Europavorstellungen der Konservativen Revolution [1 ed.] 9783428553419, 9783428153411

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde in Deutschland eine Diskussion über Europa geführt, die von den Erfahrungen der Weimarer

153 20 2MB

German Pages 222 Year 2018

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Europavorstellungen der Konservativen Revolution [1 ed.]
 9783428553419, 9783428153411

Citation preview

CHEMNITZER EUROPASTUDIEN

Band 19

Europavorstellungen der Konservativen Revolution Von Irina Knyazeva

Duncker & Humblot · Berlin

IRINA KNYAZEVA

Europavorstellungen der Konservativen Revolution

Chemnitzer Europastudien Herausgegeben von Frank-Lothar Kroll und Matthias Niedobitek

Band 19

Europavorstellungen der Konservativen Revolution

Von Irina Knyazeva

Duncker & Humblot · Berlin

Die Philosophische Fakultät der TU Chemnitz hat diese Arbeit im Jahr 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 1860-9813 ISBN 978-3-428-15341-1 (Print) ISBN 978-3-428-55341-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85341-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Nein“, sagte der Geistliche, „man muss nicht alles für wahr halten, man muss es nur für notwendig halten.“ „Trübselige Meinung“, sagte K. „Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht.“ Frank Kafka, Der Prozess

Vorwort Dieses Buch stellt die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die ich am 2. Dezember 2015 an der Technischen Universität Chemnitz verteidigt habe. Mein Dank geht daher als allererstes an meinen Doktorvater Herrn Prof. Dr. FrankLothar Kroll, ohne den diese Dissertation nicht zustande gekommen wäre. Er hat die Arbeit angeregt und lässt mir seitdem umfassende Unterstützung zukommen. Ihm ist es zu verdanken, dass ich in Deutschland promovieren konnte, und in schwierigen Phasen meiner Arbeit hat er mich immer wieder erfolgreich ermutigt. Herr Prof. Dr. Alfons Söllner übernahm das Zweitgutachten und half mit wertvollen Ratschlägen zum Thema. Bei der Hanns-Seidel-Stiftung bedanke ich mich für das Stipendium, das es mir ermöglicht hat, diese Arbeit zu verfassen. Ohne meinen ersten Lehrer Dr. Sergey Georgievich Allenov (Woronesch) wäre ich nie auf die Idee gekommen, über die Konservative Revolution zu forschen. Er hat auch maßgeblich dazu beigetragen, dass ich nach dem Studium meinen Weg in der Wissenschaft fortgesetzt habe. Danken möchte ich außerdem Dr. Dietmar Wulff (Sankt Petersburg), der meinen ersten Aufenthalt in Deutschland ermöglicht hat. Ein großes Dankeschön für die Geduld und Unterstützung gilt Stefan Schwartze, MdB und meinen Kollegen. Gesa Schulz möchte ich ganz besonders dafür danken, dass sie mich immer unterstützt und ermutigt hat. Herzlichen Dank an die Mitarbeiter der Technischen Universität Chemnitz, vor allem an Julia Kasperczak B.A., Patricia Otto, Ilona Scherm und Dr. Michael Vollmer, die meinen Aufenthalt in Chemnitz bereichert haben. Matias möchte ich dafür danken, dass er im Laufe dieser Jahre nie aufgehört hat, an mich zu glauben. Ihm und meinen Freunden danke ich außerdem dafür, dass sie mir immer zur Seite standen, wenn ich das gebraucht habe. Ein besonderer Dank gilt meinen Eltern Nina Ivanovna und Jurij Alekseevich, denen es nicht leicht gefallen ist, mich nach Deutschland gehen zu lassen. Dennoch haben sie mich immer unterstützt und meine Entscheidung befürwortet. Ihnen möchte ich diese Arbeit widmen. Berlin, im September 2017

Irina Knyazeva

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Themenstellung und Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Methodischer Rahmen und Untersuchungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3. Quellen und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 4. Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Voraussetzungen für die Europaidee der Konservativen Revolution: Antagonismus gegen das Versailler System als Anstoß des europäischen Erneuerungsgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Kritik am Völkerbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Zeitgenössische Relevanz. Die „anderen“ Europaideen der Zwischenkriegszeit

40

1. Kritik an Paneuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 III. Das Europawesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Grundlagen der europäischen Zivilisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Europa in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3. Ost-West-Gegensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4. Länderkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 c) USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution . . . . . . 74 V. Legitimation der europäischen Neuordnung mit Blick auf die hegemonialen Bestrebungen Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Das Reich als historische Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

10

Inhaltsverzeichnis

2. Warum die Deutschen? Die Neuordnung Europas als deutsche Mission . . . . . . . . . . 99 3. Deutschland als Land der Mitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4. Lebensraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 5. Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 6. Rasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 7. Auslandsdeutschtum und Krise des Nationalstaates: Neuordnung als Rettung Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 VI. Variationen der Europaidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Mitteleuropaidee: Geschichte und Interpretationen des Begriffes . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Zwischeneuropaidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3. Inneneuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4. Reichsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 5. Mitteleuropaidee und Reichsidee – Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Möglichkeiten der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Geographischer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Das Neue Europa als staatliche Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 VIII. Platz der Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 IX. Die Kontinuitätsproblematik als geschichtswissenschaftliches Thema. Wege zur Bewältigung des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Die konservativen Revolutionäre nach der Machtergreifung. Die persönlichen Schicksale und die Entwicklung der Europaidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Ideologische Übereinstimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Inhaltsverzeichnis

11

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Primäre Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

Einleitung 1. Themenstellung und Forschungsgegenstand Heute, im 21. Jahrhundert, erleben wir das vereinigte Europa als Lebenswirklichkeit. Der Weg zu diesem Zustand dauerte jedoch lange – es begann mit einer Idee, aus der schließlich Realität wurde. Die Geschichte der Erfüllung des Traumes von einem liberal-demokratischen Europa wurde von vielen Forschern aus unterschiedlichen Fachgebieten aufgegriffen und mit Begeisterung vermittelt. In der letzten Zeit entstand ein zunehmendes Interesse für diese Thematik. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges ist die Auseinandersetzung um ein „Gemeinsames Haus Europa“ in Gang gekommen. Die Zukunftsvision griff viele Gedanken von einem geeinten Europa auf, welche sich in der europäischen Geistesgeschichte schon seit mehreren Jahrhunderten nachweisen lassen.1 Diese Entwicklung wird auch in den Geschichtswissenschaften thematisiert. Die Forschung der Europaidee bevorzugte es lange Zeit, den „direkten“ Weg des europäischen Gedankens zu zeigen: den Weg nach Westen.2 Es stellt sich jedoch die Frage: War diese Entwicklung von Anfang an so absehbar? Nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs waren Fragen nach dem Schicksal Europas und nach Gemeinsamkeiten der europäischen Staaten sehr aktuell geworden. In den Jahren nach 1918 dominierte auf dem europäischen Kontinent der Primat des Nationalstaats. So diente „Europa“ der Politik nicht selten nur als ein Schlagwort, hinter dem sich nationalstaatliche Interessenpolitik trefflich verbergen ließ. In Deutschland fand dennoch eine besondere Form der Europadiskussion statt. Hier überlagerten sich aus einer Vielzahl von Gründen nationale und europäische Motive. 1

Vgl. dazu: Foerster, Rolf H.: Europa. Geschichte einer Idee. Mit einer Bibliographie von 182 Einigungsplänen aus den Jahren 1306 bis 1945. München 1967; Krüger, Peter: Europabewusstsein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Rainer Hudemann / Hartmut Kaelble / Klaus Schwabe (Hrsg.): Europa im Blick der Historiker. München 1995, S. 31 – 53; Kaelble: Europabewußtsein, Gesellschaft und Geschichte. Forschungsstand und Forschungschancen. In: Hudemann / Kaelble / Schwabe: ebd., S. 1 – 29; Elvert, Jürgen: Mitteleuropa! Deutsche Pläne zur europäischen Neuordnung (1918 – 1945). Stuttgart 1999; Salewski, Michael: Geschichte Europas. Staaten und Nationen von der Antike bis zur Gegenwart. München 2000; Schulze, Hagen: Europa als historische Idee. In: Steigmaier, Werner (Hrsg.): Europa-Philosophie. Berlin / New York 2000, S. 1 – 13. 2 Vgl. dazu Conze, Vanessa: Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920 – 1970). München 2005, bes. S. 1 – 8. Vanessa Conze macht eine ausführliche Analyse der Historiographie zur Europaforschung und weist zu Recht auf ihren einseitigen Charakter hin.

14

Einleitung

Unter Annahme der „besonderen“ Rolle, welche die Deutschen seit dem Mittelalter im Zentrum Europas gespielt hatten, leiteten viele Teilnehmer an der deutschen Europadebatte einen „besonderen“ Auftrag des Deutschen Reiches für Europa ab. Durch die Errichtung des kleindeutschen Bismarckreiches (1871 – 1890) schien die gesamteuropäische Konzeption zunächst vergessen, fand dann aber in anderer Gestalt erneut Anwendung, zum Beispiel in der Mitteleuropaidee Friedrich Naumanns (1860 – 1919) von 1915,3 aber auch schon in sozialdarwinistischer oder imperialistischer Ausprägung, etwa bei Paul de Lagarde.4 Nach dem deutschen Zusammenbruch von 1918 erlebten verschiedene Europaideen eine präzedenzlose Renaissance. Die erregten Diskussionen der Weimarer Zeit zeugen von der Verwirrung des nationalen Bewusstseins im Ersten Weltkrieg und waren zugleich Ausdruck trotzigen nationalen Selbstbehauptungswillens eines „deutschen Gemeingeistes“. Die dabei wiederbelebten und diskutierten Europakonzepte fanden große Resonanz innerhalb der Intellektuellenkreise, da sie nicht nur eine glänzende deutsche Zukunft imaginierten, sondern auch all das proklamierten, was der Realität der Weimarer Republik entgegenstand. Dabei koexistierten eine Vielzahl von verschiedenen Europakonzepten, die sich von unserer heutigen Europavorstellung grundlegend unterscheiden, so zum Beispiel die „Reichs“- oder „Abendland“-Theorie, die „Mitteleuropa“- oder „Paneuropa“-Idee sowie das „Großraum“-Konzept. Trotz ihrer zahlreichen ideologischen Unterschiede glichen sich die Europavorstellungen in ihrem besonders starken nationalen Bezug. Eine europäische Neuordnung war für alle Theoretiker eng mit der deutschen Zukunft verbunden. Auch für die Autoren der als Konservative Revolution bekannt gewordenen ideologischen Strömung gewannen diese Ideen eine wichtige Bedeutung. Viele konservative Revolutionäre beteiligten sich zwischen 1918 und 1933 an der Europadiskussion, äußerten Kritik am modernen Staat, am Kapitalismus und an der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie. Die Europavorstellungen der Konservativen Revolution waren dabei genauso vielfältig wie die Bewegung selbst. Am bekanntesten und nachhaltigsten wirkten jedoch die Reichsidee und Mitteleuropaidee. Beide Ideenkomplexe wurden bereits viele Jahre zuvor ausgearbeitet – die konservativen Revolutionäre haben die Konzepte übernommen und weiterentwickelt. Beide Konzeptionen sind eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen davon ausgingen, dass das Reich dafür zu sorgen habe, dass in Europa eine neue mitteleuropäische Ordnung errichtet werde. Diese neue Ordnung sahen die Autoren auf Grund des Erstarkens der Westmächte auf Kosten Deutschlands und überhaupt Mitteleuropas behindert. Sowohl für die Reichsideologen als auch für die Befürworter der Mitteleuropakonzeption unter ihnen sei das deutsche Volk auserkoren, die Zukunft Mitteleuropas zu gestalten und Europa unter seiner Führung zu vereinigen.5 3 4 5

Vgl. Naumann, Friedrich: Mitteleuropa. Berlin 1915. Vgl. Stern, Fritz: Kulturpessimismus als politische Gefahr. Stuttgart 2005. Eine genaue Analyse und Darstellung dieser Begriffe erfolgt in Kapitel VI.

1. Themenstellung und Forschungsgegenstand

15

Somit erscheinen „Reich“ und „Mitteleuropa“ hier als Inbegriffe einer totalen kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Erneuerung, als Synthese nationaler und ideologischer Gegensätze, als Utopie von einem ganzheitlichen Neubau Europas – und damit letztlich als Gegenthese zu der seit 1789 herrschenden Lebenswirklichkeit. Die Entwicklung einer allgemein akzeptierten Europaidee war also nicht gerade einfach, sie bestand aus mehreren Zweigen und Sackgassen. Die Anerkennung dieser Tatsache trägt zum Verständnis Europas und Deutschlands selbst bei. Auch die WestOst-Teilung, die zumindest im wirtschaftlichen Bereich noch heute besteht, kann nur dann überwunden werden, wenn die historischen und geographischen Voraussetzungen der europäischen Position überdacht werden. Das bedeutet, dass man besonders die bestehenden Gemeinsamkeiten der beteiligten Völker und Nationalitäten hinsichtlich ihres historischen Schicksals, ihrer kulturellen Prägung und ihrer politischen Lage aufzeigt. In den letzten Jahren sind mehrere Studien veröffentlicht worden, die sich mit den „nicht traditionellen“ Europaideen befassen. Viele dieser Beiträge dienen dazu, das objektive Bild einer gewünschten europäischen Neuordnung darzustellen.6 Eine Arbeit über die Europavorstellungen der Konservativen Revolution fehlt jedoch. Während die Paneuropaidee7, die Mitteleuropaidee8 und die Abendlandidee9 bereits rege in der wissenschaftlichen Forschung diskutiert wurden und werden, blieben die Europakonzepte der Konservativen Revolution zwar nicht gänzlich unbeachtet, sie standen aber auch nie im Mittelpunkt der Betrachtungen. Währenddessen stellt die Konservative Revolution, in Hinblick auf die kontroverse Frage bezüglich ihres Einflusses auf den Nationalsozialismus, eine wichtige und bis jetzt außer Acht gelassene Strömung innerhalb der Europadebatte der Zwischenkriegszeit dar. Auch für die Erforschung der Konservativen Revolution im Allgemeinen, die in Deutschland gerade im Fluss ist, wird die vorliegende Arbeit einen wichtigen Beitrag leisten. Seit Armin Mohlers richtungsweisender Studie von 1950 waren die meisten Autoren mit dem Begriff „Konservative Revolution“ weithin einverstanden. Aber Stefan Breuers Buch „Anatomie der konservativen Revolution“ von 1994 hat erneut eine Diskussion entfacht: Ist der von Armin Mohler eingeführte Sammelbegriff überhaupt angemessen? Kann man die ungeheure Vielfalt der Konzeptionen unter einem Sammelbegriff vereinen? Was gehört zu den wichtigsten Komponenten dieser Bewegung? Kann man wirklich alle von Mohler genannten Autoren zu dieser Be6 Vgl. Elvert: Mitteleuropa (wie Anm. 1); Conze: Das Europa der Deutschen (wie Anm. 2); Riehle, Bert: Eine neue Ordnung der Welt. Göttingen 2009. 7 Vgl. Schöberl, Vanessa: „Es gibt ein grosses und herrliches Land, das sich selbst nicht kennt … Es heißt Europa.“ Berlin 2008; Conze: Richard Coudenhove-Kalergi. Umstrittener Visionär Europas. Zürich 2004. 8 Vgl. Elvert: Mitteleuropa (wie Anm. 1). Eine umfangreichere Bibliographie zur Mitteleuropaidee wird im 5. Kapitel angeboten. 9 Vgl. Conze: Das Europa der Deutschen (wie Anm. 2).

16

Einleitung

wegung zählen? Und wenn ja, welchem Charakteristikum muss ein konservativer Revolutionär zustimmen? Alle diese Fragen lassen sich nur dann sinnvoll beantworten, wenn einzelne Denkfiguren und Vorstellungskomplexe der Konservativen Revolution in quellenbezogenen Detailanalysen rekonstruiert werden. Genau hier knüpft die vorliegende Arbeit an und leistet damit einen Forschungsbeitrag zu den Europavorstellungen der Konservativen Revolution. Eine Diskussion über die Legitimationsargumente für die Begründung der deutschen Herrschaft über Europa wäre unvollständig, wenn man die Debatte über den deutschen Sonderweg unberücksichtigt lassen würde.10 So werden in der Arbeit nicht nur die Europaideen der konservativen Revolutionäre vorgestellt und analysiert, sondern auch die Zusammenhänge zwischen den Europavorstellungen von Friedrich List, Friedrich Naumann und den Nationalsozialisten werden näher beleuchtet und herausgearbeitet – somit kann die Studie auch einen Beitrag zur Debatte über den deutschen Sonderweg leisten. Das Problem der Korrelation des konservativrevolutionären Denkens mit den Ideen des Nationalsozialismus bleibt eine der zentralen Fragen dieser Arbeit. Obwohl das konkrete Ausmaß des Einflusses, den die konservativen Revolutionäre auf die nationalsozialistischen Ideologen hatten, durchaus schwer zu messen ist, wird hier der Versuch unternommen, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Zu diesem Zweck werden die Ansichten der konservativen Revolutionäre bezüglich der Beziehungen zwischen den Deutschen und den Völkern des von ihnen angestrebten mitteleuropäischen Raumes sowie die angegebenen Gründe für eine Legitimation der deutschen Herrschaft besonders detailliert und präzise betrachtet. Auf Grundlage der durchgeführten Analysen werden schließlich die Europapläne der Konservativen Revolution mit denen der Nationalsozialisten verglichen, ihre Einflüsse und Kontinuitäten herausgestellt und über die Zukunft des konservativ-revolutionären Europabildes spekuliert.

2. Methodischer Rahmen und Untersuchungsfeld Die vorliegende Untersuchung stellt eine ideengeschichtliche Schrift dar und orientiert sich strikt an der kritischen Analyse von Primärtexten. Die vorgenommene Strukturierung der Ideen der konservativen Revolutionäre entspricht nicht der inneren Logik und einheitlichen Struktur des konservativ-revolutionären Gedankenguts, denn beides hat es nicht gegeben. Die Einteilung dient lediglich der Filterung und Veranschaulichung der für das Thema relevanten Thesen, Gedanken und Konzepte. So wie Hartmut Kaelble in seiner Untersuchung zur Entstehung des europäischen Selbstverständnisses entschieden hat, biographischen Hintergrund und nationale Aspekte der von ihm in den Blick genommenen Autoren außen vor zu lassen, um sich auf den Europadiskurs zu konzentrieren, nutzte ich die gleiche 10 Vgl. Grebing, Helga: Der „deutsche Sonderweg“ in Europa 1806 – 1945. Eine Kritik. Stuttgart u. a. 1986; Elvert: Mitteleuropa (wie Anm. 1), S. 25 – 34.

2. Methodischer Rahmen und Untersuchungsfeld

17

Methodik bei der Analyse der mir vorliegenden Texte.11 Als eine ideengeschichtliche Arbeit knüpft diese Dissertation außerdem an die Methoden der Begriffsanalyse12 an. Die Bearbeitung des Themas erforderte die Einsichtnahme in eine große Menge Quellen. Es wurden dabei, ganz in der Tradition ideengeschichtlicher Werke,13 nur gedruckte Quellen verwendet. Das rechtfertigt sich, zuerst, durch den vorhandenen Umfang der zu untersuchenden Materialien. Zweitens ermöglicht dieser Ansatz, über die Wirkung dieser Ideen zu spekulieren. Die bewusste Textnähe und ausgiebiges Zitieren tragen dazu bei, dass der Leser die Möglichkeit bekommt, die hier gefällten Urteile und gezogenen Schlüsse nachvollziehen und überprüfen zu können. Die vorliegende Analyse beschränkt sich bewusst nur auf Texte und den Europadiskurs der Zwischenkriegszeit, um das konservativ-revolutionäre Gedankengut frei von nationalsozialistischen Einflüssen darzustellen. Zur Zeit der Weimarer Republik, als noch mediale und politische Freiheit herrschten, hatten die konservativen Revolutionäre die Möglichkeit, ihre Gedanken und Positionen frei zu äußern. Dies änderte sich nach 1933 deutlich. Einige der Autoren wandten sich aus Protest gegen die nationalsozialistischen Ideen, andere wiederum schlossen sich Hitler an. Das Ergebnis blieb jedoch ähnlich: Die Positionen der meisten konservativ-revolutionären Autoren änderten sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und repräsentierten nicht mehr ihre ursprünglichen ideologischen Vorhaben, sondern waren vielmehr ein Ausdruck ihrer Anpassung an die politische Situation. Mit Blick auf Gliederung und Aufbau der Arbeit erscheint es sinnvoll, die Inhalte sachsystematisch darzustellen. So gliedert sich die Arbeit entsprechend der Hauptthemen und ideologischen Komponenten der konservativ-revolutionären Europaidee. Nicht nur der Europagedanke der Konservativen Revolution, sondern auch alle Europaideen der Zwischenkriegszeit können nach dem folgenden Prinzip gegliedert werden: 1. Einschätzung der europäischen Lage, 2. Begründung, 3. Konzept des neuen Europas und seine praktische Realisierung. Die von mir ausgewählte Struktur der folgenden Untersuchung dient somit dem Zweck, einen Vergleich zwischen den konservativ-revolutionären Europaideen zu ermöglichen. Wenn man sich auf die Liste der konservativen Revolutionäre von Armin Mohler bezieht, gehören hunderte Autoren zu den möglichen „Kandidaten“ für die vorliegende Studie. So war es zu Beginn der Arbeit notwendig, eine Auswahl von Autoren zu treffen, deren Schriften die Grundlage für die weitere Untersuchung bilden

11 Vgl. Kaelble, Hartmut: Europäer über Europa. Die Entstehung des europäischen Selbstverständnisses im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2001, hier S. 21. 12 Vgl. zur Begriffsanalyse: Koselleck, Reinhart: Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe. In: ders. (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 1. Stuttgart 1972. 13 Die gleiche Methodologie benutzen unter anderem Sontheimer und Breuer für ihre Werke.

18

Einleitung

würden. Dabei kristallisierten sich die Autoren des jungkonservativen Flügels14 der Konservativen Revolution als Schwerpunkt der Arbeit heraus, da genau sie eine besondere Zuneigung zu den außenpolitischen Themen hatten und Ideen zu einer übernationalen europäischen Ordnung entwickelten.15 Der Fokus wird also auf die Autoren gelegt, die die Europaidee ins Zentrum ihrer Darstellungen stellten. Dazu gehören vor allem Max Hildebert Boehm, Karl Christian von Loesch, Karl Anton Rohan, Giselher Wirsing. Eine zweite Gruppe bilden die besonders prominenten konservativen Revolutionäre, die auf die Autoren der ersten Gruppe einen großen Einfluss ausübten. Ihre Europavorstellungen führten bei ihnen zu keiner geschlossenen Konzeption, ihre Ideen spielten jedoch eine entscheidende Rolle für das Zustandekommen des Europakonzepts der ersten Autorengruppe. Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Wilhelm Stapel waren jene „Theoretiker“, die diese Grundlagen der konservativ-revolutionären Ideologie geschaffen haben. Die Beschränkung auf einen engen Autorenkreis ermöglicht eine vergleichende Analyse innerhalb dieser Gruppe. Die sorgfältige Auswahl der zu analysierenden Autoren dient außerdem dazu, sowohl die Vielfalt als auch die Kontinuität der konservativ-revolutionären Europavorstellungen festzustellen und ein umfassendes und vollständiges Bild ihrer Konzepte zu erhalten. Die Auswahl fiel nicht immer leicht: Während bei manchen Autoren ihre Inanspruchnahme von Anfang an klar war, mussten andere erst genauer unter die Lupe genommen werden. Schließlich musste auf einige verzichtet werden, weil sie keine originellen Ideen hatten und der Kreis der Autoren überschaubar bleiben musste. Zu den in Betracht gezogenen Autoren gehört unter anderem Oswald Spengler (1880 – 1936). An ihm kommt man in keinem Werk, das sich mit der Konservativen Revolution befasst, vorbei, denn er gilt als „geistiger Vater“ dieser Bewegung – gleiches gilt auch für die hier im Zentrum stehende Problematik. Spenglers bekanntestes Werk „Untergang des Abendlandes“ bietet eine detaillierte Analyse und stellt Europa in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Spengler inspirierte die anderen konservativen Revolutionäre mit seiner Philosophie und motivierte sie gleichzeitig, ihm zu widersprechen.16 14 Zum Begriff des Jungkonservatismus vgl. Ishida, Yuji: Jungkonservative in der Weimarer Republik: Der Ring-Kreis 1928 – 1933. Frankfurt am Main / Bern / New York / Paris 1988. 15 Vgl. Mohler, Armin: Die Konservative Revolution 1918 – 1932. Ein Handbuch. 6. Aufl. Graz 2005, hier S. 131. 16 Zurzeit ist Oswald Spengler einer der meisterforschten Autoren der Konservativen Revolution. Das führte dazu, dass mehrere Forscher sich mit Spenglers Biographie und Werken auseinandersetzten: vgl. Schröter, Manfred: Der Streit um Spengler. Kritik seiner Kritiker. München 1922. Schröter war der erste Autor, der sich direkt mit Spenglers Philosophie auseinandersetzte. Sein Werk bleibt bis heute eine der ersten Analysen, um die man nicht umhinkommt, wenn man sich mit Oswald Spengler beschäftigt. Seine Arbeit wurde von zahlreichen Historikern, Philosophen, Politikwissenschaftlern, Kultur- und Sprachwissenschaftlern aus verschiedenen Ländern fortgesetzt, so beispielsweise von Koktanek, Anton Mirko: Oswald Spengler in seiner Zeit. München 1968; Felken, Detlef: Oswald Spengler. Konservativer Denker zwischen Kaiserreich und Diktatur. München 1988; Demandt, Alexander: Der Fall Spengler.

2. Methodischer Rahmen und Untersuchungsfeld

19

Als eine der zentralen Figuren der Konservativen Revolution übte auch Arthur Moeller van den Bruck (1876 – 1925) einen erheblichen Einfluss auf andere konservativ-revolutionäre Theoretiker aus. Er führte den Begriff des „Dritten Reiches“ durch sein gleichnamiges Buch in den politischen Diskurs ein. Besonders die jungkonservativen Autoren, wie beispielsweise Edgar Julius Jung (1894 – 1934) und Max Hildebert Boehm (1891 – 1968), übernahmen seine Ideen und entwickelten sie weiter. Moeller wurde sowohl aus biographischer als auch aus ideengeschichtlicher Hinsicht gründlich erforscht. Allein in den letzten Jahren wurden drei Werke veröffentlicht, die sich mit dem Leben und Gedankengut Moellers befassen.17 Hier sollen vor allem Moellers politisch-ideologische Ansätze dargestellt und auf seine Reichsidee genauer eingegangen werden, auch wenn die analysierten Texte diese nicht zum Schwerpunkt hatten. Wilhelm Stapel (1882 – 1954) ist vor allem auf Grund seiner Tätigkeit als Herausgeber des „Deutschen Volkstums“ und als einer der einflussreichsten Verfechter der protestantischen Version der Reichsidee für die folgende Untersuchung von Interesse. Besonders kennzeichnend in dieser Hinsicht ist seine politische Publizistik, die von der christlich-philosophischen abzutrennen ist.18 Sein Hauptwerk „Christlicher Staatsmann“ und seine Texte, die im „Deutschen Volkstum“ veröffentlicht wurden, sind dabei von besonderer Bedeutung. Stapel konzentrierte sich auf die protestantische Begründung der Reichsidee, setzte sich unter anderem mit dem Problem des Auslandsdeutschtums und mit dem deutschen Mangel an Lebensraum auseinander. Und auch dem Thema Europa wird in Stapels Schriften stets viel Raum gegeben. Neben Wilhelm Stapel stehen noch drei weitere jungkonservative Autoren im Zentrum der Betrachtungen: Edgar Julius Jung, Max Hildebert Boehm und Martin Spahn. Edgar Julius Jung übernahm zwar den größten Teil seiner Ideen von Moeller van den Bruck, äußerte sie aber auf eine strukturierte sowie klare Art und Weise, was Eine kritische Bilanz. Köln u. a. 1994. Einen Beitrag zur modernen Spengler-Forschung liefern u. a. Gangl, Manfred (Hrsg.): Spengler – ein Denker der Zeitenwende. Frankfurt a.M. u. a. 2009, sowie der nach der gleichnamigen Tagung veröffentlichte Band Demandt u. a. (Hrsg.): Oswald Spengler, ein konservativer Denker? Berlin 2014. Natürlich ist das Thema „Europa“ im Denken von Oswald Spengler in allen diesen Arbeiten vorhanden, wird jedoch fast nie als ein Schwerpunkt behandelt. Nur im Aufsatz von Paulsen, Adam: Reconstruction or Decline? The concept of Europe and its political implications in the works of Ernst Troeltsch and Oswald Spengler. In: Lars K. Bruun / Karl C. Lammers / Gert Sørensen: European Self-reflection between politics and religion. The crisis of Europe in the 20th century. Basingstoke 2013, S. 58 – 79 wird dieses Thema direkt behandelt, jedenfalls aber nicht in dem genügenden Maße. 17 Vgl. Schwierskott, Hans-Joachim: Arthur Moeller van den Bruck und die Anfänge des Jungkonservatismus in der Weimarer Republik. Eine Studie über Geschichte und Ideologie des revolutionären Nationalismus. Erlangen 1961; Grunewald, Michel: Moeller van den Brucks Geschichtsphilosophie. 2 Bde. Bern 2001; Schlüter, Andre: Moeller van den Bruck: Leben und Werk. Köln / Weimar / Wien 2010; Weiß, Volker: Moderne Antimoderne. Arthur Moeller van den Bruck und der Wandel des Konservatismus. Paderborn u. a. 2012. 18 Einen guten Überblick über Stapels politische Publizistik bietet Kessler, Heinrich: Wilhelm Stapel als politischer Publizist. Nürnberg 1967.

20

Einleitung

in der konservativ-revolutionären Publizistik eine Seltenheit ist. In diesem Zusammenhang sind vor allem sein Hauptwerk „Herrschaft der Minderwertigen“, aber auch seine Aufsätze, die in der „Deutschen Rundschau“, in „Der Türmer“ und anderen Zeitschriften erschienen, hervorzuheben.19 Max Hildebert Boehm zeichnete sich als Volkstheoretiker und Kämpfer für die Rechte des Auslandsdeutschtums aus – sowohl in seinem Leben als auch in seinem publizistischen Wirken. Als Mitbegründer des Juniclubs, Leiter des Deutschen Schutzbundes für die Grenz- und Auslandsdeutschen und des Instituts für die Grenzund Auslandsstudien (IGA) in Berlin, Professor für Volkstheorie und Volkstumssoziologie in Jena blieb Boehm nicht nur Theoretiker, sondern war auch politisch engagiert und aktiv. Als der wichtigste Volkstumstheoretiker unter den konservativen Revolutionären ist er für die vorliegende Forschungsarbeit von zentraler Bedeutung.20 Martin Spahn (1875 – 1945), der als Geschichtsprofessor in Köln und Leiter des Politischen Kollegs für nationalpolitische Schulungs- und Bildungsarbeit in Berlin tätig war und darüber hinaus viel veröffentlichte, stellte eine wichtige Figur im Mitteleuropa- sowie Reichsidee-Diskurs dar, wobei er gleichzeitig die Mitteleuropaidee und den katholischen Reichsgedanken repräsentierte.21 Ernst Niekisch (1889 – 1967) hatte auf Grund seiner nationalrevolutionären Haltung und der damit verbundenen Russophilie eine besondere Position in Bezug auf die Europaidee entwickelt. Seine Vorstellungen über die Gestaltung des deutschen Reiches und die Beziehungen zu den anderen Ländern (vor allem zu Sowjetrussland) unterscheiden sich deutlich von denen der anderen jungkonservativen Autoren. Wegen dieser anderen ideologischen Grundlage, die gleichzeitig die Positionen vieler anderer Nationalrevolutionäre beeinflusste, ist Niekisch und sein Werk von großer Bedeutung für diese Arbeit. Neben Niekisch wird noch ein weiterer Autor aus dem nationalrevolutionären Lager im Rahmen der Studie genauer betrachtet – Friedrich Hielscher (1902 – 1990). Seine Zuneigung zum Heidentum und seine mystisch-esoterische Vision des Reiches weiten den Blick für eine weitere Version vom „Reich“, die sich von denen der anderen konservativ-revolutionären Autoren unterscheidet. Bei der Verbreitung des konservativ-revolutionären Gedankenguts spielte die Presse eine nicht zu unterschätzende Rolle.22 Aus diesem Grund werden die für die Bewegung wichtigsten Zeitschriften in den Blick genommen und analysiert. Dazu 19 Vgl. zu Edgar Julius Jung: Jenschke, Bernhard: Zur Kritik der konservativ-revolutionären Ideologie in der Weimarer Republik. München 1971; Jahnke, Helmut: Edgar Julius Jung. Ein konservativer Revolutionär zwischen Tradition und Moderne. Pfaffenweiler 1998. 20 Vgl. zu Max Hildebert Boehm: Prehn, Ulrich: Max Hildebert Boehm. Radikales Ordnungsdenken vom Ersten Weltkrieg bis in die Bundesrepublik. Göttingen 2013. 21 Vgl. Clemens, Gabriele: Martin Spahn und der Rechtskatholizismus in der Weimarer Republik. Mainz 1983. 22 Vgl. Mohler: Die Konservative Revolution (wie Anm. 15), S. 337.

2. Methodischer Rahmen und Untersuchungsfeld

21

zählen insbesondere „Das Gewissen“, „Die Tat“, „Der Ring“, „Deutsches Volkstum“, „Europäische Revue“, „Volk und Reich“. Als ein klassisches Organ des Jungkonservatismus galt die von Eduard Stadtler (1886 – 1945) herausgegebene Zeitschrift „Das Gewissen“. Die ideologische Haltung der Zeitschrift wurde hingegen stark von Moeller van den Bruck geprägt. Dies betraf vor allem die außenpolitische Ausrichtung, die erst durch den Einfluss von Moeller begann, sich in die östliche Hemisphäre zu bewegen.23 Nach dem Tod Moeller van den Brucks bildete sich aus dem „Gewissen“ heraus ein weiteres Sprachrohr der Jungkonservativen: „Der Ring“. Dieses Magazin zeichnete sich durch seine Ablehnung „doktrinärer Bündnispolitik“ aus und forderte eine Außenpolitik, welche die Souveränität Deutschlands sichern solle. Sogar ein Bündnis mit Frankreich, das als abendländische Front gegen den Bolschewismus gedacht war, kam zum Ende der Weimarer Republik in Frage. „Die Tat“ war, unter redaktioneller Leitung von Hans Zehrer (1899 – 1966), das populärste Organ der konservativ-revolutionären Publizistik. Auf Grund ihrer starken Verbreitung und außerdem auch wegen ihrer außenpolitischen Ausrichtung darf die Zeitschrift in den folgenden Betrachtungen nicht außer Acht gelassen werden. Hier wurde vor allem ein Zusammenschluss Österreichs und „Zwischeneuropas“ gefordert und eine Zusammenarbeit mit Russland in Betracht gezogen. Dies machte die Zeitschrift zur wichtigsten Plattform für die konservativ-revolutionären Autoren.24 Giselher Wirsing (1907 – 1975) galt dabei als „außenpolitischer Experte“ der „Tat“. Aber auch außerhalb der Zeitung wurde er mit seiner eigenständigen Schrift „Zwischeneuropa“ bekannt. Die von ihm und innerhalb der „Tat“ entwickelten Visionen waren der Mitteleuropaidee nicht unähnlich, stellen aber trotzdem eigenständige Europakonzeptionen dar.25 Die Zeitschrift „Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland“ fokussierte vor allem die Probleme des Auslandsdeutschtums. „Volk und Reich“ wurde vom Deutschen Schutzbund für das Grenz- und Auslandsdeutschtum veröffentlicht. Bereits im Vorwort zur ersten Ausgabe der Zeitschrift (April-Mai 1925) wurde die Zielrichtung des Bundes klar dargestellt: „Volk und Reich“ sei allen im Ausland lebenden Deutschen gewidmet. Inhaltlich standen sowohl die Mitteleuropaidee als auch andere europäische Konzeptionen im Mittelpunkt. Herausgeber der Zeitschrift war Karl Christian von Loesch (1880 – 1951), der seit 1925 gleichzeitig auch der Leiter des „Deutschen Schutzbundes“ war. Zu den wichtigsten Autoren der Zeitschrift gehörten außerdem Martin Spahn, Max Hildebert Boehm, Karl und Albrecht Haushofer (1903 – 1945). Haushofer erfand den Begriff „Inneneuropa“, der, ähnlich wie das „Zwischeneuropa“ von Wirsing, dem Zweck diente, den Begriff „Mitteleuropa“ zu ersetzen. Ihm schlossen sich die anderen Autoren von „Volk und 23 24 25

Vgl. Kemper, Claudia: Das „Gewissen“ 1919 – 1925. München 2011. Vgl. Hecker, Hans: „Die Tat“ und ihr Osteuropa-Bild 1909 – 1939. Köln 1974. Vgl. Wirsing, Giselher: Zwischeneuropa und die deutsche Zukunft. Jena 1932.

22

Einleitung

Reich“ an, vor allem Karl Christian von Loesch. Der sich um die Zeitschrift gebildete Autorenkreis lieferte die Grundlagen für die jungkonservative Europakonzeption. Eine Aufnahme der Zeitschrift „Europäische Revue“ habe ich zu Beginn meiner Arbeit noch bezweifelt. Obwohl Armin Mohler diese vom Europäischen Kulturbund gegründete Zeitschrift in die konservativ-revolutionäre Reihe einschloss, blieb ihre ideologische Zugehörigkeit eher fraglich.26 In der Werbemitteilung für die Zeitschrift lautete das Urteil der „Deutschen Hochschule für Politik“ folgendermaßen: „Sie [die Zeitschrift – I.K.] hält sich einmal fern von allem Utopischen in der Politik und verzichtet ebenso auf überpolitische Ideologien wie den radikalen Pazifismus, andererseits aber verfällt sie nicht in den Fehler des Gegenteils, die Basis der Verknüpfung in einem konkreten Einzelgebiet, dem wirtschaftlichen etwa, zu erblicken.“27

Hugo von Hofmannstahl wurde zur Leitfigur der „Europäische[n] Revue“. Die ursprüngliche Idee, die im Hintergrund des Schaffens der Zeitschrift sowie des „Europäischen Kulturbundes“ stand, war in erster Linie die Berücksichtigung der allgemein europäischen Interessen, ohne irgendwelche nationalen Interessen dabei zu präferieren. Wenn die ersten Ausgaben der „Europäischen Revue“ den Eindruck vermittelten, die Herausgeber wollten Meinungen sammeln und Artikel über Europa aus unterschiedlichen Richtungen veröffentlichen, änderte sich das schon nach einem Jahr. Man begann die Zeitschrift zu teilen: Der erste Teil präsentierte weiterhin Positionen führender Persönlichkeiten aus Kultur und Politik in Bezug auf die Europa-Frage, unabhängig von ihrer politischen Richtung und Staatsangehörigkeit; ein zweiter Teil mit den Rubriken „Horizont“ und „Das junge Europa“ sollte aber dazu dienen, die Ansichten der Redaktion zum Ausdruck zu bringen.28 Seitens der „klassischen“ konservativen Revolutionäre wurde die „Europäische Revue“ nicht kritisiert, aber auch nicht als zur Konservativen Revolution zugehörig anerkannt. Max Hildebert Boehm äußerte seine Fremdstellung gegenüber von Rohans Redaktion29 und Karl Christian von Loesch erwähnte die Zeitschrift im Zu-

26

Vgl. Müller, Guido: Hugo von Hofmannsthals „Traum des Reiches“ zum Europa unter nationalsozialistischer Herrschaft. Die „Europäische Revue“ 1925 – 1936/44. In: Hans-Christof Kraus (Hrsg.): Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur. Fünf Fallstudien. Berlin 2003, S. 155 – 186. Guido Müller, der sich mit der Organisationsstruktur und den Inhalten der Zeitschrift „Europäische Revue“ tief auseinandersetzte, beschrieb die ideologische Position vom Herausgeber und leitender Figur in der Redaktion Karl Anton Rohan als nah zu der konservativ-revolutionären. Gleichzeitig betonte er aber auch ihren dynamischen Charakter. 27 Zit. aus Werbe-Mitteilung „Europäische Revue“: Urteile der Presse, S. 2. In: Nachlass Liliane von Schnitzler. Zit. nach Guido Müller. 28 Vgl. Rohan, Karl Anton: Vorwort zum zweiten Jahrgang. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 1, S. 4. 29 Vgl. Boehm, Max Hildebert: Der Aufmarsch der Paneuropäer. In: Gewissen, Jg. 7, Nr. 28 v. 13. 7. 1925: „Übrigens sorgt die weitmaschigere ,Europäische Revue‘ des Prinzen Rohan dafür, dass das europäische Konzert vielstimmiger wird.“

2. Methodischer Rahmen und Untersuchungsfeld

23

sammenhang mit der Zeitschrift „Abendland“.30 Carl Schmitt bezeichnete die „Europäische Revue“ als eine liberale Zeitschrift aus den alten romantischen Zeiten, die er gleichzeitig ausdrücklich ablehnte. Das Niveau der Zeitschrift bewertete er aber als ausgezeichnet.31 Obwohl oder gerade weil die „Europäische Revue“ nicht immer als klassisches Beispiel der konservativ-revolutionären Ideologie dienen kann, hat sich ihre Aufnahme in diese Arbeit als nötig erwiesen. Das zeigt unter anderem, wie homogen an einigen und heterogen an den anderen Stellen die Ideologie der Konservativen Revolution in Deutschland war, vor allem in Bezug auf die Europaidee. Genau das illustriert den von Stefan Breuer betonten „dynamischen Bewegungscharakter“ der Konservativen Revolution in einem breiten Ausmaße. Diese Autoren waren miteinander vernetzt. Das betraf nicht nur die Mitglieder der „Kreise“, sondern auch die einzelnen Autoren bzw. Mitglieder unterschiedlicher Gruppen. Edgar Julius Jung zitierte in seinen Werken Albrecht Haushofer und Karl Christian von Loesch und verwies auf den Begriff „Inneneuropa“32. Loesch seinerseits bezog sich oft auf Max Hildebert Boehm33. Max Hildebert Boehm stützte sich währenddessen auf die Werke von Moeller van den Bruck, um seine Positionen zu bestätigen;34 in der Abteilung „Aus fremden Aufsätzen“ des „Rings“ gab es 30 Vgl. Loesch, Karl C. v.: Der großdeutsche Gedanke und die Vereinigten Staaten von Europa. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland, Januar 1926, S. 17: „Menschen, die stärker konstruktiv denken, betonten stärker die Form und propagierten nach Analogie der Vereinigten Staaten von Amerika die Vereinigten Staaten von Europa in allerhand Formen. Wieder andere Kreise suchen die Grundlage für ein solches Gebilde (ohne es zu umreißen) zunächst dadurch zu erarbeiten, dass sie sich entweder eine allgemein europäische Kultur und Zivilisation pflegen und führenden Kreisen bewusst machen wollen, ohne die Verschiedenheit der Völkerindividuen zu verkennen und verwischen zu wollen (Prinz Rolan) oder geschichtliche Erinnerungen an Zeiten wachrufen, in denen es ein lebendiges, allgemein europäisch abendländisches Gefühl gab (Zeitschrift ,Abendland‘ in Köln)“. 31 Carl Schmitt an K. A. Rohan, Brief vom 8. Juni 1925. In: Nordrhein-Westfälisches Hauptstadtstaatsarchiv Düsseldorf, RW 265 – 13423/1 (Nachlass Carl Schmitt), Karton 59. Zit. nach Müller: Hugo von Hofmannsthals „Traum des Reiches“ (wie Anm. 26), S. 169. 32 Vgl. Jung, Edgar Julius: Herrschaft der Minderwertigen. Berlin 1927, S. 647: „Dieser Raum ist Mitteleuropa, vermehrt durch das nahe Südosteuropa und das nahe Osteuropa, das, was Albrecht Haushofer Innereuropa nannte. Eine Darstellung dieses Raumes und der Grundlagen kernhafter Bündnisbildung gibt Karl E. von Loesch“. 33 Vgl. Loesch: Der großdeutsche Gedanke (wie Anm. 30), S. 32. 34 Vgl. Boehm: Das eigenständige Volk. Göttingen 1932, S. 72 – 73. Auch die für ihn typische Vorgehensweise, Europa in den Mittelpunkt zu setzen, sieht er bei Moeller van den Bruck bestätigt: „Auch Moeller van den Bruck verlangte die Zurückstellung der ,kleinen nationalistischen Ideen, für die jetzt die Selbstsucht der Völker zunächst leben möchte‘; auch seine Sorge gilt durchaus undoktrinär einem Europa, ,das wir als Gefüge errichten wollen‘, und das er durch diesen engherzigen und kleinlichen Nationalismus bedroht sieht“; ders.: Der Aufmarsch der Paneuropäer (wie Anm. 29): „,Europa ist eine neue Welt und der Sieg des Nordens über Süden.‘ Dieser Satz von Moeller van den Bruck ist uns ebenso grundlegend wie seine Einsicht, dass das Herzvolk Europas sich im Osten erneuert. […] In der Mitte Europas allein ist West und Ost. Süd und Nord in Spannungen verbunden, die fruchtbar gemacht werden können und

24

Einleitung

Artikel aus „Europäische Revue“, „Zeitschrift für Geopolitik“, „Deutsches Volkstum“; Karl Anton Prinz Rohan hat in „Der Ring“ geschrieben etc. Es werden auch andere Werke der konservativen Revolutionäre in Betracht gezogen,35 die grundlegende Forschung basiert jedoch auf den oben aufgelisteten Autoren.

3. Quellen und Forschungsstand Bis heute wurde noch keine Studie veröffentlicht, die sich mit der Europaidee der Konservativen Revolution befasst. Die Liste der für die vorliegende Arbeit relevanten Schriften lässt sich in zwei große Gruppen unterteilen: die Schriften, die sich mit der Konservativen Revolution insgesamt befassen, und die Werke, die der Europa-, Mitteleuropa und Reichsidee gewidmet sind.36 Über die Konservative Revolution existieren einige einführende Darstellungen, die aber kaum Detailanalysen anbieten. Die „klassischen“ Studien, um die man als Erforscher der Konservativen Revolution nicht herumkommt, stammen von Armin Mohler, Kurt Sontheimer und Stefan Breuer. „Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 – 1932. Ein Handbuch“37 von Armin Mohler war für die vorliegende Analyse nur in begrenztem Maße nützlich. Als Handbuch gedacht, kann es als Nachschlagewerk zur Konservativen Revolution dienen; es erfüllt jedoch nicht den Zweck, eine tiefe Analyse der einzelnen Elemente der konservativ-revolutionären Ideologie zu liefern. Kurt Sontheimer hat eine allgemeine Darstellung der antidemokratischen Ideen der Weimarer Republik gegeben, ohne dabei konkrete Autoren in den Blick zu nehmen und näher zu beleuchten. Seine Absicht war es gewesen, „nicht die antidemokratischen Gruppen, sondern deren Ideen“ darzustellen: „[D]ie Untersuchung gibt in systematischer Absicht ein Bild des antidemokratischen Denkens, keine Einzelstudien antidemokratischer Denker“38. Mit seiner „Anatomie der Konservativen Revolution“ gelang es Stefan Breuer,39 das Interesse an der Konservativen Revolution wieder zu wecken. Seine Hauptthese bleibt aber ein Streitgrund für die Historiker der Ideengeschichte: Er kritisiert den Begriff „Konservative Revolution“, da die Vertreter dieser Bewegung nichts mit dem klassischen müssen. Aus Spannungen und nicht aus Lösungen sind europäische Kräfte zu entwickeln. Der Raum der Mitte, der uns ausstrahlt, schon in der bloßen Indifferenz wird er zum Vakuum, das die Wirbel in sich zieht, um sich in ihnen zu verzehren“. 35 So zum Beispiel Othmar Spann, Carl Schmitt, Eduard Stadtler, Ernst Jünger etc. 36 Eine ausführliche Darstellung der Literatur der zweiten Gruppe bietet Kapitel VI. 37 Vgl. Mohler: Die Konservative Revolution (wie Anm. 15). 38 Sontheimer, Kurt: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. 2. Aufl. München 1983, S. 14. 39 Vgl. Breuer, Stefan: Anatomie der Konservativen Revolution. 2. Aufl. Darmstadt 1995.

3. Quellen und Forschungsstand

25

Konservatismus zu tun hätten. Breuer bezweifelt, ob man überhaupt von eindeutigen Gemeinsamkeiten zwischen den Autoren der konservativen Revolution reden kann und stellt in logischer Konsequenz die Definierung als eine einheitliche Bewegung in Frage. Die Auseinandersetzung mit der Reichsidee dient ihm in diesem Zusammenhang als ein Beispiel, das die unvereinbaren Unterschiede in den Positionen der einzelnen Autoren verdeutlicht. Besonders große Uneinigkeit besteht also in der Verwendung des Begriffs „Konservative Revolution“.40 Während Armin Mohler auf die gemeinsamen Hassobjekte (Versailles, Liberalismus, Bolschewismus etc.) der konservativen Revolutionäre hinweist,41 stellt Sontheimer die antidemokratische Einstellung als Grundlage für die Einheit dieser Bewegung dar.42 Breuer will die Konservative Revolution nicht zum Konservatismus zählen und schlägt den Begriff „Neuer Nationalismus“ als eine mögliche Bezeichnung für diese Ideenrichtung vor. Bei Kurt Lenk ist von einer Mischung ideologischer Grundlagen43 die Rede und Louis Dupeux weist auf die „verschwommene Ideologie“ hin.44 Die Befürworter des Begriffes weisen darauf hin, dass er die innere Paradoxie der Bewegung besonders klar herausstellt.45 Zumal gilt „Konservative Revolution“ als Selbstbezeichnung.46 Ein Konsens wurde hier bisher noch nicht erreicht. Da die vorliegende Untersuchung nicht die Geschichte der Konservativen Revolution thematisiert, sondern ihre Ideen und Gedanken zu einer europäischen Neuordnung erforscht, wird die Uneinheitlichkeit der analysierten Gruppen nicht als Hindernis wahrgenommen, um sie hier „unter ein Dach“ zu bringen – im Gegenteil, die Europaidee der in Betracht gezogenen Autoren soll als Merkmal ihrer Zusammengehörigkeit dienen. Obwohl die Konservative Revolution oft als Forschungsthema ausgewählt wird, tragen diese Analysen meistens einen allgemeinen Charakter und haben nicht als 40

Vgl. Kemper: Gewissen (wie Anm. 23), S. 23 – 26. Vgl. Mohler: Konservative Revolution (wie Anm. 15), S. 87. 42 Vgl. Sontheimer: Antidemokratisches Denken (wie Anm. 38), S. 14 f. 43 Vgl. Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus. Frankfurt am Main /New York 1989, S. 109. 44 Vgl. Dupeux, Louis: Die Intellektuellen der „Konservativen Revolution“ und ihr Einfluss zur Zeit der Weimarer Republik. In: Schmitz, Walter/Vollnhals, Clemens: Völkische Bewegung – Konservative Revolution – Nationalsozialismus. Aspekte einer politischen Kultur. Dresden 2005, S. 3 – 19, hier S. 7. 45 Vgl. Schlüter: Arthur Moeller van den Bruck (wie Anm. 17), S. 333. 46 Hugo von Hofmannsthal führte den Begriff in seiner Rede „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation“ ein: „Der Prozess von dem ich rede, ist nichts anderes als eine konservative Revolution von einem Umfange, wie die europäische Geschichte ihn nicht kennt. Ihr Ziel ist Form, eine neue deutsche Wirklichkeit, an der die ganze Nation teilnehmen könne.“ Hofmannsthal, Hugo von: Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation. München 1927, S. 31. Viele konservativ-revolutionäre Autoren wiederholten diese Bezeichnung, so z. B. Jung, Edgar J./ Weigt, Detlef: Sinndeutung der deutschen Revolution und andere Schriften. Leipzig 2007 (1933), S. 39 f.: „So selbstverständlich ist die konservative Revolution die Aufgabe des deutschen Volkes wie der Rückschlag des geschichtlichen Pendels zur europäischen Mitte nach dem Versailler Vertrage“. 41

26

Einleitung

Ziel, einzelne Aspekte der konservativ-revolutionären Ideologie detailliert zu erforschen.47 Diese Lücke will diese Arbeit zumindest teilweise schließen.

4. Aufbau der Arbeit Wie bereits erwähnt, ist die Arbeit nach inhaltlichen Schwerpunkten gegliedert. Die einzelnen Kapiteln widmen sich jeweils einem Aspekt der Europaidee der Konservativen Revolution, wobei in jedem Kapitel versucht wird, auf alle Autoren und ihre Positionen, sofern vorhanden, einzugehen. Im ersten Kapitel „Antagonismus gegen Versailles als Anstoß des europäischen Erneuerungsgedankens“ werden die außenpolitischen Umstände, die zur Bildung antidemokratischer Gruppen in der Weimarer Republik geführt haben, aufgezeigt. Kapitel zwei, „Zeitgenössische Relevanz“, liefert eine knappe Analyse einiger wichtiger Europakonzepte der Zwischenkriegszeit und beschreibt die Reaktion der konservativen Revolutionäre auf jene Vorstellungen. Dieses Kapitel hat den Zweck, die Europaidee der Konservativen Revolution im Europadiskurs der Weimarer Zeit ideologisch zu platzieren. Das darauf folgende Kapitel befasst sich mit den Fragen: Was bedeutete für die konservativen Revolutionäre „Europa“? Gab es überhaupt ein einheitliches Europabild? Auf welchen Grundlagen (geistigen, geografischen, nationalen) sollte das „Gemeinsame Haus Europa“ aufgebaut werden? Besondere Aufmerksamkeit wird in dieser Hinsicht dem Problem des Ost-West-Gegensatzes im konservativ-revolutionären Europadenken gewidmet. Das vierte Kapitel stellt das Russlandbild der Konservativen Revolution in den Mittelpunkt. Besonders interessant ist dabei, wie die verschiedenen Autoren Russlands Zugehörigkeit zu Europa bewertet haben. In den Werken aller bedeutsamen konservativen Revolutionäre haben Russland, die Sowjetunion und der slawische Kulturkreis einen besonderen Platz eingenommen. Man konnte die außenpolitische Zukunft Deutschlands nicht bestimmen, ohne vorher die Position gegenüber Russland zu definieren. Das fünfte Kapitel widmet sich der Frage nach der Legitimierung der deutschen Herrschaft in Europa aus der Sicht der konservativen Revolutionäre. Dabei wird sowohl auf die historische Perspektive, die Vorstellung von der deutschen Mission in Osteuropa, die Rassenideologie, die religiösen Vorstellungen als auch die Lage des Auslandsdeutschtums eingegangen. Die Fragen nach dem Aufbau eines neuen Europas werden im sechsten Kapitel behandelt, wobei sich der erste Teil den ideologischen Grundlagen widmet. Dabei werden 47

Eine Ausnahme stellt die Arbeit von Jürgen Elvert: Mitteleuropa (wie Anm. 1) dar. Besonders wertvoll ist der Ansatz, die Entwicklung der Mitteleuropaidee während der „Umbruchszeit“ nach der Weimarer Republik zu verfolgen. Die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung bezieht sich jedoch konkret auf die Konservative Revolution, während diese Bewegung bei Elvert im Rahmen seiner Analyse der Mitteleuropavorstellungen nur eine Facette repräsentiert. Auch bezüglich der angewandten Methodologie unterscheidet sich meine Arbeit von Elverts Analyse, denn ich ziehe einen begrenzten Kreis von den Autoren in Betracht, analysiere aber möglichst tief ihre jeweiligen Europavorstellungen.

4. Aufbau der Arbeit

27

die Mitteleuropa- und Reichsidee sowie ihre Variationen in Betracht gezogen. Der zweite Teil beschäftigt sich mit den praktischen Fragen: Welche Grenzen sollte das unter deutscher Führung vereinigte Europa haben? Welche Länder sollten zum „Reich“ bzw. zu „Mitteleuropa“ gehören? Davon ausgehend, dass Europa vereinigt werden müsse, stellt sich die Frage nach der Staatsform, welche den Autoren für diese Vereinigung vorschwebte. Eine weitere wichtige Frage ist, welche Rolle der Wirtschaftsorganisation zukommt? Da der Kapitalismus von den konservativen Revolutionären weithin abgelehnt wurde, ist es zweckmäßig zu fragen, wie sie sich diese Seite des „Neuen Europas“ vorgestellt haben. Schließlich werden die Konzepte der Autoren auf etwaige Herrschaftsansprüche und Hegemonialbestrebungen untersucht, um die Frage nach dem Stellenwert der Deutschen und der anderen Völker in diesem „Vereinigten Europa“ zu beantworten: Sollten alle Völker gleichberechtigt sein oder sollte dem deutschen „Führungsvolk“ eine hegemoniale Rolle zufallen? Abschließend wird der Versuch unternommen, den Einfluss des konservativ-revolutionären Europabildes auf die Ideologie der Nationalsozialisten zu beurteilen und weitere Kontinuitätslinien aufzuzeigen.

I. Voraussetzungen für die Europaidee der Konservativen Revolution: Antagonismus gegen das Versailler System als Anstoß des europäischen Erneuerungsgedankens Es ist nicht Aufgabe dieser Dissertation, nach den tieferliegenden Wurzeln der konservativ-revolutionären Ideologie zu suchen. Allerdings verdient ein Aspekt eine nähere Betrachtung, da dieser auf viele Komponenten der Europakonzeption der Konservativen Revolution direkten Einfluss hatte. Wie jede ideologische Bewegung war auch die Konservative Revolution zum großen Teil eine Reaktion auf die aktuelle politische Lage. Die aktuellen Wurzeln der konservativ-revolutionären Bewegung sind unter anderem in dem historischen Ereignis vom 28. Juni 1919 zu suchen, dem Tag der Unterzeichnung des Versailler Vertrags. Viele Elemente des Gedankenguts dieser rechtskonservativen Ideenrichtung sind direkt mit dem Versailler Vertrag und der daraus entstandenen Weimarer Republik verbunden. In den Augen der deutschen Gesellschaft wurde mit dem im Rahmen der Pariser Friedenskonferenz 1919 abgeschlossenen Versailler Friedensvertrag Deutschland die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg gegeben48 und erschwerte somit den Prozess der Wiederherstellung des Landes nach dem Krieg.49 Obwohl viele Historiker heute die Ansicht vertreten, dass die Entscheidungen von Versailles keinen Angriff gegen Deutschland darstellen

48 Das stimmte nicht ganz, weil es im Kriegsschuldartikel 231 des Vertrages „Deutschland und seine Verbündeten“ hieß: Haffner, Sebastian / Bateson, Gregory / Keynes, John Maynard: Der Vertrag von Versailles, München 1978, S. 238. Diese Satzformulierung hat Diskussionen verursacht, die bis jetzt nicht an Heftigkeit verloren haben. Deren zentrale Frage lautet: Bedeutete es also doch, dass Deutschland damit die moralische Schuld an der Entfesselung des Krieges gegeben wurde oder wurde es nur falsch wahrgenommen? Mehr dazu: Krumeich, Gerd: Vergleichende Aspekte der „Kriegsschulddebatte“ nach dem Ersten Weltkrieg. In: Michalka, Wolfgang (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse. München / Zürich 1994, S. 913 – 928. 49 Zu Bedingungen des Versailler Vertrages und der Weimarer Republik siehe u. a.: Haffner / Bateson /Keynes: Der Vertrag (wie Anm. 48); Kolb, Eberhard: Der Frieden von Versailles, München 2005; Kluge, Ulrich: Die Weimarer Republik. Paderborn 2006; Kraus, HansChristof: Versailles und die Folgen. Außenpolitik zwischen Revisionismus und Verständigung 1919 – 1933. Berlin-Brandenburg 2013; Krumeich, Gerd (Hrsg.): Versailles 1919. Ziele – Wirkung – Wahrnehmung. 1. Aufl. Essen 2001; Mommsen, Hans: Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar. München 2001; Nolte, Ernst: Die Weimarer Republik. Demokratie zwischen Lenin und Hitler. München 2006; Winkler, Henrich-August: Weimar 1918 – 1933: Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. München 1993.

I. Voraussetzungen für die Europaidee der Konservativen Revolution

29

sollten, sondern einen für die damaligen Umstände bestmöglichen Kompromiss50, ist es eine Tatsache, dass der Versailler Vertrag ein Ausgangspunkt für zahlreiche politische und philosophische Diskussionen wurde und einen entscheidenden Einfluss auf die politische Kultur und Entwicklung der Weimarer Republik ausübte.51 Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass die deutsche Gesellschaft von den Bedingungen des Friedensvertrags erschüttert wurde. An die Stelle der Ideen von 1914 traten die Gedanken der europäischen Neuordnung. Deutsche Schriftsteller, Politiker und Philosophen haben sofort nach dem Krieg und auch noch viele Jahre danach ihre Entrüstung in diversen Artikeln, Reden und Büchern ausgedrückt.52 Die öffentliche Debatte über die Kriegsschuld mündete schnell in Zukunftsdiskussionen53 ; der Übergang von der Untergangs- zur Kampfstimmung war schnell genug, um das Phänomen zu ermöglichen, das unter dem Schlagwort „Geburt der Nation aus dem Kriege“ bekannt wurde.54 Deutschland solle um seine Rechte kämpfen und die beklagenswerte Situation zu seinem Nutzen verändern. Die massive Unzufriedenheit mit den Reparationszahlungen, zahlreichen Gebietsverlusten und vor allem mit der Tatsache, dass Deutschland allein die Schuld für den Krieg tragen sollte, führte dazu, dass die deutschen Intellektuellen begannen, nach Lösungen zu suchen, um diese Situation zu ändern. Was den Versailler Vertrag betraf, waren sich die konservativen Revolutionäre einig. Die Position der konservativen Revolutionäre erfuhr auch im Laufe der Zeit keine Änderungen. Jeder Publizist, der in den konservativ-revolutionären Kreisen tätig war, hielt es für undenkbar, den Pariser Vorortverträgen ein paar „warme“ Worte zu widmen. Bei der Analyse der Werke wird schnell deutlich, dass ihre leitenden Ideen direkt aus der Kritik am Versailler Vertrag hervorgehen. Mit anderen Worten: Die große Unzufriedenheit mit den Bedingungen des Versailler Friedenssystems führte dazu, dass die besonders scharfen Kritiker der Weimarer Republik, zu denen die konservativen Revolutionäre zweifellos gehörten, begannen, jene radikalen Lösungen zu entwickeln, die die gesamte Struktur der Weltpolitik ändern sollten. 50 Diese Position wird z. B. von den Autoren des in den USA erschienenen Sammelbandes vertreten: Boemeke, Manfred / Feldman, Gerald / Glaser, Elisabeth (Hrsg.): The Treaty of Versailles. A Reassessment after 75 Years. Cambridge 1998; Dülffer, Jost: „Versailles und die Friedensschlüsse des 19. und 20. Jahrhunderts“. In: Krumeich (Hrsg.): Versailles 1919 (wie Anm. 49), S. 17 – 34 weist in diesem Kontext darauf hin, dass der Versailler Vertrag nicht aus der Reihe anderer Friedensverträge entsprechender Zeitperiode fiel und seine Wirkung vor allem durch den steigenden Nationalismus in Europa verstärkt und teilweise verkehrt wurde. Kraus: Versailles und die Folgen (wie Anm. 49), S. 31 ff. betont ebenfalls den kompromisshaften Charakter des Vertrages. 51 Vgl. Föllmer, Moritz / Graf, Rüdiger (Hrsg.): Die „Krise“ der Weimarer Republik. Frankfurt a.M. 2005, Peukert, Detlev: Die Weimarer Republik. Frankfurt a.M. 1987. 52 Einer der ersten auf diesem Weg war Thomas Mann. Dazu vgl. Haffner / Bateson / Keynes: Der Vertrag (wie Anm. 48), S. 402 – 406. 53 Die Zukunftsdarstellungen Europas waren am Anfang eher pessimistisch. Wohl das bekannteste Beispiel davon ist das bereits 1919 erschienene Buch „Untergang des Abendlandes“ von Oswald Spengler. 54 Vgl. Mommsen: Aufstieg und Untergang (wie Anm. 49), S. 120.

30

I. Voraussetzungen für die Europaidee der Konservativen Revolution

Für Oswald Spengler, einen der ersten und wohl bekanntesten konservativ-revolutionären Autoren, wurde Versailles zum Ausgangspunkt für seine kulturpessimistischen Ideen. Da der Versailler Vertrag aus deutscher Sicht von den westlichen Siegermächten aufoktroyiert wurde, richtete sich die deutsche Kritik an den Westen. Der „Westen“ wurde sofort zum Sündenbock für alle deutschen Probleme gemacht. In der Einleitung zu seinem letzten Werk, „Jahre der Entscheidung“, gab Oswald Spengler eindeutige Hinweise darauf, dass der Hass gegen Versailles einen erheblichen Einfluss auf seine Werke ausgeübt hatte: „Ich habe die schmutzige Revolution von 1918 vom ersten Tage an gehasst, als den Verrat des minderwertigen Teils unseres Volkes an dem starken, unverbrauchten, der 1914 aufgestanden war, weil er eine Zukunft haben konnte und haben wollte. Alles, was ich seitdem über Politik schrieb, war gegen die Mächte gerichtet, die sich auf dem Berg unseres Elends und Unglücks mit Hilfe unserer Feinde verschanzt hatten, um diese Zukunft unmöglich zu machen.“55

In der gleichen Schrift stellte Spengler die Frage, wer im Ersten Weltkrieg eigentlich verloren und wer gewonnen hatte. Seiner Auffassung nach habe Europa als Kontinent verloren, mehr sogar: die „weiße Rasse“ sei der Verlierer und die „farbige Welt“ der Gewinner im Frieden von 1919.56 Ihm schloss sich Giselher Wirsing an, indem er behauptete, Versailles habe nicht nur Deutschland geschadet, sondern ganz Europa: Das Versailler Diktat habe den bis dahin bestehenden Zusammenhang des Abendlandes zerrissen und es sei nicht möglich, ihn durch gesuchte Konstruktionen wiederherzustellen.57 Edgar Julius Jung griff diese These in seiner Schrift „Sinndeutung der deutschen Revolution“ auf, die in dem gleichen Jahr veröffentlich wurde: „Versailles und Weimar wurden die Garanten der mitteleuropäischen Niederlage und des westeuropäischen Sieges“58. Von allen Vertretern der westlichen Kultur wurde vor allem Frankreich die Schuld an Versailles gegeben, wodurch die historisch gegebene Abneigung gegenüber diesem Land zusätzlich genährt wurde. Im Falle der Konservativen Revolution führte dies dazu, dass Franzosen stets als Verkörperung des Bösen wahrgenommen und von daher nie als mögliche Verbündete, sondern nur als Feinde und Gegner angesehen wurden. Das übte einen erheblichen Einfluss auf die für die ganze konservativ-revolutionäre Ideologie so bedeutende Ost-West-Trennung aus, wobei Frankreich als Kernelement des westlichen Teils betrachtet wurde, mit dem man nicht verhandeln bzw. Kompromisse eingehen konnte, sondern das man besiegen musste. Auch Martin Spahn sah im Versailler Vertrag die Spuren der deutschen Konfrontation mit dem Westen. Versailles sei eine Reaktion des Westens auf die be55

Spengler, Oswald: Jahre der Entscheidung. München 1933, S. 4. Vgl. ebd. S. 114 ff. 57 Wirsing, Giselher: „Die Großmächte und Deutschland“. In: Die Tat, Bd. 24, Heft 10, Jan. 1933, S. 850. 58 Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 40. 56

I. Voraussetzungen für die Europaidee der Konservativen Revolution

31

gonnene Erneuerung des Reiches gewesen. Die sich dadurch ergebende deutsche Gefahr habe die westlichen Staaten dazu veranlasst, dem deutschen Volk „den Raum gleichsam unter den Füßen wegzuziehen und ihm eine rein auf Gewalt gegründete Staatenordnung aufzuerlegen“59. Diese Ordnung sei eingesetzt worden, um Volk und Raum voneinander zu trennen und das deutsche Volk unfähig für jegliche Veränderung zu machen.60 Auch Ernst Niekisch sah im Versailler System den Westen am Werk und sogar noch mehr – einen Ausdruck der Verwestlichung Deutschlands selbst: „Am Ende der Verstädterung, Verindustrialisierung, Verliberalisierung, Verbürgerlichung und Vereuropäisierung Deutschlands steht Versailles. Versailles war unabwendbares deutsches Schicksal, sobald Deutschland damit begann, sich dem Westen anzuvertrauen. Locarno, Genf, Haag: Es waren Etappen, die immer noch tiefer in den Westen hineinführten – es waren gleichzeitig Stationen auf dem Wege deutscher Selbstsucht. Noch eine kleine Weile – und Deutschland wird ganz Westen, ganz Europa geworden sein. Das bürgerliche Deutschland war vor 1914 leichtfertig genug, die Ideale des Westens zu borgen: Nun muss es damit bezahlen, dass es sich selbst als eine westlerische Wirklichkeit den Gläubigern darzubringen hat“61.

Deutschland habe also versucht, mit dem Westen den gleichen Weg zu gehen, und wurde mit dem Versailler Vertrag dafür bestraft. Seine Theorie bezüglich des Gegensatzes zwischen der romanischen und germanischen Kultur, die im Prinzip gleichbedeutend ist mit der Idee der Ost-West-Konfrontation, findet bereits in den kritischen Stellungnahmen zu Versailles Ausdruck: „Die Versailler Ordnung ist das Gesetz, das die romanische Welt Mitteleuropa auferlegt hat. Wer selbst unter der Regel des romanischen Wesens steht, kann nicht gegen Versailles rebellieren.“62 Damit wird auch die vollständige Abkehr Deutschlands von der „romanischen“ bzw. westlichen Welt gefordert. Der Versailler Vertrag war für Niekisch gleichzeitig das, was Deutschland immer noch in Verbindung mit Europa gehalten hat. Dieser sei „ein Bestandteil dieser europäisch-zivilisatorischen Ordnung“ sowie „die Stiftungsurkunde, das Grundgesetz des neuen bürgerlichen Europa“63. Der Grund, warum sich Deutschland an die Regeln des lästigen Vertrages gehalten hätte, sei die daraus resultierende Zugehörigkeit zur europäischen Zivilisation gewesen. Denn der Preis für den Versailler Vertrag war hoch, stellte aber dafür die Verbindung mit dem europäischen Liberalismus sicher.64

59 Spahn: Martin: Für den Reichsgedanken: Historisch-politische Aufsätze 1915 – 1934, Berlin / Bonn 1934, S. 84. 60 Vgl. ebd. 61 Niekisch, Ernst: Entscheidung. Berlin 1930, S. 95. 62 Niekisch, Ernst: Politische Schriften. Köln 1965, S. 33. 63 Niekisch, Ernst: Deutsche Außenpolitik. In: Widerstand (1929), Jg. 4, Heft 2, S. 33 – 36, hier S. 34. 64 Vgl. ebd., S. 35.

32

I. Voraussetzungen für die Europaidee der Konservativen Revolution

Die angebotenen Lösungsvorschläge der konservativen Revolutionäre in Bezug auf den weiteren Umgang mit dem Westen waren genauso radikal wie unrealistisch. Da das Versailler System nicht nur Deutschland, sondern auch ganz Europa beeinflusste und die deutsche Außenpolitik von sich abhängig machte, gab es für sie nur eine Möglichkeit, all diese Probleme zu lösen: eine grundlegende Neuordnung Europas. Das ganze System der zwischenstaatlichen Beziehungen, selbst das Wesen von Europa schienen für die konservativen Revolutionäre falsch zu sein. Und viele sahen die logische Lösung darin, den Kampf gegen den Westen vom Osten aus zu führen, um Europa und somit auch die deutsche Lage zu ändern. Einer der Haupttheoretiker der Jungkonservativen, Arthur Moeller van den Bruck, widmete diesem Thema einen großen Anteil seiner Artikel in „Gewissen“65. Hans Schwarz, der nach dem Tod Moellers viele Aufsätze seines Freundes gesammelt und veröffentlicht hatte, schrieb in der Einleitung zu einem der dadurch entstandenen Bände, dass das „Versailler Diktat“, welches dazu gedacht war, Deutschland niederzuzwingen, „zur Wiege einer deutschen Wiedergeburt“ werden würde: „Dort, wo man uns vom Osten zu trennen gedachte, wird unser Protest zur Wendung in den Osten und schneidet uns so vom alten Abendland und seinem Individualismus und Kapitalismus, wie er uns von der geistigen und politischen Überfremdung durch den Marxismus erlöst. Wer aber das in sich aufnimmt, der erlebt auch an sich diesen neuen Seelensturm, der, noch oft von den alten Mächten behindert und seines neuen Bewusstseins noch nicht ganz sicher, sich unterfängt, mit den jungen Völkern und jungen Rassen ein neues Europa aufzubauen.“66

Hier wird zum Protest des deutschen Volkes aufgerufen, der sich aus der Unzufriedenheit und dem Hass gegenüber des Versailler Vertrages speist. Und dieser Protest würde zum „neuen Europa“ führen, dessen Grundlagen im Osten liegen. Die Bedingungen des Versailler Vertrages haben, laut Moeller van den Bruck, dazu geführt, dass dem deutschen Volk alle Rechte genommen worden sind, die Wilson propagiert hatte. Deutschland solle dadurch „das Land der ungeheuersten Irredenta sein, die es jemals gegeben hat“67. Jung stimmte auch hier Moeller zu. Er behauptete, der Versailler Vertrag habe die Absicht, Deutschland aus Europa auszuschließen und zur „unpolitische[n] Menschenreserve Europas“68 zu machen. Die europäische Erneuerung hinge direkt mit dem deutschen Staat zusammen, denn er sei „die Voraussetzung der deutschen 65 Vgl. Moeller van den Bruck, Arthur: Das Ende der Irredenta. In: Gewissen. Unabhängige Zeitung für Volksbildung, 1. Jg., Nr. 9, 10. 06. 1919; ders.: Die Friedenspalme. In: Gewissen, 2. Jg., Nr. 50, 22. 12. 1920; ders.: Genf. In: Gewissen, 2. Jg., Nr. 46, 24. 11. 1920; ders.: Das Bevölkerungsproblem. In: Gewissen, 2. Jg., Nr. 40, 13. 10. 1920; ders.: „Die Versäumte Schuldfrage“. In: Gewissen, Jg. 6, Nr. 32, 11. 8. 1924. 66 Moeller van den Bruck, Arthur: Sozialismus und Außenpolitik. Hrsg. von Hans Schwarz. Breslau 1933, S. 8 f. 67 Moeller van den Bruck: Das Ende der Irredenta (wie Anm. 65). 68 Jung: Deutschland ohne Europa. In: Deutsche Rundschau, Jg. 60, Nr. 61, Feb. 1934, S. 73 – 78, hier S. 73.

I. Voraussetzungen für die Europaidee der Konservativen Revolution

33

Freiheit, wirklicher europäischer Politik und der Befriedigung Europas“69, weil das Verschieben des europäischen Schwergewichtes in die Mitte als eine notwendige Voraussetzung für alle europäischen Veränderungen angesehen wurde.70 Mit dem Protest gegen Versailles wurde gleichzeitig ein Vergleich mit Russland angestellt. Vor allem bei Moeller van den Bruck ist dieses Motiv sehr deutlich zu erkennen. In dem Protest gegen Versailles sah er den Ausgangspunkt einer kommenden Revolution. Er ging sogar noch weiter: Durch seinen Vergleich der Friedensverträge von Versailles mit denen von Brest-Litowsk setzte er die kommende deutsche mit der russischen Revolution gleich. Beide sollten „zu einem revolutionären Bekenntnis und einer revolutionären Art“ werden, welche sich weit über ein einzelnes Volk verbreiten sollten. Bereits hier wird deutlich, dass Moeller van den Bruck beiden Revolutionen internationale Strahlkraft prophezeite. Allerdings hätte, seiner Meinung nach, die deutsche Revolution mehr Chancen auf Erfolg, da sie auf „korrekten“ ideologischen Grundlagen basiere. Die marxistischen Kampfparolen der russischen Revolution wären veraltet, die deutschen Parolen des nationalen Sozialismus seien genau das Gegenteil.71 Ganz anders sahen das die Nationalbolschewisten und vor allem Ernst Niekisch. Im bolschewistischen Russland erblickten sie die Rettung, um den „Fluch“ von Versailles zu überwinden: „Bolschewismus ist Revolution gegen das Abendland als Dauerzustand; das bolschewistische Russland ist das umstürzlerische Kraftfeld, vor dem die Versailler Ordnung schmählich zuschanden wird, und das Versailles, herausfordernd, eine Gegenordnung entgegensetzt.“72

Eine gänzlich andere Position entwickelte diesbezüglich Jung: Er setzte die Weimarer Republik und das sozialistische Russland gleich, indem er in beiden Erscheinungen „ein[en] verspätete[n] Einbruch der Aufklärung in die Mitte und in den Osten Europas“73 erblickte. Bemerkenswert für die weitere Forschung ist die Tatsache, dass die Meinungsunterschiede zwischen den einzelnen konservativ-revolutionären Theoretikern genau bei den Themen vorkommen, die bei näherer Betrachtung als die widersprüchlichsten erscheinen. Wilhelm Stapel betrachtete das Versailler System von dem ihm nahe liegenden religiösen Standpunkt her. Das Europa nach Versailles war für ihn Ausdruck des Prozesses der Säkularisierung, Ausdruck des „Zorn Gottes“74. Dies verursachte bei ihm eine fast apokalyptische Stimmung, denn seiner Meinung nach habe sich damit 69

Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 221. Vgl. Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 39 f. 71 Vgl. Moeller van den Bruck: Sozialismus und Außenpolitik (wie Anm. 66), S. 8 f. 72 Niekisch, Ernst: Politische Schriften. Köln / Berlin 1965, S. 34. 73 Jung / Weigt: Sinndeutung, (wie Anm. 46), S. 42. 74 Stapel, Wilhelm: Warnendes Amerika. In: Deutsches Volkstum (1928), S. 569 – 571, hier S. 570. 70

34

I. Voraussetzungen für die Europaidee der Konservativen Revolution

in Europa ein Raum für Katastrophen und Apokalypsen gebildet.75 Deswegen schloss er sich der Kritik am Versailler Vertrag an, wodurch, seiner Meinung nach, Deutschland in eine Art Gefängnis gebracht worden sei: „Das europäische Grundübel ist, dass die Weisen von Versailles in der Mitte des Westteils ein Konzentrationslager für sechzig Millionen Deutsche geschaffen haben. Eingepfercht in zu enge Grenzen, angewiesen auf eine zu kleine Landfläche, der nötigen Rohstoffe und Absatzmöglichkeiten für industrielle Arbeit beraubt, wissen die sechzig Millionen Gefangene in dem europäischen Konzentrationslager nicht, was sie mit ihrer Arbeitskraft tun sollen.“76

Besonders scharfer Kritik wurden die völkerrechtlichen Bedingungen der Pariser Vorortverträge unterworfen.77 Vor allem in den Werken von Max Hildebert Boehm wird dieses Problem sehr eingehend behandelt. In die Diskussion über den Versailler Vertrag brachte er das Thema des Auslandsdeutschtums ein. Aus dieser Perspektive erschien ihm der Versailler Vertrag als äußerst ungerecht und seine Überwindung wurde als natürlichster Wunsch, den man als Deutscher haben könnte, aufgefasst. Die These der Ungerechtigkeit wurde schnell zu einem unbestreitbaren Argument.78 Die Bedingungen von Versailles nannte Boehm „engstirnig-nationalistisch“79 auf der einen und „verstiegen-kosmopolitisch“80 auf der anderen Seite. Doch das, was man bräuchte, wäre eigentlich eine „europäische Perspektive“ und die Berücksichtigung der Probleme der Nationen. Doch so sei, darin sah Boehm eine direkte Folge des problematischen Ansatzes von Versailles, „Europa, der Lehrmeister der Erde, der Prometheus des weit über seine Grenzen hinausreichenden Kulturkreises der weißen Rasse, auf dem ganzen übrigen Erdenrund verächtlich geworden.“81 Unter Einbezug seiner Forschungsschwerpunkte Nationalstaat und Minderheitenrechte wies Boehm auf die von den Autoren des Versailler Vertrages gemachten Fehler hin. Er merkte beispielsweise an, dass „unter den am Kriege beteiligten Staaten heute kein einziger befriedeter Nationalstaat [sei].“82 Auch die Minderheitengesetze von Versailles unterwarf er scharfer Kritik, besonders was die Rechte der Minderheiten auf Autonomie anging, die sich bei der Versailler Friedenskonferenz nicht etablieren konnten. Die einzigen, die es geschafft hätten, autonom zu sein, 75

Vgl. Kessler: Wilhelm Stapel als politischer Publizist (wie Anm. 18), S. 159. Stapel, Wilhelm: Zwiesprache. In: Deutsches Volkstum (1926), S. 85. 77 Unter den Historikern werden diese Aspekte der Versailler Friedensordnung immer noch aus unterschiedlichen Hinsichten der Kritik unterzogen. Z. B. Mommsen, Hans: Aufstieg und Untergang (wie Anm. 49), S. 132 ff. weist auf die mangelhaften Bemühungen im Bereich des Minderheitenschutzes hin, auf die Nichtinanspruchnahme der Besonderheiten des südost-, mittel- und osteuropäischen Raumes, mangelnde historische und ethnographische Kenntnisse der Pariser Experten hin. 78 Vgl. Boehm, Max H.: Grenzdeutsch – Großdeutsch. Dresden 1925, S. 2. 79 Boehm, Max H.: Europa Irredenta. Berlin 1923, S. 9. 80 Ebd. 81 Ebd. 82 Ebd., S. 262 f. 76

I. Voraussetzungen für die Europaidee der Konservativen Revolution

35

zumindest auf dem Papier, seien „die sog. Karpathoruthenen, die noch heute zwischen Russentum und Ukrainertum schwanken und tief im Analphabetentum stecken“83. Auch in der aus dem „Gewissen“ entstandenen Zeitschrift „Der Ring“ wurde Versailles dafür die Schuld gegeben, dass das deutsche Volk in mehrere Länder Europas versprengt wurde. Es sei die Aufgabe der Schöpfer des Versailler Vertrages, „mit ihren politischen Entscheidungen das schwierigste Gebiet aller europäischen politischen Angelegenheiten, die Nationalitätenprobleme, zu einer für die Besiegten wenigstens erträglichen Lösung zu bringen.“84 Doch die fehlende Beachtung dieser Problematik in den Verträgen sei Grund dafür, dass alle Pläne der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit in Europa bis jetzt zum Scheitern verurteilt seien. Alle Verhandlungen solcher Art seien aussichtslos, solange die von Versailles betroffenen Länder in Ketten lägen. Auch die Weimarer Republik wurde, als direkte Folge des Versailler Vertrages, der Kritik unterworfen. Oswald Spengler verweigerte ihr sogar einen ernsthaften Charakter: „Aus der Angst um den Beuteanteil entstand auf den großherzoglichen Samtsesseln und in den Kneipen von Weimar die deutsche Republik, keine Staatsform, sondern eine Firma.“85 Anstatt die Republik von Weimar als etablierte Staatsform zu betrachten, bezeichnete sie Spengler als eine „Orgie von Unfähigkeit, Feigheit und Gemeinheit.“86 Auch Friedrich Hielscher sah hinter der Weimarer Republik nur den Westen, „die britischen, französischen und amerikanischen Geschütze“87, die ihr keine selbstständige Existenz erlauben würden. Bereits die Analyse des „Feindes“ bzw. des Feindbildes gibt Aufschluss über die Schwerpunkte der einzelnen Autoren. Versailles wurde als der Kernpunkt aller Probleme wahrgenommen, „der Ausdruck des Bösen“, etwas, das die aktuellen Probleme einerseits verursachte, andererseits deutlich zum Ausdruck brachte. Noch Jahre später konnten viele konservative Revolutionäre die Bedingungen und Konsequenzen des Versailler Vertrags nicht bewältigen. Dies wird insbesondere in einem Interview deutlich, das Ernst Jünger 1978 „Le Monde“ gab und wo er gefragt wurde, ob er zwischen den beiden Weltkriegen ein Gegner der Weimarer Republik gewesen sei. Seine Antwort auf diese Frage ist bemerkenswert: „Sprechen wir lieber vom Versailler Vertrag. Wenn die Leute von Weimar unsere Interessen würdig vertreten hätten, wären wir mit ihnen gegangen.“88 In ihrer grundsätzlichen Übereinstimmung darüber, was das Wesen des Versailler Vertrages angeht, hat aber jeder der in Betracht gezogenen Theoretiker der Konservativen Revolution einen Aspekt herausgegriffen, 83

Boehm, Max H.: Das eigenständige Volk. Darmstadt 1925, S. 41 f. Schlenker, Max: Die europäische Orientierung der reichsdeutschen Politik. In: Der Ring, Jg. 1, Heft 21, 20. 05. 1928, S. 391. 85 Spengler, Oswald: Neubau des Deutschen Reiches (1924). In: ders.: Politische Schriften. München 1933, S. 185 – 296, hier S. 193 f. 86 Ebd., S. 2. 87 Hielscher, Friedrich: Das Reich. Leipzig 1931, S. 322. 88 Zit. nach Haffner / Bateson / Keynes: Der Vertrag von Versailles (wie Anm. 48), S. 411. 84

36

I. Voraussetzungen für die Europaidee der Konservativen Revolution

der für ihn am wichtigsten war. So war es für Jung und Spengler die Ost-West-Frage, für Niekisch und Moeller van den Bruck die Russlandproblematik, der Bereich der Religion bei Stapel und das Nationalitätenproblem bei Boehm, die im Zentrum ihrer Betrachtungen standen. Aber nicht nur Hass gegenüber dem Westen kann von der Abneigung von Versailles abgeleitet werden. Integraler Bestandteil der Pariser Vorortverträge war die Schaffung einer Völkervereinigung, die es in dieser Form so noch nie gegeben hatte und die als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg entstand: der Völkerbund. Auf Grund ihres direkten Zusammenhangs mit dem Versailler Vertrag wurde auch diese internationale politische Organisation scharf kritisiert.

1. Kritik am Völkerbund In diesem Zusammenhang ist auch die Reaktion der konservativen Revolutionäre auf Woodrow Wilsons „14-Punkte-Programm“ wegweisend. Das von dem amerikanischen Präsidenten in einer Rede vom 8. Januar 1918 dargestellte Programm der Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg versprach das Selbstbestimmungsrecht der Völker, „Beseitigung aller wirtschaftlichen Schranken“ sowie Erleichterung der Handelsbedingungen und forderte die Gründung des Völkerbundes. Obwohl nicht alle Punkte dieses Programms im Rahmen des Versailler Vertrags in die Praxis umgesetzt wurden, ist Wilson sowohl für die deutsche Regierung als auch für die Öffentlichkeit zum bestgehassten Objekt zahlloser Kritiken geworden. Sobald es um Völker- und Grenzfragen oder um den für Deutschland zeitweilig verschlossenen Völkerbund ging, richteten sich alle Angriffe und Kritiken gegen den US-amerikanischen Präsidenten. Die konservativen Revolutionäre beklagten den vagen Charakter des Völkerbundes, die fehlenden Sicherheitsgarantien und vor allem den mangelnden Minderheitenschutz. Moeller van den Bruck äußerte seine Zweifel schon vor der offiziellen Gründung des Völkerbundes, denn selbst die Idee dieser Organisation sei „nur ein Rahmen, der nichts als seine eigenen Voraussetzungen einbegreift, aber noch nicht den Inhalt, der ihn erst zu füllen haben wird.“89 Wilson sei ein Idealist, so Moeller van den Bruck, er habe bemerkt, dass die europäischen Probleme an den unbeachteten Rechten der kleinen Nationen lägen. Er habe aber nicht erwähnt, dass auch Deutschland einen Irredenta-Kampf führe, für sich und für die jungen Völker, aber gegen England. Außerdem sei der Völkerbund von Wilson von Anfang an ruiniert worden, er habe den Gedanken an den Völkerbund „im Keime verdorben.“90 Das Ziel des Völkerbundes sei es doch, Nationalitäten zu versöhnen, was unter anderem bedeutete: den Status jener Gebiete, deren Zugehörigkeit umstritten war, 89 90

Moeller van den Bruck, Arthur: Das Recht der jungen Völker. München 1919, S. 107. Moeller van den Bruck: Genf. In: Gewissen, Jg. 2, Nr. 46, 24. 11. 1920.

1. Kritik am Völkerbund

37

klar zu stellen und Ansprüche auf Territorien, „wo sich Teile ihres Volkstums in fremdem Staatsverbande befanden“91, zu befrieden. Diese Ziele seien außen vor gelassen worden. Max Hildebert Boehm unterstützte Moeller van den Bruck in dieser Meinung. Die Umgestaltung Europas solle man mit Hilfe der unterdrückten Völker anfangen, im Unterschied zum Völkerbund, der nichts anderes sei als „verewigte Entente“92. Die Rechtsschutzpolitik des Völkerbundes wurde als eine „Dosis Morphium“ bezeichnet, „die den Todeskandidaten in Schönheit versterben lässt und den Pharisäern im Westen die Belästigung durch den Todesschrei der gequälten Völker und Volkssplitter ersparen soll“93. Die Idee vom Völkerbund schien Boehm von Anfang an so falsch zu sein, dass er sich nicht einmal vorstellen konnte, dass diese Organisation als „taktisches Sprungbrett für eine europäische Neugestaltung brauchbar wäre“94. Wilhelm Stapel lenkte die Aufmerksamkeit seiner Leser auf das gleiche Problem wie seine Gesinnungsfreunde: Im Artikel „Von der Gerechtigkeit im Völkerbund“95 sprach er davon, dass diese Gerechtigkeit nicht möglich sei, da sie von den Völkern ausgehen solle, nicht von den Regierungen, wofür es aber im Völkerbund keine Chancen gäbe. Weder England noch die Vereinigten Staaten von Amerika oder Frankreich seien bereit, die aktive Teilnahme der Völker zuzulassen. Dies führe dazu, dass „sich ein Kreis von Mächten aussondere, der den Vorrang hat“96 – der versprochenen Gleichberechtigung sei damit nicht gedient, im Gegenteil. Jung zeigte seinen Skeptizismus, indem er auf die Wirkungslosigkeit des Völkerbundes hinwies: „Trotz des Völkerbundes, trotz vieler Pakte wird der Kampf aller gegen alle auch im Leben der Völker zum Dauerzustand“97. Schuld am Versagen des Völkerbundes sei dessen „individualistische Staatsauffassung“98. Auf der Suche nach historischen Musterbeispielen für eine Europavereinigung zählte Jung unterschiedliche Staatsbildungen auf, die als Modell dienen könnten. Großbritannien wurde für seine innere Gemeinschaft gelobt. Sie basierte unter anderem (oder sogar vor allem) auf der Sprachgemeinschaft. Der Völkerbund jedoch verinnerlichte keinen der Vorteile des britischen Imperiums. „Dafür trage er so viele Geburtsfehler offen zu Schau“99, dass es nach der Meinung von Jung einfach undenkbar wäre, diese Struktur als Muster für die neue europäische Organisation zu benutzen.

91

Moeller van den Bruck: Das Ende der Irredenta (wie Anm. 65). Boehm: Kleines politisches Wörterbuch. Leipzig 1919, S. 72. 93 Boehm: Mitteleuropa, das Westlertum und die Minderheitenfrage. In: Der Grenzkampf – Mitteilungen der „Arbeitsstelle für Nationalitätenprobleme“. Beilage zu Gewissen 5 (1923), Nr. 33 v. 20. 08. 1923. 94 Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 314 f. 95 Vgl. Stapel: Von der Gerechtigkeit im Völkerbund. In: Deutsches Volkstum (1919), S. 56 – 57. 96 Stapel: Der christliche Staatsmann. Hamburg 1932, S. 248. 97 Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 114. 98 Ebd. 99 Ebd., S. 639. 92

38

I. Voraussetzungen für die Europaidee der Konservativen Revolution

Niekisch sah in der Idee des Völkerbundes die Verwirklichung des amerikanischen Willens, Europa unter Kontrolle zu halten. Erfolg sei dieser Idee zunächst dadurch garantiert worden, dass „sie in ihrer Unbestimmtheit jedem erlaubt[e], sich darunter vorzustellen, was er sich immer vorstellen mag.“100 Er betrachtete diesen Bund als eine ausschließlich westliche Vereinigung und machte sich Sorgen wegen der möglichen Konsequenzen, die eine Mitgliedschaft in diesem Bündnis auf die deutsch-russischen Beziehungen haben könnte. Der Beitritt Deutschlands zum Völkerbund solle seiner Meinung nach nur schlechte Auswirkungen auf Deutschland haben: Deutschland sei dem Völkerbund in einem schwachen Zustand beigetreten und so würde es dort verbleiben. Dieser Beitritt bedeute für Deutschland „[…] das freiwillige Sicheinfügen in ein kleines abhängiges Dasein, der Verzicht auf eine große nationale Mission, die ungläubige Abkehr von der eigenen deutschen Besonderheit.“101 Mit seiner Gründung habe der Völkerbund Europa in seiner Gesamtheit keinen Gefallen getan, denn im „Grundsatz vom ,Selbstbestimmungsrecht der Völker‘ liege der antieuropäische Geist, „die Ermunterung für alle Unterdrückten, sich gegen Europa zu erheben, […] antieuropäische Feindseligkeit“102. Auch die Zeitschrift „Europäische Revue“ stimmte in der Einschätzung des Völkerbundes den Autoren der Konservativen Revolution zu: Der Völkerbund sei „ein Teil des Friedenswerkes“103. Sein Ziel und die Mission beschränkten sich nur auf die „Sicherung der Macht“104 der Schöpfer des Versailler Friedensvertrages. Die Grundlage des Völkerbundes sei zusammen mit dem Genfer Protokoll das „Schwächebewusstsein Europas.“105 Das mache den Frieden in Europa in der Zukunft schwer realisierbar, denn kein effektiver Frieden könne die einfache Schwäche der europäischen Völker als Grundlage haben. Den Frieden in Europa könnte nur eine auf der Völkermacht basierende Gemeinschaftsordnung bringen. Die Redaktion der Zeitschrift „Der Ring“ schloss sich diesen Kritiken an und schlussfolgerte, dass der Völkerbund „ein paneuropäischer Vorläufer, aber in [die] gefahrbringende Richtung“106 sei. Mit seiner Existenz in der politischen Realität Europas habe der Völkerbund die Amerikanisierung des Abendlandes beschleunigt und außerdem „die ersten Anfänge einer kulturellen Vernegerung Europas zugelassen, ohne nach Gegenmitteln zu suchen“107. Auch gegen den Bolschewismus habe 100

Niekisch: Gedanken über deutsche Politik. Dresden 1929, S. 137. Niekisch: Stresemanns Völkerbundspolitik. In: Widerstand (1926), Jg. 1, Nr. 3/4, S. 21 – 28, hier S. 25. 102 Niekisch: Entscheidung. Berlin 1930, S. 139. 103 Rohan, Karl Anton: Genf 1927. In: Europäische Revue, Jg. 3, Heft 7, Okt. 1927, S. 521 – 523, hier S. 521. 104 Ebd. 105 Ebd., S. 522. 106 Baron von Manteuffel, Georg: Pan-Europa? In: Der Ring, 1. Jg., Heft 30, 22. Juli 1928, S. 554. 107 Ebd. 101

1. Kritik am Völkerbund

39

er keine Mittel, wodurch Europa nicht nur „amerikanisiert“ und „afrikanisiert“, sondern auch „asiatisiert“ geworden wäre. Auch Karl Christian von Loesch nutzte den Vergleich mit Paneuropa. Nach einer Analyse der Stationen der europäischen Ideengeschichte kam er auf die Idee, dass der Völkerbund eine Äußerung der Aufklärung sei. Durch den Misserfolg des Völkerbundes erweise sich die Idee der Aufklärung selbst als schwach. Und der Völkerbund, „die große Enttäuschung aller Idealisten,[…] wurde sogar der Ausgangspunkt der Paneuropabewegung“108. Trotzdem äußerte Loesch vier Jahre später immer noch die Erwartung, der Völkerbund würde die Aufgabe erfüllen, Europa aus seiner Misere zu lösen und zu einer Ordnung zu bringen, die anders als „die problemlosen paneuropäischen Rezepte“109 auf den Versailler Vertrag und seine Bedingungen verzichten würde und eine prinzipiell neue Lösung darstellen könnte. Somit wurde der erste institutionelle Versuch, Völker in einer überstaatlichen Organisation zu vereinigen, belanglosen Kritiken unterworfen und in allen seinen Aspekten abgelehnt. Der nächste Schritt bestand darin, die Kampfstrategie auszuarbeiten, um den Neubau Europas ohne die Mängel des Versailler Systems und des Völkerbundes zustande zu bringen.

108 109

Loesch: Der großdeutsche Gedanke (wie Anm. 30), S. 10. Ebd., S. 40.

II. Zeitgenössische Relevanz. Die „anderen“ Europaideen der Zwischenkriegszeit Obwohl diese Arbeit keine vergleichende Untersuchung darstellt, können die Europavorstellungen der konservativen Revolutionäre nur in ihrem zeithistorischen Kontext verstanden werden. Sowohl die Mitteleuropaidee als auch die Reichsidee hatten mit anderen Konzepten über eine europäische Neuordnung zu konkurrieren. Nach dem Ersten Weltkrieg, in einer Zeit großer Instabilität auf dem europäischen Kontinent, fand der Gedanke der nötigen Neuordnung Europas eine große Verbreitung. „Mitteleuropa“, „Paneuropa“, „Vereinigte Staaten Europas“, „Abendland“ – das Spektrum der Begriffe, welche die verschiedenen Europakonzepte der Zwischenkriegszeit bezeichneten, erscheint bereits auf den ersten Blick um einiges komplexer zu sein, als es von denjenigen gerne gesehen wird, die die Entwicklung der liberal-demokratischen, auf den pluralistischen Werten aufgebauten Europaidee in einer kontinuierlichen Linie darstellen. Peter Krüger teilt die Apologeten des neuen Europas in der Zwischenkriegszeit in Deutschland in drei Gruppen ein: 1. Die Anhänger der Paneuropaidee von Coudenhove-Kalergi, 2. Die sogenannten „europäischen Pragmatiker“, zu denen Vertreter der Wirtschaft und Politik gehörten, die auf die Notwendigkeit und den Nutzen der europäischen Integration aufmerksam machten, 3. Propheten der Mitteleuropaidee und der Reichsidee, die sich die Zusammenarbeit in Europa nur unter der Großmachtstellung Deutschlands vorstellen konnten.110 Anlehnend an diese Klassifizierung fällt es leicht zu verstehen, welches Gedankengut von diesen drei Gruppen die nationalsozialistische Europaidee am meisten beeinflusst hat. Auf besonders große Resonanz stieß die vom Österreicher Grafen CoudenhoveKalergi entwickelte Paneuropaidee.111 Seine Europavisionen stellte er 1923 in seinem programmatischen Buch „Pan-Europa“112 vor. Der breiten Öffentlichkeit wurden sie durch die Zeitschrift Paneuropa bekannt, die von 1924 bis 1938 in Wien von Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi selbst herausgegeben wurde. Obwohl es im Folgenden ersichtlich wird, dass die Anhänger der Paneuropaidee von den konservativen Revolutionären auf keinen Fall als Gleichgesinnte angesehen wurden, weisen die von ihnen jeweils verfochtenen Konzepte – die Paneuropa- und die 110 Vgl. Krüger, Peter: Hitlers Europapolitik. In: Benz, Wolfgang u. a. (Hrsg.): Der Nationalsozialismus. Studien zu Ideologie und Herrschaft. Frankfurt am Main 1993, S. 104 – 132, hier S. 106 ff. 111 Vgl. Frommelt, Reinhard: Paneuropa oder Mitteleuropa: Einigungsbestrebungen im Kalkül dt. Wirtschaft und Politik 1925 – 1933. Stuttgart 1977. 112 Vgl. Coudenhove-Kalergi, Richard Nicolaus v.: Pan-Europa. Wien 1923.

II. Zeitgenössische Relevanz

41

Mitteleuropaidee – gewisse Gemeinsamkeiten auf. Dazu gehörte vor allem die Überzeugung von der europäischen Krise. Ebenso wie die konservativen Revolutionäre sah Coudenhove-Kalergi in Nietzsche einen Vordenker seiner Ideen. Er trat für die Vereinigung Europas ein, um den großen Mächten etwas entgegensetzen zu können. Zu Paneuropa sollten alle Länder zwischen England und Sowjetrussland gehören. Mit diesem Punkt kann die Liste der Gemeinsamkeiten abgeschlossen werden. Die Unterschiede waren zahlreich, so dass die konservativ-revolutionären Autoren dutzende Artikel alleine der Kritik an Coudenhove-Kalergi und seinem Europakonzept widmen konnten. In Russland sah Coudenhove-Kalergi eine große Gefahr; sowohl im Russland Peters des Großen als auch im bolschewistischen Russland. Im Gegensatz zu den konservativen Revolutionären trat er für die Union mit Frankreich ein, die die Grundlage der neuen europäischen Vereinigung bilden sollte. England, genau wie Russland, gehörte nach seiner Meinung nicht zu Europa. Das Widerspruchsvollste an dem ganzen Plan schien aber etwas anderes zu sein: Zum neugeordneten Europa gehörten nach Kalergis Plan die afrikanischen Kolonien Frankreichs, die spanischen Kolonien und die Kolonien anderer zum „echten“ Europa gehörenden Länder. Die paneuropäischen Ideen fanden in der Weimarer Republik eine große Verbreitung. Die überzeugten Paneuropäer wurden zu den Mitgliedern der paneuropäischen Bewegung, der Paneuropa-Union oder eines sogenannten PaneuropaClubs.113 Der französische Ministerpräsident, langjähriger Außenminister und zugleich der Ehrenpräsident der Paneuropa-Union Aristide Briand hat am 5. September 1929 vor der Versammlung des Völkerbundes eine Rede gehalten, in der er zum Aufbau eines europäischen, föderativen Bundes aufrief. Seine Forderung nach einem deutsch-französischen Bündnis verstand sich ganz im Sinne der Paneuropaidee. So wurde die Paneuropaidee von der rein intellektuellen Welt auf die Ebene der Regierungspolitik übertragen.114 Obwohl die Reaktionen der europäischen Politiker darauf genauso wie auf das 1930 erschienene „Memorandum über die Organisation einer europäischen Bundesordnung“ von Briand eher zurückhaltend bis ablehnend waren, zeigt es, dass die Paneuropaidee es bis zur Regierungsebene geschafft hat. Besonders nah zur Europaidee der Konservativen Revolution war die Idee des katholisch-universalen Abendlandes, die in den Jahren der Weimarer Republik durch die Zeitschrift „Abendland. Deutsche Monatshefte für europäische Kultur“ verbreitet wurde.115 Diesem Ideenkomplex, der auf religiösen und geschichtlichen Grundlagen basierte, brachten die konservativen Revolutionäre oft positive Reso113 Vgl. Conze: Richard Coudenhove-Kalergi (wie Anm. 7); Vgl. Paul, Ina Ulrike: Einigung für einen Kontinent von Feinden? In: Durchhardt, Heinz und Nemeth, Istvan (Hrsg.): Der Europa-Gedanke in Ungarn und Deutschland in der Zwischenkriegszeit. Mainz 2005, S. 21 – 45; Schöberl, Verena: „Es gibt ein großes und herrliches Land, das sich selbst nicht kennt… Es heisst Europa“. Die Diskussion um die Paneuropaidee in Deutschland, Frankreich und Großbritannien 1922 – 1933. Berlin 2007. 114 Vgl. Paul: Einigung für einen Kontinent von Feinden? (wie Anm. 113), S. 34 f. 115 Vgl. Conze: Das Europa der Deutschen (wie Anm. 2).

42

II. Zeitgenössische Relevanz

nanz entgegen. Die Idealisierung des Mittelalters und vor allem des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die Forderung nach der Rechristianisierung Europas und einer organischen Gesellschaft brachten die Apologeten der Reichsidee den Propheten des Abendlandes besonders nahe.116 1930 wurde die Zeitschrift „Abendland“ eingestellt und viele seiner Autoren wandten sich den publizistischen Organen der Konservativen Revolution zu. Drei Jahre später haben sich viele von ihnen den Nationalsozialisten angeschlossen.117 Die Paneuropaidee und die Europaidee der Konservativen Revolution wurden im gleichen Zeitraum entwickelt, nutzten Zeitschriften als Sprachrohr und wiesen gewisse ideologische Gemeinsamkeiten auf. Deswegen stellt sich die Frage nach ihrer Öffentlichkeitspräsenz: Welche Idee hatte einen größeren Einfluss auf die öffentliche Meinung? Die Paneuropaidee hat eine viel stärkere internationale Ausbreitung gefunden und wurde unter anderem in den Regierungskreisen bekannt. Die Europavorstellungen der Konservativen Revolution waren ausschließlich in Deutschland und hauptsächlich in den intellektuellen Kreisen verbreitet. Das hing direkt mit den Zwecken der Autoren dieser Ideen zusammen: Während Coudenhove-Kalergi sich als Ziel setzte, die Paneuropaidee den breiten Massen bekannt zu machen und in der Politik durchzusetzen, haben die konservativen Revolutionäre ihre Ideen oft als Gedankenanstöße für die Intellektuellen verstanden, die nicht gedacht waren, um realisiert zu werden. Da die Konservative Revolution und ihre Ideologie aus dem Protest heraus entstanden war, stand am Beginn ihrer Europakonzepte zunächst die Kritik an den zeitgenössischen Europamodellen. Die Analyse dieser Kritiken ist von besonderer Relevanz, da sie Aufschluss über die Ansichten der konservativ-revolutionären Autoren und deren Zukunftskonstruktionen für Europa gibt. Die Kritik an den anderen zeitgenössischen Europakonzepten stand im Mittelpunkt des Artikels „Europäisch“ von Moeller van den Bruck, der im März 1923 in der Zeitschrift „Gewissen“ veröffentlicht wurde. Laut dem Autor seien die existierenden Europakonzepte falsch und könnten nur zu neuen Enttäuschungen führen. Die Motivation, Europa zu retten, bedeutete für sie, „dem Schicksale zu entwischen, seinem Spruche zu entgehen, sich der Strafe zu entziehen“118. Sie hätten Europa als Selbstzweck, ohne eine Mission, eine Berufung für die europäische Neuordnung gesehen, sie seien „unfähig, ihren Europagedanken noch durch einen Sendungsgedanken zu weihen“119. Nach der Meinung von Moeller van den Bruck wollten die Befürworter dieser Gedanken Europa vereinigen, um Europa als Kraft gegen die Weltmächte zu behaupten. Der Zustand Europas, dessen Möglichkeiten und Wünsche interessiere sie hingegen nicht. Aber Europa sei keine Tatsache, sondern Bewusstsein. Und wenn es gerettet werden solle, „dann ist es nur von denjenigen 116 117 118 119

Ebd., S. 33 ff. Ebd., S. 49 ff. Moeller van den Bruck: Europäisch. In: Gewissen, Jg. 6, Nr. 9, 3. 3. 1924. Ebd.

II. Zeitgenössische Relevanz

43

Völkern aus möglich, die ein europäisches Bewusstsein besitzen“120. Für Moeller van den Bruck war es klar, dass der Westen scheiterte. Die Theoretiker der Europaidee wurden von ihm hauptsächlich dafür kritisiert, dass sie diese Meinung nicht teilten. Sogar Pannwitz war da keine Ausnahme und wurde von ihm verurteilt, weil er sich, trotz seiner „slawischen Besinnung“, „von einer an diesen Wesen angeknüpften kontinental-hegemonischen Anschauung verleiten [ließ], in dem Napoleon das Memorial von St. Helena den neuen Cäsar zu sehen, der gar nicht die europäischen Völker habe unterjochen, sondern die europäische Verwirrung habe enden wollen“121.

Die Vertreter des Europagedankens wollten, nach Meinung Moellers, nicht die besondere Position Deutschlands im europäischen Schicksal und die Kontinuitätslinien zwischen der Geschichte Deutschlands und der Geschichte Europas sehen, weil sie Westler seien. Das sei ihr Hauptproblem.122 Ihm folgte Jung. Seiner Meinung nach seien die anderen Ideen der Europavereinigung falsch, alleine wegen ihrer individualistischen Grundlage. Sie seien wie „alter Wein in neuen Schläuchen“123. Ihr Zweck sei „die jetzige Machtverteilung aufrechtzuerhalten, ohne am heutigen westlichen Staate wirklich zu rütteln“124, um das Wohl Europas ginge es dabei nicht. Der Inhalt dieses „neuen“ Europas sollte der gleiche sein wie vorher: „Man will ganz Europa in eine Riesenmassendemokratie verwandeln, die Lüge von der gleichen und freiheitlichen Volksherrschaft ins Maß des Ungeheuren steigern“125. Ähnlich wie Moeller van den Bruck kritisierte auch Niekisch den europäischen Gedanken als nach Westen hin gerichteten: „[M]an sieht es nicht, wie man im Grund nur französische Interessen fördert, wenn man wähnt, im Dienste von europäischen Gedanken, von Menschheitsidealen, von internationalen Zielsetzungen zu wirken.“126

Die „echten deutschen“ Bedürfnisse seien dabei unbemerkt geblieben, als ob es sie nicht gäbe. Die innerdeutschen Versuche, die die „Rettung der europäischen Kultur“127 anstrebten, seien zum Tode verurteilt und der Grund dafür sei die „Weimarer Europapolitik“. Niekisch zog aber auch die Frage in Betracht, ob die bereits existierenden Europakonzepte verwendbar seien. Doch seine Antwort fällt negativ aus, denn diese „internationalistische[n] Staatskonstruktionen von der Art der 120

Ebd. Ebd. 122 Ebd. 123 Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 641. 124 Ebd. 125 Ebd. 126 Niekisch: Stresemanns Völkerbundspolitik (wie Anm. 101), S. 26. 127 Niekisch: Widerstand. Ausgewählte Aufsätze aus seinen „Blättern für sozialistische und nationalrevolutionäre Politik“. Krefeld 1982, S. 53. 121

44

II. Zeitgenössische Relevanz

,Vereinigten Staaten von Europa‘ werden erfunden als ein Schlafpulver, das die innere Unruhe zum Schweigen bringen soll“128. Karl Christian von Loesch ging speziell auf die Krisensituation Europas ein. Seiner Meinung nach hatte diese erst dazu geführt, dass viele „Europaverbesserer“ ihre Ideen präsentierten. All diejenigen, die die Europavereinigung wünschten, vereinigte, ihm zufolge, der Wunsch nach Frieden, Ordnung und Entwicklung des eigenen Volkes. Sie alle strebten „eine ungestörte Entwicklung aller europäischen Völker“129 an. Loesch merkte an, dass sich eine „entwicklungssuchende Gruppe“ bildete, die tatsächliche Änderungen des europäischen Zustands voranbringen wollte und alle Schwierigkeiten der europäischen Lage sah. Diese Gruppe habe keine Vereine oder Organisationen zustande gebracht, dafür aber eine Reihe von Büchern und Aufsätzen veröffentlicht. Positiv schätzte er die Europaidee des ehemaligen österreichischen Kanzlers Seipel und der Autoren der Zeitschrift „Abendland“ ein, da sie eine Fortsetzung der universalistischen Idee des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation suche, in der die römisch-katholische Kirche immer noch erhalten bleiben würde. Sie seien „durchaus ernst zu nehmen, (ernster, als die mehr mechanische der Männer, welche von Paneuropa oder nebelhaften Vereinigten Staaten von Europa sprechen) da sie bewusst sich die Grundlagen aus der Vergangenheit zu erarbeiten such[en]“130. Noch ein weiteres Buch wurde von Loesch erwähnt und positiv beurteilt: „Das neue Europa“ von August Schmid, in dem auf die besondere Stellung Deutschlands hingewiesen wurde. Die Sowjetunion diente Loesch als Beispiel, wie solch ein Verband von unterschiedlichen Völkern organisiert werden und funktionieren kann. Um nach weiteren Beispielen und Vorbildern zu suchen, schlug Loesch vor, die mittelalterliche und die frühneuzeitliche Geschichte Deutschlands zu studieren.131 Doch die meisten zeitgenössischen Europavisionen und -konzepte wurden von Loesch kritisiert. Er merkte an, dass in vielen Projekten zur Europavereinigung der Versuch unternommen worden sei, einen europäischen Bund zu schaffen, ohne den Versailler Vertrag abzuschaffen. Das lehnte Loesch kategorisch ab: „Eine europäische Föderation hat für uns Deutsche nur Sinn, wenn gleichzeitig die Grenzlandminderheiten (unechte Minderheiten) verschwinden und nur noch die Schicksalsminderheiten (echten Minderheiten) übrig bleiben“132. Loesch war der Meinung, dass die „realpolitische Lösung“, dessen Befürworter behaupteten, europäische Gegensätze könnten ausgeglichen werden, weil die wirtschaftliche Notwendigkeit eine ausreichende Motivation dafür darstellte, überhaupt nicht realistisch sei: „Ohne Änderung der geistigen Verfassung Europas erscheint eine Verwirklichung jedweder 128

Niekisch: Gedanken über deutsche Politik (wie Anm. 100), S. 27. Loesch: Die paneuropäischen Bewegungen. In: Haushofer, Karl / Trampler, Kurt (Hrsg.): Deutschlands Weg an der Zeitenwende. München 1931, S. 199 – 208, hier S. 199. 130 Loesch: Der großdeutsche Gedanke (wie Anm. 30), S. 18. 131 Vgl. ebd., S. 36. 132 Ebd., S. 33. 129

1. Kritik an Paneuropa

45

Paneuropa-Pläne von vornherein unmöglich, zumal sie einer Änderung, sowohl der Staatsauffassungen als auch der Staatgrenzen vorbeugen.“133 Ebenso wie Loesch schätzte auch Karl Anton Prinz Rohan die Zeitschrift „Abendland“ positiv ein. Rohan begrüßte selbst den Fakt, dass eine Zeitschrift erschien, die die Idee von Europa propagierte. Dem „Abendland“ schrieb Rohan die Rolle zu, „jene Zeitschrift zu werden, die den deutschen Standpunkt zu Europa herausarbeitet“134. Rohan schlug sogar ein Erfolgsrezept für das „Abendland“ vor, und zwar „[wenn] es das [will], dann hat es zweifellos eine große Zukunft, sofern es versteht, nicht rheinisch sondern deutsch, nicht parteipolitisch sondern katholisch, nicht weltanschaulich sondern staatsmännisch zu denken“135. Und auch Boehm war der Meinung, dass die in den katholischen Kreisen verbreitete Idee des Abendlandes näher an den Bedürfnissen des deutschen Volkes war als viele andere zeitgenössische Europaideen: „Ist und bleibt Paris für den Paneuropäer das Mekka der Zivilisation, so kreist der abendländische Gedanke um den Mittelpunkt des ewigen Rom“136. Boehm zu Folge wurde diese römische Lösung auch von den Protestanten präferiert.

1. Kritik an Paneuropa Die Paneuropaidee von Coudenhove-Karlergi war das bekannteste Konzept über eine europäische Erneuerung der Zwischenkriegszeit, gleichzeitig aber auch beliebtestes Objekt zahlreicher Kritiken seitens der konservativen Revolutionäre: Bereits Moeller van den Bruck äußerte sich negativ über diesen Plan. Das Schlimmste an Coudenhoves Idee war für Moeller der Ausschluss Russlands aus Europa auf Grund der „Absage an das europäische System der Demokratie“, während Polen hingegen Europäertum zugewiesen wurde, „weil sie ,ihren Anschluss‘ an eben dieses System vollzogen hätten“137. Karl Christian von Loesch widmete mehrere Aufsätze der Kritik an Paneuropa. Das Projekt von Kalergi sei aus seiner Sicht nur ein Versuch, Frankreichs Herrschaft zu erhalten und auszubreiten: „Coudenhoves Karte zeigt tatsächlich ein groß-napoleonisches Reich mit moderner Weiterstreckung“138. Coudenhoves Fehler sei

133

Ebd., S. 22 f. Rohan: Abendland. In: Europäische Revue, Jg. 1, Heft 8, 1. 10. 1925, S. 140 – 141, hier S. 141. 135 Ebd. 136 Boehm: Das mitteleuropäische Nationalitätenproblem und die europäische Einheitsbewegung. In: Volk und Reich, Jg. 2, Sep. 1926, S. 364 – 368, hier S. 367. 137 Moeller van den Bruck: Europäisch (wie Anm. 118). 138 Loesch: Der großdeutsche Gedanke (wie Anm. 30), S. 17. 134

46

II. Zeitgenössische Relevanz

außerdem die „Unterschätzung des Volkstums und seiner Kräfte“139, das aus Gerechtigkeitsgründen gefährlich werden und dem externen Druck widerstehen könnte, um den für sie notwendigen Lebensraum zu erhalten. Die Paneuropabewegung sei aber zu oberflächlich, um das verstehen zu können: „So kommt es, dass der lauteste Paneuropatrommler nicht im Besitz brauchbarer Rezepte ist, weil er die wichtigsten Krankheitsursachen nicht zu erkennen vermochte und auch einen europäischen Genesungsprozess eher verzögerte als förderte.“140

Die europäischen Länder seien zu vielfältig und bräuchten eine viel kompliziertere Struktur als die von Coudenhove angebotene, weil sie nicht „durch phantasielose Gleichmacherei von Wirtschaftsinteressenten zusammengeschmolzen werden“141 könnten. Loesch wies darauf hin, dass es mehrere Versionen des Paneuropäismus gab. Neben der Version von Coudenhove-Kalergi nannte Loesch die von Briand. Doch dieser attestierte er den fehlenden „Wille[n] zum Ganzen, zur organischen Gemeinschaft der Völker des gleichen Raumes, der Wiege abendländischer Kultur“142. Auf Grund dessen war das Paneuropa-Konzept von Briand, trotz einer energischen Zustimmung seitens der europäischen Presse, für Loesch äußerst unattraktiv. Den von Briand geäußerten Wunsch nach den „Vereinigten Staaten von Europa“ nahm Loesch mit Ironie wahr, das sei „der Wunsch nach Grenzsicherung, um das im Kriege erworbene Land zu verdauen“143. Auch Ernst Niekisch schloss sich der Kritik an der Idee von Paneuropa an. Ähnlich wie Loesch kritisierte er vor allem die französische Hegemonie, die durch eine Realisierung des Konzepts erhalten bleiben würde. Niekisch war überzeugt, dass die Wahl des Landesführers dieses Paneuropas (dass es einen „Führer“ geben muss, wurde nie unter Zweifel gestellt) zwischen Frankreich und England ausgetragen werden würde. Und Deutschland sei für immer der zweite Platz zugewiesen: „Für Deutschland ist das paneuropäische Gefühl nur eine andere Gestalt französischer Sympathien, französischer Neigungen, der Willfährigkeit, sich unter das französische Joch zu beugen“144. Nicht nur die Idee von Couvenhove-Kalergi wurde von ihm kritisiert, sondern auch der Versuch von Briand, dieser Idee eine „praktische Dimension“ zu geben. Der Inhalt jener Kritik blieb jedoch unverändert: „Das Memorandum will Paneuropa unter Frankreichs Führung; die Einigkeit und Solidarität, die es befürwortet, besteht darin, an dem Ergebnis von Versailles, das Frankreich höchst bekömmlich findet, nicht zu rütteln.“145

139

Loesch: Die paneuropäischen Bewegungen (wie Anm. 129), S. 202. Ebd., S. 203. 141 Loesch: Der großdeutsche Gedanke (wie Anm. 30), S. 23. 142 Loesch: Die paneuropäischen Bewegungen (wie Anm. 129), S. 204. 143 Loesch: Der großdeutsche Gedanke (wie Anm. 30), S. 22. 144 Niekisch: Gedanken über deutsche Politik (wie Anm. 100), S. 233. 145 Niekisch: Frankreich oder Italien – oder …? In: Widerstand (1930), Jg. 5, Heft 6, S. 166 – 172, hier S. 166. 140

1. Kritik an Paneuropa

47

Wie man merkt, ließ der Versailler Vertrag Niekisch auch zwölf Jahre später nicht in Ruhe und seiner Auffassung nach sollte die Politik das Hauptziel verfolgen, das Versailler System abzuschaffen. Ein weiterer Autor des „Widerstands“, der sich klar gegen Paneuropa äußerte, war Benedikt Obermayr. Seiner Ansicht nach waren die Gründe, um ein gemeinsames Europa zu bilden, bei den Anhängern dieser Idee sehr schwach. Obermayr behauptete, das läge alleine an der Geographie, denn man müsste den ganzen europäischen Kontinent zusammenbringen. Die europäischen Länder hätten aber nicht genug Gemeinsamkeiten. Außerdem lägen die Interessen von Frankreich in den afrikanischen Ländern, die von Spanien in Lateinamerika und die von England in den Vereinigten Staaten von Amerika. Aus der Sicht von Stapel führten die existierenden Ideen über eine Europavereinigung dazu, dass man sich nicht mehr einfach nur den europäischen Frieden wünschen würde, sondern eine „,europäische Staatengesellschaft‘, einen ,europäischen Staatenbund‘, ,Vereinigte Staaten von Europa‘, ein ,Paneuropa‘“146. Man wolle nicht mehr einfach nur deutsch sein, man strebe danach, europäisch zu werden. Diese Entwicklung habe dazu geführt, dass ein neuer Weg zum europäischen Überstaat erfunden worden sei: die Verständigung. „Bisher hat man ,Gewaltpolitik‘ getrieben, seit Versailles ist die Möglichkeit gegeben, ,Verständigungspolitik‘ zu treiben, und man treibt sie schon“147. Genau diese Verständigungspolitik stand im Mittelpunkt von Stapels Thesen, die sich auf die Paneuropaidee bezogen. Eine Verständigungspolitik auf europäischem Niveau könnte Deutschland insofern schaden, dass deutsche Interessen zugunsten von gesamteuropäischen Zielen geopfert werden könnten. Die These Stapels lautete: Egal ob „Verständigungspolitik“ oder „militante Politik“ – wichtig sei dabei nur das Ziel, nicht der Name. Und die Ziele unterschieden sich, seiner Meinung nach, zwischen den nationalen und internationalen. Das Konzept „Paneuropa“ von Graf Coudenhove-Kalergi sei ein Beispiel für Verständigungspolitik. Und natürlich wurde es von Stapel scharf kritisiert. Die These, dass eine Europavereinigung die einzige Chance für Europa wäre, sich vor den Vereinigten Staaten von Amerika, Russland, Großbritannien und China zu verteidigen, fand Stapel nicht überzeugend. Er betrachtete es als eine Gesetzmäßigkeit, dass sich jede Nation selbst in den Mittelpunkt stelle und um seine Vorherrschaft kämpfe. Allein aus diesem Grund erschien Stapel die Vereinigung Europas als unrealistisch. Er verzichtete auf das Beispiel vom Deutschen Bund, weil dort alle Stämme zu dem gleichen Volk gehörten. Europa hingegen bestehe aus unterschiedlichen Völkern. Die Unterschiede lägen nicht nur in den Seelen dieser Völker, sondern auch in ihren „Souveränitätsniveaus“148. Nach Stapel bedeutet das: Völker, die gesiegt hatten und Völker, die besiegt wurden, können nicht gleichberechtigt sein und auftreten: 146 Stapel: Um die künftige Gestaltung Europas. In: Deutsches Volkstum, 1929, Bd. 1, Heft 3, S. 169 – 178, hier S. 170. 147 Ebd. 148 Ebd., S. 174.

48

II. Zeitgenössische Relevanz „Ein Paneuropa, das aus diesem Zustand der Dinge heraus organisiert würde, könnte niemals ein Bund gleichberechtigter Staaten sein (wie es Kant vorschwebte), sondern es wäre die Befestigung der Herrschaft jener Staaten, die 1918 gegenüber den andern in Vorteil gekommen sind. Wer Paneuropa an den Völkerbund anknüpfen möchte, der erkennt damit ohne weiteres Paris als die Hauptstadt Europas an, und Coudenhove blickt allerdings in seines Nichts durchhohrendem Gefühle gläubig zu der ville Lumiere als zu der Metropole Europas empor. Das deutsche Volk lehnt diese Haltung ab, denn sie widerspricht seiner historischen Würde.“149

Die Franzosen wurden von Stapel außerdem als nicht gut genug eingeschätzt, um diese Führungsrolle übernehmen zu können. Aber Paneuropa im aktuellen Zustand sei nur möglich, wenn es von Frankreich regiert werden würde. Das jedoch könnte das deutsche Volk nicht akzeptieren: „Für uns Deutsche ist ein auf französischen Flugzeugen und Gasbomben basiertes Paneuropa unannehmbar. Für friedsame Sklaven, die für ein bisschen Nahrung aus ihres Herren Land ihre ,Pflicht‘ tun, mag ein solches Ideal verlockend sein. Für freie Menschen nicht.“150

Das hieße aber nicht unbedingt, dass Paneuropa nicht möglich sei. Deutschland müsse aber zunächst stärker werden – und stärker sollte es Mitteleuropa machen: „Unser Weg ist: erst Mitteleuropa, dann Paneuropa. Briand mag warten, bis wir imstande sind, gleich auf gleich einen Vertrag mit Frankreich zu schließen.“151 In seinem Artikel „Les deux Europes“, der Anfang des Jahres 1930 in „Die Tat“ erschien, behauptete Giselher Wirsing, die Paneuropaidee sei nur der Plan einer französischen Herrschaft über Europa. Es sei ein Versuch, die europäische Herrschaft Frankreichs „auf eine möglichst einfache und zugleich dem französischen Pathos der egalite und humanite entsprechende Weise auf den europäischen Osten auszudehnen.“152 Anderthalb Jahre später hegte Wirsing jedoch Zweifel daran, dass Frankreich selbst die europäische Herrschaft wünschte: Anstatt an Paneuropa interessiert zu sein, strebe Frankreich wirtschaftliche Autarkie an.153 In seiner Hauptschrift „Zwischeneuropa“ von 1932 behauptete Wirsing bereits, dass das Verhalten Frankreichs in Bezug auf den deutsch-österreichischen Zollunionsplan gezeigt hätte, dass die Franzosen gar kein Interesse an Paneuropa hätten, womit die Idee von Coudenhove-Kalergi ihren Sinn verlor – und sogar noch mehr als das: „Die französische Politik wird dies aus ihren eigenen Vorgegebenheiten heraus in den nächsten Jahren noch deutlicher machen; denn Frankreich wird Paneuropa praktisch selbst liquidieren“154, so Wirsing. Die Realisierung der Paneuropa-Pläne würde dazu führen, dass Frankreich selbst ein Teil von dem zwischeneuropäischen Umstel149

Ebd., S. 175. Stapel: Paneuropa. In: Deutsches Volkstum (1930), S. 481 – 482, hier S. 482. 151 Ebd. 152 Wirsing: Les deux Europes. In: Die Tat, Bd. 22, Heft 9, Dez. 1930, S. 721 – 725, hier S. 723. 153 Vgl. Wirsing: Vorstoß Zollunion. In: Die Tat, Bd. 23, Heft 3, Juni 1931, S. 212 – 231. 154 Wirsing: Zwischeneuropa (wie Anm. 25), S. 271. 150

1. Kritik an Paneuropa

49

lungsprozess werden müsste, was zur Zerstörung ihrer Ordnung führen würde. Außerdem war die Paneuropaidee für Wirsing ein Ausdruck der von ihm kritisierten Integration der Einzelstaaten, während die Zwischeneuropaidee ein Beispiel der Raumintegration darstelle. Mit seinem Hauptwerk „Zwischeneuropa“ lieferte Wirsing eine konkrete Gegenoption zum Paneuropagedanken, den er als „Wolkenkuckucksheim der europäischen Pan-Konstruktionen“155 bezeichnete. Seine Zwischeneuropaidee, die Wirsing also als eine Alternative zur Paneuropaidee anbot, solle das „europäische Antlitz“ bestimmen, sobald Europa für sie bereit sei.156 Für Boehm war die Paneuropaidee „reiner Westen“. Er kritisierte vor allem die Tatsache, dass laut dem Plan von Coudenhove-Kalergi vier Fünftel „Paneuropas“ außerhalb von Europa157 liegen sollten und England sowie Russland nicht dazu gehören würden. Die Welt sollte somit „auf Britannien, Panamerika, Paneuropa, Russland und Ostasien glatt und säuberlich auf[ge]teilt“158 werden. Die sich dadurch ergebende Vormachtstellung Frankreichs auf dem Kontinent wurde auch von Boehm mit besonderer Schärfe kritisiert. Auch der Aufruf zum Pazifismus wurde sehr ironisch wahrgenommen: Er sollte, so Boehm, erst dann zustande kommen, wenn Paneuropa als Gebilde Realität werden würde. So plane Coudenhove-Kalergi die dominante Stellung Frankreichs zu sichern. Boehm warf ihm außerdem mangelndes Verständnis des Nationalitätenproblems vor: Interessen der nationalen Minderheiten würden in Paneuropa dem Kapitalismus zum Opfer fallen, denn „diese umfassende Einheit ist für die Paneuropäer das Zweckeuropa der internationalen Finanz“159. Für Jung stellte das Konzept von Paneuropa einen Versuch dar, die Versailler Ordnung in Europa zu bewahren. Er kritisierte Coudenhove-Kalergi und seine Idee der „europäischen Seele“. Die Staatspolitik dominiere in der Welt der Volkspolitik und der Paneuropaplan sei nichts anderes als die Bestätigung dessen: „Die Volksgrenzen sollen verwischt, die Nationalkulturen verwässert werden; an ihre Stelle dann die internationale Kultur der ,europäischen Seele‘ treten“160. Die Kritikpunkte der „Ring“-Autoren an der Paneuropaidee sind sehr ähnlich denen ihrer konservativ-revolutionären Mitstreiter. Der Artikel „Paneuropa-ABC“ nennt folgende Gründe für die Abneigung gegenüber Paneuropa: der Versailler Vertrag, von dessen Abschaffung nicht die Rede sei; die Paneuropaidee sei nur ein Versuch, den Völkerbund zu kopieren; mangelnde Aufmerksamkeit in Bezug auf ideologische Fragen und der antikonservative Charakter der Arbeit von Kalergi: „Das Paneuropa-Gespräch Coudenhoves ist liberal und demokratisch im abgewirtschafteten Sinne, indem es den europäischen Zusammenschluss propagiert, ohne die 155

Ebd., S. 17. Vgl. Wirsing: Richtung Ost-Südost! In: Die Tat, Bd. 22, Heft 8, Nov. 1930, S. 628 – 645, hier S. 645. 157 Vgl. Boehm: Der Aufmarsch der Paneuropäer (wie Anm. 29). 158 Ebd. 159 Boehm: Das mitteleuropäische Nationalitätenproblem (wie Anm. 136), S. 367. 160 Jung: Deutsch und europäisch. In: Der Türmer, Jg. 32, Heft 8, S. 98. 156

50

II. Zeitgenössische Relevanz

Fehler, die den Zusammenschluss hindern, beseitigen zu wollen.“161 Als Gegenmotto für beide Europavisionen – sowohl dem Plan von Coudenhove-Kalergi als auch dem von Briand – wählten die „Ring“-Autoren ein Zitat aus der „Deutschen Zeitung“: „Statt Paneuropa – Potsdam!“162 Auch Karl Anton Prinz Rohan kritisierte die Paneuropaidee und mit ihr zusammen die Vorschläge Briands, eine „Europäische Föderation“ zu gründen.163 Der Erfolg Kalergis freue Rohan zwar, da Kalergi, so wie er, ein Österreicher war. Doch ansonsten konnte er der Paneuropaidee nichts Positives abgewinnen. Briand machte er egoistische Gründe zum Vorwurf, die mit dem reinen Wunsch, Europa zu erneuern und zu befrieden, nichts zu tun hätten. Briand solle Angst davor bekommen haben, Europa nach der Auszahlung der Reparationen und der Erledigung der Rhein- und Saarfragen ohne Diskussionsthemen zu lassen, „was die internationale Diskussion für Frankreich in unsympathische Bahnen lenken würde“164. Die „Europäische Föderation“ solle zu einem neuen „Pseudoproblem“ für die europäischen Diplomaten werden und Frankreich dadurch absichern. Die Paneuropaidee sei, laut Rohan, von dem gleichen Geist beherrscht, „der im Namen des Friedens und der neuen Ordnung Minderheiten unterdrückt und Volksabstimmungen ignoriert“165 und das Ziel verfolgt, „von aktuelleren und sehr ernsten Problemen wie Korridor, Anschluss, Minderheiten abzulenken; gewiss auch um Amerika gegenüber im französisch-amerikanischen Zollkrieg zu drohen“166. Rohan glaubte, dass die von Briand gewünschte „Europäische Konferenz“ an den gleichen bürokratischen Problemen leiden würde wie der Völkerbund. So würde sie Entscheidungen verschieben und eine sogenannte „Versackungspolitik“ betreiben. Wenn die Pläne Briands nur auf der wirtschaftlichen Ebene blieben, würde Deutschland mitmachen, behauptete Rohan, denn diese entspräche den deutschen Interessen und Zielen in Europa. Sonst sei der Optimismus der Paneuropa-Apologeten nichts anderes als gefährlich.167

161

O.A.: Paneuropa-ABC. In: Der Ring Jg. 4, Heft 21, 23. 05. 1931, S. 376. O.A.: Briands Paneuropa-Union. In: Der Ring, Jg. 4, Heft 21, 25. 05. 1930, S. 387. 163 Genauer zur Rivalität zwischen Coudenhove-Kalergi und Rohan in: Paul: Einigung für einen Kontinent von Feinden? (wie Anm. 113). 164 Rohan: Zukunftsfragen deutscher Außenpolitik. In: Europäische Revue, Jg. 5, Heft 6, Sept. 1925, S. 366 – 379, S. 368. 165 Ebd., S. 368 f. 166 Ebd. 167 Vgl. ebd., S. 379. 162

III. Das Europawesen Die Analyse der Europavorstellungen erfordert eine kritische Einschätzung der Geschichte des europäischen Kontinents und seiner politischen Lage. Diese Aspekte fanden im konservativen Schrifttum Erwähnung. Vor der Auseinandersetzung mit konservativ-revolutionären Vorstellungen von der Neuordnung Europas ist es notwendig zu erläutern, was aus ihrer Sicht Europa prägte. Dabei ist es wichtig, auf folgende Fragen einzugehen: Wurde Europa nur als geographischer Begriff verstanden, als Raum von England bis zu den uralischen Gebirgen, oder stellten die konservativen Revolutionäre sich darunter eine geistige bzw. kulturelle Gemeinschaft vor? Wie analysierten sie die europäische Geschichte? Welche kulturellen und historischen Symbole übten ihrer Meinung nach entscheidenden Einfluss auf die europäische Zivilisation aus? Wie schätzte man den aktuellen Zustand Europas ein? Aus diesen Fragen leitet sich schließlich eine weitere ab, nämlich, ob Europa für die konservativen Revolutionäre als Einheit existierte oder ob sie die Teilung zwischen Ost und West für unüberwindbar hielten.

1. Grundlagen der europäischen Zivilisation Im Vorfeld lässt sich feststellen, dass in den intellektuellen Kreisen der Weimarer Republik das Bedürfnis sehr spürbar war, Deutschland und den gesamten Kontinent zu analysieren, um die Ursprünge der gesamteuropäischen Lage zu klären und nach Lösungen zu suchen.168 Moeller van den Bruck widmete dem Problem der europäischen Identität einen seiner letzten Artikel mit dem Titel „Europäisch“. Darin beschäftigte er sich mit all den Fragen, die im Hinblick auf das Forschungsinteresse dieser Arbeit besonders relevant sind: „Wenn wir an Europa denken, dann überstürzen uns Fragen: Was heisst Europäertum? Noch nicht einmal die Vorfrage ist beantwortet: Was ist Europa? Wann beginnt es zeitlich? Und wann reicht es räumlich? Ist Europa ein Erbe? Oder ist es eine Aufgabe? Sind alle europäischen Völker in der gleichen Weise auf Europa angewiesen? Oder sind Völker unter ihnen, die nur des Erbes teilhaftig wurden? Und andere Völker, die erst ihrer Aufgabe warten? Wird diese Aufgabe in Europa gesucht? Oder von Europa aus in anderen Erdteilen und Weltgegenden? Ist ein Volk dadurch, dass es in Europa wohnt, schon ein europäisches 168 Vgl. Heinemann, Ulrich: Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 59, Göttingen 1983; Kraus, Hans-Christof: Versailles und die Folgen. Außenpolitik zwischen Revisionismus und Verständigung 1919 – 1933, Bonn 2014.

52

III. Das Europawesen Volk? Gibt es Völker, die einmal europäische Völker waren und heute nicht mehr sind? Gibt es andere Völker, die jetzt erst in Europa hineinwachsen und an die Stelle derjenigen Völker treten, die sich von ihm abwenden?“169

In der „Tat“, einer der wichtigsten und populärsten konservativ-revolutionären Zeitschriften, wurde deutlich spürbar, Europa als Einheit zu betrachten und zu analysieren.170 Als erster, „der ein gutes Bild von Europa und der Welt geschafft hätte“171, galt Oswald Spengler unter den Lesern als meinungsbildend, wenn es um Europa ging. Dies kam nicht überraschend: Oswald Spengler war einer der Theoretiker der Konservativen Revolution, die sich am meisten mit dem Thema „Europa“ beschäftigten. Wenn man versucht, auf die metaphysischen Aspekte seiner Werke zu verzichten und aus mehreren von ihm geäußerten Ideen diejenigen auszuwählen, die für die rationale Analyse seines Europabildes relevant sind, ergeben sich folgende Gesichtspunkte: Wie bereits bekannt, war einer der wichtigsten Aspekte seiner Philosophie die Behauptung, die Weltgeschichte bestehe grundsätzlich aus den Lebenszyklen unterschiedlicher, sowohl räumlich als auch zeitlich voneinander getrennter Kulturen. Eine davon sei die abendländische Kultur. Eine weitere geschichtsphilosophische These Spenglers bestand in der Ablehnung des in der Geschichtswissenschaft herrschenden Europazentrismus, also der Überlegenheit dieser Kultur über andere. Diese Einstellung war seiner Meinung nach absolut fehlerhaft: Die europäische Kultur hätte nicht mehr und nicht weniger Wert als alle anderen. Das eurozentrische Weltbild verglich er mit dem ptolemäischen System. Dieses sei aus seiner Sicht eine rein westeuropäische Einstellung. Stattdessen schlug Spengler „das kopernikanische“ System vor, das alle von ihm in Betracht gezogenen Kulturen als ebenbürtig betrachtete.172 Indien, das Abendland, die Antike, China, Babylon etc. seien gleichwertig, deswegen dürfe es keine Hierarchie zwischen diesen Kulturen geben. Spengler kritisierte das „Denken in Erdteilen“ und stellt in diesem Hinblick die Frage, „was […] uns da Begriffe und Perspektiven bedeuten [können], die mit dem Anspruch auf universale Gültigkeit hervortreten und deren Horizont doch über die geistige Atmosphäre des westeuropäischen Menschen nicht hinausreicht?“173 Die europäische Kultur sei also nicht bedeutender für die Menschheit als alle anderen – das ist die erste These Spenglers, die für das Forschungsinteresse dieser Arbeit von Belang ist.

169

Moeller van den Bruck: Europäisch (wie Anm. 118). Vgl. Sontheimer: Der Tatkreis. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jg. 7, Heft 3, Juli 1959, S. 229 – 260, hier S. 245. Nach Sontheimers Meinung werden die außenpolitischen Vorschläge der „Tat“-Autoren in Bezug auf die europäische Lage durch ihren Revisionismus maßgeblich beeinflusst. Es ginge um „eine Art Revisionismus durch die Hintertür, d. h. über die vorgeschlagene Föderation unter deutscher Führung, die Wirsings Programm enthielt“. 171 O.A.: Geschichte und Deutung Europas. In: Die Tat, Bd. 23, Heft 9, Dez.1931, S. 774 – 776, hier S. 775. 172 Vgl. Spengler: Untergang des Abendlandes, Bd. 1. München 1920 (1918), S. 24. 173 Ebd., S. 30 f. 170

1. Grundlagen der europäischen Zivilisation

53

Oswald Spengler blieb aber nicht bei der Kritik des Europazentrismus. Er kritisierte das Konzept „Europa“ und seine Anwendung sowohl im wissenschaftlichen als auch in anderen Kontexten.174 Er behauptete, Europa sei eine Täuschung geographischer Natur. Aufgrund dieser Täuschung versuche man auch eine kulturelle Identität für diese Region zu finden. Als eine der Folgen davon würde Russland zur europäischen Zivilisation gezählt, obwohl es keinen Grund dafür gebe. Diese Überzeugung basiere ausschließlich auf den Taten und der Figur Peters des Großen. Die russische Natur aber sei ganz anders. Nach Ansicht Spenglers sei selbst das Wort „Europa“ falsch und unbrauchbar. Genauso realitätsfern wie „Europa“ war für ihn der Begriff „Europäer“.175 Bemerkenswert ist dabei, dass Spengler der Analyse der europäischen Kultur trotz der oben genannten Ablehnung des Begriffes „Europa“ einen wesentlichen Teil seines ersten (und berühmtesten) Werkes, „Untergang des Abendlandes“, widmete. Vor dem Hintergrund der Überlegungen Spenglers stellt sich nun die Frage, wie man dann die Kultur des Abendlandes beschreiben und analysieren könnte, wenn man die Existenz dieses „Abendlandes“ bezweifelte. Die Erklärung dürfte relativ einfach sein: Spengler lehnte die Existenz der europäischen Kultur nicht ab, er setzte sich aber der allgemein anerkannten Vorstellung von Europa entgegen. Europa als kulturelle Einheit existierte seiner Meinung nach schon, aber was genau zeichnete dieses Europa aus? Wo lag es? Wo lagen seine Grenzen? Und warum wich das allgemein anerkannte Europa-Bild so sehr von den wissenschaftlichen Überlegungen Spenglers ab? Wo hatte die europäische Kultur ihre Wurzeln, wann war ihre Blütezeit und seit wann redet man vom Untergang des Abendlandes? Vergessen wir nicht die bekannteste These Spenglers, die unter anderem im Titel seines ersten Buches Ausdruck fand: die These des kommenden Untergangs des Abendlandes. Sie darf aber nicht wortwörtlich verstanden werden. Die abendländische Kultur gehe nicht unter: Sie sei dabei, das nächste natürliche Stadium ihrer Entwicklung zu erreichen. Dieses Stadium heiße Zivilisation.176 Da jede Kultur von Spengler als ein biologischer Organismus betrachtet wurde, habe sie genauso wie ein Mensch bestimmte Phasen in ihrer Entwicklung zu durchlaufen. Zu welchem Zeitpunkt stünde also der Untergang der abendländischen Kultur bevor? In ihrem „klassischen“ Stadium sei die europäische Kultur französisch gewesen. Obwohl man ihre Wurzeln in Spanien suchen solle, sei ihre Blütezeit in Frankreich deutlich ausgeprägt und spürbar gewesen.177 Jedoch war die französische Vorherrschaft in Europa nicht ewig erhalten geblieben. Der Untergang des Abendlandes habe dann begonnen, als die französische Kultur die Herrschaft über den Kontinent an die englische Kultur verloren hatte.178 So sei Napoleon bereits ein Produkt der englischen Kultur gewesen, genau wie sein Im174 Man sollte Spengler aber nicht als den Erfinder dieses Gedankens sehen. Vgl. dazu: Paulsen, Adam: Reconstruction or Decline? (wie Anm. 16), S. 69. 175 Vgl. Spengler: Untergang. Bd. 1. (wie Anm. 172), S. 31 ff. 176 Vgl. Spengler: Untergang. Bd. 1. (wie Anm. 172), S. 43. 177 Vgl. ebd., S. 206 f. 178 Vgl. ebd., S. 207.

54

III. Das Europawesen

perium.179 Als ein Symptom der Phase der Zivilisation betrachtete Spengler den Imperialismus, der von Grund auf englisch sei. Noch wichtiger als die Thesen aus dem „Untergang des Abendlandes“ sind für uns die Beobachtungen Spenglers, die er in seinem späteren Werk „Jahre der Entscheidung“ darstellte. Er konzentrierte sich auf die aktuelle Lage Europas. Hier konkretisierte er den zeitlichen Rahmen, in dem der Untergang der abendländischen Kultur seinen Anfang genommen habe. Das „echte“, klassische Europa sah er im 18. Jahrhundert, wo es „ein Gebilde strengen Stils wie die gleichzeitigen Schöpfungen der hohen Musik und Mathematik“180 darstellte. Spengler zog hier auch die Frage in Betracht, wann der Begriff „Europa“ zum ersten Mal verwendet wurde. Die Antwort verband er mit Russland. Europa wurde „Europa“ wegen Peter des Großen. Denn in seinen Taten sah er die Verwurzelung des Begriffes „Europa“ im gesellschaftlichen und politischen Diskurs.181 Früher war „Europa“ seiner Meinung nach nur ein geographischer Begriff. Die Grenzen des europäischen Kontinents (oder des europäischen Kulturkreises) habe die deutsche Kolonisation gezogen. Deutschland habe somit eine entscheidende Rolle in der historischen Definition Europas gespielt. Das ist aber nicht die einzige These, auf die man aufmerksam werden sollte: Die kritische Einschätzung der Geschichte und der politischen Rolle Europas selbst soll nicht unbeachtet gelassen werden. Ernst Niekisch stimmte vielen Thesen Spenglers zu: Er betrachtete die bisherige Herrschaft Europas über die Welt als eine Folge der Selbstüberzeugung und des Glaubens an seine Bedeutung und Rolle in der Welt einerseits und die hohe Entwicklung sowohl der Technik als auch des Geistes andererseits. Das habe Europa ausgenutzt, um „die außereuropäischen Völker zu zwingen, diesen Glauben zu teilen“182. Ähnlich wie Spengler bedachte Niekisch die gehobene Stellung Europas mit scharfer Kritik und verglich sie mit der gesellschaftlichen Lage der Aristokratie. Das habe dazu beigetragen, dass die Europäer sich in den anderen Teilen der Welt als Götter gefühlt und verhalten hätten, was die Engländer seiner Meinung nach immer noch täten.183 Jahre später sah Niekisch den Anfang des Niedergangs Europas im Aufstieg des Bürgertums. Dieser Prozess sei durch die „Veramerikanisierung“ Europas fortgesetzt worden und eskaliert.184 Max Hildebert Boehm ging in seinen Analysen der europäischen Geschichte auf ihr erstes wichtiges Ereignis ein: die Annahme des christlichen Glaubens.185 Als zweites galt für ihn der Prozess der Staatenbildung186 und als drittes das Erwachen 179 180 181 182 183 184 185 186

Vgl. ebd., S. 205. Spengler: Jahre der Entscheidung (wie Anm. 55), S. 20. Vgl. ebd., S. 20 f. Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 102), S. 168 f. Vgl. ebd., S. 168 f. Vgl. Niekisch: Europäische Bilanz. Potsdam 1951, S. 294. Vgl. Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 58. Vgl. ebd., S. 58.

1. Grundlagen der europäischen Zivilisation

55

des Völkerbewusstseins.187 Max Hildebert Boehm sah zunächst das Christentum als eine der Grundlagen der europäischen Zivilisation: „Ein gemeinsamer christlicher Mythos hat das religiöse Leben der europäischen Völker erobert und die Grundlage für eine europäische, ja fast eurasische Einheit geschaffen.“188 So wurde Religion als eine kulturbildende Erscheinung wahrgenommen.189 Als Beispiel für die kulturelle Rolle der Religion nannte Boehm die Spaltung zwischen der katholischen und der byzantinischen Kirche, die zu der entsprechenden kulturellen Trennung führte.190 Weitere, für die europäische Zivilisation prägende Erscheinungen waren Boehm zufolge die Reformation und die Aufklärung. Das Zeitalter der Aufklärung wurde zwar als den Geist Europas prägend angesehen – über die Qualität dieses Einflusses könne man aber diskutieren. Boehms Meinung nach war dieser Einfluss negativ gewesen, so lägen in der Aufklärung die Wurzeln des Irredentismus und des Individualismus.191 Das abendländische Gemeinschaftsgefühl wurde Boehms Ansicht nach schon im Laufe des Ersten Weltkrieges zerstört, die Bildung des Genfer Völkerbundes verschärfte die Situation und war selbst „ein Anzeichen des Verfalls korporativ-europäischer Gesinnung“192. Auch Edgar Julius Jung zog geschichtliche Ereignisse in Betracht, um Europa als gemeinsamen Körper zu analysieren. Den Höhepunkt der europäischen Entwicklung sah er im Mittelalter, weil es die „Zeit der Harmonie des deutschen Volkes“ gewesen sei. Daraus schlussfolgerte er, dass in der Rückkehr zum Mittelalter die Rettung Deutschlands zu finden sei.193 Neben dem Mittelalter sah Jung im „tragische[n] Zeitalter der Griechen“194 einen weiteren Höhepunkt europäischer Entwicklung. Karl Anton Rohan beschäftigte sich mit der Idee „Europa“ in seiner früheren Schrift „Europa. Streiflichter“, die 1923 und damit bereits vor der Gründung der Zeitschrift „Europäische Revue“ veröffentlicht wurde. Er teilte die Weltgeschichte auf in eine von ihm idealisierte Vergangenheit, eine chaotische Gegenwart und eine utopische Zukunft. Das Mittelalter wurde als die beste Zeit der europäischen Ge-

187

Vgl. ebd., S. 59. Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 14. 189 Vgl. Elvert: Mitteleuropa (wie Anm. 1), S. 65. Jürgen Elvert lehnt die These ab, dass Religion eine identitätsstiftende Rolle auf dem europäischen Kontinent aus der Sicht von Boehm spielte. Er argumentiert damit, dass Boehm auf die Differenzierungen im Christentum und negativen Einfluss der Religion auf Nationalismus hinweist. Trotz allem aber empfindet Boehm die Religion als eine der Grundlagen der europäischen Zivilisation, es handelt sich für ihn aber um eine negative Grundlage. 190 Vgl. Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 14. 191 Vgl. ebd., S. 20. 192 Ebd., S. 321. 193 Vgl. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 92. 194 Jung: Deutsch und europäisch (wie Anm. 160), S. 99. 188

56

III. Das Europawesen

schichte dargestellt. Alle Probleme seien auf die Aufklärung und das Bürgertum zurückzuführen.195 Bisher lässt sich sagen, dass viele der konservativ-revolutionären Europa-Vorstellungen im Grunde einen banalen Charakter trugen: Von der Rolle der Aufklärung für die Bildung des europäischen Bewusstseins redete man schließlich immer. Unter den Gedanken zum Wesen Europas gab es aber auch interessantere Aspekte, die das Gesicht der Konservativen Revolution in einem größeren Ausmaß prägten. Dazu gehörte vor allem die Unterteilung Europas. Bereits Oswald Spengler wies auf den Unterschied zwischen dem üblichen geographischen und dem „echten“ Begriff „Europa“ hin: „Wir lassen uns durch den geographischen Begriff ,Europa‘ verführen, der erst aus dem gedruckten Kartenbild seit 1500 entstanden ist, aber das wirkliche Europa hört an der Weichsel auf. Die Tätigkeit der deutschen Ritterorden im baltischen Gebiet war Kolonisation in einem fremden Erdteil und ist von ihren Teilnehmern nie anders aufgefaßt worden“196.

Sogar Polen und die balkanischen Völker betrachtete Spengler als „Asiaten“.197 Unter „Europa“ verstand Spengler nur seinen westlichen Teil. Die osteuropäischen Länder gehörten seiner Meinung nach zu Asien. Es wird auch direkt auf die OstWest-Teilung eingegangen: „Im Osten lagen Rußland, Österreich und die Türkei, im Westen Spanien und Frankreich, die sinkenden Kolonialreiche“198. „Europa ist keine Tatsache. Europa ist ein Bewusstsein“199, behauptete Moeller van den Bruck in seinem bereits erwähnten Artikel „Europäisch“. Und wenn Europa eine Rettung brauche, dann müsse diese Rettung von den Völkern mit dem entsprechend europäischen Selbstbewusstsein erfolgen. Europa sei „eine neue Welt und ein Sieg des Nordens über den Süden“200. „Das Gesicht“ Europas sei bis dato südlich ausgerichtet gewesen, während der tatsächliche Schwerpunkt im Norden liegen solle. Dazu käme der spätere Einfluss des Westens auf Europa. Dies sei auch der Aspekt, den Deutschland mit Europa gemein hätte: Die Geschichte Deutschlands sei wie die Geschichte Europas an einem bestimmten Punkt unterbrochen worden. Europa sei in der Welt nur durch den Westen und seine Werte bekannt geworden.

195 Vgl. Müller, Nils: Karl Anton Rohan (1898 – 1975). Europa als antimoderne Utopie der Konservativen Revolution. In: Jahrbuch für Europäische Geschichte 12 (2011), S. 179 – 203, hier S. 181. 196 Spengler: Die doppelte Allianz Russlands und die deutschen Ostprobleme. In: ders.: Politische Schriften (wie Anm. 85), S. 109 – 126, hier S. 110. 197 Vgl. ebd., S. 111. 198 Spengler: Jahre der Entscheidung (wie Anm. 55), S. 20. 199 Moeller van den Bruck: Europäisch (wie Anm. 118), S. 41. 200 Ebd.

1. Grundlagen der europäischen Zivilisation

57

„Was ist – geopolitisch – heute: Europa?“201, fragte sich Albrecht Haushofer. Europa hatte seiner Meinung nach drei Gesichter: den Osten, den Süden und den Westen. Diese Vielfalt sei auch historisch geprägt worden: Im Mittelalter sei es noch einheitlich gewesen, habe sich aber schnell geändert: „Mit Ludwig XI. von Frankreich, Heinrich VII. von England und Macchiavelli, mit Luther, Calvin und dem Tridentiner Konzil ist das mittelalterliche Europa als eine geistig-seelische Einheit zu Ende“202. Haushofer zufolge gab es jetzt unterschiedliche Regionen innerhalb Europas: Während er nur noch bei den romanischen Völkern Gemeinsamkeiten fand, sei Spanien durch arabische Einflüsse jedoch eigenständig geblieben, Skandinavien bildete seine eigene kulturelle Identität, England besaß seine besondere „Inselkultur“ und Italien wurde durch das lateinische Erbe gekennzeichnet. Für die Bezeichnung der anderen Region, die sich in der Mitte Europas befinde, prägte Haushofer den Begriff „Inneneuropa.“203 Dieser Gedanke vereinigte viele der Europathesen der Konservativen Revolutionäre in sich und blieb über die Zeit unverändert. Die Idee Spenglers fand in unzähligen Artikeln seiner Nachfolger Wiederholung, unter anderem in denen, die nicht zum jungkonservativen Lager gehörten. Zehn Jahre später wurde in der von Ernst Niekisch geleiteten Zeitschrift „Widerstand“ der Aufsatz „Abendland und Deutschland“ von Hans Bäcker veröffentlicht. Der Einfluss Niekischs auf die Position Bäckers ist eindeutig: Abendland bedeute nichts anderes als Gegensatz „zwischen dem römischen und dem deutsch-preußischen Wesensbild und ihren Lebens- und Geschichtswelten“204. Die Wahl, die man treffen solle, sei nicht die „zwischen deutschem Abendland und preußischem Deutschland, sondern Abendland oder Deutschland.“205 Die oben angeführten Beispiele legen nahe, dass Europa als Gemeinschaft mit den Grenzen, wie wir sie kennen, bei den konservativen Revolutionären nur selten ins Gespräch kam. Wenn man sich mit der Frage der europäischen Identität tiefgreifend auseinandersetzt, stößt man auf einen Widerspruch: Es wird zwar auf die Frage der europäischen Geschichte, Kultur etc. eingegangen, was die Vergangenheit betrifft. Die Gegenwart hingegen wird untrennbar vor dem Hintergrund der Teilung Europas in Ost und West betrachtet.

201

Haushofer, Albrecht: Europäischer Zusammenschluss? In: Volk und Reich, Jg. 2, Sep. 1926, S. 356 – 364, hier S. 356. 202 Ebd., S. 357 f. 203 Ebd., S. 360 f. 204 Bäcker, Hans: Abendland und Deutschland. In: Widerstand (1933), Jg. 8, Heft 5, S. 136 – 144, hier S. 143 f. 205 Ebd.

58

III. Das Europawesen

2. Europa in der Krise Nach Spenglers Meinung starb das alte Europa mit dem Aufstieg Englands zu einer Weltmacht und seiner Erlangung einer Vormachtstellung gegenüber Spanien und Frankreich – dieser Standpunkt wird auch in „Jahre der Entscheidung“ wieder aufgegriffen. Danach sei eine Übergangsperiode eingetreten, die zu einer Zeit des Chaos wurde. Spengler stimmte Metternich zu, indem er seine Worte zitierte: „Mein geheimster Gedanke ist, dass das alte Europa am Anfang seines Endes ist. […] Das neue Europa ist anderseits noch im Werden; zwischen Ende und Anfang wird es ein Chaos geben.“206 Im Europa nach Versailles sah Spengler das Anbrechen der Phase des neuen Europas, „eine neue Form der Welt.“207 Deutschland verbleibe in dieser neuen unstabilen Welt der Vorposten des Abendlandes. Das bolschewistische Russland gehöre schon wieder zu Asien, England interessiere sich mehr für die anderen Erdteile. Es bleibe also nicht allzu viel übrig von Europa: „Deutschland, das seinen alten Rang als Grenzmacht gegen ,Asien‘ wieder einnimmt, […] Italien, das eine Macht ist, solange Mussolini lebt, und vielleicht im Mittelmeer die größere Basis einer wirklichen Weltmacht gewinnen wird, und Frankreich, das sich noch einmal als Herrn von Europa betrachtet und zu dessen politischen Einrichtungen der Genfer Völkerbund und die Gruppe der Südoststaaten gehören.“208

Im Umbruch befanden sich nach Spengler auch die anderen Kontinente. Aber die Lage Europas sei doch die schwierigste. Spengler nahm eine sehr pessimistische Position ein: Europa verlor demnach seine Macht über die anderen Kontinente und befinde sich selbst in Gefahr. Diese Gefahr manifestiere sich vor allem in zwei bevorstehenden Revolutionen, der „weissen“ und der „farbigen“. Die erste bedeute Klassenkampf, die zweite Rassenkampf. Die erste hielt er für fast überwunden, die zweite aber für noch bevorstehend.209 Diesbezüglich wurden die Probleme Europas mit den Problemen der weißen Rasse gleichgesetzt. Laut Spengler war die größte Gefahr, dass die „farbigen“ Völker sich stark vermehrten, während die weißen „zurückgingen“. Moeller van den Bruck unterstützte Spengler in seiner Meinung, dass sich Europa im Umbruch befand. Seiner Überzeugung nach sollte die europäische Entwicklung in dieser Etappe in Richtung Integration gehen: „Alle diese Völker werden durch den Weltkrieg in diejenige Zugehörigkeit gerückt, die, je weiter sich die Entwicklung von Westen nach Osten verschiebt, ihre natürliche ist: in die europäische. Der Weltkrieg gibt ihnen, was noch wichtiger als Selbstbestimmung ist: die Anwartschaft auf Selbsttätigkeit in einer europäischen Funktion“210. 206 207 208 209 210

Spengler: Jahre der Entscheidung (wie Anm. 55), S. 21. Ebd., S. 24. Ebd. Vgl. ebd., S. 111 f. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 89.

2. Europa in der Krise

59

Diese Entwicklung sollte außerdem einen großen Einfluss auf das Bewusstsein der europäischen Völker ausüben: Sie würden sich als europäische Völker fühlen. Der Integrationsprozess könnte jedoch dadurch kompliziert werden, dass die Interessen von unterschiedlichen Völkern nicht übereinstimmten, sondern sich kreuzten. Trotzdem sah Moeller van den Bruck die europäische Vereinigung als notwendig und sogar unvermeidlich an und zog dabei den Vergleich mit der Gründung der Vereinigten Staaten Amerikas und George Washington: „Und im Frieden, aus der Aufwühlung des Volkes durch Krieg, werden ihm die Männer erstehen, die ein Werk übernehmen und fortsetzen, das für Europa kein anderes ist, als für Amerika das Werk Washingtons war. Ja, wir Deutsche von 1918 rufen heute Washington an! Wir sind im Geiste mit dem großen Amerikaner, wie der Geist von Stein und Fichte und List wieder in uns sein wird. Oder sollen die Reden, mit denen Amerika sich heute an Europa wendet, immer nur von der europäischen Vergangenheit gelten, die man vielleicht nachträglich umdeuten kann? Sollen sie nicht vielmehr von der europäischen Gegenwart gelten, von der Gegenwart um der Zukunft willen, auf die vor allem die jungen Völker ein Recht ihres Anspruches haben?“211

In dieser früheren Schrift, „Das Recht der jungen Völker“, äußerte Moeller van den Bruck noch die Übereinstimmung mit Spengler und dessen These über den baldigen Untergang Europas. Er behielt aber die Hoffnung, dass dies mit Deutschlands Hilfe vermieden werden könne, wenn nicht für ganz Europa, dann zumindest für Deutschland selbst. Um die Aufgabe der Rettung Europas erfolgreich zu erfüllen und nicht „als ein europäisches Volk, mit dem Europa zugrunde geht“, müsse man die sich für Deutschland eröffnenden Möglichkeiten „als politischen Gewinn aus unseren revolutionären Erfahrungen davontragen“212. Im vier Jahre später erschienenen Buch „Drittes Reich“ kritisierte Moeller die Position Spenglers. Er wies auf den Unterschied zwischen Altertum und Abendland hin: Das seien zwei unterschiedliche Welten, die zwar viele Gemeinsamkeiten aufwiesen, aber trotzdem nicht ein und dasselbe seien. In seiner Theorie habe Spengler die Rotation der Erde vergessen, das Fließende mit dem Festen verwechselt. Das habe dazu geführt, dass Spengler den Untergang des ganzen Abendlandes prophezeit hätte, ohne auf die Verschiebung des historischen Schwerpunktes nach Osten Acht zu geben.213 Später behauptete Moeller, dass, obwohl Europa in der Krise sei, es nicht um seinen Untergang gehe. Der Skeptizismus gegenüber Europa in seiner aktuellen Situation war unter konservativen Revolutionären sehr verbreitet. Die Schrift „Gedanken über die deutsche Politik“ war durch das Misstrauen Niekischs in Bezug auf Europas Zukunft gekennzeichnet. Europa sei zum Problem geworden. Und Niekisch stellte sich die Frage, ob es das „Abendland“ als Wertegemeinschaft noch gebe. Das europäische Selbstbewusstsein sei von den Weltmächten bedroht und das Abendland von außen 211

Ebd., S. 99. Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich. Berlin 1923, S. 21. 213 Vgl. Moeller van den Bruck: Untergang des Abendlandes. Für und wider Spengler. In: Deutsche Rundschau, Jg. 46, Heft 10, Juli 1920, S. 41 – 70. 212

60

III. Das Europawesen

zerrissen und auseinandergenommen worden. Die erste und große Drohung sah Niekisch von der Seite Englands, das sein Reich über mehrere Kontinente ausdehnte und eher ein Reichsbewusstsein als ein Europabewusstsein entwickelte. Ähnlich erging es Niekischs Meinung nach Russland, das sich über die sibirischen Länder bis nach Asien erstreckte, und Frankreich, das sich immer mehr Afrika zuwandte. Niekisch sah im Imperialismus die Gefahr für Europa: Es würde „an seinen überseeischen und kolonialen Erfolgen zugrunde [gehen]“214. Die noch verbleibenden Reste, wie zum Beispiel der Balkan, wurden von den Großmächten als „koloniale Beute“ verstanden, die es zu erkämpfen galt. Die Schuld an dieser schwierigen Lage trug laut Niekisch Frankreich. Für Großbritannien stehe Europa nicht im Mittelpunkt, Russland sei nach dem Krieg zu schwach. Den dadurch entstandenen Regeln zu entsprechen würde für Deutschland bedeuten „ein halbsouveränes Anhängsel des französisch-afrikanischen Reiches zu sein“215. Auch Karl Christian von Loesch, Mitglied des Ring-Kreises und Leiter des Deutschen Schutzbundes, bezeichnete die Lage Europas als krisenhaft und widerspruchsvoll, weil zwar einerseits der Wille nach Integration und Friedensschluss bestehe, aber andererseits auch das Streben nach Unabhängigkeit und Freiheit seitens europäischer Völker. Das einzige, was in dieser Situation Europa vor einem neuen Krieg bewahre, sei die Erschöpfung der Völker und Staaten, die dadurch nicht fähig sein würden, einen neuen Krieg zu beginnen.216 Die aktuelle Krisenlage Europas stellte Max Hildebert Boehm in seinem Artikel „Gewissen“ unter dem Stichwort „Europamerika“ dar. Darin rief er zum geopolitischen Denken in Erdteilen und nicht in Ländern auf. Europa laufe Gefahr, „zu einem machtpolitischen Vakuum zu werden“217. Amerika sei es, das den Krieg gegen Mitteleuropa zu führen begann, das Ziel dabei sei die Balkanisierung Mitteleuropas. Gleichzeitig sei es der Kampf gegen das konservative Europa. Boehm definierte unter anderem die schwache Stelle Europas: „Die eigentliche Achillesferse Euramerikas ist Frankreich“218. Neben Euramerika nannte Max Hildebert Boehm auch Eurasien und Eurafrika, die Deutschland auch nicht ganz ohne Drohung gegenüber stünden. Trotz allen mehrmals betonten Schwierigkeiten wurde die von Spengler ausgesprochene Prophezeiung des europäischen Untergangs von den konservativen Revolutionären meistens aufgegriffen, um ihr zu widersprechen.219 Zum Beispiel betonte Max Hildebert Boehm mehrmals die Bedeutung des deutschen Volkes für die 214

Niekisch: Gedanken über deutsche Politik (wie Anm. 100), S. 244. Ebd., S. 246. 216 Vgl. Loesch: Europäische Erkenntnis und Neuordnung. In: Volk und Reich (1928), Jg. 4, Heft 2/3, S. 118 – 131, hier S. 119. 217 Boehm: Euramerika. In: Gewissen, Jg. 6, Nr. 37, 15. 9. 1924. 218 Ebd. 219 Vgl. Spengler: Pessimismus? (1921). In: ders.: Reden und Aufsätze. München 1937. S. 63 – 79. 215

3. Ost-West-Gegensatz

61

Rettung Europas. Er wies auch auf den von Spengler prophezeiten Untergang des Abendlandes als etwas Vermeidbares hin. Die Zukunft Europas bleibe seiner Meinung nach „eine Angelegenheit des Glaubens und des ungebrochenen Tatwillens lebendiger Männer und Völker“220. Diese Meinung unterstützte Edgar Julius Jung. Er sah es als Ziel der Konservativen Revolution, den „Untergang des Abendlandes“ aufzuhalten: „So selbstverständlich ist die konservative Revolution die Aufgabe des deutschen Volkes wie der Rückschlag des geschichtlichen Pendels zur europäischen Mitte nach dem Versailler Vertrage“221. Das Streben nach der Rettung Europas diente somit als eine Motivation für die weiteren philosophischen Konstruktionen.

3. Ost-West-Gegensatz Wie oben ausführlich beschrieben, trennte bereits Spengler den Westen vom Osten Europas und prophezeite den Untergang nur dem westlichen Teil. Dazu wies er auf eine besondere Stellung Deutschlands in diesem System hin: „In diesem ,Europa‘ bildete Deutschland die Mitte, kein Staat, sondern das Schlachtfeld für wirkliche Staaten“222. Seine Nachfolger unter den konservativen Revolutionären griffen diese These auf und brachten sie noch stärker zum Ausdruck. Die Teilung zwischen Osten und Westen Europas wurde von den konservativen Revolutionären als eine Art Ausflucht gefasst, um dem Untergang Europas in ihren theoretischen Konstrukten entgehen zu können. Als einer der ersten vermittelte solche Gedanken Arthur Moeller van den Bruck. Er verzichtete darauf, Europa als eine Einheit zu betrachten und lehnte somit den Untergang des Abendlandes ab. Es gebe Westen und Osten. Der Westen sei zum Niedergang tatsächlich verurteilt, der Osten aber nicht.223 Diese Ost-West-Teilung bildete den Kern des Europabildes Moeller van den Brucks und, ihm folgend, der Konservativen Revolution. Von den westlichen Völkern behauptete er zunächst, dass sie das deutsche Volk verneinten.224 Ganz im Gegenteil stünden die östlichen Völker Deutschland viel näher, weil sie fähig seien, die deutschen Werte zu übernehmen. Die Grenzen des Ostens blieben für Deutschland jedoch auf den europäischen Raum beschränkt, während der Osten für Russland „das Sibirien im Besitz und Indien in der Anwartschaft“225 war und dadurch fast unbegrenzt zu sein schien. Moeller gab zu, dass die westlichen Völker die Geschichte bis jetzt bestimmt hätten. Diese Situation sollte sich aber ändern, da sich im zwanzigsten Jahrhundert der Schwerpunkt Europas von West nach Ost verlagern 220

Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 321. Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 39 f. 222 Spengler: Jahre der Entscheidung (wie Anm. 55), S. 20. 223 Vgl. Schlüter: Arthur Moeller van den Bruck (wie Anm. 17), S. 311. 224 Vgl. Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich (wie Anm. 212), S. 244. 225 Moeller van den Bruck: Die Rechenschaft über Russland. Hrsg. von Hans Schwarz. Berlin 1933, S. 137 f. 221

62

III. Das Europawesen

würde. Die Grenze zwischen Ost und West war nach den Auffassungen Moellers nicht so einfach zu ziehen. Vor allem schienen die beiden Begriffe Moeller van den Brucks eher philosophischer als geographischer Natur zu sein. Jedes Land trüge in sich etwas von West und Ost. Großstädte, Industrie- und Kulturentwicklung seien als Zeichen des Westlertums zu sehen, während das Bauerntum als typisch für den Osten angesehen wurde. Eine voraussichtliche Grenze zu bestimmen, sei aber trotzdem möglich: „In England und in Oberitalien, in Nordfrankreich, in Belgien und am Rhein ist Westen zusammengeballt. Bis Polen, bis zum Don, ist Westen hinübergesprengt. Aber je mehr wir uns vom Westen entfernen, desto mehr nimmt Östlichkeit zu, nimmt Natur zu, und die natürliche Schichtung des Lebens.“226

In seinem früheren Artikel „Stellung zu Frankreich“ in der Zeitschrift „Gewissen“ definierte Moeller die Grenze etwas anders: „Der Osten beginnt am Rhein.“227 Allein das dient als ein Indiz dafür, dass die Frage nach den geographischen Grenzen von Moeller nicht klar beantwortet wurde. Die Vorstellungen Moeller van den Brucks von Westen und Osten waren auch eng mit seiner Theorie der jungen und alten Völker verbunden, die später in Betracht gezogen wurden. Die jungen Völker wurden direkt mit dem Osten assoziiert: „Die Welt der jungen Völker liegt im Osten. Sie alle sind irgendwie dem Westen angewandt. Der Osten ist ihr heiliges, ihr werdendes und doch so wirkliches Land.“228 Logischerweise sollten die jungen Völker von der Prophezeiung des europäischen Untergangs nicht betroffen sein, selbst wenn sie „durch ihre Niederlage auch dem Schicksal dieser Zivilisation entrückt sein [würden].“229 Die Tendenz der östlichen Völker, die Werte der westlichen Völker zu übernehmen, kritisierte Moeller als Versuche, dadurch „Entwicklung abzukürzen“230 und behauptete, dass sie es tun, „um sich eine Arbeit zu sparen, die sie ohne Vorbild nicht leisten könnten.“231 Im Kontext der Theorie der jungen Völker und seiner Vorstellungen von Osten und Westen entwickelte Moeller auch die Rotationstheorie oder die Theorie der Verschiebung der geschichtlichen Schwerpunkte. Laut dieser Theorie bewegte sich das Zentrum der historischen Entwicklung im Laufe der Geschichte der Menschheit. Und aktuell verschiebe sich die historische Entwicklung von Westen nach Osten. Als Ausgangspunkt für diesen Wechsel galt für ihn der Erste Weltkrieg. Der Krieg hat auf der Achse der europäischen Geschichtsentwicklung den Schwerpunkt, den sie so lange im Westen hatte, mehr und mehr nach Osten verschoben. Laut der Rotationstheorie „entwickeln sich junge Völker niemals wieder nach Rückwärts, sondern immer nach 226

Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 44. Moeller van den Bruck: Stellung zu Frankreich. In: Gewissen, Jg. 2, Nr. 15, 21. 4. 1920. 228 Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 101. 229 Zit. nach Michael Grunewald, Moeller van den Brucks Geschichtsphilosophie (wie Anm. 17), S. 112. 230 Ebd., S. 44. 231 Ebd. 227

3. Ost-West-Gegensatz

63

Vorwärts: sie unterstehen dem Gesetze von der Verschiebung der geschichtlichen Schwerpunkte“232. Und durch diese Verschiebung von Westen nach Osten distanziert man sich auch „von den festen Grenzen, die jede voranschreitende Geschichtsbildung zurücklässt, zu den offenen, auf die hin sich zukunftsgeschichtliches Wachstum bewegt“233. Deutschland sei das Kernelement in diesem Prozess mit seiner kolonisatorisch-missionarischen Aufgabe, die zur Entwicklung der jungen Völker beitragen solle. Diese Entwicklung solle laut Moeller van den Bruck der Weltzivilisation viel bringen, weil sich im wirtschaftlichen und geistigen Bereich des Ostens Kräfte befänden, die in der europäischen Geschichte neu seien. Auch Max Hildebert Boehm äußerte seine Antipathie zum Westen in mehreren seiner Werke, zum Beispiel in seiner kleinen, aber wichtigen Schrift „Grenzdeutsch. Großdeutsch“: Ihm zufolge kümmere sich der Westen nur darum, Deutschlands Leben zu verderben. Deswegen sah Boehm die deutsche Aufgabe darin, sich und die anderen „nichtwestlichen“ Völker zu schützen und die Abkehr vom Westen sowie die Hinwendung zum Osten durchzuführen und dadurch den Aufstieg Mitteleuropas vorzubereiten: „die einseitig westliche Orientierung unserer Geschichtsauffassung ins Bewusstsein zu erheben und durch eine Zurechtrückung des Gleichgewichts zwischen Ost und West dem Verständnis der Sendung Mitteleuropas den Boden zu bereiten“234. Die wohl bekannteste Schrift Boehms, „Europa Irredenta“, hatte diesen Gedanken als Leitidee: „Von Untergangsstimmungen aufgeweicht, schwach, entkräftet und widerstandsunfähig steht Europa Irredenta noch immer schwankend zwischen West und Ost. Dass der Westen sein Verderben ist, erfährt es als furchtbare Lehre. Aber ob ihm das Heil von Osten kommt, ist seinen verschüchterten europäischen Instinkten durchaus ungewiss. Es stöhnt unter seinen Leiden, indes West und Ost handeln.“235

Max Hildebert Boehm warnte die osteuropäischen Völker davor, den westlerischen politischen und sozialen Mustern zu folgen.236 Die östlichen Völker sollten das Gesicht des europäischen Kontinents verändern und nur neue Ideen und Taten würden den östlichen Völkern eine führende Rolle zuweisen. Max Hildebert Boehm betonte, dass der Westen momentan die Macht habe und dass diese Macht tödlich für Mitteleuropa sei. Mitteleuropa sei bereits vom Westen einverleibt worden und Deutschland sei selbst zum Westen geworden, anstatt sein eigenes Gesicht zu bewahren: 232

Ebd., S. 86 f. Ebd. 234 Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 4 f. 235 Ebd., S. 273 f. 236 Vgl. Elvert: Mitteleuropa (wie Anm. 1), S. 64. Jürgen Elvert stellt die These auf, dass alleine Aussagen solcher Art bei Boehm, in denen er gegen das Beispiel Frankreichs zu kämpfen aufrief, noch nichts über seine Verbindung zum Nationalismus zu sagen haben. Da man aber merkt, dass diese Aussagen auch bei den anderen konservativen Revolutionären durchaus oft vorkamen, kann man diese Tendenz nicht außer Acht lassen. 233

64

III. Das Europawesen „Auch wir sind politisch Westen geworden, Sklave des Westens, dürfen immerhin die Livree des Herrn tragen und drängen uns in würdeloser Weise dazu, auch geistig Livree anzulegen, statt uns auf eigene Tracht zu besinnen und aus eigenem Wesen die Kraft zum Widerstand zurückzugewinnen.“237

Die Ost-West-Teilung stand ebenfalls im Mittelpunkt der Betrachtung von Edgar Julius Jung. Sowohl die geographische als auch die geistige Mittellage Deutschlands stelle es in die Mitte aller europäischen Ereignisse. Der Westen habe seiner Meinung nach bis jetzt in Europa regiert. Den Anfang seines Aufstiegs sah Jung in den französischen und englischen Revolutionen. Sie führten dazu, dass diese Länder „zu bestimmenden Trägern der Geschichte“238 wurden und ihre Werte verbreiten konnten. Diese hätten auch zum Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und zum Aufstieg des Imperiums der Briten und Nationaldemokratie der Franzosen geführt. Nicht alles im Osten begeisterte Jung. Zum Beispiel sei das Recht der osteuropäischen Völker „orientalisch-russisch“239, nicht wie bei den Deutschen. Deswegen müssten die jungen Völker etwas von den Deutschen lernen. Die europäische Zukunft sah Edgar Julius Jung jedoch nicht im Osten, sondern in der Verbindung von Ost und West. Die Ideologie von Ernst Niekisch und seinen Mitstreitern im nationalbolschewistischen Lager zeichnete sich durch eine besonders scharfe antiwestliche Stellung aus. Im Jahr 1928 wurde sie durch die Feindschaft gegenüber dem Romanismus konkretisiert240 und seit 1929 spielte der Hass gegen den Westen zusammen mit der Ostorientierung die zentrale Rolle in Niekischs Ideologie.241 Sein Begriff vom Romanismus war nicht besonders wissenschaftlich: Zur romanischen Welt gehörten seiner Meinung nach nicht nur Italien oder Frankreich, sondern auch solche Länder wie die USA und England. Daraus kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass Romanismus für Niekisch nicht mehr und nicht weniger als Westen bedeutete.242 Die antiwestliche Ausrichtung von Niekischs Ideologie fand ihren Höhepunkt in seinem wohl bekanntesten Werk: „Entscheidung“. Der Meinung des Autors nach dienten die Deutschen im Ausland ihrer Heimat, da sie sich „der mobilisierungsfähigen germanisch-slawischen Front gegen Europa ein[gliederten]“243. Es müsse also eine 237

S. 72. 238

Boehm: Mitteleuropa und der Osten. In: Volk und Reich, Jg. 1, Juni 1925, S. 65 – 72,

Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 39 f. Jung: Herrschaft der Minderwertigen (wie Anm. 32), S. 637. 240 Vgl. Sauermann, Uwe: Die Zeitschrift „Widerstand“ und ihr Kreis. Augsburg 1984, S. 207 ff. Uwe Sauermann weist auf eine Reihe von Artikeln aus der Zeitschrift „Widerstand“ hin, die diese neue Linie in der Ideologie von Ernst Niekisch und des „Widerstand“-Kreises präsentieren: z. B. „Linie Rom-Washington“, „Der sterbende Osten. Das Gift der Zivilisation“ etc. 241 Vgl. ebd., S. 248. 242 Vgl. Buchheim, Hans: Ernst Niekischs Ideologie des Widerstands. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 5 (1957), S. 334 – 361, hier S. 344 f. Buchheim weist auf den Einfluss von Versailles auf die Idee der römischen Herrschaft über Deutschland hin. 243 Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 102), S. 115. 239

3. Ost-West-Gegensatz

65

Front gegen Europa, nicht gegen Westen gebildet werden. So kommen wir zur zweiten Verwirrung in Begriffen: Europa, genauso wie der Romanismus, bedeutete für Niekisch nichts anderes als Westen. Ernst Niekisch behauptete, dass selbst die Versuche, den Begriff „Europäer“ zu benutzen, durch den Mangel an Selbstbewusstsein zu erklären seien, da man als Deutscher kein selbstständiges Nationalgefühl, wie es bei den Franzosen, Engländern oder Amerikanern der Fall sei, besitze. „Europäer“ genannt zu werden diene als Trost: „[M]an möchte die Not in eine Tugend umdenken, indem man behauptet, ein „europäisches Nationalgefühl“ zu besitzen“244. Europa sei also westlich, Deutschland gehöre nicht dazu und die Versuche, den Begriff „Europäer“ zu benutzen, seien nur noch ein Ausdruck von den Versuchen, sich dem Westen zu nähern. Dem Westen wurde von Niekisch eher eine praktische Rolle zugedacht, ihm gehöre der Wirtschaftsbereich, während sich im Osten „neue Politik“245 entwickele: „große Konzeption, Entscheidung, Wagnis, Tat.“246 Der neue gewünschte Lebensstil des deutschen Volkes wird als „ländlich […], heldisch […], antistädtisch […], antizivilisatorisch […], antirationalistisch […], antieuropäisch […]“247 bezeichnet. Die Übereinstimmung mit den Ideen von Jung ist in diesem Punkt nicht zu übersehen. Niekischs Meinung nach sollte dieser Stil auch als rückständig, aber im guten Sinne des Wortes gelten. Besonders beachtenswert ist für uns die Bezeichnung „antieuropäisch“. Das kräftigt uns im Verständnis, dass Europa für Niekisch wie für viele andere konservative Revolutionäre ein Synonym für den Westen war und das Wort „Europa“ selbst oftmals negative Assoziationen hervorrief. Noch deutlicher ist die Verschärfung der Position von Niekisch in seinen Aufsätzen in der Zeitschrift „Widerstand“ zu spüren. Ab dem Jahr 1930 begann die Zeitschrift „Widerstand“ den Kurs zur „Umkehr“ zu propagieren. Das bedeutete – Abkehr vom Westen, von den Traditionen der französischen Revolution und der Aufklärung.248 Unter dem Begriff „Widerstand“ und seinem Ziel verstand Ernst Niekisch: „Nicht französisch geschliffen, nicht angelsächsisch rationalisierungswütig sein zu wollen“249. Wilhelm Stapel verwendete in seinen Schriften die gleiche Rhetorik wie seine Verbündeten aus dem jungkonservativen und seine Gegner aus dem nationalbolschewistischen Lager. Er bezog sich auch auf die Ost-West-Teilung. Beispielsweise in der Wirtschaftsintegration solle man sich nicht auf den Westen (zum Beispiel auf das „rücksichtslose“Amerika) verlassen. Stattdessen äußerte sich Wilhelm Stapel für die Zusammenarbeit mit dem Osten.250

244 245 246 247 248 249 250

Niekisch: Gedanken über deutsche Politik (wie Anm. 100), S. 143. Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 102), S. 118. Ebd. Ebd. Sauermann: Die Zeitschrift „Widerstand“ und ihr Kreis (wie Anm. 240), S. 227 ff. Niekisch: Widerstand. In: Widerstand (1927), Jg. 2, Nr. 1, S. 1 – 4, S. 3. Vgl. Stapel: Zwiesprache (wie Anm. 76), S. 85.

66

III. Das Europawesen

Genauso präsent war dieses Thema in den Werken von Giselher Wirsing, vor allem in seinem Hauptwerk „Zwischeneuropa“. Je weiter die Ost-West-Teilung voranschreite, desto klarer sei die Notwendigkeit für den Mittelraum, sich zu entscheiden, an welcher Seite er sein wolle. Jetzt bestand die Politik der „Einkreisung“ Mitteleuropas und solange es sie noch gebe, könne man mit dem Frieden in Europa nicht rechnen. Und Wirsing fragte sich, „wieweit sie [die deutsche Nation – I.K.] sich noch dem Abendlande zugehörig fühlt“251. Auch für Wirsing bedeutete der Begriff „Abendland“, genau wie der Begriff „Europa“, das Gleiche wie der Begriff „Westen“. In den Beiträgen der „Tat“ und den anderen Beispielen der konservativ-revolutionären Publizistik wurde der Westen dem Osten gegenübergestellt und mit dem Kapitalismus gleichgesetzt: „Die Welt scheint immer deutlicher in zwei Lager zu zerfallen, ein großkapitalistisches, westliches, England, Frankreich, Amerika, das sich verzweifelt gegen seine Krise wehrt, und ein national-soziales östliches, das für seine Selbstständigkeit kämpft. Die Grenze zwischen beiden Lagern geht vorläufig direkt durch Deutschland hindurch.“252

Nationalismus sei unvereinbar mit dem Kapitalismus, daraus folgend könne Deutschland nicht kapitalistisch und entsprechend nicht westlerisch werden. Die Idee war die gleiche: In der Erkenntnis der deutschen Verbundenheit mit dem Osten liege „die Erkenntnis unserer europäischen Mission, die in der kooperativen Gestaltung des mitteleuropäischen und vielleicht auch noch des dahinterliegenden Raumes besteht“253. Die Unterschiede zwischen Ost und West wurde auch religiös untermauert. Der Apologet des Reiches, Friedrich Hielscher, verwendete den Begriff „Westen“ als Gegenpol zum Reich. Der Unterschied zwischen ihnen lag seiner Meinung nach darin, dass die Angehörigen des Reiches „an den unendlichen Gott“ glaubten und die des Westens „an den unendlichen Stoff“. Der Westen würde sich selbst auflösen. Aus seiner rücksichtlos kapitalistischen Kultur würde eine große Kluft zwischen arm und reich erwachsen und diese Armut würde zum Anfang vom Ende dieser geldorientierten Gesellschaft werden. Hielscher stellte eine überraschende Liste der Länder zusammen, die zum Westen gehörten. Dies seien: Großbritannien, USA, Frankreich (als führende Großmächte), aber auch „die östlichen und westlichen Balkanstaaten Europas, sowie die mittel- und südamerikanischen Länder: also Polen, Tschechoslowakei, Rumänien, Jugoslavien, Griechenland, Belgien, Spanien, Portugal, Argentinien, Brasilien, Chile nebst den sonstigen Scheingebilden, hinter denen sich das westliche Geld verschanzt.“254 251

Wirsing: Zwischeneuropa (wie Anm. 25), S. 3. O.A.: Deutschlands neue Einkreisung. In: Die Tat, Bd. 22, Heft 12, März 1931, S. 753 – 766, hier S. 764. 253 Wirsing: „Les deux Europes“ (wie Anm. 152), S. 724. 254 Ebd. 252

3. Ost-West-Gegensatz

67

Diese Länder seien von den USA, England und Frankreich abhängig und alle Zeichen der Selbstständigkeit von ihrer Seite seien lediglich Lügen. Jetzt wolle der Westen auch das Deutsche Reich in seinen Einflussbereich einschließen. Im Zentrum der Betrachtung Hielschers standen die geistigen Einheiten, die durch die gleichen „Urentscheidungen“ bestimmt seien, die ihrerseits die Handlungen der Vertreter dieser Einheiten beeinflussten. Und der Westen sei so eine Einheit: „Man darf es den Westen nennen; der Name rechtfertigt sich durch den Raum, in dem es am deutlichsten geschichtlich sichtbar wird.“255 Die Grenze sah Hielscher im 16. Jahrhundert, wo im Westen die Geldfrage zur entscheidenden wurde, was östlich vom Rhein nicht passierte. Dies sei nach Hielscher die Geburt des Westens gewesen. Und das wichtigste Charakteristikum des Westlertums sei die Macht des Geldes: „Überall, wo der Westen herrscht, steht folgerichtig der Stand des Händlers am höchsten; er entscheidet mit priesterlicher Unbedingtheit über Leben und Sitte, Krieg und Frieden; jeder strebt in ihn aufzusteigen.“256 Der Kampf gegen den Westen bedeutete deswegen auch den Kampf um die menschliche Seele. Die Ideologie von „Volk und Reich“ war mehr am Osten orientiert. Es wurden klare Gründe genannt, warum Deutschland sich nach Osten ausrichten sollte: „Dort bieten sich die größten Möglichkeiten für unser junges Volk, das für sich eine Zukunft schaffen kann in Verbindung mit unserer ganzen völkischen und industriellen Entwicklung.“257 Auch das Sprachrohr der Konservativen Revolution, die Zeitschrift „Der Ring“, widmete dem Problem des Westens und des Ostens einen entsprechenden Platz. Im Artikel „Deutschland, England und der Osten“ wurde die „ewige“ Frage behandelt, ob sich Deutschland nach Westen oder nach Osten orientieren solle. Es wird ein Kompromiss vorgeschlagen: „eine Kombination von West- und Ostpolitik“258, was zum deutschen Schicksal und Heil werden sollte. Anders als die „klassischen“ Theoretiker der Konservativen Revolution verzichtete Karl Anton Prinz Rohan darauf, Westeuropa als eine Einheit zu definieren. Stattdessen gebe es Frankreich, England, Italien und Spanien, jedes Land für sich selbst. Frankreich und England seien komplett entwickelt, Spanien und Italien stünden in der Mitte dieses Prozesses, während Mitteleuropa, zu dem auch Deutschland gehöre, ganz am Anfang stehe und „geistig und politisch noch in voller Verwirrung“259 sei. Man nenne das aber Westeuropa wegen der Zuneigung aller dieser Länder zum Ozean und der überseeischen Politik. Trotz dieser Einstellung 255

Ebd., S. 32. Hielscher: Das Reich (wie Anm. 87), S. 37. 257 Röchling, Hermann: West und Ost – Gedanken zur europäischen Politik und Wirtschaft. In: Volk und Reich (1928), Jg. 4, Heft 2/3, S. 104. 258 O.A.: Deutschland, England und der Osten. In: Der Ring, Jg. 1, Heft 12, 18. 03. 1928, S. 225. 259 Rohan: Westeuropa. In: Europäische Revue, Jg. 4, Heft 5, August 1929, S. 298 – 317, hier S. 298. 256

68

III. Das Europawesen

Rohans schien der Hass gegen den Westen auch in der „Europäischen Revue“ seinen Platz gefunden zu haben. Das neue Europa sei nur möglich, wenn es keine Rücksicht mehr auf die westlichen Nachbarn nehmen würde: „Entscheidung für den Frieden heisst Befreiung aus der Kriegspsychose und Glaube an das aufbauende Werk: neues Europäertum soll uns davor bewahren, wiederum vogelfrei dem „Westlertum“ zur Beute zu werden.“260 Die Zukunft und die Aufgabe Deutschlands müssten im Osten liegen: Diese Meinung vertrat auch die Redaktion der „Europäischen Revue“. Ihr Stammautor Hans von Eckardt äußerte diese Position ganz klar: Zu Europa gehöre mehr als nur der Kontinent. Europäische Länder hätten ihre Einflussbereiche, wo sie Aufgaben zu erfüllen hätten. Im Falle Deutschlands sei das der europäische Osten: „Europäische Politik kann man nicht treiben, wenn man England von seinem Kolonialreich, Frankreich von Afrika und Deutschland vom Osten losreißen wollte. Deshalb darf Deutschland sich nicht allein darum bemühen, dem Innern Europas den Frieden zurückzugeben, sondern es wird seine Aufgabe bleiben, sich Felder nüchterner Arbeit nicht so sehr in Übersee, nicht in tropischen Kolonialländern (wo es wiederum in Gegensätze zu den Westmächten verstrickt würde), sondern im Osten zu suchen, wo es gilt, ökonomisch zu bauen, geistig zu gestalten, selbstlos kulturfördernd ins Erdreich halber Barbarei europäische Fundamente zu legen.“261

4. Länderkritik Es wurde nicht nur der Westen als Wertegemeinschaft kritisiert, sondern auch einzelnen Ländern wurde die Schuld an der aktuellen Lage Deutschlands gegeben. Dafür wurden drei zentrale Akteure ausgewählt: England, Frankreich und die USA.

a) England Oswald Spengler betonte, dass England nie richtiger Teil des europäischen Kontinents war. Die Insel habe vieles in Politik und Selbstgefühl dieses Landes beeinflusst: „England hat sich nie ganz als Bestandteil ,Europas‘ aufgefaßt“262, klang das Urteil. England übt Spenglers Ansicht nach einen durchaus negativen Einfluss auf die Entwicklung des europäischen Staatenwesens aus. Als kennzeichnend für die englische Etappe der abendländischen Zivilisation betrachtete Spengler den sogenannten „Wikingergeist“. Spengler fand den englischen Parlamentarismus „unübertragbar“ auf die anderen Länder, trotz aller Bemühungen der Engländer. Das Mittel, mit dem der englische Parlamentarismus sich durch die Welt verbreitete, war 260

Clauß, Max: Deutsche politische Welt. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 3, 01. 06. 1926, S. 315 – 316, hier S. 316. 261 Eckardt, Hans v.: Deutschland und der Osten. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 3, 1. 6. 1926, S. 174 – 179, hier S. 178 f. 262 Spengler: Jahre der Entscheidung (wie Anm. 55), S. 21.

4. Länderkritik

69

Spenglers Meinung nach die Konstitution, „durch welche die Kritik an den bestehenden Regierungen zu einem organischen Bestandteil der Regierung selbst gemacht wird“263. Die englische Regierung nannte Spengler „staatslos“ und durch ihren Einfluss seien auch andere Verfassungen staatslos geworden. Nach Moeller van den Brucks Meinung hatte England die Absicht, ganz Europa zu erobern. Zuerst solle aber dieses Europa „balkanisiert werden“264. Moeller van den Bruck sah in England den einzigen Konkurrenten Deutschlands auf dem Weg zur europäischen Herrschaft. Das wäre aber seiner Ansicht nach nur eine „Zwangsherrschaft“ statt „Einheitsherrschaft“, da England geographisch nicht zum europäischen Kontinent gehöre.265 Man muss anmerken: Genau wie die geographische Lage Deutschlands als Rechtfertigung dafür genutzt wurde, dass Deutschland über Europa Herrschaft erlangen sollte, wurde die Lage Englands genutzt, um seine Ansprüche auf diese Herrschaft zu verweigern. Da England auf einer Insel liege und nicht in der Mitte Europas, habe es kein Recht auf die europäische Herrschaft. Deswegen behauptete Moeller van den Bruck, dass der Krieg gegen England eine Heldentat zugunsten der europäischen Zukunft sei, „wirklich ein großes politisches Ereignis von interozeanischer Reichweite“266. Der Sieg gebe Deutschland die europäische Herrschaft, die Möglichkeit, Europa vor den anderen Erdteilen zu vertreten.267 Diese Meinung haben die anderen konservativ-revolutionären Theoretiker unterstützt. Karl Christian von Loesch bestätigte die Meinung von Coudenhove-Kalergi, dass England nicht zu Europa gehören sollte. England sei „anders geartet als alle übrigen europäischen Staaten“268. Hans Zehrer bezeichnete die politischen Ideen von England und Frankreich als „zu klein und verknöchert“269 und das mache die Zusammenarbeit nahezu unmöglich. Eine Ausnahme bildete „Der Ring“. Im bereits erwähnten Artikel „Deutschland, England und der Osten“ wurde England eine unerwartete Rolle zugewiesen: In der Zusammenarbeit mit diesem Land könne Deutschlands Rettung liegen. Gerade England solle Deutschland helfen, Westen und Osten in seiner Politik zu kombinieren.270 Diese Meinung blieb aber eine Ausnahme. Mehrheitlich haben sich die konservativen Revolutionäre eindeutig gegen England positioniert. 263

Spengler: Preußentum und Sozialismus (1919). In: ders.: Politische Schriften (wie Anm. 85), S. 11 – 84, hier S. 53. 264 Moeller van den Bruck: Stellung zu England. In: Gewissen, Jg. 2, Nr. 17, 05. 05. 1920. 265 Vgl. Moeller van den Bruck: Das ewige Reich. Bd. 1: Die politischen Kräfte. Hrsg. von Hans Schwarz. Breslau 1933, S. 303. 266 Moeller van den Bruck: Die Rechenschaft über Russland (wie Anm. 225), S. 136. 267 Vgl. ebd. 268 Loesch: Der großdeutsche Gedanke (wie Anm. 30), S. 24. 269 Zehrer, Hans: Die Ideen der Außenpolitik. In: „Die Tat“, Jg. 21, Heft 2, Mai 1929, S. 102 – 110, hier S. 107. 270 O.A.: Deutschland, England und der Osten (wie Anm. 258), S. 225.

70

III. Das Europawesen

b) Frankreich Genauso wie die Engländer wurden auch die Vertreter eines anderen europäischen Volkes von den konservativen Revolutionären dämonisiert – die Franzosen. Der Geist Frankreichs sei imperialistisch und zentralistisch, „das Widerspiel des Reichsgedankens“271, behauptete Spahn. Max Hildebert Boehm war sicher, dass es im neuen Europa keinen Platz für sie geben würde. In Mittel- und Osteuropa sowie in den südöstlichen und skandinavischen Regionen könnte sich eine neue Form des Zusammenlebens der Völker etablieren. Frankreich würde sich diesem Prozess aber nicht anschließen können: „Ein ganzes Volk und seine Idee müssen überwunden und in das natürliche Raummaß ihrer Macht und Geltung zurückgedrängt werden, damit Europa wieder zu sich kommen kann.“272 Wilhelm Stapel nannte mehrere Gründe, warum Deutsche und nicht Franzosen die Herrschaft über Europa übernehmen sollten. Für ihn waren die Franzosen „das Volk des Elans“. Sie strebten die Europaherrschaft an, aber es passierte ungleichmäßig. Auf dem Schwung dieses „Elans“ gingen sie vorwärts, aber der Elan reichte nicht aus und sie fielen zurück. Bei den Deutschen sei es anders. Sie arbeiten planmäßig und ununterbrochen. Und eine der Quellen, mit der sie Europa beherrschen würden, sei das Auslandsdeutschtum, das sich überall verbreitete. Die Deutschen seien dadurch viel näher am Erfolg.273 Den Artikel „Der Kampf um die Vorherrschaft auf dem europäischen Festland“ widmete Stapel der Frage, warum die Deutschen und die Franzosen es nie schaffen würden, in Frieden miteinander zu leben. Die beiden Völker seien ganz unterschiedlich: Die Franzosen wohnten fast wie auf einer Halbinsel. Im Gegensatz dazu hätten die Deutschen viel Raum um sich herum. Das französische Volk habe nur ein Zentrum – Paris –, während das deutsche viele regionale Mittelpunkte habe, um die sich die deutsche Kraft sammle. Die Ereignisse der französischen Geschichte seien von dem oben erwähnten „Elan“ beeinflusst worden. Die historischen Taten der Deutschen seien durch ein klares Ziel bestimmt. Stapel war einverstanden, dass man Europa vereinigen solle: „Einmal soll Europa eine politische Einheit werden, wenn anders man überhaupt politische Ziele aufstellen will – je eher je besser.“274 Er war nur nicht einverstanden damit, die Herrschaft über Europa dem französischen Volke zu überlassen. Die Frage nach der Führung sollte Stapels Meinung nach nicht durch die aktuelle Situation, sondern durch die „Begabung“ der jeweiligen Völker entschieden werden. Um den Grad der Begabung dieser beiden Völker zu verstehen, verglich er zwei Eigenschaften: inwiefern Deutschland oder Frankreich die besiegten Völker nach einem Krieg be271

Spahn, Martin: Für den Reichsgedanken (wie Anm. 60), S. 85. Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 316. 273 Vgl. Stapel: Die politische Dummheit Europas. In: Deutsches Volkstum (1924), S. 169 – 171, hier S. 170. 274 Stapel: Der Kampf um die Vorherrschaft auf dem europäischen Festland. In: Deutsches Volkstum (1925), S. 409 – 412, hier S. 410. 272

4. Länderkritik

71

lasteten und ob sie versuchten, den anderen Völkern ihre Kultur aufzuzwingen. Mit den Beispielen Napoleons und Bismarcks versuchte Stapel zu beweisen, dass die Franzosen den Besiegten stets alles wegnehmen wollten und die Deutschen nur das nahmen, was zu ihnen gehörte: „Der Franzose will Sieger sein und beherrschen (weil er der von Natur weniger starke ist), der Deutsche will – ungestört sein und ungestört lassen (weil er seiner natürlichen Kraft sicher ist).“275 An den Beispielen Belgiens und der Schweiz wollte Stapel zeigen, dass die Deutschen die anderen Völker zu nichts zwingen wollten, während die Franzosen dazu neigten, sie zu unterdrücken. Folglich seien die Deutschen dazu prädestiniert, Europa zu regieren: „Wir sehen: der Deutsche will gelten und gelten lassen. Er hat eine natürliche Achtung vor dem andern und lässt ihn gern gewähren. Er hat sogar eine behagliche Freude am Werden und Wesen des Fremden; weshalb bei ihm auch so oft in der Herrscherbegabung eine pädagogische Begabung durchschlägt.“276

Der Franzose sei egoistisch und habe diese Haltung nicht. Aus diesem Grund qualifizierte Stapel die Franzosen als ungeeignet für die europäische Herrschaft. Das von den Franzosen geführte Europa wäre ein Imperium nach dem napoleonischen Muster, unter der Herrschaft der Deutschen sei es „ein auf Gelten-lassen gegründeter Bund frei sich entfaltender Nationen“277. Dies hätte auch Einfluss auf die europäische Zivilisation insgesamt. Sogar die europäische Geschichte (so Stapel) würde ihren Sinn verlieren, wenn die Franzosen die Herrschaft in Europa übernehmen würden. Deswegen sei, wenn es dazu komme, die deutsche Vorherrschaft die einzig mögliche. Außerdem interessierten sich die Franzosen mehr für ihre Kolonien in Afrika und Asien als für Europa. Das alleine mache Frankreich „unbrauchbar für die Aufgabe, die europäischen Nationen zu führen“278. Auch Giselher Wirsing verzichtete darauf, in Frankreich einen Partner zu sehen: „Wir sind keine Partner mehr für das bürgerliche Frankreich“279 hieß es wörtlich. In diesem Punkt wird aber der Unterschied zwischen der Ideologie der „Europäischen Revue“ und den anderen, von uns in Betracht gezogenen Autoren spürbar. Die meisten Autoren der „Europäischen Revue“ zeigten sich bereit, ein Bündnis mit Frankreich einzugehen. Die von Coudenhove-Kalergi propagierte Idee des deutschfranzösischen Bündnisses wurde klar und deutlich unterstützt: „Europa wäre ohne den deutsch-französischen Gegensatz nicht in der Art, wie es geschehen, auseinandergebrochen. Es kann nur an dieser Stelle her wieder zusammengefügt werden.“280 Die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem französischen Volk werden dabei nicht verschwiegen. Die Ansätze Deutschlands und Frankeichs zur 275 276 277 278 279 280

Ebd. Ebd. Ebd., S. 412. Stapel: Der christliche Staatsmann (wie Anm. 96), S. 253. Wirsing: Zwischeneuropa (wie Anm. 25), S. 252. Weber, Alfred: Paneuropa. In: Europäische Revue, Jg. 1, Heft 9, 01. 12. 1925, S. 152.

72

III. Das Europawesen

europäischen Politik seien völlig anders: Das französische Ideal Europas sei lateinisch, das heißt „humanitär, geistig, zivilisatorisch“281, das deutsche romantisch. Dementsprechend neige Frankreich dazu, rational zu handeln, während Deutschland im Gegensatz dazu irrational handle. Die beiden Länder sollten sich versöhnen, denn „die wahre Synthese wird Geschichte schaffen“282. Frankreich wurde, wenn auch nicht so stark wie von den anderen konservativen Revolutionären, dennoch kritisiert: Es wurde vor allem betont, dass es für Frankreich am wichtigsten sei, den Versailler Frieden so wie er ist zu behalten, ohne dabei auf die Gerechtigkeit der europäischen Lage zu achten. Dies führe dazu, dass das Versailler Friedensdiktat auch in den zukünftigen Verhandlungen eine überwältigende Rolle spielen und das „Unrecht der Vergangenheit“ zum Teil des internationalen Rechts werden würde.283 Der langjährige Leiter der Redaktion der „Europäischen Revue“, Max Clauss, sah den Schlüssel zum Erfolg darin, dass Frankreich mehr europäische Verantwortung übernehmen würde. Sobald dies zustande komme, würde auch die deutsche Politik „ganz von selbst konzentrisch immer mehr in europäische Verantwortung hineinwachsen“284. Das sei auch für Frankreich eine vorteilhafte Entwicklung, „neben einem befreundeten Europa als neben einem verfeindeten Reich zu leben. Und die beiden Nationen müssen nun einmal, wie wir vor einem halben Jahr schrieben, zusammen den Frieden gewinnen“285. Die Position der „Europäischen Revue“ wies im Vergleich zu den Positionen der konservativen Revolutionäre ein hohes Ausmaß an Kompromissbereitschaft auf.

c) USA Das Bild von Amerika hat für viele konservative Revolutionäre eine wichtige Rolle in ihrer Vorstellung vom Westen gespielt. Als Beispiel dazu kann Wilhelm Stapel dienen. In seinem Artikel „Warnendes Amerika“ aus dem „Deutschen Volkstum“ stellte er dieses Bild äußerst negativ dar: „Diese Väter haben sich nicht mehr in täglicher Not und Gefahr ihr Lebensrecht erkämpft, sie haben sich den Reichtum der Welt mit Würgerhänden erraubt. Gold auf Gold haben sie gehäuft und dazu die Gummi-Worte der Gerechtigkeit und Menschlichkeit zwischen ihren angelsächsischen Kiefern gekaut. Aus der geraubten, ergaunerten und gestohlenen Üppigkeit, die sich geil und frech von dem Tribut verfemter Völker mästet, muss das Laster aufwachsen. Amerika muss lasterhaft werden! Das ist die Rache der Natur. Das ist der Zorn 281 Dankworth, Herbert: Zwei europäische Strömungen. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 3, 01. 06. 1926, S. 179. 282 Ebd., S. 183. 283 Vgl. Bergstraesser, Arnold: Macht und Idee in Genf. In: Europäische Revue, Jg. 3, Heft 7, Okt. 1927, S. 523 – 526, hier S. 524. 284 Clauss: Deutschland und Frankreich. In: Europäische Revue, Jg. 4, Heft 2, Mai 1928, S. 156 – 159, hier S. 159. 285 Ebd.

4. Länderkritik

73

Gottes. Amerika war einmal die Zukunft der Welt, dort sammelt sich (um es höflich auf ciceronianisch auszudrücken) alle fentinamundi. Amerikas Symbol: Wilson – ein geistig unbedeutender bürgerlicher Professor, der in Dummheit und Selbstgerechtigkeit zum größten Verräter der Weltgeschichte wurde.“286

Ein Jahr später schrieb Stapel jedoch im Artikel „Haben wir etwas gegen Amerika?“, dass „ohne Illusionen und ohne falsche Erwartungen […] Deutsche und Amerikaner sehr gut miteinander arbeiten [werden] können.“287 Friedrich Hielscher betonte die Rolle Amerikas in der westlichen Zivilisation. Ihm zufolge verbreitete sich der Westen durch die amerikanische Wirtschaftsordnung. Der Krieg habe aber gezeigt, dass es nicht weiter so gehen könne und dass diese Ordnung verderblich sei.288 Auch „Die Tat“ zeigte die USA als eine dominierende Macht im Westen.289 Von den meisten Theoretikern der Konservativen Revolution wurde Europa nicht als etwas Einheitliches wahrgenommen. Es gab Westeuropa und Osteuropa. Osteuropa aber sei kein „echtes“ Europa. Und es gab Deutschland – ein Staat dazwischen. Die These eines Westeuropas, das die europäische Kultur alleine verkörpere, die Schulden des ganzen europäischen Kontinents zu tragen habe und sein Schicksal (das heißt Untergang) erleben müsse, kann man als eine zentrale These der konservativ-revolutionären Ideologie betrachten. Diese Vorstellung von der Trennung Europas und Deutschlands Lage darin bestimmte bei den konservativen Revolutionären alle anderen Bereiche ihrer Europakonzeption und unterschied sie von allen anderen Ideen der europäischen Vereinigung der Zwischenkriegszeit. Wie deutlich wurde, waren sich die konservativ-revolutionären Theoretiker in ihren Einschätzungen der europäischen Lage mehr oder weniger einig. Die Unterschiede bestanden in den Details: ob man die Zukunft Deutschlands im Osten (Ernst Niekisch) oder in der Verbindung zwischen Osten und Westen (Jung) sah bzw. ob England oder Frankreich als Feind Nr. 1 im Westen angesehen wurden. Im Wesentlichen herrschte in den konservativ-revolutionären Kreisen Einigkeit: Europa sei nicht einheitlich und die Zukunft seiner östlichen und westlichen Teile sei bei weitem nicht die gleiche.

286

Stapel: Warnendes Amerika. In: Deutsches Volkstum (wie Anm. 74), S. 570. Stapel: Haben wir etwas gegen Amerika. In: Deutsches Volkstum (1929), S. 301 – 304, hier S. 304. 288 Vgl. Hielscher: Das Reich (wie Anm. 87), S. 16. 289 Zehrer: Die Ideen der Außenpolitik (wie Anm. 270), S. 107. 287

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution Wie bereits erwähnt wurde, führte die Abneigung gegen den Westen dazu, dass der Osten eine sehr wichtige Position im Gedankengut der konservativen Revolutionäre einnahm. Eine besondere Rolle in dieser Diskussion spielte Sowjetrussland. Die Geschichte, die aktuelle politische Situation und die Kultur Russlands wurden in der Weimarer Republik generell sehr aktiv rezipiert und diskutiert. Grund dafür war nicht zuletzt die Oktoberrevolution, die Russland zu einem mit großem Interesse verfolgten Phänomenon gemacht hatte. Als ein Gegensatz zum „verhassten“ Westen stand Russland auch im Zentrum von konservativ-revolutionären Betrachtungen. Damit leisteten die konservativen Revolutionäre unter anderem einen Beitrag zur Diskussion über Russlands Zugehörigkeit zu Europa. Genau in diesem Aspekt unterschieden sich die Meinungen der konservativen Revolutionäre deutlich voneinander. Russland wurde meistens als der „Hauptfreund“, oft aber auch als „Hauptfeind“ angesehen, was die Vorstellung von der Rolle dieses Landes zu einem Grundpfeiler der Europakonzeption der Konservativen Revolution machte. Russland war sehr wichtig für die konservativ-revolutionären Pläne bezüglich Mitteleuropa, weil es als der einzig mögliche außenpolitische Partner Deutschlands angesehen wurde, der vor allem die deutschen revisionistischen Bestrebungen teilen könnte. Obwohl die sowjetische Macht in konservativ-revolutionären Kreisen wenige Befürworter fand, war Russland für sie in erster Linie das Gegenbild zum Westen, der in Deutschland noch mehr Hass erregte als der Bolschewismus. Wenn die Schwerpunkte der deutschen „Wirtschaftspolitik im Osten und Südosten und darüber hinaus in Asien“ liegen würden, dann sollte man gute Beziehungen zu Russland pflegen, so Hans Zehrer.290 Russland wurde aber nicht immer nur als möglicher Partner im Kampf gegen den Westen angesehen, sondern auch häufig als Besitzer des angestrebten Lebensraumes im Osten. Der erste und einer der bekanntesten konservativen Revolutionäre, der sich eingehend mit Russland beschäftigte, war Oswald Spengler. Er war der Meinung, dass die Russen eigentlich noch kein Volk seien, sie seien „das Versprechen einer kommenden Kultur, während die Abendschatten über dem Westen länger und länger werden“291. Dem russischen Volk gehörte laut Spengler die Zukunft: „Ohne Zweifel: hier ist ein neues Volkstum im Werden, das durch ein furchtbares Schicksal in seiner seelischen Existenz erschüttert und bedroht, zu seelischem Widerstand gezwungen 290 291

Vgl. Hecker: „Die Tat“ und ihr Osteuropa-Bild (wie Anm. 25), S. 137. Spengler: Preußentum und Sozialismus (wie Anm. 263), S. 79.

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

75

sich festigen und aufblühen wird, leidenschaftlich religiös, wie wir Westeuropäer es seit Jahrhunderten nicht mehr sind und sein können, mit einer gewaltigen Ausdehnungskraft, sobald dieser religiöse Drang sich auf ein Ziel richtet. Ein solches Volkstum zählt die Opfer nicht, die für eine Idee sterben, wie wir es tun, da es jung, stark und fruchtbar ist.“292

Aber nicht nur die Zukunftsperspektive unterscheide die Russen von Europäern. Spengler sah die Russen als ein den Deutschen sehr fremdes Volk, nicht weniger fremd als Inder oder Chinesen. Auch der Unterschied zwischen Russland und der westlichen Zivilisation war Spenglers Ansicht nach so erheblich, dass im Vergleich mit dem russischen Volk alle Unterschiede zwischen den westeuropäischen Völkern komplett in den Hintergrund rückten: „Die Scheidung zwischen russischem und abendländischem Geist kann nicht scharf genug vollzogen werden. Mag der seelische und also der religiöse, politische, wirtschaftliche Gegensatz zwischen Engländern, Deutschen, Amerikanern, Franzosen noch so tief sein, im Vergleich zum Russentum rücken sie sofort zu einer geschlossenen Welt zusammen. Wir lassen uns durch manche westlich gefärbte Bewohner russischer Städte täuschen. Der echte Russe ist uns innerlich so fremd wie ein Römer der Königszeit oder ein Chinese lange vor Konfuzius, wenn sie plötzlich unter uns erschienen. Er selbst hat das immer gewußt, wenn er zwischen dem ,Mütterchen Rußland‘ und ,Europa‘ eine Grenze zog.“293

Spengler wies darauf hin, dass ein Unterschied zwischen der geographischen Vorstellung und der richtigen Vorstellung von Europa bestehe. Und zu diesem „richtigen“ Europa gehöre Russland nicht. Nach Spenglers Ansicht gehörte Russland zur „farbigen“ Welt und wurde nicht als europäische, sondern als „asiatische, ,mongolische‘ Großmacht“ betrachtet: „Rußland ist der Herr Asiens. Rußland ist Asien. […] Rußland und Japan sind heute die einzigen aktiven Mächte der Welt. Durch sie ist Asien das entscheidende Element des Weltgeschehens geworden. Die weißen Mächte handeln unter seinem Druck und merken es nicht einmal.“294

Zunächst fand Spengler Unterschiede zwischen der russischen und der abendländischen Geschichte: „Die russische Geschichte von 900 bis 1900 entspricht nicht der abendländischen in diesen Jahrhunderten, sondern derjenigen von der Römerzeit bis auf Karl den Großen und die Staufenkaiser.“295 Die unendlichen russischen Steppen hätten dafür gesorgt, dass das russische Volk in seiner Mentalität ganz anders geworden sei als jedes europäische Volk. Es sei „weicher“ geworden, „ohne eigentlich persönlichen Willen, zur Unterwerfung geneigt“.296 Die Russen würden bis jetzt Nomaden bleiben, wenn sie ihren Weg gehen könnten. Auch die russischen 292

S. 94 f. 293

Spengler: Das Doppelantlitz Russlands und die deutschen Ostprobleme (wie Anm. 196).

Spengler: Preußentum und Sozialismus (wie Anm. 263), S. 79. Spengler: Jahre der Entscheidung (wie Anm. 55), S. 116. 295 Spengler: Das Doppelantlitz Russlands und die deutschen Ostprobleme (wie Anm. 196), S. 110. 296 Ebd. 294

76

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

Bauern „strömten zu vielen Tausenden in die neuerschlossenen Gebiete der südrussischen Steppe, Kaukasiens und Turkestans, um ihrem Gefühl, ihrem Suchen nach den Grenzen des Unendlichen genug zu tun.“297 Durch diese Sehnsucht nach der Ferne ist nach Spenglers Vorstellung Russland so groß geworden. Ein weiteres Zeichen der „uneuropäischen“ Natur der Russen sei das wirtschaftliche Leben, denn: „Die Kaufmannsfamilie der Stroganow, die unter Iwan Grosny auf eigne Rechnung die Eroberung Sibiriens begann und dem Zaren eigene Regimenter zur Verfügung stellte, hat nichts mit großen Geschäftsleuten desselben Jahrhunderts im Westen zu tun.“298 Die Russen betrachteten Spenglers Meinung nach selbst den Gedanken über das Geld als eine Sünde. Sie seien gezwungen, das westliche wirtschaftliche System zu dulden, das der Natur des russischen Volk im Tiefsten widerspreche. Das russische Volk „begreife“ das Kapital nicht und interessiere sich für die wirtschaftliche Seite des Lebens kaum. Die zwischen dem deutschen und dem russischen Volkscharakter bestehenden Differenzen schienen Spengler klar zu sein und kämen auch in ihrem Verhältnis zur Religion deutlich zum Ausdruck. Spengler sah sie darin, dass das russische Volk nicht die Vatersliebe zu Gott empfinde, sondern die brüderliche Liebe. Ein Russe habe weder den Wunsch noch die Bestrebung, vollkommen zu werden. Die für die faustische Seele besonders wichtige Idee des Eigentums sei belanglos und verworren für die russische Seele. Die Unterschiede gebe es außerdem selbst in der Wahrnehmung des Lebens und der Welt: „Der Mensch des Abendlandes blickt hinauf, der Russe blickt zum Horizont ins Weite.“299 Ein Russe kenne keinen Individualismus, es gebe für ihn kein „Ich“, sondern nur ein „Es“. Als eine schicksalhafte Entscheidung in der russischen Geschichte nannte Spengler die Reformen Peters des Großen. Im „Untergang des Abendlandes“ bezeichnete er die dadurch sich in Russland vollziehenden Veränderungen als eine „Pseudomorphose“: „Auf diese Moskowiterzeit der großen Bojarengeschlechter und Patriarchen, in der beständig eine altrussische Partei gegen die Freunde westlicher Kultur kämpfte, folgt mit der Gründung von Petersburg (1703) die Pseudomorphose, welche die primitive russische Seele erst in die fremden Formen des hohen Barock, dann der Aufklärung, dann des 19. Jahrhunderts zwang. Peter der Große ist das Verhängnis des Russentums geworden“300.

Exakt mit der Politik Peters des Großen verband Spengler den Ursprung der europäischen Selbsterkenntnis. Nachdem Peter der Große Sankt-Petersburg als eine Stadt nach dem westlichen Muster gründete, „beginnt das Wort ,Europa‘ in den allgemeinen Sprachgebrauch der westlichen Völker einzudringen und infolgedessen, wie es üblich ist, unvermerkt auch in das praktische politische Denken und die ge297 298 299 300

Ebd. Ebd., S. 87. Spengler: Untergang des Abendlandes. Bd. 2. München 1920 (1918), S. 363. Ebd., S. 231.

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

77

schichtliche Tendenz“301. Russland begann zu diesem Europa zu zählen. Das sei aber nur die russische Regierung aus Sankt-Petersburg gewesen. Vom „echten“ Russland hätten die Europäer keine Ahnung. Peter der Große habe das ganze Schicksal des russischen Volkes umgewandelt, Russland von einem asiatischen in einen westeuropäischen Staat verwandelt. Spengler betonte den Wunsch Peters des Großen, nicht nur Russlands Grenzen zu erweitern und Zugang zum Meer zu erlangen, sondern vielmehr ein „Fenster“, um nach Europa blicken zu können. Er habe versucht, das Land auch von innen „europäisch“ zu gestalten. Das habe dazu geführt, dass sich eine russische Oberschicht mit europäischem Selbstverständnis bildete. Sie vertrat aber nicht die russische Gesellschaft. Die Wirtschaft in Russland änderte sich auch, sie wurde moderner und westlicher.302 Spengler bezeichnete den Petrinismus als „etwas Gewaltiges.“303 Er habe die formellen europäischen Grenzen bis zum Ural ausgedehnt. Der aufgezwungene Wechsel von der asiatischen zur europäischen Richtung habe jedoch große Auswirkungen auf Russlands Schicksal gehabt. Diese gewalttätige Natur des Petrinismus mache ihn zu einer unnatürlichen Erscheinung in Russland. Spenglers Meinung nach gab es sogar „nicht ein Rußland, sondern zwei, das scheinbare und das wahre, das offizielle und das unterirdische“304. Moskau wurde mit dem „ursprünglichen Russland“ assoziiert – Sankt-Petersburg mit dem Westen.305 Ein Symbol des echten russischen Geistes sei Dostojewski, Symbol des falschen, westlerischen Russlands – Tolstoi. Die nach Peter dem Großen gekommenen Romanows konnten eine dieser beiden Richtungen in der russischen Entwicklung auswählen: die ursprünglich russische oder die europäische. Und sie hätten sich für den Westen entschieden. Dies war Spenglers Meinung nach eine falsche Entscheidung: „Der primitive Zarismus von Moskau ist die einzige Form, welche noch heute dem Russentum gemäß ist, aber er ist in Petersburg in die dynastische Form Westeuropas umgefälscht worden. Der Zug nach dem heiligen Süden, nach Byzanz und Jerusalem, der tief in allen rechtgläubigen Seelen lag, wurde in eine weltmännische Diplomatie mit dem Blick nach Westen verwandelt.“306 301

Spengler: Jahre der Entscheidung (wie Anm. 55), S. 20. Vgl. Spengler: Das Doppelantlitz Russlands (wie Anm. 196), S. 88: „Neben die uralte russische Flußschiffahrt tritt ein Seehandel nach fernen Häfen. Über die kaufmännischen Gewohnheiten etwa der Stroganow mit ihrem Karawanenhandel nach China hin und der Messe von Nischnij-Nowgorod lagert sich westeuropäisches ,Denken in Geld‘ mit Banken und Börsen. Neben dem alten Handwerk und dem Bergbau im Ural, der ganz nach urzeitlicher Art betrieben wurde, erscheinen Fabriken, Maschinen, zuletzt Eisenbahnen und Dampfschiffe.“ 303 Vgl. ebd. 304 Ebd. 305 Vgl. Spengler: Untergang des Abendlandes. Bd. 2 (wie Anm. 299), S. 790. Sogar diese zwei Hauptstädte verband Spengler mit den religiösen Motiven: „Moskau ist heilig, Petersburg ist der Satan; Peter der Große erscheint in einer verbreiteten Volkslegende als der Antichrist“. 306 Ebd., S. 232. 302

78

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

Als Folge davon habe der Wiener Kongress Russland in den Kreis der großen Mächte eingeschlossen. Diese „höhere“ Entwicklung, wie ursprünglich vorgesehen, sei dem russischen Volke aufgezwungen worden: Das russische Volkstum hätte noch jahrelang „geschichtslos“ bleiben sollen und stattdessen wurde es gezwungen, einen unechten, verfälschten Weg zu gehen. Und deswegen hätte das russische Volk alles „Europäische“ oder „Westlerische“ tief im Inneren gehasst. Diese zwei Richtungen seien auch im Wirtschaftsleben spürbar. Die erste Richtung hat ihren Ausdruck im russischen Bauerntum gefunden sowie in den russischen Handwerkern. Und die westliche Wirtschaft hat sich in „ihren Banken, Börsen, Fabriken und Bahnen“307 entwickelt. Der Kampf der „Geldwirtschaft gegen Güterwirtschaft“ verkörpere die Auseinandersetzung dieser zwei Seiten Russlands. Der Petrinismus habe im Grunde genommen zum Bolschewismus geführt: Die für Russland fremden Ideen der westlerischen Aufklärung führten zum Nihilismus und Nihilismus seinerseits führte zum Bolschewismus. Die Oktoberrevolution sei der Ausdruck des Hasses gegen den Westen, der mit den Reformen Peters des Großen den Russen aufgezwungen worden sei. Das Ziel des Bolschewismus sei es, die Spuren vom fremden Einfluss in Russland zu vernichten und dadurch zur Entstehung einer neuen Kultur beizutragen. Es war also Spengler zufolge auch eine Aufbaukraft gewesen und nicht nur eine Vernichtungskraft.308 Das russische Bauerntum sei der Träger des ursprünglich russischen Gedankens. Es sei aber auch gleichzeitig der Träger der Zukunftsvision des russischen Volkes, dessen Aufgabe darin bestehe, den Bolschewismus zu vernichten und an seiner Stelle etwas Neues, organisch Russisches aufzubauen. Am Beispiel Russlands sah Spengler die mangelnde Perspektive des Marxismus, der „bereits tot“309 sei. In einem seiner späten Programmwerke, „Jahre der Entscheidung“, sah Spengler den welthistorischen, globalen Sinn der Oktoberrevolution. Sie habe zum endgültigen Niedergang Europas und gleichzeitig zum Aufstieg Asiens beigetragen: „Asien erobert Rußland zurück, nachdem ,Europa‘ es durch Peter den Großen annektiert hatte. Der Begriff Europa verschwindet damit wieder aus dem praktischen Denken der Politiker oder sollte es tun, wenn wir Politiker von Rang hätten. Dies ,Asien‘ aber ist eine Idee, und zwar eine Idee, die Zukunft hat.“310

Einer der größten Russland-Interessierten unter den konservativen Revolutionären war Moeller van den Bruck. Seine „Russophilie“ begann mit der Lektüre von Dostojewski. Sie motivierte Moeller dazu, später alle Werke von Dostojewski zum ersten Mal in Deutschland herauszugeben. Das Verhältnis Moeller van den Brucks zu Russland war recht widerspruchsvoll. Zum Teil lag es an seinen rein theoretischen 307

Spengler: Das Doppelantlitz Russlands (wie Anm. 196), S. 92. Vgl. ebd., S. 94. 309 Spengler, Oswald / Groeger, Wolfgang / Werner, Xenia (Hrsg.): Der Briefwechsel zwischen Oswald Spengler und Wolfgang E. Groeger über russische Literatur, Zeitgeschichte und soziale Fragen. Hamburg 1987, S. 53. 310 Spengler: Jahre der Entscheidung (wie Anm. 55), S. 39. 308

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

79

Kenntnissen über Russland, die nur durch das Lesen der klassischen russischen Literatur gewonnen wurden. Obwohl ihm regelmäßig die Russophilie zugeschrieben wird, bleibt die Frage nach seiner wirklichen Meinung von Russland eher umstritten.311 In seiner Klassifizierung der Völker hatten die Russen jedenfalls eine besondere Stellung: Sie seien weder ein junges noch ein altes Volk. Sie seien seiner Meinung nach eine junge Rasse. Die slawische Rasse sei für Moeller „die erste und zugleich die letztgekommene, die älteste und zugleich die jüngste unter den arischen Rassen“312 und vielleicht sogar „das arische Urvolk“313. Auch Moeller prophezeite den Russen eine große Zukunft, jedoch etwas später. Seiner Theorie der kulturellen Entwicklung der Völker zufolge machte jedes Volk in seiner Geschichte bestimmte Phasen durch: die Geburt, die Blütezeit und den Niedergang. Seiner Meinung nach erlebten die Deutschen gerade die Blütezeit, während die Russen erst geboren worden seien. Russen hätten in dem gleichen Maße europäischen und asiatischen Einfluss erlebt. Auch Moeller van den Bruck analysierte die russische Geschichte und die Figur Peters des Großen und bewertete die Ergebnisse seiner Politik. So sei Peter der Große ein Mann gewesen, der zum jungen Volke hätte gehören sollen, da seine Taten entsprechend gewesen seien. Er habe aber nicht das junge Volk hinter sich gehabt, das seine Reformen unterstützt und fortgesetzt hätte. So bleibe er eine Ausnahme in der Geschichte des russischen Volkes. Der einzige Bereich, in dem die russische Kultur große Errungenschaften zeige, sei die Poesie. Das russische Staatsleben aber bleibe fruchtlos. Den Zusammenbruch des Zarenreiches betrachtete Moeller als Rache für den Versuch, dem Schicksal der jungen Rasse zu entfliehen und als junge Nation aufzutreten. Als Volk des Ostens hätten sie versucht, den Westen nachzuahmen und sich Europa zu nähern. Dort hätten sie „nichts zu suchen“ und „als unfertige Rasse zwischen fertigen Nationalitäten auch gar nichts hätten finden können – statt sich nach Asien zu wenden, wo sie als älteres Volk und im Verhältnis zum Asiatentum selbst als Europäertum wirken“314. So hatten die Russen Moellers Meinung nach eine falsche Motivation zum Krieg. Russland sei also auf die Veränderungen gar nicht vorbereitet gewesen und deswegen seien die Kräfte, die eingesetzt wurden, eher chaotisch. Das war laut Moeller auch typisch für eine junge Rasse im Unterschied zum jungen Volk, weil sie „geht, wohin sie treibt“.315 So sei also die bolschewistische 311

Vgl. Schlüter: Arthur Moeller van den Bruck (wie Anm. 17), S. 2: „Derart orientiert, wies Garstka anhand der Einführungen nach, dass Moeller weder als Dostojewskij-Kenner noch als russophil bezeichnet werden könne. So seien die Einführungen in die einzelnen Bände zwar der ,Versuch der Annäherung eines fachlichen Dilettanten an ein ihn faszinierendes, weitgehend unbekanntes Land‘, doch wiesen die abfälligen Äußerungen über das seiner Ansicht nach passive Russentum Moeller zweifelsfrei als einen deutschen Nationalisten aus, der in Dostojewski vor allem einen Verbündeten im Kampf gegen den als zunehmend dekadent empfundenen Westen erblickte“. 312 Moeller van den Bruck: Die Rechenschaft über Russland (wie Anm. 225), S. 49. 313 Ebd. 314 Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 38. 315 Ebd., S. 45 f.

80

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

Revolution ein Ergebnis des Zustandes der jungen Rasse gewesen und genau deshalb schlecht ausgegangen. Die bolschewistische Revolution könne nicht erfolgreich sein, weil „in einem Reiche, das auch als administratiertes Land ein westlich-korruptes Land gewesen und dessen Volk auch als christliches Volk geblieben war, konnte die Revolution nicht Organisation sondern nur Chaos auslösen“316. Russland sei auch das einzige Land gewesen, in dem ein Versuch unternommen wurde, die logische Entwicklung zu überspringen, um schneller ans Ziel zu kommen. Moeller sah in der Oktoberrevolution den Sieg des Westens in Russland. Der Kampf zwischen Osten und Westen auf dem russischen Schlachtfeld sei aber damit nicht vorbei: „[Wie] Dostojewski dem alten Russland die Maske abgerissen und die Revolution des neuen bereits apokalyptisch beschworen hatte, so konnte der Kampf gegen den Westen als russisch-erbeigentümliche Kraft über Dostojewski hinaus weitergeführt werden, je tiefer Dostojewskis Gedanken auf Eigenschaften des ewig Russischen beruht hatten.“317

Die Zukunft des russischen Volkes sah Moeller darin, „dass Russland, das zu groß für sich selbst war, in seine Bestandteile sich auflöst und dass ein jedes russische Teilvolk ein selbstständiges Leben bekommt“318. Erst dann hätten die Russen Moellers Ansicht nach eine Zukunft. Und im Rahmen des Ersten Weltkrieges sah Moeller van den Bruck den Aufstieg der einzelnen Nationalitäten unter dem russischen Volke, was für ihn als Bestätigung seiner Theorie diente. Jetzt solle die Entwicklung weiter in diese Richtung gehen: „Nun kann Russland, das zu groß war, um sich mit einem einzigen Volkstum zu füllen, seine Geschichte in russischen Völkern von vorne beginnen, von denen jedes einzelne die Möglichkeit hat, als junges slawisches Volk, je nach der Lage des von ihm bewohnten Landes, mehr ins Europäische oder ins Orientalische zu wachsen.“319

Die große Kraft des russischen Volkstums aber liege in seinem tiefen religiösen Glauben. Das russische Volk war für Moeller van den Bruck ein Volk, dessen Mission in der Geschichte mit Sicherheit erfüllt werden würde.320 Diese Mission sei direkt mit derjenigen des deutschen Volkes verbunden. Die Vorstellung von Russland hatte in der Theorie der Konservativen Revolution viel mit dem Schicksal des europäischen Ostens zu tun. Moeller van den Bruck formulierte eine These, die der verbreiteten Annahme über seine Russophilie widersprach. Denn die Welt der jungen Völker des Ostens schließe das russische Volk eindeutig nicht ein, eher umgekehrt: Die Russen seien die „böse“ Kraft im Osten, die die kleineren Völker unterdrücke. Die Unterdrückung habe hauptsächlich in der Zeit der Zarenherrschaft in Russland stattgefunden, denn die Zaren hätten die östlichen Völker auf das Entwicklungsniveau gestellt, das für sie aus Verwaltungsgründen 316 317 318 319 320

Ebd., S. 103 f. Moeller van den Bruck: Die Rechenschaft über Russland (wie Anm. 225), S. 3 f. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 38. Ebd., S. 39. Vgl. Moeller van den Bruck: Das ewige Reich. Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 340.

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

81

bequem gewesen sei. Der Einfluss Russlands auf den europäischen Osten sei verderblich gewesen: „Das Wesen des Ostens ist Beharrung. Der russische Staatsgedanke war ihre politische Verewigung.“321 Deutschland und Russland hätten (so Moeller) einander ergänzen sollen und die dazwischen liegenden Völker seien ein Grund und Voraussetzung dafür: „In Zukunft werden Einzelstaaten, von Finnland bis hinunter zur Ukraine, die beiden größten europäischen Völker trennen und zugleich verbinden. Und über diese Einzelstaaten hinweg, ob sie nun in einem föderalistischen Anschlusse an ein unitarisch gewordenes Russland stehen, oder nicht, werden das russische Volk und das deutsche Volk aus dem Kriege mit ihrer alten geschichtlichen und nun ostpolitisch erneuten Aufgabe hervorgehen: einander zu ergänzen.“322

Hans Schwarz, der nach dem Tod Moellers die Aufgabe übernommen hatte, manche Werke seines Freunds zu veröffentlichen, nannte das die „deutsch-russische Seite der Welt“323. Der konservative Revolutionär stand auch posthum für die Idee, dass sich Russland mit Mitteleuropa „auseinandersetzen und ausgleichen“ müsse. Die russischen Bestrebungen zur Eroberung der westlichen Gebiete seien unnatürlich – Moeller van den Bruck spürte jedoch bereits die Rückwirkungstendenzen dieser Entwicklung: Den Verlust der Territorien Russlands im Ersten Weltkrieg betrachtet er als natürlichen Prozess: „Russland kehrt in seine natürlichen Grenzen zurück.“324 Darin sah Moeller auch ein Zeichen der Verschiebung der europäischen Grenzen in Richtung Osten, was der allgemeinen Entwicklungsrichtung Europas entspreche. Auch manche Gebiete, die im Zuständigkeitsbereich Russlands waren, seien jetzt im mitteleuropäischen Einflussbereich. Das gelte zum Beispiel für die baltischen Länder, Finnland und Polen. Diese Verschiebung würde Russland selbst Ruhe bringen und „dem russischen Balkan ein Ende [machen]“325. Auf die Frage, wie sich die deutsch-russischen Beziehungen entwickeln sollten und die Aufgaben auf der deutsch-russischen Seite der Welt verteilt werden müssten, antwortete Moeller van den Bruck ganz unterschiedlich. Noch vor dem Ende des Ersten Weltkrieges, im Jahr 1916, schlug er radikale Lösungen vor: Russland müsse Deutschland die „Sorgen“ um den europäischen Osten übergeben und sich dafür um Sibirien kümmern: „Stattdessen hat das Russentum uns das Recht gegeben, selbst östliche Politik zu treiben und durch sie eine Kultur auszutreiben, die, soweit auch sie noch eine europäische Kultur bleibt, deutsch sein wird.“326 Dadurch, dass Russland aber in seinem Besitz immer noch Sibirien und „in der Anwartschaft“ Indien habe, habe es immer noch mehr vom Osten als Deutschland. Deutschland, nicht Russland, 321 322 323 324 325 326

Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 103. Ebd., S. 104 f. Moeller van den Bruck: Die Rechenschaft über Russland (wie Anm. 225), S. 4. Ebd., S. 175. Ebd., S. 176. Ebd., S. 137 f.

82

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

solle das Werk Peters des Großen durch seine eigenen Interessen mit neuem Geist erfüllen und fortsetzen: „Diese Seite der östlichen Probleme fällt uns zu, nach dem Willen der Natur, nach dem Zwang der Verhältnisse, nach der Reichweite unserer Siege: und wünschen können wir nur, dass die rückläufige Bewegung, in die Russland als Erobererstaat im Grunde schon seit dem japanischen Kriege eingetreten ist, sich in Europa vollende: dass die Wendung, die einst durch Peter den Großen in die russische Geschichte kam, als er das Russentum nach Europa, und hier namentlich an die Ostsee verwies, in ihren Zielen wieder rückgängig gemacht und in ihren Aufgaben von uns neu übernommen werden.“327

Drei Jahre später, in einer seiner frühesten Schriften, „Zur Einführung. Bemerkungen über sibirische Möglichkeiten“ schilderte Moeller die Zukunft Sibiriens ganz unabhängig von der russischen Zukunft. Diese Schrift diente übrigens Dostojewskis Buch „Aus dem Totenhaus“, welches von Moeller herausgegeben wurde, als Einleitung: Er prophezeite Sibirien eines Tages eine neue Kultur zu werden, die nicht nur die Russen einschließen würde, „sondern auch hier wieder die sich entwicklungsgeschichtlich ergebende Rassenmischung, das dereinstige Volk der Sibirien“328. Die Russen sollten Sibirien auf seine neue Aufgabe vorbereiten, wodurch ihre neue Kultur einen slawischen Charakter erben würde. Sibirien würde aber gleichzeitig eine ganz besondere Stellung einnehmen, denn „Russland wird schließlich immer eine europäische, von Europa abhängige Macht bleiben. Sibirien dagegen ist schon von Natur bestimmt, eine Macht für sich zu sein“329. Kurz danach äußerte sich Moeller in Bezug auf die Wahl der Verbündeten für Deutschland. Man solle sich weder für England noch für Russland entscheiden, sondern für die mittlere Stellung Deutschlands, die seiner Natur mehr entspreche. „Der Schlüssel zum Erfolg“ sei in diesem Falle „durch die Form des deutschen Sozialismus, die wir finden müssen, Europa für Gleichgewichte zu halten“330. Um diese Aufgabe erledigen zu können, müsste man die deutsche „europäische Selbstständigkeit zurückerhalten“331. Russland könnte ein Hilfsmittel dafür werden, aber nicht mehr als das: „Wir werden sie mit Russland von England fordern. Und wir werden sie mit oder ohne England von Russland fordern“332. Bald wurde seine Stellung klarer: In seinem Artikel „Sozialistische Außenpolitik“ aus dem Jahr 1920 nannte Moeller Russland als Verbündeten Deutschlands im Kampf gegen den

327

Ebd., S. 138. Moeller van den Bruck: Zur Einführung. Bemerkungen über sibirische Möglichkeiten. In: Dostoevskij, Fedor Michajlovic: Aus dem Totenhause: Sämtliche Werke. Bd. 18., Auflage 3. München 1919, S. XI. 329 Ebd., S. XIV. 330 Moeller van den Bruck: Die außenpolitischen Folgen. In: Gewissen, Jg. 2, Nr. 13, 7. 4. 1920. 331 Ebd. 332 Ebd. 328

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

83

Westen. Russland wusste Moeller zufolge, worum es tatsächlich in diesem Kampf gehe: „Wenn der Bolschewismus gegen Indien vorstößt, dann meint er England. Und wenn er gegen Polen andrängt, dann meint er Frankreich. Er meint unsere Feinde. Das verbindet den russischen und den deutschen Sozialismus. Sollen sie den gemeinsamen Kampf nicht gemeinsam führen?“333

Moeller van den Bruck wies darauf hin, dass nicht nur Deutschland auf Russland angewiesen sei. Russland brauche Deutschland auch: „Nur diese Mitte hat Anziehungskraft genug, um Russland nach Europa zu ziehen. Ohne Deutschland gleitet Russland nach Asien hinüber. Wir können auf Russland nicht verzichten, weil es Europa ist, weil es Christlichkeit ist, und zukünftiges Land.“334 Dieser Satz erlaubt zu glauben, dass in dem widerspruchsvollen und realitätsfernen Russlandbild Moeller van den Brucks Russland Europa noch näher stand als Asien. Max Hildebert Boehm stieß beim Beantworten der Frage, ob es tatsächlich Völker gebe, die den „geschichtlichen Sinn“ mehr und solche, die ihn weniger entwickelt hätten, auf die Beispiele der Engländer und Russen. Er wies darauf hin, dass die Engländer solche Anzeichen ihres Volkstums wie Sprache, Traditionen usw. im Laufe ihrer ganzen Geschichte entwickelt und gepflegt hätten, während die Russen vor ihrer Geschichte und ihren Wurzeln fliehen wollten, was „in dem großartigen Messianismus etwa Doskojewskijs, aber auch im Wüten des petrinischen Zarismus wie Bolschewismus gegen das geschichtlich Gewordene und seine Symbole grauenhaft sichtbar wird“335. So ein Volk sei, nach Boehm, „weder jung noch alt, sondern zeitlos“336. An dieser Stelle stimmte Boehm Moeller van den Bruck zu, wenn er die Russen als eine junge Rasse bezeichnete. Trotzdem überließ Boehm Russland zusammen mit Deutschland die Rolle eines zukunftsträchtigen Volkes. Zwei Völker hätten die Aufgabe, den europäischen Osten neu zu gestalten: das deutsche und das russische. Beide Völker seien durch Revolutionen und Krieg geschwächt worden. Genau wie Wilhelm Stapel überzeugt war, dass Europa an der Schwäche Deutschlands litt, war Boehm der Meinung, dass die Probleme Europas durch die Niederlagen dieser beiden Völker zu erklären seien: „Nur durch den gleichzeitigen Zusammenbruch Russlands und Deutschlands war das atomisierte Europa von 1919 möglich.“337 Die ganzen Systeme „der Großen und Kleinen Entente“ seien darauf eingestellt, diese beiden Völker in ihren traurigen Zuständen zu behalten. Das könnte aber nicht mehr lange wirkungsvoll bleiben: „Über kurz oder lang werden sich die beiden niedergehaltenen Großvölker wieder zu Gravitationszentren entwi-

333

1920. 334 335 336 337

Moeller van den Bruck: Sozialistische Außenpolitik. In: Gewissen, Jg. 2, Heft 6, 11. 02. Moeller van den Bruck: Europäisch (wie Anm. 118). Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 75. Ebd. Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 315.

84

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

ckeln, an die sich dann in bestandhafteren Formen die kleineren völkischen Zwischenkomplexe ankristallisieren müssen.“338 Max Hildebert Boehm gehörte zur Mehrheit der konservativen Revolutionäre, die den Bolschewismus als eine große Gefahr sah, unter anderem für die christlichen Grundlagen des Abendlandes, die er Boehms Meinung nach zerstören wollte.339 Eine der von Armin Mohler festgelegten Gruppen der konservativen Revolutionäre ist genau aufgrund ihres Verhältnisses zu Russland besonders interessant: die der Nationalrevolutionäre. Ihre Besonderheit bestand darin, dass sie das Bündnis mit Russland nicht nur trotz Bolschewismus, sondern bisweilen genau wegen ihm begrüßten.340 Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe, Ernst Niekisch, war von Anfang an von der russischen Revolution im Oktober 1917 begeistert, was seine nachfolgenden Schriften erheblich beeinflusste. Niekisch war der Meinung, dass Russland europafremd und sogar europafeindlich sei und eigentlich zu Asien gehöre. Der besonders eindeutige Beweis, dass Russland nichts mit dem Westen zu tun hatte, sei der Bolschewismus, der „die radikale Abkehr vom Westen“ und „die grundsätzliche Verneinung der westlichen Werte“ sei. Bolschewismus verkörpere „Antiliberalismus, Antiindividualismus, Autokratismus“ und sei „das offene Bekenntnis zur Gewaltsamkeit“341. Russland sei dadurch ein Feind Versailles’, eine Kraft, die dazu berufen sei, Versailles zu vernichten und ihm eine Alternative zu schaffen.342 Das bolschewistische Russland repräsentiere „antieuropäische Lebensmächte“343. Der Bolschewismus sei „die Form, in der Russland alle Widerstandskräfte gegen die westlichen Siegerstaaten entfesselte, organisierte und zum denkbar höchsten Wirksamkeitsgrad zusammenfasste.“344 Im Gegensatz zu den anderen konservativen Revolutionären, die im Bolschewismus eine Erscheinung des Westens sahen, betrachtet ihn Niekisch als etwas Urrussisches.345 Der Bolschewismus sei „ein Aufstand gegen das EuropäischWestlerische, eine Wiedergeburt des Russisch-Asiatischen“346. Ähnlich wie 338

Ebd. Vgl. Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 68. 340 Vgl. Paetel, Karl Otto: Nationalbolschewismus und nationalrevolutionäre Bewegungen in Deutschland. Schnellbach 1999. 341 Niekisch: Gedanken über deutsche Politik (wie Anm. 100), S. 238. 342 Vgl. Niekisch: Politische Schriften (wie Anm. 72), S. 34: „Bolschewismus ist Revolution gegen das Abendland als Dauerzustand; das bolschewistische Russland ist das umstürzlerische Kraftfeld, vor dem die Versailler Ordnung schmählich zuschanden wird, und das Versailles, herausfordernd, eine Gegenordnung entgegensetzt.“ 343 Niekisch: Widerstand. Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 127), S. 195. 344 Niekisch: Russland-Italien-Deutschland. In: Widerstand (1926), Jg. 1, Nr. 6, S. 53 – 58, hier S. 54. 345 Vgl. Niekisch: Widerstand. Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 127), S. 119: „Er setzt keinen neuen Anfang; er holt verborgene, unterschichtige, aber richtungsbestimmende Strömungen an das Licht des Tages empor.“ 346 Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 102), S. 138. 339

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

85

Spengler und Moeller behauptete Niekisch, Bolschewismus sei der Ausdruck des Kampfes gegen den Westen: „Wie der Zar 1811 Moskau in Brand gesteckt hatte, um sich Napoleons zu entledigen, so setzten die neuen Machthaber 1918 ganz Russland in Brand, um die Raubgier Westeuropas von der russischen Schwelle zu jagen. Der Bolschewismus ist das ganz und gar in Brand gesetzte Russland.“347

Im Unterschied zu vielen anderen konservativen Revolutionären, die Amerika mit dem Westen in Zusammenhang brachten, sah Niekisch Russland als einen Verbündeten Amerikas im Kampf gegen Europa. Mit seinem Eintritt in den Weltkrieg habe Amerika die europäische Weltherrschaft gebrochen und Russland setze diese Entwicklung fort: „So besteht zwischen Amerikanismus und Bolschewismus eine noch kaum bemerkte Interessengemeinschaft: sie entspringt der gleichgerichteten Gegnerschaft gegen Europa.“348 Amerika teile zwar die antieuropäischen Gefühle Russlands, aber in einer anderen Art und Weise. Amerika sei von seinem Geist her doch ziemlich europäisch; außerdem hätte es den Anspruch auf die Weltherrschaft. Washington-Moskau seien „die beiden äußersten Punkte einer unüberbrückbaren Entgegensetzung“349. Moskau sei dabei der Anfang und Washington der Schluss. Washington sei eine Verkörperung von Rom, während Moskau dessen Gegenpol sei, was Niekisch zu einer logischen Schlussfolgerung brachte: „Washington-Rom ist sterbende Welt, Moskau neu erstehende Welt.“350 Russland habe genau durch diesen Unterschied zu Europa einen gänzlich anderen Lebensstil entwickelt – worin seine Rettung läge. So bleibe es auch dem europäischen Einfluss fern. Um diesen Niekisch zufolge tödlichen Einfluss zu vermeiden, „durchdrang es sich ganz und gar mit einem Geiste, der in jeder Regung Europa fremd und feindlich war“351. Auf diesem Weg sei die Religion in Russland der Abschaffung von allem Westlichen zum Opfer gefallen: Das Christentum sei so stark mit der europäischen Zivilisation identifiziert worden, dass Russland sich unterbewusst davon distanzierte. Russland habe für diesen antichristlichen Kampf westliche Elemente benutzt: die Aufklärung, den „westlichen Fortschritt“. Aber das alles seien „nur Waffen für europafeindliche asiatisch-barbarische Instinkte“352. Das sei „eine ganz besondere Art der Rache“, die darin bestand, „dass Russland mit europäischen Mitteln die europäischen Elemente ausrottete, die es einst in sich aufgenommen hatte.“353

347 348 349 350 351 352 353

Ebd., S. 139. Ebd., S. 140. Ebd., S. 180. Ebd. Ebd., S. 141. Ebd. Ebd.

86

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

Russland solle laut Niekisch ein Gegenspieler Europas werden, gleichzeitig aber auch eine Brücke zwischen Europa und Asien. Russland solle auch Asien durch seinen Geist und Einfluss in der Entwicklung helfen: „Aber das Gesetz der geistigen Form Russlands wird gestaltzeugend über Asien schweben und wird diesem Erdteil eine Hilfe sein, die ihn, in schroffer Wendung gegen den beutehungrigen Weltdemokratismus, aus seiner anarchischen Bewegtheit wieder in die Festigkeit eines dem eingeborenen Wesen gemäßen Daseins zurückleitet.“354

Deutschland habe keine weltgeschichtliche Aufgabe zu erledigen. Das bolschewistische Russland hingegen schon: „Überschreitet man von Russland her kommend die deutsche Grenze, dann wird vielleicht nichts schmerzlicher fühlbar als das: dass Deutschland wohl zivilisierter, wohlhabender, reinlicher und gepflegter, aber doch nur ein Land ohne weltgeschichtliche Aufgabe und ohne Ethos ist.“355

Worin bestand aber die Sendung Russlands? Laut Niekisch sollte Russland das Christentum wiedergebären, nachdem das abendländische Christentum zerstört sein würde.356 Und natürlich plädierte Niekisch für das deutsch-russische Bündnis. Die Lage Deutschlands in der Mitte Europas sei besonders günstig dafür. Russland und Deutschland hätten dazu noch die gleiche Situation erlebt, was die Revolutionen angeht: 1917 sei für Russland gewesen, was 1918 für Deutschland war. Spätestens das solle Deutschland dazu motivieren, seinen Blick nach Osten zu wenden und in Russland einen Partner zu suchen. Allein Russland könne Deutschland helfen, seinen Weg nach Potsdam zu finden.357 Deutschland und Russland zusammen „würde[n] die Grenzen Asiens bis in die Vogesen und die Alpen vorschieben“358. Nicht nur Ernst Niekisch selbst, auch seine Mitstreiter des „Widerstandes“ waren überzeugt davon, dass die einzige Möglichkeit für Deutschland, die Vorherrschaft in Mitteleuropa zu erlangen, mithilfe Russlands realisierbar sei: „Es gibt keinen direkten Weg von Deutschland nach Mitteleuropa; er führt nur über Moskau. Geht ihn Deutschland nicht, wird es nie nach Mitteleuropa gelangen. Aus dem Schutt erst, in den das französisch geführte Europa mit Russlands Hilfe gelegt wurde, kann ein deutsch beherrschtes Mitteleuropa aufgebaut werden.“359 354

Ebd., S. 178. Niekisch: Widerstand. Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 127), S. 155. 356 Vgl. Niekisch: Europäische Bilanz (wie Anm. 184), S. 329. 357 Vgl. Niekisch: Widerstand. Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 127), S. 93: „Deutschland hat sein Eigenwüchsiges an Russland weitergegeben; indem es zur Schicksalsgemeinschaft mit Russland strebt, winkt ihm noch eine Hoffnung, dieses wieder zurückholen zu können. So weit wurde es durch seine Erfüllungs- und Weltpolitiker von sich selbst fortgelockt, dass es den Weg nach Potsdam, zu sich selbst zurück, nur über Moskau wieder finden kann.“ 358 Niekisch: Widerstand. Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 127), S. 195. 359 Spektator: Der mitteleuropäische Traum. In: Widerstand (1932), Jg. 7, S. 211 – 215, hier S. 212. 355

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

87

Eines der wichtigsten Organe der Konservativen Revolution, „Die Tat“, bezog eine überzeugte Position für die Zusammenarbeit mit Russland. Giselher Wirsing sah in Russland das Kernelement der zwischeneuropäischen Politik: „Die Probleme der Völker und Länder vom Finnischen Meerbusen bis zur Ägeis, die Albrecht Penck ,Zwischeneuropa‘ genannt hat, haben sich vor die russischen gelagert und dies ist im bösen wie im guten zur wichtigsten Veränderung der europäischen Position Deutschlands selbst geworden.“360

Wenn man sich mit den Problemen Zwischeneuropas beschäftige, komme man nicht umhin, sich auch mit den Problemen Russlands zu befassen. Und der Wunsch einer Zusammenarbeit mit Zwischeneuropa bedeutete für ihn automatisch die Zusammenarbeit mit Russland. Wirsings Ansicht und auch der anderer Apologeten der „Tat“ nach konnte die Loslösung Deutschlands aus der Weltwirtschaft auch den deutsch-russischen Beziehungen einen Impuls geben. Sobald Deutschland dies getan hätte, würden sich nicht nur die deutsch-russischen Beziehungen ändern – sondern die gesamte weltpolitische Lage. Stattdessen solle eine deutsche-russische Planwirtschaft ins Spiel kommen, „sie würde vor allem den Apparat der deutschen Industrie in den Rahmen des russischen Aufbaues einschalten können, was heute praktisch nur in verschwindend geringem Ausmaße geschieht“361. So argumentierte „Die Tat“ für die Notwendigkeit des russisch-deutschen Bündnisses: Beide Länder hätten zu viele Gemeinsamkeiten, „als dass wir uns um eine Stellungnahme zu Russland so herumwinden könnten, wie es die Republik von 1918 getan hat“362. Giselher Wirsing empfahl Deutschland, Kontakt zu den „jungen Völkern des Ostens“ aufzunehmen, die innere Ordnung Deutschlands im Sinne des nationalen Sozialismus revolutionär umzugestalten und damit die Voraussetzungen für eine enge Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zu schaffen.363 Friedrich Hielscher sah in Russland eine eigenständige Zivilisation. Zusammen mit Afrika leide es am meisten unter dem westlichen Einfluss: „Während China, Indien und Arabien den Westen als eine Überfremdung empfinden, die abgeschüttelt werden kann, spürt das russische ebenso wie das afrikanische Seelentum die durch den Westen entstandene Zersetzung als unaufhaltbar.“364

Deswegen stellte sich Hielscher das Verhältnis Russlands zum Westen als sehr schlecht vor: „Der Westen und das Böse werden für den Russen schlechthin dasselbe.“365 Ein Charakteristikum, das die Russen von den Menschen des Reiches 360

Wirsing: Zwischeneuropa (wie Anm. 25), S. 7. O.A.: Deutschlands Weg aus der Einkreisung. In: Die Tat, Bd. 22, Heft 12, März 1931, S. 929 – 956, hier S. 954. 362 Wirsing: Richtung Ost-Südost! In: Die Tat, Bd. 22, Heft 8, Nov. 1930, S. 628 – 645, hier S. 645. 363 Vgl. Hecker: „Die Tat“ und ihr Osteuropa-Bild (wie Anm. 24), S. 138. 364 Hielscher: Das Reich (wie Anm. 87), S. 271. 365 Ebd. 361

88

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

unterscheide, sei das Gemeinschaftsgefühl, das keinen Platz für ein „Ich“ lasse. Im Unterschied zum Reiche, wo jedes „Ich“ sich als Teil eines Organismus fühle, gebe es in Russland kein „Ich“, sondern nur einen Organismus. Es scheint nicht verwunderlich zu sein, dass Hielscher dabei den Kampf des Westens gegen Russland prophezeite. Russland sei der kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht unterworfen wie der Rest der Welt. Wenn Russland es schaffen würde, eine Alternative zu dieser Ordnung bereitzustellen, würde der Westen untergehen, denn „sein gesamtes Leben, das öffentliche wie das nichtöffentliche, ruht auf seiner Wirtschaftsordnung auf“366. Die ganze Kolonisierung, die von unterschiedlichen Ländern Europas unternommen wurde, sei mit einem einzigen Zweck durchgeführt worden: den Kapitalismus zu erhalten. Russland sei das einzige Land, das noch auf einer gänzlich anderen Wirtschaftsordnung fußte. Russland war für Hielscher das Beispiel der sogenannten jungen Seelentümer, die dem westlichen Einfluss unterworfen seien, weil sie noch kein eigenes hätten. Deswegen habe Russland den Reformen Peters des Großen keinen Widerstand geleistet, obwohl sie der russischen Natur fremd gewesen seien. Russland habe einfach keine eigene Persönlichkeit. Lenin habe die eingeleitete Entwicklung Peters des Großen unterbrochen, aber mit dem westlichen Mittel des Marxismus. Bolschewismus sei ein Protest gegen die zahlreichen Überfremdungen, die sich im russischen Volke gesammelt hätten. Es handle sich um ein „Nein“ des russischen Volkes. Dies könne ihm aber nicht helfen, eine neue Ordnung zu schaffen, sondern höchstens dazu reichen, das Alte zu zerstören. Um etwas Neues zu schaffen, sei „der wissende Wille“367 nötig. Russland sei vom Westen erst dann ganz befreit, wenn dort eine wahrhaft neue Ordnung entstünde. Auch für Albrecht Haushofer gehörte Russland nicht zu Europa. Die Behauptung, der Ural trenne Europa von Asien, sei einer der größten Irrtümer der Geopolitik: „Und da wir Europa schwerlich bis zum Baikal ausdehnen können, müssen wir uns damit abfinden, dass Asien zumindest bis zum Dnjepr reicht.“368 Sankt-Petersburg sei zwar westlich, nicht aber der Rest von Russland. Albrecht Haushofer sprach davon, was er selbst gesehen hatte: Er besuchte Russland und erzählte darüber. Trotzdem gab es unter den Autoren von „Volk und Reich“ mehr Vertreter der Idee der Zusammenarbeit mit Russland, als unter den Autoren von der „Ring“. Darin sahen sie die außenpolitische Zukunft Deutschlands: „[Heute] ist die Pflege und Wiederaufnahme der geistigen Beziehungen zum Slawentum vielleicht die einzige große Chance, die uns neben den geringen Mitteln unserer gegenwärtigen Diplomatie geblieben ist.“369 Die Position der Redaktion der „Europäischen Revue“ in Bezug auf die Russlandfrage war nicht so stark ausgeprägt. Friedrich Schreyvogl verstand unter der 366 367 368 369

Ebd., S. 20. Ebd., S. 47. Haushofer: Asien westlich des Urals. In: Volk und Reich, Jg. 6, Heft 10/11, 1930, S. 760. Mika, Emil: Das slawische Problem. In: Volk und Reich, Jg. 8, Heft 3, 1932, S. 140.

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

89

nötigen Strategie der Deutschen nicht den Antibolschewismus, sondern den sogenannten Gegenbolschewismus: „Das Merkwürdige ist, dass wir ihn in gleichem Abstand von beiden, sowohl gegen und für die Göttin der Vernunft, als gegen und für Moskau zu schaffen haben.“370 Seine kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung habe das russische Volk dem deutschen zu verdanken. Er glaubte sogar, die Deutschen „paralysierten durch ihren kulturellen Einfluss das mongolische Blut im Russen, wandelten den Tataren zum staatsfähigen Menschen“. Ein anderer Autor der „Europäischen Revue“, Hans von Eckardt, verzichtete darauf, die russische Wirtschaft als bolschewistisch anzusehen – sie war seiner Meinung nach zaristisch, wie auch vorher. Er trat für die wirtschaftliche Verbindung mit Russland ein. Es liege aber nicht nur an der Wirtschaft, sondern gehöre zur europäischen Kulturmission: „Soll Russland ganz nach Asien zurückfallen? Soll Europa in seiner räumlichen Enge ersticken? […] Ist es nicht vielmehr eine Notwendigkeit seit Peter I. großer Kulturtat, Europa erst am Ural enden zu lassen und von dort bis zum Großen Ozean ein ungeheures Kraftfeld russisch-europäischer Arbeit anzulegen?“371

Wilhelm Stapel vertrat eine ähnliche Position: In der Wahl zwischen den möglichen Verbündeten Deutschlands sei Russland der beste Kompromiss, trotz Bolschewismus. Stapel bedauerte die Tatsache, dass es nicht zu einem deutsch-russischen Wirtschaftsbündnis kam. Den Grund dafür sah Stapel in den ungenügenden Bestrebungen Stresemanns zum Aufbau der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen. Daher kritisierte der Herausgeber des „Deutschen Volkstums“ Stresemanns Außenpolitik unaufhörlich. Ihm wurde vorgeworfen, auf den Westen konzentriert zu sein und keine klare Linie im Osten zu haben.372 „Der Ring“ zeigte eine andere Position: Die Zuneigung zu Russland anderer konservativer Revolutionäre wurde kritisiert, die deutsche Osteuropapolitik beziehe sich nur auf Russland, was „in ganz Europa und namentlich in Polen den Eindruck der Revanchepolitik erweckt“373. Am Anfang sei es verständlich gewesen, „Russlandpolitik“ zu betreiben, aber es beginne bereits, zum Dogma ohne faktische Grundlagen zu werden.374 Anstelle von Russland müsse Polen ins Zentrum der osteuropäischen Politik rücken (ein anonymer Autor dieses Artikels wies genau diesem Land die Stellung der entscheidenden osteuropäischen Großmacht zu).375 Ein anderer Artikel in „Der Ring“ mit dem Titel „Russland und wir“ aus demselben Jahr, 370

Schreyvogl, Friedrich: Gegenbolschewismus. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 5/6, 1. 7. 1926, S. 316 – 319, S. 316. 371 Eckardt: Deutschland und der Osten (wie Anm. 261), S. 178. 372 Vgl. Stapel: Zwiesprache. In: Deutsches Volkstum (1928), S. 726. 373 O.A.: Deutschland und Polen. In: Der Ring, Jg. 1, Heft 7, 12. 2. 1928, S. 125. 374 Vgl. ebd., S. 125. 375 Dieser Artikel war nicht der einzige. Vgl. O.A.: Deutschland, England und der Osten (wie Anm. 258), S. 225: Russland wurde als Gegner bezeichnet. In Zusammenhang damit wurde auf die Bedeutung von Polen hingewiesen. Es sollte mit den baltischen Ländern einen Verein gründen, dadurch Zugang zum Meer erlangen und einen Puffer zwischen Russland und Europa bilden.

90

IV. Die Position Russlands im Europadenken der Konservativen Revolution

1928, vermittelte die gleiche Idee: Die deutsche Einstellung zu Russland befinde sich in einem Wandel. Früher sei die Meinung über die Notwendigkeit eines Bündnisses mit Russland überall verbreitet und selbstverständlich gewesen. Heute gebe es immer mehr Skepsis diesbezüglich.376 Die anderen Autoren des „Ring“ waren der Auffassung, Sowjetrussland sei ein Feind.377 Edgar Julius Jung analysierte die Ereignisse in Russland ebenso, wenn auch nicht so häufig wie die anderen. In diesem Land sah er den Gegenspieler Europas. Besonders auffällig sei der geistige, seelische Unterschied zwischen den Russen und den Europäern bzw. den Deutschen. Für die Russen sei Nihilismus typisch sowie eine „unerschöpfliche seelische Fülle“378. Diese Eigenschaft hätte sich zum Beispiel im sowjetischen Rätesystem geäußert, das „die vollkommene Abkehr von der westlichen Formaldemokratie“379 sei. Für die Europäer und die Deutschen sei es giftig. Das bolschewistische System war Jungs Meinung nach im Unterschied zum Faschismus organisch. Was aber das sowjetische System wertlos mache, sei die „vollkommen westeuropäisch (marxistisch) empfundene Herrschaft einer Klasse“380. Sie bilde die geschichtsmaterialistische Grundlage und verneine „die natürlichen Gegebenheiten des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens“381. In der deutschen Gesellschaft würde, so Jung, diese Grundlage nie übernommen werden, denn „die proletarischen Massen [können] auf die Dauer das deutsche Gesicht nicht gestalten […]“382. Edgar Julius Jung bewertete den aktuellen Zustand Russlands als schwach. Anders als viele seiner konservativ-revolutionären Gleichgesinnten sah er die möglichen Wege für Russland darin, entweder wieder von der europäischen Oberschicht regiert zu werden oder „das Europäertum nach Osten vorzutreiben“383. Deutschlands Aufgabe sei, „Bollwerk Europas vor der Bolschewisierung“384 zu sein. Es wird ersichtlich, dass Russland ein Thema im konservativ-revolutionären Kreis war, zu dem es viele Meinungsunterschiede gab. Die meisten Theoretiker der Konservativen Revolution waren zwar überzeugte Antibolschewisten, Russland stellte für sie aber die einzige Alternative zum Westen dar und darin sahen sie den Sinn der deutschen Außenpolitik: sich möglichst weit vom Westen zu entfernen.

376

Vgl. O.A.: Russland und wir. In: Der Ring, Jg. 1, Heft 12, 18. 3. 1928, S. 223. Vgl. O.A.: Europa und Russland. In: Der Ring, Jg. 4, Heft 24, 13. 6. 1931, S. 432 f.; Gottl-Ottlilienfeld, Friedrich v.: Bolschewismus als Ziel ohne Zukunft. In: Der Ring, Jg. 4, Heft 44, 30. 10. 1931, S. 821 – 829. 378 Jung: Die Herrschaft (wie Anm. 32), S. 94. 379 Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 68. 380 Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 335. 381 Ebd. 382 Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 206 f. 383 Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 644. 384 Ebd., S. 120 f. 377

V. Legitimation der europäischen Neuordnung mit Blick auf die hegemonialen Bestrebungen Deutschlands Das Charakteristische am vereinigten Europa der Konservativen Revolution war in erster Linie, dass sie nicht einen demokratischen Aufbau und gleiche Rechte für alle Mitglieder forderte. Nur eine Nation sollte dort die Hegemonialstellung einnehmen: Deutschland. Alle konservativen Revolutionäre waren von der Notwendigkeit der deutschen Herrschaft überzeugt. In den Versuchen, dies zu rechtfertigen, haben die konservativ-revolutionären Theoretiker komplexe Argumentationsketten aufgebaut und die als Voraussetzung der deutschen Herrschaft über Europa angenommenen Charakteristika des deutschen Volkes analysiert. Genau wie in der Einschätzung des Versailler Vertrages betonte jeder der von uns in Betracht gezogenen Autoren ein für ihn als besonders signifikant erscheinendes Argument. Die Botschaft blieb jedoch immer gleich: Das deutsche Volk müsse die Herrschaft übernehmen und sei in jeder Hinsichten dafür geeignet. Die Legitimationsargumente der konservativ-revolutionären Theoretiker waren um einiges subtiler und moderater als bei den Ideologen des Nationalsozialismus. Wenn man aber auf die Klassifizierung der Legitimität der Herrschaft bei Max Weber achtet, versteht man, dass die Herrschaftslegitimation sowohl bei den konservativen Revolutionären als auch bei den Nationalsozialisten gleicher Natur war. Laut Weber könne die Herrschaft rational, traditional oder charismatisch begründet sein.385 Im Falle der meisten konservativ-revolutionären Autoren, so wie auch der Nationalsozialisten, kann von der rationalen Legitimation nicht die Rede sein. Um die deutsche Herrschaft über Europa zu rechtfertigen, wurden häufig religiöse, pseudohistorische oder pseudogeopolitische Vorstellungskomplexe benutzt, die keiner rationalen Kritik standhalten könnten.

1. Das Reich als historische Mission Besondere Aufmerksamkeit schenkten die konservativen Revolutionäre dem historischen Aspekt des Problems. Auf der Suche nach möglichen Modellen, wie das neue Europa aussehen sollte, trat oft die Vision eines „Dritten Reiches“ zutage. Die Notwendigkeit seiner Errichtung wurde meistens durch den Gang der deutschen 385 Vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen 1980 (zuerst 1921).

92

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

Geschichte begründet. Nach Ansicht der konservativen Revolutionäre wäre das Dritte Reich nicht eine prinzipiell neue Staatsform, sondern die Fortsetzung einer bereits existierenden Tradition, die im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ihren Anfang genommen hatte und im Reich Bismarcks ihre Fortsetzung fand. Die europäische Herrschaft sei die Aufgabe des deutschen Volkes, welches im Laufe seiner Geschichte versucht hatte, sich dieser anzunehmen – allerdings ohne Erfolg.386 Die entsprechende Entwicklung sei aus der Geschichte ableitbar und manifestiere sich in bekannten deutschen Persönlichkeiten wie Armin, Eckhart, Bismarck und Nietzsche. Darin sah sich Friedrich Hielscher in seinem Glauben bestätigt, dass „die Geschichte den Glauben des Reiches [bezeugt]“387. Einen eindeutigen Hinweis auf die Reihenfolge in der deutschen Reichsgeschichte gab Moeller van den Bruck in seinem alleine wegen des Titels bekannt gewordenen Werk „Drittes Reich“. Ihm zufolge war der Gedanke des Dritten Reiches „ein alter und großer deutscher Gedanke“388, der seinen Ursprung bereits im Ersten Reiche fand und „mit der Erwartung eines tausendjährigen Reiches verquickt [wurde]“389. Diese mit dem Ersten Reich in der deutschen Seele geweckte Hoffnung auf eine Herrschaft anderer Art – einer Herrschaft, die einen geistigen, mystischen, religiösen Charakter habe – lebe fort im deutschen Volke. Das sei ein politischer Gedanke, „der sich […] auf den Umbruch eines deutschen Zeitalters bezog“390. In diesem Zeitalter sollte das deutsche Volk seine ewige, von Gott, Himmel und Schicksal zugewiesene Aufgabe erledigen. Das war nach der Ansicht Moeller van den Brucks nach die ewige Mission des deutschen Volkes, in der sich die österreichische, preußische und die bismarcksche Aufgabe fortsetze. Dieses Argument ist nicht nur für die Schriften von Arthur Moeller van den Bruck typisch. Aber für ihn gewann es eine ausschlaggebende Bedeutung. Er betonte in seinen Äußerungen die Rolle des Ersten Reiches in der deutschen Geschichte. Nach seinem Zerfall musste Deutschland mit der als Folge davon entstandenen „Kleinstaaterei“ zurechtkommen, um sie im zweiten Reiche mit der Großmachtstellung zu ersetzen. Das erste Reich war für Moeller van den Bruck der Anfang. Die Rolle des Vorbildes spielte aber das zweite Reich. Das gewünschte dritte Reich solle das „neue und letzte“ Reich werden. Im ersten Band seines posthum herausgegebenen Werkes „Das ewige Reich“ war Moeller van den Bruck zunächst skeptisch, was die Bereitschaft der Deutschen 386

Vgl. Moeller van den Bruck: Das ewige Reich. Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 159: „Dreimal hatten sich große kaiserliche Kulturen emporgehoben und den Erdkreis des Abendlandes mit ihrem Imperium umrissen. Aber dreimal brachen diese großen kaiserlichen Kulturen auch wieder zusammen und begruben unter sich alle die schönen Träume von Weltreich und Weltherrschaft. […] Anstatt Europa zu beherrschen, so schien es, hatten wir uns zum Hofnarren Europas gemacht – es war eine Schmach, zu leben!“ 387 Hielscher: Das Reich (wie Anm. 87), S. 228. 388 Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich (wie Anm. 212), S. 6. 389 Ebd. 390 Ebd.

1. Das Reich als historische Mission

93

anging, Europa zu verändern. Der Grund für den Skeptizismus war wieder einmal in der Geschichte zu finden: An seinem „Weltberufe“ sei Deutschland bis jetzt gescheitert. Aber die Geschichte sei gleichsam das Versprechen dafür, dass die Aufgabe doch erledigt werden würde. Und als eine konkrete Figur, die dieses Versprechen in sich trug, nannte Moeller van den Bruck Bismarck: „Dass wir das Ziel einst erreichen werden, dafür ist uns heute Bismarck eine Gewähr und ein Versprechen.“391 Genau Bismarck, der das zweite Reich gegründet hatte, sollte über dieses Werk hinaus noch zum Gründer des dritten Reiches werden. Das zweite Reich der Deutschen lobte Moeller van den Bruck und bezeichnete es als „im wesentlichen geniale Organisation“392. Die Geschichte Preußens stand allgemein im Mittelpunkt der historischen Betrachtungen Moellers und anderer konservativer Revolutionäre.393 Die These von der Kontinuität in der deutschen Geschichte wurde von vielen konservativen Revolutionären ausgesprochen und wiederholt. Und die meisten haben in dieser Chronologie dem zweiten Reiche größere Bedeutung zugewiesen als dem Ersten – dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Bereits Oswald Spengler betonte die Rolle und die Bedeutung des Preußentums. Laut seinem „Untergang des Abendlandes“ waren die Preußen die letzte Nation, die aus der abendländischen Kultur hervorgegangen sei. Die Preußen waren „eine Schöpfung der Hohenzollern, wie die Römer die letzte Schöpfung des antiken Polisgefühls und die Araber die letzte aus einem religiösen consensus gewesen sind“394. Die Preußische Gesellschaft war für ihn eine „Berufsgemeinschaft“395, „ein Lebensgefühl, ein Instinkt, ein Nichtanderskönnen“396. Preuße zu sein bedeute mehr, als in Preußen geboren zu werden, denn nicht jeder in Preußen geborener Mensch sei Preuße. Moeller van den Bruck bestätigte diese Meinung. Als Hauptverdienst des preußischen Reiches bezeichnete er die Kolonisation des europäischen Ostens. Das Modell der preußischen Organisation und Staatsplanung solle als Beispiel dienen und seine Fortsetzung eine große Zukunft erlangen. Preußen sei nicht nur ein Staat, sondern eine „aus dem Raum vorher bestimmte, ordnende Geschichtsform“397. Es sei nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa wichtig, denn „Preußen ist ein neuer Völkergrundsatz in Europa, ist eine Vorwegnahme eines Gesamtzustandes von Europa“398. Dieser Aussage können wir entnehmen, dass Moeller van den Bruck in Preußen ein Modell sah, das nicht nur für Deutschland beispielhaft war, sondern auch für die gesamte europäische Neuordnung. In Bismarcks Vermächtnis sah Moeller van 391

Moeller van den Bruck: Das ewige Reich. Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 38 f. Ebd., S. 116 f. 393 Vgl. Dupeux, Louis: Potsdam der Konservativen Revolution. In: Kroener, Bernhard R. (Hrsg.): Potsdam: Staat, Armee, Residenz in der preussisch-deutschen Militärgeschichte. Frankfurt am Main / Berlin 1993, S. 31 – 36. 394 Spengler: Untergang des Abendlandes. Bd. 2 (wie Anm. 299), S. 219. 395 Spengler: Preußentum und Sozialismus (wie Anm. 263), S. 35. 396 Ebd., S. 30. 397 Moeller van den Bruck: Der preußische Stil. München 1953, S. 7. 398 Ebd. 392

94

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

den Bruck den Atem, die Mission des Reiches. Das dritte Reich solle aber das zweite nicht kopieren: Es müsse seine Errungenschaften als ein Sprungbrett nutzen, um eine perfekte staatliche Struktur zu schaffen. Auch in seinem Programmwerk „Drittes Reich“ schrieb Moeller van den Bruck wörtlich, dass das zweite Reich „nur erst der Übergang zu einem dritten Reiche war“399. Wenn man von der These ausgeht, dass es bereits zwei Reiche in der deutschen Geschichte gegeben hatte, die versuchten, die deutsche Aufgabe zu erfüllen, stellt sich die Frage, warum sie dies nicht geschafft hatten. Moeller van den Bruck ging auch auf diesen Punkt ein. Der Fehler am Ersten Reich sei bereits in dessen Gründung zu suchen: So sei das Reich aus „kulturell wie volklich ungleiche[n], innerlich unverbundene[n] und äußerlich unverbindbare[n] Bestandteile[n]“400 beschaffen gewesen. Er vertrat also die Ansicht, dass schon die grundlegenden Elemente der ersten Reichsgründung nicht komplementär zueinander gewesen seien. So stand sein späterer Untergang bereits am Anfang fest. Darin sah Moeller nicht nur den Fehler, sondern den gesetzmäßigen Gang der Geschichte. Bevor man mit der Mission begann, Europas Herrschaft zu übernehmen, galt es aber, die Aufgabe innerhalb Deutschlands zu erfüllen. Der Lösung dieser Aufgabe sei das ganze 18. Jahrhundert gewidmet worden. Und der endgültige Sieg wurde von Friedrich dem Großen erlangt. Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zur europäischen Herrschaft und zur Erfüllung der preußischen Berufung war der Kampf zwischen Preußen und Österreich. Erst nachdem dieser Kampf gewonnen war, konnte sich Deutschland um Europa kümmern, denn „dann erst war Bahn frei für eine nationale Gesamtbildung, die dieses neue Deutschland zentral in die Mitte von Europa stellen sollte, um selbst gleichbedeutend mit Europa zu werden“401. Nach Moeller van den Brucks Ansicht hatte das deutsche Volk eines in seiner Geschichte gelernt: nämlich, dass man nur durch die vorangehende Erfüllung der nationalen Mission eine übernationale Mission erfüllen könne. Nun, nach all diesen Hindernissen, komme endlich die Zeit der großen deutschen Aufgabe, Europa zu regieren. Und die Ereignisse der Jahre 1862 – 1871 sollten dies besiegeln. Nicht nur die Herrschaftsbestrebungen, sondern auch der „Drang nach Osten“ habe, so Moeller, seinen Ursprung in der deutschen Geschichte, in der Kolonisation durch das deutsche Bauerntum, das dort nach dem freien Boden gesucht hatte. Es wurde aber auch die zweite Kolonisationsrichtung vertreten – nach Süden, was Moeller van den Bruck als „Kulturdrang“ bezeichnete. Der „Drang nach Osten“ habe eine andere Funktion und Bedeutung: Er sei die deutsche historische Mission, den Osten zu erobern und das Dritte Reich zu gründen. Dafür müsse man aber „im Westen den Rücken frei haben“402. Dies sei die nächste Aufgabe des deutschen Volkes. Den Unterschied zwischen dem Deutschland der Weimarer Republik und 399 400 401 402

Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich (wie Anm. 212), S. 243. Moeller van den Bruck: Das ewige Reich. Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 329. Ebd., S. 192. Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich (wie Anm. 212), S. 231.

1. Das Reich als historische Mission

95

dem Deutschland Bismarcks sah Moeller van den Bruck darin, dass das alte Deutschland germanisch gewesen und das neue deutsch geworden sei. Dies sah er aber als Vorteil, denn „das Deutsche ist die geistige Möglichkeit, alles, was wir beginnen, als junges, nicht als altes Volk zu beginnen, voraussetzungsvoll und doch zugleich voraussetzungslos“.403 Der zu den Nationalbolschewisten zählende Ernst Niekisch sah Nachteile des ersten Reiches in seinem römischen und föderalistischen Charakter. Als gebürtiger Preuße lobte er Preußen dafür, dass es das deutsche Volk, das von der Natur aus unpolitisch sei, „politisch“ gemacht hätte. Für die Autoren des „Widerstandes“ war Preußen auch vor allem dadurch wertvoll, dass es einen gelungenen Versuch darstellte, einen deutschen Staat zu gründen, der frei von römischen Einflüssen sei. Gelobt wurde Preußen für den Akt der Staatsbildung: „Nur in Preußen sind die Tiefen des Volkes aufgewühlt, nur hier ,bricht der Sturm los‘; nur hier entflammen Leidenschaften; nur hier fühlt man, dass man sein Eigenstes und Heiligstes zu verteidigen hat.“404

Das zweite Reich enthielt aber auch Nachteile: Das preußische Reich Bismarcks sei richtig in seinen Grundlagen (nordöstlich) und falsch in der Form (föderalistisch) gewesen. Die Lösung für das dritte Reich sei einfach: „Das neue Reich soll nicht einmal mehr ein römisches Reich sein: die Selbstäußerung der deutschen Nation liegt am Ende dieser Entwicklung.“405 Niekisch schrieb, dass der preußische Staat wegen seiner mitteleuropäischen Lage ständig vom Untergang bedroht und „Mängel in den Fundamenten seines staatlichen Daseins“ spürend „rührig“ sei und forderte so eine Hingabe an den Staat, die man kaum leisten konnte.406 Niekisch kritisierte die kleindeutsche Lösung unaufhörlich, weil sie „zu wenig vom Geiste des Reiches“407 enthielt. Dafür sah er wie viele andere Autoren der Konservativen Revolution im sogenannten „Gesetz von Potsdam“ (so bezeichnete er das preußische Lebensprinzip) die einzige Möglichkeit, sich vom Westen abzugrenzen. Preußen sei ein Gegenpol zu Rom, dem Westen, Versailles: „Potsdam gegen Rom und seine Stellvertretungen, Preußen gegen römisches Reich deutscher Nation, Staat gegen Imperium, Osten gegen Abendland: das ist der Sinn der Weltwende, die uns vor Entscheidungen stellt. Potsdam ist ein geistiges und politisches Formprinzip, das sich zum europäischen Osten verhält wie römische Formkraft zur europäischen Mitte. Nur im Rahmen der Ostbewegung ist es gestaltschöpferisch.“408

403

Moeller van den Bruck: Das ewige Reich. Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 328. Niekisch: Widerstand. Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 127), S. 27. 405 Niekisch: Das Dritte Reich. In: Widerstand (1930), Jg. 5, Heft 5, S. 134 – 139, hier S. 139. 406 Vgl. Niekisch: Gedanken über deutsche Politik (wie Anm. 100), S. 11. 407 Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 102), S. 23. 408 Niekisch: Widerstand. Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 127), S. 91. 404

96

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

Preußen wurde vom Widerstand-Kreis mit Russland und dem Bolschewismus in Verbindung gebracht. Den Deutschen warf Niekisch vor, „französischer“ geworden zu sein als Frankreich selbst. Russland war seiner Meinung nach mittlerweile preußischer als die Preußen geworden. Selbst den Untergang Preußens erklärte Niekisch dadurch, dass sein Schwerpunkt nach Westen verschoben worden war, denn „[d]er Geist von Potsdam gedeiht nicht in der abendländischen Luft; er braucht seinen besonderen Dunstkreis“409. Der von Niekisch so sehr gewünschte deutschslawische Block fand seiner Meinung nach bereits in Preußen seinen Ausdruck, denn „Preußen war aus germanisch-slawischer Mischung entstanden.“410 Die konservativen Revolutionäre und vor allem Jung betonten, dass die Reichsidee dem deutschen Volke stets immanent sei. Dies sei auch in der deutschen Geschichte deutlich sichtbar. Die Gründung und der darauf folgende Zerfall des Heiligen Römischen Reiches der Deutschen Nation jedoch verdrängten die Bildung des Nationalgedankens und ersetzten ihn durch die föderative Idee.411 Jung sah in der deutschen Geschichte die Bestätigung ihrer besonderen Rolle für Europa. Er behauptete, dass auch der Unterschied zum Westen bereits im Laufe der deutschen Geschichte klar zu sehen sei. Das Wesen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation etwa habe die „westliche“ Entwicklung Deutschlands von Anfang an unmöglich gemacht und auch Preußen habe einen Beitrag dazu geleistet. Jung war überdies der Überzeugung, dass der Reichsgedanke ein alter deutscher Gedanke sei. Dieser habe auch den Aufbau des vollständigen Nationalstaates auf deutschem Boden verhindert: „Im Unterbewusstsein des Deutschen schlummerte immer noch der Traum vom Reiche; der Nationalstaat war keine gesamt deutsche, sondern eine territoriale Vorstellung.“412 Für Jung hatte Deutschland schon immer die historische Aufgabe gehabt, gewisse Gebiete zu erobern, und der Erste Weltkrieg zeige, wie nötig es sei, diese Aufgabe zu erledigen: „Die Deutschen hatten den Anschauungsunterricht, welchen der Krieg ihnen bot, nicht begriffen; sie hätten sonst eingesehen, warum deutsche Schützengräben flandrischen Boden umzirkten; warum deutsche Soldaten die Donau bis zum Schwarzen Meere, die Adria bis zur griechischen Halbinsel, die Steppen Russlands bis zum Peipussee erkämpfen mussten; warum die Ostsee bis zum hohen Norden ein deutsches Meer werden musste. Es waren vertraute Räume, deren Beherrschung einst Sinn der deutschen Geschichte, im Weltkriege nur militärische Notwendigkeit war.“413

Es sei nicht neu für die Deutschen, für die Werte der abendländischen Zivilisation zu kämpfen. Die Deutschen kolonisierten den Osten, schützten Europa vor den Mongolen und Türken, kämpften um den christlichen Glauben, vergossen ihr Blut auf der Erde anderer Kontinente, um sie im europäischen Namen zu kolonisieren. 409 410 411 412 413

Ebd., S. 90. Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 102), S. 182. Vgl. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 150. Ebd. Ebd., S. 68.

1. Das Reich als historische Mission

97

Deutschland sei das „europäischste“ Land Europas, weil kein anderes Land in seiner Geschichte so viel für den europäischen Kontinent getan habe. Ähnlich wie Moeller van den Bruck und Ernst Niekisch schätzte Jung Preußen sehr hoch. Im Unterschied zu Moeller und ähnlich wie Niekisch kritisierte er Preußen aber auch. Er betrachtete die Eroberung des Ostens als preußische Mission, die aber durch die innerdeutschen Aufgaben vernachlässigt wurde. Dadurch, dass seine Eroberung verschoben wurde, wurde auch die Erfüllung der Reichsmission für eine gewisse Zeit vergessen. Jung konkretisierte auch die östliche Aufgabe Deutschlands. Diese bedeute: „Vordringen des Polentums an der deutschen Ostgrenze“414. Jung stimmte auch Constantin Franz zu, als dieser sagte, dass Preußen „ganz Deutschland aus einem Reiche zu einem Staate“415 machte. Jung behauptete sogar, dass der „Reichsgedanke und europäischer deutscher Gedanke […] so von der preußischen Staatsidee, beeinflusst vom Staatsdenken der französischen Revolution, in ihrem Dasein ernsthaft bedroht [sei]“416. Diese Gefahr sei besonders groß, seitdem der preußische Staatsapparat in der Hauptstadt gewachsen sei und die Verbindung mit dem Reiche fast abgebrochen wurde. Jungs Meinung nach habe Preußen seine Aufgabe im Sinne der kleindeutschen Lösung erfüllt, aber seit dem Jahr 1918 sei die Entwicklung oder „der Weg zum organischen Reiche“417 in die falsche Richtung gegangen. Und die Anwesenheit der preußischen Regierung schwächte seiner Ansicht nach das Reich. Um den aktuellen Bedürfnissen zu entsprechen, solle nicht Preußen das Reich verwalten, sondern umgekehrt das Reich Preußen: „Neues Leben muss erst wachsen und erstarken. Endlich ist die Zwischenstellung des Deutschen Reiches zwischen Westen und Osten zu bedenken. Rein föderative Formen stärken zweifelsfrei die Stellung der Deutschen im Osten. Im Westen dagegen steht der starre Nationalstaat gegen uns. Solange dies der Fall ist, kann das deutsche Volk in seiner Verfassung auf eine so mächtige Klammer, wie sie die preußische Überlieferung darstellt, nicht verzichten. Auch hinsichtlich seiner inneren Gestaltung befindet sich das deutsche Volk in einer Mittellage“418.

Ein weiterer konservativer Revolutionär, der die deutsche Geschichte als eine der wichtigsten Komponenten seiner Argumentationslinie wählte, war Martin Spahn. Dazu trug zweifellos sein Beruf als Historiker bei und aus historischer Sicht begründete er die Mitteleuropaidee. Er brachte seine Mitteleuropapläne mit der Figur Bismarcks in Verbindung und behauptete, dass Bismarcks Politik schon auf ein geeintes Mitteleuropa gerichtet gewesen sei:419 „Dabei fällt das Wort Mitteleuropa 414

Ebd., S. 358. Ebd. 416 Ebd., S. 359. 417 Ebd. 418 Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 359. 419 Vgl. Clemens: Martin Spahn (wie Anm. 21), S. 16 f. Clemens betont die Tatsache, dass Spahn die Ideen von Mitteleuropa und Volkstum und die sich erst in die Zwischenkriegszeit entwickelten geopolitischen Konzepte wie „Raum“ auf Bismarcks Rhetorik übertrug, was nicht der Realität entsprach: „In den zwanziger und dreißiger Jahren war der ,nationale Bismarck‘ für 415

98

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

niemals, nur mit der Sicherheit seines staatsmännischen Instinkts greift Bismarck über den Raum hinweg. …. Hamburg, Triest und Danzig sah sein Auge zusammen.“420 Wie seine Vorgänger verstand Spahn die Eroberung des Ostens als eine sich durch den ganzen Verlauf der deutschen Geschichte erstreckende Tendenz: „Die deutsche Geschichte hat zum Sinn die Erwanderung der Gebiete östlich der Elbe und an der Donau, auch wohl noch der großen Landbrücke, die die Natur von der Ostsee bis zum Schwarzen Meere hinüber geschlagen hat. Die deutsche Arbeitsamkeit und der deutsche Pflug sollten die weiten Landschaften auf die ihnen zukommende Höhe der Kultur erheben, aus ihnen herausholen, was an Wirtschaftlichkeit in ihnen steckt. Ostmitteleuropa beherrscht, wer es zu besiedeln vermag.“421

Die Positionen der Autoren der „Europäischen Revue“ diesbezüglich waren nicht immer eindeutig. Max Clauß schien im Gegensatz zu den anderen Ideologen der Konservativen Revolution keine Begeisterung für Bismarck zu hegen. Seiner Meinung nach war das von ihm gegründete Reich gar kein gelungener Staat, der die deutsche Frage gelöst hätte. Die deutsche Frage sei in der ganzen Geschichte nur einmal wirklich gelöst worden: „[…] am 4. August 1914“422. Zwei Jahre später zeigte er dem preußischen Herr gegenüber mehr Respekt: Das Reich Bismarcks enthielt zwar nicht alle deutschen Gebiete, sei aber trotzdem die beste staatliche Organisation der Deutschen in der Geschichte gewesen.423 Ihm stimmte Rohan, der österreichische Herausgeber der „Europäischen Revue“, zu. Er sah in der deutschen Tradition „die einzige in Europa […], aus der eine unser Freiheitsbedürfnis befriedigende Gestaltung der modernsten Probleme von Staat und Wirtschaft, Einzelnem und Masse, nationaler Minderheit und Staat, die sich ganz Europa stellen, entwickelt werden kann“424. Die Autoren der „Europäischen Revue“ nutzten auch die deutsche Geschichte im Osten als Begründung für das besondere Interesse der Deutschen in dieser Region aus: „Deutschlands Gesicht ist nicht erst heute gen Osten gewendet, sein Interesse nicht erst seit gestern auf die Welträume der Zukunft, die dort liegen, gerichtet. Seit beiläufig achthundert Jahren drängen und treiben deutsche Menschen immer wieder dahin, den Bann einseitig westlichen Denkens und Strebens, der auf unserer Überlieferung liegt, zu brechen und ,gen Ostland‘ zu reiten. […] In Opposition zur landläufigen Politik des alten Heiligen Römischdeutschen Reiches entstand die deutsche Kolonisation im Osten, wurde Österreich geschaffen und Preußen gefestigt.“425 Spahn daher gleichbedeutend mit einem Vorkämpfer des auf dem Mythos von Volk und Raum beruhenden dritten Reiches“. 420 Spahn: Volk im Raum III. Stadt 1927, S. 95, 97. Zit. nach: Clemens: Martin Spahn (wie Anm. 21), S. 16. 421 Spahn: Der Kampf um den Boden in Ostmitteleuropa. Bauerntum im Donauraum. In: Spahn: Für den Reichsgedanken (wie Anm. 59), S. 109. 422 Clauß: Deutsche politische Welt (wie Anm. 260), S. 315. 423 Vgl. Clauß: Deutschland und Frankreich (wie Anm. 284), S. 157. 424 Rohan: Westeuropa (wie Anm. 259), S. 317. 425 Eckardt: Deutschland und der Osten (wie Anm. 261), S. 174.

2. Warum die Deutschen?

99

Giselher Wirsing war eine Ausnahme unter den konservativen Revolutionären, da er die kleindeutsche Lösung von Bismarck als positiv empfand. Aus seiner Sicht war es die Entscheidung des Reiches zugunsten des Ostens, da Österreich für Wirsing Symbol des Westens war. Auch der Frieden in Europa sollte solange dauern, wie diese Verbindung mit dem Osten hielt. Zu den anderen Ausnahmen gehörten meistens Theoretiker der religiös geprägten Reichsidee, die bereits in die Zeit der Reichsgründung zu den Gegnern von Bismarck gehörten und mit der Habsburgischen Monarchie eigentlich zufriedener waren. Für Wilhelm Stapel zum Beispiel hatte das Reich Bismarcks nicht die Bedeutung des mittelalterlichen Reiches, es hatte nicht seinen „metaphysischen Glanz.“426 Das Reich Bismarcks sei „freilich nicht das Reich, das unsere Väter erträumt hätten“427. Das läge an der Unvollkommenheit der kleindeutschen Lösung, die viele Deutsche von diesem Reich ausschloss. Das Ziel des deutschen Staates solle aber darin bestehen, „dem ganzen deutschen Volke ein Haus zu bauen, in dem es freudig wohnen könnte“428. Das Reich Bismarcks sei aber auch nicht etwas komplett anderes: „Das Bismarck-Reich hat nicht die alte Würde, aber die alte Würde schimmert durch diesen Staat hindurch.“429 Die historische Begründung war eines der wichtigsten Elemente in der konservativ-revolutionären Argumentationslinie. Die Hochschätzung der deutschen Geschichte und insbesondere der deutschen Reichstradition war ein wichtiger Bestandteil der konservativ-revolutionären Schriften. Die Folge davon war der apologetische Charakter, den die konservativ-revolutionäre Europa-Konzeption erhielt. Damit schafften es Moeller van den Bruck, Jung, Niekisch und die anderen, den Eindruck zu vermitteln, dass die deutsche Herrschaft in Europa dem Gang der Weltgeschichte entspreche und nicht zu vermeiden sei.

2. Warum die Deutschen? Die Neuordnung Europas als deutsche Mission Die „geschichtswissenschaftlichen“ Argumente der Konservativen Revolution waren nicht unumstritten, aber zumindest nachvollziehbar. Es wurden jedoch auch andere Begründungen vorgebracht, auf die sich die von uns in Betracht gezogenen Autoren stützten, um ihre Europavorstellungen und die Rolle Deutschlands zu rechtfertigen. Eines der in der Diskussion oft vorgebrachten Argumente war die Idee der deutschen Mission in Europa. Diese Vorstellung, die besagte, dass das deutsche Volk eine Berufung habe, Europa unter seiner Herrschaft zu vereinigen, fußte ei426

Stapel: Das Reich. In: Deutsches Volkstum (1933), S. 181 – 188, hier S. 186. Stapel: Der politische Schwindel. In: Deutsches Volkstum (1919), Jg. 21, Heft 9, S. 261 – 266, hier S. 261. 428 Ebd., S. 266. 429 Stapel: Das Reich. Ein Schlusswort. In: Deutsches Volkstum (1933), S. 181 – 188, hier S. 187. 427

100

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

gentlich auf keiner rationalen Grundlage. Ihre überdurchschnittlich häufige Erwähnung dient deswegen als eindeutiger Hinweis auf den irrationalen Charakter der konservativ-revolutionären Bewegung. Die Vorstellung von der Mission Deutschland war getragen von der Idee, das deutsche Volk sei das einzige, das dazu fähig sei, die europäische Lage zum Positiven zu wenden. Sonst müsse es zusammen mit ganz Europa untergehen, überzeugte Moeller van den Bruck seine Leser. Das deutsche Volk habe einen „weltgeschichtlichen Beruf“430, der ihn dazu bewegte, „in dem Zeitalter der Weltteile Europa vor den großen Blut- und Geist-, Staats- und Stilgegensätzen der Erde [zu] vertreten“431. Die Erklärung dafür war oft von Haus aus mystisch und bedurfte keiner Beweise: Das deutsche Volk habe bloß eine Mission: Europa zu leiten und durch diese Leitung zu retten. Oft beschäftigten sich aber die konservativen Revolutionäre doch damit, Beweise für die Sonderstellung des deutschen Volkes zu suchen. Als Ergebnis wurden meist besondere Eigenschaften des deutschen Volkes vorgebracht. Die Deutschen wurden bereits von Spengler als „die letzte Nation des Abendlandes“ verstanden. Daher wies er ihnen eine dieser Position entsprechende Aufgabe zu. Sie sollten also „alle Fragen des Lebens, nämlich des apollinischen, magischen, faustischen Lebens zu Ende [denken]“432 und an der Spitze dieses neuen „Zivilisationsgebäudes“ stehen. Nur der Kampf um die Ideen gehöre nicht mehr zu den Aufgaben der „letzten Nation“. Auch Moeller van den Bruck entwickelte die Theorie von der deutschen Mission. Die Aufgabe Deutschlands nach dem Krieg sei direkt mit seiner geographischen Mittellage verbunden. Das hieß wörtlich, „Mitte zu halten, Gleichgewicht zu geben, Gleichgewicht in jeder Beziehung zwischen Menschlichkeit und Bewusstsein, Volklichkeit und Europäertum, Überlieferung und Entwicklung, Alter und Jugend, Westen und Osten“433. Das deutsche Volk sei besonders für die europäische Mission geeignet, weil es Osten und Westen in sich und seinem Einflussbereich vereinige und damit einen Kompromiss zwischen „de[m] verschwendenden Schöpfertum […] mit jener bewussten vorausschauenden und zusammenfassenden Staatlichkeit“434 schaffen könne. Was wäre sonst am deutschen Volke so besonders, dass es am meisten die Weltherrschaft verdient hätte? Die Deutschen seien ein junges Volk, das heißt ein Volk der Zukunft. Noch ein Grund sei die Demographie: das Bevölkerungswachstum der Deutschen und ihre „gesteigerte Leistungsfähigkeit“435. Es gab aber auch viele Argumente geistiger Natur. Die Fähigkeit der Deutschen, diese wichtige Aufgabe zu erfüllen, erklärte sich durch ihre „besondere Geistigkeit“: 430 431 432 433 434 435

Moeller van den Bruck: Das ewige Reich. Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 20. Ebd. Spengler: Untergang des Abendlandes, Bd. 2 (wie Anm. 299), S. 129. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 65 f. Moeller van den Bruck: Der preußische Stil (wie Anm. 397), S. 11. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 7.

2. Warum die Deutschen?

101

„[die] metaphysische […] Überzeugung von Absolutheiten in der Welt, [die] dualistische Erkenntniskraft, nach wie vor zwischen dem Bereiche des Materiellen und dem des Spirituellen zu unterscheiden, [die] angeborene Ethik, die sich gegen die labile Moral und relativistische Skepsis des Westens, gegen Sensibilität, Intuition und Einfühlung zu behaupten vermag.“436

Das deutsche Denken solle die philosophischen Schulen von Hegel und Marx, Schopenhauer und Nietzsche und die westliche Geisteswelt verarbeiten und in seine eigene Philosophie einbeziehen. Und als Produkt der geistigen Tätigkeit des deutschen Volkes solle ein neues Denken entstehen und jedem Denker seinen verdienten Platz zuweisen. Die Aufgaben aller jungen Völker hätten europäische Ausmaße. Das Schicksal der Deutschen wie aller jungen Völker sei eine deutsche und eine europäische Angelegenheit zugleich.437 Laut Moeller habe das deutsche Volk eine ganz spezielle Aufgabe, die „ihm [von] keiner [der] alten Nationen abgenommen werden kann“438. In seinem bekanntesten Werk, „Das Dritte Reich“, rechtfertigte Moeller van den Bruck den deutschen Nationalismus dadurch, dass er „das Deutsche […] erhalten [will], [nicht] weil es deutsch ist“439, sondern „er will das Deutsche vielmehr im Werdenden, im um uns Entstehenden, in den revolutionären Umschichtungsvorgängen des heraussteigenden Zeitalters erhalten“440. Dieser Standpunkt half Moeller die „aktive Teilnahme“ der Deutschen am Schicksal der östlichen Völker zu rechtfertigen, denn „der Osten kann sich nicht selbst erschließen“441. Nach Moellers Überzeugung konnten die Probleme des Ostens „durch die Intensivierung der Arbeit“442 gelöst werden. Dies sei im landwirtschaftlichen Bereich gut sichtbar: Die extensiven Methoden der Landwirtschaft könnten die Probleme nur kurzfristig lösen. Man brauche eine komplett neue Arbeitsweise. Das könne nur von außen geschehen – Moeller traute den jungen östlichen Völkern nicht zu, dies eigenständig zu erledigen. Von außen heißt mithilfe Deutschlands. Deutschland habe seine Vorteile dabei, „indem [es] Volk auf Volk in den mächtigen Vorgang einbezieht, der nach und nach das ganze europäische Leben erfasst, langsam nach Osten vorzudringen“443. Die deutsche Nation würde aber nie nach der Erfüllung seiner nationalen Aufgabe nur dabei bleiben können, es würde immer seinen höheren Zweck, auch über Mitteleuropa hinaus, erfüllen wollen. Laut Moeller van den Brucks Aussagen sei „der deutsche Nationalismus […] Streiter für das Endreich“. Diese Aufgabe war „immer verheißen“, könne aber „niemals erfüllt“ werden: „Es ist das Vollkommene, das nur 436 437 438 439 440 441 442 443

Ebd. Vgl. ebd. Ebd., S. 8. Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich (wie Anm. 212), S. 231. Ebd. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 103. Ebd. Ebd.

102

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

im Unvollkommenen erreicht wird“444. Diese Aufgabe sei „die besondere Verheißung des deutschen Volkes“445 und auch der Grund, weshalb alle anderen Völker Deutschland Steine in den Weg legten: Sie hätten das „materielle“ Reich der Deutschen vernichtet und jeder von ihnen wünschte sich sein eigenes Reich zu schaffen.446 Das Schicksal sollte es Deutschland mit seiner europäischen Aufgabe auch in Zukunft nicht einfach machen. Sogar mehr – Deutschland würde an seiner Mission zu Grunde gehen, wie jedes andere Volk an der seinigen untergehe. Das solle aber nicht passieren, bevor die Aufgabe erfüllt würde.447 Diese Thesen Moeller van den Brucks unterstützten seine Mitstreiter Edgar Julius Jung und Giselher Wirsing. Wirsings Hauptwerk „Zwischeneuropa“ fing damit an, dass der Autor klarstellte: „Das deutsche Raumschicksal, Europas Mitte und Herz zu sein, ist der Angelpunkt der politischen Existenz unseres Volkes“448. Edgar Julius Jung wiederholte die Thesen Moeller van den Brucks über die Mittellage Deutschlands und seinen besonderen Geist als Grundlage der deutschen Mission. Seine Vorstellung davon war sehr bildhaft: „Die Revolution des Geistes hat eingesetzt; geistiger Aufschwung, seelische Neubelebung drängen empor. Ein frischer, Gott und der Natur verbundener Odem weht durch die Wüste deutschen Lebens. Ein geheimnisvoller Kraftstrom fließt durch den europäischen Raum und erfüllt alle, die deutschen Blutes sind, mit einem neuen Gefühle der Zusammengehörigkeit.“449

Diese Erklärung ist typisch für die konservativen Revolutionäre. Ihre mystische, auf die geistige Natur der Deutschen hinweisende Begründung entbehrte jeglicher rationalen Erklärung. Die Idee der deutschen Sendung in Europa diente als Leitmotiv für die von Jung verfasste Programmschrift „Herrschaft der Minderwertigen“. Genau wie Moeller arbeitete Jung die Theorie aus, die besagte, dass jedes Volk eine Aufgabe zu erfüllen habe. Und es gebe keinen besseren Grund für Patriotismus als die Anerkennung dieser Mission.450 Und die Berufung des deutschen Volkes sei die höchste und die wichtigste unter den Völkern. Sie solle das Gesicht Europas verändern: „Mit und durch Deutschland geschieht die Einwirkung auf das europäische Schicksal. Und umgekehrt gibt es keinen stärkeren Antrieb zur Liebe zum eigenen Volke als die Überzeugung, dass es berufen sei, eine allgemeine Umkehr zu neuen Werten, eine neue europäische Ordnung herauszuführen“451. Die Besonderheit des deutschen Volkes wurde auch von Jung durch seine geographische Lage in der Mitte Europas betont: „Zahlreiche Hinzumischungen anderen Rassegutes, bedingt durch die eu444 445 446 447 448 449 450 451

Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich (wie Anm. 212), S. 244. Ebd., S. 245. Vgl. ebd. Vgl. Moeller van den Bruck: Das ewige Reich. Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 40. Wirsing: Zwischeneuropa (wie Anm. 25), S. 1. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 8. Vgl. ebd., S. 92 f. Jung: Deutsch und europäisch (wie Anm. 160), S. 102.

2. Warum die Deutschen?

103

ropäische Mittellage, vollendeten die Mannigfaltigkeit deutscher Seelenart. Das Land, das die Deutschen bewohnten, hatte ebensowenig feste Grenzen wie die deutsche Innenwelt.“452 Dieses und andere Argumente dienten dazu, dass die Deutschen als ein besonderes Volk angesehen wurden. Es gab auch eine sehr einfache Begründung: die Größe des deutschen Reiches. Es war der größte Staat Europas. Wenn es bereits einen Kern gegeben hätte, um den herum man das neue Europa aufbauen könne, würde die gesamte Aufgabe der Integration für die Völker Europas einfacher. Und das größte Element des mitteleuropäischen Raumes sei „das rumpfdeutsche Reich“. Darin bestehe „Pflicht und Recht der Deutschen zur Führung bei einer europäischen Neubildung“453. Außerdem sei die Sprache des mitteleuropäischen Raumes Deutsch, die Deutschen dominierten in der Wirtschaft, brachten den anderen Völkern die geeigneten Wirtschaftsformen bei, fast alle Straßen und Wege von einem Teil Europas zu einem anderen führten über das Territorium Deutschlands. Edgar Julius Jung hatte keinen Zweifel, dass die deutsche Aufgabe ganz Europa verändern würde. Das hing damit zusammen, dass in Deutschland eine Revolution stattfinden sollte, die sich mit Sicherheit weiter verbreiten würde: „Jede echte Revolution ist Weltrevolution. Soll die deutsche zu solcher Höhe emporwachsen, dann muss eine deutschgeborene Idee den geplagten und zersplitterten Erdteil erlösen. […] Wir können uns nie bei der nationalstaatlichen Vollendung beruhigen, die ja bei der Beschaffenheit unseres Siedlungsraumes auch unmöglich wäre. Wir müssen uns bei allen geschichtlichen Handlungen in den europäischen Raum hineindenken, in unseren natürlichen geographischen Bezirk. Unsere mittlere Lage im Erdteil gibt uns den politischen Auftrag, ausgleichend und völkerverbindend zu wirken. Wir sind der gegeben[e] Garant für Frieden und Sicherheit der europäischen Mitte.“454

Außerdem sei Deutschland das Land in Europa, das nach Russland besonders dazu fähig wäre, ein sozialistisches System zu etablieren, und zwar den Sozialismus ohne Bolschewismus. So könnte Deutschland „Bollwerk Europas vor der Bolschewisierung“455 sein. Auch Wilhelm Stapel beantwortete die Frage, warum ausgerechnet die Deutschen die Probleme Europas durch ihre Führung lösen sollten und was ihre historische Rolle bedeutete. Die deutsche Berufung bestehe aus der Aufgabe und Begnadung. Und wenn sich die Frage nach der Berufung stelle, so sei die Antwort darauf, dass es „sowohl um die äußere Aufgabe wie um die innere Berufung aus der Begnadung“456 gehe. Was müsste ein Volk besitzen, um die Leitung über Europa übernehmen zu können? Es solle „sowohl geographisch wie ihrer Idee nach in sich abgeschlossen [sein]“457. Dazu würde hypothetisch auch Frankreich passen. Aber Frankreich habe 452 453 454 455 456 457

Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 91. Ebd., S. 648. Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 76. Ebd., S. 120 f. Stapel: Der christliche Staatsmann (wie Anm. 96), S. 253. Ebd.

104

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

sich zu sehr auf die Kolonien konzentriert und Europa zum Teil vergessen, was es für die Führungsrolle auf dem europäischen Kontinent unpassend mache. Die Deutschen hätten diese Sünde nicht begangen, deswegen dürften sie die Herrschaft über Europa übernehmen. Ein anderer Grund sei die deutsche Kultur, die eine alte Geschichte und eine welthistorische Bedeutung habe und die nicht den Zwecken der Staatsbildung, sondern der Reichsbildung entsprechende Sittlichkeit. Die Deutschen seien besonders dazu geeignet, die anderen Völker zu regieren: „Der Grund, warum das Reich auf die Deutschen überging, war ihre Kampfkraft und ihre Fähigkeit, gerecht zu urteilen.“458 Das Reichsvolk könne nur dasjenige sein, das sich nicht um die eigenen Interessen kümmert, sondern an das Gemeinwohl denkt. Reich sei nicht das Gleiche wie ein Imperium, es sei „nicht politische und wirtschaftliche Welteroberung“459, sondern „eine Verantwortung und eine geistige Haltung.“460 Das heiße für die anderen: „Reichsvolk sein heisst, einen Horizont über die eigene Nation hinaus haben, die andern nicht vernichten, sondern die eigene Macht benutzen, den andern ihr Recht zu geben“461. Man solle aber nicht erwarten, dass die anderen Völker die besondere Stellung der Deutschen einfach so anerkennen, man solle handeln: „Der Rang des deutschen Volkes wird von den anderen Völkern erst anerkannt, wenn es „das Reich“ geschaffen hat.“462 Die Prinzipien und Motive von Stapel sind leichter zu verfolgen, wenn man sich eine andere Aussage aus „Der christliche Staatsmann“ in Erinnerung ruft: „Denn wir sind nicht andern „gleich“, sondern wir sind ,Deutsche‘.“463 In der „Europäischen Revue“ verwendete man die gleiche Argumentation wie in den anderen von uns in Betracht gezogenen Schriften. Laut Lindeiner-Wildausei war „Deutschlands Stellung in Mitteleuropa […] seit zwei Jahrtausenden unser Schicksal und unsere Aufgabe gewesen. Um den deutschen Lebensraum haben die Wogen der sturmbewegten Geschichte unseres Erdteils gebrandet“464. Die deutsche Nation sei auch bereit, diese Mission zu erfüllen, wenn man ihr die Bedingungen zu Verfügung stellen würde, die dazu beitrügen. Auch Karl Anton Rohan rief Politiker dazu auf, ein deutsches Europaprogramm zustande zu bringen, denn es komme jetzt die Zeit, die Verantwortung zu übernehmen, die „der deutsche Mensch zu allen Zeiten für das Abendland empfunden und getragen hat“465.

458

Stapel: Das Reich. Ein Schlusswort (wie Anm. 429), S. 183. Ebd., S. 188. 460 Ebd. 461 Ebd. 462 Ebd. 463 Stapel: Der christliche Staatsmann (wie Anm. 96), S. 256. 464 Lindeiner-Wildau, H. E. v.: Deutschland in Mitteleuropa. In: Europäische Revue, Jg. 4, Heft 9, Dez. 1928, S. 656 – 663, hier S. 662 f. 465 Rohan: Abrüstung – Friede – Europa. In: Europäische Revue, Jg. 4, Heft 29, Mai 1928, S. 150 – 152, hier S. 152. 459

3. Deutschland als Land der Mitte

105

3. Deutschland als Land der Mitte Wie bereits erwähnt, war das ganz Besondere am deutschen Volke aus der Sicht der meisten konservativen Revolutionäre seine Lage in der Mitte Europas. Dieses Argument wurde in vielen konservativ-revolutionären Schriften zur Hauptbegründung dafür, dass Deutschland in Europa eine besondere Rolle spielen sollte. Moeller van den Bruck war einer der Autoren, die einen besonderen Wert auf dieses Argument legten. Deutschland sei nicht nur das Land der europäischen Mitte, es sei das Land in der Mitte zwischen Ost und West. Aus Moellers Sicht lag Deutschland nicht nur geographisch zum Teil im Westen, sondern auch geistlich. Manche westliche Ideen fänden in der deutschen Gesellschaft Anklang. Es gebe auch deutsche Menschen, die zum Kreis der alten Völker gehörten. In diesem System der Ost-West–Teilung habe Deutschland seine wichtige Rolle inne, die sich durch die Lage zwischen Westen und Osten entwickelt hatte. Es sei ein Land, das beides verband, „ein altes Land mit einem jungen Volke“466. Es sei noch nicht westlich genug, um unterzugehen, aber gleichzeitig nicht östlich genug, um für die großen Taten nicht bereit zu sein. Deutschland bedeute den Ausgleich für Europa, „die Kraft des Gleichgewichtes“467. An dieser Lage zwischen Westen und Osten sah Moeller van den Bruck Vorteile sowohl für Deutschland selbst als auch für den gesamten europäischen Kontinent, weil diese Lage Deutschland die Macht gebe, gegen England zu kämpfen. Die „westlichen“ Länder wie Spanien, Portugal, Frankreich usw. hätten diese Chance nicht, weil sie nicht den Vorteil hätten, einen Anteil der östlichen Kräfte in sich zu vereinen. Es wurde von Moeller ebenfalls betont, dass diese Ost-West-Trennung in Deutschland auch geographisch nachvollzogen werden könne: „[A]n der Nordsee und am Rhein“468 kämpfte man auf westlicher Seite und dem „mächtigen Binnenlande, jenem weiten Bereiche, der sich als geschlossenes Landmassiv und einheitlicher Verkehrskomplex weit in den Osten erstreckt“469, solle man die Nähe zum Osten verdanken. Diese Lage bestimme auch Deutschlands Ziele in der Weltpolitik. Natürlich klingt das etwas abstrakt als politisches Ziel, aber konkrete Argumente und Zielsetzungen sind genau das, was man in den Schriften Moeller van den Brucks (sowie in den Werken anderer konservativer Revolutionäre) vergeblich sucht. Moeller van den Bruck behauptete, dass der Erste Weltkrieg genau der Punkt gewesen sei, an dem das deutsche Volk die Möglichkeit bekam zu erfahren, was es bedeutete und welche Konsequenzen es nach sich zog, das Volk der Mitte zu sein. Die politische Lage, in die Deutschland durch den Krieg gekommen sei, habe das Volk in die kritische Situation gebracht, in der es jetzt selbst „zur Gefahr wer-

466 467 468 469

Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 101. Ebd. Moeller van den Bruck: Rechenschaft über Russland (wie Anm. 225), S. 135. Ebd.

106

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

den“470 musste. Um die im Großen und Ganzen vorteilhafte Lage Deutschlands ausnutzen zu können, müsste Deutschland jedoch viele Probleme lösen. Dies sei nötig, weil die Deutschen „als Volk der europäischen Mitte überall an Grenzen [stoßen], sobald [sie sich] zu neuer Ordnung und neuem Einsatz in unserem Raume bewegen“471. Eine „logische“ Lösung für die mit dieser Lage verbundenen Probleme war für Moeller, die gesamte europäische Mitte unter deutsche Kontrolle zu bringen.472 Edgar Julius Jung hielt sich an die gleiche Linie. Er gehörte zu denjenigen, die die Zukunft Deutschlands nicht im Osten, sondern genau in der Mitte sahen. Die Aufgabe des deutschen Volkes sollte nicht die Wahl zwischen Osten und Westen sein, sondern die Verbindung aus beidem: „Die uralte Lehre der deutschen Geschichte wird neu entdeckt, dass das Großvolk der europäischen Mitte zwischen Westen und Osten zu binden und nicht zu sprengen hat. Es gibt keine Entscheidung für den Westen oder den Osten, es gibt für uns nur die Überbrückung. Der Nationalismus ist keine völkische Lebensform für die Deutschen, weil sein Gesicht von der Grenze nach innen gewendet ist, während das Gesicht des deutschen Volkes naturgemäß an allen Grenzen nach außen gewendet werden soll. Dass dieser Aufgabe nur ein Volk gewachsen ist, das völkisch wach ist, bedarf keiner Begründung mehr.“473

Jung glaubte auch nicht, dass die deutsche Revolution als Annährung an den Osten betrachtet werden sollte. Seiner Meinung nach waren diejenigen, die dies predigten, Einzelerscheinungen. Der Realität entspreche dies nicht.474 Die Deutschen seien die einzigen, die Ost und West durch ihre Mittellage vereinigen könnten, denn „[d]er Mittelkraft der Seele entspricht nur die Mittellage der Deutschen in Europa. Ihnen obliegt der Ausgleich zwischen West und Ost“475. Das deutsche Volk sei außerdem für die europäische Führung geeignet, weil es überall verbreitet war und am meisten daran litt, dass die Grenzen der europäischen Staaten nicht den Volksgrenzen entsprachen. Bis jetzt habe das deutsche Volk Fehler auf diesem Weg gemacht. Es sei seiner Mittelstellung untreu geworden, es sei westlich geworden. Dies liege daran, dass die Aufgabe der Deutschen seiner Meinung nach nie verstanden worden sei, weil sie als Volk nicht westlich waren und deswegen als rückständig angesehen wurden. Das führte auch dazu, dass die Deutschen selbst immer nach einem Muster bei den anderen Völkern suchten und individualistischer als Frankreich und amerikanischer als Amerika geworden seien. Jung glaubte aber daran, dass dieser Fehler noch korrigiert werden könnte. Deutschland wie Europa stehe zwischen Osten und Westen und die gleichmäßige Vereinigung dieser beiden Teile sei seine Rettung: 470 Moeller van den Bruck: Der politische Mensch. Hrsg. von Hans Schwarz. Breslau 1933, S. 124. 471 Moeller van den Bruck: Sozialismus und Außenpolitik (wie Anm. 66), S. 6. 472 Vgl. Moeller van den Bruck: Das ewige Reich, Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 36. 473 Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 26. 474 Vgl. Jung: Deutschland ohne Europa (wie Anm. 68), S. 75. 475 Jung: Deutsch und europäisch (wie Anm. 160), S. 100.

3. Deutschland als Land der Mitte

107

„Unvermittelt stehen sich heute die entfesselten Urkräfte des Ostens und die unlebendige mechanische Zivilisation des Westens gegenüber. Der Sinn des Abendlandes, das Christentum in seiner ureigenen zeitlosen Reinheit, ist deshalb bedroht. Europa ist ein absterbender Körper geworden, weil sein Herz nur schwach und unregelmäßig schlägt. Bleiben die Deutschen westlich, d. h. verstandesbeherrscht, so gibt es keinen abendländischen Geist, kein Europa mehr. Die Rückbesinnung der Deutschen auf ihr eigenstes Wesen entscheidet sonach das Schicksal der „Alten Welt“. Heute geht es um die Rückkehr aus der Einseitigkeit in die innere Ausgeglichenheit der deutschen Seele.“476

Ernst Niekisch kritisierte die in Deutschland Anklang findenden Pläne der Europavereinigung. Die Urheber dieser Pläne wollten Niekischs Meinung nach keine Vorteile aus Deutschlands Mittellage ziehen, sondern unterstützten diese Ideen aus Angst: „Das wirkliche Alltagsdasein sucht, so könnte man sagen, auf eine entgegengesetzte und viel dringlichere Weise der nagenden Besorgnisse vor den Auswirkungen der Mittellage Herr zu werden. Die universalistische Konstruktion hebt gedanklich diese folgeschwere Mittellage kurzerhand auf; die Mittellage würde in dem gleichen Augenblick den Charakter eines verhängnisvollen Schicksals verlieren, in dem die ,Vereinigten Staaten von Europa‘ oder ein ,freier Bund der Völker‘ oder gar die ,Organisation der Menschheit‘ schlechthin entstünde. Das Alltagsdasein dagegen stellt das Auge förmlich so ein, dass es gar nicht bis zum Herde dieser Beunruhigung, der Tatsächlichkeit dieser Mittellage und der Einsicht in die Schicksalsabhängigkeit von ihr, vordringt; es will diese aufregenden Zusammenhänge überhaupt nicht sehen; es verspricht sich Erfolg davon, gleich dem Vogel Strauß den Kopf in den Sand zu stecken; es will der Gefahr entgehen, indem es sie jenseits seines Gesichtskreises hält.“477

Trotzdem neigte er zur Ost-West-These in Bezug auf die aktuelle außenpolitische Lage Deutschlands. Auch Ernst Niekisch betonte, dass Osten und Westen viel mehr metaphysische als nur geographische Begriffe seien. Jedes Volk trüge in sich ein bisschen „Westen“, dafür aber auch ein bisschen „Osten“. Deswegen war auch Niekisch der Meinung, dass Deutschland „zwischen östlicher und westlicher Geistigkeit“478 stehe. Die östliche Geistigkeit bedeute „mystisch, gläubig, vorbehaltlos autoritätsfromm“479 zu sein, während die westliche als „individualistisch, rationalistisch, diesseitsbefangen“480 bezeichnet wurde. Deutschland erscheine aus der Sicht des Westens östlich und aus der Sicht des Ostens westlich: „[A]ls ein Stecken-geblieben-sein auf dem Wege zum Westen steht es vor westlerischen Augen. Vor dem Blicke der östlichen Geistigkeit aber nimmt es sich aus als ein Abfall und eine Treulosigkeit“481. In einer seiner früheren Schriften, „Gedanken über die deutsche Politik“ war sich Niekisch noch nicht sicher, ob die Entscheidung zwischen 476 477 478 479 480 481

Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 92. Niekisch: Gedanken über deutsche Politik (wie Anm. 100), S. 27. Ebd., S. 28. Ebd. Ebd. Ebd.

108

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

Osten und Westen von Deutschland überhaupt getroffen werden sollte und ob es nicht in der deutschen Natur liege, dazwischen zu bleiben, „wie politisch zwischen Ost und West, zwischen England und Russland, so auch geistig zwischen den angelegten Entfaltungsrichtungen sich ,freie Hand‘ vorzubehalten“482. Diese Einstellung änderte sich aber bald, denn Niekisch bestand in seiner später entstandenen Schrift „Entscheidung“ darauf, dass das deutsche Volk so schnell wie möglich seinen inneren „Westen“ vernichten solle, weil im Westen der Tod Deutschlands liege. Alles, was an Deutschland westlich sei, müsse ausgerottet werden. Die „deutsche Umkehr und Richtungsänderung“ hieß für Niekisch, „dass Deutschlands Schwergewichtspunkt vom Westen nach Osten wandert, dass er aus ,Europa‘ hinausverlegt wird“483. Für ihn bedeutete die Richtungsänderung Deutschlands von Westen nach Osten in der praktischen Hinsicht zunächst „die Ablösung des städtischen Wertsystems durch das ländliche“484. Im globalen Sinne bedeutete das aber, dass Deutschland auf die Entwicklung in Richtung Zivilisation verzichten solle (ob das Zivilisation im Sinne von Oswald Spengler ist, ist fraglich). Was sollte aber stattdessen kommen? Die Antwort war wie immer nicht konkret: „das organisch-irrationale, germanisch-slawische Ordnungsprinzip“485 mit dem deutlich ausgeprägten autoritären Charakter, das die zivilisatorische Ordnung ersetzen würde. In der Hinwendung zum Osten sah Niekisch nicht nur die Rettung für Deutschland, sondern auch die zukünftige Gefahr für den Westen, weil diese Richtungsänderung das gesamte Weltbild ändern sollte. Im Osten schien Deutschland alles bekommen zu können: „Nach Osten wandert der Germane als Gebender und Gebietender, hier gewinnt er Selbstgefühl und Selbstzuversicht; hier wird er herrschend zum Herrn. Hier erwartet ihn seine Sendung, der er sich um so mehr entfremdet, je weiter er nach Westen dringt. Keine Mammutstadt verschlingt ihn dort; der Raum bietet vielmehr noch fruchtbare Scholle an; nicht zum Proletarier wird er ausgedörrt, als Siedler und Kolonisator entfaltet er sein freies und stolzes Menschentum.“486

Wilhelm Stapel war so überzeugt von der Idee der Notwendigkeit der Mitteleuropapolitik für Deutschland, dass er die deutschen Politiker nach ihrer Fähigkeit bewertete, den Fokus auf die mitteleuropäische Politik zu setzen. Zum Beispiel sei die Politik Stresemanns falsch, weil er anstatt „expansiv-mitteleuropäisch“ zu denken nur „westlich bestimmte Völkerbundpolitik“ betreibe. Auch das Mitteleuropa Stresemanns sei nicht mitteleuropäisch genug, sondern westeuropäisch, was durch seine liberale Haltung zu erklären sei. Als ein historisches Musterbeispiel, das

482 483 484 485 486

Ebd., S. 30. Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 102), S. 116. Ebd. Ebd. Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 102), S. 117.

3. Deutschland als Land der Mitte

109

die Bilanz zwischen ost- und westorientierter Außenpolitik beibehalten konnte, diente für Wilhelm Stapel Bismarck.487 Max Hildebert Boehm blieb dieser Diskussion nicht fern. Die Deutschen seien ein Volk, das Osten, Westen, Süden und Norden in der Mitte, das heißt – in sich selbst – vereinige: „Aus Spannungen und nicht aus Lösungen sind europäische Kräfte zu entwickeln. Der Raum der Mitte, der uns ausstrahlt, schon in der bloßen Indifferenz wird er zum Vakuum, das die Wirbel in sich zieht, um sich in ihnen zu verzehren.“488

Giselher Wirsing vertrat die gleiche These. Im Laufe der letzten Jahre habe sich Deutschland mehr und mehr dem Westen genähert, was Wirsing unlogisch fand, weil es ideologisch und politisch noch nie so weit entfernt vom Westen gewesen sei. Den Beobachtungen Wirsings zufolge stand das Land jetzt auf dem Scheideweg: Es tendiere weder in die eine noch in die andere Richtung. Die bevorzugte Richtung – Osten – war für Wirsing klar. Die Befreiung vom Westen stellte er sich jedoch schwierig vor. Eine Seite davon sei die „Befreiung“ vom Kapitalismus, „seine hundertfältigen Wechselerscheinungen, die in alle Gebiete des Lebens bis zur Religiosität hin reichen, werden von diesem Vorgang ergriffen“489. Abkehr vom Westen bedeutete für ihn aber nicht unbedingt ein direktes Bündnis mit Russland oder, wie er es nannte, das „Sowjetdeutschland.“490 Ganz im Gegenteil klangen die anderen osteuropäischen Länder nach einer vernünftigen Partnerwahl, „denn ein antikapitalistisches Deutschland kann nur seine Ergänzung in den antikapitalistischen Bauernländern des Ostens finden“491. Das würde gleichzeitig bedeuten, die gesamte Politik Deutschlands zu ändern, nicht nur für sich selbst, sondern für die anderen Länder zu denken. Die Marktausweitung Deutschlands nach Osten dürfte auf keinen Fall aufgezwungen werden. Das würde aber auch nicht passieren, zumal die zwischeneuropäischen Völker die gleichen Probleme wie die Deutschen hätten. Wirsing unterstützte die Idee, dass Europa aus einem industriellen und einem agrarischen Teil bestand, was mit der Idee von Ost und West korrespondierte. Auch in der Beurteilung der Rolle Deutschlands in dieser Teilung ist er nicht originell. Deutschland sei in zwei Teile unterteilt: „[ein] stark industriebetonte[s] und [ein] stark agrarbetonte[s] [Deutschland]“492. Dadurch verkörpere es Europa und somit den Anspruch der deutschen Herrschaft über Zwischeneuropa, die in jeder Hinsicht eine logische Etappe der europäischen Entwicklung sei. Alle zwischeneuropäischen Staaten hätten den gleichen Prozess der Staatsbildung durchlaufen. Dieser Prozess habe laut Wirsing drei Etappen. Die ersten zwei führten zur Bildung und Anerkennung eines 487 Stapel: Noch immer Ablehnung der Außenpolitik Stresemanns? In: Deutsches Volkstum (1927), S. 243 – 244, hier S. 243. 488 Boehm: Der Aufmarsch der Paneuropäer (wie Anm. 29). 489 Wirsing: Zwischeneuropa (wie Anm. 25) S. 6. 490 Ebd., S. 7. 491 Ebd., S. 252. 492 Ebd., S. 19.

110

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

Nationalstaates. Die dritte Etappe solle dazu führen, dass anstelle des Nationalstaates etwas anderes kommt, denn „was für den Westen sich als dauernde und […] endgültige Form herausbildete, stellt sich in Deutschland und Zwischeneuropa als Übergangsstadium dar“493. Auch das Sprachrohr der „Konservativen Revolution“, die Zeitschrift „Der Ring“, widmete dem Problem von Ost und West einen entsprechenden Platz. Im Artikel „Deutschland, England und der Osten“ wurde die „ewige“ Frage behandelt, ob sich Deutschland nach Westen oder nach Osten orientieren solle. Durch ein Bündnis mit England solle „eine Kombination von West- und Ostpolitik“ für Deutschland gesichert werden und genau darin liege Deutschlands Schicksal und das deutsche Heil.494 Dieser Hinweis auf die deutsche Mittellage war sehr typisch für den „Ring“. Jene Lage der Deutschen sei durch den Gang ihrer Geschichte bestimmt: Dies habe schon mit Karl dem Großen begonnen. Es mache also keinen Sinn, zwischen Osten und Westen zu wählen: Deutschland brauche beides. Es müsse sich auch bemühen, die Beziehungen zu den Nachbarländern aufzubauen: „Wir müssen uns darüber klar sein, dass der jetzige Zustand Ost- und Westeuropas ein auf die Dauer unhaltbarer ist und dass hier frühzeitige Bindungen die wenigen Zukunftsmöglichkeiten verschütten könnten, die uns noch gelassen sind.“495 Auch Friedrich Hielscher bestand auf der politischen Begründung, die grundsätzlich auf der Haltung Deutschlands gegenüber dem Westen basierte. Im Unterschied zu den meisten konservativen Revolutionären, die in ihren Fragestellungen hauptsächlich europäisch dachten, verlieh Hielscher der antiwestlichen Problematik die Weltdimension. Neben Deutschland seien auch Indien, Japan, China und die arabische Welt vom Westen betroffen und bräuchten ein Kampfmittel dagegen. Deutschland sei ein perfekter Kandidat dafür, damit alle diese Länder ihre Ziele erreichten. Die andere mögliche „Rettung“ sei Russland. Aber die Gefahr des Kommunismus würde sie nicht betreffen. Selbst Russlands Schicksal hänge von Deutschland ab. In Deutschland liege die Rettung und die Entscheidung. Alleine Deutschland sei fähig, die Welt vom Westen zu befreien: „Das Schicksal der unterdrückten Völker hängt vom Zusammenbruch des Westens ab, den keines von ihnen für sich, den auch Japan und Russland allein nicht erzwingen können. Der Reichsraum birgt die Zukunft. Er bildet die westliche Klammer des asiatischen Festlandes, an dessen Ostseite die japanischen Inseln liegen. Im Reichsraum überschneiden sich Osten und Westen.“496

Aus dem Lager der Autoren von „Volk und Reich“ kamen ähnliche Stimmen. Probleme des Ostens zu lösen war nach Ansicht Karl Christian von Loeschs deutsche Aufgabe, „die jeden westlichen Teil und die Mitte Mitteleuropas vom Meer bis zu 493

Ebd., S. 162. Vgl. O.A.: Deutschland, England und der Osten (wie Anm. 258), S. 225. 495 Schlenker, Max: Die europäische Orientierung der reichsdeutschen Politik (wie Anm. 84), S. 392. 496 Hielscher: Das Reich (wie Anm. 87), S. 339 f. 494

4. Lebensraum

111

den hohen Bergscheiden hin erfüllen und immerhin eine wenn auch bedrohte Staatlichkeit über einen großen Raum ausüben“497 sollte. Albrecht Haushofer unterstützte die Idee der europäischen Mitte als Rettung ganz Europas. Es sei kein Frieden in Europa möglich, ohne dass alle europäischen Teile und Kulturbereiche sich zusammenschlossen: Das Kulturerbe aus dem Mittelmeer müsse zusammen mit der nordisch-germanischen Region ein neues Europa bilden. Das sei aber an sich nicht so schwierig, denn „[d]er Kern der Zerrissenheit liegt im mittleren und östlichen Innereuropa“498. Das neue Europa organisieren könne man nur unter Einbeziehung des deutschen Volkes, das diese mitteleuropäische Region so stark beeinflusste. Den aktuellen Umständen entsprechend sehe man sich aber mit einem Problem konfrontiert: Die aktive Teilnahme des deutschen Volkes an der Neugestaltung Europas sei unter Beibehaltung der aktuellen Staatsgrenzen nicht möglich.

4. Lebensraum Ein die konservativen Revolutionäre näher an die Nationalsozialisten heranrückendes Argument war das des Lebensraums. Demnach hätten die Deutschen mit einem Mangel an Boden zu kämpfen, der sie dazu bewegen solle, neue Räume zu erobern.499 Für Wilhelm Stapel spielte die Raumfrage eine besonders wichtige Rolle: „Unsere Sehnsucht ist: Boden, Land, Raum; Reich, Hoheit, Ruhm.“500 Stapel fordert Boden für das deutsche Volk und wiederholte damit Rufe zum Drang nach Osten. In seinem Artikel „Landnahme“ schrieb Stapel sehr emotional, sogar wütend über den Lebensraummangel bei den Deutschen: Jeder neugeborene Deutsche bekomme viel weniger Raum für sich als ein Vertreter jedes anderen europäischen Volkes. Auch die Intensivierung der Landwirtschaft nahm er als eine mögliche Lösung eher skeptisch wahr. Diese könne das Grundproblem nicht lösen. Um sich von den lästigen Grenzen zu befreien und neuen Boden zu erwerben, sollten die Deutschen dem Beispiel Frankreichs und Polens folgen, denn „Not bricht Grenzen.“501 Und die Frage „wo“ ließe sich einfach beantworten: „Im Osten jenseits der Grenze liegen Äcker und Weiden und Wälder.“502

497

S. 41. 498

Loesch: Der friedlose Osten. In: Volk und Reich (1930), Jg. 6, Heft 1/2, S. 12 – 42, hier

Haushofer: Europäischer Zusammenschluss? (wie Anm. 201), S. 364. Zum Thema „Lebensraum“ bei den Nationalsozialisten vgl. Lange, Karl: Der Terminus „Lebensraum“ in Hitlers „Mein Kampf“. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 13, Heft 4, Okt. 1965, S. 426 – 237. 500 Stapel: Noch immer Ablehnung der Außenpolitik Stresemanns? (wie Anm. 487), S. 243. 501 Stapel: Landnahme. In: Deutsches Volkstum (1923), S. 169 – 175, hier S. 175. 502 Ebd. 499

112

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

Wilhelm Stapel stand mit dieser Ansicht nicht alleine da. Auch Moeller van den Bruck betonte, dass das deutsche Volk, das demographisch stärker sei als die „alten europäischen Völker“, mehr Rechte auf Boden hätte als sie: Die „Entvölkerten haben gesiegt. Die Übervölkerten haben verloren. Das ist vorläufig das Ergebnis des Weltkrieges.“503 Ernst Niekisch griff dieselbe Frage auf und schrieb einen Artikel, der genauso hieß wie ein Roman von Hans Grimm – „Volk ohne Raum“. Genau das sei das Problem, das die Deutschen von den Engländern, Russen, Amerikanern etc. unterscheide – Bodenmangel.504 Auch Jung behauptete, dass das deutsche Volk an dem Raummangel litt. Die Fähigkeiten des Volkes seien unterfordert und der geistige Zustand deprimiert. Jung warb auch mit Aussagen wie diesen: „Mit unseren gelernten Arbeitern, Technikern, Ingenieuren, Ärzten, Wissenschaftlern und Organisatoren könnte der ganze europäische Osten, ja, ein großer Teil Asiens erschlossen werden. Denn die weite Erde bietet noch ungeheure Möglichkeiten; es ist nur ein Fehler der politischen Organisation, dass sie nicht ausgenützt werden. Wer einmal den europäischen Osten in seiner ganzen wirtschaftlichen Rückständigkeit gesehen hat, begreift die Sinnlosigkeit einer europäischen ,Ordnung‘, welche der deutschen Intelligenz die Entfaltung ihrer Kräfte unmöglich macht.“505

Gleichzeitig glaubte er, dass die praktischen Zwecke der Deutschen nicht in einem neuen Siedlungsraum bestünden, sondern in erster Linie im „Wirtschaftsraum, Absatzgebiete[n] und sichergestellte[n] Ernährungsgrundlagen“506. „Der Ring“ benutzte die gleiche Argumentation. Max Schlenker wies die Leser darauf hin, dass die Deutschen das „Volk ohne Raum“ seien, was zu den Schwierigkeiten führe, „Siedlungsmöglichkeiten zu schaffen“507. In dieser Hinsicht bilde der europäische Osten eine gute Perspektive: „Der ,deutsche Bauer im Osten‘ gewinnt somit für unsere nationale Zukunft die allergrößte Bedeutung. Auf seine Existenz gestützt wird sich der Absatz unserer industriellen Güter erst dauernd behaupten können.“508

5. Religion Es war ebenso verbreitet unter den konservativen Revolutionären, die Gerechtigkeit der Herrschaft Deutschlands über Europa aus religiöser Sicht zu begründen. 503

Moeller van den Bruck: Das Bevölkerungsproblem (wie Anm. 65). Vgl. Niekisch: Volk ohne Raum. In: Widerstand, Nr. 4, 1927, S. 41 – 43. 505 Ebd., 658. 506 Ebd., S. 657. 507 Schlenker, Max: Die europäische Orientierung der reichsdeutschen Politik (wie Anm. 84), S. 392. 508 Ebd. 504

5. Religion

113

Argumente religiöser Art beschränkten sich nicht auf die für die abendländischchristlichen Kreise typischen Ideen.509 Sie waren auch im konservativ-revolutionären Lager vorhanden, zum Beispiel stellte die Idee des universalen Katholizismus als Rettung Europas einen typischen Vorschlag dar. Ein Beispiel hierfür war Karl Anton Rohan, der daran glaubte, Europa unter einer religiösen Macht der katholischen Kirche vereinigen zu können, denn die Grundlagen des Katholizismus seien ewig.510 Mit dieser Überzeugung stand Rohan nicht alleine da. Einer der bekanntesten Katholiken unter den konservativen Revolutionären war zweifellos Martin Spahn. Er betrachtete die gewünschte deutsche Revolution als eine Chance, den Katholizismus mit der Nation zu vereinigen und dadurch eine christlich-konservative Neuordnung für Deutschland zu gewährleisten.511 Die religiösen Motive waren sowohl aus dem katholischen als auch aus dem protestantischen Lager zu hören und setzten die Überlegenheit der Deutschen über die anderen Völkern mit ihrer Religiosität und/oder dem „richtigen“ Glauben in Verbindung. Für viele konservative Revolutionäre machte die in Deutschland stattgefundene Reformation das Land zum Fadenführer für das Abendland. Solcher Meinung war zum Beispiel Moeller van den Bruck. Die Tatsache, dass die Reformation ausgerechnet in Deutschland stattgefunden hatte, machte dieses Land zum „eigentlich protestantische[n] Mittelpunktvolk Europas“512. Moeller van den Bruck behauptete, Deutschland sei durch das Ereignis der Reformation schon damals in seiner Mittelpunktstellung aufgegangen: „Schon damals bereitete sich in stillem Wachsen die spätere Großmacht- und Mittelpunktstellung Deutschlands vor. Um eines Tages zu ihr reif zu sein, musste das deutsche Volk eine Welt in sich tragen. Luther gab sie ihm“513. Für Moeller van den Bruck schnitten protestantisch geprägte gegenüber katholisch geprägten Völkern im Vergleich deutlich besser ab. Die Reformation bedeutete „das neue Lebensprinzip“. Die katholischen Völker stagnierten, die protestantischen entwickelten sich weiter. Genau die protestantischen Völker seien dann zu jungen Völkern geworden. Die katholischen Völker seien jetzt alle alt. Auch Edgar Julius Jung war überzeugt davon, dass die deutsche schaffungspolitische Mission direkt mit ihrer religiösen Aufgabe zusammenhing: „Wird der Deutsche wieder zum abendländischen Gottsucher, so wird er auch Vorkämpfer des wahren europäischen Geistes.“514 Er stellte explizit die Frage, ob „deutsche Wie509

Vgl. Breuning, Klaus: Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur (1929 – 1934). München 1969; Conze: Das Europa der Deutschen (wie Anm. 2); Grunewald, Michel (Hrsg.): Le milieu intellectuel catholique en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1871 – 1963) / Das katholische Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871 – 1963). Bern u. a. 2006; Richter, Reinhard: Nationales Denken im Katholizismus der Weimarer Republik. Münster 2000. 510 Vgl. Müller, Nils: Karl Anton Rohan (wie Anm. 195), S. 183. 511 Vgl. Clemens: Martin Spahn (wie Anm. 21), S. 71 ff. 512 Moeller van den Bruck: Das ewige Reich. Bd.2. Breslau 1934, S. 128. 513 Ebd., S. 155. 514 Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 90.

114

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

dergeburt nur ein Teil der abendländischen [sei], oder ist sie mehr? Welche Bedeutung hat das Deutschtum für die abendländische Geschichte überhaupt?“515 Diese Fragen wurden ihrerseits wieder auf der Basis religiöser Argumentationen beantwortet. Auch Jungs Meinung nach diente die auf deutschem Boden stattgefundene Reformation als Zeichen des Auserwähltseins des deutschen Volkes. Die Konfrontation zwischen Katholizismus und Protestantismus habe überdies zur Vielfalt des deutschen Lebens beigetragen. Jung betonte mehrmals den religiösen Hintergrund der neuen europäischen Pläne. Die Religion sei ein untrennbarer Bestandteil des Volkstums. Als Beispiel für diese Verbindung galt für Jung das Heilige Römische Reich Deutscher Nation: „Ein bestimmtes Volkstum, das deutsche, war Kern und Träger mittelalterlichen Gottesstreitertums, abendländischer Kultur und europäischer Politik. Die Kirche konnte ohne den völkisch-deutschen Kulturboden an die Errichtung ihres Reiches Gottes auf Erden gar nicht denken.“516

Die Verbindung zwischen Kirche, Volkstum und Reich schien Jung eindeutig zu sein. Um das Christentum wiederzubeleben, brauche man ein entsprechendes Volk: „Nur ein schöpferisches Volk wird Mittelpunkt religiösen Erwachens“517. Gleichsam sei dieses religiöse Erwachen nötig, um die Völker zum Reichsgedanken zu bewegen: „Nur religiöses Erwachen vermag andere Völker mitzureißen und wieder jenen universalistischen Reichsgedanken zu zeitigen, der dem platonischen Ideal wenigstens nahekommt.“518 Auch Boehm verband die deutsche Mission mit dem Thema Religion: das „Sendungsbewusstsein eines Volkes in religiösen Urkräften“. Und Deutschlands Mission sollte darüber hinaus darin bestehen, das abendländische Christentum vor dem „Weltmissionierungsdrang des russischen Bolschewismus“519 zu schützen. Ähnlich wie Jung stellte Wilhelm Stapel die Reformation als eine besondere Erscheinung in der deutschen Geschichte heraus. Die Tatsache, dass sie auf deutschem Boden stattgefunden hatte, berechtige Deutschland dazu, das Christentum gegen [?] zu verteidigen. Wilhelm Stapel vermischte die Theorie der jungen Völker und seine eigenen religiösen Vorstellungen: Das deutsche Volk sei religiös, sogar von Natur aus „fromm“, aber „hat noch keine Beruhigung in einem eindeutigen Gottesdienst gefunden“520, es sei im kirchlich-religiösen Sinne noch jung und unreif. Das bedeutete für ihn gleichzeitig, dass das deutsche Volk noch etwas bewegen könnte, „während die Völker, die mit Gott fertig sind, keine Zukunft über das hinaus haben,

515 516 517 518 519 520

Ebd. Ebd., S. 143. Ebd., S. 145. Ebd. Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 68. Stapel: Der christliche Staatsmann (wie Anm. 96), S. 269.

6. Rasse

115

was sie bereits geworden sind“521. Die Reformation sei „die Reichsbestätigung für die Deutschen“522. Die protestantische Version der Reichsidee von Stapel stieß natürlich auf katholische Kritik. Um auf diese Kritiken zu antworten, schrieb er im Jahr 1932 einen Artikel mit dem Titel „Der Reichsgedanke zwischen den Konfessionen“. Die deutsche Nation war gespalten in zwei Konfessionen und Stapel stellte sich die Frage, ob diese Spaltung ein Hindernis oder eher eine Voraussetzung für das Schaffen des Reiches sein würde. Das Reich solle eine Alternative zum „liberalen Imperium“ der westlichen Länder werden. Und Stapel behauptete, es sei nicht katholisch oder lutheranisch, sondern deutsch: „Als das Reich durch Karl den Großen auf die Franken, durch Otto den Großen auf die Deutschen übertragen wurde, wurde es nicht durch den Papst, sondern durch Gott übertragen […] Also ist für Protestanten der Schluss erlaubt, dass die katholische Kirche für das Reich nur epochale, nicht ,ewige‘ Bedeutung hat. […] Ich erörtere nicht, ob das Reich an die katholische oder an die lutherische Kirche gebunden sei, ich weise nur darauf hin, dass es auf die Deutschen übertragen wurde.“523

Dadurch betonte Stapel die Priorität der nationalen Grundlage vor der religiösen. Die gleiche Einstellung vertraten selbst sehr religiös geprägte konservative Revolutionäre.

6. Rasse Die Frage nach der Rolle und Bedeutung des Rassismus in der Ideologie der Konservativen Revolution bleibt sehr kontrovers. Während manche Forscher den Einfluss des Rassendiskurses bei den konservativen Revolutionären als eher gering einschätzen, weisen die anderen darauf hin, dass er, selbst wenn in einem geringeren Maße als bei den Nationalsozialisten, durchaus vorhanden war.524 Die wichtige Frage für die aktuelle Forschung lautet: Kann man die Europaidee der Konservativen Revolution als rassistisch bezeichnen? Um diese Frage zu beantworten, ist die Auseinandersetzung mit der Definition des Rassismus notwendig. Im wissenschaftlichen Diskurs gibt es unterschiedliche Definitionen des Rassismus.525 Aufgrund der Komplexität des Begriffes neigen einige Forscher dazu, anstatt von einem Rassismus von mehreren Rassismen zu sprechen, deren Charakteristiken vom his-

521

Ebd. Stapel: Das Reich. Ein Schlusswort (wie Anm. 429), S. 184. 523 Stapel: Der Reichsgedanke zwischen den Konfessionen. In: Deutsches Volkstum (1932), S. 909 – 916, hier S. 913. 524 Vgl. Breuer: Anatomie (wie Anm. 39), S. 86 ff. 525 Vgl. Miles, Robert: Rassismus. Hamburg 1991. 522

116

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

torischen und gesellschaftlichen Kontext abhängig sind.526 Ich stütze mich auf die momentan meist verbreitete Definition des Rassismus, die von Albert Memmi stammt: „Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der eine Aggression gerechtfertigt werden soll.“527 Moeller van den Bruck gehörte zu den Autoren, die sich auf die Vorteile der germanischen Rasse bezogen, diese Argumente hatten aber einen anderen Beiklang als bei den Nationalsozialisten: Nicht die biologischen Merkmale, sondern die Sakralität des Blutes trat für ihn in den Vordergrund. Die germanische Rasse stellte er als besonders bedeutend für die Menschheit dar, weil sie eine schöpferische Rasse sei: eine Rasse, die dazu fähig sei, neue Formen und Muster zu schaffen. Diese Fähigkeit hatten die Germanen Moeller van den Brucks Meinung nach mehrmals in ihrer Geschichte bewiesen. Keine andere Kultur, außer die germanische, dürfe europäisch genannt werden.528 Wilhelm Stapel beschäftigte sich ebenfalls mit dem Thema „Rasse“. Ähnlich wie Moeller van den Bruck betonte er die besonderen Eigenschaften der germanischen Rasse: Das germanische Blut sei besonders wertvoll. Deswegen hätten die Deutschen „als das germanische Stammvolk […] an der Substanz und am Aufbau der anderen Völker Europas einen besonderen Anteil“529. Seine Theorie besagte außerdem, dass es ursprünglich Rassenunterschiede gab. Gewisse Umstände trugen dazu bei, dass bei den Vertretern mancher Rassen sich entsprechende Fähigkeiten entwickelten. Das galt zum Beispiel für die nördlichen Völker: Da sie oft gegen die Natur kämpfen mussten, wurden sie immer stärker. Die Rassen hatten sich aber vermischt. Und – hier wird die Übereinstimmung mit der Theorie von den jungen Völkern Moeller van den Brucks sichtbar – „[j]e mehr ein Volk rassisch ausgeformt ist, um so mehr ist es mit seinen Lebensmöglichkeiten zu Ende“530. Rassengemischte Menschen seien schöpferischer als rassenreine. Viele konservative Revolutionäre haben die Rassenlehre kritisiert. Oswald Spengler hielt es für unmöglich, die Rassen wirklich auszusondern: Sie hätten sich alle mehrmals vermischt. Und wenn er den Begriff „Rasse“ benutzte, sei es in einem anderen Sinne gewesen, „wie er heute unter Antisemiten in Europa und Amerika Mode ist, darwinistisch, materialistisch“531. Es sei viel wichtiger, eine starke, anstatt eine reine Rasse zu haben. Diesen Kritiken schloss sich Max Hildebert Boehm an. Die Idee von der eigenen Außergewöhnlichkeit sei bei allen Rassen vertreten, so Boehm. Und alleine das sei schon ein Zeichen dafür, dass die Rassentheorie nicht ernst genommen werden sollte. Angesichts der sich immer schneller verbreitenden 526 Vgl. Hall, Stuart: Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Nora Räthzel (Hrsg.): Theorien über Rassismus. Hamburg 2000, S. 11. 527 Memmi, Albert: Rassismus. Hamburg 1992, S. 151. 528 Vgl. Moeller van den Bruck: Das ewige Reich, Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 86. 529 Stapel: Der christliche Staatsmann (wie Anm. 96), S. 269. 530 Stapel: Rasse. In: Deutsches Volkstum (1926), S. 793 – 798, hier S. 796. 531 Spengler: Jahre der Entscheidung (wie Anm. 55), S. 119.

7. Auslandsdeutschtum und Krise des Nationalstaates

117

Xenophobie gegenüber Juden wies Boehm darauf hin, dass eine aufmerksame Erforschung solcher Theorien nur ihre wissenschaftliche Unbrauchbarkeit belegen könnte. Der Leser von Schriften solcher Art stoße „auf ein wahres Wirrsal widersprechender und ungeklärter Meinungen und Behauptungen“532. Im Gegensatz zu den Rassetheoretikern bestand Max Hildebert Boehm darauf, dass niemand im modernen Europa zu einer einzelnen Rasse gehöre, weil es in der Geschichte zu viele Mischungen gab, wodurch keine reinrassigen Völker übrig geblieben seien. Auch Friedrich Hielscher kritisierte die Rassentheorie: Sie sei ein Versuch, „aus der Zugehörigkeit zum Reich […] eine Angelegenheit des Stoffes“533 zu machen. Bereits dieser kurze Einblick in die konservativ-revolutionären Rassenvorstellungen macht deutlich, dass es unter den konservativen Revolutionären keine Einigkeit darüber gab. Trotzdem lässt sich feststellen, dass die Rassenproblematik eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Ideologie der Konservativen Revolution spielte. Der biologisch begründete Rassismus wurde von den konservativen Revolutionären abgelehnt. Stattdessen stellten sie ihre Rassenvorstellungen auf eine geistige Grundlage. Das änderte das Wesen dieser Ideen jedoch kaum: Es ging nach wie vor darum, manchen Völkern einen größeren Wert zuzuweisen als den anderen. Somit gehörte der Rassismus zur breiten Argumentationspalette der konservativen Revolutionäre.

7. Auslandsdeutschtum und Krise des Nationalstaates: Neuordnung als Rettung Europas Einer der Hauptgründe, warum sich die Ideen der europäischen Neuordnung in den Kreisen der deutschen konservativen Intellektuellen so schnell verbreitet hatten, waren die Auslandsdeutschen, die zu mehreren Tausend in Europa lebten. Ins Zentrum rückten vor allem die nach Bedingungen des Versailler Vertrages gebildeten Gruppen sogenannten Grenzlanddeutschen, die in den Deutschland aberkannten Gebieten von Elsass-Lothringen, Belgien, Tschechien, Polen etc. lebten.534 Ihre Lage als nationale Minderheit ließ vielen konservativen Revolutionären keine Ruhe. Zum Teil dadurch erklärte sich das Interesse der Deutschen am europäischen Osten. Die tiefe Auseinandersetzung mit der Problematik der Deutschen im Ausland führte nicht nur zu dem schnell unüberschaubar gewordenen politischen Schrifttum zur Lage der Deutschen in Polen, Tschechien, dem Baltikum etc., sondern auch zur Bildung von 532

Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 12. Hielscher: Das Reich (wie Anm. 87), S. 330 f. 534 Vgl. Dralle, Lothar: Die Deutschen in Ostmittel- und Osteuropa. Darmstadt 1991; Garleff, Michael: Deutschbalten, Weimarer Republik und Drittes Reich. Bd. 2. Köln u. a. 2008; Hiden, John: The Weimar Republic and the Problem of the Auslandsdeutsche. In: Journal of Contemporary History, Jg. 12, Nr. 2, April 1977, S. 273 – 289; Pieper, Helmut: Die Minderheitenfrage und das Deutsche Reich 1919 – 1933/34. Göttingen 1973. 533

118

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

entsprechenden Vereinen und Organisationen. Eine davon war der von Karl Christian von Loesch geleitete Deutsche Schutzbund. In der Schrift „Die im Deutschen Schutzbund zusammengeschlossenen Verbände und ihre Veröffentlichungen“ werden von Loesch 120 Verbände aufgelistet, die der Deutsche Schutzbund umfasste.535 Mit dem Zweck, das Auslandsdeutschtum wissenschaftlich zu erforschen, haben Max Hildebert Boehm und Karl Christian von Loesch im Jahr 1925 das „Institut für Grenz- und Auslandsstudien“ (IGA) in Berlin gegründet. An einschlägigen Artikeln und Schriften mangelte es aber auch bei den älteren Theoretikern der Konservativen Revolution nicht. Wilhelm Stapel schrieb, dass „[u]nser Volk […] existenziell an den Vorgängen in den Staaten des Ostens und Südostens interessiert [sei]: das Dasein des Gesamtvolkes hängt aufs engste mit dem Dasein des ,Grenzlanddeutschtums‘ zusammen“536. Sollten die Deutschen im Osten vernichtet werden, würde die Würde des gesamten deutschen Volkes Schaden nehmen. Das deutsche Volk sollte danach sogar nur „ein geschichtlich bedeutungsloses Dasein“537 führen können. Die Sorgen Deutschlands um den Osten verglich Stapel mit den Sorgen der Eltern um ihr Kind. Deswegen hätten die Deutschen einen viel größeren Bedarf „an einer übernationalen Ordnung der europäischen Nationen“538 als alle anderen Völker. Moeller van den Bruck war überzeugt, dass die erfolgreiche Erfüllung der Aufgabe der europäischen Neuordnung das Problem des Auslandsdeutschtums automatisch lösen würde. Warum? Weil es einfach kein Auslandsdeutschtum mehr gäbe. Und diejenigen, die früher Auslandsdeutsche waren, würden ihrem Land noch helfen, den Osten zu erobern: „Und die Kraft, die auch jetzt noch in ihm lebt, wird den Landweg gehen müssen, der sich durch Russland den Osten eröffnet.“539 Von allen konservativen Revolutionären beschäftigte Max Hildebert Boehm das Problem des Auslandsdeutschtums am meisten. Im Nationalitätenproblem sah Boehm den zentralen Punkt in der europäischen Krise und auf diesen Aspekt konzentrierte er sich am meisten, wenn er über die besondere Rolle Deutschlands sprach. Er bemühte sich, „die wichtigsten Probleme zu gliedern, um einen Ausblick auf Möglichkeiten einer wahren Befriedung Europas zu gewinnen“540. Der Lösung genau dieser Frage waren die meisten seiner Werke gewidmet. Boehm beschäftigte sich mit der Volkskunde, mit den Begriffen von Volk und Nation. Er formulierte eine Definition der Nation: „Unter der Nation verstehen wir das Volk, das sich im Element der Macht zu einer willensgebundenen Einheit hinentwickelt und sich als solche, wie

535 Vgl. Praesent, Hans: Die im Deutschen Schutzbund zusammengeschlossenen Verbände und ihre Veröffentlichungen: Eine Übersicht. Berlin 1928. 536 Stapel: Der christliche Staatsmann (wie Anm. 96), S. 254. 537 Ebd., S. 255. 538 Ebd. 539 Moeller van den Bruck: Der politische Mensch (wie Anm. 470), S. 62. 540 Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 310.

7. Auslandsdeutschtum und Krise des Nationalstaates

119

später darzustellen sein wird, neu konstitutiert“541. Nationalität sei nicht das gleiche wie die Staatsangehörigkeit. Nationalitätenfrage und Nationalitätenkampf entstünden, wenn die Grenzen vom Wohngebiet einer bestimmten Nation mit den Grenzen des Staates, zu dem sie gehörten, nicht zusammenpassten. Für Max Hildebert Boehm war die Haltung sehr typisch, das Volk gegenüber dem Staat zu bevorzugen. Ihm zufolge war die Situation in Europa vom Prozess des politischen Erwachens der Völker geprägt. Besonders deutlich war die Gegenüberstellung „Staat-Volk“ in der Frage bezüglich der nationalen Minderheiten. Auch die Erscheinung des Völkerbundes war für Max Hildebert Boehm trotz vieler Nachteile ein Zeichen des erwachenden Willens der Völker, ihre Souveränität zu äußern: „Wenn die sogenannten nationalen Minderheiten darum ringen, eine völkerrechtliche Personalität vor dem Völkerbund zu erlangen und zugleich als natürliche Teile oder Glieder ihrer Gesamtvölker anerkannt zu werden, so meldet sich schon darin der Anspruch, die Völker nicht nur kollektiv, sondern ganzheitlich und damit substanziell zu sehen.“542

Auch die deutsche Aufgabe im Osten sei direkt mit dem Auslandsdeutschtum verbunden, zunächst weil Deutschland mit dem Osten schon seit der Hanse-Zeit eine besondere Verbindung pflegte. Das östliche Auslandsdeutschtum solle seine Verbindung mit dem Gesamtdeutschtum durch die Anerkennung der gesamtdeutschen Aufgabe stärken. Die deutsche Siedlung zu erhalten sei unbedingte Voraussetzung für den Erfolg der deutschen Mission im Osten. Trotz der besseren Lage der Auslandsdeutschen im Osten als im Westen wies Boehm auf die anderen Probleme auf diesem Gebiet hin. Es wurden Beispiele von den Sudetendeutschen, Böhmen, Mährern und Schlesiern genannt. Insgesamt seien die Auslandsdeutschen überall – sowohl im Osten, als auch im Westen, Norden und Süden – etwas, das „dem großdeutschen Gedanken heute einen völlig neuen Inhalt gibt“543. In einem seiner Hauptwerke, „Europa Irredenta“, vertrat Max Hildebert Boehm die Ansicht, dass sich die deutsche Regierung im Laufe der Geschichte um das Auslandsdeutschtum viel zu wenig gekümmert habe, aber nicht nur sie – die internationale Aufmerksamkeit zu dieser Frage sei viel zu gering gewesen. Die einzelnen Reformen oder Veränderungen des europäischen Lebens würden nichts bringen, denn das ganze Wesen Europas sei falsch. Die radikale Veränderung solle sich in „eine[r] grundlegende[n] äußere[n] Neugestaltung der europäischen Grenzverhältnisse und Machtgruppierungen“544 sowie in „eine[r] gemeineuropäische[n] Abkehr vom Staatsabsolutismus“545 äußern. Die neue, bessere Struktur der zwischenstaatlichen Beziehungen sei nur durch die freiwillige Beschränkung der Macht des Staates zugunsten der Selbstverwaltung der Völker möglich.

541 542 543 544 545

Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 35. Ebd., S. 12 f. Boehm: Grenzdeutsch – Großdeutsch (wie Anm. 78), S. 10 f. Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 318. Ebd.

120

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

Als einen der Hauptgründe für die miserable Lage des Auslandsdeutschtums nannte Boehm das System der Nationalstaaten in Europa. Seiner Meinung nach solle das neue Europa auf das System der Nationalstaaten verzichten, denn diese Struktur lasse sich nicht auf die osteuropäischen Völker übertragen. Und unter diesem Vorzeichen des Kampfes um die eigenständige Staatsform solle das 20. Jahrhundert verlaufen: „Mag der Nationalstaat seine relative Geltung in Teilen Europas behalten: in gesamteuropäischem Betracht, und namentlich im Hinblick auf den Osten, ist die westlerische Nationalstaatsideologie den drängendsten Aufgaben nicht gewachsen. Die ablaufende Epoche ist durch den Versuch der Verwestlichung Osteuropas gekennzeichnet. Der Osten und das ihm schicksalsverbundene Mitteleuropa stehen erst im Beginn des Kampfes um Wiedergewinnung ihrer staatlichen Eigenform. Das ist das große Thema des Jahrhunderts, in dem wir leben.“546

Ebendiese Nachteile des Nationalstaates machten die Lage des Auslandsdeutschtums so schwierig, denn sie seien auf die Herrschaft des Staates über das Volk ausgerichtet. Der Nationalstaat als Staatsmodell müsse durch die europäische Neuordnung durch etwas gänzlich anderes ersetzt werden und zwar durch eine übernationale Einheit wie Reich oder Mitteleuropa. Bei Max Hildebert Boehm war dieses Motiv noch deutlicher als bei den anderen zu spüren. Der Nationalstaat gefährde „zugleich die volkliche und staatliche Substanz“547. Da das deutsche Volk dasjenige gewesen sei, das an den Nachteilen des Nationalstaates besonders litt, sei es logisch, dass eben die Deutschen die europäische Neuordnung organisieren sollten. Auch Jung stimmte Boehm zu, indem er verlangte, den Begriff „Deutscher“ „aus seiner staatsbürgerlichen Beschränktheit zu befreien und auf die Zugehörigkeit zum deutschen Gesamtvolke auszudehnen“548. Die Bewohner des deutschen Staates müssten „Reichsangehörige“ genannt werden. Das deutsche Volk könne seiner Meinung nach lediglich aufgrund seiner Lage nicht mit der Situation einverstanden sein, in der der Staat und nicht das Volk in der Mitte stünde. Jung trat für die neue Volkstheorie ein, die das Volk anstelle des Staates in die Mitte der historischen Betrachtung stellte. Zu der Theorie des eigenständigen Volkes sei das deutsche Volk nicht alleine durch Überlegungen gebracht worden, sondern durch die Unerträglichkeit seiner Lage. Die deutschen Minderheiten im Ausland seien unterdrückt und ihre Rechte würden nicht berücksichtigt. Die Deutschen hätten diese Gedanken auch unter den anderen nationalen Minderheiten verbreitet.549 Giselher Wirsing bewies seine Position mithilfe der soziologischen Analyse des zwischeneuropäischen Gebietes. Er betonte, dass Deutsch die Verkehrssprache Zwischeneuropas sei, was dem deutschen Bürgertum, das nach Osten gegangen war, zu verdanken sei. Seine Schicht war so dicht, dass man „von Wien mit einem 546 547 548 549

Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 314 – 315. Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 104. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 638. Vgl. ebd., S. 636.

7. Auslandsdeutschtum und Krise des Nationalstaates

121

Bauernwagen ans Schwarze Meer [hätte] fahren können und jede Nacht in einem deutschen Hause verweilen“550. Das sei an sich schon ein genügender Grund, weshalb Deutschland über den Prozess der zwischeneuropäischen Einigung Leitung übernehmen sollte. „Die Tat“ neigte dazu, die wirtschaftlichen Gründe für die europäische Integration zu betonen, gab aber zu: „Die ideellen Momente sind ja im Grunde viel stärker.“551 Dazu gehörten die deutschen nationalen Minderheiten überall im europäischen Südosten sowie das österreichische Kulturerbe auf dem Balkan. Auch für Martin Spahn war der Zustand des deutschen Volkes inakzeptabel: „Wir aber, das größte Volk Mitteleuropas und vielleicht das einzige, das sich dort bisher als Staatsvolk auszeichnete, wurden in Stücke auseinander gerissen und nach Kräften unseres Bodens beraubt.“552 Auf dem Weg zum deutschen Reiche müssten Raum und Volkstum „wieder eine Beziehung zueinander gewinnen“553. Nur dadurch könne die deutsche „Sehnsucht“ befriedigt werden. Für das deutsche Volk war Max Schlenker zufolge das Problem der Nationalminderheiten zu einer Lebensfrage geworden, denn Millionen Deutsche seien über ganz Mitteleuropa zerstreut.554 Im Jahr 1925 wurde vom mit den jungkonservativen Kreisen eng in Verbindung stehenden Deutschen Schutzbund die Zeitschrift „Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland“ herausgegeben. Im Vorwort zur ersten Ausgabe stand folgendes: „Wir bekennen – im Gedenken der Deutschen in Danzig, Memel, Litauen und dem Baltenlande, in Posen, Westpreußen und Polen, in Wolhynien, Galizien, der Bukowina und in der Ukraine, in Schlesien, in den Sudetenländern, den Karpathen, Ungarn, Siebenbürgen und dem Banate, an der Mündung der Donau und am Schwarzen Meere, in Österreich, Südsteiermark, Südkärnten, Südtirol und in den Ländern am Adriatischen Meer, in der Eidgenossenschaft, Elsass-Lothringen, Eupen-Malmedy, in Luxemburg und im Vlamenlande, in Nordschleswig – im Gedenken der Deutschen in der ganzen Welt – die Qual der deutschen Zerrissenheit. Wir bekennen unser aller schicksalhafte Verbundenheit, Wir bekennen uns zum Reiche in seiner Not, dem Vorhof eines einigen Deutschland, Wir glauben an die Volksgemeinschaft, die stärker ist, als Partei und Klasse, Wir glauben an die schaffende Kraft des deutschen Herzens, des deutschen Willens und des deutschen Geistes, 550

Wirsing: Zwischeneuropa (wie Anm. 25), S. 42. O.A.: Deutschlands Weg aus der Einkreisung (wie Anm. 361), S. 950. 552 Spahn: Deutsches Volksgruppenrecht. In: Spahn: Für den Reichsgedanken (wie Anm. 59), S. 101. 553 Ebd., S. 103. 554 Vgl. Schlenker: Die europäische Orientierung der reichsdeutschen Politik (wie Anm. 84), S. 391. 551

122

V. Legitimation der europäischen Neuordnung

Wir glauben an das heilige Recht der Freiheit und Einheit Deutschlands, Wir schwören die Trägheit unserer Herzen zu brechen, Wir schwören, den Brüdern zu opfern, was wir haben und was wir sind, Wir schwören, für das heilige Recht der Völker zu streiten, um frei zu sein. (Aus dem „Flensburger Spruch“, Schutzbundtagung Juni 1923)“555

In der Zeitschrift wurden Situationen in den ausgewählten Gebieten beschrieben, die der Ansicht der Autoren von „Volk und Reich“ nach eine besondere Rolle spielen sollten. Dazu gehörte das Memelland556, das von den Franzosen eingenommen worden war, die baltischen Staaten557, Danzig558, das Donaugebiet559, das Sudetenland560, Schlesien561, Südtirol562, Kärnten563, Elsass-Lothringen und das Rheingebiet564, die Pfalz565, das Burgenland566, Ostpreußen567, Posen568. Der Herausgeber und 555

O.A.: Vorwort. In: Volk und Reich, Jg. 1, April-Mai 1925, S. 1. Vgl. Schierenberg, Rolf: Das Memelland. In: Volk und Reich, Jg. 1, Juli 1925, S. 105 – 109; Maschke, Erich: Memelland. In: Volk und Reich, Jg. 3, November 1927, S. 499 – 503. 557 Vgl. de Vries, Axel: Die baltischen Staaten. In: Volk und Reich, Jg. 1, Juni 1925, S. 72 – 83. 558 Vgl. Wagner, Richard: Danzig und die Ostsee. In: Volk und Reich. Jg. 1, August 1925, S. 129 – 134; Wagner, Major: Im Machtraum des Danzig-Polnischen Korridors. In: Volk und Reich, Jg. 1, August 1925, S. 134 – 140; Keyer, Erich: Danzigs deutsche Stellung an der Ostsee. In: Volk und Reich (1930), Jg. 6, Heft 3, S. 130 – 139; Harmsen, Hans: Bevölkerungsprobleme Danzigs. In: Volk und Reich (1930), Jg. 6, Heft 3, S. 195 – 201. 559 Vgl. Haushofer, Karl: Zur Geopolitik der Donau. In: Volk und Reich, Jg. 1, Sept.Okt. 1925, S. 161 – 173. 560 Vgl. Lehmann, Emil: Die Sudetendeutschen. In: Volk und Reich, Jg. 2, März 1926, S. 130 – 138. 561 Vgl. Loesch: Schlesiens Lage und ihre Gefahren. In: Volk und Reich, Jg. 2, April-Mai 1926, S. 166 – 167; ders.: Das Schicksal Polnisch-Schlesiens seit der Abtrennung. In: Volk und Reich, Jg. 2, April-Mai 1926, S. 209 – 210. 562 Vgl. Stolz, Otto: Tirols Geschichte als deutsches Grenzland. In Volk und Reich, Jg. 2, Juni 1926, S. 220 – 228; Schulte, Heinz Dietrich: Deutschsüdtirol als politisches Problem. In: Volk und Reich, Jg. 2, Juni 1926, S. 228 – 236. 563 Vgl. Kaibitsch, A. Maier: Die Gefahrenlage in Kärnten. In: Volk und Reich, Jg. 2, Nov. 1926, S. 458 – 459. 564 Vgl. Spahn, Martin: Der Rhein, das Reich und Preußen. In: Volk und Reich, Jg. 3, Januar-Februar 1927, S. 1 – 22; Brock, Erich: Soziologie des kulturellen Grenzkampfes im Rheingebiet. In: Volk und Reich, Juli-August 1927, S. 312 – 317; Haushofer, K.: Rheinische Geopolitik. In: Volk und Reich, Jg. 3, Nov. 1927, S. 477 – 492; Mehrmann, Karl: Der Rhein im mitteleuropäischen Raum und in der europäischen Staatengesellschaft. In: Volk und Reich, Jg. 5, Heft 11/12, 1929, S. 603 – 607. 565 Vgl. Haushofer, K.: Zur Geopolitik der Pfalz. In: Volk und Reich (1928), Jg. 4, Heft 6, S. 270 – 277. 566 Vgl. Pleyer, Kleo: Burgenland und das Reich. In: Volk und Reich (1929), Jg. 5, Heft 1, S. 11 – 19. 567 Vgl. V. Batocki-Bledau: Ostpreußens bevölkerungspolitische Not. In: Volk und Reich (1930), Jg. 6, Heft 10/11, S. 657 – 661. 556

7. Auslandsdeutschtum und Krise des Nationalstaates

123

einer der wichtigsten Autoren von „Volk und Reich“, Karl Christian von Loesch, bestand darauf, dass die Lösung des Nationalitätenproblems Deutschlands gleichzeitig den „Schlüssel zu einer Neuordnung in Europa bedeutet, eine Lösung, die nur auf einem gerechten Ausgleich zwischen Staat und Volk oder auch zwischen den Völkern Europas beruht“569. Er nannte als objektive Grundlage der besonderen Position Deutschlands die Größe des Volkes – mehr als 70 Mio. Außerdem beeinflussten eben die Deutschen die Kultur der ostmitteleuropäischen Länder besonders stark. Noch ein Grund: Die deutsche Sprache diene immer noch als Verkehrs- und Handelssprache in Osteuropa.570 Auch von der „Europäischen Revue“ wurde die außerordentliche Bedeutung der Minderheitenfrage für ganz Europa betont. Dank Deutschland sei „dieser mißtönige Waffenlärm an seinen Grenzen verstummt, und vielleicht auch aus seinen Leiden heraus berufen, der Welt einmal die Wege aus dem Wirrsal zu weisen“571. Nur Deutschland könne das Nationalitätenproblem Europas lösen und dafür müsse es die Institution des Nationalstaates abschaffen und stattdessen eine übernationale Organisation gründen. Es ist schwer zu übersehen, dass bei den Autoren eine Schere auseinandergeht. Während die Versuche, deutsche Herrschaft historisch sowie geopolitisch (als Land der Mitte) zu legitimieren, bei der Mehrheit der konservativ-revolutionären Theoretiker vertreten waren, kam es bei solchen Themen wie Rasse, Religion oder Auslandsdeutschtum zu einer deutlichen Teilung: Autoren wie Moeller van den Bruck, Wilhelm Stapel und Ernst Nieksich neigten eher dazu, radikale Argumente wie besondere Religiosität des deutschen Volkes oder außerordentliche schöpferische Kraft des germanischen Blutes vorzubringen. Die Befürworter der Mitteleuropaidee – Autoren des „Tat“-Kreises (vor allem Giselher Wirsing), Max Hildebert Boehm, Karl Christian von Loesch, Martin Spahn und Autoren der „Europäischen Revue“ – konzentrierten sich auf die Probleme des Auslandsdeutschtums und des Nationalstaates und wählten öfter mildere Formulierungen als Moeller van den Bruck, Stapel oder Niekisch.

568 Vgl. v. Bülow: Die Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen. In: Volk und Reich (1931), Jg. 7, Heft 7/8, S. 464 – 470. 569 Loesch: Ziele und Wege deutscher Volkstumspolitik. In: Volk und Reich (1928), Jg. 4, Heft 9/10, S. 565. 570 Vgl. Loesch: Der großdeutsche Gedanke (wie Anm. 30), S. 32. 571 Schottlaender, Felix: Eine europäische Frage. In: Europäische Revue, Jg. 3, Heft 3, Juni 1927, S. 237.

VI. Variationen der Europaidee Der Begriff der „Europaidee“ wurde nicht ausschließlich als Bezeichnung für den entsprechenden Ideenkomplex der konservativen Revolutionäre verwendet. Definitionen, die um einiges häufiger Verwendung fanden, waren „Mitteleuropaidee“ oder „Reichsidee“. Die beiden letztgenannten Begriffe bezeichnen dennoch die konservativ-revolutionäre Sicht der europäischen Neuordnung. Auf die Besonderheiten der Europawahrnehmung im Rahmen beider Ideenkomplexe einzugehen, hilft, die Vielfältigkeit des konservativ-revolutionären Europadenkens zu betonen und dadurch die Merkmale einzelner Autoren zu analysieren.

1. Mitteleuropaidee: Geschichte und Interpretationen des Begriffes Die Verfechter der Mitteleuropaidee gingen davon aus, dass der mitteleuropäische Raum eine Einheit darstelle und das gesamte mitteleuropäische Kulturgebiet die Grenzen der Nationalstaaten überschreiten müsse. Obwohl der Name Mitteleuropa eindeutig auf den geographischen Bezug hinweist, hatte die Idee schon immer eine eher politische Bedeutung. Die Mitteleuropaidee wurde oft mit der Diskussion um Großdeutschland und Kleindeutschland in Verbindung gebracht. Wegen seiner geographischen Lage und seiner sich seit dem Mittelalter etablierten Präsenz in Osteuropa müsse Deutschland die führende Rolle in dieser Region einnehmen. Deutschland habe eine historische Aufgabe zu erfüllen: Es sollte die Führung über Mitteleuropa übernehmen und die mentalen Gegensätze zwischen Ost und West ausgleichen. Darüber hinaus sollte es seine hegemoniale Stellung in Mitteleuropa dazu nutzen, ein „europäisches Gleichgewicht“ zu schaffen. Die Geschichte des Begriffes Mitteleuropa ist vielschichtig. Nicht jedes „Mitteleuropa“, das seit dem 19. Jahrhundert als ein außenpolitischer Wunsch oder geopolitisches Konzept erschien, hatte das gleiche negative Bild wie die Mitteleuropaidee der Konservativen Revolution. Im Kontext der Analyse des Begriffes Mitteleuropa lohnt es sich, auf die Studie „Mitteleuropa. Auf den Spuren eines Begriffes“ von Jacques Le Rider aufmerksam zu machen. Besonderes Interesse verdient die These, dass unter Mitteleuropa zu unterschiedlichen Zeiten ganz verschiedene Räume verstanden wurden.572 Wenn man den Verlauf der Geschichte 572 Vgl. Le Rider, Jacques: Mitteleuropa. Auf den Spuren eines Begriffes. Ins Deutsche übersetzt von Robert Fleck. Wien 1994, S. 8.

1. Mitteleuropaidee: Geschichte und Interpretationen des Begriffes

125

Mitteleuropas verfolgt, wird noch eine weitere These von Le Rider verständlich: Der französische Historiker behauptet zu Recht, dass die Mitteleuropadiskussion immer wieder in den Krisenmomenten Europas aufbrach.573 Jedes Mal, wenn die zwischenstaatlichen Beziehungen im Zentrum Europas auseinanderbrachen, stellte sich die Frage, ob dieser Teil des europäischen Kontinents nicht einfach anders organisiert werden sollte. Die dritte These von Le Rider lautet, dass die Mitteleuropaidee eine deutlich größere Rolle in Deutschland spielte als in den osteuropäischen Ländern.574 Trotzdem gab es sowohl deutsche und österreichische als auch tschechische oder polnische Versionen der Mitteleuropaidee.575 Als Beispiele dafür dienen einerseits Karl Anton Rohan, der österreichische Herausgeber der „Europäischen Revue“, der in seinem Denken den deutschen konservativen Revolutionären sehr nah stand,576 und andererseits Hugo von Hofmannstahl, für den die österreichische Idee gleich die Idee Europas bedeutete.577 Jedoch blieb die deutsche Mitteleuropaidee eine ideologische Konstruktion besonderer Art, sowohl was ihren geistigen Inhalt als auch was die politischen Auswirkungen anbelangt. Die konservativen Revolutionäre waren nicht die ersten, die das Thema der Integration im mitteleuropäischen Raum angesprochen haben. Sie haben das bereits existierende Konzept aufgegriffen und weiterentwickelt. Bereits im 19. Jahrhundert stellte der mitteleuropäische Raum einen wichtigen Gegenstand der Diskussionen dar.578 Julius Fröbel, Constantin Franz, Friedrich List, Freiherr von Bruck und viele andere Denker haben die Mitteleuropaidee auf ihre Art und Weise vertreten.579 573

Vgl. ebd., S. 11. Vgl. ebd., S. 17; vgl. dazu Stirk, Peter: Mitteleuropa. History and prospects. Edinburgh 1954, S. XI. Überraschend ist, dass auch Peter Stirk „Mitteleuropa“ als Titel für sein englischsprachiges Buch ausgewählt hat, obwohl dort die Mitteleuropaidee aus der nichtdeutschen Perspektive betrachtet wird. Er erklärt dies damit, dass die Deutschen in dieser Region eine besonders wichtige Rolle gespielt haben. Seiner Meinung nach ist das sogar eines der Identitätsmerkmale Mitteleuropas. 575 Vgl. Plaschka, Richard G. / Haselsteiner, Horst / Drabek, Anna M.: Mitteleuropa – Idee, Wissenschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert. Wien 1997. 576 Vgl. Müller, Nils: Karl Anton Rohan (wie Anm. 195). 577 Vgl. ebd., S. 195. 578 Vgl. Gollwitzer, Heinz: Europabild und Europagedanke. Beiträge zur deutschen Geistesgeschichte des 18. u. 19. Jahrhunderts. München 1972. Gollwitzer lieferte mit seiner Habilitationsschrift eine umfangreiche Darstellung und Analyse der Entwicklung der Mitteleuropaidee im 18. und 19. Jahrhundert. 579 Die Forschung in diesem Bereich ist sehr lebendig und hat bereits zahlreiche Erkenntnisse geliefert. Es wurden etliche Monographien veröffentlicht, die sich mit der Entwicklung der Mitteleuropaidee beschäftigen. Zusätzlich zu den oben aufgeführten Werken dürfen folgende Studien nicht unerwähnt bleiben: Brechtefeld, Jörg: Mitteleuropa and German Politics. 1848 to the Present. London 1996; Meyer, Henry Cord: Mitteleuropa in German Thought and Action 1815 – 1945. The Hague 1955; Weimer, Christian: „Mitteleuropa“. Ein komplexer und ambivalenter politischer Terminus und die kontroverse Diskussion über ihn in den achtziger und neunziger Jahren, S. 507 – 529. In: Kick, Karl G. v. / Weingarz, Stephan / Bartosch, Ulrich (Hrsg.): Wandel durch Beständigkeit: Studien zur deutschen und internationalen Politik. Berlin 1998, S. 507 – 529. 574

126

VI. Variationen der Europaidee

Von besonderer Bedeutung für unsere Forschung ist Constantin Franz, der sich mit der mitteleuropäischen Problematik am Ende des 19. Jahrhunderts befasste. Er wurde unter anderem durch die Kritik der kleindeutschen Lösung Bismarcks und des Nationalstaates bekannt. Er idealisierte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und glaubte, dass die Rückkehr zu den deutschen Traditionen die Geburt des neuen, „echten“ Reiches zur Folge haben würde. In seinem Buch „Quid Faciamos Nos“ propagierte er das germanische Bündnis mit England und den skandinavischen Ländern, um das Bild von Mitteleuropa dadurch zu erweitern.580 Außerdem galt er als einer der ersten Befürworter des Föderalismus. In seiner Schrift „Weltpolitik“ beschrieb er die Gefahr für Europa durch die wachsenden Großmächte USA und Russland. Als Schutzmaßnahme sollte sich Europa unter deutscher Führung auf föderalistischen Grundlagen vereinigen.581 Unter Mitteleuropa wurde oft auch eine wirtschaftliche Vereinigung verstanden. Bereits im 19. Jahrhundert propagierte der Denker Friedrich List eine wirtschaftliche Vereinigung im deutsch-ungarischen Raum in seinem 1841 erschienenen Buch „Das nationale System der politischen Ökonomie“. Dieser Wirtschaftstheoretiker des 19. Jahrhunderts galt lange Zeit in Deutschland als der Vater des mitteleuropäischen Gedankens.582 List begann seine Überlegungen mit der These, dass die wachsende Bevölkerung Deutschlands neue Räume bräuchte. Die koloniale Expansion sei keine relevante Option für Deutschland, da die Konkurrenz mit Großbritannien, Spanien und Frankreich in diesem Bereich nicht möglich wäre. Eine Lösung lag für ihn direkt auf dem europäischen Festland. Deutschland solle einen einheitlichen Wirtschaftsraum mit den Ländern Südosteuropas schaffen und dort eine Führungsrolle übernehmen.583 Populär wurde die Mitteleuropaidee von Friedrich Naumann. Naumanns Buch „Mitteleuropa“, das im Jahr 1915 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, war eine Sensation und sorgte für jahrelange Diskussionen. Nach einigen Überlegungen beschränkte Naumann den „zu vereinigenden“ Teil Europas auf Deutschland und Österreich-Ungarn. Jedoch widmete er einen großen Teil des Buches den Beziehungen zwischen Deutschland und den anderen osteuropäischen Völkern und der Rolle Deutschlands in Europa. Obwohl die wirtschaftlichen Argumente eine ausgesprochen wichtige Rolle in der Konzeption Naumanns spielten, war gerade die politische Symbolik des Buches in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg von einer schwer zu überschätzenden Bedeutung. All diesen Ideenkomplexen gemein war die Betonung der zentralen Rolle Deutschlands in Mitteleuropa. Der Gewinn des „Lebensraumes“ für das deutsche 580

Vgl. Weizmann, Walter R.: Constantin Frantz, Germany and Central Europe. An Ambiguous Legacy. In: Stirk: Mitteleuropa (wie Anm. 574), S. 37 – 40. 581 Vgl. Elvert, Jürgen: Constantin Frantz (1817 – 1891). In: Duchhardt, Heinz (Hrsg.): Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 1. Göttingen 2006, S. 153 – 178. 582 Vgl. Meier-Stein, Hans-Georg: Die Reichsidee. 1918 – 1945. Aschau 1998, S. 12. 583 Vgl. ebd., S. 12 f.

1. Mitteleuropaidee: Geschichte und Interpretationen des Begriffes

127

Volk wurde durch die paternalistische Rolle für seine osteuropäischen Nachbarvölker gerechtfertigt. Ein weiteres wichtiges, gemeinsames Merkmal dieser Ideen besteht darin, dass die deutsche Führung auf keinen Fall zur Diskriminierung anderer Völker führen würde. Während Constantin Frantz und Friedrich List oft als Vorbilder von den konservativen Revolutionären wahrgenommen wurden, waren die Ideen von Friedrich Naumann dem Trommelfeuer der konservativ-revolutionären Kritik ausgesetzt. Wilhelm Stapel betonte zwar die Bedeutung von Friedrich Naumann, stimmte aber seiner Vision der Mitteleuropaidee nicht zu.584 In seinem Kondolenz-Artikel zum Tode Friedrich Naumanns bezeichnete Stapel die Naumann’sche Mitteleuropaidee als „kleindeutsch“ und ausschließlich von Bismarck geprägt. Das machte die Konzeption von Naumann „nicht ausreichend“ für Stapel: „Naumanns „Mitteleuropa“ ist nicht nur durch den Ausgang des Krieges zerschlagen worden, sondern es trug eine gewisse innere Unzulänglichkeit in sich.“585 Sowohl die Politik selbst als auch das politische Denken hätten nicht vom Staat, sondern vom Volk ausgehen müssen. Auch Boehm kritisierte Friedrich Naumanns Mitteleuropabild und bezeichnete es als oberflächlich. Er merkte zwar an, dass „es in der Verkündung nationaler Duldsamkeit in einzelnen Punkten sogar reichlich weit ging“586, trotzdem gäbe sie „dem allgemeinen böswilligen Mißtrauen nur neue Nahrung“587. Zu den Befürwortern der Mitteleuropaidee unter den konservativen Revolutionären, die versuchten, ihr eigenes Mitteleuropabild zu schaffen, zählten Max Hildebert Boehm, Karl Christian Loesch und die Autoren von „Volk und Reich“, Autoren des „Tat“-Kreises inklusive Giselher Wirsing, Martin Spahn, Karl Anton Rohan, die Autorenschaft der „Europäischen Revue“ sowie Edgar Julius Jung. Aber der Begriff „Mitteleuropa“ wurde auch von Moeller van den Bruck, Ernst Niekisch, Oswald Spengler und Wilhelm Stapel in ihren Büchern und Artikeln benutzt. Bereits Spengler wies darauf hin, dass Mitteleuropa allein aus geographischen Gründen eine deutsche Aufgabe sein sollte. Als Grund nannte er den „Mangel an natürlichen Grenzen.“588 Deutschland liege an der Grenze zu Asien und müsse sich und ganz Europa davor schützen. Deswegen sei das Schicksal Deutschlands so eng mit dem Weltschicksal verbunden „und niemand hat es nötiger, politisch und wirtschaftlich weit über die Grenzen hinaus zu denken, als die Deutschen“589. Die Deutschen hätten den Fehler begangen, sich in ihrer Geschichte immer auf „Kleinstaaterei“ beschränkt zu haben. Es hätte eine lange Geschichte der Formierung dieses Denkens gegeben, die mit der Politik der Staufenkaiser begann. Selbst die Idee des Reiches sei eine Folge davon gewesen: 584 585 586 587 588 589

Vgl. Kessler: Wilhelm Stapel als politischer Publizist (wie Anm. 18), S. 25. Stapel: Friedrich Naumann tot. In: Deutsches Volkstum (1919), S. 281 – 282, hier S. 282. Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 41. Ebd. Spengler: Jahre der Entscheidung (wie Anm. 55), S. 10. Ebd.

128

VI. Variationen der Europaidee

„Seitdem sperrte man sich in zahllose Vaterländchen und Winkelinteressen ein, maß die Weltgeschichte an deren Horizont und träumte hungernd und armselig von einem Reich in den Wolken, wofür man das Wort Deutscher Idealismus erfand.“590

Viele Ideenkomplexe, die auf den ersten Blick international erschienen („all die internationalen, kommunistischen, pazifistischen, ultramontanen, föderalistischen, ,arischen‘ Wunschbilder vom Sacrum Imperium, Sowjetstaat oder Dritten Reich“591), waren für Spengler Symbole dieser Ausgeschlossenheit Deutschlands, weil sie den Rest der Welt nicht in Anspruch nähmen. Auch Moeller van den Bruck befasste sich mit der Mitteleuropaidee. Er entwickelte zwar keine Mitteleuropakonzeption, jedoch setzte er wie Spengler einen Impuls, der sich bei den anderen Autoren des jungkonservativen Kreises in zahlreichen Schriften äußerte. Moeller setzte sich mit den Werken von Friedrich List auseinander und fand darin die Bestätigung, dass die „Kontinentalpolitik“ allgemein und speziell die Mitteleuropapolitik die Zukunft Deutschlands verkörpern solle.592 Er sprach bereits die Existenz der Mitteleuropakultur an und betrachtete auch die Person von Armin, der der erste deutsche Machthaber Mitteleuropas gewesen sein sollte.593 Mitteleuropa als geopolitischer Akteur wurde bereits von ihm mit dem Zweck erwähnt, einen zukunftsversprechenden Raum zu definieren.594 Eine umstrittene Position in Bezug auf die Mitteleuropaidee entwickelte Ernst Niekisch. In seinen früheren Schriften zeigte er sich noch als Befürworter der Idee des vereinigten Mitteleuropas. Das sei die ewige deutsche Aufgabe, dass „Deutsche, Polen, Tschechen, Jugoslawen“ von den Deutschen vereinigt werden sollten. Doch in seiner 1929 erschienenen Schrift „Gedanken über die deutsche Politik“ war er nicht mehr so überzeugt und stellte die Mitteleuropaidee eindeutig in Frage: „Ob freilich jene Idee des mitteleuropäischen Reiches unter Deutschlands Führung den ,Weg ins Freie‘ weist, ist vorerst doch noch sehr die Frage.“595 Zwei Jahre später in seinem Hauptwerk „Entscheidung“ bezeichnete Niekisch Mitteleuropa als wünschenswert für den Anfang der deutschen Expansion, aber eindeutig nicht ausreichend. Und seine Mitteleuropaidee sei sowieso anders als alle anderen, die er scharf kritisiert hat:596 „Mitteleuropa ist unter heutigen Umständen eine politische Konzeption aus zu engem Horizont und zu kurzer Perspektive. Ihr fehlt das Erlebnis des Weltumsturzes; sie lässt außer acht, dass nur noch ungeheure Räume Gewicht besitzen, seitdem der Technik die Bewäl590

Ebd. Ebd., S. 23 f. 592 Vgl. Moeller van den Bruck: Die Einkehr bei Friedrich List. In: Moeller van den Bruck: Der politische Mensch (wie Anm. 471), S. 95 f. 593 Vgl. Moeller van den Bruck: Das ewige Reich, Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 56. 594 Vgl. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 12 f. 595 Niekisch: Politische Schriften (wie Anm. 72), S. 33. 596 Vgl. Pittwald, Michael: Ernst Niekisch. Völkischer Sozialismus, nationale Revolution, deutsches Endimperium. Osnabrück 2000, S. 173 ff. 591

1. Mitteleuropaidee: Geschichte und Interpretationen des Begriffes

129

tigung unermesslichster Entfernungen gelang. Innerhalb der gegenwärtigen Weltsituation wäre Mitteleuropa nur ein Vorgelände des europäisch-amerikanischen Machtkreises. Mitteleuropa ist Bürgerromantik: wenn sich die politische Phantasie des deutschen Bürgers zum nationalen Fluge erhebt, dann kreist sie zwischen Berlin, Wien, Prag, vielleicht noch Warschau, Belgrad und Sofia. In der Trunkenheit seines Höhenrausches umarmt der schwärmende Bürger Deutsche, Polen, Tschechen, Jugoslawen; weil er es so gut und herzlich meint und er sich zudem noch ein gewinnbringendes Geschäft von so viel Idealismus verspricht, zweifelt er nicht daran, alle diese Völker in Frieden und Eintracht einen können.“597

Edgar Julius Jung war einer der ersten, der eine Definition von Mitteleuropa versuchte und auf die besondere Bedeutung dieses Gebietes hinwies. Mitteleuropa sei „das Kerngebiet, auf dessen Bedürfnisse die Rechtssätze einer europäischen Staatenverbindung zugeschnitten werden müssen“598. Mitteleuropa ließe sich nicht auf das kleindeutsche Reich beschränken. Der Raum, der zum Deutschen Reich und Österreich-Ungarn gehörte, bedürfe „gemeinsamer überstaatlicher Neuordnung“599: „Alle geographischen Zeichen weisen die Ost- und Südostvölker zur Mitte hin, umgekehrt aber auch die Deutschen nach Osten und Südosten, in den Raum des geringsten Widerstandes.“600 Einer der aktivsten Befürworter der Mitteleuropaidee unter den konservativen Revolutionären war Max Hildebert Boehm. Er verband die Etablierung der mitteleuropäischen übernationalen Organisation mit der Lösung der grenzdeutschen Frage. Das Grenzdeutschtum wurde von Boehm als ein zentrales Problem des mitteleuropäischen Raumes verstanden. Dementsprechend sei die Gestaltung des mitteleuropäischen Schicksals ein gemeinsames Ziel für das Binnen- und Grenzdeutschtum.601 Das solle die Wiederbelebung des großdeutschen Gedankens602 auslösen, der „ein Rahmengedanke“603 sei. Max Hildebert Boehm plädierte für die Inanspruchnahme der deutschen Nation und wies darauf hin, dass die Interessen von allen ihren Teilen nie im Rahmen eines Nationalstaates verwirklicht werden könnten. Deswegen müssten die Deutschen das politische Schicksal des Raumes, in dem es Teile des deutschen Volkes gibt, in ihre Hände nehmen.604 Dabei ließ Max Hildebert Boehm zu, dass es weiterhin Nationalstaaten in Europa geben könne, allerdings nicht in Mitteleuropa. Dieser Teil Europas kämpfe „um Wiedergewinnung ihrer staatlichen Eigenform“605. Der Westen propagiere die für Mitteleuropa tödliche Minderheitenideologie. Deswegen sei Mitteleuropa die letzte Bastion im Kampf gegen den 597 598 599 600 601 602 603 604 605

Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 102), S. 181 f. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 647. Ebd., S. 656. Ebd., S. 657. Vgl. Boehm: Grenzdeutsch – Großdeutsch (wie Anm. 79), S. 5. Vgl. ebd., S. 6. Ebd., S. 11. Vgl. ebd. Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 314 f.

130

VI. Variationen der Europaidee

Westen und für Europa: „Der mitteleuropäische Reichsgedanke, über den Lagarde und Frantz nachsannen, wird noch einmal vor seine große Bewährungsprobe gestellt werden. Er allein kann die europäische Bewährungsfrage lösen.“606 Noch ein Prophet des mitteleuropäischen Gedankens – Martin Spahn – machte die europäische Zukunft von der Frage abhängig, ob Deutschland es schafft, Mitteleuropa zu regieren: „Kann Mitteleuropa von den Franzosen gegen uns gestaltet werden, so wird damit unserer geschichtlichen Geltung ein Ende bereitet. Denn wir verlieren den Raum, in dem wir uns von Natur betätigen müssen. Gestalten wir dagegen Mitteleuropa, so werden wir dadurch aufs neue zum Führervolke Europa werden. […] Die Sendung heisst – Mitteleuropa!“607

Spahn betonte, dass seine Version der mitteleuropäischen Idee nichts mit den liberalen Gedanken Friedrich Naumanns zu tun habe, sondern aus dem nationalkonservativen Lager stamme. Im Rahmen dieser „richtigen“ Mitteleuropaidee müsse „das festländische Nationalitätenproblem“ als Teil der deutschen Verantwortung anerkannt werden. Diese Verantwortung sei zwar ein „abendländisches Erbe“, „eine volle Hingabe aber ist für das ganze deutsche Volk nur germanisch-christlichen Gestaltungskräften gegenüber als kategorische Forderung möglich“608. Diese christlich-abendländische Gestalt mache die Mitteleuropaidee von Martin Spahn besonders. Eine ähnliche Position ist im Gedankengut der „Europäischen Revue“ zu finden: Karl Anton Rohan verstand „Mitteleuropa als den eigentlichsten Geltungsbereich deutscher Politik, der abendländisch und katholisch ausgerichtet sein müsste.“609

2. Zwischeneuropaidee Ein Mitteleuropa als Vereinigung freier Staaten, die „die politischen, wirtschaftlichen und ethnographischen Aufgaben gemeinsam lösen will“610, fand auch im Schrifttum von „Die Tat“ seinen Ausdruck. In dieser bekanntesten Zeitschrift des Jungkonservatismus war jedoch eine andere Bezeichnung noch gängiger: das von Wirsing ausgearbeitete Konzept hieß „Zwischeneuropa“. Giselher Wirsing entwickelte seine Theorie eines „Zwischeneuropas“, da er den Begriff „Mitteleuropa“ nicht benutzen wollte, denn es sei „eines der Gespenster des 606

Boehm: Mitteleuropa, das Westlertum und die Minderheitenfrage (wie Anm. 93). Spahn: Mitteleuropa. In: Volk und Reich. Jg. 1, April-Mai 1925, S. 2 – 38, hier S. 38. 608 Boehm: Das mitteleuropäische Nationalitätenproblem (wie Anm. 136), S. 368. 609 Müller, Guido: Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Das Deutsch-Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund. München 2005, S. 388. 610 Thierbach, Hans: Deutsche Kulturpolitik in Mitteleuropa. In: Die Tat, Bd. 22, Heft 7, Okt. 1930, S. 562 – 567, hier S. 567. 607

3. Inneneuropa

131

Krieges und der Versailler Atmosphäre“611. Dieser Begriff sei im Zeithorizont des Ersten Weltkrieges entwickelt worden und daher der abendländischen Tradition zuzuordnen. Während das Buch von Naumann veröffentlicht wurde, war der Erste Weltkrieg noch nicht beendet, Deutschland hätte ihn noch gewinnen können. Diese Tatsache machte für Wirsing den ganzen Sachverhalt der Theorie von Friedrich Naumann wertlos. Wirsing wies außerdem auf die geographischen Unterschiede zwischen dem Zwischeneuropa von Naumann und dem geographischen Mitteleuropa hin. Das Mitteleuropa von Naumann sollte Deutschland, Österreich und Ungarn umfassen, während der geographische Begriff Mitteleuropa das Territorium zwischen Frankreich und der Sowjetunion umspannte.612 Diese Beschränkung fand Wirsing unlogisch. Die Tatsache, dass Wirsing einen anderen Begriff benutzte, bedeutet aber nicht, dass sich seine Konzeption prinzipiell von der Mitteleuropaidee unterschied. Im Gegenteil: Das war das Musterbeispiel der Mitteleuropaidee. Den Begriff „Zwischeneuropa“ empfand Wirsing als besonders passend, „weil der gesamte Lebensprozess dieser Völker durch die Zwischenstellung zwischen Osten und Westen fundamental geformt worden ist“613. Zwischeneuropa sei „der Ostraum [des] geographischen Mitteleuropa“614. Deutschland bilde mit dem Zwischeneuropa eine Raumeinheit, sei schicksalhaft damit verbunden.615

3. Inneneuropa Der Leiter des Deutschen Schutzbundes, Karl Christian von Loesch, repräsentierte zusammen mit Martin Spahn, Max Hildebert Boehm, Karl und Albrecht Haushofer die geopolitische Version der Mitteleuropaidee.616 In seinen Aufsätzen 611

Wirsing: Zwischeneuropa (wie Anm. 25), S. 8. Vgl. ebd., S. 9. 613 Ebd., S. 7. 614 Ebd., S. 9. 615 Vgl. ebd. Die Raumintegration sei etwas ganz anderes als die Integration der Einzelstaaten: „Dieser Staatsintegration, auf deren Durchleuchtung sich Smend beschränkt, kann jedoch eine überstaatliche Raumintegration gegenüberstehen, sofern ein überstaatlicher Raum soziologisch, wirtschaftlich, historisch oder geographisch einheitlich bestimmt ist“. Diese beiden Richtungen seien nicht nur unterschiedlich, sondern auch miteinander unvereinbar: „Raumintegration und einzelstaatliche Integration sind konkurrierende Faktoren“. 616 Vgl. Hoffmann, Karl: Mitteleuropa in der Weltpolitik und in den Welträumen. In: Volk und Reich, Jg. 1, April-Mai 1925, S. 38 – 47, hier S. 47. Hoffmann sah in Mitteleuropa einen eigenständigen politischen Akteur, der als Vermittler zwischen Eurasien, Afrika und Südamerika auftreten sollte: „Denn nur Mitteleuropa vermag sich durch den Balkan und Vorderasien und über See mit dem ,Westen‘ über das Schicksal Afrikas auseinandersetzen. Und würde der östliche Transkontinent ,Eurasiens‘ zu den selbstständigen Handlungen des Südamerikanismus gleichgerichtete Beziehungen gewinnen wollen, um die säkulare Schöpfung einer neuen Weltlage möglich zu machen, so könnte er dies nur durch ein seefahrendes und politisch selbstbewusstes Mitteleuropa.“ 612

132

VI. Variationen der Europaidee

wurde die Mitteleuropaidee oft mit Bezug zum Völkerrecht begründet. Die Lage des Auslandsdeutschtums wurde im Kreis dieser Autoren besonders oft angesprochen und als zentrales Problem Deutschlands erkannt. Probleme des Ostens zu lösen sei deutsche Aufgabe, für die man „den westlichen Teil und die Mitte Mitteleuropas vom Meer bis zu den hohen Bergscheiden hin erfüllen und immerhin eine wenn auch bedrohte Staatlichkeit über einen großen Raum ausüben“617 sollte. Auch in dieser Autorengruppe wurde oft eine andere Definition der Mitteleuropaidee verwendet: Inneneuropa. Albrecht Haushofer benutzte diesen Begriff zum ersten Mal. Karl Christian von Loesch griff die Bezeichnung „Inneneuropa“ auf und benutzte sie in seinen Schriften. Haushofer war überzeugt, dass Europa kulturell in unterschiedliche Teile aufgeteilt sei. Spanien sei durch arabische Einflüsse eigenständig geblieben, Skandinavien bilde eine eigene Region, England habe seine Identität durch die „Inselkultur“ definiert, Italien sei durch das lateinische Erbe gekennzeichnet worden. Für die Bezeichnung einer anderen Region verwendete Haushofer den Begriff „Innereuropa“: „[V]on der Garonne bis an die Düna, vom Kanal bis zur unteren Donau“618 erstrecke sie sich. Inneneuropa habe auch eine innere Gliederung. Einer von den zu Inneneuropa gehörigen Räumen sei Frankreich, ein zweiter Deutschland und ein dritter Zwischeneuropa. Diese seien nicht gleichmäßig entwickelt: „So ist von den drei Teilgebieten Inneneuropas nur der eine heute gestaltet, der zweite, zentrale, ist im besten Falle ein Feld von Trümmern, die sich gegenseitig nicht stören oder stören wollen, von dessen Hauptblock aber von Westen und Osten noch wichtiges herabgeschlagen worden ist; den dritten aber könnte man vergleichen mit dem Acker, auf dem die Saat der Drachenzähne emporsprießt. Sein Schicksal ist mit dem des zentralen deutschen Raumes aber viel stärker historisch und geographisch verknüpft, als mit dem westlichen französischen. So ist Inneneuropa in Not – und mit ihm leiden auch die glücklicheren, randlicher, in sich selbst geschlossener liegenden Völker und Staaten.“619

Loesch behauptete, dass man zuerst den europäischen Kern suchen müsste, um ein neues Europa zu organisieren. Sonst entstünde eine Struktur wie der Genfer Bund mit allen dazugehörigen Nachteilen. Den geographischen Mittelpunkt Europas zu suchen war der Meinung von Loesch nach falsch. Auch sich nach Einzelkriterien zu richten, wie zum Beispiel nach den wirtschaftlich stärksten Gebieten, sei keine optimale Lösung. Nach der Ansicht von Loesch musste „der Kristallisationspunkt […] gerade dort gesucht werden, wo die brennendsten wirtschaftlichen und politi-

617 618 619

Loesch: Der friedlose Osten (wie Anm. 497), S. 41. Haushofer: Europäischer Zusammenschluss? (wie Anm. 201), S. 360. Ebd., S. 363.

4. Reichsidee

133

schen Probleme gehäuft sind“620. Dazu gehörten Staatenprobleme, Völkerprobleme, die festländischen Verkehrsmittel, das moderne Recht, das wiederhergestellt werden soll etc. Deswegen bildete nach Meinung von Haushofer Inneneuropa diesen Kernpunkt: „Dieser treffliche Ausdruck verdient darum den Vorzug vor Festlandeuropa, das nur gegen die Inseln und Halbinseln klar abgrenzt, weil er die randliche Absonderung Ost- und Nordosteuropas gut verdeutlicht, das abgegriffene Mitteleuropa Partschsund Naumanns aber vermeidet, das Spahn und Boehm neuerdings (leider – der vielen damit verbundenen peinlichen Assoziationen wegen) wieder aufgegriffen haben. Es ist eine glückliche Weiterbildung von A. Pencks nicht ohne weiteres verständlichem Zwischeneuropa, das sich damit begnügte, eine Zwischenzone zwischen West- und Osteuropa auszuscheiden. Inneneuropa ist ein vorgestellter Raum, dessen Grenzen sich nicht immer mit Staatsgrenzen decken.“621

Ein konkreter geographischer Unterschied zwischen Inneneuropa und Mitteleuropa sei „der sogenannte Teufelsgürtel Europas“: „[V]olks- und auch staatsmäßig zerstückte Streifen zwischen der Ostsee, der Adria, dem Ägäischen Meere und dem Schwarzen Meere“622. Eine eindeutige inhaltliche Differenz zwischen den Mitteleuropaideen und der Idee von Inneneuropa lässt sich nicht erkennen.

4. Reichsidee Die aus dem abendländisch-christlichen Lager stammende katholische Reichsidee bildete eine breite Schicht der Ideologien der neuen europäischen Ordnung. Sie war nicht nur unter den konservativ-revolutionären Theoretikern, sondern im ganzen intellektuellen Milieu der Weimarer Republik verbreitet und hatte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Öffentlichkeit. Ähnlich wie die Mitteleuropaidee erlebte die Reichsidee in der Weimarer Republik eine Renaissance. Durch ihren sakralen, teilweise mystischen Charakter und nicht eindeutig auslegbaren Inhalt wurde die Reichsidee zu einer Leitkategorie politischer, kultureller Erneuerungsbemühungen. Vielfach wurde das Reich der Deutschen als Verwirklichung des Gottesreichs auf Erden wahrgenommen, das nicht nur Deutschland in sich schloss, sondern das ganze katholische Europa mit umfasste. Nach dem Zerfall des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806 hatte die Idee der deutschen Nation ihre Fortsetzung in verschiedenen Vorstellungskomplexen gefunden – großdeutschen Vorstellungen, Gedanken über eine katholische Monarchie in der Mitte Europas im preußischdeutschen Sendungsgedanken. All diese Vorstellungen hatten gemein, dass sie die 620 Loesch: Paneuropa – Völker und Staaten. In: Loesch / Ziegfeld, Arnold Hillen (Hrsg.): Staat und Volkstum: für den Deutschen Schutzbund. Berlin 1926, S. 40. 621 Ebd. 622 Ebd., S. 42.

134

VI. Variationen der Europaidee

historische Mission eines mythisierten „deutschen Geistes“ postulierten. Dieser Geist sei berufen, Europa zu vereinigen.623 Die Gründung des Dritten Reiches Deutscher Nation (zu unterscheiden vom Begriff des „Dritten Reiches“, das die NSHerrschaft des 20. Jahrhunderts bezeichnete) wurde als historische Mission Deutschlands verstanden, die für die Rettung der ganzen abendländischen Zivilisation durch die Vereinigung der Völker Europas sorgen sollte. Die Reichsidee stellte einen uralten religiösen, mythischen Vorstellungskomplex dar. Im Mittelpunkt der Reichsideologie stand das Deutsche Reich als eine zugleich sakrale und historisch geprägte Erscheinung. Die Befürworter der Idee des ewigen deutschen Reiches sahen es als eine historische, sakrale Staatsform, für die das deutsche Volk auserkoren sei. Die Notwendigkeit der Gründung eines „Dritten Reiches Deutscher Nation“ wurde vielfach aus dessen „Ewigkeitswert“ und seinem sakralen Charakter abgeleitet. Das Reich war für seine Apologeten ein besonderer Staatstyp, der mit den Staatsformen Monarchie oder Republik nichts zu tun habe. Zu den Hauptverfechtern der Reichsideologie unter den konservativen Revolutionären zählten Arthur Moeller van den Bruck, der den Begriff „Drittes Reich“ in die Diskussion einführte, Wilhelm Stapel, Friedrich Hielscher, Max Hildebert Boehm, Edgar Julius Jung, Martin Spahn und Karl Anton Rohan. Ähnlich wie es mit der Mitteleuropaidee der Fall war, wurde der Begriff „Reich“ von den Vertretern anderer Ordnungsvorstellungen wie der Mitteleuropa- oder Zwischeneuropaidee übernommen und für die Bezeichnung der gewünschten Staatsform benutzt. Bei der Entwicklung der konservativ-revolutionären Reichsidee muss Moeller van den Bruck eine besondere Rolle zugewiesen werden. In seinem politischen Hauptwerk „Das Dritte Reich“ schreibt er dem deutschen Volk die Mission zur Etablierung eines neuen, dritten Reiches zu, welche er aus dessen Geschichte ableitet. Diese Mission solle mit der „deutsche[n] Durchdringung des Europäertums“624 verbunden sein625 und habe das Ziel, das „Ewige Reich“ zu etablieren. Moeller van 623 Zur Reichsidee gibt es eine fundierte Bibliographie. Hier nur einige besonders bedeutende Werke: Vgl. Neurohr, Jean F.: Der Mythos vom Dritten Reich. Zur Geistesgeschichte des Nationalsozialismus, Stuttgart 1957; Breuning, Klaus: Die Vision des Reiches (wie Anm. 511); Beilner, Helmut: Reichsidee, ständische Erneuerung und Führertum als Elemente des Geschichtsbildes der Weimarer Zeit. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 28 (1977), S. 1 – 16; Kettenacker, Lothar: Der Mythos vom Reich. In: Bohrer, Karl Heinz (Hrsg.): Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion. Frankfurt a.M. 1983, S. 261 – 289; Fenske, Hans: Das Dritte Reich. Die Perversion der Reichsidee. In: Deutschland und Europa. München 1992; Langewiesche, Dieter: Reich, Nation und Staat in der jüngeren deutschen Geschichte. In: Historische Zeitschrift Band 254 (1992); Brentjes, Burchard: Der Mythos vom Dritten Reich. Drei Jahrtausende Sehnsucht nach Erlösung. Hannover 1997; Richter, Reinhard: Nationales Denken im Katholizismus der Weimarer Republik. Münster 2000. 624 Moeller van den Bruck: Das ewige Reich, Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 6. 625 Dazu vgl. Schwierskott: Arthur Moeller van den Bruck (wie Anm. 17), S. 107: „Der Sendungsgedanke, so wie er uns in der Moellerschen Reichsidee gegenübertritt, bedingte dreierlei: zum ersten eine Gemeinschaft als Träger der Idee (bei der Reichsidee das Reichsvolk; entsprechend beim Marxismus das Proletariat), zum zweiten greift er notwendig über den Staat

4. Reichsidee

135

den Bruck geht in seinen Betrachtungen auf die Geschichte des Reichsgedankens ein und weist auf die Mächtigkeit und auf das Alter dieser Idee hin.626 Ihren Ursprung sieht Moeller in der deutschen Geschichte: Dem Zerfall des ersten deutschen Reiches (1806), dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, folgte der Wunsch nach seiner Wiederherstellung: Seit jeher träume das deutsche Volk den Traum vom tausendjährigen Reich, einem Reich, das die Bestimmung des Volkes nach der sakralen, von Gott gegebenen und vom Schicksal bestimmten Macht über die anderen Völkern erfüllen sollte.627 Auch die anderen Völker hatten nach Moeller van den Brucks Meinung Anspruch auf ihre Reiche, was dem deutschen Volk Konkurrenz machen würde. Es könnte ein lateinisches, angelsächsisches oder allslavisches Reich geben – seine Befürworter wären froh, die materielle Basis des Deutschen Reiches zu zerstören.628 Gleichzeitig bestand Moeller darauf, dass es nur ein „Reich“ gebe, „wie es nur Eine Kirche gibt. Was sonst diesen Namen beansprucht, das ist Staat, oder das ist Gemeinde oder Sekte. Es gibt nur Das Reich“629. Damit betonte Moeller die Einzigartigkeit des Deutschen Reiches und die Illegalität aller anderen Ansprüche auf diese Position. Moeller van den Bruck sah im Dritten Reich die Rettung Europas, weil die Idee des Dritten Reiches selbst die Idee des europäischen Friedens wiederspiegele.630 Moeller betonte auch den mystischen, realitätsfernen Charakter des Reichsgedankens. Das sei „ein Weltanschauungsgedanke, der über die Wirklichkeit hinausgeht“631. Deswegen seien auch die damit verbundenen Gedanken „seltsam wolkig, […] gefühlvoll und entschwebend und ganz und gar jenseitig“632. Somit gab Moeller zu, dass der Reichsgedanke wenig mit der Realität zu tun hatte. Erfolgreich könnte er aber nur sein, wenn aus einem Weltanschauungsgedanken ein Wirklichkeitsgedanke werden würde: „Wenn es gelingt, ihn dem Illusionistischen zu entrücken und ganz in das Politische einzubeziehen – so realistisch, wie die Bedingungen unseres staatlichen und nationalen Lebens sind, unter denen wir als europäisches Volk leben sollen, und so skeptisch und pessimistisch, wie es uns im Angesichte dieser Gegenwart zukommt.“633

hinaus, um eine Gemeinschaft über den Staaten zu schaffen und zum dritten bedingt er als Gestaltungsprinzip die Anerkennung der Hierarchie“. Generell sieht Schwierskott den Sendungsgedanken als Grundprinzip der Drittes-Reich-Konzeption. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass der von Moeller van den Bruck geäußerte Sendungsgedanke nicht neu war – selbst Schiller hat den Deutschen „das Höchste“ prophezeit. 626 Vgl. Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich (wie Anm. 212), S. 6. 627 Vgl. ebd. 628 Vgl. ebd., S. 245. 629 Ebd. 630 Vgl. ebd., S. 241. 631 Ebd., S. 35. 632 Ebd. 633 Ebd., S. 7.

136

VI. Variationen der Europaidee

Andererseits liege es in der Natur des Reiches, auf dem Niveau eines Mythos zu bleiben und nicht auf die Umsetzung zugeschnitten zu sein: „Und es ist das Wesen des tausendjährigen Reiches, dass es immer nur in den Verkündigungen lebt, aber niemals den Menschen teilhaftig wird.“634 Die Erfüllung dieses Traumes sei das Ziel und die Idee des deutschen Nationalismus: „Der deutsche Nationalismus ist Streiter für das Endreich. Es ist immer verheißen. Und es wird niemals erfüllt. Es ist das Vollkommene, das nur in Unvollkommenen erreicht wird.“635 Die gleiche Idee wiederholte Moeller in seinem Artikel „Das tausendjährige Reich“, der bereits 1921 in „Gewissen“ veröffentlicht wurde: „Die Menschheit hat sich immer nur Aufgaben gestellt, die sie nicht lösen konnte. Es ist das Wesen aller Utopie, dass sie niemals zur Wirklichkeit wird. Es ist das Wesen aller chiliastischen Hoffnungen, dass sie sich niemals erfüllen. Es ist das Wesen des tausendjährigen Reiches, dass es niemals kommt.“636

Der utopische Charakter der Idee des Dritten Reiches schien ihrem Autor selbst bekannt zu sein. Der ideologische Entwurf Moellers kann alleine deswegen nicht als eine politische Konzeption behandelt werden.637 An dieser Stelle lässt sich besonders gut ablesen, dass die konservativ-revolutionäre Europaidee allgemein und die Reichsidee im Besonderen nicht auf einer auf den Begriffen der Politikwissenschaft basierenden Analyse fußen können. Die metaphysische, schwammige und realitätsferne Idee des Dritten Reiches von Moeller van den Bruck stellte jedoch für viele seiner Zeitgenossen ein Wunschbild deutscher Zukunft dar. Ein Gegenentwurf zur Weimarer Republik und ein Versprechen der deutschen Herrschaft – das war das Verlockende an der Reichsidee für die Jungkonservativen. Der Mythos wurde mit Begeisterung wahrgenommen und weitergetragen. Max Hildebert Boehm bezog sich in seinen Werken auf Moeller van den Bruck und dessen Idee des Dritten Reiches. In der von Moeller van den Bruck verkündeten Dritten Partei sah er sich und seine Mitkämpfer im konservativ-revolutionären Lager.638 Die Reichsidee galt für ihn als Antwort auf seine wichtigste Frage nach dem Zusammenhang zwischen Volk und Staat: „Volk und Staat werden einander immer suchen, aber sie werden sich nie vollkommen finden.“639 Auch Edgar Julius Jung sprach die Idee des Dritten Reiches an: die von Moeller van den Bruck geprägte, „zum Mythos der Revolution“640 gewordene Idee des Reiches, „das mehr ist als der Staat; das über Staatlichkeit und nationalen Stolz

634 635 636 637 638 639 640

Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich (wie Anm. 212), S. 35. Ebd., S. 244. Moeller van den Bruck: Das tausendjährige Reich. In: Gewissen, Jg. 3, Nr. 1, 5. 1. 1921. Vgl. Schwierskott: Arthur Moeller van den Bruck (wie Anm. 17), S. 108. Vgl. Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 271. Ebd., S.127. Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 75.

4. Reichsidee

137

hinauswachsend, den Deutschen als Berufung aufgegeben ist“641. Und da das Reich etwas Größeres als ein „normaler“ Staat sei, bräuchte man für dessen Einrichtung auch mehr, und zwar die Änderung des Gedankenganges: „Das will heißen, dass das ,Dritte Reich‘ keine rein politische Angelegenheit ist, sondern erst gebaut werden kann, wenn der Reformwille von einer neuen Totalität des deutschen Denkens ausgeht“642. Selbst den Zweck seiner Programmschrift „Herrschaft der Minderwertigen“ sah Jung aus der Sicht der Aufklärung. Wenn man für die Schaffung des Reiches den neuen Gedankengang braucht, dann braucht man dafür einen neuen Menschen – so die Logik. Um diesen neuen Menschen erziehen zu können, muss man ihm entsprechende Informationen vermitteln, den Reichsgedanken in allen Aspekten ausarbeiten. So sah Edgar Julius Jung sein Buch als Mittel, das neue Reich der Deutschen verwirklicht zu sehen.643 In der Version von Jung erhielt die Idee Moellers eine starke religiöse Bedeutung. Für Jung sollte das Reich die neue Lebensform der abendländischen Zivilisation werden. Denn die einzig mögliche Grundlage des neuen Lebens in Europa könne die Religion sein. Deshalb betonte Jung, dass der Begriff „Reich“ nicht mit dem Begriff „Großdeutschland“ zu identifizieren sei. Es ginge nicht um die geographische Größe allein. Dadurch unterscheide sich das Reich der Deutschen von allen anderen Reichen – zum Beispiel vom angelsächsischen. Das Reich der Deutschen solle religiös sein und der Erfolg der Deutschen bei der Schaffung dieses Reiches hinge davon ab, ob die Deutschen als Volk zu so einem religiösen Leben fähig seien. Durch die besondere Aufmerksamkeit dem geistigen Aspekt des Reiches gegenüber rechtfertigte Jung den Mangel an Informationen über das Reich als Staatengebilde: „Die gesellschaftliche und politische Gestaltung läuft daneben her oder wird gar zur selbstverständlichen Folge.“644 Außerdem diene das Reich als Gegensatz zur französischen Hegemonie, die durch die deutsche Herrschaft ersetzt werden solle.645 Edgar Julius Jung war der Meinung, dass die französische Aufklärung Völker zum Individualismus gebracht habe. Das deutsche Volk stehe aber immer noch bereit, für die Idee des Reiches zu kämpfen: „Der Erlösungsgedanke von 1789 wirkte noch nach und vermochte Kreuzzugsstimmung zu erzeugen. Der menschheitsbindende Gedanke der organischen Ordnung, räumlich das belagerte Gebiet der Mittelmächte umfassend, war in einem Maße verloren gegangen, dass kaum ein Widerhall bei den mitteleuropäischen Völkern, geschweige denn auf dem weiten Erdenrunde zu erwarten war. Und doch verteidigten die Deutschen das ,Reich‘, jenen Abglanz einer göttlich geordneten Welt, der, aus religiöser Tiefe stammend, einst einen Höchstgrad irdischer Ordnung verkörpert hatte.“646 641 642 643 644 645 646

Ebd. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 171. Vgl. ebd., S. 665. Ebd., S. 65 f. Vgl. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 65 f. Ebd., S. 67.

138

VI. Variationen der Europaidee

Außerdem solle die Erfüllung des Reichsgedankens die Deutschen von ihrem Minderwertigkeitskomplex befreien. Es müsse der Übergang vom Individualismus zum Übernationalen geleistet werden. Und das Reich solle ein Kampfmittel gegen den Untergang des Abendlandes werden, ggf. seine Alternative: „Jeder von uns gelangt auf mühseligem Wege zur Alternative: Untergang des Abendlandes oder Wiederverchristlichung, Gegenreich oder Reich, wie A.E. Günther sagen würde.“647 Die für alle Reichsapologeten so typische metaphysische Schwärmerei war in den Werken von Edgar Julius Jung besonders stark zu spüren: „Im Reich erfüllt sich die Sehnsucht nach der Herrschaft des Göttlichen auf Erden, über dem Reiche schwebt die unsichtbare Krone.“648 Die am meisten romantische Beschreibung des Reiches kam in seinem Hauptwerk „Herrschaft der Minderwertigen“ vor: „Ist Deutschland des Erdteils Herz, so schlägt in George das Herz dieses ewigen höheren geheimen Deutschlands, das über die Jahrhunderte sich spannt, den Geist von Genius zu Genius weitergibt. Aus dem Funken dieses Geistes, aus dem Kerne dieser Flamme wird – wenn überhaupt – das Neue Reich erstehen, das in den Büchern der Ahnen, in der Geschichte des Deutschen verheißen und vorgebildet ist: das Reich, in dem Gott und Leib, Geist und Macht, Tugend und Schönheit wieder eins sind. Und wird es auch niemals zur Wirklichkeit, so besteht es als Idee, als göttliche Norm, welche die Wirklichkeit leitet und formt, richtet und ordnet. Dass aber dieses ,Reich‘ keine leere Sehnsucht ist, beweist Georges Werk selbst, das dasteht in klassischer Leibhaftigkeit. Wie diese Gedichte zu vollkommenem Sprachleib gediehen sind, so zeigt sich an ihnen die Wirklichkeitsmacht des Geistes, der sie schuf. Denn die Sprache ist der Leib des Geistes. Die Wiedergeburt der deutschen Dichtersprache, die George gelang, dies Umschmelzen, Neuformen, Bereichern zu neuer lebendiger Gestalt, ist genau der gleiche Schöpfungsvorgang, der als anderen Ausdruck ein neues Reich schafft. Es ist kein Abbiegen von seiner ursprünglichen Richtung, wenn George das Zepter des Tätigen und Gründers ergreift, es ist der notwendige Zuwachs an Macht, der ihm von selbst zufällt, nachdem er sein Reich in der Dichtung vorgebildet. Durch seine Spracherneuerung hat George diesem Reich erst die seelischen Möglichkeiten geschaffen, das Organ in dem doppelten Sinne als Lebenswerkzeug und als kündende Stimme. Es ist nur ein Schritt, es ist die natürliche Entwicklung eines lebendigen Keimes, wenn die Erneuerung nicht beim Sprachleib halt macht, sondern sich auf alle Gestaltungen des Lebens erstreckt, die übrigens mit der Sprache in innerster Verbindung stehen. Das Wort ward Fleisch und aus dem geistgesättigten Wort wird das Fleisch unseres gesamten Lebens um- und umgestaltet.“649

Auch Wilhelm Stapel stellte die religiöse Problematik ins Zentrum seiner Reichsbetrachtungen. Die Kirche war für ihn mit dem Reich gleichgesetzt. Außerdem behauptete Stapel in seinem Hauptwerk „Der christliche Staatsmann“, dass Reich und Kirche als Organisationen nicht konkurrieren, sondern zusammenarbeiten sollten: „Das Ende des Kampfes ist die Vereinigung: Kirche und Reich als gedoppelte Einheit mit einem doppelten Haupte.“650 Das Reich sei „der schöpfungsmäßige 647 648 649 650

Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 27. Ebd., S. 80. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 391 f. Stapel: Der christliche Staatsmann (wie Anm. 96), S. 230.

4. Reichsidee

139

Sinn der Weltgeschichte“651. Es stehe in einer direkten Verbindung mit Gott. Deswegen sei das Reich ohne christliche Kirche nicht dasselbe, es sei „die ,Menschheit‘ des babylonischen Turmes“652. Der einfachste Weg, das Reich zu zerstören, wäre, es von der Religion und Kirche zu trennen und als Feinde gegeneinander zu stellen.653 Im Beitrag „Eine Geschichte des Reichsgedankens“ bezeichnete Stapel das Reich als eine „politische Ordnungsvorstellung (die sich zu einer politischen Weltordnung erweitern kann)“654. Das schließe den Staat mit allen dazugehörigen Institutionen ein, habe aber auch eine andere Funktion: „Aber es ist nicht Staat, es ist vielmehr die Aufgabe, in deren ,Dienst‘ dies alles gestellt werden soll. Und zwar eine Aufgabe, die mit dem deutschen Volke nicht nur geschichtlich, sondern metaphysisch verbunden ist.“655 Viele Völker hätten ihre höheren Aufgaben. Für Frankreich sei das die „Société des Nations“656, für die Sowjetunion die „Aufgabe des revolutionären Kommunismus“657. Für die Deutschen sei es die Aufgabe des Reiches. Diese Aufgabe betreffe aber nicht nur Deutschland. Das sei „eine besondere Art der Weltordnung […]: die Ordnung der Welt, die dem Deutschen als die gerechte und wahrhafte Ordnung erscheint“658. Auf die Reichsidee zu verzichten, hieße nach Stapels Meinung, die deutsche politische Aufgabe zu verleugnen, denn das Reich sei „der Inbegriff und die Krönung aller politischen Ideen der Deutschen“659. Das sei nicht nur ein Gedanke, sondern eine Idee, die der deutschen Geschichte einen Sinn gebe. Jetzt sei genau der Punkt, diese Aufgabe wieder aufzunehmen: „Es ist eine Folge des Weltkrieges, dass der deutsche Reichsgedanke sich wieder erhebt und zur normativen Aufgabe der deutschen Politik […] wird. Wir sind im Begriff, unsere politische Geschichte wieder als Reichsgeschichte zu verstehen.“660

Das Reich sei nicht nur eine deutsche Aufgabe, sondern die „Aufgabe der Menschheit“. Stapel behauptete, das Reich sei etwas, was es immer gegeben hat und von Volk zu Volk übertragen wurde. Es gebe nicht ein Reich von Otto oder Friedrich – genauso, wie es kein Deutsches Reich gebe, sondern es gebe nur DAS Reich. Es habe bereits vor dem Heiligen Reich Deutscher Nation existiert. Alle Imperien der Geschichte, die eine sogenannte „apokalyptische Verantwortlichkeit“661 besäßen, gehörten dazu. Die Deutschen hätten die Aufgabe der Bildung des Reiches nach den 651

Ebd., S. 245. Ebd. 653 Vgl. ebd. 654 Stapel: Eine Geschichte des Reichsgedankens. In: Deutsches Volkstum (1933), S. 213 – 214, hier S. 213. 655 Stapel: Das Reich. Ein Schlusswort (wie Anm. 429), S.181 f. 656 Ebd. 657 Ebd. 658 Ebd. 659 Stapel: Der christliche Staatsmann (wie Anm. 96), S. 256. 660 Stapel: Eine Geschichte des Reichsgedankens (wie Anm. 654), S. 214. 661 Ebd. 652

140

VI. Variationen der Europaidee

Griechen, Römern und germanischen Franken erhalten. Deswegen solle der Name des Reiches auch „Das Römische Reich deutscher Nation“662 sein, um auf die römischen Wurzeln der deutschen Mission hinzuweisen. Wie unrealistisch das Bild vom Dritten Reich war, merkte Wilhelm Stapel selbst an. Jedoch behauptete er auch, dass das Reich keine Illusion sei, sondern eine historische Realität „metaphysischer Art“, die es schon immer gegeben habe: „Man wird auf den ,Traum‘ vom Reich, wie mir das nach Vorträgen und bei Unterhaltungen wiederholt begegnet ist, mit dem Einwand antworten: es ist ein Traum der Ohnmacht, es ist ein Wunschbild, mit dem der Unterlegene sich unverbindlich berauscht. Der Einwand liegt nahe und erfordert keine Originalität, darum wird er in vielen Köpfen auftauchen. […] Es ist nun einmal so, dass in der Stunde tiefster Erregung, also in der Stunde der Volksnot, das Ziel geboren wird. Zweitens: Das Reich ist kein subjektiver Wunschtraum, keine Flucht in eine Illusion, sondern eine uralte politische Realität metaphysischer Art, der wir untreu geworden sind. Wer solche Dinge nicht zu schauen vermag, der sei nicht vorlaut. Wenn Israel von Jahwe abfiel, strafte Gott Israel, wie im Alten Testament zu lesen ist. Wenn wir vom Reich abfallen, straft uns Gott, wie die deutsche Geschichte zeigt. Das ist das Deutsche Testament. Und dieses Buches Frage lautet: Wie können wir Christen sein, ohne vom Reich abzufallen? Ist Christus gekommen, auch unser Gesetz zu erfüllen? (Matth. 5, 17.)“663

Ein weiterer Apologet der religiös geprägten Reichsidee war Martin Spahn. In seinem Fall war sie eindeutig katholisch geprägt, der Inhalt blieb jedoch unverändert: „Nur aus der Idee des Reiches heraus, aus der Besinnung auf sie, aus der Erfüllung mit ihr, aus ihrer – der im Wesen unwandelbaren – schöpferischen Neubelebung kann dem Unheil noch Einhalt geboten werden.“664 Ein weiteres bekanntes Organ der katholisch-universalen Reichsidee unter den konservativen Revolutionären war der Europäische Kulturbund und die dazugehörige Zeitschrift „Europäische Revue“: „Das Reich als Herrschaft ist im Weltkrieg geblieben, dem Reich als Verantwortung gehört die Zukunft“665 hieß die Botschaft. Friedrich Hielscher war ein weiterer Ideologe, der im Reich eine sakrale Erscheinung sah. Die neue Ordnung, die alle bräuchten, existierte seiner Meinung nach im deutschen Volke. Das Reich sei ein Ereignis der Tiefe, Innerlichkeit und Seele, etwas Metaphysisches und Heiliges, was den Willen und die Seele regiert.666 Das Wesen des Reiches sei „anders“:

662

Stapel: Der christliche Staatsmann (wie Anm. 96), S. 232. Ebd., S. 7. 664 Spahn: Kleindeutschland und das Reich. In: Spahn: Für den Reichsgedanken (wie Anm. 59), S. 91. 665 Clauß: Erziehung der Nation zum Reich. In: Europäische Revue, Jg. 4, Heft 10, Jan. 1928, S. 530 – 536, hier S. 536. 666 Hielscher: Das Reich (wie Anm. 87), S. 302. 663

4. Reichsidee

141

„Das Schicksal des Reiches ist sein ewiges Wirken, das sich in Raum und Zeit entfaltet. Alle anderen Mächte haben ihr Schicksal über sich; das Reich hat es in sich. Auf das Reich, als den Täter und Wissenden Gottes, ist die Geschichte aller anderen Seelentümer angelegt.“667

Und das Reich sei auch direkt mit der Mitte verbunden, „denn alle Mächte leben durch die Mitte. Die Mitte ist das Reich.“668 Zwar war die Reichsidee nicht so verbreitet in den Schriften von „Volk und Reich“, gehörte aber trotzdem zu den beliebten Themen. Zum Beispiel behandelte Emil Mika das Thema „Reichsidee“ in seinem Artikel „Der Reichsgedanke als historische Wirklichkeit“ aus dem Jahr 1932. Nach einem geschichtlichen Exkurs betrachtete der Autor die aktuelle Lage der Reichsidee. Seiner Meinung nach war sie immer noch lebendig und der Zerfall des Preußischen Reiches habe ihre Bedeutung sogar erhöht: „Der Zusammenbruch Preußen-Deutschlands hat nicht nur zum Ostberufe Preußens, zur übervölkischen Aufgabe in Nordosteuropa zurückgeführt, sondern die Ideologie des deutschen Berufes Preußens nur noch bis zur Verzerrung gesteigert.“669 Jetzt sei Deutschland so weit entfernt wie noch nie von seinem Reichstraum. Es bliebe aber die ewige deutsche Aufgabe. Den Weg zum Reich zu finden, sei „die Aufgabe der politischen Tat, der freilich die historische Besinnung vorauszugehen hat“670. Die Arbeit der Journalisten von „Volk und Reich“ stelle „den Versuch einer solchen Besinnung dar.“671 Die Äußerungen Niekischs in Bezug auf das Reich waren erheblich kritischer als alle anderen. Er beschäftigte sich intensiv mit der Geschichte des Reichsgedankens. Im Zentrum seiner Betrachtung stand der Westfälische Friede, der nicht nur das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verkündete, sondern als ein Bruch in der europäischen Einheit wahrgenommen wurde. Er hätte außerdem Deutschland und den Mittelraum Europas aus der europäischen Politik ausgeschlossen. Diese Schwäche in der Position Deutschlands habe Frankreich ausgenutzt und den Rheinbund gegründet.672 Und in der Zeit der Weimarer Republik sei die Reichsidee wieder aufgetaucht. Niekisch kritisierte sie aber, weil sie nach seiner Meinung von Vielen ausgenutzt wurde, um sich mit der realen Situation nicht auseinandersetzen zu müssen.673 Mit Ironie verkündete Niekisch, dass die Weimarer Republik schon jetzt „das Reich“ sei, das alle so wünschten: „[I]hr Schwergewicht liegt im romanisierten deutschen Raum“674, sie sei außenpolitisch schwach, sie sei 667

Ebd., S. 229. Ebd. 669 Mika, Emil: Der Reichsgedanke als historische Wirklichkeit. In: Volk und Reich (1932), Jg. 8, Heft 10, S. 680 – 688, hier S. 687. 670 Ebd., S. 688. 671 Ebd. 672 Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 104), S. 27. 673 Vgl. ebd.: „Was in Wahrheit nur eine feige und klägliche Flucht ist, wird als große, zukunftsverheißende Tat in Szene gesetzt“. 674 Ebd., S. 27 f. 668

142

VI. Variationen der Europaidee

bereits eine „moderne Erscheinungsform des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“. Und die Verfechter der Reichsidee seien Feiglinge, die nichts daran ändern wollten: „Jene Deutschen, die zwar nicht genug innere Fertigkeit besitzen, um sich gegen die Gewalt der Weimarer Tatsachen in unversöhnlichem und opferschwerem Kampfstoß zu behaupten, die sich aber auch ihrer nationalen Vergangenheit noch irgendwie verpflichtet fühlen, bedienen sich der alten Reichsidee als Ausweis, mittels dessen sie sich der Verantwortung für den Ludergeruch der Weimarer Republik entziehen wollen. Sie fühlen sich um so honoriger und werfen sich um so selbstbewusster als ,besserer Herr‘ in die Brust, je krampfhafter sie die Weimarer Republik anfeuern, sich der Reichsidee anzugleichen.“675

Die Reichsidee liege zwar tief in der Natur des deutschen Volkes verwurzelt, sei aber nicht deren bester Teil: „in einem mattherzigen, kampfscheuen, ergebungsbereiten und Bequemlichkeit heischenden Volklichen, das in seiner Verstreuung nach einer grundsätzlichen Stellung Ausschau hält, die ihm die Mühen seines Daseinskampfes verringert.“676 Sie sei außerdem von den Auslandsdeutschen ausgenutzt worden, die dadurch den nötigen Kampf vermeiden könnten. Außerdem sei die Reichsidee ein hauptsächlich österreichischer Wunsch – so stelle man sich in Wien den deutschen Staat vor: „Von österreichischem Bequemlichkeitsbedürfnis lebt in der Reichsidee mehr als vom politischen Lebensgesetz des gefährdeten deutschen Raumes.“677 In der Argumentation Niekischs gegen die Reichsidee kann man völkische Spuren erkennen. Er sah in der Verbreitung des Reichsgedankens den schlechten Einfluss der romanischen Völker auf die Deutschen, die dadurch Deutschland schwächer machen wollten, denn die Verbindung des deutschen und österreichischen Volkes sei nichts anderes als „ein germanischromanisiertes Hilfsvolk Roms“678. Die Verbreiter dieser für die Deutschen tödlichen Idee säßen in Wien.679 Die Reichsidee sei besonders attraktiv, weil sie viel verspreche, unter anderem die Einheit des mitteleuropäischen Raumes. Das Konzept des Universalismus und des darauf basierenden Föderalismus sei eine Träumerei, mehr als das – eine Lüge, die das scheinbar Unmögliche als realistisch darstellte. Dadurch vermeide sie die praktischen Handlungen, die zum deutsch-österreichischen Anschluss führen sollten. Anstatt sich mit diesem praktischen Bereich zu beschäftigen, träume Deutschland vom mitteleuropäischen Raum, der in der Form der Reichsidee so reizvoll wie nichts sonst aussah: „Die tatsächliche Politik des Weimarer Staates meidet gerade jene Linie, auf der sich der Anschluss Österreichs an Deutschland zwangsläufig einstellen müsste; ihren Verzicht auf die praktische Vorbereitung des Anschlusses will sie wettmachen, indem sie anspornt, vom

675 676 677 678 679

Ebd., S. 28. Ebd., S. 30. Ebd. Ebd., S. 32. Ebd.

5. Mitteleuropaidee und Reichsidee

143

Anschluss poetisch zu träumen. Poetischer Traum im gleichen Sinne ist jenes Mitteleuropa, mit dem die Reichsidee lockt, wenn sie wirbt.“680

Und der „Partikularismus“, den Niekisch auch „Föderalismus“ nennt, sei das, was das echte Reich von innen zu zerstören drohe: „die endgültige Beseitigung eines Reiches, eines europäischen Staatswesens der Mitte, das politisches Gewicht hat, das eine starke eigengerichtete Politik zu führen vermag.“681 Diese kritischen Äußerungen dürfen nicht täuschen: Niekisch war unzufrieden mit der katholischen Version der Reichsidee, was aber nicht bedeutet, dass er keinen eigenen Traum des Reiches hatte. Das Reich, das Niekisch sich wünschte, war „das organisch-irrationale, germanisch-slawische Ordnungsprinzip“682 und sollte die nächste Phase des deutschen Siegeszuges durch die Welt auf dem Weg zur Weltherrschaft darstellen. Manche Autoren, wie Oswald Spengler, Wilhelm Stapel und Friedrich Georg Jünger, benutzten oft Begriffe wie „Imperium Teutonicum“ bzw. „Imperium Germanicum“. Diese Begriffe bedeuteten jedoch nichts anderes als „Reich“. Das gleiche galt für die Reichsidee von Ernst Niekisch – trotz seiner Kritik am katholischen Reichsgedanken schuf er eine Konzeption der Reichsordnung, die in ihren grundlegenden Prinzipien sehr nah an allen anderen Reichsvisionen der Weimarer Zeit war.

5. Mitteleuropaidee und Reichsidee – Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Möglichkeiten der Analyse Manche Befürworter der Reichsidee betonten ihre Überlegenheit gegenüber der Mitteleuropaidee. Solcher Meinung war zum Beispiel Wilhelm Stapel, der im Reich „nicht ein[en] ,Wirtschaftstraum‘, ein ,Mitteleuropa‘ und dergleichen, sondern eine metaphysische Aufgabe, die als solche freilich das Irdische (Wirtschaftsraum, Mitteleuropa usw.) mit umfängt“683, sah. Dies bedeutete: Das Reich sei Mitteleuropa und Wirtschaftsraum, aber nicht nur das. Das Reich sei viel mehr. Es schließe nicht nur den irdischen, sondern auch den himmlischen Teil des Lebens ein. In diesem Sinne sei das Reich ähnlich wie die Kirche: sowohl die Gemeinschaft der Organisationen als auch der Glaube. Viel häufiger kam es jedoch vor, dass diese beiden Begriffe (Mitteleuropaidee und Reichsidee) schwer voneinander zu trennen waren, da sie in Bezug auf denselben Vorstellungskomplex verwendet wurden. Als gute Beispiele dienen die Publikationen von Martin Spahn und der Zeitschrift „Europäische Revue“. In der Ideenwelt 680 681 682 683

Ebd. Niekisch: Gedanken über deutsche Politik (wie Anm. 100), S. 21. Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 102), S.181. Stapel: Das Reich. Ein Schlusswort (wie Anm. 429), S. 181 f.

144

VI. Variationen der Europaidee

Martin Spahns war die Mitteleuropaidee untrennbar mit der Reichsidee verbunden: Mitteleuropa sei durch den westlichen Völkerbund unterdrückt, und um das zu überwinden, müsse „der ordnende Gedanke selber im mitteleuropäischen Leben wieder ausgewechselt werden“684. Mitteleuropa müsse zum Reich, zu seiner Idee und Gestalt zurückkehren und „ihm eine neue Form geben“685. Das Auslandsdeutschtum müsse als Helfer und Vermittler bei dieser Aufgabe dienen. Um die Lage der Deutschen in Ostmitteleuropa zu verbessern und das Leben der ostmitteleuropäischen Völker zu regeln, müsse man „schließlich ein neues Recht in Mitteleuropa [durchsetzen].“686 Das sei „Arbeit im Dienste des Reichsgedankens“687. Rohan sprach vom alten Reichstraum in „seiner neuen Gestalt einer „mitteleuropäischen Rechtsordnung“688 und Max Clauss verstand unter der Reichsidee „politische Verantwortung für ein Ganzes, von dem man selber nur ein Teil bleibt“689. Man merkt, dass die Mitteleuropaidee und die Reichsidee im konservativ-revolutionären Denken eine gewisse Einheit darstellten. Die Befürworter der einen Idee haben meist auch die andere unterstützt. Und am häufigsten beinhalteten die Theorien der einzelnen Autoren Eigenschaften von beiden Ideenkomplexen. „Mitteleuropa“ bedeutete in diesem Fall: der gewünschte Raum, das Reich – die gewünschte Staatsform. Die Unterschiede lagen zumeist in der Art und Weise zu argumentieren. Für die Befürworter der Mitteleuropaidee war pragmatisches Denken in den völkerrechtlichen und geopolitischen Kategorien typisch, während die Apologeten der Reichsidee von der mystischen Natur des sakralen Deutschen Reiches überzeugt waren. Dieser Unterschied liegt teilweise darin begründet, dass die Mitteleuropaidee „jünger“, moderner als die Reichsidee war. Die Denkmuster ihrer Apologeten stammten aus dem 19. Jahrhundert, während die Wurzeln der Reichsidee im Mittelalter zu suchen waren. Gleichzeitig waren manche Argumente der Reichsidee sehr ähnlich zu denjenigen der Mitteleuropaidee: z. B. die „Verantwortung“ Deutschlands für die osteuropäischen Völker und ihre besondere Stellung, die durch die deutsche Geschichte verursacht wurde. Diese These ist besonders wichtig: Sie erlaubte vielen Jungkonservativen, in der Zukunft den Anschluss an das nationalsozialistische Denken zu finden, ohne auf die grundlegenden Prinzipien ihrer eigenen Theorien verzichten zu müssen.690

684 685 686 687 688 689 690

Spahn: Volk im Raum. In: Spahn: Für den Reichsgedanken (wie Anm. 59) S. 85. Ebd. Ebd. Ebd. Rohan: Zukunftsfragen deutscher Außenpolitik (wie Anm. 164), S. 378. Clauß: Erziehung der Nation zum Reich (wie Anm. 665), S. 534. Vgl. Elvert: Mitteleuropa (wie Anm. 1), S. 32.

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde Wenn die Gründe, Ursprünge, Ziele, Netzwerke und Legitimationsversuche klar sind, stellt sich die Frage nach der Gestaltung des neuen Europas. Genau diese Frage nach den Grenzen, nach wirtschaftlichen und staatlichen Formen gehört eindeutig zu den unklarsten im konservativ-revolutionären Europabild. Wenn sich Denken in metaphysischen Konzepten als Merkmal des konservativ-revolutionären Schreibens herauskristallisiert hat, kann von den pragmatischen Zielen und Plänen nicht das Gleiche behauptet werden. Dies verdeutlicht, dass die zahlreichen Konzepte, die von den konservativen Revolutionären entwickelt wurden, eher den ideologischen und philosophischen Einsatz als politische Programme darstellten.691 Max Hildebert Boehm erklärte es so: „[E]s ist noch nicht die Stunde, die raumpolitischen Blockbildungen genauer zu umschreiben, die als natürliche Glieder eines wiedererwachten Europa vor unseren Blicken erstehen“692. Manche seiner Mitdenker haben es jedoch gewagt, „in die Zukunft zu blicken“. Im Kapitel „Die europäischen Ziele“ der Monographie „Herrschaft der Minderwertigen“ stellte Jung die mögliche Struktur vom europäischen Bund dar und verwies auf historische Beispiele. Er bezog sich auf die Bündnispolitik vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Jung unterschied die jeweiligen Gruppen der Bündnisse der Vorkriegszeit voneinander und verwies auf die Stärke der Verbindungen, die sich durch ihre Festigkeit auszeichneten. Die engste „Verbrüderung“ nannte er Bundesstaat. Inwiefern ein solches Bündnis problemlos verlaufen könnte, hänge davon ab, auf welcher Grundlage es aufgebaut sei. Die festeren Verbindungen beständen zwischen den Ländern, die bereits eine gemeinsame Vergangenheit teilten (wie beispielsweise Österreich-Ungarn) oder eine durch Sprache oder „Blut“ gebildete Gemeinschaft darstellten (beispielsweise USA und Brasilien).693 Aber diese historischen Beispiele seien keine Kategorien, die für Europa gelten würden. Europa 691

Auf den vagen Charakter der Reichsidee wies z. B. Schwierskott, Arthur Moeller van den Bruck (wie Anm. 17), S. 115 hin: „Wenn wir das Buch Moellers befragen, wie der Autor sich etwa die Bildung und Zusammensetzung der neuen Reichsregierung vorstellte, oder wie er die Kompetenzen im Regierungsapparat und unter den „Ländern“ zu verteilen gedachte – auf alle diese konkreten Fragen erhalten wir keine Antwort. Die Untersuchungen von Frieda Eckrich und Paul Goedecke konnten selbst aus dem gesamten Schrifttum des Nachkriegsnationalismus keine klar umrissene Reichskonzeption rekonstruieren. Nur als Mythos ist der Begriff des Dritten Reiches zu benennen und zu begreifen“. 692 Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 315. 693 Vgl. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 639.

146

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

bräuchte eine komplette Umgestaltung, bedürfe „einer völligen Neubildung“694. Selbst das bolschewistische Russland war nach Jungs Meinung ein Musterbeispiel dafür. Die Vielzahl an Völkern auf russischem Territorium führe zwangsläufig zur gleichen Vereinigungsproblematik/Vereinheitlichungsproblematik wie unter den europäischen Völkern. Jung identifizierte als Problem der sowjetischen Regierung die einzelnen Glieder, sprich die einzelnen Völker: Den Fehler der sowjetischen Regierung auf dem Weg zur Gemeinschaftsbildung sah Jung darin, den Völkern auf russischem Territorium nach einer gewissen Zeit zu viel Freiheit gegeben zu haben, um so eine mögliche Unzufriedenheit der einzelnen Sowjetrepubliken zu vermeiden. Jung wollte dieser Problematik in Europa vorbeugen, indem er ein starkes Bindeglied forderte und es „Reich“ nannte. Er verstand darunter eine neue Menschlichkeit, die das deutsche Volk erfinden sollte und gegen die der westliche Humanitarimus nicht konkurrenzfähig bleiben könnte. Aber nicht nur der Humanitarismus müsste verschwinden. Auch „die Demokratie, die Masse und alle Niedrigkeiten des Lebens“695 sollte Deutschland aus Europa verbannen, denn dann wäre Europa „nicht nur geistig, sondern auch politisch in unserem Bann“696. Und genau dies sollte zum gewünschten Traum des Dritten Reiches führen – sogar zu mehr als dem: zum „Europäischen Dritten Reich“: „Das bedingt aber, dass der Mythos des totalen, kollektivierenden, allmächtigen Staates, der als falsch verstandenes Preußentum eine gewisse Macht entfaltet, ergänzt und hinübergeleitet wird in den Mythos des Dritten Reiches. Das Reich ist die übervölkische europäische Ordnungsform; das deutsche Reich ist Stifter dieser Ordnung; die deutsche Revolution stellt dieser Stiftung die Urkunde aus. Wir müssen in dem Augenblick, in dem wir uns als Deutsche gefunden haben, die besten Europäer sein, ja, nicht nur die besten, sondern vielleicht die einzigen Europäer. Damit erfüllt sich auch der Sinn der deutschen Revolution, die als Gegenrevolution gegen 1789 übervölkisch, reichisch und damit europäisch sein wird.“697

Für die europäische Neuordnung brauchte man laut Karl Christian von Loesch eine universale Rechtsanschauung, die die Rechte der europäischen Völker gegenüber den Staaten regeln würde.698 Das Problem jedoch bliebe, dass „der europäische Raum keineswegs gleichartig ist, seine Völker und seine Wirtschaft nicht das gleiche Bedürfnis nach Zusammenschluss haben, der umso weniger verlockend ist, je besser die natürlichen Grenzen sind“.699 Wenn es um die Durchführung des Projektes „Europa“ ging, schilderte Loesch den diesbezüglichen Plan des von ihm mehrmals zitierten ehemaligen Staatssekretärs Paul Göhre. Göhre stellte in seiner Publikation

694 695 696 697 698 699

Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 639. Jung: Deutschland ohne Europa (wie Anm. 68), S. 78. Ebd. Ebd. Vgl. Loesch: Die paneuropäischen Bewegungen (wie Anm. 129), S. 205. Ebd., S. 206.

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

147

„Deutschlands weltpolitische Zukunft“700 einen mehr oder weniger konkreten Plan vor, wie man Europa vereinigen könnte. Anfangen sollte man mit einem deutschfranzösischen Abkommen. Danach müsse ein kontinentaleuropäischer Zollverein geschaffen werden. Ein nächster Schritt wäre ein technisches und wirtschaftliches Informationsbüro und schließlich die „internationale Organisation geistiger Aufgaben“. Er verstand darunter eine gemeinsame Verkehrspolitik, einheitliche europäische Produktionsregelungen und die Gründung einer Zentralbank. Kirchen, Schulen, kommunale Angelegenheiten, Landwirtschaft und manch andere Bereiche sollten hingegen in der Verantwortung der kleineren Mitgliedsstaaten verbleiben. Loesch gab allerdings zu bedenken, dass es viele Schwierigkeiten geben würde, das von Göhre Geplante zu implementieren: Zum Beispiel lehnte Russland alle Kooperationen mit dem Westen ab. Loesch betonte aber trotz der Schwierigkeiten seine Identifikation mit dem Plan. Rohan wiederum hob hervor, dass die neue europäische Ordnung notwendig sei und auf konservativen Grundlagen aufgebaut werden müsse.701 Obwohl gebürtiger Österreicher, behandelte Rohan die Frage nach dem deutschen Standpunkt in der Europadiskussion mit einer besonderen Leidenschaft. Das einzige „deutsche Problem des Jahrhunderts“ sah Rohan darin, „Mitteleuropa zu organisieren und einen Staat zu schaffen, in dem die Wirtschaft eingebaut, der Klassenkampf, die doppelte Welt, in der wir leben, überwunden ist.“702 In diesem sogenannten Mitteleuropa müsse Deutschland als führendes Kulturvolk für die ganze Region verantwortlich sein. Er argumentierte, dass von der Ruhe in Mitteleuropa auch die Ruhe des gesamten Kontinents abhänge. Der erste Schritt zur neuen mitteleuropäischen Ordnung sei die Lösung der Minderheitenfrage. Diese Frage sei in Folge der Friedensverträge entstanden. Die Lösung könne nur ein internationales Minderheitenrecht sein.703 Nach dem Zerfall des österreichisch-ungarischen Imperiums in einer Situation, in der die deutschen Minderheiten überall zerstreut waren und „internationalen Rechtsschutz [brauchten] und das ganze deutsche Schicksal in kaum je dagewesenem Maße weltpolitisch verflochten [sei]“704, seien deutsche Ideen der europäischen Neugestaltung „nicht nur möglich, sondern ganz einfach notwendig“705. Dabei war die europäische Idee, die von den Autoren der „Europäischen Revue“ propagiert wurde, weit entfernt von den besonders orthodoxen Versionen der Reichsidee der konservativen Revolutionäre. Laut Max Clauss gab es in Deutschland „keinen 700

Göhre, Paul: Deutschlands weltpolitische Zukunft. Berlin 1925. Vgl. Rohan: Konservatismus/Demokratie/Revolution. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 3, 01. 06. 1926, S. 172 – 174, hier S. 174. Hier weist Rohan auch auf den besonderen Geist hin, der seiner Vision trotz Beachtung der konservativen Werte innewohnt: „Das Nein zu Heute, gesprochen nicht aus reaktionärer Sehnsucht nach Vergangenem, sondern aus Zukunftswollen, kann man nicht anders nennen als Revolution“. 702 Rohan: Westeuropa (wie Anm. 259), S. 317. 703 Vgl. Rohan: Zukunftsfragen deutscher Außenpolitik (wie Anm. 164), S. 378. 704 Clauss: Erziehung der Nation zum Reich (wie Anm. 665), S. 535. 705 Ebd. 701

148

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

ernstzunehmenden Politiker“, der von der Annektierung Österreichs durch Deutschland reden würde, „um im Herzen Europas ein „Imperium Germanicum“ (wie falsch das Wort klingt!) zu errichten“706. Trotzdem benutzte Clauss den Begriff „Reichsidee“. Jedoch sollte dieser Begriff nicht die imperialistische Bedeutung von vorher tragen: „Das Reich als Herrschaft ist im Weltkrieg geblieben, dem Reich als Verantwortung gehört die Zukunft.“707 Auch Albrecht Haushofer unterwarf die Europaidee keinen grundlegenden Zweifeln, wies aber auf die Schwierigkeiten bei ihrer Realisierung hin, die in erster Linie mit den Positionen der Großmächte verbunden waren: „So ist eine erste Organisation Europas freilich nicht möglich, ohne dass die Probleme des britischen Weltreichs oder die des russischen Asien ausgeschaltet werden. Aber dasselbe gilt für das französische Kolonialreich, dasselbe für die übrigen romanischen Mittelmeerstaaten.“708

Das begehrte Mitteleuropa war eine „wechselbegriffliche Einheit“ für Max Hildebert Boehm. Allein Grenzverschiebungen könnten nichts Fundamentales ändern, egal ob man sie mit friedlichen oder militärischen Mitteln erreiche. Weder „einzelstaatlicher Atomismus“ noch der „Weststaatenverein von Genf“ wurden von Boehm als eine mögliche Lösung angesehen.709 Auch für den Volkstumstheoretiker unter den konservativen Revolutionären ergab die Mitteleuropaidee nur dann Sinn, wenn sie von den Deutschen realisiert und ausgeführt worden sei.

1. Geographischer Rahmen Bei den Europavorstellungen der konservativen Revolutionäre geht es immer auch um Raumordnungsvorstellungen. Der Raum stand im Mittelpunkt der Europaidee, denn der Raum sollte seine innere Gestaltung diktieren.710 Deswegen ist eine der ersten Fragen, die es zu beantworten gilt, die nach den geographischen Grenzen des vereinigten Europas. Die Frage, inwieweit der deutsche Einflussbereich sich verbreiten sollte, ist entscheidend, um das Ausmaß der konservativ-revolutionären Herrschaftsbestrebungen einordnen zu können. Für die Analyse des konservativ-revolutionären Denkens scheint die von Stefan Breuer vorgeschlagene Trennung in die Denker mit begrenzten und unbegrenzten Ambitionen angebracht zu sein.711 706 707 708 709 710 711

Ebd. Ebd., S. 536. Haushofer, A.: Europäischer Zusammenschluss? (wie Anm. 201), S. 364. Vgl. Boehm: Der Aufmarsch der Paneuropäer (wie Anm. 29). Vgl. Hecker: Die Tat und ihr Osteuropa-Bild (wie Anm. 24), S. 144 f. Vgl. Breuer: Anatomie (wie Anm. 39), S. 105.

1. Geographischer Rahmen

149

Laut Moeller van den Bruck waren die imperialen Bestrebungen der Deutschen schon immer vorhanden und die Frage war nur, in welche Richtung sie ausgerichtet werden sollten. Es gab lediglich zwei Möglichkeiten: Nord-Osten oder Süden. Die nord-östliche Richtung liege in der Natur des Deutschen Volkes und habe sich in der kolonisatorischen Bewegung der deutschen Bauern gezeigt. Die südlichen Bestrebungen seien eher durch die kulturellen Anreize ausgeprägt und von den reichen und gebildeten Schichten durchgeführt worden.712 Wenn man dem „echten deutschen Schicksal“ folgen wolle (und das war eine der Hauptbotschaften Moellers) und sich auf den Osten konzentrieren würde, dann solle man zuerst die Territorien zwischen Deutschland und Russland anschließen. Als nächstes Ziel sollte der europäische Teil Russlands anvisiert werden. Dem russischen Volk solle dabei Sibirien zugewiesen werden.713 Der mitteleuropäische Einfluss solle aber weit außerhalb des geographischen Europas liegen und der deutsche Einflussbereich solle sich entsprechend weit verbreiten: „Die neuere Geschichte hat dieses erdpolitische Gesetz an dem Beispiele zweier Erdteile bestätigt und ihren Richtungswillen von dem Bemühen empfangen, Europa und Asien zu verbinden. […] Mitteleuropa setzt sich in Westasien fort, und die Linie Hamburg-Koweit mit ihrem Angelpunkt in Konstantinopel erscheint als das künftige Verkehrsrückgrat eines mächtigen Ländergefüges, das unter Ausschaltung des Mittelmeers die kürzeste Verbindung des Atlantischen mit dem Indischen Ozean bedeutet. Für die Verwirklichung dieser Verbindung wird jetzt der Weltkrieg geführt.“714

Ernst Niekisch gehörte eindeutig zu den Autoren mit den unbegrenzten Ambitionen. Sein Ziel sah er in einem deutsch-slawischen Reich: „Ein neues Zentrum entstünde alsdann, das vom Stillen Ozean bis zum Rhein, von Wladiwostok bis Vlissingen reichte; ein Raumgebiet, das ,nordisch‘ in dem Sinne wäre, dass es sich breit über den Norden Asiens und Europas hinlagerte und alles in seinen Bann zöge, was irgendwie verwandten Wesens ist. Es wäre, Europa-Amerika im Osten wie im Westen, Mittelpunkt der Welt, Kopf der Welt, die Achse, um welche sie sich dreht.“715

Das würde nicht nur Deutschlands und Europas Rettung werden, sondern auch die Rettung des „weißen Mannes“. Mitteleuropa hatte sich für Niekisch bereits nach 1925 als unzureichend erwiesen.716 Auch der zu den Nationalrevolutionären zählende Friedrich Hielscher717 beschränkte den gewünschten Raum für das Deutsche Reich zuerst auf das Gebiet 712

Vgl. Moeller van den Bruck: Das ewige Reich. Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 123. Vgl. Moeller van den Bruck: Die Voraussetzungen Dostojewskis. Zur Einführung in die Ausgabe. In: F.M. Dostojewski: Rodin Raskolnikoff (Schuld und Sühne): Sämtliche Werke. Bd. 1. München 1908, S. XVI f.; Moeller van den Bruck: Zur Einführung. Bemerkungen über sibirische Möglichkeiten (wie Anm. 328), S. XV. 714 Moeller van den Bruck: Die Rechenschaft über Russland (wie Anm. 225), S. 145. 715 Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 102), S. 181. 716 Vgl. ebd., S. 182. 717 Vgl. Mohler: Die Konservative Revolution (wie Anm. 15), S. 153 f. 713

150

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

„zwischen Flandern und Burgund, dem europäischen Russland, Siebenbürgen, Estland, den britischen Inseln und Nordeuropa mit Island, Schweden und Finnland“, was als ein immerhin fassbarer Plan gelten könne. Dabei sollte es jedoch nicht bleiben: Ähnlich wie Stapel sah Hielscher das endgültige Ziel für Deutschland darin, das Reich Gottes auf Erde zu gründen.718 Einen ähnlichen Wandel erlebte die Ideologie von Wilhelm Stapel. Vom Wunsch nach dem Großdeutschen Reich, in dem man „dem ganzen deutschen Volke ein Haus […] bauen“719 könnte, den Stapel in seinen Veröffentlichungen für „Deutsches Volkstum“ leidenschaftlich aussprach, kam es im „Christlichen Staatsmann“ zur Idee vom „Imperium Teutonicum“, das die ganze Welt umfassen sollte.720 Deutlich klarer als Moeller van den Bruck äußerte sich Edgar Julius Jung, selbst wenn seine Ideen nicht originell waren und überwiegend von Moeller übernommen wurden. Seine Ideen der Umgestaltung Europas sind am deutlichsten in seiner Programmschrift „Herrschaft der Minderwertigen“ auf den Punkt gebracht. Hier formulierte er auch, wo die Neuordnung Europas beginnen sollte. Die Antwort war vorhersehbar: in der Mitte Europas: „Im Innern ist zu beginnen. Keine Neubildung kann des Kernes entbehren, den sie allmählich zu umwachsen kann.“721 Das Innere liege in Mitteleuropa, „im Raume des Siedlungsgebietes der deutschen und der ostund südosteuropäischen Mittel- und Kleinvölker, von der Ostsee bis zur Adria, von Finnland bis zum Aegäischen und Schwarzen Meere“722. Es wäre äußerst unerwünscht, am Anfang des Raumkampfes die Aufmerksamkeit den anderen Gebieten zu schenken, weil es nur ablenken würde. Für Jung ging es geographisch um „Mitteleuropa, vermehrt durch das nahe Südosteuropa und das nahe Osteuropa.“723 Der Erste Weltkrieg hätte den Deutschen bereits gezeigt, welche Gebiete ihrer Verantwortung unterliegen. Sie hätten aber diese Zeichen nicht verstanden, denn „sie hätten sonst eingesehen, warum deutsche Schützengräben flandrischen Boden umzirkten; warum deutsche Soldaten die Donau bis zum Schwarzen Meere, die Adria bis zur griechischen Halbinsel, die Steppen Russlands bis zum Peipussee erkämpfen mussten; warum die Ostsee bis zum hohen Norden ein deutsches Meer werden musste. Es waren vertraute Räume, deren Beherrschung einst Sinn der deutschen Geschichte, im Weltkriege nur militärische Notwendigkeit war.“724

718 Vgl. Schmidt, Ina: Der Herr des Feuers. Friedrich Hielscher und sein Kreis zwischen Heidentum, neuem Nationalismus und Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Köln 2004, S. 157. 719 Stapel: Der politische Schwindel (wie Anm. 427), S. 266. 720 Vgl. Stapel: Der christliche Staatsmann (wie Anm. 96), S. 227. 721 Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 647. 722 Ebd. 723 Ebd., S. 647. 724 Ebd., S. 68.

1. Geographischer Rahmen

151

Die südlichen Länder seien schon im Ersten Weltkrieg an der Seite des Westens und die östlichen an der Seite der europäischen Mitte aufgetreten. Die östlichen Länder sollten ihre Zuneigung jetzt weiter entwickeln und ein Teil des mitteleuropäischen Reiches werden. Der Raum, der früher zum Deutschen Reiche und Österreich-Ungarn gehörte, bedürfe einer überstaatlichen Ordnung. Der „deutsche“ Raum war das, was Albrecht Haushofer als Inneneuropa bezeichnet hatte und dessen detaillierte Darstellung Karl Christian von Loesch ergründete.725 Inneneuropa verbreite sich „von der Garonne bis an die Düna, vom Kanal bis zur unteren Donau“726. Innereuropa sei zudem in sich gegliedert. Einer von den dazu gehörigen Räumen sei Frankreich, ein zweiter Deutschland und ein dritter Zwischeneuropa. Auch Boehm stellte den „deutschen Lebensraum“ dar: Das sei nicht Deutschland in den mittelalterlichen Grenzen, sondern „es ist zwischen Nord und Süd, zwischen West und Ost der große Raum der Mitte, der weder den Main noch die Elbe als innere Grenze ernst nimmt“727. Zu den Europatheoretikern mit begrenzten Ambitionen gehörte auch Giselher Wirsing. Seinen gewünschten Raum nannte er „Zwischeneuropa“. Beim Begreifen, was zum deutschen Einflussbereich gehöre, kritisierte Giselher Wirsing die aus seiner Sicht nicht genügenden Ambitionen von Friedrich Naumann. Naumanns Mitteleuropa und das geographische Mitteleuropa seien nicht dasselbe. Das Mitteleuropa von Naumann umfasste Deutschland, Österreich und Ungarn, während das „echte“ Mitteleuropa alles zwischen Frankreich und der Sowjetunion einschließen sollte. Zwischeneuropa sei „der Ostraum dieses geographischen Mitteleuropa“728. Anders als viele andere konservative Revolutionäre listete Giselher Wirsing die konkreten Länder auf, die zu diesem Raum gehören sollten. Das seien Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien. Ihre Beziehung mit Deutschland sei eine Schicksalsgemeinschaft, die Region Deutschland-Zwischeneuropa bilde eine Raumeinheit, wodurch die Integration dort etwas komplett anderes sei als die Integration weiterer Einzelstaaten. Der deutsch-zwischeneuropäische Raum sei „soziologisch, wirtschaftlich, historisch oder geographisch einheitlich bestimmt“729. Laut dem Apologeten der Mitteleuropaidee, Martin Spahn, war die deutsche Geschichte von Anfang an mit drei Flüssen verknüpft gewesen: dem Rhein, der Weichsel und der Donau. Mitteleuropa habe sich aus den Räumen zwischen diesen Flüssen gebildet. Das Deutsche Reich sei von Beginn an mit diesem Raum verbunden, „erst der Halt am Raum aber schuf ihnen die politische Möglichkeit“730. 725 Dadurch zeigt sich die ideologische Nähe zwischen dem Juniklub und den Autoren von „Volk und Reich“. 726 Haushofer, A.: Europäischer Zusammenschluss? (wie Anm. 201), S. 360. 727 Boehm: Das mitteleuropäische Nationalitätenproblem (wie Anm. 136), S. 368. 728 Wirsing: Zwischeneuropa (wie Anm. 25), S. 9. 729 Ebd. 730 Spahn: Volk im Raum. In: Spahn: Für den Reichsgedanken (wie Anm. 59), S. 83.

152

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

Nach der Meinung von Loesch war der Aufbau Europas „überhaupt nur möglich von innen heraus“731. Diesen Kern könnten nur die kontinentalen Länder bilden. England, Spanien, Norwegen, Dänemark, Schweden und Griechenland gehörten eher nicht dazu – Frankreich und Italien nur knapp. „Deutsche Siedlungsgebiete“732, Holland, Belgien, die Schweiz und „mindestens Teile des heutigen Sowjetrusslands“733 gehörten, so Loesch, zum kontinentalen Europa. Der sich daraus bildende Kontinentalblock sei ziemlich identisch zu Mitteleuropa: „Aus den vorstehenden Betrachtungen folgt, dass der deutsche Block in Mitteleuropa nur eine randliche Lage in einem solchen Kontinentalbund, sogar wenn Russland nicht dazu tritt, einnehmen würde, dass sein Gesicht innerhalb desselben nach Osten gewendet ist (und dass daher, als logische Folge, die Verwaltungshauptstadt des Kontinentalblocks am Ostrande des deutschen Siedlungsgebietes liegen müsste. Die Annahme Göhres, ein solcher Kontinentalbund müsse keine machtpolitischen Ziele haben, trifft nur für die Nord-, Süd- und Westrichtung zu, nicht aber für den Osten. Solange das Missverhältnis zwischen dem wirtschaftlichen Ausdehnungsbedürfnis des kapitalistisch unterbauten Kontinentaleuropa und dem wirtschaftlich zu immer primitiveren Zuständen zurückkehrenden bolschewistischen Russland besteht, muss ein solcher Kontinentalbund wirtschaftlich imperialistische Tendenzen gegen Osten hin verfolgen, aus denen mit Leichtigkeit politische werden können.“734

Einer der Autoren der „Europäischen Revue“, Friedrich von Wiesner, äußerte eine klarere Vorstellung von den mitteleuropäischen Grenzen als viele andere konservativ-revolutionäre Autoren: „Unter Mitteleuropa verstehe ich dabei im großen den Länderkomplex, den heute Deutschland, Polen, Tschechoslowakei, Österreich, Ungarn, Rumänien, Italien, sowie Jugoslawien und Bulgarien bilden“735. Im Großen und Ganzen kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass, obwohl nicht alle konservativen Revolutionäre Grenzen des gewünschten Europas bestimmten, die Klärung der Frage nicht außer Acht blieb. Die geäußerten Vorschläge umfassten nicht immer die gleichen Länder. Für manche Autoren war die Definition dieses Raumes nicht einfach: der Herausgeber des „Gewissen“, Eduard Stadtler, der Kommunismus und „Westlertum“ gleich scharf kritisierte, konnte keine außenpolitische Position festlegen und entwickelte die Idee des „realsozialen Völkerbundes“. Dieser sollte weder mit Russland noch Frankreich oder Großbritannien Partnerschaften bilden.736 Diese Idee hatte jedoch nicht viele Befürworter. Eine klare Gemeinsamkeit zwischen den meisten konservativ-revolutionären Raumideen kann man erkennen: Das Gebiet 731

Loesch: Der großdeutsche Gedanke (wie Anm. 30), S. 24. Ebd., S. 25. 733 Ebd., S. 26. 734 Loesch: Der großdeutsche Gedanke (wie Anm. 30), S. 26. 735 Wiesner, Friedrich v.: Mitteleuropäische Politik. In: Europäische Revue, Jg. 4, Heft 8, Nov. 1928, S. 569 – 580, hier S. 569. 736 Vgl. Weissmann, Karlheinz: Das „Gewissen“ und der „Ring“. In: Kraus, Hans-Christof (Hrsg.): Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur. Fünf Fallstudien. Berlin 2003, S. 116 – 154, hier S. 123. 732

2. Das Neue Europa als staatliche Organisation

153

zwischen Deutschland und Russland gehörte immer dazu. Im Falle der Gruppe der konservativ-revolutionären Europatheoretiker gehörte üblicherweise nur Mitteleuropa zu dem gewünschten deutschen Raum.

2. Das Neue Europa als staatliche Organisation Wenn man über die gewünschte Staatsform für Deutschland – und auch für Europa – der konservativen Revolutionäre schreibt, sollte man auch die ungewünschten Staatsformen nicht außer Acht lassen. So war zum Beispiel die Weimarer Republik das genaue Gegenteil von dem, was sich die konservativen Revolutionäre vorstellten. Im Zentrum der politischen Kritik der konservativen Revolution standen die Staatsformen Republik, Demokratie und Parlamentarismus – hierin waren sich die konservativen Revolutionäre alle einig. Anstatt der „schwachen“ Demokratie der Weimarer Republik sollte das Gegenteil davon entstehen: ein starker Staat mit autoritären Strukturen, einem ausgeprägten hierarchischen Prinzip und einem Führer an der Spitze.737 Oswald Spengler bezeichnete die parlamentarische Republik als eine Staatsform, die nur den Engländern gelungen sei, sonst aber niemandem. Den Deutschen könnte es auch nicht gelingen, sie zu implementieren, da sie bereits die Zeit verpasst hätten, in der man es hätte lernen können. Jetzt wäre es nur eine „Karikatur des Parlamentarismus“738 und nichts anderes. Er war zwar der Meinung, dass „politische Formen an sich […] leere Begriffe [sind]: ,Zu einer politischen Form aber gehört das Volk, das sie geschaffen hat, das sie im Blute trägt, das sie allein zu verwirklichen vermag‘“739. Man könne über die politischen Formen reden, sie aber nicht kopieren. Jedes Volk habe seine eigene, ihm vom Schicksal zugewiesene Staatsform und seine Aufgabe sei, herauszufinden, welche Form das ist und diese zu verwirklichen. Deswegen seien Auseinandersetzungen um die mögliche Staatsform nicht nützlich: Eine tatsächliche Wahlmöglichkeit gäbe es nicht. Die für die Deutschen vorgegebene Staatsform sei die Monarchie. Durch die Vergangenheit des deutschen Volkes, seine Rasse und seine Lage sei es ein monarchisches Volk: „das heisst auf eine Regierung angewiesen, die wir mit Vertrauen und Vollmacht schalten lassen, möge der Regent nun Kaiser oder Kanzler heissen“740. So wie Engländer von der Natur her Republikaner seien, seien die Deutschen geborene Monarchisten. An den Versuchen, den englischen Parlamentarismus anzunehmen, könne Deutschland nur kaputt gehen; es sei „Unsinn oder Verrat“741. England habe „alle 737 738 739 740 741

Sontheimer: Antidemokratisches Denken (wie Anm. 40), S. 144 ff. Spengler: Neubau des Deutschen Reiches (wie Anm. 85), S. 151. Spengler: Preußentum und Sozialismus (wie Anm. 263), S. 49. Spengler: Neubau des Deutschen Reiches (wie Anm. 85), S. 151. Spengler: Preußentum und Sozialismus (wie Anm. 263), S. 49.

154

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

Staaten ohnmächtig gemacht, denen es das Gift seiner eignen Form als Arznei reichte“.742 Dieser Geist des Parlamentarismus habe Europa vergiftet und besiegt: „[D]er staatlose Charakter der Regierung, welcher die englische Gesellschaft aus sich selbst entwickelte, ging hier in den staatsfeindlichen Charakter aller Verfassungen über, in denen ein fremdes, das englische Prinzip, enthalten war.“743 Nicht nur für die anderen europäischen Länder sei Parlamentarismus tödlich, selbst in England sei er schon am Untergehen. Aber die wichtigste Frage für diese Forschungsarbeit ist natürlich, wie hinsichtlich der demokratie- und parlamentskritischen Positionen der konservativen Revolutionäre die gewünschte übernationale Organisation staatsrechtlich organisiert werden sollte. Beim Beantworten dieser Frage stoßen wir auf die gleichen Probleme, wie bei allen anderen Fragen, die einen praktischen Charakter haben. Einige Schlussfolgerungen kann man aber trotzdem ziehen. Nach der Überzeugung Moeller van den Brucks sollte anstatt des Parlamentarismus eine andere Version der Volksvertretung entstehen. Sie sollte die Bedingung erfüllen, um „Lebenskraft als Willensrichtung“ zu vertreten.744 Das Reich, in dem es keinen Widerspruch zwischen dem Reichsrecht und dem Landesrecht geben würde, sah Moeller van den Bruck als eine nötige Voraussetzung, um eine andere Form der Volksvertretung schaffen zu können. Wie es bei den konservativ-revolutionären Autoren üblich war, blieb dieses Konzept unkonkret und nur eine realitätsferne Idee. Als einer der ersten unter den konservativen Revolutionären stellte Moeller van den Bruck die Frage, wofür sich die Deutschen entscheiden sollten: für den Zentralismus oder den Föderalismus. Der Föderalismus würde den „alten Partikularismus“745 fortsetzen, auf den Zentralismus würde die deutsche Nationalität hindrängen. Moeller selber beantwortete diese Frage nicht. Seine Nachfolger bemühten sich aber darum, eine Antwort zu finden.746 Die Frage nach der Wahl zwischen Föderalismus und Zentralismus wurde unter anderem von Jung aufgegriffen. Für ihn war klar, „dass die Neugestaltung Europas die Idee ist, die das 20. Jahrhundert beherrschen wird“.747 Er war ebenfalls überzeugt davon, „dass der westlichem Denken entsprungene unitaristische und imperialistische Nationalstaat in Europa abwirtschaften wird. […] Die Erlösung Europas wird 742

Ebd. Ebd., S. 53. 744 Vgl. Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich (wie Anm. 212), S. 239. 745 Moeller van den Bruck: Sozialismus und Außenpolitik (wie Anm. 66), S. 44 f. 746 Vgl. Görner, Rüdiger: Einheit durch Vielfalt: Föderalismus als politische Lebensform. Opladen 1996, S. 69 ff. Görner spricht hier vom „Mythischen Föderalismus“, den konservative Revolutionäre wie Oswald Spengler, Othmar Spann, Edgar Julius Jung, Hans Zehrer etc. propagierten. Görner vermutet, dass die Autoren ihre Gedanken absichtlich schwammig und nicht konkret formulieren, um keine politische Konzeption vorzustellen, sondern vielmehr einen politischen Mythos zu schaffen. 747 Jung: Die föderalistische Staatsidee und ihre außenpolitische Bedeutung. In: Süddeutsche Monatshefte, Jg. 25, Heft 4, Jan. 1928, S. 259 – 262, hier S. 262. 743

2. Das Neue Europa als staatliche Organisation

155

von dem Volk ausgehen, das eine neue Staatsidee entwickelt“748. Die neue Staatsform für die Deutschen sollte nach seiner Meinung der Föderalismus oder, genauer gesagt, ein föderalistisches Reich sein. Der Terminus „Reich“ wurde von Jung eindeutig dem Terminus „Staat“ vorgezogen. Dahinter verbarg sich seiner Meinung nach die Staatsform, der die europäische Zukunft gehörte: „Der Unitarier kennt kein Reich, sondern nur einen Staat. Ob dieser Staat zentralisiert oder dezentralisiert sein soll, ist eine weitere Frage. […] Der Reichsgedanke ist der Gedanke innenpolitischer Freiheit, überwacht von der landfriedenhaltenden Reichsgewalt. Der westliche Staatsgedanke ist der der absolut regierenden Mehrheit, die nur das Recht kennt, das sie beschließt. Das Reich ist deshalb zur völkergesellschaftlichen Organisation Europas ausbaufähig, der westliche Staat dagegen imperialistisch. Die Zukunft Europas beruht auf der magna charta der Volksrechte, wie sie Karl C. von Loesch im letzten Hefte dieser Zeitschrift meisterhaft entwickelt hat.“749

Das Reich sollte als eine organische und deswegen natürliche Form des Staates auftreten und den Staat in seiner westlich-individualistischen Form ersetzen. Hier wiederholte Jung auch den Gedanken von Max Hildebert Boehm, als er betonte, dass man eine neue Form des Staates bräuchte, die die Völker nicht unterdrücken, sondern mit ihnen kooperieren würde: „An Stelle des bedingungslosen Vorranges des Staates muss also die Doppelung von Staat und Volk beziehungsweise Reich und Völkern treten, die durch die Verfassungen ihren lebendigen Ausdruck erhält.“750 Trotz seiner föderalistischen Position wies Jung auch auf die Nachteile des Föderalismus hin. Das föderalistische Modell sei nicht realisierbar und auch nicht effizient, wenn ein Teil seines Körpers deutlich stärker wäre als die anderen, wie es beim Deutschen Reich der Fall gewesen sei: „Föderalismus ist – als organischer Schwebezustand – unmöglich, wenn ein Teil an Bedeutung, Kraft und Umfang alle übrigen zusammen übertrifft.“751 Nach Jung lag im Widerspruch zwischen Föderalismus und Unitarismus das Problem der Teilung zwischen Osten und Westen, wobei Westen eher für den zentralistischen Staat der „Allgewalt“ stehe, „demgegenüber verficht der organische Staatsgedanke, in der Reichsidee gipfelnd, das Gleichmaß und die Wechselwirkung zwischen Ganzem und Teilen. Liegt beim Zentralismus das Schwergewicht bei der Zusammenfassung, so hier bei der Gliederung“752. Also, folgend der Theorie des organischen Staates von Othmar Spann753, sei in der Gliederung und in der Wechselwirkung einzelner Glieder die Stärke, die diejenige des autoritären zentralistischen Staates überholte und die für ihn Reich hieß. Die westliche Staatsidee sei der unitaristisch-zentralistische Staat und die 748

Ebd. Vgl. Jung: Reichsreform. In: Deutsche Rundschau, Jg. 55, Nr. 217, Nov. 1928, S. 101 – 111, hier S. 107 f. 750 Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 119. 751 Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 359. 752 Ebd., S. 355. 753 Vgl. Spann, Othmar: Der wahre Staat. 5. Aufl. Graz 1972 (1922). 749

156

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

deutsche das föderative Reich.754 Hier kommt es also zur Anwendung des sakralen Begriffs, der in besonderem Maße von Edgar Julius Jung entwickelt wurde. Reich wird als eine Alternative zum Staat betrachtet und zwar als die einzig mögliche für manche Völker – vor allem für das deutsche Volk. „Die Tat“ unterstützte die föderalistische Idee: Um die Aufgabe im Osten erledigen zu können, müsste Deutschland föderalistisch aufgebaut sein, denn nur so könnte die Verbindung mit dem Südosten Europas funktionieren.755 Giselher Wirsing bezeichnete die Integrationsbewegung in Europa als „föderativen Nationalismus“, in dessen Zentrum Deutschland stehen müsse.756 Er forderte eine neue Raumpolitik im deutsch-osteuropäischen Raum. Dafür müssten zwei Voraussetzungen von der deutschen Seite erfüllt werden: föderalistischer Aufbau des Reiches, um diesen Aufbau auf die zukünftigen Mitglieder der deutsch-zwischeneuropäischen Vereinigung übertragen zu können, sowie „die wirtschaftliche Bezogenheit.“757 Diese Idee vom Raum sollte mit dem Imperialismus nichts zu tun haben, mehr als das: „die neue Raumidee, die Deutschland und den nahen Osten verbinden wird, kann nur Gegenpol jenes alten Imperialismus sein, der um ein Kraftzentrum Randgebiete als Kolonialland (und auch europäische Länder können in diesem Sinne Kolonialland sein) um sich legt.“758

Edgar Julius Jung unternahm den Versuch, diese gewünschte Staatsform – das Reich – rechtsstaatlich zu analysieren. Er betonte, dass der Begriff „das Reich“ mit dem Begriff „der Staat“ in einer gewissen Hinsicht gleichgesetzt werden könne, aber nicht sollte. Denn Jung behauptete, dass die Begriffe aus verfassungsstaatlicher Hinsicht gleich sein mögen, aber nicht auf der philosophisch-metaphysischen Ebene. Ein Reich würde die sich unter seiner Herrschaft befindenden Völker nicht unterdrücken, sondern sie selbst würden danach streben, zum Reich zu gehören. Dadurch könnte eine prinzipiell neue Form der Beziehung zwischen dem Reich und seinen Ländern erreicht werden: Statt Zwang und Gewalt würden Friede und Interessengemeinsamkeit dominieren. Jung hat die Unterschiede zwischen Staat und Reich in den folgenden Sätzen auf den Punkt gebracht: „Der westliche Staat ist der Staat der zentralistischen Allgewalt, der unteilbaren Souveränität, rechtlich starr, von einer ,verfettenen‘ (Boehm) Bürokratie geleitet. (…) Demgegenüber verficht der organische Staatsgedanke, in der Reichsidee gipfelnd, das Gleichmaß und die Wechselwirkung zwischen Ganzem und Teilen. Liegt beim Zentralismus das Schwergewicht bei der Zusammenfassung, so hier bei der Gliederung.“759

754 755 756 757 758 759

Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 41. Vgl. O.A.: Deutschlands Weg aus der Einkreisung (wie Anm. 361), S. 954. Vgl. Wirsing: Zwischeneuropa (wie Anm. 25), S. 231. Wirsing: Vorstoß Zollunion (wie Anm. 153), S. 226. Ebd. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 355.

2. Das Neue Europa als staatliche Organisation

157

Weil das Reich eine Organisation besonderer Art sei, sollten auch seine Teile „eine völkerrechtliche Sonderstellung einnehmen“760. Die gleichen Sonderbedingungen galten für die anderen Lebensbereiche des Reiches. Flexibilität und Beweglichkeit, Eigenschaften, die für einen Organismus natürlich sind, sollten auch für das Reich anwendbar sein:761 Selbst die Existenz des Reiches, seine Art und Weise zu funktionieren, sei ganz anders als die eines Staates. Das Reich sei nicht statisch, sondern dynamisch. Die Rechtsvorstellungen seien „nicht körperhaft, sondern an Beziehungen geknüpft“762. Die Hierarchie sei fest verankert. Jung analysierte Probleme des Staats- und Völkerrechts in Bezug auf die Reichsproblematik. Das Reichsvolk sollte im Reich die außenpolitische und militärische Führung übernehmen sowie die Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik, soweit sie die außenpolitische Stellung des Reiches betreffen. Zu den anderen Bereichen, wo die Herrschaft des Reiches nötig wäre, galten laut Jung das Transportsystem und Steuereinnahmen. Jung stellte noch weitergehende Fragen: Welche Form sollten die Bestandteile des Reiches annehmen? Sollten das die Länder sein, wie wir sie kennen, oder sollte sich etwas daran ändern? Was die innere Verwaltung der einzelnen Reichsglieder betraf, könnten sie heißen, wie sie wollten: „bald Provinzen, bald Länder, bald Bundesländer, bald verbündete Staaten.“763 Zu ihren Kompetenzen gehörten „die innere Verwaltung, die Polizeihoheit, auch über die sich selbst verwaltende Wirtschaft und Kultur“764. Die Bereiche, die der Selbstverwaltung untergeordnet blieben, sollten aber beschränkt sein, um die „notwendige Vereinheitlichung“ des Reiches zu ermöglichen. Das Leben in den „engeren Gemeinschaften“ sei eine unbedingte Voraussetzung für einen Großstaat zum Überleben. Es bestand aber noch die Möglichkeit, als Teil des Reichskörpers mehr Selbstständigkeit zu behalten. Das Reich sollte fähig sein, seinen Gebieten gewisse Freiheiten zu überlassen. Diese sollten aber ihrerseits bereit sein, auf manche Privilegien zu verzichten.765 Ähnlich wie Jung ging Karl Christian von Loesch auf die Frage der Funktionen des Reiches ein: Dem europäischen Bund mussten seiner Meinung nach die Bereiche des Handels und Verkehrs, „Ausbeutung der Rohstoffe“, der europäischen Währung 760

Ebd., S. 360. Vgl. ebd., S. 360 f.: „Man kann sich ein Reich vorstellen, dessen Kern staatsrechtlich aufgebaut ist, während nach den Rändern zu ein Übergang in völkerrechtliche Bündnisformen stattfindet. Reich ist ein Tiefenbegriff und von einer Beweglichkeit in rechtlicher Beziehung, die sich unser formalrechtliches Zeitalter nicht träumen lässt. Der außenpolitische Teil wird die ungeheure Bedeutung, die ein so beweglicher Reichsaufbau für die europäische Stellung des deutschen Volkes hat, umreißen“. 762 Ebd., S. 355. 763 Ebd., S. 361. 764 Ebd. 765 Vgl. ebd.: „Dass jedes Land sein eigenes Berechtigungs- und Prüfungswesen aufrechterhält (wie beispielsweise ein bayerischer Richter oder Rechtsanwalt nur in Bayern berufstätig werden darf), das sind wirklich Köpfe“. 761

158

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

und des europäischen Rechts „und zwar: Staatenrecht, Nationalitätenrecht, Wirtschaftsrecht“766 zugesprochen werden. Jung unterschied jedoch zwischen zwei neuen Begriffen: dem Begriff „Nation“ und dem Begriff „Nationalstaat“. Dabei betonte er, dass der französische Begriff der Nation falsch für die Deutschen sei, genau wie die ganze französische Staatsidee. Der Nationalstaat als ein Ausdruck der westlichen Vorstellung von einer Nation wurde von Jung kritisiert, vor allem weil er imperialistisch sei und, um die innere Einheit zu erreichen, Völker, die nicht zur größten Nation gehören, unterdrücken müsste. Er sei in seiner Politik sehr widersprüchlich, denn „ein solcher Nationalstaat, der Volksgenossen außerhalb der Staatsgrenze hat, kann gleichzeitig nach außen irredentistisch und nach innen assimilierend wirken“767. Deswegen sei der Verzicht auf diese Staatsform nur eine logische Konsequenz der deutschen Geschichte. Außerdem sei der Geist der Deutschen groß genug, um „auf dem Gebiete der politischen Neuordnung und des Völkerrechtes zu einer größeren und höheren Einheit [zu] streben“768. Die Kritik des Nationalstaates stand auch im Zusammenhang mit einer grundsätzlichen antiwestlichen Position. Der Nationalstaat sei „die Übertragung individualistischer Lehren vom Einzelmenschen auf den Einzelstaat“769. Der Hauptkritikpunkt war aber die Tatsache, dass der Nationalstaat nicht die Bedürfnisse des Auslandsdeutschtums befriedigen könnte. Man müsse „die Reibungsfläche zwischen den einzelnen Völkern und ihren Staaten […] so klein als möglich“770 halten. Deswegen sei die logische Lösung für die europäischen Probleme eine übernationale oder überstaatliche, genauer gesagt das Reich, das Jung als „eine Herrschaftsform, die sich über den Volkstümern erhebt, jenseits von ihnen liegt und sie deshalb unangetastet lassen kann“771, definierte. Boehm, als einer der aktivsten Kämpfer für die Rechte der nationalen Minderheiten, analysierte die gewünschte Staatsform für das vereinte Europa mit Blick auf die Nachteile des Nationalstaates. Völker müssten vom Einfluss der Staaten so weit wie möglich befreit werden. Er entwarf einen speziellen Plan, der aufzeigte, was auf dem Weg der Völkerbefreiung von den Staaten bereits getan wurde und was noch zu tun sei. Diesen Prozess bezeichnete er unter anderem als eine Befreiung der Kultur vom Staat. Die Entfernung der Kirche aus der staatlichen Macht betrachtete er als einen Schritt dieses Prozesses. Die weitere Entwicklung sei aber notwendig. Die Nationen müssten so frei wie möglich vom Staat werden. Besonders wichtig sei es für die national gemischten Gebiete. Vor allem auf der Kultur- bzw. Bildungsebene sollte der höchstmögliche Grad der Autonomie für die Nationen eingeführt werden, denn es sei „eine der wesentlichsten Voraussetzungen für ein gedeihliches Nebeneinander766 767 768 769 770 771

Loesch: Der großdeutsche Gedanke (wie Anm. 30), hier S. 32. Ebd., S. 116. Ebd., S. 117. Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 75. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 632. Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 75.

2. Das Neue Europa als staatliche Organisation

159

leben verschiedener Völkerschaften auf ein und demselben Heimatboden“772. Das Erreichen dieser Voraussetzung sollte die Beziehungen mit den nationalen Minderheiten im Ausland vereinfachen und das Bildungssystem effizienter machen, so dass dies am Ende sogar den erwarteten Prozess des Zerfalls Europas stoppen würde. Boehm sprach auch von der mit den Problemen des Nationalstaates verbundenen Krise Europas, die keinen Platz für die Interessen der Völker übrig lasse: „Das Volk als Volk ist gegenüber dem Volk als Staat ohne Stimme und Waffe. Nur in den Volksgruppen, ihrer Organisation und Führung, in ihren ,entparlamentarisierten‘ Parlamentariern und ihrer ,unpolitischen‘ Politik wird diese Stimme hörbar.“773 An dieser Stelle machte er auch den Unterschied zwischen Volksgruppenrecht und Völkerrecht, wobei letzteres für ihn als Synonym für Staatenrecht galt. Es bestände ein Problem in der Art und Weise wie der Nationalstaat selbst funktioniere: „Soweit er sich föderativ unterbaut und dem Grundsatz der Selbstverwaltung Raum gibt, schont er die heimatliche Verbundenheit ihrer Glieder. Indem er sich als Machtstaat entfaltet, dehnt er den volklichen Wirkungsraum über seine Grenze hinaus aus. Falls er dort auf Teile seines Volkssiedelbodens trifft, die sich staatlich nicht angliedern lassen, so gerät er in eine gewisse Verlegenheit.“774

Die Größe eines Volkes stellte Max Hildebert Boehm in Zusammenhang mit seiner Kritik am Nationalstaat dar. Seine Formel hieß: Je kleiner das Volk, desto einfacher sei es, die passende Staatsform dafür zu finden. Seine Prognose für größere Völker klang viel pessimistischer: „Von einer bestimmten Größe, inneren Vielfältigkeit und räumlichen Ausbreitung ab jedoch versagt die reinstaatliche Lösung überhaupt.“775 Eine schwierige außenpolitische Situation könnte dazu beitragen, dass „ein solches Volk seine Verwirklichung nicht im Staat allein ,sucht‘, sondern es überhöht sein Schicksal in der Idee eines Reiches. Vielleicht gelangt der Volksgedanke überhaupt in ihr zu seiner höchsten Vollendung“776. Die einzig mögliche Alternative für Europa sah Max Hildebert Boehm in einer Volksgemeinschaft anstatt in einem Gebilde mit mehreren Nationalstaaten. Diese Form des Zusammenlebens der Völker sei optimal, um die bestehenden Probleme Europas zu lösen. Sie entspreche der Natur der Völker.777 Diese Annahme begründete er damit, dass diese Staatsform sich wie folgt definiere: „Volksgemeinschaft trägt und verwirklicht das Volkstum, gibt dem Volkszusammenhang die lebendigen Gestaltungen, überwindet Raum und Zeit und ist in allem volksgemäßen Leben, Weben und Streben zugleich vorausgesetzt und gefordert.“778 772 773 774 775 776 777 778

Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 319. Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 204 f. Ebd. Ebd., S. 127. Ebd. Vgl. ebd., S. 185 f. Ebd.

160

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

So sei die Antwort nach einer möglichen Staatsform in der Reichsidee zu suchen.Wilhelm Stapel beschäftigte sich ebenfalls mit dem Antagonismus zwischen Volk und Staat. Die beiden seien Gegensätze, gehörten aber trotzdem zusammen. Man müsse nur Kompromisse finden, um beide Seiten zu berücksichtigen. Auch nach seiner Meinung war die dazu passende Form das Reich, weil es eine Staatsform war, „wo das Verhältnis zwischen Volk und Staat in der rechten Ordnung ist“779. Für Stapel war das Reich die jahrhundertelange Sehnsucht des deutschen Volkes nach einem großen Staat. Die hätte sich aber nie erfüllt: „Des Reiches Herrlichkeit blieb immer nur ein Traum. Die Deutschen haben entweder kein eigenes großes Reich gehabt, oder wenn sie ein Reich hatten, waren sie nicht davon befriedigt. Es ist niemals der Staat gewesen, der das deutsche Volk zu einer Einheit zusammenband, sondern höchstens die Sehnsucht nach einem Staate.“780

In Frankreich, England und Amerika sei das anders gewesen. Der Staat habe die Erwartungen des Volkes erfüllt. Stapel blieb jedoch optimistisch, dass der Traum des Reiches sich bald erfüllen würde. Auch „Der Ring“ plädierte für die Idee des Reiches als die passendste Staatsform für Deutschland: „Das Reich hat eine andere Einheit als der Staat. Die Einheit des Reiches ist das Resultat kämpfender Kräfte, die des Reiches ist Gestaltung, ist Bildung, ist ein geschichtlich sich erhaltender Vorgang, der Vorgang des Zusammenschlusses. […] Sie ist eine Überordnung, weil sie eine Schicksalsgemeinschaft ist; als solche aber kann sie nicht wie Staatenbund und selbst Bundesstaat völkerrechtlich sondern nur verfassungsrechtlich konstituiert und in Funktion erhalten werden.“781

Die Idee des Reiches als die einzig mögliche Staatsform nicht nur für Deutschland sondern für ganz Europa unterstützten die meisten der prominenten konservativen Revolutionäre. Sehr viele davon wurden stark von der Universalismus-Lehre Othmar Spanns beeinflusst. Karl Anton Rohan umriss die Idee der ständischen Gesellschaftsordnung, um das Reich als gewünschte Staatsform zu propagieren.782 Ernst Niekisch definiert den Begriff Reich in Bezug auf die außenpolitische Komponente kritischer und unterscheidet sich so von den vorher genannten Definitionen. Niekisch behauptete, dass der moderne europäische Nationalstaat zum Imperialismus neige, denn „ein Nationalstaat ohne Kolonien ist wie eine Stadt ohne landwirtschaftliches Austausch- und Ausbeutungsgebiet“783. Er kritisierte aber auch den Föderalismus: Es sei ein Versuch, aus einer Not eine Tugend zu machen, denn „der Föderalismus war immer nur ein Verzicht auf strenge Zusammenfassung; […] 779 Stapel: Die wahre Natur des Staates. In: Deutsches Volkstum (1927), S. 502 – 510, hier S. 510. 780 Stapel: Der politische Schwindel (wie Anm. 427), S. 261. 781 O.A.: Für das Reich. In: Der Ring, Jg. 4, Heft 17, 25. April 1931, S. 295. 782 Vgl. Müller, Nils: Karl Anton Rohan (wie Anm. 195), S. 193. 783 Niekisch: Europäische Bilanz (wie Anm. 184), S. 79.

3. Wirtschaft

161

was Schwäche und Mangel war, wurde in der Stimmung durchsichtigen Selbstbetrugs als Stärke ausstaffiert“784. Das Reich schien vielen eine vernünftige Staatsform zu sein, weil es als einziges den auch von Jung angestrebten föderativen Universalismus verwirklichen konnte. Das trug aber nach Niekisch dazu bei, dass die Idee ausgenutzt wurde – und zwar von den Katholiken. „Die christlich-föderative, katholisch-universale Idee“ des Reiches wurde von Niekisch streng abgelehnt, genau wie „die universale Idee des Reiches, die sich bewusst der Nationalstaatsidee entgegensetzt“.785 Deutschland müsse „nationalistisch“ denken – das sei die Lösung. Man merkt, dass in diesem Bereich eine gewisse Einigkeit zwischen den konservativ-revolutionären Ideologen bestand: Die Abschaffung des Nationalstaates war das Ziel und eine übernationale Einheit (das Reich786) sollte zur gewünschten Staatsform werden. Die meisten Autoren zeigten sich auch von den Vorteilen des föderalistischen Staatsaufbaus überzeugt. Das Erreichen dieses Zieles würde das Abendland und die darin lebenden Nationen befrieden.

3. Wirtschaft Die Frage nach der wirtschaftlichen Organisation des „neuen Europas“ wäre unabweisbar geworden, wenn es um eine abgeschlossene politische Konzeption gegangen wäre. Die schwammigen Europaideen der konservativen Revolutionäre boten aber keine eindeutigen Vorstellungen für das wirtschaftliche Europa an. Die allgemeinen Wirtschaftsvorstellungen der konservativen Revolution waren zerstreut und nicht eindeutig zu definieren,787 es gab aber wenigstens einige für die Volkswirtschaft. Bereits Oswald Spengler beschäftigte sich mit diesen Fragen. Zusammen mit Moeller van den Bruck entwickelte er Grundlagen, die die konservativen Revolutionäre nutzten, um ihre Wirtschafts- und Europavorstellungen zu formulieren. Nach Spenglers Meinung stand Politik an erster Stelle und Wirtschaft an zweiter Stelle.788 Trotzdem hatte das deutsche Volk eine wichtige wirtschaftliche Mission zu erledi784

Niekisch: Das Dritte Reich (wie Anm. 405), S. 134. Niekisch: Entscheidung (wie Anm. 102), S. 26. 786 Vgl. Elvert: Mitteleuropa (wie Anm. 1), S. 214. 787 Vgl. Breuer: Anatomie (wie Anm. 39), S. 59 ff. Stefan Breuer besteht darauf, die Bewegung der Konservativen Revolution differenziert zu betrachten, auch, was ihre Vorstellungen in Wirtschaftsfragen angeht. Dies begründet er damit, dass einige Vertreter wie Spengler und Moeller van den Bruck sowie die ihnen nahestehenden Zeitschriften „Deutsches Volkstum“ und „Deutsche Rundschau“ den Sozialismus nicht im wirtschaftlichen Sinne propagierten, sondern viel mehr als Ethos. Andere Autoren teilten diese Ansicht jedoch nicht und vertraten andere Auffassungen von Wirtschaft. 788 Vgl. Spengler: Das Doppelantlitz Russlands (wie Anm. 196), S. 98: „Und hier ist stets die Wirtschaft vom Niveau der großen Politik abhängig, nicht umgekehrt. Die Wirtschaftsführer müssen rein politisch denken lernen, nicht wirtschaftspolitisch“. 785

162

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

gen: Die Deutschen seien berufen, den ganz besonderen deutschen Sozialismus aufzubauen. Das habe nichts mit Marxismus und noch weniger mit Bolschewismus zu tun. Der deutsche Sozialismus sei eine „echte“ Version von Sozialismus, die nur das deutsche Volk schaffen könne: „Wir Deutsche sind Sozialisten, auch wenn niemals davon geredet worden wäre. Die andern können es gar nicht sein.“789 Bei jedem anderen Volk würde Sozialismus eine eigene Form erreichen, denn jedes Volk habe seinen eigenen Sozialismus. Die Zuneigung zur richtigen Form des Sozialismus liege in der Natur der Preußen und das hieß: auch in der Natur der Deutschen. Der preußische Sozialismus sei autoritativ, denn für die Deutschen bestehe nur die Wahl zwischen der „Diktatur des Geldes oder der Organisation, die Welt als Beute oder als Staat, Reichtum oder Autorität, Erfolg oder Beruf“790. Aus der Sicht der gesellschaftlichen Organisationen sollte diese Form des Sozialismus zur Bildung einer ständisch-bündischen Gesellschaft führen. Das bedeute eine allgemeine Arbeitspflicht, eine berufsständische Gliederung, „die zugleich Verwaltung ist und einen obersten Verwaltungsrat statt des Parlaments besitzt – wo alle arbeiten, Offiziere, Beamte, Bauern, Bergleute, möge man ihn Arbeiterrat nennen“791. Trotz der Priorität der Politik gegenüber der Wirtschaft wird das Thema Wirtschaft immer wieder von den unterschiedlichen Autoren aufgegriffen. Die gewünschte Richtung in der deutschen wirtschaftlichen Entwicklung bedeutete für Moeller van den Bruck genau wie für Spengler den Aufbau des Sozialismus. Moeller van den Bruck propagierte eine neue Idee von Sozialismus, eine korporative Form des Sozialismus. Den Bolschewismus lehnte er ab, weil es eine andere, russische Form des Sozialismus gewesen sei. Moeller van den Bruck argumentierte für eine neue Form von Gemeinschaft des ganzen Volkes. Das war seine Vision des Sozialismus: Sozialismus nicht für die Proletarier, sondern für die ganze Gesellschaft, wo sie einheitlich und organisch sein könnte und alle Glieder der Gemeinschaft sich um die gemeinsamen Interessen kümmern würden.792 Der besondere deutsche Sozialismus solle nicht einfach ein Bestandteil, sondern die Grundlage des neuen deutschen Reiches bilden: „Wo Marxismus endet, dort beginnt Sozialismus. Er ist nicht die Aufgabe eines dritten Reiches. Er ist seine Grundlage.“793 Was den gesellschaftlichen Aufbau anbelangt, belebte Moeller van den Bruck die Idee der Berufsstände wieder, die die soziale Struktur im neuen Reich bilden sollten.794 Wie in vielen anderen Gebieten sollte Deutschland im wirtschaftlichen Bereich einen Mittelpunkt zwischen Osten und Westen bilden und eine wirtschaftliche Struktur schaffen, die an der Grenze zwischen Kapitalismus und Kommunismus

789 790 791 792 793 794

Spengler: Preußentum und Sozialismus (wie Anm. 263), S. 12. Ebd., S. 58. Ebd. S. 59. Vgl. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 63. Moeller van den Bruck: Das tausendjährige Reich (wie Anm. 636). Vgl. Schlüter: Arthur Moeller van den Bruck (wie Anm. 17), S. 168.

3. Wirtschaft

163

stehen würde.795 Moeller van den Bruck glaubte, bei den alten Völkern fehle der sozialistische Einsatz. Dafür seien sie zu gesättigt. Ihnen fehle auch „die schöpferische Arbeit und Vorarbeit, für die uns die Kunst der Völker ein Zeichen und ein Gleichnis ist“796. Es sei aber im genügenden Maße bei den jungen Völkern vorhanden. Ein Zeichen dafür seien die bei ihnen verbreiteten Ideen der neuen Wirtschaft. Die neue Wirtschaft sei „das Großorganisatorische, von Lebensformen hier, von Kunstformen dort“797. Die Ideen von Oswald Spengler und Moeller van den Bruck prägten deutlich die Meinungen vieler ihrer Nachfolger. Die Idee des Sozialismus, der unterschiedliche Formen trug, fand bei vielen Autoren des konservativ-revolutionären Spektrums Ausdruck. Im Falle von Friedrich Hielscher war es die Idee der sozialistischen Planwirtschaft, wo das Privateigentum abgeschafft werden sollte.798 Ernst Niekisch trat für den deutschen Sozialismus ein, der einerseits weit weg von den marxistischen Dogmen sein würde und andererseits die Arbeiterschaft als seine sichere Grundlage hätte.799 Bezeichnend ist, dass Ernst Niekisch damit gleichzeitig einer der leidenschaftlichen Vertreter der Idee vom Kampf gegen die Urbanisierung Deutschlands war, in der er Spuren der Verwestlichung sah. Nur im Boden, in der Landwirtschaft, in der Abkehr von der Zivilisation und Rückkehr zum ländlichen Leben sah er eine Zukunft für Deutschland.800 Für Martin Spahn äußerte es sich in der Version des christlich-deutschen Sozialismus, wo die Werte des Sozialismus mit der katholischromanischen Idee in Einklang gebracht werden sollten.801 Trotz dieser Unterschiede bestand die Idee des besonderen deutschen Sozialismus bei jedem Autor fort. Spengler und Moeller selbst setzten sich nicht mit der Idee Europas als wirtschaftlicher Einheit auseinander. Das taten aber viele ihrer Mitstreiter aus dem konservativ-revolutionären Lager. Das neue Reich, Mitteleuropa etc. sollten auf den gleichen wirtschaftlichen Prinzipien aufgebaut werden, die für Deutschland galten. Sie sollten nicht nur den äußeren Feind Deutschlands, den Westen, sondern auch die inneren Feinde, Liberalismus und Kapitalismus, bekämpfen.802 Max Hildebert Boehm war einer derjenigen, der, Spengler und Moeller folgend, im Sozialismus die deutsche Zukunft und Rettung sah. Dafür müsste man keine Angst vor dem Marxismus haben. In dieser These folgte Boehm Spengler: Bei den Deutschen würde der Sozialismus anders sein als bei den Russen:

795 796 797 798 799 800 801 802

Ebd. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 64. Ebd. Vgl. Schmidt: Der Herr des Feuers (wie Anm. 718), S. 165. Vgl. Buchheim: Ernst Niekisch (wie Anm. 242), S. 338 f. Vgl. Sauermann: Die Zeitschrift „Widerstand“ und ihr Kreis (wie Anm. 240). Vgl. Clemens: Martin Spahn (wie Anm. 21), S. 118 ff. Vgl. ebd., S. 118.

164

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

„Dem Deutschen mit seinem tief eingewurzelten Sinn für Ordnung und Gerechtigkeit, dem Deutschen, dessen hervorstechende Eigenschaften Fleiß und Gewissenhaftigkeit sind: ihm liegt der Gedanke der Gewaltherrschaft einer Klasse von Natur sehr wenig. Deswegen hat auch in der deutschen Sozialdemokratie die evolutionäre Richtung das entschiedene Uebergewicht über die revolutionäre gehabt.“803

Dieses diffuse Sicherheitsgefühl erlaubte Boehm, die deutschen „Mehrheitssozialisten“ zu loben, um ihnen aber gleichzeitig vorzuwerfen, den westlerischen liberalen Einfluss nicht vermieden zu haben. Boehm wiederholte die Worte von Spengler und Moeller und glaubte, dass in Deutschland eine andere Art von Sozialismus möglich sei als in Russland und zwar eine bessere als Bolschewismus. Sie hieße Volkssozialismus und sei dadurch ausgezeichnet, dass sie „alle schöpferischen Energien des gesamten werktätigen Volkes aller Schichten und Stände zu einem großen Einheitsgefüge zusammenfassen will“804. Dafür sollte auf das Rätesystem sowie auf die Abschaffung des Unternehmertums verzichtet werden. Genauso trat Boehm gegen die Sozialisierung ein,805 unter der „versteht man ja die Umwandlung des privatwirtschaftlichen in den gemeinwirtschaftlichen Betrieb“806. Boehm verteidigte sein Prinzip: zuerst das Volk und dann der Staat, auch im Kontext der Diskussion über die Wirtschaft. Er war der Ansicht, dass im Zentrum der Wirtschaft nicht die Staaten, sondern die Völker stehen sollten. Nach der Meinung von Boehm gab es schon Beispiele in der deutschen Geschichte, wo die Wirtschaft als eine staatsübergreifende Erscheinung verstanden wurde: „Man braucht nur an Friedrich List und seinen Zusammenstoß mit dem württembergischen Staat oder an andere Vorkämpfer der deutschen Zollvereinspolitik zu erinnern, um ein Wirtschaftsdenken zu treffen, das keineswegs anarchistisch war, sich trotzdem aber in einem durchaus staatsübergreifenden Sinn gesamtvolklich einstellen konnte.“807

Das sei aber im aktuellen Europa nicht der Fall. Man denke „in Zollmauern und Märkten und nicht in Sprachgrenzen und Volksräumen und ist geneigt, das gesamtvolkliche Wirtschaftsinteresse überhaupt als eine Chimäre oder bestenfalls als eine gesinnungstüchtige, aber gänzliche gegenstandslose idealistische Utopie bei-

803 Boehm: Was uns not tut (Sondernummer für die heimkehrenden Kriegsgefangenen; Aug. 1919). Berlin 1919, S. 20. 804 Ebd. 805 Vgl. Breuer: Anatomie (wie Anm. 39). Stefan Breuer sieht darin nicht ohne Grund einen Widerspruch zur Idee des Sozialismus. Bei der Analyse dieser ideologischen Komponente muss jedoch in Betracht gezogen werden, dass die konservativen Revolutionäre allgemein, und Boehm war keine Ausnahme, keinen besonderen Wert auf die genauen Details ihrer Pläne gelegt haben. Wenn man dann noch den Mangel an Logik in vielen anderen Aspekten ihrer Konzeptionen hinzuzählt, wird man nicht fehlgehen, die Ungenauigkeiten in den Vorstellungen vom Sozialismus mancher konservativer Revolutionäre als Fachfehler und nicht als ideologische Vorhaben zu definieren. 806 Boehm: Was uns not tut (wie Anm. 803), S. 25. 807 Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 206.

3. Wirtschaft

165

seite zu schieben“.808 Max Hildebert Boehm setzte sich für ein neues Verhältnis zwischen Volk und Wirtschaft ein, das über das Volk hinaus wirken würde. Die neue Wirtschaftsform sollte dem Volk helfen, „Einfluss zu gewinnen, zu wirken und schließlich über andere Völker in irgendeiner Form zu herrschen.“809 Wirtschaft sollte somit dem Ziel des Erwerbens der Herrschaft dienen. Der lange propagierte Wirtschaftsnationalismus sollte sich in den Wirtschaftsimperialismus verwandeln. Boehm gab auch zu, dass das zur Ausbeutung anderer Völker führen könnte. Er vertiefte jedoch den Gedanken nicht, wie man das vermeiden könnte. Wie stark wirtschaftlicher und kultureller Einfluss miteinander verbunden werden kann, zeigte Boehm an den Beispielen des spanischen Einflusses auf Mittelamerika sowie an dem Beispiel Indiens. Boehm äußerte sich außerdem dagegen, dass ein Volk sich auf eine bestimmte Wirtschaftsform festlegt, weil „[j]e umfassender, vielschichtiger, Zeit und Raum übergreifender ein Volk, desto relativer ist die Beziehung zwischen dem Volkstum oder dem Volksganzen und einzelnen Formen, Prinzipien, Methoden der Wirtschaft.“810 Außerdem behauptete Boehm, dass es unmöglich wäre, die Volkswirtschaft zu regulieren. Es sei die Sache der Volksdisziplin. Wirtschaftliche Organisationen seien nach ihren Interessen, nicht aber nach den einzelnen Völkern aufgeteilt. Volkswirtschaft müsse als „nicht mehr organisierbar anerkannt werden.“811 Damit war Boehm einer derjenigen, der die Wirtschaftsvorstellungen der konservativen Revolution mit der Idee der Wirtschaftsintegration Europas in Verbindung brachte. Ideen der wirtschaftlichen Vereinigung Europas fanden bereits zu Beginn der 1920er Jahre Verbreitung. Der Höhepunkt der Diskussionen wurde 1930 – 1931 erreicht, als die deutsch-österreichische Zollunion diskutiert wurde.812 Diese Ideen fanden Anklang in vielen der hier in Betracht gezogenen konservativ-revolutionären Schriften. Edgar Julius Jung war einer der ersten konservativen Revolutionäre, die von den wirtschaftlichen Bündnissen als einer Voraussetzung für die europäische Neuordnung schrieben.813 Wirtschaft sei genau das, was nach Meinung von Jung eine wichtige Rolle spielte, wenn die Völker nach einem Zusammenleben bzw. nach einer gemeinsamen Ordnung strebten. Für Jung war diese Rolle aber auf keinen Fall die wichtigste. Er stimmte in diesem Sinne Spengler zu, wenn er sagte, dass die wirtschaftlichen Bestrebungen alleine nicht genug zur Völkervereinigung beitrügen. Die 808

Ebd., S. 205. Ebd., S. 210. 810 Ebd., S. 208. 811 Ebd., S. 212. 812 Vgl. Elvert: Mitteleuropa (wie Anm. 1); Steininger, Rolf: „… Der Angelegenheit ein paneuropäisches Mäntelchen umhängen…“. Das deutsch-österreichische Zollunionsprojekt von 1931. In: Gehler, Michael u. a. (Hrsg.): Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung. Historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert (Historische Mitteilungen. Beiheft 15). Stuttgart 1996, S. 441 – 480. 813 Vgl. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 640. 809

166

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

Souveränitätsbestrebungen der europäischen Völker, die Struktur des europäischen Staatslebens, die auf dem Modell des Nationalstaates basierten, ließen dem Aufbau des gemeinschaftlichen Wirtschaftslebens nicht viele Chancen: „Mag auch die Welt der Geldleute die Grenzen der Erdteile ungestraft überspringen zu können glauben, mögen industrielle Zusammenballungen überstaatlicher Art auch heute schon erfolgreich sein: sie ändern nichts an der zunehmenden Zersplitterung Europas in immer neue Staaten, sie hindern nicht den fortschreitenden Zerfall der Völker in immer neue Einheiten, wie wir ihn bei Nordgermanen, Niederländern und Angelsachsen beobachten. Sie ändern nichts an völkischen Leidenschaften: an den eigensüchtigen Wünschen, völlig auf sich allein gestellt ein in jeder Beziehung unabhängiges Staatsleben zu führen.“814

Wenn man Europa „als politische Fiktion auf angeblich unwiderstehlichen Verkehrs- und Wirtschaftstatsachen aufbauen möchte“815, sei man nicht weit vom Marxismus gekommen. Jung behauptete, dass es absurd wäre, an die integrierte Weltwirtschaft zu glauben. Die regionale wirtschaftliche Integration sei bei weitem sinnvoller. Die größeren Wirtschaftsräume würden entstehen, „aber doch immerhin nach den Gesetzen verkehrspolitischer und geographischer Einheit, wenn nicht sogar nach geschichtlichen, politischen und kulturellen Gesichtspunkten.“816 Auch diese These diente zur Begründung der Notwendigkeit der Reichsgründung. Die Weltwirtschaft sei nicht einheitlich, sondern nur ein Sammelbegriff. Die höchstmögliche wirtschaftliche Einheit sei weder die Weltwirtschaft noch die Menschheit, sondern das Reich. Ähnlich wie Boehm verzichtete Jung auf die Einmischung des Staates in die Wirtschaft, denn obwohl der Staat dafür zu sorgen habe, „dass die Formen des wirtschaftlichen Lebens gesund bleiben, der Eingriff des Staates in das Wirtschaftsleben [liege nicht] in seiner wahren Natur.“817 Deswegen könne man diesen Bereich aus der Liste der Staatsaufgaben schmerzlos streichen. Wilhelm Stapel sah den Aufbau einer übernationalen Wirtschaftsgemeinschaft als nötig an, alle Realitäten sprächen dafür, denn „wir brauchen eine größere Wirtschaftseinheit als die der deutschen Republik.“818 Es stehe auch im Zug dieser Entwicklung, dass man aus mehreren Ländern bestehende Wirtschaftsgebiete schafft. Allein das war eine Grundlage für die europäische Vereinigung: Wenn man Begriffe des 21. Jahrhunderts benutzt, sprach alles für die Globalisierung und diese Entwicklung zu stoppen, würde bedeuten, eine Stufe zurück zu gehen. Man müsse dafür sorgen, größere Wirtschaftsgebiete zu bilden. Selbst die Entwicklung der Technik sorge dafür: 814 815 816 817 818

Ebd., S. 114. Jung: Deutsch und europäisch (wie Anm. 160), hier S. 97 f. Ebd., S. 94. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 636. Stapel: Zwiesprache (wie Anm. 76), S. 85.

3. Wirtschaft

167

„Wirtschaft und Technik, die einen neuen Lebensraum der Menschen erschließen, haben eine übernationale Welt geschaffen. Das ist ein Zustand, der notwendig zu einer Zusammenfassung Europas drängt.“819

Auf den ersten Blick schienen Wirsing und „Die Tat“ eine Ausnahme unter den konservativ-revolutionären Autoren zu sein, die eine wirtschaftliche Integration als positiv einschätzten. Der bekanntesten konservativ-revolutionären Zeitschrift zufolge waren England, Amerika und Frankreich die einzigen Länder, die ihr Nationalgefühl behalten könnten, ohne sich von der Weltwirtschaft ausschließen zu müssen. Das erkläre sich historisch durch ihren Imperialismus. Die anderen Länder (und vor allem Deutschland) müssten sich hingegen von der Weltwirtschaft ausschließen, um frei zu bleiben.820 Dafür müsste die Proportion der landwirtschaftlichen Bevölkerung zur nichtlandwirtschaftlichen 40/60 sein und die wirtschaftlichen Verbindungen zu den anderen Ländern reduziert und danach abgeschafft werden. Dieser autarkische Nationalraum bezog sich aber nicht auf das Deutschland in den Grenzen, die man kannte. Unter diesem Raum verstand man Mitteleuropa, vor allem: „de[n] Balkan und de[n] Südosten“821. Dies verstand Wirsing jedoch nicht als Imperialismus, ganz im Gegenteil: Diese neue Staatsidee sei „weder imperialistisch, noch expansiv“822. Schließlich hätte Deutschland dem Osten etwas zu bieten. Es solle so etwas wie ein Tausch von „Industrie gegen Landwirtschaft“ geben: Deutschland würde die landwirtschaftliche Produktion dieser Länder kaufen und sie würden wiederum von der Entwicklung der deutschen Industrie profitieren. Das Ziel für Wirsing lautete: „ein neues mitteleuropäisches wirtschaftliches Föderativsystem“823. Der Anfangspunkt bei allen Umwandlungen sei der moderne Wirtschaftsstaat. Und die angestrebte mitteleuropäische wirtschaftliche Föderation könne „nur ein System in sich geschlossener staatswirtschaftlich weitgehend organisierter Nationen sein“824. Die Wirtschaftskrise habe dazu beigetragen, dass man gut verstehen und ansehen konnte, dass das auf den Nationalstaaten basierende Wirtschaftssystem nicht mehr effizient sei, weil es „die Grenze des ,nationalen Wirtschaftsraumes‘ überall in Zwischeneuropa deutlich gemacht und gewisse wirtschaftsföderative Ansätze stärker in den Vordergrund geschoben“825 hat. Die wirtschaftliche Integration mit Zwischeneuropa sollte den Lebensmittelbedarf der Deutschen befriedigen und ihre volle Autonomie gewährleisten.826 Diese wirtschaftliche Verbindung könne aber nur 819

Stapel: Der christliche Staatsmann (wie Anm. 96), S. 252. Vgl. O.A.: Deutschlands Weg aus der Einkreisung (wie Anm. 361), S. 942. 821 Ebd., S. 949. 822 Ebd. 823 Wirsing: Zwischeneuropa (wie Anm. 25), S. 231. 824 Ebd. 825 Ebd., S. 230. 826 Vgl. ebd., S. 302: „Der deutsch-zwischeneuropäische Wirtschaftsraum als einheitliches und in sich geschlossenes Wirtschaftsgebiet verstanden besitzt eine fast vollständige Ernährungsautonomie und eine hochwertige, wenn auch durch die kapitalistische Krise mehr und mehr brachliegende Industrie“. 820

168

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

mit einem Zollbündnis möglich sein. Im Unterschied zu Boehm behauptete Wirsing, der Staat müsse die Führung über die Wirtschaft gänzlich übernehmen: „Neue Raumpolitik ist überhaupt nur möglich, wenn der Staat die wirtschaftlichen Kommandohöhen ernsthaft und nicht wie im Augenblick mit verlegenen Seitenblicken und Kompromissen nach rechts und links besetzt.“827

„Volk und Reich“ trat für die wirtschaftliche Integration ein. Die Redaktion der Zeitschrift widmete die Ausgabe Juli-August 1926 dem deutsch-österreichischen Zollverein.828 Es folgten mehrere andere Artikel zu diesem Thema.829 Dieser Umstand weist auf die große Verbreitung der Ideen der Zollunion und ähnlicher Wirtschaftsvereinigungen in der sich unter der Schirmherrschaft des Deutschen Schutzbundes befindenden Zeitschrift hin. Es ist außerdem bezeichnend, dass es in jeder Ausgabe von „Volk und Reich“ einen speziellen Teil zu den wirtschaftlichen Themen gab. So verstand Hermann Röchling die Aufgabe der Reichsregierung darin, „die politischen Hindernisse zu überwinden, die dem wirtschaftlichen Annährungsbedürfnis sämtlicher Ost- und Südoststaaten (mit Ausnahme Sowjetrusslands) noch entgegenstehen“830. Die Aufgabe der deutschen Wirtschaft sollte ferner darin bestehen, zusammen mit den Auslandsdeutschen diesen Kurs vorzubereiten. Folglich sah Röchling die deutsche Zukunft in Europa unter anderem in Bezug auf seine Ausweitung gen Westen: „Das Reich wird erst im Westen wieder Erfolg haben, wenn es sich durch eine gemäßigte Politik im Osten, die darum nicht schwach zu sein braucht, Guthaben schaffen kann.“831 Trotzdem kritisierte Loesch alle Pläne, die nur eine wirtschaftliche Vereinigung vorsahen.832 Auch „die Ungleichzeitigkeiten der Völkeraufstiege, die Unterordnung der Wirtschaftsnotwendigkeiten unter nationale Wünsche, die Überspannung des jungen Staatsbegriffes“833 seien große Hindernisse auf dem Weg zur Europavereinigung. Auch in der „Europäischen Revue“ spiegelte sich die Diskussion über die wirtschaftliche Organisation in Europa wieder. Der Stammautor Francesco Nitti setzte sich besonders für die Zollunion mit den Nachfolgestaaten von Österreich-Ungarn 827

Wirsing: Vorstoß Zollunion (wie Anm. 153), S. 227. Vgl. Spahn: Deutscher Zollverein und deutsch-österreichische Wirtschaftsverständigung. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland. Jg. 2, Juli-August 1926, S. 294 – 302. 829 Vgl. Wagner, Hans Otto: Deutsches Mitteleuropa oder Slawische Wirtschafts-Entente. In: Volk und Reich (1929), Jg. 5, Heft 8, S. 414 – 428; Aubin, Gustav: Der deutsche Wirtschaftsraum im Osten vor 1918 und seine Zerstörung. In: Volk und Reich (1931), Jg. 7, Heft 7/8, S. 410 – 423; Hahn, M.: Mitteleuropa als Ziel deutscher Politik. Vortrag, gehalten im Präsidium des Mitteleuropäischen Wirtschaftstages. In: Volk und Reich (1931), Jg. 7, Heft 10/11, S. 563 – 572. 830 Röchling, Hermann: West und Ost – Gedanken zur europäischen Politik und Wirtschaft. In: Volk und Reich (1928), Jg. 4, Heft 2/3, S. 105. 831 Ebd. 832 Vgl. Loesch: Der großdeutsche Gedanke(wie Anm. 30), S. 18. 833 Ebd., S. 24. 828

3. Wirtschaft

169

ein: „[E]in Zollverein zwischen ihnen würde die rascheste Ausnützung aller ihrer landwirtschaftlichen, bergmännischen und industriellen Ressourcen ermöglichen.“834 Dem wirtschaftlichen Bündnis sollte ein politisches folgen. Diese Entwicklung sei logisch und in allen Hinsichten korrekt, denn „[j]edem großen politischen Zusammenschluss ist immer oder fast immer ein wirtschaftliches Bündnis vorausgegangen“835. Der Herausgeber der „Europäischen Revue“, Karl Anton Prinz Rohan, plädierte für die Zusammenarbeit mit Frankreich und stellte sogar ein Programm für die deutsch-französische Kooperation zusammen. Es bezog sich größtenteils auf den wirtschaftlichen Aspekt. Das Ziel wurde dabei deutlich formuliert: Es solle der Europäische Zollverein entstehen: „Langfristige Mobilisierung des misstrauisch jede Anleihe meidenden Sparkapitals, Schaffung eines europäischen X-Jahresplanes, der neue, große, produktive Arbeitsmöglichkeit eröffnet, planmäßige Organisation der europäischen Produktion und des europäischen Marktes mit dem verbindlichen Ziel, in einer bestimmten Zeit, in fest umrissenen Etappen den Europäischen Zollverein zu verwirklichen.“836

Rohan glaubte daran, dass Europa in „mehrere kulturpolitische Kreise zerfällt“, die dann aber „nach eigenem Lebensrhythmus weiterleben würden, wenn es gelänge, Europa politisch einheitlich zu gestalten.“837 Deutsche Außenpolitik sollte nichts anderes bedeuten als die Anerkennung dieser Tatsache. Trotz des Ziels, Mitteleuropa als eine politische Einheit aufzubauen, sei Deutschland dazu bereit, „alles Streben nach europäischer Wirtschaftsorganisation vorbehaltlos [zu] unterstützen“838, was man zusammen mit Österreich schon gezeigt hätte. Um das Schaffen der europäischen Wirtschaftseinheit zu ermöglichen, sei man bereit, mit unterschiedlichen Partnern zu verhandeln: „An einem Wirtschaftseuropa – vielleicht als erstem Schritt zu einem politischen Europa – wollen wir mit allen unseren Kräften mitarbeiten. Sowohl die amerikanische Handelspolitik wie die Notwendigkeiten des Youngplans scheinen eine solche Schöpfung zu begünstigen.“839

Auch das „klassische“ Organ des Jungkonservatismus, die Zeitschrift „Der Ring“, beschäftigte sich intensiv mit der wirtschaftlichen Integration Europas. Die Mit-

834 Nitti, Francesco: Die Vereinigten Staaten von Europa. In: Europäische Revue, Jg. 1, Bd. 1, April 1925, S. 28. 835 Ebd. 836 Rohan: Europäische Vertrauenskrise. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 7, Juli 1931, S. 481 – 488, hier S. 488. 837 Ebd. 838 Rohan: Zukunftsfragen deutscher Außenpolitik (wie Anm. 164), S. 379. 839 Ebd.

170

VII. Vorstellungen vom neuen europäischen Staatengebilde

teleuropaidee wurde oft aus wirtschaftlicher Sicht behandelt und der vergleichsweise bodenständige Gedanke der Zollunion stellte eine mögliche Option dar.840 Dadurch wird deutlich, dass obwohl die konservativen Revolutionäre keine schlüssige Konzeption des wirtschaftlichen Aufbaus Europas entwickelt hatten, genau die Wirtschaft ein wichtiges Argument für viele war, um die Idee der europäischen Neuordnung voranzubringen.

840 Vgl. Schr., G.: Mitteleuropäische Zollunion. In: Der Ring, Jg. 4, Heft 6, 08. 02. 1931, S. 104 – 105; O.A.: Zollbündnis mit Österreich und große Politik. In: Der Ring, 28. März 1931, Jg. 4, Heft 13, S. 227.

VIII. Platz der Völker Ein wichtiger Bestandteil und konstruktives Merkmal der konservativ-revolutionären Ideologie ist die Völkerklassifizierung. Denn Europa war für deren Vertreter nicht immer gleich und die Unterschiede lagen nicht nur an der Zugehörigkeit zum Osten oder zum Westen. Die Völker wurden in den konservativ-revolutionären Schriften sortiert und in bestimmte Gruppen verteilt. Diese Verteilung beeinflusste deutlich das Bild von Europa und die Vision seiner Zukunft. Unterschiedliche Völker hatten laut Moeller van den Bruck und seinen Gleichgesinnten, abhängig von ihrem kulturellen und politischen Zustand, unterschiedlichen Wert. So gebe es Völker, die viel zur Entwicklung der europäischen Zivilisation beizutragen hätten, aber auch solche, die nur einen kleinen Beitrag leisten könnten.841 Manche Völker hätten ihre Rolle in der Geschichte bereits gespielt. Ihr weiterer Einfluss auf Europa wäre eher schädlich als vorteilhaft. Und wenn man davon ausgeht, dass manche Völker „wichtiger“ seien als andere, stellt sich sofort die Frage, wie die Beziehungen zwischen diesen Völkern funktionieren sollten. Der wichtigste Aspekt sei, ebendiese Beziehungen in einem „neuen Europa“ auf einer gänzlich neuen Grundlage aufzubauen. Auf der Basis dieser Frage stellen sich weitere Fragen: Sahen es die konservativen Revolutionäre als angebracht an, dass die Völker in diesem neuen System dennoch die gleiche Stellung einnahmen? Oder sahen sie eine gewisse Hierarchie vor, die gewissen Völkern mehr Rechte zugestand als anderen? In diesem Kapitel wird die Klassifizierung der Völker aus der Sicht unterschiedlicher konservativer Revolutionäre dargestellt und ein Versuch unternommen, das System der zwischenvölkischen Beziehungen im Kontext der gewünschten Europaneuordnung zu analysieren. Die Idee, Völker zu klassifizieren, hatte unter den konservativen Revolutionären schon Spengler. Er nannte sie „Morphologie der Völker.“842 Das Verständnis vom Wesen der Völker solle zur Erkenntnis führen, dass sie auch einer gewissen geschichtlichen Ordnung unterlägen. Der Rang eines Volkes in diesem Ordnungssystem solle in Abhängigkeit vom jeweiligen Kulturkreis definiert werden. Zu einer Kultur gehörten mehrere Völker und in jeder gab es „führende“ Völkerschaften. Es wurde auch der Begriff der Nation aufgeführt: Nationen seien „historische Völker, Völker, deren Dasein Weltgeschichte ist“843. Die Vorstellung von der Ungleichheit der Völker oder genauer gesagt ihrer Ungleichwertigkeit, die als Grundlage für die 841 842 843

Vgl. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89). Spengler: Untergang des Abendlandes, Bd. 2 (wie Anm. 72), S. 202. Ebd., S. 761 f.

172

VIII. Platz der Völker

konservativ-revolutionäre Ideologie diente, wurde von Moeller van den Bruck auf der Basis seiner Theorie der jungen und alten Völker entwickelt.844 Seiner Meinung nach gab es junge, „zukunftsträchtige“ Völker und alte „erstarrte“ Völker. Die jungen „zukunftsträchtigen“ Völker besäßen ein großes Potential, da sie imstande seien, etwas Neues zu schaffen. Aus diesem Grund hätten sie einen großen geistigen und kulturellen Wert. Zu dieser Kategorie gehörten natürlich die Deutschen, aber zum Beispiel auch die Italiener. Ihnen gehörte die Zukunft Europas: „Die jungen Völker erobern den Osten arbeitend. Sie gleichen eine lange Vernachlässigung aus. Sie holen Jahrhunderte einer versäumten oder verfehlten Entwicklung nach. Sie tragen Gleichschritt und Zeitmaß in das wartende Leben des Ostens, aber auch Gleichmaß in das verwirrte Leben Russlands.“845

Moeller van den Bruck legte noch weitere Kategorien fest: „junge Nation“ (das seien Amerikaner)846 und „junge Rasse“(dieser wurden die Russen zugeordnet).847 Im Unterschied dazu hätten die alten, „erstarrten“ Völker alle Errungenschaften schon hinter sich und seien dem Untergang und Aussterben geweiht: „Die alten Völker werden sich nur wiederholen können. Ihr Kreis ist geschlossen. Die jungen Völker werden aufbauen müssen. Ihr Kreis ist offen.“848 Man muss aber auch eine dritte Gruppe berücksichtigen: kleine Völker. Ihre Größe wurde nicht immer durch die Anzahl der Bevölkerung definiert, sondern eher durch die Mächtigkeit des jeweiligen Landes und den kulturellen Beitrag dieses Volkes zur Menschheit. Von unterschiedlichen konservativen Revolutionären wurde ihre Rolle in der Weltgeschichte unterschiedlich betrachtet. Moeller van den Bruck zählte sie zu den potenziell jungen Völkern: Sie hätten eine Chance, die Voraussetzungen dafür zu erfüllen, junge Völker zu werden, gesetzt der Fall, dass ihnen die „großen“ jungen Völker auf diesem Weg halfen. Und die „großen“ jungen Völker, so Moeller van den Bruck, seien dabei, dies zu tun: 844 Vgl. Schwierskott: Arthur Moeller van den Bruck (wie Anm. 17), S. 129. Schwierskott fand die Wurzeln der Theorie der jungen Völker von Moeller van den Bruck bei Dostojewski. Einen Begriff, der später wichtigster Bestandteil seiner Ideologie wurde, übernahm er wörtlich von Dostojewski: die These von den „jungen Völkern“. Max Hildebert Boehm wies währenddessen auf den Einfluss von Fichte hin: Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 71: „Den äußersten Anspruch in dieser Richtung scheint Fichte zu erheben, wenn er in den ,Reden an die deutsche Nation‘ für die Deutschen den Rang eines ,Urvolkes‘ in Anspruch nimmt. […] Es verbindet sich somit für ihn im Begriff des Urvolkes die Geschichtstiefe mit der Ursprünglichkeit und Frische, so dass wir unmittelbar auf die Verwandtschaft mit Moeller van den Brucks Idee der jungen Völker gestoßen werden.“; vgl. Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 73: Boehm nennt noch einen Grund, warum Fichte und Moeller van den Bruck in einem gewissen Zusammenhang stehen: „[D]ie von ihnen herausgearbeitete Völkertypik“ geht „auf denselben erlebnismäßigen Ursprung“ zurück: „auf den deutsch-französischen Gegensatz“. 845 Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 106. 846 Vgl. ebd., S. 39. 847 Vgl. ebd., S. 37. 848 Ebd., S. 65.

VIII. Platz der Völker

173

„Sie bringen das Tempo und den Rhythmus ihrer Energie unter die kleinen Völker, die sie aus Zurückgebliebenheit und Unterdrückung erlösen. Sie haben die Aktivität der Erschließung. Sie wirken kategorisch. Sie rufen die kleinen Völker, sie rufen die slawischen, sie rufen das russische zu einer Mitarbeit auf, deren Voraussetzung die Freiheit ist, aber auch die Einordnung unter große Gesichtspunkte.“849

Mit den alten Völkern müssten die kleinen Völker eher konkurrieren und um ihre Identität kämpfen. Zum Beispiel hatten es Bulgaren Moellers Ansicht nach sehr gut gemeistert, den großrussischen imperialistischen Bestrebungen zu widerstehen. Dem bulgarischen Beispiel konnten die russischen Kleinvölker nach dem Zusammenbruch des zaristischen Russlands folgen und ihre Selbstständigkeit weiter ausüben. So würden sie sich der mitteleuropäischen Entwicklung anschließen, was den Theoretikern zufolge die nächste Etappe ihres geschichtlichen Weges sei. Diese sei typisch für jedes junge Volk gewesen. Die Auswirkungen davon hätten Bewegung in die gesamte europäische Völkerwelt gebracht und damit den Kampf zwischen den jungen und den alten Völkern vorbereitet.850 Dies solle die Bulgaren „in eine Übereinstimmung mit der mitteleuropäischen Politik als einer osteuropäischen Politik der Zukunft bringen“851. Bulgaren waren aber nicht die einzigen, die von Moeller van den Bruck dafür gelobt wurden, dass sie die mitteleuropäische Ausrichtung der slawischen vorzogen. Auch Finnen hätten ähnliches geleistet. Jetzt sollten sie nach Moeller van den Brucks Ansicht „die linke Flanke von Mitteleuropa gegen Asien halten […], wie der Bulgare die rechte Flanke auf dem Balkan zu halten hatte“852.Auch solche Nationen, die Land mit den Russen teilten wie z. B. die Ukrainer, Weißrussen und Litauer, wurden von Moeller van den Bruck nach ihrem Streben nach Europa bewertet. Als besonders begabt unter diesen schätzte er die Ukrainer ein. Im Gegensatz dazu sah er die Litauer und Weißrussen als Nationen, bei denen der Prozess der Nationalbewusstseinsbildung erst begann. Aber Moeller van den Bruck glaubte daran, dass sie bald ihre Chancen der Selbstverwirklichung als Völker erfolgreich nutzen würden „und, ein jedes an seiner Stelle, zu ihrer politischen Bedeutung gelangen“853. Wie schnell das passieren würde, hänge von Deutschland und seiner Unterstützung dieser Völker ab. Der Kampf um die nationale Identität, den nach Moeller van den Brucks Meinung viele kleine Völker führten, schien für ihn ein Zeichen der Zeit zu sein. Denn „über Russland hinweg, über Österreich hinaus hat der Balkan, hat der Orient, hat ganz Eurasien ebenso viele Probleme, die gelöst werden sollen, wie Völkerschaften, die darin leben“854. Deswegen sei es kein Wunder, dass der Moment kam, in dem die Völker ihre Ansprüche äußerten: „Sie rufen das Nationalitätenprinzip an, unter dem einst die Großvölker im 849 850 851 852 853 854

Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 106. Vgl. ebd., S. 35. Ebd. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 37. Ebd., S. 89. Ebd., S. 87.

174

VIII. Platz der Völker

neunzehnten Jahrhundert sich einten und nach dem nun im zwanzigsten Jahrhundert sich allenthalben Kleinstaaten bilden wollen.“855 Die Welt der jungen Völker lag nach Moeller van den Brucks Überzeugung im Osten. Und dort wünschten sie sich „nur Gleichberechtigung.“856 Als Aufgabe der jungen Völker sah Moeller van den Bruck die Erschließung des Ostens. In Anbetracht dieser Mission seien die Russen kein junges Volk, sondern eher eine Störung für die jungen Völker, die den Osten nur für sich haben wollten. Dies sei laut Moeller van den Bruck nicht nur das Problem der kleinen jungen Völker des Ostens, sondern auch Deutschlands. Und beim Lösen dieses Problems solle Deutschland nur von den eigenen Interessen ausgehen und diese wären auch für die anderen Völker die beste Lösung. Es sei eine „schädliche Gewohnheit“857 der Deutschen, mehr an die anderen Völker zu denken als an das eigene. Die Überzeugung, „dass alle Lösungen, zu denen wir gelangen, für diese anderen Völker mitgelten und ihnen zu Gute kommen werden“858, bildete die Basis dafür, aus politischen Situationen den größtmöglichen Vorteil für Deutschland zu schlagen, da dies den übrigen Völkern ebenso nutze. Es gebe aber auch solche Völker, die den deutschen Handlungen Widerstand leisten würden und zwar die Völker des Westens. Die deutsche Herrschaft solle nicht nur für oben genannte Weißrussen und Litauer von einer besonders positiven Bedeutung sein. Wie bereits oben erläutert, sollten die Deutschen eine ganz besondere Stellung unter den jungen Völkern einnehmen.859 Diese besondere Stellung der Deutschen unter den jungen Völkern bedeutete für Moeller van den Bruck und seine Mitstreiter nicht nur Verantwortung für die kleinen europäischen Völker, sondern gebe dem deutschen Volk auch das Recht, die Erweiterung ihres Lebensraumes nach Osten auf Kosten genau dieser Völker einzufordern. Diese Ansicht ist jedoch nicht mit den nationalsozialistischen Herrschaftsplänen zu verwechseln. In der Schrift „Das Recht der jungen Völker“ plädierte Moeller van den Bruck für die Völkervielfalt, wendete aber ein, dass die europäischen Völker „in der engen Welt ihres kleinen Ich leben“. Stattdessen brauchte Europa seiner Meinung nach „wenige, aber starke Gegensätze, deren Träger ineinander übergreifen und miteinander arbeiten können“860. Die versprochene Souveränität der Völker des Ostens klang aber bereits an dieser Stelle nicht glaubwürdig. Die gewünschte Kolonisation des baltischen Raumes, die von Moeller offen ausgesprochen wurde, erweckte Zweifel an seinem paternalistischen Vorhaben.861 Vierzehn Jahre später war seine Überzeugung hinsichtlich der Völkervielfalt deutlich weniger zu spüren. Dies manifestierte sich in einer Schrift im ersten Band der 855 856 857 858 859 860 861

Ebd. Ebd., S. 105. Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich (wie Anm. 212), S. 33. Ebd. Siehe dazu das Kapitel 4. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker (wie Anm. 89), S. 106. Vgl. Schlüter: Arthur Moeller van den Bruck (wie Anm. 17), S. 284 f.

VIII. Platz der Völker

175

Reihe „Das ewige Reich“. Als wirklich europäische wurde nur die germanische Kultur verstanden: „Von all den Rassen, die während der Völkerwanderung über Rom und die Mittelmeerkultur herniederbrachen, sind die Germanen die einzigen gewesen, die nicht nur Tempel verheerten und Säulen stürzten, sondern an Stelle der zerstörten Kultur eine neue, eigene, ihre Kultur, errichteten. Der Germane wurde zum Europäer. Einzig germanische Kultur wurde europäische Kultur.“862

Max Hildebert Boehm unterstützte und lobte die Ideen der Klassifizierung der Völker Moeller van den Brucks und berief sich auf sie. Er wählte folgende Charakteristika der jungen Völker aus: „geburtliches Wachstum, Opferfähigkeit, wirtschaftlicher Wagemut, tüchtigeres Menschentum, Stoßkraft, Beweglichkeit in den Dingen der Gegenwart und Bereitschaft zur Zukunft.“863 Die alten Völker, im Kontrast dazu, „hängen […] an Erde, am Besitz, Sättigung und Genuss, an überkommenem Ruf und Ruhm“864. Ähnlich wie Moeller van den Bruck sah er in der Jugend eines Volkes nicht einen von der Natur gegebenen Zustand, sondern eine bewusst getroffene Wahl. Boehm äußerte die Ansicht, dass es auch Völker gebe, die jetzt als alt bezeichnet werden könnten, aber noch fähig seien, wieder jung zu werden. Boehm nannte diese Völker „verjüngungsfähig“. Im Unterschied zu Moeller dachte Boehm, dass alle europäischen Völker im Vergleich zu den asiatischen außerordentlich jung seien und die kleinen Völker nicht unbedingt zu den jungen gehörten. Kleine Völker seien seiner Ansicht nach diejenigen, die nicht viel für die menschliche Zivilisation geschaffen hätten und höchstwahrscheinlich nicht viel schaffen würden. Als Beispiele führte er Rumänien, Litauen und Estland an, bei denen er vergeblich nach den eigenen „Gesichtern“ suchte. Das „Urteil“ Boehms lautete folgendermaßen: die Völker, die in ihrer Geschichte keinen eigenen Staat hatten, könnten „Geschichtlichkeit überhaupt nur in dem Maße für sich in Anspruch nehmen, als sie rein volkliche Personalität nachzuweisen vermögen“865. Die Erklärung sei einfach: Eine Volksgeschichte, die nur aus den fremden ausländischen Einflüssen besteht, zeigt nichts vom Gesicht des Volkes. Es komme aber auch für die bis jetzt „unbedeutenden“ Völker die Zeit, ihre Identität zu definieren. Vor allem betreffe das die jungen osteuropäischen Völker.866 Im zweiten und wichtigsten Buch Boehms, „Das eigenständige Volk“, handelte es sich um den „europäisch-abendländischen Schicksalsraum“867. Es ging ihm dabei 862

Moeller van den Bruck: Das ewige Reich. Bd. 1 (wie Anm. 265), S. 96. Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 72. 864 Ebd. 865 Ebd., S. 74. 866 Vgl. Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 74: „Demgegenüber sind eine ganze Anzahl kleinerer Völker vor allem im Osten Europas, die sich nach einer Jahrhunderte langen Latenzepoche im Erlebnis ihrer Wiedergeburt aufs neue oder erstmalig zur Geschichtlichkeit aufgerafft haben, zur Konstruktion eines Geschichtsbildes genötigt, dass wir rücksprünglich nennen wollen“. 867 Ebd., S. 311. 863

176

VIII. Platz der Völker

nicht nur um „ein Volk“, sondern um eine Völkerwelt mit den komplizierten, schlecht erforschten, sich ständig verflechtenden Beziehungen. Max Hildebert Boehm warf auch die Frage nach der Organisation der Völker auf. Inwiefern das Leben der Völker staatlich organisiert oder ihnen selbst überlassen werden sollte, ergebe sich aus der Struktur des Zusammenlebens der Völker in Europa sowie aus den Möglichkeiten der vorhandenen Strukturen. Die staatliche Kontrolle entspreche nicht den Interessen und dem Wesen der Völker, da jedes Volk eine Gemeinschaft darstelle und „echte Gemeinschaft ist Verbundenheit durch gemeinsame seelische Inhalte und ein wirkliches Zusammenleben in dieser verbindenden Welt“868. Deswegen sei das Ziel der Völker ihr Leben so zu gestalten, dass sie ihren „Gemeinschaftswillen“ selbst organisieren könnten. Trotzdem wurde die Idee der Selbstbestimmung der Nationen von Boehm als übertrieben kritisiert: „Die berechtigte Forderung, dass Völker nie gänzlich als Objekte, sondern zugleich immer nach dem Maße ihrer politischen Mündigkeit und Blickweite als Subjekte der Politik behandelt werden sollen, ist in dieser Forderung so weit überspannt, dass selbst winzigen Völkersplittern ohne ausgebildete staatliche und nationale Physiognomie der Rechtsanspruch zugebilligt werden soll, über ihre Zukunft unbekümmert um die Lebensbedingungen anstoßender Großstaaten nach eigenem kindlichen Ermessen zu entscheiden.“869

Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich leicht erklären, wenn man sich an die Ziele der Bücher von Boehm erinnert. Auch in seinem „Kleinen politischen Wörterbuch“ kam die Kritik des Selbstbestimmungsrechts der Nationen vor. Er wies seine Leser auf den Widerspruch zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der kleinen osteuropäischen Völker und „den Lebensnotwendigkeiten des großen deutschen Volkes“870 hin, die die Entente dem deutschen Volke nicht anerkennen wolle. Dieser weckt den Eindruck, dass laut Max Hildebert Boehm die Rechte der Völker nur dann eingehalten werden, wenn es um das deutsche Volk geht. Anstatt der bereits existierenden Organisationsstruktur nach dem staatlichen Prinzip schlug Boehm die konnationale Organisation vor. Die Wurzel des Konnationalismus sah er in den „internationalistischen egalitären Genfer Minderheitenschutzexperimenten“871 und in der „parlamentarisch-parteipolitischen Notstandorganisation der Volksgruppen“872. Genau der Konnationalismus solle Boehms Überzeugung nach die sich in einer Krise befindenden demokratischen Institutionen ersetzen. Die konnationale Organisation solle auch die Probleme lösen, die zwischen den nationalen Minderheiten und „Mehrheiten“ entstünden. Grundsätzlich solle die „Konnationale“ als Ausdruck und Trägerin des Völkerrechts dienen:

868

Ebd., S. 160. Boehm: Individualismus, Sozialismus und Ostfragen. In: Die Glocke, Jg. 4, Bd. 1, Nr. 23, 07. 09. 1918, S. 714 – 720, S. 715. 870 Boehm: Kleines politisches Wörterbuch (wie Anm. 92), S. 61. 871 Boehm: Das eigenständige Volk (wie Anm. 34), S. 178 f. 872 Ebd. 869

VIII. Platz der Völker

177

„In genauer Entsprechung hierzu steht als Lebensform der Konnationale das, was man heute als Volksrecht zu bezeichnen beginnt. Denn eine primäre oder sekundäre, eine mittelbare oder unmittelbare organisatorische Zuordnung der einzelnen räumlich und staatlich getrennten Teile eines Volkes zueinander ist ohne ein noch so vages, diesen Zusammenhang tragendes Recht nicht denkbar.“873

Die „Konnationale“ solle auch dazu beitragen, dass in ihrem Rahmen Völker bessere Anerkennung für ihre Leistungen bekämen – vor allem dadurch, dass ihre Eigenschaften besser gefördert würden. Seiner Überzeugung nach „wüchsen“ die Reserven dieser Völker „durch die Entwicklung auf die Konnationale zu, durch die gesamtvolkliche Integration“874. Und es gebe auch Völker, die die Rechte der anderen Völker schädigen müssten, um ihre Identität zu gewinnen. Und in solchen Fällen wurde ihr Recht von Max Hildebert Boehm nicht in Frage gestellt, denn sie müssten sich „ihre Ehre und Anerkennung erkämpfen“875. Die Position Max Hildebert Boehms am Anfang seiner publizistischen Tätigkeit bezüglich der Beziehungen zwischen dem russischen Volk und den „kleineren“ Völkern des europäischen Ostens unterschied sich von der Moeller van den Brucks. In seinem ersten bekannten Werk, „Europa Irredenta“, wies Boehm sowohl dem deutschen als auch dem russischen Volk die Aufgabe der Neugestaltung Europas zu. Und in diesem neuen Europa ließ er weder für die Völker Platz, die geographisch dazwischen lagen, noch für ihre Identität: „Ein aufgeblähter polnischer Völkerstaat und das raumpolitisch wie national gleich unglücklich zusammengesetzte Staatsgebilde der Tschechoslovakei sind in ihrem gegenwärtigen Bestand zwischen einem gesunden deutschen und russischen Volkskörper undenkbar. Das polnische wie das tschechische Volk werden sich in einen Zustand bequemen müssen, der nicht nur ihr völkisches Eigenleben, sondern auch das der Anrainer und Einsprengsel der ostmitteleuropäischen Mischzone sicherstellt.“876

Der Weg zum neuen Europa fing auch für Wilhelm Stapel im Osten an: „Würde Deutschland dem Ansturm im Osten standhalten, so würde es durch seine wirtschaftlichen und kulturellen Kräfte zur mitteleuropäischen Autorität emporwachsen“877, denn im Westen hätten die Deutschen nichts zu tun, im Osten gäbe es noch viel Arbeit zu erledigen. Dass solle freiwillig und natürlich passieren. Und Ergebnis davon wäre ein „Kulturkreis“, in dem „das Deutsche zwar die Dominante wäre, in dem aber jede Nation ihr Eigenleben führen würde.“878 Wilhelm Stapel äußerte sich in Bezug auf die Frage der Hierarchie in der Verwaltung des erneuerten Europas sehr eindeutig: Europa müsse von einer Nation regiert werden: 873 874 875 876 877 878

Ebd., S. 181. Ebd., S. 218. Ebd., S. 214. Boehm: Europa Irredenta (wie Anm. 79), S. 315. Stapel: Um die künftige Gestaltung Europas (wie Anm. 146), S. 177. Ebd.

178

VIII. Platz der Völker

„Wir bringen diese europäische Aufgabe zusammen mit dem, was wir über die natürliche Entwicklung aller Gemeinschaft sagten, und ziehen aus beiden Prämissen den Schluss: Es muss sich eine Nation groß und glänzend über die andern erheben, es muss eine Nation ihre Autorität über die andern festigen, es muss eine Nation ein imperiales Recht setzen und einen europäischen Nomos aufrichten. Der Nationalismus, der das Ergebnis der französischen Revolution ist, muss überwunden werden durch einen neuen Imperialismus.“879

Er wies eindeutig darauf hin, dass es ein Volk und zwar ein imperialistisches Volk geben solle, das in der Völkerhierarchie höher als die anderen Völker stehen müsse „ähnlich wie das moralistische Volk das moralisch höchste und am meisten fortgeschrittene Volk zu sein beansprucht“880. Aus diesem Grund solle es die Führerschaft über die anderen Völker übernehmen. Es solle aber nicht der Führer eines Staates, sondern des Reiches werden. Die Antwort auf die Frage, welches Volk diese Rolle übernehmen sollte, ist nicht überraschend: „Der Träger des neuen Imperialismus kann nur die deutsche Nation sein.“881 Stapels Meinung nach waren die Deutschen besser als alle anderen Völker, einfach weil sie die Deutschen seien: „Wenn in ganz Polen nur zwei Deutsche wohnen würden, so wären sie mehr als die Millionen Polen; denn sie sind eben Deutsche. Der Rang wird nicht durch Zahl und Menge, sondern durch die Qualität des Seins, anders ausgedrückt: durch die Geschichte bestimmt. Das Problem des Ostens ist nicht ein Problem der Statistik und Organisation, sondern der Weltgeschichte. Es geht nicht um die Zahl, sondern um den Rang der Deutschen. Es geht nicht um die Wirtschaft, sondern um die Vormacht der Deutschen.“882

Die „deutsche“ Regierung war Stapels Meinung nach die einzige, die Europa gut tun könnte. Die in Europa verbreiteten Probleme existierten nur, weil diese bis jetzt nicht zustande gekommen sei: „Nur ein von Deutschland geführtes Europa kann ein befriedetes Europa werden. Europa krankt an der Schwäche der Deutschen. Nur wenn wir die Vormacht haben, können für uns die Grenzen so bedeutungslos werden, dass wir sie sogar lassen können, wie sie sind. Sind wir die Vormacht und ist der Deutsche, in welchem Land und Volk Europas auch immer, als der Erste anerkannt, so wird endlich Ordnung kommen in diesen zerrissenen Erdteil.“883

Aber welcher Art sollte diese Regierung der Deutschen sein? Ging es um die hegemoniale Herrschaft oder eher um die „faire“ Regierung, die sich um das Wohl aller seiner Völker kümmern solle? Die Ansichten von Wilhelm Stapel scheinen genauso idealistisch zu sein wie die von Moeller van den Bruck: Die Deutschen sollten eine väterliche Beziehung zu den anderen Völkern unterhalten. Sie hätten auch keine Ansprüche auf die Territorien der jeweiligen Völker, „denn warum sollte das herrschende Volk eifersüchtig sein?“884 Stattdessen würden die Deutschen das 879 880 881 882 883 884

Stapel: Der christliche Staatsmann (wie Anm. 96), S. 253. Ebd., S. 226 f. Ebd., S. 253. Ebd., S. 255. Ebd. Ebd.

VIII. Platz der Völker

179

Volkstum anderer Völker pflegen. Grund dafür sei die Liebe zur „bunten Fülle des Eigenwüchsigen“885. Die einzige Forderung, die sie hätten, sei das Imperium. Und auf dem Weg zu diesem Ziel gehe es nicht mehr um Paternalismus: „Wo uns das Imperium nicht zugestanden wird, muss es errungen werden.“886 Alle Lebensbereiche der Völker wie Kultur, Moral etc. sollten im Geltungsbereich jedes einzelnen Volkes bleiben. Eine Ausnahme bilde der politische Bereich, denn dieser müsse dem Imperialvolk überlassen werden. Obwohl das geistige Leben der Völker unangetastet bleiben solle, müssten die Ideen oder „Anschauungen“ des Imperialvolkes trotzdem einen besonderen (und natürlich höheren) Wert erlangen. Dasselbe solle mit den Traditionen der einzelnen Völker im Angesicht der Traditionen des „herrschenden“ Volkes geschehen: „So unverzwungen auch die Sitten der andern Völker bleiben, die Sitten des führenden Volkes werden sich als die ,vornehmen‘ allmählich eine besondere Geltung (oder auch einen gewissen Hass) zuziehen.“887 Dabei bezieht sich Wilhelm Stapel auf das Beispiel des Römischen Imperiums: Die Römer hätten es geschafft, ein Imperium zu gründen, in dem jedes Volk nach seiner eigenen Art leben konnte. Lediglich „gewisse politische Bindungen“888 wurden den anderen Völkern aufgelegt. Jedes Volk solle Stapels Ansicht nach im Reiche einen Platz einnehmen, der seinem Wert entspricht. Das soll heißen: einen „natürlichen Stand“ mit der eigenen Sittlichkeit bilden. Es solle auch selbstständig über die internen Sachen entscheiden können. Die strategisch wichtigen Entscheidungen sowie die Lösung von Konflikten zwischen den anderen Völkern aber sollten dem imperialen Volk überlassen werden. An der ungleichen Lage der Völker in seinem gewünschten Reich sah Stapel eine natürliche Sache, die den Gesetzen des Lebens entspreche. Ohne die Ungleichheit könnten die Menschen gar nicht leben, so Stapel: Einer steht höher als der andere, auch in einer freundschaftlichen Beziehung oder Ehe. Genauso „natürlich“ wie in den anderen Bereichen sah Stapel die Ungleichheit in den Beziehungen zwischen den Völkern. Seiner Meinung nach gab es ebenso wenig Gleichberechtigung zwischen den Nationen wie Gleichberechtigung im Leben. Alle Nationen hätten unterschiedliche Fähigkeiten und dadurch unterschiedlichen Wert: „Die Nationen sind in ihrer Beschaffenheit verschieden und darum in ihren Fähigkeiten und Leistungen. Wiederum, weil sie in ihren Fähigkeiten und Leistungen verschieden sind, so ist notwendig ihr Wert verschieden.“889 Als Beispiel der bereits existierenden und anerkannten Ungleichheit zwischen den Völkern nannte Stapel die unterschiedliche Stimmenanzahl, die Völker beim Völkerbund besaßen. Dies betrachtete er als einen der Beweise, dass die Gleichberechtigung der Völker selbst diesem Organ nur eine

885 886 887 888 889

Ebd. Ebd., S. 256. Ebd., S. 227. Ebd. Ebd., S. 247.

180

VIII. Platz der Völker

Fiktion darstellte. Anstatt jeder Nation eine Stimme und damit die gleichen Rechte zu geben, „sondert sich ein Kreis von Mächten aus, der den Vorrang hat“.890 Trotz seiner bekannten ideologischen Unterschiede mit Stapel war Niekisch ihm in seinen radikalen Äußerungen nah, wenn er behauptete, dass „Deutschlands Freiheit heiliger […] als die gesamte europäische Kultur“891 sei. Auch Jung blieb den Ideen der Klassifizierung der Völker nicht fern. Seine Antwort auf die Frage nach der Gleichheit der Völker stand in einer Reihe mit den anderen Vertretern der Konservativen Revolution. Alle Völker seien gleich, „aber nur metaphysisch: Wie auch die Menschen vor Gott gleich sind“892. So sei die Gleichstellung der Völker wünschenswert, aber nicht realistisch. Nach Jung gebe es objektive Kriterien, die die Stellung der Völker definierten: „Zahlenmäßige Größe, geschichtliche Entwicklung, geographische Lage, blutsmäßige Kraft und geistige Anlagen bedingen eine irdische Rangordnung der Völker, die nicht Willkür ist.“893 Herrschen heiße seiner Meinung nach, die von der Natur gegebene Ungleichheit organisieren und verwalten zu können.894 Dies könne nur ein Mensch oder ein Volk, das von Gott dazu berufen sei. Jung gab aber zu, dass es nicht einfach sei, eine passende Organisation dafür zu finden: „Weit größere Schwierigkeiten bietet die politische Seite: die Vereinigung groß- und grenzdeutscher Forderungen mit dem Bündnisgedanken und die Formung des Bündnisvertrages. Eine Patentlösung kann nicht gegeben werden.“895

Die Völker als Glieder dieses Reiches sollten „nach ihrem Werte und ihrer Kulturleistung“896 abgestuft werden. Das sei die Art und Weise, die Völker miteinander zu verbinden: „Nicht erlösen wollen wir, sondern binden. Binden durch Ordnung, die dadurch zur Erlöserin vom Chaos wird.“897 Eine natürliche Lösung für die Organisation der ungleichen Völker sah Jung im Prinzip der Körperschaften, das teilweise die Grundlage der organisch-staatlichen Theorie bildete: „Diese Körperschaften können ständischer Art sein, daneben aber auch auf Volksgruppenrecht beruhen. Darüber hinaus aber führt dieser Weg von der Körperschaft zum Staate und zur Staatengemeinschaft, also zum völkergesellschaftlichen Reiche.“898 Europa sei

890

Ebd., S. 248. Niekisch: Rings um Genf. In: Widerstand, Jg. 3, Heft 10, 10. Oktober 1928, S. 223 – 233, hier S. 233. 892 Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 75 f. 893 Ebd. 894 Vgl. ebd., S. 80: „Die große Aufgabe der Politik ist die Ordnung unter Ungleichen, sei es unter Menschen oder unter Völkern. Diese Ordnung ist unmöglich ohne Herrschaft“. 895 Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 659. 896 Ebd., S. 117. 897 Ebd., S. 118. 898 Jung / Weigt: Sinndeutung (wie Anm. 46), S. 115. 891

VIII. Platz der Völker

181

perfekt dafür geeignet, als ein „Organismus“ zu funktionieren.899 Die Nähe seiner Glieder zueinander sei durch die jahrtausendelange Geschichte bewiesen. Es sei Aufgabe Deutschlands, das neue Funktionsprinzip Europas in die Tat umzusetzen. Daraus könne ein perfektes Europa erwachsen: ohne Nationalitätenprobleme und mit einer besseren Rechtsordnung. Man müsse nur die europäische Gemeinschaft davon überzeugen, dass dieser Weg für sie der beste sei. Dass Europa dazu bereit war, stellte Jung nicht in Frage: „Das organische Weltbild beherrscht erwartungsvoll das Unterbewusstsein des abendländischen Menschen. Das Volk, welches es in seinen Anfängen zu gestalten vermag, wird in jenem neuen Organismus der Kopf sein.“900 Dieser europäische Organismus solle in Form eines „Überstaates“ funktionieren. Unter dem Überstaat verstand Jung das Reich. Diese Form sei gut für die nationalen Minderheiten, weil sie „sich über den Völkstümern erhebt, jenseits von ihnen liegt und sie deshalb unangetastet lassen kann“901. Sie solle auf jeden Fall „Autonomien und Eigenständigkeiten anerkennen, sonst wird die Entstehung übervölkischer Gebilde verhindert, die im Zuge der Geschichte liegt“902. Die Entstehung dieser überstaatlichen Form sei in die allgemeine Entwicklung eingebettet, denn die Entwicklung von Wirtschaft und Verkehr erfordere größere Räume. Würden sie in den engen Einheiten der Nationalstaaten bleiben, „so verurteilen sie sich zu einem Dasein, bei welchem sie nicht leben und nicht sterben können“903. Das Schaffen des deutschen Reiches würde den kleineren Nachbarvölkern gut tun, „denn [es] bietet durch neuartige Bündnisformen kleineren Völkern den gewaltigen Anreiz, der Vorzüge einer überlegenen Kultur, einer ausgebauten Wirtschaft teilhaftig werden zu können, ohne sich selbst aufgeben zu müssen“904. Jung glaubte, dass die Deutschen die „kleinen“ Völker allein in materieller Hinsicht enorm unterstützen könnten, zum Beispiel durch neue Ackerbau- und Wirtschaftstechniken. Edgar Julius Jung setzte auch Grenzen dafür, was im Einflussbereich der Völker bleiben sollte und was nicht. Wie viele andere vertrat er die Ansicht, dass das kulturelle Leben des Volkes nur seiner Verantwortung unterliege und nicht vom Staat kontrolliert werden solle. Das kulturelle Leben ohne staatliche Regulationen vonseiten Deutschlands solle den Völkern selbst überlassen werden. Wie viele andere befürwortete Edgar Julius Jung die Führerschaft eines Volkes über die anderen, aber nur wenn die „Volkspersönlichkeit“ der anderen Völker respektiert werde: „Wirtschaftliche und rechtliche Sicherheit sind die Voraussetzungen einer gesunden Entwicklung, die nur dann gewährleistet ist, wenn das staatsführende Volk grundsätzlich das

899 Hier wird der ideologische Einfluss Othmar Spanns auf die staatliche Konzeption von Jung besonders klar. Vgl. Spann, Othmar: Der wahre Staat (wie Anm. 753). 900 Ebd. 901 Ebd., S. 75. 902 Ebd. 903 Ebd. 904 Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 649.

182

VIII. Platz der Völker

körperschaftliche Recht jeder anders gearteten Volkspersönlichkeit im Rahmen des Staates anerkennt.“905

Als Beispiel nannte er etwa polnische, tschechische und kroatische Schulen, die in den deutschen Gebieten weiterhin beibehalten werden sollten. Respekt gegenüber dem eigenen Volkstum führe automatisch dazu, dass auch die anderen Völker respektiert würden. Dies basiere unter anderem auf der Theorie des organischen Staates.906 Diese besagt, dass der Staat natürlicherweise nicht dazu gedacht sei, die sich in seinem Zuständigkeitsbereich befindlichen Völker zu unterdrücken. Im Gegenteil – es liege in seiner Natur, die Völker als Glieder seines Körpers zu fördern und ihre Entwicklung zu gewährleisten. Nach diesem Prinzip solle laut Jung auch das neue Europa organisiert werden.907 Der Aufgabenbereich des europäischen Bundes sollte sich seiner Meinung nach ganz natürlich und allmählich im Laufe des Prozesses der Neuordnung Europas ausbreiten und entwickeln. Der Anfangspunkt sollte im Wirtschaftsbereich liegen. Jung war überzeugt, dass die Deutschen keine expansiven Pläne bezüglich des Raumes im Osten haben sollten. Die auf den Expansionsrechten des deutschen Volkes basierende Argumentation fand er schlichtweg unlogisch und die Idee selbst veraltet. Es sei außerdem für die Deutschen selbst sehr unpassend: „Denn damit würde das deutsche Volk den Ring seiner Gegner mutwillig zusammenschmieden.“908 Jungs Position in Bezug auf die konkreten Formen der europäischen Organisation war sehr einfach: Zuerst sollten die Deutschen die herrschende Position in der Region erreichen und danach würde es ihnen gelingen, das richtige Ordnungsprinzip zu finden, „das wahrscheinlich, mit diesen oder jenen Abwandlungen, Vorbild würde für andere Erdteile“909. Dafür müsse man in erster Linie an die Idee glauben. Unklar bleibe auch die Frage, ob Deutschland zuerst die eigene Freiheit vom Versailler Abkommen erlangen und sich danach mit der Neugestaltung Europas befassen solle oder ob es auch anders herum funktionieren könne. Es stehe aber außer Zweifel, dass „zuerst das deutsche Volk innerlich gewappnet sein muss: entschlossen, deutsche Freiheit und europäische Neuordnung nötigenfalls auch mit seinem Blute zu errichten“910. Karl Christian Loesch gehörte der Gruppe der „Liberalen“ unter den konservativen Revolutionären an. Bei ihm war von der Herrschaft nicht die Rede: „Wenn es als ausgeschlossen gelten darf, dass ein Volk oder ein Staat durch Eroberung oder Überredung die Vorherrschaft, wenn nicht die völlige Herrschaft über alle übrigen Völker oder doch wenigstens über den Mittelraum und die Gebiete oder Völkerverzahnung und 905

Ebd., S. 637. Vgl. Spann, Othmar: Der wahre Staat (wie Anm. 753). 907 Vgl. Jung: Herrschaft (wie Anm. 32), S. 653: „So kann auch eine organische europäische Staatenföderation die einzelnen Völker leben lassen.“ 908 Ebd., S. 657. 909 Ebd., S. 663. 910 Ebd. 906

VIII. Platz der Völker

183

Mischung im Osten und Südosten erreicht, so bleibt nichts übrig als eine planmäßige Zusammenarbeit.“911

So wie die Völker die Regeln der Zusammenarbeit lernen sollten, müssten es auch die Staaten tun. Das betraf diejenigen europäischen Staaten im Besonderen, die auf dieselben Ressourcen, Produkte, natürlichen Grenzen und Verkehrsmittel angewiesen seien. Die freundliche Zusammenarbeit müsse die Feindschaft ersetzen: „Für Europa muss der Gedanke der Nachbarschaft der Staaten erst wieder neu entdeckt werden.“912 Aber auch Loesch wies den Deutschen eine besondere Aufgabe zu. Eben sie seien dafür verantwortlich, dass das neue Europa auf den Grundlagen des Friedens und der Zusammenarbeit aufgebaut würde: „Uns Deutschen erwächst aber hier eine besondere Aufgabe. Das Recht der deutschen Volkspersönlichkeit verpflichtet zugleich einzelne Deutsche und ebenso die deutschen Volksgruppen, mögen sie groß oder klein sein, politisch, wirtschaftlich und kulturell für einander einzutreten: der Kampf um diese Zeit ist sittliche Verpflichtung, wenn europäische Neuordnung auch die Wahrung der berechtigten Interessen aller Völker beabsichtigt.“913

Auch in diesem europäischen Bund sollte Deutschland eine Stellung zugewiesen werden, die seiner Bedeutung angemessen sei.914 Friedrich Schreyvogl von der Zeitschrift „Europäische Revue“ hatte die Klassifizierung der Völker von Moeller übernommen, dabei aber umformuliert. Ihm zufolge sollten die Völker danach unterschieden werden, ob sie eine „Gegenwartsidee“ oder eine „Zukunftsidee“ haben.915 Die Autoren der „Europäischen Revue“, wie alle anderen konservativen Revolutionäre, sahen in der Verwirklichung der deutschen Mission europäische Zukunft.916 Dieses Gefühl habe nichts mit Hegemonie zu tun, sondern mit Verantwortung: „Es ist ein Bewusstsein natürlicher Verantwortung für einen organischen Zusammenhang, das sich durchaus mit der loyalen Anerkennung fremder Nationalstaaten in dem fraglichen Gesamtgebiet verträgt.“917

Die Zukunft des deutschen Europagedankens sah Max Clauss als ausgesprochen positiv, ohne selbst die Möglichkeiten zu sehen, durch die der deutsche Nationalismus missbraucht werden könnte: Die klare deutsche Position in Bezug auf die Minderheitenfrage würde Verletzungen der Rechte anderer Völker nicht zulassen 911

Loesch: Europäische Erkenntnis und Neuordnung (wie Anm. 216), S. 128. Ebd., S. 130. 913 Ebd., S. 131. 914 Vgl. ebd., S. 132. 915 Vgl. Schreyvogl: Gegenbolschewismus (wie Anm. 370), S. 316. 916 Vgl. Clauß: Deutschland und Frankreich (wie Anm. 284), S. 157: „Vor den Deutschen, denen ihr Reich zwar als ewiges Erbe mit Segen und Fluch anhängt, aber doch kein ganzer Besitz, vielmehr das weite Feld rings um ihre Städte und Ströme und um die Länder ihrer Stämme ist -–: um uns Europa“. 917 Ebd. 912

184

VIII. Platz der Völker

können. Dies beziehe sich „auf eine europäische Richtung der deutschen Politik, die Vertrauen im Volk und bei den andern Völkern wohl beanspruchen darf“918. Auch „Der Ring“ teilte diesen Optimismus: Imperialismus sei in Europa gar nicht möglich, denn „angesichts der staatlichen Verselbstständigung vieler kleiner Völker des nahen Ostens würde der Versuch eines Imperialismus im europäischen Raum sicher zum Scheitern verurteilt sein“919. Zusammenfassend kann man sagen, dass diejenigen unter den konservativen Revolutionären, die sich am meisten mit dem Thema „Europa“ beschäftigt haben (dazu gehörten größtenteils Autoren von „Volk und Reich“), eine Position vertraten, die als keineswegs radikal eingeschätzt werden kann. Die Europamodelle der konservativen Revolution generell hatten einen messianischen Charakter und wollten ostmitteleuropäische Völker nicht vernichten, sondern glaubten ernsthaft daran, dass die deutsche Verwaltung ihnen ein besseres Leben ermöglichen könnte. Die idealistischen Pläne der konservativen Revolutionäre klangen natürlich von Anfang an unglaubwürdig. Wenn man das Profil der Konservativen Revolution kennt, hat man jedoch keine Zweifel, dass sie tatsächlich daran glaubten, dass diese Vision der patrimonialen Herrschaft realisierbar war.920 Dennoch war Deutschland nur noch einen Schritt von nationalsozialistischem Gedankengut entfernt.

918

Clauß: Erziehung der Nation zum Reich (wie Anm. 665), S. 536. Schlenker: Die europäische Orientierung der reichsdeutschen Politik (wie Anm. 84), S. 392. 920 Vgl. Elvert: Mitteleuropa (wie Anm. 1), S. 13: Jürgen Elvert merkt zu Recht an, dass diese „patriarchalischen Konzeptionen“ ganz in der Tradition der Vorkriegszeiten standen. Bereits vor der Gründung des bismarckschen Reiches wurden sie weit verbreitet und gerade dieser fehlende Nationalstaat diente als Begründung für die Fürsorgepflicht der Deutschen gegenüber den Völkern im ostmitteleuropäischen Raum. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielten diese Ideen eine nationalistische Ausrichtung. 919

IX. Die Kontinuitätsproblematik als geschichtswissenschaftliches Thema. Wege zur Bewältigung des Problems Während die konservativen Revolutionäre schrieben, handelten die Nationalsozialisten. Sie waren zwar ideologisch nicht so geschickt wie die konservativ-revolutionären Autoren, eiferten aber nach der praktischen Realisierung ihrer Pläne. Die Machtergreifung durch Hitler zog eine Grenze in der deutschen Geschichte und im konservativ-revolutionären Europadenken. Die nach dem 30. Januar 1933 veröffentlichten Schriften stellten nicht mehr den originellen Ideenkomplex dar. Die Autoren passten sich an die neuen politischen Umstände an und änderten ihre Positionen dementsprechend. Dieser Anpassungsprozess im konservativ-revolutionären Milieu ist sehr bezeichnend für die vorliegende Forschung und für das allgemeine Verständnis der ideologischen Wurzeln des Nationalsozialismus. Kaum eine Frage in Bezug auf die Forschung der Konservativen Revolution wurde so oft aufgegriffen und so leidenschaftlich diskutiert wie die nach dem Einfluss, den diese ideologische Richtung auf den Nationalsozialismus ausgeübt haben könnte.921 Als einer der ersten stellte diese Frage Armin Mohler. Seiner Meinung nach musste diese Frage von zwei Seiten analysiert werden: die Bewertung der Rolle der ganzen Bewegung und die einzelnen Vertreter. Direkt auf die Schuld der konservativen Revolutionäre zu verweisen sah er als nicht möglich an.922 Andere Forscher vertraten eine ganz andere Meinung: Die Schuldfrage sei mehr als legitim.923 Bei der Antwort auf diese Frage gibt es nach wie vor keine Übereinstimmung. Die Beziehungen zwischen den konservativen Revolutionären und den führenden Nationalsozialisten wurden aus personengeschichtlicher Sicht bereits untersucht.924 Die Frage des möglichen Einflusses bzw. der Verantwortung einzelner konservativ-revolutionärer Autoren auf den Nationalsozialismus wurde meistens von den For921

Vgl. Hermand, Jost: Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus; Klemperer, Klemens von / Schön, Marianne: Konservative Bewegungen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. München 1962; Schmitz / Vollnhals: Völkische Bewegung – Konservative Revolution – Nationalsozialismus (wie Anm. 44). 922 Vgl. Mohler: Die Konservative Revolution (wie Anm. 15), S. 8 f. 923 Vgl. Petzold, Joachim: Wegbereiter des deutschen Faschismus. Jungkonservative Ideologen in der Weimarer Republik als geistige Wegbereiter der faschistischen Diktatur. Berlin 1978. 924 Vgl. Kroll, Frank-Lothar: Konservative Revolution und Nationalsozialismus. Aspekte und Perspektiven ihrer Erforschung. In: Schrenck-Notzing, Caspar: Stand und Probleme der Erforschung des Konservatismus. Berlin 2000, S. 103 – 118, hier S. 106 ff.

186

IX. Die Kontinuitätsproblematik als geschichtswissenschaftliches Thema

schern, die deren Biographien geschrieben haben, ganz oder teilweise beantwortet.925 Es wurden auch zahlreiche Monographien zum Thema Übergang von der Weimarer Republik in das Dritte Reich veröffentlicht.926 Ein eindeutiger Konsens in diesem Diskurs wurde bisher nicht erreicht: Die Antwort auf die Frage nach der Kontinuität zwischen der Konservativen Revolution und dem Nationalsozialismus stellt ein schwer zu lösendes Problem dar. Es ist zunächst dadurch zu erklären, dass die eindeutigen Kriterien und Beweise für den angestrebten Vergleich fehlen. Es gibt unterschiedliche Wege, um die Frage nach der Wirkung der konservativrevolutionären Europaidee zu beantworten. Als Erstes bietet sich an, die Schicksale der Autoren zu verfolgen und nach einem direkten Einfluss auf die Ideologen des Nationalsozialismus zu suchen.927

1. Die konservativen Revolutionäre nach der Machtergreifung. Die persönlichen Schicksale und die Entwicklung der Europaidee Die Vielfalt der Schicksale der konservativen Revolutionäre nach der Machtergreifung entspricht in vollem Maße deren Heterogenität. Am Anfang hieß eine große Mehrheit der konservativ-revolutionären Autoren die Nationalsozialisten in der Regierung willkommen. Sie nahmen das als eine Chance wahr, die eigenen Ideen in die Tat umzusetzen. Bereits einige Monate später änderte sich diese Einstellung bei vielen. Es gab auch welche, die von Anfang an erkannten, dass sie mit den politischen Einstellungen der neuen Herrscher nicht viel gemeinsam hatten. Für die Analyse des konservativ-revolutionären Anpassungsprozesses kann man das Gliederungsprinzip von Klaus Breuning übernehmen: Je nach Nähe bzw. Distanz zur NS-Ideologie teilte er die katholischen publizistischen Werke der Zeit nach der Weimarer Republik in „Identifikationen“, „Harmonisierungen“ und „Beeinflussungsversuche“928 auf. 925

Vgl. Schwierskott: Arthur Moeller van den Bruck (wie Anm. 17); Felken: Oswald Spengler (wie Anm. 16); Kessler: Wilhelm Stapel (wie Anm. 18). 926 Vgl. Mommsen, Hans: Von Weimar nach Ausschwitz. Zur Geschichte Deutschlands in der Weltkriegsepoche. Stuttgart 1999; Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. München 2014. 927 Zu den Europavorstellungen im Nationalsozialismus: Salewski: Europa. Idee und Wirklichkeit in der nationalsozialistischen Weltanschauung und Praxis. In: Otmar, Franz (Hrsg.): Europas Mitte. Göttingen 1987; Kletzin, Birgit: Europa aus Rasse und Raum. Die nationalsozialistische Idee der Neuen Ordnung. Reihe: Region, Nation, Europa. Bd. 2. Münster 2000; Krüger, Peter: Hitlers Europapolitik. In: Der Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 1993, S. 104 – 132; Kluke, Paul: Nationalsozialistische Europaideologie. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 3 (1955), S. 240 – 275. 928 Vgl. Breuning, Klaus: Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur (1929 – 1934). München 1969, S. 179 f.

1. Die konservativen Revolutionäre nach der Machtergreifung

187

Wenn man die Schicksale der konservativen Revolutionäre etwas näher betrachtet, merkt man, dass es äußerst selten um die „Identifikationen“ ging, dafür aber sehr oft um „Harmonisierungen“ und „Beeinflussungsversuche“. In diesem Aspekt sollte man individuell vorgehen und Schicksale der von uns erforschten Autoren einzeln behandeln. Oswald Spengler wurde bereits 1933 von Goebbels aufgefordert, Aufsätze zur Unterstützung der NSDAP zu schreiben.929 Er widerstand dieser Aufforderung und wurde als Kritiker des Regimes benannt. Die Nationalsozialisten wirklich zu kritisieren, hat er jedoch nicht geschafft: Bereits im Jahr 1936 starb er an Herzversagen.930 Arthur Moeller van den Bruck begann Selbstmord bereits am 30. Mai 1925. Er äußerte sich jedoch bereits Anfang der 20er negativ in Bezug auf Hitler. Kennzeichnend in dieser Hinsicht ist das 1922 stattgefundene Treffen zwischen Moeller und Hitler. Laut den Erinnerungen der Freunde von Moeller äußerte der Autor des „Dritten Reiches“ sich nach dem Abschied von Hitler besorgt. Er bezeichnete Hitler als „primitiv und gefährlich.“931 Ernst Niekisch gehörte zu denjenigen, die von Anfang an scharfe Kritiken gegenüber dem Nationalsozialismus und Hitler persönlich äußerten. Ein Zeichen davon war die 1932 von Niekisch veröffentlichte Broschüre: „Hitler – ein deutsches Verhängnis“, wo Niekisch Hitler Antibolschewismus und „Sozialpazifismus“ vorwarf.932 Die antifaschistische Stellung Niekischs erklärte sich dadurch, dass er den Faschismus als „romanisch“ und westlich wahrnahm: „Hitlers Boden ist das Abendland. Seine Außenpolitik sucht bei Versailler Nutznießerstaaten Hilfe; er kommt aus dem Versailler Kreis nicht heraus“933. Deswegen konnte Hitler aus der Sicht von Niekisch nicht die wichtigste Aufgabe Deutschlands erfüllen: das Land vom Westen zu befreien. Stattdessen würde er die Versailler Ordnung „bis zum Ural oder gar bis zu Gestaden des Stillen Ozeans vortragen. Nur ein schäbiger Sold freilich, nicht aber die deutsche Freiheit, ist auf diesem Wege zu gewinnen“934. Außerdem sei Hitler nicht autoritär genug gewesen, denn um die Macht zu erlangen, ging er nicht den revolutionären Weg, sondern nutzte die Wahlen als Instrument.935 Die Zeitschrift „Widerstand“ konnte noch bis 1934 erscheinen. Außerdem war es möglich für Niekisch, zwei Bücher während der NS-Zeit zu veröffentlichen. Eine davon, „die dritte imperiale Figur“, zeigte unter anderem die Verbreitung der Herrschaftsansprüche Niekischs auf ein sogenanntes „Endimperium“:

929 Vgl. Woods, Roger: Nation ohne Selbstbewusstsein. Von der Konservativen Revolution zur Neuen Rechten. Baden-Baden 2001, S. 163. 930 Vgl. Felken: Oswald Spengler (wie Anm. 16), S. 237. 931 Weiß: Moderne Antimoderne (wie Anm. 17), S. 265 f. 932 Vgl. Niekisch: Hitler – ein deutsches Verhängnis. 3. Auflage. Berlin 1985 (1932). 933 Niekisch: Politische Schriften (wie Anm. 72), S. 34. 934 Ebd., S. 36. 935 Vgl. Pittwald: Ernst Niekisch (wie Anm. 596), S. 77.

188

IX. Die Kontinuitätsproblematik als geschichtswissenschaftliches Thema

„Naturgemäß hat die dritte imperiale Figur – anders wäre sie nicht ,imperial‘- die Tendenz zur einheitlichen Erdballorganisation. Diese Erdballorganisation ist im bisherigen Sinne nicht mehr staatlich; sie ist auch umfassender als das ,Reich‘, sie ist ein erdumspannendes Endimperium, das den ,Frieden der Menschheit‘ herstellt und wahrt. Dieses Endimperium ist, wenn man hier von Politik noch reden darf, die politische Grundkonzeption der dritten imperialen Figur.“936

1939 wurde Niekisch wegen der Vorbereitung des „Hochverrats“ zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.937 Befreit wurde er 1945 von der Roten Armee. Man merkt, dass Niekischs Kritik am Nationalsozialismus, obwohl vorhanden, nicht die Grundlagen der NS-Ideologie betraf und eher als eine „interne“ Kritik innerhalb des gleichen Ideensystems betrachtet werden sollte. Edgar Julius Jung gehörte zu den Gegnern des Nationalsozialismus vom Anfang an. Bereits Mitte der 20er Jahre kritisierte Jung die Bezeichnung „Bewegung“, die seiner Meinung nach zum Nationalsozialismus nicht passte.938 Dem Nationalsozialismus fehle außerdem der Geist und das Programm.939 Hitler sei „ein Kind der Masse“940. Jung blieb nicht nur bei den Kritiken. Er arbeitete einen Plan aus, der zur Machtübernahme der Jungkonservativen führen sollte. Das endete jedoch bereits nach der von Jung geschriebenen Marburger Rede: Zehn Tage danach wurde Jung von der Gestapo verhaftet und ermordet. Auch Friedrich Hielscher war ein überzeugter Gegner des Nationalsozialismus bereits vor 1933. Er leitete sogar eine NS-Widerstandsgruppe. Seine Stellung in Bezug auf die Europafrage änderte sich sehr schnell: An die Stelle der nationalistischen Texte der 20er Jahre kam Regionalismus und ein Europa-Gedanke, wie wir ihn kennen.941 Hielscher begann, die Idee von Europa als einer Gemeinschaft der freien Völker zu propagieren.942 Hielscher kritisierte immer noch die Demokratie und die Nationalstaaten, die Änderung seiner Ansichten war aber trotzdem rasant. Auch Wilhelm Stapel erkannte die Gefahr des Nationalsozialismus ziemlich schnell. Dies führte dazu, dass er seine vorherigen Positionen überdachte: Es war keine Rede mehr vom Imperialismus: „Die kommende Ordnung könne nicht eine ,Herrschaft‘ sein; es gelte nunmehr, einen Schlussstrich unter die Kämpfe um die europäische Vorherrschaft zu setzen. Warum, so fragte er nach dem ,Anschluss‘ (ganz im Gegensatz zu seinen Auffassungen im ,Christlichen Staatsmann‘), soll durchaus eine Macht auf dem europäischen Kontinent vorherrschen? Die

936 937 938 939 940 941 942

Niekisch: Die dritte imperiale Figur. Berlin 1935, S. 205. Vgl. Pinnwald: Ernst Niekisch (wie Anm. 596), S. 84. Vgl. Jahnke: Edgar Julius Jung (wie Anm. 19), S. 212. Vgl. ebd., S. 214. Ebd., S. 215. Vgl. Schmidt: Der Herr des Feuers (wie Anm. 718), S. 172. Vgl. ebd., S. 173.

1. Die konservativen Revolutionäre nach der Machtergreifung

189

gewünschte zukünftige Ordnung sah er nun nicht im Reich, sondern in der ,bündischen Ordnung der germanischen Völker‘.“943

Plötzlich wurde er zum Apologeten der europäischen Friedensordnung. Dieser Gegensatz war Stapel selbst klar und wurde dadurch begründet, dass die Zeit, wo man kämpfen musste und damit die Kampfparolen, nun vorbei seien. Die Lage des deutschen Volkes war elend. Deswegen musste es in erster Linie an sich selbst denken, was die nationalistische Stimmung verursachte. Jetzt könnten die Deutschen beginnen, sich um das Wohl der Menschheit zu kümmern.944 Obwohl Stapel sich mit dem Nationalsozialismus identifizieren wollte, konnte er die ideologischen Unterschiede nicht außer Acht lassen.945 Auch den Krieg empfand er als fragwürdig, selbst wenn er den Erwerb des Bodens im Osten unterstützte.946 Jedoch konnte die breite Öffentlichkeit das nicht mehr mitbekommen: Bereits im Jahr 1938 wurde Stapel aus der Redaktion des „Deutschen Volkstums“ ausgeschlossen. Martin Spahn, der bis Juni 1933 der Deutschnationalen Volkspartei angehörte, bemühte sich darum, zur NSDAP überzutreten. Dazu trug ein persönliches Gespräch mit Adolf Hitler bei, in dem der neue Reichskanzler Hitler Spahns Expertise im Bereich Volksgruppenrecht bewunderte.947 Wie viele andere war Spahn bereit, Kompromisse einzugehen, um die Reichsidee in Mitteleuropa zu verwirklichen. Deswegen wechselte er die Parteien und zusammen damit die Prinzipien. Das führte dazu, dass er am Ende seines Lebens weit davon entfernt war, das ursprünglich gewünschte christlich-konservative Reich zu propagieren. Die wahre Natur des Nationalsozialismus ließ er unbeachtet und konzentrierte sich auf die Gemeinsamkeiten. In Hitler sah Spahn den Fortsetzer des Reiches Bismarcks, den NS-Staat betrachtete er jedoch als noch unfertig und zeigte die Bereitschaft, zu seiner Vervollkommnung beizutragen.948 Verbesserungsfähig sei seiner Meinung nach vor allem der Rassegedanke im Nationalsozialismus. Spahn hielt ihn für „übersteigert“, sehr biologisch geprägt und suchte ihn durch den Begriff „Volkstum“ zu ersetzen.949 Eine besondere Unterstützung Spahns erlangte die nationalsozialistische Raumpolitik. Dies lag an ihrem Streben zum Erwerb des Lebensraumes für das deutsche Volk. Um diese Unterstützung zu leisten, gründete Spahn 1934 das Institut für Raumpolitik an der Universität Köln.950 Spahn unterstützte den Nationalsozialismus jedoch nur während der ersten Jahre: Nach 1935/36 wurde sein Verhältnis zum NS-Staat immer distanzierter. Dies äußerte sich darin, dass Spahn immer weniger veröffentlichte. Er äußerte aber auch keine direkte Kritik. Der Anfang des Krieges belebte seine 943 944 945 946 947 948 949 950

Zit. nach Kessler: Wilhelm Stapel als politischer Publizist (wie Anm. 18), S. 196. Vgl. ebd., S. 198. Vgl. ebd., S. 201. Vgl. ebd., S. 222. Vgl. Clemens: Martin Spahn (wie Anm. 21), S. 205 f. Vgl. ebd., S. 208. Vgl. ebd., S. 157. Vgl. ebd., S. 217.

190

IX. Die Kontinuitätsproblematik als geschichtswissenschaftliches Thema

Hoffnungen auf die Erfüllung der Reichsidee wieder. Abgesehen vom außenpolitischen Bereich fand er jedoch kaum Bestätigung seiner Ideen in der nationalsozialistischen Politik. Die Tatsache, dass Spahn den Nationalsozialismus ideologisch nicht unterstützte, sondern eher als Mittel ansah, um die Ziele der christlich-konservativen Reichsidee zu erreichen, wurde bald auch den Nationalsozialisten selbst klar. Das führte dazu, dass Spahn im Laufe seiner Tätigkeit als Professor mehrmals Steine in den Weg gelegt wurden. Nach seinem 65. Geburtstag wurde er gegen seinen Willen in Rente geschickt. Je näher das Ende des Krieges rückte, desto weniger Sympathien empfand Spahn gegenüber dem Dritten Reich Hitlers.951 Sein Tod an Herzversagen nur ein paar Tage nach Ende des Zweiten Weltkrieges charakterisiert seinen moralischen Zustand der Monate davor. Die Redaktion der Zeitschrift „Europäische Revue“ begann die Annäherung an den Nationalsozialismus bereits im Jahr 1931. Karl Anton Rohan ergriff die Initiative, doch nicht alle Mitarbeiter der Zeitschrift unterstützten ihn. Zum Beispiel äußerte sich Max Clauß dagegen und verließ deswegen die Redaktion. Karl Anton Rohan hoffte, wie viele andere, mit dem Dritten Reich „das geforderte deutsche Europaprogramm ,im Rahmen eines gesamteuropäischen, reichisch-abendländischen Kulturbewusstseins‘ erwarten zu dürfen“.952 Nach 1933 wurde die „Europäische Revue“ sogar zum großen Teil vom nationalsozialistischen Propagandaministerium finanziert,953 weil sie „unauffällige Propaganda, vorwiegend im Ausland“954 leisten konnte. Die außenpolitische Position Rohans war jedoch viel zu verschieden von der nationalsozialistischen: Unter anderem trat er für ein mit Deutschland zwar eng verbundenes, aber selbstständiges Österreich ein.955 Dies führte dazu, dass Rohan 1937 als Herausgeber von „Europäische Revue“ abgesetzt wurde.956 Er setzte seine Tätigkeit als Publizist fort, war jedoch politisch nicht besonders aktiv. Nach der Machtergreifung begann Heinrich von Gleichen das nationalsozialistische Regime leicht zu kritisieren. Dies änderte sich einige Monate später. „Der Ring“ passte sich schnell an die neue politische Situation an. Aber selbst diese Phase dauerte nicht lange: Seit dem Jahr 1934 existierte „Der Ring“ mehr als eine ökonomische Zeitschrift mit dem Titel „Der Wirtschafts-Ring“957. „Die Tat“ unterstützte die nationalsozialistische Bewegung, obwohl ihre ideologischen Ansätze nicht gleich waren. Die Redaktion der Zeitschrift hatte es nicht 951

Vgl. ebd., S. 221 f. Müller, Guido: Hugo von Hofmannstahls „Traum des Reiches“ (wie Anm. 26), S. 177. 953 Vgl. ebd. 954 Ebd. 955 Vgl. Rohan: Österreichs mitteleuropäische Aufgabe. In: Kölnische Volkszeitung, Nr. 112, 24. 4. 1937. 956 Vgl. Müller, Guido: Hugo von Hofmannstahls „Traum des Reiches“ (wie Anm. 26), S. 178 f. 957 Vgl. Weissmann: Das „Gewissen“ und der „Ring“ (wie Anm. 736). 952

1. Die konservativen Revolutionäre nach der Machtergreifung

191

leicht: Sie konnte sich nicht mit dem radikalen Antisemitismus und Rassismus der Nationalsozialisten befreunden. Auch die Ostpolitik Hitlers war für die „Tat“-Autoren nicht leicht anzunehmen. Hans Zehrer musste aus der Redaktion ausscheiden.958 Giselher Wirsing übernahm die Herausgeberschaft. „Die Tat“ versuchte, die deutsch-russische Partnerschaft weiterhin zu propagieren, was jedoch nicht gelang. Die traditionelle prorussische Stellung von „Die Tat“ musste aufgegeben werden. Bereits seit dem Jahr 1935 war nur wenig davon zu spüren. Der Verlust der eigenen Identität führte dazu, dass „Die Tat“ ihre Leserschaft verlor, im Jahr 1939 den neuen Titel „Das XX. Jahrhundert“ erhielt und 1944 endgültig eingestellt wurde. Wirsing trat 1940 der NSDAP bei und war unter anderem als „Antibolschewismus-Experte“ beim Auswärtigen Amt tätig. Karl Christian von Loesch trat im Mai 1933 der NSDAP bei. Jedoch wurde ihm schnell klar, dass seine Prinzipien und Interessen nicht mit denen der Nationalsozialisten übereinstimmten. Das führte dazu, dass er 1943 die Leitung des „Instituts für Grenz- und Auslandsstudien“ aufgeben musste. Er wurde sogar mit den Attentaten vom 20. Juli in Verbindung gebracht, wurde aber aufgrund seines schlechten physischen Zustandes von der Gestapo freigelassen. Albrecht Haushofer gehörte zu denjenigen, die anfangs versuchten, die nationalsozialistische Außenpolitik zu beeinflussen und in die ihm passende Richtung zu bewegen. Als Mitarbeiter der Dienstelle Ribbentrop führte er mehrere Geheimmissionen im Ausland durch. Im Jahr 1938 wechselte er den Dienstort für eine Stelle in der formell unabhängigen Informationsstelle I des Auswärtigen Amtes. Seit 1940 pflegte er enge Kontakte zu den Widerstandsgruppen im Dritten Reich. Er wusste Bescheid über die Vorbereitung des Attentats am 20. Juli 1944. Kurz vor der Befreiung Berlins im April 1945 wurde er verhaftet und als Mitwisser ermordet. Sein Vater, Karl Haushofer, war dem Nationalsozialismus von Anfang an kritisch gegenüber eingestellt und verbrachte die Jahre des Dritten Reiches zurückgezogen und leidend an einer schweren Depression. Max Hildebert Boehm gehörte auch zu denjenigen, die versuchten, ihre Positionen im Dritten Reich durchzusetzen.959 Erst nach 1933 kam sein Antisemitismus deutlich zum Ausdruck. Als Professor in Jena wurde er jedoch ab dem Jahr 1937 als NS-fern zunehmend kritisiert.960 Auch sein Mitgliedsantrag bei der NSDAP stieß auf zahlreiche Diskussionen.961 Boehm blieb trotzdem angefragt als Fachmann für „Volkstums- und speziell ,ostpolitische‘ Probleme“.962 Trotzdem war Boehm weit davon entfernt, auf politischer und akademischer Ebene Einfluss nehmen zu können. 958

Vgl. Hecker: Die Tat und ihr Osteuropa-Bild (wie Anm. 24), S. 183. Vgl. Prehn: Max Hildebert Boehm (wie Anm. 20), S. 273. Ulrich Prehn weist zu Recht darauf hin, dass ein Großteil der Volkstumsexperten der Weimarer Republik nach Hitlers Machtergreifung sich als „Berater“ des neuen Regimes zur Verfügung stellten. 960 Vgl. ebd., S. 318. 961 Vgl. ebd., S. 324. 962 Vgl. ebd., S. 327. 959

192

IX. Die Kontinuitätsproblematik als geschichtswissenschaftliches Thema

Diese Fallstudien zeigen, dass direkter politischer Einfluss schwer festzustellen ist. Kann von ideellem Einfluss die Rede sein?

2. Ideologische Übereinstimmungen Die Europaidee im Nationalsozialismus zu definieren ist nicht einfacher, als die Europavorstellungen der Konservativen Revolution auf den Punkt zu bringen. Im Dritten Reich gab es keine einheitliche Ideologie. Der Europadiskurs kreiste jedoch größtenteils um die Idee des Großgermanischen Reiches, die auf dem Rassenprinzip basierte, sowie um den Begriff des Lebensraums, der seine theoretische Grundlage in der Großraumidee fand. In seiner Rede vom 17. Mai 1933 behauptete Hitler, dass die Neuordnung Europas 1919 versäumt worden sei. Jetzt sei Deutschland bereit, sich diesem Problem zu widmen.963 Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt. Wenn es um die nationalsozialistischen Europapläne geht, wird darunter in erster Linie die Praxis verstanden. Sie unterschied sich jedoch von der offiziellen Europaidee. Die in der vorliegenden Forschungsarbeit durchgeführte Analyse der einzelnen Aspekte der konservativ-revolutionären Europaideologie hilft, sie mit der nationalsozialistischen Ideologie zu vergleichen. Die konservativ-revolutionären und die nationalsozialistischen Europaideen hatten viel gemeinsam. Zunächst sprachen beide von der Notwendigkeit der Europavereinigung und bestanden auf ihrer Realisierung nur unter deutscher Führung. Laut der Vertreter beider ideologischen Richtungen bestand die heilige Mission des deutschen Volkes darin, das Reich zu schaffen, die tausendjährige europäische Kultur zu retten und diese zum Wohlstand zu bringen. Die konservativen Revolutionäre und die Nationalsozialisten hatten die gleichen „Feinde“: die Weimarer Republik und den Westen. Die Abneigung gegen den Bolschewismus gehörte ebenso zu den wichtigsten Grundlagen beider Ideenkonzepte. Auch die historischen „Konzeptionen“ beider Ideenrichtungen waren ziemlich ähnlich. Sowohl die konservativen Revolutionäre als auch die Nationalsozialisten benutzten das Erste und das Zweite Reich der Deutschen, um die Ansprüche des deutschen Volkes auf die Herrschaft in Europa zu begründen.964 Auch andere Gemeinsamkeiten in den konservativ-revolutionären und nationalsozialistischen Europakonzeptionen sind deutlich: Die Fragen des wirtschaftlichen Aufbaus waren für beide zweitrangig. Jedoch bevorzugten die Nationalsozialisten das Staatseigentum und die Planwirtschaft, während die konservativen Revolutionäre mehr von den Formen des kollektiven Eigentums sprachen. 963

Vgl. ebd. Zum historischen Bild der Nationalsozialisten: Kroll, Frank Lothar: Utopie als Ideologie: Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich. Paderborn / München / Wien / Zürich 1998. 964

2. Ideologische Übereinstimmungen

193

Die Vorstellung vom Reich als einer überstaatlichen Form, die nichts mit den bekannten Typen der staatlichen Organisation gemeinsam hatte, war typisch für die konservativen Revolutionäre wie für die Nationalsozialisten.965 Für die konservativen Revolutionäre war das Reich eine mythische Gestalt, die nicht dafür gedacht war, verwirklicht zu werden. Das gaben die Ideologen selbst zu. Im Gegenteil trugen die Ideen der Nationalsozialisten einen ausschließlich praktischen Charakter, der sich darin äußerte, dass die gewünschten Grenzen des deutschen Reiches klar definiert wurden – im Unterschied zu den konservativ-revolutionären Ideen, die nur eine schwammige Gestalt darstellten. Außerdem fehlte in der konservativ-revolutionären Ideologie die für den Nationalsozialismus so charakteristische Abneigung gegenüber dem Christentum. Ein großer Teil der konservativ-revolutionären Ideologen war christlich und für viele (Wilhelm Stapel, Edgar Julius Jung, Martin Spahn etc.) war das Reich nur aus der mittelalterlichen, christlichen Sicht zu verstehen.966 Bei den Diskussionen über das Reich als Gottesordnung, über seinen sakralen Charakter, sind die konservativen Revolutionäre deutlich weiter gegangen als die Nationalsozialisten. Man kann sagen, dass dieser Aspekt schlüssig für ihre Konzeptionen war, während er in der Weltanschauung der Nationalsozialisten eine zweitrangige Rolle spielte. Während „sakral“ bei den Nationalsozialisten in Bezug auf eine Blutvereinigung benutzt wurde, verstanden die konservativen Revolutionäre darunter vor allem eine geistige, kulturelle Ordnung.967 Zu den grundlegenden Unterschieden zwischen den Europaideen der Konservativen Revolution und des Nationalsozialismus gehört die Bedeutung von Rassismus und Antisemitismus, die bei den konservativen Revolutionären im Vergleich mit den Nationalsozialisten von einer deutlich niedrigeren Bedeutung war:968 Obwohl Rassismus wie Antisemitismus einen gewissen Platz in der Ideologie der Konservativen Revolution einnahmen, war dieser Platz von einer geringeren Bedeutung als bei den Nationalsozialisten. Die Europaidee der Konservativen Revolution beruhte auf dem Pseudopaternalismus: Das deutsche Volk sei von Gott dazu auserwählt, Europa zu regieren und nicht andere Völker zu unterwerfen. Die konservativen Revolutionäre behaupteten, die Deutschen würden zur kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung anderer europäischer Völker beitragen. Totale Herrschaftsansprüche wurden nicht geäußert, Autonomie und Eigenart anderer Völker müssten respektiert werden. Im Zentrum der nationalsozialistischen Europaidee stand aber der Gewinn des Lebensraumes für das deutsche Volk.969 Dabei muss man jedoch bedenken: Die Europakonzeption der 965 Das Thema der staatlichen Organisation war besonders ausführlich von Rosenberg dargestellt: Rosenberg, Alfred: Der Mythos des 20. Jahrhunderts. München 1942. 966 Vgl. dazu Neurohr: Der Mythos vom Dritten Reich (wie Anm. 623), S. 181 ff. 967 Vgl. ebd. 968 Vgl. ebd. S. 140 ff. 969 Vgl. zum Gewinn des Lebensraumes bei Hitler: Hitler, Adolf: Reden, Schriften, Anordnungen. München 1996 – 2003, S. 193 – 204; Hitler, Adolf / Weinberg, Gerhard L. (Hrsg.): Hitlers zweites Buch. Stuttgart 1961, S. 2.

194

IX. Die Kontinuitätsproblematik als geschichtswissenschaftliches Thema

Nationalsozialisten war eine Heuchelei höchster Art, die allein dazu diente, die Kriegsziele zu rechtfertigen.970 Die Europavorstellungen der Nationalsozialisten fanden in ihrer eigenen Außenpolitik oft keine Anwendung. Es muss zudem beachtet werden, dass die Nationalsozialisten von ihren Plänen nicht immer direkt sprachen: Am 13. März 1943 erschienen die „Leitsätze für die Gestaltung des neuen Europas“ von Goebbels, in denen behauptet wurde, dass manche gewaltige Maßnahmen, die bisher ergriffen wurden, nichts mit der zukünftigen Politik des deutschen Reiches zu tun haben sollten. Sie seien alleine durch den Kriegszustand zu erklären. Nach dem Krieg sollten die europäischen Länder nicht diskriminiert, sondern respektiert und geschützt werden. Sie sollten auch einen hohen Grad an Selbstständigkeit genießen. Die ganze europäische Vereinigung könne nur auf freiwilligen Grundlagen geschehen.971 Das ist nicht die einzige Schrift aus der Feder von den Ideologen des Nationalsozialismus, die überraschend ähnlich zu den Positionen der konservativen Revolutionäre klingt. 1934 schrieb Alfred Rosenberg einen Beitrag im Rahmen der Schriften der Deutschen Hochschule für Politik mit dem Titel „Krisis und Neubau Europas“. In dieser Schrift kritisiert Rosenberg die Paneuropaidee genauso, wie die konservativen Revolutionäre dies getan haben.972 Er äußerte sein Misstrauen gegenüber der universellen europäischen Idee. Seiner Meinung nach bildeten vier Nationen die Grundlage Europas. Genauer gesagt seien es vier Nationalismen: der deutsche, italienische, französische und britische. Sie seien unterschiedlich in ihren Ausprägungen und sollten sich auf ihre eigene Art ausleben.973 Alle diese Länder hätten unterschiedliche Regionen, um die sie sich kümmern sollten: Für Frankreich sei es Afrika, wo „die Aufgabe Frankreichs der Schutz des weissen Menschen in Afrika sein müsste“974. Italien würde sich an das mittlere Nordafrika wenden.975 Großbritannien solle sich darum kümmern, dem weißen Menschen in der Welt Platz zu machen. Die natürliche Dynamik Deutschlands äußere sich im Drang nach Osten.976 Das Einhalten dieser Prinzipien von allen vier Seiten würde den Frieden in Europa gewährleisten: „Ich glaube ferner feststellen zu können: wenn die Dynamik der Franzosen nicht mehr nach Osten, sondern organisch nach Süden, nach Afrika geht, wenn die Dynamik Italiens organisch sich ebenfalls an das mittlere Nordafrika wendet, wenn Großbritannien seine Kraft im Schutze der weissen Menschen auf dem Erdball erblickt und Deutschland seine wirtschaftliche und kulturelle Dynamik nach Nordosten und nach Südosten wendet, – so stehen alle diese Ströme nicht gegeneinander, sondern sie stehen Rücken an Rücken. Und in sie 970 971 972 973 974 975 976

Vgl. Kletzin: Europa aus Rasse und Raum (wie Anm. 927), S. 216. Vgl. Salewski: Europa. Idee und Wirklichkeit (wie Anm. 927), S. 104 f. Vgl. Rosenberg, Alfred: Krisis und Neubau Europas. Berlin 1934, S. 8 f. Vgl. ebd., S. 10 ff. Ebd., S. 15. Vgl. ebd., S. 16. Vgl. ebd., S. 17.

2. Ideologische Übereinstimmungen

195

einbezogen, können auch die sogenannten kleinen Völker sicherer und wirtschaftlich und kulturell gesunder leben, als wenn man das neue Postulat eines etwa nur von einem Zentrum aus beherrschten Paneuropa aufstellen wollte.“977

Diese vier Länder seien als „große Nationen“ zu bezeichnen. Die sogenannten „kleinen Nationen“ seien aber nur „hinsichtlich der Zahl“ so genannt. Das sei „durchaus nicht ein Kennzeichen ihrer kulturellen Begabung, ihrer kulturellen Leistungen in der europäischen Geschichte“978. Gleichzeitig sei es „nur die Feststellung, dass die europäische Geschichte uns eben diese genannten vier großen Völker als in erster Linie mitbestimmend für das politische Schicksal vorweist“979. In Bezug auf die nach der russischen Revolution entstandenen Staaten (vor allem die Staaten an der Ostsee) meinte Rosenberg, dass sie auf keinen Fall Angst vor dem „Drang nach Osten“ haben sollten. Deutschland sei durchaus gewillt, die eigene Dynamik der Völker an der Ostsee anzuerkennen. Die Privilegien der großen Völker dürften gleichzeitig nicht vergessen werden: „Wir glauben allerdings auch erwarten zu können, dass man, wenn von unserer Seite dies ausgesprochen wird, auch dort jenen Ton und jene Haltung finden möge, die ein so großes Volk wie Deutschland von diesen jungen Staaten berechtigt ist zu erwarten“980. Diese Beispiele zeigen, dass die Argumentation im Sinne der Konservativen Revolution auch bei den führenden Nationalsozialisten vorkam. Die durch die konservativ-revolutionären Schriften verbreiteten Ideen wurden somit zu propagandistischen Zwecken benutzt, da es leichter fiel, hinter den für die Öffentlichkeit bekannten Parolen aggressive außenpolitische Pläne zu verstecken. Durch die konservativ-revolutionären Ideen lässt sich eine Radikalisierung im deutschen Europadiskurs ableiten, der seit dem 19. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung gewann. Die Nationalsozialisten mit ihrem rassistischen Europabild brachten diese Radikalisierung zu ihrem Höhepunkt. Die Konservative Revolution war nicht die einzige ideologische Richtung, die einen Einfluss auf den Europagedanken des Nationalsozialismus gehabt haben konnte.981 Sie war aber ein wichtiges Glied in dieser Kette. Diese Entwicklung lässt sich gut verfolgen, wenn man die Großraumvorstellungen, die im Mittelpunkt der nationalsozialistischen Europaidee standen, in ihrer Entwicklung in den Werken von Karl Haushofer und Carl Schmitt verfolgt. Karl Haushofer (1869 – 1946) war Professor an der Universität München und Geopolitiker, dessen Einfluss auf Hitler und die Formierung der LebensraumKonzeption der Nationalsozialisten immer noch diskutiert wird. Sein Name ist von 977

Ebd., S. 21. Ebd., S. 19. 979 Ebd. 980 Ebd., S. 20. 981 Vgl. Kroll, Frank Lothar: Die Reichsidee im Nationalsozialismus. In: Bosbach, Franz / Hiery, Hermann / Kampmann, Christoph (Hrsg.): Imperium, Empire, Reich. Ein Konzept politischer Herrschaft im deutsch-britischen Vergleich. München 1999. 978

196

IX. Die Kontinuitätsproblematik als geschichtswissenschaftliches Thema

vielen Gerüchten und sogar Legenden umgeben. Ihm wurden unterschiedliche Rollen im Dritten Reich zugewiesen: von einem Berater von Hitler bis zu einem Magier, der die okkulte Seite des Dritten Reiches mitbestimmt hat.982 Er gilt zwar nicht als Vertreter der Konservativen Revolution, seine Weltanschauung war aber von den konservativ-revolutionären Ideen deutlich geprägt.983 Von seiner ideologischen Nähe an die konservativ-revolutionären Ideen zeugte Haushofers Abneigung gegenüber der liberal-demokratischen Ordnung und des Sozialismus sowie Betonung der Mittellage Deutschlands in Europa und Verständnis von Russland als einem gewünschten Partner.984 Karl Haushofer hat den Begriff der Geopolitik nicht erfunden. Er stützte sich auf die Arbeiten von Friedrich Ratzel, der als Vater der politischen Geographie in Deutschland zum ersten Mal den Zusammenhang zwischen den geographischen Bedingungen und der Politik der Länder feststellte. Karl Haushofer gehört aber jedenfalls das Verdienst, Geopolitik als Raumwissenschaft in den öffentlichen Diskurs eingeführt zu haben. Die entscheidende Bedeutung für die Frage nach der ideologischen Verbindung mit dem Nationalsozialismus hat der Begriff des Lebensraums von Karl Haushofer, der im Mittelpunkt seiner geopolitischen Vorstellungen stand. Geopolitik, die Karl Haushofer als „Wissenschaft von der politischen Lebensform im natürlichen Lebensraum, die sie in ihrer Erdgebundenheit und ihrer Bedingtheit durch geschichtliche Bewegung zu erfassen sucht“985, definierte, solle dazu dienen den mitteleuropäischen Lebensraum für das deutsche Volk zu erweitern.986 Karl Haushofer äußerte die ersten Gedanken über die Erweiterung des Lebensraums als eine mögliche Lösung deutscher Probleme bereits Anfang der 1920er Jahre.987 In den 1930er Jahren wurde diese Forderung konkreter und schärfer: Der Gewinn des Lebensraums sei die wichtigste Aufgabe des deutschen Volkes.988 In der Zeit von 1933 bis 1939 hat Karl Haushofer das Hitler-Regime unterstützt. Nachdem klar wurde, welche Ziele hinter der nationalsozialistischen Rhetorik sich verbargen, hat er seine Position geändert. Der Einfluss, den er auf die Ideen der Nationalsozialisten sowie auf die Meinungsbildung in den intellektuellen Kreisen der Weimarer Republik gehabt hat, ließ sich jedoch nicht mehr wegnehmen.

982 Vgl. Gugenberger, Eduard: Karl Haushofer. Der Lehrmeister für die NS-Expansion. In: Gugenberger, Eduard (Hrsg.): Boten der Apokalypse: Visionäre und Vollstrecker des Dritten Reichs. Wien 2002. 983 Vgl. Ebeling, Frank: Geopolitik. Karl Haushofer und seine Raumwissenschaft 1919 – 1945. Berlin 1994, S. 135 ff. 984 Vgl. ebd., S. 94 ff. 985 Haushofer, K.: Politische Erdkunde und Geopolitik. In: Jacobsen, Hans-Adolf: Karl Haushofer. Leben und Werk. Bd. 1. Boppard am Rhein 1979, S. 508 – 524, hier S. 508. 986 Vgl. ebd. 987 Vgl. Haushofer, K.: Der Ferne Osten. In: Jacobsen: Karl Haushofer (wie Anm. 985), S. 498 – 507, hier S. 500 f. 988 Vgl. Haushofer, K: Geopolitische Grundlagen. In: Jacobsen: Karl Haushofer (wie Anm. 985), S. 558 – 605.

2. Ideologische Übereinstimmungen

197

Auf der Vorstellung von den Großräumen basierte die Theorie von Carl Schmitt (1888 – 1985). Der bekannte Staatsrechtler und politische Philosoph bildete seine Großraumkonzeption erst nach 1933 aus. Dies war damit verbunden, dass Schmitts Verfassungsideen im Dritten Reich kein Verständnis fanden, was dazu führte, dass Schmitt sich auf völkerrechtliche Fragen konzentrierte. Das Buch „Völkerrechtliche Großraumordnung und Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht“ wurde im Jahr 1939 veröffentlicht und leistete einen Beitrag zur Reichsdiskussion. Schmitt gehörte das Verdienst, das Reich in völkerrechtlicher Hinsicht analysiert zu haben.989 Die Ideen von Carl Schmitt waren noch offensiver als die von Karl Haushofer, auf den er sich direkt bezog.990 Das Reich wurde als leitende Figur eines sogenannten Großraums verstanden, der mehrere Völker einschließen könnte und eine wirtschaftliche und kulturelle Struktur darstellte. Jedes Reich sei dadurch gekennzeichnet, dass es über einen Großraum verfüge, in dem es die Führung übernehmen sollte.991 Die Anwendung dieses Prinzips in der Politik solle unter anderem das Problem des Minderheitenschutzes lösen.992 Vor allem müsse es aber die sogenannte „Kleinstaaterei“ in Europa beenden und den Kontinent vor den Weltgroßmächten schützen. Sowohl Karl Haushofer als auch Carl Schmitt waren sehr nah zur Konservativen Revolution und wurden von ihr beeinflusst. Das Prinzip der Großräume, die Regionen umfassten und alleine Außenbeziehungen führen sollten, wobei die kleinen Staaten kein Mitspracherecht hätten, geht aus dem Klassifizierungssystem der Völker hervor, das in den Schriften der konservativen Revolutionäre sehr oft vorkam. Karl Haushofer und Carl Schmitt entwickelten die konservativ-revolutionären Ideen weiter und brachten sie näher zu den nationalsozialistischen Vorstellungen. Sie stellen ein Beispiel davon dar, wie die konservativ-revolutionären Ideen übertragen wurden. Letztendlich beeinflussten sie nicht nur die Nationalsozialisten selbst, sondern auch andere Denker in ihrem Umfeld, die ihrerseits zur weiteren Radikalisierung des Europadiskurses beigetragen haben. Am wichtigsten erscheint jedoch der Einfluss, den die konservativ-revolutionären Publizisten auf die Intellektuellen der Weimarer Republik ausgeübt haben.993 Die Verbreitung ihrer Ideen durch die konservativ-revolutionären, aber auch durch die bürgerlichen Publikationsorgane war massiv genug, um das geistige Klima der Weimarer Republik zu beeinflussen und in die rechtsradikale Richtung umzulei989 Vgl. Blindow, Felix: Carl Schmitts Reichsordnung. Strategie für einen europäischen Großraum. Berlin 1999. 990 Vgl. Schmitt, Carl: Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbort für raumfremde Mächte. Auflage 4. Berlin / Leipzig / Wien 1941, S. 10. 991 Vgl. ebd., S. 53. 992 Vgl. ebd., S. 30 ff. 993 Zur Einschätzung des Einflusses der Konservativen Revolution auf die Gesellschaft der Weimarer Republik siehe Schmitz / Vollnhals (Hrsg.): Völkische Bewegung-Konservative Revolution-Nationalsozialismus (wie Anm. 44).

198

IX. Die Kontinuitätsproblematik als geschichtswissenschaftliches Thema

ten.994 Die konservativen Revolutionäre hassten Parlamentarismus und das führte dazu, dass sie keine eigene Partei schufen. Sie hofften auf eine revolutionäre Volksbewegung und entwickelten keine Strategie, die sie zum Ziel führen könnte.995 Gerade die unklare Rhetorik der konservativen Revolutionäre führte dazu, dass ihre Thesen als Bestätigung des nationalsozialistischen Programms sehr leicht missbraucht werden konnten. Sie bildeten Archetypen im gesellschaftlichen Bewusstsein, die Hitler auf seinem Weg zur Macht halfen. Die konservativen Revolutionäre selbst gaben oft zu, dass sie einen gewissen Einfluss auf die Nationalsozialisten ausgeübt hatten. Edgar Julius Jung zum Beispiel äußerte sich entsprechend: „Die geistigen Voraussetzungen für die deutsche Revolution wurden außerhalb des Nationalsozialismus geschaffen… In unsagbarer Kleinarbeit, besonders in den gebildeten Schichten, haben wir die Voraussetzungen für jenen Tag geschaffen, an dem das deutsche Volk den nationalsozialistischen Kandidaten seine Stimme gab. Diese Arbeit war heroisch, weil sie auf den Erfolg, auf die äußere Resonanz verzichtete.“996

Auch Friedrich Hielscher gestand, dass seine Ideen vor 1933 einen Einfluss auf den Nationalsozialismus gehabt haben könnten. Die Umsetzung seiner Ideen, die durch die nationalsozialistische Außenpolitik stattfand, habe ihm gezeigt, wie falsch sie waren.997 Die in der Öffentlichkeit bekannten Parolen wurden ausgenutzt, um Unterstützung der Bevölkerung zu gewährleisten. Dabei hatten viele Begriffe wie „Reichsidee“, „Rasse“, „Mitteleuropa“ oft nicht die gleiche Bedeutung wie bei den konservativen Revolutionären.998 Die Gesellschaft, die an das Mitteleuropa unter deutscher Führung glaubte, war bereit, den Übergang zum „großgermanischen Reich“ zu begrüßen. Obwohl die Europavorstellungen der konservativen Revolutionäre sich von den nationalsozialistischen unterschieden und viele von ihnen selbst zu Opfern des Regimes wurden, erweckten ihre Ideen Hoffnungen, die die Nationalsozialisten zu verwirklichen versprachen.

994 Vgl. Elvert, Jürgen: Mitteleuropa im Urteil der nationalkonservativen Publizistik der Weimarer Republik. In: Durchhardt, Heinz und Nemeth, Istvan: Der Europa-Gedanke in Ungarn und Deutschland in der Zwischenkriegszeit. Mainz 2005, S. 127 – 142. 995 Vgl. Pfahl-Traughber, Armin: Konservative Revolution und Neue Rechte: rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat. Opladen 1998, S. 92 – 93. 996 Zit. nach Sontheimer: Antidemokratisches Denken (wie Anm. 38), S. 283. 997 Vgl. Schmidt: Der Herr des Feuers (wie Anm. 718), S. 171. 998 Vgl. Kroll: Konservative Revolution und Nationalsozialismus (wie Anm. 924), S. 110.

Schlussbetrachtung Und so schließt sich der Kreis: Die Konservative Revolution war als eine Protestreaktion auf die Revolution von 1918 hervorgegangen; und ihre faktische Existenz als eine ideologische Bewegung endete, als die im Rahmen der Revolution zustande gekommene Republik durch die NS-Diktatur ersetzt wurde. Ihr Einfluss ist aber geblieben. Die Europaidee der Konservativen Revolution war keine geschlossene ideologische Konzeption. Eine Analyse ihrer Eigenschaften kann sich zumeist nur auf die Strukturmerkmale beschränken. Dazu gehört in erster Linie die eindeutige Trennung des europäischen Kontinents in West und Ost. Dieser Gedanke stellte eine wichtige Grundlage für die darauffolgenden Thesen der antidemokratischen Rechten in der Weimarer Republik dar. Es könnte diesbezüglich zur Diskussion gestellt werden, inwiefern die Europaidee der Konservativen Revolution als eine Konzeption der europäischen Integration wahrgenommen werden kann. Oder soll man eher von der „Desintegration“ Europas und der Integration Osteuropas sprechen. Dieser Ansatz wäre jedoch falsch. Er würde zwar die Besonderheiten der konservativ-revolutionären Denkweise deutlich zum Ausdruck bringen, gleichzeitig würde er aber die konservativ-revolutionäre Ideologie unnötigerweise von den anderen Europakonzepten der Weimarer Zeit trennen. Dadurch wäre die Kontinuitätslinie im Europadenken des 19. und 20. Jahrhunderts künstlich unterbrochen. Um dies zu vermeiden und um zu betonen, dass die konservativ-revolutionäre Europaidee ihre Wurzeln in der deutschen Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts hatte, sollte man den Europagedanken der Konservativen Revolution weiterhin als eine Idee der Europavereinigung bezeichnen. Die Teilung in Ost und West und die daraus entstandene Ostideologie führten dazu, dass Russland eine widerspruchsvolle Rolle im konservativ-revolutionären Europadenken spielte. Trotz des ausgeprägten Antibolschewismus wünschten sich viele Autoren Russland als einen Verbündeten Deutschlands im Kampf gegen den Westen. Diese Inkonsistenz in den Positionen galt jedoch nicht für alle Denker. Sie führte dazu, dass das Sowjetrussland zum Stein des Anstoßes im konservativ-revolutionären Denken wurde: Während einige (z. B. Niekisch und Moeller van den Bruck) die Zukunft Deutschlands in der Zusammenarbeit mit Russland sahen, betrachteten die anderen (wie Eduard Stadtler oder Karl Christian von Loesch) das bolschewistische Russland als einen Feind, der genauso verachtenswert sei wie der Westen. Am Ende der 1920er Jahre wurde die Position der Russland-Freunde jedoch immer schwächer. Immer häufiger waren Stimmen zu hören, die die Meinung ver-

200

Schlussbetrachtung

traten, dass es für Deutschland besser sei, das bolschewistische Sowjetrussland nicht zum Partner zu haben. Bei den Legitimierungsversuchen der deutschen Herrschaft in Europa wurde großer Wert auf die historischen Wurzeln gelegt. Diese führen zum Dritten Reich, betonen die Stellung Deutschlands in der Mitte Europas und die amorphe „Mission“ des deutschen Volkes in Europa sowie die sakrale Bedeutung des Reiches. Der Gewinn von Lebensraum und der Rassegedanke spielten eine untergeordnete Rolle. Jene Autoren, die solche Argumente verwendeten – dazu gehörten nicht alle Vertreter der Konservativen Revolution – präsentierten weitaus mildere Thesen als die der Nationalsozialisten. Den Deutschen wurde trotzdem zweifellos die führende Rolle in Europa zugeschrieben. Dabei verfolgten die Europakonzepte der Konservativen Revolution einen pseudopaternalistischen Gedanken: Deutschland solle die osteuropäischen Völker beherrschen, während ihre Eigenständigkeit nicht in Zweifel gestellt werden würde. Die Frage, inwiefern diese Meinung ehrlich war oder als eine heuchlerische Aussage wahrgenommen werden muss, die nur dazu diente, die imperialistischen Bestrebungen zu legitimieren, kann man nicht eindeutig beantworten. Die Grenze zwischen den paternalistischen und imperialistisch-rassistischen Konzepten war auf jeden Fall durchlässig genug, so dass im Volksbewusstsein der Nationalsozialisten schnell eine entsprechende Brücke gebildet werden könnte. Die schwierigste Frage bleibt die nach der staatlichen, sozialen und wirtschaftlichen Struktur des jeweils gewünschten europäischen Reiches. Ein Problem stellt nicht nur die Tatsache dar, dass die konservativen Revolutionäre keinen genauen Plan hatten, sondern auch ihre ungewöhnliche Verwendung von Begriffen, die ihnen für die Beschreibungen von staatlichen oder wirtschaftlichen Strukturen dienten. Die konservativ-revolutionären Abweichungen von den gängigen Definitionen von Sozialismus und Konservatismus machen die Einschätzung ihrer Theorien noch komplizierter. Man kann trotzdem behaupten, dass sich die konservativen Revolutionäre in gewisser Weise dem Sozialismus oder Konservatismus zugehörig fühlten. Sie teilten nur nicht unsere heutige Meinung von der Bedeutung dieser Begriffe. Um eine umsichtige Analyse der entsprechenden Schriften zu ermöglichen, muss diese Tatsache beachtet werden. Die Ablehnung der Idee der Völkergleichheit und chauvinistisches Machtstaatsdenken zeugen davon, dass die Konservative Revolution klare Züge des völkischen Nationalismus hatte. Zusammen mit dem aggressiven Antimodernismus und Bekenntnis zum politischen Irrationalismus machte es die Europaidee sehr anfällig für die Radikalisierung durch den Nationalsozialismus. In Bezug auf ihre Europavorstellungen können innerhalb der Konservativen Revolution verschiedene Gruppen identifiziert werden. Abhängig von ihren Herrschaftsansprüchen und Legitimationsansätzen können die in den Blick genommenen Theoretiker in zwei Gruppen geteilt werden: Es gab Autoren mit „radikaleren“ Positionen, die gleichzeitig einen utopischen Charakter hatten, und eine „liberalere“

Schlussbetrachtung

201

Gruppe, die pragmatischer argumentierte und Europa in den Mittelpunkt ihrer Pläne stellte. Obwohl man bei den „liberalen“, europainteressierten konservativen Revolutionären die gleichen Grundideen und Wurzeln wie bei ihren Vorfahren feststellen kann, ist es schwierig, nicht zu bemerken, dass sie deutlich weniger radikal waren und somit einen „pragmatischen“ Flügel des konservativ-revolutionären Lagers bildeten. Gerade sie waren es aber, die dann versuchten, sich dem Nationalsozialismus anzupassen bzw. ihm zu nützen, um ihre Ideen durchzusetzen – allerdings erfolglos. Die Konservative Revolution war eine Bewegung, die an ihre Zeitepoche gebunden war. Die Weimarer Republik stellte eine passende Grundlage für ihre Existenz dar. Es wäre jedoch zu optimistisch zu behaupten, dass ihre Ideen nach dem Zweiten Weltkrieg vergessen wurden. Die Diskussionen über die Zukunft Europas und Deutschlands Rolle darin werden immer häufiger geführt. Die Neuen Rechten, die als Nachfolger der Konservativen Revolution bezeichnet werden,999 berufen sich oft auf ihre Vorgänger. Auch gewisse Komponenten der Europaidee der Konservativen Revolution werden vereinnahmt und weiterentwickelt. Als Beispiel dafür dient die Diskussion um die Verwendung des Mitteleuropabegriffs durch die Autoren der Zeitschrift des rechten Spektrums „Criticon“, die Anfang der 1990er Jahre stattfand. Mit dem Versuch, die Mitteleuropakonzeption wiederzubeleben, haben sich die „Criticon“-Autoren für die Hegemonialstellung Deutschlands in Osteuropa ausgesprochen.1000 Die Europavorstellungen der Konservativen Revolution ließen durch ihre Schwammigkeit sehr viele Interpretationsräume, die immer noch missbraucht werde können. Deswegen gilt genauso wie vor hundert Jahren: Man soll die Macht der Ideen nicht unterschätzen.

999

Vgl. Pfahl-Traughber: Konservative Revolution und Neue Rechte (wie Anm. 995). Vgl. Schmidt, Friedemann: Die Neue Rechte und die Berliner Republik. Wiesbaden 2001, S. 96 ff. 1000

Quellen- und Literaturverzeichnis Primäre Texte Aubin, Gustav: Der deutsche Wirtschaftsraum im Osten vor 1918 und seine Zerstörung. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1931), Jg. 7, Heft 7/8, S. 410 – 423. Bäcker, Hans: Abendland und Deutschland. In: Widerstand (1933), Jg. 8, Heft 5, S. 136 – 144. Batocki-Bledau, V.: Ostpreußens bevölkerungspolitische Not. In: Volk und Reich (1930), Jg. 6, Heft 10/11, S. 657 – 661. Bergstraesser, Arnold: Macht und Idee in Genf. In: Europäische Revue, Jg. 3, Heft 7, Okt. 1927, S. 523 – 526. Boehm, Max Hildebert: Individualismus, Sozialismus und Ostfragen. In: Die Glocke, Jg. 4, Bd. 1, Nr. 23, 7. 9. 1918, S. 714 – 720. – Kleines politisches Wörterbuch. Leipzig 1919. – Was uns Not tut: Sondernummer für die heimkehrenden Kriegsgefangenen; Aug. 1919. Berlin 1919. – Europa Irredenta. Berlin 1923. – Mitteleuropa, das Westlertum und die Minderheitenfrage. In: Der Grenzkampf – Mitteilungen der „Arbeitsstelle für Nationalitätenprobleme“. Beilage zu Gewissen, Jg. 5, Nr. 33, 20. 08. 1923. – Wir und der Völkerbund. In: Gewissen, Jg. 5, Nr. 36, 10. 09. 1923. – Euramerika. In: Gewissen. Jg. 6, Nr. 37, 15. 9. 1924. – Grenzdeutsch-Großdeutsch. Vortr., anläßl. d. Hauptausschußtagung d. V. D. A. im Nov. 1924. Dresden 1925. – Mitteleuropa und der Osten. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland, Jg. 1, Juni 1925, S. 65 – 72. – Der Aufmarsch der Paneuropäer. In: Gewissen, Jg.7, Nr. 28, 13. 7. 1925. – Reich, Minderheiten und Völkerbund. In: Gewissen, Jg. 8, Nr. 1, 4. 1. 1926. – Das mitteleuropäische Nationalitätenproblem und die europäische Einheitsbewegung. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland, Jg. 2, Sep. 1926, S. 364 – 368. – Der Drang nach dem Osten. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1930), Jg. 6, Heft 1/2, S. 42 – 49. – Das eigenständige Volk. Göttingen 1932.

Primäre Texte

203

– Der deutsche Osten und das Reich. In: Thalheim, Karl C. / Ziegfeld, Arnold Hillen (Hrsg.): Der deutsche Osten. Seine Geschichte, sein Wesen und seine Aufgabe. Berlin 1936, S. 1 – 18. – Die Lage des deutschen Volkes in Mitteleuropa. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1931), Jg. 7, Heft 2/3, S. 105 – 114. Brock, Erich: Soziologie des kulturellen Grenzkampfes im Rheingebiet. In: Volk und Reich, Jg. 3, Juli–August 1927, S. 312 – 317. v. Bülow, Friedrich: Die Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen. In: Volk und Reich (1931), Jg. 7, Heft 7/8. S. 464 – 470. Clauß, Max: Deutsche politische Welt. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 3, 1. 6. 1926, S. 315 – 316. – Deutschland und Frankreich. In: Europäische Revue. Jg. 4, Heft 2, Mai 1928, S. 156 – 159. – Erziehung der Nation zum Reich. In: Europäische Revue, Jg.4, Heft 10, Jan. 1928, S. 530 – 536. Coudenhove-Kalegri, Richard Nicolaus v.: Paneuropa. Wien 1923. Dankworth, Herbert: Zwei europäische Strömungen. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 3, 1. 6. 1926, S. 179 – 183. De Vries, Axel: Die baltischen Staaten. In: Volk und Reich, Jg. 1., Juni 1925, S. 72 – 83. Eckardt, Hans v.: Deutschland und der Osten. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 3, 1. 6. 1926, S. 174 – 179. Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Paderborn 2011. Goebbels, Joseph / Heiber, Helmut (Hrsg.): Goebbels Reden. 1932 – 1945. Bindlach 1991. Göhre, Paul: Deutschlands weltpolitische Zukunft. Berlin 1925. Gürge, Wilhelm: Paneuropa oder Mitteleuropa? In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1930), Jg. 6, Heft 6/7, S. 489 – 493. – Die Literatur des europäischen Zusammenschlusses. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1930), Jg. 6, Heft 10/11, S. 679 – 688. Hahn, M.: Mitteleuropa als Ziel deutscher Politik. Vortrag, gehalten im Präsidium des Mitteleuropäischen Wirtschaftstages. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1931), Jg. 7, Heft 10/11, S. 563 – 572. Harmsen, Hans: Bevölkerungsprobleme Danzigs. In: Volk und Reich (1930), Jg. 6, Heft 3, S. 195 – 201. Hauser, Henri: Was ist Europa? In: Europäische Revue, Jg. 1, Heft 7, 1. 10. 1925, S. 3 – 10. Haushofer, Albrecht: Europäischer Zusammenschluss? In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland, Jg. 2, Sep. 1926, S. 356 – 364. – Asien westlich des Urals. In: Volk und Reich, Jg. 6, Heft 10/11, 1930, S. 760. Haushofer, Karl: Zur Geopolitik der Donau. In: Volk und Reich, Jg. 1, Sept.-Okt. 1925, S. 161 – 173. – Rheinische Geopolitik. In: Volk und Reich, Jg. 3, Nov. 1927, S. 477 – 492. – Zur Geopolitik der Pfalz. In: Volk und Reich (1928), Jg. 4, Heft 6, S. 270 – 277.

204

Quellen- und Literaturverzeichnis

Hielscher, Friedrich: Das Reich. Leipzig 1931. Hitler, Adolf: Reden, Schriften, Anordnungen. München 1996 – 2003. Hitler, Adolf / Weinberg, Gerhard L. (Hrsg.): Hitlers zweites Buch. Stuttgart 1961. Hoffmann, Karl: Mitteleuropa in der Weltpolitik und in den Welträumen. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland, Jg. 1, April-Mai 1925, S. 38 – 47. Hofmannsthal, Hugo v.: Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation. München 1927. Hofmannsthal, Hugo v. / Pannwitz, Rudolf / Schuster, Gerhard: Briefwechsel 1907 – 1926. Frankfurt am Main 1994. Jesser, Franz: Herrschaft der Minderwertigen. Berlin 1927. – Die deutsche Kultur und ihre europäische Sendung. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1928), Jg. 4. Heft 2/3, S. 92 – 100. – Die föderalistische Staatsidee und ihre außenpolitische Bedeutung. In: Süddeutsche Monatshefte, Jg. 25, Heft 4, Jan. 1928, S. 259 – 262. – Reichsreform. In: Die Deutsche Rundschau, Jg. 55, Nr. 217, Nov. 1928, S. 101 – 111. – Deutsch und europäisch. In: Der Türmer, Jg. 32, Heft 8, Mai 1930, S. 97 – 102. – Die deutsche Staatskrise als Ausdruck der abendländischen Kulturkrise. In: Haushofer, Karl / Trampler, Kurt: (Hrsg.): Deutschlands Weg an der Zeitenwende. München 1931, S. 109 – 124. – Revolutionäre Außenpolitik. In: Die Deutsche Rundschau, Jg. 59, Nr. 230, Feb. 1933, S. 86 – 92. – Deutschland ohne Europa. In: Deutsche Rundschau, Jg. 60, Nr. 61, Feb. 1934, S. 73 – 78. Jung, Edgar Julius / Weigt, Detlef: Sinndeutung der deutschen Revolution und andere Schriften. Leipzig 2007. Kaibitsch, A. Maier: Die Gefahrenlage in Kärnten. In: Volk und Reich, Nov. 1926, S. 458 – 459. Keyer, Erich: Danzigs deutsche Stellung an der Ostsee. In: Volk und Reich (1930), Jg. 6, Heft 3, S. 130 – 139. König, Friedrich: Großdeutsch-Kleindeutsch / Volksdeutsch-Reichsdeutsch. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland, Jg. 1, Nov. 1925, S. 210 – 239. Krüger, Peter: Hitlers Europapolitik. In: Benz, Wolfgang u. a. (Hrsg.): Der Nationalsozialismus. Studien zu Ideologie und Herrschaft. Frankfurt am Main 1993, S. 104 – 132. Lehmann, Emil: Die Sudetendeutschen. In: Volk und Reich, Jg. 2, März 1926, S. 130 – 138. Lindeiner-Wildau, H. E. v.: Deutschland in Mitteleuropa. In: Europäische Revue, Jg. 4, Heft 9, Dez. 1928, S. 656 – 663. Loesch, Karl Christian v.: Der großdeutsche Gedanke und die „Vereinigten Staaten von Europa“. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland, Jg. 2, Jan. 1926, S. 9 – 36. – Schlesiens Lage und ihre Gefahren. In: Volk und Reich, Jg. 2, April–Mai 1926, S. 166 – 167. – Das Schicksal Polnisch-Schlesiens seit der Abtrennung. In: Volk und Reich, Jg. 2, April-Mai 1926, S. 209 – 210.

Primäre Texte

205

– Paneuropa – Völker und Staaten. In: Loesch, Karl Christian v. / Ziegfeld, Arnold Hillen (Hrsg.): Staat und Volkstum: für den Deutschen Schutzbund. Berlin 1926, S. 7 – 51. – Europäische Erkenntnis und Neuordnung. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1928), Jg. 4, Heft 2/3, S. 118 – 131. – Ziele und Wege deutscher Volkstumspolitik. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1928), Jg. 4, Heft 9/10, S. 560 – 566. – Ziele und Wege deutscher Volkstumspolitik. In: Volk und Reich (1928), Jg. 4, Heft 9/10, S. 565. – Der friedlose Osten. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1930), Jg. 6, Heft 1/2, S. 12 – 42. – Die paneuropäischen Bewegungen. In: Haushofer, Karl / Trampler, Kurt (Hrsg.): Deutschlands Weg an der Zeitenwende. München 1931, S. 199 – 208. – Wie die Ostgebiete des Reiches verlorengingen. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1931), Jg. 7, Heft 7/8, S. 376 – 410. Manteuffel, Georg Baron v.: Pan-Europa? In: Der Ring, Jg. 1, Heft 30, 22. 03. 1928, S. 553 – 554. Maschke, Erich: Memelland. In: Volk und Reich, Jg. 3, November 1927, S. 499 – 503. Mehrmann, Karl: Der Rhein im mitteleuropäischen Raum und in der europäischen Staatengesellschaft. In: Volk und Reich (1929), Jg. 5, Heft 11/12, S. 603 – 607. Mika, Emil: Das slawische Problem. In: Volk und Reich, Jg. 8, Heft 3, 1932, S. 140. – Der Reichsgedanke als historische Wirklichkeit. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1932), Jg. 8, Heft 10, S. 680 – 688. Moeller van den Bruck, Arthur: Die Voraussetzungen Dostojewskis. Zur Einführung in die Ausgabe. In: F.M. Dostojewski: Rodin Raskolnikoff (Schuld und Sühne): Sämtliche Werke. Bd.1. München 1908. – Das Ende der Irredenta. In: Gewissen, Jg. 1, Nr. 9, 10. 06. 1919. – Das Recht der jungen Völker. München 1919. – Zur Einführung. Bemerkungen über sibirische Möglichkeiten. In: Dostoevskij, Fëdor Michajlovicˇ : Aus dem Totenhause: Sämtliche Werke. Bd. 18. 3. Auflage. München 1919. – Das Bevölkerungsproblem. In: Gewissen, Jg. 2, Nr. 40, 13. 10. 1920. – Der Untergang des Abendlandes. Für und wider Spengler. In: Deutsche Rundschau, Jg. 46, Heft 10, Juli 1920, S. 41 – 70. – Die außenpolitischen Folgen. In: Gewissen, Jg. 2, Nr. 13, 7. 4. 1920. – Die Friedenspalme. In: Gewissen, Jg. 2, Nr. 50, 22. 12. 1920. – Genf. In: Gewissen, Jg. 2, Nr. 46, 24. 11. 1920. – Sozialistische Außenpolitik. In: Gewissen, Jg. 2, Nr. 6, 11. 02. 1920. – Stellung zu England. In: Gewissen, Jg. 2, Nr. 17, 5. 5. 1920. – Stellung zu Frankreich. In: Gewissen, Jg. 2, Nr. 15, 21. 4. 1920.

206

Quellen- und Literaturverzeichnis

– Stellung zu Amerika. In: Gewissen, Jg. 3, Nr. 17, 25. 4. 1921. – Das tausendjährige Reich. In: Gewissen, Jg. 3, Nr. 1, 5. 1. 1921. – Die deutsch-russische Seite der Welt. In: Gewissen, Jg. 4, Nr. 20, 15. 5. 1922. – Das Dritte Reich. Berlin 1923. – Frankophil. In: Gewissen, Jg. 5, Nr. 42, 22. 10. 1923. – Die versäumte Kriegsschuldenfrage. In: Gewissen, Jg. 6, Nr. 32, 11. 08. 1924. – Europäisch. In: Gewissen, Jg. 6, Nr. 9, 3. 3. 1924. – Sozialismus und Außenpolitik. Hrsg. von Hans Schwarz. Breslau 1933. – Das ewige Reich. Bd.1. Hrsg. von Hans Schwarz. Die politischen Kräfte. Breslau 1933. – Der politische Mensch. Hrsg. von Hans Schwarz. Breslau 1933. – Die Rechenschaft über Russland. Hrsg. von Hans Schwarz. Berlin 1933. – Das ewige Reich. Bd. 2. Die geistigen Kräfte. Breslau 1934. – Der preußische Stil. München 1953 (1916). Naumann, Friedrich: Mitteleuropa. Berlin 1915. Niekisch, Ernst: Der Weg der deutschen Arbeiterschaft zum Staat. Berlin 1925. – Grundlagen deutscher Außenpolitik. Berlin 1925. – Stresemanns Völkerbundspolitik. In: Widerstand (1926), Jg. 1, Nr. 3/4, S. 21 – 28. – Russland-Italien-Deutschland. In: Widerstand (1926), Jg. 1, Nr. 6, S. 53 – 58. – Widerstand. In: Widerstand (1927), Jg. 2, Nr. 1, S. 1 – 4. – Volk ohne Raum. In: Widerstand (1927), Jg. 2. Nr. 4, S. 41 – 43. – Rings um Genf. In: Widerstand (1928), Jg. 3, Heft 10, S. 223 – 233. – Gedanken über deutsche Politik. Dresden 1929. – Deutsche Außenpolitik. In: Widerstand (1929), Jg. 4, Heft 2, S. 33 – 36. – Entpreußung. In: Widerstand (1929), Jg. 4, Heft 4, S. 104 – 108. – Der sterbende Osten. Das Gift der Zivilisation (1929), Jg. 4, Heft 9, S. 275 – 279. – Das Dritte Reich. In: Widerstand (1930), Jg. 5, Heft 5, S. 134 – 139. – Frankreich oder Italien – oder …? In: Widerstand (1930), Jg. 5, Heft 6, S. 166 – 172. – Entscheidung. Berlin 1930. – Die dritte imperiale Figur. Berlin 1935. – Deutsche Daseinsverfehlung. Aufl. 1. Berlin 1946. – Europäische Bilanz. Potsdam 1951. – Politische Schriften. Köln / Berlin 1965. – Widerstand: ausgewählte Aufsätze aus seinen „Blättern für sozialistische und nationalrevolutionäre Politik“. Krefeld 1982. – Hitler – ein deutsches Verhängnis. 3. Auflage. Berlin 1985 (1932).

Primäre Texte

207

Nitti, Francesco: Die Vereinigten Staaten von Europa. In: Europäische Revue, Jg. 1. April 1925, S. 24 – 30. O.A.: Reichserneuerung. In: Der Ring, Jg. 1, Heft 2, 15. 01. 1928, S. 41 – 42. O.A.: Deutschland und Polen. In: Der Ring, Jg. 1, Heft 7, 12. 02. 1928, S. 123 – 125. O.A.: Deutschland, England und der Osten. In: Der Ring, Jg. 1, Heft 12, 18. 03. 1928, S. 225. O.A.: Russland und wir. In: Der Ring, Jg. 1, Heft 12, 18. 03. 1928, S. 223 – 225. O.A.: Briands Paneuropa-Union. In: Der Ring, Jg. 3, Heft 21, 25. 05. 1930, S. 387. O.A.: Deutschlands neue Einkreisung. In: Die Tat, Bd. 22, Teil 2, Heft 12, März 1931, S. 753 – 766. O.A.: Deutschlands Weg aus der Einkreisung. In: Die Tat, Bd. 22, Teil 2, Heft 12, März 1931, S. 929 – 956. O.A.: Zollbündnis mit Österreich und große Politik. In: Der Ring, Jg. 4, Heft 13, 28. 03. 1931, S. 227. O.A.: Für das Reich. In: Der Ring, Jg. 4, Heft 17, 25. 04. 1931, S. 295. O.A.: Paneuropa-ABC. In: Der Ring, Jg. 4, Heft 21, 23. 05. 1931, S. 376 – 377. O.A.: Geschichte und Deutung Europas. In: Die Tat, Bd. 23, Teil 2, Heft 9, Dez. 1931, S. 774 – 776. Obermayr, Benedikt: Paneuropa. In: Widerstand (1927), Jg. 2, Nr. 2/3, S. 25 – 29. Pannwitz, Rudolf: Die deutsche Idee Europa. München 1931. – Die Krisis der europäischen Kultur. Nürnberg 1947. Pleyer, Kleo: Burgenland und das Reich. In: Volk und Reich (1929), Jg. 5, Heft 1, S. 11 – 19. Praesent, Hans: Die im Deutschen Schutzbund zusammengeschlossenen Verbände und ihre Veröffentlichungen: Eine Übersicht. Berlin 1928. Röchling, Hermann: West und Ost – Gedanken zur europäischen Politik und Wirtschaft. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1928), Jg. 4, Heft 2/3, S. 100 – 105. Rohan, Karl Anton: Europa. Streiflichter. Leipzig 1924. – Zukunftsfragen deutscher Außenpolitik. In: Europäische Revue, Jg. 5, Heft 6, Sept. 1925, S. 366 – 379. – Abendland. In: Europäische Revue, Jg.1, Heft 8, 01. 11. 1925, S. 140 – 141. – Vorwort zum zweiten Jahrgang. In: Europäische Revue (1926), Jg. 2, Heft 1, S. 4. – Genf. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 2, 1. 5. 1926, S. 115 – 117. – Faschismus und Europa. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 2, 1. 5. 1926, S. 121 – 124. – Konservatismus/Demokratie/Revolution. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 3, 1. 6. 1926, S. 172 – 174. – Genf 1927. In: Europäische Revue, Jg. 3, Heft 7, Okt. 1927, S. 521 – 523. – Abrüstung – Friede – Europa. In: Europäische Revue, Jg. 4, Heft 2, Mai 1928, S. 150 – 152.

208

Quellen- und Literaturverzeichnis

– Westeuropa. In: Europäische Revue, Jg. 4, Heft 5, Aug. 1929, S. 298 – 317. – Die Idee des Hoheitsstaates. In: Der Ring, Jg. 4, Heft 38, 19. 09. 1931, S. 704 – 705. – Europäische Vertrauenskrise. In: Europäische Revue, Jg. 7, Heft 7, Juli 1931, S. 481 – 488. – Österreichs mitteleuropäische Aufgabe. In: Kölnische Volkszeitung, Nr. 112, 24. 4. 1937. Rosenberg, Alfred: Krisis und Neubau Europas. Berlin 1934. – Der Mythos des 20. Jahrhunderts. München 1942. – Der Weltkampf und die Weltrevolution unserer Zeit. In: Europäisches Bekenntnis. Parolen und Gedanken über den Schicksalskampf des Kontinents. Prag 1944. Schierenberg, Rolf: Das Memelland. In: Volk und Reich, Jg. 1, Juli 1925, S. 105 – 109. Schlenker, Max: Die europäische Orientierung der reichsdeutschen Politik. In: Der Ring, Jg. 1, 20. Mai 1928, Heft 21, S. 391 – 392. Schmitt, Carl: Die Kernfrage des Völkerbundes. Berlin 1926. – Der Begriff des Politischen. Berlin 1963 (1932). Schmitz, Oscar A. H.: Der Europäer deutscher Nation. In: Europäische Revue, Jg. 8, Heft 10, Okt. 1932, S. 601 – 617. Schotte, Walter: Der preußische Osten, Polen und der Bolschewismus. In: Der Ring, Jg. 4, Heft 17, 25. 04. 1931, S. 309 – 315. Schottlaender, Felix: Eine europäische Frage. In: Europäische Revue, Jg. 3, Heft 3, Juni 1927, S. 237 – 239. Schr., G.: Mitteleuropäische Zollunion. In: Der Ring, Jg. 4, Heft 6, 8. 2. 1931, S. 104 – 105. Schreyvogl, Friedrich: Gegenbolschewismus. In: Europäische Revue, Jg. 2, Heft 5/6, 1. 7. 1926, S. 316 – 319. Schulte, Heinz Dietrich: Deutschsüdtirol als politisches Problem. In: Volk und Reich, Jg. 2, Juni 1926, S. 228 – 236. Spahn, Martin: Die Großmächte. Berlin 1918. – Mitteleuropa. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland, Jg. 1, April–Mai 1925, S. 2 – 38. – Deutscher Zollverein und deutsch-österreichische Wirtschaftsverständigung. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland, Jg. 2, Juli–August 1926, S. 294 – 302. – Der Rhein, das Reich und Preußen. In: Volk und Reich, Jg. 3, Januar-Februar 1927, S. 1 – 22. – Für den Reichsgedanken. Berlin 1934. Spann, Othmar: Der wahre Staat. 5. Aufl. Graz 1972 (1922). Spektator: Der mitteleuropäische Traum. In: Widerstand (1932), Jg. 7, Heft 1932, S. 211 – 215. Spengler, Oswald: Untergang des Abendlandes. Bd. 1. München 1963 (1918). – Untergang des Abendlandes. Bd. 2. München 1963 (1918). – Preußentum und Sozialismus. München 1920.

Primäre Texte

209

– Neubau des Deutschen Reiches. München 1924. – Jahre der Entscheidung. München 1933. – Politische Schriften. München 1933. – Reden und Aufsätze. München 1937. Spengler, Oswald / Groeger, Wolfgang / Werner, Xenia (Hrsg.): Der Briefwechsel zwischen Oswald Spengler und Wolfgang E. Groeger über russische Literatur, Zeitgeschichte und soziale Fragen. Hamburg 1987. Srbik, Heinrich Ritter v.: Metternichs mitteleuropäische Idee. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland, Jg. 2, Sep. 1926, S. 341 – 355. Stapel, Wilhelm: Auswärtige Politik. In: Deutsches Volkstum (1919), Jg. 21, Heft 5, S. 149 – 150. – Der politische Schwindel. In: Deutsches Volkstum (1919), Jg. 21, Heft 9, S. 261 – 266. – Friedrich Naumann tot. In: Deutsches Volkstum (1919), Jg. 21, Heft ?, S. 281 – 282. – Von der Gerechtigkeit im Völkerbund. In: Deutsches Volkstum (1919), Jg. 21, Heft 2, S. 56 – 57. – Französisch oder Spanisch. In: Deutsches Volkstum (1922), Jg. 24, S. 59 – 60. – Landnahme. In: Deutsches Volkstum (1923), Jg. 25, S. 169 – 175. – Die politische Dummheit Europas. In: Deutsches Volkstum (1924), Jg. 26, S. 169 – 171. – Sollen wir zulassen, dass Mitteleuropa entdeutscht wird? In: Deutsches Volkstum (1925), Jg. 27, S. 236. – Der Kampf um die Vorherrschaft auf dem europäischen Festland. In: Deutsches Volkstum (1925), Jg. 27, S. 409 – 412. – Zwiesprache. In: Deutsches Volkstum (1926), Jg. 28, S. 85. – Vergenft. In: Deutsches Volkstum (1926), Jg. 28, S. 781 – 783. – Rasse. In: Deutsches Volkstum (1926), Jg. 28, S. 793 – 798. – Noch immer Ablehnung der Außenpolitik Stresemanns? In. Deutsches Volkstum (1927), Jg. 29, S. 243 – 244. – Die wahre Natur des Staates. In: Deutsches Volkstum (1927), Jg. 29, S. 502 – 510. – Zwiesprache. In: Deutsches Volkstum (1928), Jg. 30, S. 72. – Warnendes Amerika. In: Deutsches Volkstum (1928), Jg. 30, S. 569 – 571. – Um die künftige Gestaltung Europas. In: Deutsches Volkstum (1929), Jg. 31, S. 169 – 178. – Haben wir etwas gegen Amerika? In: Deutsches Volkstum (1929), Jg. 31, S. 301 – 304. – Paneuropa. In: Deutsches Volkstum (1930), Jg. 32, S. 481 – 482. – Der christliche Staatsmann. Hamburg 1932. – Der Reichsgedanke zwischen den Konfessionen. In: Deutsches Volkstum (1932), Jg. 34, S. 909 – 916. – Das Reich. Ein Schlusswort. In: Deutsches Volkstum (1933), Jg. 35, S. 181 – 188.

210

Quellen- und Literaturverzeichnis

– Eine Geschichte des Reichsgedankens. Deutsches Volkstum (1933), Jg. 35, S. 213 – 214. Stolz, Otto: Tirols Geschichte als deutsches Grenzland. In: Volk und Reich, Jg. 2, Juni 1926, S. 220 – 228. Thierbach, Hans: Deutsche Kulturpolitik in Mitteleuropa. In: Die Tat, Bd. 22, 1930/31, Teil 2, Heft 7, Okt. 1930, S. 562 – 567. Vogel, Walter: Das neue Europa und seine historisch-geographischen Grundlagen. Bonn 1923. Wagner, Hans Otto: Deutsches Mitteleuropa oder Slawische Wirtschafts-Entente. In: Volk und Reich. Politische Monatshefte für das junge Deutschland (1929), Jg. 5, Heft 8, S. 414 – 428. Wagner, Major: Im Machtraum des Danzig-Polnischen Korridors. In: Volk und Reich, Jg. 1., August 1925, S. 134 – 140. Wagner, Richard: Danzig und die Ostsee. In: Volk und Reich, Jg. 1, August 1925, S. 129 – 134. Weber, Alfred: Paneuropa. In: Europäische Revue, Jg. 1, Heft 9, 01. 12. 1925, S. 149 – 153. Wiesner, Friedrich v.: Mitteleuropäische Politik. In: Europäische Revue, Jg. 4, Heft 8, Nov. 1928, S. 569 – 580. Wirsing, Giselher: Richtung Ost-Südost! In: Die Tat, Bd. 22, 1930/31, Teil 2, Heft 8, Nov. 1930, S. 628 – 645. – Les deux Europes. In: Die Tat, Bd. 22, 1930/31, Teil 2, Heft 9, Dez.1930, S. 721 – 725. – Vorstoß Zollunion. In: Die Tat, Bd. 23, 1931/32, Teil 1, Heft 3, Juni 1931, S. 212 – 231. – Zwischeneuropa und die deutsche Zukunft. Jena 1932. – Die Großmächte und Deutschland. In: Die Tat, Bd. 24, 1932/33, Teil 2, Heft 10, Jan. 1933, S. 841 – 851. Woytinsky, Vladimir: Die Vereinigten Staaten von Europa. Berlin 1926. Zehrer, Hans: Die Ideen der Außenpolitik. In: Die Tat, Jg. 21, Heft 2, Mai 1929, S. 102 – 110. Ziegler, Leopold: Das heilige Reich der Deutschen. Darmstadt 1925. – Neues Mittelalter? In: Europäische Revue, Jg. 4, Heft 10, Jan. 1928, S. 530 – 563. – Der europäische Geist. Zug/Schweiz 1995 (1929).

Darstellungen Achermann, Josef: Heinrich Himmler als Ideologe. Göttingen / Zürich / Frankfurt 1970. Beilner, Helmut: Reichsidee, ständische Erneuerung und Führertum als Elemente des Geschichtsbildes der Weimarer Zeit. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 28 (1977), S. 1 – 16. Blindow, Felix: Carl Schmitts Reichsordnung: Strategie für einen europäischen Großraum. Berlin 1999. Boemeke, Manfred / Feldman, Gerald / Glaser, Elisabeth (Hrsg.): The Treaty of Versailles. A Reassessment after 75 Years. Cambridge 1998.

Darstellungen

211

Borodziej, Włodzimierz (Hrsg.): Option Europa. Bd. 1. Essays. Göttingen 2005. Bracher, Karl Dietrich (Hrsg.): Deutscher Sonderweg – Mythos oder Realität? Kolloquien des Instituts für Zeitgeschichte. München 1982. Brechtefeld, Jörg: Mitteleuropa and German Politics. 1848 to the present. Houndmills / Basingstoke / Hampshire / New York 1996. Brentjes, Burchard: Der Mythos vom Dritten Reich. Drei Jahrtausende Sehnsucht nach Erlösung. Hannover 1997. Breuer, Stefan: Anatomie der Konservativen Revolution. 2.Aufl. Darmstadt 1995. – Das Dritte Reich. In: Brandt, Reinhard / Schmidt, Steffen (Hrsg.): Mythos und Mythologie. Berlin 2004, S. 203 – 219. Breuning, Klaus: Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur (1929 – 1934). München 1969. Buchheim, Hans: Niekischs Ideologie des Widerstands. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 5 (1957), S. 334 – 361. Chiantera-Stutte, Patricia: Die neue Raumordnung: Krise und Auflösung des Nationalstaates im Austausch zwischen Geopolitik und Konservativer Revolution. In: Historische Mitteilungen 21 (2008), S. 192 – 220. Clemens, Gabriele: Martin Spahn und der Rechtskatholizismus in der Weimarer Republik. Mainz 1983. Conze, Vanessa: Richard Coudenhove-Kalergi: umstrittener Visionär Europas. Gleichen / Zürich 2004. – Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920 – 1970). München 2005. Demandt, Adam / Stolz, Rolf / Hammermeister, Kai / Blankertz, Stefan / Neuhaus, Patrick [Red.] (Hrsg.): Oswald Spengler, ein konservativer Denker? Berlin 2014. Demandt, Alexander: Der Fall Spengler: eine kritische Bilanz, Köln / Weimar / Wien 1994. Demant, Ebbo: Hans Zehrer als politischer Publizist. Vom Schleicher zu Springer. Mainz 1971. Dempf, Alois: Das dritte Reich. Schicksale seiner Ideen. In: Hochland, 29. Jg., Bd. 1. Heft 1, Okt. 1931, S. 36 – 48 u. Heft 2, Nov. 1931, S. 158 – 171. Dietz, Bernhard: Gab es eine Konservative Revolution in Großbritannien? Rechtsintellektuelle am Rande der Konservativen Partei 1929 – 1933. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 54 (2006), Heft 4, S. 607 – 638. Doering-Manteuffel, Anselm: Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert. Göttingen 1999. Dralle, Lothar: Die Deutschen in Ostmittel- und Osteuropa. Darmstadt 1991. Dupeux, Louis: „Nationalbolschewismus“ in Deutschland 1919 – 1933: kommunistische Strategie und konservative Dynamik. Frankfurt am Main / Olten / Wien 1988. – Potsdam der Konservativen Revolution. In: Kroener, Bernhard R. (Hrsg.): Potsdam: Staat, Armee, Residenz in der preussisch-deutschen Militärgeschichte. Frankfurt am Main / Berlin 1993, S. 31 – 36.

212

Quellen- und Literaturverzeichnis

– Im Zeichen von Versailles. Ostideologie und Nationalbolschewismus in der Weimarer Republik. In: Koenen, Gerd / Kopelew, Lew (Hrsg.): Deutschland und die russische Revolution. München 1998, S. 191 – 218. – Die Intellektuellen der „Konservativen Revolution“ und ihr Einfluss zur Zeit der Weimarer Republik. In: Schmitz, Walter / Vollnhals, Clemens: Völkische Bewegung – Konservative Revolution – Nationalsozialismus. Aspekte einer politischen Kultur. Dresden 2005, S. 3 – 19. Ebeling, Frank: Geopolitik. Karl Haushofer und seine Raumwissenschaft 1919 – 1945. Berlin 1994. Eckert, Hans-Wilhelm: Konservative Revolution in Frankreich? Die Nonkonformisten der Jeune-Droite und des Ordre Nouveau in der Krise der 30er Jahre. München 2000. Elvert, Jürgen: Mitteleuropa! Deutsche Pläne zur europäischen Neuordnung (1918 – 1945). Stuttgart 1999. – Mitteleuropa im Urteil der nationalkonservativen Publizistik der Weimarer Republik. In: Durchhardt, Heinz und Nemeth, Istvan (Hrsg.): Der Europa-Gedanke in Ungarn und Deutschland in der Zwischenkriegszeit. Mainz 2005, S. 127 – 142. – Konservative Revolution-Nationalsozialismus-Widerstand. Preußenbilder in dreifach gebrochener Perspektive. In: Corni, Gustavo / Kroll, Frank-Lothar / Liermann, Christiane (Hrsg.): Italien und Preußen. Dialog der Historiographien. Tübingen 2005, S. 281 – 302. – Constantin Frantz (1817 – 1891). In: Duchhardt, Heinz (Hrsg.): Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch. Bd. 1. Göttingen 2006, S. 153 – 178. Felken, Detlef: Oswald Spengler. Konservativer Denker zwischen Kaiserreich und Diktatur, München 1988. Fenske, Hans: Das „Dritte Reich“. Die Perversion der Reichsidee. In: Martin, Bernd: Deutschland und Europa. Ein historischer Rückblick. München 1992. Foerster, Rolf H.: Europa. Geschichte einer Idee. Mit einer Bibliographie von 182 Einigungsplänen aus den Jahren 1306 bis 1945. München 1967. Föllmer, Moritz / Graf, Rüdiger (Hrsg.): Die „Krise“ der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 2005. Frommelt, Reinhard: Paneuropa oder Mitteleuropa: Einigungsbestrebungen im Kalkül dt. Wirtschaft u. Politik 1925 – 1933. Stuttgart 1977. Gangl, Manfred (Hrsg.): Spengler – ein Denker der Zeitenwende. Frankfurt am Main 2009. Garleff, Michael (Hrsg.): Deutschbalten, Weimarer Republik und Drittes Reich. Bd. 2. Köln / Weimar / Wien 2008. Geulen, Christian: Geschichte des Rassismus. München 2007. Gollwitzer, Heinz: Europabild und Europagedanke. 2. Aufl. München 1972. Görner, Rüdiger: Einheit durch Vielfalt: Föderalismus als politische Lebensform. Opladen 1996. Gosewinkel, Dieter: Antiliberales Europa – eine andere Integrationsgeschichte. In: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 9 (2012), Heft 3. URL: http://www.zeithistorische-forschungen.de/3 – 2012/id=4496.

Darstellungen

213

Grebing, Helga: Der „deutsche Sonderweg“ in Europa 1806 – 1945. Eine Kritik. Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1986. Grunert, Robert: Der Europagedanke westeuropäischer faschistischer Bewegungen 1940 – 1945. Paderborn 2012. Grunewald, Michel: Moeller van den Bruck, Arthur: Moeller van den Brucks Geschichtsphilosophie. Bern 2001. – (Hrsg.): Le milieu intellectuel catholique en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1871 – 1963) / Das katholische Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871 – 1963). Bern / Berlin / Bruxelles / Frankfurt am Main / New York / Oxford / Wien 2006. Gugenberger, Eduard: Karl Haushofer. Der Lehrmeister für die NS-Expansion. In: ders. (Hrsg.): Boten der Apokalypse : Visionäre und Vollstrecker des Dritten Reichs. Wien 2002. Habsburg, Otto v.: Die Reichsidee. Wien 1986. Haffner, Sebastian / Bateson, Gregory / Keynes, John Maynard: Der Vertrag von Versailles. München 1978. Hall, Stuart: Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Nora Räthzel (Hrsg.): Theorien über Rassismus. Hamburg 2000. Hardtwig, Wolfgang: Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit. München 2003. Hausmann, Christopher: August Winnig und die „konservative Revolution“: ein Beitrag zur ideengeschichtlichen Debatte über die Weimarer Republik. In: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Nr. 32/1996, S. 23 – 46. Hecker, Hans: Die Tat und ihr Osteuropa-Bild. Köln 1974. Heinemann, Ulrich: Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft. Bd. 59. Göttingen 1983. Hermand, Jost: Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus. 2. Aufl. Weinheim 1995. – Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus. 2. Aufl. Weinheim 1995. – Das „Dritte Reich“ in den Schriften deutsch-völkischer Fanatiker vor 1933. In: Salewski, Michael (Hrsg.): Was Wäre Wenn. Alternativ- und Parallelgeschichte: Brücken zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Stuttgart 1999, S. 64 – 68. Hertel, Heinz: Das dritte Reich in der Geistesgeschichte. Hamburg 1934. Hess, Jürgen C.: Europagedanke und nationaler Revisionismus. Überlegungen zu ihrer Verknüpfung in der Weimarer Republik am Beispiel Wilhelm Heiles. In: Historische Zeitschrift 225 (1977), S. 572 – 622. Heuser, Marie-Luise: Antimodernismus und „negative Bevölkerungspolitik“. Der Zusammenhang von Konservativer Revolution“ und Eugenikbewegung. In: Eickhoff, Volker: Sehnsucht nach Schicksal und Tiefe : der Geist der konservativen Revolution. Wien 1997.

214

Quellen- und Literaturverzeichnis

Hiden, John: The Weimar Republic and the Problem of the Auslandsdeutsche. In: Journal of Contemporary History, Jg. 12, Nr. 2, April 1977, S. 273 – 289. Holl, Karl: Europapolitik im Vorfeld der deutschen Regierungspolitik: Zur Tätigkeit proeuropäischer Organisationen in der Weimarer Republik. In: Historische Zeitschrift 219 (1974), S. 33 – 95. Ishida, Yuji: Jungkonservative in der Weimarer Republik: der Ring-Kreis 1928 – 1933. Frankfurt am Main / Bern / New York / Paris 1988. Jacobsen, Hans-Adolf: Karl Haushofer: Leben und Werk. Boppard am Rhein 1979. – Kampf um Lebensraum: zur Rolle des Geopolitikers Karl Haushofer im Dritten Reich. In: ders.: Vom Imperativ des Friedens: Beiträge zur Politik und Kriegführung im 20. Jahrhundert. Düsseldorf 1995. Jäger, Thomas: Europas neue Ordnung. Mitteleuropa als Alternative? München 1990. Jahnke, Helmut: Edgar Julius Jung. Ein konservativer Revolutionär zwischen Tradition und Moderne. Pfaffenweiler 1998. Jenschke, Bernhard: Zur Kritik der konservativ-revolutionären Ideologie in der Weimarer Republik. München 1971. Kabermann, Friedrich: Widerstand und Entscheidung eines deutschen Revolutionärs. Koblenz 1993. Kaelble, Hartmut: Europabewusstsein, Gesellschaft und Geschichte: Forschungsstand und Forschungschancen. In: Hudemann, Rainer / Kaelble, Hartmut / Schwabe, Klaus (Hrsg.): Europa im Blick der Historiker. München 1995, S. 1 – 29. – Europäer über Europa. Die Entstehung des europäischen Selbstverständnisses im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2001. Kemper, Claudia: Das „Gewissen“ 1919 – 1925. München 2011. Kessler, Heinrich: Wilhelm Stapel als politischer Publizist. Nürnberg 1967. Kettenacker, Lothar: Der Mythos vom Reich. In: Bohrer, Karl Heinz (Hrsg.): Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion. Frankfurt am Main 1983, S. 261 – 289. Kiesel, Helmut: Aufklärung und neuer Irrationalismus in der Weimarer Republik. In: Schmidt, Jochen: Aufklärung und Gegenaufklärung in der Europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart. Darmstadt 1989. Klemperer, Klemens von / Schön, Marianne: Konservative Bewegungen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. München 1962. Kletzin, Birgit: Europa aus Rasse und Raum. Die nationalsozialistische Idee der Neuen Ordnung. Münster 2000. Kluge, Ulrich: Die Weimarer Republik. Paderborn 2006. Kluke, Paul: Nationalsozialistische Europaideologie. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 3 (1955), S. 240 – 275. Kochan, Lionel: Russland und die Weimarer Republik. Übertragen ins Deutsche von Franz Borkenau. Düsseldorf 1955.

Darstellungen

215

Koenen, Gerd: Der Russlandkomplex: Die Deutschen und der Osten, 1900 – 1945. München 2005. Koktanek, Anton Mirko: Oswald Spengler in seiner Zeit. München 1968. Kolb, Eberhard: Der Frieden von Versailles. München 2005. Koselleck, Reinhart: Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe. In: ders. (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 1. Stuttgart 1972. Kraus, Hans-Christof: Untergang des Abendlandes. Russland im Geschichtsdenken Oswald Spenglers. In: Koenen, Gerd / Kopelew, Lew (Hrsg.): Deutschland und die russische Revolution. München 1998, S. 277 – 312. – Versailles und die Folgen. Außenpolitik zwischen Revisionismus und Verständigung 1919 – 1933. Berlin-Brandenburg 2013. – Versailles und die Folgen. Außenpolitik zwischen Revisionismus und Verständigung 1919 – 1933. Bonn 2014. Kroll, Frank Lothar: Utopie als Ideologie: Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich. Paderborn / München / Wien / Zürich 1998. – Konservative Revolution und Nationalsozialismus. Aspekte und Perspektiven ihrer Erforschung. In: Kirchliche Zeitgeschichte 11 (1998), S. 339 – 354. – Die Reichsidee im Nationalsozialismus. In: Bosbach, Franz / Hiery, Hermann / Kampmann, Christoph (Hrsg.): Imperium, Empire, Reich. Ein Konzept politischer Herrschaft im deutschbritischen Vergleich. München 1999. Krüger, Peter: Europabewusstsein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Hudemann, Rainer / Kaelble, Hartmut / Schwabe, Klaus (Hrsg.): Europa im Blick der Historiker. München 1995, S. 31 – 53. – Hitlers Europapolitik. In: Der Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 1993, S. 104 – 132. Krumeich, Gerd: Vergleichende Aspekte der „Kriegsschulddebatte“ nach dem Ersten Weltkrieg. In: Michalka, Wolfgang (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse. München / Zürich 1994, S. 913 – 928. – (Hrsg.): Versailles 1919. Ziele – Wirkung – Wahrnehmung. 1. Aufl. Essen 2001. Kubon, Stefan: Die bundesdeutsche Zeitung „Junge Freiheit“ und das Erbe der „Konservativen Revolution“ der Weimarer Republik. Eine Untersuchung zur Erfassung der Kontinuität „konservativ-revolutionärer“ politischer Ideen. Würzburg 2006. Langewiesche, Dieter: Reich, Nation und Staat in der jüngeren deutschen Geschichte. In: Historische Zeitschrift, Bd. 254, Heft 2 (1992), S. 341 – 381. Le Rider, Jacques: Mitteleuropa. Auf den Spuren eines Begriffes. Ins Deutsche übersetzt von Robert Fleck. Wien 1994. Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus. Frankfurt am Main / New York 1989. Lokatis, Siegfried: „Konservativ-revolutionäre“ – Intelligenz für das „Dritte Reich“. Zum verlagspolitischen Hintergrund eines Anpassungsprozesses“. In: Schmitz, Walter / Vollnhals, Clemens: Völkische Bewegung – Konservative Revolution – Nationalsozialismus. Aspekte einer politischen Kultur. Dresden 2005, S. 229 – 234.

216

Quellen- und Literaturverzeichnis

Loth, Wilfried: Rettungsanker Europa? Deutsche Europa-Konzeptionen vom Dritten Reich bis zur Bundesrepublik. In: Volkmann, Hans-Erich (Hrsg.): Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkriegs. München 1995, S. 201 – 221. Lukacs, Georg: Die Zerstörung der Vernunft. 2. Aufl. Berlin 1955. Luks, Leonid: Eurasier und „Konservative Revolution“. Zur antiwestlichen Versuchung in Russland und in Deutschland. In: Koenen, Gerd / Kopelew, Lew (Hrsg.): Deutschland und die russische Revolution. München 1998, S. 219 – 239. Matius, Gerhard v.: Die drei Reiche. Ein Versuch philosophischer Besinnung. Berlin 1916. Meier-Stein, Hans-Georg: Die Reichsidee. 1918 – 1945. Aschau 1998. Meyer, Henry Cord: Mitteleuropa in German Thought and Action 1815 – 1945. The Hague 1955. Mohler, Armin: Die Konservative Revolution 1918 – 1932. Ein Handbuch. 6. Aufl. Graz 2005. Mommsen, Hans: Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar. München 2001. Müller, Guido: Hugo von Hofmannsthals „Traum des Reiches“ zum Europa unter nationalsozialistischer Herrschaft. Die „Europäische Revue“ 1925 – 1936/44. In: Hans-Christof Kraus (Hrsg.): Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur. Fünf Fallstudien. Berlin 2003, S. 155 – 186. – Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Das Deutsch-Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund. München 2005. Müller, Nils: Karl Anton Rohan (1898 – 1975). Europa als antimoderne Utopie der Konservativen Revolution. In: Jahrbuch für Europäische Geschichte 12 (2011), S. 179 – 203. Nasarski, Geri: Osteuropavorstellungen in der konservativ-revolutionären Publizistik. Analyse der Zeitschrift „Deutsches Volkstum“ 1917 – 1941. Frankfurt a. M. 1974. Neurohr, Jean F.: Der Mythos vom Dritten Reich. Zur Geistesgeschichte des Nationalsozialismus. Stuttgart 1957. Nolte, Ernst: Der Faschismus in seiner Epoche. 5. Aufl. München / Zürich 2000. – Die Weimarer Republik. Demokratie zwischen Lenin und Hitler. München 2006. Paetel, Karl Otto: Nationalbolschewismus und nationalrevolutionäre Bewegungen in Deutschland. Schnellbach 1999. Papcke, Sven / Weidenfeld, Werner: Traumland Mitteleuropa? Beiträge zu einer aktuellen Kontroverse. Darmstadt 1988. Paul, Ina Ulrike: Einigung für einen Kontinent von Feinden? In: Durchhardt, Heinz / Nemeth, Istvan (Hrsg): Der Europa-Gedanke in Ungarn und Deutschland in der Zwischenkriegszeit. Mainz am Rhein 2005, S. 21 – 45. Paulsen, Adam: Reconstruction or Decline? The concept of Europe and its political implications in the works of Ernst Troeltsch and Oswald Spengler. In: Bruun, Lars K. / Lammers, Karl C. / Sørensen, Gert: European Self-reflection between politics and religion: the crisis of Europe in the 20th century. Basingstoke 2013, S. 58 – 79. Peukert, Detlev: Die Weimarer Republik. Frankfurt am Main 1987.

Darstellungen

217

Pfahl-Traughber, Armin: Konservative Revolution und neue Rechte: rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat. Opladen 1998. Pieper, Helmut: Die Minderheitenfrage und das Deutsche Reich 1919 – 1933/34. Göttingen 1973. – Mitteleuropa-Konzeptionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wien 1995. Plaschka, Richard G. / Haselsteiner, Horst / Drabek, Anna M.: Mitteleuropa – Idee, Wissenschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert. Wien 1997. Pöpping, Dogmar: Abendland: christliche Akademiker und die Utopie der Antimoderne 1900 – 1945. Berlin 2001. Prehn, Ulrich: Max Hildbert Boehm. Radikales Ordnungsdenken vom Ersten Weltkrieg bis in die Bundesrepublik. Göttingen 2013. Rätsch-Langejürgen, Birgit: Das Prinzip Widerstand, Leben und Wirken von Ernst Niekisch. Bonn 1997. Richter, Reinhard: Nationales Denken im Katholizismus der Weimarer Republik, Münster 2000. Riehle, Bert: Eine neue Ordnung der Welt. Göttingen 2009. Salewski, Michael: Europa. Idee und Wirklichkeit in der nationalsozialistischen Weltanschauung und Praxis. In: Otmar Franz (Hrsg.): Europas Mitte. Göttingen 1987. – Geschichte Europas. Staaten und Nationen von der Antike bis zur Gegenwart. München 2000. Sauermann, Uwe: Ernst Niekisch. Zwischen allen Fronten. München 1980. – Die Zeitschrift „Widerstand“ und ihr Kreis. Die publizistische Entwicklung eines Organs des extremen Nationalismus und sein Wirkungsbereich in der politischen Kultur Deutschlands 1926 – 1934. Augsburg 1984. Schlaf, Johannes: Das dritte Reich. Berlin 1900. Schlüter, Andre: Moeller van den Bruck: Leben und Werk. Köln / Weimar / Wien / 2010. Schmidt, Rainer: Die Wiedergeburt der Mitte Europas. Politisches Denken jenseits von Ost und West. Berlin 2001. Schmitz, Walter / Vollnhals, Clemens: Völkische Bewegung – Konservative Revolution – Nationalsozialismus. Aspekte einer politischen Kultur. Dresden 2005. Schöberl, Verena: „Es gibt ein grosses und herrliches Land, das sich selbst nicht kennt… Es heisst Europa.“: die Diskussion um die Paneuropaidee in Deutschland, Frankreich und Großbritannien 1922 – 1933. Berlin 2008. Schröder, Peter: Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918 – 1945. Frankfurt am Main 1997. Schröter, Manfred: Der Streit um Spengler. Kritik seiner Kritiker. München 1922. Schüddekopf, Otto-Ernst: Nationalbolschewismus in Deutschland 1918 – 1933. Frankfurt a. M. / Berlin / Wien 1973.

218

Quellen- und Literaturverzeichnis

Schulze, Hagen: Europa als historische Idee. In: Steigmaier, Werner (Hrsg.): Europa-Philosophie. Berlin / New York 2000, S. 1 – 13. Schwierskott, Hans-Joachim: Arthur Moeller van den Bruck und die Anfänge des Jungkonservatismus in der Weimarer Republik: Eine Studie über Geschichte u. Ideologie d. revolutionären Nationalismus. Erlangen 1961. Sontheimer, Kurt: Der Tatkreis. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 7. Jg, Heft 3, Juli 1959, S. 229 – 260. – Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. 3. Aufl. München 1992. Steininger, Rolf: „… Der Angelegenheit ein paneuropäisches Mäntelchen umhängen…“. Das deutsch-österreichische Zollunionsprojekt von 1931. In: Gehler, Michael u. a. (Hrsg.): Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung. Historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert (Historische Mitteilungen. Beiheft 15). Stuttgart 1996, S. 441 – 480. Stern, Fritz Richard: Kulturpessimismus als politische Gefahr: eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland. Stuttgart 2005. Stirk, Peter: Mitteleuropa. History and prospects. Edinburgh 1954. Taschka, Sylvia: Das Russlandbild von Ernst Niekisch. Erlangen / Jena 1999. Ulbricht, Justus H.: Verlagsgeschichtliche Zugänge zum ideologischen Syndrom „Konservative Revolution – Völkische Bewegung – Nationalsozialismus“. In: Schmitz, Walter / Vollnhals, Clemens: Völkische Bewegung – Konservative Revolution – Nationalsozialismus. Aspekte einer politischen Kultur. Dresden 2005, S. 235 – 244. Volkmann, Hans-Erich (Hrsg.): Das Russlandbild im Dritten Reich. Köln / Weimar / Wien 1994. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen 1980 (1921). Weimer, Christian: „Mitteleuropa“. Ein komplexer und ambivalenter politischer Terminus und die kontroverse Diskussion über ihn in den achtziger und neunziger Jahren. In: v. Kick, Karl G. / Weingarz, Stephan / Bartosch, Ulrich (Hrsg.): Wandel durch Beständigkeit: Studien zur deutschen und internationalen Politik. Berlin 1998, S. 507 – 529. Weiß, Volker: Moderne Antimoderne. Arthur Moeller van den Bruck und der Wandel des Konservatismus. Paderborn / München / Wien / Zürich 2012. Weissmann, Karlheinz: Konservative Revolution. Forschungsstand und Desiderata. In: Schrenck-Notzing, Caspar v. (Hrsg.): Stand und Probleme der Erforschung des Konservatismus. Berlin 2000, S. 119 – 139. – Das „Gewissen“ und der „Ring“. In: Kraus, Hans-Christof (Hrsg.): Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur. Fünf Fallstudien. Berlin 2003. S. 116 – 154. Wendt, Bernd-Jürgen: „Sonderweg“ oder „Sonderbewusstsein“?: über eine Leitkategorie der deutschen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. In: Wendt, Bernd-Jürgen (Hrsg.): Vom schwierigen Zusammenwachsen der Deutschen. Frankfurt am Main 1992, S. 111 – 141. Winkler, Heinrich August: Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. München 1993. – Der lange Weg nach Westen. Bd. 1. Bonn 2002.

Darstellungen

219

Woods, Roger: Nation ohne Selbstbewusstsein. Von der Konservativen Revolution zur Neuen Rechten. Baden-Baden 2001. – Zwischen politischem Programm, Aktivismus und Negation: „Konservative Revolution“, Nationalsozialismus und „Neue Rechte“. In: Eickhoff, Volker: Sehnsucht nach Schicksal und Tiefe: der Geist der konservativen Revolution. Wien 1997.

Personen- und Sachwortverzeichnis Durchgehend im Text verwendete Begriffe (Europa, Mitteleuropaidee, Reichsidee u. a.) sowie Namen erscheinen hier nicht. „Abendland. Deutsche Monatshefte für europäische Kultur“ 41 f, 45 Antiliberalismus 84, 163 Aufklärung 39, 55 f, 85 Autokratismus 84 Bäcker, Hans 57 Balkan 56, 60, 66, 81, 121, 167, 173 Baltikum 117, 174 – Estland 150 f, 175 – Lettland 151 – Litauen 121, 151, 173 ff Begriffsanalyse 17 Bismarck, Otto von 71, 92 – 99 – Das Reich Bismarcks 14, 92 – 99, 189 – Kleindeutsche Lösung 97, 126 Brest-Litowsk 33 Briand, Aristide 41, 46, 48, 50 Bulgarien 81, 151 f, 173 Burgund 150 Clauss, Max 144, 147, 183 „Criticon“ 201 Danzig 122 Deutsche Mission 99 – 104, 200 Deutscher Schutzbund 60, 118 Drang nach Osten 94 Eckardt, Hans von 89 Elsass-Lothringen 117 England 36 f, 41, 46 f, 49, 51, 57 f, 60, 62, 64, 66 – 69, 82 – 86, 105, 108, 110, 126, 152 ff, 160, 167 Erster Weltkrieg 13 f, 28 ff, 36, 40, 55, 62, 80 f, 96, 105, 126, 139, 145 Europäischer Kulturbund 22, 140

Finnland 150, 152, 173 Flandern 150 Föderalismus 142 f, 154 ff, 167 Frankreich 41, 45 50, 58, 60, 64, 66 ff, 70 ff, 96, 103, 105 f, 111, 126, 131 f, 139, 141, 151 f, 160, 167, 194 Franz, Constantin 126 Friedrich der Große 94 „Gemeinsames Haus Europa“ 13 Geographische Mittellage Deutschlands 100, 102 f, 105 – 111 Geopolitik 195 f Goebbels, Josef 187 Göhre, Paul 146 Großdeutsche Lösung 129, 137 Großraum 192, 197 Heiliges Römisches Reich deutscher Nation 44, 64, 135, 139, 141 Hitler, Adolf 187 ff, 196 Hofmannstahl, Hugo von 22, 125 Imperialismus 167, 178 f, 184, 187, 200 – Imperium Germanicum 143 – Imperium Teutonicum 143, 150 – Sacrum Imperium 128, 136 – Wirtschaftsimperialismus 165 Individualismus 84, 88, 158 Inneneuropa 131 – 133, 151 Institut für Grenz- und Auslandsstudien 118, 191 Interessenpolitik 13 Irredenta 36 Island 150 Italien 57 f, 64, 67, 132, 152, 194

Personen- und Sachwortverzeichnis Jugoslawien 151 f Jungkonservatismus 136, 169, 188 Kapitalismus 14, 27, 32, 49, 66, 88, 109, 162 f Karl der Große 110 Kommunismus 162 Konnationalismus 175 Kroatien 182 Lagarde de, Paul 14, 130 „Le Monde“ 35 Lebensraum 111 f, 126, 151, 192, 196, 200 Legitimierung der Herrschaft 91 ff, 200 List, Friedrich 16, 125 f, 128, 164 Marxismus 78, 88, 162 f, 166 Messianismus 83, 94, 99 ff, 139 Mika, Emil 141 Minderheitenrecht 147, 197 Monarchie 153 Nationalrevolutionäre 149 Nationalsozialismus 188 – 198 Nationalstaat 13, 34, 96 f, 109 f, 117 – 123, 158 ff, 167 Naumann, Friedrich 14, 16, 126 f, 130 f, 151 Neue Rechte 201 Nietzsche 41, 92, 101 Nihilismus 78, 90 NSDAP 187 Organische Gesellschaft / organischer Staat 42, 46, 53, 88, 97, 107 f, 143, 155, 162 Österreich-Ungarn 129, 131, 145, 147, 151, 168 – Österreich 21, 48, 56, 99, 142, 151 f, 169, 173 – Ungarn 151 f Parlamentarismus 153 f Partikularismus 143, 154 Paternalismus 200 Pazifismus 49 Polen 121, 128 f, 151 f, 182 Preußentum 93 – 98, 141, 146, 162

221

Rasse 58, 115 – 117, 192 f, 200 – Antisemitismus 116 f, 191, 193 – Sakralisierung des Blutes 116, 193 Regionalismus 188 Religion 193 – Katholizismus 113 f, 161, 163 – Protestantismus 113 ff Röchling, Hermann 168 Rosenberg, Alfred 195 Rumänien 151 f, 175 Russland 21, 26, 33, 36, 45, 47, 49, 53 f, 58, 60 f, 74 – 96, 108 ff, 118, 126, 146 f, 149 f – Bolschewismus 21, 25, 33, 38, 74, 78, 84 f, 89, 103, 162, 199 – Dostojewski 77 – 82, 149 – Peter der Große 53, 77, 79, 82 ff, 88 – Petrinismus 77 ff, 83 – Sowjetrussland 20, 41, 152 – Tolstoi 77 – Zarismus 77, 79 f, 83, 85 Schreyvogl, Friedrich 183 Schweden 150, 152 Selbstbestimmungsrecht der Nationen 176 Siebenbürgen 121, 150 Sozialismus 33, 82 f, 87, 103, 162 ff, 200 Ständisch-bündische Gesellschaft 162 Stresemann, Gustav 89, 108 Sudetenland 122 Tschechoslowakei 151 f, 182 Universalismus 44, 107, 142, 146, 160 Vereinigte Staaten von Europa 40, 44, 47 Versailler Vertrag 28 – 36, 39, 44, 47, 49, 57, 84, 91 Verständigungspolitik 47 Völkerbund 36 – 41, 48 ff, 55, 58 Washington, George 59 Weber, Max 91 Weißrussland 173 f Wilson, Woodrow 36 Wirtschaftsnationalismus 165 Zentralismus 154 ff Zollunion 168 f