Kinderläden: Revolution der Erziehung oder Erziehung zur Revolution? 3499113406

Es ist seit langem kein Geheimnis mehr, daß die heute noch weitgehend praktizierten Erziehungsmethoden - im Kindergarten

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Kinderläden: Revolution der Erziehung oder Erziehung zur Revolution?
 3499113406

Table of contents :
I Psychopathologie der bürgerlichen Erziehung 9
Reinlichkeitserziehung 9
Die Familie als Reproduktionsinstitut der bürgerlichen
Gesellschaft 11
Die autoritäre Persönlichkeit 13
II Anfänge der Kinderladenbewegung 18
Warum gerade Berlin? 18
Anhang: Stationen der Studentenbewegung (bis zum VietnamKongreß) 22
Kommunegründungen 24
Der Aktionsrat zur Befreiung der Frau 27
Der Vietnam-Kongreß als organisatorischer Beginn 28
Exkurs: Wera Schmidt, „Erfahrungsbericht über das KinderheimLaboratorium in Moskau" 28
Anhang: Kommune l-Flugblätter 30
Vom Aktionsrat zum Zentralrat der sozialistischen Kinderläden
West-Berlin 34
III Der Kinderladen S.
Entstehungsbedingungen 39
Die Einrichtung des Ladens 40
Finanzen 41
Theoretische Voraussetzung 42
Die Praxis 44
Exkurs: Summerhill 45
39
IV Ein Tag im Kinderladen S. 49
Vorbemerkung 49
Die Kinder kommen 50
Exkurs: Aggression und Sexualität 51 ^
Nachbemerkung 62
Exkurs: Freiraum Kinderladen 62
Tagesablauf 64
Vormittags 64
Mittags 64
Exkurs: Das Essen 65
Nachmittags 66
Exkurs: Zum Bezugspersonenwechsel 6j
Das Elternkollektiv 71
Fallgeschichte 77
V Kinderläden und bürgerliche Öffentlichkeit 85
Anhang: Statistiken 10$VI Kinderläden und Studentenrevolte 108
Die autoritäre Gesellschaft 108
Die Hochschulrevolte 111
Hinwendung zu Erziehungsfragen 115
«Die Autorität istnur asketisch zu garantieren» (Hugo Ball) 118
Laissez-faire oder antiautoritäre Erziehung 119
Die Ohnmacht des antiautoritären Protest^21
Von der antiautoritären zur sozialistischen Erziehung 122
Revolutionäre Berufspraxis 123
Von der sozialistischen zur proletarischen Erziehung 125
VII Zur Diskussion um die Vorschulerziehung 127
Einleitung 127
Welche Funktion hat Vorschulerziehung? 128
Was für Menschen braucht der Kapitalismus? 131
Mathematische Vorschuldidaktik 135
Sprachtraining und ideologisches Interesse 137
Alternativen zur bürgerlichen Vorschulerziehung 140
Nachwort 147
Bibliographie 151
Spendenkonto 152

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Kinderläden Revolution der Erziehung

oder Erziehung zur Revolution ?

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«Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß.» Karl Marx

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Es ist seit langem kein Geheimnis mehr, daß die heute noch weitgehend praktizierten Erziehungsmethoden - im Kindergarten wie zu Hause - den Anforderrungen einer modernen Erziehungswissenschaft nicht mehr entsprechen. Rein lichkeitsdrill und das Lohn-Strafe-System unserer eigenen Erziehung werden zumeist unkritisch reproduziert Die Ergebnisse der Wissenschaft bleiben im Be sitz einer kleinen Elite. Die Kinderladenbewegung war ein erster Versuch, diesem Zustand zu begeg nen. Eltern - meist Studenten - taten sich zusammen, um kollektiv die Fehler zu beseitigen, die im Kleinfamilienidyll weiterwuchern. Sie mieteten sich leerstehende Läden (daher der Name) und versuchten, dem Syndrom der autorit ren Persönlichkeit auf die Spur zu kommen, das unsere Gesellschaft beherrsch An Diffamierungen dieses verzweifelten Selbsthilfeversuchs hat es nicht gefehlt Doch die Kinderläden haben sidt weiter verbreitet. Der Gedanke antiautoritäre Erziehung griff um sich und scheuchte selbst lethargische Behörden auf. Doch während die offiziellen Stellen noch mühsam um eine Integrierung der neuen Gedanken freiheitlicher Erziehung kämpften, entwickelte sich die Kinderladen idee weiter. Die zunächst ganz pragmatischen Erziehungsfragen führten folgerichtig zur Frage nach dem Wozu der Erziehung. Die Antwort konnte und kann nicht sein Zur Verewigung der Verhältnisse, die an der pädagogischen Misere schuld sind Sie kann nur lauten: Für eine andere, nichtrepressive Gesellschaft. Denn die neue Erziehung kann dem alten System nie dienen, sondern muß ein Faktor de Veränderung sein. Daher stellt sich die Frage, ob Revolution der Erziehung nic notwendig Erziehung zur Revolution werden muß, ja ob eins ohne das andere überhaupt denkbar erscheint Die jungen Autoren dieses Bandes - ausnahmslos in der Berliner Kinderladenbewegung tätig - haben eine Bestandsaufnahme versucht. Sie haben sic nicht gescheut, auch eigene Fehler zuzugeben. Doch auch vor einer eindeutige Antxvort auf die Frage nach der Revolution haben sie sich nicht gedrückt An Hand von Beispielen und zusammenfassenden Aufsätzen haben sie Theorie und Praxis der Kinderläden dargestellt

Kinderläden Revolution der Erziehung oder Erziehung zur Revolution? Hille Jan Breiteneicher RolfMauff Manfred Triebe Autorenkollektiv Lankwitz

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ROWOHLT

rororo aktuell — Herausgegeben von Freimut Duve ERSTAUSGABE

l .-20. Tausend April 1971 21.-30. Tausend April 1971 31.-40. Tausend Juli 1971 (überarbeitete Auflage) 41 .-53. Tausend Mai 1972

Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, April 1971 © Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1971 Umschlagentwurf Werner Rebhuhn (Fotos Michael Ruetz) Alle Rechte vorbehalten Gesamtherstellung Clausen & Bosse, LeddSdileswig Gesetzt aus der Baskerville, IBM Composersatz Herbert Kröger, Hamburg PrintedinGermany ISBN 349911340 6

Inhalt I Psychopathologie der bürgerlichen Erziehung Reinlichkeitserziehung 9 Die Familie als Reproduktionsinstitut der bürgerlichen Gesellschaft 11 Die autoritäre Persönlichkeit 13

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II Anfänge der Kinderladenbewegung 18 Warum gerade Berlin? 18 Anhang: Stationen der Studentenbewegung (bis zum VietnamKongreß) 22 Kommunegründungen 24 Der Aktionsrat zur Befreiung der Frau 27 Der Vietnam-Kongreß als organisatorischer Beginn 28 Exkurs: Wera Schmidt, „Erfahrungsbericht über das KinderheimLaboratorium in Moskau" 28 Anhang: Kommune l-Flugblätter 30 Vom Aktionsrat zum Zentralrat der sozialistischen Kinderläden West-Berlin 34 III Der Kinderladen S. Entstehungsbedingungen 39 Die Einrichtung des Ladens 40 Finanzen 41 Theoretische Voraussetzung 42 Die Praxis 44 Exkurs: Summerhill 45

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IV Ein Tag im Kinderladen S. Vorbemerkung 49 Die Kinder kommen 50 Exkurs: Aggression und Sexualität 51 Nachbemerkung 62 Exkurs: Freiraum Kinderladen 62 Tagesablauf 64 Vormittags 64 Mittags 64 Exkurs: Das Essen 65 Nachmittags 66 Exkurs: Zum Bezugspersonenwechsel 6j Das Elternkollektiv 71 Fallgeschichte 77

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V Kinderläden und bürgerliche Öffentlichkeit Anhang: Statistiken 10$

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VI Kinderläden und Studentenrevolte 108 Die autoritäre Gesellschaft 108 Die Hochschulrevolte 111 Hinwendung zu Erziehungsfragen 115 «Die Autorität istnur asketisch zu garantieren» (Hugo Ball) 118 Laissez-faire oder antiautoritäre Erziehung 119 Die Ohnmacht des antiautoritären Protest^21 Von der antiautoritären zur sozialistischen Erziehung 122 Revolutionäre Berufspraxis 123 Von der sozialistischen zur proletarischen Erziehung 125 VII Zur Diskussion um die Vorschulerziehung Einleitung 127 Welche Funktion hat Vorschulerziehung? 128 Was für Menschen braucht der Kapitalismus? 131 Mathematische Vorschuldidaktik 135 Sprachtraining und ideologisches Interesse 137 Alternativen zur bürgerlichen Vorschulerziehung 140

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Nachwort

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Bibliographie

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Spendenkonto

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„Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie muß daher die Gesellschaft in zwei Teile — von denen der eine über ihr erhaben ist — sondieren. Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden." Karl Marx, Thesen über Feuerbach. Marx-Engels-Werke, Band 3, Dietz Verlag, Berlin 1969

I. Psychopathologie der bürgerlichen Erziehung Der Kapitalismus kann seine „Attraktion** nur mit geeignetem „Menschenmaterial" aufrecht erhalten. Seine politische und wirtschaftliche Propaganda wirkt geradezu wie ein Spielzeug neben der Waffe der Erziehung, zu deren immer neuer Schmiedung er die Kleinfamilie am Leben hält. Sie garantiert am besten den Fortbestand des Konsumzirkels, den die kapitalistische Maschinerie braucht, um vom elementaren Widerspruch abzulenken. Im sicheren Gehege der Familie, kollektiver Kontrolle entzogen, werden die Fundamente der autoritären Persönlichkeit gelegt. Das beginnt mit den ersten Erziehungshandlungen. Reinlichkeitserziehung

Zwang ist das einzige Mittel der Reinlichkeitserziehung in der bürgerlichen Familie. Dabei lassen sich zwei Sorten von Zwangsmaßnahmen unterscheiden, mit denen Reinlichkeit „eingetrichtert" wird: — Direkter Zwang zur Durchsetzung des Erziehungszieles: leichte Klapse, manchmal auch Schläge, Wegnehmen von Gegenständen, an denen das Kind hängt, oder Entzug von Essen als Strafe, Lächerlichmachen vor anderen und als äußerlich mildestes, aber folgenreichstes Mittel Liebesentzug und Vermittlung des Außenseitergefühls durch Betonung des kindlichen Versagens. — Sogenannte moderne Methoden: unausgesprochene Vorwürfe, deutliches Zeigen von Ekelgefühl, eine Verlagerung des Liebesentzugs auf eine quasi ästhetische Ebene In der Alltagspraxis der bürgerlichen Erziehung treten beide Formen in verschiedenen Mischungen auf. Die alten Erziehungsgrundsätze bleiben auch bei den „modernen" Methoden bestehen („eine anständige Ohrfeige zur rechten Zeit hat noch keinem Kind geschadet"), das Kind muß zu einer bestimmten Zeit sauber sein, denn sonst ginge das Prestige „aufgeklärter" Erziehung verloren. Generell läßt sich sagen, daß die liberalere Handhabung der üblichen autoritären Erziehungsmethoden mit dem sozialen Status der jeweiligen Familie eng zusammenhängt. Auch in der reformierten bürgerlichen Erziehung werden alle kindlichen Widerstände ebenso wie bei der Anwendung direkten Zwangs gebrochen, allerdings wird das Lbb-Straf-System, das Grundlage jeder bürgerlichen Erziehung ist, in Richtung auf das Lob, auf Belohnungen für die Reinlichkeitsleistung verschoben. Dagegen wird bei Versuchen, das kindliche Spiel mit Kot und Urin zu ersetzen durch ein Angebot von Sand, Wasser und Fingerfarben, dem Kind die soziale Wertung der Reinlichkeit ohne direkten Zwang beigebracht. Das Kind kann lernen zu sublimieren, kann Reinlichkeit als freiwillige Organisation begreifen. Freilich macht der erforderliche

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Zeit- und Geldaufwand diese Methode nur privilegierten Eltern zugänglich. Die ganze anale Phase mit ihren Sexualbetätigungen ist ein Kampf des Kindes um Autonomie. Das Kind wird konfrontiert mit sozialen Verhaltensmustern, die nicht in seinem Interesse liegen. Das Lustprinzip, dem das Kind noch völlig unterliegt, wird ziemlich rasch beiseite gedrängt. »Jetzt tritt allmählich ein sehr wichtiger Faktor in das Leben des Kindes ein: die Erziehung zur Reinlichkeit. Die Mutter oder Pflegerin bemüht sich, ihm das Nässen und Beschmutzen abzugewöhnen. Das Kind ist nicht leicht zu einer Beherrschung dieser Funktionen zu bringen [...] Bei näherem Zusehen kommt man auf die Vermutung, daß das Kind nicht unfähig ist, sich sauber zu halten, sondern es nur sein Recht darauf verteidigt, seinen Stuhl eben dann abzusetzen, wenn es ihm gefällt." 1 Der im durchschnittlichen Fall schmerzhafte Eingriff in die an sich lustvolle Beschäftigung des Kindes mit seinen eigenen Ausscheidungen stellt dieses erstmals iri einen Autoritätskonflikt, den es allein noch nicht bewältigen kann: Das Ich ist noch nicht in allen Funktionen voll entwickelt und kann folglich nicht angemessen zwischen den Anforderungen der Außenwelt und den eigenen Triebansprüchen vermitteln. Die Autoritätsanforderungen der Eltern müssen ungeprüft übernommen und verinnerlicht werden: sie bilden später das Über-Ich. Hier werden die Grundlagen — nicht die endgültige Form — der autoritären Persönlichkeit geschaffen. Die von den Eltern individuell motivierte Zwangsanwendung bei der Reinlichkeitserziehung ist gleichwohl als gesellschaftlich geplante Triebunterdrückung zu verstehen: Mit dem Erlernen von Verzicht und Hemmung wird ein Potential von später Erwachsenen herangebildet, das Gehorsam und Unterwerfung als Ausgleich der eigenen Ich-Schwäche zum Leitfaden seines Handelns werden läßt. — Mit der Verhinderung der Entfaltung freier Beziehungen zwischen dem Kind und seinen Ausscheidungen (die ihm — weggenommen — „fremd" gemacht werden) wird auch die spätere Aufnahme freier Objektbeziehungen überhaupt unterbunden. -r Spontanes, je nach Realitätsprüfung angemessenes und nicht von vornherein festgelegtes Verhalten ist nicht mehr möglich, nachdem dem Kind die Urteile über seihe zuallererst erfahrene Realität in der Reinlichkeitserziehung gewaltsam vorgegeben worden sind. Endlich aber ruft die nicht freiwillig akzeptierte Triebunterdrückung Aggressionen hervor, die gesellschaftlich verplant werden müssen, sollen sie nicht gegen ihre Ursache, die Unterdrückung selbst, zurückschlagen. Im, ödipalen Konflikt wird das Prinzip der geplanten Triebunterdrückung weiter verfolgt. Die gesetzten Normen (das Inzesttabu) können nicht so konsequent befolgt werden, daß sexuelle Wünsche des Kindes an die Eltern gar nicht erst auftreten. Die Folgen sind Schuldgefühle, die die schon aufgerichteten Strukturen des Uber-Ich weiter verstärken und das Ich um so unfähiger machen, in Zukunft zwischen Triebansprüchen und der Umwelt zu vermitteln.

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„Die affektiven Strebungen (in der Ödipussituation typischerweise die Liebe zum heterosexuellen Elternteil und Haß gegen den gleichgeschlechtlichen) können nicht wirklich ausgelebt wenden. Da das Korrektiv einer Kindergemeinschaft fehlt, in der sich die sexuellen Triebe auf gleichaltrige richten können, müssen diese Strebungen weitgehend verdrängt werden. Unbewußte Schuld und Angstgefühle verstärken die Fixierung an die Eltern, die zur Anlehnungsbedürftigkeit, Führersehnsucht, Autoritätshörigkeit der erwachsenen Individuen, zur konservativen Struktur der Psyche führen." 2 Die Schuldgefühle und die damit verbundene Unterdrückung des Hasses gegen Vater oder Mutter führt zu einer überstärken Identifizierung mit eben dem gehaßten Elternteil. Die Rolle des Vaters oder der Mutter wird so regelbildend für den Jungen bzw. das Mädchen. Als wichtigste Möglichkeiten, die durch Triebunterdrückung entstandenen Aggressionen auf Ersatzziele zu lenken, können genannt werden: Identifikation mit aggressiv und autoritär handelnden Personen; d. h. eigentlich Identifikation mit den Eltern, Bestimmung der Verhaltensweisen völlig vom Uber-Ich, von der aufgezwungenen Norm her. — Ausleben der Aggression im Bereich von sozial nützlichen Wünschvorstellungen und sadistischen Phantasien. — Beteiligung an der Unterdrückung von Minderheiten, die nicht auf die Erfüllung ihrer sexuellen Wünsche verzichtet haben (oder wenigstens nicht verzichtet zu haben scheinen), die Sich nicht den verhaßten Eltern unterworfen haben. | Vor allem am Beispiel der Reinlichkeitserziehung, die allerdings nur einen Teilbereich der Vorbereitung auf gesellschaftliche Unterdrückung bildet, läßt sich darstellen, daß Ersatzziele für die Bindung aggressiver Kräfte rechtzeitig eingesetzt werden, so daß die Triebenergien später nicht mehr zielgerichtet verwendet werden können und es also um so leichter fällt, die ursprünglichen Bedürfnisse mit Ersatzbefriedigungen abzuspeisen. Das so von Kind auf formulierte Verhalten sichert die widerstandslose Einordnung in die bestehenden Produktions-und Herrschaftsverhältnisse. Die Familie als Reproduktionsinstitut der bürgerlichen Gesellschaft Alle Merkmale der bürgerlichen Familie spiegeln die charakteristische Struktur unserer Gesellschaft und ihrer Institutionen wider. Das Prinzip der Arbeitsteilung (in der Familie zwischen Vater und Mutter, Eltern und Kindern) bildet sich ab, ebenso das Prinzip der Ökonomie sehen Abhängigkeit (in der Familie der Frau vom Mann, der Kinder von den Eltern, die die Funktion der „Geldgeber" ausüben), das Prinzip des Ranggefälles, rdas immer zugleich ein Machtgefälle ist (und sich besonders oft auf jüngere Geschwister sehr negativ auswirkt). Die Unterdrückung, der sich der Vater im Beruf ausgesetzt sieht,

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gibt er nun innerhalb der Familie als „Vorgesetzter" an seine Frau ' und seine Kinder weiter. Die Entsexualisierung des Zusammenlebens in der Familie, vom Verbot sexueller Betätigungen der Kinder bis zum Inzesttabu, dient der Vorbereitung der totalen Anpassung: als Vorbereitung auf die Lustfeindlichkeit der Schule, auf die freiwillige Unterwerfung unter den entfremdeten, unlustvollen Arbeitsprozeß. „Die Eltern verhalten sich so, daß ihre Kinder später, wie die Eltern zum Zeitpunkt der Aufzucht, zum Subjekt-Objekt der Arbeit im Apparat der Sozietät hergerichtet werden können. Was produziert werden soll, ist der künftige ,Berufstätige*. Für das Herrichten zur Arbeit, die Desexualisierung des Körpers als künftigem Arbeitsinstrument ist die Unterdrückung der infantilen Sexualität Vorbedingung: Lust ist Unzucht. Das Medium, in dem Erziehung sich bewegt, ist das des Anstandes, der Sitte, des Zurückweichens vor der Äußerung der Natur." 3 Die Eltern haben völliges Besitz- und Verfügungsrecht, sowohl über die Wohnung wie auch über das Eigentum des Kindes; mit dem Bestimmungsrecht über das Kind bis zum 21. Lebensjahr, das gesetzlich kaum eingeschränkt wird, werden die Kinder zum Besitz ihrer Eltern, Die gesetzlichen Rechte des Kindes selbst existieren nur auf dem Papier. Die „Kindesmißhandlung" etwa muß weit über das alltägliche. Maß an Unterdrückung und physischer Beschädigung hinausgehen, das den Kindern in unserer Gesellschaft widerfährt, um- überhaupt bemerkt zu werden. (Ganz zu schweigen von der gesellschaftlichen Mißhandlung, die — oft ohne Schuld der Eltern — in engen Wohnverhältnissen, mangelhafter Ernährung und Hygiene Randgruppenkindern zuteil wird.) . Das Kind erlebt die Eltern als allmächtig, sich selbst als ohnmächtig. So wird es als Erwachsener nicht mehr anders können, als sein Geschick mehr oder weniger vertrauensvoll in die Hände von „Vater Staat" zu legen. Von klein auf wird das Prinzip des Triebverzichts zuguhsten fremder Interessen erlernt. „Sich beherrschen", d. h. die Ausscheidungen unter aufgezwungener Kontrolle halten, „selbstlos sein", „sein Leben anderen opfern" (Gott, Führer, Vaterland, Familie, Betrieb) — däs sind die Stufen der geplanten Entsagung. Die beliebige Verwertbarkeit der Individuen, die aus solcher Erziehung hervorgehen, drückt sich noch in den Termini der Wirtschaft aus: der „Arbeitnehmer*' nimmt — immer noch ebenso unmündig wie das Kind, das er einmal war — die Arbeit aus der Hand des „Arbeitgebers" entgegen wie ein Geschenk. In der Familie hat die bürgerliche Gesellschaft das sanfteste, gewaltloseste Instrument, sich störungsfrei zu reproduzieren und das Eindringen des. Bewußtseins ihrer Widersprüche in die Köpfe der Massen zu unterbinden.

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Die autoritäre Persönlichkeit Die Reaktionsbildungen des Ich gegen die ursprünglichen Triebregungen (Triebansprüche des Es) sind eigentlich notwendige Schutzmaß« nahmen, um Konflikte mit dem Ober-Ich, der verinnerlichten Autorität dar filtern und damit der gesellschaftlichen Moral, zu bewältigen. Die Einschränkungen, die das Ich als „Preis für die Übereinstimmung mit den Anforderungen des Uber-Ich" ertragen muß, können jedoch das Ich bis zur Funktionsuntüchtigkeit schwächen. Ist dieser Zustand einmal erreicht, so können die Ich-Funktionen (Vermittlung der Bedürfnisse mit der Umwelt) nur noch durch eine völlige Anlehnung an das Uber-Ich vollzogen werden. Ist die bürgerliche Erziehung also nach ihrem Selbstverständnis gelungen, so ist ihr Resultat die autoritäre Persönlichkeit, die in allen sozialen Äußerungen ein Höchstmaß an Fungibilität innerhalb der kapitalistischen Arbeitswelt garantiert. Die autoritäre Persönlichkeit weist (nach Adorno u. a.) regelmäßig folgende Trends auf: — autoritäre Aggression und Unterwerfung — Konventionalismus und starre Regelbeachtung — Abergläubigkeit und Stereotypie — Denken in Macht-Ohnmacht-Schemata — Destruktionsstreben und Zynismus — Projektion unterdrückter Wünsche auf andere — Sexualfeindlichkeit. Die ökonomischen Anforderungen der entsexualisierten Arbeitssituation und die in der Kindheit vermittelten sozialen Uberzeugungen des Individuums wachsen in diesen Tendenzen zu einem engen Geflecht zusammen, das als „einheitliche Mentalität" erscheint. Persönlichkeit muß begriffen werden als eine Organisation von Kräften innerhalb des Individuums, die in verschiedenen Situationen zusammenwirken und ein spezifisches ständiges Verhalten hervorrufen. Die charakterlichen Strukturen der jeweiligen „Panzerung" (Wilhelm Reich) sind freilich erst nur latent, sie müssen nicht in jeder Situation ausagiert werden. Bestimmt man so die Persönlichkeit von der Organisation der Triebstrebungen und Bedürfnisse her, so muß sie eine „Vorliebe für die Ideologie" entwickeln, die ihren Bedürfnissen entgegenkommt bzw. jene Mechanismen anspricht, die zur (meist ersatzweisen) Befriedigung der Bedürfnisse in der Kindheit eingeübt worden sind. Diese „Vorliebe für dip Ideologie" wird analog zur Reinlichkeitserziehung durch ein Straf-Belohnungs-System an das Kind vermittelt. Die Parallelen biologischer Reinlichkeit und ideologischer Reinheitserziehung sind nicht zufallig: So erscheinen Feindgruppen grundsätzlich als schmutzig, es besteht die Angst, von ihnen berührt, infiziert zu werden; sie werden mit „Tieren" verglichen, „für die die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht möglich ist" 4 ; als strengste Maßnahme wird für sie die totale Quarantäne, das Ghetto, das Konzentrationslager in

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Betracht gezogen. Hinter der Angst, aus der richtigen Ideologie, dem „Reich der Sauberkeit" herauszufallen, steckt die Angst vor der Verletzung der vor allem in der analen Phase vermittelten Normen. Die Erziehungstendenz in der bürgerlichen Familie geht dahin, die diffuse Angst (erzeugt beim Kind aus dem ständigen Konflikt zwischen Entleerungsdrang und Beherrschenmüssen) in Furcht vor und Aktivität zur Vermeidung der Normverletzungen umzuwandeln. Als Erwachsener wird das Individuum in der Arbeitssituation alle Energien aufbieten, um Normverletzungen zu vermeiden. In dem Mechanismus der Normvorschrift und der tief verinnerlichten Furcht vor ihrer Überschreitung liegt die Funktionsfähigkeit der Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft begründet. Zur Aufrechterhaltung des Normenprinzips gehört das eingeplante Versagen des Einzelnen. Besonders die religiösen und sittlichen Normen sind so eng gefaßt, daß sie vom größten Teil der normverpflichteten Individuen immer aufs neue durchbrochen werden müssen. Das Normenprinzip ist also wesentlich irrational. Das subjektive (zugleich gesellschaftlich vermittelte) Bewußtsein, bei „Fehltritten" (Normverletzungen) ein Versager zu sein, bestätigt der Ich-schwachen autoritären Persönlichkeit das Gefühl der eigenen Ohnmacht und verstärkt die Bereitschaft, sich fuhren zu lassen, sich künftig keine Übertretungen zu gestatten und aus diesem Vorsatz heraus Übertretungen bei anderen um so härter und unnachsichtiger zu verfolgen. Das vorgesehene* Versagen im Normenprinzip ist am deutlichsten im Bereich der Religion, der Sexualität und der aus beiden abgeleiteten Sittlichkeit zu erkennen. Die ständig neu entstehenden und sich verstärkenden Schuldgefühle rufen einen Minderwertigkeitskomplex hervor, der die scheinbar nicht versagenden gesellschaftlichen Autoritäten um so höher stellt. Furcht vor Entdeckung und vor gesellschaftlichen Sanktionen erzeugen die autoritäre Unterwerfung. Nur die völlige Anpassung kann, die Gnade der Gruppe sichern, die die Norm repräsentiert. Um so rigorpser ist die Verfolgung der nicht den Normen gehorchenden außenstehenden Minderheiten: Sie werden als bedrohlich, machthungrig, negativ eingestellt zur Welt der Harmonie der Nonnen angesehen. Die normengehorchende ingroup ist dagegen in allem das Gegenteil der Minderheit: Sie ist sauber, arbeitsam, gut erzogen, fleißig, diszipliniert und deswegen erfolgreich. Die outgroup repräsentiert gerade jene verbotenen und unterdrückten Triebansprüche, die selbst nur mit größter Mühe und unter Brechung vieler eigener innerer Widerstände zurückgedrängt werden konnten. Gleichzeitig drückt sich im Haß. gegen Minderheiten Neid darauf aus, daß jene es (oft nur angeblich) wagen, diese Triebansprüche zu verwirklichen. Der als feindlich begriffenen Minderheit wird gerade jene sexuelle Freizügigkeit unterstellt, die der autoritäre Charakter sich selbst nicht gestattet. „Sauberkeit und Anstand", die Attribute des endlich erreichten Normgehor-

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sams, sind erkauft durch tiefgehenden Glücksverzicht. In der Erziehung der bürgerlichen Familie gelten die von der Gruppe gesetzten Normen als Ewigkeitswerte; sie sind nicht rational nachprüfbar, nicht historisch zu relativieren: Gehorsamspflicht, Anpassung, Unterdrückung von Spontaneität, Selbstbeherrschung. Dieses starre Festhalten an unreflektierten Werthaltungen und Vorurteilen der Klasse, der man angehört oder der man angehören möchte, kann am treffendsten als Konventionalismus bezeichnet werden. Es ist auffallend, daß es der Ich-schwachen konventionalistischen Persönlichkeit nicht schwer fällt zu konvertieren, das bisherige Wertsystem umzustellen, wenn die ingroup-Autoritäten Umwertungen vornehmen und empfehlen. Oft wird das frühere Urteil davon nicht berührt, die neue Wertung steht, ohne daß der Widerspruch zum Konflikt wird, neben der alten (z. B. antisemitische Grundhaltung und gleichzeitige Begeisterung für die „wehrmachtsähnliche" Tapferkeit der Israelis im „Blitzkrieg"). Die Einengung des Entscheidungsspielraums der autoritären Persönlichkeit durch Norm und Konvention schlägt sich direkt in der einfachen sinnlichen Wahrnehmung nieder. Angefangen mit der Tabuisierung bestimmter unangenehmer Wahrnehmungen in früher Kindheit entsteht ein Selektionsmechanismus, der selbst dann weiter wirkt, wenn die Realitätsverkennung zu einer Eigenbedrohung der autoritären Persönlichkeit führt, etwa in Kriegs- und Krisenzeiten. Manipulation fällt deswegen so leicht, weil die sinnliche Wahrnehmung der autoritären Persönlichkeit schon jene Verzerrung bereithält, die die Manipulation nur noch verstärken muß. Das Ich der autoritär strukturierten Persönlichkeit arbeitet nicht autonom: Hinter einer vordergründigen funktionellen Ordnung und einer Neigung zum Denken in vorgegebenen Kategorien (Stereotypie) verbirgt sich meist „ein stärker Glaube an verborgene Biestimmungsgründe des individuellen Schicksals" und die Irrationalität der Existenz. Um so leichter lassen sich der autoritären Persönlichkeit in Krisenzeiten faschistische Mythen und Verschwörertheorien aufzwingen, die die Undurchschaubarkeit der Welt aufzuheben scheinen und die wahren Schuldigen für alle sozialen Frustrationen zu nennen vorgeben: Juden, Neger und andere Minderheiten. Hier trifft sich der Haß gegen Außenseiter mit der Neigung zu simplifizierenden Erklärungen des nicht durchsichtigen Gesellschaftszusammenhangs. Das Streben nach Autonomie, dem Kind seit der Reinlichkeitsdressur gewaltsam abgewöhnt, lehnt das erwachsene Individuum leidenschaftlich ab, sobald es auf die Notwendigkeit der Autonomie hingewiesen wird. Aufklärerische Agitation und Erziehung trifft unter anderem vor allem auch deshalb auf so große Schwierigkeiten, weil die durch sie beschworene Freiheit nur die Erinnerung an die frühere Unterdrückung wieder heraufruft. Streben nach Autonomie würde erneuten Kampf, erneute Konflikte bedeuten, nachdem die vergangenen Schmerzen doch relativ erfolgreich verdrängt worden sind.

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Als Schutzmaßnahme gegen das Unsicherheits- und Angstgefühl gegenüber der labyrinthisch erscheinenden Giesellschaft versteckt sich das Ich-schwache Individuum entweder hinter Brutalität, Härte und Grausamkeit in aktiver oder durch Bewunderung und Duldung brutaler Herrschaft in passiver Weise (Macht-Ohnmacht-Verhalten). So wird es ihm erleichtert, sich mit der Tatsache, „daß er eigentlich kein Ich ist, abzufinden, wenn er sich mit einem übergroßen Ich identifiziert . , . Auf diese Weise wird das schwache eigene Ich stark und selbstbewußt" (M. Horkheimer). Das Denken wird geprägt von den Gegensatzpaaren Herrschaft—Unterwerfung, Führerschaft—Gefolgschaft, Befehl—Gehorsam. Triebökonomisch gesehen kann das Individuum die geforderte Anpassung nur leisten, wenn es Unterwerfung und Gehorsam von Kindheit an zu einer ersatzweisen Lustquelle macht. Die Angst vor der Normverletzung muß begleitet sein von der Lust an der Unterordnung. Das Kind lernt, stolz zu sein auf sein „Bravsein" und andere Kinder zu verachten, die nicht ebenso „brav" sind. Unmittelbar ableitbar ist aus der autoritären Unterwerfung der Zynismus: Er ist die aus der Identifizierung mit der Autorität erlaubte Lust an der Destruktion, mit Vorliebe durch me Autorität (des Staates, der militärischen Befehlshaber usw.) gerechtfertigt und in ihrem Namen handelnd. Die Unterwerfung wird, lustvoll von Aggression begleitet, weitergegeben an jene, die die Autorität als Ersatzziele anbietet: „Störer", „Radikale" — all jene, von denen zu befürchten steht, daß sie sich nicht oder nicht gänzlich untergeordnet haben. Damit die aggressive Besetzimg des Ersatzzieles gelingen kann, müssen die eigenen verbotenen Wünsche nach Lust auf die Außenseiter projiziert werden; die tabuierte Sexualität, die nur mangelhaft verdrängt worden ist und über der noch immer eine generelle Bedrohung aus früher Kindheit hängt, wird an der Minderheit bestraft. Wenn aber politische Begriffe durch Befehle der als Über-Ich fungierenden Mächte libidinös oder aggressiv besetzt werden, so können auch sie beliebig auf die nicht unterworfene Minderheit projiziert werden. Daher werden in den Vorwürfen faschistischer Bürger, Politiker und Polizisten, die die Rebellen „in den Ofen stecken", „vergasen", „über die Mauer schicken" möchten, die Mitglieder der outgroup zu Faschisten erklärt. Die bürgerliche Gesellschaft braucht in politischer, vor allem aber in ökonomischer Hinsicht ein hohes Potential an Ich-schwachen Persönlichkeiten, ohne die sie nicht fortbestehen kann. Die Erziehung in der Schule, in erster Hinsicht aber die Erziehung in der Familie muß dazu dienen, die Produktion autoritär fixierter Individuen und damit die Reproduktion der bürgerlichen Gesellschaft zu garantieren. „Wenn Freud sagt, daß sich im Laufe der Zeiten die Vertreter der Gesellschaft an die Figur des Vaters anschließen, so ist das zwar in einem gewissen äußeren und zeitlichen Sinne richtig, aber diese Feststellung bedarf der Ergänzung durch die umgekehrte, daß der Vater

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sich an die in der Gesellschaft herrschenden Autoritäten anschließt. Der Familienvater ist zwar dem Kind gegenüber (zeitlich gesehen) der erste Vermittler der gesellschaftlichen Autorität, ist aber (inhaltlich gesehen) nicht ihr Vorbild, sondern ihr Abbild." 5 In der ersatzweisen Autorität der Eltern konfrontiert sich dem Kind also die ganze Autorität der Gesellschaft; in der Familie wird es zugerichtet, dressiert als Untertan, als gläubiger Christ, als sexualfeindlicher späterer „Herr und Frau Saubermann", als sich fügender Arbeitnehmer. Anmerkungen Anna Freud: Einführung in die Psychoanalyse für Pädagogen. 1965, S. 31 Wilhelm Reich: Die sexuelle Revolution. Raubdruck 3 Johannes Agnoli und Peter Brückner: Die Transformation der Demokratie. Frankfurt, 1968 " 4 Franz Josef Strauß in einem Fernschreiben an den bayerischen Ministerpräsidenten über APO-Aktionen in Bamberg (Juli/August 1969) 5 E. Fromm: Studien zur Autorität und Familie, Sozialpsych. Teil, Paris 1936, S. $7f 1

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II. Anfänge der Kinderladenbewegung Um die Arbeit der Kinderläden politisch einzuschätzen oder einzuordnen genügt es nicht, als Begründung anzugeben: „ . . . die Erziehung ist politisch relevant, da es unser Ziel ist, den Kindern ein kritisches, sozialistisches Bewußtsein zu vermitteln", wie es noch im Kinderladen Info 4 (Zentralrat der sozialistischen Kinderläden West-Berlin, KL-Infos) vom 12. 2, 1969 geschah. Uber den politischen Stellenwert des Sozialisationssektors im antikapitalistischen Kampf besteht auch heute unter den dort arbeitenden Genossen noch keine Klarheit. Historisch steht zumindest fest, daß Kinderläden zunächst weder als Antwort oder Gegenmodell zu den im ersten Kapitel geschilderten Erziehungspraktiken und -zielen der bürgerlichen Familie gedacht waren noch primär politische Ziele die Gründungen anregten. In den folgenden Abschnitten kann daher hauptsächlich deskriptiv verfahren werden, bevor im Kapitel „Kinderläden und Studentenrevolte4* (S. 108) auf den politischen Stellenwert der Kinderladenbewegung und das heutige Selbstverständnis der Kinderladenkollektive eingegangen wird.

Warum gerade Berlin? Um das politische Selbstverständnis der Genossen, die im Januar 1968 die Initiative zur Gründung von Kinderläden in Berlin ergriffen, zu verstehen, ist es notwendig, kurz den Zusammenhang zu beschreiben, zwischen der politischen Lage und Entwicklung West-Berlins und der Entwicklung der Studentenbewegung und, als Teil von dieser, der Kinderläden. Der rechtliche und politische Status von West-Berlin wurde durch Vereinbarungen der alliierten Siegermächte in den Jahren 1944 und 1945 festgelegt (Konferenzen von Jalta und Potsdam). Nach der Kapitulation des faschistischen Deutschen Reiches wurde die oberste Gewalt in dem in Besatzimgszonen aufgeteilten Deutschland durch die Besatzungsmächte ausgeübt.1 Während die Bundesrepublik und die, DDR in getrennten Abkommen mit den jeweiligen Schutzmächten 1954 — unter Vorbehalten der Westalliierten für die BRD, der Sowjetunion für die DDR — ihre Souveränität erhielten, besteht für West-Berlin nach wie vor Besatzungsrecht, d. h. jede Entscheidung des West-Berliner Senats oder der Bundesregierung, West-Berlin betreffend, kann durch Einspruch der westlichen Stadtkommandanten annulliert werden. In einem Schreiben vom 24. 5. 1967 an den Regierenden Bürgermeister und den Präsidenten des Abgeordnetenhauses steUt die Alliierte Kommandantur noch einmal unmißverständlich fest: „Es entspricht nach wie vor der Absicht und der Auffassung der Alliierten, daß Berlin nicht (!) als ein Land der Bundesrepublik anzusehen und

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auch nicht durch den Bund zu regieren ist." 2 Im Gegensatz zu diesen klaren Bestimmungen über die rechtliche Lage West-Berlins, stellen Bundesregierung und West-Berliner Senat seit Jahren den Status quo offen in Frage und fordern und propagieren die vollständige Einbeziehung West-Berlins in die, politische Organisation der BRD. Da die rechtliche Stellung West-Berlins ohne d^s Risiko einer Konfrontation nur verbal ausgeweitet werden konnte, verstärkten der Senat und die Bundesregierung die Versuche, West-Berlin wenigstens politisch voll in den Bund zu integrieren. Berlin wurde zum, den freien Wettbewerb der Systeme vortäuschenden, „Schaufenster der westlichen (freien) Welt" erklärt und erhielt damit eine Brückenkopffünktion gegen den Kommunismus. Den — durch seine Weigerung mit den Alliierten und der DDR über die rechtliche Lage West-Berlins und seiner Zufahrtswege zu verhandeln — entstandenen psychologischen Druck auf die West-Berliner Bevölkerung verstand der Senat durch geschickte propagandistische Manipulationen in einen Haß gegen alles, was links von der Senatskoalition stand, zu wenden. Den bisher peinlichsten Höhepunkt als Brückenkopf des Kalten Krieges erlebte Berlin auf einer antistudentischen „Freiheitskundgebung" vor dem Schöneberger Rathaus am 26. 2. 1968. Die auf sol- chen Kundgebungen üblichen Ausfälle gegen die DDR wurden getarnt durch wütende Angriffe, Verbalinjurien und direkte Aufforderungen zur Gewalt und Selbstjustiz der Berliner Bevölkerung gegen den inneren Feind. Und der war natürlich auch rot, wie der immer wieder beschworene und als Auftraggeber für studentische Proteste bezeichnete äußere Feind, die kommunistisch regierte DDR und ihre verbündete Schutzmacht, die Sowjetunion. Von markigen Sprüchen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Schütz („Seht euch diese Typen an!") und des christlich-demokratischen Oppositionsführers Franz Amrehn („man sollte die ganze Drecksarbeit nicht nur der Polizei überlassen") aufgeputschte Volksmassen entluden ihre, durch die unsichere Lage Berlins und die Verschleierungspolitik des Senats lange aufgestauten Aggressionen, für die Herrschenden in wünschenswerter, wenn auch etwas übertriebener Weise ziellos: Sie versuchten, einen jungen Verwaltungsangestellten, den sie für Rudi Dutschke hielten, zu lynchen und machten Jagd auf alles Was nur irgendwie studentisch aussah. Daß gerade in einer Stadt, in der „linke Argumente" auf fast unüberwindbare Vorurteilsbarrieren zu stoßen schienen, die linke antiautoritäre Studentenrevolte so schnell Fuß fassen und um sich greifen konnte, ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Jahrelang wurden Berlins Studenten aufgefordert, politisch zu denken und aktiv am politischen Leben der Stadt teilzunehmen. Die Freie Universität hatte sich, erklärbar aus den Erfahrungen mit dem HitlerFaschismus und aus dem Zusammenbruch des deutschen Reiches 1945, als Gegenstück zur Ostberliner Humboldtuniversität scheinbar

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der „Freiheit von Forschung und Lehre" verpflichtet. So konnte es nicht ausbleiben, daß sich die Berliner Studenten der „Freiheit von Forschung und Lehre" verpflichtet fühlten und begannen, Informationen über das verteufelte kommunistische System einzuholen. Diese Informationen und die Überprüfung der Politik des Berliner Senats und der Bundesregierung führten sehr bald zu der Erkenntnis, daß in der BRD und in West-Berlin eine Politik im Interesse weniger und zum Schaden, auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung gemacht wurde: — Die Brückenkopfpolitik nutzte den Westdeutschen und West-Berliner Großunternehmen, Bauherren, Grundstücksspekulanten etc., die sich ihre Investitionsbereitschaft von der Bundesregierung durch hohe Subventionen bezahlen ließen. — Der zur Schau gestellte Wohlstand in den Schaufenstern der Kaufhäuser und Einzelhändler gehörte zur psychologischen Kriegführung gegen die DDR und sollte die Ostberliner Bevölkerung vom Wohlstand im Kapitalismus überzeugen. — Die dauernde Beschwörung der angeblichen äußeren Bedrohung ließ die Berliner zu einer „verschworenen Gemeinschaft" werden, die Krisensituationen nicht mehr mit politischen Fehlern der Regierenden, sondern mit der Existenz des „äußeren Feindes" in Zusammenhang brachte. Eine vertragliche Regelung mit der DDR und damit die Aufgabe West-Berlins als Bollwerk gegen den Kommunismus, hätte aber die überwiegend noch antikommunistische Haltung der West-Berliner Bevölkerung verunsichert und in Frage gestellt. West-Berlin verlor nach dem Zusammenbruch zunehmend an Lebensfähigkeit. Ohne Hinterland und in einem Verhältnis wachsender Spannung zu seinem unmittelbaren Nachbarn lebend wurde die Lage immer prekärer. Der einfachste Weg, nämlich sich mit seinem Nachbarn zu arrangieren, schied auf Grund der Hoffnungen des westdeutschen und West-Berliner Kapitals, eines Tages die DDR doch noch zu rekapitalisieren und so neue Konsumentenmassen zu gewinnen, aus. Das Kapital bestimmte die Richtlinien der Politik. Um für die WestBerliner Bevölkerung unter diesen Bedingungen einen annähernd gleichen Lebensstandard wie in der BRD zu erreichen, vor allem aber, um Berlins Schaufensterfunktion garantieren zu können, waren umfangreiche Subventionen, Finanzhilfen, Steuervergünstigungen etc. notwendig. Der Verlust der Schaufensterfunktion West-Berlins für das westdeutsche Kapital durch den „antifaschistischen Schutzwall" vom August 1961 verschärfte die strukturell schwierige Lage der geographisch isolierten Halbstadt. Die Neigung der westdeutschen Unternehmer, in West-Berlin zu investieren, sank mit dem Schwinden der Hoffnung auf Wiedervereinigung in einem kapitalistischen Gesamt-Deutschland und mit der wachsenden Unsicherheit über die politische Zukunft der Stadt. Die großen Konzerne, wie Siemens, AEG/Telefunken etc. verlegten ihre Hauptverwaltungen nach Westdeutschland.



Erschwerend für die wirtschaftliche Sthiktur West-Berlins ist die ungünstige Alterspyramide der Berliner Bevölkerung mit einem hohen Anteil von Rentnern und Kriegsbeschädigten. Zudem ist die Bevölke- . rungsentwicklung rückläufig. Zwar stellte der Senat von Berlin noch 1968 in einem Bericht fest, die Wirtschaft Berlins sei im Kern gesund 3 , aber diese, angesichts der Zahlen und der von den Arbeitnehmern täglich erlebten desolaten Lage der Stadt, bewußte Irreführung der Öffentlichkeit ist wohl Ergebnis / verzweifelter Manipulationsversuche einer gerade 1967/68 unter massiver, linker studentischer Kritik stehenden politischen Führung, die sich zunehmend in die Logik des Kaltenkriegsdenkens verstrickt, die den äußeren Feind nicht mehr als Schreckgespenst verwenden kann, aber den neuen „inneren Feind" (die Studenten) noch nicht genügend aufgebaut hat. Senat und Springerpresse, an einer Verschleierung der tatsächlichen Lage aus verschiedenen Gründen gleichermaßen interessiert, versuch- . ten zwar alles, um die linken Studenten als Aggressionsobjekte für die Bevölkerung aufzubauen, sie waren und sind sich aber nicht sicher, ob das auf die Dauer ausreichen wird, eine Politik im Interesse einer Minderheit (Bürokraten, die ihre Posten und Pfründen behalten wollen, Unternehmer, deren einziges Interesse in der Profitmaximierung besteht), gegen die objektiven Interessen der Mehrheit der Bevölkerung weiterzuführen. Es erscheint einleuchtend, daß gerade West-Berlin zum Ausgangsund Angelpunkt der Studentenrevolte und damit der Kinderladenbewegung wurde, daß von West-Berlin aus der Funke übersprang an die westdeutschen Universitäten. In West-Berlin waren (wegen seiner besonderen Lage inmitten des Territoriums der DDR, wegen der strukturellen wirtschaftlichen Schwächen, wegen der „Bollwerkfunktion") die Widersprüche einer spätkapitalistischen Gesellschaftsordnung am deutlichsten sichtbar. Der studentische Protest ging erst viel später dazu über, gerade dort agitatorisch anzusetzen, wo der politische Senat wirklich schwach war. Die Unruhe wurde durch die anachronistische Struktur eines kleinen, für die Masse der Arbeitnehmer subjektiv unwichtigen Teils der Gesellschaft, der halbfeudalen Ordinarienuniversität, ausgelöst. Das lag zum Teil an der mittelständischen Herkunft der meisten Studenten, aber auch daran, daß die Studenten dort zuerst rebellierten, wo sie persönlich unter Mißständen litten. Von der strukturellen wirtschaftlichen Schwäche West-Berlins und der rechtlich ungesicherten Lage der Stadt wurden sie nicht direkt betroffen. Zu schaffen machten ihnen vielmehr autoritäre Professoren, unsinnige Prüfungsordnungen,, eine trotz formeller studentischer Selbstverwaltung hierarchische Universitätsstruktur. Die folgende Ubersicht gibt die wichtigsten Stationen der studentischen Protestbewegung bis zum Vietnamkongreß an. Die Entwicklung ist in engem Zusammenhang mit den geschilderten politischen und

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wirtschaftlichen Voraussetzungen zu sehen. Sie sind wesentlich für die Motivationen der Senatsbürokratie bei ihren Reaktionen auf studentische Aktionen — Reaktionen, die fast niemals am Inhalt des Protestes orientiert waren, die das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel beim Einschreiten gegen Studenten vernachlässigten. Mit einem Auge zur Opposition, mit dem anderen zum Wähler schielend, verzichtete der Senat weitgehend auf die sonst oft beschworene Rechtsstaatlichkeit. Glaubte er sich der Wirkung des jahrzehntelang der Bevölkerung eingepaukten Antikommunismus sicher zu sein, so gediehen ihm unter der Hand die linken Studenten zu Kommunisten, als sie noch gar keine waren. Anhang: Stationen der Studentenbewegung greß)

(bis zum

Vietnam-Kon-

Februar 59 Die Studeritenvertretung der FU Berlin erwägt eine Unterschriftensammlung der Studenten für zwei Petitionen an den Bundestag. Die Petitionen richten sich gegen die Beschäftigung von NS-Richtern, -Staatsanwälten und -Ärzten im Staatsdienst. Der Rektor der FU erhebt Einspruch gegen eine Diskussion dieser Frage im Konvent und nimmt die Debatte zum Anlaß, generell zu klären, ob und inwieweit Gremien der universitären studentischen Selbstverwaltung politische Beschlüsse fassen können. 13. 08. 61 Die DDR verhindert durch den Bau der Berliner Mauer ein weiteres Abwerben von Facharbeitern, Technikern und qualifizierten Kräften durch die westdeutsche und West-Berliner Industrie und Presse. 09.12. 62 Der Akademische Senat der FU lehnt eine Solidaritätssammlung der Studentenschaft für algerische Flüchtlinge und Studenten ab. Begründung: Die Sammlung stelle eine politische Handlung dar, zu der die Studentenvertretung nicht berechtigt sei. 18. 05. 65 Studenten des Otto-Suhr-Institutes (vormals Hochschule für Politische Wissenschaft) veranstalten einen Vorlesungsstreik, der fast vollständig befolgt wird. Dieser Streik folgte einer längeren Auseinandersetzung der Studentenvertretung mit dem Rektor der FU, der eine Podiumsdiskussion zum 20. Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus mit dem Journalisten Erich Kuby yerboten hatte. Kuby erhielt Redeverbot an der FU, weil er die Universität in einer öffentlichen Rede als „unfreie Universität" bezeichnet hatte. 28.01.66 Unbekannte Täter verüben einen Bombenanschlag gegen eine Vietnam-Diskussion im Studentenhaüs der Technischen Universität (TU). Der Anschlag wird von der Presse bagatellisierte 05. 02. 66 Mehrere Hochschulverbände veranstalten eine Solidaritätsdemonstration für das gegen die amerikanischen Truppen kämpfen-

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de Volk von Vietnam. Im Verlauf der Demonstration fliegen vier Farbeier gegen das Amerikahaus. Der Regierende Bürgermeister und der Rektor der FU schreiben devote Entschuldigungsbriefe an den amerikanischen Stadtkommandanten. Die Berliner Presse spricht empört von Terror gegen Berlins Schutzmacht, die USA. Berliner Bürger prügeln Demonstranten durch die Fahrscheinschalter auf den S-Bahnhof Zoo mit der Aufforderung, „doch in den Osten zu gehen." Gegen den an der Demonstration teilnehmenden Kabarettisten Wolfgang Neuß wird eine beispiellose Hetzkampagne entfacht, die schließlich zum Abbruch seines Ein-Mann-Kabaretts im Haus am Lützowplatz führt. 16. 02. 66 Der akademische Senat beschließt, keine (linken) politischen Veranstaltungen in den Räumen der Universität zu genehmigen. Nach einer Demonstration und einem Sitzstreik in der FU wird der akademische Senat gezwungen, diesen Beschluß am 22. 6. 66 zurückzunehmen. 06. 04. 67 Der amerikanische Vizepräsident H. H. Humphrey besucht Berlin. Am Abend vorher werden mehrere Mitglieder der Kommune 1 verhaftet, weil sie Rauchbomben herstellten und Mehl und Pudding in Plastikbeutel füllten. In der Berliner Presse wird die Falschmeldung von einem geplanten Sprengstoffattentat verbreitet. Die Kommune sei „unter verschwörerischen Umständen zusammengekommen" und hätte „hierbei Anschläge gegen das Leben oder die Gesundheit des amerikanischen Vizepräsidenten H; H. Humphrey mittels Bomben" geplant. (Polizeibericht) 19. 04. 67 Der Rektor der FU ruft Polizei auf das Universitätsgelände, um ein studentisches sit-in zu beenden. 02. 06. 67 Anläßlich des Deutschlands-und Berlin-Besuches des Schahs von Persien kommt es zu Demonstrationen von Studenten vor dem Schöneberger Rathaus und vor der Deutschen Oper. Schahfreundliche Jubelperser werden mit Bussen der Berliner Verkehrsgesellschaft an die Demonstrationsörte gefahren und schlagen, unbehelligt von der Berliner Polizei, auf die Demonstranten ein. Bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei vor der Deutschen Oper wird der Student Benno Ohnesorg von einem Polizeibeamten in Zivil durch einen Kopfschuß getötet. Ein große Zahl von Studenten wird durch Knüppelhiebe der Polizei zum Teil schwer verletzt. Die Berliner Presse spricht einstimmig von Terror der linksgerichteten Studenten. Für prügelnde und schießende Polizisten wird Verständnis aufgebracht. Sie hätten nur mal die Nerven verloren. Juni 67 In nächtelangen Diskussionen versuchen die Studenten auf dem Kurfürstendamm die Berliner Bevölkerung über die Verhältnisse in Persien aufzuklären. Juni 67 Autos, die Trauerflore wegen der Erschießung Benno Ohnesorgs zeigen, werden in nächtlichen Aktionen von Unbekannten demoliert.

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Juni 67 Das „Berliner Extra-Blatt", eine linke Boulevardzeitung, muß sein Erscheinen einstellen. Das Verlagshaus Axel Springer ließ die Kioskverkäufer wissen, daß sie nicht mehr mit Springerzeitungen beliefert werden, wenn sie weiter das „Extra-Blatt" verkaufen. 18.—21. 02. 68 In der Technischen Universität findet ein internationaler Vietnam-Kongreß statt, zu dem Studenten- und Jugendgruppen aus allen westeuropäischen Ländern nach Berlin kommen. Der Senat verbietet eine Abschlußdemonstration, muß das Verbot aber i auf Anordnimg des Verwaltungsgerichtes wieder aufheben. In der Vorhalle der TU treffen sich Genossinnen, die die Initiative zur Gründung von Kinderläden ergriffen haben. Kommunegründungen Durch die besondere Lage der Stadt einerseits und den modellhaften Charakter der Freien Universität für die Universitäten Westdeutschlands andererseits, ist der Berliner Student zum politischen Engagement aufgefordert. Als Alternative zum erlebten Zwang im Dritten Reich bot sich das System der „Befreier" an. Spätestens jedoch, als offensichtlich wurde, daß die Freiheit des politischen-Engagements und die Freiheit von Wissenschaft und Lehre nur soweit zugestanden wurde, als sie die Interessen einer Politik nicht verletzt, die das Ansehen Berlins als Frontstadt und Schaufenster für den Osten über die Bedürfnisse seiner Bevölkerung, nicht nur der studentischen, stellt, spätestens als die Polizei zur Hilfe gerufen wurde, um im Universitätsbereich die tatsächliche studentische Mitbestimmung und Selbstverwaltung zu verhindern — spätestens seitdem ist der Student aufgefordert, dieses System etwas genauer zu analysieren. Zwangsläufig führt ihn dies zur Diskussion der Ideen des Sozialismus. Die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie, die er bei Demonstrationen und Aktionen in der Öffentlichkeit leisten muß, führen ihn zur Kritik der' bürgerlichen und seiner eigenen Lebens-^ form. Plötzlich aufkommende und notwendige Solidarität während der Notwehraktionen gegen Universitäts- und Senatsbürokratie holen den Einzelnen aus seiner Isoliertheit. (Die Studenten beginnen sich zu duzen.) Ersten Niederschlag findet dies in der Kommunediskussion. Zwar war Kindererziehung zunächst nur Teil dieser Diskussion kollektiver Lebensformen und der Kritik bürgerlicher Traditionen, doch setzte hier erstmals der Gedanke zu umfassenden Konsequenzen aus dem politischen Engagement ein. Die Erkenntnis, daß Solidarität im Kampf nicht von bürgerlicher Basis aus zu erreichen sein würde, diese Erkenntnis liegt auch der späteren Kinderladendiskussion zu Grunde. „Sind alle bisher gescheiterten Gruppenexperimente aufgearbeitet, müssen wir konstatieren, daß das Scheitern weniger im Fehlen gemeinsamer Praxis begründet war — jeder kehrte nach der Aktion in das

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Treibhaus seiner bürgerlichen Individualexistenz zurück — als vielmehr in den mangelhaften Versuchen, die verschiedenen individuellen Geschichten in einer gemeinsam zu beginnenden Geschichte aufzuheben. Da Zukunft für uns Machbarkeit der Geschichte bedeutet, diese also nur vorgestellt werden kann als ein gemeinsam erlebter Prozeß von handelnden Subjekten in der subversiv anarchistischen Aktion, sind aktuell die zwei entscheidenden Implikationen von revolutionärer Kommune zu diskutieren: das objektive Moment der gemeinsam zu leistenden Praxis und das subjektive Moment der Vermittlung der Individuen innerhalb der Kommune. Beides ist eng miteinander vermittelt, denn ohne die Einlösung des einen bleibt das andere uneingelöst und vice versa. Die Kommune ist nur dann fähig, systemsprengende Praxis nach außen zu initiieren, wenn innerhalb der Kommune effektiv die Individuen sich verändert haben, und diese können sich nur verändern, wenn sie jene machen; Praxis nach außen ohne experimentelle Vorwegnahme dessen, was Menschsein in emanzipierter Gesellschaft beinhalten könnte, wird zum Aktivismus als Normerfüllung. [...] Hierbei ist entscheidend unser handfestes Eingreifen in die Hochschulpolitik als totale Negation bisher praktizierter Arbeit, was bedeutet, daß auf Grund der von uns dort geleisteten Praxis der SDS sich sehr schnell darüber entscheiden muß, ob er weiterhin systemimmanente Kritik an der bürgerlichen Universitätsstruktur leisten will oder fähig ist, mit uns Keimzellen mit gegenuniversitärer Zielsetzung aufzubauen. (Entscheidungen im SDS sind bisher immer nur durch Praxis erreicht worden, nie durch verdinglichte Diskus^ sionen.)" 4 Dieser Ausschnitt aus „Notizen zur Gründung revolutionärer Kommunen in den Metropolen" wurde im November 66 von Dieter Kunzelmann verfaßt. Die »Viva-Maria/Vor-Kommune'-Gruppe konstituierte sich aus ehemaligen Rätesozialisten um Dieter Kunzelmann in München, dem ehemaligen Dutschke/Rabehl-Flügel innerhalb der Berliner Sektion der,Subversiven Aktion* und einer Anzahl von Mitgliedern des Berliner SDS und spaltete sich nach dem Zirkular: „Über unsere bisherige Entwicklung" (Versuch einer Aufarbeitung der bisherigen Kommunediskussion) iii eine Reihe von Leuten um Rudi Dutschke, die „Wissenschaftskommune" machen wollten, in eine Reihe von Leuten, die politische Kommune machen wollten (die spätere SDS-Kommune K 2) und die Mitglieder der kurz darauf gegründeten Kommune 1.5 Die politische Bedeutung der Kommune 1 wurde erst nachträglich honoriert, nachdem sich der SDS von einer Flugblattaktion distanziert hatte. Im Mai 67 hatte die Kommune 1 eine Reihe Flugblätter6 verteilt. Sie fanden ein fast hysterisches Echo in der breiteren Öffentlichkeit und in der Presse. Besondere Aufmerksamkeit erregte ein Flugblatt, das in satirischer Form zur Kaufhausbrandstiftung nach Brüsseler Muster aufrief, um den Berlinern das „Vietnamgefühl" zu vermitteln. Die Flugblätter waren mit SDS unterzeichnet, der die Kommunemitglieder wegen dieses eigenmächtigen und nicht diskutierten Vorgehens zunächst suspendierte und später ausschloß. Trotzdem setzte de*

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Akademische Senat eine Untersuchungskommission ein, die überprüfen sollte, ob der SDS noch förderungswürdig sei. Am 31. Mai leitete der Akademische Senat das Verfahren zur Aberkennung dieser Förderungswürdigkeit ein, mit der Begründung, daß die Störaktionen des SDS gegenüber seinen positiven Beiträgen zur politischen Bildung überwögen. Die Mitglieder der Kommune 1 hatten sich aus der Gruppe der Kommune-Diskutanten gelöst und gehandelt. Von der Vorstellung, über die gemeinsame politische Tätigkeit zur Auflösung der individuellen psychischen Probleme zu kommen, schien, wenn man dem Urteil der übriggebliebenen SDS-Genossen Glauben schenken darf, nichts anderes geblieben zu sein, als eben die individuellen psychischen Probleme. Aus einer Veröffentlichung der Kommune 2: „Während die SDS-Kommune sich immer mehr ihren inneren Problemen zuwandte, hatte die kurz vor uns entstehende Kommune diesen Prozeß bereits abgebrochen. Wochenlang waren im SDS die wildeisten Gerüchte über die ,Horrorkommune' umgegangen, die sich aus der linken Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, um ihre privaten Schwierigkeiten zu lösen. Die von uns sogenannte Kommune 1 war an diesem Versuch gescheitert. Ein Teil ihrer Mitglieder hatte sich entschieden, den in der Gruppe entstandenen psychischen Druck durch Aktionen nach außen zu tragen. Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht weigerten sie sich jetzt meistens, über individuelle Konflikte überhaupt zu reden. Nach der Verhaftung wegen des geplanten Pudding-Attentats auf den damaligen Vizepräsidenten der USA Humphrey zogen zwei aus der Kommune 1 zu uns. Wir fanden unser Urteil, das wir auf den wenigen gemeinsamen Sitzungen mit der Kommune 1 gewonnen hatten, bestätigt: Die aus ihrer individuellen Zusammensetzung resultierende zwanghafte Gruppenstruktur der Kommune 1 hatte zur Wiederherstellung repressiver neuer Über-Ich-Normen geführt, wie etwa der kategorischen Forderung: Alle Zweierverhältnisse müssen aufgelöst werden! Wir glaubten, wir könnten auf Grund unserer Erfahrung geeignetere Methoden entwickeln." 7 Auch wenn der nächste Versuch einer SDS-Kommune sich zwar in „ihrer Konzeption in einigen relevanten Punkten von der Kommune l " 8 unterschied, so schien ihr dennoch ein ähnlicher Weg wie der Kommune 1 vorgezeichnet: „Die Kommune 2 ist noch schneller in politische Apathie abgesunken, als die Kommune 1 zur Funktion des Berliner Originals und Springers Hofnarren aufgestiegen ist." 9 Dennoch hatten diese beiden ersten Versuche kollektiven Zusammenlebens politische Folgen. Nicht zuletzt auch durch die Berichte der bürgerlichen Presse, die diese Versuche gleichsetzte mit ausschweifendem Sexualleben. Die „Horror"-Kommune 1 hatte wesentliche Bedeutung für die Justiz-Kampagne. Während die „Polit"-Kommune 2 zur „Revolutionierung des bürgerlichen Individuums" beitrüg. Einmal durch die Auseinandersetzung mit den eigenen psychischen Problemen, zum anderen durch die Wiederveröffentlichung des Berichts von Wera Schmidt über das Kinderheim-Laboratorium in Moskau als

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Raubdruck, der bislang weder im Osten noch im Westen zugänglich war. Die Kommune 2 gab durch Berichte über Erfahrungen mit den Kommunekindern einen Anstoß zur Kinderladenbewegung; Der Aktionsrat zur Befreiung der Frau Die Gründung der SDS-Kommunen hatte keineswegs eine Verlagerung der politischen Aktivitäten in diese Zentren zur Folge. Sie gaben jedoch neuen Anlaß, die Rolle der Frau, auch im eigenen Umkreis, zu diskutieren. Die Diskussion „um den Aufstand des ganzen Menschen gegen die verstaatlichte autoritäre Gesellschaft, um den Abbau der Herrschaft im Bewußtsein" forderte den Aufstand der Frauen gegen ihre Unterdrücker: Die Männer, die ohne es zu wollen, ihre Vorrangstellung behauptend auf Grund des wechselseitigen libidinösen Prozesses, die Emanzipationsbestrebungen der Frauen bedrohten. Da die Konflikte nicht zusammen mit den Männern innerhalb des SDS gelöst werden konnten, entstand im Januar 1968 der „Aktionsrat zur Befreiung der Frau", in dem zunächst keine Männer mitarbeiten sollten. Als grundsätzliches Problem kristallisierte sich aus der Diskussion die Kinderfrage heraus, ohne deren Lösung die Befreiung der Frau unmöglich schien. „Die Repressivität der Gesamtgesellschaft entlädt sich nach wie vor auf die Frau, die ihrerseits die von der übrigen Gesellschaft empfangene Agressivität an die Kinder weitergibt. Aus Zeitmangel ist die Frau nicht in.der Lage, über ihre Situation nachzudenken und daraus Konsequenzen zu ziehen. Selbst in Organisationen, die die Mitarbeit der Frauen wünschen, sind die Frauen nicht nur in der Minderzahl, ihre Teilnahme ist auch weniger produktiv als die der Männer. Es gibt ein akutes Bedürfnis nach einer Organisationsform, die den Müttern zu bestimmten Zeiten ihre Kinder abnimmt, um arbeiten zu können. Dieses Bedürfnis läßt sich vor allem aus zwei Gründen nicht befriedigen: a) gibt es zu wenig Kindergärten; b) sind die Jündergärten, die es gibt, autoritär geleitet, so daß es für die Kinder schädlich wäre, sie in eine solche Anstalt zu schicken. Daraus folgt: Es müssen schnellstens Kindergärten gegründet werden." 1 0 ' Kurz umrissen waren die Ziele des Aktionsrates folgende: Erarbeitung revolutionärer Erziehungsmethoden und Schaffung eines emanzipatorischen Gegenmodells, das zum Kampf gegen die Institutionen benützt und später weniger privilegierten Frauen zugänglich gemacht werden sollte. Aufhebung der Isolation der Frauen mit Kindern. Die Kinder sollten sich im Kollektiv emanzipieren, wodurch auch ihre Isolation beendet wird. Die freigesetzte Arbeitskraft und -zeit sollte, für die theoretische und praktische Erziehungsarbeit genutzt, den politischen Bewußtwerdungsprozeß einleiten.

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Der Vietnam-Kongreß als organisatorischer Beginn Im Februar 1968 fand der Vietnam-Kongreß in der Technischen Universität statt. Nach der Ermordung Benno Ohnesorgs, am 2. Juni 1967, hatte dieser Kongreß für die Berliner Studenten besondere Bedeutung. Nicht nur begeisterter Beifall nach den. Referaten und die minutenlangen Sprechchöre waren Zeichen praktisch geübter Solidarität, sondern auch die Rücksicht eines jeden einzelnen. Drängeleien oder Raufereien gab es hier nicht, obgleich der größte Hörsaal und die angrenzenden Räume, in die die Reden mit Lautsprechern übertragen wurden, völlig überbesetzt waren. Die faschistoide Reaktion der Springer-Presse und das Verbot der geplanten Demonstration taten ein übriges: Hier wurde es den Berliner Studenten zum Erlebnis, keine kleine radikale Minderheit zu sein im Kampf gegen Kapitalismus, gegen Faschismus und Polizeiterror. Diese imposante Szenerie ist die Geburtsstunde der Berliner Kinderläden. Die Frauen der Genossen konnten und durften sich diesem Ereignis nicht verweigern: Sie hatten ihre Kinder einfach mitgebracht. In der Vorhalle des Hörsaals spielte eine Gruppe von etwa 40 Kindern. Nicht wie sonst auf Demonstrationen und Teach-ins vereinzelt und verängstigt im Gedränge verloren, hatten sie sich aus Stoffetzen und Stöcken Fahnen gemacht und spielten Demonstration. Die Begeisterung der Erwachsenen hatte sie mitgerissen. Mitglieder des Aktionsrates und Eltern wechselten sich in der Betreuung der Kinder ab. Spontan fanden sich andere, die mithalfen. Durch diese erste, ohne lange Vorbereitung entstandene, Selbsthilfeaktion in der Öffentlichkeit, wurde vielen Eltern und Frauen die Möglichkeit bewußt, ihre Kinderprobleme, und nicht nur diese, gemeinsam zu lösen. Die ersten theoretischen Grundlagen für eine kollektive Erziehung waren in den Arbeitskreisen des Aktionsrates erarbeitet. Die Kommune 2 hatte in ihrem Wera-Schmidt-Raubdruck ihr „Modell einer antiautoritären Erziehung" vorgelegt. Exkurs: Wera Schmidt, „Erfahrungsbericht über das KinderheimLaboratorium in Moskau" 1921 gründete Wera Schmidt zusammen mit einigen progressiven Pädagogen ein Kinderheim-Laboratorium bei Moskau, Der junge Sowjetstaat konnte ihr von Anfang an nur sehr wenig materielle Unterstützung gewähren. In ihrem Experimentalkinderheim versuchte Wera Schmidt, die Erkenntnisse der Psychoanalyse mit den Grundsätzen kommunistischer Erzieher zu verbinden. Das Kinderheim beherbergte nur 12 Kinder (davon 6 im Alter von 3 bis 3 1/2 und 6 im Alter von 4 bis 5 Jahren), nachdem die ursprüngliche Gruppe von 30 Kindern aus finanziellen Gründen reduziert werden mußte. Die Kinder sollten vor allem lernen, als Mitglieder eines Kollektivs

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aufzuwachsen, ohne dabei ihren Eigenwillen, ihre individuellen Fähigkeiten und Neigungen zu verleugnen oder aufzugeben. Erforderliche Anpassungsleistungen der Kinder, wie Reinlichkeit, Realitätstüchtigkeit gegenüber der Umwelt und die Möglichkeit, nicht befriedigbare Triebansprüche zu sublimieren, wurden im Gegensatz zur Erziehung in der bürgerlichen Gesellschaft ohne Zwang, durch Argumentation und Vorbild den Kindern vermittelt. Die kindliche Sexualität wurde weder unterdrückt noch tabuisiert Ihre Einbeziehung in die Erziehungsmethoden war freilich auch Grund für gelegentliche Vorwürfe, das Kinderheimlaboratorium überschätze die Rolle der Sexualität für die Erziehung. Unter der gewaltigen Anstrengung der „Neuen ökonomischen Politik" mußten sich die Bolschewiki nach und nach entschließen, die meisten der kulturellen und pädagogischen Experimente wieder einzustellen, die anfangs in der Sowjetrepublik breiten Raum eingenommen hatten. Im Zuge dieser Subventionsstreichungen zugunsten des rigorosen Aufbaus der Schwerindustrie mußte auch Wera Schmidts Kinderheimlaboratorium schließen. 1968 wurde der Erfahrungsbericht von Wera Schmidt in Berlin erstmals nachgedruckt. Die Wiederentdeckung des Moskauer Experiments bedeutete für jenen Teil der Studentenbewegung, der sich mit Erziehungsproblemen beschäftigte, zugleich die Entdeckung der überragenden Bedeutung der kindlichen Sexualität und der Notwendigkeit ihrer Befreiung für eine fortschrittliche Erziehung.

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Anhang: Kommune 1-Flugblätter Leseabschrift des Kommune 1-Flugblattes Nr. 7 2. Auflage NEU! UNKONVENTIONELL! NEU! UNKONVENTIONELL! NEU! Warum brennst Du, Konsument? NEU! ATEMBERAUBEND! NEU! ATEMBERAUBEND! NEU! Die Leistungsfähigkeit der amerikanischen Industrie wird bekanntlich nur noch vom Einfallsreichtum der amerikanischen Werbung Ubertroffen: Coca Cola und Hiroshima, das deutsche Wirtschaftswunder und der vietnamesische Krieg, die Freie Universität Berlin und die Universität von Teheran sind die faszinierenden und erregenden Leistungen und weltweit bekannten Gütezeichen amerikanischen Tatendrangs und amerikanischen Erfindergeistes; werben diesseits und jenseits von Mauer, Stacheldraht und Vorhang für freedom und democracy« Mit einem neuen gag in der vielseitigen Geschichte amerikanischer Werbemethoden wurde jetzt in Brüssel eine amerikanische Woche eröffnet: Ein ungewöhnliches Schauspiel bot sich am Montag den Einwohnern der belgischen Metropole: Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum erstenmal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnam-Gefühl (dabei zu sein und mitzubrennen),das wir in Berlin bislang noch missen müssen* Skeptiker mögen davon warnen, 'König Kunde*, den Konsumenten, den in unserer Gesellschaft so eindeutig Bevorzugten und Umworbenen, einfach zu verbrennen« Schwarzseher mögen schon unsere so überaus komplizierte und kompliziert zu lenkende hochentwickelte Wirtschaft in Gefahr sehen« So sehr wir den Schmerz der Hinterbliebenen in Brüssel mitempfinden: wir, die wir dem Neuen aufgeschlossen sind, können, solange das rechte Maß nicht überschritten wird, dem Kühnen und Unkonventionellen, das, bei aller menschlicher Tragik, im Brüsseler Kaufhausbrand steckt, unsere Bewunderung nicht versagen. Auch der Umstand, daß man dieses Feuerwerk AntiVietnam-Demonstranten andichten will, vermag uns nicht irrezuführen. Wir kennen diese weltfremden jungen Leute, die immer die (Plakate) von gestern tragen, und wir wissen, daß sie trotz aller abstrakter Bücherweisheit und romantischer Träumereien noch immer an unserer dynamisch-amerikanischen Wirklichkeit vorbeigegangen Sind

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Kommune 1 (2^.5.1967) Verantwortlich: D« Enzensberger

Leseabschrift des Kommune 1-Flugblattes Nr. 8 Wann brennen die Berliner Kaufhäuser? Bisher krepierten die Amis in Vietnam für Berlin. Uns gefiel es nicht, daß diese armen Schweine ihr Cocacolablut im vietnamesischen Dschungel verspritzen müßten. Deshalb trottelten vir anfangs mit Schildern durch leere Straßen, warfen ab und zu Eier ans Amerikahaus, und zuletzt hätten wir HHH in Pudding sterben sehen. Den Schah pissen wir vielleicht an, oder, wenn wir das Hilton stürmen, erfährt er auch einmal, wie wohltuend eine Kastration ist, falls überhaupt noch was dranhängt ... es gibt da so böse Gerüchte. Ob leere Fassaden beworfen, Repräsentanten lächerlich gemacht - die Bevölkerung konnte immer nur Stellung nehmen durch die spannenden Presseberichte. Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: sie zünden ein Kaufhaus an, zweihundert saturierte Bürger beenden ihr auf-r regendes Leben, und Brüssel wird Hanoi. Keiner von uns braucht mehr Tränen über das arme vietnamesische Volk bei der Frühstückszeitung vergießen. Ab heute geht er in die Konfektionsabteilung vom KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zündet sich diskret eine Zigarette in der Ankleidekabine an. Dabei ist nicht unbedingt erforderlich, daß das betreffende Kaufhaus eine Werbekampagne für amerikanische Produkte gestartet hat, denn wer glaubt noch an das H made in Germany"? Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht. Genausowenig beim Uberschreiten der Demarkationslinie durch die Amis, der Bombardierung des Stadtzentrums von Hanoi, dem Einmarsch der marines nach China« Brüssel hat uns die einzige Antwort darauf gegeben: burn, war-house, burn! Kommune 1 (2^.5*67)

Leseabschrift des Kommune' 1-Flugblattes Nr. 9

Revolution in Ros§ Revolution in Rot Durch flammendes Rot fliegen Pelze auf die Straße. Für jede Hausfrau Brüssels einen Nerz. L'lnnovation rosarote Invasion. Das völlig neue revolutionierende Gefühl. Eine Flasche Propangas, und Sie können dasselbe erleben. Die höchstentwickelte Propaganda für Johnson-Vietnam-Poütik. Amerikanisches Kulturgut von ros§grauen Wolken umschmeichelt. Die Apokalypse von Brüssel können Sie selbst erleben. Durch Revolution in Rosd — Propangas in Rot. Bei Kepa und Ka-de-Weh. Kommune I

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dm" in Wett-Berita spricht Meise Meinung: Leute, die die Brüsseler Brandkatastrophe mit iliren fast 400 Toten' als „Happening" bezeichnen, sind gemeingefährlich! Wer diese Katastrophe, die möglikale Brandstiftung *urfidkgeht, verherrlicht und fiehlt, gehört hinter Schloß und Riegel!



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Vom Aktiohsrat zum Zentralrat der sozialistischen Kinderläden WestBerlin In verschiedenen Stadtteilen trafen sich nun Gruppen, die nach praktischen Möglichkeiten zur Errichtung eines Kindergartens suchten. Die leerstehenden Läden der von der Preispolitik der Großkonzerne und Supermärkte ruinierten Einzelhändler boten sich an. So waren im Mai 68 drei „Kinderläden", wie sie fortan genannt wurden, in den Bezirken Neukölln und Schöneberg errichtet. Sie arbeiteten weder praktisch noch theoretisch einheitlich. In Neukölln beispielsweise wechselten die Eltern in der Betreuung der Kinder ab, während der Kinderladen Charlottenburg 1 von Anfang an eine Kindergärtnerin beschäftigte, die nach ihrer staatlichen Ausbildung ins antiautoritäre Lager übergewechselt war. Sowohl in der Zusammensetzung der Elterngruppe als auch in der Anzahl der Kinder, abgesehen von den räumlichen Gegebenheiten der einzelnen Läden, unterschieden sich die Gruppen voneinander. In fast allen Stadtteilen entstanden im Laufe des Jahres neue Elternkollektive, mit der Absicht, Kinderläden zu gründen. Die organisatorischen Aufgaben übernahm zunächst der Aktionsrat zur Befreiung der Frau. Er versuchte, unabhängig von der Kinderladenarbeit, die Mädchen und Frauen zu organisieren, um so die notwendige Kommunikation über den umgreifenden politischen Aspekt zwischen den einzelnen Läden herzustellen: „Die Erarbeitung revolutionärer Erziehungsmethoden muß Hand in Hand gehen mit einem sich vertiefenden Bewußtsein über die Situation der Frau in der kapitalistischen Gesellschaft. Die Arbeit daran muß jede Frau, die ein Problembewußtsein hat — sonst wäre sie nicht im Kinderladen, notwendigerweise auf die Frauen übertragen, die nicht so privilegiert sind wie sie selbst, die nicht die Möglichkeit haben wie sie, einen Kinderladen aufzumachen, um über diese Probleme nachdenken zu können, die nicht die Möglichkeit haben wie sie, sich zunächst die Voraussetzungen für den politischen Kampf zu schaffen. Die Läden haben nicht den Zweck, daß die Frauen die Zeit, die sie durch die Kinderläden gewonnen haben, dazu benutzen, sich mit mehr Muße ihrem Privatleben zu widmen, sondern den« daß sie den Bewußtwerdungsprozeß nun auch bei weniger privilegierten und in viel schlechteren Situationen lebenden Frauen in Gang setzen." 1 1 Doch in der praktischen Arbeit im Kinderladen ergaben sich einige Schwierigkeiten, die die Emanzipation der Frau behinderten. Die tägliche Beschäftigung mit den Kindern, die zur Auflösung der Fixierung an die eigenen Kinder führen sollte, stand im Widerspruch zu der irrationalen, emotionalen Bindung an die eigenen Kinder. Sie wurde zur Barriere für die Kritik an der Fixierung und deren Folgen und erschwerte die Solidarisierung und Politisierung der Frau in der Kinderladenarbeit. Durch die Mitarbeit der Väter wurden alte Rollen wieder

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belebt. Der Wissensvorsprung der Männer hemmte die Entwicklung der Selbstständigkeit der Frauen. Die Probleme mit den Kindern und den Männern bedrohten ihre Existenz, wenn sie versuchten, sich aus der Rolle als Frau und Mutter zu emanzipieren. Der Aktionsrat bildete keinen stabilisierenden Faktor für sie. Die starke Arbeitsbelastung durch ihre alltäglichen Aufgaben standen der Politisierung und der Freisetzung für politische Arbeit entgegen. Diese Belastungen hatten wiederum Rückwirkungen auf die Entwicklung der Kinder. Der Versuch des Aktionsrates mußte scheitern. Glaubte man zunächst noch, daß durch die gemeinsame Erziehung, die Arbeit weniger würde und die Frauen dadurch entlastet werden könnten, um selbst, wie ihre Männer, politisch arbeiten zu können, so zeigte sich schön bald, daß der notwendige Arbeitsaufwand, in der Aufbauphase der Kinderläden, die meisten absorbierte und die politische Arbeit wieder in den Hintergrund rückte. Andererseits lösten sich die Familien, durch die meist täglichen Zusammenkünfte der Eltern, aus ihrer kleinfamiliären Isoliertheit. Alte Ehen und Zweierbeziehungen brachen auseinander, Wohnkollektive und neue Beziehungen brachten für die einzelnen neue Schwierigkeiten und Belastungen mit sich, die nur ansatzweise kollektiv gelöst werden konnten. Die Frauen hatten nicht zuletzt durch die Arbeit im Aktionsrat, ihre eigentlichen Interessen erkannt, und wollten sie nun auch realisieren. Dies äußerte sich oft in einem Verdrängen der Probleme, im Extremfall in der Abkehr von den politischen Zielen oder sogar im Ausscheiden aus dem Kinderladen. Nicht selten wurde Kinderladenarbeit selbst als politische Praxis verstanden. All diese Schwierigkeiten führten zu einer mehr oder weniger starken Verunsicherung der Frau in allen Lebensbereichen und nicht selten zu dem Versuch, diese Schwierigkeiten individuell zu lösen, was die totale Reprivatisierung zur Folge hatte. Der Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte (Vietnam-Kongreß) war durch diese psychisch und physisch belastenden Faktoren in Frage gestellt. Es bestand die große Gefahr, daß die einzelnen Läden zur reinen Selbstzweckorganisation regreddierten, ihr pädagogisches Konzept über den psychoanalytischen Ansatz nicht hinausginge und den Zusammenhang zur politischen Realität damit verlöre. Die Vereinzelung der verschiedenen Läden wurde immer deutlicher sichtbar^ Der Versuch des Aktionsrates zur Befreiung der Frau, die Kommunikation, über was auch immer, auf breiter Basis herzustellen, war gescheitert. Kommunikation wurde jedoch immer notwendiger. Angesichts der ' Tatsache, daß ein Zuschuß des Senats nur einzelnen Läden zugestanden werden sollte (wobei die Kriterien der Verteilung nicht nur Hygienegesichtspunkte waren und womit die Isolation und Abspaltung einzelner Läden erreicht werden sollte), übernahm der im August 68 konstituierte „Zentralrat der sozialistischen Kinderläden West-Berlin", die Aufgabe, zum ersten eine gemeinsame Förderung zu errei-

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chen, zum anderen, wenn das nicht gelingen sollte, die einzelnen gewährten Zuschüsse horizontal auszugleichen und allen Läden zugute kommen zu lassen. Die Abgrenzung des Zentralrates vom Aktionsrat war zum größten Teil organisatorischer Art: „Die Organisationsform des Zentralrates könnte für zukünftige Organisationen der sozialistischen Bewegung modellhaft sein, und zwar aus folgenden Gründen: a) Sie setzt an einem konkreten materiellen Bedürfnis an, und gewinnt durch die so garantierte Kontinuität der Arbeit im Gegensatz zu anderen Gruppen ein hohes Maß an Verbindlichkeit. b) Das Bedürfnis nach Kommunikation und Zentralisation entsteht in den einzelnen Gruppen an der Basis, wobei die politisch bewußtesten Gruppen auf diese Organisationsform hinarbeiten. Es ftat sich an den Betriebsbasisgruppen, die nicht mehr vom SDS zentral organisiert werden konnten, und am Beispiel der Kinderläden, die nicht mehr vom Aktionsrat zur Befreiung der Frau erfaßt wurden, gezeigt, daß die , Basisgruppen' eine eigene zentrale Organisation entwickeln, die von ihnen selbst ausgeht und nicht von einer übergeordneten Gruppe." 12 Was die politischen Inhalte angeht, so knüpfte der Zentralrat dort an, wo der Aktionsrat gescheitert war: „Mit der Konstituierung des Zentralrates wird eine Tendenz sichtbar, die nach unserer Auffassimg für eine zukünftige sozialistische Bewegung das Verhältnis von Politik und Organisation bestimmen muß. Die Aufgabe einer Bewegung, die versucht, die Massen zu erreichen, wäre es, an deren unmittelbaren Interessen, Wünschen und Hoffnungen anzuknüpfen. Das bedeutet, daß weite Bereiche, die heute noch zur Privatsphäre zählen, in die politische Arbeit mit aufgenommen werden müssen. Diese Auffassung geht davon aus, daß existentiell erfahrene Isolierung und Einsamkeit den Menschen heute für die Manipulationsapparate verfügbar machen. So sind die Eltern [...] bei einer zeitgemäßen Kindererziehung überfordert und suchen nach allen möglichen Orientierungshilfen, die ihnen von der affirmativen Bewußtseinsindustrie angeboten werden [...] Dadurch werden sie aber nur teilweise entlastet, weil die Erziehungsanweisungen in Massenkommunikationsmitteln [...] nicht den notwendigen und unmittelbaren Kontakt zwischen den Erziehern ersetzen können. Die einzelnen werden gezwungen, die Erziehung für eine von ihnen nicht mehr durchschaute Gesellschaft zu übernehmen, und damit unter einen ungeheuren psychischen Druck gestellt, der sie im Interesse der Herrschenden manipulierbar macht. Für uns handelt es sich darum, die vorhandenen gesellschaftlichen Tendenzen zum kollektiven Leben und Arbeiten bewußt freizusetzen und zu organisieren. Die bisherigen Erfahrungen der Kinderläden ha? ben bereits in Ansätzen gezeigt, daß die relative Sicherheit im Elternkollektiv es ermöglicht, einen Teil der bisher zur Verdrängimg von

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Ängsten gebundenen Energien freizusetzen, damit sie für die politische Arbeit genutzt werden können. Dieser Prozeß geschieht jedoch nicht automatisch. Die Anfänge kollektiver Selbstorganisation in der bisherigen Privatsphäre stehen immer in der Gefahr, vom System integriert zu werden. Das ist bei den Berliner Kinderläden sehr schnell deutlich geworden, als der Senat eine finanzielle Unterstützung in der Höhe von 80 000,— DM anbot. Sie sollte zunächst von einer Bedingung abhängig gemacht sein, die den Zentralrat insofern als politisches Gremium ausgeschaltet hätte, als nur einzelne Läden unabhängig vom Zentralrat und voneinander unterstützt worden wären. Der Gefahr der Integration durch das System können diese Selbstorganisationen nur entgehen, wenn die politisch bewußtesten Gruppen immer wieder den Zusammenhang zu allen anderen Bereichen der Gesellschaft herstellen. Der Zentralrat versteht sich deshalb bewußt als Teil der sozialistischen Bewegung. Seine zukünftige Aufgabe wird sein, von der Selbsthilfe der Linken überzugehen zur Initiierung von Selbsthilfeorganisationen in den lohnabhängigen Massen. Für diese Arbeit sind nur wenige Genossen in den Kinderläden schon jetzt bereit, die meisten, vor allem die Frauen, müssen erst ihren eigenen psychischen und politischen Emanzipationsprozeß so weit vorantreiben, daß Energien für diese Arbeit freigesetzt werden." 13 Der vorstehende Artikel ist deshalb fast in seiner ganzen Länge zitiert, weil er bereits die Schwierigkeiten enthält, die die Kommunikation der einzelnen Läden nicht verbesserte. Der Zentralrat verstand sich als Organisation, die aus dem Bedürfnis an der Basis entstanden ist. Nach dem Konzept müßten die politisch bewußtesten Gruppen, als Teil der sozialistischen Bewegimg, zur Initiierung von Selbsthilfeorganisationen in den lohnabhängigen Massen übergehen, während nur wenige Genossen dazu bereit sind und während vor allem die Frauen erst ihren Emanzipationsprozeß vorantreiben müssen. So konnte der Zentralrat so lange seinen Anspruch nicht einlösen, als es ihm nicht geläng, die Bedürfnisse an der Basis organisatorisch zu erfassen, so lange die politisch bewußteren Gruppen nicht auf die Basis zurückwirken konnten. Ein rotierendes Delegiertensystem der einzelnen Kinderläden hätte dies eher gewährleistet. Der Fehler, den der Zentralrat dem Aktionsrat zuschiebt: „das Schwergewicht der politischen Arbeit zu schnell in det Politisierung anderer Bevölkerungsschichten" gesehen zu haben, „bevor von der Bewußtseins- und Existenzlage der meisten Frauen her die Möglichkeit dazu gegeben war", 1 4 dieser Fehler ist auch seiner. Die Senatsgeschichte ist lange genug der einzige Inhalt der Kommunikation. Im Januar 69 erscheint das erste Kinderladen-Info. Statt einer Besprechung sei hier die erste Seite zitiert: „Seit langem ist es dringend notwendig, Kommunikation zwischen den Kinderläden herzustellen. Die Kinderläden werden sich nur dann weiterentwickeln, wenn wir unsere Erfahrungen austauschen und die Informationssperre aufheben. Wir dürfen nicht länger nur defensiv auf

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uns nicht genehme Veröffentlichungen reagieren, sondern müssen endlich ein Medium schaffen, das von Angebot und Nachfrage des kapitalistischen Nachrichtenmarktes unabhängig ist und unsere eigenen Bedürfnisse artikuliert. Das Info bietet die Chance, Informationen zentral zu sammeln, zu vermitteln und für unsere Bedürfnisse zu verwerten! Damit werden wir eine Plattform schaffen, die der Veröffentlichung der experimentellen Seite unserer sozialistischen Kritik dienen wird. Die Transformation des Info in ein Kampforgan der sozialistischen Kinderläden wird nur eine Frage der Zeit sein." 15 Anmerkungen * 1 vgl. „Erklärungen in Anbetracht der Niederlage Deutschlands" vom 5. Juni 1945. In: H. Albertz/D. Goldschmidt: Konsequenzen oder Thesen, Analysen und Dokumente zur Deutschlandpolitik^ (rororo aktuell 1280/81) Reinbek bei Hamburg 1969, S. 188 2 zit. nach Albertz/Goldschmidt: Konsequenzen, S. 99 3 Die Lage der Berliner Wirtschaft u. d. Maßn. 6 Ber. Sen«, v. Berl. 68, S. 3 4 zit. nach Richtlinien und Anschläge. Materialien zur Kritik der repressiven Gesellschaft. Hrsg. v. A. Goeschel. (Reihe Hanser 9) München 1968, S. 100 f 5 Vgl.: Richtlinien und Anschlag^ 6 siehe Anhang 7 Kommune 2. Oberbaumverlag, Berlin 1969, S. 41 * SDS-Korrespondenz, Nr. 6, Mai 1967 9 SDS-Rechenschaftsbericht der 22. Delegiertenkonferenz, September 1967 1 0 Flugblatt des Aktionsrates, das an der FU verteilt wurde 1 1 Paper des Aktionsrates 1 2 Zentralrats-Broschüre Nr. 1, S. 7f 1 3 Zentralrats-Broschüre Nr. 1, S. 6 1 4 Zentralrats-Broschüre Nr. 1, S. 6 1 5 KL-Info Nr. 1, 22. 1. 69

III, Der Kinderladen S. Entstehungsbedingungen Im Frühjahr 68 waren in vielen Bezirken West-Berlins „Basisgruppen" gebildet worden. Diese Basisgruppen bestanden größtenteils aus Studenten, die versuchten, ihre politische Arbeit bezirklich zu organisieren und damit ihre Aktivitäten aus der Universität hinaus in die einzelnen Stadtteile und Betriebe zu tragen. Aus einer dieser Betriebsbasisgruppen entstand der Kinderladen S. Über Anzeigen in der linken Presse, Anschläge in den Universitäten und Mundpropaganda wurde die Gründerversammlung für den Kinderladen angekündigt. Treffpunkt war der von der Basisgruppe bereits gemietete Laden, in dem sie ihre Sitzungen abhielt. Ein großer Tisch in der Mitte des Raumes und leuchtend rot gestrichene Tür- und Fensterrahmen waren alles, was diesen Raum von dem früheren Kartoffelladen unterschied. Die Eltern von 20 Kindern§ waren gekommen. Es war allen klar, daß^mit der praktischen Aibeit nicht begonnen werden konnte, bevor man nicht Grundsätzliches geklärt habe. Jedoch beurteilten die Anwesenden Sinn und Zweck dieser Einrichtung sehr unterschiedlich, so daß es zu einer vorherigen Klärung zunächst nicht kam. So verstanden die einen den Kinderladen als Selbsthilfeorganisation, die „politische Bedeutung" habe, während andere, aus der Nachbarschaft, aus reiner Notlage heraus, weil sie keinen Platz für ihre Kinder in einem städtischen Kindergarten gefunden hatten (in West-Berlin fehlen über 100 000 Kindergartenplätze 1 ), zur Gründerversammlung gekommen waren. Dreizehn Elternpaare «begannen trotzdem mit dem praktischen Aufbau des Kinderladens. Die nötwendige politische Diskussion, die in den anderen, bereits bestehenden Kinderläden damals in vollem Gang war, wurde wegen der anstehenden praktischen Probleme in den Hintergrund gedrängt. Zwar arbeiteten einige Genossen aus der Betriebsbasisgruppe weiter mit und versuchten, diese Diskussion immer wieder in Gang zu bringen; die beteiligten Eltern entwickelten jedoch so viele Aktivitäten und eigene Vorstellungen, daß die Diskussion nicht zustande kommen konnte. Zum anderen machte die zufällige Zusammenwiirfelung der Elterngruppe die politische Klärung lange Zeit unmöglich. In einem späteren Protokoll über die Spaltung der Elterngruppe findet sich folgendes: „Bereits 3 Wochen, nachdem sich die Elterngruppe des Kinderladens S. zusammengefunden hatte, bildete sich ein sogenannter linker Kern heraus. Wir hatten zwar nicht die geringsten Vorstellungen, wie eine sozialistische Kindererziehung durchzuführen sei, aber wir waren uns einig darüber, daß alle bestehenden Erziehungsmodelle unsere Kinder zu ebenso reprimierten, autoritätsfixierten, unfreien Typen machen muß, wie wir es selbst sind. Gleichzeitig war es uns

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klar, daß wir als erstes mit unserer eigenen Emanzipation zu beginnen hätten. Wir führten Kommunediskussionen, erwägten eine Gruppenanalyse usw. Leider blieb dieses sehr im Vagen, denn die ständigen Auseinandersetzungen mit den liberalen Eltern, deren Ziel die „freie Erziehung zum kritischen Menschen" war, ließ uns gar nicht zu einer ernsthaften Aibeit kommen. Nachdem wir es dann nach drei Monaten endlich geschafft hatten, einige der Liberalen rauszuekeln, und der Laden inzwischen lief» wurde klar, daß alles Bisherige nur vorgeschobene Gründe waren, unsere Unfähigkeit und unsere eigenen Differenzen zu verschleiern." 2 Die Einrichtung des Ladens Mit der Renovierung des Ladens wurde ziemlich bald nach der Gründerversammlung begonnen. Zuerst wurden die alten rissigen Mauern einer auf dem Hof dazugemieteten Halle ausgebessert. Obwohl sich diese Halle für Kinder ausgezeichnet zum Toben eignete, stellte sich bald heraus, daß die zusätzliche Miete für das Elternkollektiv eine zu igroße Belastung war, die nicht getragen werden konnte. Die Arbeit in dieser Halle war also vergeblich. Die Finanzierung des Projektes war von vornherein in Frage ge- . stellt. Das Problem konnte erst nach zahllosen mehrstündigen Sitzungen gelöst werden. Es sollte jedoch nicht die praktische Aibeit bremsen. So wurde zunächst ein Kredit aufgenommen, um den Aufbau überhaupt zu ermöglichen. Daß man möglichst kostensparend vorging, versteht sich von selbst. Problematisch erwies sich die Arbeit dennoch für Studenten, die das Handwerk nur vom Zuschauen aus dem bürgerlichen Elternhaus kannten und nun selbst Hand anlegen wollten. Es wurden einige Genossen engagiert, die etwas mehr handwerkliche Erfahrung hatten. Hier zeigte sich, daß durch solidarisches Handeln Probleme leichter zu lösen waren. Von allen gemeinsam wurden die drei, für den Kinderladen bestimmten Räume hergerichtet. Die Wände wurden weiß gestrichen (die Kinder sollten die nötigen „Akzente" selbst setzen), die Türen noch einmal rot bemalt, Wasser- und Lichtleitungen verlegt, Trennwände gezogen, ein kleiner Abstellraum als Bad und Toilette eingerichtet. Statt eine Wanne zu kaufen, die wieder viel Geld gekostet hätte, mauerte man ein quadratisches Planschbecken und täfelte es mit Fliesen aus. Das Klo, nicht zu vergessen, setzte man auf Kinderpohöhe. Über die Farben des Klaviers wurde viel zu lange diskutiert; beim Streichen übertrieb man dann die Sorgfalt. In der Nacht vom 12. zum 13. Dezember wurde der Handwerksdreck der letzten Monate in einer Großputzaktion beseitigt. Eines war den Eltern in den letzten Monaten der harten Arbeit, die neben dem Studium und der sonstigen Arbeit für den Lebensunterhalt meist nachts geleistet wurde, zum Erlebnis geworden: Arbeiten im

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Kollektiv macht nicht nur mehr Spaß, sondern erreicht auch mehr durch gegenseitige Hilfe, Anregung und Kontrolle. Fünf Räume, hintereinander angeordnet*, standen den Kindern zur Verfügung. Der erste, vorderste und größte, war für die Gruppe der zweibis vierjährigen bestimmt. Ein Regal für die Spielsachen an der Wand, ein runder Tisch in der Mitte, mit Kinderstühlen drumherum, eine alte Schultafel und als besondere Attraktion ein Klettergerüst, genügend abgesichert, auf dessen oberster Plattform Matratzen liegen, mit einer Rutschbahn in die Mitte des Raumes hinein, bilden das ganze Inventar des Raumes. An der großen Schaufensterscheibe sollten sich die Kinder von innen und die Passanten von außen die Nasen plattdrücken. Vom mittleren Raum aus, sind Bad und Klo zugänglich. Davor steht eine Wickelkommode, darüber ein Regal für die Kinderkleider und die Schuhe. Von hieraus gelangt man auch in die Küche, bestehend aus Herd, Waschbecken und einer Arbeitsplatte, geschickt durch eine Trennwand und eingebaute Kommoden vom übrigen Räum getrennt, so daß die Kinder nicht, ohne besondere Hürden zu nehmen, dorthin kommen, aber immer beobachten können, was hier gerade gemacht wird. Hier hängt auch der Medizinschrank, natürlich so hoch, daß er für die Kinder nicht einmal erreichbar ist, wenn sie auf einen Stuhl klettern. Der sich daran anschließende Raum ist für die einjährigen bestimmt. Die Einrichtung ähnelt der im vorderen Raum. Das Regal ist jedoch durch an der Wand hängende Kästen ersetzt, die auch für Kinder im Krabbelalter erreichbar sind. In einer Ecke führen ein paar Stufen zu einem Podium hinauf. Darunter können sich Kinder verstecken oder eine Höhle einrichten; Der hinterste Raum schließlich ist mit Matratzen ausgelegt. Hier schlafen die Kinder. Die dunklen schweren Vorhänge reichen von der Debke bis zum Boden. Ein paar billig erstandene Feldklappbetten vervollständigen die Einrichtung. Der.letzte, für die Kinder bestimmte Raum, befindet sich im Keller. Hier ist ein riesengroßer Sandkasten, in dem die Kinder spielen können, wenn es regnet. Er ist eingefaßt von breiten Brettern — genug Platz für die verschieden deutbaren Sandanhäufungen. Finanzen Die Finanzen waren wochenlang ein beherrschendes Thema der Elternsitzungen. Wußte man auch, daß es wichtigere Dinge zu besprechen gab, so war dieses Problem doch entscheidend für den Aufbau und den Fortbestand des Kinderladens. Die Unterstützung des Senats stand zwar zur Debatte, aber auch von Anfang an in Frage — nicht allein was die Entscheidung des Senats anbelangte, sondern * Pläne im Anhang S. 153 f.

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auch, weil sich an dieser Streitfrage zwei Gruppen innerhalb des Kollektivs mit gegensätzlichen Standpunkten bildeten. Die eine Gruppe meinte, Arbeit mit den Kindern sei entschieden wichtiger als die Politik des Zentralrats, der eine finanzielle Förderung einzelner Kinderläden, wie es der Senat vorhatte, ablehnte. Die andere Gruppe stellte sich hinter die Entscheidung des Zentralrates. Man konnte also mit diesem Zuschuß nicht rechnen und mußte auch ohne ihn zu Rande/ kommen. 700 DM waren vom Asta der Universität bewilligt worden, jedoch bedeuteten sie einen Tropfen auf den heißen Stein. Allein die Heizung kostete 3000 DM, obwohl sie von Genossen kostenlos gebaut wurde, abgesehen von den übrigen Kosten, die allein bei der Neueinrichtung entstanden. Doch auch die laufenden festen Kosten, von ca. 1300 DM pro Monat, sollten irgendwie gerecht aufgeteilt werden. Gerecht, damit war ein horizontaler Finanzausgleich gemeint. Dieser war jedoch ein heikles Thema. Für einige, die auf Grund der finanziellen «Unterstützung von ihren Eltern, sich größere Wohnungen und sonstigen Luxus leisten konnten, war es nämlich nicht einsichtig, daß sie mehr bezahlen sollten, als die, die zu ihrem kärglichen Stipendium, wenn sie es überhaupt bekamen, durch Jobs dazu verdienen mußten. Zudem kannte niemand den anderen genau, niemand wußte vom anderen, ob seine Begeisterung der ersten Wochen anhielt. Man konnte von sich selbst manchmal schwer sagen, ob man die erforderliche Kontinuität der Arbeit beibehalten würde, war doch jedem einsichtig, daß man versuchte ein Experiment zu machen, dessen Ausgang von der Fähigkeit jedes einzelnen durchzuhalten abhing. Neben den Anfangskosten sollten also die laufenden Kosten (Miete, Strom, Telefon, Essen, Windeln und Spielsachen, die erfahrungsgemäß öfters kaputt gehen und ausgetauscht werden müssen) gerecht, das heißt den jeweiligen sozialen Umständen der einzelnen entsprechend, verteilt werden. Stellt man die laufenden Kosten mit 1300 DM, verteilt auf 13 Elternpaare, den Beiträgen gegenüber, die in einem staatlichen Kindergarten hätten bezahlt werden müssen, so wird deutlich, welche Opferbereitschaft für den Aufbau eines Kinderladens von jedem einzelnen nötig war und ist. In zermürbenden Sitzungen fand man schließlich einen Modus für die finanzielle Regelung: Die Beteiligung an den Einrichtungskosten, wie an den laufenden Kosten wurde prozentual zum Einkommen festgelegt. Jeder zahlte pro Monat 12 Prozent seines Verdienstes womit im Laufe eines dreiviertel Jahres der Kredit, der für die Einrichtung aufgenommen worden war, getilgt werden konnte. Theoretische Voraussetzung Alles war vorbereitet für den Einzug der Kinder. Die Räume waren renoviert, Spielzeug in reicher Auswahl vorhanden, die Finanzen ge-

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regelt und die Aufsicht über die Kinder so eingeteilt, daß immer zwei Erwachsene, jeweils einmal wöchentlich, einen halben Tag „Dienst" hatten. Aber wie war die inhaltliche Vorbereitung auf eine „neue Erziehung" — Kinderladenerziehung, die, und da waren alle einig, eine Alternative zur üblichen Kindergartenerziehung bieten sollte. Auf Grund ihrer objektiven Gegebenheiten (z. B. oft 40 Kinder pro Kindergärtnerin) kann herkömmliche Kindergartenerziehung mit ihrer irrationalen Anforderung und den Methoden der Triebunterdruckung gar nicht anders wirken, als zum Nachteil der Kinder und zu ihrer Anpassung an das herrschende System. Schon eingangs war die Rede davon, wie weit die Auffassungen über Sinn und Zweck dieser neuen Erziehung auseinander gingen. Um eine gemeinsame Diskussionsgrundlage zu haben, beschloß man, ent* sprechende Literatur im Kollektiv zu lesen. Zur ersten Gemeinschaftslektüre bot sich: „Erziehung in Summerhill" von A. S. Neill an. Auf der einen Seite herrschte Begeisterung über die Repressionsfreiheit, über Selbstverwaltung, über weltanschauliche Neutralität in Summerhill. Andererseits sahen einige schon die Gefahr eben in jener verherrlichten Neutralität — sozialistisches Bewußtsein verlangt Parteilichkeit — und der „heilen Welt", die auf der „Insel" Summerhill geschaffen und vorgegaukelt wird — eine Welt, die Kinder zu Menschen erzogen hat, die es verstanden, sich aus jener anderen Welt das Beste zu ihrem eigenen Vorteil herauszusuchen. Die Vorstellung, daß Erziehung zu kritischem Bewußtsein, ohne Vermittlung politischer Inhalte möglich und bereits in den Ansätzen revolutionär sei, wurde vor allem von denen vertreten, die — aus Erfahrung ihrer eigenen Erziehung — Angst vor Indoktrination hatten, von Eltern mit zum Beispiel streng kirchlicher Erziehung, oder solchen, die aus der DDR kamen. Inwieweit Erziehung bewußt inhaltlich politisch sein sollte, und wie das auszusehen habe, konnte damals noch niemand entscheiden. In dieser Frage ließ sich auch bis in die jüngste Zeit hinein keine einheitliche Meinung herstellen. Jedoch war bei allen Eltern ein mehr oder weniger klares Bewußtsein dafür vorhanden, daß solche Entscheidungen nur gefällt werden können, nachdem die eigene Position zum kapitalistischen System und die Möglichkeiten jedes einzelnen, es zu verändern oder zu zerstören und die Einsicht in die Notwendigkeit, geklärt war. Am ehesten hoffte man, diese Klärung dadurch zu erreichen, daß man gemeinsam polit-ökonomische Werke las. In kleinen Untergruppen wurden nun die Frühschriften von Marx diskutiert. Jedoch sind gerade die Frühschriften für „Ahfänger" zu schwierig. Hinzu kam, daß die Aufbauarbeit des Kinderladens die meisten zu viel Zeit kostete. So schlief dieser Ansatz wieder ein, ohne das erwartete Ergebnis, eine gemeinsame theoretische Basis zu finden, gebracht zu haben. Aber selbst der Begriff „antiautoritär" wurde unterschiedlich aufge-

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faßt. Auch eine Mutter aus der Nachbarschaft (die anderen Eltern meinten damals noch, sie könnten sie durch gemeinsame Arbeit und Theorie im Lauf der Zeit vom Sozialismus überzeugen), die keinen Platz in einem öffentlichen Kindergarten bekommen hatte und APOErziehung als das kleinere Übel in Kauf genommen hatte, gebrauchte dieses Wort. Sie verstand darunter nicht mehr als nicht-mit-Prügel-erziehen. Von ihr, bis zu den Genossen, die meinten, daß eine sozialistische Erziehung nur durch eine Verlagerung des Schwerpunktes der theoretischen Arbeit von der Psychoanalyse auf Polit-Ökonomie verwirklichbar wäre, schien eine unüberbrückbare Kluft. In einer Zeit, in der der Arbeiter längst als revolutionäres Subjekt verstanden wurde, in der der Schritt von der antiautoritären Erziehung zur sozialistischen in fast allen Kinderläden vollzogen war, in der sich einzelne Genossen von der Psychoanalyse abwandten, und Disziplin« und Organisationsforderungen manchmal nicht nur an die Elternkollektive gestellt wurden, handwerkelte der Kinderladen S. noch an seinem antiautoritären Konzept herum. Die Praxis Die verschiedenen Standpunkte der Eltern wurden jedoch nicht nur in theoretischen Diskussionen deutlich, sondern drückten sich auch in ihrem Verhalten den Kindern gegenüber aus. Die Kinder waren so mit immer wechselnden Erziehungsmethoden konfrontiert und reagierten entsprechend chaotisch in ihrem Spiel. Durch den halb täglichen Wechsel, und die anfänglich zufällige Zusammenstellung des „Aufsichtspaares" waren die Eltern einer ständigen Verunsicherung ausgesetzt, die es ihnen schwer machte, das Kinderkollektiv aus diesem laissez-faireGhaos herauszuführen. In der Praxis sah das folgendermaßen aus: Das Spielzeug, egal ob vorgefertigt oder nicht, wurde ausnahmslos von den Kindern aus den Regalen gefegt oder mitsamt der Regale und Kisten umgekippt. Der Fußboden war permanent bedeckt von Spielzeug, mit dem man, da völlig verstreut, nicht mehr spielen konnte. Bewegungsspiele, wie Hinund Herlaufen, die den Bedürfnissen der Kinder zu diesem Zeitpunkt am ehesten entsprochen hätten, wurden durch das herumliegende Spielzeug behindert. Die Kinder fielen hin, taten sich weh und heulten. Unlust, Unsicherheit und Aggression steigerten sich auch bei den Betreuern. Konstruktive Spiele waren kaum möglich, einerseits weil das dazu notwendige Spielzeug nicht vorhanden war, andererseits, weil die Kinder selbst so aggressiv waren und lieber zerstören spielten als bauen, zum dritten, weil die Eltern auch auf Grund der diffusen pädagogischen Vorstellungen des Kollektivs nicht in der Lage waren, die ganze Scheiße zu verändern. Das Fehlen theoretischer Grundlagen machte sich bis in kleinste Aktivitäten bemerkbar.

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Exkurs: Summerhill A. S. Neills Buch „Erziehung in Summerhill" hat unter dem Obertitel „Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung" 3 innerhalb kürzer Zeit eine erstaunliche Auflagenhöhe erreicht. Verschiedene Kinderläden haben anfangs das Beispiel Summerhill zur Diskussionsgrundlage gemacht, erklärbar aus der Unsicherheit praktischen Erziehüngsfragen gegenüber, in der sich die meisten Initiatoren der ersten Kinderläden befanden. Die meisten Gruppen, die Summerhill diskutierten, legten das Buch sehr schnell wieder zur Seite, weil sich bald herausstellte, daß sich die 317 beschriebenen Seiten in ein paar Sätzen zusammenfassenlassen. Für Neül gibt es zwei Arten von Kindern, freie und unfreie; oder anders: glückliche und unglückliche Kinder. Später werden es glückliche oder unglückliche Erwachsene. Verschafft man nun den unglücklichen Kindern recht viel Glück, dann werden, kommen sie in einem Alter unter zwölf Jahren nach Summerhill, fast immer glückliche Erwachsene aus ihnen, kommen sie später, so werden nur manchmal aus ihnen glückliche Zeitgenossen (Neill S. 50). „Verbrechen, Haß, Krieg können auf Unglücklichkeit zurückgeführt werden" (S. 20). Neills Buch „versucht nun zu zeigen, wie Menschen unglücklich werden, wie ihr Leben dadurch zerstört wird und wie Kinder so erzogen werden können, daß sie nicht unglücklich zu sein brauchen" (S. 20). Konflikte innerhalb einer bestehenden Gesellschaftsordnung werden von Neill nach eben diesem Rezept interpretiert. „Ein glücklicher Mensch hat sich noch nie zum Störenfried hergegeben, Krieg gepredigt oder einen Neger gelyncht [...] Kein glücklicher Mann hat jemals einen Mord oder Diebstahl begangen. Ein glücklicher Ghef terrorisiert seine Angestelltennicht" (S. 20). Auf den folgenden Seiten zeigt uns Neill dann, wie man aus unglücklichen Kindern glückliche Kinder und später glückliche Erwachsene macht. Dabei bricht er völlig mit herkömmlichen Wertvorstellungen und geht sogar soweit, daß er versichert, ein glücklicher Straßenkehrer sei ihm lieber, als ein unglücklicher, neurotischer Universitätsprofessor. Und wie glücklich ist er selbst, wenn er dem Leser versichern kann, Summerhillkinder seien glücklicherweise keine glücklichen Straßenkehrer geworden, sondern glückliche Universitätsprofessoren, Abteilungsleiter, Schauspieler, Ärzte, Architekten etc., denn „Summerhill [ist] eine Schule, in der Kinder mit der angeborenen. Fähigkeit und dem Wunsch, Gelehrte zu werden, Gelehrte werden, während jene, die nur [!] zum Straßenkehren geeignet sind, Straßenkehrer werden. Bisher ist jedoch aus unserer Schule noch kein Straßenkehrer hervorgegangen" (S. 23). Neill sagt das alles natürlich ohne Snobismus, braucht er doch gar nicht zu befürchten, einen glücklichen künftigen Straßenkehrer unter seinen Zöglingen zu haben, denn es gibt z. B. die angeborene Fähigkeit zum Gelehrten (s. o.) und Leute, die die Fähigkeit und das Talent zum Straßenkehrer vererben könn-

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ten, wären niemals in der Lage, die geforderten mönatlichen Schulgelder aufzubringen. Die Fähigkeit, mit Freude zu arbeiten und ein erfülltes Leben zu führen, sind die Kriterien, an denen Neill den Erfolg eines Menschen beurteilt. Für wen die Menschen arbeiten,bleibt folgerichtig ausgeklammert, und das ist nur eine der Peinlichkeiten in diesem Buch. Unternehmer können sich glücklich schätzen, wenn von Neill erzogene, glückliche Arbeitnehmer bei ihnen Arbeit nehmen, denn sie nehmen sich immer wieder sehr viel davon. Tom, ein echtes Summerhillkind „arbeitete [später] in einem Filmstudio als Kamerajunge. Als er noch in der Ausbildung war, traf ich [Neül] eines Tages zufällig seinen Chef bei einem Abendessen und fragte ihn, wie Tom sich mache. ,Der beste Junge, den wir bisher gehabt haben4, erhielt ich [Neill] zur Antwort. ,Er geht nicht, er läuft. Er ist einfach nicht aus dem Studio wegzukriegen. Sogar das ganze Wochenende verbringt er da*." (S. 46) Darauf ist Neill natürlich stolz, und es stört ihn nicht im geringsten, daß * der Chef den Jungen wie eine Maschine beschreibt (das beste Stück, das wir je gehabt hatten, er läuft und läuft und l ä u f t . . . Ein glücklicher Chef, und welcher Chef wäre mit einem solchen Jungen nicht glücklich, kann eben nach Neill seine Angestellten gar nicht terrorisieren, er freut sich, wenn sie gut funktionieren. Das „Wissen um" die angeborenen Fähigkeiten zu irgend etwas . macht es Neill auch leicht, von jeder Art von Zwang abzusehen. Er befindet sich in der beneidenswerten Lage eines liebevollen Gärtners* der weiß, daß verschiedene Pflanzen zu verschiedenen Zeiten blühen, er hat Zeit und kann warten. Und zum Beweis der Richtigkeit semer Theorie zählt er die verschiedensten Beispiele auf, wo sein Warten belohnt wurde. Wenn Kinder nicht lernen wollten, so sagt er schlicht, „na dann eben nicht". Wenn Kinder nicht wissen, was sie lernen wollen, sagt Neill: „Ich [weiß es] auch nicht" (S. 47) und geht weg. Und siehe, nach ein paar Wochen, manchmal erst nach einigen Jahren wissen die Kinder, was sie wollen, und Neill ist mit ihnen glücklich darüber. Wenn ein Arbeiter zu seinem Chef sagt: „Ich will nicht mehr arbeiten" dann sagt der Chef, „na dann eben nicht" und entläßt ihn; aber das wäre für Neill ein konstruiertes Beispiel, denn Summerhillkinder wollen ja arbeiten, für wen ist unwichtig, wenn sie nur glücklich sind. Neillkinder würden auch mit Freude bei Dow Chemical in Überstundenschichten Napalm produzieren, wenn ihr Chef sie nicht durch Unglücklichsein terrorisiert. Neill beweist auch, wie eines freie Erziehung den Unternehmungsgeist fördert. „Derrick Boyd kam als Achtjähriger nach Summerhill und verließ die Schule mit achtzehn, nachdem er gerade die Zulassungsprüfung für die Universität [!] bestanden hatte. Er wollte gern Arzt werden, aber zu der betreffenden Zeit konnte sein Vater es sich finanziell nicht leisten, ihn studieren zu lassen. Derrick beschloß daher, sich in der Zwischenzeit die Welt anzusehen. Er fuhr nach London und versuchte im Hafen Arbeit zu finden, irgendeine Arbeit und

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sei es nur [!] als Heizer, aber man sagte ihm, es gäbe schon viele arbeitslose Matrosen" (S. 49). Was macht ein frei erzogenes glückliches Sümmerhillkind in solch einer schwierigen Situation? „Traurig fuhr er wieder nach Hause. Kurz darauf erzählte ihm ein Schulkamerad von einer Engländerin in Spanien, die einen Chauffeur suchte. Derrick nahm die Gelegenheit beim Schöpfe, fuhr nach Spanien, baute der Dame ein Haus . . . , chauffierte sie durch ganz Europa und begann dann sein Universitätsstudium" (S. 49). Es erübrigt sich fast, zu sagen, daß die englische Dame sein Universitätsstudium finanzierte und ihn nach zwei Jahren bat, sie nach Kenia zu fahren und ihr dort noch ein Haus zu bauen. NeiUkinder studieren unter solchen Umständen mit viel Unternehmungsgeist einfach in Kapstadt weiter; und sollte sich in der , Nähe einmal keine Universität befindeli, so sind wir sicher, sie bauen sich eine. Uns dünkt, die Zersiedlung der Landschaft ist nicht zuletzt auf Summerhillkinder zurückzuführen. Es erscheint uns nach alldem einigermaßen unbegreiflich, daß „Summerhill" noch nicht vom Bundesfamilienministerium zur Pflichtlektüre für angehende Eltern als Postwurfsendung verteilt wurde, denn ein besseres Erziehungsrezept kann sich eine kapitalistische Gesellschaft gar nicht ausdenken. Neills Methode wird nur irrtümlicherweise revolutionär genannt und es wird Zeit, daß man ihr diesen Makel nimmt. Sein Buch „ist ein herzerfrischendes und ermutigendes Buch. Neill setzt nicht auf den Umsturz der bestehenden Zwangsgesellschaft" (S. 2, „Zu diesem Buch"). Wir können dem Verfasser des Klappentextes nur sagen: „Recht hat er (der Verfasser des Klappentextes zu Summerhill), so etwas tut Neill nicht." Daß Neill sich mit seiner Euphorie selber täuscht, zeigt eine Untersuchung, die an ehemaligen Summerhillkindern durchgeführt wurde.4 Danach zeigte sich bei ihnen ein auffallend hoher Prozentsatz an psychoseähnlichen Zusammenbrüchen im Vergleich zu anderen jugendlichen Kontrollgruppen. Wir können das eigentlich nur so interpretieren, daß die Neillkinder es einfach nicht übers Herz brachten, ihrem Erzieher Neill zu sagen, sie seien trotz seiner Mühen immer noch unglücklich, denn dann wäre sicher Neill sehr unglücklich gewesen. Vergißt man Neills Euphorie, verzeiht man ihm seine Naivität und seine Ignoranz irgendwelchen pädagogischen und psychologischen Forschungsergebnissen gegenüber, übersieht man die Hemdsärmeligkeit, mit der er psychisch geschädigte unglückliche Kinder „kuriert", nimmt man ihm auch nicht übel, wenn er immer wieder durchblicken läßt, was für ein „dufter Kerl" er doch sei, und konzentriert sich nur abstrakt auf das Modell, das er anbietet, so ist noch mehr Skepsis angebracht. 1. Neillkinder kommen fast ausschließlich aus privilegierten Schichten und haben begüterte Eltern, denn nur diese sind in der Lage, das hohe monatliche Schulgeld aufzubringen. 2. Summerhillkinder leben in einer nahezu konfliktfreien Welt. Es

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werden kaum Kategorien für die Bewältigung von Konflikten angeboten. Entsprechend niedrig ist die Frustrationstoleranz dieser Kinder. 3. Neills Begriff von Freiheit hat da ein Ende, wo durch das Verhalten der Kinder die Schule in die Gefahr gerät, vom zuständigen Ministerium geschlossen zu werden. (Beispiel Sexualität: Nein bejaht zwar kindliche und jugendliche Sexualität uneingeschränkt, aber „wenn ich zuließe, daß meine jugendlichen Schüler miteinander schlafen, dann würden die Behörden meine Schule schließen" (S. 201). Neill scheut den Konflikt, die Auseinandersetzung mit der ihn umgebenden Gesellschaft, daß man gleich gegen die Spielregeln verstoßen müßte. 4. Neill erzieht zur totalen Anpassung, denn nur um diesen Preis ist sein versprochenes Glück zu verwirklichen. Wenn Neills Erziehungsmethode den Begriff „antiautoritär" füllt, dann kann das nur heißen, daß ein so verstandenes „antiautoritäres Konzept" für Kinderläden nicht praktikabel ist. Man kann nach der Lektüre von „Summerhill" umgekehrt sagen, daß die dort beschriebene Methode mit all ihren Rezepten nur eine schlechte Tarnung darstellt für eine Erziehung zur totalen Anpassimg, zur Akzeptierung jedweder hierarchischen Ordnung, jedweder Macht- und Herrschaftsverhältnisse« Neills Konzept war möglicherweise zur Zeit der Gründung von Summerhill (1921) neu, revolutionär war es schon damals nicht. Der Verfasser des Klappentextes zu „Summerhill" schreibt: „Summerhill ist nur ein winziger Anfang. Aber es gibt die Hoffnung, daß diese Schule — Schule machen wird." Wir hoffen es nicht. Anmerkungen 1 Errechnet nach Angaben des Senators für Famüie, Jugend und Sport, 19.2.1970 2 KWnfo Nr. 5, 13. 3. 1959 1 3 Alexander Sutherland Neill: Theorie und Praxis der antiautontären Erziehung. Das Beispiel Summerhill, (rororo Sachbuch 6707/08) Reinbek bei Hamburg, 800. Tausend Mai 1971 4 Reimut Reiche: Sexualität und Klassenkampf. Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main 1968, Reihe: Probleme sozialistischer Politik, Nr. 9

IV. Ein Tag im Kinderladen S. Vorbemerkung Im folgenden wird der Tagesablauf im Kinderladen beschrieben. Die sich stellenden Probleme werden untersucht und die möglichen Ursachen eines bestimmten Verhaltens der Kinder skizziert. Dies erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll auch nicht Lösungen, sondern höchstens Hinweise liefern. Es wird hier absichtlich auf Darstellung in Protokollform verzichtet. Protokolle stellen immer nur einen Spezialfall dar. Die Gefahr besteht, daß diese Spezialfälle verallgemeinert wie Muster auf andere Kinder übertragen werden. Abgesehen davon, zeigt ein Protokoll nie die objektiven Ereignisse und Zusammenhänge, vielmehr wählt der Protokollant, nach bestimmten, ihm nicht bewußten Kriterien, bestimmte ihm auffallende [!] oder ihm im Gedächtnis bleibende [!] Ereignisse aus. Die Analyse eines Protokolls bedarf der Analyse des Protokollanten. Er ist auch neurotisch! J e vorbelasteter er durch die Psychoanalyse ist, um so größer ist die Gefahr des Hinein* oder Uberdeutens, um so eher ist er der Gefahr ausgesetzt, psychoanalytische Klischees, ohne Untersuchung der konkreten Umstände wie »Abziehbilder4 zu übertragen, oder bestimmte Verhaltensweisen der Kinder selektiv zu protokollieren. Jeder spezielle Fall bedarf einer speziellen Untersuchung, zu der die Psychoanalyse, richtig angewendet, wertvolle Hilfe bieten kann. Dies soll nicht davon abhalten, Protokolle zu machen. Sie sind wichtig, um die Richtung einer Entwicklung der Eltern und Kinder festzustellen. Jedoch haben sie nur Wert, wenn sie itiit höchstmöglicher Selbstkontrolle und Sorgfalt verfaßt und gemeinsam mit anderen, die die Zusammenhänge kennen, diskutiert werden. Voranstellen sollte man auch immer die Frage: Wozu wird ein Protokoll gemacht? Durch das In-Mode-kommen der Psychoanalyse, durch oberflächliche Berichte, Tests und Lerntexte (vergleiche entsprechende Veröffentlichungen in „Eltern", „Es", „Twen", usw.) werden die Verdrängungen der neurotischen Persönlichkeit keineswegs aufgehoben, sondern wird dem Weiterverdrängen gedient. Das Verdrängte kann nur durch ein erfolgreiches, gefahr- und angstfreies Wiederholen und Erleben bewältigt werden. Die Aufnahme-, Denk- und Lernfähigkeit unterliegt gerade dieser Verdrängung. Hiermit ist die Funktion'solcher „aufklärenden", populären Veröffentlichungen für die bestehende Gesellschaftsordnung entlarvt Ein so behandelter „Patient" oder ein so ausgedeutetes Kind wird sich zwangsläufig diesen psychoanalytischen Klischees anpassen« Unter dem Deckmantel der Progressivität und Aufklärung wird es einem Prozeß unterworfen, der zu nichts anderem dienen soll, als der weiteren Verdrängung der Ursachen seiner Neurose: Konkurrenz- und Leistungsdruck, Ausbeutung, Unterdrückung, Profit und Kapitalismus.

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Es soll hier nicht versucht werden, Eltern von psychoanalytischer Literatur abzuschrecken. Jedoch verlangt diese Literatur ein tiefgreifendes Verständnis für alle Zusammenhänge, weil sonst zwangsläufig das falsche Ergebnis entsteht. Die Psychoanalyse ist kein Bauklötzchenspiel, das sich beliebig verändern läßt. Ihre Elemente und Bewegungen sind wechselseitig voneinander abhängig und unterliegen einer inneren und äußeren Gesetzmäßigkeit, die nur zu erkennen ist, bei Berücksichtigungen sämtlicher Determinanten. Fast scheint es überflüssig, zu erwähnen, daß psychische Deformationen nicht vererbt werden, sondern ihre Ursachen der Widerspruch dieser Gesellschaft ist, jedoch weist dies auf die erste und vornehmste Aufgabe des Erziehers! Abschließend soll Sigmund Freud zu Wort kommen: „Es ist — und gewiß mit Recht — gesagt worden, jede Erziehung sei eine parteiisch gerichtete, strebe an, daß sich das Kind der bestehenden Gesellschaftsordnung einordne, ohne Rücksicht, wie wertvoll oder wie haltbar diese an sich sei. Wenn man von den Mängeln unserer gegenwärtigen sozialen Einrichtungen überzeugt ist, kann man es nicht rechtfertigen, die psychoanalytisch gerichtete Erziehung noch in ihren Dienst zu stellen. Man muß ihr ein anderes höheres Ziel setzen, das sich von den herrschenden sozialen Anforderungen frei gemacht hat." 1 Die Kir\der kommen Wie schon erwähnt, gab es im Kinderladen S. eine jüngere und eine ältere Gruppe. Jeweils zwei Eltern betreuten die Kinder getrennt voneinander* Sie wechselten sich halbtäglich ab. Um 1 / 2 9 öffnete der Kinderladen. Oft wurde es elf Uhr bis alle Kinder dawaren. Man war sich theoretisch darüber einig, daß ein einigermaßen pünktlicher Anfang notwendig sei. Es zeigte sich, daß die zu spät kommenden die anderen Kinder, die schon spielten, von ihrem Spiel ablenkten, das sie dann nicht mehr fortsetzten. Es lag jedoch nicht an den Eltern, die es nicht fertigbrachten, früher aufzustehen. Oft weigerte sich ein Kind, von zu Hause wegzugehen und konnte manchmal erst nach Öfteren Versuchen in den Kinderladen gebracht werden. Das lag oft an den schwierigen Familiensituationen, in der fast alle Kinder waren. Wenn ein Kind sich weigert, in den Kinderladen zu gehen, kann das verschiedene Gründe haben: — Wenn die Mutter oder der Vater gerade auf das Elternkollektiv, oder auf die an diesem Tag aufsichtsführende Bezugsperson,, „sauer" ist, kann sich das auf das Kind übertragen. — Das Kind wurde vielleicht am Tag vorher im Kinderladen von den anderen Kindern oder einem stärkeren unterdrückt, geschlagen oder fühlte sich vielleicht von den Erwachsenen ungerecht behandelt. — Vielleicht hatte das Kind zu Hause einen Streit der Eltern miterlebt oder Vater oder Mutter waren nicht zu Hause, als es aufwachte;

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oder es wurde bestraft. Zum Ausgleich suchte es dann die Liebe der Eltern und hatte keine Lust in den Kinderladen zu gehen. — Auch können unangenehme Erlebnisse auf dem Weg zum Kinderladen Unlust erzeugen hinzugehen. Wenn die Möglichkeit besteht, sollte man das Kind* nie zwingen in den Kinderladen zu gehen, dadurch wird die Aversion fast immer gesteigert. Es ist wichtig, den Grund für seine Weigerung herauszufinden. Die oben angeführten können sich als wechselseitig bedingt herausstellen: So kann die Übertragung der Eltern auf das Kind das Sich-ungerecht-behandelt-fühlen verursachen, und umgekehrt. Nicht nur das Kind ist an die Eltern fixiert, sondern auch die Eltern an das Kind! Das Kinderkollektiv soll die psychischen Schäden des kleinfamiliären Milieus korrigieren. Wenn sich die Fixierung an die Eltern oder an das Zuhause verstärkt, ist die Ursache fast immer Liebesverlust. Wenn es gegen seinen Willen von den Eltern weg muß, bedeutet das für das Kind wieder Liebesentzug, Angst und irrationale Bindungen werden weiter verstärkt. Besser mal einen Tag Kinderladen ausfallen lassen, dann aber die ,verlorene'liebe wieder geben. Dem Arbeiter ist es nicht möglich, darauf Rücksicht zu nehmen . . . Exkurs: Aggression und Sexualität .

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Die psychoanalytische Triebtheorie ist zweiseitig bestimmt Jeder Trieb hat seinen entsprechenden Gegen trieb. Sigmund Freud teilt sie in zwei Grundtriebe ein, Lebens- und Todestrieb: „Nach langem Zögern und Schwanken haben wir uns entschlossen, nur zwei Grundtriebe anzunehmen, den Eros und den Destruktionstrieb. [...] Das Ziel des ersten ist, immer größere Einheiten herzustellen und so zu erhalten, also Bindung, das Ziel des anderen im Gegenteil, Zusammenhänge aufzulösen und so die Dinge zu zerstören. Beim Destruktionstrieb können wir daran denken, daß als sein letztes Ziel erscheint, das Lebende in den anorganischen Zustand zu überführen. Wir heißen ihn darum auch Todestrieb." 2 Diese Einteilung führte zu der irrigen Annahme, daß der Todestrieb, der von Freud auch Destruktions- und Aggressionstrieb genannt wurde, als biologisch gegeben unabänderbar sei. Beim aufmerksamen Studium der Schriften Freuds finden sich jedoch genügend Hinweise, wie Freud selbst diese Triebtheorie verstanden hatte. Es soll hier nicht mit Freud der Aggressionsforschung ins Wort geredet werden, vielmehr scheint es wichtig, jene, die Freud so interpretieren, als ob er nur schematisch von der biologischen Bedingtheit der Aggression ausginge, darauf hinzuweisen, daß Freud selbst die inneren psychischen Faktoren in den äußeren Gegebenheiten determiniert sah 3 . Diese wechselseitige Abhängigkeit von inneren psychischen und äußeren kulturellen Bedingungen gilt es zu begreifen.

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Wilhelm Reich formulierte deutlicher: „Wir können an Hand unserer Fälle, wie auch jedes anderen, den wir genügend tief analysieren, feststellen, daß am Grunde sämtlicher Reaktionen nicht etwa der Gegensatz: Liebe und Haß, gewiß auch nicht der: Eros und Todestrieb, steht, sondern der Gegensatz von Ich („Person", Es - Lust — Ich) und Außenwelt." 4 Die Wissenschaft hat inzwischen mit dem Vorurteil aufgeräumt, daß der Mensch von Natur aus böse sei, vielmehr hat sich durchgesetzt, daß jede menschliche Tätigkeit und Regung zu erklären ist in ihrer dialektischen Abhängigkeit, und ihren Ursprung in der sozialen Realität und den gesellschaftlichen, ökonomischen Bedingungen hat. So hat der Todes-, Destruktions- oder Aggressionstrieb seinen Ursprung in einem äußeren Faktor, der die Befriedigung irgendeines Bedürfnisses verhinderte. Es muß unterschieden werden zwischen der primären äußeren Abhängigkeit der Aggression von der Außenwelt und der sekundären inneren Abhängigkeit des Zerstörungstriebes von nicht befriedigten Bedürfnissen. Aggression ist zu verstehen als zerstörerisches Zugreifen, das nicht primär zur Befriedigung eines Bedürfnisses dienst, sondern der Abreaktion von erlebter Versagung oder Unterdrückung. S. Freuds unumstrittener Verdienst ist es, die Dynamik der Triebkräfte, deren Verschiebung und ersatzweise Abreaktion verdeutlicht und auf die hervorragende Bedeutung der Unterdrückung und des sexuellen Triebaufschubes für das sadistrische, masochistische und aggressive Verhalten hingewiesen zu haben. Die von ihm Und seinen Schülern vertretene Dualismustheorie stimmt mit den Erkenntnissen der modernen Psychoanalyse überein und wird durch die Funktion der Sexualunterdrückung für das kapitalistische System bestätigt. Im 16., 17. und 18. Jahrhundert begann in den meisten europäische^ Staaten der Prozeß der „ursprünglichen kapitalistischen Akkumulation". 5 Die Voraussetzungen für diesen Prozeß waren nicht nur technische Neuerungen wie Maschinen und Fabriken, sondern vor allem der historische Scheidungsprozeß von Produzenten und Produktionsmitteln. Um diesen Prozeß in Gang zu halten, bedurfte es auch eines veränderten Sozialcharakters. Zum äußeren Zwang, wie Gefängnisse, Arbeitshäuser und Folterungen, mußte ein innerer Zwang hinzukommen, der die Erinnerung an die relativ größere Bedürfnisbefriedigung der vorhergehenden Wirtschaftsform, in der die Produktion zum direkten Verbrauch bestimmt war und genügte, verdrängte. Die herrschende Moral (die Moral der Herrschenden) beurteilte alles, auch menschliche Tätigkeiten und Qualitäten nach ihrer Verwertbarkeit im Produktionsprozeß oder setzt sie dazu in Beziehung, rechnet sie auf ihre Tauschrelation um. So wird die Selbstverständlichkeit der Arbeit zur Notwendigkeit die notwendigerweise Anstrengimg, Not, Elend, Verzicht und Konsumaufschub bedingt. Konsum, Freizeit und Geschlechtsverkehr worden

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zur „Entlohnung". Der Sexualbereich ist damit aus dem Produktionsprozeß herausgenommen, gleichzeitig aber in unmittelbare Bedingtheit zu ihm gestellt. Die Familie wird zum Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft, der Geschlechtsverkehr zum Mittel der Zeugung und damit zur Auffrischung des Arbeitskraftpotentials bestimmt. Die Verbindung von äußerem und innerem Zwang schafft den Sozialcharakter, der sich auszeichnet durch ein starres Uber-Ich und die Verfügbarkeit im Produktionsprozeß. Der von Freud beschriebene „Zwangstypus" ist das Ergebnis dieses langen Umerziehungsprozesses. „Er zeichnet sich durch die Vorherrschaft der Uber-Ichs aus, das sich unter hoher Spannung vom Ich absondert. Er wird von Gewissensangst beherrscht an Stelle der Angst vor dem Liebesverlust, zeigt eine sozusagen innere Abhängigkeit anstatt der äußeren, entfaltet ein hohes Maß von Selbständigkeit und wird sozial zum eigentlichen, vorwiegend konservativen Träger der Kultur." 6 Allein die äußeren Bedingungen der damals entstehenden Produktionsweise verlangen im Gegensatz zur vorher herrschenden handwerklichen Produktionsweise einen erheblich stärkeren Formalismus, der das Entstehen einer zwanghaften Ordnung begünstigt. Die Auswirkungen dehnen sich von den obersten bis zu den untersten Schichten aus und erfassen zuletzt die zu gesellschaftsfähigen Menschen zu erziehenden Kinder. Am sozialisationsunfähigsten muß den Eltern das Kind an dem Punkt erscheinen, wo es seine Bedürfnisse und Triebe zum erstenmal und am heftigsten durchzusetzen versucht. Je sauberer ein Kind erzogen wird, um so hartnäckiger wird es versuchen seine analen Freuden durchzusetzen, um so getroffener werden die Eltern reagieren. Wegen der tatsächlichen Ubermacht der Erzieher, wird der Widerstand endlich gebrochen, die Analbedürfnisse werden vom entstehenden Überich verdrängt, später im Unterbewußtsein mit den Verboten der prägenitalen und genitalen Phase verbunden, wodurch gleichzeitig die Verbindung von Sexualität und Schmutz hergestellt ist. Der so entstandene Anal- öder Zwangscharakter wird im Kapitalismus zum vorherrschenden Typus. Die.aus der Verdrängung aufsteigenden sadistischen Äußerungen und Verhaltensweisen werden für die Ziele des uiri sich greifenden Kapitalismus eingesetzt, wie Eroberungskriege, Rassendiskriminierung usw. Die der kapitalistischen Produktionsweise immanenten Widersprüche führen zu Absatzschwierigkeiten, einmal dadurch, daß produziert wird, was Profit bringt, nicht, was benötigt wird, zum anderen durch fortschreitende Rationalisierung und Technisierung und die damit verbundene Uber- und Fehlproduktion. Der Konsument muß seine Ansprüche und Bedürfnisse dem Zwang der Produktion anpassen. Die Manipulation des Marktes ist der Versuch des Kapitalismus, diesen Widerspruch zu beseitigen. Gleichzeitig entstanden im Spät- und Monopolkapitalismus neue sublime Herrschaftstechniken, die entgegen den Emanzipationsbestre-

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bungen der unterdrückten Mehrheit des Volkes die bestehende Gesellschaftsordnung absicherten» So mußte die bislang starre Trieb- und Sexualunterdrückung ein Stück weit freigegeben werden. Allerdings bot sicli hierbei gleichzeitig die Möglichkeit, die anstehenden Konsumprobleme zu lösen. Sexualität als Ware und Profitbringer gestattete gleichzeitig eine als „Befreiung" deklarierte Verschiebung der kollektiven Norm als auch die Garantie für das Fortbestehen des Zwangs- und Analcharakters. Das Ursprüngliche der Sexualität, Lust, Zärtlichkeit und Befriedigung werden zu zweitrangigen Faktoren. Liebe wird noch mehr auf ihre Waren- und Tauschrelation reduziert, wodurch die heute praktizierte „Befreiung" in Schulen und Werbekampagnen hinlänglich denunziert wäre. Die Unterdrückung der sexuellen Bedürfnisse ist so oder so gewährleistet. Sie werden wie eh und je (weil nicht der herrschenden Norm entsprechend) ins Unterbewußtsein verdrängt. Die nicht aufhebbare Triebenergie entfernt sich von ihrem ursprünglichen Objekt und erscheint wieder in vornehmlich aggressiven, Sadistischen oder masochistischen Reaktionen. Für den nicht mit der Psychoanalyse Vertrauten sind diese verschobenen sexuellen Äußerungen nur schwer als solche zu erkennen, was ihn um so mehr verleitet, die aufgelockerte Moral als „echten Fortschritt" zu begreifen. Es soll deshalb hier versucht werden, die Dynamik und die verschobenen Äußerungen der; sexuellen Bedürfnisse zu skizzieren. Ein Bedürfnis ist zielgerichtet. Der Antrieb zu diesem Bedürfnis ist libidinöse Energie. Stellt sich der Bedürfnisbefriedigung ein Hindernis, ein Verbot oder Tabu in den Weg, so ist die nichtbefriedigte Person enttäuscht. Die libidinöse Energie wird im günstigsten Fall zur Hilfe genommen, um das Hindernis zu umgehen odier zu beseitigen, um doch noch zur Bedürfnisbefriedigung zu kommen. Die durch den; Triebaufschub erlebte Frustration äußert sich durch Aggression gegen die Ursache des Hindernisses, z. B. gegen die ein Verbot aussprechenden Eltern. Stellt sich nun dieser Aggression wiederum ein Hindernis oder ein Verbot in den Weg, so kann die libidinöse Energie zweierlei Wege nehmen: 1. Die Energie wird auf ein Ersatzziel gelenkt. Der ursprüngliche Trieb wird sublimiert. Zum Beispiel wenn das Kind mit seinem Kot spielen möchte, bietet man ihm an, mit Fingerfarben zu malen. Diese ersatzweise Abreaktion bedingt jedoch gleichzeitig durch die Objektverschiebimg eine Verdrängung des ursprunglichen Triebanspruches in das Unterbewußte, der an anderer Stelle wieder zutage tritt. 2. Der frustrierten Person wird keine Möglichkeit der Sublimierung geboten, die Triebenergie entlädt sich in ihrer vollen Stärke in der Aggression, die um so irrationaler und heftiger ist, je weniger ihr erlaubt ist, sich am verbotenen Objekt abzureagieren. _ Je grausamer und raffinierter versucht wird, das Verbot durchzusetzen, je mehr der Moralkodex mit diesen Verboten in Verbindung

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steht, um so mächtiger gebietet das Ich über die Instanz des Uber-Ichs, das Triebobjekt und schließlich den Trieb selbst aus dem Bewußtsein in das Unterbewußtsein zu verdrängen. Das Ich, das sich ständig eine Entsagung seiner Ansprüche gefallen lassen muß, bildet sich unter dieser enormen Belastung eine Realität, die nicht mehr seinen Bedürfnissen und Wünschen entspricht, sondern den Notwendigkeiten einer Gesellschaftsform, die aus dieser Realitätsflucht ihren Nutzen zu ziehen weiß. Je größer die Spannung ist zwischen verbietendem Ober-Ich, in diesem Fall identisch mit der herrschenden Norm oder der Triebbefriedigung Einhalt gebietenden Instanz, und den verdrängten Triebansprüchen des Es, um so mehr versucht das Ich dieser Spannimg einerseits durch Veränderung der Realität in seinem Bewußtsein und andererseits durch neurotische und psychotische Reaktionen Luft zu machen. Es scheint, daß gerade die neurotischen und psychotischen Reaktionen zum kollektiven Merkmal des Sozialcharakters geworden sind, die es dem Kapitalismus ermöglichen, seine profitorientierte Warenproduktion durch Anknüpfung an die verdrängten Triebansprüche, an den Mann zu bringen. So sind Sexualsymbole und unterschwellige Appelle an die Potenz und die Lust zum festen Bestandteil der modernen Werbung geworden. Die „repressive Entsublimierung"7 findet ihren Niederschlag in der Produktion, im Konsum- und Freizeitbereich. Die Triebenergie wird zwar so ihrer für den Kapitalismus gefährlichen Spitze beraubt, der Rest allerdings behauptet sich weiter und sucht andere Wege der Entladung. Dem Teil der nicht sublimierten Energie und dem verdrängten Triebanspruch öffnen sich nun wieder zwei verschiedene Wege der Aggressionsabfuhr. Sie kann sich gegen das eigene Ich richten, oder sie wendet sich gegen ebenfalls Unterdrückte, drückt sich ai^s in der Beteiligung an der Unterdrückung von Randgruppen der Gesellschaft durch die Herrschenden oder gegen einen angebotenen äußeren oder inneren Feind,-wie zum Beispiel die Kommunisten. Die extremste Form der auf die eigene Person gerichteten Aggression, der Selbstmord, offenbart sich aber auch oft in selbstverschuldeten Unfällen oder in unabsichtlichen Sich-selbst-Schmerz-zufügen. Alkoholismus und Rauschgiftsucht sind ein Ausdruck dieses Selbstzerstörungs„triebes". Diese Verhaltensweisen werden als neurotisch bezeichnet. Die psychotische Komponente der ersatzweisen Abreaktion hat als hervorstechendes Merkmal die Voraussetzung, daß die Realität im Bewußtsein des Ichs bereits eine Veränderung erfahren hat. Sie drückt sich aus in der Phantasie, in sadistischen Vorstellungen, in Träumen, Tagträumen, manchmal durch Abreaktion durch brutale Sprache, in der Kunst und in der Literatur, durch Identifikation mit aggressiv und autoritär handelnden Personen, oder durch bewußtes oder unbewußtes Nachvollziehen ihrer Handlungen. Um zu Folgerungen für das richtige Verhalten Kindern gegenüber

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zu kommen, bleibt noch übrig, auf die Rolle der Angst vor dem Liebesverlust hinzuweisen. Daß die Angst ein ständiger Begleiter der Aggression ist, wird deutlich* wenn man-bedenkt, daß die Verbote und Hindernisse, die die Aggression hervorrufen, von einer angsteinflößenden Autorität aufgestellt werden. Beim Kleinkind sind es die Eltern und Lehrer, die durch körperliche Strafen oder Liebesentzug versuchen, ihre Forderungen durchzusetzen. Je erwachsener das Kind wird, um so mehr übernimmt das Uber-Ich, das Gewissen, die strafende Funktion. Die Verhinderung der ursprünglichen Bedürfnisbefriedigung wird auf Grund der bestehenden Sozialisationsbedingungen dem Kleinkind zum traumatischen Erlebnis. Strafe jedweder Art wird gleichgesetzt mit Liebesentzug, die Angst davor wird übermächtig und stellt sich der Bedürfnisbefriedigung als weiteres Hindernis in den Weg. Die Unterdrückung der frühkindlichen Sexualität eignet sich hervorragend zur Einübung bestimmter Verhaltensweisen, die die gesamte Persönlichkeit formen sollen. Das Kind soll durch die Verbote nicht nur den sexuellen Verzicht ertragen lernen, sondern es soll den ganz allgemeinen Verzicht auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse zugunsten fremder Bedürfnisse lernen. Der Wunsch und die Alternative, die sich anbieten, Kinder völlig angst- und repressionsfrei zu erziehen, erfährt eine schmerzhafte Korrektur durch die Wirklichkeit. Jedoch bleibt den Eltern und Erziehern, die die Funktion der Autorität, der sexuellen Unterdrückimg und Aggressionssteuerung für die kapitalistische Produktionsweise erkennen, die Möglichkeit, auf die Aggression ihrer Kinder so zu reagieren, daß diese vielleicht als Erwachsene in der Lage sind, die gesellschaftlichen Realitäten so zu verändern, daß sie ihre Wünsche und Bedürfnisse weitestgehend befriedigen können. Auf die Zusammenhänge von Bedürfnis und Aggressionsabfuhr mit dem Bewußtsein und der Realitätstüchtigkeit ist bereits hingewiesen worden. Es erübrigt sich fast die Feststellung, daß dieses Bewußtsein der Realität identisch ist mit der Fähigkeit zu denken,1 Zusammenhange zu erfassen und entsprechend dem Denken die Realität zu verändern. Das bisher Aufgeführte läßt sich kurz in folgenden Prinzipien zusammenfassen, die für die Arbeit mit Kindern als Grundsätze gelten können: 1. Aggressionen entstehen aus einem nicht befriedigten Bedürfnis. Aggression, als zerstörerisches Zugreifen verstanden, entspricht nicht der Notwendigkeit der menschlichen Gemeinschaft. Sie entsteht durch die Einschränkungen der veränderbaren sozialen Realität. 2. Bedürfnisse und Triebwünsche der Kinder sollen nach Möglichkeit erfüllt werden. Die Möglichkeit bemißt sich nicht nur an der Ein-. Schätzung der sozialen Realität durch die Erzieher, sondern muß sich, soll Kindererziehung mit zum Mittel des gesellschaftlichen Kampfes für «die Veränderung der sozialen Realität werden, an denkbaren anti-

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zipierten Modellen orientieren. 3. Wenn die Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung nicht gegeben ist, sollte der Grund dafür entsprechend der Verständnisfähigkeit des Kindes erklärt werden. Das Angebot, die Triebenergie an einem Ersatzobjekt zu sublimieren, fördert die Phantasie des Kindes und damit die Realitätstüchtigkeit insofern, als es lernt, mit seinen nicht befriedigbaren Ansprüchen umzugehen. 4. Der erste Schritt bei auftretenden Aggressionen soll der Versuch sein, den Anlaß dazu herauszufinden und durch Erklärungen oder verändertes Verhalten aufzulösen. Aggressionsabfuhr ist besser als deren Unterdrückung, weil sie den Grundstein neurotischer und psychotischer Verhalten ausmacht. Die Abreaktion sollte nach Möglichkeit am auslösenden Objekt geschehen. Die Erfahrungen in der Praxis der Kinderläden haben gezeigt, daß das Problem der Aggression und der Sublimierung das vordringlichste, aber auch das am schwierigsten zu lösende ist. Einige Kinderläden sind daran gescheitert. Zum einen, weil die Kinder zum großen Teil aus Familienverhältnissen stammen, die durch den Versuch, antizipierte Modelle des Zusammenlebens zu praktizieren, für das Kind nicht selten mit Liebesverlust des einen oder anderen Elternteils verbunden waren. Zum andern gewann das Aggressionsproblem deshalb so an Mächtigkeit, weil sich an ihm die politische Diskussion entzündete und Fragen aufwarf, wie zum Beispiel: Wie weit darf ein Modell nichtbürgerlicher Erziehung antizipiert werden? Ist antiautoritäre Erziehung ein Mittel des Klassenkampfes? Können und sollen wir unsere privilegierten Kinder zu Revolutionären erziehen? usw. Solange über diese und ähnliche Fragen unterschiedliche Auffassungen bestanden, Wurden viele sich aufdrängende praktische Entscheidungen auf die lange Bank geschoben, wie zum Beispiel, welches Spielzeug gekauft werden sollte oder wie und ob die Kinder in die politische Tätigkeit ihrer Eltern mit einbezogen werden sollten, ob man sie auf Demonstrationen mitnehmen soll, oder wie auf Frustration und Aggression in Verbindung zur Realitätsvermittlung reagiert werden soll. Zwar waren viele Diskussionen über die „richtige sozialistische Erziehung" nur theoretische Scheingefechte, die aus der revolutionären Ungeduld der Genossen entstanden. Dennoch brachte die Frustration über die theoretische Unauflösbarkeit dieser Widersprüche, die sich aus der Tatsache, daß Kinderläden innerhalb des kapitalistischen Systems antizipierte Modelle sind,, ergeben, viele Genossen dazu, die Kinderladenkollektive zu verlassen, Betriebsarbeit zu leisten oder sich einer der verschiedenen kommunistischen Parteien anzuschließen. Das Scheitern der Ansätze antiautoritärer Erziehung in proletarischen Bereichen als organisierendes Selbsthilfemodell hat gewiß mit dazu beigetragen, daß viele studentische Gruppen Arbeit im Sozialisationsbereich als sinn- und zwecklos ansehen, sagt jedoch grundsätzlich nichts aus über die Möglichkeit, die Erkenntnisse und Erfahrungen der antiautoritären Erziehung auch proletarischen Kindern und Jugendlichen

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zu Nutze kommen zu lassen. Für den Erzieher von Arbeiterkindern bedeutet dies freilich, daß sich das Modell der antiautoritären Erziehung nicht korrekturlos übertragen läßt. Kinder aus Arbeiterfamilien sind weit stärkeren Repressionen ausgesetzt als liberal erzogene Bürger- oder Studentenkinder. Je härtere Strafen und je mehr Einschränkungen seiner Bedürfnissie das Kind erfahrt, um so mehr erlebt es seine eigenen Wünsche und Ziele als innere Bedrohung. Sie werden im Lauf der Zeit ins Unterbewußte abgedrängt, von wo sie aber, immer wieder mit neuer libidinöser Energie besetzt, versuchen in das Bewußtsein aufzusteigen,* wo diese Wünsche aber, wegen der äußeren Bedrohung durch Strafen, nur noch Angst hervorrufen. Um Schwierigkeiten und Enttäuschungen zu vermeiden, unterwirft sich das Kind nun ganz den Befehlen der Erwachsenen. Ziellos geworden übernimmt es alles, was von außen als Ziel an das Kind herangetragen wird. Das Kind wird beliebig lenkbar, es ist froh, wenn ihm Entscheidungen abgenommen werden. Würde den Kindern diese „lenkende Autorität" entzogen, so werden sie aus ihrer Verunsichertheit starke Aggressionen gegen die antiautoritären Erzieher entwickeln, um so mehr als sie an autoritäre Verhaltensmuster angepaßt sind. Dies ist ein Beispiel dafür, daß Aggression nicht aus primärer Bedürfnisfrustration entstehen muß. Grundsätzlich läßt sich dies jedoch nicht auf alle Arbeiterkinder anwenden, doch hat die Praxis gezeigt, daß sich autoritäre Verhaltensweisen nur so weit abbauen lassen, als den Kindern äquivalente Beschäftigungsangebote gemacht werden können. Dies soll nicht zu dem falschen Schluß führen, daß man sich in diesem Fall autoritär verhalten müsse, vielmehr folgt daraus, daß man sich bei Kindern mit starker Fremdsteuerungsabhängigkeit, weniger auf die Phantasie, Kreativität und die Fähigkeit, Konflikte selbständig zu lösen, verlassen kann. Um so mehr muß man sich Gedanken darüber machen, was man mit den Kindern macht. Innerhalb eines Kinderkollektivs gibt es verschiedene Objekte, an denen die Kinder versuchen, ihre Aggression abzureagieren. Wir wollen uns aber trotz aller Verhaltensregeln vergegenwärtigen, daß immer als erstes versucht werden soll, die Ursache der Aggression festzustellen, um dort Abhilfe möglich zu machen. Wenn sich die Aggressionen gegen die Bezugsperson im Kinderladen richten, steht diese meist stellvertretend für einen Elternteil. Auch wenn das Kind keinen akuten Liebesverlust durch die Eltern erlebt hat, kann die Ursache der Aggression in der Familie liegen. Diese erklärt sich aus dem ödipalen Konflikt, in dem das Kind eine ambivalente Beziehung zu den Eltern entwickelt. Der gleichgeschlechtliche Elternteil wird als Konkurrent für die Zärtlichkeits- und Liebesbedürfnisse des Kindes empfunden. Die daraus erwachende Aggression kann es jedoch nicht zum Ausdruck bringen, weil es ja gleichzeitig wünscht, geliebt und vor allem für seine Wünsche nicht bestraft zu werden. Oft

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genug sind die Aggressionen der Kinder gegen die Bezugsperson auch Ausdruck eines starken Zärtlichkeitsbedürfnisses. Auf jeden Fall sollte man auf die Angriffe des Kindes eingehen, ruhig auch einmal einen kräftigen Schlag in Kauf nehmen. Allerdings, wenn der Angriff tatsächlich gefahrlich oder zu schmerzhaft wird, z. B. mit spitzen Gegenständen, muß man das Kind auf jeden Fall daran hindern und ihm die Folgen erklären. Falsch wäre es jedoch, auf ein Spiel einzugehen, ohne daß das Kind dies als Spiel begreifen kann. Zumal wenn man versucht* den Besiegten zu spielen, denn dadurch würde dem Kind nur ein falsches Bild seiner Stärke vermittelt werden. Andererseits darf der Erzieher das Vertrauen des Kindes, daß es im Laden seine Bedürfnisse angstfrei und ohne dafür bestraft zu werden* verwirklichen kann, nicht erschüttern. Ein Spiel, wie zum Beispiel, durch Schlagen auf Töpfe Musik machen, hilft oft über diese schwierigen Situationen hinweg. Wenn sich Kinder untereinander aggressiv verhalten, sollte man nach Möglichkeit nicht eingreifen. Dadurch, daß Kinder ihre Konflikt te selbst lösen, entwickeln sie Vertrauen in ihre Fähigkeit, mit Problemen fertig zu werden. Wenn sich die Aggression allerdings gegen kleinere, deutlich schwächere einzelne Kinder richtet, wenn dadurch andere Kinder physischen oder psychischen Schaden leiden, muß man auf jeden Fall eingreifen, sollte dies aber immer mit Erklärungen für sein eigenes Verhalten begleiten und die Kinder darauf aufmerksam machen, daß sie Schwächere unterstützen sollten. Streitigkeiten und Konflikte der Kinder untereinander entstehen oft dadurch, daß zu wenig oder nur mangelhaftes Spielzeug da ist. Es ist darauf zu achten, daß sinnvolles, den Bedürfnissen der Kinder entsprechendes Spielzeug immer in ausreichender, der Stärke der Kindergruppe angemessenen Anzahl vorhanden ist. Wenn sich die Aggression in einem Zerstören von Gegenständen oder von Spielzeug ausdrückt, kann man fast immer sicher sein, daß das Kind die Abreaktion am falschen Objekt versucht. Oft jedoch identifiziert es das Ersatzobjekt mit dem Aggressionsobjekt. Leicht erkennbar wird uns dies vor allem beim Spiel mit Puppen, vor allem, wenn das Kind sie „bestraft". Oft gibt es ihnen seinen eigenen Namen. Dies deutet darauf hin, daß das Kind versucht, erlebte Situationen, wie Strafen oder Verbote, deren Sinn es nicht begreift, zu wiederholen und zu verarbeiten. Dies wird jedoch kaum dazu führen, daß es zu einem besseren Verständnis dieser Situationen kommt, sondern bewirkt allerhöchstens, daß es unbegreifliche Verbote und Gebote internalisiert und zu seiner eigenen Sache macht. Hier sollte man auf jeden Fall mit Fragen und Erklärungen eingreifen. Es wird noch einmal betont, daß die Abreaktion oder die Sublimierung der Aggression, wenn deren Entstehung nicht verhindert werden kann, immer noch besser ist, als deren Unterdrückung. Die Folge der unterdrückten Aggression ist fast immer, daß sie sich gegen die eigene Person richtet, sich in selbstzerstörerischem Verhalten, depressiven oder melancholischen Anfällen, oder in neurotischen oder psychoti-

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1 sehen Symptomen äußert. Folgende Fallschilderung soll kein verallgemeinerbares Verhaltensmuster liefern, sondern nur ^verdeutlichen, was bisher über Aggression und Sublimation geschrieben wurde. Eine Gruppe von 6-jährigen Schulkindern, deren Leistungen gegenüber dem Niveau der Klasse so weit absanken, daß jeder einzelne Gefahr lief, auf die Hilfsschule abgeschoben zu werden, traf sich regelmäßig am Nachmittag in der Schule. Unter Anleitung eines PädagogikStudenten sollten die aus der sozialen Benachteiligung der einzelnen Familien entstandenen Lernschwierigkeiten, zum einen durch Nachhilfe bei den Hausaufgaben, zum anderen durch kompensatorischen Unterricht wieder aufgehoben werden. In dieser Gruppe bereitete der schon einmal sitzengebliebene 8-jährige Frank besondere Schwierigkeiten. Er versuchte ständig, die jüngeren zu verprügeln, schmiß Stühle und Bänke um, w;ar zum Hausarbeiten machen kaum zu bewegen und behinderte durch Schreien und ständiges Herumlaufen auch die anderen in ihrer Arbeit. Sein Verhalten bedingte, daß der Student sich vordringlich mit ihm beschäftigte, wobei Frank ständig forderte, daß man nur mit ihm allein spielen sollte. Auch, wenn er zum Beispiel Rechenaufgaben falsch löste, behauptete er von sich, er sei der Beste und Klügste. Der Stärkste war er auf Grund seines Alters ohnehin. Offenbar war dieses Verhalten bedingt durch die Beziehung zu seinem Vater, der, wie später in Erfahrimg gebracht werden konnte, bereits längere Zeit arbeitslos war und öfters betrunken nach Hause kam. Oft war Frank mit Spuren der Mißhandlung in der Schule erschienen. Frank liebte seinen Vater sehr. Er erzählte viel und voller Stolz von ihm und wollte ebenso wie er Zimmermann, und außerdem „Bomberpilot-im-Krieg" werden. Durch einen organisatorischen Fehler geschah es, daß Frank eines Tages als einziger der Gruppe erschien: Protokoll des Pädagogik-Studenten: „Ich bin mit Frank allein. Denke mir, das wird ein dufter Tag, kann mich mit Frank einmal intensiv allein befassen und brauche keine Angst zu haben, daß er die anderen Kinder verprügelt. Sind ja keine da. Jedoch als ich noch kaum den Versuch gemacht hatte, mit ihm die Hausarbeiten zu machen, drehte er durch. Er weigert sich, auch nur eine Zeile zu schreiben oder zu lesen, tobt durch den Klassenraum, schmeißt dabei Stühle und Bänke um, schreit, läßt sich von mir fangen und auf seinen Platz setzen, um sich dann wieder loszureißen und neuen Trubel zu beginnen. Ich versuche nun Frank gut zuzureden, verspreche ihm, nachher mit ihm wegzugehen und auf dem Spielplatz mit ihm zu toben. Ohne Erfolg! Schließlich brülle ich, ohne daß Frank darauf reagiert. Mir meiner antiautoritären Ohnmacht bewußt werdend, drehe ich wohl selbst ein wenig durch und gebe Frank eine ziemlich heftige Ohrfeige. Aber selbst das bewirkt noch keine Änderung in Franks Verhalten.

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Erst als ich unter inzwischen immer größer gewordenen Gewissensbissen meinerseits ihm androhe, seinen Eltern einen Brief zu schreiben, setzt er sich hin und macht mit ziemlichem Eifer seine Hausarbeiten. Er beendet sie in relativ kurzer Zeit, gestattet mir aber nicht, sie anzusehen, sondern verpackt sein Heft in der Schultasche. Daraufhin dreht er sich in seiner Bank um, wendet mir den Rücken zu und versinkt in eisiges Schweigen. Ich versuche zunächst, mit ihm zu reden und ihm zu erklären, daß ich auf Grund seines Verhaltens durchgedreht sei und mir deswegen keine andere Möglichkeit mehr eingefallen sei, als ihn zu ohrfeigen und ihm den Brief an die Eltern anzudrohen. Er straft mich mit Verachtung, blickt mich nicht an, verzieht keine Miene, redet kein Wort. Selbst mein Vorschlag, mit ihm jetzt auf den Spielplatz zu gehen, läßt ihn kalt. Ich male ein großes Strichmännchen an die Tafel, schreibe meinen Namen darunter und verlasse den Klassenraum. Nach einer Zigarettenpause komme ich zurück. Frank ist mit meinem Mantel beschäftigt, hat ihn auf den Boden geworfen und den Inhalt der Taschen verstreut. Bei meinem Eintreten flitzt er in seine Bank zurück und bemerkt offenbar erst jetzt das Männchen an der Tafel. Er kommt aus seiner Bank heraus und buchstabiert meinen Namen. „Bist Du das, Sie Arschloch? " fragt er mich. Ich bestätige es ihm und erkläre, daß *er damit machen könne, was er wolle. Eine krumme Nase malen, einen Fuß oder einen Arm abhacken, oder aber ganz auslöschen. Frank trommelt daraufhin wie wild mit seinen Fäusten auf die Tafel ein, bis die Kreidestriche verwischen und schließlich ganz ausgelöscht sind. Ein breites, befreites Grinsen geht über sein Gesicht. Es scheint, als ob sich plötzlich ein verkrampfter Knoten gelöst hätte und seine vorherige Wut und sein Trotz nie dagewesen wären. Wir gehen zusammen auf den Spielplatz und haben noch eine unheimlich gute Stunde miteinander. Als Frank nach Hause geht, umarmt er mich ganz heftig." Dieses Protokoll spricht wohl für sich und bedarf keiner weiteren Erklärung. Jedoch macht die Euphorie des Studenten, die aus dem letzten Abschnitt spricht, mißtrauisch. Dies ist der Punkt, an dem die Kritik am Verhalten des Studenten einsetzen muß. Frank versuchte durch sein Radaumachen, sich als den Stärkeren zu beweisen, da er nicht die Möglichkeit hatte, sich vor den anderen Kindern zu bestätigen.^ Die massiven Drohungen und Strafen stellten bei Frank die Verbindung zu seinem autoritären Vater her, wodurch es ihm ein leichtes war, den Studenten mit seinem Vater zu identifizieren. So bestätigt er durch die Abfuhr seiner Aggression an dem Strichmännchen und durch die anschließende Umarmung die Beziehung zu seinem gehaßten und geliebten Vater. Durch das Verhalten des Studenten motiviert, schafft sich das Kind eine neue Vater-Sohn-Beziehung. Würde diese Beziehung weiter dadurch aufrecht erhalten, daß dem Kind hier erlaubt ist, seine Emotionen abzureagieren, was ihm der eigene Vater verbietet, wäre eine Konkurrenz zum realen Vater-Sohn-Verhältnis

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aufgebaut. Die Konflikte, die sich in einem solchen Fall zusätzlich für das Kind ergeben könnten, sind bestimmt folgenschwerer als die Konflikte der normalen Familiensituation. Wenn es dem Studenten nicht gelingt, in der weiteren Entwicklung diese negative Fixierung aufzulösen, ohne eine gewaltsame Trennung vorzunehmen und ohne sich weiterhin autoritär zu verhalten, ist seine Euphorie völlig unberechtigt. Hier bietet sich ihm ein Ansatz zu weiterer Arbeit, die aber, soll sie Erfolg bringen, mit dem Versuch, die autoritären Strukturen des Vaters aufzulösen, einhergehen muß. Nachbemerkung Daß dieses Kapitel so an Länge, Ausführlichkeit und Weitschweifigkeit gewonnen hat, hat mehrere Gründe: Die Bewältigung des Aggressions- und Sublimationsproblems ist ausschlaggebend für das Wohl oder Wehe der Erzieher und der Kindergruppe. Nicht zuletzt deswegen, weil dieser Problemkreis eng verquickt ist mit der Frage der Notwendigkeit und der Veränderbarkeit dieser bestehenden gesellschaftlichen Realität. Die Ausschweifungen und Anrisse damit verbundener Fragestellungen sollen als Anregung und Ausgangspunkt für besser strukturierte und zielgerechtere Diskussion dienen. Dadurch, daß dieses Kapitel als eines der letzten geschrieben wurde* lag die Versuchung nahe, zum einen auf die Entwicklung der linken Bewegung seit dem Beginn des Buches bis zu seinem Abschluß einzugehen, zum anderen alle bereits ausführlicher behandelten Kapitel noch einmal zu Skizzieren. Dieser Versuchung konnte nicht ganz widerstanden werden. Exkurs: Freiraum Kinderladen Wenn es im Tagesablauf des Kinderladens nicht eine bestimmte Regelmäßigkeit gibt, so hat das Auswirkungen auf das Verhalten der Kinder. Da sie wenig Orientierungsmöglichkeit haben, werden sie unfähig, Spiele zu Ende zu fuhren, und beginnen ziellos neue. Die Aggression, die durch dieses Mißerfolgserlebnis aufgelöst wird, äußert das Kind im Versuch, alles kaputt zu machen. Wenn es daran gehindert ist, richtet sich die Aggression nach innen. Wenn den Kindern jegliche Freiheit gewährt ist, erleben sie den Kinderladen als einen Freiraum, den sie außerhalb nicht wiederfinden. Die Enttäuschung, der sie jedesmal ausgesetzt sind, wenn sie aus dem Kollektiv nach Hause zu ihren Eltern kommen, verunsichert sie so, daß sie sich wieder an ihre Bezugspersönen klammern. Sie werden auf ihre Fixierung zurückgeworfen, die die Kollektiverziehung lösen soll. Die Notwendigkeit einer Ordnung des Tagesablaufes wird bestimmt

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vom Bedürfnis der Kinder und den Umständen, in denen sie leben. Wenn bestimmte Zeiten eingehalten werden, lernen die Kinder eine Ordnung kennen, die es ihnen ermöglicht, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Das Kollektiv selbst wird ordnende Instanz dadurch, daß sie begreifen, daß die Befriedigung ihrer Bedürfnisse abhängt von den Bedürfnissen der anderen Kinder. Die Erfahrung mit den Kindern des Kollektivs und mit den Bezugspersonen vermittelt ihnen ein Stück Realität, das sie außerhalb des Kinderladens wiederfinden. Bei der Planung und Durchführung dieser Ordnung sollen die Kinder soweit wie möglich beteiligt werden. Die Ordnung des äußeren Rahmens wiederholt sich im Verhalten des Kindes. Es ist wichtig, daß die Zeiten, zu denen die Kinder gebracht und abgeholt werden, festgelegt sind, und möglichst eingehalten werden. Besonders die Abholzeit kann für das Kind wichtig werden. Wenn es als letztes allein auf die Mutter warten muß, während alle anderen schon abgeholt sind, kann es jene irrationale Angst wiedererleben, daß die Mutter nicht mehr kommt. Um dem vorzubeugen, sollten nach Möglichkeit die anderen Kinder dableiben, bis alle abgeholt werden. Die Schlafenszeit ist vom Alter der Kinder und deren Bedürfnis abhängig. Man sollte jedoch darauf achten, daß die Kinder möglichst gemeinsam schlafen gehen. Das macht auch viel mehr Spaß. Meistens stören die Kinder, die noch nicht schlafen wollen, die anderen. Die Essenszeit sollte man möglichst so einrichten, daß ein angefangenes Spiel nicht durchs Essen unterbrochen wird. Beim Wickeln der kleineren Kinder sollte auch eine gewisse Regelmäßigkeit eingehalten werden. Hier ist es jedoch besonders wichtig, darauf zu achten, daß diese Regelmäßigkeit vom Kinde nicht als Zwang erlebt wird. Beim Aufräumen der Spielsachen empfiehlt es sich, die Kinder zu beteiligen. Sie tun es gern, wenn man nicht versucht, ihnen die eigenen Ordnungsvorstellungen zur Auflage zu machen. Kinder haben einen eigenen Sinn für Ordnung, der dem Erwachsenen auf Grund seines deformierten Ordnungsbewußtseins oft nicht sichtbar ist Das gestörte Verhältnis der Erwachsenen zur Ordnung läßt sich erklären, wenn man weiß, wie es entsteht: Das Kind lernt zu Beginn des zweiten Lebensjahres seine Körperfunktionen (Gehen, Greifen, Ausscheidung) beherrschen. Meist zur selben Zeit setzt die Reinlichkeitsdressur der Eltern ein. Das Kind muß zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort seinen Darm entleeren. Den Autonomiebestrebungen des Kindes tritt die Reinlichkeitsforderung gegenüber, deren Sinn es nicht verstehen kann. Das erste Erlebnis der Unterordnung bleibt bestimmend für die Fähigkeit, sich der Ordnung der Erwachsenen, später der Vorgesetzten, anzupassen, ohne zu fragen warum. Jede Möglichkeit also, die dem Kind gegeben wird, seine Ordnung zu realisieren, bedeutet für es, ein Stück seiner verlorenen Autonomie zurückzuerobern. Sein absichtliches Unordnungmachen ist oft Ausdruck seiner Auflehnung gegen die autonomiezerbrechende Ordnung

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der Erwachsenen. Die Notwendigkeit einer Regelmäßigkeit und Ordnung, muß der Erwachsene ständig überprüfen. Wichtig ist es, auch dem Kind die Notwendigkeit zu erklären, damit es lernt, die Ordnung selbst zu bestimmen, nicht, sich ihr anzupassen. Tagesablauf Vormittags Bis beide Gruppen, die kleinen und die großen Kinder vollzählig waren, wurde es manchmal schon wieder Zeit, das Mittagessen vorzubereiten. Ein sinnvolles Spiel war öft nicht möglich, wegen der Unordnung, die schwer zu beseitigen war und der Unsicherheit der Eltern, die meinten, um die kindlichen Bedürfnisse sich äußern zu lassen, müßten sie jede Anregung zum Spiel vermeiden. Auch hatte kaum jemand Vorstellungen davon, wie Spielzeug beschaffen sein sollte, das zwar zum Spielen geeignet, aber für bestimmte Spiele nicht festgelegt ist. Die Kinder bekamen meist uhvorgefertigtes Material, Industrieabfälle, Holzstücke usw. in der Hoffnung, daß so die Phantasie des Kindes sich voll entfalten könne. Ein kollektives Spiel war unter diesen Voraussetzungen kaum möglich. Meist beschäftigten sich die Kinder allein mit einem Gegenstand, oder blätterten Bilderbücher durch, die jedoch selten länger als einen Tag hielten. Mittags Den Aufsichtsführenden fiel es oft leichter, auch wenn sie keine Ah- f nung vom Kochen hatten, das Essen vorzubereiten, als auf die Kinder zu achten. Gekocht wurde tags zuvor bei den Eltern, die am nächsten Tag Dienst hatten. Salat oder Nachspeisen wurden im Kinderladen zubereitet. Während dieser Arbeit paßte ein Erwachsener allein auf die beiden Gruppen in den getrennten Räumen auf. Entweder blieb eine Gruppe unbeaufsichtigt, oder aber die kleineren spielten mit den größeren Kindern in einem Raum gemeinsam. Streitereien zwischen den , Jungen" und den „Alten" waren unvermeidlich. Später versuchte man, die kritische Zeit, von der Essensvorbereitung bis zum Schlafengehen, dädurch zu überbrücken, daß die Nachmittags-Leute früher in den Laden kamen. An dem runden blauen Tisch saßen 13 Kinder und warteten auf das Verteilen des Saftes und des Essens.| Streitigkeiten während des Essens kamen selten vor, und wenn, drehte es sich um einen blauen Becher, der gegen einen roten eingetauscht werden sollte. Fast jeden Tag blieb ein Rest im Topf, die Eltern kochten reichlich, damit keiner zu kurz käme. >

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Nach dem Essen wurden die Kleinen frisch gewindelt und in den hinteren Raum gebracht. Einer mußte mit den Kindern „einschlafen". Es war den Kindern zur Gewohnheit geworden, daß immer ein Erwachsener mit ihnen schlief. Meistens war das auch nötig, weil es immer einen gab, der nicht schlafen wollte und nur mit Überredungskünsten clazu zu bringen war. Die Großen, die den Nachmittagsschlaf nicht mehr nötig hatten, gingen entweder auf den nächsten Spielplatz oder in den Sandkasten im Keller, um die Schlafenden nicht zu stören. Es dauerte immer längere Zeit, bis es hinter der Tür zum Schlafzimmer ruhig geworden war. Sechs Kinder zur gleichen Zeit zum Schlafen zu bringen, ließ sich nicht immer mühelos erreichen. Exkurs: Das Essen Für die Erwachsenen war es eine Erleichterung, daß das Essen schon zu Hause vorgekocht war. Die Kinder jedoch, die hinter der Absperrung zur Küche standen, wollten selbst etwas machen, wollten mithelfen oder selbst kochen. Man sollte ihnen das auch so weit wie möglich erlauben. Auf jeden Fall sollte man sie an der Essensvorbereitung teilnehmen lassen — Tisch decken, Töpfe tragen, Stühle holen usw. Wenn Kinder selbst kochen, haben sie die Möglichkeit, etwas, das sie sonst nur vom Zuschauen kennen, selbst zu machen. Das Essen wird ihr „Produkt", das einen Sinn bekommt, zur Befriedigung des eigenen Bedürfnisses: des Hungers. Das Kind erfährt so spielerisch, wie es durch Arbeit eigene Wünsche erfüllen kann. Das Kind wird mit dem Selbstgekochten bestimmt nicht um sich schmeißen. Es wird auch versuchen, andere Kinder daran zü hindern, denen dies verständlicher sein wird, als wenn ein Erwachsener eingreift. So wirkt das Selbstkochen selbstdisziplinierend. Wenn Kinder kochen, sollte man sie so weit anleiten, daß sie ihr Produkt auch essen können und nicht gerade Zucker und Salz zusammenschütten, obgleich die Erfahrung, wenn sie etwas Ungenießbares gekocht haben, ihnen einsichtig macht, daß sie bestimmte Regeln beachten müssen, wenn es ihnen schmecken soll. Zu vergessen ist jedoch nicht, daß Kinder auch einen anderen Geschmack haben als Erwachsene. Zum Essen sollte man die Kinder nicht zwingen. Verhungern werden sie bestimmt nicht. Wenn sie nicht essen wollen, liegt das in den wenigsten Fällen daran, daß sie satt sind. Der Hunger ist gleichsam weggeschoben durch ein anderes, stärkeres Bedürfnis. Man sollte sich erst bemühen herauszubekommen, warum das Kind sich weigert zu essen, bevor man es mit allen möglichen Tricks dazu bringt. Manchmal, jedoch können die Ursachen dafür soweit zurückliegen, daß de dem Erzieher nur noch schwer zugänglich sind». Mag sein, daß

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sogar Erlebnisse aus der Säuglings- und Stillzeit dafür verantwortlich sind. Die Bedeutung des Essens schildert Erikson so: „Seine [des Neugeborenen] angeborene, mehr oder weniger koordinierte Fähigkeit, durch den Mund aufzunehmen, trifft auf die mehr oder weniger koordinierte Fähigkeit und Willfährigkeit der mütter, liehen Brust, es zu nähren und wülkommen zu heißen. In dieser Zeitspanne lebt und liebt das Kind durch und mit dem Mund, und die Mutter lebt und liebt durch und mit ihren Brüsten. Für sie ist das eine späte und schwierige Errungenschaft, höchst abhängig von der Liebe, deren sie von anderen sicher sein kann, von der Selbstwertung, die den Stillakt begleitet — und von der Reaktion des Neugeborenen. Für es aber ist die orale Zone nur der Brennpunkt einer ersten allgemeinen Annäherungsweise — nämlich der Einverleibung." 8 Der Ausdruck: „Ich hab dich zum Fressen gern!" zeigt die Parallellität und teilweise Identität von Nahrungsaufnahme und Liebhaben. Das Kind, das sich dem Essen verweigert, will vielleicht nur gefüttert werden, will daß man sich daneben setzt oder allein für es da ist. So kann es vorkommen, daß das Kind, wenn alle anderen mit Essen fertig sind, plötzlich Hunger bekommt. Man sollte diesem Wunsch nachgeben. Wera Schmidt zeigt uns einen weiteren Grund dafür, warum man dem Wunsch des Kindes, selbständig und autonom seine Nahrungsaufnahme zu gestalten, nachkommen sollte: „Auf Grund des hier angeführten Materials kann man sagen, daß der Wißtrieb sich allmählich aus dem Bemächtigungstrieb entwickelt. Als primitivste Form des Bemächtigungstriebes können wir das Ergreifen und Verschlingen der Objekte, in dem Augenblick, in dem der Hunger einen bestimmten Grad der Intensität erreicht hat, ansehen." 9 Nicht umsonst sprechen wir von „Wissensdurst", „geistiger Nahrung": wer etwas begriffen hat, der hat es „gefressen"; überraschende Neuigkeiten muß man erst „verdauen". Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen, daß man das Kind nie zwingen sollte, den Teller leer zu essen. Der Hinweis, daß das Essen verderben könnte und dann weggeschmissen werden müßte, wird etwas unglaubhaft angesichts des Verhaltens der Erwachsenen und der gezielten Vernichtung von Lebensmitteln durch Großkonzerne zur Aufrechterhaltung überhöhter Preise. Nachmittags Oft dauerte es eine Stunde, bis alle Kinder eingeschlafen waren. Manchmal mußte die Tür zu den anderen Räumen versperrt werden, damit die Kinder nicht hinausliefen. Ab und zu war es notwendig, die Kinder zum Schlafen zu zwingen. Wenn die Kleinen nicht geschlafen hatten, steigerte sich am Nachmittag die Aggressivität der Kinder untereinander in zunehmendem Maß.

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Sie warfen dann mit Bauklötzen und schlugen aufeinander ein. Nicht selten gingen sie auch auf die Erwachsenen los. Bei Streitigkeiten unter den Kindern griffen die Betreuer möglichst wenig ein. Sie meinten, die Kinder müßten ihre Aggressionen selbst regulieren. Der autoritäre Eingriff war nur dann erlaubt* wenn ein Kind drohte, das andere mit einem Gegenstand zu verletzen. Oft konnte man beobachten, wie das Kind, wenn es am Ausagieren seiner Aggression verhindert war, sie gegen sich selbst richtete. Ein so reglementiertes Kind fiel anschließend, ganz „zufällig" natürlich, über einen herumliegenden Baustein, stieß sich an einer Ecke, tat sich weh und heulte und konnte sich nun vom Erwachsenen liebhaben lassen. Schwierig war es auch, da die Kinder ja nicht auf einmal aufwachten, die ausgeschlafenen Kleinen am Spiel der Großen zu beteiligen, die. inzwischen wieder vom Spielplatz oder vom Keller zurückgekommen waren. Oft endete das mit Geschrei nach den Eltern. Nach dem Aufwachen gab es Brötchen und Kakao. Die Gruppen spielten nun wieder in getrennten Räumen. Ab halb fünf begannen die Erwachsenen das herumliegende Spielzeug aufzuräumen, das Geschirr abzuspülen, Bad und Klo sauber zu machen. Sie bemühten sich, die Kinder daran zu beteiligen. Gegen fünf kamen die Eltern. Exkurs: Zum Bezugspersonenwechsel Eine Kindergärtnerin zu beschäftigen, die jeden Tag Aufsicht führt, oder einen wechselnden Elterndienst einzurichten, diese Alternative läßt sich nicht allgemeingültig entscheiden. Immer hängt es von der Zusammensetzimg und der psychischen Stabilität der einzelnen und der ganzen Kindergruppe ab. Es können nur Vorteile und Nachteile aufgezählt werden, als Hilfe für die Beurteilung einer anderen Situation. Für die Einschätzung der Vorteile des Bezugspersonenwechsels müssen zwei Gesichtspunkte berücksichtigt werden: der politische und psychologische. Durch die gemeinsame praktische Arbeit entsteht Solidarität zwischen den Eltern und zwischen Eltern und Kindern. Durch die tägliche Arbeit im Kinderladen wird Selbstdisziplin und Selbsterziehung gefördert. Durch die gemeinsame praktische und politische Arbeit können die Emanzipationsbedürfnisse aller eher befriedigt werden. Das tägliche Sich-abwechseln bietet Gelegenheit, mit anderen über die eigenen Probleme, nicht nur die der Erziehungsarbeit, zu sprechen. Jeder einzelne fühlt sich für den Kinderladen eher verantwortlich, als wenn die Verantwortung an die Kindergärtnerin delegiert ist. Eine der Voraussetzungen der sozialistischen Erziehung ist die Einheit der Erwachsenen* und Kinderwelt, die den Klassencharakter der bürgerlichen Kleinfamilie und ihre Autoritätsstrukturen aufgelöst hat. Durch die Einheit der praktischen, pädagogischen und politischen Arbeit

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kann eine Kampfgemeinschaft entstehen, die um so wirkungsvoller ist, je mehr Kinder- und Elterngruppen sich aus dem kleinbürgerlichen Fämilienverbandlösen. Die Vorteile des Bezugspersonenwechsels für die psychische Entwicklung des Kindes sind entsprechend der verschiedenen Entwicklungsphasen des Kleinkindes differenzierter zu beurteilen. Dorothy Burlingham und Anna Freud haben in einem Bericht über ein Kriegskinderheim die verschiedenen Entwicklungsphasen der Mutterbeziehung und die Folgen der Trennung in verschiedenen Entwicklungsstadien des Kindes beschrieben. 10 Wir wollen hier eine kurze Zusammenfassung geben, weil die Darstellung nicht nur für das Problem des Bezugspersonenwechsels, sondern auch für die Frage aufschlußreich ist, von welchem Alter an die Kinder in den Kinderladen gehen sollten. Zu berücksichtigen ist aber, daß die Kinder im Kriegskinderheim ganz von ihren Eltern getrennt wurden. In der ersten Phase, während der ersten Lebensmonate, verhält sich der Säugling der Mutter gegenüber egoistisch und materialistisch, im Zeichen von Bedürfnis- und Befriedigungserlebnissen, Lust- und Unlustgefühlen. Der Säugling gedeiht in mütterlicher Atmosphäre besser als in unpersönlicher. Jedoch nach der Trennung beruhigen sich sehr kleine Kinder gewöhnlich nach kurzdauerndem Schreien und zeigen sich wenig beeinflußt. Verlängerte Einschlafzeiten, kleinere Unregelmäßigkeiten in der Verdauungstätigkeit in den ersten ein, zwei Tagen sind die Folgen der Trennung. Die zweite Phase beginnt in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres. Sie behält ihren materialistischen Charakter noch, jedoch wird die Befriedigung des Zärtlichkeitsbedürfnisses für das psychische Leben ebenso wichtig, wie die Befriedigung von Hunger und Durst für das körperliche Wohlbefinden. Die Trennung hat Folgen längerer Dauer. Sie äußern sich in Eßunlust, unruhigem Schlaf und unfreundlich abweisendem Benehmen. Der Kontakt mit der Umwelt ist deutlich gestört. Zuerst stellen sich die körperlichen Funktionen wieder her. Das Kind ist nach der Trennung zu den Anfangsstadien seiner Mutterbeziehung regrediert. Das Verhältnis zur Ersatzmutter wird auf der alten Basis, in Anlehnung an die Befriedigung der Körperbedürfnisse wieder hergestellt. In der dritten Phase ist das Verhältnis zur Mutter eine Liebesbeziehung. Das Kleinkind ist in seiner Liebe ausschließlich und anspruchsvoll, Die Mutter wird zum Objekt, an dem alle /Triebwünsche befriedigt werden wollen. Störungen in der Harmonie (Fixierungen) der Mutter-Kind-Beziehung ergeben sich aus der anspruchsvollen und ausschließlichen Natur dieser Wünsche. Trennungen werden besonders schwer empfunden, das Kind fühlt sich verlassen. Die Sehnsucht nach der Mutter steigert sich zu Ausbrüchen der Verzweiflung. Sein psychischer Hunger überwiegt alle körperlichen Bedürfnisse. Es verweigert

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Nahrung und Schlaf, sträubt sich gegen Körperpflege, Trost und Zärtlichkeiten. Die Kinder klammern sich an einen Gegenstand, der die Erinnerung, die körperliche Gegenwart der Mutter vertritt. Es läßt sich zusammenfassen: Das Kind braucht in den ersten beiden Lebensjahren eine beständige Bezugsperson. Zu vergessen ist jedoch nicht, daß die Ausschließlichkeit der Wünsche der dritten Phase zum größten Teü entsteht aus dem ausschließlichen Verhältnis der ersten und zweiten Phase. Wenn in den ersten Phasen einige Personen, zum Beispiel die Kindergärtnerin, dazukommen, muß nicht unbedingt eine so starke Fixierung an die Mutter entstehen. Zu viele ßezugspersonen und ständiger Wechsel ihres Verhaltens wirken jedoch ungünstig auf die Entwicklung der normalen Umweltbeziehungen ein. Das Angebot einer Vielzahl von Bezugspersonen kann das Kind nicht nur nicht verwerten, sondern steht seinem Bedürfnis entgegen, sich der Umwelt über die Bezugspersonen zu bemächtigen. Die im ersten Lebensjahr aufkommende Bindung an die Mutter kommt im zweiten Lebensjahr zur vollen Entfaltung. Erst im dritten Jahr wird das Verhältnis zur Mutter zur intensiven Liebesbeziehung, die um so ausschließlicher ist, je weniger den Liebes- und Zärtlichkeitsbedürfnissen von Seiten der Liebesobjekte entsprochen werden kann. Nach den ersten beiden Jahren mit einer stabilen Bezugsperson ist der Wechsel der Aufsicht im Kinderladen insofern günstig für das Kind, als es ein flexibleres und reichhaltigeres Repertoire an sozialen Gefühlen und Verhaltensweisen entwickeln kann. Durch die abwechselnden Angebote an Identifikationsmöglichkeiten, durch den Wechsel der Bezugspersonen, wird die intellektuelle Entwicklung des Kindes begünstigt. Der Wißtrieb des Kindes bildet sich an der Möglichkeit, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn die Wünsche der Kinder nicht nur von den Eltern, sondern auch von anderen Personen erfüllt werden, bleibt die Denkfähigkeit und Realitätstüchtigkeit nicht verknüpft mit einer Person. Die Kinder erfahren unterschiedliche Verhaltensweisen von verschiedenen Erwachsenen, die von ihnen kritisiert werden können. Sie lehnen ab oder bevorzugen. Dadurch sind die Eltern wiederum veranlaßt, ihre Verhaltensweisen selbstkritisch zu überdenken. Der Bruch zwischen Familie und Kinderladen ist deutlicher, wenn ständig eine Kindergärtnerin aufpaßt, als im Falle wechselnder Bezugspersonen. Die Kinder werden weniger verunsichert, wenn sie erleben, daß die Eltern nicht „weggegangen" sind, sondern zum Kinderladen gehören. Autonomie und soziales Verhalten wird innerhalb der Kindergruppe gefördert, dadurch, daß die Kinder sich nicht an eine Betreuungsperson fixieren können. Der Erwachsene wird nicht so sehr als überlegener Organisator, sondern eher als Teü der Gemeinschaft erlebt. Das Besitzverhältnis zwischen Eltern und Kindern lockert sich bei beiden Teilen durch die Erfahrung, daß alle Kinder für alle Eltern da sind. Es bildet sich ein größerer vertrauter Erfahrungs- und Erlebensspielraum.

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Diesen Überlegungen stehen die nachteiligen Auswirkungen des Bezugspersonenwechsels gegenüber. Durch das Wechseln müssen beide Teile mehr Zeit und Energie aufbringen. Die neurotischen Strukturen der Eltern übertragen sich auf das Kind direkt proportional zur Anzahl der Eltern. Zwölf neurotische Eltern sind gefährlicher als eine neurotische Kindergärtnerin. Eine problematische Eltern-Kind-Beziehung bringt an dem Tag, an dem diese Eltern Aufsicht haben, fast unüberbrückbare Schwierigkeiten für beide und stört die Harmonie der Gruppe. Die ersten Phasen der Entwicklung des Kleinkindes und der Eltern sind gestört durch die Widersprüche der bürgerlichen Ehe. Die problematischen Familienverhältnisse und die durch die Gruppe geförderten Emanzipationsbestrebungen lassen ein gespanntes Eltern-Kind-Verhältnis entstehen. Ein Bezugspersonenwechsel, gerade in der Zeit der Stabilisierung der kindlichen Psyche, wirkt sich ungünstig auf die Entwicklung des Kindes aus. Die intellektuelle Entwicklung des Kindes kann durch den Wechsel der Aufsichtsperson auf ein früheres Stadium regredieren, wenn die Eltern-Kind-Beziehung schon neurotisch deformiert ist, wenn das Kind sich nur nach längerer Kollektiverziehung aus seiner Fixierung lösen kann. Das Kind kann verunsichert werden, wenn die Eltern ihm zu Hause etwas verbieten, was sie ihm im Kinderladen erlauben können. Das Problem des Bezugspersonenwechsels kann nur nach eingehender Untersuchung jedes einzelnen Kindes gelöst werden. Wenn in der Gruppe auch nur ein Kind ist, dessen Fixierung an die Eltern negativ ist, das heißt, wenn es einen ständigen Liebesentzug eines Teils der Eltern erlebt hat, aggressiv vor allem auf Männer oder auf Frauen reagiert, wird es immer günstig sein, eine Bezugsperson, die kontinuierlich Kinderladendienst macht, anzustellen. Wenn das Kind in der Familie nicht die Möglichkeit hatte, ein Liebesobjekt zu finden, ohne daß es dafür einen Eisatz bekommen hätte, wie es ein Kinderkollektiv ist, dann wird es als nächstes versuchen, diesen Verlust wettzumachen. Es wird nach Erwachsenen suchen, die den verlorenen Vater oder die Mutter ersetzen können. (Oft ist es günstig, wenn ein Mann das Kollektiv betreut.) Erst wenn diese , Fixierung* hergestellt ist, wenn das Kind die Möglichkeit der Objektbeziehung kennengelernt hat, kann sie wieder gelöst werden und als Ersatz dafür das Kollektiv stehen. Damit soll nicht gesagt werden, daß eine Mutter, die sich von ihrem Mann getrennt hat und mit ihrem Kind allein lebt, eine schlechte Mutter sei und dem Kind nicht genug Möglichkeiten böte, die nötige Objektbeziehung herzustellen. Das Verschwinden eines Teils der Eltern, der schon besetzt ist, wird in den meisten Fällen zum traumatischen Erlebnis. Die Schuld daran kann das Kind nur in der oft feindlich erlebten Umwelt sehen, die an erster Stelle von den Personen repräsentiert wird, mit denen es zusammenlebt. Der Vater ist verschwunden, die Mutter ist schuld daran. Keine sehr gute Ausgangsposition für das Kind, um eine Liebesbeziehung herzustellen. Das Kind, das weder das eine noch das andere verstehen kann, wird dieses Erlebnis nur diirch

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ein positives Neu-Erfahren bewältigen können. Der halbtägliche Wechsel der Bezugspersonen hat sich für den Kinderladen S. ungünstig ausgewirkt. Kontinuität der Erziehungsarbeit wäre notwendig gewesen, um den Kollektivierungsprozeß einzuleiten. In beiden Gruppen waren Kinder, die aus recht schwierigen Familiensituationen kamen. Ihr dadurch gestörtes Verhältnis zur Umwelt, zu Erwachsenen und Kindern, konnte später, als eine Kindergärtnerin jeden Tag den Kinderladen betreute — von den sich abwechselnden Eltern unterstützt — wieder gelöst werden. Durch Gemeinschaftsspiele erlebten sie, daß sie für ihren Verlust im Kollektiv einen vollen Ersatz fanden. Was allen vorher ein unlösbares Problem erschien, hatte die Kindergärtnerin in wenigen Wochen erreicht. Das Elternkollektiv Die Arbeitseffektivität in einem Kollektiv ist entscheidend von der Zusammensetzung der Gruppe abhängig. Im Kinderladen S. gab es von Anfang an sehr unterschiedliche Standpunkte, die begründet waren in der unterschiedlichen sozialen Herkunft, den verschiedenen Tätigkeiten und Interessen. Einigen schien es von Anfang an für ein funktionierendes Kinderkollektiv notwendig, daß auch die Eltern zusammenleben müssen. Die Kommunediskussion wurde jedoch ohne Ergebnis geführt, in späteren Sitzungen jedoch immer wieder aufgegriffen. Manche Schwierigkeiten wären nicht aufgetaucht oder doch gründlicher beseitigt worden, hätten die Eltern zusammengewohnt. Die auftretenden Arbeitsschwierigkeiten im Laden konnten kaum in den wöchentlichen Arbeitssitzungen zu Ende besprochen werden. In der Kommune hätten diese Gespräche kontinuierlich und im richtigen Zusammenhang geführt werden können. Spannungen und Schwierigkeiten innerhalb des Elternkollektivs wirkten sich beständig auf das Kinderkollektiv aus. Die Aufsichtspersonen hatten besonderen Ärger mit den Kindern, wenn ein Eltempaar oder -teil keine positive Einstellung zum Laden hatte. Durch das gemeinsame Wohnen wären diese Schwierigkeiten sicherlich nicht gleich beseitigt worden, aber sie wären bestimmt nicht so versteckt ausgetragen worden, man hätte sich ihrer eher bewußt werden können. Für alle Kinder waren die Montage die schwierigsten Tage der Woche. Es fällt den Kindern schwer, die am Wochenende erlebte kleinfamiliäre Situation zu überwinden. In der elterlichen Wohnung hat das Kind in den seltensten Fällen dieselbe Freiheit wie im Kinderladen, der den Kindern selbst gehört. So mußten sich die Kinder erst einmal an den Montagen austoben, bevor sie zu spielen begannen. Jedem war die Funktion der Kleinfamilie für das System einsichtig. Den Schritt hinaus aus der Ehe in die Wohngemeinschaft jedoch wag-

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ten nur wenige. Die Kommune 2 schreibt in ihrem Vorwort zu Wera Schmidts Bericht: „Die abgegriffene soziologische Münze vom Funktionsverlust der Familie verdrängt die Frage, woher die verbissene Hartnäckigkeit rührt, mit der die Familie als Erziehungsinstanz der Kinder sich noch behauptet. Die steigende Rationalisierung der menschlichen Beziehungen zum Zwecke ihrer durchgängigen Verwaltung und Verfügbarkeit zögert vor dem Schritt, die frühkindliche Anpassung selbst zu regeln, die Kinder vom ersten Lebensjahr an kollektiv zu indoktrinieren. Die ideologische Verklärung der Familie als zu erhaltende Keimzelle der Gesellschaft hat ihren realen Grund in den unauflösbaren Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft selbst: 1. Die auf Profit basierende Ökonomie bringt zur Zeit den staatlich verfügbaren Überschuß nicht auf, der notwendig wäre, um eine kollektive Erziehung der Kleinkinder in den Kinderheimen zu finanzieren. Die Familie erscheint aus dem Blickfeld des Einzelunternehmens immer noch als die gesellschaftlich billigste Erziehungsinstanz. 2. Nur die Familie leistet bisher jene spezifische Art der Triebunterdrückung, die die Konkurrenzhaltung bereits von frühester Jugend an irrational verwurzelt und damit den psychischen Grund legt für die Vereinzelung des Individuums. In diesem Stadium werden die entscheidenden Barrieren aufgerichtet, die psychologisch einer Solidarisierung der Beherrschten gegen die Herrschenden im'Wege stehen." 11 Die Probleme der Trennung von Privatsphäre und Kinderladenbereich sind nicht mit einem Schlag durch Kommunegründung zu lösen. Neue Probleme tauchen auf, die die politische Konzeption des Kinderladens gefährden. Wegen der Kontinuität der Erfahrungen im Kinderkollektiv und zu Hause und der Reproduktion gesellschaftlicher Zwangs- und Unterdrückungsmechanismen in der Kleinfamilie ist eine kollektive Arbeit unumgänglich, die den Privatbereich der einzelnen weitgehend auflöst;, die Gefahr jedoch besteht, daß diese Elternkollektive sich nur noch mit Psychologie beschäftigen. Ihr alleiniges Interesse bleiben die Kinder. Die Konflikte der einzelnen Kinder und die Konflikte des Kollektivs haben gesellschaftlichen Zusammenhang und sind nur in diesem Zusammenhang zu lösen. Die Unmöglichkeit, die autoritären Strukturen der bürgerlichen Kleihfamilie und ihre Reproduktionsmechaiiismen von sich aus aufzulösen, führte in vielen Kinderläden zu Ehekrisen und Massenflucht in die Kommunen. Solange jedoch diese Kommunen nur als Selbstzweck und Vorwegnahme der sozialistischen Gesellschaft fungieren, die einzelnen Mitglieder zusammenzogen, um die eigenen psychischen Probleme und die der, Kinder zu lösen, hemmten sie die politische Entwicklung einzelner. Für die Kinder allerdings konnte dies Erleichterung mit sich bringen. Die Fixierung an die Eltern löste sich leichter dadurch, daß

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immer jemand da war, der sich um die Kinder kümmern könnte. Die Absicht, die Kinder widerstandsfähiger und ich-stark zu machen, scheiterte oft nicht nur an den Bezugspersonen (siehe oben), sondern an der Unmöglichkeit, den Kindern Formen des Widerstandes zu vermitteln, solange die Kommune selbst in politische Apathie versunken war. Den unterschiedlichen Interessen und Lebensformen der Eltern im Kinderladen S. stand die an der Erziehungsarbeit vermittelte Einsicht gegenüber, daß die gesellschaftlichen Zusammenhänge gemeinsame politische Arbeit fordern. Dieser Anspruch wurde zum drohenden kollektiven Über-Ich dieser Gruppe. Daß er nicht eingelöst wenden konnte, lag zum größten Teil daran, daß der Zentralrat es unternehmen wollte, aus der Koordination der Erziehungsarbeit an der Basis die richtige politische Praxis herzuleiten. Das gelang nur ansatzweise und kaum richtungsweisend beim Kindergärtnerinnen-Streik. Ein weiterer Grund war, daß die politisch bewußteren Genossen neben der Kinderladenarbeit in anderen Bereichen tätig waren. Sie sahen in ihrer Arbeit den „Nabel der Welt", eine Arbeit, die zwangsläufig zur Auflösung des Hauptwiderspruches der kapitalistischen Gesellschaft führen müsse. Diese Genossen versuchten nun, die anderen zu überzeugen, sich dieser Aibeit anzuschließen. Durch solche Forderungen von »oben' verwirrt, entwickelte das Kollektiv immer wieder neue Perspektiven und Strategien, die niemals durchgeführt werden konnten. Nur so konnte es geschehen, daß die täglich sich ergebenden „Nebenwidersprüche", wie Passanten, die sich die Nase an der Scheibe platt drückten, Auseinandersetzungen mit den Nachbarn, dem Hausmeister, Schwierigkeiten auf öffentlichen Spielplätzen und Anlagen, sogar die Senatspolitik gegenüber den Kinderläden und nicht zuletzt die Kinder, die von der Straße in den Kinderladen kamen — daß die Verarbeitung dieser Nebenwidersprüche links liegen gelassen wurden, um sich den Vorwurf der Handwerkelei zu ersparen. Im Kinderladen S. kam es zu mpnatelangen Diskussionen über die richtige revolutionäre Berufspraxis, die schließlich zur Spaltung des Elternkollektivs führten. Der eine Teil zog in den roten Wedding, arbeitete dort in den Betrieben und initiierte die ersten Betriebs-Kinderläden. Die meisten der Übriggebliebenen brachen in der Folge der Berufspraxisdiskussion ihr „wissenschaftliches" Studium ab und studierten Pädagogik, mit der Absicht, als sozialistische Lehrer in Grund- und Hauptschulen weiterzuarbeiten. Die Eltern zweier Kinder allerdings, die in ihrer „kleinbürgerlichen" Position — beides Künstlerberufe — verharrten, waren eher noch bereit in Kommunen zu ziehen, als ihren nicht revolutionären Beruf aufzugeben. Sie fühlten sich fortan von der Mehrheit derer, die auf die pädagogische Hochschule gingen, überfordert und unterdrückt. Zur selben Zeit etwa erschien das letzte Kinderladen-Info des Zentralrates, der sich anschließend auflöste, ohne den Anspruch eingelöst

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zu haben, die pädagogische Arbeit zu koordinieren und die Ausgangsbasis für die darüber hinausweisende Perspektive und den politischen Kampf zu bilden. Viele Genossen zogen sich in der Folge von der Erziehungsarbeit zurück. Auf Grund ihres fortgeschrittenen politischen Bewußtseins und der Arbeit am Hauptwiderspruch, waren sie oft verhindert, die Nebenwidersprüche innerhalb der gesamten politischen Strategie zu lösen. Das Stillwerden um die Senatspolitik, die abflauende Reaktion der Presse und die öffentlichen Reformprogramme taten ein Übriges, ihnen die politische Brisanz des Erziehungssektors zu verschleiern. Aus dem Scheitern der Zentralratspolitik und ihrem Anspruch schlössen einige, Kinderladenarbeit und damit auch Arbeit im Sozialisationsbereich sei keine Ausgangsbasis revolutionärer Praxis und biete keinen Ansatz für den organisierten Kampf. Sie gingen in der Folge in die Betriebe, um den Aufbau einer proletarischen Partei zu organisieren« Die Tatsache, — daß die Erziehung des Kindes in der Familie und in der Schule, neben der ökonomischen Abhängigkeit, eines der hauptsächlichsten Mittel des kapitalistischen Systems ist, s — daß das komplexe Erziehungssystem mittels Triebunterdrückung und teilweiser, sublimierter Triebbefriedigung (nicht nur was Kinder angeht) den Bewußtwerdungsprozeß und die Solidarisierung des Proletariats hinauszögert, •— daß andererseits erst durch richtige und gründliche Erziehung der Massen und der Jugend sich die sozialistische und kommunistische Gesellschaft (freilich erst nach der Revolution) verwirklichen kann, erübrigte die Einschätzung der politischen Relevanz des Erziehungssektors. Auch die Eltern des Kinderladens S. mußten einsehen, daß sie sich und ihren Kindern ein „befriedetes Gebiet" innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft zurechtgezimmert hatten, daß sie sich und ihre Kinder um so mehr privilegieren mußten, je größer die Kluft zwischen ihnen und der gesellschaftlichen Realität, der objektiven Not des proletarischen Kindes wurde, zu der bislang kein Zugang gefunden war. Aus diesem Schluß die richtige Konsequenz zu ziehen, gelang den Eltern nicht. Man hätte damit beginnen müssen, die Privilegien dem Proletariat zur Verfügung zu stellen, in die städtischen Kindergärten und -horte, in die Schulen und Ausbildungsstätten der Kindergärtnerinnen zu gehen, in Betrieben und Stadtteilen Selbsthilfeorganisationen der proletarischen Eltern zu initiieren und zum anderen die gemachten Erfahrungen durch gründliches Studium der Psychologie und Pädagogik auf wissenschaftliches Niveau zu heben, um sich so die Ausgangsbasis für die Psychologie des proletarischen Kindes zu schaffen. Weil dem Kollektiv durch die Auflösung des Zentralrates jeder Ansatz einer allgemeinen Perspektive genommen war, weil es sich dem

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Vorwurf der Handwerkelei und der politischen Irrelevanz ausgesetzt sah, und weil es durch das Ausscheiden der Wedding-Genossen wieder in existentielle Probleme geraten war, wurden die Diskussionen über die, vielleicht zu Recht nicht geführte und hinausgeschobene politische Diskussion wieder aufgenommen. Das kollektive Uber-Ich war nämlich keineswegs weniger streng geworden. Bisher hatte man die politische Diskussion deswegen zu Recht hinausgeschoben, weil es noch nicht gelungen war, sich selbst und die Liberalen zu einer politisch emanzipatorischen Praxis zu führen. Das heißt, weder vom Zentralrat noch von einzelnen Kinderläden war eine spezielle, geschweige denn eine allgemeine Analyse des proletarischen Sozialisationsbereichs zu erwarten, noch vermochte der Kinderladen S. von sich aus damit zu beginnen. Wollte man sich jedoch den Schritt in die Praxis ermöglichen, so war eine solche Analyse unverzichtbar. Die Diskussion über die Diskussion hatte dann auch zum Ergebnis, daß man sich entschloß, ein wissenschaftlich pädagogisches Konzept auszuarbeiten — unter Berücksichtigung des Grundwiderspruches —, das nach allgemeiner Ubereinstimmung zwangsläufig die politische Perspektive liefern sollte. Hier wurde nach Abschätzung der objektiven Möglichkeiten — Struktur des Elternkollektivs, aufgelöster Zentralrat — Perspektivelosigkeit der allgemeinen Strategie — das dialektische Verhältnis von Pädagogik und Gesellschaft von der richtigen Seite her in Angriff genommen. Man nahm Kontakt zu Arbeitskreisen an der PH auf, mit denen zusammen ein Plan für dieses Konzept ausgearbeitet wurde. Daß dieser Arbeitsplan das erwartete pädagogische und politische Konzept nicht erbrachte, hatte verschiedene Gründe: Das Ausscheiden der Wedding-Genossen wurde zur momentanen finanziellen und zeitlichen Belastung. Die Arbeitszeit wurde dadurch, daß nur noch vier Kinder in den Kinderladen gingen, nicht weniger, öfters stellte man sich während dieser Zeit die Frage, ob es nicht besser wäre, den Kinderladen ganz aufzulösen. Man einigte sich jedoch schließlich darauf, neue Eltern in den Kinderladen aufzunehmen. Schwierig war es nur, Aufnahmekriterien zu formulieren. Man hatte ja gesehen, wie sehr die unterschiedlichen politischen Meinungen die Arbeit behinderten. Daher machte man sich erst einmal an die Erarbeitung eines pädagogischen Konzepts. Das sollte die Entscheidungen über Aufnahme oder Nichtaufnahme neuer Eltern absichern. Die nun wöchentlich zweimal vereinbarten Treffs — einmal Besprechung der praktischen Probleme, zum zweiten Erarbeitung des pädagogischen Konzepts — reichten meist nicht aus, um nur eben die praktischen Probleme zu besprechen. Je länger sich die Ergebnisse der Arbeitsgruppen hinauszögerten, um so mehr kam man auch zu der Einsicht, daß mit dem pädagogischen und politischen Konzept allein die gute Zusammenarbeit nicht gewährleistet ist. Grundsätze und Richtlinien gewinnen nicht dadurch Gültigkeit, daß sie auf dem Papier stehen oder man sich verbal zu

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ihnen bekennt, sondern erst durch die tatsächliche Arbeit, die über die Effektivität und Möglichkeit der Zusammenarbeit entscheidet» So einigte man sich letzten Endes darauf, interessierte Eltern zunächst an den abendlichen Besprechungen zu beteiligen, dann die Eltern praktisch im Kinderladen mitarbeiten zu lassen und schließlich die Kinder schrittweise ins Kollektiv einzugliedern. Meistens ergibt sich sogar schon bei den abendlichen Besprechungen, ob eine Aufnahme in Frage kommt. Weitere Gründe für das Scheitern des Arbeitsplanes waren die Schwierigkeiten im Kinderkollektiv. Zwar fehlten nach Weggang der Weddinger die beiden ältesten und aggressivsten Kinder, vor neue Probleme aber wurden die Betreuer durch einen neuen kleinen Jungen gestellt, der aus einer Kommune in den Kinderladen kam. Zum anderen wirkte sich das notwendige Zusammenlegen der beiden Altersgruppen problematisch aus. Die Besprechung dieser Schwierigkeiten rückte natürlich in den Vordergrund und nahm wieder Zeit in Anspruch. Die Genossen von der PH waren durch die sporadische Arbeit in den Arbeitskreisen nicht gerade angehalten, intensiv mitzuarbeiten. Sie schieden schließlich völlig aus. Doch der wohl entscheidendste Grund für die nur ansatzweise Verwirklichung des Planes war: Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe: „Bedeutung der Klassenlage für die Erziehung" hätten vorausgesetzt werden müssen, hätten das Fundament für die anderen Arbeitsgruppen bilden sollen. Nur so hätte sich in den anderen Gruppen eine Theorie bilden können, die vom Grundwiderspruch ausgeht. So aber fingen die einzelnen Gruppen quasi beim Punkt null an und entwickelten teilweise Theorien, die weder Fisch noch Fleisch waren. Doch die Geschichte des Kinderladens S. ist damit nicht beendet. Die nächste Krise der Spaltung und der in einer kalten Winternacht geplatzten Heizung, deren Reparatur einen Haufen Geld kostete, folgte auf dem Fuß. Es tauchten mit fortschreitender Grundsatzdiskussion Differenzen mit den Genossen auf, die ihrem bürgerlichen Beruf „treu" geblieben waren. Sie fühlten sich vom „proletarischen Bewußtsein", das sie den anderen unterstellten, kompromittiert und ausgeschlossen. Sie meinten schließlich, die Benachteiligung^ die sie im Kollektiv erführen, treffe auch ihre Kinder« Diese Kritik fiel zusammen mit der Diskussion über das Alter der neu aufzunehmenden Kinder und war deswegen sowohl für die politisch Bewußten als auch für die Liberalen von Bedeutung. Die beiden Kinder der liberalen Eltern waren nämlich die jüngsten (2 Jahre) in der fünfköpfigen Kindergruppe. Es konnte also nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich die Liberalen zum Verlassen des Kinderladens entschließen würden. Doch leider Verzögerte sich der Entschluß erheblich. Die Schuld für dieses Hinauszögern lag weniger an den Eltern selbst, als vielmehr an dern Versuch der restlichen drei Elternpaare, sie zu überzeugen, doch noch im Kinderladen S. zu bleiben.

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Ausgerechnet in dem Moment, als der Auszug der Liberalen feststand, entschlossen sich die Eltern, die den Kinderladen von Anfang an mit aufgebaut hatten und ihn mit enormer Energie und großem Zeitaufwand über Krisenzeiten gerettet hatten, nach Westdeutschland zu ziehen* Ein Glück, daß schon längere Zeit in Anschlägen an den Universitäten und Hochschulen, in Annoncen in der linken Presse und per Mundpropaganda um 3 — 4jährige Genossen geworben worden war. Allein dies verhinderte die Auflösung des Kinderladens S. Fallgeschichte Folgende Biographie schildert das typische Milieu, aus dem die Kinderladen-Kinder zum großen Teil stammen. Sie beschreibt die im Kinderladen am häufigsten auftretenden und am schwierigsten zu bewältigenden Probleme: Bezugspersonenwechsel und Aggression. Der erste Teil ist mit geringfügigen Änderungen identisch mit einem Papier, das zur Besprechung des kleinen Udo gemacht wurde. Der zweite Teil ist ein Protokoll dieser Besprechung. Die Eltern von Beate (Udos Mutter) haben eine Großhandlung technischer Geräte. Ihr Vater war lange Zeit in Gefangenschaft. Während dieser Zeit arbeitete die Mutter im Geschäft ihrer Schwester. Zu ihrem fünf Jahre älteren Bruder hat Beate auch heute noch eine intensive Beziehung. Nach der Rückkehr des Vaters arbeiteten beide Eltern am Aufbau ihres Geschäftes. Der Vater von Georg (Udos Vater) ist selbständiger Versicherungsvertreter. Auch er war längere Zeit in Gefangenschaft. Georgs Mutter war lange die einzige Person, mit der er Kontakt hatte. Beate kennt Georg seit der Schulzeit. Sie sind nicht fest miteinander befreundet. Beate ist viel mit ihrem älteren Bruder und dessen Freunden zusammen. Beate und Georg besuchen noch die Schule. Georg ist eine Klasse über ihr. Kurz vor dem Abitur, Georg studiert schon, wird Beate schwanger. Sie versucht einen Arzt zu finden, um das Kind nicht zu bekommen, Eine Heirat mit Georg schließt sie nicht von vornherein aus, möchte aber durch das Kind in ihrer Entscheidung nicht beeinflußt werden. Sie hält sich noch für zu jung, um sich fest zu binden. Als der Versuch, das Kind abzutreiben, mißlingt, entschließt sie sich, unter dem moralischen Druck der Eltern, zur Hochzeit. Die beiden wohnen bei den Eltern von Beate in zwei abgeschlossenen Zimmern. Sie werden ständig von den Eltern kontrolliert. Bad und Küche benützen sie gemeinsam, die Mahlzeiten werden zusammen eingenommen. Die Eltern fordern einen ständigen Kontakt mit dem jungen Paar. Es wird finanziell von ihnen unterstützt. Beate geht während der Schwangerschaft noch zur Schule, entbindet nach dem Abitur, Georg studiert. Der Säugling kommt ohne Komplikationen zur Welt. Großeltern

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und Eltern sind glücklich. Beate und Georg haben ein gutes Verhältnis zueinander, sie kümmern sich intensiv um den kleinen Udo, der jetzt schon sehr lebhafte motorische Äußerungen zeigt. So wächst Udo unter Verhältnissen auf, die es seinen Eltern erlauben, auszugehen, wann immer sie wollen. Die Großeltern übernehmen dann den „Kinderdienst". Als Udo 9 Monate alt ist, gehen Beate und Georg öfters abends in eine Kneipe, in der hauptsächlich junge Leute und Studenten sind. Die Reaktion der Berliner Polizei und des Senats auf Demonstrationen und Aktionen der Studenten sind hauptsächlichster Gesprächsstoff. Sie diskutieren über Kommunen und die politischen Tagesereignisse. Beate wül die Monotonie ihres Tagesablaufes auflockern. Ihre Eltern arbeiten beide in der Großhandlung, Georg studiert, sie ist mit Udo allein den ganzen Tag zu Hause. Sie trifft sich nun auch tagsüber mit Freunden, die sie abends kennengelernt hat. Sie verliebt sich in einen Freund von Georg, schläft aber nicht mit ihm, obwohl sie es gerne möchte. Sie hat Angst, daß die Beziehung zu Georg darunter stark leiden würde. Die Eifersucht G'eorgs bleibt dennoch nicht aus. Die ersten Schwierigkeiten in der Ehe tauchen auf. Dadurch bedingt, gehen die beiden immer häufiger, nun manchmal auch getrennt, abends in die Kneipe. Die Vorhaltungen der Eltern Beates bleiben nicht aus. Oft kommen beide erst früh nach Hause, versorgen das Kind, wobei sie sich gegenseitig die Arbeit zuschieben. Beate beginnt nun einen Kursus als Fremdsprachenkorrespondentin, den sie jeden Vormittag besucht Den kleinen Udo bringt sie während dieser Zeit zu Georgs Eltern, mittags holt sie ihn wieder ab. Georg hat an seinem Studium nicht so rechte Lust, geht nur noch sporadisch zur Universität. Beide Großeltern versuchen Verständnis für die Schwierigkeiten des jungen Paares zu haben, werfen den beiden aber vor, daß sie sich zu wenig um das Kind kümmern würden. Sie versuchen Udo den vermuteten Verlust durch Erfüllung all seiner Wünsche auszugleichen. In der Kneipe hat sich ein fester Freundeskreis gebildet. Sie wollen zusammen in eine Kommune ziehen. Nach langen Diskussionen entschließen sich auch Georg und Beate mit den anderen zehn Leuten eine größe Villa zu mieten. Sie sind das einzige Ehepaar. In der Zeit vor dem Einzug in die Kommune bricht Georg sein Studium ab, Beate beendet ihren Kurs erfolgreich. Das Verhältnis der beiden zueinander wird jedoch immer gespannter, sie werfen sich gegenseitig vor, nur noch die lustvollen Arbeiten mit Udo zu erledigen. Georg zieht zunächst allein in die Kommune ein. Beate bleibt noch bei ihren Eltern, bis die Vülä vollständig renoviert ist. In diesem Vierteljahr der Trennung haben sich die beiden zwangsläufig voneinander entfremdet. Als Beate mit Udo in die Kommune zieht, ist sie mit Klaus befreundet, den sie in der Kneipe kennengelernt hat. Klaus besucht sie öfters

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in der Kommune, bleibt auch viel über Nacht dort, ohne jedoch mit den anderen Kommunemitgliedern in Kontakt zu treten. Sein ausschließliches Interesse gilt Beate, die den sexuellen Kontakt zu Georg fast ganz abgebrochen hat. In der Kommune wird versucht, neben der politischen Arbeit die individuellen Probleme gemeinsam zu lösen. Erschwert wird dies durch das häufige Wechseln der Kommunemitglieder und den massenhaften Besuch von jungen Leuten und Genossen, die des öfteren über ein paar Wochen in der Vüla bleiben, wodurch die ursprünglich geplante Zimmeraufteilung usw. nicht durchführbar ist. Die sexuellen Probleme werden nicht zuletzt dadurch bestimmend für die Kommune. Neben Udo sind noch weitere vier Kinder in der Kommune. Zwei Säuglinge, ein Mädchen von vier Jahren und ein Mädchen, genauso alt wie Udo, der jetzt ein Jahr und acht Monate alt ist. Die Kinder werden gemeinsam von allen versorgt. Ein Kinderdienst ist eingerichtet, täglich wechseln die Aufsichtspersonen. Beate kommt folglich ca. einmal in der Woche dran, Udo zusammen mit den anderen Kindern ins Bett zu bringen und zu versorgen. Georg hat zu Beate ein aggressives Verhältnis aufgebaut und zieht sich vom Kinderdienst ganz zurück. Udo selbst beachtet er überhaupt nicht. Er bestraft Beate. Das ältere Mädchen ist inzwischen mit seiner Mutter wieder ausgezogen. Mit den Säuglingen kann Udo verständlicherweise nichts anfangen, bleibt das gleichaltrige Mädchen Annette. Die emotionale Beziehung zu Beate spielt eine große Rolle im Verhalten der einzelnen Udo gegenüber. Beate selbst hat große Schwierigkeiten mit Udo. Er läßt sich von ihr nicht mehr zu Bett bringen, verweigert jede Zuwendung von ihrer Seite. Sie wird durch den Anspruch der anderen noch mehr verunsichert, die die Fixierung Udos an seine Mutter dadurch lösen wollen, daß eben immer nur gerade derjenige, der Kinderladendienst hat, sich um Udo kümmert, auch wenn er nach seiner Mutter verlangt. Jimmy zieht in die Kommune. Er hatte sich selbst von seiner Tochter und seiner Frau in Westdeutschland getrennt. Udo wird ihm zum ,Ersatz' für seine Tochter. Udo ist ein Jahr und zehn Monate alt. Er möchte den ganzen Tag schaukeln. Mit Annette spielt er kaum, und wenn, dann endet dies mit einem Angriff Udos auf Annette. Er schlägt auf sie ein. Zu irgendwelchen Spielen ist er nicht fähig. Im Haus schafft er ständig Chaos dadurch, daß er alle ihm greifbaren Dinge in der Gegend herumwirft. Mit Vorliebe dreht er Aschenbecher um und verschmeißt auf dem Tisch stehendes Geschirr. Täglich hat er zwei bis drei Wutanfälle. Er wirft sich dabei heftig auf den Boden und schreit, bis jemand, kommt und ihm das gibt, was er gerade möchte. Das Zubettbringen zieht sich fast immer über zwei bis drei Stunden hin und ist ohne großes Geschrei kaum möglich.

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Jimmy kümmert sich nun hauptsächlich um Udo. Er befreundet sich mit Beate, baut im Lauf der Zeit ein intensives Verhältnis zu ihr auf» Sie trennt sich in der Folge von Klaus. Ihr Verhältnis zu Georg bessert sich. Dadurch bedingt, kümmert er sich nun auch etwas mehr um Udo. Hauptsächlich ist Udo nun mit Beate und Jimmy zusammen, die sich mehr und mehr vom allgemeinen Kommunetrubel zurückziehen, einerseits, weil sie sich durch den Anspruch der übrigen Kommünemitglieder, Zweierbeziehungen aufzulösen, bedroht fühlen, zum anderen aus der Einsicht, daß nur eine gewisse Stabilität der Bezugspersonen etwas in dem Verhalten Udos verbessern kann. Udos aggressives Verhalten Erwachsenen und Kindern gegenüber wird schwächer. Das Verhältnis zwischen Beate und Georg verbessert sich auch durch die Vermittlung von Jimmy. Alle vier fahren für drei Wochen nach Westdeutschland. Georg jedoch kommt am zweiten Tag in ein Krankenhaus. Beate, Udo, Jimmy und seine Tochter besuchen Freunde auf dem Land, die selbst drei Kinder haben. Hier festigt sich die günstige Entwicklung Udos. - Nach der Rückkehr nach Berlin kommt Udo in den Kinderladen. Georg bringt Udo nun manchmal zu Bett, kümmert sich wesentlich mehr um ihn. Jimmy beginnt zu studieren, sein Verhältnis zu Georg wird schlechter. Dadurch und in der Meinung, daß für Udo der zurückgekehrte Vater das beste sei, zieht er sich mehr und mehr von Udo zurück und überläßt ihn Georg. Udo reagiert darauf in genau gegenteiliger Weise, als zu vermuten war. Seine Wutanfälle treten wieder auf, die Bettgeh- und Windelsituationen werden wieder schwieriger. Hinzu kommt die neue Situation im Kinderladen, auf die er sich nun einstellen muß. Zusammenfassende Beurteilung Udos: Schon in allererster Zeit seiner Entwicklung hat Udo die Möglichkeit gehabt, sich an mehreren Personen zu orientieren! (Beate, Georg, Großeltern) Die bis dahin aufgebaute Objektbesetzung wird von Georg durch die Trennung von Beate gewaltsam gebrochen, von Beate durch den Eintritt in die Kommune und Einführung des Kinderdienstes. An deren Stelle treten eine ganze Anzahl sich abwechselnder Bezugspersonen. Neue Objektbesetzungsmöglichkeit für Udo ergab sich in dem Maß, als Beate und Jimmy sich mehr um ihn kümmerten. Durch den Eintritt in den Kinderladen mit abwechselnden Aufsichtspersonen und den Rückzug Jimmys, bedingt durch das schlechte Verhältnis zu Georg und das beginnende Studium als auch durch seinen Aufenthalt im Gemeinschaftsraum der Kommune, werden Udos Objektbesetzungsmöglichkeiten wieder gestört Was resultiert daraus? Udo hat kaum Orientierungsmöglichkeiten in Bezug auf sein Verhalten. Die Möglichkeiten der Objektbesetzung und Identifizierung, die Voraussetzung für ein „folgsames" Kind sind, fehlen ihm. Er muß sich zwangsläufig an seinen Bedürfnissen orientieren, sein Narzißmus ist stark ausgebildet. Er benutzt alle ihm zur Verfügung stehenden Mit-

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tel wie Schreien, Schlagen, Beißen, usw., um das zu erreichen, was er will. Hinzu kömmt die Erfahrung, die er sowohl mit seinen Großeltern und am Anfang seiner Kommunezeit gemacht hat, daß er sich nur lange genug wehren müßte, um das durchzusetzen, was er haben will. Man kann gut beobachten, daß Üdo sich anderen Kindern zunächst zu nähern versucht durch Umarmen, Küssen oder wenigstens Berühren. Durch seine oft stürmischen Annäherungsversuche, die in seiner stark ausgeprägten Motorik begründet sind, stößt er, meist ohne es zu wollen, die anderen Kinder zurück, die Angst vor ihm bekommen, weglaufen oder zu schreien beginnen. In dem Versuch, seine libidinöse Energie abzuführen, wird er frustriert, dieses Mißerfolgserlebnis wandelt die Energie in Aggression, die sich in Wutanfällen und sinnlosem Zerstören äußert. Diese Enttäuschung entspricht auf der anderen Seite seiner oft erlebten Situation: Abwenden von Georg und Beate und nicht zuletzt Jimmy. Seine Reaktion auf die anderen Kinder äußert sich nun darin, daß er ihnen wehtut, auf sie einschlägt usw. Dies schafft ihm die Befriedigung, daß er nun das weinende Kind nicht zuletzt durch den Einfluß der Erwachsenen, liebhaben soll und kann, das weinende Kind streichelt und umarmt. Durch das ständige Wiederholen des Mißerfolgserlebnisses, geht Udo immer mehr und mehr dazu über, andere Kinder gar nicht mehr erst zu streicheln, sondern er schlägt gleich auf sie ein, mit dem Ziel, sie nachher liebhaben zu können. Erwachsene sind für Udo nicht mehr Liebesobjekte, die ihm helfen, seine Umwelt zu begreifen und zu bewältigen, sondern er sieht sie zum großen Teil selbst als feindliche Umwelt, die ihn in seinem Aktionsspielraum beengt, gegen die er sich durchzusetzen hat. Er zerstört sie, schafft sie aus dem Weg. Gegen Georg ist er nur sehr wenig aggressiv, Erklärung: Georg war lange Zeit, während Beate den Kursus machte und Georg nicht mehr studierte, die ausschlaggebende Bezugsperson. Der totale Liebesentzug nach Eintritt in die Kommune, in der Zeit als Georg sich gänzlich von Udo zurückzog und selbst auf das Rufen nicht mehr reagierte, wurden ihm zum traumatischen Erlebnis, das sich in der Zeit, als Georg versuchte, den Konflikt mit Beate zu lösen, öfters wiederholte, zwar in abgeschwächter Form, aber von Udo genauso stark empfunden. Daraus hat sich bei Udo Angst gebildet, die sich in apathischem Verhalten Georg gegenüber äußert. Wenn Georg Udo ins Bett bringt, schläft er meistens schon auf seinen Armen ein. Seine Aggressivität Beate und Jiihmy gegenüber bedeutet wahrscheinlich nichts anderes, als daß er sich vor dem schon erfahrenen Liebesentzug schützen will, dadurch daß er den Liebesentzug vorwegnimmt. Dieses Verhalten entspricht der Ambivalenzstruktur der Triebe, dem Lust-Unlust-Charakter. In Augenblicken, in denen Udo keine Identifizierungsmöglichkeit mit dem Willen eines Erwachsenen gegeben ist, regrediert er auf eine frühere Stufe kindlichen Verhaltens. Er versucht, sich mit dem Ding, das er haben will, zu identifizieren. Er

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versucht auch immer, den Erwachsenen, der ihm etwas geben soll, in Verbindung zu bringen mit der Sache, die er haben will. Er will also eigentlich nicht die Sache haben, sondern die Zuneigung der Person. Er will aber andererseits nicht die Liebe irgendeiner Person, sondern die Liebe seines Vaters und seiner Mutter. So verwirklicht sich das Lust-Unlust-Prinzip darin, daß er in dem Moment, in dem man ihm seinen Wunsch erfüllen will, sich dagegen wehrt. Seine Ohnmacht, das zu erreichen, was er wirklich will, äußert sich dann meistens in einem Wutanfall, in Sichselbstwehtun, auf den Boden werden, Kopf anschlagen usw. Durch den ständigen Wechsel der ßezugspersonen sowohl im Kinderladen als auch in seiner ersten Phase der Entwicklung, durch die unterschiedlichen Erziehungsmethoden, die an ihm praktiziert wurden, hat sich allmählich eine Persönlichkeit entwickelt, die teilweise mechanisch reagiert, angebotene Identifikationsmöglichkeiten bereitwilligst aufnimmt, wobei sich ein mechanisches Verhalten ergibt So wurde zum Beispiel das Abliefern im Kinderladen dadurch bewältigt, daß er sich angewöhnte — und das schon nach den ersten paar Tagen —, am Fenster zu stehen und zu winken. Er benützt das gleichsam als Reflex auf das erwartete Weggehen. Udo hat statt einer antiautoritären Erziehung zum großen Teil eine laissez-faire-Erziehung genossen. Seine Aggressivität Erwachsenen und Kindern gegenüber ist Ausdruck dieser Unmöglichkeit, sich selbst zu regulieren und seine Bedürfnisse zu steuern oder aufzuschieben. Der Bezugspersonenwechsel im Kinderladen bietet keine Möglichkeit, dies zu ändern. Protokoll vom 21.12.1969: Besprechung von Udo Das von Jimmy ausgearbeitete Papier über Udos historische Entwicklung (einschließlich dem Verhältnis Beate-Georg) wird von ihm vorgelesen, von Beate ergänzt, teilweise korrigiert. In der anschließenden Diskussion wird zunächst noch — anknüpfend an das Papier — Udos Verhalten etwas ausführlicher analysiert. Udos Verhalten gegenüber Erwachsenen: Udo kann sich schnell auf neue Bezugspersonen einstellen. Beim Einzug in die Kommune plötzliche Umstellung auf viele Erwachsene. Von diesen beschäftigen sich manche (das betrifft besonders Georg) zeitweise sehr intensiv mit ihm, dann wieder überhaupt nicht. Dadurch fortlaufend Frustrationen, da keine Indentifizierungsmöglichkeit mit einer Bezugsperson. Wie Jimmy meint, hat Udo das schnelle Eingehen auf Erwachsene mechanisch gelernt zur Bewältigung dieser Frustrationen. Dieser eingelernte Mechanismus bietet Udo eine Ersatzmöglichkeit, sein Bedürfnis zu befriedigen. Eine echte Befriedigung ist eben nicht möglich (abgesehen von Beate und Jimmy), da sich die Personen, denen er sich libidinös zuwenden möchte, nicht kontinuierlich mit ihm auseinandersetzen.

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Wie kann erreicht werden, daß Udo durch die Bezugsperson Sicherheit vermittelt bekommt? Wie sollen sieh die Erwachsenen in der Kommune verhalten? Wie sollen sich die Erwachsenen im Kinderladen verhalten? Beate und Jimmy werden sich — solange Beate und Udo noch in der Kommune wohnen — weiterhin intensiv mit Udo beschäftigen, Sie werden Udo möglichst fernhalten von den übrigen Erwachsenen, um den ständigen Wechsel möglicher Bezugspersonen für Udo auszuschalten. Es wäre gut, wenn auch Georg sich nicht mehr mit Udo beschäftigen würde, da die jeweiligen Spannungen im Verhältnis von Georg zu Beate in seinem Verhalten gegenüber Udo zum Ausdruck gelangen* Zusätzlich möchte Udo die Beziehung Georg-Beate immer wieder herstellen. (Als Beispiel die Situation nach einem Streit zwischen Beate und Georg, wo Udo Beate an der Hand nahm und sie zu Geörg zog.) Es besteht wohl bei ihm die Assoziation: Verhältnis Beate-Georg gut, entsprechend müssen dann auch die früheren positiven Lebensumstände (kontinuierliche Bezugspersonen) wieder eintreten. Da dies nicht möglich ist, müssen Udos Versuche ergebnislos bleiben. Wenn Georg sich m^t ihm beschäftigt, jeweils neue Hoffnungen, die immer wieder enttäuscht werden. Am günstigsten wäre es, wenn Udo Georg überhaupt nicht mehr sehen würde. Dies ist im Augenblick nicht mehr möglicli. Von der Kommune werden nur noch Beate und Jimmy im Kinderladen mitarbeiten und Aufsicht machen. Das Verhalten der Erwachsenen in der Kommune sollte mit dem der Kinderladen-Erwachsenen übereinstimmen. Eine gewisse Bestimmtheit von Seiten der Erwachsenen ist nötig (Beispiel: Beim Wickeln: Udo verbal darauf vorbereiten, daß er gleich gewickelt wird, und zwar auf jeden Fall ihm dann die Entscheidung überlassen, ob der Erwachsene ihn auszieht usw., ob er selbst es machen wül, oder ob beide zusammen es machen.) Wie verhalten wir uns, wenn sich Udo aggressiv gegenüber anderen Kindern zeigt? (Dabei muß berücksichtigt werden, daß die Ursache für Udos Aggressivität vorwiegend aus einem nicht befriedigten Liebesbedürfnis herrührt.) Diese Frage wurde nicht geklärt, sondern ging in eine allgemeine Diskussion über unser Verhalten bei Aggressionen der Kinder untereinander über. Ein Eingreifen soll prinzipiell so zurückhaltend wie möglich ablaufen. Formale vorläufige Lösung: a) Reines Wegnehmen von Dingen verhindern mit verbaler Vermittlung. b) Hat bereits ein Kind dem anderen etwas weggenommen: Das Spielzeug dann dem Kind überlassen, das weggenommen hat, sofern das andere Kind sich damit abfindet. Auch auf die Gefahr hin, daß die Haltung des letzteren resignativ ist. c) Bei Schlägereien: Kinder trennen. Dem größeren vermitteln, daß das kleinere sich noch nicht in gleicher Weise wehren kann. Dem klei-

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neren Kind vermitteln, daß es defensive Wehrmöglichkeiten hat, z. B. kneifen, daß es also nicht unbedingt gleich fortlaufen oder zum Erwachsenen laufen muß. Dies gilt solange, bis ein neues Konzept ausgearbeitet ist. x Ergänzend zu b): Es sollte differenziert werden, ob das wegnehmende Kind einen ausschließlichen Besitzanspruch an das Spielzeug stellt, oder ob es ein wirkliches Bedürfnis hat, damit zu spielen. Die Auseinandersetzung kann möglicherweise so gelöst werden, daß man den Kindern die Möglichkeit zeigt, gemeinsam mit dem umstrittenen Spielzeug zuspielen. Die Vermittlungsrolle der Erwachsenen stellt hier eine kommunikationsauslösende Funktion dar. Anmerkungen Sigmund Freud, Gesammelte Werke, Frankfurt am Main 1961 Abriß der Psychoanalyse. S. Freud, Gesammelte Werke, Bd. XVIJ 3 Siehe: S. Freud: Das Unbehagen in der Kultur, Gesammelte Werke, Bd. XIV: „So haben auch die beiden Strebungen, die nach individuellem Glück und die nach menschlichem Anschluß, bei jedem Individuum miteinander zu kämpfen, so müssen die beiden Prozesse der individuellen und der Kulturentwicklung einander feindlich begegnen und sich gegenseitig den Boden bestreiten. Aber dieser Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft ist nicht ein Abkömmling des wahrscheinlich unversöhnlichen Gegensatzes der Urtriebe Eros und Tod, er bedeutet einen Zwist im Haushalt der Libido, vergleichbar dem Streit um die Aufteilung der Libido zwischen dem Ich und den Objekten, und er läßt einen endlichen Ausgleich zu beim Individuum, wie hoffentlich auch in der Zukunft der Kultur, mag er gegenwärtig das Leben des einzelnen noch so beschweren.44 4 Wühelm Reich, Charakteranalyse 1933, Selbstverlag, Raubdruck Berlin, S. 240 5 Er erscheint als „ursprünglich44, weil er die Vorgeschichte des Kapitals und der ihm entsprechenden Produktionsweise ist Siehe: Karl Marx: Kapital, ! , 24. Kap. S. 741 ff. „Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation.44 6 Über libidinöse Typen. S. Freud, Gesammelte Werke, Bd. XIV, S. 510 7 H. Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Neuwied 1966, S. 91 ff 8 Erikson: Kindheit und Gesellschaft, Zürich-Stuttgart 1957, S. 57 f 9 Wera Schmidt, Erfahrungsbericht über das Kinderheim-Laboratorium in Moskau. Raubdruck 1 0 Dorothy Burlingham / Anna Freud: Kriegskinder. London 1949, S. 47 f 1 1 KL-Broschüre Nr. 1, S. 4 1

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V. Kinderläden und bürgerliche Öffentlichkeit Im Herbst 1968 beschloß der Zentralrat der Westberliner Kinderläden, den Senat für die Finanzierung oder wenigstens teilweise Unterstützung dex sozialistischen Kinderläden zu gewinnen. Diesem nur scheinbar von vornherein zum Scheitern verurteilten Versuch lag die richtige Erkenntnis zu Grunde, daß der Berliner Senat daran interessiert war, sein erziehungsreformerisches Image, das vor allem durch die Bemühungen von Schulsenator Evers geprägt war, weiter zu pflegen. Dabei konnte es nur gelegen kommen, wenn auch aus den Reihen der APO Mitarbeit angeboten wurde. „Rote Fahnen stören nicht", erklärte der Jugendsenator Korber; die roten Fahnen störten den Senat tatsächlich nicht, solange noch die Hoffnung bestand, die Kinderläden würden die dringlich notwendigen Reformen im bürgerlichen Erziehungswesen auf eigene Faust einleiten, so daß der Senat als Mäzen selbst keine Verantwortung zu tragen hatte, bei Erfolgen jedoch auf seine rechtzeitige Unterstützung hinweisen konnte. Erst als sich herausstellte, daß das Rot der Fahnen nicht nur eine dekorative Farbe war, als die antiautoritäre, gegen die Kleinfamilie gerichtete Erziehung sich zunehmend als eine sozialistische entpuppte, zog der Senat seine Hilfe, die so groß gar nicht gewesen war, schnell zurück. Nach einigen Vorgesprächen schrieb der Zentralrat der Kinderläden am 6. November 1968 folgenden Brief an den Familien-, Jugend- und Sportsenator von Berlin: „Sehr geehrter Herr Korber! Im Auftrage des Zusammenschlusses der im Laufe dieses Jahres in Westberlin entstandenen sogenannten »Kinderlädett-Projekte* wenden wir uns heute — nachdem bereits verschiedentlich in den vergangenen Monaten Einzelgruppen und Personen in dieser Sache verhandelt haben — an Sie persönlich mit der Bitte, zum einen die Gesamtproblematik der Kinderläden Ihnen noch einmal vorstellen zu dürfen; zum anderen die Frage einer Unterstützung dieser Initiative durch eine einheitliche Regelung für West-Berlin zu klären. Wir wenden uns auch an Sie, um die inzwischen entstandenen Unklarheiten, die Richtlinien-Unsicherheit, das unterschiedliche Vorgehen und die abwartende Haltung der jeweiligen Abteilungen der Bezirksämter durch eine sinnvolle Regelung, die dem Charakter dieser pädagogisch wie sozialpolitisch neuen Versuche angemessen wäre, aufheben zu helfen. Wir wissen, daß an einer solchen Klärimg nicht zuletzt auch für uns zuständige Dienststellen der Bezirksverwaltungen interessiert sind.

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I. Konzeption der Kinderläden Nachdem in den vergangenen Jahren vor allem jüngere Ehepaare in dieser Stadt im Rahmen herkömmlicher Kindergartenvorstellungen sich für die Errichtung von Kindertagesstätten einsetzen (vgl. die Initiative des Vereins Kindertagesstätte an der Freien Universität), wurde im Frühjahr dieses Jahres eine neue Konzeption entwickelt. Es entstanden Projekte als freie Bürgerinitiative, die zum Ziel hatten, eine fortschrittliche kritische Kindererziehung in Kleinkindertagesstätten als Gruppenobjekt mehrerer Familien zu verwirklichen. Es bot sich an, diese Projekte in leerstehenden Läden zu verwirklichen, soweit Lage und bauliche Gestalt der Räume die pädagogischen und vor allem hygienischen Mindestvoraussetzungen für eine fortschrittliche Kinderarbeit boten. Seither hat sich der Name ,Kinderladen' für dergleichen Projekte durchgesetzt. Zwar war beim Entstehen des Kinderladengedankens die allgemein herrschende Notsituation nicht unwesentlich — wie sie sich z.B. in den ca. 20 000 fehlenden Kindertagesstätten in West-Berlin und in dem nicht zu übersehenden personellen Notstand in den Kindergärten darstellt, der sich freilich auch auf die dort geleistete pädagogische Arbeit mit Notwendigkeit auswirkt. Der Ausgangspunkt dieser praktischen Versuche von KindergartenKooperativen war jedoch positiver bestimmt: Es geht weniger um Kindergärten als eine Hilfskonstruktion, um die Freisetzung der Frau zu ermöglichen, so daß sie für den Produktionsprozeß zur Verfügung steht Sondern es geht unrtiie Einleitung von Sozialisationsprozessen auf der Basis antiautoritärer Erziehung mit dem Interesse, die Kinder sich im solidarischen Gruppenzusammenhang entfalten zu lassen. Dies kann freilich nur gelingen, wenn die Erwachsenen, die zu Hause in der Familie die Erziehung bestimmen, mit in den Sozialisationsprozeß hineingenommen werden. Kritische Kinderarbeit heißt darum zugleich kritische Aibeit mit den Erwachsenen, deren Probleme und Vereinzelung die Zusammenarbeit am Kinderladenprojekt aufheben und lösen soll. Darum haben sich zwei Strukturen der Zusammenarbeitentwickelt: (a) die gemeinsame Arbeit im Kinderladen mit den Kindern, (b) die gemeinsame theoretische Arbeit der Eltern zur Klärung grundsätzlicher und praktischer Erziehungsfragen, zur Lösung der Erwachsenenprobleme und zur Skizzierung einer gemeinsamen gesellschaftlichen Praxis. Insofern sind die Kinderladenprojekte Erwachsenenbildung, weisen aber zugleich darüber hinaus, haben praktische Konsequenzen.

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II. Zur Situation der Kinderläden (1) Die Lage Es gibt zur Zeit fünf Kinderläden, die bereits seit einigen Monaten arbeiten [...] Acht weitere Projekte sind geplant. Dort arbeiten die Eltern bereits theoretisch zusammen; in zwei Fällen' werden die Kinder bereits auf einer provisorischen Basis (tägliche gemeinsame Ausflüge) betreut. (2) Die Arbeitsweise Von den bereits arbeitenden Projekten beschäftigen die Charlottenburger und die Schöneberger Gruppe festangestellte Erzieher; die anderen Kinderläden arbeiten dergestalt, daß sich die Eltern, zumeist die Mütter, in der Betreuung der Kinder von Tag zu Tag abwechseln. Die Kinderläden sind von Montag bis einschließlich Sonnabend, zumeist von 8 Uhr 30 bis 17 Uhr, geöffnet. Im Gegensatz zur herrschenden Praxis sind die Kindergruppen in den Kinderläden bewußt klein gehalten (sechs bis acht Kinder), damit sich die Erzieher auch dem einzelnen Kind intensiv zuwenden und soziale Beziehungen unter den Kindern selbsttätig entwickeln können, die sonst zu häufig, sei es durch autoritäre Disziplinierung erzwungen werden, sei es wegen der die Beziehungen chaotisierenden großen Zahl gar nicht erst zustande kommen. Darüber hinaus wird darauf gesehen, daß die Kinderläden mehr Quadratmeter für die Kinder bieten, als dies gemeinhin üblich ist. Die Initiatoren sind der Meinung, die Entfaltung der Kinder darf nicht durch räumliche Enge bereits in Frage gestellt werden. Neben der praktischen Arbeit (Renovierung der Räume, Einrichtung, laufende Reparaturarbeiten, Reinigung der Räume, Vorbereitung von Material für die Kinder), die freilich ohne jedes Entgeld geleistet wird, steht in jedem Kinderladen die theoretische Arbeit. Die am Projekt Beteiligten treffen sich ein- bis zweimal wöchentlich, um die praktische Arbeit theoretisch zu fundieren, zugleich aber um die privatistische Vereinzelung bei gleichzeitiger autoritärer gesellschaftlicher Integration der Individuen in der reflektierten Zusammenarbeit aufzuheben. (3) Finanzen und Zuschüsse Alle (bis auf einen, nämlich Friedenau) Kinderläden sind bisher wesentlich allein von den am Projekt Beteiligten getragen worden. Nur der Friedenauer Kinderladen ist bisher (und zwar als Tagespflegestelle) vom Bezirksamt Schöneberg regelmäßig bezuschußt worden. Der Kinderladen in der Hohenstauffenstraße hat übergangsmäßig vom Bezirksamt Schöneberg Zuwendungen erhalten. Das Studentenwerk der Freien Universität hat einige Projekte durch eine einmalige Zahlung (Einrichtungsbeihilfen zumeist) oder durch Darlehen unterstützt. Abgesehen von der unentgeltlichen Mitwirkung jedes Beteilig-

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ten müssen die Eltern durchschnittlich 60,— bis 80,— DM monatlich aufbringen. Investitionskosten (in den meisten Fällen für Heizung, aber auch sanitäre Einrichtungen, die wegen der hygienischen Vorschriften not* wendig sind), aber auch die laufenden kosten übersteigen bei weitem die finanziellen Möglichkeiten der Eltern. Einige dieser Eltern haben bereits finanzielle Einbußen dadurch erlitten, daß sie, um im Kinderladen mitarbeiten zu können, eine mögliche Vollzeitbeschäftigung ausgeschlagen haben. Nicht zuletzt auf Grund der ungeklärten Interpretation existierender Richtlinien haben sich in zunehmendem Maße Probleme ergeben, die die weitere Arbeit gefährden [...] Wir wenden uns darum noch einmal gemeinsam an Sie, um eine Klärung herbeizuführen, auf welche Weise die öffentliche Hand, die ja auch durch das Jugendwohlfahrtsgesetz gehalten ist, die freie Initiative auf dem Gebiet der Jugendpflege zu unterstützen, die Kinderladenprojekte unterstützen kann. Wir möchten Ihnen dazu die folgenden Vorschläge machen: 1. Da die Kinderläden offenbar weder eindeutig als Kindertagesstätten noch als Tagespflegestellen anzusehen sind, wären vom Senator für Familie, Jugend und Sport neue Richtlinien zu erlassen. 2. Die Richtlinien sollten dem besonderen Charakter der Kinderläden entsprechen; vor allem aber die Verbindung von kooperativer unentgeltlicher Mitwirkung der Eltern am Projekt mit der regelmäßigen theoretischen Arbeit als Minimalvoraussetzung für die Förderung durch die öffentliche Hand formulieren. 3. Zwei Typen wären in den Richtlinien zu unterscheiden: (a) Kinderläden mit angestellten Kindergärtnerinnen oder Erziehern; (b) Kinderläden mit regelmäßig wechselnder Betreuung durch die Eltern. 4. Als Unterstützungsrahmen wären Maximalansätze festzulegen [...] 5. Bei der Gewährung der Unterstützung durch die öffentliche Hand sollte nicht gefordert werden, daß beide Elternteile arbeiten müssen, sind doch Kindergärten nicht Kinderbewahrungsanstalten, um zu ermöglichen, daß die Frauen lückenlos in den Produktionsprozeß eingegliedert werden. Zur Begründung: Die vorgeschlagenen Zuschußleistungen würden einen wesentlichen Teil der laufenden Kosten decken. Eine solche Forderung erscheint jedoch angemessen, wenn — abgesehen von den oben dargestellten Zielen und Aufgaben — das Folgende bedacht wird: (a) Auf Grund des Jugendwohlfahrtsgesetzes ist die öffentliche Hand verpflichtet, die freie Initiative der Bürger zu unterstützen, dies vor allem, wenn die existierenden Einrichtungen bei weitem den gesellschaftlichen Bedarf nicht decken.

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(b) Die Kinderladenprojekte sind um ein Vielfaches billiger als andere Projekte im Bereich der Kindertagesstätten, sowohl was die laufenden als auch was die Investitionskosten betrifft. (c) Die Erstellungszeit der Kinderläden ist unvergleichlich viel kürzer als die herkömmlicher Einrichtungen, sie können darum auch der heute herrschenden Notlage sehr viel schneller abhelfen. (d) Die Kinderläden sind unmittelbar dort gelegen, wo der Bedarf vorhanden ist. Lange Wege fallen fort. (e) Der Bürger ist in den Kinderladenprojekten nicht Objekt staatlich-bürokratischer „Wohlfahrtsmaßnahmen", sondern er emanzipiert sich zum gesellschaftlich aktiven Subjekt. (f) Die Trennung von familiären und öffentlichen Sozialisationsprozessen und die Vereinzelung der Kleinfamilie bei gleichzeitiger durchgängiger Integration der Individuen wird durch die Kinderladen-Kooperative ansatzweise aufgehoben. (g) Die Kinderläden sind ein praktischer Versuch, an dem auch der Senat ein Interesse haben müßte, der ,Erzieher-Katastrophe4 und dem »Notstand in den Kindergärten4, von dem bereits nicht gerade besonders kritische Boulevardzeitungen berichten, zu begegnen [...] Wir haben vor, unsere Vorstellungen über eine fortschrittliche Erziehung in Kindergärten einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Wir würden es begrüßen, wenn wir von der bereitwilligen Unterstützung durch den Senat und von positiven Erfahrungen mit den staatlichen Stellen berichten könnten. Wir meinen, bei der hinreichend prekären Situation im Bereich der Kindertagesstätten dürfte dem Senat an einer Zuspitzung der Probleme nicht gelegen sein." Der Senator antwortete ausweichend: „Ich danke Ihnen für Ihr ausführliches Schreiben, dessen theoretisch pädagogischer Teil mein besonderes Interesse gefunden hat. Ich teile die Auffassung, daß rationale Familienpolitik nicht zuletzt an den gegenwärtigen und künftigen Möglichkeiten einer demokratischen Kindererziehung zu orientieren ist. Derartige planende Überlegungen sollten den voraussehbaren gesellschaftlichen Veränderungen von Ehe und Familie angemessen sein. Die aus Ihrer Initiative entstandenen Kinderläden scheinen mir gerade in dieser Hinsicht einen so beachtenswerten familienpölitischen Modellcharakter zu besitzen, daß ich diese Bemühungen grundsätzlich durch eine finanzielle Förderung — beginnend mit dem Haushaltsjahr 1969 — unterstützen möchte. Der unterschiedlichen Struktur Ihrer Kinderläden und dem Modellcharakter dieser Einrichtungen entsprechend, sollte freilich eine differenzierte Form der Mittelvergabe gewählt werden, worüber noch im einzelnen zu sprechen sein wird. Für alle Kinderläden müßte jedoch — und damit stimme ich mit Ihnen überein — die Verbindung von kooperativer unentgeltlicher Beteiligung der Eltern an der Erziehung mit

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gemeinsamer theoretischer Arbeit der Eltern verbindlich bleiben." In den weiteren Verhandlungen stellt der Senat folgende Bedingungen: 1. Der Kinderladen muß an allen Wochentagen geöffnet sein. 2. Die« Eltern sollen sich selbst die Erziehung der Kinder zur Aufgabe machen (also keine bezahlte Kindergärtnerin anstellen, wie das in einigen Kinderläden der Fall ist). 3. Die Kinderläden sollen von den Eltern selbst verwaltet werden. Unter den genannten Bedingungen sagt Senator Korber dem Zentralrat der Kinderläden 80 000 DM zu. „Das Wohlwollen, mit dem man im Hause des Familien-Senators die APO-Experimente verfolgt, ist nicht als Ausfluß fröhlich-friedlicher Weihnachtsstimmung zu werten. Dahinter stehen nüchterne Überlegungen. Da ist einmal der Raummangel in den Kindergärten der Stadt. 47 000 Kinder sind für die Gärten angemeldet, 32 000 finden nur Platz. Deswegen ist es verständlich, wenn Korber jede private Initiative begrüßt, die diesem Engpaß etwas abhelfen kann, auch wenn die Kindergärten mit ihren etwa 120 Kindern nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. — Noch eine zweite Fliege hofft Horst Korber mit der Klappe ,Geld* zu schlagen. Er ist zuversichtlich, daß in den Kinderläden pädagogische und erzieherische Erfährungen gesammelt werden, die Ausstrahlungskraft auf Struktur und Leitung der Kindertagesstätten in Berlin haben. Im übrigen hofft er, daß auch in anderen Bevölkerungsgruppen das APO-Modell Nachahmung findet — wenn es gelingt." (Frankfurter Rundschau) Das Geld fließt freilich vorerst noch nicht. Die Gespräche ziehen sich hin, es geht vor allem darum, daß der Zentralrat erreichen will, daß alle Kinderläden zu proportionalen Teilen über den Zentralrat gefördert werden sollen, während der Senat eine einzelne und differenzierte Förderung vorzieht. Die Berliner Morgenpost, zum Springerkonzern gehörig, versucht, Stimmung gegen die Kinderläden zu machen. Am 19. Januar veröffentlicht sie einen diffamierenden Artikel unter dem Titel: „Im »Kinderladen4 hat Mao das Rotkäppchen verdrängt". Wieder einmal wird über die „bolschewisierende" Wirkung antiautoritärer Erziehung berichtet. Das interne Informationspapier der Berliner Kinderläden sieht sich daraufhin genötigt, vor ähnlich recherchierenden Journalisten zu warnen: die Springer-Berichterstatterin hatte sich als „alleinstehende Mutter mit Kind" in einen Kinderladen eingeschlichen. „Seid wachsam vor diesen Märchenfiguren, denen die Einrichtung zu ärmlich ist, die Mülltonne in der kleinen Teeküche zu sehr überquillt, ein Geruch von abgestandenem Essen und nicht sauberen Kindern leicht den Atem verschlägt, und die sich dann anschließend in der Morgenpost auskotzen. Eine Lehre sollten wir daraus ziehen, daß wir nicht auf wehleidige Kindermärchen hereinfallen und nicht zuerst danach fragen, ob das Kindpaßt, sondern unser Kriteriummuß das Bewußtseinder Elternsein."

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Der Zentralrat dringt in seinen Verhandlungen mit dem Senat immer wieder darauf, daß nur eine gemeinsame Förderung aller Kinderläden sinnvoll sei. In einem Brief an den zuständigen Senatsbeauftragten vom 20. Januar 1969 wird dieser Standpunkt noch einmal bekräftigt. „Es hat sich herausgestellt, daß für die finanzielle Förderung der im Zentralrat organisierten Kinderläden entscheidend ist, worin man den ,Modellcharakter' unseres Experiments sieht. Daher scheint es nötig, die Konzeption unserer Kinderläden noch einmal in bezug auf ihren modellhaften Charakter zu konkretisieren. Einleitend ist die historische Bedeutung unseres Erziehungsversuchs zu betonen. Wir wollen eine Alternative zu den Formen, die die Kleinfamilie und die bestehenden Institutionen anwenden, in Theorie und Praxis entwickeln. Die Kinderläden sind keine Aufbewahrungsstätten: in ihnen sollen die Kinder für die zukünftigen Anforderungen der Gesellschaft erzogen werden. Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Kinder ihre kognitiven Fähigkeiten frei entfalten können und Charakterstrukturen entwickeln, die es ihnen erleichtern, den gesellschaftlichen Verhältnissen kritisch gegenüber zu stehen und sie kollektiv zu verändern. Diesen politischen und familienkritischen Anspruch versuchen wir in den Kindergartenkooperativen praktisch zu verwirklichen [...] Wir haben schon ausgeführt, daß das Schwergewicht auf der Zusammenarbeit der Eltern liegt [...] Als wesentlicher Aspekt dieser Zusammenarbeit hat sich in der Praxis der letzten Monate die Bedeutung des Zentralrats herausgestellt; Funktion und Arbeitsweise dieses Gremiums soll hier kurz dargestellt werden. Die praktische Erfahrung hat gezeigt, daß die einzelnen Läden nicht in der Lage sind, unseren Anspruch voll zu verwirklichen: a) die isolierten Läden sind überfordert, wenn sie alle notwendigen Aspekte in ihre Arbeit aufnehmen wollen; b) es sind verschiedene Bedingungen der realen Verwirklichung — wie: Kinderläden mit und ohne Kindergärtnerin als zentrale Bezugsperson, verschiedene Anzahl und soziale Zusammensetzimg der Gruppen, Altersstruktur der Kinder, Familienstruktur der Eltern — notwendig, um ein den komplexen gesellschaftlichen Bedingungen entsprechendes Modell von Erziehung zu entwickeln, das wissenschaftlich nachprüfbar und auf andere Bevölkerungsgruppen übertragbar ist. Diese Ubertragbarkeit setzt eine größere Anzahl variabler Bedingungen und die exakte Untersuchung ihres unterschiedlichen Einflusses voraus. Außerdem gehen wir davon aus, daß ein Modell antiautoritärer Erziehung nicht auf ein festliegendes Programm herauslaufen wird, sondern flexibel sein muß, was seine Ausgangsbedingungen und Methoden betrifft. Aus diesen Gründen hat sich in allen Kinderläden die Erkenntnis durchgesetzt* daß wir nur dann Erfolg haben können, wenn jeder Laden ganz eng mit einer ausreichenden Zahl anderer zusammenarbeitet.

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Der Einfluß der gruppenspezifischen zufälligen oder bewußt eingeführten Bedingungen auf die Erziehungsarbeit kann nur in einem intensiven Erfahrungsaustausch mit den anderen kontrolliert werden. Dabei kommen wir nicht darum herum, bestimmte Erkenntnisse der Pädagogik, der Kinder-, Erwachsenen- und Gruppenpsychologie systematisch aufzuarbeiten und mit den verschiedenen Erfahrungen der Kinderkollektive zu vermitteln. Darüber hinaus besteht der Plan, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Psychoanalyse als Methode zur Korrektur der Schäden, die durch die Struktur der bürgerlichen Kleinfamilie schon in frühem Kindesalter entstehen, ein psychoanalytisches Zentrum aufzubauen, in dem wir mit gesellschaftskritischen Psychoanalytikern zusammenarbeiten wollen. Auch ein solches Zentrum kann von einzelnen Läden nicht getragen werden. Alle erwähnten Arbeiten, die mit dem Anspruch unseres Erziehungsmodells untrennbar verbunden sind, werden von den im Zenträlrat zusammengefaßten Kinderläden gemeinsam durchgeführt. Der Zentralrat ist demnach kein bürokratisches Repräsentationsorgan, sondern das entscheidende Arbeitsgremium aller Kinderläden [...] Die hier verdeutlichte Konzeption zeigt, daß man ernsthaft den Modellcharakter nur allen Kinderläden zusammen zuschreiben kann. Eine Finanzierung des Modells kann daher nur bedeuten: Finanzierung des Zentralrats als Zusammenfassung aller arbeitenden Kinderläden. Nur alle Kinderläden zusammen können über die sinnvolle Verteilung einer finanziellen Unterstützung nach Kriterien, die an der Erziehungsarbeit orientiert sind, bestimmen [...]" Der Berliner Senat weigerte sich hartnäckig, die Kinderlädeln global über den Zentralrat zu finanzieren. Seine Vorstellungen gingen dahin, drei bis fünf Läden als Modelle zu deklarieren („nach vorheriger sorgfältiger Prüfung") und nur diese finanziell zu unterstützen. Die einzelnen Kinderläden mußten weiterhin mit den jeweiligen Bezirksämtern um ein leeres Grundstück, ein paar Bäume, ein wenig finanzielle Unterstützung ringen. Die schwankende Haltung der Behörden, von eisiger Ablehnung bis zu persönlicher Sympathie für die sich unverständlicherweise um Kindererziehung kümmernden Studenten dokumentiert das Gedächtnisprotokoll einer Sitzung im Rathaus Neukölln: „Wir stehen drei mehr oder weniger konzilianten Sozialdemokraten gegenüber: Stühle- und Zigarettenanbieten, Vorstellen und andere Höflichkeiten. — Sie schlagen ihre Akten auf: der Telegraf-Bericht vom Sonntag (Uberschrift: »Neuköllner Kinderladen bedroht? ') schmeckt ihnen nicht. Wie können die Redakteure des Arno Scholz denn aus Neukölln berichten, ohne im Rathaus nachzufragen, das sei doch unbegreiflich. (Der Telegraf ist eine SPD-Zeitung!) [...] Dann meckern sie, daß immer jemand anders kommt, wer denn nun eigentlich der Vorsitzende sei. Aber da wir ja wenigstens verhandeln wollen, werden wir als nett etikettiert [...] Wir sagen, sie brauchten sich von

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uns keinen Solidaritätsbruch zu versprechen, vielmehr seien unsere Forderungen nicht gar so neu und der Bezirk Neukölln solle nun endlich etwas für uns tun. Ein unbekannter Subalterner legt los: wir kämen daher, sozialistisch, modellhafte pädagogische Vorstellungen, überdies alle keine Fachleute, wollen Geld, Räume, im übrigen benähmen wir uns überall nur schlecht. Dann habe er auch noch ,konkret* gelesen. x Auch die Genossen lehnen uns ab: dreckig sei es bei uns, die Familien kaputt; er wird ganz schön aggressiv, wo wir doch so lieb waren. Uns scheint es an der Zeit abzuhauen. Votavo (Stadtrat) vermittelt : er als alter Genosse sei seinerzeit für die Vereinigung der Arbeiterparteien gewesen [...] Er ist gemütlich, gesprächsfreudig, ich muß ihm erklären, was systemimmanent* bedeutet. Dann diskutieren wir erst einmal, die Sozialdemokraten möchten wissen, wie die politischen Vorstellungen bei uns im Moment seien [...] Wir geben Literaturhinweise. Aber wir sind zum Kummer der Genossen hartnäckig: fordern Räume im Jugendheim und natürlich auch Geld. Ein Fachmann wird geholt, der spricht einen Satz: ,Es ist unmöglich* [...] Unmöglich ist es, Räume im Jugendheim zu bekommen, da das Heim überfrequentiert sei. Frau S., so eine Art Chefkindergärtnerin in Neukölln, bemerkt: »Glauben Sie nicht, daß wir unmodern sind! Wir haben schon lange unsere Modelle, viel länger als Sie, aber wissen Sie, wie es bei uns aussieht? 15 Kinder und eine Erzieherin.* Sie rennt ins Messer und merkt es nicht. Im übrigen könne sie uns versichern, durch ,30jährige Arbeit am Kinde* sei sie zu der Einsicht gelangt, es könne nicht gutgehen mit den täglich wechselnden Bezugspersonen, das scheint sie besonders gern zu sagen,* weil sie es schon seit einem Jahr sagt. V. beschwert sich über den Stil unserer Briefe, in denen wir spektakuläre Aktionen* ankündigen. Wir geben zu, vielleicht etwas zu früh davon gesprochen zu haben, stellen aber in Ausacht, genau die zu unternehmen, wenn man uns nicht endlich hilft [*,.] Weil wir ansonsten so nett waren, sollen wir wiederkommen, wenn man neuerlich geprüft, mit T. Rücksprache genommen hat, den Ausschuß konsultiert hat.** Da sich der Senat und die Bezirksämter in den Verhandlungen immer wieder auf Verlautbarungen und Berichte der bürgerlich-konservativen bis linksliberalen Presse stützt, wird im Zentralrat der Kinderläden diskutiert, ob es möglich und nützlich sei, eine eigene Flugschrift zur Gegeninformation herauszugeben. „Durch die verschiedenen Berichte in der bürgerlichen und auch progressiveren Presse über die Kinderläden ist ein größeres Interesse am Kinderladenmodell entstanden, das von der eindeutigen Absicht, auf diese neuen Erziehungsversuche den Volkszorn zu lenken, über Sensationsgier, auch zu ernster zu nehmenden Bedürfnissen sowohl aus dem liberalen als auch sozialistischen Lager reicht. — Gerade weil die West-Berliner sozialistischen Kinderläden eine bisher noch sehr kleine Basis haben, müßten sie auf die letzteren Interessenten einge-

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hen, um die durch die Veröffentlichungen hervorgerufenen falschen Vorstellungen zu korrigieren. Ein Nichteirigehen auf diese Bedürfhisse würde nur bedeuten, daß reformistische Kindergärten ohne die politische, antiautoritäre und emanzipative Perspektive, eben als bloße Übernahme eines Erziehungsschemas, entstehen würden. — Eine Flugschrift, vom Zentralrat herausgegeben^ könnte der erste Schritt sein, offensiv die Neugründung von Kinderläden zu propagieren, nachdem bisher nur defensiv und mit äußerst geringem Erfolg unqualifizierte Berichterstattung abgewehrt wurde." Das Mißtrauen gegenüber der bürgerlichen Presse erweist sich als nur zu gut begründet. Am 22. Februar erscheint in der Illustrierten Stern, die sonst so gerne in politischen Kommentaren ihre Zuneigung zur Linken, bisweilen sogar zur extremen Linken, kokett zu erkennen gibt, ein Kinderladenartikel unter dem Titel: „Deutschlands unartigste Kinder" (vgl. Abb. S. 96/97). In ihm wurden unter dem Schein wohlwollender Objektivität alle bundesrepublikanischen Vorurteile (bis in die Büd- und Zitatenauswahl hinein) gegen die APO und ihre Erziehungsreformversuche reproduziert. Auch vor offenkundigen Lügen schreckte der Stern-Artikel nicht zurück. Unter der Überschrift „Frauentausch als Erziehungsmittel" hieß es: „Statt dessen (statt einer völligen Laissez-faire-Erziehung) tauschten die Väter die Mütter aus, weil — so ein Beteiligter — die Kinder nicht ,auf ein bestimmtes Elternpaar fixiert werden sollen-'v Aber auch das brachte die Eltern [...] nicht weiter, und sie gaben den Partnertausch wieder auf." Aus dem Wechsel der Bezugsperson für die Kinder war dem „Stern"-Reporter unter der Hand der Partnertausch geraten, und auch sonst war lüsterner Neugier auf „linke" Sexualität keine Grenze gesetzt: „Ein fünfjähriger Junge nahm in diesem Kinderladen ein dreijähriges Mädchen mit auf die Toilette und zog sie dort aus. Bei Geschlechtsspielen verletzte er sie. Daraufhin nahm die Mutter ihre Tochter erst einmal aus dem Kinderladen heraus. Unerbittlich warf man ihr »Kleinbürgerlichkeit4 vor." Sich mit den Problemen kindlicher Sexualität überhaupt auseinanderzusetzen, scheint dem Stern offenbar müßig. Das Fazit des Artikels: die leicht irren APO-Leute bringen durch ihre Erziehung völlig irre Kinder hervor. „Mißtrauischer als der Senat betrachtet der Psychiater Dr. Günter Ammon, bei dem viele APO-Leute ihr Seelenheil wiedererlangen wollen, die Kinderladen-Idee. Er schimpft:, ,Die Linken sollen erst einmal ihre eigenen Komplexe loswerden, ehe sie mit ihren Kindern experimentieren. Die roten Prinzen und Prinzessinnen wollen doch nur ihre Kinder los sein. Das Ganze wird dann, wie immer, ideologisch verbrämt* Dr. Ammöns jüngste Patienten sind Kinder aus antiautoritären Kinderläden, mit seelischen Störungen/ 4 Die Diskussion über eine Informationssperre, die Ende Januar im Zentralrat der Kinderläden geführt worden war, hatte nun rück-

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blickend eine entscheidende Bedeutung gewonnen. „Der Beschluß des Zentralrats, eine absolute Informationssperre über die Tätigkeit der sozialistischen Kinderläden zu verhängen, wurde gefällt auf Grund hauptsächlich der folgenden Überlegungen, die wir in Thesen zusammenzufassen versuchen: 1. Die bürgerlichen Publikationsinstrumente sind als solche nicht fähig, offen über unsere Kindergärten zu berichten. Wenn die Genossen selbst zu Wort kommen, reichen Zusammenhang oder Kommentar der Berichterstattung (Farah Diba neben Gretchen Dutschke) aus, um unsere Idee und unsere Praxis zur bloßen Sensation zu verdinglichen. Jede oppositionelle Äußerung wird durch Etikettierung entschärft und als Salz in der Eintopfsuppe der Bewußtseinsindustrie verkocht. 2. Solange wir uns nicht äußern, können wir nicht beim Wort genommen werden und bleiben frei von den Rückwirkungen veröffentlichter Äußerungen. Diesen Überlegungen zum Trotz aus finanziellen Gründen Informationen an die bürgerliche Presse zu geben, ist Prostitution. 3. Die Öffentlichkeit, welche von der Bewußtseinsindustrie erreicht und verwaltet wird, kann mit Informationen über die Kinderläden nichts anfangen, da diese ein antiautoritäres Bewußtsein voraussetzen, wenn sie praktische Relevanz haben sollen [...] Wenn die Bewußtseinsindustrie generell kein Interesse hat, sozialistische Praxis öffentlich zu machen — denn sie definiert sich geradezu als Verhinderung von dieser —, so ist die Bewußtseinsindustrie auf Sensationen notwendig angewiesen. Mit oder ohne uns werden wir ihr Objekt. Wenn wir uns bewußt bleiben, was Presse, Rundfunk, Fernsehen wollen [...], können wir unter folgenden Bedingungen Informationen geben: Nur in der Form von Interviews, die durch mindestens drei Genossen der Läden gegeben, vor der Veröffentlichung korrigiert, durch das Einverständnis aller Genossen des Ladens autorisiert werden. — Wir gehen also nicht davon aus, daß ein »fertiges* antiautoritäres Bewußtsein vorausgesetzt ist, damit Informationen über unsere Kinderläden praktisch relevant werden. Dies impliziert eine bestimmte strategische Konzeption. I. Die Kinderläden sollen nicht unmittelbar eine befreite Gesellschaft im kleinen realisieren um den Preis der Abkapselung und der »erweiterten Privatisierung* und des damit zusammenhängenden Gruppendrucks, denn die Kinderläden stellen nur ein Element der Organisation der Linken dar. (Schließlich wird der Kapitalismus nicht nur durch neue Sozialisationsweisen revolutioniert werden.) Die Kinderläden sollen vielmehr a) in einem Bereich und I b) exemplarisch (d. h. nachvollziehbar nicht nur für die Studenten und herausgefallenen', sondern auch für Berufstätige, lohnabhängige Menschen) die Selbstorganisation antizipieren, vermittels welcher die Arbeiterklasse dieses System umwälzen wird. II. Das bedeutet, daß wir, wenn wir Interviews geben, damit a) eine konkrete Kritik der staatlichen Kindergärten,

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Das Titelfoto und eine Seite des auf S. 94 zitierten Stern-Berichts über Kinderläden zeigen eindrucksvoll, worauf es den Reportern des Stern ankam: Unter dem Deckmantel der Objektivität wird ein Identitätszusammenhang von Schmutz„ Vandalentum, partiellem Irresein und linker Bewegung hergestellt. So reduziert die Titelüberschrift die Erziehungsversuche der linken Bewegung nicht nur auf ein reines „Anti" bürgerlicher Erziehung, sondern greift auch da noch einen Teilbereich heraus und suggeriert: herkömmliche Erziehung ~ artige

als Erziehungsmittel Inzwischen wuchs den Eltern in der Hohänstaufenstraße de* Betrieb über den Kopf. Wie ixl vielen anderen ; Kinderläden engagierten sie eine staatliche, nach autoritären Regeln ausgebildete Kindergärtnerin. Jochen Hehbein, Vater eines bisher anti-autoritär erzogenen Kindes, begründete diesen Rückzieher gegenüber einer Fürsorgerin: „Die Eltern sind zu dem Entschluß gekommen, die Kinder doch nicht mehr in allen Dingen gewähren zu lassen, Sie erhalten Verbote — müssen Dinge respektieren. Die Zerstörung durch die Kinder Nist zu groß geworden." Statt dessen tauschten 4ie Väter die Mütter aus* Weil — so ein Beteiligter - die Kinder nicht „auf ein bestimmtes Elternpaar fixiert werden sollen"; Aber auch das brachte die Eltern aus der Hohenstaufenstraße nicht weiter, und sie gaben den Partnertausch wieder auf. Am strengsten und ideologischsten geht es im Kinderladen Charlottenburg 1 zu. Dort herrscht die Kommune 2. Sie schloß zum Bei-

spiel den Bildhauer Heinrich Brummack samt dessen Sohn Markus aus, obwohl er wesentlich zur Einrichtung des Kinderladens beigetragen hatte. Begründung: „Du hast als Künstler kein kollektives Arbeitserlebnis, sondern nur ein individuelles.11 Ein fünfjähriger Junge nahm in diesem Kinderladen ein dreijähriges Mädchen mit auf die Toilette und zog sie dort aus. Bei Gesdilechtsspielen verletzte er sie. Daraufhin nahm die Mutter ihre Tochter erst einmal aus dem Kinderladen heraus. Unerbittlich warf man ihr „Kleinbürgerlichkeit" vor. Und die Eltern des Jungen beschwerten sich, daß man ihrem Kind „seinen Lustgewinn genommen habe". Eine „schockierende Erfahrung" mit einem APO-Kind machte unlängst die Berlinerin Helga Henckel. In einem Brief an die „Zeit" zitierte sie den Bericht eines Vierjährigen über den Ablauf eines KinderladenTages: „Wir waren heute in Vietnam und haben ganz viele Amerikaner totgeschossen." Dennoch hält der Senat 80000 Mark zu Unterstützung von vier Kinderläden bereit. Der Zentralrat aber will das Geld für alle haben.

Deshalb wurde man noch nicht handelseinig. ; Arnim Tschoepe, Leiter einer familienpolitischen Planungsgruppe beim Senator für Familie, Jugend und Sport, muß gestehen: »Die öffentliche Erziehung wird den pädagogischen Anforderungen rficht gerechtr.Für uns sind die Kinderläden ein interessantes f^milienpolitisches Modell." Der Senat will also ausgerechnet bei denen Kindererziehung studieren, die er sonst von der Straße knüppeln läßt. Und die Geknüppelten wiederum wollen sich ihre Kindererziehung von denen finanzieren lassen, gegen die sie sonst demonstrieren. Mißtrauischer als der Senat betfachtet der Psychiater Dr. Günter Ammon, bei dem viele APO-Leute ihr Öeelenheil wiedererlangen wollen, üie Kinderladen-Idee. Er schimpft: „Die Linken sollen erst einmal ihre eigenen Komplexe loswerden, ehe sie mit ihren Kindern experimentieren. Die roten Prinzen und Prinzessinnen wollen doch nur ihre Kinder los sein. Das Ganze wird dann, wie immer, ideologisch verbrämt." Dr. Ammons jüngste Patienten sind Kinder aus anti-autoritären Kinderläden, mit seelischen Störungen. Heiko Gebhardt

1$ der Praxis d e s Berliner Psychiaters Dr. Günter Ammon tummeln sich inzwischen die ersten O p f e r der »Kinderläden«. Frau G i s e l a Ammon nimmt sich der seelisch gestörten Kinder an

Kinder, alles andere kann nur „unartige Kinder" zum Ergebnis haben* und wer will das schon. Im Text gerinnt dem Schreiber der Bezugspersonenwechsel (vgl. S. 67 f f ) zum Frauentausch unter den beteiligten Eltern. Als Ergebnis findet er die Kinderladenkinder in der Praxis des Berliner Psychiaters Dr. Ammon, ohne zu fragen, wo die tatsächlichen Ursachen für psychische Störungen und Neurosen zu suchen sind (vgl Kap. I, S. 9-17).

lesen können sie noch nicht — ober protestieren müssen sie sehen. Zwei Kinder, die zum demonstrieren auf die Strafte geschickt wurden.

Max und Moritz müssen g e g e n die Amis demonstrieren „Allein die amerikanische in Europa. Diese Rückendeckung erlaubte die spricht noch immer von der Entfaltung jener vielschichtigen Führungsmacht des Westens. wirtschaftlichen, politischen Aber sie ist desinteressiert, und kulturellen Initiativen, die wenn diese st&ndlg beleidigt zu einer langanhaltenden Perlund angespuckt wirf " ode des westeuropäischen Auf„Eine merkwürdige Bewußt- baus führten." seinsspaltung: Die gleiche »Amerikas gesellschaftspolitiÖffentlichkeit weiß, daß ihre sche Schwierigkeiten und Dororttschen. Geschäfte nur unter dem Schutz Schwächen können die Garantie In Wirklichkeit ist ein Ame- der amerikanischen Großmacht ainer gesicherten Freiheit nicht rikaner für sie so gut wie ein vergessen lassen." Russe. Sie kennen gar keinen < Unterschied. Sie kennen noch nicht einmal das Abc. Und Papa und Mama sind für sie noch die Allergrößten. .Well sie so viel. Vertrauen zu Papa und Mamahaben, sind sie auch brav and folgsam und fragen diese Schilder. Die antiamerikanischen Hetzparolen. Mit piepsiger Stimme plappern sie nach, was Urnen die Eltern eingetrichtert haben: „Amis — raus" und „USA — SS". Die Kinder . besuchen einen Ein weiteres Beispiel für die Diffamie„anti-autoritären Kindergarten" in Göttingen. Ihre Eltern halten rungskampagne der Unken Bewegung sich .für modern. Und deshalb halten sie Mab für den Allerund damit auch pauschal ihrer Erziegrößten. hungsversuche durch die Zeitungen der Sie merken gar nicht, wie autoritär sie Ihre Kinder für bürgerlichen 'Presse und speziell des ihre polltischen Anschauungen mißbrauchen. Ihnen ist Jedes Springerkonzerns liefert dieser Artikel Mittel recht, wenn es darum geht, der Öffentlichkeit ihre auf der ersten Seite der Bild-Zeitung. alberne Gleichung zu präsentieren: „Links ist gut und Amis Das Rezept für diese Machart von „Insindböse." formation" ist ebenso bekannt wie simUm gegen die USA zu randalieren, werfen, sie* Steine, legen pel. Man greift sorgsam aufgebaute Klisie Feuer und schieben . nun auch ihre Kinder vor sich her. schees, Vorurteile und Einzetergebnisse Schachfiguren ihres Engagements. heraus, pauschaliert sie und konstruiert Viele Göttinger waren über die Kinder-Demonstration enteinen Kausalzusammenhang. Dabei setzt. . Dennoch hat der „Rheinische kommt dann folgendes heraus: Die Merkur", recht, wenn er zu den anti-amerikanischen HaßausEltern der beiden Kinder, den „Reporbrächen schreibt: „Bedenklich stimmt vor allem die Gleichgültern" unbekafint, werden pauschal vertigkeit und das aar Schau getra-

dem Feto sehen am wie Max und Moritz. ' cli« Irgendwelche I sie einhämmern, dam würden sie wie andere Kinder In Ihrem Alter von Mlk-

antwortlich gemacht für das Werfen von Steinen, Legen von Feuer etc. Scheinbare Information: Nun mißbrauchen sie auch noch ihre unschuldigen Kinder für ihre wirren politischen Ansichten. Aus Ereignissen, die zu verschiedenen Zeiten aus unterschiedlichen Motivationen abgelaufen sind, macht der Schreiber des Artikels ein Ereignis mit Kausalzusammenhang. Ziel: Die Diffamierung des politischen Gegners, Mobilisierung von Aggressionen gegen ihn, mögliche physische Vernichtung durch solchermaßen ständig aufgeputschte Lesermassen nicht ausgeschlossen (vgl. S.19f).

b) der autoritären Erziehungspraxis In dieser Gesellschaft, c) konkrete Anleitung zur Selbstorganisation geben/Das Modell der Kinderläden kann zuerst für jene Gruppen wirksam werden (über die Studenten hinaus), deren revolutionäre Praxis und Syndikalisierung im Beruf gegenwärtig diskutiert wird (technische Intelligenz, Sozialisationsberufe etc.). III. Durch Plakate und Aushänge in den Schaufenstern können die Läden unmittelbar in ihren Wohnvierteln informieren und agitieren." Der durch die Sfera-Veröffentlichung angerichtete Schaden konnte auch nicht mehr durch eine einstweilige Verfügung gegen den Stern am 26. Februar und das am gleichen Tag stattfindende Go-in mehrerer Kinderläden in die Berliner Redaktionsräume des Stern ausgeglichen werden. Im Gegenteil — die zu kurzfristig geplante Aktion mit den Kindern fügte dem Stern keinerlei ernsthafte Nachteile zu und schien außerdem alle diffamierenden Äußerungen über die Arbeit der Berliner Kinderläden zu bestätigen, die die Illustrierte kurz zuvor geliefert hatte. So konnte die bürgerliche Presse Berlins einschließlich aller Springergazetten angeekelt-amüsiert berichten: „Nach Darstellung des Stern wurden die vorschulpflichtigen Demonstranten von den Eltern aufgefordert, mitten in den Räumen aufs Töpfchen zu gehen — jedoch ohne Töpfchen. Die Kinder gaben jedoch zu verstehen, daß der Zeitpunkt dafür ungeeignet sei. Redakteur Sepp Ebelseder: ,So wurde das Schiet-in verhindert.4 Aber zwei Windein — benutzt — blieben als symbolische Wertschätzung neben einer roten Fahne und APO-Parolen zurück." {BZ vom 26. 2.) „Zurück blieben in den Redaktionsräumen schmutzige Windeln, eine rote Fahne, zertrümmerte Kaffeetassen und Blumentöpfe." (Telegraf vom 26. 2.)

„Sie [die Kinder] zerrissen und verstreuten Archivmaterial auf dem Boden, beschmierten die Wände mit Farbe oder Spray, zerschlugen Tassen und Blumentöpfe und schickten sich schließlich an, das ,Go-in* in ein ,Schiet-in' umzufunktionieren. Verschiedene ,benutzte 4 Windeln blieben am Tatort zurück." (Abend vom 26. 2.) Die bürgerliche Presse genoß es, wieder einmal den Identitätszusammenhang von Schmutz, Vandalentum, partiellem Irresein und linker Bewegung zu zitieren, den sie ihren Lesern seit langem suggeriert. Die CDU-Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus nutzte die Gelegenheit, die halbherzige Unterstützung der Kinderläden mit scheinheiligen Fragen und diffamierenden Argumenten gänzlich abzuwürgen. So wie der CDU die Schul- und Universitätspolitik der West-Berliner SPD stets ein Dorn im Auge war (vertritt doch die CDU einfach den bis zur Selbstbeeinträchtigung rückständigen Teil des westdeutschen Kapitals, der sich etwa gegen den so profitträchtigen Osthandel sträubt), so mußten sich gar die antiautoritären Kinderläden wie eine unmittelbare Vorbereitung kommunistischer Machtübernahme in ihrer Sicht ausnehmen. Die CDU richtete am 3. 3. 69, wenige Tage nach dem Stern-Go-in

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also, folgende kleine Anfrage an den Senat: „Die Tageszeitungen vom 26. 2. 69 berichten über ein ,Go-in* von 30 Eltern und 40 Kindern aus den Kinderläden in die Redaktionsräume der Illustrierten Stern in der Kurfürstenstraße. Wir fragen den Senat: 1. Trifft es zu, daß es sich um Betreuer und Kinder aus den bekannten Kinderläden handelt? 2. Sind die angerichteten Verwüstungen und Verunreinigungen, begangen mit Duldung und nach Aufforderung durch die begleitenden Erwachsenen, noch in Einklang zu bringen mit einer Erziehung zum Wohl des Kindes? 3. Ist in der Tatsache, daß bereits vorschulpflichtige Kinder von Verantwortlichen in den Kinderläden aufgehetzt wurden, durch Aggressionen Aufenthalts- und Arbeitsräume von fremden Erwachsenen zu beschmieren und zu beschmutzen, eine Gefährdung des Kindes gegeben? 4. Hält der Senat die Kinderläden trotz dieser Vorfälle noch für modellhaft und förderungswürdig? " Die von Bürgermeister Kurt Neubauer und vom Senator für Familie, Jugend und Sport Horst Korber unterzeichnete Antwort des Senats vom 13. 31 69 lautete: „Zw Frage 1: Der Senator hat unmittelbar nach der Berichterstattung der Tageszeitungen über die Aktion von Erwachsenen, Eltern und Kindern gegen das Büro der Illustrierten Stern eigene Ermittlungen eingeleitet. Dabei wurde bekannt, daß es sich bei den Kindern vermutlich um Besucher von Kinderläden handelte; daß es sich bei einigen der Erwachsenen vermutlich um Eltern oder Elternteile der obengenannten Kinder handelte; daß darüber hinaus fremde Erwachsene an der Aktion teilnahmen. Aus den Ermittlungen des Senats ergab sich, daß die Berliner Redaktion des Stern über die beabsichtigte Aktion in Kenntnis gesetzt war. Sie bereitete sich auf den Empfang der Kinder und Erwachsenen vor, indem sie aus den Redaktionsräumen, die später zugänglich waren, wichtiges und kostspieliges Material entfernte und für einen Imbiß sorgte. Die Nachforschungen der Senatsverwaltung ergaben keine Anhaltspunkte darüber, aus welchen Kinderläden oder anderen Gruppen die Teilnehmer kamen, da sie an Ort und Stelle nicht namentlich festgestellt wurden. Auf Anfrage gab die Berliner Redaktion des Stern bekannt, daß sie darauf verzichtet, Strafan trag gegen die beteiligten Erwachseneri zu stellen. Zu Frage 2: Der Senat ist mit Ihnen der Auffassung, daß die Aufforderung und Anstiftung zu Unrechtshandlungen, sowie die Duldung solcher Handlungen nicht in Einklang zu bringen ist mit einer Erziehung, die dem Wohle des Kindes dient. Zw Frage 3: Wenn Personensorgeberechtigte ihre Kinder zu straf-

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baren Handlungen aufhetzen, so ist dadurch das Wohl des Kindes gefährdet. Das gilt unabhängig davon» ob es sich dabei um Kinder aus Kinderläden handelt oder nicht. Zu Frage 4: Der Senat bekundete sein Interesse an pädagogischen und familienpolitischen Modellen. Er wird diese Aufgeschlossenheit gegenüber verantwortlicher Bürgerinitiative auch weiterhin aufrechterhalten. Der Senat ist jedoch nicht bereit, Einrichtungen zu fördern, in denen Eltern oder Dritte eine Erziehung betreiben oder propagieren, die gegen das Wohl des Kindes gerichtet ist, oder sich — auch bei kritischer Abwägung aller bekannten erziehungswissenschaftlicher Erkenntnisse — voraussehbar gegen das Wohl des Kindes auswirkt. Der Senat wird Elterninitiative nur unterstützen und private Träger von Einrichtungen der Jugendhilfe nur anerkennen und fördern, wenn das Recht des Kindes auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit gesichert erscheint. Der Senat betont gegenüber einigen mißverständlichen Äußerungen in der Öffentlichkeit, daß er niemals seine Bereitschaft erklärt hat, die Kinderläden insgesamt zu fördern, oder sie als modellhaft angesehen hat. Der Senat hat auch zu keinem Zeitpunkt die Meinung vertreten, daß nur Kinderläden Vorstellungen über Modelle einer famüiennahen Kleinkindererziehung entwickeln würden. Nach Beobachtung der 12 gegenwärtig in Berlin vorhandenen Kinderläden ist der Senat nicht in der Lage, diese in ihrer pädagogischen Konzeption sowie nach dem Verhalten der beteiligten Eltern übereinstimmend zu beurteilen. Vielmehr sind zahlreiche Unterschiede deutlich erkennbar. Nach dem gegenwärtigen Stand läßt sich allerdings sagen, daß in einigen Kinderläden mangels fundierter pädagogischer Vorstellungen einerseits und auf Grund des oben bereits angedeuteten Verhaltens einzelner Elternteile ein modellhafter Charakter dieser Einrichtungen keineswegs angenommen werden kann. Der Senat beabsichtigt deshalb auch keine Förderung dieser Kinderläden. Bei einigen anderen Kinderläden hingegen kann ein abschließendes Urteil noch nicht gefällt werden, da bei experimentellen Modellen dieser Art eine gewisse Anlaufzeit berücksichtigt werden muß. Dennoch scheidest auch in diesen Fällen bis auf weiteres eine finanzielle Förderung aus, da vorher gewisse Mindestanforderungen an Klarheit der pädagogischen Konzeption erfüllt sein müssen, die einen möglichen Erfolg erkennen lassen." Die CDU hakte noch einmal nach: Welche Kinderläden denn überhaupt und mit welchen Beträgen gefördert würden? Es ergab sich, daß insgesamt nur zwei Kinderläden laufend mit Pflegegeldsätzen unterstützt wurden, an vier weitere waren einmalige Spenden gezahlt worden. Im Frühjahr 1969 gab der Zentralrat den Versuch auf, den Westberliner Senat zu einer globalen Förderung aller Kinderläden zu bewegen. Seitdem ist es in der bürgerlichen Öffentlichkeit still geworden um

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die einst als so sensationell verstandene Kinderladenbewegung. Mit Ausnahme der großen westdeutschen liberalen^Blätter (Zeit und Frankfurter Rundschau), die ab und an eine Uberschau über die Entwicklung und Ausbreitung der Kinderläden in der Bundesrepublik geben (Wo der Trend bedeutend stärker als in Westberlin zu einer rein antiautoritären statt sozialistischen Erziehung geht), herrscht Schweigen über die Kinderläden, die an Zahl und Wirksamkeit bedeutend zugenommen haben. Nur noch einmal wurde in großem Stil auf die Kinderläden als Alternative zur herkömmlichen repressiven Erziehung eingegangen. Am 1. 12. 69 strahlte das Deutsche Fernsehen zu guter Sendezeit (22 Uhr) einen Film von Gerhard Bott über Kinderläden aus, unter dem Titel ,,Erziehung zum Ungehorsam" (fatale Erinnerung an die Stern-Geschichte „Deutschlands unartigste Kinder"). Der provokativ gemeinte Titel und die ebenso provokative Selektion des Materials hatten entsprechende Resonanz, aber eben nur hinsichtlich dieser Selektion, die nicht eben dazu angetan war, ein echtes Bild vom Alltag der Läden zu geben, und die noch weniger einen Hinweis zu geben verstand, warum und wozu diese „Alternative" gesucht und ausgeübt wurde und wird. Die einzige .politisch exponierte Szene wirkte derart gestellt und sagte dem Zuschauer nur: „Hier wird knüppeldicke Indoktrination betrieben!", daß der Sinn antiautoritärer, sozialistischer Erziehimg vollends in der sich aufdrängenden Parallele zur Buhmann-Propaganda in HJ oder ähnlichem ertrank. Der uninformierte Zuschauer mußte mutmaßen, in den Kinderläden würden Minikader, Zwergagitpropgruppen gezüchtet, die später zwecks Umwälzung neues Nachkriegselend produzieren sollten. Botts Film ist wohl an den meisten seitdem entstandenen Kinderläden schuld, wie auch an der Flut liberal-wohlwollender Publikationen über Erziehung. Schuld ist er aber auch an der Verwechslung von Kinderläden mit Summerhill, schuld auch daran, daß liberale Eltern glauben, Onaniererlaubnis und Billigung von Essenschlachten im chaotischen Sinne des Wortes seien revolutionäre Erziehungsprinzipien an sich. Wir wollen Gerhard Bott diese verschleiernde Absicht gar nicht unterstellen, zumal er ja auf Elternkollektiv, Kindersolidarität, Selbstregulierung usw. hinreichend aufmerksam gemacht hat. Versäumend, der traditionellen Erziehimg den Star (Kapitalismus-Schule) völlig zu stechen, führte er die Zuschauer hinters Licht. Und die meisten Eltern, die sich seitdem zu Kinderladeninitiativen zusammenfanden, staunten nach einigen Monaten nicht schlecht, daß sie die neue Belastung nicht ertragen konnten. Mittlerweile haben sich auch Schülerläden gebildet, in denen nun nicht mehr nur oder hauptsächlich Studenten- und Akademiker-Kinder erzogen werden, sondern die besonders hinzielen auf ProletarierKinder und -Jugendliche und die zumeist inmitten von Arbeitervierteln liegen. Auf sie als auf die gefährlicheren Erziehungsversuche der linken Be-

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wegung zielt denn auch die ganze Wut der reaktionären Presse. Der vom Psychologischen Institut der Freien Universität im Arbeiter- und Obdachlosenbezirk Kreuzberg errichtete Schülerladen „Rote Freiheit" wurde im April 1970 das Opfer einer großangelegten Hetzkampagne, in der Senat und Springerblätter eifrig zusammenarbeiteten. Dem Senat ist die einstige „Entwicklungshilfe", die den Kinderläden geleistet zu haben er beschuldigt wird, längst unheimlich geworden. In der an Verlogenheit kaum noch zu überbietenden Attacke auf den Kreuzberger Schülerladen versuchte er, die alte Scharte wieder auszuwetzen. „Die Protokolle des Instituts, von Studenten verfaßt, hätten gezeigt, daß hier Kinder in unverantwortlicher Weise als »Versuchsobjekte4 mißbraucht worden seien. Die beteiligten Studenten würden in keiner Weise auch nur den Mindestanforderungen wissenschaftlicher Forschung gerecht werden. Ihnen gehe es vornehmlich um politische Beeinflussung der Kinder. Darüber hinaus seien sie bemüht, die Kinder gegen ihren Willen sexuell zu enthemmen und ihre gewiß vorhandenen sexuellen Probleme in zum Teil widerlicher Weise zusätzlich zu stimulieren. Auch wären die Eltern bewußt nicht informiert worden." (Abend vom 9. 4. 1970) Nach dieser Vorgabe des Senats überschlugen sich die Berliner Blätter: Von „inhumaner Erziehungspraxis" und einem „Mißbrauch der Kinder als Versuchskaninchen" sprach der Tagesspiegel; von „unappetitlichem Unfug" (Spandauer Volksblatt) und einer „neuen Form politischer Dressur, als Manipulation an Kindern" (Welt) reichten die Beschimpfungen bis zum Vergleich mit einer KZ-Praxis. Von den inhumanen Lebensumständen der Kinder, von ihrer tatsächlichen sexuellen Verrohung von Jugend auf, von ihrer fast zwangsläufigen Kriminalisierung ließen Senat und Presse nichts verlauten» „Über die Realität, die in diesen Protokollen [den gestohlenen Protokollen des Schülerladens „Rote Freiheit"] zutage tritt und die ja auch nicht ganz imbekannt war, die hier nur in sehr krasser Weise nachzulesen ist, hat sich in der öffentlichen Diskussion — soweit ich sehe — niemand entrüstet. Ein Teil der Berichterstatter, ganz sicher aber diejenigen, die mit den Protokollen ihre Politik gemacht haben, kennt sehr wohl jenes Syndrom von seelisch-geistiger Verstümmelung, Verdummung, Brutalität, Sexualität und doppelter Moral, das sich hier in den Protokollen ausspricht, das die Realität aber nicht nur dieser Kinder ist, sondern großer Teile unserer Gesellschaft; aber die Art von zynischer Berichterstattung [...] lastet jenes Syndrom den Studenten an, die versuchen, es aufzubrechen und zu ändern. Das Motto, nach dem man hier vorgeht, ist: ,Die Linken sind es, die sexuelle Libertinage, Aggression, Brutalität und Schmutz in unsere saubere und friedliche Gesellschaft bringen/ Die Berichte, die diesen Dreh vornehmen, werden dann genau jener Öffentlichkeit von BILD-Lesern, in der genau dasselbe Syndrom wirksam ist, zum Fraß vorgeworfen und es wird eben die Wut, die mit diesem Syndrom zusammengeht, angesprochen und aufgehetzt, um sie gegen die zu wenden, die die Verhält-

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nisse in unserer Gesellschaft ändern wollen. Diejenigen, die das tun, sind [...] nicht daran interessiert, wie sie vorgehen, Kinder vor Schaden zu schützen, sie sind daran interessiert, die Dinge so zu lassen, wie sie sind, weil in der Tat diese Verhältnisse nicht der linken, sondern der rechten Politik zugute kommen." (Dr. Margeritta v. Brentano) Die Berliner Kinder- und Schülerläden aber arbeiten weiter. Heute sind sie nicht mehr ganz so abhängig von den Reaktionen der bürgerlichen Öffentlichkeit wie noch vor zwei Jahren. Auch in Berlin-Kreuzberg wird mit Schülern weitergearbeitet. Die Finanzen der Läden werden von den Mitarbeitern aufgebracht. Jene Eltern, die die Arbeit der Läden in ihrer Straße, in ihrem Viertel täglich beobachten können, werden künftigen Lügen über „linke KZ-Versuche" an ihren Kindern keinen Glauben mehr schenken. Mit begründetem Mißtrauen werden sie die Reden der bürgerlichen Administration hören, die Kindergärten, Spielplätze und Krankenhäuser offenbar nicht für das Proletariat einplant.

Anhang: Statistiken

„Kinder und Jugenliche sind in vielerlei Hinsicht freier geworden; sie können vielerlei treiben und auch viel mehr tun, was sie wollen, als früher." 1 Kinder dürfen in ihren Zimmern auf 2,20 Quadratmetern 2 ihre Persönlichkeit frei entfalten. 3 Im sozialen Wohnungsbau (Märkisches Viertel West-Berlin) stehen jedem Kind im Durchschnitt 3,5 qm Wohnfläche zum Spielen zu. Jeder Häftling in der Bundesrepublik hat Recht auf 12 qm Wohnfläche. Auf jedes Berliner Kind entfallen 0,6 qm Spielplatzfläche. Kinder dürfen nicht in Treppenhäusern, auf Fluren, Höfen und in Einfahrten spielen. Kinder bis zu zehn Jahren ist die Benutzung des Spielplatzes von 8 bis 13 und von 15 bis 19 Uhr gestattet. Ausgenommen Sonn- und Feiertage. Kinder dürfen den Rasen nicht betreten. Kinder dürfen Sportanlagen nur im Rahmen eines Vereins e. V. und zu ernsthaftem Sport betreten. In West-Berlin werden 18 700 Kinder in Kindergärten betreut. Damit können nur 29,9 Prozent aller Kinder einen Platz erhalten.4 In Ost-Berlin stehen 30 000 Plätze in Kindergärten zur Verfügung, 34 800 Kinder werden darin betreuti Damit sind 44,6 Prozent aller Kinder zwischen 3 und 6 Jahren versorgt.s In der ganzen Bundesrepublik können nur 10 Prozent der Vorschulkinder in Kindertagesstätten untergebracht werden.

105

Jährlich werden in der Bundesrepublik 100 Kinder zu Tode geprügelt. Das sind die bekanntgewordenen Fälle, die Dunkelziffer, gefördert durch ärztliche Schweigepflicht, dürfte um ein Mehrfaches höherliegen. Anmerkungen Wuermeling: Frühehe — ja oder nein. Bad Godesberg 1966 Bundesministerium für Wohnungswesen: Städte und Raumplanung. Grundsätze und Einzelanforderungen für Demonstrativbauvorhahen 62 3 vgl. Grundgesetz, Art. 1 4 Der Senator für Familie, Jugend und Sport: Kindertagesstätten in Berlin (West) - Gesamtübersicht - Stand 31. 12. 1969 5 Statistisches Jahrbuch der DDR 1969, S. 371 1

2

1 Berlin 30, den 19. Februar 1970 Am Karlsbad 8 - 10 Tel.: 13 00 1 696 / 13 00 1 582

Oer Senator för Familie, Jugend und Sport III B 3 Kindertagesstätten in Berlin (West) - Gesamtöbersicht Stand 31.12.1969 Einrichtungen

;

I. Landeseigene : II. Nichtlandeseigene : Zusammen

Art der Abteilungen

.

Kapazität

.

25*» Kindertagesstätten 226 "

Platzzahl behelfsm. Plätze

: :

32 409 2 429

480 Kindertagesstätten

Zusammen

:

34 838 Platze

Platzzahl

Zahl der Abteilungen a b

a

b

behelfsm. Plätze a b

Prozentualer Anteil aller Platze bezogen auf die am 31.12.1968 in Berlin West lebenden Kinder bis unter 15 Jahre = 318 014 Kinder

Plätze insgesamt a b

Jahrqänqe Krippen

139

42

4 522

876

489

30

5 011

906

Kindergärten

211

217

8 990

8 605

1 005

165

9 995

8 770

Horte

181

89"

6 610

2 260

700

40

7 310

2 300

18

2

490

56

490

56

22 806

12 032

Sonderabteil.

20 612 11 797 32 409 Anmerkung a = landeseigene b = nichtlandeseigene

2 194

235 2 429

34 838

8,2

2 24,9 2 5,6 2 0,2 2 Plätze insges.

11,0 2 -

Platzzahl 10,2 2 ohne behelfsm. Plätze

bis unter 3 Jahre =

72 027

3 bis unter 6 Jahre =

75 358

6 bis unter 15 Jahre = 170 629 3 bis unter 15 Jahre = 245 987

VI. Kinderläden und Studentenrevolte Der Grundwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital wird sich nicht ändern, solange es den Kapitalismus gibt. Die Nebenwidersprüche und ihre Formen sind in dem Maße einer Veränderung und Verschiebimg unterworfen, wie Wissenschaft und Forschung, im Dienst des Kapitals, die soziologischen und ökonomischen Voraussetzungen verändern. Der Widerspruch zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten jedoch wird immer größer, die proletarische Revolution wird ihm ein Ende setzen. Die Studentenbewegung hat eine Änderung in der Entwicklung der Widersprüche gebracht. Die antiautoritäre Phase ist vorbei, jäh abgebrochen und fast schon verleumdet. Der Schritt vom Überbau in die Produktion, von den Hochschulen in die Betriebe ist gemacht. Der richtige Schritt zweifellos. Problematisch bleibt die Bestimmung der Funktion der Intelligenz, der „Produktivkraft Wissenschaft" und das Verhältnis der Studenten zum Proletariat. Die autoritäre Gesellschaft (Vergl.: Die autoritäre Persönlichkeit, S. 13) Daß sich die Struktur einer Gesellschaft in den Gruppen und Klassen, bis hinunter zu den Zellen, die diese bilden, zuletzt im einzelnen Menschen reproduziert, ist eine Binsenwahrheit. Demokratie und Diktatur sind eigentlich nur verschiedene Ausdrücke für ein und dieselbe Sache. „Demokratie ist nicht identisch mit Unterordnimg der Minderheit unter die Mehrheit. Demokratie ist ein die Unterordnung der Mehrheit unter die Minderheit anerkennender Staat, das heißt, eine Organisation zur systematischen Gewaltanwendung einer Klasse gegen die andere, eines Teüs der Bevölkerung gegen die anderen!" 1 Durch die kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse — die Produktionsmittel sind in den Händen weniger — wird die Grundlage der politischen Macht die ökonomische Macht. Das heißt Unterordnung einer Mehrheit unter die Minderheit. Die bürgerliche Demokratie, die sich an den Idealen der französischen Revolution, „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", orientiert, Unterdrückt zunächst nicht mit Zwang, sondern mit der sublimeren Form der „erzieherischen Führung". Der Schlüssel für die Korrektur und Änderung dieses Systems ist die permanente Reproduktion der für die Wirtschaft notwendigen autoritären Persönlichkeit durch Familie, Schule und Universität, hauptsächliche Werkzeuge, die den Menschen vom Kleinstkind an an Autorität als erlebte Ubermacht gewöhnen. Es liegt jedoch auf der Hand, daß jene Kultureinrichtungen eine gewisse Trägheit besitzen, weil sie von denen verwaltet werden, die sie

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selbst erzogen haben, Erziehungsinstitutionen sind dem wachsenden Widerspruch zwischen Voraneilen der Erfordernisse von Wissenschaft, Forschung, moderner Wirtschaft und überalterten Methoden sowie Idealen unterworfen. Die Reform erfolgt nicht horizontal, alle Klassen gleichzeitig betreffend, sondern vertikal. Die Systemkorrektur von oben setzt sich mit abnehmender Geschwindigkeit nach unten durch. Die Trägheit der Reform ist Folge ihrer konservierenden Grundabsicht. Wahrend die Führungsklasse Erziehungsziele wie Liebes- und Kooperationsfähigkeit, Autonomie usw. durch weitgehend antiautoritäre Erziehungsmittel erreicht, wird weiter unten, je nach Stand mit Liebesentzug, leichten Schlägen („eine Ohrfeige zur rechten Zeit hat noch niemandem geschadet"), Prügeln und Brutalitäten gestraft. Die Reform, in öffentlichen Ausbildungsstätten schon geübt, weim auch verzögert durch die Reproduktion des angepaßten Erziehers, wird in der Privatsphäre, entsprechend der hierarchischen Ordnung von oben nach unten schrittweise wieder aufgehoben. Die Rangstellung in dieser Ordnung bemißt sich nicht mehr an der Herkunft und dem Stand, sondern an Leistungs- und Komsumfähigkeit, bemißt sich nach barer Münze. Daß die Eltern, die am wenigsten Geld haben, am meisten arbeiten müssen, sich daher am wenigsten um die Erziehung ihrer Kinder kümmern können, liegt auf der Hand. Fehlende Kindergartenplätze sind nicht nur Ausdruck eines Widerspruches des kapitalistischen Systems, sondern gleichzeitig Garantie für das Fortbestehen der kapitalistischen Norm. Die Familie — Keimzelle der Gesellschaft — bewahrt so, was die Reform verändern soll: das autoritäre Gefälle, das sie selbst immer von neuem hervorbringt. Die zunehmende Monopolisierung und Anhäufung des Kapitals, bringen eine ebenso wachsende Zuspitzung der Hierarchie mit sich. * Die Autorität, früher noch repräsentiert durch eine Vielzahl von Fabrikbesitzern und Unternehmern, wird entpersonifiziert und vertrustet (engl, trust = Konzern). Der Schah, Onassis, Krupp usw. werden als Idole an deren Stelle gesetzt, entrückt und unzugänglich, Tagträume zur Aggressionsabfuhr sind erlaubt. Der autoritäre Charakter in der Bourgoisie, vor kurzem noch durchgängig zu finden, ist überflüssig geworden. Nach oben gibt es nichts mehr zu ducken, das nach unten Treten übernehmen Maschinen: Vatersymbole, mit denen der automatisierte Arbeiter sich identifiziert. Das in seiner Kindheit nicht zu Ende geführte Denken, weil nicht erlaubt, verhindert das Erkennen der Zusammenhänge. Durfte er damals nicht fragen, warum die Mutter fortging, gerade wenn er sie am nötigsten hatte, so darf er heute nicht fragen, warum er an der Maschine sitzen muß, wenn er gerade bei seinem Kind sein will. Wie die Maschine funktioniert und innen ausschaut, ist viel zu schwierig und kompliziert, ebenso undurchschaubar wie das System, für das er arbeitet; sie reagiert auf wunderbare, undurchschaubare Weise auf Knöpfe und Hebel, ebenso wie er auf Zeichen und Symbole. Aufstiegsangebot durch Spezialisierung verhindern das Erkennen der

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Zusammenhänge ebenso wie das Angebot von Statussymbolen und Konsumgütern. Der Vorgesetzte, ehemals noch hinter ihm stehend und ihn zu schnellerer Leistung antreibend, ist in den Büros verschwunden; freundlich, zuvorkommend und kooperativ verwaltet er Menschenmaterial. Das Antreiben hat die Maschine selbst übernommen. Die Vorgesetzten wiederum sind den Sommer über in Mallorca, den Winter über in den Bergen. Wenn er sie einmal zu Gesicht bekommt, sind sie genauso freundlich und zuvorkommend wie er selbst. Die Instruktion und weiterzugebenden Anweisungen erhält er von oben, irgendwoher aus diesem technischen Monstrum. Spezialisierung ist auch seine Chance, um aufzusteigen. Autorität wird nicht mehr erkannt, sondern verbirgt sich irgendwo hinter diesem technischen Apparat. Offene Disziplinierungs- und Herrschaftsformen sind beseitigt, weil sie konflikt- und damit bewußtseinsbildend sein könnten. Es herrschen nicht mehr Personen, sondern zweckrationale Zwänge technokratischer Organisationen. Die ständig zunehmende Rationalisierung und Technisierimg aber benötigt ein Heer von verwalt- und verplanbaren Spezialisten. „Das wirtschaftliche Wachstum eines Landes ist [...] abhängig vom technischen Stand der Produktivkräfte. Daraus gewinnt das Bildungswesen heute eine doppelte Bedeutimg. Das Schulwesen muß so strukturiert sein, daß es genügend qualifiziertes Personal für Hochschulen und Forschungsinstitute ausbilden kann. Diese müssen in der Lage sein, Forschungsergebnisse zu liefern» die in Produktionstechniken umgesetzt werden: eine notwendige Voraussetzung für alle Rationalisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen. Jedoch werden nicht nur qualifizierte Wissenschaftler gebraucht, sondern vor allem qualifizierte Arbeitskräfte für den Produktionsprozeß, dessen technisches Niveau sich ständig verändert. Das bedeutet nämlich, daß sich die Qualifikationsstruktur der Arbeiter entsprechend ändern muß, um die Produktionssteigerung zu gewährleisten."2 Der Arbeiter und Angestellte muß, um den Erfordernissen der Wirtschaft gerecht zu werden, folgende Eigenschaften haben: 1. Spezialisiertes Wissen, gleichzeitig aber Unfähigkeit, seine Klassenlage zu erkennen. 2. Kooperationsfähigkeit, gleichzeitig aber Ahnungslosigkeit, was Macht des Kollektivs bedeuten und erreichen kann. S.Entschlußfähigkeit und Autonomie, gleichzeitig aber Anpassungsfähigkeit. Wie dies erreicht werden soll, zeigt uns die Analyse der technokratischen Hochschulreform: „Nach 10 Jahren Egalisierungsarbeit und Annäherung an das Gleichheitsideal, gibt es keine Orientierungs- und Verhaltensgrenzen mehr. [...] Förderung des einzelnen Individuums bis zum höchsten Maß seiner Leistungsfähigkeit [...], Mitbestimmung, Mitverantwortung, soziale Integration [...]". 3 Humantechniken, Wer-

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bung, selektive Information, Bedürfnissteuerung und -weckung verhindern das Umschlagen dieser Eigenschaften in ihr Gegenteil. Der so im Spannungsziistand gehaltene Mensch hat dann folgende Eigenschaften, die Zeichen eines zum Untergang verurteilten Kulturkreises geworden sind: Außensteuerung, Ich-Verlust, Prestigebedürfnis, Angst, Feindseligkeit, Liebesunfähigkeit. 4

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Diese Unterdrückimg muß zwangsläufig ihre Folgen verheimlichen; sie werden kollektiv verdeckt, verdrängt, rationalisiert und verleugnet. Die Hochschulrevolte „Das psychische Elend der jungen Generation dürfte heute bereits erheblich schlimmer sein als das der älteren. Mit dem allmählichen Vordringen der Ratio in immer mehr Lebensbereiche werden irrationale Normen und Vorstellungen immer fragwürdiger. Konflikte und Probleme, die früher irrational gelöst wurden und heute unter dem Zugriff der Ratio neu aufbrechen, machen das Leben zunächst nicht leichter sondern schwerer. Die rationale Mündigwerdung des Menschen führt ihn in eine persönliche Krise, in der er allmählich ein neues Verständnis von sich und seiner Gesellschaft gewinnt: Er wird zum Antikapitalisten. Der Kapitalismus, der auf die Entfaltung der Ratio als rein technologische Kraft nicht verzichten konnte, schuf damit gleichzeitig die gewaltigste Produktivkraft zu seiner Beseitigung."5 Kritische Theorie, subversive Aktion und die im SDS geführten „Kommune-Diskussionen" stehen am Anfang der Studentenrebellion. Die wichtigste Erfahrung der Mehrzahl der rebellierenden Studenten ist, den Widerspruch zwischen der im Grundgesetz geschriebenen und geforderten Demokratie und der Verfassungswirklichkeit erkannt und durchschaut zu haben. Für die meisten brach eine schon nicht mehr ganz heile Welt vollends zusammen, als sie mehr aus moralischem Protest und sozialer Empfindlichkeit als mit radikalen Umsturzplänen gegen das pompöse Auftreten eines feudalen Diktators (Schah von Persien) demonstrierten und dafür von der Polizei zusammengeknüppelt wurden. Die hysterische Reaktion des Berliner Senats, die den Studenten Benno Ohnesorg das Leben kostete, zeigte die Brüchigkeit und den Verfolgungswahn eines Systems, das in jedem Kritiker einen mit Umsturzplänen bewaffneten Kommunisten zu sehen glaubt, vor dem die „Bevölkerung" (sprich: die herrschende Klasse) geschützt werden muß.

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Der Widerspruch, der deutlich wurde, konnte aber noch hicht als aus diem grundsätzlichen Widerspruch des kapitalistischen Systems entstanden begriffen werden. Die Studenten, zwei Jahrzehnte lang in Antikommunismus geschult, vermochten noch keine systembedingten Differenzen in der Realität kommunistischer und kapitalistischer Staaten zu sehen. Als Mitglieder einer in der spätkapitalistischen Welt untergehenden Klasse war ihr Protest eher eine Auflehnung gegen das ihnen vom System zugedachte Schicksal* ohne daß sie den Klassencharakter dieses Schicksals durchschauten. Die — durch den sich ständig steigernden Grad der Rationalisierung und Technisierung der Wirtschaft — zunehmende Akademisierung der Berufsanforderungen entwertet gleichzeitig die Stellung des einzelnen naturwissenschaftlichtechnisch oder geisteswissenschaftlich ausgebildeten Hochschulabsolventen. Seine Berufsaussichten auf leitende, verantwortliche Stellungen reduzieren sich in steigendem Maße auf untergeordnete, unselbständige Tätigkeiten. Die fortschreitende Arbeitsteilung und Zerlegung von Arbeitsprozessen auch und gerade in den Bereichen, in denen Akademiker tätig werden können, erfordert ein Heer von akademisch gebildeten Spezialisten, die ihre Arbeitsbereiche nicht mehr überblicken können und eine entfremdete Arbeit verrichten müssen. Die Arbeitsbedingungen der Akademiker nehmen damit zunehmend industriellen Charakter an. Der ehemals selbstverantwortlich im Sinne der bürgerlichen Ideologie handelnde leitende Angestellte wird zum quasi-Lohnempfänger, zum akademischen „Proletarier", der sich nach den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals auf dem Arbeitsmarkt verschachern muß. Die Universität als Ausbildungsstätte konnte auf Grund ilirer überalterten Struktur diesen durch und durch systemimmanenten Anforderungen der Industrie und Bürokratie nach qualifizierten Spezialisten nicht mehr nachkommen. Mit anachronistischen Methoden versuchte die Kaste der Ordinarien das Ideal des allgemeingebildeten, nur forschenden Wissenschaftlers hochzuhalten, für den in der Wirtschaft kaum noch Bedarf besteht. Erförderlich für das Fortbestehen der Kapitalherrschaft sind Spezialisten, die sich nicht mehr ihrem Gewissen und ihrem Doktorvater, sondern ihrem Auftraggeber verantwortlich fühlen. Daß der Protest sich gerade an diesem Anachronismus der Alma mater entzündete, zeigt seine anfänglich fehlende systemsprengende Kraft, die auch dadurch nicht erreicht wurde, daß sich die Studenten zum Teil mit revolutionären Gruppen in der Dritten Welt solidarisierten, Die antiautoritäre Revolte und ihre Methoden konnten deshalb auch folgerichtig nur systemimmanent wirken. Nebenwidersprüche des Kapitalismus, wie der zwischen dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte und einer — daran gemessen — archaischen Ausbildungsweise an den Hochschulen waren die Hauptmotivation für die Studenten. Hauptgegner waren trotz aller Beteuerungen nicht Kapitalisten

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unc^ Imperialisten, die man bekämpfen wollte als eigentlich Verantwortliche, sondern abstrakte, nicht ausgewiesene Autoritäten, eine Gesellschaft, die es sich nach dem Nachkriegsboom bequem gemacht hatte und von den vergangenen „Erfolgen" Autoritätsansprüche ableitete. Die antiautoritären Kampfformen, die sich in der ersten Phase der Studentenbewegung entwickelten, führten mehr und mehr zu Scheingefechten. Gegner waren „die Ordinarien"; besorgt wurde das Geschäft derjenigen, die man zu bekämpfen vorgab, der Kapitalistenklasse, der nur daran gelegen sein konnte, anachronistische Strukturen an den Universitäten zu beseitigen, damit diese in ihrem Sinne fungibel wurde. Man praktizierte an den Universitäten Radikaldemokratie in einem kleinen Teilbereich der Gesellschaft und glaubte, dieses Modell würde durch seine Uberzeugungskraft und durch sein bloßes Vorhandensein die Struktur der Gesamtgesellschaft verunsichern und Änderungen provozieren. Nebeneffekt dieser ausgeübten Radikaldemokratie auf studentischen Vollversammlungen und Teach-ins war, daß der vermeintliche Gegner, die Ordinarien und Autoritäten, als Scheinautoritäten entlarvt wurden. Wenn insbesondere in Berlin Aktionen nach Teach-ins und Vollversammlungen häufig „erfolgreich" verliefen, so lag das weniger an der Richtigkeit des strategischen Konzepts, als vielmehr an der anachronistischen Struktur des Berliner Polizeiapparates, der, großenteils von ehemaligen Faschisten nach den Prinzipien von Befehl und Gehorsam paramilitärisch organisiert, nicht in der Lage war, in rasch sich wandelnden Situationen mit ihm unbekannten Formen von Demonstrationen und Aktionen „richtige" Entscheidungen zu treffen. Ein Polizist ohne Mütze war eben keiner mehr und reagierte entsprechend hilflos oder blind-aggressiv, was seinen Vorgesetzten hinterher natürlich peinlich war. Peinlich, weil solche Fälle die Autorität der Polizei zu untergraben schienen, die Ordnungshüter lächerlich machten, peinlich aber auch, weil ein unbeherrscht prügelnder Polizist die Ideologie vom „guten Schupo", der alte Frauen und kleine Kinder sicher durchs Verkehrsgewühl bringt und ab und zu mal einen Kriminellen fangt, zerstört und den latent faschistischen Charakter jedes „kapitalistischen" Ordnungshüters bloßlegt. Inzwischen hat die Polizeiführung gelernt. Geprügelt und geschossen wird nach Möglichkeit abseits von Fernsehkameras und zuschauender Bevölkerung, die Einsatztechniken sind flexibler geworden, die Polizei ist wieder Herr der Lage. Zwar ist es richtig, Autoritäten zu entlarven, gegen Bürokratismus zu kämpfen und die Institutionen dieser Gesellschaft als Integrationsapparate anzugreifen, aber es ist falsch und gefährlich, eigene Organisationsansätze als Bürokratismus zu verteufeln, Disziplin in jedem' Fall als Verhaltensweise „Anal-Fixierter" hinzustellen und Schlamperei und Faulheit als geglückte Befreiung von bürgerlichen Repressionsmechanismen zu feiern. So wird die „Anti-Haltung" zum Röhrkrepie-

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rer und wirkt selbstzerstörerisch. Der sich selbst blockierende und nicht zuletzt deshalb systemimmanente Charakter der antiautoritären Bewegung wird immer noch am klarsten am Ausgangspunkt des Protests, der Hochschule. Im Gegensatz zum Arbeiter, was man ein Leben lang ist, soll der Student nur ein kurzes Dasein an der Hochschule führen. In der antiautoritären Phase wird ihm die Hochschule zum Nabel der Welt, und mit Kampfe mittein der Arbeiterklasse, Streiks und „Arbeitsplatzbesetzungen" (Institutsbesetzungen) soll sie umfunktioniert werden, und zwar sofort, denn man will noch selbst in den Genuß der Veränderung kommen. Verdrängt wird allerdings, daß der Student sich auf einen Beruf vorbereiten muß; wodurch er ein Leben lang Student bleibt, und der Kampf an der Hochschule so wieder seine Rechtfertigung erhält. Eigene modellhafte Veränderungen, wie zum Beispiel die Kritische Universität, scheitern an der Unmöglichkeit, das Konzept einer freien Wissenschaft in einer unfreien Gesellschaft durchzuführen. Wurden Veränderungen in einzelnen Universitätsbereichen erreicht, so stellte sich bald heraus, daß sie systemimmanent waren (was sollten sie sonst sein? ). Neue Forderungen wurden aufgestellt, ohne sie auf ihre möglichen organisierenden Funktionen für die Gruppe der noch unpolitischen Studenten zu untersuchen und so fort. In fröhlicher Unbefangenheit werkelte man an der Fassade des Systems herum, und obwohl der Gegner permanent verbal genannt wurde, half man ihm beim Fassadenputz, statt ihn zu bekämpfen: Folgerichtig ist die Frustration und Desorientierung am größten beim ersten Auftauchen der Technokraten, die mit den für das System brauchbaren Gedanken und Ideen der linken Studenten daran gehen, eine Hochschule zu zimmern, die den Bedürfnissen der spätkapitalistischen Wirtschaft gerechter wird als die „ehrwürdige" Humboldtsche Alma mater. Folge der von den Technokraten im Berliner Senat und bei den Landeskultusministerien ausgetüftelten Hochschulgesetze ist allerdings auch die geplante und inzwischen in Berlin durchgeführte Zerschlagung der studentischen Selbstverwaltungsgremien, der ASTAs und der S tudentenvertretungen. Glaubten die technokratischen Reformer um Wissenschaftssenator Stein, damit einen potentiellen Unruheherd beseitigt zu haben, so gaben sie im Gegenteil den Anlaß zur Gründung von nun nicht mehr rein studentischen, syndikalistischen Organisationen, die ihnen auf lange Sicht wirklich gefährlich werden können. Es liegt wohl in der Logik bürgerlich-kapitalistischer Ideologen, die ihr System für so schwach und krisenanfällig halten (einer Einsicht, der unbedingt zuzustimmen ist!), daß sie selbst kleinste Unruheherde für gefährlich halten müssen, immer fürchtend, die manipulierten und unterdrückten Massen könnten ihre Lage erkennen und nicht mehr mitspielen wollen. Seiner eigenen Logik gehorchend schlägt das System zu, wo es gar nicht zuzuschlagen brauchte, und schafft somit selbst die Bedingungen, die seine Abschaffung herbeiführen werden.

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Hinwendung zu Erziehungsfragen Ein Teil der antiautoritären Studenten erkennt zu diesem Zeitpunkt, daß gesellschaftliche Veränderungen allein vom Hochschulbereich aus nicht in Angriff genommen werden können. Zweifel an den studentischen Äufklärungsmöglichkeiten gegen eine im Interesse der herrschenden Klasse manipulativ eingesetzte Millionenpresse bestärken die Absicht in gesellschaftlich relevanten Bereichen Basisarbeit zu leisten, um erstens die erarbeitete Theorie anzuwenden und zweitens durch gezielte Agitation im Produktionsbereich bewußtseinsverändernd zu wirken. Nachdem die westdeutsche und West-Berliner Arbeiterschaft als revolutionäres Subjekt abgeschrieben war, die SteUvertreterfunktion einer „revolutionären Intelligenz" (Marcuse) nicht verwirklichbar schien, wird auf der einen Seite, teilweise bestärkt durch die Ereignisse des „Pariser Mai" (1968), „der Arbeiter" wiederentdeckt, auf der anderen Seite wenden sich verschiedene Gruppen dem Erziehungssektor zu, provoziert durch die Unzulänglichkeiten der staatlichen Versorgungseinrichtungen. Es handelt sich meist um Gruppen, die inzwischen durch Minderheitenhetze der bürgerlichen Presse und durch eigene Fehler von der Arbeiterklasse isoliert mit Recht befürchten, daß die eigenen Kinder, von dieser Gesellschaft als Außenseiter betrachtet, die Aggressionen zu spüren bekommen, die den zumeist studentischen Eltern zugedacht waren. In der Erkenntnis, daß die bürgerlichen Erziehungsmethoden bei Kindern die Weichen stellen für angepaßtes und autoritäres Verhalten und damit in einem Zirkelprozeß für die Beibehaltung gegebener Zustände und Verhältnisse sorgen, gewinnt der Erziehungsbereich wachsende Bedeutung. Hinzu kommt die Erkenntnis, daß die in unserer Gesellschaft praktizierte Unterdrückung der kindlichen Sexualität nicht allein durch Unzulänglichkeiten in den staatlichen und kirchlichen Kindergärten oder durch die Unwissenheit der betroffenen Eltern erklärt werden kann, sondern daß diese Unterdrückung den systematischen Versuch dieser kapitalistischen Gesellschaft darstellt, die in ihrer Struktur liegenden Widersprüche und zyklischen Krisen zu verschleiern. Die Verschleierung funktioniert über die Erziehimg arbeitswilliger, Gott und dem Chef ergebener, angepaßter, unkritischer Individuen, denen mit der Ideologie der Chancengleichheit auch noch eingeredet werden kann, ihr eventuelles, an den Normen der Gesellschaft gemessen aber häufiges Versagen sei individuell bedingt, persönliches unentschuldbares Schicksal, das System sei schon in Ordnung. Der in der Erziehung zur Norm erhobene Lustverzicht, das weiß man, richtet in der kindlichen Psyche Schäden an, die entweder mit dem Preis der totalen Anpassung bezahlt werden muß oder die so geschädigten, nichtangepaßten zu Außenseitern, zu Angehörigen von Randgruppen der Gesellschaft werden läßt. Diese wiederum benötigt der bürgerlich-kapitalistische Staat, um bei auftretenden Strukturkri-

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sen Aggressionsobjekte zur, für das System ungefährlichen, Aggressionsabfuhr der „Angepaßten" zur Verfügung zu haben. Die Beschäftigung mit Erziehungsproblemen und mit der gesamten Problematik der Sozialisation kennzeichnet die zweite Phase der antiautoritären Studentenbewegung. Die linken Studenten wenden sich außeruniversitären Praxisbereichen zu, nachdem deutlich wurde, daß der Universitätsbereich und seine Problematik und Widersprüche ungeeignet waren, der Masse der Lohnabhängigen die Widersprüche des Kapitalismus bewußt zu machen. In den West-Berliner Bezirken werden im Frühjahr 1968 Betriebsbasis- und Stadtteil-Basisgruppen gegründet, die die Situation in verschiedenen Betrieben aufgreifen sollen, um dort eine wirksame Agitation zu entfalten und der Isolierung der Linken entgegen zu wirken. Die etwa zur gleichen Zeit eröffneten ersten Kinderläden hatten zunächst eine andere Funktion. Ihre Initiatoren, der „Aktionsrat zur Befreiung der Frau" und der Arbeitskreis »•Emanzipation" im Berliner Republikanischen Club beschreiben ihre Motive, die zur Gründung von „Kinderkommunen" führten, in einer Grundsatzerklärung vom April 1968 so (Extra-Dienst 28/11, S. 4): „Daß Frauen sich zusammensetzen, zeigt, daß es Konflikte geben muß, die bisher von keiner Partei, von keiner linken Organisation artikuliert, geschweige denn ernstgenommen worden sind. Frauen haben das Bedürfnis, endlich nicht mehr benachteiligt zu werden, sie können sich nicht so uneingeschränkt für ihre Karriere einsetzen wie der Mann. Der individuelle Rettungsversuch, keine Kinder zu kriegen, überbrückt auch nicht das gesellschaftliche Bild von der Frau mit Kind und deren allgemein gesellschaftliche Diffamierung. So sind Frauen darauf angewiesen, die Arbeit anzunehmen, die übrigbleibt, die schlecht bezahlt oder das sogenannte »Private* zum Beruf zu machen als Kindergärtnerin oder als Straßenmädchen. Sie sind ökonomisch benachteiligt und deshalb doppelt angewiesen auf den Mann, auf die Gesellschaft, wenn sie Kinder haben. Freizeitobjekte, Abladeplätze für den Ärger tagsüber, damit dieser nicht bearbeitet werden muß. Frauen sind so zu Institutionen schattenhafter Kommunikation geworden. Sie sollen sich auf etwas konzentrieren, das in unserer enterotisierten Gesellschaft generell versagt bleibt. Dadurch ist ihnen die Frustration stärker bewußt als den Männern. Das macht Frauen aggressiver und feindseliger. Frauen wollen aber nicht länger mehr gezwungen sein, diese Feindseligkeit gegen sich selbst, gegen den Mann, mit dem sie zusammenleben, gegen ihre Kinder zu richten. Deshalb wollen sie aus den Mitteln ihrer Unterdrückung — den ins Private verdrängten Kindern — ein Kampfmittel gegen die bestehende Gesellschaft machen, wollen durch sie das arbeitsteilige Leistungsprinzip dieser Gesellschaft angreifen. Sie hören auf, die Kindererziehung isoliert privat zu regeln und beginnen, Kindergärten zu gründen. Nur so können sie über die gesellschaftliche Funktion der verdrängten Kinderfrage etwas erfahren. Nur so können sie das Vorurteil zerbrechen, daß die Erziehung der Kinder nur Sache der Mutter ist, erfahren, ob

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der Zwang zur unmittelbaren Kommunikation mit Kindern allgemein therapeutische Wirkung haben kann auf die Kommunikationsfähigkeit Erwachsener. Nur so können sie erreichen, daß ihre Kinder jetzt schon die Möglichkeit haben, in kleinen Gruppen echte soziale Kontakte zu entwickeln. Nur so können sie politisch arbeiten, ohne daß ihre Kinder ein Leben lang darunter leiden werden, überforderte Mütter gehabt zu haben." Diese Grundsatzerklärung beschreibt ganz klar die Gründung von „Kindergärten" als Versuch der Selbsthilfe einer bislang unbeachtet gebliebenen Gruppe innerhalb der linken Bewegung, der Frauen. Dieser Anspruch ist legitim und richtig und muß nicht weiter theoretisch begründet werden. Wichtig für die weitere Betrachtung erscheint vielmehr, was aur diesem Anspruch und wahrscheinlich gegen den Willen der Initiatorinnen von der antiautoritären Bewegung gemacht wurde. Stellen wir zunächst einmal fest, daß die Schaffung von Selbsthilfeeinrichtungen imNBereich der Kleinkindererziehung im Frühjahr 1968 für viele Studentinnen eine objektive Notwendigkeit war. Die Minderheitshetze der Berliner Presse gegen Studenten und Studentinnen erreichte in den Monaten Februar, März, April 1968 ein bis dahin nicht gekanntes Ausmaß. Bei einer antistudentischen Kundgebung des Berliner Senats (21. 2. 1968) war die Anwesenheit „studentisch" aussehender junger Leute für die betreffenden lebensgefährlich geworden. Wohnungsbesitzer machten spätestens, wenn klar wurde, daß der Wohnungssuchende Student war, ihre Zusagen rückgängig, öffentliche Verkehrsmittel wurden für „diese Typen" (Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Schütz) zu gefährlichen Transportmitteln, die man besser mied. ' Das Attentat auf Rudi Dutschke war ein vorläufiger Höhepunkt dieser von der Presse geschürten Pogromstimmung in Teilen der Berliner Bevölkerung. Hinzu kam, daß den Studentinnen die Rolle, die sie in dieser Gesellschaft spielen sollten, immer bewußter wurde, spätestens wenn sie durch eigene Kinder in die Rolle der Mutter gerieten, ihr Studium einschränken mußten und in die Isolierung gedrängt wurden. Diese Frauen hatten aus der Studentenbewegung gelernt, daß sich unerträgliche Verhältnisse durch solidarisches Handeln der Betroffenen aufheben oder zumindest lindern lassen. Im antiautoritären Protest, verunsichert in ihrer eigenen Persönlichkeit und in ihren familiären Bindungen, beginnen sie eine „repressionsfreie Erziehung", die zunächst zwei Dinge ermöglichen soll: 1. sollen Kinderläden die Isolation der Frauen aufheben, damit sie / dann lernen können, worin, die Unterdrückung der Frau eigentlich besteht; 2. sollen aus diesen Lernprozessen die richtigen Schlüsse gezogen werden. Dabei hatte die praktische Arbeit in den ersten Läden lediglich den Anspruch, die Isolation der Kinder und der Frauen aufzuheben und

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Zeit zu sparen, die für die Beschäftigung mit politischen Fragen verwendet werden sollte. , , . . . damit eine Mutter vielleicht einmal dazu kommt, ein Buch zu lesen, das ihr mehr Auskunft über diese Zusammenhänge gibt, als das Muffeln eines Ehemannes, der über eine zerschmissene Fensterscheibe tönt und ihren politischen Stellenwert diskutiert, es aber schlichtweg ablehnt, über die Rolle der Frau in der Familie auch nur einmal nachzudenken." (Papier, eines Kinderladens) „Die Autorität ist nur asketisch zu garantieren." (Hugo Ball) Die Studentenrevolte zeichnete sich von vornherein dadurch aus, daß sie nicht nur an der Fassade der Institutionen herumwerkelte, sondern auch an der Fassade des bürgerlichen Individuums. Sie lief Sturm gegen die Grundpfeiler dieser Gesellschaft: gegen den eigenen Vater, gegen die Autorität. Sie war dadurch in den Ansätzen wirklich revolutionär* Die Befreiung des Individuums von seiner verinnerlichten Bürgerlichkeit schien durchgängig alles, was an Ressentiments und Vorurteilen, alles, was nur den Anschein hatte, von den Vätern her zu kommen, zu überrollen. Man versuchte quasi am Punkt Null neu zu beginnen, im festen Glauben, daß der von der Kultur befreite Mensch ein guter Mensch sei. Die Kommune 1 war Vorbild und Beispiel für viele geworden, sie zeigte, daß Leben auch Spaß machen kann und daß dieser Spaß, um jeden Preis verteidigt, diese Gesellschaft von Grund auf verunsichert. Der damals noch nicht industrialisierte Pop war Ausdruck dieser Befreiung und Kampfmittel zugleich. Es ist wirklich schwer zu beschreiben, was diese Zeit der Kommune 1 ausgemacht hat, soll man sagen ein Hauch von Zärtlichkeit? Gefühl, nicht allein zu sein? Sich nicht verstecken zu müssen? Keine Angst voreinander zu haben? Mit Sexualität hat das natürlich alles was zu tun, allerdings nicht mit der, wie sie die Bild-Zeitung versteht. Es wurde ernsthaft untersucht, anders zu leben, um das bißchen Rest Mensch, das man innendrin spürte, rauszulassen. Verständlich, daß der verunsicherten Bürgerlichkeit das am abschreckendsten wird, was sie selbst am meisten unterdrückt: Sexualität. Verwirklicht werden konnte dies allerdings nur in Freiräumen innerhalb de? unmenschlichen Systems. Da wo dieses Leben an die Grenzen der Gesellschaft stieß, wurde es zur Anti-Haltung, die man verteidigen mußte, die notwendigerweise wieder die Mittel der bürgerlichen Ratio zu Hilfe nahm und dadurch schon wieder nicht stimmte. Die Reaktion des Systems — eher hilflos und aufgescheucht als sich einem Feind gegenübersehend — und der Tod Benno Ohnesorgs setzten dem antiautoritären Protest ein Ende. Am 2. Juni hatten sich die Fronten geklärt. Die Studentenbewegung, bislang noch das schlechte Gewissen der bundesrepublikanischen Gesellschaft, bislang noch

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durch die „gesunde" Reaktion der Väter niedergehalten, hatte sich als reale Gefahr einer Demokratie erwiesen, denen Ordnung nicht abstrakt in Frage gestellt, sondern an deren Fundament gerüttelt wurde. Das Pudding-Attentat durfte kein Spaß sein. Vietnam war kein Land mehr, mit dessen Bevölkerung man sich solidarisierte, der amerikanische Imperialismus hatte in Berlin selbst sein wahres Gesicht-gezeigt. Wilhelm Reich war von der Gute-Nacht-Lektüre, aus der man lernen konnte, zur Kampf-Lektüre, die man gebrauchen mußte, geworden. Das fröhliche Durcheinander in den Kommunen wurde durch Küchen- und Kinderdienst wieder in Ordnung gebracht, der seelische Haushalt durch „ernsthaftes Studium" der Psychoanalyse. Laissez-faire oder antiautoritäre Erziehung Der selbst erlebte Generationskonflikt, die Entschleierung der eigenenPersönlichkeit von bürgerlicher Ideologie und die Einsicht in das durchgängige Verwaltetsein eines Außen, das ein Innen geworden war und sich nicht entwurzeln ließ durch das Abreißen der Fassade, hatte in den ersten Kinderläden seinen Niederschlag gefunden. Den Kindern wollte man dies ersparen. Vor Augen hatte man eine Gemeinschaft, die Modell und Vorwegnahme sein sollte dessen, was man selbst nicht erreichen konnte. Auf das „Gute im Menschen" vertrauend, versuchte man die eigene verdrängte Kindheit lustvoller dadurch zu wiederholen, daß man die Kinder von der feindlichen Umwelt weitmöglichst fernhielt, sie auf eine Insel setzte, auf der alle Bedürfnisse und Wünsche befriedigt werden sollten. Aus Angst vor den eigenen, nicht entdeckten Fehlern vermied man jeden Einfluß der Erwachsenen, die Kinder sollten sich selbst regulieren, autonome Ich-Strukturen und Interessen entwickeln, nur durch die Notwendigkeiten der eigenen kindlichen Gemeinschaft beschränkt. Man glaubte an die ursprüngliche Kraft des Kindes, die sich in der selbst gesetzten Einschränkung soweit entwickeln sollte, daß sich das Kind in der feindlichen Umwelt in Spiel und Spaß verwirklichen könnte. Die diesem Konzept — was übrigens niemals als Konzept gedacht oder realisierbar gewesen wäre — eigenen Widersprüche offenbarten sich bald im Verhalten der Kollektive. Die Kinder lieferten sich dem Chaos, das sie selbst geschaffen hatten, vollkommen aus. Sie fanden den Ausweg daraus nur über verstärkte Aggression gegen die anderen Kinder, im schlechtesten Fall gegen sich selbst. Sie waren unfähig, ihre Bedürfnisse selbst zu bestimmen, geschweige denn, sie zu regulieren. Durch das Fehlen der Bezugsperson wurden sie in ihren Handlungen und in ihrer Interessenbestimmung der Orientierungsmöglichkeit beraubt, die ihnen die anderen Kinder auch nicht geben konnten, und waren so wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Die Gruppe war nicht in der Lage, von selbst Sublimierungsmöglichkeiten zu entwickeln, um die entstehenden Aggres-

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sionen zu regulieren. Die Kinder wurden dadurch immer mehr auf die Fixierung an ihre Eltern zurückgeworfen, aus der sie sich doch lösen sollten. Die Aufgabe, die die Kinderläden erfüllen sollten, die Entlastung der Frau von der Erziehungsarbeit» wurde so zum Selbstschuß. Die Stellung der Bezugsperson wurde das wichtigste Faktum für die Möglichkeit, diese Aufgabe zu erfüllen. Die Bezugsperson mußte zunächst Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder bieten, um so mehr als die sich auflösenden Ehen auf das Kind zurückwirkten. Andererseits mußte sie die Fähigkeit haben, die dazu benötigte Autonomie insoweit wieder zurückzunehmen, als sie ihr Verhalten in das Verhalten der Kindergruppe integrieren mußte, um nicht nur Ablösung der alten Autorität zu sein: Persönliche Konflikte individuell; die daraus sich ergebenden Spannungen nicht auf das J&ind übertragen, die die affektive Bindung wieder verstärkt hatten; in die Kindergruppe insoweit regulierend eingreifen, um gleich• sam als Katalysator zwischen Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung zu vermitteln. Als das schwierigste Problem ergab sich die Sublimation. Einerseits sollte eine möglichst repressionsfreie Triebbefriedigung zu einer Ichstarken, widerstandsfähigen Persönlichkeit erziehen, andererseits sollte die unvermeidliche, gesellschaftsbedingte, von außen eintretende Repression vermittelt werden. In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage nach der mittels sublimierter Triebbefriedigung und Aggressionssteuerung erreichbaren Lern- und Anpassungsfähigkeit. Hiermit war das Konzept der „antiautoritären" Erziehung erstellt, wobei nicht zu übersehen ist, daß die Anti-Haltung begründet ist in ihrem Widerspruch zur Gesellschaft. Antiautorität läßt sich nicht konzipieren. Antiautorität heißt also aüth Realitätstüchtigkeit und Anerkennung der objektiven Notwendigkeit. Denn wenn ein Schiff sinkt, muß man esverlassen. Das Erziehungsziel der antiautoritären Kinderläden läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. Ich-Stärke und Autonomie durch das Kollektiv als Korrektiv bereits manifester Milieuschäden. 2. Kritik- und Widerstandsfähigkeit innerhalb der Widersprüchlichkeit der Gesellschaft. 3. Vermittlung freier Triebbefriedigung mit intensiver, sinnlicher und intellektueller Erfahrung und Auseinandersetzung mit der Umwelt. Der Anspruch der Frauen des Aktionsrates, über die Kinderläden die Isolierung zu durchbrechen und theoretisch und praktisch die Erziehung ihrer Kinder selbsttätig zu organisieren und der teilweisen Freisetzung der Arbeitskraft für politische Arbeit konnte so eingelöst werden. Politisch konnten sie die Arbeit der Kinderläden nur insoweit bestimmen, als sie Ansätze und Möglichkeiten für die Politisierung der Frau bot.

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Die Ohnmacht des antiautoritaren Protests Die Verwirklichimg des Traums van der eigenen, schöneren neuen Welt in der Gegenwart, schien zwangsläufig gescheitert, weil das System die dazu benötigten Privilegien und Freiräume, wenn überhaupt, nur ohnehin schon Privilegierten zugestehen kann. In dem Moment, in dem die Vorrechte emanzipatorischen Charakter haben — und das hatten die Versuche der Antiautoritären, unbürgerliche Lebensformen zu finden, zweifelsohne —, ist nicht mehr garantiert, daß diese Privilegien nur dieser Minderheit zustehen. Senat, Justiz und Polizei versuchten daher mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, das Übel zu beseitigen. Daß es ihnen nicht gelang, bis heute nicht, liegt nicht an den falschen Mitteln, sondern an der Resistenz dieser antiautoritären Zellen, was deren Schädlichkeit für das System hinlänglich beweist. Die Behandlung aber hatte Auswirkungen: Kommunen und Wohngemeinschaften entstanden aus Arbeitskreisen und Betriebsbasisgruppen, sie wurden nicht mehr begriffen als Freiräume zur Selbstverwirklichung, sondern als Ausgangsbasen und Stützpunkte nicht für die individuelle, sondern für eine allgemeine Emanzipation. Die Trennung von Privatbereich und politischer Arbeit wurde individuell wieder aufgebaut. Der Anspruch der totalen Gemeinsamkeit wurde reduziert auf gemeinsam Arbeiten, gemeinsam Wohnen, Essen, Kinder erziehen, die „Intimsphäre" wurde wieder zurückgenommen, Emanzipation verschoben, die Verwirklichung des schönen Traums in der Zukunft angesiedelt. Die gemeinsame politische Arbeit sollte erst die Voraussetzungen schaffen. Viele Genossen konnten sich nur mit ihrer Hilfe über die Erlebte Ohnmacht ihres Protestes retten. Das totale Auflehnen des Studenten gegen seine eigene Existenz, der Versuch, seine verinnerlichte Bürgerlichkeit total und radikal auszumerzen, war nicht schmerzlos gewesen, um so weniger als er sich der Undurchführbarkeit dieser Radikalkur bewußt wurde. Den Weg zurück in den Schoß der Familie und in die Gesellschaft fanden nur die, die den Sinn dieser Radikalität nie eingesehen hatten und eher aus reformerischem Schwärmertum als aus selbsterfahrener Not an der Studentenrevolte teilnahmen und sich den Weg zurück in das Unternehmen des Vaters sowieso immer offengehalten hatten Den anderen, die die eigenen Autoritäten gestürzt hatten, wurde bewußt, daß sie nur den Weg nach vorne hatten. Die Solidarität und Freundschaft der Genossen waren das einzige, was übriggeblieben war für die Wunden, für die man nun versuchte, Pfla&ter zu finden. Man hatte eingesehen, daß die bisher gebrauchten Mittel nicht ausreichten, um das zu erreichen, was man wollte. Die Befreiung des bürgerlichen Individuums hatte immer tiefer liegende Schichten aufgedeckt, die die ganze Verkommenheit dieser Gesellschaft erst offenbarten. Die Erotisierung der eigenen Gesellschaft war freilich nicht durch ein bloßes Aufdecken der Zusammenhänge zu erreichen. Sexualökonomisch besetzte Wohngemeinschaften und Kommunen genügten nicht. Der Kämpf an den Hochschulen war vorbei Die technokrati-

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sehe Hochschulreform hatte deutlich gemacht, wie „Demokratie" praktiziert wird. Übriggeblieben waren echte Verzweiflung, die Arbeit, die man wiederentdeckt hatte, die Genossen und das Bewußtsein, daß man irgendwie weitermachen müsse. Aber wie? Übriggeblieben waren auch die „kaputten Typen", die ihre Hoffnungen auf die neue Generation setzten und sich zunächst einmal in Großkommunen und allen zugängliche Wohnungen zurückzogen — fortan als Subkultur bezeichnet — und auf das bessere Leben warteten. Auch wenn sie sich von der politischen Tätigkeit zunächst total zurückgezogen hatten, kamen sie zwangsläufig in Konflikt mit diesem Apparat, der „andere" nicht akzeptieren kann. Ihnen bleibt zunächst nichts als ihre eigene Haut, derer sie sich nun wehren. Von der antiautoritären zur sozialistischen Erziehung Der Grad der Antiautorität der Betreuer der Kinder in den Kinderläden war abhängig geworden von der individuellen Einschätzung der objektiven Notwendigkeit der Unterordnung. Die, die es nicht geschafft hatten, Bestandteil der Kindergruppe zu werden, das heißt Koordinationsfunktion für die im Kollektiv entstandenen Wünsche einzunehmen, wurden zwangsläufig wieder zur Autorität. Wo vorher das Kollektiv als einziges Regulativ eingegriffen hatte, stand nun wieder der Erzieher. Das in dem Freiraum Kinderladen entstandene Kollektiv befriedigte seine Bedürfnisse auch auf Kosten anderer. Deutlich wurde das auf Ausflügen, auf städtischen Spielplätzen, in der U-Bahn und in den Bussen. Manchmal zeigten sich die Kinder in ihrem Verhalten zwar immer solidarisch mit der eigenen Gruppe, aber unsolidarisch gegenüber anderen, außenstehenden Kindern. Nur das Kollektiv bot ihnen Sicherheit, sobald sie allein waren, zeigten sie sich oft ängstlich, suchten Zuflucht bei den Eltern. Ihre Selbständigkeit war meistens dann beendet, wenn sie ohne Hilfe der anderen etwas tun wollten. Durch den relativ hohen Grad ihrer Bedürfnisbefriedigung kamen sie ständig in Konflikt mit der Außenwelt, wodurch sie eine grundsätzlich feindselige Haltung ihr gegenüber bekamen. Besonders gegen Arbeiter verhielten sie sich geringschätzig. Das Privileg ihrer eigenen Eltern hatte sich unvermeidlich reproduziert. Die Genossen, die den Proletarier gerade wieder als revolutionäres Objekt entdeckt hatten, konnten ihr Gewissen kaum beruhigen. Die Ursache dieser Fehlentwicklung lag in dem Freiraumcharakter, den die Kinderläden immer noch hatten, und der Hilflosigkeit jenem Problem der Sublimierung gegenüber, durch die das Kollektiv die Umwelt hätte vermitteln und einbeziehen sollen. Das fehlende Spielzeug in den Kinderläden ist Ausdruck dieser Hilflosigkeit. Der Aktionsrat

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zur Befreiung der Frau, der damals noch die Koordination der einzelnen Kinderläden übernommen hatte, hatte freilich noch nicht die Ba- , sis für eine gemeinsame Diskussion gefunden, auf der man dieses Problem hätte lösen können. Bedingt durch die momentane Hilflosigkeit vor dem nächsten Schritt, durch die Rocker- und Heimkinderprobleme und die ständige Diskussion um die revolutionäre Berufspraxis, die hauptsächlich von den Genossen, die Lehrer werden wollten, geführt wurde, ging eine ganze Menge Genossen in den Sozialisationssektor. Groß war das Erschrecken der Väter in den Kinderläden, als sich herausstellte, daß die eigenen Kinder sich wieder zu einer privilegierten Minderheit mauserten, deren erste Absicht es ist, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen uiid sei's auf Kosten anderer, daß sich gerade jenes Privileg besonders verstärkte, das sie selbst von den arbeitenden Massen entfernt hielt: die Intelligenz. Schlechtes Gewissen war die Folge. Der Zentralrat übernimmt nun die Organisation der Kinderläden, die sich fortan nicht mehr antiautoritär, sondern sozialistisch nennen. Die Erziehungsarbeit mit den eigenen Kindern hat selbst eine politische Dimension bekommen, die allerdings anfänglich nicht beabsichtigt war. Das Sublimationsproblem ist gelöst. Einige Kinderläden gehen in die Arbeiterbezirke, andere nehmen Proletarierkinder auf* Das antiautoritäre Konzept mußte neu diskutiert werden in Hinblick auf die strategische Bedeutung innerhalb der Gesamtstrategie der sozialistischen Bewegung. Zumal die Kinderläden in den Arbeitervierteln Modellcharakter für die Initiierung von Arbeiter-Kinderläden bekommen sollten. Die Einbeziehung der Kinder in den politischen Kampf der Eltern sollte den reinen psychoanalytischen Ansatz der antiautoritäreri Erziehung überwinden und schließlich in sozialistische Verhaltensweisen münden. Revolutionäre Berufspraxis Revolutionäre Berufspraxis kann niemals heißen, mit einem sozialistischen Bewußtsein in einem etablierten Beruf zu überwintern; das ist auch dann keine Praxis, wenn man aus seinem Bewußtsein Diskussionen am Arbeitsplatz speist. Erst recht darf revolutionäre Berufspraxis nicht heißen, mittels der Kombination von Stellung und Bewußtsein irgendwelche Reformen zu erstreben. Es muß deutlich gesagt werden: Alle Berufspraxis ist nur insoweit revolutionär, als sie einen wie kleinen Beitrag auch immer zur Organisation und zum Sieg der Arbeiterklasse über die Kapitalisten leistet." (Rote Presse.Korrespondenz) Nach der großen Verzweiflung war die Bestandsaufnahme gemacht. Die Kneipen waren zum großen Teil leer geworden. Die Genossen saßen zu Hause, in ihren Buden, in den Wohngemeinschaften und Kom-

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munen, die wie Pilze, trotz der Repressionen der Hausvermieter und Eigentümer, aus dem Boden geschossen waren. Man redete davon, daß die APO tot sei und von „gesundschrumpfen". Doch die Genossen tauchten alle wieder auf. Prozesse und Verurteilungen hatten der linken Bewegung nichts anhaben können. An den Universitäten waren die roten Zellen gegründet, Betriebsbasisgruppen und Stadtteilgruppen hatten sich in größerem Verband zusammengeschlossen, um Agitation und Propaganda gemeinsam voranzutreiben. Was war geschehen? Die Genossen hatten ihre Zeit keineswegs ungenutzt verbracht. Die gründliche Analyse des bisher Gemachten hatte gezeigt, wo die richtigen Ansätze für die Weiterführung des antikapitalistischen Kampfes waren. Bisher hatte nicht die Arbeiterschaft gegen das kapitalistische System gekämpft, sondern Studenten und andere Außenseiter: „Weil die Randgruppentheorie von dem Widerspruch zwischen dem unmenschlichen Apparat und der beherrschten Menschheit ausging, führte sie folgerichtig zu einer allgemeinen Aufklärungsstrategie, die von den Randgruppen her tendenziell alle Menschen erfassen wollte, deren falsches Bewußtsein lediglich den Aufstand gegen den Apparat verhinderte, der diesen wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lassen würde." 6 Die Frage nach dem Klassenkampf war hier noch nicht beantwortet. Folgerichtig wurde nun das Schwergewicht der Arbeit dorthin gelegt, wo die Produktionsverhältnisse zu ändern waren: In die Betriebe. Lehrlings- und Stadtteilgruppen entstanden. Zum anderen ging ein großer Teil der Genossen an die Pädagogischen Hochschulen. Aus den Kinderläden entstanden Schülerläden. Die Frauen gingen zum großen Teil in die Ausbildungsstätten der Kindergärtnerinnen und Sozialarbeiter. Der Kindergärtnerinnenstreik war der erste Erfolg. Die Zeit des antiautoritären Protests war auf jeden Fall vorbei. Man begann nun wirklich hart zu arbeiten, um aus der verlorenen Position des revolutionären Intellektuellen etwas zu machen. Die Antiautorität jedoch wurde keineswegs liquidiert. Die Erfahrungen, die in ihr gemacht wurden, gingen mit ein in die neue Strategie. Sie war und ist für die Genossen notwendig. Notwendig für die Bewältigung ihrer durch theoretische Einsichten erkannten persönlichen Lage und die Aufarbeitung der durch ihre bürgerliche Sozialisation bedingten Verhaltensweisen und für den Lernprozeß, der von der Rebellion gegen „die Väter" zur Rebellion gegen eine Gesellschaft führt. Dort aber, wo Antiautorität zum Konzept erstarrt, führt sie nicht zum Aufstand, sondern verschleiert und zementiert die Wirklichkeit der autoritären Gesellschaft. Das Modell des antiautoritären Protests ist nicht übertragbar auf Betriebe und Arbeiterstadtteile. Ihr Inhalt, der emanzipatorische Ansatz aber, wird die Revolution erst ermöglichen. Organisation ist Voraussetzung für den Aufstand der Massen. Organisieren aber wird sich der Arbeiter erst, wenn er weiß, für was er kämpft, wenn

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ihm bewußt ist, daß seine Unterdrückung und seine Ausbeutung nicht objektiv notwendig für das Fortbestehen det Spezies Mensch sind, sondern daß er in einer neuen Gesellschaft befreit und mit weitestgehender Bedürfnisbefriedigung leben kann, daß er sich nicht einer irrationalen Autorität der Ausbeuter unterzuordnen hat, sondern der rationalen Autorität der ökonomischen Voraussetzung. Die Genossen, die in den Betrieben und Stadtteilen die sinnliche Erfahrung mit den Arbeitern gemacht haben, haben einiges gelernt. Sie haben gemerkt, wie unmöglich es für sie ist, sich zu verproletarisieren, sie haben gelernt, daß das studentische Bewußtsein und das der Arbeiter so weit auseinanderklaffen, daß sie die Unterdrückung der Arbeiter nie in ihrem ganzen Ausmaß sinnlich begreifen können. Sie haben gelernt, daß ihr Privileg fest mit ihnen verwachsen ist, das Privileg, das sie vom Proletariat trennt und sie selbst verhindert, die Revolution zu machen. In dieser Lage bleibt ihnen nichts anderes übrig, als dem Proletariat zu helfen. Dort zu helfen, wo das Elend am deutlichsten zutage tritt, nicht nur um das Elend momentan zu lindern, sondern wesentlich um bewußt zu machen, woher es kommt. Sie müssen dem Proletariat helfen, sich gegen die perfiden Methoden der Unterdrückung zu wehren, müssen ihm helfen, die Methoden kennenzulernen, mit deren Hüfe es seine objektive Situation erkennen kann. Es wird dem Arbeiter bewußt werden, wenn er das Ausmaß und die Methode seiner Unterdrückung im Betrieb, in der Familie, in den Behörden und auf der Straße erkennt, daß er die objektive Macht hat, er wird lernen, sie zu gebrauchen. Für die Genossen gibt es keinen Weg mehr zurück, sie müssen dem Proletariat dienen und von den Massen lernen. Von der sozialistischen zur proletarischen Erziehung Meinte man anfänglich, daß sich das Modell der Kinderläden auch mit Arbeitereltern verwirklichen ließe, so kam man bald zu der Erkenntnis, daß eine bruchlose Übertragung des Organisationsmodells nicht möglich war. Das antiautoritäre Konzept mußte ebenfalls auf die Ausgangsposition der proletarischen Familie hin verändert werden. Zur wichtigsten Voraussetzung für die antiautoritäre Erziehung im proletarischen Bereich wird die Arbeit mit den Eltern. Das Ziel sollte immer sein, die Eltern selbst die Organisation der Arbeiterkinderläden übernehmen zu lassen. Ein gründliches Arbeiten über die Psychologie des proletarischen Kindes wird gleichzeitig auf die spezifische Problematik der proletarischen Familie führen, die eben auf Grund der anderen ökonomischen Bedingungen wesentlich andere Voraussetzungen hat, als die des seiner Herkunft entsprechenden bürgerlichen Intellektuellen. Antiautoritäre Erziehung ist zunächst eine Erfindung des kleinbürgerlichen Intellektuellen, geboren aus seinem Konflikt, den er

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in unserer Gesellschaft durchstehen muß, den Konflikt mit den Autoritäten. Das Proletariat jedoch steht im Konflikt zur Ausbeutung und Unterdrückung durch diese Autoritäten. Der proletarischen Erziehung fällt eine weiterahnende Aufgabe zu als antiautoritäre Erziehung. Sie muß Ausgangsbasis zur Politisierung der Eltern werden. Die Konflikte, die durch die antiautoritäre Erziehung der Kinder in der proletarischen Familie entstehen, müssen vermittelt werden als Ursachen der Ausbeutung und Unterdrückung, nicht als Konflikt zwischen erziehenden Genossen und proletarischen Eltern. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die bürgerlichen Ideologievorstellungen bei Arbeitern nicht, wie vielfach angenommen, verinnerlicht sind. Vielmehr werden sie als Mittel zum Zweck „gebraucht". Um zu vermeiden, daß sich die bürgerliche Ideologie weiter bei den Arbeiterkindern reproduziert, muß das Verhältnis von Triebbefriedigung und Sublimation sich nicht an der bürgerlichen Norm orientieren, sondern an dem ich-starken, kritik- und widerstandsfähigen Menschen, der das ganze Ausmaß seiner Unterdrückung begreifen lernt und sich kollektiv dagegen wehrt. Jede Zurücknahme des Antiautoritären arbeitet dem System in die Hände und wird sich in keiner Weise von dem Konzept der Reformen unterscheiden. Der Zentralrat der sozialistischen Kinderläden ist aufgelöst. Die Kinderläden arbeiten weiter. Neue entstehen. Sie begreifen sich als Selbsthilfeorganisation der Studenten, von denen aus politische Aktionen ausgehen. Schülerläden arbeiten in fast allen Arbeitervierteln. Betriebskinderläden entstehen. Sie alle erziehen einen Menschen, der fähig sein wird, in einer sozialistischen Gesellschaft den Sozialismus zu praktizieren. Sie alle haben nur ein Ziel, den Aufstand der Massen, die proletarische Revolution. „Die wahren Helden sind die Massen, wir selbst aber sind oft naiv bis zur Lächerlichkeit; wer das nicht begriffen hat, wird nicht einmal die minimalen Kenntnisse erwerben können." 7 Anmerkungen Lenin: Werke. Bd. 25, S. 469. Dietz Verlag, Berlin 1960 Basisgruppe der Abteüung Erziehungswissenschaft: Zur technokratischen Schulreform. In: IBW Journal, 8. Jhrg., 18. 2. 1970, Nr. 2, S. 2 3 A. Rang und W. Schulz: Die differenzierte Gesellschaft. Weinheim, Berlin 1969. Zit. nach IBW Journal, s. Ahm. 2 4 Vgl. Dieter Duhm: Angst im Kapitalismus. Eigenverlag, o. o. u. J. -5 Dieter Duhm: Angst im Kapitalismus. S. 49 6 Rote Presse Korrespondenz. Nr. 42, 1970, S. 13 7 Mao Tse-tung: Vorwort und Nachwort zur „Untersuchung der Verhältnisse im Dorf • 1941, Werke Bd. III 1

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VIII Autorenkollektiv Lankwitz: Zur Diskussion um die Vorschulerziehung Einleitung Wenn sich ein Kinderladenkollektiv entschließt, für eine Veröffentlichung in einem etablierten Verlag einen Beitrag zu schreiben, dann ist die entscheidende Diskussion die um die Beantwortung der Frage: „Warum tun wir das? " Ist doch nicht zu erwarten, daß von einer solchen Veröffentlichung eine Veränderung in der öffentlichen Vorschulerziehung ausgehen würde, eher ist zu befürchten, daß eine liberale Öffentlichkeit die Punkte, wo die Kritik das System nicht angreift, übernimmt und für Modelle systemstabilisierender Verbesserungen nutzt (z. B. Elternselbsthilfe — Gruppen zur Entlastung der Kindergärten) und den Rest schweigend übergeht. Wir können uns schon jetzt den Chor der , J a — aber"-Rezensenten vorstellen. Wenn wir uns dennoch zur Veröffentlichung eines Beitrages entschlossen haben, so hat das zwei Gründe. 1. Wir unterschätzen keinesfalls die Möglichkeiten, die mit einer solchen Veröffentlichung gegeben sind. Die Kritik der herkömmlichen Vorschulerziehung kann nicht oft und deutlich genug hervorgehoben werden. Aber anders als es die herkömmliche Erziehung vermittelt, ist Nachdenken für uns ein Vorgang mit Konsequenzen. Wenn wir die Vorschulerziehung erst einmal als eine Methode zur Herstellung gut funktionierender Schüler und später gut funktionierender, fleißiger und angepaßter Arbeiter erkannt haben, dann heißt für uns die Konsequenz, alles zu tun, um Menschen zu erziehen, die nicht mehr für die herrschende Klasse brauchbar sind, sondern eine neue Gesellschaft erkämpfen. Das bedeutet Änderung der eigenen Erziehungspraxis und Änderung der institutionellen Vorschulerziehung. Wir wissen — wie oben bemerkt —, daß unser Artikel eine Veränderung zu erreichen nicht imstande ist, wir hoffen aber, daß unsere Kritik bei vielen die Motivation für Überprüfung und Änderung des eigenen Tuns wecken kann. Der Beitrag soll Alternativen aufzeigen, die in unserer Arbeit und hoffentlich an vielen anderen Stellen praktisch wirksam werden. 2. Das kollektive Arbeiten an dieser Veröffentlichung hatte die Funktion der Selbstverständigung der Gruppe. Zudem besteht in solcher Arbeit die Möglichkeit, alle Mitglieder der Gruppe in den Reflexionsprozeß zu integrieren. Wir kennen die Schwierigkeiten theoretischer Arbeit in Kinderladengruppen. Meistens wird sie — wenn sie nicht von aktuellen organisatorischen Fragen immer wieder verschlabbert wird —, Interpretationsarbeit an einem Text sein. Dieser ist mehr • oder weniger zufällig ausgewählt und wird nur selten auf die konkrete Praxis übertragen. Deshalb sehen wir in der Erarbeitung eines für das Kollektiv verbindlichen Textes eine Chance der intensiven Selbstreflexion, die wir anderen Gruppen empfehlen wollen.

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Wir sind uns im klaren, daß eine Selbstdarstellung unseren politischen Anspruch nicht einzulösen vermag. Das muß in der organisierten, politischen Praxis geschehen. Kinderladenarbeit allein kann die Bestimmung einer sozialistischen Politik nicht leisten, sondern sie muß gerade in den theoretischen und organisatorischen Zusammenhang einer sozialistischen Strategie gestellt werden. Welche Funktion hat Vorschulerziehung? Peter R. Hofstätter schreibt in Psychologie1: ,Jede Gesellschaftsordnung (Kultur) sieht sich dem Problem gegenüber, die Kinder ihrer Angehörigen so zu erziehen, daß sie dem kulturspezifischen Wunschbild der Erwachsenen mit der Zeit möglichst ähnlich werden." Dieser Vorgang wird.von ihm als Sozialisierung bezeichnet. Der Sozialisierungsprozeß vollzieht sich in auf ihn spezialisierten Institutionen; von der Familie über Kindergarten, Schule bis hin zur Hochschule. In diesem Bereich spielt die Vorschulerziehung eine wesentliche Rolle. Der Erziehungssektor ist ein Krisensektor innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. In ihm werden die Widersprüche der Gesellschaft deutlich. Erziehung im Kapitalismus meint den Zwang der Gesellschaft, solche Charaktere bilden zu müssen, die das Bestehen der gegenwärtigen Gesellschaftsform garantieren, aber gleichzeitig ihren (technologischen) Fortschritt vorantreiben. So hat Erziehung gleichzeitig einen konservierenden und einen progressiven Charakter. Ihre Normen werden bestimmt von den Normen, die von den Herrschenden mit Hilfe der Massenmedien und Sozialisationsinstanzen vermittelt werden. Hier wird der Widerspruch zwischen Produktionsprozeß und konservativen Sozialisationsinstanzen deutlich, die der Tradition verhaftet sind und widerstandslose, autoritätsgläubige Menschen heranziehen, die allerdings nicht flexibel und brauchbar genug sind für den technisch fortschreitenden, automatisierten Produktionsprozeß. Diese Instanzen orientieren sich an der Tradition. Zu ihnen gehört die Kirche, die noch immer 75 Prozent der Vorschulerziehung beherrscht. Allerdings wird mit der zunehmenden Monopolisierung der Wirtschaft die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung steigen. Es genügt nicht mehr, daß die Menschen treue Diener der Obrigkeit sind, sie müssen auch im Produktionsprozeß funktionieren. Infolgedessen geht die Tendenz auch in Richtung einer technokratischen Reform, des Erziehungssektors. Mit den Zielen dieser Reform haben wir uns auseinanderzusetzen, weil es die Ziele sind, nach denen unsere Kinder schließlich erzogen werden sollen. Da unsere Gesellschaft eine Klassengesellschaft ist, ist die Erziehung auch eine Klassenerziehung. Die herrschende Klasse — am stärksten repräsentiert durch das Monopolkapital — bestimmt die Ziele der Erziehung. Alle Ziele und Inhalte der Erziehung sind dem übergreifenden Ziel untergeordnet: Stabilisierung unserer hochindustriellen kapi-

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talistischen Leistungsgesellschaft und Profitmaximierung für das Kapital. Nur unter diesem Aspekt kann Bildungspolitik gesehen werden. Wenn jetzt erhöhte Investitionen im Bildungswesen vorgenommen werden, dann deshalb, weil deutlich geworden ist, daß die Wirtschaft der Bundesrepublik bald nicht mehr konkurrenzfähig sein wird, wenn die Bildungsinstitutionen nicht eine größere Anzahl besserer, qualifizierterer Arbeitskräfte produzieren. Unter diesem Aspekt ergeben sich für den Bildungsbereich zwei Ziele: 1. Quantitative Verbesserungen: Neue Begabungsreserven müssen erschlossen werden. 2. Qualitative Verbesserungen: Es müssen Menschen mit neuen, im Sinne des Kapitals optimalen Qualifikationen herangebildet werden. Das vorhandene Begabungspotential, das sich hauptsächlich aus der Mittelschicht rekrutiert, kann den Anforderungen der modernen Leistungsgesellschaft nicht mehr gerecht werden. Das Selbstverständnis als Leistungsgesellschaft, die Einsicht in die Bedingungen der Existenz einer hochindustrialisierten Gesellschaft innerhalb des internationalen Wettbewerbs auf allen Ebenen erfordert die Optimierung der Ausbildung der heranwachsenden Generation. Dieser Forderung, die auf „Ausschöpfung aller Begabungsreserven" zielt, stehen folgende Bedingungen entgegen: a) Die Kleinfamilie kann die Sozialisation in einer hochmobilen und technisierten Gesellschaft nicht mehr erreichen. b) Die Angehörigen der Unterschicht sind in der gegenwärtigen Bildungselite nur mit einer schwachen Minderheit vertreten. c) Neuere Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Lernpsychologie haben gezeigt, daß der entscheidende Abschnitt der kognitiven Entwicklung vor dem Schuleintritt liegt. So hat z. B. Bloom bei einer wissenschaftlichen Untersuchung über die Intelligenz festgestellt, daß sie mit 4 Jahren bereits zur Hälfte, mit 8 Jahren zu 80 Prozent abgeschlossen ist. Schon aus diesen Überlegungen folgt eine einfache input-outputRechnung: „Wer mehr und qualifiziertere Hochschulabsolventen ha^ ben will, muß in die Kleinkindererziehung mehr investieren" (Herrmann E. Minz, M. A.). Das heißt verstärkte Bemühungen im Vörschulbereich. So haben bereits die Bundesländer Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen die ersten Vorklassen eingerichtet und einen vorläufigen Bildungspjan erstellt. Allerdings werden die gravierenden politisch-ökonomischen Gründe solcher Aktivität kaum genannt, sondern man versteckt sie hinter dem Betriff „Chancengleichheit", mit dem man soziale Motive vortäuschen will. Dabei heißt Chancengleichheit: Jeder soll die Chance haben, im System aufzusteigen. Hans-Jochen Gamm schreibt über die amerikanische Pädagogik, sie bestehe darin, „den Schüler bereits zu Beginn seiner Laufbahn darauf aufmerksam zu machen, daß er einen Millionenscheck in der Tasche trage und es nur darauf ankomme, ihn geistesgegenwärtig zur gegebenen Zeit einzulösen. Diese Jagd nach dem

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Reichtum und der Glaube an das Geld verhinderten es bislang, daß die etwa 40 Millionen Armen der USA ihre Lage erkennen." Nicht anders ist es in Deutschland. Da wird jedem seine Chance für individuellen Aufstieg verkündet. Das heißt umgekehrt: wer nicht aufsteigt, ist selber schuld. Die Lage des ausgebeuteten Arbeiters wird als individuelles Versagen ausgegeben, nicht als Folge der Besitz- und Herrschaftsverhältnisse. Das Gerede von der Chancengleichheit will die Chance verhindern, daß die Arbeiterkinder die wahren Ursachen ihrer Lage erkennen. Nicht Anpassung an die Mittelstandsnormen schuldet ihnen die schulische und vorschulische Erziehung, sondern Einsicht in die Lage ihrer Klasse und in die Verfahrensweise des Kapitalismus. Das Rezept für eine unter dem Etikett „Chancengleichheit" laufende Anpassungsdressur heißt „Kompensatorische Erziehung". Dazu schreibt I. Sommerkorn: „Wie dargelegt, ist es das Ziel kompensatorischer Erziehung durch spezielle Förderungsbedingungen die milieubedingte Benachteiligung unterprivilegierter Kinder und Jugendlicher auf kognitiver, motivationaler, emotionaler, ja sogar auf gesundheitlicher Ebene zu korrigieren, und zwar einmal, um ihnen Startchancengleichheit zu schaffen und zum anderen, um sie mit solchen Eigenschaften auszustatten, die sie zum Durchhalten in einem mittelschichtorientierten Schulsystem befähigen. Man könnte dieses Ziel auch als Kompensation zur Anpassung, zur Integration in das bestehende System bezeichnen. Mit kompensatorischer Anpassimg aber ist der emanzipatorische Impetus genommen, der Bildung immanent sein sollte." Die gegenwärtige kompensatorische Erziehung führt zur Verdekkung sozialer Konflikte, zur Ausschöpfung von Begabungsreserven unter Beibehaltung der herrschenden Normen und zur Anpassung der Unterschichtskinder, die diese Begabungsreserven doch sind, an die Institution der Mittelschicht (Schule, Hochschule). Wenn wir von den quantitativen Verbesserungen im Bildungssystem sprechen, dann muß noch ein anderer Aspekt berücksichtigt werden. Es gibt von Hans Dichgans2 eine programmatische Schrift mit dem Titel „Erst mit dreißig im Beruf? " Dort heißt es, daß durch zeitsparenden und leistungserhohenden Druck auf den Ausbildungsbereich „die Kräfte der Jugend freigesetzt" und die „Verschwendung von Intelligenz und Lebenszeit" unterbunden werden sollen. Die Wirtschaft kann sich offenbar lange Ausbildungszeiten nicht leisten. Die Maßnahmen im Hochschulbereich, Zwangsexmatrikulierung, Studienzeitverkürzung etc. zeigen das. Andererseits steigen die Anforderungen ständig. Hier löst der Vorschulbereich die Probleme. Wer eher anfängt mit Lernen, der wird auch eher verwendbar sein. Die Pläne der Bun? desregierung, den Schulbeginn im 5. Lebensjahr stattfinden zu lassen, haben hier ihre Ursachen. Und Prof. Heinrich Kratzmeier, einer der Päpste der Vorschulerziehung, formuliert eindeutig:' „Ein weiteres wichtiges Motiv für das frühe Lesenlernen ist die zunehmende Verzö-

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gerung der Berufsreife im Jugendalter. Schon heute ist das 9. Schuljahr allgemein und das 10. Schuljahr mancherorts eingeführt. Im Zuge der weiteren Entfaltung der Technik läßt sich absehen, daß diese Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, d. h. daß noch weitere Jahre des Lebens „verschult" werden müssen. Wenn es möglich erscheint, einen Teil der von der Schule zu erarbeitenden Bildungsgüter in den Jahren vor der Einschulung zu erwerben, ohne das Kindsein in seinem Wesen einzuschränken, so sollte dies unbedingt versucht werden." Was für Menschen braucht der Kapitalismus? Andre Gorz gibt eine knappe Charakterisierung des Arbeiters, den die moderne Produktion braucht: „Da der Arbeitnehmer in einer möglichst kurzen Zeit an seine Aufgabe angepaßt werden soll, darf er bei seiner Ausbildung nur ein Minimum an autonomen Fähigkeiten entwickeln. Man befürchtet, daß die Menschen, wenn sie ihre Fähigkeiten ,zu weit4 entfalten [...], sich nicht mehr einer begrenzten Aufgabe und der industriellen Hierarchie; unterwerfen werden [...] Man wünscht, daß sie kompetent, aber beschränkt sind; aktiv, aber folgsam; intelligent, aber unwissend in allem, was über ihre unmittelbare Funktion hinausgeht, unfähig, den Blick von ihrer Aufgabe abzuwenden." Die Arbeit soll als Selbstzweck und als Quelle der Befriedigung begriffen werden. „Büdungsarbeit im Industriezeitalter verlangt, daß wir die Jugend dazu erziehen, den physischen und psychischen Belastungen der Arbeit standzuhalten, daß sie aber auch mit ihrer Arbeit zufrieden ist." Da wird es allerdings kompliziert. Um Flexibilität, Disponibüität, Aktivität, Intelligenz etc. des Arbeiters zu ermöglichen, muß das allgemeine Bildungsniveau angehoben werden. Das hat widersprüchliche Konsequenzen. Durch die allseitige Beweglichkeit des Arbeiters verwischen sich die Grenzen zwischen Berufsbildern und Lebenslagen. Das könnte die Herausbildung eines solidarischen Klassenbewußtseins erleichtert^. Dieser Tendenz wird aber durch eine Erziehung zur Konkurrenz im Betrieb und im Konsumverhalten entgegengewirkt. Andererseits verlangt die moderne Technik eine umfassendere theoretische Ausbildung, die ein Maß von Selbständigkeit nach sich zieht, das sich mit autoritären Herrschaftsstrukturen nicht verträgt. Damit stehen die Unternehmer vor einem doppelten Problem: Einerseits verlangt der moderne Produktionsprozeß die Entfaltung menschlicher Fähigkeiten, die auf der anderen Seite den Arbeiter in die Lage versetzen können, die Arbeitsteilung und die Klassengesellschaft in Frage zu stellen. Hier erhält die Ideologievermittlung in der Erziehung eine besondere Funktion zur Integration der Arbeiter ins System. In der Vorschulerziehung müssen also Fähigkeiten und Fertigkeiten herausgebildet werden, die Flexibilität, Handlungsbereitschaft, Intelli-

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genz, Kreativität fördern. Dazu müssen Charaktereigenschaften und Verhaltensnormen verinnerlicht werden, die Anpassung, Kritiklosigkeit, Beschränktheit etc. hervorrufen. Die6 Zeitschrift Contact versucht, diesen Widerspruch in folgende Zielformulierungen aufzulösen: „Der Jugendliche soll unter Achtung traditioneller Werte mit Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattet Werden, die ihm die Bewältigung seiner Aufgaben in Beruf und Gesellschaft erleichtern [...]" Uber diese Aufgaben kritisch nachzudenken, beispielsweise darüber, wem ihre Erfüllung nun wirklich nützt, das soll er nicht lernen. Die „traditionellen Werte" sollen ebenso wie die kognitiven und pragmatischen Fähigkeiten im Vorschulalter gelernt und spielend verinnerlicht werden. Nur an einem Problem soll belegt werden, wie sich das Kapital die Verinnerlichung solcher traditionellen Werte vorstellt: „Wie die Individualität so wird auch das soziale Verhalten der Menschen durch den Umgang mit den eigenen Sachen entscheidend weiterentwickelt und geschult. Schon das Kind wünscht instinktiv eine Abgrenzung der Eigentumsbereiche, der Räume und Dinge, über die es selbst verfügen kann (eigene Spielecke, eigenes Spielzeug). Das Kind ist sorgsam bedacht, keinen anderen in seinen Eigentumsbereich eindringen zu lassen. Es schult aber gleichzeitig seine soziale Verantwortung für das Eigentum der Geschwister oder der Spielkameraden, das zu respektieren und gut zu behandeln ist. Das Kind spürt, daß die Eigentumsrechte, die es für sich fordert, auch bei anderen zu achten sind." Dieses Zitat zeigt deutlich, wie Privateigentum von einer historischökonomischen Kategorie zu einer moralischen verinnerlicht werden soll. Es wird nicht gesagt, daß es die Basis der Klassengesellschaft ist, die Ausbeutung ermöglicht, sondern es wird gesagt: „In allen Phasen der Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit hat das private Eigentum an Sachgütern eine große erzieherische Bedeutung. Schon das Kind prägt sich im Umgang mit den Sachen, die seiner Entwicklungsstufe entsprechen, etwa seinem Spielzeug [...] Schon beim Kleinkind wird in dem Willen, diese Gegenstände zu besitzen, eine Ur-Veranlagung des Besitzen-Wollens deutlich." Entsprechend sieht die Erziehung in den Institutionen des Vorschulbereichs aus. Es könnte noch an anderen Beispielen die Funktion der Ideologievermittlung in der frühkindlichen Erziehung genauer beschrieben werden, zum Beispiel die Herausbildung autoritärer Charaktere. Wir wollen aber jetzt die öffentliche Vorschulerziehung etwas genauer unter die Lupe nehmen und untersuchen, wie sie den bisher genannten Dienstleistungsfunktionen für das Kapital nachkommt. ' Wenn wir zunächst auf die offiziellen Verlautbarungen zur Vorschulerziehung eingehen, werden wir alles bisher Gesagte bestätigt finden. Wir beschränken uns bei unseren Ausführungen auf den Bericht der Bundesregierung zur Bildungspolitik vom 8. Juni 1970, den Struk-

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turplan für das Bildungswesen, der von der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrats am 13. 2. 1970 verabschiedet wurde, sowie auf einen vorläufigen Rahmenplan für die Vorklasse in Berlin und auf Lernziele für die Drei- bis Fünfjährigen im Kindergarten, erarbeitet im Pädagogischen Zentrum Berlin. Die Bundesregierung stellt die Chancengleichheit als Grundsatz für jede Bildungsaibeit voran: „Der Verfassungsgrundsatz der Chancengleichheit muß durch eine intensive und individuelle Förderung aller Lernenden in allen Stufen des Bildimgssystems verwirklicht werden. Bildung soliden Menschen befähigen, sein Leben selbst zu gestalten [..,] Bildung soll durch Lernen und Erleben demokratischer Werte sowie durch Einsicht in die gesellschaftliche Entwicklung und ihre Veränderungen eine dauerhafte Grundlage für freiheitliches Zusammenleben schaffen. Bildung soll Freude an selbständiger schöpferischer Arbeit wecken." Für den Elementarbereich (Kindergarten und Vorschulerziehung) präzisiert die Bundesregierung: „Es ist Aufgabe eines demokratischen Staates, im Bildungswesen eine durch ungünstige soziale Umweltbedingungen verhinderte oder behinderte Entfaltung von vorhandenen Anlagen auszugleichen." Schon hier finden wir unsere Kritik bestätigt. Es ist seitens der Regierung nicht daran gedacht, die „ungünstigen sozialen Umweltbedingungen", sprich: Ausbeutung, zu beseitigen, sondern durch kompensatorische Erziehung sollen sie verschleiert werden. Der einzelne wird in dem Glauben gelassen, daß er Chancen zur Selbstbestimmung innerhalb der bestehenden Gesellschaft habe. So schreibt der Bildungsrat: „Das Recht auf schulische Bildung ist dann verwirklicht, wenn Gleichheit der Büdungschancen besteht und jeder Heranwachsende so weit gefördert wird, daß er die Voraussetzungen besitzt, die Chancen tatsächlich wahrzunehmen.41 Die Wahrnehmung der Chancen geschieht als individuelle Initiative. Nirgends wird gesagt, daß kollektives Handeln etwas ändern könne. Es ist ja.— nach Meinung der Bundesregierung und der anderen Gremien, die im Auftrag der Herrschenden die Bildungspolitik betreiben — auch nicht notwendig, daß unsere Gesellschaft geändert werden müßte. So geht es dem Bildungsrat nicht um Kritik, sondern um Mitwirkung: „Es besteht ein Anspruch ebenso des einzelnen wie der Gesellschaft darauf, daß die Selbstentfaltung der Person und die Selbständigkeit ihrer Entscheidungen und Handlungen durch eine hinreichende Orientierung un der modernen Welt gefördert wird, insbesondere durch ein kritisches Verständnis der Zusammenhänge, die das Leben des Menschen mitbestimmen." Die Verhältnisse und Zusammenhänge werden nicht näher benannt. Daß es. Besitzverhältnisse und Herrschaftszusammenhänge sind und daß sie »nicht lediglich mitbestimmend, sondern grundlegend für das Leben de^ Menschen sind, wird verschwiegen. „Ebenso liegt es im Interesse des einzelnen wie der Gesellschaft,

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däß die Fähigkeit zur Mitwirkung im demokratischen Staat, das elementare Verständnis von Wissenschaft und Technik sowie die Fähigkeit zur beruflichen Mobilität entwickelt wird." f Damit ist der Mensch, den Staat und Wirtschaft brauchen, beschrieben. Er muß ein Individualist sein, der sich in Staat und Wirtschaft laicht nur anpaßt, sondern unkritisch produktiv ist. Deshalb soll die Vorschülerziehung nach dem Willen der Bundesregierung „Freude am selbständigen Lernen erhalten und fördern und mehr Raum als bisher für die freie Entwicklung und individuelle Förderung schaffen [...], unterschiedliche Startbedingungen ausgleichen, soziales Verhalten einüben und individuelle [!!!] Aktivität und Kreativität fördern." Diese allgemeinen Grundsätze werden in Rahmenplänen und ähnlichem in konkrete Lernziele umgesetzt, die dann in der täglichen Praxis in Kindergärten, Vorklassen usw. wirksam werden. Einige Beispiele sollen dazu genannt werden. Besonders deutlich wird die Umsetzung dort, wo Sozialverhalten gelernt werden soll. Ausgangspunkt ist: „Die Kinder wachsen in eine Gesellschaft hinein, die Individualität und Originalität betont und in zunehmendem Maße geistige Produktivität erwartet." (Rahmenplan) Umgesetzt in Lernziele heißt das: Die Kinder sollen lernend erwerben: Verantwortungsbewußtsein Leistungsbereitschaft Selbständigkeit Der Begriff Verantwortungsbewußtsein wird nie genauer definiert. Es wird nicht erklärt, wem gegenüber Verantwortung übernommen werden soll. Andeutungen dazu finden wir, wenn im Rahmenplan von Toleranz und Rücksichtnahme die Rede ist: „Das Verhalten anderer Kinder akzeptieren, zum Beispiel gegenüber körperbehinderten, auffälligen, ungeschickten oder schwerfälligen Kindern. Eventuelle Vorurteile gegenüber der Rassenzugehörigkeit u. a. abbauen." Toleranz entspringt hier also nicht der Verantwortung für Unterprivüegierte, sondern der Verantwortung vor einer nicht näher bezeichneten moralischen Instanz, die sich offenbar an Klassenunterschiede als naturgegeben gewöhnt hat. Ähnlich ist es bei der Leistungsbereitschaft. Hier wird nicht gefragt, für wen Leistungen erbracht werden sollen, sondern es wird dazu erzogen, Leistungen um ihrer selbst willen zu erbringen. „Über eine nach ihrer Meinung gelungene Arbeit bringen die Kinder Freude zum Ausdruck, die von der Kindergärtnerin unterstützt wird, indem sie sich auf die Sache bezieht." So werden Menschen erzogen, die im Produktionsprozeß stolz auf die Produkte sind, ohne danach zu fragen, wem diese dienen können*

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Selbständigkeit heißt, soviel wie möglich selbst machen und so wenig wie möglich die Hilfe anderer in Anspruch nehmen/Deshalb wird die im Rahmenplan geforderte Hilfsbereitschaft auch sofort eingeschränkt, indem als Lernziel formuliert wird „sich nicht ungebeten in die Angelegenheit eines anderen einmischen." Nirgends werden Lernziele formuliert, die das Problem lösen und das Durchsetzen von Interessen in Gruppen betreffen. Wenn der einzelne ein Ziel nicht erreicht, dann muß er sich bescheiden und die Grenzen akzeptieren. Daß eres gemeinsam mit anderen durchsetzen könnte, wird im Rahmenplan verschwiegen: ,,a) Spannungen ertragen und erkennen, daß man nicht jedes gewünschte Material sofort haben kann, b) Konfliktsituationen möglichst ohne Hilfe von Erwachsenen lösen." Wesentlich erscheint uns hier, was nicht im Rahmenplan steht, nämlich, wie man Konflikte löst und wie man deren Ursache ermittelt; das müßten die Kinder lernen. Das aber wäre für die Gesellschaft gefährlich. So wird schon in der frühen Erziehung die Organisation des Widerstandes verhindert. Nachdem wir die öffentlichen Verlautbarungen zur Vorschulerziehung kritisch betrachtet haben, wollen wir ijoch an exemplarischen Beispielen einen Blick in die Praxis der Vorschulerziehung werfen. Wir hatten eingangs festgestellt, daß es darum geht, einerseits Fähigkeiten und Fertigkeiten zu lernen, um damit bei dem Kind Intelligenz, Kreativität, Flexibilität zu fördern, daß andererseits der emanzipatorische Effekt solcher Eigenschaften durch Ideologievermittlung (Eigentum, Autorität, Konkurrenz- und Leistungsorientiertheit) beseitigt werden muß. Wie das in der herkömmlichen Kindererziehung vonstatten geht, wollen wir an den wohl gebräuchlichsten Unterrichtsmitteln der Vorschulerziehung erläutern: den Logischen Blöcken nach Z. P. Dienes und dem Trainingsmaterial von Schüttler — Janikulla „Sprachtraining und Intelligenzförderung im Vorschulalter." Die kognitiven und pragmatischen Fähigkeiten, die der Mensch braucht, um in der hochindustrialisierten Gesellschaft leben zu können, sollen unsere Kinder auch erwerben; verderblich ist nur, daß sie auf Kosten emotionaler Fähigkeiten und auch auf Kosten einer umfassenden kritischen Reflexionsfähigkeit überbetont werden. Das soll am Problem der Logischen Blöcke dargestellt werden. Mathematische Vorschuldidaktik a) Entstehimg aus der Intelligenzforschung

Die Entwicklung der strukturellen Untersuchungen der Mathematik, vor allem' durch Bourbaki, schuf einen Formalismus, der mit seiner Symbolik sehr allgemeine mathematische Strukturen zu beschreiben

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vermag. Diese Strukturen kommen aber auch in anderen Denkbereichen vor und beschreiben abstrakt zum Teil häüfig vorkommende logische Zusammenhänge. Bei der Erforschung der frühkindlichen Intelligenz bot diese Kenntnis scheinbar exakte Untersuchungskriterien. Piaget und andere Positivisten fanden damit bei Kleinkindern von etwa 3 Jahren die Auflösbarkeit topologischer Strukturen, später die algebraischer und erst bei Kindern von etwa 6 Jahren die Verarbeitung von Ordnungsstrukturen. Für die Kindererziehung in der bürgerlichen Kleinfamilie läßt sich das statistisch gut belegen. b) Intention des mathematischen Spielzeugs

Im Zusammenhang mit dem Sputnik-Schock Ende der fünfziger Jahre, der die westliche Welt ihre technischen Intelligenzreserven forciert einsetzen ließ, fragte man, wo eine Leistungssteigerung der technischen Intelligenz noch möglich wäre und erinnerte sich an Untersuchungen wie die Piagets. Z. P. Dienes, so in einem Brief an seine Herausgeber, hielt eine effektive Leistungssteigerung in den letzten Schuljahren für nicht aussichtsreich, dafür aber im Vorschul- und frühen Schulalter. Er entwickelte „mathematisches Spielzeug", wie die „Logischen Blöcke", die das Begreifen topologischer Strukturen, d. h. hier der Mengenlehre, schon im Vorschulalter fördern und trainieren sollen. c) Methode der Logischen Blöcke

Lögische Blöcke sind Plastik- oder Holzklötze, die sich in vier Formen, drei Farben, zwei Größen und zwei Dicken, also in vier Qualitäten unterscheiden, so daß alle 48 Klötze verschieden sind. Nach Anleitung kann vom Kind zum Beispiel die Menge aller blauen Klötze auf einen Haufen sortiert werden, die Menge aller kleinen auf einen anderen. Das Kind soll die Menge der Klötze, die sowohl blau als auch klein sind als den mengentheoretischen Durchschnitt und als Problem aus der Aufgabe erkennen. d) Kritik der Vorschulmathematik

Z. P. Dienes preist seine Logischen Blöcke nebst Anleitung sowohl zu stolzen Preisen an, als auch mit dem Argument, man könne sogar im Kindergarten „moderne Mathematik" betreiben. Ersteres spricht für seine Geschäftstüchtigkeit, letzteres für sehr bescheidene Ansprüche an die moderne Mathematik, denn über einfache Mengen, Schiütt- und Vereinigungsmengen kommt er nicht hinaus. Das sind jedoch Lernvorgänge, die das Kind beim Erlernen der Begriffe für reale Gegenstände

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bereits viel früher vollzogen, wenn auch in seiner logischen Struktur nicht formalisiert hat. Mag die stufenweise Abstraktion so einfacher Strukturen an realen Gegenständen mit noch abstrakteren Qualitäten (Logische Blöcke) einen logischen Vorgang verbalisieren, so bleibt zu bezweifeln, daß dieser auch abstrakt begriffen wird. Selbst wenn das aber der Fall wäre, so bliebe dieses Verständnis innerhalb des mathematischen bzw. technischen Begriffsbereiches. Wie nämlich die Untersuchungen über „Transfer" gezeigt haben, wurden „Regeln" auch abstrakter Art nicht auf fernerliegende Denkbereiche übertragen, selbst wenn die gleiche logische Struktur zugrundegelegt worden ist (nach Gagne: Lernen, Behalten, Problemlösen). Somit liegt eben eine Intelligenzförderung möglicherweise im technologischen Bereich vor, die sich aber nicht persönlich-emanzipatorisch auswirken kann; einerseits wegen des fehlenden „Transfers", andererseits weil die notwendige Begriffsbildung im emotionalen Bereich noch nicht genügend entwickelt ist, so daß sie verarbeitet werden könnte — wenn dies überhaupt im affektiven Bereich nach dem gleichen Formalismus abläuft. e) Logische Blöcke in der praktischen Anwendung

Das Wort von der „modernen Mathematik" genügte wohl in der Vorschulerziehung, um alle Pädagogen, die sich jetzt auch mit dem Intelligenz- und Exaktheitsmythos der Mathematik oder gar der „modernen" umgeben wollten, für Z. P. Dienes Logische Blöcke zu begeistern. So werden sich gerade die wenig selbstbewußten Pädagogen in Ermangelung einer objektiven gesellschaftlichen Orientierung daran klammern und ihre Kinder für die „Mathematik" disziplinieren — mit ihnen Spielchen durchführen, für die nur die Kinder motiviert sind, die es in der Familie gelernt haben, gerne Probleme zu lösen. Da sich die Kinder mit den Logischen Blöcken keine Aufgaben selbst stellen können, sind sie auf die Anleitung des Erwachsenen angewiesen. Aus Erfahrungsberichtungen von Kindergärtnerinnen wissen wir, daß in relativ wenig autoritär geführten Kindergärten die Kinder wenig Lust hatten, mit diesem Material „zu arbeiten", weil sie in die Gruppen mit dem Bedürfnis kamen, ihre Situation in der Familie im Spiel zu verarbeiten. Sprachtraining und ideologisches Interesse

Bei der Analyse der Vorschulmappen von Schüttler-Janikulla wollen wir liicht untersuchen, welche kognitiven Fähigkeiten mit ihnen erlernt werden können, sondern fragen, welche Inhalte sie vermitteln. Die Kinder werden der Leistung wegen zum individuellen Arbeiten mit eigenem Arbeitsmaterial angeregt. Die Mappen sind so angelegt, daß sie nur Einzelarbeit ermöglichen. Dabei bekommt jedes Kind „sei-

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ne" Mappe, für die es auch individuell verantwortlich ist. Die Mappen, die das Kind zu „Höchstleistung auf sprachlichem und intellektuellen Gebiet" bringen sollen, vermitteln gleichzeitig die Ideologie, mit der das Kind zur „richtigen" Anwendung des Gelernten manipuliert wird. „Im Mittelpunkt der Handlung stehe eine Familie, bestehend aus Vater, Mutter und zwei Kindern, einem Mädchen und einem Jungen. Dadurch ist jedem Kind in besonderem Maße die Möglichkeit gegeben, sich mit dem dargestellten Geschehen zu identifizieren." Hier wird eine typische Mittelstandsfamüie vorgestellt. In der Rollendifferenzierung werden Klischees von diesen Rollen vermittelt. So arbeitet die Mutter ausschließlich für den Haushalt und strickt Strümpfe. Der Vater wendet sich an die Außenwelt, er arbeitet, liest Zeitung, fährt Auto. Das Mädchen hilft den Tisch decken, spielt mit den Puppen, und baut mit dem Bruder einen Turm. In der Anleitung zu den Bildern mit den genannten Inhalten, wird angeregt, daß beim Besprechen der Küchengeräte ein Elektroherd „für Mädchen zum Kochen, für Jungen besonders vom technischen her interessant" ist. Für Mädchen wird angeregt, beim Besprechen von Kleidung auch mit Anziehpuppen zu spielen. Die traditionellen Rollen der Familie werden dargestellt; die traditionelle Rolle der Familie als Agentur der Gesellschaft ist ja auch in der hochindustrialisierten Gesellschaft nicht aufgehoben. „In der Familie lernt das Kind vorzüglich affektive, diffuse, partikularistische Rollenorientierung. Erst in der Schule wird es mit der affektiv neutralen, spezifischen Orientierung an anderen Personen vertraut gemacht. Die Verinnerlichung solcher Rollenorientierung durch ihre Mitglieder ist nun eine unerläßliche Voraussetzung für das Funktionieren einer industriellen Gesellschaft." Auf die Situation der Unterschicht-Familien wird überhaupt nicht eingegangen, das bedeutet, daß das Unterschicht-Kind nicht die eigene Situation wiederfindet und das beschriebene Klischee als die normale und richtige Situation vorgeführt bekommt. So muß sich ihm seine Lage als Resultat des Versagens seiner Eltern darstellen. Wenn sich die Mappen erdreisten, „die Grundsituation des kindlichen Lebens und Erlebens" darstellen zu wollen und „den unmittelbaren Erlebnisbereich des Kindes, zum Beispiel Kinderzimmer, Küche und Wohnzimmer, Haus und Straße" zu zeigen, dann genügt es, einige Daten aus dem tatsächlichen Erlebnisbereich der Arbeiterkinder anzuführen, um deutlich werden zu lassen, mit weichet Unverfrorenheit hier Mittelstandsideologie den Kindern aufgezwungen wird. , Jeder achte Schüler im Berliner Arbeiterbezirk Kreuzberg hat kein eigenes Bett. Jeder dritte Schüler verfügt zu Hause weder über einen Arbeitsplatz noch über eine Spielecke. Nur jeder zehnte Schüler hat ein eigenes Zimmer. Fast 40 Prozent der Schüler dieses Bezirices leben in einer Wohnung, in der es keine Toilette und kein Bad gibt. 3/4 aller Schüler leben in Kleinwohnungen mit ein bis zwei Wohnräumen. In

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Einraumwohnungen mit Küche wohnen in 39 Prozent aller untersuchten Fälle drei Personen. In 25 Prozent aller Fälle müssen die Schüler mit drei weiteren Familienangehörigen eine Einzimmerwohnung teilen. In 15 Prozent aller Fälle leben 5,6 und mehr Personen in einer Einzimmerwohnung." Allerdings kennen Unterschicht-Kinder den Bereich der Straße sehr wohl, denn 76,4 Prozent aller Befragten gaben an, daß sie weder einen Balkon noch einen Garten besitzen. Wem* in diesen Mappen auch noch ein Spielplatzidyll vorgestellt wird, so ist dazu zu sagen, daß der Spielplatz der Arbeiterkinder die Straße mit allen Gefahren und Konfliktmöglichkeiten ist, Im Mittelpunkt der Arbeitsmappe steht die Intelligenzförderung durch Sprachtraining. Sprache ist soziales Verhalten und wird unterschiedlich in den verschiedenen sozialen Schichten gebraucht. Die Chancen- und Startgleichheit, die die „Bildungsreform" der Technokraten herstellen will, bedeutet im Fall der Arbeitsmappen Vermittlung des mittelschichtspezifischen Sprachgebrauchs. Laut Negt impliziert Sprache die Verinnerlichung der Normen, die sie beinhaltet, und dementsprechende Verhaltensweisen. Die Aneignung der Sprache geschieht nicht einfach durch Nachahmung der Erwachsenen, sondern ist ein aktiver geistiger Prozeß, in dem die in der Sprache vermittelten Inhalte verinnerlicht und bestimmte Verhaltensweisen angeregt werden. Sprachuntersuchungen von Bernstein ergaben, daß MittelschichtKinder den „elaborierten Sprachstil" benutzen, der einen Individuierungsprozeß erlaubt. Die Sprache der Arbeiter ist weniger differenziert und daher weniger in der Lage, komplizierte Inhalte dazus teilen. Andererseits hat Negt jedoch nachgewiesen, daß die Sprache der Unterschicht einen Solidarisierungseffekt hat. In den Begleitheften zu den Sprachmappen wird deutlich, daß Schüttler-Janikulla diese theoretischen Einsichten und empirischen Ergebnisse wohl bekannt waren. Er hätte sicher Ansätze zu einer Spracherziehung entwickeln können, die das Unterschicht-Kind einerseits in die Lage versetzt, komplizierte Sachverhalte zu beschreiben, andererseits nicht von ihm verlangt, Sprach- und Verhaltensnormen des Mittelstandes zu übernehmen, um es so von seiner Klasse zu entfremden. Nichts fürchten die Herrschenden mehr, als wenn sich die Beherrschten zusammenschließen, um Herrschaftsverhältnisse zu beseitigen. Das zeigen deutlich die Verbote kollektiver Prüfungen und kollektiver Schulpraktika in Berlin ebenso wie die Bestrebungen, alle Ansätze zu solidarischem Verhalten schon in der Erziehung zu verhindern. Nicht gemeinsames Erkennen und Durchsetzen von Interessen sollen die Kinder lernen, sondern Konkurrenz und Leistimgsstreben verinnerlichen. So fehlt es nicht an Phantasie, eine Unzahl von Wettbewerbsspielen zu erfinden. Bei Schüttler-Janikulla finden wir unter vielen anderen, die üblichen Gesellschaftsspiele, wie Mensch-ärgeredich-nicht, wo einer gewinnt und die anderen sich damit abfinden müssen, daß der Würfel ungünstig für sie gefallen ist. Mehr Leistung

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wird schon erwartet, wenn es darum geht, Murmeln am besten in ein Tor zu treffen, verschiedene Dinge am schnellsten nach Qualitäten zu ordnen, am schnellsten versteckte Dinge zu finden. Auf jeden Fall müssen die Kinder lernen, daß zu einem Spiel eine Spielregel gehört und daß der gewinnt, der sich am besten an die Normen hält. Der Sieger wird dann auch noch durch Preise belohnt; wer versagt, muß ein Pfand geben und dabei lernen, daß Versagen mit materiellem Nachteil verbunden ist, der unter zusätzlichen Leistungen wieder ausgeglichen werden.kann. Selbst Gruppenspiele werden nur in Konkurrenz mit anderen Gruppen durchgeführt, um wieder einen Sieger ausrufen zu können. Hier wird dem Kind klargemacht, daß Aufstieg eine individuelle Leistung und der andere der Gegner ist, der bei diesem Aufstieg nur hinderlich sein kann. Alternativen zur bürgerlichen Vorschulerziehung

Auf dem Jugendhilfetag 1970 in Nürnberg wurde in einer Arbeitsgruppe über Vorschulerziehung ein Resolutionsentwurf vorgelegt, der auf folgende Alternativen hinweist. Wir zitieren daraus: „Resolutionsentwurf

der Arbeitsgruppe I

Wenn wir ständig — und das seit über zwanzig jähren — von einer Strukturveränderung der Bedingungen im Vorschulbereich sprechen, haben wir davon auszugehen, daß die Inhalte dieser Vorschulerziehung bisher nicht von Wissenschaftlern und Theoretikern und schon gar nicht von Praktikern bestimmt werden, sondern von den Interessen des Kapitals. Aus dieser Tatsache leiten wir. die Forderung ab, eine Erziehung zu beginnen, die es den Proletarierkindern ermöglicht, ihre Klassenlage zu erkennen und ihr Klasseninteresse durchzusetzen. Diese Erziehung muß auf folgenden Grundsätzen aufgebaut sein: — Erziehung — Erziehung — Erziehung — Erziehung

zur Klassensolidarität zur Arbeit und zum Spiel zur Entfaltung eines sozialistischen Bewußtseins zum Klassenkampf

Die Prinzipien einer sozialistischen Erziehungsarbeit können in folgenden Arbeitsbereichen in die Praxis umgesetzt werden: — Kampf in den Institutionen, d. h. Kampf um die Veränderung der Strukturen in diesen Institutionen (caritative, kirchliche, staatliche und Kindertagesstätten des Produktionsbereichs) — Projekt- und Stadtteilarbeit.

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Der Kampf in den Institutionen heißt auch, daß die im sozialen Bereich Tätigen (Kindergärtnerinnen, Heimerzieher, Sozialarbeiter, Lehrer, Jugendpfleger) ihre eigene Klassenlage erkennen und sich organisieren müssen, um sich mit den proletarischen Eltern zu solidarisieren und den Klassenkampf zu führen". Diese Aussagen, den gesamten Bereich der vorschulischen Erziehung umfassend, sollen auch für unsere Überlegungen Geltung haben. Die Kinder unseres Kinderladens stehen vor der Einschulung. Der Kinderladen, getragen von Mittelschichteltern, PH-Studenten und einer Kindergärtnerin, arbeitet seit drei Monaten. Die primäre Motivation, Kinderläden zu machen, war zunächst die Erkenntnis der Eltern, was sie ihren Kindern antun, wenn sie sie in staatliche oder konfessionelle Kindergärten schicken. Die Erziehung im Kinderladen hatte bisher insofern kompensatorischen Charakter, als sie die Schäden der Kindergartenerziehung und die Mängel der Familienerziehung ausgleichen sollte. Die intensive politische Diskussion um die Erziehungsziele und die daraus erwachsende Praxis hat im Grunde genommen erst jetzt — durch Diskussionen über das Selbstverständnis — begonnen. Das Autorenkollektiv legt seine Vorstellungen dazu an dieser Stelle vor. Wenn in der zitierten Resolution gesagt wurde, daß die bisherige Vorschulerziehung eine Erziehung im Interesse der herrschenden Klasse ist, so müssen wir unserer Arbeit ein anderes, emanzipatorisches Interesse zugrunde legen. Das Ziel unseres Handelns, besonders unseres erzieherischen Handelns, ist die Emanzipation. Dabei verstehen wir im Gegensatz zu liberalen Pädagogen unter Emanzipation die Aufhebung der Verdinglichung und Selbstentfremdung des Menschen. Diese Entfremdung hat ihre Wurzeln in Ausbeutung und gesellschaftlicher Herrschaft. Unter Emanzipation verstehen wir die Befreiung des Menschen aus diesen versklavenden Verhältnissen, sowie alle auf dieses Ziel gerichteten Anstrengungen und Impulse. Emanzipation ist also gleichermaßen Prozeß und Ziel. Als Ziel ist sie die endgültige Befreiung der Menschheit von ökonomischen, ideologisch-normativen, naturbedingten und psychischen Zwängen. Eine solche Emanzipation ist nur möglich „als positive Aufhebung des Privateigentums als menschlicher Selbstentfremdung" (Karl Marx). Voraussetzung dieses Zieles ist also die Änderung der Produktionsverhältnisse, die Aufhebung der Klassengesellschaft. Emanzipation als Prozeß sind alle Schritte, die zu diesem Ziel hin unternommen werden. Subjekt dieses historischen Prozesses ist das Proletariat. Erst muß der Sieg des Proletariats erreicht werden, dann eröffnen sich auch alle Möglichkeiten einer Emanzipation der gesamten Menschheit. Emanzipatorische Erziehung ist deshalb Erziehung zum Klassenkampf, zur Revolution. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß wir eine individuelle Emanzipation, eine Selbstbefreiung des Individuums als unmöglich erachten. Allerdings erkennen wir wohl eine Dialektik zwischen gesellschaftlicher

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Emanzipation und Individuum. Deshalb halten wir jede wissenschaftliche Erkenntnis und jede praktische Veränderung, die das einzelne Individuum materiell und psychisch freier macht, es Emanzipation als Prozeß begreifen und in seiner individuellen und kollektiven Praxis antizipieren läßt, für außerordentlich bedeutsam. Von daher bekommt eine emanzipatorische Erziehung ihre Aufgabe. Emanzipatorische Erziehung heißt für uns: Wir müssen unsere Kinder zur Parteilichkeit und Solidarität erziehen. Diese Erziehung ist Bewußtseinsbildung. Während die bürgerliche Pädagogik zur Subjektivität und Individualität erzieht und damit Solidarität verhindert, sollen unsere Kinder begreifen lernen, daß das Kollektiv stärker ist als der einzelne und diese Erkenntnis auf ihr gesellschaftliches Handeln übertragen können. Entsprechend den Ergebnissen der Einstellungspsychologie sollen die Kinder durch Nachahmung, Identifikation, Belehrung und Unterweisung zu einem politischen Bewußtsein erzogen werden. Politisches Bewußtsein beschreiben wir als: — Kenntnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge und Einsicht in die eigene Situation innerhalb dieser Zusammenhänge, -7 Aufarbeitung kollektiver Erfahrungen im Sinne des Erkennens der eigenen Klassenlage, — Entwicklung eines emanzipatorischen, parteilichen Wert- und Normensystems, — Handlungsbereitschaft, das heißt den bewußten Willen, sich für die Veränderung der Gesellschaft praktisch einzusetzen, — bewußte Entscheidung, den Klassenstandpunkt des Proletariats einzunehmen. Der Ansatz einer solchen emanzipatorischen Erziehung ist zuerst, die Kinder zu befähigen, ihre individuellen, den gesellschaftlichen Normen oft widersprechenden Bedürfnisse zu ermitteln und durchzusetzen. Das sollen sie nicht als einzelne, sondern im Kinderkollektiv, in dem sich solidarische Verhaltensweisen entwickeln, die nicht An* passung, wohl aber Anpassungsfähigkeit gegenüber der Umwelt zur Folge haben. Der Kinderladen darf dann nicht Freiraum sein, sondern muß eng mit der gesellschaftlichen Realität verknüpft werden. Die Kinder müssen, lernen, diese Realität angemessen zu bewältigen, um dann in ihr Widerstandsfähigkeit zu entwickeln. Diese allgemeine Zielsetzung muß in unseren Diskussionen noch konkretisiert und in einzelne Lern- und Erziehungsziele umgesetzt werden. Praktische Vorschläge zur Umsetzung dieser Ziele im Kinderladen können nur in der Praxis entwickelt werden. Diese Praxis müssen wir selbst erst in Angriff nehmen. Wesentlichster Punkt unserer Arbeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheint uns die Elternaibeit zu sein. Darunter wollen wir nicht die regelmäßige Diskussion organisatorischer Fragen verstehen, sondern die gemeinsamen Bemühungen des Kinderladenkollektivs — Eltern, Kin-

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dergärtnerin, mitarbeitende Studenten — um die Herausbildung des oben beschriebenen politischen Bewußtseins bei uns selbst. Die Herausbildung eines politischen Bewußtseins vollzieht sich im Zusammenhang von Schulung, Praxis und Organisation. Schulung ist in erster Linie Information, und zwar Information über gesellschaftliche Zusammenhänge. Sie ermöglicht es, unsere Situation (= Klassenlage) zu interpretieren und die Folgerungen für die Erziehungsarbeit im Kinderladen zu ziehen. Damit ist Schulung als intensive verbindliche Arbeit an einer Problematik nicht reiner Wissenserweib, sondern auch die gemeinsame Reflexion darüber, wie dieses Wissen praktisch wird. Schulung ist nicht ausschließlich Aufarbeitung der marxistischen Politökonomie, sondern sie hat alle Erkenntnisgebiete zum Inhalt, die für unsere Arbeit relevant werden (z. B. Erziehungswissenschaft, Lernpsychologie, Psychoanalyse). Bewußtseinsveränderung ist wesentlich von den Erfahrungen des Individuums oder der Gruppe abhängig. Solche Erfahrungen werden in der Praxis gemacht. Die Herausbildung eines politischen Bewußtseins ist für uns ohne Praxis nicht denkbar. Dabei verstehen wir unter Praxis nicht lediglich die partikulare Praxis im Kinderladen oder Berufspraxis, sondern den gesellschaftlichen Gesamtprozeß der Umgestaltung der objektiven Realität. Wenn wir hier von der Praxis reden, so kann damit nicht eine beliebige individuelle Tätigkeit gemeint sein, ebenso kann Schulung nicht Selbststudium bedeuten. Die Klammer, die beides verbindet und somit zum dritten Bedingungsfeld für Bewußtseinsbildung wird, ist Organisation. Damit ist einerseits die verbindliche Organisation des Kollektivs der Erwachsenen im Kinderladen gemeint, darüber hinaus aber wird auch von uns die Notwendigkeit gesehen, unsere Arbeit in den Rahmen einer umfassenden politischen Organisation zu stellen. Kinderladenarbeit, die sich politisch nennt, hat sich in den politischen Auseinandersetzungen, das heißt im Klassenkampf, zu bewähren und bestimmt von daher ihren Stellenwert innerhalb der Strategie. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist das Problem der Einschulung. Wir alle erfahren in unserem Studium unsere Unfähigkeit, kollektiv zu arbeiten, weil uns die Schule zu Einzelkämpfern erzogen hat. Deshalb ist es wichtig, daß die Kinder als Kollektiv eingeschult werden. Schon vor Schuleintritt müssen alle unsere Bemühungen dahingehen, aus einzelnen Kindern ein Kollektiv zu bilden. Als Kollektiv sind die Kinder besser in der Lage in der Schule Widerstand zu leisten und das zu geringe, zu undifferenzierte, variationsarme Angebot der Schule zu verarbeiten. Dazu ist einerseits eine kontinuierliche Weiterarbeit mit den Kindern außerhalb der Schulzeit im Kinderladen notwendig, andererseits muß die Elterngruppe versuchen, eine intensive Zusammenarbeit mit dem Lehrer aufzubauen. Das Elternkollektiv böte auch eine Möglichkeit, agitatorisch an die Eltern der Mitschüler heranzutreten. Wir halten es durchaus für möglich, diese Vorstellung durchzusetzen (so werden die Kinder des Kinderla-

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dens Lankwitz im Herbst gemeinsam eingeschult) und im Kinderladen die negativen Erfahrungen unserer Kinder mit der Schule aufzuarbeiten. Es geht uns jedoch nicht allein um das individuelle Glück unserer Kinder, sondern um eine Veränderung der bürgerlichen Klassenschule, gemeinsam mit unseren Kindern. Aus der Erfahrung unserer Kinderladenarbeit geht hervor, daß die Kinder im kollektiven Handeln glücklicher waren und ihre Bedürfnisse besser durchsetzen konnten. So haben wir festgestellt, daß das persönliche Eigentum der Kinder als Eigentum der Gruppe empfunden wurde, je mehr die, Kinder sich mit der Gruppe identifizieren konnten. Die Kinder brachten Spielzeug von zu Haus mit und legten Wert darauf, es wieder mitzunehmen. Je mehr die Gruppe zusammengewachsen war, um so öfter ließen sie Spielzeug im Kinderladen. Wenn sie mit anderen Kindern auf dem Spielplatz zusammenkamen, benannten sie Spielzeug nicht als „meines", sondern als „unseres" und stellten es gerne anderen Kindern von} Spielplatz zur Verfügung. Es war ihnen unverständlich, wenn fremde Mütter ihre Kinder von dem Spielzeug zurückriefen. Die Kinder bekamen Taschengeld: eine lange Zeit verwandten sie es nur zur individuellen Befriedigung. Später sahen sie Möglichkeiten, sich etwas gemeinsam zu kaufen, sich etwas abzugeben, ohne darauf zu achten, ob man auch gleich viel zurückbekam. Sie brachten aus den staatlichen Kindergärten Wettspiele mit. Mehr und mehr wurde beispielsweise Wettlauf nur ein Spiel, in dem es immer unwichtiger wurde Erster zu sein, sondern in dem das gemeinsame Rennen als motorisches Ausleben genügend Spaß machte. Wir streben an, daß die Kinder für ihren Kinderladen selbst verantwortlich sind. Wenn „Dienste" wie Aufräumen, Abwaschen, Kochen etc. an die Kinder verteilt wurden, führten sie diese Aufgaben lieber gemeinsam durch. Sie entwickelten untereinander Solidarität gegenüber kritisierenden Erwachsenen. Wenn in der eingangs zitierten Resolution der Kampf in den Institutionen als für eine sozialistische Erziehungsarbeit wichtig angesehen wurde, dann bedeutet das auch die Entwicklung inhaltlicher Alternativen zur institutionellen Vorschulerziehung. Es müßten — wenigstens ansatzweise— Vorstellungen für eine emanzipatorische Vorschulerziehung entwickelt werden und für die im Vorschulbereich tätigen Genossen in Form von Arbeitsmaterialien, Unterrichtsentwürfen, Modellen etc. konkretisiert werden. Hier sehen wir eine wesentliche Funktion für Kinderladenkollektive, die solche Vorstellungen in der Einheit von Theorie und Praxis erarbeiten und den in Schulen und Kindergärten noch weithin vereinzelt arbeitenden Genossen zur Verfügung stellen könnten. Wir stellten uns vor, daß man beispielsweise Sprachmappen entwickeln könnte, mit denen ein Sprach- und Intelligenztraining für Arbeiterkinder möglich wird, ohne gleichzeitig Mittelschichtsnormen zu vermitteln. Dazu müßten die sprachlichen Formen des gesellschaft-

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liehen Selbstverständnisses der Arbeiter in der spätkapitalistischen Industriegesellschaft analysiert werden. Hier wäre an dem von Oskar Negt aufgezeigten Ansatz der „sozialen Topik" weiterzuarbeiten. Soziale Topik sind sprachliche Gebilde, die unabhängig von den Erfahrungen der Individuen den kollektiven Erfahrungsinhalt einer Klasse ausdrücken. In dem Maße, wie ihr sozialer Gehalt Ausdruck der historischen Erfahrung und der objektiven Lebensbedingungen einer Klasse sind, so Negt, dienen sie der gesellschaftlichen Orientierung der Individuen. Hier hätte eine emanzipatorische Spracharbeit in der Vorschulerziehung anzusetzen, die es den Arbeiterkindern ermöglicht, eine Interpretation ihrer objektiven Lage und der kollektiven Erfahrungen ihrer Klasse vorzunehmen. Entsprechend der Analyse der Sprache müßte auch das Motivationsgefüge der Unterschicht-Kinder untersucht werden. Schichtenspezifische Lernmotivationen und Lernprozesse müßten aufgearbeitet werden. Die in der Arbeiterfamilie erworbene negative Einstellung gegen den praktischen Wert der Bildung könnte in der Vorschulerziehung abgebaut und in eine politische Motivation zum Lernen verwandelt werden. Hier liegt ein weites Arbeitsgebiet einer emanzipatorischen Vorschulerziehung, die von den Kinderläden initiiert werden muß. Ebenso wären methodische Möglichkeiten zur Erreichung emanzipatorischer Lernziele zu entwickeln. Wir dachten dabei an Rollenspiele. Im Spiel soll den Kindern die Möglichkeit gegeben werden, verschiedene Erfahrungsbereiche aufzuarbeiten. So lernen sie, wenn sie „Schule" oder „Kinder und Hauswart" oder „Kinderheim" spielen, irrationale Autoritäten erkennen, deren Mechanismen zu durchschauen und die Auseinandersetzungen mit ihnen zu erproben. In diesen gespielten Auseinandersetzungen kann es ihnen gelingen, Ängste vor Unbegriffenem abzubauen und verschiedene Verhaltensstrategien durchzuprobieren. Bereiche, die nicht ihrem unmittelbaren Erfahrungshorizont entstammen, gesellschaftliche Konflikte, die sie nicht direkt erleben (z. B. Betrieb, Lohnkämpfe usw.), können ihnen im Spiel veranschaulicht werden. So bietet nach unserer Auffassung das Rollenspiel eine gute Möglichkeit zum Erkennen der eigenen Klassenlage. Für Vorschulkinder ist die gespielte Schulsituation in den verschiedensten Variationen (Verhaltensstile des Lehrers) eine gute Vorbereitung auf die bürgerliche Schule. Das Repertoire eigener Verhaltensweisen im Konfliktfall wird durch das Rollenspiel erweitert. Für eine emanzipatorische Vorschulerziehung ergeben sich ungezählte Möglichkeiten, die noch zu erschließen wären. Das Kinderladenkollektiv Lankwitz wird — nicht zuletzt bestimmt durch die gemeinsame Arbeit an dieser Veröffentlichung — hier weiterarbeiten.

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Anmerkungen 1 Psychologie: Das Fischer Lexikon 6, Frankfurt am Main,407.—431.Tausend 1970, S. 266. 2 Dichgans ist Mitglied des Gesprächskreises Wissenschaft und Wirtschaft, MdB der CDU und geschäftsführendes Mitglied der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie in Düsseldorf.

Nachwort „Die wirtschaftliche Macht des Bürgertums kann mit der Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse gebrochen werden. Aber das Bürgertum konnte bis zur Stunde trotz der Demokratie nicht von der politischen Macht und damit von der wirtschaftlichen Macht verdrängt werden, weil diese politische Macht gestützt wird von der geistigen Macht, die das Bürgertum noch immer auszuüben vermag. Will die Arbeiterklasse das Bürgertum besiegen, so muß sie das Bürgertum auch dort bekämpfen, wo es eine besonders starke Macht entfaltet, auf dem Gebiet der Presse, der Kirche, der Schule und der Erziehung. Es ist zweifellos, daß der starke Vorsprung, den die bürgerliche Ideologie heutzutage vor der proletarischen Ideologie hat, darauf zurückzuführen ist, daß das Bürgertum durch Kirche, Schule und Erziehung in einem Lebensalter auf den Menschen Einfluß nimmt, in dem die proletarische Ideologie nahezu zur Einflußlosigkeit verurteilt ist. So wird die sozialistische Erziehung von größter Bedeutung für den kommenden Kampf des Proletariats gegen das Bürgertum." Als Otto Kanitz diese Zeilen 1929 schreibt (Kämpfer für die Zukunft), spricht er als Vertreter des linken Flügels der österreichischen Sozialdemokraten. In diesem festen organisatorischen Rahmen einer revolutionären Arbeiterpartei findet sozialistische Erziehungsarbeit statt, an der Erziehungsfront muß ebenso gekämpft werden, wie in den Betrieben. Die Kinder- und Schülerladenbewegung, aus der Studentenbewegung hervorgegangen, beruft sich gern auf dergleichen Zitate und übersieht dabei meist zweierlei: 1. daß die sozialistische Erziehungsarbeit in bestehende Arbeiterparteien eingegliedert werden muß. 2. daß die relative Überbetonung der Wichtigkeit des Erziehungssektors typisch ist für kleinbürgerliche Phasen sozialistischer Bewegungen, besonders dann, wenn im unmittelbaren Kampf gegen das Kapital in den Fabriken, bedingt durch die gegenwärtige Desorganisation der Arbeiterklasse, schwierigste Bedingungen angetroffen werden. Die Feuületonseiten liberaler Blätter beschäftigen sich bevorzugt und neuerdings mit der Kinderladenbewegung, aus der so einer der beliebtesten Fetische der ständigen Überbaurevolution der bürgerlichen Gesellschaft geworden ist. In den Spalten der konservativen Presse tauchen die Kinderläden auf als die scheußlichsten Perversionen, die die Studentenbewegung hervorgebracht hat. Beide Ansichten sind geprägt von einer weitgehenden Überschätzung der Wirksamkeit und der Möglichkeiten der Kinderläden — eine Überschätzung, die innerhalb der Studentenbewegung lange Zeit geteilt wurde. Die Schwierigkeit aller Aussagen der Kinderläden, die Selbstverständnis und Selbstkritik formulieren sollen, liegt darin, nicht diesem Fetischismus zum Opfer zu fallen, nicht zu glauben, in den Kinderläden stünde die Wiege einer sozialistischen Kulturrevolution oder die

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Kinderläden an und für sich seien der Weg zum heilen Individuum einer erst noch zu schaffenden Idealgesellschaft. Die linke Studentenbewegung (und «mit ihr die Kinderlädenj waren immer in Gefahr, in sorgfältig ausgedachten Modellen einen utopischen Sozialismus zu konstruieren. Die Idyllik dieser Konstruktionen hatte oft mit marxistischen Ideen wenig zu tun. So blieb die Kinderladenbewegung in einem zweifelhaften Zusammenhang mit den Erziehungsreformversuchen der fortschrittlichen Bourgeosie, auf deren finanzielle und publizistische Unterstützung sie nicht verzichten konnte. 1 Auf ihre Initiatoren ließ sich die Polemik von Marx und Engels (im Kommunistischen Manifest) gegen alle romantischen Weltveränderer übertragen: „Sie träumen noch immer die versuchsweise Verwirklichung ihrer gesellschaftlichen Utopien, Stiftung einzelner Phalanstere, Einrichtung eines kleinen Ikariens — Duodezausgabe des Neuen Jerusalems — und zum Aufbau aller dieser spanischen Schlösser müssen sie an die Philantropie der bürgerlichen Herzen und Geldsäcke appellieren." An die bürgerlichen Herzen und Geldbeutel wurde nicht vergebens appelliert, in vielen Städten der Bundesrepublik haben Rechtsanwälte, Ärzte, Lehrer, Journalisten antiautoritäre Kindergärten und Kinderläden aufgebaut. Die Zwänge der Gesellschaft, die Leitbilder des Mittelstands werden in ihnen zwanglos vermittelt, so daß der SPIEGEL in seinem euphorischen Bericht „Kindererziehung: Aufrechter Gang" (1970/Nr. 44) befriedigt feststellen kann: „Gehorsam zumeist durch Zwang — das ist die Erziehung der Vergangenheit. Lernspiel möglichst ohne Zwang — das ist die Erziehung der Zukunft." Das „aufgeklärte" Bürgertum vermittelt heute seine Normen mit den Methoden an seine Kinder, die ihm die studentische Kinderladenbewegung vorerprobt geliefert hat. Einhellig stimmen „progressive" bürgerliche Erzieher heute der Meinung bei, daß es darum geht, jeden einzelnen zu befreien, damit — irgendwann — die Gesellschaft frei sein kann. Nur freilich, und das ist die Grundlage revolutionären Handelns, der einzelne kann nicht befreit werden, ohne daß zuvor die Gesellschaft befreit ist. Die Ungleichzeitigkeiten der Theoriebildung innerhalb der Studentenbewegung, die unterschiedlichen Beurteilungen der Nützlichkeit antiautoritärer Erziehung und der Möglichkeit, sie in sozialistische Erziehung umzusetzen, schlagen sich in den widersprüchlichen Beiträgen dieses Buches nieder. Die Herausgeber haben nicht versucht, diese Widersprüche durch eine äußere Glättung oder eine künstliche Vereinheitlichung zu verbergen. ^ Der Widerspruch, der sich im Inhalt dieses Buches manifestiert) soll noch einmal deutlich gemacht werden. Dieses Buch sollte ein Versuch sein, zu der Einschätzung verschiedener Teile der Studentenschaft, der antiautoritären Revolte und der Kinderladenbewegung insbesondere Stellung zu nehmen. Die Diskussion der beteiligten Autoren brach an dem Punkt ab, an dem sich ein Teil der Autoren dieser Einschätzung näherte. Kurz umrissen, ist diese Auffassung folgende, wobei allerdings zu berücksichti-

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gen ist, daß ihre Begründung und die Diskussion, aus der sie entstand, hier nicht wiederholt werden kann: Die antiautoritäre Studentenrevolte und die daraus sich entwickelnde Arbeit im Sozialisationsbereich entzündete sich vornehmlich am Widerspruch zwischen den anachronistischen Strukturen der Hochschulen und den Anforderungen der Wirtschaft des Spätkapitalismus an die Absolventen der Universitäten. Dieser Widerspruch ist ein Nebenwiderspruch. Ebenso führt die Arbeit im Sozialisationsbereich, in den Kinderläden und Schulen nicht zur Auflösung des Hauptwiderspruches zwischen Lohnarbeit und Kapital. Sie ist daher ohne organisatorischen Zusammenhang politisch irrelevant und im gegenwärtigen Zeitpunkt verfrüht und zwecklos. Als vordringliche Aufgabe wird die Arbeit im ökonomischen Bereich, dort wo der Hauptwiderspruch seinen Ursprung hat, in der Produktion, vornehmlich der Großbetriebe, betrachtet. Hier findet sich auch die Basis, auf der sich das Proletariat am ehesten zum Widerstand gegen den Kapitalismus organisieren kann. Diese Auffassung ist der marxistisch-leninistischen Theorie entsprechend richtig. Falsch wäre es jedoch, daraus zu folgern, daß die Arbeit im Sozialisationsbereich zu unterbleiben habe und, weil die antiautoritäre Bewegung und Erziehimg den falschen Ansatzpunkt gehabt habe, daß Antiautorität nicht das Ziel einer proletarischen revolutionären Bewegung sein kann und darf, eher ihr nur schaden könne. Denn der Mensch wird zum Widerstand am ehesten dann motiviert ünd kann ihn dort zuerst leisten, wo ihn die Unterdrückung selbst betrifft. Für den Studenten heißt das damals wie heute, Widerstand in der Universität und in der Gesellschaft. Die Einsicht, daß er dadurch den Hauptwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht lösen kann und damit seine Situation prinzipiell nicht verbessert, drängt ihn zum Entschluß, in den Betrieb zu gehen, der zweifellos richtig ist, wenn er dazu in der Lage ist. Auch wenn die Studentenrevolte, begründet in der Klassenlage der Studenten ein Produkt „kleinbürgerlichen Bewußtseins" war, so hatte die Antiautorität zum Ziel und zum Inhalt, sich aus diesem Bewußtsein zu emanzipieren und vermochte es, es zum großen Teil zu verändern. Wenn man Antiautorität als kleinbürgerlich verdammt, unterschlägt man deren emanzipatorischen Gehalt, der gerade auch wichtig ist für die proletarische Revolution, soll sie die Gesellschaft nicht nur von ihren ökonomischen Fesseln befreien, sondern auch von den Fesseln ihres daraus entstandenen Bewußtseins. Dort allerdings, wo Antiautorität zum Prinzip gerinnt und sich nicht mehr orientiert an der gesellschaftlichen Realität, gibt sie ihren Kritikern recht und widerspricht ihrem Wesen. Zum Beispiel dann, wenn die antiautoritären Modelle der studentischen Kinderläden korrekturlos auf Arbeiterkindergärten übertragen werden, und das um jeden Preis. Denn Antiautorität und antiautoritäres Verhalten kann man nicht als Prinzip oder als Regel

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begreifen, sie ist vielmehr die Widerspiegelung des Bewußtseins, das zur Folge hat, daß Widerstand geleistet wird, hier und jetzt gegen jegliche Art der Unterdrückung. Antiautoritäre Erziehung nicht nur proletarischer Kinder als sinnund zwecklos zu bezeichnen, ist falsch, wenn man begreift, daß antiautoritäres Verhalten jegliche Autorität, die das Fundament der kapitalistischen Gesellschaft ist, untergräbt. Auch antiautoritär erzogene Bürgerkinder werden früher oder später gegen ihre „Väter" rebellieren. Auch wenn dies nur einer der vielen benötigten Spatensticheist, schaufelt sich der reformfreudige „Sozialstaat" durch die Übernahme „antiautoritärer ^Ansätze" in Kindergärten und Schulen sein eigenes Grab. Viele Genossen und Eltern arbeiten weiter im Sozialisationst>ereich. Sie begreifen dies als Arbeit am Nebenwiderspruch und bekennen ach dazu. Der Vorwurf der Handwerkelei trifft sie nicht* Das Bewußtsein, daß sie eine lange und schwierige Arbeit machen, die nach der Revolution weitergeführt Werden muß und kann und wahrscheinlich erst dann ihre besten Früchte trägt, motiviert sie, um so gründlicher zu arbeiten. Im Text dieses Buches drücken sich jedoch nicht nur die Widersprüche dieser Diskussion aus. In einzelnen Kapiteln sind sich entgegenstehende Argumente aufgezeigt; dies entstand zum einen aus dem. Versuch, die oft nicht zu Ende geführten Diskussionen in den Kinderläden zu wiederholen und hier ein vorläufiges „Endergebnis" zu erarbeiten, zum anderen aus dem Bestreben, Thesen, deren Richtigkeit nicht stichhaltig bewiesen ist, möglichst nicht aufzustellen. Dieses Buch kann und soll als Anregung für die Diskussion der ELterngruppen verstanden werden. Es ist kein Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit und erhebt keinen Anspruch auf Autorität. Gleichzeitig ist es jedoch die Aufforderung an alle, die Kinder haben oder sich mit Kindern beschäftigen, sie kollektiv antiautoritär gegen die kapitalistische Gesellschaft fähig und zum Widerstand zu erziehen. Die Eltern, die sich der Widersprüche des kapitalistischen Systems bewußt sind uild eine Veränderung der Gesellschaft erreichen wollen, sollten am wenigsten bei der Erziehung ihrer Kinder wieder auf staatliche Institutionen zurückgreifen, da, ohne diese zu verändern, diese bewiesenermaßen den autoritären Charakter züchten. Vorläufig bleibt ihnen ohnehin nichts anderes übrig, als sich selbst zu helfen. Anmerkung 1

siehe: Kinderläden und bürgerliche Öffentlichkeit, S. 85

Bibliographie

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Nach der Lektüre des Buches ist klar, daß richtige Theorie und Einsichten, Handeln zur Folge haben müssen, das die gesellschaftlichen Mißstände beseitigt. Wir bitten daher diejenigen, denen es nicht möglich ist, selbst an den hier aufgezeigten Aufgaben mitzuarbeiten, ihre Erkenntnis wenigstens durch finanzielle Unterstützung der bestehenden Berliner Projekte im Sozialisationsbereich zu bestätigen. Konto: t Berliner Bank AG Nr. 500 (35) 67 865 Kennwort: „Antiautoritäre Erziehung" Uber die Verwendung des Geldes wird auf Anforderung gern Rechenschaft gegeben.

Anhang: Planskizzen Kinderladen S.

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