und Gutachten an weltliche Obrigkeiten zur Durchführung der Reformation (Münster 1975), im Druck befindet sich die Habilitationsschrift von Eike Wolgast: Die Politik der evangelischen Stände und die Wittenberger Theologie 1522—1546. Studien zu Luthers Gutachten in politischen Fragen. Aber die erste Schrift ist im wesentlichen den innerkirchlichen Fragen zugewandt (so wie schon früher die ungedruckte Dissertation von N . Stein: Luthers Gutachten und Weisungen zum Aufbau eines evangelischen Kirchenwesens, Freiburg 1960), die zweite den grundsätzlichen. Außerdem basiert sie im allgemeinen auf den offiziell erstatteten Gutachten, nicht auf der laufenden Korrespondenz Luthers, abgesehen davon, daß sie ganz anders orientiert ist. Ich habe mich bemüht, in den Abschnitten, wo diese Arbeiten und die meine sich zwangsläufig überschneiden, keine Dublette, sondern eine Ergänzung zu liefern. Das bedeutete zwar den Verzicht auf manche Be9

trachtung, die idi gern angestellt hätte, brachte aber gleichzeitig die Konzentration auf den politischen Alltag der Zeit. Wenn Luthers Mitwirkung daran deutlich und in ihren Motiven transparent wird, hat diese Untersuchung ihr Ziel erreicht. In ihr werden Themen behandelt, zu denen bereits zahlreiche Untersuchungen erschienen sind. Sie kann sie (die hier vorausgesetzt sind, auch wenn sie nicht ausdrücklich erwähnt werden) zwar nicht ersetzen, wohl aber unter dem Vorzeidien der speziellen, in ihnen meist vernachlässigten Problematik, ergänzen. Denn die hier behandelte Fragestellung der Vergangenheit ist dem Bearbeiter für Jahrzehnte, ins Moderne gewendet, das Thema seines Lebens gewesen; wenn es ihm deshalb gelungen sein sollte, bestimmte Aspekte der Vergangenheit aus seinen persönlichen Erfahrungen heraus schärfer — vielleicht sogar zum ersten Mal — wahrzunehmen, wäre das der Lohn für viele Mühe. Manchen Dank bin ich dabei schuldig, z. B. Kurt Aland für Hinweise auf entlegenes Material wie für vielfachen Gedankenaustausch über hier behandelte Probleme, seinen Helfern Michael Welte und Beate Köster dafür, daß sie mir die zeitraubende Arbeit des Korrekturlesens und der Zitatenkontrolle weithin abgenommen haben. Bei meinem Ausscheiden aus meinem Amt als Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland am Sitz 3er Bundesrepublik Deutschland ist es mir eine große Freude, mich bei zahlreichen Weggefährten durch die Dedikation dieses Buches bedanken zu können. An erster Stelle muß ich meine Frau Elisabeth nennen. Sie hat mir durch ihre selbstlose Liebe und umfassende Fürsorge den Radius meines Dienstes ermöglicht. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat midi seit meiner Berufung 1949 mit einem ungewöhnlichen Vertrauen beschenkt. Ohne seine weiträumige und noble Art wäre nur ein Bruchteil meiner Bemühungen möglich gewesen. Alle Mitarbeiter in meiner Dienststelle haben einen Anspruch darauf, daß ich ihren außerordentlichen Beitrag für das gute Gelingen einer Arbeit zur Neuordnung eines partnerschaftlichen Verhältnisses von Kirche und Staat in Bonn mit hohem Respekt und aufrichtigem Dank würdige. Ebenso wichtig ist mir, meinen zahlreichen Freunden und Beratern aus einer Summe von Lebensbereidien meine Verehrung und bleibenden Dank zu bezeugen. Bonn, den 21.Januar 1977 Hermann Kunst 10

I. V O R B E M E R K U N G

Auf die Frage, wer seine „Landesherren" seien, hätte Luther geantwortet: „Die Grafen von Mansfeld". Im Mansfelder Land war er geboren, hier hatte er seine Jugend zugebracht, seine Eltern waren Mansfelder Bürger — die Grafschaft Mansfeld hat Luther stets als sein „Vaterland" angesehen. Die „deutsche Nation" stand zwar als Begriff fest — so richtet Luther seine erste große Reformationsschrift „An den christlichen Adel deutscher Nation", — sie wurde aber noch nicht so verstanden wie später, als der deutsche Nationalstaat sich auszubilden begann. Bis ans Ende seines Lebens ist sich Luther seiner Bindung an die Heimat Mansfeld bewußt gewesen und der Verpflichtung, die sich daraus ergab. Aber schon als Schulkind hat er sein „Vaterland" verlassen: 1497 geht er nach Magdeburg, 1498 nach Eisenach, 1501 beginnt er mit seinem Studium in Erfurt. 1508 wird er, inzwischen Mönch, Priester und — der Funktion nach — Professor geworden, zum ersten Mal nach Wittenberg versetzt. Diese erste Wirksamkeit im Zentrum des sächsischen Kurfürstentums dauert nur ein Jahr, aber schon im Spätsommer 1511 kehrt Luther nach Wittenberg zurück, um das kursächsische Gebiet bis zum Ende seines Lebens nur zu wenigen — und kurzen — Reisen zu verlassen: 1518 zum Augsburger Reichstag und den Verhandlungen mit Cajetan, 1519 zur Leipziger Disputation, 1529 zum Marburger Religionsgesprädi, 1532 zu einer Predigt vor den anhaltinischen Fürsten, 1539 zu einer Predigt in Leipzig anläßlich der Einführung der Reformation im Herzogtum Sachsen, und in den letzten Monaten seines Lebens zu den Verhandlungen mit den Herzögen von Mansfeld. In Eisleben, also auf Mansfeldischem Gebiet, ist Luther gestorben, seinen Leidinam hat man aber sogleich nach Wittenberg überführt, wo er in der Schloßkirche zur letzten Ruhe gebettet wurde, und zwar legitim. Denn Wittenberg war nicht nur seit über 35 Jahren sein Wohnsitz und seit über 20 Jahren der seiner Familie, sondern im Kurfürstentum Sachsen hatte er seine zweite, eigentliche, Heimat gefunden. Die Kurfürsten von Sachsen waren seine „Landesherren" im eigentlichen, mindestens im modernen, Sinn geworden. 11

Die umfangreiche Korrespondenz, die Luther mit ihnen geführt hat (527 Briefe sind erhalten, 359 Briefe Luthers an die Kurfürsten, 168 von ihnen an Luther 1 ), zeigt bereits die enge Verbindung Luthers zu seinen sächsischen Landesherrn. Dabei ist nur die direkte Korrespondenz gezählt, rechnet man die rund 400 Briefe zwischen Luther und Spalatin aus der Regierungszeit Friedrichs des Weisen und Johann des Beständigen hinzu — insbesondere unter Friedrich dem Weisen kam Spalatin die Rolle des Verbindungsmannes zum Fürsten zu —, erhöhen sich diese Zahlen noch fast um das Doppelte. Stellt man ihnen das Faktum gegenüber, daß Luthers Gesamtkorrespondenz mit den Mansfelder Grafen nur 20 Nummern aufweist, wird noch deutlicher, daß das „Mansfelder Kind" Luther, das in bezug auf sein Herkunftsland energisch seine Bürgerrechte in Anspruch nahm, seine tatsächliche Heimat in Kursachsen gefunden hatte. Von hier aus ergibt sich der Aufbau unserer Untersuchung: zunächst ist von Luthers Beziehungen zu den Mansfelder Grafen zu reden und dann erst von denen zu den sächsischen Kurfürsten. Bei diesen empfiehlt sich ein chronologischer Aufbau, nicht eine zusammenfassende Darstellung. Denn die Beziehungen Luthers zu den drei Kurfürsten: Friedrich dem Weisen, Johann dem Beständigen und Johann Friedrich dem Großmütigen sind von unterschiedlicher Qualität. Mit Friedrich dem Weisen ist Luther, wie bekannt, niemals persönlich zusammengetroffen, nur in Ausnahmefällen (denen dann aber jeweils eine besondere Bedeutung zukommt) hat Luther direkt mit ihm korrespondiert, im Normalfall lief der Briefkontakt über Spalatin. Zu Johann dem Beständigen waren die persönlichen Beziehungen schon sehr viel enger, ihren Höhepunkt erreichen sie dann unter Johann Friedrich. Zu ihm, der 1532 die Regierung antrat, steht Luther schon seit 1520 in brieflicher Verbindung. Dabei war die Initiative vom Kurprinzen ausgegangen, der Luther damals bereits seine Zuneigung zur Reformation und sein aktives Eintreten für Luther bei seinem Vater Johann dem Beständigen kundgetan hatte — daß dieser Brief anläßlich des Bekanntwerdens der Bannandrohungsbulle geschrieben ist, vermehrt sein Gewicht. Nicht nur wegen der Unterschiedlichkeit der persönlichen Beziehungen empfiehlt sich ein solcher Aufbau, sondern auch vom Thema her. Die Darstellung der Beziehungen zu den Mansfelder Grafen, die ihren Kulminationspunkt am Lebensausgang Luthers erreichen, ist auf besondere Weise zur Einführung in unsere Untersuchung geeignet, wird hier doch sehr eindrücklich nicht nur ihre Berechtigung, sondern auch ihre Reich12

weite deutlich. Was hier verhandelt wird, hat einen besonderen Gegenstand und einen besonderen Charakter, so sind Überschneidungen mit dem Folgenden von der Materie her nicht zu befürchten. Anders steht es mit der Darstellung der Beziehungen Luthers zu den sächsisdien Kurfürsten. Hier ist bei einer chronologischen Ordnung von vornherein damit zu rechnen, daß Überschneidungen und Wiederholungen vorkommen, denn bestimmte Themen sind im Kursachsen des 16. Jahrhunderts — ebenso wie in unserer Zeit — ständig auf der Tagesordnung: Stellenbesetzungen, Steuer- und Finanzprobleme, Fragen der Auslegung des geltenden Rechts, soziale Ungerechtigkeiten, Gefahr der Übergriffe untergeordneter Stellen und was dergleichen mehr ist. Dieser Gefahr der Wiederholung soll dadurch begegnet werden, daß die in Betracht kommenden Fälle aus der Regierungszeit Friedrichs des Weisen ausführlich und die aus der Zeit der nadifolgenden Kurfürsten nur zusammenfassend dargestellt werden. So wird die Gefahr der Auftürmung einer Fülle von Details vermieden, die im Endeffekt nichts grundsätzlich Neues herzubringt, sondern nur längst Bekanntes, wenn auch leicht variiert, wiederholt. Die Regierungszeit Friedrichs des Weisen empfiehlt sich für eine ausführlichere Darstellung unter verschiedenen Gesichtspunkten: hier ist die Reformation noch nicht etabliert und Luther noch nicht eine „Institution", wie zunehmend in der Folgezeit, sondern hier handelt Luther in aller Ungeschütztheit der Person wie der sich erst durchsetzenden Bewegung. Außerdem ist die Frage des inneren Verhältnisses Friedrichs des Weisen zur Reformation — unverständlicherweise — immer noch kontrovers; vielleicht liefert die Betrachtung der Korrespondenz zwischen ihm und dem Reformator, selbst unter dem eingeschränkten Aspekt unseres Themas, einen Beitrag zur sachgerechten Entscheidung der vielverhandelten Frage. Die Quellengrundlage für unsere Untersuchung wird im wesentlichen durch die Briefe Luthers gegeben. Sie werden in der reformationsgeschichtlichen Literatur auf eine erstaunliche Weise vernachlässigt, selbst da, wo sie Entscheidendes zur Erhellung beitragen können, etwa bei der umfangreichen Diskussion der Lehre Luthers von den zwei Reichen. Mit aller Ausführlichkeit und allem Scharfsinn werden hier Luthers Gedanken über das Verhältnis von Kirche und Staat diskutiert, aber ohne zu fragen, wie sich Luthers „Theorie", d. h. seine theologische Aussage, zu der Praxis des täglichen Lebens verhält. Erst die „Probe aufs Exempel" würde diesen Untersuchungen die notwendige Beweiskraft verleihen, 13

ohne Heranziehung der Briefe — die der offiziellen Gutachten reicht nidit aus — ist sie nicht möglich. Verständlicherweise kann dieses Buch nicht in eine direkte Auseinandersetzung mit der umfangreichen Literatur zum Gegenstand eintreten, indirekt bedeutet es jedoch einen, m. E. unerläßlichen, Beitrag dazu. Die in den letzten Jahren zur Briefedition in der Weimarer Ausgabe erschienenen Ergänzungsbände 12 bis 14 bringen diese unsere Hauptquelle auf den letzten Stand der Forschung; daß manches Mal Wünsche übrig bleiben, liegt beim Charakter unserer Untersuchung nahe. Luthers Briefe, die hier in Betracht kommen, ebenso wie die Antworten der Kurfürsten sind in der Regel sogleich in die Akten der kursächsischen Regierungsstellen eingegangen und dort in die dazugehörigen Vorgänge eingebettet. In erfreulichem Ausmaß teilt die Weimarer Ausgabe aus diesen Begleitakten mit, aber nicht selten hat man den Wunsch, auch die Stücke kennenzulernen, die hier nur auszugsweise oder gar nicht wiedergegeben werden, um ein vollständiges Bild der Vorgänge zu gewinnen. Diese Archivstudien, so wünschenswert sie manches Mal schienen, waren aus Gründen, die dem Kenner der Materie nicht erläutert zu werden brauchen, bisher nicht möglich, vielleicht können sie eines Tages nachgeholt werden. Sie würden manches farbige Detail bringen, an den Einzelresultaten wie am Gesamtbild jedoch wahrscheinlich nichts ändern. Wenn die Hauptquelle für diese Untersuchung auch die Korrespondenz Luthers mit den drei sächsischen Kurfürsten seiner Lebenszeit (bzw. deren führenden Beamten) darstellt, so bedarf es keiner Bemerkung darüber, daß das herangezogene Briefmaterial sich weit darüber hinaus erstreckt und Luthers Korrespondenz auch mit den anderen Fürsten, Ständen und Städten der Zeit einschließt. Luther ist eben nicht nur mansfeldischer bzw. kursächsischer Bürger, sondern — und zwar von den Anfängen an — Wortführer der „deutschen Nation", und zwar eben nicht nur (vgl. z. B. seine Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation" von 1520) in Fragen des christlichen Glaubens, sondern auch des christlichen Lebens, d. h. auch des öffentlichen Bereichs. Er beschränkt sich nicht darauf, in seiner Heimat dem Staat und seinen Organen zu raten, sondern er greift ein, wenn er von draußen angerufen wird, oder auch von sich aus, wenn er anderswo das Recht in Gefahr sieht, wie in der Auseinandersetzung mit dem brandenburgischen Kurfürsten Joachim I. und mit Albrecht von Mainz. Ja er greift, wie in der Auseinandersetzung mit Heinrich VIII. von England oder in seinem Eintreten für König 14

Christian II. von Dänemark, durchaus auch über die deutschen Grenzen hinaus. Das vollzieht sich brieflich, ebenso aber auch in gedruckten Streitschriften. So mußte auch Luthers Schrifttum in diese Untersuchung mit einbezogen werden. Dies konnte nicht in aller Ausführlichkeit geschehen, sonst wäre dieses Buch zu einer Sammlung von Monographien geworden. Luthers Schriften zum Wirtschaftswesen seiner Zeit oder auch zum Bauernkrieg und den anderen kriegerischen Auseinandersetzungen seiner Epoche werden also durchaus berücksichtigt, aber nicht ausführlich gewürdigt — das Resultat wäre sonst das eben angedeutete gewesen. Die Briefe über das Korpus der Korrespondenz mit den sächsischen Kurfürsten hinaus ebenso wie die Schriften Luthers werden dort in die Darstellung eingeordnet, wohin sie chronologisch gehören. In den Fällen, wo sie einen sich über einen längeren Zeitraum hin erstreckenden Komplex darstellen, erfolgt ihre Behandlung in der Epoche, in der sie ihr sachliches Schwergewicht haben. 1

Zu den Einzelheiten vgl. u. S. 35

15

Anmerkungen zu S. 17: WA Br II, 404 S. 321-328 vgl. WA 10,1,2, L X X V 3 WA Br III, 79-82; 3. Juni 1523 4 WA 15, 86-88 5 WA Br V, 1449 S. 116 f; 14. Juli 1529 • WA Br V, 1473 S. 146-150; 9. September 1529 7 WA Br VII, 3087 S. 555; 5. Oktober 1536 8 WA Br VII, 555 » WA Br V, 146 f 10 WA Br V, 116 f 1

2

16

II. D I E G R A F E N V O N

MANSFELD

1. Der Beginn der Beziehtingen zu den Mansfeider Grafen Die Beziehungen Luthers zu Albrecht von Mansfeld, der beherrschenden Gestalt unter den Mansfelder Grafen, setzen früh ein und gestalten sich zunächst eng: am 3. Mai 1521 erstattet Luther ihm einen ausführlichen Bericht über die Vorgänge auf dem Wormser R e i c h s t a g e r widmet ihm die Wartburgpostille 2 ,1523 legt Luther ihm auf seinen Wunsch für einen Freund die Gründe dafür dar, daß das Evangelium auch öffentlich bekannt werden, das Abendmahl z. B. also in beiderlei Gestalt gefeiert werden müsse 3 . Den Grafen Günther, Ernst, Hoyer, Gebhard und Albrecht zusammen hat er 1524 die „Geschichte, wie Gott einer ehrbaren Klosterjungfrau herausgeholfen", mit einem ausführlichen Sendbrief gewidmet 4 . Danach werden dann die Beziehungen anscheinend lockerer: aus den folgenden Jahren sind uns jedenfalls nur wenige Briefe erhalten. 1529 berät Luther den Grafen Albrecht zunächst bei Verhandlungen mit dem Herzog Philipp von Braunschweig-Lüneburg über Einbeck 5 , und dann, als Albrecht im gleichen Jahr von Ulrich von Württemberg, Philipp von Hessen und dem Herzog von Braunschweig aufgefordert wurde, gegen den Bürger seines Landes, Agricola, wegen Beleidigung der Fürsten vorzugehen 6 . Schließlich erstattet Luther 1536 auf Anfrage Albrechts ein Ehegutachten 7 . Alle diese Schriftstücke sind interessant. Im Zusammenhang mit dem Ehefall wendet sich Luther mit Bitterkeit gegen die Juristen und Verwaltungsinstanzen, welche ihm ständig Schwierigkeiten machten, insbesondere bei der Regelung des Erbes nach dem Tod der Eltern: „Das ist auch Eurer und anderer Herren Schuld, die sie stärken und uns Theologen [unterdrücken", schreibt Luther an Albrecht 8 . Bei der reichlich prekären Frage der Beschwerde der drei Fürsten rät Luther Albrecht, nicht nachzugeben, sondern mit einem Gegenangriff zu antworten. Er legt ihm gleich eine fertige Stellungnahme bei, die er den Fürsten zusenden soll 9 . Auch in der Einbecker Frage rät Luther Albrecht zu energischem Vorgehen i 0 . 17

2. Die Auseinandersetzungen um die Bergwerke Immerhin kann man gegen diese Briefe einwenden, daß sie Grenzfragen zwischen Staat und Kirche beträfen, bzw. noch an den Rand des kirchlichen Sektors gehörten: in Einbeck geht es um den vom katholischen Klerus ausgehenden Widerstand, bei der Ehefrage handelt es sich offensichtlich um einen früheren Kleriker; Agricola — damals noch enger Freund, nach dem antinomistischen Streit Gegner Luthers — ist Theologe. Anders steht es dagegen mit den Fragen, die zwischen Luther und Herzog Albrecht von 1540 an verhandelt werden. Hier spielt Luther — ohne jede amtliche oder juristische Legitimation dafür — eindeutig die Rolle einer politischen Sdiiedsinstanz zwischen den hoffnungslos zerstrittenen Mansfelder Grafen. Dabei muß, um den Hergang verständlich zu machen, weiter ausgeholt werden: die reichsunmittelbare Grafschaft war bereits 1420, endgültig dann 1501 geteilt worden. Damals war das Gebiet unter die fünf Grafen Günther, Hoyer, Ernst, Gebhard und Albrecht aufgeteilt worden, während die Kupferbergwerke (die Grafschaft Mansfeld stellt im 16. Jahrhundert so etwas wie heute das Ruhrgebiet dar), die hauptsächliche Quelle der Einkünfte, gemeinsamer Besitz blieben, ebenso wie Jagd und Fischerei. Dabei wurden die Bergwerke entweder auf Dauer gegen Erbpacht verliehen (sogenanntes „Erbfeuer", weil jeweils mit einer Schmelzhütte verbunden), bei denen ein Zehntel der Einkünfte als Pachtzins zu zahlen war, oder gegen eine feste Pacht für eine begrenzte Zeit vergeben (sogenanntes „Herrenfeuer"). Nach langen Auseinandersetzungen kam man 1536 zu einer Aufteilung der Bergwerke auf die fünf gräflichen Linien. Von da ab betrieben die Grafen Albrecht und Gebhard die Herrenfeuer selbst, deren Verpachtungszeit gerade abgelaufen war, die Inhaber der Erbfeuer wurden gleichzeitig (entgegen dem Teilungsvertrag und den früheren Verträgen) vielfach aus ihrem Besitz verdrängt, insbesondere durch Graf Albrecht. So dauerten die Streitigkeiten um die Bergwerke an. Dazu kam der Streit darüber, daß Albrecht vor den Toren von Eisleben für die Bergarbeiter die „Neustadt" angelegt und dieser eigenmächtig Stadtrechte verliehen hatte, seit 1542 der über das Patronatsrecht an der Andreas-Kirdie zu Eisleben sowie der über die Tilgung der Schulden des Grafen Gebhard, welche die vertraglich festgelegte Höchstgrenze um mehr als das Dreißigfache überschritten. Zwar war 1544 versucht worden, die Streitfragen zu regeln, aber vergeblich: zahlreiche Punkte blieben offen und auch da, wo eine 18

formale Regelung vorlag, bestanden Mißtrauen und Feindschaft unverändert fort. Schon 1525 hatte Luther mit den Streitigkeiten der Mansfeider Grafen zu tun gehabt. Damals hatte ihn Albrecht um Rat gebeten, wie er sich gegenüber den Wünschen seiner beim alten Glauben gebliebenen Brüder verhalten solle. Diese wollten die bisher gemeinsam benutzte Stiftskirche ausschließlich dem katholischen Gottesdienst vorbehalten sehen. Hier, rät Luther, solle Albrecht nachgeben und den evangelischen Gottesdienst in einem anderen Teil des (gemeinsam benutzten) Schlosses halten lassen. Anders stehe es jedoch mit den Wünschen der Brüder in bezug auf den Gottesdienst und die Durchführung der Reformation in den (wieder gemeinschaftlich verwalteten) Orten Eisleben, Hettstedt und Mansfeld. Hier ist Luther gegen jede Nachgiebigkeit: „Daß aber E. Gnaden genau so nachgeben sollte, was die gemeinsame Herrschaft betrifft, das kann nicht s e i n " D e n n hier gehe es nicht um die Benutzung eines Raumes, sondern um die Gewissen: „E. Gnaden halte nur fest, dem armen, einfachen Mann zugute, willige nicht ein und befehle die Sache Christus, der wird's gut machen, wie der 37. Psalm lehrt, den ich E. Gnaden zu Trost und Stärke zu lesen anbefehle". Albrecht solle sich nicht entmutigen lassen: „Daß E. Gnaden deswegen die Herrschaft [den Brüdern] übergeben sollte, so weit ist es noch nicht, es handelt sich nur um eine Versuchung und einen Streit für kurze Zeit, darin Gott E. Gnaden bewähren und stärken will". Wenn Gott den Grafen Albrecht aus der Herrschaft heraus haben wolle, würde er es anders anfangen: „Er wirds uns nicht fehl gehen lassen, er hat einen Herrn zu Mansfeld schnell erwürget, wenn ers ihm zu viel machen will, oder kann ihm gut wehren, ehe man sich dessen versieht" 2 . Der letzte Satz ist gegen die Brüder Albrechts gerichtet und läßt an Schärfe nichts zu wünschen übrig. An den weiteren Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern, die schließlich zum Vertrag von 1536 führten (s. o.), ist Luther offensichtlich nicht beteiligt gewesen. Aber angesichts der Auswirkungen des Vertrages meldet sich Luther — zum ersten Mal von sich aus — zu Wort. In jenem Vertrag war festgelegt worden, daß die Pächter der „Erbfeuer" in ihrem Besitz unangefochten bleiben sollten, nur wenn eines auf ordnungsgemäßem Wege frei würde, sollten die Grafen das Vorkaufsrecht haben. Im Gegensatz dazu war Albrecht bemüht, nicht nur die Erbfeuer an sich zu bringen, um sie in Herrenfeuer umzuwandeln, sondern er beabsichtigte auch, den bisherigen Besitzern ent19

weder gar keine oder dodi nur eine geringe Entschädigung anläßlich der Enteignung — darum handelte es sich praktisch — zu zahlen. Als Luther — offensichtlich im Mai 1540 — einmal den Kurfürstlichen Hof besuchte („wo ich nicht gern zu sein pflege", fügt er hinzu), sei das Gespräch auch auf den Grafen Albrecht und dessen Verfahren in bezug auf die Mansfeldischen Bergwerke gekommen. Alsbald nach der Rückkehr schreibt Luther deshalb an Albrecht 3 . Ihm sei gesagt worden 4 , Albrecht verfahre mit den Hüttenmeistern mit Schärfe. Luthers Gewährsmänner („große Leute", wie er sagt) „trieben darauf viel Rede und Ursachen", so daß Luther nicht umhin könne, es dem Grafen anzuzeigen. Man sei soweit gegangen zu sagen, „daß die Grafschaft schließlich des Segens göttlicher Gnade beraubt werden" müsse, wenn die Entwicklung so weiter ginge. In dem Gespräch habe Luther dann danach gefragt, wie es mit seinen Schwägern Mackenrodt stehe, die eines der Erbfeuer innehätten 5 . Darauf sei ihm geantwortet worden, „daß sie darüber gewißlich zu Bettlern werden müßten". Nun habe er von seinen Schwägern keinerlei Nachricht darüber, lediglich scherzweise sei bei ihrem letzten Besuch in Wittenberg davon die Rede gewesen, sie könnten aus „Schlackenherren" ( = Hüttenmeistern) zu „Schlackentreibern" ( = Hüttenarbeitern) werden 8 . Dieser Brief an Albrecht ist zunächst als persönliche Fürbitte für die Mackenrodts gehalten: „Deshalb bitte ich, gnädiger Herr, E. Gnaden wollten auch mir einmal eine Bitte gestatten und den guten Mackenrodts oder ihren Erben ein gnädiger Herr sein" 7 , geht aber doch schon in allgemeine Betrachtungen über: Albrecht sei „ein großer, reicher Herr, der mit guter Leute Armut nichts gewinnen kann" — außer Gottes Ungnade, dem es eine geringe Sache sei, Reiche arm und Arme reich zu machen. Wenn wir unser Recht zu streng an unserem Nächsten suchen und nicht Gnade walten lassen, kann Gott alsbald das Gleiche mit uns tun 8 . Im Briefe, den Luther am 9. März 1541 an den Mansfeider Hofprediger Michael Cölius richtet 9 , wird die Tonart noch grundsätzlicher — und schärfer. Denn hier ist Luther nicht durch Rücksichtnahme auf verwandtschaftliche Interessen gebunden. Diesmal steht auch nicht das Verhalten des Grafen Albrecht, sondern das der Grafen im allgemeinen und im besonderen das von Johann Georg zur Debatte. Der Hofprediger wird aufgefordert, seine Pflicht zu tun und die Grafen zu ermahnen, „daß sie sich mit solcher Beschwerung ihrer Untertanen nicht so offensichtlich in das Gerede der Menschen begeben sollen, denn sie werden sich [auf 20

diese Weise] mit Sicherheit den größten Schaden zufügen". Wenn es so weitergehe, werde Mansfeld „dem Teufel ein Freudenspiel werden". „Wehe aber dem, der so viel Unglück und Schaden stiftet, so viele Menschen betrübt, er hat sich (wer es auch sei) gewiß schon verflucht" 1 0 . Fast genau ein Jahr später, am 23. Februar 1542 wendet sich Luther an Albrecht direkt 1 2 , und zwar mit aller Schärfe: „E. Gnaden fühlen selbst wohl, wie Sie bereits kalt geworden und auf den Mammon geraten sind. Sie gedenken sehr reidi zu werden. Sie drücken auch, wie die Klagen gehen, die Untertanen so hart und scharf, gedenken sie von ihren Erbfeuern und Gütern zu bringen und sie schier leibeigen zu machen, was Gott doch nicht leidet, und wo er's leidet, wird er die Grafschaft bis zum Grunde verarmen lassen; denn es ist seine Gabe, die er leicht wieder nehmen kann" 1 S . Luther habe sagen hören, „daß sie in Deutschland ein Regiment wie in Frankreich machen und ausrichten wollen". Wenn man gleichzeitig auch gefragt hätte, ob das recht und gottgefällig wäre, so wollte er das loben 1 4 . Aber (das ist indirekt zu erschließen) das habe man eben nicht getan. Außerdem sei Frankreich, das einst „ein goldenes, herrliches Königreich gewesen" sei, jetzt so gefallen, daß man es „ein bleiernes und blechernes Königreich" nennen könnte. Wenn Graf Albrecht „sanfter und gnädiger" mit seinen Untertanen umgehe und sie bleiben ließe, was sie sind, so werde er „auch bleiben durch Gottes Segen, hier und dort". Andernfalls werde er „alles beides verlieren" und es werde ihm gehen wie dem, der in den Fabeln Äsops die Gans schlachtete, die ihm täglich ein goldenes Ei legte: „Denn gewißlich ist wahr: wer zu viel haben will, der kriegt das Wenige" 1 5 . A m wichtigsten ist in unserem Zusammenhang die Begründung, die Luther Graf Albrecht gegenüber für sein Schreiben gibt: nicht nur das Gebot christlicher Liebe zwinge ihn dazu, sondern auch die Drohung aus Hesekiel 3 , 1 7 f , mit der Gott die Prediger des Evangeliums belastet habe, daß sie verdammt sein sollten, wenn sie einem Sünder nicht seine Sünden vorhalten. Wenn dieser darin stürbe, sollten sie um ihrer Versäumnis willen für die verlorene Seele verantwortlich sein, „denn deshalb habe ich dich zum Seelsorger eingesetzt" 1 6 . Luther wolle sich nicht um der Sünde Albrechts willen verdammen lassen, sondern wolle ihn mit sich selbst zusammen selig machen, „wo es immer möglich ist" — deshalb werde Graf Albrecht ihm „solche nötige Vermahnung wohl wissen zu gute zu halten" 1 7 . Luther hat sich auch nicht auf die direkte Mahnung an Albrecht beschränkt, so dringlich sie gehalten war. Für alle Fälle beglei21

tete er sie zusätzlich mit „flankierenden Maßnahmen". Dazu gehört sein Brief an den Herzog Moritz von Sachsen wenige Wochen danach 18 . „Mit großem Leid meines Herzens" müsse er schreiben, daß Graf Albrecht sich „so hinterlistig und hart gegen seine Untertanen erzeiget", daß sie sich öffentlich darüber beklagen müßten. Das betreffe den Eislebener Bürger Bartholomäus Drachstedt, um dessentwillen er sich an Moritz wende 19 . Moritz sei der Landesfürst, er solle dem Grafen Albrecht vorschreiben, „daß er gnädiger und sanfter mit solchen frommen und getreuen Untertanen verfahren wolle" 20 . Denn der Adel und die weltliche Herrschaft überhaupt seien eingesetzt, die Frommen zu schützen und die Bösen zu strafen. „Sollte es nun dahin kommen, daß die Herrschaften Tyrannen sein und mit den Menschen, als wären sie Hunde und Säue, umgehen wollten, wie sich etliche anschicken, so wäre das ein schreckliches Zeichen göttlichen Zorns über den Adel". Wenn der Adel so fortfahren wollte, so wäre es um Deutschland geschehen, und es stände hier bald ärger als bei den Spaniern und Türken. Aber das werde auf den Adel schrecklich zurückfallen 21 . Deshalb bitte Luther den Herzog Moritz, „der noch ein junger Fürst ist und Gottes Wort und Werk beizeiten lernen kann", er wolle sich vor solchen Praktiken wie in Mansfeld hüten und sie gleichzeitig durch sein Eingreifen dort abstellen helfen 22 . Nicht genug mit diesem Brief an Moritz von Sachsen. Beinahe gleichzeitig 23 wendet Luther sich an die Grafen Philipp und Georg von Mansfeld mit beschwörenden Worten: „Wahrlich mit großer Betrübnis muß ich täglich hören, wie S. Gnaden [d. h. Albrecht] ihre Untertanen dringt und zwingt, auch [deren Besitz] öffentlich an sich reißt" 24 . Wenn Graf Albrecht vielleicht denke, die Herrschaft und alle ihre Güter seien sein Eigentum: „da sagt Gott nein zu und wirds nicht leiden" 25 . Auch Bauern und Bürger haben eigenen Besitz, nach weltlichem Recht und nach göttlichem Recht. Wer diesen Besitz an sich reißen will, das „heißt vor Gott auch gestohlen und geraubt". Die Grafen hätten mit den Bergwerken einen Segen Gottes im Land, sie sollten mit Fleiß darauf achten, daß Gott den Segen nicht wegnehme. Denn sonst würden die Nachkommen der Grafen klagen müssen: „welch reiche gesegnete Herrschaft hat uns unser Vorfahr, Graf Albrecht, verderbt!" 2 e . Wenn die Brüder dem Grafen Albrecht nicht in den Arm fielen, würden sie mitschuldig an dem Unrecht, das geschieht, und an dem Unglück, das daraus folgen muß. Dieser Brief ist in seiner Schärfe (über Albrecht heißt es z. B.: „der fürwahr vom bösen Geist überfallen ist") dem an Moritz mit seinem Aus22

fall gegen den Adel zu vergleichen. Besonders wichtig ist er durch die Motivation, die Luther hier für sein Verhalten gibt 27 . Man könne leicht gegen ihn einwenden, gibt er zu, er habe mit diesen Dingen nichts zu tun, sie gingen ihn nichts an, er habe danach nichts zu fragen. Gegen diese naheliegende (und durch die Jahrhunderte hindurch immer wiederkehrende) Argumentation wendet Luther zunächst ein: „ich bin ein Landeskind in der Herrschaft zu Mansfeld, dem es gebührt, sein Vaterland und Landesherrn zu lieben und ihnen das Beste zu wünschen". Bereits mit dem Bürgerrecht in einem Staate — modern gesprochen — ist ihm das Recht zu einer aktiven Einwirkung auf das Verhalten der Regierung gegeben. Entscheidend ist Luther aber das zweite Argument: „Dazu bin ich auch ein öffentlidier Prediger, der da schuldig ist zu vermahnen, wenn jemand, durch den Teufel verführt, nicht sehen kann, was er für Unredit tut" 2 8 . Sein geistliches Amt gibt ihm nicht nur das Recht zum Eingreifen auch in Fragen der Landespolitik, sondern es verpflichtet ihn sogar dazu. 1 2

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WA B r i l l , 814 S. 416 alles S. 416 WA Br I X , 3481 S. 115 f Oder hatte Luther nur Nachrichten aus Mansfeld, wie WA Br I X , 116 Anm. 3 vermutet? Das ist angesichts des Brieftextes selbst außerordentlich unwahrscheinlich. Paul Mackenrodt war mit Luthers Schwester Dorothea verheiratet; der Brief Luthers an sie vom 2. Dezember 1539 ist mindestens in seiner modernisiert scheinenden Textform unecht, vgl. WA Br VIII, 619 S. 115 S. 115 f S. 116 WA Br I X , 334 f s . 335 WA Br I X , 626-629 Die Uberlieferungsfragen, welche der „Doppelbrief" stellt, seien hier beiseite gelassen, uns geht der zweite Brief an. S. 628 S. 628 f S. 629 S. 629 S. 629 WA Br X , 3723 S. 8 f ; wohl 13. März 1542 vgl. u. S. 33 S. 8 S. 8 S. 8 f 14. März 1542, WA Br X , 10-12 S. 10 S. 11 S. 11 vgl. dazu S. 21 u. 26 S. 10

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3. Der Streit zwischen den Grafen Gebhard und Albrecht Luther hat es nicht dabei bewenden lassen, alle ihm nur irgend erreichbaren Instanzen in Bewegung zu setzen: den Mansfeider Hofprediger, Herzog Moritz von Sachsen, die Brüder des Grafen Albrecht, um seinen direkt an die Adresse Albrechts gerichteten Ermahnungen Nachdruck zu verleihen, er hat sich auch der Opfer der Enteignungspolitik Albrechts tröstend angenommen. So schreibt er am 23. Mai 1542 1 an Hans Kegel in Henstedt einen Trostbrief, als er von dessen Sohn erfährt, daß ihm sein Hüttenwerk weggenommen worden sei (bereits 1547 wurde dieser Brief durch den Druck verbreitet). Damals war er schon mit der nächsten Mansfeldischen „Affäre" befaßt. Der Bruder Albrechts, Graf Gebhard, hatte seinen Besitz mit 400 000 Gulden so hoch verschuldet, daß sämtliche Einnahmen kaum ausreichten, die Zinsen für die aufgenommenen Gelder zu zahlen. Daraufhin trat er Einnahmen wie Schulden an Albrecht ab. Dieser schaltete und waltete nun mit den Gütern Gebhards so, als ob sie in seinen Besitz übergegangen wären. Graf Gebhard suchte deshalb Luther auf (!) und bat ihn um sein Eingreifen. Dieser wendet sich daraufhin sogleich an den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen wie an den Landgrafen Philipp von Hessen. An Herzog Moritz von Sachsen schreibt er diesmal nicht direkt, denn es sind die Tage der sich anbahnenden Wurzener Fehde, an der Luther Moritz, auf den er entsprechend erbittert ist, die eigentliche Schuld gibt. Er versucht jedoch indirekt, auf dem Wege über Johann Friedrich wie über Philipp, auf Moritz Einfluß zu nehmen, welcher der Oberherr der Grafschaft Mansfeld ist. Zunächst schreibt Luther an Johann Friedrich 2 : der Kurfürst wisse, wie Albrecht mit seinem Bruder Gebhard umgehe. Luther habe „die Verträge und Briefe alle gelesen (obwohl ich sonst genug zu tun habe) und mich jammert des guten, frommen Herrn, daß Graf Albrecht so schändlich mit ihm handelt, selbst Richter und Partei ist, ihm dazu die Güter und Grafschaft nehmen will". Alb recht sei allein der Nießbrauch verschrieben, dennoch „will ers alles nehmen, Grund und Boden und ihn der Grafschaft enterben". Luther hätte den Kurfürsten persönlich aufgesucht, wenn ihn der Kanzler Brück nicht darüber unterrichtet hätte, daß er den Kurfürsten gar nicht antreffen würde, außerdem würde er „zu ungelegener Zeit kommen" (eben wegen der sich vorbereitenden Wurzener Fehde) s . So bitte er den Kurfürsten schriftlich, auf Herzog Moritz einzuwirken, damit dieser in die Mansfelder Auseinandersetzungen eingreife. Wenn

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der Herzog das nicht tue, („wie er seinem Beruf und Amt schuldig ist"), so werde das ihm „ein böses Geschrei im Himmel und auf Erden einbringen und Gott höchlich erzürnen, der allenthalben in der Schrift denen drohet, die den Unterdrückten nicht raten noch helfen" 4 . An den Landgrafen schreibt Luther am 5. Mai 1542 5 , nachdem die Wurzener Fehde ausgestanden ist 8 . So wie Philipp sich hier als Friedensstifter bewährt habe, möchte er es auch im Streit zwischen den Mansfelder Grafen tun. Er, der Schwiegervater Moritzens, möchte auf diesen einwirken, daß er den Streitfall an sich ziehe und einen Ausgleich herbeiführe, „damit nicht der eine vom anderen unterdrückt werde oder nicht großer Schaden [eig. „Unrat"] daraus kommen möchte" 7 . Der Fall schlug hohe Wellen. Denn Moritz nahm sich der Angelegenheit wirklich an. Als Albrecht von einer Reise nach Prag durch sächsisches Gebiet nach Mansfeld zurückreiste, ließ Moritz ihn im Juni 1543 in Annaberg gefangensetzen. Das erregte entsprechendes Aufsehen und führte zu Auseinandersetzungen mit König Ferdinand und dem Kaiser. Moritz begründete seine Maßnahme damit, daß Albrecht zwar die 400 000 Gulden Schulden seines Bruders Gebhard übernommen, aber sich geweigert habe, die Gläubiger zu befriedigen. Auch zu einer Rechtfertigung habe er sich nicht bereit erklärt und statt dessen Moritz auf dem Reichstag zu Nürnberg verklagt. So sei ihm kein anderer Ausweg als die Gefangensetzung Albrechts geblieben. Erst auf eine sehr dringliche Mahnung des Kaisers Karl V. kam Albrecht frei. Daß dadurch die Atmosphäre zwischen den Brüdern verbessert wurde, kann man verständlicherweise nicht erwarten. Auch der endlich am 3. Juli 1544 zwischen ihnen zu Halle geschlossene Vertrag konnte die Spannung nicht endgültig abbauen.

WA Br X , 3755 S. 69 f WA Br X , 3731, S. 27 £; 1. April 1542 vgl. u. S. 369 ff 4 alles S. 28 s WA Br X , S. 61 « vgl. u. S. 373 f 7 S. 61 1

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4. Die Mansfelder Schlichtungsverhandlungen Vorher sdion war es zu neuen Auseinandersetzungen zwischen den Grafen gekommen, diesmal um das Patronatsrecht an der Andreas-Kirche in Eisleben. In diesem Zusammenhang wandte sich Luther am 15. Juni 1542 in einem Schreiben an die Grafen Albrecht, Philipp und Johann Georg 1 . „Mit Sanftmut und nicht mit der Schärfe(wie es der Teufel gern wollte)", sollten die Grafen diese Sache austragen, schreibt Luther 2 . Von Herzen leid sei es ihm, daß „so nahe Freunde, Vettern, Brüder, Väter, Söhne usw. über der Pfarre und Sdiule zu Sankt Andreas zu Eisleben aneinander geraten sind" 3 — es sei „billig, daß ich als ein Landeskind meinem Vaterland und natürlichem Landesherrn mit allen Treuen diene und dafür sorge", daß dieser Streit ein Ende finde, an dem nur der Teufel und die Feinde des Evangeliums (nach dem Tode des katholischen Grafen Hoyer hatten seine Erben, Philipp und Johann Georg, sich der evangelischen Lehre zugewandt) ihre Freude hätten 4 . Die miteinander streitenden Grafen sollten ihre Räte beauftragen, „in der Güte solches schlichten und stillen lassen". Was er, Luther, „und wir alle dazu tun können, täten wir herzlich gern" 5 . Dieses Wort und die damit übernommene Verpflichtung sollte Luther mehr in Anspruch nehmen, als er damals vielleicht geglaubt hatte. Denn im Oktober 1545 finden wir ihn in Mansfeld — nachdem alle Ausgleichsversuche nichts geholfen haben, soll Luther persönlich versuchen, die Streitenden zu versöhnen. Ein Brief an die Grafen Philipp und Johann Georg (die wegen des Feldzuges gegen Braunschweig abwesend sind) gibt uns näheren Aufschluß über die ersten Resultate®. „Ich bin, obwohl alt und schwach, hier nach Mansfeld gekommen, von dem täglichen großen Geschrei über die Uneinigkeit zwischen euch Herren und Grafen bewegt", so beginnt Luther. Weil er ein Mansfelder Kind sei, habe er solch Unheil und gefährlichen Zustand nicht ertragen können, fügt er als Begründung für seine Reise hinzu. In seinen Verhandlungen mit dem Grafen Albrecht, der Mutter der Brüder und den Geschwistern der Grafen habe sich überall Bereitschaft zur Versöhnung gefunden. Auch für Philipp und Hans Georg werde das gelten, wünscht Luther. Er habe nicht länger in Mansfeld bleiben können, aber er hoffe, sein Brief werde die Empfänger veranlassen, sich dem anbahnenden Ausgleich anzuschließen. Was nun die Erbfeuer (damit wird das alte Thema wieder aufgenommen) angehe, so müsse Luther die geschehenen Maßnahmen hinnehmen. Allerdings ist 26

er skeptisch: „E. Gnaden mögen selbst wohl beten und beten lassen, daß es gut gerate. Denn in allen Sachen und Händeln ist die Änderung gefährlich . . . Doch weil es nicht nach meinem Rat geschehen ist, sei es meinem Gewissen keine Beschwerung". Aber er bitte mit allem Nachdruck um eine gnädige Aufnahme des Anliegens der Hüttenmeister. Denn wenn die Grafen bei der Übernahme der Hütten nur die Aktiva und nicht auch die Passiva übernähmen, würden die bisherigen Pächter zu Bettlern: „Hiervor behüte Gott E. Gnaden, denn das wäre unchristlich und unmenschlich"7. Luther ist hier auch persönlich interessiert, denn sein Bruder Jakob und seine Vettern, Georg Kaufmann und dessen Geschwister, gehören zum Kreis der Betroffenen — aber das macht er ganz kurz ab: seine Verwandten, welche zu den ärmsten der Hüttenmeister gehörten, bäten um zwei Jahre Frist, damit sie ihre Schulden abzahlen könnten. „Aber weil ich mich darauf und anderes nicht verstehe", meint Luther, „befehle und stelle ich das in E. Gnaden gnädiges Bedenken" 8. Ende Dezember 1545 finden wir Luther wieder in Mansfeld. Die Grafen Philipp und Johann Georg hatten auf seinen Brief vom 7. Oktober positiv reagiert und Luther um einen Terminvorschlag für die Verhandlungen gebeten. Das hatte zunächst einige Schwierigkeiten9, vom 24. Dezember ab bis Anfang Januar 1546 weilten Luther und Melanchthon dann in Mansfeld. Es erwies sidi, daß die Streitigkeiten („die Mansfeidischen Säu-Händel" — so bezeichnete sie der kursächsische Kanzler Brück) nicht auf einmal beigelegt werden konnten, eine zweite Verhandlungsrunde wurde für den 25. Januar angesetzt. Zu ihr brach Luther in Begleitung von Justus Jonas (und drei seiner Söhne) auf. Melanchthon blieb mit Rücksicht auf seine angegriffene Gesundheit in Wittenberg zurück10. Audi Luthers Gesamtbefinden war schlecht, der Ohnmachtsanfall auf der Reise, kurz vor der Ankunft in Eisleben, war ein Warnzeichen. Aber Luther ging darüber hinweg, wie z. B. sein Schreiben an Käthe zeigt11, deren in ständig neuen Briefen sich kundtuenden Besorgnis um ihren Mann dieser immer wieder zu stillen weiß. Die Verhandlungen dieser Monate stehen für Luther ja unter dem Vorzeichen: „damit ich mit Freuden mich in meinen Sarg legen könne, wo ich zuvor meine lieben Landesherrn [miteinander] vertragen und freundliche, einmütige Herzen ersehen habe" 12 . Luthers Briefe nach Wittenberg geben, wenn auch in aller Kürze, Bericht über den Fortgang der Verhandlungen: non sine acerrima contentione 27

sei der Streit über die Eislebener Neustadt13 zu Ende zu bringen gewesen, dieses „Stachelschwein, stacheliger als selbst ein Stachelschwein", berichtet er Melanchthon am 1. Februar 1546 14 . Dabei ist Luther heftig mit dem Mansfeldischen Rat Dr. Melchior Kling aneinandergeraten — nach Luthers Bericht ging es anscheinend um juristische Grundsatzfragen. Luther hofft, daß es künftig milder zugehen werde, aber immerhin meint er, daß auch für die Verhandlungen des nächsten Tages noch einiges aus dem Hintergrund zu befürchten sei. In seinem nächsten Brief an Melanchthon vom 3. Februar 15 muß er sich jedoch berichtigen: sein Brief sei eindeutig eine Hymne vor dem Sieg gewesen. Jetzt sei Luther prope desperabundus de foelici eventu hujus tragoediae sive comediaeu. Am 6. Februar berichtet er erneut: seit zehn Tagen streite man sich jetzt um die Eislebener Neustadt. Nach langem Suchen habe man zunächst gemeint, einen Ausweg gefunden zu haben. Diese Hoffnung habe getrogen. Dann habe man einen zweiten Weg zu gehen versucht, wieder vergeblich. Jetzt sei ein drittes Verfahren eingeschlagen worden, das sicher und erfolgreich zu sein verspreche — aber erst der Ausgang der Verhandlungen werde das zeigen. Melanchthon möchte beim Kurfürsten einen Brief erwirken, der ihn nach Hause zurückriefe. Noch diese Woche wolle er drangeben, dann wolle er mit dem Brief des Fürsten drohen, von diesem Druckmittel erhoffe er sich eine Beschleunigung der Verhandlungen. Hier sei das gegenseitige Mißtrauen so groß, daß man in jeder Silbe des anderen Gift vermute. Es sei infolge der Juristen und ihrer Ränke und Zweideutigkeiten schlimmer als in Babylon: dort konnte keiner den anderen verstehen, hier wolle keiner den anderen verstehen. So Luthers Bericht an Melanchthon17; in dem am selben Tag geschriebenen Brief an Käthe 18 heißt es zusätzlich, daß man bei den Verhandlungen lernen könne, warum im Evangelium vom Reichtum bildlich als von Dornen gesprochen werde. Aber da ihm davor graue, daß dort den Dornen das Feuer angedroht werde, wolle er um so mehr Geduld haben, „ob ich mit Gottes Hilfe etwas Gutes ausrichten möchte". Am nächsten Tag schreibt Luther, wieder an Käthe 18 , daß im Augenblick die Hölle wie die ganze Welt von Teufeln leer sein müßten: sie seien offensichtlich in Eisleben versammelt, so sehr seien die Verhandlungen festgefahren 20 : „Ich bin nun auch ein Jurist geworden, aber es wird ihnen nicht gedeihen, es wäre besser, sie ließen mich einen Theologen bleiben". Denn er könnte zu leicht als Poltergeist unter die Juristen kommen, um ihren Stolz („sie stellen sich, als wären sie Gott") auf das notwendige Maß zu reduzieren21. 28

Noch am 10. Februar stehen die Dinge unverändert 2 2 . Erst am 14. Februar haben sie sich zum Guten gewandt: „Gott hat große Gnade hier erzeigt. Denn die Herren haben durch ihre Räte fast alles verglichen, bis auf zwei oder drei Artikel. Unter diesen ist, daß die beiden Brüder Graf Gebhard und Albrecht wieder zu [wirklichen] Brüdern werden, was ich heute vornehmen soll. Ich will sie zu mir zu Gast bitten, damit sie auch miteinander reden. Denn bisher sind sie stumm gewesen und haben einander mit Schriften [d. h. Sdiriftsätzen] hart erbittert". Die gräfliche Jugend, Graf Gebhards Sohn eingeschlossen, vertrage sich dagegen bereits aufs beste miteinander 2S . Dieser Brief an Käthe ist 24 der letzte Brief, den Luther geschrieben hat. Am 16. Februar hat er noch den Vertrag über die Patronatsrechte in bezug auf Kirchen und Schulen in Eisleben und Mansfeld mitunterzeichnet, am 17. Februar den Generalvertrag zwischen den Grafen, in der Nacht zum nächsten Tag, dem 18. Februar, ist Martin Luther gestorben. Er hatte sich mit der Reise und den Verhandlungen zu viel zugemutet. Außerdem hatte er ein Medikament (einen Ätzstein, der um seiner Herzbeschwerden willen eine Wunde am Bein offen hielt) in Wittenberg vergessen, das in Mansfeld nicht zu beschaffen war. Im Brief an Melanchthon vom 14. Februar zeigt sich eine leise Ahnung der sich daraus ergebenden Gefahr: die in Wittenberg offene Wunde sei fast geschlossen, quod quam sit periculosum, nosti. Was Luther im Brief an den Grafen Albrecht aus dem Dezember 1545 als Wunsch geäußert hatte 25 , war erfüllt: er wurde in seinen Sarg gelegt, nachdem er vorher seine „lieben Landesherren vertragen und freundliche, einmütige Herzen" bei ihnen gesehen hatte.

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WA B r X , 3760 S. 81-83 S. 82 3 S. 81 f 4 S. 82 6 S. 83 • W A Br X I , 4157 S. 189-191; 7. Oktober 1545 ' S. 190 8 S. 191 9 vgl. Luthers Brief an Albrecht vom 6. Dezember 1545, W A Br X I , 4173 S. 225 f 10 WA Br X I , 4193 S. 273; 29. 1. 1546, an Fürst Georg von Anhalt 11 WA Br X I , 4195 S. 275; 1. 2. 1546 12 WA Br X I , 4173 S. 226; 6. 12. 1545 an Graf Albrecht 13 vgl. o. S. 18 14 WA Br X I , 4196 S. 277 f 2

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15 WA Br XI, 4197 S. 279 f » S. 279 17 WA Br XI, 4200 S. 285 18 WA Br XI, 4199 S. 284 " WA Br XI, 4201 S. 286 f ; 7. Februar 1546 20 S. 286 21 S. 287 22 Brief an Käthe, WA Br XI, 4203 S. 291 23 WA Br XI, 4207 S. 300 24 Zusammen mit dem vom gleichen Tage an Melanchthon, WA Br XI, 4208 S. 301 f, der zu unserem Thema lediglich mitteilt, der Abberufungsbrief des Kurfürsten sei eingetroffen und Luther sei satur plus quam satis istarum rerum. 15 vgl. o. S. 27

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5. Die Verträge von 1546 Die Verträge vom 16. und 17. Februar sind nun — wenn man die engen Verhältnisse des 16. Jahrhunderts auf die heutigen überträgt — eindeutig Staatsverträge. Der erste löst die heißumstrittene Frage der Patronatsrechte. Luther und Jonas haben dafür ein Gutachten vorgelegt, es geht in den Vertrag vom 16. Februar ein, wie sich schon aus der Uberschrift ergibt: „Folget [nach Wiedergabe des Gutachtens] der Vertrag, von beiden Herren Doktoren auf vorhergehendes Bedenken formuliert („begrieffen") und von allen Grafen zu Mansfeld bewilligt und vollzogen" Hier werden alle Fragen geregelt, die der Berufung, Anstellung, Besoldung und Unterbringung aller „Kirchendiener" (einschließlich ihrer Kompetenzen) vom Superintendenten bis zum Organisten, Küster und den Chorknaben — ein reichlich kompliziertes Geschäft, da alle Grafen an Rechten und Pflichten zu beteiligen waren. Zusätzlich werden parallele Abmachungen für die Schulen und Hospitäler getroffen. Dieser Vertrag steht ausschließlich unter dem Vorzeichen Luthers, nicht umsonst beginnt er: „Ich, Martinus Luther, der heiligen Schrift Doktor, tue mit diesem offenen Briefe kund, daß die wohlgeborenen und edlen Herren 2 für sich und I. Gnaden junge und unmündige Brüder auf mein, audi des Ehrwürdigen, meines lieben Freundes D. Jonas, gepflogene Ermahnung („unterrede"), Gott zu ehren und um der Beförderung allgemeinen Nutzens willen, sich in nachfolgenden Artikeln, in bezug auf Ordnung der Kirchen, Schulen, Spitale, Ehesachen und den geistlichen Bann endlich und freundlich miteinander verglichen haben" 3 . Im Schlußsatz heißt es: „Zur Urkunde und steter fester Innehaltung haben wohlgedadite Grafen für sich, I. Gnaden Erben, junge Brüder und Nachkommen, D. Martin Luther und D. Justus Jonas zugesagt, diese Abmachung („handlung") unverbrüchlich zu halten". Zum Zeichen dessen hätten sie, wie Luther und Jonas, „diesen Vertrag und Bewilligung zweifach mit unseren anhängenden Petschaften bekräftigt [und] mit eigener Hand unterschrieben"4. Nun kann man, um die äußerste Position einzunehmen, einwenden, hier handele es sich um einen Staatskirchenvertrag, an dem den Theologen zu allen Zeiten ein erheblicher Anteil zugekommen sei, obwohl alle Theologen, die in den letzten Jahrzehnten an solchen Verhandlungen teilgenommen haben, angesichts dieses Einwandes (in Erinnerung daran, welche Einflußnahme ihnen auf die in Betracht kommenden Verträge tatsächlich zugestanden wurde) in einige Verwunde31

rung geraten würden. Aber beim Vertrag vom 17. Februar 1546 fallen alle solche Einwände dahin. Hier handelt es sich um einen reinen Staatsvertrag, geschlossen zwischen weltlichen Herrschaften und ausschließlich weltliche Fragen behandelnd 6 . Nach den einleitenden Abschnitten (auf die wir noch zu sprechen kommen) folgen zunächst die Bestimmungen über den Burgfrieden und die Erbverträge der Grafen. Ganz ausführlich werden die Rechtsverhältnisse der Neustadt geregelt bis hin zum Bierund Weinausschank. Die Handwerker in Alt- und Neustadt sollen zu einer Innung zusammengefaßt werden, die Straf- und Polizeiordnung wird festgestellt. Uber die Verteilung der Einkünfte aus den Bergwerken und Steuern werden Abmachungen getroffen, die Bestimmungen der Hausverträge über die Verschuldungsgrenze werden außer Kraft gesetzt (Graf Gebhard wird also die Verfügungsfreiheit über seinen Besitz wiedergegeben). Bis ins letzte Detail gehen die Geländeabgrenzungen: der Besitz des Eislebener Klosters und der Burgacker zu Hettstedt z. B. wird fünffach geteilt, in bezug auf die Fischteiche zu Helmsdorf und Cöllme wird eine genaue Regelung getroffen. Der Vertrag geht hin bis zu den Bestimmungen über die gemeinsame Errichtung eines Archivs, eines Gefängnisses und das Verfahren beim Anschlag von Mandaten. Dieser Vertrag hat schlechterdings nichts mehr mit kirchlichen Angelegenheiten zu tun und geht ganz ausschließlich „weltliche Dinge" an. Welchen Anteil hat Luther nun an ihm gehabt? Kawerau 8 meint, die Verhandlungen hätten nur alle zwei oder drei Tage stattgefunden und Luther hätte jeweils nur eine, höchstens anderthalb Stunden an ihnen teilgenommen 7 . Nun ist es zutreffend, daß außer Luther und Jonas noch Fürst Wolfgang von Anhalt und Graf Hans Heinrich d. Ä. von Schwarzburg als Unterhändler in Eisleben weilten. Und man kann auch annehmen, daß die Einzelheiten der oft sehr speziellen Regelungen von den Juristen der Grafen miteinander ausgehandelt wurden. Richtig ist auch, daß Luthers körperliche Schwäche vom 14. Februar ab zunehmend in Erscheinung tritt. An diesem Tag — oder am 15. Februar? — muß er seine Predigt abbrechen: „das und viel mehr wäre von diesem Evangelium zu sagen, aber ich bin zu schwach, wollens hierbei bleiben lassen" 8 . Aber da sind die Verhandlungen 9 im Entscheidenden abgeschlossen und bestenfalls nur noch untergeordnete Details zu regeln. Luthers Briefe, die mit Absicht ausführlicher zitiert worden sind, geben uns ein aufschlußreiches Bild — es will zu den Annahmen Kaweraus nicht passen. Und auch der Vertrag selbst gibt da, wo Luther in seinen Briefen nichts über die Ver32

handlungsgegenstände sagt, Hinweise darauf, daß L u t h e r bis in die E i n zelheiten hinein an i h m beteiligt w a r . In der M ü n z f r a g e k o n n t e m a n sich z. B . nicht endgültig einig werden, sie g e h ö r t e zu den Gegenständen, deren abschließende V e r h a n d l u n g der V e r t r a g auf den 3. Mai verschob. H i e r heißt es i m V e r t r a g s t e x t : a m 3. Mai wolle m a n sich, „ D o k t o r M a r tinus B i t t e nach, freundlich u n t e r r e d e n und, soviel i m m e r möglich, v e r gleichen". U n d bei den V e r h a n d l u n g e n über Drachstedts Streit m i t G r a f A l b r e c h t wegen seines E r b f e u e r s 1 0 w i r d z w a r erklärt, daß der G r a f A n laß habe, D r a c h s t e d t wegen seiner öffentlichen Angriffe auf ihn z u r Rechenschaft zu ziehen, aber „auf sonderliche hochfleißige B i t t e D o k t o r M a r t i n i L u t h e r s " solle darauf verzichtet werden, „ i h m [ L u t h e r ] u n d den a n d e r e n U n t e r h ä n d l e r n z u freundlichem und günstigem G e f a l l e n " 1 1 . Schon der V o r s p r u c h z u m V e r t r a g sagt das N o t w e n d i g e über den Anteil L u t h e r s (er sei ausnahmsweise vollständig, u n d z w a r n u r m i t leichter Modernisierung o h n e G l ä t t u n g des Satzbaus, z i t i e r t ) 1 2 : „Nadidem und als sich zwischen den wohlgebornen und edlen Herrn, Herrn Albredit, Herrn Philipp und Herrn Hans Georg, Gevattern und Brüder, Grafen und Herren zu Mansfeld, Irrungen und Zwiespalt zugetragen und erhalten haben und der ehrwürdige Herr Martinus Luther, der heiligen Schrift Doktor, auf wohlgedaditer Grafen Ansuchen sich aus christlicher, herzlicher und treuer Liebe, so er zu seinen Landesherrn und Vaterland getragen, in solche Zwiespalt eingelassen und die auch ehrwürdigen und hochgelehrten Herrn Justus Jonas, auch der heiligen Schrift Doktor, und Herrn Philipp Melanchthon zu sich gezogen, und nach Ausgang der vergangenen Weihnachtsfeiertage zwischen wohlgedaditen Grafen (so ihre Herren und Freunde, den hochgeborenen Fürsten und Herrn, Herrn Wolf, Fürsten zu Anhalt, Graf zu Askanien und Herrn zu Bernburg, und den wohlgebornen Herrn Hans Heinrich den Ältesten, Grafen und Herrn zu Schwarzburg, auch zu den Sachen gebeten und veranlaßt) die Handlung zu Mansfeld vorgenommen und anfänglich wohlgedachte Grafen mit einer treuen und Christlichen Erinnerung zu Lob Gott, ihrer Seelen zur Seligkeit und zum Trost der ganzen Landschaft, zu guter seligen Regierung, laut göttlicher Verheißung im Psalm: Wo Einigkeit ist, daß allda Gottes Segen ist, ihrer Gemüt und Herzen gegeneinander zu Christlicher freundlicher Einigkeit verglichen und [dem] folgend zur Hinlegung der Irrsal geschritten. Und aber damals den Sachen aus vorgefallenen Ursachen und Kürze der Zeit halber nicht hat können endlich abgeholfen werden, deshalb dann von erwähntem Herrn Doktor Martin Luther ein anderer Tag, als auf Conversionis Pauli [25. Januar], auch vergangen, hierher gegen Eisleben ernannt und angesetzt worden ist, auf welchem Tag die hoch- und wohlgedachten Fürst Wolf von Anhalt und Graf Hans Heinrich von Schwarzburg 33

neben den Grafen von Mansfeld, dergleichen berührter Herr Doktor Martinus neben Doktor Jonas über etliche Tage [d. h. am 28. Januar], dieweil sie großen Gewässers und Gefahr halber zu Halle nicht haben können über [die Saale] kommen, auch wiederum erschienen und die [Verhandlung in die H a n d genommen. Demnach so bekennen wir Wolfgang, Fürst zu Anhalt, Graf zu Askanien und Herr zu Bernburg, und wir Hans Heinrich der Älteste, Graf und Herr zu Schwarzburg, auch wir Martinus Luther und Justus Jonas, der heiligen Schrift Doctores, daß wir, die genannten Grafen, in nachfolgenden Artikeln [sich] in der Güte mit ihrem guten Wissen, Willen und Vollwort [ = voller Zustimmung] verglichen und vertragen haben."

Hier wird ganz deutlich, daß Luther nicht nur die Initiative, sondern auch ein entscheidender Anteil am Vertragswerk zukommt. Alle Versuche, die Streitigkeiten auf dem normalen Verhandlungswege aus der Welt zu schaffen1S, waren vergeblich geblieben. Um das zu erreichen, bedurfte es einer Instanz, deren Unparteilichkeit völlig außer Frage stand und welche außerdem eine moralische, allgemein anerkannte Autorität besaß, die über die der normalen Rechtsinstanzen hinausragte. Daß Luther als „Landeskind" am Wohlergehen seines „Vaterlandes" aufs dringendste gelegen war, stand außer jedem Zweifel, so beugten sich seine „Landesherrn" seinem immer wiederholten Aufruf zur Einigkeit und begruben ihre Fehde miteinander; die die Formalien und den Eigennutz ihres jeweiligen Fürsten in den Vordergrund stellenden Juristen wußte Luther unter immer neuem Hinweis auf die durch ihr Verhalten gefährdeten höheren Werte (wie allerdings auch unter Inanspruchnahme der auf ihre Räte einwirkenden Fürsten selbst) zu überwinden. WA Br X I I , 4300 S. 369 - das Gutachten S. 368-369, der Vertrag S. 369-372 folgt die Aufzählung der Mansfelder Grafen 3 S. 369, folgen S. 369-372 die einzelnen Abmachungen 4 S. 372 5 Leider ist dieser Vertrag vollständig lediglich in einem Druck des beginnenden 18. Jahrhunderts zugänglich, die W A beschränkt sich bedauerlicherweise auf den Abdruck der Eingangs- und Schlußformel (WA Br X I I , 4301 S. 375 f). So kann nur der Abdruck bei Enders 17, 60-65 zugrundegelegt werden, der die wichtigsten Partien im Wortlaut, minder wichtige in Zusammenfassung bietet. * Martin Luther, 5 1903, II, 619, nach dem Bericht von Jonas an den Kurfürsten Johann Friedrich vom 18. Februar 1546, vgl. Jonas, Briefwechsel II, 177 7 vgl. dazu auch Enders, 17,66 Anm. 7 8 WA 51,194 8 vgl. Luthers Briefe vom 14. Februar 10 vgl. o. S. 22 1 1 WA Br X I I , 4301 S. 375 Anm. 3 1 2 WA Br X I I , S. 375 f 1S vgl. dazu o. S. 18 f u. 24 f 1

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III.

FRIEDRICH

DER

WEISE

1. Die persönlichen Beziehtingen Luthers Beziehungen zu Friedrich dem Weisen scheinen minimal, wenn man sie von außen ansieht. Der Kurfürst und der Reformator haben nie miteinander persönlich verhandelt, audi die Korrespondenz zwischen ihnen ist nicht sehr umfangreich. Aber dieser Gesichtspunkt ist in der Forschung oft überbetont worden. Denn für die möglichste Reduktion des direkten Kontaktes gab es einen zwingenden — auch von Luther voll anerkannten 1 — Grund. Außerdem ist die Korrespondenz zwischen beiden gar nicht so gering, wie man meint: zwar hat Friedrich der Weise nur viermal persönlich an Luther geschrieben, und nur 37 Briefe Luthers an ihn sind erhalten. 2 Aber die Korrespondenz zwischen Spalatin und Luther in der Regierungszeit Friedrichs des Weisen umfaßt nicht weniger als 304 Nummern — sie sind der mit Friedrich dem Weisen selbst im wesentlichen hinzuzuzählen, denn Spalatin ist das Sprachrohr Luthers gegenüber dem Kurfürsten. Berücksichtigt man diese Zahl, ergibt sich eine wesentliche Veränderung des Bildes. Wenn die Korrespondenz zwischen Luther und Friedrichs Nachfolger Johann dem Beständigen 171 Briefe umfaßt, und die mit Johann Friedrich dem Großmütigen 315 Briefe, so scheint das einen gewaltigen Zahlenanstieg zu demonstrieren, nimmt man aber die Korrespondenz mit Spalatin hinzu, wird er wesentlich reduziert, ja eigentlich aufgehoben (aus der Regierungszeit Johanns sind noch 93 Briefe aus der Korrespondenz Luthers mit Spalatin erhalten, sie sind — mindestens zum Teil — unserem Bereich zuzurechnen). Außerdem umspannt die Korrespondenz Luthers mit Friedrich dem Weisen einen Zeitraum von 7 1 /2 Jahren, die mit Johann dem Beständigen 8 1 A Jahre, die mit Johann Friedrich aber 13V2 Jahre, auch diese unterschiedlichen Zeiträume müssen in Betracht gezogen werden. Die Verbindung Luthers zu Friedrich dem Weisen ist enger, als es auf den ersten Blick erscheint. Die Distanz zwischen ihnen, die in der Literatur immer wieder betont wird, hat einen politischen Grund. In unserer Korrespondenz tritt er an 35

einer Stelle mit Deutlichkeit ans Tageslicht, wir können uns deshalb auf ihre Behandlung beschränken: als Luther sich wegen der Forderungen der Gebrüder Leimbach wieder einmal direkt an Friedrich den Weisen wendet 3 , läßt der Kurfürst durch Spalatin antworten, daß er in dieser Angelegenheit zwar alles tun würde, was recht und billig sei. Er wäre auch gerne bereit, mit Luther darüber direkt zu verhandeln, aber dem stehe ein entscheidender Grund entgegen: „Weil Ihr aber wißt, daß seine Kurfürstliche Gnaden sich bisher gegenüber päpstlicher Heiligkeit, Römisch-Kaiserlicher Majestät und anderen Ständen allewege hat vernehmen lassen, daß sie mit Euren Sachen und Euch nie zu schaffen gehabt haben, so würde, wenn seine Kurfürstliche Gnaden sich in dieser Sache (der Leimbachs) mit Euch (persönlich) einlassen sollte, seiner Kurfürstlichen Gnaden nachgesagt (,aufgelegt') werden, als ob sie mit Euch insgeheim doch in Beziehung ständen (,als hätten seine C. G. heimliche Handlung mit Euch')" 4. Das ist am 13. Mai 1523 geschrieben und gehört in die vom Kurfürsten nach allen Seiten hin sorgfältig durchgehaltene Politik der Dissimulation hinein. Es ist leicht darüber zu lächeln, wenn man die Korrespondenz zwischen Luther und dem Kurfürsten ansieht. Die vier direkten Briefe Friedrichs an Luther haben zwar rein formellen Charakter: am 11. März 1521 übersendet er ihm (auf Verlangen des Kaisers) den Geleitsbrief für die Reise nach Worms 5 , am 5. November 1522 beantwortet er den Antrag Luthers und zahlreicher anderer Wittenberger Professoren 6 positiv, daß Heinrich Stockmann in eine frei gewordene Stelle in der medizinischen Fakultät einrücken solle 7 . A m 7. August 1523 teilt er Luther mit, daß die aus Schürf, Schwertfeger, Melanchthon u. a. bestehende Delegation in seinem direkten Auftrag wegen des Wittenberger Allerheiligenstiftes 8 zu Luther käme 9 . A m 10. Juli 1524 schreibt er an Luther und Schürf noch einmal in dieser Angelegenheit 10 . Aber immer wieder wendet sich Luther direkt an den Kurfürsten. Wenn dieser ihm auch nur durch Spalatin antworten läßt, so ist doch jedesmal deutlich — der eben zitierte Brief zeigt das mit aller Klarheit —, daß dem ein Gespräch mit dem Kurfürsten vorangegangen war, in dem Spalatin die notwendigen Anweisungen erhalten hatte. In einem Fall 1 1 hat sich der Kurfürst durch seinen Kanzler Brück sogar direkt an Luther mit der Bitte um ein Gutachten gewandt. Selbst wenn Luther sein Anliegen lediglich Spalatin vortrug, konnte dieser eine verbindliche Antwort in der Regel doch nur un36

ter der Voraussetzung einer vorangehenden Rücksprache mit den zuständigen Stellen des Hofes, oft genug mit dem Kurfürsten selbst, geben; unsere Untersuchung gibt zahlreiche Beispiele dafür. Auch die gegenüber dem Reich und den Ständen immer wiederholte Versicherung, der Kurfürst habe mit Luther persönlich oder gar der Reformation nichts zu schaffen, war genauso durchsichtig wie das Verhalten Luther gegenüber, zumal sie oft zu grotesken Manövern führte. Aber Friedrich hat starr an ihr festgehalten und lieber eine unglaubwürdige Behauptung auf die andere gesetzt, als sie auch nur ein Stück aufzugeben, und war damit erfolgreich. Das ist allgemein bekannt; nicht allgemein bekannt oder, genauer gesagt, so gut wie unbekannt ist, daß Luther diese Politik nicht nur billigte, ganz entgegen seiner sonstigen Haltung, die allen Heimlichkeiten feind war, sondern Friedrich sogar darin bestärkte. Im Brief an Spalatin vom 12. Oktober 1523 12 nimmt Luther zunächst auf sein Verlassen der Wartburg gegen den Willen des Kurfürsten und den in diesem Zusammenhang an Friedrich geschriebenen Brief 13 Bezug. Es sei so gekommen, wie er damals erklärt habe: durch die offenbare Hilfe der Hand Gottes lebe er gegen alle Hoffnung nun schon zwei Jahre und der Kurfürst sei nicht nur in sicherer Position, sondern die Wut der anderen Fürsten gegen ihn sei sogar geringer geworden, als vor einem Jahr. N u n die entscheidende Stelle: Nec dubito, principem fore illaesum, donec publicum causam [meam] non fatetur aut probat. Luther wäre bereit, sein Leben hinzugeben, wenn er damit den Kurfürsten aus seiner Sache, in die dieser solo Dei consilio hineingeraten sei, ohne Schmach für das Evangelium herausretten könnte. Gott allein wisse, warum Friedrich die Schande Luthers mittragen müsse, aber sicher sei, daß der Kurfürst das sine damno aut periculo, imo magno salutis commodo tue. Luther hat also das Verhalten Friedrichs zu ihm selbst wie zur Reformation, die Dissimulation beiden gegenüber, ja ihre offene Verleugnung als die richtige und einzig mögliche Haltung angesehen. Von hier aus gewinnt Friedrichs des Weisen Verhalten, das ihm in der Literatur immer als Beweis für seine innere Distanz zur Reformation angerechnet wird, ein ganz anderes Vorzeichen. Nun kann auf dieses Thema hier nicht eingegangen werden 14 , hingewiesen sei lediglich, weil es zu unserem unmittelbaren Thema der persönlichen Beziehungen zwischen Luther und Friedrich dem Weisen gehört, auf die Vorreden, welche Luther den seinem Kurfürsten gewidmeten Schriften beigefügt hat. Die Reihe beginnt mit Luthers auf den 27. März 1519 datierten Vorrede zu 37

den Operationes in Psalmos, der Veröffentlichung der zweiten Vorlesung über die Psalmen 15 . Von Friedrich dem Weisen als dem patrono suo clementissimo spricht bereits die Überschrift der Vorrede, welche von allen in Betracht kommenden nicht nur die ausführlichste, sondern auch die am persönlichsten gehaltene ist. Der Inhalt kann hier nicht wiederholt werden, nur die Bezugnahmen auf den Kurfürsten können kurz referiert werden. Manches in den preisenden Worten ist sicher dem Stil der Zeit zuzurechnen. Da heißt es z. B. cum tu is princeps sis, qui cum caeteris vere principis dotibus, tum eximio literarum literatorumque amore tantum tibi nominis et gloriae pararis, ut non etiam Appion tibi, sed Appioni et omnibus, qui te celebrent, nominis immortalitatem sis daturus18.

Auf ähnliche Weise wird die Friedrich zu verdankende Blüte der Universität Wittenberg gepriesen, dabei heißt es, was in unserem Zusammenhang wichtig ist: Syncera Christi Theologia triumphat, opinionibus et questionibus hominum prope nihil neque opinantibus neque quaerentibus. Haec omni florent tuis auspiciis, sumptibus, praesidiis17.

Mit amplissimis beneficiis habe der Kurfürst ihn sich zu Dank verpflichtet, sed quantis ... curis, officiis, sumptibus denique et periculis sei der Kurfürst durch die Auseinandersetzungen belastet worden, die sich aus dem Ablaßstreit ergeben hätten. Als Luther in diesem Zusammenhang Wittenberg hätte verlassen und sich im Winkel verbergen wollen, habe der Kurfürst das verhindert und sich schützend vor ihn gestellt 18 . Die Liebe habe Luther veranlaßt, die Psalmenauslegung dem Kurfürsten zu widmen: Compertum enim habeo, quam pure et caste deamet cor tuum sacras literas, et cor meum (ut Delbore verbis utar) hos principes diligit. In einem Gespräch mit Staupitz habe der Kurfürst nämlich das Vertrauen auf Scharfsinn und menschliche Einrichtungen verworfen. Allein die heilige Schrift sei eine sichere Grundlage, die alle Kunstgriffe zunichte mache. Staupitz habe dem zugestimmt, worauf der Kurfürst sich von ihm in die Hand habe versprechen lassen, daß er immer bei dieser Auffassung bleiben werde. Ein solcher Ausspruch und eine solche Meinung würde selbst vel sanctissimum et Summum Pontificem schmücken. Hier sähe man, qui sint veri Theologi19. Die Theologen und die Juristen soll38

ten sich angesichts dieser Haltung Friedrichs schämen, insbesondere die, denen die Schrift beinahe etwas Lächerliches sei und die sie consarcinatis infinitis glossis pestilenter palpant iis, qui quicquid dixerint, verbum dei videri velint. Die scholastische Theologie zeige, wie nichts so scharfsinnig sei, daß es nicht durch größeren menschlichen Scharfsinn umgestoßen werden könne. Luther sei dankbar, daß er aus der scholastischen Theologie herausgerissen worden sei, die Sache der Theologie selbst werde man ihm nie nehmen noch die Liebe zu ihr auslöschen können 2 0 . Die nächste Widmungsvorrede an den Kurfürsten findet sich 1520 in den Tessaradecas consolatoria pro laborantibus et oneratis21, die in deutscher Ubersetzung durch Spalatin noch im gleichen Jahr veröffentlicht werden: „Ein tröstliches Büchlein Doktor Martin Luthers, Augustiners, in aller Widerwärtigkeit eines jeden christgläubigen Menschen". Bis zum Tode Friedrichs des Weisen erschien die lateinische Fassung in fünf, die deutsche in sieben Ausgaben. Friedrich selbst hatte die deutsche Fassung schon vor dem Erscheinen des ersten lateinischen Drucks in Händen, denn Luther hatte Spalatin um die Herstellung einer Ubersetzung gebeten, damit sie dem Kurfürsten überreicht werden könnte. Friedrich ist krank, deshalb schreibt Luther für ihn diese Trostschrift. Das geschieht auf ausdrückliche Anregung Spalatins, der gemeint hatte, „es würde solche meine Untertänigkeit Eur. Kurf. Gnaden als einem wundergütigen, sanftmütigen und holdseligen Fürsten zu gnädigem Gefallen gereichen". Luther weiß sich als des Kurfürsten „Schuldner aus vielen Ursachen", er ist das „Haupt, in dem all unser Heil, Verwaltung und Wohlfahrt steht", so wie es im 2. Buch der Könige von Naeman gesagt wird. So hat er diese „Vierzehn Tröstungen" verfaßt, deren Titel sich an die vierzehn Nothelfer anlehnt, die dem katholischen Gläubigen früher Zuflucht in allen Nöten waren. An ihre Stelle sollen die „Vierzehn Tröstungen" treten 22 . Soviel aus dem Vorwort zu der Schrift von 1520, an deren Schluß Luther den Kurfürsten noch einmal persönlich anredet und sich als seinen Schuldner bekennt 2S . Fast genau ein Jahr später erschien die lateinische Adventspostille 24 , wieder mit einer Widmungsvorrede an Friedrich den Weisen. Sie wies auf eine nodi engere Verbindung zu ihm hin als die „Vierzehn Tröstungen". Diese waren auf Veranlassung Spalatins (mit oder ohne Anteil Friedrichs?) niedergeschrieben worden, die Entstehung der lateinischen Adventspostille geht direkt auf die Initiative des Kurfürsten zurück. Er hatte, wie Luther in der Vorrede erzählt, ihn 1519 39

dazu aufgefordert, sich neben der Auslegung der Psalmen (den Operationes in Psalmos, die hefteweise zu erscheinen begonnen hatten) einer Auslegung der Epistel- und Evangelientexte zu widmen, die dem Sonntagsgottesdienst zu Grunde lagen, pro vulgo pastorum et populorum. Das habe der Kurfürst getan, erzählt Luther ganz unbefangen, um ihn von den rixosis, mordacibus et turbulentis scriptionibus zu den sacris et placidis studiis hinzulenken 25 . Vom Kurfürsten heißt es in dem Vorwort: qui sacris literis non modo incomparabili studio et faves et inhias, sed ita formatus es, ut nulli Theologo, vel ter maximo, non queas negocium facessere, si quaestiones dumtaxat movere incipias26. 1523 erschien eine zunächst anonyme Schrift, deren Titel dann bald vervollständigt wurde: „Von zweierlei Menschen, wie sie sich in dem Glauben halten sollen und was der sei. Sendbrief D. Mart. Luthers an Herzog Friedrich von Sachsen, Kurfürst etc.". Hier wurde das Schreiben Luthers vom 12. März 1522, d. h. die zweite Fassung seines Rechenschaftsberichtes nach Verlassen der Wartburg 2 7 zusammen mit einem sich an Luther anlehnenden und einzelne Stücke seiner Schriften benutzenden erbaulichen Traktat veröffentlicht 28 ; nicht verwunderlich, daß er der damaligen Zeit als echtes Werk Luthers galt 29 . Das sind innerhalb von fünf Jahren fünf Schriften, die im Bewußtsein der Öffentlichkeit die Vorstellung von einer engen Beziehung zwischen Friedrich dem Weisen und Luther bestärkten. Wenn Luther 1524 Friedrich und seinen Bruder Johann in seinem „Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührischen Geist" in aller Öffentlichkeit ausführlich anredet und ihnen Hinweise, ja Anweisungen gibt, wie sie sich gegenüber der von Thomas Müntzer ausgelösten Bewegung verhalten sollten, so mußte diese weitverbreitete Schrift (sechs Ausgaben im Erscheinungsjahr) auf jedermann den Eindruck einer engen Verbundenheit zwischen Kurfürst und Reformator machen — wie es nach Ausweis der Korrespondenz zwischen ihnen tatsächlich der Fall ist. Die Widmungen Luthers mit ihren direkten Ansprachen an den Kurfürsten sollten bei einer Diskussion von dessen Verhältnis zur Reformation wie der persönlichen Beziehungen zwischen beiden stärker in Betracht gezogen werden, als das bisher geschieht. Luther hat sich, besonders häufig in den Tischreden, aber auch gelegentlich in seinen Schriften über Friedrich den Weisen geäußert. Auch auf sie einzugehen, würde hier zu weit führen, zumal die Urteile in den Tischreden mit Hilfe des ausführlichen Registers leicht zugänglich sind. Außerdem sind sie im engen Kreis der Vertrauten gefällt, die Widmungsvorreden dagegen haben eine 40

offizielle Funktion. Alles Weitere muß sich aus der Behandlung der Korrespondenz ergeben; wie Luther Friedrich den Weisen nach seinem Tode würdigt, sei in einem Vergleich der Leichenpredigten auf ihn mit denen auf Johann den Beständigen festgestellt30. 1

Vgl. u. S. 37 Eine Übersicht über die Korrespondenz Luthers mit den sädisisdien Kurfürsten ergibt folgende Zahlen: Friedrich der Weise: 37 Briefe von / 4 an Luther (November 1517—4. März 1525) Johann der Beständige: 121 Briefe von / 50 an Luther (15. Mai 1525-12. August 1532) ohann Friedrich der Großmütige: 201 Briefe von / 1 1 4 an Luther (18. September 1532 is 16. Februar 1546) Dabei ist bei Johann und Johann Friedrich die Regierungszeit zugrundegelegt, in die Briefzählung sind jedodi auch die Briefe aus der Zeit davor eingeschlossen, vgl. dazu u. S. 98 u. 263 ff 3 Vgl. dazu u. S. 76 ff 4 WA B r i l l , 612 S. 68 5 WA Br II, 387 S. 286 • WA Br II, 544 S. 610 f 7 WA Br II, 547 S. 614 f 8 Vgl. u.S. 46 ff 8 WA Br III, 642 S. 122 f 10 WA Br III, 759 S. 321 11 Vgl. u.S. 80 12 WA Br III, 668 S. 169 13 Vgl. WA Br II, 455 S. 454 ff, vgl. dazu u. S. 45 14 Die richtige Position scheint mir K. Aland in seinem Aufsatz einzunehmen: „Wendepunkt der Weltgeschichte: Das Problem des Glaubenswechsels bei Konstantin dem Großen, Chlodowedi und Friedrich dem Weisen", Kirchengeschichtliche Entwürfe, 1960, S. 13-34. 15 WA 5,19-673 16 WA 5,20 17 ebda 18 bis hierher alles S. 20 19 bis hierher alles WA 5, 21 20 bis hierher alles WA 5, 22 21 WA 6, 104—134, in deutscher Übersetzung durch Th. Heckel, Helsinki 1941 erschienen: Vierzehn Tröstungen für Mühselige und Beladene; zitiert wird jedoch nach der 2. Ausgabe von Walch, weil hier die Übersetzung Spalatins abgedruckt wird, die dem Kurfürsten vorgelegen hat. 22 Alle Zitate nach Walch 2 X, 1818 f 23 Sp. 1916 f 24 Enarrationes epistolarum et evangeliorum, quas postillas vocant, WA 7, 463—537 25 WA 7, 463 28 S. 465 27 Vgl. dazu u. S. 46 28 WA 11, 467—475 29 Als solches ist er noch in die Erlanger Ausgabe aufgenommen worden. 30 Vgl. u.S. 102ff 2

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2. Temporalia et Spiritualia Gleich der erste Brief Luthers an Friedrich den Weisen ist interessant — und charakteristisch. E r gehört in den November 1517. Hier geht es zunächst um eine neue Kutte, die Luther zwar zugesagt, aber nicht geliefert worden ist. Anschließend daran tritt Luther mit einigem Nachdruck (und ebensolchem ungezwungenen Freimut) für Staupitz ein, von dem er gehört hat, er sei beim Kurfürsten in Ungnade gefallen. Und dann der für uns in Betracht kommende Absatz: „Audi, gnädigster Herr, daß ich E. F. G. auch meine Treue erzeige und mein Hofkleid verdiene: ich habe gehört, daß E. F. G. nach Aufhören dieser Steuer eine andere und vielleicht schwerere einführen 'wollte. Wenn E. F. G. eines armen Bettlers Gebet nicht verachten wollen, bitte ich, wollts um Gottes willen nicht dahin kommen lassen. Denn es ist mir und vielen E . F. G. Günstigen von Herzen leid, daß auch diese Besteuerung E. F. G. in den letzten Tagen so viel guten Ansehens, Namen und Gunst beraubt hat. Gott hat E. F. G. wohl mit hoher Vernunft begnadet, daß sie in diesen Sadien weiter sieht als idi oder vielleicht alle E. F. G. Untertanen. Aber es kann doch wohl sein, ja Gott will es so haben, daß große Vernunft zuweilen durch weniger Vernunft unterwiesen werde, auf daß sich niemand auf sich selbst verlasse, sondern allein auf Gott unsern Herrn. E r erhalte E. F. G. gesund uns zum Guten und danadi E. F. G. Seelen zur Seligkeit. Amen"1.

Das einzige, was hier den Abstand zwischen „Herrscher" und „Untertan" zum Ausdruck bringt, ist der häufige Gebrauch der Formel: E(ure) F(ürstliche) G(naden), wie evtl. die letzten Sätze. Alles andere ist auf erstaunliche Weise von Gleich zu Gleich geschrieben, vor allem wenn man den Briefstil des 16. Jahrhunderts berücksichtigt. Die nächsten Briefe Luthers an den Kurfürsten gehören in den Ablauf der Reformationsgeschichte: die (vom Kurfürsten angeforderte) Darstellung der Begegnung mit Cajetan 2 , der erste und der zweite Bericht über die Verhandlungen mit Miltitz®, wie die Antwort auf die Denkschrift Miltitz' *. Über sie ist hier nicht zu berichten, genau so wenig wie über die folgenden Briefe gleichen oder ähnlichen Inhalts — sie ergeben sidi zwangsläufig aus dem Ablauf der Ereignisse jener Jahre: bestimmte Berichte und Vorlagen waren einfach unentbehrlich, für unser Thema kann aus ihnen verständlicherweise wenig entnommen werden 5 . Das gilt auch für die Briefe, die Luther wegen der fortschreitenden Reform der Universität Wittenberg (in Ausnahmefällen, in der Regel gingen sie an Spala-

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tin) an den Kurfürsten richtete, z. B. den vom 23. Februar 1519 e , zusammen mit anderen Mitgliedern des Lehrkörpers verfaßt, in dem der Abbau der bisherigen thomistischen und der Aufbau neuer Vorlesungen gefordert wird 7 . Ja selbst wenn Luther sich (etwa am 15. Mai 1519) 8 mit der Bitte um Erlaubnis für einen Erweiterungsbau des Wittenberger Augustinerklosters an den Kurfürsten wendet, weil vom Wittenberger Magistrat keine Antwort auf den diesbezüglichen Antrag zu erlangen sei, gehört das nicht hierher, denn auch derlei Korrespondenz stellt nichts anderes als ein sozusagen automatisches Nebenprodukt der verschiedenen Amtsfunktionen Luthers dar, ebenso wie die zahlreichen Briefe der Folgezeit über die Finanzangelegenheiten des Klosters 9 . Allerdings muß hierbei das Wort „Amtsfunktion" etwas großzügig ausgelegt werden, denn Prior des Klosters war — wenigstens nominell — Brisger. Und außerdem ist zu berücksichtigen, daß in der Frage der Existenz bzw. Fortexistenz des Wittenberger Klosters durchaus ein Politikum steckte. Wenn Luther dem Kurfürsten Mitte November 1523 1 0 vorschlägt, er solle als „jüngster Erbe" das Kloster übernehmen, weil Brisger und Luther es aufgeben wollten, so besaß dieser Vorschlag eine erhebliche Brisanz. Brisger und er seien der Quälerei mit der Eintreiberei der Minimaleinkünfte des Klosters leid, erklärte Luther. Sie wollten aus dem Kloster aus- und in ein nahegelegenes Haus einziehen, wozu ihnen der Kurfürst keine schriftliche Bewilligung zu geben brauche, er solle es nur dulden. Der Kurfürst ließ sich selbstverständlich nicht darauf ein, denn die Auflösung des Wittenberger Klosters und seine Übernahme in staatliche Verwaltung hätte eine über Deutschlands Grenzen hinausgehende Sensation bedeutet und die gesamte — aufs vorsichtige Taktieren gerichtete — Politik des Kurfürsten ins Schwanken gebracht. Luther ist sich — wenigstens bis zu einem gewissen Grade — auch darüber klar, vgl. seinen zornigen Ausbruch gegenüber Spalatin (wohl Dezember 1524), als neue Querelen wegen der Klosterfinanzen auftraten: „Ich hätte wahrlich schon lange das Kloster verlassen und mich anderswo niedergelassen, um von meiner Arbeit zu leben (obwohl ich hier auch nicht ohne Arbeit lebe), wenn nicht die [sidi daraus ergebende] Schmach des Evangeliums oder vielmehr des Kurfürsten mich zurückgehalten hätte . . . Denn die Veränderung [meiner Lebensumstände] hätte nicht ohne großes Aufsehen geschehen können" u . Jener Antrag vom November 1523 war Ausdruck der Verzweiflung — als ihm verständlicherweise nicht entsprochen wurde, hielt Luther 43

still und trug die Last weiter, bis endlich am 31. Juli 1525 die Verwaltung des Klosters von der kurfürstlichen Kanzlei übernommen wurde 12 . Genau dieselbe Brisanz kommt Luthers Verlassen der Wartburg und den in diesem Zusammenhang geschriebenen Briefen zu. Friedrich der Weise hatte Luther — nachdem zum Bann des Papstes die Acht des Reiches hinzugekommen war — nach dem Wormser Reichstag Anfang Mai 1521 auf der Wartburg in Sicherheit bringen lassen. Das war ein politisch außerordentlich geschickter Schachzug. Aber er wurde durchkreuzt von Luthers aus dem Gewissen, der theologischen und kirchlichen Verantwortung kommenden Handeln. Denn am 17. Januar 1522 erklärt Luther, zunächst in einem Brief an Spalatin, daß er angesichts der in Wittenberg eingerissenen Unordnung in Kürze zurückkehren werde: „Die Sache selbst erfordert es so. Ich will nicht, daß der Fürst um mich besorgt sei, obwohl ich wünschen möchte, daß er entweder meinen Glauben oder ich seine Macht hätte" 1 3 . Das geschah, noch bevor das Reichsmandat vom 20. Januar erging. Dessen — vom Kurfürsten übernommene — Forderung der Abstellung aller in Wittenberg vorgenommenen Neuerungen brachte die Verwirrung dort auf den Höhepunkt. Am 24. Februar kündigt deshalb Luther seine Rückkehr dem ohnehin aufs tiefste besorgten Kurfürsten persönlich an. Dessen — politische — Sorgen werden dadurch nicht erleichtert, sondern nur vermehrt. Denn wenn der Gebannte und Geächtete nach Wittenberg zurückkehrte, geriet nicht nur dieser selbst in hohe persönliche Gefahr, sondern jedermann würde dahinter den Kurfürsten vermuten; dessen bisheriges Bemühen um eine wenigstens formale Neutralität wurde noch weniger glaubwürdig als bisher und die Gefahr einer Konfrontation mit Kaiser und Reich dementsprechend größer. Zwar hatte Luther geschrieben: „E.F. G. nehme sich meiner nur nichts an" 1 4 , aber was half das dem Kurfürsten? Die umfangreiche Instruktion an seinen Eisenacher Amtmann Joh. Oswald 15 zeigt nicht nur seine große politische Besorgnis, sondern auch seine Ratlosigkeit gegenüber der in Wittenberg entstandenen Situation. Seine grundsätzliche Haltung in der Religionsfrage ist klar: „Seine Chf. G. wollten ja nicht gerne etwas tun oder vornehmen, das Gottes Willen und seinem heiligen Wort zu entgegen sein sollte" 16 . Ja noch mehr: „Aber des Gemüts wäre sein Churf. Gnade wohl, wenn seine Gnade eigentlich und gründlich wüßte, was in dem Gottes Willen recht und gut wäre, darob zu leiden, erdulden und lassen, was S. Gn. sollte, des hätt S. Chf. Gn. für seine Person keine Beschwerde. Denn wenn das rechte Kreuz und Heiltum von Gott sein

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sollte, so hätten S. Chf. G. kein Entsetzen davor, sondern weil Gott gesagt hätte, sein Joch wäre süß und seine Bürde leicht, so wollten S. Chf. G. das Kreuz, so sie wüßten, daß es von Gott sein sollte, gern tragen und nidit zweifeln, Gott werde S. Chf. G. Hilfe und Stärkung dazu verleihen" 1 7 .

Aber: „Sie machten es zu Wittenberg so wunderlich und mancherlei, daß so viel Sekten daraus würden, daß männiglich irre darüber würde und niemand wüßte, wer Koch oder Kell(n)er wäre" 1 8 . Einerseits wäre es dem Kurfürsten natürlich lieb, wenn Luther die Unruhen in Wittenberg stillen könnte, andererseits könnte es Luther nicht zum Guten gereichen, wenn er sich unter den gegenwärtigen Zeitumständen in der Öffentlichkeit sehen ließe 19 . Im Endeffekt läuft die Instruktion darauf hinaus: Luther solle „sein Chf. Gnaden anzeigen, was er meinet und achtet, das S. Chf. G. in dieser Sache zu tun oder zu lassen" habe — so im Anfang der Anweisungen an den Verhandlungsführer 2 0 und zum Schluß 21 noch einmal: der Kurfürst „wollt derhalben das alles in sein (Luthers) Verstand, der dieser hohen Sachen erfahren, gestellt haben". Die Antwort darauf gibt Luther in seinem berühmten Brief nach Verlassen der Wartburg vom 5. März 1522 2 2 . Wir können darauf hier nicht im einzelnen eingehen, sondern müssen uns auf den Teil des Briefes beschränken, in dem Luther seinem Kurfürsten Ratschläge gibt, wie er sich politisch verhalten soll: „Dieweil ich E. K . F. G. nidit folgen will, so ist E. K . F. G. vor Gott entschuldigt, so ich gefangen oder getötet würde. Vor den Menschen soll E. K . F. G. sich so verhalten: nämlidi der Obrigkeit als ein Kurfürst gehorsam sein, und kais. Majestät in E. K . F. G. Städten und Ländern an Leib und Gut walten lassen, wie sichs nach des Reiches Ordnung gebührt und sich ja nicht wehren noch widersetzen, noch Widerstand oder irgendein Hindernis für die Gewalt begehren, so sie mich fangen oder töten will. Denn die Gewalt soll niemand brechen als alleine der, der sie eingesetzt hat; sonst ists Empörung und wider G o t t . . 2 S .

Wenn Häscher abgeschickt würden, um Luther gefangenzunehmen, so solle der Kurfürst ihnen die Tore öffnen und ihnen das freie Geleit halten: „das soll geschehen ohne E. K. F. G. Sorgen, Tun und irgendeine Gefahr. Denn Christus hat mich nicht gelehrt, zu eines anderen Schaden ein Christ zu sein". Wenn man dagegen vom Kurfürsten verlange, er solle selbst Hand an Luther legen und ihn gefangen setzen, dann werde Luther dem Kurfürsten auch für diesen Fall Verhaltensregeln geben, und zwar so, daß dieser ohne Schaden und Gefahr an Leib, Gut und Seele bleibe — „E. K. F. G. glaube es oder glaube es nicht" 2 4 . 45

Dieser Brief hatte ein entsprechendes Nachspiel: der Kurfürst beauftragte sogleich Luthers Kollegen Hieronymus Schürf, mit diesem die Situation zu besprechen und ihn um einen offiziellen Brief zu bitten, den der Kurfürst allen in Betracht kommenden politischen Stellen zum Beweis vorlegen könne, daß Luthers Rückkehr nicht auf seine Initiative hin geschehen und er ohne Anteil daran sei. Das geschah dann auch25, worauf wir hier nicht mehr einzugehen haben. Nur dreierlei sei aus der Korrespondenz, weil für unser Thema wichtig, hier noch angemerkt, und zwar zitatweise. Von den persönlichen Beziehungen zwischen Luther und Friedrich dem Weisen ist eingangs28 bereits die Rede gewesen. In dieser besonders kritischen Situation kommt Luther, wenigstens beiläufig, darauf zu sprechen: er sei ganz sicher, daß der Kurfürst es „aufs allerbeste meine", er habe „aus Grund, ohn alles Heucheln, allzeit ein Lust und Gefallen, mehr als an aller anderen Fürsten und Obrigkeiten" am Kurfürsten gehabt, heißt es im Schreiben Luthers nach dem Verlassen der Wartburg 27 . Zur Entscheidung, die zu fällen ist, sagt der gleiche Brief 28 : „Dieser Sachen soll noch kann kein Schwert raten oder helfen, Gott muß hie allein schaffen, ohn alles menschliche Sorgen und Zutun"; die politische Verantwortung will im Glauben getragen sein, aus ihm kommt die Kraft zu ihrer Bewältigung. Zur Grundsatzfrage erklärt Luther in seinem offiziellen Rechenschaftsbrief an den Kurfürsten: „Denn obwohl man nicht allzeit der menschlichen Obrigkeit Gehorsam leisten soll, nämlich wenn sie etwas gegen Gottes Gebot vornimmt, so soll man sie doch nimmer nicht verachten, sondern ehren" — die Obrigkeit in all ihren Erscheinungsformen soll man zwar ehren, handelt sie gegen Gottes Wort und dessen Weisungen, ist ihrem Handeln jedoch Widerstand zu leisten. Dieser Satz ist um so bemerkenswerter, als er sich in beiden Fassungen von Luthers Rechenschaftsbrief29 findet, auch in der auf Wunsch des Hofes revidierten 30 . Der Streit um das Wittenberger Allerheiligenstift, dem wir uns jetzt zuwenden wollen, gehört in dieselbe Kategorie wie die Korrespondenz anläßlich Luthers Verlassen der Wartburg. Bereits von hier aus hatte Luther Spalatin gegenüber den Wunsch ausgesprochen, der Kurfürst mödite dieses „Bethaven" ( = Beth-Awen, Haus des Frevels, vgl. Hos. 4,15) abschaffen und nach dem Tod derer, die von hier ihren Lebensunterhalt empfingen, die einkommenden Gelder zur Versorgung der Armen verwenden 81 . Am 2. Januar 1523 wiederholt Luther seine Forderung, diesmal schon mit heftigen Angriffen gegen die Lebensführung der Mitglieder 46

des Stiftes s a . So geht es weiter 3 8 . Bereits am 1. März fährt Luther noch gröberes Geschütz auf. In einem Brief an den Propst (damals Jonas) und die Kanoniker des Stiftes erklärt er: „Der Schwachheit ist genug nachgegeben, und idi sehe, daß diese Duldung vielen einen Anlaß zur Halsstarrigkeit und zum Spott gegen das Evangelium gibt, so daß es die Not und die Zeit erfordern, endlich mein Amt auszurichten. Deshalb ermahne ich die hochwürdigen Herren in Christus nadi der Regel des Evangeliums (Matth. 18,15) zuerst unter Ausschluß der Öffentlichkeit und verlange, daß sie ihre gemeinsamen Bemühungen darauf richten, daß alles abgeschafft werde, was als ein unerträglicher Greuel gegen das Evangelium bisher geduldet worden ist. Denn es gebührt sich nicht und kann auch den ehrwürdigen Herren nicht verborgen sein, was im Allerheiligenstift in aller Öffentlichkeit Christliches oder Unchristliches geschieht... Also mögt ihr nun aus freien Stücken das tun, was — wie Ihr sehr wohl wißt — geschehen muß, damit ich Euch nicht öffentlich angreifen muß. Ihr habt mit uns diese Stadt, die Luft und alle Dinge gemeinsam. Deshalb müßt Ihr bedenken, daß es nicht länger unseren Beifall finden kann, uns mit Euch an den hergebrachten Greueln teilhaftig zu machen, welche gegen das Evangelium sind. Das befiehlt, die Brüder zu meiden, welche mit den heilsamen Worten unseres Herrn (l.Tim. 6, 3) nicht einverstanden sind. Es muß also entweder dieses öffentliche Ärgernis abgetan werden, oder Ihr sollt auf den christlichen Namen verzichten müssen" S4 . Obwohl Jonas nachdrücklich das Anliegen Luthers unterstützte, gelang es den Kanonikern, beim Kurfürsten einen hinhaltenden Bescheid zu erlangen. Mit dem Argument, sie könnten nicht entscheiden, bevor die zur Zeit vakante Dekansstelle besetzt sei, gelang es ihnen, für diesmal den Angriff abzuschlagen. Aber schon im Juli 1523 wiederholt Luther ihn, und zwar mit einer über die Exkommunikation hinaus gesteigerten Drohung: „daß ich hinfort gegen Euch beten werde, wie ich bisher für Euch gebetet habe. U n d es ist wohl zu erwarten (eig.: „steht wohl darauf"), weil Ihr den christlichen Namen führt und nicht Heiden sein wollt, es möchte mein Gebet einmal Kraft gewinnen, daß Ihr inne werden müßt, was da heiße: Deus iudicabit populum suurn"35. Diesmal geht Luther auch auf die Haltung des Kurfürsten ein: „E. L. weiß auch wohl, daß hierauf nicht zu antworten ist, solcher gebiete oder nicht gebiete, zu tun oder zu ändern. Ich rede jetzt mit Euren Gewissen: Was geht uns der Kurfürst in solchen Sachen an?" Luther hatte auf Apg. 5, 29 und Gal. 1, 8 (!) verwiesen, aber das hinderte die Kanoniker nicht, sich erneut an den Kurfürsten zu wenden. Sie hatten versucht, Luther mit einem hin-

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haltenden Bescheid zu vertrösten, aber dieser hatte die Auseinandersetzung am 2. August auf die Kanzel gebracht 38 . Das gab diesmal der Mehrheit der Stiftsmitglieder Anlaß zur Beschwerde: Luther wolle sie in den Bann tun und den Wittenbergern verbieten, ihnen Lebensmittel zu verkaufen, behauptete sie. Sie reichte aber wenigstens einen von Luther und Jonas ausgearbeiteten Reformvorschlag für den Gottesdienst ein, während der Dekan Beskau, der Hauptträger des Widerstandes, in einer Sondereingabe dem Kurfürsten die Handhabe für eine weitere Verzögerungsaktion lieferte. Ganz sicher spielt bei Friedrichs Verhalten die pietätvolle Rücksichtnahme auf die von seinen Vorfahren stammende Stiftung (wie er mehrfach erklärt) eine Rolle, entscheidend für ihn war jedoch die politische Rücksichtnahme. Er fürchtete, daß die Reformation des ihm unmittelbar unterstehenden Stiftes unliebsames Aufsehen machen und seiner persönlichen Initiative zugeschrieben werden könnte. Eine solche Exponierung wollte er (genau wie bei Luthers Rückkehr von der Wartburg), wenn irgend möglich, vermeiden. So nahm der Kurfürst Beskaus Hinweis auf das kaiserliche Mandat vom 6. März auf und erklärte, mit den geplanten Neuerungen sollte bis zum bevorstehenden Konzil gewartet werden. Wir befinden uns ja in der Zeit der Nürnberger Reichstage; hier war dieses Konzil im Reichstagsabschied vom Januar 1523 binnen Jahresfrist ausdrücklich gefordert worden. Außerdem war der Kurfürst im kaiserlichen Edikt namentlich verpflichtet worden, „allen Fleiß fürzuwenden, zur Verhinderung, daß bemeldeter Luther und seine Anhänger weiter nichts Neues, bis auf das künftige Konzil schreiben oder drucken lassen" 37 . Mit Rücksicht darauf hatte er sich schon im Mai von Luther (wie nach dem Verlassen der Wartburg) einen Rechtfertigungsbrief schreiben lassen 38 . Jetzt beauftragte er eine Kommission (bestehend aus Schürf, Schwertfeger und Melanchthon), Luther wegen seiner Predigt zur Rede zu stellen. Luther erklärte sich darin jedoch lediglich bereit, die Bevölkerung zu ermahnen, nichts Handgreifliches gegen das Stift zu unternehmen und für die Vermeidung von Unfrieden und Aufruhr Sorge zu tragen. Aber gegen das abergläubische Wesen des Stiftes zu predigen werde er nicht aufhören 3 9 . Trotzdem ging die Reform, wenn auch infolge der Intrigen der altgläubigen Minderheit stückweise und schleppend, voran: am 19. August 1523 entwirft Luther auf Verlangen der Mehrheit eine neue Gottesdienstordnung 40 . Drei der Reformation zugetane neue Domherren werden gewählt 4 1 , sie geben ihre Präbenden aber zurück, weil sie die damit verbun48

denen Priesterpflichten nicht zu erfüllen bereit sind. Ihre Lehrtätigkeit an der Universität, zu deren Finanzierung diese Präbenden bestimmt waren, wollten sie jedoch weiter ausüben, erklärten sie. So schlägt Schürf vor, der Kurfürst möchte sie aus diesen Präbenden weiter besolden; der Kurfürst hat zwar schwere Bedenken dagegen, meint aber doch, für die Zukunft einen Weg zu sehen 42 . Am 17. November 1524 schließlich schreibt Luther den Stiftsherren erneut einen drohenden Brief 48 , er fordert darin, „daß Ihr des Spiels ein Ende macht, was rottenhaft und sektiererisch ist, Messen, Vigilien und alles abtut, was dem Evangelium entgegen ist, und solche Ordnung vornehmt, mit der unser Gewissen vor Gott und [unser] Name vor der Welt bestehen können, die wir eure Teufelsgemeinschaft zu vermeiden und zu fliehen gesinnt sind". Sofort wendet sich das Stift wieder an den Kurfürsten, dieser setzt erneut eine Kommission ein. Aber Luther läßt sich davon nicht beeindrucken. Erbittert schreibt er am 27. November an Spalatin, welcher die Stiftsherren verteidigt und davon gesprochen zu haben scheint, Luther werde es mit seinen Maßnahmen zum Aufruhr treiben 44 . Mit seiner Predigt am gleichen Tage, dem 1. Advent 45 , erreicht er es, daß zwei Bürgermeister mit zehn Ratsherren, vom Rektor der Universität und dem Stadtpfarrer begleitet, vor den Stiftsherren erscheinen und ihnen die Aufkündigung der Gemeinschaft, den Entzug des öffentlichen Schutzes und den wirtschaftlichen Boykott ankündigen, falls sie nicht das Messehalten einstellen. Die Stiftsherren wenden sich sogleich wieder an den Kurfürsten; dieser tut aber jetzt nicht mehr, als daß er dem Rat sein Befremden über dessen Verhalten ausspricht. Am 24. Dezember 1524 wird im Allerheiligenstift die neue Gottesdienstordnung eingeführt — als erster Schritt zu immer weitergehenden Reformen 4 6 . Soviel als Bericht über die Auseinandersetzungen über das Wittenberger Allerheiligenstift. Er hätte leicht ausführlicher gestaltet werden können 47, aber die Hauptlinien sind wohl deutlich, hoffentlich auch die entscheidende der engen Verflechtung von Religion und Politik. Nicht für alles, was sich in der Reformationsgeschichte ereignet, wird man diese enge Verflechtung und damit die Zugehörigkeit zu unserem Thema als gegeben ansehen können (vgl. dazu o. S. 18 ff). Die beiden behandelten Gegenstände — Verlassen des Asyls auf der Wartburg und Reformation des Allerheiligenstifts in Wittenberg — dagegen gehören jedoch eindeutig in diese Kategorie. Das hat auch Luther gesehen: in einem Brief an Spalatin, mitten in der Auseinandersetzung um das Allerheiligenstift geschrie49

ben 48 , bringt er das ebenso deutlich zum Ausdruck wie sein Verständnis für das Dilemma Friedrichs zwischen den Temporalia und den Spiritualia, zwischen Politik und Glauben. Daß der Kurfürst sich nicht offiziell und öffentlich zu seiner Sache bekennen und sie nicht einmal billigen könne, stellt auch Luther fest, denn nur solange werde der Kurfürst einigermaßen sicher sein, wie er das nicht tue 49 . Daß Luther es andererseits bedauert, daß Friedrich den politischen Belangen zu großes Gewicht beimesse, steht nur in scheinbarem Widerspruch dazu. Natürlich gibt es auch im 16. Jahrhundert einen „religionsfreien" Raum der politischen Notwendigkeiten und Entscheidungen (die Mansfelder Ereignisse gehören zu einem wesentlichen Teil hierher), aber daneben ist der Sektor, auf dem beides untrennbar miteinander verquickt ist, sehr viel größer, als der Mensch von heute es sich im allgemeinen vorstellen kann. 1 2 5 4 5

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WA Br 1,51 S. 120 WA Br I, 110 S. 236-246; November 1518, vom Kurfürsten an den Kardinal weitergegeben; vgl. vorher WA Br 1,99 S. 214 f; 14. Oktober 1518 an Spalatin WA Br 1,128 S. 289-291; 5./6. Januar 1519; WA Br 1,130 S. 293 f; 5./6. Januar 1519 WA Br 1,136 S. 306-308; 13719. Januar 1519 In diese Kategorie gehören WA Br 1,192 S. 465-478; 10. August 1519; WA Br I, 193 S. 501 f; 18. August 1519; WA Br 1,201 S. 512; 1.Oktober 1519; WA Br I, 208 S. 535 f; 15. Oktober 1519; WA Br II, 371 S. 253-255; 25. Januar 1521; WA Br II, 387 S. 286 f; 11. März 1521; WA Br III, 618 S. 75-77; 29. Mai 1523; WA Br XII, 4215 S. 16 f; 23. November 1518. WA Br 1,155 S. 349 f Oder den vom 2. November 1522 (WA Br II, 544 S. 610 f), in dem es um die Medizinische Fakultät geht — wenn Luther dies Anliegen auch nodi durch besondere Briefe an Spalatin (WA Br II, 545 S. 613 u. 546 S. 613 f vom 2. und 3. November) unterstützt — und zwar mit Erfolg: am 5. November schon stimmt der Kurfürst zu (WA Br II, 547 S. 614 f). Das gilt im allgemeinen auch für die weiteren Briefe, vgl. z. B. WA Br III, 723, 744, 789,795. WA Br 1,173 S. 386 f z. B. WA Br III, 670, 676, 696, 731, 735, 760, 810, 822. Der Vereinfachung halber künftig bei solchen Verweisen nur Briefband und Nummer der WA; sind die Empfänger nidit entweder der Kurfürst oder Spalatin, werden zusätzlich die Namen genannt. WA Br III, 687 S. 196 f WA Br III, 696 S. 206 WA Br III, 907 S. 550 WA Br II, 452 S. 444 WA Br II, 454 S. 449 WA Br II, S. 449—452 S. 450 S. 451 S. 451 S. 451 S. 450

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21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32

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S. 452 WA Br II, 455 S. 454-457 S. 456 ebda die Aktenstücke und Briefe in WA Br II, 457-473 vgl. o. S. 35 ff WA Br II, 454 WA Br II, 455 f WA Br II, 456 S. 4 5 9 ^ 6 2 vom 7. oder 8. März 1522 (hier S. 460) und WA Br II, 457 S. 467-470 vom 12. März 1522 (hier S. 468) nach der hier zitiert wird WA Br II, 441 S. 405; 22. November 1521, ähnlich nodi einmal am 4. Juli 1522, WA Br II, 515 S. 574 Testis est vel ipse Amsdorffius,

exceptis

forsan tribus omnes esse palam

scortatores,

WA Br III, 566 S. 2 vgl. WA Br III, 572; 14. Januar 1523 WA Br III, 586 S. 34 f, vgl. 594 S. 46 f WA Br III, 634 S. 112 Vgl. WA 11,157—159 die Nachschrift Rörers, welche die — anscheinend im Anschluß an die Predigt gehaltene - Vermahnung ausläßt und WA 12, 646-648 die Nachschrift Roths, der ebenfalls die Vermahnung nicht mitgeschrieben hatte, sie dann aber aus der Nachschrift eines anderen nachgetragen hat, S. 647—651; aus dieser — offensichtlich gemilderten — Fassung ergibt sidi jedoch nichts, was über das in Luthers Briefen Ausgeführte hinausginge. vgl. WA 12, 58 f WA Br III, 618 S. 75-77; 29. Mai 1523 alles WA Br III, 642 S. 122-124; 7.-13. August 1523 WA Br III, 648 S. 130-132 WA Br III, 681 S. 185 f; 6. November 1523 WA Br III, 758 und 759, S. 319-321; 8. und 10. Juli 1524 WA B r i l l , 794 S.376f WA Br III, 799 S. 392 27. November; WA 15,758-774 vgl. WA Br III, 794 S. 376 f, III, 641, 668,731,760,784 nicht berücksichtigt sind z. B. die Briefe WA Br III, 641,668,731,760,784 12. Oktober 1523; WA Br III, 668 S. 169 vgl. dazu o. S. 37

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3. Der „Brief an die Fürsten zu Sachsen" In den beiden bisher behandelten Fällen hat Luther sich, um bei unserem Thema zu bleiben, auf zunächst merkwürdige Weise als „Berater" des Kurfürsten betätigt: gegen die Zweifel, die Unentschlossenheit des Kurfürsten hat er jedes Mal die Tat gesetzt, zum Erschrecken und gegen den Widerstand des Kurfürsten — und beide Male den zögernden Fürsten, wenn nicht überzeugt, so doch aber zum Nachgeben genötigt. Zugegebenermaßen ist das eine etwas gewaltsame Art der Beratung, aber sie wird — hoffentlich ebenso zugegebenermaßen — zu allen Zeiten, wenn es sich um Grundfragen des Glaubens und Gewissens handelt, gegenüber einer vor Entschlüssen zurückschreckenden politischen Instanz den einzigen Ausweg darstellen, wenn das, was man gewöhnlicherweise „Beratung" nennt, trotz aller Bemühungen ohne Aussicht auf Erfolg bleibt. Im dritten Komplex, der hier von uns zu behandeln ist, hat Luther sich nun in herkömmlicher Weise als „Berater" betätigt. Beim ersten hier zu behandelnden Gegenstand geschieht das allerdings auf etwas ungewöhnliche Weise, insofern nämlidi, als Luther seinen Ratschlag gedruckt bekanntgibt (und dadurch gleichzeitig eine Pression auf die Fürsten ausübt). Es handelt sich um Luthers „Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührischen Geist" von 1524 1 . Auch dieser „Ratschlag" gehört in das Gebiet der damals untrennbaren Verflechtung von Religion und Politik. Thomas Müntzer hatte Allstedt zu einem Zentrum der durch seinen Namen bezeichneten Bewegung ausgebaut; trotz des Verbots der meisten Obrigkeiten der Umgebung, seine Gottesdienste zu besuchen, fanden sich dabei mehr als 2000 Auswärtige zusammen. Die Wallfahrtskapelle zu Mallerbach war im März 1524 von Müntzers Anhängern niedergebrannt worden (unter entsprechender Beschwerde der zuständigen Äbtissin in Weimar). Die Gefangensetzung von einigen Anhängern Müntzers deswegen hatte eine bewaffnete Zusammenrottung zur Folge, Müntzer hatte sich in der Predigt vom 24. Juli 1524 zum Feind aller Tyrannen erklärt, die sich dem Evangelium widersetzten, und aufgefordert, Gewalt gegen Gewalt zu stellen usw. Die sächsischen Fürsten waren unschlüssig, was zu tun sei; sie hatten auf dem Schloß zu Allstedt Müntzer in ihrer Gegenwart eine Predigt halten lassen, um sich ein Urteil zu bilden 2 — in diese Ausgangssituation hinein richtet Luther seine Schrift. Sie kann hier in ihren Einzelheiten nicht behandelt werden, es genügt wohl, die entscheidenden Abschnitte zu zitieren: 52

„Obwohl ich nun erwarte, E. F. G. werden sich hierin besser zu verhalten wissen, als ich raten kann, so gebührt mir dodi untertäniger Fleiß, auch das Meine dazu zu tun, und E. F. G. untertänig zu bitten und zu ermahnen, hierin ein ernstlidies Einsehen zu haben, und aus Schuld und Pflidit ordentlicher Gewalt solchem Unfug zu wehren und dem Aufruhr zuvorzukommen. Denn E. F. G. haben ein gutes Wissen darum, daß Ihre Gewalt und weltliche Herrschaft von Gott deswegen gegeben und befohlen ist, damit sie den Frieden handhaben und die Unruhigen bestrafen sollen, wie Paulus Rom. 13, 4 lehrt. Darum gilts, E. F. G., hier nicht zu schlafen noch zu säumen. Denn Gott wirds fordern und Antwort haben wollen wegen solchen nachlässigen Gebrauchs und Ernst des befohlenen Schwerts. Ebenso würde es auch vor den Menschen und der Welt nicht zu entschuldigen sein, daß E. F. G. aufrührerische und frevelhafte Fäuste dulden und leiden sollten" s . „Jetzt sei das die Summa, gnädigste Herren, daß E. F. G. nicht dem Amte des Worts wehren soll. Man lasse sie nur getrost und frisch predigen, was sie können und gegen wen sie wollen. Denn, wie ich gesagt habe, es müssen Spaltungen sein (I. Kor. 11, 19), und das Wort Gottes muß zu Felde liegen und kämpfen. Deshalb heißen auch die Evangelisten Heersdiaren, Ps. 6 8 , 1 2 , und Christus ein Heerkönig bei den Propheten. Ist ihr Geist recht, so wird er sich vor uns nicht fürchten und wohl bleiben. Ist unser recht, so wird er sich vor ihnen auch nicht noch vor jemand fürchten. Man lasse die Geister aufeinander platzen und treffen. Werden etliche indes verführt, wohlan, so gehts nach redhtem Kriegslauf: wo ein Streit und eine Schlacht ist, da müssen etliche fallen und wund werden; wer aber redlich ficht, der wird gekrönt werden. Wo sie aber mehr tun wollen als mit dem Wort fechten, auch zerbrechen und mit der Faust schlagen wollen, da sollen E. F. G. zugreifen, es seien wir oder sie, und stracks das Land verboten und gesagt: Wir wollen gerne leiden und zusehen, daß ihr mit dem Wort fechtet, daß die rechte Lehre bewiesen werde; aber die Faust haltet stille, denn das ist unser Amt, oder hebt euch zum Lande hinaus. Denn wir, die das Wort Gottes führen, sollen nicht mit der Faust streiten. Es ist ein geistlicher Streit, der dem Teufel die Herzen und Seelen abgewinnt, und ist audi so durch Daniel 8, 25 beschrieben, daß der Antichrist ohne Zutun von Menschenhand zerstört werden soll. So sagt auch Jesaja 11, 4, daß Christus in seinem Reich mit dem Odem seiner Lippen streiten werde und mit dem Stabe seines Mundes. Predigen und leiden ist unser Amt, nicht aber mit Fäusten schlagen und sich wehren. Audi Christus und seine Apostel haben so keine Kirchen zerbrochen noch Bilder zerhauen, sondern die Herzen mit Gottes Wort gewonnen, danach sind Kirchen und Bilder von selbst gefallen" 4 . „ J a , wenn das recht wäre, daß wir Christen Kirchen zerbrechen und so stürmen sollten, wie die Juden, so wollte audi hernadi folgen, daß wir alle Undiristen

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leiblich töten müßten, gleichwie den Juden geboten war, die Kanaaniter und Amoriter zu töten (2. Mose 23, 23 u. ö.), so sehr wie die Bilder zu zerbrechen. Hiermit würde der Allstedtische Geist nichts mehr zu tun gewinnen, als Blut zu vergießen. Und welche nicht seine himmlische Stimme hörten, müßten alle von ihm erwürgt werden, damit nicht die Ärgernisse im Volk Gottes blieben, welche an den lebendigen Unchristen viel größer sind als an den hölzernen und steinernen Bildern. Dazu war solches Gebot den Juden als dem Volk gegeben, das durch Wunder beglaubigt war, das gewiß Gottes Volk war. Und dennoch tat es das durch die ordentliche Gewalt und Obrigkeit und sonderte sich nicht eine Sondergruppe aus. Aber dieser Geist hat noch nicht mit irgendeinem Wunder bewiesen, daß da Gottes Volk sei. Dazu rottete er sich selbst zusammen, als sei er allein Gottes Volk und fährt ohne ordentliche, von Gott geordnete Gewalt und ohne Gottes Gebot zu und will seinem Geist geglaubt haben. Ärgernis abtun muß durchs Wort Gottes geschehen. Denn wenn gleich alle äußerlichen Ärgernisse zerbrochen und abgetan wären, so hilfts nichts, wenn die Herzen nidit vom Unglauben zum rechten Glauben gebracht werden. Denn ein ungläubiges Herz findet immer neue Ärgernisse, wie unter den Juden auch geschah: daß sie zehn Abgötter aufrichteten, wenn sie vorher einen zerbrochen hatten. Deshalb muß im neuen Testament die rechte Weise vorgenommen werden, den Teufel und Ärgernis zu vertreiben, nämlich das Wort Gottes, und damit die Herzen abwenden, dann fällt von selbst wohl Teufel und alle seine Pracht und Gewalt" 5 .

Daß Luther diese, säkular gesprochen, liberale Haltung später revidiert hat 9 , steht auf einem anderen Blatt. Müntzer hat auf Luthers „Brief an die Fürsten zu Sachsen" jedenfalls mit einer wütenden Schmähschrift geantwortet: „Hochverursachte Schutzrede und Antwort wider das geistlose, sanftlebende Fleisch zu Wittenberg, welches mit verkehrter Weise durch den Diebstahl der heiligen Schrift die erbärmliche Christenheit also jämmerlich besudelt h a t " 7 . Gerade die Doppelung des Ratschlags, den Luther gab: Freiheit der Predigt und der geistlichen Auseinandersetzung, aber Verhinderung von gewaltsamen Veränderungen war es, die Müntzer zu der Maßlosigkeit seines Angriffs veranlaßte. Darauf können wir hier nicht im einzelnen eingehen, in unserem Zusammenhang k o m m t es auf die Tatsache und die A r t und Weise des Eingreifens Luthers in die damals die Öffentlichkeit wie die staatlichen Instanzen bewegende Frage an, wie man sich zu der neuen Bewegung stellen solle, deren Forderungen weit über den kirchlichen R a u m hinausgriffen.

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WA 1 5 , 2 1 0 - 2 2 1 die sog. „Fürstenpredigt": Auslegung des anderen Unterschieds Danielis, Thomas Müntzer, Schriften und Briefe, hrsg. von G. Franz, Gütersloh 1968, S. 241-263 WA 15,212 f WA 15,218 f WA 15,220 vgl. seine Sdirift: „Ein Brief D. M. Luthers von den Schleichern und Winkelpredigern" von 1532, WA 30, I I I , 5 1 8 - 5 2 7 G. Franz, Kritische Gesamtausgabe der Sdiriften und Briefe Thomas Müntzers, Gütersloh 1968, S. 321-343

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4. Die Wittenberger Unruhen von 1520 W e n n wir n u n v o n diesem G e b i e t , w o R e l i g i o n u n d Politik u n t r e n n b a r m i t e i n a n d e r v e r q u i c k t sind, in das der reinen Politik z u r ü c k k e h r e n , m ü s sen w i r in den A n f a n g s j a h r e n der R e f o r m a t i o n einsetzen. 1 5 2 0 w a r es nämlich in W i t t e n b e r g z u einem A u f r u h r i m K l e i n e n g e k o m m e n , entsprechend d e m G e s e t z , das f ü r eine K l e i n s t a d t (das ist f ü r das W i t t e n b e r g v o n d a m a l s ein freundlicher A u s d r u c k ) m i t einer Ü b e r z a h l v o n S t u d e n ten gilt. D i e „ M a l e r g e s e l l e n " ( m o d e r n g e s p r o c h e n : die Besucher der v o n L u k a s C r a n a c h geleiteten Kunsthochschule) u n d die S t u d e n t e n der U n i v e r s i t ä t w a r e n d a m a l s aneinander geraten, w o b e i die „ K u n s t s t u d e n t e n " die B ü r g e r s c h a f t auf ihrer Seite hatten, die S t u d e n t e n den R e k t o r der U n i v e r s i t ä t u n d die meisten P r o f e s s o r e n — z u r großen E n t r ü s t u n g L u t h e r s . A m 14. J u l i 1 5 2 0 berichtet er S p a l a t i n ü b e r eine P r o f e s s o r e n versammlung1:

„Ich beschwöre Dich, wenn Du auf den durchlauchtigsten Fürsten irgendwie Einfluß nehmen kannst, mein lieber Spalatin, so sorge dafür, daß der Fürst an unsern Rektor einen sehr harten und scharfen Brief schreibe. Denn der hätte uns gestern, bei seiner überaus großen Unsinnigkeit, fast in Mord und Blutvergießen verwickelt, dieser unsinnige Mensdi. Er schürte den Aufruhr des Studentenpöbels gegen den Rat und das unschuldige Volk, den er hätte dämpfen sollen. Ich war bei der Versammlung zugegen, wo sie wie gänzlich berauscht rasten. Es wurde nichts geredet, als was die Wildheit der jungen Leute nur noch mehr entzündete. Es tut mir die Unordnung unserer Universität wehe, die ihr endlich nur zur Schmach gereichen kann. D . Petrus Lupinus hat sehr gut gegen den Aufruhr gesprochen, ist aber von Thomas Eschaus so in Empfang genommen worden, daß ich sogleich aufstand und fortging, weil ich sah, daß der Satan in dieser Versammlung den Vorsitz führte. J a , den jungen Leuten soll erlaubt worden sein, Waffen zu tragen gegen das Gebot des Fürsten. Es ist besser, daß eine kleinere Anzahl hier studiert, als daß man diesen Aufrührereien ausgesetzt ist. Alle ordentlichen Leute verurteilen diesen Unsinn. Morgen werde ich midi auch in der Predigt bemühen, ob ich, so Gott will, etwas dämpfen kann. Nichts von dem ist beachtet worden, was der Fürst jüngst angeordnet hat. Die Alten waren unsinniger als die Jünglinge. Ich weiß, daß hier der Satan am Werke ist. D a er nirgends dem bei uns wieder aufkommenden Worte Gottes schaden kann, sucht er es durch diesen Kunstgriff in üble Nachrede zu bringen. Aber dagegen muß man sich mit allen möglichen Mitteln zur Wehr setzen, damit er nicht mit diesen blutgierigen Menschen zusammen die Oberhand behalte" 2 . 56

Der Brief hat folgenden Hintergrund: die schwelende Eifersucht zwischen den Studenten der Universität und den Gehilfen Cranachs hatte sich erst im Februar, dann am 13. Juli in Zusammenstößen entladen. Die Studenten, vorher schon mit der Stadtwache zusammengeraten, beschwerten sich erst vergeblich beim Stadtrichter, dann versammelten sie sich und versuchten bewaffnet in das Schloß einzudringen, um das sich die ebenfalls bewaffneten Bürger geschart hatten. Zu Blutvergießen kam es nicht, jedoch kehrte Ruhe erst ein, als der kurfürstliche Marschall am 16. Juli an der Spitze einer Truppe in der Stadt erschien, die Stadttore besetzte und die Universität, die sich anscheinend (vgl. Luthers Brief) zunächst mit Nachdruck auf die Seite der Studenten gestellt hatte, zu deren Bestrafung nötigte. Luther hatte noch am 15. (oder am 16.?) Juli die in seinem oben zitierten Brief angekündigte Predigt gehalten. Uber sie berichtet er Spalatin am 17. Juli: 8 „Ich habe gestern von der Kanzel gegen den Aufruhr gepredigt, aber so gemäßigt, daß ich midi keiner Partei zugeneigt zeigte und lediglich das Übel des Aufruhrs beschrieb, mag er nun durch Bürger oder durch Studenten entstanden sein. Ich pries die Gewalt der Obrigkeit, die von Gott dazu eingesetzt ist, daß nicht durch Aufruhr alles verwüstet würde. Lieber Gott, wieviel Gehässigkeit habe ich mir zugezogen! Sie schrien, ich hätte die Partei des Rates begünstigt und zeigen endlich ihre innersten Gedanken. Da kann man erkennen, wer in Wahrheit und wer zum Schein unsere Theologie gehört hat. Denn es muß durch dieses Sieb Spreu und Weizen voneinander gesondert werden" 4 .

Luther hat sich durch sein Verhalten und insbesondere seine Predigt anscheinend aber nicht nur bei der Universität und insbesondere den Studenten unbeliebt gemacht (es wurden die heftigsten Drohungen gegen ihn aus ihren Kreisen bekannt), sondern anscheinend auch beim Hof, mindestens bei Spalatin. Am 22. Juli schreibt er an Spalatin5: „Ich wundere mich, daß Du sehr gegen midi aufgebracht bist (eig. stärker: saevire) und den anderen, die über mich schreiben, so sehr glaubst" (folgt ein nochmaliger Bericht über die Predigt). Bezeichnend ist noch der Anfang des Briefes an Spalatin vom 5. August 6 : „Ich habe lange nicht geschrieben, bis sich in Dir der von Freunden erregte Tumult gelegt hat", anscheinend hat Luther sich doch nicht so ganz zurückhaltend geäußert, wie es ihm persönlich schien — leider ist der Text der Predigt nicht erhalten, so daß wir uns kein eigenes Urteil bilden können. Auf jeden Fall steht fest — einer der Gründe, weshalb über die Angelegenheit so ausführlich 57

berichtet wurde —, daß die seit Friedrich Engels bis hin zu Ernst Bloch (und wahrscheinlich auch in Zukunft) verbreitete Behauptung, Luther sei in seinen Anfängen der Anwendung von Gewalt durchaus geneigt gewesen und erst anläßlich des Bauernkrieges habe sich sein „Sündenfall" der Verurteilung jeden Aufruhrs ereignet, eine Legende ist. Man muß nur einmal Luthers Brief vom 17. Juli an Spalatin lesen (aus Raumgründen konnte nur der Anfang zitiert werden), um zu sehen, wie ernst er das Ereignis nimmt. Zwar kommt ihm nur eine minimale Größenordnung zu 7 , wenn Luther so ausführlich — und dringlich dazu — Stellung bezieht, geschieht das um seines grundsätzlichen Charakters willen. Selbst eine Himmelserscheinung, von der ihm Spalatin geschrieben hat, bezieht er darauf. Er kann sich den Vorgang nur so erklären, daß Gott — durch Undankbarkeit und eitle Ehrsucht beleidigt — dem Satan gestattet habe, sich unter die Kinder Gottes einzuschleichen. Er fürchtet, daß die Menschheit, vom Teufel verstockt, unverbesserlich sein könne, so daß Gott sie im Zorn mit einer gewaltigen Plage heimsuchen werde. Spalatin solle mit ihm die Zuflucht zum Gebet nehmen, damit der böse Geist den Funken nicht zu einer Feuersbrunst anblase. Im Dezember 1521 hat Luther sich in einer besonderen Schrift zum Thema geäußert: „Eine treue Vermahnung an alle Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung". Sie ist geschrieben im Anschluß an einen heimlichen Besuch in Wittenberg, bei dem er sich des Standes der Dinge dort vergewissern wollte. Zwar ist er, wie wir aus einem Brief an Spalatin 8 entnehmen können, befriedigt auf die Wartburg zurückgekehrt, aber dennoch — vielleicht von einer Ahnung des Kommenden getrieben 9 — greift er zur Feder und verfaßt eine Schrift, die Anfang 1522 im Drude erschien. Liest man nur ihren ersten Teil, so wird man am Titel zunächst irre. Da ist davon die Rede, „daß es sich ansehen läßt, es werde zu Aufruhr führen und Pfaffen, Mönche, Bischöfe mit dem ganzen geistlichen Stand möchten erschlagen und verjagt werden", „denn der einfache Mann, in Erwägung und Verdruß seiner Beschädigung, am Gut, Leib und Seele erlitten, zu hoch versucht und über alle Maßen von ihnen aufs alleruntreulidiste beschwert, möge noch wolle (vielleicht) soldies hinfort nimmer leiden und habe redliche Ursache dazu, mit Flegeln und Kolben dreinzuschlagen, wie der Karsthans drohet" 1 0 .

Luther erklärt, daß er „nicht ungern höre", daß die „Geistlichen in solcher Furcht und Sorge stehen". Aber: „solcher leichten Strafe sind sie 58

ganz und gar nidit würdig" Trotz aller Zeichen, die darauf hindeuteten, sei er „ohne alle Sorge irgendeines zukünftigen Aufruhrs oder Empörung, insbesondere eines, der da durch und durch dringe und den ganzen Haufen überfalle: aus der Ursache, daß ich nicht zweifeln kann noch soll, Gott werde über seinem Wort wachen und viel eher Himmel und Erde vergehen lassen, ehe ein einziges Tüpfelchen oder Buchstabe davon zerfalle" 12 . Er habe sich „noch nie bewegen lassen, denen zu wehren, die mit der Hand und dem Dreschflegel drohen". Denn: „Ich weiß wohl, daß es ihnen nicht dazu kommen wird" 1 S . Die Strafe durch Menschen wäre zu wenig, „solcher leichten Strafe sind sie ganz und gar nicht würdig" 14 , „ihrer ist keine Strafe genug als allein der göttliche Zorn ganz unmittelbar" 1 5 . Es wird also, obwohl alles danach aussieht, zum direkten Aufruhr gegen das bisherige Kirchenregiment und seine Repräsentanten nicht kommen, so daß Luther sich dem nicht entgegenstellen müsse. Dennoch halte er es für nötig, „auch die Herzen ein wenig zu unterrichten": Selbst wenn es zur „gnädigen Strafe" des Aufruhrs kommen würde, „so ist doch dies Verfahren ohne Nutzen, bringt auch nimmermehr die Besserung, die man damit sucht. Denn Aufruhr hat keine Vernunft und geht gemeiniglich mehr über die Unschuldigen als über die Schuldigen. Darum ist auch kein Aufruhr redit, wie rechte Sache er immer haben mag, und folgt allezeit mehr Schadens als Besserung daraus, damit das Sprichwort erfüllet wird: Aus Übel wird Ärgeres. Deshalb ist die Obrigkeit und das Schwert eingesetzt, die Bösen zu strafen und die Frommen zu schützen, daß Aufruhr verhütet werde, wie Paulus sagt (Rom. 13, 1 ff) und 1. Petr. 2, 13 f. Aber wenn ,Herr Omnes' aufsteht, der vermag solch Unterscheiden der Bösen und Frommen weder zu treffen noch zu halten, schlägt in den Haufen, wie es trifft, und es kann nidit ohne großes greuliches Unrecht zugehen" le .

Im Dezember 1521 — für die Öffentlichkeit 1522 — vertritt also Luther schon den Standpunkt seiner so viel angegriffenen Schriften zum Bauernkrieg. Bereits jetzt fordert Luther: „habe adit auf die Obrigkeit. Solange die nicht zugreift und befiehlt, so halte du stille mit Hand, Mund und Herz, und kümmere dich um nichts. Kannst du aber die Obrigkeit bewegen, daß sie angreife und befehle, so magst du es tun. Will sie nicht, so sollst du auch nidit wollen. Fährst du aber fort, so bist du schon ungerecht und viel ärger als die Gegenseite. Ich halte und wills allezeit halten mit dem Teil, der Aufruhr leidet, wie ungerechte Sache er immer habe, und entgegen

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sein dem Teil, der Aufruhr macht, wie rechte Sache er immer habe: deshalb, weil Aufruhr nidit ohne unschuldiges Blut(vergießen) oder Schaden vor sich gehen kann" Der Aufruhr ist von Gott verboten (5. Mose 16, 20; 32, 35): „Daher kommt das wahre Sprichwort: Wer zurückschlägt, der hat unrecht, ferner: Niemand kann sein eigener Richter sein. Nun ist Aufruhr nichts anderes als selbst richten und rächen. Das kann Gott nicht leiden, darum ists nicht möglich, daß Aufruhr nicht allezeit die Sache viel ärger machen sollte, weil er wider Gott und Gott nicht mit ihm ist" 1 8 . Hinter dem Aufruhr steckt der Teufel, er richtet den Aufruhr an, um die Sache des Evangeliums vor den Augen der Welt zu verunehren, „aber es soll ihm, so Gott will, nicht gelingen" 19 . „Welche meine Lehre recht lesen und verstehen, die machen nicht Aufruhr. Sie habens nicht von mir gelernt", so erklärt der Luther von 1522. Nur wer sich dessen erinnert, wird seine Haltung im Bauernkrieg 1525 voll verstehen und gerecht würdigen können.

Wo, wie hier, lateinische Texte in Übersetzung zitiert werden, geschieht das — soweit dort vorhanden — nach der Ausgabe von K. Aland, „Luther Deutsch". Deutsche Texte werden im Normalfall in moderner Orthographie und in Anpassung an die heutige Sprachform wiedergegeben (nach dem Vorbild von „Luther Deutsch"), nach dem Wortlaut der WA nur dann, wenn der Kontext bzw. andere Umstände das nötig machen. 2 WA B r ì i , 312 S. 142 f 5 WA B r ì i , 313 S. 144 f 4 S. 144 5 WA B r ì i , 315 S. 147 « WA Br II, 324 S. 163 7 vgl. dazu WA Br II, 317 S. 151 ; 29. Juli 1520 8 vom 5. (?) 12. 1521, WA Br II, 443 S. 410: Omnia vehementer placent, quae video et audio. Dominus confortet spiritus eorum, qui bene volunt. 9 vgl. WA II, S. 410 Anm. 5 1 0 WA 8, 676 11 WA 8, 680 " WA 8, 676 1 5 WA 8, 679 14 WA 8, 680 1 5 WA 8, 679 16 WA 8, 680 17 WA 8, 680 1 8 WA 8, 681 >» ebda 1

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5. Stellenbesetzungen Wenn wir nun von den grundsätzlich wichtigen Komplexen zu den Einzelheiten des Briefwechsels Luthers mit Kurfürst Friedrich dem Weisen bzw. Spalatin kommen, können einzelne Bereiche summarisch abgehandelt werden, weil sie sich aus Luthers — nicht rechtlicher, aber moralischer — Position beinahe automatisch ergeben. Dazu gehören die Empfehlungen, die Luther in Fürsorge für Geistliche gibt, die sich an ihn gewandt haben, an den Hof richtet, für Mönche, die ihr Kloster verlassen haben usw. 1 . Das sind alles „Fälle", die relativ einfach mit einer befürwortenden Weitergabe zu erledigen waren, wenn auch nicht selten schwere menschliche Schicksale dahinterstehen. Aber auch dann, wenn der Hof Schwierigkeiten machte, läßt Luther sich nicht abschrecken. Gabriel Zwilling (Didymus) z. B., einer der Anführer in den Wittenberger U n ruhen, war durch Luther nach seiner Rückkehr von der Wartburg zur Einsicht gebracht worden; für den Hof hing ihm jedoch weiterhin der Ruf des Aufrührers an. Dem Rat der Stadt Altenburg, der nach einem evangelischen Prediger verlangte, hatte Luther — und zwar schon vor dem 8. Mai 1522, also sehr bald nach dem Aufhören der Unruhen — Zwilling empfohlen 2 . Er versucht, die Bedenken des Kurfürsten zu zerstreuen, und zwar auf die Bitte des Altenburger Rates hin 3 . Immer erneut 4 versucht Luther, die Angelegenheit zu einem glücklichen Ende zu bringen. Aber das Mißtrauen des Hofes bzw. Spalatins wegen Zwillings Verhalten während der Wittenberger Unruhen ist zu stark, Luther muß nachgeben und Zwilling bleibt in Düben 5 , zu Luthers großem Unwillen wegen der Kurzsichtigkeit des Hofes. Hier war Luther, und zwar zähneknirschend, unterlegen. Aber schon ein Jahr später hat die Situation sich geändert. Da weist Luther 6 Michael von der Strassen, den kurfürstlidien Beamten zu Borna, an, er solle den Schösser veranlassen, dem dortigen Prediger ein anderes Verfahren anzubefehlen: dieser solle entweder seine schwärmerische Predigt oder seine Stelle aufgeben. Entweder solle der Kurfürst den Pfarrer vertreiben, oder dieser solle öffentlich widerrufen, damit die Gemeinde nicht in die Irre geführt werde, verlangt Luther dann am 5. Dezember 1523 7 . A m 4. Dezember 1523 fordert Luther den R a t zu ölsnitz auf 8 , er solle gegen den Prediger Krause vorgehen, weil er die Gemeinde zu Gewalttätigkeiten verführe. Das sind alles sehr direkte Maßnahmen, und zwar ohne Befragung des Hofes. Manchmal greift Luther nicht unmittelbar 61

ein, sondern bedient sich eines Mittelsmannes, aber der Unterschied ist nur minimal. So weist er am 15. Juni 1524 Nikolaus Hausmann in Zwickau an 9 , bei den Bürgermeistern vorstellig zu werden. Dieses direkte Eingreifen bei weltlichen Instanzen beschränkt sich auch durchaus nicht auf die Besetzung von Pfarrstellen bzw. auf die Aufsicht über das Verhalten von deren Inhabern, am 8. Oktober 1524 1 0 unterweist er z.B. Bürgermeister und Rat zu Zerbst, wie mit Ehebrechern zu verfahren sei. Hier wird die enge Verflochtenheit von Religion und Politik im 16. Jahrhundert, von der wir sprachen, in der Praxis des Alltags deutlich; interessant ist, wie unbekümmert Luther hier verfahren kann (dazu paßt, wie direkt er dem Hofprediger Stein das Verfahren für die Befragung Karlstadts, und zwar bis in den Wortlaut hinein, vorzuschreiben weiß) 11 : er verordnet Maßnahmen, die eigentlich dem Hofe vorbehalten sind — der Ratgeber übernimmt ohne jede Rückfrage bei den eigentlich zuständigen staatlichen Stellen die Verantwortung für das praktische Verfahren.

Vgl. WA Br II, 489 S. 526; 13. Mai 1522; 549 S. 617; 11. November 1522; WA Br III, 582 S. 28 f ; 9. Februar 1523; 591 S. 43; 8. März 1523; 604 S. 60; 16. April; 605 S. 61; 21. April; 606 S. 6 2 f ; 21. April; 607 S. 63; 22. April; 635 S. 115; 22./23. Juli; 654 S. 145; August; 664 S. 165; 5. Oktober; 699 S. 222; 1523; 718 S. 2 5 2 f ; 9. März 1524; 737, S. 282; 1524; 743 S. 291; 11. Mai; 749 S. 301 f ; 2. Juni; 810 S. 408; 24. Dezember 2 vor dem 8. Mai deshalb, weil Luther an diesem Tage dem Kurfürsten deswegen schreibt, WA Br II, 485 S. 520 f 3 WA Br II, 484 S. 517 f ; 6. Mai 1522, zur Vorgeschichte vgl. 476 S. 502 f ; 15. April 1522; 477 S. 505; 17. April 1522; 478 S. 506; 17. April 1522 4 Vgl. WA Br II, 486 S. 522 f ; 8. Mai 1522 an den Rat zu Altenburg; 487 S. 523; 8. Mai 1522 an Zwilling; 496 S. 538 f ; 22. Mai 1522 der Rat zu Altenburg an Luther und den Kurfürsten; 497 S. 540 f ; an den Rat zu Altenburg; 498 S. 541; 27. Mai 1522 an Zwilling; 503 S. 552; Anfang Juni 1522 an Spalatin 5 WA Br II, 503 S. 552; Juni 1522; 517 S. 576; 10. Juli 1522; 523 S. 580; 26. Juli 1522 « WA Br III, 669 S. 170 f ; 16. Oktober 1523 7 WA Br III, 693 S. 202 8 WA Br III, 692 S. 201 » WA Br III, 751 S. 304 10 WA Br III, 780 S. 355 " WA Br III, 774 S. 343; Anfang September 1524 1

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6. Eintreten für Bittsteller Von hier aus bekommt Luthers — mit seiner (ich wiederhole: nicht rechtlichen, aber moralischen) Stellung zwangsläufig gegebene — Fürsorge für geistliche Amtsträger eine Wendung unmittelbar auf unser Thema hin. Das gleiche gilt für sein Eintreten für die zahlreichen Bittsteller, die sich an ihn wenden. Man könnte diese Bittschriften systematisch ordnen, anschaulicher ist es jedoch wohl, sie chronologisch darzubieten, denn so wird die Mannigfaltigkeit des Geschehens besser deutlich: Am 10. August 1520 wendet sich Luther an Spalatin (in salutem animae tuae) mit der Bitte für einen vir pauper, der eine Bittschrift eingereicht hat. Dieser lebe mit Weib und Kindern einstweilen in Wittenberg in Armut; wenn die Sache sich so verhalte, wie er sie darstellt, auf ungebührlichste Weise. Spalatin solle mit der Hilfe für ihn ein officium christianum leisten1. Am 21. April 1522, d. h. wenige Wochen nach seiner Rückkehr von der Wartburg, wendet sich Luther erneut an Spalatin2, und zwar mit der Fürbitte für Mattis Buchbinder, der Brückenmeister in Wittenberg werden möchte. Die Stelle sei frei und der Mann sei arm — gebe es einen Geeigneteren als ihn für das Amt, so wolle Luther nicht auf seinem Wunsch bestehen. Aber dann müsse Buchbinder auf andere Weise geholfen werden. Fac, quod potes et debes fordert Luther Spalatin auf. Drei Wochen später8 verwendet sich Luther für einen pauper rusticus, der in Rhesen das Waldhüteramt versehen hat, aber kürzlich bei einer im Namen des Fürsten veranstalteten Jagd von einem Eber am Schenkel verwundet, dadurch arbeitsunfähig geworden und deshalb in Schwierigkeiten geraten ist. Luther wisse wohl, erklärt er, daß die Fürsten von ihren Untertanen diese Dienstleistungen und die damit verbundenen Gefahren zu fordern berechtigt seien, er wisse aber genauso gut, daß die Fürsten — die ihren Untertanen hilfreidi sein sollen — oft genug nicht nur die Jagd, sondern auch die Inanspruchnahme ihrer Untertanen dafür zu weit treiben. So sei die Bitte des Verletzten um Getreide für das tägliche Brot nicht nur eine Frage der Liebe, sondern auch des Rechts. Spalatin scheint schnell reagiert zu haben, schon um den 17. Mai herum kann Luther berichten, daß er mit dem zuständigen Beamten wegen des Waldhüters gesprochen (d.h. ihm die Anweisung des Hofes mitgeteilt) hat 4 . Am 5. Juni 1522 tritt Luther für einen (Wittenberger?) Bürger, Hans Neuendorf, ein. Spalatin möchte dafür sorgen, daß seine Bittschrift direkt an den Fürsten gelange. Wenn er sie auf dem Dienstwege einreiche, müsse er fürchten, 63

daß sie von den Zwischeninstanzen so lange verzögert würde, bis der Kurfürst zum Nürnberger Reichstag abgereist sei. Damit wäre sein Anliegen jedoch verhindert. Spalatin solle den eloquens et industrius vir empfangen, der die Beförderung verdiene (zum Bürgerrecht oder zu einem Amt in der Bürgschaft?), cum tot hic sint porci et talpae, non nisi ventri suo seruientes5. N u r wenige Tage später interveniert Luther zugunsten eines Fischers, der kurfürstliche Fischereirechte verletzt hat. Luther hat sich, als er davon hörte, sogleich beim zuständigen Beamten für ihn verwendet, dieser habe ihn jedoch an den Kurfürsten verwiesen. Deshalb wendet Luther sich an Spalatin mit der Bitte, er möchte im Namen Luthers vom Kurfürsten offiziell eine Umwandlung und Milderung der Strafe fordern. Die bisher verhängte hohe Geldstrafe („X silbern schock") würde den Fischer ruinieren. Nicht daß er ohne Strafe bleiben solle — „auff das eyn exempelder furcht vnnd regiment bleybe" — aber sie müsse zur „besserung vnnd nicht verderbung" dienen. Die Reichen solle man „am Beutel rupfen", nicht die Armen. Einige (wenige) Tage Gefängnis oder acht Tage bei Wasser und Brot, das sei Strafe genug 6 . Am 15. November gibt Luther zwei Bittschriften an Spalatin weiter, ohne daß wir genau erfahren, um was es sich handelt. Anscheinend geht es um eine pauper et misera muliercula, der von den zuständigen Dienststellen übel mitgespielt worden ist. So soll Spalatin die Bittschriften direkt dem Kurfürsten vorlegen und nach Kräften für baldige Abstellung der Mißstände sorgen 7 . Man kann, wenn man will, alle fünf Fälle in die Kategorie sozialer Fürsorge einreihen. Deutlich ist jedoch, daß Luther jedesmal entweder in den kommunalen oder in den staatlichen Bereich eingreift, und zwar unter bewußter Umgehung der vorgeschriebenen Instanzen bis hin zur Korrektur bereits ergangener Rechtsverfügungen — und zwar, wie es scheint, in allen Fällen mit Erfolg. Komplizierter liegt der Fall eines Malergehilfen bei Lukas Cranach, Hans von Schmalkalden, für den sich Luther am 10. März 1523 bei Spalatin verwendet 8 . Dieser hatte einen Totschlag begangen und vor etwa zwei Jahren vom Kurfürsten die Zusicherung erhalten, daß er bis zur Beilegung seiner Sache in Kursachsen Asyl erhalten solle. Die Umstände des Falles werden nicht deutlich (weil von Luther als bei Spalatin bekannt vorausgesetzt). Die WA vermutet, daß die Bluttat im Zusammenhang des Wittenberger Zusammenstoßes von 1520 geschehen sei. Jedoch scheint das unwahrscheinlich: von Todesopfern dabei würden unsere Quellen sicher etwas sagen 9 , außerdem läßt der Kontext 64

wie die Gesamtsituation auf einen in einem anderen Territorium begangenen Totschlag schließen. Auf jeden Fall fühlt sich der Malergeselle in großer Bedrängnis. Nicht nur sein schlechtes Gewissen, sondern auch hämische Reden seiner Hausgenossen lassen ihn fürchten, daß der Kurfürst seine Zusage nicht halten werde, so daß ihm Verrat und Gefangennahme drohten. Luthers und anderer Versicherungen, daß dergleichen nicht zu erwarten sei, weil der Kurfürst zu seinem Wort stehen werde, seien fruchtlos geblieben. So möchte Spalatin im eigenen oder des Kurfürsten Namen eine erneute Bekräftigung der ursprünglichen Zusage abgeben — „nichts muß rücksichtsvoller behandelt werden, als ein schuldiges Gewissen, das für sich selbst Strafe genug ist", schließt der erstaunliche Brief. Er ist noch dazu nicht ohne Parallele 10 . In rascher Folge geht es weiter: am 4. April 1523 empfiehlt Luther einen Jüngling zur Unterstützung durch den Kurfürsten, damit er ein Handwerk erlernen könne. Er sei dessen würdig; zu beachten sei seine Unbeholfenheit, die ihn hindere, sein Anliegen auf die rechte Weise vorzutragen 1 1 . In der Sache Sebastians von Kötteritzsch schreibt Luther gleich dreimal, zunächst an Spalatin und dann an den Kurfürsten persönlich. Das weist darauf hin, daß hier einige Hindernisse zu überwinden waren. Anscheinend hatte der Kurfürst Vorbehalte gegen Kötteritzsch — es sei lange her, daß er „zu [ge]schwind were geweßen" und er sei kein Gelbschnabel mehr, erklärt Luther ihm sicher nicht ohne besonderen Anlaß 1 2 . Es geht darum, daß Kötteritzsch entweder in den kurfürstlichen Dienst selbst übernommen oder aber ihm die Genehmigung gegeben werden sollte, in den Dienst eines anderen Fürsten zu treten, damit er für sich und seine Kinder ausreichenden Unterhalt finde. Die Entscheidung darüber wird nach Luthers Meinung jedoch auf unbillige Weise verzögert, deshalb sein mehrfaches Eingreifen 1 3 . Welche zusätzlichen Beweggründe Luther leiten — und wie sehr er sich auch um die staatliche Verwaltung kümmert — zeigt sein erster Brief an Spalatin in der Angelegenheit vom 10. April 1523: Der Kurfürst wisse, daß die leitenden Beamten bei seinem Bruder Johann derart schlecht für dessen Besitz sorgten, daß dieser immer mehr zurückgehe. Deshalb verstehe er nicht, daß hier nicht Kötteritzsch eingesetzt werde, dessen Geschicklichkeit und Redlichkeit vielfach erwiesen sei. Er würde auch, zum Besten der Verwaltung des Landes und der künftigen Regierung, dem Kurprinzen ein vortreffliches Beispiel für die rechte Verwaltung geben und ihn anlernen können, besser die Betrügereien der Menschen zu durchschauen. Denn die jetzt maßgebenden 65

Männer in der Regierung me male babent, sie würden täglich reicher und der Fürst täglich ärmer 14 . Offensichtlich war Luther trotz aller Widerstände erfolgreich: Kötteritzsch wurde Amtmann in Bitterfeld und in Düben, 1530 finden wir ihn im Gefolge des Kurfürsten Johann auf dem Reichstag von Augsburg 16. Noch einmal hat Luther sich — und zwar sehr bald darauf — für eine Stelle bei Hofe verwandt, allerdings mit sehr geringem Nachdruck. Die Sache sei aussichtslos, habe er dem Bewerber, einem böhmischen Edelmann, gleidi erklärt, fügt er seinem Beridit hinzu, trotzdem verwendet er sich zweimal f ü r ihn 18 . In diplomatische Bereiche gehört Luthers Bitte an Spalatin 17 , dem Kronacher Pfarrer Grau beim Reichsregiment Unterstützung in seinem Streit mit dem Bischof von Bamberg zu verschaffen, damit es ihm möglich werde, seinen Kronacher Besitz wieder an sich zu bringen. Etwas dunkel bleibt für uns Luthers Fürbitte „pro Barbetonsore Meyster hansen" 18 ; weil die Angelegenheit dem Kurfürsten bekannt ist, geht Luther auf die Umstände nicht näher ein 19 . Es handelt sich jedoch anscheinend um einen Kriminalfall (?), denn der Jüngling, für den Luther bittet, wird schon tarn diu gefangengehalten. Er selbst ist dementsprechend beschwert, aber auch der, auf dessen Veranlassung er gefangengesetzt wurde und der deshalb laut Senatsbeschluß für dessen Lebensunterhalt aufkommen muß. Die Angelegenheit müsse also beschleunigt werden: fac ergo officium erga eum (den Kurfürsten!). Als Luthers Drucker Melchior Lotther beim Kurfürsten in Ungnade geraten war — hier spielt die Konkurrenz der anderen Wittenberger Drucker (Lukas Cranach!) eine Rolle, ebenso wie der politische Argwohn gegen den gleichzeitig in Leipzig arbeitenden Lotther —, ist Luther mit Nachdruck für ihn eingetreten 20 . Im November 1524 macht sich eine Gesandtschaft aus Böhmen auf den Weg zum Kurfürsten, um ihn um finanzielle Unterstützung für die notleidenden Evangelischen zu bitten. Sie wandte sich zuerst an Luther (!) und trug ihm ihr Anliegen vor. Luther empfiehlt sie Spalatin mit der Bitte um Unterstützung ihrer Sache21. Schon wenige Tage darauf bemüht Luther Spalatin erneut: er solle ihm mitteilen, welche Männer als Stellvertreter des Kurfürsten im Reichsregiment zu Esslingen tätig seien. Man habe ihn gebeten, sich für den gefangenen Joh. Mantel zu verwenden, das wolle er mit der Unterstützung des kurfürstlichen Gesandten beim Reichsregiment versuchen 22 . Die Reihe schließt mit Luthers Brief an Spalatin vom 12. März 15252*. 66

An und für sich scheint der Tatbestand einfach: Luther bittet Spalatin, einer Frau einen Geleitbrief für ihren Mann beim Kurfürsten zu erwirken. Er wird bei näherer Betrachtung jedoch recht kompliziert und dem des Malergesellen mit seinen juristischen Implikationen verwandt: der Mann ist nämlich wegen einer Straftat flüchtig (er hat eine Kirche beraubt). Wenn nun Luther dafür eintritt, dem Geflohenen entweder einen Geleitschein für die Rückkehr an seinen Wohnort Schmiedeberg auszustellen, oder der Frau zu erlauben compositis rebus (was heißt das praktisch?) mit ihm zusammenzuleben (d. h. doch wohl, ihr die Ausreise zu ihrem Mann zu gestatten), dann überschreitet er, wie zahlreiche Male in unserer Berichtsreihe, die Grenze, die der sozialen und seelsorgerlichen Fürsorge des Theologen eigentlich gezogen ist.

I WA Br II, 325 S. 165 • WA Br II, 479 S. 509 » WA Br II, 490 S. 527; 15. Mai 1522 4 WA Br II, 492 S. 532 » WA Br II, 505 S. 555 • WA Br II, 506 S. 556; 7. Juni 1522 7 WA Br II, 550 S. 617 8 WA Br III, 592 S. 44 • vgl. dazu o. S. 56 ff 10 vgl. WA 38, 351 I I WA B r i l l , 598 S. 52 M WA Br III, 647 S. 129; 19. August 1523 " vgl. dazu den Brief an Spalatin WA Br III, 621 S. 84; 9. Juni 1523 14 WA Br III, 600 S. 55 " vgl. WA Br III, S. 23 Anm. 3 u WA Br III, 671 S. 174 f ; Oktober 1523 17 WA Br III, 717 S. 252; 8. März 1524 18 WA Br III, 752 S. 304 f ; 18. Juni 1524 18 Die WA 14, S. 757 Anm. zu S. 385 angestellten Überlegungen sind abwegig, zutreffend könnte lediglidi sein, daß Luther bei der Predigt über 1. Mose 28, 17 auf „Meister Hans" zu sprechen kommt, weil ihn der Fall damals beschäftigte. WA Br III, 776 S. 346; 13. September 1524 " WA Br III, 792 S. 371 f ; 14. November 1524 8 2 WA Br III, 800 S. 394; 30. November 1524 « WA B r i l l , 841 S.454

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7. Finanzfragen Das gleiche gilt für Luthers Aktionen in Finanzangelegenheiten. Diese Grenzüberschreitung kommt noch nicht in Betracht, wenn Luther Spalatin auffordert, für Georg Major bei den Nürnberger Ratsherren für die Verleihung eines freien Stipendiums einzutreten oder wenn er in mehreren Briefen für Franz Lambert beim Kurfürsten zunächst eine größere Unterstützung 2 , dann eine Erhöhung seines Wittenberger Gehalts 3 und schließlich bei dessen Ubersiedlung nach Zürich eine größere Schenkung zur Bestreitung seiner Schulden wie seiner Reise erbittet 4 . Auch wenn Luther Spalatin etwas ärgerlich zurechtweist, weil er sich auf Formalien beruft, statt einer Frau, die Luther ihm mit einem Empfehlungsbrief zugesandt hat, die erbetenen 10 Gulden wie Kleidung auszuhändigen 5 , kann von einer Überschreitung der Grenzen seines Amtes durch Luther noch nicht die Rede sein. Etwas wandelt sich das Bild schon, wenn Luther pro paupere Mochynna interveniert 6 . Diese hatte aus dem kurfürstlichen Speicher zehn Scheffel Weizen entliehen. Vier davon habe sie zurückgegeben — was die zuständige Verwaltungsstelle bestreitet —, die anderen sechs wolle sie im nächsten Jahr zurückerstatten. Die Verwaltung müsse doch wissen, grollt Luther, daß infolge der Elbüberschwemmung die Saaten Schaden gelitten hätten; wenn sie jetzt die Rückerstattung (wenn auch nicht der zehn, was nicht in Frage komme, sondern der restlidien sechs Scheffel) verlange, werde die Bittstellerin für das kommende Jahr nicht nur der Nahrung, sondern auch des Saatgetreides beraubt sein. Lukas Cranach habe er aufgetragen gehabt, sich bei seinem Aufenthalt bei Hof darum zu kümmern. Dieser habe das offensichtlich verbummelt, deshalb solle Spalatin die Sache in Ordnung bringen. Hier hatte sich Luther auf eine Intervention bei Spalatin beschränkt. In der Sache des Schössers (quaestor) zu Beizig wendet sich Luther (schon Anfang 1521!) direkt an den Kurfürsten. Ganz deutlich wird nicht, worum es geht; da dem Kurfürsten der Fall bekannt ist, braucht Luther ihn nicht vorzutragen. Daß es um eine hohe Geldforderung geht, ist als einziges sicher 7 ; woraus sie aber entstanden ist: schuldhafte Nachlässigkeit des Schössers, Rückstände aus vergangenen Jahren, Rückzahlung eines Darlehens o. ä., vermögen wir nicht zu sagen. Auf jeden Fall hat sich der hart Bedrängte an Luther gewandt und dieser bittet den Kurfürsten, es bei einer Forderung von 200 Gulden zu belassen. Alles andere würde den Schösser ruinieren. Zwar habe man, wie er höre, dem Kur68

fürsten berichtet, sein Besitz sei auf 1600 Gulden zu veranschlagen, aber das sei um 1000 Gulden zu hoch gegriffen. N u n stellen die angebotenen 200 Gulden ganz sicher nur einen Bruchteil der dem Kurfürsten zustehenden Summe dar. Die Nachdrücklichkeit wie der Freimut sind ganz erstaunlich, mit dem Luther den Kurfürsten darauf anredet: „E. K . F. G. hat dodi in den vergangenen Jahren so mandie tausend Gulden an dem verdammten [katholischen] Gottesdienst [im Allerheiligenstift zu Wittenberg?] verloren und verliert es noch täglich, audi wohl in anderen geringen Sachen: [deshalb] wolle E. K . F. G. um christlicher Liebe willen auch eine soldie kleine Summe an diesen armen Mann verlieren. Es ist doch keine seltene Sadie, daß Fürsten Reichtum auf üble Weise gewonnen [haben] und auf noch üblere Weise umgebracht werden. Ihre Art und ihr Fall ist von Gott verordnet" 8 .

Dieser erstaunliche Brief ist wahrscheinlich im Januar 1521 geschrieben. A m 3. Februar 1521 9 erkundigt sich Luther nämlich nach dem Stand der Dinge bei Spalatin, und zwar in ziemlich nachdrücklichem Tonfall; in einem Nachsatz zum Brief heißt es nämlich: „Ich erwarte auch eine Antwort des Fürsten wegen des Schössers zu Beizig". Bei der Witwe, die Getreide schuldete, hatte Luther bereits in Entscheidungen der Verwaltung eingegriffen, ebenso beim Schösser zu Beizig. Bei den drei „großen" Fällen („groß" teils wegen des Umfangs der Korrespondenz, teils wegen der Sache, um die es geht), die jetzt zu behandeln sind, gilt das in noch stärkerem Maße: der Angelegenheit der Witwe Landmann, Christoph Pfaffenbecks und der Gebrüder Leimbach. Zunächst handelt es sich um eine juristische Frage (bei der Luther dem damaligen Buchstaben des Gesetzes nach im Unrecht war), dann um finanzielle Auseinandersetzungen zwischen Privatpersonen und dem Staat. Für Luther sind das alles „Sozialfälle", derer er sich ungern, weil durch zahllose andere Sachen in Anspruch genommen, aber doch „um der Liebe willen gezwungen" 1 0 annimmt. Von der Sicht späterer Zeit aus handelt es sich dabei jedoch jedesmal eindeutig um „Grenzüberschreitungen" — für Luther ist dieser Gesichtspunkt nicht nur ohne Interesse, er wird seiner nicht einmal gewahr, denn nach seiner Auffassung kennt seine Amtspflicht eben keine Grenzen (vgl. dazu o. S. 23 und u. S. 370). Dabei nimmt von Fall zu Fall die Dauer und Schärfe der Auseinandersetzungen zu.

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WA Br III, 614 S. 70; 20. Mai 1523 WA Br III, 574 S. 18 f; 22. Januar 1523; 584 S. 30; 25. Februar 1523 J WA Br III, 641 S. 120; 3. August 1523 4 WA Br III, 644 S. 126; 14. August 1523 5 WA Br III, 608 S. 64; 22. April 1524 • WA Br III, 787 S. 364 f; 30. Oktober 1524 7 WA Br II, 375 S. 260 und V l I I , 3159 Beilage, S. 95 sind zu kombinieren 8 WA Br VIII, 3159 Beilaie, S. 95 8 WA Br II, 375 S. 260 " WA Br III, 621 S. 84; 9. Juni 1523 1 1

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8. Die Witwe Landmann Die Witwe Landmann in Wittenberg hatte bei Lebzeiten ihr Haus testamentarisch dem Allerheiligenstift vermacht, wollte aber dann das Testament zugunsten ihrer Schwester verändern, wogegen sich die Domherren des Allerheiligenstiftes sträubten, die das Haus sogleich in Besitz genommen hatten (der Witwe dafür allerdings eine Rente zahlten). Am 19. November 1519 wandte Luther sich in einem ersten Brief deswegen an Spalatin mit der Bitte, den Fall dem Kurfürsten vorzutragen1. Am 8. Dezember 1519 schreibt er erneut, und zwar mit steigender Erbitterung, denn nicht nur im Fall der Witwe Landmann, sondern auch in vier anderen habe er feststellen müssen, daß im Namen des geschriebenen Rechtes (es handelt sich immer um testamentarische Verfügungen) vom Allerheiligenstift schweres soziales Unrecht begangen werde2. Schon am 31. Dezember 1519 wendet sich Luther erneut an Spalatin und bittet ihn, die Eingabe der Witwe Landmann an den Kurfürsten weiterzugeben8. Luther hat sich, bevor er schreibt, die Mühe gemacht, das umstrittene Haus in Augenschein zu nehmen (bezeichnend ist, daß er im gleichen Brief für den Rat der Stadt Kemberg eintritt, weil er unbillige Zinsen für aufgenommene Kapitalien zahlen müsse). Wenn schon eine unmittelbare Hilfe durch den Kurfürsten nidit möglich sei, weil der Fall rechtlich kompliziert liege, solle doch eine Ermutigung der Unterdrückten erfolgen. Am 14. Januar 1520 taucht die Witwe Landmann dann erneut in der Korrespondenz mit Spalatin auf — Luther will mit ihm persönlich über ihre Angelegenheit sprechen4. Diese Mitteilung steht in einem Brief voll von Erörterung wichtiger allgemeiner Fragen, ein Hinweis darauf, daß Luther selbst darüber das Anliegen der Unterdrückten nicht vergißt. Schon am 5. Februar 1520 überreicht er Spalatin eine neue Bittschrift der Witwe. Wenn der Kurfürst nicht eingreife, sehe er keine Hilfe, seine eigenen Bemühungen seien vergeblich geblieben — diese Mitteilung wieder inmitten von Erörterungen wichtiger allgemeiner Fragen. Am 18. Februar finden sich in einem Brief ähnlichen Inhalts drei ganze Absätze über die Angelegenheit. Luther hat erneut persönlich — und zwar ausführlich — mit dem Propst des Allerheiligenstiftes verhandelt, aber ohne Erfolg 6 . Am l.Mai 1520 schließlich drängt Luther bei Spalatin darauf, es solle nun endlich eine Entscheidung in der Angelegenheit erreicht werden, sie sei positiv oder negativ6. Obsecro fac cito, beschwört Luther Spalatin, obwohl er anscheinend inzwischen selbst leichte Zweifel 71

bekommen hat, ob die Sache, derer er sich so lange und so nachdrücklich angenommen hat, wirklich rechtlich und moralisch so begründet war, wie er lange Zeit meinte. Am 10. August 1520 scheint die Frage der Lösung nahe. Denn da überreicht Luther eine neue Bittschrift der Witwe, von der er hofft, daß sie — vorausgesetzt, daß der Fürst zustimmt — der Sache ein Ende machen wird 7 . Aber er hat sich getäuscht. Am 23. August 1520 muß er feststellen, daß die Witwe Landmann nichts anderes höre nisi dura improperia8. Jene Bittschrift habe also nichts geholfen, Spalatin solle sich darum kümmern, was geschehen könne. WA WA » WA 4 WA 5 WA « WA 7 WA 8 WA 1

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Br Br Br Br Br Br Br Br

1,219 S. 555 1,227 S. 570 I, 236 S. 604 I, 239 S. 611 II, 256 S. 47 II, 283 S. 96 II, 325 S. 165 II, 329 S. 169

9. Nikolaus Pfaffenbeck Wie der „Fall Landmann" ausgegangen ist, kann aus der Briefausgabe der WA nicht festgestellt werden (wenn ich nichts übersehen habe; immer wieder vermißt man schmerzlich den seit Jahren angekündigten Registerband dazu), hier können nur archivalische Studien weiterhelfen. Aber uns kommt es ja auf das Wollen und den Einsatz Luthers an. Auf jeden Fall fühlte sich dieser durch den Ausgang der Sache Landmann nicht gehindert, den Kurfürsten am 28. März 1522 in einer neuen Angelegenheit anzugehen, und zwar direkt und mit großem Nachdruck. Worum es sich im einzelnen handelt, ist wiederum nicht genau auszumachen, allem Anschein nach geht es jedoch um eine Finanzangelegenheit großen Ausmaßes (vgl. das Lehen, von dem im Mai 1522 die Rede ist, s. u. S. 74 f). Schon von der Wartburg aus hat Luther dem Kurfürsten g e s c h r i e b e n N a c h d e m Pfaffenbeck sich nun zweimal erneut an ihn gewandt hat, nimmt Luther es auf sich, den Kurfürsten erneut anzusprechen 2 : „Ich bemühe nicht gern E. K. F. G. mit Fürbitte und Zuschrift für andere Leute, das „Vergnügen", das ich daran habe, könnte ich auch gut entbehren". Aber: „es dringet die N o t und zwinget die Liebe, so zu tun". Luther will mit dem Kurfürsten Pfaffenbecks halber nicht rechten — d. h. der Maßnahmen gegen Pfaffenbeck in der Vergangenheit wegen, anscheinend hat eine Beschlagnahmung des Besitzes oder eine Entziehung von Besitzrechten stattgefunden. Er setze voraus, daß Pfaffenbeck die Strafmaßnahmen verdient habe, ja vielleicht noch mehr. Er wisse auch, daß der Kurfürst niemandem bewußt Unrecht tun wolle. Umgekehrt sei aber auch vorauszusetzen, daß kein Fürst so fromm und so klug sein könne, daß nicht jemand, sei es durch ihn selbst, sei es durch seine Amtsleute, benachteiligt werde. David, der größte aller Fürsten, gebe mit seinem Unrecht gegen Meribaal ( = Mephiboseth) ein Beispiel dafür, er habe außerdem auch das Unrecht nicht als solches eingesehen. Da ein Fürst sich darüber klar sein müsse, daß seine Herrschaft zwangsläufig mit Unrecht vermischt sein müsse, sei es notwendig für ihn, „desto mehr Barmherzigkeit und Wohltat dagegen zu erweisen". So falle Luther dem Kurfürsten zu Füßen und bitte ihn inständig, sich Pfaffenbecks zu erbarmen und für ihn, der schon ein alter Mann sei, bis ans Ende seines Lebens Sorge zu tragen. Wenn man ihn ruinieren und betteln gehen lassen wolle, so fürchte Luther, werde ihm das so nahe gehen, „daß er möchte zuletzt von Sinnen kommen". Der Kurfürst habe so viel Besitz, daß er mit Leich73

tigkeit helfen könne, außerdem sei das Wort Luk. 6, 58 wahr, daß dem gegeben werde, der gebe. Zum Schluß wird Luther ganz massiv: „E. K. F. G. möge sicher sein, daß ich den Mann so nicht lassen werde. Ich werde aber selbst für ihn betteln, und wo das nicht helfen will, auch rauben und stehlen, am meisten dem Kurfürsten zu Sachsen, was ich als nächstes finde, denn E. K. F. G. sind es schuldig, ihn zu ernähren. Darum bitte ich, E. K. F. G. wolle mich hierin auch meinethalben gnädiglidi erhören, damit es mir nicht nötig sei, nun anzufangen, zu stehlen und zu nehmen. Denn ich wollte dennoch von E. K. F. G. ungehängt bleiben, wenn ich schon allen Heiligen [in der Reliquiensammlung des Allerheiligenstiftes zu Wittenberg] ein Kleinod in solcher N o t raubte" s . Diesen Brief an den Kurfürsten schickt Luther Spalatin zu 4 , damit er auch sicher in die Hände des Kurfürsten gelange. Mit Nachdruck hebt Luther dabei hervor, daß es nicht ausreiche, kein Unrecht zu tun, sondern daß man Gutes tun müsse. Aber trotz der Versicherung, die Luther in diesem Begleitbrief gibt: „Ich glaube nicht, daß er seine Notlage erdichtet, denn mit so nachdrücklichen Worten hat er die Sache bei mir vertreten", wird man die Frage nicht los, ob Luther (gutgläubig, ja vertrauensselig, wie er ist), Pfaffenbeck gegenüber nicht kritiklos ist. Jedenfalls findet Luthers Intervention am Hofe nicht nur kein Echo, sondern verhärtet nur die dort eingenommene Position. Am 12. April 1522 schreibt Luther jedenfalls an Spalatin 5 — wahrscheinlich auf dessen Nachricht hin, daß seine Fürbitte abgelehnt worden sei 6 —, daß er sich die Verhärtung des Kurfürsten daraus erkläre, daß dieser demonstrativ kundtun wolle, ingratas esse sibi meas intercessiones. Spalatin solle feststellen, ob es sich so verhalte. Er werde dem Kurfürsten dann mit solchen Bittschriften künftig nicht mehr lästig fallen, erklärt Luther erbittert. Das könne jedoch nur zum Schaden des Kurfürsten geschehen. Er wolle niemanden (gemeint ist der Kurfürst!) gegen seinen Willen zum Guten antreiben, dieser möge tun, was er vor Gott verantworten zu können glaube. Zwar habe er bereits wieder eine Fürbitte in petto (für den Pfarrer zu Lochau), aber ehe Spalatin ihm nicht genauen Bericht gegeben habe, werde er diese nidit einreichen. „Von Natur aus habe idi einen Absdieu vor dem Hofe. Der vorliegende Fall wird mir ein nicht unerwünschter Anlaß dazu sein, daß ich niemals — audi mit Briefen nicht — mit ihm zu tun haben werde", schließt Luther ingrimmig den Briefabschnitt. Aber Pfaffenbeck setzte Luther weiter mit Klagen zu. Ein Lehen sei durch den Tod der Inhaberin an den Kurfürsten zu74

rückgefallen, wenn es ihm gegeben werde, sei ihm geholfen, meint er. Jedoch Luther erzählt Spalatin davon nur: da Pfaffenbeck der Wind bei Hofe nicht günstig sei, erklärt er, verzichte er darauf, weiter zu rufen und sich vergeblich zu bemühen 7 . Im Januar 1523 sind dann der mündlichen und schriftlichen Vorstellungen Pfaffenbecks jedoch so viel geworden, daß Luther seinen Vorsätzen untreu wird. Er bittet Spalatin 8 , in seinem Namen beim Kurfürsten noch einmal eine Fürbitte für Pfaffenbeck vorzutragen; wenn eine Bittschrift von ihm selbst helfen könnte, sollte Spalatin es Luther wissen lassen. Anscheinend war auch dieser Versuch erfolglos; am 27. Mai berichtet Luther zwar von erneuten Vorstellungen Pfaffenbecks, fügt jedoch hinzu: „ich wage nicht mehr [mit Bittschriften] zu kommen, Gott helfe ihm"

1 Vgl. WA Br II, 453 S. 445-447; 22. Januar (?) 1522 * WA Br II, 468 S. 486 f; 28. März (?) 1522 s WA Br II, 468 S. 487 4 WA Br II, 467 S. 485 f; 28. März 1522 s WABrII.472S.492f 4 so WA Br II, S. 493 Anm. 1 7 WA Br II, 489 S. 526; um den 13. Mai 1522 8 WA Br III, 578 S. 24; 2. Hälfte Januar 1523 » WA Br III, 617 S. 73

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10. Die Gebrüder Leimbach Nun ist diese Äußerung nicht wörtlich zu nehmen, sondern nur auf den Fall Pfaffenbeck zu beziehen. Denn schon drei Wochen vorher war Luther beim Kurfürsten wieder direkt vorstellig geworden, und zwar wegen der Gebrüder Leimbach 1 . Der Antrag ist formal ganz dem für Pfaffenbeck zu vergleichen, nur ist er deutlich steifer und ohne den humorvollen Schluß — man merkt die Nachwirkungen der vorigen Affäre. Dreimal habe sich Wolf Leimbach im Namen seiner Brüder an ihn gewandt, immer wieder habe Luther ihm die gewünschte Intervention beim Kurfürsten ausgeschlagen. Aber damit nicht zuviel Geschrei um die Sache entstehe und da Leimbach sich an niemand als den Kurfürsten wenden könne (unausgesprochen bleibt: und niemand anders als Luther das zu vermitteln in der Lage sei), habe dieser Luthers Gewissen diesen Dienst abgedrungen. In der Schrift (Tob. 12, 8) heiße es, es sei geziemend, die Geheimnisse der Könige zu verschweigen, und Luther habe auch gar keine Lust, diese Sache zu ergründen. Aber es sei wahr, daß Leimbachs Sache, wie er sie darstelle, „ein mechtigen scheyn hat, wider E. K. G." Der Kurfürst solle darauf bedacht sein, daß er vor seinem Tode (!) in dieser Sache nicht allein tue, was recht sei, denn das sei vor Gott ein schlechter Dienst. Sondern er solle tun, was über das Recht hinaus und christlich sei und sich als gnädiger Herr Leimbachs erweisen. Zwar habe Luther bisher nur eine Seite gehört, so daß ihm kein eigenes Urteil möglich sei. Er wolle hier auch weder verhören noch richten, den Kurfürsten aber doch, wenn dieser als Mensch einen Fehler begangen habe, „christlich ermahnet und gewarnet haben". Der Kurfürst wolle ihm das zugute halten, aber Luther könne es nicht ertragen, wenn man ihn beschuldige, gegen andere Standesherren könne er wohl scharf werden, dem Kurfürsten gegenüber „heuchle" er jedoch, d. h. sei er zu nachsichtig. Was Luther hier aufgriff, war ein alter Streit zwischen der Familie Leimbach und dem Kurfürsten, der bis ins Jahr 1501 zurückging. Hans Leimbach war 1494 als Landrentmeister in die Dienste Friedrichs des Weisen getreten, zu dem er offensichtlich schon vorher in engeren Beziehungen stand, denn 1493 hatte er ihn auf der Pilgerfahrt ins Heilige Land begleitet. Der Kurfürst belehnte ihn mit zwei Rittergütern, umgekehrt hat Leimbach dem Kurfürsten als Finanzier gedient. Darüber erhob sich nach dem Tode des Vaters bald Streit; die Söhne mahnten 1515 die nach ihrer Meinung ausstehenden Zahlungen in Leipzig an, anscheinend ohne

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zufriedengestellt zu werden. Mit Hilfe Luthers bringen sie jetzt die alten — allerdings etwas abenteuerlich anmutenden — Forderungen wieder vor. Wir können sie aus der Aufstellung, die Luther am 9. Juni 1523 2 an Spalatin weitergibt, im einzelnen ersehen: 33 798 Gulden beträgt die seit 1501 aufgelaufene Hauptforderung, deren sich die Brüder aber offenbar angesichts der Ergebnisse der früheren Verhandlungen (wenn sie diese audi als erzwungen ansehen) nicht sicher sind. Daneben geht es um 2 581 Gulden Darlehen, dessen aufgelaufene Zinsen mit über 1 800 Gulden veranschlagt werden. Dazu kämen aus dem Gut Dabrun mindestens 2 000 Gulden Außenstände und aufgelaufene Zinsen von 2 400 Gulden, von den Verlusten abgesehen, die sie erlitten hätten, weil sie mit den Geldern nicht hätten arbeiten können. Aber das greift der Sache voraus. Als der Kurfürst Luthers Schreiben vom 3. Mai 1523 erhalten hatte, antwortete er sofort — auch er unter dem Eindruck der Auseinandersetzung über Pfaffenbeck — d. h. genauer gesagt, offiziell antwortete nicht er, sondern er ließ Spalatin antworten (der deutsche Text macht jedodi ebenso wie der Inhalt deutlich, daß es sich hier um eine Tarnform handelt). „Heut Dato" habe der Kurfürst das Schreiben empfangen und gelesen. Er sei durchaus bereit, „Eur und idermanns christlich Erinnerung und Vermahnung" zu empfangen. Nur bestehe für ihn die Schwierigkeit, über die wir bereits gesprochen haben*: der Kurfürst habe allen, Papst, Kaiser und Fürsten, gegenüber feierlich erklärt, daß er „mit Eur Sachen und Euch nie zu schaffen gehabt". Wenn er sich jetzt mit Luther in Verhandlungen über den Fall Leimbach einlasse, könnte es scheinen, als stehe er doch in geheimer Verbindung mit ihm. Könnte der Kurfürst direkt mit Luther über den Fall Leimbach sprechen, würde sich dabei sogleich ergeben, daß er weder den Leimbachs „noch jemands anders wider Billickeit Beschwerung zufugen wollten". Er wisse, „daß alle Menschen und bevor die ihn' selbs vertrauen, irren kunnen". Luther möchte die Beschwerdeartikel der Leimbachs einreichen, der Kurfürst werde darauf „mit Gottes Hulf sich mit ziemlicher und unverweislicher Antwort vernehmen lassen"4. Luther gab die Anforderung des Kurfürsten weiter5, am 9. Juni übersendet er Spalatin0 dann die Schuldforderung der Leimbachs, über die bereits berichtet wurde. Im Begleitbrief dazu erklärt er, er wolle nicht vel iudex vel causidicus sein. Aber er fürchte, der Kurfürst sei dem Schicksal aller Fürsten erlegen, ut fere necessitate quadam in utramque partem peccent, so daß Unwürdige befriedigt und andere unterdrückt würden, die es besser 77

verdient hätten. Spalatins Antwort auf diesen Brief erfolgt in deutscher Sprache7, ein deutlicher Hinweis darauf, daß der Kurfürst mindestens Mitautor ist. Dieser trage angesichts der Schuldforderung „nicht wenig Beschwerung", heißt es hier. Er sei der festen Uberzeugung, daß die Leimbachs „solchs nimmer mit der Wahrheit beibringen werden". Zum Beweis dessen läßt der Kurfürst das in der Kanzlei geführte Konto der Leimbachs überreichen. Der Kurfürst habe nie mit den Leimbachs persönlich verhandelt, das sei durch sechs seiner Räte geschehen, von denen vier nodi am Leben seien. Diese sollten zusammen mit den Leimbachs, wenn diese das wollten, zu einer Verhandlung vorgeladen werden. Sollte sich dabei erweisen, daß den Leimbachs Unrecht oder Zwang geschehen sei, wolle der Kurfürst sich ihnen gegenüber so verhalten, daß offenbar werde, daß er nicht gewillt sei „Jemands über die Billickeit zu beschweren lassen". Das sollte Luther den Leimbachs mitteilen. Luthers Antwort 8 zeigt, daß er die Schwierigkeit der Sache eingesehen hat (Leympacbii causam video esse perplexam), aber er habe die Intervention nicht abschlagen können. In der Gegenrechnung des Hofes scheine ihm allerdings einiges non nihil olere vim quandam seu violentiam. Beide Seiten schienen ihm mit dem Schmutz des ungerechten Mammons befleckt. Im übrigen solle er abwarten, was die Leimbachs antworteten. Das geschieht am 6. Oktober 1523®. Sie versichern zunächst, daß sie weit davon entfernt seien, ihre Sache in die Öffentlichkeit zu tragen — und vermindern ihre Forderung auf die 2 581 Gulden Darlehen wie auf die 2 000 Gulden Außenstände aus dem Gut Dabrun. Es sei nicht nötig, die an den früheren Vereinbarungen beteiligten kurfürstlichen Räte zur Behandlung der „alten Sache" zusammenzurufen (!), aber die 2581 + 2 000 Gulden sollten entweder gezahlt oder deswegen eine Verhandlung mit den kurfürstlichen Räten bei Luther (!) oder jemand anderem Vertrauenswürdigen angeordnet werden. Damals meint Luther, als er diesen Brief an Spalatin weitergibt, vero rem esse compositam et quietam10. Offensichtlich ist aber nichts zum Ausgleich dieser auf einen Bruchteil reduzierten Forderungen geschehen, denn am 24. April 1524 teilt Luther Spalatin mit, daß er in der Leimbach-Sache bald wieder kommen und den Kurfürsten damit plagen werde u . Am 2. Juni berichtet er Spalatin, daß die Leimbachs erneut bei ihm gewesen seien, und zwar summis querelis. Die ihnen gegebenen Versprechungen seien bis auf den heutigen Tag hinausgeschoben und nicht erfüllt worden, hätten sie ihm einleuchtend dargelegt. Die Belege, die sie vorweisen könnten, unterstützten das; ganz of78

fensichtlich sei ihnen Gewalttätigkeit und Zwang angetan worden. Spalatin solle dafür sorgen, daß der Fürst und er, Luther, his monstris befreit werde. Er falle dem Kurfürsten damit nicht gern zur Last, denn diese Briefe seien nicht seines Amtes, aber er könne sich diesen Klagen nun einmal nicht entziehen12. Noch am 13. September 1524 heißt es: Leymbachii postularunt responsum1S. Luther habe ihnen mitgeteilt, daß der Kurfürst nach Spalatins Bericht erklärt habe, ut aliquando causa finiatur. Das sei in der Tat notwendig, denn sie seien vom Mangel bedrückt; insbesondere die Frau mache einen vortrefflichen Eindruck, um der vielen Kinder willen solle ihr geholfen werden. Spalatin solle das Seine dazu tun, insbesondere solle er dazu helfen, daß die Sache nicht auf die lange Bank geschoben werde. Damit endet die causa Leymbachii, wenigstens soweit wir das aus der Korrespondenz Luthers ersehen können. Weiteres können wieder nur Archivstudien ergeben. WA Br III, 611 S. 67; 3. Mai 1523 WA Br III, 621 S. 83 ff. vgl. o. S. 36 f 4 WA Br III, 612 S. 68 f; 13. Mai 1523 5 WA Br III, 617 S. 73; 27. Mai 1523 • WA Br III, 621 S. 83 7 WA Br III, 631 S. 108; 10. Juli 1523 8 WA Br III, 641 S. 120; 3. August 1523 8 WA Br III, 665 S. 165 f 10 WA Br III, 670 S. 173; 16. Oktober 1523 " WA Br III, 731 S. 273 12 WA Br III, 749 S. 302 18 WA Br III, 776 S. 346 1

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11. Jakob Strauss und die Zinsfrage In all diesen Finanzangelegenheiten war Luther es, der die Initiative ergriff. Ein Fall war dem Kurfürsten jedoch so wichtig, daß er von sich aus an Luther herantrat, und zwar nicht wie gewöhnlich durch Spalatin, sondern durch niemand Geringeren als seinen Kanzler Georg Brück — der sich bisher getreu der Maxime seines Herrn jedes brieflichen Umgangs mit Luther enthalten hatte. In Eisenach hatte nämlich der Prediger Jakob Strauss in Zusammenfassung von vorher in Predigten Vorgetragenem eine Schrift veröffentlicht: „Hauptstücke und Artikel christlicher Lehre wider den unchristlichen Wucher". Die Bürger und Bauern hatten die hier vorgetragenen Thesen als Aufforderung zur Verweigerung der Zinszahlung verstanden — und waren ihr nur zu gern nachgekommen. Der zuständige Herzog Johann Friedrich hatte den Rat angewiesen, den Stiftsherren (sie waren die Betroffenen) zu ihren Zinsen zu verhelfen. Der aber stellte sich störrisch. Daß Strauss in Erläuterung seiner Schrift erklärte, er hätte nur gemeint, man solle die Zinsen nicht von sich aus, sondern nur auf Aufforderung hin zahlen, half wenig. In dieser Situation wendet sich der Kurfürst durch Brück an Luther und bittet um dessen gutachtliche Stellungnahme. Nun ist auch Luther gegen den „Zinskauf" (vgl. seine Schriften zum Gegenstand, s. u. S. 350 ff): Es wäre „ein christlich edel Werk, daß Fürsten und Herren zusammentäten und ihn abschafften". Aber, so erklärt er in seiner A n t w o r t an Brück 1 weiter, das Buch von Strauss „läuft obenhin" und könne „den Stich nicht halten", wenn es von Widersachern angegriffen würde. Es mache dem einfachen Mann „mit hochfahrenden Worten einen Mut". Daß Strauss lehre, der Schuldner sündige, wenn er dem Gläubiger die fälligen Zinsen zahle, sei gefährlich, und die Fürsten sollten darauf dringen, daß Strauss dem Volk das wieder ausrede. Die Abschaffung des Zinswesens als solchem sei dringend zu wünschen, aber entweder solle man den schuldigen Zins zahlen, bis eine allgemeine Regelung erfolge, oder gegen eine als unberechtigt empfundene Zahlungsverpflichtung den Rechtsweg einschlagen. A m selben Tag schreibt Luther zusätzlich direkt an Strauss 2 und versucht, das Seine zu tun, um diesen auf den im Brief an Brück bezeichneten Weg zu bringen. In der Gegnerschaft gegen den „Zinskauf" stehe Luther ganz auf seiner Seite, erklärt er. Aber die Aufforderung, fällige Zinsen nicht zu zahlen und die Behauptung, wer geschuldete Zinsen zahle, mache sich selbst des Wuchers schuldig, sei unhaltbar — wenn Strauss diese Anschau-

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ungen weiter verbreite, necesse est nos contra te sapere. Es stehe nicht in der Macht des Schuldners, schuldige Zinsen für ungültig zu erklären und aufzuheben, das sei Sache der Obrigkeit. Noch einmal, offensichtlich auf neue Nachrichten (oder auch auf einen Brief von Strauss an ihn) hin, schreibt Luther am 25. April 1524 an ihn 3 . Hier geht es um Strauss' neue Position, man solle die Zinsen sich abfordern lassen, aber nicht freiwillig leisten. Gleichzeitig versucht Luther, Strauss' überschäumende Aktivität auf das Schulwesen zu lenken. Maxima ruina drohe dem Evangelium, wenn die Erziehung der Jugend vernachlässigt werde: Res ista omnium maxime necessaria est. Damit war der „Fall Strauss" aber noch nicht zu Ende. Am 24. Juni schreibt Herzog Johann Friedrich an Luther, wobei Straussens neueste Schrift („Daß Wucher zu nehmen und zu geben unserem christlichen Glauben und brüderlicher Liebe zuwider ist") zur Sprache kommt. Der Kurprinz leitet Luther durch Veit von Warbeck, ein Exemplar davon zu 4 , nachdem dieser ihm am 18. Juni u. a. auch wegen der Zinsfrage geschrieben hatte 5 . Wenige Tage darauf äußert sich Luther Spalatin gegenüber, die neue Schrift gefalle ihm besser als die vorangegangene, wenn auch einiges noch zu beanstanden sei 6 . Aber als Strauss, Ende 1524 zum Visitator für Eisenach und Umgebung ernannt, sich dort gebärdet, als wäre er nicht nur oberste geistliche Instanz, „sondern auch Amtmann, Rat und alles", wird es Luther zuviel, so daß er Spalatin schreibt 7 , Strauss, der die Aufrichtung seiner Herrschaft suche, solle durch die Fürsten gewehrt werden. Jedoch das ist sozusagen ein Nachspiel, für unser Thema ist wichtiger die Korrespondenz mit dem Kurprinzen, und zwar deshalb, weil sich hier die Entwicklung zeigt, welche die Dinge nach dem Tode Friedrichs des Weisen nehmen. Im Auftrag Johann Friedrichs hatte Veit von Warbeck Luther nämlich nicht nur die Frage vorgelegt, ob man den „Zinskauf" dulden könne, sondern auch die, von welchem Prinzip ein Fürst seine Regierung leiten lassen solle: ob von dem Gesetz des Mose oder „von kaiserlichem Recht" — womit wir in den Brennpunkt der Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts gelangen. Denn die Antwort Thomas Müntzers wie Karlstadts und des ganzen „linken Flügels" der Reformation war selbstverständlich: vom Alten Testament. Luthers Antwort in seinem Brief an den Kurprinzen Johann Friedrich 8 lautet jedoch: vom geltenden weltlichen Recht. Natürlich dürfe man dem kaiserlichen Recht nicht folgen, wenn es etwas festsetze oder fordere, was gegen Gott sei. Aber sonst gehe das äußerliche Recht die Christen nicht 81

an, „welche durch Gottes Geist nach dem Evangelio geregiert werden". „Ja wir sind schuldig, kaiserliche Rechte zu halten, und nicht Moses Rechte, aus der Ursache: denn die Lieb zwingt uns, daß wir uns denen gleich machen, bei denen wir sind, weil es ohne [GeJFahr des Glaubens geschehen kann." In bezug auf die Zinsfrage berät Luther den Kurprinzen auf der durch die Korrespondenz über Strauss bezeichneten Linie. Er solle denen keine Unterstützung leisten, welche den Zins zu zahlen sich weigerten. Allerdings gelte das nur für Zinszahlungen von 4 oder 5 Prozent. Bei höheren Zinsforderungen müsse die Obrigkeit sogleich von sich aus eingreifen und sie auf diesen Satz herunterbringen, als erste Maßnahme zur völligen Neuordnung des Zinswesens, die dringend zu wünschen wäre. Der Kurprinz antwortet nach wenigen Tagen 9 : mit Freude habe er den Brief gelesen und sei dankbar, daß Luther, der „doch sonst mit viel Mühe beladen" sei, ihm „den gründlichen Verstand mit göttlichem Wort angezeiget"; was er zum Ausgleich dafür tun könne, solle gern geschehen. Daß er Luther mit der Grundsatzfrage nach dem für Christen geltenden weltlichen Recht bemüht habe, sei aus der Notlage heraus geschehen, in der er sich befinde. Denn der Hofprediger Stein bestehe mit allem Nachdruck; auf dem mosaischen Recht als für die Christen gültig und habe auch seinen Vater, den Herzog Johann, dahin gebracht, daß dieser, „wenn der Kanzler oder ich dawider sind, . . . uns für Widersteher göttlichs Worts halten will". Mit Hilfe von Luthers Brief hoffe er seinen Vater davon wenigstens zum Teil abzubringen. Dem Hofprediger habe er davon nichts gesagt, denn dieser werde in Kürze nach Wittenberg reisen; der Kurprinz hoffe, daß er sich „die Hörner des Mosischen Gerichts halben weidlich bei Euch ablaufe". Bei Stein, argwöhnt der Kurprinz, „sei mehr Fleisch denn Geist fürhanden", Luther werde ihn sicher darauf prüfen. Ausführlich berichtet der Kurprinz dann über den Fall Strauss und die sich daraus für die Obrigkeit ergebenden Probleme: „Darumb Ihr mir nichts hättet liebers tun können, denn daß Ihr mich so gründlichen berichtet habt". Er habe sich darum bemüht, daß Strauss nach Wittenberg zur Belehrung durch Luther geschickt würde, aber dieser habe sich herauszureden gewußt. Es gäbe im Land allzuviel Schwärmer und diese machten ihm und seinem Vater viel Sorge. Der beste Weg, hier Ordnung zu schaffen, wäre, wenn Luther sich eine Zeitlang freimachen könnte, um Stadt für Stadt zu durchziehen und zu visitieren: „Ich glaub, daß Ihr bei uns in Duringen [Thüringen] kein christlicher Werk tun möchtet". Lu82

ther wolle sein „ungeschickt Schreiben nicht in Ungutem vermerken und baß verstehen, denn ich's geschrieben", damit schließt der Brief. Er kann als Vorbote der Zeit genommen werden, die mit dem Tode Friedrichs des Weisen sich vorbereitet und mit dem Regierungsantritt Johann Friedrichs voll anbricht. Friedrich der Weise fühlt sich durch die geschilderten Umstände zu größtmöglicher Distanz genötigt; er verkehrt mit Luther nicht persönlich und beschränkt dessen Einwirkungen auf die Regierung soweit wie irgend möglich. Trotzdem ergibt sich das vielfältige Hin und Her, das hier darzustellen versucht wurde. Nach seinem Tode fallen diese Hemmnisse weg, die nur zum Teil in der überaus vorsichtigen Natur Friedrichs, sondern auch in den objektiven Umständen begründet sind. Denn bis 1525 ist der Aufbau und Ausbau der Reformation noch von vielen Seiten gefährdet, erst vom Speyrer Reichstag von 1526 ab ändert sich die äußere Lage. Jetzt gehen die evangelischen Fürsten, die bisher nur von Fall zu Fall handelten, planmäßig an die Neugestaltung des Kirchenwesens in ihrem Lande heran. Nicht nur der briefliche Verkehr der sächsischen Fürsten mit Luther (vgl. die Zusammenstellung S. 41) nimmt schlagartig zu, sondern es beginnt auch eine Epoche regelmäßiger persönlicher Begegnung und Beratung — und zwar eben nicht nur der kirchlichen Fragen, denen nach wie vor eine erhebliche politische Relevanz zukommt, sondern auch — in Erweiterung und Verstärkung des unter Friedrich dem Weisen Angelegten — politischer und öffentlicher Angelegenheiten.

WA Br III, 673 S. 176 f; 18. Oktober 1523 WA Br III, 674 S. 178 f ; zur Sache vgl. auch den Brief an Capito WA Br III, 750 S. 303; 15. Juni 1524 » WA Br III, 733 S. 278 4 WA Br III, 754 S. 309 5 WA Br III, 753 S. 307 « WA Br III, 755 S. 313; 27. Juni 1524 7 WA Br III, 854 S. 470; 10. April 1525 8 WA Br III, 753 S. 306 ff; 18. Juni 1524 » WA Br III, 754 S. 309 f; 24. Juni 1524 1

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12. Rechtsfragen Dabei ist der Komplex des aus der Regierungszeit Friedrichs des Weisen zu Berichtenden noch keineswegs vollständig dargestellt. Es fehlt beispielsweise Luthers Brief an Spalatin vom 18. Januar 1524 1 , in welchem dieser dem auf Reisen Befindlichen über die Zustände in der Heimat berichtet. Es stehe alles gut, wie zuvor, nur daß der Zustand der Straße von Wittenberg nach Remberg Anlaß zu immer stärkerem Geschrei gebe (clamore multo et magno in caelum usque accusatur) und dem Fürsten zur Last gelegt werde. Dieser solle die Straße ausbessern lassen, was er leicht könne, und sich damit einen guten Nachruf erwerben. Vor allen Dingen aber fehlt noch ein Bericht über die „Rechtsauskünfte" Luthers und sein Verhalten in damals aktuellen Rechtsfragen. Im Frühjahr 1524 fragt z. B. Spalatin (sicher nicht als Privatmann, sondern in offiziellem Auftrag) bei Luther an, wie man mit Dieben verfahren solle. Dieser antwortet am 2. Mai 1524 2 , hier gebe 2. Mose 22,1 ff die richtige Anweisung: je nach Art der Diebstähle solle das Doppelte, Vierfache, Fünffache des Gestohlenen als Wiedergutmachung und zur Strafe gefordert werden; notfalls müsse der Besitz des Diebes zur Beschaffung der erforderlichen Summen verkauft werden. Etwa zur selben Zeit hatte sich der Kanzler Brück wegen einer anderen Rechtsfrage an Luther gewandt. Hier ging es darum, ob der Besitz eines ausgetretenen Stiftsherrn in die allgemeine Gemeindekasse gehöre oder ob er an das Stift zurückfalle, bzw. ob der Betreffende gar, wenn er Besitztümer beim Ausscheiden mitgenommen hatte (z. B. Wert- oder Schmuckstücke), diese behalten dürfe. Luther ist sehr zurückhaltend: „es ist mir weder eine Freude noch eine Ehre, daß diese Fälle von den Juristen den Theologen zugeschoben werden", urteilt aber, daß nach dem kanonischen Recht entschieden werden müsse. Wo katholische Institutionen noch — und zwar mit staatlicher Duldung — beständen, müßten sie auch das für sie geltende Recht in Anspruch nehmen können; erst nach ihrer offiziellen Aufhebung könne frei nach weltlichem Recht verfügt werden s . Besonders schwierig waren in jenen Jahren des Übergangs, als das kanonische Recht in den evangelischen Gebieten zwar grundsätzlich abgeschafft war, aber eine neue kirchenrechtliche Ordnung sich erst langsam ausbildete, die Ehefragen. Zahlreiche Male hat Luther in seinem Leben deshalb dazu gutachtlich Stellung nehmen müssen4. Einige dieser Fälle verdienen besonderes Interesse, sie seien wieder in chronologischer Folge behandelt. 84

Voran steht der Fall der „Doppelehe" eines Weimarer (weil der Hofprediger Stein beteiligt ist?) oder Jenaer (weil Karlstadt in den Fall verwickelt ist?) Bürgers, dem besondere Bedeutung schon deshalb zukommt, weil der Kanzler Brück sich der Sache (und zwar sicher nicht nur von sich aus) mehrfach annimmt. Zunächst scheint es sich tatsächlich um eine Doppelehe zu handeln, und zwar um eine von Karlstadt anempfohlene. Der Kurfürst möge dem Mann antworten, so empfiehlt Luther Brück 5 : Voraussetzung für sein Begehren sei, daß ihm sein Wunsch gestattet sei. Er solle sich darüber zuverlässig unterrichten lassen — ob das Karlstadt (gegen den Luther damals bereits die schwersten Bedenken hat) oder ein anderer sei, das gehe den Kurfürsten nichts an. Denn diesem stehe in dieser geistlichen Sache keine Entscheidung zu (cuius in hac re non sit quicquam decernere), deshalb könne dem Antragsteller durch dessen Zustimmung oder Ablehnung in seiner Gewissensentscheidung nicht geholfen werden. Luther geht so weit zu sagen: Ego sane fateor, me non posse prohibere, si quis plures velit uxores ducere, nec repugnat sacris literis (in der Auseinandersetzung über die Doppelehe Philipps von Hessen macht Kurfürst Johann Friedrich noch 16 Jahre später von dieser Aussage Gebrauch!). Allerdings fügt Luther hinzu: er wolle nicht, daß so etwas zuerst bei den Christen eingeführt werde, außerdem meine er, daß curiositas im Spiele sei. Er könne eigentlich auch nicht glauben, daß ein Christ so von Gott verlassen sei, daß er nicht enthaltsam leben könne, wenn sein Ehegemahl von Gott verhindert sei (doch wohl zu ergänzen: an der Erfüllung der ehelichen Pflicht). Sehr bald erwies es sich auch, daß es sich gar nicht um den Fall einer doppelten Ehe handelte: der Hofprediger Stein berichtet Luther, daß dem Mann die Frau davongelaufen sei. Er wolle von ihr geschieden werden und wieder heiraten, denn die Frau habe Ehebruch begangen, wie er behauptet. Da er dafür bisher keinen Beweis erbracht habe, müsse folgendermaßen verfahren werden, erklärt Luther dem Kanzler Brück 6 : der Mann müsse gezwungen werden, das von ihm behauptete Vergehen der Frau in deren Gegenwart zu beweisen. Wenn sie nicht herbeigebracht werden könnte, müßte der Mann durch einwandfreie Zeugenaussagen dartun, daß seine Frau ihn ohne sein Verschulden verlassen habe (Folge doch wohl: sonst könne die Ehe nicht geschieden werden). Hier gibt Luther dem Kanzler des Kurfürstentums Auskunft und zugleich Weisung, wie in einem zunächst äußerst kompliziert aussehenden Rechtsfall zu verfahren sei. Offensichtlich ist das allgemein als unter seine 85

Zuständigkeit fallend angesehen worden. Am 21. März 1524 gibt Luther nämlich Johann Hess in Breslau die Anweisung, eine Ehe wegen Impotenz der Frau aufzuheben 7 . Wenn es sich so verhalte, wie der Ehemann berichte, stat sententia divortii certa. Sic consului. Fac itaque tu, ut dissolvas, schreibt Luther. Gelegentlich kam es anläßlich solcher Ehescheidungen zu umfangreichen juristischen Auseinandersetzungen. Wohl am 10. Mai 1524 berichtet Luther Spalatin über einen solchen Fall unter gleichzeitiger Vorlage einer Instructio pro principe8: Die Frau eines Wittenberger Schusters, Michael Hanck, begehre Scheidung von ihrem Mann, weil sie seit Jahren von ihm mißhandelt, ja mit dem Tode bedroht würde. Außerdem verschwende er allen Besitz und trage nichts zu ihrem Unterhalt bei. In Gegenwart des Pfarrers und des weltlichen Richters hätten acht Zeugen den Tatbestand bestätigt. Daraufhin habe Luther (allerdings: protulimus) die Scheidung ausgesprochen und dem Magistrat anheimgestellt, den Ehemann nach weltlichem Recht zu bestrafen. Dieser weigere sich jedoch, das Scheidungsurteil als gültig anzuerkennen und wolle die Frau zwingen, bei ihrem Mann zu bleiben. Denn ein solches Urteil, meinte der Rat, würde viele andere Ehescheidungen nach sich ziehen. Spalatin brachte die Sache vor den Kurfürsten (damit er Luthers lateinische Instructio voll verstehen konnte, fertigte er für ihn eine deutsche Übersetzung an), dieser forderte den Wittenberger Magistrat sogleich9 zu einem Bericht über die Gründe für sein Verhalten unter Zusendung der Akten auf. Dabei scheint der Magistrat die Dinge sehr einseitig dargestellt zu haben; der entrüstete Luther stellte ihn deswegen zur Rede und erreichte: promiserunt meo iudicio sese cessuros10. Nur sehr ungern hat Luther sich mit diesen Dingen befaßt; entweder die Notlage der unmittelbar Betroffenen, die bei ihm Hilfe suchten, trieb ihn dazu oder die Zwangslage, in die ihn Anfragen von auswärts versetzten. Wenn ihn z. B. Bürgermeister und Rat von Zerbst befragten, wie sie es mit der Bestrafung von Ehebrechern halten sollten, war ein Ausweichen nicht möglich. Luther antwortet am 8. Oktober 152411, er habe wegen der Frage „mit meynen herrn vnd doctorn geredt" (d. h. mit den anderen Theologen). Zwar sehe das Gesetz des Mose wie das kaiserliche Recht die Todesstrafe vor, aber diese werde kaum angewandt: „Derhalben wyr zu Wittemberg den Ersamen rad lassen (!) solche straffen mit der stäupen zur stad [hin] aus"; so solle man in Zerbst audi verfahren. Bei solchen Gutachten und Entscheidungen konnte es natürlich auch zu politischen Verwicklungen kommen. Am 20. Februar 1525 hatte z.B. 86

Luther (zusammen mit Jonas, Bugenhagen und Pauli) dem A b t von Sagan, Paul Lemberg, eine Entscheidung in einer ziemlich verzwickten Ehesache zukommen lassen12. Eine Frau verlangte Scheidung wegen Impotenz ihres Mannes, die jedoch von diesem bestritten wurde. Sie hatte ihn schon v o r längerer Zeit verlassen und lebte mit einem anderen zusammen. Nach dem Studium der ihnen übersandten Akten (!) erklären die Wittenberger Theologen, die erste Ehe sei aufgehoben, die eheliche Gemeinschaft mit dem anderen Mann solle legitimis ritibus als gültige Ehe bestätigt werden. Als H e r z o g Georg von Sachsen davon hörte, daß Lemberg ein Gutachten Luthers eingeholt hatte und danach verfahren worden war, setzte er sofort alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel gegen diesen wie gegen die Eheleute ein. Doch dadurch war Luther von seiner Haltung nicht abzubringen. Zur Illustration dafür, daß und wie sehr Luther sich in der Lage sah, über formal gültiges Recht hinweg dem nach seiner Meinung ethisch und theologisch Richtigen zur Geltung zu verhelfen, sei zum Abschluß ein letzter „Fall" dargestellt. Der Pfarrer Stephan Gülden hatte testamentarisch seinen gesamten Besitz zur Erbauung einer Kirche bestimmt. Sein dadurch praktisch enteigneter Bruder hatte sich deswegen an Nikolaus Hausmann in Zwickau gewandt. Dieser schickte ihn mit einer Empfehlung zu Luther, damit dieser auf dem Wege über Spalatin eine Entscheidung des Kurfürsten zu seinen Gunsten erwirke. Luther rät Hausmann am 19. Mai 152218 von diesem Verfahren als zwecklos ab. Der Kurfürst werde sich dieser schwierigen Frage bestimmt nicht annehmen, sondern sie nach Zwickau zurückverweisen: „Ich kenne die Mentalität des Mannes, der es ertragen kann, daß von anderen entschieden wird, was nur immer entschieden wird, der es selbst aber nicht anordnen oder raten will". Deshalb müßten Hausmann oder der Rat der Stadt die Frage entscheiden. Hausmann möchte den Rat in Luthers Namen und unter Berufung auf seine Bitte dazu überreden. Wenn der Rat sich aber nicht einmischen wolle, tui solius est ex officio tuo. Hausmann solle dem Bruder des Verstorbenen das vorhandene Vermächtnis entweder vollständig oder doch so viel davon wie möglich zuwenden. Er solle das getrost wagen: ius et autoritatem tibi tribuit tum necessitas tum Charitas. Das Testament habe weder früher noch jetzt Anspruch auf Geltung, denn für tote Steine dürfe nicht aufgewandt werden, was für die Stillung der unmittelbaren N o t d u r f t des Bruders erforderlich sei.

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WA Br III, 706 S. 236 WA Br III, 738 S. 283 3 WA Br III, 732 S. 274; 25. April 1524 4 aus unserem Zeitraum vgl. z. B. WA Br III, 597 S. 51; 4. April 1523; 695 S. 204; 14. Dezember 1523; 737 S. 282; Anfang 1524; 738 S. 283; 2. Mai 1524; 763 S. 325; 31. Juli 1524; 856 S. 473; 15. April 1525, zusätzlich zu den im Text behandelten Briefen 5 WA B r i l l , 702 S. 231; 13. Januar 1524 8 WA Br III, 703 S. 232 f; 14. Januar 1524, vgl. auch den Brief an Stein vom selben Tag, Nr. 704, S. 234 7 WA Br III, 722 S. 257 8 WA Br III, 742 S. 289 f » WA Br III, S. 288 f; 12. Mai 10 WA Br III, 749 S. 301 f; 2. Juni 1524 I I WA Br III, 780 S. 355 12 WA Br III, 831 S. 445 13 WA Br II, 494 S. 536 I

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13. „Große Politik" Das ist ganz auf der bei Luther auch sonst zu beobachtenden Linie. Es kommt Luther auch gar nicht darauf an, in die große Politik einzugreifen, und zwar ohne jede Rückfrage bei Hofe. Friedrich der Weise dürfte z. B. nicht wenig überrascht gewesen sein, als er einen Brief des Königs Christian II. von Dänemark erhielt, der bis auf Adresse und Unterschrift eigenhändig von Luther geschrieben war, zumal dieser Brief ebenso hochvertraulich wie hochpolitisch war. Der vertriebene König macht hier 1 dem Kurfürsten z. B. das Angebot, ihm alle Ansprüche auf sein Reich zu übergeben, wenn dieser für die Befriedigung seiner leiblichen Bedürfnisse zu sorgen bereit sei. Nichts lag dem Kurfürsten ferner, als sich derart in die große europäische Politik verstricken zu lassen — und Luther dürfte das gewußt haben, aber das hindert ihn nicht, sich beim Kurfürsten dafür einzusetzen. Luther maciit auch sonst Politik auf eigene Faust. Schon im September 1521 hatte der Hochmeister des Deutschen Ritterordens, Albrecht von Preußen, einen Beauftragten bei Friedrich dem Weisen vorfühlen lassen, ob nicht Luther zur Vorbereitung einer Umwandlung des Ordens dessen Statuten revidieren könne. Der Kurfürst hatte damals, seiner sonstigen Haltung entsprechend, abgelehnt. Selbstverständlich wurde Luther über den Vorgang nicht informiert. Dieser kam mit der Frage erst in Berührung, als Albrecht schließlich im Juni 1523 auf eigene Faust einen seiner Räte zu Geheimverhandlungen nach Wittenberg schickte: der Orden sei einer Reform an Haupt und Gliedern bedürftig, die nach Luthers Vorschlägen geschehen solle; deshalb möchte er die ihm bei den Verhandlungen übergebenen Statuten des Ordens revidieren. Ebenso werde Luther gebeten, eine Ordnung für die im Gebiet des Ordens ansässige Geistlichkeit zu entwerfen, vom Pfarrer bis hinauf zum Bischof. Die Instruktion für den Unterhändler ist im Staatsarchiv Königsberg erhalten 2 , das geheime Handschreiben Albrechts (das Luther noch während der Verhandlungen verbrennen sollte) jedoch ebensowenig wie Luthers Vorschläge im einzelnen. Am 1. Advent 1523 kam Albrecht nach Wittenberg, um sich persönlich mit Luther zu beraten, im Dezember beantwortet ihm dieser ausführlich eine Reihe von dogmatischen und kirchenreditlichen Fragen 8 — am 26. Mai 1525 kann er den Herzog zur am 10. April erfolgten Säkularisierung des Ordenslandes und zur Einführung der Reformation beglückwünschen4. Charakteristisch ist, wie Luther das tut. Ein feierlicher, mit „Amen" schließen89

der Satz bringt eingangs den Glückwunsch. Dann folgt, wieder in einem Satz, die Mitteilung, daß der vom Herzog gewünschte Prediger (das ist Poliander) bald kommen werde. Der folgende Text, mehr als doppelt so lang wie alles Vorangehende, befaßt sich dann mit einer Fürbitte für „arme meydelyn", denen der Bischof von Riga ihren Anteil am Erbe vorenthalte, Albrecht möchte für Abhilfe sorgen. Mindestens so wichtig für den Fortgang der Dinge wie die schriftliche und mündliche Beratung Albrechts war die, wohl im Herbst, 1523 veröffentlichte Schrift Luthers: „An die Herren deutschen Ordens, daß sie falsche Keuschheit meiden und zur rechten ehelichen Keuschheit greifen, Ermahnung" 8 . „Nur frisch und getrost hinan, Gott vor Augen gestellt im rechten Glauben, und der Welt mit ihrem Rumpeln, Scharren und Poltern den Rücken gekehrt, nicht hören noch sehen, wie Sodom und Gomorrha hinter uns versinken oder wo sie bleiben" schließt diese „Ermahnung" sie wurde sehr wohl gehört und trug Entscheidendes zu der 1525 zum Abschluß kommenden Entwicklung bei.

1 WA * WA 8 WA * WA s WA * WA

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Br III, 682 S. 187; 6. November 1523 Br III, 622 S. 86 f; 14. Juni 1523 Br III, 697 S. 209-219 Br III, 876 S. 513 f 12, 232-244 12, 244

14. Das „politische" Schrifttum Luthers aus der Frühzeit Diese Schrift wie der schon früher behandelte „Sendbrief an die Fürsten zu Sachsen" (vgl. o. S. 52 ff) weisen mit Nachdruck darauf hin, daß für unser Thema nicht nur die Briefe Luthers von Bedeutung sind, in denen er seinen Landesherren Ratschläge und Hinweise, manchmal auch beinahe Anweisungen gibt, sondern daß „politische" Ratschläge auch in Luthers Schrifttum zu finden sind. In der Tat sind in seinen Veröffentlichungen bis 1525 eine ganze Reihe von Themen behandelt, die in den Bereich des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens gehören. Gleich dreimal hat Luther beispielsweise zum Finanz- und Geldwesen der Zeit Stellung genommen: im sogenannten Kleinen und Großen Sermon vom Wucher von 1519 1 und 1520 2 wie in seiner Schrift „Von Kaufshandlung und Wucher" von 1524 3 . Mit aller Energie greift Luther hier 4 die „Handelsgesellschaften" an, d. h. die sich in den Anfängen ausbildenden weltumspannenden Monopolgesellschaften, welche die Wirtschaft unter ihre Kontrolle bringen. Aber nicht nur dem Finanzwesen im großen und den hier geübten Praktiken gilt seine Aufmerksamkeit und Kritik, sondern auch den Bräuchen und Mißbräuchen des Kaufmannswesens bis hin zum Einzelhandelsgeschäft. Hier wird dargestellt, wie die Kunden übers Ohr gehauen werden, wird über die rechte Gewinnspanne verhandelt, über Festpreise und anderes mehr. Das geschieht zwar mit der Einschränkung, daß von dem allen nur die Rede sei, „soweit es das Gewissen betrifft. Wie es des Beutels Schaden betrifft, dafür lassen wir Fürsten und Herren sorgen, daß sie ihre Pflicht daran ausrichten" 5 , faktisch geschieht aber sehr viel mehr. Denn was hier gesagt wird, betrifft eben auch das Gewissen der „Fürsten und Herren"; was Luther ihnen übrigläßt, ist lediglich die praktische Verwirklichung seiner Forderungen. Die sog. Leisniger Kastenordnung: „Ordnung eines gemeinen Kastens [allgemeine Kasse]. Ratschlag, wie die geistlichen Güter zu [bejhandeln sind" von 1523, unter Luthers Anteilnahme zustande gekommen 8 und von ihm mit einem empfehlenden Vorwort zur Aufrichtung eines Zeichens und zur möglichst umfangreichen Nachahmung im Druck veröffentlicht, bedeutet zunächst nur eine Regelung für die Verwendung des durch die Reformation freigewordenen kirchlichen Besitzes: für die Kirchen und Geistlichen, die Schulen und Lehrer sowie die Armen. Aber in jene allgemeine, von den Bürgern gemeinsam verwaltete, Kasse sollte 91

eben nicht nur der kirchliche Besitz fließen, sondern auch die Abgaben der Bürger. Und nicht nur Kirchen- und Schulgebäude sollten mit ihrer Hilfe in Ordnung gehalten werden, sondern auch die Bauten der Gemeinde (das erstreckt sich im Fall von Leisnig bis auf die Brücke über die Mulde). Über die Bestreitung des Lebensunterhalts aller derer, die in irgendeiner Form in Kirche und Schule tätig waren, wie über die Versorgung der Armen hinaus sollte die allgemeine Kasse für die Beschaffung eines ausreichenden Getreidevorrates bestimmt sein, damit die Bürger in Zeiten der N o t oder der Teuerung sich daraus versorgen könnten. Hier ist also von vornherein auch die politische Gemeinde betroffen. Noch mehr gilt das — wenn auch indirekt — für die allgemeine Landespolitik. Denn wo diese Kastenordnung eingeführt wurde, war aller kirchlicher Besitz für die drei genannten Bestimmungen okkupiert — und es gab keine Möglichkeit mehr, ihn unter dem Vorzeichen allgemein-politischer oder auch eigensüchtiger Zwecke zu säkularisieren, was für die Obrigkeiten jener Zeit, von der kurfürstlichen Verwaltung bis hinab zu den kleinsten Standesherren eine immer neue — und nicht selten auch verständliche Versuchung bedeutete. Ganz charakteristisch ist, daß Luthers Anträge an den Kurfürsten auf Bestätigung der Leisniger Kastenordnung vom 11. August 7 und 19. August 1523 8 trotz aller Dringlichkeit ohne Erfolg blieben — erst 1529 erfolgte die Bestätigung 9 . Als Luther 1524 einen dringlichen Appell „An die Ratsherren aller Städte deutschen Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen" 1 0 veröffentlicht, wendet er sich nicht an die Fürsten, die Landesherren im eigentlichen Sinn (sie seien mit „wichtigeren" Dingen beschäftigt, erklärt Luther mit bitterer Ironie 11 ), sondern an die Magistrate. Diese Schrift bedeutet nicht nur einen Markstein in der deutschen Bildungs- und Sdhiulgeschichte, sondern gleichzeitig — wieder einmal — eine Grenzüberschreitung. Denn Luther tritt dem allgemeinen Verfall des Schulwesens in jener Zeit nicht nur deshalb entgegen, weil er den Nachwuchs für den geistlichen Stand in Gefahr sieht, er denkt ebenso an den für die Schulen — und die allgemeine Staats- und Stadtverwaltung. Zwar steht für ihn der geistliche Nutzen der Schulen im Vordergrund, aber er argumentiert ebenso für den Fall, „ob schon keyn seel noch hymel oder helle wäre" 1 8 — d. h. sein Aufruf wie die Ratschläge, die er gibt, beanspruchen allgemeine Gültigkeit für den geistlichen und weltlichen Bereich, selbst für den Fall von dessen völliger Säkularisation. 92

Die wichtigste Schrift zum Gegenstand aus dem von uns zu behandelnden Zeitraum ist ohne Zweifel die von 1523: „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei" 1 3 . Sie gehört durch die Zueignung an den Herzog Johann auch ganz unmittelbar in unseren Bereich, denn Johann, der Nachfolger Friedrichs des Weisen, hatte Luther um eine Schrift über dieses Thema gebeten 1 4 ; Luther schreibt zwar für die breite Öffentlichkeit, gleichzeitig aber als Berater des Bruders des Kurfürsten 1 5 . Wenn wir aber auf diese Schrift, welche die Grundlegung der Lehre Luthers von den beiden Regimenten, dem weltlichen und geistlichen, gibt, näher eingehen wollten, würde das den Rahmen dieses Buches sprengen, weil dann eine direkte Auseinandersetzung mit der, wenn in sich auch kontroversen, aber im Normalfall rein systematischen Auffassung der Zwei-Reiche-Lehre unvermeidlich würde. Deren „theoretischem" Charakter will dieses Buch, neben den anderen Absichten, die es verfolgt, durdi seine „praktischen" Erörterungen eine neue Dimension geben; die Darstellung des daraus resultierenden Gesamtbereiches (wie die kritische Auseinandersetzung mit den bisherigen Positionen) erforderte eine eigene Schrift. Statt dessen sei nur kurz auf das Gutachten eingegangen, das Luther (und neben ihm Link, Melanchthon, Bugenhagen, Amsdorf) am 8. Februar 1523 auf die Frage erstattet hat: „Ob ein Fürst seine Untertanen wider des Kaisers oder anderer Fürsten Verfolgung um des Glaubens willen mit Krieg schützen möge", weil es einmal in engem Zusammenhang mit Luthers Schrift „Von weltlicher Obrigkeit" steht und uns außerdem noch einmal die zeitgeschichtlichen Voraussetzungen vor Augen stellt, ohne welche der hier gegebene Bericht nicht vollständig aufgefaßt und nicht richtig verstanden werden kann. Das Gutachten ist — wie alle anderen — lateinisch abgefaßt, alle liegen (bzw. lagen) von Spalatins Hand gleichzeitig in deutscher Übersetzung vor, die für Friedrich den Weisen bestimmt war, der offensichtlich die Gutachten angefordert hatte, weil die allgemeine Situation der Reformation sich derart zugespitzt hatte, daß der Kurfürst an ihre bewaffnete Verteidigung denken mußte. Luthers Gutachten in dieser Situation 1 6 ist eindeutig, soweit es sich um einen Angriff Herzog Georgs von Sachsen oder Kurfürst Joachims I. von Brandenburg, d. h. eines deutschen Reichsfürsten, handelt: hier soll zunächst Rechtsverhandlung und Friede angeboten werden, wenn das nicht helfen will, kann und soll der Gewalt mit Gewalt widerstanden werden, um der Bürger des Landes willen. Sehr viel schwieriger ist die Lage jedoch für den Fall eines Angriffs des Kaisers. Denn bis93

her habe sich der Kurfürst absolut neutral gegenüber der Reformation verhalten. Solange er das tue, könne er für sie keinen Krieg führen, sondern er müsse erst seine bisherige Neutralität widerrufen und die Sache der Reformation für gerecht erklären, ja dies singulari spiritu et fide tun. Sonst bliebe ihm nichts, als dem Kaiser zu weichen und mit den Evangelischen zusammen zu sterben. Das sind düstere Töne, aber sie entsprechen der allgemeinen Lage. Denn die Nachrichten, die der kursächsisdie Gesandte beim Reichsregiment, Hans von der Planitz, dem Kurfürsten übermittelte, ließen das Schlimmste befürchten: wenn der Kurfürst sich nicht von Luther trenne, werde es ihn die Kurwürde kosten, wenn nicht die Herrschaft überhaupt, so groß sei die Feindschaft und so mächtig die Gegner. Das kam als ständig wiederholte Mahnung an den Kurfürsten 1 7 , kann es einen wundern, daß dieser mit äußerster Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber Luther und der Reformation taktierte und nicht nur den persönlichen, sondern, wenn möglich, auch den brieflichen Verkehr mit ihm vermied (vgl. o. S. 36 f)? Luther war sich über diese Situation im klaren, um so größeres Gewicht erhält deshalb jeder direkte Brief Luthers an Friedrich den Weisen und jede unter Vermittlung Spalatins gestartete Aktion, bereits im engeren kirchlichen, noch mehr aber im darüber hinausgehenden Bereich. Wenn man die politischen Voraussetzungen der Zeit bis 1525 berücksichtigt, dann bekommen die Beziehungen Luthers zu Friedrich dem Weisen ein derartiges Schwergewicht, daß sie mit den sehr viel umfangreicheren, sei es persönlichen, sei es sachlichen, zu seinen späteren Landesherren — sei es Johann, sei es Johann Friedrich — in eine Linie rücken. Hier ist Luther in viel größerem Maße als politischer Berater in Erscheinung getreten, wenn man die Quantität ansieht; die Qualität ist jedoch die gleiche, sofern man die besonderen Umstände unter der Regierungszeit Friedrichs des Weisen genügend in Betracht zieht.

WA 6, 3 - 8 , 630; 15, 314-320 W A 6 , 3 6 - 6 0 , 630; 15, 314-320 s WA 1 5 , 2 9 3 - 3 2 2 4 wie schon im Schlußabschnitt seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung" von 1520, vgl. WA 6 , 4 6 6 f 5 WA 15,294 • vgl. dazu außer dem Vorwort zur Schrift (WA 12, 11-30) auch WA Br III, 576 S. 22; 25. Januar 1523; 577 S. 23; 29. Januar 1523 7 WA B r i l l , 643 S. 124 f 1

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WA Br I I I , 647 S. 128 f dasselbe Problem ergab sieh in Remberg, vgl. WA Br I I I , 798 S. 390 f ; 24. November 1524 WA 1 5 , 2 7 - 5 3 zu den Einzelheiten vgl. meinen Beitrag „Martin Luther und die Schule" in der Festschrift für Landesbischof Hermann Dietzfelbinger: „Dem Wort gehorsam", München 1973, S. 2 1 7 - 2 4 1 WA 1 5 , 4 3 WA 1 1 , 2 4 5 - 2 8 1 WA 11,245 Wie wichtig die Schrift aber auch Friedrich dem Weisen war, geht aus der Bemerkung Luthers in seiner Schrift „Vom Kriege wider die Türken" hervor (WA 30, I I , 109): er „ward so froh, da ich zuerst von weltlicher Obrigkeit schrieb, daß er solch Büchlein abschreiben und besonders einbinden ließ und es sehr lieb hatte, damit er audi sehen konnte, was sein Stand vor Gott wäre". WA Br X I I , 4222 S. 39 f ; Anfang Februar 1523 vgl. WA Br X I I , S. 35 f

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IV. J O H A N N

DER

BESTÄNDIGE

1. Die persönlichen Beziehungen Der Tod Friedrichs des Weisen wurde von den Gegnern der Reformation sehnlich erwartet, mit seinem Abtreten von der politischen Bühne werde sie in sich zusammenfallen, meinte man. „Da Herzog Friedrich zu Sachsen lebte, der teure, werte Fürst (des man nicht vergessen soll), da vertrösteten sich beide, geistliche und weltliche Tyrannen, auf seinen Tod und sprachen: es ist um zwei Augen zu tun. Wenn dieselbigen zu sind, so liegt des Luthers Ketzerei auch (darnieder)", berichtet Luther im „Schönen Confitemini" von 1530, nicht ohne ironisch hinzuzufügen: „Sie haben ihr Lebtag nichts Zuverlässigeres gehabt als solche ihre eigene Weissagung" 1 . Zwar schreibt Luther noch im August 1525: Dux Georgias mortuo Friderico putat se omnia posse2, und er meint sogar, daß am kursächsischen Hofe die Gegner der Reformation Oberhand gewinnen zu können glaubten: Et credo et experior, nostrae aulae tyrannos, Friderico mortuo, andere plura quam antea, atque ut plus saevirent in euangelion, quam Georgiani, si quo modo possent3. Aber er fügt, die Situation richtig erkennend, im Brief an Briesmann hinzu: sed Christus pulchre adhuc eum ridet, magis risurus, si nobiscum vos oraveritis4. Bei der Hoffnung auf einen Zusammenbruch der Reformation nach dem Tode Friedrichs des Weisen baute man wahrscheinlich auf die politische Unerfahrenheit Johanns, der bis zu seinem Regierungsantritt im Alter von 57 Jahren ganz im Schatten seines Bruders gestanden hatte. Daß er zur Reformation und zu Luther ein persönliches Verhältnis besaß, hätte man allerdings wissen können, wenn man die Widmungsvorreden Luthers zu seinen Schriften aufmerksam verfolgt hätte. Daß Luthers „Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührischen Geist" von 1524 5 an Friedrich und Johann gleichzeitig gerichtet war, brauchte noch nicht unbedingt etwas zu besagen, das konnte reine Formalie sein. Ganz anders stand es aber damit, daß Johann schon Luthers Sermon „Von den guten Werken" 6 von 1520 zugeeignet war. Friedrich der Weise habe, so hieß es hier, die Widmung der Tessaradecas consolatoria 7 „gn ediglich 97

auffgenommen", so habe Luther „eynen mutt geschopfft von solchem gnedigen Exempel und mich vormessen, wie das fürstlich geblut, so auch der fürstliche mut, zuvor yn gnediger senffte und gutwillickeit, gleych und eyns sey, vorhoffet, es solle auch E. F. G. der art nach diesze meyn arme underthenige erbietung nit vorsdimahen" 8 . Was die Öffentlichkeit nicht wissen konnte, war, daß Luther sich vorher bei Spalatin erkundigt, ob eine solche Widmung opportun sei und von diesem — aller Wahrscheinlichkeit nach nicht aus Eigenem, sondern nach Rückfrage bei Hofe — eine positive Antwort bekommen hatte 9 . Immerhin hätte sie der Satz am Schluß der Vorrede stutzig machen können, in dem Luther erklärte, er habe erfahren, „wie E. F. G. solch deutsche buchlin gefellig und sie gantz begirig sein, zuerkennen guter werck und des glaubens Unterricht, deren mirs billich getzimet hat muglichs fleis unterteniglich zudienen" 10. Denn der Sermon hatte ein gewaltiges Echo: in vierzehn deutschen Ausgaben (davon acht noch im Erscheinungsjahr) und drei lateinischen war er erschienen. Noch auffälliger hätte sein müssen, daß Luther seine Schrift „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei" von 1523 die ebenfalls noch im Erscheinungsjahr eine außerordentliche Verbreitung fand (zehn deutsche und eine niederdeutsche Ausgabe), um von den weiteren Drucken zu schweigen, Johann zugeeignet und auf Johanns „begird" hin, wie es im Vorwort heißt 12 , verfaßt hatte. Anscheinend waren diese Signale unbeachtet geblieben, nur so erklärt sich die Hoffnung auf den Zusammenbruch der Reformation nach Friedrichs des Weisen Tod. Wie sehr Johann am Fortschreiten der Reformation Anteil nahm, zeigt sein Briefwechsel mit Friedrich dem Weisen 13 ; die uns erhaltene Korrespondenz mit Luther vor seinem Regierungsantritt beschränkt sich auf den Brief vom 5. April 1524 14 . Er geht auf eine (nicht erhaltene) Anfrage Johanns zurück und bezieht sich auf die Besetzung einer Pfarrstelle in Weimar durch Johann Grau. Luthers Empfehlung Graus ist in warmen Worten und so unbefangen gehalten, daß ein direkter Kontakt zwischen Briefschreiber und -empfänger daraus eindeutig wird. Luther verbindet mit der Empfehlung auch gleich die Bitte um einen Geleitbrief für einen aus Arnsbach um seines evangelischen Glaubens willen vertriebenen Geistlichen. „Das wird Christus erkennen, welches Gnade und Stärke sei mit E. F. G. ewiglich, Amen", schließt der Brief. Wenige Tage nach dem Tode Friedrichs des Weisen richtet Luther sein 98

erstes Schreiben an den neuen Kurfürsten und Landesherrn 15 . Es zeigt sowohl seine tiefe Betroffenheit anläßlich des Heimgangs Friedrichs des Weisen („Ich habe itzt freylich vrsache zu E. C. f. g. zuschreyben, wenn ich nür nü wol schreyben künde" 1 6 ) wie seine seelsorgerliche Kraft, die aus der Schrift Trost zu spenden weiß, „ynn der eyle" sei das Schreiben erfolgt, sagt Luther. Wenn er es damit beendet: „E. C. f. g. wollt es gnediglich an nemen vnd sich weytter ym psallter vnd der heyligen schrifft, die allerley trosts voll ist, ergetzen" 17 , so ergibt sich daraus Luthers Vertrautheit mit dem inneren Verhältnis des neuen Kurfürsten zur Schrift (die zahlreichen Bibelzitate des Briefes, im wesentlichen aus dem Psalter genommen, sprechen bereits eine deutliche Sprache), ebenso aber auch die sachliche und persönliche Nähe zu ihm. Gott habe „das heubt" (d. h. Friedrich den Weisen) hinweggenommen, ohne Zweifel deswegen, erklärt Luther, damit Johann ein um so näheres Verhältnis zu ihm gewinne („an des stat", d. h. an Stelle Friedrichs des Weisen), um ihn zu lehren, „dißes menschen trostliche vnd liebliche zuuersicht lassen vnd vbergeben vnd alleyne an seyner guete vnd krafft starck vnd getrost werden, der viel trostlicher vnd lieblicher ist" 1 8 . Am gleichen Tage noch greift Luther mit Energie den weiteren Ausbau der Wittenberger Universität an. Im Brief an Spalatin vom 15. Mai, dem er die Kondolenzbriefe an die Fürsten beilegt 19 , kündigt er ihm die Zusendung eines offiziellen Antrags der Universität an, am 20. Mai erfolgt die Zusendung 20 zusammen mit persönlichen Schreiben an den Kurfürsten wie an den Kurprinzen Johann Friedrich21. Nur das zweite ist erhalten (das an den Kurfürsten dürfte im Sachinhalt parallel gewesen sein), hier heißt es: zwar hätten die Fürsten „in diesen Läuften viel anderes zu schaffen" (wir befinden uns noch in der Zeit des Bauernkrieges!), aber die Universitätsfrage habe „nun lange genug gehangen und sei eine verfahrene Sache" („zerrüttet Ding"). Die Nachbarn freuten sich bereits, „als sei mit dem Kurfürsten [Friedrich dem Weisen] Wittenberg auch dahin und nun ganz aus". Der Kurprinz solle dagegen wirken, daß „etliche große Hofschranzen verächtlich von Schreibern reden würden"; die Welt brauche gelehrte Leute, „die mit Gottes Wort helfen das Volk durch Lehren und Predigen [erjhalten" 22 . Luther ist sich also sicher, daß er auch bei Johann Gehör finden wird, ja mehr als bei Friedrich dem Weisen, denn unter diesem war der Niedergang der Universität ja eingetreten. Am 1. Juni antworteten der Kurfürst Johann 23 wie der Kurprinz 24 , sie hätten nicht die Absicht, „das löbliche Werk untergehen zu lassen, sondern 99

sind vielmehr geneigt, demselben zu helfen, damit es zunehmen (und) der ganzen Christenheit und deutschen Nation tröstlich sein möge" 25 . Am 6. September berichtet Luther Spalatin, das Gerücht gehe um, der Kurfürst sei der Universität entfremdet28. Wenige Tage darauf erinnert Luther den Kurfürsten deshalb noch einmal27, obwohl er sich darüber im klaren ist, daß der Kurfürst damals durch zahlreiche Angelegenheiten in Anspruch genommen ist. Die Mahnung war überflüssig, denn Spalatin war damals bereits an den Hof gerufen, auf den 17. September ist sein Beglaubigungsschreiben für die Verhandlungen mit der Universität datiert 28 , in dem es heißt, der Kurfürst sei nicht weniger als sein verstorbener Bruder „dies löblich Werk zu fördern geneigt". Am 28. September bereits kann Luther Spalatin die erfolgreiche Durchführung der beantragten Maßnahmen in bezug auf die Universität mitteilen (constituta scholaJ29. Daß er im gleichen Satz fortfährt: ut et parochiarum status aggredi suademus principem quam primum reformandos, zeigt, daß er keinen Zweifel am Reformationswillen des Kurfürsten hegt. Am 31. Oktober 1525 wendet er sich noch einmal an diesen selbst30. Zunächst entschuldigt Luther sich, daß er „so hart" auf die Verbesserung der Zustände an der Wittenberger Universität gedrängt habe. Es sei ihm nämlich zu Ohren gekommen, daß der Kurfürst deswegen befremdet gewesen sei, weil er daraus entnommen habe, daß Luther ihm mißtraue. „Ob ich gleich mit Mißtrauen mich an E. K. F. G. vergriffen hätte, sollte midi solche Sünde nicht zu sehr reuen, das gute Werk angesehen, das daraus gefolgt ist, welches wohl mehr solcher Sünde wert ist", fährt Luther mit fröhlicher Unbefangenheit fort 31 — ein Beweis dafür, wie sicher er sich seiner Sache in bezug auf das Verhältnis des Kurfürsten zur Reformation ist. Er stößt deshalb auch sogleich weiter vor: „weil die Universität nun in ihrer Ordnung steht und die Ordnung des Gottesdienstes nun auch neu gefaßt wird und angehen soll (damit ist die ,Deutsche Messe' gemeint, die eben gerade zum ersten Mal erprobt worden war und Weihnachten 1525 endgültig eingeführt wurde) sind noch zwei Stücke vorhanden, welche E. K. F. G. als weltlicher Obrigkeit Einsehen und Ordnung erfordern" 32 . Das erste ist die — schon im Brief an Spalatin angesprochene — notwendige Visitation der Gemeinden: der Zustand der Pfarreien sei „so elend", daß ihr völliger Niedergang zu befürchten sei, wenn der Kurfürst nicht „eyne dapffer Ordnung" vornehme. Gleichzeitig sei aber auch notwendig — und damit greift Luther wieder einmal ins „weltliche Regiment" über —, daß der Kurfürst „auch das weltliche Regi100

ment visitieren ließe und wie die Räte in den Städten und alle anderen Amtleute regierten und dem allgemeinen Nutzen vorständen". Denn überall sei große Klage über die schlechte staatliche Verwaltung, in den Städten wie auf dem Lande. Daß Luther dem Kurfürsten gegenüber derart massiv auftritt, ist ein deutlicher Hinweis auf das Vertrauen, das Luther zu Johann gewonnen hat — sowohl in bezug auf dessen Stellung zur Reformation wie zu ihm selbst. Ein deutliches Signal für die Haltung Johanns war, daß das Wittenberger Kloster jetzt endlich säkularisiert werden konnte 33 , am 31. Juli 1525 meldet Luther Wenzeslaus Link: Resignavimus census monasterii in manum Principis ' 4 . Im August kann Luther nach Königsberg an Briesmann berichten 35 , daß Johann allen Versuchen des Herzogs Georg von Sachsen widerstehe, ihn auf die katholische Seite hinüberzuziehen: Princeps noster Iohannes a Duce Georgio magnis conatibus petitus adhuc fortiter stat, ita ut homo ille paene insaniat et rumpatur ira3*. Am 29. September 1525 teilt er mit, daß Kurfürst wie Kurprinz sich offen zur Sache der Reformation bekennen 37 . Dementsprechend ist die Korrespondenz über kirchliche wie allgemeine Angelegenheiten zwischen beiden beschaffen. Der erste hier in Betracht kommende Brief 38 behandelt die schwierige Frage, wie Spalatin unterzubringen sei. Daß der Vertraute und Mittelsmann Friedrichs des Weisen nach dem Regierungswechsel aus seiner bisherigen Stellung in eine andere versetzt werden müsse, darüber bestand keine Meinungsverschiedenheit. Aber Spalatin machte Schwierigkeiten bei der Übernahme des ihm zugedachten Pfarramts in Altenburg. Hier greift Luther ein und gibt dem Kurfürsten zugleich Ratschläge, welche Änderungen bei der finanziellen Ausstattung der Altenburger Pfarrstellen nötig seien. Er benutzt die Gelegenheit, Johann zum Vorgehen gegen das Altenburger Stift aufzustacheln — so wie Friedrich den Weisen gegen das Wittenberger Allerheiligenstift — das genauso wie jenes beim alten Glauben verbleiben will. Die weitere Korrespondenz Luthers mit Johann dem Beständigen wird in den nachfolgenden Abschnitten zu verarbeiten sein, darauf muß hier verwiesen werden. Wenn man Luthers persönliches Verhältnis zu Johann und dessen Beurteilung durch ihn feststellen will, geben die zwei Leichenpredigten, die Luther ihm gehalten hat, wohl die beste Voraussetzung, vor allem deswegen, weil man sie mit den Leichenpredigten Luthers für Friedrich den Weisen vergleichen kann (wobei wir, als erwünschtes 101

Nebenergebnis zugleich eine Ergänzung zum Abschnitt über Luthers persönliche Beziehungen zu diesem 3 9 erhalten). Luther hat beide Male, 1525 wie 1532, denselben Text zugrunde gelegt: 1. Thess. 4,13—18. Die Leichenpredigten zu beiden Anlässen sind darüber hinaus darin gleich, daß Luther die zweite Predigt jedesmal allein auf die Schriftauslegung beschränkt und nur im letzten Absatz auf den konkreten Anlaß zu sprechen kommt, und zwar beide Male, 1525 4 0 wie 1532 4 1 , auf gleiche Weise. 1525 heißt es: „Weil denn unser lieber Herr und seliger Kurfürst ein besonderer Liebhaber des heiligen Worts gewesen ist und nun diese Jahre hindurch deswegen viel erlitten, auch seinen Glauben bei seinem letzten Ende mit vielen schönen Reden und Worten bewiesen, vor Christus bekannt hat, daß er für seine Sünde gestorben sei usw. und auch dieses Trostes teilhaftig geworden ist, wollen wir gar nicht zweifeln, er sei unter denen, die durch Christus entschlafen sind. Deshalb wird er auch gewiß, wenn der Herr kommen wird, mit den andern auferstehen und zugleich mit ihnen hingerückt werden in den Wolken dem Herrn entgegen und ewig bei ihm sein. Der Vater aller Gnade gebe uns durch Christus, unseren einzigen Trost, daß wir selig folgen und ihm nach in Christus entschlafen, damit wir mit Freuden vor des Menschen Sohn stehen können, Amen" 42 . So Luther 1525. Der Druck der Leidienpredigt von 1532 endet: „So sollen und wollen wir hoffen, daß der barmherzige Gott unseren lieben seligen Kurfürsten auch so weggenommen hat und mit Christus wieder hervorbringen wird, weil wir ja wissen, daß er auf den Christus getauft und das Evangelium so bekannt und in dem christlichen Bekenntnis beharrt und gestorben ist. So zweifle ich nicht, er werde, wenn die Posaune des Erzengels ergehen wird, gar fröhlich aus diesem (Grabes)loch Christus entgegenfahren und heller als die Sonne und alle Sterne leuchten, mit uns und allen Christen. Dazu helfe uns Gott der Vater und Sohn und heiliger Geist, Amen" 43 . N u n zu den Bezugnahmen jeweils der ersten Leichenpredigten auf die verstorbenen Kurfürsten. Bei Friedrich dem Weisen ist immer wieder von „unserem lieben Landesherrn und H a u p t " die Rede 4 4 . „Nicht allein einen gütigen, friedsamen Landesherrn, sondern auch einen V a t e r " 4 5 habe man an ihm verloren und zwar „eben zu dieser bösen Zeit, wo er uns am besten hätte vorstehen sollen und wir seiner in solcher schrecklichen Empörung (dem Bauernkrieg) am nötigsten bedurft hätten" 4 8 . Wenn G o t t „es nicht gnädiglich hindert und abwendet", sei zu befürchten, „es werde ein großer J a m m e r und Unglück Deutschland überkom102

men" 4T . Bisher habe Gott „das durch unseren Landesfürsten, woran ich keinen Zweifel habe, aufgehalten. Denn Gott pflegt oftmals einem ganzen Land um eines einzigen frommen Menschen willen Frieden und Heil zu geben" 48 . Das belegt Luther mit Beispielen aus dem Alten Testament 49 , wendet es aber noch einmal ausdrücklich auf Friedrich den Weisen an: „So ist es auch gut zu glauben, daß Gott diesem Land durch den frommen Herrn Frieden und alles Gute gegeben habe, und nun, weil dieser (Todes)Fall geschieht, zu besorgen ist, er werde solche Wohlfahrt mit ihm zugleich hinwegnehmen und eine starke, scharfe Rute über uns ergehen lassen" 60 . Über die persönlichen Eigenschaften des Verstorbenen wird uns wenig gesagt. Einmal 61 ist lediglich davon die Rede: nach dem Tode „sehen und erkennen wir erst, was wir an ihnen gehabt haben . . . und mit was für Tugenden und Gaben sie begabt gewesen sind, die zur Zeit ihres Lebens nicht so zu sehen sind, weil immer Gebrechen mit unterlaufen, die sie (eig. sich) verstellen und verdunkeln" M . Das ist zwar allgemein gesprochen, aber nach dem Kontext auch auf Friedrich den Weisen zu beziehen, zumal es später eindeutig heißt: „Wenn Gott unser Haupt wieder auferweckt, daß wir ihn jetzt lebendig sehen und seine Tugenden und seine Gaben, deren wir in seinem Leben nicht so genau wahrgenommen haben wie jetzt, da er dahin ist, vor Augen stellt" 5S . Über den Glaubensstand Friedrichs des Weisen findet sich ebenfalls nur eine Aussage: „Soviel es seine Person betrifft, hat der fromme Herr vor seinem letzten Ende sich so hören lassen, daß man aus seinen Worten gewiß ( = zuverlässig!) hat merken können, daß er einen feinen, festen Glauben an Christus, unsern Herrn, gehabt hat und in der rechten Erkenntnis des Evangeliums verschieden ist, um dessentwillen er zu Lebzeiten nun etliche Jahre lang viel erlitten hat. So haben wir gar keinen Zweifel, daß er gewiß bei Christus sei" 64 . Auch von Johann dem Beständigen spricht Luther als dem „lieben Haupt" 5 S , dem „lieben Herrn und Vater" 6 a . Insofern besteht noch Parallelität. Vergleicht man aber die Aussagen über die Person der Verstorbenen, wird die ungleich größere persönliche Nähe zum Kurfürsten Johann deutlich. Auch der Einwand, daß das angesichts der Tatsache nicht verwunderlich sei, daß Luther keinerlei direkten Umgang mit Friedrich dem Weisen gehabt hat, vermag diese Feststellung nicht zu entkräften. Denn Luther redet mit einer solchen Wärme über die Tugenden — und mit einem solchen Freimut über die Schwächen — des Toten, daß das nur 103

aus unmittelbarer enger persönlicher Beziehung zu erklären ist. Nehmen wir zunächst die Schwächen: Der Kurfürst sei „mehr als viel zu mild" gewesen, heißt es an einer Stelle 57 . Sonst wird Luther nicht so konkret, aber immerhin bei aller Entschuldigung deutlich genug: „Ist aber neben diesem (der Bewährung des Kurfürsten als Christ) etwas an Mangel an seiner Person gewesen, das lassen wir gehen. Denn wir wollen solche geringe Sünde bei einem so großen Menschen nicht rechnen", heißt es hier 5 8 . Und an anderer Stelle: Wir wollen Johann „nicht zu einem lebendigen Heiligen machen. Ist etwa Sünde mit untergelaufen, das gehe seinen Weg. Wir wollen ihn einen Menschen bleiben lassen" 5 9 . Diese Kritik erstreckt sich auch auf die Amtsführung: „Ob er daneben zuweilen im Regiment gefehlt hat, was soll man dazu sagen? Ein Fürst ist auch ein Mensch und hat allezeit zehn Teufel um sich her, wo sonst ein Mensch nur einen hat" 8 0 . Das klingt alles gewiß recht mild und entschuldigend. Wenn man aber bedenkt, daß diese Sätze aus der offiziellen Leichenpredigt beim Tode eines regierenden Fürsten an der Stätte der Beisetzung — und in Gegenwart aller bei einem solchen Anlaß anwesenden Prominenz — stammen, bekommen sie ein ganz anderes Gewicht. Was Luther Positives zur Person sagt, ist andererseits völlig frei von der bei solchen Anlässen üblichen Neigung zu Superlativen und gewinnt dadurch entscheidend an Gewicht: „Darum (um des Artikels von der Vergebung der Sünden willen) will ich unsern lieben Herrn nicht so ganz rein machen, obwohl er ein sehr frommer, freundlicher Mann gewesen ist, ohne jeden Falsch, in dem ich mein Lebtag noch nie irgendwelchen Stolz, Zorn noch Neid gespürt habe, der alles leicht tragen und vergeben konnte" (in diesem Zusammenhang dann die schon zitierte Fortsetzung: „und mehr als viel zu mild gewesen ist" 6 1 ). Ähnlich heißt es dann noch einmal: „Wie ich auch von unserem lieben Fürsten sagen kann, daß er ein treues, frommes Herz gehabt hat, ohne alles Gift und N e i d " 6 2 und parallel dazu schließlich, er sei ein „milder, barmherziger, gütiger Herr gewesen" * 3 . Die Aussagen über den Glaubensstand Johanns des Beständigen kreisen um zwei Komplexe: den Augsburger Reichstag von 1530 und den Heimgang. N u r einmal heißt es allgemein: er sei „der heiligen Schläfer einer geworden . . . deshalb, weil er Christi Tod bekannt und sich daran gehangen hat und dabei geblieben ist" 6 4 . Von den mehrfachen Bezugnahmen Luthers auf den Reichstag zu Augsburg und die Bewährung des Kurfürsten dort sei nur eine angeführt (die anderen 6 5 halten sich in demselben Rahmen): 104

„Denn ihr wisset alle, wie er für Christus noch vor zwei Jahren in Augsburg gestorben ist und den rediten Tod gelitten hat nicht für sidi allein, sondern für uns alle, wo er alle böse Suppe und Gift hat zu Ende essen müssen, die ihm der Teufel eingeschenkt hat. Das ist der rechte greuliche Tod, mit dem einen der Teufel aufreibt. D a hat unser lieber Kurfürst Christi Tod und Auferstehung vor der ganzen Welt öffentlich bekannt und ist dabei geblieben, hat Land und Leute, ja seinen eigenen Leib und Leben d a r a n g e s e t z t . . . Weil nun dieses Bekenntnis öffentlich am Tage ist, wollen wir ihn deswegen als einen Christen rühmen" 66 .

Die ein solches Bekenntnis abgelegt haben, „die werden dann auch ein so sanftes Sterben erlangen, daß sie der Schlaf säuberlich und leidit ank o m m t " 67 . Beim Tode Johanns ist nichts gewesen, als „nur ein rechtes Kindersterben" 6 8 . Der Kurfürst ist „nicht in die Disputation gekommen" 69 , d. h. „unser Herr Gott hat ihn so in seinen Tod gefaßt, daß er der rechten Püffe keine erlitten, noch viel mit dem Teufel disputiert hat", er ist „ohne alles Schrecken und Zittern" gestorben 7 0 . Das ist es, was Luther über Johann den Beständigen in der Leichenpredigt zu sagen hat. Daß eine solche Predigt nicht den Verstorbenen zum Gegenstand hat, sondern den auszulegenden Text, diese in der Gegenwart mühsam durchgesetzte Erkenntnis versteht sich bei Luther von allein 71 . U m so schwerer wiegt, was er trotzdem über den Verstorbenen ausführt. Es ist bei Johann dem Beständigen nicht nur sehr viel umfangreicher als bei Friedrich dem Weisen, sondern auch von einer sehr viel größeren persönlichen Nähe getragen — hätten wir bei Friedrich dem Weisen nicht den Text der Wittenberger Ausgabe von 1539 zugrunde gelegt, sondern den der Einzeldrucke der Predigt von 1525, wäre die Differenz noch deutlicher geworden, denn die Sprache der Einzeldrucke ist weit zurückhaltender. Spalatin berichtet, daß Luther während der Leichenpredigt über Johann Tränen wie ein Kind vergossen habe 7 2 . Diese ohne Zweifel zuverlässige Nachricht gibt den besten Kommentar zu unserem Bericht, sie zeigt, welches Gewicht den persönlichen Worten der Predigt zukommt, auch dann, wenn sie der ihren Gefühlen sehr viel mehr Raum gebenden Neuzeit zurückhaltend und kühl erscheinen.

WA 3 1 , 1 , 1 0 6 , nadi der Handschrift wiedergegeben an Briesmann, WA Br I I I , 911, S. 556 1. August 1525, an Wenzeslaus Link, WA Br III, 910 S. 553 4 WA B r i l l , 911 S. 556 6 vgl. o. S. 52 ff • WA 6 , 2 0 2 - 2 7 6 1

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vgl. dazu o. S. 39 WA 6,202 vgl. WA 6,196 WA 6,203 WA 11,245-280 WA 11,245 Förstemann, Neues Urkundenbudi zur Geschichte der ev. Kirchen-Reformation I, 1842, S. l f f WA Br III, 728 S. 267 am 15. Mai 1525, WA Br III, 867 S. 496 f S. 496 WA Br III, 867 S. 497 S. 497 WA Br III, 869 S. 500 WA Br III, 871 S. 502 WA Br III, 870 S. 501 f alle Zitate bis hierher S. 501 WA Br III, 880 S. 519 f WA Br III, 881 S. 521 so der Kurfürst WA Br III, 880 S. 520 WA Br III, 916 S. 567 15. September 1525, WA Br III, 921 S. 575 WA Br III, 922 S. 576 WA Br III, 927 S. 583 WA Br III, 937 S. 594-596 S. 594 f von hier ab S. 595 vgl. o. S. 43 f WA Br III, 907 S. 550 WA B r i l l , 911 S. 555 f S. 556 WA Br III, 928 S. 584, an Michael Stiefel am 29. September 1525: Principes nostri euangelium palam confitentur et sequuntur. vom 20. Juli 1525, WA Br III, 904 S. 545 f. vgl. o. S. 35 ff WA 17,1,227 WA 36,270 WA 17, 1, 227, zitiert wird nach der Wiedergabe im 1. Band der deutschen Reihe der Wittenberger Ausgabe 1539, denn dabei handelt es sich offensichtlich um die autorisierte Ausgabe „letzter Hand", nicht nach den Einzeldrucken. WA 36,270, zitiert wird nach dem Druck vgl. WA 17,1,196,199 u. ö. WA 17,1,196 WA 17,1,200 WA 17,1,200 WA 17,1,201 Naeman und Jojada, 2. Kön. 5,1; 2. Chron. 24,16 ff WA 17,1,201 vgl. jedoch auch WA 17,1,203 WA 17,1,204 WA 17,1,210 WA 17,1, 199 f, in den Einzeldrucken heißt die Stelle: „Denn an seinem Ende hat er diese Gnade gehabt, daß er in der Erkenntnis des Evangeliums dahin gegangen ist und mit solchen Worten seine Hoffnung bewiesen hat, daß wir hoffen, seine Seele sei ewiglich getröstet", ebda WA 36, 237 u. ö.

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" WA 36,242 57 WA 36, 245 8 8 WA 36,246 68 WA 36,248 f WA 36,245 8 1 WA 36,245 62 WA 36,251 « WA 36,253 64 WA 36, 252 f 65 WA 36,244,248,254 «• WA 36,246 4 7 WA 36,254 4 8 WA 36,248 •• WA 36,251 70 WA 36,247 71 vgl. dazu z. B. WA 36,237 72 vgl. WA 36, X X : Neqtte adeo sibi temperare potuit, quominus lacrymae quasi puero caderent.

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2. Der Bauernkrieg Als Friedrich der Weise am 5. Mai 1525 starb, stand der Bauernkrieg noch in seinen Anfängen: „Vom Aufruhr hat er noch nicht viel gewußt, hat aber seinem Bruder [Johann] geschrieben, er sollte ja zuvor alle Wege mit der Güte suchen, ehe ers ließe zur Schlacht kommen", berichtet Luther am 23. Mai 1 . Der Kurfürst Johann sah sich alsbald nach seinem Regierungsantritt damit jedoch in aller Härte konfrontiert; daß nur rund sechs Wochen vergehen würden, bis die Bauern in Mitteldeutschland vernichtend geschlagen waren, konnte damals niemand voraussehen. Nun kann hier der Bauernkrieg als solcher nicht behandelt werden, wenn der Rahmen dieses Budies nicht gesprengt werden soll. Wir müssen uns auf das Verhalten Luthers in ihm und seine Stellungnahmen zu ihm beschränken. Bereits diese Betrachtung wird einigen Raum einnehmen. Aber sie ist nötig, denn die allgemein verbreiteten Vorstellungen von Luthers Verhalten bedürfen dringend einer Berichtigung, mindestens einer Ergänzung. 1. Es bedeutet eine unzulässige Verschiebung des tatsächlichen Kräfteverhältnisses, wenn Luther eine derart zentrale Bedeutung für den Ablauf des Bauernkrieges zugemessen wird, wie das sehr häufig geschieht. Der deutsche Bauernaufstand stellt nur ein Glied in der Kette der sozialen Unruhen in Mitteleuropa dar. Sie setzen bereits im 14. Jahrhundert (in England) ein und dauern seitdem fort. Zum Aufstand der Bauern in Deutschland wäre es auch ohne Luther und die Reformation gekommen — und die Bauern wären auch ohne Luthers Zutun geschlagen worden. Sie sind der Ubermacht der Stände erlegen, ihre Niederlage ist durch die Uneinigkeit in den eigenen Reihen beschleunigt worden. 2. Luthers Schriften, insbesondere seine immer wieder in diesem Zusammenhang zitierte „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern", haben auf den Ausgang des Feldzuges keinen Einfluß gehabt, sie kamen infolge der Langsamkeit des damaligen Druckwesens erst dann in die Hand der Leser, als die Situation völlig verändert war, die eben genannte Schrift z. B. erst, als der Aufstand schon zusammengebrochen war. 3. Das Erscheinen dieser Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" geht auf die buchhändlerische Gewinnsucht und nicht auf Luther zurück. Luther verfaßte zunächst seine „Ermahnung zum Frieden auf die 12 Artikel der Bauern", als er hoffte, man 108

k ö n n t e durch gütliches Z u r e d e n z u einem friedlichen Ausgleich zwischen den Parteien k o m m e n . Als er sah, daß die Bauern d a z u nicht bereit w a r e n u n d die blutigen Ü b e r g r i f f e ü b e r h a n d n a h m e n , veranstaltete er eine zweite A u s g a b e der Schrift, die er durch einen Z u s a t z e r g ä n z t e : „Auch wider die räuberischen u n d mörderischen R o t t e n der anderen B a u e r n " . E r hielt also seine erste Stellungnahme voll aufrecht u n d erg ä n z t e sie nur i m Hinblick auf die „ a n d e r e n " Bauern. D i e Verleger ausw ä r t s v o n Wittenberg druckten jedoch nur den zweiten Teil der Schrift nach u n d gaben ihr den Titel, unter d e m sie bis heute zitiert u n d wiedergegeben w i r d . 4. Es widerspricht der historischen Wahrheit, wenn i m m e r wieder beh a u p t e t wird, daß L u t h e r in seinen Schriften z u m B a u e r n a u f s t a n d der seine verschiedenen E t a p p e n jeweils beherrschenden G r u p p e nach d e m M u n d e geredet habe. I m Gegenteil: L u t h e r stellt sich jeweils der Partei entgegen, die gerade die O b e r m a c h t hat. In der „ E r m a h n u n g " wendet sich L u t h e r zunächst m i t N a c h d r u c k gegen die Fürsten, deren Stellung damals noch u n g e f ä h r d e t scheint: „Erstens können wir niemand auf Erden für solch Unheil und Aufruhr danken, als euch Fürsten und Herren, besonders euch, blinden Bischöfen und tollen Pfaffen und Mönchen, die ihr, nodi heutigen Tages verstockt, nicht aufhört zu toben und zu wüten gegen das heilige Evangelium, obgleich ihr wißt, daß es redit ist und [ihr] es auch nicht widerlegen könnt. Dazu tut ihr im weltlichen Regiment nicht mehr, als daß ihr schindet und Geld eintreibt, euren üppigen und hochmütigen Lebenswandel zu führen, bis es der gemeine Mann nicht länger ertragen kann noch mag. Das Schwert ist euch auf dem Halse; dennoch meinet ihr, ihr sitzt so fest im Sattel, man werde euch nicht ausheben können. Solche Sicherheit und verstockte Vermessenheit wird euch den Hals brechen, das werdet ihr sehen. Ich habs euch zuvor vielmal verkündigt, ihr solltet euch vor dem Spruch Psalm 107, 40 hüten: ,Er schüttet Verachtung aus auf die Fürsten'. Ihr ringt danach und wollt auf den Kopf geschlagen sein, davor hilft kein Warnen noch Vermahnen" 2 . D i e Zeichen a m H i m m e l u n d die W u n d e r auf E r d e n gälten den F ü r s t e n : „nichts G u t e s bedeuten sie euch, nichts G u t e s w i r d euch auch geschehen": „Denn das sollt ihr wissen, liebe Herren: Gott schaffts so, daß man eure Wüterei nicht kann noch will noch solle auf die Dauer dulden. Ihr müßt anders werden und Gottes Wort weichen. Tut ihrs nicht auf freundliche [freiwillige Weise, so müßt ihrs tun auf gewaltige und verderbliche Unweise. Tuns diese Bauern nicht, so müssens andre tun. Und ob ihr sie alle schlügt — noch sind sie ungeschlagen —

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Gott wird andre erwecken. Denn er will euch schlagen und wird euch schlagen. Es sind nicht Bauern, liebe Herren, die sich gegen euch stellen; Gott ists selbst, der sich gegen euch stellt, eure Wüterei heimzusuchen" s .

Die Fürsten sollten Gott fürchten und seinen Zorn ansehen: „Will euch der strafen, wie ihr verdient habt, wie ich fürchte, so straft er euch, und wenn der Bauern hundertmal weniger wären. Er kann wohl Steine zu Bauern machen und umgekehrt und durch einen Bauern hundert von den Euren erwürgen, daß euch all euer Harnisch und Stärke zu wenig wird" 4 . Luther rät den Fürsten deshalb zu friedlichem Ausgleich: „Weicht ein wenig um Gottes Willen dem Zorn". Einem trunkenen Mann solle ein Fuder Heu ausweichen, sage das Sprichwort, um wieviel mehr sollten die Fürsten „das Toben und die störrige Tyrannei lassen und mit Vernunft an den Bauern handeln, wie an den Trunkenen oder Irrenden" 5 . Sie sollten nicht Streit mit den Bauern anfangen — hier sehen wir mit Deutlichkeit, daß Luthers Stellungnahme noch ganz aus den Anfängen der Auseinandersetzung stammt — denn sie könnten nicht wissen, wie er ausgehe. Auf gütliche Weise sollten sie die Auseinandersetzung zu schlichten versuchen, „auf daß nicht ein Funke angehe und ganz Deutschland anzünde, das niemand löschen könnte" 6 . Den Bauern tritt Luther sehr viel freundlicher als den Fürsten gegenüber. Es ist „leider allzu wahr und sicher, daß die Fürsten und Herren, die das Evangelium zu predigen verbieten und die Menschen so unerträglich beschweren, wert sind und wohl verdient haben, daß Gott sie vom Stuhl stürze, da sie sich gegen Gott und Menschen höchlich versündigen; sie haben auch keine Entschuldigung", erklärt er zu Beginn des „An die Bauernschaft" gerichteten Abschnitts seiner Schrift 7 . Aber nichtsdestoweniger müßten die Bauern sich vorsehen, daß sie ihr Anliegen „mit gutem Gewissen und Recht" wahrnähmen: „ H a b t ihr aber nidit das Recht noch das gute Gewissen, so müßt ihr unterliegen. Und wenn ihr schon zeitlich gewönnet und alle Fürsten erschlüget, [müßtet ihr] doch zuletzt ewiglich an Leib und Seele verloren werden" 8 .

Es komme auf Seiten der Bauern nicht darauf an, „wie mächtig ihr seid und wie großes Unrecht jene [die Fürsten] haben, sondern ein wie gutes Recht und Gewissen ihr habt" 9 . Und hier liege die entscheidende Schwäche der Bauern: „Ihr führt den Namen Gottes und nennt euch eine christliche Rotte oder Vereinigung und gebt vor, ihr wollt nach dem göttlichen Recht verfahren und handeln" 1 0 .

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In Wirklichkeit mißbrauchten sie aber den Namen Gottes, und deshalb werde ihnen zuletzt alles Unglück begegnen Daß die Obrigkeit — zugegebenermaßen — „böse und unrecht ist, entschuldigt keine Zusammenrottung noch Aufruhr" 1 2 . Niemand darf sein eigener Richter sein 1S . Das christliche Recht sieht anders aus, als es die Bauern behaupten und praktizieren: „Wie reimt sich euer Vornehmen mit diesem Recht? Ihr wollt nicht leiden, daß man euch Übel und Unrecht tue, sondern wollt frei sein und nur eitel Gut und Recht leiden. Und Christus sagt, man solle keinem Übel nodi Unrecht widerstehen, sondern immer weidien, leiden und nehmen lassen. Wollt ihr solches Recht nidit ertragen, Lieber, so tut auch den christlichen Namen von euch, und rühmt euch eines andern, der eurem Tun gemäß ist; oder Christus wird selbst seinen Namen von euch reißen, was euch zu schwer [zu ertragen] sein w i r d " 1 4 .

Dieses zentrale Thema behandelt Luther aufs ausführlichste. Es handelt sich, so erklärt er im Schlußabschnitt der Schrift, der nun „an beide, Obrigkeit und Bauernschaft" gerichtet ist, „auf beiden Seiten [um] nichts Christliches", sondern es geht „um heidnisches oder weltliches Recht und Unrecht und um zeitliches Gut". Beide Seiten handeln gegen Gott und stehen deshalb unter seinem Zorn. So geht Luthers Schlußermahnung dahin: „So laßt euch um Gottes willen sagen und raten und greift die Sache an, wie solche Sachen anzugreifen sind, das ist mit Recht und nicht mit Gewalt noch mit Streit, auf daß ihr nicht ein unendlich Blutvergießen in deutschen Landen anrichtet. Denn weil ihr zu beiden Teilen im Unrecht seid und dazu euch selbst noch rächen und schützen wollt, werdet ihr eudi auf beiden Seiten verderben und wird Gott einen Buben mit dem andern stäupen" 1 5 .

Die Fürsten haben gegen sich die Schrift wie die geschichtliche Erfahrung: Tyrannen werden gestraft und kommen im Blut um: „Weil denn sicher ist, daß ihr tyrannisch und wütiglich regiert, das Evangelium verbietet und den armen Mann so schindet und unterdrückt, habt ihr keinen Trost noch Hoffnung, als daß ihr umkommt, wie euresgleichen umgekommen sind" 1 8 .

Die Bauern haben ebenso die Schrift und die geschichtliche Erfahrung gegen sich: Aufstand hat noch nie ein gutes Ende genommen, wer das Schwert nimmt, wird nadi Matth. 26, 52 durdis Schwert umkommen 17 . Selbst wenn ihr Aufstand erfolgreich sein und die bestehende Herrsdiaftsordnung umstürzen würde (hier haben wir wieder die Anfangs111

Situation des B a u e r n k r i e g e s ) , so w e r d e er doch in Selbstzerfleischung enden. W e r in dieser A u s e i n a n d e r s e t z u n g erschlagen w i r d , ist v e r l o r e n : „Denn die Herren würden dafür streiten, daß sie ihre Tyrannei und Verfolgung des Evangeliums und unrechte Beschwerungen der Armen bestätigten und erhielten, oder wenigstens diejenigen, welche derart sind, bestätigen und schützen helfen. Das ist wahrlich greulich Unredit und gegen Gott; wer darin gefunden wird, muß ewig verloren sein. Umgekehrt würden die Bauern streiten, ihre Zusammenrottung und Mißbrauch des christlidien Namens zu verfechten, weldies auch beides aufs höchste gegen Gott ist, und wer darin und darüber stirbt, muß auch ewig verloren sein, da hilft auch nichts gegen" 1 8 . D e s h a l b r ä t L u t h e r z u friedlichen V e r h a n d l u n g e n . A b g e s a n d t e v o n beiden P a r t e i e n sollten z u s a m m e n t r e t e n , d a m i t m a n „die Sachen auf freundlidie Weise verhandeln und zur Ruhe bringen ließe: daß ihr Herren euren Hochmut fahren ließet, welchen ihr zuletzt doch lassen müßt, ihr wollet oder wollet nidit, und ein wenig von eurer Tyrannei und Unterdrükkung wichet, daß der arme Mann audi Luft und Raum gewönne zu leben. Andererseits, daß die Bauern sich audi unterweisen ließen und etlidie Artikel, die zu viele und zu hohe Ansprüche stellen, aufgäben und fahren ließen, auf daß so die Sache, wenn sie schon nicht auf diristliche Weise erledigt werden kann, doch [wenigstens] nach menschlichen Rechten und Verträgen zum Ausgleich gebracht werde" 5. N i e m a n d w i r d sagen k ö n n e n , daß L u t h e r hier die P a r t e i der H e r r schenden g e n o m m e n h ä t t e , d e n n er t r i t t d e n F ü r s t e n , die in ihrer Stell u n g noch u n e r s c h ü t t e r t sind, m i t aller Schärfe entgegen. N i e m a n d w i r d auch sagen k ö n n e n , daß L u t h e r sich g e g e n die sozialen F o r d e r u n g e n der B a u e r n g e w a n d t h ä t t e . E r v e r t r i t t sie g e g e n ü b e r den F ü r s t e n v i e l m e h r m i t allem N a c h d r u c k . D a s ist m i t eindeutigen Z i t a t e n z u b e l e g e n : „Sie [die Bauern] haben zwölf Artikel aufgestellt, unter welchen etlidie so billig und recht sind, daß sie euch [den Fürsten] vor Gott und der Welt die Ehre nehmen und den Psalm 107, 40 wahr madien, daß sie Verachtung über die Fürsten schütten. Doch sind sie fast alle auf ihren Nutzen und ihnen zu gut aufgestellt und nicht aufs beste ausgeführt. Idi hätte wohl andre Artikel gegen euch aufzustellen, die Deutschland und [weltlich] Regiment allgemein betreffen, wie ich im Buch an den deutschen Adel getan habe, woran wohl mehr gelegen w ä r e " 2 0 . F ü r die A b l e h n u n g des ersten der „ Z w ö l f A r t i k e l " 2 1 g ä b e es auch nicht einmal einen Schein des R e c h t s 2 2 . 112

„Die andern Artikel, welche leibliche Beschwerung anzeigen, wie durch den [sog.] Leibfall, Auflagen und dergleichen, sind ja auch billig und recht, da die Obrigkeit nicht deshalb eingesetzt ist, damit sie ihren Nutzen und Mutwillen an den Untertanen suche, sondern [dazu, daß sie] Nutzen und das Beste bei den [ihr] Untertänigen schaffe. Nun ists ja auf die Dauer nicht erträglich, so Geld einzutreiben und zu schinden. Was hülfs, wenn eines Bauern Acker so viel Gulden wie Halme und Körner trüge, wenn die Obrigkeit nur desto mehr nähme, und ihre Verschwendung damit immer größer machte und das Gut so verschleuderte mit Kleidern, Fressen, Saufen, Bauen und dergleichen, als wäre es Spreu? Man müßte ja der Verschwendung wehren und das Ausgeben stopfen, damit ein armer Mann auch etwas behalten könnte. Weitere Unterrichtung habt ihr aus ihren Schriften wohl vernommen, worin sie ihre Beschwerungen genügend vorbringen" 23 . D a s ist alles so eindeutig, daß man sich nur wundern kann, wie wenig dav o n in der Literatur gesprochen wird, insbesondere in der o r t h o d o x marxistischen alten Stils. Wenn Luther im zweiten Teil der Schrift an den Forderungen der Bauern Kritik, und z u m Teil nachdrücklicher A r t , übt, dann deshalb, weil sie ihre Forderungen im N a m e n des Evangeliums vortragen, obwohl es sich doch ausschließlich u m weltliche Fragen handelt und obwohl sie nicht bereit sind, sich unter die Forderungen des von ihnen in Anspruch genommenen Evangeliums zu stellen, weil sie die „Freiheit eines Christenmenschen" zur säkularen und politischen Freiheit pervertieren: „Von hier aus ist nun leicht auf alle eure Artikel geantwortet. Denn wenn sie audi gleich alle nach natürlichem Recht recht und billig wären, so habt ihr doch das christliche Recht vergessen, weil ihr sie nicht mit Geduld und Gebet gegen Gott, wie christlichen Leuten gebührt, durchgesetzt und durchgeführt, sondern euch mit eigener Ungeduld und Mutwillen vorgenommen habt, sie der Obrigkeit abzudringen und mit Gewalt zu erzwingen" 24 . Bei der Auseinandersetzung zwischen den Bauern und den Ständen handle es sich ausschließlich u m eine weltliche Auseinandersetzung, beide seien letztlich Heiden, die „ O b r i g k e i t " wie die Bauern. Das Unrecht der Herrschenden an den Untertanen könne nicht gerechtfertigt werden, andererseits sei der K a m p f dagegen nicht v o m Evangelium her zu rechtfertigen: „Nicht, daß ich damit die Obrigkeit in ihrem unerträglichen Unrecht, das ihr leidet, rechtfertigen oder verteidigen wollte — sie sind und tun greulich Unrecht, das bekenne ich — sondern das will ich: wo ihr euch zu beiden Teilen nicht unterwei113

sen lassen wollt und (da Gott vor sei!) aneinandergeratet und [kämpfend aufeinander] trefft, daß da auf keiner Seite [die Parteigänger] Christen genannt werden sollen. Sondern, wie sonst dem Lauf der Welt nach ein Volk mit dem andern streitet und, wie man sagt, daß Gott einen Buben mit dem andern straft: [zu Menschen] solcher Art und Namen will ich eudi gerechnet haben, wenns zum Streit käme, (was Gott gnädig abwende), auf daß die Obrigkeit wisse, daß sie nicht gegen Christen streite, sondern gegen Heiden; und ihr umgekehrt auch wisset, daß ihr nidit als die Christen, sondern als die Heiden gegen die Obrigkeit streitet. Denn Christen, die streiten nicht für sich selbst mit dem Schwert noch mit den Geschützen, sondern mit dem Kreuz und Leiden" 2 5 .

6. Das ist, kurz zusammengefaßt, Luthers Stellungnahme in seiner „Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben". Die Bauern hatten ihn ausdrücklich und offiziell dazu aufgefordert, zweimal weist Luther darauf hin 29 . „Nach brüderlicher Liebe Pflicht" sei Luther der an ihn gerichteten Aufforderung nachgekommen, „damit nicht auch mir durdi mein Schweigen vor Gott und der Welt zugerechnet und auferlegt werde, wenn sich etwas an Unheil und Unglück draus entspönne" 27 . öffentlich als „ain Richter" 28 angesprochen, hat Luther öffentlich Stellung bezogen, nicht von sich aus — ein Gesichtspunkt, der in der Debatte über Luthers Schriften zum Bauernkrieg viel zu wenig zur Geltung kommt. Aus dieser ersten Stellungnahme ergaben sich dann, entsprechend den Veränderungen der Situation, zwangsläufig die folgenden. Die „Ermahnung" ist in den Tagen nach dem 19. April 1525 niedergeschrieben worden, als die Auseinandersetzung noch in den ersten Anfängen stand, bzw. als Luthers Informationen darüber sich noch ausschließlich darauf bezogen. Mit großer Schnelligkeit änderte sich aber die Gesamtlage, eine Hiobsbotschaft folgte auf die andere. So sah sich Luther Anfang Mai gezwungen, seine „Ermahnung" in ergänzter Form neu zu publizieren, weil sie in ihrer ursprünglichen Form überholt schien. Er tat das durch die Hinzufügung des Abschnittes „Wider die stürmenden Bauern" 28 . Durch diesen Zusatz ergänzt erschien die „Ermahnung" in zweiter Auflage unter dem Titel: „Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben. Auch wider die räuberischen und mörderischen Rotten der anderen Bauern". Die Niederschrift des ergänzenden Abschnittes ist in den ersten Maitagen 1525 erfolgt, die ersten Drucke dürften allerfrühestens am 10. Mai vorgelegen haben. Zwischen der Veröffentlichung der „Ermahnung", die ein gewaltiges Echo fand (16 hochdeutsche und eine niederdeutsche Aus114

gäbe davon sind erhalten), und ihrer zweiten Ausgabe liegt jedoch nodi eine andere Stellungnahme Luthers, die ins allgemeine Bewußtsein kaum eingedrungen ist und auf die hier wenigstens in Kürze eingegangen werden muß. Es handelt sich um den „Vertrag zwischen dem löblichen Bund zu Schwaben und den zwei Haufen der Bauern vom Bodensee und Allgäu" 8 0 , den Luther mit einer „Vorrede" 3 1 und einer abschließenden „Vermahnung" 32 Ende April 1525 33 hat drucken lassen. Die „Ermahnung zum Frieden" war in eine Aufforderung zum friedlichen Vergleich ausgemündet: Vertreter der Stände wie der Städte sollten mit denen der Bauern zusammentreten und „die Sachen auf freundliche Weise verhandeln und zur Ruhe bringen" 34 . In Süddeutschland war nun ein solcher Vertrag zustandegekommen, Luther begrüßt ihn „als eine besondere Gnade Gottes in dieser wüsten, greulichen Zeit" und läßt ihn sogleich durch den Druck verbreiten, in der Hoffnung, „ob Gott vielleicht seine Gnade auch in unseren Landen geben wollte, daß nach diesem Beispiel dem Werk des Teufels begegnet und seinem blutgierigen Vorhaben gewehrt werden möchte und auch unsere Bauern von ihrem gefährlichen, verdammten Vornehmen abstehen und sich zu Friede und freundlichem Vertrag begeben wollten" 35 . Trotzdem ist der Ton bereits schärfer, denn die Ausgangssituation ist eine andere geworden: die Bauern haben nicht genug daran, daß sie „so treulos, meineidig, ungehorsam und freventlich gegen Gottes Ordnung toben", sondern „plündern, rauben, nehmen, wo sie können, wie die öffentlichen Straßenräuber und Mörder" 3 6 . Das Schlimmste ist, daß „sie solch wütendes Toben und so greuliche Laster unter dem christlichen Namen und dem Schein des Evangeliums treiben, womit sie Gottes Namen aufs allerhöchste schänden und lästern" 37 . Die Wortführer der Bauern klagt Luther deswegen an: „O weh und aber weh euch verdammten falschen Propheten, die ihr das arme einfältige Volk zu solchem Verderben ihrer Seelen und vielleicht auch Verlust von Leib und Gut verführt" 3 8 . Sie sind „christliche Brüder" so wie Judas, der Christus verriet, „eitel Teufel regieren da". Was die Seele angeht, sind die Bauern als Aufrührer schon von Gott verdammt, wer weiß, wie es ihnen an Leib und Gut ergehen wird. Gleich ob sie gewinnen oder verlieren, muß es zu ihren Ungunsten ausgehen, denn ihr Unrecht ist zu groß und zu hoch, so daß Gott es auf die Dauer nicht leiden wird. „Gebt euch zum Frieden und Vertrag, obs auch gleich mit leiblichem Schaden geschehen müßte, wo man nicht mehr erlangen könnte, damit 115

doch die Sünde und das Verderben der Seelen aufhöre, da gebe Gott seine Gnade zu" S 9 . Damit schließt Luthers Nachwort. 7. Schon in seiner „Ermahnung zum Frieden" hatte Luther den Bauern angekündigt: „So soll nun und muß euer Titel und Name dieser sein: daß ihr die Menschen seid, die darum streiten, daß sie nicht Unrecht noch Übel leiden wollen noch sollen, wie das die Natur ergibt. Den Namen sollt ihr führen und Christi Namen in Frieden lassen. Denn das ist auch euer Werk, und so tut ihr auch. Wollt ihr den nicht führen, sondern [den] christlichen Namen behalten: wohlan, so muß ich die Sache nicht anders verstehen, als daß sie mir gelte, und euch für Feinde rechnen und halten, die mein Evangelium unterdrücken oder verhindern wollen, mehr als Papst und Kaiser bisher getan haben, weil ihr unter des Evangeliums Namen gegen das Evangelium handelt und tut" 40 .

Die jetzt an den süddeutschen Vertrag angehängte „Vermahnung" zeigt, obwohl alle ihre Gedanken bereits in der „Ermahnung zum Frieden" zu finden sind, in der Konzentration der Kritik, wie Luthers Gegnerschaft — nicht gegenüber den Bauern als solchen, aber gegenüber ihren Wortführern — zugenommen hat. Entweder während des letzten Teiles der Reise durch Thüringen, zu deren Beginn die Niederschrift der „Ermahnung zum Frieden" erfolgte 41 , oder — wahrscheinlicher — nach seiner Rückkehr nach Wittenberg am 6. Mai 42 hat Luther dann das Nachwort dazu verfaßt, das alsbald eine aus dem äußeren und inneren Zusammenhang gelöste Sonderexistenz bekam und in dieser Gestalt bis auf den heutigen Tag Anlaß zu heftiger Kritik an Luther gegeben hat. Wir kennen nur zwei Drucke der Neuausgabe, die auf Luther zurückgehen, den hochdeutschen Wittenberger Druck (A) und die ebenfalls in Wittenberg erschienene niederdeutsche Parallelausgabe. Nur sie entsprechen seinen Intentionen und bringen das Nachwort unter der Überschrift „Wider die stürmenden Bauern" im Anschluß an einen nochmaligen Abdruck der „Ermahnung zum Frieden". Alle anderen Drucke, 19 an der Zahl (wozu dann noch sechs gegnerische Nachdrucke kommen), beschränken sich auf den Druck des Anhangs. Dabei merkt man ihnen zunächst noch an der Titelgestaltung an, daß sie nur einen Teildruck darstellen: „Wider die stürmenden Bauern" (B), „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der anderen Bauern" (C), „Wider die stürmenden Bauern. Auch wider die räuberischen und mörderischen Rotten der anderen Bauern" (D) usw., bis sich dann der Titel durchsetzt, unter dem 116

die Schrift bis heute angeführt wird: „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" (F und alle anderen 12 Drucke). Die Zitate aus dieser Schrift in der modernen Literatur beschränken sich außerdem im allgemeinen auf zwei: „Solch wunderliche Zeiten sind jetzt, daß ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen verdienen kann, besser als andere mit Beten". „Darum, liebe Herren, erlöset hier, rettet hier, helft hier, erbarmt euch der armen Mensdien: steche, schlage, [er] würge hier, wer da kann. Bleibst du drüber tot, wohl dir, seligeren Tod kannst du nimmermehr finden" 4 3 .

Damit ist die letzte Engführung erreicht. Man zieht nicht nur nicht in Betracht, daß alles, was hier gesagt ist, nur als Zusatz zur „Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben" gemeint ist, deren Positionen voll aufrechterhalten werden: nachdrücklichste Zurechtweisung der herrschenden Stände und heftige Vorwürfe gegen sie wegen ihres Verhaltens gegenüber den Bauern, Anerkennung von deren sozialen Forderungen unter weltlichem Vorzeichen (nicht als Ableitung aus dem Evangelium), Aufforderung zu friedlichem Ausgleich 44 . Sondern man bemüht sich auch nicht einmal, den Inhalt des Zusatzkapitels voll zur Kenntnis zu nehmen. Sein Kernstück lautet nämlich: „Aber die Obrigkeit, welche christlich ist und das Evangelium befolgt, weshalb die Bauern auch keinen Schein [des Rechts] gegen sie haben, soll hier mit Fürchten handeln und zum ersten die Sache Gott anheimstellen und bekennen, daß wir solches gut verdient haben. Darüber hinaus soll sie Sorge tragen, daß Gott vielleicht den Teufel zu einer allgemeinen Strafe für das deutsche Land so errege. D a nach soll sie demütig gegen den Teufel um Hilfe bitten. Denn wir fechten hier nicht allein gegen Blut und Fleisch, sondern gegen die geistlichen Bösewichte in der Luft, welche mit Gebet angegriffen werden müssen [Eph. 6, 12; 2, 2]. Wenn nun das Herz so gegen Gott gerichtet ist, daß man seinen göttlichen Willen walten läßt, ob er uns zu Fürsten und Herren haben wolle oder nidit wolle, soll man sich gegen die tollen Bauern zum Überfluß (wenn sie es auch nicht wert sind) zu Verhandlung und Vergleich erbieten. Danadi, wo das [alles] nidit helfen will, [soll man] flugs zum Schwert greifen" 4 S .

Hier wird von der Obrigkeit zunächst die Erkenntnis und Anerkenntnis gefordert, „daß wir solches gut verdient haben", in Gottes Hand allein liege die Entscheidung darüber, ob die bisherige ständische Ordnung bestehen bleiben oder durch eine andere ersetzt werden solle. Dann werden die Herren, und das zu betonen ist wichtig, noch einmal dazu auf117

gefordert, den Bauern friedliche Verhandlungen und einen Ausgleich der Streitfragen anzubieten. Erst dann, „wo das [alles] nicht helfen will, [soll man] flugs zum Schwert greifen". Gewiß räumt Luther der weltlichen Obrigkeit das Recht ein, die Bauern ohne vorherige Verhandlungen anzugreifen, aber sie muß sich darüber klar sein, daß sie damit gegen das Evangelium handelt: „der Obrigkeit, welche da, ohne vorhergehendes Erbieten zu Recht und Billigkeit [d. h. zu Vergleichsverhandlungen] soldie Bauern schlagen und strafen kann und will, will ich nidit wehren, wenn sie [damit] auch das Evangelium nicht befolgt"«.

Wenn Luther davon spricht, den Bauern seien friedliche Verhandlungen angeboten worden 47 , so denkt er wahrscheinlich zumindest auch an seine „Ermahnung zum Frieden". Auf jeden Fall hat sich die Situation, von der er bei der ersten Veröffentlichung dieser Schrift ausging, grundlegend geändert, dementsprechend hat sich auch seine Stellungnahme gewandelt: „Im vorhergehenden Büchlein wagte ich die Bauern nicht zu verurteilen, weil sie sich zu Recht und besserer Unterrichtung erboten; wie denn Christus Matth. 7, 1 gebietet, man solle nicht verurteilen. Aber ehe denn ich mich umsehe, fahren sie [darüber hinaus] fort und greifen mit der Faust drein, unter Vergessen ihres Erbietens, rauben und toben und tun wie die rasenden Hunde. Daran sieht man gut, was sie in ihrem falschen Sinn gehabt haben, und daß es lauter erlogene Dinge gewesen seien, welche sie unter dem Namen des Evangeliums in den zwölf Artikeln vorgewandt haben" 4 8 .

„Sie treiben reines Teufelswerk", erklärt Luther mit besonderer Bezugnahme auf den „Erzteufel" Thomas Müntzer, „der zu Mühlhausen regiert und nichts als Raub, Mord, Blutvergießen anrichtet" 49 . Gegen die Verführer der Bauern richtet sich seine Schrift, gegen die Bauern selbst nur insofern, als sie sich haben verführen lassen: „Nun sich denn solche Bauern und armen Leute verführen lassen, und anderes tun, als sie geredet haben, muß ich auch anders von ihnen schreiben" 50 . Dabei rechnet Luther immer noch mit der Möglichkeit der Einsicht wenigstens bei einem Teil der Bauern: „So bitte idi nun, fliehe weg von den Bauern, wer da kann, wie vom Teufel selbst. Die aber nicht fliehen, bitte ich, Gott wolle sie erleuchten und bekehren"51, 118

sagt er am Ende des Zusatzkapitels, das in allen seinen Teilen zeigt, daß der Kampf noch unentsdiieden ist. Der eben angeführte Text z. B. fährt fort: „Welche aber nicht zu bekehren sind, da gebe Gott, daß sie kein Glück noch Gelingen haben können", und kurz davor heißt es: „Und obs gleich gesdiähe, daß die Bauern siegten (da Gott vor sei!) — denn Gott sind alle Dinge möglidi, und wir wissen nicht, ob er vielleicht als Vorspiel des Jüngsten Tages, welcher nicht ferne sein will, durch den Teufel alle Ordnung und Obrigkeit zerstören und die Welt in einen wüsten Haufen werfen wolle" 52 .

Zwar hat Luther keinen Zweifel daran, daß Gott das Vorgehen der Bauern nicht dulden wird. Rom. 13, 2 („Welche der Obrigkeit widerstreben, die werden ein Urteil über sich empfangen") „wird auch die Bauern schließlich treffen, es geschehe über kurz oder lang" 5 3 — auch hier wird deutlich, daß Luther bei Abfassung des Zusatzes zur zweiten Ausgabe seiner „Ermahnung zum Frieden" noch nichts davon weiß, daß sich die Niederlage der Bauern vorbereitet. In ihrem Aufstand sieht er den Teufel am Werk. Ich, erklärt er, „meine, daß der Teufel den Jüngsten Tag [nahe] fühle, daß er [sich] solche unerhörte Dinge vornimmt, als wollte er sagen: Es ist das letzte, drum soll es das ärgste sein und will den Bodensatz [der Hölle] aufrühren und [dem Faß] den Boden ganz ausstoßen. Gott wolle ihm wehren! D a siehe, welch ein mächtiger Fürst der Teufel ist, wie er die Welt in Händen hat und ineinander mengen kann, der so bald so viele tausend Bauern fangen, verführen, verblenden, verstocken und empören und mit ihnen machen kann, was sein allerwütigster Grimm sich vornimmt" 54 .

Drei Sünden begehen die Bauern: Sie haben „ihrer Obrigkeit Treue und Gehorsam geschworen . . . , ihr untertänig und gehorsam zu sein", entsprechend dem Gebot des Neuen Testaments (Luk. 20, 25 und Rom. 13, l) 5 5 . „Weil sie aber diesen Gehorsam mutwillig und frevelhaft brechen und sich dazu gegen ihre Herren empören, haben sie damit Leib und Seele verwirkt, wie die treulosen, meineidigen, lügenhaften, ungehorsamen Buben und Bösewichte zu tun pflegen" 56 . Weiter ist ihnen vorzuwerfen, daß sie „frevelhaft Klöster und Schlösser berauben und plündern, die nicht ihnen gehören", damit sind sie demselben Urteil wie die „öffentlichen Straßenräuber und Mörder" verfallen. Viel schlimmer aber ist die Tatsache des Aufruhrs: 119

„Denn Aufruhr ist nicht ein einfacher Mord; sondern wie ein großes Feuer, das ein Land anzündet und verwüstet, so bringt Aufruhr mit sich ein Land voll Mords, Blutvergießen und macht Witwen und Waisen und zerstört alles, wie das allergrößte Unglück. Drum soll hier erschlagen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer da kann, und daran denken, daß nichts Giftigeres, Schädlicheres, Teuflischeres sein kann als ein aufrührerischer Mensch: [es ist mit ihm] so wie man einen tollen Hund totschlagen muß; schlägst du [ihn] nicht, so schlägt er dich und ein ganzes Land mit dir" 5 7 .

Die vierte Anklage, daß sie diese Sünden „mit dem Evangelium bemänteln, daß sie sich christliche Brüder nennen, Eid und Huldigung abnehmen und die Menschen zwingen, es bei solchen Greueln mit ihnen zu halten" 6 8 , ist die allerschwerste. Das Evangelium wird so in den Dienst des Teufels gestellt, „so daß ich von häßlicherer Sünde nie gehört habe". Die Bauern stehen unter der Sünde, die Obrigkeit als solche — gleich welche Mängel sie im einzelnen aufweist — vertritt eine gerechte Sache, wenn sie dem Aufruhr entgegentritt: „Die Obrigkeit hat ein gutes Gewissen und rechte Ursachen und kann zu Gott mit aller Sicherheit des Herzens so sagen: Siehe, mein Gott, du hast midi zum Fürsten oder Herren gesetzt, daran ich nicht zweifeln kann, und hast mir das Schwert über die Übeltäter befohlen, Rom. 13, 4. Es ist dein Wort und kann nicht lügen; deshalb muß ich solches Amt bei Verlust deiner Gnade ausrichten. Ebenso ist auch offenbar, daß diese Bauern vor dir und vor der Welt vielfältig den Tod verdienen und daß mir befohlen ist, sie zu strafen. Willst du mich nun durch sie töten lassen und mir die obrigkeitliche Gewalt wieder nehmen und mit untergehen lassen, wohlan, so geschehe dein Wille. Dann sterbe ich doch und gehe in deinem göttlichen Befehl und Wort unter und werde im Gehorsam deines Befehls und meines Amtes erfunden. Drum will ich strafen und schlagen, solange ich einen Arm regen kann, du wirsts gut richten und machen" 5 8 .

8. Von hier aus kommt Luther zu seiner Stellungnahme, mit der er nur konsequent die Haltung fortsetzt, die er früher schon eingenommen hatte, wie seine Schrift von 1522: „Eine treue Vermahnung an alle Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung" mit aller Deutlichkeit zeigt. Schon hier wird der Aufruhr als „ein besonders gewisses Eingeben des Teufels" bezeichnet 80 , schon hier wird festgestellt, es sei „kein Aufruhr recht, wie rechte Sache er immer haben mag" 6 1 , ja Luther erklärt programmatisch: 120

„Ich halte und wills allezeit halten mit dem Teil, der Aufruhr leidet, wie ungerechte Sache er immer habe, und entgegen sein dem Teil, der Aufruhr madit, •wie rechte Sache er immer habe: deshalb, weil Aufruhr nicht ohne unschuldiges Blut [Vergießen] oder Schaden vor sich gehen kann" 62 . Es entspricht einfach nicht den Tatsachen, wie in der Literatur immer wieder behauptet wird, daß Luther erst anläßlich des Bauernkrieges die entscheidende Schwenkung in seinem Verhalten zur bestehenden Ordnung vorgenommen habe. Besonders kraß tritt eine schiefe und die Tatsachen verzerrende Auffassung der Haltung Luthers im Bauernkrieg in dem unter dem Vorzeichen von Friedrich Engels' Schrift „Der deutsche Bauernkrieg" von 1850 stehenden Schrifttum zutage. Ursprünglich habe Luther eine durchaus revolutionäre Haltung eingenommen, heißt es bei Engels (und dementsprechend bei den ihm folgenden Autoren): „Die kräftige Bauernnatur Luthers machte sich in dieser ersten Periode seines Auftretens in der ungestümsten Weise Luft. ,Wenn ihr' (der römischen Pfaffen) gasend Wüten einen Fortgang haben sollte, so dünkt es mich, es wäre schier kein besserer Rat und Arznei, ihm zu steuern, denn daß Könige und Fürsten mit Gewalt dazutäten sich rüsteten, und diese schädlichen Leute, so alle Welt vergiften, angriffen und einmal des Spiels ein Ende machten, mit Waffen, nicht mit Worten. So wir Diebe mit Sdiwert, Mörder mit Strang, Ketzer mit Feuer strafen, warum greifen wir nicht vielmehr an diese schädlichen Lehrer des Verderbens, als Päpste, Kardinäle, Bischöfe und das [ganze] Geschwärm der römischen Sodoma mit allerlei Waffen und waschen unsere Hände in ihrem Blut'?" M Das von Engels angeführte Zitat stammt aus dem Nachwort Luthers 6 4 zu seiner Ausgabe der Epitoma responsionis ad Martinum Lutherum des Prierias, die in den letzten Junitagen 1520 im Druck erschien. Daß es sich dabei um einen Konditionalsatz handelt (Mihi vero videtur, si sie pergat furor Romanistarum, beginnt der Text), um eine rhetorische Deklamation 65 innerhalb eines überaus heftigen Zornesausbruches 66 und nicht u m eine Aufforderung zur realen Tat, versteht sich ohne weitere Erklärung. Besonders zu beachten ist der Zeitpunkt, denn Engels fährt fort: „Aber dieser erste revolutionäre Feuereifer dauerte nicht lange. Der Blitz schlug ein, den Luther geschleudert hatte. Das ganze deutsche Volk geriet in Bewegung. Auf der einen Seite sahen Bauern und Plebejer in seinen Aufrufen wider die Pfaffen, in seiner Predigt von der christlichen Freiheit das Signal zur Erhebung; auf der andern schlössen sich die gemäßigteren Bürger und ein großer Teil des nie121

deren Adels ihm an, wurden selbst Fürsten vom Strom mit fortgerissen. Die einen glaubten den Tag gekommen, wo sie mit allen ihren Unterdrückern Abrechnung halten könnten, die andern wollten nur die Madit der Pfaffen, die Abhängigkeit von Rom, die katholische Hierarchie brechen und sich aus der Konfiskation des Kirchengutes bereichern. Die Parteien sonderten sidi und fanden ihre Repräsentanten. Luther mußte zwischen ihnen wählen. Er, der Schützling des Kurfürsten von Sachsen, der angesehene Professor von Wittenberg, der über Nacht mächtig und berühmt gewordene, mit einem Zirkel von abhängigen Kreaturen und Schmeichlern umgebene große Mann, zauderte keinen Augenblick. Er ließ die populären Elemente der Bewegung fallen und schloß sich der bürgerlichen, adligen und fürstlichen Seite an. Die Aufrufe zum Vertilgungskampfe gegen Rom verstummten; Luther predigte jetzt die friedliche Entwicklung und den passiven Widerstand (vgl. z. B. ,An den Adel teutscher Nation', 1520 etc.)" (S. 53). Die Schrift „An den christlichen Adel" erschien Mitte August 1520 6 7 . Es genügt bereits, diesen Termin mit dem des als angeblichen Beleg für Luthers revolutionäre Haltung angeführten Zitats aus dem Nachwort zur Epitoma zusammenzuhalten, um festzustellen, daß die gesamte von E n gels postulierte Entwicklung Luthers v o m Revolutionär zum Prediger der „friedlichen Entwicklung und des passiven Widerstandes" reine Phantasie ist. Beide sind nämlich gleichzeitig, die Ausgabe Luthers der Epitoma stammt von Ende Juni desselben Jahres. Auch die Gründe, die Engels für die Wandlung Luthers angibt, entstammen allein seiner politischen Konstruktion: „Daß Luther, als nunmehr erklärter Repräsentant der bürgerlichen Reform, den gesetzlichen Fortschritt predigte, hatte seine guten Gründe. Die Masse der Städte war der gemäßigten Reform zugefallen; der niedere Adel schloß sich ihr mehr und mehr an, ein Teil der Fürsten fiel zu, ein anderer schwankte. Ihr Erfolg war so gut wie gesichert, wenigstens in einem großen Teil von Deutschland. Bei fortgesetzter friedlicher Entwicklung konnten die übrigen Gegenden auf die Dauer dem Andrang der gemäßigten Opposition nicht widerstehn. Jede gewaltsame Erschütterung aber mußte die gemäßigte Partei in Konflikt bringen mit der extremen, plebejischen und Bauernpartei, mußte die Fürsten, den Adel und manche Städte der Bewegung entfremden und ließ nur die Chance entweder der Überflügelung der bürgerlichen Partei durch die Bauern und Plebejer oder der Unterdrückung sämtlicher Bewegungsparteien durch die katholische Restauration" (S- 54). Nun muß man Engels zugute halten, daß er — wie er ausdrücklich erklärt — bei seinen Ausführungen nicht auf eigene Quellenstudien zurück-

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geht, sondern sich in allem Faktischen auf die „Allgemeine Geschichte des großen Bauernkrieges" von Wilhelm Zimmermann (übrigens eines Theologen) 1841/43 gründet und daß er auch nicht eigentlich zum Bauernkrieg Stellung nehmen will, sondern diesen nur als historisches Beispiel für die politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit heranzieht. Aber das spricht ihn von der Verantwortung für seine Urteile nicht frei, zumal dann, wenn sie so weitreichend sind, wie im Fall der Erklärung der Motive Luthers für dessen Verhalten im Bauernkrieg: „Als der Bauernkrieg losbrach, und zwar in Gegenden, wo Fürsten und Adel größtenteils katholisch waren, sudite Luther eine vermittelnde Stellung einzunehmen. Er griff die Regierungen entschieden an. Sie seien schuld am Aufstand durdi ihre Bedrückungen; nicht die Bauern setzten sich wider sie, sondern Gott selbst. Der Aufstand sei freilich auch ungöttlich und wider das Evangelium, hieß es auf der andern Seite. Schließlich riet er beiden Parteien, nachzugeben und sich gütlich zu vertragen. Aber der Aufstand, trotz dieser wohlmeinenden Vermittlungsvorschläge, dehnte sidi rasdi aus, ergriff sogar protestantische, von lutherischen Fürsten, Herren und Städten beherrschte Gegenden und wudis der bürgerlichen .besonnenen' Reform rasch über den Kopf. In Luthers nächster Nähe, in Thüringen, sdilug die entschiedenste Fraktion der Insurgenten unter Münzer ihr Hauptquartier auf. Noch ein paar Erfolge, und ganz Deutschland stand in Flammen, Luther war umzingelt, vielleicht als Verräter durch die Spieße gejagt, und die bürgerliche Reform weggeschwemmt von der Sturmflut der bäurisch-plebejischen Revolution. Da galt kein Besinnen mehr. Gegenüber der Revolution wurden alle alten Feindschaften vergessen; im Vergleich mit den Rotten der Bauern waren die Diener der römischen Sodoma unschuldige Lämmer, sanftmütige Kinder Gottes; und Bürger und Fürsten, Adel und Pfaffen, Luther und Papst verbanden sich ,wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern'. ,Man soll sie zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund totschlagen muß!' schrie Luther.,Darum, liebe Herren, loset hie, rettet da, steche, schlage, würge sie, wer da kann, bleibst du darüber tot, wohl dir, seligeren Tod kannst du nimmermehr überkommen'. Man solle nur keine falsche Barmherzigkeit mit den Bauern haben. Die mengen sich selber unter die Aufrührischen, die sich derer erbarmen, welcher sich Gott nicht erbarmt, sondern welche er gestraft und verderbet haben will. Nachher werden die Bauern selber Gott danken lernen, wenn sie die eine Kuh hergeben müssen, auf daß sie die andre in Frieden genießen können; und die Fürsten werden durch den Aufruhr erkennen, wes Geistes der Pöbel sei, der nur mit Gewalt zu regieren. ,Der weise Mann sagt: Cibus, onus et virga asino, in einen Bauern gehört Haberstroh, sie hören nicht das Wort und sind unsinnig, so müssen sie die virgam, die Büchse, hören, und geschieht ihnen 123

recht. Bitten sollen wir für sie, daß sie gehorchen; wo nicht, so gilt's hier nicht viel Erbarmens. Lasset nur die Büchsen unter sie sausen, sie machen's sonst tausendmal ärger'" (S. 55 f).

Der Schluß zeigt die Verdrehung des Befundes in den Quellen mit Deutlichkeit, aber das gilt auch schon für die Interpretation von Luthers „Ermahnung zum Frieden": Luther habe hier bloß deswegen eine vermittelnde Stellung eingenommen, weil der Bauernaufstand sich zunächst in katholischen Territorien abspielte. Erst in dem Augenblick, wo er auf protestantische Gebiete übergriff und Luthers Einflußbereich unmittelbar gefährdete, sei Luther mit seiner wahren Meinung, nämlich dem Aufruf zur radikalen Vernichtung der Bauern, hervorgetreten. Auf der gleichen Ebene hält sich Engels' zusammenfassende Wertung: »Luther hatte der plebejischen Bewegung ein mächtiges Werkzeug in die Hand gegeben durch die Übersetzung der Bibel. In der Bibel hatte er dem feudalisierten Christentum der Zeit das bescheidene Christentum der ersten Jahrhunderte, der zerfallenden feudalen Gesellschaft das Abbild einer Gesellschaft entgegengehalten, die nichts von der weitsdiichtigen, kunstmäßigen Feudalhierarchie wußte. Die Bauern hatten dies Werkzeug gegen Fürsten, Adel, Pfaffen, nach allen Seiten hin benutzt. Jetzt kehrte Luther es gegen sie und stellte aus der Bibel einen wahren Dithyrambus auf die von Gott eingesetzte Obrigkeit zusammen, wie ihn kein Tellerlecker der absoluten Monarchie je zustande gebracht hat. Das Fürstentum von Gottes Gnaden, der passive Gehorsam, selbst die Leibeigenschaft wurde mit der Bibel sanktioniert. Nicht nur der Bauernaufstand, auch die ganze Auflehnung Luthers selbst gegen die geistliche und weltliche Autorität war hierin verleugnet; nicht nur die populäre Bewegung, auch die bürgerliche war damit an die Fürsten verraten" (S. 56).

Wenn hier auf Engels verhältnismäßig ausführlich eingegangen wurde, so deshalb, weil er mit seiner Stellungnahme für das unter marxistischem Vorzeichen stehende Schrifttum seit mehr als 100 Jahren sozusagen kanonische Bedeutung gewonnen hat und unzählige Male, im Regelfall beinahe wörtlich oder bestenfalls mit kleinen stilistischen Abweichungen, wiederholt worden ist. Erst in der Gegenwart beginnt sich — die Initiative dabei kommt übrigens sowjetischen Historikern wie M. M. Smirin zu — diese Position langsam zu erweichen, weil man einsieht, daß die Urteilskategorien Engels' nicht ausreichen, um das Geschehen jener Zeit zu erfassen, sei es in seinem Hergang, sei es in seinen Motiven. Aber dennoch feiert Engels immer wieder fröhliche Urständ, selbst bei einem 124

so bedeutenden Denker wie Ernst Bloch. Was dieser 1 9 2 1 über „Thomas Münzer als Theologe der Revolution" veröffentlichte, hat er zunächst 1 9 6 0 als Band 77 der Bibliothek Suhrkamp 6 8 und dann 1 9 6 9 im 2. Band der Gesamtausgabe seiner W e r k e so gut wie unverändert wiederholt, völlig unberührt v o m Fortschritt der Müntzer-Forschung seit 1 9 2 1 , v ö l lig unberührt auch davon, daß in den über 1 0 0 Jahren seit Engels' Schrift die Erforschung des Bauernkrieges entscheidende Fortschritte gemacht hat. „Luthers Gestalt und Erscheinung in der Revolution" stellt sich Bloch folgendermaßen dar: „Lange hatte man auf diesen gewartet, der so kühn zuerst aufzupodien schien. Er stand von Haus aus dem kleinen Mann nahe, mit verkniffener Miene, und sah dessen Bewegung anfangs nicht ungern. In den Grenzen, die ihm sein Herr ließ, und mit deutlich fühlbarer Auslassung des eigenen Fürsten wußte er sich der kraftvollsten Worte auch gegen die Großen zu bedienen. Ja, man glaubt Münzer selber in Luthers erstem revolutionärem Donner zu vernehmen, schreit er die Fürsten nieder, ,die größten Narren und die ärgsten Buben auf Erden', wie sie Gott in verkehrten Sinn gegeben hat und will ein Ende mit ihnen machen gleichwie mit den geistlichen Junkern. ,Das sollt ihr wissen, liebe Herrn. Gott schafft's also, daß man nicht kann noch will noch soll eure Wüterei die Länge dulden. Tun's diese Bauern nicht, so müssen's andere tun; und ob ihr sie alle schlüget, sie sind ungeschlagen, Gott wird andere erwecken' " 8 9 . Erstaunlich ist, daß „Luthers erster revolutionärer Donner", auf den Bloch sich beruft, aus Luthers „Ermahnung zum Frieden" v o n 1 5 2 5 stammt. Denn Bloch ist offensichtlich der Meinung, hier aus einer f r ü h e n Epoche zu zitieren, er f ä h r t nämlich f o r t : „Noch 1524, durch den ihm konträren Nürnberger Reichstagsabschied gereizt, erging sich Luther in illoyalster Schmähung, denunzierte selbst den Kaiser ,als armen sterblichen Madensack und seines Lebens nicht einen Augenblick sicher'. Demungeaditet aber gab sich der gleiche Prophet zu Anfang des Bauernkriegs, als die Aufständischen sich an ihn wandten, zunächst neutral, scheinhaft pazifistisch, führte gewürfelte Sprache, bezog einen lau vermittelnden Standort, der beiden Teilen unrecht gab. Er meinte es damals schon nicht redlich, damals schon schob Luther das christliche,Leiden' ausschließlich den Bauern zu" 70 . Dabei ist Bloch der Meinung, daß „der erste Versöhnungsrat an die Bauern" (das ist die „Ermahnung zum Frieden"!) „keineswegs aus ur125

christlichem H e r z e n " k a m (hier schlägt das Erbe Engels' besonders deutlich durch, und zwar bis hin in den Wortlaut): „hatte er [Luther] doch früher selber allzu deutlich gegen die Papisten gefragt: .Warum greifen wir nicht mit allen Waffen diese Lehrer des Verderbens an, diese Kardinäle, diese Päpste und das ganze Geschwür des römischen Sodom, welche die Kirche Gottes ohne Unterlaß verderben, und waschen unsere Hände in ihrem Blut?'" 7 1 . V o n da aus k o m m t Bloch (unter völligem Vergessen, daß der von ihm in Anspruch genommene „erste revolutionäre D o n n e r " aus der gleichen Schrift Luthers stammt, die er jetzt als „gewürfelte Sprache", als „beginnendes Hinüberwechseln zum Fürstentum" abqualifiziert) zu der Folgerung: „Mithin bedeutet der Pazifismus Luthers in Ansehung der Bauernsadie überhaupt sdion beginnendes Hinüberwechseln zum Fürstentum, zum Friedensschluß mit dessen Institution und Qualität, zur völligen Preisgabe des armen Volks. Kaum also war der ruheliebende Kurfürst gestorben und der scharfe Herzog Johann bestieg den Thron, als Luther auch schon, einen Tag nach Friedrichs Tod, die abenteuerlichste Verleugnung seiner eigenen Rechtlichkeit begann, seines bekundeten Mitleids und Verständnisses, seines vordem so kräftig entflammenden Fürstenzorns. Freilich hat gerade auch die allzu jähe Atrozität dieser Wendung noch neue, merkwürdige, bisher wenig erforschte Gründe; denn damals zum erstenmal seit Worms, wenn dort überhaupt eine Gefahr bestand, mochte sich Luther ernstlich bedroht erscheinen, mochten die entstandenen Unruhen auf Luther als vermuteten Mittelpunkt des Verderbens gewiesen haben" 72 . G a n z in der Nachfolge Engels' erklärt Bloch: „Schwere Schatten gingen derart voraus, bereits in Luthers Leben die Ahnung, ja die Gefahr beseitigter Ideologie einbringend, und selbst Harnack fragt, die Symptome zu Luthers Lebzeiten allerdings verschweigend: ,Was wäre aus der Reformation nach Luthers Tod — wenigstens in Deutschland — geworden, wenn man zu Trident entgegengekommen wäre?' Mithin also konnte Luther am negativ wie positiv gestörten Fortgang der Reformation mancherlei befürchten, für Person, Stellung und Werk, und so fromm auch der neue Kurfürst Johann noch fühlen mochte, andere evangelische Fürsten erschienen hierin weniger ideenfest: Moritz von Sachsen, Albrecht von Brandenburg, die Glaubensstärke all dieser war kaum so wohlbewährt in allen Anfechtungen wie ihr barbarischer Zynismus, wie Albrechts Mordbrennertum, wie des sächsischen Moritz Judasruf und machiavellistischer Atheismus. Vielleicht also fühlte sich Luther bereits kurz nach Ausbruch des

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Bauernkriegs von Münzers späterem Schicksal nicht ganz unbedroht, mindestens hatte er, die Entbehrlichkeit seiner Dienste, den Ausfall ökonomisch-politischer Unterstützung der Sola-Fides-Lehre durchaus zu befürchten. Folglich spielte er das Prävenire, und aus überpointiertem Renegatentum bradi die entsetzliche Schrift,Wider die räuberischen und mörderischen Bauern' hervor:,Steche, schlage, würge, wer da kann. Bleibst du darüber tot, wohl dir, seliglidieren Tod kannst du nimmermehr überkommen. Solche wunderliche Zeiten sind jetzt, daß ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen besser verdienen kann, denn andere mit Beten*. So raste Luther, und er rühmte sich noch, alles Bauernblut auf seinem Hals zu haben, und ließ nicht nach, selbst noch die unterschiedslos entsetzliche Abschlachtung aller Wiedertäufer, auch der friedlichen, auch der lammhaften Märtyrer sanktionierend; dessen rühmte sich der gestiegene Bergmannssohn, der vergessene Christ der herbsten Seelenangst, des erschütterndsten Sündenernstes; wahrlich, das seltsame Glaubenserlebnis des Wittenberger Mönchs trug in der vollendeten Sündhaftigkeit seiner Staatsraison noch seltsamere Frucht" 7S. So meint Bloch. D a ß seine Beschäftigung m i t Luther „seltsame Frucht" getragen hat, w u r d e schon v o r h i n deutlich bei der Feststellung, daß er Luthers „ E r m a h n u n g z u m Frieden" völlig verschieden bewertet, einmal als „ersten revolutionären D o n n e r " u n d gleichzeitig als „beginnendes Hinüberwechseln z u m F ü r s t e n t u m " , so daß m a n sich fragen m u ß , ob er sie je vollständig im Zusammenhang gelesen hat. Das Harnack-Zitat h a t m i t dem Zusammenhang, in dem es gebraucht wird, ü b e r h a u p t nichts zu t u n . Ebenso großzügig geht Bloch mit den sonstigen historischen V o r aussetzungen u m : Moritz v o n Sachsen war 1525 ganze vier Jahre alt, 1541 erst k o m m t er zur Herrschaft, u n d das auch n u r deshalb, weil H e r zog Georgs Söhne dem 1539 sterbenden Vater wider E r w a r t e n im T o d e vorangegangen waren u n d deshalb Moritz' Vater Heinrich, der Bruder H e r z o g Georgs, die Regierung der gesamten albertinischen Lande übern e h m e n k o n n t e . U n d der Albrecht v o n Brandenburg, den Bloch meint (es gibt daneben noch den Kardinal u n d Erzbischof Albrecht v o n Mainz, aber der ist verständlicherweise katholisch, u n d den Hochmeister des Deutschen Ordens Albrecht, der 1525 das Ordensgebiet säkularisiert u n d in ein weltliches H e r z o g t u m u n t e r polnischer Lehnsoberhoheit u m w a n delt), nämlich Albrecht Alcibiades v o n Brandenburg, ist 1525 noch jünger als Moritz, nämlich drei Jahre alt, u n d w i r d erst 1541 Markgraf v o n Kulmbach-Bayreuth. Seine kriegerische Betätigung beginnt noch später, u n d zwar im Schmalkaldischen Krieg 1545, sein „ M o r d b r e n n e r t u m " sogar erst in der Zeit nach 1551. Die Urteile Blochs ermangeln der n o t w e n 127

digen Vertrautheit mit den historischen Voraussetzungen und den handelnden Personen, mit den falschen Voraussetzungen fallen sämtliche Schlußfolgerungen dahin. So entbehrt insbesondere Blochs abschließende Feststellung jeder Begründung in den Tatsachen: „Aber Luther selbst nodi erfuhr den Niedergang seines Werks in Fürstenhänden; und es half ihm wenig, die Bauern zuerst verführt und dann verdammt zu haben, aus dem Apostel des Anfangs zum Judas des Endes geworden zu sein" 7 4 .

9. Kehren wir von diesen Fehldeutungen zum historischen Ablauf zurück, so ist als erstes festzustellen, daß Luthers Stellungnahmen zum Bauernkrieg infolge der technisch bedingten Zeitverschiebung unter einem tragischen Vorzeichen stehen. Seine „Ermahnung zum Frieden" mag die Adressaten vielleicht noch rechtzeitig erreicht haben, für die zweite Ausgabe mit dem Zusatz „Wider die stürmenden Bauern" gilt das jedenfalls nicht. A m 15. Mai wurde die Schlacht zu Frankenhausen geschlagen, welche den Zusammenbruch des mitteldeutschen Bauernaufstandes bedeutete. Frühestens am 10. Mai hat Luthers originale Ausgabe der erweiterten „Ermahnung zum Frieden" die Druckerei verlassen, selbst sie dürfte zu spät erschienen sein, als daß sie noch irgendwelchen Einfluß auf die Kämpfe (die bereits am 14. Mai begannen) hätte haben können, um von den Nachdrucken zu schweigen, die sicher mit mehrwöchiger Verspätung verbreitet wurden. N u n ist es richtig, daß Mühlhausen erst danach zurückerobert worden ist und auch anderswo damals noch Kämpfe stattfanden (12. Mai Schlacht bei Böblingen und Sindelfingen, 20. Mai Treffen bei Scherweiler im Elsaß, 23. Mai Schlacht bei Pfeddersheim in der Pfalz, um den 15. Juli sogar noch Schlacht an der Leubas im Allgäu). Aber Mitte Mai war praktisch die Entscheidung gefallen, die Herren waren in erfolgreichem Vormarsch und die Bauern ihrer Ubermacht ausgeliefert. Das Blutbad, das die siegreichen Herren anrichteten, unter Schuldigen wie Unschuldigen 75 , wie die vielfach von ihnen — meist zu Recht — berichteten Greueltaten ließen eine Schrift, die ausdrücklich dazu aufzufordern schien, vielfachen Anstoß finden. Man las die Nachdrucke „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" als Kommentar zu den aktuellen Vorgängen und nicht unter Berücksichtigung der historischen Voraussetzungen, obwohl diese aus dem Anfang der Schrift — und auch sonst — deutlich wurden. Und selbst da, wo man das wenigstens ansatzweise tat, war das nur wenig geeignet, die Mißbil128

Iigung zu mindern. Der Brief, den der Zwickauer Bürgermeister Hermann Mühlpfort am 4. Juni 1525 (damals ist die Schrift wohl schon allgemein verbreitet) an Stephan Roth in Wittenberg schreibt, kann wohl als Ausdruck der unter dem evangelischen gebildeten Mittelstand damals verbreiteten Ansicht gelten, die entsprechendes Eciio unter der einfachen Bevölkerung fand. Da der Brief so gut wie unbekannt ist, seien einige Zitate daraus geboten: „Gott Lob, umb Zwickaw und in der Stad ist guter Frid. Gott helf mit Gnaden. Doctor Martinus ist pei dem gemeinen Volk und auch pei Gelarten und Ungelarten in großen Abfall, achten sein Schreiben vor sehr unbestendik. Bin auch deshalben am grosten geursacht, eudi zu schreiben. Dan der Pastor 7 8 und di Prediger seint seiner Puchlein, di itzunder ausgegangen, etwas mit Verwunderung entsatzt, dan öffentlich eins wider das ander ist. Erstlich hat der cristlidie Man Doctor Martinus gewis woll gesdiriben 77 und peiderseits Ferlikeit der Fürsten und der Pauren irer Selen Heil und Gefar mit Vormeldung seins Urteils gewis aus Gotts Gnaden woll angezeigt, und sein Vorschlag, wi di Ding zu mittelen sein sollt, do ich meins wenigen Vornhemens kein pessern R a t woste. Aber di großen Gewaldigen wollen dem Armut irer vorderblichen, untreglichen Beschwerden, di ich weis, und wirt Gott im Himmel erbarmen keins abgelegt, welch Beschwerung wider Gott und alle Recht sein. Dornach im andern Puchlein, do Müntzer Wriff 7 8 innen besdiriben 7 9 , derhalben das arme Volklein erbermlich vorfurt, wirt abermals schwinder di Armen, ungeacht irer Nottdorft, allein si zurschlagen, ausgerufft. Im dritten Puchlein 80 , das mich nicht theologisch dunkt, do heist er di Pauern heimlich und öffentlich morden, weil man ein ader kan regen, gibit ire Selen des in Gotts Gericht. Ist dem Taufei und der, di es tun, unserem Hergott? Des bin ich pei mir nicht eins. Meins Bedunkens, es sollt dannoch suldi schwind Schreiben ane geheie Nott sein. Es geschieht susten Mordens an Pauern, Burgern, Weib und Kindern genug, das nicht allein di armen Leut erschlagen, sunder iren unschuldigen Weibern und Kindern wirt ire H a b und Guter genomen und vorbrent. Diselbigen Ritter sollen Gotts Kinder werden, das weis Gott. Aber vill mehr ist sich zu erbarmen über di Armen, Dorftigen und Einfeldigen, das si also durch Thomas und ander verfurt, und als Thomas Müntzer Schreiben meldet, so mocht ehr woll Clugere haben vorfurt. War ist es, wi Martinus schreibet, Ufrur soll man wenden, und will der Oberkeit zu straffen anders nidit geburen, si tut es ungeheisen woll und gibit wider das erste Puchlein dem einen Teil zu vill und all zu vill, die Armen sollen erwürget werden. Das ist mir unwegreiflich. Ich weis, wi es zuget mit Steten und Dorfern, das Gott im Himel sei geclaget. Soll es nuhn alls erduldet werden und will kein Beschwerung von Armut genommen werden, noch abgeholfen. Darvon kompt diß alls. Wirt Gott woll richten. Das Mittel aber Martini sollt das peste sein, das

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die Pauern nodi etwas trugen und den grosten Teil der Adell, doch das cleinste nodiliß. An Bauern und Purgern wurd nicht Mangel sein. Es ist den Sadien, wis Gott, anders nicht zu helfen. Aber der barmherzige Gott wil also Sund mit Sund straffen, und sehe gewaldiglich, das der Adel alle ir Beschwerung uf den Leuten mit dem Schwert das arme Blut der Nottleidenden, das vor Armut sich Hungers nicht erweren, will erhalden, des si sich uf Martinus Schrift steueren, ewige Seilikait zu erlangen. Woll ist dem also, so m. gst. H . und ander Fürsten zuvor lißen ein öffentlich Edikt ausjhen, aller Nottdorfft der Pauern einsehen zu haben, und wollten darnach nicht abloßen, hette ich nicht mitleiden, der geschidit aber keins" 8 1 . Mit Nachdruck betont Mühlpfort (Korrespondenzpartner Luthers!): „Mit Doctor Martino bin ich nicht eins, wi gehurt, das der Armen N o t t vorgessen, und heist morden und des Mittels vergist und kein gütlich Handlung wirt vorgenomen. Aber Gott sei es bepholen. Mir und andern geburt zu leiden, das Creuz zu tragen, di Armen seint des nidit bericht" 8 2 . Z w a r h a t sein Brief vertraulichen C h a r a k t e r , a b e r : „Muget Doctor Martino diß mein Gemüt auch woll anzeigen. Dann ich besorg, es wirt ubel erger werden. Susten last den Wriff nicht lessen und tut den hinweck. Zu Zwickaw und uf dem Land und in Steten hats Martinus nicht gut gemacht und hat die Warheit geschriben, Ufrur zu straffen, allein ist der Armen groß vergeßen" 8 S . I m m e r v o n n e u e m k o m m t M ü h l p f o r t auf das T h e m a z u r ü c k , ein H i n weis d a r a u f , wie es ihn b e w e g t u n d wie wichtig es i h m ist: „Ir Wittenberger legt Ehr ein, über di das Geschrei alls Blutvorgissen jhet, ein Anfang sei, das whar ist, ir worft nun, war ir vor cristlidi angesehen, alls ab. Weil irs aber lob, mord und würgt, so muß das also auch gut sein. Di Sag ist unter dem Volk, Doctor Martinus hat den Churfursten vorloren, er verkauft nicht den anderen Fürsten und den vom Adel Fuxschwenze. Etzlich Stete, Herren und vom Adel, welch die deusche Messe haben halden lassen, stehen dorvon ab und nhemen wider den alden Gebrauch vor mit der lateinischen" 8 4 . D a m i t endet dieser Brief, der sicher typisch f ü r die S t i m m u n g nicht u n erheblicher Teile d e r evangelischen B e v ö l k e r u n g ist. 10. A n h a n g s w e i s e sei bemerkt, d a ß mit d e m „ a n d e r n Puchlein, d o M ü n t z e r W r i f f innen b e s c h r i b e n " 8 5 , L u t h e r s S c h r i f t : „ E i n e schreckliche Geschichte 130

und ein Gericht Gottes über Thomas Münzer" 8 6 gemeint ist, in der Luther vier Briefe Müntzers mit einigen Randbemerkungen sowie einer kurzen Vorrede und einem etwas längeren Nachwort abdruckt. Zum Satz gegeben ist das Ganze nach der Schlacht von Frankenhausen — Luther weiß, daß dabei „mehr als fünftausend auf einmal um Leib und Seele gekommen" sind 87 und daß Müntzer in Heldrungen gefangen ist 8 8 — aber noch vor Eintreffen der Nachricht, daß Müntzer gefoltert und hingerichtet wurde. Luther ist nicht klar, daß mit der Schlacht von Frankenhausen, wenigstens in Mitteldeutschland, der Aufstand praktisch beendet war, er rechnet vielmehr durchaus noch mit seiner Fortdauer 8 9 , ja sogar damit, daß sich das Blatt wenden könnte und die Bauern den Sieg zu erringen in der Lage seien 90 . Aber als die Schrift verbreitet wurde, war nicht nur Thomas Müntzer hingerichtet, sondern der Aufstand auch restlos zusammengebrochen. Wenn Luther hier zu dem Satz Müntzers in einem Brief an Herzog Ernst von Mansfeld: „Wir werden unverzüglich tun, was uns Gott befohlen hat, tu auch Du Dein Bestes, ich fahre daher" die Randbemerkung hinzufügte: „ich fahre daher auf einem Knebel in dem Turm zu Heldrungen und bin ein beschissener Prophet geworden" 9 1 , so mußte das den Lesern, die vom elenden Tode Müntzers wußten, abstoßend erscheinen. Genauso mußte Luthers Feststellung: „Obwohl mirs trefflich leid ist, daß die armen Leute so jämmerlich verführt und um Leib und Seele gekommen sind, so muß ich mich doch dessen ja freuen, daß Gott ein Urteil gefällt und die Sache gerichtet h a t " 9 2 den Eindruck des billigen Triumphs, ja des Zynismus machen. Von daher sind Mühlpforts Äußerungen über den „Wriff" zu erklären. Er — und mit ihm sicher viele andere — übersieht dabei den Schluß der Schrift: Zwar heißt es hier, ganz wie in „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern": „die Bauern sind so tief und hart verstockt und unsinnig geworden, daß sie weder hören noch sehen, und hilft kein Predigen, kein Schreiben", aber die Fortsetzung lautet jetzt ganz anders als damals: „Gott allein muß helfen, sonst wird durch unser Tun und Rat des Jammers kein Ende. Es ist nicht mehr Predigens, sondern Bittens Zeit. Der Zorn ist angegangen, mit Beten müssen wir wehren" 9 3 . Vom Schwertgebrauch ist nicht mehr die Rede, geschweige denn davon, daß jetzt „ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen verdienen kann, besser als andere mit Beten", wie damals im Anhang zur zweiten Ausgabe der „Ermahnung zum Frieden" 9 4 . Ja, Luther richtet an die Herren die Bitte „um zwei Stücke": 131

„Das erste, wo sie gewinnen und obsiegen, daß sie sich dessen ja nidit überheben, sondern Gott fürchten, vor dem sie auch sehr sträflich sind. Denn daß Gott ihnen den Sieg gibt, tut er nidit deswegen, weil sie so gerecht und fromm sind, sondern so wie Mose zu den Kindern Israel von seinen Gottlosen redet, deshalb weil Gott der Bauern Ungehorsam und Gotteslästerung samt aller ihrer Missetaten bestraft" 95. Das zweite, worum Luther die Herren bittet, ist, „daß sie den Gefangenen und denen, die sich ergeben, gnädig sein wollten, so wie Gott jedermann gnädig ist, der sich ergibt und vor ihm demütigt, damit nicht das Wetter sich wende und Gott den Bauern wiederum den Sieg gebe" 9 6 . 11. „Gott helfe uns bald zum seligen Frieden", damit schließt diese Schrift, die zu Luthers Äußerungen nach der Beendigung des Bauernkrieges überleitet. Ehe wir auf sie zu sprechen kommen, ist es sicher zweckmäßig, die Korrespondenz Luthers aus der Zeit und zum Thema des Bauernkrieges kurz Revue passieren zu lassen, weil zu erwarten ist, daß sich aus ihr Aufschlüsse zu den bisher behandelten öffentlichen Stellungnahmen Luthers wie zu denen der Folgezeit ergeben. Der erste hier in Betracht kommende Brief ist der vom 4./5. Mai an Johann Rühel 9 7 , den Rat des Grafen Albrecht von Mansfeld. Luther schreibt aus Seeburg, er befindet sich auf der Reise ins thüringische Gebiet. Ob Luther bei der Abfassung des Briefes schon davon Kunde hatte, daß Albrecht zu Osterhausen bewaffnet mit den Bauern zusammengestoßen und siegreich geblieben war, ist nidit ganz sicher. Auf jeden Fall bittet Luther den mansfeldischen Rat, „daß Ihr meinen gnädigen Herrn Graf Albrecht nicht helfet weich machen in diesen Sachen, sondern es gehen lasset, wie Seine Gnaden angefangen hat" 9 8 . Zwar werde der Teufel „darüber zorniger und wütiger durch seine besessenen Glieder". Aber der Graf sei von Gott verordnete und befohlene Obrigkeit und habe das Schwertamt der Obrigkeit wahrzunehmen „zur Strafe der Bösen, solange sich eine Ader im Leibe reget". Wenn dem Grafen das Schwert „mit Gewalt aus der Hand geschlagen" werde, ändere sich die Situation: „so soll man's leiden und Gott heimgeben, der es zuvor gegeben hat und wieder nehmen kann, wann und womit er will". Bis in den Tod und „um Gottes Worts willen" gelte das, erklärt Luther. „Denn obgleich der Bauern noch mehr tausend wären, so sind es dennoch allzumal Räuber und Mörder, die das Schwert aus eigener Vermessenheit und Frevel nehmen und Fürsten und Herren und alles vertreiben 132

wollen, neu Ordnung madien in der Welt, wozu sie von Gott weder Gebot, Macht, Redit noch Befehl haben, wie die Herren es jetzt haben. Dazu sind sie treulos und meineidig an ihren Herren". Darüber hinaus „führen sie zu Schanden und Unehren, zu ihren solchen großen Sünden, den Namen göttlichen Worts und des Evangeliums". Wenn Gott es verhängt haben sollte, daß die Bauern siegreich blieben, so habe er es in seinem Zorn getan. Dann müsse man es erdulden, noch hoffe Luther aber, „es soll keinen Fortgang [„Fürgang"] oder wenigstens doch keinen Bestand haben", obwohl Gott die Welt zuweilen „durch die allerverzweifeltesten Leute", wie die Türken, p l a g t " . Die Weimarer Ausgabe meint, diese Ausführungen des Briefes seien Luthers „Wider die stürmenden Bauern" (d. h. der späteren Separatausgabe „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern") so parallel, daß aus ihnen auf deren Abfassungsdatum geschlossen werden könnte (vgl. Anm. 42). Das geht wahrscheinlich zu weit, der Brief scheint die Vbrsituation der Schrift zu spiegeln, zumal er Gedanken enthält, die dort nicht wiederkehren, ein Hinweis darauf, daß zwischen Brief und Niederschrift ein zeitlicher Abstand besteht. Zum Beispiel fehlen die eben berichteten Gedanken, ebenso auch der in der Fortsetzung des Briefes zweimal begegnende, daß es „des Teufels Spott" sei, wenn die Bauern behaupteten, sie wollten niemand Schaden tun. Luther verwendet in diesem Zusammenhang die volkstümliche Geschichte vom Straßenräuber, der zum Fuhrmann sagt, den er überfällt: „Ich will dir nichts tun, gib mir aber, was du hast, und fahre, wie ich will, wo nicht, so sollst du sterben, so täte der Teufel auch wohl, wenn man ihn machen ließe, wie er wollte". Es fehlt auch völlig die persönliche Komponente, die der Brief an mehreren Stellen zeigt. „Der Teufel will mich schlechterdings tot haben", erklärt Luther. Weder mit List noch mit Macht habe er bisher etwas vermocht „und denkt, er wolle mein los werden, und sollte er sein Höchstes versuchen und die ganze Welt ineinandermengen, so daß ich schier glaube und mich fast dünkt, ich sei des Teufels Ursache, daß er solches [den Bauernkrieg] zurichtet in der Welt". „Wohlan, komme ich heim, so will ich mich mit Gottes Hilfe zum Tode schicken und meiner neuen Herrn, der Räuber und Mörder, warten" 10°, aber dem Teufel zum Trotz wolle er, „ehe ich denn sterbe, wo ich höre, daß sie fortfahren", noch „meine Käte zur Ehe nehmen" 1 0 1 . Zwei Gedanken beherrschen diesen Brief vom 4./5. Mai 1525: „Ehe idi billigen und für recht erklären wollte, was sie [die Bauern] tun, wollte ich 133

eher hundert Hälse verlieren [ = mich hundertmal köpfen lassen], daß mir Gott helfe mit Gnaden" 102 und: „Es kann doch ihr [der Bauern] Tun und Sieg nicht bleiben noch lange bestehen" 103 . Der nächste Brief, über den hier zu berichten ist, ist am 21. Mai 1525 geschrieben 104. Diesmal schreibt Johann Rühel an Luther. Er übermittelt ihm Nachrichten über Thomas Müntzer, aber auch über den Fortgang der Ereignisse nach der Schlacht von Frankenhausen: fünf Prädikanten, die auf der Seite der Bauern standen, habe man in Heldrungen mit dem Schwert hingerichtet. Nachdem die meisten Bürger von Frankenhausen in und nach der Schlacht umgekommen seien, habe man „die, so viele deren übrig gewesen [sie waren gefangen gesetzt worden], den Frauen der Stadt auf ihre Bitte wiedergegeben". Zur Vorbedingung dafür habe man jedoch gemacht, daß sie zwei gefangengesetzte Prädikanten erschlügen: „auf die zwei Pfaffen haben die Weiber alle insgemein mit Knütteln auf dem Markt eingeschlagen und, wie man sagt, eine halbe Stunde länger, als sie gelebt haben". „Es ist ein sehr erbärmliches Handeln", fährt Rühel fort, „wer sich solches Tuns nicht erbarmt, ist wahrlich kein Mensch". Es sehe ganz so aus, als ob Luthers Vorhersage sich erfüllen würde, daß die Herren ihren Nachkommen ein wüstes Land hinterlassen würden. Damals ist der Krieg noch nicht zu Ende: „Die Herren ziehen nach Mühlhausen mit großem Zeuge zu Roß und Fuß, haben zu Frankenhausen, wie man sagt, über 300 000 Gulden geraubt. Hier wird nichts gesucht als Raub und Mord" 105 . Audi in Süddeutschland, vor Würzburg und im Bambergischen, seien die Kämpfe noch im Gang. Soweit Rühels Brief an Luther vom 21. Mai 1525. Wie weit das von ihm Mitgeteilte den Tatsachen entspricht, ist die Frage 106 , anscheinend berichtet er nach dem Hörensagen. Aber Luther, der ihm am 23. Mai antwortet 107 , muß die Nachrichten des Briefes als Fakten genommen haben. Er gibt zu: „Daß man mit den armen Leuten so greulich verfährt, ist ja erbärmlich" 108 . Jedoch er fährt sogleich fort: „Aber was soll man tun? Es ist nötig, und Gott wills auch haben, daß eine Furcht und Scheu in die Menschen gebracht werde. Wo nicht, so täte der Satan viel Ärgeres, ein Unglück ist besser als das andere. Es ist Gottes Urteil: ,Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen' (Matth. 26, 52). Das ist tröstlich, daß der Geist an den Tag gekommen ist, damit die Bauern hinfort wissen, wie unrecht sie haben und vielleicht ihre Rotterei unterlassen oder weniger werden lassen" 109 . Das klingt sehr hart und wird durch den daran an134

geschlossenen Satz nur wenig gemildert: „Laßts Euch nicht so hart bekümmern, denn es wird vielen Seelen zugutekommen, die dadurch abgeschreckt und erhalten werden" u o . In seinem Antwortbrief vom 26. Mai 1 1 1 kommt Rühel auf Luthers zweite Ausgabe der „Ermahnung zum Frieden" zu sprechen, die inzwischen in seine Hände gelangt ist 112 , und zwar mit erheblicher freimütiger Kritik: „Es sei, wie es wolle, so ist es doch vielen, die Euch günstig sind, seltsam, daß von Euch den Tyrannen das Erwürgen ohne Barmherzigkeit, und daß sie darüber Märtyrer werden können, zugelassen wird. In Leipzig wird öffentlich gesagt, weil der Kurfürst [Friedrich der Weise] gestorben ist, fürchtet Ihr um Eure Haut und heuchelt [ = schmeichelt] Herzog Georg damit, daß Ihr sein Vornehmen billigt, Ihr fürchtet um Eure H a u t " u s . Er fügt abmildernd hinzu: „Ich will aber solches nicht richten, sondern Eurem Geist befohlen sein lassen", mahnt aber gleichzeitig: Es „will nötig sein, das mit der Zeit gut auszuführen und [daß es] von Euch entschuldigt werde, denn die Unschuldigen sollen doch unverdammt bleiben". Diese Ermahnung unterstreicht er: „Ich meine es gut" 1 1 4 . Luthers Antwort darauf vom 30. Mai 1 1 5 gibt sich jedoch völlig unbeeindruckt und ist in der alten Schärfe gehalten 116 : Zunächst dankt er für die neuen Nachrichten 117 und erklärt auch — ähnlich verständnisvoll wie am 23. Mai 1 1 8 : „Gott gebe des Jammers ein Ende mit Gnaden, wie wir bitten und hoffen sollen". Aber dann fährt Luther fort: „ D a ß die Leute mich einen Heuchler schelten, ist gut, und ich höre es gern. Lasset es Euch auch nidit wundern, der Ihr nun etliche J a h r e lang wohl mehr gehört habt, wie man mich zerscholten und mir nachgeredet hat in vielen Stücken, die alle mit der Zeit von selbst zunichte und zuschanden geworden sind. Ich müßte viel Leders haben, sollte ich einem jeglichen sein Maul zuknäufeln. Es ist genug, daß mein Gewissen vor Gott sicher ist. D e r wirds recht richten, was ich rede und schreibe. Es soll und wird so gehen, wie ich geschrieben habe, da hilft nichts dagegen" 1 1 9 .

Wenn man den Bauern Barmherzigkeit wünsche, so sei das recht, aber Gott werde die Unschuldigen unter ihnen schon erretten und bewahren. Tue er das nicht, „so sind sie gewiß nicht unschuldig": mindestens aus Verzagtheit und Furcht hätten sie geschwiegen und eingewilligt, und das sei „unrecht und vor Gott sträflich". Gerade deswegen schreibe er, Luther, ja auch „desto härter gegen die Bauern, weil sie solche Furchtsamen 135

zu ihrem Vorhaben und [damit zu] Gottes Strafe zwingen und nötigen und damit nidit aufhören": „Der weise Mann [Jes. Sir. 33, 25] sagt: ,Cibus, onus et virga asino, in einen Bauern gehöret Haberstroh'. Sie hören nicht das Wort und sind unsinnig: so müssen sie den Stock, d. h. die Geschütze, hören, und geschieht ihnen recht. Bitten sollen wir für sie, daß sie gehorchen [d. h. sich unterwerfen] 120 ; wo nicht, so gilts hier nicht viel Erbarmens; lasse nur die Geschütze unter sie sausen, sie machens sonst tausendmal ärger" m . Besonders hart klingt der Schluß des Briefes: Wer Müntzer gesehen habe, „der mag sagen, er habe den Teufel leibhaftig in seinem höchsten Grimm gesehen: Oh H e r r Gott, wo solcher Geist in den Bauern auch ist, wie hohe Zeit ist es, daß sie erwürgt werden wie die tollen Hunde!" 1 2 2 . Ganz ähnlich, ja beinahe noch härter und kälter ist der Brief an Amsdorf vom 30. Mai 1525 gehalten 123 : „Du meldest mir eine neue Ehre, lieber Amsdorf, daß ich ein Fürstenschmeichler genannt werde. Solche Ehrentitel hat mir in diesen Jahren der Satan in großer Anzahl zuwegegebracht. Ich aber habe nicht so sehr Mitleid mit unseren Neunmalklugen, die mich richten und damit zugleich ihren blutgierigen und aufrührerischen Geist verraten. Deshalb freue ich mich, daß der Satan so entrüstet ist und lästert, sooft er von mir angerührt wird. Denn was sind jene Stimmen anders als des Satans Stimmen, mit denen er mich und das Evangelium zu überführen bemüht ist? Aber der ihn bisher so oft unter meine Füße getreten und den Löwen und den Drachen zermalmt hat, der wird auch den Basilisken midi nicht zertreten lassen [Ps. 91, 13]; laß sie daher bellen. Unser Gewissen ist sicher, daß das recht ist vor Gott, was in dieser Sache aus meinem Munde gegangen ist. Daher möge es gekreuzigt werden und denen mißfallen, die sidi über unsere Bemühungen und den Namen des Evangeliums erhoben haben, so daß sie uns schänden und uns den Dank abstatten, wie es dieses ehebrecherische Geschlecht zu tun pflegt. Aber sie haben sich erhoben, damit sie hinuntergestoßen werden und ihr Ende die Schande sei. Es wird vielleicht eine Zeit kommen, daß auch ich sagen darf [Matth. 26, 31]: ,In dieser Nacht werdet ihr euch alle an mir ärgern'. Wie schnell haben wir vergessen, was wir Gutes empfangen haben! und wie hoffärtig und bereit sind wir, auch die zu richten, von denen wir gelernt haben! Aber Christus, der sein Werk ohne unseren Rat angefangen hat, der wird es auch gegen unseren Rat vollenden. Ermahne Du daher die Brüder, da sie ja so oft im Evangelium gehört haben, daß wir nichts sind, und daß der fleischliche Sinn getötet werden muß, daß sie sich ja nicht überstürzen in ihrer Weisheit und den fleischlichen Sinn wecken. Gott ist es, der da wirkt über und entgegen, unter und außer dem, was wir fassen kön-

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E i n e S t e i g e r u n g scheint b e i n a h e nicht möglich, d e r Brief findet sie d e n noch: „Ich bin der Meinung: es ist besser, daß alle Bauern erschlagen werden als die Fürsten und Obrigkeiten, und zwar deshalb, weil die Bauern ohne Gewalt von Gott das Schwert nehmen. Auf diese Bosheit des Satans kann nichts anderes als lauter satanische Verwüstung des Reiches Gottes und der Welt folgen. Wenn auch die Fürsten sündigen, so führen sie dennoch aus Gottes Gewalt das Schwert. D a bei kann beiderlei Reich bestehen. Deshalb gebührt den Bauern keine Barmherzigkeit, keine Geduld, sondern der Zorn und der Unwille Gottes und der Menschen, nämlich denen, die auf Ermahnungen nicht Ruhe geben, welche auch die angemessensten ihnen angebotenen Bedingungen nicht annehmen, sondern allein durch das Wüten des Satans fortfahren, alles in Verwirrung zu bringen wie diese Thüringer und Franken. Diese nun rechtfertigen, sich dieser erbarmen, diesen Gunst erweisen, das heißt Gott verleugnen, lästern und vom Himmel stoßen wollen. Das sage diesen Euren Predigern: daß sie es wagen und versuchen sollen [das zu tun] — aber ohne meine Zustimmung, ich verfluche vielmehr ihr Vorhaben im Namen des Herrn. Danach wird der Herr richten, welcher Geist von beiden aus dem Teufel ist, der meine oder der ihre. Aber es tut mir leid, daß diesen gotteslästerlichen Menschen das Amt und die Kenntnis des Worts auch durdi uns zuteil geworden ist. Gott bekehre und unterweise sie oder stoße sie wiederum vom Stuhl, A m e n " 1 2 S . Bei diesen erschreckend k l i n g e n d e n Ä u ß e r u n g e n m u ß m a n allerdings berücksichtigen, d a ß L u t h e r die v o n den B a u e r n d r o h e n d e G e f a h r i m m e r noch a n d a u e r n sieht, wie seine B r i e f e an A m s d o r f v o m 12. J u n i 1 2 8 u n d 2 1 . J u n i 1 2 7 zeigen. D e n n noch stehen die B a u e r n m i t s t a r k e n K o n t i n g e n ten i m Felde. I m J u n i erst b e g i n n t L u t h e r m i t d e m faktischen E i n t r e t e n des v o n i h m bisher V o r h e r g e s a g t e n u n d Postulierten zu rechnen, n ä m lich „ d a ß der Z o r n G o t t e s ü b e r die V e r s t o c k t e n u n d V e r b l e n d e t e n eine schwere N i e d e r l a g e b r i n g e n w i r d " 1 2 8 . L u t h e r sieht n u n auch die ersten sich d a r a u s e r g e b e n d e n K o n s e q u e n z e n : „ Ü b e r a l l b e g i n n t sich ein ü b e r a u s jämmerliches M o r d e n z u z e i g e n " 1 2 9 . T r o t z d e m reagiert er in seinem Brief an R ü h e l v o m 15. J u n i 1 8 0 auf das negative E c h o seiner zweiten B a u e r n kriegsschrift, das anscheinend inzwischen in v e r s t ä r k t e m M a ß e z u i h m g e d r u n g e n ist, noch völlig a b l e h n e n d : „Welch ein Zetergeschrei, liebe Herren, habe ich mit dem Büchlein wider die Bauern angerichtet! D a ist alles vergessen, was Gott der Welt durch mich getan hat. Nun sind Herren, Pfaffen, Bauern, alles wider mich und drohen mir den Tod. 137

Wohlan, weil sie denn toll und töridit sind, will ich midi auch schicken, daß ich vor meinem E n d e in dem von G o t t erschaffenen Stande gefunden und nichts v o n meinem früheren papistischen Leben an mir behalten werde, so viel ich kann, und sie noch toller und törichter machen, und das alles zum Schluß und Abschied. Denn es ahnt mir selbst, G o t t werde mir [ b a l d ] einmal zu seiner G n a d e verhelfen" i « .

Mit dem zweiten Absatz spielt Luther auf seine bevorstehende Eheschließung an, interessant ist hier der Einblick in die Motive dafür 1 3 2 . Dieselbe Grundhaltung zeigt sich auch noch im Brief an Link v o m 20. Juni 1 3 3 , aber immerhin beginnt Luther jetzt wenigstens schon zu argumentieren: „Ich weiß wohl, mein lieber Wenzeslaus, daß mein Büchlein die Bauern und die es mit ihnen halten, außerordentlich kränkt. Darüber freue ich midi v o n H e r zen, und wenn es sie nicht kränkte, würde es mich kränken. Denn eben die, welche dieses Büchlein verdammen, verraten jetzt, was sie bisher am Evangelium gesucht haben. Doch wundert midi, w a r u m all diese Klüglinge sich nicht das ganze Büchlein vor Augen geführt haben. Denn es erklärt dodi selbst genügend, von welchen Bauern und von welchen Obrigkeiten es redet. Aber die es nicht verstehen wollen, die mögen immerhin unverständig bleiben, und wers nicht wissen will, der m a g unwissend bleiben. Es ist genug, daß mein Gewissen Christus gef ä l l t " 134.

Einige Wochen nadi diesem Brief erscheint dann Luthers „Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern", in dem er sich mit den Vorwürfen öffentlich auseinandersetzt. N u r zweimal finden sich in den Briefen Luthers aus dieser Zeit noch Bezugnahmen auf den Bauernkrieg: am 21. Juli richtet er an Albrecht von Mainz ein Gnadengesuch wegen eines Inhaftierten 1 3 5 , am 28. September 1525 berichtet er Spalatin, daß „bei Basel die Bauern wieder zu den Waffen gegriffen haben sollen, weil die Härte der Fürsten unerträglich sei" 1 3 6 . 12. Damit sind wir beim letzten Teil unserer Betrachtungen angelangt, in dem über die Stellungnahme Luthers zur Reaktion der Öffentlichkeit auf seine Äußerungen zum Bauernkrieg zu berichten ist. Dabei reicht es nicht aus, wie das für gewöhnlich geschieht, diesen Bericht auf Luthers „Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern" 1 3 7 zu beschränken, sondern zu ihm muß der über Luthers gleichzeitige Vorrede zu Karlstadts „Entschuldigung des falschen Namens des Aufruhrs" 1 3 8 hinzugenommen werden. Beide sind wohl in der ersten Julihälfte niedergeschrieben worden. Ihnen voran geht noch die „Verantwortung D. Martin 138

Luthers auf das Büchlein wider die räuberischen und mörderischen Bauern, getan am Pfingsttage im Jahre 1525" 139 , d. h. am 4. Juni 1525. Erst wenn man diese drei Stellungnahmen zusammennimmt und als Kontrollinstanz außerdem den Brief Luthers an Albrecht von Mainz vom 21. Juli, bekommt man ein einigermaßen vollständiges Bild. Die „Verantwortung" geht auf eine Niederschrift Stephan Roths zurück und befindet sidti in Reinschrift im Stadtarchiv Zwickau. Der Aufbewahrungsort gibt den entscheidenden Hinweis auf die Entstehungsgeschichte. Am 4. Juni hatte der Zwickauer Bürgermeister Mühlpfort an Roth seinen Brief mit der bitteren Klage über Luthers Haltung geschrieben (vgl. dazu o. S. 129f). Er dürfte wenige Tage später bei Roth eingetroffen sein, woraufhin dieser Luthers Äußerungen zum Gegenstand in der Pfingstpredigt vom 4. Juni aus einer ihm in Stichworten vorliegenden oder von ihm beschafften Nachschrift zu einem fortlaufenden Text zusammenfaßte und diesen Mühlpfort zusandte. Das kann, wie die letzte Zeile des Textes zeigt 140 , aber erst im Juli geschehen sein141. Auf wen die Nachschrift zurückgeht, die Roth benutzte, ist nicht feststellbar, nur soviel ist sicher, daß es nicht die Rörers gewesen sein kann, in welcher das Thema in wenigen Zeilen behandelt wird 142 . Wieviel an der „Verantwortung" auf Luther zurückgeht und welcher Anteil Roth zukommt, ist also nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Als Kontrolltexte stehen uns die Briefe an Rühel vom 30. Mai, an Amsdorf vom 30. Mai und 12. Juni, an Rühel vom 15. Juni und an Link vom 20. Juni zur Verfügung, über die (vgl. o. S. 135 ff) bereits berichtet worden ist. „ E s sind etliche unnütze Schwätzer [eig.: Kleff er], die legen mir mein Schreiben, gegen die Bauern gerichtet, sehr übel aus deshalb, weil ich [darin] rate und auffordere, m a n solle sie ohne Scheu erschlagen und morden, wie m a n kann und mag, wenn man sie nur umbringe. Audi haben viele fromme H e r z e n daneben einen Zweifel deswegen, dieweil idi vorher stets Barmherzigkeit und Liebe, beiden, Freunden und Feinden, zu erzeigen aus der Schrift gelehrt habe und nun Totschlagen und Morden billige und b e f e h l e " 1 4 S ,

so setzt die „Verantwortung" ein, um dann auf der Linie der beiden Bauernkriegsschriften den Unterschied zwischen einem Mörder und einem Aufrührerischen darzulegen: „Weil nun im Aufruhr das Haupt und die Obrigkeit angegriffen wird, so sind die Untertanen verpflichtet, ihren Herren beizustehen; denn ein jeglicher Knecht ist schuldig, seinen Herrn zu schützen, wenn er in Gefahr steht" 144 . Wer einen Aufrührer 139

sieht, „soll ein Schwert n e h m e n u n d u m E r h a l t u n g seiner O b r i g k e i t willen denselben totschlagen; d e n n d a r i n t u t er recht u n d dasjenige, w a s i h m z u s t e h t , u n d k u r z u m : [es m u ß ] der erste beste u n d freie H a l s u n d L e i b d r a n g e s e t z t [werden], d a m i t ein solch F e u e r ausgelöscht w e r d e " 1 4 5 . D a s sei v o n C h r i s t u s ausdrücklich in J o h . 18, 36 gebilligt u n d b e s t ä t i g t . D i e gleiche S t r a f e wie f ü r den A u f r ü h r e r selbst gelte f ü r den, der sich i h m anschließt, j a selbst den, der „solch ein V o r n e h m e n l o b t u n d b i l l i g t " 1 4 6 : „Daß man aber sagt, ich heudiele den Fürsten und Herren; ja sage immerhin: Was frage idi danach? Mir als einem Prediger gebührt nicht, mit dem Schwert zu fechten und das Unrecht zu strafen, sondern das Wort zu treiben und zu führen, welches mein Schwert ist. Was ich denn bisher getan, habe sie allenthalben vermahnt, ihren Untertanen Billigkeit zu erzeigen. Tun sie es aber nicht und handeln mit ihnen unbillig und unrecht, gedenke daran, daß sie ihren Herrn und Richter haben werden. Diese Barmherzigkeit ist man ihnen schuldig, wie ich denn auch getan habe und noch stets tue, daß man sie zuerst ermahne und freundlich unterweise, sie möchten von ihrem bösen Vornehmen abstehen, sie auch bedrohe und ihnen [die Gefahr für] ihre Seligkeit eröffne und endlich Gott fleißig für sie bitte, wie wir getan haben" 1 4 7 . W e r n u n „diese B a r m h e r z i g k e i t nicht e r k e n n e n u n d a n n e h m e n , s o n d e r n auf seinem unsinnigen u n d tollen K o p f b e s t e h e n " will, der m ü s s e in d e r U n b a r m h e r z i g k e i t bleiben, d e n n m a n k ö n n e die Welt durch sein T o b e n u n d W ü t e n nicht v e r h e e r e n lassen: „Dünkt dichs nun zu viel und zu hart zu sein, so halt dein Maul stille. Ich muß hier die Gewissen aufrichten und diejenigen, welche für die Obrigkeit fechten und sie in Schutz nehmen, rechtfertigen, daß sie dazu ein gut Fug und Recht haben. Denn solche aufrührerischen Buben sind vor Gott und der Welt verdammt, auch in des Kaisers Acht" 1 4 8 . N a c h wie v o r gilt denen, die nicht d a z u b e r u f e n sind, M a t t h . 2 6 , 5 2 : „ W e r das Schwert n i m m t , w i r d durchs Schwert u m k o m m e n " : „Dies sei denjenigen zu einem Unterricht und Bescheid gesagt, welche eines guten Herzens sind. Nach den Klüglingen frage ich nicht viel, die mich erst lehren wollen, wie ich schreiben soll. Ich will wohl vor ihnen [bestehen] bleiben, ob ich auch nicht mit dem Schwert gegen sie streite" 1 4 9 . L u t h e r wisse „eine a n d e r e K u n s t gegen sie z u ü b e n , die d a s t ä r k e r , k r ä f tiger u n d sicherer i s t " , nämlich das G e b e t , das u n t e r M o s e u n d A a r o n 140

dazu führte, daß sich das Erdreich öffnete und ihre Feinde verschlang150, so schließt die „Verantwortung". Alles in allem wird man sagen können, daß die hier vertretene Position, weithin sogar der Wortlaut, einen authentischen Eindruck machen. Zwar ist der Brief an Amsdorf vom 30. Mai sehr viel härter, aber bestimmte Gedanken, ja selbst Formulierungen aus dem Brief an Rühel vom selben Tage und an Link vom 20. Juni kehren hier wieder. Am 12. Juni redet Luther ja sogar von dem „jämmerlichen Morden", das jetzt um sich greife. 13. Der „Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern", um auf ihn überzugehen, ist dem Mansfelder Kanzler Kaspar Müller zugeeignet und nimmt auf eine „Zuschrift" von diesem Bezug. Sie ist nicht erhalten, so daß wir über den Zeitpunkt und die näheren Umstände der Entstehung der Schrift nichts sagen können. Inhaltlich wird der Brief Müllers auf der Linie des Briefes Rühels vom 23. Mai gelegen haben 151 ; die Vermutung der WA 152 trifft wahrscheinlich zu, daß anläßlich der Hochzeitsfeier Luthers am 27. Juni Gespräche mit den Besuchern aus Mansfeld stattgefunden haben, in welchen der Entschluß zur Abfassung des „Sendbriefs" gefaßt wurde. „Des Klagens und Fragens über mein Büchlein" sei so viel geworden, „als sollte es unchristlich und zu hart sein", damit beginnt Luther. Er veröffentliche eine Antwort darauf, obwohl er sich eigentlich vorgenommen hatte: „meine Ohren zu verstopfen und die blinden, undankbaren Herzen, die nur U r sache suchen, sich an mir zu ärgern, in solchem Ärgernis stecken zu lassen, daß sie drinnen verfaulen müßten; sintemal sie sich aus meinen andern Büchlein nicht so viel gebessert haben, daß sie auch ein solch leichtverständliches, einfaches, auf irdische Dinge bezügliches Urteil f ü r richtig erkennen möchten oder w o l l t e n " 1 5 S .

Dabei habe er an Schriftworte wie Joh. 3,12 und Matth. 15,12 gedacht. Hier weise Jesus den Einwand ab, die Pharisäer könnten an seinen Worten Ärgernis nehmen: „Lasset sie, sie sind blinde Blindenleiter". Diesem, man kann wohl sagen aggressiven, Einsatz entspricht der Fortgang der Schrift: „Sie rufen und rühmen: D a , da sieht man des Luthers Geist, daß er Blutvergießen ohne alle Barmherzigkeit lehrt, der Teufel muß aus ihm reden! Wohlan, wenn ichs nicht gewohnt wäre, daß ich gerichtet und verdammt würde, könnte mich dies bewegen. Aber nichts macht mich stolzer, als daß mein T u n und meine Lehre zuerst herhalten und sich kreuzigen lassen muß. Es gilt niemand etwas, er könne denn den Luther verurteilen; der Luther ist die Zielscheibe des Wider-

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spredhens, an dem muß sidi jedermann versuchen, ob er Ritter an ihm werden und das Kleinod gewinnen möchte. Jedermann hat in solchem Fall einen höheren Geist als ich; ich aber muß ganz fleischlich sein. Und wollte Gott, daß sie nur einen höheren Geist hätten, ich wollte wahrlich gerne [im Vergleich zu ihnen] fleischlich sein" 1 5 4 .

Wenn seine Gegner zu merken meinten, „was für einen Geist" er habe, so habe er doch genauso gut gemerkt, „wie fein sie das Evangelium erfaßt und gelernt haben. Ja, nicht ein Fünklein wissen sie davon und schwätzen doch sehr davon" 1 5 ä . Das ist bereits scharf genug, Luther wird aber noch viel schärfer: „Zum ersten soll man die warnen, welche mein Büchlein tadeln, daß sie das Maul zuhalten und sich vorsehen; denn gewiß sind sie auch im Herzen aufrührerisch: auf daß sie sich nicht versehen und einmal auch um den Kopf kommen" 1 5 8 . „Die aber mengen sich unter die Aufrührer, die sich derselben annehmen, sie beklagen, rechtfertigen und sich ihrer erbarmen, welcher Gott sich nicht erbarmt, sondern sie gestraft und verderbt haben will. Denn wer sich so der Aufrührer annimmt, gibt genug zu verstehen, daß er, wo er Raum und Zeit hätte, auch Unglück anrichtete, wie ers im Herzen beschlossen hat. Drum soll die Obrigkeit solchen den Kopf zurechtsetzen, daß sie das Maul zuhalten und merken, daß es Ernst sei" 1 6 7 .

Selbst dem zornigen Luther ist deutlich, daß man einwenden könnte, diese Antwort sei „zu hart . . . es sei mit Gewalt geredet und das Maul gestopft". Aber das beeindruckt ihn gar nicht: „da sage ich: Das ist recht. Denn ein Aufrührer ist nicht wert, daß man ihm mit Vernunft antworte, denn er nimmts nicht an; mit der Faust muß man solchen Mäulern antworten, daß das Blut zur Nase herausgehe" 1 5 8 : „Ich will hier nichts hören nodi wissen von Barmherzigkeit, sondern geachtet haben, was Gottes Wort will. Drum soll mein Büchlein recht sein und bleiben, und wenn alle Welt sich dran ärgerte. Was frage ich danach, daß dirs mißfällt, wenns Gott gefällt? Wenn er Zorn und nicht Barmherzigkeit haben will, was gehst du denn mit Barmherzigkeit um?" 1 5 9

Damit ist Luther mit seiner Antwort eigentlich am Ende. Er empfindet das auch: „Solche Antwort wäre genug allen, die sich an meinem Büchlein ärgern und unnütz machen". Beinahe widerstrebend fährt er trotzdem fort: man werfe ihm vor, daß Christus — im scheinbaren Gegensatz zu ihm — immer wieder Barmherzigkeit lehre und fordere. Diese Prediger 142

der Barmherzigkeit seien jedoch etwas spät erwacht. Als die Bauern auf dem Höhepunkt der Macht standen, „war von Barmherzigkeit geschwiegen, und nichts als ,Recht, Recht und Recht', das galt und ging empor. Nun sie aber geschlagen werden und der Stein auf ihren Kopf fällt, den sie gen Himmel warfen, soll niemand vom Recht reden, sondern allein von Barmherzigkeit" 160 . Das weiß Luther mit anschaulichen Bildern zu verdeutlichen, wobei wieder die Erbitterung mit ihm durchgeht: „Sie sind gewiß gut bäurisch, aufrührerisch und rechte Bluthunde oder werden von solchen Menschen verführt" w l . Wenn seine Kritiker einwendeten, daß sie den Bauern nicht recht gäben, auch ihre Bestrafung nicht ablehnten, „sondern das dünkt uns Unrecht, daß du lehrst, keine Barmherzigkeit mit den armen Bauern zu haben", so antwortet Luther darauf: „Meinst du das aufrichtig, so bin ich golden. D a s sind alles Bemäntelungen deines blutdürstigen Mutwillens, daß dir der Bauern Wesen heimlidi -wohlgefällt. W o habe ich jemals gelehrt, daß man gar keine Barmherzigkeit üben solle? Steht nicht in demselben Büchlein auch, daß ich die Obrigkeit bitte, sie solle diejenigen, die sich ergeben, in Gnaden aufnehmen? Warum tust du die Augen nicht auf und liest das auch? S o hättest du mein Büdilein nicht zu verdammen und dich zu ärgern b r a u d i e n " 1 6 2 .

Damit endet der erste Abschnitt der Schrift, der „den unchristlichen, unbarmherzigen Bluthunden gesagt" ist. Im zweiten Gedankengang setzt Luther wenigstens etwas ruhiger an. Er will jetzt zu denen reden, die durch die „Bluthunde" verführt oder „so schwach sind, daß sie mein Büchlein nicht mit den Worten Christi in Einklang zu bringen imstande sind". Ihnen legt er zunächst den Unterschied zwischen den beiden Reichen dar: dem Reich Gottes, das „ein Reich der Gnade und Barmherzigkeit" ist und dem weltlichen Reich, das ein „Reich des Zorns und Emsts" ist, „um die Bösen zu zwingen und die Guten zu schützen" 16S . Wenn man diese beiden Reiche miteinander vermengen wollte, so wäre das „wie den Teufel in den Himmel und Gott in die Hölle versetzen" 184 . Genau das haben die Bauern getan. Der Ernst und Zorn des weltlichen Regiments scheine unbarmherzig, aber er bedeute durch den Schutz des Rechts in Wirklichkeit Barmherzigkeit. Wenn ein Dieb jemanden überfalle und ermorde, ihn seines Besitzes beraube, Frau und Kinder schände, so erweise die Obrigkeit dem Überfallenen Barmherzigkeit — er und nicht der Dieb und Mörder brauche sie —, wenn sie ihn entweder vorher vor 143

dem Überfall schütze oder nadiher den Übeltäter bestrafe, um Wiederholungen vorzubeugen: „Auf solche Barmherzigkeit, die im weltlichen Schwert regiert und handelt, sehen solche bäurischen Verteidiger nicht, sperren nur die Augen und Maul über den Zorn und Ernst auf, sagen: wir heucheln den wütigen Fürsten und Herren, daß wir sie die Bösen strafen lehren; obwohl sie zehnmal ärgere Heuchler sind als die mörderischen Buben und bösen Bauern, und selbst auch mit aufrührerischem Herzen zu den blutdürstigen Mördern gehören, so daß sie sich derjenigen gar nicht erbarmen, die durch die Bauern überwältigt, beraubt, geschändet und zu allerlei Unrecht gezwungen werden" 165 . Wieder ist mit Luther der Zorn durchgegangen. Dennoch wendet er sich den sechs Einwänden zu, die ihm gemacht werden könnten. Aber gleich beim ersten: man rede ja nicht von den Bauern, die sich nicht ergeben wollten, sondern von denen, die geschlagen seien oder sich ergeben hätten, mit ihnen „sollte man doch Barmherzigkeit üben und nicht so greulich mit ihnen umgehen", bricht er los: „Du kannst ja nicht rechtschaffen sein, daß du mein Büchlein so lästerst, als redete ich von solchen überwundenen Bauern, die sich ergeben haben, obwohl ich doch darin so deutlich von denen rede, die man zuerst freundlich ersucht hat, sie aber wollen nicht. Es gehen ja alle meine Worte gegen die halsstarrigen, verstockten, verblendeten Bauern, die weder sehen noch hören wollen, wie man es [mit Händen] greifen kann. Und du sagst, ich lehre die elenden, gefangenen Bauern ohne alle Barmherzigkeit töten. Wenn du so Bücher lesen und nach deinem Mutwillen deuten willst, welch Buch will vor dir [bestehen] bleiben?" 169 Ja, Luther geht noch darüber hinaus und wiederholt seine schärfsten W o r t e aus dem Nachtrag „Wider die stürmenden Bauern", allerdings mit ausdrücklicher Hinzufügung, daß er die „halsstarrigen, verstockten, verblendeten Bauern, die sich nichts sagen lassen", meine: ihrer „erbarme sich nur niemand, sondern es haue, steche, würge, schlage drein, wie unter die tollen Hunde, wer da kann und wie er kann". Das sage er als evangelischer Prediger, der Gnade und Barmherzigkeit lehre: „Bin ich dirs nicht, da kommts nicht drauf an, denn du bist ein Bluthund und aufrührerischer Mörder und Verderber des Lands mit deinen tollen Bauern, denen du in ihrem Aufruhr heuchelst" 187 . Die Vorwürfe, bzw. die Einwände, die gegen ihn erhoben würden, gingen entweder an den Tatsachen oder an der von ihm eingenommenen 144

Position vorbei, erklärt Luther. „Die Bauern haben ja noch niemand getötet, wie man sie tötet" — dieser Einwand verwechsele Absicht und (durch den Gang der Ereignisse verhinderte) Ausführung 18S . „Die Herren mißbrauchen ihr Schwert und töten ja zu greulich", diesen dritten Einwand kann Luther genauso zurückweisen wie den, seine Aufforderungen erstreckten sich auch auf die geschlagenen, nicht nur auf die in ihrem Anspruch unangefochtenen, die Situation beherrschenden Bauern: „Antworte idi: Was geht das mein Büchlein an? Was legst du fremde Schuld auf mich? Mißbrauchen sie die Gewalt, so haben sie es nicht von mir gelernt, sie werden ihren Teil [ihre Strafe] wohl finden. Denn der oberste Richter, der die mutwilligen Bauern durch sie straft, hat ihrer nicht vergessen, sie werden ihm auch nicht entlaufen. Mein Büchlein sagt nicht, was die Herren verdienen, sondern was die Bauern verdienen und wie man sie strafen soll; damit habe ich niemand geheuchelt. Gibts die Zeit und Sache, daß ichs tun soll, werde ich die Fürsten und Herren auch entsprechend angreifen. Denn soviel es mein Amt des Lehrens betrifft, gilt mir ein Fürst ebensoviel wie ein B a u e r " 1 6 i .

Auch der Einwand: „es seien viel rechtschaffene Leute unter den Bauern gewesen, die unschuldig dazu gekommen seien und es hätten tun müssen, welchen vor Gott Unrecht geschieht, daß man sie so hinrichtet" l70 , verfange nicht — wie wolle sich jemand vor dem, den er umgebracht habe, damit entschuldigen: er wäre sonst selbst umgebracht worden? 171 „Ebenso wie die verdammt werden, die Gott leugnen, wenn sie gleich dazu gezwungen werden, ebenso sind auch die Bauern nicht entschuldigt, daß sie sich haben zwingen lassen" 172 . Wenn man einwende: Wer hätte das vorausgesehen?, könne er nur antworten: „Was kann ich dazu? Unwissenheit wird dich auch nicht entschuldigen. Soll ein Christ nicht wissen, was ihm zu wissen ist?" 173 Kein Zweifel könne jedenfalls daran bestehen: „Wo des Teufels Absicht mit dem Bauernaufstand in Erfüllung gegangen wäre und Gott ihnen nicht durch das Beten frommer Christen so mit dem Schwert gewehrt hätte, so wäre es im ganzen deutschen Lande so geworden und gegangen, wie es denen jetzt geht, die erstochen und umgebracht werden, und noch viel ärger" 1 7 4 .

Der sechste Einwand, Luther predige selbst Aufruhr, weil er dazu aufgefordert habe, jeder solle nach Kräften gegen die Bauern vorgehen, „ein jeglicher sei in diesem Fall beides, oberster Richter und Scharfrichter" 175 , verkenne — damit kehrt Luther zu seinen früheren Ausführungen zu145

rück — d e n U n t e r s c h i e d z w i s d i e n einem gewöhnlichen Ü b e l t ä t e r u n d einem A u f r ü h r e r , welcher die G r u n d l a g e n d e r O r d n u n g des menschlichen Zusammenlebens zerstöre. L u t h e r schließt d e n „ S e n d b r i e f " : „Siehe nun, ob ich billig und recht in meinem Büchlein gesdirieben habe, man solle ohne alle Barmherzigkeit in die Aufrührer stechen. Damit habe idi aber nicht gelehrt, daß man den Gefangenen und die sich ergeben haben, nicht Barmherzigkeit erweisen solle, wie man mir schuld gibt. Und mein Büchlein zeigt es auch wohl anders. Ebenso will ich auch hiermit die wütigen Tyrannen nicht gestärkt, noch ihr Toben gelobt haben. Denn ich höre, daß etliche meiner Junkerlein über die Maßen grausam mit den armen Menschen verfahren, und sehr keck und trotzig sind, als hätten sie gewonnen und säßen fest. Wohlan, diese suchen nicht Strafe und Besserung des Aufruhrs, sondern befriedigen ihren grimmigen Mutwillen und kühlen ihr Mütlein, das sie vielleicht lange getragen haben" I 7 e . D e r A d e l , die „ J u n k e r l e i n " , wie L u t h e r sie nennt, w e r d e „ b a l d auch ernten, was sie j e t z t s ä e n " . D e n n G o t t w i r d sie s t r a f e n , „ e h e sie sich u m s e h e n " . M a n w e r f e i h m e n t r ü s t e t v o r , d a ß er geschrieben habe, „ d a ß j e t z t so wunderliche Z e i t ist, daß m a n m i t M o r d e n u n d B l u t v e r g i e ß e n den H i m m e l v e r d i e n e n k a n n " , d a sei „ d e r R h e i n in F l a m m e n a u f g e g a n g e n " m . W e n n m a n aber seine Schrift richtig ansehe, so w e r d e sie „reichlich bezeugen, daß ich v o n weltlicher O b r i g k e i t g e r e d e t habe, die christlich ist u n d ihr A m t christlich f ü h r t " 1 7 8 : „Denn das bitte ich euch und jedermann mit Fleiß, daß sie doch mein Büchlein recht ansehen und nicht so drüberhin fahren wollten. Dann werden sie sehen, daß ich, wie einem christlichen Prediger gebührt, alleine die christliche, fromme Obrigkeit unterrichtet habe. Ich sage noch einmal und zum drittenmal, daß ich alleine für die Obrigkeit geschrieben habe, die da christlich oder sonst redlich handeln wollten, daß diese ihre Gewissen für solchen Fall unterrichten möchten" m . Was er geschrieben habe, beziehe sich ausschließlich auf die B a u e r n , die das Feld beherrschten u n d die G e w a l t an sich gerissen h ä t t e n : „Aber die wütigen, rasenden und unsinnigen Tyrannen, die auch nach der Schlacht nicht des Bluts satt werden können, und die in ihrem ganzen Leben nicht viel nach Christus fragen, habe ich mir nicht vorgenommen zu unterrichten. Denn solchen Bluthunden gilt es gleichviel, sie töten Schuldige oder Unschuldige, es gefalle Gott oder dem Teufel. Die haben das Schwert alleine, um ihre Lust und Mutwillen zu befriedigen; die lasse ich ihren Meister, den Teufel, führen, wie er sie führt" 1 8 °. 146

„Was sollte ich solchen Schurken und Säuen schreiben? Die Schrift nennt [Tit. I, 12] solche Menschen Bestien, das heißt wilde Tiere, als da sind Wölfe, Säue, Bären und Löwen, so will ich sie auch nicht zu Menschen machen"181. Die Ausgangssituation bereits sei aussiditslos gewesen: „Ich habe beides befürchtet: Würden die Bauern Herren, so würde der Teufel Abt werden; würden aber solche Tyrannen Herren, so würde seine Mutter Äbtissin werden" Deshalb habe er sich darum bemüht, und damit kommt Luther auf die „Ermahnung zum Frieden" zurück, die Bauern zur Ruhe und die Obrigkeit zu einem rechten Verhalten zu bringen. Das sei mißglückt. Die Bauern hätten nicht hören wollen, jetzt „haben sie ihren Lohn dahin". Die Herren wollten jetzt auch nicht hören, was ihres Amtes sei, sie werden ebenso ihren Lohn erhalten. Wenn die Bauern sie erschlagen hätten, wäre das eine zu geringe Strafe für sie gewesen: „Höllisches Feuer, Zittern und Zähneklappern in der Hölle wird ewig ihr Lohn sein, wo sie nicht Buße tun" 1 8 3 . 14. Das ist Luthers Schrift „Ein Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern". Ob sie sehr geschickt abgefaßt war und ob sie die Situation wie die Mentalität der Leser wirklich traf, darüber läßt sich sehr streiten. Zwar hat sie ein erhebliches Echo gefunden (acht hochdeutsche und ein niederdeutscher Druck sind bekannt), wieweit sie aber Luthers Position wirklich verständlich gemacht hat, ist eine andere Frage. Der „bäuerliche Trotz", von dem man in bezug auf den „Sendbrief" wohl mit Recht gesprochen hat, verhinderte Luther, dem „Herrn Omnes" seine Stellung wirklich eingängig zu machen, die sich unter vier Stichworten zusammenfassen läßt: 1. Seine harten Worte gegen die Bauern beziehen sich ausschließlich auf die siegreichen Bauernheere, die alle öffentliche Ordnung umzustürzen nicht nur in der Lage, sondern auch willens sind. 2. Was Luther sagt, ist zur „christlichen Obrigkeit" gesprochen, nicht zu Herren, die allein auf Erweiterung ihrer Macht bedacht sind und im Bauern nur das „lastbare Tier" sehen, das es nach Kräften auszubeuten gilt. 3. Die Greuel der siegreichen Herren gegenüber den geschlagenen Bauern werden von Luther auf keine Weise gedeckt, sein Aufruf zum bedin147

gungslosen Kampf gilt nur bis zum Augenblick der Beseitigung der Gefahr einer Zerstörung aller öffentlichen Ordnung. 4. Ein friedlicher Ausgleich des sozialen Unrechts, dessen Existenz von Luther nicht bestritten, sondern oft genug angeprangert wird, war sein eigentliches Ziel; es erwies sich bereits in den Anfängen der Auseinandersetzung als unerreichbar. Die Fürsten, die dazu bereit waren (wie z. B. die sächsischen Kurfürsten), ebenso wie die Bauern, für die das galt, wurden von ihren zunehmend radikalisierten Standesgenossen an diesem friedlichen Ausgleich gehindert. Wenn man Luthers wirkliche Stellung im Juli 1525 feststellen will, darf man sich nicht auf den „Sendbrief" beschränken, dessen letzte Sätze genauso „gegen den Strich gebürstet" sind wie die ganze Schrift. Er hoffe, er habe mit ihr „mehr als genug getan", erklärt Luther in den letzten Sätzen: „ H a t aber jemand daran nodi nicht genug, der sei immerhin weise und klug, f r o m m und heilig in Gottes N a m e n und lasse mich einen N a r r e n und Sünder bleiben, obwohl ich wollte, m a n ließe mich in Frieden. M a n wird an mir doch nichts gewinnen. U n d es soll recht bleiben, was ich lehre und schreibe, sollte auch alle Welt drüber bersten. Will m a n sich denn ja schwierig stellen, so will ich midi auch schwierig stellen und sehen, wer zuletzt Recht behält. Hiermit G o t t befohlen. A m e n " " « .

In dem Augenblick nämlich, wo die „Trotzreaktion" des sich mißverstanden fühlenden Luther fortfällt, kommt seine eigentliche Meinung sehr viel deutlicher zum Ausdruck. Das läßt sich an seinem Vorwort zur „Entschuldigung des falschen Namens des Aufruhrs" von Andreas Karlstadt mit Deutlichkeit feststellen. Dieses Vorwort ist in denselben Tagen geschrieben wie der „Sendbrief". Es setzt sich für jemand ein, mit dem Luther bzw. der mit ihm seit Monaten offen in erbitterter Fehde gelegen und der objektiv der Sache der Reformation entscheidenden Schaden zugefügt hat 185 . Dabei ging der Gegensatz bis in die Tiefe der Lehre und des Glaubens hinein; Luthers um die Jahreswende 1524/25 erschienene Schrift: „Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament" hatte ihn aller Welt sichtbar gemacht. Die Einzelheiten des bis in die Zeit der Wittenberger Unruhen 1521/22 (und davor) zurückreichenden Zwiespalts und des immer stärker sich zuspitzenden Gegensatzes darzustellen, ist hier nicht der Ort. Nach seiner schließlichen Ausweisung durch die kursächsische Regierung im September 1524 war Karlstadt 148

nadi Süddeutschland gegangen und hatte in Rothenburg eine Zuflucht gefunden (trotz des Ausweisungsdekrets des Rats). Hier wie in seiner Heimatstadt Karlstadt selbst, aber auch auf dem Bauerntag zu Schweinfurt war ihm der Ruf zugewachsen, „der aufrührerischen Bauern Hauptmann und Heerführer gewesen zu sein", wie es Karlstadt zu Beginn seiner „Entschuldigung" selbst sagt 186 . Auf mancherlei Irrwegen war er schließlich nach Frankfurt gelangt und hatte Luther von dort aus am 12. Juni 1525 gebeten 187 : „Ihr wollet mir alles das verzeihen, was ich, von dem alten Adam bewegt, gegen Euch gesündigt habe". Luther möchte ihm und seiner Familie zur Rückkehr nach Sachsen verhelfen: „denn ich weiß weder Rat noch Hilfe in diesen gesdiwinden und empörerischen Zeitläuften anderswo zu suchen". „Idi habe mir vorgenommen, zukünftig gar nichts mehr zu schreiben, zu predigen oder zu lehren und gedenke, auf diesem Vorsatz zu beharren, so viel an mir liegt. Tut als ein christlicher Bruder und Freund Gottes und schreibt wegen meines Weibes, Kindes und meiner an unseren gnädigsten Kurfürsten und bringt uns wieder nach Hause!" Das sind die Kernsätze 188 aus Karlstadts verzweifeltem Brief. Luther hatte schon im Dezember 1524 für Karlstadt eine Einreisegenehmigung nach Kursachsen zu erwirken versucht 189 , war aber mit seinem Antrag 190 beim Kurfürsten Friedrich dem Weisen gescheitert 191 , obwohl es sich damals nur um einen kurzen Besuch zur Diskussion der schwebenden Streitfrage handeln sollte. Auf Karlstadts verzweifelten Brief hin handelte Luther diesmal zunächst ohne Befragung der zuständigen Stellen. Er ließ Karlstadts „Entschuldigung" mit seinem Vorwort drucken und verbarg den Flüchtigen in seinem Hause bzw. an einem nahegelegenen Ort 192 , bis er am 12. September den offiziellen Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung für Karlstadt und seine Familie an den Kurfürsten Johann richtete193. Der mit seinen taktischen Überlegungen ganz auf die Mentalität des Hofes eingestellte Antrag hatte Erfolg 194 , Karlstadt durfte nach seiner Wahl im Umkreis Wittenbergs Wohnung nehmen (dabei blieb zunächst Remberg ausgeschlossen, weil es an einer Fernstraße lag, die Karlstadt leichte Verbindung mit anderen Territorien ermöglicht hätte, aber auch diese Einschränkung fiel später). Wann der Druck von Karlstadts „Entschuldigung des falschen Namens des Aufruhrs" mit Luthers Vorrede erschien, ist nicht ganz sicher zu sagen. Auf jeden Fall protestiert Herzog Georg bereits am 8. Oktober aufs heftigste bei Kurfürst Johann dagegen 195 , damals muß die Schrift also schon einige Zeit vorliegen. Herzog Georg erklärt, Luther zeige in 149

seinem Vorwort, daß er es „aus angenommener Untugend nicht unterlassen könne, Umwege [,uber wege'] zu suchen, wie er die verlorene Gunst beim Pöbel wieder erlangen könne", sein Vorwort „enthalte im Grunde doch wenig anderes, als wie er den Pöbel wider die geistliche und weltliche Obrigkeit in Bewegung setzen möchte". Das ist mit den Augen des erbitterten Gegners gesehen, der den Kurfürsten Johann vor Luther warnt, der „in seinem blutdürstigen Gemüt nicht ruhen kann" 198 . Daß das mit den Tatsachen nichts zu tun hat, versteht sich. Luther erklärt in seinem Vorwort zunächst mit Nachdruck, Karlstadt sei sein „höchster Feind der Lehre halber" und es bestehe auch „keine Hoffnung auf irgendwelches Vertragen oder künftige Gemeinschaft". Aber da Karlstadt „in seinem Anliegen und seiner Anfechtung" sich an ihn, Luther, gewandt habe, weil er ihm mehr vertraue als seinen Freunden, die ihn auf Luther gehetzt hätten, wolle Luther „ihn dieselbige Treue bei mir finden lassen, so viel mir möglich ist". Denn wenn er sehe, daß Karlstadt in bezug auf die gegen ihn erhobenen Anklagen unschuldig sei, wisse er sein Gewissen vor Gott nicht ruhig zu halten, wenn er für Karlstadt eintreten könne und es nicht tue. Karlstadt habe ihm seine Verteidigungsschrift übergeben und ihn „mit großem Ernst gebeten", sie „zur Rettung seines Namens durch den Druck ausgehen zu lassen", klage man ihn doch an, „als sollte er an dem Aufruhr schuld oder ein Haupt und Anreger der Aufrührerischen gewesen sein" m . Zwar könne man ihm vielleicht vorwerfen, erklärt Luther, er sei zu leichtgläubig und Karlstadt möge ganz anders denken, als er es jetzt notgedrungen behaupte: „da antworte ich: es will weder mir noch jemand [anders] gebühren, eines anderen Herz zu richten" 198 . Außerdem halte er es für seine Pflicht — und damit kommen wir auf unser eigentliches Thema —, dafür zu sorgen, daß Karlstadt „nicht so jämmerlich unverhört und unüberführt [,unüberzeugt'] verurteilt werde, und ohne Grund [,verdienst'] und Ursache in bezug auf Leben und Besitz unsicher sein müsse" 199 . Denn es gehe jetzt „das Geschrei, daß man mit vielen armen Leuten zu geschwinde verfahre und aus lauter Zorn sowohl Schuldige wie Unschuldige richte, unverhört und unüberführt". Luther „besorge, daß die verzagten Tyrannen, die sich vorher vor einem rauschenden Blatt fürchteten, jetzt allzu kühn geworden seien, so lange bis sie ihren Mutwillen vollbringen, damit sie Gott auch zu seiner Zeit zu Boden stürze" 20°. „Denn wenn man die Wahrheit sagen soll und die Sache richtig bei Licht betrachten will, so ist dieser Jammer und Aufruhr 150

nicht allein Schuld der Bauern, sondern viel mehr der tollen Fürsten und der törichten Bischöfe" 201 . Sie haben es nicht dulden wollen, daß die Gemeinden die rechtschaffenen Prediger bekamen, nach denen sie begehrten. So hetzten sie „das Volk mutwillig gegen sich auf" und Gott ließ deshalb „aufrührerische Prediger unter das Volk kommen". Die „fingen solchen Jammer an, durch den nun solcher Unwillen unter den gemeinen Mann gekommen ist, daß freilich kein Ende sein wird, bis die Tyrannen auch im Dreck aufstehen". Denn wo ein Volk seinen Herrn allein fürchten muß und nicht lieben kann, da geht es nach dem Sprichwort: Welchen viele fürditen, der muß umgekehrt viel fürchten 202 : „Doch unsere Junker und Götzen sollen das [nur] nicht hören und annehmen, sondern zufahren und dem Evangelium Schuld an dem geben, was sie anrichten [,verdienen'], und in der Zwischenzeit den Narrenspruch führen, der da lautet: ,Idi achte nicht darauf' — solange bis einer kommt, der einen anderen Spruch dagegen anstimmt und sagt: Es ist mein Ernst, daß weder Fürst noch Bischof unter dem Himmel bleibe" 2 0 S .

Die Betroffenen werden bald erfahren, was ihnen ihr Handeln einbringen wird, „es ist schon auf der Bahn". Gott gebe, daß sie sich rechtzeitig bekehren, schließt Luther diese Betrachtungen, die man zum „Sendbrief" hinzunehmen muß. Denn hier wird mit Deutlichkeit ausgesprochen, worüber Luther im „Sendbrief" nur gelegentlich, meist indirekt und in kurzen Ausbrüchen redet. Man solle Karlstadts Entschuldigung annehmen, so der letzte Abschnitt der Vorrede, damit „Gott nicht weiter und höher versucht werde" und außerdem „unlust und groll des poffels" gegen die Obrigkeit stärker werden und einen größeren Anschein des Rechts gewinnen. Denn es sei nicht gut, das allgemeine Gebet und Geschrei gegen sich auf sich zu laden, „sintemal der nicht lügen kann, der verheißen hat, er wolle der Unterdrückten Schreien hören und nicht leiden, er hat auch Gewalt genug, das zu rächen und zu bestrafen" 204. Nun könnte man, wie z. B. Herzog Georg das getan hat, diese Ausführungen Luthers als Taktik und zweckbestimmte Propaganda abtun. Aber erstens paßt derartiges zu niemandem weniger als zu Luther: wäre Luther auch nur in geringem Maße zu derartigen Überlegungen fähig gewesen, hätte er seinen „Sendbrief" anders angelegt, der doch allen taktischen Gesichtspunkten Hohn spricht und in dem von irgendwelcher Rücksicht auf die Stimmungen und Meinungen des „Herrn Omnes" in jener Zeit des zu Ende gehenden Bauernkrieges nichts zu spüren ist. Und 151

zweitens beweist ein Brief Luthers vom 21. Juli 1525 an Albrecht von Mainz 208 , daß Luther auch da, wo an irgendwelche Publizität nicht zu denken ist, genauso zu reden weiß206. Luther ist von einem Eislebener Bürger um Hilfe für seinen Sohn angesprochen worden, der um angeblicher Beteiligung am Aufstand willen gefangengesetzt worden ist. Er habe sich jedoch nicht, wie er beschuldigt werde, am Sturm auf ein Vorwerk (des Klosters zu Helbra oder Helfta) beteiligt, sondern sei zu dieser Zeit im Vorwerk selbst in einer Gaststätte gewesen. Deshalb habe Luther die Unterstützung der Bitte des Vaters um das Leben des Sohnes nicht abschlagen können. Der Kurfürst Albrecht möge bedenken, und damit kommt Luther zu für uns wichtigen allgemeinen Ausführungen, „daß dieser Aufruhr nicht durch menschliche Hand oder Rat, sondern durdi Gottes Gnade beendet ist, der sich unser aller und vor allem der Obrigkeit erbarmet hat". Deshalb solle Albrecht „gnädig und barmherzig mit den armen Leuten handeln" 207. Das stehe einer geistlichen Obrigkeit noch mehr an als einer weltlichen: „Denn sonst sind leider allzu viele, die so grausam mit den Leuten umgehen und so undankbar gegen Gott handeln, als wollten sie mutwillig wiederum Gottes und der Leute Zorn und Unlust erwecken und auf sich laden, einen neuen und ärgeren Aufruhr zu stiften. Denn Gott hat bald etwas anderes zugerichtet, daß die ohne Barmherzigkeit umkommen, die nicht Barmherzigkeit erzeigen. So ist es nicht gut, Herr sein mit Unlust, Widerwillen und Feindschaft der Untertanen; es hat auch keinen Bestand. Es ist gut, daß Ernst und Zorn bewiesen ist, als die Leute aufrührerisch und in der Tat störrig und verstockt gefunden wurden. Nun sie aber geschlagen sind, sind es andere Leute und neben der Strafe der Gnaden wert. Zu viel zerrisse den Sack auf beiden Seiten; Maß aber ist zu allen Dingen gut, und die Barmherzigkeit rühmt sich wider das Gericht, sagt Jak.

2,13" 20S.

15. Damit ist der Kreis geschlossen. Nur wer ihn vollständig abschreitet, hat eine wirklichkeitsnahe Vorstellung von Luthers Haltung im und zum Bauernkrieg, dem trotz seines internationalen Zusammenhangs die größte innerdeutsche politische Bedeutung zukommt. In die Lebenszeit Luthers fällt noch manche andere kriegerische Verwicklung: die Packschen Händel (sie führten jedoch nicht zum bewaffneten Zusammenstoß) 209 , die Rückeroberung Württembergs 1534 (sie war in wenigen Wochen beendet und forderte nur wenige Opfer) 210 , die Wurzener Stiftsfehde (hier konnte der Ausbruch der Schlacht im letzten Augenblick verhindert werden) 211 und die Eroberung der braunschweigischen Lande 152

durch die evangelischen Fürsten 1542 mit der sich 1545 anschließenden kriegerischen Abwehr (aber auch diese beiden Feldzüge sind kurz und ohne wesentliche Opfer verlaufen) 212 . Erst der Schmalkaldische Krieg mit den sich anschließenden Auseinandersetzungen läßt sich dem Bauernkrieg in seinen Auswirkungen auf die Bevölkerung ungefähr vergleichen, jedoch auch er bleibt in der Zahl der Menschenleben, die er gefordert hat, weit hinter dem Bauernkrieg zurück. Uber die Auswirkungen des Bauernkrieges und Luthers Haltung auf die Fortentwicklung der Reformation gehen die Meinungen auseinander. Daß beidem keine allzu große negative Einwirkung darauf zukommt, dafür spricht, daß die Reformation in den Jahren nach 1525 die Epoche ihrer größten Expansion erreicht. Andererseits kann man sich jedoch nicht vorstellen, daß Luthers Ansehen infolge der tragischen Zeitverschiebung, mit der seine zweite Stellungnahme in die Hand der Leser kam, gerade beim einfachen Volk keine Einbuße erlitten hätte. Aber nicht davon soll hier die Rede sein, sondern es soll — sozusagen anhangsweise — noch auf einen Tatbestand verwiesen werden, von dem erstaunlich wenig die Rede ist, wenn der Bauernkrieg diskutiert wird. Denn nicht nur Luther hat zu ihm Stellung genommen, sondern auch andere Reformatoren, z. B. Melanchthon. Nun ist nicht mit absoluter Sicherheit zu sagen, wann die einzelnen Bestandteile seiner Stellungnahme: „Eyn schrifft Philippi Melanchthon widder die artickel der Bawrschafft" entstanden sind. Am 18. Mai 1525 hat der Kurfürst Ludwig von der Pfalz Melanchthons Stellungnahme erbeten, am 7. Juni ist nach dem Brief Melanchthons an Camerarius 213 seine Schrift 214 abgeschlossen gewesen. Die Appendix 215 nimmt auf Frankenhausen ausdrücklich Bezug, beginnt sie doch: „So nun Gott Sieg gegeben hat und der mörderische Haufe, der nicht hat Frieden haben wollen, nach Gottes Ordnung gestraft ist" 2 i e . Sie ermahnt die Fürsten, „Maß zu halten, damit den Unschuldigen nichts Unbilliges widerfahre, auch den armen Leuten Gnade zu erzeigen, deren etliche aus Furcht, etliche aus Torheit gesündigt haben" 217 . Dieser Abschnitt ist, worauf schon die Überschrift hinweist, offensichtlich nachträglich hinzugefügt worden, geht ihm doch bereits ein „Beschluß" voraus 218 . Die Frage, ob und wieweit Melanchthon dabei von den Greueltaten der Fürsten wußte, muß positiv beantwortet werden — bereits am 26. Mai beklagt Rühel 219 das negative Echo, das Luthers zweite Bauernkriegsschrift angesichts der Grausamkeit der Herren gefunden hat. Eigentlich müßte diese Voraussetzung auch für die früheren 153

Abschnitte gelten, auf jeden Fall ist auch diese Schrift (drei Drucke von ihr sind bekannt) erst dann ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gelangt, als die Niederlage der Bauern endgültig besiegelt war. Um so eindrücklicher hätte Melanchthons Stellungnahme der damaligen Zeit sein müssen. Hier heißt es: „Wenn schon alle Artikel der Bauernschaft im Evangelium geboten wären, handelten sie dennodi gegen Gott, weil sie es mit Gewalt und Aufruhr erzwingen wollen. Dennodi sind sie so frevelhaft und treiben solchen Mutwillen unter dem Schein des göttlichen Namens" 220 .

Fast ausnahmslos lehnt Melanchthon die Artikel der Bauern ab: „in Summa haben die Bauern weder Fug noch Recht, den Zehnten der Obrigkeit abzubrechen"221. „Es ist auch ein Frevel und Gewalt, daß sie nicht wollen leibeigen sein" 222, „Unrecht ist, in der Fürsten Wälder zu jagen" 223 usw. Zweimal fallen dabei erstaunliche Worte. In seiner Stellungnahme zu Artikel 3 von der Leibeigenschaft erklärt Melanchthon: „Darum hat die Forderung der Bauern [nach Abschaffung der Leibeigenschaft] keine Begründung. Ja, es wäre von Nöten, daß ein solches wildes, ungezogenes Volk, wie es die Deutschen sind, nodi weniger Freiheit hätte, als es hat" 224 .

In bezug auf Artikel 9 der Bauern, der sich gegen die Willkür der verhängten Strafen wendet, heißt es ganz ähnlich: „Es ist ein solches ungezogenes, mutwilliges, blutgieriges Volk, die Deutschen, daß man sie billig viel härter halten sollte. Denn Salomo sagt Spr. 26, 3: ,Dem Pferd gehört eine Peitsche, dem Esel ein Zaum, und auf des Toren Rücken gehört eine Rute'. Und Sir. 33, 25 [heißt es]: ,Der Esel braucht Futter, den Stock und Last, der Knecht Nahrung, Strafe und Arbeit'. Audi nennt Gott das weltliche Regiment ein Schwert. Ein Sdiwert aber, das soll schneiden, es sei Strafe an Gut, an Leib oder Leben, wie es die Missetat fordert" 225 .

Wenn das, wie mit Sicherheit anzunehmen, zu einer Zeit niedergeschrieben ist, als sich nach Frankenhausen226 die Nachrichten von der Grausamkeit der siegreichen Herren verbreiteten227, bekommt es dadurch eine unübersehbare Akzentuierung. Das sei aber, wie gesagt, nur anhangsweise bemerkt. Näher darauf einzugehen, ist hier nicht möglich, hat dieser Abschnitt über Luthers Haltung im Bauernkrieg doch bereits einen überproportionalen Umfang erreicht. Er rechtfertigt sich m. E. jedoch von der Bedeutung des Ereignis154

ses wie von der kontroversen Beurteilung her, die Luthers Stellungnahme gefunden hat. Wegen keiner seiner Handlungen oder Stellungnahmen zu Fragen des öffentlichen Lebens hat Luther damals wie in der Folgezeit mehr Kritik gefunden und nichts wird mehr zur Argumentation gegen ihn und die Reformation benutzt. Dazu kommt, daß es heute zwar eine Fülle von Zeitschriftenaufsätzen zum Thema gibt, aber außer Paul Althaus' schmaler Schrift „Luthers Haltung im Bauernkrieg" 228 (die nichts als den Wiederabdruck eines Vortrages von 1925 darstellt 229 und schon von daher überholt ist) keine zusammenfassende Darstellung, welche alle in Betracht kommenden Gesichtspunkte zur Geltung brächte. Auch von da her schien die exzeptionell ausführliche Behandlung des Themas gerechtfertigt.

Brief an Rühel WA Br I I I , 874 S. 508. Im Brief Friedrichs des Weisen vom 14. April 1525 an seinen Bruder, (Quellen zur Geschidite des Bauernkrieges, hrsg. von G . Franz, Darmstadt 1963, S. 501 f) heißt es: „E. L. welld ich von Herzen gerne mein Bedenken anzaigen, was den Fürsten zu Antword sold gegeben werden. Aber E. L. wissen mein Schwachheit. So ist das ein großer Handel, das man mit Gewald handeln sal. Filleicht hat man den armen Leuten zu solchem Aufrure Orsache geben und sunderlichen mit Vorbittung des Word Gotes. So werden die Armen in fil wege von uns wertlichen und gaistlidien Oberkaiten besdiwerd. Got wend sein Zorn von uns. Wil es Got also haben, so wird es also hinaus gehen, das der gemain Man regiren sal. Ist es aber sein gütlicher Wille nicht und das es zu seinem Lobe nicht vorgenomen, wird es bald anders. Lassent uns Got bitten umb Vorgebung unser Sund und ims haimsetzen, er wird es alles fein nach seim Willen und Lobe schicken. In acht, das E. L. und idi der Sachen, so fil müglich, mußig sthen und uns under die Gaistlidien, die doch E. L. und mir, als ich besorge, wenig Gutes gunhen etc., mengen. U m b Gotes willen bitt ich E. L., die wollen mir mein unbedechtig Schreiben zu Gud halden. Got wais, das ichs treulichen main. Der Bund zu Schwaben wird die Pauren wol zu Gehorsam bringen, sihe wellen dach sunst alle Weld zwingen. Got schicke inen zu schaffen, domit sihe auch sehen, das Got der recht Bundherre ist und sunst nichts bestendig. Dan Got ist alher Hochfarht entgegen". 2 WA 18,293 f 3 WA 18,294 f 4 WA 18,297 5 ebda • ebda 7 WA 18,299 f 8 WA 18, 300 9 WA 18, 300 10 WA 18, 301 1 1 WA 18,302 12 WA 18, 303 1 8 WA 18, 304 14 WA 18,309 1 5 WA 18,329 " WA 18, 329 f 1 7 WA 18, 330 1 8 WA 18, 331 f 1

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» WA 18, 332 f WA 18,298 21 Hier handelt es sich um das Verlangen der Pfarrerwahl durch die Gemeinde, sofern diese den Pfarrer selbst besoldet. 22 WA 18,298 23 WA 18, 299 24 WA 18,319 « WA 18, 315 28 WA 18, 291, 328; gemeint ist die „Handlung, Ordnung und Instruction, so fürgenommen worden sein von allen Rotten und hauffen der Pauren, so sich zusammen verpflidit haben. M D X X V " , vgl. WA 18, 280 und Franz, Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges S. 149 f 27 WA 18,292 28 so die „Instruction" 29 WA 18,357-361 30 WA 18, 337-342 « WA 18,336 82 WA 18, 342-343 33 Das Vertragsexemplar, das Luther (nach einem ihm vorliegenden Druck?) wiedergibt, trägt das Datum vom 22. April 1525, WA 18, 342 34 WA 18, 332 f 35 beide Zitate aus der Vorrede, WA 18, 336 3 « WA 18, 342 f 37 WA 18, 343 38 ebda »• ebda 40 WA 18,316 41 bei seinem Aufenthalt in Eisleben am 19./20. April hat er damit begonnen, vgl. WA 18, 281 42 die WA meint, daß Luthers Brief an Rühel vom 4./5. Mai, WA Br III, 860 S. 480-482 den entscheidenden Hinweis auf die Datierung der Schrift gebe: „die Gedanken und Worte des Briefes stimmen so sehr mit seinem öffentlichen Sendschreiben ,Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern' überein, daß diese Schrift ebenfalls in diesen Tagen entstanden sein muß", WA 18, 344, vgl. außerdem WA Br III, 860 S. 482 Anm. 6. Das hier angeführte Argument ist aber keineswegs so zwingend, wie es scheint, denn das Nachwort zum „Vertrag" ebenso wie — wenn auch nicht so konzentriert — die „Ermahnung" bringen die gleiche Dreiheit des Vorwurfs. Selbst wenn die Schrift in den ersten Maitagen verfaßt sein sollte, kann sie doch wohl erst nach dem 6. Mai zum Druck gegangen sein. Am 26. Mai ist sie in den Händen von Rühel, wie das Echo seines Briefes zeigt (WA Br III, 875 S. 511), am 21. Mai ist sie offensichtlich noch nicht bei ihm eingetroffen (vgl. WA Br III, 873 S. 504 bis 506): wäre das der Fall gewesen, hätte er mit Sicherheit darauf Bezug genommen. K. Müller, Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther, 1910, S. 146 (und ihm folgend die Clemensche Lutherausgabe 3, 69) hat zwar gemeint, Rühel habe sie schon am 21. Mai gehabt, weil er Luther für einen „Trostbrief" gedankt habe: „Gott sei euer Lohn" — aber die Schrift als „Trostbrief" zu verstehen, geht an ihrem Charakter doch wohl vorbei. Gemeint ist, so wohl mit Recht WA Br III, 873 S. 507, Anm. 11, Luthers Brief vom 4./5. Mai, WA Br III, 860 S. 480-482. Rühel dürfte unter denen gewesen sein, die von Luther sogleich nach Erscheinen ein Exemplar erhielten. Immerhin teilt Rühel am 26. Mai nicht nur sein Empfinden, sondern das von „vielen euren günstigen" mit, außerdem dürfte die Übersendung eine gewisse Frist in Anspruch genommen haben, so daß wir das Erscheinen der Schrift wohl in die Zeit vom 10.-20. Mai zu setzen haben. Leider sagen weder WA noch Clemen etwas darüber, ob zwischen den Urdrucken der 2. und 1. Ausgabe der Schrift Typengleichheit besteht. Ist das — wie es nach dem Textvergleich scheint — nicht der Fall, so muß der Abstand zwischen Ablieferung des Manuskripts und Erscheinen der zweiten Ausgabe größer angesetzt wer10

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den, als wenn der Drucker den Stehsatz der »Ermahnung" verwenden konnte und nur den Nachtrag neu setzen mußte. 43 beides aus dem Schluß, WA 18,361 44 vgl.o. S. 109 ff 45 WA 18,359 48 ebda 47 ebda 48 WA 18, 357 48 ebda 58 ebda 51 WA 18,361 52 WA 18, 360 f 88 WA 18, 357 f 54 WA 18,358 55 WA 18, 357 58 ebda 67 WA 18, 358 58 ebda 59 WA 18, 360 80 WA 8,681 81 WA 8,680 81 WA 8, 680, zu den Einzelheiten vgl. S. 58 ff 85 Alle Zitate S. 52-56 der Ausgabe der Schrift in der Bücherei des Marxismus-Leninismus, 12. Aufl. Berlin 1975, hier S. 52 f 84 WA 6, 347 85 Das zeigt schon der Schluß des Nachwortes: Ego sum excusatus et pronuncio ex his verbis Petri et Christi, Si principes, Episcopi et quicunque fideles Papam errantem quolibet crimine non monuerint, corripuerint, accusaverint, pro ethnico habuerint, esse omnes blasphemos viae veritatis et negatores Christi, cum Papa aeternaliter damnandos. Dixi. WA 6, 348 88 Vgl. z. B. das Vorwort, das damit schließt: relinquamus ergo eam, ut sit habitatio draconum, lemurum, larvarum lamiarum et iuxta nomen suum confusio sempiterna, idolis avaritiae, perfidis, apostatis, cynaedis, Priapis, latronibus, Simonibus et infinitis aliis monstris ad os piena et novum quoddam pantheon impietatis. Vale, mi lector, et dolori meo ignosce et compatere, WA 6, 329. Schon vorher heißt es: libere pronuntio his scriptis, Antichristum illum verum sedere in tempio dei et regnare in Babylone illa purpurata Roma et curiam Romanam esse synagogam Satanae . . . Quid est Antichristus, si talis Papa non est Antichristus? usw., WA 6, 328 87 WA 6, 392, 396 88 zitiert wird nach dem 6—10.Tausend, Frankfurt 1963 88 S. 121 f 78 S. 122 71 ebda 72 S. 122 f 73 S. 124 f 74 S. 125 75 Vgl. dazu z.B. die Berichte über die Schlacht zu Frankenhausen, Franz, S. 523—528. In dem von Landgraf Philipp von Hessen heißt es: „Als aber die Pauwern das gesehen und befunden, sein sie alle den Berg hinab nach der Statt und, wo sie hin kunten, flüchtig worden, wir darauf mit den Unsern nachgeilet und wes antroffen, erstochen worden, haben auch alsbald mit den Unsern die Statt mit dem Sturme angangen, die auch erobert und was darin von Manspersonen befunden, alles erstoichen, die Statt geplündert. . . und seind der Widerwertigen in die 6000 dot bliben und 600 gefangen, on die sindhere gefunden und gefangen worden seind". S. 524 78 Nikolaus Hausmann 77 gemeint ist die „Ermahnung zum Frieden"

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= Brief „Eine schreckliche Geschichte und Geridit über Thomas Münzer", vgl. u. S. 130 ff 80 gemeint ist offensichtlich einer der Sonderdrucke: „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" 8 1 Franz, S. 583-585 8 2 S. 586 89 ebda «"s.ssöf 8 5 vgl. o. S. 129 88 WA 18, 367-374 87 WA 18, 373, 6 - 7 88 WA 18, 371,10-14 89 WA 18, 367, 6 ff; 374,11 90 WA 18, 374,19 f 9 1 WA 18, 371,10-14 92 WA 18, 373, 32-35 93 alles WA 18,374 94 WA 18,361 95 WA 18, 374 98 ebda 97 WA Br III, 860 S. 480-482 98 S. 480 99 alle Zitate bis hierher S. 480 100 alle Zitate bis hierher S. 481 101 S. 482, vgl. dazu u. S. 138 1 0 2 S. 481 103 S. 482 W 4 WA Br III, 873 S. 504-506 105 alle Zitate S. 505 108 vgl. dazu z. B. WA Br III, S. 506, Anm. 8 107 WA Br III, 874 S. 507 f 108 S. 507 199 S. 507 f 110 S. 508 1 1 1 WA B r i l l , 875 S. 510 f 112 und zwar sicher in der Originalausgabe 113 S. 511 114 ebda , 1 S WA Br III, 877 S. 515 f 116 vgl. jedoch den Brief vom 15. Juni, WA Br III, 890 S. 531 dazu u. S. 137 f 117 im wesentlichen enthielt der Brief Rühels Informationen über die Gefangennahme Müntzers und die Einnahme von Mühlhausen 118 vgl. o. S. 134 119 S. 515 120 vgl. WA Br III, S. 516, Anm. 7 121 S. 515 122 S. 516 123 WA B r i l l , 878 S. 517 f 124 S. 517 125 S. 517 f 128 WA Br III, 888 S. 528 127 WA Br III, 900 S. 541, bis zum gewissen Grad auch noch in der vom 31. Juli 1525, WA Br III, 908 S. 550 128 WA Br III, 888 S 528, vom 12. Juni 1525, an Amsdorf 129 ebda 130 WA B r i l l , 890 S. 531 78

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S. 531 vgl. dazu auch den Brief an Rühel vom 4./5. Mai, dazu o. S. 133 WA Br III, 896 S. 536 f S. 536 f WA Br III, 905 S. 547 f, vgl. dazu u. S. 152 WA Br III, 927 S. 583 WA 18, 384-401 WA 18,436-438 WA 17,1,265-267 „Fernern Unterricht ynn dieser sadie findestu ynn eim sonderlichen büchlin" Der „Sendbrief" braucht damals noch nicht erschienen zu sein, Roth wußte jedoch von Luthers Arbeit daran. WA 17,1,265,22-267,2 WA 17,1,265 WA 17,1,266 ebda ebda WA 17,1,266 f WA 17,1,267 WA 17,1,267 ebda vgl. o. S. 134 f vgl. WA Br III, 902 S. 543 WA 18, 384 ebda WA 18, 385 ebda WA 18,385 f WA 18, 386 ebda WA 18,387 WA 18, 388 WA 18, 388 f WA 18, 389 WA 18, 390 WA 18, 390 f WA 18, 392 ebda WA 18, 392 f WA 18, 393 WA 18, 394 ebda WA 18, 395 ebda WA 18, 396 f WA 18,397 WA 18, 399 ebda WA 18,400 ebda WA 18, 400 WA 18,400 f WA 18, 401 ebda WA 18, 401 Immer wieder begegnet das Thema Karlstadt in der Korrespondenz Luthers, ein Be-

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weis dafür, welche Bedeutung der Auseinandersetzung zukam. Aus unserem Zeitraum vgl. WA Br III, 779 S. 354 (3. 10. 24), 781 S. 356 (11. 10. 24), 787 S. 364 f (30. 10. 24), 788 S. 366 f (30.10. 24), 793 S. 373 f (17. 11. 24), 796 S. 378-380 (22. 11. 24), 797 S. 381-387 (23. 11. 24), 802 S. 397 (2. 12. 24), 804 S. 399 (14. 12. 24), 807 S. 404 f (17. 12. 24), 811 S. 409 (29. 12. 24), 815 S. 418 f (11. 1. 25), 816 S. 421 (11. 1. 25), 817 S. 421 f (13.1. 25), 818 S. 424 f (18. 1. 25), 819 S. 426 (22. 1. 25), 820 S. 427 (22. 1. 25), 821 S. 428 (23. 1. 25), 822 S. 430 (29. 1. 25), 823 S. 431 (2. 2. 25), 825 S. 433 (4. 2. 25), 827 S. 437 (7. 2. 25), 828 S. 438 f (10. 2. 25), 829 S. 439 f (11. 2. 25), 830 S. 441 (18. 2. 25), 837 S. 449 f (4. 3. 25), 838 S. 450 (4. 3. 25), 839 S. 451 f (5. 3. 25), 843 S. 456 f (20. 3. 25), 844 S. 457 f (23. 3. 25), 845 S. 459 f (23. 3. 25), 846 S. 461 f (25. 3. 25), 854 S. 470 (10. 4. 25), 855 S. 472 (11. 4. 25), 858 S. 476 f (April 25), 889 S. 529 f (12. 6. 25), 903 S. 544 (19. 7. 25), 911 S. 555 f (15. 8. 25), 915 S. 565 (September 25), 920 S. 572 (12. 9.25), 940 S. 559 (Oktober 25) 188 WA 18, 438 187 WA B r i l l , 889 S. 529 f 188 alles S. 529 189 vgl. WA Br III, 811 S. 409, 830 S. 441 f 199 WA Br III, 837 S. 449 f; III, 838 S. 450 191 WA Br III, 843 S. 456, vgl. 844 S. 457 f 192 aus dieser Zeit stammt der Brief Karlstadts WA Br III, 915 S. 565 f 19S WA Br III, 920 S. 572 194 vgl. die Instruktion an Spalatin WA Br III, 573 f 195 vgl. WA 18,434 198 alles ebda 197 alle Zitate WA 18,436 198 WA 18,437 199 WA 18, 436 290 ebda 201 WA 18,437 292 bis hierher S. 437 298 WA 18,438 294 WA 18, 438 295 WA Br III, 905 S. 547 f 29 * und zwar nach Gedankenführung und Wortlaut so nahe zum „Vorwort", daß dessen Abfassung wohl danach datiert werden kann. 297 S. 547 298 S. 548 299 vgl. dazu u.S. 217 ff 219 vgl. dazu u.S. 366 ff 211 vgl. dazu u.S. 369 ff 212 vgl. dazu u. S. 375 ff 213 CR I, 747 214 abgedruckt im Corpus Reformatorum XX, 641—662, bei Franz, Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, S. 179—188 (gekürzt), zitiert wird nach Band 1 der Melandithon-Studienausgabe von R. Stupperich, Gütersloh 1951, und zwar, wie im Regelfall bei Luther, unter Übertragung in modernes Deutsdi 215 S. 212-214 216 S. 212 217 ebda 218 S. 209-212 219 WA Br III, 875 S. 511, vgl. dazu o. S. 135 220 S. 200 f 221 S. 205 222 ebda 228 S. 206 224 ebda

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S. 208 Die Schlacht fand am 15. Mai 1525 statt, die Anforderung der Stellungnahme Melanchthons erfolgte brieflidi am 18. Mai, hat diesen also entsprechend später erreicht. 227 Rühels Brief vom 21. Mai an Luther mit dem Bericht über die Greueltaten in Frankenhausen, WA Br III, 873 S. 505, (vgl. dazu o. S. 134) ist Melandithon ohne Zweifel sogleich bekannt geworden. 228 1952 als Band 2 der Libelli der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen (3. Aufl.) "* zuerst gedruckt im Luther-Jahrbuch 7, 1925, S. 1-39, dann wiederholt in P. Althaus, Evangelium und Leben, Gütersloh 1927, S. 144—190

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3. Das Gutachten für den Erfurter Rat über die 28 Artikel Als die „Bauernschaft in Schwaben" ihre „Zwölf Artikel" beschlossen hatte, setzte sie in der „Instruction der Buren" 1 als „ain Richter" auch Luther ein 2 . Luther hat in seiner „Ermahnung zum Frieden auf die Artikel der Bauernschaft in Schwaben" sich dementsprechend auch zu den Forderungen der „Zwölf Artikel" geäußert. Wir sind im vorigen Abschnitt darauf nicht im einzelnen eingegangen, weil der größere Zusammenhang das nicht erlaubte. Luthers Stellungnahme dazu ist auch ganz kurz. N u r auf die ersten drei Artikel geht er jeweils mit wenigen Sätzen ein: auf die Pfarrwahl, auf den Zehnten und auf die Forderung nach Abschaffung der Leibeigenschaft. Das Verlangen nach Einsetzung bzw. Absetzung des Pfarrers durch die Gemeinde erklärt Luther für berechtigt. Das setze aber voraus, daß auch seine Besoldung durch sie erfolge. Kommen die Einkünfte der Pfarre nicht von der Gemeinde, sondern von „der Obrigkeit", so habe diese das Besetzungsrecht 3 . Die Forderung nach der Verwendung des Zehnten für die Besoldung des Pfarrers und die Versorgung der Armen sei „reiner Raub und öffentliche Strauchdieberei" 4 . Denn der Zehnte gehöre der zuständigen Obrigkeit, modern gesprochen: dem Staat. Wenn man Gutes tun wolle, so müsse das aus eigenem Besitz geschehen. Die Forderung nach Abschaffung der Leibeigenschaft schließlich bedeute „christliche Freiheit ganz fleischlich machen". Nicht nur die Patriarchen und Propheten des Alten Testaments hätten Leibeigene besessen, sondern auch das Neue Testament lehre den Sklaven, in seinem Stande zu bleiben 6 . „Dieser Artikel will alle Menschen gleich machen und aus dem geistlichen Reich Christi ein weltliches, äußerliches Reich machen, welches unmöglich ist. Denn ein weltliches Reich kann nicht bestehen, wo nicht Ungleichheit in den Personen ist" 6 . Zu allen anderen Artikeln erklärt Luther zusammenfassend: „ D i e andern Artikel: von Freiheit des Wildbrets, der Vögel, Fische, des Holzes, der Wälder, von Diensten, Zinsen, Auflagen, Zöllen, T o d f a l l usw. befehle idi den Reditsverständigen. Denn mir als einem Evangelisten gebührt nicht, hierüber zu urteilen und zu richten. Ich soll die Gewissen unterrichten und lehren, was göttliche und christliche Sachen anbetrifft; hiervon hat man Bücher genug in den kaiserlichen Rechten. So habe ich oben gesagt, daß solche Stücke einen Christen nichts angehen, er f r a g t auch nicht danach: er läßt rauben, nehmen, unterdrücken, schinden, schaben, fressen und toben, wer da will, denn er ist ein

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Märtyrer auf Erden. Deshalb sollte die Bauernsdiaft hierin billig den christlichen Namen auch in Frieden lassen und unter dem Namen derer handeln, die gerne menschliches und natürliches Recht haben wollten, nicht als die, welche christliches Recht suchen, das sie in allen diesen Stüdcen stille stehen, leiden, und [ihre Not] allein Gott klagen heißt" 7 . Diese Stellungnahme blieb ohne praktische Konsequenz. Denn als Luthers „Ermahnung" erschien, waren die „Zwölf Artikel" längst durch die stürmisch fortschreitende Entwicklung überholt. Auch in bezug auf Luthers Stellungnahme zu den 28 Artikeln ist natürlich zu fragen, welche Auswirkungen sie gehabt haben. Die 28 Artikel gehören ihrer Entstehung und Mentalität nach in die Zeit des Bauernkrieges 8 . Sie fassen die — alles in allem erstaunlich gemäßigten — Forderungen der Erfurter Bürger und Bauern vom Anfang Mai 1525 zusammen. A m 28. April waren den Bauern des Stadtgebietes die Tore geöffnet worden, der bisherige Rat mußte zurücktreten. Dem neu gewählten Rat präsentierte man die 28 Artikel, er versprach am 9. Mai 9 , Luther und Melanchthon zur Reise nach Erfurt aufzufordern, damit die 28 Artikel mit ihnen vom Rat, Vertretern der Bürgerschaft und der Handwerker beraten werden könnten. Luther wie Melanchthon hatten damals abgelehnt zu kommen 1 0 . Nach der Schlacht bei Frankenhausen war auch in Erfurt die alte Ordnung wiederhergestellt worden. A m 9. September wendet sich nun erstaunlicherweise der im Frühjahr abgesetzte und nun wieder in sein Amt zurückgekehrte alte Rat erneut wegen der 28 Artikel an Luther, weil er der seinerzeit vom jetzt abgesetzten Rat übernommenen Verpflichtung nachkommen will, und bittet Luther, schriftlich zu den 28 Artikeln, die er ihm jetzt übersendet, Stellung zu nehmen. Das klingt ganz erstaunlich und steht derart im Widerspruch zu dem, was wir sonst vom Verhalten anderer nach dem Bauernkrieg wieder in ihr Amt zurückgekehrter Obrigkeiten wissen, daß die Vermutung naheliegt, der Rat handle rein taktisch. Aber selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, worüber noch zu sprechen ist, bleibt Luthers Stellungnahme zu den 28 Artikeln von größtem Interesse. A m 21. September 1525 u , an dem Luther seine Antwort abschließt, ist die Leidenschaft der Auseinandersetzung abgeklungen; damals liegen nicht nur die zweite Ausgabe der „Ermahnung zum Frieden", sondern auch Luthers entrüstete Abwehr der deswegen gegen ihn erhobenen Angriffe schon einige Monate zurück. Was hat der Luther des September 1525 zu den Forderungen der aufständischen Erfurter vom Anfang Mai 1525 zu 163

sagen? Die Antwort auf diese Frage gibt nidit nur eine willkommene Ergänzung zu den Auseinandersetzungen des Bauernkriegs, sondern auch einen interessanten Einblick in Luthers Urteil über soziale Einzelfragen in Ergänzung zu dem, was wir sonst aus seinen Briefen erfahren. Das Urteil von Bertram: „Luthers Antwort nebst dem in allen Tönen, vom tiefsten sachlichen Ernst bis zur beißenden Ironie kommentiert zurückgereichten Exemplar bildet ein Kabinettstück von Luthers sozialer Weltanschauung", das die Weimarer Ausgabe zitiert 12 , greift sicher zu hoch, unterstreicht aber doch die Berechtigung, vielleicht sogar Notwendigkeit, an die ausführlichen Betrachtungen über Luthers Verhalten im Bauernkrieg noch einen besonderen Abschnitt über die 28 Artikel anzuschließen, obwohl es sich, genau genommen, dabei nur um eine Ergänzung bzw. einen Nachtrag dazu handelt. Zunächst dürfte ein Vergleich der beiden Schreiben aus Erfurt an Luther angebracht sein, um des Versuches willen, den Motiven des „neuen" (d. h. des in den Unruhen neu eingesetzten) wie des „alten" (d. h. des nach Beendigung der Unruhen in sein Amt zurückgekehrten) Rats, die sich beide mit dem gleichen Anliegen an Luther wenden, auf die Spur zu kommen. „Es haben sich Irrung und Gebrechen unter unsern Bürgern und Landvolk erhoben, worauf (sie) uns etliche Artikel zu bewilligen und aufzurichten übergeben haben", heißt es im Schreiben des „neuen" Rats vom 10. Mai 1525 1S . „Aus göttlichem Gebot und Liebe des Nächsten" erkenne er sich schuldig, er sei auch „willig und geneigt" dazu, „so viel uns möglich, dafür zu sein, daß unter unseren Untertanen und anderem christlichen Volke kein Aufruhr oder Uneinigkeit erwachse". Um dem zuvorzukommen oder es wenigstens abzuwenden und zur Ruhe zu bringen, werden Luther und Melanchthon gebeten, „aus christlicher Liebe und zur Erhaltung göttlichen Worts, Frieden und Einigkeit" möglichst bald („aufs schierst es sein möge") nach Erfurt zu kommen, um an der Beratung der 28 Artikel mitzuwirken, „damit wir uns in Aufrichtung derselben nicht wider die Gebote Gottes vergreifen und zum Abbruch der Freiheit und Privilegien unserer Obrigkeit handeln mögen". Zum Inhalt der Artikel wird gesagt, daß sie „doch der Schicklichkeit seien, daß sie christliche Betrachtung und Ratschlag erfordern" u . Soweit der „neue" Rat am 10. Mai 1525. Am 9. September 1525 sdireibt der „alte" Rat 1 5 in Anknüpfung an die frühere Korrespondenz, so als ob inzwischen nichts geschehen wäre, daß er Verständnis dafür habe, daß Luther und Melanchthon wegen ihrer vielfältigen Inanspruchnahme 164

nicht nach Erfurt hätten kommen können. Die damalige Bitte sei geschehen, „damit wir unser Bürgerschaft und Landvolk mit Güte zur Ruhe bringen [,stillen'] und weiterer Unlust zuvorkommen möchten" und „auf ihr emsiges Begehren hin", weil „sie uns ohne Unterlaß angelegen" gewesen seien. Nun habe man zwar „Gott Lob! solche unsere Untertanen deswegen zur Ruhe gebracht [,gestillet*]", aber man übersende jetzt die damals dem Rat übergebenen 28 Artikel „und bitten ganz fleißig und dienstlich, dieselben zu besichtigen, zu erwägen und uns Euer Würden Bedenken darauf anzuzeigen". Als Begründung dafür wird angegeben: „dieweil unser Gemüt, Willen und Meinung ja nicht ist, die Unseren wider die evangelische Billigkeit und Recht ohne Not zu beschweren oder ihnen irgend etwas [,ichtes'] abzuschlagen, was wir ihnen zu gestatten oder zu erlassen schuldig sind" 16 . Wie ist dieses Schreiben nun zu beurteilen? Einer der früheren Editoren, dessen Ansicht die WA anscheinend übernimmt, hat gemeint 17 : „Entweder hat der Rat es zur endgültigen und vollständigen Beruhigung der Gemüter für nötig gehalten, die voraussichtlich vernichtend ausfallende Kritik der reformatorischen Autoritäten im September noch zu provocieren, oder es hat in dem in seiner alten Zusammensetzung wiederhergestellten Rate nicht an einer Fraktion gefehlt, die die nachträgliche friedliche Gewährung der einen oder andern jener Forderungen als zeit- und sachgemäß ansah".

Die erste Annahme ist sicher falsch, die zweite die wahrscheinlichere, aber möglicherweise nicht weit genug greifende. Schon das Schreiben des, sagen wir, „Revolutionsrates" vom Mai war außerordentlich merkwürdig, erschien doch hier z. B. die „Obrigkeit" in einer damals höchst unzeitgemäßen Stellung, der zweite Brief ist es in seiner Herstellung der Kontinuität zum ersten mindestens ebensosehr, denn dazwischen liegt die Niederschlagung der „Revolution" und die „Restauration", um moderne Ausdrücke zu gebrauchen. Wie nun, wenn der „neue" wie der „alte" Rat auf gleiche Weise von den in den 28 Artikeln angeschnittenen Sachfragen umgetrieben worden wären und eine echte Antwort auf sie begehrt hätten, und dieses Interesse an den Sachfragen so groß gewesen wäre, daß es alle äußeren Wandlungen unverändert überstanden hätte? Nicht nur die Politiker, sondern auch die Historiker von heute sind so daran gewöhnt, taktisch zu denken, daß ihnen die Möglichkeit kaum (oder gar nicht) in den Sinn kommt, das ihnen vorliegende Schriftstück könne allein vom Interesse an der Sache bestimmt sein. Luther hat je165

denfalls zu den 28 Artikeln Stellung genommen, so wie sie ihm vorgelegt worden waren, ohne Rücksicht darauf oder Kenntnis davon, daß er hier taktisch-politisdien Zwecken dienstbar gemacht werden könnte (wäre das der Fall gewesen, hätte er durch seine Freunde in Erfurt ohne Zweifel Kenntnis davon erhalten — und entsprechend darauf reagiert). In Luthers Nachwort zu den 28 Artikeln überwiegt die Ablehnung. Gleich zu Beginn heißt es hier 1 8 : „ein Artikel ist vergessen, [nämlidi] daß ein ehrbarer R a t nichts tue, keine Macht habe, ihm nichts anvertraut werde, sondern daß er dasitze wie ein Götze oder eine Null [,Zyfra'], und lasse [sich] ihm [alles] vorkauen vor der Gemeinde wie einem Kinde und regiere so mit gebundenen Händen und Füßen, und [daß] der Wagen die Pferde führe und die Pferde den Fuhrmann zäumen und antreiben. So wirds denn fein gehen, nach dem löblichen Vorbild dieser Artikel". Erst nach diesem Ausbruch redet Luther den Rat an: es sei ihm lieb, daß er seinerzeit nidit nach Erfurt hätte kommen können, denn es handele sich um „größtenteils solche ungeschickten Artikel", daß er wenig Gutes durdi seine Anwesenheit hätte schaffen können, ja „die Sache vielleicht ganz ärger gemacht" hätte. Es sähe so aus, als seien sie von Leuten aufgestellt, „denen zu wohl ist und die sich gedacht haben, es sei niemand im Himmel oder auf Erden, der sich nicht vor ihnen fürchte". Wenn er über Erfurt Gewalt hätte (hier spricht wieder der Luther des ausgehenden Bauernkrieges!), würde er von diesen Artikeln, obwohl eine Reihe von ihnen gut sei, keinen zulassen, sondern den Antragstellern, „zur Strafe solcher unerhörten Vermessenheit und Frevel", in allen Punkten das Gegenteil des Gewollten auferlegen. Denn in den 28 Artikeln sei nidits als der eigene Nutzen gesucht und das Unterste zu Oberst gekehrt. Es sei „gegen Gott und Vernunft", daß der Rat die Gemeinde fürchte und ihr Knecht sei, das würde zum Ruin der Stadt führen. „Deshalb weiß ich Euer Würden auf die Artikel nichts zu antworten, als daß man die Gemeinde vermahne, sie sollte stille sein, und die Besserung aller [Mißstände] einem ehrbaren R a t anvertrauen und anheim stellen" i g . Vor allem finde Luther keinen Artikel, wie man vor Inangriffnahme der Reformen „Gott solle fürchten, suchen, bitten, anrufen und ihm die Sache befehlen": „Ist das evangelisch, so mit dem Kopf hindurch zu wollen, ohne alle Demut und Gebet vor Gottes Augen, gerade so als bedürfte Erfurt Gottes nicht oder Gott wäre nicht auch über Erfurt H e r r ? " 2 0 . Sieht man Luthers Stellungnahme zu den einzelnen Artikeln an, zeigt sich alsbald, daß seine Antwort sehr viel differenzierter lautet, als es nach 166

diesem summarischen Nachwort 2 1 scheint. Selbstverständlich findet eine ganze Reihe von Artikeln seine volle, z. T. entrüstete, oft in ironische Form gekleidete, Ablehnung: so der Artikel 2, in dem Zinszahlung für ein Darlehen nur bis zur Höhe dieses Darlehens gefordert wird. Sobald die Zinsen diese Höhe erreicht hätten, sollten weder eine Rückzahlung des Darlehens noch weitere Zinszahlungen erfolgen. Luther schlägt in seiner Antwort vor, vom Gläubiger sollten noch Zinsen zum Darlehen dazu verlangt werden, allein für das Vorrecht, Geld nach Erfurt zu leihen 22 . Im Nachwort erklärt er entrüstet: „das ist so grob, daß es zuviel ist" 2S . Auf diese Weise würde man von niemand ein Darlehen erlangen, jeder würde sein Geld für sich behalten: „als wäre ich ein Kind", ließe sich kein Gläubiger behandeln. Auch die Artikel 6 bis 9 werden von Luther ähnlich ironisch abgefertigt. Hier wird zunächst verlangt, daß der Rat jährlich über alle Handlungen Rechenschaft ablege (6), insbesondere über seine Finanzgebarung (7). Wenn man einem Rat nicht vertraue, warum setze man dann überhaupt einen ein, fragt Luther zunächst und erklärt dann (zu 7): man wolle, „daß ja der Rat nicht Rat sei, sondern der Pöbel alles regiere" 24 . Das Verlangen, jedem Bürger das Handels- (8) und Braurecht (9) zu geben, weist Luther deswegen ab, weil allein die Reichen daraus Nutzen ziehen würden: „auf daß kein Armer vor den Reichen bleiben noch sich nähren könne" 2 5 . Besonders entrüstet Luther die Kurzsichtigkeit des Artikels 14, in dem Verhandlungen mit den sächsischen Fürsten wegen Ermäßigung des von der Stadt schon seit 1483 gezahlten Schutzgeldes gefordert werden: „Ja, auf daß niemand die Stadt Erfurt schütze oder daß die Fürsten noch Geld zugeben und dennoch schützen. Ich möchte gerne wissen, ob auch Erfurt Geld besser anlegen [könne], als daß es damit Schutz und Frieden erkauft" 2 9 . Auch Artikel 15, der sich gegen das von den Bürgern zu stellende Geleit wendet, verfällt ironischer Ablehnung: „Gleichviel es schade Fürsten oder Rat, wenn wir nur unseren Willen haben" 2T . Neben diesen rundweg abgelehnten Artikeln steht jedoch eine lange Reihe, die Luther, z. T. uneingeschränkt, bejaht: Artikel 5, der die Abschaffung der Meßstipendien verlangt, wird modifiziert angenommen (die jetzigen Inhaber sollen sie noch bis zu ihrem Tode erhalten) 28 , Artikel 10 (ehrlicher Ausschank) wird mit der erstaunten Frage gebilligt: „Ist das nicht immer gewesen?" 29 . Die Artikel 16 und 17 (Vorgehen gegen Unzucht und säumige Schuldner) erhalten das Lob: „Die beiden sind gut" 3 0 . Auch Artikel20 bekommt Luthers Zustimmung: „Der ist bil167

lig" S 1 , obwohl er unmittelbar in die Nachwirkungen des Bauernkrieges eingreift: hier wird gefordert, daß wegen ihrer Beteiligung daran Ausgewiesene, die ihre Unschuld nachweisen könnten, zur Verantwortung zugelassen werden sollen 32 . Artikel 21, der neue Steuern an die Zustimmung der Einwohner binden will, bekommt die mild-ironische Glosse: „Es wäre denn nötig, die Leute zu bezahlen" 33 . Artikel 23, der für die Wiedererrichtung der Erfurter Universität eintritt, erhält sogar nachdrückliche Zustimmung: „Der ist der allerbeste" 34 . Artikel 24 fordert Straffreiheit für alle an den 28 Artikeln und dem Versuch ihrer Durchsetzung Beteiligten. Luther stimmt zu: „Das ist auch gut, denn viele meinens vielleicht gut, den anderen halte mans zugute und vermahne sie, von ihrem Vornehmen abzulassen" 85 . Artikel 25, welcher den Rat auffordert, für niedrige Lebensmittelpreise zu sorgen, wird von Luther als zu den selbstverständlichen Pflichten des Rates gehörig bezeichnet 36 . Auch der Artikel 26 (zweimal in der Woche sollen auswärtige Lebensmittellieferanten Markt halten können) findet Luthers Zustimmung, wenn er ihn auch an den Rat verweist: „Da sehe der Rat zu" 3 7 . Die Stellungnahme zu diesem Artikel leitet über zu denen, für die Luther die aussdiließliche Zuständigkeit des Rates proklamiert. Das kann so geschehen wie bei Artikel 18 und 19 (beide zu Modalitäten des Gerichtsverfahrens), wo Luther bemerkt: „wo der Rat das für gut erklärt", „nach Gefallen des Rats" 3 8 . Das kann aber auch in der Form der Ablehnung des Verlangens erfolgen, so bei Artikel 4, wo es um die Verfügung über Gemeindebesitz geht, die Luther allein dem Rat zuspricht 39 . Am nachdrücklichsten ist die Zurückweisung des Artikels 1, in welchem die Pfarrwahl für die einzelne Gemeinde verlangt wird. Obwohl hier hinzugefügt wird: „daß durch dieselben verordneten Pfarrer das lautere Wort Gottes klar vorgetragen werde ohne allen Zusatz, alle menschlichen Gebote, Satzungen und Lehren, die das Gewissen betreffen", fügt Luther als Kommentar lediglich hinzu: „Der Rat aber soll die Obermacht haben zu wissen, was für Personen in der Stadt Ämter haben" 40 . Erst im Nachwort wird er deutlicher: „Ists nicht aufrührerisch, daß die Pfarren selbst den Pfarrer wählen und abwählen wollen, den Rat unangesehen, als läge dem Rat als der Obrigkeit nichts daran, was sie in der Stadt machten?" 41 Bei einer ganzen Reihe von Artikeln klingt die Verweisung an den Rat so, als ob Luther sich nicht zuständig fühle, so bei Artikel 3 (Gatterzinsen): „Weiß nicht, was das ist" 4 2 , bei Artikel 11 (Zunftfreiheit): „Das 168

überlaß ich der Erkenntnis des Rats" 4 S . Daß dieser Kommentar als Erklärung der Nichtzuständigkeit gemeint ist, ergibt sich aus dem zu Artikel 12: „Der ist auch weltlich und geht mein Unterricht nicht an" 4 4 . Hier geht es um die Modalitäten der Vertretung von Rechtsangelegenheiten der Bürger vor dem Rat. Genau so reagiert Luther bei Artikel 13, wo die Abstellung von Mißbräuchen in der Verwaltung gefordert wird (Luther: „Der auch") 45 . Auch zur Forderung des Weinausschanks in der Vorstadt (Artikel 22) 46 , der Rückgabe von Einkünften aus der Stadt entfremdetem Landbesitz (Artikel 27) 47 und der Benutzung der Stadtweiden (Artikel 28) 48 äußert sich Luther ähnlich. Im Nachwort zu den 28 Artikeln erklärt Luther zusammenfassend: „Viele betreffen ganz weltlichen Handel, darin mir nicht gebührt zu richten noch zu raten. Ich kanns auch nicht" 49 . Das klingt nach einer sauberen Scheidung zwischen den „beiden Regimenten", zwischen weltlichen und geistlichen Angelegenheiten. Sieht man aber genauer zu, wird man — wie immer wieder bei unseren Untersuchungen — feststellen, daß Luther weit über den geistlichen Bereich (mindestens so, wie er im Luthertum vergangener Zeit definiert wurde) hinausgreift und der weltlichen Obrigkeit eigentlich nur die Entscheidung über Formalien und Verfahrensfragen überläßt. Das ergibt sich immer wieder bei der Lektüre von Luthers Stellungnahmen (vgl. die vorangehenden Ausführungen). Bei allen wichtigen politischen und öffentlichen Fragen nimmt Luther durchaus eine Entscheidungsbefugnis in Anspruch: das beginnt bei der Frage der Zahlung des Schutzgeldes an Sachsen, das heißt bei der politischen Orientierung der Stadt (Artikel 14) und geht bis in die Einzelheiten des Finanzwesens (Artikel 2), der Handelsfreiheit (Artikel 6), ja sogar des Brauwesens (Artikel 7). Selbst da, wo Luther die politische Autorität des Rates stärkt (Artikel 4 u. ö.), und da, wo er die Alleinzuständigkeit des Rates proklamiert, nimmt er das Recht und die Zuständigkeit für die Entscheidung politischer Fragen — im engen wie im weiteren Sinn — für sich in Anspruch. Von daher ist Luthers Stellungnahme zu den 28 Artikeln im höchsten Grade aufschlußreich.

vgl. Franz, Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, S. 149 f vgl. dazu o. S. 114 WA 18, 325 4 WA 18, 325 f 5 WA 18, 326 • WA 18, 327 1

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WA 18, 327 f Lediglich Artikel 20, der von Bürgern spricht, die „inn odder noch [nach] der emporung vorweist" (ausgewiesen) worden seien, klingt nach späterer Abfassung. Aber möglicherweise ist tatsächlich nur die Zeit bis zur „Machtergreifung" gemeint, denn nach dem Brief des Rates vom 9. September scheint es sich bei der Zusendung um die Fassung der Artikel vom Mai 1525 zu handeln. Förstemann, Neues Urkundenbudi, S. 283, zum ganzen vgl. WA Br III, S. 491 die beiden Briefe sind verloren Luther datiert (WA 18, 540): „Donnerstags nach Lamberti Anno X X V " , WA 18, 533 wie WA Br III, S. 577 folgen dem mit Recht und lehnen die frühere Konjektur ab, es müsse sich um den Dienstag gehandelt haben ( = 19. September), weil der Donnerstag nach Lamberti damals als Matthäustag bezeichnet worden sei und Luther am 21. September nach ihm datiert haben müsse. WA Br III, S. 577 WA Br III, 865 S. 492 alle Zitate WA Br III, 865 S. 492 WA B r i l l , 919 S. 571 alle Zitate WA Br III, 919 S. 571 W. Schum, Neue Mitteilungen aus dem Gebiet historisch-antiquarischer Forschungen 15, 1, 1880, S. 190 WA 18, 539 bis hierher alle Zitate WA 18, 539 f WA 18, 540 Soweit es auf einzelne Artikel eingeht, wird seine Stellungnahme bei der Behandlung des betr. Artikels referiert. WA 18,534 WA 18,540 WA 18,535 WA 18, 536 WA 18, 537, vgl. dazu auch S. 540: „so gering achten sie den Frieden und die Sicherheit, die doch mit keinem Geld bezahlt werden können". WA 18,537 WA 18,535 WA 18,536 „Die beyde gehenn woll", WA 18,537 WA 18,538 WA 18, 537 WA 18, 538 WA 18, 538 ebda „Das soll sunst ein Rath thun aus Pflicht und Amt", WA 18,538 WA 18,538 WA 18,537 WA 18, 535 WA 18, 534 WA 18, 540 WA 18,535 WA 18, 536 ebda ebda WA 18, 538 WA 18, 538 f WA 18, 539 WA 18,540

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4. Kriegsdienst und Türkenkrieg Wenn jetzt, unmittelbar an die Behandlung des Bauernkrieges anschließend, auf die Frage des Kriegsdienstes eingegangen wird, so hat das seinen „Sitz im Leben". Denn Luthers Schrift „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können" von 1526 ist ausgelöst durch ein Gespräch mit dem kursächsischen Feldhauptmann Assa von Kram. Sogleich nach Beendigung des Bauernkrieges und unter dessen Eindruck hatte er Luther beim feierlichen Einzug der Truppen in Wittenberg danach befragt und einen „schriftlichen, öffentlichen Unterricht" darüber begehrt 1 . Nicht nur er, sondern viele Soldaten befänden sich in schwerer Gewissensnot, die so weit ginge, daß manche „nichts mehr nach Gott fragen und Seele und Gewissen beide in den Wind schlagen", eben weil sie meinten, daß beim Kriegführen „an Gott und Seele nicht zu denken sei" 2 . Darauf hat Luther in seiner Schrift von 1526 geantwortet. Der Bericht darüber kann nicht erfolgen ohne einen kurzen Rückgriff auf Luthers Stellungnahme zum Thema in seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit" und ohne eine Behandlung der Schriften Luthers zum Türkenkrieg. Das eine ist beinahe selbstverständlich, das andere ergibt sich daraus, daß die Frage des Wehrdienstes von heute der damaligen Zeit nidit gestellt ist: die Truppen der Friedenszeit bestehen aus Berufssoldaten, erst im konkreten Kriegsfall ist die Frage des allgemeinen Wehrdienstes gestellt. Ganz abgesehen davon, daß Luther 1526 seine Antwort auf die Frage „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können" mit einem Ausblick auf den Türkenkrieg schließt 3 , ist ihm der Krieg gegen die Türken der Kriegsfall in echtem Sinn — die Kriege Karls V. gegen Frankreich und den mit diesem verbündeten Papst bleiben außerhalb seiner Betrachtung; ob und unter welchen Bedingungen er einen Krieg gegen den die Reformation verfolgenden Kaiser für möglich hält, wird später 4 zu erörtern sein. Zwar hat Luther noch eine ganze Reihe von Schriften zum Türkenkrieg verfaßt 5 , die beiden wichtigsten gehören jedoch in das Jahr 1529, also in die Regierungszeit Johann des Beständigen, auch von daher ergab sich die Notwendigkeit ihrer Behandlung in diesem Zusammenhang. In seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit" von 1523® nimmt Luther auf das Thema des Krieges nur beiläufig Bezug. Zwar spricht er in der Einleitung immer wieder vom „Schwert" und vom „Schwertgebrauch" der Obrigkeit, davon, daß „das Recht dieses Schwertes von Anfang der Welt an gewesen" sei 7 u. a. m. Aber man darf sich nicht verführen las171

sen, diese Stellen zu direkt auszulegen. Gewiß schließen sie Soldatenstand und Kriegsdienst nicht aus, sieht Luther doch in der Antwort Johannes des Täufers an die ihn befragenden Soldaten (Luk. 3,14) die Einsetzung des Schwertamtes durch Gott und seine Anerkennung als göttliche Ordnung 8 . Und wenn der Obrigkeit die Aufgabe zugewiesen wird, die Bösen zu strafen und die Frommen zu schützen9, so ist auch hier der Kriegsfall nicht ausgeschlossen. Denn Luther nennt als Schriftbeispiel für den Gebrauch des Schwertes durch „alle Heiligen von Anfang der Welt an" auch die im Alten Testament beschriebenen Kriegszüge10. Aber dennoch will Luther im ersten Teil seiner Schrift vor allem die Notwendigkeit der weltlichen Gewalt begründen, so wie er in ihrem zweiten Teil („Wie weit sich weltliche Obrigkeit erstrecke" u ) darlegen will, wo die Grenze verläuft, die dem Wirken des Staates gezogen ist. „Wenn alle Welt rechte Christen, das ist rechte Gläubige wären, so wäre kein Fürst, König, Herr, Schwert noch Recht notwendig oder von Nutzen" 12 . Aber: „Sintemal alle Welt böse und unter Tausenden kaum ein rechter Christ ist, würde eines das andere fressen, daß niemand Weib und Kind aufziehen, sich nähren und Gott dienen könnte, wodurch die Welt wüste würde. Deshalb hat Gott die zwei Regimente verordnet: das geistliche, welches durch den heiligen Geist Christen und fromme Leute macht, unter Christus, und das weltliche, welches den Unchristen und Bösen wehrt, daß sie gegen ihren Willen äußerlich Frieden halten und still sein müssen"13. Und drittens: „Das weltliche Regiment hat Gesetze, die sich nicht weiter erstrecken als über Leib und Gut und was äußerlich auf Erden ist. Denn über die Seele kann und will Gott niemand regieren lassen als sich selbst allein. Deshalb: Wo weltliche Gewalt sich vermißt, der Seele Gesetze zu geben, da greift sie Gott in sein Regiment und verführt und verdirbt nur die Seelen"14. In diese drei Sätze lassen sich die beiden ersten Teile der Schrift Luthers zusammenfassen. Im dritten Teil seiner Schrift will Luther dann darlegen, „wie ein Fürst sich verhalten soll um derer willen, die auch gern christliche Fürsten und Herren sein wollen und auch in jenes Leben zu kommen gedenken" 15 . Und hier, beim „Regentenspiegel", kommt er dann auch ausdrücklich auf den Krieg zu sprechen: „Da sagst du dann: Soll denn ein Fürst nicht Krieg führen, oder seine Untertanen ihm nicht in den Streit folgen?" 19 . Auf diese „weitläufige Frage" antwortet Luther sozusagen mit Leitsätzen17:

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1.Kein weltlicher Stand darf gegen die ihm übergeordnete Obrigkeit Krieg führen. Von ihr soll er Unrecht leiden und nidit mit Gewalt, sondern nur mit dem Bekenntnis der Wahrheit Widerstand leisten. 2. Gegenüber gleichgestellten oder fremden Obrigkeiten liegt die Sache anders. Im Konfliktsfall soll hier zunächst „Recht und Frieden" angeboten, d. h. den Streit durch friedliche Verhandlungen beizulegen versudit werden. Geht der Gegner darauf nidit ein, so rät Luther: „wehre dich mit Gewalt gegen Gewalt". Entscheidend dafür ist die Pflicht der Obrigkeit zum Schutz und zur Hilfe für die Untertanen. Solch ein Krieg macht zwar „etliche Witwen und Waisen", aber er verhindert, „daß nicht alles zu Boden gehe und lauter Witwen und Waisen werden". 3. In einem solchen Fall sind die Untertanen zum Kriegsdienst und darin „Leib und Gut daranzusetzen" verpflichtet. „Und in solchem Krieg ist es christlich und ein Werk der Liebe, die Feinde getrost zu würgen, zu rauben und zu brennen und alles zu tun, was [den Feinden] schädlich ist, bis man sie nach Kriegsbräuchen überwinde, nur daß man sich vor Sünden hüten, Weiber und Jungfrauen nicht schänden soll" 1S . Ist der Feind überwunden, „soll man denen, die sich ergeben und demütigen, Gnade und Frieden erzeigen". 4. Ist die Obrigkeit in diesem Kriege jedoch im Unrecht, sind die Untertanen nidit zum Waffendienst verpflichtet. Niemand darf gegen das Recht handeln, hier gebührt es Gott mehr zu gehorchen als den Mensdien. Ist die Rechtsfrage unklar und der Untertan nicht in der Lage, sich trotz Bemühens ein eindeutiges Urteil zu verschaffen, kann er dem Kriegsruf seines Fürsten ohne Gefahr für die Seele folgen 10 . Was 1523 in, kurzen Leitsätzen dargelegt wurde, wird von Luther 1526 in seiner Schrift, „Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können" 20 , ausführlich behandelt. Denn den Hauptteil dieser Schrift 21 macht die Behandlung der drei Kriegsfälle aus: Gleich gegen Gleich, „Oberperson" gegen „Unterperson", „Unterperson" gegen „Oberperson". Die Resultate, zu denen Luther hier kommt, entsprechen den vier Leitsätzen der Schrift „Von weltlicher Obrigkeit", obwohl doch drei Jahre seit ihnen vergangen sind und in diese drei Jahre die blutigen Ereignisse des sog. Bauernkrieges gehören. Dennoch ist ein Eingehen auf die Schrift über die „Kriegsleute" hier unerläßlich, denn trotz des unveränderten Resultats bietet sie im Beweisgang dahin wie im Kommentar dazu Grundlegendes 173

für Luthers Haltung zum Krieg. Außerdem ist der Schluß besonders deshalb wichtig, weil er nidit nur allgemein vom Krieg, sondern auch einmal ganz speziell vom Krieger redet. Schon im Eingang nimmt Luther auf die „Kriegsleute" Bezug. Das gute Gewissen, so beginnt Luther seine Schrift, ist die Voraussetzung für den Krieg. Wer mit verzagtem und unsicherem Gewissen ins Feld zieht, dem kann nichts gelingen, er muß schließlich unterliegen22. Daß „Kriegerstand, -amt oder -werk . . . recht und göttlich ist", darauf will Luther hier nicht eingehen, das habe er in seiner vorigen Schrift („Von weltlicher Obrigkeit") dargelegt 23 . Krieg sei nichts anderes, „als Unrecht und Böses strafen", Krieg werde geführt, weil man Frieden und Gehorsam wolle 24 . Ihm gehe es hier darum, festzustellen, „ob der christliche Glaube, durch welchen wir vor Gott für fromm gerechnet werden, auch neben sich leiden könne, daß ich ein Kriegsmann sei, Krieg führe, würge und steche, raube und brenne, wie man dem Feinde in Kriegszeiten nach Kriegsrecht tut: ob solch Werk auch Sünde oder Unrecht sei, dessentwegen man sich vor Gott ein Gewissen zu machen habe, oder ob ein Christ dieser Werke keines tun, sondern allein wohltun, lieben, niemand töten oder beschädigen d ü r f e " ? 2 5

Wenn Luther trotz dieser grundsätzlichen Erklärung doch ausführlich auf die Berechtigung des Krieges eingeht, wird daraus ersichtlich, wie wichtig ihm das Thema ist. Es sei alles wahr, was man darüber sage, eine wie große Plage der Krieg sei. „Aber man sollte auch daneben ansehen, wievielmal größer die Plage ist, der man mit Kriegführen wehrt" 2 e . Man dürfe das Kriegsamt „nicht ansehen, wie es tötet, brennt, schlägt und fängt usw." 27 . Das tun die „kurzsichtigen, einfältigen Kinderaugen, die dem Arzt nicht weiter zusehen, als wie er die Hand abhaut oder das Bein absägt" 28 . Sie „sehen aber oder merken nicht, daß es darum zu tun ist, den ganzen Leib zu retten". Wenn „die Menschen rechtschaffen wären und gern Frieden hielten, so wäre Kriegführen die größte Plage auf Erden" 29. Sie sind es aber nicht, sie wollen nicht Frieden halten, sondern werden das größte Unglück anrichten, wenn man sie nicht mit Gewalt daran hindert. „Solchem allgemeinen Unfrieden für alle Welt, vor dem kein Mensch bestehen bleiben könnte, muß der kleine Unfriede, der da Krieg oder Schwert heißt, steuern" so . Man darf nicht auf den Jammer sehen, den das Schwert anrichtet, sondern muß im Auge behalten, wieviel größeren Jammer es verhindert: „Sehe ich aber an, wie es die Frommen schützt, Weib und Kind, Haus und Hof, Gut und Ehre und Frieden da174

mit erhält und bewahrt, so findet sidis, wie köstlich und göttlich das Werk ist, und ich merke, daß es auch ein Bein oder Hand abhaut, auf daß nicht der ganze Leib vergehe, denn wo das Schwert nicht wehrte und Frieden hielte, so müßte alles durch Unfrieden verderben, was in der Welt ist" 31 . Der Einwand: „die Christen haben keinen Befehl zu streiten", sie sollten dem Übel nicht widerstehen, sondern alles leiden — modern gesprochen: der Pazifismus sei die einzige dem Christen mögliche Haltung, gehe am wirklichen Sachverhalt vorbei und verschließe die Augen vor der Welt, wie sie ist, und vor der Stellung und Aufgabe der Christen in ihr. Selbstverständlich führen Christen — als Christen — keinen Krieg, und sie haben — als Christen — keine weltliche Obrigkeit und keinen Staat nötig. Aber die Welt besteht eben nicht nur aus Christen, sie bedarf zu ihrer Existenz des Staates und der Obrigkeit. Wenn Christen Soldaten sind und Krieg führen, so tun sie das deshalb nicht als Christen, sondern als Glieder dieses Staates, „nicht für sich noch um ihretwillen, sondern der Obrigkeit zu Dienst und Gehorsam, unter welcher sie sind"». Damit ist Luther bei der Erörterung der drei Möglichkeiten eines Krieges angelangt. N u r die erste von dreien, die er ins Auge faßt, ist hier zu besprechen, „nämlich daß ein gleicher gegen seinesgleichen streitet (das heißt, da keine der beiden Personen der anderen [Treue] geschworen hat oder Untertan ist, obgleich die eine Person nicht so groß, herrlich, mächtig sei wie die andere)" 8 3 . Seit der Selbstauflösung des alten Römischen Reiches deutscher Nation im Jahre 1803 (und schon vorher) ist dieser Kriegsfall das Normale. Selbständige, im Prinzip gleichberechtigte Staaten stehen einander gegenüber, der Krieg ist immer der gegen einen auswärtigen Feind. Das ist bei Luther anders: hier kann der „auswärtige Feind" ein anderer deutscher Territorialstaat sein. Der Kampf gegen den Türken durch die vereinigten deutschen Fürsten unter der Anführung des Kaisers ist ebenso ein Krieg „Gleich gegen Gleich" wie der Kampf zweier deutscher Territorialfürsten gegeneinander. Was Luther über den Krieg der „Oberperson" gegen die „Unterperson" bzw. den umgekehrten Fall des Krieges der „Unterperson" gegen die „Oberperson" sagt, ist im Abschnitt über den Schmalkaldischen Bund und das Widerstandsredit gegen den Kaiser zu besprechen 34 . Was sagt Luther nun in seiner Schrift „Von den Kriegsleuten" über den Krieg „Gleich gegen Gleich"? Sein erster Satz, den er über alles andere 175

stellt, ist der: „Wer Krieg anfängt, der ist im Unrecht" S5 . Zwar sei der Kampf „Gleich gegen Gleich" möglich, aber es sei nicht zulässig, „Krieg nach eines jeglichen tollen Herrn Kopf anzufangen". Es sei billig, daß der unterliege, der einen Krieg begonnen habe. „Denn weltliche Obrigkeit ist nicht von Gott eingesetzt, daß sie Frieden brechen und Kriege anfangen solle, sondern dazu, daß sie den Frieden handhabe und den Kriegern wehre" 3°. Rechte Soldaten, „die dabeigewesen sind", greifen nicht schnell zur Waffe und sehnen sich nicht nach dem Waffengang. „Aber wenn man sie zwingt, daß sie es müssen, so hüte dich vor ihnen, dann scherzen sie nicht" 37 . Nur wenn man wirklich sagen kann, daß man gerne Frieden wolle, dann kann man sich mit gutem Gewissen wehren. Die da immer vom Krieg reden und die Welt mit Worten fressen wollen und stets bereit sind, zu den Waffen zu greifen, die werden sie zuerst auch wieder einstecken und fliehen. Das belegt Luther nicht nur mit Beispielen aus der Erfahrung (hier verweist er auf die Geschichte des Römischen Reiches und seinen eigenen Kurfürsten Friedrich den Weisen), sondern auch mit einer Fülle von Verweisen auf die Gesdiichte des Volkes Israel 38 . Kriegführen ist Unrecht — „es sei denn, daß es solchen Grund und solch Gewissen habe, daß man da sagen könne: Mein Nachbar zwingt und nötigt mich Krieg zu führen, ich wollts lieber sein lassen, auf daß der Krieg nicht allein Krieg, sondern auch pflichtmäßiger Schutz und Notwehr heißen könne" 39 . Ein „aus Lust und freiem Willen" angefangener Krieg ist des Teufels. Auch der andere, der aufgezwungene Krieg — der „Notkrieg", wie Luther sagt — ist ein menschliches Unglück. Aber bei ihm wird Gott helfen, und hier gilt es, alle kriegerische Kraft einzusetzen. Denn eine jede Obrigkeit ist verpflichtet, die Ihren zu schützen und ihnen Frieden zu verschaffen. Diese Aufgabe ist ihr von Gott gegeben, und um dieser Aufgabe willen hat Gott ihr das Amt gegeben, nicht um ihrer „schönen gelben Haare willen" 40 . Wer denkt, er sei in sein obrigkeitliches Amt um seiner selbst willen gesetzt, um sich daran zu freuen und Ehre von ihm zu haben, der ist ein Narr. Wenn nun die Nachbarn und Feinde eines Landes aufbegehren und feindliche Reden führen, so wird ein Fürst, meint Luther, dazu schweigen, nach dem Motto: „,Es gehen viele Worte in einen Sack', und: ,Mit Schweigen wird viel beantwortet 1 ". Er tut das solange, „bis er sieht, daß man seine Untertanen angreift oder das Messer tatsächlich gezückt findet. Da wehrt er denn, soviel er kann, soll und muß" 41 . Aber ebenso 176

nötig wie dieses erste Stück ist ein zweites zu beobachten. Selbst wenn man ganz sidier sein kann, daß man den Krieg nicht anfängt, sondern gezwungen wird, Krieg zu führen, darf man sich nicht darauf verlassen, daß man nun gute Ursache habe, Krieg zu führen und ihn tollkühn beginnen: „Wahr ists, rechte gute Ursache hast du, Krieg zu führen und dich zu wehren, aber du hast darum doch nicht Siegel und Brief von Gott, daß du gewinnen werdest. Ja, eben solcher Trotz sollte es wohl machen, daß du verlieren müßtest, wenn du auch gleich billige Ursache zum Kriegführen hättest, deshalb, weil Gott keinen Stolz noch Trotz leiden kann, sondern nur, wer sich vor ihm demütigt und fürchtet" 4 2 . Es gefällt Gott gut, „daß man sich vor Menschen und Teufel nicht fürchte, keck und trotzig, mutig und unentwegt gegen sie sei, wenn sie anfangen und Unrecht haben. Aber daß es damit gewonnen sein sollte, als wären wirs, die wirs täten oder vermöchten, da wird nichts draus, sondern er will gefürchtet sein" 4 5 . Man darf nicht auf sich selbst bauen, sondern nur auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit. Wer sich auf sein Recht und nicht auf Gott verläßt, unterliegt mit Recht. Die Heiden haben das auf ihre Art gut gewußt. Sie haben es immer wieder erfahren, daß ein großes, gut gerüstetes Volk von einem anderen geschlagen wurde, das den Vergleich mit ihm nicht aushalten konnte. So haben sie erkannt, daß im Krieg nichts gefährlicher sei als Sicherheit und Trotz, und gefordert, daß man keinen Feind verachten solle, wie klein er auch immer sei. Man solle sich auch keines Vorteils begeben, möge er auch noch so klein sein, und keine Vorsicht und Achtsamkeit unterlassen, und sei das alles auch so klein, daß man es nur mit der Goldwaage messen könne. Die Heiden haben das zwar erfahren und gelehrt, nur haben sie keine rechte Ursache dafür angeben können, sondern alles dem Glück zugeschrieben. Die Christen kennen den eigentlichen Grund: Gott kann Trotz, Vermessenheit und Sicherheit nicht leiden, wir sollen lernen, alles aus seiner Gnade und Barmherzigkeit anzunehmen. Luther faßt seine Weisung dahin zusammen: „Deshalb ists ein wunderlich Ding: ein Kriegsmann, der rechte Ursache hat, der soll zugleich mutig und verzagt sein. Wie will er streiten, wenn er verzagt ist? Streitet er aber unverzagt, so ists abermals große Gefahr. So aber soll er tun: vor Gott soll er verzagt, furchtsam und demütig sein und ihm die Sache anbefehlen, daß ers nicht nach unserm Recht, sondern nach seiner Güte und Gnade einrichte, auf daß man Gott zuvor mit einem demütigen, furchtsamen Herzen gewinne. Gegen die Menschen soll man keck, frei und trotzig sein, als die 177

doch Unrecht haben, und sie so mit trotzigem, getrostem Gemüte schlagen. Denn warum sollen wir nicht unserm Gott das tun" **. Im Anschluß daran erörtert Luther Einzelfragen, die im wesentlichen nur für seine Zeit gelten, mit einer Ausnahme, die unserer Zeit noch brennender geworden ist als dem 16. Jahrhundert, nämlich der nach dem ungerechten Kriege. Hier wiederholt Luther seine Stellungnahme von 1523 4 5 , und zwar mit allem Nachdruck: Wenn man sicher ist, daß der Krieg nicht recht ist, soll man an ihm nicht teilnehmen und keinen Soldatendienst leisten. Denn nach Apg. 5, 29 soll man Gott mehr gehorchen als den Menschen. Hier gelten keine Einwände: „Ja, sagst du, mein Herr zwingt mich, nimmt mir mein Leben, gibt mir mein Geld, Lohn und Sold nicht; dazu würde ich vor der Welt als ein Feigling verachtet und gescholten, als ein Treuloser, der seinen Herrn in Nöten verläßt usw. Antwort: Das mußt du darauf ankommen und um Gottes willen geschehen lassen, was da geschieht" 46 . Im Zweifelsfalle jedoch, wenn die Frage nach Recht oder Unrecht des Krieges nicht sicher entschieden werden kann, geht die Pflicht gegen die Obrigkeit vor, hier muß man „den sicheren Gehorsam um unsicheren Rechtes willen nicht schwächen" 47 . Die anderen Fragen, die Luther behandelt, gehen vom Söldnerheer des ausgehenden Mittelalters aus, von der Pflicht zur Heeresfolge, die mit dem vom Kaiser oder Fürsten erhaltenen Lehen verbunden ist, von der Absicht oder Möglichkeit, durch die Beute im Kriegsdienst Besitz zu gewinnen; auf sie braucht hier nicht eingegangen zu werden. Auch wenn Luther vom Aberglauben der Soldaten spricht, ist das im wesentlichen einer vergangenen Zeit gesagt. Etwas anders steht es schon, wenn Luther davon spricht, daß der Soldat vom Ehrgeiz getrieben wird und danach strebt, daß er im Krieg „ein stattlicher Mann sei und angesehen werde" 4 8 . Es sei eine heidnische und nicht eine christliche Weise, die Soldaten vor dem Kampf dadurch anzuspornen, daß man sie an die Ehre erinnere, die sie damit gewinnen könnten. Sondern an Dienst, Pflicht und Gehorsam solle man sie erinnern, in dem sie stehen — vor der irdischen Obrigkeit, ebenso aber auch vor Gott. Im Herzen oder mit dem Mund soll der Soldat vor der Schlacht ein Gebet sprechen — es sei im Wortlaut zitiert: „,Himmlischer Vater, hier bin ich nach deinem göttlichen Willen in diesem äußerlidien Werk und Dienst meines Oberherrn, wie ich es dir und demselben Oberherrn um deinetwillen schuldig bin. U n d deiner G n a d e und Barmherzigkeit danke ich, daß du mich in solch Werk gestellt hast, da ich gewiß bin, daß es nicht Sünde ist, sondern recht und ein deinem Willen gefälliger Gehorsam. Weil ich

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aber weiß und durch dein gnadenreiches Wort gelernt habe, daß keines unserer guten Werke uns helfen kann, und niemand als ein Krieger, sondern allein als ein Christ selig werden kann, so will ich mich gar nicht auf solchen meinen Gehorsam und Werk verlassen, sondern dasselbe deinem Willen frei zu Dienst tun. Und ich glaube von Herzen, daß mich allein das unschuldige Blut deines lieben Sohnes, meines Herrn Jesus Christus, erlöse und selig mache, welches er für mich, deinem gnädigen Willen gehorsam, vergossen hat. D a bleibe ich drauf, da lebe und sterbe ich drauf, da streite und tue ich alles drauf. Erhalte, lieber Herr Gott Vater, und stärke mir solchen Glauben durch deinen Geist! Amen'. Willst du darauf das Glaubensbekenntnis und ein Vaterunser sprechen, kannst du es tun und es damit genug sein lassen. Und befiel damit Leib und Seele in seine Hände. Und zieh dann vom Leder und schlage drein in Gottes N a m e n " 49 .

Einem Heer, das viele solche Soldaten unter sich hätte, würde niemand widerstehen können. Ja, wenn neun oder zehn, ja, auch nur drei oder vier Soldaten im Heer wären, die das mit rechtem Herzen sagen könnten, sollten sie Luther lieber sein als alle Rüstung. Dann könnte man den Türken getrost kommen lassen. „Denn christlicher Glaube ist kein Scherz noch gering Ding, sondern, wie Christus im Evangelium (Mark. 9, 23) sagt: Er vermag alles" 5 0 . Diese Schrift Luthers von 1526 über den gerechten Stand der Kriegsleute schließt mit einem Ausblick auf den Krieg gegen die Türken. Luther wollte ursprünglich schon in ihrem Zusammenhang etwas darüber sagen. Denn im Jahre 1526 hatte sich die Gefahr aus dem Osten schon in voller Größe gezeigt. Bereits im 15. Jahrhundert war nach der Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Türken und ihrer Unterwerfung der Balkanvölker ein Vorstoß des Islam nach Mitteleuropa zu erwarten gewesen. Der Sieg in der Schlacht bei Belgrad 1456 hatte ihn für einige Jahrzehnte zurückgehalten, aber spätestens 1521, als Suleiman II. Belgrad eroberte, wurde deutlich, daß der Eroberungswille des Sultans auch in bezug auf den Westen ungeschwächt war. 1526 war der Sturm dann losgebrochen; in der Schladit bei Mohacz unterlag das ungarische Heer dem türkischen Ansturm, auf der Flucht verlor König Ludwig II. das Leben. Aber so schnell wie die türkische Flut gekommen war, hatte sie sich auch wieder verloren. Bevor Luther seine Schrift beendet hatte, war das türkische Heer wieder abgezogen. Da „unsere Deutschen nun nicht mehr danach fragen, ist noch nicht Zeit, davon zu schreiben", erklärt Luther deshalb, wobei er allerdings gleichzeitig darauf verweist, daß er schon 179

früher ausgeführt habe, „wie Gleich gegen Gleich wohl [ = berechtigt] Krieg führen dürfe" 8 1 . Aber bald war es hohe Zeit dazu. Denn schon im Jahre 1528 war man sich darüber im klaren, daß das türkische Heer seinerzeit nur zurückgewichen sei, um mit noch größerer Wucht zurückzuschlagen; mit Sorge erwartete man den Angriff. In dieser Situation beginnt Luther im Oktober 1528 seine Schrift „Vom Kriege wider die Türken" 6 2 , sie ist (April 1529) gerade noch erschienen, bevor der türkische Vormarsch (am 10. Mai) begann. Seit langem war er von seinen Freunden zu einer Stellungnahme zur Türkenfrage gedrängt worden. Denn Luther hatte sich in den Resolutionen zu den 95 Thesen so zum Türkenkrieg geäußert 53 , daß die Bannandrohungsbulle 1520 unter die zu verwerfenden Lehren Luthers den Satz aufnehmen konnte: „Gegen die Türken Krieg führen, heißt gegen Gott kämpfen, der [durch sie] unsere Ungerechtigkeit heimsucht" M . Die katholisdie Polemik setzte hier erfolgreich ein, zumal Luther auch später noch mehrere Äußerungen getan hatte 55 , die als Ablehnung eines kriegerischen Widerstandes gegen die Gefahr aus dem Osten ausgelegt werden konnten. Dazu fehlte es nicht an Stimmen, welche das erfolgreiche Vordringen der Türken ebenso wie den Aufstand der Bauern als Strafe Gottes für die Reformation darstellten. Mit einer zornigen Zurückweisung dieser Verleumdungen beginnt Luther die Widmung an den Landgrafen Philipp von Hessen, die er seiner Schrift voranstellt 56 , und diese selbst mit einer Bezugnahme auf den Satz über den Türkenkrieg in der Bannandrohungsbulle sowie einer Darstellung seiner Motive und Handlungsweise57. Diese Bemerkungen zur historischen Situation der Schrift mögen genügen, hier ist vor allem wichtig, wie Luther die Sache selbst behandelt. Wieder beginnt er mit einer Ermahnung der Gewissen. Wie „mit rechtem Gewissen Krieg zu führen" ist, eine Unterweisung darüber ist das erste, worauf es ankommt. Zweierlei ist hier zu wissen nötig: erstens, daß der Angriff des Türken „reiner Frevel und Räuberei" ist. „Denn er streitet nicht aus Not oder um sein Land durch Frieden zu schützen, wie eine ordentliche Obrigkeit tut, sondern er sucht andre Länder zu berauben und ihnen Schaden zu tun, die ihm doch nichts tun oder getan haben, wie ein Seeräuber oder Straßenräuber. Er ist Gottes Rute und des Teufels Diener, das hat keinen Zweifel" 58 . Der Türke führt einen Angriffskrieg, und zwar ohne jede Notwendigkeit; bereits dadurch ist er verurteilt. Zweitens ist es entscheidend, zu wissen, „wer der Mann sein soll, der 180

gegen den Türken Krieg führen soll, auf daß derselbe sicher sei, daß er dazu von Gott Befehl habe und redit daran tue, nicht hineinplumpse, sidi selbst zu rächen, oder sonst eine tolle Absicht und Ursache habe, auf daß er, ob er schlüge oder geschlagen würde, in seligem Stand und göttlichem Amt befunden werde"5®. Zwei Männer sind es: „Einer heißt Christianus, der andere Kaiser Carolus". „Christianus soll mit seinem Heer der erste sein". Denn es kann kein Zweifel daran bestehen (hier nimmt Luther seine früheren Ausführungen zum Thema wieder auf), daß der Türke die „zornige Rute unsers Herrgotts" ist. Deshalb muß man Gott zuerst die zornige Rute aus der Hand nehmen, d. h. den Zorn Gottes besänftigen, der den Türken geschickt hat. Die Geistlichen sollen deshalb die Gemeinde zur Buße und zum Gebet ermahnen, „mit Anzeigen unserer großen unzähligen Sünden und Undankbarkeit, wodurdi wir Gottes Zorn und Ungnade verdient haben, so daß er uns billig dem Teufel und Türken in die Hände gibt" 80 . Wenn der Krieg gegen den Türken nicht mit der Buße beginnt, wird er umsonst geführt werden. Zwar weiß Luther, daß „die Hochgelehrten und Heiligen, die keiner Buße bedürfen", ihn verlachen würden; dennoch stellt er mit allem Nachdruck die Forderung nach Buße und Gebet an die Spitze seiner Ausführungen. N u r Buße und Gebet können Gott zu einer Sinnesänderung bewegen und damit die Voraussetzungen für einen Erfolg des türkischen Angriffs beseitigen. Das Gebet sei um so notwendiger, als der Angriff des Türken ja nicht nur Land und Leute verderbe, sondern auch den christlichen Glauben. Zwar behaupteten einige, der Türke lasse den Menschen Glaubensfreiheit. Aber das sei nicht wahr, denn weder gestatte er den öffentlichen Gottesdienst, noch das Bekenntnis Christi und die Predigt gegen die Irrlehre des Islam. „Was ist das aber für eine Freiheit des Glaubens, da man Christus nicht predigen noch bekennen darf, obwohl doch unser Heil in diesem Bekenntnis besteht?" 61 Wer von den Christen als Gefangener in die Türkei weggef ü h r t wird, wird „mit Gewalt und List" dem christlichen Glauben abwendig gemacht. Will man den Türken schlagen, muß „man zuvor des Türken Allah, das ist seinen Gott, den Teufel, schlagen und so seine Macht und Gottheit von ihm stoßen, sonst (hab ich Sorge) wird das Schwert wenig ausrichten" 82 . N u r „mit Buße, Weinen und Gebet" kann man etwas ausrichten: „Wer diesen Rat verachtet, der verachte ihn immerhin: Ich will zusehen, was er dem Türken für Abbruch tun wolle" as . N u r unter der Voraussetzung, daß Gott durch Buße und Gebet zuvor 181

versöhnt werde, kann Luther zum Kampf gegen den Türken auffordern. Diesen Kampf muß „der andere Mann" führen, Kaiser Karl V., „oder wer gerade Kaiser ist", d. h. die rechtmäßige Obrigkeit. Denn diese „ordentliche Obrigkeit", von Gott eingesetzt, ist verpflichtet, die Untertanen zu verteidigen. Es ist „das Werk und die Schuld seines Amtes, seine Untertanen zu schützen" 84 . Bisher hat man gegen den Türken aus bloßem Eigennutz gekämpft, „daß sie große Ehre, Ruhm und Gut gewinnen, ihr Land mehren, oder aus Zorn und Rachgierigkeit, und was dergleichen Stücke mehr sind" 65 . Deshalb ist dieser Kampf auch ohne Erfolg gewesen. Bisher hat man Kaiser und Fürsten „als das Haupt der Christenheit, als den Beschirmer der Kirche und Beschützer des Glaubens" zum Kampf aufgefordert. Aber weder ist „der Kaiser das Haupt der Christenheit noch Beschirmer des Evangeliums oder des Glaubens" 6B . Sondern wenn Kaiser und Fürsten gegen den Türken kämpfen, so um „ihres Amtes und ihrer schuldigen Pflicht" halber, „daß sie darauf dächten, ihre Untertanen mit Fleiß und Ernst in Friede und Schutz gegen den Türken zu haben" 67. Sie sind es Gott schuldig, „ihre Untertanen nicht so jämmerlich verderben zu lassen", sie sündigen außerordentlich, „daß sie ihr Amt hierin nicht bedenken und denjenigen, die mit Leib und Gut unter ihrem Schutz leben sollen und ihnen mit Eiden verbunden sind, nicht mit Hilfe und Rat nach allem Vermögen zu Hilfe kommen" 6 8 . Daß der Kaiser der evangelischen Sache nicht geneigt war, dürfte Luther 1528 deutlich gewesen sein, dennoch ruft er ihn zum Krieg gegen den Türken auf — die Pflicht zum Schutz der Staatsbürger gegen einen Angriff ist Bestandteil des obrigkeitlichen Amtes, wobei es ohne Bedeutung ist, welche religiöse Haltung dieses obrigkeitliche Amt für sich selbst gewählt hat. Ob Kaiser und Fürsten Christen sind, sagt Luther, sei nicht sicher, sicher dagegen sei, daß sie Kaiser und Fürsten sind. Deshalb solle man sich an das Sichere halten und die Obrigkeit aller Stände mit Predigten und Ermahnungen antreiben, ihre Amtspflicht zu erfüllen, was angesichts der gegenwärtigen Haltung der Obrigkeit dringend notwendig sei. Denn sie denke nicht daran, daß sich aus ihrem Amt unausweichliche Pflichten ergäben, sondern meine, alles sei ihrer eigenen freien Entscheidung überlassen. Dazu muß dann die Mahnung kommen, „daß sie nicht vermessen seien und solches aus Trotz vornähmen oder sich auf eigene Macht oder Anschläge verließen, wie man viel tolle Fürsten findet, die da sagen: Ich habe Recht und Fug dazu, deshalb will ichs tun; [sie] fahren einher mit Stolz und pochen auf ihre Macht, gewinnen aber auch zuletzt 182

die Ratlosigkeit. Denn wo sie ihre Macht nicht fühlten, würde sie das Recht wohl wenig genug bewegen, wie sichs in andern Sachen erweist, da sie das Recht nicht achten" 69 . Wenn der Kampf gegen den Türken erfolglos bleibe, so sei mit Sicherheit die Ursache dafür darin zu suchen, „daß man entweder nicht aus Gehorsam gegen göttliches Gebot oder aus Vermessenheit Krieg führt, oder der erste Kriegsmann, der Christ, ist nicht dabei mit seinem Gebet" 70 . Werden jedoch die Voraussetzungen, die Luther angibt, innegehalten, „so hats keine Gefahr noch N o t . . . so sind wir denn aller Welt stark genug und muß Glück und Heil da sein" 71 . Natürlich ist sich Luther darüber im klaren, daß nidit alle Menschen seinen Ratschlägen folgen werden, ja, daß er mit ihnen bei den meisten Spott und Hohn ernten werde: aber so wie die Christenheit bleibt, wenn auch nur wenige dem Evangelium glauben, so ist es auch hier. „Es ist mir genug, wenn ich etliche Fürsten und Untertanen mit diesem Buch recht unterrichten könnte, ob sie gleich der kleinste Haufe sind (darauf kommt es mir nicht an); es sollte dennoch Sieg und Glück genug da sein" 72 . Ja, wenn es ihm gelänge, dem Kaiser oder auch nur dem Befehlshaber des Heeres gegen den Türken die rechte Auffassung zu vermitteln, so wollte er großer Hoffnung sein; denn immer wieder, ja beinahe in der Regel, gebe Gott durch einen einzelnen Mann einem ganzen Reiche Glück und Heil, ebenso wie ein ganzes Land durch einen einzigen Mann in Unheil und Jammer geraten könne. So solle man sich nicht durch den Gedanken schrecken lassen, daß der größere Teil des Heeres nicht in der rechten Haltung in den Streit ziehe, sondern ungläubig, ja unchristlich: „Darum kommt es nicht darauf an, ob der Haufe nicht gut ist, wenn nur das Haupt und etliche der Vornehmsten rechtschaffen sind; obwohl es gut wäre, daß sie allesamt rechtschaffen wären, aber das ist nicht gut möglich" 73 . Die Lage wird nun dadurch kompliziert, daß es in Deutschland, modern gesprochen, eine „fünfte Kolonne" gibt, die heimlich mit dem Türken sympathisiert, „die lieber unter dem Türken als unter dem Kaiser oder den Fürsten sein wollen. Mit soldien Menschen sollts böse gegen den Türken zu streiten sein" 74 . Gegen diese will Luther die Predigt der Pfarrer aufbieten. „Denn es ist Jammers genug, wer den Türken zum Oberherrn leiden und sein Regiment tragen muß; aber freiwillig sich darunter begeben oder danach begehren, wenn ers nicht braucht noch dazu gezwungen wird, dem soll man anzeigen, was er für Sünde tut, und wie greulich er Anstoß erregt" 75 . Wer so handelt, wie diese „heimlichen Tür183

ken", der wird an seiner Obrigkeit treulos und meineidig, aber nicht nur an ihr, sondern auch an Gott, dessen Ordnung die Obrigkeit ist. Wer sich freiwillig dem Türken unterstellt, weil er irrigerweise meint, er könne über sich verfügen, den wird das Gewissen später ständig heimsuchen. Denn über seinen Treubruch hinaus begeht er Sünde, weil er an allen Greueltaten nicht nur mitschuldig, sondern ihrer auch teilhaftig wird. Er wird sein Handeln auch deshalb bereuen, weil der Türke anders an ihm handeln wird, als er es erwartet. Dieser traut Uberläufern nicht, und da er Menschen genug hat, kann er mit ihnen verfahren, wie er will. „Denn es ist des Türken Weise, daß er alle, die etwas sind oder haben, nicht bleiben läßt, wo sie wohnen, sondern er bringt sie weit weg in ein anderes Land, wo sie verkauft werden und dienen müssen" 78 . Helfen solche Vorstellungen nicht, muß man diese Menschen fahren lassen. Ja, wenn es zum Krieg käme, sollte man wünschen, daß sie nicht im Heer dienten, sondern auf der Seite des Türken ständen, dessen Kraft dadurch nicht gestärkt, sondern geschwächt werden würde. Die andere Schwierigkeit ist die, daß der Staat durch innere Auseinandersetzungen gefährdet und die Stellung des Kaisers bei weitem nidht so stark ist, wie man sie sich wünschen möchte. Aber das kann die grundsätzliche Entscheidung nicht ändern. Der Kaiser soll gegen die Türken tun, was er vermag, kann er sie nicht schlagen, kann er sie vielleicht doch aufhalten. Auf jeden Fall soll der Kaiser zum Schutz der ihm anvertrauten Untertanen tun, was irgend in seiner Kraft steht. Dabei soll der Kampf ganz ernst genommen und die Rüstung so stark angesetzt werden wie irgend möglich. Wolle man sie nur halben Herzens betreiben, wie bei den Deutschen üblich, solle man sie gar nicht erst anfangen. Gegen den Türken streiten ist etwas anderes als gegen europäische Mächte. Die deutschen Fürsten sollten deshalb ihre inneren Streitigkeiten vergessen und alle Kraft zusammennehmen; wenn dann das Gebet der Christenheit dazu käme, würde der Türke einen Gegner finden, der ihm gewachsen wäre. Wenn man aber so verfahre wie bisher, wenn „keiner mit dem andern einig noch daß man untereinander treu wäre, ein jeglicher für sich ein Mann sein will oder mit einem Bettelsreiterdienst zu Felde ziehet, muß ichs geschehen lassen, will auch wahrlich gerne beten helfen. Aber ein schwach Gebet wirds sein, denn ich kann zumal wenig Glaubens dabei haben, daß es erhört werde, weil man solche große Sache so kindisch, vermessen und unvorsichtig vornimmt, wobei ich weiß, daß Gott da versucht wird und kein Gefallen dran haben kann" 77. 184

Das ist Luthers erste Schrift zum Türkenkrieg. Sie war wenige Wochen erst auf dem Büchermarkt, als der türkische Angriff losbrach. Am 10. Mai 1529 war Sultan Suleiman II. mit einem großen Heer von Konstantinopel aufgebrochen und nach rascher Eroberung Ungarns bis vor die Mauern Wiens vorgestoßen, das er im Sturm zu nehmen versuchte. Damals hat Luther den Plan zu einer zweiten Schrift gegen den Türken 7 8 gefaßt. Das ist in der Zeit des Marburger Religionsgesprächs. Luther hat an dem Plan auch festgehalten, nachdem er am 26. Oktober 1529 die Nachricht erhalten hatte, der Angriff auf Wien sei gescheitert und das türkische Heer habe den Rückzug nach Ungarn angetreten. Unter dem Eindruck des türkischen Angriffs, der das Abendland aufs tiefste erschütterte, aber auch unter dem Einfluß der Nachrichten vom Kriegsschauplatz, erweitert und verschärft Luther jetzt seine Stellungnahme. Da die Grundlinie unverändert bleibt, genügt es, unter gelegentlicher Hervorhebung der Kontinuität, auf dieses Neue einzugehen. Der Türke ist nun abgezogen, so beginnt Luther, deshalb werden „meine lieben Deutschen, die vollen Säue", sich wahrscheinlich in Sicherheit niedersetzen und zechen, anstatt Gott für seine Gnade dankbar zu sein und die Lehre daraus zu ziehen. Der Türke ist „bestimmt der letzte und ärgste Zorn des Teufels gegen Christus, womit er dem Faß den Boden ausstößt und seinen Grimm gegen Christi Reich ganz ausschüttet, dazu auch die größte Strafe Gottes auf Erden über die undankbaren und gottlosen Verächter und Verfolger Christi und seines Worts und ohne Zweifel das Vorspiel der Hölle und ewiger Strafe" Denn aus Kapitel 7 des Danielbuches, welches Luthers Ausführungen zentral bestimmt, legt Luther dar, „daß nach dem Türken flugs das Gericht und die Hölle folgen soll" 80 . Die Nachrichten vom Kriegsschauplatz zeigen das mit Deutlichkeit. Daraus ergebe sich die Haltung der Christen für den Fall eines neuen Angriffs des Türken (auch hier hat Luther nur den Verteidigungskrieg im Auge, ein Angriffskrieg gegen den Türken oder eine Vorbereitung darauf steht völlig außerhalb seines Gesichtskreises). Wer dem Türken Widerstand leistet, der kämpft gegen den Feind Gottes, den Lästerer Christi und den Teufel selbst. Wer auf der Seite des Türken steht, der verleugnet Christus, ist dem Teufel zu eigen und vom Teufel besessen. Dennoch („Deshalb", sagt Luther!) habe er in seiner vorigen Schrift nachdrücklich geraten 81 , „daß man nicht gegen den Türken unter der Christen Namen Krieg führen nodi ihn mit Streit als einen Feind der Christen angreifen solle" 82 . „Sondern so habe ich geraten und rate noch so: daß 185

wohl ein jeglicher sich befleißigen soll, ein Christ zu sein, willig und bereit zu leiden vom Türken und jedermann. Aber er solle nicht streiten als ein Christ oder unter eines Christen Namen, sondern laß deinen weltlichen Oberherrn Krieg führen. Unter dessen Panier und Namen sollst du reisen, als ein weltlicher Untertan nach dem Leibe, der seinem Oberherrn geschworen hat, mit Leib und Gut gehorsam zu sein" 8 S . Das ist es, was sich aus R o m . 13 ergibt, und gilt besonders, wenn dieser Kampf „nicht aus Vorwitz geschieht, um Gut und Ehre zu erlangen, sondern um Land und Leute, Weib und Kind zu schützen und zu schirmen, wie es dieser Krieg gegen den Türken tut" 8 4 . Wer einen Türken in diesem Kampf tötet, braucht deswegen kein schlechtes Gewissen zu haben 8 5 , wer in ihm getötet wird, stirbt den redlichsten Tod, wenn er ein Christ ist 88 , ihm ist der Himmel sicher 87 . Hunderttausendmal lieber sollte man sich wünschen, im Gehorsam durch den Türken getötet zu werden als an seinem Sieg Anteil haben zu wollen. Der Mensch steht in steter Todesgefahr, mit Freude sollte sich der Christ deshalb „in einen solchen ehrlichen heiligen Tod ergeben" 8 8 . Alle, die im letzten Feldzug vom Türken, z. T. auf die grausamste Weise, getötet worden sind, „sind eitel Heilige, und der Türke könnte ihnen nicht das hundertste Teil so viel Gutes tun, wenn er einen jeglichen auch zum türkischen Kaiser selbst machte, wie er damit tut, daß er sie, aus des Teufels Zorn, so grausam behandelt. Denn er opfert sie damit Gott in den Himmel" 8 9 . Trotzdem — diese Mahnung stellt Luther an den Schluß des ersten Teiles, der „die Gewissen zu unterrichten und zu trösten" bestimmt ist — soll sich dessen nicht jedermann annehmen „und tollkühn daher fahren und sprechen: ,Ich bin ein Christ, ich will dran', sondern er soll sich zuvor bekehren und sein Leben bessern und so mit Furcht und ernstlichem Gebet zu solchem Trost und Trotz kommen" 9 0 . Deutschland ist so voll Bosheit, Lästerung und Verfolgung des Evangeliums, daß eine Züchtigung, wie der Angriff des Türken sie darstellt, oder der Jüngste Tag kommen muß. Der zweite Teil der Schrift 9 1 , wo „die Faust" vermahnt wird, bringt entschiedene Forderungen. Wenn der Staat Waffenfolge fordere, sollen die Junker einmal ihren Adel beweisen, die bisher nur geschlemmt und gepraßt haben. Wenn Abgaben verlangt werden, gleich ob von Bürger, Kaufmann, Handwerker, Bauer, so gilt das gleiche. Sie haben bisher in Sicherheit gelebt und Geld zusammengerafft, oft genug der Kirche und den Pfarrern das vorenthaltend, was diesen zustand. „Ohne alle Barmherzigkeit" soll es ihnen genommen werden, um damit Truppen zu be186

solden. Ein jegliches Tun hat seine Zeit, sagt Pred. 3 , 1 . „Bisher ists Friedens Zeit gewesen, nun ists Streitens Zeit, bisher Prassens und Prangens Zeit, nun aber Sorgens und Mühens Zeit, bisher Wucherns, Stehlens, Zusammenscharrens Zeit, nun aber Ausgebens, Bezahlens und Ausstreuens Zeit, bisher Essens, Trinkens, Tanzens, Freuden, Lachens Zeit, nun aber Trauerns, Schreckens, Fürchtens, Weinens Zeit, bisher Tändeins, Schlafens, Müßiggehens, Sicherlebens Zeit, nun aber Wachens, Unruhe, Schaffens, Wehrens Zeit" 9 2 . Bisher haben die Menschen gute Tage gehabt und Gott nicht dafür gedankt, so sollen sie die böse Zeit dulden. Als man ihnen Gottes Wort sagte, haben sie nicht gehört, so müssen sie jetzt den Teufel im Türken hören. Was sie jetzt abgeben, bedeutet nur einen Teil dessen, was der Türke aus ihnen herauspressen wird, von den Leiden zu schweigen, die ihnen der Türke antun wird (die Luther mit aller Eindringlichkeit schildert). Wenn der türkische Angriff kommt, sollte Gegenwehr bis zum letzten geschehen: „ I d i wollte wünschen (wo uns unsere Sünden vor G o t t so viel Verstand und Mut ließen), daß alle Deutschen so gesinnt wären, daß sich kein Flecklein noch D ö r f lein v o m Türken plündern nodi wegführen ließe, sondern wenns zu solchem Ernst und [solcher] N o t käme, daß sidi wehrte, was sich wehren könnte, jung und alt, M a n n und Weib, Knecht und M a g d , bis daß sie alle getötet wären, d a z u selbst H a u s und H o f abbrennten und alles verderbten, daß die Türken nichts als kleine Kindlein fänden, welche sie doch ohnehin aufspießen und zerhadken, wenn sie uns lebendig wegführen, so daß wir denselben doch nicht helfen können. U n d [ich wollte] daß solches mit vorhergehendem Gebet zu G o t t geschehe, darin sie alles seiner G n a d e befählen, und als im Gehorsam gegen die Obrigkeit, wie oben gesagt. Es wäre ja besser, daß man den Türken ein leeres L a n d überließe als ein volles" •».

Das ist an Radikalität nicht zu übertreffen. Uberraschen muß, was Luther dem an Ratschlägen für die anschließt, die vom Türken entweder als Gefangene fortgeschleppt worden sind oder noch werden: An der Spitze steht die Ermahnung, sich vom christlichen Glauben nicht abwenden zu lassen. Zur Vorbereitung auf die Zeit, in welcher eine Teilnahme am christlichen Gottesdienst nicht möglich ist, soll der Christ die Zehn Gebote, das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis nicht nur lernen, sondern sich besonders das einprägen, wodurch sein Glaube von allen anderen Glaubensformen unterschieden ist. Den Kleinen Katechismus soll 187

der Christ sich in der Gefangenschaft ständig ins Gedächtnis rufen; wenn er an den entscheidenden zweiten Artikel kommt, soll er auf ihn stets besonders achten. Denn sein Glaube wird in der Türkei ständigen Anfechtungen ausgesetzt sein: die mohammedanischen Priester führen ein strenges, ehrbares Leben, die Türken kommen oft zum Gebet zusammen, und zwar in besserer Zucht als die Christen; sie wallfahrten regelmäßig zu ihren Heiligen, wobei (wenn auch mit Hilfe des Teufels) Wundertaten geschehen. Außerdem führen die Türken ein ehrbares Leben, selbst in ihrer Vielweiberei, und vor allen Dingen sind sie erfolgreich und über die Christen siegreich, so daß sie sich dessen vielfach rühmen können. Das alles darf den Christen nicht betrügen und von seinem Glauben wegführen, ist es doch leerer Schein. Mindestens so überraschend wie diese positive Darstellung des Gegners, gegen den Luther alle Mittel aufzubieten fordert, ist die Anweisung, die er dem gefangenen Christen für sein Verhalten gibt. Er soll die Leibeigenschaft in Geduld tragen, als ihm von Gott als Leiden auferlegt, und nicht zu fliehen versuchen oder sich umzubringen. Sondern er soll seinen Dienst mit aller Treue und Sorgfalt verrichten, es sei denn, daß man ihn zwingen will, am Krieg gegen die Christen teilzunehmen oder den christlichen Glauben zu verleugnen. Das ist Luthers zweite Türkenschrift. Er hat noch mehrfach Schriften gegen den Islam verfaßt: 1530 das Vorwort zum Libellus de ritu et moribus Turcorum94 und die Vorrede zu „Das 38. und 39. Kapitel Hesekiels vom Gog" 95 , 1532 die Vorrede zu den 22 Predigten von Brenz über den Türkenkrieg96, 1532 und 1542 die im Druck erschienenen Briefe an Joachim von Brandenburg anläßlich seiner Teilnahme am Türkenkrieg97, 1541 die „Vermahnung zum Gebet wider den Türken" 98 , 1542 hat er die „Verlegung des Alcoran Bruder Richardi" in deutscher Übersetzung herausgegeben und mit einer Vorrede begleitet99, 1543 hat er die Vorrede zu einer lateinischen Übersetzung des Koran geschrieben 10°. Aber sie gehen entweder auf unser Thema nicht ein oder bringen zu den beiden Türkenkriegsschriften nichts Neues hinzu. Lediglich der am 3. August 1532 an Joachim von Brandenburg, den nachmaligen Kurfürsten Joachim II., geschriebene Brief bedarf einer kurzen Erwähnung. Der Kurprinz hatte sich zur persönlichen Teilnahme am Krieg gegen den Türken bereit erklärt und Luther um seine Fürbitte und einen christlichen Unterricht dafür gebeten. Drei Dinge sind es, die Luther ihm mit auf den Weg in den Feldzug gibt: Christus möchte allen ein mutiges 188

Herz geben, das sich auf seine Hilfe und nicht auf die eigene Macht und Stärke verlasse. Weiter sollten sie nicht darauf vertrauen, daß der Türke im Unrecht und Gottes Feind sei. Es wäre Vermessenheit, sich gegenüber dem Türken unschuldig und gerecht zu fühlen, denn zu groß sei die Ungerechtigkeit auch der Christen vor Gott. Statt dessen müsse man Gott bitten, einem die Sünde gnädig zu vergessen und mit Furcht und Demut kämpfen. Und drittens solle man im Feldzug nicht eigene Ehre und Reichtum, sondern allein die Ehre Gottes suchen und ihn „zum Sdiutz der armen Christen und Untertanen" führen. Der Kampf muß in reiner Absicht geführt werden, dann wird „der Türke einen andern Mann fühlen, als bisher geschehen, da Trotz gegen Trotz stand, und auf beiden Seiten ohne Gott gestritten wurde, was zu allen Zeiten dem Volk Gottes mehr als den Feinden geschadet hat". Das Gebet Luthers begleite den Fürsten, Gott möge dazu helfen, „fröhlich zu siegen und mit Gottes Lob und Ehre wieder heim zu kommen" 1 M .

WA 19,623, Vorrede Luthers zur Schrift 2 alles ebda 3 vgl. u. S. 179 f 4 vgl. u. S. 241 ff 5 vgl. u. S. 188 f • WA 1 1 , 2 4 5 - 2 8 1 7 WA 11,247 8 WA 11,248 • ebda u. ö. 10 WA 11,255 11 WA 1 1 , 2 6 1 - 2 7 1 12 WA 11,249 f 13 WA 11,251 14 WA 11,262 15 WA 11,271 18 WA 11,276 17 WA 11,276 f 18 WA 11,277 18 WA 11, 277 f 2 0 WA 19, 623-662 2 1 WA 19, 632-658 2 2 WA 19, 623 f 2 3 WA 19, 625 2 4 ebda 2 5 ebda 2 6 WA 19, 626 2 7 ebda 2 8 ebda 2 8 WA 19,626 30 ebda 1

ebda WA 19,629 3 3 WA 19, 632 3 4 vgl. u. S. 225 ff 3 5 WA 19, 645 3 8 ebda 37 WA 19, 646 3 8 WA 19, 649 f 3 » WA 19,647 f 4 0 WA 19,648 4 1 WA 19, 649 4 2 ebda 4 3 WA 19, 649 f 4 4 WA 19, 651 4 5 vgl. WA 11,277 f 4 8 WA 19, 656 4 7 WA 19,657 4 8 WA 19,658 4 8 WA 19, 661 5 0 WA 19, 661 f 5 1 WA 19,662 5 2 WA 30, 2, 107-148 5 3 In der Resolution zur These 5, WA 1, 535 5 4 als Satz 34 5 5 WA 7 , 1 4 0 f ; 442 f ; 15,227 56 WA 3 0 , 2 , 1 0 7 f 57 WA 30, 2 , 1 0 8 ff 5 8 WA 3 0 , 2 , 1 1 6 3 9 WA 3 0 , 2 , 1 1 6 4 0 WA 3 0 , 2 , 1 1 7 31 32

189

« WA 30,2,120 • 2 WA 30, 2,129 ebda «4 WA 30,2,130 95 ebda •• ebda • 7 WA 30,2,131 68 ebda •• WA 30,2,135 70 WA 30,2,136 71 ebda 72 WA 30, 2,136 73 WA 30, 2,137 74 ebda 75 WA 30, 2,137 f 76 WA 30,2,139 77 WA 30,2,147 78 Eine Heerpredigt wider den Türken, WA 30,2,160-197 ™ WA 30,2,162 80 WA 30, 2,162 81 vgl. o. S. 182 f

190

WA 30,2,173 WA 30,2,173 f 84 WA 30,2,174 85 WA 30,2,173 86 WA 30,2,174 87 WA 30, 2,175 88 WA 30,2,175 89 WA 30,2,177 f 90 WA 30,2,180 91 WA 30,2,181 ff 92 WA 30,2,182 93 WA 30,2,183 f 94 WA 30,2, 205-208 95 WA 30,2,223-236 96 WA 30, 3,536 f 97 WA Br VI, 1950S. 344 f X, 3753 S. 66 f 98 WA 51, 585-652 99 WA 53,272-396 loo W A 53> 569-572 101 WA Br VI, 1950 S. 345 82

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5. Die Einrichtung der Visitationen und die Anfänge des landesherrlichen Kirchenregiments Visitationen sind heute eine rein innerkirchliche Angelegenheit, in den ersten Jahren der Reformation war das anders. Damals ging es um die Rechte und Pflichten des Staates gegenüber der Kirche. Das neue Kirchenwesen war völlig unorganisch und unkontrolliert gewachsen. N u r wenige Jahrgänge von in Wittenberg voll ausgebildeten Theologen hatten bisher die Universität verlassen, so standen in der Leitung der Gemeinden in der Regel ehemalige katholische Geistliche oder Mönche, die sich dem neuen Glauben zugewandt hatten; für die Schulen galt das gleiche wie für die Kirchengemeinden. Die Voraussetzungen ihrer inneren wie äußeren Existenz waren völlig ungeklärt; es gab weder eine ausgebildete innerkirchliche Struktur mit einer zentralen Aufsichtsinstanz, noch waren die Fragen der finanziellen Ausstattung der Gemeinden geregelt. Daß in diesen ziemlich chaotischen Zustand Ordnung gebracht werden müsse, darüber bestand Einigkeit. Schon 1524 war Luther vom Kurprinzen Johann Friedrich aufgefordert worden, in Thüringen „von einer Stadt in die andere im Fürstentum zu ziehen und zu sehen, mit was für Predigern die Städte der Gläubigen versehen wären . . . welche Prediger denn nicht tauglich wären, hättet Ihr mit Hilfe der Obrigkeit abzusetzen" 1 . Bereits hier wird die Doppelgesichtigkeit einer Visitation zu damaliger Zeit deutlich, obwohl die Frage der äußeren Ausstattung der Gemeinden noch nicht einmal angesprochen war. Erst ein Jahr später kommen in Kursachsen die Dinge in Fluß. Einen erheblichen Anteil daran hat anscheinend der Zwickauer Pfarrer Nikolaus Hausmann gehabt. Im November 1524 hatte er Luther die Einberufung eines evangelischen Konzils zur Vereinheitlichung der Zeremonien vorgeschlagen 2 . Etwa zur gleichen Zeit hatte er dem Kurfürsten Friedrich dem Weisen und Herzog Johann die Veranstaltung von Visitationen vorgeschlagen 3 , für Herzog Johann hatte er am 2. Mai 1525 eine entsprechende Denkschrift aufgesetzt 4 . Auch Luther hatte er deswegen angesprochen. Am 27. September 1525 antwortet Luther: er sei zwar im Augenblick voll durch seine Schrift gegen Erasmus 5 in Anspruch genommen, aber er sei sich darüber im klaren, daß die Gemeinden einer Reformation und einheitlicher Zeremonien bedürften: iamque hoc saxum voluo6. Er werde beim Kurfürsten deswegen vorstellig werden. Aber Hausmann könne auch schon vorher handeln und die Stadt Schneeberg visitieren ebenso 191

wie andere, die danach begehrten, denn er wisse, daß dieses Vorgehen das Gefallen des Kurfürsten finde (!) 7 . Schon am nächsten Tag schreibt Luther an Spalatin. Das ist erstaunlich, denn im Brief an Hausmann hat er doch eben noch erklärt, daß er sich zur Zeit um die Visitationsfrage nicht kümmern könne, charakteristisch der Briefanfang: Agite Interim, quod agitis, et ferte, quod potestis, Mi Nicolae! Was Luther Spalatin mitteilt, hat sozusagen den Charakter diplomatischer Vorbereitung: „Es bleibt nun noch übrig, nachdem die Universität in Ordnung gebracht ist 8 , daß wir dem Kurfürsten empfehlen, sich auch dem Zustand der Pfarreien zuzuwenden, um sie so bald wie möglich zu reformieren" 9 . Genau auf der gleichen Linie schreibt Luther dann am 31. Oktober an den Kurfürsten10. Nach ausführlicher Bezugnahme auf die vorangegangenen Verhandlungen über die Universitätsreform 11 wendet sich Luther dem neuen Thema zu 12 : zwei Stücke seien noch übrig, die „Einsehen und Ordnung" des Kurfürsten als weltlicher Obrigkeit forderten. Das erste sei, „daß die Pfarren allenthalben so elend [darnieder] liegen". Die notwendigen Zahlungen zur Aufrechterhaltung der Pfarreien würden nicht geleistet; wenn der Kurfürst nicht „eyne dapffer Ordnung und stattlich erhaltunge" vornähme, würden in kurzer Zeit Pfarramt und Schule zugrundegehen. Bereits bei der Neuordnung der Universität habe Gott ihn „zum Werkzeug gebraucht und angezeigt, daß er im Sinn habe, ihn weiter nach seinem göttlichen, gnädigen Willen zu gebrauchen". Deshalb solle sich der Kurfürst weiter von „Gott gebrauchen lassen und sein treues Werkzeug sein". Das würde auch zum Trost des Gewissens des Kurfürsten dienen, weil er „dazu durch uns und die Not selbst, wie gewiß von Gott, gebeten und aufgefordert wird". Der Kurfürst werde ohne Zweifel die Mittel dafür finden, denn es gebe genug Klöster, Stifte, Lehen und Spenden dafür. Gott werde gewiß seinen Segen und Gedeihen dazu geben, „damit, so Gott will, die Ordnung, welche die Seelen betrifft, wie die Universität und der Gottesdienst, nicht verhindert werde um des Mangels und der Vernachlässigung der äußeren Voraussetzungen13 willen". Dieser Satz ist wichtig. Bereits hier wird der Kurfürst Johann aufgerufen, sich der „ordenung, so die seelen betrifft", anzunehmen, und zwar als Werkzeug Gottes. Aber Luther geht noch weiter — im Zusammenhang unseres Themas von besonderer Bedeutung. Er fordert den Kurfürst nämlich auf, gleichzeitig auch „das welltliche regiment" zu visitieren. Denn es sei „grosse klage allenthalben" über „bose regiment", in den 192

Städten sowohl wie auf dem Lande, dem nachzugehen sei seine Aufgabe „als eym heubt vnd landsfursten". Wenn eine solche Visitation stattfinde und eine „gut Ordnung" eingerichtet würde, hätte die kurfürstliche Verwaltung künftig wesentlich weniger Arbeit. Am 7. November, also binnen einer Woche, antwortet der Kurfürst 1 4 . Er hat Luther dahin mißverstanden, daß der für Pfarren und Schulen fehlende Unterhalt „von dem Einkommen unserer Ambt und Kammergut", d. h. aus der Staatskasse, gezahlt werden solle und ist darüber nicht beglückt. Die Bürger sollten entweder von ihrem Einkommen oder aus den Lehen die notwendigen Zahlungen leisten. Auch Luthers Vorschlag einer Visitation aller Regierungsstellen und Magistrate behagt dem Kurfürsten nicht ganz. Denn er habe gerade unlängst eine ganze Reihe von Ämtern neu besetzt, um die Landesverwaltung zu verbessern und den Bürgern zu einer besseren Betreuung zu verhelfen, lautet seine Antwort. Aber: er wäre durchaus geneigt gewesen, eine durchgreifende Visitation bei allen Amtsstellen im Lande durchzuführen „und zu hören, wie es mit ihrer Ordnung und Regiment stände", wäre nicht der Bauernkrieg dazwischen gekommen 1 5 ebenso wie andere dringende Aufgaben. „Wir wollen es aber mit Gottes Hilfe zu anderer Zeit unserer Möglichkeit entsprechend tun, auch das vornehmen, was zu Gottes Lob und Ehre, Ausbreitung seines heiligen Worts und allgemeinen Nutzen, auch zu guter Ordnung dienen kann". Was die Visitation der Kirchen angehe, so solle Luther eine Denkschrift vorlegen, wie hier „ein Ordnung zu machen und aufzurichten sein soll" 1 8 . Der Kurfürst wolle das Seine tun, damit die Pfarrer die ihnen zustehenden Einkünfte unvermindert erhielten. Dieser Korrespondenz muß man sich erinnern, wenn es um die Wertung der Visitationsordnung Johanns von 1527 geht. Denn die weitverbreiteten Fehlurteile darüber lassen sich nur unter der Voraussetzung einer Außerachtlassung der Korrespondenz zwischen Luther und dem Kurfürsten über die Visitation als solche wie über die hier zur Debatte stehenden Fragen erklären. Zunächst antwortet Luther dem Kurfürsten am 30. November 1525 17 . Als erstes stellt er den Irrtum richtig, er hätte gemeint, die Pfarrer sollten aus der kurfürstlichen Kammer besoldet werden. Vielmehr, so erklärt Luther noch einmal, sei er der Meinung, daß alle Pfarreien visitiert werden sollten. „Wo man finde, daß die Leute evangelische Prediger haben wollten" und der Besitz der Pfarre nicht ausreiche, um die Besoldung zu tragen, sollte der Kurfürst der Gemeinde befehlen, daß sie das Fehlende, „es wäre von dem Rathause oder sonst", 193

bereitstellen müßte. Das Kurfürstentum sollte in vier oder fünf Visitationsbezirke gegliedert und in jeden zwei fürstliche Beauftragte gesdiickt werden, die die notwendigen Anordnungen zu treffen hätten. Sie sollten „etwa vom Adel oder Amptleuten" sein, wenn das zu viel koste, könnten aus den Städten Bürger dazu genommen werden. Diese kurfürstlichen Beauftragten sollten neben der Regelung der finanziellen Fragen — Luther geht jetzt einen Schritt weiter — auch noch über die Besetzung der Pfarrstellen entscheiden. Das sagt Luther nicht so direkt. Aber wenn er schreibt: „daneben müßte nu auch auf die alten Pfarrherrn oder sonst untüchtigen Acht gehabt werden"; wenn sie „sonst fromm wären oder dem Euangelio nicht wider", sollten sie die Predigt entweder durch eigene Verlesung der Postille ersetzen oder andere das an ihrer Stelle tun zu lassen verpflichtet werden: „Denn es nicht gut wäre, die bisher gesessen, zu verstoßen, wo sie dem Euangelio nicht feind sind, ohn Erstattunge" 1 8 , dann setzt das erstens voraus, daß alle, und zwar „ohn Erstattungen abgesetzt werden, die „dem Euangelio feind sind", und zweitens, daß die Visitatoren die Entscheidungsbefugnis darüber besitzen, wer der Reformation entgegen steht und wer zur eigenen Predigt befähigt ist oder nicht. Damals ist es zur Ingangsetzung der Visitation im größeren Maßstabe noch nicht gekommen, lediglich in den Ämtern Borna und Tenneberg wurde damit begonnen 19 . Erst nach dem 1. Reichstag von Speyer von 1526 fühlte sich der Kurfürst (und die evangelischen Stände) dazu frei. Am 22. November wird Luther wegen der Visitation beim Kurfürsten erneut vorstellig 20 : die Gemeinden verhielten sich bei der Versorgung ihrer Pfarrer so, daß Luther am liebsten wünschte, daß sie keinen Pfarrer hätten „und lebten wie die Säue, wie sie es doch tun". „Da ist keine Furcht Gottes noch Zucht mehr", jedermann tue, was er wolle. Wenn die Alten nicht wollten, mögen sie zum Teufel fahren. Aber wenn für die Jugend nicht genug Fürsorge getroffen werde, dann werde die Obrigkeit schuldig. „Uns allen, sonderlich der Oberkeit", ist geboten, die Jugend „zu erziehen und in Gottes Furcht und Zucht zu halten". Dazu müsse „man Schulen und Prediger und Pfarrer haben". Nicht allein Gottes Gebot zwinge dazu, sondern „auch unser aller Not", denn wenn es so weitergehe wie bisher, „wird das Land voll wilder loser Leute". Mit dem Kanzler Gregor Brück und Niklas vom Ende hat Luther die Fragen bereits besprochen. Dem Kurfürsten falle durch die Säkularisation „als dem obersten heubt" aller Kloster- und Stiftsbesitz zu, deshalb 194

„kommen zugleich mit auch die Pflicht und die Beschwerde, solche Dinge zu ordnen" 2 1 , wie Luther sie vortrage. Niemand nehme sich ihrer an und niemand sonst komme das auch zu. Und nun wird Luther relativ kurz: „wills von notten sein, auffs fodderlichst von E.C.f.g., als die gott ynn solchem fall dazu gefoddert vnd mit der that befilhet, vier person lassen das land zu visitieren, zween, die auff die zinse vnd guter, zween, die auff die lere vnd person verstendig sind, das die selbigen aus E.C.f.g. befelh die Schulen vnd pfarhen, wo es not ist, anrichten heissen vnd versorgen" 22. Wo in einer Gemeinde die äußeren Voraussetzungen vorhanden sind, „hat E.C.f.g. macht, sie zu zwingen". Denn wenn sie es nicht um ihrer Seligkeit willen tun, „so ist E.C.f.g. da als oberster furmund der iugent vnd aller, die es bedurffen, vnd sol sie mit gewalt dazu halten, das sie es thun müssen, gleich als wenn man sie mit gewalt zwingt, das sie zur brücken, Steg vnd weg, odder sonst zufelliger lands not geben vnd dienen müssen" 23 . Verfügen die Gemeinden nicht über die notwendigen finanziellen Voraussetzungen, soll auf die Klostergüter zurückgegriffen werden. Denn es würde „zuletzt ein bose geschrey" geben, wenn Schulen und Pfarren darniederliegen und der Adel die Klostergüter in seinen Besitz bringt, womit er dem Vernehmen nach bereits begonnen hat. Sie sind ursprünglich für den Gottesdienst gestiftet worden, deshalb „sollen sie billich hie zu am ersten dienen". Was dann von dem Besitz der geistlichen Stiftungen noch übrig bleibt, wenn Pfarren und Schulen ausreichend versorgt sind, könne der Kurfürst „zur lands notturfft odder an arme leute wenden" 24 . Damit bricht Luther die Behandlung des Themas der Visitation ab und wendet sich einem anderen zu (Wohnrecht Karlstadts in Remberg). Man kann wohl sagen, daß Luthers Brief an Direktheit nichts zu wünschen übrig läßt und beinahe den Charakter einer Anweisung an den Kurfürsten besitzt. Möglicherweise erklärt sich manches auch daraus, daß der Brief nur den Schlußpunkt hinter die vorangegangenen Verhandlungen mit dem Kanzler Gregor Brück und dem zweiten kurfürstlichen Beauftragten 25 setzt. Der Kurfürst antwortet am 26. November 2 8 zustimmend, „daß uns als dem Landsfursten darinnen Einsehen zu tun gebühren will" 27 . Von seinen Beauftragten habe er Bericht über die Verhandlung mit den vier Dekanen der Universität erhalten und über die Gespräche mit Luther 28 . Danach steht die Visitation als solche fest, Luther wird nur noch aufgefordert, bei der Universität dafür zu sorgen, „damit 195

man sich zweier Personen, die auf die Lehr und Personen Achtung zu geben geschickt, vorgleiche, und uns dieselben benennen und zu erkennen gebe" 2> . Zeit und Ort des Beginns der Visitation werde der Kurfürst mitteilen, die entstehenden Kosten werde er „der Sachen zu guet" auf sich nehmen. Wenige Tage zuvor, am 23. November, hatte sich Luther noch einmal an den Kurfürsten gewandt 30 . In diesem Brief geht es an sich lediglich um die Bitte der Familie von Schweinitz an Luther, die Berufung von Bartholomäus Rieseberg zum Pfarrer zu unterstützen. Luther empfiehlt den Kandidaten, aber wie er das tut, ist bemerkenswert: denn er sei „ein frum, gelert man". Die Adelsfamilie, erklärt er, wolle den „pfarrher beruffen auff frembde guter vnd selbst nichts geben vnd keinen erneeren". Aber: „Wer macht vnd recht will haben zuberuffen, sol auch pflichtig vnd schuldig sein zurneeren, vnd nicht auffs andern gut ruffen, bawen odder freyen", erklärt Luther mit derselben Direktheit wie in seinem Brief an den Kurfürsten am 22. November. Noch deutlicher wird diese Direktheit, ja beinahe Anweisung, in den Schlußsätzen des Briefes: „Sonst mangelt an der person nichts. Daryn wird sich E.C.f.g. wol wissen zu halten. Denn die pfarrguter vnd zinse gemeyniglich von der Oberkeit gestifft sind. Inn gotts gnaden befolhen". Mit Ungeduld sieht Luther der Visitation entgegen und macht von allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln Gebrauch, sie zu beschleunigen, bis hin zur persönlichen Pression auf den Kurfürsten. In seinem Brief an Spalatin 31 gibt Luther einen Bericht darüber. Zunächst entschuldigt er sich wegen seiner späten Antwort, die nicht auf ihn zurückgehe, sondern auf die Schwierigkeit, einen geeigneten Boten zu finden 32 , behandelt dann Fragen der deutschen Ausdrudssweise 33 , um schließlich auf das eigentliche Thema zu kommen, denn Spalatin hat offensichtlich dieselben Sorgen wie Luther: „Sehr ernst, mein lieber Spalatin, ist die Sache, welche den Raub der Klöster betrifft, und glaube mir, daß mich das außerordentlich quält. Das, was Du begehrst, habe ich schon längst schriftlich dargelegt [vgl. die vorangehenden Briefe an den Kurfürsten]. Damit nicht zufrieden, bin idi (als der Fürst hier war) gegen den Willen aller sogar in das Gemadi des Fürsten eingedrungen, um mit ihm allein über diese Sache zu reden. Nur Riedesel war dabei. Unversehens ging idi den Fürsten an und klagte ungefähr über das, was Du schreibst. Schon im Vorgemach hatte ich auch dem jüngeren Fürsten dasselbe geklagt, der zu erkennen gab, daß ihm derartige Dinge übel gefielen. Man antwortete, man werde Vorsorge treffen, daß alles recht zuginge. Was soll ich sagen? Unter dem besten Fürsten fürchte ich,

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daß mir und uns allen blauer Dunst, leerer Sdiein und Märlein vorgemadit werden, und zwar so, daß wir gezwungen sind, die Urheber nidit ausfindig zu machen. Sie meinen, Friedrich sei tot. In dieser Uberzeugung fühlen sie sich als Könige in diesem Lande. Gebe Gott, daß dies nicht so glatt aufgeht. Und das ist mir das Bitterste vom Bitteren: daß die, welche zuvor dem Evangelium feind waren (sie sind es auch jetzt noch) und mit dem Fürsten Friedrich [d. Weisen] in der Gottseligkeit nicht übereinstimmten, jetzt bei der Beute sich vergnügen, lachen und — reich geworden — frohlocken, daß es ihnen unter dem Namen des Evangeliums freistehe, zugleich die größten Feinde des Evangeliums zu sein wie alle Freiheiten des Evangeliums zu genießen. Hast Du je etwas gesehen, das dieser Bosheit gleichkommt? Da ich sehe, daß der Fürst, der mit Geschäften überhäuft ist, vergeblich ermahnt wird, weiß ich keinen anderen Rat, als daß man den Fürsten durch ein öffentliches Büchlein mahnen muß, die Klöster in anderer Weise zu verwalten, ob sich vielleicht jene Leute dann schämen. Denn wozu Du rätst, daß er nach dem Beispiel seines Bruders befehlen und regieren solle, das weißt Du selbst, steht nicht zu hoffen. Der gutgläubige Mann ist der Verschlagenheit aller ausgesetzt und glaubt, daß alle Menschen ihm gleich gut und treu seien. Ein Schalk muß sein, wer ein Fürst sein will. Einem Tyrannen steht es an, König zu sein. Das will die Welt so haben" * 4 . Luther ist offensichtlich aufs tiefste besorgt. Nach diesem Gespräch kann er zwar am 10. Januar 1527 an Hausmann schreiben, daß der Kurfürst die Visitation beschleunigen wolle 8 5 . Aber schon am 3. Februar beklagt sich Luther beim Kurfürsten erneut, daß nichts geschähes®. Dazu benutzt er die Beschwerde des Pfarrers Draco in Waltershausen, daß ihm die ihm zustehenden Einkünfte vorenthalten würden. Es gebe zahlreiche ähnliche Fälle. E r vertröste die Betroffenen „alle mit der zukünftigen Visitation. Aber es wird mir lange". „Etliche große Hansen" erklärten bereits triumphierend, es würde überhaupt nicht zur Visitation kommen: „Wo dem so ist, so ist's aus mit Pfarren, Schulen und Euangelio in diesem Land"® 7 . Als Spalatin Luther wegen der Reform des Altenburger Georgenstifts angeht, antwortet dieser 38 , das müßte bis zur Visitation aufgeschoben werden. Außerdem sei es wegen der bevorstehenden Hochzeit des Kurprinzen, die den Hof ganz in Anspruch nehme, unrätlich, jetzt vorstellig zu werden. Sobald sie vorbei sei, werde er ohnehin genötigt sein, mit allen Mitteln auf den Beginn der Visitation zu drängen (ipse per se cogor instare omnibus modis pro visitandis parochis). Das ist am 12. Juni 1527 geschrieben, wenige Tage bevor die „Instruction und befelch dorauf die visitatores abgefertiget sein" erlassen wurde. Noch am 18. Juni 1527, dem Tag, an dem die „Instruction" erging, mahnt

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Luther, Myconius solle eine Personalfrage bis zur Visitation aufschieben 8 9 ; er hat noch keine Kenntnis davon. Erst am 13. Juli 1527 kann Luther erleichtert an Hausmann berichten: Visitatio incepit impleriw, vor acht Tagen bereits seien Schürf 41 und Melanchthon zu ihrer Durchführung abgereist. Wenn hier mit einiger Ausführlichkeit über die Vorgeschichte der Visitation berichtet wurde, so deshalb, weil dieser nach Meinung der Literatur zum Gegenstand maßgebliche Bedeutung für die Anfänge des landesherrlichen Kirchenregiments zukommt — und weil die Fehlurteile dieser Literatur nur von hier aus berichtigt werden können. Seit Karl Holls Aufsatz „Luther und das landesherrliche Kirchenregiment" von 1 9 1 1 4 2 ist man nämlich fast ausnahmslos der Meinung, daß damals das landesherrliche Kirchenregiment fertig ausgebildet worden sei, und zwar im Gegensatz zu Luther, der in seiner Vorrede zum „Unterricht der Visitatoren" von 1528 deshalb versucht habe, die alte Position festzuhalten: „Auf das Ganze gesehen ergibt sidi, daß Luther in seiner Vorrede nur das wieder gesagt hat, was er seit dem Jahr 1519 immer gesagt hat. Nicht um eine Linie hat er seine Anschauung von ,Staat' und Kirche in all den Jahren verschoben. Aber ein anderer Geist waltet nun in der kurfürstlichen Instruktion vom Jahr 1527. Hier tritt der Kurfürst als derjenige auf, der kraft seiner Befugnis als Landesherr die Visitation anordnet und durchführt... Durch all diese Sätze geht die Voraussetzung hindurch, daß der Kurfürst als Landesherr für das geistliche Wohl seiner Untertanen ebenso verantwortlich ist, wie für das leibliche. Keine Andeutung verrät, daß der Kurfürst, wenn er in geistlichen Dingen etwas verfügt, eine andere Gewalt ausübte als die ihm ordentlicherweise zustehende, oder daß der Gehorsam der Landeskinder in diesem Fall immer nur ein freiwilliger und bedingter sein könnte. Um es mit einem Wort zu sagen: mit dieser Instruktion ist das landesherrliche Kirchenregiment da. Dadurch tritt sie aber zu Luthers Vorrede in einen offenkundigen Gegensatz" 4S . Das sind die Kernsätze, in die Holl seine Position zusammenfaßt. E r polemisiert gleichzeitig gegen Karl Müller 4 4 , der zwar auch der Meinung ist: „So erscheint denn die Visitation in der Instruktion als etwas ganz anderes als im ,Unterricht*" 4 5 , aber dennoch zu dem Ergebnis k o m m t : „So zeigt sich also auch hier, daß die gesamte Anlage der Visitation offenbar ganz im Einverständnis mit Luther zustande gekommen ist, und daß zwischen Instruktion' und .Unterricht' ein Gegensatz nicht besteht" 46 .

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Die Folgezeit hat Karl Holl Recht und Karl Müller Unrecht gegeben, während es m. E. genau umgekehrt hätte sein sollen. Holl operiert, ohne die Korrespondenz Luthers zur Kenntnis zu nehmen und interpretiert die „Instruction"47 infolgedessen falsch. Daß die „Vorrede" zur „Instruction" im Gegensatz stehe, daß sie „tatsächlich die Bedeutung einer gewissen Richtigstellung oder eines stillschweigenden Protests" gehabt habe, wird schon durch die (weder bei Holl noch bei Müller erwähnte) Tatsache widerlegt, daß der „Unterricht der Visitatoren" sogleich nach seinem Erscheinen in die kurfürstlichen Richtlinien für die Visitation einbezogen wird. Bereits 1528 heißt es in dem „artikel der Visitation so der ritterschaft und dem adel befoln mit ernst darob zu handeln" 48 : „25. Nach denen, so wider die hodrwirdige sacrament oder sonst der visitatorn Unterricht und Ordnung handeln, soll man zu stund traditen, und gelegenheit der sadien unserm gnedigsten herrn, dem diurfursten zu Sadissen etc. zuschreiben",

ebenso wie die Verordnung zur Visitation von 1529 ausdrücklich darauf Bezug nimmt 49 . Als die Instruktion von 1532 ergeht, wiederholt der neue Kurfürst Johann Friedrich weithin den Text von 1527, beruft sich aber auf den „Unterricht" nicht weniger als dreimal50. Und sieht man sich die Visitationsordnungen aus den frühen Jahren an, so findet man die Einbeziehung des „Unterrichts" nahezu ohne Ausnahme, gelegentlich sogar mehrfach und oft in nachdrücklichster Form. Nur einige Beispiele dafür: 1528: Remberg51, Pollerstorf52, Schmiedeberg53, Zahna54, 1529 55 Baruth gleich zweimal: der Pfarrer soll sich „vormuge des buchleins underricht der visitatoren richten und halten" 59 , der Schulmeister soll „alles nach anleitung obgedachts buchleins visitatorum" tun 57 , Belgern58, Brandis59, Colditz60, Eilenburg61, Grimma®2, Amt Grimma63, Herzberg64, Altherzberg65, Jessen66, Leisnig67, Amt Leisnig68, Liebenwerda69, Lochau70, Kloster Nimbschen71, Dörfer des Klosters Plötzke 72 , Gommern bei Plötzke 73 , Prettin 74 , Schlieben75. So könnte man fortfahren. Nimmt man (was weder bei Holl noch bei K. Müller geschieht) die Korrespondenz nadi dem Beginn der Visitation hinzu, wird das Bild noch deutlicher. Bereits am 16. August 1527 sendet der Kurfürst das „Verzeichnis", das die Visitatoren über die Resultate ihrer Arbeit aufgestellt haben, Luther mit der Aufforderung zur Begutachtung und, wenn er es wünsche, Änderung zu 76 . Wenige Tage darauf erklärt Luther Spalatin, nachdem er die Akten gelesen hat: „Es ist alles ausgezeichnet (pulchra), wenn es nur so ausgeführt wird, wie es festgesetzt ist" 77 . Als 199

Agricola gegen die Resultate der Visitation öffentlich auftreten will, ermahnt ihn Luther, er solle das unterlassen, „damit nicht jenes notwendige Werk der Visitation ante tempus et ante causam in seinem Vollzug aufgehalten werde" 78 . Das alles will zur Voraussetzung Holls nicht passen, daß Luther in innerem Gegensatz zur „Instruction" gestanden hätte. Auch damals noch erwartet er mit Ungeduld den Fortgang der Visitation Als dann der „Unterricht der Visitatoren" Gestalt anzunehmen beginnt, ist Luther von Anfang an beteiligt. Am 13. September 1527 sendet er Spalatin den ersten Entwurf zu 80 , und zwar wieder unter Verteidigung der Arbeit der Visitatoren gegen Angriffe auf ihre Arbeit. Auch den „Unterricht" weiß er zu loben: mihi satis placet ista ordinatio, wenn er auch kleinere Korrekturen anzubringen hätte. Die Angriffe der Gegner darauf würden ein kurzes Leben haben. Kurz danach sind Luther und Bugenhagen in Torgau gewesen und haben die Frage der Visitation und des „Unterrichts" mit den zuständigen Räten ausführlich verhandelt, und zwar unter allgemeinem Einverständnis: per omnia consensimus pulchre81. Am 30. September sendet der Kurfürst, unter Bezugnahme darauf, das revidierte Manuskript des „Unterrichts" Luther noch einmal zu 82 und bittet ihn zusammen mit Bugenhagen um nochmalige Durchsicht, insbesondere der Artikel von der Buße und der Beichte. Luther möchte das Manuskript mit einer Übersicht darüber, was er gestrichen oder hinzugefügt haben wollte, zurücksenden, damit er das Weitere veranlassen könne. Am 12. Oktober schickt Luther das Manuskript an den Kurfürsten zurück 83 , er und Bugenhagen hätten „wenig darinnen geändert . . . denn es gefällt uns alles sehr wohl, weil es für das einfache Volk aufs Einfachste dargestellt ist". Der zu erwartenden Kritik könne man gelassen entgegensehen. Natürlich sei mit dem „Unterricht" nur „der Samen geworfen", denn „Ordnung stellen und gestellete Ordnung halten sind zwei Ding weit von einander". Vor allem müsse darauf geachtet werden, „daß die Unseren [d. h. Stände und Magistrate], die den Predigern ungeneigt sind, nicht Begründung und Gewalt gegen sie daraus ableiten, daß sie predigen müssen, was sie [die Stände und Magistrate] wollen, wie etliche an vielen Stellen es schon vorgenommen haben" 84 . Während Luther jetzt die baldige Veröffentlichung des „Unterrichts der Visitatoren" erwartet 85 , hat der Hof doch immer noch Fragen, die der Kurfürst am 3. Januar 1528 Luther zusammen mit der Reinschrift des Manuskripts vorlegt 8 *. Umfangreiche Beilagen sind ihm beigefügt, die 200

Fragen des Abendmahls 87 , der Verwandtschafts- und Schwagerschaftsheiraten wie Ehefragen überhaupt 88 behandeln. Sie alle soll Luther nodi einmal bedenken und Stellung dazu nehmen, damit der „Unterricht" dementsprechend ergänzt oder abgeändert werden könne. Nachdem das geschehen sei, werde man ihm das Manuskript nodi einmal vorlegen, damit es dann zum Druck gehen könne. Vor allen Dingen wird Luther daran erinnert, daß bei der Verhandlung im November — Luther ist also nodi einmal des „Unterrichts" wegen zu Gesprächen nach Torgau geladen gewesen — vereinbart worden sei, er solle dem Ganzen eine Vorrede beifügen, „die auf ein Narration stehen sult", d. h. „eine geschiditliche Darstellung des auf die Visitation Bezüglichen" geben sollte 89 . Dieser Ablauf der Dinge zeigt noch einmal mit aller Deutlichkeit, daß Holl mit seiner These von falschen Voraussetzungen ausgeht. Die Initiative zur Einrichtung der Visitationen geht von Luther aus, nicht vom Hof. In immer neuen Briefen drängt er den Kurfürsten dazu, die diesem nicht nur die Durchführung der Visitation als Pflidit seines Amtes auferlegen, sondern auch die Direktiven dazu geben. Bezeichnend dafür sind seine Schreiben vom November 1526 (vgl. o. S. 194 ff). Als der Kurfürst grundsätzlich zugestimmt hat, aber einige Wochen hindurch nichts geschieht, reißt Luther die Geduld. Als der Kurfürst in Wittenberg ist, geht Luther zu ihm. Im Vorzimmer bedrängt er zunächst den Kurprinzen, gegen alle Etikette und den Widerstand des Hofpersonals bahnt sidi Luther dann den Weg zum Kurfürsten und legt ihm die Notwendigkeit des von ihm geforderten Vorgehens nodi einmal mit aller Nadidrücklichkeit vor — nur der Hofkämmerer Riedesel ist bei diesem Gesprädi zugegen. Bei der Visitation ist Luther der Agierende, der Hof und der Kurfürst die Reagierenden. In diesem Zusammenhang ist die „Instruction" vom Juni 1527 zu sehen. Sie bedeutet nidit den Beginn des landesherrlichen Kirchenregiments, wie Holl meint, sondern die Exekution dessen, was Luther will, durdi den Landesherrn. Die „Instruction" 90 wiederholt in ihrer Grundsatzerklärung über Notwendigkeit und Aufgabe der Visitation 91 nur die Ausführungen Luthers. Nicht der Landesherr unterwirft sidi hier die Kirche, sondern zugespitzt gesagt, er unterwirft sich hier den Forderungen Luthers und macht sich zum ausführenden Werkzeug seiner Wünsche, als Gottes „treues Werkzeug" 82 , so wie Luther ihm das mit Nachdruck eingeprägt hatte. Auch der „Unterricht der Visitatoren" steht unter dem Vorzeichen Luthers und nicht des Hofes. Immer wieder vergewissert sich der Kurfürst 201

der Meinung Luthers; daß Luther 1538 bei der Neuausgabe des „Unterrichts" für die Visitation im Herzogtum Sachsen mit dem Text des „Unterrichts" so verfährt, als ob es sich um einen von ihm stammenden Text handle 98 , ist bezeichnend. K. Müller hat die Situation im Prinzip richtig erfaßt, aber — weil er den Kontext der Korrespondenz nur unvollständig berücksichtigte — nicht genügend scharf bezeichnet. „Instruction" und „Unterricht" sind nidit nur sozusagen die beiden Seiten einer Medaille, die Führerschaft liegt vielmehr eindeutig bei Luther. Seine Vorrede zum „Unterricht", in den Verhandlungen bei Hof beschlossen und auf dessen Mahnung hin niedergeschrieben, bezeichnet die Luther und dem Kurfürsten gemeinsame Sicht des Verhältnisses von „Staat und Kirche". „Wir" (d. h. die Theologen mit Luther an der Spitze) hätten angesichts des Zustandes der Kirche „das bischöfliche und Visitationsamt als aufs höchste notwendig gerne wieder aufgerichtet gesehen": „Aber weil unser keiner dazu berufen war oder einen sicheren Befehl dazu hatte, und 1. Petr. 4, 11 nichts in der Christenheit einrichten lassen will, man sei denn gewiß, daß es Gottes Sache sei, hat sichs keiner vor dem andern zu unterfangen gewagt. Da haben wir das Gewisse dem Ungewissen vorziehen wollen und uns an das Amt der Liebe (welches allen Christen gemeinsam und geboten ist) gehalten, und sind an den Kurfürsten zu Sachsen, als den Landesfürsten und unsere gewisse, von Gott verordnete weltliche Obrigkeit mit der demütigen Bitte herangetreten, daß Se. Kurfürstl. Gnaden aus christlidier Liebe (da sie es nadi weltlicher Obrigkeit nicht schuldig sind), und um Gottes Willen, dem Evangelium zugut und den elenden Christen in Sr. Kurfürstl. Gnaden Landen zu Nutz und Heil, gnädiglich etliche tüditige Personen zu solchem Amt auffordern und verordnen wollen. Weldies dann Se. Kurfürstl. Gnaden also gnädig durch Gottes Wohlgefallen getan und angerichtet haben" M .

„Aus christlicher Liebe" hat der Kurfürst die „Instruction" erlassen und die Visitation eingerichtet, nicht auf Grund landesherrlichen Kirchenregiments. Er handelt damit in Stellvertretung, weil niemand anders es sonst tun kann, zur Schaffung der Grundlagen. In der durch die Visitation neugeordneten Kirche besitzt der „Superattendent" die maßgebende Position. Er hat die Aufgabe, die Lehre und Predigt der Pfarrer zu überwachen ebenso wie ihre Lebensführung. Wenn Beanstandungen in irgendeiner Hinsicht vorliegen, hat er die Pfarrer vorzuladen und eines Besseren zu belehren bzw. sie zurechtzuweisen. Bleibt das ohne Erfolg und insbesondere dann, wenn „erweckung falscher lere und des auffrhurs" zu befürchten ist, soll der Superattendent das dem zuständi202

gen Amtmann mitteilen, der sogleich an den Kurfürsten zu berichten hat, damit dieser die notwendigen Gegenmaßnahmen treffen kann (was Luthers schon seit langen Jahren eingenommener Position entspricht). Bei der Bestallung neuer Pfarrer durch die Lehnsherrn muß vorher der Superattendent eingeschaltet werden, der sie „verhören und examiniren" soll, ob sie für das Amt auch geeignet sind95. Dieser Artikel „Von Verordnung des Superattendenten" im „Unterricht der Visitatoren" hat dem Hof vor dem Druck vorgelegen — wie Luthers Vorrede übrigens auch — und, soweit aus der Korrespondenz ersichtlich, dort keinerlei Beanstandung gefunden. Von hier aus, ebenso wie von den Ausführungen des „Unterrichts" über das Verhältnis von Kirche und Staat 96 (die bei K. Müller ebenfalls nicht berücksichtigt werden) gewinnt die hier vorgetragene Auffassung entscheidend an Nachdruck. Die Visitatoren hat Luther als die oberste kirchliche Instanz betrachtet. Als Spalatin das Amt des Visitators übernimmt, wünsdit Luther ihm, daß Christus ihn „in xfj ¿raaxoTt^ ZXÜVQ" leiten möge97. Nos visitatores h.e. episcopi sumus erklärt er gegenüber Amsdorf98. Der Landesherr ist nur der „Notbisdiof", die Theologen sind die eigentlichen Bischöfe und Leiter der Kirche. Daran hat Luther stets festgehalten, noch 1539 schreibt er an die Visitatoren in Thüringen99, sie sollten entschlossen handeln und einen ungeeigneten Pfarrer von sich aus absetzen und nicht den Kurfürsten damit behelligen. Das könnte den Eindruck machen, „als woltet yhr, als denen es befolhen, nichts dazu thun". Der Kurfürst sei genug in Anspruch genommen, er sei ohnehin nur „nottbischoff", „nottbischoff vnd nottofficial" 10°. Und diese Auffassung ist vom Kurfürsten und vom Hof auch anerkannt worden. In der Instruktion zur Visitation von 1532 wird von den Visitatoren als erster Instanz gesprochen („volgente die superattendenten und executorn auch unsere amptleut"!), welche die Aufsicht über die Kirche haben101. Die „superattendenten und executorn" stehen über den Pfarrern und Predigern einerseits und den „gerichtsheldern in irer botmessigkeit" andererseits, wenn ein Vorgehen gegen die Mißachtung des geistlichen Amts in Betracht kommt 102 . In der Visitationsordnung für Meißen und das Vogtland von 1533 wird die Institution der Exekutoren näher definiert. Da werden Spalatin und der Pfarrer zu Grimma als die „obern superattendenten" im Unterkreis Meißen festgestellt, Asmus Spigel und der Amtmann zu Colditz als „executorn". Im Oberkreis Vogtland sind der Pfarrer zu Weidau und der Prediger zu Plauen zu „obersuperattendenten" bestellt, Gunter von Bunau und 203

Joseph Lewin Metzsch zu „executorn"10®. Ja selbst die „Instruction" von 1527 sieht die Institution des „Superintendenten und aufseher" bereits vor. „In etzlichen und den furnembsten Stetten" soll dieses Amt einem Pfarrer übertragen -werden, die Aufgaben und die Stellung, die dem „super-intendierend pfarner" übertragen werden, sind genau die gleichen wie später im „Unterricht der V i s i t a t o r e n " D a ß das alles nicht nur auf dem Papier stand, sondern Praxis war, beweist Luthers Brief an Spalatin vom 6. Juli 1529 105 . Spalatin hatte den Bornaer Pfarrer Mohr zu Luther geschickt, damit er ihm (durch Fürsprache bei Hofe) zu einem Hause verhelfe. Das sei sinnlos, schreibt ihm Luther, denn der Hof würde die Sache nur ad nos visitatores, tanquam executores plenissima potestate fungentes zurückgeben. Was die Visitatoren anordneten, sei voll gültiges Recht, das nicht verändert werden könne. Am Rande bemerkt: wenige Tage zuvor hatte Luther an den „Geleitsmann" (d.h. den kurfürstlichen Amtsträger) zu Borna, Michael von der Straßen, einen Brief wegen der Bornaer Pfarrstellen geschrieben106. Ihm war der häufige Wechsel der Pfarrer dort aufgefallen, als Ursache dafür hatte er die zu niedrige Besoldung festgestellt. Luther führt eine deutliche Sprache: auf die Weise würde man zu Borna zuletzt gar keinen Pfarrer mehr haben und Borna werde einem schlechten Ruf nicht entgehen, ebenso wie der Anklage, daß man dort nichts nach dem Evangelium frage. Luther wendet sich zunächst vertraulich an den Geleitsmann, damit er den Zustand ändere, und zwar aus Entgegenkommen, sonst hätte er sich direkt an den Rat gewendet.

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24. Juni 1524, WA Br III, 754 S. 310 vgl. Luthers - ablehnende - Antwort darauf 17. November 1524, WA Br III, 793 S. 373 f vgl. WA 2 6 , 1 7 7 vgl. WA Br III, S. 582 Anm. 2 De servo arbitrio, WA 18, 600-787; sie erschien im Dezember 1525 nach Terenz, Eun. 1085, vgl. WA Br III, S. 393 Anm. 2 WA Br III, 926 S. 582 vgl. o. S. 99 f 28. September 1525, WA Br III, 927 S. 583 Ob dem Verhandlungen zwischen Spalatin und Luther vorangegangen sind, wie die Literatur vermutet, ist nicht zu entscheiden. Auch die Sätze im Brief an Hausmann vom 11.Oktober 1525, WA Br III, 931 S. 588: Proceres principis hic sunt, agitur de ceremoniis constituendis nobiscum. Postea agetur aliquando de parochiis, bleiben unklar. Der erste bezieht sich ohne Zweifel auf Verhandlungen über die Zeremonien in der Kirche des Allerheiligenstifts, die Verweise der WA zum zweiten Satz sind anscheinend durch Druckfehler entstellt und nicht zu verifizieren. WA Br III, 937 S. 594 f alles S. 595

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„des armen bauchs", schreibt Luther wörtlich WA Br I I I , 944 S. 613 f Luther hatte den Kurfürsten bei dessen Amtsübernahme im Juli 1525 darauf angesprochen, vgl. WA Br I I I , 595,55 6 alle Zitate WA Br I I I , S. 614 WA Br I I I , 950 S. 628 f alle Zitate S. 628 vgl. WA 2 6 , 1 7 8 WA Br IV, 1052 S. 133 f bis hierher alles S. 133 S. 133 f S. 134 alles S. 134 nach dem Brief Johanns (vgl. Anm. 26) war es Hans von Grefendorf WA Br IV, 1054 S. 136-138 S. 136 S. 136 f S. 137 WA Br IV, 1053 S. 135 vom 1. Januar 1527, WA Br I V , 1067 S. 149-151 S. 149 f S. 150 S. 150 f WA Br IV, 1072 S. 159 W A B r I V , 1081 S. 167 f S. 168 W A B r I V , 1113 S. 212 W A B r I V , 1118 S. 216 WA Br IV, 1122 S. 222 zur Personenfrage vgl. WA Br I V S. 223 Anm. 3 wieder abgedruckt in Band I der Gesammelten Aufsätze zur Kirchengeschichte S. 326 bis 380, danach (2/3 1923) hier zitiert S. 372 f Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther, 1910 S. 68 S. 72 E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, 1. Abt.: Sachsen und Thüringen, nebst angrenzenden Gebieten, 1. Hälfte: Die Ordnungen Luthers. Die ernestinischen und albertinisdien Gebiete, 1902 S. 142-148 Sehling 1,1. S. 175 b ebda S. 177 a ebda S. 184 a ebda S. 584 b ebda S. 648 b ebda S. 663 a ebda S. 7 1 1 b zitiert wird, wie für 1528, in der Reihenfolge des Abdrucks bei Sehling ebda S. 524 a ebda S. 525 a ebda S. 526 b ebda S. 532 a ebda S. 546 a ebda S. 560 a ebda S. 571 b und 572 a ebda S. 576 b ebda S. 578 a und b

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•5 ebda S. 580 a 6 6 ebda S. 581 a 6 7 ebda S. 605 a und 606 a «8 ebda S. 610 a 6 9 ebda S. 611 a und b 7 0 ebda S. 614 b 7 1 ebda S. 617 a 7 2 ebda S. 646 b 7 3 ebda S. 647 a und b 7 4 gleich dreimal: ebda S. 649 a, 650 a, 650 b 7 5 dreimal, ebda S. 660 a 7 8 WA Br IV, 1129 S. 230 77 am 19. August 1527, WA Br IV, 1130 S. 232 7 8 WA Br IV, 1138 S. 241 7 9 vgl. den Brief an Hausmann vom 2. September 1527, WA Br IV, 1141 S. 244 und den an den Kurfürsten vom 10. September, WA Br I V , 1142 S. 245 sowie den vom 7. November 1527 an Hausmann, WA Br IV, 1166 S. 277 8 0 WA Br IV, 1143 S. 247 8 1 Brief an Jonas vom 10. Dezember 1527, WA Br IV, 1180 S. 295 8 2 W A B r I V , 1150 S. 254 f 8 3 W A B r I V , 1158 S. 265 f 8 4 alles S. 265 8 5 vgl. die Briefe an Hausmann vom 14. Dezember 1527, WA Br IV, 1183 S. 299 f und 31. Dezember 1527, WA Br IV, 1192 S. 312 f 8 6 WA Br IV, 1200 S. 326 f 8 7 Beilage I und I I S. 328-331 8 8 Beilage I I I - V S. 331-339 8 9 so die WA Br I V S. 327 Anm. 2 und 2 6 , 1 8 5 9 0 ihre Gliederung ist übrigens sehr viel komplexer als K . Müller S. 71 Anm. 2 meint 8 1 Sehling 1 , 1 , 1 4 2 b - 143 a 9 2 WA Br I I I , 595, 33 und 47 9 3 obwohl eigentlich Melandithon der Verfasser ist 94 WA 26, 197 f (in der Titulatur des Kurfürsten gekürzt) 9 5 alles nach: »Von Verordnung des Superattendenten" im „Unterricht", WA 26, S. 235 9 6 vgl. dazu z . B . WA 26, 207-211; 223,37-224,2; 225,20-30; 227,40-228,6; 228,33 bis 229,46 9 7 29. Oktober 1528, WA Br IV, 1344 S. 595 9 8 WA Br IV, 1347 S. 597, vgl. WA Br IV, 1350 S. 603 an Spalatin vom 8. November 1528 u. ö. 9 9 WA Br V I I I , 3313 S. 396 vom 25. März 1539 100 so im Brief an Zwilling, 19. März 1539, WA Br V I I I , 3312 S. 395 1 0 1 Sehling 1 , 1 , 1 8 6 b 1 9 2 ebda S. 186 a 1 0 3 ebda S. 191 a/b 104 ebda S. 146 a/b 1 0 5 WA Br V, 1442 S. 109 1 0 8 W A B r V , 1440 S. 107

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6. Die Auseinandersetzungen mit dem Zwickauer Rat Es ist bekannt genug und braucht hier nicht dargestellt zu werden, daß die Institution des „Notbischofs" ihre eigene Gesetzlichkeit entfaltet hat und das landesherrliche Kirchenregiment sich von hier aus beinahe zwangsläufig entwickelt hat, bis schließlich im Luthertum des 17. Jahrhunderts Luthers Vorstellung vom Nebeneinander der beiden Regimente an entscheidenden Punkten zerstört und es möglich war, daß der Kurfürst von Sachsen auch nach seinem Ubertritt zum Katholizismus seine Position als Haupt des Corpus Evangelicorum beibehielt. Die Anfänge der Entwicklung zur Präponderanz der staatlichen Instanzen in der Kirche gehen ohne Zweifel auch bis in die Zeit Luthers zurück. Aber sie stoßen stets auf den Widerspruch Luthers, seine lebhaften Klagen, ja sein Zorn über „die Juristen", der immer heftiger durchbricht1, erklären sich aus diesem schon zu seinen Lebzeiten einsetzenden Phänomen. Wie Luther reagierte, wenn weltliche Instanzen in den kirchlichen Bereich eingriffen, läßt sich am Beispiel seiner Auseinandersetzung mit dem Zwickauer Rat studieren. Dieser Konflikt muß um so mehr erstaunen, als Zwickau seit langem evangelisch war; schon 1520 hatte Luther seine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen" dem Zwickauer Bürgermeister Mühlpfort gewidmet, Luthers Schüler und Freund Stephan Roth war Stadtschreiber, d. h. Syndicus Zwickaus, Nikolaus Hausmann, sein naher Vertrauter, Stadtpfarrer. So sollte man meinen, daß das Verhältnis zueinander unter dem Vorzeichen voller Harmonie hätte stehen müssen, statt dessen kommt es zum schwersten Konflikt, den Luther in seinem Leben je mit einer evangelischen „Oberkeit" ausgestanden hat. Am 4. März 1531 schreibt Luther an „Bürgermeister und Rat zu Zwickau" einen Brief, der in seiner Schärfe nur dem verglichen werden kann, was er in den härtesten Auseinandersetzungen mit Herzog Georg von Sachsen geschrieben hat. Er muß im Wortlaut zitiert werden: „Den Erbarn, fursichtigen herrn Burgermeister vnd Rat zu Zwickau, meinen gonstigen herrn vnd freunde (!). Gnad vnd fride ynn Christo! Erbarn, fursiditigen, lieben herrn! Es ist itzt hie bey vns gewest Ewr Pfarher sampt Laurentio Sorano vnd mir kund gethan, wie genanter Laurentius Soranus von euch geurlaubt on wissen vnd willen des Pfarrherrs, nicht anders denn als ein herr seinen knecht, So er dodi nicht ewr knedit vnd yhr der kirchen herr nicht seid, Auch soldies ampt nicht so stelen vnd rauben mugt ewrs gefallen, wenn vnd wem yhr wollet, Sondern dem landsfursten ge-

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burt, bis die sadie mit den bisschouen geendet. Wie wol ich nu wol achte, das euch nichts dran gelegen, was mich verdreusst adder vnrecht dunckt, vnangesehen, das yhr billich soltet mein schonen, als der i