Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz: Eine praxisbezogene Anleitung [5. Aufl.] 9783658297763, 9783658297770

In diesem Lehrbuch konfrontieren Asmus Hintz und Jan Graevenstein Sie mit den Herausforderungen des Alltags einer Führun

1,894 50 7MB

German Pages XXVI, 573 [586] Year 2020

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz: Eine praxisbezogene Anleitung [5. Aufl.]
 9783658297763, 9783658297770

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXVI
Führen oder geführt werden? (Asmus J. Hintz)....Pages 1-33
Ziele (Asmus J. Hintz)....Pages 35-63
Planen (Asmus J. Hintz)....Pages 65-75
Delegieren (Asmus J. Hintz)....Pages 77-83
Entwickeln und fördern (Asmus J. Hintz)....Pages 85-115
Kontrollieren (Asmus J. Hintz)....Pages 117-121
Loben (Asmus J. Hintz)....Pages 123-127
Kritisieren (Asmus J. Hintz)....Pages 129-144
Konflikte (Asmus J. Hintz)....Pages 145-178
Motivieren (Asmus J. Hintz)....Pages 179-334
Kommunizieren (Asmus J. Hintz)....Pages 335-461
Von der Idee zum Businessplan (Asmus J. Hintz)....Pages 463-527
Check: Führungsaufgaben von A bis Z (Asmus J. Hintz)....Pages 529-561
Back Matter ....Pages 563-573

Citation preview

Asmus J. Hintz Jan Graevenstein

Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz Eine praxisbezogene Anleitung 5. Auflage

Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz

Asmus J. Hintz · Jan Graevenstein

Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz Eine praxisbezogene Anleitung 5., erweiterte Auflage

Asmus J. Hintz Bad Segeberg, Deutschland

Jan Graevenstein Speyer, Deutschland

ISBN 978-3-658-29776-3 ISBN 978-3-658-29777-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw.der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2011, 2013, 2016, 2018, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Geleitwort von Prof. Dr. Reinhard Flender

Der Erfolg der Publikation spricht für sich: Vier Auflagen in sechs Jahren zeigen, dass sich dieses Werk im Markt als Standardwerk etabliert hat. Dem Autor gelingt es, in faszinierender Weise seine jahrzehntelange Berufserfahrung als Topmanager mit seiner nunmehr über 30jährigen Lehrerfahrung am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg zu einer überzeugenden Synthese zu verbinden. Immer wenn Menschen auf engem Raum täglich zusammenarbeiten, entstehen Verhaltensmuster, die typisch sind: Es geht um Fragen von Respekt, Disziplin, Rücksichtnahme, Loyalität sowie um Fragen von Sympathien, Seilschaften und Privilegien. Hier ist soziale Kompetenz gefragt, um Mitarbeiter erfolgreich zu einem leistungsorientierten Handeln zu motivieren. Jede Bürogemeinschaft entwickelt typische Verhaltensmuster, die in diesem Buch beschrieben werden. Dabei legt der Autor den Schwerpunkt auf eine interaktive Verbindung von Theorie und Praxis: keine Theorie, die nicht aus der Praxiserfahrung beleuchtet und hinterfragt wird, und keine Praxisbeispiele, die nicht theoretisch analysiert werden. So lernt der Studierende das methodische Handwerkszeug, das er individuell auf die eigene berufliche Praxis anwenden kann, denn Patentrezepte gibt es bei der Mitarbeiterführung nicht. Jeder einzelne Fall muss individuell neu durchdacht werden. Das lehrt dieses Buch. Es richtet sich nicht nur an Führungskräfte, sondern ebenso an Mitarbeiter, denn jedes Mitglied in einer Bürogemeinschaft trägt zur „Organisationskultur“ bei. Der Prozess der Teambildung muss dabei immer wieder neu angestoßen werden, und zwar von beiden Seiten: von den Führungskräften und von den Mitarbeitern gemeinsam. Wenn es gelingt, eine Bürogemeinschaft zu gemeinsamem, zielgerichteten Handeln zu motivieren, entsteht eine größere Effizienz und Zufriedenheit bei allen Beteiligten. Das Kapitel über die Methode des dialogischen Konfliktmanagements hat der Autor in der Neuauflage um das innovative Konzept „Appreciative Inquiry“ erweitert. Da es keine ideale Organisation gibt, ist die überzogene Fokussierung auf Schwächen und Defizite kontraproduktiv. Demgegenüber ist die Bewusstmachung von gemeinsamen Werten, Stärken und Visionen konstruktiv und zukunftsträchtig. Den Herausforderungen moderner Unternehmensführung trägt die neue überarbeitete Auflage Rechnung, indem der Autor das Berufsprofil des Managers durch das LeadershipKonzept erweitert. Seit der digitalen Revolution steht jede Organisation vor der Herausforderung, den laufenden Betrieb zu gewährleisten und sich gleichzeitig dem InnovatiV

VI

Geleitwort von Prof . Dr . Reinhard Flender

onsdruck einer hohen Innovationsgeschwindigkeit zu stellen. Es genügt also nicht, seinen Betrieb in einen gut funktionierenden Zustand zu bringen, sondern gleichzeitig müssen bei laufendem Betrieb neue IT-Lösungen und Kommunikationswege, beispielsweise über Social Media, implantiert werden. – Das neue Kapitel „Changemanagement“ bietet die theoretischen Grundlagen, um solche Prozesse erfolgreich zu steuern. Nur durch professionelle Zukunftsplanung ist das Unternehmen konkurrenzfähig. Neben bewährten alten Geschäftsmodellen müssen auch neue entwickelt werden, die im Falle radikaler Marktveränderungen die alten Modelle ersetzen können. Auch dieser Herausforderung eines zukunftsorientierten Managements trägt die erweiterte Neuauflage mit dem Kapitel „Von der Idee zum Businessplan“ Rechnung. Ich wünsche allen Lesern dieses Buches eine gewinnbringende Lektüre. Hamburg 03. September 2017

Prof. Dr. Reinhard Flender Leiter des Instituts für Kultur- und Medienmanagement Hamburg

Geleitwort von Prof. Dr. Friedrich Loock

Jedes soziale Gebilde braucht Führungskräfte, folglich gibt es hierzulande Millionen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Führungsverantwortung. Das wiederum verleitet zu der Annahme: Was derart viele tun, kann nicht allzu schwierig sein. Andererseits sagen uns Statistiken und Berichte, dass drei von vier Mitarbeitern unter Führungskräften leiden, die der Aufgabe nicht gewachsen zu sein scheinen. Wie passt das zusammen? Einschätzungen über „unzufriedene Indianer unter schlechten Häuptlingen“ sollte man sich mit großer Vorsicht nähern. Denn Situationen werden von den Beteiligten in der Regel nicht einmütig und übereinstimmend bewertet, sondern höchst unterschiedlich. Eine vermeintlich identische Situation kann vollkommen widersprüchlich wahrgenommen werden – sind die einen von einer Führungsleistung angetan, so kann es andere geben, die diese als belastend empfinden. Die vermeintliche Kollektivmeinung ist also stark von subjektiven und situativ bedingten Wahrnehmungen geprägt. Unumstritten aber ist das Vorhandensein von führungsbedingten individualemotionalen Belastungen, die bis zur psychischen und auch physischen Totalerschöpfung führen können. Allerdings vermag diese niemand zu konkretisieren, da Ursache und Wirkung zuweilen nicht originär zuordenbar sind. Unabhängig davon sind sich die Experten darin einig, dass aus subjektiv empfundener und/oder objektiv darstellbar „schlechter Mitarbeiterführung“ ein enormer betriebs- und volkswirtschaftlicher Schaden erwächst. Woran sollte sich eine Führungskraft orientieren, was muss und kann sie tun, um eine „gute Führungskraft“ zu sein? Muss sie ihr Verhalten jedem Mitarbeiter entsprechend individuell ausrichten – aber läuft sie dann nicht Gefahr, dass ihre Bereitschaft zu individueller Rücksichtnahme als orientierungslos empfunden wird? Oder muss sie sich den Zielen des Betriebes unterordnen und die Mitarbeiterführung allein daran orientieren – aber läuft sie dann nicht Gefahr, dass sie als rücksichtslos wahrgenommen wird? Die Basiserkenntnis erscheint – flüchtig betrachtet – höchst banal und ist doch die Wurzel für höchst komplexe Anforderungen: Der „goldene Weg“ liegt in einer sach-, situations- und personengerechten Mischung. „Mitarbeiterführung“ ist eine vergleichsweise simple Vokabel für eine der umfassendsten betrieblichen Anforderungen. Man sollte also nicht nach einem Patentrezept suchen, sondern sich parallel mit den unterschiedlichsten Modellen und Einflussfaktoren befasVII

VIII

Geleitwort von Prof. Dr. Friedrich Loock

sen, um möglichst variantenreich für das breite Spektrum an Entscheidungserwartungen gewappnet zu sein. Das vorliegende Werk hebt sich wohltuend aus der Vielzahl an literarischen Werken zu Personal- und Mitarbeiterführung heraus. Es verwendet Anschauungsbeispiele von großer Praxistauglichkeit und bietet Lösungsansätze, die ob ihrer hohen Umsetzbarkeit überzeugen. Dieses Buch ist daher für den betrieblichen Alltag von Führungskräften jeder Ebene und jeden Verantwortungsbereichs bestens geeignet. Hamburg im Juni 2010

Prof. Dr. Friedrich Loock Direktor des Instituts für Kultur- und Medienmanagement Hamburg

Vorwort zur 5. Auflage

Aufgrund der zunehmenden Komplexität der Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung und Globalisierung arbeiten Teams unterschiedlicher Größen und Nationalitäten über Grenzen hinweg gemeinsam an Projekten. Ob in großen international operierenden Teams oder kleineren Einheiten an einem Standort, immer müssen die Handlungen von Menschen verschiedener Nationalitäten und kultureller Prägungen koordiniert werden. Für „divers“ zusammengesetzte Teams sind die Mittel und Strukturen der transaktionalen Führung nur bedingt geeignet. Manager*innen müssen das Spektrum ihrer Führungskompetenzen erweitern, um eine lebendige Unternehmenskultur zu fördern, in der alle Mitarbeitenden ihre individuellen Erfahrungen und Sichtweisen einbringen können. Der Co-Autor dieses Buches, Jan Graevenstein, Experte für Automatisierungs- und Digitalisierungsstrategien im ERP-System-Umfeld mit mehr als 25 Jahren Praxisund Projekterfahrung als Geschäftsführender Gesellschafter seines mittelständischen IT-Unternehmens, befasst sich seit einigen Jahren mit der Frage, wie Mitarbeiter*innen sich intrinsisch motiviert selbst steuern und eigenverantwortlich die vereinbarten Ziele anstreben können. Er führte die Prinzipien der Agilen Führung in seinem Unternehmen ein und arbeitet seitdem kontinuierlich an der Weiterentwicklung der Prozesse und der entsprechenden Fortbildung der Mitarbeiter*innen und Führungskräfte in seinem Unternehmen. In dem neuen Abschnitt 10.8. beschreibt Graevenstein seine aus der Praxis gewonnenen Einblicke und Erkenntnisse. Aus der Sicht des Praktikers erläutert er die Prinzipien agiler Führung, vermittelt innovative Methoden der agilen Prozesssteuerung, gibt hilfreiche Anregungen für die Einführung und das Arbeiten mit den Werten und Methoden der agilen Führung. Deutlich wird, warum das Management sich mit einem neuen Rollenverständnis von Führenden und Geführten vertraut machen muss. Die Arbeitsprozesse so zu organisieren, dass einerseits die intrinsische Motivation der Mitarbeiter*innen sich entwickeln kann (siehe in diesem Buch Abschnitt 10.3.1, S. 188 f.) und andererseits die Arbeitsprozesse schneller an die sich verändernden in- und externen Bedingungen der Arbeitswelt angepasst werden, ist und bleibt eine herausfordernde Führungsaufgabe.

IX

X

Vorwort zur 5. Auflage

Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist es wichtig, dass Unternehmen für potenzielle Arbeitskräfte attraktiv erscheinen und diese im Unternehmen bleiben. Fakt ist, dass in divers aufgestellten und agil sich selbstführenden Teams die Mitarbeiter*innen zufriedener, offener und lernfähiger sind und sich intrinsisch motiviert loyaler gegenüber dem Unternehmen verhalten. Die Unternehmen wiederum profitieren davon, wenn Manager*innen sich variabel und flexibel auf die jeweiligen Anforderungen einzustellen wissen. Der neue Abschnitt 10.8 ist eine wichtige Ergänzung zu allen anderen Inhalten dieses Buches, die Manager*innen kennen und anwenden sollten, um erfolgreich und sozial kompetent führen zu können. Bad Segeberg und Speyer im Juli 2020

Asmus J. Hintz Jan Graevenstein

Vorwort zur 4. Auflage

Organisationen werden gemeinhin als stabile, von Routinen bestimmte Einheiten gesehen, die sich hin und wieder dem schmerzhaften Prozess der Veränderung unterziehen müssen. Einerseits bedürfen sie zur Effizienzsicherung der Stabilität, andererseits sehen sie sich zugleich einem permanenten Veränderungsdruck ausgesetzt, der Flexibilität und Variabilität verlangt. Angesichts der Tatsache, dass die Veränderungsnotwendigkeiten und Veränderungsgeschwindigkeiten auf den Märkten zunehmen, müssen Wandel- und Innovationsprozesse selbstverständliche Bestandteile der Unternehmenskultur werden. Die Anlässe für Change-Prozesse sind vielfältig. Diese zielführend und erfolgreich zu gestalten, ist eine wichtige Führungsaufgabe. Unternehmen, die den Wandel scheuen, sich passiv oder zu abwartend verhalten, fallen im Wettbewerb zurück und schwächen ihre Position. Wer sich am Markt der Zukunft etablieren will, muss mit der Zeit gehen. Im neugestalteten Abschnitt 10.7 Change-Management werden zu diesem Thema Grundbegriffe vermittelt und Handlungsmodelle und Verhaltensweisen aufgezeigt, die eine erfolgreiche Gestaltung von Veränderungsprozessen fördern. Zu den bewährten Change-Management-Tools für die Initiierung nachhaltig wirkender Veränderungsprozesse zählt die in der Mitte der 80er-Jahre in den USA von David Cooperrider entwickelte Methode „Appreciative Inquiry“ (wörtlich übersetzt: „wertschätzende Befragung“). Statt wie in der traditionellen Organisationsentwicklung üblich, von einem problembezogenen Denken auszugehen, betrachtete er Organisationen als Gebilde von Vollkommenheit und nicht als System voller Mängel. Dieser Philosophie folgt die Methode Appreciative Inquiry (AI) und verzichtet deshalb konsequent auf jegliche Defizit-Orientierung. Wichtiger ist, sich der unverwechselbaren individuellen oder organisationalen Stärken bewusst zu werden. Mithilfe von AI kann man in Teams und Organisationen eine offene Grundhaltung sowie die Wandelbereitschaft fördern. Im Abschnitt 10.7.3 wird die AI-Methode im Kontext des Change-Managements behandelt. Da der Autor mit dieser Methode in den Bereichen Wirtschaft und Kultur sowie in Hochschulen und Universitäten vielseitig gearbeitet hat, stellt er auf der Verlags-Homepage beim Buch eines seiner AI-Seminarskripte mit dem Titel „Zukunftswerkstatt der Studierenden des 27. Jahrgangs am KMM-Hamburg (Mai 2017) – Perspektiven und Ziele“ sowie das dazugehörige PDF mit den verwendeten PowerPoint-Charts zur Verfügung. Diese VorXI

XII

Vorwort zur 4. Auflage

lagen können zur Erstellung eigener AI-Konzepte verwendet werden oder Anregungen vermitteln für die Gestaltung eigener Workshop-Planungen. Was ist der Unterschied zwischen Management, Führung und Leadership? Diese Frage belebt zunehmend die Diskussion in der Aus- und Fortbildung von Führungskräften. John P. Kotter wies in seinem Buch „A Force For Change: How Leadership Differs From Management“ auf den Unterschied zwischen Managern und wahren Führern (Leadern) hin. Manager seien eher Verwalter, Leader dagegen Visionäre. Management stehe eher für das perfekte Organisieren der Abläufe, Planen und Kontrollieren. Leadership bedeute, die Geführten mit Visionen zu inspirieren und zu motivieren; Leadership schaffe Kreativität, Innovation, Sinnerfüllung und Wandel. Der Autor legt im Abschnitt 10.6.8 Leadership vs. Management seine Sicht dazu dar und verweist auf den nicht minder aktuellen Begriff „Entrepreneurship“, der im Kapitel 12 Von der Idee zur Planung Bedeutung erlangt. Zu den Aufgaben einer Führungskraft gehört die Entwicklung von Ideen oder Konzepten und deren Realisierung. Der Grundidee dieses Buches folgend, eine praxisbezogene Anleitung zum Führungshandeln anzubieten, werden die Leser ermutigt, sich mit den Aspekten „Leadership“ und „Entrepreneurship“ in einer analytischen und planerischen Weise auseinanderzusetzen und ihre Fähigkeiten auf diesen Gebieten zu erproben. In Lehre und Fortbildung hat sich gezeigt, dass diese Kompetenz für ManagerInnen sehr wichtig ist. In der Praxis wird immer häufiger gefordert, eigene und neuartige Ideen zu entwickeln und in handlungsorientierte Planungen zu übersetzen. – An dem Institut für Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg ist inzwischen das Entwickeln einer neuartigen „Geschäftsidee“ bis hin zur Businessplanreife Bestandteil des Studiums und der Masterprüfung. Dies hat u. a. zur Umbenennung des 12. Kapitels in „Von der Idee zum Businessplan“ geführt. Die Erstellung eines Businessplans verlangt, sich intensiv und detailliert mit allen Aspekten des Vorhabens zu befassen. Er dient als Grundlage für die Beurteilung der Erfolgsaussichten, um Geldgeber oder Partner zu überzeugen, und zeigt Leitlinien auf für das künftige Handeln. Vorlagen und Muster von Businessplanungen, die Funktion und Erstellung eines Elevator Pitches, Formulare zur Ermittlung des Kapitalbedarfs und die Finanzplanung sowie hilfreiche Links weisen nachvollziehbar den Weg zur eigenen Businessplanung. Bad Segeberg, im Juli 2017

Asmus J. Hintz

Danksagung

Wir danken den zahlreichen Studierenden und Seminarteilnehmern, die in den vergangenen drei Jahren mit dem Lehrbuch der 4. Auflage gearbeitet haben, für ihre aufmerksamen Hinweise und Anregungen, die uns motivierten, den Aspekt der Agilen Führung in der vorliegenden 5. Auflage zu thematisieren. Ferner gilt unser ausdrücklicher Dank den Mitarbeiter*innen des im Abschnitt 10.8 „Agile Führung – Selbstorganisierte Zusammenarbeit in der Praxis“ genannten IT-Unternehmens. Deren engagierte Mitwirkung an den Online-Umfragen sowie ihre Offenheit bei der Bewertung der Methoden und Strukturen anlässlich der Einführung der Agilen Führung förderten den Aspekt der Praxisrelevanz in besonderer Weise. Bärbel Hintz hat dankenswerterweise auch in dieser 5. Auflage in bewährter Manier wieder für den Feinschliff der Texte gesorgt. Philipp Freundörfer erstellte die zahlreichen neuen Illustrationen im Abschnitt 10.8. Für die fachlich kompetente Betreuung während des Prozesses der Herstellung der fünften Auflage dieses Werkes sowie die menschlich sehr angenehme Begleitung durch die Lektorin Ulrike Lörcher (Springer Gabler) danken wir herzlich. Bad Segeberg und Speyer im Juli 2020

Asmus J. Hintz Jan Graevenstein

XIII

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .XXV 1

Führen oder geführt werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Fallstudie: Neukundengewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Übung: „Der beste Chef, den ich kenne . . . “ . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Übung: Auswahl einer Führungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Schlüsselqualifikationen von Führungskräften . . . . . . . . . . . . . 1.5 Übung: Blickwinkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Wie wird man ein guter Chef? – 10 Tipps für Vorgesetzte . . . . . 1.7 Führungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.1 Individuelles Verhalten und Führungstypologien . . . . . 1.7.2 Führungsstile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.3 Übung: Die Ermittlung des persönlichen Führungsstils 1.8 Führungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8.1 Führungsaufgaben im Führungskreislauf . . . . . . . . . .

2

Ziele 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

2.6

................................... Fallbeispiel: Gipfelbesteigung . . . . . . . . . . . . . Zielsysteme – Zielbeziehungen . . . . . . . . . . . . Fallstudie: Ziele bestimmen das Verhalten . . . . . Führen durch Zielvereinbarung . . . . . . . . . . . . Ziel- und Leistungsvereinbarungsgespräche . . . 2.5.1 Die Grundlagen einer Zielund Leistungsvereinbarungssystematik . Zielvereinbarungsgespräche . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.3 Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.4 Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

1 2 8 8 13 16 17 19 22 24 27 30 32

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

35 36 39 43 46 48

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

49 52 52 52 52 52 XV

XVI

Inhaltsverzeichnis

2.7

2.8 2.9

2.6.5 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.6 Aspekte für Ziel- oder Leistungsvereinbarungsgespräche Vorbereitung von Zielvereinbarungsgesprächen aus Sicht der Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.1 Arbeitsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.2 Arbeitssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.3 Zusammenarbeit und Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.4 Entwicklungsziele und Entwicklungsmöglichkeiten . . . . Ideen zur Gestaltung motivierender Arbeitsbedingungen . . . . . . Gesprächsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.1 Checkliste zur Vor- und Nachbereitung von Mitarbeitergesprächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.2 Ziel- oder Leistungsvereinbarung (Eingangs- und Schluss-/Eingangsgespräch) . . . . . . . . . 2.9.3 Ziel- oder Leistungsvereinbarung (Zwischengespräch) . .

... ...

53 53

. . . . . . .

. . . . . . .

55 55 56 56 56 57 57

...

58

... ...

60 62

. . . . . . .

3

Planen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Übung: Die Wohnungsrenovierung . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Fallstudie: Planungsmeeting im Fremdspracheninstitut 3.3 Besprechungen leiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

65 66 69 73

4

Delegieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Fallbeispiel: Delegieren einer Wohnungsrenovierung 4.2 Übung: Mein eigenes Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Fallstudie: Rückdelegation verhindern . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

77 79 80 81

5

Entwickeln und fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die verschiedenen Rollen einer Führungskraft . . . . 5.2 Hilfe bei Problemlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Fallstudie: Schwierige Lage . . . . . . . . . . . . 5.3 Probleme werden zu Zielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Fallbeispiel: Überlastet . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 ,,Weniger ist mehr“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Selbstklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Führungsfehler vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Der Sokratische Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.1 Fallstudie: Der unerfahrene Projektmanager 5.7 Zirkuläres Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.1 Fallstudie: Schwierige Lage II . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

85 85 89 90 92 95 96 99 99 101 103 106 111

6

Kontrollieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 6.1 Fallbeispiel: Kontrollgespräch im Fremdspracheninstitut . . . . . . . . . 118

Inhaltsverzeichnis

XVII

7

Loben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Häufige Fehler beim Loben . . . . . . 7.2 Angemessen loben . . . . . . . . . . . 7.2.1 Fallstudie – „Die Perfekte“

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

123 124 125 126

8

Kritisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Häufige Fehler beim Kritisieren . . . . . . . . . 8.2 Angemessen kritisieren . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Fallstudie – „Der Unzuverlässige“ . 8.2.2 Fallstudie: Die innere Kündigung . . 8.2.3 Test: Welcher Kritiker-Typ sind Sie?

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

129 130 131 132 137 143

9

Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Konflikte bearbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Konfliktaufbau und Konfliktlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Muster eines Konfliktbearbeitungsgespräches . . . . . . . . . . 9.1.3 Wirksame Fragen zur Konfliktbearbeitung . . . . . . . . . . . . 9.1.4 Fallstudie: Die Honorarerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Konflikte vermeiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Übung: Reizformulierungen entschärfen . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Konfliktmoderation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Eigene Konflikte lösen – Hilfe zur Selbsthilfe . . . . . . . . . . . 9.2.4 Fallstudie: Der Eigenwillige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.5 Das Drama-Dreieck: Welche Rolle spielen Sie in Konflikten?

. . . . . . . . . . . .

145 147 148 151 152 153 159 160 161 162 164 172

10

Motivieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Nucleus Accumbens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Flow oder die Freude am Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Rahmenbedingen für das Entstehen von Flow 10.3 Übung: Definieren, was guttut und was nicht . . . . . . 10.3.1 Quellen der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Die menschliche Persönlichkeitsstruktur . . . . . . . . . 10.4.1 Beweggründe menschlichen Verhaltens . . . . 10.4.2 Die Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg . . . 10.4.3 Die Theorie X und Y von McGregor . . . . . . . 10.4.4 „Es“, „Ich“ und „Über-Ich“ . . . . . . . . . . . . . 10.4.5 Selbstwertgefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Vision und Vertrauen – Glaube versetzt Berge . . . . . . 10.5.1 Fallstudie: Pygmalion-Effekt . . . . . . . . . . . . 10.5.2 Die „Selbsterfüllende Prophezeiung“ . . . . . . 10.5.3 Halo-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

179 181 182 183 184 187 190 191 192 195 197 198 203 203 206 207

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . .

XVIII

Inhaltsverzeichnis

10.6

Motivierendes Führungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.1 Der Einfluss der Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.2 Führungsmotivation und Selbstwirksamkeit . . . . . . . . . . . . 10.6.3 Der ideale Führungsstil? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.4 Vorbildliche Arbeitsplatzkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.5 Transaktionale und transformationale Führung . . . . . . . . . . 10.6.6 Transformationale Führung in Kultureinrichtungen . . . . . . . 10.6.7 Motivierendes Führungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.8 Leadership vs. Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.9 Die 16 Lebensmotive nach Steven Reiss . . . . . . . . . . . . . . . 10.7 Change-Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7.1 Veränderungsprozesse motivierend begleiten . . . . . . . . . . . 10.7.2 Fünf Stufen bis zur Verhaltensänderung . . . . . . . . . . . . . . . 10.7.3 Appreciative Inquiry: Der Weg zu Spitzenleistungen . . . . . . . 10.7.4 Das SOS-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8 Agile Führung – Selbstorganisierte Zusammenarbeit in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.1 Grundlagen agiler Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.2 Kanban . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.3 Retrospektiv-Meeting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.4 Scrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.5 Fallbeispiel: Einführung der Agilen Arbeitsweise in einem IT-Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.6 Barrieren im agilen Transformationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.7 Empfohlenes Vorgehen aufgrund der Praxiserfahrung . . . . . . .

11

Kommunizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Übung: Kommunizieren leicht gemacht . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Gestörter Informationsfluss – eine Geschichte nicht nur zum Schmunzeln . . . . 11.1.2 Der Stille-Post-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Übung: Subjektive Wahrnehmung beim Zuhören . 11.2 Kommunikation aus psychologischer Sicht . . . . . . . . . . . 11.2.1 Fallbeispiel „Kein Papier mehr“ . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Der vierfache Gehalt einer Äußerung: das Kommunikationsquadrat . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Der 4-mundige Sprecher und der 4-ohrige Hörer . 11.2.4 Übung: Der Termin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Fallstudie: Der Autokauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2 Fragen über Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

208 208 209 214 215 217 220 221 224 226 229 236 245 247 258 261 261 264 274 287 292 314 327

. . . . . . . . 335 . . . . . . . . 337 . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

349 340 340 342 344

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

345 346 347 348 349 353

Inhaltsverzeichnis

12

XIX

11.3.3 Fragen stellen (mit System) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.4 Wer fragt, der führt! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.5 Übung: Dialog der Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.6 Gegenfrage – Rettung in allen Lebenslagen . . . . . . . 11.4 Zuhören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.1 Aktives Zuhören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.2 Übung: Äußerungen abtasten . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.3 Fallstudie – Das Karrieresprungbrett . . . . . . . . . . . 11.4.4 Übung: Aktives Zuhören oder kontrollierter Dialog . 11.5 Die Sach- und Beziehungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.1 Die Grundpositionen auf der Beziehungsebene . . . . 11.5.2 Teufelskreis der Verhaltensbeurteilung . . . . . . . . . . 11.6 Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.1 Funktionen des Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.2 Wirkung der Ich- und Du-Botschaft . . . . . . . . . . . . 11.6.3 Regeln für das Geben und Empfangen von Feedback 11.6.4 Johari-Fenster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.5 Selbst- und Fremdwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . 11.7 Beraten und verhandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7.1 Argumentieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7.2 Ein- oder Vorwände? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7.3 Fallstudie – „Primadonna“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7.4 Zustimmungssignale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.8 Die pragmatischen Axiome von Paul Watzlawick . . . . . . . . . 11.9 Die Transaktionsanalyse in Kommunikationsprozessen . . . . 11.9.1 Transaktionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.9.2 Ich-Zustandsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.9.3 Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.10 Wie überlebe ich meinen Chef? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.10.1 Fallbeispiel: gefeuert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.10.2 Fallbeispiel: angeprangert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.10.3 Fallbeispiel: nachgeäfft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.10.4 Fallbeispiel: runtergeputzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.10.5 Fallbeispiel: verdonnert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.10.6 Mein Chef ist mein Kunde! . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.11 Zu guter Letzt: Die Verhinderer – eine Fallstudie . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

353 357 360 362 365 367 372 374 378 380 381 383 384 384 385 386 389 392 398 398 400 408 412 415 418 418 418 421 424 426 435 439 443 446 450 451

Von der Idee zum Businessplan . . . . . . . 12.1 Die Engpasskonzentrierte Strategie 12.1.1 Die 4 Prinzipien . . . . . . . 12.1.2 Das 7-Phasen-Programm .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

463 477 477 478

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

Inhaltsverzeichnis

XX

12.2 12.3 12.4

12.5 12.6 12.7

12.8 12.9 13

12.1.3 Wesentliche Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.4 Wir brauchen eine neue Strategie . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.5 Ermittlung von Grundbedürfnissen . . . . . . . . . . . . . 12.1.6 Kernsätze der EKS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Szenario-Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . SWOT-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vision – Mission – Leitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Vision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.2 Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.3 Leitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.4 Beispiel: Leitbild einer Musikschule . . . . . . . . . . . . . 12.4.5 Beispiel: Leitbild von conmusica – Institute for Modern Music Education . . . . . . . . . . . Unternehmensziele bestimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategien entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7.1 Master-Geschäftsplan – Fallbeispiel Agentur für Kulturmanagement . . . . . . . 12.7.2 Mittelfristiger Geschäftsplan für drei Geschäftsjahre (GJ 01 – 03) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7.3 Maßnahmenplan für das erste Geschäftsjahr . . . . . . . Durchführung und Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planungsprozess in 12 Schritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

484 486 487 488 489 494 507 507 508 510 514

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

515 517 518 520

. . . . . 520 . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

522 524 526 526

Check: Führungsaufgaben von A bis Z . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1.1 Abb. 1.2 Abb. 1.3 Abb. 1.4 Abb. 1.5 Abb. 2.1 Abb. 5.1 Abb. 5.2 Abb. 5.3 Abb. 10.1 Abb. 10.2 Abb. 10.3 Abb. 10.4 Abb. 10.5 Abb. 10.6 Abb. 10.7 Abb. 10.8 Abb. 10.9 Abb. 10.10 Abb. 10.11 Abb. 10.12 Abb. 10.13 Abb. 10.14 Abb. 10.15 Abb. 10.16 Abb. 10.17 Abb. 10.18

Managerial Grid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben- und Personenorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontinuum der Führungsstile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hauptaufgaben der Führungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben im Führungskreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungsmechanismus: Motiv – Ziel – Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . Das situative Reifegradmodell von Hersey und Blanchard/1969 . . . . . . Entwicklung des Reifegrades von Mitarbeitern in Verbindung mit der Art der Anleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen zur Hilfe bei Problemlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Position des Flow zwischen Über- und Unterforderung . . . . . . . . . Spannungsfeld: Bedürfnis – Bedürfnisbefriedigung – Frustration . . . . . Die fünf Quellen der Motivation nach Barbuto (Prinzip des Motivation Sources Inventory) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hierarchie der Bedürfnisse nach Abraham Maslow . . . . . . . . . . . . . . . Motivatoren und Hygienefaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekte, die das Selbstwertgefühl beeinflussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung des Selbstwertgefühls für die Verhaltenssteuerung . . . . . Transaktionale vs. transformationale Führung, bezogen auf die Leistungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Faktoren für die Entwicklung intrinsischer Motivation und Arbeitszufriedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3-W-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Fünf-Phasen-Modell nach Krüger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünf Phasen des Change-Managements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswirkungen ungenügenden Veränderungsmanagements . . . . . . . . . Konstruktives Führungsverhalten in Veränderungsprozessen . . . . . . . . Die vier D-Phasen im Appreciative-Inquiry-Prozess . . . . . . . . . . . . . . Aspekte der Phase Discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekte der Phase Dream . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekte der Phase Design . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 23 26 30 32 45 87 89 90 183 187 188 191 194 199 201 219 223 232 234 235 242 245 250 251 252 253 XXI

XXII

Abb. 10.19 Abb. 10.20 Abb. 10.21 Abb. 10.22 Abb. 10.23 Abb. 10.24 Abb. 10.25 Abb. 10.26 Abb. 10.27 Abb. 10.28 Abb. 10.29 Abb. 10.30 Abb. 10.31 Abb. 10.32 Abb. 10.33 Abb. 10.34 Abb. 10.35 Abb. 10.36 Abb. 10.37 Abb. 11.1 Abb. 11.2 Abb. 11.3 Abb. 11.4 Abb. 11.5 Abb. 11.6 Abb. 11.7 Abb. 11.8 Abb. 11.9 Abb. 11.10 Abb. 11.11 Abb. 11.12 Abb. 11.13 Abb. 11.14 Abb. 11.15 Abb. 11.16 Abb. 11.17 Abb. 11.18 Abb. 12.1

Abbildungsverzeichnis

Aspekte für Zukunftsaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekte der Phase Destiny . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das SOS-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungsbeispiel Kanban-Board . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angaben auf einem Ticket . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispielhafter Ablauf eines Retrospektiv-Meetings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel „Erwartungsbaum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel „Protokoll“ beschlossener Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flipchart-Gestaltung für die Übung „Klaus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flipchart-Gestaltung „Was bremst? Was zieht?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel Aktionsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwartungsbaum mit Kommentaren der Teilnehmer*innen . . . . . . . . . . . Beispiel Stimmungsbildabfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vereinfachte Darstellung der Meetings im Scrum-Prozess . . . . . . . . . . . . . Entstehende Unklarheiten wurden zügig beseitigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ankündigung der Einführung agiler Methoden in unserem Unternehmen hat mich zuversichtlich gestimmt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundbestrebungen nach Thomann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Team-Persönlichkeiten im Riemann-Thomann-Modell . . . . . . . . . . . . . . . Praxistaugliche Gestaltung eines Scrum-Boards. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationsmodell I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationsmodell II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationsmodell III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpretationsmöglichkeiten einer Nachricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die vier Stufen eines guten Beratungs- oder Verkaufsgesprächs . . . . . . Fragen mit System – von den Oberkategorien zur Lösung . . . . . . . . . . Der Frage-Trichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . geschlossene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationsmodell VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johari-Fenster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Profilbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kopiervorlage zur Profilbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelles Ich-Zustandsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Komplementäre Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gekreuzte Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gekreuzte Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verdeckte Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung der Stärken (Strengths), Schwächen (Weaknesses), Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats) in einer Vier-Felder-Matrix . . . .

254 256 259 271 272 276 278 279 280 281 284 285 286 290 307 308 317 319 332 342 343 343 345 352 356 356 358 358 380 390 396 397 420 422 422 423 424

497

Abbildungsverzeichnis

Abb. 12.2 Abb. 12.3 Abb. 12.4 Abb. 12.5

XXIII

Beziehung zwischen Stärken und Chancen bzw. Risiken sowie zwischen Schwächen und Chancen bzw. Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 SWOT – Typologie von Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 Formulierung der wichtigsten Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken 501 Ableitung konkreter strategischer Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . 502

Einleitung

Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut. [Laotse, chin. Philosoph, 4. – 3. Jh. v. Chr.] Führen oder geführt werden? Wer führt wen, und was ist Führung? Was unterscheidet gute von schlechter Führung? Ist Führungsfähigkeit erlernbar oder eine Begabung? Fragen, die jeden bewegen, der in Führungsverantwortung steht oder berufen wird. Wir lernen Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen, aber Reden und Zuhören stehen auf keinem Lehrplan. Man beginnt seine Laufbahn üblicherweise als Fachspezialist, zeigt gute Leistungen, fällt den Vorgesetzten positiv auf, und ehe man es sich versieht, ist man Manager, hat Verantwortung für Ziele, Budgets und Mitarbeiter. Als Manager wird man mit komplexen Problemstellungen sachlicher und emotionaler Art konfrontiert. Warum reagiert mein Gesprächspartner so merkwürdig? Warum arbeitet A so hoch motiviert, und warum bereitet B fortwährend Probleme? Wie kann ich Konflikte lösen oder – noch besser – von vornherein vermeiden? Fragen über Fragen! In „Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz“ finden sowohl Anfänger als auch erfahrene Führungskräfte Anregungen und Fachwissen aus der Praxis. Die meisten Fallbeispiele und Fallstudien dieses Programms entstammen dem „wirklichen Leben“. Manches mag unwahrscheinlich wirken, aber vergessen Sie nicht: Das Leben schreibt die besten Geschichten. Sie werden die Herausforderungen, mit denen eine Führungskraft konfrontiert wird, aus verschiedenen Situationen erleben, über Lösungen nachdenken, Fallstudien und Musterlösungen analysieren. Sie werden lernen zu verstehen, was Menschen antreibt oder demotiviert und warum Kommunikation eine „Dauerbaustelle“ im Zusammenleben der Menschen ist. Sie werden lernen, Mitarbeiter für die Ziele des Unternehmens zu gewinnen. Sie werden verstehen, dass Führungskompetenz nicht in erster Linie und nicht allein das Resultat von Charisma und Talent ist, sondern das Ergebnis komplexer Kenntnisse und harter Arbeit an sich selbst.

XXV

XXVI

Einleitung

Führungskompetenz erfordert handwerkliches Können im Bereich der sozialen Interaktion und Problemlösung. Manager müssen die Wirkungsmechanismen menschlichen Verhaltens verstehen und die Potenziale der Teamarbeit nutzen können. Viele Manager ahnen, dass die Leistungsfähigkeit Ihrer Betriebe gesteigert werden könnte, wissen aber nicht, wie. Scharlatane und Motivierungskünstler finden ein breites Betätigungsfeld, gehen mit Wundermitteln für das Management hausieren, wissen auch auf noch gar nicht gestellte Fragen Antworten, euphorisieren mit Showeffekten die Belegschaft und hinterlassen eine tiefe Spur der Frustration. Hinzu kommt, dass viele Manager sich selbst für geborene Experten halten, die ihre eigene Erfahrung über die Erkenntnisse der Sozialwissenschaften stellen und alles, was man ihnen anbietet, für zu theoretisch und zu praxisfern halten. Schließlich hat man alles schon irgendwann einmal gehört, nichts ist wirklich neu, und geholfen hat es ja auch nicht. Der Wille zur Veränderung setzt voraus, für sich selbst und für die Verhältnisse, in denen man lebt und arbeitet, die Verantwortung zu übernehmen. Es ist nicht zulässig, die anderen oder die Situation für alles verantwortlich zu machen, was aus dem Ruder läuft oder sich schwierig gestaltet. Der Volksmund sagt mit Recht: „Der Fisch stinkt immer zuerst vom Kopf her.“ Für das Management gilt diese Weisheit in besonderer Weise. Man kann nicht der Kopf sein wollen, wenn es um die Verteilung von Privilegien und Einkommen geht, aber im Falle der Übernahme von Verantwortung für Fehlentwicklungen denselben in den Sand stecken oder so tun, als habe man damit nichts zu tun. Durch eine fundierte Kombination von Erkenntnissen aus Wissenschaft und Empirie, aus Theorie und Praxis werden Sie mit den Grundlagen der Mitarbeiterführung vertraut. Zahlreiche nützliche Tipps, Anregungen und Fallbeispiele für die Bearbeitung spezieller Führungssituationen zeigen Ihnen Handlungsoptionen auf. Ziel dieses Buchs ist es, die theoretischen Grundlagen der Sozialwissenschaften, insbesondere der Kommunikationswissenschaft, der Pädagogik, Psychologie, Sozialphilosophie und Soziologie, praxistauglich dosiert, verbunden mit Übungen und Fallstudien, in alltagstaugliches Wissen und Handlungskompetenzen einzubinden. Sie werden die Motive für das Verhalten von Menschen verstehen und beeinflussen können. Durch das Studium echter Gesprächsverläufe und deren Analyse werden Sie darauf vorbereitet, Mitarbeiter erfolgreich zu führen, menschliches Verhalten im Rahmen gegenseitiger Zielvereinbarungen zu steuern und soziale Macht in angemessener Weise ausüben zu können. Hamburg, im Mai 2010

Asmus J. Hintz

1

Führen oder geführt werden?

Viele reden wortgewandt über Führung, als sei das die selbstverständlichste Angelegenheit der Welt. Eigentlich kann es jeder, aber die Resultate sprechen eine andere Sprache. Die einen sind erfolgreich und beliebt als Vorgesetzte, andere zwar erfolgreich, aber demotivierend in der Wirkung auf die Einstellung ihrer Mitarbeiter zur gemeinsamen Arbeit und wieder andere gebärden sich diktatorisch. Also: Was ist Führung? Wie geht das? Warum sind die einen erfolgreicher als die anderen? Liegt das an der Qualität der Mitarbeiter oder an den Führungskräften? Es lohnt sich, der Frage „Was bedeutet Führung?“ die Gegenfrage „Was wäre, wenn es keine Führung gäbe?“ gegenüberzustellen. Ohne Führung droht der Zusammenbruch aller Systeme, Werte und Regeln, die Leben und Arbeiten in einem sozial harmonischen Gefüge ermöglichen. Führung ist ein stetiger Prozess der Problemerkennung und Problemlösung mit dem Ziel der Bestandssicherung der Unternehmung, der Förderung quantitativen und qualitativen Wachstums sowie der Sicherstellung einer angemessenen Rentabilität. Die Hauptaufgaben der Führung sind Willensbildung (Planung/Entscheidung) und Willensdurchsetzung (Ausführung/Kontrolle). Die Führungskraft wirkt durch Zielvereinbarungen und Delegation von Aufgaben und Kompetenzen an qualifizierte Mitarbeiter. Die Entwicklung und Vereinbarung klar definierter Ziele sind wichtige Voraussetzungen für erfolgreiches Arbeiten. Führungskraft und Mitarbeiter sollten ihre Zusammenarbeit auf der Basis von Respekt, Akzeptanz, Toleranz und Offenheit als fortwährenden gemeinsamen und gegenseitigen Lernprozess verstehen. Die Führungskompetenz eines Managers offenbart sich in seinem Verhalten und seiner Wahl der Mittel (Führungsinstrumente) in der jeweiligen Situation und ist das Resultat von Übung, selbstkritischer Reflexion und Erfahrung.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_1

1

2

1 Führen oder geführt werden?

Führung beeinflusst und koordiniert das Handeln und die Einstellung von Mitarbeitern, um • die Ziele einer Unternehmung/Organisation planmäßig zu erreichen • die Zufriedenheit der Kunden sicherzustellen • die Ziele der Unternehmung/Organisation einerseits und der Mitarbeiter andererseits in Balance zu halten • effizientes Arbeiten zu gewährleisten. Wie führt man richtig, und wie verhält sich die ideale Führungskraft? Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Ingo Kleist, sagte einst zum idealen Profil eines neuen Polizeipräsidenten für Hamburg: „Die ideale Führungspersönlichkeit braucht die Würde eines Erzbischofs, die Selbstlosigkeit eines Missionars, die Beharrlichkeit eines Steuerbeamten, die Erfahrung eines Wirtschaftsprüfers, die Arbeitskraft eines Kulis, den Takt eines Botschafters, die Genialität eines Nobelpreisträgers, die Gesundheit eines Olympiakämpfers, die Geduld eines Kindermädchens, das Lächeln eines Filmstars und das dicke Fell eines Nilpferds.“1 Die Anforderungen an eine moderne Führungskraft sind überaus vielfältig und widersprüchlich. Im Folgenden wollen wir die Bedingungen und Wirkungsmechanismen von Führungsprozessen verstehen und lernen, eigenes Führungsverhalten wirksam gestalten und einsetzen zu können.

1.1 Fallstudie: Neukundengewinnung Herr A und Frau B, Abteilungsleiter eines Fremdspracheninstituts, haben die Aufgabe, eine Informationsveranstaltung zur Gewinnung von Neukunden zu veranstalten. Das Unternehmen bietet eine breite Kurspalette an. Außer dem traditionellen Einzelunterricht und Intensivkursen für Manager gibt es Lerngruppen, in denen fachspezifische Fremdsprachenqualifikationen im technischen und medizinischen Bereich vermittelt werden. Institutseigene Lernforschung und modernste Lehrmittel haben zu einer landesweiten Anerkennung geführt. Herr A und Frau B in einem Meeting mit Herrn C, dem Inhaber des Instituts: Beispiel 1

C: „Frau B und Herr A, wir müssen mal wieder etwas unternehmen, um neue Schüler zu gewinnen. Vor den Sommerferien hatten wir recht viele Kündigungen. Wie Sie 1

Schulz von Thun, Friedemann: „Miteinander reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte“, Hamburg 2000, S. 13.

1.1

Fallstudie: Neukundengewinnung

3

wissen, ist im Herbst die beste Zeit, um neue Kunden zu gewinnen. Diese Kündigungen fressen uns noch auf! Na ja, wie auch immer, wir müssen jetzt schnell etwas unternehmen. Unsere Mitbewerber schlafen auch nicht. Ziel ist: so viele neue Schüler wie möglich gewinnen. Alles klar? Sie machen das schon. Auf geht’s! Ich will Erfolge sehen!“ Beispiel 2

C:

„Frau B und Herr A, ich habe Sie zu dieser Besprechung eingeladen, um die Entwicklung unseres Instituts zu erörtern und Maßnahmen zur Neukundengewinnung zu entwickeln. Nach den Sommerferien geht der Betrieb ja wieder so richtig los, und dann müssen wir gut aufgestellt sein. Bitte schildern Sie doch mal aus Ihrer Sicht den Stand der Dinge.“

B:

„Was uns Probleme bereitet, sind die hohen Kündigungszahlen.“

C:

„Wie hoch ist die Kündigungsrate jetzt und im Vergleich zum Vorjahr?“

A:

„Anfang Juli haben wir bereits 20 % Kündigungen. Das sind 3 % mehr als im Vorjahr.“

B:

„Das ist unser Problem! Wir müssen nicht nur neue Schüler gewinnen, sondern erst mal die 20 % Kündigung ausgleichen und dann noch welche oben drauf, um wachsen zu können.“

C:

„Welche Ursachen haben zu den Kündigungen geführt?“

A:

„An den Preisen kann es nicht liegen, wir sind absolut wettbewerbsfähig.“

B:

„Wir haben einige Leute im Kollegium, die verwechseln das, was wir hier machen, mit Schule und Leistungsdruck. Das geht vielen Kunden, die aus eigenem Antrieb eine Fremdsprache lernen wollen, gegen den Strich, und deswegen verlieren sie die Lust und kündigen.“

A:

„Das kann ich bestätigen. Da müssen wir aufpassen, dass unser guter Ruf nicht leidet. Wenn wir das nicht abstellen, wird es schwierig.“

C:

„Was müssen wir konkret ändern? Was schlagen Sie vor?“

B:

„Wir müssen diese Kollegen im Unterricht besuchen, ihre Arbeit genauer kennenlernen und mit ihnen arbeiten, damit sie unsere Philosophie der Kundenzufriedenheit verstehen und leben. Nur wenn die Kollegen sich auch danach verhalten, kann es gelingen, die Kündigungsrate zu senken.“

C:

„Wer von Ihnen sieht sich in der Lage, diesen Prozess zu übernehmen?“

B:

„Das könnte ich schon machen.“

C:

„Um wie viel Prozent wollen wir die Kündigungsrate bis zum Ende des Kalenderjahres senken? Wir haben noch fünf Monate.“

A:

„Senken wird schwierig. Wir sollten uns vornehmen, dass sie am Jahresende nicht die 30 %-Marke übersteigt. Das könnten wir schaffen.“

4

1 Führen oder geführt werden?

C:

„Frau B?“

B:

„Ich sehe das genauso.“

C:

„Gut, Frau B, dann entwickeln Sie doch bitte einen Plan, was Sie bis wann mit wem tun werden, um die Kündigungsquote bis Ende Dezember unter 30 % zu senken. Wann können wir uns wieder zusammensetzen und Ihre Ideen dazu diskutieren?“

B:

„Mitte kommender Woche, am Mittwoch um 10 Uhr?“

C:

„Das passt gut!“

A:

„Ja, für mich auch.“

C:

„Nun zurück zur Neukundengewinnung. Was können wir tun, um neue Kunden zu gewinnen?“

A:

„Wir müssen es schaffen, die Leute hier zu uns ins Institut zu bekommen. Sie müssen erleben, wie wunderbar einfach es ist, mit unseren Methoden eine Fremdsprache zu erlernen.“

B:

„Unser Motto ‚Lernen mit Spaß‘ muss man erleben. Und das geht nur über Ausprobieren.“

C:

„Sie meinen eine Art Probeunterricht?“

A:

„Richtig! Das muss man erleben und nicht klug darüber schreiben.“

B:

„Einen Tag der offenen Tür sollten wir veranstalten. Da können die Interessenten unsere Räume kennenlernen, mit den Dozenten reden und beim Probeunterricht erste Erfolgserlebnisse bekommen.“

A:

„Das bringt uns mit Sicherheit neue Kunden!“

C:

„Ich stelle fest, dass Sie beide diese Idee für gut halten. Mich überzeugt das ebenfalls. Dann sollten wir mit der Planung beginnen. Wer macht was?

B:

„Ich schlage vor, dass Herr A und ich das mal in Ruhe überlegen und Ihnen dann einen Vorschlag unterbreiten.“

C:

„Zuvor müssen wir uns noch über das Ziel der Aktion verständigen. Wie viele Schüler wollen wir dadurch neu gewinnen?“

A:

„Das kann man doch vorher gar nicht seriös sagen!“

C:

„Und woran wollen wir ohne Zielfestlegung messen, ob und wie erfolgreich wir waren?“

B:

„Das ist das Problem. Also, ich denke, dass wir bestimmt 40 neue Verträge erreichen können.“

C:

„Herr A?“

A:

„Tja, könnte klappen. Aber sicher bin ich nicht!“

C:

„40 neue Verträge durch den Tag der offenen Tür! Stimmen Sie beide zu?“

B:

„Ja, das müssen wir schaffen!“

1.1

Fallstudie: Neukundengewinnung

5

C:

„Wer von Ihnen ist bereit, die Planung und Durchführung in die Hand zu nehmen?“

B:

„Ich mache das gern.“

C:

„Frau B, bis wann können Sie Ihren ersten Planungsentwurf in dieser Runde zur Diskussion stellen?“

B:

„Herr A und ich müssen ja noch mit den anderen Kollegen reden und deren Ideen einbinden. Ich denke, wir könnten uns in zehn Tagen wieder zusammensetzen. Reicht das?“

C:

„Danke, Frau B, das passt gut. Also am Freitag in zehn Tagen von 10 bis 11 Uhr wieder hier?“

A:

„OK, abgemacht!“

Aufgabe

Sie haben zwei unterschiedliche Führungssituationen kennengelernt. Wodurch unterscheiden sich die Beispiele? Analysieren Sie das Verhalten der Beteiligten. Tragen Sie zuerst Ihre Wahrnehmungen in die Matrix ein und lassen Sie anschließend die Musteranalyse auf sich wirken.

Beispiel 1 Aspekte Wie hat C die Eröffnung des Gesprächs gestaltet?

Wie sind die Mitarbeiter in die Problemerörterung einbezogen worden?

Inhaber (C)

Verhalten Mitarbeiter (A und B)

Wirkung

6 Beispiel 2 Aspekte Wodurch hat C geführt?

Wie hat C die Eröffnung des Gesprächs gestaltet?

Wie sind die Mitarbeiter in die Problemerörterung einbezogen worden?

Was unterscheidet die Beispiele?

1 Führen oder geführt werden?

Inhaber (C)

Verhalten Mitarbeiter (A und B)

Wirkung

1.1

Fallstudie: Neukundengewinnung

7

Musteranalyse

Beispiel 1 Aspekte

Inhaber (C)

Verhalten Mitarbeiter (A und B)

Wirkung

Wie hat C die Eröffnung des Gesprächs gestaltet?

Kein „Warming up“, geht gleich auf das Problem los, Monolog des Inhabers

schweigen

Mitarbeiter werden nicht einbezogen.

Wie sind die Mitarbeiter in die Problemerörterung einbezogen worden?

gar nicht

hören die Ausführungen des Inhabers

schweigen

Wodurch hat C geführt?

durch alleiniges Reden schweigen und Anordnen, keine klare Zielvorgabe oder -absprache

Beispiel 2 Aspekte Wie hat C die Eröffnung des Gesprächs gestaltet? Wie sind die Mitarbeiter in die Problemerörterung einbezogen worden? Wodurch hat C geführt?

Was unterscheidet die Beispiele?

Inhaber (C) C führt in die Thematik ein durch erklärende Worte. C fragt die Mitarbeiter nach ihrer Meinung und ihren Erkenntnissen. C moderiert das Meeting und den Erkenntnisprozess, stellt offene Fragen und bietet die Übernahme von Verantwortung an. klare Zielvereinbarung zwischen C und den Mitarbeitern A und B

Verhalten Mitarbeiter (A und B) hören zu

Wer was und ob jemand etwas machen wird, ist völlig unklar.

Wirkung Offenheit

erläutern die Probleme Mitarbeiter sind am aus ihrer Sicht Problemlösungsprozess beteiligt, arbeiten aktiv mit. denken mit, schildern Mitarbeiter sind moaus ihrer Sicht Ursativiert, mitzuwirken chen und Wirkungen, und Verantwortung bringen Verbessezu übernehmen. Sie rungsvorschläge ein wirken engagiert. Mitarbeiter arbeiten mit, statt passiv zuzuhören.

In Bsp. 1 arbeitet der Inhaber allein, in Bsp. 2 arbeiten die Mitarbeiter mit.

8

1 Führen oder geführt werden?

1.2 Übung: „Der beste Chef, den ich kenne . . . “ Wir alle haben Vorgesetzte, Lehrer oder andere Personen erlebt, die Macht ausüben durften, mit denen wir mehr oder weniger gut zusammenarbeiten konnten. Das Verhalten der einen hat uns mehr, das der anderen weniger motiviert. Weshalb ist das so und welche Wirkungsmechanismen erzeugen Motivation oder Demotivation? In dieser Übung werden wir uns mit Verhaltensweisen von Führungskräften beschäftigen und die als positiv wahrgenommen Verhaltensweisen herausfiltern.

1. Suchen Sie sich einen oder mehrere Partner, um diese Übung auszuführen. 2. Jeder für sich denkt an eine Führungskraft, von der er sagen kann: „Das ist die beste Führungskraft, die ich bislang kennengelernt habe.“ 3. Erinnern Sie sich, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen zu Ihrer positiven Einschätzung geführt haben. Entwickeln Sie einen „Katalog der Führungseigenschaften“. 4. Tauschen Sie Ihre Gedanken mit den Gruppenmitgliedern aus. Einigen Sie sich auf die Eigenschaften, die für Sie als „Geführter“ besonders wichtig waren, die Ihre Motivation und Neigung, für das Unternehmen oder für die Führungskraft arbeiten zu wollen, sehr gefördert haben. 5. Tragen Sie die ausgewählten Führungseigenschaften hier ein:

1.3 Übung: Auswahl einer Führungskraft Stellen Sie sich vor, Sie sind Inhaber eines Unternehmens. Ihr Erfolg hängt u. a. von der Qualität Ihrer Führungskräfte ab. Was auch immer in Ihrer Firma geschieht, es geht um deren Zukunft, den Fortbestand, die Sicherheit der Arbeitsplätze und auch um Ihr Geld. Gehen Sie davon aus, Sie hätten die Position einer Führungskraft auszuschreiben. Für das Auswahlverfahren stellen Sie die aus Ihrer Sicht wichtigsten Führungseigenschaften in einem Anforderungsprofil dar und gewichten diese. Nicht alles wird gleichwertig nebeneinanderstehen können und müssen. In der folgenden Matrix „Auswahl von Eigenschaften für Führungskräfte“ finden Sie 13 Zeilen, in denen unter der Überschrift „Anforderungsprofil“ jeweils ein Bündel von Führungseigenschaften aufgeführt ist.

1.3

Übung: Auswahl einer Führungskraft

9

1. Suchen Sie sich Partner für diese Übung – je mehr, desto besser. 2. Kopieren Sie die Matrix entsprechend der Teilnehmeranzahl und reservieren Sie eine Matrix für die Auswertung des Gruppenergebnisses. 3. Bewerten Sie nicht einzelne Aspekte, sondern jeweils eine ganze Zeile. Auch wenn es Ihnen schwierig erscheint: Handeln Sie spontan. Tun Sie es einfach! 4. Sie haben für Ihre individuellen Bewertungen 15 Minuten Zeit. Entscheiden Sie sich intuitiv. 5. Die Punktvergabe: a. Jeder kann maximal 5 Punkte vergeben, um innerhalb der 13 Zeilen Schwerpunkte zu setzen. b. Jeder kann z. B. alle 5 Punkte auf eine Zeile setzen, 5 Zeilen mit je einem Punkt bewerten oder 2 Punkte auf diese und 3 Punkte auf eine andere setzen. 6. Nach Ablauf der 15 Minuten tragen Sie in der Gruppe die Bewertungen jedes Teilnehmers in die entsprechenden Zeilen der Spalte „Auswahl“ ein, addieren die daraus resultierenden Gesamtpunktzahlen und ermitteln, welche Rangfolge (1. oder 2. Platz usw.) sich daraus ergibt. 7. Diskutieren Sie diese Rangfolge im Hinblick auf die von Ihnen in der vorangegangenen Übung („Der beste Chef, den ich kenne . . . “) ermittelten Führungseigenschaften. Welche Übereinstimmungen oder Abweichungen ergeben sich? 8. Diskutieren Sie die Auswahl von Führungseigenschaften im Hinblick auf die Vorstellung, das Unternehmen gehöre Ihnen und in letzter Konsequenz gehe es immer um Ihr eigenes Vermögen. Welche Führungseigenschaften wären Ihnen unter diesem Gesichtspunkt besonders wichtig? Auswahl von Eigenschaften für Führungskräfte Nr.

Anforderungsprofil

1.

• • • •

konzeptionelle Fähigkeit Phantasie Kreativität Originalität

2.

• • • •

analytisches Denkvermögen Methodik Systematik Logik

3.

• • • •

Ausdrucksvermögen schriftlich mündlich durch Gestik

Punkte

Rangfolge (nur für die Gruppenauswertung)

10

1 Führen oder geführt werden?

Nr. 4.

Anforderungsprofil • • • • • • • • •

Überzeugungsvermögen Argumentation Auftreten Präsentation Verhandlungsgeschick Urteilsvermögen Blick für das Wesentliche Blick für Zusammenhänge Organisationstalent

6.

• • • • • • •

Stand- und Durchsetzungsvermögen Belastbarkeit Beharrlichkeit Zielstrebigkeit Teamfähigkeit Eigenständigkeit Konzentrationsfähigkeit

7.

• • • • • •

Sozialverhalten Sensibilität Toleranz Flexibilität Einfühlungsvermögen Aufgeschlossenheit

8.

• • • • • • • • •

Ergebnisorientierung Eigeninitiative wirtschaftliches Denken Engagement Erfolgsstreben Verantwortungsbewusstsein Selbstständigkeit Risikobereitschaft Zivilcourage

5.

9.

10.

• zwischenmenschliche Beziehung • Kollegialität • Kommunikation

11.

• • • •

Führungseignung Charisma und Ausstrahlung Motivation Gerechtigkeitssinn

Punkte

Rangfolge (nur für die Gruppenauswertung)

1.3

Übung: Auswahl einer Führungskraft

Nr.

Anforderungsprofil

12.

• • • • • •

Selbstdisziplin Loyalität Selbstkritik Selbstkontrolle Konsensfähigkeit Sachlichkeit

13.

• • • •

Berufsbild Ausbildung Erfahrung Qualifikation

11 Punkte

Rangfolge (nur für die Gruppenauswertung)

ACHTUNG: BITTE LESEN SIE NICHT WEITER! Erledigen Sie zuerst die Aufgabe.

12

1 Führen oder geführt werden?

Meine Wertung Hier sehen Sie drei verschiedene Gruppenergebnisse (A, B, C). Tragen Sie Ihre Ergebnisse in die Spalte „Meine Wertung“ ein. Kennzeichnen Sie Übereinstimmungen Ihrer Wertung mit denen der anderen Gruppen. Nr.

A Rangfolge

B Rangfolge

C Rangfolge

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

3 5 6 1 2 2 1 3 4 4 3 4 6

7 6 10 3 2 1 5 4 9 8 4 3 7

10 9 9 2 1 5 6 7 11 8 4 3 10

Meine Wertung Rangfolge

Auffällig ist, wie unterschiedlich die Gruppen A, B und C ihre Schwerpunkte gesetzt haben. • Die Spannweite z. B. bei der Nr. 1 (konzeptionelle Fähigkeit) reicht vom dritten (Gruppe A) bis zum 10. Platz (Gruppe C). • Das Sozialverhalten (Nr. 7) setzt die Gruppe A auf Rang 1 und die Gruppe C auf den 6. Platz. • Bei der Ergebnisorientierung (Nr. 8) reicht die Einschätzung vom 3. bis zum 7. Platz. Offensichtlich hatten die Gruppen Schwierigkeiten, eindeutige Prioritätensetzungen vorzunehmen. In der Gruppe A werden die zweiten und dritten Plätze mehrfach vergeben. Als Inhaber der Firma werden Sie möglicherweise besonderes Augenmerk auf die Nr. 8 (Ergebnisorientierung) legen wollen oder müssen. Klar ist: Stimmen die Ergebnisse nicht, gerät das Unternehmen in Gefahr.

1.4

Schlüsselqualifikationen von Führungskräften

13

1.4 Schlüsselqualifikationen von Führungskräften Das Schlüsselqualifikationskonzept wurde in den 1960er/70er Jahren im Rahmen der Reformphase des Bildungssystems entwickelt. Diese Zeiten waren geprägt durch den Abschied vom Taylorismus und der Schaffung neuer Betriebsstrukturen durch Arbeitsteilung und Lean Production, zunehmender Informationsflut und abnehmender Halbwertzeit des Fachwissens aufgrund der raschen technologischen Entwicklungen und der zunehmenden Bedeutung des Dienstleistungssektors. In den 1990er Jahren wurde das Wort „Qualifikation“ zunehmend durch „Kompetenz“ ersetzt. Der Kompetenzbegriff fokussiert das Individuum, das die veränderten Lebensbedingungen zum Teil selbst mitgestalten kann, indem es sich Kompetenzen für die Gestaltbarkeit der Lebenslagen erwirbt. Schlüsselkompetenzen werden definiert als allgemeine, funktionsübergreifende und langfristig verwertbare Fähigkeiten, die es ermöglichen, a) sich rasch selbstständig Spezialgebiete zu erschließen b) sich eigenverantwortlich in neue Gebiete einzuarbeiten c) Probleme selbstständig zu lösen d) befriedigend zu kommunizieren und zu kooperieren. Diese Kompetenzen ermöglichen, das Gelernte flexibel anzuwenden, neue Handlungsalternativen zu erproben und zu integrieren, neu gelernte Fähigkeiten mit alten zu verknüpfen und das eigene Handeln und Verhalten zu reflektieren. Die Handlungsfähigkeit steht somit auf drei Kompetenz-Pfeilern: 1. Sachkompetenz Gemeint sind Fähigkeiten zum hypothetischen Denken und der Struktur-Erkennung und zur Verbindung von Theorie und Praxis, zur Aufgabenbewältigung und zur Entwicklung geeigneter Problemlösungsstrategien. Dazu gehören: • selbstständige Weiterbildungsbereitschaft, ständiges Dazulernen • Fähigkeit zur Umsetzung des Wissens in Handlung • Moderationstechniken • Planungsmethoden, Vorausdenken • Reflexion, Kontrollfähigkeit, Qualitätsbewusstsein • Entscheidungen treffen, Problemlösungstechniken • systematisches und vernetztes Denken = Erkennen von Zusammenhängen • berufsorientierte Allgemeinbildung – EDV-Kenntnisse

14

1 Führen oder geführt werden?

– – – – –

betriebswirtschaftliche und technische Grundkenntnisse Sicherheit am Arbeitsplatz Umweltwissen Rhetorik in der jeweils erforderlichen Sprache Fremdsprachenkenntnisse

2. Sozialkompetenz Die Fähigkeit und Bereitschaft zur Kooperation, sich mit anderen verantwortungsbewusst auseinanderzusetzen und sich gruppen- und beziehungsorientiert zu verhalten, sind Merkmale von Sozialkompetenz. Diese gliedert sich in die Bereiche: • Kommunikationsfähigkeit – Verständigungsfähigkeit – Konsensfähigkeit und Einfühlungsvermögen – Verhandlungsfähigkeit – Kontaktfähigkeit und Offenheit – positive Ausstrahlung – Verantwortungsbereitschaft • Teamfähigkeit – Kommunikationsfähigkeit (aktives Zuhören, Feedback etc.) – Konfliktfähigkeit, Kritikfähigkeit (aktiv und passiv), Fairness – Kollegialität – Kompromissfähigkeit – Kooperationsbereitschaft – bereichsübergreifendes Denken • Führungskompetenz – Fähigkeit, Ziele zu vereinbaren – Entscheidungsfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit – Fähigkeit zu planen, organisieren, kontrollieren, delegieren 3. Selbstkompetenz Damit werden hier die Fähigkeit und Bereitschaft beschrieben, sich selbst zu entwickeln sowie die eigene Begabung, Motivation und Leistungsbereitschaft zu entfalten: • Klarheit im persönlichen Rollenverständnis/Balance – Selbstkonzept – Balance zwischen Berufsrolle und Privatperson – Stabilität, Zivilcourage, Mitmenschlichkeit – etc.

1.4

Schlüsselqualifikationen von Führungskräften

15

• persönlichkeitsbezogene Fähigkeiten und Eigenschaften – Motivation und Stetigkeit – Selbstbeherrschung – Kreativität – Flexibilität – Offenheit – Selbsteinschätzung, Risikobereitschaft – Eigenständigkeit – Belastbarkeit und Zielstrebigkeit – Pünktlichkeit, Genauigkeit, Fleiß und Zuverlässigkeit Eine klare Abgrenzung zwischen den drei Bereichen ist nicht möglich. Viele der Fähigkeiten und Fertigkeiten sind miteinander verbunden oder setzen einander voraus. Die Probleme des Konzepts der Schlüsselkompetenzen oder -qualifikationen ergeben sich durch folgende Einschränkungen: • Es gibt kein fest definiertes Idealbild menschlicher Eigenschaften. • Es gibt keinen klar definierten Einheitstyp des Erfolgreichen. • Es gibt kein fest definiertes Patentrezept für den Erfolg. • Schlüsselkompetenzen bezeichnen Werte und Eigenschaften, die kaum objektiv messbar sind. Schlüsselqualifikationen können nicht wie fachliche Fähigkeiten erworben bzw. erlernt, sondern nur durch die Auseinandersetzung mit konkreten Aufgabenstellungen entwickelt werden („learning by doing“). Von einer Führungskraft wird erwartet, dass sie • motiviert ist und die Tätigkeit gewissenhaft ausübt • selbstständig und problembewusst arbeitet, ohne dass jeder Handgriff einzeln angeordnet werden muss (Selbstständigkeit und Problemlösungsfähigkeit) • in der Lage ist zu analysieren und zu planen (Denken in Zusammenhängen) • sich während des gesamten Berufslebens auf technische Innovationen einstellt und mit ihnen umgehen kann (Lernen, Kreativität) • mit anderen Menschen produktiv im Team zusammenarbeiten kann (Teamfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit) • ihre Flexibilität in allen Bereichen unter Beweis stellt. Schlüsselqualifikationen oder -kompetenzen beschreiben Eigenschaften, die eine Führungskraft befähigen, verschiedene Positionen und Funktionen in Veränderungsprozessen einnehmen zu können.

16

1 Führen oder geführt werden?

Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse aus dem Abschnitt 1.1 – 1.4?

1.5 Übung: Blickwinkel Mitarbeiter und Führungskräfte haben unterschiedliche Blickwinkel. Die Position des anderen zu verstehen ist notwendig, um Prozesse und Ergebnisse beurteilen zu können. Der Volksmund kennt das Sprichwort „. . . sich in die Schuhe des anderen stellen.“ Eine Situation mit den Augen des anderen zu betrachten kann neue Perspektiven aufzeigen und zu einer umfassenderen Situationsanalyse führen. Lassen Sie uns das Beziehungsgeflecht zwischen Führungskraft und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Perspektiven analysieren. Die Übung „Blickwinkel“ können Sie sowohl mit Partnern als auch allein durchspielen. In der Gruppe wird es natürlich interessanter. a. Kopieren Sie die folgende Vorlage für jeden Teilnehmer (TN). b. Jeder TN schreibt zunächst seine Gedanken zu den Fragen in die Matrix (10 Minuten). c. Anschließend machen Sie sich gegenseitig mit den Antworten der TN vertraut und diskutieren die Auffassungen. d. Einigen Sie sich auf maximal drei Kernaussagen pro Fragestellung, die Sie in die Rubrik „meine/unsere Kernaussagen“ übernehmen möchten.

1.6

Wie wird man ein guter Chef? – 10 Tipps für Vorgesetzte

Blickwinkel Fragen

meine Antworten

Antworten der TN

17

meine/unsere Kernaussagen

Was erwarte ich von meinem Chef?

Was erwartet mein Chef von mir?

Als Chef möchte ich für meine Mitarbeiter Folgendes leisten:

1.6 Wie wird man ein guter Chef? – 10 Tipps für Vorgesetzte Führungserfolg hängt laut Renato Tagiuri, emeritierter Sozialwissenschaftler der Harvard Business School, nicht von der Persönlichkeit des Chefs ab, sondern von dessen konkretem Verhalten. Auch das viel beschworene Charisma ist auf lange Sicht ebenso wenig tragfähig wie ein autoritärer Führungsstil. Während seiner gesamten wissenschaftlichen Tätigkeit hat sich Renato Tagiuri mit der Frage beschäftigt, was einen guten Vorgesetzten ausmacht. Er ist der Ansicht, ein guter und erfolgreicher Chef könne nur sein, wer genau wisse, worauf es ankommt, und dieses Wissen in geeigneter Form an seine Mitarbeiter weitergibt. Seine Studien über das Verhalten von Führungskräften führten zur Formulierung eines 10-Punkte-Katalogs, dessen Befolgung aus mittelmäßigen Chefs angeblich „great bosses“ mache.

18

1 Führen oder geführt werden?

1. Ein erfolgreicher Vorgesetzter klärt unmissverständlich, welche Aufgaben erfüllt werden müssen. 2. Anschließend gibt er eine eindeutige Beschreibung dieser Aufgaben an seine Mitarbeiter. Dies bedeutet nicht, dass der Vorgesetzte den Mitarbeitern das Denken abnehmen soll. Er sorgt dafür, dass die Mitarbeiter die Art und den Umfang der Aufgabe klar verstanden haben. 3. Er interessiert sich für die Meinung der Mitarbeiter und für ihre Vorschläge, wie eine Aufgabe bewältigt werden kann. 4. Er sorgt dafür, dass die für die Arbeitsaufgabe notwendigen Mittel zur Verfügung stehen. 5. Er hat klare Bewertungsmaßstäbe zur Beurteilung der Leistung. 6. Ein guter Vorgesetzter lobt und belohnt gute Leistungen. 7. Er gibt einem erfolgreichen Mitarbeiter sofort Rückmeldung. 8. Er vermeidet persönliche Freundschaften mit Mitarbeitern. 9. Eigene Irrtümer und Fehler kann ein guter Vorgesetzter zugeben; er belügt seine Mitarbeiter nie. 10. Entscheidungen, die nur er selbst fällen kann, überlässt er niemals anderen. Diese 10 Verhaltensweisen bilden ein geschlossenes System. Die Vernachlässigung eines einzigen dieser Punkte kann einen Vorgesetzten in Probleme bringen, glaubt Tagiuri. Mitarbeiter müssen wissen, welche Prioritäten der Chef verfolgt und ob ihre Anstrengungen überhaupt wahrgenommen werden.

Bitte überlegen Sie: a. Wie decken sich Tagiuris Empfehlungen mit dem, was sie als Geführter erlebt haben mit Chefs, Lehrern oder anderen Menschen, denen Sie unterstellt waren? b. Wenn Sie bereits Mitarbeiter geführt haben oder demnächst führen werden: Welche Empfehlungen erscheinen Ihnen im Hinblick auf Ihre Führungstätigkeit besonders wichtig?

1.7

Führungsverhalten

19

1.7 Führungsverhalten Aufgaben- und Personenorientierung „Sage mir, wen Du wie führst, und ich sage Dir, wer Du bist.“ Das Verhalten von Führungskräften wird bestimmt von ihrer Einstellung hinsichtlich der Gewichtung zwischen der Aufgabe und der Person des Mitarbeiters. Der aufgabenorientierte Vorgesetzte sieht die Mitarbeiter als „Werkzeuge“, die der Erbringung einer Leistung zu dienen haben und ggf. auch unter Druck gesetzt werden können, um volle Leistung zu erbringen. Der personenbezogene Vorgesetzte billigt den Mitarbeitern zu, dass sie Freude an ihrer Arbeit empfinden können und aus eigenem Antrieb in der Lage sind, Überdurchschnittliches zu leisten. Er geht auf die Interessen und Probleme der Mitarbeiter ein, bemüht sich um ihre individuelle Entwicklung, wirkt unterstützend und fördert seine Untergebenen nach Kräften. Test: Wenn ich der Leiter einer Gruppe wäre Die folgenden Aussagen beschreiben gewisse Aspekte Ihres Verhaltens als Leiter einer Arbeitsgruppe. Beantworten Sie die einzelnen Punkte in der Weise, wie Sie sich als Leiter einer Gruppe verhalten bzw. verhalten würden. Kreisen Sie bei Ihrer Antwort den Buchstaben ein, der für Sie zutrifft: I = immer/H = häufig/G = gelegentlich/S = selten/N = nie Wenn Sie die Fragen aufrichtig beantworten, wird die Auswertung Ihre Aufgaben- und Personenorientierung aufzeigen. Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten. Nr. Wenn ich der Leiter einer Gruppe wäre,

ankreuzen

1. 2.

I H G S N I H G S N

3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

würde ich höchstwahrscheinlich als Gruppenleiter auftreten. würde ich den Mitgliedern der Gruppe vollständige Freiheit in der Ausführung ihrer Arbeit lassen. würde ich zur Einführung einheitlicher Arbeitsrichtlinien ermutigen. würde ich den Mitgliedern ihr eigenes Urteil bei der Lösung von Problemen erlauben. würde ich die Mitglieder zu größerem Einsatz anspornen. würde ich es den Mitgliedern überlassen, wie sie die ihnen gestellten Aufgaben ausführen. würde ich bei der Arbeitsdurchführung ein hohes Tempo einhalten. würde ich den Mitgliedern jegliche Freiheiten einräumen. würde ich Konflikte in der Gruppe dann lösen, wenn sie auftauchen.

I H G S N I H G S N I H G S N I H G S N I H G S N I H G S N I H G S N

20

1 Führen oder geführt werden?

Nr. Wenn ich der Leiter einer Gruppe wäre,

ankreuzen

10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

I I I I I I I I

wäre ich nicht geneigt, den Mitgliedern Handlungsfreiheit einzuräumen. würde ich entscheiden, was und wie etwas getan werden soll. würde ich sie zur Produktivitätssteigerung anspornen. würde ich den Mitgliedern bestimmte Aufgaben zuweisen. wäre ich bereit, Änderungen durchzuführen. würde ich einen Arbeitsplan aufstellen. würde ich für meine Handlungsweisen keine Erklärungen abgeben. würde ich andere in der Gruppe davon überzeugen, dass meine Ideen zu ihrem Vorteil sind. 18. würde ich der Gruppe erlauben, ihr Arbeitstempo selbst zu bestimmen.

H H H H H H H H

G G G G G G G G

S S S S S S S S

N N N N N N N N

I H G S N

Vgl.: Sergiovanni, T.J./Metzens, R./Burden, L.: „Toward a particularistic approach of to leadership Style: some findings“; in: American Educational Research Journal, 6. Jg., Heft 1/1969.

Auswertung des Fragebogens: • Kreisen Sie die folgenden Punkte ein: 1, 3, 9, 10, 11, 15, 16, 17. • Schreiben Sie eine 1 vor die eingekreisten Punkte, die Sie mit S = selten und N = nie beantwortet haben. • Schreiben Sie eine 1 vor die nicht eingekreisten Punkte, die Sie mit I = immer oder H = häufig beantwortet haben. • Kreisen Sie die 1 ein, die Sie vor die folgenden Punkte geschrieben haben: 2, 4, 5, 6, 8, 10, 14, 16, 18. • Zählen Sie die eingekreisten 1er. Die Summe reflektiert Ihre Personenorientierung. • Zählen Sie die nicht eingekreisten 1er. Die Summe reflektiert Ihre Aufgabenorientierung. Auswirkungen unterschiedlicher Gewichtungen von Mitarbeiterund Produktionsorientierung auf das Führungsverhalten Das „Managerial Grid“2 von Robert R. Blake und Jane S. Mouton basiert ebenfalls auf der Annahme, dass Führungsverhalten auf die Sach- oder Produktionsorientierung und die Mitarbeiterorientierung ausgerichtet ist. Es besteht aus zwei Achsen, die in jeweils neun Stufen unterteilt sind. Theoretisch ergeben sich daraus 81 verschiedene Verhaltensmuster, von denen nur fünf als wesentlich betrachtet werden (vgl. Abb. 1.1).

2

Das Managerial Grid beruht auf Forschungsergebnissen der Ohio State University und wurde 1964 im Rahmen eines Führungstrainings für das Unternehmen Exxon Mobil von Robert R. Blake und Jane Mouton entwickelt.

Führungsverhalten

hoch

1.7

21

91.9

9.9 Team-Management

Glacéhandschuh-Management

Hohes Leistungsstreben bei gleichzeitig starker Berücksichtigung der Mitarbeiterbelange

sorgfältige Beachtung der

8 zwischenmenschlichen Mitarbeiter-Orientierung

Beziehungen, freundliches Arbeitsklima

7 6

5.5 Organisationsmanagement Zwischen den persönlichen Belangen der Mitarbeiter und den Erfordernissen des Leistungsprozesses wird ein befriedigender Kompromiss gesucht

5 4 31.1

9.1 Befehl-Gehorsam-Management

Überlebensmanagement

gering

geringe Einwirkung sowohl

die Arbeitsleistung 2auf als auch auf den Mitarbeiter

1

2

3

gering

4

5

energisches Streben nach Höchstleistung, ohne Rücksichtnahme auf die Belange und Erwartungen der Mitarbeiter

6

7

Produktionsorientierung

8

9

hoch

Abb. 1.1 Managerial Grid

Die fünf wesentlichen Führungsverhaltensmuster sind: 9.9 Team-Management

Team-Management gilt als optimales Führungsverhalten, welches in jeder Führungssituation erfolgreich wirkt. Die Führungskraft agiert in der jeweiligen Situation angemessen und variantenreich. Die Mitarbeiter erbringen eine hohe Arbeitsleistung auf der Basis von Zielvereinbarungen. Vertrauen und gegenseitige Anerkennung kennzeichnen den Umgang miteinander. 9.1 Befehl-Gehorsam-Management

Der Fokus liegt auf den Arbeitsergebnissen. Diesen haben sich die Belange der Mitarbeiter unterzuordnen. 5.5 Organisationsmanagement

Es wird angestrebt, eine Balance zwischen hinreichender Arbeitsleistung und den Belangen der Mitarbeiter herzustellen. Die Mitarbeiter haben eine positive Grundeinstellung zur

22

1 Führen oder geführt werden?

Arbeit, erbringen aber keine Spitzenleistungen. Es besteht die Gefahr, dass mittelmäßige Leistungen zum Standard erhoben werden. 1.1 Überlebensmanagement

Dieser Führungsstil ist unproduktiv und gefährlich, da weder die Arbeitsergebnisse noch die Belange der Mitarbeiter von Interesse sind. Es gibt keine oder nur eine geringe Einwirkung auf die Leistungsziele und die Mitarbeiter. 1.9 Glacéhandschuh-Management

Die Pflege der zwischenmenschlichen Beziehungen steht im Mittelpunkt dieses Führungsverhaltens. Die freundliche Arbeitsatmosphäre hat zur Folge, dass sich alle wohlfühlen, aber die intensive Auseinandersetzung mit den Zielen darunter leidet. Die Leistungsgeschwindigkeit und die Ergebniserreichung sind eher niedrig. Der 9.9-Führungsstil gilt als optimal, die Formen im Bereich 5,9; 5,5; 9,5 als erstrebenswert.

1.7.1

Individuelles Verhalten und Führungstypologien

Auf der folgenden Seite wird die Aufgaben- und Personenorientierung in der Abb. 1.2 thematisiert. Angelehnt an das Managerial Grid lassen sich hinsichtlich des individuellen Verhaltens Entsprechungen zu der Führungsverhaltenstypologie ableiten. Es wird davon ausgegangen, dass individuelles Verhalten geprägt wird von den eigenen Motiven und Zielen der handelnden Person und der Bereitschaft, auf die Ziele anderer einzugehen. Dieses Verhaltensmodell zeigt auf der Abszisse die Aspekte „Ich/die Aufgaben“ und auf der Ordinate „der andere/Orientierung auf die Personen“. Die Verhaltenstypen des Koordinatensystems entsprechen in ihrer Charakteristik weitgehend den Mustern des Führungsverhaltens des Managerial Grids. Der Freundliche korrespondiert mit dem Typ 1.9: Glacéhandschuh-Management, der Integrierende gehört zum Typ 9.9: Team-Management, der Macher stimmt überein mit dem Typ 9.1: Befehl-Gehorsam-Management und der Analytiker findet sich wieder beim Typ 1.1: Überlebensmanagement.

1.7

Führungsverhalten

23

91.9

9.9 Der Integrierende

der Andere / Orientierung auf die Personen

Der Freundliche

-

- idealistisch

8 - Beziehungen sind wichtig 7

- meidet Probleme - Angst vor Entscheidungen

integriert löst Probleme fragt, hört zu begeisterungsfähig diskutiert gern hat Ideen und regt zu Ideen an

6 5 4 31.1

9.1 Der Macher

Der Analytiker - verlangt Details

- will Ziele erreichen - ungeduldig - hat feste Standpunkte

2 - logisch, rational - perfekt bis pingelig

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Ich / die Aufgaben

Abb. 1.2 Aufgaben- und Personenorientierung

Dieses Modell ist hilfreich, sowohl sich selbst als auch Kommunikationspartner rasch einschätzen und das eigene Verhalten dementsprechend ausrichten zu können. Hat man es z. B. mit einem Analytiker zu tun, ist man gut beraten, Fakten und Details parat zu haben, um dessen Ansprüchen zu genügen. Bei einem Macher hingegen wird man sich tunlichst kurz und präzise ausdrücken und die Vorteile, die mit dessen Zielen verbunden sind, betonen, weil man ansonsten Gefahr läuft, Unwillen zu erregen; Zeit ist für ihn kostbar. Kein Verhalten ist per se nur gut oder nur schlecht. Jedes Individuum ist mehr als nur einem Verhaltenstyp zuzuordnen. Welche Seite stärker zum Tragen kommt, ist situationsabhängig. Wichtig ist: • die Stärken und Schwächen des eigenen Verhaltens zu kennen • die Stärken und Schwächen des anderen und seine Bedürfnisse zu erkennen • das eigene Verhalten darauf einstellen zu können.

24

1.7.2

1 Führen oder geführt werden?

Führungsstile

Als Führungsstil bezeichnet man ein langfristiges, relativ stabiles, von der Situation unabhängiges Verhaltensmuster der Führungsperson, das zugleich die Grundeinstellung den Mitarbeitern gegenüber zum Ausdruck bringt.3 Es gibt nicht den idealen Führungsstil. Der Führungsstil muss der jeweiligen Situation angepasst sein. In einer Krisensituation ist ein autoritärer Führungsstil häufig der einzig praktikable. Wird die Feuerwehr beispielsweise zur Brandbekämpfung gerufen, ist es wenig effizient, alle Feuerwehrleute im Sinne des kooperativen Führungsstils an der Entscheidungsfindung der Brandbekämpfungsstrategie zu beteiligen. In einer stabilen und geregelten Arbeitssituation hingegen würden insbesondere hochqualifizierte Mitarbeiter, gewohnt selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten, einen autoritäreren Führungsstil als unerträglich und demotivierend empfinden. Ob autoritärer oder kooperativer Führungsstil, was zählt, ist einzig die Effizienz des Verhaltens einer Führungskraft unter Wahrung ethischer und moralischer Grundwerte. Traditionelle Führungsstile nach Max Weber (1864 – 1920)

3

Führungsstil

Merkmale

autokratisch/ patriarchalisch

• Unumschränkte Alleinherrschaft kennzeichnet den autokratischen Führungsstil. • Die Mitarbeiter werden an Entscheidungen nicht beteiligt. • Die Organisation ist streng hierarchisch ausgerichtet. • Die Führungskraft verlangt unbedingten Gehorsam und Disziplin.

charismatisch

• Die Persönlichkeit der Führungskraft steht an erster Stelle. • Ausstrahlung und Charisma sind Grundlage für Entscheidungen.

bürokratisch

• Die Funktion ist nicht an eine Person gebunden, sie ist verliehen und übertragbar. • Dienstanweisungen, Stellenbeschreibungen usw. regeln die Zusammenarbeit.

Staehle, Wolfgang: „Management“, 7. Auflage, München, 1994, S. 314.

1.7

Führungsverhalten

25

Klassische Führungsstile nach Lewin (1890 – 1947) Führungsstil

Kennzeichen

Vorteile

Nachteile

autoritär

Die Führungskraft entscheidet autonom, die Mitwirkung der Gruppe ist ausgeschlossen, die Mitarbeiter arbeiten nur nach Anweisung, Eigeninitiative und innovatives Verhalten sind unerwünscht. Entscheidungsprozesse sind für alle Mitarbeiter nachvollziehbar.

schnelle Handlungsfähigkeit in kritischen Situationen

Die Mitarbeiter werden demotiviert, Eigeninitiative erlahmt, sie handeln nur auf Anweisung. Wegen der Konzentration auf eine Person ist die Gefahr von Fehlentscheidungen groß.

Die Motivation der Mitarbeiter wird gefördert, weil ihre Ideen und Vorschläge ernst genommen werden. Der Vorgesetzte kann delegieren.

Entscheidungen brauchen mehr Zeit. In seinem Bemühen, es allen recht zu machen, kann sich der Vorgesetzte im Ernstfall nicht durchzusetzen.

Selbstbestimmtheit und großer Handlungsspielraum können eine motivierende Wirkung ausüben. Die Mitarbeiter können ihre persönlichen Stärken einbringen.

Nicht jeder Mitarbeiter kann mit dem hohen Maß an Freiheit umgehen. Ohne die ordnende Hand des Vorgesetzten tritt leicht Desorientierung auf.

demokratisch (oder auch kooperativ)

laisser-faire

hoher Grad an Information, Kommunikation und Raum für Initiative und Kreativität Die Mitarbeiter sollen in der Lage sein, von sich aus die richtigen Wege und Aufgaben zu erkennen; Entscheidungen und deren Überprüfung liegen in der Verantwortung der Gruppe.

Das Führungskontinuum ist ein 1958 von Tannenbaum und Schmidt entwickeltes Führungsmodell. Sie erstellten eine siebenstufige Typologie alternativer Führungsstile anhand des Kriteriums der Partizipation in Entscheidungssituationen. Sie nahmen die von Kurt Lewin entwickelten Führungsstile autoritär und demokratisch als Pole eines Kontinuums und fügten zwischen diesen Extrempunkten fünf Abstufungen ein.4 Zwischen den Polen Autoritärer und Demokratischer Führungsstil ergeben sich weitere Ableitungen von Führungsverhalten wie im „Kontinuum der Führungsstile“ nach Tannenbaum und Schmidt dargestellt (vgl. Abb. 1.3).5

4

Steyrer, Johannes: „Theorien der Führung“, In: Kasper/Mayrhofer (Hrsg.), Wien1996, S. 203. Tannenbaum, Robert/Schmidt, W.H.: „How to choose a leadership pattern“, in: Harvard Business Review 35 (1958) Nr. 2, S. 96.

5

26

1 Führen oder geführt werden?

Autoritärer Führungsstil Vorgesetzter zeigt autoritäres Verhalten

autoritär Vorgesetzter trifft Entscheidungen und kündigt sie an

patriarchalisch Vorgesetzter „verkauft“ seine Entscheidungen

beratend Vorgesetzter schlägt Ideen vor und erwartet Fragen

konsultativ Vorgesetzter schlägt eine Versuchsentscheidung vor, die geändert werden kann

partizipativ Vorgesetzter zeigt das Problem auf, erhält Lösungsvorschläge und entscheidet

delegativ Vorgesetzter gibt Grenzen an und fordert die Gruppe auf, die Entscheidung zu treffen

Demokratischer Führungsstil Vorgesetzter lässt Untergebenen Freiheiten

kooperativ Vorgesetzter gestattet den Untergebenen, innerhalb systembedingter Grenzen frei zu handeln

Abb. 1.3 Kontinuum der Führungsstile

autoritär

Der Vorgesetzte trifft allein Entscheidungen, verkündet sie, setzt sie durch, kontrolliert häufig deren Durchführung und verlangt Gehorsam. patriarchalisch Der Vorgesetzte kalkuliert Widerspruch seitens seiner Untergebenen ein und kommt diesem zuvor, indem er seine Entscheidungen begründet. beratend und Der Vorgesetzte gibt hier weiterhin Entscheidungen vor und bezieht zum Schein konsultativ die Mitarbeiter ein, lässt Raum für Fragen und Diskussion, um sie ruhigzustellen, weiß jedoch im Grunde bereits vorher, wie er sich entscheiden wird. partizipativ Hier wird erstmals die Möglichkeit eingeräumt, dass die Mitarbeiter ihrerseits an Problemlösungen mitarbeiten; die Entscheidung trifft jedoch nach wie vor der Vorgesetzte. delegativ Der Vorgesetzte zeigt das Problem auf, im Rahmen klarer Grenzen wird der Gruppe eine Entscheidungskompetenz übertragen. demokratisch Die Arbeitsgruppe und der Vorgesetzte sind gleichberechtigt. Die Arbeitsgruppe ergreift die Initiative, analysiert das Problem, entwickelt Lösungsalternativen und entscheidet. Die Grenzen der Entscheidungsfindung werden durch ein übergeordnetes System von außen gesetzt.

1.7

Führungsverhalten

27

Dem Anspruch dieses Buches „Erfolgreich führen durch soziale Kompetenz“ kommt der 2009 von Werner Boysen eingeführte Ansatz des enzymischen Managements sehr nahe. Enzyme sind Proteine, die biochemische Reaktionen einleiten, beschleunigen und lenken. Sie steuern beim Stoffwechsel von Organismen den überwiegenden Teil der biochemischen Reaktionen wie z. B. die Verdauung, ohne sich selbst zu verändern oder zu verbrauchen. Enzymisch wirkende Manager fördern durch weiterführende Fragen und Impulse das Entstehen von sich selbst steuernden Teams und Arbeitsprozessen. Das enzymische Management setzt grundlegend voraus, dass ganzheitlich geführt wird und sich im Sinne der Kybernetik Rückkopplungsmechanismen bilden, die für eine Stabilisierung und Selbstregulierung der Systeme sorgen. Manager können dies dadurch bewirken, dass sie einen Orientierungsrahmen aufzeigen und ein verbindliches Regelwerk vorgeben, innerhalb dessen sich die Mitarbeiter bewegen und organisieren können. Diese Art der Führung wird im Sinne von Anregung und Coaching wahrgenommen, nicht aber als anweisend und kontrollierend. Im Gegensatz zu den „Machern“, deren Führungsstil von Machtausübung, Vorgaben und Druck gekennzeichnet ist, lassen sich enzymisch arbeitende Manager von der Erkenntnis leiten, dass nicht sie selbst etwas bewegen, sondern die Prozesse und Dinge durch die katalytische Präsenz und Wirkung dieses Führungsstils möglich werden. Enzymisches Management fördert eine Vertrauenskultur, stärkt die Umsetzungskraft von Organisationen und führt so zu einer hohen Veränderungs- und Anpassungsfähigkeit.6

1.7.3 Übung: Die Ermittlung des persönlichen Führungsstils Den optimalen Führungsstil gibt es nicht. Führung muss immer den jeweiligen Situationen angepasst werden. Ein geeigneter Führungsstil ist abhängig von a) der Führungskraft b) der Situation c) der Aufgabe d) den Mitarbeitern. Anhaltspunkte und Hinweise, ob ein angemessener Führungsstil praktiziert wird, kann die folgende Aufgabe geben. Im Test finden Sie 20 Sätze, von denen jeweils zwei unter einer laufenden Nummer zusammengefasst sind. Gewichten Sie die Sätze. Jeder Satz kann 0 – 10 Punkte erhalten.  = höchste Gewichtung  = niedrigste Gewichtung 6

Boysen, Werner: „Management Turnaround – Wie Manager durch Enzymisches Management wieder wirksam werden“, Wiesbaden, 2009.

28

1 Führen oder geführt werden?

Ratsam ist, die Beurteilung des Führungsstils sowohl von der Führungskraft als auch von den Mitarbeitern vornehmen zu lassen. Der Vergleich der Bewertungen kann erste Ansatzpunkte für Veränderungen oder ein Gespräch ergeben. Test zur Ermittlung des persönlichen Führungsstils Nr.

Thesen

1.

a) Auch in für mich schwierigen Situationen ist leicht mit mir zu reden. b) Man muss sorgfältig den Zeitpunkt wählen, wann man mit mir reden will.

2.

a) Ich frage manchmal nach Beiträgen, habe mich normalerweise aber schon vorher festgelegt. b) Ich versuche die Vorteile der Mitarbeiter-Beiträge zu verstehen, selbst wenn sie im Gegensatz zu meinen Ideen stehen. a) Ich versuche meinen Mitarbeitern dabei zu helfen, die Ziele des Unternehmens zu verstehen. b) Ich lasse meine Mitarbeiter selbst herausfinden, welche Bedeutung die Unternehmensziele für sie haben. a) Ich versuche meinen Mitarbeitern Zugang zu allen Informationen zu geben, die sie wünschen. b) Ich gebe meinen Mitarbeitern die Informationen, von denen ich glaube, dass sie diese brauchen.

3.

4.

5.

a) Ich neige dazu, meinen Mitarbeitern Arbeitsziele zu setzen und Anweisungen zu geben, wie diese erfüllt werden können. b) Ich beteilige meine Mitarbeiter bei der Lösung von Problemen und der Festlegung von Arbeitszielen.

6.

a) Ich neige dazu, meinen Mitarbeitern von der Verwirklichung neuer Ideen abzuraten. b) Ich ermutige meine Mitarbeiter, neue Wege zu beschreiten.

7.

a) Ich toleriere die Fehler der Mitarbeiter, solange sie daraus lernen. b) Ich lasse nur wenig Raum für Fehler, besonders, wenn sie mich selbst in Schwierigkeiten bringen.

8.

a) Ich versuche hauptsächlich Fehler zu korrigieren und Wege zu entwickeln, um deren Wiederholung in Zukunft zu vermeiden. b) Ist etwas schiefgegangen, neige ich dazu, den Schuldigen zu finden.

9.

a) Meine Meinungen über Mitarbeiter und meine Erwartungen an sie schwanken. b) Ich habe eine hohe Meinung von den Mitarbeitern und erwarte viel.

10.

a) Ich erwarte hohe Leistung und gebe Anerkennung, wenn sie erreicht ist. b) Ich erwarte angemessene Aufgabenerfüllung und sage nur dann etwas, wenn es schiefgegangen ist.

Punkte

In die Auswertungstabelle werden die Ergebnisse der zehn Entscheidungssituationen eingetragen.

1.7

Führungsverhalten

29

Erste Hinweise auf einen angemessenen Führungsstil sind gegeben, wenn die Punktzahl der rechten Spalte die der linken Spalte deutlich übersteigt. Eine grobe Orientierung könnten die folgenden Werte in der rechten Spalte geben: 51 – 58 = zufriedenstellender Führungsstil 59 – 66 = guter Führungsstil 67 – 74 = sehr guter Führungsstil über 75 = das Ergebnis ist zu überprüfen; der Führungsstil kann zu Problemen führen. Mehr als 75 Punkte in der rechten Spalte geben Hinweis auf einen widersprüchlichen Führungsstil, wie er z. B. in der Bewertung der Thesen 6 b/7 b oder 8 b/9 b anklingt. Auswertung Nr.

These

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Summe der Punkte:

a a a a a a a a a a

Punkte

These

Punkte

b b b b b b b b b b

Im Anschluss an die Auswertung widmen Sie sich bitte folgenden Fragen: • Welche Führungseigenschaften halten Sie – bezogen auf sich selbst – für wichtig? • Welche Führungsstile oder Führungseigenschaften anderer sind für Sie mit negativen Empfindungen belegt? • Formulieren Sie, welche Führungsgrundsätze Sie praktizieren wollen. • Beschreiben Sie in einigen Sätzen hier Ihr Führungsleitbild.

30

1 Führen oder geführt werden?

1.8 Führungsaufgaben Die Hauptaufgaben der Führungskraft auf einen Blick zeigt Abb. 1.4. Willensbildung

Planung

Was soll in den kommenden 3-5 Jahren in welchen Bereichen geleistet werden?

Willensdurchsetzung

Entscheidung

Ausführung

Ziele festlegen, basierend auf der Planung

Aktionsplan erstellen

Strategien und Maßnahmen

Vorgehen gem. Aktionsplan Mitarbeiterziele vereinbaren

Kontrolle

Wie wirksam sind die Strategien und Maßnahmen? Budget/Pläne eingehalten?

Dokumentation und Information

- Planung, Ziele, Strategien, Maßnahmen, Finanzbedarf schriftlich dokumentieren - Ziel-Entscheidungen schriftlich begründen - die Strategien zur Zielerreichung schriftlich darstellen - einen Jahres-Aktivitätenplan entwickeln, der aufzeigt, was bis wann von wem in welcher Quantität/Qualität und unter Einsatz welcher Mittel (Finanzen, Hilfsmittel, Zeit) zu leisten ist - in regelmäßigen Abständen (monatlich, vierteljährlich, halbjährlich) den Stand der Dinge überprüfen und schriftlich darstellen (kommunizieren)

Abb. 1.4 Die Hauptaufgaben der Führungskraft

Management ist ein stetiger Prozess der Problemerkennung und Problemlösung. Die Bestandssicherung der Unternehmung, deren quantitatives und qualitatives Wachstum sowie die Sicherstellung einer angemessenen Rentabilität sind die klassischen Zielsetzungen der Managementtätigkeit. In jeder Organisation müssen tägliche Routineaufgaben und neue Problemstellungen bearbeitet werden. Das Überleben und die weitere Entwicklung der Organisation sind abhängig von den Fähigkeiten der Manager, die richtigen Antworten auf sich ständig verändernde Problemstellungen zu finden.

1.8

Führungsaufgaben

31

Im Mittelpunkt stehen die Fragen: • Wie können wir die derzeit anstehenden Aufgaben wirksam erfüllen? • Welche Herausforderungen erwarten uns in der Zukunft? • Wie können wir diesen Herausforderungen erfolgreich begegnen? • Welche Ressourcen (Mitarbeiter, Finanzen, Betriebsmittel, Zeiträume) brauchen wir, um den Anforderungen gewachsen zu sein? Diese und ähnliche Fragen werden von den Managern mithilfe unterschiedlicher Denkund Führungsstile und Problemlösungstechniken bearbeitet. Die Führungsaufgaben umfassen drei wesentliche Bereiche: Organisation • Steuerung der gesamten Organisation • Entwicklung und Optimierung der Arbeitsprozesse • Personalplanung, Personalauswahl, Personalentwicklung • Controlling usw. Mitarbeiter • informieren und kommunizieren • Gespräche führen • motivieren • Hilfestellung geben, coachen, beraten • auf die Einhaltung der Ziele und Regeln achten usw. Arbeitsprozesse • Ziele gemeinsam entwickeln und vereinbaren • planen • entscheiden • Durchführung veranlassen • kontrollieren • bewerten • Fachprobleme erkennen und lösen usw.

32

1 Führen oder geführt werden?

1.8.1 Führungsaufgaben im Führungskreislauf Die Führungsaufgaben können wegen ihrer periodischen Abfolge im Sinne eines Aufgaben-Kreislaufs systematisch geordnet werden: in den sogenannten Führungskreislauf. Im Folgenden werden wir die Führungsaufgaben detailliert kennenlernen und ein praxisbezogenes Handlungskonzept für die Führungstätigkeit erarbeiten.

Ziele entwickeln Motivieren

Planen

m m u n iz i e r e n

m m u n i z ie r e Ko

Führungsaufgaben

m m u n i z ie r e

n

Loben

Ko

Kritisieren

m m u n i z ie r e n

Konflikte bearbeiten

Ko

n

Ko

Delegieren

Entwickeln und Fördern

Kontrollieren

Abb. 1.5 Aufgaben im Führungskreislauf

Die Führungsaufgaben umfassen diese Tätigkeiten: 1. Ziele entwickeln, diese mit den Mitarbeitern vereinbaren und somit dafür sorgen, dass sich die Mitarbeiter voll für deren Realisierung einsetzen. 2. Planen, mit welchen Strategien, Maßnahmen und Mitteln die Ziele erreicht werden sollen. 3. Delegieren der Aufgaben an die dafür befähigten Mitarbeiter. 4. Entwickeln und fördern der Mitarbeiter im Arbeitsprozess, sie begleiten, unterstützen und fördern. Teamarbeit veranlassen und fördern. Ein Informationssystem installieren, um sicherzustellen, dass die Mitarbeiter über alles informiert werden, was ihre Tätigkeit betrifft bzw. beeinflussen kann.

1.8

Führungsaufgaben

33

5. Kontrollieren der vereinbarten Arbeitsschritte und das Erreichen der Ziele in regelmäßigen und überschaubaren Zeiträumen (z. B. vierteljährlich), um Abweichungen rechtzeitig zu erkennen und ggf. Korrekturen vornehmen zu können. 6. Loben und Kritisieren sind Möglichkeiten, das Verhalten der Mitarbeiter entsprechend ihrer Leistung und ihres Verhaltens zu verstärken oder – falls notwendig – Korrekturen zu fordern und zu vereinbaren. 7. Konflikte beeinträchtigen die Zusammenarbeit und die Arbeitsergebnisse und müssen so früh wie möglich erkannt und bearbeitet werden. 8. Motivation ist die Energiequelle, die alle in die Lage versetzt, sich nachhaltig und konstruktiv für die gemeinsamen Ziele einzusetzen. Sie zu erhalten und Demotivierendes zu vermeiden ist eine der wichtigsten Aufgaben der Führungskraft. 9. Kommunizieren ist in allen Schritten des Führungskreislaufs unerlässlich und beeinflusst die Grundstimmung aller Beteiligten entscheidend. Der Vollzug der Führungsaufgaben geschieht in dem Beziehungsgeflecht von • Menschen (Mitarbeitern und Führungskräften) • Leitbildern, Zielen, Strategien, Plänen • Arbeitsaufgaben • Bemessungs- und Belohnungssystemen • Gruppen (Projektgruppen, Teams) • Netzwerken (in- und externe Interessengruppen) • Organisationsstrukturen (-kulturen) • Werten, Normen, Kundenerwartungen. Die Führungskraft muss dafür sorgen, dass diese Faktoren im Sinne des Unternehmens reibungslos und synergetisch zusammenwirken.

2

Ziele

Zielbildung, ob im Management oder im Privatleben, ist das Geheimnis des Erfolgs. Ohne klar definierte Ziele sollte man keine Arbeit beginnen. Das wäre Zeit- und Geldverschwendung. Was haben Manager und Bildhauer gemeinsam? Ein Bildhauer entwickelt eine klare Vorstellung von der Skulptur, die er aus dem Stein herausmodellieren will. Hat er eine klare Vorstellung von seinem Ziel, besteht seine Arbeit „nur noch“ darin, alles Überflüssige wegzuschlagen und die Figur aus dem Stein herauszumodellieren. Nichts anderes macht der Manager. Er wird im Verlauf der Arbeitsprozesse mit vielen Handlungsoptionen konfrontiert. Vieles erscheint interessant, gar verlockend und naheliegend. Ob diese Optionen aber auch wirklich zielführend sind, ist eine zentral wichtige Frage. „Tun wir die richtigen Dinge und – wenn ja – tun wir sie richtig?“ Hat der Manager analog zum Bildhauer aufgrund sorgfältiger Analyse und Überlegungen eine klare Zielvorstellung entwickelt, wird er sicherer in der Entscheidung der zielführenden Strategien und Maßnahmen sowie in der Auswahl der Handlungsoptionen. Auch im Management liegt die Kunst im Weglassen überflüssiger und nicht zielführender Maßnahmen und Wege: in der Beschränkung und Konzentration auf den Aspekt, der die größtmögliche Wirksamkeit verspricht. Auch Manager brauchen in diesem Sinne die Fähigkeit des Weglassens und der Konzentration auf das Wesentliche - und in jedem Fall klare Ziele. Nur klare Zielsetzungen ermöglichen, dass der Erfolg objektiv messbar und Entwicklungen sichtbar werden. Ohne Ziele keine Führung! Führen bedeutet, gemeinsam mit Mitarbeitern zuvor vereinbarte oder gesetzte Ziele zu erreichen. Dabei sind vier Aspekte bedeutsam: • Das gemeinsame Ziel muss eindeutig definiert und schriftlich fixiert werden. Die Klarheit der Zielsetzung ist © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_2

35

36

2 Ziele

von größter Bedeutung – sie entscheidet über den künftigen Erfolg oder Misserfolg eines Vorhabens. Keine Arbeit ohne eindeutig geklärte Ziele! • Das Verhalten der Mitarbeiter entspricht immer deren persönlichen Zielsetzungen. Stimmen diese nicht mit den Zielen der Unternehmung überein, kommt es zu abweichenden Verhaltensweisen, die den Erfolg des Unternehmens und die Einstellung der Gruppe zur Arbeit negativ beeinflussen. • Das Verhalten der Führungskraft ist eine unabdingbare Voraussetzung für den gemeinsamen Erfolg. Die Führungskraft muss das, was sie von anderen verlangt, jederzeit glaubhaft und beispielhaft vorleben; ihr Kommunikations- und Führungsstil müssen der jeweiligen Situation angemessen sein. • Ein wechselseitiger Lernprozess verbindet Führungskraft und Mitarbeiter. Voraussetzung dafür sind Respekt, Akzeptanz, Toleranz und Offenheit auf beiden Seiten. Führungskräfte mit arroganter, rechthaberischer Einstellung sind für konstruktive Arbeitsprozesse ebenso unbrauchbar wie Mitarbeiter mit überzogenem Anspruchsdenken und innerer Schonhaltung, die ihre Arbeit lediglich als unliebsame Unterbrechung der Freizeit betrachten.

2.1

Fallbeispiel: Gipfelbesteigung

Ungeklärte oder nicht vorhandene Ziele sind die häufigste Ursache von Misserfolgen und Motivationsmangel. Welche Anforderungen sind an Zielformulierungen zu stellen? Wie kann man Ziele vereinbaren und dadurch die Motivation der Mitarbeiter lebendig erhalten? Wie sollten bearbeitungsfähige Ziele formuliert und vereinbart werden? Wie können wir die Motivation der Mitarbeiter fördern und wie Zielkonflikte vermeiden? Diesen Fragen werden wir uns jetzt zuwenden. Sie machen Urlaub in den Bergen, lieben das Wandern und die Fernsicht von der Höhe der Gipfel. Gesundheitlich sind Sie fit und nehmen hin und wieder gern Herausforderungen an. Fall A Sie werden eingeladen, einen Berg zu besteigen, dessen Gipfel von einer dichten Wolkendecke verdeckt ist. Sie haben weder Informationen über die Höhe des Berges, die Beschaffenheit der Wege, die Art der notwendigen Ausrüstung, noch wissen Sie etwas über die erforderliche Zeit und die zu erwartenden Wetterbedingungen. Fall B Sie werden eingeladen, einen Berg zu besteigen, dessen Gipfel von einer dichten Wolkendecke verdeckt ist. In einem ausführlichen Gespräch mit dem Bergführer erörtern Sie die

2.1 Fallbeispiel: Gipfelbesteigung

37

Rahmenbedingungen der Tour. Die Beschaffenheit der Wege entspricht Ihren bergsteigerischen Fähigkeiten. Der Aufstieg wird etwa fünf Stunden dauern. Hinzu kommt, dass die Wetterlage sich in wenigen Stunden entscheidend verbessern wird. Die erforderliche Ausrüstung stellt der erfahrene Bergführer. Aufgrund seiner Beschreibungen haben Sie eine Vorstellung gewonnen von der einmaligen Fernsicht, die Sie vom Gipfel aus als Lohn der Anstrengungen erwarten wird. Aufgabe: 1. Für welche Bergtour hätten Sie sich entschieden? Begründen Sie Ihre Entscheidung. 2. Was hat Ihre Motivation, an der Gipfelbesteigung teilzunehmen, in dem einen Fall behindert und im anderen gefördert? a) Meine Motivation wurde behindert durch . . . b) Meine Motivation wurde gefördert durch . . .

Schreiben Sie bitte hier ein Ziel auf, welches Sie in der Zukunft erreichen wollen:

Manchmal hört man auf die Frage nach einer Zielformulierung, die möglichst alle wichtigen Aspekte abdecken soll, einen Satz wie diesen: „Ich möchte so schnell wie möglich so reich wie möglich werden.“ Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass wir hier nichts Verwertbares erfahren. Was bedeutet „so schnell wie möglich“, was „reich“ und dann auch noch „so reich wie möglich“? Leider sind solche „Zielformulierungen“ nicht ungewöhnlich. Im o. g. Beispiel handelt es sich nicht um ein Ziel, sondern um einen unpräzise geäußerten Wunsch. Die meisten Menschen haben leider keine klar definierten Ziele. Die Vermischung von Wünschen und Zielen, das Unvermögen, klare Ziele für sich und andere bestimmen zu können, sind eine häufige Ursache für Unzufriedenheit im privaten wie im beruflichen Bereich. Mark Twain

38

2 Ziele

wird die Aussage zugeschrieben: „Als sie ihr Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten sie ihre Anstrengungen.“ Vielleicht haben Sie das auch schon einmal erlebt: Sie arbeiten, strengen sich an und kommen nicht recht von der Stelle, sind unzufrieden mit sich und den anderen. Sollte dies der Fall sein, wird es höchste Zeit, das zu ändern! Lassen Sie uns überlegen, welche Aspekte in der Formulierung des Falles B der Gipfelbesteigung zu einer Zielformulierung gehören: 1. Es soll ein Berggipfel bestiegen werden, der eine einmalige Fernsicht gewährt. (Was?) 2. Die Besteigung wird Ihren Fähigkeiten entsprechen, die erforderliche Ausrüstung wird gestellt und die Wetterlage wird sich entscheidend verbessern. (Qualität) 3. Der Aufstieg wird etwa fünf Stunden dauern. (Quantität) Um ein bearbeitungsfähiges und motivierendes Ziel zu formulieren, müssen die folgenden Aspekte definiert werden. 1. Was? (Um was handelt es sich, was soll erreicht oder bearbeitet werden?) 2. Quantität/Qualität? (In welcher Quantität oder Qualität – in manchen Fällen kann man nur das eine oder das andere beschreiben – soll es erreicht werden?) 3. Wann? (Bis zu welchem Zeitpunkt soll das Ergebnis erreicht worden sein?) Nur wenn diese drei Aspekte klar beschrieben sind, haben wir ein Ziel, das für alle Betroffenen verständlich ist und motivierende Kraft entwickelt. Fehlt auch nur ein Aspekt, handelt es sich um einen Wunsch und nicht mehr um ein bearbeitungsfähiges Ziel. Versuchen Sie jetzt, den Wunsch: „Ich möchte so schnell wie möglich so reich wie möglich werden“ in eine Zielformulierung umzuwandeln.

BITTE ERST DIE EIGENE ZIELFORMULIERUNG ERSTELLEN!

2.2 Zielsysteme – Zielbeziehungen

39

Hier noch einmal die Anforderungen an Zielformulierungen

Ziele müssen • präzise und konkret formuliert werden • mit den Betroffenen gemeinsam entwickelt werden, um volle Akzeptanz sicherzustellen • realistisch sein • erstrebenswert und herausfordernd sein • inklusive möglicher Teilziele mit dem Gesamtziel vereinbar, in sich stimmig und einander ergänzend (förderlich) sein.

Musterlösung:

„Ich möchte bis zum 31.12. dieses Jahres 1.000 Euro zur freien Verfügung haben.“

Analyse: Zu 1. Was?

=

Geld

Zu 2. Quantität

=

1.000,-

=

Euro und zur freien Verfügung

=

31.12. dieses Jahres

Qualität Zu 3. Zeitpunkt

Die drei erforderlichen Zielaspekte sind definiert.

2.2 Zielsysteme – Zielbeziehungen Ziele werden entsprechend der Bedeutung für das Unternehmen in strategische, taktische und operative Ziele eingeteilt. Daraus entsteht eine Hierarchie der Ziele, die sich in der Positionierung der Mitarbeiter widerspiegelt: je höher die Position, umso mehr Verantwortung für höhere Zielebenen. Strategische Ziele sind aus dem Leitbild und den Wertvorstellungen eines Unternehmens abgeleitet und auf einen zeitlichen Rahmen von 5 bis 10 Jahren ausgerichtet. Taktische Ziele leiten sich aus den strategischen Zielen ab, konkretisieren deren Realisierung und beschreiben konkrete wirtschaftliche Aspekte.

40

2 Ziele

Operative Ziele sind kurzfristig angelegt (ein Jahr) und auf die Realisierung der taktischen Ziele fokussiert.1 Die Begriffe Zielsetzung, Zielstellung und Zielvorgabe entsprechen in ihrer Charakteristik den Begriffen Macht, Vorschrift, Befehl, Druck oder Zwang. Die Zielvereinbarung dagegen erfordert Dialog, Diskussion und Vereinbarung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Mit den Begriffen Zielsetzung und Zielvereinbarung sind unterschiedliche Führungsstile assoziiert, die wir noch eingehender betrachten werden. Ob autoritärer oder partizipativer (beteiligender) Führungsstil – die Führungsentscheidung und -verantwortung kann der Vorgesetzte weder teilen noch delegieren. Er kann mit seinen „Mit-Arbeitern“ die Grundlagen der Entscheidung klären, Pläne erstellen und Maßnahmen beschließen. Aber er kann und darf sich nicht hinter einer Gruppenentscheidung verstecken und versuchen, im Falle des Misslingens die Verantwortung auf seine Mitarbeiter abzuwälzen. Viele Menschen und auch Unternehmen arbeiten mit enormem Aufwand und sind dennoch nur mäßig erfolgreich. Wichtig ist nicht, wie viel man arbeitet (nicht der bloße Zeiteinsatz2 macht erfolgreich), sondern zu erkennen, an welchen Stellen man seine Energien einsetzen muss, um mit angemessenem Einsatz der Mittel eine maximale Wirkung zu erzielen. Dies ist Aufgabe der Strategieentwicklung und zugleich ein entscheidender Faktor für die Zielbildung. Ein Zielsystem koordiniert die verschiedenen Ziele eines Unternehmens so, dass Kollisionen und Beeinträchtigungen möglichst ausgeschlossen werden können. Hat ein Unternehmen sich z. B. zum Ziel gesetzt, von einem Produkt für eine sehr exklusive Zielgruppe große Mengen abzusetzen, wird man feststellen, dass Exklusivität und Quantität konkurrierende Aspekte sind, deren Verfolgung zu wirtschaftlichen Verlusten führt. Ein Zielsystem veranlasst Führungskräfte und Mitarbeiter, sich ständig mit zukünftigen Entwicklungen, Trends, Megatrends und dem unternehmensrelevanten Umfeld im Sinne eines Frühwarnsystems zu befassen und die Erkenntnisse im Hinblick auf die Unternehmensziele auszuwerten. Die Szenario-Technik und die SWOT-Analyse3 (Strength-Weakness-OpportunitiesThreads) sind geeignete Werkzeuge zur Überprüfung der mittel- und langfristigen Planung sowie zur Einschätzung der Chancen und Risiken. Das Einschätzen und Überprüfen der Ziele und Handlungen ist eine wichtige Managementaufgabe, die regelmäßig wahrgenommen werden muss. Ein auf diese Weise gepflegtes Zielsystem ermöglicht vorausschauendes Verhalten, ermöglicht Aktion statt Reaktion. Es reicht nicht, die richtigen Dinge zu tun; der richtige Zeitpunkt ist mindestens ebenso wichtig. 1

Diese Aspekte werden im Kapitel „Von der Idee zum Businesplan“ ausführlich behandelt. Diesen Menschentyp beschrieb Wilhelm Busch wie folgt: Ohne ihn war nichts zu machen. Keine Stunde hatt’ er frei! Gestern, als sie ihn begruben, war er, richtig, auch dabei! 3 Detailliert dargestellt im Kapitel „Von der Idee zum Businesplan“. 2

2.2 Zielsysteme – Zielbeziehungen

41

Ziele schaffen automatisch Ordnungsprinzipien und Prioritätensetzungen für alle Mitarbeiter. Bewährt hat sich die Einteilung in die folgenden drei Kategorien: 1. Formale Ziele werden gewöhnlich als Hauptziele der Unternehmungen definiert: • Gewinnziele • Renditenziele • Kostenziele • Umsatzziele • Marktanteilziele • Kapitalziele 2. Materielle Ziele beziehen sich auf Absatzgüter und das hierfür benötigte Produktionspotenzial: • Produkte • Produktqualität • Differenzierung der Produkte • Verfolgung technischer Perfektion • Lieferservice 3. Soziale Ziele beziehen sich auf den Menschen, den Arbeitsprozess und die Arbeitsumgebung: • Sicherung der Arbeitsplätze • Gestaltung des Betriebsklimas • Fürsorge und Vorsorge für die Mitarbeiter • Aus- und Weiterbildungskonzepte • Streben nach Mitverantwortung und Mitentscheidung • Streben nach sozialem Aufstieg Zielsysteme Zwischen den Zielen, die ein Unternehmen verfolgt, gibt es insbesondere drei Beziehungen: a) komplementär Die Realisierung eines Zieles wirkt sich positiv auf die Realisierung eines anderen Zieles aus. b) konkurrierend Realisierung eines Zieles schließt die Realisierung eines anderen Zieles aus oder beeinflusst den Grad der Zielerreichung negativ. c) indifferent (neutral) Keine Einflüsse auf die Realisierung eines anderen Zieles. Das Management muss die Zielbeziehungen definieren und entsprechende Prioritäten setzen. In der Praxis hat sich folgende Vorgehensweise bewährt:

42

2 Ziele

• Erarbeiten der Geschäftsgrundsätze • Suche nach adäquaten Zielen • Strukturieren eines Zielsystems • Quantifizierung der Ziele • Zielinhalt (was?) • Zielausprägung (wie viel oder in welcher Qualität?) • Zielzeit (wann?) • Zielperson (wer?) • Analyse der Zielbeziehungen • Bereinigung der Zielkonflikte • Zielentscheidung • Planungssystem • Erarbeiten eines effizienten Organisationssystems • Fixieren eines Kontrollsystems • Zielrevision

Zusammenfassung

Eindeutig formulierte Ziele – Was soll in welcher Quantität oder Qualität bis zu welchem Zeitpunkt erreicht werden? – sind der Schlüssel zu produktivem und motivierendem Arbeiten. Die Motivation der Mitarbeiter wird gestärkt, wenn sie an der Zielbildung mitwirken können und wenn die Ziele im Konsens vereinbart werden. Fremdbestimmte Ziele sind immer Anlass für Unzufriedenheit und Demotivation. Ohne klar definierte Ziele beginne keinen Arbeitsprozess! Es ist darauf zu achten, dass die Ziele einander ergänzen und sich im besten Falle synergetisch in ihrer Wirkung verstärken. Ein wirksames Zielsystem sorgt für die regelmäßige Überprüfung aller Aspekte und ermöglicht, negative Abweichungen rechtzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten.

2.3 Fallstudie: Ziele bestimmen das Verhalten

2.3

43

Fallstudie: Ziele bestimmen das Verhalten

Wie kann der Manager das Verhalten der Mitarbeiter im Sinne der gemeinsamen Zielsetzungen nachhaltig beeinflussen? Wie kann man in Führungsprozessen soziale Macht ausüben, ohne die Würde des anderen zu verletzen, ohne den anderen zu manipulieren? Das wichtigste Führungswerkzeug ist der Dialog zwischen Mitarbeiter und Manager. Psychologische Motivationen menschlichen Verhaltens und damit verbundene Möglichkeiten nachhaltig wirkender Verhaltensänderung durch Zielvereinbarungen stehen im Mittelpunkt dieses Abschnitts. Die Situation: Ein Paar unterhält sich während einer Mahlzeit. Der Mann hat starkes Übergewicht. Seine Frau will ihn motivieren, abzunehmen. Dialog 1 Frau:

„Liebling, offensichtlich schmeckt’s dir!“

Mann: „Ja, und wie! Herrlich, danke!“ (kurze Pause) „Aber innerhalb eines Jahres habe ich 20 kg zugenommen! So kann das nicht weitergehen.“ Frau:

„Es reicht! Hör’ auf, immer so viel zu essen, du wirst das noch bereuen!“

Mann: „Ja, ja, stimmt schon. Reich’ mir doch noch mal den Käse rüber!“ Dialog 2 Frau:

„Liebling, offensichtlich schmeckt’s dir!“

Mann: „Ja, und wie! Herrlich, danke!“ (kurze Pause) „Aber innerhalb eines Jahres habe ich 20 kg zugenommen! So kann das nicht weitergehen.“ Frau:

„Du fühlst dich nicht mehr wohl in deiner Haut?“

Mann: „Schlepp’ du mal täglich 20 kg – zwei volle Wassereimer – immer mit dir herum. Das macht müde und schlapp.“ Frau:

„Und?“

Mann: „Abnehmen! – Ist aber leichter gesagt als getan.“ Frau:

„Was willst du erreichen?“

Mann: „Die 20 kg will ich wieder loswerden!“ Frau:

„Bis wann?“

44

2 Ziele

Mann: „Von heut’ auf morgen geht das natürlich nicht. In einem Jahr will ich die wieder weghaben.“ Frau:

„Also: 20 kg abnehmen in einem Jahr ab heute?“

Mann: „Genau!“ Frau:

„Das ist jetzt dein Ziel?“

Mann: „Ja, das ist jetzt mein Ziel!“ Frau:

„Wie willst du das erreichen?“

Mann: „Allein schaffe ich das nicht; ich melde mich bei einer dieser Diät-Gruppen an und mach da mit. Das funktioniert bestimmt.“ Frau:

„Ich begleite dich. Mir würde das auch guttun. Wann wollen wir gehen?“

Mann: „Gleich morgen. Nach der Arbeit!“ Frau:

„Gut, ich mach mit.“

In beiden Fällen hat der übergewichtige Mann zunächst das Ziel, die Kochkünste seiner Frau zu genießen.

Fragen:

1. Was unterscheidet die Dialoge 1 und 2 voneinander?

2. In welchem Dialog scheint die erwünschte Verhaltensänderung wahrscheinlicher?

3. Welches Verhalten der Frau unterstützt den Partner in seiner Absicht, abzunehmen?

2.3 Fallstudie: Ziele bestimmen das Verhalten

45

Dialog 1 und 2 im Vergleich

Motiv

Ziel

Verhalten

Hunger

Sättigung

Essen

Dialog 1 üppiger Genuss

Dialog 1 lustvoll schlemmen

Dialog 2 abnehmen

Dialog 2 bewusst weniger essen

Abb. 2.1 Wirkungsmechanismus: Motiv – Ziel – Verhalten

Analyse Im Dialog 1 bringt die Frau unumwunden ihr Missfallen zum Ausdruck und versucht, ihn durch eine Art Appell und die Vorhersage gesundheitlicher Beeinträchtigungen zu gemäßigtem Essverhalten zu bewegen. Er hat dies zur Kenntnis genommen, verlangt aber nach dem Käse, statt sich zu mäßigen. Botschaft angekommen, aber nicht akzeptiert. Das Genussziel bleibt unverändert bestehen, und die 20 kg werden wohl bald Gesellschaft bekommen. Im Dialog 2 reagiert die Frau auf die Äußerung des Mannes bezüglich seines Übergewichts. Sie verbalisiert sein Unbehagen und regt ihn durch weiteres geschicktes Fragen an, sein neues Ziel selbst zu formulieren. Mit der Anmeldung in der Diät-Gruppe wird der erste konkrete Schritt zum Ziel getan. Eine dauerhafte Verhaltensänderung ist nur im Falle des Dialogs 2 zu erwarten. Hier hat der Mann sich entschieden, sein „Genussziel“ zugunsten der Gewichtsreduktion zu verändern und bereits konkrete Maßnahmen geplant. Anhand des Beispiels des Essverhaltens erfolgt in Abb. 2.1 die Darstellung der grundsätzlichen Wirkungsmechanismen, die Verhalten steuern und Verhaltensänderungen bewirken können.

46

2 Ziele

2.4 Führen durch Zielvereinbarung Vereinbarte Ziele sind eine unerlässliche Voraussetzung für erfolgreiche Mitarbeiterführung. Verhalten wird stets beeinflusst durch die Ziele, die eine Person verfolgt. Diese Tatsache muss uns immer dann besonders bewusst werden, wenn wir das Verhalten einer Person kritisieren. Sind wir mit dem Verhalten einer Person nicht einverstanden, ist unser erster Gedanke: „Der Mensch soll sich ändern!“ Sie kennen das aus anderen Lebenssituationen: „Iss nicht so viel, iss langsamer, gib das Rauchen auf!“ usw. Die so kritisierten Personen verändern ihr Verhalten in der Regel nur kurzfristig und werden rückfällig. Warum? Weil ihr bislang praktiziertes Verhalten mit ihrer Zielsetzung übereinstimmt. Jede Kritik an ihrem Verhalten „kratzt nur an der Oberfläche“ und bewirkt auf Dauer nichts. Es ist sinnlos, das Verhalten einer Person zu kritisieren. Eltern, Lehrer und Führungskräfte begehen diesen Kardinalfehler regelmäßig und häufig. Es bringt auf Dauer gar nichts außer Frustration für alle Beteiligten. Verändert die Person ihre Ziele nicht, ist eine Verhaltensänderung höchst unwahrscheinlich. Nur wenn die Ziele verändert werden, kann auch eine entsprechende Änderung des Verhaltens erwartet werden. Diesen Wirkungsmechanismus muss ein Manager kennen und anwenden können. Im Bereich der Mitarbeiterführung können wir versuchen, Verhaltensänderungen auf zwei Wegen durchzusetzen: a) aus der Führungsfunktion heraus Macht ausüben und verändertes Verhalten verlangen (anordnen, befehlen) b) reden, überzeugen, die Ziele des Mitarbeiters und des Unternehmens in Einklang bringen und auf dieser Basis neues Verhalten bewirken. Welche Methode wirksamer ist? Sie brauchen nur auf Ihre innere Stimme zu hören und sich zu fragen, worauf Sie eher positiv und nachhaltig reagieren würden. Wer fragt, führt! Anordnungen und Befehle sind nur scheinbar der kürzeste und wirksamste Weg, Veränderungen zu bewirken. Das Miteinanderreden und gemeinsame Vereinbaren von Zielen erscheinen zeitaufwendiger als das Anordnen, aber nur durch veränderte Ziele erreichen wir neues Verhalten auf Dauer. Eine kluge Führungskraft befiehlt nicht (Ausnahmen sind militärische oder andere Krisensituationen), sondern veranlasst Mitarbeiter, durch Fragestellungen die Lösung des Problems eigenständig zu finden und gemeinsam Ziele zu entwickeln, die man aus eigenem Antrieb heraus erreichen möchte. Verhaltensänderung wird bewirkt durch 1. die Einsicht in die Notwendigkeit zur Veränderung (Motiv) 2. das eigene Wollen, diese zum Erfolg zu bringen (Ziel) 3. die Festlegung der zielführenden Maßnahmen und deren Durchführung (Verhalten) 4. Begleitung, Unterstützung (Coaching) und Erfolgskontrolle

2.4 Führen durch Zielvereinbarung

47

Was möchten Sie in Ihrem Leben oder Arbeiten verändern?

Formulieren Sie jetzt Ihr Ziel und die dazugehörigen Maßnahmen.

Ziele und Leistungen der Geführten korrespondieren miteinander. Schwierigere, anspruchsvolle Ziele führen zu besseren Leistungen als mittelschwere oder leicht zu erreichende Ziele. Präzise formulierte, spezifische und herausfordernde Ziele führen zu besseren Leistungen als vage Formulierungen wie beispielsweise: „Gib Dein Bestes!“. Einen wichtigen Einfluss auf die Zielbindung hat die Art und Weise der Zielfindung und Zielbestimmung. Folgende Arten der Zielbildung werden unterschieden: • selbstgewählte Ziele (Self-set-Goals) • direktive Zielvorgaben (Tell Goals) • Zielvorgaben mit Erklärungen (Tell and Sell Goals) • Zielvereinbarungen (Participatively set Goals). Zielvereinbarungen bewirken im Vergleich zu direktiven Zielvorgaben eine stärkere Bindung an das Ziel im Sinne eigenen Wollens. Gelingt es einer Führungskraft, den Geführten die Bedeutung des Ziels für den Erfolg des Unternehmens zu verdeutlichen, werden sie es engagierter verfolgen, insbesondere dann, wenn der Führungskraft eine bestimmte Autorität zugeschrieben wird. Im besten Fall durchzieht der Zielbildungsprozess die gesamte Organisation – von der obersten Führungsebene bis zu den Mitarbeitern der untersten Ebene – und wird somit zum Führungsprinzip. Die Mitarbeiter als Persönlichkeiten respektvoll zu behandeln, sie an Entscheidungsprozessen zu beteiligen und ihnen die Möglichkeit zum selbstbestimmten Handeln einzuräumen, stärkt ihre Motivation und Zielbindung. Teilt man alle relevanten Informationen mit den Geführten und ermöglicht ihnen, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten bereits in die Zielbildung einzubringen, und ist der Arbeitsprozess auf Vertrauen und Zutrauen geründet, führt das zu einem selbständigen Arbeitsverhalten.

48

2 Ziele

2.5 Ziel- und Leistungsvereinbarungsgespräche Diese drei Komponenten beeinflussen die Leistung eines Mitarbeiters: • Leistungsfähigkeit • Leistungsbereitschaft • Leistungsmöglichkeit Die Durchführung systematischer Ziel- und Leistungsvereinbarungsgespräche kann die Leistungserbringung der Mitarbeiter positiv beeinflussen. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Mitarbeiter in der Regel mit solchen Zielvereinbarungen finanzielle Gegenleistungen des Unternehmens verbinden. Es gibt Betriebe, die sich lange Zeit ohne Zielvereinbarungsgespräche in Verbindung mit Belohnungssystemen bestens entwickelt haben und nach Einführung dieser Systematik einen erheblichen Rückgang der Motivation und Produktivität der Mitarbeiter erkennen mussten. Werden Ziel- und Leistungsvereinbarungen ohne zusätzliche Entlohnungsanreize als grundlegender Bestandteil der Führungsphilosophie praktiziert, ist davon auszugehen, dass die Motivation der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigt wird. Warum ist das so? Weil wir davon ausgehen können, dass Menschen, die sich für die Mitarbeit in einem Unternehmen entschieden haben, von sich aus motiviert sind, vereinbarte Ziele und Leistungen zu erbringen. Werden sie mit zusätzlichen Motivierungsstrategien konfrontiert, ist nicht auszuschließen, dass man diese als Misstrauen empfindet, die Mitarbeiter könnten nicht die versprochene Leistung erbringen und man müsse ihnen aus diesem Grunde zusätzliche Anreize bieten. Üblicherweise werden Leistungsmarken vereinbart, die bereits ab dem Erreichen von 90 % eine Belohnung in Aussicht stellen. Die Belohnungen werden in kleinen Schritten auf 120 % und mehr des zu Erreichenden geschraubt. Die Denkweise hinter diesem Vorgehen geht davon aus, dass der Mitarbeiter von sich aus nicht die eigentlich zu erwartenden 100 % der Leistung erbringen wird, wenn man ihm nicht eine zusätzliche Belohnung dafür in Aussicht stellt. Dieses systembedingte Misstrauen wird auf Dauer negative Wirkungen zeigen. Denn die Mitarbeiter erkennen sehr rasch, dass es an ihnen liegt, die Basis für die Festlegung der Zielvereinbarungen entweder unterhalb des realistisch zu Erreichenden, genau auf der Linie oder ambitioniert darüber anzusetzen. Hat man zuvor ohne die systematische Zielvereinbarung sich selbst engagiert Ziele gesetzt (und diese erreicht), wird nunmehr dafür gesorgt, dass die 100 %-Marke stets sicher erreicht wird und ein Überschreiten eher wahrscheinlich als unmöglich ist. Man sollte wohl die Folgen bedenken, die eine extrinsisch motivierende Ziel- und Leistungsvereinbarung auslösen kann.

2.5 Ziel- und Leistungsvereinbarungsgespräche

2.5.1

49

Die Grundlagen einer Ziel- und Leistungsvereinbarungssystematik

2.5.1.1 Die Instrumente der Leistungsfeststellung Die Feststellung der Leistung kann wahlweise anhand der sog. Systematischen Leistungsbewertung oder der Zielvereinbarung erfolgen. In manchen Fällen können die Mitarbeiter je nach Besonderheit des Betriebes frei wählen zwischen den vorgenannten Instrumenten – und auch die Kombination beider Systeme kann sinnvoll sein. 2.5.1.2

Beispiele für Kriterien zur Leistungsbewertung und zur Zielvereinbarung

Systematische Leistungsbewertung

Zielvereinbarung

• Beschreibung der zentralen Aufgaben des • Vereinbarung von Zielen zwischen MitarbeiMitarbeiters ter und Führungskraft • Bestimmung der Kriterien, die der Bewer• Vereinbarung von Zielen zwischen Team tung zugrunde liegen und Führungskraft • Leistungsentgelt: abhängig vom Bewertungs- • Leistungsentgelt: abhängig vom Zielerreiergebnis chungsgrad

Die Systematische Leistungsbewertung bedarf eines Systems und eines Katalogs von Leistungsmerkmalen zur Feststellung und Messung der erbrachten Leistungen. Die Kriterien müssen möglichst eindeutig, messbar und überprüfbar formuliert werden. Aspekte der Systematischen Leistungsbewertung können sein: • Art und Umfang der Aufgaben des Mitarbeiters • Arbeitsqualität und Arbeitsquantität • Umgang mit Zeiten und Prioritäten • Zusammenarbeit mit anderen • Kundenorientierung • Beachtung wirtschaftlicher Aspekte • im Falle von Führungskräften die Qualität der Führungsleistung Die messbare Formulierung dieser Aspekte ist schwierig. Nehmen wir z. B. den Aspekt „Kundenorientierung“ – folgendes Formulierungsbeispiel zeigt die Problematik: Kundenorientierung wird bei uns daran gemessen, ob • im Rahmen der gestellten Aufgaben mit externen und internen Kunden offen, kooperativ und hilfsbereit umgegangen wird

50

2 Ziele

• die Bedürfnisse der Kunden aktiv angenommen und Problemlösungen schnell umgesetzt werden • das Unternehmen angemessen repräsentiert und seine Interessen vertreten werden Es stellt sich die Frage, wie die unterstrichenen Eigenschaftsausprägungen messbar und nachvollziehbar überprüft werden können. Selten genug erlebt die Führungskraft den Mitarbeiter im direkten Kundenkontakt. Soll sie sich auf die Aussagen von Kollegen verlassen? – Was heißt „offen“, „kooperativ“ und „hilfsbereit“? – Wer bestimmt den Maßstab? Die Leistungsbewertung könnte in einer solchen Matrix erfasst werden: Anforderungen

Punkte

nicht erfüllt teilweise erfüllt voll erfüllt übertroffen erheblich übertroffen

0 4 7 9 10

So könnte eine Bewertung, bezogen auf die Leistungsaspekte und Aufgaben, aussehen: Leistungsaspekte

Aufg. 1

Aufg. 2

Aufg. 3

Aufg. 4

Arbeitsqualität Arbeitsquantität Zusammenarbeit Kundenorientierung Wirtschaftlichkeit Führungsqualität

7

4

10

10

9 9

9 10 0

7 9

Im Falle der Zielvereinbarung „Innerhalb eines Jahres sollen € 50.000 Sponsorengelder eingeworben werden“ könnte die Matrix wie folgt aussehen: Kriterien

Betrag in Euro

%

Ziel nicht erreicht Ziel teilweise erreicht Ziel erreicht Ziel übertroffen Ziel erheblich übertroffen Ziel bei Weitem übertroffen

∼ 47.000 47.500 – 49.500 50.000 50.500 – 55.000 55.500 – 75.000 100.000

∼ 94 95 – 99 100 101 – 110 111 – 150 200

Bewertung

Unschwer ist ersichtlich, dass quantifizierbare Zielformulierungen weniger Anlass zu Konflikten bieten als Leistungsbewertungen mit erheblichem Raum für subjektive Interpretationen.

2.5 Ziel- und Leistungsvereinbarungsgespräche

51

Gegenstand von Ziel- oder Leistungsvereinbarungsgesprächen sind diese Punkte: • Ziele • Leistungsbeiträge, Verantwortlichkeiten • Soll-Ist-Vergleiche • Bewertung der Zielerreichung Die auf beiden Seiten erforderliche Grundeinstellung in diesen Gesprächen sollte davon gekennzeichnet sein, dass die Mitarbeiter bereit (und in der Lage) sind, eigene Ideen und Ziele zu entwickeln. Partnerschaftliches Verhalten, Kommunikationsfähigkeit und die Bereitschaft zur Reflexion sollten, falls die Ziele nicht erreicht worden sind, angstfreies Lernen aus Fehlern ermöglichen. Im Idealfall ist ein Zielvereinbarungsgespräch eine Verhandlung auf „Augenhöhe“, in der sich zwei Parteien, die eigene Interessen oder Ziele verfolgen, auf den Austausch von Leistungen (Geld, Positionen, Macht, Einfluss, Gestaltungsmöglichkeiten) einigen und diese als Win-Win-Situation empfinden. Zielvereinbarungen sollten immer im Gegenstromverfahren und mit partnerschaftlichem Respekt ausgeführt werden. Worauf sollte geachtet werden? • Nicht mehr als 3 – 5 Ziele vereinbaren. • Die Ziele sollen vor dem Gespräch offen sein. • Die Ziele der Mitarbeiter müssen berücksichtigt werden. • Die Mitarbeiter müssen eigene Ideen und Ziele einbringen können. • Die Gesprächspartner sind gleichberechtigt. • Kollektive Teamabsprachen und abteilungsübergreifende Vereinbarungen eindeutig kommunizieren. • Maßstäbe und Kriterien zur Ziel- oder Leistungsbewertung vereinbaren. Die Systematik der Zielvereinbarungsgespräche beginnt im Regelfall am Anfang des Kalender- oder Geschäftsjahres mit dem Erstgespräch oder Eingangsgespräch. Nach sechs Monaten erfolgt das Zwischengespräch – und gegen Ende des laufenden Geschäftsjahres findet das Schlussgespräch statt, in welchem die Leistungsbewertungen erörtert werden. Darauf aufbauend werden die Ziele für das kommende Geschäftsjahr vereinbart. Diese Abfolge wiederholt sich Jahr für Jahr.

52

2 Ziele

2.6 Zielvereinbarungsgespräche 2.6.1 Rahmenbedingungen In jedem Fall ist es wichtig, die Gesprächspartner zuvor über den Gesprächsanlass und die Thematik zu informieren. Die Beteiligten müssen sich auf das Gespräch vorbereiten und die Ziele abstimmen. Grundregel: kein Gespräch ohne vorherige Festlegung der zu erreichenden Ziele. Ziellose Gespräche führen zur Frustration. Dies gilt insbesondere für anlassbezogene Konflikt-, Kritik- oder Beurteilungsgespräche, die sich grundlegend von alltäglichen Gesprächen oder Dienstbesprechungen unterscheiden. Vorab sind die folgenden Punkte zu klären:

2.6.2

Teilnehmer

Üblicherweise reden Mitarbeiter und Vorgesetzte miteinander. Im Falle von Ziel- oder Leistungsvereinbarungen für ein Team müssen alle Team-Mitglieder eingebunden werden.

2.6.3 Raum Wichtig ist, dass die Gespräche in vertraulicher Atmosphäre, ruhig und ungestört stattfinden. Sie können im Büro der/des Vorgesetzten der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters oder auch in einem ruhigen Konferenzraum geführt werden. Findet das Gespräch im Arbeitszimmer der/des Vorgesetzten statt, ist der Schreibtisch ein ungünstiger Ort. Die Führungskraft könnte aus ihrer „angestammten Sitzposition“ heraus eine dominante Haltung ausstrahlen. Ein runder Tisch oder – falls nicht vorhanden – eine Überecksitzordnung sind besser geeignet, Gespräche auf “Augenhöhe“ zu ermöglichen. Störungen müssen unbedingt ausgeschlossen werden. Kollegen, Mitarbeiter oder gar Besucher sowie eingehende Telefonate sollten das Gespräch nicht unterbrechen. Es erfordert immer Energie und Zeit, bis die Gesprächspartner die richtige “Betriebstemperatur“ erreicht haben. Vor allem bei kritischen Themen können kleine Störungen gravierende Folgen haben. Wichtig ist, eine Gesprächsatmosphäre zu schaffen, die Konzentration und innere Aufnahmebereitschaft ermöglicht.

2.6.4

Dauer

Je nach Aktualität oder Dringlichkeit des Themas vereinbaren die Gesprächsteilnehmer rechtzeitig – bis zu zwei oder drei Wochen vorher – den Gesprächstermin. In der Regel sind 90 Minuten auch für schwierige Gespräche ein angemessener Zeitrahmen. Mehr Zeit bringt nicht unbedingt mehr oder bessere Ergebnisse. Bei allen Gesprächen sollte zu Beginn das Ende geplant werden. Man ist ruhiger und gelassener, wenn man weiß, wann das

2.6 Zielvereinbarungsgespräche

53

Gespräch beendet sein wird. Die Beteiligten können sich innerlich darauf einstellen und besser planen. Diese Vereinbarung ist auf jeden Fall einzuhalten. Zeitliche Limits wirken sich positiv auf die Konzentration und den Willen aus, ergebnisorientiert zu verhandeln. Sollte die Zeit nicht ausreichen, ist es oftmals besser, ein Folgegespräch anzustreben. Für beide Seiten besteht somit die Gelegenheit zur Reflexion und Besinnung.

2.6.5 Grundlagen Die Gesprächspartner sollten sich auf die Inhalte und Ziele einstimmen und entsprechend vorbereiten. Dazu gehört, dass alle notwendigen Unterlagen und Informationen zum Gespräch mitgebracht werden und ggf. vormals gefasste Beschlüsse und Vereinbarungen präsent sind. Es zeugt von mangelnder Professionalität, wenn Gesprächsteilnehmer die notwendigen Zusammenhänge nicht parat haben oder während des Gesprächs verzweifelt in ihren Unterlagen wühlen, um das Passende zu finden. Für Mitarbeitergespräche über arbeits- und leistungsbezogene Themen sind sowohl von der Führungskraft als auch vom Mitarbeiter vor allem diese Fragen im Rahmen der Vorbereitung zu klären: • Welche Ziele wurden vereinbart? • Welche Umstände haben die Erreichung der Ziele und die Erfüllung der Aufgaben gefördert oder behindert? • Wie wird die Zusammenarbeit im letzten Jahr gesehen? • Welche Personalentwicklungsziele wurden vereinbart und auch umgesetzt? • Welche sonstigen Vereinbarungen wurden getroffen – und wie wurden sie umgesetzt?

2.6.6 Aspekte für Ziel- oder Leistungsvereinbarungsgespräche In einem Ziel- oder Leistungsvereinbarungsgespräch können u. a. diese Aspekte besprochen werden:

2.6.6.1 Arbeitsaufgaben/Ziele/Leistungsvereinbarungen 1. Welche Ziele wurden für den zurückliegenden Zeitraum vereinbart? 2. Was wurde erreicht, was nicht? – (Begründungen) 3. Welche neuen Vereinbarungen werden getroffen?

2.6.6.2 Arbeitssituation/Arbeitsumfeld 1. Planung und Organisation der Arbeitsabläufe: Was funktioniert gut? Was ist verbesserungsbedürftig?

54

2 Ziele

2. Überforderung oder Unterforderung (z. B. Arbeitsmenge, Leistungsfähigkeit, Möglichkeit der Leistungserbringung, qualitative und quantitative Aspekte) 3. Qualifikation, Kenntnisse, Fertigkeiten: Welcher Fortbildungsbedarf besteht? Welche Kenntnisse können besser genutzt werden? 4. Bedarf an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zur Bewältigung der Arbeitsaufgabe: Welche Maßnahmen erscheinen sinnvoll? 5. Gestaltung des Arbeitsplatzes (z. B. Beleuchtung, Geräusche, Temperatur, Mobiliar, Sauberkeit usw.) 6. Technische Hilfsmittel und Arbeitsmaterialien: Was ist in welchem Umfang und Zustand verfügbar? 7. Körperliche Belastungen und gesundheitliche Beeinträchtigungen: Welche Faktoren am Arbeitsplatz wirken sich belastend aus? 8. Arbeitssicherheit: Bestehen Sicherheitsrisiken? Was sollte ggf. wie verbessert werden? 9. Welche Vorschläge zur Optimierung des Arbeitsplatzes gibt es?

2.6.6.3 Zusammenarbeit und Führung 1. Wie wird die Zusammenarbeit mit den Kollegen empfunden? Wie wird das Arbeitsklima, der Informationsaustausch und die Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung beurteilt? 2. Wie wird der Informationsaustausch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter gesehen? Auf welchen Gebieten ist die Zusammenarbeit gut, auf welchen könnte sie wie verbessert werden? 3. Wie wird die Kommunikation zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter wahrgenommen? In welchen Situationen stimmt der gegenseitige Umgang, in welchen könnte er verbessert werden (z. B. Anerkennung, Kritik, Umgang mit Konflikten usw.)? 4. Nur im Falle von Mitarbeitern mit Vorgesetztenfunktion: Wie wird die Zusammenarbeit zwischen der Führungskraft und den ihr unterstellten Mitarbeitern gesehen? In welchen Bereichen ist sie vorbildlich oder verbesserungsbedürftig?

2.6.6.4 Entwicklungsziele und Entwicklungsmöglichkeiten 1. Aufstiegsmöglichkeiten oder berufliche Perspektiven: Welche Aufstiegs- oder Entwicklungsmöglichkeiten kommen für den Mitarbeiter in Betracht? 2. Andere Aufgabengebiete: Welche Aufgabengebiete könnten übernommen, erweitert bzw. abgegeben werden? 3. Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen: Welche Maßnahmen erscheinen sinnvoll oder notwendig?

2.7 Vorbereitung von Zielvereinbarungsgesprächen aus Sicht der Führungskräfte

55

2.7 Vorbereitung von Zielvereinbarungsgesprächen aus Sicht der Führungskräfte Um angemessen in den unterschiedlichen Situationen handeln zu können, ist eine schriftliche Vorbereitung von Gesprächen hilfreich. Eine gute und konstruktive Gesprächsatmosphäre hat allerdings Vorrang vor der Einhaltung starrer formaler Abläufe und Gesprächsmuster. Die Anwendung des Grundsatzes „Wer fragt, führt“ sowie das Aktive Zuhören sind wichtige Voraussetzungen für gelingende Gespräche. Diese Aspekte sind zu bedenken: • Welche Ziele sollen durch das Gespräch erreicht werden? • Wie ist der Soll-Ist-Stand in den gemeinsamen Arbeitsbereichen? • Was ist bekannt über die persönliche Situation des Mitarbeiters? • Welche Verbesserungsvorschläge für die weitere Zusammenarbeit sollen angesprochen werden? Werden Gespräche mit Empathie, auf „Augenhöhe“ und mit gegenseitigem Respekt geführt, erhalten und fördern sie die Motivation der Mitarbeiter. Wer fragt und zuhört, erfährt mehr vom anderen. Partnerschaftliches Miteinander und Offenheit für die Gedanken des Mitarbeiters fördern dessen Einsatzbereitschaft und die Zielerreichung. Hilfreiche Fragen zur Vorbereitung von Mitarbeitergesprächen:

2.7.1

Arbeitsaufgaben

• Welche Aufgaben hat der MA4 im vergangenen Jahr wahrgenommen? Wo lagen die Arbeitsschwerpunkte? Welche Verantwortung hat der MA? • Ist die aktuelle Aufgabenverteilung den gegenwärtigen Umständen angemessen? Welche Verbesserungsmöglichkeiten gibt es? Welche Förderung sollte gewährt werden? • Wo liegen die Stärken des MA? Welche anderen Tätigkeiten in der Abteilung/im Hause könnte/sollte der MA übernehmen? Welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es? • Wie wird die gegenwärtige Qualität und Quantität der jetzigen Leistungserbringung durch den MA gesehen? • Welche Verbesserungsvorschläge (Rationalisierungen, Aufgabenverteilungen usw.) zur Steigerung der Arbeitseffizienz sind denkbar?

4

MA = Mitarbeiter oder Mitarbeiterin

56

2.7.2

2 Ziele

Arbeitssituation

• Wie effizient ist der Informationsfluss innerhalb der Organisation? • Wie verhält sich der MA im Team? • Welche Verbesserungsmöglichkeiten gibt es bei der Gestaltung der Arbeitsabläufe? • Wie ist die Gestaltung des Arbeitsplatzes im Hinblick auf die Leistungsmöglichkeit des MA zu sehen?

2.7.3

Zusammenarbeit und Führung

• In welchen Bereichen ist die Zusammenarbeit mit dem MA als gut zu bezeichnen und wo zu verbessern? • Wie setzt der MA Vorgaben und Anordnungen um? • Wie ist die Zusammenarbeit einzuschätzen? • Sind Leistung und Verhalten des MA im Einklang mit den Zielen des Unternehmens? • Wie sicher geht die Führung mit Lob und Kritik als Mittel zur Verhaltenssteuerung um? • Wie ausgeprägt ist die Fähigkeit der Führungskraft, das eigene Verhalten selbstkritisch zu hinterfragen und konstruktive Schlussfolgerungen daraus zu ziehen? • Wie gestaltet sich der Informationsfluss zwischen MA und Führungskraft? • In welchem Umfang wird das Delegieren von Aufgaben als motivierendes Führungsmittel eingesetzt? • Wie vertritt die Führungskraft die Interessen und Leistungen der MA gegenüber seinen Vorgesetzten? • Wie geht die Führungskraft mit unterschiedlichen Auffassungen oder Konflikten um?

2.7.4

Entwicklungsziele und Entwicklungsmöglichkeiten

• Wie werden Weiterentwicklungsmöglichkeiten des MA unter Berücksichtigung seiner Leistungen und Fähigkeiten umgesetzt? • Werden Fortbildungsmöglichkeiten für den MA zielgerichtet genutzt? • Kann ein Stellenwechsel eine Entwicklungsperspektive für den MA bewirken? • Gibt es Bedingungen, die der Realisierung möglicher Entwicklungsperspektiven entgegenstehen?

2.8 Ideen zur Gestaltung motivierender Arbeitsbedingungen

2.8

57

Ideen zur Gestaltung motivierender Arbeitsbedingungen

Wie kann die Führungskraft den MA in seiner fachlichen Entwicklung fördern und dessen Motivation nachhaltig stärken? Nicht immer ist es möglich, dem Wunsch des MA nach einer Gehaltserhöhung zu entsprechen. Die folgende Auflistung – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zeigt einige Möglichkeiten auf, das Arbeitsumfeld und die Arbeitsbedingungen von Mitarbeitern motivierend und entwicklungsfördernd zu gestalten: • Berufung in ein Projektteam • Leitung eines Projekts • Übertragung eines Referats oder Vortrags zu einem wichtigen Thema • Referententätigkeit im Rahmen der betrieblichen Fortbildung • Stellvertretung übertragen und „leben“ • Teilnahme an einer wichtigen Sitzung oder Besprechung anstelle der/des Vorgesetzten • Leitung von Meetings oder Tagungen • Moderieren von Abteilungskonferenzen • Verantwortung einer Patenschaft für neue Kollegen in der Einarbeitungsphase übertragen • Ausweitung des derzeitigen Arbeitsbereichs durch Job-Enrichment (Erweiterung des Arbeitsfeldes um Planungsaufgaben, Kontrollaufgaben und Entscheidungsaufgaben) und Job-Enlargement (Arbeitserweiterung um strukturell gleichartige Aufgaben) • Erweiterung der Handlungskompetenzen Vgl. auch die Ausführungen zu Job Rotation, Job Enlargement und Job Enrichment in Abschn. 10.4.2.

2.9 Gesprächsstrukturen Die folgenden Formulare erleichtern die Planung und Durchführung von Zielvereinbarungsgesprächen:

58

2 Ziele

2.9.1 Checkliste zur Vor- und Nachbereitung von Mitarbeitergesprächen Vorbereitung Schritt

Notizen/Bemerkungen

1.

Gesprächsziele formuliert

2.

Gesprächstermin geplant

2.1.

Gesprächsdauer geplant

2.2.

Termin reserviert

3.

Mitarbeiter über Gesprächsthema, -ziele und -termin informiert

4.

Gesprächsablauf geplant

5.

Kernpunkte des Gesprächs durchdacht

5.1.

überzeugende Argumente zur Begründung der eigenen Meinung überlegt

5.2.

Perspektive des Mitarbeiters eingenommen

5.3.

Widerstände und Vorbehalte seitens des Mitarbeiters mit bedacht

6.

die wichtigsten Punkte schriftlich fixiert

7.

entspannte Gesprächsatmosphäre anstreben

8.

Störungen während des Gesprächs vermeiden

o.k.

2.9 Gesprächsstrukturen

59

Nachbereitung

1.

alle geplanten Punkte sind besprochen worden

2.

Der Gesprächsablauf wurde wie vorgesehen eingehalten.

3.

Gesprächsziele erreicht?

Das Protokollieren der Ergebnisse und das Erfassen der Gesprächssituation sind eine wichtige Gedankenstütze für die folgenden Gespräche. Insbesondere wenn die Führungskraft für mehrere MA verantwortlich ist, wird sich dieses Vorgehen als hilfreich erweisen.

60

2.9.2

2 Ziele

Ziel- oder Leistungsvereinbarung (Eingangs- und Schluss-/Eingangsgespräch)

Wer?

Phase

Themen

Inhalte

FK∗

Vorbereitung

• Rückblick

• letzte Zielvereinbarungen und Ergebnisse überdenken • Wie ist der derzeitige Stand der Zielerreichung? • Zielvorstellungen für den MA entwickeln • Rahmenbedingungen für das Gespräch organisieren • an freundliche Begrüßung denken und partnerschaftliche Sitzposition wählen • Zweck und Bedeutung des Gesprächs erläutern • auf die Verbindlichkeit der Zielvereinbarungen hinweisen • den geplanten Ablauf des Gesprächs vorstellen

• Ergebnisbewertung • Zielplanung • Rahmenbedingungen FK

Eröffnung

• Kontaktaufnahme

• Gesprächsanlass • Gesprächsziele • Vorgehensweise FK FK/MA

Rückschau

• Ist-Soll-Analyse und Selbsteinschätzung des MA • Abweichungen

• Schlussfolgerungen

FK FK/MA

Vorschau

• Unternehmenssituation • Tendenzen • Bereichsziele

• Anforderungen

• MA berichtet aus seiner Sicht und bewertet seine Leistung • gemeinsam die Ursachen für eventuelle Zielabweichungen erörtern • daraus resultierende Maßnahmen entwickeln und vereinbaren • Gesamtsituation des Unternehmens beschreiben • externe und interne Entwicklungstendenzen aufzeigen • aktuelle Unternehmensziele darlegen und die dem eigenen Arbeitsbereich vorgegebenen Ziele benennen • künftige Leistungs- und Fähigkeitsanforderungen aufzeigen, notwendige Fortbildungsmaßnahmen planen

2.9 Gesprächsstrukturen

61

Wer?

Phase

Themen

Inhalte

MA

Anliegen des MA

• Erwartungen

• Erwartungen des MA an die kommende Arbeitsperiode • Vorschläge oder Bedenken des MA • eigene Zielsetzungen des MA • hinsichtlich der Tätigkeitsinhalte, Weiterbildung und/oder Karriereentwicklung

• Vorschläge/Bedenken • Ziele • Wünsche des MA



FK/MA Vereinbarungen • Arbeitsziele (Was soll in welcher Qualität oder Quantität bis wann erreicht werden?) • Ressourcen

• Kontrolle

Verabschiedung • Reflexion • Folgetermine ∗

FK = Führungskraft, MA = Mitarbeiter

• Arbeitsziele mit dem MA vereinbaren

• notwendige Finanz- oder Sachmittel klären und Befugnisse benennen • Kontrolltermine vereinbaren • Protokollierung der Zielvereinbarungen • Zufriedenheit mit dem Gespräch erörtern • Termine für weitere Gespräche planen

62

2 Ziele

2.9.3 Ziel- oder Leistungsvereinbarung (Zwischengespräch)

Wer?

Phase

Themen

Inhalte

FK

Vorbereitung

• Rückblick

• letzte Zielvereinbarungen und Ergebnisse überdenken • Wie ist der derzeitige Stand der Zielerreichung? • Zielvorstellungen für den MA entwickeln • Rahmenbedingungen für das Gespräch organisieren • an freundliche Begrüßung denken und partnerschaftliche Sitzposition wählen • Zweck und Bedeutung des Gesprächs erläutern • auf die Verbindlichkeit der Zielvereinbarungen hinweisen • den geplanten Ablauf des Gesprächs vorstellen • Beurteilungsverfahren und zeitraum erläutern

• Ergebnisbewertung • Zielplanung • Rahmenbedingungen FK

Eröffnung

• Kontaktaufnahme

• Gesprächsanlass • Gesprächsziele • Vorgehensweise

FK

Bekanntgabe

• Aushändigung • Erläuterung

• Entwicklungsstand

MA FK MA FK FK/MA

Stellungnahme

• Meinung des MA

• Selbsteinschätzung

• Klarstellungen

• Beurteilung aushändigen, in Ruhe lesen lassen • Herausstellen der wesentlichen Beurteilungsaussagen und diese durch typische Arbeits- bzw. Verhaltensweisen belegen • Positives loben, Negatives ohne Umschweife benennen • Erörterung der Entwicklung seit dem letzten Beurteilungsgespräch • Mitarbeiter zur offenen Stellungnahme ermutigen • aufmerksam und aufgeschlossen zuhören • ggf. abweichende Selbsteinschätzung begründen lassen • auch emotional überzogene Äußerungen „annehmen“ • Unklarheiten oder Missverständnisse aufklären

2.9 Gesprächsstrukturen

63

Wer?

Phase

Themen

Inhalte

FK/MA

Perspektive

• Wünsche des MA

• Tätigkeits-/Karrierewünsche des MA anhören • Anforderungen/Erwartungen an den MA • Defizite und Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen • Fortbildungs-/Einarbeitungswünsche erfassen • Karriereaussichten erörtern

• Anforderungen • Entwicklungs-potenziale

• Karrierechancen FK/MA

Vereinbarung

• Fördermaßnahmen

• Eigeninitiativen • Tätigkeitswechsel • Unterstützung FK FK/MA

Verabschiedung • Gesprächsbilanz

• Wertschätzung • Ausblick • Reflexion • Folgetermin vereinbaren

• Entwicklungs- bzw. Qualifizierungsziele formulieren, Weiterbildungs- oder Fördermaßnahmen festlegen • MA zu Eigeninitiative auffordern • Tätigkeitswechsel in Betracht ziehen • bei Überforderung Coaching anbieten • Kenntnisnahme der Beurteilung bestätigen lassen, Kopie der Beurteilung aushändigen • grundsätzliche Wertschätzung zum Ausdruck bringen • ermutigende Erwartungen äußern • Zufriedenheit mit dem Gespräch erörtern • Termine für weitere Gespräche planen

3

Planen

Planen bedeutet, Ziele und Strategien aufeinander abzustimmen und Maßnahmen zu entwickeln, um auf dem kürzesten Weg und mit angemessenem Aufwand festgelegte Ziele zu erreichen. Die folgenden Fragen sind hilfreich, den Zielbildungs- und Planungsprozess zu strukturieren: • Worum geht es? Was wissen wir über die gegenwärtige Situation? • Wie sieht der künftige Idealzustand aus? Was wollen wir erreichen? • Woran werden wir erkennen, wann und ob der gewünschte Zustand erreicht worden ist? • Wie ist die Differenz zwischen dem gegenwärtigen und dem angestrebten Zustand? • Was könnten wir wie tun (Strategien), um den gewünschten Zustand zu erreichen? • Welche Alternativen ergeben sich aus den gesammelten Ideen? • Welche Alternativen können entsprechend den unter Punkt zwei aufgestellten Kriterien den angestrebten Idealzustand am besten fördern? • Welche Schwierigkeiten sind bei der Durchführung der geplanten Maßnahmen zu erwarten? Was können wir vorbeugend unternehmen? • Welche Aktionen müssen von wem bis wann durchgeführt werden?

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_3

65

66

3

Planen

3.1 Übung: Die Wohnungsrenovierung1 Bitte stellen Sie sich vor, Sie leben mit (X) weiteren Personen in einer Wohngemeinschaft und wollen nach fünf Jahren der Nutzung eine gründliche Neugestaltung und Renovierung durchführen. Versuchen Sie, sich in dieses fiktive Szenario hineinzuversetzen und die ersten drei Fragen des Zielbildungsprozesses schriftlich zu beantworten: 1. Worum geht es? Was wissen wir über die gegenwärtige Situation?

2. Wie sieht der künftige Idealzustand aus? Was wollen wir erreichen?

3. Woran werden wir erkennen, wann und ob der gewünschte Zustand erreicht worden ist?

Formulieren Sie jetzt auf der Grundlage Ihrer Antworten auf die Fragen der Punkte 2 und 3 Ihr Ziel. Bitte beachten Sie: Um ein bearbeitungsfähiges und motivierendes Ziel zu formulieren, müssen die folgenden Aspekte definiert werden. • Was? (Um was handelt es sich, was soll erreicht oder bearbeitet werden?) • Quantität/Qualität? (In welcher Quantität oder Qualität – in manchen Fällen kann man nur das eine oder das andere beschreiben – soll das Ziel erreicht werden?) • Wann? (Bis zu welchem Zeitpunkt soll das Ergebnis erreicht worden sein?) 1

Das Thema dieser Übung muss nicht zwingend bearbeitet werden. Gerne können Sie auch eigene Themen verwenden.

3.1 Übung: Die Wohnungsrenovierung

67

Die Ziele sind maßgeblich für die Auswahl der Strategie und die daraus resultierende Planung. Der Begriff Strategie steht für ein zielorientiertes ganzheitliches Vorgehen. In einem strategischen Konzept wird beschrieben, auf welche Art und Weise ein Vorhaben am wirkungsvollsten zu realisieren ist. Im Falle der Wohnungsrenovierung muss natürlich keine langfristige strategische Planung entwickelt werden, aber die Fragen 4 – 8 des Zielbildungs- und Planungsprozesses geben auch hier Orientierung. Bitte versuchen Sie nun, diese Fragen – bezogen auf das fiktive Szenario der Wohnungsrenovierung oder auf Ihr eigenes Thema – schriftlich zu beantworten: 4. Wie ist die Differenz zwischen dem gegenwärtigen und dem angestrebten Zustand?

5. Was könnten wir wie tun (Strategien), um den gewünschten Zustand zu erreichen?

6. Welche Alternativen ergeben sich aus den gesammelten Ideen?

7. Welche Alternativen können entsprechend den unter Punkt 2 aufgestellten Kriterien den angestrebten Idealzustand am besten fördern?

68

3

Planen

8. Welche Schwierigkeiten sind bei der Durchführung der geplanten Maßnahmen zu erwarten? Was können wir vorbeugend unternehmen?

Sie haben jetzt die Ziele und die Maßnahmen zu deren Realisierung schriftlich fixiert. Bitte bearbeiten Sie zum Abschluss des Planungsprozesses die 9. Frage: 9. Welche Maßnahmen müssen von wem bis wann durchgeführt werden?

Erstellen Sie eine Matrix (s. Beispiel) und fixieren Sie darin Ihre Ziele und Maßnahmen. Diese einfache Form der Maßnahmenübersicht zeigt unmissverständlich auf, welches Ziel mit welchen Maßnahmen von wem bis zu welchem Zeitpunkt zu bearbeiten ist. Für das Delegieren von Aufgaben ist diese Arbeitsweise unerlässlich. Beispiel:

Ziel

Maßnahmen

Wer?

Bis wann?

WG-Partner im Monat XX von der Notwendigkeit der Renovierung überzeugen

• zum Meeting einladen • das Vorhaben erörtern • Renovierungsumfang klären

MM

XX. XX. XXXX

3.2 Fallstudie: Planungsmeeting im Fremdspracheninstitut

69

Hier noch einmal die Fragen des Zielbildungs- und Planungsprozesses im Überblick: • Worum geht es? Was wissen wir über die gegenwärtige Situation? • Wie sieht der künftige Idealzustand aus? Was wollen wir erreichen? • Woran werden wir erkennen, wann und ob der gewünschte Zustand erreicht worden ist? • Wie ist die Differenz zwischen dem gegenwärtigen und dem angestrebten Zustand? • Was könnten wir wie tun (Strategien), um den gewünschten Zustand zu erreichen? • Welche Alternativen ergeben sich aus den gesammelten Ideen? • Welche Alternativen können entsprechend den unter Punkt 2 aufgestellten Kriterien den angestrebten Idealzustand am besten fördern? • Welche Schwierigkeiten sind bei der Durchführung der geplanten Maßnahmen zu erwarten? Was können wir vorbeugend unternehmen? • Welche Aktionen müssen von wem bis wann durchgeführt werden?

3.2 Fallstudie: Planungsmeeting im Fremdspracheninstitut Besprechungen (Meetings) sind ein wichtiges Instrument der Arbeitsorganisation und der Führungstechnik. In Besprechungen werden • Informationen ausgetauscht • Problemlösungen gemeinsam erörtert • Ziele, Strategien und Planungen entwickelt. In der folgenden Fallstudie erleben wir ein Planungsmeeting, in dem der Manager (M) des Fremdspracheninstituts (FI) mit seinen drei Mitarbeitern (Frau A und den Herren B und C) über die künftige Entwicklung des FI redet. Die Struktur des Meetings orientiert sich an den Fragen des Zielbildungs- und Planungsprozess. Die Wiedergabe des Meetings ist stark verkürzt und auf das Wesentliche beschränkt.

70

3

Begrüßung

M

Worum geht es?

B

Was wollen wir erreichen?

M

A B C M B

M

A C

B

Planen

Liebe Kollegin, liebe Kollegen, heute wollen wir uns mit der Planung für das kommende Geschäftsjahr (GJ) befassen. Wir haben zwei Stunden Zeit für dieses Meeting. Ziel ist, die grundlegende Ausrichtung unserer Tätigkeiten für das kommende GJ festzulegen. Herr B, können Sie bitte einmal darstellen, wie die Geschäftsentwicklung bis zum heutigen Tage verlaufen ist. Wir haben im dritten Quartal dieses GJ planmäßig die angestrebte Schülerzahl von 1.500 erreichen können. Allerdings liegt die Kündigungsquote insgesamt bei 38 %. Das ist eindeutig zu viel. Wir haben unser Ziel nur erreichen können, weil die Neukundengewinnung besser funktioniert hat als angenommen. Der kürzlich durchgeführte Tag der offenen Tür hat uns mit 320 Besuchern einen neuen Rekord beschert. Von diesen 320 Besuchern haben bis heute, drei Wochen danach, 185 Interessenten einen Vertrag mit uns abgeschlossen. Das ist ebenfalls ein sehr gutes Ergebnis und spricht für das Zusammenspiel aller, die am Tag der offenen Tür mitgewirkt haben. Unsere wirtschaftlichen Ziele haben sich in Anlehnung an die Schülerzahlentwicklung ebenfalls positiv gestaltet. Lediglich beim Promotion-Budget liegen wir sieben Prozent über dem Planungsansatz und müssen nun überlegen, wo wir bis Ende des GJ kürzer treten sollten. Danke, Herr B, für diesen Überblick. Lassen Sie uns nun überlegen, woran wir im kommenden GJ arbeiten müssen und welche Ziele wir uns vornehmen wollen. Die Kündigungsquote ist eindeutig zu hoch, die muss gesenkt werden! Der Branchenvergleich sagt, dass im Durchschnitt für das dritte Quartal 17 % erreicht worden sind. Woran liegt es, dass wir schlechter sind? Eine wichtige Frage. Lasst uns aber zunächst entscheiden, welche Zielmarke wir uns für das neue GJ vornehmen wollen. Um weiterhin bei steigenden Kosten Profit zu machen, dürfen wir im gesamten GJ, wohlgemerkt: im gesamten GJ, die Marke 25 % nicht überschreiten. Nicht jedes Jahr haben wir so ein Glück wie in diesem! Damit ist klar: Wir müssen erreichen, dass die Kündigungsrate 25 % im gesamten GJ nicht übersteigt. Wie denken Sie, liebe Kollegen? Schaffen wir das? Wir müssen! Aber wir müssen auch Ursachenforschung betreiben. Da muss ich gar nicht lange forschen. Wir haben fünf neue Dozenten, zwei davon aus Osteuropa. Speziell diese Kollegen haben offenbar von Kundenorientierung und Kundenzufriedenheit noch nichts gehört. Bei denen geht es zu wie in der Klippschule. Forscher Umgangston und Drill. Das mögen unsere Kunden ja besonders gern!

3.2 Fallstudie: Planungsmeeting im Fremdspracheninstitut Woran werden wir erkennen, ob der gewünschte Zustand erreicht worden ist? Was könnten wir wie tun, um den gewünschten Zustand zu erreichen?

M

Alle M A

C

B

M

Alle M

Zielklärung und -vereinbarung

Alle M

B M

B

M Alle M

71

Lassen Sie uns nachher bei der Maßnahmenplanung überlegen, wie wir das in den Griff bekommen. Kann ich davon ausgehen, dass wir alle der Meinung sind, die 25 % Kündigungsquote im gesamten neuen GJ wird nicht überschritten? Ist das Konsens? (signalisieren Zustimmung) Danke! Nun: Wie? Die Kündigungsquote für jeden Dozenten bewusst machen. Wenn die Kollegen das nicht wissen, gehen sie natürlich davon aus, dass alles bestens läuft. Jeden Monat einen Ausdruck mit der Jahreszielquote und dem derzeitigen Ist-Stand ausdrucken und ins Fach legen. Da kann sich jeder selbst einordnen und ein Gefühl für seine Leistung entwickeln. Das ist gut, aber wir müssen auch mit den extremen „Abweichlern“ reden, sonst besteht die Gefahr, dass die das zur Kenntnis nehmen, ohne dass sich etwas ändert. Das ist ganz wichtig, und wir sollten auch gegenseitig unseren Unterricht besuchen, um einander zu sensibilisieren, auf eingeschliffene Verhaltensweisen zu achten, die wir gar nicht mehr wahrnehmen, sich aber negativ auf die Motivation unserer Kunden auswirken können. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, denken wir derzeit an folgende Maßnahmen: Wir wollen mit jedem Dozenten eine Zielvereinbarung treffen hinsichtlich der nicht zu überschreitenden Kündigungsquote. Wir wollen diese über einen monatlichen Soll-Ist-Abgleich bewusst machen und „extreme Abweichler“ durch Gespräche zur Verhaltensänderung veranlassen? (signalisieren Zustimmung) Wir wollen gegenseitig Unterrichts-Hospitationen durchführen, um Verhaltensweisen aufzuspüren und zu entschärfen, die unsere Kunden demotivieren können? (signalisieren Zustimmung) Derzeit haben wir 1.500 Schüler und bis zum Ende des GJ in drei Monaten sollen es 1.650 sein. Offenbar, Herr B, können wir das erreichen? Das sehe ich so. Also sind 1.650 Schüler die Basis für die Planung des kommenden GJ. Wie viele Schüler wollen wir bis Ende des kommenden GJ in unserem FI haben? Ich habe schon mal ein wenig hin- und hergerechnet und denke, wenn es uns gelingt, die Kündigungsquote von 25 % nicht zu überschreiten, ist eine Steigerung der Schülerzahl in Höhe von 10 % möglich. Also reden wir über 1.815 Schüler! Sagen wir 1.800 bis Ende des GJ? (signalisieren Zustimmung) Gut! 1.800 Schüler bis Ende des kommenden GJ und die Kündigungsquote nicht über 25 %. Das sind unsere neuen Ziele.

72

3

Planen

An dieser Stelle verlassen wir das Meeting und wenden uns der Analyse zu. Wie verhält sich der Manager in welchem Abschnitt des Meetings? Wodurch führt er? Beschreiben Sie in Stichworten das Führungsverhalten des Managers in der Spalte „Führungsverhalten Manager“. Verlauf des Meetings

Führungsverhalten Manager (M)

Begrüßung Worum geht es? Woran werden wir erkennen, ob der gewünschte Zustand erreicht ist? Was könnten wir tun, um den gewünschten Zustand zu erreichen? Zielklärung und Zielvereinbarung

Musteranalyse: Verlauf des Meetings Begrüßung

Führungsverhalten Manager (M)

Stellt Arbeitsatmosphäre her, eröffnet den „Gesprächsraum“, fixiert den zeitlichen Umfang, gibt das Ziel des Meetings bekannt und delegiert eine Aufgabe an B. Worum geht es? Lässt B über Ist-Stand und Abweichungen berichten, hört zu. Woran werden wir erkennen, Führt durch offene Fragen das Gespräch, veranlasst die Kolob der gewünschte Zustand legen zum Mitdenken, moderiert die Diskussion, strafft und erreicht ist? fokussiert das Thema, bewirkt Konsens bezüglich der Obergrenze der tolerierbaren Kündigungsquote. Was könnten wir tun, um den Fasst zusammen, was er hinsichtlich der Diskussion über die gewünschten Zustand zu errei- Reduzierung der Kündigungsquote verstanden hat, wiederholt chen? dabei den Kern des bereits Gesagten und lässt sich die Richtigkeit von allen bestätigen. Durch seine präzisierenden Fragen bereitet er die Zielbildung und Zielvereinbarung vor. Zielklärung und Zielvereinba- M führt durch Anknüpfen an das Besprochene sowie geschlosrung sene und offene Fragen einen Konsens herbei über die zu erreichende Schülerzahl unter Berücksichtigung der Kündigungsquote. Die Zielbildung ist gemeinsam und einvernehmlich erfolgt.

3.3 Besprechungen leiten

73

Erarbeitet der Manager in der gezeigten Art und Weise – vorzugsweise gemeinsam mit den Mitarbeitern – die Antworten auf die relevanten Fragen, kann er Konsens hinsichtlich der Zieldefinitionen bewirken und alle zur Mitarbeit motivieren.

3.3 Besprechungen leiten Nicht immer verlaufen Besprechungen so konzentriert und ergebnisorientiert. Fakt ist, dass Meetingteilnehmer häufig frustriert sind, das Gefühl haben, Zeit in Meetings zu verlieren und wenig Konkretes zu erfahren, beispielsweise immer dann, wenn einer (der Vorgesetzte) lange redet und andere (die Mitarbeiter) zuhören müssen. Frustration stellt sich ein, wenn kein Dialog stattfindet, wenn nur gelegentlich ein Mitarbeiter aufgefordert wird, sich zu äußern, wenn es keine Interaktion gibt und das Meeting eine kommunikative Einbahnstraße ist. Der Managerwitz „Wenn Du einsam und frustriert bist, gehe in ein Meeting, Du triffst dort viele Gleichgesinnte“ drückt die Resignation und Verärgerung über Zeitverschwendung und mangelnde Ergebnisorientierung aus. Wie können wir es also besser machen? Erinnern wir uns: Keine Arbeit ohne Klärung der Ziele! Um ein Meeting zu einem motivierenden Erlebnis für alle Teilnehmer werden zu lassen, muss Klarheit über folgende Aspekte gewonnen werden: • Welches sind die Ziele dieses Meetings? • Was soll warum in welcher Zeit mit wem geklärt werden? • Wer wird das Meeting moderieren (leiten)? Hierzu gehören Aspekte wie z. B. – Vorstellung der Themen und Meetingziele – Zeiten einhalten, das Wort erteilen oder ggf. entziehen – Gespräche initiieren, Diskussionen leiten, Abweichungen vom Thema vermeiden – Standpunkte zusammenfassen, vergleichen, gegenüberstellen – Ergebnisse zur Entscheidung bringen – vereinbaren, was von wem bis zu welchem Termin erledigt werden soll – Visualisierung der Ergebnisse (klassisches Protokoll oder Mind Mapping) • Mit welchen Methoden können wir arbeiten? – strukturierte Diskussion (zuvor Vereinbarungen treffen hinsichtlich der Ziele, Problemstellungen, Themen, Spielregeln und des zeitlichen Rahmens) – Mind Mapping 2 zur einfachen und wirksamen Erfassung, Strukturierung und Dokumentation der Diskussionsergebnisse – Pinwand-Technik (es wird „schriftlich diskutiert“ mithilfe sog. Moderationskarten). Es bedarf einer zuvor festgelegten „Dramaturgie“ (Moderationskonzept), um den Pro2

Vgl. Mind Mapping und Pinwand-Technik unter www.springer.com beim Buch.

74

3

Planen

zess strukturiert zum Ergebnis zu führen (siehe auch den entsprechenden Abschnitt in diesem Buch). Diese Methode aktiviert alle Teilnehmer gleichermaßen, bremst Vielredner und Selbstdarsteller aus, sorgt für nachvollziehbare Ergebnisse, vernetzt Gruppenmitglieder und Moderator, nutzt das Erfahrungspotential aller, hält das Interesse wach, eignet sich für Lernprozesse, Problemlösungs- und Planungsprozesse aller Art. Die folgende Matrix ist zugleich Einladung und Ablaufplan für das Meeting. Das Thema, das Ziel, die Teilnehmer, der zeitliche Umfang, wer dieses Thema als Leiter moderieren wird, mit welcher Methode gearbeitet werden soll, sind auf einen Blick ersichtlich. Die Spalte „Ergebnisse“ verspricht, dass etwas Konkretes bei diesem Meeting herauskommen wird. Die Leiter der Themen sind verantwortlich für die Durchführung, das Einhalten des Zeitplans und die Dokumentation der Ergebnisse. Wechselnde Leitungspersonen beugen Monotonie vor und fördern die Beteiligung aller Teilnehmer. Hier kündigt sich zielbewusstes Arbeiten an, das beruhigt jeden potentiellen Teilnehmer. Auch ist wichtig zu wissen, wann das Meeting beendet sein wird – endlos sich dahinschleppende Meetings demotivieren. Einladung zum Meeting am . . . (Datum) von . . . bis . . . (Uhrzeit) Raum: Agenda Teilnehmer: Meier, Müller, Schulze, Musterfrau, Weniger und Vielredner (zeitweise) Thema Ziel Teilnehmer Zeit Leitung Methode/ Ergebnisse Medien WerbeEntwicklung kampagne der GrundHerbst ideen für das Briefing der Agentur

Meier Müller Schulze Musterfrau

50′

Gewinn/ Verlust im 3. Quartal Preiserhöhung

Meier Müller Schulze Musterfrau Vielredner Meier Müller Schulze Musterfrau Weniger

20′

Soll-IstVergleich gem. Jahresplan prüfen Strategie entwickeln, um die Preiserhöhung erfolgreich den Kunden zu vermitteln

40′

Musterfrau

Pinwände Hier werden und Karten die Ergebnisse und Beschlüsse stichwortartig festgehalten. Ein Protokoll wird überflüssig. Weniger Vortrag (Leiter Finanz- Beamer abteilung) Vielredner

PinwandTechnik

3.3 Besprechungen leiten

75

Wird ein Meeting auf diese Weise vorbereitet, ein strukturierter Handlungsablauf aufgezeigt, der für alle nachvollziehbar ist, mit Pinwänden und Moderationskärtchen gearbeitet, verhindert dies die Entfaltung folgender Typen, die Arbeitsgruppen als Feld der Selbstdarstellung verstehen, sich unproduktiv verhalten und anderen die Zeit stehlen: • Ideenkiller, die versuchen, jede Idee abzuschießen, unbrauchbar erscheinen zu lassen oder zu korrigieren • Diven, die versuchen, die Höhe ihres hierarchischen Ranges auszuspielen, Einfluss auf jede Entscheidung zu nehmen und die Teilnehmer fühlen zu lassen, dass das, was sie sagen, ihrer Meinung nach doppelt zähle • Experten, die sich arrogant verhalten, stets die letzte Erkenntnis für sich beanspruchen und alles andere nicht gelten lassen wollen • Vielredner, die versuchen, die Runde durch Dauerreden zu dominieren und die Führung an sich zu reißen.

4

Delegieren

Sind die Ziele, Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung geplant, müssen Teilziele, Teilaufgaben und die dafür notwendigen Handlungskompetenzen von der Führungskraft auf geeignete Mitarbeiter übertragen werden. Einerseits entlastet sich die Führungskraft und andererseits kann sich die Delegation von Verantwortung und Aufgaben positiv auf die Motivation der Mitarbeiter auswirken. Ihr Selbstwertgefühl, ihre Eigenverantwortung und ihre Identifikation mit dem Unternehmen werden gestärkt. Infolgedessen, davon ist im Regelfall auszugehen, steigt die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter. Erstaunlicherweise sind insbesondere ständig überarbeitete Manager zurückhaltend, Aufgaben an ihre Mitarbeiter zu delegieren. Von Ihnen kann man Gedanken wie diese hören: „Delegation? Wenn das so einfach wäre! Meine Aufgaben kann mir keiner abnehmen. Ehe ich das jemandem erklärt habe, mache ich es lieber gleich selbst. Dann weiß ich wenigstens, dass es getan worden ist, und muss nicht immer hinterherlaufen und Angst haben, dass etwas doch nicht so richtig funktioniert. Was ich selbst getan habe, weiß ich, und ich bin dann viel entspannter. Wem kann man schon trauen?“ Manche Manager fürchten, durch Delegation sich selbst zu schaden. Nicht nur mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter, sondern auch das Gegenteil – die Befürchtung, dass jemand es ebenso gut oder besser machen könnte als man selbst – führt zur Ablehnung von Delegation. Wie bereits zuvor angedeutet, kann Delegation viel Positives bewirken, wenn man die richtige Einstellung dazu findet und den Delegationsprozess korrekt gestaltet. Die positiven Wirkungen korrekter Delegation aus Sicht der Führungskraft sind, dass man mehr Zeit für die wesentlichen Führungsaufgaben hat, weniger Stress empfindet und mit den Mitarbeitern bessere Arbeitsergebnisse erreicht. Delegieren aus Sicht der Führungskraft ist also zugleich Führungsaufgabe und Führungsinstrument – eine wirksame Möglichkeit, Mitarbeiter verantwortlich mitarbeiten zu lassen und sich als Führungskraft zu entlasten. Das heißt allerdings nicht, jemandem eine Aufgabe zu übertragen und anschließend den Fall zu vergessen, weil man ja „delegiert“ hat. Der Verantwortung für die delegierten Aufgaben kann sich die Führungskraft nicht entziehen. Durch klare Kompetenzverteilung, Übertragung eines Teils der Verantwortung © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_4

77

78

4

Delegieren

auf Mitarbeiter, die eigenverantwortlich die Aufgaben erfüllen, begleitende Überprüfung und Hilfestellung muss die Führungskraft sicherstellen, dass der Stand der Bearbeitung der übertragenen Aufgaben und möglichen Abweichungen jederzeit transparent ist und die Delegation zum Erfolg führt. Mitarbeiter werden sich fragen, ob sie in der Lage sind, der übertragenen Verantwortung gerecht zu werden und ob sie auch die notwendigen Informationen und Kompetenzen erhalten. Ihnen ist klar, dass die Übernahme von Verantwortung auch mit höherem Druck einhergehen wird. Manch einer wird es u. a. aus diesen Gründen ablehnen, mehr Verantwortung zu übernehmen. Beim korrekten Delegieren sind diese „W-Fragen“ zu beachten: Was? • Welche Ziele sollen erreicht werden? • Welche Aufgaben können übertragen werden?

Wer? • Welche persönlichen und fachlichen Voraussetzungen werden gebraucht? • Wer könnte dafür geeignet sein und Freude an der Übernahme haben? • Wer könnte unterstützend (beratend, fortbildend) mitwirken? Wie? • Welche Maßnahmen sollen die Zielerreichung bewirken? • Welche Vorschriften oder Verfahren sind zu beachten? • Welche anderen Stellen sollten informiert oder einbezogen werden?

Womit? • Welche Mittel (Geld, Ausrüstungen, Werkzeuge, Unterlagen, Dokumentationen) werden benötigt?

Wann? • Bis zu welchem Zeitpunkt soll die Arbeit fertiggestellt sein? • Wann muss die Arbeit begonnen werden? • An welchen Zwischenterminen soll über den Stand der Ausführung berichtet werden?

4.1 Fallbeispiel: Delegieren einer Wohnungsrenovierung

79

Empfehlenswert ist, • dem Mitarbeiter die Aufgabe und das Ziel genau zu beschreiben und sich diese Zusammenhänge noch einmal mit dessen eigenen Worten erklären zu lassen, um Missverständnisse auszuschließen. • gemeinsam mit dem Mitarbeiter zu überlegen, wie und mit welchen Hilfsmitteln (z. B. Fortbildung) die Aufgabe am besten erledigt werden kann. Dadurch werden seine Kenntnisse und Fähigkeiten einbezogen, das Selbstwertgefühl gestärkt und die Motivation gefördert. • dem Mitarbeiter die Sicherheit zu geben, bei eventuell auftauchenden Schwierigkeiten jederzeit um Rat und Unterstützung fragen zu können. • Zwischen- und Endergebnisse der Arbeit zu überprüfen, erfolgreiche Ausführung zu loben und Mängel oder Misserfolge konstruktiv zu kritisieren. Delegationsprozesse misslingen, wenn Aufgaben angeordnet werden, ohne die Ziele zu erklären und die erforderlichen Kompetenzen zu übertragen. Ständiges Eingreifen und pedantisches Kontrollverhalten wirken demotivierend. Nicht erlaubt ist im Falle des Misslingens einer übertragenen Aufgabe, dem eigenen Vorgesetzten gegenüber sich der Verantwortung zu entziehen und den Mitarbeiter zu beschuldigen.

4.1

Fallbeispiel: Delegieren einer Wohnungsrenovierung

Was?

• Welche Ziele sollen erreicht werden?

Wer?

• Welche persönlichen und fachlichen Voraussetzungen werden gebraucht? • Wer könnte dafür geeignet sein und Freude an der Übernahme haben? • Wer könnte unterstützend (beratend, fortbildend) mitwirken?

• Die Mietwohnung soll innerhalb von drei Wochen mit Laminat in den Wohnbereichen; Fliesen im Flur, Gäste-WC und Badezimmer ausgestattet sein. • Welche Aufgaben können über- • Materialauswahl und Einkauf durch Eigentütragen werden? mer (ET) • Firma für Bodenbelaggestaltung (BBG) finden (ET) • Fachfirma für Bodenbelaggestaltung (Laminat, Fliesen) • Endreinigung Mieter (M)

80 Wie?

4 • Welche Maßnahmen sollen die Zielerreichung bewirken?

• Welche Vorschriften oder Verfahren sind zu beachten? • Welche anderen Stellen sollten informiert oder einbezogen werden?

Delegieren

• Kostenvoranschläge einholen, Aufträge erteilen (ET) • Teppichböden entfernen und entsorgen (BBG) • Laminat liefern und aufbringen (BBG) • Fliesen aussuchen und anliefern lassen (ET und BBG) • die alten Fliesen überkleben • umweltgerechte Entsorgung der Altmaterialien • Information der Mitbewohner und des Hausverwalters über die Arbeiten

Womit? • Welche Mittel (Geld, Ausrüs• Kosten gem. Kostenvoranschlag und Auftragstungen, Werkzeuge, Unterlagen, erteilung Dokumentationen) werden be- • Wohnungsgrundriss für Flächenberechnung nötigt? bereithalten • Parkbereich vor dem Haus für die Handwerkerfahrzeuge vom Ordnungsamt sperren lassen Wann? • Bis zu welchem Zeitpunkt soll • Fertigstellung der Renovierungsarbeiten bis die Arbeit fertiggestellt sein? 44. KW • Wann muss die Arbeit begon• Baubeginn: 41. KW nen werden? • An welchen Zwischenterminen • jeweils Ende der KW 41, 42, 43 soll über den Stand der Ausführung berichtet werden?

4.2 Übung: Mein eigenes Projekt Versuchen Sie, im Rahmen der folgenden Übung den Delegationsprozess für eines Ihrer eigenen Projekte realitätsnah zu simulieren. Was?

• Welche Ziele sollen erreicht werden? • Welche Aufgaben können übertragen werden?

Wer?

• Welche persönlichen und fachlichen Voraussetzungen werden gebraucht? • Wer könnte dafür geeignet sein und Freude an der Übernahme haben? • Wer könnte unterstützend (beratend, fortbildend) mitwirken?

4.2 Übung: Mein eigenes Projekt Wie?

81

• Welche Maßnahmen sollen die Zielerreichung bewirken? • Welche Vorschriften oder Verfahren sind zu beachten? • Welche anderen Stellen sollten informiert oder einbezogen werden?

Womit? • Welche Mittel (Geld, Ausrüstungen, Werkzeuge, Unterlagen, Dokumentationen) werden benötigt? Wann? • Bis zu welchem Zeitpunkt soll die Arbeit fertiggestellt sein? • Wann muss die Arbeit begonnen werden? • An welchen Zwischenterminen soll über den Stand der Ausführung berichtet werden?

4.2.1

Fallstudie: Rückdelegation verhindern

Manager und Mitarbeiter besprechen ein Projekt, klären die Ziele, und der Mitarbeiter übernimmt die Aufgabe, innerhalb einer Woche einen entsprechenden Aktions- und Maßnahmenplan zu entwickeln. Nach drei Tagen spricht der Mitarbeiter den Manager an: „Also, ich habe mich jetzt eingehender mit dem Projekt beschäftigt und festgestellt, dass hinsichtlich der Ablauforganisation des Kongresses noch erhebliche Unklarheiten bestehen. Ich komme deswegen gar nicht weiter. Sie haben solche Projekte ja schon mehrfach durchgeführt – was soll ich Ihrer Meinung nach in diesem speziellen Fall in den Plan einsetzen? Was raten Sie mir?“ Achtung: Wer fragt, der führt! Hier wird auf subtile Weise versucht, die Aufgabe an die Führungskraft zurückzugeben. Diesen Vorgang bezeichnet man als Rückdelegation. Der Versuch wird mit der offenen Frage „Was raten Sie mir?“ eingeleitet. Der Mitarbeiter appelliert zuvor an das Selbstwert- und Akzeptanzgefühl des Managers mit der Botschaft: „Sie haben solche Projekte ja schon mehrfach durchgeführt.“ Er fragt aus der Perspektive des Hilfesuchenden: „Was soll ich Ihrer Meinung nach in diesem speziellen Fall in den Plan einsetzen? Ich komme hier nicht weiter. Was raten Sie mir?“ – Der Stimulus „Ich bin schwach und du bist klug und erfahren“ soll den Manager milde und hilfsbereit stimmen. Der Manager geht darauf ein, weil er sich anerkannt fühlt und in diesem Fall auch gern hilft, hat er doch tatsächlich Ähnliches bereits mehrfach durchgeführt. Hinzukommt, dass es ihm zeitsparend und effizient erscheint, das mal eben rasch selbst zu erledigen. Außerdem kann dann ja auch nichts mehr schiefgehen. Er sagt: „Gut, dann lassen Sie uns mal sehen, was hier zu tun ist.“

82

4

Delegieren

Achtung: Der Manager hat die Rückdelegation der Aufgabe zugelassen, er hat sie angenommen. Ab jetzt arbeitet der Manager für den Mitarbeiter, der seinen Manager in dieser Situation durch offene Fragen führt und zum Arbeiten veranlasst. Der Manager reflektiert laut die Arbeitsschritte, die sein Mitarbeiter fleißig mitschreibt. Am Ende des Denkprozesses fasst der Mitarbeiter zusammen: „Also, Chef, ich habe Folgendes verstanden . . . “ Der Mitarbeiter wiederholt präzise die Äußerungen seines Chefs, die dieser mit Zufriedenheit bestätigt; hat doch der Mitarbeiter aufmerksam zugehört und nichts vergessen. Nach geraumer Zeit stellt der Chef fest, dass etwas nicht richtig läuft, und fragt den Mitarbeiter: „Sagen Sie, warum läuft es in dem Projekt nicht so richtig rund?“ „Nicht rund? Ich habe nur das ausgeführt, was Sie gesagt haben – erinnern Sie sich?“ entgegnet der Mitarbeiter. Achtung: Hier liegt das Problem. Der Mitarbeiter hat die Äußerungen seines Chefs als „Evangelium“ in die Planung übernommen. Er hat sich nicht genügend mit den Rahmenbedingungen und Hintergründen des Projektes befasst, um rechtzeitig Fehlentwicklungen einschätzen zu können. Der Chef ist jetzt in einer misslichen Lage, denn der Mitarbeiter beruft sich darauf, alles so ausgeführt zu haben, wie es der Chef seinerzeit geäußert und auch nach Rückfragen des Mitarbeiters bestätigt hat. Was ist zu tun? Wie können wir diese subtile Art der Rückdelegation vermeiden? Ich habe mir angewöhnt, jeden Mitarbeiter, der mich auf diese Weise anspricht, in Begleitung eines großen schwarzen Gorillas zu sehen, der neben ihm steht und mich freundlich und erwartungsvoll angrinst. Dem Mitarbeiter „unterstelle“ ich, dass er den Gorilla, der sein ungelöstes Problem verkörpert, am liebsten bei mir lassen würde, auf dass ich mich fortan um ihn kümmere und mich somit seines Problems annehme. Ich achte sehr darauf, dass jeder Mitarbeiter seinen „Gorilla“ wieder mit an seinen Schreibtisch nimmt, ihn selbst füttert und unterhält. Hören wir uns an, wie der Versuch der Rückdelegation verhindert werden kann: Der Mitarbeiter fragt aus der Perspektive des Hilfesuchenden: Mitarbeiter: „Was soll ich Ihrer Meinung nach in diesem speziellen Fall in den Plan einsetzen? Ich komme hier nicht weiter. Was raten Sie mir?“ Manager:

„Was haben Sie bislang unternommen?“

Mitarbeiter: „Ich habe viel überlegt, mir vergleichbare Projekte angeschaut, aber das hat alles nichts gebracht. Deswegen . . . bevor ich hier noch lange herumsuche, frag ich doch rasch Sie. Dann wird’s auch gleich richtig.“

4.2 Übung: Mein eigenes Projekt

Manager:

83

„Lassen Sie bitte mal sehen, was Sie bisher notiert haben.“

Mitarbeiter: „Notiert habe ich natürlich noch nichts, ich bin ja nicht weitergekommen!“ Manager:

„Hm, damit Sie weiterkommen, machen Sie bitte Folgendes: Reden Sie mit den Kollegen oder mit qualifizierten Leuten von außen und bringen Sie in Erfahrung, was andere in ähnlichen Fällen erfolgreich praktiziert haben. Notieren Sie auf einer DIN-A4-Seite Ihre Erkenntnisse zu folgenden Punkten: 1. derzeitige Lage im Projektbereich 2. unsere Ziele mit diesem Projekt 3. Ideen zur Realisierung 4. Welcher Ihrer Ideen würden Sie den Vorrang geben? 5. Mit welchen Maßnahmen würden Sie diese bis wann umsetzen? Dieses Papier nehmen wir als Gesprächsgrundlage. Bis wann können Sie das fertig haben?

Mitarbeiter: „Ich denke, in drei Tagen sollte ich das schaffen.“ Manager:

„Gut, wann wollen wir also miteinander reden?“

Mitarbeiter: „Am Mittwoch um 10.00 Uhr?“ Manager:

„Gern, das passt auch mir sehr gut.“

Analyse

1. Wodurch hat der Manager die Rückdelegation verhindert? 2. Womit hat der Manager geführt? 3. Wie hat er den Abwehrversuch des Mitarbeiters erfolgreich pariert und ihn zum Handeln gebracht? 4. Welche Vereinbarung haben beide geschlossen?

5

Entwickeln und fördern

5.1

Die verschiedenen Rollen einer Führungskraft1

Die Bewältigung der Rollenvielfalt, mit der sich eine Führungskraft konfrontiert sieht, ist herausfordernd. Verschiedene Situationen erfordern ein unterschiedliches Verhalten. Je nach Situation muss die Führungskraft mal als einfühlsamer Coach handeln (der seine Mitarbeiter berät), mal als Leitwolf (der sagt, wo es langgeht), mal als Löwenbändiger (der mit der Peitsche droht) usw. Die Führungskraft ist mithin nicht nur als Fachexperte gefragt, der sich mit dem Gegenstand auskennt, an dem gearbeitet wird, sondern darüber hinaus als • Manager, der die Arbeit anderer Experten anleitet und koordiniert, und der die Fäden in der Hand hält, ohne selbst in den fachlichen Details sicher zu sein • Mitarbeiter-Coach, der seine Mitarbeiter in schwierigen Situationen begleitet, indem er zuhört und berät • Teamentwickler, der die Fähigkeit der Zusammenarbeit im Team zu verbessern sucht, der Konflikte im Team erkennt und den Mitarbeitern hilft, sie zu klären • Verantwortlicher, der die Last der Verantwortung für Entscheidungen und für die Arbeitsergebnisse seines Teams trägt • Löwenbändiger, der auch mal ein Machtwort spricht, Konsequenzen aufzeigt; und sie nötigenfalls zieht • Leitwolf, der Vorbild für seine Mitarbeiter ist und ihnen neue Wege aufzeigt; auch klar sagt, wo’s langgeht

1

Vgl. Schulz v. Thun, F./Ruppel, J., Stratmann, R.: „Miteinander reden – Kommunikationspsychologie für Führungskräfte“, S. 25 f., Hamburg, 2000.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_5

85

86

5

Entwickeln und fördern

• Angestellter, der sich selbst seinem Vorgesetzten gegenüber zu verantworten hat und Angestellter des Unternehmens ist. Zur Vielfalt der Führungsaufgaben gehört auch eine pädagogische Komponente. Die Mitarbeiter verfügen über unterschiedliche Vorkenntnisse, sind unterschiedlich lange und intensiv mit dem Unternehmen und den Arbeitsabläufen vertraut. Je nach individuellem „Reifegrad der Mitarbeiter“ im Unternehmen brauchen sie Aufmerksamkeit, Anleitung oder Hilfestellung seitens des Vorgesetzten. Je erfahrener Ihre Mitarbeiter sind, desto weniger Zuwendung müssen Sie für deren Betreuung aufwenden. Die Kenntnis der Stärken und Förderpotentiale der Mitarbeiter muss die Führungskraft bereits im Delegationsprozess richtig einschätzen können, sonst besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter über- oder unterfordert werden, was sich in jedem Fall nachteilig auf deren Motivation auswirken wird. Ihr Delegations- bzw. Anleitungsstil muss sich dem Reifegrad der Mitarbeiter flexibel anpassen, um Unter- oder Überforderung zu vermeiden und nicht als pingelig, misstrauisch oder kleinlich wahrgenommen zu werden – das demotiviert die Mitarbeiter.

Die situationale Führungstheorie (Reifegradmodell) Das situative Reifegradmodell (Tri Dimensional Leader Effectiveness Model oder Situational Leadership Theory) wurde von den nordamerikanischen Unternehmensberatern Hersey und Blanchard entwickelt. Sie beschreiben eine situative Theorie der Führung, die sich auf das Entwicklungsstadium der Geführten bezieht. Ausgehend von den zwei Dimensionen Aufgaben- und Personenorientierung werden vier Führungsstile abgeleitet, die sich auf unterschiedliche Reifegrade der Mitarbeiter beziehen. Henry und Blanchard gehen davon aus, dass der individuelle Reifegrad des Mitarbeiters von der Funktionsreife und der psychologischen Reife bestimmt wird. Mit Funktionsreife sind die Fähigkeiten, das Wissen und die Berufserfahrung gemeint, die ein Mitarbeiter einbringt. Mit dem Begriff der psychologischen Reife werden die Faktoren Selbstvertrauen und Selbstachtung, Leistungsorientierung und Verantwortungsbereitschaft bezeichnet. Aus diesen Komponenten lassen sich vier Reifestadien eines Mitarbeiters ableiten. Entsprechend der jeweiligen Reifegradsituation wählt die Führungskraft den angemessenen Führungsstil.

5.1 Die verschiedenen Rollen einer Führungskraft

87

stark aufgabenbezogen

wenig aufgabenbezogen

stark mitarbeiterbezogen

stark mitarbeiterbezogen

Selling (Argumentieren) geringe bis mäßige Reife

Telling (Unterweisen) geringe Reife

Participating (Beteiligen) mäßige bis hohe Reife

Delegating (Delegieren) hohe Reife

stark aufgabenbezogen

wenig aufgabenbezogen

wenig mitarbeiterbezogen

wenig mitarbeiterbezogen

Abb. 5.1 Das situative Reifegradmodell von Hersey und Blanchard/1969

Der unterweisende Führungsstil („Telling“) ist durch eine geringe Mitarbeiterorientierung und eine hohe Aufgabenorientierung gekennzeichnet. Die Zielerreichung steht im Vordergrund. Der argumentierende Führungsstil („Selling“) stellt eine hohe Mitarbeiterorientierung in den Fokus und misst der Aufgabenorientierung einen geringeren Stellenwert zu. Die Führungskraft versucht, durch Erklärungen der Zusammenhänge und emotionale Unterstützung das Bewusstsein des Mitarbeiters für die Zielerreichung zu aktivieren. Der Mitarbeiter soll mit Überzeugung seine Aufgaben wahrnehmen. Der partizipierende Führungsstil („Participating“) setzt noch stärker als der vorherige auf die Mitarbeiterorientierung. Führungskraft und Mitarbeiter entwickeln gemeinsam die Ziele und Maßnahmen.

88

5

Entwickeln und fördern

Der delegierende Führungsstil („Delegating“) weist sowohl bei der Aufgaben- als auch der Mitarbeiterorientierung eine geringe Intensität auf. Die Führungskraft beauftragt den Mitarbeiter und kontrolliert die Ergebnisrealisierung. Da in einer Gruppe immer Mitarbeiter zusammenarbeiten, die sich in unterschiedlichen Stufen fachlicher Reife befinden, ist es Aufgabe der Führungskraft, so viele Mitarbeiter wie möglich in die Stufe des delegierenden Führungsstils zu entwickeln. Die Stufe des Delegating wird mit einem hohen Reifegrad gleichgesetzt und als anzustrebend angesehen. Die Autoren vertreten die Ansicht, dass die sorgfältige Abstimmung von Mitarbeiter-Reife und Führungsstil eine erhöhte Arbeitsleistung und Mitarbeiter-Zufriedenheit bewirken kann. Die Anpassung des Führungsverhaltens an ein angenommenes Reifegradniveau der Geführten ist in der Praxis jedoch problematisch. Das Reifeniveau ist keine Konstante, sondern entwickelt sich im Kontext der Zusammenarbeit von Vorgesetztem und Mitarbeiter und wird somit auch wesentlich durch das Führungsverhalten beeinflusst. Wie einschätzbar und überzeugend wirkt eine Führungskraft, die ein ständig wechselndes Führungsverhalten zeigt? Im Folgenden erfährt das Modell der situativen Reifegradentwicklung von Hersey und Blanchard eine praxisbezogene Umdeutung. Zur Vielfalt der Führungsaufgaben gehört auch eine pädagogische Komponente. Je nach individuellem „Reifegrad der Mitarbeiter“ im Unternehmen brauchen diese Aufmerksamkeit, Anleitung oder Hilfestellung seitens des Vorgesetzten. Je erfahrener die Mitarbeiter sind, desto weniger Zuwendung müssen sie für deren Betreuung aufwenden. Die Reihenfolge 1. bis 4. in Abb. 5.2 zeigt von rechts nach links die Entwicklungsstufen des Reifegrades bzw. der Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter auf: 1. tell – Mitarbeiter, die neu in einer Organisation sind, brauchen Informationen und konkrete Anweisungen, um mitarbeiten zu können. Ihre Arbeit muss regelmäßig kontrolliert werden, um rechtzeitig korrigieren zu können und Misserfolgserlebnisse des Mitarbeiters zu vermeiden. 2. task – eine kleine Herausforderung anbieten, die Durchführung der Aufgabe diskutieren, um die Denkweise des Mitarbeiters kennenzulernen und ihn ggf. anzuleiten 3. tutor – In dieser Stufe greift die Führungskraft nur ein, wenn der Mitarbeiter es verlangt oder Beratung erforderlich ist. 4. trust – Es sollte das Ziel jeder Führungskraft sein, möglichst viele Mitarbeiter in diese Stufe des Vertrauens und Zutrauens zu bringen. Einerseits hat man dann motivierte und qualifizierte Mitarbeiter – andererseits kann man relativ unbesorgt an diese delegieren, weil man sich aus Erfahrung auf deren zuverlässiges und umsichtiges Arbeiten verlassen kann.

5.2 Hilfe bei Problemlösungen

1. tell sagen, informieren, anleiten, lehren

4. trust Mitarbeiter weitestgehend selbständig arbeiten lassen

hoch

89

2. task Aufgabe diskutieren als Partner

3. tutor Hilfe anbieten, bereitstehen, Fragen beantworten

niedrig

Abb. 5.2 Entwicklung des Reifegrades von Mitarbeitern in Verbindung mit der Art der Anleitung2

5.2 Hilfe bei Problemlösungen Häufig erleben wir, dass Mitarbeiter, wie in der Fallstudie „Rückdelegation verhindern“ beschrieben, uns ihr Problem schildern und um unsere Meinung oder Rat bitten. Am liebsten hätten sie es, wenn wir ihnen ein Problemlösungsrezept ausstellen würden. Wie können Sie jemandem helfen, sein Problem zu lösen? Gewiss nicht, indem Sie ihm rasch einen Rat geben. Gehen Sie getrost davon aus, dass jeder, der Ihnen sein Problem schildert, tief im Inneren bereits die Lösung kennt. Diese im Unbewussten schlummernde Problemlösung bewusst werden zu lassen ist das Ziel des folgenden Vorgehens: Bevor Sie diese Methode bei anderen anwenden, machen Sie einen Selbstversuch. Beantworten Sie unter Bezugnahme auf irgendein eigenes Problem die folgenden Fragen schriftlich und halten Sie sich genau an das vorgegebene Muster. Machen Sie sich zunächst Ihr Problem in aller Ruhe bewusst. Stellen Sie es sich plastisch und in allen relevanten Einzelheiten vor. Haben Sie den Eindruck, für die Fragen bereit zu sein, beginnen Sie damit, Ihre Antworten aufzuschreiben. Falls Sie eine andere Person in diesem Prozess begleiten möchten, lassen Sie sich zuerst das Problem ausführlich schildern. Haben Sie den Eindruck, dass Ihr Partner sich „leergeredet“ hat, beginnen Sie, ihn mit Hilfe dieser Fragen anzuleiten, die Lösung seines Problems selbst zu finden (siehe Abb. 5.3).

2

Vgl.: Czichos, R.: Change Management, S. 510.

90

5

Entwickeln und fördern

Was war Ihre bisherige Lösung?

Erkenntnis

Was wären geeignete Alternativen? (Verhaltensweisen)

Welche Ihrer Ideen erscheint Ihnen am sinnvollsten?

Welchen Rat würden Sie sich selbst geben?

Welche andere Lösung käme noch in Frage?

Abb. 5.3 Fragen zur Hilfe bei Problemlösungen

5.2.1

Fallstudie: Schwierige Lage

5.2.1.1 Situation In einer Abteilung arbeiten u. a. vier Sachbearbeiterinnen. Die Kollegin Vielhaber schafft es permanent nicht, die ihr übertragenen und von ihr akzeptierten Aufgaben in der vereinbarten Zeitspanne zu erledigen. Als der Abteilungsleiter Herr Wichtig eines Abends in ihrem Schreibtisch nach einer Schere sucht, findet er in einer der Schubladen die Zertifikate, deren Zusendung schon mehrfach von den Berechtigten angemahnt worden ist. Seit sechs Monaten warten die Leute bereits und sind verständlicherweise sehr verärgert. Sehr unangenehm ist, dass die Abteilung des Herrn Wichtig inzwischen nicht nur intern, sondern auch bei den Kunden den Ruf eines Bermuda-Dreiecks hat: „Wenn Du etwas verhindert wissen willst, gib es in die Hände von Wichtig – und es versickert garantiert im Nirwana.“ Frau Vielhaber, mit der wiederholt wegen ihrer Unzuverlässigkeit ernsthafte Gespräche geführt worden sind, gelobte zwar stets Besserung, aber nach kurzer Zeit ging es weiter im alten Trott. Sie begründete die Unregelmäßigkeiten mit einer insgesamt zu großen Arbeitsbelastung. Daraufhin boten sich zwei Kolleginnen freiwillig an, ihr in den kritischen Zeiten

5.2 Hilfe bei Problemlösungen

91

zu helfen. – Trotz dieser Unterstützung kommt es fortgesetzt zu Verzögerungen, und hin und wieder verschwinden komplette Akten und sind unauffindbar.

5.2.1.2 Dialog In dieser angespannten Lage macht eine der Kolleginnen, die sich freiwillig angeboten hat zu helfen, bei der Ausfertigung eines Zertifikats einen geringfügigen Fehler. Diesen erkennt Frau Vielhaber und hat nichts Besseres zu tun, als die hilfsbereite Kollegin heftig zu kritisieren. Vielhaber (V): „Sie sind vielleicht eine tolle Hilfe! Wenn schon, dann müssen Sie das Zertifikat auch korrekt ausstellen. Machen Sie das noch einmal, aber heute noch! Die warten drauf.“ Kollegin (K):

„Also, jetzt reicht es mir. Machen Sie doch Ihren Kram selbst. Und in diesem Ton reden Sie mit mir nicht noch einmal!“

V:

„Das hatte ich erwartet. Sie haben mich ja von Anfang an abgelehnt.“

K:

„Wie kommen Sie denn darauf?“

V:

„Ach, hören Sie auf. Heute Morgen, da haben Sie meinen Gruß auch nicht erwidert: Einfach ignoriert haben sie mich!“

K:

„Hab’ ich nicht! Sie haben mich nicht angeschaut und dabei meinen Gruß wohl überhört. Und überhaupt – was soll dieses Gerede? Machen Sie Ihren Job ordentlich und belasten Sie uns nicht auch noch mit Ihren Fehlern. Unerhört! Man will Ihnen helfen, Sie aber werden pampig. Wenn wir dauernd Ihnen gegenüber so reagiert hätten, wäre schon längst Feierabend für Sie hier in der Abteilung!“

V:

„Nun machen Sie mal halblang! Ohne meine Hilfe wären Sie am Anfang hier doch total eingebrochen. Das ist der Dank! – Nee, nicht noch einmal mit mir!“

K:

„Das ist genug! Da Sie ja offensichtlich bei Herrn Wichtig einen großen Stein im Brett haben, muss ich mir sehr gründlich überlegen, ob ich hier noch weiter mitspiele. Das ist ja nicht mehr auszuhalten!“

92

5

Entwickeln und fördern

5.2.1.3 Aufgabe zur Fallstudie: Stellen Sie sich bitte vor, Sie seien ein Berater und werden von Herrn Wichtig gefragt, wie er diesen Konflikt harmonisieren und die beiden wieder zur Mitarbeit ins Boot holen könnte. Ziel muss sein, a) die Ursachen für die andauernden Fehlleistungen von Frau Vielhaber aufzuspüren und zu beseitigen b) den Konflikt zwischen den beiden Kolleginnen zu lösen c) beide nachhaltig zur konstruktiven Mitarbeit in der Abteilung zu bewegen Nehmen Sie das in der Abb. 5.3 gezeigte Fragekonzept „ Fragen zur Hilfe bei Problemlösungen“ als Grundlage Ihres Beratungsgesprächs. Stellen Sie sich einen Dialog mit Herrn Wichtig vor, in dessen Verlauf Sie ihm durch Ihre Fragen und die Anwendung der Techniken des Aktiven Zuhörens helfen, Handlungsalternativen zur Lösung der zuvor gestellten Aufgabe zu entwickeln. Führen Sie diese Aufgabe auch als Rollenspiel aus. Alternativ können Sie das Gespräch auch schriftlich simulieren und es zusammen mit der Darstellung des Konflikts an eine Person geben, der Sie in diesem Bereich Kompetenz und Urteilsvermögen zutrauen. Erörtern Sie Ihre dargestellten Gedanken im Hinblick auf deren Praktikabilität und Wirkung auf die Betroffenen. PS: Es gibt in diesem Fall mehrere „richtige“ Lösungsmöglichkeiten. Sie könnten auch mit der unter 5.3 beschriebenen Technik „Vom Problem zum Ziel“ arbeiten. Entscheidend ist, eine Lösung herauszuarbeiten, die nach Ihrer Meinung und der einer neutralen Kompetenz die höchstmögliche Wirkungswahrscheinlichkeit hätte.

5.3

Probleme werden zu Zielen

Diese aus sechs einfachen Fragen bestehende Methode können Sie zur Bearbeitung eigener Probleme oder in Anleitungssituationen mit anderen anwenden. Verwandeln Sie das Problem in eine Zielformulierung – eine simple und sehr wirksame Methode. Gehen Sie die Schritte der Reihenfolge nach durch, und die Person, mit der Sie auf diese Weise arbeiten, wird anschließend ein bearbeitungsfähiges Ziel für sich gefunden haben. Noch einmal: Vertrauen Sie darauf, dass jeder die Lösung seiner Probleme bereits in sich trägt, also selbst weiß, was eigentlich zu tun wäre. Im Verlauf eines strukturierten Gesprächs suchen wir gedanklich systematisch Stationen auf, die es ermöglichen, unsere Lösung zu erkennen, sie zu artikulieren und uns im Sinne einer selbst gewählten Verpflichtung das Ziel und die dazugehörigen Realisierungsschritte vergegenwärtigen. Lesen Sie zunächst die Fragen aufmerksam durch und lassen Sie diese in Ruhe auf sich wirken. Konkretisieren Sie die Anwendung dieser Fragen, indem Sie bereits an das eine oder andere Problem denken, welches Sie mithilfe der Fragen bearbeiten könnten.

5.3 Probleme werden zu Zielen

93

Zielrahmen bestimmen: Fragen

Antworten

• Was wollen Sie erreichen, wie wollen Sie werden? (positiv formuliert, ohne Steigerungen und Vergleiche, in der eigenen Kontrolle liegend) • Was müssen Sie dafür aufgeben?

• Was ist der Preis? Sind Sie bereit, diesen Preis zu zahlen?

• Falls „Nein“: Wie können Sie das Risiko so reduzieren, dass Sie bereit sind, es einzugehen?

• Wie können Sie Ihr ursprüngliches Ziel so abändern, dass der Preis für Sie bezahlbar erscheint?

• Welche Veränderung ist jetzt wichtig? Suchen Sie nach Wegen, bei denen Sie Ihre persönlichen Stärken optimal einsetzen können, ehe Sie völlig neue Kompetenzen aufzubauen versuchen.

Vom Problem zum Ziel 1. Formulieren Sie das Problem neu, und zwar als Ziel, das Sie statt des Problems ins Auge fassen. (Ziele geben die Richtung an, um unsere Kräfte zu bündeln und gerichtet einzusetzen. Klar definierte Ziele entfalten eine starke Anziehungskraft.) 2. Stellen Sie sich das Ziel und die damit verbundenen positiven Auswirkungen so plastisch wie möglich vor. Versuchen Sie, sich in den angestrebten Zustand einzufühlen, so, als

94

5

Entwickeln und fördern

sei er bereits erreicht. (Sie werden erleben, dass dies bereits eine belebende Wirkung auf Ihre Motivation zur Veränderung ausübt, weil Sie eine klare Vorstellung des Neuen gewonnen haben und nun wissen, wonach Sie streben und dass es sich lohnen wird, den Weg zu gehen.) 3. Formulieren Sie das Ziel positiv: ohne Verneinungen, ohne Steigerungen oder Vergleiche.

Beachten Sie bitte:

Formulieren Sie das Ziel so, dass die anderen ihr Verhalten beibehalten und nur Sie selbst Ihr Verhalten verändern. Das Ziel muss in der eigenen Kontrolle und Verantwortungsspanne liegen. Mit anderen Worten: Die Mittel zum Erreichen des Ziels müssen im Bereich Ihres eigenen Verhaltens und nicht in dem der anderen liegen. Erkunden Sie in der neuen Situation den eigenen Handlungsspielraum; experimentieren Sie mit neuem Verhalten und verlassen Sie Ihre innere Komfortzone.

Tipps zur Vermeidung von Denk- und Arbeitsblockaden:

Einfach, kurz und gut! Halten Sie Ihre Veränderungslust frisch. Gestalten Sie lieber einen überschaubaren Zeitraum – z. B. drei Monate – und bleiben Sie dran. Lösungsorientiert denken: Was könnte ich als erstes tun, damit es mir besser geht? Denken Sie vor allem in Lösungsansätzen. Stoppen Sie, wenn Sie merken, dass Sie im Problemkreislauf sind. Schauen Sie nach vorn. Zuversichtlich denken: Gehen Sie hoffnungsvoll an Ihre Ziele heran. Werten Sie Probleme und Rückschläge als neue Informationen. Nutzen Sie die Gelegenheit, eine verbesserte Variante zu finden. Beweglich denken: Es gibt „entweder–oder“, „weder–noch“ und „sowohl–als auch“. Das sind schon drei Möglichkeiten. Mit jeder weiteren Lösungsmöglichkeit steigen Ihre Chancen, die Lösung zu finden. Experimentieren Sie mit den verschiedenen Möglichkeiten. Überprüfen Sie, welche Vorschläge am besten zu Ihnen passen.

5.3 Probleme werden zu Zielen

95

5.3.1 Fallbeispiel: Überlastet „Seit Monaten habe ich zu viel Arbeit auf dem Tisch. Ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Was soll ich zuerst machen, was hat noch Zeit? Wenn das so weitergeht, breche ich zusammen.“ Zielrahmen bestimmen: Fragen

Antworten

• Was wollen Sie erreichen, wie wollen Sie werden (positiv formuliert, ohne Steigerungen und Vergleiche, in der eigenen Kontrolle liegend)?

Ich will innerhalb der Arbeitszeit alles, was für den Tag anlag, geschafft haben, will mit gutem Gefühl in den Feierabend gehen und meine Freizeit genießen.

• Was müssen Sie dafür aufgeben?

Ich muss lernen, nicht mehr auf alles, was im Laufe des Tages auf mich zukommt, sofort zu reagieren. Vielleicht hält man mich für unflexibel oder für weniger engagiert. Das kann ich aber auch sachlich begründen und vertreten. Ich sehe in diesem Fall kein „Nein“.

• Was ist der Preis? Sind Sie bereit, diesen Preis zu zahlen? • Falls „Nein“: Wie können Sie das Risiko so reduzieren, dass Sie bereit sind, es einzugehen? • Wie können Sie Ihr ursprüngliches Ziel so abändern, dass Ihnen der „Preis“ akzeptabel erscheint? • Welche Veränderung ist jetzt wichtig? Suchen Sie nach Wegen, bei denen Sie Ihre persönlichen Stärken optimal einsetzen können, ehe Sie völlig neue Kompetenzen aufzubauen versuchen.

Der „Preis“ ist für mich o.k.

Ich muss meine Arbeit genau analysieren und mit Prioritäten (a–b–c) versehen. In unklaren Fällen rede ich mit meinem Chef über die jeweiligen Prioritäten und stimme mich mit ihm ab. Ich halte meinen Weg konsequent durch.

Vom Problem zum Ziel 1. Formulieren Sie das Problem neu, und zwar als Ziel, das an die Stelle des Problems tritt: „Innerhalb eines Monats bin ich frei von Überlastung. Ich kann klare Prioritäten in meiner Arbeit setzen und mache meine Arbeit wieder mit Freude. Ich kann akzeptieren, dass ich nicht jeden Tag alles schaffe, aber ich habe den Überblick und weiß, wann was geschafft werden kann und wird.“ 2. Stellen Sie sich das Ziel und die damit verbundenen positiven Auswirkungen so plastisch wie möglich vor. Versuchen Sie, sich in den angestrebten Zustand einzufühlen, so, als sei er bereits erreicht. „Wenn ich meinen Arbeitstag beende, liegt kein Vorgang mehr auf dem Tisch. Alles ist

96

5

Entwickeln und fördern

sauber abgelegt. Mein einfaches und effizientes Ablagesystem hilft mir, alles in kürzester Zeit zur Hand zu haben. Keine endlose Sucherei mehr, und ein unbelasteter Start in jeden Arbeitstag wird möglich! Abends blicke ich mit Zufriedenheit auf meinen Schreibtisch, weil ich weiß, dass ich alles, was ich mir für den Arbeitstag vorgenommen hatte, geschafft habe. Mit einem guten Gefühl verlasse ich meinen Arbeitsplatz und freue mich auf einen entspannten Feierabend, an dem ich nur das tue, was mir Freude bereitet. Komme ich am nächsten Tag wieder an meinen Arbeitsplatz, empfängt mich ein aufgeräumter, sauberer Schreibtisch. Ich setze mich gern daran, weil ich ganz entspannt an die Arbeit gehen kann. Alles ist gut organisiert.“ 3. Formulieren Sie das Ziel ohne Verneinungen, ohne Steigerungen und Vergleiche. „Im nächsten Monat wird es mir gelingen, innerhalb der täglichen Regelarbeitszeit von 7,5 Stunden meine Arbeit dauerhaft so zu erledigen, dass ich keine Termine versäume und stets die mit der Unternehmensleitung vereinbarten Ziele realisiere.“ Das ursprüngliche Überlastungsproblem wurde erfolgreich in ein bearbeitungsfähiges Ziel umgewandelt. Mithilfe dieses Gesprächsmusters können Sie Mitarbeitern und sich selbst helfen, problematische Situationen aufgrund eigener Erkenntnis und eigenen Wollens konstruktiv zu bearbeiten.

Welches Problem wollen Sie mithilfe dieser Technik bearbeiten?

Beginnen Sie und erleben Sie, wie einfach das geht!

5.4

„Weniger ist mehr“

In den bisher behandelten Gesprächssituationen wurde die Suche nach Problemlösungen mithilfe differenzierter Fragetechniken unterstützt. Allerdings ist man nicht immer in der Lage, ausgefeilte Fragetechniken anzuwenden. In bestimmten Situationen ist es wirksamer, eine einfache Sprache und klare Sätzen zu verwenden, damit der Gesprächspartner sich auf das Erkennen seiner Problemlage konzentrieren kann.

5.4 „Weniger ist mehr“

97

Stellen Sie sich vor, Sie verwenden nur die folgenden vier Fragen für eine Problemberatung: • ,,Was ist das Problem?“ • ,,Wie fühlst du dich?“ oder ,,Wie hast du dich gefühlt?“ • ,,Was willst du?“ • ,,Was tust du?“ oder ,,Was hast du getan?“ oder ,,Was wirst du tun?“ Diese Fragen können Sie nach Gutdünken und beliebig häufig einsetzen. Gehen Sie intuitiv vor. Wiederholen Sie die Fragen, wenn Sie den Eindruck haben, dass Ihr Gesprächspartner noch nicht auf den Punkt gekommen ist oder Sie ihn noch nicht eindeutig verstanden haben. Sie brauchen Mut, nur diese vier Fragen zu stellen. – Wenn Sie gut zuhören und sich mit Ihrer Meinung zurückhalten, werden Sie überrascht sein, wie schnell Ihr Gesprächspartner sich seiner Problemlösung nähert. Haben Sie den Eindruck, dass die Lösung oder die Erkenntnis an- oder gar ausgesprochen wurde, fassen Sie mit den eigenen Worten zusammen, was Sie verstanden haben. Sie paraphrasieren z. B. den Sachverhalt oder die wahrgenommenen Gefühle mit den einleitenden Worten: ,,Ich habe Sie jetzt so verstanden . . . “ oder ,,Sie meinen, dass . . . “. Wird Ihre Zusammenfassung bestätigt, fragen Sie: ,,Was bedeutet das für Sie?“ oder ,,Was werden Sie ab morgen tun?“ Ihr Gesprächspartner wird jetzt die aus seiner Sicht erforderlichen Maßnahmen beschreiben, und damit endet Gespräch. Im folgenden Fallbeispiel erleben Sie die Anwendung dieser Beratungstechnik. Frau A und Herr B arbeiten in einer Abteilung zusammen. Frau A leidet unter übermäßiger Arbeitsbelastung, die dadurch zustande kommt, dass sie nach ihrer Auffassung von drei Kolleg_innen mit Arbeitsaufträgen ,,zugeschüttet“ wird. A: ,,Seit Monaten habe ich zu viel Arbeit auf dem Tisch!“ B: ,,Was ist das Problem?“ A: ,,Ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht.“ B: ,,Was ist das Problem?“ A: Was soll ich zuerst machen – was hat noch Zeit? B: ,,Wie fühlst Du Dich?“ A: ,,Wenn das so weitergeht, brech’ ich zusammen.“ B: ,,Was willst Du?“

98

5

Entwickeln und fördern

A: ,,Ich will endlich mal Land auf meinem Schreibtisch sehen! Immer kommt jemand und packt noch irgendetwas drauf und fordert dann, dass ich das möglichst noch heute erledige.“ B: ,,Wie fühlst Du Dich?“ A: ,,Ich ersticke in Arbeit, mach’ jede Menge Überstunden und komm’ auch abends nicht zur Ruhe. Ständig kreisen die Gedanken, und ich überlege, was ich noch alles zu tun habe. – Das kann so nicht weitergehen!“ B: ,,Was hast Du getan?“ A: Ich hab’ versucht, mit meinen Chefs darüber zu reden, dass es so nicht weitergehen kann. Aber glaubst Du, mir hört jemand zu?! – Immer heißt es nur: ,,Ja, ja, stimmt, das ist jetzt grad viel, aber da müssen wir alle zusammen durch“. . . Die sehen gar nicht, was ich alles mache. Jeder sieht nur sich und sein Problem, und ich soll das dann ausbaden!“ B: ,,Was willst Du?“ A: ,,Ich arbeite ja gern, aber nicht so, dass von allen Seiten nur noch Aufgaben mit Priorität A auf meinem Tisch landen. Die sollen sich untereinander absprechen und sich einigen, was unbedingt heute noch raus muss und was geschoben werden kann. Es ist doch nicht wirklich immer alles gleichermaßen wichtig – kann mir doch keiner erzählen!“ B: ,,Was willst Du?“ A: ,,Ich möchte eine klare Strukturierung der Prioritäten. Und daran sollen sich dann auch alle halten!“ B: ,,Was wirst Du tun?“ A: ,,Ich rede jetzt mit den drei Leuten, die mich immer mit neuen wichtigen Aufgaben zuschütten, und verlange, dass sie sich untereinander auf ein System der Priorisierung meiner Aufgabe einigen. Das kann ich ja schließlich nicht selbst entscheiden. Aber ich will nicht hinnehmen, dass jeder von mir fordern kann, seine Jobs zuerst und am besten sofort zu erledigen. Darunter leidet die Qualität und vor allem ich. Die müssen auch mal darüber nachdenken, was man in der täglichen Arbeitszeit überhaupt schaffen kann. Schließlich bin ich keine Maschine . . . “ B: ,,Du bist der Meinung, dass ein Gespräch mit den Dreien über eine Prioritätensetzung und den Umfang der täglich möglichen Leistung Deine Überlastung mildern könnte?“ A: ,,In der Tat! Im Augenblick sieht jeder nur sich selbst. Und wenn ich nicht aufstehe und sage, was mich stört, . . . Von allein werden die bestimmt nicht darauf kommen, was hier falsch läuft. Also muss ich die Initiative ergreifen, sonst ändert sich nichts.“ B: ,,Was wirst Du ab morgen tun?“ A: ,,Heute noch schreibe ich denen eine Mail, schildere das Überlastungsproblem und bitte darum, dass wir uns zu viert an den Tisch setzen und darüber reden. Dann zeige ich denen mal, was bei mir so alles anliegt, vor allem aber, wie viel in welcher Zeit geschafft

5.5 Führungsfehler vermeiden

99

werden kann. Dann lehne ich mich zurück und frage sie, wie das ihrer Meinung nach besser organisiert werden kann. – Da bin ich schon mal gespannt, was kommt. Egal, schlimmer kann’s ja nicht werden. Auf geht’s!“

5.4.1

Selbstklärung

Im vorangegangenen Fallbeispiel wurde deutlich, dass Frau A sich Gedanken macht, ob und wie ihre Intervention wohl auf die drei Kolleg_innen wirken wird. Häufig machen wir uns Sorgen, unsere Handlungen könnten von anderen ,,falsch“ verstanden werden oder gar einen gegenteiligen Effekt bewirken. Kommt Ihnen spontan ein Gedanke oder ein Gefühl beschäftigt Sie, dann fragen Sie sich selbst: 1. Welche Beweise gibt es, dass der Gedanke berechtigt ist? Welche Anhaltspunkte sprechen für diesen Gedanken? Welche Anhaltspunkte sprechen gegen diesen Gedanken? 2. Gibt es eine alternative Erklärung? 3. Was ist das Schlimmste, was passieren könnte? Könnte ich das überleben? Was ist das Beste, das passieren könnte? Was ist das realistischste Ergebnis? 4. Welchen Effekt hat es, wenn ich an diesen spontanen Gedanken glaube? Welchen Effekt könnte es haben, wenn ich mein Verhalten verändere? 5. Was sollte ich tun? 6. Wozu würde ich einem Freund in dieser Situation raten?

5.5

Führungsfehler vermeiden

Fehler sind Lernchancen. Trotz guter fachlicher Qualifikation unterlaufen uns hin und wieder Fehler. Als Führungskraft kann man nicht immer einen Kollegen, einen Vorgesetzten und schon gar nicht einen Mitarbeiter oder den Betriebsrat aufsuchen, um kritische Entwicklungen qualifiziert zu diskutieren. Hier finden Sie eine Anleitung, Ihr Verhalten zu reflektieren, nach Lösungen zu suchen und Handlungsalternativen zu entwickeln.

100

5

Entwickeln und fördern

Übung • Denken Sie an eine Situation, in der Sie mit Ihrem Verhalten als Führungskraft unzufrieden waren. • Gehen Sie schrittweise die Fragestellungen durch. • Notieren Sie Ihre Gedanken und Antworten. • Halten Sie Ihre Erkenntnisse schriftlich fest und entscheiden Sie, was Sie künftig wie besser machen werden.

Aktion • Denken Sie an eine Situation im Zusammenhang mit Ihrer Führungstätigkeit, mit der Sie im Nachhinein unzufrieden sind und die Sie als Fehlschlag betrachten.

• Notieren Sie alle Gründe, die zu dem Fehlschlag geführt haben könnten.

• Wenn die gleiche Situation wieder käme, wie würden Sie diese erfolgreich bewältigen?

• Malen Sie sich Ihr neues Verhalten in der Zukunft aus.

• Reflektieren Sie für sich oder im Gespräch mit einem Vertrauten Ihre Situation, um daraus zu lernen und künftig ähnliche Problemstellungen zu vermeiden.

Notizen

5.6 Der Sokratische Dialog

5.6

101

Der Sokratische Dialog

Sokrates wurde 469 v. Chr. als Sohn einer Hebamme und eines Bildhauers in Athen geboren. Er fühlte sich zur Philosophie und zur Lehrtätigkeit berufen und bewirkte Grundlegendes auf diesen Gebieten bis zu seinem Tode 399 v. Chr. Da Sokrates keine schriftlichen Überlieferungen hinterlassen hat, sind wir auf die Schriften Platons (Schüler des Sokrates) angewiesen, der nach eigenem Bekunden dessen Denken und Methoden in vielen seiner Werke anwendet. Nahezu alle Werke Platons sind in der Form des Sokratischen Dialogs verfasst. Diese Dialoge bilden den Versuch, in der Form von Gesprächen auf vernünftige Weise zu Einsichten zu gelangen. Sokrates kam es auf die ,,Bildung einer moralischen Haltung im theoretischen Dialog an. Die Menschen sollten fähig werden, mit anderen zu kommunizieren und ihre eigene Meinung zu korrigieren.“3 Unter dem Begriff Sokratischer Dialog wird eine Art der Gesprächsführung verstanden, die Selbsterkenntnis fördert und andere unterstützt, ihr Denken, Fühlen und Wollen zu erkennen. Wesentlich ist, scheinbar Selbstverständliches zu hinterfragen und dadurch im Verlauf des Gesprächs neue Erkenntnisse und Einsichten zu ermöglichen. Es wird ein Prozess der Erkenntnisgewinnung ermöglicht, der ohne Gesichtsverlust der Dialogpartner zur Revision von Positionen führen kann und zum aktiven Mitdenken anregt. Der Fragende überlässt die Urteilsbildung dem Gesprächspartner und hält sich mit seinen Ansichten zurück. Er stellt sich gewissermaßen in den Dienst des Prozesses. Eine Abgrenzung zwischen Platons eigener Philosophie und der des historischen Sokrates ist schwierig, weil jener sich im Gegensatz zu Platon nur mündlich geäußert hat. Obwohl Sokrates, wie er uns aus den Platonischen Dialogen entgegentritt, alles andere als ein Vorbild der Methode war, die wir heute die sokratische nennen, zeigt Platon, dass er trotz aller Unvollkommenheiten dennoch von deren innerem Wert überzeugt war. – Worin liegt das Besondere der sokratischen Leistung? Er setzte sich mit den Erfahrungen und Behauptungen der Menschen auseinander, indem er sie dazu aufforderte, den Grund ihrer Behauptung oder ihres Handelns zu suchen. Nicht, um neue Wahrheit zu vermitteln oder um zu lehren, hat er seine Mitbürger ausgefragt und geprüft, sondern um ihnen den Weg zu zeigen, auf dem sich die Wahrheit oder die Selbsterkenntnis finden lässt.

3

Horster 1994, S. 9/ (Horster, D.: Das Sokratische Gespräch in Theorie und Praxis, Opladen 1994).

102

5

Entwickeln und fördern

Heutzutage beschränkt sich der sokratische Dialog nicht auf zwei Partner, sondern er findet auch als Gruppengespräch statt, und jeder Teilnehmer kann auf die Gedankenentwicklung jedes anderen Gruppenmitglieds einwirken. Idealerweise führt dieses Gespräch zu einer Erkenntnis aller Gruppenmitglieder. Er wird in pädagogischen oder anderen gruppendynamischen Zusammenhängen wie z. B. der Teambildung oder in Coachingsituationen praktiziert. Angebliches Wissen pflegte Sokrates durch geschicktes Fragen zu erschüttern. Seine Position ist die Einsicht in sein Nichtwissen, das als Ausgangspunkt für das Streben nach Erkenntnis verstanden werden kann. Das zeigt sich auch in jenem berühmten Ausspruch, mit dem er Gesprächspartner zu verunsichern wusste: ,,Jener glaubt etwas zu wissen, weiß aber nichts; ich weiß zwar auch nichts, glaube aber auch nichts zu wissen.“ In seinen Gesprächen nahm Sokrates eine ,,unwissende“ Haltung ein, die es ihm ermöglichte, sich unvoreingenommen auf das Gesagte und den anderen zu konzentrieren. Er hinterfragte selbstverständlich Erscheinendes und förderte dadurch, dass seine Gesprächspartner eigene Einsichten entwickelten. Die sokratische Gesprächsführung kann eingesetzt werden, wenn es darum geht, das Denken, das (negative) Selbstbild oder hinderliche Überzeugungen einer Person zu beleuchten. Die daraus resultierende Reflexion eigener Überzeugungen und Glaubenssätze kann zur Entwicklung hilfreicher Sichtweisen führen. Sokrates soll diese Fragetechnik mit der Hebammenkunst seiner Mutter verglichen haben. Bei dieser als Mäeutik bezeichneten Gesprächsführung geht es nicht darum, den anderen zu belehren oder zu überzeugen, sondern in ihm durch geschicktes Fragen das im Unterbewusstsein verborgene Wissen zu wecken und ggf. kritisch zu hinterfragen. Die Wiedergewinnung des bereits Gewussten – des verschütteten Wissens – ist das Ziel, um dadurch zu tieferen Einsichten zu gelangen. Der Sokratische Dialog wird von Psychotherapeuten, Lebensberatern oder Seelsorgern angewandt, wenn Begriffsklärungen oder Entscheidungsfindungen unterstützt werden sollen. Auch Führungskräfte können die Techniken des sokratischen Dialogs wirkungsvoll in Gesprächen über die individuelle Leistungsentwicklung von Mitarbeitern einsetzen sowie diese im Zusammenhang mit Konfliktbearbeitungen, bei Problemlösungen oder Verhandlungen anwenden. Voraussetzung für das Gelingen Sokratischer Dialoge ist, dass die Dialogpartner eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre herstellen, die Bereitschaft einbringen, eigene Wertvorstellungen zu reflektieren und offen sind für Veränderungen. Des Weiteren empfiehlt es sich, die folgenden Hinweise zur Durchführung Sokratischer Dialoge zu beachten:

5.6 Der Sokratische Dialog

103

• Bleiben Sie beim Thema. • Vermeiden Sie abstrakte Themen ohne Alltags- oder Realitätsbezug für den Dialogpartner. • Stellen Sie kurze und präzise Fragen. • Bewahren Sie eine ,,naive“ und fragende Haltung. • Seien Sie offen, und verstehen Sie das ,,Modell“ (Werte, Denkweisen) des Dialogpartners. • Vermeiden Sie belehrende Aussagen. • Seien Sie geduldig! • Vermeiden Sie jegliches Sendungsbewusstsein. • Vermeiden Sie den Eindruck des allwissenden Fachmanns. • Agieren Sie nicht als Punktrichter. • Wiederholen und präzisieren Sie die herausgearbeiteten Erkenntnisse des Dialogpartners. Lassen Sie diese durch ihn bestätigen, um sie anschließend als sein Ergebnis festzuhalten. • Die Erfolge des Dialogs gehören dem Dialogpartner. In der Fallstudie ,,Der unerfahrene Projektmanager“ wird der Manager die sokratische Gesprächsführung anwenden, um im Sinne der ,,Hebammenkunst“ den Mitarbeiter bei seiner Problemlösung zu unterstützen. Ziel ist, den Mitarbeiter mithilfe der sokratischen Gesprächsführung die Lösung eigenständig finden und artikulieren zu lassen.

5.6.1

Fallstudie: Der unerfahrene Projektmanager

Da im Folgenden auf die Fallstudie ,,Rückdelegation verhindern“, Abschn. 4.2.1, S. 81 f., Bezug genommen wird, lesen Sie diese bitte zuvor, um das Geschehen besser einordnen zu können. Die Situation in dieser Fallstudie: Manager und Mitarbeiter besprechen ein Projekt, klären dessen Ziele, und der Mitarbeiter übernimmt die Aufgabe, innerhalb einer Woche einen entsprechenden Aktions- und Maßnahmenplan zu entwickeln. Nach drei Tagen spricht der Mitarbeiter (MIT) den Manager (MA) an. 1. Benennung einer hinderlichen Überzeugung mit moralischer Bewertung

MIT ,,Also, ich habe mich jetzt eingehender mit dem Projekt beschäftigt und festgestellt, dass hinsichtlich der Ablauforganisation des Kongresses noch erhebliche Unklarheiten bestehen. Ich komme deswegen gar nicht weiter. Sie haben derartige Projekte ja schon mehrfach durchgeführt: Was soll ich Ihrer Meinung nach in diesem speziellen Fall in den Plan reinschreiben? Wozu raten Sie mir? – Ich bin eben noch ein recht unerfahrener Projektmanager!“

104 2. Definition kennenlernen

5

Entwickeln und fördern

MA ,,Was ist aus Ihrer Sicht ein unerfahrener Projektmanager?“

MIT ,,Jemand, der aufgrund des Briefings nicht in der Lage ist, selbständig kreative Lösungsansätze zu entwickeln.“ 3. Herstellung eines MA ,,Wie kommen Sie darauf, dass Sie nicht selbständig kreativ sein Alltagsbezugs können?“ MIT ,,Ich habe verschiedene Lösungsansätze durchgespielt und mit Kollegen diskutiert, aber meine Ideen wurden immer wieder als unrealistisch bezeichnet und daher verworfen.“ 4. Sokratische Wen- MA ,,Verstehe ich Sie richtig, dass ein Projektmanager, der bei Kollegen dung: Zustand auf ablehnende Meinungen stößt, immer ein unerfahrener Projektinnerer Verwirrung manager ist – unabhängig davon, was er macht und sagt?“ MIT ,,Na ja, ob man erfahren oder unerfahren ist, hängt schon davon ab, wie das Zusammenspiel zwischen dem Projektmanager und den Kollegen ist.“ MA ,,Sie meinen, dass Ihre Kollegen in dieser Situation gar nicht anders konnten, als Ihre Vorschläge abzulehnen? Man hat sie abgelehnt, weil sie von Ihnen kamen?“ MIT ,,Na ja, ganz so ist es sicherlich nun auch wieder nicht.“ MA ,,Wenn es so nicht ist, was glauben Sie jetzt über unerfahrene Pro5. Gemeinsame jektmanager?“ Suche nach Alternativen und MIT ,,Hm, so ein pauschales Urteil ist unsinnig. Ob jemand ein erzielführenden fahrener oder unerfahrener Projektmanager ist, liegt in der Denkmustern Wahrnehmung der jeweiligen Gesprächspartner. Ich bin wohl auch mir selbst gegenüber etwas unfair, mich aufgrund einer solchen Situation pauschal als unerfahren einzustufen.“ 6. Ergebnis des Dia- MA ,,Wenn Sie Ihren eigenen Worten lauschen: Welche neue Überzeulogs gung nehmen Sie aus diesen Überlegungen mit?“ MIT ,,Ich kann nur versuchen, mein Bestes zu geben. Ich kann nicht die Meinung anderer festlegen oder beeinflussen. Jeder ist für das verantwortlich, was in seiner Macht steht.“ MA ,,Was steht in Ihrer Macht?“ MIT ,,Ich kann versuchen, meine Kollegen für meine Ideen zu gewinnen, sie zu überzeugen oder gar zu begeistern. Ich sollte verstehen, warum sie anders reagieren als von mir erwartet. Ich kann auch versuchen, meine Präsentationstechniken weiterzuentwickeln.“

5.6 Der Sokratische Dialog 7. Ziele benennen

8. Verbindung des Ziels mit Werten oder Lebenszielen

105

MA ,,Welchem dieser Aspekte würden Sie in dieser Lage am meisten Bedeutung zumessen?“ MIT ,,Der Weiterentwicklung meiner Präsentationstechniken.“ MA ,,Was könnten Sie ab heute tun, um Ihre Präsentationstechniken zu entwickeln?“ MIT ,,Ich kann die ,,10-20-30-Regel“ für Präsentationen aus dem Hause Apple anwenden: nicht mehr als 10 Präsentationscharts, nicht länger als 20 Minuten reden und auf den Charts die Texte mindestens mit 30-Punkt-Schrift gestalten – nicht kleiner. Außerdem sollte ich zu Beginn meines Vortrags die Ziele benennen und die Gliederung der Präsentation aufzeigen, damit die Zuhörer immer wissen, an welcher Stelle des Vortrags wir uns befinden. Das wird sie möglicherweise für meine Kerngedanken mehr öffnen, als dies bislang der Fall war.“ MA ,,Was könnte dieses Vorgehen für Ihre Tätigkeit als Projektmanager in Zukunft bedeuten?“ MIT ,,Vorausgesetzt, ich habe die Projektkonzeption gründlich überlegt, wird man mir die Chance geben, auch zunächst ungewöhnlich erscheinende Ideen bis zum Ende vorzutragen und nicht schon nach kurzer Zeit, wo noch nicht alle Fakten bekannt sind, in eine ablehnende Diskussion einsteigen. Mit anderen Worten: Ich hoffe, dass ich auf diese Weise besser überzeugen und insgesamt erfolgreicher arbeiten kann.“

Übung Überlegen Sie zusammen mit Übungspartnern eine Aussage, die sich darauf bezieht, dass jemand davon überzeugt ist, dass eine seiner Eigenschaften oder Verhaltensweisen sich hinderlich auf die Entwicklung seiner Selbst oder auf eine seiner Aufgaben auswirkt. Führen Sie das Gespräch entsprechend den in der Matrix aufgezeigten acht Stationen und versuchen Sie, den Geist des sokratischen Fragens nachzuempfinden. Anschließend tauschen Sie die Rollen. Natürlich können Sie das Schema auch verwenden, um einen Dialog zu schreiben und dadurch die Technik zu trainieren.

106

5

Entwickeln und fördern

1. Benennung einer hinderlichen Überzeugung mit moralischer Bewertung 2. Definition kennenlernen 3. Herstellung eines Alltagsbezugs 4. Sokratische Wendung: Zustand innerer Verwirrung 5. Gemeinsame Suche nach Alternativen und zielführenden Denkmustern 6. Ergebnis des Dialogs 7. Ziele benennen 8. Verbindung des Ziels mit Werten oder Lebenszielen

5.7

Zirkuläres Fragen

Durch Feedback erfahren wir etwas über unsere Wirkung auf andere. Wohl auch deshalb denken wir ständig darüber nach, was andere über uns denken könnten. Und wir versuchen zu ergründen, was andere vermuten, was wir über sie denken könnten . . . Gewisse soziale Beziehungen und Verhaltensweisen werden erst dadurch möglich, dass mindestens drei Personen interagieren. Diese Dreiheit wird in der Soziologie als Triade bezeichnet und dient als grundlegendes Denkmodell. Ob in der Familie (Vater–Mutter– Kind) oder in einer Arbeitsgruppe (Person A–B–C) – es entsteht eine Beziehungsdynamik, die mit nur zwei Beteiligten nicht möglich wäre. Typische Rollenausprägungen in triadischen Konstellationen sind z. B. • der Unparteiische und der Vermittler • der Tertius gaudens (der lachende Dritte) • der ,,Divide-et-impera-Typ“ (teile und herrsche) Die Beziehungen in einer Triade sind stets dynamisch. Häufig stehen zwei der Beteiligten etwas dichter zueinander und die dritte Person etwas weiter entfernt (extrem: ,,das fünfte Rad am Wagen“). Solche Rollen-Konstellationen können über lange Zeit stabil sein, aber auch kurzfristig und mehrfach wechseln.

5.7 Zirkuläres Fragen

107

Watzlawick postuliert in seinem ersten Axiom die Erkenntnis: ,,Man kann nicht nicht kommunizieren“. Demzufolge ist Verhalten zugleich verursacht und verursachend. Das wird uns bewusst durch Rückmeldungen (Feedback), die immer rückbezüglich (rekursiv) sind. Sie vollziehen sich in einem permanenten und dynamischen Prozess, den wir uns bildlich als Spiralbewegung (zirkulär) vorstellen können. Jeder beeinflusst durch sein Verhalten seine Kommunikationspartner. Häufig wird versucht, zur Beurteilung von Verhalten eindeutige Kausalbezüge ausfindig zu machen und lineare Denkweisen heranzuziehen (A verhält sich jetzt so, weil B dies oder jenes gesagt oder getan hat), aber menschliches Verhalten kann nur eingeschränkt mit kalkulierbaren Wirkungsmechanismen erklärt werden. Linearem Denken folgende ,,Wenn-Dann-Zuschreibungen“ sind für die Einschätzung kommunikativer Prozesse nicht zuverlässig. Menschliches Verhalten kann nicht vorausberechnet werden. Eine zirkuläre Sichtweise hilft, die Verwobenheit interaktiver Bezüge (jeder beeinflusst jeden) zu erkennen. In einer zirkulären Denkhaltung stehen wir möglichen Ursachen und Wirkungen offener gegenüber als in einer, die strikt auf die Suche nach linearer Kausalität ausgerichtet ist. Zirkuläres Denken ermöglicht, gewohnte Handlungsmuster zu verlassen und Problemlösungen zu finden.

A

B

lineares, kausales Modell

A

B

zirkuläres Modell

Mit einer zirkulären Frage (auch triadische Frage) erfragt man die Gefühle und Reaktionen, die eine Person A infolge des Verhaltens von B entwickelt, nicht direkt von Person A, sondern von einer dritten Person C. Beispiel: ,,Frau Müller (Person C), was glauben Sie, denkt Ihre Kollegin (Person A), wenn Herr Unruh (Person B) den Abgabetermin verschiebt?“ Ziele des Zirkulären Fragens sind: 1. Informationen über den Kommunikationskontext zu sammeln

108

5

Entwickeln und fördern

2. Kommunikationsangebote für alle Beteiligten sichtbar und in ihrem Sinn durchschaubar zu machen 3. festgefahrene Kommunikations- und Verhaltensmuster sowie Beziehungskonstellationen zu stören 4. Ideen für neue Deutungsmuster und Handlungsoptionen zu streuen Das Thema Sterbehilfe wird in der Gesellschaft kontrovers diskutiert. Außer den Politikern sind Ärzte, Angehörige, Vertreter verschiedener Religionen, der Justiz, Philosophen, Krankenkassen, Krankenhauspersonal, Vertreter jüngerer und älterer Generationen, der Pharmaindustrie und der medizinischen Forschung involviert. In den öffentlich geführten Erörterungen werden die Argumente in linearer Denktradition mit WennDann-Zuschreibungen dargeboten. Die Interessenvertreter versuchen, ihre Anliegen zu positionieren und lassen die Sichtweisen der anderen Beteiligten (bewusst) außer Acht. Im folgenden fiktiven Beispiel werden u. a. triadische Fragen formuliert, um die Sichtweisen anderer Interessenvertreter einzubeziehen: • ,,Du als Patient, wie würdest du eine mögliche Entscheidung deiner Angehörigen für die Sterbehilfe beurteilen?“ (triadische Frage) • ,,Du als Angehöriger, was denkst du, empfindet ein Arzt, wenn er Sterbehilfe leistet?“ (triadische Frage) • ,,Du als Arzt, zu wie viel Prozent würdest du der Vermutung des Angehörigen zustimmen?“ (Prozentfrage) • ,,Was glaubst du als Vertreter der medizinischen Forschung, wie die einzelnen Vertreter der Religionen deine Arbeit bewerten?“ (triadische Frage) • ,,Du als Patient, würdest du der These zustimmen, dass sich die medizinische Forschung mit der Pharmaindustrie solidarisiert hat?“ (Subsystemvergleich) • ,,Was glaubst du als Patient, wer das größte Interesse an einer Legalisierung der Sterbehilfe hätte? Wer am wenigsten?“ (Klassifikationsfrage) • ,,Was hat sich für wen verändert, als die Sterbehilfe für Patient X zur Diskussion stand?“ (Wirklichkeitskonstruktion) • ,,Nehmen wir an, über Nacht wäre die Sterbehilfe in Deutschland legalisiert worden. Was würde sich für alle Beteiligten verändern?“ (Wunderfrage) Die Methode des Zirkulären Fragens fördert, wie aus diesen Beispielen ersichtlich wird, den Perspektivwechsel und die kritische Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex.

5.7 Zirkuläres Fragen

109

Frageformen des Zirkulären Fragens Die im Folgenden aufgeführten Fragen werden als Leitfaden zur Verdeutlichung von allgemeinen Prinzipien des zirkulären Fragens angeboten. Mit welchen konkreten Inhalten diese gefüllt werden, hängt vom Kontext der aktuellen Konversation ab.

Fragen nach . . .

Frageform

Problemdefinition

Wann hat sich das Team zuletzt als nicht chaotisch, sondern organisiert und strukturiert gezeigt? Woran merken Sie, dass der Mitarbeiter nicht seine Faulheit nutzt, sondern ganz normal arbeitet?

Konsequenzen

Wann hat sich der Kollege das letzte Mal als nicht ausschweifend und schwierig, sondern als kommunikativer Partner gezeigt? Was machen Sie dann anders? Wie verhalten Sie sich daraufhin anders?

Verhaltensweisen und Eigenschaften

Wie erklären Sie sich das? Was tut Herr B, wenn Sie meinen, er zeige sich unmotiviert? Was muss Frau A tun, damit Herr B zu dem Schluss kommt, sie sei egoistisch? Was muss Ihr Mitarbeiter tun, damit Sie sein Verhalten als anmaßend bezeichnen? Wie verhält sich der Abteilungsleiter, wenn Herr B anhebt, einen Verbesserungsvorschlag zu machen?

In welcher Situation verhält sich wer wem gegenüber aus welchem Grund in welcher Art und Weise? (Kontext) Was tut dann der Werksleiter? Wie reagiert Herr B dann auf das Verhalten des Abteilungsleiters und des Werksleiters? Was ändert sich an dem Ablauf, wenn der Bereichsvorstand dabei ist? Wer hätte am ehesten Einfluss darauf, das Verhalten (des Abteilungsleiters oder eines anderen) zu verstärken? Was müsste derjenige tun?

110 einer zeitlichen Dimension

5

Entwickeln und fördern

Wann, meinen Sie, haben ihre Mitarbeiter entschieden, ihre Probleme eher unter sich auszumachen, als Sie um Rat zu fragen? Wann hat sich Ihr Mitarbeiter entschlossen, sich nicht mehr so wie früher zu engagieren? Wie lange wird Ihr Vorgesetzter noch den Umweg über seinen Chef wählen, wenn es in Ihrer Abteilung nicht so gut läuft?

Absichten

Rangfolgen

Wann wird er sich entscheiden, seine Strategie zu ändern? Wie sehen Sie die Beziehung zwischen A und B? Dienen die Alleingänge von Herrn B eher dazu, seinem Vorgesetzten zu demonstrieren, dass er allein in der Lage ist, seine Aufgaben zu bewältigen, oder will er sich damit die besondere Aufmerksamkeit seines Chefs sichern? Machen Sie eine Rangfolge: Wer ist am meisten verärgert über das Verhalten von Herrn B? Wer verspricht sich am meisten von dieser Beratung, und wer ist eher skeptisch? Wer hält es am ehesten für möglich, dass das Team seine Probleme auch ohne strukturelle Veränderungen lösen kann?

Beziehungen

Wo würden Sie das Verhalten aller Team-Mitglieder auf einer Skala von 1 (unmöglich) – 10 (auf jeden Fall) einordnen? Mit wem redet Abteilungsleiterin F mehr: mit Herrn B oder Frau C? Zu wem hat Frau C einen besseren Kontakt: zu A oder B?

Meinungen

Wirkungen

Wann haben Herrn Bs Alleingänge mehr für Abstimmungsprobleme gesorgt: vor oder nach der Beförderung von Frau F? Stimmen Sie dem zu, was Herr A über die Situation berichtet hat? Sehen alle im Team das Verhalten von Frau F als Problem? Oder gibt es jemanden, der anders darüber denkt? Wie hat sich die Beziehung zwischen A und B verändert, nachdem Frau F befördert worden ist? Was haben Sie vorher gemacht, was hinterher? Wie erklären Sie sich das?

5.7 Zirkuläres Fragen Grundannahmen

111 Wie erklärt sich Abteilungsleiter C, dass Herr F in Vorstandssitzungen jedes Mal eine halbe Stunde zu spät kommt? Sehen Sie das genauso? Wann haben Sie begonnen, sich das so zu erklären?

Wertvorstellungen

hypothetischen Alternativen

Wer sieht es noch so wie Herr K, dass B mit der Stelle überfordert ist und deshalb Fristen nicht eingehalten werden? Wer sieht es anders? Wer außer Herrn F glaubt auch, dass Mitarbeiter nur dann gut arbeiten, wenn sie regelmäßig kontrolliert werden? Wer im Team teilt am ehesten Frau Fs Meinung, dass Kundenwünsche immer Vorrang haben sollten? Angenommen, Sie kommen morgen zu einer TeamBesprechung und das übliche Tohuwabohu und Gerangel gäbe es nicht mehr: Wie würden Sie dann die Besprechung moderieren? Angenommen, sie hätten einen Stellvertreter: Wie würde sich Ihre Zeitplanung verändern? Angenommen, die Fertigung wäre nicht an einen anderen Standort verlegt worden: Wie hätte sich das Engagement der öffentlichen Verwaltung entwickelt?

5.7.1

Fallstudie: Schwierige Lage II

Bitte lesen Sie unter Abschn. 5.2.1 ,,Schwierige Lage I“, S. 90, die Fallbeschreibung ,,Schwierige Lage“. Der Abteilungsleiter, Herr Wichtig, hat sich inzwischen einem erfahrenen Kollegen anvertraut und hofft, von ihm Ratschläge zur Lösung des Problems zu erhalten. Insbesondere möchte er die Ursachen für die andauernden Fehlleistungen von Frau Vielhaber aufspüren und beseitigen, den Konflikt zwischen den Kolleginnen lösen und beide zur konstruktiven Mitarbeit in der Abteilung bewegen. Der Kollege (K) wendet die Technik des Zirkulären Fragens an und geht strikt nach dem zuvor gezeigten Schema vor.

112

5

Entwickeln und fördern

Fragen nach . . . (Fragetypen) Dialog Problemdefinition K: ,,Vielen Dank für die offene Schilderung dieser Situation in Ihrer Abteilung, Herr Wichtig. Wann hat Frau Vielhaber das letzte Mal gut strukturiert und zuverlässig mitgearbeitet?“ W: ,,Seit ungefähr drei Monaten haben wir diese Schwierigkeiten mit ihr. Sie hält Termine nicht ein. Außerdem sind unsere Kunden verständlicherweise verärgert, weil sie die zugesagten Zertifikate immer noch nicht erhalten haben. Und dann finde ich zufällig diese Unterlagen in ihrer Schreibtischschublade, obwohl ich sie zuvor gebeten hatte, noch einmal gründlich überall danach zu suchen – einfach chaotisch!“ K: ,,Und wie ist der Konflikt mit der Kollegin von Frau Vielhaber entstanden?“

Konsequenzen

W: ,,Die Kollegin hat ihr netterweise geholfen, und dabei ist ihr ein Fehler unterlaufen. Das hat dann ausgerechnet Frau Vielhaber zum Anlass genommen, sich zur Kritikerin zu erheben! Die hilfsbereite Kollegin hat ihr dann den Kram vor die Füße geworfen und mir unterstellt, dass Frau Vielhaber wohl unter meinem persönlichen Schutz stehe, weil sie so lange Zeit rumwurschteln kann, ohne dass ich einschreite.“ K: ,,Wie erklären Sie sich das?“ W: ,,Na ja, ich mische mich nicht gleich bei jeder Kleinigkeit ein. Außerdem hat Frau Vielhaber ja, abgesehen von den vergangenen drei Monaten, immer zuverlässig gearbeitet. Aber ich habe mich schon sehr geärgert, als ich erfuhr, dass sie nicht nur schlampig arbeitet, sondern ausgerechnet die Kollegin, die ihr helfen wollte, so unangemessen kritisiert – anstatt ihr dankbar zu sein! K: ,,Als Sie das hörten, wie haben Sie sich daraufhin verhalten?“

Verhaltensweisen und Eigenschaften

W: ,,Ich habe sie damit konfrontiert, dass ich zufällig, auf der Suche nach einer Schere, in ihrer Schublade die angemahnten Zertifikate fand. Da reagierte sie auch noch zickig! Was ich denn wohl in ihrer Schreibtischschublade zu suchen hätte . . . Diesen unangemessenen Ton habe ich mir verbeten und sie auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Schließlich hat sie den Mist verursacht und nicht ich. Ich habe sie mit der vollen Härte der Vorwürfe konfrontiert und klargestellt, dass dergleichen sich nicht wiederholen darf, weil sonst eine Abmahnung fällig ist. – Da war sie still.“ K: ,,Wie verhält sich Frau Vielhaber, dass bei ihrer Kollegin der Eindruck entsteht, sie erführe eine Sonderbehandlung durch Sie?“

5.7 Zirkuläres Fragen

113 W: ,,Ich bin ja nicht dabei. Aber ich vermute, dass sie trotz der schwerwiegenden Vorkommnisse in der Vergangenheit sich immer noch relativ unbeschwert im Umgang mit den anderen gibt. Ihr Versagen scheint ihr nicht nahezugehen. Außerdem bekommen die anderen ja nicht mit, wann und wie ich mit Frau Vielhaber darüber rede. Und da sie sich nichts anmerken lässt, denkt man, ich würde das tolerieren.“ K: ,,Wie müsste Frau Vielhaber sich verhalten, damit deren Kollegin zu dem Schluss kommt, dass sie keine Sonderbehandlung Ihrerseits erfährt?“

In welcher Situation verhält sich wer wem gegenüber aus welchem Grund in welcher Art und Weise? (Kontext)

einer zeitlichen Dimension

Absichten

W: ,,Sie müsste sich wohl nachdenklicher oder selbstkritischer geben und endlich konzentrierter arbeiten. Daran könnte man die Wirkung meiner Führung erkennen. – Oder sollte ich für alle hörbar meine Kritik äußern?“ K: ,,Wer hätte am ehesten Einfluss darauf, Frau Vielhabers Verhalten zu ändern? Was müsste der- oder diejenige tun?“ W: ,,Also, ich habe es bereits versucht. Mit Engelszungen habe ich auf sie eingeredet und ihr die Auswirkungen ihres Verhaltens sowohl auf die Kunden als auch auf uns und letztlich auf sie selbst deutlich gemacht. Das Ergebnis kennen Sie. Nichts hat sich geändert! Demnach bin ich offensichtlich nicht derjenige, der ihr Verhalten ändern kann – weder mit guten Worten noch mit Drohungen.“ K: ,,Wann hat sich Ihre Mitarbeiterin entschlossen, sich nicht mehr so wie früher zu engagieren?“ W: ,,Vor drei Monaten haben sich zum ersten Mal die Kunden beschwert.“ K: ,,Wie erklären Sie sich das? Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Frau Vielhaber und ihrer Kollegin? W: ,,Es könnte eine Art Rivalität zwischen den beiden sein. Frau Vielhaber ist am längsten in der Abteilung. Vielleicht sieht sie die Kollegin insgeheim als Konkurrentin, die ihr Arbeitsgebiete wegnehmen könnte? K: ,,Auch wenn das auf den ersten Blick eigenartig erscheinen mag: Dient das Verhalten von Frau Vielhaber eher dazu, Ihnen zu demonstrieren, wie wichtig sie für die Abteilung ist, um sich damit Ihre besondere Aufmerksamkeit zu sichern?“ W: ,,Hm? Schon seltsam, dass sie sich über den Umweg von Fehlverhalten meine Aufmerksamkeit sichern möchte. Andererseits, die hat sie ja jetzt, wenn auch anders, als sie möglicherweise gedacht hat. Aber interessant ist, dass die Kollegin, mit der sie die Probleme hat, seit gut einem halben Jahr erst bei uns ist.“

114 Meinungen

5

Entwickeln und fördern

K: ,,Stimmen Sie dem zu, was Herr M über die Situation berichtet hat? W: ,,Ja, aus heutiger Sicht auf jeden Fall.“ K: ,,Sehen alle im Team das Verhalten von Frau Vielhaber als Problem? Oder gibt es jemanden, der anders darüber denkt?“

Wirkungen

W: ,,Herr M ist der Meinung, dass Frau Vielhaber insgesamt zu viele verschiedene Aufgaben zu erledigen hat. Er meint, sie sei überlastet.“ K: ,,Wie hat sich Frau Vielhaber verändert, nachdem die neue Kollegin in die Abteilung gekommen ist?“ W: ,,Sie hat irgendwie alles an sich gezogen, nie gesagt, dass sie zu viel auf dem Tisch habe.“ K: ,,Wie haben Sie darauf reagiert, als Sie das bemerkten?“ W: ,,Gar nicht, ich habe gedacht, dass sie jetzt noch stärker motiviert ist als zuvor und sich auch gegenüber der neuen Kollegin beweisen möchte. K: ,,Wie erklären Sie sich das?“

Grundannahmen

W: ,,Hm – sie wollte nichts abgeben und offenbar zeigen, wie toll sie ist?!“ K: ,,Wann haben Sie begonnen, sich dieses Verhalten so zu erklären?“ W: ,,Am Anfang lief das ja alles wirklich gut. Frau Vielhaber hat sich mächtig ins Zeug gelegt – und die Neue nicht minder. K: ,,Wer sieht es noch so wie Herr M, dass Frau Vielhaber mit der Aufgabenfülle überfordert ist und deshalb Fristen nicht eingehalten werden? Wer sieht es anders?“

Wertvorstellungen

W: ,,Allmählich bin ich geneigt, das ähnlich zu sehen wie Herr M. Aus der Personalabteilung und vom Betriebsrat habe ich auch schon den Rat erhalten, mir das alles mal genauer anzusehen. Die Personalabteilung meinte zudem, dass ich regelmäßiger die Aufgabenanforderungen und die dafür zur Verfügung stehenden Zeitkontingente kontrollieren solle . . . “ K: ,,Wer außer der Personalabteilung und dem Betriebsrat glaubt ebenfalls, dass Mitarbeiter nur dann gut arbeiten, wenn die Aufgaben und die verfügbare Zeit in angemessener Relation zueinander stehen?“

5.7 Zirkuläres Fragen

Alternativen

115 W: ,,Na, das ist ja keine Frage, die Relation muss schon stimmen, das denke ich auch! Aber ob die verfügbaren Arbeitszeiten auch wirklich konzentriert genutzt werden, das steht auf einem anderen Blatt! Da habe ich Anlass zu zweifeln.“ K: ,,Angenommen, Sie kämen morgen in die Abteilung und das übliche Tohuwabohu und Gerangel gäbe es nicht mehr: Was hätte dem vorausgehen müssen, was wäre geschehen? W: ,,Ich glaube nicht, dass Frau Vielhaber zu viel auf dem Tisch hat und deshalb Fehler geschehen. Wenn ich mitbekomme, dass sie bereits morgens ab 7:30 Uhr am Platz ist, Papiere und Sonstiges großflächig auf dem Schreibtisch ,,demonstrativ“ verteilt sind, der Bildschirm die aktuellen Nachrichten zeigt, erst einmal ausgiebig gefrühstückt wird und als Krönung des Ganzen parallel über zwei Schreibtische hinweg mit anderen KollegInnen die Fußballergebnisse des Wochenendes diskutiert werden, dann weiß ich, dass nicht Zeitmangel, sondern eine fragwürdige Einstellung zur Arbeit hier ursächlich ist.“ K: ,,Was wollen Sie tun, um diesen Zustand zu ändern?“ W: ,,Ich muss mit Frau Vielhaber unbedingt darüber reden, wie Sie sich und ihre Arbeit im Hinblick auf unsere Abteilung und unser Unternehmen sieht. Was will sie hier bei uns erreichen? Wie will sie sich für unsere Ziele einbringen? Was ist überhaupt ihr Ziel hier? Dazu muss sie sich erklären. Wenn sie grundsätzlich positive Ziele hier bei uns verfolgt, können wir uns die Arbeitsverteilung anschauen, aber sie muss auch die Arbeitszeit vorrangig voll für uns und nicht für ihre privaten Unterhaltungszwecke nutzen.“ K: ,,Lieber Herr W, wie denken Sie jetzt über die Angelegenheit?“ W: ,,Tja, ich bin überzeugt, dass der Konflikt mit der Kollegin und die Versäumnisse den Kunden gegenüber ein Beleg dafür sind, dass Frau Vielhaber sich nicht über ihre und unsere Ziele im Klaren ist. Können wir ihre und unsere Ziele harmonisieren, dürfte das die Lösung der Probleme bringen. Vielen Dank für das ruhige und ausführliche Gespräch, lieber Kollege. Sie haben mir sehr geholfen!“

Wie Sie sehen, kann das Zirkuläre Fragen Überraschendes zutage fördern. Aufgabe: Trainieren Sie zusammen mit einem Gesprächspartner das Zirkuläre Fragen anhand eines realen Beispiels, um ein Gefühl für die Anwendung der Technik zu entwickeln. Sie können die Fragetypen aus den Vorlagen verwenden, müssen allerdings nicht chronologisch vorgehen. Verwenden Sie die Fragen ruhig intuitiv.

6

Kontrollieren

Unverzichtbarer Aspekt des Delegationsprozesses ist das Vereinbaren von Kontrollterminen. Regelmäßig müssen die Planvorgaben (Soll) und der Stand der Realisierung (Ist) überprüft werden, um Abweichungen, Mehr- oder Minderleistungen rechtzeitig zu erkennen. Die Ursachenforschung kann Planungsfehler, eine falsche Gewichtung von Fakten, die Auswirkungen unvorhersehbarer Ereignisse sowie Fehlentscheidungen oder Fehlverhalten aufdecken. Die Kontrolle zeigt, ob wir uns für die richtigen Ziele, Strategien und Maßnahmen entschieden haben und das als richtig Erkannte korrekt ausgeführt haben. Für manche ist das Wort Kontrolle mit negativen Emotionen verbunden, mit Stress und autoritärer Machtausübung. Was wäre, wenn wir auf jegliche Kontrolle verzichteten? Woran könnten wir messen, wer gut oder hervorragend gearbeitet hat? Wie könnten wir nachvollziehbar darstellen, wessen Leistung Lob rechtfertigt und wer der Förderung durch konstruktive Kritik bedarf? Fakt ist: Ohne Ziele und Kontrolle verlieren wir die Orientierung und die Möglichkeit zu lernen und uns weiterzuentwickeln. In diesem Sinne ist Kontrolle kein Ausdruck des Misstrauens gegenüber den Mitarbeitern, sondern Beleg dafür, dass deren Leistung bewusst wahrgenommen und gewürdigt wird. Positive oder negative Zielabweichungen können eine Vereinbarung von Korrekturmaßnahmen zur Folge haben, die als neue Erkenntnis in den weiteren Arbeitsprozess einfließen. Die Kontrolle kann sich auf Arbeitsbedingungen, Aufgabenerledigung, Wirtschaftlichkeit (Einhaltung von Budgets) sowie persönliches und soziales Verhalten der Mitarbeiter beziehen. Entscheidend ist, dass man auf der Grundlage klar definierter und vereinbarter Ziele agiert und offen anspricht, was gut oder nicht so gut gelaufen ist. Der respektvolle Umgang miteinander muss stets gewährleistet sein.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_6

117

118

6.1

6

Kontrollieren

Fallbeispiel: Kontrollgespräch im Fremdspracheninstitut

Im Abschnitt 3.2 haben wir das Fallbeispiel „Planungsmeeting im Fremdspracheninstitut“ kennengelernt. Wir erleben erneut den Manager (M), Frau C und die Herren A und B, die nach Ablauf des ersten Quartals des neuen Geschäftsjahres unter Bezug auf die seinerzeit im Planungsmeeting vereinbarten Ziele in einem Kontrollgespräch den Stand der Entwicklungen erörtern. M

Liebe Kollegin, liebe Kollegen, lassen Sie uns in der folgenden Stunde die Ergebnisse des ersten Quartals diskutieren. Herr B, können Sie bitte einmal darstellen, wie die Geschäftsentwicklung bis zum heutigen Tage verlaufen ist?

B

Unsere Ziele bis zum Ende des GJ sind: 1.800 Schüler, Kündigungsquote maximal 25 %, Zielvereinbarungen treffen mit jedem Dozenten hinsichtlich der individuellen Kündigungsquote und der zu erreichenden Schülerzahl und die Entwicklung durch den monatlichen Soll-Ist-Vergleich bewusst machen, monatlich regelmäßige Unterrichtshospitationen, um voneinander zu lernen und negative Routinen zu vermeiden. Vorweg hier noch einmal die Planzahlen: Ist

Ziel

Steigerung

%

1650

1800

150

9

Kündigungen

%

neue Schüler

424

25

574

1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal 4. Quartal gesamt

neue Schüler

Kündigungen

%

Schülerzahl

92 141 172 169 574

62 126 127 109 424

3,75 7,5 7,5 6,25 25

1680 1695 1740 1800 1800

Um vom Stand des Vorjahres (1.650 Schüler) auf unser neues Ziel (1.800 Schüler) zu kommen, also um 150 zu steigern, müssen wir unter Berücksichtigung der Kündigungsquote von 25 % damit rechnen, dass 424 Schüler kündigen werden und wir 574 neue Schüler brauchen, um das Ziel 1.800 zu erreichen. Gemäß Plan müssen wir im ersten Quartal 92 neue Schüler werben und dürfen eine Kündigungsrate von 3,75 % nicht überschreiten. Aktuell haben wir 110 neue Schüler, und die Kündigungsquote liegt bei 3,5 %. Damit liegen wir deutlich über den Zielvorgaben. Zurückzuführen ist dieses Ergebnis auf den sensationell gut gelaufenen Tag der offenen Tür und das Interview, welches Frau C im Fachblatt gegeben hat. Das hat viele Anfragen eingebracht

6.1 Fallbeispiel: Kontrollgespräch im Fremdspracheninstitut

119

und den Tag der offenen Tür wirkungsvoll unterstützt. Das Promotion-Budget haben wir allerdings leicht überschritten – da müssen wir jetzt vorsichtig sein, sonst läuft uns das aus dem Ruder. M

Danke, Herr B, für diesen Überblick. Frau C, wie weit sind wir im Hinblick auf den 3. Punkt: Zielvereinbarungen mit den Dozenten?

C

Das Bild ist uneinheitlich. Von unseren 12 Dozenten haben sich zwei bis heute geweigert, die Zielvereinbarung abzuschließen. Sie wollen sich nicht dem Stress durch monatliche Soll-Ist-Vergleiche und den „endlosen Diskussionen“ über das Wieso, Weshalb, Warum aussetzen. Die restlichen zehn machen mit, und man kann auch sagen, dass unser Berichtssystem gut angenommen wird. Der eine oder andere hat sich doch sehr über seine hohe Kündigungsrate gewundert. Die haben natürlich vorher keine Ahnung gehabt, wie hoch die Zahl der Kündigungen tatsächlich ist und welche Auswirkungen das auf das Unternehmen haben kann. Aber inzwischen sind sie sensibilisiert und ziehen mit. Ich denke, das wird jetzt jeden Monat etwas besser. Die aktuelle Kündigungsrate von 3,5 % ist möglicherweise ein erstes Indiz dafür, dass unsere Maßnahmen Wirkung zeigen.

M

Gut! Und was machen wir mit den beiden Abweichlern?

C

Tja, das ist komplex. Der Herr X macht einen sehr guten Unterricht und hat null Kündigungen in diesem Quartal. Der sagt mir: „Was willst Du denn, bei mir ist doch alles super!“ Ist halt ein recht merkwürdiger Zeitgenosse. Wir nennen ihn auch den „Eigenwilligen“. Herr Y hingegen ist einer unserer Problemkandidaten: relativ hohe Kündigungsrate schon im ersten Quartal und häufig kommt es zu „Missverständnissen“ mit seinen Schülern, die im Büro anrufen, und wir müssen das dann mühsam wieder glätten.

A

Das ist der Gleiche, der sich auch weigert, Kollegen in seinem Unterricht hospitieren zu lassen. Er mache ja alles richtig und brauche keine neugierigen Spione . . . , meint er.

B

Ausgerechnet der! Hat offenbar von Kundenorientierung und Kundenzufriedenheit noch nichts gehört. Bei dem geht es zu wie in der Klippschule. Forscher Umgangston und Drill.

A

Das können wir so nicht hinnehmen. Wir müssen alle gleichbehandeln. Keine Ausnahmen oder Privilegien! Sonst bekommen wir auch Probleme mit den anderen Kolleginnen und Kollegen.

C

Schon, aber was sollen wir machen?

M

Frau C, was müssen Sie tun, um mit Herrn Y ins Reine zu kommen?

C

Ich komme wohl nicht umhin, mit ihm ein paar deutliche Worte zu wechseln.

M

Deutliche Worte?

120

6

Kontrollieren

C

Ich werde mit ihm darüber reden, dass bei ihm eben nicht alles in bester Ordnung ist, wie er immer behauptet, dass seine Kündigungsquote unannehmbar hoch ist und wir regelmäßig genervte Schüler von ihm am Telefon haben.

B

Wenn er sich nicht in unser System einfügen will oder kann, müssen wir uns von ihm eben trennen!

C

Ja, das ist wohl so. Wer sich außerhalb der Teamregeln stellt und sein eigenes Ding machen will, der kann nicht bei uns bleiben.

M

Was wollen Sie bis wann konkret unternehmen, um diesen Fall zu klären, Frau C?

C

Ich werde am kommenden Mittwoch, dann ist er wieder im Hause, im Anschluss an seinen Unterricht mit ihm das klärende Gespräch führen und darauf hinweisen, dass er sich entscheiden muss zwischen der Mitarbeit im Team und der Einhaltung unserer Regeln oder dem Verlassen unserer Schule.

M

Sie haben meine volle Unterstützung für dieses Vorgehen. Bedenken Sie bitte, fair und respektvoll dieses Gespräch zu führen. Im Anschluss an Ihr Gespräch informieren Sie uns bitte über das Ergebnis, damit wir auch in der Lage sind, es in- und extern zu erklären und zu vertreten. Wir können dieses eigenwillige Verhalten nicht dulden. Entweder der Kollege schwenkt auf unsere Linie ein – oder wir müssen uns von ihm trennen. Und wie gedenken Sie, mit Herrn X zu verfahren?

C

Obwohl Herr X eine sehr gute Leistung bringt, können wir auch bei ihm keinen Sonderstatus akzeptieren. Für ihn gelten die gleichen Regeln.

A

Genau!

M

Ja, auch er muss die Regeln einhalten.

B

Das sehe ich ebenso.

M

Fragen Sie bitte beide zunächst danach, was sie davon abhält, mit uns am gleichen Strang zu ziehen. Finden Sie heraus, welche Ziele die beiden verfolgen und ob es Gemeinsamkeiten gibt oder nicht. Vielleicht gelingt es Ihnen ja doch noch, die beiden für unsere Vorstellung von zielorientierter Zusammenarbeit zu gewinnen. Das wäre natürlich das Beste. Ich danke Ihnen allen sehr für Ihre engagierte Arbeit im ersten Quartal! Bitte lassen Sie uns diese „Erfolgsstory“ in den vor uns liegenden drei Monaten fortsetzen.

B

Das nächste Meeting wäre dann am ersten Mittwoch im zweiten Quartal um 10:00 Uhr?

M

Danke! Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Woche!

6.1 Fallbeispiel: Kontrollgespräch im Fremdspracheninstitut

121

Fragen zum Fallbeispiel: • Wie verhält sich der Manager (M) während des Kontrollmeetings seinen Mitarbeitern gegenüber? • Wodurch und wie (Stil) führt der Manager seine Mitarbeiter? • Wie hoch in % schätzen Sie die Anteile seines Redens und Zuhörens? BITTE JETZT DIE FRAGEN ZUM FALLBEISPIEL UNTERSUCHEN.

Analyse

Der Manager

• moderiert das Meeting, erteilt das Wort, stellt Fragen, hört aufmerksam zu, gibt Unterstützung und berät. Seinen Mitarbeitern gegenüber verhält er sich offen und kollegial. • führt durch offene Fragen und aktiviert dadurch die Mitarbeiter. Wer fragt, führt! • äußert sich zehnmal in diesem Meeting. Insgesamt gibt es 26 Redebeiträge unterschiedlicher Länge. Acht Redebeiträge bestehen aus recht kurzen Fragen oder Statements. Lediglich gegen Ende des Meetings macht der Manager zwei längere Ausführungen. Statistisch betrachtet hätten seine 10 Redebeiträge einen Anteil von 38,5 % an der gesamten Kommunikation. In Relation zum Umfang der Beiträge der Mitarbeiter ist sein Anteil wesentlich geringer, salopp formuliert: gefühlte 20 %.

7

Loben

„Gegen Angriffe kann man sich wehren, gegen Lob ist man machtlos.“ [Sigmund Freud, Tiefenpsychologe, 1856 – 1939] Laut kracht die Hand des Chefs auf die Schulter des Mitarbeiters. Kumpelhaft, mit breitem Lächeln und dröhnender Stimme sagt der Chef: „Gut gemacht, Mustermann, weiter so!“ Ehe Mustermann sich äußern kann, ist der Chef schon weitergegangen. Wer lobt eigentlich wen? Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Natürlich freuen wir uns, wenn unsere Leistung anerkannt wird. Wir fühlen Wertschätzung, und unser Selbstwertgefühl wird bestätigt. Würde hingegen alles, was wir tun, als selbstverständlich hingenommen, wir verlören die Lust und auch das Selbstvertrauen, weil wir keine befriedigende Resonanz finden. Und da soziale Akzeptanz der maßgebliche Antrieb für unser Handeln ist, brauchen wir Zustimmung und Anerkennung wie die Luft zum Atmen. „Du sollst deinen Mitarbeiter mindestens einmal täglich loben.“ So oder ähnlich lauten die Empfehlungen aus der Trickkiste der „Minuten-Manager“ oder anderer Motivierungskünstler. Da ist die Rede von Lobintervallen, Lobkonten und Lob-Defiziten. „Nicht kritisiert ist schon genug gelobt“, hört man manchen knorrigen Manager alten Schlages murmeln. Lobt der Vorgesetzte selten oder niemals, sind die Mitarbeiter unzufrieden. Wird zu häufig und bei jeder Gelegenheit gelobt, kann dies als inflationärer Einsatz von Lob ebenfalls kritisch bewertet werden. Ein Dilemma. Wie man es auch macht, man macht es falsch!? Lob verstärkt erwünschte Verhaltensweisen, zeigt Orientierungslinien auf und basiert auf zuvor getroffenen Absprachen hinsichtlich eines konkreten Verhaltens oder der Erbringung einer Leistung. Lob gibt es nur gegen erwünschtes Verhalten oder Leistungserfüllung und kann somit zum Instrument der Konditionierung werden. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_7

123

124

7

Loben

In der Regel lobt der Höhergestellte den Untergebenen. Es lobt also derjenige, der glaubt, überlegen zu sein. Er dokumentiert im Lob seine höhere Position und übt Macht aus. Ein solcher Umgang mit Lob ist nicht ungefährlich. Es kann eine asymmetrische Eltern-Kind-Beziehung entstehen, die zur Abhängigkeit von Lob führt, und zwar derart, dass die Person ihre Handlungen primär darauf ausrichtet, regelmäßig ein Maximum an Lob zu erhalten, und die Ziele nebensächlich werden. Solche Menschen bringen auch nicht den Mut auf, unangenehme Nachrichten zu übermitteln, weil sie sich dafür Unwillen oder Kritik einhandeln könnten. Wer auf die höchstmögliche Lobfrequenz programmiert ist, beraubt sich seines eigenen Blickes auf die Dinge, wird unselbständig und formbar durch andere. Selbständige und selbstbewusste Menschen hingegen widmen sich mit vollem Einsatz ihren Zielen und Aufgaben, weil sie diese als notwendig und richtig erkannt haben. Sie sind überzeugt von der Bedeutung Ihres Handelns und weitgehend unabhängig von der zustimmenden Bewertung durch andere. Sie handeln aus eigenem Antrieb und nicht für eine in Aussicht gestellte Belohnung (oder Bestrafung).

7.1

Häufige Fehler beim Loben

Es gibt Vorgesetzte, die ihre Mitarbeiter ignorieren. Kein freundliches Wort. Das fröhliche „guten Morgen“ der Mitarbeiter wird nicht erwidert. Sie werden schlicht übersehen. Zusammenhänge der Arbeit werden nicht erklärt und Informationen nur weitergegeben, wenn es sich nicht umgehen lässt. Hat jemand wirklich gut und engagiert gearbeitet, kommt kein Wort der Anerkennung von diesen Vorgesetzten, kein Lächeln, kein aufmunterndes Kopfnicken, einfach nichts. Höchstens ein kritischer Kommentar, weil ein kleines unbedeutendes Detail noch perfekter hätte gestaltet werden können. Also eher Kritik, aber keine Spur von Wertschätzung. Solche Vorgesetzten kommen in der Praxis vor und leider nicht als singuläre Erscheinung. Sie selbst sind sehr lobabhängig, unsicher und reagieren empfindlich, wenn man ihnen nicht genügend Aufmerksamkeit entgegenbringt. Managern höheren Ranges begegnen sie mit ausgesuchter Höflichkeit, um auf der Karriereleiter zügig voranzukommen. Eine Auflistung häufiger Fehler ohne Anspruch auf Vollständigkeit: • mangelnde Anerkennung der Leistung des Mitarbeiters getreu dem Motto „Nicht geschimpft ist genug gelobt!“ • Lob zum falschen Zeitpunkt • Lob am falschen Ort • zu allgemeines Lob, d. h. nicht auf eine bestimmte Leistung oder ein bestimmtes Verhalten bezogen loben • inflationäres Loben

7.2 Angemessen loben

125

• floskelhaftes Lob (identische Wortlaute) • übertriebenes Lob • zu spät Anerkennung aussprechen • undifferenzierte Anerkennung einer Leistung • vergleichbare Leistungen unterschiedlich anerkennen • lieber gar nicht loben, als von der Leistung des Mitarbeiters abhängig zu erscheinen; er könnte auf die Idee kommen, mehr Gehalt zu verlangen • Lob mit ironischem Unterton: „Ja, aber . . . “ und Anerkennung unmittelbar mit Kritik verbinden • Lob vor anderen (von ganz bestimmten Ausnahmen abgesehen)

7.2 Angemessen loben Zuwendung, Freundlichkeit, Aufmerksamkeit, Respekt, Wahrnehmung und Feedback sind die Verhaltensweisen, die Motivation, Leistungsbereitschaft, Identifikation und Loyalität fördern. Verbale und nonverbale Zuwendung sind ebenso wichtig wie aufrichtiges Interesse an der Person des Mit(menschen)arbeiters. Dieses Verhalten wird sensibel wahrgenommen und im Sinne eines wechselseitig wirkenden Motivationskreislaufs gespiegelt. Vermeiden Sie, bei jeder Gelegenheit zu loben. Ein Lob sollte einer wirklich besonderen Leistung vorbehalten sein und vor allem niemals allgemein und pauschal erfolgen. Loben Sie bezogen auf eine konkrete Situation und benennen Sie diese auch ausdrücklich. Lassen Sie nicht zu viel Zeit zwischen der zu lobenden Leistung und dem Zeitpunkt des Lobes verstreichen. Motivierendes Lob muss zeitnah und der Situation angemessen erfolgen. Als Ausdruck der Wertschätzung empfiehlt es sich, das Gespräch unter vier Augen zu führen und Zeitdruck zu vermeiden. Eine angemessene Sprachebene wird dem Mitarbeiter helfen, die Botschaft entspannt und aufmerksam aufnehmen zu können. Struktur eines Lobgespräches Diese Vorgehensweise hat sich als hilfreich erwiesen: • Geben Sie einen allgemeinen Hinweis auf die anzuerkennende Leistung. • Beschreiben Sie die Leistung anhand von Beispielen. Was genau war gut am Verhalten des Mitarbeiters? • Fragen Sie den Mitarbeiter, wie er die Situation erlebt hat. • Betonen Sie den Nutzen der Leistung für die Abteilung oder das Unternehmen und danken Sie dem Mitarbeiter für sein Verhalten und seinen Einsatz.

126

7

Loben

Stellen Sie sich eine Situation vor, in der Sie jemanden loben möchten. Befolgen Sie die vier Punkte und formulieren Sie Ihre Botschaft.

7.2.1

Fallstudie – „Die Perfekte“

Situation: Frau A hat den Jahreskongress Ihrer Abteilung mit ca. 150 Teilnehmern und 20 Dozenten hervorragend organisiert. Teilnehmer und Dozenten haben sich geradezu überschwänglich über die umsichtige Art Ihrer Kollegin, Frau A, geäußert. Sie hat einen allseits akzeptierten Tagungsort gefunden, die Zimmer und die Verpflegung haben alle zufriedengestellt. Diese Grundstimmung der Beteiligten hat unter anderem auch die insgesamt positive Wahrnehmung Ihres Kongresses unterstützt. Man war allgemein der Meinung, so etwas Herausragendes könne eben doch nur Ihr Unternehmen bieten; die Mitbewerber könnten sich daran ein Beispiel nehmen. Aber ohne Frau A sei das wohl auch schwierig zu erreichen. Dieser gute Geist habe ja sogar abends immer bis 22:00 Uhr in der Lobby einen kleinen Infostand besetzt und jedem Kongressteilnehmer mit Rat und Tat bereitwillig geholfen.

Übung: Entwickeln Sie schriftlich das Gespräch zwischen Manager und Frau A.

Verwenden Sie die vier Punkte der zuvor dargestellten Vorgehensweise “Struktur eines Anerkennungsgespräches“.

7.2 Angemessen loben

127

Musterversion: Die Perfekte – ein Lob- und Motivationsgespräch Gesprächsverlauf

Gesprächsinhalte

Geben Sie einen allgemeinen Manager: Hinweis auf die anzuerkennende Leistung. Frau A: Manager:

Frau A:

Beschreiben Sie die Leistung anhand von Beispielen. Was genau war gut am Verhalten des/der Mitarbeiters(in).

Manager:

Fragen Sie den Mitarbeiter, wie Manager: er/sie die Situation erlebt hat. Frau A:

Betonen Sie den Nutzen der Manager: Leistung für die Abteilung oder das Unternehmen und danken Sie dem Mitarbeiter für sein Verhalten und seinen Einsatz. Frau A:

„Frau A, viele Teilnehmer und Dozenten unseres Jahreskongresses haben sich sehr zufrieden über die Veranstaltung geäußert.“ „Das freut mich!“ „Der Tagungsort wurde von allen gelobt. Das Ambiente, die Zimmer und das Catering wurden recht häufig als rundum gut genannt.“ „Ja, das habe ich auch hin und wieder gehört. Es war ja in diesem Jahr nicht einfach, das Hotel zu buchen. Aber wenn man sich rechtzeitig entscheidet, dann klappt’s auch.“ „Frau A, aus den Rückmeldungen der Kongressteilnehmer können wir schließen, dass die Veranstaltung ganz wesentlich die positive Wahrnehmung der Leute uns gegenüber verstärkt hat. Von Anfang an gab es da so eine positive Grundstimmung, die sich auch bis zum Ende gehalten hat. Sie waren so etwas wie der ‚gute Geist‘ des Ganzen. Häufig habe ich Sie abends noch gegen 22.00 Uhr an dem Infostand in der Lobby gesehen, wie Sie Teilnehmer betreut haben. Das ist wirklich ein vorbildlicher Einsatz!“ „Wie haben Sie den Kongress erlebt?“ „Tja, das war schon ein Stückchen Arbeit, aber es hat auch Spaß gemacht, die Teilnehmer zu betreuen und zu spüren, wie gut die Stimmung insgesamt war. Und wenn sich das dann so auswirkt, dass die Leute gern zu uns kommen und das auch draußen weitererzählen, das freut mich schon sehr. Zu merken, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind, . . . toll!“ „Frau A, man hat betont, nur wir könnten so etwas Herausragendes auf die Beine stellen. Ihr Einsatz hat sehr dazu beigetragen, dass unser Unternehmen und vor allem unsere Abteilung so positiv wahrgenommen werden. Dafür vielen Dank!“ „Vielen Dank! Das freut mich wirklich sehr.“

8

Kritisieren

Der Begriff Kritik stammt aus dem Griechischen. Kritik wird verstanden als die Kunst der Beurteilung von Leistungen und Behauptungen auf der Grundlage von Fakten und nachvollziehbarer Maßstäbe. Kritik kann unterschiedliche Ausrichtungen haben: • positiv

=

Lob

• negativ

=

Tadel

• konstruktiv

=

Verbesserung

• destruktiv

=

Vernichtung

• selbstbezogen

=

Selbstüberprüfung

Auf den Heiligen Benedikt von Nursia geht der Begriff Correctio Fraterna zurück. Gemeint ist die Pflicht der „Brüderlichen Zurechtweisung“, Glaubensbrüder (und Glaubensschwestern) von Verfehlungen und Sünde abzuhalten. Die Correctio Fraterna wird im helfenden Sinne ausgesprochen, nicht als harsche Kritik. Papst Benedikt XVI. ermahnte im Jahre 2005, die „Brüderliche Zurechtweisung“ gut zu üben: „Die brüderliche Korrektur ist ein Werk der Barmherzigkeit. Keiner von uns sieht sich selbst gut, sieht gut seine Fehler. Und so ist es ein Akt der Liebe, einander zu helfen, sich besser zu sehen, einander zu korrigieren. Ich denke, dass es eine der Funktionen der Kollegialität ist, sich zu helfen, (. . . ) die Mängel zu erkennen, die wir selbst nicht sehen wollen, (. . . ) uns zu helfen, damit wir offen werden und diese Dinge sehen können.“

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_8

129

130

8 Kritisieren

8.1 Häufige Fehler beim Kritisieren Landläufig versteht man unter Kritik das Aufzeigen von Fehlern oder Missständen, verbunden mit der Aufforderung, diese abzustellen. Im Kapitel über das Loben finden wir dieses Beispiel für eine hierarchische Interaktion. Der Chef schlägt dem Mitarbeiter kumpelhaft auf die Schulter und sagt: „Gut gemacht, Mustermann, weiter so!“ Könnte der Mitarbeiter das Gleiche zum Chef sagen? Wohl kaum. Täte er es dennoch, würden sehr wahrscheinlich erhebliche Irritationen die Folge sein. Das Kriterium der Umkehrbarkeit (Reversibilität) zeigt, ob eine Aussage hierarchisch oder partnerschaftlich gemeint ist. Verläuft die Kommunikation auf Augenhöhe, sind die Aussagen des einen auch vom anderen denkbar, ohne dass es zu Störungen in der Beziehung kommt. Beim Loben wirkt die hierarchische Struktur nicht so störend, weil wir uns über Lob freuen und uns wohlfühlen. Wird jedoch Kritik harsch und anmaßend aus einer unangemessenen hierarchischen Position geäußert, kommt es sehr rasch zu negativen Reaktionen und erheblichen Beeinträchtigungen der Motivation. Die mit Lob und Tadel verbundene Hierarchisierung lässt sich vermeiden, indem man seine Anmerkungen reversibel – also „umkehrbar“ – formuliert. Das gelingt durch die Begründung der Aussage: „Mir hat Ihre Präsentation gut gefallen, weil . . . “. Diese Aussage ist ebenso reversibel wie: „Mir hat Ihre Präsentation nicht besonders gefallen, weil . . . “. Beides kann der Mitarbeiter zu seinem Chef ebenso sagen wie der Chef zum Mitarbeiter oder der Kollege zum Kollegen. Eine Auflistung häufiger Fehler ohne Anspruch auf Vollständigkeit: • persönlich werden • laut werden • öffentlich kritisieren • nur Dampf ablassen, statt gemeinsam die Ursachen zu ergründen • ungleich behandeln • unverhältnismäßiges Kritisieren • zu undeutlich kritisieren (ohne konkreten Bezug), zu spät kritisieren (Fehler bereits „verjährt“) • Fehler „sammeln“ • ironisierende Kritik • Überheblichkeit demonstrieren • verallgemeinern • dem Mitarbeiter keine Gelegenheit zur Stellungnahme geben • eigenes Fehlverhalten ausblenden

8.2 Angemessen kritisieren

131

• überzogene Erwartungen oder unrealistische Ziele äußern • keine Chance zum Verbessern von Fehlern geben • Mitarbeiter hinter ihrem Rücken kritisieren Auch wenn Sie sich korrekt und partnerschaftlich verhalten haben, müssen Sie damit rechnen, dass die kritisierte Person sich unerwartet verhält. Hier einige der üblichen Verhaltensmuster und empfehlenswerte Reaktionen. 1. Der Mitarbeiter bezweifelt den Sachverhalt, reklamiert, dass Dritte beteiligt waren, startet einen Gegenangriff gegen Kollegen oder den Vorgesetzten. • Nicht von berechtigter Kritik abbringen lassen. • Zusagen, die Fehler anderer ebenfalls zu prüfen. • Im Falle von Kritik an Kollegen oder Vorgesetzten, die nicht anwesend sind, entweder die Betroffenen hinzuholen oder einen neuen Termin arrangieren, an dem alle teilnehmen können. Lassen Sie nicht zu, dass man Sie zum Komplizen macht und sich bei Ihnen über Abwesende auslässt. Man wird Ihnen ansonsten unterstellen, dass Sie jedem die Möglichkeit geben, über andere negativ zu reden. 2. Der Mitarbeiter schiebt anderen die Verantwortung zu. • Auf die gemeinsame Zielvereinbarung verweisen und die Flucht aus der Verantwortung nicht zulassen. 3. Der Mitarbeiter bleibt stur und zeigt sich uneinsichtig. • Prüfen, weshalb der Mitarbeiter nicht einsichtig sein will oder kann. • Notfalls die Konsequenzen ziehen: ggf. Abmahnung oder in letzter Konsequenz die Kündigung aussprechen.

8.2 Angemessen kritisieren Kritik soll bewirken, dass • künftiges Fehlverhalten vermieden wird • Mitarbeiter befähigt werden, eigenes Fehlverhalten zu erkennen und sich zu ändern • Mitarbeiter ermutigt werden, eigene Lösungsansätze zur Korrektur ihres Verhaltens zu entwickeln. Es ist erstaunlich, wie selbstkritisch die meisten Menschen sind. Viele sind willens und in der Lage, eigenes Fehlverhalten zu erkennen. Selbsterkenntnis ist und bleibt der wirksamste Weg zur nachhaltigen Verhaltensänderung. Geben wir den Mitarbeitern die Möglichkeit, sich selbst zu beurteilen und ihre eigenen Lösungen zu artikulieren, die sie in den allermeisten Fällen insgeheim bereits kennen. Sie brauchen manchmal nur etwas Zeit und einen Gesprächspartner, der ihnen zuhört und ermöglicht, die Gedanken während des Redens zu klären.

132

8 Kritisieren

Struktur eines Kritikgesprächs: 1. Beschreiben Sie aus Ihrer Sicht die Sachlage präzise hinsichtlich des beobachteten Fehlverhaltens oder der mangelnden Leistung. 2. Begründen Sie, warum Sie betroffen sind, und bitten Sie den Mitarbeiter um Mithilfe bei der Lösung des Problems. 3. Suchen Sie gemeinsam nach den Ursachen des Problems (den Erklärungen des Mitarbeiters genau zuhören!). 4. Entwickeln Sie gemeinsam Lösungsmöglichkeiten. 5. Entscheiden Sie, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden sollen. Machen Sie Ihre Erwartungen deutlich, aber vermeiden Sie Drohungen. 6. Vereinbaren Sie einen Termin für ein Folgegespräch, und beenden Sie das Gespräch harmonisch; drücken Sie Ihre Hoffnung und Erwartung auf die konstruktive Wirkung des heutigen Gesprächs aus. Ermutigen Sie!

8.2.1 Fallstudie – „Der Unzuverlässige“ Situation: Sie haben Ihrem engsten Mitarbeiter, einem sehr qualifizierten Sachbearbeiter, die Organisation eines wichtigen Meetings übertragen. Die Teilnehmer müssen aus drei verschiedenen europäischen Ländern nach Berlin anreisen. Insgesamt werden inklusive Ihrer internen Mitarbeiter zwölf Personen teilnehmen. Das Meeting soll drei Tage dauern, es sind demzufolge Übernachtungen, der Konferenzraum, die Arbeitsmedien und die Verpflegung zu organisieren. Ihr Mitarbeiter, Herr A, ist ein erfahrener, intelligenter und selbständig arbeitender Kollege. Normalerweise arbeitet er ausgezeichnet, wenn er nicht hin und wieder aufgrund von Problemen im privaten Bereich unkonzentriert ist und dann auch Dinge einfach vergisst. Bereits zweimal haben Sie diese Erfahrung machen müssen und nur unter großen Anstrengungen ist es gelungen, die Veranstaltungen noch zu retten und Imageschaden von Ihnen und der Abteilung abzuwenden. Vier Wochen vor dem Meeting in Berlin führen Sie ein Kontrollgespräch mit Herrn A und erfahren, dass er bis zum heutigen Tag noch nichts organisiert hat. Sie sind verärgert und haben Anlass, ein Kritikgespräch zu führen. Ihr Ziel ist, den Kollegen endlich auf Kurs zu bringen, ihm zu vermitteln, dass dergleichen nicht noch einmal wieder vorkommt.

8.2 Angemessen kritisieren

133

Aufgabe: Schriftliche Simulation des Gesprächs zur Fallstudie „Der Unzuverlässige“ Bitte schreiben Sie basierend auf dieser Situationsbeschreibung aus Sicht der Führungskraft das Gespräch zwischen dem Manager und dem Mitarbeiter in Dialogform auf, entsprechend den Beispielen, die Sie in diesem Material bisher kennengelernt haben. Das Schreiben erfordert einen überlegten Gebrauch der Worte und hat überdies den zusätzlichen Vorteil der Überprüfbarkeit und Veränderbarkeit. Versuchen Sie, sich während des Schreibens in jede Person entsprechend Ihrer Erfahrung und Vorstellungskraft so authentisch wie möglich einzufühlen und deren Belange zu vertreten. Diese Übung wird Ihnen helfen, sich besser in die Gefühlswelt und Denkweise potentieller Gesprächspartner zu versetzen und mögliche Verhaltensszenarien gedanklich durchzuspielen. Eine Vorbereitung dieser Art ist insbesondere für kritische Situationen äußerst hilfreich. Haben Sie sich auf diese Weise sorgfältig vorbereitet, sind Sie ziemlich gut vor unliebsamen Überraschungen geschützt, weil Sie gedanklich bereits jedes argumentative „Mauseloch“ kennengelernt haben, sich vorstellen können, was der andere denken, fühlen und sagen könnte. Ihre jeweiligen Reaktionen darauf haben Sie ebenfalls durchgespielt. Sie gehen gelassen auch an schwierige Fälle heran. Noch einmal zur Absicherung: Ihr Ziel ist, den Kollegen endlich auf Kurs zu bringen, ihm zu vermitteln, dass die gemeinsame Arbeit nicht von privaten Problemen beeinträchtigt werden darf und ihn zum engagierten und zuverlässigen Mitarbeiten zu bewegen. Auf Ihr Modell-Szenario können Sie sich mit diesen Fragen vorbereiten: 1. Was will ich besprechen? (Thema festlegen) 2. Was will ich erreichen? (Ziel festlegen) 3. Wie gehe ich vor? (Verfahren festlegen) a) Eröffnung planen (direkt/indirekt – je nach Bedarf und Situation) b) Ablauf planen, Fragen stellen (offene/geschlossene), aktiv zuhören, argumentieren c) Abschluss planen (zeitlich, zielbezogen, keine vorschnellen Verpflichtungen eingehen)

Bitte schreiben Sie Ihre Version jetzt und vergleichen Sie diese später mit der Musterversion.

Sie werden festgestellt haben, dass es nicht einfach ist, solch ein Gespräch schriftlich darzustellen. Die Musterversion zeigt nur eine Möglichkeit. Bitte verstehen Sie diese als Angebot und nicht als „die“ Lösung. Die Musterversion folgt der unter Abschnitt 9.2.1 beschriebenen Struktur eines Kritikgespräches, die sich als „roter Faden“ bewährt hat.

134

8 Kritisieren

Vorüberlegungen zur Musterversion Zu 1) Thema festlegen: Was will ich besprechen? • die erneut verspätete Meetingorganisation Zu 2) Ziel festlegen: Was will ich erreichen? • Herr A soll aus eigenem Antrieb zuverlässig mitarbeiten. Zu 3) Verfahren festlegen: Wie gehe ich vor? • Eröffnung planen (direkt oder indirekt – je nach Bedarf und Situation). Auf die derzeitige Lage eingehen und den Stand der Dinge aus Sicht des Managers beschreiben. • Ablauf planen (Fragen stellen {offene/geschlossene}, Aktiv Zuhören, argumentieren = mit offenen Fragen und Aktivem Zuhören die Hintergründe für das unzuverlässige Verhalten des Mitarbeiters erfahren, ihn zur Einsicht bewegen, dass weiteres Fehlverhalten nicht akzeptabel ist und er sich anstrengen muss, seine Aufgaben korrekt zu erfüllen.) Abschluss planen (zeitlich, zielbezogen, keine vorschnellen Verpflichtungen eingehen). Nach spätestens einer Stunde muss er sich mit einer Selbstverpflichtung und klarer Zielausrichtung für sein weiteres Verhalten und Mitarbeiten in der Abteilung erklärt haben. Musterversion zur Fallstudie „Der Unzuverlässige“ 1. Beschreiben Sie aus Ihrer Vorgesetzte(r): Sicht die Sachlage präzise hinsichtlich des beobachteten Fehlverhaltens oder der mangelnden Leistung. 2. Begründen Sie, warum Sie betroffen sind, und bitten Sie den Mitarbeiter um die Mithilfe bei der Lösung des Problems.

„Herr A, in einem Monat soll in Berlin das europäische Meeting stattfinden. Der Stand von heute ist, dass Sie noch nichts unternommen haben. Wir haben weder ein Tagungshotel, noch ist irgendetwas anderes geklärt oder auf den Weg gebracht. Das Meeting ist gefährdet. Wie Sie wissen, ist der Erfolg solcher Veranstaltungen sehr von dem Zusammenspiel aller Elemente wie Zimmer, Ambiente, Tagungsraum usw. abhängig. Kommen wir wieder einmal zu spät mit unserer Buchung, müssen wir mit dem vorlieb nehmen, was noch am Markt verfügbar ist. Es ist ja leider nicht das erste Mal, dass Sie viel zu spät die Dinge in Angriff nehmen. Wir müssen jetzt nicht nur diese Konferenz unter Dach und Fach bekommen, sondern erreichen, dass Sie in Zukunft absolut zuverlässig Ihren Job machen. Wir müssen uns blind auf Sie verlassen können. Wie sehen Sie die Situation, und was muss aus Ihrer Sicht geschehen, damit wir diese Ziele erreichen?“

8.2 Angemessen kritisieren

135

3. Suchen Sie gemeinsam Herr A: nach den Ursachen des Problems. Den Erklärungen des Mitarbeiters genau zuhören. Vorgesetzte(r):

Herr A: Vorgesetzte(r):

Herr A:

Vorgesetzte(r):

Herr A: Vorgesetzte(r): Herr A: Vorgesetzte(r): Herr A: Vorgesetzte(r):

„Ich habe ja schon einige Voranfragen bei Hotels gestartet und warte noch auf deren Reaktion. Und die Einladung an die Teilnehmer kann ich ja erst dann schicken, wenn die Eckdaten klar sind, vorher macht das wenig Sinn.“ „Herr A, versetzten Sie sich bitte einmal in die Lage der Teilnehmer. Die haben auch alle viel auf dem Tisch und müssen ihre Abläufe planen. Warum sind die noch nicht zumindest über den Termin informiert? Das geht doch auch vorerst ohne genaue Hotelangabe. Die Teilnehmer müssen den Termin doch auch intern reservieren.“ „Na ja, vier Wochen sind’s noch hin, das sollte doch ausreichen!“ „Bereits vor zwei Wochen habe ich Sie gebeten, mit der Organisation unverzüglich zu beginnen. Was hat Sie davon abgehalten?“ „Ich hatte noch so viele andere Vorgänge auf dem Tisch, und von Ihrem Kollegen kam auch noch etwas hinzu. Und eilig ist hier bei uns ja ohnehin immer grundsätzlich alles.“ „Wenn Sie von anderen noch Arbeit bekommen und demzufolge Ihr Schreibtisch ‚zuwächst‘, was müssen Sie in dieser Situation tun, was hatten wir diesbezüglich vereinbart?“ [zögerlich] „Na ja, mit Ihnen über die Gewichtung der Arbeiten reden, was zuerst und was danach.“ „Sie haben nicht mit mir geredet.“ „Sie waren ja auch viel unterwegs.“ „Unterwegs?“ „Ja, die ganze letzte Woche.“ „Sie wissen, wie ich per Mobiltelefon oder E-Mail immer zu erreichen bin. Das kann ich nicht akzeptieren. Herr A, wir hatten so eine Situation schon einmal. Sie haben Besserung gelobt, und jetzt stehen wir wieder dem gleichen Problem gegenüber. Was werden Sie tun, um die anstehende Konferenz zum Laufen zu bringen, und was, damit wir uns in Zukunft hundertprozentig auf Sie verlassen können?“

136

8 Kritisieren

4. Entwickeln Sie gemein- Herr A: sam Lösungsmöglichkeiten Vorgesetzte(r): Herr A:

Vorgesetzte(r):

Herr A:

Vorgesetzte(r): Herr A:

5. Entscheiden Sie, welche konkreten Maßnahmen nun ergriffen werden. Machen Sie Ihre Erwartungen deutlich, aber vermeiden Sie Drohungen. 6. Vereinbaren Sie einen Termin für ein Folgegespräch, und beenden Sie das Gespräch harmonisch; drücken Sie Ihre Hoffnung und Erwartung auf die konstruktive Wirkung des heutigen Gesprächs aus. Ermutigen Sie!

Vorgesetzte(r):

Vorgesetzte(r): Herr A: Vorgesetzte(r): Herr A: Vorgesetzte(r):

Herr A: Vorgesetzte(r): Herr A:

[leise und nachdenklich] „Ich werde gleich die Orga-Checkliste, die wir seinerzeit erstellt haben, zügig abarbeiten.“ „Ich brauche jetzt täglich von Ihnen eine Meldung über den Stand der Dinge.“ „O.K., ich schreibe Ihnen jeden Abend, wenn sich Neues ergeben hat, eine Mail mit dem aktuellen Stand der Dinge.“ „Gut! Mit der Checkliste und den täglichen Zwischenstandsberichten sollte das funktionieren. Sprechen Sie mich gerne jederzeit an, sollten Sie meine Meinung oder Unterstützung brauchen. [Pause] Und wie lösen wir das generelle Problem?“ „Es tut mir leid, dass ich Sie so enttäuscht habe. In Zukunft will ich Ihnen und der Abteilung die zuverlässige Unterstützung geben, die Sie mit Recht von mir erwarten.“ „Wie wollen Sie das erreichen?“ „Ich werde ab sofort immer eine Projektphasenplanung erstellen und die mit Ihnen abstimmen. Basierend darauf werde ich die Orga-Checkliste verwenden und auf dem Server für Sie zugänglich machen. Jeden Tag trage ich dort die Entwicklungen ein, und außerdem werde ich Erinnerungsmarkierungen setzen, die mich morgens beim Start des PC an die Schritte des jeweiligen Tages erinnern. Durch die abgestimmte Vorplanung und die professionellen Orga-Tools sollte keinerlei Unsicherheit mehr entstehen.“ „Das überzeugt mich, Herr A. Genauso machen wir es. Ich erwarte, dass wir solche misslichen Situationen in Zukunft ausschließen können. Und bitte: Zögern Sie nicht, mich jederzeit anzusprechen. Je regelmäßiger wir uns informieren und abstimmen, desto größer die Sicherheit.“ „Wann setzten wir uns wieder zusammen zum Zwischen-Check?“ „Montag kommender Woche?“ „Von 10.00 – 10.30 Uhr?“ „Ja!“ „Herr A, ich gehe davon aus, dass Sie ab jetzt alles tun werden, unsere Projekte konsequent zu verfolgen und die Zeitpläne einzuhalten. Wir brauchen Ihre Unterstützung!“ „Ich werde mich sehr bemühen.“ „Danke für das konstruktive Gespräch.“ „Ich danke ebenfalls!“

8.2 Angemessen kritisieren

137

Vergleichen Sie Ihre Version mit der Musterversion.

1. Welche Gemeinsamkeiten stellen Sie fest?

2. Worin unterscheidet sich Ihre Version?

3. Was gefällt Ihnen an der Musterlösung gut und was evtl. nicht?

4. Was gefällt Ihnen bei Ihrer Version besser?

5. Was wäre Ihre Idealversion? Was würden Sie nach Kenntnis der beiden Gesprächsverläufe eventuell anders oder besser machen?

8.2.2

Fallstudie: Die innere Kündigung

Herr Langjährig arbeitet seit 11 Jahren in der Entwicklungsabteilung eines Softwareunternehmens. Er ist 40 Jahre alt, hat zwei Kinder im Alter von 10 und 7 Jahren und macht normalerweise seine Arbeit sehr engagiert. Wegen einer langwierigen Krankheit seiner Frau muss er nicht nur allein für das Familieneinkommen sorgen, sondern auch die Familien-Einkäufe und die Pflege des Gartens zusätzlich leisten. Im Betrieb gilt er als zuverlässig, nicht gerade als jemand, der gern eigene Ideen äußert. Aber wenn er gefragt wird,

138

8 Kritisieren

sind seine Gedanken und Vorschläge in der Regel brauchbar und hilfreich. Frau Panorama von Blick, die Abteilungsleiterin, schätzt ihn wegen seiner Loyalität und arbeitet gern mit ihm zusammen. Seit einiger Zeit bemerkt sie, dass Herr Langjährig sich auffällig anders als in den Jahren zuvor verhält. Seine Kleidung wird zunehmend salopper (ist manchmal von Freizeitkleidung kaum zu unterscheiden), und häufiger kommt er morgens zu spät oder geht abends früher nach Hause. In Meetings äußert er sich nur noch, wenn er direkt dazu aufgefordert wird. Von sich aus macht er keine Vorschläge. Zu Überstunden ist er nur ungern und zögerlich bereit. Hin und wieder wirkt er auch geistig abwesend. Frau Panorama von Blick will ein Gespräch mit ihm führen, um herauszufinden, was die Ursache dieses auffälligen Verhaltens sein könnte. Außerdem ist ihr bewusst, dass sie sein Verhalten, das auch inzwischen von den Kolleginnen und Kollegen sehr deutlich kommentiert wird, nicht mehr länger hinnehmen kann. Sie kennt seine familiäre Belastung und will ihn, auch weil sie seine Mitarbeit im Grunde sehr schätzt, wieder zu engagierter Mitarbeit bewegen. Herr Langjährig hat sich aus seiner Sicht seit 11 Jahren mächtig ins Zeug gelegt, um von seiner Vorgesetzten, Frau Panorama von Blick, positiv wahrgenommen zu werden. Er hat sich zurückhaltend, aber effizient und zuverlässig verhalten. Ungefragt mischt er sich nicht gern ein, gibt jedoch sein Bestes, wenn er einbezogen wird, und versucht, an Problemlösungen kompetent und kreativ mitzuarbeiten. Überträgt man ihm die Verantwortung für die Durchführung eines Projekts, kann man sich voll auf ihn verlassen – jedenfalls war das bis vor kurzem so. Er hatte gehofft, die kürzlich vakant gewordene Position des Gruppenleiters in der Abteilung zu erhalten. Doch daraus wurde nichts. Hatte doch die Frau Denkmal aus der anderen Abteilung den Zuschlag erhalten! Dabei hätte er die Gehaltserhöhung so gut gebrauchen können. Je älter die Kinder werden, desto teurer wird ja alles. Gut, er hatte sich nicht ausdrücklich auf diese Stelle beworben; das war aus seiner Sicht eigentlich auch nicht notwendig. Frau von Blick wusste ja schließlich, wie qualifiziert und zuverlässig er ist. – Offensichtlich war ihr das aber doch nicht bewusst, denn sonst hätte er die Gruppenleiterposition bekommen. Nach all den Jahren! Darum hatte er sich entschieden, jetzt „Dienst nach Vorschrift“ zu machen und dadurch auch einmal deutlich werden zu lassen, was er bislang alles so im Stillen bewirkt hatte, ohne dies jeweils an die große Glocke zu hängen. Er hatte keine Lust, sich endlos in jede Richtung zu verbiegen, um Karriere zu machen. Entweder würde man erkennen, wie wichtig er für die Abteilung ist, oder . . . es geht dann eben so weiter mit dem Dienst-nach-Vorschrift – auf Sparflamme, ist doch klar. Frau Panorama von Blick, die Abteilungsleiterin, die seine Gefühle nicht kennt, muss nun herausfinden, was Herrn Langjährig demotiviert, und seine positive Grundeinstellung zur Arbeit in ihrer Abteilung wiederherstellen. Die Position des Gruppenleiters, auf die es Herr Langjährig abgesehen hatte, ist vergeben und steht auf absehbare Zeit nicht zur Verfügung. – Wie kann Frau von Blick vorgehen, um seine Motivation zu stärken?

8.2 Angemessen kritisieren

139

Fragen zur Fallstudie: • Welches Ziel verfolgt Herr Langjährig mit seinem Verhalten? • Was erfahren wir über seine arbeitsbezogenen Ziele? • Wem gegenüber hat er seine Absicht kundgetan, die Position des Gruppenleiters übernehmen zu wollen? • Wie kann Frau von Blick das Gespräch mit ihm führen? Welche Gesprächsstruktur (z. B. Konflikt- oder Kritikgespräch) wäre sinnvoll für die Klärung dieser Situation? • Wie lautet das Ziel, das Frau von Blick im Gespräch mit Herrn Langjährig erreichen muss? Aufgabe: Nachdem Sie die Fragen zur Fallstudie geklärt haben, entscheiden Sie sich für eine Gesprächsstruktur und entwickeln Sie einen Dialog, der dazu führt, dass die Abteilungsleiterin die Gefühle und die Denkweise von Herrn Langjährig versteht und ihn erneut zu engagierter Mitarbeit gewinnen kann. Diesen Dialog können Sie zunächst in einem Rollenspiel mit einer anderen Person zusammen erproben. Anschließend schreiben Sie den Dialog bitte auf und diskutieren ihn mit einer kompetenten Person ihres Vertrauens. Der anschließend dargestellte Gesprächsverlauf ist ein Muster und als Anregung gedacht, die Sie bitte erst lesen, wenn Sie Ihre Aufgabe ausgeführt haben.

Musterversion des Gesprächs: „Die innere Kündigung“ Legende: FvB = Frau von Blick, HL = Herr Langjährig Eröffnung Beschreiben Sie aus Ihrer Sicht die Sachlage präzise hinsichtlich des beobachteten Fehlverhaltens oder der mangelnden Leistung. Begründen Sie, warum Sie betroffen sind, und bitten Sie den Mitarbeiter um Mithilfe bei der Lösung des Problems.

FvB

Herr Langjährig, seit einiger Zeit nehme ich eine deutliche Veränderung bei Ihnen wahr. Sie kommen im Freizeitlook in die Firma, sind morgens häufiger zu spät hier und auch seltener bereit, abends mal länger zu bleiben, wenn viel zu tun ist.

FvB

In Meetings erlebe ich Sie neuerdings als einen sehr stillen Kollegen. Nur wenn ich Sie direkt anspreche, beteiligen Sie sich. Hin und wieder habe ich den Eindruck, dass Sie mit Ihren Gedanken nicht voll beim Thema sind. Diese deutliche Veränderung gegenüber früher besorgt mich, denn ich schätze Ihre Mitarbeit sehr, wie Sie wissen. Wie sehen Sie die Situation?

140 Suchen Sie gemeinsam nach den Ursachen des Problems (den Erklärungen des Mitarbeiters genau zuhören!).

8 Kritisieren HL

FvB

HL FvB HL FvB HL FvB HL FvB HL

FvB

HL

FvB HL FvB HL

FvB

HL

Frau von Blick, wie Sie wissen, habe ich eine kranke Frau zu Hause und muss sehen, dass die Kinder versorgt werden. Haus und Garten sind ein weiteres Thema. Ja, Ihre Belastungen kenne ich. Das ist nicht einfach für Sie. Allerdings ist diese Situation nicht neu. Oder hat sich eine gravierende Veränderung bei Ihnen ergeben? Nein, Gott sei Dank nicht. Die Lage ist stabil, aber eben doch recht herausfordernd. Gut, was ist es dann? Ach, wenn Sie mich so fragen: Ich bin enttäuscht. Enttäuscht? Ja, enttäuscht! Wer oder was hat Sie enttäuscht? Na, die Besetzung der Gruppenleiterposition mit Frau Denkmal aus der anderen Abteilung! Was stört Sie daran? Ich hatte gedacht: Jetzt bin ich auch mal dran. Jahrelang habe ich zuverlässig hier gearbeitet. Hin und wieder haben Sie mich gebeten, Sie zu vertreten. Und die Projekte, die Sie mir übertragen haben, sind doch schließlich alle zu Ihrer Zufriedenheit gelaufen. – Das haben Sie jedenfalls immer zu mir gesagt. Ja, das stimmt. Ich habe durchaus den Eindruck gewonnen, dass Sie sehr zuverlässig und gründlich sind und dass ich mich auf Sie verlassen kann. Dafür bin ich sehr dankbar. Nur merke ich davon wenig. Mein Engagement hat ja nicht dazu geführt, dass Sie bei der Besetzung der freien Stelle des Gruppenleiters an mich gedacht haben. Das ärgert mich. Ich bin enttäuscht und frustriert, dass sich der ganze Einsatz eben doch nicht gelohnt hat. Sie sind enttäuscht, weil ich Ihnen die Stelle nicht angeboten habe. Ja, so ist es! Und diese Frustration führt zu dem Verhalten, welches ich eingangs beschrieben habe? Würden Sie sich etwa nach wie vor wer weiß wie in die Arbeit hineinknien, wenn sich das ja doch nicht auszahlt? Wenn Sie erleben müssen, dass wildfremde Leute den Vorzug erhalten? Was soll ich denn noch machen, damit ich endlich mal hier vorankomme? Etwas mehr Geld hätte ich auch gut gebrauchen können. Die Kinder werden größer, brauchen ständig neue Schuhe und Kleidung – die Schule und Klassenfahrten . . . Warum haben Sie sich nicht auf diese Stelle beworben? Muss ich mich tatsächlich erst bewerben, damit ich bemerkt werde? Sie erleben mich doch jeden Tag.

8.2 Angemessen kritisieren FvB

Entwickeln Sie gemeinsam Lösungsmöglichkeiten

HL FvB

HL

FvB HL

FvB HL

FvB

HL

FvB

141 In der Tat! Ich bekomme mit, wie belastet Sie sind mit Ihrer häuslichen Situation und der Arbeit hier. Und da Sie in der letzten Zeit bei Überstunden nicht gerade immer „HIER“ gerufen haben, war für mich klar, dass ich Sie gar nicht erst fragen sollte. Ich habe mehr oder weniger deutlich von Ihnen die Botschaft verstanden, dass Sie es hier gerade so schaffen, alles einigermaßen auf die Reihe zu bekommen, und dass Sie nicht bereit sind für eine zusätzliche Herausforderung, die ja auch mit einer zeitlichen Mehrbelastung verbunden ist. (kleinlaut): Ja, so gesehen . . . Gut, dass wir so offen über die Sache reden können. Lassen Sie uns mal überlegen, was zu tun ist. Die Stelle hier ist nun vergeben. Aber vielleicht können wir im Unternehmen etwas Ähnliches finden, was Ihnen zusagt und uns alle voranbringt. Was wollen Sie in Zukunft in unserem Unternehmen erreichen? Wie wollen Sie arbeiten? Was ist aus Ihrer Sicht sinnvoll? Was könnten Sie tun, um hier voranzukommen? Ich bin jetzt vierzig Jahre alt. Bis zum 45. Lebensjahr sollte man eigentlich schon die Weichen für die weitere Karriere gestellt haben. Ja, an was denken Sie konkret? Bitte sagen Sie doch einfach mal, was Sie hier bei Ihrer Tätigkeit begeistert oder fasziniert? Ich habe viel Spaß daran, neue Ideen für unsere Software zu entwickeln. Und dann zu erleben, wie auf diese Weise die Probleme unserer Kunden gelöst werden können – das finde ich gut. Ich rede auch gern mit den Kunden, wenn die uns ihre Probleme schildern. Das Zuhören und Beraten, das liegt mir. Hm, Kundengespräche, Problemlösung, Beratung, Kontakte? Ja, das finde ich gut. Auch hin und wieder mal die Kunden vor Ort aufsuchen . . . Da kann man doch viel besser auf den Punkt kommen. Das ist viel konkreter als das abstrakte Gerede am Telefon – bringt einfach auch schneller die Lösungen, auf die es ankommt. Wenn Sie mehr im Kundenkontakt wären und sogar die Kunden besuchen würden, wie bekämen Sie das mit Ihren häuslichen Verantwortungen geregelt? Ja, das müsste ich dann alles etwas anders organisieren. Aber mit der Hilfe meiner Schwiegermutter könnte ich da bestimmt rechnen. Das ließe sich wohl einrichten. Herr Langjährig, wenn Sie jetzt bitte einmal sozusagen von außen auf sich blicken, meinen Blickwinkel einnehmen: Welchen Rat würden Sie sich selbst geben, um Ihre Situation motivierender zu gestalten?

142

8 Kritisieren HL

FvB HL FvB

HL FvB HL FvB HL

FvB

HL

Entscheiden Sie, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden sollen. Machen Sie Ihre Erwartungen deutlich, aber vermeiden Sie Drohungen.

FvB

Hm . . . , ja. . . ? Ich müsste wohl wieder deutlicher machen, dass ich etwas erreichen will. (Pause) Müsste mehr Einsatz zeigen,. . . wissen, was ich genau erreichen will . . . Stellen Sie sich bitte einmal vor, was Sie mit 45 machen werden! In welcher Funktion oder Position sehen Sie sich? Spielen wir jetzt Wunschkonzert? Wer keine Wünsche, Träume oder besser noch ZIELE hat, der wird nie vorankommen! Also: Wo sehen Sie sich? Was ist Ihr Ziel? Wenn Sie mich so fragen: Ja, dann . . . wäre ich gern Abteilungsleiter für Projektentwicklung im Key-Account-Bereich! Gut, das ist doch ein Ziel! In fünf Jahren wollen Sie Abteilungsleiter im Key-Account-Bereich sein. Richtig? (zögernd): Ja, das wäre ich gern. Was müssen Sie aus Ihrer jetzigen Sicht heraus unternehmen, damit Sie Ihr Ziel erreichen können? Glauben Sie denn, dass ich das Zeug dazu hätte, diese Position zu übernehmen? Könnte ich mit Ihrer Unterstützung rechnen? Ja, ich denke, Sie könnten das. Sie müssten allerdings jetzt auch beweisen, dass es Ihnen ernst damit ist. Das beginnt hier in der Abteilung. Wenn ich sehe, dass Sie wieder zu Ihrer alten Form zurückkehren und sich auch so einbringen, wie man das von einer Führungskraft erwarten kann, dann werde ich Sie unterstützen und Sie bei der Personalabteilung für das Förderprogramm für Nachwuchsführungskräfte empfehlen. Danke für diese Ermutigung! Ich werde ab sofort Sie und Frau Denkmal nach besten Kräften unterstützen. Lassen Sie mich wissen, wie ich Sie am besten überzeugen kann. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie ab morgen die Freizeitkleidung für die Wochenenden reservieren. Wenn Sie zu Hause hin und wieder etwas regeln müssen, weswegen Sie morgens später kommen, dann informieren Sie mich darüber, damit ich das richtig einordnen kann. Ansonsten gilt: Pünktlichkeit, vorbildliches Verhalten allen Kollegen, Kolleginnen, Kunden und Vorgesetzten gegenüber sind die Voraussetzung, sich für eine Führungsposition zu empfehlen. Einhalten der Standards und das Erreichen der Zielvereinbarungen sind zu gewährleisten. Am Ende eines jeden Monats informieren Sie mich bitte mit einem kurzen schriftlichen Bericht über das, was Sie erreicht haben, und darüber, was Sie im kommenden Monat unternehmen werden, um die Ziele zu erreichen. Geschieht zwischendurch etwas, was vom Üblichen abweicht, kontaktieren Sie mich bitte in jedem Fall umgehend; warten Sie nicht bis zum Monatsende. Anhand Ihres Verhaltens in den genannten Bereichen werde ich mir ein Bild machen von Ihrem Einsatzwillen und der Fähigkeit, Verantwortung übernehmen zu können.

8.2 Angemessen kritisieren Beendigung des Gesprächs

HL

FvB

143 O. K., das werde ich so machen! Bitte geben Sie mir ebenso unmittelbar eine Rückmeldung, wenn ich etwas besser machen könnte. Ich bin froh, dass wir darüber reden konnten. Danke für das offene Gespräch und die Perspektive. Ich sehe jetzt wieder eine Zukunft! Auch ich habe jetzt ein gutes Gefühl. Sie wissen, was Sie wollen. Sie sind wieder motiviert, mitzuarbeiten. Ich kenne Ihre Wünsche und Ihr Ziel. Es ist an Ihnen zu zeigen, dass Sie das ernst meinen. Meine Unterstützung gebe ich Ihnen gern, denn ich schätze Sie als Kollegen – in menschlicher und fachlicher Hinsicht. Auf eine gute Zusammenarbeit!

8.2.3 Test: Welcher Kritiker-Typ sind Sie? Füllen Sie den nachfolgenden Fragebogen aus. Je ehrlicher Sie dabei zu sich selbst sind, desto größer wird Ihr Nutzen sein. Aussagen 1. Mir fällt es schwer, Kritik offen auszusprechen. 2. Meine Mitarbeiter scheuen sich, mich auf Fehler aufmerksam zu machen. 3. Vor einem Kritikgespräch habe ich immer feuchte Hände oder andere körperliche Anzeichen von Nervosität. 4. Ich schiebe Kritikgespräche gern hinaus, manchmal erübrigen sie sich dann. 5. In meinen Kritikgesprächen kommt es oft zu Streitigkeiten. 6. Meine Mitarbeiter kennen meine aufbrausende Art. 7. Das Verhalten meiner Mitarbeiter ändert sich nach dem Kritikgespräch kaum. 8. Wenn in einem Restaurant das Essen nicht gut ist, spreche ich das nicht offen an, weil das doch nur Ärger gibt. 9. Ich brause sehr leicht auf, wenn etwas nicht so läuft, wie ich es will. Wenn ein Mitarbeiter im Gespräch laut wird, 10. weiche ich lieber etwas von meiner Meinung ab, damit der Streit nicht eskaliert. Ich bin es gewohnt, mich durchzusetzen, 11. koste es, was es wolle. Summe Gesamtsumme

Nein 1 Punkt

Zum Teil 2 Punkte

Ja 3 Punkte

144

8 Kritisieren

Testauswertung: 11 – 18 Punkte: Ihnen fällt es nicht schwer, Kritik auszusprechen, und in der Regel verändern Ihre Mitarbeiter auch ihr Verhalten. 18 – 33 Punkte: Wenn Sie die Fragen 1, 3, 4, 8 und 10 eher mit „Ja“ als mit „Nein“ beantwortet haben (mehr als 10 Punkte), sollten Sie an Ihrer Konfliktfähigkeit arbeiten. Sie brauchen sich wahrscheinlich keine Gedanken darüber zu machen, dass Sie Ihre Mitarbeiter zu viel kritisieren oder sie durch unbedachte Formulierungen verletzen, denn Sie sind ein sensibler und feinfühliger Mensch. Trotzdem denken Sie immer daran: Kritik zu vermeiden, ist letztlich ein Zeichen von Führungsschwäche. Haben Sie die Fragen 2, 5, 6, 9 und 11 eher mit „Ja“ beantwortet (mehr als 10 Punkte), müssen Sie an Ihrem Dominanz-Verhalten arbeiten. Sie sprechen kritisch Dinge sofort und ohne Umschweife an. Das ist gut und wichtig. Denken Sie aber daran, dass es effizienter ist, wenn Sie nicht immer mit dem Kopf durch die Wand gehen, und vermeiden Sie es, die Mitarbeiter durch zu große Härte zu verletzen.

9

Konflikte

Konflikte sind allgegenwärtig: in privaten Situationen, am Arbeitsplatz, in der Freizeit. Überall da, wo Menschen aufeinandertreffen und miteinander zu tun haben, können Konflikte entstehen. Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass Konflikte schädlich und unproduktiv sind. In der Regel denkt man an die heiße Auseinandersetzung, die mit Streit oder gar Tätlichkeiten einhergeht. Immer scheint es darum zu gehen, dass einer gewinnt und ein anderer verliert. Aus diesem Grunde wird der Konflikt gescheut. Andererseits können Konflikten, wenn sie richtig genutzt werden, auch positive Aspekte zugeschrieben werden. Konstruktive Konfliktaustragung kann zur Lösung von sachlichen Problemen führen, neue Perspektiven eröffnen, kreatives Verhalten stimulieren, kann Veränderungen von Personen, von Wertvorstellungen und letztendlich der Gesellschaft bewirken. Die Anlässe für Konflikte im Berufsleben sind zahlreich. Da wird eine Organisationsstruktur neu konzipiert, ein neuer Arbeitsplatz mit neuen Kollegen zugewiesen, eine neue Sitzordnung angeordnet, eine andere Aufgabenverteilung vorgenommen, neue Vorgesetzte eingeführt usw. Oder Mitarbeiter wollen sich in einem Meeting nicht auf einen Kurs einigen, die Situation eskaliert und die Führungskraft ist als Konfliktmoderator gefordert. Zwei Mitarbeiter können sich aus irgendwelchen Gründen nicht ausstehen und führen ihre Privatfehde auf Kosten des Unternehmens und auf dem Rücken der Kollegen. Konflikte sind unsere ständigen Begleiter und keine Ausnahmeerscheinung. Allerdings sind wir nicht gut vorbereitet, mit solchen Spannungen konstruktiv umzugehen. Die Konfliktvermeidung ist für viele Führungskräfte und Mitarbeiter ein häufig praktizierter Verdrängungsmechanismus. Voraussetzungen für das Entstehen eines Konfliktes sind • mindestens zwei Parteien • gemeinsame Berührungspunkte • unterschiedliche Ansichten hinsichtlich der © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_9

145

146

– – – –

9

Konflikte

Ziele Wege Verteilung von Ressourcen Gestaltung von Beziehungen

• unterschiedliche Rollendefinitionen • unterschiedliche Beziehungserwartungen • Gefühle • Gestaltungsabsichten Ursachen für Konflikte sind u. a. begründet in Verhaltensweisen wie z. B. Unterschätzung oder Geringschätzung. Missverständnisse, Stress und generelle Überforderung können weitere negative Impulse setzen. Häufig entstehen innerbetriebliche Konflikte wegen mehr oder weniger offen ausgetragener Machtkämpfe, Machtansprüchen, Konkurrenzdenken und Antipathien, die sehr viel Energie binden und die Produktivität der Betroffenen stark mindern. Konflikte entstehen aus unzureichend abgestimmten Zielen, unterschiedlichen Erwartungen, ungeklärten Aufgaben und Abläufen, aus Eitelkeiten und gekränktem Selbstwertgefühl. Schuldzuweisungen, Unterstellungen und Konkurrenzkämpfe sind die Folge und führen zu erhöhter Konfliktbereitschaft. Wirkungen von Konfliktsituationen zeigen sich z. B. in schlechtem Arbeitsklima, unproduktivem Verhalten, in Fehltagen, Gewaltausübung (physisch/psychisch) und Motivationsmangel. Im schlimmsten Fall können sich Krankheiten und Depressionen einstellen, verursacht durch Stress, Entfremdung, Neid, Ängste und Minderwertigkeitsgefühle. Lösungen von Konfliktsituationen können Gespräche bringen, in denen durch aktives Zuhören eine Klärung der Beziehungs- und Inhaltsebenen erfolgt, die auf der Grundlage sozialer Akzeptanz und Toleranz für klare Regeln und Hierarchien sorgen. Viele Konflikte könnten vermieden werden, wenn die Beteiligten einander zuhörten und den Versuch unternähmen zu verstehen, worum es eigentlich geht, anstatt gleich mit vollem Einsatz dagegenzuhalten. In seltenen Fällen muss die Entlassung von Mitarbeitern als letztes Mittel in Erwägung gezogen werden. Es kann nicht akzeptiert werden, dass Mitarbeiter innerbetriebliche Regeln und Hierarchien auf Dauer ignorieren oder sich durch ihr Verhalten außerhalb der Gemeinschaft bewegen.

9.1 Konflikte bearbeiten

9.1

147

Konflikte bearbeiten

• Der Ausschluss ist häufig das Ergebnis eines „Kampfes auf Leben und Tod“. Die Standpunkte haben sich so polarisiert und verhärtet, dass jede Partei versucht, die andere von der Zusammenarbeit auszuschließen. Die erste Reaktionsstufe ist häufig die Verlagerung von Befugnissen und die Vermeidung persönlicher Kontakte. Die Endstufe dieses Vorgehens ist in der Regel die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. • Die Unterwerfung des anderen ist die am häufigsten versuchte Methode der Konfliktbewältigung. Der „Gegner“ wird möglichst kleingemacht oder „fix und fertig“, bis er nicht mehr wagt zu widersprechen. • Der Kompromiss wird gesucht, wenn beide Gegner in etwa gleich stark sind. Jeder muss dabei auf etwas verzichten. Hier liegt aber häufig der Grund für neue Konflikte. Es wird nachgegeben, um die Aktionsfähigkeit der Organisation zu erhalten. • Die Integration ist die anzustrebende Form der Konfliktbewältigung. Die Parteien vereinigen ihre Vorstellungen und suchen einen Weg, der jede Partei zufriedenstellt. Die gemeinsame Problemlösung übertrifft die Güte der einzelnen Vorschläge. Anlässe für weitere oder neue Konflikte sind weitgehend ausgeschlossen. Verhalten in Konflikten • Nehmen Sie einen Konflikt, der im Zusammenhang mit der Arbeit entsteht, nach Möglichkeit nicht persönlich. Angriffe, die der Sache gelten, sollten Sie nicht auf sich selbst beziehen. • Versuchen Sie aufrichtig, sich in die Situation des anderen hineinzuversetzen. • Reagieren Sie nicht übereilt, sondern nehmen Sie sich grundsätzlich Zeit, die Lage zu überdenken. • Es muss eine „Einigkeit im Konflikt“ angestrebt werden. Hier kann der Hinweis auf die Philosophie, auf gemeinsame Ziele oder das Leitbild des Unternehmens hilfreich sein. • Achten Sie darauf, dass die sachliche Differenz nicht das Vertrauen in die Integrität des anderen und Ihre Achtung vor dessen fachlicher Kompetenz beeinträchtigt. • Betonen Sie immer den festen Vorsatz, um der Sache willen eine konstruktive Lösung anzustreben.

148

9

Konflikte

9.1.1 Konfliktaufbau und Konfliktlösung Die folgende Darstellung zeigt Verhaltensweisen, die den Aufbau von Konflikten fördern, und welches Verhalten zur Konfliktlösung führen kann. KONFLIKTAUFBAU Person 1

Person 2 schildert Fakten nimmt die Schilderung auf und bewertet diese emotionalisiert reagiert darauf spiegelbildlich fühlt sich in seiner Annahme bestätigt, verstärkt geht in „Verteidigungsstellung“ und hält dagegen den Druck Die Auseinandersetzung beginnt. Stresssituation: Flucht oder Kampf? Abbruch der Kommunikation Abbruch der Kommunikation KONFLIKTLÖSUNG schildert Fakten hört zu verstärkt den Angriff, lädt die Situation emotio- gibt Feedback: „Ich habe verstanden . . . “ nal auf Was ist unser gemeinsames Ziel? formuliert, was aus ihrer Sicht Ziel sein sollte formuliert, was aus ihrer Sicht Ziel sein sollte Festlegen der gemeinsamen Schnittmengen Was hindert uns daran, diese Gemeinsamkeiten in Zukunft anzustreben? Aufspüren der Hinderungsgründe Was können wir tun, um diese Hinderungsgründe zu beseitigen? Absprachen zur Eliminierung der Hinderungs- Bestätigung der Vereinbarungen gründe Was wollen wir bis wann erreicht haben? gemeinsame Zielvereinbarungen BEZIEHUNG GEKLÄRT

9.1 Konflikte bearbeiten

149

Dieses Schema wird anhand des Beispiels aus der Praxis verständlicher. Zwei Kolleginnen unterhalten sich darüber, wie man eine Regelung finden könnte, die Verpflichtung zu erfüllen, das Büro am Freitag bis 17.00 Uhr mit mindestens einer Person besetzt zu halten. Die Regelung soll niemanden benachteiligen. KONFLIKTAUFBAU Person 1 Person 2 schildert Fakten: nimmt die Schilderung auf und bewertet diese: „Es muss endlich eindeutig geregelt werden, wer „In der Tat! Bislang habe ich mich in der Regel von uns wann den Freitagsdienst zu überneh- an den Freitagen hier aufgehalten.“ men hat.“ emotionalisiert: reagiert darauf spiegelbildlich: „In der Regel! Da hab’ ich aber eine andere „Das glaub’ ich gern. Würde ich an Ihrer Stelle Sicht!“ auch so sagen!“ fühlt sich in seiner Annahme bestätigt, verstärkt geht in „Verteidigungsstellung“ und hält dageden Druck: gen: „Sie haben sich nun wirklich wahrlich nicht ge- „Wer hat denn die letzten vier Wochen freitags drängelt, den Freitagsdienst zu übernehmen.“ hier Dienst gemacht. Sie???“ Die Auseinandersetzung beginnt: Stresssituation – Flucht oder Kampf: „Sag’ ich ja, typisch! Kaum versucht man mal, „Mit dem Chef, immer gleich mit dem Chef redieses Thema vernünftig anzugehen, rasten Sie den! Als ob wir das nicht auch unter uns lösen aus!“ Wir kommen so nicht weiter. Ich red’ mal könnten. Wir machen uns ja lächerlich mit der mit dem Chef darüber. Das muss jetzt mal alles Nummer.“ auf den Tisch kommen.“ Abbruch der Kommunikation Abbruch der Kommunikation KONFLIKTLÖSUNG schildert Fakten: hört zu: „Es muss endlich eindeutig geregelt werden, wer „In der Tat! Bislang habe ich mich in der Regel von uns wann den Freitagsdienst zu überneh- an den Freitagen hier aufgehalten.“ men hat.“ verstärkt den Angriff, lädt die Situation emotio- gibt Feedback: nal auf: „Also, Sie wünschen sich eine eindeutigere Rege„Sie haben sich nun wirklich wahrlich nicht ge- lung, wer an welchem Freitagnachmittag zuständrängelt, den Freitagsdienst zu übernehmen.“ dig sein soll. Was wollen wir erreichen?“ formuliert, was aus ihrer Sicht Ziel sein sollte: formuliert, was aus ihrer Sicht Ziel sein sollte: „Ich möchte langfristig wissen, an welchem Frei- „Eine gerechte und ausgewogene Verteilung der tag ich mal freimachen kann, um ein verlänger- Dienste muss her, am besten immer abwechtes Wochenende zu planen.“ selnd. Das ist am einfachsten zu regeln. Und jeder weiß im Voraus, wann er dran ist.“ Festlegen der gemeinsamen Schnittmengen: Was hindert uns daran, diese Gemeinsamkeiten „Also haben wir beide das Interesse, langfristig in Zukunft anzustreben? im Voraus zu wissen, wann wer dran ist!“ „Ja! Was hält uns davon ab, das jetzt zu vereinbaren und durchzuführen?“

150

9

Konflikte

Aufspüren der Hinderungsgründe: Was können wir tun, um diese Hinderungsgrün„Es kommt ja immer mal wieder vor, dass man de zu beseitigen? unvorhersehbar am Freitag oder am Wochenen- „Wie können wir das praktikabler gestalten?“ de etwas erledigen muss, was keinen Aufschub duldet. In solchen Fällen ist die starre Regelung nicht gut.“ KONFLIKTLÖSUNG Person 1 Person 2 Absprachen zur Eliminierung der Hinderungs- Bestätigung der Vereinbarungen: gründe: „Hört sich gut an. Meinetwegen können wir das „Normalerweise halten wir uns an das Prin- so machen.“ zip des jeweils abwechselnden Dienstes. Kommt etwas Unvorhergesehenes dazwischen, übernimmt die Kollegin, und die andere macht dann zwei Freitage hintereinander den Dienst.“ Was wollen wir bis wann erreicht haben? gemeinsame Zielvereinbarung: „Gut, ich fang diese Woche an – und Sie über- „Wir sprechen heute noch mit dem Chef und innehmen die nächste?“ formieren ihn über unsere Absprache. Ab dieser „O.K., so machen wir’s!“ Woche gilt dann die Regelung.“ BEZIEHUNG GEKLÄRT

9.1 Konflikte bearbeiten

9.1.2 Muster eines Konfliktbearbeitungsgespräches

Eröffnung • eine sachliche, offene und „gewaltfreie“ Atmosphäre herstellen Rahmenbedingungen klären • Sind wir bereit, an einer Konfliktlösung mitzuarbeiten? Grundregeln: • Jeden ausreden lassen, nicht ins Wort fallen! • Zuhören, aufnehmen, keine Diskussionen während dieses Gespräches! • Sind wir bereit, diese Regeln einzuhalten? Jeder schildert die Faktenlage aus seiner Sicht: • den Konflikt bewusst machen, die Entwicklungen darstellen und sagen, was Sache ist • Anschließend kann jeder paraphrasierend zusammenfassen, was er/sie verstanden hat. Welche Gemeinsamkeiten sehen wir? • Worin sind wir uns einig? Differenzen? • Worin sind wir uns nicht einig? Konfliktpunkte? • Welches sind die Konfliktpunkte? Ziele? • Welche gemeinsamen Ziele wollen wir erreichen? (Was? – Qualität/Quantität – Bis wann?) Welche Lösungsmöglichkeiten sehen wir? • Was müssen wir unternehmen, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen? • Welche der Lösungen sind für die Beteiligten akzeptabel? • Entscheidung für eine oder mehrere der akzeptablen Lösungen Vereinbarung • Wann soll über die Erfahrungen mit der Umsetzung wieder gesprochen werden? Abschluss-Feedback • Wie beurteilen wir dieses Gespräch?

151

152

9

Konflikte

9.1.3 Wirksame Fragen zur Konfliktbearbeitung

Problem klären

Gesprächsziele klären

• Was ist das Problem? • Warum halten Sie – und Ihr(e) Gesprächspartner – das Problem für (k)ein Problem? • Kann ich Ihnen einige Fragen über die mir zugänglichen Fakten stellen? • Aufgrund welcher Kriterien haben Sie das gemacht? • Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie der Meinung, dass . . .

• Was geschieht, wenn wir uns einigen? • Was geschieht, wenn wir uns nicht einigen? • Woran würden Sie erkennen, dass Sie Ihr Ziel erreicht hätten? Was hätte sich verändert? • Wenn eine gute Fee über Nacht das Problem wegzauberte, woran (und wann) würden Sie bemerken, dass das Problem gelöst ist? Blickwinkel und Standpunkte verän- • Was meinen Sie, wie Ihr Gegenüber Ihre Position oder dern (zirkuläres Fragen) Ihre Ziele beschreiben würde? • Wie würde Ihr Gegenüber die Situation (das Problem) sehen? Warum würde er/sie es anders sehen können? • Wer noch würde es anders sehen? Wie würde er es sehen? • Was macht Herr X, wenn Frau Y es auch so sehen würde? • Wie können Sie mir (oder Ihrem Gegenüber) helfen, dass ich (oder Ihr Gegenüber) Ihnen helfen kann? • Was wäre, wenn man die Sache so weiterlaufen lassen (oder auch gar nichts tun) würde? • Wie beurteilen Sie die Folgen? Wie würde Ihr Gegenüber diese beurteilen? • Wer könnte wie und warum am meisten zur Lösung beitragen? • Nehmen Sie bitte gedanklich einmal meine Position ein. Was würden Sie, wenn ich an Ihrer Stelle säße, von mir erwarten? • Ich möchte Sie auf Schwierigkeiten hinweisen, die für mich entstehen, wenn ich Ihrem Gedankengang folge.

9.1 Konflikte bearbeiten

153

9.1.4 Fallstudie: Die Honorarerhöhung In der privaten Musikschule „Guter Ton“, die seit einem Jahr von der neuen Eigentümerin Sabine Sumserum geleitet wird, wünscht der Schlagzeuglehrer Daniel G. eine Erhöhung seines Honorars. Lesen Sie bitte zunächst die folgende Korrespondenz zwischen ihm und der Musikschulleiterin: Liebe Sabine, hoffentlich hattest Du ein schönes Wochenende! Ich habe folgendes Anliegen: Ich möchte Dich um eine Erhöhung meines Honorars bitten. Das hatte ich schon länger vor. Durch den Auf- und Abbau der Schlagzeuge in der Berufsschule hat sich meine Arbeitszeit jetzt noch verlängert, sodass ich dienstags immer neun Stunden „aus dem Haus“ bin. Dabei habe ich in diesem Jahr in keinem Monat über 400 Euro verdient. Das lohnt sich für mich nicht wirklich. Ohne die genaue Abrechnungsart zu beachten, habe ich für mich einmal gerechnet: Bei einer Honorarerhöhung um 5 Euro pro Schüler und Monat (also 1,00 – 1,25 € pro Unterrichtsstunde) kämen bei 12 Schülern 60 Euro pro Monat zusätzlich zusammen. Was hältst Du davon?

Ich hoffe, Du verstehst das. Sag’ mir doch bitte, was Du dazu meinst. Vielen Dank! Liebe Grüße Daniel ——————————— Lieber Daniel, vielen Dank für die Nachfrage. Das Wochenende war sehr schön. Durch die Umstellung auf die Winterzeit hatten wir ja alle eine Stunde mehr zum Ausschlafen. Dein Anliegen kann ich nachvollziehen. Es spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Zurzeit haben noch drei Schüler den alten Spezialpreis von € 46,00 und vier Schüler den „alten“ Preis von € 59,00 pro Monat aus den Zeiten vor meiner Übernahme der Schule. Dies habe ich damals so entschieden, um die Schüler nicht zu verlieren und um den Lehrkräften keine Verdiensteinbußen zumuten zu müssen.

154

9

Konflikte

Betriebswirtschaftlich betrachtet ist der Standort Berufsfachschule und der Schlagzeugunterricht nach Abzug aller Kosten (Miete, Nebenkosten, Honorar, Künstlersozialkassenbeitrag und anteilige Werbekosten) gerade mal so im Break-Even. Die Frage, ob es sich lohnt, stellt sich nicht nur Dir. Ich sehe einige Möglichkeiten, die Situation für beide Seiten zu verbessern. Allerdings führt dann kein Weg an einer Erhöhung der Unterrichtsgebühren vorbei, und damit entstehen auch Risiken für Dich und unsere Musikschule, Schüler zu verlieren. Lass uns mal einen Termin finden, an dem wir gemeinsam die Möglichkeiten besprechen können. Liebe Grüße Sabine ——————————— Lieber Daniel, nochmals vielen Dank für die Zeit, die Du Dir für unser heutiges Gespräch genommen hast. – Nachdem wir alle Alternativen aus verschiedenen Blickwinkeln gemeinsam durchleuchtet haben, fasse ich die wesentlichen Punkte zusammen. Für eine Honorarerhöhung ist eine Gebührenanpassung notwendig. Um eine größere Kündigungswelle zu vermeiden, wäre der beste Weg, neue Gebühren nur bei Neuzugängen einzuführen und „alte Schüler“, die zurzeit 46,00 € bzw. 59,00 € zahlen, auf 69,00 € zu erhöhen. Zur Optimierung der Effektivität haben wir über die Einführung des Gruppenunterrichts gesprochen und das einmal exemplarisch durchgerechnet. Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass der Gruppenunterricht sowohl für Dich als auch für die Musikschule finanziell die interessanteste Lösung wäre. – Nachdem sich aber herausgestellt hat, dass diese Unterrichtsform für Dich nur im Notfall infrage käme, haben wir im gegenseitigen Einvernehmen diesen Bereich aus unseren Überlegungen ausgeklammert. Folgende Honorare habe ich Dir für alle neuen Schüler angeboten, die sich nach Einführung neuer Unterrichtsgebühren von monatlich 75,00 € bzw. 79,00 € für 30 Minuten Einzelunterricht pro Woche ergeben könnten: Unterrichtsgebühr 75,00 € = Dein Honoraranteil 33,69 € Unterrichtsgebühr 79,00 € = Dein Honoraranteil 35,49 €

9.1 Konflikte bearbeiten

155

Nach Anpassung der Unterrichtsgebühr für die „alten Schüler“ von 46,00 € bzw. 59,00 € auf die derzeit gültige Gebühr von 69,00 € würde Dein Honorar für diese Schüler auf 31,00 € pro Monat angepasst werden. Da diese Möglichkeiten und Anpassungen für Dich nicht wirklich zufriedenstellend sind, möchtest Du Dich umorientieren und ab jetzt nach neuen Verdienstmöglichkeiten Ausschau halten, wobei Du mich über die Entwicklung rechtzeitig informieren wirst. Ich werde mich daher darum bemühen, zeitnah eine neue Lehrkraft zu finden, die bereit ist, zu den neuen Konditionen zu arbeiten. Ich bitte Dich, diese Zusammenfassung zu bestätigen bzw. zu ergänzen, falls aus Deiner Sicht noch etwas fehlen sollte. – Betonen möchte ich, dass wir beide unsere bisherige Zusammenarbeit als sehr gut einschätzen. Aufgrund dieses Ergebnisses, das ich sehr bedauere, und des anstehenden Lehrerwechsels zu einem noch undefinierten, aber absehbaren Zeitpunkt unterlasse ich die Erhöhung der Gebühr, um nicht noch mehr Unruhe, die in der Regel mit einem Lehrerwechsel verbunden ist, in der Schülerschaft entstehen zu lassen. Liebe Grüße Sabine PS: Ich wäre Dir dankbar, wenn Du mir die Abrechnungsmodalitäten der anderen Musikschulen, die du erwähntest, zukommen lassen könntest, damit ich genaue Vergleiche ziehen kann. ——————————— Liebe Sabine, ich habe das Protokoll gelesen. Es ist alles richtig so, wie Du es formuliert hast, und ich habe dem auch nichts hinzuzufügen. Außer, dass ich mich etwas an Deinem Vorhaben gestört habe, ZEITNAH „Ersatz“ für mich finden zu wollen. Das halte ich für übertrieben. Ich habe, wie gesagt, nicht vor, „Hals über Kopf“ die Musikschule zu verlassen. Du kannst Dir sicher vorstellen, dass es dauern kann, bis ich neue Optionen habe. Und Du kannst Dich darauf verlassen, dass ich Dir rechtzeitig – also mehrere Monate vorher – Bescheid sage und Dir auch gern bei der Suche nach einem Nachfolger helfe. Deshalb halte ich es vorerst für unnötig, „die Pferde scheu zu machen“. :-) Liebe Grüße und noch eine schöne Woche Daniel ———————————

156

9

Konflikte

Lieber Daniel, danke für Deine Rückmeldung. Du schreibst, ich zitiere: „Du kannst Dir sicher vorstellen, dass es dauern kann, bis ich neue Optionen habe . . . “ Wie Du Dir wirst vorstellen können, ist es im umgekehrten Fall auch nicht einfach, einen adäquaten Ersatz zu finden. Deswegen begebe auch ich mich auf die Suche. – In der kommenden Woche habe ich bereits einige Vorstellungsgespräche. Sollte ein Bewerber dabei sein, der für uns infrage kommt, werde ich Dich umgehend informieren, damit wir den Übergang und den Lehrerwechsel besprechen können. Aus meiner Sicht sind solche Wechsel am leichtesten durchzuführen, wenn es auch für die Schüler einen zeitlichen Schnitt gibt, z. B. Weihnachtsferien, Frühjahrsferien etc. Viele Grüße Sabine ——————————— Lieber Daniel, wie ich Dich am 13. November informiert habe, standen Vorstellungsgespräche mit möglichen Schlagzeuglehrern an. Ich habe einen neuen Schlagzeuglehrer gefunden, der ab sofort die Schüler übernehmen könnte. Die Übernahme der Schüler möchte ich zum Jahreswechsel durchführen. Das ist ein guter Schnitt, und so kann der Unterricht im neuen Jahr mit einer neuen Lehrkraft weitergehen. Für die Kommunikation an die Schüler stelle ich mir ein Schreiben folgenden Inhalts vor: Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, das Jahr neigt sich dem Ende zu – und im neuen Jahr gibt es eine Änderung im Schlagzeugunterricht unserer Musikschule, über die wir Sie informieren möchten. Seit knapp einem Jahr findet der Unterricht in den neuen und schöneren Räumen der Berufsfachschule statt und wir hoffen, dass Sie sich in diesen Räumen wohlfühlen. Ihre Lehrkraft Daniel wird zum Ende des Jahres unsere Musikschule verlassen und neue Wege beschreiten. Wir wünschen Daniel alles Gute für die weitere berufliche Entwicklung und bedanken uns für die gute und engagierte Zusammenarbeit der vergangenen Jahre.

9.1 Konflikte bearbeiten

157

Ab Januar 2012 wird Herr Bummschack den Unterricht weiterführen. Herr Bummschack hat bereits im Alter von drei Jahren sein erstes Schlagzeug bekommen und seitdem Unterricht erhalten. Er spielt seit 2006 als Schlagzeuger und Percussionist mit vielen nationalen und internationalen Künstlern zusammen, arbeitet darüber hinaus als Sänger und Songwriter an der eigenen Solokarriere und ist seit kurzem in die Nähe unserer Musikschule gezogen. Als Schlagzeuglehrkraft verfügt er über eine mehrjährige Erfahrung im Einzelund Gruppenunterricht. Einen kleinen Einblick seines Könnens gewinnen Sie, wenn Sie seinen Namen bei YouTube eingeben. Ihr Unterrichtstag und die Uhrzeit bleiben unverändert bestehen. Falls Sie Fragen haben, können Sie mich jederzeit kontaktieren, gern auch telefonisch oder per E-Mail. Mit freundlichen Grüßen Sabine Sumserum Nach Erhalt dieses Schreibens kannst Du mit Deinen Schülern über die veränderte Situation sprechen, und Du hast noch bis Ende des Jahres Zeit, Dich von ihnen zu verabschieden. Ich bitte Dich um eine Rückmeldung, Kommentar, Ergänzung usw. Liebe Grüße Sabine ——————————— Hallo Daniel, alle Schüler sind jetzt per Brief über die neue Entwicklung informiert worden. An Deinem letzten Unterrichtstag müssen wir die Schlüsselübergabe vornehmen. – Ich werde dann um 21:15 Uhr in der BFS Traumstadt sein. Viele Grüße und einen schönen zweiten Advent! Sabine ———————————

158

9

Konflikte

Hallo Sabine! Alles klar, dann bis zum 20. Dezember. Es reicht, wenn Du um 21.30 Uhr da bist, ich baue noch die Schlagzeuge ab. Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mir ein Bestätigungsschreiben über meine Tätigkeit an Deiner Musikschule sowie ein Zeugnis über meine Arbeit in den vergangen Jahren ausstellen könntest. Machst du das? – Danke! Bis dann, viele Grüße Daniel ——————————— Hallo Sabine, zu den Abrechnungsmodalitäten anderer Musikschulen: Ich habe noch einmal darüber nachgedacht und kein gutes Gefühl dabei, diese „Betriebsinterna“ weiterzugeben. Ich werde sie also morgen nicht mitbringen. Ich hoffe, Du verstehst das. Viele Grüße und bis morgen Daniel ——————————— Fragen zur Fallstudie: 1. Warum haben sich die Leiterin der Musikschule und der Schlagzeuglehrer nicht auf die von ihm gewünschte Honorarerhöhung einigen können? 2. Warum hat die Musikschulleiterin im Gegensatz zum Schlagzeuglehrer so entschlossen die Suche nach einem Nachfolger für ihn betrieben? 3. Wie denken Sie über das Schreiben an die Schüler und Eltern, mit dem der Wechsel von Daniel zu Herrn Bummschack kommuniziert wird? 4. Wenn Sie in der Position der Musikschulleiterin wären, hätten Sie ebenso gehandelt oder sich anders entschieden? Falls ja, begründen Sie bitte Ihre Entscheidung.

9.2 Konflikte vermeiden

159

9.2 Konflikte vermeiden Manches dahingesprochene Wort kann Konflikte entstehen lassen oder bestehende Konflikte anheizen. Durch Aussagen wie z. B. „Du bist rücksichtslos“ oder „Du musst dich schon stärker engagieren, wenn du weiterkommen willst“ erhebt sich der Sprecher über den Adressaten, was dieser als Anmaßung oder Überheblichkeit verstehen kann und entsprechende Gegenreaktionen zeigt. Sagen Sie ruhig, was Ihnen wichtig ist, aber halten Sie sich an Tatsachen, anstatt Meinungen oder Vermutungen zu verbreiten. Die Wortwahl, der Tonfall und ein übereinstimmendes körpersprachliches Verhalten sollten stets den Respekt gegenüber dem anderen berücksichtigen. Kommentare wie „Das hast du falsch verstanden“ oder „Dein Problem ist . . . “ oder „Du bemühst dich einfach nicht genügend“ wirken ebenfalls herablassend und fördern das Entstehen negativer Gefühle. Besser ist, bei den Fakten zu bleiben und Wahrnehmungen und Gefühle im Rahmen klar formulierter Beziehungsbotschaften (siehe auch das Thema Feedback im Kapitel Kommunikation) zu übermitteln. „Sie müssen . . . “ oder „Sie sollten . . . “ oder „Seien Sie doch still!“ sind Formulierungen, die als Empfehlungen oder als Befehle aufgefasst werden können. Im letzten Fall werden wahrscheinlich aggressiv aufgeladene Verhaltensweisen oder widerstrebender Gehorsam die Reaktionsmuster sein. Soll jemand zur Korrektur seines Verhaltens bewegt werden, ist es wirksamer, die Zusammenhänge mit Fakten und nachvollziehbaren Begründungen zu legitimieren und die Konsequenzen fortgesetzter Zuwiderhandlung den Gesprächspartner selbst erkennen zu lassen. Empfehlungen, die eher Drohungen sind, wie d. h. „Wenn Du dies nicht machst . . . “ oder „Es wäre besser, wenn . . . “ lösen Unterlegenheitsgefühle und Verunsicherung aus. Nicht kalkulierbaren Risiken oder Gefahren ausgesetzt zu sein provoziert Gegenwehr mit dem Ziel, dem Ungewissen zu entkommen. Besser ist, die Zusammenhänge zu erklären und auf mögliche Konsequenzen hinzuweisen. Wohlmeinende Ratschläge oder dringende Empfehlungen werden nie Verhaltensänderungen auslösen. Die Ziele einer Person bestimmen ihr Verhalten. Also müssen die Ziele verändert werden, um infolgedessen das dazu passende Verhalten auszulösen. Sich auch in Konfliktsituationen gegenseitig mit Achtung und Empathie zu begegnen, sich klar zu seinen Standpunkten zu bekennen und doch stets offen zu sein für andere Blickwinkel, kann Konflikte im Anfangsstadium begrenzen und mit Sicherheit zur Lösung beitragen. Ziel einer Konfliktbearbeitung sollte ein für alle annehmbares Ergebnis sein. Die Führungskraft muss stets offen für Alternativen sein und sich flexibel auf neue Ideen oder Fakten einstellen können. Die Worte „aber“ und „denn“ reizen zum Widerspruch und fördern aggressives Verhalten. Sie sollten in Konfliktgesprächen konsequent vermieden werden.

160

9

Konflikte

Ein zentrales Prinzip erfolgreicher Kommunikation lautet:

Es ist viel einfacher, sich von Zustimmung zu Zustimmung zu bewegen als von Widerstand/Nichtzustimmung zu Zustimmung.

9.2.1 Übung: Reizformulierungen entschärfen Bevor Sie weiterlesen, versuchen Sie, die nachstehenden Aussagen konfliktvermeidend umzuformulieren und erst danach die folgende Seite mit den Musterlösungen anzuschauen. Formulierungen, die den Gesprächspartner zum Widerspruch reizen oder verstummen lassen „Sie müssen auf jeden Fall . . . “ „Trotzdem ist das so!“ „Das stimmt nicht!“ „Sie verstehen mich falsch!“ „Das interessiert mich nicht.“ „Ich erwarte von Ihnen . . . “ „Das geht nicht.“ „Bleiben Sie mal sachlich!“ „Das brauche ich genauer.“ „Sie sollten lieber . . . “ „Vielleicht ist es möglich . . . “ „Ja, das ist richtig, aber . . . “ „Da liegen Sie völlig falsch.“ „Dafür bin ich nicht zuständig.“

alternative Formulierung:

9.2 Konflikte vermeiden

161

Musterlösungen Formulierungen, die den Gesprächspartner alternative Formulierung: zum Widerspruch reizen oder verstummen lassen „Sie müssen auf jeden Fall . . . “ „Trotzdem ist das so!“ „Das stimmt nicht!“ „Sie verstehen mich falsch!“ „Das interessiert mich nicht.“

„Ich erwarte von Ihnen . . . “ „Das geht nicht.“ „Bleiben Sie mal sachlich!“ „Das brauche ich genauer.“ „Sie sollten lieber . . . “ „Vielleicht ist es möglich . . . “ „Ja, das ist richtig, aber . . . “ „Da liegen Sie völlig falsch.“ „Dafür bin ich nicht zuständig.“

9.2.2

„Es ist sehr wichtig, dass . . . “ „Leider können wir daran nichts ändern.“ „Lassen Sie uns das gemeinsam prüfen.“ „Was ich sagen möchte, ist . . . “ Schweigen oder überhören – fragen Sie sich, wie wichtig eine solche Äußerung für das Thema ist „Ich bitte Sie, . . . “ „Lassen Sie uns nach einer anderen Lösung suchen.“ „Wie kann ich Ihnen gezielt helfen?“ „Um Ihnen wirksam helfen zu können, . . . “ „Alternativ schlage ich Ihnen vor, . . . „Bitte versuchen Sie Folgendes: . . . “ „Wie denken Sie über . . . ?“ „Nach den vorliegenden Informationen . . . “ „Da kann Ihnen XY weiterhelfen. Darf ich Sie gleich verbinden?“

Konfliktmoderation

Das folgende Moderationsschema kann sehr wirksam im Zusammenhang mit der Pinwand-Technik zur Konfliktbearbeitung in Gruppen eingesetzt werden. Näheres zur Arbeit mit der Pinwand-Technik finden Sie unter www.gabler.de beim Buch.

1. Darüber rege ich mich auf: a) oft b) gelegentlich 2. Das finde ich gut: a) auf menschlicher Ebene b) auf sachlicher Ebene 3. Liste der möglichen Ursachen für Konflikte

162

9

Konflikte

4. Das können wir ändern: a) auf jeden Fall b) vielleicht c) gar nicht 5. Das könnten andere ändern (wer?) 6. Liste der Maßnahmen: was, wie, wer, bis wann?

9.2.3 Eigene Konflikte lösen – Hilfe zur Selbsthilfe

Welche Konfliktsituation möchten Sie mithilfe der folgenden Fragen bearbeiten? Stellen Sie sich den Konflikt so plastisch wie möglich vor. Finden Sie einen Titel für den Konflikt. Beschreiben Sie Ihren Konfliktpartner: • Geschlecht • Funktion • Aussehen • Körpergröße • Sprache (gepflegt oder nicht) • Kleidung • Statussymbole Um was ging es – sachlich betrachtet?

9.2 Konflikte vermeiden

• Wie haben Sie miteinander geredet? Schreiben Sie auf: (Der andere: . . . /Ich: . . . . )

• Was hat Sie besonders geärgert?

• Wie haben Sie darauf reagiert?

• Wie ist die Situation beendet worden und mit welchem Ergebnis?

• Wie haben Sie sich anschließend gefühlt?

Betrachten Sie die Situation mit Abstand. Versuchen Sie, aus innerer Distanz die folgenden Fragen aufrichtig zu beantworten: • Worum ging es sachlich?

• Wer hat emotionalisiert und auf welche Weise?

• Was waren Schlüsselreize im verbalen und nonverbalen Bereich?

• Von wem gingen welche Schlüsselreize aus?

• Wie wurde der Konflikt beendet?

• Wer hat „gewonnen“?

• Was ist Ihnen aus der „Distanz“ aufgefallen?

• Was müsste geschehen, um beide Seiten zufriedenzustellen?

163

164

9

Konflikte

• Was könnte von beiden Seiten akzeptiert werden?

• Was sagt Ihre Intuition (Bauchgefühl) zu dem bevorzugten Lösungsweg?

• Wenn Ihre Intuition Ihnen keine negative Rückmeldung gibt, wenden Sie Ihre Lösung an.

9.2.4

Fallstudie: Der Eigenwillige

Der Mitarbeiter Hubert K., Musiklehrer, ist aus dem Süden Deutschlands in den Norden gezogen. Sein Haupthaar trägt er in gepflegtem Zopf nach Art der Germanen an den Kopf gebunden und sein offenes, freundliches Wesen macht ihn bei Kollegen und Schülern gleichermaßen beliebt. Er ist auf Blasinstrumente spezialisiert und geht geschickt auf die Wünsche seiner Schüler – Kinder, Jugendliche und auch einige Erwachsene – ein. Entsprechend zufrieden sind diese und auch die Schulleitung mit ihm, versteht er es doch, die ihm anvertrauten Schüler lange Zeit zufriedenzustellen und somit der Schule als Kunden zu erhalten. So war das zumindest am Anfang. Nach ca. zwei Jahren trat eine Veränderung in seinem Verhalten ein, die – zunächst unmerklich, dann jedoch zunehmend rascher und deutlicher sich auswirkend – eine Wende brachte. Er kommt derzeit immer auf den „letzten Drücker“ zum Unterricht, redet kein Wort zu viel mit den Kollegen, die für die Verwaltung zuständig sind; ändert, ohne mit diesen Rücksprache gehalten zu haben oder sie hernach zu informieren, Unterrichtszeiten und Raumbelegungen, was natürlich zu Konflikten führt. Auch intensive Bitten, dies zu unterlassen und die gegenseitige Absprache zu suchen, vermögen ihn nicht umzustimmen. Der Chef Friedrich, im Folgenden F. genannt, ist ein Gemütsmensch. Höflich und hilfsbereit gegen jedermann, ist er bei Kollegen und Vorgesetzten gleichermaßen beliebt. Auch er ist studierter Bläser und somit vom gleichen Fach wie Hubert K. Anfangs versteht man sich prächtig, hat man doch den gleichen Beruf, kennt die damit verbunden Freuden und Herausforderungen, kurz: Man geht kollegial miteinander um und hilft sich gegenseitig. F. war ursprünglich auch Lehrer an dieser Schule und hat sich im Laufe der Jahre wegen seiner umsichtigen und konstruktiven Art zum Schulleiter entwickeln können. Aus den Reihen der Kollegen in eine Leitungsfunktion aufzusteigen, ist für alle Beteiligten nicht

9.2 Konflikte vermeiden

165

einfach. Die ehemaligen Kollegen müssen lernen, dass eine Leitungsfunktion anderes Verhalten erfordert: Das ehemals kollegiale Miteinander nimmt ab, wird weniger aufgrund der Erfordernisse der hierarchisch geprägten Struktur, und die Führungskraft muss die emotionale und psychologische Gratwanderung, die mit dem Aufstieg vom Kollegen zum Leiter einhergeht, klug gestalten, weil sonst Unmut und Neid in der Belegschaft die Folge sein könnten. F. bemüht sich redlich, diesen Wandel umsichtig zu gestalten, und dennoch bleiben von Neid und Missgunst geprägte Reaktionen nicht aus. Ob Hubert K.s Verhalten auch mit diesem Wandel in Zusammenhang steht, ist unklar, jedoch nicht undenkbar. Die Situation Im Gegensatz zu früher lässt der Lehrer Hubert K. sich häufiger Arbeitsunfähigkeit von seinem Hausarzt attestieren und seinen Unterricht ausfallen. Die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung allerdings macht die Schulleitung nachdenklich. Hubert K. teilt mit, er habe sich den Mittelfinger der linken Hand schwer verletzt und könne deshalb den Unterricht in den kommenden drei Wochen nicht erteilen. Eine zufällige Begegnung des Schulleiters mit ihm beim Lebensmitteleinkauf zeigt, dass die „schwere Verletzung“ lediglich ein kleiner Kratzer ist, mit dem er seine Schüler sehr wohl hätte betreuen können, wenngleich auch ohne eigenes Vorspielen (was aber auch nicht immer notwendig ist). Misstrauen Hubert K. gegenüber ist die Folge. Hinzukommt, dass auch in diesem Jahr erneut eine sehr hohe Kündigungsrate seiner Schüler die Leistungsbilanz beeinträchtigen wird. 40 Prozent seiner Schüler werden gegen Ende des Geschäftsjahres gekündigt haben. Die Mehrzahl der Schüler (Kunden) kündigt, weil sie unzufrieden sind mit der Leistung des Lehrers. Bedenkt man, wie negativ sich unzufriedene Kunden auf die Imagebilanz eines Unternehmens auswirken können, ist es höchste Zeit für die Leitung zu handeln. Problematisch ist, dass Hubert K. auf die Einladung zum halbjährlichen Gespräch über den Stand der Erreichung der vereinbarten individuellen Jahresziele bislang nicht reagiert hat. Vielmehr hat er dem Schulleiter in einem kurzen Gespräch mitgeteilt, er finde gerade das Papier mit der Zielvereinbarung nicht; man solle doch einfach die Ziele des Vorjahres übernehmen, der Rest stehe ja ohnehin in seinem Arbeitsvertrag. Sprach’s, ließ den Schulleiter stehen und entschwand in seinen Unterrichtsraum. Höchste Zeit, ein Gespräch mit Hubert K. zu führen. Anmerkung: An dieser Schule hat sich das Kollegium vor zwei Jahren ein Leitbild gegeben, welches von allen durch Unterschrift anerkannt worden ist. Zu prüfen ist, ob dieses Leitbild für das bevorstehende Gespräch hilfreich sein kann. Hier das Leitbild im Wortlaut:

Leitbild der XYZ- Musikschule Aufgaben Die Musikschule XYZ ist ein musikpädagogisches Dienstleistungsunternehmen auf gehobenem Niveau. Es ist unser Ziel, als die herausragende Institution für musikalische Bildung im Landkreis bekannt zu sein.

166

9

Konflikte

Für unsere Schüler und deren Eltern schaffen wir rundum eine gepflegte Umgebung, in der sich alle wohlfühlen und gern die Warte- und Unterrichtszeiten verbringen. Die hohe Qualität unserer Arbeit im Hinblick auf die Musikvermittlung bei Kindern und Jugendlichen prägt die positive Wahrnehmung unserer Institution in der Bevölkerung und den Bekanntheitsgrad der Musikschule XYZ über die Landesgrenzen hinaus. Prinzipien Unsere Mitarbeiter sind motiviert, vereinbarungsfähig und verantwortungsbewusst, handeln aus eigenem Antrieb, fordern sich selbst im Rahmen gemeinsamer Zielabsprachen und sorgen für Ihre permanente Weiterbildung. Unsere Führungskräfte schaffen Rahmenbedingungen, in denen es Freude macht, sich einzusetzen, und fördern die Leistungsbereitschaft. Verhalten Unser Verhalten gegenüber Schülern, Eltern, Vorgesetzten und Mitarbeitern ist bestimmt von diesen Werten: 1. Vorbild sein: in menschlicher und fachlicher Hinsicht zielführend, eigeninitiativ und verantwortungsbewusst tätig sein 2. menschlich sein: den anderen als Persönlichkeit respektieren, ihm verständnisvoll, hilfsbereit und trotzdem situationsgerecht begegnen 3. offen sein: Wir begegnen dem anderen unvoreingenommen, unbefangen und aufrichtig. 4. selbstkritisch sein: Wir sind immer bereit, unsere Handlungen und Verhaltensweisen kritisch zu überprüfen, und nehmen Rückmeldungen darüber offen an mit dem Ziel, kommunikative Missverständnisse auszuräumen und zu vermeiden. Zusammenarbeit Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter ist für die Verwirklichung unserer Unternehmensziele wichtig und wertvoll. Unsere Zusammenarbeit ist geprägt von gegenseitiger Hilfsbereitschaft und Wertschätzung. Jeder ist für den gemeinsamen Erfolg gleich wichtig. Mitarbeiterförderung und -entwicklung Qualifizierte und gut ausgebildete Mitarbeiter auf allen Ebenen des Unternehmens sind der Erfolgsfaktor zur Erreichung unserer Ziele. Mitarbeiterförderung und -entwicklung bedeutet für uns:

9.2 Konflikte vermeiden

167

• ständige Weiterbildung durch interne und externe Trainer in allen relevanten Bereichen • durch regelmäßige Mitarbeiter- und Führungskräftebeurteilung dem Einzelnen Defizite und Stärken sowie der Leitung Förderpotenziale aufzeigen Aufgabe des Chefs Versetzen Sie sich in die Rolle des Schulleiters. Sie müssen durch das Gespräch mit Hubert K. erreichen, dass er sein von allen Normen abweichendes Verhalten konstruktiv verändert. Beantworten Sie zunächst schriftlich die folgenden Fragen, die von Ihnen erfordern, sich mit Fantasie und Vorstellungsvermögen in die Situation hineinzuversetzen. Natürlich können Sie hier nur Vermutungen äußern, es sind unterschiedliche Reaktionen denkbar. 1. Welche Ziele könnten Hubert K. zu dem kritischen Verhalten leiten? 2. Welche Ursachen im betrieblichen oder privaten Bereich könnten seine Verhaltensänderung bewirkt haben? Simulieren Sie nun in der Rolle des Chefs das Gespräch mit Hubert K. entweder schriftlich oder als Rollenspiel. In letzterem Fall instruieren Sie Ihren Partner sorgfältig. Lassen Sie ihn die ihn betreffenden Informationen in Ruhe lesen, geben Sie ihm Zeit, sich in die Rolle einzuleben. Befolgen Sie in jedem Fall die folgende Struktur:

1. Beschreiben Sie die Sachlage genau und ruhig. (beobachtetes Fehlverhalten, mangelnde Leistung) 2. Begründen Sie, warum Sie betroffen sind, und bitten Sie den Mitarbeiter um die Mithilfe bei der Lösung des Problems. 3. Suchen Sie zusammen nach den Ursachen des Problems. (den Erklärungen des Mitarbeiters genau zuhören!) 4. Entwickeln Sie gemeinsam Lösungsmöglichkeiten. (Mitarbeiter mit einbeziehen!) 5. Entscheiden Sie, welche konkreten Maßnahmen nun ergriffen werden. (Erwartungen deutlich hervorheben, keine Drohungen) 6. Vereinbaren Sie einen Termin für ein Folgegespräch. (positiver Schluss, Vertrauen ausdrücken)

Nachdem Sie Ihr Szenario niedergeschrieben haben, finden Sie folgend ein ModellSzenario zu dem Thema „Der Eigenwillige“ als Anregung und Kontrollmöglichkeit.

168

9

Konflikte

Gesprächsverlauf – Der Eigenwillige1 Zur Einstimmung hier noch einmal die vorbereitenden Fragen zur Gesprächsführung. 1. Thema festlegen = Was soll besprochen werden? • Die Situation erörtern, die Ziele von Hubert K. kennenlernen und verstehen, warum er sich seit einiger Zeit so anders und abweisend verhält. 2. Ziel festlegen = Was soll erreicht werden? • Klären, ob die Ziele von Hubert K. mit denen unserer Schule weiterhin in Einklang zu bringen sind, oder ob wir besser getrennte Wege gehen in Zukunft. • Falls er bei uns bleibt, müssen klare Vereinbarungen hinsichtlich seiner Leistung und seines Verhaltens getroffen werden, die seinen Verbleib in unserer Organisation rechtfertigen. Es reden miteinander der Chef (C) und Hubert K (HK). 1. Beschreiben Sie die Sachlage genau und ruhig (beobachtetes Fehlverhalten, mangelnde Leistung) C

Hubert, ich habe dich zu diesem Gespräch eingeladen, weil dein Verhalten in der jüngsten Vergangenheit sehr abweicht von dem, was wir in unserem „Leitbild Musikschule“ seinerzeit vereinbart haben. Insbesondere beziehe ich mich auf diese Punkte (weist auf das auf dem Tisch liegende Leitbild, ohne es vorzulesen): Prinzipien Unsere Mitarbeiter sind motiviert, vereinbarungsfähig und verantwortungsbewusst, handeln aus eigenem Antrieb, fordern sich selbst im Rahmen gemeinsamer Zielabsprachen und sorgen für Ihre permanente Weiterbildung. Unsere Führungskräfte schaffen Rahmenbedingungen, in denen es Freude macht, sich einzusetzen, und fördern die Leistungsbereitschaft. Verhalten Unser Verhalten gegenüber Schülern, Eltern, Vorgesetzten und Mitarbeitern ist bestimmt von diesen Werten: 1. Vorbild sein: in menschlicher und fachlicher Hinsicht zielführend, eigeninitiativ und verantwortungsbewusst tätig sein 2. menschlich sein: den anderen als Persönlichkeit respektieren, ihm verständnisvoll, hilfsbereit und trotzdem situationsgerecht begegnen 3. offen sein: Wir begegnen dem anderen unvoreingenommen, unbefangen und aufrichtig. 4. selbstkritisch sein: Wir sind immer bereit, unsere Handlungen und Verhaltensweisen kritisch zu überprüfen, und nehmen Rückmeldungen darüber offen an mit dem Ziel, kommunikative Missverständnisse auszuräumen und zu vermeiden.

1

Der Gesprächsverlauf ist authentisch, die Namen der Beteiligten geändert.

9.2 Konflikte vermeiden

C

HK

C HK

C HK

C HK C HK C HK C

169

Hier sehe ich einige Abweichungen in deinem Verhalten. Die Tatsache, dass du dich weigerst, über die Zielvereinbarungen dieses Jahres reden zu wollen, dass du dich einfach abwendest, während ich mit dir zu reden versuche, mich abrupt stehen lässt, zeugt von mangelndem Respekt gegenüber der Organisation und meiner Person. Die Tatsache, dass deine Schüler-Kündigungsquote im zweiten Jahr in Folge die 40 %-Marke anstrebt und es offensichtlich nicht gelungen ist, sie zu mindern, zeigt, dass es Schwierigkeiten gibt, die erörtert werden müssen. 2. Begründen Sie, warum Sie betroffen sind, und bitten Sie den Mitarbeiter um die Mithilfe bei der Lösung des Problems. Da außerdem dein Verhalten uns gegenüber sich im Gegensatz zu früher stark ablehnend verändert hat, fragen wir uns, was dafür die Ursache sein könnte. Haben wir etwas zu korrigieren oder belastet dich etwas, was dieses andere Verhalten auslöst? Welche gemeinsamen Ziele und Werte verbinden uns nach wie vor, und was können wir gemeinsam tun, um konstruktiv in Zukunft zusammenzuarbeiten? 3. Suchen Sie zusammen nach den Ursachen des Problems (den Erklärungen des Mitarbeiters genau zuhören). Seitdem wir dieses komische Zielvereinbarungsverfahren haben, ist alles so starr reglementiert. Das zeigt doch eine gewisse Kultur des Misstrauens. Früher haben wir ohne solchen Formularkram doch auch erfolgreich gearbeitet. Jetzt sollen wir jeden Mist aufschreiben und eine Zielformulierung drechseln. Man braucht ja bald mehr Zeit für diesen Bürokratismus als für das Eigentliche. Und was die Kündigungsquote anbetrifft, kann ich den Schülern doch nicht verbieten, andere Interessen zu haben oder den Wohnort zu wechseln. Dagegen ist jeder machtlos! Gut, lass uns das nacheinander betrachten. Zunächst das Zielvereinbarungssystem. Du findest dieses Vorgehen lästig und hinderlich. Schon zu Beginn eines Unterrichtsjahres festlegen zu wollen, was man alles erreicht haben will nach 12 Monaten, ist doch unrealistisch. Da kann alles Mögliche dazwischenkommen – und dann waren die Formulierungen für die Katz. Man muss doch flexibel bleiben und auf das reagieren, was als Nächstes ansteht; das ergibt sich doch so. Stattdessen versinken wir in Bürokratie – kein Wunder, dass wir da Schüler verlieren! Hm, ich habe mitbekommen, dass du deinen Sommerurlaub langfristig im Voraus planst und buchst. Warum überlässt du das nicht ganz flexibel der jeweiligen Situation? Ist doch klar! Täte ich das nicht, müsste ich mit weitaus schlechteren Konditionen (Ort, Unterkunft und Preisgefüge) rechnen. Wäre doch unklug, das nicht früher zu planen. Außerdem ist es beruhigend zu wissen, dass man alles rechtzeitig getan hat, um diese wichtige Zeit im Jahr bestmöglich zu gestalten Also, rechtzeitig planen, um zu wissen, was man wann in welcher Qualität zu welchen Preisen erhält, und ein gutes Urlaubserlebnis sicherstellen? Genau! Nichts dem Zufall überlassen? Richtig! Welche Unterschiede siehst du im Grundsatz zwischen der Notwendigkeit, dein Urlaubserlebnis zielbewusst und planvoll zu gestalten, und zu unserer Arbeit hier? Na ja, Urlaub ist meine Sache und die Arbeit hier . . . Ja?

170 HK C HK C

HK

C HK C HK C HK

C HK C HK C HK C HK C

HK C HK C HK C HK

9

Konflikte

Na ja, . . . die Arbeit hier ist natürlich auch . . . irgendwie meine Sache. Wenn „deine Sache“, der Urlaub, der zielbewussten Planung bedarf, welche Gemeinsamkeiten könntest du sehen in Verbindung zu „unserer Sache“, der Arbeit hier in der Schule? O. K., da gibt es dann schon welche. Das sehe ich ebenso. Kommen wir zur Kündigungsquote. Bei dir ist sie mit 40 Prozent im Jahr extrem hoch. Zu Beginn deiner Tätigkeit hier lag sie bei 25 Prozent. Was hat sich innerhalb von zwei Jahren geändert, dass deine Schüler im Vergleich zu denen der Kollegen weitaus häufiger kündigen? Irgendwie bekomme ich aber auch in letzter Zeit immer nur den Schrott ab, die unmotivierten und unbegabten Schüler! Die werden von den Eltern geschickt und wollen eigentlich lieber Sport machen. Was soll ich denn da noch zaubern? Zaubern? Wenn die doch keinen Bock haben? Woher weißt du das? Hast du mit ihnen darüber gesprochen? Das merke ich doch sofort. Da muss ich nicht lange reden. Wie gut kennst du die musikalischen Vorlieben und Wünsche deiner Schüler? Am Anfang müssen die doch alle das gleiche Programm durchmachen. Erst wenn ein gewisses spieltechnisches Fundament vorhanden ist, kommt das Wunschkonzert. Vorher geht das doch gar nicht. Noch mal zurück zu deinem Urlaub. Da ist dir Individualität sehr wichtig, den bereitest du sorgfältig vor, damit auch ja deine Wünsche und Neigungen getroffen werden. Gut, natürlich wäre das ideal, wenn wir es jedem irgendwie recht machen könnten! Aber... Aber? Wie soll das denn gehen?? – Jeden fragen, was er möchte, und dann – koste es was es wolle – ihn dahinbringen? Was könnte dich davon abhalten, diesen Weg zu gehen? Das ist aufwendig! Da muss ich mich ja auf jeden ganz individuell einstellen. Als Kunde erwartest du nichts anderes von den Organisationen, die du für dich in Anspruch nimmst. Hm, das stimmt schon. 4. Entwickeln Sie gemeinsam Lösungsmöglichkeiten. (Mitarbeiter mit einbeziehen!) Was könnten wir tun, um stärker auf die Wünsche deiner Schüler, deiner Kunden, einzugehen und sie dadurch nachhaltig zufriedenzustellen, sie lange bei uns in der Schule zu halten? Hm, ich könnte tatsächlich jeden fragen: „Was willst du in welcher Zeit auf deinem Instrument spielen können?“ und ihn dann in angemessener Zeit dahinbringen. Angemessener Zeit? Ja, das muss man ja vorher klären, sonst ist der nächste Ärger vorprogrammiert. Wir unterstützen dich gern, wenn du unsere Hilfe bei der Beschaffung von Titeln brauchst, die deine Schüler spielen möchten. Wir haben eine umfangreiche Bibliothek. Warum nicht, wäre vielleicht sinnvoll. Und wie gehen wir mit der Zielvereinbarung um? Ach, dieser Mist schon wieder!

9.2 Konflikte vermeiden C HK C HK C HK C

HK

C H

C

HK C

HK C HK

C

HK

171

Hubert, was sind deine Ziele in unserer Schule? Was willst du für dich und mit uns zusammen erreichen? Ich will in erster Linie in Ruhe meine Schüler unterrichten und gutes Geld verdienen. Da haben wir ähnliche Interessen. Wir wollen zufriedene Schüler und ebenfalls gutes Geld verdienen. Na bitte! Und nun? Nun? Ja! Was soll nun geschehen? Was fangen wir mit dieser Erkenntnis an? Diese Frage geht an dich. Was wirst du tun, um deine Schüler zufriedenzustellen? Was wirst du tun, um die Kündigungsrate von derzeit 40 Prozent innerhalb eines Jahres zu reduzieren auf welchen Prozentsatz? Und was willst du unternehmen, um das zu erreichen? Das sind Fragen, die nur du beantworten kannst. Bei den Schülern war das ja schon klar. Ich frage alle immer nach ihren Wünschen und Vorlieben und versuche, die in das reguläre Unterrichtsprogramm einzubauen. Die Kündigungsrate nervt mich auch, das kannst du mir glauben. Ich möchte wieder runter auf unter 30 Prozent. Vielleicht ist ja das Eingehen auf die Wünsche schon der halbe Weg? Ich denke, allein schaffe ich das wohl nicht. Ich brauche da Hilfe. An was denkst du? Na, die Kollegen in der Administration haben ja immer einen guten Kontakt zu den Schülern und deren Eltern; die wissen doch ziemlich genau, wenn da irgendwo etwas aus dem Ruder läuft. Wenn die mir rechtzeitig einen Tipp geben, dass da jemand unzufrieden ist, dann könnte ich sofort reagieren und mit denen reden usw. Das wäre hilfreich. Das ist gut machbar. Du musst allerdings auch deinen Teil dazu beitragen und nicht mehr eigenmächtig Zeiten und Räume verplanen, ohne das mit der Administration abgesprochen zu haben. O. K., mach ich in Zukunft! Wie denkst du darüber, zusätzlich mindestens einmal im Jahr deinen Schülern und Eltern ein ausführliches Informationsgespräch anzubieten, wo ihr über die gegenseitigen Erfahrungen und Wahrnehmungen redet, wo ihr euch austauscht und die künftige Linie des Unterrichts festlegt? Ist sicher eine gute Sache. Könnte man mal versuchen. Gut, was schlägst du vor, konkret zu machen? Als Erstes frage ich alle Schüler nach ihren Wünschen und versuche, die einzubauen in den Unterricht. Zweitens biete ich zweimal pro Jahr ein Infogespräch an für Eltern und Schüler, und wir reden ausführlich über unsere gegenseitigen Erfahrungen und Erwartungen. Und das sollte dann drittens dazu führen, dass ich meine Kündigungsquote auf unter 30 Prozent im kommenden Jahr reduzieren kann. Dabei werde ich aber auch von der Administration unterstützt, die mich auf dem Laufenden hält, sobald etwas schiefzulaufen droht. 5. Entscheiden Sie, welche konkreten Maßnahmen nun ergriffen werden. (Erwartungen deutlich hervorheben, keine Drohungen!) Hubert, das war soeben eine perfekte Zielformulierung. Ich schlage vor, diese jetzt aufzuschreiben und als unsere Zielvereinbarung für das kommende Jahr zu vereinbaren. Einverstanden? O. K.!

172 C

9

Konflikte

Dann schreiben wir: • Reduzierung der Kündigungsquote von derzeit 40 auf unter 30 Prozent (29,9 %) • regelmäßiger Erfahrungsaustausch mit der Administration über den Grad der Zufriedenheit der Schüler, sofern dieser mitgeteilt wird • alle Schüler nach ihren Wunschtiteln fragen und diese in den Unterricht einbauen, um eine hohe Zufriedenheit der Schüler sicherzustellen • zweimal pro Jahr ein Eltern-Schüler-Gespräch zum gegenseitigen Austausch von Wahrnehmungen und Vorstellungen über die Durchführung des Unterrichts • keine Vergabe von Unterrichtszeiten und Raumkapazitäten ohne die Absprache mit der Administration

HK C

HK

C HK C

HK

Ist das so korrekt? Ja, das stimmt so. Das ist unsere Zielvereinbarung. Wir erwarten, dass du jetzt auch alles unternimmst, um deine Ziele zu erreichen. Wir werden dich nach besten Kräften dabei unterstützen. Bitte ergreife du die Initiative, und sprich uns gern jederzeit an, wenn du uns brauchst. Ja, das werde ich so machen. 6. Vereinbaren Sie einen Termin für ein Folgegespräch (positiver Schluss, Vertrauen ausdrücken). Wie fühlst du dich nach diesem Gespräch? Ja – gut. Ich bin froh, dass wir mal so ruhig darüber reden konnten. Das hat mich ja auch beschäftigt. Gut, dass wir die Situation klären konnten und unsere Ziele vereinbart haben. Ich bin sicher, dass wir das hinbekommen. Wir hatten vor zwei Jahren eine gute Zeit und werden alles tun, dass uns allen die Arbeit hier Freude bringt und unsere Kunden so zufrieden mit uns sind, dass sie uns kräftig weiterempfehlen. Ein gutes Gelingen wünsche ich uns, Hubert! Nach sechs Monaten setzen wir uns wieder zusammen. Ja, danke!

9.2.5 Das Drama-Dreieck: Welche Rolle spielen Sie in Konflikten? Der amerikanische Psychiater Eric Berne bezeichnete Konflikte als Spiele der Erwachsenen, denn zwischenmenschliche Auseinandersetzungen weisen ähnliche Strukturen und Typologien auf wie ein Drama. Nicht nur in Märchen, auch in Theaterstücken oder Filmen finden sich Rollenzuweisungen. Das Drama-Dreieck zeigt typische Rollenkonstellationen in Konfliktsituationen auf. Es beschreibt die Rollen und deren Beziehungen untereinander – den Retter, das Opfer und den Verfolger. Wir agieren alle in Beziehungssystemen, in denen diese Rollen gelebt werden. Diese Rollen hat Stephen B. Karpman2 Ende der 1960er Jahre in seinem „DramaDreieck“ beschrieben. Er fand durch die Analyse von Beziehungen der Agierenden in 2

Stephen B. Karpman, The new drama Triangles, 2007.

9.2 Konflikte vermeiden

173

Märchen drei Rollen, die er mit Verfolger, Retter und Opfer bezeichnete. In arbeitsbezogenen oder privaten Beziehungen nehmen die Beteiligten hin und wieder eine der drei Rollen ein – wie in einem Drama. Das Rollenverhalten der Beteiligten ist keinesfalls konstant, sie können – unberechenbar – jederzeit in jede Rolle wechseln. Im Drama-Dreieck gibt es keinen festen Anfang oder Einstieg, auch kein feststehendes Ende. Ebenso schnell können sich die eingenommenen Positionen wieder verändern.

Verfolger

Retter

Opfer

Ein Beispiel: Besuch bei Onkel und Tante Ein Neffe besucht Tante und Onkel, die er beide sehr mag. Eigentlich ist er gern mit ihnen zusammen, aber ihr ständiges Gezänk geht ihm auf die Nerven. Es frustriert ihn. – Im Folgenden finden Sie ein Gespräch zwischen den Personen, wie es so oder ähnlich in vielen Familien stattfinden könnte. In Klammern sind die jeweiligen Rollen vermerkt, die die Beteiligten im Sinne des Drama-Dreiecks einnehmen. Tante zum Onkel: „Schalte das Fernsehgerät aus! Wir haben Besuch. Es gehört sich nicht, es anzulassen.“ (Verfolger) Onkel zur Tante mit lauter werdender Stimme: „Halt auf, mir sagen zu wollen, was ich tun soll! Du hast mir nicht zu sagen, was ich machen soll!“ (Verfolger) Onkel zum Neffen: „Siehst du? Nie lässt sie mich in Ruhe fernsehen.“ (Opfer) Tante zum Onkel: „Ach – du Armer [Worte klingen nach Retter]. Du hast dein ganzes Leben wie angeklebt vor diesem Ding verbracht!“ (Verfolger)

174

9

Konflikte

Tante zum Neffen: „Er ignoriert mich völlig. Was ich will, spielt keine Rolle für ihn . . . “ (Opfer) Tante zum Onkel: „Schalte es aus!“ (Verfolger) Neffe zu beiden: „Was ist los mit euch?! Könnt ihr nicht mal aufhören, euch wie Hund und Katze zu bekämpfen?“ (Retter) Beide zum Neffen: „So sprichst du nicht mit deinem Onkel/deiner Tante!!!“ (Retter) Dieses Beispiel konfrontiert uns mit dem Verhalten von Menschen, die besonders in Konflikten dazu neigen, Rollen einzunehmen und zu „spielen“. Der Verfolger kann zum Opfer oder zum Retter werden. Im Verlauf der Rollenwechsel werden die Ursachen und Verantwortlichkeiten vernebelt. Sachlichkeit, Ziele und Aufgaben verschwinden in diesem „dramatischen“ kommunikativen Bermuda-Dreieck. In schwierigen Konflikten entstehen durch die fortgesetzte gegenseitige Zuschreibung von Verantwortung und Schuld bei den Beteiligten Ärger, Wut, Enttäuschung und ohnmächtige Verzweiflung. Mithilfe des Drama-Dreiecks können konfliktäre Wirkungsmechanismen und Verhaltensweisen aufgedeckt und Lösungen angestrebt werden. Charakteristika der Rollen Das Drama-Dreieck kann sich schon zwischen zwei Personen bilden, die darin eine der drei Rollen einnehmen. Die Beteiligten übernehmen diese Rollen, weil sie Verhaltensweisen entsprechen, die sie in ähnlichen Situationen bei anderen beobachtet und als passendes Verhaltensmuster „erlernt“ haben. Wenn d. h. zwei kleine Jungen miteinander raufen und einer unterliegt (Opfer), so kann der andere als Verfolger oder als „Täter“ bezeichnet werden. Kommt in dieser Situation ein anderer (Retter) dem „Opfer“ zu Hilfe und wendet sich gegen den „Täter“, dann kann es geschehen, dass sich das „Opfer“ mit dem „Verfolger“ (Täter) wieder einig ist, gar behauptet, es sei alles nur Spaß gewesen und er solle sich nicht unerwünscht einmischen, denn das mache alles erst richtig kompliziert. Der Retter kann auch für die Eskalation verantwortlich gemacht und somit seinerseits zum „Täter“ deklariert werden, der durch seine Einmischung alles erst richtig schlimm hat werden lassen. Das Opfer nimmt im Drama-Dreieck entweder die psychologische Position „Ich bin nicht o. k. – du bist o. k.“ oder „Ich bin nicht o. k. – du bist nicht o. k.“ ein. Das Opfer braucht Verfolger und Retter, um seine Rolle zur Wirkung zu bringen. Das Jammern über anscheinend ausweglose Situationen und wiederkehrende Benachteiligungen seitens anderer kennzeichnen das Opferverhalten. Das Opfer ist nicht bereit, Verantwortung für sich und sein Handeln zu übernehmen – stets sind andere schuldig. Der Verfolger besetzt die psychologische Position: „Ich bin o. k. – du bist nicht o. k.“ Er steigert sein Selbstwertgefühl durch die Beschuldigung anderer und hinterfragt nicht selbstkritisch sein eigenes Verhalten.

9.2 Konflikte vermeiden

175

Der Retter geht von der gleichen Position wie der Verfolger aus: „Ich bin o. k. – du bist nicht o. k.“ Er mischt sich ungefragt in Gespräche oder Konflikte ein und „will ja nur helfen“. Er weiß stets, was für andere richtig und das Beste ist. Aus dieser „Helfer-Position“, die so sympathisch daherkommt, kann er Macht ausüben und andere von sich abhängig machen. Hier ein Beispiel für ein Drama-Dreieck aus dem Berufsleben: Die Kollegin A kommt zum wiederholten Mal morgens zu spät zur Arbeit. Kollegin A (Opfer): „Schon wieder! Ich musste bei dieser Baustelle so lange im Stau stehen! Und mein Handy – kein Funknetz. Wieder so ein Stress. Ich brauch’ jetzt erst mal einen Kaffee!“ Kollegin B (Opfer/Retter): „Du Arme! Und ich wollte mit dir so richtig schön in den Tag starten, habe frischen Kaffee gekocht und sogar Butterbrezel mitgebracht (Opfer). Na ja, die Baustelle ist auch wirklich ein Hindernis. Da musst du künftig morgens einfach eine halbe Stunde früher aus dem Haus gehen – mache ich auch so, dann klappt’s!“ (Retter) Kollege C (Verfolger): „Du bist schon wieder zu spät. Echt unmöglich! Du bist leider unfähig, dich zu organisieren. Das wird wohl nichts mit deiner Beförderung.“ Kollegin A (Verfolger): „Das musst du gerade sagen! Wer bastelt dir denn immer in letzter Minute vor dem Meeting die Excel-Tabellen mit den Diagrammen? – Der Herr kommt ja immer noch nicht mit der Software klar! Und alles immer in letzter Minute, aber andere belehren wollen. Du weißt ja: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Felsen jonglieren!“ Es gibt vier untrügliche Anzeichen dafür, dass wir im Drama mitspielen: • Wir rechtfertigen uns. • Wir beschuldigen andere oder uns selbst. • Wir fühlen uns ungerecht behandelt. • Wir haben recht. Jeder kann unbewusst die Drama-Rollen einnehmen, um seine Ziele zu erreichen. Führungskräfte und Mitarbeiter agieren in Rollen, die dazu einladen, sie im Drama-Dreieck auszuleben. Manche Mitarbeiter verhalten sich ehrfürchtig und unterwürfig gegenüber einer Führungskraft, andere wiederum rebellieren offen oder verdeckt gegen den Vorgesetzten. Die meisten Menschen scheuen sich, Konflikte offen anzusprechen oder „auszutragen“. Die „Konfliktvermeider“ weichen aus, bagatellisieren oder machen „gute Miene zum bösen Spiel“. Woran erkennt man „Rollen-Spiele“, und wie können diese konstruktiv aufgelöst werden? Zum Klärungsprozess gehört, den Blick für die eigene Verhaltensweise zu schärfen. Hilfreich sind Fragen wie diese:

176

9

Konflikte

• In welche Situationen gerate ich häufig – oder welche Rollen inszeniere ich selbst? • Was geschähe, wenn ich bei diesen Spielen für Erwachsene nicht mehr mitspielte? • Welche Alternativen kenne ich zu den bisherigen Rollenkonzepten? • Wie kann ich meine Meinung oder meine Gefühle artikulieren, ohne eine bestimmte Rolle einzunehmen? Zu welchen Rollen neigen Sie in Konfliktsituationen? Beantworten Sie die folgenden Fragen möglichst ehrlich und spontan mit JA oder NEIN. Fragen 1 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.

Neige ich eher zu Angriffen oder Vorwürfen? Neige ich eher zu Verteidigungen und Entschuldigungen? Habe ich automatisch den Impuls zu helfen? Machen mir Konflikte, der verbale Schlagabtausch Spaß? Vermeide ich Konflikte lieber? Gebe ich gern Ratschläge und Tipps, auch wenn die anderen selbst auf eine Lösung kommen könnten? Muss ich unbedingt recht haben? Spreche und entscheide ich oft für andere, auch wenn sie das für sich selbst tun könnten? Sagen mir Angehörige manchmal, dass ich ein Besserwisser bin? Fällt es mir schwer, abweichende Meinungen klar zu vertreten oder NEIN zu sagen? Kommen Freunde oder Kollegen immer wieder mit den gleichen Fragen zu mir? Fühle ich mich manchmal machtlos, wenn die Dinge nicht so laufen? Denke ich oft über andere: „Wie kann man nur so . . . (dumm, unpünktlich . . . ) sein!“? Wende ich mich öfter an andere und erbitte ihre Meinung, weil ich denke, dass die es besser wissen könnten? Gebe ich geduldig immer wieder die gleichen Auskünfte und Anweisungen? Setze ich mich nicht genügend für mich selbst ein? Mache ich häufig „Diagnosen“ und sage anderen, was sie denken oder fühlen (z. B.: „Sie sind wohl überfordert . . . “)? Bekomme ich öfter schwierige Arbeiten/Entscheidungen von Kollegen zugeschoben?

JA

NEIN

9.2 Konflikte vermeiden

177

Ihre persönliche Rollen-Tendenz: • Wenn Sie die Fragen 1, 4, 7, 9, 13, 17 mit JA beantwortet haben, tendieren Sie zur Verfolger-Rolle. • Wenn Sie die Fragen 3, 6, 8, 11, 15, 18 mit JA beantwortet haben, tendieren Sie zur Retter-Rolle. • Wenn Sie die Fragen 2, 5, 10, 12, 14, 16 mit JA beantwortet haben, tendieren Sie zur Opfer-Rolle. • Ein gestreuter Mix bedeutet, dass Sie flexibel handeln und nicht auf eine bestimmte Rolle festgelegt sind. Wie können Sie aus dem Drama-Dreieck aussteigen? Indem Sie erkennen, zu welchen Rollen Sie neigen, und in kritischen Situationen auf Ihre Gefühle achten. Fühlen Sie sich minderwertig und schwach (Opfer), aggressiv oder ungeduldig und überlegen (Verfolger) – oder fühlen Sie sich kompetent, hilfsbereit und moralisch überlegen (Retter)? Beenden Sie das Drama dadurch, dass Sie auf der Erwachsenen-Ich-Ebene offene Fragen stellen, die Ihren Gesprächspartner zwingen, Stellung zu beziehen, ihn dazu bringen, seine Probleme anzunehmen und selbst zu lösen. Auch die Technik des Aktiven Zuhörens kann in dieser Phase des Gesprächs zur Klärung beitragen. Um die Techniken des Ausstiegs zu demonstrieren, greifen wir noch einmal zurück auf das Drama-Dreieck aus dem Berufsleben. Situation: Die Kollegin A kommt zum wiederholten Mal morgens zu spät zur Arbeit. Kollegin A (Opfer): „Schon wieder! Ich musste bei dieser Baustelle so lange im Stau stehen! Und mein Handy – kein Funknetz. Wieder so ein Stress. Ich brauch’ jetzt erst mal einen Kaffee!“ Kollegin B (Opfer/Retter): „Du Arme! Und ich wollte mit dir so richtig schön in den Tag starten, habe frischen Kaffee gekocht und sogar Butterbrezel mitgebracht (Opfer). Na ja, die Baustelle ist auch wirklich ein Hindernis. Da musst du künftig morgens einfach eine halbe Stunde früher aus dem Haus gehen – mache ich auch so, dann klappt’s!“ (Retter) Kollege C (Verfolger): „Du bist schon wieder zu spät. Echt unmöglich! Du bist leider unfähig, dich zu organisieren. Das wird wohl nichts mit deiner Beförderung.“ Kollegin A (Verfolger): „Das musst du gerade sagen! Wer bastelt dir denn immer in letzter Minute vor dem Meeting die Excel-Tabellen mit den Diagrammen? – Der Herr kommt ja immer noch nicht mit der Software klar! Und alles selbst immer in letzter Minute, aber andere belehren wollen . . . Du weißt ja: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Felsen jonglieren!“

178

9

Konflikte

Anmerkung: Das Drama-Dreieck ist in vollem Gange. Jetzt entschließt sich Kollegin B auszusteigen und reagiert folgendermaßen: Kollegin B: „Wie so oft streitet ihr euch – und gleichzeitig seid ihr aufeinander angewiesen. Was wollt ihr damit erreichen?“ (offene Frage auf der Erwachsenen-Ich-Ebene an das Erwachsenen-Ich der Kollegen) Kollege C: „Ich möchte, dass sie pünktlicher ist, damit wir nicht immer auf sie warten und deshalb abends länger im Büro bleiben müssen. Ich habe auch noch ein Privatleben!“ (Verfolger) Kollegin A: „Meint ihr, ich fühle mich wohl in der Rolle der ewigen Zuspätkommerin?“ (Opfer) Kollegin B: „Wie kannst du es schaffen, künftig pünktlich zu erscheinen?“ (offene Frage) Kollegin A: „Da der Stau uns ja wohl noch einige Zeit wegen der Baustelle morgens erfreuen wird, bleibt mir keine andere Wahl, als morgens tatsächlich eine halbe Stunde früher loszugehen.“ (sachliche Ebene, problemlösungsorientiert) Kollegin B: „Was könnte dich davon abhalten, das konsequent durchzuhalten?“ (offene Frage) Kollegin A: „Gar nichts – wenn ich es schaffe, morgens die Kurve zu bekommen (lachend). Der Wecker – dein Feind . . . !“ (sachliche Reaktion und Nennung der notwendigen Maßnahme, humorvoll verpackt) Kollege C: „Also – es tut mir leid, dass ich dich vorhin so angemacht habe. Entschuldige bitte! Ich finde es wirklich sehr kollegial, dass du mir mit den Tabellen und Diagrammen so hilfst. In Zukunft werde ich damit auch rechtzeitiger zu dir kommen.“ (empathische Zuwendung zur Kollegin) Kollegin B: „Dann können wir uns ja jetzt über den Kaffee und die Brezeln hermachen!“ (Ausstieg aus dem Gespräch) Kollege C: „Dank deiner Initiative!“ (Anerkennung der Hilfe durch die Kollegin B) Kollegin A: „Ja, Gott sei Dank.“ (Zustimmung)

10

Motivieren

Erfahrung in der Motivation von Mitarbeitern ist eine der am häufigsten geforderten Qualifikationen für Manager. Die Nachfrage nach „Motivierungskünstlern“ ist ebenso groß wie das Angebot an Fortbildungsveranstaltungen zu diesem Themenkomplex. In entsprechenden Seminaren werden Führungskräfte geschult, Mitarbeitern den „höheren Sinn“ ihres Handelns zu vermitteln und sie dadurch in ihrer Motivation zu bestärken. Viele Manager ahnen, dass die Leistungsfähigkeit ihrer Betriebe gesteigert werden könnte, wissen aber nicht, wie. Nicht selten wird versucht, das Erreichen der gesetzten Ziele mit Bonuszahlungen oder anderen Leistungsanreizen, sog. Incentives, zu beeinflussen. Das englische Wort „incentive“ (abgeleitet vom lateinischen „incendere“) bedeutet: Begeisterung entfachen, entzünden, steigern. Das Management versucht mit Geld- oder Sachprämien, Veranstaltungen oder Reisen, Mitarbeiter oder Kunden zu einem bestimmten Verhalten zu motivieren. Dieser manipulativen Grundhaltung entsprechend hat sich einst Dwight D. Eisenhower geäußert: „Motivation ist die Fähigkeit, einen Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was man will, wann man es will und wie man es will – weil er selbst es will.“ Vision „Du kannst in anderen nur entzünden, was in dir selber brennt.“ [Augustinus, 354 – 430] Ein Steinmetz saß in gebückter Haltung an einem Dom, wo er Steine mit dem Hammer behaute und einfügte – eine mühsame und anstrengende Arbeit. Auf die Frage, wie er es schaffe, diese harte Arbeit zu verrichten und trotzdem so fröhlich und begeistert zu sein, antwortete er: „Ich arbeite mit daran, einen Dom zu bauen zur Ehre Gottes!“ Diese Vorstellung (Vision) vermittelte ihm die positive Einstellung zu seiner Arbeit. Eine Vision umfasst die Beschreibung, wie etwas in Zukunft sein soll, insbesondere die Vorstellung von der langfristigen Unternehmensentwicklung oder der Entwicklung der Organisation als Orientierung für die Unternehmensstrategie. Eine Vision kann Begeiste© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_10

179

180

10

Motivieren

rung auslösen und das Handeln und Denken aller Beteiligten beeinflussen. Motivierende Visionen müssen wirklichkeitsnah und realistisch sein und dürfen nicht in die Richtung von Utopie oder Spinnerei abgleiten. Beispiele für die Formulierung einer Vision: 1. Vision des UK National Audit Office (Rechnungshof des Vereinigten Königreichs): Wir fördern den höchsten Standard in Finanzmanagement und -berichterstattung, die ordnungsgemäße Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben und positive Entwicklungen bei der Bereitstellung öffentlicher Leistungen. 2. Vision für Lehrerausbildung: Alle Lehramtsanwärter sind in der Lage, hervorragende Qualifikationen zu erreichen, und zwar durch eine Vielfalt von Strategien, durch Rückgriffe auf ihr Leistungsvermögen, durch verschiedenartige Leistungsnachweise, durch besonderes Engagement und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen in einer anspruchsvollen und auf Zusammenarbeit ausgerichteten Umgebung. Sie gewinnen Zufriedenheit beim Ausüben ihres Berufes, indem sie die für die Ausbildung der nächsten Generationen notwendigen sachlichen, fachlichen, organisatorischen und sozialen Kompetenzen einsetzen und ausbauen. 3. Vision eines Handelsunternehmens: „Wir verkaufen qualitativ hochwertige Produkte des täglichen Bedarfs möglichst preiswert.“ Mit dieser Idee, dem konsequenten Umsetzen der geeigneten Maßnahmen und der Vorbildfunktion für ihre Mitarbeiter schafften es zwei Brüder an die Spitze der deutschen Wirtschaft. Der Name des Unternehmens ist ALDI (Albrecht Discount). Mehr zum Thema ‚Vision‘ finden Sie im Abschnitt 12.4 Vision – Mission – Leitbild. Aufgabe Formulieren Sie die Vision Ihres Unternehmens/Ihres Vorhabens. Die Vision führt zur Festlegung und Umsetzung von Zielen, Strategien und Plänen. Ziele sind der Schlüssel zu produktivem und motivierendem Arbeiten. Die Motivation der Mitarbeiter wird gestärkt, wenn sie an der Zielbildung mitwirken können und wenn die Ziele im Konsens vereinbart werden. Fremdbestimmte Ziele sind immer Anlass für Unzufriedenheit und Demotivation. Moderne und leistungsfähige Kommunikationstechnologien ermöglichen Unternehmen, überall auf der Welt zu investieren, die Produktion sowie den Ein- und Verkauf zu steuern und die dafür notwendigen Informationen zeitnah zu erhalten. Die für den wirtschaftlichen Erfolg in der Informationsgesellschaft entscheidenden Faktoren wie Motivation, Kreativität oder Zusammenarbeitsfähigkeit bergen die größten Produktivitätsreserven. Ausschlaggebend werden die Fähigkeiten der Menschen vor Ort sein, die Informationen richtig zu nutzen. Im Industriezeitalter ging es darum, effizient mit Rohstoffen umzugehen und die Produktivität von Maschinen zu steigern; im Informationszeitalter

10.1 Nucleus Accumbens

181

hängt der Erfolg wesentlich vom effizienten Umgang mit Informationen ab. Wo Informationsströme gestört sind und Meinungsverschiedenheiten in Machtkämpfe ausarten, geht Effizienz verloren, stagniert die Produktivität. Keine noch so weit entwickelte Hardware wird diesen Verlust ausgleichen können. Sog. „weiche Faktoren“ werden zu überlebenswichtigen Schlüsselqualifikationen. Dazu zählen: Menschenkenntnis, Kooperationsfähigkeit, Vertrauen, Kreativität, Rücksicht und Motivation. In den allgemeinbildenden Schulen, der Berufsausbildung, dem Studium und später am Arbeitsplatz erleben wir jedoch, dass Ich-Bezogenheit, Abgrenzung, Durchsetzungsvermögen und die Fähigkeit, andere zu Höchstleistungen zu motivieren (manipulieren), immer noch die bevorzugten Verhaltensmodelle sind.

10.1 Nucleus Accumbens Menschen sind von Natur aus motiviert, dafür sorgt ein äußerst effektives System im Gehirn. Dieses wird über den Botenstoff Dopamin aktiviert. Dopamine erfüllen verschiedene Funktionen. Unter anderem sind sie für die Bewertung von Reizen zuständig. Sie verleihen den Dingen um uns herum Sinn, Bedeutung und Wichtigkeit. Das durch Dopamine angetriebene Bewertungssystem motiviert uns zu Handlungen. Manchmal reicht schon ein freundlicher Blick oder ein freundliches Wort, um es zu aktivieren. Der Nucleus accumbens (lat.: nucleus = „Kern“ und lat.: accumbere = „sich hinlegen“, „Platz nehmen“, „beiwohnen“) ist eine Kernstruktur im unteren (basalen) Vorderhirn. Der Nucleus accumbens spielt eine zentrale Rolle im „Belohnungssystem“ des Gehirns sowie auch bei der Entstehung von Sucht. Das auch als „positives Belohnungssystem“ bezeichnete mesolimbische System ist stark in emotionale Lernprozesse eingebunden und entscheidend an der Entstehung der Emotion „Freude“ beteiligt. Aber auch zahlreiche Drogen entfalten ihre Wirkungen durch die Beeinflussung des mesolimbischen Systems, indem sie dort die Dopaminausschüttung direkt oder indirekt erhöhen. Zu diesem Aspekt wurden verschiedene Experimente durchgeführt. So wurden z. B. Affen für ein bestimmtes Verhalten mit süßem Saft belohnt. Nach einiger Zeit reichte den Affen allein die Ausführung des erlernten Verhaltens, um Glücksgefühle zu empfinden (operante Konditionierung). Der Nucleus accumbens bewertet Sinnesreize und schüttet Neurotransmitter aus. Diese verstärken die Signalübertragung – und wir empfinden Freude und Lust. Doch wozu dient dieser Mechanismus? Die Theorie des Neurowissenschaftlers Manfred Spitzer geht davon aus, dass Glücksgefühle der positiven Verstärkung von Lernprozessen dienen. „Der Nucleus accumbens springt immer an, wenn wir etwas lernen, was wir noch nicht wissen“, sagt der Neurowissenschaftler und Psychiater Manfred Spitzer. Das mesolimbische System fördert durch Glücksgefühle die Verstärkung bestimmter Verhaltensmuster, die mit Belohnungsmustern in Verbindung stehen. Es ist immer in Aktion, man kann es nicht abschalten. Es funktioniert nach dem Mechanismus der Belohnungserwartung. Die entscheidende Frage ist, in welchem Maße die Belohnung den Erwartungen entspricht bzw. entsprochen hat.

182

10

Motivieren

Diesbezüglich sind drei Zustände möglich: 1. Die Erwartungen werden voll erfüllt. Es gibt keine oder nur eine geringe Veränderung in der Ruheaktivität der dopaminergen Neurone. 2. Die Abweichung ist positiv, d.h: Die Belohnung fällt überraschenderweise höher aus als erwartet. In diesem Fall wird eine starke Aktivierung der Dopaminneurone ausgelöst. 3. Die Belohnung fällt geringer aus als erwartet oder bleibt ganz aus. Die Dopaminneurone reagiert gehemmt. Diese Eigenschaften dopaminerzeugender Neurone im Gehirn bilden eine wichtige Grundlage der Motivation, die man auch mit dem Begriff der Belohnungserwartung verbinden kann. Die erhaltene Belohnung stellt uns zufrieden. Aber das Nachlassen des Belohnungseffekts und das dadurch hervorgerufene Streben nach neuer Belohnung treibt uns voran – motiviert uns.

10.2 Flow oder die Freude am Tun Mihály Csíkszentmihályi beschrieb 1975 das Erlebnis des Flow. Der Zustand des Flow kann z. B. bei Kindern eintreten, die – selbstvergessen, spielerisch, explorativ und ganz in ihrem Tun versunken – einfache geometrische Objekte (Dreieck, Kreis, Quadrat) in ein Puzzle einfügen oder Wasser immer wieder von einem Gefäß in ein anderes umgießen. Diesen Handlungen können sich Kinder für erstaunlich lange Zeit hingeben und sich dabei völlig von ihrer Umwelt abschotten. Eine vergleichbare Versunkenheit findet sich auch bei Erwachsenen besonders deutlich beim Lesen von Büchern, beim Lösen abstrakter Problemstellungen (Mathematik, Schach), aber auch bei gärtnerischen, handwerklichen und anderen gestalterischen Tätigkeiten. Das Flow-Konstrukt stellt die „Freude am Tun“ und das positive Erleben in den Mittelpunkt seiner Theorie. Flow bezeichnet ein ganzheitliches, mehrere Komponenten umfassendes Gefühl des selbst- und zeitvergessenen Aufgehens in einer glatt laufenden Tätigkeit, die man trotz hoher Beanspruchung noch unter Kontrolle hat und meistern kann. Personen im Flow empfinden ein Gefühl der Zufriedenheit, während sie sich gleichzeitig auf ihrem höchsten Leistungs- und Konzentrationsniveau befinden. Flow kann entstehen, wenn diese Voraussetzungen gegeben sind: • Passung von Fähigkeiten und Anforderung • Eindeutigkeit der Handlungsstruktur Die Anforderungen und Fähigkeiten einer Person stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis. Empfindet man die Anforderungen einer Aufgabe für die eigenen Fähigkeiten als zu hoch, kann als Reaktion darauf ein Gefühl von Angst entstehen. Man möchte die Tätigkeit am liebsten vermeiden. Werden hingegen die Anforderungen im Verhältnis zu den Fähigkeiten als realistisch eingeschätzt, übt man die Tätigkeit mit Freude aus, und bei

10.2 Flow oder die Freude am Tun

183

fortgesetztem Gelingen stellen sich Gefühle von Zufriedenheit und Glück ein. Die Ausübung der Tätigkeit „fließt“ wie von selbst – das Gefühl des Flow wird erlebt. Die Passung von Fähigkeiten und Anforderung führt nur dann zu Flow, wenn beide Faktoren subjektiv überdurchschnittlich hoch ausgeprägt sind.

Flow

Anforderungen

Angst

Apathie

Langeweile

Fähigkeiten Abb. 10.1 Die Position des Flow zwischen Über- und Unterforderung

Die Pfeilspitzen in der Mitte der Grafik zeigen das durchschnittliche Anforderungs- und Fähigkeitsniveau einer Person an. Nur über diesem kritischen Punkt ist das Entstehen von Flow möglich. Überforderung führt zu Angst, Unterforderung hingegen zu Langeweile. Sind Anforderungen und Fähigkeiten zu niedrig, so entsteht kein Flow. Csíkszentmihályi nennt diesen Zustand „Apathie“.

10.2.1 Rahmenbedingen für das Entstehen von Flow Eindeutigkeit der Handlungsstruktur und der Handlungen Das Ziel einer Handlung und die Art und Weise ihrer Ausführung müssen klar sein, und Rückmeldungen über die Ausführung sollten unmittelbar erfolgen. Wenn umfangreiche Überlegungen über die Ziele einer Handlung und deren Anforderungen angestellt werden müssen, wäre die Konzentration auf die Aufgabe nicht mehr gegeben und demzufolge das Entstehen von Flow nicht mehr möglich.

184

10

Motivieren

10.2.1.1 Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein Der Agierende erlebt sich als Einheit mit der Handlung; er denkt weder über sein Handeln noch über sich als Person nach. Als Beispiel können Felskletterer genannt werden, die bei der Ausübung ihres Sports oft von einem Gefühl des Einsseins mit der Natur und dem Felsen berichten. Flow wird am häufigsten bei Aktivitäten mit klar festgelegten Regeln erlebt wie z. B. beim Spiel, der Ausführung eines Sports oder dem Musizieren. 10.2.1.2 Glatter, flüssiger Handlungsablauf Im Flow wird der Handlungsablauf als glatt und fließend erlebt. Ein Schritt geht in den nächsten über – einer inneren Logik folgend. Ohne nachdenken zu müssen, ist man in der Lage, die Handlung erfolgreich auszuführen. Das Niveau des Könnens im Hinblick auf die Anforderungen ist so hoch ausgeprägt, dass man trotz der Anstrengung in der Lage ist, sich selbst gewissermaßen von außen beobachtend wahrzunehmen. Ein Gefühl tiefer Zufriedenheit ist die Folge. Lassen Sie uns jetzt den Komplex Motivation in seiner Vielschichtigkeit untersuchen, uns für die Abgrenzung von Motivation, Manipulation und Motivierung sensibilisieren und erkennen, wie wir als Manager motivierend von den Mitarbeitern wahrgenommen werden können.

10.3 Übung: Definieren, was guttut und was nicht Suchen Sie einige Mitdenker, die gemeinsam mit Ihnen die folgenden Fragen erarbeiten und die Ergebnisse erörtern.

Motivation

Jeder für sich findet mindestens drei verschiedene Definitionen für den Begriff ,,Motivation“. Diskutieren Sie in ihrer Gruppe die unterschiedlichen Auffassungen, und einigen Sie sich auf die Ihrer Meinung nach beste Definition. 1. Definition:

2. Definition:

10.3 Übung: Definieren, was guttut und was nicht

3. Definition:

Faktoren der Eigenmotivation

Schildern Sie stichwortartig, worauf Ihre Eigenmotivation basiert. Nennen Sie auch die Faktoren, die geeignet sind, Ihre Eigenmotivation einzuschränken. Konzentrieren Sie sich dabei auf konkrete Beispiele. Versuchen Sie darzustellen, wie Ihre Eigenmotivation verstärkt werden kann. Diskutieren Sie Ihre Ergebnisse, falls Sie dies wünschen, mit Ihren „Mitdenkern“. Meine Eigenmotivation basiert auf:

Meine Eigenmotivation wird eingeschränkt durch:

Meine Eigenmotivation wird verstärkt durch:

Faktoren der Fremdmotivation

Beschreiben Sie nachfolgend mindestens fünf Einflussfaktoren, die in Ihrem beruflichen Alltag bei Ihnen Fremdmotivation auslösen. Unterscheiden Sie zwischen positiven und negativen Faktoren. Schildern Sie kurz die Auswirkungen auf Ihr Verhalten und zeigen Sie auf, was Ihrer Ansicht nach geändert werden müsste.

185

186

10

Motivieren

Einflussfaktoren positiv:

Einflussfaktoren negativ:

Das müsste mein(e) Vorgesetzte(r) ändern:

Das müsste ich hinsichtlich meines Verhaltens ändern:

Sie haben in der Übung den Begriff „Motivation“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet und sich für motivierende oder demotivierende Verhaltensweisen sensibilisiert. Um im Folgenden Missverständnisse auszuschließen, hier die Definitionen scheinbar verwandter Begriffe: 1. Motivation von eigenen (oder als eigen akzeptierten) Bedürfnissen angetriebenes, zielorientiertes Verhalten 2. Manipulation jemanden zu einem Verhalten bewegen, welches nicht mit seinen Zielen übereinstimmt; den anderen zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse missbrauchen 3. Motivierung intentionales Handeln eines Vorgesetzten oder das Angebot eines Anreizsystems (Incentives), dessen Basis Verdacht und Misstrauen ist, weil man davon ausgeht, dass der Mitarbeiter ohne zusätzliche Belohnung nicht die erforderliche Leistung bringt

10.3 Übung: Definieren, was guttut und was nicht

187

Werden die mit Zielen verbundenen Erwartungen behindert oder nicht erfüllt, führt dies zu Frustration (vgl. Abb. 10.2):

BedürfnisBefriedigung

Bedürfnis

BedürfnisSpannung

Frustration

Abb. 10.2 Spannungsfeld: Bedürfnis – Bedürfnisbefriedigung – Frustration

Aus Frustration kann Abwehrverhalten resultieren. Die häufigsten Formen sind: Rationalisierung – Suche nach Gründen für Misserfolg, die weniger egozerstörend bzw. leichter zu akzeptieren sind als die wirklichen Gründe. Verdrängung – Die Existenz negativer Erfahrungen oder Gefühle wird durch Verdrängung in das Unterbewusstsein geleugnet. Aggression – Angriff auf Objekt oder Subjekt, das als Quelle der Frustration angesehen wird (oder in Verschiebung auch auf andere Objekte oder Subjekte, die nicht Ursache der Frustration sind). Resignation – Rückzug auf passives Verhalten, die Dinge laufen lassen

10.3.1 Quellen der Motivation Die Grundhaltungen der Motivation werden unterschieden in die Einflussnahme von außen (extrinsisch) oder in die aus der eigenen Einstellung zur Tätigkeit resultierenden Haltung (intrinsisch). John Barbuto und Richard Scholl unterscheiden zwischen zwei intrinsischen und drei extrinsischen Quellen der Motivation. Die Autoren untersuchten die

188

10

Motivieren

bedeutendsten Motivationstheorien seit Abraham Maslow (1954) und entwickelten daraus das Konzept der „Fünf Quellen der Motivation“.1 Die fünf Quellen der Motivation (Prinzip des Motivation Sources Inventory)

Intrinsische Prozessmotivation

„Die Arbeit an sich macht einfach Spaß“

Internes Selbstverständnis

„Interne, subjektive Ideale und Werte“

Instrumentelle Motivation

„Mittel zum Zweck, Zwischenziel“

Intrinsisch

Quellen der Motivation

Extrinsisch

Externes Selbstverständnis Internalisierung von Zielen

„Anforderungen des Umfeldes oder Teams“ „Beitrag zum gemeinsamen Ziel“

Quelle: Institut für Management-Innovation, Prof. Dr. Waldemar Pelz

Abb. 10.3 Die fünf Quellen der Motivation nach Barbuto (Prinzip des Motivation Sources Inventory). Quelle: Institut für Management-Innovation, Prof. Dr. Waldemar Pelz

Fünf Motivationsquellen lassen sich nach Barbuto und Scholl wie folgt beschreiben.2 Intrinsische Motivation Die intrinsische Motivation liegt in der Identifikation mit der Aufgabe begründet. Beispiele für intrinsische Faktoren sind das Streben nach verantwortungsvollen und wichtigen Aufgaben, Entscheidungsfreiheiten, persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten und interessanten Arbeitsinhalten. Man möchte selbstbestimmt arbeiten, seine Kompetenzen einsetzen und seine Selbstwirksamkeit erleben. Sich in eine interessante Aufgabe vertiefen zu können, die Spaß bereitet, ist wichtiger als ein hohes Einkommen, Status oder Macht. Die Verwirklichung der eigenen Ziele und Werte stehen im Vordergrund. 1

John E. Barbuto, Richard W. Scholl: Motivation Sources Inventory: Development and Validation of New Scales to Measure an Integrative Taxonomy of Motivation. In: Psychological Reports. Band 82, Nr. 3, 1. Juni 1998, ISSN 0033-2941, S. 1011-–1022, doi: https://dx.doi.org/10.2466/ pr0.1998.82.3.1011 (sagepub.com [abgerufen am 4. April 2017]). 2 Nach dem englischsprachigen Fragebogen von J. E. Barbuto: Motivation and transactional, charismatic, and transformational leadership: a test of antecendents. In: Journal of Leadership and Organizational Studies. 2005, Vol. 11, No. 4.

10.3 Übung: Definieren, was guttut und was nicht

189

Interne Prozessmotivation (intrinsic process), Beispiel: Ein Musiker spielt mit Begeisterung auf seinem Instrument und übt ein Musikstück immer und immer wieder, bis er es in allen Details beherrscht. – Ein Sportler trainiert regelmäßig, um ein klar bestimmtes Leistungsziel zu erreichen. – Ein Kleinkind versucht das Laufen zu lernen, strauchelt hin und wieder, steht auf und versucht es erneut. Das Scheitern hemmt nicht die Motivation, sich immer wieder aufs Neue mit der Herausforderung auseinanderzusetzen. – Ob Leistungssportler, Musiker oder Kleinkind: Jeder gewinnt seine Motivation aus der Freude an selbstbestimmter Leistung und dem Erleben der eignen Kompetenz. Internes Selbstverständnis (internal self concept): Das Verhalten und die Werte dieser Personengruppe orientieren sich an internen Standards und Maßstäben. Sie haben, meist aus nicht mehr nachvollziehbaren oder unbewussten Gründen, eine Idealvorstellung als Leitlinie ihres Handelns verinnerlicht. Ob Musiker, Leistungssportler oder Kleinkind – alle möchten etwas nach ihren Vorstellungen bewirken. Bei dieser Quelle der Motivation ist das Leistungsmotiv besonders stark angeregt. Extrinsische Motivation Extrinsische Faktoren werden von Dritten, im betrieblichen Kontext also beispielsweise von Vorgesetzten oder der Personalabteilung, mit dem Ziel vorgegeben, jemanden zu einem gewünschten Verhalten zu motivieren. Als typische Beispiele lassen sich hier Gehaltserhöhungen, Belobigungen, Beförderungen, aber auch Bestrafungen wie Gehaltsreduzierung oder disziplinarische Maßnahmen nennen. Im Allgemeinen haben extrinsische Motivationsfaktoren einen stärkeren, aber kurzfristigeren Effekt, während intrinsische Faktoren eher eine langfristige Wirkung erzielen. Die Quellen der extrinsischen Motivation liegen in materiellen Anreizen und der Anerkennung durch das soziale Umfeld. Instrumentelle Motivation (instrumental motivation): Das Verhalten dieser Menschen ist im Wesentlichen geleitet von der Aussicht auf konkrete Vorteile oder Belohnungen von außen. Beispielsweise möchte der Musiker Geld verdienen, der Leistungssportler eine Medaille gewinnen und das Kleinkind seine Mobilität erhöhen. Diese Quelle der Motivation hat einen starken Bezug zum Machtmotiv. Externes Selbstverständnis (external self concept): Die Quelle des Selbstverständnisses und die Idealvorstellung kommen in diesem Falle primär aus der Rolle und den Erwartungen des Umfeldes. Der Musiker strebt für seinen musikalischen Vortrag nach dem Beifall der Zuhörer, der Leistungssportler möchte mit seinem Team Anerkennung erringen und das Kleinkind seinen Wirkungsradius und damit seine Lernmöglichkeiten steigern. Zu dieser Quelle der Motivation gehört das Zugehörigkeitsmotiv. Internalisierung von Zielen (goal internalization): Die Personen dieser Gruppe machen sich die Ziele der Organisation oder des Unternehmens zu eigen. Der Musiker will das Image seines Orchesters oder Ensembles fördern, der Leistungssportler für seinen Verein oder sein Land sein Bestes geben und das Kleinkind seine Zugehörigkeit zu weiterentwickelten Gruppen ermöglichen. Eine Kombination aus Zugehörigkeits- und Leistungsmotiven speisen diese Motivationshaltung.

190

10

Motivieren

10.4 Die menschliche Persönlichkeitsstruktur Menschen, die einer Vision und Zielen folgen, sind aus sich heraus motiviert. Sie bedürfen keiner Einflussnahme von außen; sie entwickeln Ziele und Maßnahmen zur Realisierung und handeln aus eigenem Antrieb. Menschen handeln aus zwei unterschiedlichen Ebenen ihres Bewusstseins heraus: dem Oberbewusstsein und dem Unterbewusstsein. Das Oberbewusstsein wird mit dem Denken assoziiert, während im Unterbewusstsein jene Triebe und Antriebe lokalisiert sind, die unser Verhalten nachhaltig beeinflussen. Antriebe treiben uns, etwas zu „wollen“. – Hierzu zählen beispielsweise der Selbsterhaltungs-, der Geschlechts- und Machttrieb, Habgier, Aggressionen usw. – Triebe hingegen sind Bedürfnisse (Hunger, Durst und Schlaf), deren Nichtbefriedigung zum Tode führt. Diese Kategorien menschlicher Bedürfnisse beeinflussen unser Verhalten: • physische Bedürfnisse – Hunger, Durst, Schlaf, Selbsterhaltungs- und Geschlechtstrieb • soziale Bedürfnisse – Kommunikation, Gruppenzugehörigkeit • psychische Bedürfnisse – Selbstwert- und Minderwertigkeitsgefühle, Drang nach Selbstverwirklichung Abraham Maslow3 hat die menschlichen Bedürfnisse in der nach ihm benannten „Bedürfnispyramide“ strukturiert. Er unterscheidet fünf Kategorien von Bedürfnissen, die sich von den niederen (physiologischen) zu den höheren (Selbstverwirklichung) entwickeln. Er geht davon aus, dass zwei Arten von Bedürfnissen das Leben des Menschen beeinflussen: Defizit- und Wachstumsbedürfnisse. Die hierarchische Anordnung verweist darauf, dass ein höheres Bedürfnis erst dann zum Mangel wird, wenn das vorgelagerte bereits befriedigt ist. Wesentliche Erkenntnisse dieses Modells sind: • Motivation kann als das Streben nach Befriedigung von Bedürfnissen interpretiert werden. • Bedürfnisse entwickeln sich hierarchisch. Erst wenn die physiologischen Existenzgrundlagen gegeben sind, werden die darübergelagerten Bedürfnisse stärker aktiviert. • Ein befriedigtes Bedürfnis wird nicht als motivierendes Bedürfnis empfunden. Dieser Ansatz von Maslow wird kritisiert, weil nicht eindeutig belegt werden kann, ob für alle Menschen die Reihenfolge der Bedürfnisklassen gleichermaßen zutrifft oder man nicht auch gleichzeitig mehr als ein unbefriedigtes Bedürfnis empfinden kann. Menschliches Verhalten ist komplexer, als die simplifizierende Darstellung Maslow’s suggeriert. 3

Maslow, Abraham Elijah (1. April 1908 – 8. Juni 1970), amerikanischer Psychologe, gilt als Begründer der Humanistischen Psychologie.

10.4 Die menschliche Persönlichkeitsstruktur

höhere Bedürfnisse (Selbstentfaltung)

niedere Bedürfnisse (physiologisch)

191

Selbstverwirklichungsbedürfnisse

Wachstumsbedürfnis

Bedürfnisse nach sozialer Akzeptanz, Wertschätzung (Status)

Defizitbedürfnis

Soziale Bedürfnisse Kontakt zu anderen Menschen, Liebe etc.

Sicherheitsbedürfnisse Existenzsicherung, Zukunfts-Vorsorge

Physiologische Bedürfnisse Essen, Trinken, Kleidung, Wohnung

Bedürfnispyramide (A. Maslow)

Abb. 10.4 Hierarchie der Bedürfnisse nach Abraham Maslow

10.4.1 Beweggründe menschlichen Verhaltens4 Der Mensch ist ein begehrendes Lebewesen. Sobald eines seiner Bedürfnisse befriedigt ist, tritt ein anderes an diese Stelle. Dieser Vorgang nimmt kein Ende. Der Mensch arbeitet, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. • Auf der untersten Stufe stehen die physiologischen Bedürfnisse. Wenn der Mensch regelmäßig und ausreichend isst, hört der Hunger auf, sich als Bedürfnis in den Vordergrund zu schieben. Der gesättigte Mensch hat nur so viel Hunger, wie eine volle Flasche Leere enthält. Das gleiche gilt für alle anderen physiologischen Bedürfnisse des Menschen nach Ruhe, Bewegung, Obdach, Schutz vor den Elementen. Ein befriedigtes Bedürfnis begründet kein Verhalten. Denken Sie an Ihren eigenen Bedarf an Luft. Außer wenn Sie keine Luft kriegen, hat dieser keine schätzbar motivierende Wirkung auf Ihr Verhalten. • Wenn die physiologischen Bedürfnisse vernünftig befriedigt sind, beginnen die Wünsche der nächsthöheren Stufe das Verhalten des Menschen zu bestimmen – ihn zum Handeln anzuspornen. Zu ihnen zählen die Sicherheitsbedürfnisse, der Schutz gegen Gefahr, Bedrohung, Beraubung. 4

Vgl. McGregor, Douglas: Der Mensch im Unternehmen, Hamburg, 1986, S. 29 ff.

192

10

Motivieren

• Wenn die physiologischen Bedürfnisse des Menschen befriedigt sind und er nicht länger um sein physisches Wohlergehen fürchten muss, steuern seine sozialen Bedürfnisse bedeutende Anreize für sein Verhalten bei. Bedürfnisse nach Besitz, nach Gesellschaft, nach Aufnahme bei seinesgleichen, nach Geben und Nehmen von Freundschaft und Liebe. • Über den sozialen Bedürfnissen stehen Bedürfnisse, die für das Management und für den Menschen selbst von größter Bedeutung sind. Es sind die individualistischen Bedürfnisse. Und davon gibt es zwei Arten: jene, die sich auf seine Selbsteinschätzung beziehen (das Trachten nach Selbstachtung und Selbstvertrauen, nach Selbständigkeit, nach Leistungsbestätigung, nach Können und Wissen) und jene, die seinen Ruf betreffen (das Trachten nach einem bestimmten Status, nach Anerkennung, nach Wertschätzung, nach dem verdienten Respekt unter seinesgleichen). Im Unterschied zu den niedrigeren Bedürfnissen werden die individualistischen selten gestillt: Man trachtet nach immer mehr, sobald sie einmal für einen Menschen wichtig geworden sind. • Den Schlussstein in dieser Hierarchie bildet das Bedürfnis nach Selbstentfaltung. Der Mensch, dessen tiefere Bedürfnisse befriedigt sind, ist nicht motiviert, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Praktisch existieren sie nicht länger. Das Management fragt oft: „Warum sind die Mitarbeiter nicht produktiver? Wir zahlen gute Löhne, verschaffen gute Arbeitsplätze, haben ausgezeichnete Sozialleistungen und ständige Beschäftigung. Doch die Leute scheinen nicht willens zu sein, mehr als das Minimum an Leistung zu zeigen.“ Man braucht sich nicht weit nach den Gründen umzuschauen. Die Tatsache, dass das Management für die physiologischen und die Sicherheitsbedürfnisse gesorgt hat, hat den Schwerpunkt der Motivation auf die sozialen und die Ego-Bedürfnisse verlagert. Wenn sich bei der Arbeit keine Gelegenheiten bieten, diese höhergelagerten Bedürfnisse zu befriedigen, werden die Mitarbeiter das in ihrem Verhalten widerspiegeln. Das bloße Locken mit Entgelt wird zur Unwirksamkeit verurteilt. Die Leute werden ein ständiges Verlangen nach mehr Geld äußern. Obwohl Geld nur einen begrenzten Wert hat, die Bedürfnisse höherer Gattung zu stillen, kann es im Brennpunkt des Interesses liegen, wenn es das einzig dazu verfügbare Mittel ist.

10.4.2 Die Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg5 Neben der Maslow’schen Bedürfnispyramide wird in der Management-Literatur häufig auch das Motivationsmodell von Herzberg erwähnt.6 Ausgangspunkt der Entwicklung dieses Modells waren Tiefeninterviews mit Arbeitern und Angestellten aus U.S.amerikanischen Firmen. In diesen sollten Ereignisse aus dem eigenen Arbeitsumfeld geschildert werden, die als besonders befriedigend bzw. als besonders unbefriedigend empfunden wurden. Die Analyse der rund 4.000 Interviews zeigte, dass bestimmte arbeitsbe5

Vgl. Steinmann/Schreyögg: „Management – Grundlagen der Unternehmensführung“, 3. überarbeitete Auflage, Wiesbaden, Gabler, 1993, S. 480–483. 6 Vgl. Herzberg, F./Mausner, B./Snyderman, B.D.: „The motivation to work“, 2. Aufl., New York 1967.

10.4 Die menschliche Persönlichkeitsstruktur

193

zogene Faktoren zur Zufriedenheit der Arbeitnehmer beitragen, während andere Faktoren Unzufriedenheit hervorrufen. Herzberg leitet daraus die Vorstellung ab, dass Zufriedenheit und Unzufriedenheit nicht als Extrempunkte eines Kontinuums gesehen werden sollten, sondern vielmehr als zwei voneinander unabhängige Dimensionen. Unzufriedenheit wird durch (externe) Faktoren der Arbeitsumwelt (die sog. „dissatisfiers“) hervorgerufen. Die wichtigsten „dissatisfiers“ waren: Personalpolitik und Personalverwaltung (Urlaubsplanung, Beschwerdewege, Leistungsbeurteilungsverfahren usw.), Status, fachliche Kompetenz des Vorgesetzten, Beziehung zu Vorgesetzten, zu Kollegen und Mitarbeitern, Arbeitsplatzverhältnisse, Arbeitssicherheit, Entlohnung u. a. Eine ausreichende Berücksichtigung dieser Faktoren hat lediglich das Ausbleiben von Unzufriedenheit, nicht aber ein Sich-Einstellen von Zufriedenheit zur Folge. Zufriedenheit kann nur über Faktoren erreicht werden, die sich auf den Arbeitsinhalt beziehen. Als die wichtigsten „satisfiers“ („Motivatoren“) erwiesen sich Leistungs- und Erfolgserlebnisse, Anerkennung für geleistete Arbeit, die Arbeit selbst, Verantwortung, Aufstieg und die Möglichkeit zur Persönlichkeitsentfaltung. Die Entlohnung kann kurzfristig durchaus zu einer höheren Zufriedenheit beitragen, entfaltet allein jedoch keine dauerhafte Motivationswirkung. Herzberg zog hieraus den Schluss, dass nur solche Faktoren eine wirkliche Motivationskraft freisetzen können, die sich auf den Arbeitsinhalt und auf die Befriedigung persönlicher Wachstumsmotive beziehen. Ohne diese Faktoren kann sich keine wirkliche Zufriedenheit einstellen. Herzbergs Ansatz ist vielfach kritisch beurteilt worden,7 ohne dass dies seiner Popularität Abbruch getan hätte.8 Trotz dieser Kritik bleibt es das Verdienst der Herzberg’schen Theorie, in der Managementlehre einen dramatischen Wandel im Anreizdenken herbeigeführt zu haben. Die Perspektive der intrinsischen Motivation rückte in den Vordergrund und machte den Weg frei für ein neues Vorgesetzten-Verhalten und für neue Wege der Arbeitsorganisation. Wie können Herzbergs Erkenntnisse in der Praxis zur Steigerung der Motivation und Zufriedenheit beitragen? Durch die folgenden Arbeitsgestaltungsmaßnahmen können der Handlungsspielraum und damit auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter nachhaltig erhöht werden. Job Rotation Job Rotation bildet eine horizontale Arbeitserweiterung und hat planmäßige, regelmäßige Arbeitsplatzwechsel (räumlich wie inhaltlich) innerhalb derselben Hierarchieebene zur Folge. Durch Job Rotation kann die Monotonie der Arbeitsprozesse eingeschränkt, die Flexibilität der Mitarbeiter und deren fachliche Qualifikation gesteigert werden. 7

Vgl. Kind, N.: „Classification and evaluation of the two factor theory of job satisfaction“; in: Psychological Bulletin 74 (1970), S 18-31. 8 Die Kritik entzündet sich in erster Linie an der Untersuchungsmethodik: Kontrolluntersuchungen haben gezeigt, dass das Zwei-Faktoren-Modell nur dann wiederholbar ist, wenn die Herzberg’sche Methode unmodifiziert verwendet wird. Ein weiteres Argument richtet sich gegen die unscharfe Abgrenzung der Faktoren und ihre Zuordnung; so kann Gehalt etwa zur Sicherheit beitragen, als Statussymbol dienen und/oder Anerkennung für herausragende Leistung (= Motivator) sein.

194

10

Motivieren

Job Enlargement Im Rahmen von Job Enlargement wird das Aufgabenfeld des Mitarbeiters innerhalb derselben Arbeits- oder Hierarchieebene erweitert. Ziel ist, vielfältige Arbeitsinhalte und mehr Verantwortung zu übertragen sowie die Produktivität zu steigern. Herzberg selbst ersetzt die Begriffe Job Enlargement bzw. Aufgabenerweiterung durch den Begriff horizontales Job Loading. Er steht dem horizontalen Job Loading eher kritisch gegenüber. So gibt nach seiner Auffassung Arbeitsbereicherung den Mitarbeitern die Gelegenheit, geistig zu wachsen, wohingegen bloße Arbeitserweiterung die Aufgabe nur strukturell ausdehnt. Herzberg führt folgendes (negatives) Beispiel für horizontales Job Loading an: „Hat ein einzelner Mitarbeiter bisher 10.000 Muttern pro Tag festgezogen, soll er nun versuchen, sich auf 20.000 zu steigern.“9 Job Enrichment Im Falle von Job Enrichment wird das Aufgabengebiet eines Mitarbeiters einer bestimmten Ausführungsebene durch die Übertragung von Führungsaufgaben erweitert. Damit erfährt die Stelle eine qualitative Aufwertung. Eine Ausprägung von Job Enrichment stellen beispielsweise auch teilautonome Arbeitsgruppen dar. Die Ansätze von Maslow und Herzberg im Vergleich:10 Maslow

Herzberg

Selbstverwirklichung

-

Wertschätzungsbedürfnisse

- Aufstieg - Anerkennung für geleistete Arbeit - Status

Soziale Bedürfnisse

Interpersonale Beziehungen zu - Vorgesetzten - Kollegen - Mitarbeitern - technische Kompetenz des Vorgesetzten

Arbeit selbst personales Wachstum Leistungs- und Erfolgserlebnis Verantwortung Motivatoren

Hygienefaktoren Sicherheitsbedürfnisse

- Personalpolitik und -verwaltung - Arbeitssicherheit - Gehalt

Physiologische Bedürfnisse

- Arbeitsbedingungen

Abb. 10.5 Motivatoren und Hygienefaktoren 9

Vgl. Herzberg, Frederick: Was Mitarbeiter in Schwung bringt. In: Harvard Business Manager, Heft April 2003, S. 50–62. 10 In Anlehnung an Davis, K.: „Human relations at work“, New York 1967, S. 37.

10.4 Die menschliche Persönlichkeitsstruktur

195

10.4.3 Die Theorie X und Y von McGregor Motivation kann definiert werden als ein Prozess, in dem von Bedürfnissen hervorgerufene menschliche Energie auf ein Ziel gelenkt wird. In diesem Zustand wird der Mensch durch innere oder äußere Einflüsse angeregt, einen Antrieb zum Handeln zu entwickeln. Man spricht von extrinsischer Motivation (von außen durch Belohnung oder Bestrafung) oder von intrinsischer Motivation (Einfluss von innen, aus sich selbst heraus). Weit verbreitet ist die Überzeugung, dass Unternehmen oder Führungskräfte ihre Mitarbeiter durch geeignete Anreize motivieren müssten. Die Frage der Motivierungstechniker lautet: „Wie bekomme ich die ganze Arbeitskraft meiner Mitarbeiter?“ Man geht von der Annahme oder Überzeugung aus, der Mensch an sich sei faul und träge und müsse ständig zur Arbeit angehalten werden. Eigentlich sind alle Menschen potentielle Betrüger. Sie wollen sich nicht zu 100 % einsetzen. Sie betrügen ihren Arbeitgeber um einen Teil der Arbeitsleistung, die er bezahlt. Als einer der bedeutendsten Vertreter der humanistischen Organisationslehre hat McGregor vor dem Hintergrund der Maslow’schen Motivationstheorie eine idealtypische Gegenüberstellung skizziert, die verschiedene Annahmen/ Folgerungen über die zu führenden Mitarbeiter in einer Organisation beinhaltet. Demzufolge existieren zwei unterschiedliche Auffassungen über die Arbeitsbereitschaft des Menschen. McGregor hat sie in seiner Publikation „Theorie X: Die traditionellen Ansichten über Führung und Lenkung“ (McGregor, Douglas: „Der Mensch im Unternehmen“, McGraw-Hill Book Company GmbH, Hamburg, 1964, S. 25–37) als die Theorien X und Y bezeichnet: Theorie X • Der Durchschnittsmensch hat eine angeborene Abneigung gegen Arbeit und versucht ihr aus dem Weg zu gehen, wo er nur kann. • Weil der Mensch durch Arbeitsunlust gekennzeichnet ist, muss er zumeist gezwungen, gelenkt, geführt und mit Strafe bedroht werden, um ihn mit Nachdruck dazu zu bewegen, das vom Unternehmen gesetzte Soll zu erreichen, da nicht einmal das Versprechen einer Entlohnung dafür ausreicht. • Der Durchschnittsmensch zieht es vor, an die Hand genommen zu werden, möchte sich vor Verantwortung drücken, besitzt verhältnismäßig wenig Ehrgeiz, ist vor allem auf Sicherheit aus und möchte sich wie die Mehrheit der Menschen verhalten. Theorie Y • Die Verausgabung durch körperliche und geistige Anstrengung beim Arbeiten kann als ebenso natürlich gelten wie beim Spielen. Dem Durchschnittsmenschen ist Arbeitsscheu nicht angeboren. Vielmehr kann die Arbeit sowohl Befriedigung als auch Enttäuschung hervorrufen.

196

10

Motivieren

• Von anderen überwacht und mit Strafe bedroht zu werden, ist nicht das einzige Mittel, jemanden zu bewegen, sich für die Ziele des Unternehmens einzusetzen. Zugunsten von Zielen, denen er sich verpflichtet fühlt, wird sich der Mensch der Selbstdisziplin und Selbstkontrolle unterwerfen. • Wie sehr er sich Zielen verpflichtet fühlt, ist eine Funktion der Belohnungen, die mit ihrem Erreichen verbunden sind. Die bedeutendste solcher Belohnungen – die Möglichkeit, Bedürfnisse der Persönlichkeit und ihrer Entfaltung zu befriedigen – kann aus den Bemühungen um die Ziele des Unternehmens herrühren. • Der Durchschnittsmensch lernt, unter geeigneten Bedingungen Verantwortung nicht nur zu übernehmen, sondern gar zu suchen. Flucht vor Verantwortung, Mangel an Ehrgeiz und Drang nach Sicherheit sind im Allgemeinen Folgen schlechter Erfahrungen, nicht angeborene menschliche Eigenschaften. • Die Anlage zu einem verhältnismäßig hohen Grad von Vorstellungskraft, Urteilsvermögen und Erfindungsgabe für die Lösung organisatorischer Probleme ist in der Bevölkerung weit verbreitet und nicht nur hier und da anzutreffen. • Die intellektuellen Fähigkeiten des Durchschnittsmenschen werden nur teilweise genutzt. Die Folgerungen aus diesen Voraussetzungen der „Theorie Y“ für die Führungsstrategie sind von jenen der „Theorie X“ scharf zu unterscheiden. Sie sind eher dynamisch als statisch: Sie zeigen die Möglichkeiten zu menschlichem Wachstum und Vervollkommnung auf. Die Grenzen der menschlichen Zusammenarbeit in organisatorischen Gebilden sind nicht Grenzen der menschlichen Natur. Wenn Mitarbeiter träge, gleichgültig, verantwortungsscheu, stur und einfallslos sind und nicht zusammenarbeiten wollen, liegt das gemäß der „Theorie Y“ an den Methoden der Organisation und der Steuerung, die das Management anwendet. Ein an der „Theorie Y“ orientierter Führungsstil muss Bedingungen dafür schaffen, • dass die Ziele der Mitarbeiter mit denen des Unternehmens im Einklang stehen und mit den organisatorischen Erfordernissen des Unternehmens harmonisiert werden. Das zentrale Prinzip der „Theorie Y“ heißt Integration, die Schaffung solcher Bedingungen, unter denen die Mitglieder der Organisation ihre Anstrengungen so ausrichten, dass sie ihre eigenen Ziele im Rahmen des Unternehmens erreichen können. Mitarbeiter müssen in der Lage sein, den Wunsch zu entwickeln, gute Arbeitsergebnisse zu erzielen. Genauer gesagt, sie müssen in die Lage versetzt werden, diesen Wunsch zu besitzen und in die Tat umzusetzen. In diesem Zusammenhang spielen Angebote von Geld – und manchmal auch von Macht – eine nicht zu unterschätzende Rolle. Zunehmend wichtiger werden allerdings, wie man erkannt hat, „immaterielle“ Anreize, die „intrinsisch“ genannt werden: Anreize, die mit der Tätigkeit selbst verknüpft sind. Um solche Anreize wirksam werden

10.4 Die menschliche Persönlichkeitsstruktur

197

zu lassen, muss man den Menschen Selbständigkeits- und Selbstverantwortungschancen anbieten, muss ihnen die Arbeit „interessant“ und „sinnvoll“ erscheinen. Die Vorgesetzten müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich eine individuelle Arbeitsmotivation entfalten kann. Das Unternehmen wird in dem Maße leistungsfähiger, in dem die persönlichen Wünsche und Ziele seiner Mitarbeiter berücksichtigt werden. Zu den extrinsischen Arbeitsmotiven zählen das Bedürfnis nach Entlohnung und die damit zusammenhängenden individuellen Konsumziele, finanzielles Sicherheitsstreben, der Wunsch, durch die berufliche Tätigkeit sowohl innerhalb der Organisation als auch im Kreise der Freunde, Bekannten und Nachbarn „etwas zu gelten“. Die Erbringung einer Leistung bedingt drei Voraussetzungen: • Leistungsbereitschaft • Leistungsfähigkeit • Leistungsmöglichkeit Die Leistungsbereitschaft fällt in die Verantwortung des Mitarbeiters. Natürlich nimmt auch die Führungskraft Einfluss auf die Leistungsbereitschaft des Mitarbeiters. Die Motivation des Mitarbeiters wird dadurch beeinträchtigt, dass die Führungskraft seine Leistungsbereitschaft in Zweifel zieht und versucht, anzustacheln und zu motivieren. Motivierungsversuche bedienen sich der Mittel wie z. B. Bedrohung, Bestrafung, Bestechung, Belohnung und Belobigung. Jegliches Motivieren erreicht das Gegenteil, es fördert nicht die Grundhaltung des Motiviertseins, es zerstört sie. Je größer die Mittel des extrinsischen Motivierungsrepertoires sind, desto tiefer sinkt früher oder später die Arbeitsmoral. Obwohl die Kenntnis und Berücksichtigung der geschilderten motivationspsychologischen Zusammenhänge nachhaltig zur Stärkung der Eigenverantwortung und Motivation führen, setzen Führungskräfte nach wie vor auf Boni und andere Belohnungsprogramme (Incentives), um die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter zu optimieren. Das Festhalten an scheinbar Bewährtem, ein erheblicher Mangel an Selbstreflexion und die fehlende Einsicht, sich weiter entwickeln und verändern zu müssen, sind ursächlich dafür, dass man in vielen Unternehmen inkompetente Führungskräfte antrifft, deren Karrieren weniger auf ihre herausragenden Leistungen gegründet sind, sondern vielmehr auf ihre Fähigkeit, sich stromlinienförmig in die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Vorgesetzten einzupassen. Die Leistungsbereitschaft und die Fähigkeit zur sozialen Integration eines Mitarbeiters werden wesentlich von seinem Ich-Verständnis und seinem Selbstwertgefühl bestimmt.

10.4.4 „Es“, „Ich“ und „Über-Ich“ Der Mensch lebt – bildlich gesprochen – in drei verschiedenen Motivationsebenen. Die erste Ebene ist das Es. Das Es ist ein von Sigmund Freud eingeführter Sammelbegriff für alles, was im Unterbewusstsein beheimatet ist: die Triebe, die Antriebe, das Verdrängte, die Aggressionen etc.

198

10

Motivieren

Das Ich etabliert sich etwa ab dem dritten Lebensjahr als selbständige Instanz. Von diesem Zeitpunkt an empfindet man als Individuum und damit als Persönlichkeit, die Distanz zur Umwelt hat. Die dritte Instanz, das Über-Ich, ist ein ebenfalls von S. Freud geprägter Begriff, der die Summe aller Gebote und Verbote umschreibt, die das Leben/die Lebensführung eines Menschen prägen. Diese Ge- bzw. Verbote sind zurückführbar auf die ethischen Gebote, in der Regel durch die Religion vermittelt, die moralischen Gebote, die sich die Gesellschaft auferlegt hat, um das Zusammenleben in geordneten Konventionen ablaufen zu lassen, und Gesetze mit Strafandrohung. Wenn wir uns die Anordnung der Ich-Zustände bildlich vorstellen (Es – Ich – ÜberIch) zeigt sich, dass das „Ich“ zwischen den beiden anderen Ebenen steht, gewissermaßen als Pufferzone. Das Ich hilft, Wünsche hinauszuschieben, sie auf andere Ziele auszurichten oder auf ihre Erfüllung zu verzichten. Dieser Verzicht wird dem Menschen durch einen Vorgang erleichtert, den man als Internalisierung („Verinnerlichung“) bezeichnet. Die Konfrontation mit den Konsequenzen der Ge- und Verbote bringt uns dazu, nicht erlaubte Handlungen zu unterlassen und unsere Energie auf andere Ziele zu lenken. Dieser Vorgang veranlasst uns, das Verbotene „freiwillig“ zu unterlassen. Ähnliches vollzieht sich bei der Erziehung eines Kindes. Die Eltern vermitteln ihm die Ge- und Verbote des Über-Ichs. Durch die ständige Wiederholung und die Verstärkung bzw. Abschwächung des kindlichen Verhaltens durch Lob oder Tadel wird das Es bis zu einem gewissen Grad unterdrückt. Da das Ich einerseits vom Es und andererseits vom Über-Ich bedrängt wird, Ansprüchen des sozialen Umfeldes ausgesetzt ist, ständig mit Konflikten konfrontiert wird und Entscheidungen von ihm erwartet werden, haben viele Menschen Schwierigkeiten, ein starkes Ich zu entwickeln. Das Ich und das Selbstwertgefühl sind auf das Engste miteinander verbunden.

10.4.5 Selbstwertgefühl Zentrales Anliegen eines jeden Menschen ist es, soziale Akzeptanz zu erlangen und somit das Selbstwertgefühl zu stärken. Alles, was wir tun oder unterlassen, dient diesem Ziel. Ist das Selbstwertgefühl angegriffen oder schwach entwickelt, kann sich dies äußern in • einer übermäßigen Abhängigkeit von der Umgebung („Ja-Sager“ ohne eigene Meinung und ohne Initiative) • einem quälenden Verlangen nach Sicherheit (keine Experimente, kein Risiko) • einem krankhaften Geltungsbedürfnis und der Jagd nach Erfolgen. Das Selbstwertgefühl ist ein sehr komplexes Gebilde. Es speist sich aus verschiedenen Quellen. Das Zusammenwirken der folgenden Aspekte stärkt bzw. schwächt das Selbstwertgefühl (vgl. Abb. 10.6).

10.4 Die menschliche Persönlichkeitsstruktur

optimales Verhältnis Ich / Ideal-Ich

Wertschätzung von anderen erfahren

angepasste Aggressivität

199

Übereinstimmung mit dem Gewissen

Erfolge aus der Arbeit

erotisch-sexuelle Befriedigung

Selbstwertgefühl Abb. 10.6 Aspekte, die das Selbstwertgefühl beeinflussen

Voraussetzungen für die Entwicklung eines stabilen Selbstwertgefühls sind u. a.: • ein optimales Verhältnis zwischen Ich und Ideal-Ich. Das Ideal-Ich wird uns u. a. von den Eltern vermittelt, ebenso wie das Über-Ich. Wenn Personen als vorbildlich oder ideal hingestellt werden und sich mit ihnen erstrebens- und nachahmenswerte Eigenschaften und Verhaltensweisen verbinden, dann formt sich unser Ideal-Ich – wir wären gern wie diese Personen. • Übereinstimmung mit dem Gewissen. Das Gewissen formt sich aus der gesellschaftlich akzeptierten Moralvorstellung und wird uns als Bestandteil des Über-Ichs in der Familie vermittelt. Im Laufe des Erziehungsprozesses bildet sich die Persönlichkeit und mit ihr das, was eine Person als ihr Gewissen empfindet. Je mehr ein Mensch mit sich und seinem Gewissen im Reinen ist, desto unabhängiger wird er von dem, was andere über ihn denken. Diese freiwillige Normierung seiner Verhaltensweisen behält er lebenslang bei, falls ihn nicht gravierende Fakten oder Erlebnisse zur Änderung bewegen. • Erfolge aus der Arbeit und das Erfahren von Wertschätzung durch andere hängen zusammen. Es genügt dem Menschen nicht, nur zu arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Aus diesem Grund allein vollbringt er keine besonderen Leistungen, sondern er will die soziale Akzeptanz seines Umfelds spüren. Dieses Akzeptanzstreben ist die Triebfeder menschlichen Handelns schlechthin. Wird diese Anerkennung vorenthalten, hat das negative Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl. • Die angepasste Aggressivität. Der Mensch ist ein lebendes Energiepotenzial. Dieses Potenzial nutzen wir aufgrund unserer heutigen Lebens- und Arbeitsbedingungen

200

10

Motivieren

nur zu einem geringen Teil. Es besteht permanent ein sog. Triebüberschuss, der jederzeit in Aggressivität umschlagen kann. In größeren Menschenansammlungen, bei Sportveranstaltungen, Demonstrationen oder in Paniksituationen erleben wir solche „Triebentladungen“ immer wieder. Nur durch Selbstdisziplin und Erziehung lernen wir, mit dieser latenten Aggression sozialverträglich umzugehen. Die Entwicklung des Selbstwertgefühls bedarf der Rückmeldung, der Resonanz durch unsere Mitmenschen. In sozialer Isolation können Persönlichkeitsstrukturen verfallen und sich zurückentwickeln. Wir wünschen uns, rational und kontrolliert vorgehen zu können, alle Herausforderungen wohlüberlegt und planvoll zu bewältigen. Tatsächlich aber sind wir in hohem Maße von unseren Gefühlen bestimmt. Die Emotionen befähigen uns, Signale aus der Umwelt aufzunehmen, mit unserem Wertesystem abzugleichen und unsere davon bestimmten Ansichten und Gefühle anderen mitzuteilen. Wir erleben im positiven Fall Stimmungen wie Lust, Glück, Hoffnung, Zuversicht, Vertrauen usw. Im negativen Fall empfinden wir Stimmungen wie Frust, Trauer, Verzweiflung, Misstrauen oder Furcht. Je nachdem, welchen Stimmungslagen wir im Laufe unserer Entwicklung überwiegend ausgesetzt sind, tendieren wir zu einer optimistischen oder pessimistischen Grundeinstellung. Wie stark wir von Gefühlen geleitet werden, zeigt sich bei der vermeintlich objektiven Beurteilung von Ereignissen. Polizisten, die Verkehrsunfälle aufzunehmen haben, kennen das Phänomen: Jeder Zeuge hat seine eigene Sicht des Geschehens. Die Auswirkungen des Selbstwertgefühls auf das Verhalten einer Person Das Selbstwertgefühl ist von zentraler Bedeutung für die Entfaltung der Persönlichkeit und für die Beeinflussung von Verhalten. Die Frage „Wer bin ich, wie sehen mich die anderen?“ beschäftigt uns bewusst oder unbewusst ständig. Wir legen unsere eigenen Normen, Regeln und Wertvorstellungen zugrunde, und jede Abweichung davon werten wir als eine Verletzung oder einen Angriff auf unser Selbstwertgefühl. Wir reagieren darauf u. a. mit Rückzug und Gegenangriff bei momentaner Verletzung des Selbstwertgefühls und einer, meist unbewussten, Dauerverteidigung. Unser Problem beim Umgang mit anderen besteht häufig darin, dass wir nicht wissen, wie deren Selbstwertgefühl aussieht, und verletzen es daher unwillentlich. Abwehrreaktionen werten wir dann als Angriff auf unser eigenes Selbstwertgefühl, und somit beginnt ein negativer Kreislauf. Die meisten Versuche, andere von etwas zu überzeugen, scheitern daran, dass wir unsere eigenen Wertvorstellungen über die der anderen stellen und versuchen, diese durchzusetzen. Dies bringt uns zwangsläufig in Konflikt mit den Wertvorstellungen unseres Gegenübers und stellt einen Angriff auf dessen Selbstwertgefühl dar (o. ä.).

10.4 Die menschliche Persönlichkeitsstruktur

201

Das Gewissen

Das Selbstbild

Regeln, Normen Kriterien

Real: Wie bin ich? Ideal: Wie sollte ich sein?

Das Selbstwertgefühl

= die Summe der Gefühle über sich selbst Wir streben ständig danach, die in uns liegenden Bilder und Vorstellungen mit der Umwelt in eine angenehme Balance zu bringen. Zu diesem Zweck benutzen wir eine oder mehrere von drei möglichen Verhaltensstrategien: 1. bewahrendes, schützendes Verhalten 2. verteidigendes, angreifendes Verhalten 3. vergrößerndes Verhalten

Das Bedürfnis nach Wertschätzung

Das Bedürfnis nach Anerkennung

Motiv: Sicherheit

Trieb nach Wachstum

Abb. 10.7 Die Bedeutung des Selbstwertgefühls für die Verhaltenssteuerung

Im Falle angegriffenen Selbstwertgefühls sind häufig folgende Reaktionsmuster zu beobachten: • Gegenangriff (Flucht nach vorn): „Was Sie sagen, stimmt nicht! Sie haben ja selbst auch schon Fehler gemacht. Gegen Ihre Behauptung verwehre ich mich ganz energisch.“ • Entschuldigung (Versuch, dem Angriff auszuweichen): „Das liegt daran, dass . . . (Zug hatte Verspätung, Überarbeitung, die anderen haben Schuld, vorgeschobene Krankheit o.ä.).“ • Unterwerfung (Angst vor einem neuen, verstärkten Angriff): „Ja, da haben Sie natürlich völlig Recht [denkt genau das Gegenteil]. Der Fehler wird mir bestimmt nicht mehr unterlaufen.“ • scheinbare Zustimmung (Versuch, Zeit für einen Gegenangriff zu gewinnen): „Ihre Gedanken finde ich sehr interessant [‚Warte nur, dir werde ich es schon zeigen‘]“ oder: „Hm, ja, so habe ich das noch gar nicht gesehen [‚Was für ein Blödsinn!‘].“

202

10

Motivieren

Zusammenfassung

Der Mensch bewegt sich – bildlich gesprochen – ständig in drei Ich-Zuständen, dem „Es“, dem „Ich“ und dem „Über-Ich“. Das „Es“ und das „Über-Ich“ widersprechen einander: Fast immer, wenn das „Es“ etwas „will“, verbietet ihm dieses das „ÜberIch“. Das „Ich“ steht zwischen beiden und muss überdies noch die Erwartungen der Umwelt verarbeiten. Ob man ein „gesundes Ich“ entwickeln kann, hängt im Wesentlichen von dem sozialen Umfeld ab, das in den ersten Kindheitsjahren erlebt wird. Ein „gesundes Ich“ äußert sich in einem ausgeprägten Selbstwertgefühl. Soziale Akzeptanz ist die zentrale Instanz, die Triebfeder unseres Handelns. Um ein „gesundes“ Selbstwertgefühl entwickeln zu können, müssen diese Voraussetzungen erfüllt sein: • ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Ich und Ideal-Ich • Übereinstimmung mit dem eigenen Gewissen • Erfolg aus der Arbeit • die Wertschätzung anderer • eine angepasste Aggressivität Ein Mensch kann sein Selbstwertgefühl nicht ohne die Resonanz seiner Mitmenschen aufbauen. Wir bedürfen deshalb der ständigen Kommunikation mit anderen. Emotionen beeinflussen maßgeblich unsere Wahrnehmungen, Beurteilungen und Entscheidungen. Die Bedeutung des Selbstwertgefühls und der Beziehungsebene werden häufig außer Acht gelassen. Das ist gefährlich, denn erst wenn die emotionalen Belange geklärt sind, kann in der Sache weiter vorangegangen werden, ansonsten überlagert das negativ tangierte Selbstwertgefühl jegliches Denken und blockiert die Leistungsbereitschaft. Führungskräfte, die achtlos auf dem Selbstwertgefühl der Mitarbeiter herumtrampeln z. B. durch die vielen kleinen Gesten des Nichtbeachtens oder durch grobe Wortwahl, sind oftmals selbst sehr dünnhäutig. Wehe, man bringt ihnen nicht genügend Respekt entgegen, dann werden sie ungemütlich. Sie verstecken ihr gering ausgeprägtes Selbstwertgefühl hinter der Fassade des knallharten Managers. Ob als Mitarbeiter, als Kunde oder als Vorgesetzter – wir müssen uns stets der Tatsache bewusst sein, dass wir nur dann von den anderen gehört werden, nur dann bei ihnen etwas erreichen, wenn wir sie als Person respektvoll behandeln, auf Augenhöhe kommunizieren und unser Handeln jederzeit reversibel ist.

10.5 Vision und Vertrauen – Glaube versetzt Berge

203

10.5 Vision und Vertrauen – Glaube versetzt Berge In 180 Sekunden machen wir uns ein Bild von einer Person, die wir gerade kennengelernt haben. Unbewusst wird sie in dieser Zeitspanne von uns bewertet und eingeordnet. Diesen ersten Eindruck zu ändern ist sehr schwierig. Wir verhalten wir uns fortan so, dass möglichst viele unserer Annahmen sich bewahrheiten. Wir sprechen auch von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Die Wirkungsmechanismen der sich selbst erfüllenden Prophezeiung und der Manipulation unseres Urteilsvermögens durch ungeprüft übernommene Informationen zu erkennen, die Fähigkeit zu entwickeln, vorschnellen Beurteilungen zu widerstehen und uns ein eigenes Bild von den Dingen oder Menschen zu verschaffen, dies sind die Themen des folgenden Abschnitts.

10.5.1 Fallstudie: Pygmalion-Effekt Der Begriff „Pygmalion-Effekt“ beschreibt die sozialpsychologische Variante der Aussage, dass Glaube Berge versetzen kann. Bezogen auf menschliches Verhalten ist damit die Auswirkung von Erwartungen auf das Verhalten von Personen nach dem Muster einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung gemeint. In einem zwar nicht unumstrittenen, aber mittlerweile klassischen Feldexperiment meinten Rosenthal & Jacobson (1968) demonstrieren zu können, dass Schüler, von denen die Lehrer annahmen, sie seien besonders intelligent, innerhalb eines Schuljahres mehr vom Unterricht profitierten als ihre vermeintlich weniger intelligenten Mitschüler. Die Lehrererwartung war experimentell induziert worden (Mitteilung fiktiver IQ-Daten aus einem angeblich neuartigen Prognose-Test). Fazit dieses Experiments: Schüler, die von ihren Lehrern für intelligent und motiviert gehalten werden, steigern ihre Leistung; Schüler, die nach Einschätzung ihrer Lehrer weniger intelligent und weniger motiviert sind, passen ihr Verhalten nach gewisser Zeit diesen Erwartungen an. Pygmalion-Effekt nach Rosenthal Der Rosenthal-Versuch wurde an zwei amerikanischen Grundschulen durchgeführt. Eine der Schulen war die Oak-School, eine öffentliche Grundschule in einer mittelgroßen Stadt. Die Schule lag in einem Arbeiterviertel, ein Sechstel der Schüler war mexikanischer Abstammung und der Großteil der Eltern waren un- oder angelernte Arbeiter. Die Schule hatte einen mittleren, einen schnellen und einen langsamen Zug (dies ist bei öffentlichen Grundschulen in den USA nicht selten). Die zweite Schule war die Crest-School. Sie unterschied sich insofern deutlich von der Oak-School, als die Schüler der Crest-School zum größten Teil der mittleren und oberen Mittelschicht entstammten und mehrheitlich weiß waren. Der durchschnittliche IQ an der Oak-School lag bei 98, an der Crest-School bei 109. Der durchschnittliche IQ der Kinder im schnellen Zug der Oak-School lag ebenfalls bei 109. Den Lehrern an beiden Schulen wurde vorgegaukelt, es werde ein wissenschaftli-

204

10

Motivieren

cher Test mit Kindern durchgeführt, die angeblich „Überflieger“ seien und kurz vor einem Entwicklungsschub stünden. Dies treffe auf 20 % der Kinder zu. Tatsächlich wurden 20 % der Kinder willkürlich ausgewählt; ein Unterschied zwischen den „besonderen“ und den „gewöhnlichen“ Kindern existierte somit lediglich im Bewusstsein der Lehrer. Nach einem Jahr ließ sich feststellen, dass die Kinder aus der Gruppe der „Überflieger“ ihren IQ deutlich stärker steigern konnten als Kinder aus der Kontrollgruppe. Der Effekt war bei Kindern der ersten und zweiten Klasse besonders ausgeprägt; die größten IQ-Gewinne wiesen die Schüler des mittleren Zuges der Oak-School auf. Bemerkenswerterweise ließen sich bei Kindern, die ein besonders attraktives Aussehen hatten, die stärksten IQ-Steigerungen feststellen. Interessant war, dass sie bei den Kindern am stärksten waren, die ein besonders attraktives Äußeres hatten. Die Relevanz von Leistungserwartungen Dritter für Lernprozesse wurde erstmals in Laboruntersuchungen mit Ratten erkannt. Studierende führten Untersuchungen mit Tieren durch, zwischen denen zu Beginn keine relevanten Unterschiede bestanden. Die Erwartungen der Studierenden wurden jedoch dahingehend manipuliert, dass sie entweder annahmen, mit besonders intelligenten oder besonders wenig intelligenten Tieren zu arbeiten. Tatsächlich zeigte sich, dass die Ratten, von denen die Studierenden annahmen, sie seien besonders intelligent, schneller lernten und bessere Leistungen bei verschiedenen Aufgaben zeigten als die von den Studierenden für wenig begabt gehaltenen Tiere (Rosenthal & Fode, 1963; Rosenthal & Lawson, 1964). Die Beobachtung der Interaktion der Studierenden mit den Tieren ergab, dass sie sich den vermeintlich intelligenten Ratten gegenüber anregender verhielten. Sie redeten mehr mit den Tieren und schenkten ihnen insgesamt mehr Aufmerksamkeit. Das Verhalten der Studierenden konstituierte somit eine „sich selbst erfüllende Prophezeiung“, indem sich die Ratten, denen zunächst fälschlich höhere Begabung unterstellt wurde, tatsächlich zu leistungsfähigeren Tieren entwickelten als ihre identisch ausgestatteten Artgenossen, für die jedoch geringe Begabung angenommen wurde.11 Die bekannteste und weithin akzeptierte Erklärung, wie die Erwartungen von Lehrern die Leistungen von Schülern beeinflussen, stammt von Jussim (1986). In Jussims Modell, das sich mit dem Prozess der „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ generell beschäftigt, entwickeln die Lehrer zunächst eine Leistungserwartung für die einzelnen Schüler. Diese Erwartungen werden aus verschiedenen Quellen gespeist: stereotype und Annahmen über soziale Gruppen, wobei bisherige Leistungen der Schüler und andere individuelle Merkmale in der Folge das Verhalten des Lehrers oder der Lehrerin und deren Erwartungen gegenüber den Schülern beeinflussen. Lehrer verhalten sich Schülern gegenüber anders, an die sie hohe Leistungserwartungen richten, als gegenüber Schülern, von denen sie keine guten Leistungen erwarten. Die Schüler reagieren auf die jeweiligen Verhaltensweisen ebenfalls unterschiedlich, und zwar in einer Art und Weise, welche die zukünftigen Leistungen der als leistungsstark 11

Kira, Alexander/Schofield, Janet Ward, „Erwartungseffekte“, in: „Migrationshintergrund, Minderheitenzugehörigkeit und Bildungserfolg“, 2006, S. 47.

10.5 Vision und Vertrauen – Glaube versetzt Berge

205

wahrgenommenen Schüler steigert und die der vermeintlich schlechteren Schüler mindert. Jussim unterscheidet fünf leistungsbezogene Verhaltensweisen von Schülern, auf die das erwartungsgesteuerte Verhalten der Lehrer wirkt: Diese Verhaltensweisen sind Anstrengung, Ausdauer, Aufmerksamkeit, Beteiligung und Kooperation.12 Die Studien von Rosenthal konnten nur schwer repliziert werden. Angenommen wird, dass der Pygmalion-Effekt nur unter folgenden Bedingungen auftritt: • Der Schüler ist ein sog. „Underachiever“ – er leistet derzeit also weniger, als ihm seine Fähigkeiten erlauben. • Der Lehrer hat die Fähigkeiten des Schülers bislang unterschätzt – der Schüler hat die Einschätzung des Lehrers übernommen, also internalisiert.

Aufgabe

Welche Erkenntnisse gewinnen Sie aus der Schilderung des Pygmalion-Effekts für Ihren Umgang mit Mitarbeitern, Klienten, Kunden, Vorgesetzten usw.?

Welche Schlussfolgerungen werden Sie für Ihr künftiges Verhalten als Manager daraus ziehen?

12

Ebd. S. 57.

206

10.5.2

10

Motivieren

Die „Selbsterfüllende Prophezeiung“

Die Selbsterfüllende Prophezeiung (self-fulfilling prophecy) wurde von Robert K. Merton ebenso eingebracht wie ihr logisches Gegenstück (die self-destroying prophecy). Er prägte 1948 den Begriff „Selbsterfüllende Prophezeiung“ (SFP), der besagt, dass eine Voraussage geradezu zwanghaft deswegen eintrifft, weil man fest an sie glaubt. „Eine Vorhersage erfüllt sich dadurch, dass diese Vorhersage gemacht wird.“13 „Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung ist eine Annahme oder Voraussage, die rein aus der Tatsache heraus, dass sie gemacht wurde, das angenommene, erwartete oder vorhergesagte Ereignis zur Wirklichkeit werden lässt und so ihre eigene Richtigkeit bestätigt.“14 Während der Finanz- und Bankenkrise des Jahres 2008 hat dieser Effekt zu gravierenden Verwerfungen in der Bankenlandschaft geführt. Die Bekanntgabe, einige Banken müssten infolge fauler Kredite schließen, ließ auch Gläubiger vieler nicht betroffener Banken rasch ihre Gelder abziehen oder Wertpapiere veräußern. Auch Banken untereinander misstrauten sich und verliehen kein Geld an andere Banken mehr. Der Finanzkreislauf wurde empfindlich gestört. Es entstand eine Kettenreaktion, die auch gesunde Banken in den Abgrund stürzte, weil das Vertrauen der Bankkunden in das System Bank grundlegend beeinträchtigt war und jeder seine Einlagen zu retten versuchte oder Investitionen zurückgestellt wurden. Wären die Schwierigkeiten rechtzeitig und unter Bekanntgabe der zu treffenden Gegenmaßnahmen kommuniziert worden, hätte die Krise abgewendet werden können. Die tatsächlich bedrohliche Lage wäre entschärft worden und die ursprünglich korrekte Voraussage falsch geworden. Menschen erwerben im Laufe ihres Lebens vielfältige Erwartungen, die ihre Zukunftserwartung gegenüber bevorstehenden Ereignissen beeinflussen. Dies ist ein durchaus nützlicher Prozess, der hilft, sich auf bevorstehende Situationen einzustellen und vorzubereiten. Darüber hinaus können sich solche Erwartungen aber auch verselbständigen und werden so zu einem Faktor, der ihre eigene Erfüllung bewirkt. Beispielsweise wird eine Person, bei der begründet davon ausgegangen werden kann, dass sie einem mit einer positiven Einstellung gegenübersteht, anders behandelt als eine Person, der eine antipathische Haltung zugeschrieben wird. Hierbei spielt die tatsächliche Einstellung der Person keine Rolle. Das Verhalten gegenüber dieser Person wird demnach durch die Erwartung an ihre positive oder negative Einstellung bestimmt.

13 14

Franz Kreuzer: „Die Unsicherheit unserer Wirklichkeit“, 1982. Paul Watzlawick: „Die erfundene Wirklichkeit“, 1978, im Text Selbsterfüllende Prophezeiungen.

10.5 Vision und Vertrauen – Glaube versetzt Berge

207

10.5.3 Halo-Effekt15 Ein weiterer Effekt, der von Bedeutung ist und für SFP-Mechanismen eine große Rolle spielt, ist der sog. Halo-Effekt. Man versteht darunter die Beeinflussung der Wahrnehmung bzw. der Beurteilung durch eine Vorerfahrung oder Vorinformation. Halo-Effekt bedeutet „Strahlungseffekt“ – Eigenschaften, welche auf andere Eigenschaften ausstrahlen und andere Merkmale vergessen lassen. Beispiel: Beschreibt man eine Person als „schmutzig, unordentlich, nachlässig, unpünktlich und intelligent“ und streicht aus diesen Eigenschaften „intelligent“ heraus, wird ein stark veränderter Eindruck über die Person entstehen. Der Halo-Effekt beschreibt eine verbreitete Wahrnehmungsverzerrung bei unserer Einschätzung von Menschen. Der Halo-Effekt besteht in der „Überstrahlung“ („Halo“) eines einzelnen Merkmals über andere beobachtbare Merkmale. Wir nehmen ein bestimmtes Merkmal als positiv bzw. negativ wahr. Die Überstrahlung bewirkt, dass alle anderen Merkmale oder Verhaltensweisen ebenso positiv oder negativ beurteilt werden. Der Effekt wirkt also in zwei Richtungen: Überstrahlt der positive erste Eindruck alles andere, spricht man vom „Heiligenschein-Effekt“. So kann jemand, der Ihnen besonders sympathisch ist oder sich in bestimmten Gebieten positiv hervorgetan hat, von Ihnen generell positiver eingeschätzt werden als eine andere Person mit ansonsten gleichen Merkmalen und Verhaltensweisen. Überstrahlen ein negativer erster Eindruck, Fehltritte oder negatives Auffallen in einem bestimmten Gebiet die gesamte Einschätzung des restlichen Menschen, spricht man vom „Teufelshörner-Effekt“. In Gottfried Kellers Novelle „Kleider machen Leute“ wird der arme Schneider Wenzel Strapinsky seiner gepflegten Kleidung wegen und der Aussage eines Kutschers, Strapinsky sei ein polnischer Graf, entsprechend hofiert. Dieser Halo-Effekt bestimmt als Leitmotiv den weiteren Handlungsverlauf. Oder: „Übergewichtige“ Personen werden schnell als „gutmütig“ eingeschätzt, obwohl beide Persönlichkeitsmerkmale wahrscheinlich nichts miteinander zu tun haben. Es kann auch eine Einzelleistung sein, die derartig herausragt, dass sie bei der Einschätzung der Gesamtleistung „blendet“. Insbesondere Einzelleistungen, die sich innerhalb der Organisation herumgesprochen haben oder gar „durch die Presse gingen“, überstrahlen die Gesamtleistung: „Der Mann, der den 10-Millionen-Auftrag heranholte!“ „Der Mann, der das Computersystem abschoss – totaler Crash!“ „Die Kommissarin, die den Gewaltmörder überführte!“ 15

Halo – engl. der „Hof“ eines Himmelskörpers.

208

10

Motivieren

Zusammenfassung

Der Halo-Effekt beschreibt das Phänomen, dass ein positives oder negatives Merkmal alle anderen Merkmale überstrahlt und der so von einer Wahrnehmungsverzerrung Betroffene die jeweilige Person nicht mehr „objektiv“, sondern nur anhand eines einzelnen Merkmals beurteilt. Der Halo-Effekt kann zu einer allgemeinen Aufwertung (Heiligenschein-Effekt) oder einer allgemeinen Abwertung (Teufelshörner-Effekt) aufgrund des einen, alles überstrahlenden Merkmals führen. Für die Einschätzung von Personen und deren Verhalten ist es wichtig, diese Effekte zu kennen und sich ihrer Wirkung bei der eigenen Beurteilung von Menschen bewusst zu sein, um mögliche Fehleinschätzungen und daraus resultierendes unangemessenes Verhalten zu vermeiden.

Behandle die Menschen so, als wären Sie, was sie sein sollten, und du hilfst ihnen zu werden, was sie sein können. [Johann Wolfgang von Goethe]

10.6 Motivierendes Führungsverhalten 10.6.1 Der Einfluss der Führungskräfte Am 5. Oktober 2013 ist auf der Website der WirtschaftsWoche16 zu lesen: ,,Unmotivierte Mitarbeiter kosten die deutschen Unternehmen rund 124 Milliarden Euro. Das ist das Ergebnis einer Studie des Marktforschers Gallup, deren Ergebnisse der WirtschaftsWoche vorliegen. Demnach sind derzeit nur 15 Prozent der Mitarbeiter in ihrem Job sehr engagiert. 24 Prozent dagegen haben innerlich gekündigt. 2001 hatten sich erst 15 Prozent innerlich von ihrem Arbeitgeber verabschiedet. Die große Mehrheit von 61 Prozent macht derzeit Dienst nach Vorschrift und müht sich, am Arbeitsplatz nicht aufzufallen. Im Schnitt fehlen die Mitarbeiter, die innerlich gekündigt haben, 3,5 Tage im Jahr mehr als ihre hoch engagierten Kollegen, sind unglücklicher und leiden psychisch wie körperlich sogar stärker als Arbeitslose, so die Studie. Als Verantwortliche macht der GallupStudienverantwortliche Marco Nink die ,direkten Vorgesetzten aus, die Mitarbeiter vernachlässigen und sie häufig nicht respektvoll genug behandeln‘. Auffällig: ,Weder zwischen Ländern noch Branchen bestehen signifikante Unterschiede‘, so Nink. Nur die emotionalen Bedürfnisse von Mitarbeitern in der Produktion würden noch stärker vernachlässigt als in anderen Unternehmenssparten.“ 16

(http://www.wiwo.de/erfolg/beruf/studie-gallup-unmotivierte-mitarbeiter-kosten-124-mrdeuro/8886608.html).

10.6 Motivierendes Führungsverhalten

209

Die Verursacher dieser Misere sind die Führungskräfte. Mit dem Begriff Führung werden Gedanken verbunden wie z. B. ,,Verantwortung für andere tragen“, ,,andere motivieren“ oder aber ,,sich um die Belange der Mitarbeiter kümmern“. In der realen Welt stellt man fest, dass Führung geschieht, auch wenn sie nicht besonders verantwortungsvoll, besonders motivierend oder auf allgemein wünschenswerte Ziele ausgerichtet ist. Die in manchen Managementseminaren vermittelten Motivierungstechniken orientieren sich feinsinnig an einem Satz Antoine de Saint-Exupèrys: ,,Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht die Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuleiten, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Dwight D. Eisenhower sagte es handfester und direkter: ,,Motivation ist die Fähigkeit, einen Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was man will, wann man es will und wie man es will – weil er selbst es will.“ Hier soll der eine ganz offen zur Bedürfnisbefriedigung des anderen benutzt werden. Die Frage der Motivierungstechniker lautet: ,,Wie bekomme ich die ganze Arbeitskraft meiner Mitarbeiter“? Man geht von der Annahme oder Überzeugung aus, der Mensch an sich sei faul und träge und müsse ständig zur Arbeit angehalten werden. Eigentlich sind alle Menschen potenzielle Betrüger. Sie wollen sich nicht zu 100 % einsetzen. Sie betrügen ihren Arbeitgeber um einen Teil der Arbeitsleistung, die er bezahlt. In modernen Unternehmen werden die Mitarbeiter mit raffinierten Methoden motiviert, Höchstleistungen zu erbringen. Die Methoden der motivationalen ,,Motivierung“ sind sehr subtil. Mitarbeiter werden zur Spitzenleistung verführt und nicht gezwungen. In den Wohlfühllandschaften moderner Unternehmenszentralen mit ihren Polsterecken und Coffee-Points lässt sich leicht vergessen, dass es immer noch um Arbeit geht. Die Grenzen zwischen Job und Freizeit lösen sich auf. Diese Unternehmen sagen: Nur wer seine ganze Persönlichkeit, seine Werte und Gefühle in den Job einbringt, wird Höchstleistungen liefern. Nicht wenige Mitarbeiter geraten dadurch in eine Burnout-Situation, weil sie nicht rechtzeitig bemerken, was mit ihnen geschieht bzw. was sie zulassen.

10.6.2 Führungsmotivation und Selbstwirksamkeit Das Wort Führung wird im Duden als Veranlassungswort zu ,,fahren“ beschrieben im Sinne von ,,in Bewegung setzen, die Richtung bestimmen“. Ein weiteres wichtiges Merkmal von Führung ist ihre Zielorientierung. Der Sinn von Führung besteht im Allgemeinen darin, Kräfte zu bündeln, ihnen eine Richtung zu geben, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ohne Ziele keine Führung!

210

10

Motivieren

Gelingt es einer Führungskraft, deutlich zu machen, dass es ein gemeinsames verheißungsvolles Ziel gibt, für das sich Anstrengung und Kraftaufwand lohnen, so hat sie damit bereits eine der wesentlichen Führungsleistungen vollbracht. Sie hat anderen Menschen einen sinnvollen Grund gegeben, ihr zu folgen. In wirtschaftlichen Zusammenhängen besteht der Sinn von Führung darin, das Überleben des Unternehmens zu sichern. Dafür müssen vier Kernaufgaben erfüllt werden: • Zusammenarbeit organisieren • Konflikte lösen • Zukunftsfähigkeit sichern • Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen. Das Wichtigste ist die Organisation der Zusammenarbeit. Aus grauer Vorzeit wissen wir, dass man ein Mammut nicht im Alleingang erlegen kann. Ohne Zusammenarbeit kein Erfolg. Dieser Grundsatz galt in der Höhlengemeinschaft bei der Mammutjagd, und er gilt auch heute noch in den modernen Unternehmen. Wer an Führung interessiert ist, will von einem (fremd-)bestimmten zu einem bestimmenden Menschen werden und wird von entsprechenden Motiven geleitet. Motive sind der grundlegendste Antrieb für das menschliche Handeln. Der Begriff Motiv leitet sich ab aus dem Lateinischen movere (sich bewegen, antreiben, beeinflussen). Menschliches (Führungs-)Handeln wird durch drei zentrale Motive beeinflusst: • Macht (Need for Power) • Leistung (Need for Achievement) • Anschluss (Need for Affiliation). Das Machtmotiv entspricht dem Bedürfnis, Einfluss auf andere Menschen zu nehmen und dadurch die eigene Stärke und Wirksamkeit zu erleben. Personen mit hohem Machtmotiv zeigen ein aggressiveres und risikoreicheres Verhalten. Ihr Ziel ist, andere zu dominieren, zu kontrollieren und zu beeinflussen. Sie schmücken sich mit prestigeträchtigen Gegenständen und streben nach sozialer Anerkennung und Wertschätzung. Der Begriff Macht hat zwar häufig einen eher negativen Beigeschmack, ist aber nicht weniger häufig auch mit positiv bewerteten Phänomenen verbunden wie z. B. mit • legitimierter Herrschaft • Autorität • anerkannter Führung • Einflussnahme

10.6 Motivierendes Führungsverhalten

211

• Erziehung • Interessenausgleich • Gruppenzusammenhalt. French und Raven17 (1959) beschreiben sechs Machtquellen, welche eine machtorientierte Person einsetzen kann. Entscheidend ist dabei, dass sie auf der jeweiligen Ebene über eine stärke Machtquelle verfügen muss, als diese bei der zu beeinflussenden Person zur Verfügung steht. Die Machtquellen sind: 1. Belohnungsmacht (,reward power‘) 2. Zwangs- oder Bestrafungsmacht (,coercive power‘) 3. legitimierte Macht (,legitimate power‘) 4. Vorbildmacht (,referent power‘) 5. Expertenmacht (,expert power‘) 6. Informationsmacht (,informational power‘). Machtorientierte Personen besetzen mehr Ämter in Organisationen und zeigen die Tendenz, sich um einflussreiche Positionen zu bewerben. Sie sind in Gruppen sehr einflussreich, zeigen eine rege Teilnahme an Gruppendiskussionen, Eigeninitiative und nur geringe Kritikfähigkeit. ,,Machtquellen wie etwa Sachkunde und Expertentum (vgl. Punkt 5) müssen nicht unbedingt real vorliegen, sie können auch vorgetäuscht werden. Hoch dominante Personen verhalten sich manchmal in Gruppenarbeit so, als seien sie besonders sachkundig. Sie ergreifen schnell das Wort, bieten für Probleme rasche und differenzierte Lösungen an und äußern ungefragt ihre persönlichen Meinungen und Einstellungen. Die Gruppe akzeptiert dies und schreibt diesen Personen – unabhängig von deren tatsächlichen Kompetenzen – ein hohes Expertentum zu und räumt ihnen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten ein. Dies ist die Stunde des Großmauls.“ 18 Personen mit hohem Leistungsmotiv möchten stolz sein können auf ihre eigene Tüchtigkeit. Diese und die fortlaufende Leistungsverbesserung erzeugen bei ihnen das Gefühl der Kompetenz, der Wirksamkeit und der eigenen Stärke. Von Leistungsmotivation wird allerdings nur dann gesprochen, wenn der Antrieb zum Handeln von der Person selbst ausgeht und sie Leistungsziele anstrebt, deren Erfüllung sie aus eigener Initiative bewirken kann.19 Die Motivationsstärke einer Aufgabe ergibt sich aus dem Zusammenwirken von drei Aspekten: 17

French, J. R. P. & Raven, B. (1995). The basis of social power. In D. Cartwright (Ed.), Studies in social power (pp. 150–167). Ann Arbor: University of Michigan, Insitute for Social Research. 18 Heckhausen, Jutta und Heinz (2010), Motivation und Handeln. 4. Auflage, S. 216. 19 Vgl. ebd. S. 145.

212

10

Motivieren

1. den Motiven der Person 2. der wahrgenommenen Schwierigkeit der Aufgabe (Erfolgswahrscheinlichkeit) 3. den situativen Anreizen (z. B. Selbst- und Fremdbewertungsfolgen nach Erfolg und Misserfolg).20 Die Qualität einer Leistung ist nicht nur von der Motivationsstärke abhängig, sondern auch und sogar in erster Linie von den individuellen Fähigkeiten.21 Die Einstellung zu ,Hoffnung auf Erfolg‘ und ,Furcht vor Misserfolg‘ entscheidet darüber, ob eine Person sich mehr oder weniger herausfordernde Ziele setzt und wie sich ihr Verhalten dementsprechend ausrichtet. Misserfolgsängstliche Personen wählen häufiger zu leichte oder zu schwierige Aufgaben und sind grundsätzlich eher besorgt, dass sie scheitern könnten. Bei Personen mit Erfolgsorientierung ist das genau umgekehrt. Misserfolgsorientierte schätzen ihre Fähigkeiten im Vergleich zu anderen Personen sehr viel skeptischer ein. Für Misserfolge machen sie ihre mangelnde Begabung verantwortlich, führen aber Erfolge auf das Vorhandensein glücklicher Umstände oder die Leichtigkeit der Aufgabe zurück. Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten und an die persönliche Handlungsfähigkeit wird als Selbstwirksamkeit bezeichnet. Selbstwirksame Personen glauben daran, dass sie herausfordernde Aufgaben tatsächlich bewältigen können; sie vertrauen sich und ihren Fähigkeiten. Sie verfügen über eine stark positive Antriebsmotivation (Hoffnung auf Erfolg). Personen mit hohen Selbstzweifeln richten ihren Fokus stärker auf Hindernisse und Misserfolge aus. Personen mit hohem Anschlussmotiv suchen die soziale Integration und Akzeptanz, möchten bei allen beliebt sein, zeichnen sich durch ein konformes und kooperatives Verhalten aus, sind unkompliziert, herzlich und verträglich. Das Anschlussmotiv bezieht sich darauf, Kontakt mit anderen Menschen aufzubauen, ihnen nahe zu sein, sich auszutauschen, befreundet zu sein und sich in einer Gruppe integriert zu fühlen. Anschlussmotivierte Personen sind sehr teamfähig. Zwei zentrale Antriebstendenzen wirken auf das Anschlussmotiv: • Hoffnung auf Anschluss • Furcht vor Zurückweisung. Hoffnung auf Anschluss

Hoch Anschlussmotivierte haben höhere Erwartungen, dass eine Situation günstig für eine Kontaktaufnahme ist und dass ihr Verhalten, sich mit jemandem zu verstehen, zum Ziel führt.22 20

Vgl. ebd. S. 178. Vgl. ebd. S. 181. 22 Vgl. ebd. S. 199. 21

10.6 Motivierendes Führungsverhalten

213

Merkmale hoch anschlussmotivierter Personen23 : • Sie nehmen andere sich selbst ähnlicher wahr. • Sie sehen andere in einem besseren Licht. • Sie mögen andere mehr. • Sie werden mehr von anderen gemocht. • Sie wirken durch ihre freundliche Art auch auf andere (Fremde) ansteckend. Furcht vor Zurückweisung

Eine hohe Ausprägung dieser Furcht führt zu einer niedrigen Handlungs-ErgebnisErwartung, zu Zweifeln an der eigenen Wirksamkeit des eigenen Handelns. Merkmale von Personen mit hoher Furcht vor Zurückweisung24 : • Sie fühlen sich in sozialen Situationen überfordert; diese gestresste Gefühlslage wirkt auch auf andere ansteckend. • Sie sind in sozialen Situationen weniger zuversichtlich, sondern verspannter und ängstlicher. • Sie sehen sich selbst als unbeliebter und einsamer als andere (obwohl sie de facto nicht weniger mit anderen interagieren). • Sie zeigen niedrige Handlungs-Ergebnis-Erwartungen im Umgang mit Fremden. Furcht vor Zurückweisung ist ein Motiv, das sich mit anderen sozialen Ängsten überschneidet, beispielsweise der Furcht vor Fremdbewertung. Sie geht einher mit der Sorge, von potenziellen Anschlusspersonen nicht als sozialer Partner geschätzt zu werden und auch in den Augen anderer leistungsmäßig zu versagen. Menschen mit einer hohen Ausprägung in der Furcht vor Zurückweisung haben generell geringe Erwartungen an den Erfolg des eigenen Handelns und Wirkens im Umgang mit Fremden. Aufgrund dieser Art der Kommunikation werden sie von ihren Gesprächspartnern als ‘kompliziert‘ beschrieben.25 Diese beiden Komponenten ,Hoffnung auf Anschluss‘ oder ,Furcht vor Zurückweisung‘ sind in unterschiedlichen Phasen des Kennenlernens wirksam. Wird beispielsweise ein neuer Mitarbeiter seinem künftigen Team vorgestellt und verfügt dieser über ein hohes Anschlussmotiv, wird er sofort versuchen, einen positiven Kontakt aufzubauen. Wird im Laufe der Zusammenarbeit der Kontakt intensiviert, kann die anschlussmotivierte Person befürchten, den positiven Kontakt zu verlieren und stärker auf Distanz gehen. Dem kann

23

Mehrabian, A. & Ksionsky, S. (1974). A theory of Affiliation. Lexington, MA: Heath. Heckhausen, Jutta und Heinz (2010), Motivation und Handeln. 4. Auflage, S. 200. 25 Vgl. ebd. S. 200 f. 24

214

10

Motivieren

eine erneute Annäherung folgen. Für anschlussmotivierte Personen sind Freundschaften wichtiger als Leistungsorientierung. Selbstwirksamkeit Selbstwirksamkeit bezieht sich auf den Glauben an die eigenen Fähigkeiten und Kontrollmöglichkeiten; sie bezieht sich auf die eigene Person und die soziale Interaktion in der Umwelt. Die Selbstwirksamkeit ist der wichtigste Mechanismus zur persönlichen Handlungsfähigkeit. Die Selbstwirksamkeit – und somit der Glaube an die eigenen Fähigkeiten – beeinflusst, • ob spezifische Aufgaben überhaupt angegangen und durchgeführt werden • was in bestimmten Situationen zu tun ist, wie viel Anstrengung in eine Aufgabe oder Tätigkeit investiert wird • wie viel Ausdauer eine Person im Umgang mit Hindernissen zeigt • ob förderliche oder hinderliche Gedanken aktiviert werden • ob Stress positiv oder negativ empfunden wird. Eine hohe Selbstwirksamkeit vermindert sowohl das Stressempfinden als auch das Risiko, an Burnout oder an einer Depression zu erkranken. Um führen zu können, benötigt eine Führungskraft eine hohe Selbstwirksamkeit. Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten ist ein sich selbst verstärkendes System, wirkt wie eine positive selbsterfüllende Prophezeiung.

10.6.3 Der ideale Führungsstil? Gemeinhin assoziiert man mit dem Begriff ,,ideal“ etwas, was den höchsten Vorstellungen entspricht, was nicht besser sein oder werden kann. Da wir es im Kontext der Mitarbeiterführung mit Menschen zu tun haben, wird sich in diesem Sinne kein idealer Zustand erreichen lassen. Menschliches Verhalten ist komplex, situationsbedingt variabel und nur eingeschränkt vorhersagbar. Wir können uns zwar bemühen, ethische Grundlagen des Umgangs miteinander und kommunikative Wirkungsmechanismen zu respektieren, ein ,,Ideal“ im Sinne eines perfekten Endzustandes ist jedoch wegen der Prozesshaftigkeit des Führungsgeschehens unrealistisch. Das provokante Wort ,,ideal“ steht in diesem Zusammenhang vielmehr für die Verpflichtung, stets bestmögliches Führungsverhalten anzustreben. Dies wiederum ist realistisch, denn Führungskompetenz ist durch den Erwerb von Fachkenntnissen, durch eigene Führungspraxis und die Bereitschaft zur Selbstreflexion erlernbar. Diese Fragen sind zu stellen: • Wie kann ein Arbeitsklima gefördert werden, welches gekennzeichnet ist von Vertrauen, Kooperation und Innovationsbereitschaft?

10.6 Motivierendes Führungsverhalten

215

• Wie kann eine vorbildliche Arbeitsplatzkultur dazu beitragen, dass sich Vertrauen, positive Beziehungen, Stolz auf die gemeinsame Sache und Teamgeist entwickeln? Hochqualifizierte und nach Selbstverwirklichung strebende Mitarbeiter werden durch die klassischen Führungsinstrumente wie z. B. Anweisungen, Zielsetzungen und Befehle in ihrer Eigeninitiative gehemmt. Zeitgemäße Führung muss individuelles Wissen sowie besondere Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeiter für das Unternehmen aktivieren, Stärken zur Geltung bringen, selbstständiges Handeln ermöglichen, Spaß und Sinnerfüllung an der Arbeit vermitteln. Die gemeinsame Entwicklung von Visionen, das Gewähren von Freiräumen, die Transparenz aller Vorgänge und die Beteiligung an Entscheidungen stärken die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und fördern somit deren intrinsische Motivation. Partnerschaftliches Verhalten und Freiräume für Initiative sowie die Möglichkeit zur Übernahme von Verantwortung bilden die Grundlagen einer modernen Führungsphilosophie. In kulturellen, künstlerischen und kreativen Zusammenhängen ist wirksame Führung gekennzeichnet von Interaktion und gegenseitiger Einflussnahme auf die Realisierung gemeinsamer Ziele.

10.6.4 Vorbildliche Arbeitsplatzkultur Die Organisation Great Place to Work®26 erforscht seit 25 Jahren vorbildliche Arbeitsplatzkulturen. Über die Essenz der umfassenden Forschungsarbeiten ist auf ihrer Website27 zu lesen: ,,Die wesentliche Erkenntnis bestand darin, dass der Schlüssel zur Schaffung einer vorbildlichen Arbeitsplatzkultur nicht in speziellen Mitarbeitervergünstigungen, Programmen und Verfahrensweisen liegt, sondern im Aufbau positiver Beziehungen am Arbeitsplatz, die auf Vertrauen, Stolz und Teamgeist beruhen. Diese Beziehungen waren nicht einfach nur ein nettes Nebenprodukt, sondern bei der Optimierung der Geschäftsergebnisse einer Organisation von entscheidender Bedeutung.“ Der Mitbegründer der Organisation Great Place to Work®, Robert Levering, ergänzt über die Mission seines Unternehmens: ,,Wir sind davon überzeugt, dass eine Veränderung am besten herbeigeführt werden kann, wenn wir Unternehmen ermuntern, ihr Bestes zu geben, anstatt zu fordern, Mängel zu beseitigen. (. . . ) Durch die Analyse der weltbesten Arbeitsplatzkulturen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass Vertrauen der alles entscheidende Faktor ist. Dies gilt für alle Unternehmen, unabhängig ihrer nationalen Kultur, Branche, 26 27

http://www.greatplacetowork.de/home. http://www.greatplacetowork.de/ueber-uns/unsere-geschichte.

216

10

Motivieren

Größe oder ihres Alters. Wenn das Vertrauen am Arbeitsplatz gestärkt wird, können alle Unternehmen ihre Geschäftsergebnisse verbessern, da Kooperation und Innovation auf Vertrauen aufbauen.“ In einem Artikel über den Wettbewerb ,,Wer sind Deutschlands beste Arbeitgeber 2014?“ zitiert das HANDELSBLATT Aussagen von Teilnehmern, an denen man erkennt, dass ein Unternehmen hinsichtlich Arbeitsplatzkultur und Arbeitgeberattraktivität mehr als nur ,,Durchschnitt“ ist: ,,Die Führungskräfte zeigen Anerkennung für gute Arbeit. – Ich bin stolz auf das, was wir hier gemeinsam leisten. – Die Mitarbeiter kommen hier gerne zur Arbeit. – Wir ziehen alle an einem Strang. – Investitionen in eine gute Arbeitsplatzkultur zahlen sich aus: Unternehmen, die ihre Mitarbeiter als Arbeitgeber überzeugen und begeistern können, haben motiviertere und loyalere Beschäftigte, bessere Chancen auf dem Personalmarkt und größeren wirtschaftlichen Erfolg. Sie bieten ihren Mitarbeitern faire, verlässliche und förderliche Arbeitsbedingungen und schaffen damit Vertrauen und Begeisterung in der Zusammenarbeit. Gute Personal- und Führungsarbeit, Chancengleichheit, kulturelle Vielfalt (Diversity), Förderung von Gesundheit und Work-Life-Balance sowie kontinuierliches Lernen sind hierbei tragende Säulen.“28 Eine 2006 von Great Place to Work® Deutschland im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales repräsentative Studie zeigt, dass eine mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur und das damit verbundene höhere Engagement der Mitarbeiter mehr als 30 Prozent der Unterschiede im wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen erklären können. Demgegenüber steht die Erkenntnis einer empirischen Studie von Wunderer und Küpers, dass personale Demotivation und negative Gefühlszustände in Unternehmen Produktivitätseinbußen von über 20 Prozent induzieren.29 Gibt es also doch den „idealen Führungsstil“? Die Qualität der Führung zeigt sich am Grad der Zielerreichung. Letztlich zählt immer das Ergebnis, aber der Weg dorthin ist entscheidend. Gute Führung fördert das Potenzial der Mitarbeiter, Eigeninitiative, Kreativität, Problemlösungsverhalten sowie die Arbeitszufriedenheit. Gute Führung kann den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens steigern.

28

Vgl. http://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/strategie/wettbewerb-wer-sinddeutschlands-beste-arbeitgeber-2014/8802650.html [2013-09-30]. 29 Vgl. Küpers, W., Weibler, J.: Emotionen in Organisationen, S. 18.

10.6 Motivierendes Führungsverhalten

217

10.6.5 Transaktionale und transformationale Führung Bernard Bass und Bruce Avolio30 haben in zahlreichen Validierungsstudien mit dem Multifactor Leadership Questionnaire einen positiven Zusammenhang zwischen transformationalem Führungsverhalten und Führungserfolg nachgewiesen. Der Führungserfolg wurde u. a. definiert als Umsatzwachstum, Rentabilität oder Teameffektivität, Change Management, Mitarbeiterzufriedenheit oder Innovationsrate. Die transaktionale Führung beruht auf dem Prinzip des Austauschverhältnisses (Transaktion) zwischen der Leistung des Mitarbeiters und der Reaktion des Vorgesetzten (Bezahlung, Lob und Tadel). Transaktional orientierte Führungskräfte motivieren ihre Mitarbeiter mittels der Klärung von Zielen, Aufgaben und der Delegation von Verantwortung. Sie kontrollieren die Leistung, belohnen mit materiellen und immateriellen Vorteilen und sanktionieren unerwünschtes Verhalten durch Kritik und Feedback. Die transformationale Führung nach Bass und Avolio31 verändert (transformiert) das Verhalten von Mitarbeitern und Kollegen mit der Absicht, das Ziel- und Anspruchsniveau zu heben. Sie erfordert ein anderes Führungsverhalten. Diese werteorientierte Führung stellt die Sinnorientierung, das ,,Warum“ des Handelns, in den Mittelpunkt des Denkens. Im Gegensatz zur transaktionalen Führung, die den Austausch von Leistung und Gegenleistung betont, fokussiert die transformationale Führung die Gesamtpersönlichkeit des Geführten mit seiner intrinsischen Motivation. Diese Art der Führung basiert auf einem positiven Menschenbild, geht davon aus, dass die Menschen von sich aus motiviert sind, gemeinsame Ziele erreichen und sich weiterentwickeln zu wollen. Die ideale Führungsperson weist sowohl transformationale als auch transaktionale Führungsweisen auf. Seit über 30 Jahren ist die transformationale Führung das am häufigsten untersuchte Konzept innerhalb der Führungsforschung. Sie wird als ideale und idealisierte Form von Führungsverhalten angesehen, weist enge Bezüge zur emotionalen Beeinflussung und zur charismatischen Führung auf. Die transformationale Führung aktiviert kognitive, emotionale und verhaltensbezogene Aspekte: 1. Idealized Influence: Vorbildverhalten, Vertrauen aufbauen (klar, eindeutig, zuverlässig und sozial kompetent sein), Enthusiasmus vermitteln, als Identifikationsperson wirken 2. Inspirational Motivation: über eine Vision/Mission motivieren, anspruchsvolle Ziele vereinbaren, Sinn und Zuversicht vermitteln, Teamgeist etablieren 30 Bass, B. M. & Avolio, B. J. (1995). MLQ Multifactor Leadership Questionnaire: Technical Report. Redwood City: Mind Garden. 31 Bass, B. M., Avolio, B. J.: Improving organizational effectiveness through transformational leadership. Thousand Oaks, CA.: Sage, 1994, zitiert nach Wunderer, R.; Küpers, W.: DemotivationReformation, S. 437–439.

218

10

Motivieren

3. Intellectual Stimulation: kreative und innovative Fähigkeiten der Mitarbeiter anregen, eigenständiges Problemlösungsverhalten und kritisches Hinterfragen von Gewohnheiten fördern, Lern- und Umdenkungsprozesse unterstützen 4. Individual Consideration: die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter kennen, darauf eingehen und gezielt die Fähigkeiten und Stärken der Mitarbeiter entwickeln. Transformationale Führung richtet sich darauf, dass Geführte Leistungen erbringen können, welche über die gesetzten Erwartungen hinausgehen (außerordentliche Leistungen). Die folgenden Empfehlungen fördern transformationalen Führungseinfluss: • Kommuniziere deine wichtigsten Werte und Überzeugungen. • Vertrauen die Geführten ihrer Führungskraft, dann zeigen sie die Tendenz für außergewöhnliche Leistungen. • Weise als Führungskraft hohe Zielstrebigkeit auf, dann zeigen die Geführten höhere Ausdauer und Willenskraft bzgl. der Zielverfolgung. • Stelle die Vision, die Mission und das Team in den Mittelpunkt; betone die hohe Bedeutsamkeit von Teamarbeit. • Bewirke Stolz bei den Geführten, weil sie mit dir zusammenarbeiten können. • Stelle deine Eigeninteressen zurück und tue Gutes für deine Geführten. • Verhalte dich authentisch und selbstlos und erhalte Respekt von anderen. • Zeige ein (sozialisiertes) Machtbewusstsein und Zuversicht. • Vermittle auch in schwierigen Situationen Hoffnung und zeige, dass Hindernisse überwunden werden können. • Betrachte deine Geführten als Individuen und nicht nur als Teil einer Gruppe. Nimm dir Zeit für aktives Zuhören und entwickle Empathie für deine Mitarbeiter. • Sorge dafür, dass deine Mitarbeiter sich weiterentwickeln können, damit sie sich in eigener Regie führen können und nicht mehr ständiger Kontrolle bedürfen.

10.6 Motivierendes Führungsverhalten

219

Leistungsentwicklung

Transaktionale Führung · Erwartungen definieren

Transformationale Führung · Bewunderung und Vertrauen erwerben

· Ziele vereinbaren · Normen und „Spielregeln“ einhalten

· Herausforderung und Sinn vermitteln · zur Kreativität anregen

· Leistung anerkennen · Verhalten steuern (Lob / Kritik)

· persönliches Wachstum fördern

Abb. 10.8 Transaktionale vs. transformationale Führung, bezogen auf die Leistungsentwicklung

Ist Führungsfähigkeit angeboren oder entwickelbar? Diese Frage beschäftigt die Führungsforschung seit jeher. Arvey, Rotundo, Johnson, Zhang und McGue (2006)32 belegten, dass die Entstehung von Führungsfähigkeit zu etwa 30 % auf einen verborgenen genetischen Faktor zurückgeführt werden kann. Weitere ca. 10 % werden durch die Berufserfahrung gebildet, während sich die schätzungsweise restlichen 60 % auf Umwelteinflüsse (Ausbildung, Training) beziehen. Führungsfähigkeit wird bereits in sehr frühen Lebensphasen des familiären Umfeldes entwickelt. Die Umwelt übt generell einen sehr starken Einfluss auf die Entwicklung von Führungsfähigkeit aus: • Zeigen Väter ein transformationales Führungsverhalten, dann ahmen die Jugendlichen dieses Verhalten nach und weisen ebenfalls ein stärker transformationales Führungsverhalten auf. • Das transformationale Führungsverhalten von Jugendlichen beeinflusst ihre Teamkollegen und Mitschüler. • Transformationale Führungskräfte agieren in Unternehmen als positive Rollenmodelle und motivieren Geführte zu höherer Leistung. 32

Arvey, R. D., Rotundo, M., Johnson, W., Zhang, Z. & McGue, M. (2006). The determinants of leadership role occupancy: Genetic and personality factors. The Leadership Quarterly, 17, 1–20

220

10

Motivieren

10.6.6 Transformationale Führung in Kultureinrichtungen Transformational wirkende Führungskräfte können Begeisterung und Zuversicht erzeugen, andere mitreißen, werden als Vorbilder wahrgenommen und vermitteln bei ihren Mitarbeitern ein Gefühl des Stolzes und der Wertschätzung. Diese Art der Führung erscheint besonders geeignet für die Anforderungen in Kultureinrichtungen, weil dort weniger der homo oeconomicus im Mitarbeiter gefordert ist. Vielmehr geht es um die Verwirklichung künstlerischer Visionen und Werte, die ein hohes emotionales Engagement aller Beteiligten verlangen. Dieses Klima ist mit den klassischen Zielvereinbarungen, den Mitteln der betriebswirtschaftlich ausgerichteten transaktionalen Führung, nicht so wirksam zu realisieren. Andererseits lohnt es, der Frage nachzugehen, ob die bewährten Führungstechniken der profitorientierten Unternehmen nicht doch mithilfe einiger Veränderungen oder Ergänzungen auch für Nonprofit-Unternehmungen ,,gewinnbringend“ einzusetzen sind. Eindeutige Zielvereinbarungen und Aufgabenverteilungen, das Einbinden der Mitarbeiter in alle Prozesse der Planung und Entscheidung, der Austausch von Leistung und Gegenleistung, die Unterstützung durch Lob und Kritik sowie der offene Dialog über Wissen und Techniken – das alles hat sich in Führungsprozessen bewährt, sofern diese auf der Basis gegenseitigen Respekts und sozialer Akzeptanz ausgeführt werden. Die transformationale und werteorientierte Führung fördert die intrinsische Motivation der Mitarbeiter in besonderer Weise durch das Vorbildverhalten der Führungskraft, die Zuversicht und Enthusiasmus vermittelt. Über starke Visionen und daraus abgeleitete anspruchsvolle Ziele spüren sie die Sinnhaftigkeit ihres Handelns. Daraus entwickelt sich ein starkes Selbstbewusstsein sowie der Stolz und die Freude, mit einer vorbildlich wirkenden Führungskraft und einem inspirierten Team arbeiten zu können. Eine Führungskraft, die jedem seinen Fähigkeiten gemäß Verantwortung überträgt, die zuund vertraut, die ihre Mitarbeiter kollegial und sensibel behandelt, die Lernprozesse unterstützt und die Stärken eines jeden zu entwickeln sucht, bewirkt eine Transformation des Denken und Handelns. Im Mittelpunkt steht nicht länger das bloße Streben nach einem Mehr an Einfluss, Macht und Geld, sondern das Erleben, dass man als Person Bedeutung und Wirkung hat, dass Arbeit Sinn, Erfüllung und Lebensfreude bedeuten kann. Dass diese Art der Führung auch wirtschaftlich erfolgreich sein kann, steht erwiesenermaßen außer Zweifel. Eine transformational orientierte Führungskraft muss sich verabschieden von egozentriertem Denken und oberflächlicher Managerattitüde. Wichtiger werden die inspirierenden Vorstellungen von gemeinsamen und gelingenden Projekten (Visionen). Wichtig sind die anderen mit ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten. Inspiration, fachliches Können und Zuverlässigkeit – das sind die Rangabzeichen transformational wirkender Führungskräfte. In

10.6 Motivierendes Führungsverhalten

221

den Bereichen Kunst und Kultur gibt es solche Führungskräfte in Gestalt von Dirigenten, Regisseuren und Pädagogen. Sie alle wissen um den Vorrang der personalen Einflussfaktoren vor den materiellen und strukturellen. Nicht Strukturen und Finanzen allein entscheiden über die Qualität der künstlerischen Leistung. Vor allem sind es die Persönlichkeiten mit ihrer Ausstrahlung und (sozialen) Kompetenz.

10.6.7 Motivierendes Führungsverhalten Immer bedeutet Führen, gemeinsam mit Mitarbeitern zuvor vereinbarte (oder gesetzte) Ziele zu erreichen. Um die Motivation der Mitarbeitenden zu erhalten und zu fördern, sind folgende Aspekte bedeutsam: Das gemeinsame Ziel muss eindeutig definiert und schriftlich fixiert werden. Die Klarheit der Zielbestimmung ist von größter Bedeutung; sie entscheidet über den künftigen Erfolg oder Misserfolg jedes Vorhabens. Keine Arbeit ohne eindeutig geklärte Ziele! Die Führungskraft hat die Verantwortung, die Einhaltung der Zielvereinbarungen zu kontrollieren und im Falle von negativen Abweichungen korrigierend einzugreifen. Das Verhalten der Mitarbeiter entspricht immer deren persönlichen Zielsetzungen. Stimmen diese nicht mit den Zielen der Unternehmung überein, kommt es zu abweichenden Verhaltensweisen, die den Erfolg des Unternehmens und die Einstellung der Gruppe zur Arbeit negativ beeinflussen. Das Verhalten der Führungskraft ist eine unabdingbare Voraussetzung für den gemeinsamen Erfolg. Die Führungskraft muss das, was sie von anderen verlangt, jederzeit glaubhaft und beispielhaft vorleben; ihr Kommunikations- und Führungsstil müssen der jeweiligen Situation angemessen sein. Ein gemeinsamer und gegenseitiger Lernprozess verbindet Führungskraft und Mitarbeiter. Voraussetzung dafür sind Respekt, Akzeptanz, Toleranz und Offenheit auf beiden Seiten. Dazu bedarf es funktionierender Kommunikations- und Verhandlungsprozesse, die immer wieder für beide Seiten gleichermaßen tragfähige Vereinbarungen ermöglichen. Führungskräfte mit arroganter, besserwisserischer und rechthaberischer Einstellung sind für konstruktive Arbeitsprozesse ebenso unbrauchbar wie Mitarbeiter mit überzogenem Anspruchsdenken und innerer Schonhaltung, die ihre Arbeit lediglich als unliebsame Unterbrechung der Freizeit betrachten. Die Zielvereinbarung im Gegenstromverfahren, die Ziele weder rein demokratisch abstimmt noch autoritär vorgibt, sondern Ziele als das Ergebnis gemeinsam erarbeiteter Einsicht ermöglicht, bindet die Fähigkeiten aller Mitarbeiter ein und wirkt in hohem Maße motivierend. Diese Art des Führens erfordert auf den ersten Blick mehr Gesprächszeit als

222

10

Motivieren

herkömmliche Einzel-Entscheider-Methoden, die scheindemokratisch Diskussionsräume anbieten, um danach bereits vorher festgelegte Entscheidungen zu verkünden und Ziele zu setzen. Die Zeit, die man von Anfang an in Konsensbildung investiert, wirkt sich im weiteren Verlauf vielfältig positiv aus. Konsensbildung erfordert umfassende Informationen und tiefes Verständnis für strategische und taktische Zusammenhänge. Transparenz in allen Bereichen, Vertrauen und die Abschaffung jeglicher Geheimniskrämerei sind unerlässlich, um verantwortungsbewusste Mitarbeiter zu bekommen. Ein Mitarbeiter, der nicht alle notwendigen Informationen hat, kann keine Verantwortung übernehmen. Ein Mitarbeiter, der über alle Informationen verfügt, kann nicht anders, als die volle Verantwortung zu übernehmen. Mitarbeiter, die auf der Grundlage so umfassender Kenntnisse Ziele vereinbaren, sind im weiteren Arbeitsablauf sicherer in der Ausübung ihrer Tätigkeit und motivierter, weil sie wissen, warum was wann getan werden muss – und dieses Bewusstsein stärkt das Selbstwertgefühl. Die Motivation der Mitarbeiter wird behindert durch Verhaltensweisen, die das Selbstwertgefühl beeinträchtigen, durch die vielen kleinen nonverbalen Gesten des NichtBeachtens, Überhörens und des leisen Geringschätzens. Das drückt ebenso auf die Stimmung wie Pedanterie, mangelnde Glaubwürdigkeit, Nicht-Zutrauen und die Äußerung geringer Erwartungen. Die Erwartungshaltung von Vorgesetzten übt einen starken Einfluss auf die Entwicklung und Leistung der Mitarbeiter aus. Wenn Führungskräfte ihre Mitarbeiter für leistungsschwach halten, werden sie es früher oder später auch im Sinne einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung sein. Vorgesetzte müssen sich daher stets ihres eigenen Erwartungsverhaltens und dessen Auswirkungen auf die Mitarbeiter bewusst sein. Bringt der Mitarbeiter nicht die erwartete Leistung, dann sind entweder die Ziele nicht eindeutig definiert oder irgendetwas anderes hat ihn demotiviert. Vielleicht fehlt es auch an der Leistungsfähigkeit oder Leistungsmöglichkeit. Wir müssen davon ausgehen, dass die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, grundsätzlich motiviert sind. Sie haben sich für unser Unternehmen entschieden und wir uns für sie, weil sie mit unseren Zielen und Grundwerten übereinstimmen. Führungskräfte sollten deshalb darauf achten, alles zu unterlassen, was die Motivation ihrer Mitarbeiter behindern könnte. Das demotivierende Verhalten vieler Führungskräfte übt den stärksten negativen Einfluss auf die Einstellung der Mitarbeiter aus. Die Einsatzbereitschaft und der Ideenreichtum der Mitarbeiter werden häufig behindert durch Vorgänge, die mit den zwischenmenschlichen Beziehungen und den Arbeitsstrukturen verbunden sind. Das Problem ist nicht die unzureichende Motivation der Mitarbeiter, sondern das demotivierende Verhalten der Führungskräfte. Die folgenden Faktoren haben entscheidenden Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit, Motivation und Leistung.

10.6 Motivierendes Führungsverhalten

223

• Die Aufgabenvielfalt (Variabilität, Skill Variety): Das heißt, die Ausführung einer Arbeit sollte möglichst viele Fähigkeiten und Fertigkeiten der Person beanspruchen. • Die Ganzheitlichkeit der Aufgabe (Task Identity): Gemeint ist die Fertigstellung eines zusammenhängenden ,,Arbeitsstücks“ bzw. Fertigstellung der Aufgabe durch eine Person. • Der Bedeutungsgehalt der Aufgabe (Task Significance): In diesem Zusammenhang wird die Auswirkung der eigenen Arbeit auf das Leben und die Arbeit anderer gemeint. Das alles wirkt auf die Sinnhaftigkeit. • Die Autonomie (Autonomy): Das heißt, das Ausmaß, in dem die Arbeit den Mitarbeitern Freiheit, Unabhängigkeit sowie einen zeitlichen und sachlichen Spielraum bei der Durchführung der Arbeit bzw. Aufgabe lässt, bewirkt die Wahrnehmung von Verantwortlichkeit. • Feedback führt zur Wahrnehmung der eigenen Kompetenz und das wiederum zur intrinsischen Motivation.

Aufgabenvielfalt Sinnhaftigkeit

Ganzheitlichkeit Bedeutungsgehalt Intrinsiche Motivation

Autonomie Feedback

Verantwortlichkeit Würdigung der eigenen Leistung

Abb. 10.9 Faktoren für die Entwicklung intrinsischer Motivation und Arbeitszufriedenheit

224

10

Motivieren

10.6.8 Leadership vs. Management Die Unterschiede der transaktionalen und der transformationalen Führung sowie die Faktoren des motivierenden Führungsverhaltens sind in den vorangestellten Kapiteln hinreichend behandelt worden. Bleibt noch eine wichtige Frage zu klären: Was ist der Unterschied zwischen Management, Führung und Leadership? „Betrachtet man den Begriff des Managements genauer, so kann sich beispielsweise bereits derjenige einer Position im Management sicher sein, der als Hausmeister die Mülltonnen regelmäßig im Rahmen des „Facility Managements“ vor die Tür stellt oder aber die Burger im Rahmen des „Front-Counter-Managements“ in einer Fastfood-Kette aushändigt und abrechnet. Und damit nicht genug: Jeder, so kommt es einem Bobachter vor, hat auch zum Begriff des Managements eine eigene Meinung. Es ist irgendeine praxisbezogene, eine möglicherweise vorgesetzte Tätigkeit in einer Organisation (oder irgendetwas, was damit zu tun hat), die riskant, problematisch, erhebend, verantwortungsvoll, eventuell gut bezahlt und darüber hinaus alles Mögliche sein kann.“33 John P. Kotter wies in seinem Buch „A Force For Change: How Leadership Differs From Management“ auf den Unterschied zwischen Managern und wahren Führern (Leadern) hin. Manager seien eher Verwalter, Leader dagegen Visionäre. Management stehe eher für das perfekte Organisieren der Abläufe, Planen und Kontrollieren. Leadership bedeute, die Geführten mit Visionen zu inspirieren und zu motivieren; Leadership schaffe Kreativität, Innovation, Sinnerfüllung und Wandel. Eine allgemein akzeptierte Definition der Begriffe Führung, Leadership und Management scheint schwierig zu sein. Einigkeit existiert darüber, dass Führung, Leadership, Management und Organisation untrennbar miteinander zusammenhängen, nur wie und in welchem Maße, da ist man sich nicht einig. Welchen Unterschied gibt es zwischen Führung, Leadership und Management? Oder: Bezeichnen diese Begriffe möglicherweise dasselbe? Bei Seliger heißt es: „Das dritte Praxisfeld von Führung betrifft die Organisation bzw. den eigenen Verantwortungsbereich. Dieses Feld wird oft mit dem Begriff Management gleichgesetzt, so wie Menschenführung mit Führung oder Leadership gleichgesetzt wird. Ich möchte die Diskussion über die Sinnhaftigkeit dieser Unterscheidung nicht führen. Insofern jede Führung sich mit der Sicherung des Erfolgs und damit des Überlebens der gesamten Organisation beschäftigt, zugleich aber immer Arbeit mit Menschen ist, erscheint es mir sinnvoll, alle Praxisfelder als Führung zu bezeichnen.“ (Seliger, R., Das Dschungelbuch der Führung, 2008, S. 169) Die einen verstehen Führung als Menschenführung und Management als Unternehmensführung. Andere wiederum vermischen beide Begriffe zu Managerial Leadership als Oberbegriff von Führung und Management. Wie können die unterschiedlichen theoretischen Unterscheidungen von Führung, Leadership und Management gegeneinander abgegrenzt werden? 33

Marco Böhmer, Die Form(en) von Führung, Leadership und Management – Eine differenztheoretische Explizierung, 2014.

10.6 Motivierendes Führungsverhalten

225

John P. Kotter setzt drei Kriterien zur Unterscheidung der Begriffe Management und Leadership34 : Management

Leadership

1. Planen und budgetieren 2. Organisieren und Stellen besetzen 3. Controlling und Problemlösung

1. Richtung vorgeben 2. Mitarbeiter danach ausrichten 3. Motivation und Inspiration vermitteln

Management steht demnach für Ordnung und Erhalt – Leadership für Wandel, Bewegung und Innovation. Manager- und Leadership-Fähigkeiten sind Kotter zufolge selten in einer Person vereint. Nach seinem Eindruck seien die meisten Unternehmen „overmanaged“ und „under-led“. Kotter vertritt die Meinung, dass die Unternehmen sowohl Manager als auch Leader für ihren Erfolg benötigen. Für ihn sind beide Fähigkeiten für das Gedeihen eines Unternehmens wichtig. In Anbetracht des rasanten technologischen Wandels und wirtschaftlicher Globalisierung jedoch sind die verwaltenden und erhaltenden Managementfähigkeiten zwar von Bedeutung, die visionären Leadership-Skills hingegen geradezu überlebenswichtig. Warren Bennis (1925 – 2014) führt in seinem Buch „On Becoming a Leader“ zwölf Merkmale zur Unterscheidung zwischen dem Leader und dem Manager an, von denen die folgenden als Beleg für seine stark wertende Haltung35 stehen: • „Der Manager administriert, der Leader innoviert.“ • „Der Manager ist eine Kopie, der Leader ein Original.“ • „Der Manager macht Dinge richtig, der Leader macht die richtigen Dinge.“ Bennis und andere haben den Begriff des Leaders auf- und den des Managers abgewertet. Was gestern noch „Management“ oder „Mitarbeiterführung“ hieß, wurde in „Leadership“ umbenannt. Jede Führungskraft musste plötzlich Visionen entwickeln, die Umwelt begeistern und mit Sinn beglücken. Wie auch immer: Zu keiner Zeit können Firmen ohne Manager auskommen, die alles perfekt organisieren. In Umbruchphasen ist allerdings in der Tat ein „Leader“ hilfreich, der die Menschen auf eine Vision und Ziele einstimmen und mobilisieren kann. Entscheidend in der Praxis ist, welche Fähigkeiten in welcher Situation die beste Wirkung für ein Unternehmen entfalten können. Um das Phänomen Leadership zu erklären, werden aus der Antike Konfuzius, Homer, Plato, Xenophon und zahlreiche Autoren der Gegenwart zitiert, deren Aussagen alle im Kern darum kreisen, dass ein Leader ein Mensch ist, der mit einer inspirierenden Vision und vorbildlichem Verhalten vorangeht und dadurch andere begeistert, sich ihm intrinsisch motiviert anzuschließen. Dazu bedarf es der Fähigkeit, Dinge, Entwicklungen, Trends oder Problemlösungen möglichst als Erster zu erkennen, diese überzeugend an 34

Kotter, John P.: A Force for Change – How Leadership Differs from Management, New York 1990, S. 4–6 (eigene Übersetzung). 35 Bennis, Warren: On Becoming a Leader, Philadelphia 1989, S. 42.

226

10

Motivieren

andere zu kommunizieren, eine wirksame Strategie und klare Ziele zu entwickeln und entsprechende Maßnahmen zur Realisierung durchzuführen. Dies alles ist Handwerk. Das Entwickeln einer geschäftlichen Zielvorgabe z. B. ist keine Zauberei, sondern das Ergebnis nüchterner, strategischer Arbeit. Leadership ist nicht gleichzusetzen mit Charisma oder irgendwelchen anderen exotischen Charaktereigenschaften. Leadership kann sich nur dort entfalten, wo ein geeignetes Umfeld geschaffen wird. Die feste Verankerung einer entsprechenden Führungskultur ist dafür die Voraussetzung. Ob visionäre Führung und auf Ordnung und Perfektion gerichtetes Management Hand in Hand gehen können, bleibt der Schlüssel zum Erfolg. Damit Leadership erlernt werden kann, müssen Unternehmen ihre Führungskräfte gezielt und mit langfristiger Perspektive entwickeln. Es müssen Prozesse initiiert werden, die bei den Mitarbeitern das Erkennen unternehmerischer Chancen fördern und sie für unternehmerisches Denken und Handeln sensibilisieren und ermutigen. Der Begriff Entrepreneurship geht zurück auf das französische Wort „entreprendre“, was so viel bedeutet wie „etwas unternehmen“ oder „etwas in die eigenen Hände“ nehmen. Stets waren es die innovativen Köpfe, die Entwicklungen vorangetrieben haben. Intrapreneurship (zusammengesetzt aus den beiden englischen Wörtern „Intracorporate“ und „Entrepreneurship“) bezeichnet das unternehmerische Verhalten von Mitarbeitern, die durch eigenverantwortliches Handeln die Flexibilität und Innovationsfähigkeit in Unternehmungen oder öffentlichen Einrichtungen steigern. Diese Kultur gilt es zu leben, damit Unternehmungen wachsen können und wettbewerbsfähig bleiben. „Von der Idee zum Businesplan“ lautet der Titel des 12. Kapitels dieses Buches. Es bietet eine systematisch aufgebaute und klar strukturierte Handlungsempfehlung für die Entwicklung unternehmerischen Denkens sowie das Erkennen von Marktchancen und Innovationspotenzialen bis zur Erstellung eines Businessplans. Sich mit diesen Dingen zu befassen, wäre ein erster Schritt zu einem Verhalten, das die Bezeichnung „Leadership“ rechtfertigen könnte.

10.6.9 Die 16 Lebensmotive nach Steven Reiss36 Mitarbeitermotivation ist eine der bedeutendsten Aufgaben für Führungskräfte. Die hier vorgestellten Theorien und Empfehlungen machen deutlich, dass Motivation durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird, die sich nicht verallgemeinern lassen. Jeder Mensch ist in der persönlichen Sicht seiner Situation, seiner Hoffnungen, Wünsche und Vorlieben verschieden. 36

Vgl. Huber, Andreas, Psychologie Heute 03/2001, Rubrik: Motivation und Persönlichkeit, S. 20 f.

Anmerkung: Steven Reiss, Ph. D., erhielt seine akademische Ausbildung an den renommierten USamerikanischen Universitäten Dartmouth College, Yale University und Harvard Medical School. Bis zu seiner Emeritierung 2009 war er Professor für Psychologie und Psychiatrie an der Ohio State University sowie Direktor des Nisonger Center for Mental Retardation. Seine Forschungsarbeit zu den psychologischen Bedürfnissen, Motivation und Angstsensitivität beeinflusste viele Kollegen und wurde durch fünf amerikanische Auszeichnungen gewürdigt. Er veröffentlichte 80 Artikel und drei Fachbücher, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Reiss’ ,,home base“ ist heute Columbus, Ohio (USA), von wo aus er die IDS Publishing Corporation betreibt und forscht.

10.6 Motivierendes Führungsverhalten

227

Der Motivationsforscher Steven Reiss – Professor für Psychologie und Psychiatrie an der Ohio State University – fand heraus, dass 16 Bedürfnisse und Werte unser Leben bestimmen und dass jeder Mensch über ein unverwechselbares ,,Motivprofil“ verfügt, ähnlich einem Fingerabdruck. In Studien und Untersuchungen mit über 6.000 Männern und Frauen in den USA, Kanada und Japan kristallisierte sich heraus: Allen menschlichen Verhaltensweisen liegen 16 Motive zugrunde. Diese Motive, Wünsche und Werte bestimmen unser Leben: Sie verleihen unserer Existenz Sinn und Bedeutung und umfassen im Wesentlichen folgende Verhaltensziele • Macht: Streben nach Erfolg, Leistung, Führung und Einfluss • Unabhängigkeit: Streben nach Freiheit, Selbstgenügsamkeit und Autarkie • Neugier: Streben nach Wissen und Wahrheit • Anerkennung: Streben nach sozialer Akzeptanz, Zugehörigkeit und positivem Selbstwert • Ordnung: Streben nach Stabilität, Klarheit und guter Organisation • Sparen: Streben nach Anhäufung materieller Guter und Eigentum • Ehre: Streben nach Loyalität und moralischer, charakterlicher Integrität • Idealismus: Streben nach sozialer Gerechtigkeit und Fairness • Beziehungen: Streben nach Freundschaft, Freude und Humor • Familie: Streben nach einem Familienleben und besonders danach, eigene Kinder zu erziehen • Status: Streben nach social standing, nach Reichtum, Titeln und öffentlicher Aufmerksamkeit • Rache: Streben nach Konkurrenz, Kampf, Aggressivität und Vergeltung • Romantik: Streben nach einem erotischen Leben, Sexualität und Schönheit • Ernährung: Streben nach Essen und Nahrung • Körperliche Aktivität: Streben nach Fitness und Bewegung • Ruhe: Streben nach Entspannung und emotionaler Sicherheit Diese Motive bestimmen unser Verhalten intrinsisch, das heißt, sie auszuleben ist schon ihr Zweck. Reiss weist ausdrücklich auf den wichtigen Unterschied zwischen Mittel und Zweck unseres Verhaltens hin; jedes einzelne Lebensmotiv kann zwar auch Mittel sein, um andere Werte und Interessen zu erfüllen: Sexualität im Dienste der Macht oder Loyalität im Dienste von Status usw. Jedoch gibt es neben diesen 16 Grundmotiven kein weiteres ,,Verhaltensmittel“, das als Selbstzweck dienen könnte und um seiner selbst willen ausgeführt wird.

228

10

Motivieren

Für Reiss sind 14 der 16 Bedürfnisse genetisch bedingt, da man ähnliche ,,Motivatoren“ auch bei Tieren beobachten kann und sie eine evolutionäre Bedeutung haben. Nur die Motive ,,Idealismus“ und ,,Anerkennung“ haben wohl keine genetischen Anteile.

Zusammenfassung

Das Streben nach sozialer Anerkennung (Akzeptanz) ist die Triebfeder menschlichen Handelns schlechthin. Wird diese Anerkennung vorenthalten, hat das negative Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl. Die Entwicklung des Selbstwertgefühls bedarf der Rückmeldung, der Resonanz durch unsere Mitmenschen. In Arbeitsprozessen brauchen wir Feedback, Lob und Kritik. Wird uns all das längere Zeit vorenthalten, zweifeln wir an uns selbst. Unsere Motivation leidet oder wird komplett zerstört. Die Selbstwirksamkeit ist der wichtigste Motor, der unsere persönliche Handlungsfähigkeit beeinflusst. Dadurch entsteht der Glaube an die eigenen Fähigkeiten, ob spezifische Aufgaben überhaupt angegangen und durchgeführt werden können, wie viel Anstrengung in eine Aufgabe/Tätigkeit investiert wird wie viel Ausdauer eine Person im Umgang mit Hindernissen zeigt. Ziele bestimmen das Verhalten. Jedes Verhalten wird ausgelöst von einem Motiv, einem Antrieb, gerichtet auf ein Ziel. Dadurch entsteht ein entsprechendes Verhalten. Wir werden von den Zielen geleitet und durch Gefühle und den Verstand unterstützt. Lust und Unlust, Überzeugungen, Werte, Ideale und Philosophien wirken ebenfalls auf unser Verhalten ein. Gelingt es einer Führungskraft, Ziele und Verhaltenserwartungen zu vermitteln, die Sinn ergeben, kann sie damit das Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfolgreich beeinflussen. Sinn vermitteln, Macht ausüben, Initiative ergreifen und Empathie zeigen können – das sind wichtige Voraussetzungen für das Entstehen von MitarbeiterMotivation. Um persönliche Fähigkeiten und Kompetenzen zu erhöhen, braucht es zunächst extrinsische Anreize. Als extrinsische Verstärker können sowohl Belohnungen (z. B. monetäre Anreize) als auch (positive) Rückmeldungen dienen. Die Mitarbeiterauswahl ist eine Grundvoraussetzung für das Entstehen von Arbeitsmotivation. Wer passt zu wem, wer hat die entsprechende Leistungsfähigkeit und den Leistungswillen? Verfügt eine Person über zu geringe fachliche Kompetenzen, kann keine aufgabenbezogene intrinsische Motivation entstehen.

10.7

Change-Management

229

Sensibel sein für Bedürfnisse und Interessen der Mitarbeiter: Aufgaben, Rahmenbedingungen und Bedürfnisse in Einklang bringen, sich gegenüber unterschiedlichen Mitarbeiterpersönlichkeiten variabel verhalten können. Ein weiteres zentrales Bedürfnis der intrinsischen Motivation ist das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit (Relatedness). Die positive Rückmeldung durch die Führungskraft ist ein empirisch abgesichertes Instrument, um die intrinsische Motivation zu verstärken (vgl. Deci, 1997). Positive Rückmeldungen fördern und verstärken die wahrgenommenen Kompetenzen und die intrinsische Motivation. Positive (verbale) Rückmeldungen sind demnach das geeignetere Mittel zur Förderung der intrinsischen Motivation als verhaltens- und leistungsbezogene Verstärkungen. Menschen verfügen über genetisch bedingte Bedürfnisse. Daher zeigen wir eine natürliche Tendenz, Aufgaben selbstbestimmt (autonom) zu wählen und während der Aufgabenbearbeitung unsere eigene Wirksamkeit (= Kompetenz) zu erleben. Kompetenzen regen zur fortlaufenden Reflexion und zum Lernen an. Infolgedessen werden sowohl die Kompetenz als auch die Leistung gesteigert. Verfügen Personen über eine entsprechend wahrgenommene Autonomie und Kompetenz, kann intrinsische Motivation entstehen. Die Quelle für intrinsisch motiviertes Verhalten liegt in uns selbst. Ausschlaggebend für diese Verhaltensorientierung sind die wahrgenommene Selbstbestimmung (Autonomie) und das Bedürfnis nach Kompetenzerleben. Wir sind intrinsisch motiviert, wenn wir unsere Bedürfnisse nach Selbstbestimmung und Kompetenzerleben befriedigen können, weil wir unsere eigene Wirksamkeit fühlen.

10.7 Change-Management Wer sich am Markt der Zukunft etablieren will, muss mit der Zeit gehen. Doch wie gelingt den Unternehmen die Veränderung zum Besseren? Die Antwort lautet: Mithilfe von Change-Management. Organisationen sieht man gemeinhin als stabile, von Routinen bestimmte Einheiten, die sich hin und wieder dem schmerzhaften Prozess der Veränderung unterziehen müssen. Einerseits bedürfen Organisationen der Stabilität zur Effizienzsicherung, andererseits sind sie zugleich einem permanenten Veränderungsdruck ausgesetzt, der Flexibilität und Variabilität verlangt. In Anbetracht der Tatsache, dass die Veränderungsnotwendigkeiten

230

10

Motivieren

und Veränderungsgeschwindigkeiten auf den Märkten zunehmen, müssen Wandel- und Innovationsprozesse Bestandteile der Unternehmenskultur werden. Anlässe für Change-Prozesse sind z. B. die Reorganisation betrieblicher Abläufe, die Integration zugekaufter Unternehmensteile („Merger & Acquisitions“), der Aufbau von Auslandsniederlassungen, die Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter, die Anpassung an neue Technologien oder Gesetze, die Initiierung neuer Projekte usw. Diese Veränderungsprozesse zielführend und erfolgreich zu gestalten, ist eine wichtige Führungsaufgabe. Unternehmen, die den Wandel scheuen, sich passiv oder zu abwartend verhalten, fallen im Wettbewerb zurück und schwächen ihre Position. Unter dem Titel „Change-Management: Gestalten Sie mit uns erfolgreich Ihren Unternehmenswandel“ liest man auf der Website der Kienbaum37 Consultants International GmbH: „Die Lage ist branchenübergreifend vergleichbar: Technologische Entwicklungen überschlagen sich, Innovationszyklen verkürzen sich, die zunehmend globalisierten Märkte entwickeln eine dynamische Komplexität und gesellschaftlich-politische Veränderungen wirken bedrohlich. Disruptive Szenarien und die fortschreitende Digitalisierung können das eigene Geschäftsmodell schlagartig infrage stellen. Andererseits stehen diese Entwicklungen der Sehnsucht vieler Menschen in Organisationen nach Stabilität, Ruhe und Ordnung geradezu diametral entgegen. Die zentrale Herausforderung lautet somit: Wie können Unternehmen sowohl ihre Leistungsfähigkeit als auch ihre Strukturen so entwickeln, dass in diesen Veränderungen die eigene Marktstellung gestärkt und zukünftiger Erfolg sichergestellt wird? Neben dem zentralen Anliegen einer gesunden Geschäftsentwicklung sollten insbesondere die Menschen in Organisationen gezielt gestärkt werden, um die im Wandel notwendigen Anforderungen erfolgreich bewältigen zu können. Ein neues Niveau an Ordnung, Stabilität und gleichzeitig Agilität kann über die richtige Balance der drei Ebenen in Change- und in Transformations-Szenarien erreicht werden: 1. Strategie 2. Organisation & Prozesse 3. Kultur Erfolgreiche Change-Konzepte fokussieren entlang dieser drei Ebenen ausnahmslos auf marktund geschäftsorientierte Umsetzbarkeit. Da Menschen Unternehmen erfolgreich machen, müssen alle verantwortlichen Schlüsselpersonen systematisch in die Umsetzung von Strategien integriert werden. Relevante Umsetzungshindernisse werden in diesem Ansatz klar adressiert und wenn nötig beseitigt. Der angestrebte Wandel wird über unseren integrierten Change-Ansatz nicht nur kognitiv nachvollziehbar, sondern konsequent und überzeugt in die alltägliche Praxis verankert.“ 37 https://www.kienbaum.com/de/leistungen/change-management? gclid=CjwKEAjwppPKBRCGwrSpqK7Y5jcSJACHYbWYbIvDduPc261WxKpTApJQGzdkRMZa1l9BCs9P90KhBoCdpXw_wcB [abgerufen am 18.06.2017].

10.7

Change-Management

231

Modelle des Change-Managements Das 3-Phasen-Modell von Kurt Lewin Ein wesentlicher Impuls zur Entwicklung eines proaktiven Veränderungsmanagements ging von Kurt Lewin (1958) und seinen Studien zum Abbau von Speiseabscheu aus. Aufgrund von Lebensmittelknappheit sollte der Bevölkerung in den USA in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der Verzehr von bis dahin eher unbeliebten Innereien nahegebracht werden. Von den Versuchspersonen, die einen Vortrag über die Vorzüge solcher Nahrungsmittel hörten, waren daraufhin bis zu 10 % bereit, diese Nahrungsmittel zu probieren. Von Teilnehmern an Diskussionsgruppen, die ausführlich über die Hintergründe informiert wurden und daraufhin selbständig versuchen sollten, eine Lösung für das Problem zu finden, waren anschließend bis zu 50 % davon überzeugt, dass der Verzehr von Innereien eine sinnvolle Alternative zum herkömmlichen Speiseplan darstellen könne. Daraus leitete Lewin ab, dass Menschen in gruppenbasierten Lernprozessen eher bereit waren, Vorbehalte abzubauen und eine offene Haltung einzunehmen, als wenn man lediglich an sie appellierte, eine Verhaltensänderung vorzunehmen. Aktive Beteiligung an Problemlösungen ist erfolgreicher als passive Informationsaufnahme, da die Identifikation durch Partizipation ansteigt.38 Aus diesen Experimenten und der Teilnehmeraktivierung wurden „Goldene Regeln“ erfolgreichen organisatorischen Wandels entwickelt, die das Interesse am Wandelvorhaben stimulieren: • aktive Teilnahme am Veränderungsprozess • umfassende Informationen über die Hintergründe des bevorstehenden Wandels • Partizipation an den Veränderungsentscheidungen. Der Wandelprozess wurde von Lewin (1958: 210 f.) mit diesen drei Stufen charakterisiert: 1. auftauen (unfreezing) 2. verändern (moving, auch als changing bezeichnet) 3. stabilisieren (refreezing). Wandelprozesse bedürfen einer Auflockerungsphase, in der die Bereitschaft zum Wandel erzeugt wird, und einer Beruhigungsphase, die den vollzogenen Wandel stabilisiert. Ist der Wandlungsbedarf identifiziert, bedarf es der Wandlungsbereitschaft und der Wandlungsfähigkeit zur erfolgreichen Umsetzung des Prozesses. Häufig führt ein Erleben oder ein Vermuten von Unkenntnis und/oder Unfähigkeit in Bezug auf die Neuheiten im Rahmen des Wandels zu einer ablehnenden Reaktion.

38

Vgl.: Schreyögg. Geiger, 2016, S. 368.

232

10

Motivieren

Wandlungsbedarf

Wandlungsbereitschaft

Wandlungsfähigkeit

Abb. 10.10 3-W-Modell (angelehnt an Krüger, 1998, S. 228)

In seinem 3-Phasen-Modell skizziert Lewin den Veränderungsprozess in gesellschaftlichen Gruppen wie folgt: 1. Unfreezing: Der Wandlungsbedarf wird erkannt, Bestehendes hinterfragt, Analysen angefertigt und qualifizierte Informationen vermittelt, um das Bewusstsein der Beteiligten für den Nutzen des Wandels zu schärfen. Gründlich werden gemeinsam die Vor- und Nachteile erörtert und dadurch die Wandlungsbereitschaft stimuliert. 2. Changing (Moving): In dieser Phase sind die Wandlungsbereitschaft und die Wandlungsfähigkeit der Betroffenen gefordert. Orientierungslosigkeit oder Widerstand auf allen Seiten können diesen Prozess begleiten und erschweren. Nicht jedem fällt die Umstellung auf Neues leicht. Die Führungskräfte sollten die Wandlungsbereitschaft fördern, indem Sie die Mitarbeiter umfassend informieren, maximale Transparenz aller Vorgänge und Planungen ermöglichen sowie Verantwortlichkeiten delegieren und ggf. Trainings anbieten. 3. Refreezing. Nach erfolgter Veränderung müssen die Mitarbeiter sich an die neue Situation gewöhnen, durch Wiederholung und Übung neue Routinen bilden und dadurch das Erreichte sichern. Der Rückfall in alte Strukturen sollte auf jeden Fall verhindert werden, weil das daraus resultierende Frustrationspotenzial sich nachteilig auf künftige Wandlungsprozesse auswirken kann und in jedem Fall Demotivation auslöst. In dynamischen Unternehmen und Märkten gibt es kaum noch eine Phase des „Refreezing“, weil die Unternehmen einem ständigen Veränderungs- und Optimierungsdruck ausgesetzt sind, sodass Phasen von Stabilität und Regenerierung nur noch kurz ausfallen oder häufig völlig entfallen. In vielen Branchen sind Optimierungsverfahren wie z. B. „KVP“ (Kontinuierlicher VerbesserungsProzess), „TQM“ (Total Quality Management) oder „Kai-Zen“ fester Bestandteil der Unternehmenskulturen geworden. Das 3-Phasen-Modell von Kurt Lewin gilt als Pioniertheorie im Change-Management und wurde von diversen Autoren aufgenommen und weiterentwickelt. Als bedeutsam gelten weiterhin u. a. • das 8-Phasen-Modell nach Kotter • das 5-Stufen-Modell nach Krüger.

10.7

Change-Management

233

Das 8-Phasen-Modell nach John P. Kotter Schätzungen zufolge scheitern bis zu 70 % aller Veränderungsprojekte oder sie erreichen zumindest nicht die vorher ausgegebenen Ziele.39 Zugleich existiert eine Vielzahl an Studienergebnissen, „Best-Practice-Geschichten“ oder Beratungsansätzen. Wie passt das zusammen? Verantwortlich für die niedrige Erfolgsquote sind hauptsächlich zwei Faktoren: • Widerstand gegen die Veränderung unter den Mitarbeitern • Zurückfallen in alte Verhaltensmuster. Nicht die Technik, sondern der Mensch stellt also das größte Hindernis für den Wandel dar. Ausgehend von dieser Erkenntnis, entwickelte Kotter 1996 das 8-Phasen-Modell. Es ist eine Weiterentwicklung des populären 3-Phasen-Modells von Kurt Lewin. Kotter zeigt acht Phasen des Change-Managements auf und gibt Empfehlungen, wie Veränderungen erfolgreich gestaltet werden können. Er betont, dass alle im Folgenden benannten acht Phasen des Veränderungsprozesses bearbeitet und von Führungskräften intensiv begleitet werden müssen, damit Veränderungen in Unternehmen erfolgreich werden. 1. Dringlichkeit aufzeigen Sowohl unter den Führungskräften als auch unter den Mitarbeitern muss ein Bewusstsein für die Dringlichkeit des Wandels erzeugt werden. 2. Führungskoalition aufbauen Aus allen betroffenen Bereichen ein qualifiziertes Führungsteam aufbauen, dessen fachliche Qualifikation und menschliche Integrität allseits akzeptiert wird. Sicherstellen, dass die Team-Mitglieder willens sind, den Wandel zu gestalten. Vor allem die Führung muss voll und ganz hinter dem Anliegen und dem Konzept stehen. Erfahrungen zeigen, dass es in Organisationen häufig Gegner in den obersten Führungsebenen gibt. Deren Einstellung und die subtil geäußerte Ablehnung oder Kritik überträgt sich auf die Mitarbeiter, die dadurch unsicher werden. 3. Vision und Strategie entwickeln Es gilt, eine aussagekräftige und inspirierende Vision sowie konkrete Strategien zur Realisierung der Ziele zu entwickeln. 4. Die Vision kommunizieren Die Vision und die Ziele müssen für jeden verständlich kommuniziert werden, damit alle mitwirken können und die Zusammenhänge kennen. 5. Hindernisse aus dem Weg räumen Alles, was den Wandel negativ beeinflussen könnte, muss beseitigt werden. 6. Kurzfristige Erfolge sichtbar machen Kurzfristige Ziele und Erfolge planen. Die Ziele müssen messbar sein. 39

Higgs, M. J. & Rowland, D. (2005). All changes great and small: Exploring approaches to change and its leadership. Change Management Journal, 5(2), S. 121–151. Rosenstiel, L. von & Nerdinger, F. W. (2011). Grundlagen der Organisationspsychologie. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

234

10

Motivieren

7. Veränderung weiter antreiben Nach jedem erreichten Ziel die Wirkungsmechanismen und Prozesse kritisch reflektieren, um daraus zu lernen und stets wirksamer zu werden. 8. Veränderungen in der Unternehmens-Kultur verankern Verankern Sie die erreichten Ziele und Verfahrensweisen fest in Ihrer Unternehmenskultur. Erst wenn dies gelungen ist, kann nach Kotter von einem erfolgreichen ChangeManagement-Prozess gesprochen werden. Das Fünf-Phasen-Modell nach Krüger40 Tiefgreifender Wandel erfordert einen Veränderungsprozess, der die gesamte Unternehmung umfasst, nicht nur auf Prozessstrukturen und Systemen ausgerichtet ist, sondern auch Verhaltensweisen und Einstellungen der Führungskräfte und Mitarbeiter einschließt. Wandlungsbereitschaft Strategien Leadership

Wandlungsbedarf

Mitarbeiter

Projekt- und ProgrammManagement

Wandlungsprozesse

Strategische Erneuerung

Human Resource Management Kommunikation Controlling Toolbox

Wandlungsfähigkeit

Abb. 10.11 Das Fünf-Phasen-Modell nach Krüger (Quelle: Krüger, W.; Bach, N. (Hrsg.) (2015), Excellence in Change – Wege zur strategischen Erneuerung, 5. Auflage, Gabler Verlag, Wiesbaden, S. 34)

Der daraus resultierende Transformationsprozess bildet den Kern des Wandlungsmanagements des Fünf-Phasen-Modells nach Krüger. Mithilfe dieser fünf Phasen werden die Aspekte des Wandlungsmanagements analysiert und die wichtigsten Aufgaben einer Phase identifiziert: 40

Krüger, W.; Bach, N. (Hrsg.) (2015), Excellence in Change – Wege zur strategischen Erneuerung, 5. Auflage, Gabler Verlag, Wiesbaden.

10.7

Change-Management

235

Wandlungsprozess und Wandlungsmanagement Phasen des Wandels Initialisierung

Konzipierung

- Wandlungsbe-

- Wandlungs-

darf feststellen - Wandlungsträger aktivieren

ziele festlegen - Maßnahmenprogramme entwickeln

Mobilisierung

Umsetzung

- Prioritäre Vorhaben durchzept kommuniführen zieren - Folgeprojekte - Wandlungsbedurchführen reitschaft und Wandlungsfähigkeit schaffen

- Wandlungskon-

Verstetigung - Wandlungs-

ergebnisse verankern - Wandlungsbereitschaft und -fähigkeit sichern

Aufgaben des Wandlungsmanagements Zielzustand des Unternehmens Ausgangszustand des Unternehmens

t

Abb. 10.12 Fünf Phasen des Change-Managements (Quelle: Krüger, W.; Bach, N. (Hrsg.) (2015), Excellence in Change – Wege zur strategischen Erneuerung, 5. Auflage, Gabler Verlag, Wiesbaden, S. 40)

Phase 1: Initialisierung Die Notwendigkeit einer Veränderung wird festgestellt; interne und externe System- und Situationsanalysen werden durchgeführt, um die Situation einschätzbar und planbar zu machen. Im gleichen Zug werden die Träger des Veränderungsprozesses, z. B. Führungskräfte und Berater, aktiviert. Phase 2: Konzipierung Bei der Konzeption des Wandlungsvorgangs werden Ziele definiert und die dazugehörigen Maßnahmen ermittelt und festgelegt. Phase 3: Mobilisierung Die bevorstehende Veränderung wird den Betroffenen kommuniziert. Krüger betont die besondere Bedeutung von Change-Management-Kommunikation, um die Akzeptanz aller Beteiligten zu gewinnen und diese auch mit geeigneten Maßnahmen auf die veränderten Bedingungen vorzubereiten. Diese Stufe bereitet die Umsetzung vor. Phase 4: Umsetzung Die geplanten Änderungen werden durchgeführt sowie eventuelle Folgeprojekte initiiert. Jedes Projekt wird anschließend auf seinen Erfolg hin überprüft, bewertet und ggf. korrigiert.

236

10

Motivieren

Phase 5: Verstetigung In der letzten Stufe werden die Ergebnisse des Wandlungsprozesses verankert und gefestigt, um sicherzustellen, dass die Organisation nicht wieder in alte Muster zurückverfällt. Auf diese Weise sollte die Bereitschaft für künftige Veränderungen sichergestellt werden.

10.7.1

Veränderungsprozesse motivierend begleiten

Die einzige Konstante im Leben einer Organisation ist der Wandel. Veränderungen finden in Organisationen häufig statt. Denken wir an Situationen wie z. B. die Übertragung einer neuen Aufgabe an einen Mitarbeiter, das Beziehen eines neuen Arbeitsraumes, die Integration eines neuen Mitarbeiters in ein bestehendes Team, das Ausscheiden eines Kollegen aus dem Unternehmen, die Einführung neuer Verfahrensweisen oder die Zuordnung eines neuen Managers für eine Abteilung usw. Große Veränderungen wie die Zusammenführung von Firmen, die Reorganisation ganzer Betriebsteile mit dem Ziel der Optimierung der Wirtschaftlichkeit verunsichern die Mitarbeiter und mindern die Arbeitsfähigkeit bis hin zum Stillstand aller Aktivitäten. Wie können wir Veränderungsprozesse so gestalten, dass die Motivation der Betroffenen nicht beeinträchtigt wird? Fallstudie: Der Zusammenschluss Situation: Die deutschen Unternehmen Fremdspracheninstitut (FI) und Musikschule (MS) sollen zu einem Unternehmen verschmolzen werden. Künftig soll das neue Unternehmen Teil der Future Group (FG) mit Sitz in England werden. Den Mitarbeitern des FI und der MS ist bekannt, dass die FG starke Expansionsbestrebungen in Europa verfolgt und außerdem die in ihrer Forschungs- und Entwicklungsabteilung entwickelten Unterrichtsprogramme mit der Zielsetzung einer firmeneinheitlichen Identität in all ihren Betrieben einführen will. Die FG unterhält in fünf weiteren europäischen Ländern Betriebsnetzwerke mit insgesamt 800 Standorten und 160.000 Schülern. Die beiden deutschen Betriebe gelten wegen ihrer sehr starken Kundenorientierung und eines hohen Anteils an Individualunterricht als nicht sonderlich profitabel. Die FG hat einen ihrer Manager aus der Londoner Zentrale abgestellt, den Zusammenschluss der FI und MS, deren Eingliederung in die FG und die Optimierung des Profits innerhalb der kommenden drei Jahre zu bewerkstelligen. Mister ToDo, Typ „Sanierer und Macher“, ist bekannt für seine Entscheidungsfreudigkeit und die rasche Umsetzung von Beschlüssen.

10.7

Change-Management

237

Die Mitarbeiter der Betriebe FI und MS sind zu einem ersten gemeinsamen Meeting eingeladen worden. Es spricht der Manager ToDo: Analyse

Text der Rede von Mr. ToDo „Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie wissen, ist das Zusammengehen der Betriebe FI und MS unter dem Dach der FG beschlossene Sache. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben diese Unternehmen sich unabhängig voneinander am Bildungsmarkt behauptet. Wegen der starken Kundenorientierung haben Sie eine zufriedenstellende Kundenbindung aufbauen können; die ehemaligen Schüler schicken heute ihre Kinder zu Ihnen – usw. Das ist erfreulich. Andererseits müssen wir auch die wirtschaftliche Seite realistisch betrachten. Beide Unternehmen sind im Vergleich mit den anderen europäischen FG-Töchtern weit zurück hinter den Gewinnmargen, die wir üblicherweise erwirtschaften. Das gilt es zu optimieren. Die Entwicklung der Schülerzahlen in den Kernbereichen der FG „frühkindliche Sprachbildung“ und „Musizieren mit älteren Erwachsenen“ ist in Ihren Unternehmen weit zurück hinter unseren anderen europäischen Tochtergesellschaften und weit unter unseren Erwartungen. Auch hier gilt es, Maßnahmen durchzuführen, die in kürzester Zeit Veränderungen ermöglichen. Die FG ist bekannt für wirtschaftliche Effizienz – und das soll auch so bleiben. Konkret heißt das, wir müssen prüfen: Wie viel Administration ist unter dem Gesichtspunkt der Potenziale, die ein Zusammenschluss bietet, sinnvoll, und wie hoch kann der relativ unproduktive Anteil an Individualunterricht künftig noch sein? Ab der kommenden Woche werde ich Sie wissen lassen, mit welchen Schritten die Optimierung vorangetrieben werden soll. Von Ihnen erwarte ich rückhaltlose Unterstützung dieser Maßnahmen. So viel für heute. Noch eine produktive Arbeitswoche!“

Aufgabe

Wie wirkt die Rede auf Sie? Analysieren Sie den Inhalt und schreiben Sie Ihre Erkenntnisse in die linke Spalte der Matrix. Vergleichen Sie anschließend Ihr Ergebnis mit der folgenden Musteranalyse.

BEVOR SIE WEITERLESEN, BITTE DIE AUFGABE ERLEDIGEN.

238

10

Motivieren

Musteranalyse Analyse

Text der Rede von Mr. ToDo „Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Mr. ToDo verliert keine Zeit, kommt gleich zur Sache.

wie Sie wissen, ist das Zusammengehen der Betriebe FI und MS unter dem Dach der FG beschlossene Sache. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben diese Unternehmen sich unabhängig voneinander sich am Bildungsmarkt behauptet.

geringe Anerkennung der bisherigen Leistung und gleich einen Dämpfer verpasst

Wegen der starken Kundenorientierung haben Sie eine zufriedenstellende Kundenbindung aufbauen können; die ehemaligen Schüler schicken heute ihre Kinder zu Ihnen – usw. Das ist erfreulich. Andererseits müssen wir auch die wirtschaftliche Seite realistisch betrachten. Beide Unternehmen sind im Vergleich mit den anderen europäischen FG-Töchtern weit zurück hinter den Gewinnmargen, die wir üblicherweise erwirtschaften. Das gilt es zu optimieren.

Kritik an der Schülerzahlentwicklung und dem Unterrichtsangebot

Die Entwicklung der Schülerzahlen in den Kernbereichen der FG „frühkindliche Sprachbildung“ und „Musizieren mit älteren Erwachsenen“ ist in Ihren Unternehmen weit zurück hinter unseren anderen europäischen Tochtergesellschaften und weit unter unseren Erwartungen. Auch hier gilt es, Maßnahmen durchzuführen, die in kürzester Zeit Veränderungen ermöglichen.

Ankündigung der Bestandsaufnahme und Rationalisierung

Die FG ist bekannt für wirtschaftliche Effizienz – und das soll auch so bleiben. Konkret heißt das, wir müssen prüfen: Wie viel Administration ist unter dem Gesichtspunkt der Potenziale, die ein Zusammenschluss bietet, sinnvoll, und wie hoch kann der relativ unproduktive Anteil an Individualunterricht künftig noch sein?

Die autoritär gehaltene Ankündigung im Befehlston wirkt bedrohlich, keine Empathie seitens des Mr. ToDo.

Ab der kommenden Woche werde ich Sie wissen lassen, mit welchen Schritten die Optimierung vorangetrieben werden soll. Von Ihnen erwarte ich rückhaltlose Unterstützung dieser Maßnahmen. So viel für heute. Noch eine produktive Arbeitswoche!“

Als Manager müssen Sie wissen, dass jede Veränderung im organisatorischen Bereich eine Verunsicherung der Betroffenen mit sich bringt, die Produktivität nicht etwa sprunghaft nach oben schnellt, sondern häufig zunächst geringer wird, weil sich alle mit ihrer Sicht der Dinge beschäftigen. Das bindet viel Energie. Stellen Sie sich vor, Sie hätten die gleiche Aufgabe wie Mr. ToDo. Gott sei Dank sind Sie ein ganz anderer Typ. Sie wissen, dass Veränderungsprozesse am besten gelingen, wenn man die Beteiligten mit Respekt behandelt und ihre Qualifikationen einbindet, den neuen Kurs gemeinsam zu entwickeln und die Veränderungsmaßnahmen durchzuführen.

10.7

Change-Management

239

Da die Ansprache von Mr. ToDo demotiviert und Druck aufbaut, versuchen Sie, Ihre Ansprache motivierender zu gestalten. Versuchen Sie das bitte jetzt. Schreiben Sie Ihre Rede und vergleichen Sie diese anschließend mit der von Mr. ToDo und der Musterrede von Mr. WeDo.

Schreiben Sie hier hinein Ihre Rede im Sinne eines Mr. WeDo:

Musterrede von Mr. WeDo Mr. ToDo

Mr. WeDo

„Liebe Kolleginnen und Kollegen,

„Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wie Sie wissen, ist das Zusammengehen der Betriebe FI und MS unter dem Dach der FG beschlossene Sache. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben diese Unternehmen sich unabhängig voneinander am Bildungsmarkt behauptet.

in den vergangenen drei Jahrzehnten haben die Unternehmen FI und MS sich unabhängig voneinander beeindruckend in ihren Marktsegmenten behauptet.

Das ist einerseits auf die starke Kundenbindung und andererseits auf die langfristig angelegte Wegen der starken Kundenorientierung haben Forschung und Produktentwicklung zurückzuSie eine zufriedenstellende Kundenbindung führen. Ehemalige Schüler schicken heute ihre aufbauen können; die ehemaligen Schüler schi- Kinder zu Ihnen, und das beweist, wie sehr die cken heute ihre Kinder zu Ihnen – usw. Das Kunden Ihre Arbeit schätzen. Das alles wurde ist erfreulich. Andererseits müssen wir auch nur möglich, weil Sie, verehrte Kolleginnen und die wirtschaftliche Seite realistisch betrachten. Kollegen, so engagiert daran gearbeitet haben, Beide Unternehmen sind im Vergleich mit den Ihren Unternehmen zu überregionaler Geltung anderen europäischen FG-Töchtern weit zurück und Wertschätzung in Europa zu verhelfen. hinter den Gewinnmargen, die wir üblicherweise erwirtschaften. Das gilt es zu optimieren.

240

10

Motivieren

Mr. ToDo

Mr. WeDo

Die Entwicklung der Schülerzahlen in den Kernbereichen der FG „frühkindliche Sprachbildung“ und „Musizieren mit älteren Erwachsenen“ ist in Ihren Unternehmen weit zurück hinter unseren anderen europäischen Tochtergesellschaften und weit unter unseren Erwartungen. Auch hier gilt es, Maßnahmen durchzuführen, die in kürzester Zeit Veränderungen ermöglichen.

Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass die Unternehmen FI und MS trotz dieser stabilen Ausgangslage im Vergleich zu unseren europäischen FG-Töchtern ihre Gewinnmargen noch verbessern können und müssen, um auch weiterhin am Markt zu bestehen.

Erste Ansatzpunkte könnten in der Steigerung der Schülerzahlen der Bereiche „frühkindliche Sprachbildung“ und „Musizieren mit älteren Die FG ist bekannt für wirtschaftliche Effizienz, Erwachsenen“ liegen. und das soll auch so bleiben. Konkret heißt das, wir müssen prüfen: Wie viel Administration Die FG hat in der Vergangenheit ihre Fähigkeit ist unter dem Gesichtspunkt der Potentiale, die zu profitabler Unternehmensführung beeindruein Zusammenschluss bietet, sinnvoll, und wie ckend nachgewiesen. Der Zusammenschluss hoch kann der relativ unproduktive Anteil an ihrer Unternehmen mit der FG wird die StaIndividualunterricht künftig noch sein? bilität und das Wachstum des FI und der MS nachhaltig fördern. Ab der kommenden Woche werde ich Sie wissen lassen, mit welchen Schritten die OpIch bitte Sie alle darum, auch weiterhin so entimierung vorangetrieben werden soll. Von gagiert wie bisher daran mitzuwirken, dass FI Ihnen erwarte ich rückhaltlose Unterstützung und MS innerhalb der FG und am Markt ihre dieser Maßnahmen. So viel für heute. Noch Stärken zum Nutzen unserer Kunden ausbauen eine produktive Arbeitswoche!“ können. Ab der kommenden Woche werde ich Sie einladen, im Rahmen einer Zukunftswerkstatt an der Entwicklung unserer neuen Ausrichtung mitzuwirken. Falls Sie vorher oder zwischendurch mit mir reden möchten, meine Tür steht immer für Sie offen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und eine weiterhin erfolgreiche Arbeitswoche!“

Fragen zur Fallstudie • Was hat Ihnen am meisten Schwierigkeiten beim Schreiben Ihrer Rede bereitet?

10.7

Change-Management

241

• Worin liegt der Unterschied Ihrer Rede und der von Mr. ToDo?

• Welche Unterschiede sehen Sie zwischen Ihrer Rede und der Musterrede von Mr. WeDo?

• Welche Auswirkungen werden die Reden von Mr. ToDo und Mr. WeDo wahrscheinlich auf die Motivation und Mitarbeitsbereitschaft der betroffenen Mitarbeiter haben?

Wir haben erlebt, dass Mr. ToDo seinem Image als autoritärer Sanierer und Macher in seiner Ansprache in vollem Umfang entspricht. Die Belegschaft wird aufgrund ihrer Verunsicherung viel Arbeitszeit damit verbringen, sich in kleinen Gruppen auszutauschen und Vermutungen zu entwickeln. Produktives Arbeiten wird sehr schwierig werden, weil die meisten Mitarbeiter mit ihren Gedanken um die Zukunft ihres Arbeitsplatzes beschäftigt sind. Die Gerüchteküche sorgt für permanente Unruhe. Die Rede von Mr. WeDo hingegen würdigt die bisher erbrachten Leistungen und das Engagement der Mitarbeiter. Das Selbstwertgefühl der Mitarbeiter wird gestärkt und die Notwendigkeit von Veränderungen nachvollziehbar argumentiert. Alle werden eingeladen, an der Ausrichtung des neuen Kurses mitzuwirken, und die Führung hat stets ein offenes Ohr für jeden. Wird hingegen bei anstehenden Veränderungen Geheimniskrämerei betrieben, und nur gelegentlich sickern halb verdaute Informationsbruchstücke durch, hat das fatale Auswirkungen auf die Motivation der Mitarbeiter und somit auf die Produktivität. Selbst bei größter Geheimhaltung wird im Vorfeld von Veränderungen immer etwas nach außen gelangen und die Mitarbeiter verunsichern. Es entstehen Gerüchte darüber, dass etwas Neues auf das Unternehmen zukommen wird. Häufig wird das seitens des Managements dementiert oder bagatellisiert, es wird beschwichtigt oder stark vereinfachend dargestellt. Wird nicht gegengesteuert, werden sich die negativen Energien verstärken und ein Klima der Angst und Enttäuschung ausbreiten.

242

10

Motivieren

Produktivität

Erfolg heimliche Vorbereitung des Neuen

Gerüchte Erwartungen Befürchtungen Hoffnung

Enttäuschungen, Nervosität, Hektik

Zeit

Abb. 10.13 Auswirkungen ungenügenden Veränderungsmanagements41

Die Grafik (Abb. 10.13) zeigt, dass die Mitarbeiter nach Bekanntwerden der beabsichtigten Veränderung nervös und enttäuscht reagieren und die Produktivität stark abnimmt. Es braucht eine gewisse Zeit, bis sich Hoffnungen mit dem Neuen verbinden können, und noch länger, bis die Veränderungen erfolgreich greifen. Wie gravierend die Folgen schlechten Veränderungsmanagements sein können, zeigt der folgende Artikel aus Spiegel Online Wirtschaft vom 17. September 2009.

SPIEGEL ONLINE

Suizidserie42 – Politiker rügen France-Télécom-Management (Stefan Simons, Paris) Mehr als 20 Mitarbeiter der France Télécom haben sich in den vergangenen Monaten das Leben genommen. Französische Gewerkschafter machen Stress und schlechten Führungsstil für die Selbstmorde verantwortlich – die tragischen Todesfälle werden zum Politikum.

41

Vgl. Czichos, R.: „Change Management“, München 1990, S. 419. Artikel vom 17.09.2009 in Spiegel Online Wirtschaft: http://www.spiegel.de/wirtschaft/ unternehmen/0,1518,649485,00.html, 05.04.2010, 15.00 Uhr. 42

10.7

Change-Management

Sie beenden ihr Leben mit Schlafmitteln, strangulieren sich oder stürzen sich aus Bürotürmen – zuletzt war es Stéphanie, 32, die am 14. September freiwillig den Tod sucht: Es ist der 23. Selbstmord bei France Télécom seit Februar 2008 – und mittlerweile wird die Suizidrate zum Politikum. (. . . ) Gewerkschaften kritisieren strukturelle Veränderungen (. . . ) Auslöser für die persönlichen Dramen sind auch strukturelle Veränderungen im Konzern, zumal die ehemalige Sparte der Post seit 1997 zum Privatkonzern France Télécom (Markenname: „Orange“) umgebaut wurde. Obwohl der Staat mit 26,7 Prozent der Anteile noch immer Mehrheitsaktionär ist, habe sich laut Gewerkschaften und Betriebsrat mit der Ausrichtung auf internationale Märkte ein knallharter Führungsstil breitgemacht – einzig ausgerichtet auf Profit und Produktivität. „Es gibt keine Menschlichkeit mehr, keine Nähe, Business allein zählt“, sagte etwa Patrice Diochet, Generalsekretär der Gewerkschaft CFTC. Dabei wurden nicht nur 40.000 Stellen gestrichen, es häuften sich Beschwerden von Mitarbeitern über willkürliche Versetzungen; Techniker wurden ohne ausreichende Schulungen zu Kundenberatern, unproduktive Verkäufer wurden in Callcenter abgeschoben. Die Folge waren Druck, Nervosität und Unsicherheit, die dazu führten, dass die Gewerkschaften von France Télécom bereits 2007 ein Beobachtungsgremium einrichteten, um die Aussagen gestresster Mitarbeiter zu sammeln. „Die Zahl der Selbstmorde steigt nicht“ Trotzdem schien die Firmenleitung wenig beunruhigt, als sich die Suizide seit Jahresbeginn häuften. „Das ist nicht dramatisch, ich habe Schlimmeres gesehen“, zitiert die Zeitung „Le Canard Enchaîné“ den Personalchef von France Télécom, Olivier Barberot. „Die Zahl der Selbstmorde steigt nicht: Es gab deren 28 im Jahr 2000 und 2002 waren es 29.“ Auch Firmenboss Lombard empfindet das Phänomen vor allem als PR-Problem: „Die höllische Spirale der Selbstmorde muss man unbedingt stoppen.“ Der Firmenlenker erklärt, dass vor allem die Berichterstattung in Presse und Fernsehen Schuld daran sei: „Das sind Dramen, die passieren“, so der Télécom-Chef, der mit Unmut zur Kenntnis nimmt, dass seit Mai „viel darüber geredet wird“. Und Lombard erlaubt sich die Warnung vor einer „Ansteckungsgefahr“ der Suizide, „damit diese Mode zu einem Endpunkt kommt“. Lombard: „Je mehr man davon spricht, desto eher bringt man Menschen in labilen Situationen auf eine Idee.“

243

244

10

Motivieren

Doch mit dieser wenig feinfühligen Erklärung, vorgebracht im Beisein des Arbeitsministers, sorgte der Manager erneut für Ärger – auch in der Regierung. Der gerügte Firmenchef entschuldigte sich umgehend für seine verbale Entgleisung. „Ich habe das Wort ‚Mode‘ gesagt“, so erklärte Lombard, „das kam durch die Übersetzung aus dem Englischen ‚mood‘“. Soll heißen: Der Manager hofft, dass die „Selbstmordstimmung“ bald ein Ende findet. Das aber wird auch in seiner Hand liegen: Bis Ende des Jahres wird die Firmenleitung durch Frankreich touren, um den Befindlichkeiten der Mitarbeiter auf den Grund zu gehen. Außerdem hat Lombard schon angekündigt, wie er die Selbstmordwelle beenden will. Mehr Schulung für die Verwaltungsangestellten in Führungspositionen versprach er bereits. „Wir haben sie nach wissenschaftlichen Regeln des Menschen-Managements ausgebildet, aber vielleicht nicht genug“, räumt er ein. „Unsere Führungen sind von ausgezeichneter Qualität, aber wir werden zusätzliche Ausbildungseinheiten hinzufügen“, denn „es gilt, diese kleine Schwäche auszugleichen“.

Anmerkung des Autors: An der „ausgezeichneten Qualität der Führungen“ muss ebenso gezweifelt werden wie an der moralischen Integrität des Top-Managements. Wie sollte sich die Führung verhalten, um Veränderungsprozesse erfolgreicher zu steuern? Die Grafik43 zeigt alle notwendigen Aspekte und Aktionen, um Veränderungsprozesse sozialverträglich und die Motivation der Mitarbeiter erhaltend zu begleiten. Wie bereits ausgeführt, wird jede Veränderung mit Verunsicherung seitens der Mitarbeiter aufgenommen. In Veränderungsprozessen brauchen sie viel Unterstützung durch die Führungskräfte sowie rechtzeitige und umfassende Informationen im Vorfeld. Der regelmäßige und unkomplizierte Gedankenaustausch während des Veränderungsprozesses stabilisiert die Emotionen und hilft, die Orientierung zu behalten.

43

Vgl. Czichos, R.: „Change Management“, München 1990, S. 423.

10.7

Change-Management

245

Produktivität

Leistung sichtbar machen, lernen vorbereiten, beteiligen, planen, schulen

umfassend informieren loben, verstärken

coachen, unterstützen

Entscheidungen phasenweise treffen

Ankündigung

Implementierung

Zeit

Abb. 10.14 Konstruktives Führungsverhalten in Veränderungsprozessen

10.7.2

Fünf Stufen bis zur Verhaltensänderung

In Veränderungsprozessen wird von den Mitarbeitern verlangt, dass sie ihr Verhalten den neuen Erfordernissen anpassen. Wie wir bereits wissen, ist eine dauerhafte Verhaltensänderung nur über die Veränderung der Ziele einer Person zu erreichen. Wie reagieren Menschen, wenn Sie mit Veränderungen konfrontiert werden, die ihre Lebenssituation betreffen? Das Neue wird von den meisten Menschen zunächst abgelehnt. Ausnahme: Man erwartet und erkennt sofort einen ganz persönlichen Nutzen in diesem „Neuen“. Bis zur Meinungs- oder Verhaltensänderung werden im Normalfall fünf Stufen durchlaufen: STUFE 1: Abwehr Situationen, Meinungen, Vorschläge, die nicht den eigenen Erfahrungen entsprechen, werden in der Regel zunächst Abwehr hervorrufen. Die Sache und/oder die damit verbundene Person werden abgelehnt oder angegriffen. Typische Äußerungen: „Das geht nicht.“ „Das haben wir früher schon mal versucht.“ „Das haben wir noch nie gemacht.“ „Das haben wir immer anders gemacht.“ „Das kann kein Mensch.“ „Das ist graue Theorie.“ „In der Praxis ist alles ganz anders.“ „Da habe ich schließlich eigene Erfahrung.“ „Das Problem ist doch unbedeutend.“

246

10

Motivieren

Wenn direkte Abwehr nicht nötig oder gegen einen „Stärkeren“ zu gefährlich erscheint, erfolgt eine „Scheinzustimmung“. Änderung oder Akzeptanz des Neuen wird jedoch innerlich nicht erwogen. Motto: Zeit bringt Rat. Das Problem wird sich schon von alleine lösen. Typische Äußerungen: „Ja, das mache ich bestimmt.“ „Ja, da haben Sie Recht.“ Bei eigenen Problemen: „Ich muss mich unbedingt demnächst darum kümmern.“ STUFE 2: Entschuldigung Wenn äußere Umstände oder Druck durch andere eine Abwehr zwecklos erscheinen lassen, wird die geforderte Änderung zwar anerkannt, aber es werden Gründe dafür gesucht, dass „es nicht geht“. Typische Äußerungen: „Zu wenig Zeit.“ „Zu viele andere Dinge zu tun.“ „Im Augenblick wichtigere Dinge zu tun.“ „Nicht ausreichende Mittel.“ „Faule Kollegen.“ „Die Kinder gehen zur Schule.“ „Meine Frau will nicht umziehen.“ „Mein Mann hat eine andere Meinung.“ Eine verschärfte und gefährliche Form der Entschuldigung ist unter Umständen „krank sein“. Mediziner vermuten, dass bis zu 50 % der Krankheiten und Beschwerden psychosomatische Hintergründe haben. Viele dieser Krankheiten dürften eine Form der „Entschuldigung“ sein. STUFE 3: Selbstbezichtigung Wird erkannt, dass Entschuldigungen ein dringendes Problem letztlich nicht lösen, beginnt die Suche nach Lösungen oder das Akzeptieren des geforderten neuen Verhaltens. Nicht selten jedoch wird vorher versucht, durch Erklärung oder Schuldübernahme die notwendige Änderung doch noch zu vermeiden. Typische Äußerungen: „Ich weiß, ich müsste das machen, aber ich habe einfach nicht den Mut (die Energie, die Kraft, das Wissen)“. „Ja, ich weiß, ich bin unmöglich.“ „Ja, es ist schlimm, immer mache ich den gleichen Fehler.“ STUFE 4: Anerkennen des Problems, Lösungen suchen Erst nach Überwindung der mehr oder weniger heftig ausgetragenen Stufen eins bis drei wird aufrichtig eine Änderung oder die Lösung eines Problems versucht. Man sucht Mittel, Wege und Möglichkeiten, den Anforderungen der Situation gerecht zu werden. Das ursprünglich vom anderen vorgetragene „Neue“ wird jetzt angenommen. Bei „eigener Suche“ nach neuen Wegen besteht die Gefahr, dass die erste „logisch“ erscheinende Lösung als „die einzig richtige“ angenommen wird.

10.7

Change-Management

247

STUFE 5: Das Neue wird in die Tat umgesetzt Erst in dieser Stufe beginnt „neues, überzeugtes Handeln“. Abhängig von den äußeren Umständen und von der zur Verfügung stehenden persönlichen Energie, liegen die Einstellungen dabei zwischen zwei Polen: A: kämpferisch, optimistisch, ohne Gedanken an einen möglichen Misserfolg; typische Äußerungen: „Das ist richtig, das mache ich – und wenn es das Letzte ist, was ich tue.“ B: vorsichtig, unsicher, „den Weg nach hinten“ offen haltend; typische Äußerungen: „Richtig ist das schon. Ich versuche es halt mal. Zur Not mache ich es wie vorher.“

10.7.3 Appreciative Inquiry: Der Weg zu Spitzenleistungen44 Ein Change-Management-Werkzeug Vorbemerkung Die folgenden Ausführungen sind zum Teil dem Buch „Appreciative Inquiry: Der Weg zu Spitzenleistungen“ von Matthias zur Bonsen und Carole Maleh entnommen worden. Ausdrücklich wird Interessierten dieses Werk zum vertiefenden Studium der Methode empfohlen. Appreciative Inquiry wurde Mitte der 80er-Jahre in den USA von David Cooperrider entwickelt. Cooperrider und seine Kollegen an der Case Western Reserve University konzipierten diese Methode, um Unternehmen und Institutionen darin zu unterstützen, wettbewerbsfähiger und effizienter zu werden. Statt von einem problembezogenen Denken auszugehen (wie in der traditionellen Organisationsentwicklung üblich), betrachtete er Organisationen als Gebilde von Vollkommenheit und nicht als System voller Mängel. Dieser Philosophie folgt die Methode Appreciative Inquiry.

„Appreciative“ lässt sich mit wertschätzend übersetzen. Es geht um die Wertschätzung des Besten der Menschen und der Organisation, um das Bejahen und Bestätigen von Stärken und Erfolgen. „Appreciative“ identifiziert die bereits bestehenden Elemente, die Lebendigkeit und Kraft in eine Organisation bringen, die sogenannten belebenden Faktoren.

44

Vgl. Bonsen (zur), Matthias; Maleh, Carole: Appreciative Inquiry: Der Weg zu Spitzenleistungen, Weinheim und Basel, 2001.

248

10

Motivieren

„Inquiry“ kommt von „inquire“, was mit dem Erkunden oder Untersuchen übersetzt werden kann. Es geht darum, die „Juwelen“ (das, was in der Organisation bereits gut funktioniert) durch gezielte Fragen zu entdecken. Das bereits bestehende Potenzial zum Erfolg und die Möglichkeiten, wie man den Erfolg wiederholen kann, werden aufgespürt.

In jeder Organisation existiert ein kollektives Selbstbild, welches dafür sorgt, dass man sich in die Richtung der damit verbundenen Annahmen entwickelt. Die Menschen in den Organisationen kommunizieren ihr Bild durch Geschichten, die mit Erfolgen oder Misserfolgen verbunden sind. Man konstruiert sich „seine Wirklichkeit“; das Selbstbild wird verfestigt im Sinne einer sich Selbsterfüllenden Prophezeiung. Die Selbsterfüllende Prophezeiung (self-fulfilling prophecy) wurde von Robert K. Merton ebenso eingebracht wie ihr logisches Gegenstück (die self-destroying prophecy). Er prägte 1948 den Begriff Selbsterfüllende Prophezeiung (SFP), der besagt, dass eine Voraussage geradezu zwanghaft deswegen eintrifft, weil man fest an sie glaubt. Eine Vorhersage erfüllt sich dadurch, dass diese Vorhersage gemacht wird.

Grundannahme von Appreciative Inquiry

1. Jeder Mensch, jedes Team und jede Organisation hat ein ungeahnt großes Potenzial, das manchmal schon „aufblitzt“. 2. Organisationen entwickeln sich immer in die Richtung, die sie untersuchen. Wenn sie Defizite analysieren, besteht die Gefahr, dass sie sich noch mehr in die Richtung dieser Defizite entwickeln. Wenn sie positive Fähigkeiten durchleuchten, haben sie die Chance, diese zu verstärken.

An diesem Punkt setzt die Methode Appreciative Inquiry (fortan AI) an. Es werden die Stärken der Organisation gesucht und bewusst gemacht. Ausgehend von einer positiven Grundeinstellung werden weitere Zukunftspotenziale systematisch indentifiziert. Die Autoren der AI-Methode stimulieren mit folgender Schilderung die Gedanken und Gefühle der Workshop-Teilnehmer: „Man stelle sich zwei Berge vor: den einen im gleißenden Sonnenlicht und den anderen von Nebel und Dunst verhüllt. Auf dem Berg in der Sonne befinden sich die Probleme: alles, was nicht gut funktioniert, alles, worüber man sich ärgert. All das ist unglaublich gut zu erkennen. Wie bei einer Fönwetterlage rückt dieser Berg nahe heran. Alle Probleme sind so zu sehen, als ob man sie durch ein Teleobjektiv betrachten würde. – Auf dem anderen Berg befindet sich das Gute der Organisation: all das, worauf man stolz ist, was man gut beherrscht, was gut funktioniert, und all die hervorragenden Erlebnisse, die man in der Organisation hatte. Doch

10.7

Change-Management

249

dieser Berg ist von dichtem Nebel umhüllt. Mithilfe von AI soll dieser Nebel weggeblasen werde, um zu erkennen, dass da Vieles ist, worauf man aufbauen kann. Hinter den beiden Bergen befindet sich noch ein dritter, viel größerer Berg in weiterer Entfernung. Er ist kaum zu sehen, da er sich im blauen Dunst nur ganz schwach abzeichnet. Er überragt die beiden vorderen Berge um ein Vielfaches. Auf diesem Berg befindet sich all das, was die Organisation einmal werden könnte. Durch den Denkprozess im Rahmen von AI soll auch dieser große Berg ganz klar werden. Erkennt man den Berg der Visionen, der Fähigkeiten und das Gute in der Organisation deutlich, dann stellt sich die Energie ein, den Gipfel des großen Berges zu ersteigen.“45 Bei AI geht es um die Wertschätzung des Besten im Menschen und der Organisation, um das Bejahen und Bestätigen von Erfolgen und Stärken. AI identifiziert die sog. belebenden Faktoren, die "Juwelen", die eine Organisation stark und unverwechselbar machen, um das Beste zu erkennen und weiterzuentwickeln. Die Annahme lautet: Organisationen werden zu dem Bild, das sie sich von sich selbst machen (s. auch in diesem Buch den Abschn. 10.5.1 Fallstudie: Pygmalion-Effekt, S. 203). Konventioneller Ansatz vs. AI-Ansatz Konventioneller Ansatz

AI-Ansatz: vorhandene Potenziale entfalten

Probleme indentifizieren

erkunden, verstehen und wertschätzen, was an Gutem da ist entwerfen, was im besten Fall sein könnte gestalten und vereinbaren, was sein soll planen, was zukünftig sein wird Grundannahme: Organisationen haben ungeahnte Potenziale, die manchmal bereits spürbar werden.

Ursachen analysieren mögliche Lösungen erarbeiten Maßnahmen planen Grundannahme: Organisationen haben Mängel, die beseitigt werden müssen.

AI verzichtet konsequent auf jegliche Defizit-Orientierung. Wichtig ist, sich seiner unverwechselbaren Stärken bewusst zu werden. Die Auseinandersetzung mit unseren Schwächen lähmt, das Wissen über unsere Stärken mobilisiert. Mithilfe von AI kann man in Teams und Organisationen eine offene Grundhaltung sowie die Wandelbereitschaft fördern. Appreciative Inquiry (AI) -– ein motivierendes Change-Management-Konzept Zu Beginn eines AI-Prozesses analysieren die Teilnehmer, was in ihrer Organistion bereits gut läuft, was sie als deutliche Stärke erleben. Dieses positive Denken beruhigt, mindert Ängste vor dem unbekannten Neuen und öffnet die Wandelbereitschaft. Im weiteren Ver45

Vgl. Bonsen (zur), Matthias; Maleh, Carole: Appreciative Inquiry (AI): Der Weg zu Spitzenleistungen, Weinheim und Basel, 2001. S. 77.

250

10

Motivieren

lauf des Workshops verfestigen sich die Aspekte, die man gemeinhin als das Beste in der Organisation erkannt hat. Darauf aufbauend werden zukunftsweisende Betätigungsfelder und Arbeitsweisen bestimmt, gemeinsame Visionen und Zielvorstellungen gefunden sowie Maßnahmen zur Umsetzung geplant. Vier-D-Zirkel Da Appreciative Inquiry in einer Organisation wiederholt durchgeführt werden kann, sind die Phasen wie in einem Zirkel aneinandergereiht, dem sogenannten Vier-D-Zirkel. Innerhalb eines AI-Prozesses durchschreiten die Beteiligten die folgenden vier Phasen:

1.Discovery Erkunden und verstehen, was bereits vorhanden ist

4.Destiny

2.Dream

Planen,was künftig sein wird

Visionieren, was sein könnte

3.Design Gestalten und vereinbaren, was sein soll

Abb. 10.15 Die vier D-Phasen im Appreciative-Inquiry-Prozess (Quelle: eigene Darstellung)

Phase 1: Discovery (Erkunden und Verstehen) In der Discovery-Phase werden Erlebnisse bewusst, die jeder für sich als großartig, einzigartig und als motivierend wahrnimmt oder in der Vergangenheit so wahrgenommen hat. Das betrifft insbesondere Gelegenheiten, bei denen die Mitarbeiter einer Organisation die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit in Verbindung mit der Würdigung der eigenen Leistung erlebt haben und sich intrinsisch motiviert fühlten (vgl. S. 188 f. Al-Workshops beginnen nach der üblichen Begrüßung und einer Einführung in die Methode sofort mit dem wertschätzenden Interview. Paare finden sich rasch, und es lässt sich beobachten, wie binnen Minuten Dutzende oder Hunderte von Teilnehmern in intensive Gespräche vertieft sind. Einige von ihnen suchen sich ruhige Ecken im Raum oder setzen sich ans Fenster. Andere begeben sich für die Zeit des Interviews irgendwohin in die Lobby. Die meisten blei-

10.7

Change-Management

251

Erkunden des Besten

Das Beste in dieser Organisation

Erfolgreiche Augenblicke

Discovery

Momente der Freude und die Facetten der Brillanz

Rahmenbedingungen

„Juwelen“ der Organisation identifizieren

Abb. 10.16 Aspekte der Phase Discovery (Quelle: eigene Darstellung)

ben jedoch dort, wo sie sich gerade befinden. Kaum haben die Interviews begonnen, sind alle engagiert dabei und unterhalten sich angeregt. Ganz offensichtlich macht es den Teilnehmern Spaß, diese Interviews zu führen. Es mag ungewöhnlich erscheinen, eine Konferenz mit einer bis zu zweistündigen Aktivität von Paarinterviews zu beginnen. Doch die Erfahrung zeigt, dass dies durchaus möglich ist und von den Teilnehmern als angenehm empfunden wird.46 Diese ersten beiden Stunden mit den wertschätzenden Interviews spiegeln bereits den Ablauf des gesamten Workshops wider. Kernthemen, die im Konferenzverlauf im Mittelpunkt stehen, werden im Interview bereits behandelt. Gleichzeitig wird nach Visionen und Wünschen für die Zukunft sowie nach ersten Ideen für Maßnahmen gefragt. So kommen diejenigen schon am Anfang „zu ihrem Recht“, die am liebsten gleich mit der Maßnahmenplanung begonnen hätten. Durch die Interviews kann sich jeder Teilnehmende einbringen, jedem wird intensiv zugehört. Dieser von gegenseitiger Wertschätzung gekennzeichnete Umgang miteinander wird zum Grundton des Workshops. Sehr persönliche und offene Äußerungen sind möglich – herzliche Beziehungen entstehen. Nach den Interviews kommen die Teilnehmer in größeren Gruppen zusammen. Jeder stellt seinen Interviewpartner anhand seiner besten Geschichten und markanter Zitate vor. Die „besten Geschichten“ und die damit einhergehenden Erlebnisse und Eindrücke werden ausgetauscht. Eine positive Grundstimmung wächst, und mitunter geht es sehr lebendig 46

Vgl. Bonsen (zur), Matthias; Maleh, Carole: Appreciative Inquiry (AI): Der Weg zu Spitzenleistungen, Weinheim und Basel, 2001, S. 68.

252

10

Motivieren

und fröhlich zu. Allen wird bewusst, dass die „besten Geschichten“ Informationen darüber enthalten, was die Mitarbeiter einer Organisation inspiriert und welche Verhaltensweisen die Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit und Motivation beeinflussen. Deutlich tritt die bislang unbewusste Fülle positiver Details zutage, die bereits die Zusammenarbeit in der Organisation prägen. Ideen und Vorstellungen entstehen, wie man diese in Zukunft noch stärker nutzen könnte. Phase 2: Dream (Visionieren) Basierend auf den Ergebnissen der Interviews tauschen sich die Teilnehmer in Gruppen über ihre Vorstellungen von der Zukunft aus. Die in der untenstehenden Abbildung gezeigten Aspekte dieser Phase stimulieren die Kreativität und Vorstellungskraft. Ideen werden gesammelt und mit Visionen47 und Wünschen angereichert. Was in fünf, zehn oder 20 Jahren Wirklichkeit werden könnte, steht im Mittelpunkt der Überlegungen.

Wünsche, Ziele

Bilder, Sketche, Collagen, Briefe

Zukunft

Dream: Visionen Entwurf dessen, was sein könnte

Zeithorizont

Was leisten wir für unsere Kunden oder die Welt?

Abb. 10.17 Aspekte der Phase Dream (Quelle: eigene Darstellung)

Die gesammelten Ideen und Visionen werden auf kreative Weise präsentiert. Bei einer Teilnehmerzahl bis zu 80 Personen ist es gut möglich, jede Gruppe einen kleinen Sketch erarbeiten und darstellen zu lassen. Bei einer größeren Teilnehmerzahl sind Collagen auf Pinwänden eine sehr belebende Variante. Sie werden in einem Infomarkt vorgestellt, auch „Galerie der Zukunft“ genannt.

47

Vgl. dazu in diesem Buch den Abschn. 12.4. Vision -– Mission -– Leitbild, S. 392.

10.7

Change-Management

253

Phase 3: Design (Gestalten) In dieser Phase gewinnen die kreativen Zukunftsentwürfe in Form sogenannter Zukunftsaussagen an Aussagekraft. Konkret wird formuliert, wie beispielsweise eine Abteilung künftig mit ihren Kunden oder Kollegen umgehen möchte oder wie ein Team miteinander arbeiten will.

Zukunftsentwürfe

Vereinbaren, was sein soll

Zukunftsaussagen

Design: Gestalten Bisherige Annahmen infrage stellen

Brücke zwischen Status quo

Idealvorstellung

Abb. 10.18 Aspekte der Phase Design (Quelle: eigene Darstellung)

Gute Zukunftsaussagen48 sind . . . • provokativ/herausfordernd: Deutlich gehen sie über das bislang Verwirklichte hinaus. • geerdet: Nachvollziehbare Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass dies möglich ist. • bejahend formuliert: Sie beschreiben, was sein soll, nicht aber, was nicht sein soll. • ausdrucksstark: Sie haben Anziehungskraft. • konkret: Sie beziehen sich auf eine bestimmte Thematik. • motivierend: Sie beschreiben eine attraktive Zukunft. • in der Gegenwart geschrieben, da sie so greifbarer werden.

48

Vgl. Bonsen (zur), Matthias; Maleh, Carole: Appreciative Inquiry (AI): Der Weg zu Spitzenleistungen, Weinheim und Basel, 2001, S. 35.

254

10

Motivieren

Ich – meine Ziele

Personal, Finanzen usw.

Strukturen

Unternehmen

Systeme

Fähigkeiten

Strategien

Abb. 10.19 Aspekte für Zukunftsaussagen (Quelle: eigene Darstellung)

Beispiele für Zukunftsaussagen49 :

Beispiel 1: Thema Kundenservice50

• Die Kunden machen eine tolle Erfahrung, wenn sie mit uns Kontakt haben. Wir sehen die Anliegen unserer Kunden voraus und halten bereits alle notwendigen Informationen bereit, wenn sie sich bei uns melden. • Unsere Kunden sprechen, wenn sie anrufen, nur mit einer Person und werden ohne Unterbrechung bedient. • Wir reservieren ausreichend Zeit für Fortbildung, sodass unser Fachwissen immer auf dem neuesten Stand ist. Wir lernen ständig, während wir arbeiten. • Unser Geschäft/unsere Arbeit gewährleistet einen wichtigen Service für unsere Kunden. • Wir sind stolz darauf, ein Teil dieser Organisation zu sein.

Beispiel 2: Thema Kommunikation/Kultur und Spaß

Wir fördern eine Kultur der offenen Kommunikation, gekennzeichnet von gegenseitigem Vertrauen und Respekt und der Anerkennung der Meinung anderer.

49

Vgl. ebd., S. 36. Das Wort „Kunde“ kann z. B. durch „Studierende“ oder irgendeine andere passende Bezeichnung ersetzt werden. 50

10.7

Change-Management

255

Beispiel 3: Thema Führung und Management

Unser Managementstil ist beteiligungsorientiert, offen und ergebnisorientiert. Wir fördern ein Klima der Innovation, der Flexibilität, des individuellen Wachstums und des gegenseitigen Respekts.

Beispiel 4: Thema Kreativität

Unsere Institution lebt von Kreativität. Sie ist die Quelle für neue Ideen, das Herzblut unserer Arbeit und Katalysator für den positiven Wandel. Sie ist die Basis für unsere Spitzenposition in unserem Tätigkeitsfeld, in welchem wir Bewährtes optimieren und Innovationen fördern. Wir stehen mit kreativen Ideen, die von allen beteiligten Interessengruppen (den Mitarbeitern, Dozenten und Studierenden) kommen, an der Spitze vergleichbarer Einrichtungen. Wir fördern mit aller Kraft eine kreative Kultur, die hilft, Produkte und Dienstleistungen, Prozesse und Systeme neu zu erfinden und zu verbessern. Wir fragen alle Beteiligten aktiv nach ihren Ideen, setzen sie um und belohnen sie. Wir gestalten ein Umfeld, das uns zu einzigartigen Ideen inspiriert, und stellen allen Beteiligten Möglichkeiten und Ressourcen zur Verfügung, damit sie ihre Kreativität entfalten und ihre Ideen umsetzen können. Entscheider sind offen für Ideen, um unsere Kreativität zu vergrößern und um die Beteiligten zu befähigen, ihre Träume zu verwirklichen.

Phase 4: Destiny (Umsetzen) In der Destiny-Phase werden konkrete Maßnahmen zur Realisierung der Zukunftsaussagen überlegt und die Umsetzung geplant. Jeder kann sich im Sinne eines Open-SpaceModus für Themen engagieren, die wichtig erscheinen und für die man sich kompetent fühlt. Gefördert wird ebenfalls, die Grundideen von AI in den Arbeitsalltag der Organisation zu übertragen und eine wertschätzende Organisation entstehen zu lassen. AI kann in allen denkbaren Unternehmungen oder Organisationen zum Einsatz kommen. Ob in der Stadt-, Unternehmens- oder Teamentwicklung, ob für die Personalentwickung oder Durchführung einer Zukunftswerkstatt für eine Firma oder Bildungsinstitution – überall dort, wo Menschen gemeinsam etwas erreichen wollen, eignet sich die AIMethode, um einen Wandelprozess wirksam zu gestalten.

256

10

Motivieren

Maßnahmen

Planen, was zukünftig sein wird

Destiny: Umsetzen

Wie den positiven Ansatz von AI übertragen?

Wer macht was bis wann?

Information der Kollegen

Abb. 10.20 Aspekte der Phase Destiny (Quelle: eigene Darstellung)

Wird ein Veränderungsprozess mit AI gestartet, indem man zuerst nach den außergewöhnlichen Momenten und nach den herausragenden Erlebnissen fragt, ergeben sich daraus mehrere Vorteile51 : • Von Beginn an fühlen sich die Beteiligten motiviert. Sie werden sichtbar lebendig, wenn sie über das Beste in ihrem beruflichen Leben oder ihrer Oragnisation reden. • Es entsteht ein positiveres Selbstbild. • Es wird deutlich, welches Potenzial für die Zukunft die Organisation aufweist. Die kollektive Vision wird stimuliert. • Abwertende Vorurteile und Stereotypen gegenüber Kollegen, Abteilungen, Chefs oder Mitarbeitern werden relativiert oder sogar umgekehrt. • Man lernt viele gute Ideen aus anderen Bereichen kennen, die man eventuell übernehmen kann. • Die Beteiligten glauben eher an die Realsierbarkeit der Zukunftsentwürfe und Ziele, da diese bereits in der Vergangenheit punktuell praktiziert wurden und man weiß, dass sie funktionieren können. • Es wird deutlich, dass nicht alles verändert werden muss, sondern Vieles auch beibehalten werden kann. Jeder AI-Prozess wird ausgerichtet auf die Bearbeitung von Kernthemen (Hauptanliegen). Sie stehen für das, was in der Unternehmung gestärkt werden soll. Die sorgfältige Auswahl und Bestimmung der Kernthemen ist entscheidend für den Erfolg eines AI-Workshops. 51

Vgl. Bonsen (zur), Matthias; Maleh, Carole: Appreciative Inquiry (AI): Der Weg zu Spitzenleistungen, Weinheim und Basel, 2001, S. 19.

10.7

Change-Management

257

Kernthemen z. B. zu den den Aspekten • Innovation • Flexibilität gegenüber Kunden • begeisternde Führung • Qualitätsmanagement • Verantwortung und Entscheidungskompetenz auf allen Ebenen usw. wirken inspirierend und regen dazu an, Best-Practise-Erfahrungen auszutauschen oder neue Gedanken zu wagen und sich darüber auszutauschen. Die Kernthemen eines AI-Prozesses können entweder vom Management vorgegeben oder durch die Beteiligung aller Mitarbeiter am Entscheidungsprozess gewonnen werden. Es kann auch eine Planungsgruppe in einem Workshop die Kernthemen sowie die dazugehörigen Fragen entwerfen. Positiv und bestärkend formuliert, sollen sie den gewünschten Idealfall anstreben: Statt „Qualitätsprobleme“ wird so z. B. als Kernthema „Qualitätserlebnisse“, statt „Kundenbeschwerden“ „Kundenzufriedenheit“ und statt „schlechter Stimmung“ „begeisternder Spirit“ untersucht. Zu jedem Kernthema entsteht ein Fragenblock52 , der aus drei Teilen besteht. 1. Vorwort: Das Vorwort erklärt das Kernthema in positiver, bestärkender Form. Es stimmt die befragte Person auf die kommenden Fragen ein. 2. Frage nach dem bereits vorhandenen Besten: Diese Frage lockt Geschichten über außergewöhnliche Begebenheiten oder Facetten der Organisation hervor. 3. Frage nach dem, was im besten Fall sein könnte: Diese Frage fördert Bilder und Ideen zu einer positiven Zukunft zutage und ist zugleich Ventil für Kritik, die hier als Wunsch formuliert werden kann. Diese Fragen, die Bestandteil des Interviewleitfadens sein werden, haben einen besonderen Charakter: • Gute Fragen sind bestätigend (affirmativ) formuliert. Das heißt, sie gehen davon aus, dass es bereits viele positive Erfahrungen als Antwort zu den Fragen gibt. • Sie helfen den Befragten, sich an Erlebtes und Beobachtetes zu erinnern und Geschichten darüber zu erzählen. • Gute Fragen unterstützen den Befragten, das Positive in ihren Erfahrungen und eigene Stärken zu erkennen. • Sie machen Wünsche, Werte und Hoffnungen für einen selbst, die Organisation und das Umfeld bewusst. • Sie sind manchmal absichtlich unscharf formuliert; so lassen sie den Befragten Freiheit bei der Beantwortung. 52

Vgl. ebd., S. 49.

258

10

Motivieren

• Sie vermitteln eine „bedingungslos“ positive Einstellung. • Gute Fragen enthalten Worte, die positive Gefühle und Erfahrungen wachrufen. Der Verfasser hat umfangreiche Erfahrungen mit der Methode „Appreciative Inquiry“ gewonnen und empfiehlt ausdrücklich dieses Change-Management-Werkzeug, weil es sich in seiner Praxis vielfach in der Durchführung von Change-Management-Prozessen in Wirtschafts- und Kulturunternehmen sowie in Bildungsinstitutionen bewährt hat. Zusätzlich stellt er für Intressierte einen Mustersatz der von ihm auf der Grundlage der Appreciative Inquiry-Methode entwickelten Teilnehmerunterlagen bereit (auf der VerlagsHomepage beim Buch), die für eine „Zukunftswerkstatt der Studierenden“ am Institut für Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg im Mai 2017 zum Einsatz gekommen sind. Jeder Anlass erfordert eine individuelle Herangehensweise (Kernthemen, Interviewbögen, Zukunftsaussagen) und entsprechend angepasste Teilnehmerunterlagen.

10.7.4

Das SOS-Modell

Nicht nur Manager, auch Eltern, Lehrkräfte und Partner denken, wenn Sie mit dem Verhalten eines Mitmenschen nicht einverstanden sind, an das (scheinbar) Nächstliegende: Die Person soll (gefälligst) ihr Verhalten ändern. Selten hat man das Recht, dies zu verlangen. Es könnte ja auch der Manager, Kollegen, ein Elternteil, die Lehrkraft oder der Partner selbst der Verursacher einer kritischen Situation sein; manchmal sind auch die Kunden oder die räumliche Situation verantwortlich zu machen. Unser Sein wird von drei Aspekten beeinflusst: von uns, den anderen und der uns umgebenden Situation. Diese drei Aspekte bilden ein Beziehungsgeflecht, in dem die Veränderung auch nur eines Aspektes zwangsläufig Veränderungen in den beiden anderen bewirkt. Die englischen Begriffe Selves (selbst), Others (andere) und Situation ergeben mit ihren Anfangsbuchstaben das Kürzel „SOS“ und somit den Namen dieses Modells. Wann immer wir in Situationen geraten, sei es im Beruf oder im privaten Bereich, in denen wir uns eine Veränderung wünschen, kann uns dieses Konzept nützlich sein. Sind wir mit einer Sachlage, dem Verhalten einer Gruppe oder Einzelner nicht einverstanden, verlangen wir üblicherweise zuerst von den anderen die aus unserer Sicht erforderliche Verhaltensänderung. Führt unsere Kritik nicht zum Erfolg, machen wir die Situation dafür verantwortlich. Nicht selten hört man: „Wenn die Situation anders wäre, dann ließe sich alles zum Besseren wenden; aber leider sind die Verhältnisse ungünstig!“ Verhaltensänderungen von den anderen zu verlangen, führt zur Frustration auf beiden Seiten. Nur die Übereinstimmung im Bereich der Ziele bewirkt auch die gewünschte Übereinstimmung im Verhalten. Das Klagen über die derzeitig schwierige Situation, das Rufen nach „den Verantwortlichen“, die doch endlich etwas unternehmen sollten, bringt ebenfalls nichts. Wir müssen erkennen, dass wir Veränderungen am schnellsten und wirksamsten gestalten können, wenn wir bei uns beginnen.

10.7

Change-Management

259

Selves

Others

Situation

(Selbst)

(Andere)

(Situation)

S

steht für

Selves (Selbst)

O

steht für

Others (Andere)

S

steht für

Situation (Situation)

Abb. 10.21 Das SOS-Modell

Verändern wir unser Verhalten, dann werden der Logik des Beziehungsgeflechts des SOSModells folgend „die anderen“ und „die Situation“ automatisch ebenfalls verändert, wie das folgende Beispiel zeigt: Wenn in einer Gruppe jemand plötzlich zu schreien beginnt, wird er dadurch das Verhalten aller beeinflussen. Wechselt diese Person anschließend in den Flüsterton, das andere Extrem, so wird dadurch erneut das Verhalten aller und auch die Situation, in der Sie sich jetzt befinden, beeinflusst (gesteuert). Dieses einfache Beispiel zeigt, dass wir über den Hebel und die Energie verfügen, Veränderungen zu bewirken. Voraussetzung: Wir verlangen von anderen nichts, bejammern nicht die Situation, sondern beginnen bei uns. Im Evangelium des Lukas (6, 41 – 42) heißt es zu diesem Thema: „Was siehest du aber einen Splitter in deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt stille, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und du siehest selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuvor den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest!“

260

10

Motivieren

Zusammenfassung

„Sage mir, wen Du wie führst, und ich sage Dir, wer Du bist“ Wählen Sie Mitarbeiter, die auf gewissen Feldern besser sind als Sie selbst. Fördern Sie Mitarbeiter mit sehr guten Fähigkeiten, und umgeben Sie sich nicht mit mittelmäßigen Leuten aus der Angst heraus, bessere könnten Ihnen gefährlich werden. Ein guter Manager erzielt seine Wirkung nicht allein durch das eigene Wissen und Können, sondern durch die Fähig- und Fertigkeiten anderer. Er ermutigt, ermächtigt, fordert und fördert seine Mitarbeiter und bedenkt bei allen Entscheidungen auch die Auswirkungen auf deren Entwicklungsmöglichkeiten. Suchen Sie nach Mitarbeitern, die vereinbarungsfähig und zuverlässig sind, aus eigenem Antrieb gerne mitarbeiten, sich im Rahmen gemeinsamer Zielabsprachen selbst fordern , sich selbst weiterentwickeln und Mut zeigen, auch selbst zu bestimmen und Verantwortung zu übernehmen. Versuchen Sie nicht, mit manipulativen Mitteln die Leistungsbereitschaft ihrer Mitarbeiter zu steigern; sie sind grundsätzlich für die Tätigkeit bei Ihnen motiviert. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Seien Sie vorbildlich in Ihrer Arbeitsweise und in Ihrem menschlichen Verhalten. Leben Sie vor, was Sie von anderen verlangen. Vereinbaren Sie mit Ihren Mitarbeitern gemeinsame Ziele auf Augenhöhe. Unterlassen Sie den Unsinn, Ihren Mitarbeitern Ziele setzen zu wollen. Warum? Weil es demotivierend wirkt. Nicht derjenige, der etwas anordnet und sagt, führt wirklich, sondern: Wer fragt, führt! Verfallen Sie nicht der Verlockung, den Big Boss spielen zu wollen, der alles weiß, alles besser kann, alles sieht und hört. Sie sind nicht Gott, sondern ein Mensch mit Stärken und Schwächen, der auf Zeit das Mandat erhalten hat, für ein Unternehmen und dessen Mitarbeiter das Bestmögliche zu gestalten. Respektieren Sie Ihre Mitarbeiter. Denken Sie immer daran: Das Streben nach sozialer Akzeptanz ist die Triebfeder unseres Seins. Unterlassen Sie alles, was das Selbstwertgefühl Ihrer Mitarbeiter negativ berühren könnte. Zeigen Sie Ihre Wertschätzung dadurch, dass Sie Ihren Mitarbeitern Leistungen zutrauen und deren Erbringung auch verlangen. Investieren Sie in die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter. Sorgen Sie dafür, dass jeder die Aufgabe wahrnehmen kann, die seinen Fähigkeiten entspricht und die ihn persönlich wachsen lässt. Dadurch wird die intrinsische Motivation gefördert, die Leistungsbereitschaft gesteigert und die innere Kündigung verhindert. Seien Sie aufmerksam für die vielen kleinen Faktoren, die demotivierend wirken können, und selbstkritisch, aber nicht grüblerisch oder gar von Selbstzweifeln beeinträchtigt. Entscheiden Sie sich für eine Führungskultur, in der die Vereinbarung zwischen mündigen Menschen im Mittelpunkt steht. Die Mitarbeiter wahrzunehmen, ihre

10.7

Change-Management

261

Reaktionen zu erspüren, Feedback zu geben und zu erhalten, Anerkennung und positive Zuwendung zu äußern, freundlich, aufmerksam, verlässlich und beständig zu sein und eine partnerschaftliche Art des alltäglichen Kontaktes zu praktizieren und miteinander zu reden – all das trägt dazu bei, die jedem Menschen innewohnende Motivation zu stärken.

10.8

Agile Führung – Selbstorganisierte Zusammenarbeit in der Praxis

10.8.1 Grundlagen agiler Führung Die zunehmende Komplexität und Globalisierung der Arbeitswelt erfordert, dass eng vernetzt über Orts- und Zeitgrenzen hinweg zusammengearbeitet wird. Manager*innen sehen sich mit neuen Herausforderungen in der Mitarbeiterführung konfrontiert. Die agile Führung gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung in Unternehmen und beeinflusst das Verhalten von Führenden und Geführten nachhaltig. In diesem Kapitel werden die Prinzipien agiler Führung erläutert, innovative Impulse für die Mitarbeiterführung und Anregungen für das Arbeiten mit den Werten und Methoden der agilen Führung vermittelt. Wie kann es gelingen, dass Mitarbeiter*innen sich intrinsisch motiviert selbst steuern und eigenverantwortlich die vereinbarten Ziele anstreben? Das Management muss sich mit einem neuen Rollenverständnis von Führenden und Geführten vertraut machen. Sie sind herausgefordert, die Arbeitsprozesse so zu organisieren, dass einerseits die intrinsische Motivation der Mitarbeiter*innen gefördert wird (siehe in diesem Buch Kapitel 10.3.1, S. 188 f.) und andererseits die Arbeitsprozesse schneller an die sich verändernden in- und externen Bedingungen der Arbeitswelt angepasst werden können. Statt langfristiger Planungen steht bei agiler Führung die Anwendung spezieller Methoden und Grundhaltungen (Werte) im Vordergrund, um sich dem Ziel oder der Lösung eines komplexen Problems schrittweise anzunähern, offen zu sein für Veränderungen, für neue oder auch überraschende Lösungswege. Diese Methode wird fortan mit dem Begriff „iterativ“ benannt. Der iterative Prozess, in welchem man sich

262

10 Motivieren

durch mehrfaches Wiederholen gleicher oder ähnlicher Handlungen einer Lösung oder einem Ziel nähert, ist in der agilen Führung von entscheidender Bedeutung. Die Darstellung der agilen Werte, Prinzipien und Methoden wird in dieser Abhandlung auf deren wesentliche Merkmale konzentriert. Die zahlreichen Varianten bleiben den speziellen Fachpublikationen und Handreichungen zu diesem Thema vorbehalten. Der hier vermittelte einführende Überblick mündet in ein reales Fallbeispiel, aus dessen Analyse Handlungsempfehlungen abgeleitet werden für alle, die das Arbeiten mit agilen Methoden im beruflichen Umfeld erfolgreich einführen möchten. Auf die vermutbaren Barrieren wird ebenso hingewiesen wie auf die unsichtbaren Stolpersteine und deren vorausschauender Vermeidung. Das Agile Manifest53 Im Kontext der Softwareentwicklung entstand 2001 das „Agile Manifest“. Siebzehn Softwareentwickler formulierten vier Axiome und 12 Prinzipien, die als „Agiles Manifest“ im Internet unter www.agilemanifesto.org veröffentlicht wurden. Dort ist auch die folgende deutsche Übersetzung zu finden: „Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir diese Erkenntnisse gewonnen: • • • •

Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge. Funktionierende Software ist wichtiger als umfassende Dokumentation. Die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als die Vertragsverhandlung. Das Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als das Befolgen eines Plans.“

Agile Ideen und Projektansätze wurden in den folgenden Jahren auch in Bereichen außerhalb der Softwareentwicklung eingeführt. Agile Werte Die Verfasser des Agilen Manifestes bezeichneten Agile Werte mit diesen Begriffen: 1. Selbstverpflichtung

(Commitment)

2. Rückmeldung

(Feedback)

3. Fokus

(Focus)

4. Kommunikation

(Communication)

5. Mut

(Courage)

6. Respekt

(Respect)

7. Einfachheit

(Simplicity)

8. Offenheit

(Openness)

53Manifest

für Agile Softwareentwicklung, 2001.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

263

Diese Werte werden als das Fundament agiler Prinzipien bezeichnet, das verhaltenssteuernd wirkt und die Selbstorganisation fördert. Agile Prinzipien Das Agile Manifest basiert auf diesen Prinzipien54: 1. Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung wertvoller Software zufriedenzustellen. 2. Heiße Anforderungsänderungen selbst spät in der Entwicklung willkommen. Agile Prozesse nutzen Veränderungen zum Wettbewerbsvorteil des Kunden. 3. Liefere funktionierende Software regelmäßig innerhalb weniger Wochen oder Monate und bevorzuge dabei die kürzere Zeitspanne. 4. Fachexperten und Entwickler müssen während des Projektes täglich zusammenarbeiten. 5. Errichte Projekte rund um motivierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen, und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen. 6. Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams zu übermitteln, ist im Gespräch von Angesicht zu Angesicht. 7. Funktionierende Software ist das wichtigste Fortschrittsmaß. 8. Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Die Auftraggeber, Entwickler und Benutzer sollten ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können. 9. Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität. 10. Einfachheit – die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren – ist essenziell. 11. Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams. 12. In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann, und passt sein Verhalten entsprechend an. Agile Methoden Im Repertoire der agilen Methoden finden sich Begriffe wie Lean Management, Kaizen, Kanban und Scrum. Mithilfe dieser Methoden kann die Selbstorganisation gefördert werden. Kanban und Scrum können in verschiedenen Geschäftsfeldern und Projekten eingesetzt werden. Kanban ist sehr gut zum Einstieg in die Welt des agilen Arbeitens geeignet. Die Beschreibungen der entsprechenden Werte, Prinzipien und Kernpraktiken münden in Handlungsanleitungen, und Praxisbeispiele zeigen bewährte Vorgehensweisen auf.

54Vgl.

Manifest für Agile Softwareentwicklung, 2001.

264

10 Motivieren

Anders als bei Kanban werden in der agilen Methode Scrum feste Rollen, Regeln und Vorgehensweisen gefordert. Nur unter Befolgung dieser Vorgaben entwickelt sich „Scrum“, und die praxiserprobte Arbeitsweise kann ihre Stärken entfalten. Umsicht ist geboten bei der gleichzeitigen Einführung aller Scrum-Rollen, -Regeln und -Methoden, die eine zu große (radikale) Änderung des Arbeitsprozesses zur Folge haben. Kanban kann aufgrund seiner methodischen Flexibilität und Offenheit in jedem Geschäftsbereich praktiziert werden. Scrum hingegen eignet sich besonders für die teambasierten Bereiche der Produktentwicklung und für die Bearbeitung von komplexen Projekten mit diffuser Aufgabenstellung. Zunehmend wird Scrum auch außerhalb des IT-Umfeldes erfolgreich angewendet.

10.8.2 Kanban Das japanische Wort „Kanban“ kann übersetzt werden mit „Kärtchen“, „Schild“, „Tafel“ oder “Beleg“. Kanban ist eine Methode zur Optimierung der Produktionsprozesssteuerung. Das ursprüngliche Kanban-System wurde 1947 von Taiichi Ohno in der japanischen Toyota Motor Corporation entwickelt, um den Materialfluss in der Produktion, die Produktionsgeschwindigkeit, die Erhöhung der Flexibilität und die Lieferbereitschaft ohne kostenintensive Nacharbeiten zu gewährleisten und obendrein den Planungsaufwand zu reduzieren. Im Geleitwort zu dem Büchlein „Die Essenz von Kanban | Kanban kompakt“55 äußern sich die Verfasser David J. Anderson und Andy Carmichael über das Wesen von Kanban: „KANBAN ist eine Methode, die uns zeigt, wie unsere Arbeit funktioniert. Es vermittelt uns ein gemeinsames Verständnis für die Arbeit, die wir tun, einschließlich der Regeln, nach denen wir die Arbeit verrichten, und darüber, wie viel wir in einer bestimmten Zeit handhaben können und wie gut wir Arbeitsergebnisse an unsere internen und externen Kunden liefern. Sobald wir dieses Verständnis erreicht haben, können wir mit Verbesserungen beginnen. Unsere Arbeit ist vorhersehbarer, und wir können auch mit einem nachhaltigeren Tempo arbeiten. Die Kommunikation und Zusammenarbeit werden besser. Dasselbe gilt für die Qualität. Jene Leute, die die Arbeit leisten, können selbstständiger handeln, weil sie ein natürliches Verständnis für Risikomanagement entwickeln. Wir können KANBAN auch dafür einsetzen, eine bessere Ausrichtung in unserem gesamten Unternehmen zu erlangen, wodurch weitreichende strategische Ziele verwirklicht werden können. KANBANs Ausrichtung auf die strukturierte Gestaltung von Zusagen und auf einen ausgewogenen Arbeitsfluss führt zu mehr Agilität. Wenn sich Marktbedingungen ändern oder Probleme mit Abhängigkeiten auftreten, bietet KANBAN die Möglichkeit, rasch den Kurs zu ändern. Deshalb nennen wir es den alternativen Pfad zur Agilität.“

55deutsche

Ausgabe 2018 dpunkt.verlag GmbH, Heidelberg

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

265

Kanban basiert auf der Beachtung dieser drei Leitsätze (Agenden): • Die Nachhaltigkeits-Agenda (Sustainability Agenda): Finde ein nachhaltiges Arbeitstempo und verbessere den Fokus. • Die Serviceorientierungs-Agenda: Die Leistungsfähigkeit und die Kundenzufriedenheit haben oberste Priorität. • Die Überlebensfähigkeits-Agenda (Survivability Agenda): Bleibe anpassungsfähig und erhalte die Wettbewerbsfähigkeit. Kanban-Werte56 Die Kanban-Methode wird von neun Werten geleitet, die auf der Überzeugung basieren, dass allen Personen, die zum Erfolg eines Unternehmens beitragen, mit Respekt zu begegnen ist. Die folgenden Werte beschreiben, was die Prinzipien und Praktiken von Kanban ausmacht. Transparenz Die Überzeugung, dass ein offener Informationsaustausch den Fluss von geschäftlichen Werten verbessert. Die Anwendung eines klaren und eindeutigen Vokabulars ist Teil dieses Wertes. Balance Das Verständnis dafür, dass verschiedene Aspekte, Sichtweisen und Fähigkeiten untereinander ausgeglichen sein müssen, um Leistungsfähigkeit zu erreichen. Einige Aspekte (wie z. B. Anforderungen und Fähigkeiten) werden zu einem Zusammenbruch führen, wenn sie über einen längeren Zeitraum aus dem Gleichgewicht geraten sind. Kollaboration Gemeinsam arbeiten. Die KANBAN-Methode wurde konzipiert, um die Art und Weise, wie Menschen zusammenarbeiten, zu verbessern. Somit ist Kollaboration Teil ihres Kerns. Kundenfokus Das Ziel des Systems kennen. Jedes Kanban-System fließt zu einem Punkt, an dem Werte realisiert werden – das heißt, wenn Kunden ein angefordertes Gut oder eine Dienstleistung erhalten. Kunden sind in diesem Zusammenhang als extern in Bezug auf die Dienstleistung zu betrachten, können aber in Bezug auf die Organisation als Ganzes intern oder extern sein. Die Kunden und der Wert, den diese erhalten, bilden bei KANBAN den natürlichen Mittelpunkt des Interesses.

56zitiert

aus „Die Essenz von Kanban | Kanban kompakt“, deutsche Ausgabe 2018 dpunkt.verlag GmbH, Heidelberg, S. 3 f.

266

10 Motivieren

Arbeitsfluss Die Erkenntnis, dass Arbeit einen dauerhaften oder gelegentlichen Fluss von Werten darstellt. Das Erkennen eines Arbeitsflusses ist ein wesentlicher Ausgangspunkt in der Anwendung von KANBAN. Führung Die Fähigkeit, andere durch Beispiel, Worte und Reflexion zur Handlung zu inspirieren. Die meisten Organisationen verfügen über ein gewisses Maß an hierarchischer Struktur. Aber bei KANBAN ist Führung auf allen Ebenen erforderlich, um die Lieferung von Werten und Verbesserung zu erreichen. Verständnis In erster Linie Selbsterkenntnis (sowohl des Einzelnen wie auch der Organisation), um vorwärtszukommen. KANBAN ist eine Methode, die der Verbesserung dient, und die Kenntnis des Ausgangspunkts ist grundlegend. Vereinbarung Das Bekenntnis, gemeinsam Ziele zu verfolgen, dabei unterschiedliche Meinungen oder Herangehensweisen zu respektieren und sich, wenn möglich, entgegenzukommen. Dabei handelt es sich nicht um ein Management nach Konsens, sondern um ein dynamisches ­Co-Commitment für Verbesserungen. Respekt Wertschätzung, Verständnis und Rücksichtnahme für Menschen zu zeigen. Passend am Ende dieser Liste handelt es sich um das Fundament, auf dem die anderen Werte beruhen. Kanban fördert die selbständige Entwicklung eines Teams bzw. eines Systems hin zu einer Kultur der Selbstorganisation. Arbeiten Mitarbeiter*innen mit den Prinzipien und Praktiken des Kanban-Systems, beginnen sie über bestehende Prozesse nachzudenken und mit ihnen zu experimentieren. Die beobachtbaren und messbaren Ergebnisse dieses Arbeitsflusses nehmen den Druck von den Akteuren und machen verlässliche Aussagen zur Fertigstellung der Aufgaben möglich – und das fördert das Vertrauen zwischen Auftraggebern und Ausführenden.57 Prinzipien und Praktiken Kanban beginnt dort, wo sich ein System gerade befindet. Es erfordert keine großen Umstellungen, keine aufwendigen Trainingsprogramme oder Prozessrevolutionen. Es respektiert die bestehende Ordnung: Weder werden die aktuellen Prozesse noch die 57Leopold

& Kaltenecker, 2013, S. 22.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

267

existierenden Funktionen infrage gestellt. Ausgangspunkte für Veränderungen sind stets die aktuellen Prozesse. Es wird vorab kein idealtypischer Systemzustand entworfen und implementiert. Die Visualisierung des aktuellen Arbeitsflusses und die mengenmäßige Begrenzung von begonnenen Aufgaben in den Prozessen sind die Ausgangspunkte, um die Durchlaufzeiten zu verkürzen. Die Mitarbeiter bekommen durch Feedbackschleifen die Möglichkeit, Abläufe selbständig und in ihrem Tempo zu verbessern.58 Grundprinzipien59 von Kanban(GP) Anderson beschreibt die Kanban-Grundprinzipien folgendermaßen: 1. Change-Management-Prinzipien 1.1. Beginne mit dem, was du gerade tust: –  Verstehe die aktuellen Prozesse, wie sie tatsächlich praktiziert werden. –  Respektiere vorhandene Rollen, Verantwortlichkeiten und Job-Titel. 1.2. Vereinbare, dass evolutionäre Veränderung verfolgt wird. 1.3.  Fördere Führung auf allen Ebenen der Organisation – angefangen bei einzelnen Mitarbeiter*innen bis zur Geschäftsführung. Empfohlen wird, dass Kanban stets mit dem aktuellen Ist-Zustand eines Arbeitsprozesses startet und davon ausgehend den kontinuierlichen Wandel zum Besseren anstrebt. Die Veränderungen erfolgen in kleinen Entwicklungsschritten, die von den Akteuren selbst bestimmt werden. Diese Vorgehensweise reduziert weitgehend Widerstände gegen die Veränderungsprozesse. In der Kanban-Praxis akzeptiert man die existierenden Arbeitsprozesse als Ausgangssituation und respektiert die vorhandenen Rollen und Verantwortlichkeiten sowie die organisatorischen Strukturen. 2. Service- Delivery-Prinzipien 2.1. Verstehe und fokussiere die Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden. 2.2. Manage die Arbeit, lasse die Mitarbeiter*innen sich selbst organisieren. 2.3. Entwickle Regeln, um die Ergebnisse für die Organisation und die Kunden zu verbessern. Die Service-Delivery-Prinzipien orientieren sich an der zuvor beschriebenen S­erviceorientierungs-Agenda, der zufolge die Leistungsfähigkeit und die Kundenzufriedenheit oberste Priorität haben. Kanban ist zwar immer auf wirtschaftliche Wertschöpfung ausgerichtet, verliert jedoch nicht die Mitarbeiter*innen aus dem Blick. Nicht die Prozesse, sondern die Menschen treiben letztendlich die stetigen Verbesserungen voran. Kanban-Teams orientieren sich an folgenden grundlegenden Kernpraktiken: 58Vgl.

ebd. S. 5. David J.: Kanban. Evolutionäres Change-Management für IT-Organisationen. Heidelberg, 2011. 59Anderson,

268

10 Motivieren

Kernpraktiken von Kanban KP 1: Visualisiere den Fluss der Arbeit Durch die Visualisierung der Arbeitsschritte werden Engpässe und Blockaden sichtbar, an denen gearbeitet werden muss, um einen kontinuierlichen Arbeitsfluss zu gewährleisten. Für die Darstellung der Wertschöpfungskette mit ihren verschiedenen Prozessschritten (z. B. Anforderungsdefinition, Programmierung, Dokumentation, Test, Inbetriebnahme) wird ein Kanban-Board (in der Regel ein großes Whiteboard) verwendet, auf dem die unterschiedlichen Stationen als Spalten gut sichtbar für alle Beteiligten erkennbar sind. Die verschiedenen Anforderungen, auch bezeichnet als Tasks, Features, User Stories, Minimal Marketable Features (MMF) usw., werden auf Karteikarten oder Haftnotizen notiert und durchwandern - dem Fortgang der Bearbeitung entsprechend - als sogenannte Tickets60 das Kanban-Board von links nach rechts. KP 2: Begrenze die Menge angefangener Arbeit Unfertige Produkte stellen gebundenes Kapital dar. Dies gilt nicht nur für die klassische Fertigung, sondern auch für die Wissensarbeit. Um die Menge an unfertiger Arbeit zu minimieren, empfiehlt Kanban die Einführung von WiP61Limits, wodurch die Durchlaufzeit verkürzt und ein kontinuierlicher Arbeitsfluss gewährleistet wird. Vorrangig sind die begonnenen Arbeiten zu beenden, anstatt fortwährend neue Projekte zu beginnen, die sich im halbfertigen Zustand belastend auf die Arbeitsprozesse und die Motivation der Mitarbeiter*innen auswirken. Die Anzahl der Tickets, die gleichzeitig von einem Team-Mitglied bearbeitet werden dürfen, ist begrenzt. Bearbeitet beispielsweise ein Team-Mitglied zwei Tickets und erfüllt damit das Limit, darf es kein drittes annehmen, auch wenn die Anforderungsdefinition ein weiteres bereitstellen könnte. KP 3: Manage den Arbeitsfluss Das rasche Aufdecken von Engpässen und Blockaden wird durch die Visualisierung des Arbeitsprozesses (s. KP 1) gefördert. Probleme zeigen sich frühzeitig, und Lösungen werden angestrebt. Nicht die Leistungen einzelner Mitarbeiter*innen werden gemessen, sondern die Leistungsfähigkeit der Prozesse ermittelt. Die Mitglieder eines ­Kanban-Prozesses prüfen z. B. die Effizienz der Arbeitsprozesse, um Optimierungspotenziale zu entdecken, Planungen zu erleichtern und die Verlässlichkeit der Prognosen hinsichtlich der Liefertermine gegenüber den Kunden und Kooperationspartnern zu steigern.

60Mit

dem Begriff „Tickets“ werden Aufträge bezeichnet. = Work in Progress

61WiP

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

269

KP 4: Mache die Regeln für den Prozess explizit Um sicherzustellen, dass alle Beteiligten des Prozesses wissen, unter welchen Annahmen und Gesetzmäßigkeiten gearbeitet werden soll, werden die von Team-Mitgliedern selbst aufgestellten Regeln kommuniziert und für alle verpflichtend gemacht. Dazu gehören z. B. • eine allgemein akzeptierte Definition des Begriffes „fertig“ (Done) • die Bedeutung der einzelnen Spalten im Board (Backlog, in Arbeit, fertig) • die Klärung der Vorgehensweise, wer wie und wann das nächste Ticket aus der Menge der vorhandenen Tickets auswählen darf, usw. Die Einhaltung der Regeln zu überwachen, liegt in der Verantwortung der Teams. In den Feedbackrunden können die Regeln bei Bedarf infrage gestellt, verworfen oder ergänzt werden.

KP 5: Implementiere Feedbackzyklen Die kontinuierliche Verbesserung aller Prozesse wird durch deren kritische Reflexion in den regelmäßig stattfindenden Feedbackrunden angestrebt. Gelegenheit dazu ergibt sich beispielsweise in den Retrospektiv-Meetings, in denen man die Zusammenarbeit Revue passieren lassen kann. In den Standup-Meetings werden anstehende Aufgaben vereinbart, Blockaden erörtert und gelöst sowie Arbeitsschritte koordiniert und weitergeführt. Die Operation-Reviews bieten den Kanban-Teams Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch.

KP 6: Verbessere gemeinsam, entwickle experimentell weiter Mithilfe der Visualisierung am Kanban-Board und der Begrenzung des WiP wird rasch sichtbar, in welcher Zeit die Tickets die verschiedenen Stationen durchlaufen und an welcher Stelle sie sich stauen. Positionen, vor denen sich Tickets häufen, während an den nachfolgenden Stationen freie Kapazitäten vorhanden sind, werden als Bottlenecks (Flaschenhälse) bezeichnet. Zeitnah können wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um einen möglichst gleichmäßigen Arbeitsfluss zu erreichen. Kanban gibt keine spezielle Methode vor, um gemeinschaftlich Verbesserungen zu erarbeiten. In der Praxis hat sich die Durchführung von Retrospektiv-Meetings bewährt, die im weiteren Verlauf des Kapitels noch detailliert beschrieben werden.

Push und Pull-Prinzip Der wesentliche Unterschied von Kanban zu gängigen Arbeitsweisen besteht darin, dass Arbeitsaufgaben nicht in den nächsten Bearbeitungsschritt „weitergeschoben“ werden (Push-Prinzip), sobald ein Teammitglied damit fertig ist. Vielmehr holen sich die Teammitglieder der nachfolgenden Stufen aus dem vorgelagerten Arbeitsschritt Aufgaben, sobald sie dafür Kapazitäten zur Verfügung haben (Pull-Prinzip).62

62Leopold

& Kaltenecker, 2013, S. 18.

270

10 Motivieren

Ökonomisch betrachtet, ist es sinnvoller, eine Arbeit zu 100 Prozent abzuschließen, als zehn Arbeiten gleichzeitig in halbfertigem Zustand in der Bearbeitung zu haben. Um die Durchlaufzeiten zu optimieren und einen kontinuierlichen Arbeitsfluss zu etablieren, empfiehlt es sich, die Anzahl der in einem Arbeitsschritt zu bearbeitenden Aufgaben (Work in Progress = WiP) zu beschränken. Diese Limitierung oder Fokussierung von Aufgaben und Arbeitsschritten wird mit dem Begriff „WiP-Limits“ bezeichnet. Daily Standup Meetings In Produktionsbetrieben oder auch in Krankenhäusern informieren zu Beginn des Arbeitstages oder zu Beginn einer Schicht die Mitarbeiter einander über die anstehenden Aufgaben. So werden überflüssige Arbeiten vermieden, die nur Zeit vergeuden und unnötige Kosten verursachen. Im Daily Standup Meeting bespricht und organisiert das Team die anstehenden Aufgaben, analysiert Blockaden und sucht nach Wegen, diese aufzulösen. Damit das Meeting rasch und effektiv verläuft, werden Besprechungen, die detaillierte Betrachtungen wie das Aufspüren von blockierten Teilaufgaben erfordern, in Anschlussmeetings verlagert. Die Moderation dieses Meetings ist die ideale Möglichkeit, das Prinzip „Fördere Leadership auf allen Ebenen“ zu verwirklichen. Es gibt in Kanban keine definierte Rolle, die für die Moderation zuständig wäre; oft werden die Meetings von Team- oder Abteilungsleitern moderiert. Noch besser ist es, wenn diese Aufgabe rotiert: Jede Woche übernimmt eine andere involvierte Person die Moderation des StandupMeetings und wechselt somit aus dem passiven Teilnehmerdasein in eine führende und kontrollierende Funktion. Dieser Wechsel ermöglicht den Perspektivwechsel vom kritisierenden Teilnehmer hin zum Gestalter des Meetings. Das Meeting wird in der Regel im Stehen vor dem Kanban-Board abgehalten und dauert nicht länger als 15 Minuten. Diese Leitfragen bestimmen den Verlauf des Meetings: 1. Was habe ich seit gestern geschafft? 2. Was werde ich heute tun? 3. Was behindert mich bei meiner Arbeit? Wer auch immer die Moderatorenrolle übernimmt, sollte das Board von rechts nach links durchgehen, Auffälligkeiten ansprechen, nach den Ursachen und Handlungsmöglichkeiten fragen und auch darauf hinweisen, wenn sich an bestimmten Stellen etwas getan hat. Im Mittelpunkt steht die Arbeit - so wie sie sich am Board darstellt - nicht aber, wer was wann warum oder warum nicht getan hat.63 Dabei spielt wieder die Überlegung eine Rolle, dass es besser ist, zuerst eine Arbeit fertigzustellen, bevor eine nächste begonnen

63Leopold,

S. 91.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

271

wird. Besonderes Augenmerk wird auf Aufgaben gelegt, die sich schon länger nicht weiterbewegt haben oder die sichtbar als „blockiert“ markiert worden sind. Vor allem bei reifen Teams kommt es vor, dass vorrangig die blockierten Tickets besprochen werden. Hier wird dann geklärt, was die Ursachen dafür sind und welcher Mitarbeiter an diesen Stellen im Arbeitsfluss helfen kann. Auch kann jeder, der Hilfe braucht, sein Anliegen vortragen.64 Prozessvisualisierung Wichtig ist, dass die Prozessgrenzen - Beginn und Ende des Arbeitsprozesses - klar definiert und mithilfe des Kanban-Boards visualisiert werden. Sind die Prozessgrenzen definiert, werden im nächsten Schritt der Kanban-Implementierung Arbeit und Arbeitsfluss ebenfalls sichtbar gemacht. In einem Kanban-System sollte immer der tatsächlich in der Praxis gelebte Prozess abgebildet werden. Deshalb ist die Visualisierung auch die Aufgabe des Kanban-Teams. Nur das Team weiß, wie es tatsächlich arbeitet.65

Abb. 10.22   Gestaltungsbeispiel Kanban-Board 64Leopold 65Vgl.

& Kaltenecker, 2013, S. 66. ebd. S. 26-27.

272

10 Motivieren

Welche Form auch immer gewählt wird, zwei besondere Eckpfeiler sollte das Board haben: 1. Ganz links am Board steht „Backlog“ (Aufgabenspeicher). Dort werden die Aufgaben gehängt, die als Nächstes erledigt werden sollen. 2. Die letzte Spalte auf der rechten Seite des Boards hat die Überschrift „Done“ (fertig). Das ist der Übergabepunkt, an dem eine Arbeit das Kanban-System verlässt. Landen die Tickets in dieser Spalte, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass ein Produkt fertig ist. Es signalisiert in vielen Fällen lediglich, dass nun die nächste Stufe in der unternehmerischen Wertschöpfungskette mit diesem Teil des Produkts weiterarbeiten kann.66 Am einfachsten werden die einzelnen Arbeitsaufgaben mit Haftnotizen oder Karten dargestellt, auf denen steht, was zu tun ist. Man kann damit in den laufenden Prozess einsteigen, indem die gerade anstehenden Aufgaben als „Tickets“ in die entsprechenden Prozessschritte verteilt werden. Die Tickets werden dann immer in die Spalte am Board bewegt, in der sich die Arbeit im Moment befindet. Wohlgemerkt: nach dem Pull und nicht nach dem PushPrinzip! In den Kernpraktiken von Kanban ist definiert, dass der Arbeitsfluss gemessen werden soll, um Probleme identifizieren zu können. Eine der wichtigsten Messungen betrifft die Durchlaufzeit: Wenn vermerkt wird, wann das Ticket auf das Board gekommen ist bzw. wann es sich in welchem Prozessschritt befindet und wann die Aufgabe fertiggestellt worden ist, hat man bereits Aussagen über die Durchlaufzeiten gewonnen, die zusammen mit anderen Informationen tiefere Einblicke in störende Faktoren des Arbeitsflusses geben können.67

Abb. 10.23   Angaben auf einem Ticket 66Ebd. 67Ebd.

S. 27. S. 28.

10.8

Agile Führung – Selbstorganisierte …

273

Probleme sichtbar machen Wenn es sich in bestimmten Arbeitsschritten staut und alle vorgelagerten und nachfolgenden Arbeitsschritte nicht weiter ausgeführt werden können, weil Arbeiten z. B. mit roten Blockade-Stickern versehen sind, sollte man gezielt Ursachenforschung betreiben. Anschließend muss sich ein Team dann der Beseitigung dieses Problems in der nächsten Retrospektive widmen, bevor eine neue Arbeit begonnen wird. Geschieht das nicht, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass das Problem an anderer Stelle wieder zum Vorschein kommt – meist jedoch um einige Dimensionen größer als ursprünglich.68 Engpässe sichtbar machen Durch die Kombination von Visualisierung und WiP-Limits wird sichtbar, wo die Engpässe eines Arbeitsflusses liegen. Die Kolleg*innen, die am Engpass arbeiten, können keine Arbeit von den Vorgänger*innen abholen, weil sie noch mit der aktuellen Aufgabe beschäftigt sind. Und da sich die Vorgänger*innen ebenfalls an die WiP-Limits halten, können auch sie keine neuen Arbeiten in ihren Arbeitsschritt „pullen“. Der Arbeitsfluss gerät allmählich ins Stocken. Diese Bottlenecks sind die eigentlichen Motoren von Verbesserungen, weil sie den Impuls vermitteln, nach den Gründen für diese Engpässe zu suchen und sie zu beheben.69 Exkurs: Theory of Constraints 70

Der Physiker Eliyahu M. Goldratt, der später zum Managementberater wurde, machte eine wesentliche Beobachtung: Das Hauptleiden vieler Unternehmen ist ihre Fragmentierung. Hinter der Strukturierung in kleine Einheiten steht die Meinung, dass sich Komplexität dadurch besser beherrschen ließe und dass die Optimierung jeder Einheit sich automatisch optimierend auf die gesamte Organisation auswirke. Oft wird dabei an allen möglichen Variablen gedreht, und trotzdem will sich der Erfolg nicht so richtig einstellen. Goldratt postuliert in seiner Theory of Constraints (TOC), dass es meist nicht mehr als ein wesentlicher Engpass ist, der ein System darin einschränkt, seine Ziele zu erreichen. Unwillkürlich richtet sich jedes System, ob Produktionsbetrieb oder Wissensunternehmen, in seiner Leistungsfähigkeit an diesem Engpass aus. So wie eine Bergsteigergruppe immer nur so schnell gehen kann, wie es der Langsamste unter ihnen zulässt, wird

68Ebd.

S. 40. S. 41. 70Die Theory of Constraints (TOC) - auch Engpasstheorie oder Durchsatz-Management bezeichnet die Gesamtheit der Denkprozesse und Methoden zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit (Durchsatz) von Systemen, basierend auf den Ideen von Eliyahu M. Goldratt. - https:// de.wikipedia.org/wiki/Theory_of_Constraints 69Ebd.

274

10 Motivieren

auch der Durchsatz einer Organisation bzw. ihrer Subeinheiten von den Durchsätzen der Engpässe bestimmt. Ziel sollte es also nicht sein, Ressourcen noch stärker auszulasten. Ziel muss es sein, den Durchsatz der Arbeit zu verbessern. Die fünf Fokussierungsschritte, die Goldratt zur Beseitigung von Engpässen bzw. zur Erhöhung des Durchsatzes empfiehlt, ergeben einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess.71 1. Identifiziere den Engpass. Aus der Visualisierung des Prozesses über das Kanban-Board werden RessourcenEngpässe oder Blockaden im Arbeitsfluss sichtbar. Diese gilt es zu erkennen bzw. aufzudecken und zu bewerten. Es ist der Engpass mit der höchsten Priorität zu identifizieren. 2. Entscheide, wie der Engpass maximal genutzt werden kann. Es gilt zu untersuchen, wie der Engpass bestmöglich ausgenutzt werden kann. Dafür werden möglichst mehrere alternative Optionen erarbeitet und bewertet. 3. Ordne alles andere der oben getroffenen Entscheidung unter. Die Beseitigung der Blockade und des Engpasses mit der höchsten Priorität haben Vorrang vor allem anderen. Es ist am Engpass mit der höchsten Priorität zu arbeiten, auch wenn andere Engpässe einfacher zu beseitigen wären. 4. Behebe den Engpass. 5. Wurde der Engpass beseitigt, beginne von vorn. Das Beheben eines Engpasses erfordert die erneute Prüfung des Arbeitsflusses. Das Resultat kann einen anderen Engpass ergeben, welcher nach dem gleichen Regelwerk zu bearbeiten wäre. Goldratt warnte sehr eindringlich davor, sich damit zufriedenzugeben, einen Engpass dingfest gemacht und beseitigt zu haben. Diese Gefahr bestehe, wenn man zu sehr auf einen aktuellen Leidensdruck fokussiert sei und dabei außer Acht lasse, dass ein Unternehmen aus zusammenhängenden und voneinander abhängigen Einheiten bestehe. Daher empfehle er diese iterative Herangehensweise.72

10.8.3 Retrospektiv-Meeting Die Retrospektiv-Meetings (fortan Retrospektiven) folgen in ihrer Grundidee der TOC von Goldratt. Ziel ist es, Probleme zu identifizieren, deren Ursachen zu evaluieren und dafür Lösungen zu finden. Aber - und das ist der entscheidende Punkt - es geht nicht 71Goldratt

& Pyka, 2002.

72Leopold

& Kaltenecker, 2013, S. 43.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

275

darum, die perfekte Lösung zu finden, denn Problemlösungen haben immer nur vorläufigen Charakter. Im weiteren Prozessverlauf offenbaren sich immer wieder neue Facetten, die nach Antworten verlangen. Und daher ist das Ergebnis der Retrospektive immer nur ein kleiner Schritt nach vorn. „To do – doing – done“ sollte nicht die Haltung sein, mit der man an Verbesserungen herangeht. Verbesserungsprozesse verlaufen zyklisch. Der Demingkreis - auch bezeichnet als Deming-Rad, Shewhart Cycle oder PDCA-Zyklus - beschreibt einen iterativen drei- bzw. vierphasigen Prozess für Lernen und Verbesserung, entwickelt von dem US-amerikanischen Physiker Walter Andrew Shewhart. Die Buchstaben PDCA stehen für die Begriffe Plan – Do – Check – Act, die übersetzt auf deutsch bedeuten: Planen – Umsetzen – Überprüfen – Handeln. • Plan: Es werden Verbesserungsideen entwickelt. Was soll geändert werden? • Do: Die Verbesserungsidee wird umgesetzt. • Check: Jetzt wird überprüft, ob die Verbesserung wirklich eine Verbesserung darstellt. Idealerweise werden im Laufe der Zeit Messgrößen entwickelt, die bei der Einschätzung helfen. Dafür sollten im Planstadium Beurteilungskriterien festgelegt werden. • Act: Waren die Verbesserungsmaßnahmen erfolgreich, werden sie fortgeführt - falls nicht, beginnt der Prozess von vorn.73 Retrospektiven sind auch Bestandteil von Kaizen74. Kaizen ist eine Philosophie der stetigen und schrittweisen Optimierung von Arbeitsabläufen, welche das Management und alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Veränderungsprozess einbezieht. Kaizen wurde ursprünglich in der japanischen Automobilindustrie entwickelt.75 In den regelmäßig durchgeführten Retrospektiven werden die Arbeitsprozesse und -ergebnisse eines bestimmten Zeitraums evaluiert und Erkenntnisse hinsichtlich der Optimierungspotenziale gewonnen. Die Retrospektiven folgen einer definierten Ablaufstruktur und sind in der Regel auf ein Zeitfenster von 90 Minuten ausgelegt. Der klar strukturierte Ablauf mit terminierten Zeitblöcken garantiert eine ziel- und ergebnisorientierte Durchführung, die mit der Vereinbarung klar definierter Maßnahmen für die nächsten Arbeitsschritte abschließt.

73Seghezzi, 74Kaizen

Fahrni & Friedli, 2013.

ist ein Verfahren aus der japanischen Fertigungstechnik und bedeutet konsequentes Innovationsmanagement oder einfach Verbesserung. KAI = Veränderung ZEN = zum Besseren Die Kaizen-Philosophie steht für Verbesserungen von jedem, immer und überall. Auf das Konzept der kontinuierlichen Verbesserung machte 1986 Masaaki Imai erstmals im Westen durch sein Buch “Kaizen: Der Schlüssel zum Erfolg der Japaner im Wettbewerb” aufmerksam. 75Andresen, 2013, S. 36.

276

10 Motivieren

Struktur des Retrospektiv-Meetings Intro Intro stimmt die Teilnehmer auf das folgende Zeitfenster ein. Es werden Kommunikationsregeln vereinbart und die Agenda vorgestellt. Diese ersten Minuten gehören den Moderator*innen.

Abb. 10.24   Beispielhafter Ablauf eines Retrospektiv-Meetings

Sollten Zeiten überschritten werden, entscheidet das Team, ob die aktuelle Diskussion ausgedehnt oder in eine andere Veranstaltung verschoben wird. Die Aufgabe der Moderatoren ist, auf die Einhaltung der Zeitfenster zu achten. Die Inhalte einer Retrospektive können vom Teamleiter zu einem bestimmten Thema vorgegeben werden. Diese Themenschwerpunkte beziehen sich auf Aspekte wie z. B. Verbesserung der Qualität, Quantität oder fachliche Inhalte. Gibt es keine Themenvorgabe, bestimmt das Team selbst die Inhalte der Retrospektive, welche sich überwiegend mit der Verbesserung der Arbeitsprozesse befassen. In diesen Fällen wird in der Phase Intro das Ergebnisposter der letzten Retrospektive erneut hervorgeholt, damit jedes Teammitglied

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

277

in einem Zeitfenster von drei Minuten noch einmal für sich die Gedanken rekapituliert, die zu den Beschlüssen, Maßnahmen und deren Umsetzung geführt haben. Die Erkenntnisse werden je nach Bedarf in der Phase Gather Data gesammelt und bewertet. S et the Stage Während Set the Stage kommen die Teammitglieder mit ihrer Stimmung an. Alle konzentrieren sich auf die Retrospektive. Jedes Teammitglied kommt während dieser Phase zu Wort. Damit die akuten Stimmungen nicht die gesamte Retrospektive übertönen, ist die Benennung der akuten Stimmung während des Ankommens sehr wichtig. Der Methodenbaustein, mit dem Set the Stage bestritten wird, sollte daher die folgenden Fragen klären: • In welcher Stimmung kommen die Teammitglieder in dieses Arbeitstreffen? • Gibt es außer der akuten Stimmung auch eine grundsätzliche Tönung der Laune der Beteiligten? Nicht nur für Set the Stage, sondern für alle Retrospektivphasen gilt die Moderationsregel, die Ruth Cohn in ihrer Themenzentrierten Interaktion postuliert hat: „Störungen haben Vorrang.“ Wenn einzelne Teilnehmer oder Teilnehmerinnen Methodenbausteine, Vorgehen oder Ergebnisse infrage stellen oder durch ihr Verhalten konterkarieren, hat die Bearbeitung dieser Störung Vorrang. Dann gilt es, die Störung zu benennen, den weiteren Verlauf der Retrospektive zu unterbrechen und das entsprechende Thema zu bearbeiten. Nicht immer gelingt es, sofort die Störung zu beseitigen. Da diese Vorgehensweise den weiteren Ablauf der Retrospektive empfindlich beeinträchtigen kann, bieten sich auch folgende Möglichkeiten an: • Die Störung benennen und um eine Bearbeitung während der nachfolgenden Retrospektive bitten. Hierfür kann der Moderator oder die Moderatorin ein Flipchart, das mit dem Titel „Themenspeicher“ versehen ist, aufsetzen und die Problempunkte visualisieren. • Die Störung benennen und den Personenkreis identifizieren, der dieses Thema gesondert bearbeiten kann und will. Einigt sich das Team auf dieses Verfahren, sollte der Moderator oder die Moderatorin eine entsprechende Notiz (auf einer besonders gekennzeichneten Moderationskarte) aufnehmen und unter Decide What to Do in die Aktivitätenliste übernehmen. Mit der Eingangsfrage in Set the Stage wird der Raum der Retrospektive geöffnet. Eine allgemeine Frage nach der Stimmung wird breitere Ergebnisse liefern als eine gezielte Abfrage mehrerer Aspekte. Ein guter Einstieg ist der Methodenbaustein „Erwartungsbaum“.76

76Andresen,

2013, S. 68.

278

10 Motivieren

Abb. 10.25   Beispiel „Erwartungsbaum“

An den Erwartungsbaum werden von jedem Teammitglied die persönlichen Erwartungen an die Retrospektive mit beschrifteten Moderationskarten gehängt, damit diese stets präsent sind und auch tatsächlich darauf Bezug genommen wird. Gather Data Gather Data leistet zwei wesentliche Aufgaben: 1. Das Team benennt offensichtliche Fakten und Symptome, um diese in der nächsten Phase zu verstehen, sowie Beobachtungen und nicht-erklärbare Phänomene mit dem Ziel, diese näher zu untersuchen und dann gegebenenfalls weiterzubearbeiten.77 2. Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen sollten ihre Beobachtungen zu Gather Data mitteilen. Beobachtungen schließen neben Fakten auch Gefühle, Ahnungen und ­nicht-bewertete Wahrnehmungen ein.

77Vgl.

ebd. S. 68.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

279

Oftmals lassen sich aus dem „Bauchgefühl des Teams“ heraus wichtige Erkenntnisse ableiten. In vielen Fällen wird die Frage „Was läuft hier schief?“ weniger Erkenntnisse als die Frage „Worüber hast Du Dich in letzter Zeit geärgert?“ liefern. Die Gefühlsebene zu adressieren, heißt auch, einen größeren Erkenntnisraum anzusprechen. Bei allen Methodenbausteinen, die Moderatoren und Moderatorinnen für ihre Retrospektiven entwickeln, ist daher immer zu überprüfen, ob die entsprechende Frage auch Gefühle anspricht.78 In dieser Phase des Meetings werden auch die anlässlich der vorherigen Retrospektive beschlossenen Maßnahmen hinsichtlich der Wirksamkeit und Ausführung erörtert. Daraus können neue Symptome und Emotionen sichtbar werden.

Abb. 10.26   Beispiel „Protokoll“ beschlossener Maßnahmen

Ein hilfreicher Methodenbaustein ist der Einbezug einer fiktiven Person, um sich zu distanzieren und aus der Fremdbildperspektive das Geschehen zu reflektieren.79

78Ebd. 79Ebd.

S. 68. S. 139.

280

10 Motivieren

„Klaus“ ist ein fiktives Teammitglied. (Falls tatsächlich ein „Klaus“ im Team sein sollte, ist ein anderer Titel für diesen Methodenbaustein zu wählen.) Die Teilnehmer*innen der Retrospektive werden gebeten, „ihren Klaus“ zu charakterisieren. Falls mehr als drei Personen an der Retrospektive teilnehmen, sind passende Arbeitsgruppen zu bilden. Alle haben die Aufgabe, Klaus’ Porträt zu vervollständigen. Die Aufgabe wird durch den Moderator oder die Moderatorin weiter spezifiziert. Folgende Elemente sind dabei zu charakterisieren: • • • • •

Klaus’ Bild (Wie sieht das typische Teammitglied aus?) Klaus mag . . . (Was ist Gutes vorgefallen? Was sollte mehr vorkommen?) Klaus versteht nicht, dass . . . (Was ist passiert? Was ist unklar?) Klaus ärgert sich über . . . (Was ist passiert, was für das Team unerfreulich ist?) Klaus will . . . (Welche Handlungsoptionen liegen beim einzelnen Teammitglied?)

Abb. 10.27   Flipchart-Gestaltung für die Übung „Klaus“

Ein weiterer praktikabler Methodenbaustein für diese Phase kann die Beantwortung dieser Fragen sein: „Was bremst? – Was zieht?“

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

281

Der Vergleich mit einem Segelschiff bietet sich hier an: Manchmal hat das Schiff viel Wind in den Segeln, nimmt Fahrt auf und kommt gut voran; ein anderes Mal kommt es kaum vom Fleck, es herrscht Flaute oder es scheint, als wäre der Anker ausgeworfen worden.

Abb. 10.28   Flipchart-Gestaltung „Was bremst? Was zieht?“

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen werden gebeten, auf Moderationskarten entsprechende Beobachtungen zu notieren. Damit die Karten beim Umsortieren noch in der Beurteilung zuzuordnen sind, werden sie mit einem kleinen Plus (+) fürs Ziehen und einem Minus (−) fürs Bremsen ausgezeichnet. Die Moderatoren*innen lesen die Karten jeweils während des Umsortierens vor. Falls Unklarheiten in Bezug auf die Aussagen bestehen, werden sie in dieser Phase geklärt. Bei der Umsortierung ist darauf zu achten, dass nicht nach fachlichen Themen sortiert wird. Häufig geben Teilnehmer und Teilnehmerinnen Oberbegriffe wie „Kommunikation“ oder auch „Anforderungen“ an. Es lohnt sich, bereits hier nach ähnlichen Verhaltensweisen (egal, aus welchem fachlichen Bereich kommend) zu schauen. Insofern erleichtern Zusammenfassungen wie

282

10 Motivieren

beispielsweise „bessere Absprachen“ oder „es hakt“ die Ursachenforschung. Daher empfiehlt es sich, die Frage nach dem WARUM bereits beim Umgruppieren mit dem ­Retrospektiv-Team zu erörtern. Am Ende der Symptomsammlung werden vom Team die Themen geclustert und priorisiert. Maximal zwei der Themen werden in der nächsten Phase der Retrospektive auf ihre Ursachen hin untersucht. Generate Insights Es ist der Impuls vieler Teams, Generate Insights zu überspringen und direkt Maßnahmen vorzuschlagen. Dieses Vorgehen führt selten zum Erfolg. Verfolgt ein Team diesen Weg, wird es sich im Bereich der Symptombekämpfung bewegen. Es ist wichtig zu verstehen, warum ein in Gather Data benanntes Phänomen auftritt.80 Versteht das Team die Ursache und die Umstände der Problematik, kann es zielgerichtet Gegenmaßnahmen entwickeln und durchführen. Das Erkennen von Ursachen motiviert und begründet ggf. neue Teamregeln und Maßnahmen. Es kann hilfreich sein, in die Ursachendiskussion mit allen Themen einzusteigen und sich im Laufe der Diskussion auf ausgewählte Themen zu konzentrieren, die inhaltliche Abhängigkeiten aufweisen.81 Exkurs: Die 5-Why-Methode Ein praktikabler Methodenbaustein für gezielte Ursachenforschung ist die „­ 5-Why-Methode“. „Die 5-Why-Methode, auch 5-W-Methode oder kurz 5 Why beziehungsweise 5W genannt, ist eine Methode im Bereich des Qualitätsmanagements zur ­Ursache-Wirkung-Bestimmung. Ziel dieser Anwendung der fünf „Warum-Fragen“ ist, eine Ursache für einen Defekt oder ein Problem zu bestimmen. Die Anzahl der Nachfragen ist nicht auf fünf begrenzt - diese Zahl ist symbolisch zu verstehen. Wichtig ist, dass so lange nachgehakt wird, bis der fehlerverursachende Prozessschritt eindeutig identifiziert und nicht mehr weiter aufteilbar ist. Dies lässt sich z. B. überprüfen, indem der Kausalzusammenhang umgekehrt formuliert wird. Toyoda Sakichi gilt als Erfinder dieser Methode.“ 82 Aus der vorherigen Phase wird eine Aussage als Zusammenfassung formuliert, welche vom Team als Vor- oder Nachteil in der Zusammenarbeit identifiziert wurde. Beispiel: Die zugesagten Fertigstellungstermine werden häufig nicht eingehalten.

80Andresen,

2013, S. 70. S. 71. 82https://de.wikipedia.org/wiki/5-Why-Methode 81Ebd.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

283

Fragen

Antworten

1) Warum dauert die Fertigstellung zu lange?

Die Supportmitarbeiter*innen brauchen für ihre Arbeit zu häufig die ungeplante Hilfe der Entwickler*innen.

2) Warum brauchen die Supportmitarbeiter*innen die Hilfe der Entwickler*innen?

Das Programmverhalten ist aufgrund der Komplexität nicht von Supportmitarbeiter*innen erklärbar; der Sourcecode muss von Entwickler*innen untersucht werden, um das Verhalten zu erklären.

3) Warum muss der Sourcecode von Entwickler*innen untersucht werden?

Im Supportteam hat niemand die fachliche Kompetenz zum Lesen des Sourcecodes.

4) Warum hat das Supportteam nicht die fachliche Kompetenz?

Niemand hat das Supportteam geschult.

5) Warum ist das Supportteam nicht geschult worden?

Das haben wir noch nie gemacht.

Der Moderator oder die Moderatorin fragt das Team, warum dies so sei. Die Begründung wird auf dem Flipchart in der obersten linken Box notiert. Anschließend wird diese Begründung wieder hinterfragt und das Ergebnis in der Box darunter notiert. Ziel dieses Methodenbausteins ist es, Prozessfehler offenzulegen. Sobald Prozessfehler in der Begründungskette auftauchen, kann das Verfahren abgebrochen werden. Das Signal hierzu setzen der Moderator bzw. die Moderatorin. Um Sicherheit in der Deutung für alle herzustellen, begründen die Moderator*innen (vom letzten Statement ausgehend) die Kette bis hin zum Symptom. Sofern das Team mit dieser Kette einverstanden ist, kann es die nächste Phase in Angriff nehmen. Fortgefahren werden kann dann mit der Frage der Moderator*innen: „Sind alle ­Team-Mitglieder der Meinung, dass die fehlende Methodenkompetenz der Supportmitarbeiter im Lesen des Sourcecodes die Ursache für Terminverschiebungen ist?“ Abhängig vom zeitlichen Verlauf kann das Team auch ein zweites Phänomen untersuchen. Um eine Ermüdung des Teams zu vermeiden, sollten nicht mehr als zwei Symptome in einer Retrospektive derart tiefgründig bearbeitet werden. Wenn das Team bei der Beantwortung einer Aussage in einen Zirkelschluss gerät, geschieht dies meist, weil „ein Elefant im Raum83 “ ist. Zirkelschlüsse weisen immer darauf hin, dass das Team bestimmte Verhaltensweisen und Vorgänge als gegeben ansieht – und diese nicht hinterfragt. Erkennen die Moderator*innen diesen Zirkelschluss, ist besondere Aufmerksamkeit auf Sätze wie z. B. „Das machen wir doch immer so.“ oder „Wie sollte das auch anders gehen?“ zu richten. Diese Sätze könnten den „Elefanten“ verraten und eine neue Begründung für das gefundene

83Der

Elefant im Raum ist eine aus dem angelsächsischen Sprachraum stammende Metapher, die seit der Jahrtausendwende auch im deutschen Sprachraum an Popularität gewonnen hat. Der Anglizismus bezeichnet ein offensichtliches Problem, das zwar im Raum steht, aber dennoch von den Anwesenden nicht angesprochen wird. https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Elefant_im_Raum

284

10 Motivieren

Verhalten aufzeigen. Vielfach äußert das Team mehrere Begründungen für ein Verhalten. Es empfiehlt sich, immer nach der wesentlichen Begründung zu fragen und diese entsprechend aufzunehmen. Um die mögliche Auswahl zu verdeutlichen, können die angebotenen Begründungen zunächst vollzählig auf dem Flipchart nebeneinander erscheinen. Nach der Aufforderung, sich für die Begründung mit der höchsten Priorität entscheiden zu müssen, trifft das Team in der Regel die richtige Wahl. Ein derartiges Vorgehen sichert das Verstehen und die Akzeptanz der Gruppe für die eingebrachten Argumente.84  ecide What To Do D In Decide What to Do werden von allen Beteiligten Ideen entwickelt, mit denen auf die in Gather Data formulierten und in Generate Insights begründeten Phänomene mit Teamregeln und Maßnahmen reagiert werden soll. Durch diese expliziten Vereinbarungen versucht das Team, eine Verbesserung der aktuellen Situation herzustellen. Diese Teamregeln und die Maßnahmen sind möglichst konkret zu formulieren. Daraus entsteht ein Maßnahmenplan entsprechend folgendem Muster:

Abb. 10.29   Beispiel Aktionsplan 84Andresen,

2013, S. 160

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

285

Je nach Anzahl der entwickelten Maßnahmen müssen diese priorisiert werden, um die optimale Wirkungsweise sicherzustellen. Die vom Team verabschiedeten Maßnahmen bzw. Regeln werden festgehalten und in der folgenden Retrospektive erneut hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüft, ggf. verworfen, verbessert oder beibehalten.  losing the Retrospective C Diese Fragen haben sich zur Erlangung eines Stimmungsbildes und für die Beendigung des Retrospektiv-Meetings bewährt: • • • •

Mit welchen Gefühlen gehen wir aus der Retrospektive heraus? Wie zufrieden sind wir mit den Beschlüssen? Was geistert uns noch im Kopf herum? Welche Erkenntnisse und Gedanken haben sich außerdem während der Retrospektive ergeben, die wir gerne teilen möchten?

Für das Team ist es wichtig, dieses Stimmungsbild zu erhalten. Häufig enthalten die hier geäußerten Gedanken wertvolle Hinweise für das Team, welche Projektbaustellen noch zu bearbeiten sind. Daneben setzt Closing the Retrospective einen Schlusspunkt für die Veranstaltung. Die Moderator*innen sind nach dieser Phase aus ihrer Rolle entlassen. Nicht selten kommentieren die Teilnehmer*innen auch den Ablauf der Retrospektive. Um diese Eindrücke nicht zu verlieren, können die Moderator*innen deren Wortmeldungen dokumentieren. Geeignet dafür ist die Rückkehr zum Erwartungsbaum.

Abb. 10.30   Erwartungsbaum mit Kommentaren der Teilnehmer*innen

286

10

Motivieren

Die Moderator*innen fordern alle Teilnehmer*innen auf, ihre eingetretenen Erwartungen, Ängste und Hoffnungen vom Erwartungsbaum aus der Phase Set the Stage zu pflücken. Bleiben Blätter am Erwartungsbaum hängen, bitten die Moderator*innen um eine Erklärung. Diese Erläuterungen werden vom Team lediglich zur Kenntnis genommen und nicht weiter kommentiert. Wurde kein Erwartungsbaum in der Phase Intro verwendet, kann eine einfache Stimmungsabfrage eingesetzt werden. Auf einem Flipchart (s. Abb. 10.31) markieren die Teilnehmer*innen mit einem Klebepunkt ihre Stimmungslage, die sie anschließend kurz kommentieren.

Abb. 10.31 Beispiel Stimmungsbildabfrage

Moderationsrolle im Team Da die Retrospektiven im agilen Führungsverhalten sehr wichtig sind, kann eine fehlende Methoden- und Kommunikationskompetenz einen negativen Einfluss auf die Ergebnisse und Akzeptanz der Retrospektiven haben.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

287

Übernehmen eine oder zwei Personen ständig die Moderation im Team, ist die Professionalisierung der Moderation und somit der Wissens- und Kompetenzaufbau in diesem Bereich leichter zu erreichen, als wenn die Rollen ständig von wechselnden Personen wahrgenommen würden. Die Moderator*innen haben die Aufgabe, das Meeting durch zielführende Fragen zu steuern und für eine konstruktive und angemessene Kommunikation zu sorgen. Diese Funktion darf nicht zur Wahrnehmung eigener Interessen genutzt werden, sondern man hat die Meinungen der Teilnehmer*innen zu erfassen und zu respektieren. Diese Art der Moderation erfordert Distanz zu den besprochenen Themen. Die Trennung der Moderationsrolle von der Teamrolle ist nicht einfach. Die daraus entstehenden Konflikte können sich problematisch auswirken, da es nicht leicht ist, die Rollen und Anforderungen der Moderation neutral wahrzunehmen.

10.8.4 Scrum Der Name Scrum stammt aus dem Artikel The New New Product Development Game, in dem Nonaka und Takeushi das Neuentwickeln von Projekten mit Rugby vergleichen und für die gemeinsame Arbeit von cross-funktionalen Teams das Bild des Scrum - eine Freistoßsituation im Rugby - verwenden.85 Ein Scrum-Team besteht im Idealfall aus sieben Personen: dem Scrum-Master, dem Product Owner und den Personen des Entwicklungsteams. Diese sind hocheffektiv, weil sie nach dem klassischen Modell der self-directed work teams86, den autonomen Arbeitsgruppen, gebildet sind: Alle Mitglieder des Entwicklungsteams sind in der Lage, mehrere Arbeitsschritte im Arbeitsprozess durchzuführen. Sie organisieren ihre Aufgaben vollständig eigenverantwortlich. Der Scrum-Master ist nicht Teil des Entwicklungsteams. Er organisiert die Rahmenbedingungen um das Scrum-Team herum. Der Product Owner steuert das Team aus der fachlichen Sicht. Er entscheidet, was wann vom Team umgesetzt werden soll, macht aber keine Vorgaben, wie das Produkt erstellt werden soll.87 Die detaillierte Beschreibung des Scrum-Rahmenwerks (Scrum Guide) ist unter www.scrum.org zu finden. Eine deutschsprachige Übersetzung steht unter https:// scrumguides.org/download.html zum Download bereit.

85Vgl.

Nonaka, I./ Takeuchi, H., 1986, 64(1), S. 137-146. 2005. 87Gloger, 2010, S. 196. 86Liker,

288

10 Motivieren

Scrum-Rollen Der Scrum-Master managt die Grenzen des Scrum-Teams. Er beschützt es vor äußeren Einflüssen. Er sorgt dafür, dass der Scrum-Prozess von allen eingehalten wird, implementiert Scrum als Arbeitsmethode und arbeitet mit dem Management an produktivitätssteigernden Verbesserungen. Der Scrum-Master als Person ist eine Führungskraft ohne disziplinarische Verantwortung. Er sorgt für die Selbstorganisation des Teams, indem es die formale Autorität, alle notwendigen Ressourcen und die erforderlichen Informationen erhält. Er sorgt dafür, dass sich das Team für das Ergebnis verantwortlich fühlt. Der Product Owner in seiner Rolle erstellt die Product Vision und das priorisierte und geschützte Product Backlog, die Liste der Funktionalitäten, die zu erarbeiten sind. Er stellt die Profitabilität der Produktentwicklung sicher, indem er streng auf den ­ Return-on-Investment achtet Er führt die Produktentwicklung strategisch und beantwortet ggf. dem Entwicklungsteam fachliche Fragen. Sein Product-BacklogManagement umfasst die klare Formulierung der Backlog-Einträge und deren Strukturierung im Hinblick auf die ökonomisch verantwortbare Realisierung der Ziele und Missionen. Dadurch stellt er sicher, dass das Scrum-Team stets die nächsten Arbeitsschritte versteht und verfolgt. Das Team ist verantwortlich für die Lieferung des Produkts, die technische Umsetzung, die Qualität des Gelieferten und die Einschätzung, was realistisch leistbar ist. Es organisiert sich eigenverantwortlich, führt alle Arbeiten gemeinsam aus und erhöht ständig seine Produktivität.88 Scrum Arbeitsweise Grundlegend folgt Scrum den gleichen Prinzipien und Praktiken des Kanban-Models. Im Unterschied zu Kanban, wird die Arbeit konsequent in gleichbleibenden Zeitfenstern, den sogenannten Sprints, durchgeführt. Die Sprints werden von einer Reihe festgelegter Meetings umrahmt, die dem Scrum-Modell die typische Arbeitsweise verleihen. Damit unterscheidet sich Scrum von Kanban durch einen festgelegten Ablauf und definierte Rollen, welche darauf ausgelegt sind, Produkte, Projekte oder Software zu entwickeln und herzustellen. Ziel ist, dass nach jedem Sprint eine nutzbare Funktionalität (auch bezeichnet als Inkrement) entsteht, die den Auftraggebern präsentiert werden kann. Durch diese iterative (schrittweise) Vorgehensweise können Änderungen der Anforderungen in den Entwicklungsprozess zeitnah einfließen.

88Ebd.

S. 197.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

289

Methoden und Rollen in Scrum und Kanban Methode / Rolle

Scrum

Produkt Owner

X

Scrum Master

X

Team

X

Kanban

X

Daily Standup

X

X

Prozess-Visualisierung

X

X

WIP.Limit

X

X

Retrospektiven

X

X X

Pull Prinzip

X

Planning Meeting

X

Refinement Meeting

X

Backlog/Sprint-Backlog

X

Sprint Review Meeting

X

Scrum basiert bezüglich der Rollen und Methoden auf einem umfangreich strukturierten Regelwerk, das nicht einfach auf einen bestehenden Prozess aufgesetzt werden kann. Um Scrum einzuführen, müssen oftmals bestehende Prozesse geändert und Rollen neu besetzt werden. Der Scrum Process Der Scrum-Process beginnt mit dem Stakeholder89 Meeting, in dem ausgehend vom Business Case die Projekt-Vision erstellt wird. Der Product Owner nimmt während der Projetphasen die Interessen der Stakeholder wahr. In diesem Meeting werden gemeinsame Projektziele, Vorgehensweisen und Zuständigkeiten besprochen, um die Rahmenbedingungen des Projekts zu definieren. Da das Meeting nur einmal pro Projekt stattfindet und das weitere Vorgehen wenig tangiert, wird dieser Aspekt hier nicht vertiefend behandelt. 1. Aus dem Stakeholder-Meeting resultiert ein priorisierter Product Backlog90, der die Business Anforderungen in Form von User Stories91 dokumentiert. 2. Jeder Sprint beginnt mit einem Sprint Planning Meeting, in welchem hochpriorisierte User Stories (value-based) für die Aufnahme in den Sprint diskutiert und ggf. in den Sprint Backlog aufgenommen werden.

89Ein Stakeholder ist jemand, der ein besonderes Interesse am Projektergebnis hat, weil er entweder das Budget zur Verfügung stellt, das Produkt benutzen wird oder in sonstiger Weise durch das Projekt direkt betroffen ist. 90Priorisierte Liste von Anforderungen 91Verbalisierte Anforderungen

290

10 Motivieren

3. Ein Sprint dauert in der Regel zwischen zwei und drei Wochen. Am Ende steht jeweils ein lieferbares Ergebnis (neues Produkt/Service oder Inkrement92). 4. Während des Sprints werden tägliche Standup-Meetings, sog. Daily Scrums (Dauer maximal 15 Minuten), durchgeführt, in welchen der Fortschritt kommuniziert und Hindernisse beseitigt werden. 5. Am Ende des Sprints wird den Stakeholdern im Rahmen eines ­Sprint-Review-Meetings das Produkt vorgeführt. 6. Der Product Owner93 akzeptiert das Resultat nur dann, wenn die vordefinierten Anforderungskriterien erfüllt sind. Der Product Backlog wird anschließend aktualisiert. 7. Der Sprint Zyklus endet mit dem Sprint Retrospective Meeting und der Erörterung erforderlicher Prozessverbesserungen für den kommenden Sprint.

Abb. 10.32   vereinfachte Darstellung der Meetings im Scrum-Prozess

92Teilergebnis 93Die

für die Pflege des Product Backlogs verantwortliche Person. Der Product Owner vertritt die fachliche Auftraggeberseite und somit sämtliche → Stakeholder im Projekt.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

291

Scrum Artefakte In der Archäologie steht das Wort Artefakt (lat. ars „Handwerk“ und factum „das Gemachte“) für einen von Menschen hergestellten Gegenstand. Der Begriff wird u. a. auch in der Fotografie, der Sozialforschung, der Technik und in der Computergrafik verwendet. Im agilen Scrum Umfeld beschreiben Artefakte Arbeitsaufträge in Form eines Product Backlog94 und eines Sprint Backlog.95 Das Product Backlog wird verantwortet vom Product Owner und enthält eine geordnete Auflistung aller Aufgaben, die für die Erstellung des Produkts oder die Realisierung des Projektziels benötigt werden. Das Product Backlog ist dynamisch und verändert sich fortlaufend durch die Priorisierungen, welche die Stakeholder vornehmen. Der Scrum Guide von Ken Schwaber und Jeff Sutherland (November 2017) betont die umfassende Transparenz der Artefakte als Grundlage der Entscheidungen. Im Falle unvollständiger Transparenz könnten Entscheidungen nicht alle notwendigen Fakten berücksichtigen, Werte mindern und Risiken erhöhen. Die Priorisierung der Product-Backlog-Einträge durch die Stakeholder reicht nicht aus, um die erforderliche Transparenz für die Bearbeitung der Aufträge zu schaffen. Hierfür müssen die Einträge in Arbeitspakete aufgeteilt werden, deren Realisierung beispielsweise maximal zwei Arbeitstage in Anspruch nimmt. Zusätzlich müssen die Arbeitspakete so detailliert beschrieben werden, dass möglichst alle offenen Fragen und Unklarheiten vor dem Beginn der Bearbeitung ausgeräumt sind. Backlog Einträge können erst dann in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht werden, wenn alle wesentlichen Informationen vorliegen. Ist ein Eintrag klar beschrieben und mit detaillierten Informationen versehen, steht er weiter oben im Backlog. Liegen nicht alle Informationen vor, wird der Eintrag weiter unten im Backlog positioniert. Die Scrum-Terminologie spricht pauschal von Backlog-Einträgen (sog. Items). Backlog-Einträge können sein: User-Stories: Eine User-Story beschreibt eine gewünschte Funktion aus der Perspektive eines Anwenders. Deren Fertigstellung in einem Sprint sollte eine überschaubare Anzahl von Arbeitstagen beanspruchen. Die User-Story muss das Ziel und den intendierten Nutzen der Anforderung aufzeigen. Epics: Ein Epic zeigt eine Idee oder eine Funktion, die noch nicht ausreichend transparent für die Umsetzung in einem Sprint ist. Epics werden in kleinere User-Stories heruntergebrochen. Themes: Themes stellen eine Gruppe von User-Stories dar. Dies kann hilfreich sein, um gleiche Stories für die entsprechende Softwareversion oder eine Domäne zusammenzufassen.

94Product

Backlog steht bei Scrum für die Liste aller Anforderungen eines zu erstellenden Produkts. Sprint Backlog ist der Plan für die Sprintdurchführung, den das Scrum Team beim Sprint Planning erstellt. Es umfasst die aus dem Product Backlog ausgewählten Einträge, die im kommenden Sprint umgesetzt werden sollen. 95Das

292

10 Motivieren

Defects: Defects sind Problembeschreibungen, die auf zu verbessernde Aspekte hinweisen. Sie können ebenso Items eines Backlogs darstellen, deren Arbeitsaufwand entsprechend geschätzt und priorisiert wird. Eine praxisbewährte Methode zur Priorisierung umfangreicher Backlog-Einträge ermöglicht die Priorisierung nach relativer Gewichtung. Dabei wird jeder Backlog-Eintrag nach den vier Faktoren Vorteil, Strafe, Risiko und Kosten jeweils mit einer Zahl von 1 - 9 bewertet. Dazu müssen diese Fragen beantwortet werden: 1. Vorteil: Wie groß ist der Vorteil (oder Wert), wenn das Feature geliefert wird? 2. Strafe: Wie groß fällt die Vertragsstrafe aus, wenn das Feature nicht geliefert wird? 3. Risiko: Wie hoch ist das Risiko oder die Abhängigkeit zu anderen Teams oder der Technik? 4. Kosten: Wie hoch sind die Kosten für die Umsetzung? Während „Vorteil“ und „Strafe“ sehr gut seitens der Stakeholder bewertet werden können, ist das Team prädestiniert, Bewertungen für die Aspekte „Kosten“ und „Risiko“ abzugeben. Die Kennzahlen der Prioritäten sind mathematisch exakt zu ermitteln. Man bildet die Summen aus „Vorteil + Strafe“ sowie „Risiko + Kosten“. Deren Division ergibt die Kennzahl der Priorität. Je höher die Zahl, desto höher die Priorität der Bearbeitung. Vorteil (0 - 9)

Strafe (0 - 9)

Risiko (0 - 9)

Kosten (0 - 9)

Priorität

9

9

6

3

(9+9) / (6+3) = 2

8

6

7

5

1,7

2

3

6

6

0,42

Das Sprint Backlog enthält die Menge der für den Sprint ausgewählten ­Product-Backlog-Einträge. Im Sprint Backlog informiert das Entwicklungsteam darüber, welche Funktionalität im nächsten Inkrement enthalten sein wird und welche Arbeitsschritte für dessen Herstellung erforderlich sein werden. Nur das Entwicklungsteam hat die Verfügungsgewalt über das Sprint Backlog und passt es während des Sprints den Entwicklungsfortschritten entsprechend an. Wird eine Arbeit durchgeführt oder fertiggestellt, aktualisiert man die Schätzung der verbleibenden Arbeit. Erweisen sich Bestandteile des Plans als obsolet, werden sie entfernt.

10.8.5 Fallbeispiel: Einführung der Agilen Arbeitsweise in einem IT-Unternehmen Die Situation Ein wirtschaftlich stabiles und erfolgreich agierendes IT-Unternehmen mit ca. 45 Beschäftigten sah sich aufgrund der wachsenden Auftragslage und ansteigender fachlicher Herausforderungen mit der Notwendigkeit konfrontiert, seine Arbeitsprozesse zu optimieren.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

293

Die seitens der Unternehmensführung bislang vorgegebenen Maßnahmen erfüllten nicht die Erwartungen, und die Motivation der Mitarbeitenden schien beeinträchtigt. Die Mitarbeiterzufriedenheit nahm ab und die Klagen über die subjektiv wahrgenommene stetig steigende Arbeitsbelastung und die angeblich ungerechten Aufgabenverteilungen nahmen zu, trotz exzellenter Arbeitsbedingungen und großzügiger Sozialleistungen. Auf der Suche nach alternativen Organisationsformen befasste sich der Inhaber und Geschäftsführer mit den Möglichkeiten der Agilen Führung. Durch den Einsatz agiler Methoden hoffte er, das Unternehmen besser für die Bewältigung der anstehenden Herausforderungen ausrichten zu können. Unter seiner Führung arbeiteten vier Teamleiter mit ca. 40 Mitarbeiter*innen in den Bereichen Entwicklung, Support, Projektgeschäft und Verwaltung. Man beschloss, agile Organisationsstrukturen einzuführen, um dadurch • die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter*innen zu steigern • die Verantwortung für die Ausführung der Arbeiten in sich-selbst-organisierende Teams zu verlagern • die Ablieferqualität der Software zu verbessern • die Quantität der erfolgreich durchgeführten Projekte zu erhöhen • die Fachkompetenzen in den Teams durch systematisch gesteuerten Wissenstransfer nachhaltig zu stärken. Der Geschäftsführer verkündete in einer Betriebsversammlung, dass agile Organisationsstrukturen in Form von selbstorganisierten Teams, die mit den Methoden von Scrum und Kanban arbeiten, eingeführt werden sollten. Die Entscheidungen über die Gestaltung der zukünftigen Arbeitsprozesse sollten von den Teams eigenständig entwickelt werden. Die Softwareentwickler sollten in Entwicklungsteams zusammengefasst mit der S­ crum-Methode arbeiten, alle anderen Bereiche - ebenfalls in Teams organisiert - mit der Kanban-Methode. Einführung der Agilen Arbeitsweise Zu Beginn wurde ein zweitägiger Workshop mit einem agilen Coach96 veranstaltet, um zwölf Mitarbeiter*innen aus allen Unternehmensbereichen mit den agilen Werten, Prinzipien und Methoden vertraut zu machen und die Akzeptanz der neuen Arbeitsweise zu stärken. Weitere Inhalte des Workshops waren die Erarbeitung einer gemeinsamen Vision und die Festlegung der zukünftigen Teamstrukturen. Die Agile Arbeitsweise wurde von einem Pilot-Team, bestehend aus Entwicklern und Supportmitarbeitern, erprobt. Weil deren Aufgaben sich gegenseitig beeinflussen, erschien es sinnvoll, in einem

96Ein

Agile Coach (oder auf Deutsch „agiler Coach“) ist eine Person, die Organisationen dabei unterstützt, anpassungsfähig und selbstlernend zu werden. Das Ergebnis der Arbeit eines agilen Coachs sind einerseits geänderte Prozesse in einer Organisation und andererseits eine Organisation, die ihre Prozesse bei Bedarf selbständig ändert.

294

10 Motivieren

c­ ross-funktionalen Team97 (fünf Entwickler, zwei Supportmitarbeiter) die Kompetenzen beider Bereiche zu verbinden. Die Empfehlung des Coaches war, mit der Visualisierung des Arbeitsprozesses an einem Board zu beginnen, um anschließend die zukünftige Arbeitsweise Schritt für Schritt zu entwickeln. Der Coach berichtete dem Team über seine Praxiserfahrungen aus einem Konzernumfeld. Die Ausgangssituationen und Voraussetzungen aus seinem Praxisbeispiel wiesen wenige Parallelen zu der damaligen Situation im IT-Unternehmen auf. Der Teamleiter (vormals Abteilungsleiter) verfügte aufgrund seiner langjährigen Praxiserfahrungen über einen umfassenden Wissensstand im Applikationsumfeld. Er war fähig, die Anforderungen der Kunden inhaltlich zu erfassen, daraus Umsetzungskonzepte zu entwickeln, diese aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu kalkulieren und die Arbeitsergebnisse zu kontrollieren. Zum damaligen Zeitpunkt wurden diese Aufgaben vom Teamleiter an Mitarbeiter*innen delegiert. Die weitere Auswahl der Mitarbeiter*innen erfolgte entsprechend ihrer Kompetenzen im aufgabenbezogenen Applikationsumfeld. Einige konnten vielseitige Aufgaben erfüllen und waren fähig, eigenständig den kompletten Arbeitsprozess vom Erstkontakt mit dem Kunden bis hin zur Inbetriebnahme der Software zu dessen vollster Zufriedenheit durchzuführen. Andere Mitarbeiter*innen hingegen waren erfolgreich darin, Teilbereiche eigenständig zu bearbeiten. Die Entwicklergruppe (Alter der Mitglieder: 20–60 Jahre) war bezüglich ihrer Fachkompetenz im Applikationsumfeld sowie hinsichtlich der technischen Methodenkompetenz unterschiedlich aufgestellt. Als herausfordernd erwies sich, dass nicht jeder Entwickler jede Aufgabe in der gleichen Zeit mit der gleichen Qualität ausführen konnte wie die Kolleg*innen. Demzufolge entstanden Engpässe in der Produktivität und Verschiebungen hinsichtlich des Einhaltens zugesagter Liefertermine, die sich mit ansteigender Auftragslage noch verstärkten. Verschärfend kam hinzu, dass die Fachkompetenz der Entwickler auch von der Supportabteilung beansprucht wurde, um technische Unterstützung bei der Analyse von Kundenproblemen zu leisten. Bildung eines Pilot-Teams Unter Leitung des Abteilungsleiters fand für das Pilot-Team ein Kick-Off-Meeting statt. Es wurden allen Teammitgliedern die agilen Methoden des Scrum-Prozesses erläutert. Die Regeln für die zukünftige Arbeitsweise wurden gemeinsam erarbeitet, die Person für die Rolle des Scrum-Masters98 vom Team bestimmt und die Regeln für die zukünftigen Arbeitsweisen gemeinsam erarbeitet.

Team ist ein Team, das unterschiedliche Fähigkeiten einbringt, um anstehende Aufgaben ausführen und mit innovativen Ideen Produkte entwickeln zu können. Agile Teams müssen cross-funktional sein, um agil arbeiten zu können. 98Der Scrum Master trägt die Verantwortung für den Scrum-Prozess und dessen korrekte Implementierung. In den täglichen Scrum-Meetings ist er der Moderator. Er hat die Aktualität der Scrum-Elemente im Blick und schützt das Team vor unberechtigten Eingriffen während des Sprints. 97Ein cross-funktionales

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

295

Teamregeln: • Die Aufgaben werden an einem Scrum99 Board visualisiert. • Jedes Teammitglied holt sich die Aufgaben eigenständig, ohne dass diese vom Teamleiter zugewiesen werden. • Die Verantwortung für die übernommenen Aufgaben liegt im Team. • Das Team arbeitet in zweiwöchigen Sprints100, beginnend mit einem Dienstag. • Das Team führt täglich um 8:30 Uhr ein Daily Standup Meeting101 durch. • Jeden zweiten Montag wird ein Sprint Planning Meeting102 veranstaltet. • Freitags wird im zweiwöchigen Rhythmus eine Retrospektive103 durchgeführt. Obwohl dem Team ein klares Bild vom Ziel des Ganzen fehlte, gelang es dem Teamleiter, die Mitarbeiter*innen für die agile Arbeitsweise zu begeistern. Man zeigte sich sehr motiviert, die erlernten Methoden in die Praxis umzusetzen. Der Teamleiter war zuversichtlich, dass durch das Arbeiten mit den Methoden und den Rollen der agilen Arbeitsweise sich die weitere Gestaltung der Wege ergeben werden, und ermutigte die Mitarbeiter*innen mit den Worten: „Wir sind in der Lage, die komplexesten Geschäftsprozesse unserer Kunden zu gestalten. Somit werden wir auch in der Lage sein, unsere eigenen Arbeitsweisen zu entwickeln.“ - Diese Zuversicht und das Vertrauen in ihre Kompetenz begeisterte die Mitarbeiter*innen. Zu Beginn wurde ein physisches Board installiert. Virtuelle Boards, die mit Softwarepaketen wie Jira oder Trello abgebildet werden, eignen sich besonders für dezentral arbeitende Teams. Physische Boards eignen sich gut für Teams, die Ihre Daily Standup Meetings gemeinsam vor dem Board abhalten. Das physische Bewegen der Aufgabe in den nächsten Bearbeitungsschritt stärkt die Motivation und gibt dem Teammitglied ein größeres Gefühl der Selbstwirksamkeit, statt in einer Software den Status einer Aufgabe auf „fertig“ zu setzen. Der Teamleiter gestaltete ein Board nach den gemeinsamen Vorgaben aus dem Kick-Off und wies das Team in dessen Handhabung ein. Die Daily Standup Meetings wurden täglich um 8:30 Uhr durchgeführt. Anwesend waren sowohl die

Scrum Board ist ein wesentlicher Bestandteil der Scrum-Methodik im Rahmen der Agilen Softwareentwicklung. Das Board dient der visuellen Darstellung der auszuführenden Arbeiten und vermittelt den Überblick über relevante Projekt- und Aufgabeninformationen. 100Mit Sprint werden regelmäßige und wiederholbare Arbeitsabläufe bezeichnet, die zeitlich beschränkt sind. Ziel eines jeden Sprints ist es, ein funktionsfähiges Zwischenprodukt, auch Product-Increment genannt, zu entwickeln. 101Das Daily Standup Meeting wird täglich im Stehen durchgeführt, dauert nicht länger als 15 Minuten (Time-Box) und dient dem Team dazu, sich abzustimmen und gegenseitig zu informieren. 102Im Sprint Planning Meeting wird die nächste Projektetappe (der nächste Sprint) geplant und entschieden, welche Anforderungen aus dem Product Backlog im Sprint bearbeitet werden sollen. 103Die Sprint Retrospektive steht am Ende eines Sprints. Das Scrum-Team überprüft seine bisherige Arbeitsweise, um sie in Zukunft effizienter und effektiver zu gestalten. 99Ein

296

10 Motivieren

Entwickler als auch die beiden Teammitglieder aus der Supportabteilung, die ihre Problemfälle aus der Supportabteilung einbrachten, um dafür gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Alle zwei Wochen fanden Planning Meetings mit den Teammitgliedern aus der Entwicklung statt, in welchen die priorisierten Aufgaben aus dem Backlog104 vorgestellt wurden. Im Planning Meeting schätzte das Team den Zeitbedarf für die Ausführung der anstehenden Aufgaben und einigte sich auf ein realistisch zu bearbeitendes Paket an Aufgaben, die innerhalb des Sprints zu erledigen sind. Üblicherweise wird der Aufwand nicht in Stunden, sondern in Story-Points geschätzt.105 Ähnlich verliefen die ­Sprint-Retrospektiven, die weniger häufig als vorgesehen stattfanden. Daraus ergaben sich Veränderungen im Arbeitsprozess. Beispielsweise wurde das Planning Meeting inhaltlich derart erweitert, dass der Aufwand der Aufgabe und die Vorgehensweisen gemeinsam vom Team beschlossen wurden. Ergebnisse nach sechs Monaten Das crossfunktionale Pilot-Team wandelte sich zu einem reinen Entwicklerteam. Das Ziel des schnelleren Durchlaufes der Supportaufträge hatte sich nicht erfüllt, weil deren Bearbeitung nach wie vor stark von den jeweiligen Spezialisten abhängig war und nicht einfach auf andere Teammitglieder verteilt werden konnte. Das crossfunktionale Team wurde nach drei Monaten aufgelöst. Es wurde ein zweites Entwicklerteam gebildet, das aus den Erfahrungen des ersten lernte. Ein Teammitglied aus dem Pilot-Team wechselte in das neue Team und übernahm die Rolle des Scrum Masters, um die Erfahrungen und die Begeisterung für das agile Arbeiten zu vermitteln. Weil der Besprechungsraum, in dem beide Teams Platz für ihr Board benötigten, beengt war, wurde das Board wieder umgestaltet und der Platz unter beiden Teams aufgeteilt. Da sich beide Teams aus einem gemeinsamen Backlog bedienten, war es notwendig, die Boards beider Teams zusammenzuführen. Die Rolle des Teamleiters übernahm der Teamleiter des ersten Teams zusätzlich und hatte somit die Verantwortung für alle Mitarbeiter. Die Daily Standup Meetings wurden mit einem Zeitversatz von 30 Minuten gehalten und die Meetings für Planning und Retrospektiven im wöchentlichen Wechsel. Die anderen Unternehmensbereiche arbeiteten nach Kanban mit Daily Standup Meetings und monatlichen Retrospektiven.

104Ein Backlog (Deutsch: Rückstau oder Auftragsbestand) beschreibt einen Nachholbedarf an Arbeit, der sich während einer bestimmten Zeit angesammelt hat. Übertragen auf das agile Projektmanagement, steht ein Backlog also für projektbezogene Aufgaben, die erledigt werden müssen. In Scrum wird unterschieden zwischen dem Product Backlog und dem Sprint Backlog.  105Story

Points sind eine Maßeinheit, um den Gesamtaufwand einer Aufgabe festzulegen. Jede Aufgabe erhält Story-Points, die die Komplexität und den Aufwand widerspiegeln sollen. Eine Aufgabe, die mit lediglich einem Punkt bewertet wird, hat einen halb so großen Umfang wie eine Aufgabe mit zwei Story-Points. Da diese Werte relativ zu betrachten sind, können in verschiedenen Projekten auch andere Gewichtungen gewählt werden. Die Story-Points werden vom gesamten Scrum-Team vergeben.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

297

Die agilen Methoden wie Boards, Dailys und Retrospektiven waren nach einem halben Jahr im Unternehmen eingeführt. Der Arbeitsprozess hatte sich in allen Bereichen gewandelt. Veränderungen technischer Natur wie z. B. der Einsatz neuer prozessbegleitender Software oder das Erarbeiten von Regeln an Schnittstellen zu anderen Teams funktionierten schon sehr gut. Eine Entwicklung des Verhaltens der Mitarbeiter*innen hin zu agilen Werten war allerdings nicht erkennbar. Zwar war man sich einig, ein Team zu sein, aber die Arbeitsweisen hatten sich nicht wesentlich in diese Richtung verändert. Die Erwartung, dass durch die agile Arbeitsweise auch eine Entwicklung zu agilen Werten stattfinden würde, konnte nach sechs Monaten nicht bestätigt werden. Ebenso unverändert zeigte sich die Qualität der Arbeitsergebnisse. Die Hoffnung, dass durch Teamarbeit eine bessere Ausnutzung aller Potenziale und somit eine bessere Qualität der Software zu erreichen wäre, erfüllte sich ebenso wenig wie die Steigerung der Quantität. Die Übernahme von Verantwortung durch die Teams erfolgte aus Sicht der Geschäftsführung teilweise, aber nicht in dem erhofften Umfang. Nach wie vor war die Bereitschaft zur freiwilligen Übernahme von Verantwortung nicht bei allen zu spüren. Schwierig gestaltete sich die Übernahme neuer Aufgaben. Wie in Scrum und Kanban beschrieben, sollten sich die Teammitglieder selbstständig die Aufgaben vom Board holen. Da dies nur unzulänglich funktionierte, musste der Teamleiter teilweise sehr stark auf die selbständige Übernahme von Aufgaben hinweisen. Deren Bearbeitung erfolgte immer noch sehr den persönlichen Kompetenzen und Vorlieben entsprechend, sodass der gewünschte Wissenstransfer bzw. angestrebte Kompetenzerweiterungen nicht stattfanden. Mitarbeiter*innen konnten einmal jährlich mithilfe von anonymisierten Fragebögen den Grad ihrer Zufriedenheit mit der Arbeit und dem Unternehmen artikulieren. Ziel der Befragung war, Erkenntnisse für die Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit zu gewinnen. Die Einstellungen über das Thema Mitarbeiterzufriedenheit hatten sich gewandelt. Nach heutiger Kenntnis war der Fragebogen allerdings nicht zielführend, weil die Fragen überwiegend auf Problembereiche ausgerichtet waren. Nach zwölf Monaten zeigte sich in den Auswertungen der erneuten Umfrage, dass Anschaffungen wie Kicker, Sofa, Gaming-Ecke und Grill keine Verbesserungen in den Umfrageergebnissen herbeiführten. Es gab Mitarbeiter*innen, die sich durch den Einsatz agiler Methoden überzeugt zu „Treibern“ entwickelten: Sie animierten Ihre Kolleg*innen dazu, aktiv an der Umgestaltung mitzuarbeiten. Andererseits wurde deutlich, dass manche mit der Übernahme von Verantwortung und Entscheidungen überfordert waren. Überraschenderweise reagierten die Mitarbeiter*innen unerwartet abweichend von der Annahme der Führung hinsichtlich der bei ihnen vermuteten Bereitschaft zu Veränderungen und Innovationen. Die Entwicklung im Bereich des Wissenstransfers war unbefriedigend. Angestrebt war, dass jeder Mitarbeiter selbständig sein Wissensgebiet, angrenzend an seinen Fachschwerpunkt, erweitert. Doch die Teams entwickelten keine Ansätze, wie Wissen nachhaltig zu anderen Teammitgliedern transferiert werden könnte, um dadurch Handlungskompetenzen zu gewinnen. Im Prozess des Tagesgeschäfts spielte der Wissenstransfer keine Rolle.

298

10 Motivieren

In dem Bereich Anwenderservice wurde mit der Kanban-Methode gearbeitet. Dieses „Team“ arbeitete in den ersten sechs Monaten eher als eine Gruppe von Mitarbeitern, die zufällig für die gleichen Kunden Supportfälle löste, jedoch nicht wirklich als ein Team. Die Zusammenarbeit funktionierte wie zuvor, die Kollegen*innen halfen sich gegenseitig und integrierten auch neue Mitarbeiter*innen erfolgreich in die Gemeinschaft. Verbesserungen im Arbeitsprozess wurden mehr durch neue Features in der internen Verwaltungssoftware erreicht, nicht aber durch Änderungen im Arbeitsverhalten Einzelner. Dies war und ist immer noch eine der großen Herausforderungen. Einerseits wurden in den Retrospektiven Regeln erstellt, die allen als richtig und sinnvoll erschienen. Andererseits war es dennoch für einige Teammitglieder schwierig, diese in der täglichen Arbeit einzuhalten. Dass stets der älteste Vorgang zuerst zu bearbeiten oder das Ergebnis der Arbeit im Ticketsystem festzuhalten sei, fiel vor allem einigen langjährig im Unternehmen tätigen Mitarbeiter*innen nicht leicht, die sich an ihre individuellen Arbeitsweisen gewöhnt hatten. Diese zu ändern, gestaltete sich vor allem dann schwierig, wenn der gewohnte Arbeitsprozess die individuellen Arbeitsweisen begünstigte und niemand korrigierend eingriff. Durch das Fehlen der iterativen Abarbeitung der Aufgaben wurden Retrospektiven nicht regelmäßig durchgeführt - und wenn doch, dann nicht mit konkreten Maßnahmen. Die Kontrolle der Maßnahmen wurde nicht oder mit großem Zeitversatz erledigt. Daraus resultierte, dass die Nichteinhaltung von Regeln ohne Konsequenzen blieb. Aus Sicht der Geschäftsleitung war positiv, dass alle durchgeführten Änderungen den Erfolg des Unternehmens nicht beeinträchtigt haben. Die befürchteten anfänglichen Prozessund Produktivitätsverluste, die im Change-Management normalerweise eintreten, blieben aus. Da sich nicht alle der neuen Situation gewachsen fühlten, verließen drei Mitarbeiter das Unternehmen. Dieser Zustand war nicht negativ zu betrachten, da sich daraus auch jeweils Chancen für Verbesserungen ergaben. Zum Beispiel engagierten sich einige Mitarbeiter*innen wesentlich stärker als früher und übernahmen für Teilbereiche auch gern die Verantwortung. Bei ihnen war die Motivation und die Zufriedenheit deutlich wahrnehmbar. Gleichzeitig gab es Mitarbeiter*innen, die weder eine Änderung ihres Verhaltens erkennen ließen, noch zeigten sie einen Anstieg ihrer motivationalen Grundhaltung. Einige waren mit der Übertragung der Verantwortung in das Team unzufrieden und sahen in der Umgestaltung keine wesentlichen Vorteile. Die mit der Einführung der Agilen Führung verbundenen Erwartungen, … • die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter*innen zu steigern • die Verantwortung für die Ausführung der Arbeiten in sich-selbst-organisierende Teams zu verlagern • die Ablieferqualität der Software zu steigern • die Quantität der erfolgreich durchgeführten Projekte zu erhöhen • die Fachkompetenzen in den Teams durch systematisch gesteuerten Wissenstransfer nachhaltig zu stärken, hatten sich nach dem ersten Jahr nicht in vollem Umfang erfüllt.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

299

Prozess-Evaluation durch Befragungen der Mitarbeiter*innen Die Eindrücke der in den Prozess einbezogenen Mitarbeiter*innen aus verschiedenen Bereichen wurden im Nachgang evaluiert. Insgesamt waren 19 Mitarbeiter*innen auf­ gerufen, ihre Gedanken, Gefühle und Meinungen im Zusammenhang mit der Einführung agiler Methoden in Form einer schriftlichen Befragung im offenen Antwortformat zu äußern. 14 Mitarbeiter*innen beteiligten sich an der Umfrage. Zwei Wochen später wurden die gleichen 19 Mitarbeiter*innen erneut um Mitwirkung an einer quantitativen Online-Umfrage106 gebeten, um die qualitative Datenerhebung zu ergänzen. Daran wirkten 17 Personen mit. Mit folgendem Text lud die Geschäftsleitung die Mitarbeiter*innen zur Teilnahme an der Befragung ein: Liebe Kolleg*innen, vor vier Jahren haben wir in der Betriebsversammlung die Einführung agiler Arbeitsweisen in unserem Unternehmen angekündigt. Nach vier Jahren interessiert uns, wie Ihr diesen Prozess erlebt habt und was sich aus Eurer Sicht in welche Richtung verändert hat. An dieser Umfrage nehmen nur diejenigen teil, die zum Zeitpunkt der Einführung im Unternehmen tätig waren. Die Auswertung der Antworten werden allen Teilnehmenden in anonymisierter Form übermittelt. Wir bitten um Eure offene Meinung zu den folgenden Fragen: 1. Welche Gedanken und Gefühle haben die Informationen aus der Betriebsversammlung in Dir ausgelöst? 2. Welche Erwartungen hattest Du nach der Veranstaltung? 3. Welche Deiner Erwartungen haben sich in welcher Weise bestätigt oder sind übertroffen worden? 4. Welche Erinnerungen hast Du an die Umstellungsphase; wie hast Du Dich gefühlt? 5. Welche Schritte oder Aktivitäten im Einführungsprozess agiler Methoden haben Dich überzeugt oder gar begeistert? 6. Was hätte man aus Deiner heutigen Sichtweise besser oder anders machen können? 7. Welche Veränderungen haben sich in den vergangenen vier Jahren aus Deiner Sicht für Dich persönlich, für Dein Team und für die Firma als Ganzes ergeben? Wir freuen uns auf Eure Antworten, die wir innerhalb von 14 Tagen erbitten. Mit bestem Dank und herzlichen Grüßen Geschäftsleitung 106Die

Online-Umfrage wird ab Seite 307 erläutert.

300

10

Motivieren

Zunächst werden drei der ausführlichen Befragungen im originalen Wortlaut hier wiedergegeben. Aus Gründen der Authentizität wurden keine stilistischen Veränderungen vorgenommen; lediglich hinsichtlich der Rechtschreibung und Interpunktion wurden die Texte korrigiert. Authentische Interviews Mitarbeiter*in 1 1. Welche Gedanken und Gefühle haben diese Nachricht in Dir ausgelöst? In erster Linie war ich skeptisch. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, dass die Geschäftsführung, die mir bis dato als wenig offen vorkam (im Hinblick auf die Bereitschaft, anstehende Entscheidungen oder strategische Überlegungen mit der Belegschaft abzustimmen oder auch nur darzulegen), es mit dem strukturellen Abbau von Hierarchien und mit mehr Transparenz wirklich ernst meinen sollte. Ich erinnere mich, auf der Veranstaltung danach gefragt zu haben, wie weit die Transparenz denn gehen würde, ob sie z. B. auch die Offenlegung der Gehälter einschließe. 2. Welche Erwartungen hattest Du nach der Veranstaltung? Da ich davon ausging, dass das Projekt der Agilität wie so vieles andere in der Firma sich schnell wieder erledigen würde, waren meine Erwartungen ziemlich gering. Konkrete Vorstellungen hatte ich zunächst keine. 3. Welche Deiner Erwartungen haben sich in welcher Weise bestätigt oder sind übertroffen worden? Da ich wenig bis gar keine Erwartungen hatte, sind diese sozusagen um ein Vielfaches übertroffen worden. Nach einem Jahr entwickelte ich zunehmend Vertrauen dafür, dass die GL es mit der Agilität tatsächlich ernst meinte, und ich wollte mich an diesem Prozess auch beteiligen. Ich denke heute, dass sich die Firma hinsichtlich der Mitarbeiterbeteiligung, der Entscheidungsfindungen und damit auch beim Abbau von Hierarchien in einem sehr großen Maßstab gewandelt hat. 4. Welche Erinnerungen hast Du an die Umstellungsphase; wie hast Du Dich da gefühlt? Die Veränderungen in der Firma nahmen mich sehr mit; ich entwickelte zum ersten Mal so etwas wie Loyalität gegenüber dem Unternehmen, in dem ich lohnabhängig beschäftigt war. Als ich mir zum Jahreswechsel überlegte, was das Herausragende in diesem Jahr war, war

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

301

klar, dass es die Veränderungsprozesse in der Firma waren. Es war in jedem Fall eine Aufbruchsstimmung, die oft auch ein Ansporn für meine kreativen Leistungen war. Ich erinnere mich auch daran, dass ich ziemlich oft die Gelegenheit hatte, mit dem Chef “unter vier Augen” zu reden und dass ich dabei das Gefühl hatte, dass meine Ideen, aber auch meine Kritik ernst genommen wurden. 5. Welche Schritte oder Aktivitäten im Einführungsprozess agiler Methoden haben Dich überzeugt oder gar begeistert? Natürlich erinnere ich mich an den Seminartag mit dem agilen Coach, der uns alle sehr aufmöbelte: Ich hatte noch niemals einen Berater erlebt, dem es so sehr gelungen ist, sein Publikum mitzunehmen. Leider hatte nur etwa 1/3 der Belegschaft die Gelegenheit, an diesem Seminar mitzumachen. Ich erinnere mich vor allem aber auch an die recht häufigen Besprechungen in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Während früher außer der Geschäftsleitung maximal drei Mitarbeiter etwas sagten, kamen jetzt alle zu Wort - in der Regel dadurch, dass sie ihre Ideen auf Moderationskarten schrieben und das Aufgeschriebene anschließend vorgestellt wurde. Ich fand auch die Projektgruppen zur Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit sehr wichtig. Es waren drei Projektgruppen: Wohlfühlgruppe, Orga-Gruppe und die Gruppe zum Aufbau einer Mitarbeitervertretung. Diese liefen weitgehend ohne Beteiligung der Geschäftsleitung und waren bereichsübergreifend. Die Erfahrungen bei der Teambildung waren eher negativ (siehe nächste Frage). 6. Was hätte man aus Deiner heutigen Sichtweise besser oder anders machen können? Zunächst einmal hätte man die Einführung durch den agilen Coach allen gönnen können, indem man das in drei Gruppen durchgeführt hätte. Die Teambildung in meinem Team (das zweite Entwicklerteam) lief nicht besonders gut. Das lag einmal daran, dass zwei von fünf Mitgliedern über 50% Tätigkeiten ausübten, die am Team vorbeigingen. Es lag aber auch daran, dass uns wenig Begleitung zugestanden wurde. Wir hatten kein extern moderiertes Kick-Off wie das erste Team; die Teamleitung übernahm de-facto die Entwicklungsleitung, die dafür eigentlich gar nicht die Zeit hatte. Was in der Folge dazu führte, dass wir über Monate kein Planning-Meeting und keine Retrospektive mehr abhielten und die Dailys teilweise zu P ­ lauder-Viertelstündchen wurden. Meine Intervention, einen ganzen Tag zu investieren, um an unserer Teambildung zu arbeiten, brachte lediglich eine Zwei-Stunden-Sitzung, die meines Erachtens auch noch eher suboptimal moderiert war. Im Ergebnis brachte es jedenfalls nicht viel. Hier hätte ich mir mehr Unterstützung (ggf. auch extern) gewünscht. Dann fehlten regelmäßige Retrospektiven der Gesamtbelegschaft unter dem Motto: “Wie weit sind wir mit dem Changing gekommen? Was können wir noch besser machen?” Die hätte ich mir im Abstand von etwa einem halben Jahr gewünscht.

302

10 Motivieren

Am problematischsten war jedoch, dass im zweiten Jahr der Umstellung die Geschäftsleitung sich in eher geringem Maße in die Veränderungsprozesse einbrachte. 7. Welche Veränderungen haben sich in den vergangenen vier Jahren aus Deiner Sicht für Dich persönlich, für Dein Team und für die Firma als Ganzes ergeben? Ich denke, wir haben auf jeden Fall die Mitarbeiterzufriedenheit erheblich verbessert. Das Verantwortungsbewusstsein ist bei recht vielen Mitarbeitern deutlich gestiegen als Folge davon, dass man das Gefühl hat, an Entscheidungen beteiligt zu sein. In diesem Sinne begreift man z. B. Maßnahmen wie die gemeinsame Reduzierung der offenen ­Hotline-Anfragen nicht nur als “Druck von oben”, sondern als persönliche und gemeinschaftliche Aufgabe. Wir sind meines Erachtens nicht so weit gekommen, wie es möglich gewesen wäre. Besonders im zweiten Jahr sind viele gute Ansätze wenig konsequent verfolgt worden, was auch zu einem Nachlassen der Motivation geführt hat. Mit Beginn des dritten Jahres sind wiederum eher hierarchische und weniger transparente Entwicklungen eingetreten. Damit meine ich z. B. die Teamleiterbesprechung und daraus resultierend “von oben” verordnete Maßnahmen wie die Benennung eines “Helpdesk-Managers” oder eines “ReleaseManagers”107. Insgesamt hat die Transparenz wieder deutlich nachgelassen. Dennoch sind die Strukturen nach wie vor nicht geschlossen, sondern immer noch offen für Veränderungen und Interventionen von Seiten der Mitarbeiter, ganz besonders im Anwenderservice. Für mich persönlich war natürlich die größte Veränderung mein Wechsel von der Anwendungsentwicklung in den Support und damit auch mein bislang “größtes Projekt”: die Etablierung eines 2nd-Level-Supports durchgesetzt zu haben. Allein, dass so etwas funktioniert, bedeutet natürlich schon, dass unsere Grundstrukturen noch immer agil sind. Mitarbeiter*in 2 1. Welche Gedanken und Gefühle haben diese Nachricht in Dir ausgelöst? Oh je, was ist das schon wieder!? Ich hatte damals keine Ahnung von „lean and agile“ und eigentlich keine Luft für zusätzliche Aufgaben. Aber wenn wir das alle machen, dann kommt natürlich auch eine gewisse Spannung mit dazu im positiven Sinn. 2. Welche Erwartungen hattest Du nach der Veranstaltung? Ich war sehr kritisch mit den Ansätzen und habe an der wirklichen Umsetzung gezweifelt. Es gab jedoch auch Hoffnung, da es an vielen Stellen nicht einfach so weitergehen konnte. Gemeinsam Projekte anzugehen auch in kleinstem Rahmen, Teams zu stärken und als Firma zusammenzuwachsen - das, würde ich sagen, waren meine großen Wünsche und Hoffnungen.

107Gemeint

sind Rollen zur Übertragung von Verantwortung.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

303

3. Welche Deiner Erwartungen haben sich in welcher Weise bestätigt oder sind übertroffen worden? Es wurde bestimmt nicht alles besser, aber meine Erwartungen wurden deutlich übertroffen allein in der Art und Weise, wie wir das als Firma angegangen sind. Das waren nicht nur „Alibi-Aktivitäten“, die sich theoretisch gut anhören - nein, da hat sich wirklich etwas getan, was unser Team und unsere Unternehmenskultur nachhaltig positiv verändert hat! 4. Welche Erinnerungen hast Du an die Umstellungsphase; wie hast Du Dich da gefühlt? Als Change Manager im AWS war das eine interessante Zeit: etwas Neues, etwas, das die ganze Firma bewegt, und man war direkt ein Teil davon. Ich fand es oft anstrengend, aber nicht als Belastung. Man ist dadurch auch auf persönlicher Ebene aus der Reserve gelockt worden und konnte seine Kollegen aus einer neuen Perspektive kennenlernen. 5. Welche Schritte oder Aktivitäten im Einführungsprozess agiler Methoden haben Dich überzeugt oder gar begeistert? An dieser Stelle muss ich erst mal darüber nachdenken, was alles zu unserem ChangeManagement gehört hat, also welche Bausteine genau das waren. Evtl. geht da Deine Meinung in eine andere Bewertung, aber für mich hat das hier alles zum Prozess dazugehört: MAWorkshops (Kommunikation, Weiterbildung), ­ (MAV)-Mitarbeitervertretung, Vertriebsübersicht, Projekte, Retros und Reviews, Dashbord für Vorgänge, Mitarbeiterbefragungen im eigentlichen Sinn, Kanban und Scrum, Image-Film und neuer Unternehmensauftritt, Reflexionen, Programmierungen und B ­ üro-Umstrukturierung, AI-Workshop … „Revolutionär“ hängen geblieben, für mich also am meisten wertvoll: • Initiierung einer Mitarbeitervertretung (auch wenn das nichts mit Agilität zu tun hat, in unserem Change war das ein Baustein) • Retros und Reviews - gerade die Retros sind für´s Team Gold wert, wenn man da dranbleibt • Kanban und Scrum - vor allem die Dailys, wenn auch nur Minuten, halte ich für extrem wichtig. 6. Was hätte man aus Deiner heutigen Sichtweise besser oder anders machen können? Das zu beurteilen fällt mir schwer, da - egal in welchem Kontext kommuniziert - die Empfänger eine Information immer unterschiedlich bewerten. Ich meine damit, egal, was ich jetzt sage, ich weiß nicht, ob es besser geworden wäre: Die Transparenz in diesem Prozess ist schwierig. Man möchte Agilität schaffen, was jedoch nicht ohne klare Führung geht. Jetzt strukturiert man eine Firma um und sagt: „Seid agil. Entscheidet das selbst, und nehmt Eure Aufgaben wahr.“ An manchen Stellen und auf einigen Strecken hinkt das dann. Was erwartet der Chef? Was machen wir im agilen Team daraus? Hier blieben mehr als einmal sehr viele Fragezeichen bzw. unterschiedliche Auffassungen stehen. Wie führt man ein agiles

304

10 Motivieren

Team? – Spannende Frage … Und wie kann ein agiles Team geformt werden? - Meiner Meinung nach nur durch sehr individuelle Führung (bezogen auf den einzelnen Mitarbeiter). 7. Welche Veränderungen haben sich in den vergangenen vier Jahren aus Deiner Sicht für Dich persönlich, für Dein Team und für die Firma als Ganzes ergeben? Persönlich fällt mir einiges leichter als noch vor vier Jahren. Das heißt aber nicht, dass die Agilität alles heilt. Nach wie vor bleibt es so, dass, wenn man viel in der Firma machen kann, man auch verdammt viel an Pensum bekommt. Man hat aber aus meiner Sicht einen besseren Rahmen in den Dailys und Team-Strukturen, um sich selbst helfen zu können (Überlastung vorbeugen). Die Arbeitsstrukturen sind offener und Aufgaben können leichter verteilt werden. Im Team ist das ein langer Prozess, aber nach meiner Meinung genau der richtige Weg! Gerade durch die Dailys, gemeinsame Arbeitsaktionen (Team-Ziel wird wöchentlich vereinbart) und unsere Retros wächst das Team zusammen. Als größte Herausforderung empfinde ich, niemals aufzuhören und weiterzumachen. Das läuft nicht einfach von selbst, wie eben in jeder Beziehung auch. Für die Firma halte ich das für sehr wichtig als Signal, nicht nur für uns Mitarbeiter, sondern auch nach außen. Allein das Netzwerk, welches vor allem durch Dich aufgebaut worden ist, bringt uns als innovatives Unternehmen auf den richtigen Kurs! Dass es uns intern oft an Ressourcen mangelt und wir manche Dinge dadurch unzureichend bewältigen können, das wäre ein anderes Thema. Es war´ne spannende Zeit. Mitarbeiter*in 3 1. Welche Gedanken und Gefühle haben diese Nachricht in Dir ausgelöst? Für jemanden, der Agilität bereits aus verschiedenen Arbeitsbereichen und Theorien kannte, war die Thematik als solche nichts unmittelbar Neues. Die Verkündung empfand ich als sehr plötzlich im Verhältnis dazu, wie grundlegend eine solche Veränderung der aktuellen Arbeitsweise für das gesamte Unternehmen und jeden Einzelnen ist - ohne eine genaue Vorstellung davon zu haben, wohin sich alles bewegt und entwickelt angesichts der Vielzahl an Änderungen, die es zu der Zeit und den sechs bis neun Monaten davor gab. Die Reise wirkte zum damaligen Zeitpunkt als äußerst ungewiss. Wie alles Ungewisse führt es zunächst zu Unbehagen und Verunsicherung: was genau auf einen zukommt und was sich wie dann tatsächlich ändern wird, zumal viele Veränderungen davor gefühlt häufig mehr angefangen als zu Ende gebracht wurden. Zugleich hatte eine starke Veränderung der eingefahrenen Arbeitsweisen (damals auch notwendig) ebenso eine Form von neuer Aufbruchstimmung und durch die Hoffnung auf Veränderung gleichzeitig motiviert. Ein gewisses Maß an Veränderung ist notwendig, um den Wind aufzufrischen und das Feuer immer wieder zu entfachen. Der unterschiedliche Kenntnisstand darüber sowie fehlende Kenntnisse, was sich dahinter im Detail für wen wie verbirgt, und die vergleichsweise oberflächliche Einbeziehung jedes

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

305

Einzelnen in den Änderungsprozess als solchen war deutlich spürbar. Die hohen Altersunterschiede der beteiligten Personen, die teilweise eingefahrenen Ansichten und zugespitzten Emotionen ließen keinen einfachen Strukturwechsel prophezeien. Auch die damals noch höhere Distanz zur Führungsebene (egal, ob MA zu Teamleiter oder Teamleiter zu GF) wie auch das (noch) damals übliche „Sie“ erschwerten die Situation ungeahnter Veränderungen zusätzlich. Für jemanden, der für damalige Verhältnisse bereits viele Einsichten in Veränderungen hatte, mag das nachvollziehbar und ausreichend sein; auf die Belegschaft wirkte es gefühlt überfordernd und zu ungewiss/verunsichernd. 2. Welche Erwartungen hattest Du nach der Veranstaltung? Die wohl größte Erwartung nach der Veranstaltung - langfristig betrachtet - war die Steigerung der Autonomie und Zusammenarbeit jedes Einzelnen und die damit verbundene Reduktion der eigenen Themenvielfalt zur eigenen Fokussierung auf die eigentlichen persönlich prioritären Aufgaben und Arbeiten. Darüber hinaus eine höhere Arbeitstransparenz und Bewusstsein bei jedem sowie eine direkte und persönliche Einbeziehung und Aufklärung jedes Einzelnen, was das für ihn bedeutet, um eventuelle im Nachgang aufgetretene Fragen und Unklarheiten (das berühmte eine-Nacht-darüber- geschlafen) erneut aufzugreifen und aus dem Weg zu räumen, um entstandene Verunsicherungen von vornherein aufzugreifen. 3. Welche Deiner Erwartungen haben sich in welcher Weise bestätigt oder sind übertroffen worden? Rückblickend betrachtet, ist das meiste davon in einem gewissen Maße eingetreten. Die Autonomie und Zusammenarbeit hat sich gesteigert, wenn auch punktuell sehr unterschiedlich; gleich steht es mit der Arbeitstransparenz und dem Bewusstsein. Für einiges davon sehe ich den Strukturwandel zur Agilität jedoch nur als Grundstein der Veränderung, da sich vieles in Bezug auf die Erwartungen erst nachträglich mit Maßnahmen und Tätigkeiten ergeben hat, für welche die Agilität selbst der Auslöser war, (sie) es jedoch nicht für die tatsächliche Veränderung und Erfüllung der Erwartung ist. Bestätigt und übertroffen wurde die schnelle Akzeptanz und Adaption, je jünger oder offener die Person ist. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass die Agilität in unserer Branche in der Zukunft bei nachfolgenden Generationen weiter an Bedeutung gewinnt und ein früher Anfang tendenziell besser ist. Interessante Fragestellung im gleichen Zusammenhang wäre auch, was eingetreten ist und nicht ansatzweise erwartet wurde. 4. Welche Erinnerungen hast Du an die Umstellungsphase; wie hast Du Dich da gefühlt? Ich persönlich (denke) war durch die weitreichende Einbeziehung über die gesamte Zeit hinweg durchweg positiv gestimmt. Ich konnte und kann in der Phase einiges mitgestalten. Da ich vergleichsweise andere Betriebe und Situationen kenne, in denen diese Offenheit, Freiheit und Autarkie nicht gegeben ist und zugleich in Abhängigkeit des Alters oder der Altersunterschiede einem unter Umständen keine Gewichtung zugemessen wird, ist diese Einbeziehung in die Umstellungsphase ebenso motivierend.

306

10 Motivieren

Gleichzeitig fühlen sich nach heutigem Kenntnisstand einige Schritte und Reihenfolgen falsch an. Von manchen Maßnahmen wurden Auswirkung und Tragweite unterschätzt, hätten einfach besser/strategischer gemacht werden können. 5. Welche Schritte oder Aktivitäten im Einführungsprozess agiler Methoden haben Dich überzeugt oder gar begeistert? Wohl mit am prägendsten waren die vorbereitenden Spiele dazu, da hier erstmals die Hinterfragung (eigener) überzeugter Handlungen richtig deutlich wurde. Ein langfristigeres und mehrstufiges Coaching sehe ich als sinnvoll und notwendig. Am meisten überzeugt hat die Visualisierung der aktuellen Aufgaben als großer Schritt zur Transparenz und Möglichkeiten des Feedbacks. 6. Was hätte man aus Deiner heutigen Sichtweise besser oder anders machen können? Der Kenntnisstand aller über das Verständnis der Agilität, ihrer Bedeutung, Grundpfeiler und in Bezug auf uns als Unternehmen hätte zunächst auf ein einheitlicheres Niveau gebracht werden müssen. In den Änderungsprozess (als solches) hätte jeder besser mit einbezogen und auf die persönlichen individuellen Hemmungen eingegangen werden sollen. Was bei größeren Unternehmen schwieriger erscheint, ist bei einer Unternehmensgröße wie unserer noch sehr gut und einfach machbar. Da Agilität per se auch eine stärkere Verantwortungsübertragung von einer Führungskraft auf die Teams, ihre Teammitglieder und jeden Einzelnen erfordert und sie mit neuen Situationen konfrontiert wird, ist meines Erachtens immens wichtiger denn je, die Führungskraft von vornherein vorbereitend besser auszubilden und eigens gleichzeitig potenzielle Handlungsfolgen besser zu durchdenken. Einfacher gesagt, entgegen dem Spruch „Learning by doing“ solch´ eine große Veränderung fundierter und strategischer vorzubereiten, zu durchdenken und Handlungsfolgen abzuwägen. Ebenso ist ein Coaching über einen längeren Zeitraum notwendig. Wie in unserem Falle - (über) ein zeitlich sehr kurzes Coaching und Besuch einer Firma - halte ich es nach heutigem Stand nicht mehr für ausreichend, damit man nicht zu viele potenzielle Risiken eingeht und Fehlsituationen und falsche Vorgehensweisen vermieden werden können. 7. Welche Veränderungen haben sich in den vergangenen vier Jahren aus Deiner Sicht für Dich persönlich, für Dein Team und für die Firma als Ganzes ergeben? Die Antworten zu dieser Frage wurden auf Wunsch des Mitarbeiters für die Veröffentlichung gesperrt. Die Online-Umfrage Auf der Online-Umfragen-Plattform www.empirio.de wurden die ausgewählten Mitarbeiter*innen unter dem Titel „Einführung agiler Methoden im IT-Unternehmen“ zur Mitwirkung an einer Online-Umfrage eingeladen. Die folgenden Aussagen konnten durch Anklicken auf „trifft voll zu“ – „trifft eher zu“ – trifft eher nicht zu“ – trifft gar

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

307

nicht zu“ bewertet werden. 17 Teilnehmer*innen reagierten auf die folgenden Aussagen der Online-Umfrage: • Alter? • Geschlecht? • Die Ankündigung der Einführung agiler Methoden in unserem Unternehmen hat mich zuversichtlich gestimmt. • Die Phase der Erläuterung der agilen Methoden war hilfreich. • Die Einführung der Methoden war überzeugend. • Entstehende Unklarheiten wurden zügig beseitigt. • Die Geschäftsleitung hat das gesamte Geschehen wirksam unterstützt. • Die Zufriedenheit am Arbeitsplatz hat sich durch die Einführung agiler Methoden verbessert. • Externe Unterstützung im ersten Jahr ist wichtig. • Die Unterstützung meines Team-Leiters war zielführend. Die folgenden Abbildungen zeigen die Ergebnisse der Online-Umfrage:

Abb. 10.33   Entstehende Unklarheiten wurden zügig beseitigt

308

10 Motivieren

Abb. 10.34   Die Ankündigung der Einführung agiler Methoden in unserem Unternehmen hat mich zuversichtlich gestimmt

Auswertung der Befragungen Für die anschließende Auswertung wurden die Antworten der qualitativen Befragung (n = 14) und der quantitativen Online-Umfrage (n = 17) daraufhin untersucht, welche Aussagen sich in welchem Maße auf individuelle Erkenntnisse, auf wahrgenommene Veränderungen im eigenen oder gesamten Arbeitsumfeld, auf die Vermittlung und Anwendung der Methoden des agilen Arbeitens und auf die mit dem Prozess verbundenen Gefühle beziehen (s. auch S. 300, Prozess-Evaluation durch Befragungen der Mitarbeiter*innen).  ) Welche Gedanken und Gefühle haben die Nachricht (aus der 1 Betriebsversammlung) in Dir ausgelöst? Die Online-Umfrage ergab, dass 14 von 17 Mitarbeiter*innen zuversichtlich gestimmt waren hinsichtlich der bevorstehenden Einführung agiler Methoden. Andererseits bezweifelten 5 von 14 Befragten108, ob die Maßnahmen auch erfolgreich durchgeführt 108Fortan

erscheinen nur die Zahlen, der Begriff „Befragten“ entfällt.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

309

werden könnten, wie diese Aussage zeigt: „Da wir bereits einige andere Versuche unternommen hatten, die Strukturen zu verändern, war ich nicht überzeugt, dass es dieses Mal funktionieren würde.“ Deutlich wurde, dass 8 von 14 durch Kommentare wie „Super, in der Firma bewegt sich etwas!“ und „Mein Interesse wurde geweckt. Ich habe Lust, auf neue Erfahrungen und mich auf diese einzulassen!“ die Maßnahme begrüßten und dem Vorhaben offen gegenüberstanden. 6 von 14 begrüßten die Maßnahmen: „(…), das war ein Schritt in die richtige Richtung!“ Auffällig ist, dass nach der Ankündigung ein großer Anteil an Unklarheiten verblieb, welcher Verunsicherung auslöste. Trotz der Möglichkeit, Fragen während und nach der Betriebsversammlung stellen zu können, waren einige der Beteiligten scheinbar gehemmt, ihre Fragen offen vorzutragen. • 4 von 14 äußerten Unklarheiten über das Arbeiten mit agilen Methoden. • 5 von 14 äußerten Unklarheiten über das Vorgehen zur Einführung der Methoden. • 5 von 14 zeigten sich verunsichert über persönliche Konsequenzen. Die Ankündigung der Einführung agiler Methoden wurde teils mit Skepsis und Unklarheit, aber auch mit Hoffnung und Zuversicht aufgenommen. Im Nachhinein zeigte sich, dass durch ungenügende Vorbereitung zur Ankündigung der Maßnahme mehr Unklarheiten als erwartet entstanden sind. Eine besser geplante strategische Vorgehensweise und mehr Transparenz über die Methodik hätte die allgemeine Verunsicherung abgemildert.  ) Welche Erwartungen hattest Du nach der Veranstaltung? 2 Unterschiedliche Erwartungen entwickelten sich hinsichtlich der Einführung agiler Methoden. „Meine Erwartungen waren gering. Konkrete Vorstellungen hatte ich zunächst nicht.“ (5 von 14) „Verbesserung der Teamarbeit“ und „Verbesserung der Transparenz in der Teamarbeit” (3 von 14). Alle anderen Aussagen bezogen sich auf Prozessuales, auf den fachlichen Kontext und eine allgemein als unklar empfundene Situation. In der Online-Umfrage bejahen 15 von 17 Befragten die Hypothese „Die Phase der Erläuterung der agilen Methoden war hilfreich.“ Die Einführung der agilen Methoden hielten 14 von 17 für überzeugend und 11 von 17 waren der Meinung, dass Unklarheiten zügig beseitigt wurden.  ) Welche Deiner Erwartungen haben sich in welcher Weise bestätigt oder sind 3 übertroffen worden? 6 von 14 meinen, ihre Erwartungen seien übertroffen worden. Aussagen wie „Meine Erwartungen wurden deutlich übertroffen allein in der Art und Weise, wie wir das als

310

10 Motivieren

Firma angegangen sind.“ oder „Da ich wenig bis gar keine Erwartungen hatte, sind diese sozusagen um ein Vielfaches übertroffen worden.“ zeigen, dass die Veränderungen im Wesentlichen positiv wahrgenommen wurden. Konkretisieren ließen sich folgende Ergebnisse, die im Vorfeld durch Frage 2 (Welche Erwartungen hattest Du nach der Veranstaltung?) nicht eindeutig als Erwartungen benannt wurden: • 2 von 14 bestätigten, mehr Vertrauen in die Geschäftsleitung zu haben. • 7 von 14 begrüßten die Verlagerung der Entscheidungen auf die Teamebene. • Jeweils 3 von 14 fanden gut die positive Entwicklung der Unternehmenskultur und die Schaffung von Transparenz. • 2 von 14 äußerten eine Vergrößerung ihrer persönlichen Autonomie. Die Verlagerung der Entscheidungen auf die Ebenen der Teams in Verbindung mit dem vergrößerten autonomen Handlungsspielraum zeigen eine signifikant positive Entwicklung hinsichtlich der Motivation.  ) Welche Erinnerungen hast Du an die Umstellungsphase; wie hast Du Dich da 4 gefühlt? Die Phase der Umstellung bewerteten 3 von 14 als emotional anstrengend, wie diese Aussagen belegen: „Die Veränderungen in der Firma nahmen mich sehr mit; ich entwickelte zum ersten Mal so etwas wie Loyalität gegenüber dem Unternehmen, in dem ich lohnabhängig beschäftigt war.“ Oder: „Für mich war das Ganze sehr turbulent und hat mir die ein oder andere unruhige Nacht beschert.“ Positive Erinnerungen an die Umstellungsphase äußerten immerhin 7 von 14. Gleichzeitig wirkte der Veränderungsprozess motivierend. Äußerungen wie „Es war in jedem Fall eine Aufbruchsstimmung, die oft auch ein Ansporn für meine kreativen Leistungen war.“ oder „Aber es hat sich etwas bewegt und auch motiviert, daran mitzuwirken; es löste eine gewisse Aufbruchsstimmung aus.“ teilten 3 von 14 mit. Auf die Steigerung ihrer Selbstwirksamkeit wiesen 4 von 14 hin, u. a. mit Aussagen wie „… weil die selbstbestimmte und eigenverantwortliche Arbeitsweise eine neue Herausforderung für mich war und ich mich dadurch wichtig und gebraucht gefühlt habe.“ Die Unterstützung durch die Teamleiter empfanden 14 von 17 Teilnehmern in der Online-Umfrage als zielführend; 15 von 17 waren der Meinung, dass die Geschäftsleitung den Prozess wirksam unterstützt habe. 16 von 17 Teilnehmern betonten, dass eine externe Unterstützung durch einen Berater (Coach) wichtig sei.  ) Welche Schritte oder Aktivitäten im Einführungsprozess agiler Methoden 5 haben Dich überzeugt oder gar begeistert? Der Einführungsworkshop durch den agilen Coach überzeugte und begeisterte 4 von 14: „Natürlich erinnere ich mich an den Seminartag mit dem agilen Coach, der uns alle sehr ´aufmöbelte´. Ich hatte noch niemals einen Berater erlebt, dem es so sehr gelungen ist, sein Publikum mitzunehmen.“ Besonders die neue Art, Entscheidungen zu treffen,

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

311

begeisterte 4 von 14: „Während früher außer der Geschäftsleitung maximal drei Mitarbeiter etwas sagten, kamen jetzt alle zu Wort - in der Regel dadurch, dass sie ihre Ideen auf Moderationskarten schrieben und das Aufgeschriebene anschließend vorgestellt wurde.“ Alle Befragten äußerten sich positiv über die Anwendung agiler Methoden. Die Daily Standup Meetings und die Retrospektiven werden als besonders wirksam benannt. Das Potenzial und die Wirksamkeit der Retrospektiven wurden von allen, auch von der Geschäftsleitung, anfänglich unterschätzt.  ) Was hätte man aus Deiner heutigen Sichtweise besser oder anders machen 6 können? Die Antworten der 14 Befragten auf diese Frage fiel wesentlich divergenter aus als bei den vorhergehenden Fragen. Mit jeweils drei Antworten lassen sich folgende Schwerpunkte erkennen: • Mit Aussagen wie: „Ebenso ist ein Coaching über einen längeren Zeitraum notwendig. Ein zeitlich sehr kurzes Coaching und Besuch einer Firma, wie in unserem Falle, halte ich nach heutigem Stand nicht mehr für ausreichend ohne zu viele potenzielle Risiken von Fehlsituationen und falschen Vorgehensweisen.“ ist erkennbar, dass kompetente Unterstützung anfänglich notwendig ist, um Sicherheit in der Anwendung der Methoden zu erreichen. Die Aussagen untermauern auch die Ergebnisse der OnlineUmfrage, in welcher 16 der 17 Teilnehmer eine externe Unterstützung in der Umstellungsphase für wichtig erachten. • Ebenfalls wurde erkannt, dass durch fehlende messbare Ziele die Mitarbeiter*innen in unklare Situationen geführt wurden. Das belegen Äußerungen wie z. B. „Was erwartet der Chef? Was machen wir im agilen Team daraus? Hier blieben mehr als einmal sehr viele Fragezeichen bzw. unterschiedliche Auffassungen stehen.“ • Aussagen wie „Ich hatte das Gefühl, dass sich einige meiner Team-Kollegen in diesen Umstellungsprozess nicht genügend integriert gefühlt haben; sie signalisierten, über die geplanten Änderungen in der Firma nicht ausreichend informiert worden zu sein.“ zeigen, dass fehlende Transparenz über den Umstellungsprozess zu weiteren Irritationen führt. Dass es wichtig ist, in jeder Phase des Prozesses umfassend zu informieren, wurde während der Umstellungsphase völlig außer Acht gelassen. • Die größte Übereinstimmung zeigen die Befragten hinsichtlich der Vorbereitung der Führungskräfte auf das Neue. Einhellig wurde festgestellt, dass diese im Vorfeld eine bessere Vorbereitung bzw. Ausbildung benötigt hätten, um mit den neu entstandenen Situationen besser umgehen zu können: „Vielleicht hätte man erst Führungskräfte-Workshops machen müssen und dann das Thema Agilität angehen. Da hätte man mehr Führungserfahrung gehabt. Im Moment erkennen wir, dass Agilität auch Grenzen hat. Nicht jeder Mitarbeiter kann damit umgehen.“

312

10 Motivieren

Auf Situationen, mit welchen Teamleiter*innen durch die Einführung agiler Methoden u. a. konfrontiert werden können, sollten sie vorbereitet werden.  ) Welche Veränderungen haben sich in den vergangenen vier Jahren aus Deiner 7 Sicht für Dich persönlich, für Dein Team und für die Firma als Ganzes ergeben? In der Online-Umfrage bestätigen 14 von 17 Teilnehmern, dass die Zufriedenheit am Arbeitsplatz durch die Einführung agiler Methoden verbessert worden sei. Folgende Schwerpunkte im Hinblick auf Veränderungen wurden von den Befragten genannt: • Drei äußern sich zur Übernahme von eigener Verantwortung wie folgt: „Die Arbeit und das Gehen zur Arbeit [sic] macht mir deutlich mehr Spaß, da ich deutlich mehr Eigenverantwortung trage, und das ist ein gutes Gefühl!“ • Über Veränderungen im Führungsverhalten sagen vier Mitarbeiter*innen: „Ich habe deutlich mehr Führung in meiner Arbeit, aber auch gleichzeitig immer noch die ´Freiheit´, die Aufgaben selbst zu definieren und zu planen, was auch immer dazu gehört.“ • Fünf Teilnehmer*innen meinen bezüglich der Veränderung der Außenwirkung: „Der Firma hat diese Umstellung meiner Meinung nach sehr gutgetan, vor allem auch nach außen bzw. gegenüber unseren Kunden. Die Einführung von Agilität hat die Firma in ein positives Licht gerückt (vielleicht zu Anfang noch nicht, aber nach und nach merken auch unsere Kunden, dass sie von dieser Umstellung profitieren).“ Hervorgehoben wurde ferner, dass Transparenz in allen Vorgängen zu schaffen und die Verbesserung der Teamarbeit eine nicht endende Daueraufgabe sei. Durch Transparenz und Teamarbeit hätten sich Erleichterungen in den Arbeitsprozessen gezeigt. Erkenntnisse Fehlende Ziele Die Einführung agiler Methoden ist wie bei jedem anderen ­Change-Management-Projekt an eine vorherige Erarbeitung von Zielen gebunden. Im Fallbeispiel des IT-Unternehmens waren keine Ziele, sondern nur Wünsche oder unspezifizierte ­ Erwartungen vorhanden. Letztendlich muss der angestrebte Erfolg aller Maßnahmen messbar definiert werden, um die Wirksamkeit der Prozessänderung überprüfen zu können. E xterne Hilfe durch Coaching Die Begleitung bei der Einführung agiler Methoden durch einen Berater ist sinnvoll. Dieser sollte Kenntnisse über die notwendigen Voraussetzungen zur Umsetzung und Methodenwissen einbringen. Denn Erfahrungen aus bereits erfolgreich abgeschlossenen Projekten helfen nur bedingt, wenn die notwendigen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen nicht erkannt und definiert werden.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

313

Evolutionäre Vorgehensweise Wichtig wäre gewesen, die jeweiligen Ausgangssituationen genau zu analysieren, um zu entscheiden, welche Prozessänderungen schrittweise durchgeführt werden sollten. Im Fallbeispiel hätte man besser zunächst Kanban eingeführt und im Laufe des Prozesses auf eine iterative Arbeitsweise wie Scrum hingearbeitet. Die Akzeptanz neuer Arbeitsweisen wird geringer, je radikaler die Veränderung ist.  utonomieverlust durch Teamentscheidungen A Werden bei der Anwendung der Scrum-Methode Entscheidungen über den Umfang und die Priorität der Aufgaben gemeinsam im Sprint Planning Meeting festgelegt, hofft man, dass dadurch die Motivation der Team-Mitglieder ansteigt. Andererseits kann diese Arbeitsweise jedoch auch demotivierend wirken, wenn Mitarbeiter*innen zuvor bereits autonom über Priorität, Terminierung und Aufwand ihrer Arbeit entschieden haben. Die neue Arbeitsweise verlagert diese Entscheidungen ins Team, was als Autonomieverlust wahrgenommen werden kann.  eihenfolge der Einführung der Methoden R Die Reihenfolge der Einführung der Methoden ist ein Erfolgskriterium. Im Fallbeispiel wurde der Prozess mit den Elementen „Board“ und „Daily Standup Meeting“ begonnen. Rückblickend wäre es besser gewesen, man hätte mit der Einführung von Retrospektiven begonnen und dadurch die Teams in ihrer Kommunikationskompetenz gestärkt. Aufbauend darauf, wären die folgenden methodischen Schritte effizienter und motivierender etabliert worden.  etrospektiven als Motor der Veränderung R Die Retrospektiven treiben die Entwicklungen voran, da in diesen Meetings Ursachen ergründet und Lösungen erarbeitet werden. Besonders diese Art von Meeting weist ein hohes Konfliktpotenzial auf, wenn es Teammitglieder nicht gewohnt sind, Kompromisse einzugehen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Das Risiko ist hoch, dass die Durchführung der Retrospektiven aufgrund fehlender Moderationserfahrungen demotivierende Auswirkungen auf die Teammitglieder hat. In diesen Fällen verlängern sich die Zyklen der iterativen Verbesserung der Arbeitsprozesse. Moderationskompetenz Die ersten Retrospektiven wurden vom Teamleiter moderiert. Dieser hatte sich mithilfe eines Fachbuches über Aufbau und Inhalte informiert und das Meeting mittels Agenda und sorgfältiger Auswahl der Methodenbausteine aus seiner Sicht gut vorbereitet. Dennoch fehlte zu Beginn die Kompetenz, das Meeting in neutraler Sichtweise zu moderieren. Einerseits war er für die neutrale Durchführung der Moderation verantwortlich und andererseits hatte er zu den besprochenen Themen inhaltliche Belange zu vertreten. Für unerfahrene Moderatoren ist es sehr schwierig, beide Rollen ausgewogen auszuführen. Im Fallbeispiel wurden deshalb einige Retrospektiven ergebnis-

314

10 Motivieren

los abgebrochen. Gerade zu Beginn des Transformationsprozesses führen Diskussionen in Meetings durch unterschiedliche Sichtweisen der Teammitglieder zu einem erhöhten Konfliktpotenzial, welches durch eine kompetente Moderation konstruktiv gewendet werden kann. Den Moderator*innen obliegt es, Fakten und Vorschläge der Teammitglieder von persönlichen Wertungen zu trennen. Geschieht dies nicht, führt das ggf. zur Schwächung des Selbstwertgefühls einzelner Teammitglieder. Oftmals werden Diskussionsbeiträge Einzelner sofort von anderen abgewertet. Kommentare wie: „Das siehst du falsch“, „Das klappt doch nie“, „Das geht nicht, weil …“ beeinträchtigen die Motivation, sich weiterhin aktiv in den Prozess der Lösungsfindung einzubringen.  ommunikationskompetenz im Team K Die neuen Rollen in der Teamarbeit, vor allem bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung, bergen ein hohes Konfliktpotenzial. Im Fallbeispiel waren die Teammitglieder nicht gewohnt, gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Bis dahin wurden Entscheidungen von den Teamleitern nur verkündet. Interessanterweise führte das zu starker Verbundenheit unter den Teilnehmern, weil sich alle gleichermaßen von den Entscheidungen betroffen fühlen konnten. In den noch ungewohnten Team-Diskussionen traten gruppendynamische Phänomene wie z. B. soziale Erwünschtheit, soziales Faulenzen, Halo-Effekte, Priming-Effekte und zahlreiche Kommunikationsstörungen auf. Darauf ­ waren die Teams nicht vorbereitet. In den Retrospektiven mangelte es zudem an der nötigen Moderationskompetenz.  eifegrade der Akteure R Völlig unbeachtet blieb der Reifegrad der einzelnen Teammitglieder und der Führungskraft. Der agile Coach sprach in den Schulungen zwar über die Rollen, deren Inhalte und Verantwortlichkeiten. Unberücksichtigt blieb jedoch die Überprüfung der tatsächlich vorhandenen Kompetenzen. Allzu schnell wurde das agile Manifest zitiert, um die Kontrollfunktion durch den Teamleiter abzuschaffen, weil diese ja angeblich vom Team selbst ausgeübt werden solle. Bis ein Team einen derartigen Reifegrad erlangt, dass Minderleistung, Fehlverhalten und Regelverstöße wertschätzend kommuniziert werden können, müssen diese Aufgaben vom Teamleiter oder einer Führungskraft übernommen werden, auch wenn im agilen Manifest darauf nicht hingewiesen wird.

10.8.6 Barrieren im agilen Transformationsprozess Die Anwendung agiler Methoden verspricht eigenverantwortliche Teamarbeit mit flachen Hierarchien und viel Spaß an der Arbeit. Nachfolgend werden die Erkenntnisse und erfolgssteuernden Aspekte beschrieben, die nach vierjähriger Praxis seit der Einführung der agilen Arbeitsweise in einem mittelständischen IT-Unternehmen gewonnen wurden.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

315

Persönliche Werte und Grundausrichtungen im agilen Umfeld Wie in Kapitel 10.8.1 beschrieben, orientiert sich die agile Arbeitsweise vorrangig an Werten und Prinzipien, statt an definierten Prozessen. Das agile Manifest postuliert im Hinblick auf die Zusammenarbeit gemeinsame Werte wie Respekt, Mut und Vertrauen. Aufgrund demografischer oder kultureller Diversität eines Teams kann ein Teammitglied im Alter von 19 Jahren unter „respektvollem Umgang“ möglicherweise etwas anderes verstehen als ein Teammitglied im Alter von 63 Jahren. Unterschiedliche Auffassungen und Wertvorstellungen Einzelner können Barrieren bilden oder zu Spannungen führen. In jedem Team treffen unterschiedliche Persönlichkeitstypen aufeinander, die sich zu einer arbeitsfähigen Einheit entwickeln müssen. Das Riemann-Thomann-Modell Das Riemann-Thomann-Modell beschreibt typische Verhaltensweisen und Handlungen eines Individuums aus der Perspektive feststellbarer Grundausrichtungen. Der Begriff „Grundausrichtung“ wird in diesem Zusammenhang vereinfacht als ganzheitlicher Zustand beschrieben, bei dem sich ein Wohlgefühl für den jeweiligen Menschen einstellt.109 Es basiert auf den Erkenntnissen der Psychologen Fritz Riemann110 und Christoph Thomann111. Bereits Anfang der 1960er Jahre entwickelte Riemann vier gegensätzliche Pole, die die Persönlichkeit eines Menschen ausmachen. Diesen Ansatz erweiterte Thomann auf die vier Grundbestrebungen Nähe, Distanz, Dauer und Wechsel. Jedem Menschen sind alle diese Grundstrebungen in unterschiedlicher Ausprägung eigen. Abhängig davon, welche Strebung in welcher Kombination besonders stark ausgeprägt ist, lassen sich Erkenntnisse hinsichtlich präferierter Entscheidungen und Verhaltensweisen eines Menschen gewinnen. Wie eine Person reagiert, kommuniziert und fühlt, kann zum Teil aus dem Riemann-Thomann-Modell abgeleitet und besser verstanden werden. Die Nähe-Ausrichtung Für Menschen mit einer ausgeprägten Nähe-Ausrichtung ist es wichtig, Nähe und Vertrauen zu anderen Menschen aufzubauen. Ohne Gefühle wie z. B. Bindung, Sympathie, Mitmenschlichkeit und Geborgenheit fühlen sie sich unwohl. Sie suchen Harmonie, sind bescheiden, haben Mitgefühl und setzen sich für andere ein. Sie sehnen sich nach Anerkennung und Bestätigung. Diese Menschen sind kontaktfähig, teambereit, ausgleichend, verständnisvoll und akzeptierend. Sie laufen aber Gefahr, abhängig sein zu wollen, da sie nicht gut allein sein können. Aus Angst vor Konflikten vermeiden sie Aggressionen, was nicht selten auch zur Ausprägung von Opfermentalität führen kann.

109https://de.wikipedia.org/wiki/Riemann-Thomann-Modell#Entstehung_und_Namensgebung 110Riemann,

Fritz: Grundformen der Angst. Verlag Ernst Reinhardt, München 1961.

111Thomann,

Christoph/Schulz von Thun, Friedemann: Klärungshilfe 1: Handbuch für Therapeuten, Gesprächshelfer und Moderatoren in schwierigen Gesprächen. rororo-verlag, Hamburg 1988.

316

10

Motivieren

Die Distanz-Ausrichtung Menschen mit einer ausgeprägten Distanz-Ausrichtung betonen ihre Eigenständigkeit und Individualität, wollen unabhängig und eigenständig ihre Entscheidungen treffen. Sie halten Abstand, lassen sich nur begrenzt gefühlsmäßig ein und erscheinen daher eher kühl und vernunftbetont. Sie öffnen sich anderen erst, wenn ihre Freiheit und Individualität gewährleistet ist. Distanz-Menschen geben sich eigenständig, entscheidungs- und konfliktfähig, betonen die sachlichen und fachlichen Aspekte. Sie können “nein” sagen und sind zurückhaltend mit emotionalen Reaktionen. Sie wollen auf niemanden angewiesen sein. Die Dauer-Ausrichtung Für Menschen mit einer ausgeprägten Dauer-Ausrichtung zählt, stets den Überblick zu behalten. Ihre Ziele realisieren sie planmäßig und systematisch. Aspekte wie z. B. Zeit und Geld sowie das Befolgen von Grundsätzen und Regeln, haben für sie eine hohe Priorität. Dauer-Menschen sind berechenbar und besitzen Organisationstalent. Jedoch werden sie auch als pedantisch und manchmal im negativen Sinn als kontrollierend wahrgenommen. Die Wechsel-Ausrichtung Für Menschen mit einer ausgeprägten Wechsel-Ausrichtung steht an erster Stelle die Abwechslung. Den Rahmen zu sprengen, den Augenblick zu erleben, mit Leidenschaft und Temperament kreativ und spontan Risiken einzugehen, das liegt ihnen. Mit Improvisationstalent, Ideenreichtum und Begeisterung streben sie den Wandel an. Sie sind neugierig und stets auf der Suche nach Neuem. Was zählt, ist das Jetzt. Kreativität, Einfallsreichtum und Spontaneität sind ihre Stärken. Andererseits gelten sie aber auch als chaotisch und unzuverlässig und weisen eine Tendenz zu theatralischem und egozentrischem Verhalten auf (s. Abb. 10.35 Grundbestrebungen nach Thomann). Grafisch können diese vier Grundausrichtungen den Endpunkten eines Koordinatenkreuzes zugeordnet werden. Diese vier Grundausrichtungen treffen nicht ausschließlich auf einen Menschen zu, sondern jeder verkörpert ein Gemisch aus allen. Es ist nicht wichtig, sich selbst oder andere genau zuordnen zu können. Vielmehr sollten diese vier Ausrichtungen als gleichwertig angesehen werden, obwohl sie nicht in jeder Situation gleich erwünscht und gleich angebracht sind. Die vier Grundausrichtungen in der Arbeitswelt Die Unterschiedlichkeit von Menschen wirkt sich in der Arbeitswelt, in der Zusammenarbeit und besonders in Führungssituationen aus. Die Werte der Arbeitswelt sind in Dauer-Distanz-Quadranten angesiedelt: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, persönliche Distanz, Sicherheit und Ordnung, Genauigkeit, Kontinuität und Seriosität. Sie spielen in der fachlichen Arbeit die Hauptrolle. Gleichwohl sind auch die anderen Grundausrichtungen für die Effizienz der Zusammenarbeit und der Zielerreichung bedeutsam

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

317

Abb. 10.35   Grundbestrebungen nach Thomann

und bringen unterschiedliche Kommunikations-, Arbeits- und Organisationsstile zur Wirkung. Nähe-Ausrichtung Dem Nähe-Menschen ist ein gutes Arbeitsklima sehr wichtig. An Teamsitzungen, Teamentscheidungen und Teamlösungen wirkt er gern mit. Er geht eher reaktiv, gefühlsmäßig und situativ vor. Die Vermittlung zwischen den Interessen und Standpunkten anderer in harmonischer Atmosphäre ist ihm so wichtig, dass er im Extremfall auf die Durchsetzung eigener Interessen verzichtet. Trotz des Strebens nach Übereinstimmung und Harmonie legt er Wert darauf, dass man das Richtige und Sinnvolle unternimmt, wenn es eine Grundübereinstimmung gibt. Psychische Belastungen und zwischenmenschlicher Stress beeinträchtigen seine Leistungsfähigkeit.

318

10

Motivieren

Distanz-Ausrichtung Der Distanz-Mensch ist nicht auf ein harmonisches Arbeitsklima angewiesen. Er arbeitet am liebsten allein. Ist Zusammenarbeit unvermeidbar, versucht er die Arbeit so aufzuteilen, dass jeder seinen Teil wieder allein machen kann und auch selbst verantworten muss. Er lernt rasch aus schlechten Erfahrungen und pflegt eine kritische Einstellung zu den Mitmenschen. Er kann gut „nein“ sagen und findet Sitzungen überflüssig. Er schätzt individuelle Arbeitszeiten und arbeitet auch samstags und nachts, um „seine Ruhe zu haben“. Im Falle psychischer Belastungen oder bei zwischenmenschlichem Stress reagiert er mit Abschottungstendenzen. Dauer-Ausrichtung Der Dauer-Mensch hat seine Termine und Fristen sowie den erforderlichen Arbeitsaufwand ständig im Blick. Ein gutes Arbeitsklima ist für ihn die logische Konsequenz eines geordneten Miteinanders, orientiert an Hierarchien, Kompetenzabgrenzungen, Verantwortungsbereichen und klaren Regeln. Der Dauer-Mensch ist ordentlich und erwartet das auch von anderen. Er pflegt ein strukturiertes und vollständiges Ablagesystem. Er legt Wert auf die Verschriftlichung aller Entscheidungen und Vorgänge; alles sollte beweisbar vorliegen. In Stress-Situationen analysiert er die Lage, betreibt Ursachenforschung, um die Verantwortlichen zu benennen und Konsequenzen zu ziehen. Wechsel-Ausrichtung Dem Wechsel-Menschen ist ein offenes Arbeitsklima wichtig, damit er kreativ arbeiten und Routinearbeiten ertragen kann. Er ist eher chaotisch, vergisst Termine, macht dies mit Charme aber wieder wett. Spontane Entscheidungen und Entschlüsse schätzt er. Für Betroffene sind das dann oft Entscheidungen „aus dem Handgelenk”. Das Anschieben von Vorgängen und Aufgaben fällt ihm leicht; etwas durchzuziehen und abzuschließen liegt ihm hingegen nicht so sehr. Der Wechsel-Mensch ist innovations- und zukunftsorientiert. Er schreibt ungern, möchte alles mündlich oder per Telefon erledigen. Fristen und Termine werden trotz mehrmaliger Versprechungen selten eingehalten. Aber: Unter Belastung, Stress und Druck läuft er zur produktiven Hochform auf und kann ordentlich ranklotzen (s. Abb. 10.36 Team-Persönlichkeiten im Riemann-Thomann-Modell). Das Thomann-Riemann-Modell kann zum Verständnis für das Verhalten von Personen im Zusammenhang mit der Arbeit in Teams beitragen. Es lassen sich vier mögliche Team-Persönlichkeiten daraus ableiten: Dauer-Distanz-Teams sind gut organisiert, geprägt von systematischem und rationalem Vorgehen; sie arbeiten diszipliniert und ergebnisorientiert. Das Wir-Gefühl ist nicht stark ausgeprägt. Dauer-Nähe-Teams weisen Kolleg*innen auf, die füreinander einstehen. Für sie ist wichtig, dass man sich 100%ig aufeinander verlassen kann und sich gegenseitig unter-

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

319

Abb. 10.36   Team-Persönlichkeiten im Riemann-Thomann-Modell

stützt. Unter zu großem Harmoniestreben kann die Diversität der Denk- und Verhaltensweisen leiden, die für das produktive und innovative Arbeiten unerlässlich sind. Wechsel-Distanz-Teams arbeiten zwar im Team zusammen, achten aber auf die Eigenständigkeit der Kolleg*innen. Jeder hat seinen klar abgegrenzten Bereich, in dem individuelle Schwerpunkte des Denkens und Handelns gelebt werden können. Diese Situation kann Vielfalt und Innovationen fördern, aber durch fehlende Gruppenbindung das beharrliche Verfolgen gemeinsamer Ziele schwächen. Wechsel-Nähe-Teams zeigen Risikobereitschaft. Ideenreich und flexibel arbeiten sie zielorientiert zusammen. Überschneiden sich allerdings die Einstellungen derjenigen, die zu wechselorientiertem Verhalten neigen, mit denen, die zu einem ausgeprägten Bedürfnis nach Nähe tendieren, können daraus kontraproduktive Situationen erwachsen.

320

10 Motivieren

Führungskräfte sollten die Stärken der unterschiedlichen Team-Konstellationen kennen und nutzen. Jedes Team sollte unterschiedliche Typen und Charaktere aus allen vier Grundstrebungen aufweisen, um produktiv arbeiten zu können: Vielfalt und Unterschiedlichkeit macht Teams stark! Das Riemann-Thomann-Modell ist kein Persönlichkeits-Typologien-Modell für professionelle Psychotherapeuten, sondern beschreibt die vier „Himmelsrichtungen der Seele“, wie Friedemann Schulz von Thun die Grundausrichtungen genannt hat. Sie zu kennen, ist für Führungskräfte hilfreich, um Verhaltensweisen von Mitarbeiter*innen zu verstehen. Die Kenntnis dieses Modells darf nicht dazu führen, dass man die Beschränkung auf vier Typen für die Wirklichkeit hält. Das Leben ist bunter und vielfältiger. Alle Modelle dienen der Reduzierung der Komplexität, um Verständlichkeit zu fördern. Es geht darum, zwischenmenschliche Polarisierungen und Eskalationen zu erkennen, Hintergründe zu verstehen und ggf. Verhärtungen in Konflikten aufzulösen. Das Verhalten und die Motivation des anderen als Reaktion auf einen selbst zu erkennen kann in der ­Team-Entwicklung und im Coaching sinnvolle Prozesse fördern. Demotivation durch Verantwortungsübertragung Als Vorteile agiler Arbeitsweisen werden die Übertragung von Verantwortung und die Entscheidungsfindung auf der Ebene der fachlichen Kompetenz (Teamebene) genannt. Oftmals gilt die Grundannahme, dass vor der Einführung agiler Methoden Entscheidungen auf Ebene der Führungskräfte getroffen werden. Diese Annahmen sind im Vorfeld für jedes Teammitglied genau zu prüfen. Wie im Fallbeispiel des ­IT-Unternehmens zu erkennen, können Konstellationen auftreten, unter welchen die Verlagerung von Verantwortung und Entscheidungsfindung in Teams bei einzelnen Mitarbeiter*innen zu Demotivation führt. Nicht allen Mitarbeiter*innen ist es ein Bedürfnis, Verantwortung im Team oder auch für Einzelaufgaben zu übernehmen. Vielmehr sind sie von Angst vor Veränderung geprägt. Wird bei der Gestaltung der Arbeitsprozesse diesem Umstand keine Beachtung geschenkt, kann dies zur Überforderung und zur Demotivation einzelner Mitarbeiter*innen führen. Werden Mitarbeiter*innen durch eine neue Zuordnung von Verantwortung und Entscheidungsfindung in Teamstrukturen in ihrer bisherigen Arbeitsweise eingeschränkt, könnten sie dies im Einzelfall als Verlust von Autonomie und Selbstwirksamkeit wahrnehmen. Häufig betrifft das Mitarbeiter*innen mit hoher Fachkompetenz, die sich einen höheren Grad an Autonomie und Entscheidungsfreiheit erarbeitet haben. Die Demotivation dieser Fachkräfte kann sich negativ auf die Leistungsfähigkeit des gesamten Teams auswirken oder auch zur „Abwanderung“ von Spezialisten führen. Durch Gespräche mit den Betroffenen im Vorfeld der Veränderungen werden sie eingebunden und negative Entwicklungen vermieden.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

321

Agilität benötigt Stabilität Das agile Manifest beschreibt agile Werte und Prinzipien aus Sicht der Projekt- oder Teamebene mit dem Fokus auf Kundenorientierung und technischer Exzellenz. Mit dem Blick auf das gesamte Unternehmen sind neben den agilen Werten auch stabilisierende erforderlich, die den Rahmen für agiles Arbeiten bilden. Ohne eine stabile organisatorische und ökonomische Basis kann sich Agilität nicht entwickeln. Die stabile wirtschaftliche Basis darf trotz der Fokussierung auf die Kunden und die technische Exzellenz nicht außer Acht gelassen werden. Vor allem in der Einführungsphase agiler Methoden ist darauf zu achten, dass in kritischen Situationen, die rasches Handeln erfordern, entsprechend zielführende Maßnahmen eingeleitet werden, um Prozessverluste zu vermeiden. Es ist Aufgabe der Führungskraft, für die Stabilität des Systems zu sorgen und kontextabhängig einzugreifen, vergleichbar mit der Wirkung des Sicherheitsgurtes oder eines Bremsassistenten im PKW, der das System im Bedarfsfall wieder stabilisiert. Veränderungsgeschwindigkeit Das Einführen agiler Arbeitsweisen erfordert von den Akteuren neben einem hohen Maß an Änderungsbereitschaft auch die nötige Zuversicht, dass etwas besser wird, als es derzeit ist, und vor allem die Fähigkeit zur Umsetzung. Konfrontiert man einen Raucher mit den gesundheitsschädlichen Folgen des Rauchens und der Notwendigkeit, das Rauchen einzustellen, wird er sicher grundsätzlich zustimmen. Ob dieser Zustimmung dann auch Taten folgen, ist ungewiss. Ähnlich verhält es sich mit der Einführung agiler Methoden. Obwohl jedem bewusst ist, dass z. B. die in den Retrospektiven gemeinsam beschlossenen Maßnahmen und Regeländerungen notwendig sind, wird das Befolgen der eigenen Regeln und Maßnahmen immer noch als eine persönliche Herausforderung wahrgenommen. Hinzu kommen oftmals Veränderungen im fachlichen Kontext, wie z. B. neue Software, neue Anforderungen von Kunden, neue Teammitglieder usw. Diese vielfachen Neuerungen können als große Belastung empfunden werden und Verweigerungshaltungen auslösen. Im Fallbeispiel des IT-Unternehmens gab es in Retrospektiven Situationen, in welchen sich Teams für eine langsamere Veränderungsgeschwindigkeit ausgesprochen haben, um die bereits eingeführten Maßnahmen zu festigen. Auch wenn das Tempo der Änderungen vom Team bestimmt wird, kann dies zu Stress und Demotivation führen. Die Zusammenstellung von Teams ist in der Praxis selten in Idealform möglich; meistens ergibt sich die Zusammensetzung aus der vorhandenen Mitarbeiterstruktur. Jedes Team muss das für seine Situation akzeptable Tempo der Veränderungen festlegen, um Frustrationen zu vermeiden. Die Fähigkeiten für agile Arbeitsweisen müssen durch die Praxis erworben, fachlich unterstützt (Coaching) und gefestigt werden. Lediglich durch ein Kick-Off-Meeting und auf Anordnung der Unternehmensleitung wird der Prozess der Umstellung nicht gelingen.

322

10 Motivieren

Verantwortungsübertragung, Entscheidungsfindung und Kontrolle Durch die Übertragung von Verantwortung und Entscheidungsfindung in selbstorganisierten Teams werden Führungskräfte nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Da agile Arbeitsweisen nicht den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens beeinträchtigen dürfen, muss das Top-Management der jeweiligen Organisation festlegen, in welchen Situationen wieviel Verantwortung und Entscheidungsfindung in Teams übertragen werden kann. Teams müssen lernen, Verantwortung zu übernehmen, und Führungskräfte müssen lernen, Kompetenzen abzugeben. Sollten Teams ihrer Verantwortung nicht gerecht werden (können), muss die Führungsebene eingreifen und negative Entwicklungen für das Unternehmen verhindern. Die Übernahme von Verantwortung und Kontrollaufgaben auf der fachlichen Ebene wird in der Regel von den Teams gut gemeistert. Im Fallbeispiel des IT-Unternehmens entwickelten sich jedoch manche Aufgaben außerhalb des fachlich-sachlichen Umfeldes als Herausforderung. Die eigenverantwortliche Einigung auf den Urlaubsplan oder die Festlegung, wer an Brückentagen arbeiten wird, erwies sich als schwierig, und man wünschte, der T ­ eamleiter möge dies regeln. Diese Art der Rückdelegation von Verantwortung und ­Entscheidungen war anfänglich häufig zu beobachten. Es zeigte sich, dass die Teams Mühe hatten, kritische Fragen oder Konflikte untereinander auszumachen. An der Konfliktlösungskompetenz der Teams muss stetig gearbeitet werden, um Stillstand zu vermeiden. Gruppendynamik in Konfliktsituationen Agile Methoden wie Kanban und Scrum arbeiten mit Modellen und Methoden, die sich in der Praxis bewährt haben. Zwar tragen agile Methoden wie z. B. die Retrospektiven dazu bei, dass die zwischenmenschlichen Interaktionen strukturiert verlaufen und man sich auf die Sachebene fokussiert. Gleichwohl zeigen sich insbesondere in Konfliktsituationen die unterschiedlichen Charaktere, und auch in selbstorganisierter Teamarbeit ärgern sich Teammitglieder über Verhaltensweisen anderer. Doch nach wie vor steht die Zufriedenheit der Kunden im Mittelpunkt. Daher gilt es, hierarchisches Gerangel, Seilschaften und Abteilungsdenken zu vermeiden. Diese Situationen treten natürlich auch ohne Verwendung agiler Methoden auf. Situationen, in welchen das Ergebnis von der zuverlässigen Zuarbeit mehrerer Teammitglieder abhängig ist, schaffen zusätzliches Konfliktpotenzial. Die Erfahrung lehrt, dass weder der kostenlos bereitgestellte Obstkorb noch der Kicker im Pausenbereich die Lösung zwischenmenschlicher Konflikte befördern. Wichtig ist, die im Agilen Manifest geforderten Aspekte Gleichberechtigung, Ergebnisorientierung, Vertrauen und Respekt zur Wirkung zu bringen. Im agilen Umfeld gibt es keine Führungsinstanz, die für die Konfliktlösung in Anspruch genommen werden kann, das müssen die Mitarbeiter*innen unter sich regeln. Dadurch können allerdings die Konflikte einzelner Akteure schnell zu Teamkonflikten ausarten und gruppendynamische Interaktionen auslösen.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

323

Man spricht von Gruppendynamik112, weil auch eine gut integrierte Gruppe niemals in sich geschlossen ist, sondern ein lebendiger und sich stets verändernder Zusammenschluss von Individuen, die sich als getrennte Einheiten verstehen. Gruppendynamik spielt sich auf zwei Ebenen ab. An der Oberfläche geht es um das sichtbare, rational begründete Verhalten zwischen den Gruppenmitgliedern und dem Teamleiter. Auf der zweiten - weitestgehend unbewussten - Ebene dreht sich alles um die unausgesprochenen Erwartungen oder Befürchtungen jedes Einzelnen. Man unterscheidet “natürliche“ Gruppen (Familie) von “Ad-hoc-Gruppen” (Arbeitsund/oder Seminargruppen). In jeder Gruppe, die länger als drei Tage zusammenarbeitet, spielen sich folgende gruppendynamische Prozesse ab: • • • • •

der Kampf um die Führung der Kampf um den Platz in der “Hackreihe” das Entstehen eines “Gruppenstandards” die Paarbildung die Wahl der Rolle.

Die „Hackreihe“ in Menschengruppen signalisiert, welchen sozialen Status der Einzelne hat, das heißt: Die Platznummer in der Reihe hängt nicht wie bei Tieren von der körperlichen Stärke ab, sondern von etlichen Faktoren, deren Zusammenwirken den Status ergeben, wie z. B. die Herkunft, der Bildungsgrad, die berufliche Leistung, die Vermögensverhältnisse, außerberufliche Aktivitäten und Beziehungen außerhalb der Firma. Solange die Gruppe (das Team) in Kämpfen um die informelle Führung und um die Plätze in der Hackreihe beschäftigt ist, ist sie nur bedingt arbeits- und lernfähig. Unter Gruppenstandard versteht man den (oft erstaunlich hohen) Gleichklang von Denken und Fühlen innerhalb einer Gruppe, der sich in ganz spezifischen Verhaltensnormen niederschlägt. Jedes Gruppenmitglied wählt sich eine “Rolle”, die das künftige Verhalten des Einzelnen prognostizierbar macht. Es wird unterschieden in “aktive” und “passive” Rollen. Aktive Rollen: • der informelle Führer • der Tüchtigste • der Oppositionelle Passive Rollen sind Rollen, die einem zufallen oder in die man gedrängt wird: • der Beliebteste • der Gruppentrottel

112Vgl. Hintz, Asmus J.: Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, 3. Auflage Springer Fachmedien Wiesbaden, OnlinePLUS Zusatzinformationen Springer Gabler, 2016.

324

10 Motivieren

• der Angepasste • der Außenseiter Ein Beispiel aus der Praxis des IT-Unternehmens: Eine Gruppe von acht Kunden traf sich zu einer Arbeitsbesprechung mit dem Fachexperten des Entwicklungsteams, um Vorgaben und Konzepte für neue Funktionen zu besprechen. Das Teammitglied übernahm die Führung der Gruppe (informelle Führer). Bei der ersten Meinungsverschiedenheit vertrat einer der Kunden seine Interessen sehr deutlich und nahm die Rolle des Oppositionellen ein. Der Kampf um die Führung, um die Position in der Hackreihe, beeinträchtigte den weiteren Verlauf des Meetings. Durch die Aufarbeitung dieser Situation in einem der folgenden regulären R ­ etrospektiv-Meetings wurden Verhaltensweisen für den Moderierenden entwickelt, die ihn künftig in die Lage versetzen, die Steuerung derartiger Kommunikationsverläufe konfliktfrei beibehalten zu können. Er lernte, als Moderator den Kunden in der Rolle des Oppositionellen ausreden zu lassen, aufmerksam zuzuhören und anschließend das Verstandene z. B. mit den einleitenden Worten „Sie sind der Meinung, dass …“ zu paraphrasieren, um Missverständnisse auszuschließen und mit einer offenen Frage gemäß der Erkenntnis „Wer fragt, der führt!“ die Gesprächsführung wieder zu übernehmen. Dieses Verhaltensmuster erwies sich als deeskalierend und wirksam für die Fortführung des sachorientierten Gesprächs. Agilität braucht Führung Das agile Mindset postuliert, weniger Kontrolle auszuüben und direktive Eingriffe zu vermeiden. Führungskräfte, die ihre Rolle im agilen Umfeld selbst neu erlernen müssen, neigen dazu, in Passivität zu verfallen und das Team seiner Selbstorganisation zu überlassen. Was aber geschieht in Situationen, in denen die Selbstorganisation nicht funktioniert, in denen das Team keine Eigenregulation vornimmt, die Führungskraft das agile Mindset zu wörtlich nimmt und demzufolge nicht eingreift? Prozessverluste sind durch derartige Situationen vorprogrammiert. Die Führungskraft darf nicht in Passivität verharren, sondern muss entgegen den Regeln des agilen Mindsets eingreifen und für Klarheit sorgen. Für ein neues Bewusstsein von Verantwortung und Entscheidungsfindung sind Lernprozesse und Entwicklungen erforderlich, die zwischen Team-Mitgliedern und der Führungskraft wachsen müssen. Wie diese ausgeführt werden, wird in der einschlägigen Literatur über agile Methoden, Scrum und Kanban nicht beschrieben. Vorausgesetzt wird, dass in den Teams alle erforderlichen Handlungskompetenzen vorhanden sind. Der Reifegrad eines Teams ist bei der Einführung der Selbstorganisation zu bedenken, um die Leistungsfähigkeit des Teams zu gewährleisten. Eine Episode im Fallbeispiel des IT-Unternehmens: Der Geschäftsführer hat als eines der ersten agilen Experimente die Verantwortung für die Organisation der jährlichen Weihnachtsfeier abwechselnd in die Hände der Teams gegeben.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

325

Da das Ergebnis der Maßnahme keine kritische Außenwirkung hervorruft, war dieses Beispiel sehr gut geeignet, um den eigenverantwortlichen Umgang mit Komplexität zu erlernen. Die Erkenntnisse des ersten Teams waren, dass man sich die Organisation nicht so aufwendig vorgestellt hatte. Das unterschiedlich ausgefallene Feedback der Teilnehmer*innen – nicht alle waren zufrieden oder dankbar - nach der Weihnachtsfeier empfand man als ungewohnt. Der Geschäftsführer hingegen war mit der Situation und den Erkenntnissen der Teams nicht unzufrieden. Er erhielt von dem Team im Nachgang Dank und Anerkennung dafür, dass er sich jahrelang so erfolgreich um dieses Event gekümmert hat. Man war zu der Erkenntnis gelangt, dass es doch viel Energie und Zeit erfordert, eine Feier auf die Beine zu stellen, die von vielen Seiten Zuspruch erhält. Dieses Beispiel zeigt, dass es für Teams durchaus herausfordernd sein kann, mit einer Form von Komplexität umzugehen, für die man noch nicht genügend Kompetenzen entwickelt hat. Verunsicherung durch Informationsmangel Agile Arbeitsbedingungen können Mitarbeiter*innen stark verunsichern. Konnte man sich bislang auf klare hierarchische Strukturen und Prozesse berufen, wurden diese durch agile Methoden plötzlich infrage gestellt. Werden die Veränderungen nicht mit umfassenden Informationen und Gesprächen begleitet, können Angstzustände entstehen. Im Fallbeispiel des IT-Unternehmens wurden einem Mitarbeiter aufgrund seiner Urlaubsabwesenheit wichtige Informationen aus einer Retrospektive ohne Absicht unvollständig übermittelt. Aufgrund dieses Informationsmangels war er nicht in der Lage, die beschlossenen Maßnahmen in vollem Umfang zu verstehen und sich dementsprechend zu verhalten. In der Folgezeit kam es aufgrund dieser Umstände zu problematischen Situationen für alle Beteiligten. Da weder der Mitarbeiter noch die Kolleg*innen die Initiative zu klärenden Gesprächen ergriffen, isolierte sich der Mitarbeiter zunehmend und erkrankte. Inzwischen wird in vergleichbaren Situationen, die insbesondere nach urlaubs- oder krankheitsbedingter Abwesenheit immer wieder auftreten können, die betroffene Person gebeten, im Anschluss an das Briefing ihr Verständnis der Zusammenhänge paraphrasierend darzulegen und ggf. Unsicherheiten offenzulegen, um Missverständnisse auszuschließen. Durch Transparenz, angstfreie und wertschätzende Kommunikation in Arbeitssituationen können Verunsicherungen und psychische Erkrankungen113 weitgehend ausgeschlossen werden. 113Psychische Erkrankungen waren in Deutschland mit 43 Prozent im Jahr 2015 die häufigste Ursache für krankheitsbedingte Frühverrentung. Sie gehören zu den wichtigsten Ursachen für den Verlust an beschwerdefreien Lebensjahren. Die am häufigsten medizinisch diagnostizierten Gründe sind Depression und Angststörungen. (inqa - Initiative Neue Qualität der Arbeit Eine Initiative für Arbeitgeber und Beschäftigte).

326

10 Motivieren

Verantwortungsdiffusion vermeiden Die Team-Mitglieder müssen verstehen, dass die in der agilen Arbeitsweise geforderte Selbständigkeit des Einzelnen nicht die Verantwortung aller für das Gesamtergebnis auflöst. Da jeder sich selbständig Aufgaben sucht und die Kontrolle durch Führungskräfte entfällt, können die Team- und Unternehmensziele aus dem Blick geraten. Nimmt jeder nur seinen Bereich wahr und nicht das Ganze, kommt es zu Verwerfungen oder zur Verantwortungsdiffussion114. Die Führungskraft hat dafür zu sorgen, dass Mechanismen zur Selbstkontrolle installiert werden, und die Team-Mitglieder müssen aus ihren Reihen einen Verantwortlichen für die Ergebniskontrolle benennen. Fazit Die beschriebenen Barrieren basieren auf Erfahrungen verschiedener Fallbeispiele aus der Praxis. Daraus ergeben sich Aufgabenstellungen und Herausforderungen, für deren Lösungen Kompetenzen entwickelt werden müssen. Denkbare Herausforderungen liegen in den Kompetenzfeldern • Umgang mit verschiedenen Persönlichkeiten in Konfliktsituationen • Umgang mit Widerstand bei der Einführung agiler Methoden • Beheben von Beziehungsstörungen • Moderationskompetenz und Umgang mit Gruppendynamik • Sensibilität für Teamstrukturen und Befindlichkeiten der Akteure • Schaffung von Transparenz innerhalb und außerhalb der Teamstrukturen • Setzen von Grenzen und Durchsetzung passender Konsequenzen in Teamumgebungen. Weder die Kenntnis des agilen Manifestes mit den zwölf Prinzipien noch ein zweitägiger Scrum-Master-Lehrgang können genügend Wissen und Können vermitteln, um den vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden, die mit der Einführung agiler Methoden einhergehen. Die im Fallbeispiel beschriebenen Situationen sensibilisieren für die Notwendigkeit, sich mit den Methoden und Modellen des Change-Managements vertraut zu machen (siehe in diesem Buch das Kapitel 10.7 Change Management, S. 229 – 244). Man kann nicht alle Barrieren und Unwägbarkeiten bei der Einführung agiler Methoden vorhersehen und präventiv ausschließen. Jede tiefgreifende Veränderung von Prozessen, Routinen oder Zuständigkeiten in Organisationen wird zunächst als Störung, als Eingriff

114https://de.wikipedia.org/wiki/Verantwortungsdiffusion

10.8

Agile Führung – Selbstorganisierte …

327

empfunden. In Veränderungsprozessen wird von den Mitarbeiter*innen verlangt, dass sie ihr Verhalten den neuen Erfordernissen anpassen. Eine dauerhafte Verhaltensänderung ist nur über die Veränderung der Ziele einer Person zu erreichen (siehe in diesem Buch das Kapitel 10.7.2 Fünf Stufen bis zur Verhaltensänderung, S. 245 – 247).

10.8.7 Empfohlenes Vorgehen aufgrund der Praxiserfahrung Agilität beginnt „oben“ Das Top-Management muss vor der Einführung agiler Arbeitsweisen die folgenden Fragen klären: 1. An welchen Stellen im Unternehmen stehen stabile Prozesse im Vordergrund, die keiner Veränderung bedürfen? Wie in Kapitel 10.8.6 beschrieben, bedingen Agilität und Stabilität einander. Jedes Unternehmen benötigt stabile Organisationsstrukturen und funktionierende Prozesse, auf deren Basis Agilität entstehen kann. Deshalb sollte zuvor überlegt werden, welche Bereiche im Unternehmen keine agilen Strukturen benötigen. 2. Welche Ziele sollen mit der Einführung agiler Methoden verwirklicht werden? Die Einführung agiler Methoden in einem Unternehmen darf nicht ohne klare Zielsetzungen veranlasst werden und keinesfalls frei nach dem Motto „Agilität ist in!“ nur einem modernistischen Trend folgend. Ohne begründete Notwendigkeiten und ohne messbare Ziele kann der Verlauf des Prozesses aus dem Ruder geraten oder aufgrund unerwarteter direktiver Eingriffe von oben (nächsthöhere Managementebene) oder von außen (andere einflussreiche Stakeholder) scheitern. Zu klären ist, was in welcher Art und Weise mithilfe agiler Methoden besser werden soll. Ferner ist es ratsam, Kriterien oder Situationen zu definieren, welche auf keinen Fall eintreten sollten, wie z. B. die Beeinträchtigung von Prozessqualitäten oder wirtschaftlichen Ergebnissen. Die Einführung agiler Methoden berührt den Bereich der Prozess-Steuerung und erfordert einen stetigen Entwicklungs- und Veränderungsprozess. Demzufolge sind in den Zielformulierungen neben den quantitativen auch qualitative Aspekte zu berücksichtigen. Scrum stellt Regeln bereit zur Entwicklung und Erstellung komplexer Produkte. Scrum-Rollen, Ereignisse und Artefakte müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Beispielformulierung: „Wir etablieren im Bereich IT des Unternehmens bis zum (konkretes Datum) agile Arbeitsweisen. Durch Transparenz über die wesentlichen Aspekte der Arbeitsprozesse und durch iteratives Vorgehen werden wir die Projektdurchlaufzeiten bei Einhaltung der Qualitätsstandards um 20% innerhalb von 12 Monaten reduzieren.“

328

10 Motivieren

3. Wie werden die agilen Strukturen eingeführt? Das Top-Management muss den Mitarbeiter*innen vor der der Einführung agiler Strukturen umfassend darlegen, mit welchen Veränderungen und Konsequenzen inund extern zu rechnen ist. Was ändert sich für die Mitarbeiter*innen, die Führungskräfte, die Lieferanten und Kunden? Kurzum, es ist unerlässlich, die relevanten Situationen und Szenarien zu beschreiben und allen die Vision zu vermitteln, was sich in welcher Art und Weise verbessern wird. Die Veränderung sollte sinnvoll und herausfordernd sein, jedem Raum für individuelle Entwicklung geben und eigenverantwortliches Handeln fördern (Autonomie). Diese Elemente sind wichtige Bausteine für das Entstehen von intrinsischer Motivation. Die agile Arbeitsweise ist geradezu prädestiniert dafür, diese Rahmenbedingungen zu erfüllen und ein motivationsförderndes Klima zu erzeugen. Die Führungskräfte müssen sich von den hierarchisch geprägten Denkund Handlungsstrukturen der transaktionalen Führung verabschieden und transformationales Verhalten praktizieren (siehe in diesem Buch das Kapitel 10.6.5 „Transaktionale und transformationale Führung“). Diese werteorientierte Führung stellt die Sinnorientierung, die Gründe des Handelns in den Mittelpunkt des Denkens. Die daraus resultierende Art der Führung basiert auf einem positiven Menschenbild, dem zugrundeliegt, dass die Menschen von sich aus motiviert sind, gemeinsame Ziele erreichen und sich weiterentwickeln wollen. Transformational wirkende Führungskräfte kommunizieren ihre wichtigsten Werte und Überzeugungen eindeutig, stellen die Vision, die Mission und das Team in den Mittelpunkt und ihre eigenen Interessen zurück. Sie „dienen“ ihren Mitarbeiter*innen. In diesem Zusammenhang fällt der Blick auf den Begriff „Servant Leadership“. Er geht zurück auf eine Schrift von Robert K. Greenleaf (Gründer des Greenleaf Center for Servant Leadership) aus dem Jahr 1970. Der Top-Manager äußerte sich über Servant Leadership „(…) a philosophy and set of practices that enriches the lives of individuals, builds better organizations and ultimately creates a more just and caring world, on how we are for each other.” Damit meint er nicht nur das Wohlergehen von Menschen in einer Organisation, sondern auch das der gesamten Gesellschaft. Servant Leader sind jedoch nicht die Feelgood Manager für die Mitarbeiter*innen, sondern sie unterstützen Menschen in ihrer Entwicklung, zeigen Chancen auf, setzen Grenzen, geben aktivierendes Feedback, reflektieren ihr eigenes Handeln und beseitigen Hindernisse, die einer selbstorganisierten Arbeitsweise im Wege stehen. Der Begriff Demut ist in der Wirtschaft verlorengegangen, weil er negativ besetzt ist. Dabei ist die Demut gerade eine der Tugenden, die Führungskräfte am meisten brauchen, denn Führen heißt Dienen (Anselm Grün115 - Benediktinermönch und Managementberater).

115Anselm

Grün: Vom Mut, hinabzusteigen. In: Handelsblatt. 12. Dezember 2013, S. 16.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

329

Die Einführung agiler Methoden muss von der Führung im Sinne der Funktion eines Servant Leader initiiert werden, benötigt Transparenz aller Handlungsschritte und eine überzeugende Vision, die alle Mitarbeiter*innen teilen können. Das Management muss Anstoß und fortwährende Unterstützung geben. 4. Grundlagen für die Einführung der agilen Arbeitsweise Die Auswertung der Befragung der Mitarbeiter*innen im Fallbeispiel zeigt, dass einige sich zu Beginn skeptisch und zurückhaltend geäußert haben, weil sie mit dem Begriff „Agilität in der Arbeitswelt“ und mit „agilen Methoden“ nicht vertraut waren. Scrum basiert auf der Theorie empirischer Prozesssteuerung, um Wissen aus Erfahrung zu generieren und Entscheidungen auf der Basis bekannter Fakten und funktionierender Prozesse zu treffen. Scrum nutzt einen iterativen116 und inkrementellen117 Ansatz, um Prognosesicherheit von Terminen und Ergebnissen zu optimieren und Risiken zu kontrollieren. Die Implementierung der empirischen Prozesssteuerung steht auf drei Säulen: Transparenz, Überprüfung und Anpassung. Transparenz Transparenz erfordert, dass die wesentlichen Aspekte des Prozesses auf der Grundlage einheitlicher Standards definiert und sichtbar gemacht werden, damit alle Betroffenen den Fortgang der Arbeiten verstehen und beurteilen können und ein gemeinsames Verständnis der Definition von “Done” teilen. Überprüfung Scrum Anwender müssen die Scrum-Ergebnisse und den Fortschritt ständig in Bezug auf die Erreichung des Sprint-Ziels überprüfen, um unerwünschte Abweichungen zu erkennen. Anpassung Werden Abweichungen von den akzeptablen Grenzwerten festgestellt, müssen der Prozess oder das zu bearbeitende Material angepasst werden. Um Abweichungen zu erkennen und zu minimieren, bedarf es der Reflexion und des systematischen Feedbacks, was mit der Durchführung der folgenden methodischen Schritte gewährleistet wird: • • • •

Sprint Planning Daily Scrum Sprint Review Sprint Retrospektive

116von lat. iterare = wiederholen; gemeint ist hier der Prozess mehrfachen Wiederholens gleicher oder ähnlicher Handlungen zur Annäherung an eine Lösung oder ein definiertes Ziel. 117von lat. incrementare = vergrößern; der Begriff steht in diesem Zusammenhang für eine schrittweise Vorgehensweise.

330

10 Motivieren

Die Implementierung der Rollen wie z. B. Product Owner, Scrum Master und die Funktion des Product Backlog sowie die anderen Elemente können nicht nur mit Lehrbuchwissen vermittelt werden. Es empfiehlt sich, einen Berater zu engagieren, der neben dem theoretischen Wissen über agile Methoden auch über eigene praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Mitarbeiterführung verfügt. Vision, Mission und Leitbild Die Erstellung von Vision, Mission und Leitbild ist der wichtigste grundlegende Schritt zur Einführung agiler Methoden und sollte vom Management und den Team-Mitgliedern gemeinsam geleistet werden. Dadurch fließen sowohl agile Werte ­ aus Sicht der Teams als auch stabilisierende ökonomische Aspekte aus Sicht des Managements in die Formulierungen ein. Im Fallbeispiel des IT-Unternehmens wurde die Leitbildentwicklung erst drei Jahre nach der Einführung agiler Methoden vorgenommen. Dies führte bei einigen Mitarbeiter*innen zu Irritationen hinsichtlich der Notwendigkeit eines Leitbildes. Ein frühzeitiges Commitment aller Mitarbeiter*innen zu einem gemeinsam entwickelten Leitbild hingegen vereinfacht die Zusammenarbeit im Team. Team-Mitglieder oder die ­Team-Leitung können sich gegenseitig unter Verweis auf die im Leitbild beschriebenen Werte und Verhaltensgrundsätze für eine kritische Selbstreflexion und Verhaltenskorrekturen sensibilisieren. Eine Anleitung zur Entwicklung von Vision, Mission und Leitbild wird in diesem Buch im Kapitel 12.4 beschrieben. Start mit KANBAN Aus den Erfahrungen des Fallbeispiels aus dem IT-Unternehmen empfiehlt sich zunächst die Einführung von Kanban mit den Methoden • Retrospektiv Meetings • Prozessvisualisierung mithilfe eines Boards • Einführung von Daily Standup Meetings. Kanban ermöglicht, ohne tiefgreifende Veränderungen und Erläuterungen in den existierenden Arbeitsprozess einzusteigen. Das ist ein deutlicher Vorteil gegenüber Scrum, was erfordert, zunächst alle Methoden zu etablieren, damit die Arbeitsweise der Scrum-Methode entspricht. Je nach Ist-Situation kann die Implementierung aller Scrum-Methoden eine zu radikale Prozessänderung darstellen. Sollte Scrum als Endziel angestrebt werden, empfiehlt sich ein evolutionäres Vorgehen von Kanban nach Scrum in Schritten, welche dem Reifegrad des Teams angemessen sind.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

331

E rster Schritt – Einführung von Retrospektiven Wie im Kapitel 10.8.3 beschrieben, stellen diese Meetings einen Methodenbaustein dar, um Verbesserungen im Arbeitsprozess zu erarbeiten. Es empfiehlt sich, zunächst die Retrospektiv-Meetings zu etablieren, obwohl diese agile Methode sowohl in Kanban und Scrum das Ende der Prozesskette darstellt. Ein Team muss durch Coaching vorrangig die Kompetenz zur Durchführung der Retrospektiven erlangen, um fortan selbstständig Maßnahmen zur Arbeitsprozessverbesserung zu erarbeiten. Es wird empfohlen, die Retrospektiven zyklisch durchzuführen. Da in Kanban die iterative Arbeitsweise nicht zwingend vorgegeben ist, können die Retrospektiven im Abstand von zwei bis drei Wochen stattfinden. Die Moderator*innen der ersten Retrospektiven sollten die erforderliche Moderationskompetenz besitzen oder sich aneignen, um die Akzeptanz dieser Meetings seitens des Teams zu gewährleisten. Die Interviews aus dem Fallbeispiel des IT-Unternehmens zeigen, dass die Retrospektiven als ein sehr wichtiger Baustein für das agile Arbeiten von den Mitarbeiter*innen wahrgenommen werden. Im vorliegenden Fall hat der Geschäftsführer anfänglich teilweise selbst die Retrospektiven moderiert. Die Akzeptanz seitens der Mitarbeiter*innen war einerseits zwar gegeben, da der Geschäftsführer sich nicht an der Lösungsfindung beteiligte, andererseits wurde jedoch durch seine Anwesenheit die freie Meinungsäußerung der Teammitglieder teilweise verhindert. In der ersten Retrospektive muss gemeinsam eine Vorgehensweise zur Prozessvisualisierung erarbeitet werden. Dieses Thema eignet sich auch sehr gut, um die methodische Vorgehensweise zur Durchführung von Retrospektiven zu erlernen. Da die Aufgabenstellung keine Ursachenanalyse aus der Vergangenheit erfordert, sind Konfliktsituationen als Folge von Ursachenzuschreibungen eher ausgeschlossen. Gemeinsam ein Kanban-Board zu gestalten, birgt weniger Konfliktpotential als die Analyse von Fehlerquellen. Die erste Retrospektive stellt für alle ein Schlüsselerlebnis im Einführungsprozess agiler Methoden dar. Die Situation ist in etwa vergleichbar mit dem ersten Schultag oder dem ersten Arbeitstag in einem Unternehmen; daran erinnert man sich noch nach Jahren. Werden diese Situationen in der Wahrnehmung der Mitarbeiter*innen mit negativen Emotionen verbunden, kann die Akzeptanz für Retrospektiven nachhaltig beeinträchtigt werden. Situationen, in welchen Teammitglieder erstmalig selbst über Maßnahmen zur Gestaltung ihres Arbeitsprozesses entscheiden, führen zu einer langanhaltenden positiven Wahrnehmung, wie die Befragung der Mitarbeiter*innen belegt. Die erste Retrospektive sollte von einem externen und kompetenten Moderator geleitet werden, der die erforderliche Neutralität zum fachlichen Kontext einbringt. Werden Retrospektiven im weiteren Verlauf ohne externe Unterstützung durchgeführt, wird das moderierende ­ Team-Mitglied doppelter Belastung ausgesetzt. Zu moderieren und als Team-Mitglied Neutralität bewahren zu müssen, ist sehr herausfordernd. Diese Spannungen konnten im Fallbeispiel durch den Einsatz eines moderationskompetenten Mitglieds eines anderen Teams aufgelöst werden.

332

10 Motivieren

 weiter Schritt – Einführung der Prozessvisualisierung Z Mir den Kenntnissen aus der ersten Retrospektive wird der aktuelle Arbeitsprozess visualisiert. Die Gestaltung des Kanban-Boards wird idealerweise vom Team selbst vorgenommen. Eine weiterführende Beschreibung zum Thema Prozessvisualisierung ist dem Kapitel 10.8.2 zu entnehmen. Im Fallbeispiel strebte man an, möglichst schon mit der ersten Version des Boards alle auftretenden Eventualitäten abzudecken und das perfekte Board zu gestalten. Dieses Ziel wurde trotz intensiver Teamarbeit mit der ersten Version nicht erreicht. Zielführender wäre gewesen, mit wenigen Arbeitsschritt-Spalten zu beginnen und keine Perfektion anzustreben. Demzufolge mussten die Boards innerhalb der ersten zwölf Monate mehrfach umgestaltet und angepasst werden, bis sich eine praxistaugliche Version herausgebildet hatte.

Abb. 10.37   Praxistaugliche Gestaltung eines Scrum-Boards

Die Arbeit mit dem Board zeigt, an welchen Stellen eine Nachjustierung im Layout notwendig ist. Die Gestaltung des Boards folgt immer der Leitfrage, ob und wie deutlich eventuelle Engpässe und Blockaden einzelner Arbeitsschritte erkennbar sind. Blockaden können in jedem Arbeitsschritt vorkommen. Durch Anbringen farbiger Klebepunkte oder durch Drehen des Tickets um 90° werden die Blockadepunkte sichtbar gemacht.

10.8  Agile Führung – Selbstorganisierte …

333

Engpässe erkennt man an der Häufung von Aufgaben in einer Spalte. Mithilfe dieser einfachen Maßnahmen wird sofort deutlich, über welche Teilaufgaben im Daily Standup Meeting gesprochen werden muss. Zu Beginn sollte man auf virtualisierte Boards (durch Softwarelösungen) verzichten, da das physische Bewegen von einzelnen Tasks in die nächste Arbeitsschritt-Spalte mehr Motivation und die Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit auslöst als ein Klick mit der Maus in einem virtuellen Board. Der Einsatz von Polyurethan-Hartschaumplatten (z. B. KAPA-FIX) hat sich in der Praxis als sehr sinnvoll erwiesen. Die Platten sind leicht schneidbar und bieten zahlreiche Befestigungsmöglichkeiten. Die Spalten können mit farbigem Geschenkband (fünf Millimeter breit) und Pinn-Nadeln visualisiert und Boards problemlos umgestaltet werden. Alle Teammitglieder sollten ihre Verbesserungsvorschläge sammeln und in einer Retrospektive daraus gemeinsam Maßnahmen zur Umgestaltung entwickeln.  ritter Schritt – Einführung von Daily Standup Meetings D Die Einführung von Daily Standup Meetings als letzter Schritt von Kanban scheint widersprüchlich, da diese Meetings sowohl bei Kanban als auch bei Scrum im Prozessschaubild im Regelfall an erster Stelle stehen. Im Fallbeispiel des IT-Unternehmens wurden - losgelöst von der Einführung agiler Methoden in einer Entwicklungsabteilung - morgendliche Besprechungen abgehalten, in welchen die Software-Entwickler vor dem Geschäftsführer darüber sprachen, an was sie mit welchem Erfolg am Vortag gearbeitet hatten und welches persönliche Ziel man sich für den neuen Arbeitstag gesetzt hat. Ein Board zur Visualisierung war nicht vorhanden. Unter diesen Rahmenbedingungen war das Meeting geprägt von Rechtfertigungen über die Einzelleistungen und löste häufig demotivierende Gefühle aus. Durch die Einführung der Maßnahme des Visualisierens am Board konnte die Produktivität um 15% gesteigert werden. Sich vor den Kolleg*innen und dem Geschäftsführer ständig rechtfertigen zu müssen, dass man seine Arbeiten noch nicht fertiggestellt hat, ist für alle Beteiligten unangenehm. Daily Standup Meetings hingegen ermöglichen stressfreien Austausch über die Arbeitsschritte, die anstehenden Aufgaben sowie die zu beseitigenden Blockaden und Engpässe. Der Fokus ist hier weniger auf eine Person gerichtet, sondern auf die zu erledigenden Aufgaben. Damit stehen die Sachebene und die Problemlösung im Vordergrund und nicht ein Rechtfertigungszwang für die Mitarbeiter*innen. Das Meeting dauert maximal 15 Minuten und wird im Stehen vor dem Board abgehalten. Die Moderation dieses Meetings erfordert weniger Moderationskompetenz im Vergleich zu den Retrospektiven. Oftmals wird sofort lebhaft über Lösungswege oder fachliche Inhalte diskutiert. Hauptsächlich ist die Einhaltung des Zeitfensters zu beachten. Da in diesen Gesprächen nur die jeweils direkt Betroffenen gefragt sind, wird der für die Gesamtgruppe unproduktive Informationsaustauch durch den Moderator unterbunden und auf bilaterale Arbeitsbesprechungen nach dem Meeting verschoben.

334

10 Motivieren

Die Moderation kann „rollierend“ wechseln, damit jedes Teammitglied einmal erfährt, wie herausfordernd das Einhalten des Zeitfensters sein kann. Dadurch wächst bei jedem einzelnen Akteur das Verständnis für die Moderatorenrolle. Als optimaler Zeitpunkt für das Meeting hat sich im Fallbeispiel nach drei Jahren und vielen Versuchen der Beginn um 09:30 Uhr herausgestellt. Da zu diesem Zeitpunkt alle Teams ihre Meetings abhalten, wird niemand durch Termine mit Mitarbeiter*innen anderer Teams behindert oder abgelenkt.  as noch zu sagen ist … W Ist das Arbeiten mit Kanban gefestigt, kann das Team eigenständig auch agile Methoden aus Scrum einbeziehen wie z. B. Sprint Planning und Sprint Review. Die Vielfalt an Methodenbausteinen für Retrospektiven ist groß, und unter diesem Begriff finden sich viele wertvolle Literaturhinweise.118 Wichtig ist, dass der regelmäßige Zyklus der Retrospektiven nicht unterbrochen wird. Je nach Reifegrad des Teams werden anfänglich vielleicht Prioritäten in ihren Auswirkungen nicht erkannt. Nicht selten tendieren Teams dazu, unangenehme Problemsituationen auszublenden oder zu ignorieren. Dann ist die Teamleitung gefordert, durch Coaching das Team zu stabilisieren. Weitere Herausforderungen beim Arbeiten mit agilen Methoden können an der Gestaltung der Schnittstellen zu anderen Teams oder zu Abteilungen und Stakeholdern entstehen, die mit agilen Methoden nicht vertraut sind. Hier hilft nur, umfassende Information anzubieten, damit von allen die gleichen Werte und Sichtweisen verständnis- und vertrauensvoll geteilt werden können.

118https://www.retromat.org

11

Kommunizieren

„Wie kann ich wissen, was ich gesagt habe, bevor ich die Reaktion meines Gegenübers kenne.“ [Paul Watzlawick, Kommunikationswissenschaftler, 1921 – 2007] Kommunikation findet immer dann statt, wenn Menschen zusammentreffen und einer das Verhalten des anderen beeinflusst – und zwar auch dann, wenn nicht gesprochen wird. Als Führungskraft sollten Sie in der Lage sein, eindeutig und erfolgreich mit Ihren Mitarbeitern und Kunden zu kommunizieren. Nicht die Anzahl der Wörter ist entscheidend für den Erfolg und die Bedeutung der Kommunikation, sondern die Wirkungsmechanismen der Kommunikation zu kennen, Konflikte zu vermeiden und situationsgerecht und zielführend kommunizieren zu können. Zur Einstimmung in das Thema hören wir in ein Mitarbeiterjahresgespräch hinein. Die Personen und der Gesprächsverlauf sind zwar frei erfunden, vielleicht kommt Ihnen dennoch manches vertraut vor. Das Jahresgespräch1 Scheff:

1

„Herr Kobold, wie Sie bereits auf der Informationsveranstaltung vor ca. einem Jahr erfahren haben, sollen die Vorgesetzten neuerdings mit allen Mitarbeitern regelmäßig Mitarbeitergespräche führen. Wir haben 90 Minuten Zeit, mindestens! Dieses dient u. a. der Förderung der Kommunikation. Sie bekommen mehr Klarheit bezüglich Ihrer persönlichen Perspektiven, da wir eine Zielvereinbarung abschließen. Dies alles wird zu einer verbesserten Zusammenarbeit untereinander führen. [Scheff: denkt sich: In etwa drei Wochen werde ich dann mit allen Gesprächen durch sein.] . . . Äh . . . wie isset??“

Ischinger, Karl: „Eine Glosse des Personalrates der Universität Bonn“, August 1998.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_11

335

336

11

Kommunizieren

Fritz-Willi: „Joot!“ Scheff:

„Ja, also ich habe hier ein Formular, das wir dann mal abarbeiten! Punkt 1: Wie beurteilen Sie Ihr Arbeitsumfeld?“

Fritz-Willi: „Joot!“ Scheff:

„Und wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit Ihren Kolleginnen und Kollegen?“

Fritz-Willi: „Joot!“ Scheff:

„Sie wissen ja auch, dass Sie sogar mich kritisieren dürfen. Dies wird auch keine Nachteile für Sie haben. Geben Sie doch einmal eine Rückmeldung. Was halten Sie von meinem Führungsstil?“

Fritz-Willi: „Joot!“ [Und denkt sich: „Für wie blöd hält dä misch eijentlich, dä kann misch ens am...“] Scheff:

„Ganz hervorragend! Eine andere Antwort hätte ich von Ihnen auch nicht erwartet. Das haben mir Ihre Kolleginnen und Kollegen auch gesagt.“

Fritz-Willi: [Denkt sich: „Han isch mir doch jedaacht!“] Scheff:

„Kommen wir nun mal zur Zielvereinbarung. Diese dient auch zur Personalentwicklung. Wie ist denn Ihre berufliche Perspektive?“

Fritz-Willi: „En zehn Johr jonn isch en Rente!“ Scheff:

„Ja gut, aber das können wir schlecht als Zielvereinbarung festhalten.“

Fritz-Willi: „Wie wör et dann met en Höherjruppierung?“ Scheff:

„Mmh, ja, das ist wohl nicht mehr möglich. Ich weiß ja, dass Sie ganz hervorragende Arbeit leisten. Sie haben sich über die ganzen Jahre hinweg konsequent weitergebildet, zeitweise auch auf eigene Kosten und in Ihrem Urlaub. Sie wissen ja: Das Problem mit den Zielgruppen bei den Fortbildungsveranstaltungen... Ein weiteres Problem ist... äh, Sie sind nun halt kein Ingenieur... Was die Praxis angeht, stecken Sie jeden Berufsanfänger, der von der Fachhochschule kommt, dreimal in die Tasche, aber... Diplom ist Diplom... so ist das nun mal! Also kommen wir zurück zur Zielvereinbarung!“

Fritz-Willi: „Nur noch nüng!“ Scheff:

„Was heißt das... nur noch neun?“

Fritz-Willi: „Nur noch nüng Mitarbeitergespräche... dann bin isch en Rente!“ Sie werden bemerkt haben, dieser Dialog ist nicht nur lustig, sondern leider auch recht wirklichkeitsnah. Manager führen durch das Wort, stellen Fragen, geben Anweisungen, verhandeln, kritisieren, loben und, wenn sie richtig gut sind, hören sie sogar auch zu. Die Gesprächsführung mit Mitarbeitern und Kunden gehört zu den unverzichtbaren Schlüsselkompetenzen des Managers, aber nur wenige haben die Fähigkeit der Gesprächsführung erlernt oder gar trai-

11.1

Übung: Kommunizieren leicht gemacht

337

niert. Sie werden im Folgenden die Fähigkeit erwerben, Gespräche erfolgreich führen zu können, und an Fallbeispielen aus der Berufspraxis lernen, worauf es ankommt. Sämtliche Fallbeispiele und Fallstudien haben sich im wirklichen Leben so zugetragen wie hier dargestellt. Falls Ihnen etwas merkwürdig vorkommen sollte, vergessen Sie nicht: Die besten Geschichten schreibt das Leben!

11.1 Übung: Kommunizieren leicht gemacht 1. Kopieren Sie die folgende Vorlage und suchen Sie sich einige Mitspieler. 2. Kreuzen Sie an, welche der Aussprüche von Ihnen oder anderen in welchem Umfang verwendet oder nicht verwendet werden. 3. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse. Wie oft haben Sie bei „ werden verwendet von mir und von anderen“ die Rubrik „häufig“ angekreuzt? Es sind insgesamt 37 Aussagen. Korrelieren Sie Ihre Auswahl mit dieser Zahl. Welche Erkenntnisse können Sie aus dieser Übung gewinnen? 4. Machen Sie jetzt ein „Kommunikationsspiel“ mit einem Partner oder in der Gruppe. Jeder darf nur die Aussprüche auf der linken Seite der Matrix verwenden und keine zusätzlichen Formulierungen hinzufügen. Jeden Ausspruch „beantworten“ Sie also mit einem beliebigen anderen Ausspruch der Matrix. Gute Unterhaltung! 5. Diskutieren Sie Ihre Erfahrungen und Eindrücke. Was nehmen Sie mit aus diesem Spiel? werden verwendet

AUSSPRÜCHE

selten So geht das nicht, das ist unmöglich! Das sehen Sie so völlig falsch! In Wirklichkeit ist es doch so, dass ... Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass . . . Woanders kann das ja geklappt haben, aber bei uns geht das nicht. Dazu haben wir jetzt keine Zeit. Das haben wir schon immer so gemacht.

von mir eher häufig

gar nicht

von anderen eher selten häufig gar nicht

338

11 werden verwendet

AUSSPRÜCHE

selten Dafür sind wir doch gar nicht zuständig. Kommen wir doch endlich zur Sache! Das ist viel zu teuer! Dafür gibt es Experten. In der Theorie klingt das ja ganz gut, aber in der Praxis . . . Tatsache ist . . . Das gehört nicht hierher! Sie werden zugeben, dass . . . Das geht uns nichts an. Daran gibt es keinen Zweifel. Wenn Sie richtig zugehört hätten, ... Dafür sollten wir einen Ausschuss einsetzen. Hat sich Ihr Vorschlag schon mal irgendwo bewährt? Es ist doch allgemein bekannt, dass ... Das nimmt Ihnen doch keiner ab. Meinen Sie das im Ernst? Das ist gegen die Vorschriften. Es ist unbestritten, dass . . . Wir sollten da erst noch die Entwicklung abwarten. Haben wir doch alles schon mal versucht! Das ist doch längst überholt! Davon haben Sie keine Ahnung! Wenn die Idee etwas taugte, wäre doch schon längst jemand darauf gekommen. Das sind doch Hirngespinste! Das ist doch (juristisch, technisch . . . ) gar nicht machbar!

Kommunizieren

von mir eher häufig

gar nicht

von anderen eher selten häufig gar nicht

11.1

Übung: Kommunizieren leicht gemacht

339 werden verwendet

AUSSPRÜCHE

selten

von mir eher häufig

gar nicht

von anderen eher selten häufig gar nicht

Dazu haben wir keine Leute. Alles graue Theorie. Dazu ist unsere Firma zu groß/zu klein. Das gilt nicht für unser Geschäft. Das wird unser Management nicht wollen.

11.1.1 Gestörter Informationsfluss – eine Geschichte nicht nur zum Schmunzeln Der Direktor sagt zum stellvertretenden Direktor: „Morgen um 9.00 Uhr findet eine Sonnenfinsternis statt. Also etwas, was man nicht alle Tage sehen kann. Lassen Sie die Belegschaft in festlicher Kleidung antreten. Bei der Beobachtung dieses seltenen Ereignisses werde ich selbst die Erläuterungen geben. Wenn es regnet, werden wir das nicht gut sehen können. Die Belegschaft begibt sich dann in die Kantine.“ Der stellvertretende Direktor sagt zum Abteilungsdirektor: „Auf Anweisung des Direktors findet morgen um 9.00 Uhr eine Sonnenfinsternis statt. Wenn es regnet, werden wir das alle im Ausgehanzug auf dem Hof nicht gut sehen können. In diesem Falle führen wir das Verschwinden der Sonne im Speisesaal durch. Also etwas, was man nicht alle Tage sehen kann.“ Der Abteilungsleiter sagt zum Prokuristen: „Auf Anweisung des Direktors wird morgen um 9.00 Uhr im Ausgehanzug das Verschwinden der Sonne im Speisesaal durchgeführt. Der Direktor gibt Anweisung, ob es regnen soll. Also etwas, was man nicht alle Tage sehen kann.“ Der Prokurist sagt zum Handlungsbevollmächtigten: „Wenn es morgen im Speisesaal regnet, also etwas, was man nicht alle Tage sieht, verschwindet um 9.00 Uhr unser Direktor im Ausgehanzug.“ Der Handlungsbevollmächtigte sagt zum Tarifangestellten: „ Morgen um 9.00 Uhr soll unser Direktor verschwinden. Schade, dass man das nicht alle Tage zu sehen bekommt.“

340

11

Kommunizieren

Diese unterhaltsame Geschichte zeigt ein Grundproblem der Kommunikation auf: Gehört ist nicht verstanden, und je mehr Menschen eine Information weitergeben, desto größer ist die Gefahr von Missverständnissen oder Fehlinterpretationen.

11.1.2 Der Stille-Post-Effekt Kennen Sie das Spiel „Stille Post“? Zur Erinnerung: Mehrere Mitspieler sitzen in einer Reihe nebeneinander, der Erste flüstert seinem Nachbarn ganz rasch etwas ins Ohr, was dieser an den Nächsten und dieser wiederum an seinen Nächsten usw. ebenso flüsternd weitersagen muss. Der Letzte sagt ganz laut den Begriff oder den Satz, den er verstanden hat. Dieses Spiel lebt davon, dass die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs durch undeutliche Artikulation, Hör- und Verständnisfehler unwillkürlich mehr und mehr verfremdet und entstellt wird, sodass am Ende etwas ganz anderes herauskommt, als zu Beginn gesagt wurde. Im Berufsleben erleben wir ähnliche Effekte. Eine Information geht durch viele Ohren, Hirne und Münder und wird dadurch verfremdet. Wir sind also gut beraten, Informationen mit Vorsicht zu behandeln und deren Gehalt sorgfältig zu prüfen. Daraus ergibt sich ein Grundgesetz für effektive Kommunikation:

In der Kommunikation gibt es keine Wahrheiten, sondern nur Übereinkünfte.

11.1.3 Übung: Subjektive Wahrnehmung beim Zuhören Bevor Sie weiterlesen und sich die Übung anschauen, suchen Sie sich bitte eine Person, die Ihnen die folgende kurze Geschichte vorliest. Möchten Sie die Übung allein machen, lesen Sie die Geschichte einmal durch und gehen Sie dann wie beschrieben vor. Nach dem Hören oder Lesen legen Sie den Text beiseite und beantworten den nachstehenden Fragebogen. Falls Ihnen die Sachlage unklar erscheint, kreuzen Sie das Fragezeichen an. Anschließend überprüfen Sie Ihr Ergebnis anhand der Lösungsseite. Die Geschichte: Ein Vorgesetzter spricht mit einem Mitarbeiter über die Einhaltung der Arbeitszeit. Der Mitarbeiter ist der Überzeugung, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Wenn er, was selten vorkomme, morgens nach 7.30 Uhr komme, bleibe er nachmittags über 16.30 Uhr hinaus da. Der Vorgesetzte schlägt ihm vor, in Zukunft die Ankunftszeiten aufzuschreiben. Der Mitarbeiter stimmt zu, wenn die Kollegen ebenfalls solche Aufzeichnungen machen.

11.1

Übung: Kommunizieren leicht gemacht

341

Fragen zur Übung „Subjektive Wahrnehmung beim Zuhören“ Fragen zur Zuhör-Übung Der Vorgesetzte ruft einen Mitarbeiter zu sich, um mit ihm über die Einhaltung der Arbeitszeit zu sprechen. Der Vorgesetzte ist über die Unpünktlichkeit seines Mitarbeiters verärgert. Der Vorgesetzte überwacht eine Zeit lang die Ankunftszeiten des Mitarbeiters. Der Vorgesetzte macht dem Mitarbeiter Vorhaltungen wegen der Nichteinhaltung der täglichen Arbeitszeit. Der Mitarbeiter kommt in der letzten Zeit häufiger zu spät. In der Firma ist Gleitzeit eingeführt; es kommt nicht auf Anfang und Ende, sondern auf die Dauer der täglichen Anwesenheit an. Der Mitarbeiter beweist, dass er nie weniger als vorgeschrieben anwesend war. Der Mitarbeiter stimmt dem Vorschlag zu, wenn er auch für die Kollegen gilt. Der Vorschlag sieht vor, die tägliche Anwesenheitszeit aufzuschreiben. Der Mitarbeiter behauptet, er bleibe nachmittags länger da, wenn er morgens später komme. Die Kollegen kommen ebenfalls häufiger zu spät (bzw. gehen früher). Der Vorgesetzte veranlasst, dass die Kollegen ebenfalls Aufzeichnungen machen. Vorgesetzter und Mitarbeiter haben sich gütlich geeinigt.

richtig

?

falsch

Die Lösungen: 1.

?

2. 3. 4. 5.

? ? ? ?

6. 7. 8. 9.

? ? R F

Es wird im Text nichts darüber gesagt, dass der Vorgesetzte den Mitarbeiter zu sich ruft; vielleicht sucht der Vorgesetzte den Mitarbeiter auf? Vielleicht ist der Vorgesetzte beunruhigt oder besorgt. Das wäre eine Vermutung, im Text ist das nicht belegt. Darüber enthält der Text keine Information. Das ist eine Vermutung; vielleicht ist der Vorgesetzte aber auch sehr genau und führt nach zweimaligem Zuspätkommen schon ein Gespräch? Darüber sagt der Text nichts aus. Der Mitarbeiter behauptet das. Steht fast wörtlich im Text. Die Ankunftszeiten sollen aufgeschrieben werden.

342 10. 11. 12. 13.

11 R ? ? ?

Kommunizieren

siehe Text Das ist eine Vermutung. Möglicherweise wird er das tun. Über eine Einigung ist nichts ausgesagt.

Vielleicht hatten Sie bei mancher Frage eine andere Lösung erwartet und waren überrascht, was der Text tatsächlich aussagt. Sie haben einen Text gehört, dessen schriftliche Form eindeutige und überprüfbare Aussagen enthält. Erkenntnis: Gehört ist nicht verstanden. Diese Missverständnisse – begründet in subjektiver Wahrnehmung, die manchmal wie ein Filter wirkt, der nur durchlässt, was wir hören wollen, oder die Informationen so einfärbt, dass sie uns passend erscheinen – belasten unser Zusammenleben. Was ist zu tun, um mehr Eindeutigkeit zu erlangen? Betrachten wir zunächst die Wirkungsmechanismen in der Kommunikation.

11.2 Kommunikation aus psychologischer Sicht2 Unabhängig, worüber geredet, diskutiert und verhandelt wird, gibt es gesicherte psychologische Erkenntnisse, die für das Grundverständnis der zwischenmenschlichen Kommunikation von entscheidender Bedeutung sind. Kommunikation ist immer Austauschen und Verarbeiten von Reizen. In jeder Kommunikation gibt es einen Sender und einen Empfänger. Der Sender schickt einen Reiz aus, zum Beispiel eine Frage, und der Empfänger zeigt daraufhin eine Reaktion: Zum Beispiel antwortet er zustimmend, ablehnend oder gar nicht. Reiz Sender

Empfänger Reaktion

Abb. 11.1 Kommunikationsmodell I

In der Regel folgt auf einen positiven Reiz auch eine positive Reaktion, wogegen der Empfänger auf einen negativen Reiz wahrscheinlich negativ reagiert (vgl. Abb. 11.1). Im Verlaufe eines Gesprächs nehmen die Gesprächsteilnehmer abwechselnd die Senderund Empfängerrolle ein. Es entsteht ein Regelkreissystem. 2

Literaturempfehlung: Schulz, F./Ruppel, J./Stratmann, R.: „Miteinander reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte“, Hamburg, 2000.

11.2

Kommunikation aus psychologischer Sicht

343

Reiz (Aktion) Sender

Empfänger

interner Verarbeitungsprozess

interner Verarbeitungsprozess

Empfänger

Sender Antwort (Reaktion)

Abb. 11.2 Kommunikationsmodell II

Dem Regelkreismodell entsprechend (vgl. Abb. 11.2) beeinflussen sich die Gesprächspartner gegenseitig durch ihr Verhalten. Daraus folgt: Das Kommunikationssystem ist beeinflussbar, steuerbar, änderbar und die hierzu benötigten Steuerungselemente sind die Verhaltensweisen der einzelnen Gesprächsteilnehmer. Was der Sender eines Reizes ausdrücken will, muss beim Empfänger nicht zum gewünschten Eindruck führen. Jeder Mensch empfindet anders, seinen Gefühlen und Wertvorstellungen entsprechend. Zwischen dem Reiz, der beim Empfänger ankommt, und dessen Reaktion darauf findet eine Verarbeitung des Reizes statt. Welche Faktoren die Verarbeitung beeinflussen zeigt Abb. 11.3.

Sender

Wissen Erfahrungen Vorgaben Richtlinien usw. Normen SWG* Wertvorstellungen Stimmungen Gefühle Gefühle Stimmungen Normen SWG* Wertvorstellungen usw. Vorgaben Richtlinien Erfahrungen Wissen * SWG = Selbstwertgefühl

Abb. 11.3 Kommunikationsmodell III

Empfänger

344

11

Kommunizieren

Von einem Sender ausgehende Kommunikationsreize werden beim Empfänger in einem internen, für andere nicht erkennbaren Prozess verarbeitet. Die Reaktion des Empfängers stellt nur das äußerlich sichtbare Ergebnis des internen Verarbeitungsvorgangs dar. Und da jeder Mensch Reize individuell verarbeitet, kann ein und derselbe Reiz bei verschiedenen Empfängern zu verschiedenen Eindrücken führen. Die Eindeutigkeit des Reizes hilft, unterschiedliche Deutungen zu verhindern. Wer sich unklar ausdrückt, fordert seinen Gesprächsteilnehmer geradezu auf, seine Aussagen zu interpretieren. Der Gesprächspartner handelt dabei in bester Absicht, er will ja verstehen und teilhaben. Alles was die Teilnehmer in einem Gespräch tun oder unterlassen, ist, kommunikationspsychologisch gesehen, für den anderen von Bedeutung. Jeder Gesprächsteilnehmer ordnet das Verhalten des anderen ständig ein und interpretiert es. Diese Faktoren beeinflussen die Kommunikation: • Emotionen

• zufällige Umstände

• Störungen (Ablenkungen etc.)

• Aufmerksamkeit

• Inhalte

• Interesse

• Erwartungen

• Medien

11.2.1 Fallbeispiel „Kein Papier mehr“ Situation: Zwei Arbeitskollegen, eine Frau und ein Mann, teilen sich mit drei weiteren Kollegen ein Büro und einen Drucker. Der männliche Kollege begibt sich in den Druckerraum, um ein ausgedrucktes Dokument von dort zu holen, und stellt fest, dass der Druckauftrag nicht ausgeführt worden ist. Durch die geöffnete Tür hört die Kollegin ihn sagen: „Kein Papier mehr.“ Bitte überlegen Sie, wie die Kollegin seine Äußerung verstehen und dementsprechend reagieren könnte. LESEN SIE JETZT NICHT WEITER! Nehmen Sie sich Zeit und schreiben Sie Ihre Gedanken zu diesem Szenario hier auf:

11.2

Kommunikation aus psychologischer Sicht

11.2.2

345

Der vierfache Gehalt einer Äußerung: das Kommunikationsquadrat3

Kommunikation ist eine vierdimensionale Angelegenheit. Grundvoraussetzung ist, dass ein Sender etwas mitteilen möchte, die Nachricht unbewusst in erkennbare Zeichen verschlüsselt und der Empfänger die Nachricht entschlüsseln muss. Sache

Sender „vier Münder“

Beziehung

Appell

Selbst Nachricht

Selbst

Appell

Beziehung

Sache

Empfänger „vier Ohren“

Abb. 11.4 Interpretationsmöglichkeiten einer Nachricht

Friedemann Schulz von Thun hat 1981 einer Nachricht (Äußerung) vier Interpretationsmöglichkeiten und den Kommunikationspartnern (Sender und Empfänger) vier Münder und vier Ohren zugeordnet. Jede Äußerung (Nachricht) enthält demnach vier Botschaften gleichzeitig: a) eine Sachinformation (worüber ich informiere) b) eine Selbstkundgabe (was ich von mir zu erkennen gebe) c) einen Beziehungshinweis (was ich von einer Person halte und wie ich zu ihr stehe) d) einen Appell (was ich bei jemandem erreichen möchte). Der Sachinhalt wird meist direkt ausgesprochen. Im beruflichen Kontext sollte er die Hauptrolle spielen, unabhängig davon, ob die Menschen, die miteinander zu arbeiten haben, einander mögen oder nicht. Auf der Sachebene gilt zum einen das Wahrheitskriterium (wahr/unwahr oder zutreffend/nicht zutreffend) und zum anderen das Kriterium der Relevanz: Sind die angeführten Informationen für das anstehende Thema von Belang oder nicht? Zum Dritten gilt das Kriterium der Hinlänglichkeit: Sind die angeführten Sachhinweise für das Thema ausreichend, oder muss vieles andere auch bedacht sein? Die Beziehungsseite. Ob ich will oder nicht: Wenn ich jemanden anspreche, gebe ich (durch Formulierung, Tonfall, Begleitmimik) auch zu erkennen, wie ich zum anderen stehe und was ich von ihm halte. In jeder Äußerung steckt somit auch ein Beziehungshinweis, für den der Empfänger oft ein besonders sensibles, (über-) empfindliches Ohr besitzt. Beziehungssignale werden meist implizit, zwischen den Zeilen, gesendet. Das Nicht-Sprachliche, 3

Vgl. Schulz, F./Ruppel, J./Stratmann, R.: „Miteinander reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte“, Hamburg, 2000, S. 33 – 41.

346

11

Kommunizieren

der Tonfall und die Mimik, spielen hier eine viel größere Rolle. Als Führungskraft sind Sie immer auch in die Beziehungsebene verstrickt. Einer der Kardinalfehler in der Kommunikation ist, dass eine Beziehungsstörung auf der Sachebene ausgetragen wird. Störungen auf der Beziehungsseite müssen vorrangig geklärt werden, bevor man wieder zur Sacharbeit zurückkehrt. Die Selbstkundgabe-Seite. Immer wenn ich etwas von mir gebe, gebe ich auch etwas von mir (kund, preis)! Jede Äußerung enthält auch eine Selbstkundgabe, einen Hinweis darauf, was in mir vorgeht, wie mir ums Herz ist, wofür ich stehe und wie ich meine Rolle auffasse. Die Appell-Seite. Wenn ich das Wort ergreife und an jemanden richte, will ich Einfluss nehmen; ich will den anderen nicht nur erreichen, sondern auch etwas bei ihm erreichen. Die Macht des Wortes ist für Führungskräfte von besonderer Bedeutung, denn der Führungsauftrag enthält die Herausforderung, Menschen zu leiten, zu bewegen, zu motivieren. Botschaften können auf vier verschiedene Weisen übermittelt werden: • explizit (ausdrücklich formuliert) • implizit (indirekt, zwischen den Zeilen stehend) • nonverbal (Tonfall, Mimik, Gestik) • inkongruent (widersprüchlich) Ursachen für Schwierigkeiten können sprachliche Verständigungsprobleme oder kulturelle Unterschiede sein. Denkbare Störquellen sind: • das Bild des Empfängers von sich selbst (Selbstbild = Ich bin der Größte!) • das Bild des Empfängers vom Sender (Fremdbild = Der ist aber arrogant!) • die „Selbsterfüllende Prophezeiung“

11.2.3 Der 4-mundige Sprecher und der 4-ohrige Hörer4 Wie bereits ausgeführt, gibt es in jeder Kommunikation einen Sender und einen Empfänger. Der Empfänger hört die Nachricht und bewertet sie. Die vier Seiten einer Nachricht wirken auf ihn ein. Die Aktivierung der vier Ohren (vier Seiten einer Nachricht) wird entscheidend beeinflusst von der psychischen Gestimmtheit der Kommunikationspartner. Sind beide entspannt und gelassen und die Grundstimmung positiv, werden die Botschaften eher mit dem „Sach-Ohr“ gehört, weil das Konfliktpotential gering ist. Ist die Grundstimmung hingegen eher gereizt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sehr rasch

4

Vgl., Schulz, F./Ruppel, J./Stratmann, R.: „Miteinander reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte“, Hamburg 2000, S. 66 f.

11.2

Kommunikation aus psychologischer Sicht

347

das „Beziehungsohr“ aktiviert wird. Lassen Sie die folgenden Annahmen anhand des Beispielsatzes „Kein Papier mehr“ auf sich wirken. Analyse zum Fallbeispiel „Kein Papier mehr“ Sprecher (Sender = Mann) teilt mit: mit dem Selbstkundgabemund: • was er für einer ist, was mit ihm los ist • in welcher seelischen Verfassung er sich befindet mit dem Sachmund: • sachliche Informationen • Angaben, wie der Sachverhalt zu verstehen ist

Er meint:

„So ein Mist! Immer wenn ich mal etwas ausdrucke, ist gerade kein Papier mehr drin.“

„Ach so, der Papierschacht ist leer.

mit dem Beziehungsmund: • wie er zu den anderen steht, ob er akzeptiert, wertschätzt, liebt, missachtet, abwertet, ob er sich über- oder unterlegen fühlt

„Sie könnte jetzt eigentlich auch mal Papier nachfüllen; warum eigentlich immer ich?“

mit dem Appellmund: • was der andere tun, denken, fühlen soll; was er vom anderen erwartet

„Kollegin, hilf mir doch mal!“

Hörer (Empfänger = Frau) nimmt wahr: mit dem Selbstkundgabeohr: • Was ist das für einer? • Was ist mit ihm los? • In welcher seelischen Verfassung befindet er sich im Moment? mit dem Sachohr: • Was steckt an sachlicher Information darin? • Wie ist der Sachverhalt zu verstehen? mit dem Beziehungsohr: • Wie redet der eigentlich mit mir? • Wen glaubt er, vor sich zu haben? • Wie steht er zu mir? • Fühlt er sich mir gleichrangig oder mir über- oder unterlegen? mit dem Appellohr: • Was soll ich tun, denken, fühlen aufgrund seiner Mitteilung? • Was erwartet er von mir?

Sie versteht:

„Der scheint ja mal wieder richtig gute Laune zu haben.“

„Papier fehlt.“

„Der kann ruhig mal Papier nachlegen, da fällt ihm bestimmt kein Zacken aus der Krone!“

„Er möchte, dass ich ihm jetzt helfe.“

11.2.4 Übung: Der Termin Der Abgabetermin einer anspruchsvollen Projektarbeit rückt näher. In sieben Tagen muss die Arbeit fertig sein. Der Chef sagt zum Leiter der Projektgruppe: „Den Termin halten wir.“ Bitte versuchen Sie in den Rubriken „gemeint“ und „verstanden“, dem zuvor gezeigten Modell entsprechend Ihre Wahrnehmungen einzutragen.

348

11

Sprecher (Sender) teilt mit: gemeint

Hörer (Empfänger) nimmt wahr:

mit dem Selbstkundgabemund: • was er für einer ist, was mit ihm los ist • in welcher seelischen Verfassung er sich befindet

mit dem Selbstkundgabeohr: • Was ist das für einer? • Was ist mit ihm los? • In welcher seelischen Verfassung befindet er sich im Moment? mit dem Sachohr: • Was steckt an sachlicher Information darin? • Wie ist der Sachverhalt zu verstehen? mit dem Beziehungsohr: • Wie redet der eigentlich mit mir? • Wen glaubt er, vor sich zu haben? • Wie steht er zu mir? • Fühlt er sich mir gleichrangig oder mir überoder unterlegen? mit dem Appellohr: • Was soll ich tun, denken, fühlen aufgrund seiner Mittelung? • Was erwartet er von mir?

mit dem Sachmund: • sachliche Informationen • Angaben, wie der Sachverhalt zu verstehen ist mit dem Beziehungsmund: • wie er zu den anderen steht, ob er akzeptiert, wertschätzt, liebt, missachtet, abwertet, ob er sich über- oder unterlegen fühlt

mit dem Appellmund: • was der andere tun, denken, fühlen soll, was er vom anderen erwartet

Kommunizieren verstanden

11.3 Fragen Erfolg oder Misserfolg aller Vorhaben hängen davon ab, ob und wie es uns gelingt, mit unserem Gegenüber den Prozess der Verständigung, die Kommunikation zu gestalten. Das größte Problem sind sogenannte Missverständnisse. Man hat etwas anderes gesagt, gemeint oder gewollt, der andere hat uns angeblich nicht richtig verstanden. Die Mutter aller Missverständnisse ist das Zuhören. Die meisten Menschen sind ausgesprochen schlechte Zuhörer. Am liebsten hören sie sich selbst reden. Gespräche so zu führen, dass jeder Partner mit dem Gefühl der Zufriedenheit daraus hervorgeht, in Konfliktsituationen angemessen kommunizieren zu können und Beratungsgespräche für den anderen zu einem positiven Erlebnis werden zu lassen – das sind unsere nächsten Ziele.

11.3

Fragen

349

11.3.1 Fallstudie: Der Autokauf Lassen Sie uns in ein Beratungsgespräch hineinhören, das sich in dieser Art häufig ereignet. Wir erleben einen Automobilverkäufer im Beratungsgespräch. Er hat von seiner Geschäftsleitung den Auftrag erhalten, den kürzlich in Zahlung genommenen Gebrauchtwagen schnellstens wieder zu verkaufen. Es handelt sich in diesem Fall um einen sieben Jahre alten VW-Golf TDI mit 107.000 km Laufleistung, optisch und technisch in akzeptablem Zustand. Ein Kunde betritt den Gebrauchtwagenplatz, schlendert durch die Fahrzeugreihen und betrachtet interessiert die Schilder mit den verkaufstechnischen Daten. Der Verkäufer nähert sich dem Kunden. Szenario 1 V(erkäufer): Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen? K(unde):

Ich schau’ mich mal um. (Der Kunde steht zu diesem Zeitpunkt vor einem Mercedes 200 D älteren Baujahrs, Preis 4.000 Euro.)

V:

Sie suchen nach einem Diesel! Da hab ich was ganz Interessantes für Sie. Kommen sie doch mal mit. Hier: ein VW-Golf TDI, sieben Jahre alt, 107.000 km gelaufen, toll in Schuss. Fährt sich wie eine Eins. Damit werden Sie viel Freude haben. Und das Beste ist der Preis: nur 3.200 Euro, und Sie fahren noch heute damit vom Hof.

K:

Hm, ja – ein Golf, ein VW

V:

Genau. Ein super Auto. Unverwüstlich. Eine echte Spardose!

K:

Hm, ja – ich schau mich dann noch mal weiter um (Kunde verlässt den Platz).

Szenario 2 V(erkäufer): Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen? K(unde):

Ich schau mich mal um. (Der Kunde steht zu diesem Zeitpunkt vor einem Mercedes 200 D älteren Baujahrs, Preis 4.000 Euro.)

V:

Sie interessieren sich für ein Fahrzeug mit Dieselmotor?

K:

Ja.

V:

Speziell für so einen? (Der Verkäufer weist auf den Mercedes 200 D, vor dem der Kunde gerade steht.)

K:

Ein Mercedes ist natürlich schon toll, so solide und hat ja auch jede Menge Platz.

350

11

Kommunizieren

V:

Welche Anforderungen muss ihr neues Auto unbedingt erfüllen? Was ist Ihnen wichtig?

K:

Es sollte ein Diesel sein. Ordentlich was drum herum wegen der Sicherheit, falls doch mal etwas passiert. Und ausreichend Platz.

V:

Ausreichend Platz?

K:

Wir haben zwei Kinder im Alter von 8 und 11 Jahren. Am Wochenende fahren wir mit denen gerne auf den Campingplatz, und dann müssen wir auch noch das eine oder andere mitnehmen, was man halt so braucht.

V:

Sie brauchen also einen Diesel, Platz für zwei Erwachsene und zwei Kinder im Alter von 8 und 11 Jahren? Außerdem soll er auch für den Transport verschiedener Gegenstände zum Campingplatz geeignet sein?

K:

Richtig. So einen such ich.

V:

Wie wichtig ist Ihnen dabei die Marke?

K:

So ein alter Mercedes wäre natürlich schon toll, aber . . . muss man mal sehen.

V:

Ich hätte da hinten ein Fahrzeug, das die meisten Ihrer Vorstellungen erfüllt. Es ist ein Diesel, Verbrauch ca. 5,8 Liter auf 100 Kilometer, Fünfsitzer mit fünf Türen.

K:

Fünf Türen?

V:

Ja, er hat noch eine Heckklappe zum Be- und Entladen.

K:

Ein Kombi oder gar ein Lieferwagen? Das ist nicht mein Fall!

V:

Nein, schon eine Limousine mit Heckklappe, was ja auch sehr praktisch ist. Gerade wenn man mal etwas sperrige Gegenstände zu laden hat oder auch den Wocheneinkauf, das müssen Sie oder Ihre Frau dann nicht erst hochwuchten. Der Wagen lässt sich ganz einfach beladen, schont die Wirbelsäule und die Bandscheiben.

K:

Und was ist das für einer?

V:

Kommen Sie doch bitte mal mit. Hier: ein VW-Golf TDI, schwarzmetallic.

K:

Ist natürlich kein Mercedes!

V:

Steht für Sie die Marke im Vordergrund oder das Preis-Leistungs-Verhältnis?

K:

Natürlich Preis und Leistung!

V:

Sehen Sie, der Golf hat für Ihre Zwecke noch einen wichtigen Vorteil. Sie können die hintere Sitzbank umlegen und noch jede Menge zuladen!

K:

Ah, das ist gut. Manchmal brauchen wir gerade so eine Lademöglichkeit. Und Sitzplätze hat er ja auch genug. Kostet?

V:

Fast bedauere ich, Ihnen diesen Wagen gezeigt zu haben. Im Gegensatz zu dem Mercedes, vor dem Sie standen, der kostet 4.000 Euro, können Sie mit

11.3

Fragen

351

diesem hier für 3.200 Euro heute noch zum Campingplatz fahren und sparen 800 Euro! K:

Können Sie den heute noch zulassen?

V:

Sie hätten ihn gern heute noch?

K:

Wenn das ginge?

V:

Gut, dann machen wir jetzt den Vertrag. Und Sie holen ihn gegen vier Uhr ab.

K:

Gut – machen wir.

Analysieren Sie die beiden Szenarien. Worin unterscheiden sie sich? Nehmen Sie sich Zeit, die Unterschiede herauszufinden, bevor Sie weiterlesen. Notieren Sie hier Ihre Wahrnehmungen: Analyse der Szenarien: Szenario 1

Szenario 2

Im Szenario 2 lernen wir, dass es wichtig ist, • die Wünsche des Gesprächspartners genau kennenzulernen • die Vorteile unseres Angebotes für ihn sehr treffsicher einzuschätzen • in der Lage zu sein, diese dem Partner auf einfache und deutliche Art darzulegen, damit er seine Zustimmung geben kann • die Vorteile zu begründen.

352

11

Kommunizieren

Beratungs- oder Verkaufsgespräch Sicher sind auch Sie schon einmal einem Verkäufer begegnet, der einen Vorteil nach dem anderen aufzählte. Sie haben vielleicht etwas zerstreut zugehört, wurden aber bald unkonzentriert und haben das Gespräch vielleicht abgeschlossen mit: „Ich werde darauf zurückkommen. Das muss ich mir noch einmal überlegen.“ Warum reagiert man so? Man will als Kunde angeregt werden, man möchte das Gespräch interessant finden. Ist das nicht der Fall, sinkt das Interesse und damit die Kauflust. Gebärdet sich der Verkäufer stark behauptend (versucht er, uns in eine bestimmte Richtung zu drängen), kann sich unsere Einstellung zum Gespräch in Ablehnung verwandeln. Die Erkenntnis für uns als „Verhandler“ lautet: Lerne die Bedürfnisse, Absichten und Wünsche deines Kommunikationspartners so genau wie möglich kennen und argumentiere aus seiner Sicht, damit ihm die Vorteile unseres Angebotes nahegebracht werden können. Viele Verhandler begehen den Fehler, aus ihrer Sicht zu argumentieren, um möglichst rasch ihr Problem zu lösen. Das schlägt häufig fehl, weil die Interessen des Käufers nicht genügend berücksichtigt wurden. Es ist nicht die Fülle des Faktenwissens und die Kenntnis spezieller Details, die einen Verkäufer erfolgreich machen; es ist die Fähigkeit, herauszuhören und zu erspüren, was den Kunden wirklich interessiert, und ihm auf dieser Basis die Vorteile nahezubringen, die er mit dem Erwerb eines Produktes oder einer Dienstleistung erleben wird.

Das Produkt oder die Dienstleistung anbieten

Aus der Situation des Kunden heraus argumentieren

Die Bedürfnisse des Kunden erfragen

Eine freundliche Atmosphäre herstellen

Abb. 11.5 Die vier Stufen eines guten Beratungs- oder Verkaufsgesprächs

Im Szenario 2 haben wir erlebt, dass der Verkäufer durch seine Fragen das Gespräch geführt hat. Er hat die Bedürfnisse und finanziellen Möglichkeiten des Kunden erforscht und aufgrund dieser Erkenntnisse ihm die Kaufentscheidung nahegelegt. Das Wechselspiel aus Fragen und Zuhören hat letztlich den Erfolg gebracht. Grund genug, uns systematisch mit der Technik des Fragens zu befassen. Das Fragenstellen muss und kann man üben. Es ist nicht einfach, eine richtige (wirksame) Frage zu stellen, den Mund zu halten und so lange abzuwarten, bis eine Antwort kommt. Viele sterben tausend

11.3

Fragen

353

Tode, wenn ihre Frage nicht sofort beantwortet wird, und lassen ihr eine ausführliche Erklärung folgen, die schon einen Teil der Antwort aus der Sicht des Fragenden enthält. Das ist ein schwerwiegender Fehler. Man macht es dadurch dem Befragten sehr einfach, der Wirkung einer gut gestellten Frage auszuweichen.

11.3.2 Fragen über Fragen Fragen und Zuhören gehören zusammen wie Ebbe und Flut. Sie steuern den Prozess der Kommunikation und schaffen die Voraussetzung für den Dialog. Das Gespräch bietet die Möglichkeit zur Rückfrage, Sachklärung und gezielter Vertiefung. Was ein „Sender“ zum Ausdruck bringt, ist nicht nur der inhaltliche Aspekt einer Information, sondern auch seine Einstellung und Beziehung zum „Empfänger“ sowie zu sich selbst. Das Auftreten, die Mimik und Gestik, die Haltung und die Stimme eines Sprechers sagen etwas über dessen innere Verfassung. Nonverbale Botschaften erfüllen in der Kommunikation eine wichtige Funktion: Sie ersetzen oder ergänzen die sprachlichen Aussagen, sie zeigen an, wie verbale Aussagen „eigentlich“ zu verstehen sind, wirken unmittelbar auf den Kommunikationspartner, werden unbewusst wahrgenommen und dienen auch der Selbstdarstellung. Es liegt im Wesen einer „geheimen Tagesordnung“, dass Absichten nicht offen formuliert werden, sondern aus Signalen erspürt, gehört, gefiltert oder gefolgert werden müssen. Signale verbergen sich in der Wortwahl, dem Tonfall, der Lautstärke, der Sprachmelodie und dem Sprachrhythmus; sie werden durch Blickkontakt, Unterbrechungen und Bemerkungen, über Mimik, Gestik und Körperhaltung sowie die räumliche Situation (Sitzordnung, Größe und Ausstattung des Raumes) vermittelt. Welche Kompetenzen braucht man zur erfolgreichen Gesprächsführung? 1. Fragen stellen – Wer fragt, der führt! 2. zuhören – sich für die Belange des anderen interessieren 3. Gesprächsverläufe und Ergebnisse strukturieren 4. eine eigene Meinung entwickeln und klar übermitteln

11.3.3 Fragen stellen (mit System) Eine mittlerweile eingestellte, aber seinerzeit sehr populäre deutsche Fernsehsendung mit dem Titel „Was bin ich?“ funktionierte folgendermaßen: Ein Mensch mit einem möglichst ausgefallenen Beruf wurde gebeten, eine für seine Tätigkeit typische Handbewegung vorzuführen, ohne jedoch allzu deutliche Hinweise zu geben. Ein Rateteam hatte daraufhin mit geschickten Fragestellungen innerhalb einer festgelegten Zeitspanne den Beruf des Kandidaten herauszufinden.

354

11

Kommunizieren

Der Kandidat durfte ausschließlich mit „Ja“ oder „ Nein“ antworten und, falls durch die Fragestellung die Lage unklar wurde, mit „Jein“. Jedes „Nein“ wurde mit einem Geldbetrag zu seinen Gunsten belohnt. Die Sendung war unter anderem deshalb so beliebt, weil jeder Zuschauer mitraten konnte. Die nur mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantwortenden Fragen bezeichnet man als geschlossene Fragen. Sie schließen die Kommunikation mit der Antwort „Ja“ oder „Nein“ ab. Beispiel: „Sind Sie mit der Herstellung einer Ware beschäftigt?“ Antwort. „Nein.“ Im Gegensatz dazu stehen die offenen Fragen, die mit „w“ beginnen wie z. B.: wann, wer, was, warum, wo – usw. Sie erfordern Nachdenken und eine ausführliche Antwort. Beispiel: „Wie denken Sie über das Angebot der Firma Mustermann?“ Antwort: „Da ist mir noch nicht ganz klar, was es mit dem . . . “. Obwohl die folgende Frage mit „Wie“ beginnt, handelt es sich nicht um eine offene Frage. Beispiel: „Wie spät ist es?“ – Antwort: „13 Uhr.“ Oder: „Können Sie mir sagen, wie spät es ist?“ – Antwort: „Nein.“ Zurück zu besagter Fernsehsendung: Da die Ratezeit auf 10 Minuten begrenzt war, entwickelten die Rateteams bemerkenswerte Fähigkeiten, ihre Kandidaten mit systematischer Fragetechnik rasch zu enttarnen. Betrachten wir die Fähigkeiten der Frageprofis näher: Wie sind sie strategisch vorgegangen? Statt blindlings drauflos zu raten, haben sie zunächst Ober- und Unterkategorien wie z. B. Herstellung, Vertrieb oder Dienstleistung mit geschlossenen Fragen geprüft: „Sind Sie mit der Herstellung einer Ware beschäftigt?“ • industrielle Produktion: Planung, Fließband • Handwerk: Friseur, Schneider, Maurer, Zimmermann usw. • Gastronomie: Einkauf, Küche „Sind Sie mit dem Vertrieb einer Ware beschäftigt?“ • Einzelhandel: Ladengeschäft, Direktvertrieb, Marktstand usw. • Großhandel: Repräsentant, Import, Export usw.

11.3

Fragen

355

„Arbeiten Sie im Dienstleistungsbereich?“ • Transport: Disponent, Fahrer • Gastronomie: Service, Reinigung • Kultur: Musik, Theater, Museum usw. Anmerkung: Es ist in diesem Spiel nicht zulässig zu fragen: „ Sind Sie mit der Herstellung oder dem Vertrieb einer Ware beschäftigt?“ Das wäre eine Alternativfrage, weil zwei Bereiche einander gegenübergestellt werden. Jede Frage muss mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden können. Nach dieser Vorprüfung wird die Präzisierung weiter vorangetrieben und systematisch die tieferliegenden Ebenen abgefragt. Im folgenden Beispiel sind die Oberkategorien durch fette Schrift hervorgehoben. Fragen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.

Sind Sie mit der Herstellung einer Ware beschäftigt? Industrie? Handwerk? Bauhandwerk? Holzverarbeitung? Metall? Stein? Planung? Ausführung? Tiefbau? Hochbau? Neubau? Restaurierung? Sind Sie Steinmetz?

Antworten Ja! Nein! Ja! Ja! Nein! Nein! Ja! Nein! Ja! Nein! Ja! Nein! Ja! Ja!

356

11

Kommunizieren

Von den Oberkategorien zur Herstellung? Industrie? Handwerk? Bau? Holz? Metall? Stein? Planung? Ausführung? Tiefbau? Hochbau? Neubau? Restaurierung? Lösung!

Abb. 11.6 Fragen mit System – von den Oberkategorien zur Lösung

Der Frage-Trichter

Von der Oberfläche den Oberkategorien über die Unterkategorien

auf den Grund

zur Lösung

Abb. 11.7 Der Frage-Trichter

Suchen Sie sich einige Mitspieler und versuchen Sie, mithilfe des systematischen Fragens möglichst effizient die Lösung zu finden. Gesucht wird: eine politisch bedeutsame Persönlichkeit. Denke an eine politisch bedeutsame Persönlichkeit (von der Antike bis heute). Die Mitspieler sollen mit geschlossenen Fragen die Lösung finden. Antworten Sie nur auf eindeutige Fragen, die sich mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen. Im Zweifelsfall auch mit „Jein“. Alle anderen Fragen wie z. B. „Lebte die Person in der Antike oder im 16. Jahrhundert?“ (= Alternativfrage) lehnen Sie als unzulässig ab.

11.3

Fragen

357

Gesucht wird: ein berühmtes Bauwerk. Denke an ein bedeutsames Bauwerk (von der Antike bis heute). Die Mitspieler sollen mit geschlossenen Fragen die Lösung finden. Antworten Sie nur auf eindeutige Fragen, die sich mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen. Im Zweifelsfalle auch mit „Jein“. Alle anderen Fragen wie z. B. „Ist dieses Bauwerk in der Antike oder im 16. Jahrhundert zu vermuten?“ (= Alternativfrage) lehnen Sie als unzulässig ab. Gesucht wird: ein berühmtes Musikstück. Denke an ein bedeutsames Musikstück (vom Barock bis heute). Gesucht wird: ein Gegenstand in diesem Zimmer. Suche dir einen möglichst unauffälligen Gegenstand in diesem Zimmer.

11.3.4 Wer fragt, der führt! Durch den gezielten Einsatz von Fragen erhalten Sie Informationen vom Gesprächspartner und signalisieren Interesse. Sie können damit dem Gesprächspartner zeigen, dass Sie ihn ernst nehmen, dass Sie ihn akzeptieren. Wer fragt, der führt, aktiviert und kontrolliert, der behauptet nicht. Wer mit Fragen führen will, sollte folgende Regeln beachten: • Stellen Sie immer nur eine Frage auf einmal! • Formulieren Sie kurz, unkompliziert und verständlich! • Geben Sie dem Gesprächspartner ausreichend Zeit, Ihre Frage zu beantworten. Lassen Sie die Kraft Ihrer Frage auf den Befragten einwirken, geben Sie ihm Zeit, seine Antwort zu überlegen. Dazu brauchen Sie Mut und unter Umständen starke Nerven, so lange zu warten, bis Ihr Partner zu antworten beginnt. Schauen Sie Ihren Kommunikationspartner offen an, neigen Ihren Kopf leicht nach rechts (leihen Sie dem Partner Ihr Ohr), nicken Sie ermunternd mit dem Kopf, entspannen Sie sich und warten Sie ab, was geschieht. Sie werden immer damit belohnt, dass Ihr Partner zu reden beginnt. Fallen Sie Ihrem Gesprächspartner nicht ins Wort, lassen Sie ihn ausreden. Stellen Sie grundsätzlich Ihre nächste Frage erst dann, wenn Ihr Gesprächspartner auf Ihre vorherige Frage geantwortet hat!

358

11

Kommunizieren

Geschlossene Fragen

Wollen wir zusammen arbeiten?

Nein!

Haben Sie morgen Zeit für mich?

Ja!

Abb. 11.8 geschlossene Fragen Offene Fragen Wo?

Wann?

Wer?

Was?

Wie?

Abb. 11.9 offene Fragen

Frageformen und Fragearten im Überblick Frageform Kontaktfrage Präzisionsfrage

offen Wie läuft Ihr Geschäft derzeit? Welches sind die wichtigsten Probleme? Informationsfrage Worauf legen Sie besonderen Wert? Rück- oder Gegenfrage Was schlagen Sie vor? Kontrollfrage Welches Zwischenergebnis können wir festhalten?

geschlossen Läuft Ihr Geschäft derzeit gut? Ist das Ihr wichtigstes Problem? Legen Sie besonderen Wert auf die Lösung B? Sie schlagen die Möglichkeit B vor? Können wir dieses Zwischenergebnis jetzt so festhalten?

11.3

Fragen

359

Frageform Suggestivfrage

offen Was außer längeren Laufzeiten der Maschinen und der damit verbundenen entscheidenden Kostensenkung ist Ihnen noch wichtig?

geschlossen Sie sind also an längeren Laufzeiten der Maschinen und einer entscheidenden Kostensenkung interessiert?

Ja-Frage

Sie wollen die Maschinen auch am Wochenende laufen lassen?

Ja-Fragen-Kette

• Eine bessere Auslastung ist Ihnen wichtig? • Die Stückkosten sollen gesenkt werden? • Der Profit gesteigert werden?

Alternativfrage

Empfehlungsfrage

wortlose Frage

Vorabschlussfrage Abschlussfrage

Welche der Lösungen (A oder B) wird Ihrer Meinung nach am besten Ihre Ziele unterstützen? Was halten Sie in diesem Zusammenhang von dem Modell A?

Ist in diesem Zusammenhang das Modell A nicht besonders gut geeignet? (Mimik, Gestik = offene Kör(Mimik, Gestik = mit geschlosperhaltung, Hände öffnen, sener Körperhaltung, mit dem Augenbrauen hochziehen und den Finger oder der Hand auf die AlKopf erwartungsvoll nach vorne ternative weisen und bekräftigend strecken) mit dem Kopf nicken) Wie schnell brauchen Sie die LöBrauchen Sie die Lösung noch in sung? dieser Woche? Wann sollen wir liefern? Sollen wir liefern?

Zur Vertiefung der Fragetechnik mit Präzisionsfragen hier noch weitere besonders hilfreiche (offene) Fragen: • Wie kann ich Ihnen helfen? • Was muss getan werden? • Was ist das Besondere an diesem Verfahren? • Was für ein Gefühl haben Sie dabei? • Wie sieht das konkret aus? • Welchen Standpunkt nehmen Sie ein? • Welche Gründe können Sie nennen, warum es nicht so gut gegangen ist? • Was können wir ändern, damit die Sache besser funktioniert? • Welche Resultate streben wir in erster Linie an?

360

11

Kommunizieren

11.3.5 Übung: Dialog der Fragen Lassen Sie einmal den folgenden, ausschließlich aus Fragen bestehenden Dialog, auf sich wirken. In diesem Beispiel will sich ein Kunde im Reisebüro beraten lassen: Frageart • • • •

offene Frage geschlossene Frage Informationsfrage Alternativfrage

Partner A (Berater) Wie kann ich Ihnen helfen?

Sie haben noch Reiseangebote? An was dachten Sie konkret? Haben Sie noch etwas in Südeuropa oder in der Karibik?

Rück- oder Gegenfrage Karibik? • Suggestivfrage • Ja-Frage • Ja-Fragen-Kette (drei Fragen hintereinander, die mit „Ja“ beantwortet werden müssen.) • Abschlussfrage

Partner B (Kunde)

Sie wollen doch auch dorthin Kunden vermitteln?

Also sonnig und warm soll es in jedem Fall sein? Sie denken jetzt besonders an die Karibik? Sie möchten ein preisgünstiges und gutes Hotel? In ruhiger Lage und mit Unterhaltungsmöglichkeiten in der Nähe? Wann möchten Sie reisen?

Mein Thema: Wählen Sie eine Ihnen vertraute Situation (Arbeit, Familie, Hobby usw.). Entwickeln Sie einen Dialog, der wie im oben stehenden Beispiel ausschließlich aus Fragen besteht, auf die nur mit anderen Fragen reagiert werden darf. Trainieren Sie Ihre Fragetechnik.

11.3

Fragen

361

Schreiben Sie Ihren Dialog der Fragen in dieses Formular: 1. offene Frage

>

>

2. geschlossene Frage

3. Informationsfrage

>

>

4.Alternativfrage

5. Rück- oder Gegenfrage

>

>

6. Suggestivfrage

7. Ja-Frage

8. Ja-Fragen-Kette (drei aufeinanderfolgende Fragen, die mit Ja beantwortet werden müssen!)

>

> > >

9. Abschlussfrage

>

Die Wirkung präzisierender Fragetechnik wird an folgender Aussage deutlich: „Frauen müssen immer besser sein.“ Präzisierende Fragen

Fragetechnik

Frauen? Worin müssen sie besser sein? Immer? Frauen, verglichen mit wem? Was würde geschehen, wenn sie es nicht wären?

Substantiv hinterfragen Tätigkeitsbereich hinterfragen Universalwort hinterfragen vergleichen die ganze Aussage infrage stellen

362

11

Kommunizieren

Wenden Sie diese Technik in Gesprächen an und trainieren Sie Ihre Fähigkeit, durch Fragen zu moderieren und zu führen.

11.3.6 Gegenfrage – Rettung in allen Lebenslagen In Verhandlungen oder Streitgesprächen kommt man manchmal durch Behauptungen oder Fragen der Gegenseite in Bedrängnis. Man möchte nicht darauf eingehen, weil man nachteilige Entwicklungen befürchtet. Wie kann man sich aus einem solchen Engpass geschickt befreien? Die Gegenfrage hilft in der Regel aus der Klemme. Man muss nur den Mut aufbringen, dieses Mittel anzuwenden. Beispiel: Gegenseite

selbst

„Sie wissen genau, dass Sie durch Ihr Verhalten in dieser Angelegenheit eine ungünstige Entwicklung für uns provoziert haben!“

Kommentare Wenn Sie jetzt anfangen, sich zu rechtfertigen, sind Sie verloren. Stattdessen fragen Sie:

„Wie meinen Sie das konkret?“

„Das wissen Sie selbst am besten!“ „... am besten?“

Jetzt eisern schweigen und die andere Seite kommen lassen. Die Gegenseite muss jetzt antworten und die Behauptung rechtfertigen. Sie muss nach-denken. Das gibt Ihnen Zeit – Zeit zum genauen Zuhören, zum besseren Verstehen der Aussage; Zeit, Ihre Verteidigungslinien aufzubauen und zu stabilisieren – usw. Nehmen wir an, die Gegenseite reagiert darauf mit „Killerphrasen“ wie z. B.: Sie wiederholen einfach die beiden letzten Worte, heben am Ende die Stimme und lassen die Frage in der Luft hängen. Eisern schweigen!

Spätestens jetzt wird die Gegenseite mit ausführlichen Begründungen kommen. Die Technik des „Spiegelns“, des wörtlichen Wiederholens des zuletzt Gesagten mit einem Fragezeichen am Ende, aktiviert den Partner immer sehr stark zum Weiterreden. Falls das wider Erwarten nicht geschieht, sondern man weiterhin versucht, im gleichen Stil mit Ihnen umzuspringen, zeigen Sie freundlich lächelnd, dass Sie die „Strategie“ der Gegenseite durchschaut haben. Ergreifen Sie Ihrerseits die Initiative und wechseln Sie mit einem Appell oder einer weiteren Gegenfrage „brutal“ das Thema:

11.3

Fragen Gegenseite

363 selbst

Kommentare

„Wir müssen noch über XYZ reden! Was machen wir in diesem Fall?“

Denken Sie immer daran: Wer fragt, der führt! Spätestens jetzt haben Sie das Blatt gewendet und die Initiative ergriffen. Möglicherweise wird die Gegenseite jetzt sagen: Versuchen Sie, bei Ihrem Ablenkungsmanöver zu bleiben und reagieren Sie mit der Feststellung:

„Bleiben Sie beim Thema, ich habe Sie etwas gefragt!“ „Aber ohne den Fall XYZ kommen wir nicht weiter. Was sollen wir da machen?“

Meist wird die Gegenseite jetzt darauf eingehen, und wenn Sie Glück haben, vergisst man darüber den eigentlichen Anlass oder Problempunkt der Unterredung.

Testen Sie diese Technik! Sobald Sie in eine schwierige oder unangenehme Situation geraten, wenden Sie die folgenden Schritte an: 1. Was auch immer die Gegenseite zu Ihnen sagt, Sie hören es sich ruhig an, nicken verständnisvoll mit dem Kopf und warten ab, bis sich Ihr Gesprächspartner „leer geredet“ hat und schweigt. Erst dann stellen Sie die Gegenfrage: „Wie meinen Sie/meinst du das konkret?“ [schweigen und den Partner offen anschauen] 2. Die Antwort/Reaktion bis zum Ende anhören und nur die letztgenannten Worte wörtlich wiederholen (spiegeln). Die Stimmlage am Ende anheben, das Gesagte als Frage in der Luft hängen lassen und schweigen. Der Partner wird jetzt noch konkreter in seinen Äußerungen. Sie gewinnen Zeit und vor allem Überblick über seine wahren Motive. 3. Möglicherweise möchten Sie nun, nach erfolgter Konkretisierung, darauf eingehen. Wenn das so ist, tun sie es. Auf jeden Fall haben Sie durch Ihre Fragen geführt und Zeit gewonnen. Sollten Sie weiterhin nicht darauf eingehen wollen, ignorieren Sie die Ausführungen des Partners. Was auch immer er jetzt zu Ihnen sagt oder gesagt hat, gehen Sie nicht darauf ein. Stattdessen wechseln Sie das Thema in eine Richtung, die Ihnen wichtig ist, bei der Sie aber auch ein Interesse Ihres Gegenübers vermuten können (Themen aus den Bereichen Arbeit, Hobby, Familie, Freunde, Sport usw.). Sie sagen mit Engagement: „Lassen Sie/Lass uns über [hier das neue Thema einbringen] reden. Wie denken Sie/denkst du darüber?“ Den Partner offen anschauen, Kopf leicht schräg nach rechts neigen, Zuhörhaltung signalisieren und schweigen. Sie werden meistens erleben, dass der Partner auf Ihre Gegenfrage eingeht. Im besten Fall gelingt es Ihnen, das The-

364

11

Kommunizieren

ma komplett zu wechseln – das funktioniert häufiger, als man glauben mag –, weil Ihr Partner sich ablenken lässt. In der Regel wird Ihr Partner auf das neue Thema eingehen. Dann haben Sie eindeutig gewonnen. Falls das nicht geschieht, sondern reklamiert wird, dass Sie auf die ursprüngliche Frage noch nicht eingegangen sind, ziehen Sie erstaunt die Augenbrauen hoch und sagen: „Gut, aber ohne YXZ (gemeint ist das von Ihnen neu eingeführte Thema) kommen wir nicht weiter! Was sollen wir da machen?“ Wichtig ist, dass Sie mit einer offenen Frage die Kommunikation abschließen. Wer fragt, der führt! Ihre Frage veranlasst zum Nachdenken und fordert eine Reaktion heraus. Fallbeispiel: Männer und Frauen im Beruf Die Vorgesetzte (V) spricht mit einem Mitarbeiter, der als Gruppenleiter für die Vorbereitung eines Kongresses zuständig ist. In sechs Monaten soll der Kongress stattfinden. Es stellt sich heraus, dass bislang noch nicht sehr viel veranlasst wurde. Sie ist besorgt und reagiert zunehmend heftiger auf jede weitere Information, die Unerledigtes offenbart. Im Verlaufe des hitziger werdenden Gesprächs sagt der Mitarbeiter (MA): MA „Für Sie ist immer alles ganz einfach. Delegieren und vergessen. Wir müssen zusehen, wie wir das geregelt bekommen. Funktioniert’s nicht, wer ist schuld? Wir, immer wir!“ V

„Wie meinen Sie das konkret?

MA „Konkret? Konkret meine ich, dass ich von morgens bis abends am Schuften bin, meine Kollegen und Kolleginnen in Überstunden absaufen, und Sie fordern immer mehr und noch mehr von uns. Obwohl wir Sie dringend um personelle Unterstützung gebeten haben. Und ich, ich mach’ hier den Kuli für alle! V

„Den Kuli?“

MA „Allerdings! Wer ist morgens zuerst da, wer ist abends der Letzte und schließt das Büro ab? Wer sorgt dafür, dass hier alles immer ordentlich aussieht? Wer macht die Urlaubsplanung für die Abteilung, organisiert die Reisen und erledigt anschließend auch noch die Reisekostenabrechnungen? Wer spricht mit den Kolleginnen und Kollegen, wenn hier mal wieder etwas unklar ist, oder beruhigt sie, wenn sie wie die aufgeschreckten Hühner nicht wissen, wo sie zuerst anpacken sollen?“ V

„Wo Sie das jetzt gerade sagen: War die Jubiläumsfeier der Mustermann AG in dieser oder in der kommenden Woche?“

MA „Jubiläum der Mustermann AG? Diese Woche Donnerstag um 13:00 Uhr, Festakt in der Kongresshalle. Da müssen Sie auch noch eine Rede halten. Herr Vielschreiber hat Ihnen einen Entwurf per Mail geschickt.“

11.4

Zuhören

365

V

„Ja, sehr brauchbar, wirklich gut! Bitte bestellen Sie ihm, dass ich ihn heute um 15:30 Uhr in meinem Büro treffen möchte. Dann möchte ich nicht gestört werden. Ich muss die Rede in Ruhe durchgehen, da kommen viele wichtige Leute!“

Unter uns: Ich weiß aus vielen Seminaren, dass einige Teilnehmer kritisch über solche Kommunikationstechniken denken; sie seien unnatürlich und überdies manipulativ. So etwas solle man nicht anwenden und darüber hinaus: „Im wirklichen Leben funktioniert das ja doch nicht!“ Einerseits kann ich diese Bedenken verstehen, andererseits müssen wir uns bewusst werden, dass professionelles Kommunizieren – wie jede andere professionell betriebene Tätigkeit – einer Technik bedarf, so wie z. B. das professionelle Singen. Ohne gute Technik, ohne theoretisches Grundwissen und ohne Übung werden wir schwierige Situationen kaum meistern können. Überdies ist das wichtigste Ziel, Schwierigkeiten zu vermeiden und mit bewusst eingesetzter Technik gewinnbringend für alle zu kommunizieren.

11.4 Zuhören Haben Sie das auch schon einmal erlebt? Sie hören jemandem zu und plötzlich wird durch dessen Worte Ihre Aufmerksamkeit auf einen Punkt gelenkt, der Sie gedanklich zu beschäftigen beginnt. Sie hören immer weniger, was ihr Partner sagt, Ihre Gedanken kreisen um den Punkt Ihres Interesses. Das Gesagte rauscht mehr oder weniger an Ihnen vorbei. Eigentlich warten Sie nur auf eine Gelegenheit, auch einmal etwas sagen zu können. Seit einiger Zeit hören Sie nicht mehr zu. Sie treffen jemanden, den Sie schon seit langer Zeit nicht mehr gesehen haben. Sie beide freuen sich über das Wiedersehen. Die Person erzählt und erzählt und hört nicht mehr auf zu reden. Nach 30 Minuten entsteht eine Lücke im Redefluss, Sie kommen jetzt zu Wort, Ihre Stimme klingt plötzlich fremd für Sie. Ein Beweis dafür, dass Sie lange Zeit nichts gesagt haben. Ihr Gesprächspartner hat jetzt aber leider keine Zeit mehr, muss rasch weiter und sagt: „Das war toll, Sie nach so langer Zeit wiederzusehen. So einen intensiven Meinungsaustausch sollten wir unbedingt bald wiederholen.“ Zuhören ist offenbar schwierig für viele Menschen. Es erfordert Geduld und Interesse an der anderen Person, ihrer Meinung und ihren Gefühlen. Wer zuhören will, muss die eigenen Belange zurückstellen und sich auf den anderen einlassen. Wer zuhört, erfährt mehr über seine Gesprächspartner. Wer fragen und zuhören kann, verfügt über eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Führungstätigkeit. Die Natur gab dem Menschen zwei Ohren, aber nur eine Zunge! Wenn es Ihnen gelingt, sich zurückzunehmen und Ihren Redeanteil zu mäßigen, sind Sie gegenüber den meisten Menschen im Vorteil. Sie erfahren mehr und werden darüber hinaus als Gesprächspart-

366

11

Kommunizieren

ner geschätzt. Hört man uns zu, wird unser Selbstwertgefühl positiv berührt, unser Ego „gestreichelt“. Zehn Grundregeln für effektives Zuhören Diese Regeln sind eine Anregung, die zum besseren Zuhören führt. Sie sind die Grundlage für die Entwicklung besserer Gewohnheiten beim Zuhören, die Ihnen vielleicht Ihr Leben lang nützlich sein werden. 10 Regeln für effektives Zuhören Finden Sie das Interessante heraus.

Der schlechte Zuhörer . . . „schaltet ab“ bei trockenen Themen.

Der gute Zuhörer

. . . nutzt die Gelegenheit: „Welchen Vorteil kann ich daraus ziehen?“ Bewerten Sie den Inhalt, nicht . . . „schaltet ab“ bei langweili- . . . konzentriert sich auf den die Vortragsweise. gen Rednern. Inhalt und nicht auf Vortragsmängel. Bleiben Sie zurückhaltend. . . . tendiert zum Disput. . . . urteilt erst, nachdem er alles aufgenommen hat. Entdecken Sie neue Anregun- . . . achtet nur auf Sachdetails. . . . achtet auf das zentrale Thegen. ma. Seien Sie flexibel. . . . schreibt intensiv mit, wie es . . . notiert weniger, konzendie meisten Zuhörer tun. triert sich auf die Aussagen und Wirkung des Redners. Geben Sie sich Mühe beim . . . zeigt keinen Einsatz und . . . arbeitet intensiv mit, hat Zuhören. markiert lediglich Aufmerkeine aktive Körperhaltung. samkeit. Widerstehen Sie Ablenkungen. . . . wird leicht abgelenkt. . . . bekämpft oder vermeidet Ablenkungen, toleriert Rednermängel und weiß sich zu konzentrieren. Hören Sie auch schwierig er. . . lehnt schwierige Darstellun- . . . nutzt schwierige Stoffe als scheinende Ausführungen an. gen ab und lässt sich ablenken. Zuhör- und Konzentrationstraining. Seien Sie tolerant. . . . reagiert auf emotional ge. . . ordnet Subjektives richtig färbte Worte. ein und regt sich nicht darüber auf. Profitieren Sie davon, dass die . . . tendiert dazu, bei langsa. . . wägt ab, denkt voraus, fasst Gedanken schneller sind als men Sprechern gedanklich gedanklich zusammen, bewerdas gesprochene Wort. abzuschweifen. tet die Aussagen und hört auf Untertöne.

11.4

Zuhören

367

11.4.1 Aktives Zuhören Schulz von Thun: „Unter Aktivem Zuhören versteht man gemeinhin eine bestimmte Art, auf den anderen zu reagieren, indem ich ihm nicht antworte, um meinen ´eigenen Senf´zu dem Gesagten dazuzugeben, sondern um das, was ich von ihm verstanden und atmosphärisch erspürt habe, in meinen Worten prägnant wiederzugeben. Der Gedanke dahinter ist, dass sich der andere optimal verstanden weiß und das Gefühl hat, dass das, was er als Antwort erhält, seine eigenen Gedanken auf den Punkt bringt.“ Wer Kommunikationsprozesse verstehen und steuern will, muss die Technik des Aktiven Zuhörens beherrschen. Zuhören ist unsere wichtigste Kommunikationsaktivität. Zuhören können ist die Kommunikationsfähigkeit, die am häufigsten gebraucht, aber am wenigsten gelehrt wird. Beim Aktiven Zuhören versucht man, sich in den Gesprächspartner einzufühlen, um ihm wiederzugeben, was man sachlich und emotional verstanden hat. Man bemüht sich, für eine begrenzte Zeit den Standpunkt des anderen einzunehmen, die Dinge aus seinem Blickwinkel zu betrachten. Dieser Perspektivwechsel bringt den Kommunikationspartnern Erkenntnisse, die auf andere Weise nicht zustande gekommen wären. Für eine begrenzte Zeit den Standpunkt des anderen einzunehmen, ist nicht gleichbedeutend damit, dessen Standpunkt anzunehmen. Das Aktive Zuhören beruht auf der nicht-direktiven Gesprächsführung von Carl Rogers (1902 – 1987). Rogers hatte bemerkt, dass es für seine Klienten nicht hilfreich war, kluge Ratschläge von ihm zu erhalten. Demzufolge bemühte er sich, ihre Aussagen gefühlsmäßig nachzuvollziehen. Daraus entstand die Gesprächstherapie und das aktiv-einfühlsame Zuhören. Wesentlich an dieser Gesprächstechnik ist, dass der Therapeut den Klienten unterstützt, sich selbst und seine Lebensprobleme zu erkennen. Er bemüht sich, dessen Denkweise nachzuvollziehen und ihm zuzuhören, geleitet von der Erkenntnis, dass jeder Mensch insgeheim die Lösung seiner Probleme bereits in sich trägt. Dieses Verhalten ist angebracht, wenn man merkt, dass sich jemand bemüht, etwas in Worte zu fassen, aber nicht die richtigen Worte findet. Hat der Zuhörer das Gefühl, den Kern verstanden zu haben, ohne dass dies in den Worten des Sprechers schon deutlich geworden ist, kann er durch die Anwendung des Aktiven Zuhörens fruchtbare Hebammendienste leisten. – Indem er dem anderen mitteilt: „Ich habe dich so und so verstanden. Meinst du das?“ oder andere Verbalisierungstechniken anwendet, kann er dem Sprecher helfen, seine Gedanken zu ordnen, zu reflektieren und im Laufe des Redens allmählich seine Erkenntnisse zu artikulieren. Da der Sprecher diese selbst gewonnen und die notwendigen Handlungsschritte definiert hat, ist die Aussicht auf eine erfolgreiche Umsetzung groß. Er fühlt sich bestätigt, beginnt neues Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten zu setzen: Sein Selbstwertgefühl wird gestärkt.

368

11

Kommunizieren

Die Kunst des Aktiven Zuhörens besteht darin, eine Frage mit den Gedankengängen des anderen zu formulieren, das Wahrgenommene verbal zu spiegeln und es dadurch im anderen nachhallen und wirken zu lassen Der Gesprächspartner fühlt sich zum Reden ermutigt, weil er spürt, dass seine Aussagen gehört, aber nicht bewertet werden. Der Empfänger versucht zu verstehen, was der Sender empfindet. Er sendet keine eigene Botschaft (etwa ein Urteil, eine Meinung, einen Rat, ein Argument, eine Analyse oder eine Frage), sondern meldet nur das zurück, was nach seinem Gefühl die Kernaussage des Senders gewesen ist und was sie seiner Meinung nach für ihn bedeuten könnte. Die folgenden Kommunikationsbeispiele zeigen den Unterschied zwischen der „normalen Art“ zu kommunizieren und der Anwendung des Aktiven Zuhörens. Kommunikation der üblichen Art: A: Heute ist wieder so ein entsetzlicher Tag! B: Immer müssen Sie meckern! Kommunikation mit Elementen des Aktiven Zuhörens: A: Heute ist wieder so ein entsetzlicher Tag! B: Sie klingen verärgert. A: Erstens habe ich heute die U-Bahn versäumt, zweitens hat mir anschließend so ein Typ das Taxi vor der Nase weggeschnappt, drittens . . . In alltäglichen Situationen wäre es allerdings unangebracht, wenn der eine immer reden und der andere immer zuhören würde. Man muss darauf achten, diese Technik nicht schematisch und inflationär anzuwenden, da sie ansonsten ihre hilfreiche Wirkung verlöre. Das Aktive Zuhören kann den Partner dabei unterstützen, selbstständig Problemlösungen oder Handlungsalternativen zu entwickeln. Das Aktive Zuhören sollte nicht angewendet werden, • wenn man von jemand um konkrete Informationen gebeten wird. • wenn die andere Person ihr Problem oder ihre Gefühle so eindeutig ausdrückt, dass ein Verbalisieren schulmeisternd wirken könnte und sich somit erübrigt. Schweigen oder Zustimmung ist in solchen Fällen eher angebracht. • wenn man in einem besonderen Fall nicht helfen will oder kann. • wenn man an einer bestimmten Lösung, die für einen selbst wünschenswert wäre, interessiert ist. • wenn die eigenen Probleme so schwerwiegend und dringend sind, dass man sich auf den anderen nicht einstellen kann.

11.4

Zuhören

369

Das Aktive Zuhören basiert auf drei Voraussetzungen: • Aktivierung der Beziehungsebene • Inhaltliches Verstehen • Verbalisieren der wahrgenommenen Gefühle Wann wird das Aktive Zuhören angewendet? Wie bereits ausgeführt: In Beratungen kann ich meinem Gesprächspartner helfen, seine Gedanken zu ordnen, größere Klarheit über seinen Standpunkt, seine Wünsche oder Probleme zu gewinnen; ihm helfen, die Lösung seiner Probleme selbst zu finden und konstruktive, eigene Ziele zu formulieren. Man kann davon ausgehen, dass die meisten Menschen die Lösung ihrer eigenen Probleme oder Konflikte unbewusst kennen. Statt sie ihnen mittels eines Ratschlages aufzudrängen, ist es wirksamer, sie auf dem Weg der Selbsterkenntnis zu unterstützen und den Erkenntnisprozess zu fördern. Guten zwischenmenschlichen Beziehungen ist das Zuhören – nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Augen und dem Herzen – zuträglicher als das Reden. Das Aktive Zuhören wird angewendet, um • Wertschätzung zu vermitteln, • Missverständnisse zu verringern, • Beziehungsebenen aufzubauen, • Ja-Haltung zu erzeugen. Wichtig dabei ist: • Aufmerksamkeit zeigen, um zu vermitteln: „Ich bin an dir interessiert.“ „Ich nehme dich ernst und versuche, dich zu verstehen.“ • Ablenkungen und Nebenbeschäftigungen vermeiden • sich Zeit nehmen • den anderen zum Sprechen ermuntern: „Wo brennt’s?“ „Was ist passiert?“ „Wie kann ich Ihnen helfen?“ • schweigen, nicht sprechen, sondern sprechen lassen • bestätigen durch kurze Einwürfe wie z. B.: „Ja“ – „Interessant“ – „Hm“ – „Aha“ – „Ich verstehe“, um dem Partner zu signalisieren: „ Ich bin bei dir. Ich höre dich. Ich versuche dich zu verstehen.“

370

11

Kommunizieren

Die Methoden des Aktiven Zuhörens Paraphrasieren (mit eigenen Worten das Gesagte oder Gemeinte wiedergeben) hat das Ziel,

sich zu vergewissern, ob die Botschaft richtig verstanden wurde, ein besseres Verständnis der Partner füreinander zu erreichen.

bedeutet

das sinngemäße und wertneutrale Umschreiben und Wiedergeben eines Sachverhalts mit eigenen Worten.

erfordert

Konzentration auf die verbalen und nonverbalen Signale des Partners.

Formulierungsbeispiele zur Einleitung des Paraphrasierens: • „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, meinen Sie . . . “ • „Sie wollen wissen, ob . . . / wie . . . / was . . . “ • „Mit anderen Worten, . . . “ • „Zusammengefasst meinen Sie . . . “ • „Das heißt also, . . . “ • „Ihrer Meinung nach ist das also . . . “ • „Ihnen kommt es darauf an, dass . . . “ • „Das bedeutet für Sie, . . . “ • „Für Sie ist es also besonders wichtig, dass . . . “ Verbalisieren (Sprechen Sie das Gefühl an, das Sie bei Ihrem Partner wahrnehmen.) hat das Ziel,

die wahrgenommenen Gefühle mit eigenen Worten zu umschreiben und wiederzugeben.

bedeutet,

das Gefühl, das sich durch das Verhalten des Gesprächspartners vermittelt, zu beschreiben; unangenehme Gefühle zu neutralisieren, angenehme Gefühle bewusst zu machen und konstruktiv zu denken; einfühlendes Verständnis, Geduld und Zeit für den anderen aufzubringen und dadurch das Akzeptanzgefühl des Partners zu stärken.

erfordert

die Fähigkeit, seine Wahrnehmungen artikulieren zu können und Gefühle nicht als Frage, sondern als Feststellung zu formulieren.

• als sichere Feststellung (des Gefühls): – „Jetzt sind Sie enttäuscht/unzufrieden/sauer.“ – „Sie zweifeln/Sie sind noch nicht überzeugt.“ – „Sie fühlen sich verunsichert/übergangen/herabgesetzt.“ – „Jetzt sind Sie erleichtert/zufrieden.“ – „Da sind Sie froh.“

11.4

Zuhören

371

oder • als Vermutung: – „Hört sich an, als stünden Sie unter Zeitdruck.“ – „Ich habe den Eindruck, dass Sie damit unzufrieden sind.“ – „Sieht aus, als hätten Sie noch Zweifel.“ – „Es scheint Ihnen wichtig zu sein, dass . . . “ oder • des Gefühls in Verbindung mit den gefühlsauslösenden Bedingungen: – „Sie zweifeln, ob Sie diese Statements in der Praxis anwenden können.“ – „Sie sind ungeduldig, wenn wir so lange über denselben Punkt reden.“ – „Sie sind zuversichtlich, dass Sie diese Methode beherrschen.“ Nachfragen:

„Nachdem Sie dies gesagt hatten, reagierte er nicht?“

Klären:

„Sie haben gesagt, sie hätten sofort reagiert. War das noch am selben Tag?“

Weiterführen: „Dann hat er das Gespräch gesucht. Wie hat er sich dann verhalten?“ Abwägen:

„War der mangelnde Blickkontakt schlimmer als das Gefühl des Nichternst-genommen-Werdens?“

Einige Verhaltensweisen, die üblicherweise in Gesprächen mit großer Selbstverständlichkeit praktiziert werden, sind beim Aktiven Zuhören strengstens untersagt. Im Folgenden „Lasterkatalog“ finden Sie, was beim Aktiven Zuhören unter allen Umständen zu unterlassen ist. „Lasterkatalog“ • sich einbringen: – Das ist mir kürzlich auch passiert. – Das kann ich Ihnen nachfühlen. • werten, qualifizieren: – Das ist sehr gut. – Das ist sehr schlecht. – So ein Mist! – Oh, verdammt! • kritisieren, moralisieren, verallgemeinern: – Da haben Sie einen Fehler gemacht. – Das gehört sich nicht. – Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. • beruhigen, beschwichtigen, trösten, bagatellisieren: – Das ist doch nicht so schlimm. – Nehmen Sie es nicht so tragisch.

372

11

Kommunizieren

– Es wird schon wieder werden. – Wenn’s weiter nichts ist. – Es gibt Schlimmeres. • Ratschläge erteilen, belehren, warnen: – Da machen Sie am besten gleich Folgendes . . . – Da weiß ich einen guten Rat . . . – Das müssen Sie in Zukunft anders machen . . . – Passen Sie auf – das kann schlimme Folgen haben. Dieser Lasterkatalog gilt nicht für alltägliche Gespräche.

11.4.2 Übung: Äußerungen abtasten Durch diese Übung bekommen Sie ein Gefühl für die Wirkung des Aktiven Zuhörens. Suchen Sie sich einen Mitspieler und instruieren Sie ihn anhand des folgenden Textes über den Ablauf. Jedes Gespräch dauert ca. 10 Minuten. • Partner A beginnt damit, eine Aussage über sich selbst zu machen. Diese Aussage soll nur einen Satz umfassen. • Der Partner B tastet den Kontext und die Hintergründe der Äußerung ab, indem er die beschriebenen Techniken des Aktiven Zuhörens (paraphrasieren und verbalisieren) anwendet. • A reagiert „natürlich“ im Kontext des Themas und vermeidet es, das Rollenspiel künstlich zu lenken oder zu erschweren. • Wenn A sich verstanden fühlt, beendet er das Gespräch mit dem Satz „Danke, dass Du mir zugehört hast.“ • Jetzt können die Rollen getauscht werden. • Anschließend tauschen sich die Partner aus über ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen bei dieser Übung. Fallbeispiel: Magenschmerzen A: „So geht das nicht mehr weiter!“ B: „Du bist unzufrieden.“ A: „Da haben die doch schon wieder ein Planungsmeeting ohne mich durchgeführt!“ B: „Du fühlst Dich übergangen.“ A: „Stimmt. Die haben alle keine Ahnung, planen aber die wildesten Sachen. Ich bin der Fachmann – und mich fragt keiner. Wenn sie nicht weiterwissen, soll ich mich zu Details äußern, deren Zusammenhang ich nicht überblicken kann, weil man mich ja nicht einbindet! Das geht so nicht weiter!“

11.4

Zuhören

373

B: „Nicht weiter?“ A: „Seit einem Jahr geht das nun schon so, seit dieser neue Manager die Führung übernommen hat. Der ist komplett inkompetent, hat keine Ahnung von unserem Betrieb, stattdessen aber jede Menge absonderlicher Ideen und lässt keine Meinung außer seiner gelten.“ B: „Deiner Meinung nach gefährdet dieser neue Manager durch seine fachliche Inkompetenz den Betrieb und demotiviert dich durch sein Verhalten.“ A: „Genau! Wenn das so weitergeht, werde ich noch krank. Ich habe jetzt schon jeden Morgen Magenschmerzen, wenn ich nur daran denke, mit diesem Menschen reden zu müssen.“ B: „Du stehst unter Druck.“ A: „Ich mach das nicht mehr länger mit. Ich geh zum Betriebsrat. Vielleicht können die etwas unternehmen. Der kann sich doch hier nicht ungestraft wie die Axt im Walde benehmen und den Laden an die Wand fahren!“ B: „Du willst aktiv werden.“ A: „Ja! Ich gehe heute noch zum Betriebsrat und rede mit denen. Es muss etwas geschehen. Ich bin entschlossen, das nicht mehr länger zu ertragen.“ B: „Sieht aus, als hättest Du einen Weg gefunden, Deine Situation zu verändern.“ A: „Stimmt. Danke, dass Du mir zugehört hast.“ So, nun sind Sie an der Reihe. Suchen Sie sich einen Partner und gehen Sie vor, wie in der Aufgabenstellung angegeben.

Notieren Sie hier die wichtigsten Erkenntnisse aus Ihrem Übungsgespräch:

Was lief gut? Was war schwierig?

Worauf müssen Sie besonders achten?

Was sollten Sie üben, um das Aktive Zuhören besser anwenden zu können? Wie können Sie diese Gesprächstechnik im beruflichen oder privaten Umfeld schon jetzt einsetzen?

374

11

Kommunizieren

11.4.3 Fallstudie – Das Karrieresprungbrett Aktives Zuhören in der Praxis Die Situation: Der Manager eröffnet einem Fachspezialisten die Chance, sich innerhalb des Unternehmens weiterzuentwickeln. Die Stelle eines Dozenten für innerbetriebliche Weiterbildung soll wegen Pensionierung des Stelleninhabers neu besetzt werden. Es handelt sich um eine sowohl innerhalb des Unternehmens als auch außerhalb sehr angesehene Position, die mit Forschungstätigkeit und Vortragsreisen im In- und Ausland verbunden ist – ein Karrieresprungbrett ohnegleichen. Der Fachspezialist, Anfang 40, verheiratet, zwei Kinder im Vorschulalter, ist seit 12 Jahren im Unternehmen tätig. Sein bisheriges Aufgabengebiet und seine geleistete Arbeit lassen ihn für die neue Aufgabe prädestiniert erscheinen. Der Umgangston zwischen Manager (A) und Fachspezialist (B) ist kollegial, gleichwohl hat man die nötige Distanz und Achtung voreinander. Das erste Gespräch

A: „Wie du weißt, geht Herr Wohlverdient in einem Jahr in den Ruhestand. Seine Nachfolge müssen wir jetzt klären, denn in Anbetracht der Spezialisierung seiner Tätigkeit und der zahlreichen – auch internationalen – Kontakte und Verpflichtungen sollte eine gleitende Übergabe stattfinden. Die Geschäftsleitung ist erfreulicherweise meiner Empfehlung gefolgt und hat mich beauftragt, dir diese Stelle anzubieten. Das ist ja auch ein deutlicher Ausdruck des Vertrauens und der Wertschätzung, die das Unternehmen dir damit entgegenbringt. Ich freue mich für dich und gratuliere dir herzlich zu diesem Erfolg!“ B: „Das überrascht mich jetzt aber total. Danke! Wie muss ich mir die Aufgabe im Detail vorstellen? Sind die Schuhe nicht eine Nummer zu groß für mich? Da müsste ich noch manches lernen, ehe ich das wirklich übernehmen könnte. Wie ist diesbezüglich deine Einschätzung meiner Fähigkeiten?“ A: „Natürlich wirst du in die Aufgabe hineinwachsen. Wir werden dir jede Unterstützung geben. Du wirst deine derzeitige Seminartätigkeit bis auf einen Tag reduzieren und dich voll auf das Neue konzentrieren können: Bücher lesen, Seminare und Kongresse besuchen – als Gast und als Redner. Gut, Vorträge zu halten ist im Augenblick noch nicht deine Stärke, aber da helfen wir dir – das lernst du schon. Ich biete an, dass wir beide eng zusammenarbeiten. Da werde ich dich begleiten und coachen.“ B: „Hm, klingt gut. Und wie wird das mit der Reisetätigkeit? Herr Wohlverdient ist ja ziemlich stramm unterwegs, wenn ich das richtig wahrgenommen habe?“ A: „Ja, das wird wohl etwas mehr werden als in deiner jetzigen Position. Andererseits: Du siehst was von der Welt, kommst herum, lernst viele interessante Menschen kennen. Das wird dich enorm weiterbringen, in jeder Hinsicht. Also, was ist? Wann fangen wir an?“

11.4

Zuhören

375

B: „Das ist wirklich eine tolle Chance. Bis wann brauchst du eine Entscheidung?“ A: „Entscheidung? Was gibt’s da lange zu überlegen? Das ist der Job für dich, wie maßgeschneidert!“ B: „Ich habe das Prinzip, wichtige Entscheidungen eine Nacht zu überdenken und vor allem auch mit meiner Frau zu besprechen. Bitte verstehe das.“ A: „Gut, dann bis morgen!“ Das zweite Gespräch

A: „Na, wie sieht es heute aus?“ B: „Ich habe da noch einige Verständnisfragen. Wie viele Tage müsste ich mehr auf Reisen sein als derzeit? Sicher wesentlich mehr – oder?“ A: „Wesentlich mehr?“ B: „Ja, das denke ich schon. Der Wohlverdient ist doch kaum im Büro. Heute hier und morgen dort. Dauernd unterwegs:“ A: „Du bist besorgt wegen der Familie.“ B: „Ich möchte meine Kinder aufwachsen sehen, sie als Vater begleiten und nicht überwiegend nur durch das Telefon mit ihnen reden. Mir ist das wichtig. Meine Frau ist mit dem Kleinen im Augenblick voll gefordert, und der Dreijährige wird auch immer anspruchsvoller. Ich kann sie jetzt nicht damit allein lassen. Das möchte ich nicht.“ A: „Du machst dir Sorgen um die Belastung für deine Frau. Wenn ich dich richtig verstehe, dann hast du Zweifel, die Stelle anzunehmen, weil du befürchtest, dass das Familienleben darunter leiden wird und die Lebensqualität für euch alle geringer wird?“ B: „Ja, das ist ein wichtiger Punkt!“ A: „Angenommen, wir würden eine Lösung finden, die Reisetätigkeit für eine noch zu bestimmende Zeit verträglicher zu gestalten, würde das deine Bedenken auflösen?“ B: „Teils ja, aber da ist noch etwas, was mir durch den Kopf geht. Ich kenne Herrn Wohlverdient und seinen Arbeitsstil. Ich schätze ihn fachlich und menschlich sehr. Bitte verstehe mich recht, aber ich habe ihn häufig als sehr dominant erlebt. Und ich, ich brauche meine Freiheit. Ich glaub’, das geht nicht gut mit ihm und mir.“ A: „Nicht gut mit euch?“ B: „Ja, er ist so bestimmend, weiß immer, was richtig und falsch ist, halt so bestimmend. Ich bin da anders, brauch auch mehr Zeit, Dinge zu durchdenken oder zu entwickeln. Ich fühle mich bei dem Gedanken an die enge Zusammenarbeit schon jetzt unter Druck gesetzt.“ A: „Hört sich an als fühltest du dich durch ihn unter Druck gesetzt.“ B: „Na ja, so wollte ich das eigentlich nicht sagen. Versteh’ mich bitte richtig. Ich brauche meine Ruhe, eine gewisse Unabhängigkeit, um gut arbeiten zu können.“

376

11

Kommunizieren

A: „Ich war der Meinung, dir gestern eine ausgezeichnete Karrierechance eröffnet zu haben, eine einzigartige Gelegenheit, und bei dir auch grundsätzlich Interesse an dieser Position bemerkt zu haben. Heute führst du Aspekte an, die dich von der Übernahme dieser Position abhalten: Die Familie, eine gewisse Unabhängigkeit und Ruhe, um gut arbeiten zu können. Du zweifelst noch.“ B: „Ja, richtig.“ A: „Ich habe den Eindruck, dass die Dominanz von Herrn Wohlverdient für dich zusätzlich ein Problem darstellt. B: „Da kommt vieles zusammen.“ A: „Ja, ich danke dir für dieses offene Gespräch. Wie wollen wir jetzt weiter verfahren?“ B: „Ich danke dir ebenfalls für die Ruhe und Offenheit. Ich fühle mich jetzt sehr erleichtert. In den kommenden fünf Jahren möchte ich gerne meine jetzige Aufgabe unverändert weiterbetreuen. Dann sind die Kinder aus dem Gröbsten heraus, und ich wäre bereit, über andere Aufgaben noch einmal zu reden. Ich bitte dich und die Geschäftsführung um Verständnis für meine Einstellung.“ A: „Das werde ich so weitergeben. Allerdings kann ich nicht zusagen, dass eine solche Chance sich in absehbarer Zeit wieder ergeben wird. Deine Haltung respektiere ich. Wir werden weiterhin gut zusammenarbeiten. Und die Dominanz von Herrn Wohlverdient ist ja in einem Jahr kein Thema mehr.“ Ende des Gesprächs Aufgabe

In diesem Gespräch werden seitens des Managers verschiedene Techniken des Aktiven Zuhörens angewendet. An welcher Stelle des Gesprächs beginnt das Aktive Zuhören?

Welche Techniken des Aktiven Zuhörens werden an welcher Stelle angewandt?

11.4

Zuhören

377

Musteranalyse Analyse

Gesprächsverlauf Das zweite Gespräch A: B:

Hier beginnt das aktive Zuhören. A wiederholt das zuletzt Gesagte (spiegelt) und lässt es mit einem Fragezeichen im Raum stehen.

A:

B: A verbalisiert als sichere Feststellung

A: B:

A paraphrasiert

Klärung, ob es sich um einen Einwand oder Vorwand handeln könnte

A:

B: A:

B:

A wiederholt das zuletzt Gesagte.

A: B:

„Na, wie sieht es heute aus?“ „Ich habe da noch einige Verständnisfragen. Wie viele Tage müsste ich mehr auf Reisen sein als derzeit? Sicher wesentlich mehr – oder?“ „Wesentlich mehr?“

„Ja, das denke ich schon. Der Wohlverdient ist doch kaum im Büro. Heute hier und morgen dort. Dauernd unterwegs:“ „Du bist besorgt wegen der Familie.“ „Ich möchte meine Kinder aufwachsen sehen, sie als Vater begleiten und nicht überwiegend via Telefon mit ihnen reden. Mir ist das wichtig. Meine Frau ist mit dem Kleinen im Augenblick voll gefordert, und der Dreijährige wird auch immer anspruchsvoller. Ich kann sie jetzt nicht damit allein lassen. Das möchte ich nicht.“ „Du machst dir Sorgen um die Belastung für deine Frau. Wenn ich dich richtig verstehe, dann hast du Zweifel, die Stelle anzunehmen, weil du befürchtest, dass das Familienleben darunter leiden wird und die Lebensqualität für euch alle geringer wird.“ „Ja, das ist ein wichtiger Punkt!“ „Angenommen, wir würden eine Lösung finden, die Reisetätigkeit für eine noch zu bestimmende Zeit verträglicher zu gestalten, würde das deine Bedenken auflösen?“ „Teils ja, aber da ist noch etwas, was mir durch den Kopf geht. Ich kenne Herrn Wohlverdient und seinen Arbeitsstil. Ich schätze ihn fachlich und menschlich sehr. Bitte verstehe mich recht, aber ich habe ihn häufig als sehr dominant erlebt. Und ich, ich brauche meine Freiheit. Ich glaub’, das geht nicht gut mit ihm und mir.“ „Nicht gut mit ihm und mir?“ „Ja, er ist so bestimmend, weiß immer, was richtig und falsch ist, halt so bestimmend. Ich bin da anders, brauch’ auch mehr Zeit, Dinge zu durchdenken oder zu entwickeln. Ich fühle mich bei dem Gedanken an die enge Zusammenarbeit schon jetzt unter Druck gesetzt.“

378 Analyse A verbalisiert als Vermutung

11 Gesprächsverlauf A: B:

A verbalisiert als sichere Feststellung

A verbalisiert als Vermutung

Kommunizieren

A:

B: A:

B: A: B:

A:

„Hört sich an, als fühltest du dich durch ihn unter Druck gesetzt.“ „Na ja, so wollte ich das eigentlich nicht sagen. Versteh’ mich bitte richtig. Ich brauche meine Ruhe, eine gewisse Unabhängigkeit, um gut arbeiten zu können.“ „Ich war der Meinung, dir gestern eine ausgezeichnete Karrierechance eröffnet zu haben, eine einzigartige Gelegenheit und bei dir auch grundsätzlich Interesse an dieser Position bemerkt zu haben. Heute führst du Aspekte an, die dich von der Übernahme dieser Position abhalten: Die Familie, eine gewisse Unabhängigkeit und Ruhe, um gut arbeiten zu können. Du zweifelst noch.“ „Ja, richtig.“ „Ich habe den Eindruck, dass die Dominanz von Herrn Wohlverdient für dich ein weiteres Problem darstellt. Sieht so aus, als wäre dieser Aspekt zusätzlich auch sehr wichtig für deine Haltung.“ „Da kommt vieles zusammen.“ „Ja, ich danke dir für dieses offene Gespräch. Wie wollen wir jetzt weiter verfahren?“ „Ich danke dir ebenfalls für die Ruhe und Offenheit. Ich fühle mich jetzt sehr erleichtert. In den kommenden fünf Jahren möchte ich gern meine jetzige Aufgabe unverändert weiterbetreuen. Dann sind die Kinder aus dem Gröbsten heraus, und ich wäre bereit, über andere Aufgaben noch einmal zu reden. Ich bitte dich und die Geschäftsführung um Verständnis für meine Einstellung.“ Das werde ich so weitergeben. Allerdings kann ich nicht zusagen, dass eine solche Chance sich in absehbarer Zeit wieder ergeben wird. Deine Haltung respektiere ich. Wir werden weiterhin gut zusammenarbeiten. Und die Dominanz von Herrn Wohlverdient ist ja in einem Jahr kein Thema mehr.“

11.4.4 Übung: Aktives Zuhören oder kontrollierter Dialog Suchen Sie sich zwei Mitspieler. Zwei Personen (A und B) überlegen sich ein Thema, bei dem sie möglichst unterschiedlicher Meinung sind. A und B führen ein Gespräch über das gewählte Thema, während die dritte Person C sie beobachtet und zuhört.

11.4

Zuhören

379

A beginnt mit einer Aussage, die B anschließend sinngemäß wiederholen muss (paraphrasieren). Gibt B den Sinn richtig wieder, bestätigt A dies mit „stimmt“, und B kann nun auf die Aussage von A antworten. Gibt B den Sinn nicht richtig wieder, sagt A: „falsch“, und B muss es erneut versuchen. Gelingt es auch dann nicht, wiederholt A seine Aussage, und B versucht abermals, sie sinngemäß zu wiederholen. C beobachtet den Prozess, achtet auf die Einhaltung des vereinbarten Zeitrahmens und greift ein, falls die Spielregeln verletzt werden. Er notiert, wie die beiden Gesprächspartner verbal und nonverbal aktives Zuhören und einfühlendes Verstehen zeigen. Nach 15 Minuten wird die erste Gesprächsrunde beendet, und C berichtet A und B von seinen Beobachtungen (ca. 5 Minuten). Danach werden die Rollen gewechselt, sodass jeder einmal Beobachter sein kann. Beispiel

Zwei Führungskräfte unterhalten sich über die Motivation der Mitarbeiter. A: Ich kann das Gerede über die Motivation der Mitarbeiter nicht mehr hören! Morgens spät kommen und abends zum Ausgleich früher heimgehen. Die meisten betrachten ihre Arbeit ja doch nur als störende Unterbrechung ihrer Freizeit. Und wenn sie dann mal wirklich eine gewisse Zeit rangeklotzt haben, dann sind sie ja auch vollkommen erschöpft und beantragen Bildungsurlaub. Drei Wochen am Stück! Kreatives Töpfern in der Toskana auf Kosten der Firma. Die sollen froh sein, einen sicheren Arbeitsplatz bei uns zu haben, und nicht immer gleich beim Betriebsrat auf dem Schoß sitzen, wenn man mal eine deutliche Ansage gemacht hat. Wir Manager sind doch nicht dafür verantwortlich, die Leute auch noch zu „pampern“! B: Du bist gegen Bildungsurlaub auf Kosten der Firma. A: Falsch! B: Du siehst die Verantwortung für die Motivation der Mitarbeiter nicht nur bei den Führungskräften, sondern auch bei den Mitarbeitern selbst. Statt eine übermäßige Anspruchshaltung gegenüber der Firma an den Tag zu legen, sollten sie überlegen, was sie für das Unternehmen tun könnten, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten. A: Stimmt! B: Mir ist diese Sichtweise zu einseitig. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Mitarbeiter von sich aus motiviert sind. An deren Leistungsbereitschaft zu zweifeln, sehe ich keinen Anlass. Vielmehr sehe ich Schwierigkeiten bei den Rahmenbedingungen, die wir bieten. Da ist vieles nicht gerade zum Besten . . . A: . . . .

380

11

Kommunizieren

11.5 Die Sach- und Beziehungsebene Der Sender drückt bei jeder Kommunikation auf zwei Ebenen gleichzeitig etwas aus. Auf der Sachebene wird der sachliche Inhalt der Aussage transportiert. Auf der Beziehungsebene wird das Ich-Du-Verhältnis der Gesprächspartner zueinander bestimmt (vgl. Abb. 11.10). Sachmitteilung

Sender

Empfänger

Beziehung

Abb. 11.10 Kommunikationsmodell VI

Die beiden Ebenen sind nicht immer klar voneinander zu unterscheiden. Wenn man jedoch weiß, woran man die Ebenen erkennen kann, lassen sie sich auch auseinanderhalten. Hierbei ist zu beachten, dass der Beziehungsaspekt viel weniger deutlich in der Kommunikation in Erscheinung tritt als der Sachaspekt. Je konfliktträchtiger allerdings die Grundbeziehung zwischen den Gesprächspartnern ist, desto mehr gewinnt die Beziehungsebene an Bedeutung. Die Beziehungsebene wird dabei vor allem von Kommunikationsanreizen aus dem nichtsprachlichen Bereich bestimmt. Dazu gehören u. a.: • Tonfall • Sprechtempo • Gestik • Hektik • Mimik • Blickkontakt • Einhaltung der Distanzzonen • die gesamte Körperhaltung

Je konfliktträchtiger die Beziehung der Gesprächspartner ist, desto stärker beeinflusst die Beziehungsebene die Sachaussage.

11.5

Die Sach- und Beziehungsebene

11.5.1

381

Die Grundpositionen auf der Beziehungsebene

Im Kommunikationsprozess nehmen die Beteiligten – meist unbewusst – eine sog. Grundposition ein. Diese Grundposition steuert ihr Verhalten. Sie kann im Verlauf eines Gespräches mehrfach wechseln. In den entscheidenden, weichenstellenden Gesprächsmomenten jedoch wird bevorzugt eine Grundposition eingenommen. Es lassen sich vier solcher Grundpositionen unterscheiden: • Ich +/Du + Ich bin okay, und bei näherem Hinsehen gibt es keinen Grund, dich nicht auch als okay zu sehen. Es ist auch in Ordnung, dass du anderer Meinung bist als ich. Wir wollen gemeinsam Probleme lösen – zum beiderseitigen Wohl. • Ich +/Du – Ich bin okay, du bist nicht okay. Ich werde dir sagen, wo dein Platz ist. Probleme sind deine Schuld, nicht meine. Wenn du nicht wärst, hätte ich keine Probleme. Ich werde also versuchen, dich loszuwerden. • Ich –/Du + Ich bin nicht okay, du bist okay. Ich sehe, dass du der Stärkere bist, und mache, was du sagst. Es wird das Beste sein, wenn ich mich zurückziehe. Sage du mir doch, was ich tun soll. Ich halte mich erst mal mit meinen Forderungen, Ansprüchen, Wünschen usw. zurück. • Ich –/Du – Ich bin nicht okay, du bist nicht okay. Und weil das so ist, will ich mit dir nichts erreichen. Es ist mir egal, was bei unserem Gespräch herauskommt. Wofür soll man sich noch anstrengen? Es hat ja alles sowieso keinen Sinn. An einem Beispiel wird deutlich, welche Beziehungsdefinitionen denkbar sind: Der Vorgesetzte sagt zu seinem Mitarbeiter: „Wie meinen Sie das genau?“ Das ist die Sachaussage. Je nachdem, welches Ich-Du-Verhältnis die beiden zueinander haben, liest sich dieser Satz wie folgt: • Ich +/Du + Du bist für mich kompetent. Wenn du mir das erklärst, dann weiß ich, dass das stimmt. • Ich +/Du – Jetzt zeig mal, ob du was drauf hast. Ich bin gespannt, was dir jetzt Kluges einfällt. • Ich –/Du + Drück dich doch bitte klarer aus. Ich kann dir nicht folgen. Ich bin auf dich angewiesen. • Ich –/Du – Ich weiß nicht Bescheid. Und so, wie du dich ausdrückst, kapier’ ich das auch nicht. Aber versuchen wir das Unmögliche noch einmal, es wird ja doch nicht klappen.

382

11

Kommunizieren

Kommunikationsstörungen treten immer dann auf, wenn sich einer der Beteiligten gegen die Beziehungsfestlegung durch den anderen wehrt. Zu bemerken ist dies an zunehmenden „Missverständnissen“, „So-habe-ich-das-nicht-gemeint-Aussagen“, Fehlinterpretationen, Unterstellungen, schneller und lauter werdendem Sprechen, gegenseitigem „Einander-InsWort-Fallen“ usw. In der Kommunikation gibt es keine Wahrheiten, sondern nur Übereinkünfte. Für den Sender einer Nachricht bedeutet dies, dass er sich stets davon überzeugen muss, ob ihn der „Empfänger“ auch richtig verstanden hat. Sorgt der Sender nicht für diese absichernde Rückmeldung, kann er den „Empfänger“ nicht für falsches Verhalten verantwortlich machen. Die Verantwortung für exakte Kommunikation liegt beim Sender. In der Praxis gestaltet sich das schwierig. Unsere Kommunikation ist angefüllt mit Versuchen der Klarstellung, Gegenbehauptungen und Korrekturen von Missverständnissen. „So habe ich das nicht gesagt/nicht gemeint/nicht gewollt.“ „Das haben Sie aber gründlich missverstanden.“ „Das sehen Sie falsch.“ Kann der Sender überhaupt die Verantwortung dafür übernehmen, was der Empfänger versteht? Was der Empfänger versteht, ist vom Sender nicht verlässlich zu beeinflussen. Er kann sich zwar bemühen, so eindeutig wie möglich zu formulieren, seine Wortwahl dem Thema und der vermuteten intellektuellen Verständnisebene des Empfängers anzupassen, aber Worte bilden den kleinsten Teil menschlicher Ausdrucksfähigkeit. Kommunikation besteht zu 80 % aus Körpersprache und nur zu 20 % aus sprachlichen Anteilen (Wortschatz, Sprachmelodie, Sprechrhythmus). Körpersprachliche Signale zu steuern ist schwierig. Unser Körper „spricht“ und „sagt“ immer, was wir denken und fühlen, weil unsere körpersprachlichen Signale unbewusst gesendet werden und nur bedingt steuerbar sind. Was und wie wir denken, wird durch unsere Körpersprache reflektiert. Alle Menschen sind Experten in körpersprachlicher Kommunikation: In Bruchteilen von Sekunden deuten wir die körpersprachlichen Signale unseres Gegenübers und reagieren automatisch, unbewusst! In Verhandlungen, Besprechungen, im Smalltalk und in allen anderen kommunikativen Begegnungen führen unsere Körper ihre eigene Unterhaltung miteinander – über Haltung, Mimik, Gestik, Augenkontakt, Stimme. Tatsächlich werden auf dieser Meta-Ebene die eigentlichen Entscheidungen gefällt. Dies bedeutet, dass es neben dem Inhalt ganz entscheidend darauf ankommt, wie etwas ausgedrückt wird. Gestik, Mimik, Tonfall, aber auch Husten, Räuspern sowie Schmuck und Kleidung. Nun können wir nicht ständig die fremden oder die eigenen Verhaltensbewertungen kommentieren oder Richtigstellungen in unsere Kommunikation einbringen.

11.5

Die Sach- und Beziehungsebene

383

Die folgende Darstellung „Teufelskreis der Verhaltensbeurteilung“ zeigt, wie wechselseitige Verhaltensbewertungen zu Konflikten führen können.

11.5.2

Teufelskreis der Verhaltensbeurteilung

Verhaltensbeurteilung • A tut oder sagt etwas.

Partner A lässt während eines Gesprächs den Blick an die Zimmerdecke schweifen und runzelt die Stirn.

• B nimmt das Verhalten wahr. • Gefühle werden ausgelöst. • Das wahrgenommene Verhalten wird beurteilt. • B reagiert und verhält sich.

• A nimmt das Verhalten von denkt: „Was ist denn jetzt mit B wahr. B los?“ • Das löst Gefühle bei A aus. denkt: „Ich hab doch nur den braunen Fleck an der Decke angeschaut. Ist da Wasser durch die Decke gekommen? Meine Güte, B soll nicht so rumzicken!“ • A beurteilt das Verhalten denkt: „B ist jetzt beleidigt.“ von B. • A reagiert und verhält sich. verzieht leicht gereizt die Mundwinkel und sagt: „Was ist? Stimmt was nicht?“ • B nimmt das Verhalten wahr. Gefühle werden ausgelöst. Das wahrgenommene Verhalten wird beurteilt.

B reagiert und verhält sich.

Partner B

verfolgt aufmerksam den Blick von A. denkt: „Es ist A nicht wichtig, was ich zu sagen habe.“ denkt: „A langweilt sich. Es interessiert nicht, was ich zu sagen habe.“ denkt: „Gut! Dann bin ich eben ab sofort ruhig und sage keinen Ton mehr.“

denkt: „Aha, jetzt reagiert A aggressiv.“ denkt: „Jetzt soll ich auch noch schuld sein!“ denkt: „Typisch für A! Erst mich links liegen lassen und mir obendrein ein ungutes Gefühl einreden wollen.“ sagt: „Wenn wir schon mal miteinander reden, dann demonstrierst du, wie wenig wichtig es ist, was ich dir zu sagen habe!“

384

11

Kommunizieren

Würde die Kommunikation in diesem Stil fortgesetzt, wäre ein Konflikt nicht auszuschließen. Wie können wir diesen Teufelskreis der Verhaltensbewertung und Konfliktentwicklung aufhalten oder entschärfen? Wie können wir dem Kommunikationspartner eine Rückmeldung über sein Verhalten und dessen Wirkung auf uns geben, ohne erneut missverstanden zu werden oder gar den Konflikt weiter anzuheizen? Der Austausch über wahrgenommenes Verhalten kann den Beteiligten helfen, die Wirkung ihrer Handlungen und Aussagen auf andere besser einzuschätzen. Da wir nicht sicher sein können, ob unsere Äußerungen auch so angekommen sind, wie wir sie ursprünglich gemeint haben, ist es wichtig, die Wahrnehmung unserer Partner zu erfahren. Nur so können wir, falls erforderlich, unser Verhalten korrigieren.

11.6 Feedback Wir brauchen Rückmeldungen (Feedback) von unseren Kommunikationspartnern. Der Begriff Feedback hat seinen Ursprung im technischen Bereich, in der Kybernetik. In diesem Zusammenhang bedeutet Feedback Rückmeldung oder auch Rückkoppelung aus dem Bereich von Regelungsprozessen. In der Sozialpsychologie wird unter Feedback die Rückmeldung an eine Person über die Wahrnehmung und Wirkung ihres Verhaltens verstanden. Feedback ermöglicht einzuschätzen, ob die Auswirkungen des Verhaltens den eigenen Zielen und Absichten entsprechen. Der dadurch mögliche Abgleich von Selbstund Fremdwahrnehmung kann bewirken, dass die Person ihr Verhalten verändert oder beibehält.

11.6.1 Funktionen des Feedback Feedback kann ermutigen, die Motivation fördern – helfen, Fehler zu erkennen und sich selbst besser einzuschätzen. Da Feedback stets auf subjektiven Wahrnehmungen beruht, ist es wichtig, eine wertneutrale Beschreibung des Verhaltens anzubieten, die für den Empfänger nachvollziehbar ist. In der Kommunikation der Feedbackparteien schwingen in Anlehnung an das Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun5 die vier verschiedenen Aspekte des Inhalts und deren Bewertung mit. Die Botschaft des Feedbackgebers enthält die Aspekte • Sachinhalt: Ich informiere über Sachverhalte und Beobachtungen. • Selbstkundgabe: Ich gebe zu erkennen, was mich stört, was mir gefällt, was die Äußerungen oder das Verhalten des Feedbackempfängers bei mir auslösen.

5

Vgl. Kap. 11.2.2.

11.6

Feedback

385

• Beziehung: Ich teile mit, wie ich die Beziehung zwischen mir und dem Empfänger sehe, wie ich zu ihm stehe, was ich von ihm halte. • Appell: Ich teile mit, was ich beim Empfänger erreichen möchte. Was soll er verändern, was beibehalten? Der Feedbackempfänger muss über den Feedbackgeber herausfinden: • Wie ist der Sachverhalt zu verstehen? (Sachinhalt) • Was für eine Person ist der Feedbackgeber? (Selbstkundgabe) • Wie redet der/die mit mir? Was hält der/die von mir? (Beziehung) • Was soll ich aufgrund der Botschaft denken, fühlen, verändern usw.? (Appell)

11.6.2 Wirkung der Ich- und Du-Botschaft Ich-Botschaft (Selbstkundgabe)

Teile ich mit, wie mir zumute ist, werde ich als Person und in meiner Rolle erkennbar. Der dazu notwendige Mut und die Offenheit signalisieren Vertrauen. Die Ich-Botschaft (z. B. „Es ist nicht einfach für mich, noch einmal auf den Vorfall zurückzukommen, da ich befürchte, missverstanden zu werden. Da es mich aber immer noch sehr beschäftigt, suche ich das Gespräch“.) schafft einen neuen Gesprächsanlass und eröffnet neue Perspektiven. Die Ich-Botschaft sagt etwas über meine Gefühle aus, die durch das Verhalten des anderen ausgelöst wurden. Das Gespräch auf der emotionalen Ebene geht tiefer als auf der rein sachlichen. Spreche ich über mich und meine Gefühle („Ich bin immer leicht nervös, wenn nicht alles von Anfang an nach Plan läuft, und werde dann auch schnell laut.“), kann mir der Partner eher zuhören, als wenn ich mit einer direkten Du-Botschaft auf ihn losgehen würde („Du bist immer der Letzte, der zur Arbeit erscheint.“). Du-Botschaft (Beziehung)

Das Verhältnis der Kommunikationspartner wird von den Standpunkten „Was ich von dir halte“ (Du-Botschaft) und „Wie ich zu dir stehe“ (Beziehungsbotschaft) beeinflusst. DuBotschaften haben eine stark emotionalisierende Wirkung. Der Empfänger erfährt durch die Du-Botschaft, wie er vom Sender gesehen wird, wie er auf ihn wirkt. Er kann sein Selbstbild mit der Wahrnehmung durch den anderen (Fremdbild) vergleichen. Eine deutliche Du-Botschaft kann Korrekturen oder Verstärkungen von Verhaltensweisen auslösen. Eine wohlwollende Grundhaltung des Feedbackgebers wird die konstruktive Wirkung der Du-Botschaft unterstützen.

386

11

Kommunizieren

Beziehungsbotschaft

Ist die Beziehung gestört, kommt es zu Schwierigkeiten. Ist z. B. der Partner unwillig, sich auf ein Gespräch einzulassen, und baut er eine Mauer um sich herum auf, kann es hilfreich sein, diese Situation offen anzusprechen. Die Beziehungsbotschaft ist das geeignete Mittel dafür. Sie besteht aus drei Teilen: • Situation: „Seit fünf Minuten versuche ich dir zu schildern, was mich bewegt.“ • Gefühl: „Ich habe das Gefühl, dich beschäftigt etwas.“ • Konsequenz: „Deine Meinung ist mir in diesem Fall besonders wichtig und ich hoffe, dass wir gemeinsam vielleicht eine Lösung für das Problem finden können. Wie denkst du darüber?“ Eine solche Beziehungsbotschaft wird in der Regel den Gesprächspartner öffnen und die Voraussetzung für eine konfliktfreie Gesprächsführung schaffen. Übung: Beziehungsbotschaft senden Bitte stellen Sie sich eine Situation vor, die Sie sehr betroffen gemacht hat, die Sie als unangenehm empfunden haben. Wenn Sie an diese Situation denken, was würden Sie der anderen Person gerne als Beziehungsbotschaft senden, um den Dialog wieder konstruktiv in Gang zu bringen? Formulieren Sie Ihre Beziehungsbotschaft und halten Sie sich streng an das oben vorgegebene Muster.

11.6.3 Regeln für das Geben und Empfangen von Feedback Um persönliche Verletzungen, Konflikte oder Abwehrhaltungen zu vermeiden, ist es hilfreich, einige Regeln für das Geben und das Empfangen von Feedback zu beachten. Gib Feedback, wenn der andere es hören kann und will, formuliere ausführlich und konkret. Beschreibe deutlich deine Wahrnehmungen, Vermutungen und Gefühle. Drücke sowohl positive als auch negative Gefühle und Wahrnehmungen aus. Vermittle deine Ansichten so respektvoll wie möglich. Behandle den anderen so, wie du behandelt werden möchtest. Formuliere kurz, präzise, und beziehe deine Äußerungen auf eine konkrete Situation. Gib dein Feedback möglichst unmittelbar im Zusammenhang mit der gemeinsam erlebten Situation. Empfange Feedback und höre ruhig zu, lasse den anderen ausreden – auch wenn’s schwerfällt. Versuche nicht, dich zu rechtfertigen oder zu erklären, was warum wie gelaufen ist. Stelle, falls erforderlich, Verständnisfragen. Hat der Feedbackgeber seine Meinung mitgeteilt, danke ihm und sage zu, dass du darüber nachdenken wirst. Das ist alles. Begehe nicht den Fehler, sofort darauf antworten zu wollen! Nimm dir Zeit zum Nachdenken.

11.6

Feedback

387

Beispiele für Du-Botschaften und die entsprechenden Ich-Botschaften (Schulz, F.: Miteinander Reden 1, Reinbek 2009, S. 112.) Du-Botschaften

Ich-Botschaften

Musst du eigentlich immer dazwischen reden? Du solltest mal in einen Diskutierkurs gehen.

Ich bin sauer, wenn ich unterbrochen werde. Ich denke dann, das ist nicht interessant genug, was ich erzähle. Mir ist das ungeheuer peinlich, dass du das weitererzählt hast. Ich habe Angst, dass die Leute über deine Hose lachen, und dann würde ich mich schämen.

Dir kann man wirklich nichts anvertrauen. Mit der Hose machst du dich doch lächerlich, zieh bloß eine andere an.

Bei einem Feedback sollten nur vertrauenschaffende Ich-Botschaften eingesetzt werden. Manchmal sind Ich-Botschaften mit einem hohen Wertungsanteil versehen und eigentlich verkleidete Du-Botschaften, die den Feedbackprozess nicht voranbringen. Positives Beispiel

Negatives Beispiel

„Ich habe bemerkt, dass du bei deinem Vortrag sehr schnell gesprochen hast. Deswegen konnte ich manchmal nicht richtig folgen. Dadurch habe ich das Gefühl bekommen, dass du sehr unter Zeitdruck gestanden hast.“

„Ich finde, du hast bei deinem Vortrag den Zeitdruck zu deutlich werden lassen, sonst hättest du nicht durchgehend zu schnell gesprochen.“

Kehren wir zurück zu unserem Beispiel „Teufelskreis“. In der letzten Position des Schemas der Verhaltensbeurteilung bringt B zum Ausdruck: „Wenn wir schon mal miteinander reden, dann demonstrierst du, wie wenig wichtig es ist, was ich dir zu sagen habe!“ Eine Eskalation droht. In dieser Situation sind unterschiedliche Feedback-Modelle von A oder B denkbar, die wir uns im Folgenden näher anschauen. Noch einmal im Überblick die Elemente des Feedbackprozesses und die Botschaften: ist eine • erlaubt, Fehler zu korrigieren Rückkopp- • überprüft die Art und Weise, in welcher der andere spricht (ruhig, lung sachlich, analytisch, aggressiv, gelangweilt, defensiv usw.) geben: • über die Wirkung des Wahrgenommenen auf mich (Empfänger) reden • ohne Wertung Feedback • konkret • kurz halten empfangen: • zuhören • sich nicht rechtfertigen • nicht mit Ursachen erklären • darüber nachdenken • eigenes Verhalten im Hinblick auf die Wirkung bei anderen überprüfen

388 kann eingeleitet werden: Feedback kann auf unterschiedliche Weise gegeben werden:

11

Kommunizieren

„Wenn ich richtig verstanden habe, . . . “ Ich-Botschaft (von B an A) Die Ich-Botschaft sagt etwas über mich aus, was vielleicht vom anderen oder von bestimmten Umständen ausgelöst wurde. „Wenn man mir nicht zuhört, bin ich sehr empfindlich. So etwas habe ich schon häufiger erlebt.“ Ich kann auch über mich und meine Gefühle sprechen, um diese Botschaft zum „Türöffner“ eines Gesprächs werden zu lassen. „Wenn ich den Eindruck habe, dass man mich nicht ernst nimmt, werde ich leicht unwillig.“ Du-Botschaft (von A an B) „Du bist irritiert, weil ich an die Decke geblickt habe.“ Der Sender teilt dem Empfänger mit, wie er von ihm gesehen wird. Die Du-Botschaft kann eine starke emotionale Wirkung haben. Um das Verhalten eines anderen zu verändern oder zu bestätigen, muss ich ihm sagen, wie ich seine Leistung oder Verhaltensweisen beurteile. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben einer Führungskraft. Um konstruktive Wirkung zu erzielen, muss die Du-Botschaft auf der Basis einer wohlwollenden Grundhaltung gegeben werden, z. B.: „Dein Verhalten in dieser schwierigen Verhandlung war sehr geschickt. Du hast ihn sich leer reden lassen und ihm dann überzeugende sachliche Gründe geliefert.“ Beziehungsbotschaft (von B an A) Eine Beziehungsbotschaft ist immer dann angebracht, wenn es notwendig ist, Störungen auf der Beziehungsebene zu klären und die Zusammenarbeit zu verbessern. „Seit fünf Minuten versuche ich dir zu schildern, was mich bewegt. Ich habe das Gefühl, dich beschäftigt etwas. Deine Meinung ist mir besonders wichtig, und ich hoffe, dass wir gemeinsam vielleicht eine Lösung für das Problem finden können. Wie denkst du darüber?“

11.6

Feedback

389

Feedback motiviert Das Streben nach sozialer Anerkennung (Akzeptanz) beeinflusst das Selbstwertgefühl und ist die Triebfeder menschlichen Handelns schlechthin. Die Entwicklung des Selbstwertgefühls bedarf der Rückmeldung, der Resonanz durch unsere Mitmenschen. In Arbeitsprozessen brauchen wir Feedback in Form von Lob und Kritik. Werden uns derartige Rückmeldungen längere Zeit vorenthalten, zweifeln wir an uns, und unsere Motivation leidet oder wird komplett zerstört. Rückmeldungen über unser Verhalten oder unsere Leistung empfinden wir als hilfreich. Sie motivieren uns, wir brauchen Sie, um unser Verhalten überprüfen und ggf. neu auszurichten zu können. Wir wählen uns gern selbstbestimmt Aufgaben (autonom). Erfahren wir während der Aufgabenbearbeitung unsere eigene Wirksamkeit (= Kompetenz), werden wir dadurch zur fortlaufenden Reflexion und zum Lernen angeregt und steigern unsere Leistungsfähigkeit. Die Wahrnehmung von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit bewirkt intrinsische (aus uns selbst, von innen herrührende) Motivation. Forschungsergebnisse belegen, dass die positive Rückmeldung durch die Führungskraft sich förderlich auf die intrinsische Motivation auswirkt. Zu den extrinsischen Motivatoren (Belohnung oder Bestrafung) zählen Geld oder andere Anreize. Wirksamer als diese ist allerdings die positive Rückmeldung durch die Führungskraft. Diese fördert wirksamer und nachhaltiger die intrinsische Motivation als materielle Anreize. Wirksames Feedback – gleichwohl ob positiv oder negativ – bietet dem Empfänger immer einen Mehrwert. Es ist kein Monolog, sondern immer der Auftakt zu einem Dialog. In einem Kritik- oder Lobgespräch sollte auch der Angesprochene zu Wort kommen und seinen Standpunkt darlegen können. Etwa durch diese Fragen: • Wie denken Sie darüber? • Was davon trifft Ihrer Meinung nach zu? • Wie hätte es besser laufen können? • Was könnten Sie/wir das nächste Mal anders machen?

11.6.4 Johari-Fenster Das „Johari-Fenster“ (benannt nach den amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham, University of California) ist ein Modell, welches das Verhalten eines In-

390

11

Kommunizieren

dividuums aus der Sicht anderer Menschen darstellt. Es verdeutlicht, dass der Mensch nur von einem Teil seines Wesens bewusst Kenntnis hat, einige seiner Wesensmerkmale ihm jedoch verborgen und nur seiner Umwelt bekannt sind. Ziel eines gruppendynamischen Lernprozesses ist es, den als „blinden Fleck“ bezeichneten unbekannten Wesensanteil einer Person zu beseitigen oder zu verkleinern, um stille innere Reserven zu mobilisieren. Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung entsprechen einander nicht. So gibt es Bereiche des Verhaltens, in denen anderen unbeabsichtigt Mitteilungen über die eigene Person gemacht werden, während große Bereiche der eigenen Wahrnehmung verborgen bleiben. Das, was von dem Verhalten einer Person jeweils wahrgenommen wird, ist also nur ein Bruchteil dessen, was für sie in einer sozialen Situation Bedeutung hat. Auch dem Einzelnen selbst sind wesentliche Aspekte des eigenen Verhaltens nicht bekannt und bewusst oder zugänglich. Vier Bereiche können unterschieden werden:

Abb. 11.11 Johari-Fenster

A umfasst den Teil des gemeinsamen Wissens, also jene Aspekte unseres Verhaltens, die uns selbst und den anderen Mitgliedern der Gruppe bekannt sind. B umfasst den „blinden Fleck“, also jenen Anteil unseres Verhaltens, den wir selbst wenig, die anderen Mitglieder der Gruppe hingegen recht deutlich wahrnehmen: die unbedachten und unbewussten Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die Vorurteile, Zu- und Abneigungen. Hier können uns die anderen Gruppenmitglieder

11.6

Feedback

391

Hinweise auf uns selbst geben. Dieser Bereich wird überwiegend nonverbal, etwa durch Gesten, Kleidung, den Klang der Stimme, den Tonfall etc. kommuniziert und umfasst das Auftreten insgesamt. Ein großer „blinder Fleck“ ist u. a. für eine effiziente Gesprächsführung hinderlich. Feedback kann dazu beitragen, den „Blinden Fleck“ zu erhellen. C umfasst den Bereich des Zurückgehaltenen, also jene Aspekte unseres Denkens und Handelns, die wir vor anderen bewusst verbergen – die „heimlichen Wünsche“, die „empfindlichen Stellen“, also unsere „private Person“. Das subjektive Gefühl der Sicherheit und Vertrauen gegenüber den Gruppenmitgliedern können den Anteil des Zurückgehaltenen reduzieren. D umfasst den unbewussten Bereich, der weder uns noch anderen unmittelbar zugänglich ist, beispielsweise verborgene Talente und ungenutzte Begabungen. Möglicherweise ist ein Abteilungsleiter ein talentierter Verkäufer, hatte aber im Rahmen seiner bisherigen Tätigkeiten noch nie mit dem Vertrieb von Produkten zu tun, und infolgedessen haben weder er noch seine Vorgesetzten und Mitarbeiter Kenntnis von dieser Begabung. Das Analyseschema des Johari-Fensters (siehe Abb. 11.11) kann auf Einzelpersonen oder Gruppen bezogen werden. In der Kommunikation sind vor allem die Bereiche B und D von Interesse, weil hier durch Feedback Veränderungsprozesse eingeleitet werden können. In einer neuen Gruppe ist Bereich A sehr klein, und es sind nur wenige spontane Aktionen zu registrieren. Zudem wird häufig zu Beginn von Lernprozessen in Gruppen eine gewisse Verunsicherung Spannungen oder gar Ängste fördern, die das freie, aktive Verhalten zusätzlich einengen. Dieser Bereich, in dem freies Handeln entstehen kann, ist zugunsten des Bereichs des Verbergens und des blinden Flecks eingeschränkt. Durch Feedback wird eine Person mit den Wahrnehmungen bekannt, die andere mit ihr in Verbindung bringen (Fremdbild), und erweitert auf diese Weise das Bild über sich selbst (Selbstbild). Das Feedback kann dazu beitragen, den Bereich des „Blinden Flecks“ zu verringern. Ziel ist, dem Feedbackempfänger die Wirkung seines Verhaltens auf andere bewusst zu machen, damit er sein Verhalten reflektieren und ggf. verändern kann. Für den Bestand und die Effizienz einer Gruppe ist es wichtig, den Bereich des freien Handelns zu fördern. Da die vier Bereiche des Johari-Fensters miteinander vernetzt sind, wirken sich Veränderungen in einem Bereich auch auf die anderen aus. Ein vertrauensvolles Klima kann sowohl den Bereich des Vermeidens und Verbergens reduzieren als auch die Chance bieten, durch Kontakte mit anderen Gruppenmitgliedern mehr über sich selbst, über den Bereich des blinden Flecks zu erfahren und damit dem Bereich des freien Handelns größeren Raum zu geben. Dieses entspannende und vertrauensvolle Klima, das Einzelne möglichst umfassend in den Gruppenprozess mit einbezieht, stellt sich jedoch erst durch intensive Kontakte der Gruppenmitglieder untereinander und durch Vertrautheit mit den verschiedenen Aspekten dessen her, was die Gruppe prägt. Erst wenn in Bezug auf Ziele und Normen, auf die

392

11

Kommunizieren

Struktur und die Stellung in der Gruppe ein alle Mitglieder befriedigender Konsens hergestellt ist, können ein gutes Gruppenklima und das Engagement aller Mitglieder erwartet werden. Es lassen sich häufig verschiedene Phasen der Gruppenarbeit beobachten, die allerdings nicht zwingend in dieser Reihenfolge durchlaufen werden müssen: • Orientierung – Unsicherheit und Angst darüber, was wohl auf den Einzelnen zukommt, kennzeichnen die Anfangszeit. Vorsichtiger Umgang mit den anderen Mitgliedern der Gruppe herrscht vor, man testet sympathisch Erscheinende auf Tauglichkeit. • Auseinandersetzung – Die Beziehungen sind noch nicht stabil, egoistisches Denken herrscht noch vor. Mit Konkurrenten „kämpft“ man um seine Rolle in der Gruppe, deren Möglichkeiten sich jetzt abzuzeichnen beginnen. • Bindung – Die Mitglieder identifizieren sich mit ihrer Rolle, den Gruppenzielen und den Mitwirkenden der Gruppe. Ein Sicherheitsgefühl und eine gute Atmosphäre in der Gruppe sind deutlich wahrnehmbar. • Festigung – Es kommt zur Bildung von Meinungen, Einschätzungen und Bewertungen hinsichtlich der Qualität der eigenen Gruppe und der anderer. In der Regel wird die eigene Gruppe besser bewertet. Je größer die Distanz zu anderen Gruppen ist, desto enger wird die Zusammenarbeit in der eigenen Gruppe. In Extremfällen kann es hier zu unangemessenen Überlegenheitsgefühlen kommen. • Auflösung – Nach Erreichen des gemeinsamen Ziels löst sich die Gruppe auf, falls sie keine neuen Ziele definiert hat, um in irgendeiner Form weiter zu bestehen.

11.6.5 Selbst- und Fremdwahrnehmung Im Alltag machen wir uns relativ schnell ein Bild von anderen Menschen, das allerdings nur teilweise das Ergebnis sorgfältiger Beobachtung und Auswertung dessen ist, was wir in Erfahrung bringen können. Vielmehr entwickeln wir auf der Grundlage von Erfahrungen spontan ganz bestimmte Urteile und Eindrücke. Wir verallgemeinern das Beobachtbare, ordnen das Wahrgenommene in abgespeicherte Schemata, Raster und Schubladen ein, ergänzen das Wahrgenommene durch Annahmen und Denkgewohnheiten. Wann immer wir es mit anderen Menschen zu tun haben, nehmen wir wahr, welche Eigenschaften sie besitzen, welche Bedeutung sie für uns haben könnten. Jeder Freund, Bekannte, Nachbar, aber auch Personen, die uns auf der Straße begegnen, werden in irgendeiner Form, sei es in Bezug auf ihr Aussehen oder ihr Auftreten, von uns beurteilt. Gleiches gilt für Gruppen von Menschen wie die eigene Familie oder den Kollegenkreis. Die rasche Wahrnehmung und Bewertung von Eigenschaften uns unbekannter Menschen löst bei uns ein entsprechendes Verhalten aus, hilft uns, Absichten der anderen zu verstehen, vorauszusehen und uns vor unliebsamen Überraschungen zu schützen.

11.6

Feedback

393

Die Mitglieder einer Gruppe wachsen durch gruppendynamische Prozesse im besten Fall zu einer arbeitsfähigen Einheit zusammen. Die Charaktereigenschaften, Interessen, Fähigkeiten und individuellen Ziele der Gruppenmitglieder beeinflussen die Qualität der Zusammenarbeit und der Arbeitsergebnisse. Wie sehr die Selbst- und Fremdeinschätzung differieren können, zeigt die folgende Befragung von 900 Führungskräften und deren Mitarbeitern. Befragung zu den Diskrepanzen in der Selbst- und Fremdwahrnehmung6

Thesen

Es wird autoritär geführt. Alle Mitarbeiter verfügen über den gleichen, guten Informationsstand. Alle Mitarbeiter werden über wichtige Entscheidungen informiert. Ziele werden Mitarbeitern transparent gemacht. Den Mitarbeitern werden ihre Aufgaben/Ziele sorgfältig erläutert. umfassende Handlungs- und Entscheidungsspielräume der Mitarbeiter Entscheidungsbeteiligung der Mitarbeiter an Vorgesetzten-Entscheidungen konstruktive Rückmeldung an Mitarbeiter (Anerkennung) feines Gespür für die Stimmung der Mitarbeiter Mitarbeiter bekommen die Chance, sich nach oben hin zu profilieren.

Selbsteinschätzung der Vorgesetzten

29 % 85 %

Fremdeinschätzung der Vorgesetzten durch ihre Mitarbeiter 70 % 40 %

80 %

43 %

90 % 75 %

56 % 50 %

87 %

66 %

79 %

7%

72 %

39 %

64 % 88 %

35 % 45 %

Die Ergebnisse zeigen die Notwendigkeit, die Selbst- und Fremdwahrnehmung gelegentlich einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

6

Quelle: Wirtschaftswoche vom 11.03.94, 900 Mitarbeiter bewerten das Führungsverhalten ihrer 150 Chefs, S. 70.

394

11

Kommunizieren

Selbstbild – Ich über mich Vervollständigen Sie bitte die nachstehenden Sätze: • Meine größte Stärke ist . . . • Meine größte persönliche Schwäche ist . . . • Das Befriedigendste an meiner Arbeit ist . . . • Das Lästigste an meiner Arbeit ist . . . • Wenn ich eines in meinem beruflichen Umfeld könnte, wäre das . . . • Am besten mache ich in meinem Beruf . . . • Was ich am dringendsten an meiner Arbeit/meinem Studium verändern müsste, ist . . . • Die Gefühle, die ich am schwierigsten auszudrücken finde, sind . . . • Wenn man mich fragen würde, ob ich ein guter Schüler war, würde ich sagen, . . . • Wenn jemand meine Analyse-Fähigkeit bewerten würde, wäre das Ergebnis . . . • Wenn ich einen Fehler mache, . . . • Was ich am liebsten erreichen möchte, ist . . . • Könnte ich etwas an mir ändern, wäre es . . . Wie zufrieden sind Sie mit Ihren Antworten, und welche Erkenntnisse aus dieser Übung sind für Sie wichtig? Selbstbild-Klärung für Führungskräfte Hier ein Werkzeug zur Klärung Ihres Selbstbildes im Bereich der Mitarbeiterführung. Beantworten Sie bitte die Fragen so wahrheitsgetreu wie möglich. Fragen 1. Wie sehe ich mich selbst als Führungskraft? 2. Wo liegen meine Stärken und Schwächen im Hinblick auf eine Führungstätigkeit? 3. Was werde ich unternehmen, um meine Stärken zu fördern und meine Schwächen zu kompensieren? 4. Wenn Sie bereits Mitarbeiter hatten: Wie sehen mich meine Mitarbeiter als Führungskraft? 5. Falls Sie noch keine Führungsverantwortung hatten: Wie, vermuten Sie, werden Ihre künftigen Mitarbeiter sie als Führungskraft finden?

meine Antworten

11.6

Feedback

395 Fragen

meine Antworten

6. Bin ich selbst und sind auch meine Mitarbeiter in der Lage, unsere drei wichtigsten Ziele aufzuschreiben, ohne nachschauen zu müssen?∗ 7. Wenn Sie an Ihre Mitarbeiter und an Ihr Arbeitsumfeld denken, was erschwert Ihnen die Führungstätigkeit? 8. Kennen Sie die individuellen Ansprüche Ihrer Mitarbeiter? Haben sich diese im Laufe Ihrer Führungstätigkeit verändert? ∗

Falls Sie noch nicht in Führungsverantwortung gestanden haben, versuchen Sie sich bitte bei den Fragen 6. – 8. vorzustellen, was wäre, wenn . . .

396

11

Kommunizieren

Übung: Profil zeigen Das folgende Analyseverfahren können Sie für sich selbst oder auch für die Einschätzung von Mitarbeitern anwenden. Es wird Ihre Wahrnehmung über Ihre eigene Person oder andere aufzeigen. Bitte schätzen Sie Ihre derzeitigen Fähigkeiten ein und kreuzen Sie den Status in der entsprechenden Spalte an. Anschließend verbinden Sie die Kreuze mit einer Linie, und Sie erhalten einen Überblick über Ihr derzeitiges Profil. Sie können daraus erkennen, wo Sie stark sind und wo es noch Optimierungspotenziale gibt. Abbildung 11.12 zeigt ein Beispiel. Bewertung

Aspekte

Fachwissen

Kooperation mit Kollegen

Fähigkeit, gut zuzuhören Schulterschluss bei Problemen zeigen Bereitschaft, mehr zu leisten als Standard Einsatz stärkender und positiver Sprache Fähigkeit, konstruktiv zu kritisieren Fähigkeit, angemessen zu loben zielorientiertes Arbeiten Fähigkeit zur schriftlichen Kommunikation

Abb. 11.12 Profilbestimmung

kaum vorhanden

1

2

sehr niedrig

niedrig

3

5

4

6

akzeptabel

7

8

gut sehr gut

9 10

11.6

Feedback

397

Hier können Sie Ihr Profil entwickeln. Verwenden Sie die Matrix als Kopiervorlage. Die Auflistung der Bewertungsaspekte kann beliebig erweitert werden. Mein Profil:

Bewertung

Aspekte

kaum vorhanden

1

2

sehr niedrig

3

Fachwissen

Kooperation mit Kollegen

Fähigkeit, gut zuzuhören

Schulterschluss bei Problemen zeigen Bereitschaft, mehr zu leisten als Standard Einsatz stärkender und positiver Sprache Fähigkeit, konstruktiv zu kritisieren Fähigkeit, angemessen zu loben

zielorientiertes Arbeiten

Fähigkeit zur schriftlichen Kommunikation

Abb. 11.13 Kopiervorlage zur Profilbestimmung

4

niedrig

5

6

akzeptabel

7

8

gut

sehr gut

9 10

398

11

Kommunizieren

11.7 Beraten und verhandeln In Gesprächen mit Kunden, Mitarbeitern oder Vorgesetzten geht es häufig um die Aspekte beraten und verhandeln. Jede Frage, auch eine kritische, kann als Signal des Interesses gewertet werden. Nicht immer ist das deutlich erkennbar. Manche als Ablehnung wahrgenommene Äußerung, mancher Einwand ist im Grunde nur ein Zögern oder ein Signal für einen Bedarf an überzeugenden Informationen. Im Folgenden werden wir uns mit zwei weiteren wichtigen Techniken der Kommunikationssteuerung befassen: der Behandlung von Einwänden und der Behandlung von positiven Signalen – den Zustimmungssignalen. Unter dem Begriff „Zustimmungssignal“ werden all jene nonverbalen Botschaften zusammengefasst, die Interesse und damit ein Eingehen des Kommunikationspartners auf das Thema des Senders signalisieren. Wir werden sehen, wie man in Gesprächen Einwände von Vorwänden unterscheiden und angemessen darauf reagieren kann, und uns weiter damit beschäftigen, wie Gespräche durch Fragen gesteuert werden und wie eine überzeugende Argumentation aufgebaut ist.

11.7.1

Argumentieren

Erinnern wir uns an die Fallstudie “Der Autokauf“, in der es darum ging, durch Fragen und Zuhören die Bedürfnisse des Kunden so gut wie möglich zu verstehen. Durch die Fallstudie haben wir die Bedeutung der vier Stufen eines guten Beratungsgesprächs kennengelernt, die hier noch einmal aufgeführt sind: • eine freundliche Atmosphäre herstellen • die Bedürfnisse des Kunden erfragen • aus der Situation des Kunden heraus argumentieren • das Produkt oder die Dienstleistung anbieten. Wir beschäftigen uns jetzt eingehender mit der dritten Stufe: „Aus der Sicht des Kunden heraus argumentieren“. Beim Argumentieren geht es darum, jemanden von einem Sachverhalt oder einer Behauptung zu überzeugen. In der Regel wird eine Behauptung aufgestellt, mit nachvollziehbaren Argumenten begründet und dadurch die Zustimmung des Partners erreicht. Wenn es z. B. beim Autokauf um die Entscheidung für einen Benzin- oder Dieselmotor ginge, könnte die Argumentation für den Dieselmotor wie folgt lauten: • Der Dieselmotor als Alternative zu einem vergleichbaren Benziner ist günstiger im Verbrauch und emittiert deutlich weniger Schadstoffe. • Der um (xx) Cent geringere Preis für Dieselkraftstoff reduziert die Verbrauchskosten deutlich. • Bedingt durch seine robuste Konstruktion ist auch der Verschleiß eines Dieselmotors geringer und somit seine Lebensdauer länger.

11.7

Beraten und verhandeln

399

Wichtig ist, immer die Bedürfnisse des Kunden oder des Gesprächspartners im Auge zu behalten. Der Kunde ist vor allem an dem Nutzen interessiert, den er mit einem Produkt oder einer Dienstleistung erhält. Dazu ist es unerlässlich, dass wir seine Wünsche und Motive kennenlernen. Welche Aspekte den Kunden zustimmen lassen, teilt er uns mit, wenn wir ihm aufmerksam zuhören. Haben wir herausgefunden, welche Aspekte für unseren Gesprächspartner vorrangig interessant sein könnten, stellen wir uns darauf ein und können davon ausgehen, dass man infolgedessen unsere Argumentation als nützlich akzeptieren wird. Es ist gut, verbal zu argumentieren, aber besser ist, das Produkt zu zeigen oder vorzuführen. Noch besser ist, den Kunden das Argument durch eigenes Erproben erleben zu lassen. Und ideal ist es, alle drei Möglichkeiten zu kombinieren. Mit seiner Argumentation liefert der Berater die Übersetzung zwischen den Produktmerkmalen und dem Nutzen für den Kunden. Er baut auf diese Weise eine Brücke zwischen dem Angebot und den Kaufmotiven. Der Übersetzungsprozess vollzieht sich in drei Schritten: • Beschreibung des Merkmals (Produkt, Dienstleistung) • Nennen der Übersetzungsformel • Beschreibung des dem Kaufmotiv des Kunden entsprechenden Nutzens. Wir müssen unserem Gesprächspartner aufzeigen, welche Bedeutung unsere Argumentation für ihn hat und welcher Nutzen sich für ihn daraus ergibt. Um die Bedeutung eines Arguments zu vermitteln, bieten sich Formulierungen an wie • „. . . das bedeutet für Sie . . . “ • „. . . das beinhaltet . . . “ • „. . . das zeigt . . . “ • „. . . das soll das heißen . . . “ • „. . . mit anderen Worten . . . “ Beispiele für die Anwendung der Übersetzungsformel: Merkmal

Übersetzungsformel

(Nutzen)

„Unsere Werkstatt hat einen 24-StundenNotdienst. „Unsere Werkstatt bietet Ihnen einen Direktannahme-Service.

Das garantiert Ihnen

verlässliche Hilfe im Pannenfall.“ (Betreuung)

Dadurch haben Sie

keine langen Wartezeiten, und kleine Reparaturen werden schnell erledigt.“ (Zeit ist Geld)

400

11

Kommunizieren

Merkmal

Übersetzungsformel

(Nutzen)

„Bei Vollbremsungen verhindert das ABS ein Blockieren der Räder. „Klimaanlagen verringern die Luftfeuchtigkeit.

Das bedeutet für Sie, dass

Ihr Fahrzeug in dieser Situation jederzeit lenkbar und fahrstabil bleibt.“ (Fahrsicherheit) kein lästiges Wischen und gefährliches Beschlagen der Scheiben mehr.“ (Komfort und Sicherheit)

Der Vorteil für Sie ist:

Während der Erläuterung der Bedeutung unseres Arguments lässt sich an der Reaktion des Partners ablesen, ob dieser die Ausführungen positiv aufgefasst hat. Um uns zu vergewissern, können wir z. B. fragen: • „. . . nicht wahr?“ • „. . . wie denken Sie darüber?“ • „. . . wie sehen Sie das?“ • „. . . oder was meinen Sie dazu?“ So lässt sich überprüfen, ob das Argument „angekommen“ ist. Natürlich ist auch mitunter Zustimmung erkennbar, ohne dass es einer (Vergewisserungs-)Frage bedarf, da sie nonverbal artikuliert wurde. Eine positive, zustimmende Äußerung schafft eine gemeinsame Basis für weitere Vereinbarungen. Die zuvor dargestellten Wirkungsmechanismen des Argumentierens gelten für alle denkbaren Gesprächssituationen – im privaten wie im beruflichen Bereich.

11.7.2

Ein- oder Vorwände?

Nicht immer erhalten wir in Gesprächen eindeutige Zustimmungssignale. Wird unsere Vergewisserungsfrage – z. B.: „Wie denken Sie darüber?“ – mit einer Aussage beantwortet, die wir nicht erwartet hatten, müssen wir herausfinden, ob es sich um einen Einwand oder um einen Vorwand handelt. Einwände geben einen Hinweis darauf, dass der Gesprächspartner grundsätzlich interessiert ist und dies durch seine Einwände zum Ausdruck bringt. Einwände sind also nicht grundsätzlich negativ zu werten. Ein Einwand ist keine endgültige Ablehnung, sondern die Mitteilung, dass es noch Fragen oder Bedenken gibt, bevor Zustimmung möglich ist. Ein Vorwand ist wie eine Wand, die man vorzieht, um sich dahinter zu verbergen und nicht die wahren Beweggründe nennen zu müssen. Es ist eine Art Fluchtmanöver. Wird der Vorwand aufgedeckt, wird der Gesprächspartner gewissermaßen bloßgestellt – Gesichtsverlust droht. Es besteht die Gefahr, dass die Beziehung in diesem Fall irreparabel gestört wird. Haben wir den Eindruck, unser Partner äußert einen Vorwand, sollten wir nicht versuchen, diesen bloßzulegen oder zu entkräften – nicht gegen einen Vorwand argumentieren!

11.7

Beraten und verhandeln

401

Wie lassen sich Einwand und Vorwand voneinander unterscheiden? Gehen wir noch einmal zu dem Gespräch „Karrieresprungbrett“ aus dem Bereich des Aktiven Zuhörens (s. Abschnitt 11.4.3: Fallstudie – Das Karrieresprungbrett/Das zweite Gespräch) und prüfen, ob hier mit Einwänden oder Vorwänden gearbeitet wird. Fallstudie: Das Karrieresprungbrett A: „Na, wie sieht es heute aus?“ B: „Ich habe da noch einige Verständnisfragen. Wie viele Tage müsste ich mehr auf Reisen sein als derzeit? Sicher wesentlich mehr, oder?“ A: „Wesentlich mehr?“ B: „Ja, das denke ich schon. Der Wohlverdient ist doch kaum im Büro. Heute hier und morgen dort. Dauernd unterwegs.“ Aussage 1: . . . mehr auf Reisen sein als derzeit A: „Du bist besorgt wegen der Familie?“ B: „Ich möchte meine Kinder aufwachsen sehen, sie als Vater begleiten und nicht überwiegend durch das Telefon mit ihnen reden. Mir ist das wichtig. Meine Frau ist mit dem Kleinen im Augenblick voll gefordert, und der Dreijährige wird auch immer anspruchsvoller. Ich kann sie jetzt nicht damit allein lassen. Das möchte ich nicht.“ A: „Du machst dir Sorgen wegen der Belastung für deine Frau. Wenn ich dich richtig verstehe, dann hast du Zweifel, die Stelle anzunehmen, weil du befürchtest, dass das Familienleben darunter leiden wird und die Lebensqualität für euch alle geringer wird?“ B: „Ja, das ist ein wichtiger Punkt!“ Aussage 2: . . . kann und möchte Frau und Kinder jetzt nicht so häufig allein lassen Um herauszufinden, ob es sich bei beiden Aussagen um Einwände oder Vorwände handelt, stellt der Vorgesetzte die Frage „Angenommen, wir würden . . . “ Im Falle eines Einwandes würden jetzt die Bedenken offengelegt, und man könnte eine akzeptable Lösung oder einen Kompromiss finden. A: „Angenommen, wir würden eine Lösung finden, die Reisetätigkeit für eine noch zu bestimmende Zeit verträglich zu gestalten, würde das deine Bedenken auflösen?“ B: „Teils ja, aber da ist noch etwas, was mir durch den Kopf geht. Ich kenne Herrn Wohlverdient und seinen Arbeitsstil. Ich schätze ihn fachlich und menschlich sehr. Bitte verstehe mich recht, aber ich habe ihn häufig als sehr dominant erlebt. Und ich – ich brauche meine Freiheit. Ich glaub’, das geht nicht gut mit ihm und mir.“

402

11

Kommunizieren

A: „Nicht gut mit euch?“ B: „Ja, er ist so bestimmend, weiß immer, was richtig und falsch ist, halt so bestimmend. Ich bin da anders, brauch’ auch mehr Zeit, Dinge zu überdenken oder zu entwickeln. Ich fühle mich bei dem Gedanken an die enge Zusammenarbeit schon jetzt unter Druck gesetzt.“ Aussage 3: Auf die „Angenommen“-Frage reagiert B nicht direkt, sondern führt jetzt Herrn Wohlverdient und dessen dominantes Verhalten als weiteren Ablehnungsgrund an. Was also ist der eigentliche Grund für B – die intensivere Reisetätigkeit oder Herr Wohlverdient? A: „Hört sich an, als fühltest du dich durch ihn unter Druck gesetzt.“ B: „Na ja, so wollte ich das eigentlich nicht sagen. Versteh’ mich bitte richtig. Ich brauche meine Ruhe, eine gewisse Unabhängigkeit, um gut arbeiten zu können.“ Aussage 4: Die Behauptung des dominanten Verhaltens von Wohlverdient wird eingeschränkt. Bildlich gesprochen – „mit dem Rücken zur Wand stehend“ – kommt heraus: „Ich brauche meine Ruhe, eine gewisse Unabhängigkeit . . . “ Hier sagt B klar, was für ihn wichtig ist. A: „Ich war der Meinung, dir gestern eine ausgezeichnete Karrierechance eröffnet zu haben – eine einzigartige Gelegenheit – und bei dir auch grundsätzlich Interesse an dieser Position bemerkt zu haben. Heute führst du Aspekte an, die dich von der Übernahme dieser Position abhalten: die Familie, eine gewisse Unabhängigkeit und Ruhe, um gut arbeiten zu können. Du zweifelst noch.“ B: „Ja, richtig.“ A: „Ich habe den Eindruck, dass die Dominanz von Herrn Wohlverdient für dich ein weiteres Problem darstellt. Sieht so aus, als wäre dieser Aspekt zusätzlich auch sehr wichtig für deine Haltung.“ B: „Da kommt vieles zusammen.“ Vorwand erkannt: Der Vorgesetzte hat erkannt, dass der Mitarbeiter eigentlich keine sachlich begründeten Einwände hat, sondern große Bedenken, welche er hinter dem Vorwand verbirgt, es werde mit Herrn Wohlverdient nicht funktionieren, da er sich von dessen dominantem Verhalten zu sehr unter Druck gesetzt fühle. Damit ist klar: die Aussagen 1 – 3 waren keine Einwände, sondern Vorwände. A: „Ja, ich danke dir für dieses offene Gespräch. Wie wollen wir jetzt weiter verfahren?“ B: „Ich danke dir ebenfalls für die Ruhe und Offenheit. Ich fühle mich jetzt sehr erleichtert. In den kommenden fünf Jahren möchte ich gerne meine jetzige Aufgabe unverändert weiterbetreuen. Dann sind die Kinder aus dem Gröbsten heraus und ich wäre bereit, über andere Aufgaben noch einmal zu reden. Ich bitte dich und die Geschäftsführung um Verständnis für meine Einstellung.“

11.7

Beraten und verhandeln

403

Erkenntnis: Der Mitarbeiter fürchtet eine tiefgreifende Veränderung seiner Lebens- und Arbeitssituation und möchte sich dieser nicht aussetzen. Dies ist der eigentliche Grund, verborgen hinter vermeintlichen Einwänden, die sich als Vorwände erwiesen haben. A: Das werde ich so weitergeben. Allerdings kann ich nicht zusagen, dass eine solche Chance sich in absehbarer Zeit wieder ergeben wird. Deine Haltung respektiere ich. Wir werden weiterhin gut zusammenarbeiten, und die Dominanz von Herrn Wohlverdient ist ja in einem Jahr kein Thema mehr.“ Durch Kontrollfragen lässt sich klären, ob es sich um einen Einwand oder einen Vorwand handelt. Hier einige bewährte Formulierungen: • „Angenommen, ich/wir würden . . . “ • „Gesetzt den Fall, das wäre nicht so, würdest du dann . . . ?“ • „Gehen wir mal davon aus, das wäre theoretisch lösbar, gäbe es dann einen weiteren Grund, der dagegen spräche?“ Wird eine dieser Fragen mit „Nein“ beantwortet, stellen wir eine Informationsfrage, um nach weiteren Gründen zu forschen. Wird eine dieser Fragen hingegen bejaht, handelt es sich sehr wahrscheinlich um einen Einwand. Diese Fragen sind im Sinne des Aktiven Zuhörens sehr geeignet, die Mitteilungsbereitschaft des Partners zu aktivieren. Sie werden in der Regel mit zwei Varianten beantwortet: • „Da wäre noch . . . “ oder „Wenn das . . . “ usw. = Einwand • „Das würde das Problem auch nicht lösen“ oder ähnlich = Vorwand Übung: In der Praxis – Einwand oder Vorwand? Gehen wir jetzt in Ihre berufliche oder private Situation: Welche Einwände oder Vorwände haben Sie erlebt, womit hatten Sie Schwierigkeiten? Sammeln Sie die aus Ihrer Sicht problematischen Aussagen und tragen Sie diese in das folgende Formular unter der Rubrik „Aussage“ ein. Entsprechend der vermuteten Reaktion ihres virtuellen Gesprächspartners auf Ihre „Angenommen-Frage“ entscheiden Sie, ob die Aussage einen Einwand oder Vorwand darstellt. Kreuzen Sie die entsprechende Rubrik an. In der Spalte „Reaktion“ notieren Sie bitte die Formulierung des anderen, die Sie für wahrscheinlich halten. Die Ergebnisse Ihrer Überlegungen diskutieren Sie mit einer Person Ihres Vertrauens, um eine Rückmeldung zu erhalten. • Sammeln Sie Aussagen, mit denen Sie in beruflichen oder privaten Zusammenhängen in Gesprächssituationen konfrontiert werden oder wurden. • Prüfen Sie, ob es sich um einen Einwand oder einen Vorwand handelt. • Überlegen Sie, wie Sie darauf reagieren könnten.

404 Aussage des Gesprächspartners

11 Ihre Kontrollfrage

Leider kann ich am Angenommen, ich Freitag nicht mit dir lade dich ein? essen gehen. Wie du weißt, ist das Geld so kurz vor dem Ersten immer knapp.

Kommunizieren

vermutete Reaktion Einwand Vorwand des Anderen (ankreuzen) (ankreuzen) Ja, das wäre schon toll, aber da läuft doch das Bundesligaspiel, das muss ich unbedingt sehen.

X

Unsere Gesprächspartner haben ein Recht auf ihre Einwände. Ausgehend von einer positiven Grundannahme sollten wir versuchen zu verstehen, was unser Partner meint, was er uns mitteilen möchte. Es geht nicht darum, eine Diskussionsrunde zu gewinnen, den anderen zu „überzeugen“, ihn mundtot zu machen, sondern die tragfähige Basis für eine langfristig konstruktive Kommunikation zu schaffen. Sind Sie der Auffassung, es mit einem Einwand zu tun zu haben, können Sie versuchen, ihn durch Argumentation zu entkräften. Übung: Einwände oder Vorwände behandeln Sammeln Sie in der folgenden Matrix in der Spalte „Aussage“ Äußerungen, die Sie in Gesprächen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter – oder auch im privaten Bereich –

11.7

Beraten und verhandeln

405

entweder selbst verwendet oder von anderen gehört haben. Mit welchen Ein- oder Vorwänden hatten Sie besondere Schwierigkeiten? Wichtig ist, dass diese Äußerungen sich auf Themen der Zusammenarbeit oder Aussagen zu irgendwelchen Abläufen beziehen. Aussage Partners Habe keine Zeit!

Ich bin mit Ihrem Mitbewerber zufrieden.

vermuteter Beweggrund steht unter Druck oder hat kein Interesse Er will keine Veränderung.

Ihre Reaktion Wann passt es Ihnen besser?

Reaktion des Partners

Das sieht im Augenblick nicht gut aus. Was müsste geDa müssten Sie schehen, damit mit Ihren Preisen wir doch noch ins noch wesentlich Geschäft kommen? tiefer gehen!

Einwand? Vorwand? Vorwand

Einwand

406

11

Kommunizieren

Strategien zur Behandlung von Einwänden Aktiv zuhören

Es ist insbesondere für die Einwandbehandlung von großer Bedeutung, dem Partner aktiv zuzuhören, da dadurch das Gleichgewicht der Gesprächsführung positiv beeinflusst wird. Wir halten Blickkontakt und zeigen eine offene Körperhaltung, signalisieren, dass wir zuhören, nicken mit dem Kopf und ermuntern durch kurze Bestätigungslaute („hm“, „aha“ usw.) zum Reden. Wir zeigen dem Partner, dass wir Wert auf seine Meinung legen und volles Verständnis für seine Einwände haben. Er wird dann eher bereit sein, unsere Antwort auf den Einwand anzuhören. Einwand Menschen werden von Antrieben, Empfindungen und Bedürfnissen gelenkt. Auch analysieren bei Einwänden lässt sich erkennen, welche Motive und Bedürfnisse ihnen zugrunde liegen. Wollen wir einen Einwand wirksam beantworten, müssen wir zunächst dessen Ursachen herausfinden. Unsere Argumente werden vom Partner besser verstanden und bereitwilliger angenommen, wenn wir uns seinen Blickwinkel zu eigen machen. bedingte Die Technik der bedingten Zustimmung schließt aus, dass wir dem Partner offen Zustimwidersprechen bzw. seinen Einwand bestätigen. Sie beinhaltet, dass wir seine Halmung tung verstehen (nicht akzeptieren!). Anschließend können wir versuchen, ihn mit unserer Antwort in eine neue, positive Richtung zu lenken. Beispiele: „Ich kann Ihre Frage in dieser Angelegenheit sehr gut verstehen. Ich selbst war anfangs skeptisch. Es hat sich jedoch erwiesen, dass . . . “

Pause zum Nachdenken machen ruhig und überzeugend antworten

„Es mag so aussehen. Lassen Sie uns jedoch gemeinsam die Vorteile betrachten, die Sie hätten, wenn . . . “ Wie Sie an diesen Beispielen sehen, beginnt der Sender damit, dem Empfänger recht zu geben. Er vermeidet dadurch, ihm „auf die Füße zu treten“. Anstatt also rasch und schematisch zu antworten, machen wir eine Pause. Dies gibt dem Gesprächspartner das Gefühl, dass sein Einwand Gewicht hat. Die Pause gibt uns auch die Möglichkeit zu überlegen, welche wesentlichen Punkte die Antwort enthalten sollte. Mitunter erlebt man, dass der Partner während einer solchen Denkpause seinen Einwand korrigiert oder zurücknimmt. Haben wir die zuvor erwähnten Stufen der Einwandbehandlung befolgt, können wir damit rechnen, eine gute Ausgangsbasis für unsere Einlassung vorzufinden. Der Partner ist interessiert, unsere Haltung zu seinem Einwand zu erfahren, und wird uns aufmerksam zuhören. Wir antworten ruhig und überzeugend, halten Blickkontakt, um unsere Wertschätzung zu demonstrieren und nicht das Gefühl zu vermitteln, wir befänden uns in einer Verteidigungsstellung.

11.7

Beraten und verhandeln

Bezug auf dritte Person

407

Eine andere Technik, die uns hilft, ein Einverständnis zu erreichen, ist das SichBeziehen auf eine dritte Person oder Autorität. So braucht man die geäußerten Ansichten nicht persönlich zu verantworten. Wir beziehen uns auf die Erfahrung eines Dritten. Beispiele: „Ja, Herr A., diesen Eindruck könnte man haben. Vielleicht interessiert Sie dieser Erfahrungsbericht, der von . . . erstellt wurde.“

„Einige meiner Kollegen haben sich anfangs genau die gleiche Frage gestellt, aber sie haben jetzt festgestellt, dass . . . “ Bumerang- Der negative Einwand z. B. in einem Verkaufsgespräch wird umgedreht und kehrt Methode als (positives) Argument für den Verkäufer zum Kunden zurück. Beispiele: Einwand: „Ich fahre schon immer Opel.“ „Genau deshalb rufe ich Sie heute an, um Ihnen eine lohnenswerte Alternative vorzustellen.“ Einwand: „Zu teuer!“ „Ihr Einwand zeigt, wie gewissenhaft Sie über Preis/Leistung nachdenken. Gerade deshalb sollten wir uns über Leasing unterhalten.“ VorwegUm einem Einwand zuvorzukommen, bietet es sich manchmal an, diesen vorwegnahme zunehmen. Beispiele: „Sollte es Ihnen heute nicht passen, dann lassen Sie uns gleich einen Termin für morgen vereinbaren.“ „Bevor wir über die Verbrauchsangaben im Prospekt diskutieren, schauen Sie sich doch mal diesen Verbrauchstest aus der Autozeitschrift ‚mot‘ an.“ Gegenfrage Durch eine Gegenfrage werden Einwände des Kunden auf ihre Relevanz geprüft, ob dieser Einwand überhaupt durch ein Problem des Kunden begründet ist. Beispiele: „Sie fragen also, ob Sie bei uns die gleichen Serviceleistungen bekommen wie bei unserem Mitbewerber. Was lässt Sie daran zweifeln?“ Kunde: „Ich halte nichts von all dieser Elektronik.“ Verkäufer: „Welche konkreten Bedenken lassen Sie daran zweifeln?“

vertagen

Kunde: „Der Kofferraum beim XYZ ist aber größer?“ Verkäufer: „Aus welchem Grund ist das Gepäckraumvolumen für Sie so wichtig?“ Es kann vorkommen, dass wir als Sender auf einen Einwand stoßen, den wir nicht beantworten können. In einem solchen Fall sollten wir nicht versuchen, um jeden Preis eine Antwort zu geben. Es zeugt von Selbstbewusstsein und Aufrichtigkeit, auch eventuelle Unkenntnis zuzugeben und dem Partner die Klärung zu versprechen. In dieser Lage könnte man beispielsweise sagen: „Ich notiere Ihren Standpunkt und werde auf diese Sache zurückkommen, sobald ich die Frage geklärt habe.“ Führungskräfte, die um jeden Preis eine Antwort auf unbekannte Einwände geben wollen, geraten oft in eine unbehagliche Situation, weil sie sich durch falsche Aussagen in Widersprüche verwickeln.

408

11

Kommunizieren

11.7.3 Fallstudie – „Primadonna“ Situation: Die Kollegin Meyer hat außer den üblichen administrativen Arbeiten, die in jedem Büro anfallen, ein Projekt in eigener Verantwortung zu managen. Dies verschafft ihr in der Gruppe der übrigen Kolleginnen, die als Sachbearbeiterinnen das Alltagsgeschäft bewegen, einen herausgehobenen Status, den sie auch bewusst ausspielt. In regelmäßigen Abständen sind in der Abteilung Rundschreiben größeren Umfangs auszusenden. Die gemeinsam vereinbarte Regel besagt, dass jede Kollegin ihren Anteil an diesen Aussendungen bearbeitet. Kollegin Meyer versucht als Einzige, sich stets davon fernzuhalten, indem sie auffälligerweise immer gerade dann, wenn der Versand der Rundschreiben auf der Tagesordnung steht, unaufschiebbare Arbeiten für ihr eigenes Projekt zu erledigen hat. Gibt es hier Einwände oder Vorwände und – falls ja: Wie geht man damit um? Selbstverständlich erwartet Frau Meyer, dass Rundschreibenarbeiten für ihr Projekt von allen Kolleginnen unverzüglich unterstützt werden. Die Kolleginnen sind mit diesem Verhalten ihrer Kollegin nicht einverstanden und bedrängen den Vorgesetzten, darüber mit Frau Meyer zu reden.

Vorbereitung

Bitte beschäftigen Sie sich mit den folgenden Fragen, bevor sie weiterlesen, und machen Sie sich Notizen. • Aus welchen Gründen könnte sich Frau Meyer so verhalten?

• Wie könnten die Kolleginnen Frau Meyer gegenüber auftreten, um sie zu dem vereinbarten Verhalten zu bewegen?

• Wie könnten Sie als Vorgesetzter die Kollegin Meyer nachhaltig zu kollegialerem Verhalten bewegen, um in Zukunft die bekannten Konflikte zu vermeiden?

11.7

Beraten und verhandeln

409

Vergleichen Sie Ihre Notizen mit den folgenden Ausführungen und analysieren Sie die Gründe, falls Ihre Annahmen deutlich differieren. • Zu 1. Aus welchen Gründen könnte sich Frau Meyer so verhalten? Sie fühlt sich den anderen nicht gleichgestellt, sondern überlegen, weil sie eigenständig ein Projekt bearbeitet. Sie will diesen herausgehobenen Status den anderen deutlich machen, beansprucht eine Führungsrolle im Team. Welche Ziele verfolgt Frau Meyer mit ihrem Verhalten? • Zu 2. Wie könnten die Kolleginnen Frau Meyer gegenüber auftreten, um sie zu dem vereinbarten Verhalten zu bewegen? Die Kolleginnen könnten bei erneuter Weigerung zur Mitwirkung an die gemeinsame Vereinbarung appellieren und in Aussicht stellen, dass sie künftig keine Unterstützung mehr bei ihren Arbeiten erhalten werde. Motto: alle für einen – einer für alle. • Zu 3. Wie könnten Sie als Führungskraft die Kollegin Meyer nachhaltig zu kollegialerem Verhalten bewegen, um in Zukunft diese oder ähnliche Konflikte zu vermeiden? Es sollte geklärt werden, wie sie die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen sieht und welche Ziele sie in der Zusammenarbeit mit den Kolleginnen verfolgt. Wie sieht sie sich selbst (Selbstbild) hinsichtlich ihrer Stellung in der Abteilung? Welchen Veränderungsbedarf sieht sie bei sich selbst, den Kolleginnen oder der Arbeitssituation generell? Welche Ziele verfolgt sie langfristig im Unternehmen? Zu welchem Verhalten ist sie bereit, um die Arbeitssituation in der Abteilung harmonisch und produktiv zu gestalten? Der Vorgesetzte klärt vor Beginn des Gesprächs die Rahmenbedingungen (Raum, Zeitpunkt, Dauer). Seine Vereinbarung des Gesprächstermins mit Frau Meyer enthält auch die Nennung des Themas: „Frau Meyer, ich bitte Sie zu einem Gespräch über die Zusammenarbeit in der Abteilung hinsichtlich der gemeinsamen Bearbeitung von Rundschreiben. Können wir uns morgen von 10.00 bis 11.00 Uhr im Raum 3 treffen?“ Das Gespräch wird nach folgender Struktur verlaufen: • Gesprächseinstieg • Führungskraft schildert ihre Sichtweise • Mitarbeiterin schildert ihre Sichtweise • Klärung der Hinter- und Untergründe • Lösungssuche und Vereinbarungen • das Gespräch reflektieren

410

11

Kommunizieren

Simulation des Gesprächsverlaufs V = Vorgesetzter, FM = Frau Meyer 1. Gesprächseinstieg 2. Führungskraft schildert ihre Sichtweise

3. Mitarbeiterin schildert ihre Sichtweise

4. Klärung der Hintergründe und Ursachen

V

„Frau Meyer, heute müssen wir über das Thema Rundschreiben in unserer Abteilung sprechen. Zunächst möchte ich Ihnen meinen Kenntnisstand mitteilen, um dann Ihre Sichtweise zu erfahren.“ V „Vor geraumer Zeit haben wir vereinbart, dass alle Kolleginnen zu gleichen Teilen an der Bearbeitung von Rundschreiben der Abteilung mitwirken. Ihre Kolleginnen beklagen sich, dass Sie sich nur sehr selten – wenn überhaupt – daran beteiligen, weil sie ausgerechnet immer dann, wenn diese Arbeit ansteht, unabkömmlich sind, sich dringend um Ihr eigenes Projekt kümmern müssen. Das empfinden alle als unkollegial. Man ist regelrecht sauer auf Sie und denkt daran, Sie in Zukunft bei Ihren Rundschreiben nicht mehr zu unterstützen. Schließlich haben Sie alle ja, wenn ich das so ausdrücken darf, einen Vertrag auf Gegenseitigkeit geschlossen. Wie stehen Sie dazu, wie sehen Sie das?“ FM „Sie wissen, dass ich in meiner Zielvereinbarung zugestimmt habe, bis zum Ende des Geschäftsjahres 120 neue allgemeinbildende Schulen zur Kooperation mit uns zu gewinnen und 7.000 Bücher zu verkaufen. Meine Kolleginnen haben nicht solche herausfordernden Ziele, sondern beschränken sich auf reine Sachbearbeitung. Meine Ziele, die ja in erster Linie die Ziele des Unternehmens sind, haben natürlich Priorität. Schließlich werde ich ja auch daran gemessen, und mein Bonus hängt ebenfalls davon ab.“ V „Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie sagen: „Meine Ziele haben Vorrang und dafür muss alles getan werden. Und wenn ich es zusätzlich einrichten kann, dann helfe ich mit; aber ansonsten muss ich mich um meine Verpflichtung kümmern“ – Und im Gegensatz zu den anderen sehen Sie sich nicht als reine Sachbearbeiterin?“ FM „Schließlich habe ich ja Projekt- und Zielverantwortung. Da kann ich nicht auch noch bei jedem Rundschreiben mitmachen.“ V „Frau Meyer, Sie haben eine Vereinbarung auf Gegenseitigkeit mit den anderen geschlossen. Die Kolleginnen haben auch Ziele vereinbart, für die sie persönlich verantwortlich sind. Ich kann nicht verstehen, was Sie dazu bewegt, diese Vereinbarung, von der Sie sehr profitieren, einseitig aufzuheben, sich somit unkollegial zu verhalten, von den anderen jedoch nach wie vor Unterstützung erwarten.“ FM „Aufgrund meiner Ausbildung bin ich nun wahrlich keine Sachbearbeiterin. Und Rundschreiben einzutüten ist nicht gerade eine Tätigkeit, die meiner Qualifikation gerecht wird. Außerdem helfe ich den Kolleginnen so manches Mal in PC-Fragen weiter, wenn sie da Probleme haben. Ich denke, das gleicht sich schon aus – auf die eine oder andere Weise.“

11.7

Beraten und verhandeln

411 V

FM 5. Lösungssuche und Vereinbarungen

V

Einwand oder Vorwand?

FM

Klärung Einwand

V FM

Vorschlag und Problemlösung

V

FM

V

FM

„Damit wir uns recht verstehen, Frau Meyer, sie sind als Sachbearbeiterin eingestellt und haben auf eigenen Wunsch das Schulprojekt übernommen. Das ist ja auch eine Möglichkeit für Sie, sich weiterzuentwickeln und sich zu profilieren.“ „Ja, das sehe ich genauso. Das finde ich auch sehr gut, dass ich das hier kann.“ „Es existiert nach wie vor die kollegiale Vereinbarung zur gegenseitigen Unterstützung beim Versand von Rundschreiben. Sie fühlen sich in erster Linie Ihren eigenen Zielen verpflichtet und nicht mehr gebunden, die Abmachung einzuhalten. Sie fühlen sich dazu berechtigt, weil Sie Ihrer Meinung nach eine höherwertige Arbeit als die anderen leisten. Fakt ist aber, dass alle Kolleginnen den gleichen Status haben und Sie über diese Tätigkeit hinaus eine Chance zur Profilierung durch das Schulprojekt erhalten haben. Sie sehen in dieser Sonderaufgabe die Möglichkeit, sich für Aufgaben mit höherer Eigenverantwortung zu profilieren. Gerade solche Aufgaben erfordern ein hohes Maß an Verlässlichkeit und sozialer Kompetenz. Ihr derzeitiges Verhalten steht im Widerspruch zu diesen Anforderungen. Was gedenken Sie in Anbetracht dieser Lage und Fakten zu tun, um Ihr Ziel zu erreichen, mehr Verantwortung in unserem Unternehmen übernehmen zu können?“ „Ich würde ja mitmachen, aber ich habe wirklich viel damit zu tun, das Projekt zu bewegen. Das habe ich unterschätzt, als ich der Vereinbarung zugestimmt habe. Die Arbeitszeit reicht dann eben nicht, um alles zu bewältigen.“ „Was wäre Ihrer Meinung nach ein Lösungsweg?“ „Innerhalb der Regelarbeitszeit ist das alles für mich nicht zu schaffen, aber wenn ich die Arbeitszeit etwas flexibler gestalten könnte . . . “ „Angenommen, wir würden einen Weg finden, in solchen Fällen die Arbeitszeit für Sie flexibel zu gestalten, wäre es dann zu schaffen?“ „Das wäre in der Tat hilfreich. Es ist ja nicht so, dass ich mich generell drücken will, aber meine Zielvereinbarung ist für mein weiteres Vorankommen sehr wichtig.“ „Also wäre eine flexible Arbeitszeitregelung die Maßnahme, das Problem dauerhaft zu beheben? Dann gäbe es keine derartigen Schwierigkeiten mehr?“ „Auf jeden Fall. Wenn wir das so vereinbaren könnten, wäre das die Lösung! Ich fühle mich ja selbst nicht wohl in meiner Haut, wenn ich immer passen muss.“

412

11

Kommunizieren

V

6. Das Gespräch reflektieren

11.7.4

„Ich fasse zusammen: Sie sind grundsätzlich bereit, die Vereinbarung einzuhalten. Sie sehen in Ihrer Mitwirkung keine Statusfrage, sondern Sie haben einen Zeitkonflikt, der mit Ihrer Verantwortung für das Schulprojekt zusammenhängt. Wir gewähren Ihnen nach vorheriger Absprache mit der Abteilungsleitung die notwendigen Überstunden, falls eine Beeinträchtigung Ihres Projekts durch die Mitwirkung an den Rundschreiben-Aktionen zu befürchten ist. Sie werden sich in Zukunft immer daran beteiligen und sich nicht mehr ausschließen.“ FM „Ja, richtig.“ V „Frau Meyer, lassen Sie uns überlegen, was dieses Gespräch für unsere weitere Zusammenarbeit bedeutet.“ FM „Ich bin froh, dass wir offen darüber reden konnten, dass Sie mich angehört haben. Ich hatte schon Bedenken, dass Sie mich sehr kritisch sehen würden, aber jetzt bin ich erleichtert, dass wir einen Weg finden konnten, der beides ermöglicht: die Vereinbarung mit den Kolleginnen einzuhalten und das Einhalten meiner Zielvereinbarung.“ V „Frau Meyer, mir ist klar geworden, dass Sie in einer Art Zielkonflikt standen und sich deswegen so verhalten haben. Ich habe den Eindruck, dass Ihnen bewusst geworden ist, dass Sie in Zukunft auch Ihre soziale Kompetenz für das weitere Vorankommen ausbauen müssen. Die flexible Mehrarbeitsregelung unterstütze ich in Ihrem Fall gern, weil Sie sich für Ihre und unsere Ziele engagieren. Bitte bedenken Sie immer, dass wir nur gemeinsam stark sein können und wir immer die Unterstützung der anderen brauchen. In Zukunft lassen Sie uns rechtzeitig über die Dinge reden. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.“ FM „Ja, auch ich danke für diese Gelegenheit zur Aussprache.“

Zustimmungssignale

Mit einiger Erfahrung und Übung kann man meistens erkennen, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des Gesprächs der Partner bereit ist, einen Entschluss zu fassen. Entscheidend ist, diese Signale zu erkennen und entsprechend zu handeln. Solche Signale werden auch als „Zustimmungssignale“ bezeichnet. Im Verlauf eines Gesprächs ist der Partner einer Zustimmung manchmal viel näher als wir vermuten. In solchen Situationen gibt er gewisse Signale. Erkennen wir diese frühzeitig und verstehen wir, sie richtig zu deuten, können wir das Gespräch schneller in unserem Sinne beenden. Die Signale, die wir im Laufe des Gespräches wahrnehmen, können in Stärke und Deutlichkeit variieren. Manche kommen in einer sehr frühen Phase des Gesprächs. Sie werden „Interessensignale“ genannt. Andere können stärker sein und anzeigen, dass der

11.7

Beraten und verhandeln

413

Gesprächspartner jetzt „reif“ ist für einen Entschluss, für eine Zustimmung. Diese Signale werden „Zustimmungssignale“ genannt. Lassen Sie uns nun die Signale betrachten, die der Partner uns in der Phase gibt, die wir bislang als Argumentationsphase bezeichnet haben, in der wir nach der Bedarfsanalyse die “Übersetzung“ unserer Argumente vornehmen. Die Signale können in drei Gruppen eingeteilt werden: Ausgesprochene Fragen, Kommentare oder Überlegungen An der Art der Fragen, die der Partner während des Gespräches stellt, können wir erkennen, dass er einem Entschluss nahe ist. Kennzeichen hierfür ist oftmals die Einleitung einer Frage oder Äußerung mit folgendem Wortlaut: „Geht es . . . ?“

„Das wäre gut/hilfreich.“

„Wer?“

„Kann man . . . machen?“

„Wenn das so ginge, . . . “

„Wo?“

„Darf man . . . ?“

„Man müsste mal überlegen, . . . “

„Welche?“

„Besteht die Möglichkeit, . . . ?“

„Gut wäre ja, . . . “

„Wann?“

„Wie . . . ?“ Derartige Fragen können ein deutliches Zeichen für Zustimmungsbereitschaft sein. Nonverbale Reaktionen des Partners Die unausgesprochenen Signale lassen sich schwerer erkennen. Es ist jedoch möglich, an dem Gesichtsausdruck oder der Gestik eines Gesprächspartners Entsprechendes abzulesen. Mögliche Signale sind: 1. zustimmendes Kopfnicken 2. aufmerksamer Blickkontakt zum Sprecher ggf. in Verbindung mit leicht schräg geneigtem Kopf und zustimmendem Nicken 3. Kopfnicken und sich entspannende Gesichtszüge 4. Partner rutscht plötzlich auf dem Sitz nach vorn und beugt sich über den Tisch 5. Partner zieht die auf dem Tisch liegende Gesprächsunterlage zu sich heran und beugt sich darüber. Aktivitäten des Partners Gewisse Aktivitäten des Gesprächspartners können als starke Signale aufgefasst werden. Es könnte z. B. sein, dass er

414

11

Kommunizieren

• Aufstellungen und Unterlagen bringt, um sie uns zu zeigen • jemanden als Referenz empfiehlt („Gerne können Sie sich bei YXZ erkundigen . . . “) • anbietet, etwas auszuarbeiten oder zu beschaffen • anfängt, in der Wir-Form über die Angelegenheit zu reden, sich also bereits innerlich damit identifiziert • in seinem Terminkalender zu blättern beginnt, um einen geeigneten Termin zu finden. Wichtig ist, das Erkennen der oben genannten Arten von Signalen zu üben, um darauf eingehen zu können. Manchmal sind Zustimmungssignale so stark, dass wir sofort etwas damit anfangen können. Sobald wir ein Signal des Partners erkannt haben, dürfen wir darauf nicht nur mit „Ja“, „Nein“ oder einer kurzen Information reagieren. Wenn wir ein Signal in wirksamer Weise beantworten wollen, lautet die Regel: • Wir reagieren auf zuvor angesprochene Fragen, Kommentare oder Überlegungen. • Wir stellen Fragen, die den Partner dahin leiten, eine Zustimmung zu artikulieren. Hier ein Beispiel aus „Primadonna“, dem Verlauf der Gesprächssimulation, Punkt 5.: „Lösungssuche und Vereinbarungen“. Die Sätze ab „Was gedenken Sie in Anbetracht dieser Lage . . . “ bis „Auf jeden Fall . . . , wenn ich immer passen muss“ heben die Zustimmungssignale der Mitarbeiterin hervor. Vorgesetzter: (. . . ) „Was gedenken Sie in Anbetracht dieser Lage und Fakten zu tun, um Ihr Ziel zu erreichen, mehr Verantwortung in unserem Unternehmen übernehmen zu können?“ Frau Meyer:

„Ich würde ja mitmachen, aber ich habe wirklich viel damit zu tun, das Projekt zu bewegen. Das habe ich unterschätzt, als ich der Vereinbarung zugestimmt habe. Die Arbeitszeit reicht dann eben nicht, um alles zu bewältigen.“

Vorgesetzter: „Angenommen, wir würden (. . . ). – Wie wäre es dann?“ Frau Meyer:

„Das wäre in der Tat hilfreich. Es ist ja nicht so, dass ich mich generell drücken will, aber meine Zielvereinbarung ist für mein weiteres Vorankommen sehr wichtig.“

Vorgesetzter: „Also wäre eine flexible Arbeitszeitregelung die Maßnahme, das Problem dauerhaft zu beheben? Dann gäbe es keine derartigen Schwierigkeiten mehr?“ Frau Meyer:

„Auf jeden Fall, wenn wir das so vereinbaren könnten, wäre das die Lösung! Ich fühle mich ja selbst nicht wohl in meiner Haut, wenn ich immer passen muss.“

11.8

Die pragmatischen Axiome von Paul Watzlawick

415

Zusammenfassung

Einwände und Vorwände sind Bestandteile des Kommunikationsrepertoires zur Durchsetzung oder Verschleierung von Absichten und Zielen. Einwände und Vorwände frühzeitig voneinander unterscheiden zu können ist für den Kommunikationserfolg von wesentlicher Bedeutung. Da Einwände stets ein grundsätzliches Interesse signalisieren, können sie durch angemessene Gründe entkräftet werden. Vorwände werden zur Abwehr eingesetzt, um die wahren Beweggründe nicht offenlegen zu müssen. Gegen Vorwände, als solche erkannt, sollte man nicht mit Argumenten vorgehen – es verhärten sich nur die Fronten. Besser ist es, neue und andere Gemeinsamkeiten aufzuspüren und auf deren Ebene fortzufahren. Einwände und Vorwände finden sich sowohl in Beratungsgesprächen (Mitarbeiter/Führungskraft) als auch Verkaufsgesprächen. Einwände können wir bearbeiten und Lösungen anstreben. In Gesprächssituationen zeigen die Partner mehr oder weniger deutlich Signale, die erkennen lassen, ob wir mit Zustimmung, Skepsis oder Ablehnung rechnen müssen. Diese Signale rechtzeitig zu erkennen kann Zeit sparen und Missverständnisse reduzieren. Fragen und Zuhören, Einwände von Vorwänden trennen, sich in die Lage des anderen versetzen und aus dessen Sicht argumentieren zu können, sind der Garant dafür, dass unsere Ideen oder Angebote Zustimmung erfahren.

11.8 Die pragmatischen Axiome von Paul Watzlawick Gelungene Kommunikation – die Gestaltung der Kommunikationsbeziehungen – ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg im Unternehmen. Dem (gemeinsamen) Gespräch aller Beteiligten kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Der österreichische Psychologe Paul Watzlawick hat unter der Bezeichnung „Pragmatische Axiome“ einige Kommunikationsgesetze beschrieben, die für das Verständnis von Kommunikationsprozessen hilfreich sind. Das erste Axiom: Man kann nicht nicht kommunizieren. Kommunikation bedient sich immer verbaler und nonverbaler Elemente. Angenommen, jemand versucht, durch Schweigen den Kommunikationsprozess zu unterbinden, so wird das nicht gelingen. Denn die körperliche Anwesenheit beeinflusst den oder die anderen Kommunikationspartner in jedem Fall und umgekehrt. Das zweite Axiom: Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und Beziehungsaspekt derart, dass letzterer den ersten bestimmt und daher eine Metakommunikation ist.

416

11

Kommunizieren

Wir kommunizieren mit Verstand und Logik, denken wir. Fakt ist, dass auf der Verstandesebene die Inhalte und auf der Gefühlsebene die Beziehungsaspekte mitgeteilt werden. Jede zwischenmenschliche Kommunikation findet auf diesen beiden Ebenen gleichzeitig statt. Obwohl wir geneigt sind, der Inhaltsebene höhere Bedeutung einzuräumen, ist klar, dass der Beziehungsaspekt (die Gefühle) der wichtigere von beiden ist. Inhalte werden über Beziehungen transportiert oder erst möglich. Ist der Beziehungsaspekt gestört, ist es sinnlos, auf der Inhaltsebene zu verhandeln. Also: zuerst eine harmonische Atmosphäre herstellen und erst dann zum sachlichen Inhalt übergehen. Watzlawick illustriert das erste und zweite Axiom anhand eines Beispiels: Zwei Damen, Frau A und Frau B, begegnen sich auf einer Party. Frau B trägt eine Perlenkette. Frau A fragt: „Sind die Perlen echt?“ Abgesehen davon, dass die Frage nach der Echtheit unverschämt ist: Frau B kann sich der Kommunikation nicht entziehen. Selbst wenn sie die Frage einfach überhörte, wäre dieses Verhalten auch eine Antwort. Auch die Gültigkeit des zweiten Axioms wird dargestellt. Denn die Art und Weise, wie Frau A ihre Frage stellt, wird zweifelsfrei erkennen lassen, in welcher Beziehung sie zu Frau B steht. Die unterschiedlichen Betonungen der Worte und eine entsprechende Satzmelodie werden deutlich machen, was Frau A von Frau B hält: arme Schluckerin oder wohlhabende Frau. Das dritte Axiom: Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt. Kommunikation verläuft in Phasen, die einer Gliederung unterliegen. Diese Phasen kann man unterschiedlich gewichten oder als Basis des weiteren Gesprächsverlaufs benutzen. Interpunktion oder Zeichensetzung ist ein Begriff aus der Schriftsprache und bedeutet, dass die Interpunktion die Struktur und den Bedeutung einer Aussage beeinflusst. Die Aussage „Ich bitte dass Sie Mustermann das Insekt beseitigen.“ kann zur Folge haben, dass – abhängig von der Kommatasetzung – entweder Mustermann oder das Insekt beseitigt wird. Die Lesart wirkt sich auf das Verständnis der Aussagen und somit auch auf die Beziehung der Gesprächspartner aus. Die individuelle Wahrnehmung der Struktur eines Gesprächs verändert dessen Bedeutung. Wer hat angefangen? Wer hat Recht? Wer ist schuld? Diese Fragen werden von den Beteiligten in der Regel unterschiedlich beantwortet. Erst die Interpunktion gibt den Worten die gewünschte Bedeutung und schafft Perspektiven, die sich auf die Wahrnehmung, das Verstehen und die Empfindungen auswirken. Im besten Fall kann ein Perspektivwechsel dazu führen, dass man Verständnis für die Sichtweise der anderen Partei aufbringt und eine neue Ebene der Verständigung anstrebt. Kommunikation verläuft in Phasen, die einer Gliederung unterliegen. Diese Phasen kann man unterschiedlich gewichten oder als Basis des weiteren Gesprächsverlaufs benutzen.

11.8

Die pragmatischen Axiome von Paul Watzlawick

417

Das vierte Axiom: Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale Kommunikationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax, aber eine auf dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses semantische Potenzial, ermangeln aber der für eindeutige Kommunikation erforderlichen logischen Syntax. Im zweiten Axiom ging es mit der Sach- und Beziehungsebene um die Inhalte der beiden Ebenen: Sachverhalte und Kommunikationsbeziehung. Im vierten Axiom geht es um die Art, mit der die Inhalte auf den beiden Ebenen transportiert werden. Dabei wird zwischen analoger und digitaler Datenübertragung unterschieden. Die Informationen auf der Sachebene werden digital vermittelt, die Informationen auf der Beziehungsebene vorwiegend analog. Die analoge Kommunikation verwendet Darstellungen, Zeichnungen, Bilder, Gestik und Mimik und bedarf der Interpretation. Viele gestische und mimische Ausdrücke sind grundsätzlich doppeldeutig. Watzlawick erinnert daran, dass Tränen Ausdruck von Schmerz oder Freude sein können. Die geballte Faust kann Drohung oder Selbstbeherrschung bedeuten, ein Lächeln kann Sympathie oder Verachtung ausdrücken, Zurückhaltung kann taktvolles Verhalten oder Gleichgültigkeit offenbaren. Mit dem Begriff „digital“ hingegen ist ein Symbolsystem aus Worten und Sätzen [Semantik und Syntaktik] gemeint, um Sachverhalte klar zu beschreiben: Katze, Tisch, Haus, Auto, Geige usw. Da jede Kommunikation immer gleichzeitig auf der Sach- und Beziehungsebene stattfindet, kommunizieren wir unweigerlich auch immer gleichzeitig digital und analog. Das Gesprochene und die nonverbale Ebene, die Körpersprache, Gestik und Mimik, die Körperhaltung und die Sprechweise sind im gesamten Kommunikationsgeschehen zu berücksichtigen. Oft sind es die nichtsprachlichen analogen Elemente, die Aufschluss über die wirklichen Intentionen des Kommunikationspartners geben. Sie enthalten Hinweise zum eindeutigeren Verständnis der sprachlichen Aussage. Nicht selten steht diese im Widerspruch zum Gesagten: wilde Drohungen bei zugleich schüchterner Körperhaltung, ängstliche Stimmlage in einer Verhandlung usw. Sind verbale und nonverbale Aussagen nicht deckungsgleich, entsteht Misstrauen und Unbehagen. Wir fühlen uns nicht wohl, reagieren verunsichert. Verbale und nonverbale Kommunikation sollten sich ergänzen und nicht widersprechen. Das fünfte Axiom: Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär, je nachdem, ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit beruht. Ist der Status zweier Kommunikationspartner gleichrangig, spricht man von einer symmetrischen Kommunikation. Ist der Status der Partner ungleich, spricht man von einer komplementären, sich ergänzenden Kommunikation.

418

11

Kommunizieren

11.9 Die Transaktionsanalyse in Kommunikationsprozessen Gesprächsverläufe werden von Stimmungen und Persönlichkeitsaspekten beeinflusst. Die Mechaniken solcher durch unsere jeweiligen Persönlichkeitsanteile geprägten Gesprächsmuster sind Gegenstand der von dem amerikanischen Psychiater Dr. Eric Berne entwickelten Transaktionsanalyse (TA).

11.9.1 Transaktionsanalyse Die Transaktionsanalyse ermöglicht sowohl ein emotionales als auch ein intellektuelles Verständnis für sich und andere zu erlangen. Das Ziel besteht darin, eine möglichst offene Kommunikation zwischen emotionalen und intellektuellen Aspekten der Gesprächspartner herzustellen. Die Transaktionsanalyse kann als Analyse der Kommunikation überall eingesetzt werden, wo es um menschliche Beziehungen geht. Die zentrale Grundannahme in der TA lautet: Jeder Mensch hat, welches Verhalten auch immer er heute zeigt, einen gesunden und liebenswerten Kern. Folglich ist die von der TA angestrebte Grundeinstellung die letzte der vier im Folgenden genannten: • „Ich bin nicht o. k. – du bist nicht o. k.“ • „Ich bin nicht o. k. – du bist o. k.“ • „Ich bin o. k. – du bist nicht o. k.“ • „Ich bin o. k. – du bist o. k.“ Sie ist nicht Ausdruck eines Werturteils, sondern von Akzeptanz. Sie ist Ausdruck des Glaubens an den Wert der Menschen, auch der eigenen Person. Sie bedeutet nicht, dass alle Menschen ohne Fehl und Tadel oder dass alle Handlungen gut sind. Sie bedeutet auch nicht, dass allen Handlungen das gleiche Verdienst zukommt oder dass alle Menschen gleich sind. Vielmehr gesteht man mit dieser Grundeinstellung sich und anderen Fehler zu. Je bewusster man sich dieser Auffassung von sich („ich bin o. k.“) und anderen („du bist o. k.“) ist, desto leichter fällt es, den Charakter seiner täglichen Kommunikation zu verändern. Obwohl diese Haltung gute Kommunikation und effektive Arbeit fördert, ist sie in Konfliktsituationen nur schwer durchzuhalten.

11.9.2 Ich-Zustandsmodell Die Basis der TA bildet das Ich-Zustandsmodell. Es beschreibt die Strukturen unseres Denkens, Fühlens und Verhaltens in sehr lebensnahen, im Alltag wieder erkennbaren Bildern und Begriffen.

11.9

Die Transaktionsanalyse in Kommunikationsprozessen

419

Ein praktisches Beispiel: Ich wache nach einer Reihe sehr arbeitsreicher Tage morgens auf. Zum ersten Mal seit Langem scheint strahlend die Sonne, und ausgerechnet heute stehen mir eine anstrengende Sitzung und einige unangenehme Gespräche bevor. Mir schießt der Gedanke durch den Kopf: „Ich könnte zu Hause bleiben und den Tag genießen!“ In meinem Kopf entspinnt sich ein lebhafter innerer Dialog, in dem sich ganz verschiedene Stimmen zu Wort melden: • „O ja, toll, ich werde an die See fahren, surfen, in der Sonne liegen, faulenzen – egal, was heute im Büro los ist!“ • „Was fällt dir ein? Wenn das erst einmal einreißt! Beiß gefälligst die Zähne zusammen! Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ • „Pah, wenn ich an die Kollegen denke, die tun doch sowieso nichts! Und der Chef, wie der mich letzte Woche angemacht hat – da mache ich nicht mit, für die lege ich mich doch nicht krumm. Die sollen sehen, wie sie klarkommen!“ • „Aber, wenn mich nun zufällig einer sieht, das könnte schlimme Folgen haben. Vielleicht sollte ich doch lieber zur Arbeit gehen. Ich werd’s schon irgendwie hinter mich bringen!“ • „Allerdings hast du in letzter Zeit wirklich viel geackert! Denk an deine Gesundheit! Es ist wichtig, dass du dir auch Ruhe und Entspannung gönnst! Du hast es verdient!“ • „Stimmt. Wenn ich heute nicht hingehe, laufen so viele Sachen auf, dass ich hinterher umso mehr Mühe habe. Ich glaube, am nächsten Wochenende könnte ich den Freitag ganz freischaufeln! Wenn ich’s mir recht überlege . . . “ Dieser innere Dialog zeigt sechs unterschiedliche Stimmen. Sie entsprechen den IchZuständen, die dem TA-Modell zufolge bei jedem gesund entwickelten Erwachsenen vorhanden sind. Zunächst sind drei grundlegende komplexere Ich-Zustände zu unterscheiden. Sie werden im strukturellen Ich-Zustandsmodell dargestellt (siehe Abb. 11.14). • Das Kindheits-Ich (K), mit dem wir so denken, fühlen und uns verhalten, wie wir es als Kind konnten und taten. Dieses Potenzial ist immer noch in uns vorhanden. • Das Eltern-Ich (EL), mit dem wir so denken, fühlen und uns verhalten, wie wir es bei unseren Eltern und anderen Autoritätspersonen erlebt haben, als wir noch Kinder waren. Diese Eindrücke haben wir in uns gesichert und verinnerlicht. Vieles davon haben wir in unser Repertoire übernommen und benutzen es in bestimmten Situationen meist unreflektiert. • Das Erwachsenen-Ich (ER), mit dem wir im Hier und Jetzt die Realität wahrnehmen und prüfen, Informationen aufnehmen und verarbeiten, Zusammenhänge erkennen, Wahrscheinlichkeiten abwägen, Schlussfolgerungen ziehen. Diese drei Ich-Zustände bilden die Gesamtstruktur unserer Persönlichkeit. Wie stark und auf welche Weise diese Ich-Zustände in der Kommunikation zum Tragen kommen, das charakterisiert unsere Persönlichkeit.

420

11

EL

Eltern-Ich-Zustand

ER

Erwachsenen-Ich-Zustand

K

Kommunizieren

Kind-Ich-Zustand

Abb. 11.14 Strukturelles Ich-Zustandsmodell

Wie im inneren Dialog, so wirken sich unsere Ich-Zustände natürlich auch in der Kommunikation mit anderen aus. Was wir durch aufmerksame Selbstbeobachtung erkennen können, wird auch für andere hör- und sichtbar. Ich-Zustände sind somit nicht nur theoretische Konstrukte, sondern erlebbare Realität. Schaut man sich in den verschiedenen Bereichen des alltäglichen Lebens um, wird man unschwer entsprechende Belege finden und bald eine geschärfte Wahrnehmung dafür entwickeln, aus welchen Ich-Zuständen heraus wir und unsere Kommunikationspartner in bestimmten Situationen vorzugsweise agieren. Um einen Blick für die typischen Merkmale der Ich-Zustände und deren Zusammenspiel in der Kommunikation mit anderen zu bekommen, bietet sich an, eine Gesprächssituation aus dem alltäglichen Umfeld zu analysieren, wobei folgende Fragen nützlich sind: • Was sagt oder tut jemand? • Welche nonverbalen Signale vermittelt die Person dabei? • (Für welchen Ich-Zustand spricht das?) • Welche innere Reaktion spürt man selbst bei sich, auch wenn man nach außen hin gar nichts tut? • (Welchem Ich-Zustand entspricht das?)

11.9

Die Transaktionsanalyse in Kommunikationsprozessen

421

• Wie reagiert man anschließend tatsächlich? • (Welchem Ich-Zustand entspricht das?) Das Ich-Zustandsmodell ist ein Instrument, um für sich selbst verworrene Situationen zu klären, Schwierigkeiten besser zu verstehen und Entscheidungen bewusster und ausgewogener zu treffen. Wenn eigene Probleme in der Kommunikation mit anderen deutlich werden, kann man daran arbeiten, seine Wahlmöglichkeiten zu erweitern, mehr Alternativen zu finden, d. h. bestimmte Ich-Zustände stärker zu entwickeln. Setzt man das um, werden zugleich die Ich-Zustände, mit denen man bisher sich und anderen das Leben schwer gemacht hat, in den Hintergrund treten. Abzuraten ist davon, andere Menschen mithilfe des Ich-Zustandsmodells in Schubladen einzusortieren oder ihnen Etiketten zu verpassen.

11.9.3 Transaktionen Der Begriff Transaktion bezieht sich auf einen Kommunikationsprozess, bestehend aus einem Stimulus sowie der darauf folgenden Reaktion und umfasst sowohl die verbalen als auch die nonverbalen Aspekte der Kommunikation. Es gibt drei Grundmuster von Transaktionen: Komplementäre Transaktionen Wenn ein Mensch mit einem anderen kommuniziert, enthält sein Eröffnungszug – der Stimulus – zugleich auch eine Information darüber, wie der Angesprochene reagieren soll. Der Stimulus kommt aus einem Ich-Zustand und richtet sich an einen bestimmten IchZustand der anderen Person. Nimmt der andere diese Einladung an und reagiert wie erwartet, so ergibt sich daraus eine komplementäre Reaktion. Diese Art von Transaktion bestimmt unsere alltägliche Kommunikation. Das Gespräch ist im Fluss und könnte im Prinzip endlos weitergehen, da die Erwartungen und Reaktionen der Partner einander entsprechen. Ist der Verlauf auch stringent, so sagt er nicht zwingend etwas über die Qualität der Kommunikation aus.

422

11

EL

EL

EL

EL

ER

ER

ER

ER

K

K

K

K

A: „Wann beginnt das Meeting?“

Kommunizieren

A: „Wie oft muss ich Ihnen die Sache noch erklären?“

B: „Um 14 Uhr.“ B: „Ich weiß, ich habe das letzte Mal wirklich nicht aufgepasst. Es tut mir leid. Würden Sie noch einmal so nett sein?“

Abb. 11.15 Komplementäre Transaktionen

Gekreuzte Transaktionen Kommt es in Gesprächen zu überraschenden Wendungen, unerwarteten Manövern und Irritationen, nach denen man sich fragt: „Was ging denn schief?“ oder denkt: „Den hab’ ich wohl auf dem falschen Fuß erwischt!“, liegt in der Regel eine gekreuzte Transaktion vor. Ihr Wesen besteht darin, dass B nicht mit dem Ich-Zustand reagiert, an den A sich gerichtet hatte. Es folgt eine zumindest kurzzeitige Unterbrechung, dann möglicherweise ein Abbruch, zumeist aber eine ganz andere Entwicklung des Geschehens (erstes und zweites Beispiel).

EL

EL

EL

EL

ER

ER

ER

ER

K

K

K

K

A: „Haben Sie meine Unterlagen gesehen?“ B: „In Ihrer Unordnung werden Sie nie etwas finden!“

Abb. 11.16 Gekreuzte Transaktionen

A: „Wo sind meine Unterlagen?“ B: „Immer beschuldigen Sie mich, wenn Sie Ihr Zeug nicht finden.Woher soll ich wissen, wo Sie das hingetan haben?!“

11.9

Die Transaktionsanalyse in Kommunikationsprozessen

423

Neben diesen unproduktiven Kreuzungstransaktionen, die zu Verwirrung, Ärger, Enttäuschung und anderen schlechten Gefühlen führen, gibt es auch die Möglichkeit, Transaktionen positiv zu kreuzen. Durch bewusst gesetzte Kreuztransaktion kann ich den Gesprächspartner einladen, einen unergiebigen Weg zu verlassen und mit etwas Erfreulicherem weiterzumachen.

EL

EL

ER

ER

K

K

A: „Wie soll ich das denn machen?“ B: „Wo genau liegt das Problem?“

A: „Wie soll ich das denn machen?“ B: „Wie haben Sie es bisher gemacht?“

Abb. 11.17 Gekreuzte Transaktionen

Im Bereich der Mitarbeiterführung können Kreuztransaktionen zugleich zur Mitarbeitermotivation eingesetzt werden. Der Vorgesetzte kann den Mitarbeiter zum selbständigen Denken aufrufen und sein Erwachsenen-Ich stimulieren. Dies geht am besten durch WFragen. Der Mitarbeiter wird zunächst verdutzt sein, aber in der Regel nach einer gewissen Pause erklären, wie er es bisher gemacht hat. Verdeckte Transaktionen In vielen Gesprächen finden Transaktionen statt, bei denen neben der oberflächlich erkennbaren noch eine tiefe, verdeckte Ebene vorliegt. Es sind somit zwei Ich-Zustände im Spiel. Man nennt die zwei Ebenen bei verdeckten Transaktionen die soziale (offene) und die psychologische (verdeckte) Ebene. Das, was eigentlich gemeint ist, wird nicht oder nicht direkt angesprochen, sondern ist nur indirekt zu erschließen: aus dem Klang der Stimme, der Betonung, der Mimik, der Erinnerung an vorangegangene Situationen etc. Oft ist den betreffenden Personen gar nicht bewusst, dass noch eine verdeckte Ebene mitschwingt, etwa wenn es um Wünsche geht, die man sich nicht offen auszusprechen traut, oder um Kritik, zu der man nicht offen stehen mag. Das Spektrum indirekter Kommunikation reicht bis zum beiderseits bewussten Spiel. Das kann harmlos oder sogar lustvoll sein, wenn es

424

11

EL

EL

ER

ER

K

K

Kommunizieren

A: „Herr Müller (gedehnt), wo steckt denn eigentlich der Vorgang Daimler-Benz?“ (Den haben Sie doch bestimmt wieder verbummelt.) B: „Haben Sie schon mal auf Ihrem Schreibtisch nachgesehen?“ (Wenn Sie bei sich Ordnung hielten, brauchten Sie mich nicht zu anzusprechen.)

Abb. 11.18 Verdeckte Transaktionen

als behutsames Herantasten mit offener Rückzugsmöglichkeit benutzt wird und keine der beteiligten Personen eine Abwertung oder Verletzung erfährt. Die Transaktionsanalyse ist komplex und umfasst ein großes Wissensgebiet. Die Beschäftigung mit ihr ist lohnenswert.7

11.10 Wie überlebe ich meinen Chef? Viele Mitarbeiter fühlen sich durch das Verhalten ihrer Vorgesetzten nicht ernst genommen, sind demotiviert oder gar in ihrem Selbstwertgefühl beeinträchtigt. Wann immer in meinen Seminaren die Kommunikationstechnik ,,Wer fragt, führt!“ behandelt wird, fragen manche Teilnehmer, ob diese auch seitens der Mitarbeiter gegenüber ihren Vorgesetzten erfolgreich eingesetzt werden könnte, frei nach dem Motto ,,Wie führe ich meine Führungskraft?“. Sie wollen nicht mehr länger in einer Opferrolle verharren und eine unge7

Literaturempfehlungen: Harris, Thomas A. (1975): Ich bin o. k. Du bist o. k., Reinbek, 1975. Berne, Eric (1967): Spiele der Erwachsenen, Reinbek, 1967.

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

425

rechte oder unfaire Behandlung stillschweigend hinnehmen; sie möchten dem Teufelskreis des Drama-Dreiecks (s. S. 172 in diesem Buch) entkommen. – Wie können Mitarbeiter das Verhalten Ihrer Vorgesetzten beeinflussen oder gar ändern? Da die Einflussnahme auf das Verhalten nicht als Einbahnstraße, sondern nach dem Prinzip der Wechselwirkung funktioniert, ist grundsätzlich auch in einem gewissen Rahmen die Führung der Chefs durch die Mitarbeiter möglich. Um die Sichtweise der Geführten besser kennenzulernen, wurden fünf Probandinnen (Männer waren nicht bereit, über ihre Situation Auskunft zu geben) mittels eines standardisierten Fragebogens interviewt. Daraus sind fünf Fallbeispiele entstanden, die im folgenden Kapitel dargestellt werden. Die Personen und Arbeitsumgebungen wurden anonymisiert, um die Vertraulichkeit zu wahren. Vier Probandinnen haben ihre Fragebögen allein ausgefüllt; lediglich ein Interview wurde persönlich geführt. Die Fragestellungen waren in allen Fällen gleichlautend. Das Besondere an dem Interview und den Fragebögen ist, dass die Probandinnen durch die Art der Fragen angeregt wurden, ihre Situation zu erkennen und selbständig Lösungswege zu finden. Gefragt wurde nach dem Verhalten einer als besonders unangenehm und einer als besonders angenehm erlebten Führungskraft. Die Fragen nach negativen Erlebnissen führten zu Begriffen wie z. B. gefeuert, angeprangert, nachgeäfft, runtergeputzt und verdonnert, die jeweils in den Titel der Fallbeispiele übernommen wurden. Die Fragen nach positiven Erfahrungen förderten Begriffe wie z. B. der Wohlfühl-Chef, Zu- und Vertrauen, Wertschätzung, Unterstützung, sich angenommen fühlen und Freiraum zutage. Die erkenntnisfördernde Wirkung der non-direktiven Gesprächsführung wird anhand dieser Fallbeispiele deutlich. Noch einmal: Die hier aufgeführten Fälle sind authentisch. Die Aussagen der Befragten wurden lediglich aus Gründen der besseren Verständlichkeit geringfügig hinsichtlich grammatikalischer Aspekte und der korrekten Rechtschreibung geglättet. Die folgenden Fragen wurden allen Probanden gleichermaßen gestellt: • Was war Ihr unangenehmstes Erlebnis mit einer Führungskraft? • In welcher Situation hat sich dieses Erlebnis ereignet? • Waren Sie mit der Führungskraft zum Zeitpunkt des Erlebnisses allein oder waren weitere Personen anwesend bzw. beteiligt? • Was ist konkret geschehen? • Was war Ihr Problem? • Wie haben Sie sich gefühlt? • Wie haben Sie sich verhalten? • Wie hat Ihre Führungskraft darauf reagiert?

426

11

Kommunizieren

• Wie zufrieden waren Sie mit der Reaktion? • Haben die Führungskraft oder Sie das eigene Verhalten nachhaltig verändert? • Was werden Sie machen, wenn eine ähnliche Situation erneut auftritt? • Was wären geeignete Alternativen hinsichtlich Ihres Verhaltens oder Handelns aus heutiger Sicht? • Welchen Rat würden Sie sich selbst geben, um in Zukunft besser mit solchen Situationen umgehen zu können? • Welche anderen Lösungen fallen Ihnen ein? • Welche dieser Lösungen erscheint Ihnen besonders erfolgreich? • Denken Sie bitte an eine Führungskraft, die Sie als besonders angenehm empfunden haben. • Was hat die Zusammenarbeit mit dieser Person so angenehm für Sie gemacht? • Wie haben Sie sich gefühlt? • Was hat Sie in der Zusammenarbeit am stärksten motiviert? • Was kennzeichnet das Handeln und Verhalten dieser Führungskraft in besonderer Weise? • Haben Sie dieser Führungskraft jemals Feedback gegeben über Ihre positiven Eindrücke? • Wenn nicht, warum haben Sie es nicht gemacht? • Falls ja, wie war die Reaktion dieser Führungskraft auf Ihr positives Feedback? Da aufgrund der non-direktiven Gesprächsführung oder der Selbstreflexion die Probandinnen ihre Lösungen selbst erarbeitet haben, kann im Anschluss auf vertiefende Fragen an die Leser verzichtet werden. Stattdessen sind zum besseren Verständnis die Kern-Aussagen der Probandinnen mittels einer Graurasterung hervorgehoben.

11.10.1 Fallbeispiel: gefeuert Das folgende Interview wurde telefonisch geführt, aufgezeichnet und wörtlich transkribiert. • • • • • •

Name: Geschlecht: Alter: Familienstand: Ausbildung: aktuelle berufliche Position:

Anna W. weiblich 51 Jahre verheiratet Studium und berufspraktische Erfahrungen Betriebsleiterin eines mittelständischen Unternehmens

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

427

,,Wie viele Führungskräfte haben Sie bislang erlebt?“ ,,Neun Vorgesetzte.“ ,,Was war bislang Ihr unangenehmstes Erlebnis mit einer Führungskraft?“ ,,Mein unangenehmstes Erlebnis war, dass ich von einer Führungskraft, die zu dem Zeitpunkt des Geschehens gar nicht mehr Geschäftsführer des Unternehmens war, unerwartet freigestellt wurde. Dieser Geschäftsführer war von der Gesellschafterversammlung bereits abgesetzt worden. Er hat sich illegal Zutritt zu unserem Unternehmen verschafft; die Schlösser waren ausgetauscht, und er war rechtmäßig nicht mehr im Besitz der neuen Schlüssel. Plötzlich steht dieser Mensch vor mir, hält mir einen Zettel vors Gesicht und teilt mir mit, dass er gegen die Gesellschafterversammlung, die ihn zuvor abgesetzt hatte, eine einstweilige Verfügung erreicht habe. Ich solle meine Sachen packen und innerhalb von fünf Minuten das Haus verlassen.“ ,,Zu diesem Zeitpunkt sind Sie davon ausgegangen, dass er berechtigt gewesen sei, sich Ihnen gegenüber so zu verhalten?“ ,,Ich habe das schon hinterfragt und mir das Papier auch genauer angesehen. Aber mir war nicht klar, dass ein solches Dokument in Form einer Kopie gar keine Rechtskraft besitzt, sondern nur ein Original diese Rechtswirksamkeit hat. Das mir gezeigte Schriftstück war eine Kopie. Leider war ich zu diesem Zeitpunkt nicht so gut informiert über die vorgenannten Zusammenhänge. Deshalb habe ich es unterlassen, mich von der Rechtswirksamkeit dieses Dokuments zu überzeugen.“ ,,Ist sein Handeln in dieser Situation illegal gewesen?“ ,,In diesem Moment auf jeden Fall!“ ,,Befanden Sie sich mit dem Geschäftsführer allein in dieser Situation? Oder war noch jemand anders zugegen?“ ,,Er hat sofort eine Kollegin hinzugeholt, und zwar die Kollegin, die er zu meiner Nachfolgerin auserkoren hatte.“ ,,Diese Kollegin hat also alles von Anfang an mitgehört?“ ,,Ja!“ ,,Und in dieser Situation hat er Ihnen gesagt, dass er Ihnen kündigt?“

428

11

Kommunizieren

,,Genauer gesagt, dass er mich freistellt. Gekündigt hat er mir erst zu einem späteren Zeitpunkt.“ ,,Womit hat er seine Handlung begründet?“ ,,Damit, dass unser Vertrauensverhältnis gestört sei. Er sagte, meine Tage in dieser Firma seien gezählt. Zuvor hatte er mich gefragt, wo ich meine berufliche Zukunft sehen würde. Darauf hatte ich ihm geantwortet, dass ich meine berufliche Zukunft in dieser Firma – die er ja in naher Zukunft verlassen werde – sehe, also nicht in der Zusammenarbeit mit ihm. Das mag ihn in seiner Vermutung bestärkt haben, dass ich nicht auf seiner Seite war, sondern den anderen Gesellschaftern näherstand. Er hat mich als stärksten Faktor in dem Team gesehen. Ihm war bewusst, dass er an mir nicht vorbeikommen würde und er keine Chance hätte, noch irgendetwas von Bedeutung oder Wert aus dieser Firma zu entfernen, ohne dass ich es bemerken würde. Insofern war ich ein Problem für ihn.“ ,,Was ist dann konkret geschehen?“ ,,Ich habe meine Sachen gepackt. Die Kollegen haben zwar Einspruch eingelegt, aber das hat natürlich nichts genützt. Er hatte zuvor allen Kollegen gedroht und verboten, mit der Hauptgeschäftsstelle in X-Stadt zu telefonieren. Das haben die Kollegen dennoch von ihren privaten Handys aus gemacht. Die haben sich in die Pause abgemeldet und telefoniert. Auch ich habe die Geschäftsführung in X-Stadt informiert. Einige Tage später erhielt ich dann die schriftliche Kündigung von ihm. Nebenbei erfuhr ich, dass er mir vorwarf, 70.000 € veruntreut zu haben. Und das, obwohl es keinerlei Beweise dafür gab und dies natürlich auch nicht der Wahrheit entsprach.“ ,,Wie haben Sie sich in dieser Situation gefühlt?“ ,,In dem Moment, als er vor mir stand und mir diese Ungeheuerlichkeiten sagte, musste ich mich unheimlich zusammenreißen, weil ich sonst gleich losgeheult hätte. Ich war wütend und fast ohnmächtig, weil ich ja wirklich nicht wusste, was ich in dieser Situation tun sollte. Ich war wie gelähmt. Ich brauchte auch zunächst Abstand von ihm und von dem Ort, um zu verstehen, was soeben mit mir geschehen war. Für mich war das Ganze unfassbar, weil er im Prinzip ja schon nicht mehr Geschäftsführer dieser Firma war! Ich habe dieses Erlebnis als eine persönliche Schmach empfunden und tatsächlich mehrere Wochen gebraucht, um es einigermaßen zu verarbeiten. Ich war wirklich nicht fähig, irgendetwas Sinnvolles zu tun oder zu arbeiten. Ich habe mich mit dieser Situation sehr gequält, darunter gelitten, war wie paralysiert. Dementsprechend defensiv habe ich mich verhalten. Schließlich habe ich meine Geschäftsführer in X-Stadt informiert und einen Anwalt konsultiert – halt das, was man tun muss, wenn einem die Kündigung angedroht wird. Mit den rechtmäßigen Geschäftsführern des Unternehmens hatte ich immer Kontakt. Die haben sich auch sehr um mich gekümmert. Als er mir die schriftliche Kündigung schickte,

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

429

haben diese Geschäftsführer mir sozusagen im selben Atemzug einen neuen Arbeitsvertrag zukommen lassen. Somit hatte ich nicht das Gefühl, dass mich die Firma im Stich lässt; da fühlte ich mich schon gut aufgehoben. Der Mensch, der mir so übel mitgespielt hat, war immerhin von 2003 bis 2008, also fünf Jahre lang, mein Chef. Die kritische Situation hatte sich in den letzten Jahren aufgebaut. Mein Ex-Chef war aus heutiger Sicht so etwas wie ein kleiner ,Kriegsgewinnler‘, der die Lage der Nachwendezeit hier im Osten schamlos ausgenutzt hat. Nicht nur in unserer Firma. Der gehörte zu den Typen, die im Westen keinen Fuß auf die Erde bekamen und sich dann mit Firmenübernahmen im Osten und mit scheinbaren Sanierungen eine goldene Nase verdienen wollten. Heute sehe ihn als eine gescheiterte Existenz an.“ ,,Was ist aus ihm geworden?“ ,,Der macht nach wie vor so weiter und hat zwei ähnliche Firmen in die Pleite geführt. Die zuständige Geschäftsleitung in X-Stadt ist ihn dann schließlich nach zwei Monaten losgeworden. So lange dauerte es, ihn endgültig aus dem Betrieb herauszubringen. Mit einem solchen Verhalten rechnet man nicht; das trifft einen vollkommen unerwartet. So verhält sich auch wirklich kein normaler Mensch.“ ,,Haben Sie noch einmal versucht, mit ihm darüber zu reden?“ ,,Bereits zu der Zeit, als er noch mein Chef war, habe ich selten mit ihm geredet. Heute würde ich ihm auch jederzeit nur noch aus dem Weg gehen.“ ,,Was würden Sie machen, wenn eine ähnliche Situation wieder auf Sie zukäme?“ ,,Noch einmal würde mir so etwas nicht passieren; heute ließe ich mir das nicht mehr so einfach gefallen. Es sind inzwischen einige Jahre ins Land gegangen, und solche Erlebnisse verändern einen ja auch durch die Erfahrung, die man damit macht. Ich ließe mir und anderen auch nicht verbieten, meine/unsere Rechte wahrzunehmen. Auf jeden Fall würde ich zuerst die zuständigen Geschäftsführer kontaktieren und mich mit denen beraten. Damals befürchtete ich: Wenn ich mich jetzt hier querstelle, gibt es ,Krieg‘. Ich hatte auch Sorge um die anderen Mitarbeiter, die ihm ja noch viel weniger gewachsen waren als ich. Heute würde ich wohl selbstbewusster auftreten und nicht ganz so paralysiert sein. Vor allem würde ich darauf pochen, dass seine Aktion auch rechtlich einwandfrei zu sein hat. In der damaligen Situation hat er mir ‘nur‘ vorgeworfen, dass sein Vertrauensverhältnis zu mir zerstört sei. Wie hätte ich das widerlegen können? – Weil er glaubte, sich wegen seiner Entscheidung vor den anderen rechtfertigen zu müssen (denn die haben ihn ja schon gefragt, was denn konkret vorgefallen sei), hat er mich beschuldigt, 70.000 € veruntreut zu haben. Den anderen Geschäftsführern war übrigens klar, dass dieser Vorwurf vollkommen haltlos gewesen ist, denn der Betrag hat ja nicht gefehlt.“ ,,Wie hat dieses Ereignis Ihren guten Ruf unter den Kollegen beeinflusst?“

430

11

Kommunizieren

,,Eigentlich müsste man annehmen, dass dieses Vorkommnis meinen guten Ruf beschädigt hätte. Da jedoch meine Geschäftsführer in X-Stadt sofort für mich Position bezogen hatten und ich ja auch anschließend in diese Firma zurückgekehrt bin – was üblicherweise nicht der Fall ist -, war das schon eine sehr besondere und positive Situation für mich. Das war es auch, was es mir ermöglichte, in dem Betrieb wieder an die Arbeit zu gehen.“ ,,Lassen Sie mich zusammenfassen, was ich bislang verstanden habe: Der angeblich zuständige, aber in Wirklichkeit doch nicht mehr zuständige Geschäftsführer hat Sie in Gegenwart einer Kollegin freigestellt. Er hielt Ihnen vor, das Vertrauensverhältnis zwischen Ihnen und ihm sei zerstört und er könne aus diesem Grunde nicht mehr weiter mit Ihnen zusammenarbeiten. Ohne weitere Begründung gab er Ihnen fünf Minuten, Ihre Sachen zu packen und das Unternehmen zu verlassen. Sie fühlten sich überrumpelt und unfähig zu weiteren Reaktionen, hatten Mühe, Ihre Emotionen zu kontrollieren und sind nach Hause gegangen. Sie informierten die anderen Geschäftsführer, erhielten von diesen Rückendeckung, ließen sich anwaltlich beraten und sind gegen die Freistellung und die Kündigung vorgegangen. Es stellte sich heraus, dass der nachgereichte Vorwurf, Sie hätten 70.000 € veruntreut, falsch gewesen ist. Die anderen Geschäftsführer waren auf Ihrer Seite und haben dafür gesorgt, dass dieser Vorgesetzte das Unternehmen endgültig verlassen musste.“ ,,Richtig! Um zu verstehen, warum ich so schockiert war, muss man wissen, dass für uns alle dieser Mensch ja eigentlich bereits entlassen war! Also gar nicht mehr zuständig, nicht mehr weisungsbefugt. Gänzlich unvermutet behauptete er, eine einstweilige Verfügung zu besitzen, aufgrund derer die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung aufgehoben seien. Diese einstweilige Verfügung legte er mir als Fax und nicht im Original vor. Durch den zuvor erfolgten Gesellschafterbeschluss, dass er die Firma verlassen müsse, und die aufschiebende Wirkung der einstweiligen Verfügung, die er nicht seinen Mitgesellschaftern zur Kenntnis gebracht hatte, entstand ein Zuständigkeits- und Machtvakuum. Diesen Zustand hat er für die Verfolgung eigener Interessen schamlos ausgenutzt. Noch einmal: Wir Mitarbeiter waren der Überzeugung, dass die Zusammenarbeit mit ihm, die zuvor schon sehr schwierig war, eigentlich beendet war!“ ,,Heute würden Sie gelassener reagieren, sich diesen Beschluss im Original vorlegen lassen, ihn anderenfalls nicht akzeptieren und die weiteren genannten Schritte einleiten. Das ist also der Lerneffekt für Sie aus dieser Situation.“ ,,Ja, so ist es! Aber dazu gehört natürlich auch schon ein klein wenig Lebenserfahrung und Selbstbewusstsein. Ich war damals Anfang vierzig, eine solche Erfahrung hatte ich bis dahin in meinem Leben noch nicht machen müssen. Heute würde ich erst einmal tief Luft holen und überlegen, ob der Mensch überhaupt die Vollmacht besitzt, solche Handlungen vornehmen zu dürfen. Ich würde den Nachweis der entsprechenden Legitimation verlangen, überprüfen und mich dann mit fachlich qualifizierten Personen über die daraus resultierenden Konsequenzen und erforderlichen Maßnahmen beraten.

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

431

Ich bin eigentlich kein obrigkeitsgläubiger Mensch, der vor Autoritäten kuscht und sich abhängig fühlt. Normalerweise habe ich wirklich kein Problem mit solchen Menschen. Aber wir waren alle wie aus der Bahn geschleudert und daher nicht fähig, in dieser Lage richtig zu reagieren. Ihm war klar: Wenn er mich aus der Mannschaft entfernt, ist die letzte Hürde gefallen, seine persönlichen Interessen in der Firma einfacher umzusetzen. Sein Ziel war, die renitente Mitarbeiterin aus dem Spiel zu nehmen, um mit dem Rest der Mannschaft in seinem Sinne einfacher verfahren zu können.“ ,,Was wäre aus Ihrer Sicht zu diesem Ereignis noch zu sagen?“ ,,Der hat sich ja verhalten wie ein Rumpelstilzchen! Aus heutiger Sicht denke ich, es war gut, dass ich mich zurückgehalten habe, um größeren Schaden von meiner Person, aber auch von den Kollegen und Kolleginnen fernzuhalten. Ich hatte ja Angst, dass er unter Umständen die Leute zusammenschlägt, falls ich mich ihm widersetze. Dem war klar, dass er nur eine Chance hatte, die Situation in seinem Sinne zu drehen, und aus diesem Grunde hat er sich sehr lautstark und cholerisch aufgeführt. Er wollte uns alle verängstigen. Das erkenne ich erst aus heutiger Sicht. Im Augenblick des Geschehens war mir das nicht klar. Bevor er mich attackierte, hatte er den Kolleginnen und Kollegen bereits damit gedroht, dass jeder, der jetzt nach draußen telefonieren oder das Haus verlassen würde, die Kündigung erhalten würde. Man muss sich das einmal vorstellen: Die wussten ja alle, dass er eigentlich gar nichts mehr in der Firma zu sagen hatte! Käme so etwas heute noch einmal vor, würde ich nicht einfach nach Hause gehen, sondern darauf bestehen, dass ein Anwalt geholt wird, der mir dann bestätigt, dass die Äußerungen rechtens sind. Ich würde mich heute nicht mehr so überrumpeln und abspeisen lassen. Gelernt habe ich daraus: Wenn man sehr emotionalisiert ist wie ich seinerzeit, ist man gut beraten, nicht alles sofort widerspruchslos zu akzeptieren. Das würde ich heute eben anders machen. Die Sache hat sich dann endlos hingezogen. Über zweieinhalb Monate war ich zu Hause, erhielt zwar weiterhin mein Gehalt, saß vor meinem Rechner und versuchte, irgendetwas Vernünftiges zustande zu bringen, war aber wie paralysiert, konnte keinen klaren Gedanken fassen und überhaupt nicht arbeiten. Ich habe nur gegrübelt. Das hat mich total aus der Bahn geworfen. Teilweise hat es auch konspirative Treffen mit den Kolleginnen und Kollegen gegeben, die mich in der Zwischenzeit über die aktuellen Entwicklungen in der Firma informiert haben. Man muss sich das vorstellen: Kollegen, die mich eigentlich ersetzen sollten, haben sich heimlich mit mir außerhalb des Unternehmens getroffen. Das war schon wirklich eine sehr interessante Situation. Natürlich haben die mich darüber informiert, was da so alles läuft. Auf diesem Weg habe ich das auch mit der angeblichen Veruntreuung der 70.000 € erfahren. Diesen Vorwurf hatte er einfach so aus der Luft gegriffen. Unfassbar! Er hat immer irgendetwas behauptet, den Mitarbeitern und den Geschäftspartnern irgendwelche Ge-

432

11

Kommunizieren

schichten erzählt, die jeder Grundlage entbehrten, Behauptungen vorgebracht, wenn er der Meinung war, dass diese ihm nützlich sein könnten. Erstaunlicherweise hat er auch mit den negativen Folgen offensichtlich ganz gut gelebt. Der hat gelogen wie gedruckt!“ ,,Ist er damit wirklich erfolgreich gewesen?“ ,,Nein, eigentlich nicht, nur eine Zeit lang. Er wusste ja auch, dass ich über alle betrieblichen Belange informiert war, insofern war ich ein Sicherheitsrisiko für ihn.“ ,,Musste er nicht befürchten, dass Sie ihn auffliegen lassen?“ ,,Ja, das musste er. Vielleicht hatte er gehofft, dass diese Kündigungsaktion mich dauerhaft vernichten würde. Andererseits hat er großes Glück gehabt, denn ihm ist ja nicht viel passiert. Okay – er hat seinen Job verloren. Aber das wusste er auch schon vor der Attacke auf mich. Es ist schon übel, einen Menschen zum Chef zu haben, von dem man nach kürzester Zeit weiß, dass es ihm nur darum geht, sein Image zu pflegen und eine Scheinwelt aufrechtzuerhalten. Es war ihm völlig gleichgültig, was in der Firma geschieht; ihm ging es nur um die eigene Person – ein richtiger Aufschneider eben, so um die 30 Jahre alt. Meiner Meinung nach hatte er ein psychisches Defizit: Sein Bruder war in der Familie der Erfolgreiche, der Vater war Offizier und er selbst war der Versager, dem nichts gelang. Deshalb hat er gelogen, dass sich die Balken bogen.“ ,,Vielen Dank für diesen Einblick. – Verlassen wir jetzt dieses Thema und wenden wir uns einem erfreulicheren zu. Denken Sie bitte an eine Führungskraft, mit der Sie die Zusammenarbeit als besonders angenehm erlebt haben.“ ,,Das hängt unmittelbar mit der zuvor geschilderten Situation zusammen: Das sind natürlich meine aktuellen Chefs, wobei nur einer von denen unmittelbar mit mir zu tun hat. Als besonders angenehm habe ich empfunden, dass die in dieser schwierigen Zeit Zutrauen zu mir hatten. Wir kannten uns damals schließlich noch nicht so gut. Die haben unsere Firma im Herbst 2006 übernommen, und im Herbst 2008 war dieses zuvor geschilderte unangenehme Erlebnis. Nach zwei Jahren kennt man die Mitarbeiter eines Teilbetriebes, den man nur alle vier Wochen etwa aufsucht, noch nicht so gut. Die haben Vertrauen zu uns gehabt, die haben Vertrauen zu mir gehabt, die haben uns den Rücken gestärkt. Das war wohltuend, denn mir ging’s eine Zeit lang wirklich richtig schlecht. Die haben auch immer um Rat gefragt, mich oft angerufen, gefragt, wie wir vorgehen wollen, was wir tun wollen. Und das ist auch das Positive an meinem derzeitigen Chef. Man kann sagen, dass er ein Wohlfühlchef ist.“ ,,Wohlfühl-Chef hört sich spannend an. Woher kommt dieses Gefühl?“ ,,Also, er ist ein Chef, der zuhört, mit dem man sehr angenehm arbeitet. Natürlich hat er trotzdem auch seine Fehler. Wie jeder Mensch. Es gibt keine Menschen ohne Fehler. Sein

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

433

großes Manko ist, dass er nicht besonders durchsetzungsstark ist. Er nimmt sich Dinge vor – zum Beispiel in der Personalpolitik –, schafft es aber nicht, diese dann auch konsequent durchzusetzen. Sein großer Vorteil ist, dass er fast nie laut wird, dass er zuhört, dass er immer offen ist für Vorschläge, die andere Mitarbeiter und auch ich vorbringen, und dass er darüber ernsthaft nachdenkt. Er setzt zwar nicht alles um, was er verspricht, aber das ist, denke ich, ganz menschlich. Insgesamt gesehen ist er ein sehr auf das Zusammenarbeiten orientierter Chef, der stets sagt: ,Wir gucken mit vier Augen drauf, ehe wir eine Entscheidung treffen.‘ – Tja, und dann fehlt es manchmal an der konsequenten Umsetzung. Das lässt ihn dann auch wiederum weich erscheinen. Manchmal denke ich auch, dass er ein ,zu lieber‘ Chef ist.“ ,,Aufgrund Ihrer Schilderung sehe ich ihn als einen Vorgesetzten, der sehr um eine gute Atmosphäre, ein gutes Klima bemüht ist. Hört sich an, als sei er ein stark mitarbeiterorientierter Chef?“ ,,Ja, so kann man das sagen. Die Arbeitsergebnisse und das Sachliche sind schon wichtig, aber es kann auch passieren, dass zugunsten des guten Klimas diese Aspekte in den Hintergrund treten. Manchmal scheut er sich vor Entscheidungen, die unumgänglich sind.“ ,,Betrifft das in erster Linie Personalentscheidungen oder auch andere?“ ,,Hauptsächlich Personalentscheidungen. Man kann mit ihm über alles reden; man braucht sich auch nicht zu scheuen, ihn anzusprechen, wenn etwas nicht in Ordnung ist.“ ,,Es scheint, dass zwischen Ihnen eine Kommunikation auf Augenhöhe stattfindet?“ ,,Ja, ich denke schon. Man muss eben nur sehen: Wo sind die Stärken, wo die Schwächen? Das ist ja bei jedem Menschen so. Man sollte sich fragen, wie man das ausgleichen kann, was man tun muss, damit diese Schwächen zumindest auf die eigene Arbeit keine Auswirkung haben (weil er beispielsweise entscheidungsschwach ist oder versucht, unliebsame Dinge auszusitzen). Wenn er z. B. auf meine zehnte Mail nicht reagiert hat, dann rufe ich ihn an und schlage ihm vor, einen Termin zu vereinbaren, um die unbeantworteten Mails zu besprechen. Und dann machen wir das. Ich weiß ja, dass er sehr viel zu tun hat, und da kann es schon vorkommen, dass ihm das, was ich ihm schreibe, nicht so wichtig erscheint. Wenn man Verständnis dafür hat, was andere Menschen leisten müssen, dann kann man sich darauf einstellen und auch Wege finden. Das geht aber nur, wenn der Chef einem das Gefühl vermittelt, dass er auch offen dafür ist.“ ,,Haben Sie ihm schon einmal eine Rückmeldung über sein Verhalten gegeben?“ ,,Diese Frage beschäftigt mich von dem Augenblick an, als ich sie in dem Vorbereitungsbogen für das Interview gelesen habe! Sicher habe ich ihm die eine oder andere Kleinigkeit schon mal gesagt, aber so richtig umfassend und ausführlich noch nicht.“

434

11

Kommunizieren

,,Warum nicht?“ ,,Das weiß ich nicht. Aber ich habe mir vorgenommen, es das nächste Mal zu tun. In der Regel bekommt man von Mitarbeitern ja selten Lob und Anerkennung zu hören. Mir geht das in meiner Funktion ja nicht anders. Auch ich fühle mich schon manchmal einsam. Für meine Mitarbeiter bin ich der Chef, und auf der anderen Seite habe ich ihn als Vorgesetzten. Manchmal fühle ich mich wie zwischen Baum und Borke. Von meinen Mitarbeitern bekomme ich selten mal ein positives Feedback. Die erwarten eher von mir, dass ich ihnen ständig Streicheleinheiten gebe. Von meinem Chef bekomme auch ich eher selten Streicheleinheiten – ist schon schwierig, in so einer Zwischenposition zu arbeiten. Na ja, in der letzten Zeit hat er mich schon immer mal wieder gelobt, aber nicht nur mich persönlich betreffend, sondern eher allgemein. Es ist wohl so, dass Führungskräfte, je höher sie steigen, selbst seltener oder gar nicht mehr Lob erleben. Und möglicherweise ist genau das der Punkt, warum sie selbst so selten ein Lob aussprechen. Dass Chefs mit dem Loben so sparsam sind, wird sicherlich unterschiedliche Ursachen haben. Manche fürchten auch, dass sie nach einem Lob unmittelbar mit der Bitte nach einem höheren Gehalt konfrontiert werden, und dieses Risiko wollen sie nicht eingehen – frei nach dem Motto: Nicht kritisiert, ist schon gelobt genug! Aufgrund der Frage, ob ich schon einmal meinen Chef gelobt oder ihm ein positives Feedback gegeben habe, denke ich jetzt verstärkt darüber nach, dass das vielleicht ein guter erster Schritt wäre. Meine positiven Eindrücke dem Chef gegenüber zum Ausdruck zu bringen, kann das Verhältnis eigentlich nur noch besser machen, als es ohnehin schon ist. Und natürlich sind damit auch positive Effekte für die anderen Mitarbeiter zu erwarten. Wenn mehr Arbeitnehmer sich nicht nur als Untergegebene, sondern auch als ihre eigenen Unternehmer empfinden würden, sähe die Arbeitswelt bestimmt ganz anders aus. Der Arbeitnehmer sieht sich plötzlich auf Augenhöhe mit seinem Chef, weil er im eigenen Sinne unternehmerisch denkt und handelt. Darüber rede ich auch häufig mit meinem Chef. Es gibt nur noch sehr wenige Mitarbeiter unter 50 Jahren, die sich voll für das Unternehmen engagieren. Diejenigen, die sich so engagiert verhalten, sehen sich als jemand, der seine Arbeitskraft anbietet, seine Leistung erbringt, sich mit all dem, was er oder sie zu leisten imstande ist, einsetzt und stets bestrebt ist, für das Unternehmen Gutes zu leisten. Diese Menschen begreifen, dass ihre Situation sehr eng mit der des Unternehmens verbunden ist. Eine weitere Gruppe wird repräsentiert durch diejenigen, die eine neutrale Position einnehmen. Diese Kollegen machen einfach ihren Job, denken aber, dass sie bereits das Maximum erbringen. Deren Selbstbild dürfen wir bei der Bewertung nicht außer Acht lassen. Diese Menschen sind oft davon überzeugt, selbst unglaublich viel zu leisten. Realistisch gesehen sind sie allerdings bestenfalls Mittelmaß. Zu guter Letzt gibt es noch die restlichen 30 %, die nur zur Arbeit kommen, weil sie irgendwie an die ,Kohle‘ kommen müssen. Die taugen eigentlich nichts. Diese Mitarbeiter sind ohne jegliches Engagement, sehen sich aber erst recht als die Klageberechtigten. Deren Haltung lautet: ,Sei froh, dass du mich hast!‘ Die treten auf wie die Gewerkschaf-

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

435

ter, sehen nur ihre Rechte, erkennen aber nicht, dass ihren Rechten auch immer Pflichten gegenüberstehen. Ich sehe das für mich nicht so, dass ich mich als Arbeitnehmer ,versklave‘. Wenn das Unternehmen wächst, fließt natürlich davon wieder etwas an mich zurück. Ich erhalte vom Unternehmen nicht nur mein Gehalt, sondern auch immaterielle Vorteile wie z. B. Wissen, Gestaltungsmöglichkeiten und Selbstwertgefühl. Wenn ich das nicht begreifen kann oder will, dann geht es mir auch schlechter in meinem Beruf. Und dann kann ich auch meinen Chef nicht als Partner sehen. Natürlich gibt es Chefs, da kannst du tun und lassen, was du willst, die werden im Leben kein Partner.“ ,,Damit sind wir beim Kernpunkt dieses Interviews. Wenn ich Sie richtig verstehe, sind Sie der Meinung, dass Sie eine Veränderung bei anderen dadurch erreichen, dass Sie u. a. bei sich beginnen und einen Perspektivwechsel vornehmen. Sie fühlen sich in der Zusammenarbeit mit ihrem Chef wohl, weil er zuhört, weil Sie sich austauschen können und er auf das eingeht, was Sie oder andere ihm sagen. Das ist in der Tat Kennzeichen einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Er scheint ein sehr menschenfreundlicher Typ zu sein. Dieser Seite steht gegenüber, dass er sich durchsetzungsschwach zeigt, wenn es einmal nicht so gut läuft. Dennoch nehmen Sie ihn positiv wahr, weil er Sie und die anderen in ihrem Selbstwertgefühl respektiert und stärkt. Wenn Ihrer Meinung nach die Mitarbeiter sich selbst als Partner des Unternehmens und des Vorgesetzten begreifen und nicht nur als untergeordnete Mitarbeiter, dann entsteht ein Klima der Verständigung, und auch der Blick auf den Vorgesetzten wird ein anderer.“ ,,Ja! Letztendlich geht es darum, dass man aufeinander zugeht, zusammenarbeitet und einander respektiert. Ich glaube, dass so ein Verhalten eine gute Voraussetzung ist, ein erfülltes Arbeitsleben zu haben und eine gute Arbeitsbeziehung zu erleben. Hier kann ich als Arbeitnehmer durchaus auch einen Beitrag leisten, indem ich auch mal sage, was mir gut gefällt und was nicht – mit Respekt und auf Augenhöhe.“ ,,Herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft und Offenheit, dieses Gespräch zu führen!“

11.10.2 Fallbeispiel: angeprangert Der Interview-Fragebogen wurde durch die Probandin selbst ausgefüllt. • • • • •

Name: Geschlecht: Alter: Familienstand: Ausbildung:

Fenja P. weiblich 26 Jahre ledig Gestaltungstechnische Assistentin, B. A. Wirtschaftswissenschaften, derzeit Masterstudium Kulturund Medienmanagement

436



11

berufliche Position: (aktuell)

Kommunizieren

Buchhalterin und Personalverantwortliche in einem mittelständischen Unternehmen in den Bereichen Transport, Bauelemente und Immobilien

,,Wie viele Führungskräfte haben Sie bislang erlebt?“ ,,Neun – davon fünf in Praktika und Nebenjobs während des Studiums.“ ,,Was war Ihr unangenehmstes Erlebnis mit einer Führungskraft? – In welcher Situation hat sich dieses Erlebnis ereignet?“ ,,Während meines Bachelor-Studiums hatte ich einen Nebenjob in einem Hotel und Restaurant im Nachbarort. Ich war vom Hotelbesitzer persönlich angesprochen worden, da wir uns kannten, und wurde als Marketing-Assistentin angestellt. Nach drei Monaten sollte ich bei einer Veranstaltung als Kellnerin aushelfen. Dies tat ich, da ich das Geld gut gebrauchen konnte. Für die restlichen sechs Monate, die ich in diesem Hotel arbeitete, wurde ich nur noch als Kellnerin eingesetzt. Ein guter Freund des Hotelbesitzers, welchen ich auch persönlich kenne, ist innerhalb dieser Zeit als Personalverantwortlicher eingesetzt worden.“ ,,Waren Sie mit der Führungskraft zum Zeitpunkt des Erlebnisses allein? Oder waren weitere Personen anwesend bzw. beteiligt?“ ,,Zu diesem Zeitpunkt waren zwei weitere Mitarbeiterinnen, der Koch des Hotels und eine Gruppe von ca. 15 Gästen anwesend.“ ,,Was ist konkret geschehen?“ ,,An einem Freitagabend waren meine Kolleginnen und ich gerade dabei, die Gäste im Gastraum zu bedienen. Dabei kümmerte ich mich um die Getränkebestellungen an der Theke, und meine Kolleginnen brachten diese in den Gastraum, von welchem aus die Theke nicht einsehbar war. Der Personalverantwortliche kam aus seinem Büro, lief sofort auf mich zu und schrie (!) mir direkt ins Gesicht, dass ich immer zu lächeln habe und dass ein solches Auftreten gerade im Service-Bereich nicht möglich sei. Durch die Lautstärke seiner Äußerung bekamen dies natürlich nicht nur die Kollegen, sondern auch alle Gäste mit.“ ,,Was war Ihr Problem?“ ,,Das Problem für mich bestand im Rahmen und der Art und Weise der Kritik. Ein solches Verhalten von einem Vorgesetzten vor Kunden ist meiner Meinung nach unverantwortlich.“

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

437

,,Wie haben Sie sich gefühlt?“ ,,In diesem Moment habe ich mich sehr gedemütigt gefühlt. Ich habe mich als Person angegriffen und abgewertet gefühlt.“ ,,Wie haben Sie sich verhalten?“ ,,Ich war zunächst geschockt, da ich auf eine solche Situationen in keiner Weise vorbereitet war und begann daraufhin, etwas unsicher zu lächeln.“ ,,Wie hat Ihre Führungskraft darauf reagiert?“ ,,Er sah dies aber nicht als korrekte Reaktion und wies mich schroff und immer noch mit erhobener Stimme darauf hin, dass ich zu machen hätte, was er sagt. Er meinte, dass er dafür verantwortlich sei, dass das Service-Personal ,springt‘ und dabei immer lächelt. Anschließend ist er zurück in sein Büro gegangen.“ ,,Wie zufrieden waren Sie mit der Reaktion?“ ,,Ich war gar nicht zufrieden. Er hätte mich auch dezent in normaler Lautstärke darauf hinweisen können, dass er möchte, dass ich auch dann lächle, wenn mich gerade kein Gast sieht.“ ,,Haben die Führungskraft oder Sie das eigene Verhalten nachhaltig verändert?“ ,,Nur bedingt. Da ich mich vorher schon stets um ein freundliches Auftreten gegenüber den Gästen bemüht hatte, habe ich mich nach diesem Vorfall bemüht, ein Lächeln aufzulegen, sobald diese Person im Haus war. Allerdings hat sich mein Verhalten gegenüber dem Personalverantwortlichen auch außerhalb des Hotels geändert. Wenn wir nun im Privaten aufeinandertreffen, so versuche ich immer, ein freundliches, aber distanziertes Gespräch zu führen. Das Vertrauensverhältnis, welches vorher da war, ist durch diesen und weitere ähnliche Vorfälle deutlich geschwächt worden.“ ,,Was werden Sie machen, wenn eine ähnliche Situation erneut auftritt?“ ,,Ich denke, dass ich in einer solchen Situation um ein klärendes Gespräch bitten würde, welches nicht von den Gästen beziehungsweise Kunden mitgehört werden könnte. Aus heutiger Sicht meine ich, dass es eine Alternative wäre, von dem Personalverantwortlichen eine Entschuldigung für das angesprochene ,,Fehlverhalten“ zu verlangen, und ich sollte versuchen, ein selbstbewusstes Lächeln aufzulegen. Eine weitere Verhaltensweise wäre die Bitte um einen sachlichen Ton mit dem Hinweis, dass Gäste im Gastraum sind.“

438

11

Kommunizieren

,,Welchen Rat würden Sie sich selbst geben, um in Zukunft besser mit solchen Situationen umgehen zu können?“ ,,Ich denke, dass ich aus heutiger Sicht selbstbewusster auftreten sollte. Meine Arbeit war in diesem Moment dadurch nicht besser oder schlechter. Der Grund für das Verhalten des Personalverantwortlichen lag in seiner Wahrnehmung der Situation.“ ,,Welche anderen Lösungen fallen Ihnen ein?“ ,,Eine andere Lösung wäre, den Personalverantwortlichen direkt auf sein Fehlverhalten anzusprechen. So hätte er gewusst, was ich in diesem Moment gedacht habe und wie sein Verhalten auf mich wirkt. ,,Welche dieser Lösungen erscheint Ihnen besonders erfolgreich?“ ,,Die beste Alternative aus meiner Sicht ist, mein Verhalten zu ändern. Also, in diesem Moment zwar zu lächeln, aber am selben Abend das Gespräch mit dem Personalverantwortlichen zu suchen und die Situation zu klären.“ ,,Denken Sie bitte an eine Führungskraft, die Sie als besonders angenehm empfunden haben. Was hat die Zusammenarbeit mit dieser Person so angenehm für Sie gemacht?“ ,,Während der Arbeitszeit herrschte stets ein freundlicher und offener Austausch. Schwierige Situationen oder Probleme im Team wurden offen besprochen, aber es wurden auch gute Leistungen des gesamten Teams und/oder der einzelner Mitarbeiter aufgezeigt. Außerdem herrschte eine Politik der ,,offenen Türen“; es war gewollt, dass die Mitarbeiter untereinander kommunizieren, aber ebenso hatte ich das Gefühl, jederzeit auf meinen Chef zugehen zu können und ihn in schwierigen Situationen um Rat fragen zu können.“ ,,Wie haben Sie sich gefühlt?“ ,,Ich habe mich in meinem Tun bestätigt gefühlt, da die geleistete Arbeit stets honoriert wurde. Durch die offene und freundliche Art habe ich mich auch motiviert gefühlt, mit Problemen auf meinen Chef zuzugehen.“ ,,Was hat Sie in der Zusammenarbeit am stärksten motiviert?“ ,,Eine große Motivation entstand dadurch, dass mein Chef mir immer wieder neue Aufgaben aus Themengebieten zugetraut hat, welche ich vorher noch nicht bearbeitet hatte. Dieses Vertrauen hat mich in meiner Arbeit bestätigt und auch die Neugierde in Bereichen geweckt, von welchen ich teilweise vorher nichts wusste. Als ich mich für eine Stelle

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

439

in der Firmenzentrale beworben hatte, hat er dies unterstützt und mir in einem persönlichen Gespräch Tipps für das bevorstehende Bewerbungsgespräch gegeben. Leider wurde ich nicht für diese Stelle ausgewählt.“ ,,Was kennzeichnet das Handeln und Verhalten dieser Führungskraft in besonderer Weise?“ ,,Besonders in Erinnerung ist mir das stets freundliche Auftreten geblieben. Außerdem hat mein Chef Maßnahmen der Teambildung sehr gefördert. So zählte zum Beispiel das tägliche gemeinsame Frühstück der gesamten Filiale (10 Personen) zur Arbeitszeit. So wurde dabei nicht genau auf jede Minute geachtet, sondern meist ein offenes Gespräch geführt. Auch wurden regelmäßig Wandertage veranstaltet, bei welchen private Themen im Vordergrund standen.“ ,,Haben Sie dieser Führungskraft jemals Feedback gegeben über Ihre positiven Eindrücke?“ ,,Ja, beim Ausscheiden aus der Firma habe ich in einem letzten persönlichen Gespräch ein Feedback von ihm bekommen und habe ihm auch eines gegeben.“ ,,Wenn nicht, warum haben Sie es nicht gemacht? Falls ja, wie war die Reaktion dieser Führungskraft auf Ihr positives Feedback?“ ,,Er hat sich dafür bedankt. Dabei hatte ich das Gefühl, dass er selten oder vielleicht noch nie ein Feedback zu seinem Führungsstil bekommen hatte.“

11.10.3 Fallbeispiel: nachgeäfft Der Interview-Fragebogen wurde durch die Probandin selbst ausgefüllt. • • • • • •

Name: Geschlecht: Alter: Familienstand: Ausbildung: aktuelle berufliche Position:

Waltraud H. weiblich 40 Jahre verheiratet Bibliotheksassistentin, aktuell Fernstudentin Angestellte im Öffentlichen Dienst, Mitarbeiterin ohne Leitungsfunktion (außer Hiwi-Betreuung)

,,Wie viele Führungskräfte haben Sie bislang erlebt?“ ,,Zehn unmittelbare Vorgesetzte (darüber hinaus diverse in verschiedenen Führungsebenen).“ ,,Was war Ihr unangenehmstes Erlebnis mit einer Führungskraft? – In welcher Situation hat sich dieses Erlebnis ereignet?“

440

11

Kommunizieren

,,Inhaltlich ging es um die Planung bzw. Anmeldung zum Betriebsausflug.“ ,,Waren Sie mit der Führungskraft zum Zeitpunkt des Erlebnisses allein? Oder waren weitere Personen anwesend bzw. beteiligt?“ ,,In der E-Mail-Korrespondenz hatte ich den Personalrat in Kopie gesetzt, da er gemeinsam mit meinem Chef zum Betriebsausflug eingeladen hatte. In der unmittelbaren Auseinandersetzung war ich mit meinem Chef allein in meinem Büro.“ ,,Was ist konkret geschehen?“ ,,Die Vorgeschichte: Es wurde zum Betriebsausflug eingeladen, u. a. mit einer Gewölbeführung in einer Kirche. Daran teilzunehmen wäre mir wegen Höhenangst nicht möglich gewesen. Von anderen KollegInnen wußte ich, dass dies für sie ebenfalls ein Grund wäre, am gesamten Betriebsausflug nicht teilzunehmen. Also fragte ich per E-Mail bei meinem Chef und Personalrat nach, ob es möglich wäre, für diese KollegInnen zeitgleich eine Alternative zu organisieren. Bis 2 Tage vor dem Ausflug erhielt ich keine Antwort – weder vom Personalrat noch von meinem Chef – und hatte für mich beschlossen, an dem Tag zu arbeiten. Auf Drängen des Personalratsvorsitzenden nahm mein Chef zwei Tage vorher Kontakt zu mir auf und erklärte, ich ,,dürfe“ natürlich meinen Arbeitsplatz aufsuchen. Ich erklärte nochmals mein Anliegen, dass es mir um ein adäquates Alternativangebot für die betroffenen KollegInnen gegangen sei und ich es unangemessen fände, wenn man wegen Höhenangst alternativ nur arbeiten dürfe. Antwortend bot er mir an, ihm beim Kochen für das Essen nach der Gewölbeführung zu helfen. Da er mir menschlich unsympathisch ist und es vor allem kein adäquates Alternativprogramm für alle betroffenen KollegInnen gewesen wäre, lehnte ich dankend ab und zog meinen Arbeitsplatz dem Betriebsausflug vor. Wenige Wochen später erschien mein Chef aus einem anderen Grund in meinem Büro, um beim Rausgehen in der Tür zu sagen: ,,So etwas wie neulich möchte ich aber nicht noch einmal erleben!“ Das begriff ich als Chance, mein Anliegen noch einmal in Ruhe zu erklären und unter vier Augen direkt miteinander zu besprechen, was jedoch dazu führte, dass er jeden (!) meiner Sätze unterbrach und mich mit Mimik und Gestik nachäffte. Nach wenigen Minuten verstand ich, dass kein konstruktives Gespräch möglich war, und brach ab. Mein Chef verließ mein Büro.“ ,,Was war Ihr Problem?“ ,,Ich fühlte mich mit meinem Wunsch nach einem Alternativprogramm für die KollegInnen mit Höhenangst und bzgl. des Erlebnisses in meinem Büro weder ernst genommen noch respektiert – weder als Mensch noch mit meinem Anliegen.“ ,,Wie haben Sie sich gefühlt?“

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

441

,,Siehe vorherige Frage.“ ,,Wie haben Sie sich verhalten?“ ,,Ich habe aus meiner Perspektive ruhig, klar und sachlich kommuniziert und in letzter Konsequenz bzgl. des Erlebnisses in meinem Büro resigniert.“ ,,Wie hat Ihre Führungskraft darauf reagiert?“ ,,Mit Nachäffen, Unterbrechen und Gesprächsabbruch.“ ,,Wie zufrieden waren Sie mit der Reaktion?“ ,, Sehr unzufrieden.“ ,,Haben die Führungskraft oder Sie das eigene Verhalten nachhaltig verändert?“ ,, Nein.“ ,,Was werden Sie machen, wenn eine ähnliche Situation erneut auftritt?“ Mich genauso verhalten bzw. ein Personalratsmitglied dazubitten, falls es die Situation erfordert. ,,Was wären geeignete Alternativen hinsichtlich Ihres Verhaltens oder Handelns aus heutiger Sicht?“ ,,Direkt den Personalrat zu kontaktieren und ggf. rechtzeitig vor dem Betriebsausflug nachzuhaken, da mit meinem Chef keine konstruktive Kommunikation möglich ist (das ist tatsächlich ein allgemeines Problem, nicht nur meines). Der Personalrat ist nur leider auch sehr passiv.“ ,,Welchen Rat würden Sie sich selbst geben, um in Zukunft besser mit solchen Situationen umgehen zu können?“ ,,Mich emotional nicht zu sehr zu engagieren, denn letztlich war es die Situation nicht wert – auch wenn das Problem nicht gelöst war. Und als ehemalige Personalratsvorsitzende war ich es danach auch wieder mal leid, gegen Windmühlen zu kämpfen, da alle anderen betroffenen KollegInnen ja nicht den Mund aufgemacht hatten ... “ ,,Welche anderen Lösungen fallen Ihnen ein?“

442

11

Kommunizieren

,,Mit den betroffenen KollegInnen gemeinsam eine Alternative besprechen und mit diesem Vorschlag zu meinem Chef gehen.“ ,,Welche dieser Lösungen erscheint Ihnen besonders erfolgreich?“ ,,Beide: Personalrat kontaktieren und KollegInnen involvieren.“ ,,Denken Sie bitte an eine Führungskraft, die Sie als besonders angenehm empfunden haben. Was hat die Zusammenarbeit mit dieser Person so angenehm für Sie gemacht?“ ,,Ähnliche Vorstellungen von Arbeitsmoral, -ethik, Kommunikation und Umgangsformen, menschliche Sympathie.“ ,,Wie haben Sie sich gefühlt?“ ,,Wertgeschätzt, anerkannt und respektiert.“ ,,Was hat Sie in der Zusammenarbeit am stärksten motiviert?“ ,,Das angenehme Miteinander – das Arbeitsklima.“ ,,Was kennzeichnet das Handeln und Verhalten dieser Führungskraft in besonderer Weise?“ ,,Ein herzliches, offenes Wesen mit klarer Führungsposition und menschlichen Umgangsformen. Großes Vertrauen in mich als Mitarbeiterin.“ ,,Haben Sie dieser Führungskraft jemals Feedback gegeben über Ihre positiven Eindrücke?“ ,,Ja!“ ,,Wenn nicht, warum haben Sie es nicht gemacht? Falls ja, wie war die Reaktion dieser Führungskraft auf Ihr positives Feedback?“ ,,Eine Erwiderung des positiven Feedbacks, was wiederum die ohnehin schon gute Atmosphäre noch verstärkt hat.“

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

443

11.10.4 Fallbeispiel: runtergeputzt Der Interview-Fragebogen wurde durch die Probandin selbst ausgefüllt. • • • • • •

Name: Geschlecht: Alter: Familienstand: Ausbildung: aktuelle berufliche Position:

Sandra A. weiblich 29 Jahre verheiratet Hochschulabschluss Angestellte, teilweise Leitung

,,Wie viele Führungskräfte haben Sie bislang erlebt“ ,,Viele, und zwar auf verschiedenen Ebenen – ungefähr acht.“ ,,Was war Ihr unangenehmstes Erlebnis mit einer Führungskraft?“ ,,Da fällt mir kein einzelnes Erlebnis ein. Eher das Standard-Erlebnis: Besprechungen ohne Führung . . . Und doch, es gibt ein Erlebnis, das besonders schlimm war: Ich wurde in einer Besprechung vor allen Mitarbeitern von einem Kollegen (kein Vorgesetzter von mir) in einer Sache angegangen und fast schon beschimpft, für die ich ganz offensichtlich keine Verantwortung trug. Das war offensichtlich! Mein Chef oberster Ebene, der Geschäftsführer (GF), ließ mich hier völlig im Stich und bat den Herrn nicht darum, seine Schimpftiraden einzustellen, obwohl der sich – selbst wenn die Anschuldigungen gerechtfertigt gewesen wären – deutlich im Ton vergriffen hatte. Ich war damals noch sehr jung und unerfahren und fühlte mich völlig schutzlos. Da der GF den Vorsitz in der Besprechung hatte, hätte er eingreifen müssen. Als meine direkte Vorgesetzte, die Marketingleiterin, begriff, dass der GF nicht eingreifen würde, ist sie mir zu Hilfe geeilt und hat mich verteidigt. Es gibt noch eines: Man hat mich ein ganzes Jahr lang nie zum Mitarbeitergespräch gebeten und mich dann nach einem Jahr wegen eines ,,Problems“ in meiner Arbeit (aus der Perspektive einer Führungskraft) zum Gespräch (zum ersten überhaupt) bzgl. meiner Leistungen gebeten. Hier musste ich mir anhören, dass meine gesamte Arbeit das ganze Jahr hindurch grottenschlecht gewesen sei. Das war praktisch mein erstes Mitarbeitergespräch in einer ,,richtigen“ Position überhaupt, sehr unangenehm. Ich hatte in diesem Jahr so gut wie keine Unterstützung von ,,ganz oben“ erhalten und auch nie einen Anlass dazu gesehen, mir Sorgen wegen meiner Leistung zu machen – man sagte ja nichts, also musste es schon passen.“ ,,In welcher Situation hat sich dieses Erlebnis ereignet?“ ,,In einer Besprechung!“

444

11

Kommunizieren

,,Waren Sie mit der Führungskraft zum Zeitpunkt des Erlebnisses allein? Oder waren weitere Personen anwesend bzw. beteiligt?“ ,,Es waren weitere Personen beteiligt, was es nur noch schlimmer gemacht hat.“ ,,Was ist konkret geschehen?“ ,,Ich bin von einem Kollegen heruntergeputzt worden, zu Unrecht. Das Problem lag deutlich außerhalb meines Verantwortungsbereichs.“ ,,Was war Ihr Problem?“ ,,Ich fühlte mich verletzt, zuerst auch empört. Aber als dann niemand eingriff und mich verteidigte und der Kollege immer weiterschimpfen konnte, kamen Zweifel auf, ob ich tatsächlich in dieser Angelegenheit im Recht wäre und nichts für die Inhalte der Anschuldigungen konnte.“ ,,Wie haben Sie sich gefühlt?“ ,,Verraten! Im Stich gelassen! Alleine! Irgendwann wütend, aber das kam sehr viel später ...“ ,,Wie haben Sie sich verhalten?“ ,,Ich glaube, ich habe nichts gesagt . . . Ich war sozusagen sprachlos.“ ,,Wie hat Ihre Führungskraft darauf reagiert?“ ,,Sie hat nicht reagiert (die oberste Führungskraft). Meine direkte Vorgesetzte hat daraufhin irgendwann Partei für mich ergriffen.“ ,,Wie zufrieden waren Sie mit der Reaktion?“ ,,Ich war sehr dankbar für das Eingreifen meiner direkten Vorgesetzten.“ ,,Haben die Führungskraft oder Sie das eigene Verhalten nachhaltig verändert?“ ,,Nein. Ich habe aber auch nichts getan, um das zu bewirken.“ ,,Was werden Sie machen, wenn eine ähnliche Situation erneut auftritt?“ ,,Dann werde ich den Angreifer mit ,Wie meinst du das konkret?‘ ausschalten. Ich werde ihn darauf hinweisen, dass sein Problem nicht in meinem Aufgabenbereich liegt. Und falls

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

445

er dann immer noch nicht aufhört und niemand sonst was tut, werde ich den Tisch verlassen mit dem Hinweis darauf, dass ich unter diesen Umständen nicht weiter mit Person X sprechen muss.“ ,,Was wären geeignete Alternativen hinsichtlich Ihres Verhaltens oder Handelns aus heutiger Sicht?“ ,,Ich muss ehrlich sagen, die Sache mit dem Aufstehen vom Tisch ist sicher auch keine gute Lösung . . . Derzeit denke ich, ich würde im Extremfall jedoch ebenso reagieren. – Wie kann man das beleidigte oder verletzte Ich überspielen und noch irgendwie bestehen? Danach würde ich mit meinem (obersten) Chef reden und ihm erklären, dass ich mich von ihm im Stich gelassen fühlte und erwarte, dass er einen derart ungerechtfertigten Angriff unterbindet.“ ,,Welchen Rat würden Sie sich selbst geben, um in Zukunft besser mit solchen Situationen umgehen zu können?“ ,,Ruhig bleiben. Gelassen sein, weil ich weiß, dass es nicht meine Schuld ist. – Aber das könnte ich nicht . . . Wie komme ich heil aus einer derartigen Situation heraus??“ ,,Welche anderen Lösungen fallen Ihnen ein?“ ,,Leider keine.“ ,,Welche dieser Lösungen erscheint Ihnen besonders erfolgreich?“ ,,Ruhig bleiben und später mit dem obersten Chef sprechen.“ ,,Denken Sie bitte an eine Führungskraft, die Sie als besonders angenehm empfunden haben. – Was hat die Zusammenarbeit mit dieser Person so angenehm für Sie gemacht?“ ,,Sie hat mich unterstützt, mich in meinem Tempo und in meiner Weise arbeiten lassen. Sie hat klare Ansagen gemacht.“ ,,Wie haben Sie sich gefühlt?“ ,,Aufgehoben. Unterstützt. Immer vom Profi beraten.“ ,,Was hat Sie in der Zusammenarbeit am stärksten motiviert?“ ,,Die gute Laune. Die tolle Strukturiertheit. Die Professionalität und Nüchternheit.“ ,,Was kennzeichnet das Handeln und Verhalten dieser Führungskraft in besonderer Weise?“

446

11

Kommunizieren

,,Überlegtes Handeln. Langfristige Planung. Transparenz.“ ,,Haben Sie dieser Führungskraft jemals Feedback gegeben über Ihre positiven Eindrücke?“ ,,Ja.“ ,,Wenn nicht, warum haben Sie es nicht gemacht? Falls ja, wie war die Reaktion dieser Führungskraft auf Ihr positives Feedback?“ ,,Sie hat sich gefreut.“ 

11.10.5 Fallbeispiel: verdonnert Der Interview-Fragebogen wurde durch die Probandin selbst ausgefüllt. • • • • • •

Name: Geschlecht: Alter: Familienstand: Ausbildung: aktuelle berufliche Position:

Beate G. weiblich 22 Jahre ledig Konditorin Konditorin

,,Wie viele Führungskräfte haben Sie bislang erlebt?“ ,,Fünf“. Was war Ihr unangenehmstes Erlebnis mit einer Führungskraft? – In welcher Situation hat sich dieses Erlebnis ereignet? ,,Ich bekam am Wochenende Besuch von meinem Vater. Obwohl ich laut Arbeitsplan frei hatte, sollte ich wegen der vielen anstehenden Arbeit und fehlender Arbeitskräfte im Betrieb plötzlich doch arbeiten.“ ,,Waren Sie mit der Führungskraft zum Zeitpunkt des Erlebnisses allein? Oder waren weitere Personen anwesend bzw. beteiligt?“ ,,Meine Führungskraft rief mich an – am Donnerstag. Ich war noch krankgeschrieben, da ich am Mittwoch Fieber hatte. Sie wollte mir für Freitag freigeben, dafür sollte ich dann am Wochenende arbeiten.“ ,,Was ist konkret geschehen?“

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

447

,,Meine Führungskraft fragte, ob ich am Samstag Eiswaffeln backen könnte. Ich erklärte ihr, dass ich da Besuch bekäme, lenkte jedoch ein, ich könnte dennoch ein paar Stunden mithelfen. Am Samstag, nach Feierabend, der später als gedacht war, erfuhr ich wieder per Telefon, dass ich auch für den Sonntag gebraucht würde und dass dies angeblich schon so abgemacht worden sei. Alles Diskutieren am Telefon half nichts: Ich wurde dazu verdonnert, auch am Sonntag zu arbeiten, obwohl am Samstag und Sonntag mein Vater zu Besuch war.“ ,,Was war Ihr Problem?“ ,,Die Führungskraft brauchte mich dringend, weil außer mir keiner Eiswaffeln backen konnte – und das in der heißen Jahreszeit kurz vor einem Sommerfest. Dass ich mich am Samstag dagegen sträubte, auch noch am Sonntag zu arbeiten, ärgerte sie. Sie behauptete, ich hätte schon für beide Tage zugesagt und wir hätten besprochen, dass ich das ganze Wochenende über arbeiten würde. Am Sonntag habe ich sie dann angerufen und darum gebeten, nur den einen großen Topf mit Waffelteig verarbeiten zu müssen. Sie hat’s erlaubt, war aber genervt, weil es dadurch ja weniger Waffeln gab.“ Wie haben Sie sich gefühlt? ,,Ich habe mich ausgenutzt gefühlt. Und wie ein Vollidiot. Denn jedes Wort hat mir meine Führungskraft im Mund umgedreht. Ich sagte ihr, am Wochenende sei mein Vater zu Besuch. Sie gab mir für Freitag und Montag frei und tat am Sonntag verblüfft, dass ich den Arbeitstag kürzen wollte, weil mein Vater zu Besuch gekommen war. Sie habe mir doch extra den Montag fei gegeben, damit ich Zeit mit meinem Besuch verbringen könne! – Nur blöd, dass er dann nicht mehr da sein würde ...“ Wie haben Sie sich verhalten? ,,Ich war wütend, habe mich aber am Telefon sehr unter Druck gefühlt und es nicht geschafft, ein klares Nein zu sagen, wodurch ich innerlich noch wütender wurde. Sie war sehr verärgert, als ich ihr sagte, wir hätten für Sonntag keine Arbeit vereinbart. Sobald ich mich etwas nachgiebiger zeigte, war sie wieder etwas angenehmer im Ton und zufrieden.“ ,,Wie zufrieden waren Sie mit der Reaktion?“ ,,Meine Führungskraft wickelte mich um den Finger, das hat mich innerlich völlig wütend und verzweifelt gemacht. Ich wusste einfach nicht, mich zu wehren.“ ,,Haben die Führungskraft oder Sie das eigene Verhalten nachhaltig verändert?“

448

11

Kommunizieren

,,Ja. Ich hatte weniger Selbstvertrauen und litt immer wieder unter Angst. Jetzt noch sehe ich manche Verhaltensweisen von mir als Schwäche an und habe Mühe, bei mir Stärken zu sehen.“ ,,Was werden Sie machen, wenn eine ähnliche Situation erneut auftritt?“ ,,Ich werde schneller Kontakt aufnehmen zu Menschen, denen ich vertraue, um darüber zu reden. Und ich werde mich nicht mehr so sehr in die Arbeit stürzen und überall ,Ja‘ sagen, sodass ich keine Ruhe und Zeit mehr für Momente mit mir alleine finde. Ich will klarer in meinen Antworten werden und es in einer ähnlichen Situation schaffen, ein eindeutiges ,Nein‘ zu sagen.“ ,,Was wären geeignete Alternativen hinsichtlich Ihres Verhaltens oder Handelns aus heutiger Sicht?“ ,,Schon bei der allerersten Anfrage ein klares ,Nein, ich kann am Wochenende nicht arbeiten‘ zu sagen, würde die gesamte Situation verändern. Denn ein solches Nein lässt sich nicht umwerfen. Die Führungskraft muss es akzeptieren. Dann kann es gar nicht erst soweit kommen, dass ich innerlich so viel Wut anstaue und trotz zähneknirschendem Gehorchen nur die Verärgerung meiner Vorgesetzten über meinen Widerstand zu spüren bekomme.“ ,,Welchen Rat würden Sie sich selbst geben, um in Zukunft besser mit solchen Situationen umgehen zu können?“ ,,Triff Entscheidungen eindeutig! Verkaufe dich nicht unter deinem Wert. Vertraue dir und glaube an deine Fähigkeiten, auch wenn deine Führungskraft das nicht tut!“ ,,Welche anderen Lösungen fallen Ihnen ein?“ ,,Ich bestehe darauf, persönlich mit meiner Führungskraft zu sprechen und akzeptiere nicht, per Telefonanruf und so kurzfristig über Planänderungen benachrichtigt zu werden. Außerdem soll die Vereinbarung schriftlich und mit Unterschrift festgehalten werden, damit keine Missverständnisse auftreten. In der Ausbildung sollte ich aber nicht reine Arbeitskraft sein, sondern vielseitig ausgebildet werden. Dies könnte ich bei einem Gespräch unter vier Augen im Gegenzug fordern.“ ,,Welche dieser Lösungen erscheint Ihnen besonders erfolgreich?“ ,,Der Ansatz, ein klares Nein zu sagen. Mit meiner Führungskraft sollte ich keine Diskussion eingehen, sie wird sonst siegen. Ich darf mir nicht überall von ihr dreinreden lassen.“ ,,Denken Sie bitte an eine Führungskraft, die Sie als besonders angenehm empfunden haben. Was hat die Zusammenarbeit mit dieser Person so angenehm für Sie gemacht?“

11.10

Wie überlebe ich meinen Chef?

449

,,Die gegenseitige Achtung voreinander und das Gefühl, dass mir die Führungskraft Vertrauen entgegenbringt. Sie lässt mir den Raum, den ich für meine Arbeit brauche, um mich darin entfalten zu können. Gleichzeitig aber unterstützt sie mich, wenn ich Hilfe brauche. Sie funkt mir aber nicht in mein ,Arbeitsrevier‘ hinein.“ ,,Wie haben Sie sich gefühlt?“ ,,Angenommen und als eine produktive Kraft im Betrieb, die auch gebraucht wird. Ich ging meiner Arbeit nach und war ganz darauf konzentriert, sie gut zu machen. Nicht aus Angst, den Anforderungen der anderen Genüge zu leisten, sondern aus eigenem Antrieb. Weil ich durch meine Arbeit einen Teil dazu beitrug, dass der Betrieb funktioniert, wollte ich meine Arbeit gut machen.“ ,,Was hat Sie in der Zusammenarbeit am stärksten motiviert?“ ,,Ein lobendes Wort von der Führungskraft und mein eigener ,Arbeitsraum‘, der für mich herausfordernd und darum motivierend war.“ ,,Was kennzeichnet das Handeln und Verhalten dieser Führungskraft in besonderer Weise?“ ,,Sie respektiert jede Arbeitskraft und lässt ihr Freiräume; sie achtet auf das Zusammenspiel der gesamten Arbeitsgemeinschaft. Gemeinsame Besprechungen und Anliegen aller kommen hier zur Sprache, und die Führungskraft ist kein Monarch.“ ,,Haben Sie dieser Führungskraft jemals Feedback gegeben über Ihre positiven Eindrücke?“ ,,Nein.“ ,,Wenn nicht, warum haben Sie es nicht gemacht?“ ,,Einerseits war es Scheu und anderseits war es nicht meine Führungskraft im Betrieb, sondern die vom Service. Das heißt, sie hatte nicht die direkte Führung über mich. Einmal habe ich sie aber doch für ihr Können gelobt! Die Führungskraft vom gesamten Betrieb wiederum war kaum anwesend innerhalb meines Arbeitsplatzes. Hier fehlte mir ein regelmäßiger Kontakt, ich hätte gern mehr Austausch mit ihr gehabt.“ ,,Falls ja, wie war die Reaktion dieser Führungskraft auf Ihr positives Feedback?“ ,,Die Service-Führungskraft war total erfreut, als ich so angetan davon sprach, wie gut ich ihre geleistete Arbeit fand. Ich glaube, das gab uns beiden einen kräftigen Schwung.“

450

11

Kommunizieren

11.10.6 Mein Chef ist mein Kunde! Es liegt nahe, Partei für die Geführten ergreifen zu wollen. Das Nichtzuhören vieler Chefs, das Bagatellisieren wichtiger Äußerungen und das sprunghafte Einbringen neuer, nicht zum Thema gehörender Gedanken – all das kommt leider viel zu häufig im Arbeitsleben vor und ist in den hier geschilderten Fällen eindrücklich dokumentiert. Andererseits muss auch die psychologische Disposition von Führungskräften gesehen werden. Auch Vorgesetzte leiden unter Unsicherheiten oder Ängsten, auch ihr Selbstwertgefühl ist Schwankungen unterworfen. In höheren Hierarchiestufen kann man sich sehr einsam und unter großem Druck fühlen. Aus Einsamkeit und Unsicherheit verhalten sich Führungskräfte manchmal irrational und wissen nicht, wie sie sich selbst aus diesem Zustand befreien können. Macho-Gehabe, Kommando-Ton und andere unangenehme Verhaltensweisen sind nicht selten Ausdruck solcher Gefühlszustände und Verunsicherungen. Auch Chefs sind Menschen! Der Autor pflegt im Umgang mit Vorgesetzten die Philosophie ,,Mein Chef ist mein Kunde“. Diesen (Chef)Kunden zufriedenzustellen oder gar zu begeistern ist das vorrangige Ziel. Zum besseren Verständnis wagen wir einen Perspektivwechsel und gehen davon aus, nicht nur ein abhängiger Arbeitnehmer zu sein, sondern vielmehr ein selbständiger Unternehmer, der seine Arbeitskraft und Kompetenz vermarktet – entweder im Angestelltenverhältnis oder als freier Auftragnehmer. Durch diese Sichtweise erhält man einen völlig anderen Blickwinkel auf das Beziehungsgefüge zwischen Chef und Mitarbeiter. Ein Selbstständiger kann sich in der Regel seine Kunden nicht aussuchen oder sie nach Sympathielage bedienen oder ablehnen. Wer stets nur sich selbst und seine Befindlichkeit in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, der wird zwangsläufig Probleme mit anderen und sich bekommen. Macht man sich hingegen eine alterozentrierte Sichtweise zu eigen, stellt den anderen mit seiner Problemlage, seinen Bedürfnissen, Zwängen und Gefühlen in den Mittelpunkt seines Denkens und Handelns, versteht man sich als Problemlöser, als Unternehmer und nicht als abhängiger Mitarbeiter. Dann wächst ein Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung. Ungeahnte Handlungsoptionen entstehen, und man kommuniziert plötzlich mit den Chefs auf Augenhöhe. Als Unternehmer entscheidet man, für wen man arbeitet oder nicht. Ein Angestellter, der sich selbst als Unternehmer versteht, hat die gleichen Handlungsoptionen. Also: Schluss mit dem Gejammer! Wir sind keine Opfer; wir sind nicht alternativlos irgendwelchen inkompetenten oder willkürlich handelnden Vorgesetzten ausgeliefert. Jeder hat die Verantwortung für sich und muss und kann seine Lebensund Arbeitssituation seinen Ansprüchen gemäß gestalten. – Siehe auch zu diesem Thema auf S. 247 in diesem Buch das Kapitel über das SOS-Modell.

11.11

Zu guter Letzt: Die Verhinderer – eine Fallstudie

451

11.11 Zu guter Letzt: Die Verhinderer – eine Fallstudie Vorbemerkung: Der Fall hat sich in der Praxis ereignet, ebenso wie der am Ende der Fallstudie wiedergegebene Gesprächsverlauf. Die Personen und Sachbezüge sind aus Gründen des Datenschutzes verändert worden. Die Personen und deren Funktionen:

Die Verhinderer

Andreas Bergmann ⎧ ⎪ Rolf Hamann ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎨Peter von Friedrichs ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎩Thomas Ludwig Michael Martens Sabine Albers

Vertriebsleiter Produktspezialist Produktspezialist Produktspezialist Außendienstmitarbeiter Leiterin der Abteilung Software-Entwicklung

Metz

Software-Entwickler

Die Situation Die Abteilung Software-Entwicklung hat den bekannten Software-Entwickler Metz beauftragt, ein neuartiges Programm zum Erlernen verschiedener PC-Softwareanwendungen im Gruppenunterricht zu entwickeln. Zur Erprobung des Konzepts hat er durch die Leiterin der Abteilung Software-Entwicklung, Frau Albers, die Vertriebsabteilung um die leihweise Bereitstellung hochwertiger Laptops gebeten. Der Vertriebsleiter, Herr Bergmann, hat bereits vor acht Monaten die Bereitstellung zugesagt und seinen Produktspezialisten Herrn Hamann mit der Auslieferung beauftragt. Da im Unternehmen ein ähnliches Lernprogramm bereits existiert und von der Vertriebsabteilung mit gutem Erfolg vermarktet wird, den Mitarbeitern dieser Abteilung die Inhalte und Zielsetzungen des neuen Programms jedoch nicht bekannt sind, beschließen sie, das Projekt durch Nichtbelieferung mit den Laptops zu behindern. Frau Albers erfährt von Herrn Metz anlässlich eines Projektmeetings, dass nach nunmehr acht Monaten die Laptops immer noch nicht angeliefert worden sind. Auf die Frage, was man ihm seitens der Vertriebsabteilung als Grund für die Verzögerung genannt habe, berichtet er, dass man ihm etwas von Lieferengpässen erzählt habe. Man wolle abwarten, bis die Geräte vollzählig am Lager seien, um dann die Auslieferung an ihn vorzunehmen. Ihn habe diese Entwicklung in eine unangenehme Lage gebracht, da er den PC-Clubmitgliedern und deren Angehörigen, die den Prototyp seiner Neuentwicklung testen wollen, seinerzeit begeistert von der großzügigen Bereitstellung der Laptops berichtet habe. Da auch mehrmaliges Nachfragen in der Vertriebsabteilung bisher die Anlieferung

452

11

Kommunizieren

nicht beschleunigen konnte, habe er für die Clubmitglieder Fremdfabrikate, die längst nicht so gut seien, anschaffen müssen, um den Fortgang des Projekts nicht zu gefährden. Frau Albers bittet darum, ihr den Stand der Dinge schriftlich mitzuteilen, damit sie die Angelegenheit intern mit Nachdruck vorantreiben könne. Den Brief von Herrn Metz gibt sie dem Vertriebsleiter Herrn Bergmann zur Kenntnis. Dieser schickt daraufhin die gesamte E-Mail-Korrespondenz zu diesem Vorgang an den mit der Auslieferung der Laptops beauftragten Produktspezialisten Rolf Hamann mit der Bitte um Klärung. Frau Albers erhält von Herrn Bergmann die E-Mail-Kopie des Vorgangs, der sich ihr erst durch das Lesen der gesamten Mail-Kommunikation in allen Facetten und Dimensionen erschließt. Ungefähr zeitgleich erfährt sie, dass am selben Tage die Auslieferung der Laptops durch den Produktspezialisten Thomas Ludwig veranlasst worden sein soll. Zufall? Sie gewinnt den Eindruck, dass die Mitarbeiter der Vertriebsabteilung die Auslieferung der Laptops vorsätzlich verzögert haben, um die Entwicklung eines aus ihrer Sicht mit dem existierenden Konzept konkurrierenden Produkts zu verhindern. Die gesamte E-Mail-Korrespondenz zum Vorgang: Von: andreas bergmann An: rolf hamann Kopie: sabine albers Thema: (Antwort) Neues Programm – Ausleihe von Laptops Lieber Rolf, ich habe gestern mit Frau Albers über die kommende Tagung in Leipzig gesprochen und gegen Ende unserer Unterredung mit Entsetzen erfahren, dass Herr Metz immer noch nicht die Laptops hat, um welche er gebeten hatte. Es war Deine Aufgabe, die Bereitstellung der Geräte auszuführen und die kompetente Verbindung aus Sicht der Vertriebsabteilung zu gewährleisten. In der Anlage findest Du die gesammelte – zum Glück interne – Kommunikation zu dem Thema. Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass wir z. B. durch unsere Untätigkeit und Ignoranz gegenüber Herrn Metz den Projekterfolg der Entwicklung des neuen Programms behindert haben, indem Du Deinen Auftrag nicht oder verzögert ausgeführt hast, zwingst Du mich, schwere Vorwürfe gegen Dich erheben zu müssen. Soeben sehe ich durch die E-Mail von Thomas Ludwig, dass wir die Laptops nunmehr bereitgestellt haben. Heute Morgen habe ich ein Schreiben von Metz bekommen, der sehr frustriert ist. – Kopie anbei. Was können wir nun Deiner Meinung nach tun, um das Ganze irgendwie noch zu retten? Danke und Gruß Von: metz An: peter v. friedrichs Thema: Neues Programm Sehr geehrter Herr Friedrichs,

11.11

Zu guter Letzt: Die Verhinderer – eine Fallstudie

453

ich hoffe, dass Sie und Ihre Familie ein schönes Osterfest verleben konnten. Ich möchte Sie kurz über den Stand der Dinge im Bereich der Entwicklung der neuen Software unterrichten. Ich habe nun fast alle didaktischen und methodischen Elemente des ersten Bandes erprobt. Das Programm hat sich bis zu diesem Stand in der Praxis mit Jugendlichen und Erwachsenen hervorragend bewährt. Alle Probanden äußern sich begeistert und weisen auch bemerkenswerte Fertigkeiten in der Handhabung nach. Im neuen Geschäftsjahr werden wir die Arbeit weiter fortführen und die endgültige Positionierung des Programms im Marketingkonzept festlegen können. Wann kann ich mit den Laptops rechnen? Man wartet mit Ungeduld auf den Beginn der weiteren Kurse! Mit freundlichen Grüßen Metz Von: peter von friedrichs An: thomas ludwig, rolf hamann Kopie: andreas bergmann Thema: (Antwort) Neues Programm – Ausleihe der Laptops Thomas und Rolf, wir müssen hier langsam wirklich aktiv werden . . . Michael Martens hat auf der Messe mit Albers über dieses Thema gesprochen. Es ist zwar kein wirklicher Zusammenhang zu unserer PC-Software-Philosophie zu erkennen; dennoch besteht weiterhin die Anforderung, die Laptops leihweise zur Verfügung zu stellen. Wie wollen wir jetzt verfahren? Peter Von: rolf hamann An: peter von friedrichs Kopie: michael martens, andreas bergmann, thomas ludwig Thema: (Antwort) Neues Programm – Ausleihe der Laptops Mir wird jedes Mal richtig schlecht, wenn ich an diese Sache denke. Lasst uns nächste Woche noch mal zusammen mit Andreas sprechen. Ich bin strikt gegen diese Jux-Nummer. Das ist absolut kontraproduktiv zu unserem bestehenden Programm und völlig inkompatibel mit dem guten Ruf unseres Unternehmens. Von: andreas bergmann An: rolf hamann Kopie: michael martens, thomas ludwig, peter von friedrichs Thema: (Antwort) Neues Programm – Ausleihe von Laptops Bitte vergiss Deine Bedenken einstweilen und schick die angeforderten Laptops. Es ist doch nicht in Ordnung, dass wir Herrn Metz so lange auf die Folter spannen. Der steht hundertprozentig loyal zu unserem Unternehmen; ich hatte bereits via Albers unsere Unterstützung

454

11

Kommunizieren

zugesagt und dass sich Hamann bei Metz meldet, um produktspezifische Unterstützung zu geben. Kann doch nicht so schwer sein . . . Danke und Gruß! Von: rolf hamann An: andreas bergmann Kopie: thomas ludwig, michael martens, peter von friedrichs Thema: (Antwort) Neues Programm – Ausleihe von Laptops Bei der nächsten Aufräum-Aktion . . . (Gemeint ist das Leihlager, in dessen Bestand die zu verleihenden Laptops aufgenommen werden. Ab einer entsprechenden Verweildauer im Bestand wird das Abteilungsergebnis negativ beeinflusst. Wichtig ist also, in regelmäßigen Abständen eine Leihlager-Entlastungsaktion durchzuführen und die Geräte zu Sonderkonditionen an Fachhändler zu verkaufen.) . . . werde ich daran erinnern, für welchen Scheiß wir unsere Geräte blockieren müssen. Wer hat eigentlich die Liste? Es wäre wirklich an der Zeit, dass der ahnungslose Metz sich mal die Materialien unseres bestehenden Projektes anschaut, um zu merken, dass seine Aktion völlig für die Katz ist. Er muss das Rad doch nicht neu erfinden. Stattdessen soll er mal nach Leipzig (Anmerkung: In Leipzig finden zentral für Deutschland die Fortbildungsveranstaltungen für angehende ComputerKursleiter statt) zum Kurs gehen, damit er mal erfährt, wie wunderschön man mit dem bereits existierenden Material arbeiten kann. Aber wenn Du meinst, wir müssen das machen, dann machen wir’s natürlich. Ich hoffe nur, dass das Ganze anonym bleibt. Aufgabe Ihre Aufgabe ist der Situation entsprechend komplex. Sie können sich allein oder im Team damit befassen. Die Führung (Leiter der Abteilung Vertrieb und Leiterin der Abteilung Software-Entwicklung) muss erreichen, dass die Mitarbeiter . . . • einsehen, dass ihr Verhalten nicht korrekt war. • die Zusicherung geben, dergleichen in Zukunft nicht zu wiederholen. • die missliche Situation durch freundliches und korrektes Verhalten im Sinne des Unternehmens Herrn Metz gegenüber rasch wiedergutmachen. • eine langfristig vertrauensvolle Basis der Zusammenarbeit mit Herrn Metz, dem bekannten Software-Entwickler, schaffen. Die Aufgabe eignet sich sowohl als Rollenspiel als auch zur schriftlichen Bearbeitung. Wenn Sie diesen Fall schriftlich bearbeiten wollen, gehen Sie bitte folgendermaßen vor: a. Erstellen Sie eine Analyse, um die unterschiedlichen Motive und Ziele der Personen und des Unternehmens sowie die daraus resultierenden Verhaltensweisen übersichtlich aufzuzeigen. Dafür bietet sich die Form einer Matrix an (s. Muster).

11.11

Zu guter Letzt: Die Verhinderer – eine Fallstudie

455

b. Entwickeln Sie eine Strategie für die Bearbeitung des Falles aus Sicht der Führungskräfte Bergmann und Albers. Wie könnten die beiden vorgehen – wie sich in Gesprächen mit den Kollegen verhalten? Mit welchen Reaktionen seitens der Mitarbeiter ist zu rechnen? Wie können die Führungskräfte darauf reagieren und ihre Mitarbeiter auf die oben genannten Ziele hinlenken sowie entsprechende Vereinbarungen treffen? c. Simulieren Sie schriftlich das Gespräch, welches Bergmann und Albers mit den Kollegen in gemeinsamer Runde führen, um den Vorgang aufzuklären und verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Verwenden Sie dazu das folgende Muster eines Kritikgesprächs. Bevor Sie sich ans Werk machen, lesen Sie noch diese Informationen über das Verhalten einiger beteiligter Mitarbeiter während des Gesprächs. v. Friedrichs gibt sich uneinsichtig: „Ich habe dafür keine Zeit, das jetzt zu diskutieren, habe Wichtigeres zu tun.“ Er verhält sich ablehnend und uninteressiert – demonstriert, dass er sich nichts vorzuwerfen hat. Hamann ist ein Gemütsmensch, mit dem man gut klarkommt, wenn man nicht zu sehr anderer Meinung ist. „Bauernschlau“ mimt er den Unschuldigen: „Ich weiß gar nicht, worum es bei dem neuen Programm geht. Was soll das eigentlich? Warum hat man uns nicht einbezogen? Es wäre notwendig gewesen, uns zu informieren.“ Er dreht den Spieß um und versucht, die Schuld für das Geschehene der Leiterin der Abteilung Software zuzuweisen, die, wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, zuvor ausführlich hätte informieren müssen. Da alles so unklar gewesen sei, habe man auch keine sonderliche Eile verspürt, den Leihauftrag unverzüglich auszuführen. Bergmann ist ein ruhiger und ausgeglichener Mann, der gut zuhören kann und auch selbstkritisch seine Handlungen reflektiert. Er gibt auf entsprechende Argumentation von Frau Albers zu, dass er sich nicht intensiv genug um die Angelegenheit gekümmert und seine Mitarbeiter nicht über die Absprachen mit Frau Albers informiert habe. Auch nicht über deren Angebot, in einem gesonderten Meeting die Mitarbeiter ausführlich über die Zielsetzungen des neuen Lernprogramms informieren zu wollen. Wegen anderer Prioritäten sei dieses Angebot in Vergessenheit geraten. Er bedauere diese Entwicklung. Albers ist eine erfahrene Managerin, die schon manche kritische Situation gemeistert hat. Ihr Motto: „Jedes Unternehmen ist ein Dschungel.“ Sie versucht die Hintergründe der Situation zu klären und die Mitarbeiter für ihr Verhalten zu sensibilisieren. Aus ihrer Sicht ist das Vertrauensverhältnis ihrer Abteilung zu den Mitarbeitern der Vertriebsabteilung gestört. Deren Verhalten hat das Image des Unternehmens bei dem Software-Entwickler und den PC-Clubmitgliedern erheblich geschädigt. Der Zeitrahmen für das Software-Projekt ist nicht mehr einzuhalten. Lediglich das gute Verhältnis zu ihrem Kollegen Bergmann hält sie davon ab, den Vorgang mit dem Betriebsrat und der Personalabteilung zu erörtern, um Abmahnungen der Beteiligten zu bewirken, denn dieser Vorgang ist im Prinzip gegen die Interessen des Unternehmens gerichtet und nicht hinnehmbar. Als letzte Möglichkeit schließt sie diesen Schritt jedoch nicht aus. Sie erwartet zumindest Einsicht seitens der Mitarbeiter, dass ihr Verhalten nicht korrekt war: die Zusicherung, dergleichen in Zukunft nicht zu wiederholen und die missliche Situation durch freundliches und korrektes

456

11

Kommunizieren

Verhalten im Sinne des Unternehmens rasch wiedergutzumachen. Es soll eine langfristig vertrauensvolle Basis der Zusammenarbeit mit dem Autor Metz geschaffen werden. Hier ein Vorschlag, wie die Analyse-Matrix aufgebaut sein könnte. Falls Ihnen andere oder weitere Aspekte wichtig sind, verändern Sie diesen Vorschlag bitte entsprechend. Wichtig ist, sich einen Überblick zu verschaffen über die Motive und Ziele, die das Verhalten der Personen in diesem Fall leiten. Person

Funktion

Bergmann Hamann Friedrich Ludwig Martens Albers

Vertriebsleiter Produktspezialist Produktspezialist Produktspezialist Außendienstmitarbeiter Leiterin der Abteilung Softwareentwicklung Software-Entwickler

Metz

Motive

Ziele

Verhalten

Gesprächsstrategie

Für die Simulation der schriftlichen Darstellung des Gesprächsverlaufes oder der Durchführung eines Rollenspiels verwenden Sie bitte diese Struktur eines Kritikgesprächs: 1. Beschreiben Sie aus Ihrer Sicht die Sachlage präzise hinsichtlich des beobachteten Fehlverhaltens oder der mangelnden Leistung. 2. Begründen Sie, warum Sie betroffen sind, und bitten Sie den Mitarbeiter um Mithilfe bei der Lösung des Problems. 3. Suchen Sie gemeinsam nach den Ursachen des Problems (den Erklärungen des Mitarbeiters genau zuhören). 4. Entwickeln Sie gemeinsam Lösungsmöglichkeiten. 5. Entscheiden Sie, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden sollen. Machen Sie Ihre Erwartungen deutlich, aber vermeiden Sie Drohungen. 6. Vereinbaren Sie einen Termin für ein Folgegespräch und beenden Sie das Gespräch harmonisch; drücken Sie Ihre Hoffnung und Erwartung auf die konstruktive Wirkung des heutigen Gesprächs aus. Ermutigen Sie! Basierend auf Ihrer Analyse simulieren Sie nun das Gespräch. Das Ergebnis sollten Sie einer kompetenten Person Ihres Vertrauens vorstellen und deren Einschätzung erbitten. Diese Technik der schriftlichen Simulation einer komplexen Gesprächssituation ist ein wirksames Mittel der Vorbereitung auf die Realität. Durch die Analyse und den Versuch, sich in die Lage der betroffenen Personen hineinzuversetzen, erlangt man ein umfassendes Verständnis für deren Motive und Ziele, ist auf die sehr wahrscheinlich zu erwartenden Äußerungen, Vorwandmanöver, Einwände oder Manipulationsversuche gut vorbereitet und kann ruhig und gelassen seine Gesprächsziele verfolgen.

11.11

Zu guter Letzt: Die Verhinderer – eine Fallstudie

457

Simulation des Gespräches der Fallstudie „Die Verhinderer“ Situation: Die Abteilungsleiter Herr Bergmann und Frau Albers führen ein Gespräch mit den Herren Hamann und Friedrich, um zu erreichen, dass diese Mitarbeiter . . . • einsehen, dass ihr Verhalten nicht korrekt war. • die Zusicherung geben, dergleichen in Zukunft nicht zu wiederholen. • die missliche Situation durch freundliches und korrektes Verhalten im Sinne des Unternehmens Herrn Metz gegenüber rasch wiedergutmachen. • eine langfristig vertrauensvolle Basis der Zusammenarbeit mit Herrn Metz, dem bekannten Software-Entwickler, schaffen. Die Analyse der aus der Fallbeschreibung bekannten Aspekte und Aussagen hat folgende Erkenntnisse für die Gesprächsführung ergeben: Person/ Funktion Bergmann/ Vertriebsleiter

Hamann/ Produktspezialist

Motive

Ziele

den Umsatz seiner Abteilung steigern

seine Mitarbeiter zu konstruktivem Verhalten anleiten und erreichen, dass seine Anordnungen respektiert werden Eifersucht auf das neue andere erfolg- Programm reiche Software verhindern Entwicklungen

Friedrich/ Produktspezialist

will sich aus allem raushalten

keine Verantwortung übernehmen

Ludwig/ Produktspezialist

in Ruhe gelassen werden, nur keinen Stress . . .

seine Arbeit in Ruhe so gut wie möglich erledigen

Verhalten unterstützt konstruktive Ansätze zur Änderung des Verhaltens

Gesprächsstrategie für die gemeinsame Runde erst einmal zuhören, was die Mitarbeiter an Erklärungen vorbringen, aber sehr deutlich sagen, dass heimlicher Boykott nicht das Mittel der konstruktiven Auseinandersetzung sein kann und darf

Metz‘ Kompe- abwarten und nur reden, tenz anzweifeln wenn es sich nicht vermeiden lässt („. . . die Schuld an allem hat Frau Albers, die uns nicht einbezogen hat“) unbeeindruckt ablehnend, uninteressiert alles an sich und in keiner Weise für abprallen lasetwas verantwortlich zu sen machen in der Abteiabwarten und am besten lung nicht aus nichts sagen, unauffällig dem Rahmen bleiben fallen, sich anpassen

458

11 Person/ Funktion

Martens/ Außendienstmitarbeiter

Albers/ Leiterin der Abteilung SoftwareEntwicklung

Metz/ Autor

Motive

Ziele

stets an Neuem den Softwareinteressiert Entwickler nach Kräften fördern, um selbst bessere Arbeit leisten zu können die attraktivs- den Umsatz te Software und das Image herstellen des Unternehmens nachhaltig fördern und die Nummer eins im PC-Geschäft werden Beste Hardseine Position und Software als unumstritgehören zutener „König sammen. der SoftwareEntwickler“ ausbauen

Kommunizieren

Verhalten

Gesprächsstrategie für die gemeinsame Runde

konstruktiv und unterstützend

zuhören und nicht den guten Draht zu den anderen Kollegen aufs Spiel setzen

konstruktiv an Ergebnissen arbeiten (Die persönlichen Erbhöfe zählen nicht, nur das Ergebnis ist wichtig.)

den Beteiligten ihr Fehlverhalten bewusst machen und eine neue tragfähige Basis für die Zusammenarbeit schaffen

konstruktive Zusammenarbeit mit jedem, der die Sache voranbringt

zuhören und abwarten, wie die Feuerlinien verlaufen – die vorteilhafteste Position unterstützen

Die Gesprächsteilnehmer: A = Albers, B = Bergmann, H = Hamann, F = Friedrichs Zu 1.: Beschreiben Sie aus Ihrer Sicht die Sachlage präzise hinsichtlich des beobachteten Fehlverhaltens oder der mangelnden Leistung. Zu 2.: Begründen Sie, warum Sie betroffen sind, und bitten Sie den Mitarbeiter um Mithilfe bei der Lösung des Problems.

B: Wir müssen heute über die Bereitstellung der Laptops für die Abteilung Software-Entwicklung reden. Wir hatten vereinbart, Herrn Metz die Laptops für die Entwicklung einer neuen Software, die in PC-Clubs erprobt werden soll, leihweise zur Verfügung zu stellen. Es war deine Aufgabe, Rolf (Hamann), das in die Wege zu leiten. Acht Monate sind ins Land gegangen und wir haben die Geräte immer noch nicht ausgeliefert. Herr Metz musste sogar Geräte von einem Mitbewerber kaufen, um das Programm fortsetzen zu können. B: Zufällig erfahre ich von der Kollegin Albers, dass wir die Angelegenheit seitens der Vertriebsabteilung bislang nicht erledigt haben, obwohl wir im Wort sind. Wir laufen Gefahr, Herrn Metz, der in der Szene eine Schlüsselfunktion einnimmt, zu verärgern. Ich muss feststellen, dass meine Anordnung nicht befolgt, sondern stillschweigend außer Kraft gesetzt wird. Dies alles macht mich sehr betroffen. Ich habe Frau Albers gebeten, an unserem Gespräch teilzunehmen, weil auch sie und ihre Abteilung durch diese Situation in eine unangenehme Lage gebracht worden sind. Rolf (Hamann) und Herr Friedrich, bitte helfen Sie uns, die Hintergründe Ihres Handelns zu verstehen. Was kann und muss geschehen, Herrn Metz wieder zufriedenzustellen, und wie können Sie für die Zukunft gewährleisten, dass sich dergleichen nicht wiederholt?

11.11

Zu guter Letzt: Die Verhinderer – eine Fallstudie

Zu 3.: Suchen Sie gemeinsam nach den Ursachen des Problems (den Erklärungen des Mitarbeiters genau zuhören).

Zu 4. Entwickeln Sie gemeinsam Lösungsmöglichkeiten.

459

F: Ich weiß ehrlich nicht, warum ich das jetzt diskutieren soll. Erstens habe ich direkt mit der verzögerten Auslieferung nichts zu tun und zweitens habe ich wahrlich wichtigere Aufgaben zu erledigen, als mich in diese Nabelschau zu begeben. H: Uns war die Bedeutung der ganzen Aktion nicht bewusst. Es wurde ja zu keinem Zeitpunkt über Inhalte und Ziele geredet. Ich habe nur gehört, dass wir eine erhebliche Anzahl unserer aktuellen und großen Geräte weggeben sollen, die wir an anderer Stelle wirklich dringender brauchen. Die Abteilung Software-Entwicklung hat sich mit Informationen sehr bedeckt gehalten. Die Dringlichkeit ist für uns nicht deutlich geworden. A: Herr Hamann, wir haben Sie gleich zu Beginn der Aktion vor acht Monaten ausführlich über die Ziele und Vorgehensweisen in dem Projekt informiert. Bereits damals haben Sie sich abfällig über Herrn Metz und über unser Vorhaben geäußert. H: Wir haben bereits ein wunderbares Programm, mit dem in Schulen und Clubs seit geraumer Zeit ausgezeichnete Arbeit geleistet wird. Es wäre ja zu erwarten gewesen, dass Herr Metz sich einmal unser Material anschaut und uns dann darlegt, was er wohl wie besser machen könnte. Seine Aktion ist völlig für die Katz! Er muss doch das Rad nicht neu erfinden. Wie stehen wir denn draußen bei unseren Kunden da, wenn er mit seinem Bespaßungsprogramm in unserem Namen auftritt? Da hätte man vorher mit uns drüber reden müssen! A: Herr Hamann, Sie bleiben sich wirklich treu. Ihre Ablehnung gegenüber dem Projekt und Herrn Metz haben wir soeben noch einmal deutlich vor Augen geführt bekommen. Herr Friedrich, auch Ihr Desinteresse an der Erörterung dieses Falles macht uns sehr nachdenklich. F: Wie bitte? Metz hat doch heute die Geräte bekommen! Ist doch alles im Lot. H: Genau! A: Unsere Sicht der Dinge stellt sich folgendermaßen dar: Wir haben Sie von Beginn an über das Projekt informiert; eine Reihe von Mails belegt dies eindeutig, und zwei Meetings zum Thema haben auch stattgefunden. Darüber hinaus habe ich Herrn Bergmann angeboten, dass wir jederzeit bereit sind, Sie mit weiteren Informationen auszustatten. Von diesem Angebot haben Sie keinen Gebrauch gemacht. Weder haben Sie darum gebeten, weitere Informationen zu erhalten, noch haben Sie grundsätzliche Bedenken geäußert. Vielmehr haben Sie uns im Glauben gelassen, dass Sie mit allem einverstanden seien. Sie haben das Ansehen unseres Unternehmens bei Herrn Metz und seinen Clubmitgliedern durch das Verzögern der Auslieferung der Leihgeräte beschädigt. Sie haben gegen die Anordnung Ihres Vorgesetzten gehandelt und dadurch die Vertrauensbasis empfindlich beeinträchtigt. Ihr Verhalten verstößt gegen jeden Grundsatz konstruktiver Zusammenarbeit und stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen Ihre Pflichten als Mitarbeiter unseres Unternehmens dar. Wenn Sie an unserer Stelle wären und Herrn Bergmanns und meine Position den Kunden und der Unternehmensleitung gegenüber zu vertreten hätten: Was würden Sie über Mitarbeiter denken, die sich so verhalten, wie Sie es getan haben? Und was würden Sie von denen in Zukunft erwarten?

460

11

Kommunizieren

H: Ja, so betrachtet, sieht das natürlich nicht gut aus. Ich würde erwarten, dass man mich rechtzeitig informiert, wenn es noch Einwände gibt. Ansonsten muss der Auftrag ausgeführt werden, das würde ich erwarten. Na ja – und dass die Mitarbeiter diesen Fehler korrigieren. B: Also ich muss an dieser Stelle eingestehen, dass ich Ihr entgegenkommendes Angebot, Frau Albers, uns in einem gesonderten Meeting vertiefende Informationen zu geben, nicht weiter verfolgt habe. Das ist mein Versäumnis – und das tut mir leid. Somit trage auch ich einen Teil der Verantwortung an dieser Situation. Wie dem auch sei: Es kann ja vorkommen, dass wir unterschiedlicher Meinung sind, aber stillschweigender Boykott, meine Herren, ist destruktiv und nicht tolerierbar. H: Ja, das sehe ich ein. Wir waren halt verärgert, dass dieser Herr Metz nun auch in unserem Gebiet herumwurschtelt und wir nicht mal wissen, was da eigentlich für die Firma von Vorteil sein soll. A: Herr Friedrich? F: Ich denke, es ist alles gesagt worden. A: Sie haben sich noch nicht geäußert. F: Ja, . . . das war nicht in Ordnung, aber wir haben’s dann ja doch noch hinbekommen. A: Hinbekommen? F: O.k., es war zu spät, und unser Verhalten . . . war auch nicht korrekt. B: Welche Möglichkeiten sehen Sie, Herr Hamann und Herr Friedrich, wie wir jetzt weiter vorgehen können? F: Wir fahren zu Herrn Metz und entschuldigen uns für die Verzögerung. Bei dieser Gelegenheit lassen wir uns über den Stand der Entwicklungen informieren und überlegen, welche Schnittmengen es zu seiner und unserer Arbeit geben kann. H: Wir könnten ihn auch zu unseren Workshops einladen, über seine Arbeit zu referieren. Vielleicht kann daraus ja etwas werden. Es tut mir leid, dass wir solche Probleme verursacht haben. Das darf und soll sich nicht wiederholen. F: Das sehe ich ebenso. Zu 5. Entscheiden A: Sie schlagen vor, den Informationsaustausch zwischen uns und Herrn Sie, welche konkre- Metz zu intensivieren, um synergetische Potenziale zu aktivieren? ten Maßnahmen H: Ja, genau. ergriffen werden B: Sie haben aus der Besorgnis heraus gehandelt, die Firma könnte durch sollen. Machen die Kooperation mit Herrn Metz Schaden nehmen, und deswegen die Sie Ihre ErwarAuslieferung der Leihgeräte bewusst hinausgezögert. Sie waren besorgt, tungen deutlich, verärgert und verunsichert. aber vermeiden Sie F: So ist es. Wir wollten eigentlich nichts Schlechtes. Drohungen. H: Wir hätten reden müssen! B: Ich denke, auch ich hätte mir mehr Zeit nehmen müssen, die Zusammenhänge ausführlicher zu diskutieren und das Meeting mit Frau Albers wahrzunehmen. Das sehe ich jetzt. Ich bedaure das und denke, . . . das muss in Zukunft besser werden. Ich hatte seinerzeit so viele andere Jobs. Lasst uns mit der Abteilung Software-Entwicklung und Herrn Metz ein ausführliches Meeting machen und eine neue und tragfähige Basis bilden.

11.11

Zu guter Letzt: Die Verhinderer – eine Fallstudie

461

A: Dann haben wir jetzt folgende Vorschläge: Meeting mit Vertriebsabteilung, Software-Entwicklung und Herrn Metz, um Gemeinsamkeiten zu erkennen und auszubauen. Herr Hamann, Sie und Herr Friedrich wollen zuvor Herrn Metz aufsuchen und für die verzögerte Belieferung die Verantwortung übernehmen. Eventuell wollen Sie Herrn Metz als Referenten zu Ihren Workshops einladen. In Zukunft reden wir zeitnah miteinander, um Missverständnisse zu vermeiden und Sachfragen frühzeitig zu klären. B: Das sehe ich genauso, so machen wir’s! Ich gehe davon aus, dass wir ab jetzt offen, sachlich und konstruktiv miteinander umgehen. Wir sind hier nicht zu unserem Privatvergnügen, sondern wir wollen gemeinsam unser Unternehmen voranbringen. Wir haben gemeinsame Ziele! H: Ja, auf jeden Fall machen wir das so. F: Hm, genau. Zu 6. VereinbaA: Ich danke Ihnen für dieses offene und konstruktive Gespräch. Es ist gut, ren Sie einen dass wir jetzt eine neue Basis der Zusammenarbeit gefunden haben. AnTermin für ein fangs könnte es noch die eine oder andere Schwierigkeit geben, aber mit Folgegespräch und Offenheit und Teamgeist sollten wir den Restart hinbekommen. beenden Sie das B: Wann können wir das Meeting mit beiden Abteilungen und Herrn Metz Gespräch harmoterminieren? nisch; drücken Sie H: Herr F. und ich werden zunächst Herrn Metz besuchen und einen TerIhre Hoffnung und minvorschlag mitbringen. Erwartung auf die A: Gut, dann warten wir auf Ihren Vorschlag. Danke für dieses Gespräch. konstruktive Wir- B: Dem kann ich mich nur anschließen. kung des heutigen H: Ich bin froh, dass wir das jetzt so klären konnten. Gesprächs aus. F: Genau. Ermutigen Sie!

Von der Idee zum Businessplan

12

Zu den wichtigen Aufgaben einer Führungskraft gehört die Entwicklung von Ideen oder Konzepten bis zur Durchführung. Es reicht nicht, eine gute Idee zu haben, man muss sie auch realisieren können. Häufig fehlt es an grundlegender methodischer Befähigung, Ideen so auszuarbeiten, dass andere sie verstehen und sich dafür einsetzen. Viele sind von ihrer Idee überzeugt, ohne deren Zielsetzungen und Auswirkungen zu kennen, sie je auch nur ansatzweise untersucht zu haben, und sind betroffen, weil andere ihren Gedankengängen nicht folgen können oder wollen. Der Grundidee dieses Buches folgend, dass erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz möglich wird, werden Sie in diesem Kapitel lernen, systematisch eine Idee zu einer kommunizierbaren und umsetzbaren Planung zu entwickeln. Alle hier beschriebenen Werkzeuge und Vorgehensweisen eignen sich hervorragend dafür, Kollegen und Mitarbeiter aktiv an dem Entwicklungsprozess zu beteiligen. Die motivierenden Auswirkungen der Mitarbeiterbeteiligung am Planungsablauf haben wir hinlänglich im Kapitel Motivation kennengelernt. Ein Businessplan1 ist ein Geschäfts- und Unternehmensplan, der prägnant Auskunft gibt über alle relevanten Aspekte eines Unternehmens oder Geschäftsfeldes. Die Erstellung eines Businessplans zwingt den Gründer, sich intensiv und detailliert mit allen Aspekten seines Vorhabens zu befassen. Das Funktionieren der Konzeption, des Produktes oder der Dienstleistung sowie die künftigen Perspektiven der Entwicklung im Hinblick auf die Möglichkeiten, damit Absatz, Umsatz und Gewinn realisieren zu können, werden detailliert und nachvollziehbar aufgezeigt und wirkungsvoll präsentiert. Der Businessplan dient als Grundlage für die Beurteilung der Erfolgsaussichten, um Geldgeber oder Partner zu überzeugen, und zeigt Leitlinien auf für das künftige Handeln.

1

Vgl: Fueglisteller, U., Müller, C., Müller, S., Volery, T.: „Entrepreneurship – Modelle – Umsetzung – Perspektiven“, Wiesbaden, 2012: S. 281, 335–354.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_12

463

464

12

Von der Idee zum Businessplan

Grundlegende Anforderungen an einen Businessplan sind: • Nachvollziehbarkeit und Messbarkeit der Fakten und entsprechende Quellenangaben • Aufzeigen verschiedener Szenarien mit begründeten Schlussfolgerungen • zielführende Gliederung • eine auf die Zielgruppe der Leser ausgerichtete verständliche Sprache • korrekte schriftliche Darstellung (Rechtschreibung, Grammatik, Interpunktion). Es gibt viele unterschiedliche Möglichkeiten der Darstellung eines Businessplans. Hier die Gliederung eines Muster-Businessplans: 1. Executive Summary 1.1 Elevator Pitch 2. Personen und Team 3. Geschäftsidee, Zielgruppe und Kundennutzen 3.1 Geschäftsidee 3.2 Zielgruppe 3.3 Kundennutzen 4. Markt und Wettbewerb 4.1 Marktanalyse 4.2 Wettbewerbsanalyse 5. Vision – Mission – Leitbild 6. Marketing 6.1 Produkt 6.2 Preis 6.3 Kommunikation 6.4 Distribution 7. Unternehmen, Organisation und Planung 7.1 Rechtsform 7.2 Management und Personal 7.3 Genehmigungen und Vorschriften 7.4 Master-Geschäftsplan 7.5 Mittelfristiger Geschäftsplan für drei Geschäftsjahre 7.6 Maßnahmenplan für das erste Geschäftsjahr 8. Finanzplanung 8.1 Finanzplanung, Geschäftsentwicklung und Risikobetrachtung 8.2 Cash-Flow-Rechnungen 8.3 Gewinn- und Verlustrechnungen 9. Fazit und Reflexion

12

Von der Idee zum Businessplan

465

10. Unterlagen – tabellarischer Lebenslauf – Gesellschaftervertrag (Entwurf) – Pachtvertrag (Entwurf) – Kooperationsverträge (Entwurf) – Leasingvertrag (Entwurf) – ggf. Gutachten – ggf. Nachweis über eingetragene Schutzrechte – Übersicht der Sicherheiten. Im Folgenden werden einige Begriffe des Muster-Businessplans näher erläutert. Jedoch kann nicht auf alle Aspekte ähnlich intensiv eingegangen werden, weil dies den Rahmen eines Lehrbuchs für Mitarbeiterführung überdehnen würde. Auf dem Existenzgründungsportal des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) www. existenzgruender.de finden Sie in hervorragender Qualität ausführliche Informationen zu allen relevanten Aspekten, die für eine Unternehmensgründung oder Businessplanerstellung wichtig sind. Der BMWi-Businessplan als kostenlose App2 oder Desktop-Anwendung leitet Sie anhand von Beispielen und Vorlagen Schritt für Schritt zu Ihrem Businessplan. Sie können den kostenlosen BMWi-Businessplan entweder als Anwendung für Windows bzw. Mac OS herunterladen oder als App für Ihre Android-Tablets und iPads. Das bietet die Anwendung: • Geschäftskonzept: Hier erstellen Sie den schriftlichen Teil Ihres Businessplans. • Finanzen: Widmen Sie sich dem finanziellen Gerüst sowie der finanziellen Entwicklung Ihres Unternehmens für die ersten Geschäftsjahre. Weiterhin haben Sie die Möglichkeit, eine Liquiditätsvorschau, eine Rentabilitätsvorschau, einen Kapitalbedarfsplan und einen Finanzierungsplan zu erstellen. • Meilensteine: ein praktisches Tool, das Sie dabei unterstützt, Ihre Aufgaben als Meilensteine zu definieren und in Form eines Zeitplans festzuhalten. Es stehen eine ganze Reihe hilfreicher Checklisten und Übersichten zum Download und Bearbeiten bereit, die hier auszugsweise aufgeführt werden: • Roter Faden für die Gründungsplanung • Finanzierungsplan • Kostenplan • Rentabilitätsvorschau 2

http://www.existenzgruender.de/DE/Gruendungswerkstatt/BMWi-Businessplan-plus-App/ inhalt.html.

466

12

Von der Idee zum Businessplan

• Kapitalbedarfsplan • Liquiditätsvorschau • Geschäftsidee • Bankgespräch • Investitionsplan usw. Erläuterungen zum Muster-Businessplan Zu 1. Ein Executive Summary liefert die Zusammenfassung aller wesentlichen Elemente des Businessplans in kurzer Form. Es vermittelt Geschäftspartnern den ersten entscheidenden Eindruck. Vermag das Executive Summary das Interesse zu wecken, wird man sich sehr wahrscheinlich auch ausführlicher informieren wollen. Es ist also eine Art „Aushängeschild“, vergleichbar mit der Ouvertüre einer Oper. In der Ouvertüre werden die wesentlichen musikalischen Ereignisse in Kurzform so aneinandergefügt, dass man im Sinne einer Inhaltsangabe einen ersten Eindruck gewinnt. Man wird aufmerksam gemacht, was man im weiteren Verlauf der Oper zu erwarten hat oder worauf man besonders achten sollte. Deshalb wird die Ouvertüre auch erst geschrieben, wenn die Oper fertiggestellt ist. Beim Executive Summary ist das Vorgehen ähnlich. Erst wenn der Businessplan vollständig ausformuliert und durchgerechnet ist, kann das Executive Summary erstellt werden. Es sollte kurz, knapp und klar gehalten sein, das Interesse der Leser auf die wichtigsten Punkte lenken und motivieren, weitere Details erfahren zu wollen. Folgende Punkte werden in einem Executive Summary erwartet: 1. Produkt oder Dienstleistung (ca. 1/4 Seite) Stellen Sie Ihr Produkt/Angebot kurz vor; erklären Sie, wer Ihre Kunden sind und wo der Kundennutzen oder das Alleinstellungsmerkmal liegt. 2. Markt (ca. 1/4 Seite) Stellen Sie heraus, warum der angestrebte Markt attraktiv ist und welche wichtigen Eigenschaften die Branche aufweist. 3. Ziele & Strategie (ca. 1/2 Seite) Zeigen Sie auf, welche konkreten Ziele Sie kurz- bis mittelfristig wie erreichen möchten und welche Marketinginstrumente Sie dabei einsetzen werden. 4. Finanzen (ca. 1/2 Seite) Der Finanzplan ist für Kapitalgeber von besonderem Interesse. Zeigen Sie die finanzielle Entwicklung der kommenden drei Jahre auf und erwähnen Sie die wichtigsten Kennzahlen. Vergessen Sie nicht anzugeben, wie hoch der Kapitalbedarf für Ihre Existenzgründung ausfällt.

12

Von der Idee zum Businessplan

467

5. Management (ca. 1/4 Seite) Das Gründerteam oder die Person des Unternehmers ist einer der Schlüsselfaktoren des Executive Summarys. Nur mit einem starken Gründerteam oder einer überzeugenden Persönlichkeit kann der überzeugende Businessplan in die Tat umgesetzt werden. Insofern sollten Sie hier insbesondere die fachspezifischen, kaufmännischen und operativen Fähigkeiten und Erfahrungen des Gründerteams hervorheben. Zu 1.1 Elevator Pitch Ein Elevator Pitch vermittelt das Wesentliche einer Geschäftsidee in kreativer und anschaulicher Form, um potenzielle Geldgeber zu gewinnen. Er kann in das Executive Summary integriert oder gesondert aufgeführt werden. Manche vertreten die Meinung, dass eine „gute“ Geschäftsidee in maximal 30 Sekunden erklärt werden kann. Ist dies nicht der Fall, ist die Geschäftsidee möglicherweise zu komplex und nur schwer umzusetzen. Nun gibt es durchaus Geschäftsideen, die einer ausführlicheren Erklärung bedürfen, aber der Kern einer Geschäftsidee kann auf jeden Fall in 30 Sekunden erklärt werden. Gelingt dies, können Sie auch jeden neuen Interessenten oder Kunden von Ihrer Geschäftsidee überzeugen. Der Elevator Pitch eignet sich auch sehr gut für Verkaufsgespräche. Um eigene Positionen wirksam zu vertreten, ist es wichtig, die Aufmerksamkeit potenzieller Partner innerhalb kürzester Zeit für sich zu gewinnen. Dieser erste Kontakt und erste Eindruck sind von großer Bedeutung für alles Weitere. Sie wissen: Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance . . . Wenn Sie sich vorstellen und z. B. sagen: „Ich bin Immobilienmakler mit dem Schwerpunkt Gewerbeimmobilien“ oder: „Ich habe einen PC-Reparaturdienst – mein Spezialgebiet sind individuelle Serverlösungen“ oder: „Ich bin Violinist mit dem Schwerpunkt Barockmusik“, dann entspricht das sicherlich den Tatsachen, aber es beeindruckt niemanden wirklich so richtig. Mit anderen Worten, Sie haben vielleicht eine gute Chance vertan, Ihr Gegenüber für Ihre Dienstleistung so zu interessieren, dass er nach Ihrer Visitenkarte fragt. Besser ist, Sie haben für solche Gelegenheiten einen „Elevator Pitch“ abrufbar. Was ist ein „Elevator Pitch“? Ein Elevator Pitch ist eine kurze, sorgfältig geplante und gut präsentierte Beschreibung Ihrer Tätigkeit oder Ihres Anliegens, die einfach und verständlich formuliert ist und nur so lange dauert, wie Sie mit einem Aufzug (Elevator) brauchen: also 30–90 Sekunden. Daher der Name Elevator Pitch. Der Name kommt daher, dass in den 1970er Jahren junge und karriereorientierte Aufsteiger in größeren Firmen die Dauer einer Aufzugsfahrt nutzten, um ihre Vorgesetzten in kürzester Zeit von ihren Anliegen zu überzeugen. Heute wird die Technik des Elevator Pitch häufig von Unternehmen verwendet, die ihre Geschäftsidee potenziellen Geldgebern vorstellen wollen, um finanzielle Mittel zu akqui-

468

12

Von der Idee zum Businessplan

rieren. Die Geldgeber bewerten die Qualität einer Idee und des Gründungsteams oft auf Basis der Qualität des Elevator Pitches, um schnell unzureichende Ideen auszusondern. Wesentlich beim Elevator Pitch ist die Berücksichtigung der AIDA-Formel (Attention, Interest, Desire, Action). Setzen Sie eine bildhafte Sprache ein, die positive Assoziationen weckt und Gefühle Ihres Gegenübers anspricht. Eine solche Kurzpräsentation ist kein Verkaufsgespräch. Also vergessen Sie alle Argumente und Vorteile über Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung. Im Vordergrund sollte der Nutzen für den Kunden stehen – und wie Sie diesen Nutzen bieten können. Darauf sollten Sie bei der Konzeption eines Elevator Pitch achten. Wenn Sie einen Elevator Pitch für Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung konzipieren wollen, versuchen Sie, die folgenden Aspekte zu berücksichtigen: Klären Sie Ihre Zielgruppe. WEN wollen Sie erreichen: Kunden, Partner, Geldgeber? Versetzen Sie sich in die Lage Ihres Gegenübers. Was spricht ihn an? Was interessiert ihn am meisten? Finden Sie einen Aufhänger, der Ihren Zuhörer fasziniert. Steigen Sie mit einer Frage ein. Oder finden Sie ein Bild, eine Metapher oder ein Beispiel. Eine ungewöhnliche Geschichte oder eine überraschende Information ist ebenso geeignet. So erwecken Sie die Aufmerksamkeit Ihres Zuhörers. Sprechen Sie klar und einfach. Keine Fremdwörter, keine abstrakten Formulierungen, keine Abkürzungen oder Fachbegriffe. (Bedenken Sie: Ein zehnjähriges Kind sollte verstehen können, was Sie möchten.) Sprechen Sie in Bildern. Dadurch verankern Sie Ihre Inhalte emotional besser im Gehirn Ihres Gegenübers. Welches Problem lösen Sie wirklich? Fast niemand ist vorrangig an Produkten oder Methoden interessiert. Beschreiben Sie deshalb nicht Ihr tolles Produkt oder die Eigenschaften Ihrer herausragenden Dienstleistung, sondern erklären Sie möglichst anschaulich, welches Problem Ihres Zuhörers Sie lösen können. Aber verraten Sie auf keinen Fall, wie Sie das Problem lösen. Fragt Ihr Gesprächspartner interessiert, wie Sie das schaffen wollen, dann hat der Elevator Pitch seine Aufgabe erfüllt. Was machen Sie anders? Hier brauchen Sie überzeugende Antworten auf die Frage, warum Ihr Gesprächspartner gerade mit Ihnen zusammenarbeiten sollte. Also bitte keine langweiligen Formulierungen wie z. B. „individuelle Lösungen“, „bester Service“ oder „gutes Preis-Leistungsverhältnis“. Vermeiden Sie Aufzählungen von Argumenten, sondern benennen Sie einen ganz konkreten Vorteil, den der Kunde nur bei Ihnen findet.

12

Von der Idee zum Businessplan

469

Führen Sie einen Dialog. Verwenden Sie rhetorische Fragen. Sprechen Sie kein Schriftdeutsch, sondern sprechen Sie in einfach verständlichen Sätzen. Ob Ihr Text zündet, können Sie testen: Lassen Sie sich Ihren Text vorlesen, während Sie die Augen geschlossen halten, und prüfen Sie, wie Sie sich dabei fühlen. An welcher Stelle stolpern Sie innerlich? Welche Bilder steigen in Ihnen auf? - Machen Sie den Test auch mit Kollegen, Freunden, Lebenspartnern etc. Beispiele für einen Elevator Pitch a) Ihr Weg zum Erfolg (ca. 30 Sekunden): „90 % der Dinge, die wir in der Schule lernen, brauchen wir nicht. Und die 10 %, auf die es im Leben wirklich ankommt, werden dort nicht vermittelt. Sie möchten Ihr Leben entspannt genießen? Zufrieden im Beruf – und glücklich in Ihrer Familie oder Partnerschaft sein? Erfolgreicher werden mit weniger Zeitaufwand? Wie das geht? Lassen Sie uns reden! Mein Name ist Asmus Hintz.“ b) Früh investieren, statt spät reparieren! (ca. 60 Sekunden): „Unsere großen gesellschaftlichen Herausforderungen sind Gewalt und zunehmende Kriminalität. Ein Teufelskreis: einfangen, wegsperren, zahlen, rauslassen – einfangen, wegsperren . . . Resultat? Die Spirale der Gewalt wächst weiter. Jeder Gefängnisinsasse kostet 40.000 € pro Jahr! Die Rückfallquote beträgt 80 %. Kinder, die früh eine musikalische Ausbildung erhalten, lehnen Gewalt ab. Sie entwickeln Sinn für das Schöne, für gewaltfreie Kommunikation, sind lernfähige und integrierte Mitglieder der Gesellschaft. Was das kostet? Weniger als eine Schachtel Zigaretten täglich: drei Euro pro Tag! – Unterzeichnen auch Sie unsere Petition: Früh investieren, statt spät reparieren! Musikalische Bildung für Kinder - mehr Lebensqualität für alle!“ c) Zukunft mit Musik (ca. 60 Sekunden) „Älter, bunter, weniger – diese Entwicklung bestimmt die Zukunft Deutschlands. Die Musikhochschule ‚Musterstadt‘ stellt sich den Herausforderungen und reformiert die Ausbildung für Musikerberufe. Der Erhalt unserer einzigartigen Musikkultur sowie die Integration musikalischer Bildung unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Vielfalt sind die Aufgaben heute. Unsere Absolventen kennen ihre individuellen Stärken. Sie fördern als fachlich und menschlich gebildete Künstler und Musikpädagogen Kultur, soziale Integration und Lebensfreude. Das erreichen wir durch die Anwendung aktueller Forschungserkenntnisse aus Psychologie und Pädagogik. In Verbindung mit traditionellen Methoden wird eine spezielle Kompetenz künstlerisch geprägter Musikvermittlung gefördert. Jungen Musikern das Rüstzeug für eine positive Perspektive zu vermitteln, ist unsere Berufung. – Für eine menschliche Zukunft mit Musik!“

470

12

Von der Idee zum Businessplan

Zu 8. Finanzplanung Die Finanzplanung des Businessplans sollte diese Aspekte berücksichtigen: 1. Gründungskosten & Investitionen 2. Laufende Kosten (inkl. Unternehmerlohn) 3. Kapitalbedarf für die Gründung 4. Finanzierung des Kapitalbedarfs 1. Gründungskosten und Investitionen Die Gründungskosten entstehen vor oder während der Gründung, die Investitionen hingegen in der Regel direkt nach der eigentlichen Gründung. 2. Laufende Kosten Zu Beginn der Geschäftstätigkeit wird im Normalfall mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Dies gilt es, im Finanzplan und bei der Kapitalbedarfsberechnung zu berücksichtigen. Achtung: private Ausgaben und den Unternehmerlohn – abhängig von der Rechtsform – während der Gründungs- und Startphase nicht vergessen. 3. Kapitalbedarf Erfahrungsgemäß schätzen Gründer den Kapitalbedarf häufig zu optimistisch ein. Deshalb sollte man einen finanziellen Puffer einplanen. Ein zu gering angesetzter Kapitalbedarf führt in der Regel zu einem Liquiditätsengpass, der oftmals das Scheitern zur Folge hat.

12

Von der Idee zum Businessplan

471

472

12

Von der Idee zum Businessplan

4. Finanzierung des Kapitalbedarfs Erläutern Sie, wie der Betrag finanziert werden kann. Eigenmittel, andere Investoren und/oder Fremdfinanzierungsmöglichkeiten wie z. B. Darlehen, Warenkredite etc. sind Finanzierungsformen, die in Erwägung gezogen werden können. Wie ist das Verhältnis zwischen Eigenkapital und Fremdkapital geplant? In Ihrem Kapitalbedarfsplan haben Sie ermittelt, wie viel Kapital Sie für Ihre Gründung und die Anlaufphase benötigen. In Ihrem Finanzierungsplan halten Sie fest, wie Sie die benötigte Summe finanzieren werden. Finanzierungsplan

0,00 0,00 0,00 0,00

0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00

12

Von der Idee zum Businessplan

473

Business Model Canvas3 Das Business Model Canvas ist eine andere klar strukturierte Denk- und Planungshilfe, um sich einen Überblick über die wichtigsten Schlüsselfaktoren des Geschäftsmodells zu verschaffen. Es handelt sich um eine Methode, die Sie bei der Entwicklung und Überarbeitung innovativer und komplexer Geschäftsmodelle unterstützt. Die Idee stammt von dem Schweizer Unternehmer, Dozent und Autor Alexander Osterwalder. Business Model Canvas und Businessplan Das Business Model Canvas eignet sich dazu, um sein Geschäftsmodell zu entwickeln. Die Ergebnisse können in den Canvas-Rubriken ausformuliert und durch einen Finanzplan ergänzt werden. Die Ergebnisse können aber auch in den Businessplan einfließen. Er enthält alle wichtigen Überlegungen dazu, wie eine Geschäftsidee in die Tat umgesetzt werden kann. Für ein Business Model Canvas benötigen Sie einen großen Papierbogen, zum Beispiel im Format A0. Darauf werden neun Felder eingezeichnet, die jeweils mit den Schlüsselfaktoren für ein Geschäftsmodell bezeichnet werden. Zu jedem Schlüsselfaktor werden Ideen in Stichworten auf Klebezetteln notiert. Der Vorteil ist: Die Zettel lassen sich wieder entfernen, in andere Felder kleben und ergänzen. Durch dieses visuell unterstützte Vorgehen lassen sich viele Einzelideen zu einem Geschäftsmodell baukastenartig zusammenzufügen und zueinander in Beziehung setzen, bis ein marktfähiges Modell gefunden ist. Am besten funktioniert das Ganze, wenn eine interdisziplinäre Gruppe mit der Methode arbeitet. Inzwischen gibt es auch Online-Vorlagen, die von verschiedenen Anbietern im Internet zur Verfügung gestellt werden. Die neun Bestandteile des Business Model Canvas Ein Business Model Canvas enthält neun Felder mit Schlüsselfaktoren. Sie müssen nach und nach mit Inhalt gefüllt und in eine sinnvolle Beziehung zueinander gebracht werden. Bei den Schlüsselfaktoren handelt es sich um: 1. Schlüssel-Partner: Je nach Geschäftsmodell bietet es sich an, eine strategische Partnerschaft einzugehen, um die Effektivität des Unternehmens zu steigern und Risiken auf mehrere Schultern zu verteilen. Frage: Wer eignet sich als Partner? 2. Schlüssel-Aktivitäten: Um ein Produkt herzustellen oder eine Leistung zu erbringen, sind bestimmte Tätigkeiten notwendig. Frage: Welches sind die wichtigsten Tätigkeiten, um dieses Geschäftsmodell in die Tat umzusetzen? 3

http://www.existenzgruender.de/DE/Weg-in-die-Selbstaendigkeit/Businessplan/Business-ModelCanvas/inhalt.html (letzter Abruf 14.06.2017)

474

12

Von der Idee zum Businessplan

12

Von der Idee zum Businessplan

475

3. Nutzen-Versprechen: Jedes Produkt und jede Leistung hat eine Aufgabe, und zwar die, ein Problem des Kunden zu lösen oder ein Bedürfnis zu befriedigen. Jedes Produkt und jede Leistung muss dieses Nutzenversprechen enthalten: neuer, besser, stylischer, günstiger oder einfach nutzerfreundlicher als vergleichbare Angebote zu sein. Frage: Welchen Nutzen haben die Kunden, wenn sie das Produkt oder die Dienstleistung kaufen? 4. Kunden-Beziehung: Kunden können persönlich bedient werden. Sie können auch von Sprachautomaten oder Internet-Software von einer Frage zu einer möglichen Antwort geführt werden. Wie man die Kundenbeziehung gestaltet, ist ein wichtiger Bestandteil des jeweiligen Geschäftsmodells. Frage: Wie können die infrage kommenden Kunden gewonnen und gebunden werden? 5. Kunden-Zielgruppen: Jedes Start-up will ein Produkt oder eine Dienstleistung verkaufen. Als Kunden kommen individuell verschiedene Zielgruppen infrage: die Masse, eine Nische, diverse Kunden-Segmente. Frage: Welche ist die Kunden-Zielgruppe? 6. Schlüssel-Ressourcen: Eine Produktion zu bewerkstelligen und eine Dienstleistung zu erbringen, ist nur mit bestimmten Ressourcen möglich: Betriebsstätte, Personal, Startkapital usw. Frage: Welche Ressourcen sind unverzichtbar? 7. Vertriebs- und Kommunikations-Kanäle: Kunden kaufen nur, was sie kennen. Und das, was für sie erreichbar und verfügbar ist. Fragen: Wie erfahren Kunden von dem Angebot? Wie muss der Vertrieb aussehen? 8. Kosten: Jede Produktion und jede Dienstleistung ist mit Kosten verbunden. Sie fallen vor allem für die Aktivitäten, die Ressourcen und für die Partner an. Frage: Welches sind die wichtigsten Ausgaben, ohne die das Geschäftsmodell nicht funktionieren würde? 9. Einnahmequellen: Es gibt oft mehrere Wege, mit demselben Angebot Geld zu verdienen. Einmalzahlungen bringen schnell Geld in die Kasse. Abonnenten versprechen dagegen kontinuierliche Einkünfte über längere Zeit. Frage: Woher kommt bei diesem Geschäftsmodell das Geld? Bevor Sie mit der systematischen Bearbeitung einer Idee beginnen, prüfen Sie die folgenden Fragen: • Welches Kernproblem löst meine Idee für welche Zielgruppe? • Steht meine Idee in Konkurrenz mit anderen oder wird dadurch eine Lücke geschlossen, die bislang noch nicht bearbeitet wird? • Habe ich für die Realisierung meiner Idee die passenden Fähigkeiten (Stärken)? • Wie sind die Marktchancen nach jetziger Kenntnis und Intuition einzuschätzen?

476

12

Von der Idee zum Businessplan

12.1 Die Engpasskonzentrierte Strategie

477

Zeigt sich eine grundsätzlich positive Tendenz, befassen Sie sich mit den Überlegungen zur Strategiebildung.

12.1 Die Engpasskonzentrierte Strategie „Die Engpasskonzentrierte Verhaltens- und Führungsstrategie (EKS) nach Mewes4 setzt die persönlichen und betrieblichen Kräfte gezielt ein. Ziel ist es, durch die Kombination individueller Stärken, Beziehungen und Fähigkeiten ein unverwechselbares Profil zu erarbeiten und daraus eine Spitzenleistung für eine bestimmte Zielgruppe zu entwickeln, indem man sich an deren brennendstem Problem orientiert. Die Umsetzung der Engpasskonzentrierten Verhaltens- und Führungsstrategie im privaten oder betrieblichen Umfeld geschieht durch die Konzentration der vorhandenen Kräfte und Ressourcen auf den wirkungsvollsten Punkt. Ein auf Sand gebautes Haus wird nie sicher stehen: Wenn das Fundament nicht trägt, wenn die Voraussetzungen nicht stimmen, wird die beste Idee nicht umgesetzt werden können. Guter Wille und 100 % Einsatz helfen da nicht weiter. Erst wenn ein Vorhaben in einen größeren Zusammenhang gestellt wird, einem übergeordneten Plan folgt, auf einer ganzheitlichen Strategie beruht, wird sich der Erfolg einstellen. Eine Strategie fordert und fördert Denken und Handeln in Zusammenhängen – für Schnellschüsse ist da wenig Platz. Die Engpasskonzentrierte Verhaltens- und Führungsstrategie deckt mit nur vier auf Erkenntnissen des Naturwissenschaftlers Justus von Liebig basierenden Prinzipien das ganze Spektrum erfolgreichen Vorgehens ab. Einmal verinnerlicht, führen diese vier Prinzipien ans Ziel, auch wenn der Weg anfangs unüberschaubar und mühevoll erscheint – diese Strategie gibt jederzeit Orientierung und Sicherheit im Handeln.“5

12.1.1 Die 4 Prinzipien Prinzip 1: Konzentration der Kräfte auf Stärkenpotenziale, Abbau von Verzettelung Alles was ich erreiche, kommt aus mir selbst. Es gibt keinen Misserfolg, es gibt nur Ergebnisse – Ergebnisse meiner eigenen Anstrengungen und Bemühungen. Unterstützt durch eine Vorgehensweise, die sich an meinen Fähigkeiten und meinen Möglichkeiten orientiert und im Einklang mit meiner Mitwelt steht, schaffe ich, was ich mir vornehme, und weiß jederzeit, was ich tue. 4

Mewes, Wolfgang, Jahrgang 1924, Systemforscher und Kybernetiker. Aus der Analyse der unterschiedlichen Karrierewege seiner Schüler und Kunden entwickelte er 1970 die „Engpasskonzentrierte Verhaltens- und Führungsstrategie“ (EKS), die es ermöglicht, sich strategisch zu orientieren und dadurch mit geringerem Kräfteeinsatz erfolgreich zu werden. Die Bezeichnung EKS wird vielfach auch durch die Bezeichnungen Energo-Kybernetische Strategie und Evolutionskonforme Strategie ausgeschrieben. Sie bezeichnen alle drei dieselbe Strategie – kennzeichnen aber einen leicht veränderten Schwerpunkt des Betrachters. 5 http://www.wolfgangmewes.de/eks-die_strategie.htm, 03.05.2010.

478

12

Von der Idee zum Businessplan

Prinzip 2: Orientierung der Kräfte auf eine eng umrissene Zielgruppe Nicht für jeden ist meine Leistung, sind meine Produkte gleichermaßen sinnvoll und nützlich – ganz bestimmte Menschen aber brauchen sie dringend. Für diese setze ich mich ein, denen stelle ich all mein Wissen und meine Fähigkeiten zur Verfügung. Diese Zielgruppe ist auch bereit, meine Leistung entsprechend dem daraus für sie erwachsenden Nutzen zu würdigen. Prinzip 3: In die Lücke, in die Nische gehen Was bereits angeboten wird, kann nicht meine Sache sein. Meine Lösungen zielen auf Bereiche, die bisher vernachlässigt wurden oder die es noch zu entdecken gilt. Dafür hole ich mir gerne auch Anregungen aus anderen Disziplinen – ich setze meine ganze Fantasie ein. Prinzip 4: Sich in die Tiefe der Problemlösung entwickeln, Marktführerschaft anstreben Wenn ich Anerkennung gefunden habe, mich bewährt und volles Vertrauen meiner Auftraggeber oder Vorgesetzten erworben habe, wenn die Lösungen stimmen, dann führt das zu einer Symbiose, zu einem gegenseitigen Nutzen zwischen meiner Zielgruppe (meinen Kunden) und mir. Wir entwickeln uns gemeinsam weiter und nutzen dabei die entstehenden Synergien voll aus. Durch die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickle ich mich zum besten Problemlöser in diesem Bereich, zum Marktführer innerhalb meiner Zielgruppe – gewollt und unterstützt von meinen Partnern und meiner Mitwelt, konkurrenzlos und einzigartig.

12.1.2

Das 7-Phasen-Programm

Die EKS-Strategie basiert auf den folgenden Konzeptionsphasen: • Analyse der Ist-Situation des Unternehmens oder der Position einer Geschäftsidee • Analyse der speziellen Stärken des Unternehmens im Vergleich zu den Wettbewerbern • Analyse des erfolgversprechendsten Geschäftsfeldes • Suche nach der erfolgversprechendsten Zielgruppe • Analyse der Probleme und Marktlücken • Zielgruppentest • Umsetzung der EKS-Strategie Das Ziel ist die Profilierung des Unternehmens als anerkannt bester Problemlöser für eine bestimmte Kunden- bzw. Zielgruppe. Je genauer die speziellen Stärken des Unternehmens oder des Produkts mit den speziellen Bedürfnissen der Zielgruppe übereinstimmen, desto leichter, sicherer, schneller und stärker sind Akzeptanz und Erfolg bei der Zielgruppe zu erreichen.

12.1 Die Engpasskonzentrierte Strategie

479

12.1.2.1 EKS-Fragen und Leitsätze für die Gewinnung einer EK-Strategie Werden die folgenden Fragen, die im Wesentlichen den vorgenannten sieben Konzeptionsphasen entsprechen, konsequent durchgearbeitet, kann aus den Erkenntnissen eine wirkungsvolle EKS „destilliert“ werden. • Zielgruppen, abgekürzt (ZG), sind Menschen mit gleichen Problemen und Bedürfnissen. • (. . . ) = hier ist der Name der jeweiligen Unternehmung einzusetzen. EKS-Phase Phase 1: Analyse der Ist-Situation des Unternehmens oder der Position einer Geschäftsidee und der speziellen Stärken

Fragen Wie steht die (. . . ) derzeit da? (Ist-Analyse)

• Sei anders als andere – werde einzig- Was ist einzigartig an der (. . . )? artig. • Baue gezielt deine Stärken aus – vernachlässige zunächst deine Schwächen.

Welche sind unsere besonderen Stärken?

• Analysiere deine Ist-Situation, bestimme deinen Standort.

Auf welchen Gebieten sind wir besonders stark?

• Suche konsequent nach deinen Stär- Wo steht die (. . . ) derzeit im Wettbewerb mit gleichken – sie sind auf vielen Gebieten artigen Institutionen oder vorhanden. Organisationen? • Identifiziere deine Stärken. Lasse diese von anderen bewerten. • Baue dein persönliches, unverwechselbares Stärken- und Leistungsprofil auf. • Schärfe deinen Blick für neue Betäti- Auf welchen neuen Betätigungsfeldern sehen wir gungsfelder und Chancen. Chancen für die (. . . )?

Erkenntnisse/Ideen

480

12

EKS-Phase

Fragen

Phase 2: Analyse der speziellen Stärken des Unternehmens im Vergleich zu den Wettbewerbern

Was ist unser erfolgversprechendstes Spezialgebiet?

Von der Idee zum Businessplan

• Sei lieber der Erste im Dorf als der Zweite in der Stadt. • Je besser sich deine Spezialisierung auf konkrete Engpässe richtet, desto besser verläuft deine Entwicklung.

Was fällt uns leicht? Wo sind wir richtig gut?

• Was leicht fällt und den Stärken ent- Was davon entspricht unspricht, hat die besten Chancen, ein seren Stärken? erfolgversprechendes Spezialgebiet zu werden. • Die Umweltbedingungen und die Wettbewerbsverhältnisse entscheiden darüber, wie „spitz“ eine Spezialisierung sein muss.

Was ist unser eindeutiges Spezialgebiet, auf dem wir führend im Land, in Europa oder in der Welt sind?

• Ist die Marktstellung stark, kann das Spezialgebiet nach und nach erweitert werden.

Auf welchen Feldern haben wir eine starke „Marktposition“?

• Die Suche nach Spezialisierungsmöglichkeiten, die Zielgruppenanalyse und die Engpassanalyse bilden einen ganzheitlichen Prozess.

Wie ist dies alles mit der Lösung eines Engpasses für eine bestimmte ZG in Verbindung zu bringen?

Phase 3: Analyse des erfolgversprechendsten Geschäftsfeldes

Welche ZG bearbeiten wir derzeit?

• Denke um von der Produktorientierung zur Zielgruppenorientierung. • Konzentriere dich auf Zielgruppen und deren besonders brennenden Probleme.

Wo finden wir die erfolgversprechendste Zielgruppe? Welche besonders brennenden Probleme lösen wir derzeit für welche ZG besonders effizient?

Erkenntnisse/Ideen

12.1 Die Engpasskonzentrierte Strategie EKS-Phase

Fragen

• Bestimme deine Zielgruppe eindeutig – so klein und homogen wie möglich.

Welche Prozesse haben wir etabliert, um mit unserer ZG in Kontakt zu bleiben und Feedback darüber zu erhalten, wie wichtig, wertvoll und sinnvoll unsere Leistung für diese war oder ist?

• Werde zum besten und stärksten Problemlöser deiner Zielgruppe. • Bleibe in ständigem Dialog mit deiner Zielgruppe. Setze auf Lernprozesse durch Feedback. • Verbessere deine Leistung ständig gemäß den Engpässen deiner Zielgruppe.

Was lernen wir aus diesen Feedbacks unserer ZG für die ständige Optimierung unserer Arbeit?

Phase 4: Suche nach der erfolgversprechendsten Zielgruppe – Engpassanalyse • Denke alterozentriert statt egozentriert: Betrachte alles aus der Sicht der Zielgruppe.

Aus Sicht unserer ZG betrachtet: Welchen größtmöglichen Nutzen kann/ sollte die (. . . ) Ihnen bringen?

• Jede Zielgruppe hat viele verschiede- Was wissen wir über die ne unterschiedlich große Probleme. Probleme unserer ZG? • Konzentriere dich in deinen Aktivitäten auf den größten Engpass einer Zielgruppe. • Sei in einem ständigen Dialog mit deiner Zielgruppe über deren Engpässe. • Entscheidend ist allein, welches Problem die Zielgruppe für das wichtigste Problem hält.

Innerhalb der möglicherweise vielfältigen Probleme unserer ZG gibt es sog. Engpass-Problemstellungen. Was wissen wir über diese „Engpässe“ unserer Zielgruppe(n)? Stellen wir uns gedanklich auf die Seite unserer ZG: Welches Problem ist nach deren eigener Meinung ihr zentraler „Engpass“?

481 Erkenntnisse/Ideen

482

12

EKS-Phase

Fragen

• Über die Lösung des größten Engpasses biete der Zielgruppe den größten Nutzen.

Was können wir leisten, um wirksam zur Beseitigung des größten Engpasses unserer ZG beizutragen?

• Nach der Lösung des größten Engpasses musst du dich konsequent der Lösung des nächsten Engpasses widmen.

Von der Idee zum Businessplan

Phase 5: Analyse der Probleme und Marktlücken – Innovationsstrategie • Denke ständig innovativ: Innovation Wie können wir unsere = dauerhafte Leistungsverbesserung. Leistung zur Beseitigung des größten Engpasses unserer ZG ständig opti• Deine Leistung kann und muss mieren? permanent verbessert werden – Stillstand bedeutet Rückschritt. • Binde deine Zielgruppe in den Innovationsprozess ein und nutze deren Wie können wir unsere ZG in den InnovationsproKreativität. zess einbinden? • Sammle alle Innovationsideen Was haben unsere Mitund analysiere diese systematisch. bewerber oder andere in Verbessere dein Informationsmanagement und werte Medien deiner dieser Hinsicht (Lösung des Engpassproblems) Zielgruppe aus. bereits erfolgreich praktiziert? • Steige anderen auf die Schulter: Entwickle nicht selbst, was andere bereits gelöst und entwickelt haben. Phase 6: Zielgruppentest – Kooperationsstrategie • Kooperation ist erfolgreicher als Wettbewerb.

Mit welcher Institution oder Person können wir zur erfolgreichen Bearbeitung des Engpasses unserer ZG auf welche Weise kooperieren?

Erkenntnisse/Ideen

12.1 Die Engpasskonzentrierte Strategie EKS-Phase

Fragen

• Durch die Bündelung der Kräfte überwinde die eigenen Grenzen.

Mit wem können wir für unsere ZG auf welche Weise synergetische Potenziale nutzen?

• Kooperiere stets engpassorientiert.

Welchen überzeugenden Nutzen können wir unserer ZG und unseren Kooperationspartnern bieten?

• Suche komplementäre Kooperationspartner, um Synergien zu schaffen.

Wie können wir die hundertprozentige Übereinstimmung der Ziele zwischen der (. . . ) und den Kooperationspartnern herstellen?

• Entwickle gemeinsam einen überzeugenden Nutzen für eine spezielle Zielgruppe. • Stelle eine hundertprozentige Übereinstimmung der Kooperationsziele sicher. • Vereinbare eine geistige Probezeit, bevor du investierst.

Wie viel Vorlauf und Probezeit wollen wir unseren neuen Ideen geben, bevor wir damit an die Öffentlichkeit gehen?

Phase 7: Umsetzung der EKS-Strategie Befriedige das konstante Grundbedürf- Welches konstante Grundnis. bedürfnis kennzeichnet unsere ZG? • Spezialisiere dich nicht auf variable Leistungen, sondern auf konstante Grundbedürfnisse. • Integriere das konstante Grundbedürfnis in deine Unternehmensziele und Unternehmensleitsätze.

Wie können wir dieses konstante Grundbedürfnis in unsere Unternehmensziele integrieren?

483 Erkenntnisse/Ideen

484

12

Von der Idee zum Businessplan

EKS-Phase

Fragen

• Vollziehe den Wechsel von der Produkt- zur Zielgruppenorientierung.

Auf welche Weise können wir sicherstellen, dass wir mit unserer Leistung die Grundbedürfnisse unserer ZG permanent befriedigen und aufgrund deren Zufriedenheit wertvolle Weiterempfehlungen erhalten?

• Werde zum Zielgruppenbesitzer statt zum Besitzer von Produktionsmitteln. • Werde dauerhaft bester Problemlöser und Innovator für deine Zielgruppe.

Erkenntnisse/Ideen

• Entwickle dich zu einer Denkzentrale.

12.1.3 Wesentliche Unterschiede Wesentliche Unterschiede zwischen der Engpass-Konzentrierten Strategie (EKS) und anderen Verhaltens- und Managementlehren sind: • Orientierung an den Entwicklungsgesetzen der Natur Die EKS-Strategie ist kein theoretisches Modell, sondern eine Verhaltenslehre, die sich an den Entwicklungsgesetzen der Natur orientiert. Sie beruht auf der Annahme, dass für soziale Systeme die gleichen Entwicklungsprinzipien gelten wie für die biologischen Systeme: Pflanzen wachsen durch die Lücken zwischen ihren Nachbarn auf die Sonne zu, um möglichst viel Energie einzufangen; Menschen streben danach, möglichst viel materiellen Wohlstand und Kapital anzusammeln. Pflanzen verbessern ihre energetischen Verhältnisse, Menschen ihre materiellen und finanziellen Verhältnisse. • Der Minimumfaktor Mit dem sog. Minimumfaktor entdeckte Justus von Liebig 1855 die zentrale Reglerfunktion für das Wachstum von Pflanzen und revolutionierte damit die Landwirtschaft. Er fand heraus, dass eine Pflanze vier Mineralien – Stickstoff, Kali, Kalk und Phosphorsäure – benötigt, um wachsen zu können. Sind diese Mineralien in ihrer Umwelt vorhanden, entwickelt sich die Pflanze problemlos und selbständig. Ist eines der Mineralien aufgebraucht, wird sie in ihrer Entwicklung behindert. Es entsteht ein Engpass (z. B. Phosphorsäure). Wird dieser Engpass beseitigt, indem z. B. das fehlende Mineral nachgedüngt wird, wächst die Pflanze weiter, bis sie erneut von einem anderen Engpass (z. B. Stickstoff) behindert wird. Wird nun wegen des vorherigen Erfolges die Düngung mit Phosphor fortgesetzt, wird aus dem Mangel ein Überschuss. Dies jedoch ist kontraproduktiv, da inzwischen ein anderer Faktor zum Engpass geworden ist. Schlimmer noch: Der Überschuss an Phosphorsäure übersäuert den Boden und vergiftet ihn. Je intensiver diese Düngung betrieben wird, desto rückläufiger werden die Erträge sein und

12.1 Die Engpasskonzentrierte Strategie

485

desto erheblicher wird die Umwelt geschädigt. Wird die Düngung hingegen auf den neuen Engpass konzentriert, wird das Wachstum erneut angeregt. Dieses Beispiel zeigt, dass man bei Pflanzen eine Wachstumssteigerung auslösen kann, sofern man ihnen den für ihre Entwicklung jeweils fehlenden Nährstoff zuführt. Jeder andere Einsatz von Kräften oder Mitteln bleibt demgegenüber erfolglos. Der Engpass „fehlender Nährstoff “ wird durch die gezielte Düngung beseitigt, und das führt zu höheren Erträgen. Diese Wirkungsmechanismen sind auf Menschen und Betriebe übertragbar. • Nutzen-Denken statt Gewinnorientierung Anstatt sich, wie üblich, sich auf die Steigerung des Gewinns zu fokussieren, richtet die EKS die Überlegungen auf die Steigerung des Nutzen für die Zielgruppe und die Förderung der Anziehungskraft der angebotenen Leistung oder des Produktes für die Zielgruppe. Die hohe Schule des Nutzenbietens besteht nun darin, sein Angebot so zu gestalten, dass es als Lösung für ein spezielles Engpass-Problem empfunden und entsprechend stärker nachgefragt wird. • Auf die immateriellen Werte kommt es an. Obwohl immaterielle Werte wie Fachwissen, Erfahrung, Kundentreue, Image usw. von großer Bedeutung für die Entwicklung der materiellen und finanziellen Werte eines Unternehmens sind, werden sie in der Bilanz und von der Kostenrechnung nicht erfasst. Der Einsatz der immateriellen Werte spielt in der EKS-Philospohie eine wichtige Rolle. • Problemlösungs-Kettenreaktionen auslösen Üblicherweise versucht man, die Probleme in jedem Bereich einzeln anzugehen. Die EKS beruft sich dagegen auf die synergetische Vernetzung aller Teile und Vorgänge eines sozialen Systems, analog zu den Prozessen in der Natur. Gelingt es, das Kernproblem einer Zielgruppe zu ermitteln und zu beheben, lösen sich die meisten anderen Probleme kettenreaktionsartig von selbst oder lassen sich zumindest leichter bewältigen (s. Punkt 2). • Die EKS ist eine Problemlösungs- und keine Produktionslehre. Immer nur mehr Güter zu produzieren führt zwangsläufig zu einer Marktsättigung. Wer stattdessen die wirklichen Bedürfnisse seiner Zielgruppe gründlicher analysiert und spezifische Lösungen anbietet, kann neuen Bedarf wecken. Funktioniert ein System nur in Abhängigkeit von quantitativem Wachstum, ist sein Kollaps vorprogrammiert. Unternehmen sollten sich an einer Funktion und nicht nur an bestimmten Produkten orientieren – Produkte kommen und gehen, Funktionen bleiben. • Spezialisierung Spezialisierung kann die Produktivität und auch die Kreativität erheblich steigern. Allerdings sind mit einer Spezialisierung auch Gefahren verbunden. Die EKS-Strategie lehrt eine Spezialisierung, die alle Vorzüge einer Kräftekonzentration zur Geltung bringt (raschere Durchsetzung, größere Bekanntheit, stärkere Anziehungskraft), aber

486

12

Von der Idee zum Businessplan

alle Gefahren einer Spezialisierung, die nicht der EKS-Philosophie folgt, zuverlässig vermeidet. • Kybernetisches Vorgehen (EKS = Energo-Kybernetische-Strategie) Ein Projekt – beispielsweise der Bau eines Hauses – muss in allen Details geplant werden. Vom Fundament bis zum Dach müssen die Arbeiten in der richtigen Reihenfolge durchgeführt werden. Bei einem strategischen Entwicklungsprozess hingegen kommt es darauf an, diesen von dem wirksamsten Ansatzpunkt aus in Gang zu setzen und schrittweise weiterzuführen.

12.1.4 Wir brauchen eine neue Strategie Die geläufigsten Strategien beziehen sich auf die Schaffung oder Lösung von Konflikten. Ziel von Konfliktstrategien ist die Zerstörung gegnerischer Systeme. Integrationsstrategien sind jedoch auf Dauer wirksamer. Ihr Ziel ist es, Feinde zu Freunden zu machen und sich mit ihnen zu größeren und effektiveren Systemen zu vernetzen. Jeder Mensch und Betrieb ist Teil eines übergeordneten Systems, beispielsweise einer Abteilung oder einer Branche. In diesem System sollte er sich unter Einsatz seiner Stärken und Kompetenzen auf die Bearbeitung bestehender Mängel, Lücken und zentraler Probleme konzentrieren. Da Konfliktstrategien lediglich neue Spannungen und Feindschaften erzeugen, sind Integrationsstrategien diesen deutlich überlegen. Integration wirkt intensiver, reibungsloser und vor allem nachhaltiger. Überall, wo man bisher durch Kampf zu siegen versuchte, kann man durch eine Integrationsstrategie sicherer und dauerhafter und vor allem risikoloser erfolgreich werden. Menschen und Betriebe orientieren ihre Überlegungen und Handlungen vornehmlich an der Erzielung größtmöglichen Gewinns oder Gehalts; sie verhalten sich überwiegend kapitalorientiert. Alle anderen Systeme des Universums hingegen verhalten sich energieorientiert. Sie haben den größtmöglichen Zuwachs von Energie zum Ziel. Eine Pflanze wird in der Regel nicht unter einer anderen Pflanze aus der Erde wachsen und diese verdrängen. Vielmehr wird sie die Lücke zwischen zwei Pflanzen nutzen, um ausreichend Licht und Nährstoffe aufzunehmen, sich mit den benachbarten Pflanzen zum gegenseitigen Nutzen zu verbinden und infolgedessen in Ruhe wachsen und gedeihen zu können. Verhalten sich Mensch und Betriebe ähnlich, werden auch sie schneller und widerstandsloser erfolgreich. Nicht breit, sondern spitz: Die Durchsetzungskraft jeder Form von Energie steigt, je spitzer sie konzentriert wird. Sie nimmt ab, je breiter sie verteilt wird. Beispiel: Mit der flachen Hand kann der Mensch nicht einmal den Widerstand einer stärkeren Papierschicht überwinden. Konzentriert er seine Kraft aber auf die Fingerspitzen oder die Spitze eines Messer oder eines Bohrers, kann er mit der gleichen Kraft vorher unüberwindlich erscheinende Widerstände überwinden. Die Breite geistigen Energieeinsatzes führt häufig zur Verzettelung, zu Defiziten, Enttäuschungen, Frustration und Resignation. Der auf einen Punkt konzentrierte Energieeinsatz hingegen bewirkt schnelle und ermutigende Anfangserfolge,

12.1 Die Engpasskonzentrierte Strategie

487

die sich über wachsendes Interesse und wachsende Entschlossenheit zu immer größeren und sich gegenseitig verstärkenden Erfolgserlebnissen entwickeln. Nicht auf den großen Haufen zu, sondern auf eine Lücke zwischen die anderen. Während sich eine Pflanze immer wieder neu auf eine Lücke zwischen den anderen Pflanzen ausrichtet, orientieren sich Menschen und Betriebe an Vorschriften, Plänen, Rollenvorstellungen, Leitbildern, statt an den tatsächlichen Lücken und Engpässen. Was alle anderen auch wissen, können oder produzieren, ist so viel wert wie der Sand in der Wüste. Man muss lernen und produzieren, was die Kenntnisse, Fähigkeiten und Produkte der Mitbewerber ergänzt. Das Zielen auf Lücken hat eine doppelte Wirkung. In die Lücke hinein kann sich der Mensch bzw. Betrieb entfalten, ohne die Mitbewerber auf den Plan zu rufen und in Ruhe seine Stärken ausbauen. Nicht in die Breite und Perfektionierung des Marktes oder Fachgebietes, sondern Konzentration auf die Bearbeitung der zentralen Probleme und Zusammenhänge des jeweiligen Marktes. Bei der Entwicklung in die Breite und der Perfektionierung können Menschen bzw. Betriebe einander gegenseitig beeinträchtigen, während sie sich in Richtung auf die zentralen Probleme und Zusammenhänge unproblematischer entwickeln können und dabei zunehmend die Unterstützung durch andere finden werden. Menschen und Betriebe spezialisieren sich oft ziemlich wahllos auf die merkwürdigsten Dinge; bisher hat man sich in der Wirtschaft vorwiegend produktionsorientiert spezialisiert: auf bestimmte Rohstoffe, Techniken, Funktionen und Produkte. Diese Spezialisierung ist fragwürdig. Vorübergehend mag sich zwar ein Vorsprung einstellen, man mag sich vom Erfolg bestätigt sehen, wird möglicherweise arrogant, verpasst den Anschluss an die Entwicklung und fällt schließlich zurück. Die Bedeutung von Rohstoffen, Techniken, Verfahren und Funktionen verändern sich zu schnell, um auf Dauer tragfähig zu sein. Leistungs- und Produktionssteigerung wird gegenüber einer genauen Kenntnis und Befriedigung der Bedürfnisse der Verbraucher immer weniger wichtig. Deshalb sind nicht mehr die Betriebe mit den größten Produktionsanlagen, der größten Produktivität und der größten Produktionsmenge am erfolgreichsten, sondern diejenigen, denen es gelingt, die Grundbedürfnisse einer bestimmten Zielgruppe effizient zu befriedigen.

12.1.5 Ermittlung von Grundbedürfnissen Wirtschaftszweige sind häufig auf bestimmte Rohstoffe, Verfahren, Produkte o. ä. spezialisiert. Da aber die Bedürfnisse und Anforderungen der Verbraucher einem stetigen Wandel unterliegen, der eine Anpassung der Rohstoffe, Verfahren und Produkte erfordert, ist ihr Niedergang nur eine Frage der Zeit. Es wird in Zukunft wichtig werden, sich nicht auf die Branche, sondern auf die Ermittlung der Grundbedürfnisse potenzieller Kunden zu konzentrieren. Zweck jeder wirtschaftlichen Tätigkeit ist es, die Grundbedürfnisse der Verbraucher immer besser zu befriedigen. Einzig der Vorsprung in dieser Richtung ist maßgeblich für Gewinn und Sicherheit. Produkte, Betriebe und Technologien sind lediglich Mittel, die Grundbedürfnisse einer klar definierten Zielgruppe immer exakter zu

488

12

Von der Idee zum Businessplan

erfüllen. Wer sich ausschließlich auf die Verbesserung seines Produktes konzentriert, verpasst neue Marktchancen. Die Produkte und Techniken sind vielfach bis zur übertriebenen Perfektion entwickelt worden und nur noch mit hohem Kosteneinsatz zu verbessern. Neue Marktpotenziale eröffnen neue Denkrichtungen, die zwischen den vorhandenen Produkten und Grundbedürfnissen, die sie erfüllen sollen, riesige und leicht zu erschließende Service-Möglichkeiten aufzeigen. Ermittlung der Grundfunktion Zur Befriedigung eines Grundbedürfnisses sind zahlreiche Betriebsfunktionen nötig. Die wichtigsten sind Rohstofferzeugung, Veredelung, Großhandel, Einzelhandel, Verbraucherservice (Kundendienst), Information, Beratung und sonstige Dienstleistungen. Die verbrauchernahen Betriebsfunktionen sind vorzuziehen, weil mit der stetig fortschreitenden Automatisierung die Konkurrenz in den Erzeugungs- und Herstellungsfunktionen immer härter wird. Hierin liegt die Ursache für das Aufblühen des Dienstleistungssektors, während der Bereich „Erzeugung und Herstellung“ schrumpft. In verbrauchernahen Betriebsfunktionen wie Information, Kundendienst, Finanzierung usw. werden mit geringeren Investitionen und Risiken größere Gewinne erzielt. Um diese Arbeit leisten zu können, müssen wir uns klar werden über die • Zusammensetzung der Zielgruppe • Bedürfnisse der Zielgruppe • Kaufgewohnheiten der Zielgruppe • Gebrauchsgewohnheiten der Zielgruppe • Potenziale der möglichen Mitbewerber • Bekanntheitsgrad unseres Angebots • Image unserer Leistungen und Produkte • Verteilung der Marktanteile pro Anbieter • Stärken und Schwächen der Konkurrenten.

12.1.6 Kernsätze der EKS • Strategie ist die Ökonomisierung des Kräfte-Einsatzes im Hinblick auf ein grundsätzliches Ziel. • Nicht die Größe der Kräfte, Anstrengungen und Mittel entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Ausschlaggebend ist vielmehr die Strategie, also wie die vorhandenen Kräfte und Mittel eingesetzt werden.

12.2 Szenario-Technik

489

• Einen „zwingenden Nutzen“ zu bieten heißt, etwas anzubieten, das zur Lösung eines brennenden Problems notwendig gebraucht wird. • Bei einer Zielgruppe das Image zu haben, für eine bestimmte Problematik der optimale Partner zu sein, beflügelt die persönliche und geschäftliche Entwicklung. • Verdrängungswettbewerb, Preiskampf, „hard selling“, die Konkurrenz in allem nachahmen? Was wäre nach der EKS die Alternative? Bedürfnislücken aufspüren, eine bessere (neue) Problemlösung bieten, sich spezialisieren und kooperieren. • Die Erfolgreichen sind nicht deshalb erfolgreicher, weil sie auf vielen Gebieten qualifizierter sind als andere, sondern weil sie auf einem speziellen Gebiet die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe besser kennen und befriedigen. • Der Königsweg zum Erfolg: Nicht primär die eigenen Probleme lösen wollen, sondern das jeweils „brennendste“ Problem der sorgfältig ausgewählten Zielgruppe. • Die EKS-Strategie führt weg von der „ego-zentrischen“, d. h. ausschließlich der am eigenen Gewinn orientierten Verhaltensweise hin zu einem „sozio-orientierten“ Verhalten, das auf die Steigerung des Nutzen für eine bestimmte Zielgruppe und die Umwelt gerichtet ist. Nach diesen Vorüberlegungen geht es nun um die Entwicklung der Idee zur Planung. Nicht immer ist es notwendig, den dargestellten ausführlichen Weg einzuschlagen. Sind die Rahmenbedingungen bekannt und überschaubar, können auch die anschließenden Konzepte, Planungsprozess in 12 Schritten und Rahmenkonzept für Projektentwicklung hilfreiche Werkzeuge sein.

12.2 Szenario-Technik Erstellung eines Zukunftsszenarios Stellen Sie sich vor, Sie sind im Kulturmanagement tätig und wollen eine neue Unternehmenskonzeption entwickeln. Zunächst brauchen Sie einen Überblick über den Bedarf an Kulturangeboten in den kommenden fünf Jahren. Ein bewährtes Verfahren zur Gewinnung von Annahmen über zukünftige Entwicklungen ist die Szenario-Technik. Ein Szenario in dem hier verwendeten Zusammenhang beschreibt ein Bild, eine Vorstellung darüber, was wahrscheinlich in der Zukunft geschehen wird. Die Kombination von Fachwissen und Intuition hilft, Vorstellungen und Annahmen über den anzunehmenden Erfolg oder Misserfolg neuer Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln und Fehlentscheidungen zu vermeiden. Die Szenario-Technik geht wesentlich weiter als ein Brainstorming. • Definieren Sie die Untersuchungsfelder, die Sie im Hinblick auf künftige Entwicklungen untersuchen wollen.

490

12

Von der Idee zum Businessplan

• Erstellen Sie für die gewählten Untersuchungsfelder drei unterschiedliche Szenarien mit dem Blickwinkel, die Dinge würden sich positiv, negativ oder normal entwickeln. Haben Sie Mut, auch scheinbar entlegene Gedanken aufzuschreiben. • Bewerten Sie in allen Szenarien Ihre Annahmen im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit des künftigen Eintretens. • Wählen Sie die Annahmen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit, markieren Sie diese und formulieren Sie auf deren Basis Ihr Zukunftsszenario. • Überlegen Sie, welche Auswirkungen dieses Szenario auf Ihre Organisation oder Ihre Ideen haben könnte. Führen Sie eine Stärken-Schwächen-Analyse (SWOT) durch. Anmerkung: Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den beiden letzten Punkten können Sie später die Vision, die Mission und die Ziele Ihres Projektes formulieren. Anwendung der Szenario-Technik Fallbeispiel: Bedarf an Kulturangeboten in den kommenden fünf Jahren Untersuchungsfelder

positiv

normal

negativ

Gesellschaft

• Bedarf an Kultur wächst mit zunehmendem Einkommen. • Die Menschen 50+ haben Geld und Neigung für Kultur. • Die Zielgruppe „Junge Familie“ kann für spezielle Kinder-Kulturangebote gewonnen werden.

• Der Bedarf an • Bedarf an Subkultur Kultur wird nicht wächst. wachsen: Konsoli- • 50+-Generation dierungsphase. muss haushalten: • Die 50+-Generakeine Steigerung. tion hält ihr Geld • Die junge Famizusammen: keine lie hat zunehmend Steigerung. weniger Geld, Kos• Die junge Familie ten des täglichen muss zunächst in Bedarfs steigen. die Deckung des Grundbedarfs der Kinder investieren.

Wirtschaft

• Wirtschaftswachs- • Wirtschaftswachs- • Wirtschaftswachstum geht weiter tum stabilisiert sich. tum nimmt ab. voran. • Arbeitslosigkeit • Arbeitslosigkeit • Arbeitslosigkeit bleibt großes Prosteigt wieder an. geht zurück. blem. • Kulturaustausch • Globalisierung • Der Kulturausbleibt auf wenige fördert den Kulturtausch zwischen Gebiete beschränkt. austausch zwischen den Ländern wird den Ländern. nicht zunehmen.

12.2 Szenario-Technik

491

Untersuchungsfelder

positiv

normal

negativ

Kultur

• Klassische deutsche • Die Beliebtheit • Internationale „Hochkultur“ hat deutscher Kultur Kultur verdrängt Konjunktur im stagniert. deutsche Angebote. Ausland. • Die Wahrneh• Die sog. Trans• Die positiven Wirmung der positiven ferwirkungen von kungen kultureller Seiten der KulKulturarbeit sind Betätigung auf turarbeit muss den Politikern die Entwicklung permanent erklärt gleichgültig. der Gesellschaft werden. Politiker • Tourneetheater im werden anerkannt. sind ängstlich. Medienzeitalter • Tourneetheater sind • Tourneetheater sind ein Anachrostärker im Ausland wachsen wegen der nismus. gefragt. Sprachbarrieren nur begrenzt.

Politik

• Die Kulturarbeit wird wegen ihrer positiven Wirkungen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen stark gefördert. • Kultur wird als bedeutender Wirtschafts- und Standortvorteil für Deutschland erkannt und demzufolge gefördert. • Die musischen Unterrichtsfächer in den allgemeinbildenden Schulen werden gestärkt.

• Kernpunkt aller • Die Politik Fördermaßnahmen entzieht sich zubleiben die Finannehmend der zen. Die Politiker Kulturförderung versuchen die Quaaus Kostengründratur des Kreises. den. Sponsoren • Die Frage nach gewinnen! dem Mehrwert der • Mehrwert der Kulturarbeit bleibt Kulturarbeit wird strittig. belächelt. • Eine Verbesserung • Musische Fächer der Unterrichtswerden zugunsten situation in den der Naturwissenmusischen Fächern schaften weiter ist wegen Mangels zurückgedrängt. an Lehrern nicht möglich.

492

12

Von der Idee zum Businessplan

Untersuchungsfelder

positiv

Technologie

• DVD und Internet • DVD und Internet popularisieren Kulwerden begrenzt turangebote in der für Kulturkonsum Breite der Gesellgenutzt. schaft. • Exklusive Kultur• Durch DVD und angebote werden Internet werden von mehr Menexklusive Kulschen als bisher turangebote für möglich konsujedermann zumierbar. gänglich. Die • Preiswerte Flüge Demokratisierung stärken die Bereitder Kultur beginnt. schaft zum Kultur• Preiswerte FlugverTourismus. bindungen fördern den Kultur-Tourismus.

• Die Neuen Medien werden nur für billige Unterhaltung genutzt. • Exklusive Angebote im Pop-Bereich nehmen zu und finden Akzeptanz. • Zunehmender Flugverkehr verstärkt die Umweltverschmutzung und behindert die Akzeptanz des Kultur-Tourismus.

Märkte

• Der Musical-Markt • Musical bleibt sehr wächst weiter. beliebt. • Open-Air• Open-Air-KonzerKonzerte im Klaste mit Weltstars sikbereich nehmen sind im Kommen. zu. • Innovationen wird es mit und ohne Independent-Productions geben.

• Musical stagniert. • Kein Geld für kostspielige Open-AirEvents. • Nur Mainstream verkauft sich noch in anständigen Zahlen.

Märkte

• IndependentProduktionen im Musikbereich sorgen für Innovationen. • Es sind zu• Es gibt überall • Zu viele Kulturnehmend gut in Deutschland managementausgebildete KulStudiengänge für Studiengänge, aber turmanager zu Kulturmanagement. zu geringes Profil. finden. • Das Wirtschaftli• Die Bilanz ent• Künstlerische und che dominiert den scheidet über das ökonomische KomKulturbetrieb. Programm und die petenzen sind zwei • Multitasking und Inhalte. Seiten einer MedailMobilität sind ver- • Die Mitarbeiter le. breitet. sind gezwungen, • Mitarbeiter sind flexibel zu sein, mobil und multisind es aber uneinsetzbar. gern.

Mitarbeiter

normal

negativ

12.2 Szenario-Technik

493

Die fett gedruckten Felder zeigen Annahmen mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit und bilden die Basis für die Formulierung des Zukunftsszenarios. Zukunftsszenario: Bedarf an Kulturangeboten in den kommenden fünf Jahren • Die Altersgruppe der Generation 50+ wird in dreißig Jahren das bedeutsamste Zielgruppensegment in unserer Gesellschaft repräsentieren. Diese Zielgruppe verfügt über Geld und Zeit für die Nutzung anspruchsvoller Kulturprogramme. • Die junge Familie von heute stellt die Kulturprogramm-Konsumenten von morgen und wird durch entsprechende Angebote mittelfristig an die Inanspruchnahme hochwertiger Kulturprogramme herangeführt. • Infolge der Globalisierung und geringeren Flugkosten wird der internationale Kulturaustausch und Kulturtourismus ein bedeutendes Segment der Kulturarbeit werden. • Die Transferwirkungen intensiver Kulturarbeit auf das Sozialverhalten der Kinder und Jugendlichen und somit für die Entwicklung der Gesellschaft sind den Politikern vor dem Hintergrund zunehmender Gewaltbereitschaft und Gewaltausübung unter und von Jugendlichen wichtig. • Der Mehrwert kultureller Betätigung wird von der Politik anerkannt und die damit verbundenen Kosten als Investitionen in die Entwicklung der Gesellschaft gewertet. • Die synergetischen Wirkungen von Kultur und Wirtschaft sorgen für ein wirtschaftlich abgesichertes Wachstum und Vielfalt kultureller Angebote, gefördert durch eine ausreichende Anzahl gut ausgebildeter Kulturmanager. Um die Potenziale Ihres Unternehmens in diesem Szenario der Entwicklung neuer Geschäftsfelder im Kulturbereich besser einschätzen zu können, führen Sie eine SWOTAnalyse durch (entsprechend den folgenden Anleitungen):

494

12

Von der Idee zum Businessplan

12.3 SWOT-Analyse6 Das Akronym „SWOT“ steht für „Analysis of strengths, weakness, opportunities and threats“. Im deutschen Sprachgebrauch wird von der Stärken-Schwächen-ChancenRisiken-Analyse gesprochen. Mit der dahinterstehenden Methode kann eine Positionierungsanalyse der eigenen Aktivitäten gegenüber dem Wettbewerb durchgeführt werden, indem die Ergebnisse der externen Unternehmens-Umfeld-Analyse in Form eines Chancen-Risiken-Katalogs zunächst zusammengestellt und dem Stärken-Schwächen- Profil der internen Unternehmensanalyse gegenübergestellt werden. SWOT-Analyse Stärken? (strenghts)

Chancen? (opportunities)

Schwächen? (weaknesses)

Risiken? (threats)

In einem weiteren Schritt werden die jeweiligen Überschneidungen gefiltert, die dann in der jeweiligen SWOT-Matrix zur Darstellung gelangen. Die SWOT-Matrix zeigt die weiter ausbaufähigen Chancen auf, konkretisiert sowohl die Gefährdungen, gegen die sich die Unternehmung zur Nutzung ihrer Stärken absichern sollte, als auch die Schwächen, die beachtet oder beseitigt werden sollten. Schließlich deckt sie auch jene Risiken auf, die es doppelt zu meiden gilt, da gerade in ihnen die internen Schwächen der Unternehmung mit den externen Risiken des Umfeldes zu einer doppelt gefährlichen Deckung kommen. SWOT-Matrix Umfeld Chancen

Risiken

Stärken

ausbauen

absichern

Schwächen

aufholen

meiden

Unternehmen

6

Vgl. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/326727/swot-analyse-v3.html.

12.3 SWOT-Analyse

495

Die Entwicklung einer SWOT-Analyse umfasst die externe Umweltanalyse und die interne Unternehmensanalyse. Während eine technologie- und innovationsorientierte Umweltanalyse zum Ziel hat, Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats) im Unternehmensumfeld zu erkennen, sollen mithilfe der Unternehmensanalyse eigene Innovationsstärken (Strengths) und Innovationsschwächen (Weaknesses) zur Realisierung einer erkannten Chance bzw. Handlungsstrategien zur Vermeidung einer aufgezeigten Gefahr identifiziert werden. Die SWOT-Analyse soll dazu beitragen, die Strategie für das Unternehmen festzulegen, die Ressourcen und Budgets richtig einzusetzen, Projekte anzustoßen und Maßnahmen zu ergreifen. Sie ist deshalb auch ein wichtiger Baustein des Businessplans oder Geschäftsplans. Wie wird eine SWOT-Analyse erstellt? Im unternehmerischen Bereich kann die SWOT-Analyse in einer kleinen Gruppe auf der Führungsebene oder im persönlichen Bereich von einer Einzelperson mit eventueller Unterstützung durch einen Coach durchgeführt werden. Unabhängig von den Spezifika des Unternehmens oder der Richtung der persönlichen Weiterentwicklung ist es ratsam, die SWOT-Analyse in vier aufeinander aufbauenden Schritten durchzuführen. 1) Zunächst erfolgt die interne Analyse, die darauf abzielt, eigene Stärken und Schwächen zu identifizieren. Diese können z. B. aus vorhandenen Fähigkeiten oder Ressourcen resultieren. Stärken (Strengths): • Faktoren oder Merkmale eines Unternehmens, die sich im Wettbewerb positiv auswirken können wie z. B. innovative Produkte, qualifizierte Mitarbeiter, technologisches Know-how, guter Standort, niedrige Fixkosten Schwächen (Weaknesses): • Faktoren und Merkmale, die für das Unternehmen im Wettbewerb nachteilig sein können wie z. B. geringe Finanzkraft, Abhängigkeit von Partnern, kein eigener Vertrieb, fehlendes Know-how. 2) Im nächsten Schritt werden mit der Umweltanalyse externe Chancen und Risiken untersucht. Dies ist von besonderer Bedeutung für die Früherkennung von Veränderungen im direkten oder weiteren Wettbewerbsumfeld. Chancen (Opportunities): • Faktoren oder Entwicklungen im Umfeld, die für das Unternehmen vorteilhaft sind oder Wachstumspotenziale aufweisen. Zum Beispiel: Trends in der Gesellschaft, Veränderungen im Kundenverhalten, technologische Entwicklungen, aus denen für das Unternehmen neue Produkte, Produktverbesserungen oder Absatz- bzw. Umsatzsteigerungen abgeleitet werden können.

496

12

Von der Idee zum Businessplan

Risiken (Threats): • Faktoren oder Entwicklungen im Umfeld eines Unternehmens, die sich nachteilig auf Absatz oder Umsatz auswirken können. Zum Beispiel: gesetzliche Änderungen, Veränderungen der Wechselkurse, Einstieg neuer Konkurrenten. In diesen Bereichen der Makro- und Mikro-Umwelt können die Untersuchungsfelder angelegt werden.

Makro- Umwelt Ökonomische Komponente Volks- und weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen

o- Umwelt M ik r Abnehmer

Soziokulturelle Komponente Gesellschaftsstruktur, z.B. Geschlecht, Alter

Physische Komponente Konkurrenten

Unternehmen

Absatzmittler

Technologische Komponente Forschung + Entwicklung

Lieferanten

Klimatische, geographische, infrastrukturelle Rahmenbedingungen

Absatzhelfer

Politisch-rechtliche Komponente Gesetzliche Rahmenbedingungen, z.B. Steuerrecht

3) Die Erkenntnisse aus den ersten beiden Schritten der SWOT-Analyse werden mithilfe einer Vier-Felder-Matrix einander gegenübergestellt. Dadurch werden die wichtigsten positiven und negativen Einflusskräfte aus der Unternehmensanalyse und der Umfeldanalyse sichtbar.

12.3 SWOT-Analyse

497

Stärken – Strenghts Hier stehen Stärken des Unternehmens (im Vergleich zu Wettbewerbern)

Schwächen – Weaknesses Hier stehen Schwächen des Unternehmens (im Vergleich zu Wettbewerbern)

Chancen – Opportunities

Hier stehen Chancen oder Potenziale, die sich in Markt und Umfeld zeigen

Risiken – Threats

Hier stehen Risiken, die bestehen, oder Gefahren, die dem Unternehmen drohen

Abb. 12.1 Darstellung der Stärken (Strengths), Schwächen (Weaknesses), Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats) in einer Vier-Felder-Matrix

4) Daraus können konkrete strategische Handlungsoptionen für das Unternehmen oder die persönliche Lebensplanung abgeleitet werden, um zielführende Entscheidungen zu treffen. Die Analyse der Zusammenhänge erfolgt durch die Gegenüberstellung der internen und externen Unternehmensanalyse mithilfe der sogenannten SWOT-Matrix. Aus den verschiedenen Feldern der Matrix, die wiederum von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden, können strategische Überlegungen für das Unternehmen erarbeitet werden. Mit der kombinierten SWOT-Matrix werden Zusammenhänge zwischen Stärken und Schwächen einerseits und zwischen Chancen und Risiken andererseits sichtbar. Je nach-

Externe Analyse

Interne Analyse

Stärken – Strenghts

Schwächen – Weaknesses

Chancen – Opportunities

Strategie „ausbauen“

Strategie „aufholen“

Risiken – Threats

Strategie „absichern“

Strategie „vermeiden“

Abb. 12.2 Beziehung zwischen Stärken und Chancen bzw. Risiken sowie zwischen Schwächen und Chancen bzw. Risiken

498

12

Von der Idee zum Businessplan

dem, welche Merkmale des Unternehmens mit ausgewählten Merkmalen des Umfelds in Verbindung gebracht werden, lassen sich für die Strategieplanung allgemeine Richtungen ableiten und in den vier Feldern der Matrix darstellen. Vorgehensweise bei der Erstellung einer SWOT-Analyse Für die SWOT-Analyse werden Informationen recherchiert, die das Geschehen im Umfeld des Unternehmens und im Markt beleuchten. Hierzu gehören: Kundenanforderungen, technologische Entwicklungen, gesellschaftliche Trends (Werte, Ziele), Politik, wirtschaftliche Entwicklung und gesetzliche Rahmenbedingungen. Außerdem werden Informationen erhoben, die den Zustand im Unternehmen beschreiben: Kernkompetenzen, Know-how, Kundenbeziehungen, Marken, Produkte, Serviceleistungen, Abläufe, finanzielle Ausstattung und Partnerschaften. Internes Umfeld: Dazu zählen die individuellen Stärken und Schwächen des Unternehmens wie zum Beispiel Finanzen, Personal, Patente, Image, Erfahrung, Unternehmenskultur, Motivation, Führungsqualität. Diese Faktoren sind in der Regel in jedem Unternehmen anders (selbst innerhalb der gleichen Branche). Externes Umfeld: Dazu zählen Veränderungen im politischen, kulturellen, rechtlichen, technologischen und internationalen Bereich. Das wird besonders deutlich bei neuen Technologien, die zum Risiko werden können, wenn man sie ignoriert, oder auch neue Chancen bieten, wenn das Unternehmen sich früher als der Wettbewerb darauf einstellt. Die folgenden Fragen helfen, Zusammenhänge zwischen den Stärken und Schwächen des Unternehmens sowie Chancen und Risiken im Umfeld zu identifizieren, und erleichtern die Zuordnung der Merkmale und Einflussfaktoren zu den vier Strategiefeldern. Strategie „Ausbauen“ • Welche Stärken passen zu welchen Chancen? • Wie können Stärken die Chancenrealisierung erhöhen? • Welche Geschäftsfelder oder Produktbereiche kann das Unternehmen erweitern?

Strategie „Aufholen“ • Wo können aus Schwächen Chancen entstehen? • Wie können sich Schwächen zu Stärken entwickeln? • Welche Schwächen sollten verbessert werden? • In welchen Geschäftsfeldern oder Märkten muss das Unternehmen aufholen?

12.3 SWOT-Analyse

499

Strategie „Absichern“ • Welchen Risiken kann das Unternehmen mit welchen Stärken begegnen? • Wie können Stärken den Eintritt bestimmter Risiken abwenden? • In welchen technischen oder organisatorischen Bereichen muss sich das Unternehmen absichern?

Strategie „Vermeiden“ • Wo treffen Schwächen auf Risiken? • Welche Gefahren erwachsen dadurch dem Unternehmen? • Wie kann das Unternehmen dennoch vor Schaden geschützt werden? • Welche Aktivitäten sollte das Unternehmen vermeiden oder nicht mehr ausüben? Anschließend lassen sich daraus Strategien und Handlungsfelder für das Unternehmen ableiten. Zum Beispiel: • Stärke-Chance-Kombination „ausbauen“: Ressourcen sollten eingesetzt werden, um Chancen im Markt für Investitionen, zusätzliche Budgets sowie für neue Projekte oder Produkte zu nutzen. • Schwäche-Risiko-Kombination „vermeiden“: Das Unternehmen ist möglicherweise ernsthaft gefährdet. Es müssen Projekte initiiert werden, um Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Das Unternehmen muss sich gegebenenfalls aus den entsprechenden Bereichen zurückziehen. • Schwäche-Chance-Kombination „aufholen“: Es muss entschieden werden, ob das Unternehmen die Ressourcen aufbringen kann oder will, um die Chancen in diesem Bereich zu nutzen, obwohl die internen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind. • Stärke-Risiko-Kombination „absichern“: Maßnahmenpläne werden entwickelt, um Risiken zu begrenzen und Gefahren abzuwenden. Möglicherweise können die Risiken zu Chancen umgewandelt werden. Hier noch eine andere Möglichkeit der Darstellung der Strategien, welche aus der SWOTMatrix abgeleitet werden können:

500

12

Von der Idee zum Businessplan

SWOT – Typologie von Strategien Externe Faktoren Interne Faktoren

Opportunities 1. 2. 3.

Threats 1. 2. 3.

Strenghts 1. 2. 3.

SO-Strategien

ST-Strategien

Weaknesses 1. 2. 3.

WO-Strategien

WT-Strategien

Abb. 12.3 SWOT – Typologie von Strategien

SO-Strategien: Chancen identifizieren, die zu den Stärken der Organisation passen. Diese Kombination stellt den Idealfall dar (S-O-Strategie: „ausbauen“). WO-Strategien: Interne Schwächen beseitigen, um externe Chancen zu nutzen, Schwächen in Stärken zu verwandeln, um eine SO-Position zu ermöglichen (W-O-Strategie: „aufholen“). ST-Strategien: Stärken nutzen, um externen Risiken zu begegnen, bisherige Erfolge verteidigen (S-T-Strategie: „absichern“). WT-Strategien: Interne Schwächen reduzieren, Auswirkungen von Umweltrisiken minimieren (= W-T-Strategie: „vermeiden“). Grundsatz: „Stärken ausbauen und Schwächen verringern.“ Anwendung anhand eines Fallbeispiels aus der Automobilindustrie7 Ein Automobilhersteller möchte wissen, welche Strategie verfolgt werden kann, um die Umsätze und Gewinne zu steigern und die Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten. Hierzu möchte das Unternehmen u. a. folgende Fragen klären: • Welche Rolle sollen Innovationen in Zukunft spielen? • In welchen Geschäftsfeldern sind Innovationsschwerpunkte zu finden? 7

Anm.: Das hier vorgestellte Beispiel stammt aus einer Fallstudie von Hilzensauer, W. und Schaffert, S. (2009). Wikis und Weblogs bei Sun Microsystems. In: back, A., Gronau, N. und Tochtermann, K. (Hrsg.), Web 2.0 in der Unternehmenspraxis: Grundlagen, Fallstudien und Trends zum Einsatz von Social Software. S. 203–212.

12.3 SWOT-Analyse

501

• Welche neuen Geschäftsfelder soll es durch Innovationen fördern und aus welchen aussteigen? • Welche Chancen können durch die Einführung neuer Geschäftsmodelle eröffnet werden? • Wie soll das Unternehmen in Zukunft in die Märkte eintreten - wie früher als Pionier neue Märkte erschließen oder bessere Produkte in bestehende Märkte einführen? Die Beantwortung dieser Fragen führt schließlich zur Entwicklung der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken des Unternehmens: Stärken

Schwächen

· Produktqualität um ca. 25% erhöht

· Wenige strategische Allianzen

· Hohe Flexibilitätspotenziale in der Fertigung

· Konkurrenz X setzt in den USA mehr Komfortlimousinen ab

· Forschungs- und Ingenieurzentrum

· Überdurchschnittliches Lohnniveau im Vergleich zu ausländischen Herstellern

Chancen

Risiken

· Dichter werdender Stadtverkehr erfordert neue, kompakte Fahrzeugkonzepte

· Japanische Konkurrenz erweitert Angebot im Bereich Komfortlimousinen

· Immer mehr junge Menschen können sich eine Komfortlimousine leisten

· Erhöhte Sensibilität der Gesellschaft gegenüber Ökologieproblemen

· Wiedervereinigung ermöglicht den Aufbau von Werken in Ostdeutschland

· Starke Auslastungsschwankungen in der Automobilbranche

Abb. 12.4 Formulierung der wichtigsten Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken

502

12

Von der Idee zum Businessplan

Daraus ergeben sich für das Unternehmen vier Felder, denen sich unterschiedliche Strategien zuordnen lassen.

Schwächen

Stärken

Chancen · Dichter werdender Stadtverkehr erfordert neue, kompakte Fahrzeugkonzepte · Immer mehr junge Menschen können sich eine Komfortlimousine leisten · Wiedervereinigung ermöglicht den Aufbau von Werken in Ostdeutschland

· Produktqualität um ca. 25% erhöht

· Wenige strategische Allianzen

· Hohe Flexibilitätspotenziale in der Fertigung

· Konkurrenz X setzt in den USA mehr Komfortlimousinen ab

· Forschungs- und Ingenieurzentrum

· Überdurchschnittliches Lohnniveau im Vergleich zu ausländischen Herstellern

Stärken/Chancen-Strategie

· Markteinführung der Komfortlimousine X1

· Erhöhte Sensibilität der Gesellschaft gegenüber Ökologieproblemen · Starke Auslastungsschwankungen in der Automobilbranche

· Aufbau und Erweiterung eines Werkes in Thüringen

· Aufbau und Erweiterung eines Werkes in Thüringen · Entwicklung eines Kleinwagens für den Stadtverkehr

Stärken/Risiken-Strategie

Risiken · Japanische Konkurrenz erweitert Angebot im Bereich Komfortlimousinen

Schwächen/Chancen-Strategie

Schwächen/Risiken-Strategie

· Aufnahme der RoadsterFertigung in den USA

· Aufnahme der RoadsterFertigung in den USA

· Angebot einer hohen Ausstattungsvielfalt in der Kompaktklasse

· Übernahme des Unternehmens Z und damit Konzernwachstum, Gewinnung einer zweiten Marke und Diversifikation

· Übernahme des Unternehmens Z und damit Konzernwachstum, Gewinnung einer zweiten Marke und Diversifikation

· Entwicklung eines Kleinwagens für den Stadtverkehr

Abb. 12.5 Ableitung konkreter strategischer Handlungsempfehlungen

Datenquellen für die Recherchen Beispiele für externe Datenquellen: • Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts und der Statistischen Landesämter • Veröffentlichungen sonstiger amtlicher und halbamtlicher Institutionen (z. B. Daten von Ministerien, kommunalen Verwaltungsstellen, der Bundesbank, der Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern) • Veröffentlichungen von Wirtschaftsverbänden und -organisationen (z. B. Bundesverband der Deutschen Industrie)

12.3 SWOT-Analyse

503

• Veröffentlichungen wirtschaftswissenschaftlicher Institute und Universitäten (z. B. Ifo Institut für Wirtschaftsforschung im München, Institut für Weltwirtschaft in Kiel oder das Hamburger Weltwirtschaftsarchiv (HWWA)) • Veröffentlichungen von Banken und Analysten • Veröffentlichung von Verlagen in Form von Büchern, Fachzeitschriften und Zeitungen • Veröffentlichungen firmenspezifischer Art wie Geschäftsberichte, Firmenzeitschriften, Kataloge und Werbemitteilungen • Informationsmaterial von speziellen Informationsdiensten, Beratungsfirmen und Marktforschungsinstituten • Besuch von Fachtagungen und Kongressen • Internet-Fachportale Beispiele für interne Datenquellen: • Unterlagen der Kostenrechnung (z. B. Absatz- und Vertriebskosten, Deckungsbeiträge (absolut, relativ, zeitliche Entwicklung) • Allgemeine Statistiken (z. B. Umsätze insgesamt, nach Produktgruppen, Artikeln, Kunden, Vertretern, Gebieten oder Perioden) • Kundenstatistiken (z. B. Kunden nach Art, Größe und Gebiet, Auftragsgrößen, Vertriebswege, Reklamationen, Mahnungen) • Berichte und Meldungen des Außendienstes (z. B. Besuchsberichte) Hier das Beispiel einer Muster-SWOT-Analyse zum Thema „Welche Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken sehen wir für unser Vorhaben, Problemlöser für PC-Anwender zu werden?“

504

12

Von der Idee zum Businessplan

Aspekte

Stärke (Strength)

Weakness (Schwäche)

Gesellschaft

• PC bald in jeden Haushalt

• Wir haben • Das Stammnicht genügend personal kennt Fachleute für weitere FachPC. leute.

Umwelt

• Wir entsorgen • Der Entsorger • Wir können • Bei zu geden PC-Schrott sitzt zu weit von den Entsorringem korrekt uns entfernt. ger gewinnen, Auftragsvonäher an uns lumen macht heranzurücken. der das nicht. • Unsere Mitar• Selbständige • Wir behandeln • Die Gesetzgebeiter sind alle können von die Spezialisten bung wird noch selbständig. heute auf morbesonders gut restriktiver. gen weg sein! (menschliche Bindung).

Politik

Opportunities (Chancen)

Threats (Risiken) • Gefahr der Abwerbung ist groß!!!

Wirtschaft

• Die ständigen • Die meisten Be- • Nicht alle werSoftwareuptriebe werden den mit ihren dates sind unser schon ihren Problemlösern bester Auftrag„Problemlöser“ zufrieden sein. geber. unter Vertrag • Wir müssen • Kleinst- und haben. zeigen, wo wir Mittelständi• Markt bereits besser sind als sche Betriebe besetzt. die Mitbewerbevorzugen exber. terne Hilfe statt eigener Leute.

• Die Betriebe wollen nicht wechseln. Der Aufwand der Einarbeitung erscheint ihnen zu groß.

Finanzen

• usw.







Technologie

• usw.







Aus diesen Anmerkungen werden die Schwerpunktannahmen herausgefiltert. Im Protokoll der folgenden in Gruppenarbeit durchgeführten SWOT-Analyse zum Thema „Kultur in der Region“ sieht man den Extrakt aus einer Vielzahl von Anmerkungen. Diese SWOT-Analyse wurde unter Verwendung der Pinwand-Technik mit 30 Teilnehmern durchgeführt.

12.3 SWOT-Analyse

505

Thema: „Erlebnis Kultur im . . . Wie sehen unsere Potenziale aus?“ Teilnehmer

Stärken

Kreis

auf Hauptverfinanzieller Rahkehrslinien starkes men ÖPNV-Angebot∗ schlechte Erreichbarkeit abgelegener Ziele (vor allem an Wochenenden/ Ferien) Besucherzahlen Museen Mehrere Häuser werden neu konzipiert.

Schwächen

Besucherzahlen Museen Es fehlt ein durchschlagendes Kulturmarketing.

Es gibt viele herausragende Kultureinrichtungen.

Chancen

Risiken

In den Schulferien und an Wochenenden sind vorhandene Busse anderweitig einsetzbar.

Kreis als „Ausfallbürge“ bei Misserfolgen Ergreifen der falschen Maßnahmen

Besucherzahlen Museen Gezielte Maßnahmen zur Verbesserung des Marketings werden die Besucherzahlen voraussichtlich steigern.

Beeinträchtigung der Bevölkerung durch zu viele Ausflügler

kein finanzieller Mehraufwand Tagestourismus grundsätzliche Nachfrage Bedarf Land

vorhandene regionale Identität, Überschaubarkeit Verkehrsmittel Angebote bestehen im Wesentlichen. Regionalbahn leistungsstarker (Mobilitäts-)Partner ab 20XX mit überregionalen Verbindungen ∗

Tagestourismus zu wenig Pauschalangebote, Entlegenheit der Region Unsere speziellen Regionen sind „anders“. Verknüpfung fehlt teilweise.

Tagestourismus Gute Verkehrsmittel könnten gute Erreichbarkeit sichern. verbesserte Lebens- und Urlaubsqualität Zeit ist reif für gelebte, verstärkte Kooperation. umfassender Mar- Projekt wird zum ketingansatz im durchschlagenden Unternehmen Erfolgsmodell. noch nicht Allgemeingut, Großzügigere greifbare Erfolge Unterstützung bald nötig durch Regiobahn ist möglich!

ÖPNV = Öffentlicher Personen-Nahverkehr

mangelnde Professionalität der Akteure „Kümmerer“ fehlt, es bleibt bei Lippenbekenntnissen. Projekt wird zu langsam entwickelt und umgesetzt. Aufwand-Nutzen-Verhältnis ungünstig

506

12

Von der Idee zum Businessplan

Teilnehmer

Stärken

Schwächen

Chancen

Risiken

Naturschutzorganisation

Vielzahl der kulturell wertvollen Einrichtungen und Angebote

unterschiedliche finanzielle Voraussetzungen und Ressourcen in den Einrichtungen

Museum

• breites institutionelles Angebot • bekannte, weil „eingefahrene“ kulturelle Marken • bekannte Häuser und Institutionen

Kunsthaus

• internationale • Randlage Kontakte • geringer Be• finanzielle Unkanntheitsgrad abhängigkeit. • repräsentative Räumlichkeiten • optimale wissenschaftliche Arbeitsbedingungen • Sammlung internationaler Formate

• Zentrum in• Kann dem ternationaler selbst gestellBegegnung und ten Anspruch Forschung Genüge getan • Aufwertung der werden? Kulturregion NF • stärkeres Bewusstsein für die Kulturregion „Westküste“

Brauerei „Quelle“

• attraktive, überregional bekannte Kulturstätte • innovatives Programm auf Großstadtniveau

• durch Synergien mit anderen Partnern Programmoptimierung in Qualität und Finanzierung • Erfahrungsaustausch

Bündelung von fi- Bedenkenträgernanziellen Mitteln motto: „Die süßesten Früchte Profil für die fressen nur die Region (neben großen Tiere . . . “ Naturerlebnis) • Anpassungs• krisenfeste • Allgemeine bedarf/ politische und wirtschaftliche Modernisiegesellschaftliche Entwicklung rungsbedarf Entwicklung wirkt sich be(Charme ver• finanzielle Auslastend aus gangener Jahre, richtung auf (Zahl der der mitunter Realität Urlaubstage, nur wenig konFeiertage, freie kurrenzfähig finanzielle Mitist) tel). • Verkehrsinfrastruktur OstWest

• Standort nicht optimal erreichbar • Kurort hat kein einheitliches Verwaltungskonzept für Kultur

Keine!

Die Aspekte der folgenden SWOT-Analyse sind aus den Sätzen des Zukunftsszenarios gewonnen worden (vgl. die unterstrichenen Begriffe auf S. 421). Wie sehen wir unsere Potenziale im Falle der Realisierung neuer Geschäftsfelder im Kulturbereich unter Würdigung der Aspekte des Zukunftsszenarios.

12.4 Vision – Mission – Leitbild

507

Bedarf an Kulturangeboten in den kommenden fünf Jahren Aspekte (aus dem Zukunftsszenario)

Strength

Weakness

Opportunities

Threats

Angebote für die Generation 50+ Hochwertige Programme zu erschwinglichen Kosten für die junge Familie Internationaler Kulturaustausch Transferwirkungen von Kulturarbeit verdeutlichen dem Bewusstsein für den Mehrwert kultureller Betätigung Geltung verschaffen wirtschaftliche und künstlerisch vielfältige Angebote entwickeln Attraktivität des Kulturbereichs für gut qualifizierte Führungskräfte erreichen

Entscheiden Sie, welche Stärke, Schwäche, Chance oder Gefahr in welchem Aspekt mit der höchsten Eintrittswahrscheinlichkeit zu sehen ist. Verwenden Sie diese Erkenntnisse als Material zur Formulierung der noch folgenden Mission und für die Entwicklung konkreter Projektziele.

12.4 Vision – Mission – Leitbild 12.4.1 Vision Die Vision umfasst die Beschreibung, wie etwas in Zukunft sein soll, insbesondere die Beschreibung der langfristigen Unternehmensentwicklung oder der Entwicklung der Organisation als Orientierung für die Unternehmensstrategie.

508

12

Von der Idee zum Businessplan

Die wichtigsten Merkmale eines guten Vision-Statements: • Optimal sind 10 bis 15 Wörter (ohne Präpositionen). • Der Zeithorizont beträgt drei bis fünf Jahre, manchmal auch länger. • Das Vision-Statement steht im Präsens. Holen Sie die Zukunft ins Heute! Beispiel 1: Vision des Handelsunternehmens ALDI „Wir verkaufen qualitativ hochwertige Produkte des täglichen Bedarfs möglichst preiswert.“ Beispiel 2: Vision des UK National Audit Office (Rechnungshof des Ver. Königr.) „Wir fördern den höchsten Standard in Finanzmanagement und -berichterstattung, die ordnungsgemäße Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben und positive Entwicklungen bei der Bereitstellung öffentlicher Leistungen.“ Beispiel 3: Vision von Siltronic „Mit ‚perfect silicon solutions‘ im Wettbewerb stets eine Generation voraus sein und für unsere Kunden, Mitarbeiter und Anteilseigner dauerhafte Werte schaffen.“ Beispiel 4: Vision „Jedem Kind ein Instrument (JEKI)“ „Jedes Kind in Deutschland kann im Rahmen der schulischen Bildung kostenfrei ein Musikinstrument erlernen.“

Vision Ihres Unternehmens:

12.4.2

Mission

Die Mission ist der Auftrag einer Organisation oder eines ihrer Teile, die Beschreibung ihres Zweckes, der ihre Existenz rechtfertigt. Die „Mission“ ist typischer Inhalt eines

12.4 Vision – Mission – Leitbild

509

Leitbildes, das heute als notwendiger Bestandteil guten Managements anerkannt ist, und beschreibt nicht nur die Erbringung von Leistungen, sondern deren Wirkungen. Mission Statement Die wichtigsten Merkmale eines guten Mission-Statements: • Der Zweck der Organisation steht im Fokus. • Die Mission beschreibt konkrete Ziele. • Es ist konsistent mit der tatsächlichen Corporate Identity bzw. Corporate Culture. • Der Text ist kurz und leicht verständlich. • Anstelle allgemeiner Phrasen werden konkrete Leitlinien vermittelt. • Der Ausblick ist optimistisch. • Häufig ist das Mission-Statement in der Wir-Form gehalten. Beispiele Google: „Wir organisieren den Zugang zu den Informationen der Welt und machen diese universell zugänglich und nutzbar.“ Amazon.com: „Wir bieten eine Plattform an, auf der die Kunden alles, was sie möglicherweise interessiert, entdecken und online erwerben können.“ McDonalds: „Wir stillen den ‚Appetit der Welt‘ nach qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln – gut zubereitet und zu erschwinglichen Preisen dargeboten.“ conmusica – Institute for Modern Music Education: „Wir ermöglichen den Zugang zu musikalischer Bildung und zum Musizieren ab dem vorgeburtlichen Stadium bis in den dritten Lebensabschnitt.“ Ferdinand-Braun-Institut für Höchstfrequenztechnik: „Wir erforschen Schlüsseltechnologien für innovative Anwendungen in der Mikrowellentechnik und Optoelektronik. Als Kompetenzzentrum für Verbindungshalbleiter arbeiten wir weltweit vernetzt und erzielen Forschungsergebnisse auf internationalem Spitzenniveau.“ Deutsche Fachpresse: „Die Deutsche Fachpresse versteht sich als moderne Marketing- und Dienstleistungsplattform für alle Anbieter von Fachinformationen im beruflichen Umfeld.“

510

12

Von der Idee zum Businessplan

Die Mission Ihres Unternehmens:

12.4.3 Leitbild Das Leitbild einer Organisation enthält, kurz und prägnant formuliert, die strategischen Ziele (Mission und Vision) und gibt Orientierung für die Art und Weise ihrer Umsetzung. Das ermöglicht allen Mitgliedern der Organisation die Identifikation mit den gewünschten Verhaltensweisen. Ziel eines Leitbildes ist die Entwicklung einer einheitlichen Identität, in der alle vorhandenen Arbeits- und Lebenskulturen einer Organisation auf die gemeinsame Zielsetzung ausgerichtet werden. Die Entwicklung eines Leitbildes steht deshalb im Spannungsfeld von Altem und Neuem. Wie können Bewährtes erhalten – wie vorhandene Defizite abgebaut werden? Wie kann eine einheitliche Kultur des Arbeitens und des Miteinander-Umgehens geschaffen werden, ohne die motivierten Menschen zu verlieren, die sich in diesem Veränderungsprozess plötzlich nicht mehr wiederfinden? Das Leitbild steht auch in einem Spannungsfeld von top-down und bottom-up. Einerseits ist das Leitbild eine Vorgabe von „oben“, da die Unternehmensleitung die zukünftige Kultur des Unternehmens vereinheitlichen und strategisch entwickeln möchte. Andererseits ist das Leitbild nur erfolgreich, wenn es von „unten“ getragen wird. Es müssen daher möglichst viele Beschäftigte an der Entwicklung beteiligt und der Bezug zu allen Teilen der vorhandenen Kultur gefunden werden.

12.4.3.1 Wozu braucht ein Unternehmen ein Leitbild? Es bestimmt den mittelfristigen und langfristigen Kurs. Das Leitbild dient der Vereinheitlichung des Handelns im Unternehmen. Die Sollvorgaben fördern erwünschtes Verhalten: So kann aus den gegenwärtig unterschiedlichen Arbeitskulturen eine zukünftig einheitlichere Kultur erkennbar werden.

12.4 Vision – Mission – Leitbild

511

Das Unternehmensleitbild beinhaltet Grundsätze • zum Sinn und Zweck der unternehmerischen Tätigkeit • zu den allgemeinen Geschäftsprinzipien • zum Umgang mit Mitarbeitern, Kunden, Geschäftspartnern, Kapitalgebern, Mitbewerbern, Gesellschaft und Politik – etc.

12.4.3.2 Was ist ein Leitbild und woraus besteht es? Ein Leitbild stellt – bildlich gesprochen – eine „Broschüre“ dar, in der die Qualitäten eines Unternehmens beschrieben werden. Es hat einen kurzen Vorspann, der erklärt, um was es geht, und es zeigt die wichtigsten Kernaussagen eines Unternehmens auf. Vorteile, die von einem Leitbild ausgehen können, sind: • Erhöhung der Effektivität durch Konzentration auf das Wesentliche, d. h. auf die Kernwerte des Unternehmens, die es zu verwirklichen gilt • Bündelung der Energien im Unternehmen, und zwar von vielen diffus wirkenden Energien hin zu synergetisch wirkenden Kräften mit einem klaren Fokus • Sinngebung und Inspiration für alle Mitarbeiter/innen durch Zielklarheit, Ordnung, Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit • Effizienzsteigerung durch klare Vorgaben für das Verhalten in Bezug auf den Führungsstil, die interne und externe Zusammenarbeit sowie die Abwicklung von Projekten • Stärkung des Wir-Gefühls und der Identifikation mit dem Unternehmen • Stärkung des Vertrauens und Erhöhung der Glaubwürdigkeit durch Transparenz und Konsistenz in allen Erscheinungsformen • kulturstiftende und kulturfördernde Impulse • magnetische Anziehungskraft für qualifizierte Arbeitskräfte, Kunden, Konsumenten, Geschäftspartner Beschreiben Sie das Motto Ihres Unternehmens mit einem einzigen griffigen Satz oder Halbsatz – entwickeln Sie einen Slogan. Ein einprägsamer Ausspruch bringt das Leitbild auf den Punkt. Er ist kurz, prägnant, leicht zu merken und gibt wieder, was sich bei den Interessengruppen einprägen soll. Im besten Fall ist er aussagekräftig und unterscheidet sich deutlich von anderen Aussagen – z. B. der Mitbewerber. Hier einige Slogans aus dem Bildungs- und Sozialbereich: • Lernen mit Spaß (für eine Schule) • Neue Kraft für’s Leben (Arbeitsgemeinschaft Eltern und Kind) • Wir sind da, wenn Sie uns brauchen. (Caritas Sozialstationen ) • Leben mit Musik (conmusica – Institute for Modern Music Education)

512

12

Von der Idee zum Businessplan

12.4.3.3 Leitmotiv Das Leitmotiv ist die Präambel des Leitbildes und nennt die wichtigsten Dinge vorab. Es bringt den eigentlichen Sinn des Unternehmens auf den Punkt, indem es eine einfache Antwort auf die Frage „Warum gibt es uns?“ formuliert – nicht zu verwechseln mit „Was tun wir?“ Wenn Ihr Unternehmen eine lange Tradition hat oder aus einer konfessionellen beziehungsweise philosophischen Tradition entstand, können Sie im Leitmotiv daran erinnern. Das Leitbild selbst ist dann die moderne Übersetzung dieser Grundgedanken in praktisches, zukunftsgerichtetes Handeln. Das Leitmotiv . . . • drückt den Sinn des Unternehmens aus, z. B. den Nutzen für die Kunden • begründet, warum ein Unternehmen überhaupt besteht • drückt aus, welchen Beitrag das Unternehmen für die Gesellschaft leistet • kann beginnen mit: „Wir wollen . . . “

12.4.3.4 Leitsätze und ihre Erläuterungen Die Leitsätze sind das Herzstück eines Leitbildes. Sie treffen Kernaussagen über grundlegende Werte, Ziele und Erfolgskriterien des Unternehmens, bestimmen das Verhältnis zu zentralen Bezugsgruppen und formulieren die spezifische Kompetenz des Unternehmens. Die Leitsätze sind einfache Aussagen, in jeweils ein bis zwei Sätzen formuliert. Sie lesen sich häufig recht allgemein und sehr glatt, sind positiv formuliert und zukunftsgerichtet. Nur sehr selten werden hier konkrete Vereinbarungen getroffen. Ein Beispiel: „Wir wollen fair miteinander umgehen und kooperieren“. Erst in den etwas ausführlicheren Erläuterungen werden Leitsätze besser verständlich und präzise erklärt. Um bei dem oben genannten Beispiel zu bleiben, könnte der Begriff „fair“ erläutert und ein konkretes Ziel beschrieben werden: „Alle Mitarbeiter gehen im Konfliktfall offen aufeinander zu. Jeder bekommt die Chance, sich zu erklären und seine Sicht der Dinge darzulegen.“ Leitsätze müssen bestimmte Kriterien erfüllen, um verständlich zu wirken. Die Leitsätze können nach einer ersten Formulierung mit diesen Fragen überprüft werden: • Wesentlichkeit – Sind die getroffenen Aussagen wesentlich? • Allgemeingültigkeit – Sind die Leitsätze allgemein genug gehalten? • Langfristigkeit – Haben sie eine langfristige Perspektive? • Vollständigkeit – Bilden sie die Organisation vollständig ab? • Realisierbarkeit – Sind die Leitsätze realisierbar? • Klarheit – Sprechen sie eine klare Sprache?

12.4 Vision – Mission – Leitbild

513

Beim Formulieren von Leitsätzen ist zu achten auf • aussagekräftige Formulierungen • kurze und einfache Sätze • ehrliche Angaben • sachliche, treffende und zukunftsweisende Formulierungen • die direkte Ansprache durch „Wir-Aussagen“ und „Sie-Aussagen“ • einen einheitlichen Stil Beispiel für einen Leitsatz mit Erläuterungen: Leitsatz

Wir sorgen für ein gutes Schulklima.

Erläuterungen Das Wohlbefinden aller an unserer Schule tätigen Menschen ist uns wichtig. Es trägt dazu bei, die Ziele unserer Schule leichter zu erreichen. Mit Gemeinschaftserlebnissen im kulturellen, sozialen und sportlichen Bereich fördern wir ein gutes Schulklima.

12.4.3.5 Hilfreiche Fragen zur Entwicklung von Leitsatzthemen und -bereichen Hier eine Reihe von Fragen, die sowohl Elemente der internen Organisation abbilden als auch die Beziehungen zum gesellschaftlichen und sozialen Umfeld berücksichtigen. Jede Einrichtung hat etwas Besonderes – Spezifika, die durch ihren internen Aufbau oder ihre besondere Stellung in einer Stadt oder Kommune gewachsen sind. • Wofür stehen wir? Wer sind wir? • Was sind die Stärken der Mitarbeiter? • Wie wollen wir miteinander umgehen? • Qualität der Dienstleistung: Was verstehen wir unter Qualität? • Führung: Wie wollen wir geführt werden? Welchen Führungsstil streben wir an? • Wie wollen wir uns nach außen verhalten? • Informieren und Kommunizieren: Wie gehen wir mit Informationen um? Wie kommunizieren wir miteinander und wie über Abteilungen hinweg? • Wie wollen wir nach außen kommunizieren? • Welche langfristigen Ziele haben wir? • Wie sichern wir langfristig die notwendigen finanziellen Mittel für unsere Arbeit? • Was macht uns unverwechselbar? Worin bestehen unsere Kernkompetenzen? Was sind unsere Kernleistungen? • Wo sehen wir unsere Chancen?

514

12

Von der Idee zum Businessplan

• Wer sind unsere internen und externen Anspruchsgruppen (Stakeholder)? Was schätzen unsere (internen/externen) Kunden an unserer Arbeit? • Wie lauten unsere gemeinsamen Normen und Werte? • Einbindung in die Gemeinde und Öffentlichkeit: Welches Bild wollen wir in der Öffentlichkeit darstellen? Wie interagieren und kommunizieren wir nach außen? • Umgehen mit natürlichen Ressourcen: Wie können wir Ressourcen schonend und nachhaltig nutzen? Wie sichern wir den Einklang mit der Natur? Die folgenden Leitbilder sollen exemplarisch die Verbindung der zuvor genannten Aspekte in einer ausformulierten Form zeigen.

12.4.4

Beispiel: Leitbild einer Musikschule

Slogan: Lernen mit Spaß! Strategische Zielsetzung: Wir sind ein musikpädagogisches Dienstleistungsunternehmen auf gehobenem Niveau. Es ist unser Ziel, als die herausragende Institution für musikalische Bildung in X-Stadt bekannt zu sein. Leitmotiv: Für unsere Schüler und deren Eltern schaffen wir rundum eine gepflegte Umgebung, in der sich alle wohlfühlen und gern die Warte- und Unterrichtszeiten verbringen. Die hohe Qualität unserer Arbeit im Hinblick auf die Musikvermittlung bei Kindern und Jugendlichen prägt die positive Wahrnehmung unserer Institution in der Bevölkerung und den Bekanntheitsgrad der Musikschule. Leitsätze: Prinzipien Unsere Mitarbeiter sind motiviert, vereinbarungsfähig und verantwortungsbewusst, handeln aus eigenem Antrieb, fordern sich im Rahmen gemeinsamer Zielabsprachen selbst und sorgen für Ihre permanente Weiterbildung. Unsere Führungskräfte schaffen Rahmenbedingungen, in denen es Freude macht, sich einzusetzen, und fördern die Leistungsbereitschaft. Erläuterungen zu den Leitsätzen: Verhalten Unser Verhalten gegenüber Schülern, Eltern, Vorgesetzten und Mitarbeitern ist bestimmt von diesen Werten:

12.4 Vision – Mission – Leitbild

515

• Vorbild sein: In menschlicher und fachlicher Hinsicht zielführend, eigeninitiativ und verantwortungsbewusst tätig sein. • Fair sein: Mit dem anderen unter Würdigung aller Gesichtspunkte gerecht, nachvollziehbar und respektvoll umgehen. • Menschlich sein: Den anderen als Persönlichkeit respektieren, ihm verständnisvoll, hilfsbereit und trotzdem situationsgerecht begegnen. • Offen sein: Wir begegnen dem anderen unvoreingenommen, unbefangen und aufrichtig. • Selbstkritisch sein: Wir sind immer bereit, unsere Handlungen und Verhaltensweisen kritisch zu überprüfen, und nehmen Rückmeldungen darüber offen an mit dem Ziel, kommunikative Missverständnisse auszuräumen und zu vermeiden. Zusammenarbeit Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter ist für die Verwirklichung unserer Unternehmensziele wichtig und wertvoll. Unsere Zusammenarbeit ist geprägt von gegenseitiger Hilfsbereitschaft und Wertschätzung. Jeder ist für den gemeinsamen Erfolg gleichermaßen wichtig. Mitarbeiterförderung und Mitarbeiterentwicklung Qualifizierte und gut ausgebildete Mitarbeiter auf allen Ebenen des Unternehmens sind der Erfolgsfaktor zur Erreichung unserer Ziele. Mitarbeiterförderung und -entwicklung bedeutet für uns: • ständige Weiterbildung durch interne und externe Trainer in allen relevanten Bereichen • durch regelmäßige Mitarbeiter- und Führungskräftebeurteilung dem Einzelnen Defizite und Stärken sowie der Leitung Förderpotenziale aufzuzeigen.

12.4.5 Beispiel: Leitbild von conmusica – Institute for Modern Music Education (www.conmusica.org) Vision Wir sind eine führende und innovative Institution im Bereich der Musikpädagogik und des Musikschulmanagements. Für unsere Partner, Kunden und Mitarbeiter schaffen wir dauerhafte Werte. Philosophie Jeder Mensch verfügt von Geburt an über musikalische Potenziale. Die intensive Beschäftigung mit der Musik und dem Musizieren fördert die persönliche und soziale Entwicklung des Menschen in allen Altersstufen.

516

12

Von der Idee zum Businessplan

Mission Wir ermöglichen den Zugang zu musikalischer Bildung und zum Musizieren ab dem vorgeburtlichen Stadium bis in den dritten Lebensabschnitt. Unsere Prinzipien • Wir pflegen eine offene Zusammenarbeit mit allen relevanten Gruppierungen und Institutionen im Bereich der musikalischen Bildung. • Die Erwartungen, Strukturen und Prozesse unserer Kooperationspartner stellen wir in den Mittelpunkt unserer Arbeit. • Unsere Kompetenzen in den Bereichen Pädagogik und Management basieren auf langjähriger und nachweislich erfolgreicher Tätigkeit. • Eigene musikpädagogische Forschungs- und Entwicklungsarbeit bilden die Grundlage unserer didaktischen und methodischen Konzeptionen. • Durch Aus- und Fortbildungsangebote in den Bereichen Musikpädagogik und Musikschulmanagement unterstützen wir unsere Partner wirksam. • Wir arbeiten im Team und schätzen unsere Unterschiedlichkeit. • Professionalität, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit kennzeichnen unsere Unternehmenskultur. Was wir versprechen, halten wir. • Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter ist für die Verwirklichung unserer Unternehmensziele wichtig und wertvoll. • Unsere Zusammenarbeit ist geprägt von gegenseitiger Hilfsbereitschaft und Wertschätzung. Wir bieten allen im musikpädagogischen Bereich Tätigen (Musikpädagogen, Musikschulen, Kindergärten, Erzieherinnen, Ausbildungsinstitutionen) den Zugang zu innovativen Materialien für die Unterrichtspraxis, zu erfolgeichen unternehmerischen Konzeptionen und zu einem vielfältigen Fortbildungsangebot in den Bereichen Musikpädagogik und Management.

Erarbeiten Sie das Leitbild Ihres Unternehmens in Anlehnung an die vorgestellten Muster.

Aus den Festlegungen der Aspekte „Mission – Vision – Leitbild“ werden die Unternehmensziele und aus diesen die Strategien und Planungen zur Realisierung gewonnen.

12.5 Unternehmensziele bestimmen

517

12.5 Unternehmensziele bestimmen Nachdem wir die Vision, die Mission und das Leitbild des Unternehmens entwickelt haben, müssen wir die konkreten Ziele des Unternehmens definieren. Diese Fragen unterstützen die Bestimmung von Unternehmenszielen und Strategien: Zielbestimmung

Strategieentwicklung

Maßnahmenplanung

Worum geht es? Was wissen wir über die gegenwärtige Situation? Wie sieht der künftige Idealzustand aus? Was wollen wir erreichen? Woran werden wir erkennen, wann und ob der gewünschte Zustand erreicht ist? Wie ist die Differenz zwischen dem gegenwärtigen und dem angestrebten Zustand? Was könnten wir wie tun (Strategien), um den gewünschten Zustand zu erreichen? Welche Alternativen ergeben sich aus den gesammelten Ideen? Welche Alternativen können entsprechend den unter Punkt zwei aufgestellten Kriterien den angestrebten Idealzustand am besten fördern? Welche Schwierigkeiten sind bei der Durchführung der geplanten Maßnahmen zu erwarten? Was können wir vorbeugend unternehmen? Welche Aktionen müssen von wem bis wann durchgeführt werden?

Formulieren Sie die Ziele für die Idee, das daraus resultierende Projekt bzw. das Unternehmen. Die Zielformulierungen basieren auf den Erkenntnissen aus der Szenario-Technik, der SWOT-Analyse, der Formulierung der Vision, der Mission und des Leitbildes. Es folgt ein Beispiel, ausgerichtet an den ersten beiden Punkten des Zukunftsszenarios der Fallstudie „Bedarf an Kulturangeboten in den kommenden fünf Jahren“:

Ziel 1. Wir wollen innerhalb von fünf Jahren 50 % unseres Umsatzes mit Angeboten für die Zielgruppe Generation 50+ machen. Ziel 2. Wir wollen bis zum Ende unseres ersten Geschäftsjahres drei Kulturprogramme für die junge Familie mit Kindern ab dem zweiten Lebensjahr bis zur Einschulung realisiert haben, die aufgrund ihrer Preisgestaltung von allen Familien mit mindestens einer Person in festem Arbeitsverhältnis wahrgenommen werden können.

518

12

Zielbestimmung

Von der Idee zum Businessplan

Worum geht es? Was wissen wir über die gegenwärtige Situation? Wie sieht der künftige Idealzustand aus? Was wollen wir erreichen? Woran werden wir erkennen, wann und ob der gewünschte Zustand erreicht ist?

Formulieren Sie bitte hier bis zu drei Ziele für Ihr Unternehmen (Projekt): Ziel 1:

Ziel 2:

Ziel 3:

12.6 Strategien entwickeln Mit welcher Konzeption, mit welchen Methoden und Schwerpunkten wollen Sie sich im Wettbewerb behaupten? Welches sind die Vorgehensweisen, die in Anbetracht der Stärken und Schwächen des Unternehmens und der zu erwartenden Risiken und Chancen den größtmöglichen Erfolg versprechen? In welchen Bereichen und auf welche Art und Weise (Strategien) wollen Sie was erreichen? Bedenken Sie, dass Strategien auf langfristige Zeiträume (3 bis 5 Jahre) ausgerichtet sind. Bearbeiten Sie diese Fragen in der vorgegebenen Reihenfolge und Sie werden Ihre Strategien eindeutig formulieren können.

12.6 Strategien entwickeln Strategieentwicklung

519

Wie ist die Differenz zwischen dem gegenwärtigen und dem angestrebten Zustand? Was könnten wir wie tun (Strategien), um den gewünschten Zustand zu erreichen? Welche Alternativen ergeben sich aus den gesammelten Ideen? Welche Alternativen können entsprechend den unter Punkt zwei aufgestellten Kriterien den angestrebten Idealzustand am besten fördern? Welche Schwierigkeiten sind bei der Durchführung der geplanten Maßnahmen zu erwarten? Was können wir vorbeugend unternehmen?

Die aus diesen Überlegungen resultierenden Strategien setzen Orientierungspunkte für den operativen Planungs- und Handlungsbereich. Fallbeispiel: Agentur für Kulturmanagement Im Folgenden wird anhand des Beispiels der Planung einer Agentur für Kulturmanagement die Strategieentwicklung exemplarisch ausgeführt. Ziel: Etablierung einer Agentur für Kulturmanagement, die in drei Jahren gewinnbringend im Bereich Edutainment (Education und Entertainment) im nationalen Rahmen arbeitet. Wie ist die Differenz zwischen dem gegenwärtigen und dem angestrebten Zustand? Was könnten wir wie tun (Strategien), um den gewünschten Zustand zu erreichen?

• Derzeit wird das Lernen mit Spaß (Edutainment) von einigen wenigen Anbietern im Bildungsbereich beworben. Es gibt Freiraum und Marktnischen in den Bereichen Kulturveranstaltungen und Bildungsangebote für Familien mit Kindern, die bildend und unterhaltend zugleich gestaltet werden können. • Entwicklung von speziellen Konzerten (Klassik und Pop), um die Zuhörer möglichst interaktiv einzubeziehen • spezielle Angebote für die Zielgruppe 50+ • frühkindliche Bildungsprogramme realisieren.

Welche Alternativen ergeben sich aus den gesammelten Ideen?

• Angebote für ältere Mitbewohner in Pflegeheimen • Angebote für 14- bis 20-Jährige • Veranstaltungsentwicklungen und Durchführung für lokale Vereine zur Mitgliederpflege und Gewinnung neuer Mitglieder

Welche Alternativen können entsprechend den unter Punkt zwei aufgestellten Kriterien den angestrebten Idealzustand am besten fördern?

• frühkindliche Bildungsprogramme • spezielle Angebote für die Zielgruppe 50+

520

12

Welche Schwierigkeiten sind bei der Durchführung der geplanten Maßnahmen zu erwarten? Was können wir vorbeugend unternehmen?



Von der Idee zum Businessplan

• Es gilt, die Mitbewerber (Musikschulen, Wohlfahrtsverbände usw.) als Partner zu gewinnen. • Der gemeinnützige Aspekt muss im Vordergrund stehen, dennoch muss Geld verdient werden. • Ein Symposium für die Betreuer und Animateure, die mit der Zielgruppe 50+ arbeiten, veranstalten, um Kontakte aufzubauen und kreative Konzepte zu entwickeln. • Der Konzertbetrieb ist sehr differenziert ausgebaut. Es wird wichtig sein, neue Angebotsformen mit vielleicht auch neuen Künstlern zu entwickeln.

gemeint ist der Punkt zwei aus der Zielbestimmung (Wie sieht der künftige Idealzustand aus?)

12.7 Planung Der Planungsprozess ist ein jährlich wiederkehrendes Element der Managementarbeit. Da bei dieser Vorgehensweise die Ziele und Aktivitäten für den Zeitraum von drei Jahren geplant werden und nach Ablauf des ersten Geschäftsjahres um ein weiteres in die Zukunft fortgeschrieben werden, spricht man von der rollierenden oder auch der rollenden Planung. Wie der Mittelfristige Geschäftsplan zeigt, hat man auf diese Weise stets drei Geschäftsjahre im Blick: das laufende Geschäftsjahr sehr detailliert ausgearbeitet, das zweite und dritte im groben Überblick. Beispiel der zeitlichen Struktur einer rollierenden Planung: Jahr

01

1. Planung

→ 2. Planung

02

03

05

06

→ 3. Planung

→ 4. Planung

12.7.1

04

→

Master-Geschäftsplan – Fallbeispiel Agentur für Kulturmanagement

In den Master-Geschäftsplan werden alle Erkenntnisse aus den vorangestellten Überlegungen (Szenario, SWOT, Vision, Mission, Leitbild, Strategien) eingebracht. Aus dem MasterGeschäftsplan werden die strategischen Aktionsfelder abgeleitet, die in den kommenden

12.7

Planung

521

drei Jahren realisiert werden sollen. Der daraus resultierende Mittelfristige Geschäftsplan weist außer diesen auch aus, welche Ziele und Maßnahmen in welchem Geschäftsjahr (GJ) bearbeitet werden müssen. Master-Geschäftsplan (3 Jahre) Verantwortlich: Markus Mustermann 1. Wettbewerbssituation a) drei große KM-Agenturen (bis zu 10 Mitarbeiter) in der Region b) Die Fördermittelvergabe des Landes ist beschränkt auf Agenturen, deren Mitarbeiter anerkannte KM-Studienabschlüsse haben. c) Die zwei großen Festivals in der Region werden von Mitbewerber-Agenturen geleitet.

4. Markenaufbau oder -pflege∗ • Herstellung eines Imageflyers der Agentur • Homepage mit Testimonials zufriedener Kunden • Vorträge halten auf entsprechenden Kongressen • Jahresbericht auf unserer Homepage und per Mail an Interessenten

2. Produkt Marketing • Programme für die Generation 50+ entwickeln • Programme für die junge Familie mit Kindern ab dem zweiten Lebensjahr bis zur Einschulung entwickeln • Veranstaltungsmanagement für lokale Vereine

5. Geschäftspolitik • immer zuerst die Top-Managementebene der Organisationen ansprechen • analysieren, welchen Bedarf unsere Zielgruppe hat und wo unsere Stärken liegen • mit Dachverbänden und größeren Trägerorganisationen kooperieren • durch Benefizaktion mit Langzeitwirkung unseren Bekanntheitsgrad steigern (Zeitungen berichten)

3. Vertriebspolitik • Musikschulen (privat und kommunal) • Kirchengemeinden • Kindergärten • Vorschulische Einrichtungen • Dachverbände ansprechen

6. Strategische Anmerkungen • Vernetzung mit Rotary Clubs und ähnlichen Einrichtungen anstreben • Symposium zum Thema 50+ veranstalten



Die kursiv gedruckten Aspekte sind im folgenden Mittelfristigen Geschäftsplan beispielhaft ausgearbeitet.

522

12.7.2

12

Von der Idee zum Businessplan

Mittelfristiger Geschäftsplan für drei Geschäftsjahre (GJ 01 – 03)

Strategische Aktionsfelder Produkt Marketing Programme für die Generation 50 + entwickeln Programme für die junge Familie mit Kindern ab dem zweiten Lebensjahr bis zur Einschulung entwickeln Veranstaltungsmanagement für lokale Vereine

Vertriebspolitik Musikschulen (privat und kommunal)

Kirchengemeinden Kindergärten

Vorschulische Einrichtungen Dachverbände ansprechen

Ziele

Aktivitäten

GJ 01

GJ 02

300 Teilnehmer in drei Jahren 100 Kinder pro Jahr mit den Eltern erreichen

Programmentwicklung

Reisen mit Musik

Wandern mit Fitness mit Kultur Musik

Vernetzung mit Anbietern herstellen

KIGA-Liedergarten

Vorschule

Museum

1 Programm mit EventCharakter pro Jahr entwickeln

BedarfsJahreserhebung ausflüge und Angebote entwickeln

Vereinsjubiläum

Wettbewerbe

gemeinsam mit den Organisationen Angebote entwickeln

Angebote im Bereich Frühkindliche Musikalisierung entwickeln und Fachkräfte ausbilden Kitas/frühkindliche Bildung gemäß Bildungsplan

Kommunale Musikschulen

Private Musikschulen

Kirchengemeinden

AWO

Caritas

DAK

AWO, Caritas, DAK AWO, Caritas, DAK

GJ 03

12.7

Planung

Strategische Aktionsfelder Markenaufbau Herstellung eines Imageflyers der Kulturagentur

523 Ziele

vier Seiten, vierfarbig und internetfähig Kundenerlaubnis einholen

Aktivitäten

Agentur finden und Gestaltung festlegen Homepage mit Domain Testimonials zubuchen u. friedener Kunden Design Website Vorträge halten auf Kontakte zu Internetsuche entsprechenden Veranstaltern u. Netzwerke Kongressen ansprechen Jahresbericht auf Jahresbericht Material Homepage und per fertig bis sammeln und Mail an Interessen- Januar des texten ten neuen Jahres Strategische Anmerkungen Vernetzung mit usw. Rotary Clubs anstreben Symposium zum usw. Thema 50+ veranstalten

GJ 01

GJ 02

GJ 03

Druck und Directmailing

Zielgruppen- s. Vorjahr mailing

Betrieb starten

aktualisieren

s. Vorjahr

Aufgrund der Darstellung der Planung in der Matrixform hat man rasch alle wichtigen Positionen im Blick. Insbesondere bei der folgenden Maßnahmenplanung für das erste Geschäftsjahr wird dies deutlich. Jederzeit hat man den Überblick über die Ziele, Aktionsfelder und darüber, was bis wann von wem unter Einhaltung welcher Finanzrahmen auszuführen ist.

524

12.7.3

12

Von der Idee zum Businessplan

Maßnahmenplan für das erste Geschäftsjahr

Maßnahmenplan: Welche Aktionen müssen von wem bis wann durchgeführt werden?

Aus der Mittelfristigen Geschäftsplanung für drei Jahre (01 – 03) wird die Maßnahmenplanung für das erste Geschäftsjahr entwickelt: Strategische Aktionsfelder

Ziele

Maßnahmen



Wer Wer

Monat 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2

Produkt Marketing Programme für die 100 Teilneh- „Reisen mit Generation Musik“ mer 50 + entwickeln.

• • • • • 100 Kinder Programme für die junge Familie mit Eltern erreichen mit Kindern ab dem zweiten Lebensjahr bis zur Einschulung entwickeln.

Programm entwickeln

1.000

BC

Reisekonditionen, Termine buchen

2.000

HF

Reisebegleitung

2.000

SB

Marketing

MG

Abrechnungen

NM

„KIGALiedergarten“

• • • • •

Musikalische Leitung

500

AB

Inhalte festlegen

500

HM

Marketing 3 KIGAs motivieren

2.000

MG

Durchführung

1.500

AB NM

Abrechnung X

12.7

525

Planung

Strategische Aktionsfelder

Ziele

Maßnahmen



Wer Wer

Monat 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2

Produkt Marketing Veranstaltungsmanagement für lokale Vereine.

Ein „Jahresausflug“ Programm mit EventBedarfsanalyse Charakter Inhalte entwickeln

• •

Marketing f. Vereine

• • • Vertriebspolitik

gemeinsame Aktionen mit der Musikschule

• • • • • • •

500

MG

500

HM

1.500

MG MG

Planung Durchführung

750

JF

Abrechnung

1.500

NM

Frühkindliche Musikalisierung

X usw.

Ziele des Programms Ausführende Materialien Sponsoren finden Durchführung Evaluation

Markenauau

usw.

Strategische Anmerkungen

usw.

Die fiktiven Namen in der Rubrik „Wer“ sind mit Initialen abgekürzt. Aus dem Maßnahmenplan für das erste Geschäftsjahr, der die Aktivitäten in den jeweiligen Monaten aufzeigt, wird

526

12

Von der Idee zum Businessplan

• der detaillierte Monatsplan, aus diesem – der Wochenplan und daraus – der Tagesplan entwickelt.

12.8

Durchführung und Evaluation

Die Durchführung kann aufgrund der vorangestellten Arbeitsschritte (insbesondere durch die Planungen bis hin zum Tagesplan) mit großer Sorgfalt und Sicherheit gestaltet werden. Die beste Planung ist jedoch wertlos, wenn man nicht in der Lage ist, sich selbst zu organisieren und sich zu führen (Selbst-Management). Die Projektziele, Zielvereinbarungen, Maßnahmen und Resultate müssen regelmäßig im Rahmen eines Informationssystems den Betroffenen vermittelt werden. Die Kontrolle ist ein unverzichtbares Element jedes Arbeits- und Führungsprozesses. Kontrollieren heißt, aufmerksam die Entwicklungen und Leistungen zu begleiten, um rechtzeitig bei Fehlentwicklungen gegensteuern zu können oder Erfolge zu bestätigen. Die Evaluation der geleisteten Arbeit, der Abgleich von Planvorgaben und Ergebnissen, muss am Ende eines jeden Quartals und Geschäftsjahres ausführlich und gründlich erfolgen, um die Wirksamkeit der Maßnahmen zu überprüfen. Daraus werden wichtige Erkenntnisse für die neue Planung gewonnen, und die Leistungsfähigkeit kann verbessert werden. In diesem Sinne erweist sich auch der folgende „Planungsprozess in 12 Schritten“ als ein wirkungsvolles Werkzeug.

12.9 Planungsprozess in 12 Schritten Das Modell dieses Planungsprozesses eignet sich bestens sowohl für die Projektentwicklung als auch für das Arbeiten mit der rollierenden Planung. Planungsprozesse sind häufig unbeliebt; sie sind arbeitsintensiv und mit unbekannten Faktoren verbunden. Das Arbeiten mit unsicheren Annahmen und das systematische Vorgehen liegen nicht jedem. Viele möchten rasch und angeblich zielorientiert die Planung betreiben, diese ungeliebte Arbeit zügig hinter sich bringen, laufen aber dabei Gefahr, wichtige Aspekte zu übersehen, und erleben deshalb nicht selten Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Hat man sich erst einmal mit dem durch das folgende Schema vorgegebenen systematischen Planungsablauf angefreundet, wird der Planungsprozess für alle Beteiligten zu einem Erfolgserlebnis, weil man gelenkt wird, umsichtig und umfassend zu denken und

12.9 Planungsprozess in 12 Schritten

527

zu planen. Die daraus resultierenden Maßnahmenpläne funktionieren, und der obligatorische Rückblick bildet die Grundlage für die Planung des kommenden Jahres. Dieser „Planungskreislauf“ vermittelt ein Gefühl der Sicherheit und ermöglicht ein entspanntes und konzentriertes Arbeiten für alle Mitarbeiter. Schritt: 1. Themen abgrenzen

Aktion Festlegen strategisch wichtiger Themen, Problemstellung beschreiben, Abgrenzungen der Aufgabenstellung

2. gewünschter Zustand

Wie sieht der angestrebte künftige Zielzustand aus? Mission, Leitbild und Unternehmensziele formulieren

3. SWOT-Analyse

die eigene Situation oder Organisation, bezogen auf die Ziele hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen, untersuchen

4. Diskrepanz

Was trennt den gegenwärtigen Zustand vom angestrebten zukünftigen Zustand?

5. Strategien

Mit welchen Strategien können wir unsere Ziele am besten erreichen?

6. Aktionspläne

Was ist wie bis wann von wem zu tun?

7. Investitionsentscheidungen

benötigte Finanzmittel für die Durchführung der Pläne

8. Interdependenz d. Aktionen

Welche gegenseitigen Abhängigkeiten unserer Ziele und Aktivitäten kennen wir?

9. Zeitpläne

Was soll bis wann realisiert werden?

10. Evaluationskriterien

Woran konkret wollen wir den Erfolg oder Misserfolg unserer Arbeit messen? – Kriterien für die Bewertung aufstellen

11. Implementierung

Durchführung der Aktivitäten gemäß der Planung

12. Rückblick

Rückblick auf die geleistete Arbeit, Bewertung des Erreichten und die Genauigkeit der Jahresplanung; Start des neuen Planungsprozesses mit Schritt 1.

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

13

Ob zwischendurch oder nachdem Sie alles durchgearbeitet haben – die Checklisten „Führungsaufgaben von A bis Z“ helfen Ihnen, Ihren derzeitigen Kenntnis- und Entwicklungsstand im Bereich der Führungsaufgaben einzuschätzen, die häufigsten Fehler zu erkennen und diese nach Möglichkeit zu vermeiden. • Aktiv Zuhören • Anweisungen geben • Delegieren • Einführen neuer Mitarbeiter • Einschätzen/Beurteilen • Entscheiden • Fordern der Mitarbeiter • Fördern der Mitarbeiter • Informieren • Kommunizieren • Konflikte bearbeiten • Kontrollieren • Kritisieren • Loben • Motivieren • Ziele vereinbaren

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0_13

529

530

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Aktives Zuhören Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Aktives Zuhören“?

Wie war das, was ich zum Thema „Aktives Zuhören“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim Aktiven Zuhören? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich das Aktive Zuhören bereits?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem Aktiven Zuhören?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

531

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Aktiven Zuhören“ ist, • selbst zu sprechen, während der Gesprächspartner spricht • die Gedanken abschweifen zu lassen • sich auf die eigene Antwort zu konzentrieren, während der Gesprächspartner spricht • die Aussage des Partners vorschnell zu interpretieren • die Annahme, dass Hören bereits Zuhören sei • eigentlich nur ungern dieses Gespräch zu führen • durch körpersprachliche Signale zu erkennen zu geben, für wie unwichtig oder lästig das Gespräch oder der Gesprächspartner gehalten werden • nicht ausreden zu lassen oder ins Wort zu fallen • bei unklaren Formulierungen vorschnell die eigene Meinung zu äußern, statt nachzufragen • keine Zeit für die Entwicklung der Gedanken während des Gesprächs zuzulassen • dem Partner keine Zeit zu geben, sich zu öffnen • Argumente aufgrund eigener vorgefasster Meinungen abzutun, abzuwerten, lächerlich zu machen • ironische Zwischenfragen zu stellen • bewusst aggressiv zu fragen oder zu antworten • Störungen zuzulassen • sich nicht in den Partner bzw. seine Situation hineinzuversetzen • in kritischen Situationen (Streit) gar nicht mehr zuzuhören

532

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Anweisungen geben Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Anweisungen geben“?

Wie war das, was ich zum Thema „Anweisungen geben“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Was ist mein derzeit größtes Beschreiben Sie den Ist-ZuProblem/Defizit beim „Anwei- stand so genau wie möglich: sungen geben“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten? Wie gut beherrsche ich bereits das „Anweisungen geben“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Anweisungen geben“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Anweisungen geben“ ist, • nicht den richtigen Ton zu treffen (zu hart oder zu weich) • nicht konkret genug zu formulieren • nicht zu prüfen, ob die Anweisung richtig verstanden wurde • Anweisungen nicht pauschal an die Gruppe, sondern an den Einzelnen zu geben • keine Hilfestellung bei Fragen oder Problemen zu geben

533

534

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Delegieren Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Delegieren“?

Wie war das, was ich zum Thema „Delegieren“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Delegieren“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Delegieren“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Delegieren“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

535

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Delegieren“ ist, • anzuordnen, ohne den Sinn der Aufgabe zu erklären • Aufgaben zu übertragen, ohne die für die Erledigung erforderliche Kompetenz zu geben • sich ständig in die Erledigung der Aufgabe einzumischen, statt nur in Ausnahmefällen einzugreifen • Rückdelegation zuzulassen • zu selten, zu spät oder nie die Erledigung der Aufgabe zu überprüfen • zu versuchen, gegenüber seinem Vorgesetzten auch die Führungsverantwortung auf den Mitarbeiter abzuladen

536

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Einführen neuer Mitarbeiter Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Einführen neuer Mitarbeiter“?

Wie war das, was ich zum Thema „Einführen neuer Mitarbeiter“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Was ist mein derzeit größtes Beschreiben Sie den Ist-ZuProblem/Defizit beim „Einfüh- stand so genau wie möglich: ren neuer Mitarbeiter“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten? Wie gut beherrsche ich bereits das „Einführen neuer Mitarbeiter“?

Welche Erfahrung habe ich mit dem „Einführen neuer Mitarbeiter“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

als Mitarbeiter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

537

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Einführen neuer Mitarbeiter“ ist, • die Einführung neuer Mitarbeiter in ihrer Bedeutung zu unterschätzen • die Einführung als lästige Mehrarbeit und nicht als Investition zu sehen • sich nicht genügend Zeit zu nehmen, die „alten“ Kollegen auf den neuen Kollegen vorzubereiten • den neuen Mitarbeiter durch einen nicht ausreichend qualifizierten Mitarbeiter herumführen und bekannt machen zu lassen • keine „Patenschaft“ für den Neuen zu erteilen, um die Einarbeitung zu erleichtern • die Einführung nicht gründlich genug durchzuführen

538

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Einschätzen/Beurteilen Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Einschätzen/Beurteilen“?

Wie war das, was ich zum Thema „Einschätzen/Beurteilen“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Einschätzen/Beurteilen“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Einschätzen/Beurteilen“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Einschätzen/Beurteilen“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

539

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Einschätzen/Beurteilen“ ist: • die Annahme, eine Beurteilung könne objektiv sein • sich auf das Urteil anderer zu verlassen • sich ohne Anhörung des Mitarbeiters eine „endgültige“ Meinung zu bilden • vorher nicht klar definierte Ziele vereinbart zu haben, die eine beiderseitig nachvollziehbare Messbarkeit gewährleisten • die Beurteilung erst vorzunehmen, wenn es schon zu spät ist, statt in regelmäßigen Abständen mit dem Mitarbeiter über den Stand seiner Leistung zu reden und ihm eine Korrektur zu ermöglichen • die Zielvereinbarung und damit die Messbarkeit innerhalb eines Geschäftsjahres zu verändern oder den Verhältnissen anzupassen

540

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Entscheiden Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Entscheiden“?

Wie war das, was ich zum Thema „Entscheiden“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Entscheiden“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Entscheiden“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Entscheiden“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Entscheiden“ ist, • gar nicht zu entscheiden • zu spät zu entscheiden • nicht verantwortungsbewusst zu entscheiden • nicht alle Zuständigen am Entscheidungsprozess zu beteiligen • getroffene Entscheidungen nicht zügig umzusetzen • zu Entscheidungen nicht zu stehen • Entscheidungen nicht zu korrigieren, obwohl es die beste Lösung wäre

541

542

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Fordern der Mitarbeiter Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Fordern der Mitarbeiter“?

Wie war das, was ich zum Thema „Fordern der Mitarbeiter“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Fordern der Mitarbeiter“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Fordern der Mitarbeiter“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Fordern der Mitarbeiter“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

543

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Fordern der Mitarbeiter“ ist: • zu überfordern • Fachkenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten usw. nicht zu berücksichtigen • Zeitreserven nicht zu berücksichtigen • zu unterfordern • Eigeninitiative nicht zuzulassen • unrealistische Forderungen zu stellen (z. B. zu wenig Zeit zur Erledigung der Aufgabe zu geben oder eine zu umfangreiche Aufgabe zu stellen) • zu verlangen, dass sich ein Mitarbeiter in zu kurzer Zeit in ein völlig neues Aufgabengebiet einarbeitet • zu fordern, fertige Lösungen zu präsentieren, ohne dass Gelegenheit gegeben wurde, sich über die Zielrichtung zu informieren • zu einfache Aufgaben zu delegieren (die wichtigen und interessanten Aufgaben für den Vorgesetzten zurückzuhalten) • zu unüberlegt, zu schnell eine Aufgabe zu delegieren, ohne den Mitarbeiter mit der am besten geeigneten Qualifikation auszuwählen • zu viel zu fordern, ohne sonstige Aufgaben wie z. B. Projekte oder Routinearbeiten zu berücksichtigen • nur Anweisungen zu erteilen • Forderungen zu erheben, ohne Gelegenheit zur Diskussion, zur Eigeninitiative zu geben • Neigungen oder Fähigkeiten bei der Vergabe von Aufgaben nicht genügend zu berücksichtigen

544

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Fördern der Mitarbeiter Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Fördern der Mitarbeiter“?

Wie war das, was ich zum Thema „Fördern der Mitarbeiter“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Fördern der Mitarbeiter“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Fördern der Mitarbeiter“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Fördern der Mitarbeiter“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

545

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Fördern der Mitarbeiter“ ist, • gar nicht zu fördern • nach dem Gießkannenprinzip zu fördern – nicht spezifisch genug • nicht konsequent genug zu fördern • nicht gleichbehandelnd zu fördern • Eigeninitiative zu unterbinden • dem Mitarbeiter nicht ausreichend Gelegenheit einzuräumen, eigene Vorschläge einzubringen • zu wenig einfallsreich zu fördern • nicht genügend Zeit für die Weiterbildung zur Verfügung zu stellen • zu versäumen, gezielte Förderung auch als Anreiz für den Mitarbeiter darzustellen • sich nicht um die Ergebnisse von Weiterbildungsmaßnahmen zu kümmern • Mitarbeiter nicht genügend zu unterstützen • selbst kein Vorbild hinsichtlich der Teilnahme an Weiterbildungen zu sein

546

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Informieren Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Informieren“?

Wie war das, was ich zum Thema „Informieren“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Informieren“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Informieren“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Informieren“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

547

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Informieren“ ist, • nicht zu informieren • zu spät zu informieren • nicht vollständig zu informieren • Informationen zu horten • mit Informationen zu überschütten • immer auf „Holschuld“ zu bestehen • nicht alle gleichmäßig zu informieren • die Informationsflüsse nicht gut zu organisieren • nicht sorgfältig genug bei der Auswahl zu sein, WER WELCHE Informationen WANN erhalten soll

548

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Kommunizieren Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Kommunizieren“?

Wie war das, was ich zum Thema „Kommunizieren“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Kommunizieren“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Kommunizieren“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Kommunizieren“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

549

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Kommunizieren“ ist, • sich gar nicht oder nur unzureichend mit den gängigen Kommunikationsmodellen beschäftigt zu haben • Feedback-Modelle nicht anzuwenden (Ich-Botschaft, Du-Botschaft, Beziehungsbotschaft) • das Gehörte zu bewerten, ohne den Versuch zu unternehmen, das, was der Partner gemeint haben könnte, zuvor zu verstehen • selbst unaufhörlich zu reden • nicht ausführlich genug Fragen zu stellen, um die Bedürfnisse oder das Problem des Kommunikationspartners genau kennenzulernen • mehrere Fragen hintereinander zu stellen, ohne die Antwort auf die erste Frage abzuwarten • zu vergessen, dass es in der Kommunikation keine Wahrheiten gibt, sondern nur Übereinkünfte • zu ignorieren, dass es Wirklichkeiten erster und zweiter Ordnung gibt (z. B. 1. Ordnung = das spezifische Gewicht des Goldes, 2. Ordnung = der ideelle Wert des Goldes) • die nonverbale Kommunikation nicht zu beachten und deren Übereinstimmung bzw. Nicht-Übereinstimmung mit der verbalen Kommunikation außer Acht zu lassen • immer der Gewinner sein zu wollen und nicht das Modell „Wir gewinnen beide“ anzustreben

550

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Konflikte bearbeiten Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Konflikte bearbeiten“?

Wie war das, was ich zum Thema „Konflikte bearbeiten“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Konflikte bearbeiten“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Konflikte bearbeiten“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Konflikte bearbeiten“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

551

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Konflikte bearbeiten“ ist: • wegzusehen • Konflikte schwelen zu lassen • zu verharmlosen • übereilt einzugreifen, anstatt die Beteiligten zunächst selbst nach einer Lösung suchen zu lassen • einseitig Partei zu ergreifen • keine Konflikte zuzulassen • anzunehmen, dass Konflikte nur negativ zu werten seien, statt aus einem Konflikt neue Energie für neue Lösungen zu gewinnen • Angst vor Konflikten • nicht wahrhaben zu wollen, selbst auch Teil oder Verursacher eines Konflikts sein zu können

552

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Kontrollieren Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Kontrollieren“?

Wie war das, was ich zum Thema „Kontrollieren“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Kontrollieren“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Kontrollieren“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Kontrollieren“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

553

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Kontrollieren“ ist, • nur aus Misstrauen zu kontrollieren • Kontrolle nicht als Ausdruck von Aufmerksamkeit für die Arbeit des Mitarbeiters anzusehen • zu selten zu kontrollieren • übertrieben häufig zu kontrollieren • mit Drohgebärde zu kontrollieren • sich selbst zur „personifizierten Kontrolle“ zu machen • ohne Mitteilung des Zwecks zu kontrollieren • bestimmte Mitarbeiter bevorzugt zu behandeln • zu spät zu kontrollieren, um Fehler mit großen Auswirkungen noch rechtzeitig vermeiden zu können • versteckt zu kontrollieren – außer in ganz bestimmten Ausnahmefällen • einen Mitarbeiter über die Leistung eines Kollegen zu befragen

554

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Kritisieren Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Kritisieren“?

Wie war das, was ich zum Thema „Kritisieren“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Kritisieren“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Kritisieren“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Kritisieren“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

555

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Kritisieren“ ist, • persönlich zu werden • laut zu werden • öffentlich zu kritisieren • nur „Dampf abzulassen“, statt Ursachen mit den betroffenen Personen gemeinsam zu ergründen • ungleich zu behandeln in der Kritik • unverhältnismäßig zu kritisieren • zu undeutlich zu kritisieren – ohne konkreten Bezug • zu spät zu kritisieren (Fehler ist schon „verjährt“) • Fehler zu „sammeln“ • ironisch zu kritisieren • sich überheblich auszudrücken beim Kritisieren • zu verallgemeinern • dem Mitarbeiter keine Gelegenheit zu geben, sich zu dem Sachverhalt zu äußern • nicht selbstkritisch genug zu sein • überzogene Erwartungen und unrealistische Ziele zu hegen • keine Chance zum Verbessern von Fehlern zu geben • den Mitarbeiter hinter seinem Rücken zu kritisieren

556

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Loben Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Loben“?

Wie war das, was ich zum Thema „Loben“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Loben“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Loben“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Loben“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

557

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Loben“ ist • die Annahme: „nicht geschimpft, ist genug gelobt“ • zum falschen Zeitpunkt zu loben • am falschen Ort zu loben • zu allgemein zu loben – nicht bezogen auf eine bestimmte Leistung oder ein bestimmtes Verhalten • inflationär zu loben • immer mit denselben Worten (floskelhaft) zu loben • zu überschwänglich zu loben • zu spät Anerkennung auszusprechen • sich bei der Anerkennung einer Leistung undifferenziert auszudrücken • vergleichbare Leistungen unterschiedlich anzuerkennen • lieber gar nicht zu loben, als von der Leistung eines Mitarbeiters abhängig zu erscheinen • mit ironischem Unterton zu loben • ein „Ja, aber . . . “ (Anerkennung unmittelbar mit Kritik zu verbinden) • vor anderen zu loben (von ganz bestimmten Ausnahmen abgesehen)

558

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Motivieren Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Motivieren“?

Wie war das, was ich zum Thema „Motivieren“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Motivieren“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Motivieren“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Motivieren“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

559

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Motivieren“ ist, • nicht zu versuchen, alles – was demotivierend wirken könnte – zu unterlassen • anzunehmen, mit Geld könne langfristig motiviert werden • Leistung nicht anzuerkennen • eigene Fehler nicht mitverantworten zu wollen • keine Perspektiven aufzuzeigen • einzelne Mitarbeiter zu ignorieren • durch mangelnde Information den Blick auf das gemeinsame Ziel nicht zu ermöglichen • nicht Vorbild zu sein hinsichtlich des eigenen Arbeitseinsatzes, der Begeisterung für gemeinsame Ziele oder eines entsprechenden Projekts • sich von den Leistungen des Mitarbeiters zu distanzieren – im Guten wie im Schlechten • die durch den nächsthöheren Vorgesetzten oder Kunden ausgesprochene Anerkennung nicht an den Mitarbeiter weiterzugeben

560

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

Ziele vereinbaren Frage

Anmerkungen

Wie wichtig ist mir das Thema „Ziele vereinbaren“?

Wie war das, was ich zum Thema „Ziele vereinbaren“ selbst beobachtet oder geschildert bekommen habe?

Was ist mein derzeit größtes Problem/Defizit beim „Ziele vereinbaren“? Wie werde ich meine Defizite bearbeiten?

Wertung • unwichtig • weniger wichtig • sehr wichtig

bei Kollegen

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

bei Freunden/Bekannten

• unerfreulich • wenig erfreulich • sehr erfreulich

Beschreiben Sie den Ist-Zustand so genau wie möglich:

Wie gut beherrsche ich bereits das „Ziele vereinbaren“?

• völlig unzureichend • noch nicht gut genug • gut • sehr gut

Welche Erfahrung habe ich mit als Mitarbeiter dem „Ziele vereinbaren“?

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

als Vorgesetzter

• noch keine • wenig • viel • sehr viel • schlechte • gute • sehr gute

13

Check: Führungsaufgaben von A bis Z

561

Meine Ziele für diesen Bereich:

Ein häufiger Fehler beim „Ziele vereinbaren“ ist, • Ziele zu setzen, statt zu vereinbaren • nicht genügend Informationen zum Verständnis der Sachlage zu geben • die Ziele nicht präzise genug zu formulieren (Was? – Quantität/Qualität? – Zeitpunkt?) • den Zielfindungsprozess nicht ausführlich genug mit den Beteiligten zu gestalten • mit vorgefassten Zielen in den „Vereinbarungsprozess“ hineinzugehen • nicht auf die Meinung der Mitarbeiter zu hören, scheindemokratisch vorzugehen und immer das letzte Wort haben zu müssen

Die Autoren

Prof. Asmus J. Hintz war nach dem Studium der Musik mehr als 30 Jahre in leitenden Managementfunktionen tätig, verantwortlich für Bildungs-, Kultur- und Dienstleistungsmanagement (Entwicklung und Marketing eines bedeutenden europäischen Franchisesystems im Dienstleistungsbereich Bildung). Seit 1987 lehrt er auch als Professor am Institut für Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg mit den Schwerpunkten Mitarbeiterführung, Personal- und Organisationsentwicklung. Als Autor und Herausgeber fachdidaktischer Werke für das Arbeiten in Lerngruppen kann er auf zahlreiche Publikationen verweisen. Beratung und Training von Führungskräften und Mitarbeitern verschiedener Branchen auf europäischer Ebene in den Bereichen Marketing, Service, Personal- und Organisationsentwicklung bilden einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Des Weiteren hält er Vorträge zu Themen aus den Bereichen Führung und Musikpädagogik, leitet individuell konzipierte Inhouse-Seminare und die Moderation von Zukunftswerkstätten zur strategischen Positionierung von Kultur- und Non-Profit-Organisationen. Die Entwicklung, Implementierung und Betreuung von Qualitätsmanagement-Systemen für Kultur- und Dienstleistungseinrichtungen runden diesen Bereich ab. Kontakt: www.asmushintz.de [email protected]

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0

563

564

Die Autoren

Jan Graevenstein erwarb gleichzeitig mit dem Abitur die Berufsausbildung zum Mechaniker für Datenverarbeitungsund Büromaschinen. Seine berufliche Laufbahn begann in einem Chemnitzer Elektrofachgroßhandel, in welchem er mit den grundlegenden kaufmännischen Kenntnissen und handelstechnischen Arbeitstechniken in der Praxis vertraut wurde. Als 24jahriger verließ er seine Heimatstadt und verlegte seinen Lebensmittelpunkt in das Rheinlandpfälzische Speyer. Hier konnte er seiner Leidenschaft, dem Programmieren, in einem prosperierenden Softwarehaus nachgehen. In den folgenden Jahren wurde er zu einem ausgewiesenen ERP-System-Spezialisten im Bereich des technischen Großhandels. 2001 trat er die Nachfolge seines ehemaligen Arbeitgebers als Inhaber und Geschäftsführer an und entwickelte das Unternehmen zum Marktführer im Segment des ElektroFachgroßhandels. In über 25 Berufsjahren sammelte er umfangreiche Erfahrungen in ChangeManagement-Projekten in den Bereichen Digitalisierung und Automatisierung von Arbeits- und Geschäftsprozessen sowie in den Bereichen Mitarbeiterführung und Organisationsentwicklung. Neben seinen umfangreichen Aufgaben als Geschäftsführer eines mittelständischen IT-Unternehmens forschte er während seines berufsbegleitenden Studiums als Kommunikations- und Betriebspsychologe für seinen Masterabschluss über das Thema „Motivationale und psychosoziale Aspekte bei der Einführung agiler Führungsprinzipien“. Das Coaching und Training von Führungskräften aus den Bereichen Handel und Softwareentwicklung runden sein Tätigkeitsspektrum ab. Kontakt: www.jangraevenstein.de [email protected]

Literatur

Anderson, D. J./ Carmichael, A.: Die Essenz von Kanban - kompakt. Heidelberg, dpunkt.verlag GmbH, 2017. Anderson, David J.: Kanban. Evolutionäres Change Management für IT-Organisationen, Heidelberg, 2011. Andresen, J.: Retrospektiven in agilen Projekten. Ablauf, Regeln und Methodenbausteine. München, Hanser, 2013. Arvey, R.D./Rotundo, M./Johnson, W./Zhang, Z./McGue, M.: The determinants of leadership role occupancy: Genetic and personality factors. The Leadership Quarterly, 17, 1–20, 2006 Barbuto, John E.: Motivation and transactional, charismatic, and transformational leadership: a test of antecendents. In: Journal of Leadership and Organizational Studies. 2005, Vol. 11, No. 4 Barbuto, John E./Scholl, Richard W.: Motivation Sources Inventory: Development and Validation of New Scales to Measure an Integrative Taxonomy of Motivation. In: Psychological Reports. Band 82, Nr. 3, 1. Juni 1998, S. 1011–1022 Bass, B.M./Avolio, B.J.: Improving organizational effectiveness through transformational leadership. Thousand Oaks, CA.: Sage, 1994, zitiert nach Wunderer, R.; Küpers, W.: DemotivationReformation, S. 437–439 Bass, B.M./Avolio, B.J.: MLQ Multifactor Leadership Questionnaire: Technical Report. Redwood City: Mind Garden, 1995 Benett, Dudley: Im Kontakt gewinnen, Heidelberg, 1986 Bennis, Warren: On Becoming a Leader, Philadelphia 1989, S. 42 Berne, Eric: Spiele der Erwachsenen, Reinbek bei Hamburg, 2002 Birkenbihl, Michael: Train The Trainer; Arbeitshandbuch für Ausbilder und Dozenten, Landsberg/Lech, 12. Auflage, 1993 Birkenbihl, Vera: Kommunikation für Könner; München, 2. Auflage, 1991 Birkenbihl, Vera: Fragetechnik ... Schnell trainiert, Landsberg/Lech, 11. Auflage, 1998 Birkenbihl, Vera: Kommunikationstraining, Heidelberg, 28. Aufl., 2007 Blake, Robert R./Mouton, Jane S.: The new managerial grid, Houston, 1978 Böhmer, Marco: Die Form(en) von Führung, Leadership und Management – Eine differenztheoretische Explizierung, 2014 Bonsen (zur), Matthias/Maleh, Carole: Appreciative Inquiry (AI): Der Weg zu Spitzenleistungen, Weinheim und Basel, 2001 Czichos, Reiner: Change Management, München, 1990 Davis, Keith: Human relations at work, New York, 1967 Erb, W.: Konfliktfreie Gesprächsführung, Offenbach, 1993 French, J.R.P./Raven, B.: The basis of social power. In D. Cartwright (Ed.), Studies in social power (pp. 150–167). Ann Arbor: University of Michigan, Insitute for Social Research, 1995 © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0

565

566

Literatur

Fueglisteller, U./Müller, C./Müller, S./Volery, T.: Entrepreneurship – Modelle – Umsetzung – Perspektiven, Wiesbaden, 2012. S. 281, 335–354 Gloger, B.: Scrum. Informatik-Spektrum, https://doi.org/10.1007/s00287-010-0426-6, 2010, 33(2), S.195-200. Goldratt, E. M./ Pyka, P.: Die kritische Kette. Ein Roman über das neue Konzept im Projektmanagement, Frankfurt/Main, Campus-Verl, 2002. Gührs, M./Nowak, C.: Das konstruktive Gespräch, Meezen, 1991 Hagehullsmann, U.: Transaktionsanalyse. Wie geht denn das? Transanalyse in Aktion I, Paderborn, 1992 Harris, Thomas A.: Ich bin O.K. du bist O.K., Reinbek bei Hamburg, 2002 Heckhausen, Jutta und Heinz: Motivation und Handeln. 4. Auflage, Wiesbaden, 2010 Heigl-Evers, A. (Ed.): Die Feldtheorie von Kurt Lewin in Lewin und die Folgen. Kindlers Enzyklopädie: Die Psychologie des 20. Jahrhunderts, Zürich, 1979 Herzberg, Frederick: Was Mitarbeiter in Schwung bringt. In: Harvard Business Manager, Heft April 2003, S. 50–62 Herzberg, Frederick/Mausner, Bernard/Snyderman, Barbara B.: The motivation to work, 2. Auflage, New York, 1967 Higgs, M. J./Rowland, D.: All changes great and small: Exploring approaches to change and ist leadership. Change Management Journal, 5(2), 121–151 (2005) Hintz, Asmus J.: Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, 3. Auflage Springer Fachmedien Wiesbaden, OnlinePLUS Zusatzinformationen Springer Gabler, 2016. Horster, D.: Das Sokratische Gespräch in Theorie und Praxis, Opladen, 1994 Huber, Andreas, Psychologie Heute 03/2001, Rubrik: Motivation und Persönlichkeit Karpman, Stephen B.: The New Drama Tirangles, USATAA/ITAA conference lecture August 2007 Kellner, Hedwig: Rhetorik: hart verhandeln – erfolgreich argumentieren, München/Wien, 2000 King, Nathan: Classification and evaluation of the two factor theory of job satisfaction, in: Psychological Bulletin 74, 18–34, 1970 Kira, Alexander/Schofield, Janet Ward: Migrationshintergrund, Minderheitenzugehörigkeit und Bildungserfolg, Berlin, 2006 Kotter, John P.: A Force for Change – How Leadership Differs from Management, New York 1990, S. 4–6 Kreuzer, Franz: Die Unsicherheit unserer Wirklichkeit, München, 10. Auflage, 2004 Krüger, W. [Hrsg.]: Excellence in Change – Wege zur strategischen Erneuerung, 2. vollst. überarb. Aufl., Wiesbaden 2002 Küpers, W./Weibler, J.: Emotionen in Organisationen, Stuttgart, 2005 Leopold, K.: Kanban in der Praxis. Vom Teamfokus zur Wertschöpfung (Hanser eLibrary). https:// doi.org/10.3139/9783446446540, 2017. Leopold, K. / Kaltenecker, S.: Kanban in der IT. Eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung schaffen (2. Auflage), München, Hanser, 2013, https://doi.org/10.3139/9783446438309 Liker, J. K.: The toyota way, Esensi, 2005. McGregor, Douglas: ,,Der Mensch im Unternehmen“, McGraw-Hill Book Company GmbH, Hamburg, 1964 McGregor, Douglas: Der Mensch im Unternehmen, Hamburg, 1986 Mehrabian, A./Ksionsky, S.: A theory of Affiliation. Lexington, MA: Heath, 1974 Mewes, Wolfgang: Die kybernetische Managementlehre, Frankfurt am Main, 1998 Molcho, Samy: Körpersprache im Beruf, München, 1997 Nagel, Kurt: 200 Strategien, Prinzipien und Systeme für den persönlichen und unternehmerischen Erfolg, Landsberg/Lech, 1988

Literatur

567

Neuberger, Oswald: Das Mitarbeitergespräch – praktische Grundlagen für erfolgreiche Führungsarbeit, 6. Aufl., Leonberg, 2004 Nolting, Hans-Peter/Paulus, Peter: Psychologie lernen, Weinheim/Basel, 1999 Nonaka, I./ Takeuchi, H.: The new new product development game. Harvard business review,1986, 64(1), S. 137-146. Risto, Karl-Heinz: Konflikte lösen mit System, Paderborn, 2005 Rosenstiel, L./Nerdinger, F.W.: Grundlagen der Organisationspsychologie, Stuttgart, 2011 Rüttinger, Rolf/Kruppa, Reinhold: Übungen zur Transaktionsanalyse, Hamburg, 1988 Schmid, R.: Immer richtig miteinander reden, Paderborn, 1998 Schneider, Johann: Superdivieren und beraten lernen, Paderborn, 2001 Schreyögg, Georg/Geiger, Daniel: Organisation, Wiesbaden 2016, S. 368 Schreyögg, Georg/Koch, Jochen: Grundlagen des Managements, 2. Auflage, Wiesbaden, 2010, S. 208 Schulz von Thun, Friedemann/Ruppel, J./Stratmann, R.: Miteinander reden – Kommunikationspsychologie, Hamburg, 2000 Seghezzi, H. D./ Fahrni, F. / Friedli, T.: Integriertes Qualitätsmanagement. Das St. Galler Konzept,(4. Auflage), München: Hanser, 2013. Sergiovanni, T.J./Metzens, R./Burden, L.: Toward a particularistic approach of to leadership Style: some findings, in: American Educational Research Journal, 1969 Spitzer, Manfred: Musik im Kopf; Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk, Stuttgart, 2005 Sprenger, Reinhard K.: Mythos Motivation – Wege aus einer Sackgasse, Frankfurt am Main/New York, 1996 Steinmann, H./Schreyögg, G.: Management – Grundlagen der Unternehmensführung, Wiesbaden, 1993 Tannenbaum, Robert/Schmidt, W.H.: How to choose a leadership pattern, in Harvard Business Review 35, 1958 Ulsamer, Bertold: NLP in Seminaren, Bremen, 1994 Watzlawick, Paul: Die erfundene Wirklichkeit, München, 1981

Internet-Quellen https://www.kienbaum.com/de/leistungen/changemanagement?gclid=CjwKEAjwppPKBRCGwrSpqK7Y5jcSJACHYbWYbIvDduPc261WxKpTApJQGzdkRMZa1l9BCs9P90KhBoCdpXw_wcB. [Abruf 18.06.2017] http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/326727/swot-analyse-v3.html. [Abruf 14.06.2017] http://www.existenzgruender.de/DE/Gruendungswerkstatt/BMWi-Businessplan-plus-App/ inhalt.html. [Abruf 14.06.2017] http://www.existenzgruender.de/DE/Weg-in-die-Selbstaendigkeit/Businessplan/BusinessModel-Canvas/inhalt.html. (Abruf 14.06.2017) Manifesto for Agile Software Development, https://agilemanifesto.org/ inqa - Initiative Neue Qualität der Arbeit Eine Initiative für Arbeitgeber und Beschäftigte., https:// www.inqa.de/DE/Angebote/Publikationen/monitor-psychische-gesundheit-in-der-arbeitswelt. html

Sachverzeichnis

. 3-Phasen-Modell (Kurt Lewin), 231 5-phasen-Modell (Krüger), 232 7-Phasen-Programm, 478 8-Phasen-Modell (Kotter), 233 A Abwehrverhalten, 187 Agile Manifest, 262 Agile Prinzipien, 263 Agile Methoden, 263 Agilen Führung, 293, 298 agiler Coach, 293 Akronym, 494 Alterozentrierte Sichtweise, 450 Anforderung an Zielformulierungen, 39 Anschlussmotiv, 212 Antrieb, 190 Antriebstendenzen, 212 Anweisungen geben, 532 Appell, 345 Appreciative Inquiry, 247 Arbeitsfluss, 268 Arbeitsmotiv, extrinsisches, 197 Arbeitsplatzkultur, 215 Arbeitszufriedenheit, 223, 293, 298 Argumentieren, 398 Ausschluss, 147 Autonomie, 223 Autonomieverlust, 311 Axiom, pragmatisches, 415

B Backlog, 272, 296 Bedürfnis, individualistisches, 192 Bedürfnis, physiologisches, 191 Bedürfnis, soziales, 192 Befehl-Gehorsam-Management, 21 Beratungsgespräch, 349 Besprechung, 73 Beurteilen, 538 Beziehungs-Botschaft, 386 Beziehungsebene, 380 Beziehungshinweis, 345 Blinder Fleck, 390 Bottlenecks, 273 Bumerang-Methode, 407 Business Model Canvas, 473 Businessplan, 473 C Change-Management, 229 Changing (Moving), 232 Charisma, 17 Coaching, 312 Correctio Fraterna, 129 cross-funktionales Team, 294, 296 D Daily Standup Meetings, 270, 295 Dauerausrichtung, 316, 318 Demingkreis, 275

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 A. J. Hintz und J. Graevenstein, Erfolgreiche Mitarbeiterführung durch soziale Kompetenz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29777-0

569

570 Demotivation, 320 Demut, 328 Delegieren, 77, 534 Die 5-Why-Methode, 282 Diskussion, strukturierte, 73 Distanzausrichtung, 316, 318 Drama-Dreieck, 425 Du-Botschaft, 385 Durchlaufzeit, 272 E Eigenmotivation, 185 Eigenschaft für Führungskräfte, 8 Einführen neuer Mitarbeiter, 536 Einführung agiler Methoden, 312 Einführungsworkshop, 310 Einschätzen, 538 Einwand, 400 Elevator Pitch, 467 Eltern-Ich, 419 Empfohlenes Vorgehen, 327 Engpassanalyse, 481 Engpässe und Blockaden, 268 Engpasskonzentrierte Strategie, 477 Entrepreneurship, 226 Entscheiden, 540 Entscheidungsfindung, 322 Entwicklung des Reifegrades von Mitarbeitern, 89 Erkenntnisse, 312 Ermittlung des persönlichen Führungsstils, 28 Erwachsenen-Ich, 419 Es, 197 Executive Summary, 466 extrinsisch, 189 extrinsische Motivation, 189 Evolutionäre Vorgehensweise, 313 F Feedback, 384 Feedback, Funktionen, 384 Feedback, wirksames, 389 Finanzierungsplan, 472 Finanzplanung, 370 Fokussierungsschritte, 274 Fordern der Mitarbeiter, 542 Fördern der Mitarbeiter, 544

Sachverzeichnis Frage, geschlossene, 358 Frage, offene, 358 Frageform, 358 Fragen, 348 Fragen zur Konfliktbearbeitung, 152 Frage-Trichter, 356 Fragmentierung, 273 Fremdmotivation, 185 Fremdwahrnehmung, 392 Frustration, 187 Führen durch Zielvereinbarung, 46 Führung, 1 Führung in Kultureinrichtungen, 220 Führungsaufgabe, 30 Führungsaufgaben von A bis Z, 529 Führungserfolg, 17 Führungsfähigkeit, 219 Führungsfehler, 99 Führungskompetenz, 1, 14 Führungskontinuum, 25 Führungskreislauf, 32 Führungsstil, 24 argumentierender, 87 autokratischer, 24 autoritärer, 24 bürokratischer, 24 charismatischer, 24 delegierender, 88 demokratischer, 25 laisser-faire, 25 partizipierender, 87 unterweisender, 87 Führungstypologie, 22 Führungsverhalten, 19 G Gegenfrage, 407 Geschäftsplan, mittelfristiger, 522 Gesprächsstrukturen, 57 Glacéhandschuh-Management, 22 Grundausrichtungen, 316 Grundbedürfnis, 487 Grundfunktion, 488 Grundprinzipien von Kanban, 267 Grundpositionen auf der Beziehungsebene, 381 Gruppendynamik, 322 gruppendynamische Phänomene, 314 Gruppenstandard, 323

Sachverzeichnis H Hackreihe, 323 Halo-Effekt, 207 Hauptaufgabe der Führungskraft, 30 Hierarchie der Bedürfnisse nach Abraham Maslow, 191 Hilfe zur Selbsthilfe, 162 I Ich, 197 Ich-Botschaft, 385 Ich-Zustands-Modell, 418 Idealized Influence, 217 Individual Consideration, 218 Informieren, 546 Inkrement, 290 inkrementell, 329 Innovationsstrategie, 482 Inspirational Motivation, 217 Integration, 147 Intellectual Stimulation, 218 Interaktion, hierarchische, 130 Intrapreneurship, 226 intrinsisch, 188 intrinsische Motivation, 188 iterativ, 329 J Job Enlargement, 194 Job Enrichment, 194 Job Rotation, 193 Johari-Fenster, 389 K Kanban, 264 Kanban-Methode, 265 Kanban-Werte, 265 Kapitalbedarf, 470 Kernsätze der EKS, 488 Kernpraktiken von Kanban, 268 Kick-Off-Meeting, 294, 321 Kindheits-Ich, 419 Kommunikationsfähigkeit, 14 Kommunikationsquadrat, 345 Kommunikationsstörung, 382 Kommunizieren, 335, 548 Kompromiss, 147 Konflikt, 145 Konflikt bearbeiten, 550

571 Konflikt vermeiden, 159 Konfliktaufbau, 148 Konfliktmoderation, 161 Kontrollfrage, 403 Kontrollgespräch, 118 Kontrollieren, 117, 552 Kooperationsstrategie, 482 Kritiker-Typ, 143 Kritikgespräch, Struktur, 456 Kritisieren, 129, 554 Kybernetisches Vorgehen, 486 L Lasterkatalog, 371 Leadership, 224 Lebensmotive, 226 Leistungsbereitschaft, 197 Leistungsbewertung, 49 Leistungsentwicklung, 219 Leistungsfähigkeit, 197 Leistungsmöglichkeit, 197 Leistungsmotiv, 211 Leistungsvereinbarungsgespräche, 48 Leitbild, 165, 510, 514, 515 Leitmotiv, 512 Leitsatz, 512 Loben, 123, 556 M Machtmotiv, 210 Machtquellen, 211 Mäeutik, 102 Management, 224 Management, enzymisches, 27 Managerial Grid, 21 Mangerial Grid, 183 Manipulation, 186 Maßnahmenplan, 524 Master-Geschäftsplan, 520 Mind Mapping, 73 Minimumfaktor, 484 Mission, 508 Mission-Statement, 509 Mitarbeiter, 306 Moderationskompetenz, 313 Motivation, 186 Motivationsmodell von Herzberg, 192 Motivieren, 179, 558 Motivierung, 186, 209

572 Motivprofil, 227 Muster eines Konfliktbearbeitungsgespräches, 151 N Nachhaltigkeits-Agenda, 265 Näheausrichtung, 315, 317 Nutzen-Denken, 411 O Oberbewusstsein, 190 Online-Umfrage, 306 Operation-Reviews, 269 Organisationsmanagement, 21 P Paraphrasieren, 370 PDCA, 275 Perspektivwechsel, 367 Pilot-Team, 294 Pinwand-Technik, 73 Planen, 65 Planungskreislauf, 527 Planungsmeeting, 69 Planungsprozess, 520 Planungsprozess in 12 Schritten, 526 Problemlösung, 89 Product Backlog, 289 Product Owner, 287 Profilbestimmung, 396 Prophezeiung, selbsterfüllende, 206, 248 Prozess-Evaluation, 299 Prozessvisualisierung, 271, 332 Push und Pull-Prinzip, 269 Pygmalion-Effekt, 203 R Reaktion, nonverbale, 413 Refreezing, 232 Reifegradmodell, situativ, 86 Reizformulierung, 160 Retrospektiv-Meetings, 269, 274 Retrospektiven, 274, 275, 279, 286, 289, 295, 296, 297, 298, 301, 311, 313, 314, 321, 322, 331, 333, 334 Reversibilität, 130 Riemann-Thomann-Modell, 315

Sachverzeichnis Rollen einer Führungskraft, 85 Rückdelegation, 81 S Sachinformation, 345 Sachkompetenz, 13 Schlüsselkompetenz, 13 Schlüsselqualifikation, 13 Scrum, 287 Scrum Arbeitsweise, 288 Scrum Board, 295 Scrum Process, 289 Scrum-Master, 287, 294 Scrum-Team, 287 Selbstbild, 394 Selbstentfaltung, 192 Selbstkompetenz, 14 Selbstkundgabe, 345 Selbstmord, 242 selbstorganisierende Teams, 293, 298 Selbstwahrnehmung, 392 Selbstwertgefühl, 198 Selbstwirksamkeit, 212, 214 Servant Leadership, 328 Service- Delivery-Prinzipien, 267 Serviceorientierungs-Agenda, 265 Sicherheitsbedürfnis, 191 Signal, körpersprachliches, 382 Sokratischer Dialog, 101 SOS-Modell, 258 Sozialkompetenz, 14 Sprint Retrospective Meeting, 290 Sprints, 295 Standup-Meetings, 269 Start mit KANBAN, 330 Strategie, 444 Story-Points, 296 Struktur des Retrospektiv-Meetings, 276 Struktur eines Kritikgesprächs, 132 Struktur eines Lobgespräches, 125 SWOT-Analyse, 40, 494 Szenario-Technik, 40, 489 T Teamfähigkeit, 14 Team-Management, 21 Teamregeln, 295 Theorie X und Y, 195 Tickets, 268

Sachverzeichnis Transaktion, 421 Transaktion, gekreuzte, 422, 423 Transaktion, komplementäre, 350 Transaktion, verdeckte, 423 Transaktionale Führung, 217 Transaktionsanalyse, 418 Transformationale Führung, 217 Triade, 106 Triadische Konstellation, 106 Trieb, 190 U Über-Ich, 197 Überlebensfähigkeits-Agenda, 265 Überlebensmanagement, 22 Übersetzungsformel, 399 Unfreezing, 232 Unmotivierte Mitarbeiter, 208 Unterbewusstsein, 190 Unternehmensziele, 515 Unterwerfung, 147 Unzufriedenheit, 193 User Stories, 289 uthentische Interviews, 300 V Veränderungsgeschwindigkeit, 321 Veränderungsprozess, 236, 244 Verantwortungsdiffusion, 326 Verantwortungsübertragung, 322 Verbalisieren, 370 Verhalten der Führungskraft, 36 Verhalten der Mitarbeiter, 36 Verhalten in Konflikten, 147 Verhalten von Führungskräften, 17 Verhaltensänderung, 245 Verhaltensänderung durch Zielvereinbarungen, 43 Verhaltensbeurteilung, 383 Verhaltensweisen, 515 Verhaltensziele, 227 Verkaufsgespräch, 352 Vertagen, 407 Vertrauen, 203 Vier-D-Zirkel, 250 Vision, 179, 203, 507 Vision, Mission und Leitbild, 330

573 Vision-Statement, 508 Visualisierung der Arbeitsschritte, 268 Vorgesetzter, aufgabenorientierter, 19 Vorgesetzter, personenbezogener, 19 Vorwand, 400 Vorwegnahme, 407 W Wahrnehmung, subjektive, 340 Wandelprozess, 231 Wandlungsbedarf, 231 Wandlungsbereitschaft, 231 Wandlungsfähigkeit, 231 Wechselausrichtung, 316, 318 W-Frage, 78 Willensbildung, 1, 30 Willensdurchsetzung, 1, 30 WiP-Limits, 268 Z Ziel formales, 41 materielles, 41 operatives, 40 soziales, 41 strategisches, 39 taktisches, 39 Ziel erreicht, 50 Ziel- und Leistungsvereinbarungsgespräche, 49 Ziel vereinbaren, 560 Ziele, 35, 515 Zielgruppen, 479 Zielrahmen, 93 Zielsystem, 39 Zielvereinbarung, 40 Zielvereinbarungsgespräche, 52 Zirkuläre Sichtweise, 107 Zirkuläres Denken, 107 Zirkuläres Fragen, 106 Zufriedenheit, 193 Zuhören, 365 Zuhören, Aktives, 367, 530 Zuhören, effektives, 366 Zukunftsaussagen, 253 Zukunftsszenario, 493 Zustimmungssignal, 412