Europäische und nordamerikanische Gegenwartslyrik im deutschen und amerikanischen Sprachraum 1920–1970: Studien zu ihrer Vermittlung und Wirkung [Reprint 2017 ed.] 9783110944044, 9783484630086

Die hier vorgelegten Studien zielen darauf ab, komparatistische Vorarbeiten zu einer Geschichte der deutschen Lyrik im 2

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Europäische und nordamerikanische Gegenwartslyrik im deutschen und amerikanischen Sprachraum 1920–1970: Studien zu ihrer Vermittlung und Wirkung [Reprint 2017 ed.]
 9783110944044, 9783484630086

Table of contents :
Vorbemerkung
Inhalt
1. Einleitung
2. Zum Erwartungshorizont von Lyrik im deutschen Sprachraum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
3. Beispiele der Vermittlung einzelner Nationalpoesien
4. Institutionen der Vermittlung: Anthologie, Zeitschriften, Wissenschaft
5. Verzögerte Möglichkeiten der Vielfalt: Zur Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter
6. Statt einer Zusammenfassung: Reflexionen und Perspektiven
Zitierte Literatur
Personenregister

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C O M

M U N I C A T I (

)

Band 8

Studien zur europäischen Literatur- und Kulturgeschichte

Herausgegeben von Fritz Nies und Wilhelm Voßkamp unter Mitwirkung von Yves Chevrel und Reinhart Koselleck

Lothar Jordan

Europäische und nordamerikanische Gegenwartslyrik im deutschen Sprachraum

1920-1970

Studien zu ihrer Vermittlung und Wirkung

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1994

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Jordan, Lothar: Europäische und nordamerikanische Gegenwartslyrik im deutschen Sprachraum 1920-1970 : Studien zu ihrer Vermittlung und Wirkung / Lothar Jordan. - T ü b i n gen : Niemeyer, 1994 (Communicatio ; Bd. 8) Zugl.: O s n a b r ü c k , Univ., Habil.-Schr., 1990 NE: GT ISBN 3-484-63008-6

ISSN 0941-1704

© Max Niemeyer Verlag G m b H & C o . K G , Tübingen 1994 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck, Darmstadt

Vorbemerkung Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die Habilitationsschrift, die ich im Dezember 1990 dem Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Osnabrück vorgelegt habe. Das Habilitationsverfahren wurde am 18.12. 1991 abgeschlossen. Die Arbeit wurde für den Druck durchgesehen und gekürzt. Ihr selbständiger Anhang liegt ebenfalls in der Reihe »Communicatio« vor: »Europäische und amerikanische Gegenwartslyrik im deutschen Sprachraum. Bibliographie der komparatistischen Sekundärliteratur 1945-1988.« Diese Arbeit wäre nicht ohne die wiederholte Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft entstanden, der ich daher zu besonderem Dank verpflichtet bin: Von 1985-1987 konnte ich an der Universität Osnabrück ein Postdoktorandenstipendium wahrnehmen, und ein Habilitandenstipendium ermöglichte 1990 den Abschluß der Studien. Zwischendurch, 1988, arbeitete ich für sechs Monate mit einem »Marbach-Stipendium«, das mir die Fritz Thyssen Stiftung gewährte. Für die stets freundliche Unterstützung in dieser Zeit danke ich den Mitarbeitern des Deutschen Literaturarchivs in Marbach am Neckar. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Winfried Woesler, der auch diese Arbeit förderte, sowie Herrn Prof. Dr. Wolfgang Asholt und Herrn Prof. Dr. Walter Hinderer für ihre kritischen Hinweise. Herrn Prof. Dr. Fritz Nies und Herrn Prof. Dr. Wilhelm Voßkamp, den Herausgebern von »Communicatio«, bin ich für die Aufnahme der Arbeit in ihre Reihe sowie für ihre Anregungen dankbar. Für verschiedene Unterstützung danke ich ferner Herrn Dr. Andreas Krämer, Herrn Prof. Dr. Heinrich Mohr, Herrn Prof. Dr. Norbert Oellers sowie Herrn Prof. Dr. Heinz Thoma. Für die Schreibarbeiten und die Druckeinrichtung schließlich gilt mein Dank Frau Renate Hilleringmann. Münster, 7. Dezember 1993

Inhalt Vorbemerkung Inhalt

V VII

1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5. 1.5.1. 1.5.2. 1.5.3.

Einleitung Zielsetzung Gegenwartslyrik - moderne Lyrik Literaturgeschichtsforschung und -geschichtsschreibung Geschichtsforschung und Komparatistik: Rezeptionsforschung Komparatistik/Germanistik Untersuchungsgegenstände Zur Wahl des Untersuchungszeitraumes Zur Darstellung und Anordnung der Untersuchungsergebnisse

1 1 2 7 10 14 15 16 18

2.

Zum Erwartungshorizont von Lyrik im deutschen Sprachraum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

21

Beispiele der Vermittlung einzelner Nationalpoesien Stand der Vermittlung neuester Lyrik bis 1930 Französische Lyrik Nordamerikanische Lyrik Russische Lyrik Tschechische Lyrik Spanische Lyrik Vermittlung und Einschränkung der Vermittlung 1930-1945 Einführung Nordamerikanische Lyrik Gegen den Strom: Henneckes poetologisches Programm 1938 Russische Lyrik Spanische und italienische Lyrik 1945-1970

31 31 31 38 46 51 54 56 56 60 63 66 68 71

3. 3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.4. 3.1.5. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.2.1. 3.2.3. 3.2.4. 3.3.

4. 4.1. 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.3.

5.

Institutionen der Vermittlung: Anthologie, Zeitschriften, Wissenschaft Ein Beispiel anthologischer Vermittlung: J. Kalmer, ed.: Europäische Lyrik der Gegenwart (1927) Ausländische Gegenwartslyrik in literarischen Zeitschriften das silberboot. Zeitschrift für Literatur (1935/36; 1946-1952) Centaur (Eine Zweimonatsschrift für die Dichtkunst) (1939; 1945/48) Ein Beispiel wissenschaftlicher Vermittlung: K. Wais, ed.: Die Gegenwarts-Dichtung der europäischen Völker (Berlin 1939)

89 89 99 99 104

110

5.2.3.

Verzögerte Möglichkeiten der Vielfalt: Zur Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter Französische Dichter Apollinaire Aspekte der Vermittlung und Wirkung des Surrealismus Englischsprachige Dichter T.S. Eliot - Ezra Pound - W.C. Williams Der Kontakt zur amerikanischen Gegenwartslyrik um 1960 (»Beat«, Olson) Frank O'Hara

164 171

6.

Statt einer Zusammenfassung: Reflexionen und Perspektiven

183

5.1. 5.1.1. 5.1.2. 5.2. 5.2.1. 5.2.2.

Zitierte Literatur Personenregister

119 119 119 130 151 151

193 213

1.

Einleitung

1.1.

Zielsetzung

Diese Arbeit untersucht die Rezeption von fremdsprachiger Gegenwartslyrik (relativ zum Untersuchungszeitraum 1920-1970) europäischer Sprachen im deutschen Sprachraum. Sie zielt darauf ab, Vorarbeiten und auch schon Beiträge zum Verständnis des Verhältnisses von nationalen Traditionen und internationalen Einflüssen in der Geschichte der neuesten deutschen Lyrik zu leisten und so einer späteren, umfassenden Geschichte der deutschen Lyrik im 20. Jahrhundert, möglicherweise auch einer internationalen Geschichte der modernen Lyrik den Weg zu bereiten, in jedem Fall weitere literarhistorische Forschungen auf diesem Weg anzuregen. Rezeptionsdokumente wurden vor allem im Bereich der Institutionen und Formen der Literaturvermittlung (Zeitschriften, Anthologien, Übersetzungen etc.) erschlossen und ausgewertet. Im Detail erfahren die einflußreichsten Poesien, die französische und die nordamerikanische, besondere Beachtung, vor allem anhand von Untersuchungen zur Vermittlungs- und Wirkungsgeschichte von Dichtern, die in diesen Literaturen und auf die Dauer für die deutsche Lyrik besonders relevant waren. Im folgenden sollen zunächst vier - miteinander interagierende Spannungsfelder, in denen diese Studien stehen, in Hinsicht auf das Thema reflektiert werden. Es ist als erstes im Objektbereich das Verhältnis von Gegenwartslyrik und moderner Lyrik. Sodann werden das Verhältnis von Literaturgeschichtsschreibung und -forschung, dann das Verhältnis von Literaturgeschichtsforschung und Komparatistik, das hier in Form der Rezeptionsgeschichte realisiert wird, schließlich das Wechselspiel von Komparatistik und Germanistik bedacht. Die Einleitung wird beschlossen mit Erläuterungen zur Durchführung der Untersuchungen, zum Untersuchungszeitraum und zur Anordnung der Arbeit.

2 1.2.

Einleitung

Gegenwartslyrik - moderne Lyrik

Der Begriff Gegenwartslyrik wird in dieser Arbeit nicht in der Bedeutung von Lyrik der Gegenwart des Verfassers dieser Untersuchung gebraucht, sondern bezieht sich auf die Gegenwart je verschiedener Zeiten dieses Jahrhunderts. Dabei kann der Begriff nicht so streng angewandt werden, wie er zunächst suggeriert.1 Das gilt erst recht, wenn es sich um Untersuchungen von literarischen Grenzüberschreitungen handelt, bei der z.B. Übersetzungen als ein wichtiges Medium des Literaturtransfers sich zwischen die Gegenwart der Publikation von Gedichten und ihre Präsenz in einer anderen Sprache schieben. Aber auch innerhalb einer Kulturgemeinschaft kann Gegenwart in der kulturellen, auch in der wissenschaftlichen Praxis einen verschieden großen - und verschieden wichtigen - Zeitraum, nicht bloß einen Zeitpunkt bezeichnen.2 Für diese Spezifizierung bei der Untersuchung der Sprachgrenzen überschreitenden Vermittlung von Lyrik waren zwei Perspektiven maßgeblich: Zum einen interessierte mich die Frage, wie schnell (oder langsam), wie intensiv (oder lückenhaft) in Deutschland die neueste ausländische Lyrik rezipiert wurde und welche Wirkung diese Rezeption auf die Entwicklung der deutschen Lyrik gehabt hat. Hier können die Aktualität oder Verzögerung solcher Rezeption als Indizien dienen, die Aufschlüsse über ihre Stellung im internationalen Kontext geben. Zum zweiten sind bei der raschen Entwicklung der Lyrik gerade in der ersten Jahrhunderthälfte die Gegenwartslyrik und ihre Rezeption besonders gute Indikatoren für den literarischen Wandel. 3 Aus diesem Wandel ergibt sich eine Reihe von Problemen, etwa Fragen der Wertung, welche die Auswahl der zu untersuchenden oder wenigstens zu berücksichtigenden Dichter und Gedichte beeinflussen. Richtet sich diese am Horizont, am >Kanon< der Gegenwartslyrik der je untersuchten Zeit oder an dem in unserer Zeit etablierten Kanon 4 aus? 1

2 3

4

Das gilt auch für die in etwa synonymen Begriffe »zeitgenössische Lyrik< und »neueste Lyrikalte< Elemente gibt.« - Um die Modernisierungsprozesse im weiteren Sinne differenzierter zu verstehen, sollte man etwa die entsprechenden, in verschiedene Richtungen blickenden Arbeiten von Plessner und von Habermas als sich ergänzende Filter benutzen. Die Tendenz der Lyrik des 20. Jahrhunderts, stärker als je zuvor, einen eigenen Ton, einen individuellen Stil zu finden, hat natürlich prompt die radikale Antihaltung dazu provoziert, die aber wiederum zur Vielfalt der modernen Dichtung beiträgt. All dies erschwert die Möglichkeit, sie systematisch zu beschreiben. Bis heute überwiegen bei der Analyse leider die Kategorien des Negativen und der Abweichung. Die Poetizität bestimme sich, so ein Deviationsmodell, aas der Abweichung von den Normen der Alltagssprache (s. auch Fricke 1981). Einem solchen Ansatz müssen vorzugsweise hermetische Schreibweisen in den Blick kommen. Tatsächlich aber zeichnen sich wichtige Teile der neueren Dichtung durch eine Annäherung an die Alltäglichkeit (thematisch und/oder sprachlich) aus. Besser scheint es mir in Anlehnung an Jauß 3 1970, die Abweichung von einer Erwartungshaltung zu bestimmen, die aus der Herrschaft zu rekonstruierender literarischer Normen resultiert. Doch werden auch dadurch wiederum negative Kategorien oder - unterschwellig poetologisch - Kategorien wie Durchbrechung oder Innovation a priori begünstigt. (Jauß korrigiert sich 1977 explizit durch die Forcierung von Identifikation als ästhetischer Kategorie; s. auch Woesler, ed. 1980). Heselhaus hatte 1961 nicht nur das Primat der französischen Lyrik, das H. Friedrich postuliert hatte, negieren wollen, indem er sich auf die deutsche konzentrierte, sondern auch die Betonung des Negativen aufheben (auch - ebenfalls gegen Friedrich - den literaturgeschichtlichen Zugriff erneut ins Spiel bringen). Heselhaus konnte sich, was angesichts der Schwierigkeit des Sachverhalts nicht verwunderlich ist, nicht recht entscheiden, ob eine Typologie der modernen Lyrik möglich/sinnvoll sei, oder ob es sich um »ausgesprochene Individual-Strukturen, nicht wiederholbar und kein neues Formschema« (S. 12) handele. Ohne sie hier zu leisten, denke ich mir eine Differenzierung und Bestimmung der modernen Literatur (Lyiik) weniger in Kategorien der Negation als in Darstellungen der Konstruktion neuer Strukturen, die in ih-

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Einleitung

der; aber auch das in sich bis heute recht geschlossene Feld der Konkreten Poesie zeigt diesen Sachverhalt. Dem hermetischen Gedicht tritt das kolloquiale gegenüber, der inneren Erfahrung die Zuwendung zur äußeren Wirklichkeit (zu den Dingen, zur Gesellschaft), der romantischsymbolistischen die aufklärerisch-didaktische, dem Aufbruchspathos des Expressionismus die Neue Sachlichkeit, der >reinen Dichtung« das »Gedicht im Handgemenge«. Die moderne Lyrik gibt es nicht. Eine Struktur der modernen Lyrik läßt sich nicht nachweisen. Das Ergebnis von P. Bürgers Versuch, eine Ästhetik der Moderne zu entwickeln, unterstützt meine Annahme, die Haupttendenz der modernen Lyrik eher durch die Beachtung der umfassenden Ausdifferenzierung und immer neuen Synthesen zu erfassen als durch den Entwurf einer einsinnigen oder einfachen Typologie. Bürger endet mit dem Eingeständnis des Scheiterns (1988:439): »nicht nur sind die als modern geltenden Werke von einer die theoretische Anstrengung entmutigenden Verschiedenheit, auch der Begriff, mit dessen Hilfe sie erfaßt werden sollen, ist weder durch klare Epochengrenzen, noch durch einen einigermaßen eindeutigen Komplex semantischer Merkmale charakterisiert. Die Heterogenität der Werke sowie die Unschärfe des Begriffs lassen die Bemühung um eine Theorie der ästhetischen Moderne fast aussichtslos erscheinen«. 12 Es ist M. Hamburgers Verdienst, in seinem Buch The Truth ofPoetry 1969 anhand von Dichtern aus mehreren europäischen Sprachen auf rer Eigenart ernst genommen werden, so wie F. Sengle 1980ff. mit der Formenwelt der Biedermeierzeit verfuhr. Die negativen Bestimmungen haben lange durchgeschlagen, in inhaltlicher und formaler Hinsicht, in der psychologischen, soziologischen usw. Ausdeutung: Krise des Ich, Depersonalisation, Identitätsund Glaubensverlust, Dehumanisierung, Entfremdung, Einsamkeit, Zivilisationskritik, Kompensation usw., dazu gehört auch die »Dunkelheit«, die lange als Ausweis dafür diente, daß Lyrik das Paradigma der Moderne sei; s. dazu z.B. Iser, ed. 1966, dessen Ziele und Beiträge auf die symbolistisch-hermetische Linie der Lyrik ausgerichtet waren. Die Applikation negativer Kategorien in der Ästhetik der Moderne könnte auch zusammenhängen mit der Erfahrung der Katastrophen des 2. Weltkrieges, des Nationalsozialismus, des Stalinismus in der Generation wichtiger Theoretiker der Modernen Kunst und Literatur (z.B. Adorno, Friedrich). 12 Schließlich wird man nicht ohne die Gefahr rigoroser Vereinfachung Strukturen moderner Lyrik oder auch nur Schulen moderner Lyriker mit Nationalliteraturen identifizieren dürfen. Die amerikanische Lyrik, der relevante Alternativen zum französischen Symbolismus zu entnehmen sind, hat z.B. in Wallace Stevens einen bedeutenden modernistischen Symbolisten. Die außerordentliche Diversifikation der modernen Lyrik und ihrer Poetologien hat W. Höllerer 1965 im Nachwort zu seiner Sammlung Theorie der modernen Lyrik demonstriert, indem er in einem fiktiven Streitgespräch zahlreiche Stimmen, die alle verschiedene poetologische Positionen ausdrücken, sich Absatz um Absatz, Seite um Seite widersprechen läßt.

Literaturgeschichtsforschung

und

-geschichtsschreibung

7

die »Spannungen« zwischen sehr verschiedenen poetischen Haltungen der modernen Lyrik aufmerksam gemacht zu haben. Dabei gilt Hamburgers Aufmerksamkeit, und darin folgt er H. Friedrich, der Analyse je einzelner Positionen anhand von Besprechungen beispielhafter Gedichte und kaum ihren historischen Zusammenhängen. Seine analytische Demonstration der Vielfalt der internationalen modernen Lyrik kann als eine Voraussetzung meiner Arbeit genommen werden, die konkret die literarischen Beziehungen über (Sprach-) Grenzen hinweg im Detail in literarhistorischer Hinsicht untersucht.

1.3.

Literaturgeschichtsforschung und -geschichtsschreibung

Das Projekt einer Geschichte der modernen Lyrik und auch nur die prospektiven Vorarbeiten zu ihr (welchen Status diese Studien weder überschreiten können noch wollen) werfen schwierige Probleme auf im Spannungsfeld zwischen einer Literaturgeschichtsschreibung, die traditionell überwiegend unter dem nationalen Aspekt erscheint, und der Internationalität der modernen Lyrik, die sie zu einem Gegenstand der Komparatistik macht. Das Verhältnis von Geschichtsschreibung und -forschung und Geschichtstheorie bleibt bis heute spannungsreich.13 Was diese sich als ein höheres Reflexionsniveau zugutehalten kann, erführe seine eigentliche Bewährung in der literaturhistoriographischen Arbeit. Wenn gerade in der modernen Lyrik die individuelle Form ein Telos der Produktionsästhetik, aber auch ein zentrales Element der Publikumserwartung ist, laufen Ordnungskriterien mehr denn je Gefahr, das Besondere gerade nicht zu erfassen. 14 13

14

Bumke 1991:14: »Eine bedenkliche Diskrepanz zwischen Theoriediskussion und praktischer literaturgeschichtlicher Arbeit scheint mir für die heutige Situation der Forschung kennzeichnend zu sein«; s. auch Japp 1980:10, der den Unterschied zwischen »Theorien der Literaturgeschichte und den wirklich geschriebenen Literaturgeschichten« betont, »da häufig die Theorien bloße Projekte sind, die nicht realisiert werden und manchmal auch nicht realisiert werden können, und da ebenso häufig die den Literaturgeschichten vorangestellten oder beigegebenen methodologischen Überlegungen bloße Prospekte sind, von denen sich im Werk dann nur wenig findet.« - Zum Thema s. an jüngeren Diskussionen z.B. Voßkamp/Lammert, ed. 1986; Baasner, ed. 1989. Auch kann der literarhistorische Zugang zur Literatur von vornherein als unangemessen erscheinen, wenn man die Bedeutung von Kunst etwa durch Kategorien der Diskontinuität wie >Bruch< (s. Hamacher 1986) oder >Plötzlichkeit< (Bohrer 1981) zu erfassen glaubt. Diese wollen aber nicht nur den literarhistorischen, sondern allgemein den literaturwissenschaftüchen Zugriff in Richtung auf eine andere Wahrnehmung von Kunst transzendieren. Aber auch für die

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Einleitung

Die Problematik der Literaturgeschichtsschreibung als eines zentralen nationalphilologischen Anliegens ist in den letzten Jahren im Zuge einer intensivierten Erforschung der Wissenschaftsgeschichte der Germanistik schärfer reflektiert worden.15 Wenn J. Fohrmann von einem »Scheitern des Projekts der nationalen Poesiegeschichtsschreibung« spricht, so bezieht sich das auf die Möglichkeiten, Literaturgeschichte von einem inneren Zentrum aus, für das lange Zeit die Idee des Nationalen diente, in einen organischen Gesamtzusammenhang zu bringen. Aber auch umgekehrt ließ sich nicht - im Ausgang vom philologischen Zugriff auf die Details, dem meine Arbeit von Anfang an nahesteht aus zahlreichen Einzelheiten ein in sich verbundener Gesamtzusammenhang herstellen: »In allen Fällen führten solche Versuche allerdings lediglich zu einem eine Vielzahl von Informationen sammelnden, ungeordneten Handbuch. Der Philologie gelang es daher nicht, eine Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen zu erstellen; das philologische Ziel lag vielmehr [...] im allmählichen Hervorbringen eines sich auf Miszellen aufbauenden Mosaiks, dessen Erreichen aber stets futurisiert wurde. Übrig blieb daher nur ein kompliziertes Netzwerk nicht mehr vom einzelnen überschaubarer Bezüge« (Fohrmann 1989:57f.). Dieser Verlust an Entelechie, an historischer Substanz kann auch positiv perspektiviert werden, indem die Heterogenität des Materials als ein Konstituens historischer Forschung aufgefaßt wird.16 Demnach wird Ordnung in der Geschichte nicht entdeckt, sondern - aus einem eher chaotischen Material - durch die Aktivität des Geschichtsschreibers hergestellt.17 Dem Problem, eine plausible Ordnung an sich schon bekannter Einzelheiten in der Darstellung erst herstellen zu müssen, der Notwendigkeit der Einteilung in Epochen, Texttypen, der Auswahl der Gegen-

15 16

17

Wahrnehmung eines Bruchs als Bruch ist das Bewußtsein eines Kontinuums, ist Kenntnis der Literaturgeschichte erforderlich, und sei es auch nur in einem historischen Vorverständnis. Im übrigen ist Literaturgeschichte, ist Literaturwissenschaft natürlich nicht die einzige sinnvolle Perspektive, Literatur wahrzunehmen. Literaturwissenschaft kann sich z.B. an der Literaturvermittlung beteiligen (s. auch Anm. 25, Schluß). s. dazu vor allem Weimar 1989 und Fohrmann 1989. s. Lamping 1989:17: »Das Ziel einer systematischen Darstellung ist es, möglichst elementare und weitreichende Sätze zu formulieren; das Ziel einer historischen Darstellung dagegen, möglichst viel Material verschiedenster Art zu berücksichtigen«. So auch die in den letzten Jahren vielbeachtete Perspektive Foucaults (im Anschluß an Nietzsche); s. dazu z.B. Fohrmann 1989; Japp hatte bereits 1980 mit dem Terminus »Beziehungssinn« an Nietzsche anknüpfend die Ersetzung von (historischer) Substanz durch Relationen für die Literaturgeschichte fruchtbar machen wollen; zu Nietzsche s. unter diesem Aspekt auch Jordan 1994 (b).

Literaturgeschichtsforschung

und

-geschichtsschreibung

9

stände, der Erzählung ihres Zusammenhangs scheint die Geschichtsforschung sich durch den Blick auf das neue Detail zu entziehen. Doch gehen in diese Erforschung des konkreten Details Elemente der Literaturgeschichtsschreibung ein: Man kann nicht die quasi über- oder außerzeitliche Geltung rein individueller poetologischer Strukturen unterstellen oder mit dem Hinweis auf die Kontingenz der verzeichneten Funde die Frage nach den zeitlichen und anderen Zusammenhängen abwehren. Einer philologisch orientierten Geschichtsforschung müssen die Genealogien, etwas Komplexeres als die bloße Chronologie der beobachteten Phänomene in den Blick kommen. Zu deren Strukturierung, ja schon zur Auswahl ihrer Gegenstände bedarf sie Ordnungskategorien, die möglichst sinnvoll in einem theoretischen Rahmen passen, selbst wenn dieser nicht explizit entfaltet wird. Da die Geschichtsforschung nicht ohne Elemente der Geschichtsschreibung (deren Probleme, nicht zuletzt Darstellungsprobleme sie sich jedoch überwiegend erspart) und damit nicht ohne Konstruktionen auskommt, kann der Streit zwischen dem Primat genetischer oder z.B. typologischer Forschung in der Komparatistik, der im Grunde fachübergreifende methodische Alternativen zum Gegenstand hat, gar nicht sinnvoll für eine Richtung entschieden werden. Schon wenn man Beobachtungen zur Interaktion zwischen poetischen Formen/Inhalten und poetologischen Normen macht, sind faktenüberschreitende Thesen unvermeidlich, allerdings eventuell in impliziten Annahmen versteckt. Aber diese >Faktenabsterben< (wie man am Versepos studieren kann). Für die Lyrik des 20. Jahrhunderts gilt aber eher, daß verschiedene Formen nebeneinandertreten, in denen jeweils durchaus erstrangige Gedichte möglich sind. Evolution bedeutet in der modernen Lyrik in erster Linie eine rapide Zunahme der Vielfalt.20 Diese in der historischen Darstellung übersichtlich und plausibel zu arrangieren, bleibt ein schwieriges Unterfangen, das von der einer Seite dem Druck der Geschichtstheorie und von der anderen Seite dem der Geschichtsforschung ausgesetzt ist. Dieser Druck nimmt im internationalen Feld zu. Wenn tatsächlich das Projekt der nationalen Poesiegeschichte in Deutschland gescheitert wäre, wie könnte dann das Projekt einer komparatistischen, einer internationalen Literaturgeschichte,21 hiei der Lyrik im 20. Jahrhundert, gelingen? Alle Probleme, die sich schon innerhalb der Geschichtsschreibung und -forschung einer Nationalphilologie stellen, verschärfen sich,22 ob Epochenprobleme,23 Fragen der Typologie, der zu bewältigenden Materialmenge oder der Darstellung, es sei denn, man würde eine solche Geschichte als bloße Addition nationaler Teilgeschichten erzählen oder vorbereiten.24 Die Frage kann hier nicht gelöst werden.

1.4.

Geschichtsforschung und Komparatistik: Rezeptionsforschung

Die alte Spannung zwischen den programmatisch generierten bzw. angewandten Begriffen Nationalliteratur und Weltliteratur scheint im Bereich der »modernen Lyrik< zugunsten der Weltliteratur gelöst. Selbst wenn mit der »Weltsprache der modernen Lyrik< >nur< Poesien euro-

20 21 22 23

24

Um dazu eine Vermutung zu äußern: Das größte Potential für bedeutende Lyrik scheint dabei und auch in Zukunft in der Kreuzung >unvereinbarer< Typen zu liegen. s. die entsprechende Forderung von Sauerland 1986. s. hierzu z.B. Bumke 1991. Der mögliche internationale Konsens über wie immer an den Rändern unschärfer werdende übergreifende (Groß-)Epochen wie z.B. eine westeuropäische Romantik erleichtert noch nicht die detailorientiertere Forschung. - Lamping 1991:17 räumt die Möglichkeit des Zweifels ein, »ob sich die Geschichte der modernen Lyrik insgesamt sinnvoll komparatistisch schreiben läßt«. s. Bumke 1991:25-32, insbesondere die Bemerkungen zum Neuen Handbuch der Literaturwissenschaft.

Geschichtsforschung und Komparatistik: Rezeptionsforschung

11

päischer Sprachen25 gemeint sind, durchkreuzte die Vielfalt ihrer Realisationen, sagen wir seit 1910, für diese Gattung die Ziele und Möglichkeiten einer nationalen Literaturgeschichtsschreibung. Diese erscheint dem Gegenstand nicht mehr angemessen. Standardwerke wie 25

Diese Arbeit entstand auch im Bewußtsein der Möglichkeit, einen literarhistorischen Beitrag zum Prozeß europäischer Integration zu leisten. Neben die bleibenden Aufgaben der Nationalphilologien, die je eigenen kulturellen Traditionen für die Gegenwart zu erschließen und für die Zukunft aufzubewahren, tritt verstärkt die Aufgabe, die nationalen Grenzen in Richtung auf ein übernationales Europa zu überschreiten. Der Begriff Komparatistik gibt diese Aufgabe nicht wieder. Dennoch scheint dieses Fach zur Zeit am ehesten geeignet, für die Reflexion und Erprobung der Möglichkeiten einer Europäischen Literaturwissenschaft einen institutionellen Rahmen zu schaffen (s. dazu z.B. Syndram 1992 und Vajda 1992). Man könnte meinen, daß diese Frage eher eine politische, eventuell wissenschaftspolitische, und weniger eine wissenschaftliche Frage wäre. Aber das Verhältnis von Nationalphilologie und Nation - gerade in Deutschland - hat gezeigt, daß der wissenschaftliche und der politische Diskurs sehr eng verzahnt sein können und wohl nicht durch schiere Abstinenz von diesem Sachverhalt zu trennen sind. Das wissenschaftstheoretische Postulat, Ziele und Folgen der wissenschaftlichen Arbeit zu reflektieren, scheint mir einleuchtend. Allerdings zeigte sich, daß bei der Beschäftigung mit breit gestellten Fragen modemer Lyrik europäischer Sprachen die amerikanische Dichtung nur unter der Gefahr starker Verzerrung ausgeblendet werden könnte. Der Verbund innerhalb dieser Poesien ist mitkonstitutiv für die Entwicklung der neuesten Lyrik. Das gilt sowohl für die Lyrik der USA als auch, wohl schon etwas schwächer, für die lateinamerikanische Lyrik. Zwar gibt es Wechselwirkungen zwischen europäischer und außereuropäischer Dichtung (z.B. mit der chinesischen). Diese werden aber nie systematisch in die Forschungen integriert. Sie bilden immer ein eigenes Thema. Tatsächlich scheinen sie mir insgesamt - bisher - von geringerem Umfang und geringerer Bedeutung zu sein. Die europäische Thematik, die europäische Idee waren in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts von H. von Hofmannsthals Vortrag »Die Idee Europa« (1917) über Th. Manns Appell »Achtung, Europa!« (1938) bis zu dessen Titelkontrafaktur Ach Europa! (1987) H.M. Enzensbergers präsent, wie Lützeler, ed. 1985, gezeigt hat. Historisch umfassend zuletzt, allerdings ganz an Europa als Thema der Schriftsteller orientiert und zudem für die Lyrik kaum ergiebig: Lützeler 1992; nicht erwähnt ist dort die erstmalige Verwendung der Formulierung vom europäischen Haus (»Die Maschine hat das einst weite und geräumige Haus Europa in ein kleines Zimmer verwandelt, in dem immer mehr Menschen leben sollen [...]. Wechselseitige Durchdringung nationaler Atmosphären kann allein das Bewußtsein der Völker so weiten, daß es reif wird, diese neue Lage zu beherrschen«) durch K.A. Rohan im Vorwort zur Eröffnung der Europäischen Revue (Leipzig) 1925. Zur Ergänzung sei auf F.M. Huebners internationales Buchprojekt Europas neue Kunst und Dichtung (Berlin 1920; s. dazu S. 152f.) und die erste programmatisch europäische Anthologie neuester Lyrik von J. Kalmer 1927 (dazu S. 89ff.) hingewiesen; zur Vermittlung europäischer Lyrik unserer Zeit s. auch Jordan/Woesler, ed. 1993. Chevrel 1992:24 weist am Beispiel der Forschungssituation in Frankreich auf die gestiegene Bedeutung der Vermittlung als praktische Aufgabe der Komparatistik hin.

12

Einleitung

H. Friedrichs Die Struktur der modernen Lyrik und H.M. Enzensbergers Anthologie Museum der modernen Poesie klammern den literarhistorischen Aspekt weitgehend aus oder vereiteln ihn durch eine radikale Interaationalisierung, deren Komplexität durch literarhistorische Arbeit lange uneinholbar schien.26 Gegen die Andeutung eines historischen Anspruchs, wie er im Untertitel seines Buches Von der Mitte des neunzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts aufblitzt, betont Friedrich mehrfach, er habe keine Literaturgeschichte verfassen, sondern nur einen wichtigen (den romanischen) Strang der neueren Lyrik in seiner modernen Eigenart darstellen wollen. Gleichzeitig spricht er diesem einen gleichsam paradigmatischen oder tatsächlich vorgängigen Charakter zu. Angesichts der Zunahme an Formenvielfalt der neuesten Lyrik und der daraus resultierenden Steigerung der Schwierigkeiten für die literarhistorische Forschung mag man schon in Friedrichs Beharren auf einer Sprachgrenzen übergreifenden Struktur der modernen Lyrik nicht nur methodologische Motive, sondern auch resignative Züge sehen, die - gerade im Blick auf die Kombination komparatistischer mit literarhistorischen Aufgaben - nicht unverständlich sind. Die historischen internationalen Zusammenhänge von Lyrik des 20. Jahrhunderts werden in dieser Arbeit unter dem Aspekt der Rezeptionsgeschichte untersucht,27 und zwar unter den Leitfragen der Vermittlung und Wirkung. Unter dem Aspekt der Vermittlung berücksichtige ich Formen und Verfahren des Kulturtransfers, 28 im Original fremdsprachige zeitgenössische Gedichte im deutschen Sprachraum - meist in Übersetzungen - zu publizieren und sie und ihre Verfasser durch Rezensionen, Essays usw. in der deutschsprachigen literarischen (auch literaturwissenschaftlichen) Öffentlichkeit vorzustellen bzw. bekannt zu machen. Dabei werden poetologische Motive der Vermittler (Überset26 27

28

s. die späten Großprojekte der »Association internationale de la littérature comparée« wie Weisstein, ed. 1973. Umgekehrt wird der Aspekt der Internationalitat durch die rezeptionsgeschichtliche Methode a priori forciert, jedenfalls, wenn diese die Untersuchungen strukturiert und wenn sie nicht von vornherein durch eine national philologische Perspektive künstlich eingeschränkt wird. Voßkamp 1989:171: »Die Geschichte der literarischen Produktion und vielleicht mehr noch die Geschichte der literarischen Rezeption und Lektüre widersprechen dem nationalgeschichtlichen Konzept aufs entschiedenste«. In einer >französischen< Tradition steht - nach dem konventioneilen Sprachgebrauch (s. Anm. 30) - die Forschungsgruppe Transferts culturels im C.N.R.S. (Paris); s. Espagne/Werner, ed. 1988:5 (Présentation): »Le terme de transfert n'a pas, à l'exclusion de son emploi'en psychanalyse, de valeur prédéterminée. Mais il implique le déplacement matériel d'un objet dans l'espace. Il met l'accent sur de mouvements humains, de voyages, des transports de livres [...],« d.h. auf möglichst faktisch nachweisbare Vorgänge.

Geschichtsforschung und Komparatistik: Rezeptionsforschung

13

zer, Herausgeber, Anthologisten, Kritiker, Literaturwissenschaftler usw.) und andere Aspekte der Selektion reflektiert, etwa die Korrelation von poetologischen Mustern mit spezifischen Erwartungen an die Poesie bestimmter Kulturen. Die Auswertung von Rezeptionsdofcwraenien in Hinsicht auf tatsächliche Beziehungen steht im Vordergrund. Der Begriff >Einfluß< wurde weitgehend vermieden. Die anderen Begriffe (Rezeption, Vermittlung, Wirkung) scheinen mir adäquater.29 In einen schlichten, inzwischen selbst historisch gewordenen Antagonismus zwischen einer »französischen« 30 und einer »amerikanischen« Methode sollte man heute nicht mehr verfallen. Seine Alternative kann ebensowenig Absolutheit beanspruchen, wie die Trennung in Geschichtsforschung, Geschichtsschreibung und Geschichtstheorie. Wenn ich den Begriff Rezeption bevorzuge 31 , so auch, weil in ihn der Aspekt des empfangenden Teils in einer literarischen Kommunikationssituation betont wird. Die »Bedürfnisse« dieses Teils sind m.E. die entscheidenden Selektionsfaktoren in der Literaturvermittlung.32 Inso29

Mit Transfer, aber auch mit Begriffen wie interkultureller Kommunikation oder (ursprünglich in anderen Kontexten angewandten Begriffen) wie Dialogizität (Bachtin) oder Intertextualität (Kristeva) stehen der Komparatistik zur Erforschung von Rezeptions- und Austauschprozessen neuerdings weitere Begriffe zur Verfügung - und auf dem Prüfstand. Auch nach dem Zusammenprall von Einflußforschung (ich gebrauche den Begriff nur als historisches Zitat und keineswegs programmatisch, auch wenn diese Untersuchungen der Tendenz nach ihrer Tradition nahestehen) und New Criticism in den fünfziger, nach dem Positivismusstreit in den sechziger Jahren hat sich in der Komparatistik trotz wiederholter Einwände, die jüngst z.B. von Zima 1992:22 im Vorwurf des »Faktenfetischismus« polemisch aufgewärmt wurden, die Einflußforschung gehalten, wenn auch erfreulicherweise vielfach in modernisierter, anderen Fragen und Methoden aufgeschlossener Form; s. z.B. Weisstein 1968:88: (Einfluß:) »Schlüsselbegriff aller komparatistischen Forschung«, Dyserinck 2 1981, Moog-Grünewald 1981, Rüdiger, ed. 1981; hinter diesem Konflikt stehen, wie im Feld von Geschichtsforschung und -Schreibung, grundsätzliche Differenzen zwischen radikal verschiedenen Erkenntnis- und Wissenschaftskonzepten (Deduktion - Induktion; platonische - vorsokratische Wahrheitsbegriffe; Substanz - Relation; Hegel - Nietzsche), die schwer zu versöhnen sind, weil sie eine Tendenz haben, sich von ihrer Opposition bewußt abzusetzen.

30

Diese Zuordnung methodischer Grundeinstellungen zu Nationen ist z. Zt. angesichts der Pluralität der Forschungssituation in den meisten Ländern als bloßes Stereotyp denkbar. Dennoch hat sie sich hartnäckig gehalten. - Zur aktuellen Situation in Frankreich s. Chevrel 1992. s. auch Kaiser 1980:193(Anm. 136). Nach Beobachtungen und Auswertungen in der Mitarbeit an den zahlreiche Rezeptionsdokumente berücksichtigenden Bänden: Woesler, ed. 1980; s. auch Espagne/Werner, cd. 1988:5 (Présentation): »Les besoins spécifiques du système d'accueil opèrent une sélection«.

31 32

14

Einleitung

fern führt die komparatistische Untersuchung literarischer Rezeptionen auf Nationalphilologie(n)33 zurück.

1.5.

Komparatistik/Germanistik

Die Zielsetzung, internationale Zusammenhänge je neuester Lyrik dieses Jahrhunderts für die Literaturgeschichte zu erschließen, hat diese Arbeit im Bereich der Komparatistik angesiedelt.34 Es zeigt sich aber, daß diese das Thema nicht ausschließlich mit >genuinen< Mitteln oder im Rahmen des eigenen Diskurses behandeln kann. Sie bleibt auf die Nationalphilologien angewiesen, in dieser Arbeit vor allem auf die Germanistik. Doch waren entsprechend dem Kreis der in die Untersuchung einbezogenen Dichter und Gedichte weitere Philologien mitzuberücksichtigen. Wenn man die Frage nach der Struktur der modernen Lyrik als einem internationalen Phänomen hinter sich gelassen und sich ihren geschichtlichen Zusammenhängen, im ferneren ihrer Geschichte zugewendet hat, stellt sich die Frage der Konstruktion des Rahmens, in dem diese erschlossen bzw. dargestellt werden. Die Untersuchung von Vermittlung und Wirkung setzt voraus, daß es (mindestens) zwei Systeme gibt, die in kommunikativer Beziehung stehen. Als eine relevante Grenze ist bald die Differenz der Sprachen auszumachen. Die internationale Vermittlung von Lyrik hängt immer wieder mit Problemen der Übersetzung und der Formen, in denen die Übersetzungen transportiert werden, zusammen. An ihnen fällt das je Besondere von Sprachen und Kulturen und der in ihnen realisierten poetischen Leistungen bis zum Anschein der »objektiven* Unvermittelbarkeit ins Auge. Es ist Konsens, daß diese Barriere im Bereich der Lyrik besonders schwer zu überwinden ist. Die Funktionen der Gattung, die poetischen Normen, Formen, metrische Aspekte, Motive, Bildlichkeiten, spielen in diesem Prozeß der Überschreitung einer Sprach- und Kulturgrenze eine gewichtige Rolle. Ihr Verständnis, ihre Rekonstruktion finden ein Fundament in den Nationalphilologien. Dies gilt grundsätzlich für die Forschung, z.B. für die biographische Forschung, die selbst dann meist nationalphilologisch aufbereitet ist, wenn die untersuchten Personen zahlreiche internationale Kontakte hatten oder viel reisten. Exilierte Autoren etwa werden 33 34

Der Vorschlag von Dyserinck 2 1980:101, »Nationalliteratur« durch »Einzelliteratur« zu ersetzen, würde nur die Oberfläche verändern. s. Lamping 1991:16: »Die weite Verbreitung, die zahlreichen Gemeinsamkeiten, der besondere Internationalismus weisen die moderne Lyrik in den Zuständigkeitsbereich der Komparatistik«.

Komparatistik/Germanistik

15

meist von der Philologie ihrer Heimat untersucht, nicht von der des Gastlandes. Erneut zeigt sich die Dominanz des Sprachaspektes, der Kulturgemeinschaft. Diese Tendenz wird dadurch verstärkt, daß die Rekonstruktion z.B. eines poetologischen Rahmens, an dem Veränderungen zu messen, Wirkungen festzustellen wären, immer schon in einer nationalphilogischen Tradition steht oder einiger Hilfsmittel, Vorarbeiten bedarf, für die dieses gilt. Das wichtigste literarische System für diese Studien war die deutsche Lyrik, so daß trotz der komparatistischen Fragen und europäischen Interessen die Bewegungsrichtung dieser Arbeit auf die Germanistik zielt. Das Primat der nationalphilologischen Institutionalisierung der Literaturwissenschaft übt zudem einen faktischen Druck auf die komparatistischen Forschungen aus, immer wieder an Nationalphilologien anzuknüpfen. So stehen wir in einem Zirkel interkultureller Hermeneutik: Für die Nationalphilologien ist es (fast) unvermeidlich,35 sich komparatistisch zu erweitern, die Komparatistik wird bei vielen Forschungen auf nationalphilologische Fragen und Erkenntnisse zurückverwiesen. Selbst wenn man, was mir durchaus naheliegt, die Aspekte der wechselseitigen Kommunikation, des Austausches, der Dialogizität forciert, kommt man um die Nationalphilologien nicht herum. In dem Versuch, eine Geschichte der neuesten Lyrik europäischer Sprachen vorbereiten zu helfen, zeichnet sich diese als ein Mosaik ab, in dem die nationalen Elemente sichtbar bleiben. 1.5.1.

Untersuchungsgegenstände

Vor allem wurden zunächst Rezeptionsdokumente aus dem Bereich für die Literaturvermittlung relevanter Institutionen untersucht, wie literarische Zeitschriften, Anthologien, Übersetzungen (auch zweisprachige Ausgaben); die Rezeption ausländischer Gegenwartslyrik in der deutschen Literaturwissenschaft wurde mit einzelnen Beispielen berücksichtigt. Dann wurden jeweils der Anteil neuerer und neuester ausländischer Dichtung in diesen Bereichen in Deutschland bzw. im deutschen Sprachraum festgestellt und anhand von Beispielen Gründe für auftretende Veränderungen und literarhistorische Entwicklungen genannt oder - bei schwächerer Indizien- und Quellenlage - hypothetisch formuliert (poetologische, praktische, politische u.a. Gründe). Um bis in die Mikrostruktur von Entwicklungen einzudringen, wurden auch die

35

s. z.B. das Referat von Zima 1992:12f.

16

Einleitung

Rollen wichtiger Vermittler36 (Herausgeber, Kritiker, Übersetzer und nicht zuletzt auch Autoren) mitbedacht. Die gewonnenen Einsichten habe ich, wiederum mit dem Blick auf literarhistorische Veränderungen, nach verschiedenen Nationalpoesien zu differenzieren versucht, wobei die französische und die nordamerikanische Dichtung (s. auch Anm. 25) für den gesamten Zeitraum, obgleich mit verschiedener Stärke in verschiedenen Phasen, besonders wichtig waren. Sie werden daher einläßlicher als andere betrachtet. Der Stellenwert verschiedener ausländischer Dichter bzw. Dichtergruppen war zu bestimmen, vor allem in Hinsicht auf die von ihnen repräsentierten bzw. verwendeten literarischen Formen. Bei der Analyse ihrer Vermittlung können sich stilistische, poetologische Trends abzeichnen, die quer zur Gliederung nach Nationalpoesien liegen. Da die internationale Vermittlung von Literatur meist den Bedürfnissen des rezipierenden Systems korreliert, erscheint der Kanon der vermittelten Literatur nach dem Transfer nicht selten verzerrt. An der Selektion, welche dieser Verzerrung zugrundeliegt, läßt sich dann einiges über entsprechende Leerstellen der deutschen Lyrik ableiten. Für eine Präzisierung schienen Studien verzögerter Vermittlungen und abgebrochener sowie erfolgloser Vermittlungsversuche wichtig. Besonders beachtet werden hier Guillaume Apollinaire, der Surrealismus, T.S. Eliot, Ezra Pound, W.C. Williams, Frank O'Hara. Die erzielten Ergebnisse werden gelegentlich um Versuche ergänzt, die Bedeutung der Vermittlung (und deren Verzögerung) europäischer und nordamerikanischer Gegenwartslyrik für die Entwicklung der neuesten deutschen Lyrik zu bestimmen. 1.5.2.

Zur Wahl des Untersuchungszeitraumes

Ursprünglich sollten die Untersuchungen mit dem Jahr 1945 einsetzen. Zwar war die >Nullpunkttheorie< unter dem Aspekt nationaler Traditionslinien schon seit einiger Zeit nicht mehr zu halten (dank der Arbeiten von F. Trommler, H.D. Schäfer 37 u.a.), doch schien sie unter komparatistischer Perspektive noch plausibel: Zum einen bestand die Annahme, die Vermittlung ausländischer Gegenwartslyrik sei in den Jahren vor 1945 weitgehend blockiert gewesen, zum anderen, die Möglich36

37

Als ein Nebeneffekt stellt sich der Hinweis auf das z.T. außerordentliche Engagement in der internationalen Vermittlung der Gegenwartslyrik ein, gerade in Zeiten, die ihr nicht sehr günstig oder sogar sehr ungünstig waren, etwa von Curtius und - in dieser Hinsicht noch ungenügend bekannt -1. und C. Göll und fast vollständig vergessen - J. Kalmer und W. Cordan. s. Trommler 1970, Trommler 1971, Trommler 1977, Schäfer 1977.

Untersuchungszeitraum

17

keiten der Autoren seien stark eingeschränkt gewesen, entsprechende Anregungen produktiv aufzunehmen. Die Wahl des Einschnitts 1945 mußte im Verlauf der Arbeit korrigiert werden. So ergab sich, daß die Vermittlung ausländischer Lyrik in der Zeit von 1933-1945 zwar durchaus eingeschränkt war, daß sie aber selbst in dieser Zeit nicht ganz zum Stillstand kam. Zum anderen bedurfte es einer Folie, vor der sich erst die angenommene deutsche Abkoppelung von der internationalen Entwicklung zeigen ließ, eines Zeitpunktes, ab dem eine angenommene Verzögerung der Rezeption begonnen haben soll. Dies ist jedoch nicht erst mit dem Zweiten, sondern, wenn auch in deutlich geringerem Maße, bereits mit dem Ersten Weltkrieg der Fall. Von der (zunächst ja winzigen) Sonderlinie des Dadaismus abgesehen, blieb die deutsche Literaturszene bereits damals z.B. von den wichtigen in Paris lebenden ausländischen Kollegen getrennt. So setzte ich 1920 an den Anfang meiner Untersuchungen. Auch stellt sich bereits in den zwanziger, nicht erst in den dreißiger Jahren international ein Neoklassizismus in der Lyrik ein. Valéry kann dafür als auch in Deutschland wirksames Beispiel dienen. Mir scheint die Frage nach der Periodisierung (1910, 1920 oder 1930 als Beginn einer neuen Periode) zur Zeit noch nicht sicher beantwortbar zu sein. Vielleicht setzt bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eine solche Ausdifferenzierung der Lyrik ein, daß im Vergleich zu früheren Zeiten sehr heterogene Poesien/Gedichte gleichzeitig vorhanden waren. Aus der verschieden breiten Akzeptanz, auf die sie trafen, kann man für den Verlauf der sich wandelnden Kanonisierung a posteriori andere Schlüsse ziehen, so daß die einst eher untergründigen Strömungen in den Mittelpunkt des Interesses rücken, aufgewertet werden usw.. Die gleiche Zeit kann eine des Neoklassizismus und der Avantgarde sein je nachdem, was man sucht! Auf der anderen Seite beansprucht die Entscheidung, 1970 als Ende der Untersuchung zu nehmen, nicht die gleiche (ja auch keineswegs absolute) Trennschärfe wie der terminus post quem. Auch für 1965 oder 1975 als Datum der Gattungsperiodisierung ließe sich argumentieren. Um 1970 haben sich jedenfalls Muster durchgesetzt, die als Neue Subjektivität, Neue Sensibilität oder als Alltagslyrik in der Adaption amerikanischer Vorbilder den endgültigen Anschluß der deutschen Lyrik an die internationalen Strömungen nach dem Zweiten Weltkrieg darstellen. 38 Daran könnte eine Diskussion anknüpfen, ob die Moderne be-

38

P. Handkes wichtiger Gedichtband von 1969 Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt faßt mehrere Typen der neueren Lyrik zusammen und bringt sie zu einem gewissen Abschluß.

18

Einleitung

reits zuende sei und ein Neues begonnen habe.39 Mir scheint es sinnvoller anzunehmen, daß die Moderne nach ihrer Durchsetzung, nach ihrer Entfaltung nicht stillgestellt ist. Wenn eine Krise der modernen Kunst, auch der Lyrik der Gegenwart festzustellen wäre, dann ja gerade, weil die ästhetischen Normen der Moderne weiter wirksam sind. Sie sind eben nicht beliebig zu umgehen, selbst wenn ihre Werte als historisch erkannt sind und emotionale Bedürfnisse nach anderen ästhetischen Werten sich in Programmen verdichten. 1.5.3.

Zur Darstellung und Anordnung der Untersuchungsergebnisse

Im Anschluß an die Einleitung wird in Kapitel 2 eine Skizze des Erwartungshorizontes von Lyrik in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts versucht. Der in ihr angedeutete Horizont soll den Hintergrund bilden, vor dem die Prozesse der Vermittlung neuerer ausländischer Dichtungen transparenter werden. Im Hauptteil der Arbeit präsentiere ich die Darstellungen der Vermittlung neuerer ausländischer Poesien, zunächst in Kapitel 3, nach Nationalliteraturen differenziert, diese wiederum in drei chronologisch gegliederten Teilen: Stand der Vermittlung um 1930; 1930-1945; 19451970. Daran schließen sich, in Kap. 4 zusammengefaßt, Beispiele der Vermittlung in Anthologien, in Literaturzeitschriften, in der Literaturwissenschaft an. Kap. 5 untersucht die Rezeption wichtiger ausländischer Dichter, bzw. einer Gruppe, bei denen sich bald zeigte, daß ihre Vermittlung in den deutschen Sprachraum eine verzögerte war. Angesichts der Breite des Themas und des Materials, das mir zur Verfügung stand, war eine rigide Einschränkung in der Auswahl der behandelten Poesien und Beispiele notwendig. Auch konnten nicht alle Dekaden gleichmäßig abgedeckt werden: Im Verlauf der Arbeit kam ich immer mehr dazu, den Akzent auf die Zeit vor 1945 zu setzen. Auch meine Untersuchungen waren zunächst von dem Vorurteil beeinflußt, die Vermittlung der modernen ausländischen Lyrik in den deutschen Sprachraum nach dem Ersten Weltkrieg habe erst 1945 begonnen. Um so interessanter sind die Entdeckungen und Erkenntnisse für die Zeit davor. Wenn H.M. Enzensberger in seiner Anthologie Museum der modernen Poesie (1960) schrieb: »Von den dreihundertzweiundfünfzig Gedichten, die in diesem Buch stehen, hätte vor zwanzig Jahren in Deutschland kaum ein einziges im Druck erscheinen können«40, so 39 40

s. dazu z.B. von Bormann 1993. Hier zitiert nach der Taschenbuchausgabe (München 1964), S. 23.

Darstellung und Anordnung

19

ging auch er von dem genannten Vorurteil aus. Gewiß: Genau auf das Jahr 1940 bezogen war der Satz richtig. Aber gemeint war doch wohl, daß erst n a c h dem Nationalsozialismus die im Museum versammelte Poesie in Deutschland vorgestellt werden konnte. Ich habe zahlreiche Gegenbeispiele gefunden, überwiegend in den zwanziger, aber auch in den dreißiger Jahren, die den damals jungen deutschen Dichtern (die auch nach 1945 weiterschrieben) im Prinzip hätten bekannt sein können, wenn Deutschland und Österreich nicht ihren verhängnisvollen Sonderweg gegangen wären.

2.

Zum Erwartungshorizont von Lyrik im deutschen Sprachraum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Die folgenden Überlegungen versuchen einen Rahmen zu entwerfen, in welchem die normativen Erwartungen an Lyrik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestanden haben, und sie versuchen zu erklären, welche Folgen das für die Entwicklung der Lyrik hatte, die im 20. Jahrhundert im ganzen im Zeichen der Modernisierung steht. Die moderne Lyrik hat nicht selten, ohne daß dieser Begriff immer verwendet worden wäre, als Paradigma der Moderne gedient, gemeint ist zunächst der modernen Literatur (s. dazu Kap. 1.2.). Wenn dabei mitvorausgesetzt wurde, daß sie in ihrem Modernitätsgrad, wie auch immer dieser zu bestimmen wäre, der Prosa voraus war, so scheint mir dies, für Deutschland gesehen, falsch zu sein. Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Ich nehme erstens an, daß die Modernisierungsgeschwindigkeit von Lyrik und Prosa in Deutschland verschieden war und, zweitens, daß die der Lyrik1 niedriger war. Diese Thesen setzen die Betrachtung eines breiten Feldes von Autoren und Werken voraus. Ausnahmen und vor allem Vorläufer sind gewiß zu berücksichtigen; sie bestimmen aber noch nicht das Bild der Lyrik, sondern treten, als ihrer Zeit voraus, erst a posteriori in den Blick, während sie aus der Sicht der Zeit darunter oder daneben liegen. Die Fragen, wer denn die Werte feststelle, wer wo wie festlege, ob ein Autor, ein Werk, ein Gedicht bedeutend seien, beunruhigen bis heute fast alle, die sich mit Wertungsfragen beschäftigt haben. Ich verorte die Festlegung eines Kanons oder eines Feldes, das für die als relevant geltende Lyrik abgesteckt wird, im funktionalen Spiel von Dichtern, Kritikern, Literaturwissenschaftlern, die in ihren Wertungen mit den Werten anderer menschlicher Systeme (Politik, Religion, soziale Grup1

Rilkes Malte Laurids Brigge (1910) und C. Einsteins Bebuquin (1912) beispielsweise übertreffen die weitaus meisten Lyriker dieser Jahre an Neuerungsund Risikobereitschaft.

22

Erwartungshorizont von Lyrik

pen, Geschlechter usw.) interagieren, ohne daß a priori ein notwendiger Zusammenhang zwischen den Werten verschiedener Bereiche bestehen muß. Auch die Auswahl dieser Systeme in der Analyse und ihre etwaige Hierarchisierung stehen in einem Zirkel von Werten. Dieser ist weder fest - noch kann man ihn verlassen (wie einige immer noch behaupten). Wenn man auf M. Webers Spuren bei der Untersuchung der Modernisierungsprozesse den drei Kritiken Kants folgt und dabei auch der ästhetischen Sphäre eine im 18. Jahrhundert einsetzende Eigensinnigkeit zuerkennt, so scheint sich dies im 19. Jahrhundert im berühmten Schlagwort »l'art pour l'art« (V. Cousin, dann T. Gautier) und der hinter ihm stehenden, ausschließlich an der Schönheit orientierten Ästhetik zu bestätigen, die nicht zuletzt auch auf die Lyrik bezogen wurde, wie die spätere Redeweise von der »poésie pure« zeigt: Eine Kunst, die nicht mehr anderen Weltbereichen verpflichtet war, weder der Wahrheit im Sinne eines systematischen Erkenntnisstrebens oder religiöser Offenbarung, noch allgemeinen moralischen und politischen Zielen.2 Das Faszinosum dieser imaginierten Kunstfreiheit entfaltete sich im Ästhetizismus des 19. Jahrhunderts und blieb, freilich weniger forciert, noch länger erhalten. Aber die Schönheit war selbst in diesem Programm weder ganz rein, noch stellte dieses überhaupt die einzige Möglichkeit der Ausdifferenzierung dar. Nietzsches Begriff der Artisten-Metaphysik deutet an, daß gerade der Kult der Kunst, von dem man im Umkreis Wagners und also auch beim frühen Nietzsche sprechen kann, anderen, älteren Systemen verpflichtet war. Das Programm einer autonomen Kunst ist, bei vielleicht etwas anderen Perspektiven im 18. Jahrhundert im Durchgang durch das 19. in Variationen eines Synkretismus eingebogen, den sie in der Lyrik in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum verlassen hat (und auch danach nur teilweise, und im Letzten vielleicht nie ganz): Ich meine die Variationen in den verschiedenen Rollen der Kunst als Magd, Schwester und Erbin von Religion.3 Die Reihenfolge dieser Rollen habe ich in ihrer historischen 2

3

Gewiß hängt dies auch mit der Ausbildung des Berufes des >freien Schriftstellers« zusammen, der sich seinen Lebensunterhalt eischreiben kann oder muß. Doch griffe es bei weitem zu kurz, die L'art pour l'art-Ästhetik als Ideologie des Künstlers unter Marktgesetzen zu begreifen, denn eben diese verhindern eher eine reine Kunst. Schon im 19. Jahrhundert hätten nur sehr wenige bedeutende Lyriker vom Erlös des Verkaufs ihrer Gedichte leben können. Mallarmé z.B., auf dessen Werk der später geprägte Begriff der >poésie pure< sinnvoll anwendbar scheint, war Englischlehrer. W. Hinderer, ed. 1983:8f. entwickelte bereits über den speziellen Hinweis auf einen historischen poetologischen Ansatz hinaus, »der besonders für die Entwicklung der deutschen Reformation bis zum 20. Jahrhundert als symptomatisch erscheint: die produktive Nähe zur religiösen Dichtung, zum Kirchen- und Volkslied und zur Bibelsprache (vor allem der Psalmen)« (S. 8f.), eine meinen

Quasi-religiöse

Funktion

23

Folge aufgeschrieben, aber das bedeutet nicht, daß sie einander in einem strikten Sinne ablösen, sondern sie bleiben, mit allerdings verschiedenen Gewichtungen, nebeneinander bestehen. Ein deutlicher Einschnitt in den Gewichtungen liegt für die Lyrik in Deutschland zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Erst hier, zwischen 1950 und 1960, verliert die religiöse Dichtung im engeren Sinne an Akzeptanz. Innerhalb des Systems der Literatur ist es gerade die Gattung Lyrik, welche jene Anforderungen zu erfüllen hat. Wenn wir den Prozeß der Modernisierung seit der Aufklärung unter dem Aspekt der Ausdifferenzierung einstmals integrierter Leistungen der Erkenntnis, der Moral und der Ästhetik betrachten, dann finden wir in der größeren Nähe der Lyrik zu diesem vor-modernen Zustand einen Grund für die behauptete langsamere Modernisierung der Gattung innerhalb der Literatur, in inhaltlicher und formaler Hinsicht und auch im Selbstverständnis der Dichter. Gerade in der Lyrik, so der historische Erwartungshorizont, wird ein Ewiges erkannt, geschaffen oder wenigstens angedeutet, gerade sie ist Ausdruck des Geistes, des Seins usw. Sie muß immer auch symbolisch sein, in größeren Zusammenhängen stehen, und ihren besonderen, damit zusammenhängenden Status durch formale Mittel wie Vers4 und Reim (Indikatoren ihres >Sakralennur< metaphysischen Anforderungen nicht erfüllten (oder nicht offen waren für entsprechende Deutungen), tatsächlich aus dem Rahmen fielen, in dem sie als bedeutende Gedichte überhaupt anerkannt werden konnten. Benns medizinischer Blick auf die Wirklichkeit in der Morgue (Berlin 1912) war einer der großen Schocks der Lyrik in Deutschland. (Er selbst hat in seiner späteren Dichtung in dieser Richtung nicht weitergemacht, sondern sich überwiegend dem Klassizistischen angenähert - in seiner Lyrik!5) Verfallende, verwesende Körper, Ratten im Gedicht: das war schon kühn, hätte aber noch hingenommen werden können, wenn es im erhabenen, wenigstens gehobenen Tonfall (s. Baudelaire, auch z.B. G. Heym), und nicht so sehr im lebens-, alltagsnahen Umgangston geschrieben worden wäre. Dabei war die Morgue nicht einmal ohne traditionelle poetische Elemente. Literarische Normen 6 lassen sich an Vor- und Leitbildern darstellen: Im 19. Jahrhundert beginnend, sind Hofmannsthal, George und Rilke bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die großen Lyriker. Erst ab 1950 verlieren sie deutlich an Wirkung auf jüngere Dichter.7 Das gilt am wenigsten für Rilke, der auch von den dreien wohl der modernste ist und wohl bis heute mit guten Ergebnissen zumindest anregend sein kann. In historischer Perspektive muß für den Beginn des Jahrhunderts Richard Dehmel genannt werden, der noch zu Beginn des Ersten Weltkrieges als erstrangiger Dichter galt. Er schrieb am 4. Februar 1912 an L. Falke: Der Dichter »muß eben in viel höherem Grade sinnbildlich wirken als andere Künstler, muß einerseits aus subjektiver Erfahrung Aufschlüsse geben über reale Zusammenhänge der lebendigen Natur, andererseits eine überpersönliche, ideale in sich selbst sinnvoll zusammenhängende Gefühlswelt gestalten«.8 Der ihn zum 50. Geburtstag preisende E. Ludwig schrieb (1913:9): »Dehmel - bedeutet zugleich Seher und Dichter, Prophet und Künstler, Verkünder und Gestalter.« Kunst sei nach Dehmel »rhythmische Ausgestaltung des Lebens zu einem harmonischen Sinnbild der Welt« (S. 42).9 Seher, Prophet, Verkünder; Dichter, 5

6 7 8 9

Aufschlußreich wäre eine differenzierte Untersuchung der Lektüre Benns etwa 1930-1945. In einem eisten Durchgang durch Benns Briefe zeigte sich mir, daß die dort genannten Prosaautoren >jünger< und moderner sind, während die Lyrik, die erwähnt wird, sich bei Platen - Rilke - Valéry bewegt. - Allerdings gibt es beim späten Benn Gedichte im Parlandoton. s. dazu auch Woesler, ed. 1980:1213-1227. Doch noch Bender, ed. 1962:10 spricht von der Orientierung der Generation nach 1945 an den »Meistern Hofmannsthal, George, Rilke, aber auch Loerke«. Zitiert nach: vom Hagen 1932:18. Vor dem Ersten Weltkrieg: man muß diese Dichtungsauffassung auch als eine Folie sehen, von der sich etwa die Dadaisten radikal absetzen wollen. Harmonie

Quasi-religiöse

Funktion

25

Künstler, Gestalter - und die Herstellung einer ideellen Ordnung: Diese Auffassung von Rolle und Aufgabe des Dichters galt nicht nur für Dehmel, sondern reichte bis weit hinein in die Kreise der avantgardistischen Dichter; auch für sie galt die Kunstemphase, und sie bezogen sie nicht zuletzt von St. George. Er hatte die Poesie, die ihm als höchste der literarischen Formen galt, von politischen Verunreinigungen befreien wollen. Schönheit war ihr Kriterium. »Wortkunst« - davon schrieb bereits J. Bab am 15. September 190510 in einem Essay »Hofmannsthal und das neue Pathos« über ein Anliegen des George-Kreises, sich terminologisch an die Blätter fiir Kunst anlehnend. Der George-Kreis hatte zudem die Struktur einer Gemeinschaft, die einer Sekte oder einer analogen politischen Gruppe ähnelte; darin folgen ihm z.B. die Surrealisten, insofern sie sich Breton unterordnen, und später die Wiener Gruppe. Der prophetisch-führerhafte Gestus Georges (dessen Anruf vor allem Männer erreichte, was auch an kirchliche Ordnungen erinnert) imponierte noch lange auch künstlerischen Gruppierungen, die sich von seiner Dichtung absetzten.11 Gerade der Lyrik verband sich ein aristokratischer Zug, der sich aus den höheren Weihen begründete, welche dem großen Künstler zukamen. Gestaltung und Ordnung der Sprache nach eigenen Gesetzlichkeiten wirkten sich auch aus auf die Bildung eines Kreises von Jüngern. Das Pathos des Sehers (das nicht immer sich explizit enthüllen mußte), welches dem Dichter durchaus zuerkannt wurde, trug vor dem Ersten Weltkrieg auch zu einer Wiederentdeckung Hölderlins bei. Auch bei Rilke rückten, so H. Kunisch,12 ebenfalls »Form und Aussage seiner Dichtung in den Zusammenhang religiöser Offenbarung«, er nehme »für sich selbst Amt und Aufgabe des Propheten und Sehers in Anspruch«. Nun ist hier >religiös< nicht mit »christlich« gleichzusetzen. Dennoch ist es schwer, selbst im Beginn der Duineser Elegien: Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?

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und Ordnung: solche Kategorien wirkten naiv bis zynisch angesichts des organisierten, aber vom Einzelnen nicht überschaubaren massenhaften Tötens. Zitiert nach: Wunberg, ed. 1972:127. Ich bin nicht sicher, daß J. Bab hier auf A. Holz' >Wortkunst< anspielt (s. dazu Rappl 1957): Wie >Simultan6it£< später von Kubisten und Futuristen, wie >Surr6alime< von Göll und Breton, so war auch die >Wortkunst< von mehreren Seiten begehrt. Auch die >Amo-Holz-Schule< funktionierte ähnlich: »Gilt für die äußeren Verhaltensweisen ein auffälliger Unterschied zwischen dem George- und dem Holz-Kreis, so entsprechen sich die Gruppen doch in verblüffender Weise in der inneren Struktur der Abhängigkeiten« (Scheuer 1971:227). Kunisch 2 1975: 224.

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Erwartungshorizont

von Lyrik

nicht den christlichen Hintergrund zu sehen (»Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?«) - mit der Selbstdarstellung des lyrischen Ich als eines unerhört Leidenden, die so recht nur von einer Lesergemeinde goutiert werden kann, der zumindest die christliche Bildwelt, aber auch entsprechende Werte noch präsent sind. Ich finde es nicht richtig, wenn z.B. B. Allemann diesen (zumindest spirituellen) Horizont Rilkes weginterpretieren will, als ob er ein Makel sei, der den Rang des Dichters schmälere (während es sich doch umgekehrt verhält, denn in diesem Erwartungshorizont ist Rilkes Rang zustandegekommen): Die mystische Frömmigkeit des Stunden-Buch-Autors bildet (um es so pointiert auszusprechen wie es nötig ist) den Vorwand für die Entfaltung einer bestimmten lyrischen Sprechweise. Sie ist konstituiert durch das Ansprechen eines Gegenübers, das in Analogie zu bestimmten religiösen Traditionen >Gott< genannt wird. Dieser Kunstgriff erlaubt es, das Gegenüber, auf das hingesprochen wird, so umfassend wie nur denkbar zu konzipieren. Der lyrisch angesprochene >Herr< trägt kaum noch personale Züge; er ist deshalb in einem strikten Sinne so wenig identifizierbar wie später der Engel der Elegien. 13

Daß weder >Herr< noch >Engel< identifizierbar sind (eine etwas einfache Erwartung), belegt wohl kaum, »Frömmigkeit« oder >Religiosität< seien nur ein Vorwand. Es geht ja auch gar nicht um die Frage, ob Rilke fromm oder gläubig gewesen sei und in welchem Grade zu Zeiten welcher Werke, sondern darum, daß sich seine Lyrik auch aus religiösen Bildern und Haltungen speist und, mehr noch, auf eine solche Erwartung setzte (Duineser Elegien; Die Sonette an Orpheus). Auch Die Sonette an Orpheus bedichten den Sänger (als Halbgott), der aus einem Land berichten kann, von dem die Sterblichen sonst nichts wissen können. Mit dieser notwendig flüchtigen Skizze will ich nicht Rilke als religiösen Dichter darstellen, sondern nur darlegen, daß Elemente des Systems Religion (allerdings konstitutiv) in die zunächst maßgebliche Lyrik des 20. Jahrhunderts hineinragen. Sei es auch nur, daß Lyrik als funktionales Äquivalent (wie der Tendenz nach bei George) von Religion dient: durch die Rolle des Dichters, durch Gehalte und Formen. Dies gilt in analoger Weise auch für Metaphysik. Wenn Benn die Kunst als letzte metaphysische Tätigkeit auffaßte, so bestätigt das ein weiteres Mal, daß jene als Statthalterin oder Erbin betrachtet wurde. Er mußte sich schon auf den frühen, noch wagnerianischen Nietzsche berufen, um für solche Artisten-Metaphysik eine philosophische Rechtfertigung zu finden. Und schon dort, in der Geburt der 13

Rilke 31984:XIIf.

Quasi-religiose

Funktion

27

Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872), hatte Nietzsche den Scheincharakter der Kunst betont. Bei Benn, der gerade dadurch ab 1950 erfolgreich wurde, daß er erkennbar nihilistisch, also weltanschaulich modern war, aber die alten Sinnansprüche, dem Gehalt nach entleert, auf die F o r m der Dichtung übertrug, ist zu studieren, wie die Kunstemphase des 19. Jahrhunderts gerade in der Lyrik noch über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinauswirkt. Die Lyrik verweist über das Leben hinaus oder unter es hinab auf ein anderes (etwa >das Seinflachen< oder den Ton drastisch absenkenden, etwa »phänomenologischen« oder lakonischen Schreibweisen. In diesem Kontext ergaben sich auch Anforderungen an die Dichterpersönlichkeit, die Auswirkungen auf die Beurteilung der Gedichte haben mußte. Gewiß waren Entwicklungen und Varianten des Stils möglich; sie mußten jedoch einer höheren Einheit des jeweiligen Geistes, 14

Zitiert nach: Wuthenow, ed. 1980:8.

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Erwartungshorizont

von Lyrik

der sich in den Gedichten aussprach, kommensurabel sein. Technisches Können war gewiß keine schlechte Voraussetzung, in der Rangskala einen oberen Platz zu erreichen. Hinzukommen sollte aber nach Möglichkeit die Authentizität der Erlebniswelt15 der Dichterpersönlichkeit. Solange diese, wie komplex auch immer, als einheitliche gedacht wurde, konnte pro Autor nur ein Stil zugelassen sein, mit dem er identifiziert wurde. Auch die durch romantische Traditionsstränge zugelassenen tieferen seelischen (Unter-)Gründe bedurften letztlich der Kontrolle des Dichters, seines Stils, des dichterischen Verfahrens. Dieser Erwartung an Lyrik entsprachen auch die Formen: Sonette, Oden, Elegien, Hymnen zeigen ebenso sehr Beharrlichkeit wie Versmaße und Reime. Selbst bei den Expressionisten war das Sonett noch verbreitet. Dennoch entwickelten sich allmählich, lange gegen den Strich, zahlreiche neue Formen und Freiheiten, aber zunächst in dem Rahmen, den ich oben skizziert habe. Das gilt sowohl für die deutsche Lyrik als auch für die Vermittlung der ausländischen Dichtung. Die Veränderungen, die sich auch für die ausländische Dichtung nach 1950 im System der deutschen Lyrik ergeben haben, skizziere ich im resümierenden letzten Kapitel. Erste, anfangs nur vereinzelte Veränderungen hatten sich in Deutschland bereits seit dem Beginn der zehner Jahre ergeben. Zu nennen sind hier vor allem Benns Bändchen Morgue (1912), dann in den zwanziger Jahren die Lyrik Brechts. Gerade mit Brecht kommt damals ein auf die Dauer wirksamer neuer Ton, ein Bündel von neuen Tönen, in die deutsche Lyrik. An seiner frühen Lyrik lassen sich die Geltung und der Beginn des Abbruchs des eben skizzierten Erwartungshorizontes besonders deutlich ablesen. Denn der Vielfalt seiner Formen ist ein Grundzug gemeinsam: die Parodie oder Umkehrung religiöser Formen der Dichtung oder der Verkehrung religiöser Gebrauchsliteratur in weltliche Lyrik. Brechts Lyrik wirkte deshalb so provokativ und innovativ, weil der 15

Mit der Erlebnislyrik, überhaupt mit subjektiver Lyrik, die vor allem durch den jungen Goethe durchgesetzt wurde, lassen sich >deutsche< Konzepte wie Innerlichkeit und Tiefe, die protestantisch-pietistische und pantheistische, neoplatonische (plotinische) Traditionen zusammenführen, besonders gut verbinden. »Innerlichkeit [als] Zentralkategorie der Hegeischen Lyriktheorie« (Gnüg 1883:38) nimmt auf, was bereits Ende des 18. Jahrhunderts durchgesetzt war. Ich bezweifle, daß die Hegeische Lyriktheorie für die Produktionsästhetik und die Literaturkritik des 19. und 20. Jahrhunderts ebenso ergiebig war wie für die entsprechenden (insbesondere linkshegelianischen) Literaturgeschichtstheorien: »Indem [meine Hervorhebung] Gattungstheorie und Literaturgeschichtsschreibung sich vornehmlich an der Hegeischen Bestimmung lyrischer Subjektivität orientierten, erschien die Geschichte der Lyrik als Prozeß fortschreitender Autonomie des lyrischen Subjekts« (Gnüg 1983:38). »Geschichte der Lyrik«: damit sollte Geschichte der deutschen Lyrik bezeichnet sein.

Brecht: Abbruch der religiösen Funktion durch Parodie

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poetologische Rahmen durch eine religiöse, erhabene Ausrichtung grundiert war. Schon die Titel von Zyklen und Gedichtbänden wie Psalmen (Prosagedichte, 1920) und Hauspostille (1927) markieren das, ebenso die Überschriften der einzelnen Lektionen, Bittgänge, Exerzitien, Chroniken16. Der, was die Aufmachung betrifft, Brechts Vorstellungen näherkommende Privatdruck der Taschenpostille (1925) »(Bibelähnlichkeit) [...] soll an sakrale Bücher erinnern, gegen die sich die Taschenpostille satirisch wendet, wobei freilich der >Gebrauch< ebenso sichergestellt sein will wie der der religiösen Gebrauchsbücher, ein Alltagsbegleiter«.17 Auf der anderen Seite wird der erhabene Ton der Lyrik durch die Verarbeitung populärer Subgattungen wie Bänkelsang oder (amerikanischer) Song abgesenkt. Dabei werden zwei für Brecht obsolete Traditionen angegriffen und auch gegeneinander ausgespielt. Der Gebrauchscharakter religiöser Texte wird bei ironischer Vernichtung oder Vertauschung18 der Inhalte (zugunsten politischer) beibehalten und dann gegen die Linie der subjektiven Lyrik, der Erlebnislyrik gewendet, etwa in der »Liturgie vom Hauch«, die Kirche und Goethe zugleich verspottet.19 Brecht spielt zwei Formen der >alten Zeitbürgerlichen< Kunst gegeneinander aus: die didaktisch-aufklärerische Verwendung und Umformung christlicher Formen und Gehalte gegen die moderne »bürgerliche« Lyrik Hofmannsthals, Georges und Rilkes. Gegen den hohen Ton, gegen deren Ästhetizismus werden nicht nur die Parodie eingesetzt, sondern als zumindest partielle Orientierung am »kleinen Mann< die Übernahme populärer Formen und damit verbunden eine Veränderung des Wortschatzes der Gedichte. Dies war gleichsam eine Revolte innerhalb der spezifisch deutschen Kulturtradition, obwohl Brecht auch verschiedene ausländische moderne poetische Einflüsse (Rimbaud, Whitman) und den Amerikanismus der 20er Jahre20 berücksichtigte. Hier gab es Berührungen zur Neuen Sachlichkeit, die mit der Hinwendung zur Oberfläche, zur Wirklichkeit der Industriewelt als andere Reaktion auf die vertiefte Geistigkeit der prominenten Lyriker, aber auch auf das expressionistische Pathos verstanden werden können. Brecht nähert sich ihr an und parodiert sie sofort (»700 Intellektuelle beten einen Öltank an«, 1928), ohne einen Kalauer zu scheuen:

16 17 18 19 20

s. dazu den Kommentar von J. und G. Knopf in Brecht 1988. Knopf 1986:30. Schuhmann 1964:114 spricht von der Umfunktionierung alter christlicher Formen. s. auch Hinck 1978:125-137. »Mahagonnygesänge«; »Alabama Song« auf Englisch!

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Erwartungshorizont von Lyrik

Und erlöse uns von dem Übel des Geistes. Im Namen der Elektrifizierung Des Fordschritts und der Statistik! Die von ihm entwickelten zugleich lakonischen und politischen Gedichte (z.B. »Aufforderungen an einen Mann von verschiedenen Seiten zu verschiedenen Zeiten«) konnten in Deutschland erst mit großer Verzögerung Fuß fassen. Selbst Günter Eichs berühmtes »Inventur«-Gedicht brachte gegenüber den Gedichten Brechts um 1930 nichts Neues, sondern knüpfte vereinfachend an sie an. Der oben skizzierte poetologische Rahmen für Lyrik blieb - trotz Brecht - in Deutschland lange stabil.

3.

Beispiele der Vermittlung einzelner Nationalpoesien

3.1.

Stand der Vermittlung neuester Lyrik bis 1930

3.1.1.

Französische Lyrik

Die im weiten Wortsinn >moderne< französische Literatur spielte in Deutschland seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, wie in anderen europäischen Ländern, wohl die größte Rolle unter den ausländischen Literaturen. Paris galt noch in den zwanziger Jahren als (Kultur-) Hauptstadt der Welt. In der Tat waren entscheidende Impulse der modernen Künste von dort ausgegangen. So verfolgte man in Deutschland auch die französische Lyrik aufmerksamer und gründlicher als die Poesien anderer Sprachen; hinter ihr konnte nur die russische Lyrik in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre etwas aufschließen - vorübergehend. Bei der Breite der Rezeption französischer Dichtung werden hier nur die wichtigsten Linien verfolgt. Unter der Perspektive der heutigen Einschätzung der literarischen Entwicklung im 20. Jahrhundert erscheint die Vermittlung französischer Gegenwartslyrik unmittelbar vor 1930 bestimmt von der Polarisierung zwischen einer neoklassizistisch getönten modernen Lyrik in der Verlängerung des Symbolismus und einer anarchischen gattungssprengenden Fortsetzung der radikal modernistischen Bewegung. Sie läßt sich auf ihren Gipfeln im Kontrast zwischen Valéry und den Surrealisten veranschaulichen. Zeitgenössisch stand aber neben der Lyrik Valérys etwa gleichgewichtig die Paul Claudels an der Spitze der französischen Dichtung. O. Forst-Battaglia (1928:513), der ihn 1928 »poeta-vates« nannte, pries nicht nur seine Kantate Cette Heure qui est entre le printemps et l'été (1913).1 Claudel galt als führender Vertreter der religiö1

s. auch Forst-Battaglia 1927/28:1962f.: »Innerhalb der französischen Moderne unterscheide ich sechserlei Art. Eine katholische Renaissance, die, einen klugen Ausspruch des Russen Berdjajev zu zitieren, nach einem >Neuen Mittelalter«

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Vermittlung einzelner Nationalpoesien

sen, bei ihm prononciert katholischen Dichtung, der hier spirituelle Dichtung in weiterem Sinn an die Seite gestellt wird. Von den religiösen Dichtern im engeren Sinne war nach Claudel Francis Jammes in Deutschland am bekanntesten. Wichtig waren auch die Unanimisten wie J. Romains, Ch. Vildrac und G. Duhamel, von dem noch 1932 ein Band Elegien in Deutschland erschien, durch ihre Verknüpfung von linkem, auch pazifistischem Engagement, spirituellen Zügen, gehobenem Ton (Oden, Elegien), aber auch einer Lockerung der Versmaße: der Einfluß Whitmans ist unübersehbar. In der Synthese von Sozialrevolutionären, fraternistischen und geistig-religiösen Intentionen liegen Parallelen zum russischen Dichter Alexander Block: auch und wohl gerade nach dem ersten Weltkrieg fand solche Dichtung ein gesteigertes Interesse, insbesondere in linkskatholischen Kreisen, wie das Themenheft »Junges Frankreich« der Literaturzeitschrift Orplid (1925) zeigte; und noch 1939 konnte ein Band mit Gedichten Claudels in Deutschland erscheinen! Auch der engagiert jüdische Dichter André Spire (Ecoute, Israel, aux armes!) muß in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Die These, daß die Lyrik noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts als die Gattung galt, welche die größte Affinität zu religiösen und geistigen Gehalten hat, kann miterklären, warum diese Art von Dichtung damals so breit in Deutschland wahrgenommen wurde; man konnte sie zwar in die Nähe der neoklassizistischen Dichtung stellen, fand sie aber häufig keineswegs veraltet und sah durchaus ihre neuen Elemente, etwa in der Lockerung der Verse. Claudel war allerdings, wie später Eliot und Garcia Lorca, als Dramatiker weitaus breitenwirksamer denn als Lyriker (auch im Drama ließen sich natürlich religiöse Gehalte transportieren). Der Kontrast zwischen dieser Dichtung und der etwa Valérys (auf die ich im folgenden abhebe) einerseits und dem Surrealismus auf dem äußersten Flügel der anderen Seite erscheint unter dem Aspekt des literarischen Lebens - in der Perspektive der deutschen Rezeption - als strebt; die Schule Gides mit dem aus ihr erwachsenen Kosmopolitismus; Valéry und das Erbe Mallarmés; die Unanimisten und ihnen verwandte humanitäre Schwärmer; die Neusymbolisten; den literarischen Bolschewismus und die mit ihm sympathisierenden Surréalisten. / Kein Zweifel, daß die Gruppe katholischer Autoren an Talenten am reichsten ist.»[!] - Aber Forst-Battaglia vermißt unter Curtius' »Wegbereitern« auch Apollinaire und stellt fest, daß »Breton, Eluard, Vitrac als Lyriker faszinieren« (S. 1071) - eines der seltenen positiven Urteile über die surrealistische Lyrik im Deutschland jener Zeit. V. Klemperer 1929(a), der bei aller Kritik an der Wertungsfreudigkeit ForstBattaglias dessen Kenntnisse durchaus würdigte, hob Claudel ebenfalls positiv hervor; s. auch: Klemperer 1929(b), gerade zu metrischen Fragen interessant.

Französische Lyrik bis 1930

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Gefälle z w i s c h e n o f f i z i e l l e m Literaturbetrieb und literarischem Untergrund. ( D i e D i c h o t o m i e z w i s c h e n beiden Richtungen ist real und idealtypisch zugleich. Geist/Bewußtsein - Unterbewußtes; Werk - A k tion; individuelle Künstlerpersönlichkeit - Gruppe; Gestaltung/Form écriture automatique/Traumprotokolle. U n s c h w e r sind die A n a l o g i e mit und teils die Nachwirkung v o n Klassik und Romantik zu erkennen.) Zu d i e s e m Gefälle tragen die Vermittler bei, die sich der j e w e i l i g e n Richtung angenommen oder sich v o n ihr distanziert haben. Es hat Valéry entscheidend zur positiven Einschätzung verholfen, daß Rilke ihn in d e m Band Gedichte übersetzte, der 1925 im (atemberaubend schönen) Handdruck der Cranachpresse v o n Harry Kessler im Insel-Verlag (Leipzig) in 4 5 0 Exemplaren erschien. 2 Hinzu kamen vor allem die Ubersetzungen v o n Emst Robert Curtius, 3 der sich gleichzeitig v o m »Überrealismus« (Curtius 1926) distanzierte. A n der poetologischen Argumentation der Valéry-Anhânger und Surrealismus-Gegner w i e Curtius fällt 2

Das Buch wurde 1949, nur in wesentlich bescheidenerer Aufmachung, neu herausgebracht. - 1925 veröffentlichte der EuropaAlmanach einen Aufsatz von A. Gide zu Valéry. - Aktuell blieb auch Rilkes Übersetzung (1922) des 1921 erschienenen Dramas Eupalinos. Mit schwebender Ironie, obgleich nicht ohne Bewunderung, charakterisierte S. Freiberg im Kunstblatt (1926) diese Verbindung der beiden Dichter »Rilke und Valéry« (S. 296): »Man stelle sich f e i n verschieden vor. Nicht etwa am Objekt, wie einen Fruchtkorb feiner Pfirsiche, Marillen, Kirschen und Erdbeeren, auch nicht in der Bestimmung zu dem Eigenschaftswort als fein-rot, fein-krank, feinzügig - vielleicht dieses schon eher - aber ganz einfach einmal das Substantiv Fein, ein großes Fein, ein kleines Fein [...], ein mittleres Fein und dann das Fein an sich mit jenen fast unsagbar puren Eigenschaften; jenes Fein, das sich erhält in einer Spitze, ganz zart und noch gerade, das streichelt und das sticht und das andre, das ein Wind umlegt, wie viele ein Ährenfeld, das, welches sich verschließt vor einer Nähe wie Schneckenaugen oder die Glieder gewisser Seetiere, jenes Fein, das sagt und singen kann, dieses, das eine Krankheit überstanden hat und jenes, das nicht ausgeheilt, vielleicht eines, welches ursprünglich fein war, sein mußte und es immer blieb. / So denkt man, wenn man die Gedichte Rilkes gelesen, deren Titel sie freilich Valéry bestimmt [...]. Es war ungeschickt von Valéry, wenn er es wirklich getan hat, Unruh zu fragen, ob Rilke ein guter Dichter sei, weil er ihm seine Gedichte vertraut. Wie könnte Unruh sich ein Urteil darüber anmaßen?« Fein.- Zweisprachige Auszüge waren zuvor (1924) in der Neuen Schweizer Rundschau erschienen; s. auch Karin Wais 1967.

3

»Schlange«.- »Friedhof am Meer«.- »Palme«. In: Curtius 1925:345-367; »An die Platane«.- »Die Biene«. In: Europäische Revue 1,2, 1926, S. 90-93.- Als dritter Übersetzer kam J. Kalmer hinzu.- Die Valéry-Rezeption skizziert kurz Blüher 1988; s. auch Schmidt-Radefeldt/Uekermann 1988, die Vollständigkeit anstrebende Bibliographie muß ergänzt werden um: »Der Sylph«. - »Der verlorene Wein«. Ü: J. Kalmer.- In: Das Kunstblatt 10, 1926, S. 4; »Feerie«.- »An Juan Ramon Jimenez, der mir seine kostbaren Rosen schenkte.« -/»Auf einen Fächer«. Ü: F. Bergammer. In: das silberboot 2, 1946, H. 2 und H. 7, April, September, S. 89; 90.

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Vermittlung einzelner

Nationalpoesien

ins Auge, daß sie an der Bedeutung »der großen Werke« und der »großen Persönlichkeiten« hängen. Die Begriffe des Kunstwerkes, des Schönen und des Geistes, der sie hervorbringt, bilden den Prüfstein, an dem die Zustimmung zur »Modernität«, wenn diese ex negativo aus der Distanz der Werke (und Poetiken!) zu den überlieferten Formen und Auffassungen vom literarischen Kunstwerk entsteht, ihre Grenze findet. Denn man wird Curtius, der immerhin 1927 T.S. Eliots Waste Land übersetzte, ja doch als einen Pionier der Vermittlung moderner Lyrik (Literatur) bezeichnen müssen. Nur dort, wo der Absprung ins Gattungssprengende, Aktionistische vollzogen werden soll, folgt Curtius nicht mehr. Mit mehr Pathos als er hatte gleichzeitig, 1926, A. Germain Valérys Dichtung gepriesen: »die höchste, die priesterlichste, die dichteste, die man sich vorstellen kann. [...] Marmor, den man mit eigenen Händen fühlen muß, Blume, die man mit eigenen Lippen spüren muß. Der geringste Auszug aus den unauffindbaren [!] Versen Valérys (in einer Zeitschrift oder einer Anthologie) oder der Abglanz, den der deutsche Leser durch die (übrigens ausgezeichneten) Übertragungen von Curtius oder Rilke erhalten könnte, sind mehr wert als ein langer Kommentar«. Valéry selbst wäre eine solche Lobeshymne vermutlich zu religiös, zu wenig >zerebral< gewesen. Sie repräsentiert aber durchaus einen wichtigen Teil des Erwartungshorizontes für Dichtung. Valéry war - wohl kurz vor P. Claudel - 1930 der geschätzteste französische Gegenwartsdichter in Deutschland. Franz Rauhuts Buch: Paul Valéry. Geist und Mythos (München 1930) bibliographierte bereits die zeitgenössische Vermittlung (Übersetzungen, Rezensionen). Die Breite seiner Belege spiegelt Valérys hohe Geltung im deutschen Sprachraum. Wenn Germain 1926 unter die großen Dichter der Gegenwart neben Claudel auch Henri de Régnier, Francis Jammes und Anna de Noailles zählt, so sind doch von diesen eher traditionalistischen Dichtern in jenem Zeitraum nur wenige selbständige Übersetzungen erschienen.4 Immerhin hatte die Comtesse die Ehre, in Rilkes Gesammelte Werke (Bd. 6,1927) aufgenommen zu werden. Saint-John Perse (1887-1975) hätte zu dieser Zeit durchaus schon in Übersetzungen vorliegen können.5 Die Anabase (1924) sollte 1928 im 4 5

s. dazu im einzelnen bei Fromm 1950-1953. George hatte schon 1905 einige Gedichte von Régnier übersetzt. s. dazu und überhaupt zur Übersetzungsgeschichte dieses Autors Kemp 1978:469: »Die nach Alexis Legers Angaben in seiner Biographie in den zwanziger Jahren von Rainer Rilke angefertigte Übersetzung der Images à Crusoé ist vermutlich niemals erschienen. Ihr lag die erste Fassung dieses Zyklus zugrunde. Die auf Rilkes mehrfache Bitten schließlich gewährte Einwilligung in einen

Französische Lyrik bis 1930

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Insel-Verlag in einer Übersetzung von W. Benjamin/B. Groethuysen mit einem Vorwort von Hofmannsthal erscheinen. Die vorgesehene Kombination dieser in ihren Anschauungen eher auseinanderstrebenden Mitarbeiter deutet an, daß Perse von verschiedenen Seiten rezipiert werden konnte, etwa der einer anarchisch aufgefaßten Simultaneität verschiedener Erdteile und Zeiten und der des hymnischen, ja liturgischen Tones. Es ist eben das Erhabene und Preziose, derenwegen ich ihn hier dichter an Valéry rücke. Über der 1928 geplanten Übersetzung waltete ein >Unsternder Amerikaner«, »ein hemmungsund voraussetzungsloser Einwanderer, [...] seinem Dilettantismus keine Grenzen weiß." 15 In Madrid warnte gleichzeitig der auch in Deutschland beachtete Philosoph Ortega y Gasset vor dem Untergang der Kultur durch amerikanische Einflüsse: amerikanische, das meinte US-amerikanische. Kanadische Literatur trat nicht in den Blick. Es verwundert nicht, daß trotz (oder vielleicht gerade wegen) der Erfolge amerikanischer Romane und Filme in Deutschland die US-amerikanische (Gegenwarts-)Lyrik eine geringe Aufmerksamkeit erfuhr. Sie konnte in dieser Hinsicht mit der französischen und russischen Lyrik (bis 1930) nicht konkurrieren. Walt Whitman war jedoch eine feste Größe. Wenn der junge konservative Anthologist O. Heuscheie, auf den Spuren von Hofmannsthal nach dem geistigen Raum der Nation suchend, in der Einleitung zu seiner Reclam-Anthologie Junge deutsche Lyrik 1928 schrieb, daß er u.a. den Dichtern, die der »seelenlosen amerikanischen Modelyrik« (S. 20) huldigten, in seinen »Blättern kein Gastrecht« gewähren könne, dann ist dies mehr aus übertriebener Furcht vor entgeistender »Überfremdung« zu erklären denn aus fundiertem Vergleich verschiedener Nationalpoesien. Tatsächlich blieb die US-amerikanische Lyrik weitgehend unbekannt. Zu selbständigen Buchveröffentlichungen einzelner amerikanischer Dichter in deutscher Sprache kam es kaum (1924 erschien in München eine ausführliche Auswahl aus Masters' Spoon River Anthology). So hatten die wenigen (meist anthologischen oder Zeitschriften-) Veröffentlichungen neuerer US-amerikanischer Dichtung immer den Ruch des Außenseiterischen oder Provokativ-Neuen. In I. Gölls kommunistisch orientierter Zeitschrift Menschen/ Clarté (Dresden), dem deutschen Ableger von H. Barbusses Clarté (Paris), erschienen im Mai 1921, zwei Monate vor einer der russischen Lyrik ge13

14 15

Trotz dieser Vorbehalte verwendet der Verfasser die englisch-amerikanische Pluralform: Wirkung wider Willen! - Am Ende des Jg.s 1922 warb das New Yorker Kulturmagazin The Dial damit, daß Thomas Mann Korrespondent für Deutschland, Hugo von Hofmannsthal für Österreich sei. Was sind schon solche Hinweise gegen Vorurteile! Die Neue Welt. Berlin: S. Fischer, S. 7. Renaissance (Wien), 1921, H. 6, S. 14.

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Vermittlung einzelner

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widmeten Nummer, Carl Sandburgs Gedicht »Chicago« (Ü: Cl. Göll) s o w i e ein Essay v o n F. Treat: » N e u e s Amerika«, der H o f f n u n g e n g e rade auf die Lyrik setzt, da diese kommerziell nicht korrumpierbar sei. Treat lobte pazifistische T e n d e n z e n in der amerikanischen Gegenwartsdichtung, tadelte aber auch Lyriker, deren N a m e n man in Deutschland kaum j e gehört hatte: Nur die älteren Dichter hielten sich scheu vor jeder Teilnahme von der Aktion zurück. Robert Frost lebt wie ein zweiter Francis Jammes [!] in seinem duftenden Rosengarten und sein einschmiegsam klingender Vers führt die Naturtradition der verehrungswürdigen englischen Schule fort. Die Rhythmen Vachel Lindsays sind nachgerade ein wenig monoton geworden und Amy LowelF s Ruhm verblaßte samt ihrem ewigen Strauß aus dem Garten der englischen >ImagistenBarbarentheoremssozialenOde an den Maler Salvator [sie] Dali«< enthielt - und damit in seinem Neuheitsgehalt kaum zu überbieten war, denn die »Oda a Salvador Dali« war erst im April 1926, dem gleichen Jahr, in dem der Dichter seine Gedichte erstmals öffentlich vortrug, in »Revista de Occidente« erschienen. Kalmer hebt Garcia Lorca auch sehr hervor, indem er ihn als die »stärkste Begabung« (S. 16) der Spanier bezeichnet. Es ist für das poetologische Interesse des Anthologisten charakteristisch, daß der junge Dichter hier unter dem Aspekt seiner Klassizität wahrgenommen wurde. Im Querschnitt war seine Vorstellung in ein Spanien-Heft eingebettet gewesen, das im Bereich der Poesie auch noch Gedichte von A. Machado und ein Porträt von J.R. Jiménez enthielt; Kalmer präsentierte ferner M. de Unamuno, A. Machado, P. Garfias, H. Rivas, J.R. Jiménez, O. de Fermo. Nicht bei Gorman erwähnt ist auch das sehr positive Urteil von J.M. Kahn zu Garcia Lorca in der Literarischen Welt am 14.9. 1928:

46 47 48

Freilich setzen solche Überlegungen voraus, daß die Zensoren immer detaillierte Kenntnisse über die ausländischen Autoren hatten. Das scheint mir zumindest nicht erwiesen. Soweit ich sehen kann, hat dieser erst danach in Spanien Garcfa Lorca rezensiert: »Cante jonde y cantares singogales.« In: Revista de Occidente 30, Okt. 1930, S. 53-84. In: Horizonte 1923, H. 5, S. 1.

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Von Federico Garcfa Lorca, dem genialsten unter den jungen spanischen Lyrikern, ist im Verlag der »Revista de Occidente« ein reizendes Bändchen: »Romancero gitano« erschienen. Dieser >Zigeuner-Romanzero< umfaßt Lorcas Arbeiten von 1924 bis 1927; das Werkchen ist zweifellos die schönste Schöpfung spanischer Lyrik der letzten Jahre.

Diese Belege zeigen, daß Garcia Lorca bereits Ende der zwanziger Jahre, überraschend früh also, literarisch Interessierten auch des deutschen Sprachraums als bedeutsames Talent bekannt gewesen sein konnte. Aber ein wirkliches poetisches Profil spanischer Lyrik war so noch nicht gewonnen.

3.2.

Vermittlung und Einschränkung der Vermittlung 1930-1945

3.2.1.

Einführung

Bei seinen Untersuchungen zur Kontinuität der deutschen Literatur über den vermeintlichen Nullpunkt 1945 hinweg versuchte H.D. Schäfer den Nachweis anzutreten, auch die moderne ausländische Gegenwartsliteratur sei in der Zeit des Dritten Reiches, jedenfalls vor dem Krieg, relativ ungebrochen nach Deutschland vermittelt worden (1984:14): »Eine Absperrung von der ausländischen Moderne, wie sie nach 1945 für die gesamte Hitler-Ära festgestellt wurde, hat es tatsächlich nicht gegeben.« Dem steht die Aussage D. Strothmanns in der zweiten Auflage des von Schäfer anscheinend nicht benutzten Buches Nationalsozialistische Literaturpolitik (1963:195f.) gegenüber: »Die gezielte Abtrennung des deutschen Sprachraums von der literarischen Entwicklung in Amerika, England und Frankreich, von der erst 1945 in Deutschland bekannt gewordenen lyrischen Welt Afrikas und der südamerikanischen Staaten, gehört zu den auffallenden Lenkungserfolgen der Ns-Literaturpolitik. Diese Abschnürung wurde nicht erst mit dem Kriegsbeginn vollzogen und mit den sich daraus ergebenden Sammelverboten des Schrifttums der >FeindstaatenInternational< galt hier als Schimpfwort. Auch viele literarische Zeitschriften, die seit je international eingestellt gewesen waren (wie Der Sturm, Die Aktion), kamen an ihr Ende oder wurden umfunktioniert. Die Literaturpolitik der Machthaber zeigt sich sprechend in der Veränderung der tatsächlich international ausgerichteten Literarischen Welt zu Das deutsche Wort. Selbst der Name der literaturwissenschaftlichen Zeitschrift Euphorion klang zu >undeutschMünchener Abkommen« 1938 die Werbung für eine >VerständigungsSchrifttumspflege< ausgeschlossen und einer unnachsichtigen Kritik ausgesetzt.« Dies ließe sich um den Hinweis auf eine kurzfristige Öffnung gegenüber der russischen Literatur (aber nicht der Lyrik) 1941/42 ergänzen.

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Vermittlung einzelner

Nationalpoesien

aufgefaßt wurde. 59 Doch sind z.B. im französischen (z.B. St. Hermlin: Eluard) und sowjetischen Exil (z.B. H. Huppert: Majakowski) Anregungen und Projekte entstanden, die man nach dem Krieg realisieren konnte. Die Literaturwissenschaft jener Zeit schließlich hat z.T. sehr gute Kenntnisse ausländischer Gegenwartsdichtung bewiesen (s. z.B. S. 114). Einigen Experten blieb auch die neueste ausländische Dichtung in entsprechenden Bibliotheken zugänglich. Ihnen waren die wichtigsten Entwicklungen durchaus bekannt, obgleich sie bei den Darstellungen entweder braune Einfarbungen hinnehmen mußten oder sie von sich aus vornahmen. Wenn nach dem Krieg bis in die sechziger Jahre die Erforschung moderner Lyrik aufblühte, so konnte sie vielfach an den Stand der Kenntnisse anknüpfen, wie er in den dreißiger Jahren bestanden hatte. Zudem gab es häufig personelle Kontinuitäten. 3.2.2.

Nordamerikanische Lyrik

Die ohnehin mit der Ausnahme W. Whitmans geringfügige Rezeption nordamerikanischer (Gegenwarts-)Lyrik nahm in den dreißiger Jahren aus politischen Gründen weiter ab. 60 Zwar konnte noch 1932 eine Anthologie mit »Dichtungen amerikanischer Neger« erscheinen, die an eine Vorgängerin von 1929 anknüpft. 61 Ihren Hintergrund bildet das auch in C. Einsteins Buch Negerplastik (1915) sich äußernde, zunächst vitalistisch geprägte Interesse an einer ganz anderen, exotischen Kunst, die geeignet erschien, die >verbrauchte< europäische Kultur neu zu beleben. Nach 1933 aber verengten sich die Möglichkeiten der Vermittlung drastisch. Hier blieb die amerikanische Lyrik deutlich weiter hinter der amerikanischen Prosa zurück. Die Verschlechterung der Vermittlungsbedingungen läßt sich an drei gescheiterten Projekten exemplarisch belegen. 59

60 61

Diesseits aller historisch verkürzenden Braun/Rot-Vergleiche: In mancherlei Hinsicht sind die Einstellungen gegenüber der modernen Literatur (Lyrik) in der nationalsozialistischen Poetik und in der des Sozialistischen Realismus von bestürzender Vergleichbarkeit. Das müßte realisiert und differenziert werden. s. dazu Leitel 1958, der auch zu recht auf den Einfluß der nationalsozialistischen Politik auf die Vermittlung hinweist. Nußbaum, ed. 1929 (auch hierin wieder die zuerst im Querschnitt 1926 vorgestellten L. Hughes und C. Cullen). Angesichts der Tatsache, daß der Band zwar in einem anderen Verlag, aber an den gleichen Verlagsorten erschien wie zwei Jahre zuvor J. Kalmers Europäische Lyrik der Gegenwart, drängt sich die Überlegung auf, ob letztere nicht eine Anregung für die in eine andere Richtung weisende jüngere Anthologie darstellte.

Nordamerikanische Lyrik 1930

-1945

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R. Borchardt hegte seit 1930 den Plan, seine noch unveröffentlichten Übersetzungen in einer Sammlung Die fremde Muse (postum Marbach 1974) zusammenzufassen.62 Er konnte aber in den dreißiger und vierziger Jahren nicht ungehindert publizieren. Die Sammlung enthielt Gedichte Edna St. Vincent Millays (1892-1950) in Übersetzungen, die aus den Jahren ab 1935 stammen. In diesem Jahr verfaßte Borchardt auch den Aufsatz »Die Entdeckung Amerikas: Die Poesie von Edna St. Vincent Millay«, der ebenfalls nicht erscheinen konnte. Erst die Neue Rundschau63 brachte, zusammen mit einigen Gedichten der Autorin, 1951 Auszüge daraus. Der Essay zeigt, daß auch Borchardt das weitverbreitete negative Urteil über die amerikanische (Gegenwarts-)Lyrik teilte. Er sprach ihr jede Eigenständigkeit ab und subsumierte sie unter die englische Lyrik. Um so schärfer sticht sein positives Urteil über die amerikanische Dichterin ab. Mit ihr beginne die amerikanische »Individualpoesie«: »Europa hat seit einem Menschenalter eine solche Sammlung von Meisterwerken nicht mehr erlebt.«64 Auf Borchardts positives Urteil konnte dann die Aufnahme der Dichterin in den ersten Nachkriegsjahren z.B. in der Zeitschrift das silberboot (s.S. lOOf.) zurückgreifen. Auch hier diente die Autorin als Beispiel einer formorientierten Geistigkeit, die nach den Vorstellungen der Zeit nicht unbedingt von der amerikanischen Dichtung zu erwarten sei. Ein weiterer Beleg für die in den dreißiger Jahren weiterhin oft pauschal unterstellte Geistlosigkeit der Amerikaner findet sich in der »Ode an Amerika«, die der seinerzeit sehr geschätzte Hofmannsthal-Epigone Felix Braun in der von E. Schönwiese 1935 herausgegebenen Anthologie Patmos veröffentlichte. Der Schluß (S. 43) lautet: [...] - ihr dort: Kalte Knechte des Kalküls, der Kerker Der Büros, des eisernen Ratterns und Tosens, Des unsichtbaren Zahlenstroms, der, sofern ihn Einer seiner Dämonen Aus der Unwirklichkeit risse, Überdonnerte den Niagarafall, Seid ihr wirklich erkoren, daß ihr fortsetzt, Was der Geist uns glorreich begann, dem wir abtrünnig Schlugen mit scharfen Waffen weg die hohen 62 63 64

s. dazu Borchardt 1985:378. Nachgedruckt in Prosa III, S. 421-472. Ebd., S. 452; in dem Gedicht Borchardts (1985:412): »Ah nein, laß fahren oder flieh« ist nach Ansicht der Herausgeber der Einfluß Millays so deutlich, daß sie anhand dieses Indizes das Gedicht auf »Ende der dreißiger Jahre datieren.«

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Vermittlung einzelner

Nationalpoesien

Schöpfungen, Güter und Throne, Kreuz und Leier und den Ölzweig der Arche? Von ferne fühlt man sich an Motive erinnert, mit denen P. Morand z.B. in seinem Gedicht »Business« (s.S. 36) die amerikanische Geschäftswelt zu charakterisieren versuchte. In dieser Anthologie, die zwölf Dichter umfaßte, veröffentlichten immerhin auch R. Musil, Th. Kramer und H. Broch. Und Broch entwickelte einen Plan eines zweiten Patmos mit englisch(- und französisch)sprachiger Dichtung, wozu er selbst Übersetzungen von St. Spender, J. Joyce, E. Muir und T.S. Eliot beitragen wollte.65 Zwar konnte er noch einzelne dieser Übersetzungen, nicht aber den Anthologieplan realisieren. Das dritte Vorhaben, das die Schwierigkeiten der Vermittlung neuer amerikanischer Dichtung im Zeitraum 1933-1945 belegen kann, entstand bereits im niederländischen Exil (s. dazu auch Kapitel 4.2.2. zum Centaur). W. Cordan fragte am 4.10. 1939 (Datierung unsicher) bei I. Göll, der gerade im New Yorker Exil angekommen war, für eine zukünftige Nummer des Centaur an, die es jedoch nicht sobald geben sollte: »Und dann hoffe ich wieder auf Sie, falls Sie noch arbeiten können, und junge amerikanische Lyrik, diese aber nicht übersetzt, man liest hier Englisch. Ich lege dieses Problem ganz in Ihre Hände.« Auch aus literarischen Gründen ist es besonders bedauerlich, daß der Krieg, daß die deutsche Besetzung der Niederlande diesen Plan vereitelten. Denn Göll hatte in New York exzellente Verbindungen knüpfen können, u.a. zum Black Mountain College, zu L. Bogan, zu Delmore Schwartz, zu W.C. Williams, 66 wahrscheinlich auch zu e.e. cummings, und hatte tatsächlich 1940 mit amerikanischen Dichtern über dieses Anthologie-Projekt gesprochen (das wohl ähnlich wie das >französische< Heft 2 in der Zeitschrift erscheinen sollte), wie der Nachlaß Gölls belegt. Am 8. Januar 1940 empfahl D. Schwartz Göll brieflich, John Berryman, 67 Randall Jarrell (beide Jg. 1914) und Mary Barnard aufzunehmen. So dicht war die deutsche Literatur noch nie an der amerikanischen Gegenwartsdichtung gewesen, so dicht sollte sie es erst, nach dem Zwischenschritt R.M. Gerhardts, um 1960 wieder sein. Aber auch dieses Projekt konnte nicht realisiert werden.

65 66 67

Brief Broch an E. Schönwiese, 24.4.1936; nach: Weyrer 1984:91. Galinsky 1966:98 weist darauf hin, daß Williams sich auch an einer Übersetzung von I. Gölls Jean sans Terre versucht habe. Berryman wurde in einer selbständigen knappen Auswahl erst 1960 ins Deutsche übersetzt. Seine Bedeutung wird hierzulande bis heute unterschätzt.

Gegen den Strom: Hennecke 1938

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Zwei weitere bisher nicht oder zu wenig beachtete publizistische Beispiele zeugen andererseits davon, daß einige Experten durchaus Kenntnisse auch der neueren US-amerikanischen Dichtung hatten. Da ist zum einen - aus einer unseligen Perspektive - K. Arns 1938/39 mit seinem Index der anglo-jüdischen Literatur.68 Von den amerikanischen Dichtern tauchen schon in der Einführung zu Bd. 1 u.a. J. Oppenheim, G. Stein, L. Untermeyer und W.C. Williams 69 auf. Sie werden dann in Bd. 2 in der Form von Lexikonartikeln vorgestellt, die allerdings überwiegend aus anderen Arbeiten der Zeit zitieren. Dabei zeigt der Umfang der Artikel im Vergleich mit anderen Einträgen des Verzeichnisses, daß Arns sich trotz der negativen Einstellungen seiner Gewährsleute der Bedeutung dieser Autoren bewußt war. Zu Williams folgt Arns R. Michaud 1931 und beendet daher in der bibliographischen Kurznotiz die Sparte Lyrik mit dem allerdings wichtigen Buch Spring and All (1923). Bei Gertrude Stein reicht die Bibliographie immerhin bis 1938. 3.2.2.1. Gegen den Strom: Henneckes poetologisches Programm 1938 Nicht zum Zweck der Unterdrückung wie Arns, sondern positiv um Vermittlung wichtiger neuer, auch amerikanischer Dichtung bemüht, versuchte H. Hennecke (1897-1977) seine guten Kenntnisse anzuwenden. Spürbar mögen seine Versuche für die aufmerksamen Leser sicher gewesen sein, doch erschienen sie oft eher versteckt. So wies er wiederholt auf T.S. Eliot und auch auf Pound hin (allerdings nur ausnahmsweise in einem eigenen Beitrag).70 Er übersetzte auch als einer der ersten E. Dickinson, die aber als Dichterin des 19. Jahrhunderts für meine Arbeit nicht weiter in Betracht kommt. Sein als Rezension getarnter Aufsatz »Die Sprache der deutschen Lyrik. I. Zu den Neuerscheinungen der letzten Jahre« (Europäische Revue, August 1938, S. 68 69 70

Arns hatte sich seit Beginn der zwanziger Jahre in zahlreichen Arbeiten, auch Anthologien, der Vermittlung neuerer englischsprachiger, vor allem britischer Dichtung angenommen. Der Artikel zu Williams ist in Galinskys gut dokumentierter Darstellung der Rezeptionsgeschichte Williams' in Deutschland nicht berücksichtigt (Galinsky 1966). Vor allem in der Europäischen Revue, Sept. 1936 zu »T.S. Eliot: Der Dichter als Kritiker«, März 1938 zu »Wyndham Lewis«, dort S. 205 Hinweis, daß die »jüngsten englischen (und amerikanischen) Dichtergenerationen [...] schon seit 1920 unverkennbar unter dem Einfluß so verschiedener Geister wie T.S. Eliot, Ezra Pound und James Joyce stehen«. - Zweisprachige Anthologie englischer und irischer Dichter Englische Gedichte von Shakespeare bis W.B. Yeats. Berlin 1938, darin zahlreiche, z.T. sehr hervorhebende Hinweise auf T.S. Eliot.

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Vermittlung einzelner

Nationalpoesien

721-725), der wohl offenste und ausländischen Anregungen aufgeschlossenste poetologische Beitrag, der im Deutschland jener Zeit veröffentlicht wurde, zeugt von dem Bedürfnis nach einer gelockerten, sich der Alltagssprache nähernden Verssprache mit also abgesenktem Ton (Brecht war zu dieser Zeit natürlich längst im Exil), zu dessen Befriedigung die amerikanische Dichtung dann erst ab dem Ende der fünfziger Jahre diente, und nennt, nicht ganz in diese Richtung weisend, außer Eliot z.B. W. Empson, A. Tate und - wohl zum ersten Mal im deutschen Sprachraum - W. Stevens, mehrfach auch den in Deutschland nicht sehr bekannten und wenig geschätzten Imagismus. Damit dürfte Hennecke in erster Linie Pound gemeint haben. Der Aufsatz ist wesentlich anspruchsvoller und ehrgeiziger, als sein Titel vermuten läßt, und - berücksichtigt man die spätere Entwicklung der deutschen Lyrik - ausgesprochen weitsichtig. Hennecke geht es darum, ein poetologisches Programm zu skizzieren, das die deutsche Lyrik aus ihrer selbstherbeigeführten Stagnation herausführen könne. Der Verfasser schreibt der Dichtung eine eigene »Erkenntnis« zu, welche »nur durch die und in der Sprache« entsteht, »gleichsam auf ihrem eigensten und unbeschränktesten Hoheitsgebiete« selbst. Weder ein völkischer Boden, noch ein religiöser Überbau, von dem Kunst bestimmt sein soll, darf man interpretieren. Henneckes Überlegungen gehen von zwei Beobachtungen aus, einmal von der internationalen Bewegung zu einer neuen >Klassik< in der modernen Lyrik (als Beispiele der für ihn wichtigsten Literaturen, der englischen, nordamerikanischen, französischen und italienischen, nennt Hennecke Eliot, Empson, Wallace Stevens, Allan Tate, Valéry, Supervielle, Ungaretti und Cardarelli) und zweitens, und in unserem Zusammenhang noch etwas wichtiger, davon, daß die neueste deutsche Lyrik seit gut einer Generation nicht mehr recht am internationalen Austausch teil habe. In Henneckes Worten: Wir stehen, wenigstens seit der Jahrhundertwende, auf dem Gebiete der Lyrik [...] durchaus nicht in dem jene vier Literaturen seit Jahrzehnten so kennzeichnenden Verhältnis des Austausches und ständiger wechselseitiger »Filiation«, unmittelbar gegenseitiger Anregung und Befruchtung; eine beklagenswerte [...] Kehrseite dessen ist auch die, daß das Ausland zwar Hofmannsthals, Georges und Rilkes Lyrik seit langem beachtet und, zumal letztere, sogar häufig übersetzt, aber von dem Reichtum unserer Gegenwartslyrik immer noch so gut wie gar keine Notiz nimmt.

Wenn er dann fort fährt: »Freilich fehlen bei uns in einer hier vielleicht manches erklärenden Weise die gleichsam Brücken schlagenden Doktrinen«, so spielt das wohl auf die politische Lage an, aber gemeint ist eher das Fehlen eines poetologischen Diskurses führender Dichter, wie

Henneckes poetologisches Programm 1938

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ihn etwa W.B. Yeats, Pound und Eliot, Valéry auch außerhalb ihres dichterischen Werkes geführt hätten. Die mangelnde Vermittlung ausländischer Poesie nach Deutschland: Das bezog sich z.B. auf den im weiteren mehrfach erwähnten »Imagismus«, vor allem wohl auf Pound, dessen Name in den 30er Jahren in Deutschland nur selten auftauchte. Da dessen Transport nach Deutschland als neues Paradigma damals nicht möglich war, sucht Hennecke nach einem deutschen Vorbild, das in der Sache Ahnliches leisten könne (ähnlich, obgleich unter anderen Umständen, wie Herwarth Waiden im »Sturm« 1914 Apollinaire als Leitfigur durch A. Stramm ersetzte). Er findet es in Otto zur Linde und seinen »in oft erstaunlicher Parallelität den Gedankenkreis des amerikanischen sogenannten >Imagismus< merkwürdig vorwegnehmenden programmatischen Ansätzen« (S. 723). Dieser Vorschlag konnte wohl kaum produktiv werden. Aber wozu wurde überhaupt ein Vorbild gebraucht, seien es der vergessene Otto zur Linde oder der zur damaligen Zeit nach Deutschland nicht zu vermittelnde Pound? Die Frage ist wohl eher: wogegen? Hennecke suchte ja nach einer Erklärung, warum die deutsche Lyrik international den Anschluß verpaßt habe. Er fand sie darin, daß die beherrschenden deutschen Dichter der Zeit nicht anschlußfähig waren, George »unnachahmlich«, obwohl zum Nachahmen verführend, Hofmannsthal sehr bedingt, da das 19. Jahrhundert nicht wirklich verlassend und Epigonen produzierend, Rilke immerhin. George markiert von diesen (außer Rilke) nicht weiterführenden Höhepunkten einen Extrempunkt, bei ihm komme es zu einer »aufs letzte stilisierten Kunstsprache«. Es ist konsequent, daß Hennecke ein die deutsche Lyrik belebendes poetologisches Konzept in der Gegenrichtung sucht, nämlich in der »Wendung zur Alltagssprache«: 71 -

zum »genauen«, statt zum poetischen Wort, zum neuen Rhythmus, besonders zum freien Vers, zur absoluten Freiheit bei der Wahl der Motive und Themen, zu einer äußerst konzentrierten Lyrik, zur Erkenntnis gewisser prosaischer Grundelemente des Verses, Prosanähe, zur Sprechkontur des Verses.

Ein solches Programm für die deutsche Lyrik scheint mir erst wieder in den sechziger Jahren artikuliert und dann breit realisiert worden zu sein. Das Ausmaß der Verzögerung wird beispielhaft klar, wenn man be71

K. Wais sprach ein Jahr später polemisch von »Kodakpoesie«, auf B. Cendrars anspielend.

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Vermittlung einzelner

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denkt, daß Höllerers »Thesen zum langen Gedicht« (1965) wesentlich auf Charles Olson zurückgingen, der seinerseits bereits ein PoundSchüler war. Der von Hennecke erwogene Paradigmenwechsel von der »stilisierten Kunstsprache« zur »Alltagssprache« kam am Ende vielleicht vierzig Jahre zu spät; bereits 1938 mußte der um den internationalen Stand der deutschen Lyrik besorgte Kritiker zwei bis drei Jahrzehnte zurückblikken, um eine Abzweigung zu finden, die nicht in die Sackgasse führte. Hennecke konstatierte bereits, daß sich durch eine solche Erweiterung der »dichterischen Diktion« die »Auffassung der Gestalt und Mission des Dichters selbst« ändert: »Diese verliert dadurch manches von dem >Pathos< (im Doppelsinne des Wortes!) ihrer Isolation, von dem übersteigert Sendungshaften, ja Märtyrerhaften und Unweltlichen, das ihr [...] gerade seit dem Beginn des weltlichsten Jahrhundert, des 19., anhaftete«. Auch das verweist auf die sechziger, mehr noch auf die siebziger Jahre. Sieht man wieder auf die poetischen Formen, so lassen sich die von Hennecke konstatierten Defizite an Beweglichkeit zumindest exemplarisch auf das Ausbleiben der Pound-Rezeption bis in die fünfziger Jahre reduzieren. Hennecke ist zwar bereits mit Gründen als »Garant der Kontinuität des literarischen Lebens über den Bruchpunkt 1945 hinweg« betrachtet worden. 72 In der Tat hat er sein Interesse an nordamerikanischer und englischer Dichtung nach 1945 in Anthologien und Aufsätzen umsetzen können. Aber da paßte er sich den verstärkten Bedürfnissen der ersten Nachkriegsjahre nach Geistigkeit, nach Restitution abendländischer Werte und Gehalte auch in der Vermittlung amerikanischer Dichtung an, so daß das innovative Potential, das er gegen den offiziellen Strom der dreißiger Jahre bewiesen hatte, in der späteren Praxis an Brisanz verlor. Vielleicht folgte er auch einfach der Entwicklung des von ihm geschätzten T.S. Eliot. 3.2.3.

Russische Lyrik

Der in den zwanziger Jahren zu beobachtende Rückgang der Vermittlung russischer Lyrik, der nicht zuletzt mit der auch nach Deutschland ausstrahlenden sowjetischen Literaturpolitik zusammenhing, verstärkte sich in den dreißiger Jahren drastisch durch die weitgehende Absper72

s. Schlüter 1983: Sp. 1197.- Hennecke war wohl der erste, der sich darum bemühte, fremdsprachige Lyrik stets zweisprachig, in Original und Übersetzung, zu präsentieren.

Russische Lyrik 1930 -1945

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rang von der ausländischen modernen Dichtung. Das galt erst recht für die zugleich modernen und kommunistischen russischen Dichter. So wird selbst in dem von K. Wais herausgegebenen wissenschaftlichen Standardwerk Die Gegenwarts-Dichtung der europäischen Völker 1939 (s.S. 114) Majakowski nicht im Artikel zur russischen Dichtung (sondern nur nebenbei zur polnischen Dichtimg) erwähnt, wohl aber werden A. Block und S. Jessenin genannt.73 Immerhin konnte K. Mehnert noch am 28.9. 1934 in Das deutsche Wort (d.i. die angepaßte Literarische Welt) recht sachlich »Vom ersten Sowjet-Schriftsteller-Kongreß« berichten. Über die Poesie sprachen, so Mehnert, Bucharin und Tichonow. Bucharin [...] erklärte - diese Sensation war tagelang das Gespräch von ganz Moskau - die bisher gefeierten revolutionär-agitatorischen Dichter wie Demjan Bednyi, der »Hofpoet des Kreml«, und Besymenskij seien veraltet und hätten die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Im Grunde täten sie nichts, als »politische Losungen rhythmisch zusammenkoppeln«.

Wahre Dichter dagegen seien die exklusiven und bisher fast nur Kennern bekannten Lyriker wie Pasternak, Selwinskij und Tichonow. Man sehe sich den schmalen überzüchteten Kopf Pasternaks an, der Verhaeren übersetzt und Rilke liebt, er sowohl als der in einem katholischen Kloster in Konstantinopel erzogene Selwinskij und Tichonow sind bürgerlicher Herkunft und haben ihre Dichterlaufbahn schon vor der Revolution begonnen. [...] Es war für uns alle ein Erlebnis - sagte mir ein junger russischer Dichter - daß Pasternak, der in seinem Leben keine politische Versammlung besucht und keine aktuell-politischen Gedichte geschrieben hat, die Lorbeeren erhielt, während wir andern die besten Jahre unseres Lebens unproduktiv mit Sitzungen und organisatorischem Kleinkram verplempert haben. (S. 7)

Die Veröffentlichung von Texten russischer Dichter war aber trotz des hier zustimmend aufgenommenen Diskussionsstandes eine schwierige Angelegenheit.74 De facto verlagerte sich die Übersetzung russischer Gegenwartslyrik ins Exil, von wo aus sie dann nach dem Krieg rasch zurückkehren konnte. Das gilt für Hugo Huppert, dessen Majakowski-Übersetzungen später maßgeblich wurden. So erschienen 1940 in Moskau von Maja73 74

Nicht eingesehen wurde von mir die für Universitätszwecke erstellte Anthologie: V. Vasmer, ed.: Auswahl slavischer Dichter. Slavisches Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität. Berlin 1934 (nach Baade 1967:339). z.B. »Winterliebe«. In: Neue Deutsche Blätter 1, 1933/34, S. 756, erschien im Plan 1, 1945/47, S. 188. Ferner: »Hochwasser«. In: Die Sammlung 2, 1934/35, S. 716 und in: Internationale Literatur 5, 1935, H. 9, S. 49. »Lenin auf der Tribüne«, ebd. 6,1936, H. 5, S. 16f. (Pasternak, Ü: H. Huppert).

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Vermittlung einzelner

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kowski: Zwei Dichtungen. W.I. Lenin. Gut und schön. Von letzterem konnte dann gleich im Oktober 1945 ein Auszug im Plan (Wien) erscheinen. Ähnlich ging es mit den Gedichten Pasternaks. Huppert hatte zwischen 1933 und 1936 einige Gedichte in Exilzeitschriften übersetzt, von denen manches auch gleich nach dem Krieg wiederverwendet werden konnte. Eine solche Verzögerung, eine solche Kontinuität zeigt sich auch an einem Beispiel Blocks, dessen Gedicht «Ravenna« (Ü: G. von Festenburg, von R. Borchardt gelobt), 1936 im silberboot erschienen, im März 1946 dort wieder abgedruckt wurde. 3.2.4.

Spanische und italienische Lyrik

Bereits in den zwanziger Jahren war diejenige moderne spanische Poesie, die bis heute in Deutschland als ihr Kanon gilt, in den Grundzügen vermittelt worden (s.S. 54ff.), allerdings recht verstreut. Das setzte sich in den dreißiger Jahren fort. In der Welt im Wort (Beiblatt: Die Woche im Wort, S. 1) zählte J.M. Kahn, der schon am Spanien-Heft des Querschnitt 1926 mitgearbeitet hatte, in seinem Artikel »Spanische Literatur und Kunst« diese Autoren auf: Dagegen steht Spanien in einer strahlenden Blüteepoche der Lyrik. Man kann hier leicht ein Dutzend wesentlicher Namen nennen: Juan Ramón Jimenez der Altmeister; Antonio Machado, dessen gesammelte Werke soeben eine Neuausgabe erlebten; Pedro Salinas, nebenbei Rektor der Internationalen Sommeruniversität von Santander; García Lorca, Dichter, Sänger, Leiter der Studentenbühne; Rafael Albert [sie], der Arbeiterdichter; Emilio Prados, der Einsame, unter Fischern Lebende; Garfias, der am Anfang des Jahres ein Gedicht entwirft und den Rest der Zeit dran feilt; schließlich Manuel Altolaguirre, Autor der einzigartigen Biographie des Dichters Garcilaso de la Vega.

Von diesen Autoren war zumindest R. Alberti Ende 1932 in der Friedrich-Wilhelms Universität Berlin zu Besuch.75 Auf ihn und wiederum auf García Lorca wies auch L. Nován Calvo 1936 hin: »Lorca und Alberti hingegen zeigten sich bald als weit mitreißendere Persönlichkeiten [...]. Alberti insofern, als ihn sein dichterischer Genius auf eben jener 75

So Gorman 1973:13.- Dort auch der Hinweis auf eine Darstellung Albertis in spanischer Sprache für den Hochschulgebrauch: La poesta populär en la Urica espanola contemporänea (Jena/Leipzig 1933). Über Alberti notierte Die literarische Welt am 28.2. 1930: »Neue Revue nennt sich eine Wochenschrift, die von dem Lyriker Alberti geleitet wird (der konsequentesten Figur der iberischen Poesie) und die das lyrische Spanien zu erfassen sucht.« Die vielleicht erste Erwähnung Albertis stand in einer Anekdote im Spanien-Heft des Querschnitt (April 1926).

Spanische und italienische Lyrik 1930

-1945

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Linie der >Enthumanisierung< über alle anderen erhob« (S. 249), Zugleich belegt die Äußerung des Verfassers (S. 250), daß Alberti »zum Kommunismus überging und damit seinem Werk den Todesstoß gab«, wie auch das politische Engagement des Dichters publik war. Das hätte eine Ausschlußkategorie für die Vermittlung im »Dritten Reich< sein können. Dennoch war Alberti vertreten in der 1936 in der Rabenpresse, Berlin, erschienenen Anthologie Neue spanische Dichtung, übertragen von R.H. Winstone und H. Gebser. Die Vorbemerkung des Büchleins, das für sich in Anspruch nahm »Einzige, von den Dichtern autorisierte Übertragungen« zu enthalten, ist »Madrid, Herbst 1935« unterzeichnet.76 Es ist belegt, daß ein persönlicher Kontakt zwischen Garcia Lorca und Gebser bestanden hat.77 Die näheren Umstände der Übersetzung und Entstehung dieser Anthologie, die im ersten Quartal 1936, also wenige Monate vor Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges und der Ermordung García Lorcas (19.8. 1936) erschienen war, sind noch nicht geklärt.78 Zu den Voraussetzungen der Publikationsmöglichkeit dieser Anthologie dürften die Olympischen Spiele 1936 (ebenfalls in Berlin) gehört haben, mit denen Deutschland sich als weltaufgeschlossenes Land präsentieren wollte. Zu den hier vorgestellten spanischen Dichtern gehören u.a. V. Aleixandre, L. Cernuda, J. Guillén und P. Salinas, um nur die weiteren vier zu nennen, die auch H.M. Enzensberger 1960 in sein Museum der modernen Poesie aufnehmen würde (allerdings mit besseren Übersetzungen). 20 Jahre später schrieb H. Friedrich in der Struktur der modernen Lyrik (S. 144): Die Dichtungen von Antonio Machado, Ramón Jimenez, Damaso Alonso, Vicente Aleixandre, Rafael Alberti und anderen ist [sie] der vielleicht kostbarste Schatz, den die europäische Lyrik in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts hervorgebracht hat.

Von den von Friedrich überschwenglich gelobten Dichtern finden wir fast alle in der Berliner Anthologie von 1936, Machado und Jiménez nicht, weil sie aus Sicht der jungen Anthologisten (Gebser war Jahrgang 1905) bereits 1936 nicht mehr zur »neuen spanischen Dichtung« zähl76 77 78

K. Vossler veröffentlichte dazu eine positive, aber z.T. die Übersetzungen kritisierende Rezension in der Frankfurter Zeitung, 12.4.1936. Gibson 1985/87:449 berichtet, daß Gebser mit Garcfa Lorcas Hilfe F. Wedekinds Frühlings Erwachen ins Spanische übersetzt habe. Im gleichen Jahr, 1936, veröffentlichte H. Gebser seinen eigenen Band Gedichte eines Jahres, ebenfalls in der Rabenpresse. Gegenüber dem Titelblatt findet sich die Angabe: »Die Vignette des Schutzumschlages und die des Titels zeichnete Frederico [sie] Gracfa [sie] Lorca«. Auf wen sich die Widmung des Bandes »Dem Gedenken eines Dezembertages zu Berlin, 1930« bezieht, ist nicht ermittelt.

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Vermittlung einzelner

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ten. Der Verlag konnte immerhin noch 1939, bereits während des Krieges, für das Werkchen werben. In seinem Poetischen Taschenhefi, einem »Werbealmanach mit Lesebeispielen« findet sich ein entsprechender Hinweis.79 Fast parallel mit Gebsers und Winstones Auswahl legte in der Schweiz (Zürich 1938) E. Beck den ersten selbständigen deutschen Band Garcia Lorcas vor, nämlich die Zigeunerromanzen. Ob er allerdings überhaupt zur Auslieferung gekommen ist, bleibt unklar.80 Seitdem gab es eine Konkurrenz zwischen E. Beck und J. Gebser bei der Übersetzung und Vermittlung Garcia Lorcas in den deutschen Sprachraum, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt wurde (und die letztlich E. Beck, der noch 1950 die Übersetzung Gebsers von 1936 kritisierte, für sich entschied). Es ist beachtlich, daß Alberti und Garcia Lorca, zwei junge, linke, damals wenigstens partiell in Deutschland bekannte Dichter noch 1939 in dem literaturwissenschaftlichen Standardwerk Die Gegenwarts-Dichtung der europäischen Völker (ed. K. Wais; s.S. 114) positiv erwähnt werden. E. Schramm konnte nach dem Krieg bei der wissenschaftlichen Vermittlung dieser modernen spanischen Dichtung81 an seinen Beitrag fast nahtlos anknüpfen. Die Vermittlung neuester italienischer Lyrik soll hier kurz angerissen werden.82 Als Vertreter wichtiger italienischer Lyrik jener Gegenwart verdienen G. Ungaretti und E. Montale besondere Aufmerksamkeit. H.D. Schäfer (1984:24) hatte auf der Suche nach Belegen für die kontinuierliche Präsenz moderner ausländischer Literatur in Deutsch79

80 81 82

In einem Werbetext am Ende der Gedichte (1924-1944) von J. (Jean=Hans) Gebser (Zürich 1945) wird das Bändchen als »Z.Zt. vergriffen« bezeichnet, gleichzeitig u.a. angekündigt: »Spanische Dichter der Gegenwart. Mit Vignetten und Zeichnungen von Pablo Picasso und Federico Garcia Lorca (Erscheint nach Kriegsende im Hans-Fenz-Verlag, Bern).« Gorman 1973:19f. gibt an, daß der Verleger bald nach Veröffentlichung wegen kommunistischer Propaganda verhaftet wurde. Gorman 1973:18 legt nahe, daß Schramm Alberti bei dessen Besuch 1932 in Berlin zumindest gehört hat. Demetz 1990 ist zu kurz vor Abschluß dieser Arbeit erschienen, als daß diese Studie hätte eine eingehendere Berücksichtigung finden können. Allerdings ist die Perspektive des Buches, wie schon der Untertitel zeigt, eine andere als meine. Dennoch ergeben sich natürlich Berührungen. Das gilt für dieses Kapitel im Verhältnis zu Demetz' Kapitel: »Waiden, Ruggero Vasari und das kulturpolitische >Intenegnum< 1933/34« (S. 137-152). Hier interessiert mich natürlich insbesondere Vasaris Anthologie Junges Italien. Demetz' informative Erläuterungen zu Vasari registrieren zwar die Präsenz Ungarettis in der Anthologie, gehen aber nicht auf sie ein.- Ergänzt sei hier nur, daß Vasari auf dem ein Surrealistisches Theater ankündigenden rückwärtigen Umschlag von I. Gölls Heft Surréalisme, 1924 (s.S. 131) als Mitarbeiter genannt wird.

Spanische und italienische Lyrik 1930

-1945

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land bereits darauf hinweisen können, daß 1942/43 in der Zeitschrift Italien Übersetzungen von Gedichten Ungarettis, Montales, Quasimodos und Cardarellis erschienen sind. Doch es gibt noch frühere Vermittlungen. Schon die noch in der futuristischen Linie liegende, »Hermann Göring, dem Freunde Italiens« gewidmete, Lyrik und Prosa enthaltende Anthologie Junges Italien von R. Vasari (Leipzig 1934)83 enthält bereits zwei Texte von Ungaretti, darunter ein Gedicht aus der Sammlung Allegria di naufragi (1919), weitere u.a. von U. Betti. Durch die Tradition des Futurismus und die Beteiligung z.B. Blümners (Strammrezitator und Lautdichter des »Sturm«kreises) steht der Sammelband in einem bald darauf abreißenden kontinuierlichen Zusammenhang mit den Avantgarden der zehner Jahre. Doch sind in ihm auch schon neue, jedenfalls weiterführende Töne enthalten. Diese werden dann im Mai 1939 in einem Sonderheft »Italienische Dichtung und Kunst der Gegenwart«, das auf einen Rom-Besuch 1938 des Herausgebers P. Alverdes zurückgeht, der eigentlich der deutschen Literatur gewidmeten Zeitschrift Das Innere Reich fortgesetzt. Darunter waren in Übersetzungen von H. Leifhelm vier Gedichte von Ungaretti, etwa »Die Insel«, »L'Isola«, das dann später auch H. Friedrich im Anhang seiner Struktur mit einer Interpretation versehen zweisprachig abdruckte, ferner U. Betti sowie E. Montales Zyklus »Mittelländisches Meer« aus Ossi di seppia (1931).84 Diese Vermittlung durch Übersetzungen, aber auch durch zahlreiche Artikel und Notizen in deutschen Literaturzeitschriften der dreißiger Jahre wurde natürlich durch die faschistische Herrschaft und die guten politischen Beziehungen zu Italien begünstigt. Einen Hauch von der im faschistischen Italien größeren Kunstfreiheit spürte man gerade in dieser Richtung auch hierzulande.

3.3.

1945 - 1970

Nach dem Ende des Krieges kam die literarische Welt nach Deutschland zurück: Sowohl durch nun wieder bestehende Reisemöglichkeiten 83

84

Die Anthologie ist nicht berücksichtigt in der sonst gut belegten und den Anspruch ihres Untertitels deutlich überbietenden Zürcher Dissertation von Strebel 1984.- Ungaretti war bereits am 27.2. 1931 in der Literarischen Welt, Sondernummer »Italien«, von E. Rocca: »Die italienische Literatur von heute« (S. 3f.), erwähnt worden, ferner u.a. Saba und U. Betti; Ungaretti dort erneut am 28.10. 1932. Immerhin hatte Mussolini für die 1923er Auflage von Allegria di naufragi ein Vorwort geschrieben. Von Montale erschien übrigens 1943 in der Schweiz ein erster Band auf deutsch: Finisterre.

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Vermittlung 1945 -1970

für Emigranten und ausländische Dichter, Literaten, Literaturwissenschaftler, als auch durch internationale Korrespondenzen und Kooperationen. Das erste und breiteste Forum für die moderne ausländische Lyrik waren die zahlreichen neu entstandenen Literaturzeitschriften, die meistens nach der Währungsreform bald wieder eingingen. Sie hatten nicht selten das ausdrückliche Ziel, deutsche Literatur wieder an die internationale heranzuführen - indem man ihr letztere vermittelte. Das war sicher vielfach ein echtes Bedürfnis nach einer freien literarischen Öffentlichkeit, hatte gewiß eine Abneigung gegen die jahrelang erzwungene deutsche Enge zum Grund; zugleich war es aber günstig für die Lizenzerteilung oder gar Unterstützung durch die Behörden der Alliierten. Es mag durchaus damit zusammenhängen, daß doch zunächst, und in mancher Hinsicht auf Dauer, die englischsprachige, die französische Dichtung sich deutlich des größten Interesses der Vermittler erfreuen konnten. Dabei sollte man den direkten Einfluß der alliierten Kulturpolitik nicht überschätzen.85 Die russische Lyrik war (wie schon in den zwanziger Jahren) und blieb in einer besonderen Situation - und das bis in die jüngste Vergangenheit. Zwar galt ihr zunächst das Interesse der Vermittler grundsätzlich in nicht geringerem Maße als den westlichen Poesien. Aber dann fehlten sowohl genügend qualifizierte Übersetzer als auch Lyriker, die man übersetzen konnte. Die russische Dichtung war spätestens mit der 85

Das gilt vor allem für die Lyrik. Theater und Prosa fanden aufgrund der wesentlich größeren Breitenwirkung eine höhere Aufmerksamkeit. Zudem interessierte die Alliierten natürlich mehr als die Form von Gedichten die Zahl der Kulturinstitute, welche jetzt gegründet wurden. Und an diesen sich deutlicher manifestierenden kulturpolitischen Taten hat sich auch bisher überwiegend die Forschung orientiert; s. z.B. Gehring 1976. Zur französischen Besatzungszone s. Bariéty 1988; dort auch ein Hinweis auf die von mir nicht eingesehene Diss. von R. Gilmore: France's Postwar Cultural Policies and Activities in Germany 1945-1956. Washington D.C. 1973. Zur sowjetischen Besatzungszone s. Hartmann 1988; s. auch Peitsch 1982:171 (nach R. Piper) den Hinweis darauf, daß die amerikanischen Stellen Lyrik für weniger wichtig hielten und also auch weniger Papier zuteilten.- Der Plan (Wien), H. 11, Dez. 1946 gibt z.B. an (S. 926), für dieses Frankreich-Heft »unserem ständigen Korrespondenten in Frankreich, Herrn Oberleutnant René Férriot (Lyon), zu Dank verpflichtet [zu sein], aber auch allen jenen Herren der Direction de l'Information de Vienne, die uns nicht nur bei der Beschaffung des Materials und der Rechte behilflich waren, sondern auch sonst mit ihrem wertvollen Rat zur Seite standen.« - Auch Wort und Tat, zuerst (Aug. 1946) in Innsbruck, später in Paris/Mainz erschienen, war französisch geprägt. Hinzu kamen für die Lyrik-Vermittlung wichtige, speziell der Vermittlung eines Landes dienende Zeitschriften wie Perspektiven für die USA und Antares für Frankreich, die oft erstmals wichtige Gegenwartslyriker durch Gedichte und/oder Essays über sie vorstellten.

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Einführung des Sozialistischen Realismus (1932) als Staatspoetologie, die dann auch anderen Ländern oktroyiert werden sollte, auf Dauer in ihrer Entfaltung gestört und wenigstens - mit ähnlichem Effekt - in ihren Veröffentlichungsmöglichkeiten behindert worden. Noch immer galt Majakowski als ihr leuchtendes Vorbild (soll man es ein Glück nennen, daß er doch immerhin zurecht als moderner Lyriker gelten konnte?), der seit den zwanziger Jahren nicht mehr in Deutschland veröffentlicht worden war. Majakowski war der erste moderne ausländische Dichter, von dem nach dem Zweiten Weltkrieg hier ein selbständiger Band erschien, Ausgewählte Gedichte, und zwar im >Verlag der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland« (Berlin 1946). Majakowski hatte den Vorteil, sowohl formal modern als auch politisch zu sein und, nach seinem Tode, das Wohlwollen Stalins zu genießen, was die sowjetischen Behörden besonders angespornt haben dürfte, den Übersetzer Huppert bei der Veröffentlichung zu unterstützen. Der 1929 emigrierte Österreicher hatte bereits im Moskauer Exil 1940 Zwei Dichtungen Majakowskis auf deutsch herausgebracht. Wenn man der Datierung des Vorwortes folgen darf, das »Moskau, im April 1943« unterzeichnet ist, so war auch dieser Band schon während des Krieges vorbereitet worden. Majakowski erscheint darin als uneigennütziger Diener der Revolution; »immer mannhaft, opferwillig und bereit, im Namen des Kampfes für den Sozialismus >dem eigenen Lied auf die Kehle zu treten« (wie er im Prolog zu seiner letzten, unvollendeten Dichtung auf den Stalinschen Fünfjahresplan bekennt), hat Majakowski das Zeitgedicht, die publizistische Poesie zur Höhe der Kunst erhoben«. Und mit den Worten: »dieser Majakowski, von dem Stalin sagte, er >war und bleibt der beste, begabteste Dichter unserer Sowjetepochegestischen< Charakter der Majakowskischen Tribünendichtung« bringt. In einer Rezension des Bandes jubelte A. Muhr (in: das silberboot 3, 1947, H. 4, S. 219f.): » d e r Lyriker des neuen Rußland [...], vor allem eine visionäre Bildkraft, die Wucht der Metapher, das doppelte Bild im Vergleich, den rücksichtlosen, den begnadeten Mutterwitz [...], die Gestaltungskraft des mitfortreißenden Wortes, den peitschenden, schießenden Rhythmus [...] Genial ist die Nachdichtung Hugo Hupperts. Wie Shakespeare durch Schlegel=Tieck einmalig eingedeutscht wurde, so Majakowski durch Huppert. Diese Übersetzung ist heute schon klassisch, mit all ihrer volkhaften Naivität, ihren Assonan-

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Aber zuvor war die Arbeit an dieser Anthologie bereits in die in Wien erscheinende Zeitschrift Plan eingegangen. Die bereits 1937 begonnene, ab dem 3. Heft eingestellte und im Oktober 1945 wiederaufgenommene, in Wien von O. Basil herausgegebene Zeitschrift Plan81 kann als Beispiel einer international und modern ausgerichteten Publikation der ersten Nachkriegszeit dienen (Plan mußte Februar 1948 wieder eingestellt werden). Die Zeitschrift hatte von Anfang an eine Pariser Redaktion, dann auch eine Londoner (J. Kalmer, s.S. 90) und Schweizer (der Garcia Lorca-Übersetzer E. Beck). Programmatische Äußerungen betonen das Engagement der Zeitschrift »für die Festigung des demokratisch-republikanischen Staatsgedankens und für die Wiederaufrichtung eines geistigen Österreichertums von europäischem Zuschnitt und weltbürgerlicher Fülle« (S. 1). Herausgeber und Redaktion verstanden sich als »aktivistische Stoß- und Vortrupps« bei der Entnebelung und Reinigung im Staat: »Heute zählt nur noch der Aktivist!« (S. 2). Bei dieser aktivistischen, demokratisch-republikanischen Ausrichtung mag vielleicht von ferne die expressionistische Zeitschrift Die Aktion ein Vorbild gewesen sein. Doch sind auch andere Traditionen auszumachen. Da ist zum einen das Konzept, eine österreichische Zeitschrift zu machen, die sich von Deutschland abgrenzte; dazu gehörte auch die traditionelle österreichische Orientierung an Frankreich und dem slawischen Raum. Dies wird im Plan durch eine im weiteren Sinne >linke< Orientierung spezifiziert. Indem die erste Nummer mit einem Whitman-Gedicht in der Übersetzung von G. Landauer (1870-1919) beginnt, knüpft sie an die Situation nach dem Ersten Weltkrieg an; indem sie auch ein Majakowski-Gedicht aufnimmt, knüpft sie zusätzlich an Konstellationen der zwanziger Jahre zwischen Lyrik der Neuen Welt und russischer Revolutionslyrik an, nun freilich unter den Auspizien der Alliierten. Daß die internationale Lyrikvermittlung hier wiederholt unter dem Aspekt der Übersetzungsproblematik thematisiert wurde, sei am Rande erwähnt. Bereits in der ersten Nummer des Plan, im Oktober 1945, erschien ein Auszug aus Majakowskis »Oktoberpoem« »Gut und schön« (zuvor

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zen und Vulgarismen dem Original so streng wie möglich gleichrhythmisch folgend. [...] Wenn man statt der Whitman'schen >Demokratie< den Majakowskischen «Kommunismus« setzt, so hat man, obwohl Whitman auch f ü r die Revolution schrieb und nicht bloß ü b e r sie, den russischen Dichter noch lange nicnt. Er ist das einzige und zugleich modernste Beispiel für den lyrischen Ausdruck eines amorphen Millionenmassengefühls. Unter dem unwiderstehlichen Eindruck dieser Gedichte begreift man, warum die Russen unnachlassend vom Ausdruck der Zeit reden: sie können's, sie dürfen's, sie h a b e n ihn: Majakowski, ihren Heldensänger.» s. dazu Gross 1982.

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Moskau 1940) über eine Begegnung mit A. Block. Am Ende des Heftes (S. 80f.) steht eine Kurzbiographie zu H. Huppert, durch den de facto eine Kontinuität zu den Moskauer Exilzeitschriften hergestellt wird. Huppert war als Offizier mit der Roten Armee nach Österreich zurückgekehrt. Diese Notiz und die zu Majakowski (beide sind nicht unterzeichnet und wirken wie redaktionelle Anmerkungen) stammen von Huppert selbst oder gehen fast unmittelbar auf ihn zurück, wie der Vergleich mit Vorwort und Nachbemerkung zum Majakowski-Band von 1946 zeigt. Kleine Nuancen zwischen dem Lobpreis Majakowskis durch Stalin als »bester, begabtester Dichter« »unserer Sowjetepoche« (Buch) und »der sozialistischen Epoche« (Plan, S. 82) mögen auf die unterschiedlichen Publikationsorgane zurückgehen. Immerhin knüpft diese doppelte Vermittlung Majakowskis sowohl in Berlin als auch in Wien an die literaturgeographische und kulturgeschichtliche Situation der Vermittlung östlicher Lyrik der zwanziger Jahre an. Sie bildete den Auftakt einer Majakowski-Veröffentlichungswelle, in der bis 1953 sieben Bände mit Werken dieses Dichtes erschienen. Dabei trug die Dominanz Hupperts über den Raum der DDR hinaus zur Verbreitung des Paradigmas »Revolutionsdichtung« im deutschen Sprachraum wirksam bei. 88 Neben Majakowski als Vertreter der russischen Dichtung war es vor allem A. Block, 89 von dem 1947 und 1948 je ein Band (in der Übersetzung durch J. von Guenther) erschien. Block war um 1920 der meistvermittelte russische Gegenwartslyriker gewesen. Aber er war bereits 1921 gestorben, so daß sich hier von einer noch größeren Verzögerung als bei Majakowski und vielleicht besser von einer Wiederentdeckung reden läßt. Übersetzungen anderer russischer Lyrik der Gegenwart standen offenbar kaum zur Verfügung. In Majakowskis ebenso wie in Blocks Fall ist die Verbindung von Modernität und weltanschaulichem Gehalt wichtig für ihre Rezeption auch in der zweiten Nachkriegszeit; bei Majakowski war es das politische, »revolutionäre* Engagement, bei Block die christlich zu interpretierende Religiosität, welche zu dem Interesse für ihre Dichtungen in nicht geringem Maße beitrugen. 90 88

89 90

Aus der besonders zahlreichen Literatur s. z.B. Anon. 1955, Kossuth 1973/74, Tschistowa 1961, Mierau 1964, Tschistowa 1970, Wald 1970, Dannhauer 1971, König 1971, Greifenhagen 1972, Huppert 1973, Hartmann 1982, Hartmann 1984, Rewischwili 1985. Zu Block s. vor allem zusammenfassend Baade 1967. Weder Jessenin noch Pasternak sollten so bald zu einem eigenen Band in Deutschland kommen, obwohl z.B. H. Huppert Pasternak-Übersetzungen schon in den dreißiger Jahren in Exilzeitschriften veröffentlicht hatte (s.S. 67), von denen etwa »Winterliebe« (zueist 1932/33) dann auch gleich nach dem Krieg

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Man kann sagen, daß dieser weltanschauliche Faktor in den ersten Jahren nach d e m Krieg in eben dieser Polarisierung bei der Vermittlung der ausländischen Lyrik nach Deutschland eine g e w i c h t i g e Rolle spielte, gerade w e n n es darum ging, die S c h w e l l e zu einem selbständigen Band zu überschreiten. D a s gilt für Eluard ( 1 9 4 7 ; 1 9 4 9 ) als Vertreter einer politisch engagierten Dichtung 9 1 w i e für T.S. Eliot ( V i e r Quartette, Ü: N. Wydenbruck. W i e n 1948), w o b e i d e m zeitgeschichtlichen Bedürfnis entsprechend bei beiden Dichtern die aktuellere, zugleich weltanschaulich deutlichere und weniger moderne Dichtung vor der älteren, >modernerenreligio< (S. 87) hinweisen kann, ihn in einem Atemzug mit R. Pannwitz nennt und ihn in eine Linie mit »Neuerern« wie Mallarmé, Valéry, George, Rilke, Kavafis, Yeats stellt. Von diesen konnte Cordan dann schließlich den Griechen in Übertragungen präsentieren (4, 1948, H. 4, S. 155-158). Eine redaktionelle Notiz schreibt ihm zu, er habe unter dem Einfluß Georges gestanden, was seiner - wie der Leser annehmen mußte, erstmaligen19 - Vorstellung günstig gewesen sein dürfte. In einer Fortsetzung zu Kavafis (1949, H.l) vermerkte Cordan immerhin einen konkreten Einfluß dieses Dichters auf einen Teil von T.S. Eliots Waste Land (1922), der schon in den zwanziger Jahren - vergeblich auf ihn hingewiesen habe. So wird die George-Linie, der Kavafis zugerechnet wird, bis ins Werk des modernen englischsprachigen Lyrikers verfolgt, eine kühne, wenn auch aufgrund symbolischer Anleihen beider nicht völlig unberechtigte Konstruktion, die eine Aufwertung für Eliot sein sollte!

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auch sich, wenn er von Menschen schrieb, die »sich zu Schröder [...bekennen], dem letzten großen Dichter der aus humanistischen und christlichen Wurzeln gespeisten deutschen Kultur.« Tatsächlich bereits in: Dieterich, ed. 1928.

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Institutionen der Vermittlung

Auch die Arbeit von Weyrer 1984 bestätigt, daß das silberboot in der Prosa wesentlich moderner war als in der Lyrik20, wenn sie als Leitbilder der Zeitschrift »Musil und Broch, Rudolf Alexander Schröder und Borchardt« (S. 85) angibt. Immerhin erschien sogar ein Auszug in der Übersetzung G. Goyerts aus dem Anna-Livia-Plurabelle-Kapitel in J. Joyces Finnegans Wake (1946, S. 139f.)! Die Lyrik sollte die Form und den hohen Stil bewahren. Das bestimmte die Aufnahme der ausländischen Lyrik, aus der die russische Gegenwartsdichtung fast ganz herausfiel (außer dem 1921 gestorbenen A. Block und einem Sonettenkranz von V. Iwanow, 1947, H. 1); aber auch um die englische und französische stand es hier nicht gut: aus der Sicht dieser Zeitschrift drohte der deutschen (Vers-)Dichtung aus dem Ausland eine Gefährdung von Erhabenheit und geistiger Zucht. 4.2.2.

Centaur (Eine Zweimonatsschrift für die Dichtkunst) (1939; 1945/48)

Die Exilliteraturforschung hat einige literarische Zeitschriften des Exils rechts liegen lassen. Ihr waren - mit Gründen - politische Aspekte und damit auch politisch engagierte Zeitschriften wichtiger: »Unter den literarischen Zeitschriften des Exils waren die ausschließlich aufs Ästhetische gerichteten oder auch nur vorwiegend dahin orientierten Blätter Randerscheinungen. Sie konnten weder genügend namhafte Mitarbeiter für sich interessieren noch eine überzeugende >nichtprominente< Mannschaft vorstellen. Keines dieser wenigen Blätter hatte eine lange Lebensdauer - Wolfgang Cordans Centaur z.B. kam über zwei Nummern nicht hinaus.«21 In unserem Zusammenhang ist aber der Centaur von 20

21

Weyrer 1984:216: »In allen Jahrgängen der Zeitschrift bietet sich das gleiche Bild: Die Gedichte sind zu drei Viertel gereimt und weisen feste Versmaße und Strophenformen (Sonett, Terzine, Distichon, persische Vierzeile etc.) auf. Unter den ungereimten Gedichten fallen die Oden auf«. Es versteht sich, daß der Surrealismus in dieser Zeitschrift keine Rolle spielte. Eluard-Übersetzungen durch I. Göll, die 1946 angekündigt wurden, sind nicht erschienen. - Weyrer, S. 134, macht statistische, allerdings nicht nach Gattungen differenzierte Angaben zu Übersetzungen oder Texten fremdsprachiger Literatur (insgesamt 23,8% einschl. Rezensionen). Literatur Frankreichs: 6,5%, Nordamerikas: 5,5%, europaischer englischsprachiger Länder: 5,4%, der UdSSR: 1,8%. Alle anderen Literaturen unter 1%. Walter 1978:17. - Das galt ähnlich, wenn auch mit anderen Schwerpunkten für die Exilliteraturforschung der DDR, z.B. Hermsdorf et al. 1981.- Anders als Walters Bemerkung vermuten läßt, ist der Centaur nach dem Krieg 1945-1948 fortgeführt worden.- Herausgeber und Redakteure des Centaur waren G. Den Brabander, W. Cordan, J. van Hattum. Das Sekretariat war in Amsterdam, der Verlag A.A.M. Stols in Maastricht.

Zeitschriften:

»Centaur«

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besonderem Interesse, weil er zu den Zeitschriften gehört, die sich um den internationalen Zusammenhalt der modernen Dichtung, explizit insbesondere der Lyrik bemühten und die nach der kriegsbedingten Unterbrechung wieder erschienen sind. Den etwaigen Konflikt zwischen politischem Engagement und literarischer Orientierung lösten die meisten Exilzeitschriften aus der Perspektive des antinationalsozialistischen, antifaschistischen Kampfes. Der Centaur reflektiert diese Polarisierung auch in seinem Titel: »Unser Formen wird denn heute ein centaurisches sein: gespannt zwischen dem Streben nach Gültigem und dem Verhaftetsein an Zeitlich-Provisorischem« (H.l, S. 1). Das Politische wird zwar bedacht, aber doch eher am Rande. Immerhin sieht Cordan seine Zeitschrift auch in der Tradition von F. Pfemferts Aktion und ihrer literarisch-politischen Bedeutung während des Ersten Weltkrieges (unveröffentl. Brief an I. Göll vom 4.10.1939). 22 Das Centaurische der Zeitschrift war eher ein innerliterarisches: die Synthese zweier verschiedener literarischer Welten, der Tradition Georges zum einen und zum anderen der Linie des Surrealismus: »dem Wechselspiel zwischen erkennendem Geist und dunklen Gründen, von denen Novalis und Lautréamont wussten, die Trakl sang und die die Surrealisten feiern« (S. 1). Der ausdrückliche Hinweis stützt die Annahme, daß die Wahl des Titels auch die wichtige, kurz zuvor eingestellte surrealistische Zeitschrift Minotaure (Paris 1933-1938) miterinnert. Die deutsch-niederländische Zusammenarbeit im Centaur und in seinem Umkreis konnte zwanglos an St. George anknüpfen. Cordans Anthologie Spiegel der Niederlande. Die niederländische Dichtung seit der achtziger Bewegung (Amsterdam/Leipzig [!] 1941), stand ein Doppelporträt George - A. Verwey voraus. Der Herausgeber wies gleich zu Beginn, nach einem von R. Pannwitz' stammenden Motto, auf diese Tradition hin: »Die holländische Dichtung wurde dem aufhorchenden deutschen Leser erstlich durch die Uebertragungen Stefan Georges erschlossen« (S. IX); dem entsprach die Auswahl. Auch die Typographie (Libra-Schrift) des Centaur steht in der Tradition des George-Krei-

22 23

Die in diesem Kapitel zitierten Briefe von Cordan an Göll befinden sich im Deutschen Literaturarchiv/Schiller-Nationalmuseum, Marbach a.N. s. z.B. die Wertung (S. XL): »Als Sänger ist Marsman gewiß zweiten Ranges. Aus der expressionistischen Zersprengung hat er niemals zu einer gültigen Form finden können.« H. Marsman war vom deutschen Expressionismus, etwa von A. Stramm beeinflußt worden; s. dazu de Jong 1959 und Lehning 1959.

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Institutionen der Vermittlung

S o w o h l durch die Kenntnisse W . Cordans 2 4 , für den 1 9 3 3 Paris eine Etappe seiner Emigration g e w e s e n war, als auch durch die Mitarbeit Ivan Gölls ab H. 2, der ab dem nicht mehr realisierten Heft 3 die Vertretung der französischen Redaktion übernehmen wollte, kam eine ganz andere Literatur in die Zeitschrift, nämlich die (z.T. radikal) moderne französische Lyrik. G e w i ß hatten die zugrundeliegenden Poetologien einen gemeinsam e n Nenner in ihrer Distanz zu den literarischen A u f f a s s u n g e n des Nationalsozialismus. D e n n o c h ist ein solcher weitgehender Synkretismus auf den ersten Blick überraschend. Über den konkreten Fall hinaus belegt er explizit die Möglichkeit, daß der Surrealismus sich in Deutsch24

Wolfgang Cordan (1909-1966) (d.i.: Heinrich Wolfgang Horn), Schriftsteller und Ubersetzer (niederländisch, flämisch; französisch, übersetzte nach dem Krieg auch den Griechen K. Kavafis), stammte aus dem George-Kreis, Schüler von R. Pannwitz; zu Cordan s. auch de Back 1977. Cordan emigrierte 1933 über Paris in die Niederlande. In dieser Zeit erschienen die Bücher L'Allemagne sans masque (1933), Essai over het Surrealisme (1935). Daraus hatte er bereits in Het Fundament 1, 1933, H. 8, S. 15-24, Auszüge veröffentlicht: »Surrealisme als revolutionaire kunstvorm.« Cordan war von 1934-1936 Mithrsg. der aus De Jonge Gids hervorgegangenen, 1934-1940 in Amsterdam erschienenen Zeitschrift, die sozialistisch und internationalistisch (de Back 1977:183f.) eingestellt war. Seine Vermittlertätigkeit gerade zwischen niederländischer und deutscher Kultur umfaßte die Mitarbeit an der Hollandnummer von K. Manns Exilzeitschrift Die Sammlung 1, 1934, H. 8 (welcher der Centaur einige Anregungen zu verdanken scheint). Cordan trat zu Beginn des vierten Jg.s (1937) aus der Redaktion von Het Fundament aus, für »undogmatisches Denken und eine geistige Unabhängigkeit« (de Back 1977:184) plädierend. Er rezensierte aber dort noch, lobte z.B. an der Anthologie Verse der Emigration (Karlsbad 1935) nur B. Brecht, M. Herrmann-Neiße und Paul Zech (Jg. 5, 1939, S. 15-17). Cordan, der selbst Lyrik veröffentlichte, schloß sich »in Amsterdam der jungen Dichtergruppe um den niederländischen Lyriker Ed. Hoornik« (de Back 1977:185) an, den er ins Deutsche übersetzte. Doch sowohl dieser Band Geburt als auch sein eigener Band Das Jahr der Schatten (beide Maastricht 1940) wurden bereits beschlagnahmt. Der Weg in Illegalität und Untergrund begann. Das Projekt Centaur konnte zunächst nur durch die illegale Buchreihe Kentaur-Drucke (gemeinsam mit L. Helbing, d.i. W. Frommel, Amsterdam 1941-1947) fortgesetzt werden. Im Krieg erschienen von ihm betreut die Anthologien Spiegel der Niederlande (1941) und Der vlämische Spiegel (1943). 1944/45 war Cordan Mitglied des Maquis und, wie er am 21. November 1945 an I. Göll schreibt, »Kommandant einer Kampfgruppe« und zur Zeit dieses Briefes (s. Anm. 31) »im Range eines Oberleutnants im Dutch Security Service« tätig. Nach dem Krieg nahm er den Centaur wieder auf, gründete eine Centaur-Gesellschaft, und arbeitete z.B., etwa als Übersetzer von A. Roland Holst und K. Kavafis, den er schon 1944 in Besinnung auf Mallarmé hervorgehoben hatte, für das silberboot. Er kehrte nicht wieder nach Deutschland zurück, sondern verließ Europa.

Zeitschriften: »Centaur«

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land in andere poetologische Muster einbinden ließ, und hilft erklären, warum er häufig gemäßigt oder gedämpft erscheinen konnte, ein Phänomen, das nach dem Zweiten Weltkieg oft zu beobachten war. Umgekehrt ist es aufschlußreich, die Kontinuität kultivierter Kunstemphase so deutlich belegen zu können. Der Centaur war von Anfang an international ausgerichtet, im Kern deutsch-niederländisch, wobei die deutschen Texte einschließlich der Übersetzungen ins Deutsche bei weitem den größten Teil der beiden ersten Hefte ausmachten. Uber den engeren Kreis hinaus weist das Impressum einen Korrespondierenden Redakteur für Skandinavien nach, Odd Eidem (Oslo), der aber entgegen mehrfacher Ankündigung nichts mehr einbringen konnte, sowie sechs Vertretungen im Ausland, in Belgien, der Schweiz, Frankreich, England, Norwegen, USA (einschließlich Kanada). Die Lyrik stand im Mittelpunkt des Interesses der Herausgeber. Das belegt der nach Heft 1 erstellte Waschzettel, namentlich der Untertitel »Eine Zweimonatsschrift für die Dichtkunst«. Sie verkündeten dort gleich zu Beginn: >CENTAUR< stellt sich zur Aufgabe, die überall verstreuten lyrischen Stimmen zu sammeln und durch die Stürme der Zeit zu retten. Ein wechselseitiger Kontakt und das Auftreten vor einem grösseren Forum wird zudem manchem vereinzelt und in engen Sprachgrenzen schaffenden Dichter neu Auftrieb verleihen können.

Gedacht war zunächst daran, »die bedeutendsten jüngeren Kräfte Hollands und der nordischen Staaten einem weiteren Publikum zugänglich zu machen.« Die jüngeren Kräfte Hollands: das beschränkte sich, wenig selbstlos, im wesentlichen auf die Herausgeber und ihren engsten Umkreis. Welche skandinavischen Dichter schließlich vorgesehen waren, läßt sich nicht ermitteln. Nach Norwegen hätten aus den Niederlanden über andere Emigranten (etwa W. Brandt, der in Het Fundament veröffentlichte), Kontakte bestanden, die eher politischen Charakter hatten. Es ist zu beachten, daß mit der vorgesehenen Konzentration auf diese beiden außerdeutschen Kulturräume genau die ausgewählt waren, die sich, freilich mit ganz anderen Schwerpunkten, der besonderen Wertschätzung durch die Nationalsozialisten erfreuten. Daneben sollte die Zeitschrift ihrer Ankündigung nach besonders die deutschen Emigranten drucken: »Auch sollen die unter besonders schweren Bedingungen schaffenden Dichter des freien deutschen Schrifttums hier eine Pflegestätte finden.« Das erste Heft kündigte für die beiden folgenden »neben Proben jüngster Prosa und französischer Lyrik skandinavische Dichtung an«. Von der Prosa kam in H. 2 ein Beitrag von A. Döblin zum Abdruck, unter der Ägide und in der Übersetzung von I. Göll auch neueste

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Institutionen

der

Vermittlung

französische Lyrik. Aber die skandinavischen Beiträge, die am Ende von H. 2 erneut angekündigt wurden, blieben aus. Eine weitere geplante Neuerung wird in der hinteren inneren Umschlagseite vorgestellt, der Abdruck von Werken englischer Dichter in englischer Sprache. Sie konnte jedoch erst nach dem Krieg realisiert werden. Daß zunächst die niederländischen Texte teilweise mit deutscher Übersetzung abgedruckt wurden, obwohl die Zeitschrift in den Niederlanden erscheint, zeigt, wie sehr die Redaktion sich an Cordan ausrichtete. Auch die Mitarbeit I. Gölls dürfte sich seiner Vermittlung verdanken.25 Zieht man die Bilanz der lyrischen Beiträge dieser beiden Hefte und nimmt dabei die redaktionellen Mitarbeiter aus, dann bleibt ein sehr interessanter französischer Teil, ein längeres Gedicht Albert Verweys (»De Dichter en het Derde Rijk«) und als einziger deutschsprachiger Dichter (außer Cordan) H. Politzer, der 1938 über Prag nach Palästina emigriert war, allerdings nur mit einem Gedicht. Es ist offensichtlich, daß die politische Situation die Entfaltung der Zeitschrift entscheidend beeinträchtigt hat, die so ihre Intentionen nur in Bruchstücken verwirklichen konnte. Von diesen ragt der französische Teil in Heft 2 (Sept./Okt.) heraus. Er bietet, soweit ich sehen kann, die bis dahin modernste Auswahl jüngster französischer Lyrik in deutscher Sprache, eine Auswahl, die bis heute Interesse beanspruchen kann: P. Eluard (»Die öffentliche Rose«), P.J. Jouve (»Die Schöne am Fenster«, »Gottes Geist um die Männer zu öffnen«, »Ode an das Volk«), Ph. Soupault (»Say it with Music«), J. Supervielle (»Das Meer«), L.P. Fargue (»Abgesang«), P. de la Tour Du Pin (»Psalm«). Von I. Göll, der sich schon seit den zehner Jahren um die Vermittlung der modernen französischen Lyrik bemüht hatte (s.S. 119ff.), stammten Auswahl, Übersetzung26 und der einführende Essay »Revolution der französischen Lyrik« (S. 33-37). Damit war der Surrealismus gemeint. Göll weist in rückläufiger Reihenfolge auf dessen Vorgänger, den Dadaismus, Apollinaire, Lautréamont, Rimbaud und Mallarmé sowie deren deutsche Verwandte bzw. Ahnen Rilke, Hölderlin und Novalis hin. »Magie des Wortes«, »Traum«, »Das Unbewußte«: Göll preist die irrationale Seite dieser Literatur. Gleichzeitig sieht er einen Rückstand der Werke gegenüber dem Programm: »Die großen Werke fehlen noch

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Bereits das Impressum von Het Fundament hatte (neben G. Den Brabander) den französischen Surrealisten R. Crevel als Mitarbeiter genannt. Die Kontakte des Pariser Aufenthaltes 1933 konnten also aufrechterhalten und wenigstens punktuell fruchtbar gemacht werden. Göll hatte, wie sein Nachlaß zeigt, der Zeitschrift mehr bereits fertiggestellte Übersetzungen angeboten (z.B. von Supervielle) als gedruckt werden konnten.

Zeitschriften:

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[1939!]«.27 Der Surrealismus erscheint als Zentrum, um das herum, »zwischen den Polen des Bewussten und des Unbewussten«, sich praktisch die gesamte neuere französische Lyrik bewege: »Wieviel Namen hier auch ständen, es wäre immer noch nicht ein Hunderstel [sie und !] der beschwingten und begeisterten Schar« (S. 34). Göll hebt P. Fort, F. Jammes, P. Claudel und Apollinaire als die bedeutendsten hervor; auch für Göll sind also die religiösen Dichter von besonderer Bedeutung. Als eigentliche Surrealisten werden Aragon, Soupault, Eluard, Tzara, B. Péret und, wohl zum ersten Mal im deutschen Sprachraum, R. Char erwähnt. »Sie sind heute alle versplittert: André Breton bleibt als einsamer Diktator zurück« (S. 35). Neben den dort übersetzten Autoren hebt Göll u.a. noch J. Audiberti, B. Cendrars, J. Giraudoux, O.W. de L. Milosz, J. Cocteau und H. Michaux hervor. Dieses vielversprechende Niveau konnte die Zeitschrift aber nicht weiter realisieren. Ein an Heft 2 geklebtes Zettelchen teilte in französischer Sprache mit, daß die Zeitschrift während des Krieges teilweise auf Französisch erscheinen werde, für Frankreichs Literatur) redigiert von I. Göll, für Belgien von R. Franquinet. Im Oktober 1945 erschien der Centaur ohne Hinweis auf die beiden 1939 publizierten Hefte mit neuer Jahrgangszählung im Verlag W.L. Salm, Amsterdam. 28 Der geänderte, jetzt niederländische Untertitel »International cultureel maandblad« deutet schon eine der markanten Änderungen an: der Schwerpunkt hatte sich vom Deutschen ins Niederländische verlagert. Auch wurden jetzt die Texte ausschließlich in der Originalsprache gebracht, vor allem niederländisch, daneben englisch und deutsch. Dazu kam ab Heft 2 auch wieder französische Dichtung (etwa Tzara, Aragon, »Légende de Gabriel Péri«, Göll) zu Wort, anknüpfend an das Heft 2 von 1939. Ab Heft 6 werden als ausländische Korrespondenten A. Comfort und P. Lenda (London), C. Serbanne (Nizza), I. Göll (New York), O. Eidem (Oslo) und H. Politzer (Jerusalem) genannt. Heft 8 bringt Breton, A. Césaire, Heft 9 einen Aufsatz von A. Tate; dann in Jg. 2, Heft 4-6, folgen u.a. Prosagedichte von R. Char und Ph. Jacottet. Weitere Änderungen wie die Einführung von Doppelnummern, ab 1947/48 die Änderung in ein Jahrbuch, deuten auf finanzielle Schwie27

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Ähnliches konstatierte A. Bosquet 1950 in seinem Surrealismus-Buch. Das könnte ein Zufall sein. Allerdings hatten Göll und Bosquet im New Yorker Exil, etwa an der Zeitschrift Hémisphères, zusammengearbeitet und dabei wohl auch eine gemeinsame poetologische Basis gefunden. Beide wollten auch die Führungsanspriiehe Bretons nicht anerkennen - und wurden auch umgekehrt von ihm nicht anerkannt. Die Redaktion hatte sich teilweise geändert: D.A.M. Binnendijk, G. Den Brabander, S. Vestdijk, W. Cordan, DJ. Presser.

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Institutionen der Vermittlung

rigkeiten hin. Dennoch wird die Internationalisierung mit gutem Niveau fortgesetzt, d.h. für die französische Lyrik, die dominierte, mit Char, P. Seghers, Guillevic, J. Cayrol. Es hat eine tragische Komponente, daß die Zeitschrift mit dem Jahrbuch 1947/48 zugleich ihren Höhe- und Schlußpunkt erlebte. Gerade in dem Moment, als ein Mitarbeiterkreis von internationaler Reputation gewonnen war29, kamen die Geld- und Kraftreserven an ihr Ende. Die nächste, nicht mehr erschienene Ausgabe wollte sich dem Thema Eros/Thanatos widmen. Die Sprachenproblematik mag zu den Schwierigkeiten nicht unerheblich beigetragen haben, die eine internationale Etablierung des Centaur verhinderten. Welcher Leser konnte anspruchsvolle Texte in deutscher, niederländischer, englischer und französischer Sprache verstehen? Das Niederländische und das Deutsche wären bei der Geschichte der Zeitschrift und der Zusammensetzung ihrer Redaktion als Hauptsprachen zwar theoretisch in Frage gekommen. Praktisch aber waren das Niederländische international wenig verbreitet30 und das Deutsche moralisch desavouiert.31 Das Projekt brach wie viele, meist auch mit finanziellen Problemen kämpfende Literaturzeitschriften im deutschen Sprachraum zusammen.

4.3.

Ein Beispiel wissenschaftlicher Vermittlung: K. Wais, ed.: Die Gegenwarts-Dichtung der europäischen Völker (Berlin 1939)

Das 1939 von Kurt Wais im Verlag Junker und Dünnhaupt (Berlin) herausgegebene Sammelwerk Die Gegenwarts-Dichtung der europäischen Völker will eine Bestandsaufnahme der wichtigsten europäischen Dichtung »der verstrichenen drei Jahrzehnte«, »jenseits des deutschen Kulturraumes« (S. VII) bieten. Es konnte von seinem Zuschnitt her den Anspruch eines Standardwerkes erheben. Über mein Thema hinaus ist es hinsichtlich des Verhältnisses von Nationalsozialismus und Literaturwissenschaft von einigem wissenschaftsgeschichtlichen Interesse. Das kann hier nicht in allen Einzelheiten ausgelotet werden, sondern nur, so29

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Der letzte Band hatte viele prominente Beiträger, unter anderem: P. Eluard, P. Emmanuel, A. Gide, I. Göll, H. Hesse, K. Ker6nyi, K. Mann, Th. Mann, P. Paulhan, P. Seghers, St. Spender, und gab im Impressum weitere Prominente (T.S. Eliot, Jaspers, Sartre u.a.) als »Mitarbeiter« an. vgl. den Brief von I. Göll, ein polyglotter Literat, an W. Cordan, 29.8. 1946: »Der Juli-Centaur regte mich weniger an als die früheren Hefte, wahrscheinlich, weil ich nicht holländisch lese.« s. den Brief W. Cordan an I. Göll, 21.11. 1945: »Aus naheliegenden Gründen können deutsche Beiträge nicht an erster Stelle stehen«.

Wissenschaft: K Wais, ed.: »Gegenwarts-Dichtung«

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weit es den darin veröffentlichten Stand der Kenntnisse neuester ausländischer Lyrik in Deutschland 1939 betrifft. Das Werk steht im Banne nationalsozialistischer Kulturpolitik. Aber nicht alle Beiträger passen sich im gleichen Maße an. Schon in der Einleitung bemerkt der Herausgeber, daß die Zahl der zu besprechenden Bücher »sehr zusammenschrumpfen müßte, sobald diejenigen Bücher besonders herausgehoben werden sollten, von denen nur ausgesagt zu werden brauchte, sie seien schön« (S. II). Und er fährt fort: »Gewiß soll dies nicht der einzige Maßstab der Dichtung sein, aber der höchste wird es immer bleiben.« Zwar werden dann, wie zu erwarten, »die Verbundenheit mit dem Volkstum und die Verbundenheit mit dem verpflichtenden Erbe des heimischen Schrifttums« als unabdingbare Voraussetzungen wichtiger Literatur genannt, dennoch bleibt das Primat des Ästhetischen vor dem Völkischen und ihm verwandten Normen. Doch werden auch diese sichtbar, wenn im »Verzeichnis der übersetzten Werke« folgender Hinweis steht: »bolschewistisches Schrifttum besonders ist beiseitegelassen worden« (S. 502). Auch das Verdikt gegen die »Entartete Kunst< (1937) kommt in manchen Verkürzungen zum Tragen. Um Dadaismus und Surrealismus wird möglichst ein Bogen geschlagen. Bei anderen zentralen, repräsentativen Autoren der Moderne heben die Beiträger die weniger modernen und daher auch weniger kontroversen Werke hervor. Obwohl distanzierende Urteile gelegentlich heftiger ausfallen als heute vertretbar erscheint, sind sie nicht in allen Fällen Zugeständnisse an die literaturpolitischen Urteile der Machthaber. Sie berühren sich mit ihnen vielmehr von einer ästhetisch konservativen Position aus, die dann nach dem Krieg, vor allem in der akademischen Kritik, weiterwirken konnte. Wenn Wais z.B. jüdische Elemente in Leben und Werk Marcel Prousts abwertend konstatiert, unterwirft er sich (contre coeur?) dem herrschenden Ungeist. Daß es ihm aber andererseits und legitimerweise um die Anwendung traditionalistischer Muster literarischer Formen geht, ist seinen Wertungen ebenso klar zu entnehmen. Es widerstrebt ihm, die (radikal) avantgardistische Literatur überhaupt in Betracht zu ziehen. Seine Rede von der »Salatkunst >DadaismusAsphaltliteratur< galt bekanntlich die Kritik der nationalsozialistischen Literaturpolitik. Wais sieht den modernen Vorsprung der

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Institutionen der Vermittlung

jungen Dichtung Englands und Frankreichs, in ihrem Bemühen »um städtische Verfeinerung und volksfern abseitige Seelenanalyse«, gerade in dem sicheren Bewußtsein der eigenen nationalen Einheit begründet. Es ist möglich, daß H. Plessners These von der »verspäteten Nation< (1935) hier subtil, wenn auch zwiespältig auf die Lage der deutschen Gegenwartsdichtung 1939 angewandt wird. Zwiespältig ist umgekehrt auch die Einschätzung gerade der modernen Dichtung Frankreichs und Englands. Der Romanist Wais sieht sie in der Linie Mallarmé - Valéry, mit der Rilke im Einklang stehe; diese Haltung ist - wiewohl in der Bevorzugung von Formen, auch von Hymnen und Oden (s. Wais' Zustimmung zu Perse), mit der nationalsozialistischen Literaturpolitik vereinbar - eine diese transzendierende und deren Untergang überdauernde Konstante. Auf der Kehrseite steht ein besonderes Mißtrauen gegenüber anderen Modernisten gerade dieser Literaturen (in der Prosa gegenüber Joyce und Proust), also gegenüber Apollinaire, den Surrealisten. Von ihnen wird selbst Eluard überhaupt nicht erwähnt; eben so ergeht es Ezra Pound (der vielleicht als Amerikaner galt). Eliots Hauptwerk The Waste Land darf offensichtlich nicht genannt, aber immerhin indirekt vorgestellt werden. Neben die Aspekte der bürgerlich dekadenten, >subjektiven< Moderne trat bei den Surrealisten der noch größere Beelzebub, der Kommunismus, dem sie sich seit dem Ende der zwanziger Jahre mehr und mehr zugeneigt hatten. Beides zusammengenommen erklärt die radikale Ausblendung oder, wenn es sich nur um Nähe zur Bewegung handelte, Diffamierung. Mehr noch die kommunistische Bindung als die Modernität trägt zur Marginalisierung Majakowskis bei, der in den zwanziger Jahren in Deutschland vergleichsweise breit präsent gewesen war: Mit den politischen Motiven der Wertung lassen sich literarische durchaus auch in diesem Fall kombinieren. Wenn Wais von der Lyrik in der Sowjetunion behauptet, sie verwende bevorzugt »die anspruchsloseste Form, [...] die epigonäre Nachahmung der Prosarhythmen Walt Whitmans« (S. XIV),37 so ist zu assoziieren, daß von beiden Seiten (UdSSR, USA) aus künstlerischen u n d politischen Gründen der Untergang Europas drohe. Poetologische Konstanten und politische Aktualität gehen somit Hand in Hand. Europa als Kulturraum und Europa als Binnenmarkt der Zukunft in äußerer Abgrenzung gegenüber den USA und Japan: in dieser durchaus weitsichtigen von Wais eingenommenen Perspektive, die ihm gewiß von noch weitsichtigeren >Beratern< 37

Sein Kollege Curtius wußte es schon am 14. August 1910 besser. Er schrieb damals an F. Gundolf: »Und dann: ich habe ein tief erregendes Buch gefunden, Whitmans Leaves of Grass. Das ist das stärkste was Amerika produzirt hat und völlig autochthon. Es liegt jenseits von aller unsrer Kultur, Kunst, Tradition« (in: Gundolf 1963:165).

Wissenschaft: K. Wais, ed.: »Gegenwarts-Dichtung«

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nahegelegt wurde, traut er der Lyrik keine internationalen Wirkungen mehr zu. Es mag mit der ihr zugeschriebenen Machtlosigkeit zusammenhängen, daß bei der Darstellung der modernen Dichtung in Europa, von der englischen und französischen und von der kommunistischen (»bolschewistischen«) Literatur abgesehen, doch Freiräume bestanden. Das fiel besonders bei den Artikeln zur italienischen und spanischen, auch zur tschechischen Dichtung auf. Diese Freiräume wurden kompetent genutzt. Von den Mitarbeitern des Bandes haben besonders Galinsky (englisch-amerikanische), Schramm (spanische) und Wais (französische Dichtung) ihre guten Kenntnisse in zahlreichen Artikeln und Büchern nach dem Krieg anwenden, fortsetzen und ausbauen können. H. Friedrich konnte 1956 bei diesem Forschungsstand gerade im Bereich der Romania im wesentlichen den Stand von 1939 zusammenfassen, was die Darstellung der Lyrik des 20. Jahrhunderts betrifft. Der Spielraum der Fremdsprachenphilologien, sich mit moderner ausländischer Dichtung auch in Veröffentlichungen zu beschäftigen, war also offenbar größer als der anderer Bereiche des Literatursystems. Hierzu kann man leicht eine positive, aber auch eine negative Deutung finden: Relikte von Autonomie einerseits und andererseits die Bedeutungslosigkeit von Gegenständen und Darstellungen in der Sicht der Machthaber.

5.

Verzögerte Möglichkeiten der Vielfalt: Zur Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter

5.1.

Französische Dichter

5.1.1.

Apollinaire

Ivan Göll kam in seiner 1919 in Berlin veröffentlichten Schrift Die drei guten Geister Frankreichs, die für die literarische Öffentlichkeit im Schatten von Ernst Robert Curtius' gleichzeitig in Potsdam erschienener, vielbeachteter Pionierarbeit Die literarischen Wegbereiter des neuen Frankreich blieb, von den guten Geistern der Vergangenheit (Diderot, Cezanne, Mallarmé) zu den aus seiner Sicht bedeutendsten Künstlern der Gegenwart, in der Bildenden Kunst zu Picasso, dann Braque und H. Rousseau, in der Literatur zu Apollinaire: »Man wird einmal die Geschichte der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts von der Dichtung >ZöneVorläufern< auch auf dieses Buch verweisen konnten. In der Forschung besteht inzwischen Konsens darüber, daß Apollinaire zwischen Tradition und Moderne steht, an der Schwelle der Moderne u.ä.4 Gölls zeitgenössischer Blick bereichert diesen Konsens um eine Nuance, die für das Verständnis der damals in Deutschland herrschenden poetologischen Normen und damit auch der Voraussetzungen der verzögerten Vermittlung Apollinaires aufschlußreich ist. Göll teilt gelegentlich pathetischer und wirrer formulierend als andere - die Auffassung, der zeitgenössische Dichter müsse »ein geistiger Mensch [sein], verantwortlicher Priester seiner Gemeinde, von einer Sendung erfüllt« (S. 72): eben dadurch zeichne sich Apollinaire aus. Hier ist, und das sollte prononcierter in die Avantgardediskussionen eingehen, die poetische Aufgabe eine gleichsam religiöse, ethisch anregende. Als Schäfchen der Gemeinde Apollinaires nennt Göll ausdrücklich »Max Jacob, Blaise Cendrars, Vincente Huidobro«5 und weist darauf hin, daß »ihr Führer«6 sich den »Überrealismus erfand. Das Kunstwerk soll die Realität überrealisieren, das ist erst Poesie« (S. 74). Literarhistorisch 3

4 5

6

Die kleine Schrift von Brümann 1988, die P. Raabes Index Expressionismus für das Thema umsetzt, also bis 1925 reicht, ist erst nach Abschluß dieses Kapitels zu meiner Kenntnis gelangt. Die Verfasserin hätte sich Arbeit sparen können, wenn sie Jordan 1983 benutzt hätte. s. Warning/Wehle, ed. 1982. Der Chilene Huidobro: die in Paris lebenden ausländischen Dichter brachten oft neue Impulse für ihre Sprachen mit. Aus dem Apollinaire-Kreis sei hier noch der Tscheche St.K. Neumann erwähnt. Der Begriff Führer scheint in den letzten Jahrzehnten außerhalb eines sehr engen historischen Kontextes nicht verwendbar, ohne daß man stockte (vielleicht noch in mildernden Varianten wie Mannschaftsführer, Marktführer). Dabei war er noch in den zehner und zwanziger Jahren auch unter Intellektuellen ein Standardbegriff, auch in positiv-utopischen Visionen. Noch nach 1950 gebrauchten ihn etwa Adorno und H. Friedrich, die ihn in jungen Jahren so kennengelernt hatten, ohne Anführungszeichen.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter

interessant ist diese Interpretation, über das am konkreten Beispiel erprobte Postulat einer quasi-religiösen Rolle des Dichters hinaus, wegen der Verwendung des Begriffes »Überrealismus«. Göll, der diesen Begriff (natürlich auch Surréalisme) für sich von Apollinaire herleitete, meinte damit dessen legitimer Erbe zu sein. Es ist bekannt, daß die Kollegen des Kreises um Breton da ganz anderer Meinung waren. In seinem Versuch, Apollinaires Poetik zu entwickeln, hebt Göll ihr Neues, ihren antitraditionellen Zug hervor, in dem er auch futuristische Anregungen aufspürte.7 Die Dichter des Apollinaire-Clans seien dabei, »die Brücken hinter sich [zu verbrennen] und aus dem großen, gesetzlosen Chaos des Lebens ihre eigenen Kunstregeln zu holen. [...] Jedes Gedicht folgt so seinem eigenen Gesetz« (S. 75). Die gute Beobachtung weist über Apollinaire hinaus und beschreibt eine Tendenz moderner Lyrik, sich möglichst weit von Regelpoetiken zu entfernen: in wachsender Beschleunigung bei der Entwicklung neuer Formen, der Kombination von Formen und den daraus resultierenden Schwierigkeiten, für solche Dichtung analysierende Raster zu entwickeln, mit denen ihre jeweiligen Eigenarten präzise erfaßt, beschrieben, verglichen werden können, Schwierigkeiten, die bis heute virulent sind. Als weiteren Zug, in dem wir heute leichter die Fernwirkungen romantischer Poetologien ausmachen können, sieht Göll bei Apollinaire untergründig (was 7

In der gleichen Buchreihe wie Zone war 1912 F.T. Marinetti: Futuristische Dichtungen (in der Übersetzung von Else Hadwiger) erschienen, die aber in ihrem Innovationsgrad deutlich hinter dem Anspruch des futuristischen Programms zurückbleiben, wie sehr schön Rudolf Kurtz, Dostojewski-Übersetzer, in seiner Vorbemerkung zu diesem Bändchen (15 S.) entdeckte. Zwar ist auch der Futurismus zu den Impulsen zu rechnen, die in »Zone« eingegangen sind. Doch setzt sich Apollinaire, z.B. in den Versen 4-6 »Ici même les automobiles ont l'air d'être anciennes La religion seule est restée toute neuve la religion Est restée simple comme les hangars de Port-Aviation« in ironischer Umkehrung von Marinettis Automobil- und Flugzeugverherrlichung und dessen Verspottung der abendländischen Traditionsbestände ab: hier sind die Automobile alt, und die christliche Religion ist neu (V. 8): »L'Européen le plus moderne [für den sich Marinetti hielt] c'est vous Pape Pie X [ein anderer Italiener!].« Wenn die Lesart der >Kollegenschelte< (gewiß ließen sich sachliche Differenzen ausmachen, aber es gab viele Eifersüchteleien unter den Avantgardisten, die in deren Selbstdarstellungen und dekretierten Ansprüchen auf Führungsrollen im Prozeß künstlerischer Innovation begründet sind) richtig ist, könnten sich zur Frage nach der Religiosität dieses Gedichtes etwas andere Antworten ergeben.In einer Verlagsankündigung hieß es damals beschwichtigend über das skandalträchtige und epochemachende, im gleichen Jahr 1912 in eben dieser außerordentlich gewichtigen Reihe kleiner Bändchen erschienene >Buch< von Gottfried Benn: »Morgue u.a. Gedichte sind vergriffen und wird nicht wieder aufgelegt.« Eine Lösung des Schockproblems!

Apollinaire/Goll

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bei den Surrealisten radikal und kunsttranszendierend werden sollte) die Lebensnähe der Gedichte, ohne dabei in seiner Darstellung Widersprüche vermeiden zu können: »ihre Technik besteht darin, das Leben an sich, in substanzia, zu versinnbildlichen [?], so ehrlich und einfach wie möglich. Äußerlich erscheinen daher die Gedichte wie ein Chaos von Trivialitäten, seltenen Vergleichen und Gefühlsüberschwängen; keine ganzen fortlaufenden Sätze, manchmal nur Silben [!], abgerissene Bilder - aber wenn es möglich wäre, täten sie wie ihre Brüder, die Kubisten, und würden am liebsten Zeitungsausschnitte oder Postkartenlandschaften in den Band kleben« (S. 75). Göll stellt richtig Apollinaire und die ihm zugerechnete Gruppe in die Nähe zur Bildenden Kunst 8 und benennt damit einen weiteren wichtigen Faktor dieser Poesie. Die Kombination von Heterogenem, seien es Bilder oder äußere Formen, unter Einschluß des Trivialen und Alltäglichen machte Apollinaire bedeutsam als Neuerer, der, jedenfalls in etlichen wichtigen Texten, wenn auch keineswegs überwiegend, die Stimmigkeit des einheitlichen Stils aufgibt. Bereits in Gölls Verständnis generieren sich also Apollinaires Gedichte, gedacht war wohl vor allem an »Zone«, durch Addition heterogen gestalteter Elemente: »Jede Zeile bei Apollinaire ist ein Leben für sich, abgerundet und abgeschlossen, eine Gasse, ein Mensch, eine Landschaft: aus solchen Gefügen ballt sich dann ein Gedicht und weitet sich zu einer Welt, einem Kosmos, wie wir sie ja vom Leben gewöhnt sind« (S. 72f.). Ganz so einfach, mit den einzelnen Versen als gegeneinanderstehenden, in sich geschlossenen Sinn- und Bildeinheiten, baut sich etwa »Zone« freilich nicht auf. Doch das Gespür des frühen Kritikers täuschte insgesamt nicht: ein solches Gedicht ergibt sich aus der Kombination von verschiedenen internen Strukturen und Strukturandeutungen und nicht aus der Befolgung eines vorgegebenen Schemas. Die Kohärenz des Textes ist reduziert, das >glissement< der Bildfelder, der Zeitebenen, die Mischung aus Kontrasten und Übergängen auch zwischen Metaphorik und Metonymie stellt Offenheit her.9 Dabei enthält es doch viele konventionelle, traditionelle Elemente, verwendet metrisch durchgebildete u n d freie Verse, verzichtet auch nicht konsequent auf den Reim. Vielleicht war Göll in dieser Hinsicht - wie der zeitgenössische Übersetzer10 - der Suggestion erlegen, welche die er8

9 10

Das Calligrammes miteröffnende »Les Fenêtres«, stellt, nicht ohne programmatische Aspekte, einen Bezug zur Malerei Delaunays her; zuerst veröffentlicht wurde es zu Beginn des Katalogs der Berliner Delaunay-Ausstellung 1913. Apollinaire trat in Berlin zuerst als Kunstkritiker auf. s. z.B. Stierle 1982. Die deutsche Übersetzung Cahéns ist am Anfang reimlos; ein Grund ist nicht zu erkennen.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

sten Verse von »Zone«, jeweils von einer Leerzeile getrennt, erzeugen mögen. Sie müssen vielmehr mit den Versen 4 - 6 zusammengelesen werden: A la fin tu es las de ce monde ancien Bergère ô tour Eiffel le troupeau des ponts bêle ce matin Tu en as assez de vivre dans l'antiquité grecque et romaine Ici même les automobiles ont l'air d'être anciennes La religion seule est restée toute neuve la religion Est restée simple comme les hangars de Port-Aviation Die einzelnen Verse sind paarweise gereimt, wobei die Verse 1 und 2 mit 3 und 4 zusätzlich unrein [è - e] reimen. Auch im weiteren ist das Gedicht von Reimen und Halbreimen, darunter auch witzigen (tchèques - pastèques) geprägt, ein Indiz für den - virtuos gehandhabten - Rückgriff auf die Tradition, während der erst in den Fahnen des Erstdrucks realisierte Verzicht auf Interpunktion in seiner damals noch schockierenden Neuartigkeit modernistisch nach vorn weist. Weitere Traditionsbezüge ergaben sich durch den Typ des Großstadtgedichtes, auch durch die Annahme der Rolle des (Baudelaireschen) Flaneurs, in der man das lyrische Ich sehen kann. 11 Es kann also bei »Zone« keine Rede davon sein, daß alle Brücken, die zur Literatur der Vergangenheit führten, abgebrannt waren. 12 Eine solche Perspektive darf daraus abgeleitet werden, daß Göll als einem - in dieser Hinsicht wohl typischen - Zeitzeugen vor allem das Innovatorische des Textes ins Auge fiel. Sein Enthusiasmus für diesen französischen Dichter fand nach dem Krieg hier nur wenige Anhänger. 13 Gölls Sicht auf Apollinaire, die erst sehr viel später eine breite Bestätigung finden sollte, ist hier ausführlich reflektiert worden, weil in ihr ein großer Teil der Anregungen aufscheint, welche Apollinaires Lyrik 11

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13

Das Gedicht baut sich aus den Wahrnehmungen und Erinnerungen des lyrischen Ich bei einer eintägigen Wanderung durch Paris auf. In dieser Hinsicht ist die Ähnlichkeit mit dem Roman Ulysses (1922) von James Joyce unverkennbar. Im Anschluß an Nies 1982 muß sogar betont werden, daß »Zone« den Rahmen >Gedicht< nicht sprengen sollte, worauf man bald darauf im Dadaismus durchaus abzuzielen begann. »Zone« eröffnete 1922 die französische Abteilung in Gölls Anthologie Les Cinq Continents (s.S. 93). Sein Gedichtband Der neue Orpheus (1918) läßt sich auch auf Apollinaire zurückbeziehen (s. die Orphde-Gcdichte in Alcools)-, s. auch »Brief an den verstorbenen Dichter Apollinaire«. In: Die weißen Blätter 6, 1919, S. 78f.

Apollinaire: Schwache Rezeption in den zwanziger Jahren

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nicht nur für die französische, sondern auch für die deutsche Dichtung enthielt. Gewiß ist der noch vom expressionistischen O-Mensch-Pathos geprägte (bei ihm besonders) spirituelle Zug Gölls schon damals nicht jedermanns Sache gewesen. Daß der von ihm gepriesene Dichter sich nicht durchsetzen konnte, liegt eher in Apollinaires Gedichten begründet. Seine vielfältigen Schreibweisen, die von postsymbolistischen bis zu typographisch experimentellen, am Futurismus geschulten Gedichten reichten,14 die teilweise quasi simultanistische Technik, die heterogene Weltbereiche verband, dabei auch das Alltägliche und Banale einbezog, und seine Nähe zur Bildenden Kunst, insbesondere dem Kubismus Delaunays und Picassos, entsprachen nicht der dominanten Linie des gehobenen Stils, des einheitlichen ernsten Tons, welche die deutsche Lyrik beherrschten.15 Apollinaires geringe Bedeutung in der literarischen Diskussion der zwanziger Jahre in Deutschland hängt mit der Distanz zu den entscheidenden poetischen Normen in Deutschland zusammen, welche George, Hofmannsthal und Rilke prägten. Aus dieser Perspektive mußte Apollinaire als eklektisch oder spielerisch (mit negativer Konnotation) erscheinen, die Tendenz, Elemente der Bildenden Kunst aufzunehmen, als unrein. Es mag auch mit dieser Konstellation zusammenhängen, daß sich, anders als bei Valéry (Rilke) und später W.H. Auden (Benn) kein bedeutender deutscher Dichter fand, der sich für ihn einsetzte. Wenn Apollinaire in den zwanziger Jahren genannt wurde, geschah dies zunächst oft aus der Blickrichtung der Bildenden Kunst. So erschien er als Künstler (Aquarell) und Kunstexperte (mit einem Artikel zu G. Braque) 1921 im Querschnitt16, bevor er dort 192417 mit Gedichten vorgestellt wurde. Die spärlichen Übersetzungen 14 15 16

17

s. auch Raible 1972. Natürlich gab es auch Strömungen, welche die zehner Jahre fortsetzten, auch die Ausbildung von Chanson/Kabarett. Brecht markiert 1927 mit der Hauspostille einen neuen Ton. André Salmon, auch Dichter, und Marie Laurencin, ehemalige Freunde Apollinaires, waren Korrespondenten bzw. Mitarbeiter der Galerie Flechtheim in Düsseldorf; der Kunsthandel setzte auf der Grundlage seiner ökonomischen Interessen damit den internationalen Zusammenhalt der Avantgarde auch für die Literatur fort. H. v. Wedderkop, der Herausgeber des Querschnitt wurde, hatte ein Buch über M. Laurencin geschrieben. Der Entwurf zu einem Exlibris Apollinaires eröffnete das Vorheft des Jahresbandes 1921. »Der Reisende« aus Alcools. In: Der Querschnitt 4, 1924, S. 306f.. Ü: W. Petry (auch in den Hören 4, 1927/28) und ebd. 6, 1926, S. 443-452: »Der Allgegenwärtige«, Prosa aus I l y a , autorisierte Ü: G. Fanti.Hervorzuheben ist der längere Artikel von R. Grey: »Guillaume Apollinaire«, ebd., 5, 1925, S. 137-146, der Apollinaire sehr lobt, Alcools für »das bedeutendste Gedichtebuch seit Rimbaud« (S. 142) hält und aufgipfelnd schließt: »Die >Calligrammes< und die sie umgebenden Gedichte sind der letzte lyrische Beitrag von höchstem poetischen Wert, der in engster Verbindung steht mit

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Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter

in den zwanziger Jahren, aus denen der M e n g e nach schon die j e fünf Gedichte hervorragen, die J. Kalmer 1 9 2 7 (in seiner A n t h o l o g i e Europäische Lyrik, S. 2 3 - 2 8 ; s.S. 9 7 ) mit » D i e Glocken«, »Salome«, »Schatten«, » B a u m « und » W e i s s a g u n g e n « und W . Petry mit »Signum«, »Der Reisende«, »Der Nachtwind«, »Kranker Herbst«, »Der Emigrant v o n Landor Road« (in: Die Hören, 4, 1927/28, S. 7 7 - 8 1 ) vorlegten, sow i e die geringe Zahl der Artikel (die z u d e m nicht selten auch kritische T ö n e anschlagen 1 8 ), in denen Apollinaire gewürdigt wird, sind Indikatoren seiner eher marginalen Präsenz. Verwunderlich ist die nicht weiter erläuterte Behauptung v o n Gy.-R. in der Literarischen Welt am 30. N o vember 1 9 2 8 in B e z u g auf Deutschland: »Sein Werk ist weit über die Grenzen Frankreichs einflußreich geworden und hat besonders auf v i e l e deutsche Autoren nachhaltig gewirkt.« D a s entsprach w o h l eher dem Wunsch des Verfassers als der Wirklichkeit. G e g e n Ende der zwanziger und dann auch in den dreißiger Jahren galt Apollinaire, ohne daß er selbst bekannt war, als Vorläufer des Surrealismus. 1 9 D i e s e Perspektive, die seine Bedeutung im Rückblick v o m

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dem Gesaratgut des [der?] Genies aller Zeiten«. Auch die beigefügten Abbildungen (u.a. eine Skizze Picassos für ein Exlibris des Dichters und das Gemälde »Apollinaire und seine Muse« von H. Rousseau, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Prisma 1948, H. 17, S. 17 mit zwei Übersetzungen durch F. Kemp erneut für Apollinaire warb) sollten die Bedeutung des Dichters unterstreichen. Allerdings werden Freiheit und Wildheit seines Lebensstiles, die Grey herausstellt, durch die Übersetzungen von W. Petry (»Der Nachtwind«, »Kranker Herbst«) im Anschluß an den Essay nicht bestätigt.Zitiert sei Michel Leiris, der in seinem Bericht aus Paris, ebd., 6, 1926, S. 685688 (»Paris - Minuit«) Apollinaire streift (S. 688): »In dieser Bar, bei dieser Mulattin [einer Sängerin], die ganz gewiß der von Apollinaire erwähnten, die >die Poesie erfand«, ähnlich ist, habe ich die tiefsten Stunden meines Lebens verbracht.« Leben und Poesie gehen bunt ineinander über. P. Dubray in Orplid, 1925/26, S. 82: »[es] war leider der Hauptvertreter dieser Richtung [Kubismus], Guillaume Apollinaire, jedes grossen schöpferischen Schwunges unfähig. >Sein bunt durcheinandergewürfelter Kosmopolitismus mutet wie ein alter Trödelladen an< (Duhamel). Seine Einbildungskraft entstammt nur Büchern. [...] In seiner >Art poétique« erklärt er wie folgt seine Auffassung des Gedichts: >Nur seiner selbst wegen, d.h. aus der Übereinstimmung der sich gegenseitig stetig auslösenden Bilder und Worte, besteht das Gedicht!«« In seiner Rezension des EuropaAlmanach, ed. C. Einstein/P. Westheim. Potsdam 1925, schrieb K. Tucholsky in der Weltbühne 15, 1925: »Das ist >mutigSürrealismusGipfel< der zweiten Welle moderner Lyrik im 20. Jahrhundert relativierte, hielt sich vielfach bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Unter diesem Signum fällt nun eine Aufmerksamkeit auf ihn, um die freilich noch geworben werden muß. So wollte W. Benjamin (Literarische Welt, 21.6.1929) ausdrücklich »die Aufmerksamkeit nachhaltiger auf Guillaume Apollinaire lenken« und verfaßte zu diesem Zweck in der »Französischen Buch-Chronik< im Rahmen seiner Artikelsammlung »Bücher, die übersetzt werden sollten« auch eine Besprechung von Apollinaires Le Flaneur des deux rives (postum, 1928) - die er selbst als Vorwand enttarnt um sich der Leitlinie der Rubrik, nur Neuerscheinungen zu besprechen, anzupassen. 20 Apollinaire erscheint als Zauberer, der Futurismus, Dadaismus und »Sürrealismus« propagierte und letzteren Begriff prägte. In der Verbindung von »Schreiben und Dasein«, der Einheit von Literatur und Leben war eine Innovation angelegt. Benjamin sieht hellsichtig Apollinaires zentrale Rolle für die Entwicklung der modernen Poesie: »Die Gedichte sind für seine Generation entscheidend geworden« (S. 8). Er vergleicht seine Inspiration mit der Mallarmes und konstatiert dabei einen Antagonismus zwischen beiden, zwischen »tour d'ivoire« und Alltag. Aber Benjamins Lob blieb folgenlos.21 In den literaturgeschichtlichen Werken am Ende des ersten Jahrhundertdrittels spielt Apollinaire eine geringe Rolle, zumal als Lyriker und also im Gegensatz zur heutigen Einschätzung. Das gilt z.B. für W. Schuster/M. Wieser, ed.: Weltliteratur der Gegenwart. 1890-1931 (2 Bde., Berlin 1931), die sich in der Lyrik an Borchardt (und Rilke) orientieren, bis zu K. Wais, ed. Die Gegenwarts-Dichtung der europäischen Völker22 (1939). Bei den ersteren liegt das überwiegend an den literarischen Auffassungen der Herausgeber, bei dem letzteren kommt dazu auch noch das Verdikt des Nationalsozialismus über »Entartete

20 21

der Literarischen Welt, 31.10. 1931; 1939 im Centaur, H. 2, S. 33 von I. Göll als Vorläufer der »Revolution der französischen Lyrik« bezeichnet, ähnlich auch im Plan 1947, H. 4. Die Notwendigkeit, hier einen Kniff zu gebrauchen, weist mahnend auf die Beschränktheiten hin, die sich daraus ergeben können, nur das Allerneueste in den Blick zu nehmen. Klinger 1976:329 konstatiert zum österreichischen Lyriker W. Riemerschmid (1895-1967): er »hatte sich bereits in seinem ersten Buch, Das verzauberte Jahr ( 1 9 3 6 ) , an APOLLINAIRE, LAUTRÉAMONT, ÉLUARD a n g e s c h l o s s e n « ; s. a u c h S .

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140f. s. dort den Beitrag des Herausgebers; noch behutsam, aber doch schon spürbar schieben sich auch in das Vorwort von Schuster/Wieser >völkische< Töne.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter

Kunsu. 23 Während in Wais' Sammelband ein Einfluß auf die tschechische Lyrik erkannt wird (S. 415), findet sich in einem anderen Werk 24 gleichzeitig (1938) ein Hinweis seiner Wirkung auf Ungaretti, so daß Wais' abwertende Darstellung in seinem Artikel zur französischen Dichtung durch Belege für Apollinaires internationale Wirkung, teils sogar in seinem eigenen Sammelband, subtil konterkariert wird. Zusätzlich erschwerend könnte sich damals für die Apollinaire-Rezeption in Deutschland ausgewirkt haben, daß dieser einige Kriegsgedichte geschrieben hat, in denen die Deutschen nicht gut wegkamen. 25 Es dürfte wie nach dem Ersten, so auch nach dem Zweiten Weltkrieg das Spielerische und Uneinheitliche bei Apollinaire gewesen sein, was den Wunsch nach rascheren Bemühungen um breitere Vermittlung dämpfte. Der Bedarf an weltanschaulichen Tröstungen und Stützen nach den gerade zurückliegenden Katastrophen ließ sich bei anderen Autoren, sei es in katholischer Richtung durch T.S. Eliot, in kommunistischer durch Eluard und Aragon, besser befriedigen. Zwar erschienen jetzt wieder etliche Übersetzungen in Anthologien und Zeitschriften. 26 Den ersten mit »Zone« eröffneten zweisprachigen Sammelband legte F. Klee-Palyi aber erst 1953 vor. F. Usinger schrieb treffend in seiner Einleitung (S. 10f.): Guillaume Apollinaire [...] ist in Deutschland völlig unbekannt. Selbst der Name drang kaum über die Grenzen herüber. Wenn man einen Grund für diese Verborgenheit Apollinaires angeben will, so muß man ihn wohl in dem Entwicklungsstand der zeitgenössischen deutschen Lyrik suchen. Jahrzehntelang war hier der Einfluß Rilkes beherrschend, und die Ausstrahlung seiner >Duineser Elegien< wirkt bis in unsere Tage fort und findet nun einen gewissen Anschluß an den elegienartigen Gedichten Eliots. Während die französische Dramatik bei uns das Feld beherrscht, blieb dagegen die französische Lyrik, mit Ausnahme der von Rilke übersetzten Gedichte Valörys, ausgeschlossen und kam noch nicht einmal zu Ansätzen irgendeiner Einwirkung. Während der französische Existentialismus zu einem erfolgreichen Publikumsthema in Deutschland wurde, gewann der Surrealismus nur in der Malerei Boden, wurde aber für die Literatur nicht fruchtbar. Alles, was die französische Lyrik seit Apollinaire an neuen Ausdrucksmöglichkeiten gewann, ist in Deutschland noch keiner Prüfung unterzogen und noch nicht verarbeitet worden./ Hier scheint sich nun eine Wandlung vorzubereiten.

23

24 25 26

Noch immer ist der Zusammenhang zwischen nationalsozialistischer Kulturpolitik und Literaturwissenschaft ungenügend erforscht; s. Wulf 1963, Strothmann 2 1963, Ketelsen 1976, Ketelsen 1992.

F. Schirr, in: Die romanischen Literaturen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 2, T.2, S. 68 (= Handbuch der Literaturwissenschaft, ed. O. Walzel). s. dazu Asholt 1987:403-413. s. auch die Artikel z.B. von Giedion-Welcker 1945, Neukomm 1945, beide in der Schweiz veröffentlicht; Eitzbacher 1949, Kemp 1949/50, Zeltner-Neukomm 1950, Rosengarten 1954, Warnier 1954, Haug 1955.

Apollinaire: Nachholende Vermittlung nach 1945

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Diese Analyse gibt wesentliche Gründe für die »Verborgenheit« Apollinaires in Deutschland richtig wieder, wenn sie auch die neusten Wirkungen anderer französischer Dichter der jüngeren Vergangenheit unterschätzt. Nicht benannt sind die schon erwähnten kulturpolitischen Sperren 1933-1945. Immerhin waren an dieser Apollinaire-Auswahl als Übersetzer u.a. Max Hölzer, Karl Krolow und Paul Celan beteiligt, eine unter dem Aspekt effektiver Vermittlung und tiefreichender produktiver Wirkung wesentliche Verbesserung. Daß der Nachholbedarf aber auch durch diesen Sammelband nicht gestillt war, zeigt 1957 Krolows Anthologie Die Barke Phantasie, die er mit Gedichten Apollinaires eröffnete, obgleich sie Zeitgenössische [!] französische Dichtung, so der Untertitel, präsentieren sollte.27 Krolows und Celans Engagement für die Lyrik Apollinaires trug zum Eindruck mit bei, dieser sei der spätsymbolistischen, hermetischesoterischen Richtung der modernen Lyrik zuzuschlagen. Wenn Rolf Dieter Brinkmann 1970 (Frankfurt a.M.: März) einer Werkauswahl des jungen US-Amerikaners Ted Berrigan den Titel gab Guillaume Apollinaire ist tot, dann wollte er, wie J. Theobaldy und G. Zürcher 1976 ihre programmatische Darstellung nannten, eine Veränderung der Lyrik herbeischreiben. Zwar stammte jener Titel aus einem Text von Berrigan. Dieser wollte damit aber nicht, wie man es Brinkmann unterstellen darf, Apollinaire als Ahnherr einer verstaubten, lebensfernen Dichtung desavouieren. Berrigans >Hitliste< der zehn besten Bücher des Jahres 1968 nennt an erster Stelle Apollinaire: Oeuvres poétiques. Offensichtlich hatte er eine positivere, vielleicht auch auf besserer Kenntnis beruhende Einstellung zur Tradition der europäischen Avantgarde im 20. Jahrhundert und sah den eigenen Zusammenhang mit der Verbindung von Poesie und Leben, dem Alltag, dem Parlando-Ton bei Apollinaire deutlicher.28 Vielleicht verstellten rezeptionsbedingte Stereotypen von der hermetischen französischen Lyrik, vielleicht verstellten die Perspektiven der deutschen Apollinaire-Vermittler der fünfziger Jahre29

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Im gleichen Jahr erschien die erste, noch unselbständige Gedichtveröffentlichung des fünfundzwanzigjährigen Jürgen Becker: »Zonen« (in: Lyrische Blätter, Nr. 12, S. 3f.) und schloß sich, schon im Titel, an Apollinaire an. Ohne produktive Schlüsse daraus zu ziehen, nahm Brinkmann 1969 immerhin wahr, daß die von ihm vermittelten jüngeren amerikanischen Lyriker französische Lyriker der Moderne durchaus positiv aufnahmen: »besonders in den Publikationen der New Yorker Lyriker finden sich direkte Verweise auf Apollinaire, Max Jacob oder Reverdy« (zitiert nach: Brinkmann 1982:252). Neben den genannten Übersetzern (1953 usw.) kommen ähnlich noch die Übersetzer des größeren Apollinaire-Auswahlbandes Poetische Werke, ed. G. Henni-

130

Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter

Brinkmann schon im Vorfeld den Blick auf ihm nahe und dem S y m b o lismus abgewandte Seiten bei Apollinaire.

5.1.2.

Aspekte der Vermittlung und Wirkung des Surrealismus

Kaum eine andere Kunstbewegung des Jahrhunderts erreichte eine ähnliche internationale Ausstrahlung w i e der Surrealismus. Dabei geriet der Begriff oft zu einem Phantom, v o n d e m sich jeder sein eigenes B i l d des N e u e n oder Inkommensurablen der Gegenwartskunst machte. B e z e i c h nete er zunächst eine historisch recht genau benennbare Gruppe und ihr Programm, verdünnte er sich, nicht zuletzt durch die Literaturkritik in den fünfziger Jahren, zu einem Allerweltsetikett. Dieser Flut v o n Surrealismus in der deutschen Nachkriegsliteratur und -kritik war am Anfang der Vermittlung für längere Zeit ein bloßes Tröpfeln vorausgegangen. Zwar gab es rasch einzelne Nachrichten 3 0 über die neue B e w e gung, deren Kern die (einer Sekte oder Partei nicht unähnlich) v o n A . Breton geführte Gruppe ausmachte. S i e konnte den Begriff als Mar-

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ger (Neuwied/Berlin 1969) aus der Linie eines gedämpften, >feinen< (salopp gesagt: georgisch angehauchten) Surrealismus vom Anfang der fünfziger Jahre. Es ist signifikant, daß die umfangreiche Darstellung von Weisgerber, ed. 1984:392-520, die sich der frühen (bis ca. 1940) Ausbreitung des Surrealismus widmet, fast alle europäischen Literaturen (und sogar Lateinamerika, Nordafrika) berücksichtigt, nicht aber die deutsche. Da es mir hier ausschließlich um Aspekte der Vermittlung geht, verzichte ich darauf, eine Auswahl aus der inzwischen sehr umfangreichen Literatur zum Surrealismus zu geben. - Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, das allerdings wichtige Verhältnis Dadaismus-Surrealismus zu behandeln; s. dazu z.B. Bürger 1971:37-51. Von den frühen Erwähnungen des Surrealismus nenne ich ferner Arcos 1925:71f. über den »Überrealismus« (einmal auch »Überradikalismus« genannt: Setzerfehler?), an dem er die Bedeutung des Traumes hervorhebt: »Die Theorie [!] des Übenealismus enthält manch geistvolle Beobachtungen; sie bekundet vor allem eine Unabhängigkeit, die sympathisch wirkt. Die Werke, die er bisher hervorbrachte, sind allerdings ein wenig verworren. Ich zweifle, daß man über dem >Poisson [soluble]< [Bretons] die genialen, von zahlreichen, unvergleichlich leuchtenden Blitzen durchzuckten Divagationen Rimbauds vergessen könnte.« - E.Joseph: »Surréalisme.« In: Das Kunstblatt 9, 1925, S. 121-123; verschiedene Erwähnungen im Querschnitt 6, 1926, für den R. Crevel 1924 rezensiert hatte; M. Brion: »Überrealismus.« In: Individualität 1, 1926/27, Buch 4, S. 107-113, sieht gut, daß im Programm des Surrealismus eine isolierbare Ästhetik nicht vorhanden ist: »Die Methode schliesst insofern jede ästhetische Absicht aus, als sie sich keine Gedanken darüber macht, ob das Werk schön oder unschön sei, und ferner jede moralische Intention, als sie sich um die Folgen, die diese oder jene Produktion nach sich ziehen könnte, nicht im geringsten kümmert. Schon darin unterscheidet sich der Überrealismus vollständig von den vorangegangenen Schulen, die sich stets ein ästhetisches Element zum Ziele gesetzt haben« (S. 109).

Surrealismus

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kenzeichen für sich erobern31. In Deutschland kursierten neben Surrealismus zunächst auch Surrealismus, Superrealismus und Über31

I. Göll hatte seit Ende der zehner Jahre versucht, den von Apollinaire hergeleiteten Begriff Surrealismus zu besetzen, ohne Erfolg. Allerdings meinte er zum Teil etwas anderes, Traditionelleres, die Transposition der Wirklichkeit auf eine höhere Ebene im Gedicht. Darauf gründete schon M. Nadeaus Urteil, »daß diese Art von Surrealismus etwas radikal anderes will als der Surrealismus BRETONS« (Nadeau 1965:59). Genau parallel mit Breton veröffentlichte Göll ein »Manifeste du surréalisme« in der eigens gegründeten Zeitschrift Surréalisme, deren einzige Nummer im Oktober 1924 in Paris erschien. Sie nennt als Mitarbeiter Apollinaire, M. Arland, P. Albert-Birot, R. Crevel, J. Delteil, R. Delaunay, P. Dermée, J. Painlevé, P. Reverdy. Gölls Manifest erklärt das dichterische Bild zum obersten Kriterium für das Gedicht: »Les plus belles images sont celles qui rapprochent des éléments de la réalité éloignés les uns des autres le plus directement et le plus rapidement possible.« Das ist nun nicht so weit ab von der Poetologie selbst Bretons, wie es der französische Kommentator (s.o.) vielleicht gerne hätte. Vorformuliert hatte das P. Reverdy im März 1918 in Nord-Sud (Nr. 13) in »L'Image«: »L'Image est une création pure de l'esprit. Elle ne peut naître d'une comparaison mais du rapprochement de deux réalités plus ou moins éloignées. [...] On crée [...] une forte image, neuve pour l'esprit, en rapprochant sans comparaison deux réalités distantes dont l'esprit seul a saisi les rapports« (zitiert nach Reverdy 1975:73-75.- In: Le Gant de crin (1927) wurde übrigens aus den »deux réalités distantes« »deux réalités très distantes«. Göll wendet sich auch, in teilweiser Übereinstimmung mit Breton, gegen »logique, esthétique, effets de grammaire, jeux de mots« (letzteres gegen R. Desnos?) und erhebt für den Surrealismus einen internationalen Führungsanspruch. Seine Attacke gegen Breton & Co., »cette contrefaçon du surréalisme, que quelques ex-dadas ont inventée pour continuer à épater les bourgeois, sera vite mise hors de la circulation« war eine Herausforderung. Gölls Poetik unterschied sich von Bretons Programm vor allem darin, daß er dessen Applikation der Thesen Freuds auf die Poesie, die Hochschätzung des Traums sowie eine damit zusammenhängende écriture automatique strikt und ausdrücklich ablehnte (was einige Surrealisten dann später auch taten). Ihm ging es noch um ein bewußtes Kunstwollen. Auf dem Rückumschlag des schmalen Heftes wird ein »Théâtre Surréaliste« angekündigt (mit Stücken von Apollinaire, G. Kaiser, A. Stramm, A. Bronnen, W. Majakowski, R. Vasari u.a.), zu dem auch einige namhafte internationale Regisseure ihre Mitarbeit angekündigt hätten (darunter neben Meyerhold aus Moskau auch K.H. Martin und F. Kiesler aus Wien, Prampolini und Bragaglia aus Rom). Daraus wurde nichts: Der nötige Mäzen fand sich offensichtlich nicht. Es kam mit Breton (und seiner Gruppe) zu auch handgreiflichen Auseinandersetzungen, bei denen Göll natürlich den kürzeren zog und praktisch geächtet wurde. Noch unveröffentlichte Briefe (bzw. Briefentwürfe) Gölls an Breton in New Yorker Exil zeigen, daß Göll lange unter seiner >Anmaßung< und Attacke zu leiden hatte. Aus London berichtete V. Tree im Querschnitt 1926, S. 99: »Dann ist da Clive Bell, der laute und temperamentvolle Kritiker, er hat das Wort >Surrealist< kreiiert und entdeckt jeden Tag einen neuen Maler.« Wer war der Erste? Wer durfte sich zurecht so nennen? Auch die Kubisten und Futuristen hatten sich gestritten, wer als erster die Kategorie >simultanéité< in die Diskussion gebracht hatte.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

realismus. Aber die Zustimmung zur neuen Bewegung hielt sich in Grenzen. O. Forst-Battaglia ( 2 1928) prägte den Begriff der phytischen Lyrik, der auch V. Klemperers Zustimmung fand, und wandte ihn auf den Surrealismus an. Er steht ihm gespalten, aber doch überwiegend negativ gegenüber. Zwar nennt er Breton, Eluard, Dermee und Reverdy als gute Lyriker des Surrealismus. Konkret lobt er aber nur Reverdy, für ihn die »stärkste Persönlichkeit des Superrealismus« (S. 397). Er habe in ihm »eine feierliche Note (Epreuves du ciel, 1924)« bewirkt. 32 Andererseits entsetzt er sich über Eluard: »Eluards und Vitracs Poesien sind Wahngebilde eines Schizophrenen, Halluzinationen eines Haschischrauchers, der sich durch den Anblick von unbeschriebenem Papier in Ekstase versetzt. Der Trauminhalt mag dann auch ganz schön sein. Doch es ist unsicher, ob er in die Literatur oder als Material auf die psychiatrische Klinik gehört. In Eluards Lyrik [...] überwiegt das Medizinische« (S. 319). Als wichtige zustimmende Ausnahme kann der bereits oft zitierte Artikel von W. Benjamin: »Der Sürrealismus. Die letzte Momentaufnahme der europäischen Intelligenz« {Die literarische Welt, 1.2.1929) dienen. Er begriff wohlwollend den revolutionären Gehalt, welcher im intendierten Übertritt der Kunst ins Leben steckte. Die Bedeutung von Benjamins Surrealismus-Artikel liegt darin, daß er sowohl die Radikalität des Surrealismus in der Überschreitung des autonomen (selbstgenügsamen) Kunstraumes als auch das große Wirkungspotential der Bewegung richtig einschätzt und sehr differenziert darstellt. Seine dichte Literaturkritik stellt das besprochene Objekt in vielfältigen Zusammenhängen mit Geist und Geistern der Zeit dar. 33 32

33

Zum positiven Urteil über Reverdy trug für Forst-Battaglia auch dessen religiöse Haltung bei; vgl. I. Göll: »Die Rückkehr zu Gott« (In: Die Literarische Welt, 3.9. 1926, S. 3): »Auf stillere Art [als M. Jacob] fand der Lyriker Pierre Reverdy zu Gott: ihm ist sicher wohl in seinem Hort, denn die Bäume, die Steine und Wolken seiner Dichtung sehnten sich immer nach metaphysischem Übermaß.« Bei aller kritischen Distanz und Behutsamkeit aber unterliegt Benjamin den Verlockungen des Zeitgeistes, m.E. letztlich spirituelle Erwartungen in >der Revolution« eingelöst zu sehen. Sie wird zum Opium für den erlösungsbedürftigen Intellektuellen. Die Schärfe des kritischen Geistes verliert sich in der eschatologischen Hoffnung, das Heil sei materiell und in der Gestalt des Kollektivs sozial einlösbar. »Die Revolution« schreibt Benjamin im »Sürrealismus«-Artikel, nicht: >diese Revolution«. Er überlegt (und dies hatten russische Kollegen vorgedacht), ob die Kunst nicht für einige Zeit aussetzen müsse, da es nun Wichtigeres gebe. So legt sich auf seine Argumentation, welche die produktiven Gehalte der Kunstüberschreitung des Surrealismus herausarbeitet, schon der Schatten der Kulturfeindlichkeit der - in seinem Fall linken ~ Machthaber, welche die Distanz >der Bürger« zur radikalen Freiheit der Kunst auch tödlich übertreffen würde. Noch im Rahmen des bürgerlichen Literaturbetriebes

Surrealismus/Benjamin,

Curtius

133

Ein anderer wichtiger Vermittler von Neuem aus der (Kultur-) Hauptstadt der Welt, die Paris damals noch war, nämlich E.R. Curtius, der doch immerhin wie kaum ein anderer seiner deutschen akademischen Kollegen der modernen internationalen Gegenwartsdichtung aufgeschlossen war, distanzierte sich 1926 vom >Überrealismussurrealistisch< in diesem Sinne auf. Man sollte die Wirksamkeit einer Auswirkung auf die Veränderung der Schreibweisen auch der deutschen Lyrik - und der Beurteilungen durch die Kritik - nicht unterschätzen: nur ist es oft schwer möglich, die Zwischenschritte der gleichsam tranzendentalen Veränderungen im Normensystem der deutschen Dichtung nach 1945 und den konkreten Texten anzugeben. 42 Zwischen dieser gleichsam mythischen Rolle des Surrealismus nach dem Krieg und einer präziseren Vermittlung von Programmen (in erster Linie ist hier an

42

bringungen vorauszusetzen. Zudem muß ja nicht unbedingt das Ideologische, sondern kann ja das Künstlerische des Surrealismus das Wirksamere gewesen sein. Ich werde auf den konkreten Fall weiter unten zurückkommen. - Souveräner als beide finde ich, was diesen Punkt betrifft, Raible 1972:50-64. So greift auch Knörrich 2 1978:11 zu kurz: »Dabei war der Einfluß des Surrealismus auf die ästhetische Theorie und Praxis nur von kurzer Dauer.«

Surrealismus: Wirkung nach 1945

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Breton zu denken) und Gedichten der zwanziger bis vierziger Jahre gab es fließende Übergänge, etwa wenn Surrealismus als moderne traumhafte* französische Literatur verstanden wurde. Die ersten Jahre nach dem Krieg (bis 1950) fand die Vermittlung des Surrealismus - mit wenigen Ausnahmen - s. z.B. C. Giedion-Welckers Poètes â l'Ecart. Anthologie der Abseitigen (Zürich 1946), 43 nicht in Büchern, sondern in (Literatur-) Zeitschriften und Zeitungen statt. Diese Zerstreutheit von verschieden kundigen Beiträgen und angesichts von Platzmangel auch oft knappen Textbeispielen mag zur Vagheit des deutschen Surrealismusbegriffes beigetragen haben. Hierzu kam, daß dort, wo ausnahmsweise (wie im Falle Eluards, der aber noch als >Surrealist< galt) schon bald nach dem Krieg selbständige Übersetzungen vorlagen, das Surrealistische längst in den Hintergrund getreten war. Stephan Hermlin, der die französische Gegenwartsliteratur Anfang der vierziger Jahre im französischen Exil kennengelernt hatte, notiert in seiner Vorbemerkung zu Eluards Gedichten (1947): PAUL ELUARD, Frankreichs größter lebender Lyriker, ist in der Welt berühmt. In Deutschland kennt man kaum seinen Namen. Der Grund für diese Unkenntnis ist in der Tatsache zu suchen, daß Eluards Werk bis heute nicht in deutscher Sprache vorliegt. Vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten - der nicht nur politisch gesehen, sondern auch vom Literarischen und Ästhetischen aus für lange Jahrzehnte noch die entscheidende Zäsur in der deutschen Entwicklung sein wird - war außer einigen Bildem beinahe nichts vom französischen Surrealismus nach Deutschland gedrungen. [Fußnote Hermlins:] Eluard hat die fruchtbaren Elemente des Surrealismus in sich aufgenommen, ohne Surrealist zu bleiben.44 43 Das Vorwort ist »Dezember 1944< unterzeichnet. Die Vorbereitung einer solchen Veröffentlichung wäre während des Krieges in Deutschland nicht möglich gewesen. Die Anthologistin, die sich auch essayistisch für die moderne Dichtung einsetzte (s. etwa Giedion-Welcker 1945, Giedion-Welcker 1945/46), wollte Dichter verschiedener Sprachen versammeln, »deren Werke schwer zugänglich sind« (S. 8), »Revolutionäre«, Außenseiter im bürgerlichen Leben und in der Sprache; zu ihnen zählt sie auch die Surrealisten, deren Absicht sie mit Eluard erläutert. Es bleibt für ihre Vermittlung in den deutschen Sprachraum, der ja durch diese französisch-deutsche Veröffentlichung miterfaßt war, problematisch, daß sie Aragon, Breton, Eluard und Reverdy nicht aufnimmt, weil diese »bei größeren Verlagen ihre Werke« veröffentlicht hatten (also im Sinne der Anthologie nicht abseitig genug waren) - das gilt natürlich nur für die französischen Ausgaben! Immerhin bringt sie u.a. P. Albert-Birot, H. Arp, Huidobro, Tzara und P£ret, allerdings die französischen Texte nur im Original. 44 Berlin (Volk und Welt) 1947, Parallelausgabe in Singen. Noch unter dadaistischen Vorzeichen war Eluard mit französischen Texten bereits Anfang der zwanziger Jahre in deutschen Literaturzeitschriften vorgestellt worden (z.B. in Dada, Die Schammade, im Sturm). Gerade zu Eluard gab es nach dem Krieg zahlreiche Veröffentlichungen s. z.B. Thiessing-Specker 1945, Giedion-Welk-

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

Trotz des folgenden Hinweises auf Eluards Gedichtband Capitale de la douleur (1926), der 1946 bei Gallimard neu aufgelegt worden war, übersetzt Hermlin in diesem Buch aber ausschließlich Gedichte aus den vierziger Jahren und stellte damit den Widerstandskämpfer heraus. Der >linke< Eluard tritt, angesichts der besonderen Situation des Krieges und der Notwendigkeit zum Widerstand verständlich, vor den surrealistischen Dichter Eluard. Seine früheren surrealistischen Gedichte werden, in knapper Auswahl, in Buchform erst 1950 in A. Bosquets Anthologie Surrealismus und in M. Hölzers und E. Jenes Surrealistischen Publikationen vorgestellt. So verzögerte sich die literarische Aufarbeitung des Surrealismus gerade durch die Präsentation der neueren Gedichte seiner wichtigen Vertreter. Besonders in Österreich führten direkte Kontakte von Künstlern zum harten Kern des Surrealismus (vor allem Breton) zu in Gruppen und Zirkeln vermittelten Anregungen. 45 Die Bedeutung E. Jenes in diesem Zusammenhang ist von der Forschung durchaus erkannt worden, auch sonstige Beziehungen zur surrealistischen Malerei in Österreich. Sie wurden auch durch den »Art-Club« unter Leitung von A.P. Gütersloh seit Anfang 1947 begünstigt.46 Es ist auffällig, daß in Österreich die Nähe zum Surrealismus im engeren Sinne größer war als in Deutschland. Die Surrealistischen Publikationen (1950) umfaßten Breton und aktuelle österreichische Adaptionen (Celan, Hölzer, Riemerschmid u.a.). Es paßt in diese spezifisch österreichische Surrealismus-Rezeption, wenn die Wiener Gruppe (ab 1953) gerade den Rahmen der Literatur aktionistisch zu sprengen versuchte und so spezifische Elemente des historischen Surrealismus der zwanziger Jahre aufnahm. Eine direkte Anlehnung findet sich nicht nur bei heute schon wieder vergessenen Dichtern wie Riemerschmid und E. Jirgal, sondern auch bei F. Mayröcker und H.C. Artmann. Im Plan 1947 (S. 256-262) veröffentlicht W. Riemerschmid den Aufsatz »Über surrealistische Lyrik« und betritt damit ein den meisten Lesern unbekanntes Terrain. Riemerschmid lehnt sich ausdrücklich an

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46

ker 1945/46, Dieckmann 1948, Hagen 1949, Aragon 1953, Hermlin 1953, Baissette 1954. s. Klinger 1976:398f., D. Goltschnigg/K. Bartsch, in: Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, ed. V. Zmegai, Bd. 3,2. Königstein/Ts. 1984, S. 704f.; Bauer 1976, Kaszyriski 1977, Risse 1984, Schlebriigge 1985. Darüber berichtete der Plan 1947, S. 991. Die österreichische Sektion war ein Ableger des 1945 in Rom gegründeten Art-Club, dem vor allem avantgardistische Maler, auch noch einige äitere Futuristen angehörten, wie Severini, Carra, de Chiricc, Prampolini (s. Anm. 31: letzterer war einer der vorgesehenen Mitarbeiter am 1924 von Göll geplanten Surrealistischen Theater.)

Surrealismus: Rezeption nach 1945 in Österreich

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M. Nadeaus Histoire du Surréalisme (1945) an, berichtet also aus zweiter Hand. Immerhin hat er damit eine aktuelle und gute Quelle zur Verfügung, die er auch treffend zusammenfaßt. Der Artikel zeigt, daß die surrealistische Dichtung revolutionär wirkte. Selbst das Fehlen der Interpunktion wird noch als verwirrend empfunden: »Der sichere Boden des Gewohnten schwankt, das Gleichgewicht ist gestört und alles gerät in eine beabsichtigte Flutung« (S. 258). Anhand je eines übersetzten Gedichtes von Eluard (»Vorübergehen«) und Péret (»Hallo«) erläutert Riemerschmid das Neue surrealistischer Lyrik. Formlosigkeit, Abwesenheit von Komposition, »Vorstellungssymbiosen [...], unwahrscheinliche, gleichsam >sinnlose< Kreuzungen, wie wenn man einen Löwen mit einer Handtasche paaren wollte« (in Bezug auf Eluard) und für Péret (»Hallo«) »halluzinatorische, >ultraviolette< Metaphern [!]«: »In Pérets Gedicht ist ein ganzes Chaos wie auf einer Korallenschnur aufgefädelt. Welch eine Flucht vor der dreidimensionalen Welt! Welche Dissonanzen, Widersprüche, ununterbrochene Explosionen im Bereich der Verständlichkeit! Ein Feuerwerk! Eine lyrische Atombombe? Kosmische Strahlung der inneren Welt?« (S. 261). Eine lyrische Atombombe: so destruktiv und inhuman war diese Lyrik denn doch nicht, aber das sich bis zur äußersten Metapher steigernde Pathos zeigt die Intensität der Wirkung, des Schocks auf den produktiven Leser. Obwohl Riemerschmid das Revolutionäre dieser in Österreich neuen Dichtung sieht, kommt er »in Versuchung, ihre Produkte mit den Maßstäben der Kunst zu messen.« Schließlich versagten aber seiner Ansicht nach hier die Kriterien. Immerhin könne es sich um eine Revolution handeln, die den Veränderungen in den Naturwissenschaften entspräche und deren Ergebnisse noch nicht abzusehen seien: »Trotzdem die surrealistische Bewegung totgesagt wurde, ist der Einfluß der Surrealisten immer noch im Wachsen.« Unmittelbar im Anschluß an Riemerschmids Aufsatz folgen sehr frühe Dichtungen F. Mayröckers, beginnend mit »Vision eines Kindes« (S. 263), das, leicht bearbeitet, noch in die von der Autorin selbst Ausgewählten Gedichte. 1944-1978 (1979) unter dem Titel »Kindersommer« (S. 11) aufgenommen ist. Hatte die Erstveröffentlichung noch eine korrekte Interpunktion, so verzichtete die Autorin später auf sie und führte damit ein Element ein, das Riemerschmid als ein ins Auge springendes Merkmal surrealistischer Lyrik aufgefaßt hatte. Wesentlich wichtiger aber ist die Spur, die von den Textbeispielen Eluards und Pérets in das spätere Werk Mayröckers geht. Ist die »Vision eines Kindes«, obgleich hier in der Zeitschrift in einen surrealistischen Kontext gerückt, vergleichsweise konventionell, da die >Alogismen< konsistent

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

aus den expliziten Fieberphantasien, bei denen Trakl 47 Pate stand, eines kranken Kindes sich ergeben, so führt eine direkte Spur von Pérets litaneiartigem Liebesgedicht »Hallo« z.B. zu Mayröckers schlichtem Liebesgedicht »wie ich dich nenne/wenn ich an dich denke/und du nicht da bist«, das zur ersten Benennung »meine Walderdbeere« sechsunddreißig Parallelen bildet und dessen abschließendes »(da capo\)« direkt oder indirekt auch auf Eluards Poésie ininterrompue zurückweist, die vergleichbare Aufzählungen bildet. Auch für die enge Anlehnung H.C. Artmanns an den Surrealismus soll ein Beispiel folgen. Der erste Satz seiner »Acht-Punkte-Proklamation des poetischen Actes« (1953): »Es gibt einen Satz, der unangreifbar ist, nämlich der, daß man Dichter sein kann, ohne auch irgendjemals ein Wort geschrieben oder gesprochen zu haben« weist zwar in den ersten vier Wörtern darauf hin, daß der Satz nicht von ihm stammt, nennt aber nicht die Quelle. Sie kann jetzt, soweit ich sehen kann, zum ersten Mal, festgelegt werden. T. Tzara hatte 1931 geschrieben: »II est parfaitement admis aujourd'hui qu'on peut être poète sans jamais avoir écrit un vers, qu'il existe une qualité de poésie dans la rue, dans un spectacle, n'importe ou«. 48 So konnte bereits H. Sedlmayr, der 1948 noch den Verlust der Mitte konstatiert hatte, 1958 in dem Vorwort zu Artmanns erster selbständiger Veröffentlichung med ana schwoazzn dintn feststellen: »In Breitensee hat sich neulich die Wiener Vorstadt mit dem Surrealismus eingelassen und daraus ist - ein Dichter entstanden, ein wirklicher«, um dann später auszuführen: das Eigentlichste der Breitenseer Gedichte kommt, glaube ich, eben aus der unwahrscheinlich glücklichen Ehe der surrealistischen und der Wiener Sphäre. In ihr streift der Surrealismus das Kalte und Zerebrale [!] ab, wird wirklich geheimnisvoll und sogar märchenhaft, und zwar in einer Umwelt, in der das Märchenhafte gar nicht vorkommen könnte. Das Wiener Leben und die Wiener Land47

48

Trakl wurde allerdings, das darf man nicht vergessen, zu der Zeit noch als avantgardistisch empfunden. Riemerschmid nennt ihn übrigens im zitierten Aufsatz einen »Visionär, bei dem die Gegenstände und Vorstellungen wohl unverbunden und fremd nebeneinanderstehen, aber dennoch durch eine Art >Gespensterlogik< - wie Leo Spitzer sagt - gelenkt werden« (S. 257) - das paßt bis in den Titel gut zu Mayröckers Gedicht.- Noch die späteren Wahnsinn Litaneien G. Rühms (München 1973) stehen in dieser Tradition der surrealistischen Litaneien, geben ihr aber z.T. eine andere, serielle Richtung. »Essai sur la situation de la poésie«, zuerst in Le Surréalisme au Service de la Révolution, Nr. 4, Dezember 1931, S. 15-23; hier zitiert nach: T. Tzara: Oeuvres complètes. Bd. 5, ed. H. Béhar. Paris 1982, S. 9 (auch schon von Nadeau 1945 zitiert!). - Béhar weist dort S. 625 darauf hin, daß der zweite Nebensatz konkret und der ganze Satz dem Sinn nach ein Echo von zwei Versen in Apollinaires »Zone« bilden.

Surrealismus: Tzara, García

Lorca/Artmann

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schaft aber wird, ohne das Volksmäßige aufzugeben, eigentümlich schwebend und schwerelos. Und wie gut verbindet sich das Gruselige des Surrealismus mit dem ganz anders Gruseligen, das zu einer bestimmten Art Volksdichtung von jeher gehört.

Ein weiterer Ahn dieser Dichtungen Artmanns, deren Kennzeichnung als surrealistisch nur in einem freien oder weiten Gebrauch dieses Begriffes gerechtfertigt ist, ist F. Garcia Lorca. In seiner zuerst 1953 veröffentlichten »Totenklage um den gefallenen Freund« hebt Artmann an dessen »Zigeunerromanzen« die Verbindung von Modernität und Volkstümlichkeit hervor: »Die in herkömmlichem Romanzestil verfaßten Lieder sind aber keineswegs Nachahmungen der Klassiker, sie sind avantgardistisch und werden bald Bestandteil der andalusischen folklore.« 49 Diese Doppelfunktion erfüllen dann auch die gedichta r aus bradnsee, wie der Untertitel des in Österreich recht populär werdenden Bandes mit moderner Dialektdichtung lautet. Sei es im Kreis um Basils Plan, im Art-Club oder später, nachstrebend in der Wiener Gruppe: in der österreichischen Surrealismus-Rezeption dominiert der Literatur überschreitende, zirkelhafte Aspekt, die Verbindung von Kunst und Leben, sei es in der Richtung der Symbiose von Kunst und Politik (eher im Plan), sei es in der aktionistischen, »happening«haften Ausrichtung. Beides forderte in Österreich auch politischen Widerspruch aus etablierten Kreisen heraus, wie umgekehrt der ausgeprägte Konservatismus in Österreich auch eine radikale Surrealismus-Rezeption begünstigte. In eine andere Richtung weist die Surrealismus-Rezeption bei Celan. Sie gehört durchaus in diesen Kontext, was hier aber angesichts der Schwierigkeit der Celanschen Dichtung und der inzwischen stark angewachsenen Forschung nicht erschöpfend behandelt werden kann. Gewiß ist Celan nicht als Surrealist zu bezeichnen. Aber gerade im Frühwerk, das doch die Basis alles späteren bildete, ist der surrealistische Anteil gewichtig. Th. Buck hat kürzlich zu recht Celans »genaue Kenntnis des französischen Surrealismus« (1990:244) 50 konstatiert. Diese Kenntnis findet durchaus im Werk ihren Niederschlag. Einige Forscher haben, gewiß mit guten Gründen, aber gelegentlich mit abwehrend-apologetischem Unterton, die These, Celan sei in nicht geringem Maße surrealistisch 49 50

Zitiert nach Artmann 1970:365. Celan hat auch zahlreiche französische Dichter übersetzt. Gewiß dürfte ihm Superviene, der auch oft dem Surrealismus nahegerückt wurde und sich von ihm abzusetzen versuchte, nähergestanden haben; zum Verhältnis Celans zur französischen Dichtung s. z.B. Böschenstein 1973, Böschenstein 1977, Böschenstein 1981, Böschenstein 1984, Greinert 1984.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

geprägt, gleichsam als Vorwurf aufgefaßt, so als ob sein Wert darunter litte. Dazu gehört z.B. die Arbeit von J. v. Schlebrügge 1985, die eindringlich die Poetologie Celans in den ersten Jahren nach dem Krieg, insbesondere in Hinsicht auf sein Verhältnis zum Surrealismus herausarbeitet. Bei seinem Versuch darzulegen, daß Celan sich auch poetologisch intensiv mit dem Surrealismus auseinandersetzt, um die Differenz zwischen diesem und sich festzustellen, belegt er aber gleichzeitig nicht nur, daß Celan seit Ende der dreißiger Jahre gute Kenntnisse der Bewegung hatte, sondern auch, daß diese Differenz ein so feiner, wenn auch tiefer Riß war, daß seine Bedeutung erst später, im historischen Rückblick erfaßt werden konnte und also zeitgenössisch nicht sogleich auffiel. In der Tat sind die Poetologien, letztlich die Weltanschauungen, von Breton, auf den Schlebrügge sich vor allem bezieht, und Celan divergent. Das heißt nicht, daß die sprachlichen Verfahren und Effekte (und ich meine hier zunächst Celans Frühwerk) nicht zum Verwechseln ähnlich sein können. Celan will keine écriture automatique, sondern verwendet den surrealistischen >Bildern< durchaus vergleichbare als Ausdruck einer paradoxen, unmöglichen Situation in humaner, sprachlicher und religiöser Hinsicht. Bei ihm ist die Tiefe kein zufälliges Produkt einer zufälligen sprachlichen Konstellation, sondern die eines zugleich verschütteten und erinnerten Sinnes. Auf eine Formel gebracht verbindet Celan Rilke, die Tradition geistlicher Dichtung und den Surrealismus, unter zunehmender Steigerung der sprachreflexiven, sprachkritischen Gehalte, aus denen oft dennoch die Real-Geschichte nicht herausfällt. Gerade im Erfolg der Synthese solcher sich vorab ausschließender Stränge liegt seine Bedeutung. Sie ist kennzeichnend für die Situation der deutschen Lyrik nach 1945, deren rasch zunehmende Modernisierung ja vielfach gedämpft blieb. Die grundsätzliche Möglichkeit eines solchen Synkretismus finden wir schon, allerdings im wesentlichen in der Poetologie steckenbleibend, in W. Cordans Centaur (s. Kap. 4.2.2.), wo Surrealismus und George verknüpft werden sollten. Auch das Beispiel Celan zeigt also Grundsätzliches an der Situation der deutschen Lyrik jener Zeit: die Stärke sowohl der alten wie der neuen Normen und Formen. Als ein wichtiger Ort des Einströmens surrealistischer Einflüsse kann die Zeitschrift Plan gesehen werden. Celan hatte dort seine surrealistische Hoch-Zeit, Mayröcker wurde dort surrealistisch. Daß Celan 1938/39 in Frankreich studiert hatte und auch in Paris gewesen war, sei kurz erinnert. Sein Gedicht »Erinnerung an Frankreich«, zuerst, 1948, im Plan, später 1952 in Mohn und Gedächtnis veröffentlicht, erinnert daran:

Surrealismus/Der frühe Celan

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Du denk mit mir: der Himmel von Paris, die große Herbstzeitlose... Wir kauften Kerzen bei den Blumenmädchen: sie waren blau und blühten auf im Wasser. Es fing zu regnen an in unserer Stube, und unser Nachbar kam, Monsieur Le Songe, ein hager Männlein. Wir spielten Karten, ich verlor die Augensterne; du liehst dein Haar mir, ich verlors, er schlug uns nieder. Er trat zur Tür hinaus, der Regen folgt' ihm. Wir waren tot und konnten atmen. 51 Dieses Gedicht läßt sich auch als poetologische Reflexion von Celans Verhältnis zum Surrealismus auffassen: »Monsieur Le Songe« (Herr Traum) personifiziert den Surrealismus. Die Erkenntnis der poetologischen Nähe (»Nachbar«; surrealistisch wirkende Formulierungen in den Versen 2-4, auch wenn sie eine konkrete Realität abbilden sollten) und die Behauptung eines Primats des lyrischen Ich (»in unserer Stube«, die dann erst der Nachbar betritt); schließlich die Verachtung dieses Nachbarn (»ein hager Männlein«) sowie die Anerkennung seiner Stärke (»er schlug uns nieder«). Es sind ja oft gerade die nahe beieinander stehenden Konfessionen, die sich heftig bekämpft haben. Je größer die Nähe, desto schwieriger die eigene Identitätsbildung. Aber Verse wie »Die Sonnen des Halbschlafs sind blau wie dein Herz eine Stunde vor Morgen« (aus »Das ganze Leben«) (und viele andere) sind ohne den vorgängigen Surrealismus nicht denkbar (vgl. etwa Eluard: »La terre est bleue comme une orange«), auch wenn Celan mit dem Recht des Künstlers sich distanzierte. Und es ist schwer, z.B. bei Versen wie »Es zuckte das Messer des Glücks über uns mit erloschenen Augen« (aus: »Das ganze Leben«), »Ins Naß ihres Auges tauchst du das Schwert« (aus: »Dunkles Aug im September«), »Mit den Dolchen des Traumes geheftet in sprühende Augen« (aus: »Halbe Nacht«) oder »O messerumfunkelte Augen« (aus: »Aus dem Meer«) 52 nicht eine Sequenz aus dem surrealistischen Film Un Chien andalou zu assoziieren. 51 52

Zitiert nach: Celan 1983, Bd. 1:28. - Das schwierige Verhältnis zu Eluard reflektiert das Gedicht »In memoriam Paul Eluard« (1955). Freilich sind Auge/Augen, Licht, Traum usw. gerade auch in der surrealistischen Dichtung wichtig.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

Und es ist ferner zu bedenken, daß O. Basil, der sich programmatisch dem Surrealismus zuwandte, im Plan immerhin siebzehn Gedichte von Celan herausgab und sie also wohl in surrealistischer Linie sah und nicht in deren subtiler Umkehrung. Wenn heute die Celan-Philologie zu differenzierteren oder auch anderen Beurteilungen kommt, widerlegt das - unabhängig von der Richtigkeit der nicht immer gleichwertigen Analysen - in keinem Fall die wirkungsgeschichtliche Bedeutung für die Verbreitung surrealistischer Elemente in der deutschsprachigen Nachkriegslyrik. So läßt sich auch I. Bachmanns bekanntes Gedicht »Im Gewitter der Rosen« Wohin wir uns wenden im Gewitter der Rosen, ist die Nacht von Dornen erhellt, und der Donner des Laubs, das so leise war in den Büschen, folgt uns jetzt auf dem Fuß. 53 vor dem surrealistischen Hintergrund besser erhellen; nicht nur Bretons Blitze der Nacht (das Bild für die surrealistische Sprachfigur), auch die Rose, sicher auch ein sehr alter Topos, häufige Motive surrealistischer Dichtung (Eluard), weisen auf diesen Kontext, aber wieder indirekt über Celan, in dessen früher Dichtung gerade die Verbindungen von Rose und Dorn 54 und von Nacht und Blitz55 bedeutsam sind. Bei Bachmann kommen aber ein lakonischer und auch ein existentialistischer Ton 56 hinzu, so daß hier wiederum in einer anderen Richtung der Surrealismus gleichermaßen präsent wie eigentümlich verwandelt ist. 53 54 55

56

In: Die gestundete Zeit (1953). Hier zitiert nach Bachmann 2 1977:40; zur Begegnung von Celan und Bachmann s. Böschenstein 1993. »Wersein Herz...«, »Stille!«. »Brandmal«, dessen zweite Hälfte »und zwölfmal sagte ich du zur Nacht deiner Worte, und sie tat sich auf und blieb offen, und ich legt ihr ein Aug in den Schoß und flocht dir das andre ins Haar und schlang zwischen beide die Zündschnur, die offene Ader und ein junger Blitz schwamm heran.« um den Beginn des unmittelbar folgenden titellosen Gedichtes »Wer sein Herz aus der Brust reißt zu Nacht, der langt nach der Rose. Sein ist ihr Blatt und ihr Dorn« vermehrt, das lexikalische Inventar von Bachmanns Gedicht präfigunert. Zwar klingt in dem Text auch die Gattung Liebesgedicht nach, doch ist das Thema der Angst, das in den Zeilen 2 - 4 gerade auch durch den Wandel von vi-

Surrealismus/Celan, Bachmann; Deutscher

Surrealismus

147

Natürlich gab es auch warnende Stimmen, etwa aus christlicher Sicht57, oder aus der eher künstlerisch traditionellen Perspektive58 sowie von P.Ch. Berger 1951 eine Bilanz des Surrealismus, welche ein Ende der Bewegung und ihrer Vermittlung suggerierten. Dennoch blieb die Ausstrahlung auf jüngere deutschsprachige Dichter groß.59

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suellen zu akustischen Wahrnehmungen angeschlagen wird, Ausdruck eines damals aktuellen Zeit und Lebensgefühles. Kemp 1946/47. Hierzu muß man auch G. Benns Vortrag »Probleme der Lyrik« (1951) zählen. So stand z.B. das lyrische Debüt Jürgen Beckers, sein Gedicht »Zonen« im Dezember 1957 in den Lyrischen Blättern auch im Kontext eines Deutschen Surrealismus, dem der Sonderherausgeber dieses Heftes 12, H. Bienek, im Vorwort explizit nachspürte: »DEUTSCHEN SURREALISMUS NACH DEM KRIEGE vorzustellen, war die Absicht dieser kleinen Gedichtsammlung. Schon nach den ersten Bemühungen um die Anthologie ergaben sich die Schwierigkeiten: gibt es überhaupt einen deutschen Surrealismus, und gibt es einen n a c h dem Kriege. Nachdem das Heft nun vorliegt, ist man versucht zu sagen: Es gibt ihn nicht, wenn man die Breton'schen Thesen als Maßstab anerkennt. Es gibt ihn, wenn man die starken Beeinflussungen, die vom Surrealismus herkommen, berücksichtigt./Bei den hier vertretenen jungen, zum großen Teil noch unbekannten Autoren, findet man manche Gemeinsamkeiten, man spürt deren Herkunft aus der Faszination der Magie des Absurden, und wir können hier legitim von einem Neosurrealismus sprechen. Ein Begriff, der seit einiger Zeit in der amerikanischen Kunstwelt Furore macht. Auch in Deutschland der späten fünfziger Jahre wachsen dieser Kunstrichtung, dem Neosurrealismus, einige begabte Autoren zu, ledig der Knebel, mit denen Breton den alten Surrealismus erstickte.« - Einen Deutschen Surrealismus hatte ja schon E. Alker 1941 (s. Anm. 40) zu beschreiben versucht. Andere wie Lennig 1946 suchten nicht ganz ohne nationale Töne (»...Deutsche Vorläufer des Surrealismus«) einen deutschen Primat bei dieser modernen Kunstbewegung auszumachen. Die Fähre/Literarische Revue betitelte 1948 ihr - allerdings nicht ergiebiges - Septemberheft: »Realismus und Surrealismus. Der Einfluß des Surrealismus auf die deutsche Dichtung.« Die Zahl der Artikel zum Surrealismus seit dem Zweiten Weltkrieg ist so groß, daß ich pauschal auf meine Bibliographie verweise: Jordan 1994(a), Kap. V. Auch die Wissenschaft nahm sich bald - und mit steigendem Interesse - dieses Themas an, etwa in den Dissertationen von Dyserinck 1949 und Paffrath 1953. Paffrath geht bereits ausdrücklich (S. 3) »der in den letzten Jahren häufiger gehörten Rede von »Deutschem Surrealismus* oder vom »Surrealismus in Deutschland«« nach. Die Autoren, die sie dabei untersucht, sind aber Trakl, Kafka, Hauptmann, Hesse [!], Jahnn u.a. Sich fast nur auf Prosa stützend, kommt sie zu dem Ergebnis: »Das Gesamterscheinungsbild >Surrealismus< ist, selbst wenn man von den extremen Zügen des französischen Surrealismus absieht, in deutscher Dichtung nicht zu finden« (S. 216). En passant nimmt sie aber doch eine aus ihrer Sicht freilich marginale Rezeption wahr, deren Intensität nun aber paradoxerweise dazu verwandt wird, sie aus der deutschen Literatur auszugrenzen (S. 237): »Noch eine Gruppe ist zu nennen mit den Namen Alexander Koval, Martin Kessel, Werner Heidt 1) [... Das Lot, Bd. 6, Berlin 1952]. Ihre Dichtungen, von denen der Band 6 der Reihe das Lot Proben bringt, weisen formal und inhaltlich ganz charakteristische surrealistische Züge auf,

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Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter

Erst ab 1950 kamen dem Surrealismus gewidmete Bücher heraus: Hôlzer/Jenés Surrealistische Publikationen (Klagenfurt), welche Breton und einheimische Versuche verbanden, A. Bosquets Surrealismus und D. Wyss (1950).60 An diesen Bänden, die nun erstmals mehr oder weniger authentisch über den historischen Surrealismus berichteten, konnten sich zahlreiche Schriftsteller und Kritiker orientieren oder Anregungen aus ihnen gewinnen. Beispielhaft für die wichtigeren Vermittlungsleistungen soll hier A. Bosquets Buch dienen. Der 1911 geborene Belgier war 1941 in die USA emigriert, wo er eine ganze Reihe ebenfalls emigrierter surrealistischer und natürlich auch amerikanischer Autoren kennengelernt und u.a. an I. Gölls die USA und Europa im Krieg verbindender Zeitschrift Hémisphères mitgearbeitet hatte. Er kam 1946 mit den amerikanischen Truppen nach Berlin und besuchte etwa Gottfried Benn. Sein in der surrealistisch orientierten Schriftenreihe Das Lot61 erschienener Band stellt den historischen Surrealismus samt seinen Ausläufern von den Anfängen bis zur Gegenwart vor (Breton, Eluard, Aragon, Dali, Péret, Soupault, Tzara, Desnos, Char, A. Césaire und einige Amerikaner). Bosquet differenziert zwischen der Bedeutung Bretons als Theoretiker und als Dichter. Für ihn bleiben Eluards Bändchen Capitale de la douleur (1926) und L'Amour la poésie (1929) die poetischen Höhepunkte, denen in der Gegenwart nur R. Char Gleichwertiges an die Seite stellen könne, während die die Gegenwartsdiskussion beherrschenden Eluard und Aragon abfielen; im Falle Aragons bedient sich Bosquet scharfer Polemik: »Er ist der Mirabeau, der Jean Jarés, mitunter nur der Goebbels [!] des Surrealismus« (S. 186). Bosquet arbeitet das Spontane und Willkürliche, die »unbewußten, unterbewußten, wunderbaren und unverantwortlichen Elemente des Geistes« (S. 8) als zentrale Programmpunkte heraus und weist in seiner Einleitung auf den jüngsten Ausläufer des Surrealismus, den als neuen Dadaismus eingeschätzten Lettrismus von Issidore Isou und sein Pro-

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doch handelt es sich hier unserer Meinung nach um so deutliche Abhängigkeit vom französischen Vorbild, daß es schwerfällt, noch von gewachsener deutscher Dichtung zu sprechen.« In der Tat führte der Begriff Montage weiter als ein organologischer Terminus. Hier machte die Forschung dann bald Fortschritte. - Dabei war die poetologische Distanz, aus welcher H. Friedrich in seiner gewichtigen Struktur der modernen Lyrik (1956) den Surrealismus nur berührte, nicht ohne Einfluß auf manche germanistischen Arbeiten. Gleichzeitig und subtiler äußerte sich Adorno 1956 zum Surrealismus; er stellt das Zurückbleiben der Theorie Bretons hinter der »Sache« fest. Ein Versuch auf psychoanalytischer Grundlage. Die Möglichkeit, nun, nach dem Krieg, auch wieder die Lehre Freuds zu diskutieren, dürfte ein der Surrealismus-Diskussion zumindest der Breite nach förderlicher Faktor gewesen sein. s. auch Paffrath 1953:237.

Surrealismus: Bosquets Vermittlung, Benns Ablehnung

149

gramm hin, das aus heutiger Sicht konkretistische Züge enthält. Gerhard Rühm und seine Wiener Freunde ließen sich Anfang der fünfziger Jahre von Bosquets Buch inspirieren, worauf auch R. Bauer 1976 hingewiesen hat. Es ist offensichtlich, daß ein solches Programm, daß eine solche Bewegung abwehrende Reaktionen in Deutschland herausforderten. Das läßt sich an Gottfried Benn demonstrieren, den Bosquet, einer der ersten Übersetzer Benns ins Französische, direkt auf den Surrealismus und seine gegenwärtigen Nachfolger, auf St.-J. Perse hingewiesen hatte. Benns einflußreicher Vortrag »Probleme der Lyrik« (1951) reagiert zum Teil unmittelbar auf Bosquets Anthologie, die er lobend erwähnt. Den Lettrismus62 Isous aber lehnt er drastisch ab: »Im Augenblick wird man jedoch sagen müssen, daß das abendländische [!] Gedicht immer noch von einem Formgedanken zusammengehalten wird und sich durch Worte gestaltet, nicht durch Rülpsen und Husten.«63 Automatisches Schreiben, der Traum als Prinzip der Generierung von Gedichten: zentrale Punkte des Surrealismus lagen dem klassizistischen, sich durchaus poetologisch an Valéry anlehnenden Benn denkbar fern: »Das neue Gedicht, die Lyrik, ist ein Kunstprodukt. Damit verbindet sich die Vorstellung von Bewußtheit, kritischer Kontrolle...« (ebd., S. 1059). Trotz des Lobs für Bosquets Surrealismus-Anthologie und für Das Lot als Informationsquelle: Benns Vortrag »Probleme der Lyrik« läßt sich als neoklassizistische Abwehr von Schreibweisen verstehen, die unter dem Signum des Surrealismus nach Deutschland vermittelt wurden. Der Grundkonflikt zwischen den antagonistischen Positionen, der schon in den zwanziger Jahren virulent war, bleibt nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten. So stark wie früher allerdings weht dem Surrealismus, der ja inzwischen seinen internationalen Siegeszug gefeiert hatte, selbst von der klassizistischen Position der Wind nicht mehr ins Gesicht. Das hängt gewiß damit zusammen, daß seine frühere programmatische Intransigenz in der künstlerischen Praxis einer Wandlungs- und Koalitionsfähigkeit gewichen war. In der Breite der anspruchsvollen Lyrik führte der Surrealismus in Deutschland zu einer Aufweichung der formalen Ansprüche, zu einer Lockerung und Erweiterung in den Bereichen der Metrik, der Metaphorik, der thematischen Konsistenz, kaum aber zur Aufhebung des Sy-

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Bereits erwähnt in Deherpe 1947:50f., dort ähnlich wie Benn 1951: »Der Lettrismus wird sich, nachdem er einiges Gestammel und Geplärre hervorgebracht hat, aus dem sein vokalisches und poetisches Register zu bestehen scheint, in Nacht und Schweigen bohren.« Benn 1968:1063.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter

stems Lyrik als Kunst. Das gilt für die eine Zeitlang surrealistisch geprägten Lyriker wie Celan, Bachmann, Krolow. [...] Krolows Gedicht ist kein formloses Aggregat unbewußter Assoziationen; die Bilder geraten nicht automatisch und nicht ohne jede Kontrolle durch die Vernunft aufs Papier. Meist ist die irrationale Kombination realer Details gewollt, die Surrealität kalkulierte artistische Konstruktion. Das scheinbar Unbewußte hat den Anstrich des Gemachten, ist mehr künstlich als automatisch, mehr Ergebnis verspielten Intellekts.64

Aber nicht nur in der Integration von Bildern, Bildwelten und Themen ist für Krolow der Surrealismus der Schnittpunkt aller aktuellen lyrischen Bezugslinien, sondern auch in seiner Arbeit als Lyrik-Vermittler, und zwar noch 1957: Seine Anthologie Die Barke Phantasie. Zeitgenössische französische Lyrik unterscheidet sich in der Auswahl französischer Dichter von Bosquet (1950) durch ihre größere Zurückhaltung in der Aufnahme >harter< surrealistischer Lyrik und durch ihre größere Aktualität, obwohl sie andererseits mit Apollinaire beginnt. Dennoch sieht er seine Auswahl im Zeichen des Surrealismus: »Hinter diesem Panorama wittert man die vieldeutige Erscheinung des Surrealismus, seine Geschichte und seine Verhängnisse. Er hat dem französischen Gedicht wie dem Gedicht anderer Länder zu einer bis dahin unerhörten Handlungs- und Mitteilungs-Freiheit verholfen.[...] Die folgende Auwahl möchte nichts anderes als einige Blicke auf diese an Zauber reiche Welt tun, einige Bekanntschaften vermitteln, Anregungen geben, die am Ende der deutschen Lyrik der Jahrhundertmitte zugute kämen« (S. 7f.). Zeitgenössische französische Lyrik: dazu zählte Krolow 1957 noch surrealistische Lyriker aus der Zeit vor dem Krieg. Noch zwölf Jahre nach seinem Ende war das Bedürfnis, Versäumtes aufzuholen, also nicht befriedigt. Auch für die spanische Lyrik meinte Krolow (1958: 833) an die zwanziger Jahre anknüpfen zu müssen, und die von ihm vermittelnd ins Gespräch gebrachten spanischen Dichter Vincente Aleixandre und Luis Cernuda sind für ihn »ohne die poetischen Errungenschaften des Surrealismus nicht denkbar«.

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Rümmler 1972:236. Auch in dieser guten Arbeit kommt am Beispiel von Krolows Metapherntechnik zum Ausdruck, daß jetzt die moderne französische (und spanische) Lyrik der zwanziger und dreißiger Jahre adaptiert wird. Zu Krolow s. auch Änderte 1977.

Eliot - Pound - Williams

5.2.

Englischsprachige Dichter

5.2.1.

T.S. Eliot - Ezra Pound - W.C. Williams

151

In diesem Kapitel untersuche ich die Vermittlung der drei nordamerikanischen 65 Dichter, denen für die Entwicklung der englischsprachigen Lyrik im 20. Jahrhundert wohl die größte Bedeutung zukommt. Das wird man für Williams sagen dürfen, ja müssen, wenn man seine Wirkung auf jüngere Dichter-Generationen mit in Betracht zieht. Zusammengenommen haben sie entscheidende Beiträge zu einer vollständigen Entfaltung der Möglichkeiten des modernen Gedichtes geleistet - hinaus über die englischsprachige Lyrik und teilweise auch über das, was H. Friedrich sehen konnte oder wollte. Ich möchte so weit gehen zu behaupten, daß erst mit der Adaption der in ihren Werken und Poetologien angelegten Möglichkeiten, z.T. erst im Durchgang durch die Betrachtung ihrer amerikanischen Nachfolger, 66 die deutsche Lyrik tatsächlich die Breite der modernen Lyrik ausschöpfen konnte und daß damit zugleich der Prozeß ihrer Modernisierung zu einem gewissen Abschluß kam. Ich setze ihn um 1970/75 an, als die jungen amerikanischen Pop-Lyriker auch in Deutschland Nachahmer fanden (s.S. 178ff.). Die Aufnahme dieser drei Dichter in Deutschland blieb bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges sehr verhalten, wie sich den vorausgegangenen Kapiteln dieser Arbeit entnehmen läßt. Sie war, wie schon angedeutet, teilweise unterdrückt; allerdings stand Williams in der Meinung der literarischen Öffentlichkeit auch im eigenen Land bis in die vierziger Jahre hinter den beiden Großen deutlich zurück. Der Verzögerung der Rezeption in Deutschland folgen nach 1945 ein rasches Nachholen, wobei die chronologische und quantitative Reihenfolge der Vermittlung Eliot, (mit deutlichem Vorsprung vor) Pound und dann Williams war, und eine intensive Forschung, deren Interesse vor allem Eliot galt. Er stellte für die Anglistik/Amerikanistik lange Zeit das Paradigma der modernen Lyrik dar, was sich in den für mein Thema besonders interessanten Bereichen der Rezeptionsforschung und der wissenschaftlichen Übersetzungskritik (sein Werk war ein bevorzugter Gegenstand von Dissertationen) mehr als bei allen anderen modernen 65

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T.S. Eliot läßt sich natürlich auch unter englischer Lyrik rubrizieren; E. Pound steht ihr wenigstens nahe; nur W.C. Williams ist bis zum Patriotischen - in seiner Dichtung - US-Amerikaner. Die eiste selbständige deutsche Veröffentlichung mit Gedichten Williams' (1962) erschien erst drei Jahre nach Ginsbergs Geheul.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

Dichtern niederschlug.67 Seine Wirkungsgeschichte ist etwa in den Arbeiten von Germer 1957 und Frank 198668 dargestellt; zu Williams' Aufnahme u.a. in Deutschland hat Galinsky 1966 die grundlegende Arbeit 69 vorgelegt. Kürzer, aber doch gut dokumentiert ist der Aufsatz von Bischoff 1983, der sein Thema, die Stellung von R.M. Gerhardts Zeitschrift fragmente (deren Titel sich aus dem V. 431 von The Waste Land »these fragments I have shored against my ruins« herleiten mochte) in den deutsch-amerikanischen Literaturbeziehungen in Hinsicht auf Pound deutlich überbietet. Dennoch sind für Pound weitere Spezialuntersuchungen wünschenswert. Daß diese Arbeiten, in denen die Sammlung des Materials gelegentlich noch ganz im Vordergrund vor seiner Auswertung steht, gerade in der Frühzeit der Rezeption Lükken aufweisen, zeigt mein Hinweis auf die Vermittlung von Williams in Deutschland 1924/25 und einen indizierenden Artikel 1939 (s.S. 45, 63). Galinsky hatte die ersten Belege für Deutschland im Jahr 1931 nachgewiesen. Auch die analytische Bibliographie zur Eliot-Kritik in Deutschland von Frank 1986 setzt etwas zu spät ein: »The first glimpse of Eliot allowed to readers of German were a few words in Paul Selver's Introduction to a 1923 book of translations from British poetry« (S. A 8). Tatsächlich schrieb bereits 1920 D. Golding in dem von F.M. Huebner (in Verbindung mit D. Coster, P. Colin, D. Golding und R. Guarneri) publizierten Buch Europas neue Kunst und Dichtung, S. 61, zu England: »Innerhalb gewisser Grenzen zeigen Aldons [sic] Huxley und T.S. Eliot viel Kraft und Ursprünglichkeit und unter den mehr in der Überlieferung steckenden Schriftstellern zeichnen sich Walter de la Mare und John Masefield aus.«70 Ich werde auf die frühe Phase noch einmal 67

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s. z.B. Germer 1957, Leuchtmann 1959, Fink 1970, Fink 1971, Fink 1972, Viebrock/Frank, ed. 1975, Hulpke 1985, Frank 1987, Freed 1987, Junkes-Kirchen 1988: alle zu Übersetzungen von Gedichten T.S. Eliots; s. ferner kritisch zu Eliot in Deutschland Auerbach 1977. Der Titel von Viebrock/Frank, ed. 1975, zum zehnten Todestag des Dichters, kurz nach Abschluß der deutschen Werkausgabe: Zur Aktualität T.S. Eliots, in dem ich einen apologetischen Zug sehe, deutet an, daß eben diese Aktualität 1975 bereits in Zweifel stand - das gilt zumal für jüngere Autoren. Als Buch: Galinsky 1968.- Diese positivistisch materialorientierten, rezeptionsgeschichtlichen, von Germer bis Galinsky auch international vergleichenden Arbeiten gerade der deutschen Anglistik/Amerikanistik erscheinen mir auch als eine lüeraihistorische Antwort auf den New Criticism. Unterschwellig aber richten sich diese Arbeiten zugleich gegen den ahistorischen und fachlich (romanistisch) verengten Zugriff H. Friedrichs, der den amerikanischen Beitrag zur modernen Lyrik unterbewertete (schon Germer 1957:190-192 ging in seiner Dissertation zu Eliot auf die im Jahr zuvor erschienene Struktur der modernen Lyrik ein). Obwohl gar nicht so sehr an Dichtung ausgerichtet, die aus heutiger Sicht besonders avantgardistisch wäre, wird den Künstlern und Dichtern in diesem in-

Eliot - Pound - Williams

153

zurückkommen. Mit dem Fundament aber der insgesamt guten Forschungslage ist es in diesem Kapitel möglich, ohne Zwischenschritte sich rasch Fragen zuzuwenden, welche die poetologischen Perspektiven der insgesamt späten Vermittlung und Rezeption dieser Autoren betreffen. Zunächst einmal hatte bereits der Erste Weltkrieg die Kontakte und die Möglichkeiten zur Vermittlung von Dichtung der Feindstaaten und also auch der amerikanischen Lyrik, sei sie direkt aus den USA, sei sie aus London vermittelt, drastisch verringert. Anders als zur französischen Avantgarde hatte es vor dem Krieg allerdings kaum Beziehungen zur amerikanischen Lyrikszene gegeben. Als dann in den zwanziger Jahren die Möglichkeiten besser waren, fanden vor allem die französischen und russischen Lyriker eine gesteigerte Aufmerksamkeit. Auf die grundsätzlich geringschätzige Haltung zur (US-)amerikanischen Dichtung habe ich schon hingewiesen. 71 teressanten Sammelwerk doch insgesamt der »Platz an der Spitze des Heerzugs« vorbehalten. Die Forderung nach einer neuen Geistigkeit, nach Abkehr von bürgerlichem Ordnungsdenken und einer Vertiefung des Verhältnisses der Künste zur Wirklichkeit wirkt dabei etwas weniger interessant als die Reflexion auf die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit in diesem Bereich. So weist Huebner darauf hin (S. 9), daß »die tagfälligen Verknüpfungsfäden zwischen den Gleichgesinnten fünf Jahre lang international zerstört gewesen« seien und ein Mangel an Information über die Nachbarkulturen bestehe; »sich fremdsprachige Neuerscheinungen des Büchermarktes zu verschaffen ist zumindest dem Deutschen wegen der geringen Kaufkraft seines Geldes unsäglich erschwert«. Das Buch, dessen Plan 1919 in den Niederlanden entstanden war, wollte eine Anregung zur Völkerverständigung sein (S. 10); »ein Vorläufer auch hinsichtlich jener technischen Gemeinsamkeit des schriftstellerischen Auftretens, die in der Form von international geleiteten Zeitschriften, von mehrsprachig abgefaßten Tageszeitungen, von Kartellbildungen zwischen den Großfirmen des Buchverlags, von Weltbündnissen der Künstler aller Berufsarten eine immer stärkere Bedeutung für die Pflege eines aufrichtigen europäischen Einvernehmens erlangen wird. Nicht daß diese Schrift einzig in einer deutschen Fassung erschiene. Die Notwendigkeit der Aufklärung ist wechselseitig. Die Veröffentlichung erfolgt zugleich in eben den fünf Ländern, denen die hier vereinten Beiträger angehören.« Diese weitsichtigen Überlegungen weiden auch direkt in Bezug gesetzt zu einem Aufruf Th. van Doesburgs (Nov. 1918), der Richtlinien zur Verständigung über die gemeinsamen Grundbegriffe für eine europäische Stilbildung aufstellen wollte. 71 Das konnte freilich auch umgekehrt so sein. W.C. Williams ist dafür ein Beispiel. Das Desinteresse, das er der europäischen Kultur entgegenbrachte (freilich hatte er 1910, wie er in The Autobiography, New York o.J., berichtet, in Paris Heines Buch der Lieder auf deutsch gelesen), zeigt z.B. sein Brief an K. Burke aus Wien am 14. April 1924: »These people are totally ignorant of things American - barring the names of you newer writers: youiself, Munson, Cowley, Josephson and E.E. Cummings. Yes, they had heard of me. Of everything eise American they live in ideally black ignorance. They want reproducti-

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Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter

D i e wenigen Gedichtproben Pounds in Anthologien, beginnend mit C. Göll 1921 - fast immer war übrigens »The Garret« dabei - , vermochten nicht annähernd einen Eindruck v o n Eigenart und Vielfalt des damals schon vorliegenden Poundschen Oeuvres zu bieten. V. Bischoff (1983 [b]:416f.) hat zurecht darauf hingewiesen, daß Pound zunächst und bis in die dreißiger Jahre in Deutschland ausschließlich als Imagist gesehen und abgelehnt wurde. 7 2 S o auch in der von Bischoff genannten, aber praktisch nicht ausgewerteten, von Arns 1923 betreuten und übersetzten Anthologie Britanniens neue Dichtung, die nicht nur Pounds »Salve Pontifex« in Übersetzung enthielt, sondern in der Einleitung von P. Selver, erstmals in Deutschland, »In a Station of the Metro«, sowohl als Beleg für seinen Imagismus als auch für seine dichterische Bedeutungslosigkeit. D e m englischen Text ist eine deutsche Über-

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ons of our paintings. They asked me if any of our men admired the newer Frenchmen, if there had been any exhibits in America! I didn't believe such questions possible« (Williams 1957:63f.). »Secession No. 7 was handed to me here the other day by one Gaspar, coeditor (apparently) with Kassak of MA - or AM or whatever it is. My excuse for this ignorance is that they had never heard of James Joyce« (ebd.). Und am gleichen Tag an Marianne Moore: »I have just met a Hungarian modernist painter, Kassak.« Freilich war der Kreis um die wichtige Avantgardezeitschrift MA, die in der Zeit im Wiener Exil bereits ihrem Ende entgegenging, am deutschen Expressionismus, am russischen Konstruktivismus und an der Pariser Avantgardeszene interessiert. Übrigens hatte bereits 1913 in New York eine Ausstellung mit moderner europäischer Kunst (Picasso u.a.) stattgefunden. Jedenfalls sind sich im April 1924 in Wien mit Williams und L. Kassak einer der wichtigsten amerikanischen und einer der wichtigsten ungarischen Lyriker ohne jedes Verständnis begegnet.Schon Galinsky 1966 war aufgefallen, daß Williams aus Wien berichtet, man habe dort von ihm gehört; er konnte aber noch keinen Erklärungsversuch für diese Mitteilung machen. Anzunehmen ist, daß man die avantgardistischen Pariser Zeitschriften zur Kenntnis nahm, etwa The Transatlantic Review, in der Williams 1923 vorgestellt worden war. Auch der Querschnitt brachte 1924 Gedichte von Williams. R. Tgahrt hat mich darauf hingewiesen, daß W. Lehmann, der Englisch studiert hatte und unterrichtete, Pound gut kannte und ihm geschrieben hat. So Bayerdörfer 1983:467: »So ergeben sich die bei Wilhelm Lehmann auch direkt belegbaren Anknüpfungs- und Vergleichspunkte zu dem imagistischen Programm, wie es etwa in Ezra Pounds Formulierung von 1917 vorliegt [...].« Demetz 1973:118f. hat weitere englischsprachige Einflüsse auf Lehmann hervorgehoben, der W.B. Yeats persönlich besucht habe, von den neueren Dichtern ferner G.M. Hopkins, T.S. Eliot und, »allen voran, Robert Graves«; s. grundlegend Schäfer 1969; Schäfer zitiert S. 46 den Brief von Lehmann an E. Frisch vom 3.7. 1921, in dem er »Ezra Pound [...] den begabtesten und aufreizendsten Schriftsteller Amerikas« nennt; Scrase 1973 zu Lehmanns Übersetzungen u.a. von Gedichten R. Frosts, R.D. Chestertons.

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Pound: Imagismus

setzung beigefügt, die allerdings das Original geradezu zerstört; 73 die Evidenz der minderen dichterischen Qualität, welche der Kommentar behauptet, spiegelt das Niveau der Übersetzung. D i e Abschnitte zu Pound und zum Imagismus zeugen durchaus von Kenntnissen des englischen Verfassers, wenn sie auch polemisch durchsetzt sind. Da sie bisher von der Forschung kaum beachtet wurden, seien sie als eines der frühesten rezeptionsgeschichtlichen Dokumente hier ausführlicher wiedergegeben: Den »Georgian Poets« schroff gegenüber stehen die sogenannten »Imagists«. Seit einiger Zeit sind sie freilich fast verstummt, aber vor dem Kriege hörte man viel von ihnen. Begründer dieser Gruppe war Ezra Pound, ein amerikanischer Dichter, der sich noch ziemlich jung in London niederließ (jetzt lebt er in Paris), wo er mit seinen frühen Gedichtbänden »Exultations« und »Personae« einen gewiß nicht unverdienten Erfolg erzielte. Diese beiden Bücher zeugen nämlich von einer lebhaften Persönlichkeit, die sich den Dichtern des Mittelalters verwandt fühlte und auch von Robert Browning unverkennbare Anregungen empfangen hatte. Pound beschäftigte sich ferner mit den provenzalischen Troubadours und den älteren italienischen Dichtern (so besonders Guido Cavalcanti), aus denen er poetisch ansprechende, aber philologisch mangelhafte Übersetzungen veröffentlichte. Mit ungewöhnlichem Geschick hat er es verstanden, die komplizierten Versformen dieser Dichter im Englischen wiederzugeben. Dann hat er, seltsam genug, sich einer ganz entgegengesetzten Technik gewidmet, indem er fortan Reim und Rhythmus entsagte und eine unregelmäßige, wahrscheinlich den neueren französischen Dichtern abgeguckte Dichtungsart pflegte. Zweck und Ziel dieser Poesie war es, äußerliche Eindrücke festzuhalten und in scharfen Umrissen wiedeizugeben (als ob das eine Neuheit wäre!), wobei möglichste Knappheit des Ausdrucks erstrebt werden sollte. Als Beispiel diene folgendes zweizeiliges Gedicht von Pound, das er als Musterbeleg seiner poetischen Grundsätze wiederholt angeführt hat: In a Station of the Metro. The apparition of these faces in the crowd: Petals on a wet, black bough. (Auf einer Station des Metros. Die Erscheinung dieser Gesichter in der Volksmenge: Blumenblätter auf einem nassen, schweren [sie] Ast.) Diese Dichtungsart ist, wie man sieht, kaum hervorragend zu nennen. Aber Pound und seine Anhänger gebärdeten sich, als ob sie ein neues Evangelium verkündet hätten. Dazu kam noch die maßlose Intoleranz, mit der sie alle mit ihren Ansichten nicht übereinstimmenden Kunstschöpfungen höhnisch ablehnten. Pounds ergebenste Jünger[!] waren Richard Aldington, die Amerikanerin H.D. (Helen [sie] Doolittle, später mit Aldington verheiratet), F.S. Flint und T.S. Eliot. 73

Eva Hesse (Pound 1959:173) übersetzt »In einer Station der Metro«: »Das Erscheinen dieser Gesichter in der Menge: / Blütenblätter auf einem nassen, schwarzen Ast.« Auch hier ist der zweite Vers noch zu lang.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter

Aldington veröffentlichte einige Bändchen völlig ungenießbarer Verse (»Images of Desire«, »Images of War« und dergleichen mehr), sowie unglaublich schlechte Übersetzungen aus lateinischen und griechischen Dichtern (seine Auswahl aus Anakreon z.B. wimmelt von den ärgsten Schnitzern). Bedeutend besser ist H.D., die einige ganz hübsche Gedichtchen geschrieben hat. Der gewissenhafte aber langweilige Flint veröffentlichte, außer schwulstigen Versen, ganz unkritische Berichte über moderne französische Dichter. Aus Verhaeren hat er einen ganzen Band übersetzt, - aber in Prosa. Er behauptet nämlich in einer seiner hochtrabenden Kundgebungen, es bestehe gar kein Unterschied zwischen Poesie und Prosa, und es sei gänzlich verfehlt, fremde Gedichte anders als in Prosa wiederzugeben. T.S. Eliot, Pounds Landsmann, ein Literat von ungeheurer Belesenheit, hat mit seinem kalten Gehirn spitzfindige dunkle Verse geschrieben. In den Sammelbänden der »Imagists« findet man auch Beiträge von Dichtern, die zu dieser Gruppe nur vorübergehende Beziehungen unterhielten oder die sonst nicht als regelrechte »Imagists« zu betrachten sind. Da ist zunächst D.H. Lawrence, dessen Gedichte ja auch in der »Georgian Poetry« erschienen sind. Sein einziger Berührungspunkt mit den »Imagists« lag wohl in seiner Vorliebe für reimlose und unregelmäßige Strophen. Dasselbe gilt von John Gould Fletcher, einem in London ansässigen Amerikaner. Nach seinen unreifen, unter Verhaerens Einfluß entstandenen Jugendwerken schrieb Fletcher eine Reihe von gefühlvollen, stilistisch hervorragenden Gedichten, in denen seine starke poetische Begabung beredt zum Ausdruck gelangt. Es ist bezeichnend, daß so viele der »Imagists« Amerikaner sind. Überhaupt dürfte die spätere Entwicklung dieser Dichtungsart, von der man in England jetzt fast garnichts erfahrt, eher der amerikanischen als der englischen Literatur angehören. (Hier verweise ich besonders auf Ciaire Gölls Anthologie »Die neue Welt«, die Proben der jüngsten amerikanischen Lyrik enthält.). (S.10-12) Gerade dem Anfang dieses Abschnittes ist zu entnehmen, daß Pound vielfaltiger war, als das Etikett des Imagismus vermuten ließ, das ihm nun für längere Zeit in Deutschland anhaften sollte. Erst wenn man sich erinnert, daß Lyrik damals in Deutschland einen gehobenen Ton haben, metaphysisch, artifiziell sein, den Inhalt mit äußeren Formen, etwa metrischen, in Einklang bringen sollte, begreift man, daß Gedichte w i e »In a Station of the Metro« jenseits dessen lagen, was in den imaginären Rahmen paßte, in dem Lyrik damals gesehen wurde. D i e Zeiten der expressionistischen Radikalen w i e Benn (Morgue, 1912) und Stramm ( 1 9 1 4 / 1 5 ) waren vorbei, auch wenn sie bei einigen Dichtern weiterwirkten. Benn schrieb in den zwanziger Jahren formal regelmäßige Gedichte, lehnte sich also, w e n n auch nicht in jeder Hinsicht, an neoklassizistische Positionen an, und Stramms Du. Liebesgedichte (Berlin 1915) hatte ein idealistisch-pantheistisches Pathos durchzogen. D i e Revolution der Lyrik, welche diese >imagistische< Linie darstellte, die freilich nicht imagistisch im engeren Sinne eines Programms sein mußte, bestand darin, auf Elemente der Versdichtung w i e Reim, Metrum, Strophe, aber auch Rhetorik zu verzichten zugunsten einer präzisen, prosanahen v o m >mot juste< Flauberts beeindruckten

Williams: Zeile statt Vers

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Gestaltung, die sich den von Gedicht zu Gedicht unterschiedlichen Erfordernissen anpaßte. Das konnte tatsächlich eine Annäherung an die Prosa bedeuten, was prononciert Williams in den poetologischen (Zwischen-)Texten des 1923 in Paris erschienenen Gedichtbandes Spring and All formuliert hat. Ihm ging es darum, über die noch immer umstrittene Forderung nach vers libre/free verse hinaus den Vers durch die Zeile abzulösen und so das Gedicht an die Prosa anzunähern. Auch die erhabenen Gegenstände sollten durch einfachere, alltäglichere abgelöst werden. Williams scheint den Futuristen, ohne ihren anti-passatistischen Zug, verwandt in seinem - allerdings gleichsam naiven Bruch mit allen überlieferten Standards des Gedichts, den seine Schreibweise bedeutete. Sie hat, vermittelt durch jüngere amerikanische Dichter, erst ab 1960, verstärkt ab 1970 auch in der deutschen Lyrik Auswirkungen gehabt - z.T. im Gefolge einer weltanschaulichen Orientierung, die auf Tiefe und Geschichte bewußt verzichtete. Sie verzichtete aber auch, und das unterscheidet sie deutlich von der >schwarzen< revolutionären Linie der französischen Lyrik von Baudelaire, Lautréamont, Rimbaud bis zum Surrealismus, auf die Umkehrung der Werte des Schönen und Erhabenen. Das Häßliche, das Dunkle, das Grausame usw., das bei den Franzosen durchaus zum Neuheitsgehalt der Lyrik beiträgt, ist als Negation gerade noch den alten Werten, wenn auch »ketzerisch«, verpflichtet und bezieht daraus einen nicht geringen Teil der Reize. So ist H. Friedrichs Charakterisierung der modernen Lyrik als in ihren Gehalten durch Negationen, Dissonanzen u.ä. bestimmt in dieser Hinsicht ganz aus der französischen Lyrik gewonnen. Eine gleichsam phänomenologische, eine wirklich immanentistische 74 Dichtung hingegen setzt ein neues Weltbild voraus bzw. schafft es mit. Wenn man sich in den Kreisen der New Poetry um die Schaffung eines amerikanischen Idioms der Dichtung bemühte, das nicht immer so radikal ausfiel wie bei Williams um 1920, so mußte dies wiederum nichts mit der Religiosität zu tun haben, welche das öffentliche Leben der USA durchzog. In den zwanziger Jahren hatte diese Dichtung in Deutschland keine Chance. Sie lag am kurzen Ende der Skala, welche der deutschen Literaturkritik das Gewicht der Dichtung anzeigte. Zwar könnte man zunächst nach Berührungspunkten mit der >Neuen Sachlichkeit< der zwanziger Jahre suchen. Sie sind aber ideelle Konstruktionen. So scheint mir Brecht, der ja durchaus in einigen Gedichten der 74

Ich scheue mich, das Wort zu gebrauchen, da zu ihm sein Gegenpart, Transzendenz, mitgedacht werden muß und diese Formulierung daher zu Irrtümern Anlaß geben könnte. Aber die dahinterstehenden Weltbilder sehe ich - in beiden Richtungen - nur im historischen Rahmen. Zu einer umfassenderen Darstellung, als ich sie hier gebe, s. Bischoff 1983 (a).

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

Hauspostille (1927) amerikanische Elemente aufnimmt,75 jedenfalls nicht von der neuesten amerikanischen L y r i k beeinflußt (W. Whitman hingegen war natürlich in den zwanziger Jahren in Deutschland durchaus präsent). Wenn Pound 1925 im EuropaAlmanach auf Williams hinwies und im Querschnitt76 bereits Gedichte von Williams, Hemingway und G. Stein erschienen, so bestanden zwar konkrete Kontakte, aber sie stießen in Deutschland auf keine Rezeptionsbereitschaft. Inzwischen, 1922, war T.S. Eliots The Waste Land erschienen. Es markiert einen anderen Typ des modernen Gedichtes, des langen Gedichtes, aber zugleich des schwierigen, dunklen, hermetischen - und eines gebildeten, akademischen Gedichtes, mit deutlichen Bezügen zu Religion und Metaphysik. Von dort führte eine Spur zu Pound, nicht einmal so sehr wegen seiner Redaktion des Gedichtes, ohne daß ich so große Abhängigkeiten behaupten möchte wie der Zeitgenosse P. Selver (s.o.). Immerhin ist der demonstrativ große Bildungshorizont bereits in den Werken Pounds angelegt, schon in seinen Nachdichtungen und Adaptionen aus dem Provenzalischen, Lateinischen, Japanischen und Chinesischen (diese geistigen Räume berührt auch The Waste Land), vor allem in den langen Gedichten, Gedichtzyklen Cantos und Hugh Selwyn Mauberley (1920). Die Modernität des Waste Land11 liegt u.a. in der in ihm verwendeten Montagetechnik, in seiner offenen Struktur, auch und darin Joyces Ulysses (1922) verwandt, in der Verknüpfung der Gegenwart, nicht zuletzt des Lebens in der Großstadt, mit Mythos/ Mythen und damit in der Synthese von Modernität und Tradition. Diese Synthese läßt sich verstehen als Vorschlag zur Deutung der modernen Zivilisation, der freilich negativ ausfällt und sich den Rückzug zu religiösen Lösungen offenhält (den Eliot dann tatsächlich angetreten hat). Kein identifizierbares konstantes lyrisches Ich spricht in diesem langen Gedicht, selbst wenn Eliots persönliche Befindlichkeiten in dem Gedicht aufzuspüren wären. Die angestrebte Objektivität ist ein Aspekt seiner Modernität und weist doch auf die ältere Gattung des Epos, des75

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s. dazu Galinsky 1975; Brechts Gedicht vom Anfang der vierziger Jahre »E.P. Auswahl seines Grabsteins«, das sich auf den Anfang von Hugh Selwyn Mauberley bezieht, ist aber distanziert und verrät kein Verständnis der Eigenart und Bedeutung Pounds. s. auch den Schluß von Anm. 71. Außer über die Pariser Szene (Williams' Verleger R. McAlmon, den Hemingway 1924 in einem Gedicht im Querschnitt, der auch ein Foto mit dem Studio E. Pounds zeigte, verarbeitete, hatte dort 1923 die Transatlantic Review gegründet) könnte die Vermittlung über The Dial (New York) stattgefunden haben. Der Titel wirkt fast wie eine Übertragung von »ce monde ennuyé« (V. 2 des ersten Gedichtes »Bénédiction« der ersten Sektion »Spleen et idéal« von Ch. Baudelaires Les Fleurs du Mal, Paris 1857) oder des Titels von Pounds Gedicht »Provincia Deserta« (aus Lustra, 1915).

Eliot: »The Waste Land«

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sen narrativer Kontinuität es freilich vollständig ermangelt, so daß ein Versuch, es dieser Gattung zuzuordnen, auf nicht geringe Probleme stieße. The Waste Land stellt einen Bruch innerhalb der New Poetry dar: W.C. Williams berichtete später, das Werk habe eingeschlagen wie eine Atombombe. Das Entsetzen der radikalen Dichter78 rührte daher, daß man um eine einfachere, prosanahe Sprache (Williams wollte ja den Vers durch die Zeile ersetzen) bemüht war und also auf rhetorische Effekte verzichten wollte. Nun legte einer der lyrischen Protagonisten ein Gedicht vor, das auf Verstraditionen zurückgriff und sich gar in Fußnoten akademisch gerierte, damit gleichzeitig ältere Gepflogenheiten der Dichtung aufgreifend, die schon einmal nicht ohne Stolz die namhaften Quellen ihrer imitationes in Fußnoten angegeben hatte und eine ganze Reihe ihrer Intentionen durchkreuzte, ohne daß man ihm Modernität (Montage, Einbau kolloquialer Elemente usw.) und Niveau absprechen konnte. Daß Eliot durch The Waste Land zugleich Führungsansprüche innerhalb der modernen englischsprachigen Dichtung erhob, zeigt seine - auch gedruckte - Widmung: »For Ezra Pound il miglior fabbro«. So hatte Dante den Troubadour A. Daniel genannt.79 Im Hinterhalt dieses Komplimentes lauerte nicht nur eine selbstbewußt-anmaßende Rangzuweisung von Eliot an Pound, sondern im weiteren die Behauptung, daß Pound zwar der bessere literarische Techniker, der gewandtere Artist sei, aber doch in seinen Gehalten belangloser, oberflächlicher. Ein Hauch von diesen Spannungen war sogar sofort in Deutschland spürbar, denn dies Schisma der modernen englischsprachigen Lyrik, das The Waste Land auslöst, finden wir unmittelbar, 1925, wenn Pound im »Englischen Brief« im EuropaAlmanach (S. 36f.), nach der Nennung derjenigen, die seiner »Ansicht nach versucht haben, im nebligen Britannien die Dummheit zu zerstören«, u.a. Th. Hardy, W.B. Yeats, F.M. Hueffer, J. Joyce, W. Lewis und der französischen Bildhauer Gaudier-Brzeska, zum Schluß (vor einem Selbsthinweis) schreibt: »Da ist in bescheidenerem Formate der boshafte T.S. Eliot, der Laforgue besser als die Landsleute des besagten Dichters gelesen und einiges hinzugefügt hat.« Eliot - nach The Waste Land - als Epigone von Laforgue, als wenig origineller Verlängerer des 19. Jahrhunderts: Das gibt Eliots Stich gegen Pound im Dante-Daniel-Vergleich scharf zurück. Im P.S. dieses offenen Briefes nennt Pound noch »W.C. Williams, Aldington, 78 79

Radikal bezeichnet hier die Distanz zu den poetischen Konventionen der Zeit. s. dazu R. Murray Schafer 1967:78; vielleicht enthält bereits Teil V von The Waste Land auch eine persönlich-poetologische Auseinandersetzung mit Pound, wie sie Apollinaire mit Marinetti in »Zone« führte (s.Anm. 7).

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Vermittlung und Wirhing wichtiger

Dichter

Rodker, H.D.«. Aber Eliot setzte sich durch, für Jahrzehnte, mit Folgen für die Literaturwissenschaft, vor allem für die amerikanische. Es dürfte der Kompromiß mit den alten Einrichtungen und Denksystemen (Kunstcharakter, Mythos, Religion, abendländischer Bildung) gewesen sein, der ihm gerade in akademischen Kreisen den Erfolg sicherte. In diesem Zusammenhang steht wohl, daß E.R. Curtius 1927 Eliot (und nicht Pound) übersetzt. Damit kein falscher Eindruck entsteht, muß betont werden, daß The Waste Land durchaus als radikal modern erschien und für Curtius wohl das Äußerste an Modernität darstellte, das er zu vermitteln bereit war. Valérys neoklassizistische, aber in der Erkenntnis- und Produktionsproblematik moderne Dichtung wie »Le Cimetière marin« hat ihm nähergestanden als die offenen Strukturen und die Montagetechniken des »Wüsten Landes«. Während dessen Blankverse für die Modernisten der Williams-Linie ein Rückfall waren, stellten die kolloquialen Passagen für den deutschen Literaturwissenschaftler eine Herausforderung an die Zustimmbarkeit dar - und wurden in der Übersetzung tatsächlich abgeschwächt. Wenn Curtius sich in den dreißiger und vierziger Jahren dem Mittelalter und der Perspektive abendländischer Kontinuität zuwendet, so liegt darin eine Parallele zu Eliots impliziter Selbstidentifizierung mit Dante und seiner Wendung zur katholischen Religion, seiner Entwicklung eines konservativen abendländischeuropäischen Bewußtseins, das er mit Autoren wie Valéry und SaintJohn Perse teilte. The Waste Land war zugleich modern, Ausdruck einer nihilistischen Bewußtseinslage, wollte den Zerfall humaner Werte demonstrieren und wies bereits, indem es aus der Geschichte in einen mythischen Raum emigrierte und das Bedürfnis nach (geistiger) Fruchtbarkeit und Erlösung andeutete, auf die Wende hin, mit der Eliot sich in den Four Quartets (1943) wieder in den Dienst des >Alten und Wahren< stellte.80 Bei dieser religiösen Dichtung knüpfte nach dem zweiten Weltkrieg die sich rasch verbreiternde Eliot-Rezeption an, jedenfalls, was die Vermittlung und Aufnahme der Lyrik betrifft. Die Vier Quartette81 wurden 1948 in der Übersetzung von N. Wydenbruck als erste selbständige Ge80

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Bereits in den dreißiger Jahren wies z.B. H. Hennecke immer wieder auf Eliot hin. Gewiß lag ihm daran, auch den Essayisten und Literaturkritiker Eliot vorzustellen, um der poetologischen Entwicklung in Deutschland neue Impulse zu geben. Aber während Eliot von anderer Seite vor allem als Anti-Kommunist akzeptiert und funktionalisiert werden konnte, durfte seine Lyrik, um die es Hennecke mindestens ebenso sehr ging, nicht gedruckt werden. Von daher vermittelten Schaeder/Schaeder 1948 in der ersten Buchveröffentlichung in Deutschland zu Eliot das Bild des Dichters. Eine späte Anknüpfung scheint B. Strauß' langes Gedicht Diese Erinnerung an einen, der nur einen Tag m Gast war (München/Wien 1985) zu sein.

Eliot: Dichtung und Restauration

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dichtveröffentlichung Eliots in Deutschland vorgelegt. Ihr gingen 1946 drei unter dem Titel Die Einheit Europas gesammelte Rundfunkreden voraus. Die Parallele zu der Rezeption P. Eluards ist frappierend. In beiden Fällen werden in ihren Sprachen wichtige moderne Dichter zunächst mit ihren jüngsten, aus den vierziger Jahren stammenden Gedichten vorgestellt, in denen die Modernität zugunsten der weltanschaulichen, politischen oder religiösen, jedenfalls gesellschaftlich brauchbaren Gehalte reduziert ist. Erst 1950, nachdem E.R. Curtius 1948 darauf hinwies, daß Eliots Bedeutung in seiner Rolle als Dichter der Moderne und damit im Waste Land liege, erschien dieses in der alten Übersetzung (1927) von Curtius als Büchlein im Insel-Verlag (Frankfurt a.M.). T.S. Eliot als abendländischer Dichter, modern, aber nicht nihilistisch, das paßte ganz in die intellektuell restaurativen Züge der Nachkriegszeit. Dem gerade entronnenen Chaos stellte man u.a. den zudem 1948 durch den Nobelpreis nobilitierten ausländischen Dichter und Denker als Vorbild einer geistigen O r d n u n g gegenüber. Dabei kam es der >Popularität< Eliots zugute, daß er als Dramatiker (Murder in the Cathedral, 1935) tatsächlich ein wesentlich breiteres Publikum erreichen konnte denn als Lyriker. Darin ist seine Rezeption in Deutschland nach dem Krieg der F. Garcia Lorcas verwandt. G. Benn schrieb in Doppelleben: Eine neue große Woge von Frömmigkeit geht über den Erdteil. Döblin, einst großer Avantgardist und Franz Biberkopf vom Alexanderplatz, wurde streng katholisch und verkündet Ora et labora, Toynbee ist christlich, Eliot ebenso, Jünger gibt sich christlich-humanistisch - alles Rückgriffe, schöne Haltung, aber Stilentspannung, Konformismus. 82

Eliot war der meistbeachtete englischsprachige moderne Dichter nach dem Krieg, bis in die sechziger Jahre.83 Ihm kam wie sonst nur wenigen lebenden ausländischen Dichtern (Eluard 1947; obwohl der Autor nicht mehr lebte, verdient die Auswahl Majakowskis in der Übersetzung durch H. Huppert 1946 Beachtung) das Privileg zu, in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre in Deutschland mit einer selbständigen Buchveröffentlichung präsent zu sein, während sich die meisten mit in der 82

83

(1950). Zitiert nach: Benn 1984:468. Das scheint Benn nicht gehindert zu haben, u.a. Eliots Rede » From Poe to Valéry« (1948), die 1950 dt. im Merkur erschienen war, für seine »Probleme der Lyrik« zu nutzen, s. Grimm 1967:307: »Wenn man Benns interessante Lesefrüchte schon benamsen will, müßte man also nicht von der französischen Schule einschließlich Poe< sprechen, sondern viel eher von einer amerikanischen einschließlich Baudelaire.« Das zeigt auch Zuther 1965, obwohl er nur einen eingeschränkten Kreis von Zeitschriften berücksichtigt.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

Regel weniger wirksamen Veröffentlichungen in den zahlreichen Literaturzeitschriften und in Anthologien begnügen mußten. Wenn E. Pound länger hinter T.S. Eliot zurückstand und z.B. erst 1953 der erste Auswahlband von ihm erschien (im gleichen Jahr also wie von Apollinaire), so hing das damit zusammen, daß Eliot nach dem Krieg in offiziellem Auftrag des demokratischen England nach Berlin kommen konnte, während Pound als Persönlichkeit dadurch zweifelhaft schien, wenn nicht gar diskreditiert war, daß er als Anhänger und Propagandist Mussolinis - mit Glück - in eine Anstalt für geistig Behinderte eingewiesen und erst 1958 entlassen wurde. 84 Zu diesen biographischen Faktoren kam hinzu, daß Pound - und darin Apollinaire vergleichbar - sich noch weniger als Eliot auf einen Stil reduzieren ließ. Die Identität von Persönlichkeit und Stil war bei ihm - bis zu den Cantos - aufgehoben. Schon 1923 hatte P. Selver (s.o.) verwundert den Wechsel von den Nachdichtungen älterer Dichter zur imagistischen Technik konstatiert: »Dann hat er, seltsam genug, sich einer ganz entgegengesetzten Technik gewidmet.« Es war dieses Bedürfnis nach Einheitlichkeit85 des Stils, der vom Dichter erwartet wurde, das zumindest Pound das in Deutschland wenig förderliche Etikett des Imagisten angehängt hatte. Tatsächlich hatte er aber in sehr kurzer Abfolge fast einander ausschließende Gedichttypen realisiert. Personae (1909) - Masken hieß ein wichtiger Band. Sich an W.B. Yeats anlehnend, werden gleichsam systematisch Varianten des lyrischen Ich ausprobiert, das sich jeweils aus den adaptierten Dichtern und dichterischen Verfahren herstellt und nicht aus einem Ich des Dichters, das die Dichtungen speist und eventuell das Medium eines größeren Ganzen ist. Wenn W. Fischer 1929 in einer der ersten Stellungnahmen zu Pound, die über die Einordnung in den Imagismus hinausgehen, ihn als Expressionisten bezeichnet, so trifft das zwar aus heutiger Sicht nicht, selbst wenn es Berührungspunkte gibt, aber es sollte doch - und das mit Recht - den interna84

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Die Dialektik von Nonkonformismus und Angepaßtheit zeigt sich in E. Frieds Sätzen: »Ich liebe auch Dichter, die nicht politisch sind. Ich liebe auch Eliot und Pound, und beide waren Faschisten«; so der Diskussionsbeitrag Frieds (nach Heimann 1987:60 und Anm. S. 226) nach einer Lesung in MünchenSolln, 23. Februar 1984, immerhin also kein Schriftdokument, aber trotzdem zu lesen. Schon immer wichen natürlich bei Dichtern, und sei es nur in verschiedenen Lebensphasen, ihre Stile und Gegenstände voneinander ab, etwa bei Benn und Brecht. Benns Morgue unterscheidet sich kategorial von seinen gereimten, in regelmäßigen Strophen gebauten Gedichten der zwanziger und der vierziger und fünfziger Jahre. Zwischendurch, 1944/45, entstand wiederum ein prosanaher Gedichttyp (»Chopin«, »Ciemenceau«), den viel später Enzensberger im Mausoleum. 37 Balladen aus der Geschichte des Fortschritts. Frankfurt a.M. 1975 wiederaufnahm.

Pound, Williams: Späte Wirkung

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tionalen Zusammenhang der Avantgarden ausdrücken, allerdings wieder unter Annahme eines Primats der europäischen Literatur (s.S. 38f.), also ohne zu sehen, daß Pounds Dichtung zur Ausbildung eines spezifisch amerikanischen Idioms in der Lyrik beigetragen hat, während er andererseits amerikanische, europäische und fernöstliche Dichtung verknüpfte.86 Erst ab 1959 konnte in der zweisprachigen Werkausgabe dieses poetische Feld in seiner Vielfalt und mit seinen Widersprüchen wahrgenommen werden. Nun aber, noch zu seinen Lebzeiten, setzt in Deutschland bereits die Rezeption der Söhne und vor allem der Enkel Pounds ein. Selbst W.C. Williams, der doch in der Zeitschrift Perspektiven 1953 mit 16 Gedichten vorgestellt worden war, kam erst im Zuge der Vermittlung von Olson, Ginsberg und anderen Autoren, die zum Beat oder seinem Umkreis gezählt wurden und die, wie auch den deutschen Anthologien zu entnehmen war, auf Williams als Anreger-Vorläufer verwiesen (s.S. 167), zu einer deutschen Wirkung. Dabei waren es wohl doch eher die Kurzgedichte, die Enzensberger 1962 in einem selbständigen Band vorstellte,87 welche, trotz der bald folgenden Thesen W. Höllerers zum langen Gedicht, ihre Spuren in der deutschen Dichtung hinterlassen haben. Paterson war ein langes, episches Gedicht in der Tradition Whitmans, der Cantos, des Waste Land und gleichzeitig eine Hinwendung zur heimatlichen Wirklichkeit in moderner Form (anregend z.B. für Olsons Maximus Poems). Es scheint mir, 1970 ins Deutsche übersetzt, eher als Steinbruch für wiederum kürzere Gedichte benutzt worden zu sein, als daß es deutsche Gedichte dieser Länge von nur einiger Bedeutung hervorgebracht hätte. Ein modernes, regionalbezogenes deutsches Versepos (die Gattung lief im Grunde schon im 19. Jahrhundert aus) ist nicht entstanden. Auch Enzensbergers Der Untergang der Titanic (1978) läßt sich nur teilweise in eine Linie mit Paterson setzen. Das Gedicht des Typs, der aus >Strophen< mit jeweils zwei, 86

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Bereits Härtung 1975 hat auf den Einfluß von G. Stein, E. Ponnd auf H. Heissenbüttel hingewiesen. Die Rolle der Zeitschrift fragmente ist von verschiedenen Seiten hervorgehoben worden. Um es zuzuspitzen: Sie demonstriert, indem sie an den Stand der zwanziger Jahre anknüpft, eher den Rückstand der deutschen Poetologien gegenüber dem später kanonisierten, damals möglichen Niveau, als einen Vorsprung dieser Zeitschrift in Hinsicht auf einen originellen Kurs. Benn und Curtius als Gewährsleute des Modernsten: Enzensbergers Anthologie Museum der modernen Poesie (Frankfurt a.M. 1960) wird durch die Spannbreite von Williams bis Perse (die im Vergleich zum Englischen und Französischen kleineren Sprachen sind da weniger wichtig) vorab immerhin angedeutet: Gerhardts fragmente nehmen den Kanon auf, den Göll schon viel früher realisieren wollte (s.S. 93f.). Beide bleiben unglücklich. Zum Verhältnis Williams-Enzensberger s. Galinsky 1966, Sewell 1978/79 und Bridgwater 1967.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

drei oder vier Zeilen mit willkürlich scheinenden Zeilensprüngen besteht, hat u.a. R.D. Brinkmann von Williams übernommen. 5.2.2.

Der Kontakt zur amerikanischen Gegenwartslyrik um 1960 (»Beat«, Olson)

Etwa zwölf Jahre dauerte es, die Defizite aufzuarbeiten, die in den zwölf Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft in der Vermittlung von und den publizierten Darstellungen zu moderner ausländischer Dichtung entstanden waren. Um 1956/57 schien das Niveau erreicht, das schon in den dreißiger Jahren möglich gewesen wäre. H. Friedrichs einflußreiches Standardwerk Die Struktur der modernen Lyrik (1956) realisierte dies. Friedrich legte dabei, wie gesagt, ein Übergewicht auf die romanische, vor allem die französische und spanische Lyrik, ganz wie zugleich z.B. K. Krolows Anthologien Die Barke Phantasie (1957) für die französische Dichtung und etwas später Spanische Gedichte des XX. Jahrhunderts (1962). Letzterer gingen seit Mitte der fünfziger Jahre mehrere Aufsätze zur spanischen Dichtung voraus. Zwar waren vor allem T.S. Eliot und W.H. Auden als Repräsentanten der internationalen Moderne (auch durch Übersetzungen) vor E. Pound zu Ansehen und Wirkung gelangt, doch hatte in der Verknüpfung von älteren deutschen Mustern mit den größeren Freiheiten in Bildgestaltung und thematischer Konsistenz - die inneren Wirklichkeiten hatten an Attraktion gewonnen - der aktivistische, ins Leben drängende Impuls, der von Apollinaire ausgehend gerade durch die surrealistische Programmatik verstärkt wurde, sich eher wieder nach innen gewendet. Gegen diese Tendenz des Gedichtes, zu der eine Alternative freilich in der deutschen Naturlyrik bestand, brachen parallel 1956/57 nach dem Tode Benns und Brechts (und von beiden beeinflußt) jüngere deutsche Lyriker, etwa Enzensberger und Rühmkorf zur Auseinandersetzung mit der (bundes)deutschen gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit auf, ohne den Kunstanspruch aufzugeben. Wenn es darum ging, Lyrik und Leben in Beziehung zu setzen, schienen weder die radikal moderne französische Lyrik noch der T.S. Eliot der dreißiger und vierziger Jahre als Vorbild geeignet. Die französische Lyrik galt nach dem Durchgang durch den Filter der abdämpfenden deutschen Rezeption pauschal (z.T. zu Unrecht) als Paradigma einer in sich gekehrten, esoterischen Dichtung, und von T.S. Eliot wurde trotz anderslautender Hinweise von E.R. Curtius vor allem die forciert abendländisch-katholische Orientierung wahrgenommen. Zur Abwendung von diesen später durch eine noch jüngere Generation als >aristokratisch< oder >elitär< eingeschätzten Dichtungen trug

Höllerer: Anschluß an die USA

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wohl auch ein geschärftes (gelegentlich weniger pluralistisch, sondern eher egalitär wirkendes) Demokratiebewußtsein bei. Amerika bot sich als Beispielpotential an, war die demokratische Tradition in den USA doch offensichtlich ausgeprägter als in Deutschland. So galt Walt Whitman als Initiator eines weltzugewandten, »demokratischen«, offenen Idioms. 88 Auf ihn konnten sich auch die Beat-Autoren berufen. Das tat G. Corso 1958 in einem Aufsatz in den Akzenten. Hier führt die Spur zu W. Höllerer. Er war der erste nach dem Krieg, der den Anschluß an eine jüngst entstandene bzw. noch im Entstehen begriffenen ausländische Literaturszene mit Dauerwirkung (das war dem Vorläufer R.M. Gerhardt nicht gelungen) herstellte, zur Beat-Bewegung und zur Black Mountain School. Die Neuorientierung ist etwa auf sein schon die neueste amerikanische Dichtung berührendes Referat »Deutsche Lyrik in der Mitte des 20. Jahrhunderts und einige Verbindungslinien zur französischen und englischen Lyrik« 89 zu datieren, das er 1958 in Nordamerika auf dem zweiten Kongreß der »International Comparative Literature Association« hielt. Von hier aus ließen sich bereits bestehende Kontakte ausbauen. 90 88

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Zum Wandel der Whitman-Rezeption in Deutschland s. Christadler 1973, besonders S. 126-131, vor allem aber Grünzweig 1991. Brecht ließ sich durchaus mit der Whitman-Linie der amerikanischen Lyrik kombinieren, so daß G. Kunert (1974:14) von sich sagen konnte, er habe von »Paten wie Edgar Lee Masteis, Carl Sandburg, Walt Whitman das Geschenk erster formaler Ausdrucksfähigkeit« erhalten. N. Born adaptierte in seinem Zyklus »Nachrufe« in Marktlage (1965-1967) das Verfahren von Masteis' Spoon River Anthology. Höllerer 1959; seine Relativierung einer »Methode der Komparatistik [...], die sich nur auf Einflüsse, Begegnungen, Reisen, gelesene Literatur usw. stützt, so nützlich im Gesamtrahmen Hinweise auf Einflüsse sein können. Sie gehören den notwendigen Voruntersuchungen an«, wird um die Anlehnung an eine Methode ergänzt, die im »Näherkommen an die einzelnen Werke selbst, die sich im Vergleich gegenseitig mehr und mehr erhellen« (S. 707f.), ihren Kern hat. Diese methodischen Erläuterungen seines Vortrages lassen sich auch als Verbeugung vor dem New Criticism der amerikanischen Gastgeber lesen (etwa R. Wellek). Es ist amüsant und lehrreich zugleich, wie schön Höllerer seinen literaturwissenschaftlichen Ansatz gerade durch seine effektive Praxis als Literaturvermittler zumindest teilweise widerlegte, zu der »Begegnungen, Reisen, gelesene [und veröffentlichte] Literatur usw.« eben erheblich beitrugen - und wie selbst dieses wissenschaftliche Referat ein Vehikel einer intendierten, wenn auch tastenden, poetologisch noch unsicheren Einflußnahme war. So wie, s. etwa Fleischmann 1973:75, Enzensberger 1957 in den USA Ginsberg und Williams besuchte. Es ist keine schlechte Pointe der Rezeptionsgeschichte, wenn Ginsberg Höllerer und Enzensberger zum eisten Mal 1957 in Paris (das damit an seine zentrale Rolle in den zwanziger Jahren anknüpfte) traf. Auf diese Begegnung wies mich Ginsberg in einem Gespräch am 23. August 1990 in Seoul hin.- Die folgenden Ausführungen greifen auch zurück auf Jordan 1984.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter

Nachdem die Akzente schon in den fünfziger Jahren einzelne amerikanische Autoren vorgestellt hatten, gaben Gregory Corso und Walter Höllerer 1961 im Hanser Verlag die seit 1958 vorbereitete Anthologie Junge amerikanische Lyrik heraus. Sie enthielt 39 meist jüngere, wohl von Corso ausgewählte Autoren. Die ersten sechs91 waren, in dieser Reihenfolge, Charles Olson (mit dem Gedicht The Death of Europe), Gregory Corso, Allen Ginsberg, Robert Creeley, Frank O'Hara und Kenneth Koch. Die Reihenfolge ist wohl programmatisch, vielleicht wertend. Der Band faßte im wesentlichen zusammen: Autoren der Beat-Bewegung (Ginsberg, Corso; O'Hara und Koch wurden damals in deren Umkreis gestellt, bevor sie der allerdings recht heterogenen »New York School« zugerechnet wurden) sowie Olson und Creeley, die führenden Dichter und Dozenten des Black Mountain College in North Carolina. Letztere standen Höllerer poetologisch näher als die Autoren des Beat. Daß Lawrence Ferlinghetti, führender Kopf der San FranciscoPoets und dem Surrealismus nahestehend, in dem Band eine weniger auffällige Rolle spielt, mag an inneramerikanischen Richtungskämpfen liegen. Ihnen allen war außer dem Urahn Walt Whitman zumindest eines gemeinsam: Sie bekämpften die maßgebliche »Schule« von T.S. Eliot (und Ezra Pound, der aber vielseitiger und daher auch vielfältiger rezipierbar war und tatsächlich zu den >Lehrern< nicht nur Olsons gehörte) und den in ihrem Zeichen herrschenden Akademismus der amerikanischen Literatur und Literaturkritik in den vierziger und frühen fünfziger Jahren, wie ihn der New Criticism vertrat. 92 Für die Beat-Autoren war dies freilich kein bloß literarischer, sondern ein auf die gesamte Lebenswirklichkeit bezogener Kampf für gesellschaftliche, sprachliche und vitale Freiheiten. Viel stärker als Corso und Höllerers Junge amerikanische Lyrik zeigte das die nur ein Jahr später (Reinbek 1962) von K.O. Paetel herausgegebene Anthologie Beat, die, mit Fotos und einem ausführlichen Anhang versehen, das Lebensgefühl dieser amerikanischen Bewegung über die Literatur hinaus gut dokumentierte. Doch enthält sie im Bereich Lyrik 19 der Namen, die Corso und Höllerer versammelt hatten. Von den wichtigen Autoren unter den Lyrikern fehlte bei Paetel nur J. Ashbery. Durch diese z.T. bis in die Auswahl einzelner Texte reichende Übereinstimmung wurde rasch die Bildung eines Kanons unterstützt, der dann für die Rezeption in Deutschland im wesentlichen gültig blieb. Etwas stärker als Höllerer wies Paetel auf die Verbindungsli91 92

Von allen diesen Autoren sind ab 1959 auch deutsche Einzelausgaben erschienen, vor allem bei Limes; zuerst und am weitesten beachtet A. Ginsberg: Das Geheul und andere Gedichte. s. dazu Hassan 1974, Frank 1977 und Strelka/Hinderer, ed. 1970.

Beat/Höllerer

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nien der Bewegung zu den europäischen Avantgarden der ersten Jahrhunderthälfte, insbesondere zum Surrealismus, hin. Jedenfalls kamen hier aus Übersee breite Angebote einer vitalistischen, antiformalistischen und antiakademischen Dichtung, welche Elemente eines politischen Protestes (der als Fluchtlinie die Unbegreiflichkeit der Atomwaffen hatte) enthielt. Als literarische Vorbilder oder Anreger nannten diese jüngeren amerikanischen Autoren meist E. Pound und W.C. Williams. Das deutsche Amerika-Bild war damals vom Image der Freiheit besetzt, das sich aus älteren Quellen speiste und in der jüngsten Vergangenheit eindrucksvoll durch die Beseitigung der Naziherrschaft bestätigt worden war. Daß die amerikanische Wirtschaft durch den erheblichen Absatz von Konsumgütern, Transportmitteln und Medienprodukten (Cola, Boeing, Micky Maus) die Lebenspraxis in der Bundesrepublik mitbestimmte, spielt in Höllerers literarischem Vermittlungs-Programm keine hier nachweisbare Rolle. Sie könnte wohl nur in einer umfassenderen Verbindung von kultur- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive untersucht werden. Im nachhinein hat Höllerer den Import amerikanischer Lyrik im Gegenteil gerade damit begründet, er sei gegen die Folgen einer ökonomischen Amerikanisierung Westdeutschlands gerichtet gewesen. Er hat das im Mai 1979 im ersten Lyrikertreffen Münster so vorgetragen: [...] ich hatte in der Zwischenzeit meine amerikanischen Erfahrungen gemacht, mich mit Allen Ginsberg und Gregory Corso und Lawrence Ferlinghetti befreundet, der Band Junge amerikanische Lyrik kam im Carl Hanser Verlag heraus. Der größere, rebellierende Sprechatem schien mir in Europa genauso notwendig, in unserer Literatur, wie dort in Amerika. Wir waren im Wirtschaftsleben dabei, den amerikanischen Overground in seiner gleichschaltenden, verrechteckenden Systematik zu importieren, d e n Overground, gegen den Ginsberg und seine Freunde protestierten - unsere poetische Tradition kennt das langhinlaufende, bewegliche Sprechgedicht nicht so selbstverständlich wie die amerikanische Literatur mit ihrem Walt Whitman - , und so kam mir in der gegenwärtigen Autorenpoetik Charles Olson zu Hilfe, mit seiner Poetik des Projektiven Verses. 01son, Corso, Ferlinghetti, später auch Ginsberg folgten den Einladungen nach Berlin. Sie lasen in der Akademie der Künste. (Höllerer 1981:21)

Mit der Vermittlung von Olson, Creeley einerseits und Ginsberg, Corso andererseits sowie Ferlinghetti ging der Versuch Hand in Hand, sie als die maßgeblichen amerikanischen Gegenwartsdichter vorzustellen. Damit war freilich eine Verengung des Bildes der amerikanischen Lyrik verbunden. Da die neue amerikanische Literaturszene den deutschen Literaten nicht gut bekannt war, konnte sich bei ihnen der Eindruck durchsetzen, als seien etwa Olson, Creeley und Ferlinghetti nicht nur wichtige, sondern die wichtigsten amerikanischen Lyriker, während sie

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Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter

doch nur einen Teil des amerikanischen Lyrikspektrums darstellten. Zwar wurden - neben W.C. Williams - u.a. auch Robert Frost und Wallace Stevens ins Deutsche übertragen, aber sie erfreuten sich nicht der gleichen Protektion. So wichtige amerikanische Lyriker wie Robert Lowell und John Berryman sind in Deutschland weniger (und später) bekannt geworden. 196593 verdichteten sich diese Anregungen hierzulande erstmals in einem Programm, in W. Höllerers von den Akzenten veröffentlichten »Thesen zum langen Gedicht«. Daß dieses Jahr und diese Thesen im Zuge der in den fünfziger Jahren beginnenden Bewegung zu einer an der Wirklichkeit orientierten Lyrik einen weiteren Abschnitt markieren, bestätigen einflußreiche nachfolgende Autoren, wie schon die Untertitel zweier Publikationen der siebziger Jahre andeuten. Es sind zum einen der 1976 erschienene Band von J. Theobaldy und G. Zürcher: Veränderung der Lyrik. Über westdeutsche Gedichte seit 1965, zum anderen 1977 die Sammlung Was alles hat Platz in einem Gedicht? Aufsätze zur deutschen Lyrik seit 1965, herausgegeben von H. Bender und M. Krüger. Sie schreiben in ihrer Nachbemerkung: »Es schien uns für den Stand der Auseinandersetzung nützlich, die an verschiedenen Orten publizierten Aufsätze, Nachworte und Glossen der Autoren zu sammeln, die in den Jahren seit 1965, als zum ersten Mal nach dem Krieg eine offene Schreibweise gefordert und damit der enge Kanon der sogenannten hermetischen Lyrik angegriffen wurde, die Diskussion bestimmten« (S. 214). An den Anfang des Bandes stellen sie Höllerers »Thesen«, die Theobaldy und Zürcher als »ersten, frühen Angriff auf die »erzwungene Preziosität und Chinoiserie< des Gedichts« (S. 26), insbesondere der »hermetischen Lyrik< sehen. Ich möchte nun einen genaueren Blick auf die »Thesen« werfen, um zu sehen, inwieweit sich in ihnen der behauptete Einfluß nachweisen läßt. Es soll nicht unterschlagen werden, daß hierbei auch andere Anregungen und Quellen eine Rolle spielen. Höllerer selbst wies immer wieder z.B. auf den Polen Tadeusz Rözewicz hin. Die Begegnung von »westlicher« und »östlicher« Lyrik - in Berlin - ist ein anderer wichtiger Aspekt von Höllerers literarischem Programm. Doch sind seine amerikanischen Freunde wirksamer als polnische, tschechische, jugoslawische (oder italienische) Lyriker, wozu freilich die allgemeinen Rezeptionsbedingungen entscheidend mitbeitragen. Doch gelang es Höllerer ab 1960 immerhin zum ersten Mal seit den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, neueste ausländische Poesie mehr als nur punktuell oder zufällig nach Berlin zu holen. Auch in dieser Hinsicht war nun ein Rückstand aufgeholt, den gleichzeitig (1960) 93

Zum Zeitraum vor 1965 s. auch Galinsky 1972 und Fleischmann 1973.

Höllerer: »Thesen zum langen Gedicht«

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H.M. Enzensbergers Museum der modernen Poesie in literarhistorischer Richtung (gegen die er freilich ein bißchen polemisierte) herstellte. Die »Thesen« formulieren eingangs axiomatisch, das lange Gedicht unterscheide sich »von den übrigen lyrischen Gebilden« durch seinen Umgang mit der Realität (These 1), und es sei schon der »Form nach politisch« (These 2). »Die Republik wird erkennbar, die sich befreit« (These 3). Durch welche Stilmittel soll dieses Ziel erreicht werden? Durch »ganze Sätze und längere Zeilen« (These 14), durch »freieren Atem« (These 6) in Versbau und Schriftbild, durch die Verbindung von Alltäglichem und Utopischem (These 12) und die Zugabe von »Banalitäten« (These 9). These 13 beginnt: »Subtile und triviale, literarische und alltägliche Ausdrücke finden somit notgedrungen im langen Gedicht zusammen.« Viermal wird dabei das Wort »Atem« (»weiterer Atem«, »freierer Atem« bzw. umgekehrt: »Kurzatmigkeit«) verwendet, das belegt am deutlichsten die direkte Abhängigkeit von Olsons Essay Projective Verse (in Deutschland 1965 zusammen mit Gedichten Olsons in Übersetzung erschienen). Doch hatte auch A. Ginsberg auf den Zusammenhang von Vers und Sprechrhythmus hingewiesen. In der Einführung zum Olson-Abschnitt in Ein Gedicht und sein Autor. Lyrik und Essay, das die Lesungen von 21 Autoren aus 11 Staaten im Literarischen Colloquium Berlin 1966/67 zusammenfaßt, zitiert Höllerer Olson: »Der Vers muß heute, wenn er weiterkommen soll, wenn er von entscheidendem Nutzen sein soll, für meine Begriffe gewisse Gesetze und Möglichkeiten des Atems einholen und sich ihnen verschreiben: des Atems und des Atems dessen, der schreibt, wie auch seines Zuhörers... Der Poet soll sich ins Offene begeben, in eine Feldkomposition der Worte.«94 Olson verwendete die Begriffe Projective Verse, Open Verse, Field Verse synonym. Nicht ganz deutlich wird, daß Olson mit »heute« nicht die Mitte der sechziger Jahre im Auge hatte. Im Original hieß es: »Verse now, 1950, if it is to go ahead...« Höllerers Analyse der Sprachkomponenten: »Olsons Sprache ist einerseits die Umgangssprache, die Sprache, die allen gemein ist, in Dantes Sinn; andererseits versucht er im Rekurs auf Etymologie und in Analogie zu primitiven Sprachen Möglichkeiten wieder nutzbar zu machen, die lange verschüttet waren«, diese Analyse ging - leicht variiert - in die 13. These ein. Höllerers strebte noch nicht eine durchgängige Trivialisierung der Sprachebenen an. Die Hinwendung zum natürlichen Element des Atems des Autors hatte bei Olson und auch in der Übernahme durch Höllerer den Sinn, 94

»Komm! ins Offene, Freund!« heißt das Motto von Theobaldys Gedichtband

Blaue Flecken.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

die Intellektualisierung von Dichtung, die rationale Komposition von Form zum großen Teil aufzugeben und an dessen Stelle etwas anderes zu setzen. Olsons Forderung »One perception must immediately and directly lead to a further perception« hat ihre Entsprechung in These 4. Es sollte nicht konstruiert, sondern die Reihe der Wahrnehmungen wiedergegeben werden. »Form is never more than extention of content.« Diese Bestimmung der Form als Quantität wird auch zur direkten Anregung für Nicolas Born. 95 Von den drei Olsonschen Kernbegriffen Silbe - Zeile - Feld wird in Höllerers Thesen vor allem die (Öffnung der) Zeile übernommen, während der Feldbegriff ebenfalls unter Rückgriff auf Olson etwa bei Jürgen Becker eine wichtige Rolle spielte. Die Zeile kommt durch den Atem zustande, das Feld durch die Bewegung der Wahrnehmung. Daß die Silbe bei der Rezeption Olsons in den Hintergrund rückte, liegt wohl daran, daß ihre Betonung eine Rechtfertigung der »Preziosität und Chinoiserie« des kurzen Gedichtes hätte bedeuten können. Karl Krolow hat 1966 in seiner ebenfalls in den Akzenten veröffentlichten Erwiderung Olsons Einfluß auf Höllerer erkannt. Die Diskussion macht deutlich, daß es sich auch um einen Machtkampf rivalisierender literarischer Strömungen handelte: Ein einzelner kann seit langem nicht mehr in eine Entwicklung eingreifen, die sich so stark von der literarischen Individualität gelöst hat, die unabhängig von ihr und in vielem anonym verläuft, die man freilich verfolgen und fixieren kann, die man für eine Weile anhält, in der man sich über sie klar werden möchte. Höllerer hat das getan und ist einen Schritt weiter gegangen. Er hat von ihm wahrscheinlich überschätzte Entwicklungstendenzen, die ihm Anhaltspunkte für seine Darlegungen gaben, voran zu treiben unternommen. (Krolow 1966: 274)

In den folgenden Jahren realisierten sich aber doch Höllerers Intentionen. Im Grobschnitt: Das »aristokratische«, hermetische, ästhetisierende, an romanischen Vorbildern orientierte Muster wurde bei vielen jüngeren Autoren abgelöst durch das realistische, »demokratische«, offene, amerikanische Muster. Als Medien der Durchsetzung dienten z.B. die Akzente, das Literarische Colloquium Berlin, die Verlage Hanser und Suhrkamp. - Selbstverständlich waren in dieser Bewegung zur Realität auch andere Faktoren wirksam, etwa Brecht und die Fortbildung des lakonischen Gedichts, die oben genannten Enzensberger und Rühmkorf, Anthologien wie P. Hamms Aussichten (1966). Doch die Dichtung der siebziger Jahre stand, betrachtet man die Menge entsprechender lyrischer Publikationen, unter amerikanischem Einfluß.

95

s. dazu Härtung 1978, Ribbat 1981.

O'Hara/Brinkmann 5.2.3.

171

Frank O'Hara

»Frank O'Hara (1926-1966), der bei einem Autounfall ums Leben kam, gehört zu den eigenwilligsten und einflußreichsten Autoren der neuen amerikanischen Lyrik.« So begann der Klappentext der 1969 erschienenen ersten deutschen Buchveröffentlichung O'Haras, Lunch Poems und andere Gedichte, die R.D. Brinkmann übersetzt und mit einem Nachwort (Dezember 1968/Januar 1969, also unmittelbar vor dem Nachwort zu Acid) versehen hatte. Die Einleitung stammte von Ted Berrigan, den Brinkmann bald darauf, 1970, mit dem Buch Guillaume Apollinaire ist tot (s.S. 129f.) in Deutschland ausführlich vorstellte.96 Innerhalb der Bewegung der Lyrik zur Realität und der Aufhebung oder weitgehenden Lockerung besonderer Artistik in der Literatursprache zugunsten des Einsatzes der Alltagssprache kommt Brinkmann97 (1940-1975) besondere Bedeutung zu. Der erste Schritt in diese Richtung war die Verbindung des noch sehr jungen Autors zu Dieter Wellershoffs Kölner Schule des »Neuen Realismus«, der zweite die Vermittlung neuer amerikanischer Lyrik und Prosa. Durch die Begegnung mit ihr veränderte sich Brinkmanns Stil um 1968. Die erste Bekanntschaft mit der neuen amerikanischen Literatur dürften die Publikationen W. Höllerers, K.O. Paetels und dann R.-R. Rygulla angeregt haben, der 1968 im März-Verlag eine Sammlung von Underground-Gedichten New Yorker Autoren veröffentlichte: Fuck you! Gemeinsam gaben Brinkmann und Rygulla 1969 Acid. Neue amerikanische Szene heraus, Brinkmann 1969 ferner Silverscreen. Neue amerikanische Lyrik, dessen Untertitel Bezug auf die Sammlung Corsos und Höllerers von 1961 nimmt. Der erste Ertrag dieser neuen Orientierung findet sich bei Brinkmann selbst in Die Piloten (1968). Der Titel der Gedichtsammlung Gras (1970) schließlich weist durch die Anspielung auf Whitmans Leaves of Grass auf die amerikanische Tradition hin, wie später Westwärts 1 & 2 (1975), schon gebrochen, noch einmal auf Amerika. In diesem Zeitraum wechselt, auch durch die eben genannten Anthologien, das Vorbild bzw. tritt ein neues Vorbild auf, in dieselbe Richtung zielend, aber vereinfachend und intensivierend. Olson, Höllerers poetologischer Gewährsmann, wird durch Frank O'Hara abgelöst; und bei den Beat-Autoren werden die radikaleren, auf Entkunstung und Enttabuisierung bedachten Autoren des Undergrounds (Burroughs, Bukowski, Padgett u.v.a.) stärker beachtet, Da hinein mischen sich die

96 97

Die folgenden Ausführungen zu O'Hara/Brinkmann basieren z.T. auf Jordan 1984. s. dazu Schäfer 1981.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

Pop-Art, 98 und anders als bei Höllerer (oder Enzensberger, dessen Kritik, 1962 z.B. an Kerouac, von Brinkmann 1969 im Nachwort zu Acid kritisiert wird, sie entstamme der bekannten »Unsinnlichkeit des Denkens abendländischer Intellektueller«, S. 384), der sich eher literarisch orientierte, auch die Adaption der Medien: Photo, Film und Comic strip, Schallplatte, Kassette." {Acid wandelt dabei auf den Spuren von K.O. Paetels Beat.) Das hängt zusammen mit der Tendenz, autoritäre Strukturen, durch Willkür oder durch die Macht der Tradition bedingte Normierungen wie z.B. die Abgrenzungen zwischen den Kunstgattungen abzuschaffen, aber auch die Unterschiede, unterschiedlichen Verhaltensformen der Geschlechter aufzugeben. Restriktionen wurden im sexuellen Bereich als besonders drückend empfunden, wie die Vielzahl von Texten belegt, die gerade diesen Bereich enttabuisieren wollen. Diese Bewegung ist auch unter dem Gesichtspunkt zu sehen, dem Lustprinzip Geltung zu verschaffen. Durchsetzung des Lustprinzips schloß und schließt ein, sich auf die Gegenwart einzurichten, auf den jetzt erlebten Moment. Geschichte und Reflexion wurden als lustfeindlich verworfen, der unmittelbaren Wahrnehmung, deren Umfang und Inhalt zu vergrößern Drogen dienen sollten, der Vorzug gegeben. Die unmittelbare Wahrnehmung aber hat ihre unmittelbare Wiedergabe eher im optischen Bereich, in Film und Photo. Als Konsequenz war das Eindringen von Photos als integrale Bestandteile von Gedichtbänden seit Ende der 60er Jahre zu beobachten. 100 Brinkmann 1968 im Vorwort zu Die Piloten: »Ich denke, daß das Gedicht die geeignetste Form ist, spontan erfaßte Vorgänge und Bewegungen, eine nur in einem Augenblick sich deutlich zeigende Empfindlichkeit konkret als snap-shot fest98 99

s. dazu Härtung 1971. Auf Kassetten legte der S-Press-Tonbandverlag (Wuppertal) vor allem Lesungen amerikanischer Autoren vor: Ginsberg, Burroughs, Snyder, McClure, Rothenberg, Creeley u.a. Freilich gab es bereits zu Junge amerikanische Lyrik (1961) eine Schallplatte. 100 s. dazu Völker 1981:190-198.- Abgesehen davon, daß gerade das persönliche Erlebnis seit langem ein zentrales Thema der Lyrik ist, wird in der modernen Literatur und ihrer Ästhetik häufig angestrebt, den (besonderen) Moment festzuhalten. Eine solche Ästhetik des Moments kommt schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus den verschiedensten Quellen: aus dem Glauben, der große Zusammenhang sei zerbrochen (Hofmannsthals Chandos-Brief 1902); aus dem Ästhetizismus des späten 19. Jahrhunderts, so in den >Epiphanien< des frühen Joyce (dort gemischt mit religiösen Quellen), so auch noch - unter Abzug dekadenter Anteile - im Imagismus bei Ezra Pound, H D. und dann in deren Folge bei W.C. Williams und im >Objectivism< z.B. L. Zukofskys, die schon Gedicht und Foto in Beziehung brachten, s. dazu Schiffer 1977. Die Kunstform der Performance steht in dieser ästhetischen Tradition; vgl. den Titel von J. Gerlach: Okzidentale snapshots (1965); zuvor u.a.: Tristan Torsi (d.i. I. Göll): Films (1914), Cl. Göll: Lyrische Films (1922), B. Cendrars: Kodak (1924).

O'Hara/Brinkmann

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zuhalten.« Zudem galten die auf Kommunikativität angelegten Massenmedien als demokratischer. Der Film wurde schon 1920 von Carlo Mierendorff (Hätte ich das Kino!!) und 1926 von Adolf Behne in der Weltbühne gegen die Literatur ausgespielt: »aristokratische Buch-Dichtung gegen demokratische Film-Dichtung«, ähnlich Brecht.101 Auch damals gründete diese Kontrastierung auf einem amerikanisch-europäischen Antagonismus, auch damals, nach dem Ersten Weltkrieg, im Zusammenhang mit einer ersten ökonomisch begründeten Amerikanisierung. Während Höllerer noch Dichter vieler Sprachen vermittelt und zusammengebracht hatte, traten nun zunächst so gut wie ausschließlich amerikanische Autoren ins Blickfeld. Gleichermaßen für die amerikanische Lyrik konstatiert und für die deutsche herbeigeführt wird der Paradigmawechsel von Olson zu O'Hara in Brinkmanns Vorwort zu Silverscreen, das feststellt, Olson sei im Verhältnis zu seiner inneramerikanischen Bedeutung zu stark in den Vordergrund gerückt worden: Frank O'Hara wurde in diese Anthologie mit einem langen Gedicht hineingenommen, da seine Art des Gedichts (neben den Gedichten des New Yorkers John Ashbery) 102 den intensivsten Einfluß auf die Generation nach 1940 ausübte und weiterhin ausübt. Das steht im Gegensatz zu den uns bekannten Informationen vom Einfluß Charles Olsons auf die jüngere Generation, obwohl das eine Zeitlang sicher so ausgesehen haben muß. Die >Auflösung< des Gedichts als totales Kunstwerk mit anspruchsvollem Bild- und Vorstellungsmaterial zu einer subjektiven und beiläufigen Ausdrucksart geschah über die Gedichte Frank O'Haras. (S.

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O'Hara ist aber nicht oder nur bedingt zur amerikanischen Underground-Literatur zu zählen. 103 Er war meistens milder, viel weniger kämpferisch. Im Vorwort zu Die Piloten verbindet Brinkmann O'Hara und eine Hommage an den Film: Ich gebe gerne zu, daß ich mich von der deutschsprachigen Lyrik nicht habe anregen lassen. Sie hat meinen Blick nur getrübt. Dankbar bin ich dagegen den Gedichten Frank O'Haras, die mir gezeigt haben, daß schlechthin alles, was man sieht und womit man sich beschäftigt, wenn man es nur genau genug sieht und direkt genug wiedergibt, ein Gedicht werden kann, auch wenn es sich um ein Mittagessen handelt. Zudem war Frank O'Hara ein leidenschaftlicher Kinogänger, was mir in jedem Fall sympathisch ist. Ich widme deshalb den vorliegenden Gedichtband dem Andenken Frank O'Haras und dann all denen, die sich immer 101 s. dazu Kaes 1975 und Galinsky 1975. 102 Von ihm ist 1980 ein deutscher Auswahlband erschienen: Selbstporträt im konvexen Spiegel. München, Wien o.J. 103 Diese radikale Variante der Beat-Literatur hat auch ihre eigene Rezeption. Sie konnte in Deutschland trotz einiger Versuche kaum Fuß fassen (zu nennen ist aber z.B. Ch. Derschau). Das liegt sicher auch am Unterschied zwischen New York und Berlin/Hamburg.

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wieder von neuem gern auf den billigen Plätzen vor einer Leinwand zurücksinken lassen. Sie alle sind die Piloten, die der Titel meint. O'Hara w a r in D e u t s c h l a n d erstmals in der erwähnten A n t h o l o g i e Junge amerikanische Lyrik 1 9 6 1 vorgestellt w o r d e n . Er ist der e i n z i g e Lyriker, der in alle in d i e s e m Kapitel e r w ä h n t e n A n t h o l o g i e n und also b e reits in Karl O. Paetels Beat ( 1 9 6 2 ) a u f g e n o m m e n w u r d e . 1 0 4 1 9 6 9 ers c h i e n e n , v o n B r i n k m a n n übersetzt, d i e Lunch Poems ( e i n e A u s w a h l aus mehreren Gedichtbänden; der g l e i c h n a m i g e B a n d war 1 9 6 4 , z w e i Jahre vor d e m T o d e O'Haras e r s c h i e n e n ) . D a s ausführliche N a c h w o r t » D i e Lyrik O'Haras« s o w i e das N a c h w o r t z u Acid u n d d a s N a c h w o r t z u Silverscreen erklären die Attraktivität, d i e O'Hara und andere A u t o r e n für B r i n k m a n n hatten. D a b e i z e i g t sich, daß d i e v o n Höllerer propagierte Ö f f n u n g zur Realität rasch radikalisiert wird. B r i n k m a n n reflektiert: Die Absage an eine Richtung, die das Gedicht wieder zu einer literarischen Exklusivität werden läßt und somit abkehrt von den alltäglich-gewöhnlichen Vorgängen, argumentiert für die Weiterführung eines nach allen Seiten offenen Gedichtstyps, der sich selbst dem Trivialen, Banalen nicht verweigert - [...] Dem subjektiven Interesse wird der Vorrang gegeben und der Grad direkten physischen und psychischen Beteiligtseins gibt den Ausschlag [...] Diese ausdrückliche Betonung des Aktionsmoments, das den Gebrauch von Metaphern und Symbolen überflüssig macht im Gegensatz zu jener vorsichtig-ängstlichen europäischen Haltung, die vor alles Tun zunächst die Reflexion setzt und gemeinhin auch darin steckenbleibt, so daß jedes Ergriffene und in einem Gedicht verwendete zwangsläufig des eigenständigen Charakters entkleidet wird und umstilisiert wird zum bloßen Beleg für irgend etwas, ist typisch für den amerikanischen Künstler überhaupt. (Nachwort zu O'Hara 1969:63) Merkwürdig und gewiß einer genaueren Betrachtung wert ist die Angst des »Intellektuellen«, am Konsum teilzuhaben, auf Reizmuster sich einzulassen [...] ist es die Angst, sein >Gesicht< zu verlieren? Indem jedoch auf gegenwärtige Reizmuster eingegangen wird, diese im Gedicht zwanglos und selbstverständlich verwendet werden und gleichzeitig der Abbau des überkommenen im Selbstverständnis der Gesellschaft enthaltenen Dichterimages betrieben wird - der Dichter ist jemand, der über etwas steht! jaja - kommt es zur Trivialisierung der Kunstform >Gedicht< und damit praktisch zur Zersetzung jenes bis heute ständig reproduzierten, doch längst nur noch pathetisch-hohlen autoritären Gestus, der sich in dem Maße verfestigte, wie das Gedicht mehr und mehr zur bloßen Kunstform erstarrte. (S. 68f.) L u s t g e w i n n und antiautoritärer I m p u l s sind die b e s t i m m e n d e n Kräfte dieser Poetik. M e r k w ü r d i g scheint mir, daß B r i n k m a n n einerseits d i e S y s t e m e Kultur und Literatur mit der A b g r e n z u n g der G a t t u n g e n untereinander u n d d i e Trennung v o n Literatur, L e b e n und Lust als repressiv 104 Kurioserweise wird sein Name mitangekündigt im Klappentext zu Lowenfels, ed. 1968, denn der Band enthält keinen Text von O'Hara.

O 'Hara!Brinkmann

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ablehnt und gleichzeitig die Intellektuellen rügt, sie ließen sich nicht genügend auf die Reize z.B. der Medien ein, so als ob diese keinen Zwang ausübten. Die (neuere) amerikanische Literatur wird von Brinkmann gegen die europäische ausgespielt. Ich führe dafür noch zwei Belege an: »Der grundlegende Unterschied der neuen amerikanischen Gedichte zu den derzeit noch üblichen Gedichten abendländischer Machart ist, daß nicht mehr in Wörtern gedacht (und gelebt) wird, sondern in Bildern« (S.30). »Ist nur annähernd begriffen worden, daß zum erstenmal innerhalb des westlichen Kulturbereichs eine trotz vieler Widersprüche einheitliche Gesamtbewegung nicht mehr in Europa, sondern dort drüben in New York stattfindet?«105 Brinkmanns Verdruß an der europäischen Kultur, die sich ihm in geschlossenen Systemen (Gattungen) präsentierte, war so groß, daß er die Auflösung von Kultur und Literatur, die etliche amerikanische Künstler anscheinend leisteten, naiv begrüßte. Dabei fällt an der faszinierten Beurteilung der modernen Medien bis in die Argumentationsmuster eine große Ähnlichkeit mit dem Futurismus auf: das antihistorische, intermediale und gattungssprengende Moment; die Betonung der Kategorie Simultaneität; der Glaube, durch die neue Technik sei eine neue Wahrnehmung möglich und Ästhetik müsse sich an dieser Veränderung orientieren. Die entsprechenden Äußerungen Brinkmanns zeigen, daß sich das Apolloprogramm auf die Lyrik ausgewirkt hat. Der in jenen Jahren futuristische, in jedem Fall kämpferische Ton Brinkmanns stammt nicht von O'Hara, fehlt diesem und dann auch meistens den in seinem Tonfall schreibenden deutschen Autoren nach 1970. Denn das ist schon ein Unterschied zwischen Olson und O'Hara: dieser zeigt kein Interesse für Literaturprogramme und -theorien, er sucht keinen Sinn - wie Ginsberg im Zen-Buddhismus oder Gary Snyder in der Ökologie er hält nichts von poetologischen Statements. Sein längstes Statement »Personism - A Manifesto« ist eher die Parodie eines Manifests und auch nur zwei Seiten kurz.

105 Als Bestätigung der literarhistorischen Kontinuität des Mythos von der Westwärtswanderung der Kultur ein Zitat aus dem Tagebuch eines von Brinkmann sonst verschiedenen Autors: August Graf von Platen notierte am 26. Juni 1818: »Übrigens zeichnete ich vor ein paar Tagen ein Gedicht auf Die Erscheinung Colombos, worein ich den Gedanken legte, daß bald die ganze Kultur Europas nach Amerika wandern wird, daß unsere Geschichte sich ihrem Ende naht...« In dem Gedicht Colombos Geist heißt es: »Segle westwärts, sonne dich am Lichte,/ Das umglänzt den stillen Ozean;/ Denn nach Westen flieht die Weltgeschichte...« (Fassung von 1829).

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Nachdem Frank O'Hara 106 sich bis zum Anfang der fünfziger Jahre literarisch vor allem an französischen Lyrikern der Gegenwart wie Pierre Reverdy und René Char orientiert hatte, begann er allmählich, seinen Stil weiter zu entwickeln. Dabei sind zwei Einflüsse wichtig: erstens die Beat-Bewegung mit der Tendenz, Spontaneität und Lebensnähe in den Vordergrund zu rücken. Zunächst wurde O'Hara dieser Strömung zugeordnet. Noch der Klappentext der deutschen Ausgabe der Lunch Poems stellt ihn in diesen Zusammenhang: »Neben Ferlinghetti, Ginsberg, Corso, Le Roi Jones ist O'Hara einer der Initiatoren der Beat-Lyrik.« Die zweite Quelle ist die bildende Kunst, insbesondere die Malerei. O'Hara war als Assistant Curator längere Zeit am Museum of Modern Art tätig. Er organisierte z.B. Wanderausstellungen amerikanischer Maler, u.a. auch nach Europa. Lunch Poems, das meint die Gedichte, die in der Mittagspause (seiner Arbeit als Kunstorganisator) entstanden sind. Beeinflußt war O'Hara insbesondere vom »action painting«, dessen renommiertester Vertreter Jackson Pollock war. Diese Richtung wollte nicht mimetisch abbilden, sondern Aktion und Bewegung des Künstlers sichtbar machen und festhalten. O'Haras Nähe zu dieser Malerei ist gelegentlich von seinen deutschen Vermittlern und Rezipienten zugunsten einer - sich eher inhaltlich äußernden - Nähe zum Film verdrängt worden. O'Haras Gedichte sind auch durch ein dreifaches Desinteresse ihres Autors zu bestimmen: 1. an Literarizität, an einem Individualstil, 2. an Sprachexperimenten und Sprachproblemen, 3. an politischen und sozialen Zielsetzungen. In etlichen seiner Gedichte gibt O'Hara, unter Einschluß der Namen von Popstars, Filmen und in bewußter Nähe zur Sprache seines Umgangs, seine (Alltags-)Erfahrungen wieder. Daß es ihm um die Lebenspraxis geht, zeigt die häufige Erwähnung von Freunden oder Bekannten, für die die Gedichte z.T. geschrieben sind. Sie dienen auch der Kommunikation innerhalb einer kleinen Gruppe und werden daher oft in entsprechenden kleinen Zeitschriften veröffentlicht. Ein Beispiel, das aber zugleich gegen die Intentionen und Klischees Brinkmanns eine Orientierung O'Haras an europäischer Kultur (Bastille-Tag, Verlaine, Bonnard, Hesiod, B. Behan, J. Genet) selbst dann zeigt, wenn es die Jazz- und Bluessängerin »Lady« Billie Holiday erinnert:

106 s. dazu die Monographie von Perloff 1979.

O 'Hara!Brinkmann

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Der Tag an dem Lady starb Es ist 12 Uhr 20 in New York ein Freitag drei Tage nach dem Bastille-Tag, ja es ist 1959 und ich laß mir die Schuhe putzen weil ich aus dem 4 Uhr 19 Zug in Easthampton um 7 Uhr 15 aussteigen werde und dann direkt zum Abendessen gehe und die Leute nicht kenne die mich füttern werden ich gehe die muffige Straße hoch die sonnig wird und laß mir einen Hamburger geben und einen Milchmix und kauf mir ein fieses NEW WORLD WRITING um zu sehen was die Dichter in Ghana heutzutage machen ich gehe weiter zur Bank und Miss Stillwagon (mit Vornamen Linda hörte ich einmal) sieht ausnahmsweise diesmal nicht nach meinem Kontostand und aus dem GOLDEN GRIFFIN nehme ich für Patsy eine kleine Verlaine-Ausgabe mit Zeichnungen von Bonnard mit obwohl ich an Hesiod denke, übers, von Richmond Lattimore oder an Brendan Behans neues Theaterstück oder Le Balcon oder Les Nègres von Genet, aber ich kaufs nicht, ich bleibe bei Verlaine nachdem ich praktisch aus Unentschiedenheit schon eingeschlafen bin und für Mike trotte ich schnell noch in den PARK LANE Spirituosenladen und frage nach einer Flasche Strega und gehe dann zurück wo ich hergekommen bin zur 6th Avenue und dem Tabakhändler im Ziegfeld Theater und bitte nebenbei um ein Päckchen Gauloises und ein Päckchen Picayune und eine NEW YORK POST mit ihrem Bild vorne drauf und ich schwitze jetzt schon viel und denk daran wie ich gegen die Lokustür im 5 SPOT gelehnt stand während sie Mal Waldron und allen über die Klaviertasten hinweg ein Lied zuflüsterte und ich aufhörte zu atmen (O'Hara 1969: 25)

M. Perloff nennt diese Gedichte, O'Hara zitierend, >1 do this, I do thatpoems< und weist auf ihre Wirkung hin:

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By 1964 or so, O'Hara's style, especially the style of the >1 do this, I do that< poems, was beginning to have a marked influence. Ted Berrigan wrote a series of >SonnetsAfter Frank 0'Hara< [...] And Ron Padgett wrote a poem called 16 November 1964, whose opening recalls O'Hara's Personal Poem. (S. 178f.)

Diese Gedichte enthalten häufig genaue Zeit- und Ortsangaben. Sie sollen Authentizität verbürgen, freilich nicht Originalität. Den Verzicht auf Originalität, auf stilistische Individualität bekräftigt Ted Berrigan im Vorwort der Lunch Poems: Nach der Lektüre dieses Buches und Gedichten von Frank O'Hara in den verschiedensten Magazinen, setzte ich mich hin, um alle seine Zeilen zu plagiieren, frei nach der derzeitigen Dichtungstheorie, die besonders in New York herrscht, d.h. >mach's neu und schreib deinen Namen drunter«.

Brinkmann übernimmt das im Vorwort zu Silverscreen und fordert »Überhaupt Plagiate«, weil er sie im »Zeitalter der Ablichtung« für angemessen hält.107 Und so nahmen denn nicht nur junge Lyriker der Ostküste O'Hara zur Vorlage, sondern auch, freilich bald aus zweiter Hand, ohne Kenntnis des Originals, viele junge westdeutsche Lyriker der siebziger Jahre. Als ein wichtiges Beispiel einer direkten und weitervermittelnden O'Hara-Rezeption sei hier Jürgen Theobaldy genannt, der als programmatischer Wortführer der Neuen Subjektivität Mitte der siebziger Jahre gelten darf. Sein Gedichtband Blaue Flecken (Reinbek b. Hamburg 1974) verbindet den O'Hara-Stil mit einem gemäßigt vorgetragenen, auf dem Rückzug befindlichen politischen Anspruch, der auch im Einbezug Pablo Nerudas seinen Ausdruck findet. Einer der drei Abschnitte des Bandes heißt Nach den großen Dingen nachts, ebenso eines der Gedichte. In »Anmerkungen, Nachweise« schreibt der Autor dazu: »Die beiden Anfangszeilen sind aus O'Haras Gedicht St. Paul und all das in Lunch Poems (deutsche Ausgabe).« Um so überraschender, daß dann in dem 1976 erschienen Band von Theobaldy/Zürcher, Veränderung der Lyrik. Über westdeutsche Gedichte seit 1965 der Name O'Hara nicht auftaucht! Was den Einfluß neuer amerikanischer Lyriker angeht, werden nur Ginsberg und Bukowski erwähnt, letzterer als wichtig für die westdeutsche Underground-Lyrik. J. Fauser wird dafür getadelt, daß 107 Brinkmann schreibt dazu: »Die Charakterisierung [Post-Moderne], die von dem amerikanischen Kritiker Leslie A. Fiedler benutzt wird, bezeichnet m.E. sehr gut die hier versammelten Gedichte« (zitiert nach: Brinkmann 1984:253). Das läßt sich als ein Indiz dafür nehmen, daß am Ende der sechziger Jahre die Entfaltung der modernen deutschen Lyrik zu einem gewissen Abschluß gekommen ist.

Theobaldy: Zwischen Politik und Pop

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sein Vokabular im Verhältnis zu Bukowski wenig originell sei (S. 147). Als ob es sich um einen Einzelfall handle, wird ein starker Einfluß der >New Yorker Schule* auf Brinkmann festgestellt, ohne daß Namen genannt werden. Die direkte Abhängigkeit Höllerers von Olsons Poetik bleibt im unklaren. Der amerikanische Einfluß wird auf eine eher beiläufige Anregung reduziert, da die Autoren ihn nur an einer Stelle, quasi in Parenthese, andeuten: »Mit Blick auf die internationale Entwicklung der Lyrik, vor allem auf die der amerikanischen, verwarf Höllerer >das Schweigen als Theorie einer Kunstgattung, deren Medium die Sprache istOst< (politisch gesehen) und West zu verbinden, ein Verfahren, das seit den zwanziger Jahren auch in Zeitschriften zum ständigen Repertoire gerade der deutschen Literaturvermittlung gehört. So verwundert es nicht, daß gleichzeitig Der fröhliche Tarzan neben erstmals in Deutschland veröffentlichten frühen

108 Für den Hinweis auf Benzin, den J. Theobaldy anläßlich meines Vortrages im Lyrikertreffen Münster 1981 machte, danke ich ihm. 109 Theobaldy übersetzte in diesem Heft auch einige Auszüge aus Gedichten T.S. Eliots, gemeinsam mit M. Padamsee, dem Verfasser des Beitrages »Der zweite Eliot«, in dem T.S. Eliot und seine späten Gedichte scharf angegriffen werden.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger

Dichter

Gedichten Williams'110 (übersetzt von R.E. John), einem Gedicht Johns »Nach W.C. Williams« und dem englischen, von Theobaldy geschätzten und von ihm mitübersetzten Dichter J. Bums Texte von A. Makarenko und P. Pawlenko enthielt. Theobaldys Aufsatz »It was nice to see You, doch wir haben noch Wichtiges vor. Eine Nachbemerkung zur Poplyrik« 111 reflektiert die Rolle der jüngsten US-amerikanischen Lyrik, deren Vermittlung nach (West-)Deutschland er nach dem Ende der Gruppe 47 für den »zweiten Schlag« gegen die etablierte bundesdeutsche Literatur hält, der im Umkreis der Studentenbewegung geführt wurde: die ersten Übersetzungen der jüngsten amerikanischen Lyriker-Generation erschienen. Sie erwiesen sich nicht nur als Katalysatoren bei der Ausbreitung einer sogenannten Alternativ-Presse (wenigstens was die literarischen Zeitschriften betraf), sondern ihr Einfluß war auch bald bei engagierten Lyrikern wie Born und Karsunke zu erkennen. Leicht eroberten die amerikanischen Underground- und Poplyriker ein Publikum, das es müde war, sich mit Lyrikern zu beschäftigen, die jahrelang in kaum noch neuen Variationen vom Verstummen redeten. Es machte auch mehr Spaß, die erste Anthologie »Fuck You« zu lesen, als die Tipp-Übungen der Konkreten Poeten zu verfolgen, die längst so langweilig sind wie der VW, der läuft und läuft und läuft - [...]. Diese Lyrik war spontan, ließ überkommene ästhetische Kategorien hinter sich und verschaffte poetischer Sinnlichkeit eine neue Qualität. Der traditionelle Kunstanspruch war im Eimer; gegenüber den Gedichten von Bukowski, Sanders und Kupferberg entpuppten sich jene von Bachmann, Eich, Krolow und Hüchel als Erbauungsliteratur für Studienräte.

Demgegenüber erschienen Theobaldy viele Gedichte und Texte der Sammlungen Acid und Silverscreen »unverbindlich«, der Protestgestus sei bei den jungen New Yorkern wie T. Berrigan oder R. Padgett einer »scheinhaften Problematisierung simpelster Vorfälle« gewichen. Zwar habe die Poplyrik von den Beat- und Undergroundautoren »wie Ferlinghetti, Ginsberg, Corso und Bukowski« den »antiakademischen Gestus« übernommen und dadurch eine neue »Spontaneität und Ungezwungenheit« erreicht, doch habe sie deren revoltierenden, gegen die gesellschaftlichen Zwänge anarbeitenden Charakter verloren und sich ganz ins Private gewendet: »Ihr Beharren auf der Subjektivität des Schreibers läßt die Notwendigkeit hierzu nirgends transparent werden. [...] was man bei O'Hara als lässigen Angriff gegen die Kanonisierung der modernen Poesie lesen kann, ist bei vielen seiner Nachfolger zur lyrischen Klatschspalte verkommen.« Es ist erstaunlich, wie sehr Theobaldy mit diesen kritischen Äußerungen zur amerikanischen Poplyrik 110 Sie dürften mit ihrem Aufbau als »regelmäßige« Zwei-, Drei- und Vierzeiler (»Gedicht«) und mit ihren auffälligen, harten Zeilensprüngen wohl für späte Gedichte Brinkmanns Pate gestanden haben. 111 Benzin Nr. 4,1973, S. 18-23.

Theobaldy: Zwischen Politik und Pop

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bereits argumentativ der Kritik nahekommt, die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre an seiner Dichtung, an der Neuen Subjektivität geübt wurde! Dabei sind seine Einwände allerdings nicht primär literarisch, sondern - in der Ausstrahlung der sechziger Jahre - gesellschaftspolitisch fundiert: Nicht daß diese Lyriker ihre Themen und Inhalte aus der Sphäre der Freizeit beziehen, macht ihre Belanglosigkeit aus, sondern daß sie nicht reflektieren, wie weit sich die kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse in diesen Bereich hineinverlängern, wie weit die Entfremdung am Arbeitsplatz auch die scheinbar rein privaten Beziehungen durchdringt.

Diese poetologischen Reflexionen führen mich dahin, in einem Gedicht Theobaldys wie »Es ist beinah poetisch« 112 , den gesellschaftskritischen Aspekt (aus der Sicht des Autors) für wichtiger zu halten, als ich zunächst angenommen hatte: Es ist beinah poetisch mit dir im Rialto zu sitzen und eine Pizza Caprese zu essen nachdem sie unsre Wohnung gekündigt haben und eine andere ging uns eben durch die Lappen! Noch vier Tage bis zum Ersten und dann: Wohin mit den Schreibtischen dem breiten Bett und den Büchern? Beginnen die Nächte in den Wartesälen oder auf dem Fußboden bei »zweifelhaften Freunden«? »Schön und gut aber in vierzehn Tagen ist mein Urlaub zu Ende« sagst du Ich rufe den Ober und zahle >alles zusammen« Clochards hat es nie gegeben Es hat nie eine Wohnungsmisere gegeben Draußen vor dem Rialto kommen wir in einen Demonstrationszug mit roten Fahnen die wirklich poetisch sind Ich hatte das Flugblatt von gestern ganz vergessen mit einer Pizza Caprese im Magen und dem Schauer auf der Haut im Elend in der Fremde zu sein... Dort gehen Bekannte! »Hallo! Wir suchen immer noch eine Wohnung!« 112 Blaue Flecken. Reinbek b. Hamburg 1974, S. 25.

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Vermittlung und Wirkung wichtiger Dichter

Nimmt man die oben zitierten Ausführungen hinzu, kommt man zu der Erkenntnis, daß es darum geht, den spontanen Gestus der >lyrischen< Darstellung einer alltäglichen Lebenssituation nach dem Muster O'Haras, hier aus dem Umkreis des Studentenmilieus (Schreibtische, Bücher, Demonstrationszug; »im Elend in der Fremde« = wohl Hinweis auf Germanistikstudium), u n d den gesellschaftskritischen Hinweis auf die Wohnungsmisere zu verbinden. In dieser Konstellation liest sich dieses Gedicht wie die Umschrift eines der von R.D. Brinkmann in Acid (S. 86) übersetzten »Drei Gedichte« des Amerikaners L. Fagin (geb. 1937), das Theobaldy explizit kritisierte:113 3. In einem lauten Restaurant Wir waren in einem lauten Restaurant und machten mehr Lärm als alle anderen und vergaben einander nichts. In leiserem Tonfall sagten wir, es sei nicht recht, einander zu quälen. Dann Fielen wir in Schweigen und aßen ein riesiges Mahl. Ich dachte Daran, was ich machen sollte, um eine neue Bleibe zu finden Und was ich mit all meinen Büchern und Schallplatten machen Sollte, als ich ganz überraschend im Spiegel des lauten Restaurants mitten im Licht, das im kurzen Haar deines Hinterkopfs aufblitzte, eine völlig klare Photographie unseres Herrn sah. Im Verlaufe der Zeit sollte der politische Impetus den Texten der Neuen Subjektivität immer weniger anzumerken sein. »Ich hatte das Flugblatt von gestern ganz vergessen«: Offenbar blieb den jungen deutschen Lyrikern das >Schicksal< ihrer amerikanischen Kollegen, die sie überbieten wollten, nicht erspart: der Schwund des politischen Engagements.

113 »>Die völlig klare Photographie unseres Herrn< - das ist ein Witz, kein schlechter übrigens [?]; aber wozu dient er? Dieser Witz greift niemanden an, er klärt nichts auf; er witzelt die Problematik der Situation hinweg, jedoch nicht die Situation« (S. 20).

6.

Statt einer Zusammenfassung: Reflexionen und Perspektiven

Die Vermittlung zeitgenössischer ausländischer Lyrik nach Deutschland zwischen 1920 und 1970 steht in einem funktionalen Zusammenhang mit den poetologischen Normen (mancher dürfte vorziehen: QuasiNormen) der deutschen Lyrik - allerdings unter bestimmten politischen Konstellationen in einer Abhängigkeit von Absperrung, Zensur, literarischer Steuerung. Funktionaler Zusammenhang: das heißt z.B., daß weder der Anregung zu einer Änderung poetischer Normen, noch dem Bedürfnis danach, ja nicht einmal seiner Realisierung ein kausaler Primat zuerkannt werden kann: Solange bestimmte Normen herrschen, sinkt die Chance für manche ausländische Dichtung, vermittelt zu werden, steigt die Gefahr, falls sie doch vermittelt wird, marginalisiert zu werden, etwa keine guten Übersetzer zu finden, was wiederum ihre Ablehnung - mit sachlichen - Gründen legitimiert, ja geradezu erfordert.1 Die politischen Katastrophen in Deutschland, der Erste Weltkrieg, die nationalsozialistische Herrschaft, haben durch die Schwächung des internationalen Literaturaustausches dazu beigetragen, daß der von mir in Kap. 2 in Thesenform skizzierte Erwartungshorizont für Lyrik vergleichsweise stabil geblieben ist. Davon abweichende deutsche Neuerer

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Nach meinen Beobachtungen greift eine Vermittlung ohnehin erst ab einem bestimmten Vermittlungsaufwand - als ein ungefährer Richtwert für einen einzelnen Autor dürfte das Minimum einer selbständigen Publikation anzusetzen sein. Das kann bei einer poetologisch eng beieinander liegenden Gruppe etwas anders sein, hier wirken eventuell schon Sammelbände. Die wirksamste Form dürfte sein, wenn zum gleichen oder analogen poetischen Feld in kurzem Zeitraum de facto konkurrierende Projekte auftauchen - wiederum zugleich als Ausdruck eines Vermittlungsbedüifnisses wie als Vehikel der Vermittlung. Veröffentlichung einiger oder gar einzelner Gedichte durch Übersetzungen in Zeitschriften oder Anthologien scheinen kaum durchzuschlagen, auch weil meistens daraus das spezifisch Neue des jeweiligen Dichters, seiner Gedichte nicht deutlich wird.- Aber zu allem gibt es gewichtige Ausnahmen.

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Reflexionen und Perspektiven

(z.B. A. Stramm, die Dadaisten2, B. Brecht) sind zunächst, bis nach dem Zweiten Weltkrieg, eher untergründig oder am Rande wirksam gewesen, relativ zu dem Potential, das sich - trotz des anregenden breiten Einströmens analoger, also vom Kernbereich der poetischen Normen entfernter ausländischer Lyrik - hierzulande erst nach und nach (und zunächst durchaus nicht revolutionär) entfalten sollte. Wenn ich annehme, die politischen Katastrophen hätten dazu beigetragen, dann meine ich eben nicht, daß sie die »konservativen* Normen der Lyrik hergestellt oder implantiert, sondern nur verstärkt haben (wozu dann echte Zensurmaßnahmen noch hinzutraten). Dies zeigt sich daran, daß nach dem Wegfall der nationalsozialistischen Zwänge die alten Normen (der zweiten Hälfte) der zwanziger Jahre zunächst immer noch (und nicht: wieder!) galten. Unter dem Aspekt der Geschichte der deutschen Lyrik des 20. Jahrhunderts sollte auch bedacht werden, welche Dichter, welche Formen der Dichtung es besonders schwer hatten, und unter komparatistischem Aspekt, welche ausländischen Dichter/Dichtungen, die eine Beschleunigung der Veränderung der poetischen Normen (und das bedeutet in einer sich ausdifferenzierenden Moderne ihre Erweiterung, Pluralisierung) hätten bewirken können. Apollinaire und Pound, in geringerem Maße auch Eliot können als wichtige Beispiele für dichterische Formen und Verfahren stehen, die in Deutschland erst verspätet auf hohem Niveau eingebracht wurden. In der Spannbreite ihrer Werke, von traditionellen, teils bewußt rückwärts gewandten Gedichten bis zu typographischen Experimenten liegt eine größere Zahl von Anschlußmöglichkeiten als bei den großen deutschen Lyrikern des ersten Jahrhundertdrittels. Gemeint sind die Lockerung, Erweiterung der Formen, des Tons, seine partielle Absenkung, die variable Handhabung des Rhythmus; das Ausprobieren von sehr kurzen und sehr langen Gedichten; die Einführung offener Strukturen, von kombinatorischen und Montagetechniken; die formale Behandlung des semantischen Materials; die Reduktion des Kunstpathos zugunsten eines nüchternen oder spielerischen Umgangs mit Dichtung3; der Verzicht auf metaphysische und transzendente Bezüge (gilt nicht für Eliot und weniger für Apollinaire).

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Der Dadaismus ist ja doch u.a. durch den internationalen Kontakt der radikalen Moderne zustandegekommen, in dieser Arbeit aber nicht weiter berücksichtigt worden. Die Annahme, es könnte nicht ganz emst gemeint oder >beliebig< sein, hat der deutschen Literaturkritik in einem weiteren Sinne nicht eben Mut gemacht, diese ausländischen Dichter für bedeutend zu halten.

Zur verzögerten Modernisierung der deutschen Lyrik

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Ich glaube auch, daß etwa politische Gedichte (demokratischen oder linken Gehalts) noch nicht an sich negativ beurteilt worden und schon allein der Verweis auf den Gebrauchswert von Lyrik auf Widerstand gestoßen wären. Erst wo sich eine solche Forderung mit der Veränderung auch der Sprache in Richtung einer Senkung des Tons, einer Banalisierung (Veralltäglichung), Säkularisierung der Gegenstände verband, blieb solche Dichtung außerhalb des normativen Horizontes,4 Ahnliches galt von Dichtungen, die den Begriff des Kunstwerkes unterlaufen haben, weniger deshalb, nehme ich an, weil darin ein Symbol für Verfall oder Brüchigkeit der bürgerlichen Ordnung gesehen werden konnte (was allerdings durchaus eine Komponente des Dadaismus und seiner Rezeption ist), sondern weil durch sie die besondere Rolle der literarischen Gattung Lyrik erschüttert wurde: Denn das >Lebenimmanentistisch< in Hinsicht auf die menschlichen Dinge: Leben wurde gesellschaftlich, auch szientifisch (dazu rechne ich krud biologistische Theoreme) erfaßt. Eine pantheistische Emphase bei der Betrachtung des Lebens, die bis etwa zum Ersten Weltkrieg, bis zum Expressionismus möglich schien, hatte an Überzeugungskraft verloren. Die einfachen Dinge verloren in der Dichtung zunehmend ihr Potential, als Symbole, als Verweise auf ein ganz Anderes zu fungieren; was gerade in der Lyrik (mehr noch als in der Prosa5) lange Zeit gegen den Strich ging. Williams' Gedicht »Complete Destruction« beschrieb die Beerdigung einer toten Katze, und das bedeutete nicht, daß hier eigentlich der Untergang von etwas anderem betrauert wurde, was immer dieses andere hätte sein können. Diese Reduktion des Symbolischen in der Lyrik gilt später für die Konkrete Poesie, in der etwa die Formen Inhalte werden. Gerade die Möglichkeiten, schon in den zwanziger Jahren durch ausländische Anregungen das Spektrum der deutschen Lyrik wesentlich zu erweitern, habe ich an verschiedenen Stellen dieser Arbeit durch Hinweise auf unbekannte oder kaum bekannte Vermittlungen und Vermittlungsversuche moderner ausländischer Dichter in den deutschen Sprachraum aufgezeigt (z.B. Apollinaire, die Surrealisten, die tschechi4

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Die hymnischen Dichtungen Whitmans, der ja doch auch als demokratischer Sänger gepriesen wurde, fanden in den zwanziger Jahren durchaus breitere Anerkennung, s. Grünzweig 1991. Die Leistung des Ulysses von J. Joyce liegt u.a. darin, die Anforderungen der symbolistischen und der naturalistischen Literatur in einem zu erfüllen. Auch hier ist der Synkretismus des zunächst Unvereinbaren ein Faktor der Höchstleistung - wie in der Lyrik später bei Celan.

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Reflexionen und Perspektiven

sehen Dichter). Daß die Berührungen der deutschen Literaturszene mit Pound, Williams usw. angesichts deren Radikalität (etwa im Vergleich mit T.S. Eliot6) und des Vorurteils gegenüber US-amerikanischer Lyrik erst recht nicht durchdringen oder gar fruchtbar werden konnten, erstaunt nicht. Da hatten die Vermittler der russischen Dichter angesichts der deutschen Erwartungen an die >Tiefe der russischen Seele< (»ex oriente lux«) und die Erneuerung aus dem Geiste der Unverbrauchtheit (Revolution) eine bessere Ausgangsposition - nicht nur bei >linken< Lesern. Selbst Majakowskis Revolutionspathos stand - um es zuzuspitzen - näher bei Rilke, bei der erwarteten Tonlage als die Amerikaner, die (oder deren Texte) man in Paris kennenlernen konnte. Daß selbst in den dunklen dreißiger Jahren ein Vermittlungsbedürfnis nach moderner ausländischer Lyrik bestand, zeigen nicht nur z.B. eine Anthologie spanischer Lyrik 1936 (s.S. 69f.) in Berlin oder 1939 die Exilzeitschrift Centaur (s. Kap. 4.2.2.), sondern auch ein - angesichts der Publikationseinschränkungen exzeptioneller - poetologischer Essay von H. Hennecke 1938 (s. Kap. 3.2.2.1.). Die Rundschau fei fragmente1 resümierte nach dem Krieg die Wirkung neuerer ausländischer Poesie in Deutschland, in der Argumentation ähnlich wie Hennecke 1938: »Die entdeckungen der angloamerikanischen dichter und die entdeckungen der französischen dichter des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts finden innerhalb der deutschen dichtung von heute fast keine Verwertung, im gegenteil, sie werden durch Verwirrung der begriffe, grobe entstellungen und grobe Unwissenheit abgewertet, das verdienst und die anliegen dieser dichter werden aus mannigfachen gründen verbogen. Einer ganzen generation ist unverständlich, was mehrere generationen erreicht und versucht haben. Die heutige moderne dichtung - soweit es die moderne dichtung innerhalb des deutschen sprachraums betrifft - ist nicht über die anfange dieses Jahrhunderts hinausgekommen.« Ihre literarischen Maßstäbe bilden àie fragmente nach eigenem Bekenntnis an Benn und E.R. Curtius aus. Im Klappentext des letzten Heftes, schon 1952, dann die Bemerkung: »EZRA POUND wartet immer noch auf die deutsche ausgabe der >Pisan cantosHow to Read< 6 7

Es sei erinnert, daß selbst T.S. Eliot in den zwanziger Jahren trotz der Übersetzung durch den bekannten und anerkannten E.R. Curtius nicht in Deutschland eingebürgert werden konnte. Einen Schritt zur Vermittlung Pounds versuchte R.M. Gerhardt in der anfangs (1949) nur hektographierten Zeitschrift fragmente. Er stellte Texte aus Hugh Selwyn Mauberley (1920) und den Cantos vor, auch Autoren, die bereits von Pound angeregt waren, W.C. Williams (während des Dritten Reiches übrigens ausdrücklich indiziert, s.S. 63), Ch. Olson u.a., auch H. Michaux, A. Césaire; sowie in der Prosa H. Miller - ein anderes Neuland.

Vorsprung derfranzösischenLyrik bis zum Ende der 50er Jahre

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trotz aller widerstände in deutschland erscheinen wird (Limes-Verlag, Wiesbaden).« Pound sollte noch auf sich warten lassen. Wenn für die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg im nachhinein ein Wiederaufleben klassizistischer Muster festgestellt wurde, dann scheint mir das nicht so stimmig, als wenn man feststellte, daß diese Muster seit den zwanziger Jahren kontinuierlich wirksam waren; allerdings wurden ihnen in den dreißiger Jahren einige Auswüchse aufgesetzt. Was die Rezeption der neuesten ausländischen Poesie betrifft, so hatte sich in den ersten Jahren nach dem Krieg zunächst nichts Grundlegendes gegenüber den zwanziger Jahren geändert - außer der allerdings bald deutlich höheren Zahl an Übersetzungen; z.T. veröffentlichte man die gleichen Dichter, nun aber so, als ob sie ganz neu seien (Majakowski, Eliot). Zunächst blieb der Vorsprung der französischen Dichtung erhalten, obwohl gerade die US-amerikanische rasch ihre quantitativ marginale Rolle verbessern konnte. Wirksam Neues ergab sich aber hier erst am Ende der fünfziger Jahre. Insgesamt identifizierte man die französische Dichtung wie schon seit der Mitte der zwanziger Jahre, als Apollinaire zwar noch häufiger erwähnt wurde, aber trotz bedeutender Ausnahmen in der Literaturkritik (I. Göll, W. Benjamin) als poetologisches Muster in Deutschland an Wert verlor, mit der Verlängerung der symbolistischen Linie Mallarmé - Valéry (wiederum wie etwa bei H. Friedrich aus der Sicht der Hauptlinie der deutschen Poetologien, wofür die Reihe der in seinem Vorwort ausdrücklich geschätzten deutschen Dichter einen Beleg liefert - und, was die romanistische Fachperspektive auf die neuesten Dichter betrifft, im wesentlichen auf dem Stand der dreißiger Jahre). Allerdings war die Aufnahmebereitschaft gegenüber dem Surrealismus gewachsen, der es aber, wie z.B. Eluard durch politisch motivierte Modernitätsreduktionen seiner Lyrik, den ästhetisch kühnen Neuerungen nicht eben aufgeschlossenen Rezipienten auch leicht machte. Der Surrealismus wurde, wie man z.B. bei Krolow gut sehen kann, in die Hauptlinie der deutschen Lyrik integriert bzw. in sie eingeschmolzen (und nicht umgekehrt), am selbständigsten (vom Frühwerk abgesehen) bei P. Celan. Nur die Rezeption der Wiener Gruppe übernahm seine wilderen Seiten, bis hin zum Aktionismus, was durch die in Sachen Lyrik besonders konservative österreichische Umgebung als Abstoß- und Nachholeffekt mitausgelöst wurde. Immerhin fanden hier Erweiterungen des Spektrums der deutschen Lyrik ein dauerhaftes Fundament. Erst, als mit dem Ende der fünfziger Jahre Pound, die Beatlyrik, Williams, Olson und etwas später weitere jüngere Dichter dieser Richtung nach Deutschland vermittelt wurden, präsentierten sich erfolgreich neue ausländische poetologische Muster, zu deren Erfolg eine zumin-

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Reflexionen und Perspektiven

dest partielle Kompatibilität mit Gedichten des späten Brecht, politischer Lyrik und einem bereits 1930 einsetzenden, nach dem Krieg ausgebauten Strang lakonischer Lyrik (z.B. G. Eich, »Inventur«) beitrug (die nun umgekehrt im Zusammenhang damit ebenfalls aufgewertet wurden). Die große Breite der Erfüllung dieser neuen, neu erfolgreichen Muster durch jüngere deutsche Dichter korrelierte der langen Verzögerung ihrer Rezeption. Erst um 1970 waren alle bis jetzt, zu Beginn der neunziger Jahre, erkennbaren Grundmöglichkeiten des Gedichtes in Deutschland vorhanden, vom Erhabenen bis zum Spielerischen, vom Hermetischen bis zur Alltagsverständigung. Die Moderne hatte sich in der Lyrik gänzlich entfaltet. Wie unter solchen Bedingungen nun aber eine literarhistorische (oder literaturtheoretische) Gattungsbestimmung aussehen müßte - das bleibt eine Frage. Für die Geschichte der deutschen Lyrik nach 1950 gilt nicht mehr, wie manche Evolutionsmodelle vorsehen, die Ablösung eines Systems von literarischen Normen durch ein neues, sondern das Nebeneinander heterogener Bündel von Normen, ihre Pluralisierung. Daraus folgt nicht, daß die (Poesie-)Geschichte in Deutschland an ihr Ende gekommen ist. Der Sachverhalt hat jedoch allen, die bisher eine Geschichte der deutschen Lyrik nach 1945, wie fast immer der Einschnitt gewählt wurde, zu schreiben versuchten, Schwierigkeiten mit der Anlage der Darstellung, der Gliederung des Materials gemacht.8 Auch wenn man bei letzterer sehr verschiedener Meinung sein und sehr verschieden verfahren kann, so wird, hoffe ich, doch in den meisten Fällen einiges des von mir Erschlossenen von Nutzen sein und über die deutschsprachige Lyrik hinaus vielleicht etwas zu einem möglichen Vergleich der Geschichten von Poesien verschiedener europäischer Sprachen des 20. Jahrhunderts beitragen können, eventuell sogar dazu, sie in einer Geschichte zu versammeln. Etliche Wünsche bleiben freilich noch offen. So halte ich über das hier Realisierte hinaus den Einbezug der Poesien weiterer Sprachen für erforderlich, ebenso die umfangreichere Behandlung im Detail der al8

»Angesichts der Frage, wo die moderne deutsche Lyrik anfange, kann es nicht verwundern, daß es bis heute noch keine richtige Geschichte der modernen deutschen Lyrik gibt« (Lamping 1989:135). Ich selbst schlage vor, sie 1910 zu beginnen, Lamping möchte 1890/1898-99 mit St. George und A. Holz beginnen. Das berührt sich in der Sache, denn George käme für mich ans Ende des »vorletzten« Bandes. Lampings Versuch, »Lyrik-Theorie und Lyrik-Geschichtsschreibung miteinander zu vermitteln« (S. 17), bringt zwar interessante Vorschläge der Phaseneinteilung, kann aber durch seine präzisen Definitionen, was lyrisches Gedicht, was Lyrik der Moderne seien, die literarhistorische Wirklichkeit nicht ganz >bändigenNivellierung< der individuellen und nationalen Unterschiede der Poesien erheblich mitbeigetragen und eine >Weltsprache der modernen Poesie< durch - unfreiwillige - Verschleifung mit herbeigeführt. 11 9 10

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s. dazu auch Apel 1983. z.B. Plan 1945, S. 68f. Die außerordentliche Schwierigkeit, Lyrik zu übersetzen, ist seit langem ein Gemeinplatz. Ich möchte sie auf die Formel bringen: Theoretisch ist eine >adäquate< Lyrikübersetzung unmöglich, in der Praxis gibt es gelegentlich erstaunlich gute Lösungen. Für den Literaturaustausch kann auf sie nicht verzichtet werden.- Bei meinen Überlegungen geht es mir nicht um die theoretischen Aspekte, die gerade bei der Lyrikübersetzung schnell in einem Strudel von Literaturkritik, Linguistik, Landeskunde, Erkenntnistheorie u.a. wegschwimmen. Judith Herzberg spricht in Diskussionen etwa davon, daß Gedichte in der Regel durch Übersetzungen »normaler« werden; vielleicht könnte man auch sagen: blasser. Damit ist, unter dem Aspekt der Wirkungsgeschichte, das Feld der Lite-

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Reflexionen und Perspektiven

2. Das hat sich, auch angesichts der Vielzahl der Übersetzungen, zu der deutsche Dichter erheblich mit beigetragen haben, auf die deutsche Lyrik, und zwar gerade in der Behandlung von Vers, Rhythmus 12 und anderen musikalischen Elementen (Reim, Assonanz usw.) ausgewirkt. So scheint mir nicht nur eine germanistische, sondern auch eine komparatistische Untersuchung gerade des Verses in der deutschen Lyrik des 20. Jahrhunderts besonders dringlich.13 Aber auch Elemente der Bildlichkeit, Symbol, Metapher usw. könnten sich vielleicht als Träger eines tiefgreifenden Wandlungsprozesses erweisen. Wenn ich in dieser Arbeit versucht habe, über die Entdeckung einiger Elemente der Vermittlung neuester ausländischer Lyrik zwischen 1920 und 1970 in den deutschen Sprachraum und die Darstellung ihrer Zusammenhänge mit der deutschen Lyrik und ihrer Poetologie hinaus einen Rahmen anzudeuten, an dem sich eine umfassendere literarhistorische Darstellung orientieren könnte, so wollte ich dabei berücksichtigen, daß diese im günstigsten Fall nicht nur mit verschiedenen anders orientierten Literaturgeschichten kompatibel sein möchte, sondern auch mit einer umfassenderen Perspektive auf die Entwicklung unserer modernen Welt etwa seit der frühen Aufklärung. 14 Betrachtet man diese Entwicklung zumindest in dem europäisch geprägten Kulturraum als einen Prozeß zunehmender Entfaltung und Ausdifferenzierung, so wird man in dem, was sich da schließlich entfaltet hat oder - auch so ließe es sich darstellen - auseinandergefallen ist, doch noch etwas von dem

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raturkritik nähergerückt. Hier kommt man schnell zu Spannungen zwischen Literarhistorie, Poetologie, Literaturkritik und Literaturvermittlung. Während ich in der Praxis der internationalen Literaturvermittlung die zweisprachige Lyrikedition (s. dazu Jordan 1993) für richtig halte, für die sich u.a. vor allem H. Hennecke und H.M. Enzensberger eingesetzt haben, scheint mir die Wirkung dieser Ausgaben auf die Entwicklung der (deutschen) Poesie zwiespältig, da sie oft zur Lesehilfe, d.h. eher zur unkünstlerischen, jedenfalls weniger geformten, prosaischeren Sprache tendieren. Ich weiß nicht, ob - unter diesem Aspekt - die Waage zwischen Belebung und Abschleifung zum Gleichstand käme. Und das gilt nicht nur für viele Übersetzungen in zweisprachigen Ausgaben, sondern für alle Übersetzungen, die sich als dienende verstehen. Könnte es sein, daß in der internationalen Lyrikvermittlung aus diesem Sachverhalt eine gewisse Suggestion resultiert, Bilder und Inhalte in den Vordergrund zu rücken oder entsprechende Gedichte zu bevorzugen, um die Verluste klein zu halten? Arbeiten wie Schultz 1970 sind leider für die neueste Lyrik selten. Der Vers spielt noch eine entscheidende Rolle in D. Lampings Definition des >Gedichts< als »Rede in Versen« (1989:23). Inwieweit gehen poetologische Vorentscheidungen in eine solche Definition ein? Auf weitreichende Zusammenhänge der Säkularisation hat z.B. H. Blumenberg aufmerksam gemacht.

Zukunft der Lyrik?

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antreffen, was zum Konstituierenden dessen gehörte, das noch nicht entfaltet war. Dann muß man sich fragen, ob und wie noch in neueren Gestalten alte Funktionen bewahrt werden - oder doch vergehen? In einen solchen Rahmen müßte die umfassende Geschichte der modernen Lyrik passen, die ich mir wünschen würde. Sie müßte die Relation zu vorgängigen, verwandten, benachbarten Systemen ebenso bedenken 15 wie die Rolle der Lyrik innerhalb der Literatur, aber auch das Besondere der einzelnen Gedichte. Es ist riskant, aus den wissenschaftlichen Beobachtungen der Geschichte Voraussagen über die Zukunft gewinnen zu wollen. Aber selbst, wenn man sich darauf beschränkt, gleichsam Lexik und Syntax der Geschichte zu studieren, entgeht man vielleicht auf die Dauer nicht den Ansprüchen und Suggestionen ihrer Semantik und Pragmatik.

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Interessant wären z.B. historische Untersuchungen von Originalität und Innovation als literarische Normen.

Zitierte Literatur

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