Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf: Ein Blick auf Erwerbs- und Erfassungsprozesse mit besonderem Fokus auf Empathie [1. Aufl.] 978-3-658-26379-9;978-3-658-26380-5

Daniela Vogel stellt die Entwicklung und den Einsatz einer kompetenzbasierten Prüfung für Studierende am Ende des Medizi

891 62 2MB

German Pages XXXI, 314 [336] Year 2019

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf: Ein Blick auf Erwerbs- und Erfassungsprozesse mit besonderem Fokus auf Empathie [1. Aufl.]
 978-3-658-26379-9;978-3-658-26380-5

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXXI
Einleitung und Überblick (Daniela Vogel)....Pages 1-7
Begrifflichkeiten (Daniela Vogel)....Pages 9-27
Kompetenzerwerb (Daniela Vogel)....Pages 29-48
Kompetenzerfassung (Daniela Vogel)....Pages 49-66
Ärztliche Kompetenz (Daniela Vogel)....Pages 67-112
Forschungsfragen und Hypothesen (Daniela Vogel)....Pages 113-115
Design und Methodik (Daniela Vogel)....Pages 117-180
Ergebnisse (Daniela Vogel)....Pages 181-253
Diskussion (Daniela Vogel)....Pages 255-283
Back Matter ....Pages 285-314

Citation preview

Daniela Vogel

Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf Ein Blick auf Erwerbs- und Erfassungsprozesse mit besonderem Fokus auf Empathie

Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf

Daniela Vogel

Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf Ein Blick auf Erwerbs- und ­Erfassungsprozesse mit besonderem Fokus auf Empathie

Daniela Vogel Hamburg, Deutschland Dissertation Universität Hamburg, 2017, u.d.T.: Vogel, Daniela: „Ärztliche K ­ ompetenz: Lehren/Lernen – Beobachten – Prüfen. Ein pädagogischer Blick auf ­ärztliche Kompetenzfacetten unter besonderer Berücksichtigung der Empathie“

Ergänzendes Material zu diesem Buch finden Sie auf http://extras.springer.com. ISBN 978-3-658-26379-9 ISBN 978-3-658-26380-5  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-26380-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Für meine Familie Sara-Eliza und David Suazo

Danksagung

Es ist nicht genug zu wissen, man muß auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muß auch thun. Johann Wolfgang von Goethe (1830, 257) Ohne die Unterstützung, den Rat und Beistand sowie die Geduld und Weitergabe wichtiger Erfahrungswerte verschiedener Personen wäre die vorliegende Dissertation nicht möglich gewesen, so dass ich an dieser Stelle die Möglichkeit nutzen möchte, mich bei einigen von ihnen besonders zu bedanken. Mein erster Dank gilt Frau Prof.in Dr.in Telse Iwers für die Übernahme und Durchführung der Betreuung meiner Dissertation aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive sowie ihrer Unterstützung während des Prozesses. Insbesondere danken möchte ich auch Frau Prof.in Dr.in med. Sigrid Harendza, für die außergewöhnlich guten Promotionsbedingungen, die in dieser Form wohl nur noch selten im wissenschaftlichen Bereich zu finden sind. Dazu gehören neben den großzügigen Freiräumen, insbesondere ihre Geduld, Unterstützung, menschliche Wertschätzung und ihr Vertrauen sowie die Weitergabe vieler wertvoller Hinweise und Erfahrungen, nicht nur im wissenschaftlichen Bereich, an denen ich persönlich und fachlich wachsen konnte.

VIII

Danksagung

Ebenso danke ich den beteiligten Studierenden, Pflegekräften und Oberärzten*innen ganz herzlich für ihre Teilnahme an den Untersuchungen. Auch meiner Mutter Carmen und meinem Stiefvater Gernot möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen für ihre Liebe sowie moralische und oftmals auch organisatorische Unterstützung. Ebenso gebührt mein aufrichtiger Dank meinem Vater Michael und seiner viel zu früh von uns gegangenen Frau Undine ebenfalls für ihre Liebe, ihren Beistand und insbesondere auch dafür, das Leben auch aus anderen Perspektiven zu sehen und die Besonnenheit nicht zu verlieren. Meiner Kollegin und Freundin Sarah möchte ich danken für ihre umfang- und so hilfreichen Korrekturarbeiten, sowie für den fachlichen und privaten Austausch an schönen und auch weniger schönen Tagen. Dieser war und wird hoffentlich auch weiterhin immer bereichernd sein und ich hoffe, mich bei ihrer Dissertation durch tatkräftige Unterstützung revanchieren zu können. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Partner David, für seinen unbeirrbaren Glauben, den ich so bewundere, und für all die Unterstützung und das Nicht-Aufgeben, das er mir hat zuteil kommen lassen. Ebenso danke ich aus vollem Herzen meiner Tochter Sara-Eliza für die Herausforderungen, die sie mir jeden Tag stellt und ihren Blick auf das Leben und die Welt.

Inhalt 1 Einleitung und Überblick ................................................................................... 1 1.1 Standortbestimmung der Arbeit ................................................................. 4 1.2 Aufbau der Arbeit ....................................................................................... 6 2 Begrifflichkeiten ................................................................................................ 9 2.1

Bildung .................................................................................................. 10

2.2

Qualifikation ......................................................................................... 11

2.3

Kompetenz ............................................................................................ 12

2.3.1

Persönlichkeit und Identität.......................................................... 15

2.3.2

Kontextbezug und Kompetenzelemente ...................................... 17

2.3.3

Kompetenz und Performanz ......................................................... 19

2.3.4

Wissen ........................................................................................... 21

2.3.5

Kompetenzdimensionen ............................................................... 23

2.3.6

Zusammenfassendes Kompetenzverständnis ............................... 26

3 Kompetenzerwerb .......................................................................................... 29 3.1

Erwerbsmodelle .................................................................................... 30

3.1.1

Kognitive Taxonomien .................................................................. 32

3.1.2

Zweidimensionale kognitive Taxonomie nach Krathwohl ............ 35

3.1.3

Affektive und psychomotorische Taxonomien ............................. 37

3.2

Lerntheoretische Verbindungen ........................................................... 38

3.3

Kompetenz-Aneignungswege ............................................................... 43

3.4

Zusammenfassung Kompetenzerwerb ................................................. 47

X

Inhalt

4 Kompetenzerfassung ...................................................................................... 49 4.1

Lernergebnisse und Constructive Alignment ........................................ 50

4.2

Situative Bedingungen .......................................................................... 52

4.3

Methodik der Kompetenzerfassung ..................................................... 53

4.3.1

Beurteilungsarten und Formen der Kompetenzerfassung............ 54

4.3.2

Prüfungsformate ........................................................................... 57

4.3.3

Multiple-Choice-Klausuren ........................................................... 59

4.4

Qualitätskriterien von Messverfahren .................................................. 63

4.5

Zusammenfassung Kompetenzerfassung ............................................. 64

5 Ärztliche Kompetenz ....................................................................................... 67 5.1

Kompetenzerwerb und -erfassung - Aufbau, Ablauf und Inhalte des Medizinstudiums ............................................................................ 70

5.1.1

Gesetzliche Vorgaben ................................................................... 70

5.1.2

Die medizinische Ausbildung an der Universität Hamburg ........... 73

5.2

Ärztliche Rollen- und Kompetenzmodelle ............................................ 77

5.2.1

CanMEDS-Rollenmodell ................................................................ 77

5.2.2

Rollenmodell des NKLM ................................................................ 79

5.2.3

Kompetenzebenen des NKLM ....................................................... 81

5.3

Die Arzt-Patienten-Beziehung .............................................................. 85

5.3.1

Beziehungsmodelle ....................................................................... 85

5.3.2

Ärztliche Haltung und Verhaltensregeln ....................................... 88

5.4

Empathie als bedeutende ärztliche Kompetenz ................................... 91

5.4.1

Zum Verständnis von Empathie - Emotion und Kognition ............ 91

5.4.2

Empathie in der Medizin ............................................................... 94

5.5

Bedeutungseinsatz standardisierter Patienten .................................. 102

Inhalt

XI

5.6

Empathietraining als Bestandteil eines Kommunikationstrainings .... 103

5.6.1

Theoretischer Rahmen des Kommunikationstrainings ............... 104

5.6.2

Ablauf des Kommunikationstrainings ......................................... 108

5.7

Zusammenfassung Ärztliche Kompetenz ............................................ 110

6 Forschungsfragen und Hypothesen .............................................................. 113 7 Design und Methodik .................................................................................... 117 7.1

Design der Studie ................................................................................ 117

7.2

Analysemethoden ............................................................................... 121

7.3

Erhebungsmethoden und -instrumente ............................................. 125

7.3.1

Soziodemographische Daten ...................................................... 126

7.3.2

Instrumente zur Erfassung von Persönlichkeit und Empathie .... 126

7.4

Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung ............... 147

7.4.1

Erfassung von medizinischem Wissen durch einen MultipleChoice-Test.................................................................................. 148

7.4.2

Leistungen von Medizinabsolventen .......................................... 154

7.4.3

Delphi-Verfahren ........................................................................ 157

7.4.4

Entwicklung von Patientenfällen für den simulierten Arbeitstag .................................................................................... 161

7.4.5

Konzeption des simulierten ersten Arbeitstages ........................ 163

7.4.6

Beurteilung ärztlicher Kompetenzfacetten ................................. 166

7.5

Umsetzung des Forschungsdesigns .................................................... 176

7.5.1

Datenerhebung im mittleren Studienabschnitt .......................... 176

7.5.2

Datenerhebung der PJ-Studierenden ......................................... 178

7.6

Zusammenfassung Design und Methodik........................................... 179

XII

Inhalt

8 Ergebnisse ..................................................................................................... 181 8.1

Beschreibung der Studierenden im mittleren Studienabschnitt ........ 181

8.1.1

Soziodemographische Daten ...................................................... 181

8.1.2

Persönlichkeitsmerkmale (NEO-FFI) ........................................... 183

8.1.3

Selbst- und Fremdeinschätzung der Empathie (IRI & CARE) ....... 185

8.1.4

Zusammenhangsanalysen ¬ selbst- und fremdeingeschätzte Empathie (IRI & CARE) ................................................................. 189

8.1.5

Zusammenhangsanalysen ¬ Persönlichkeitsmerkmale und Empathie (NEO-FFI, IRI & CARE) .................................................. 190

8.1.6

Zusammenfassung der Ergebnisse - Studierende im mittleren Studienabschnitt ......................................................................... 194

8.2

Beschreibung der PJ-Studierenden ..................................................... 195

8.2.1

Soziodemographische Daten ...................................................... 195

8.2.2

Persönlichkeitsmerkmale (NEO-FFI) ........................................... 197

8.2.3

Selbst- und Fremdeinschätzung der Empathie (IRI & CARE) ....... 198

8.2.4

Zusammenhangsanalysen ¬ selbst- und fremdeingeschätzte Empathie (IRI & CARE) ................................................................. 211

8.3

Kompetenzprüfung der PJ-Studierenden ........................................... 215

8.3.1

Ergebnisse des Multiple-Choice-Tests (MC)................................ 215

8.3.2

Beurteilungen der ärztlichen Kompetenzfacetten (FOCs) .......... 217

8.3.3

Beurteilungen der Eignungsbewertungen (EPAs) ....................... 221

8.3.4

Zusammenhänge der Prüfungsinstrumente zu Persönlichkeitsmerkmalen und Empathie .................................. 224

8.3.5

Zusammenhänge der Prüfungsinstrumente untereinander ....... 237

8.3.6

Zusammenfassung der Ergebnisse - PJ-Studierende .................. 242

Inhalt

XIII

8.4

Vergleich der Untersuchungsgruppen ................................................ 245

8.4.1

Soziodemographischen Daten .................................................... 246

8.4.2

Persönlichkeitsmerkmale (NEO-FFI) ........................................... 247

8.4.3

Selbsteingeschätzte Empathie (IRI) ............................................. 248

8.4.4

Fremdeingeschätzte Empathie (CARE)........................................ 249

8.4.5

Zusammenfassung des Gruppenvergleichs ................................ 252

9. Diskussion .................................................................................................... 255 9.1

Kompetenz-Diskurs der Erfassungsverfahren ..................................... 255

9.2

Diskussion der Ergebnisse beider Untersuchungsgruppen ................ 259

9.2.1

Persönlichkeitsmerkmale (NEO-FFI) ........................................... 259

9.2.2

Selbsteingeschätzte Empathie (IRI) ............................................. 260

9.2.3

Fremdeingeschätzte Empathie (CARE)........................................ 261

9.2.4

Selbst- und fremdeingeschätzte Empathie (IRI & CARE)............. 265

9.2.5

Persönlichkeit und selbsteingeschätzte Empathie (NEO-FFI & IRI) ............................................................................ 266

9.2.6

Persönlichkeit und fremdeingeschätzte Empathie (NEO-FFI & CARE) ........................................................................ 268

9.2.7

Der Gruppenvergleich - Studierende im mittleren Abschnitt zu PJ-Studierenden...................................................................... 269

9.3

Diskurs der weiteren erhobenen Aspekte der PJ-Studierenden......... 271

9.3.1

Wissen im Kontext der kompetenzbasierten Prüfung ................ 271

9.3.2

Ärztliche Kompetenzfacetten, selbst- und fremdeingeschätzte Empathie (FOCS, IRI & CARE) ..................... 273

9.3.3

Ärztliche Kompetenzfacetten, Eignungsbewertungen und Persönlichkeit (FOCs, EPAs & NEO-FFI) ....................................... 274

XIV

Inhalt 9.3.4

Ärztliche Eignungsbewertungen, selbst- und fremdeingeschätzte Empathie (EPAs, IRI & CARE) ...................... 275

9.4

Stärken und Schwächen der Arbeit .................................................... 276

9.5

Fazit und Ausblick auf curriculare Entwicklungen .............................. 278

Literaturverzeichnis ......................................................................................... 285

Die Anhänge A und B sind als Zusatzmaterialien auf http://extras.springer.com/ verfügbar.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12:

Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19:

Wissenschaftliche Schnittstellen - Standortbestimmung der Arbeit .................................................................................... 5 Vom Wissensaufbau zur Kompetenzentwicklung ..................... 30 Stufen zur professionellen Kompetenz ..................................... 31 Kognitive Taxonomie nach Bloom et al. .................................... 33 Theorien der bertrieblichen Bildung ......................................... 39 Aneignungswege für Kompetenzen .......................................... 44 Constructive Alignment von Prüfung ........................................ 52 Vom Wissensaufbau zur Kompetenzentwicklung ..................... 65 Kompetenz testtheoretisch ....................................................... 66 The CanMEDS Roles Framework ............................................... 78 Gliederungsübersicht des NKLM ............................................... 82 Kompetenzebenen von NKLM im Vergleich zu Miller-Pyramide und Swiss Catalogue of Learning Objectives for Undergraduate Medical Training ....................... 83 Verbindung zwischen Kompetenzdimensionen und ärztlichem Rollenmodell ............................................................ 84 Vier Seiten der Nachricht - ein Modellstück der zwischenmenschlichen Kommunikation ................................. 106 Studiendesign .......................................................................... 120 Fragenauswahl der deutschen und niederländischen Rater ... 150 Punkteverteilung der deutschen und niederländischen Rater der ausgewählten 100 Fragen nach Disziplinen ............ 153 Vergleich mittlerer Ränge Neurotizismus Männer und Frauen - Studierende mittlerer Studienabschnitt ................... 184 Verteilung der Bewertungen über die CARE-Kategorien Studierende mittlerer Studienabschnitt .................................. 187

XVI

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 20: Vergleich mittlerer Ränge CARE - Externes und SP-Rating Studierende mittlerer Studienabschnitt .................................. 188 Abbildung 21: Streudiagramm Zusammenhang Neurotizismus und Empathischer Distress - Studierende mittlerer Studienabschnitt...................................................................... 191 Abbildung 22: Streudiagramm Zusammenhang Offenheit und Fantasie Studierende mittlerer Studienabschnitt .................................. 192 Abbildung 23: Streudiagramm Zusammenhang Offenheit und Perspektivübernahme - Studierende mittlerer Studienabschnitt...................................................................... 192 Abbildung 24: Verteilung der SP-Bewertungen über die CARE-Kategorien PJ-Studierende......................................................................... 201 Abbildung 25: Boxplots CARE nach SPs - PJ-Studierende ............................... 203 Abbildung 26: Interaktion CARE-SP-Bewertung und Geschlecht der PJStudierenden ........................................................................... 204 Abbildung 27: Verteilung der externen Rating-Bewertungen aus Perspektive der SP-Rollen über die Kategorien - PJ-Studierende ........ 205 Abbildung 28: Interaktion CARE-Bewertungen der externen Rater PJ-Studierende......................................................................... 206 Abbildung 29: CARE-Bewertung externer Rater in Verbindung zum Geschlecht der PJ-Studierenden ............................................. 208 Abbildung 30: CARE-Bewertung externer Rater pro SP-Fall in Verbindung zum Geschlecht der PJ-Studierenden ...................................... 209 Abbildung 31: Vergleich CARE-SP-Bewertungen zu denen des 1. und 2. externen Raters - PJ-Studierende ............................. 210 Abbildung 32: Ergebnis des MC-Tests nach Schulnoten - PJ-Studierende...... 215 Abbildung 33: Ergebnis des MC-Tests nach repräsentierten Disziplinen PJ-Studierende......................................................................... 216 Abbildung 34: Säulendiagramm der FOC-Bewertungen durch die Oberärzte - PJ-Studierende ..................................................... 218 Abbildung 35: Säulendiagramm der FOC-Bewertungen durch die Pflegekräfte - PJ-Studierende .................................................. 219

Abbildungsverzeichnis

XVII

Abbildung 36: Säulendiagramm der EPA-Bewertungen durch die Oberärzte - PJ-Studierende ..................................................... 221 Abbildung 37: Streudiagramm Zusammenhang FOC 1 ¬ Wissenschaftlich und empirisch fundierte Arbeitsmethoden und MC-Test PJ-Studierende......................................................................... 238 Abbildung 38: Streudiagramm Zusammenhang FOC 6 ¬ Sicherheit und Risikomanagement der Pflegekräfte und MC-Test PJ-Studierende......................................................................... 239 Abbildung 39: Boxplots externes CARE-Rating nach Studierendengruppen .. 251

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21:

Taxonomie nach Krathwohl.......................................................... 35 Prüfungsformate in Verbindung mit Lernergebnissen durch Kompetenzen formuliert .................................................... 58 Interne Konsistenz der NEO-FFI-Skalen ...................................... 131 Interne Konsistenz der NEO-FFI-Skalen - Männer ...................... 132 Interne Konsistenz der NEO-FFI-Skalen - Frauen ....................... 132 Interne Konsistenz der IRI-Skalen............................................... 137 Interne Konsistenz der IRI-Skalen - Männer ............................... 139 Interne Konsistenz der IRI-Skalen - Frauen ................................ 140 Interne Konsistenz der CARE-Skala ............................................ 143 Test- und Fragencharakteristika des Pilottests .......................... 152 Testcharakteristika des 100-Fragen-Tests .................................. 153 Beurteilungen der Leistungen von Medizinabsolventen ¬ Ergebnisse und Unterschiede ..................................................... 155 Störungsplan während der Simulation ....................................... 165 Interne Konsistenz der FOCs ...................................................... 168 Soziodemographische Daten - Studierende mittlerer Studienabschnitt ......................................................... 182 NEO-FFI Ergebnisse und Geschlechtervergleich Studierende mittlerer Studienabschnitt..................................... 183 IRI Ergebnisse und Geschlechtervergleich Studierende mittlerer Studienabschnitt..................................... 186 Einteilung der CARE-Skala .......................................................... 187 CARE-Ergebnisse - Studierende mittlerer Studienabschnitt ...... 188 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen IRI und CARE- Studierende mittlerer Studienabschnitt .............. 189 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen NEO-FFI und IRI - Studierende mittlerer Studienabschnitt ........ 190

XX Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32: Tabelle 33: Tabelle 34: Tabelle 35: Tabelle 36: Tabelle 37: Tabelle 38: Tabelle 39: Tabelle 40:

Tabelleverzeichnis Pearson-Korrelationskoeffizienten r zwischen NEO-FFI und CARE - Studierende mittlerer Studienabschnitt .................. 193 Soziodemographische Daten - PJ-Studierende .......................... 196 NEO-FFI Selbsteinschätzungen und Geschlechtervergleich ¬ PJ-Studierende ........................................................................... 198 IRI-Selbsteinschätzungen und Geschlechtervergleich¬ PJ-Studierende ........................................................................... 199 CARE-Ergebnisse der SPs - PJ-Studierende ................................. 202 CARE-Ergebnisse der beiden externen Rater PJ-Studierende ........................................................................... 207 CARE-Ergebnisse der externen Rater und der SPs PJ-Studierende ........................................................................... 211 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen CARE und IRI - PJ-Studierende .................................................... 212 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen NEO-FFI und IRI - PJ-Studierende ............................................... 213 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen NEO-FFI und CARE - PJ-Studierende ........................................... 214 Vergleich der FOCs der Pflegekräfte und Oberärzte .................. 220 Ergebnisse und Geschlechtervergleich der EPAs ....................... 222 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen NEO-FFI und FOCs der Oberärzte ............................................... 225 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen NEO-FFI und FOCs der Pflegekräfte ............................................ 227 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen NEO-FFI und EPAs ....................................................................... 228 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen IRI und MC-Test .......................................................................... 229 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen IRI und FOCs der Oberärzte ........................................................ 230 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen IRI und FOCs der Pflegekräfte .................................................... 231 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen IRI und EPAs ...... 232

Tabellenverzeichnis Tabelle 41: Tabelle 42: Tabelle 43: Tabelle 44: Tabelle 45: Tabelle 46: Tabelle 47: Tabelle 48: Tabelle 49:

XXI

Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen CARE und FOCs der Oberärzte ................................................... 235 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen CARE und FOCs der Pflegekräfte ................................................ 236 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen CARE und EPAs ........................................................................... 236 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen EPAs und MC-Test ...................................................................... 240 Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen EPAs und FOCs ............................................................................ 241 Gruppenvergleich der soziodemographischen Daten ................ 247 Gruppenvergleich der Persönlichkeitsmerkmale NEO-FFI ......... 248 Gruppenvergleich der selbsteingeschätzten Empathie IRI ......... 249 Gruppenvergleich der fremdeingeschätzten Empathie CARE .... 250

Abkürzungsverzeichnis

ÄApprO AK DQR BMBF CARE DeSeCo EHEC EI EPAs FOCs GMA HPI HUS ICC IMPP IRI JSPE KliniCuM KMK M/MW MC Mdn MediTreFF MFT NEO-FFI NKLM

Approbationsordnung für Ärzte Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen Bundesministerium für Bildung und Forschung Consultation and Relational Empathy Definition and Selection of Competencies Enterohämorrhagische Escherichia Coli Emotionale Intelligenz Entrustable Professional Activities Facets of Competence Gesellschaft für Medizinische Ausbildung Hamburger Persönlichkeitsinventar Hämolytisch-urämisches Syndrom Intraklassenkorrelation Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen Interpersonal Reactivity Index Jefferson Scale of Physician Empathy Klinisches Curriculum Medizin Kultusministerkonferenz Mittelwert Multiple Choice Median Medizinisches Trainingszentrum eigener Fähigkeiten und Fertigkeiten Medizinischer Fakultätentag NEO-Fünf-Faktoren-Inventar Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin

XXIV OECD OSCE PISA PJ POL PPEF SP/SPs UaK UKE

Abkürzungsverzeichnis Organisation for Economic Co-operation and Development Objective structured clinical examination Programme for International Student Assessment Praktisches Jahr Problemorientiertes Lernen Post Patient Encounter Forms Standardisierte*r Patient*in/Standardisierte Patienten*innen Unterricht am Krankenbett Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit zum Thema ärztliche Kompetenz setzt sich einleitend intensiv mit den relevanten Begrifflichkeiten sowie pädagogisch-psychologischen Theorien zum Kompetenzerwerb und dessen Erfassung auseinander. Auf diesen Ansätzen aufbauend folgt die Darstellung des ärztlichen Kompetenzerwerbs und dessen Erfassung anhand gesetzlicher Vorgaben und der Gestaltung der humanmedizinischen Ausbildung an der Universität Hamburg. Daran anschließend findet sich die theoretische Auseinandersetzung mit in der Medizin vorherrschenden Rollen- und Kompetenzmodellen sowie mit der Arzt-Patienten-Beziehung, die eine besonders relevante Rolle im praktischen Kontext einnimmt. Gleichzeitig spielt in der Arzt-Patienten-Beziehung die ärztliche Empathie, die innerhalb der Arbeit in einem speziellen Fokus steht, eine besonders relevante Rolle, so dass, aufbauend auf der Darstellung der Arzt-Patienten-Beziehung, eine intensive Auseinandersetzung mit dieser folgt, was auch den Einsatz von standardisierten Patienten im medizinischen Curriculum und damit im Zusammenhang stehende Trainingsmaßnahmen einschließt. Mit diesen theoretischen Grundlagen nimmt die Arbeit besonders Bezug auf den Aspekt des Lehrens und Lernens ärztlicher Kompetenz und Empathie und schafft die theoretische Basis der daraus abgeleiteten Fragestellungen. Ziel der Arbeit ist es, neben dem Blick auf Lehr- und Lernprozesse ärztlicher Kompetenz, diese zu beobachten, zu erfassen und zu bewerten, wobei auch der Frage nachgegangen wird, ob und wie Empathie gelehrt und gelernt wird und welchen nachhaltigen Effekt Lehr-Lernkonzepte im Bereich der Förderung von sozialen Kompetenzen bei Medizinstudierenden haben, da dies bisher wenig untersucht ist. Dafür wurde methodisch eine neue kompetenzbasierte Prüfung für Medizinstudierende am Ende ihres Studiums entwickelt und eingesetzt. Diese umfasst einen medizinischen Wissenstest und eine einem ersten klinischen Arbeitstag ähnelnde Simulation, innerhalb derer die ärztliche Kompetenz der Studierenden anhand verschiedener Kompetenzfacetten durch Ober-

XXVI

Zusammenfassung

ärzte und Pflegekräfte bewertet wurde. Darüber hinaus wurden die Studierenden innerhalb der Simulation durch standardisierte Patienten hinsichtlich ihrer Empathie bewertet und haben sich auch selbst in ihrer Empathie und in Persönlichkeitsmerkmalen eingeschätzt. Durch die auf Video aufgezeichneten Konsultationsgespräche mit den standardisierten Patienten während der Simulation wurde darüber hinaus auch ein externes Rating der Empathie durchgeführt. Die Entwicklung und der Einsatz dieser neu konzipierten Prüfung, die darauf abzielt, zu überprüfen, wie angehende Ärzte mit unbekannten medizinischen Problemen umgehen und diese lösen, werden in der Arbeit intensiv dargestellt. Die Überprüfung ist deshalb von besonderer Relevanz, da es sich beim Lösen von unbekannten (klinischen) Problemen um einen wesentlichen Bestandteil der täglichen Arbeit eines klinisch tätigen Arztes handelt. Der Umgang mit grundsätzlich unbekannten Situationen ist dabei auch ein wesentlicher Teil der Kompetenzdefinition. Um der Frage nachzugehen, wie sich Empathie im Laufe des Studiums entwickelt, wurde eine Gruppe Medizinstudierender im mittleren Abschnitt ihres Studiums verglichen mit den in die Simulation involvierten Medizinstudierenden am Ende ihres Studiums. Dabei wurden die Studierenden im mittleren Abschnitt innerhalb eines Kommunikationstrainings, bei dem es auch um empathische Aspekte geht, und innerhalb dessen die Studierenden auch Patientengespräche führten, von den standardisierten Patienten und einem externen Rater mit dem gleichen Instrument wie die Studierenden am Ende ihres Studiums hinsichtlich ihrer Empathie bewertet. Auch haben die Studierenden im mittleren Abschnitt Selbsteinschätzungen ihrer Empathie und in Bezug auf Persönlichkeitsmerkmale abgegeben. Diese sowie die Empathie-Bewertungen der standardisierten Patienten und externen Rater beider Untersuchungsgruppen wurden auf signifikante Unterschiede hin untersucht, beim Vergleich der fremdeingeschätzten Empathie anhand einer Kovarianzanalyse. Für die Studierenden am Ende ihres Studiums kann festgehalten werden, dass es gelungen ist, eine kompetenzbasierte Prüfung zu entwickeln, die den Anforderungen der Kompetenzdefinition gerecht wird und die so bisher einmalig im deutschen Sprachraum ist. Die Zusammenhangsergebnisse der eingesetzten Instrumente zeigten, dass es gelungen ist, wesentliche Facetten ärztlicher Kom-

Zusammenfassung

XXVII

petenz zu erfassen und in Beziehung zu setzen. Die ärztliche Empathie zeigte innerhalb dieses Settings keinen besonderen Stellenwert und der Empathievergleich der beiden Untersuchungsgruppen wies einen signifikanten Unterschied, allerdings ausschließlich beim externen Rating, zugunsten der Studierenden im mittleren Studienabschnitt auf. Aus Sicht des externen Ratings zeigte sich das Training also nicht nachhaltig bis zum Studienende. Dieser Befund unterstützt dabei andere Untersuchungsergebnisse, die eine Abnahme der Empathie im Verlauf des Medizinstudiums und weiter folgend in der ärztlichen Weiterbildung postulieren. Das neu entwickelte Erfassungs- und Prüfungsformat bietet die Möglichkeit, es im Rahmen einer weiteren Reformierung des Medizinstudiums am Ende des Studiums als kompetenzbasierte Arztreifeprüfung als Teil der medizinischen Abschlussprüfung einzusetzen. So können innerhalb dieses Settings neben wichtigen fachlichen Kompetenzen, wie beispielsweise wissenschaftlich und empirisch begründeten Arbeitsmethoden, auch soziale Kompetenzen, wie Empathie, Teamwork und Kollegialität geprüft werden, die in der Interaktion mit Patienten und auch Personen anderer Gesundheitsberufe eine wichtige Rolle spielen. Über die Erfassung ärztlicher Kompetenz anhand von Kompetenzfacetten, die sich in konkreten ärztlichen Handlungen innerhalb einer solchen Simulation zeigen können, wäre so ein Weg geebnet, um zu einer gemeinsamen Basis zu kommen, welches Niveau innerhalb der Prüfung mindestens nötig ist, um eine ärztliche Weiterbildungskompetenz für die Facharztausbildung zu erreichen. Darüber hinaus ist es der vorliegenden Arbeit ein Anliegen, Denkanstöße für die Integration pädagogischer Ansätze und Ideen in die Weiterentwicklung medizinischer Curricula zu geben.

Abstract

This doctoral thesis on the topic of medical competence begins with an in-depth analysis of related terms and pedagogical-psychological theories in the context of acquirement and assessment of competence. The presentation of medical competence and assessment thereof is based on these approaches as well as the legal requirements and the organisation of human medicine at the University of Hamburg. This is followed by a theoretical examination of the roles and competence models that predominate in medicine as well as the doctor-patient relationship, which plays a particularly relevant role in the practical context. At the same time, in the physician-patient relationship, medical empathy, which is a special focus of this thesis, plays a particularly relevant role. Based on the representation of the doctor-patient relationship, a comprehensive disquisition of the understanding of empathy, especially medical empathy, takes place. This includes employing standardised patients and related training measures in the medical curriculum. With this theoretical foundation, the thesis particularly addresses the aspect of teaching and learning of medical competence and empathy, and creates the theoretical base for the questions to be answered. The aim of this study is, besides describing the teaching and learning processes for medical competence, to observe, measure and assess medical competence. This includes the question if and how empathy is taught and learned, and what kind of sustainable effect teaching and learning programmes in the area of advancement of social competencies for medical students may have. Little research has been done in this area so far. A new competence-based assessment for medical graduates was methodically developed and applied. It includes a medical knowledge test and a simulation that is similar to a first clinical workday. During the simulation the students’ medical competence was assessed by supervisors and nursing staff based on facets of competence. Furthermore, students’ empathy was assessed during the simulation by standardised patients and students assessed themselves with respect to empathy and personality traits. In addition, an external rating of the students’ empathy was undertaken using video-taped

XXX

Abstract

consultations with the standardised patients. The development and application of this new assessment, which aims to test how doctors handle and solve unfamiliar medical problems, is reported in detail in this thesis. This assessment is particularly relevant because the solving of unfamiliar (clinical) problems is an essential part of the daily work of a clinically working physician. Handling generally unfamiliar tasks is a fundamental element of the definition of competence. To investigate how empathy develops during medical undergraduate studies, a group of medical students in the middle of their studies was compared with medical students at the end of their studies who were involved in the simulation. Students in the middle of their studies were assessed by standardised patients and external raters as part of a communication training exercise, which also included empathic aspects and in which the students held consultations with standardised patients, too. The standardised patients and external raters used the same rating instrument to assess empathy as was used for the students at the end of their studies. The students in the middle of their studies also filled out self-assessments on their empathy and personality traits. These, as well as the empathy ratings of the standardised patients and external raters of both groups, were analysed for significant differences, and the externally assessed empathy values were compared using a covariance analysis. In general, the development of a competence-based assessment for students at the end of their studies was successful. It meets the required standards for the definition of competence and is unique in German-speaking countries. The correlation results of the instruments employed show that measuring and relating the main facets of medical competence has been successful. Medical empathy did not show a particular value in this setting, and the comparison of empathy between both groups presented a significant difference only in the external rating in favour of the students in the middle of their studies. From the perspective of the external rating, the communication training was not sustained until the end of the medical studies. This result supports other research results, which postulate a decrease in empathy during medical studies and subsequently during postgraduate training. The newly developed assessment and testing format offers, as part of a further reform of medical studies, the possibility to apply it as a competence-based component in final medical examinations. Therefore, in the context of this setting, it is possible,

Abstract

XXXI

in addition to important professional competencies such as scientifically and empirically based working methods, to assess social competencies such as empathy, teamwork and collegiality, which play an important role in the interaction with patients and staff from other health professions. By assessing medical competence using these facets of competence, which can be observed in actual medical activities within such a simulation, a way can be paved to achieve a common basis to establish a minimum level necessary within the examination to obtain higher medical education competence for postgraduate specialist training. Furthermore, the present work’s particular interest is to provide thought-provoking impulses for the integration of pedagogical approaches and ideas to advance the development of medical curricula further.

1

Einleitung und Überblick

In Krankheitssituationen wünschen sich Betroffene fachlich, sozial und emotional kompetente Ärztinnen und Ärzte1, denen sie sich anvertrauen können und von denen sie Unterstützung erfahren. Dabei nimmt jedes Mitglied unserer Gesellschaft mit unterschiedlicher Quantität und in verschiedenen Abständen die Patientenrolle ein, womit der Beruf des Arztes mit dem Ziel der Erhaltung menschlicher Gesundheit eine besondere gesamtgesellschaftliche Stellung einnimmt. Denn Gesundheit und Krankheit sowie der Umgang damit stellt eine wesentliche Aufgabe jeglicher Gesellschaft dar, und spiegelt sich mit entsprechenden Stärken und Schwächen innerhalb der Gesellschaft als Gesundheitssystem wider. Der Umgang mit Gesundheit und Krankheit zeigt sich dabei als Handlung in der Patientenversorgung. Mit dem Anliegen wieder gesund zu werden, steht der Patient als kranker, leidender Mensch dabei dem gesunden und fachlich ausgebildeten Arzt gegenüber, von dessen Hilfe, Fürsorge und Verantwortung er abhängig ist und dem er sein Vertrauen entgegenbringt (Geisler, 2002). An der Auseinandersetzung zu kompetentem professionellem ärztlichem Handeln besteht dabei schon seit Jahrhunderten reges Interesse, wie der bis in die Antike zurück gehende hippokratische Eid, als eine erste grundlegende Version ärztlicher Ethik, zeigt (Schubert, Ortwein, Remus, Schwantes, & Kiessling, 2005). An diesen angelehnte grundlegende ärztliche Prinzipien finden sich noch heute im ärztlichen Gelöbnis wieder, das in den Berufsordnungen der Landesärztekammern verankert ist (Ärztekammer Hamburg, 2000). Das oberste Gebot ist dabei auch in diesem, die Gesundheit der Patienten zu erhalten und wiederherzustellen. Auch eine Suche mit den Schlagworten ‚ärztliche Kompetenz‘ bei dem Online-Suchdienst Google zeigt mit 845.000 Ergebnissen (Stand: 25.10.2016), dass das Thema entsprechend der gesellschaftlichen Bedeutung von Ärzten und ärztlichem Handeln 1

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit zugunsten des generischen Maskulinums auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Schreibweise verzichtet. Es sind ausdrücklich, wenn nicht anders gekennzeichnet, beide Geschlechter gemeint.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Vogel, Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26380-5_1

2

1 Einleitung und Überblick

ein großes Interesse hervorruft, wie auch die wachsende Zahl und Beteiligung an ärztlichen Bewertungsportalen im Internet zeigt. Was genau aber ärztliche Kompetenz ist, dazu findet sich keine allgemeingültige Definition. Geisler (2004a) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass unterschiedliche Gruppen wie Patienten, Krankenkassen oder die Pharmaindustrie entsprechend unterschiedliche Schwerpunkte eines Idealbildes haben. Auf Basis verschiedener Quellen von Studienergebnissen gibt er dabei an, dass Medizinstudierende in Bezug auf ideale Arztbilder Aspekte wie Kompetenz, Aufmerksamkeit gegenüber und Interesse am Patienten, Sensibilität und Freundlichkeit nennen, während praktizierende Ärzte neben Kompetenz, Engagement und Verständnis in den Mittelpunkt stellen. Darüber hinaus werden von praktizierenden Ärzten Fähigkeiten des Zuhörens, Empathie und Fürsorge als besonders relevant erachtet und bei den besonders berufserfahrenen Ärzten nehmen der Aspekt einer partnerschaftlichen ArztPatienten-Beziehung und die menschliche Zuwendung als Merkmale eines guten Arztes eine besonders bedeutende Stellung ein. Aus Patientensicht werden Aspekte wie Vertrauen, Information und Kommunikation, Fachkompetenz, Verlässlichkeit sowie emotionale Unterstützung und Beratung und mit Würde und Respekt behandelt zu werden, als Merkmale kompetenter Ärzte genannt (Geisler, 2004a). Der Arzt steht also in einem Spannungsfeld vieler Interessengruppen, mit denen er umgehen und denen er in entsprechender Balance gerecht werden muss. Unter der Voraussetzung nach Abschluss des Studiums praktisch ärztlich tätig zu sein, charakterisiert sich die Definition des guten Arztes allerdings vor allem aus der Beziehung zu den Patienten, aufbauend auf dem gesellschaftlichen Menschenbild, das in unserer Gesellschaft in Verbindung steht mit christlichen und humanistischen Werten. Diesen Arzt entsprechend auszubilden, unterliegt nun als Aufgabe den Hochschulen, die den Studiengang Medizin anbieten, zu denen auch die Universität Hamburg gehört. Ausgehend vom Anspruch, eine gute Patientenversorgung sicherzustellen und dafür kompetente Ärzte auszubilden, setzt sich somit auch der Hochschulbereich als Ausbildungsinstitution mit einem Idealbild des kompetenten Arztes als Ziel der medizinischen Ausbildung auseinander, wobei die Fokussierung auch in einem engen Zusammenhang mit Hoch-

1 Einleitung und Überblick

3

schul-Reformen, insbesondere mit dem Bologna-Prozess steht. Die Medizin beschäftigt sich dabei insbesondere mit Rollenkompetenzmodellen, während sich in der Erziehungswissenschaft ein universelles in der Regel auf alle Berufe übertragbares Kompetenzmodell etabliert hat und darüber hinaus auf die Auseinandersetzung zwischen Kompetenz und Performanz fokussiert wird. Ein besonderer Fokus dieser Arbeit liegt auf ärztlicher Empathie als wesentlichem Teil ärztlicher Kompetenz, die im Zusammenhang mit höherer Patientenzufriedenheit (u.a. Zolnierek & DiMatteo, 2009), einem verbesserten Umgang mit der Krankheitssituation seitens der Patienten (u.a. Mercer, Fitzpatrick, Gourlay, Vojt, McConnachie, & Watt, 2007) und auch einer höheren professionellen Arztzufriedenheit (Stepien & Baernstein, 2006) steht. Während Fachkompetenz im Sinne medizinischen Wissens als objektives Kriterium erfasst werden kann, steht insbesondere Empathie als schwieriger objektiv zu erfassendes Kriterium im Bezug zum Arzt-Patienten-Verhältnis. In einem kürzlich erschienenen Interview mit dem ehemals praktizierenden Arzt Eckhardt von Hirschhausen sagte dieser: Was wirkt ist die Beziehung, die Zuwendung und das Gefühl, in seiner Individualität gesehen zu werden. Das war immer der Kern guter Medizin […]. Die Ärzte sind mit ihren Patienten in einer DosisWirkungs-Beziehung: Je mehr Vertrauen diese zu ihnen haben, desto wirksamer sind die verschriebenen Medikamente (Schweitzer, 2016, 2). Vor diesem Hintergrund kommt der ärztlichen Empathie eine besonders bedeutsame Stellung zu. Die Studienergebnisse hinsichtlich der Entwicklung von Empathie während des Medizinstudiums sind allerdings inkonsistent. Der Blick auf die ärztliche Weiterbildung zeigt allerdings eine deutliche Abnahme mit steigender klinischer Berufstätigkeit, ebenso wie sich eine weltweite Zunahme von ‚unhappy doctors‘ (Edwards, Kornacki, & Silversin, 2002) im Verständnis einer steigenden Berufsunzufriedenheit zeigt. Ziel der Arbeit ist es, aufgrund der besonderen gesellschaftlichen Relevanz ärztlicher Kompetenz, auf Basis der theoretischen Auseinandersetzung vom Verständnis und dem Erwerb ärztlicher Kompetenz, insbesondere der Überprüfung dieser und dem Stellenwert der Empathie innerhalb einer neu entwickelten

4

1 Einleitung und Überblick

Kompetenzprüfung nachzugehen. Das beinhaltet dabei zum einen die grundlegende pädagogische Auseinandersetzung mit Kompetenz, ihrem Erwerb und ihrer Erfassung sowie der Abgrenzung zu anderen traditionellen Begriffen der Erziehungswissenschaft. Zum anderen impliziert es die genannten Ansätze innerhalb der Medizin, vor allem innerhalb des Konstrukts der ärztlichen Kompetenz, wiederzufinden und miteinander zu verbinden, was wiederum eine Auseinandersetzung mit der medizinischen Ausbildung, ärztlichen Rollenmodellen und der Arzt-Patienten-Beziehung und damit im Zusammenhang stehenden medizinischen Ethik einschließt. Darüber hinaus fokussiert die Arbeit darauf, die Empathieentwicklung und -ausprägung von Medizinstudierenden zu unterschiedlichen Studienzeitpunkten und in verschiedenen Kontexten zu untersuchen, wobei auch der Frage nachgegangen werden soll, ob und wie Empathie gelehrt und gelernt wird und welchen nachhaltigen Effekt Lehr-Lernkonzepte im Bereich der Förderung von sozialen Kompetenzen bei Medizinstudierenden haben, da dies bisher wenig untersucht ist.

1.1 Standortbestimmung der Arbeit Der Blick auf die ärztliche Kompetenz bleibt dabei ein pädagogisch gefärbter Blick von außen, da die Autorin selbst kein über ein Grundverständnis hinausgehendes medizinisches Fachwissen besitzt und auch nicht durch die eigene Erfahrung des Medizinsystems sozialisiert wurde. Die größere Distanz hat dabei zum einen den Vorteil, dass keine durch den medizinischen Sozialisationsprozess geprägten emotional voreingenommenen Einstellungen vorliegen, zum anderen aber den Nachteil, dass eine entsprechende ‚Berufsintuition‘ fehlt, die nur durch die Erkenntnis der komplexen Zusammenhänge, wie sie innerhalb einer Ausbildungssozialisation erworben wird, möglich ist. So ist dieser Blick von außen mit dem Ziel, den beteiligten Disziplinen Erkenntnisgewinn zu bringen, geschärft durch eine möglichst gute Verbindung der sich in der Medizin wiederfindenden pädagogischen Ansätze und im Ausblick solcher, die die weitere Entwicklung medizinischer Curricula erkenntnisgewinnend voranbringen können. Dabei ist die Arbeit an den Schnittstellen zwischen Humanmedizin, Erziehungswissenschaft und

1 Einleitung und Überblick

5

Pädagogischer Psychologie verortet. Die erziehungswissenschaftliche Position nimmt dabei gemeinsam mit der pädagogisch-psychologischen den zentralen Stellenwert ein, da es sich um zu untersuchende Lehr,- Lern- und Ausbildungsprozesse sowie deren Ergebnisse handelt. Diese beziehen sich auf die Ausbildung beruflicher Kompetenzen und Grundhaltungen des beruflichen Handelns angehender Humanmediziner. Die Arbeit stützt sich dabei ausgehend von einem humanistischen Menschenbild auf erziehungswissenschaftliche Grundtheorien aus dem Bereich der Erwachsenenbildung, der Beruflichen Bildung, der Hochschulbildung und -didaktik, sowie auf Lehr- und Lerntheorien und Persönlichkeitstheorien aus der Pädagogischen Psychologie. Das Untersuchungsfeld ist die Medizin. Abbildung 1 veranschaulicht die einzubeziehenden wissenschaftlichen Bereiche und Konzepte.

Erziehungswiss.

Medizin • Med. Ausbildungsforschung • Medizinische Inhalte • Soziale Kompetenz

• Erwachsenenbildung • Hochschulbildung und –didaktik • Berufliche Bildung

Ärztliche Kompetenz Empathie

• Berufl. Handlungskomp. • Berufsethos und Grundhaltungen

Pädagogische Psychologie • Persönlichkeitstheorie • Lerntheorien • Emotion und Kognition

Abbildung 1: Wissenschaftliche Schnittstellen - Standortbestimmung der Arbeit (eigene Darstellung)

6

1 Einleitung und Überblick

Insbesondere beim Schreiben bildeten die unterschiedlichen Traditionen und Ansprüche der Erziehungswissenschaft einerseits und der Medizin andererseits als Professionen und wissenschaftliche Disziplinen ein dabei besonders zu berücksichtigendes Spannungsfeld. So ist die Erziehungswissenschaft gekennzeichnet durch Analysen und Darstellungen sozialer, kultureller und epochenspezifischer Wirkungsfaktoren sowie durch die Bestimmung sozial- und geisteswissenschaftlicher Perspektiven bei der Betrachtung des Gegenstandes. Publikationen innerhalb der Disziplin charakterisieren sich durch ausführliche Zusammenfassungen und Kommentare sowie durch das Einbetten in größere Kontexte in einem Sprachstil, in dem zahlreiche Verbindungen hergestellt und angesprochen werden, zum Teil in einem einzigen Satz oder Absatz. Demgegenüber beschränkt sich die Medizin auf möglichst kurze Übersichten empirischer Untersuchungsergebnisse in einem Stil der sich durch eine unantastbare objektive Wert-Darstellung kennzeichnet. Beide Stile werden dabei von der anderen Disziplin jeweils kritisch beäugt und stehen eher in einem konkurrierenden Verhältnis zueinander. In dieser Arbeit wird die Auffassung vertreten, dass neben Pädagogen auch Ärzte im Umgang mit Patienten schon immer pädagogisches Geschick aufweisen mussten und müssen (u.a. Schlüter, 2009), so dass es vor diesem Hintergrund nur logisch erscheint, sich auch mit entsprechenden Theorien und Ansätzen der Pädagogik auseinanderzusetzen. Umgekehrt profitiert auch die Pädagogik von wissenschaftlichen medizinischen Kenntnissen, die im Zusammenhang mit pädagogischen Tätigkeiten stehen, wie z.B. der Einfluss von Stress auf schulisches Lernen. Der hier vertretene Ansatz ist daher ein sich ergänzender anstatt konkurrierender. So beziehen sich auch die Methodik und der Stil auf beide Bezugsdisziplinen und versuchen den jeweiligen Anforderungen möglichst ausbalanciert gerecht zu werden.

1.2 Aufbau der Arbeit Insgesamt ist der theoretische Teil der Arbeit in zwei Bereiche, den pädagogischen zu Beginn und den medizinischen darauffolgend, aufgebaut. Dies begründet sich damit, dass die pädagogischen und psychologischen Theorien auch die

1.2 Aufbau der Arbeit

7

Basis für die Ausgestaltung und Umsetzung des Medizinstudiums bilden. Zu Beginn steht dabei im zweiten Kapitel die Abgrenzung der pädagogischen Begriffe Bildung, Qualifikation und Kompetenz, wobei eine intensive Auseinandersetzung mit dem Kompetenzkonstrukt stattfindet. Im Fokus des dritten Kapitels stehen Theorien und Ansätze des Kompetenzerwerbs, wobei ein Schwerpunkt auf taxonomischen Ansätzen, die in der Regel auch als Basis von Studiengängen dienen, liegt. Das vierte Kapitel geht auf den Zusammenhang zwischen Lehr- und Prüfungsgestaltung sowie der Kompetenzerfassungsmethodik ein. Auf Basis dieser Theorien wird im fünften Kapitel Bezug genommen zur ärztlichen Kompetenz. Dies schließt die Darstellung des ärztlichen Kompetenzerwerbs anhand gesetzlicher Vorgaben sowie die universitäre Gestaltung des Medizinstudiums ein. Darüber hinaus wird auf ärztliche Rollenmodelle und die Arzt-Patienten-Beziehung eingegangen. Daran anschließend steht die Empathie als bedeutendes ärztliches Kompetenzelement im Fokus. Das Kapitel schließt mit der Darstellung eines Kommunikationstrainings für Studierende an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg, das auch empathische Komponenten beinhaltet. Im sechsten Kapitel finden sich die sich aus den theoretischen Auseinandersetzungen ergebenen Forschungsfragen und Hypothesen. Im siebten Kapitel werden das Design und die Methodik inklusive der verwendeten Analysemethoden und eingesetzten Instrumente dargestellt. Im achten Kapitel stehen die Ergebnisse der Untersuchungsgruppen, in den ersten beiden Teilen getrennt voneinander, daran anschließend folgt der Gruppenvergleich. Die Dissertation endet mit dem neunten Kapitel, in dem die Ergebnisse und auch die Methodik kritisch reflektiert und diskutiert werden, sowie ein Ausblick auf curriculare Weiterentwicklungen des Medizinstudiums gegeben wird.

2

Begrifflichkeiten

Der Kompetenzbegriff hat, wie kaum ein anderer in den letzten Jahrzehnten, Einzug in die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Aus- und Weiterbildung gefunden. Er wird dabei kontrovers diskutiert (u.a. Arnold 2002; Klieme & Hartig, 2007) und nicht einheitlich verwendet. Auch die Nutzung der Singular- und Pluralform unterscheidet sich sehr. Diese Arbeit sieht den Begriff der Kompetenz als Konstrukt, welches nie komplett erfasst werden kann, sondern so operationalisiert werden muss, dass bestimmte Aspekte der Kompetenz untersucht werden können. Diese Aspekte werden dann häufig als Kompetenzen oder Kompetenzfacetten (facets of competence (FOCs)) (Wijnen-Meijer, van der Schaaf, Nillesen, Harendza, & ten Cate, 2013b) bezeichnet, die zusammen die in dieser Arbeit fokussierte ärztliche Kompetenz ausmachen. Im Rahmen der Erziehungswissenschaft wird der Kompetenzbegriff seit den 1960er Jahren besonders von denjenigen Disziplinen verwendet und diskutiert, die sich mit beruflicher Bildung befassen, insbesondere in der Berufs- und Erwachsenenbildung (Vonken, 2005). Im Zuge wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen im europäischen Raum wurden Forderungen nach lebenslangen Anpassungsleistungen an die sich verändernden Verhältnisse, von der Industrie- zur Dienstleistungs- und dann zur Wissensgesellschaft, immer lauter. Durch das Konzept des Lebenslangen Lernens der Erwachsenenbildung (Übersicht u.a. bei Kraus, 2001), welches diesen Forderungen versucht nachzukommen, wurde die Erwachsenenbildung zu einem zunehmend wichtigeren Bereich. Im Rahmen dieser Disziplin finden sich dabei die Begriffe Bildung und Qualifikation, die Ähnlichkeiten zum Kompetenzbegriff aufweisen und diesem vorausgegangen sind. Bevor das genaue Verständnis von Kompetenz und die dabei zu beachtenden Aspekte erläutert werden, werden daher in einem ersten Schritt die Begriffe Bildung und Qualifikation vom Kompetenzbegriff abgegrenzt. Daran anschließend wird herausgestellt, welche Rahmenbedingungen bei der Definition des Kompetenzbegriffs in dieser Arbeit eine Rolle spielen. Am Ende stehen die

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Vogel, Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26380-5_2

10

2 Begrifflichkeiten

kennzeichnenden Merkmale des Begriffs Kompetenz, sowie seine grundlegende Definition für das weitere Vorgehen.

2.1

Bildung

Der mit einer langen geisteswissenschaftlichen Tradition verbundene Begriff der Bildung nimmt eine zentrale Stellung in der Erziehungswissenschaft ein. Ein Äquivalent in anderen Sprachen ist kaum vorhanden (Raithel, Dollinger, & Hörmann, 2007) und auch eine einheitliche Definition ist nicht zu finden. Je nach theoretischem Ursprung finden sich unterschiedliche Schwerpunktsetzungen bei der Begriffsbestimmung. Diese Arbeit schließt sich der modernen Definition Klafkis (2007) an, wonach Bildung zentral als Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit aller verstanden wird. Dies geschieht durch die Formung, Entwicklung und Reifung der körperlichen, seelischen und geistigen Kräfte unter Betrachtung einer kategorialen Bildung, welche als Prozess materiale Bildung im Sinne objektiver und formale Bildung im Sinne subjektiver Bildung umfasst. Zentrale Positionen dieser Definition sind dabei, neben den genannten Fähigkeiten, die kritische Auseinandersetzung mit dem die ganze Gesellschaft angehenden allgemeinen geistigen Besitz sowie die Bildung von allen möglichen menschlichen Fähigkeitsdispositionen. Klafki betrachtet Bildung dabei als Allgemeinbildung in allen grundlegenden Dimensionen humaner Interessen und Fähigkeiten, wobei die Allgemeinbildung „gerade heute, neu aufkommenden Entpolitisierungsbestrebungen entgegen, auch als politische Bildung [sic!] zur aktiven Mitgestaltung eines weiter voranzutreibenden Demokratisierungsprozesses verstanden werden [muss]“ (Klafki 2007, 40). Die normative Auffassung des Bildungsbegriffs Klafkis nimmt damit sowohl Aspekte des Idealismus und Neuhumanismus Kants (1803) und Humboldts (1793) als auch die Perspektive der kritischen Theorie Adornos (1959) und Horkheimers (1952) auf. Vor dem Hintergrund seiner, auf Ideen der geisteswissenschaftlichen Pädagogik basierenden, kritisch-konstruktiven Didaktik, deren Entwicklung sich primär am Modell des Schulunterrichts orientiert hat, Bildung aber auch im Sinne von lebenslangem Lernen versteht, deren Thematik

2.1 Bildung

11

sich die Erwachsenenbildung besonders angenommen hat, zeichnet sich Klafkis Bildungsauffassung aus durch eine normative Orientierung im Sinne einer zentralen Grundkategorie pädagogischer Bemühungen. Diese orientiert sich an „pädagogisch oder bildungspolitische Handelnde, deren Handeln auf das Ziel verpflichtet wird, Bildungsprozesse Heranwachsender zu fördern“ (Koller, 2009, 111). Demgegenüber bezieht sich die normative Orientierung Horkheimers auf die Bildungssubjekte selbst (1952). Da Klafkis Bildungsbegriff als zentrale Zielund Orientierungskategorie zur Begründung, Beurteilung und Kritik pädagogischen Handelns hilfreich ist, aber mit der Schwerpunktsetzung auf organisierte Bildungsprozesse Gefahr läuft, individuelle Anlässe für Bildungsprozesse aus den Augen zu verlieren, wird seine grundlegende Definition in dieser Arbeit um den Aspekt individueller Bildungsanlässe als zweite normative Ausrichtung des Bildungsbegriffs ergänzt. Als gesellschaftskritischer Begriff basierend auf dem Vernunftprinzip und mit dem Ziel der Mündigkeit, individuellen Persönlichkeitsentwicklung und Auseinandersetzung mit zentralen gesellschaftlichen Problemen kennzeichnet sich Bildung durch einen emanzipatorischen Charakter (im Sinne von Aufklärung, Selbst- und Mitbestimmung, Solidaritätsfähigkeit und Reflexivität), emanzipative Selbstfindung, ist universell kulturorientiert und sowohl auf die Bildung des Subjekts als auch auf die Förderung von Bildungsprozessen und den darin Handelnden gerichtet.

2.2

Qualifikation

Im Zuge der sogenannten realistischen Wende der Erwachsenenbildung in den 1970er Jahren, welche, bedingt durch den gesellschaftlichen Wandel von einer Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, besonders berufspädagogische Aspekte in den Fokus stellte, wurde der Bildungsbegriff um den Begriff der Qualifikation ergänzt (Arnold, 2002). Dabei kennzeichnet sich Qualifikation durch den Bezug auf gesellschaftliche Arbeit. Der Qualifikationsbegriff ist assoziiert mit der Verwertbarkeit des Lernerfolgs (Raithel et al., 2007) und damit sachverhaltsbezogen. Qualifikationen können verstanden werden als „definierte Bündel von

12

2 Begrifflichkeiten

Wissensbeständen und Fähigkeiten, die in organisierten Qualifizierungs- bzw. Bildungsprozessen vermittelt werden“ (Gnahs, 2010, 21) und deren Erfolg in der Regel durch Prüfungen testiert und zertifiziert wird. Dabei handelt es sich um personenunabhängige Anforderungen und unmittelbar tätigkeitsbezogene Kenntnisse und Fertigkeiten, bei denen sich das Lernen Erwachsener an den beruflichen Handlungsanforderungen ausrichtet und Qualifikationen als Verwertungswissen angesehen werden können. Qualifikationen werden dabei in vom selbstorganisierten Handeln „abgetrennten, normierbaren und Position für Position abzuarbeitenden Prüfungssituationen“ (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2007, XIX) sichtbar, wobei die Qualifikationen in ihrer Handlungszentriertheit so klar gefasst werden können, dass ihre Überprüfung und Zertifizierung außerhalb des Anwendungsprozesses möglich ist (Teichler, 1995). Zusammenfassend festgehalten zeichnet sich der Qualifikationsbegriff durch einen arbeitsorientierten, verwertbaren Sachverhaltsbezug beruflicher Handlungsanforderungen aus, während der Bildungsbegriff sich auf organisierte und unorganisierte individuelle Entwicklungsprozesse in der Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Spannungsfeld bezieht.

2.3

Kompetenz

Unter der Betrachtung von Bildung als pädagogischem Traditionsbegriff, besonders geprägt durch deutsche sowohl philosophische als auch subjekt- und gesellschaftstheoretische Diskurse, handelt es sich beim Begriff der Kompetenz und Kompetenzentwicklung um einen Modernisierungsbegriff (Arnold, 2002). Im Gegensatz zur Qualifikation bezieht der Kompetenzbegriff dabei den Lernerfolg auf die Person und nicht den Sachverhalt (Raithel et al., 2007). Im Zuge der sogenannten reflexiven Wende der Erwachsenenbildung in den 1980er Jahren als eine Art Gegenbewegung zur realistischen Wende, welche sich insbesondere auf abschluss- und berufsbezogene Inhalte und deren Zertifizierung konzentrierte, rückte der Persönlichkeitsbezug des Erwachsenenlernens, verbunden mit „Identitätsbildung als Motiv, Aufgabe und Schwierigkeit der Erwachsenenbildung“

2.3 Kompetenz

13

(Arnold, 2002, 30) wieder stärker in den Fokus. Anknüpfend an die Schlüsselqualifikationsdebatte der 1980er bis 1990er Jahre vollzog sich insbesondere in der Berufspädagogik seit Mitte der 1980er Jahre eine Ganzheitswende mit dem Versuch, eine Persönlichkeitsorientierung in die berufliche Bildung zu integrieren, in der bereits der Begriff Handlungskompetenz verwendet wurde (Arnold, 2002). Die utilitaristische Wende der Erwachsenenbildung in den 1990er Jahren ermöglichte schließlich eine ganzheitliche Betrachtung zweckgebundenen und persönlichkeitsorientierten Lernens und hob damit die vorher automatisch gegensätzliche Auffassung dieser Lernanlässe auf. Diese ganzheitliche Betrachtungsweise spiegelt sich auch im Kompetenzbegriff wider, dessen Richtung in Abgrenzung zum Qualifikationsbegriff vom Sachverhalt zum Subjekt geht. Handelte es sich beim Begriff der Schlüsselqualifikationen vorrangig um ein arbeitsmarktpolitisches Konzept (Mertens, 1974), das meist berufstypische Qualifikationen einschloss und so nicht ausreichend dafür geeignet war, die Vielfalt der individuellen Möglichkeiten und Potentiale zu erfassen, wurde diese Fokussierung durch den (Handlungs-)Kompetenzbegriff aufgehoben. Dabei spiegelt der begriffliche Wandel von Schlüsselqualifikationen zu beruflicher Handlungskompetenz einen Paradigmenwechsel wider, der mit den Stichworten vom Objekt zum Subjekt, Ganzheitlichkeit, Selbstorganisation und Entgrenzung zusammengefasst werden kann (Arnold & Schüßler, 2001). Eine genaue Unterscheidung zwischen den Begriffen Kompetenz und Handlungskompetenz findet sich allerdings nicht. In neueren Publikationen (u. a. Erpenbeck und Sauter, 2013) zeigt sich, dass der Handlungsaspekt als Teil der Ausdifferenzierung des Kompetenzbegriffs eingeschlossen wird und so übergreifend der Begriff der Kompetenz, der entsprechende Handlungen einschließt, verwendet wird. Darüber hinaus erlebte der Kompetenzbegriff und die damit verbundene Orientierung auch durch die internationalen Programme der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) mit den ersten Auflagen Ende der 1990er Jahre, insbesondere das Programme for International Student Assessment (PISA) und das Projekt Definition and Selection of Competencies (DeSeCo), einen besonderen Aufwind. Der Fokus des DeSeCos, das in Verbindung mit der ersten PISA-Studie durchgeführt wurde, lag dabei darauf, einen soliden konzeptuellen Rahmen für die Bestimmung von Schlüsselkompetenzen herzustellen und mit dem Kompetenzkonzept

14

2 Begrifflichkeiten

auf die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Wandel, Komplexität und wechselseitigen Abhängigkeiten der Globalisierung und Modernisierung, zu reagieren. Der konzeptuelle Rahmen teilt Schlüsselkompetenzen dabei in drei Kategorien ein, die ineinander greifen und zusammen die Basis für die Bestimmung von Schlüsselkompetenzen bilden. Bei diesen drei Kategorien handelt es sich um: interaktive Anwendung von Medien und Mitteln, interagieren in heterogenen Gruppen und autonome Handlungsfähigkeit (OECD, 2005). Das Konzept der Schlüsselkompetenzen schließt dabei über Schulwissen und kognitive Fähigkeiten hinausgehende übergreifende Kompetenzen, die für alle notwendig sind, ein, wobei sich der Rahmen an gemeinsamen Wertvorstellungen orientiert und auf diesen fußt. Neben den Anforderungen des modernen Lebens orientieren sich die Kompetenzen dabei auch an individuellen und gesellschaftlichen Zielen. Dabei wird davon ausgegangen, dass individueller Erfolg und Erfolg für die Gesellschaft individuelle und institutionelle Kompetenzen erfordert, sowie die Anwendung individueller Kompetenzen als Beitrag zur Erreichung der kollektiven Ziele (ebd.). Im Fokus des Kompetenzverständnisses steht dabei die Bewältigung komplexer Anforderungen in einem bestimmten Kontext unter Einbezug und Einsetzung psychosozialer Ressourcen. Der Begriff der Schlüsselkompetenzen unterliegt dabei allerdings ebenso wie der Schlüsselqualifikationsbegriff der Gefahr beliebig und willkürlich verwendet zu werden, frei nach dem Motto, jeder weiß, was gemeint ist und doch denkt jeder an etwas anderes. Diese Gefahr sollte bewusst sein und ihr mit möglichst klaren Begriffsverwendungen und Erläuterungen begegnet werden. Unter der Auffassung, dass psychosoziale Ressourcen wie Persönlichkeit als „Steinbruch” gesehen werden können, „aus dem sich Kompetenzentwicklungen bedienen“ (Borner, 2008, 4) und Lernanlässe neben zweckgebundenen Sachverhalten auch mit persönlichen Motiven in Verbindung stehen, steht der Kompetenzbegriff auch in Zusammenhang mit Persönlichkeit und Identität, worauf im folgenden Abschnitt näher eingegangen wird.

2.3 Kompetenz 2.3.1

15

Persönlichkeit und Identität

Der Begriff der Persönlichkeit findet sich vor allem im psychologischen Bereich der Persönlichkeitsforschung, während in der Sozialpsychologie häufig der Begriff des Selbstkonzepts und in der Soziologie der mit einer längeren Forschungstradition verbundene Identitätsbegriff verwendet wird. Die Begriffe werden je nach Forschungshintergrund und Tradition verwendet; klar voneinander zu trennen sind sie aber nicht. Persönlichkeit wird verstanden als „die Gesamtheit der Eigenschaften und Verhaltensdispositionen eines Menschen, die ihn zeitlich relativ stabil und über verschiedene Situationen hinweg charakterisieren und von anderen unterscheiden“ (Schneider & Lindenberger, 2012, 544). Aufgabe der Differentiellen und der Persönlichkeitspsychologie ist dabei, Persönlichkeitseigenschaften und persönlichkeitspsychologische Aussagen so zu operationalisieren, dass sie empirisch überprüfbar sind. Dahinter steht die Tradition, Messinstrumente zu entwickeln oder einzusetzen, mit deren Hilfe Personeneigenschaften so beschrieben oder diagnostiziert werden können, dass die Diagnosen zur Vorbereitung von Entscheidungen, wie beispielsweise bei der Personalauswahl, herangezogen werden können (ebd.). Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (McCrae & Costa, 2005), welches auch in dieser Arbeit verwendet wird, nimmt dabei als beschreibendes Strukturmodell von empirisch überprüfbaren Persönlichkeitsmerkmalen eine herausragende Stellung im wissenschaftlichen Diskurs von Persönlichkeit ein. Als Referenzmodell unter den Persönlichkeitsmodellen (Lang, 2009) postuliert es ausgehend von lexikalischen Analysen im Englischen fünf weitgehend voneinander unabhängige Dimensionen von Persönlichkeitsbeschreibungen: Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrungen. Eine weitere ausführlichere Beschreibung des Modells und zugehörigen Instrumentes wird unter 7.3.2 vorgenommen. Im Vergleich zum Persönlichkeitsbegriff, bei dem die Individuen vor allem von außen betrachtet beschrieben werden, bezieht sich der Begriff des Selbstkonzepts darauf, wie der Mensch sich selbst von innen erlebt und definiert. „Die kognitive Repräsentation von individuellen Merkmalen, Fähigkeiten oder Überzeugungen wird als Selbstkonzept bezeichnet und der Selbstwert resultiert aus der eigenen Bewertung dieser Aspekte“ (Schneider & Lindenberger,

16

2 Begrifflichkeiten

2012, 180). Auch der Identitätsbegriff betrachtet „Individuen als Produzenten dynamischer Selbststrukturen“ (Schneider & Lindenberger, 2012, 303), hebt dabei allerdings die soziale Bedeutung dieser Strukturen besonders hervor, indem er neben der eigenen Wahrnehmung auch den gesellschaftlichen Aspekt mit einbezieht. So bezeichnet Identität das dauernde innere Sich-Selbst-Gleichsein, die Kontinuität des Selbsterlebens eines Individuums, die im Wesentlichen durch die dauerhafte Übernahme bestimmter sozialer Rollen und Gruppenmitgliedschaften sowie durch die gesellschaftliche Anerkennung als jemand, der die betreffenden Rollen innehat bzw. zu der betreffenden Gruppe gehört, hergestellt wird (Fuchs-Heinritz, Lautmann, Rammstedt, & Wienold, 2007,282). Diese Betrachtung beinhaltet dabei zwei Ebenen, die häufig als ‚Ich‘ (I) und ‚Selbst‘ (Me) unterschieden werden, und besonders innerhalb des symbolischen Interaktionismus von George Herbert Mead (1980) aufgegriffen und weiter entwickelt wurden. So ist für Mead das ‚I‘ das spontane und kreative Element, das uns einen Stück freien Willen ermöglicht, während das ‚Me‘ die internalisierte Vorstellung repräsentiert, wie andere uns sehen und welche Erwartungen sie damit an uns knüpfen. Je nach Situation fallen die Betrachtungen und Erwartungen allerdings unterschiedlich aus. Dieser Aspekt findet sich innerhalb der Identitätsdefinition durch das Aufgreifen der sozialen Rolle im Sinne der „Summe der Erwartungen, die dem Inhaber einer sozialen Position über sein Verhalten entgegengebracht werden“ (Fuchs-Heinritz et al., 2007, 561). Diese Arbeit teilt die Ansicht des strukturellen symbolischen Interaktionismus, dass Identitäten, die mit den entsprechenden sozialen Rollen verbunden sind, auch auf das Verhalten und Handeln wirken. Weiter wird eine integrative Sichtweise von Persönlichkeit und Identität in dieser Arbeit geteilt, indem Persönlichkeitsmerkmale als Teil der Identität aufgefasst werden, die einen wesentlichen Bestandteil dieser ausmachen. Unter der Auffassung, dass „das Ausmaß der subjektiven Identifikation eines Individuums mit einer sozialen Gruppe oder Institution […] seine Urteile, Meinungen, Entscheidungen und auch schlussendlich seine Handlungen [beeinflusst]“ (Haller & Müller, 2006, 16) stellt diese integrative Sichtweise von Identität

2.3 Kompetenz

17

und Persönlichkeit eine Basis des dieser Arbeit zugrunde liegenden Kompetenzverständnisses dar.

2.3.2

Kontextbezug und Kompetenzelemente

Im Unterschied zum Qualifikationsbegriff sind Kompetenzen „Fähigkeiten oder Dispositionen, die ein sinnvolles und fruchtbares Handeln in offenen, komplexen, manchmal auch chaotischen Situationen erlauben, die also ein selbstorganisiertes Handeln unter gedanklicher und gegenständlicher Unsicherheit ermöglichen“ (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2007, XI). Nach dieser Auffassung sind Qualifikationen und Kompetenzen zwar beide handlungszentriert, allerdings umfasst der Qualifikationsbegriff die Voraussetzungen, um konvergent-anforderungsorientiert handeln zu können im Sinne der Erfüllung äußerer Anforderungen, Vorgaben und Ziele, während sich der Kompetenzbegriff in erster Linie auf divergentselbstorganisative, im Verständnis von kreativen sowie ziel- und ergebnisoffenen Handlungssituationen bezieht. „Kompetenzen schließen Fertigkeiten, Wissen und Qualifikationen ein“ (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2007, XII). Sie sind die Bausteine, die der Kompetenzbegriff beinhaltet, stellen selbst aber keine Kompetenzen dar. Denn diese zeigen sich ausschließlich in Handlungen und nicht in bloßem Vorhandensein und sind dementsprechend nicht selbst, sondern nur im Rahmen des Handelns des Subjekts beobachtbar. Inwieweit die Handlungen dann auch tatsächlich als kompetent beurteilt werden, kann nur durch den Bezug zum Kontext hergestellt werden, innerhalb dessen die Kompetenz eine wesentliche Bedeutung hat, wobei es auch möglich ist Kompetenzen weiträumig auf andere Handlungsgebiete zu übertragen, je nachdem wie eng oder weitläufig die entsprechende Kompetenz und deren Beobachtung definiert wird. Dabei ist die Kompetenz-Definition Weinerts (2002), eine der meist verwendeten. Mit dem Hinweis, dass von der OECD mehrfach empfohlen wurde, den mehrdeutigen Leistungsbegriff durch das Kompetenz-Konzept zu ersetzen, definiert er Kompetenzen als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen

18

2 Begrifflichkeiten

Bereitschaften und Fähigkeiten die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert, 2002, 27/28). Fabry (2008) weist in Bezug auf den Unterschied zwischen Kompetenzen und Fertigkeiten darauf hin, dass diese „am ehesten hierarchisch aufeinander bezogen“ (104) sind und, im Sinne eines psychomotorischen Verständnis, Fertigkeiten „vielfach eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für Kompetenzen sind“ (ebd.). Im Verständnis, dass sich Kompetenz aus Wissen, Fertigkeiten, Qualifikationen und Fähigkeiten zusammensetzt finden sich bei Gnahs (2010) folgende Definitionen: Bei Wissen „handelt es sich um Kenntnisse von Fakten und Regeln, die dem Individuum abrufbar zur Verfügung stehen“ (24). Fertigkeiten beziehen sich auf die sensumotorischen Potenziale und den Begriff der Fähigkeit sieht Gnahs als eine Art Oberbegriff für Kenntnisse und Fähigkeiten. Qualifikationen definiert er als „Bündel von Wissensbeständen und Fähigkeiten, die in organisierten Qualifizierungs- bzw. Bildungsprozessen vermittelt werden“ (21). Darüber hinaus sieht er Dispositionen im Sinne von stabilen Persönlichkeitseigenschaften und Werte im Verständnis von „Haltungen und Einstellungen, die Personen sowohl gegenüber Dingen, Personen oder Personengruppen sowie gegenüber Ideen und Verhaltensweisen entwickeln bzw. entwickelt haben“ (25), sowie Motivation als Definitionsbausteine von Kompetenz an. Dabei versteht er unter Motivation, Antriebskräfte und Interessen, die mit Emotionen verbunden sind, so wie es auch bei Werten der Fall ist, welche bei der Betrachtung von Kompetenz ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen, da sie die häufig auftretende Lücke zwischen Wissen und Handeln in unbekannten Situationen schließen (Erpenbeck & Sauter, 2013). Allerdings sind „attitudes and values“ (Fernandez, Dory, Ste-Marie, Chaput, Charlin, & Boucher, 2012, 360) schwierig zu beobachten und zu bewerten, da sie neben Emotionen und auch mit kulturell bedingten Verhaltensnormen zusammenhängen. In Bezug auf den Aspekt der Motivation empfiehlt Hartig (2008), diese von Kompetenz zu trennen, da Motivation gemeinhin als eine Größe betrachtet werden kann, die sich im Zeitverlauf stark und kurzfristig verändern kann, während hingegen Kompetenzen als vergleichsweise stabil betrachtet werden können. Da Kompetenzbewertungen allerdings durch Handlungsbeobachtungen zustande kommen und diese Bewertungen je nach Motiva-

2.3 Kompetenz

19

tion und den damit verbundenen gezeigten Handlungen des zu Bewertenden zusammenhängen, bezieht diese Arbeit den Motivationsaspekt mit in die Kompetenzdefinition ein. Der kritische Einwand Hartigs sollte aber bei Kompetenzbeurteilungen bedacht werden. In dieser Arbeit wird die Auffassung geteilt, dass Persönlichkeitseigenschaften und Kompetenzen in einem Zusammenhang stehen, der auch Einzug in eine entsprechende Kompetenzdefinition finden sollte: „Persönlichkeitseigenschaften grundieren [sic!] Kompetenzen, determinieren sie aber nicht. Kompetenzen integrieren [sic!] Persönlichkeitseigenschaften, werden aber durch die Performanz und das wahrnehmbare Handlungsresultat determiniert“ (Erpenbeck & Hasebrook, 2011, 242).

2.3.3

Kompetenz und Performanz

Etymologisch aus dem Lateinischen steht das Wort ‚competentia‘, das auf das Verb ‚competere‘ zurückgeführt und mit ‚zusammentreffen, zukommen, zustehen‘ übersetzt werden kann (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2007), während das Adjektiv ‚competens‘ im deutschen als ‚angemessen‘ verstanden werden kann (Gnahs, 2010) und zunächst als Synonym für Zuständigkeit verwendet wurde (Vonken, 2005). Im weiteren Verlauf hat der der Linguist Noam Chomsky durch seine Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz innerhalb seiner Sprachtheorie und -philisophie die allgemeine Kompetenzdiskussion stark geprägt. Kompetenz ist für ihn die Fähigkeit von Sprechenden und Zuhörenden, mittels eines begrenzten Regelrepertoires (z.B. Grammatik, Syntax) und Grundfaktoren (Wörter, Zahlen, etc.) generell in der Lage zu sein, unbegrenzt Sätze bilden und verstehen zu können. Die Beherrschung dieser erforderlichen Strukturprinzipien stellt für ihn die grammatische Kompetenz dar. Die „mehr oder weniger perfekte Anwendung unserer Kompetenz, die durch nicht-sprachliche Faktoren wie Gedächtnis, Konzentration etc. bedingt ist, nennt Chomsky Performanz [sic!]“ (Grewendorf, 2006, 29). Um von einer Sprache Gebrauch zu machen, sind die Strukturprinzipien dabei nach Chomsky als grammatische Kompetenz mental repräsentiert. Diese Betrachtung beinhaltet auf der einen Seite eine kognitive Sicht-

20

2 Begrifflichkeiten

weise, auf der anderen Seite aber sieht Chomsky Sprache als menschliches Phänomen im Sinne einer mentalen biologischen Eigenschaft des menschlichen Geistes, welche sich unter dem Einfluss der Umwelt als Sprachkenntnis ausbildet. Die grammatische Kompetenz im Sinne der mentalen Repräsentation wird bei ihm auch als internalisierte Sprache (I-Sprache) bezeichnet, während er die „Produkte, der Sprache im Sinne der aktuell oder potentiell gebildeten Sätze, inklusive sprachlicher Handlungen oder Verhaltensweisen“ (ebd.) als externalisierte Sprache (E-Sprache) bezeichnet. Somit werden zwei Bereiche unterschieden, die beim Kompetenzverständnis und bei dessen Definition eine wesentliche Rolle spielen: zum einen die zugrundeliegenden Voraussetzungen, die als Bausteine zusammen Kompetenz ausmachen (Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen), und zum anderen das Sichtbarwerden dieser Kompetenz, aus empirischer Sicht damit auch die Möglichkeit der Beobachtung, die sich ausschließlich in der Performanz zeigt. Wird also von Kompetenzerfassung mit entsprechenden Methoden gesprochen, muss dabei klar sein, dass es sich bei Beobachtungsmethoden um Performanzbeobachtungen handelt, von denen aus auf die vorliegenden Voraussetzungen, die Kompetenz, geschlossen wird. Vonken (2005) spricht in seiner Dissertation zum Thema Handlung und Kompetenz gar davon, dass aus handlungstheoretischer Perspektive nicht Kompetenz, sondern ausschließlich kompetentes Handeln gemessen wird, das als externe Zuschreibung von außen nicht gleichzusetzen ist mit Kompetenz, bei der es sich demnach wiederum um ein nicht beobachtbares Phänomen handelt. Aus seiner Perspektive orientiert sich der Kompetenzbegriff an ökonomischen Handlungszielen, wobei für ihn das, was Wirtschaft und Gesellschaft unter Kompetenz verstehen und fordern, kompetentes Handeln ist, während Kompetenz das Verfügen über individuelle Handlungseigenschaften darstellt. Kompetentes Handeln bedeutet für ihn, der systemtheoretischen Perspektive Luhmanns (1987) folgend, „selbstständig, selbstverantwortlich, kreativ, selbstorganisierend und flexibel Entscheidungen zur Reduktion von Komplexität zu treffen“ (Vonken, 2005, 127). Unter Rückgriff auf die Theorien zur kommunikativen Kompetenz Habermas´ (1990) und Baackes (1980) und der kritischen Kompetenz Geißlers (1974), zeigt er darüber hinaus auf, dass es neben der Befähigung, Ereignisse zu bewältigen, beim Kompetenzverständnis auch darum geht, solche zu erzeugen.

2.3 Kompetenz

21

Die Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz findet sich auch im Bereich der Motivationspsychologie, die darüber hinaus den Selbstorganisationsaspekt besonders in den Fokus stellt. Sie versteht unter Kompetenz „Ergebnisse von Entwicklungen grundlegender Fähigkeiten, die weder genetisch angeboren noch das Produkt von Reifungsprozessen sind, sondern vom Individuum selbstorganisiert [sic!] hervorgebracht wurden“ (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2007, XVII). Dabei bildet Kompetenz die Basis von Performanz, die individuell je nach Umweltinteraktionen herausgebildet und bewertet wird. Diese Unterscheidung verdeutlicht noch einmal, dass Kompetenz mit Performanz-Zuschreibungen zusammenhängt. Dementsprechend sind auch die Urteile dessen, was als kompetent oder eben nicht angesehen wird, zum Teil individuell höchst unterschiedlich, was wiederum eine grundsätzliche Verständigung darüber, was im entsprechenden Kontext als kompetent angesehen wird, für eine wissenschaftliche Untersuchung unabdingbar macht.

2.3.4

Wissen

Da der Wissensbegriff im Kompetenzverständnis und auch der Erfassung und Überprüfung ärztlicher Kompetenz dieser Arbeit eine bedeutsame Rolle spielt, wird er an dieser Stelle genauer betrachtet und erläutert. „Der Begriff Wissen ist vielschichtig und wird häufig undifferenziert verwendet“ (Renzl, 2004, 27). Eine klare und einheitliche Definition lässt sich nicht finden. Erpenbeck und Sauter (2013) unterscheiden Wissen im engeren und im weiteren Sinne. Dabei fassen sie unter Wissen im engeren Sinne Informations-, Sach- und Fachwissen, das sich wissenschaftstheoretisch überprüfen lässt. Um komplexe Problemstellungen zu lösen, reicht laut den Autoren dieses Wissen, im Sinne von „wissen was“ (Erpenbeck & Sauter, 2013, 29), nicht aus, weshalb „zusätzlich motivatorisches Wissen, wie Normen und Werte (= „wissen warum“), aber auch prozedurales Wissen (= „wissen wie“), um Prozesse zu verstehen und zu beeinflussen“ (ebd.) benötigt wird. Wissen im weiteren Sinne erweitert das Wissen im engeren Sinne daher um Regeln, Werte und Normen, sowie Emotionen, Motivation und Erfahrungen und entsteht durch die Wahrnehmung, Bewer-

22

2 Begrifflichkeiten

tung und das in Beziehung setzen von Informationen mit subjektiven Erfahrungen. Darüber hinaus unterscheidet Wissen sich hinsichtlich der Komplexität, Reichweite und Spezialisierungsgrade (Gnahs, 2010). Diese Arbeit versteht unter Wissen Fakten- und Regelkenntnisse, die dem Individuum auf Abruf zur Verfügung stehen und die innerhalb eines Interaktions- und Verarbeitungsprozesses entstehen (Renzl, 2004). Diese Auffassung beinhaltet dabei sowohl Sach- und Fachwissen, das wissenschaftstheoretisch überprüfbar ist, als auch implizites oder wie von Erpenbeck und Sauter (2013) benannt, Wissen im weiteren Sinne. Diese Auffassung entspricht damit auch der erweiterten kognitiven Taxonomie, welche unter 3.1.2 noch genauer dargestellt wird, die durch die Unterscheidung der Wissensdimensionen in Fakten-, konzeptionelles, prozedurales und metakognitives Wissen ebenfalls diese Betrachtungsweise von Wissen beinhaltet. Nun kann kritisch angemerkt werden, dass ein solches Wissensverständnis sich nicht vom Kompetenzbegriff unterscheidet, außer dass zwei Begriffe dasselbe benennen. Der wesentliche Unterschied beider Begriffe liegt aus Sicht dieser Arbeit in der externen Bewertung von Handlungen, die sich auf die Wissensanwendung und -bewertung stützen, und durch diese Bewertung erst zu Kompetenz werden. Demgegenüber liegt das theoretische Konstrukt Wissen beim Individuum und wird als Teil von Kompetenz betrachtet. Darüber hinaus unterliegen die individuellen Wissensbestände einer kontinuierlichen Umstrukturierung durch Veralterung bzw. Erneuerung des Wissens, durch Vergessen und der Hinzufügung neuen Wissensrepertoires (Gnahs, 2010). Kompetenz hingegen veraltet in dem Sinne nicht, da sie schon vom Verständnis her darauf angelegt ist, sich den in der Regel unbekannten komplexen Bewältigungssituationen anzupassen. Gelingt dies nicht, würde sie sich selbst abschaffen im Sinne der externen Bewertung von Kompetenz zu Inkompetenz. Wer kompetent zu handeln vermag, verfügt nicht nur über träges Wissen, sondern ist nachweislich in der Lage, reale Anforderungssituationen zu bewältigen. Und dies nicht nur einmalig oder gar zufällig, sondern auf der Basis eines latenten Merkmals, das gewissermaßen garantiert, dass der kompetent Handelnde in immer neuen Situationen adäquate Handlungen „generieren“ [sic!] kann (Klieme & Hartig, 2007, 14).

2.3 Kompetenz

23

Viele Kompetenzdefinitionen erläutern die Bestandteile ihrer Definition, insbesondere die des Wissens, kaum und definieren in der Regel als Wissen eher explizites Wissen im Sinne von in einem Lehrbuch Nachzulesendes.

2.3.5

Kompetenzdimensionen

Grundsätzlich handelt es sich bei Kompetenz um ein theoretisches Konstrukt (Hartig, 2008), das je nach dem Kontext, innerhalb dessen Kompetenz definiert wird, verschiedene Bausteine beinhaltet und, wie es auch für andere theoretische Konstrukte, wie beispielsweise Intelligenz oder Motivation gilt, nur in der tatsächlichen Performanz ermittelt werden kann (Erpenbeck und von Rosenstiel, 2007). Allerdings kann es nach der in dieser Arbeit vorliegenden Auffassung nie gelingen, ein solches theoretisches Konstrukt vollständig zu erfassen. Um allerdings möglichst viele Aspekte des Konstrukts zu erfassen und dabei auch den Überblick nicht zu verlieren, hat sich besonders im Bereich der Berufspädagogik eine Ausdifferenzierung des Kompetenzbegriffs in vier verschiedene Klassifikationsdimensionen etabliert. Wildt (2006) weist daraufhin, dass diese Ausdifferenzierung zur Interpretation der Handlungskompetenz 2 als Zusammenspiel der vier Elemente auch für die Hochschulbildung sinnvoll nutzbar ist. So wird Kompetenz unterschieden in personale, aktivitäts- und handlungsorientierte, fachlich-methodische und sozial-kommunikative Kompetenzen3, wobei Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen und Qualifikationen die Basiselemente bilden (Erpenbeck & Sauter, 2013). Bei diesem Ansatz handelt es sich um ein allgemeingültiges, übergreifendes Kompetenzmodell, welches allgemeine berufsunspezifische Kompetenzen abbildet mit dem Ziel einen möglichst umfassenden Überblick über die, für ein zukünftig erfolgreiches Handeln, wesentlichen Kompetenzen zu geben. Den Dimensionen können in Bezug auf beobachtbares Verhalten Kompetenzfacetten 2

3

In dieser Publikation nutzt er den Begriff der Handlungskompetenz, die sich durch das Zusammenwirken der vier ausdifferenzierten Elemente zusammensetzt (Wildt 2006). Analog findet sich auch häufig in früheren Publikationen die Einteilung in Fach- bzw. Sachkompetenz(en), Sozialkompetenz(en), Methodenkompetenz(en) und personale Kompetenzen bzw. Selbstkompetenz(en) (z.B. Gnahs 2010; Raither, Dollinger, & Hörmann 2007; Wildt 2006). Da die genannten Bezeichnungen aus Sicht der Autorin differenzierter sind, wurde sich für diese Begriffe der Publikation von Erpenbeck und Sauter 2013 entschieden.

24

2 Begrifflichkeiten

zugeordnet werden, wobei einige Kompetenzfacetten nicht nur allein in eine sondern in mehrere Dimensionen fallen. Die Kompetenzfacetten stellen die differenzierteste Stufe des Operationalisierungsprozesses dieser Arbeit dar, da sich aus diesen die in dieser Arbeit definierte ärztliche Kompetenz zusammensetzt und an diesen gemessen wird. Unter den Dimensionen wird dabei nach Erpenbeck und Sauter (2013, 33 ff.) folgendes verstanden: •







4

Personale Kompetenzen bezeichnen Fähigkeiten im Umgang mit sich selbst, die dabei auch die kritische Reflexion dieses Umgangs beinhalten. Darüber hinaus schließt diese Dimension auch die (Weiter-) Entwicklung inklusive kritische Reflexion von Einstellungen, Werten und Idealen ein. Beispiele von Kompetenzfacetten dieser Dimension sind Eigenverantwortung, Loyalität, Teamfähigkeit oder auch Empathie4. „Wir handeln in Bezug auf uns selbst“ (Erpenbeck & Hasebrook, 2011, 239). Fachlich-methodische Kompetenzen beziehen sich auf die Fähigkeit, gut ausgerüstet mit fachlichem und methodischem Wissen, Probleme zu bewältigen. Beispiele für diese Dimension sind Fachwissen, Marktkenntnisse, Sachlichkeit oder analytische Fähigkeiten. „Wir handeln in Bezug auf Sachverhalte und Sachprobleme“ (Erpenbeck & Hasebrook, 2011, 239). Sozial-kommunikative Kompetenzen zeigen sich als Fähigkeit, sich aus eigenem Antrieb „mit anderen zusammen- und auseinanderzusetzen, kreativ zu kooperieren und zu kommunizieren“ (Erpenbeck & Sauter 2013, 33). Beispiele hierfür sind Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Beratungsfähigkeit oder Empathie. „Wir handeln in Bezug auf andere Menschen“ (Erpenbeck & Hasebrook, 2011, 239). Aktivitäts- und handlungsorientierte Kompetenzen sind Fähigkeiten, bei denen es um die konkrete aktive Anwendung und Umsetzung des vorhandenen Wissens, sowie der persönlichen Ideale und Werte und der Ergebnisse sozialer Kommunikation in konkrete (berufliche) Handlungen An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass es Überschneidungen bei der Zuordnung von Kompetenzfacetten zu den Dimensionen gibt. So sind Teamfähigkeit und Empathie auch Facetten der sozial-kommunikativen Dimension.

2.3 Kompetenz

25

geht. Dabei zielt diese Dimension darauf ab, die Kompetenzen der anderen Bereiche zu integrieren. Ausführungsbereitschaft, Tatkraft oder zielorientiertes Führen stellen Beispiele für diese Dimension dar. „Wir handeln mehr oder weniger aktiv und willensstark“ (ebd.). Bei Wildt (2006) finden sich darüber hinaus noch die Begriffe der Organisationsund Systemkompetenz als Teil eines erweiterten Verständnisses der Sozialkompetenz, wobei das Handeln in Organisationsstrukturen und das Handeln in gesellschaftlichen Subsystemen gemeint ist. Darüber hinaus fasst er die genannten Kompetenzbereiche unter dem Begriff der Schlüsselkompetenzen zusammen. Aus seiner Sicht werden dabei die Fachkompetenzen erst dann zu „Handlungskompetenzen, wenn sie mit generischen oder Schlüsselkompetenzen bzw. – weil sie weniger exakt bestimmt werden können – „softskills“ [sic!] zusammenwirken“ (Wildt, 2006, 8). Basierend auf dem Verständnis, dass Schlüsselkompetenzen als Dimension betrachtet werden kann, in der sich der Umgang mit dem fachlichen Wissen in komplexen Handlungssituationen zeigt, sollte der Erwerb dieser Schlüsselkompetenzen im Zusammenhang zum Fachstudium erfolgen und nicht von diesem ausgelagert sein. Da so gerade das auseinander gerissen wird, was im Kompetenzkonzept zusammen gehört. Grundsätzlich wird, besonders aus psychologischer Sicht, davon ausgegangen, dass Kompetenz das Ergebnis eines Lernprozesses darstellt, sprich Kompetenz durch Lernen erworben werden kann und muss. „Weil Kompetenzen kontextabhängig ausgeprägt sind, lässt sich ihr Aufbau nur als Ergebnis von Lernprozessen denken, in denen sich das Individuum mit seiner Umwelt auseinandersetzt“ (Klieme & Hartig, 2007, 17). Verstanden als „erlernbare kontextspezifische Leistungsdispositionen […], die sich funktional auf Situationen und Anforderungen in bestimmten Domänen beziehen“ können sie demnach „durch Erfahrung in relevanten Anforderungssituationen erworben, durch Training oder andere äußere Interventionen beeinflusst und durch langjährige Praxis möglicherweise zur Expertise in der jeweiligen Domäne ausgebaut werden“ (ebd.). Dementsprechend ist der Fokus auf Kompetenzen innerhalb des Aus- und Weiterbildungskontextes sowie in Bezug auf den Bereich der Personalauswahl und -wirtschaft wesentlich interessanter als die relativ stabilen Persönlichkeitseigenschaften, da da-

26

2 Begrifflichkeiten

von ausgegangen wird, dass Kompetenz durch Training und Management erworben und verändert werden kann (Erpenbeck & Hasebrook, 2011; Erpenbeck & Sauter, 2013). Dennoch steht Kompetenz immer im Zusammenhang mit Persönlichkeit. Die erstgenannten Autoren zeigen dies durch die Betrachtung von zwei Wegen: „Entweder man schließt von Persönlichkeitseigenschaften auf die Performanz und das zukünftige Handlungsergebnis. Oder man schließt von der Performanz und dem Handlungsergebnis auf bestimmte Fähigkeiten, die auch künftig ein erfolgreiches, selbstorganisiertes Handeln der Person in offenen Problemsituationen ermöglichen“ (Erpenbeck & Hasebrook, 2011, 243). Insbesondere auch die Dimension der personalen Kompetenzen zeigt die nicht zu vernachlässigende Verbindung zwischen Kompetenz und Persönlichkeit, die bei Kompetenzerhebungs- und Kompetenzmessverfahren berücksichtigt werden muss.

2.3.6

Zusammenfassendes Kompetenzverständnis

In dieser Arbeit wird somit folgendes Kompetenzverständnis zugrunde gelegt: Kompetenz wird verstanden als theoretisches Konstrukt, welches sich in Verbindung mit Persönlichkeitsmerkmalen auf Basis von kognitiven und affektiven Bestandteilen (Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen, Qualifikationen, Motivation, Volition, Werten, Einstellungen, Idealen und Emotionen) darauf bezieht in sowohl bekannten als auch unbekannten offenen Situationen kreativ und selbstorganisiert zu handeln, um die entsprechenden Problemstellungen zu lösen. Zum Ausdruck kommt die Kompetenz in der Handlungsaktivität als Performanz in den betreffenden Situationen, die dabei vom Individuum nicht nur bewältigt, sondern auch selbst erzeugt werden. Kompetenz kann wie viele andere Konstrukte auch nie allseitig umfasst werden, weshalb sie in vier Kompetenzdimensionen unterteilt wird, denen wiederum erfassbare Kompetenzfacetten zugeordnet werden können. Kompetenz ist kontextabhängig und damit verknüpft mit kontextspezifischen Rollenerwartungen. Sie ist nicht rein an ökonomischen Handlungszielen orientiert, sondern in einem gesellschaftlichen aufklärerischen Bildungsverständnis Teil der Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung, für deren Erwerb und Entwicklung innerhalb der Aus- und Weiterbildung geeignete pädagogische Rahmenumge-

2.3 Kompetenz

27

bungen hergestellt werden sollten, welche entsprechend eines erwachsenenbildnerischen Ansatzes den biographischen Hintergrund und die außerinstitutionellen Lern- und Erfahrungsräume mit einbeziehen sollten .

3

Kompetenzerwerb

Die Kompetenzdiskussion erhält innerhalb der Wissenschaften deshalb einen so hohen Stellenwert, da Kompetenzerwerb als eine entscheidende Möglichkeit gesehen wird, den gesellschaftlichen Veränderungen und Anforderungen, insbesondere im beruflichen Bereich, zu begegnen und diese zu bewältigen. Das Lernen unter den Bedingungen von Komplexität, Chaos und Selbstorganisation, das Lernen in der Risikogesellschaft erfordert eine neue Lernkultur – eine Kultur des selbstorganisierten, die Risiken von Komplexität und Chaos bewältigenden Lernens. Das wichtigste Produkt dieses Lernens sind Kompetenzen, die das entsprechende selbstorganisierte soziale Handeln ermöglichen (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2007, XX). Wird davon ausgegangen, dass sich die Informationsgesellschaft in eine Wissensgesellschaft transformiert hat, so zeigt sich dies auch in der „Transformation der Qualifikationsgesellschaft in eine Kompetenzgesellschaft“ (Erpenbeck & von Rosenstiel, 2007, XIX). Für den Kompetenzerwerb und die Kompetenzentwicklung als Teil und Ziel von Bildungsprozessen nehmen die Bildungsinstitutionen die zentrale Rolle ein, liegt ihre Aufgabe doch darin, „Absolventen auf zukünftige Anforderungen im Beruf oder in weiterführenden Bildungseinrichtungen vorzubereiten“ (Hartig, 2008, 15). Um Kompetenzerwerb und -entwicklung zu ermöglichen, ist es daher erforderlich, reale praxisbezogene Problemstellungen in die Lernprozesse zu integrieren (Erpenbeck & Sauter, 2013). „Didaktisches Gewicht erhalten in diesem Zusammenhang unstrukturierte Lernprozesse, in denen die Teilnehmer/innen [sic!] systematisch vor der Herausforderung stehen, den Umgang mit Unsicherheit zu lernen und sich eine Kompetenz zum Umgang mit unerwarteten Anforderungen anzueignen“ (Arnold, 2002, 32). Grundlage dafür ist eine Lernkultur, in der Wissen und Können so vermittelt werden, dass Fähigkeiten und Kenntnisse nicht isoliert und starr nebeneinander stehen, sondern sich diese zu anwendungsfähigem Wissen und ganzheitlichem Können verbinden und

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Vogel, Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26380-5_3

30

3 Kompetenzerwerb

dieser Prozess dabei auch Reflexions- und Selbstregulationsprozesse umfasst (Klieme & Hartig, 2007).

3.1

Erwerbsmodelle

Erpenbeck und Sauter (2013) zeigen in ihrem zirkulären Strukturmodell auf, dass Wissen und Qualifikation die notwendigen Voraussetzungen für den Kompetenzaufbau bilden. Aus diesen Voraussetzungen verbunden mit Emotionen, Motivationen und den individuellen verinnerlichten Werten, Regeln und Normen ergibt sich aus ihrer Perspektive Kompetenz, wie sie es im folgenden Modell (Abbildung 2) veranschaulichen.

Abbildung 2: Vom Wissensaufbau zur Kompetenzentwicklung (Erpenbeck und Sauter, 2013, 28)

Dabei weist das Modell durch den Aspekt des Kompetenz-Lernens auch darauf hin, welchen Lern-Gestaltungen es bedarf, um Kompetenz erwerben zu können

3.1 Erwerbsmodelle

31

und wie der Kompetenzbegriff im Zusammenhang zum Begriff der Qualifikation steht. Im Vergleich dazu unternimmt Wildt (2006) in Anlehnung an North und Reinhardt (2005) anhand einer Kompetenztreppe eine Einteilung im Sinne von Stufen zur professionellen Kompetenz, wobei diese mit Professionalität abschließt (Abbildung 3).

Professionalität Kompetenz Handeln Können

Wissen Information

+ Verantwortung

+ Angemessenheit

+ Wollen

+ Anwendung

+ Vernetzung

Abbildung 3: Stufen zur professionellen Kompetenz (Wildt, 2006, 7)

Aus dieser Perspektive ergibt sich ein hierarchisch aufgebauter Kompetenzerwerb, bei dem auf unterster Stufe Informationen zugrunde liegen, die durch Vernetzung zu Wissen werden. Das so entstandene Wissen führt durch Anwendung auf die nächste Stufe des Könnens. Wird dem Können das Wollen hinzugefügt, führt es zum Handeln, welches dann unter Hinzunahme der Angemessenheit zu Kompetenz führt. Kommt zur Kompetenz Verantwortung hinzu, spricht Wildt (ebd.) von Professionalität. Dabei können die ersten drei Stufen Information, Wissen und Können als Aufbau von Kenntnissen und Fertigkeiten betrachtet werden, während die Stufen Handeln, Kompetenz und Professionalität als Interpre-

32

3 Kompetenzerwerb

tations- und Bewertungsprozesse zusammengefasst werden können. Beide Modelle enthalten nicht alle Komponenten: Wildts Betrachtungsweise vernachlässigt den die Kompetenzbetrachtung beinhaltenden Qualifikationsbegriff komplett und geht nicht explizit auf zu berücksichtigende internalisierte Normen, Regeln und Werte ein, während in der Darstellung von Erpenbeck und Sauter (2013) die kognitiven und motivationalen sowie die Handlungsaspekte von Kompetenz nicht differenziert und explizit sichtbar zum Tragen kommen. Ebenso wie bereits in der Abbildung von Erpenbeck und Sauter (ebd.) ersichtlich weist auch Wildt (2006) daraufhin, dass für den Erwerbsprozess von Kompetenz Formate nötig sind, die komplexere Aufgabenstellungen und damit verbundenes selbstorganisiertes Arbeiten beinhalten und ermöglichen.

3.1.1

Kognitive Taxonomien

Insbesondere die graphische Darstellung Wildts (ebd.) spiegelt die Vorstellung eines hierarchischen Kompetenzerwerbs wider. Diese Hierarchie findet sich, wie in der Regel in allen organisierten Bildungsangeboten, auch im Medizinstudium wieder, wobei die Hierarchisierung auch gesetzlich durch die Approbationsordnung für Ärzte (ÄApprO) (2002) vorgegeben ist. Eine solche Hierarchisierung von Lernzielen, die hinter dem jeweiligen Kompetenzniveau liegen, basiert häufig auf der kognitiven Taxonomie von Bloom, Engelhart, Furst, Hill, & Krathwohl (1969), die vielfach bei der Entwicklung von Curricula und Lehrveranstaltungen herangezogen wird. Der verbreitete Einzug dieser Taxonomie im Gegensatz zu der des affektiven Bereichs (Krathwohl, Bloom, & Masia, 1964) mag vor allem damit zusammenhängen, dass der kognitive Bereich auch nach Ansicht der Autoren der Bereich ist, der die Entwicklung von intellektuellen Fähig- und Fertigkeiten beinhaltet, welche kognitive Gedächtnis- und Lernprozesse umfassen wie erinnern, wiedererkennen, abrufen etc. und genau diese Prozesse häufig im Zentrum der Entwicklung und Bearbeitung von Testverfahren stehen (Bloom et al., 1969). So können auf Grundlage der kognitiven Taxonomie Zielsetzungen überschaubar und bewertbar gemacht werden. Unter der Annahme, dass die zur Aufgabenbewältigung erforderlichen psychischen Prozesse mit zunehmender Komplexität

3.1 Erwerbsmodelle

33

immer schwieriger werden, da jeder höheren Leistung die jeweils darunter liegenden vorausgehen, unterscheidet die Taxonomie folgende sechs aufsteigende immer anspruchsvoller werdende Hauptkategorien der Komplexität des Lernens (Abbildung 4), wobei die Abbildung in verkürzter Weise auch das jeweilige Verständnis der entsprechenden Kategorien darstellt:

Abbildung 4: Kognitive Taxonomie nach Bloom et al., 1969 (eigene Darstellung)

Bis auf die dritte wurden die Kategorien dabei in weitere Subdimensionen differenziert, wobei sich unter der Hauptdimension Wissen die meisten Unterkategorien finden, auf die hier allerdings nicht weiter eingegangen wird, da das nicht der Fokus dieser Arbeit ist. Einige, allerdings nicht alle Kategorien können ins Verhältnis zu Wildts Kompetenztreppe gesetzt werden. So können die beiden ersten Dimensionen Wissen und Verstehen verglichen werden mit den Stufen Information und Wissen bei Wildt (2006). Die Kategorie Anwenden findet sich bei Wildts Stufe des Könnens, die sich aus der Verbindung zwischen Wissen und Anwendung ergibt, wieder. Die Analyse- und Synthesekategorie können nicht direkt zu Stufen bei Wildt zugeordnet werden. Inwieweit das Handeln allerdings angemessen ist und damit in Wildts Treppe zu Kompetenz führt, wird im Stufenmodell bei Bloom

34

3 Kompetenzerwerb

im Evaluationsprozess reflektiert, da in dieser Kategorie die interiorisierten Bewertungskriterien mit den äußeren abgeglichen werden und je nach Kompatibilität das Handeln als kompetent oder nicht kompetent bewertet wird. Der Vergleich zeigt, dass die Taxonomie von Bloom et al. (1969) den Aspekt der Motivation nicht beinhaltet, während bei Wildts Stufenmodell die Analyse- und Syntheseprozesse nicht explizit sichtbar werden. Dies hängt sicherlich auch mit den unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der Fokussierung kognitiver Lernziele bei Bloom et al. (ebd.) und dem expliziten Fokus des Kompetenzerwerbs bei Wildts Stufenmodell (2006) zusammen. Insgesamt zeigen die Modelle und auch der Vergleich allerdings den klaren hierarchisch strukturierten Kompetenzerwerbsprozess bei formalen Bildungsangeboten auf. Dies zeigt sich auch durch den nachhaltigen Einfluss des Instructional Designs auf die Gestaltung von Lehrprozessen. Bei diesem in seinem Ursprungsmodell auf den US-amerikanischen Psychologen und Pädagogen Robert M. Gagné zurückgehenden Ansatz (Gagné & Briggs, 1974) werden für die systematische Planung, Entwicklung und Evaluation von Lernumgebungen und –strategien aufbauend auf der Beschreibung von aufeinander folgenden Lernvoraussetzungen und der Definition entsprechender Lehrzielkategorien neun Lehrschritte postuliert – vom Aufbau des Aufmerksamkeitsgewinns am Anfang hin zur Transfersicherung am Ende (Gagné, 1977; Reinmann, 2005). Dabei spiegelt die zugrundeliegende Auffassung von Lernen als kumulativem Prozess, der messbar sei, neben kognitiven auch behavioristische Aspekte der Lernbetrachtungen wider, weshalb Gagné auch als eine Übergangsfigur zwischen ursprünglich behavioristisch geprägten Auffassungen hin zur kognitiven Betrachtung von Lernprozessen gesehen werden kann (Driscoll, 2000). Im Aufbau und der Durchführung des Medizinstudiums, besonders in der Unterteilung in vorklinischen und klinischen Abschnitt, spiegeln sich die dargestellten pädagogischen Ansätze und Theorien, die überwiegend lehrendenzentriert ausgerichtet sind, wider. Auf Basis neuerer Kenntnisse der Lehr-Lernforschung fand ein Paradigmenwechsel von der Lehrenden- hin zur Lernendenzentrierung statt, bei der die Lernenden als Subjekte des Bildungsprozesses mehr im Mittelpunkt stehen und sich nicht ausschließlich auf die reine Inhaltsvermittlung durch geeignete

3.1 Erwerbsmodelle

35

Lehrstrategien konzentriert wird (Baumgartner 2011). Innerhalb dieser neuen Erkenntnisse wurde auch die kognitive Taxonomie überarbeitet und verfeinert (Krathwohl 2002), worauf im nächsten Abschnitt noch genauer Bezug genommen wird, da diese ebenfalls einen Einfluss auf die Gestaltung von Lernumgebungen und somit auch zum Kompetenzerwerb genommen hat.

3.1.2

Zweidimensionale kognitive Taxonomie nach Krathwohl

Bei der überarbeiteten und verfeinerten kognitiven Taxonomie wurden die Wissensarten, die der ersten Stufe detailliert untergeordnet waren, und die kognitiven Abläufe explizit getrennt, was eine Erweiterung von einer eindimensionalen Listenform zu einer zweidimensionalen Tabellendarstellung zur Folge hat (Tabelle 1). Grundlage der heuristischen und analytischen Funktion der Taxonomie ist dabei die Einordnung des kognitiven Prozesses anhand eines Verbs in Verbindung mit einer Wissensart. Dabei wurde auch die ursprüngliche Reihenfolge der beiden letzten Stufen vertauscht und Synthese in erzeugen (create) umbenannt. Tabelle 1: Taxonomie nach Krathwohl (2002, 216 - eigene Übersetzung)

Wissensdimension

1. erinnern

2. verstehen

Kognitive Prozessdimension 3. 4. 5. anwenanalybewerden ten sieren

6. erzeugen

A. Faktenwissen B. Konzeptionelles Wissen C. Prozedurales Wissen D. Metakognitives Wissen

Diese zweidimensionale Taxonomie ermöglicht es, die dominante Rolle der passiven Erinnerung verschiedener Wissensarten, zurück zu nehmen und durch die veränderten Subkategorien den realen Lehr-Lernprozessen näher zu kommen.

36

3 Kompetenzerwerb

Die Beschreibung kognitiver Prozesse durch Verben betont darüber hinaus stärker die aktive Rolle der Lernenden. Auch wurde die Anwendung der Taxonomie von Beurteilungs- und Prüfungsmethoden gleichermaßen auf Lehrmethoden und Lernprozesse ausgeweitet, so dass ein Abgleich (alignment) der Prozesse im Sinne des Zusammenpassens von Prüfungen zu den Lehr-Lernprozessen vollzogen werden kann. Using the Table to classify objectives, activities, and assessments provides a clear, concise, visual representation of a particular course or unit. Once completed, the entries in the Taxonomy Table can be used to examine relative emphasis, curriculum alignment, and missed educational opportunities (Krathwohl 2002, 218). Da Wissen einen wesentlichen Aspekt des Kompetenzverständnisses darstellt, wurde besonders auf die kognitiven Taxonomien als häufig verwendete Grundlagen zur Gestaltung von Lehr-Lernprozessen und zum kognitiven Wissens- und somit Teil des Kompetenzerwerbs eingegangen. In der zweidimensionalen Taxonomie findet sich dabei durch die veränderte Bezeichnung der letzten Stufe in erzeugen auch der Aspekt der Selbsterzeugung von Wissen wieder, der sich in der Kompetenzdefinition in Bezug auf die Selbsterzeugung von zu bewältigenden Situationen durch Individuen zeigt. Neben kognitiven Aspekten umfassen das Kompetenzverständnis und auch das Empathieverständnis allerdings auch affektive Aspekte. So zeigen die kognitiven Taxonomien den Handlungsaspekt zur Problembewältigung, der Kompetenz wesentlich charakterisiert und damit auch von der Wissensdefinition abgrenzt, nicht auf. Darüber hinaus spielt insbesondere in der medizinischen Ausbildung auch die Psychomotorik eine besondere Rolle. Neben den kognitiven Taxonomien finden sich so auch solche des affektiven und psychomotorischen Bereichs auf die im nächsten Abschnitt, allerdings nicht so umfangreich eingegangen wird, da sie ebenfalls zum Verständnis des Kompetenzerwerbs beitragen. Da die in der medizinischen Ausbildung vermittelten psychomotorischen Aspekte in dieser Arbeit allerdings nicht genauer erhoben und untersucht wurden, wird die psychomotorische Taxonomie nur sehr kurz zur Vollständigkeit erwähnt.

3.1 Erwerbsmodelle 3.1.3

37

Affektive und psychomotorische Taxonomien

Auf Basis der Unterteilung von Lern- und Ausbildungszielen in kognitive, affektive und psychomotorische Ziele, wurde in einem zweiten Handbuch der Arbeitsgruppe um Bloom auch eine Taxonomie zum affektiven Bereich entwickelt (Krathwohl et al., 1964), während sich Klassifizierungen psychomotorischer Ziele bei Dave (1968), Simpson (1966) und Harrow (1972) finden. Im Vordergrund der affektiven Domäne steht dabei der Umgang mit inneren Antrieben und Gefühlen in Bezug zu moralischen Normen der Gesellschaft. Hier können sich Aussagen über Haltungen, über das Arbeiten innerhalb einer Gruppe, über einen sensiblen Umgang mit sich und anderen und über ethisches Handeln finden lassen (Bergstermann et al., 2013). Krathwohl et al. (1964) klassifizieren die affektive Domäne in fünf Stufen, welche jeweils Subkategorien enthalten, auf die nicht weiter eingegangen wird, da sie für den Kontext dieser Arbeit von geringer Bedeutung sind. Die Taxonomie ist wie folgt aufgebaut (Krathwohl et al., 1964, deutsche Bezeichnungen und Erläuterungen nach Bergstermann et al., 2013, 14): 1. Receiving (attending)/Empfangen – Bereitschaft, Informationen zu empfangen 2. Responding/Reagieren – aktive Teilnahme am eigenen Lernen 3. Valuing/Werten – Akzeptanz von Werten bis zum Sich-einem-Wert-verpflichtet-Fühlen 4. Organization/Organisieren von Werten – Prozess, unterschiedliche Wertvorstellungen zusammenzubringen 5. Charakterisieren von Werten – Wertesystem in Bezug auf eigene Einstellungen und Haltungen. Die affektive Taxonomie spiegelt dabei die auch in der Kompetenzdefinition zu findenden Aspekte der Werte und Werteinternalisation wider, die schwer erfassbar sind und als Teil der Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung gesehen werden können und innerhalb dieses Prozesses implizit erworben werden. So finden sich unter 2.3.6 des zusammenfassenden Kompetenzverständnisses die Begriffe Werte, Einstellungen und Ideale, die mit den Stufen drei bis fünf der affektiven Taxonomie in Bezug gesetzt werden können. Die ersten beiden Stufen kön-

38

3 Kompetenzerwerb

nen in Bezug gesetzt werden zum Motivationsaspekt beim Kompetenzverständnis und die erste Stufe kann darüber hinaus in Verbindung gebracht werden zum ersten Schritt des Instruktionsdesigns – Gewinn der Aufmerksamkeit, denn diese kann nur gewonnen werden, wenn von den Lernenden überhaupt die Bereitschaft besteht, Informationen zu empfangen. Die zweite Stufe kann weiterhin auch in Relation zur letzten Stufe gesetzt werden, denn nur eine aktive Teilnahme am eigenen Lernprozess kann dazu führen, neues zu erzeugen. Diese Stufe spiegelt dabei auch die Sichtweise des aktiven Lernenden und nicht des passiven Teilnehmenden wider. Im psychomotorischen Bereich geht es vordergründig um das Lernen von Bewegungsabläufen, im Sinne der physischen Fertigkeiten, welche die Koordinierungsprozesse zwischen Gehirn und Muskeln beinhalten. Dabei werden je nach Quelle fünf, sechs oder sieben aufeinander aufbauende Stufen klassifiziert (Dave, 1970; Harrow, 1972; Simpson, 1972), auf die aufgrund des Forschungsschwerpunktes dieser Arbeit allerdings nicht weiter eingegangen wird. 3.2

Lerntheoretische Verbindungen

Als Grundlage und Erklärungszugang des Kompetenzerwerbs wird häufig auf Lerntheorien zurückgegriffen, „die in unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontexten entstanden sind und je spezielle Erklärungszugänge zum Thema eröffnen“ (Gnahs, 2010, 39). Dabei erklären diese Theorien, die weitläufig in die Bereiche verhaltenstheoretische, kognitive und konstruktivistische Lerntheorien unterteilt werden können (u.a. Raithel et al., 2007), den Kompetenzerwerb als Lernprozess. Da es den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde die einzelnen, in der Regel dem Fachpublikum bekannten, Lerntheorien inhaltlich detailliert darzustellen, wird auf eine graphische Darstellung der Lehr-Lerntheorien, die auch in der betrieblichen Bildung verwendet werden, von Erpenbeck und Sauter (2013) zurück gegriffen (Abbildung 5) und hinsichtlich des Kompetenzerwerbs darauf Bezug genommen.

3.2 Lerntheoretische Verbindungen

39

Behaviorismus und Kognitivismus In Bezug auf den Kompetenzerwerb zeigt sich, dass sich die behavioristische Lerntheorie innerhalb formeller Bildungsprozesse in erster Linie für die Vermittlung von Faktenwissen eignet, bei dem das Wissen möglichst kleinschrittig strukturiert und vermittelt und durch entsprechende Rückmeldungen dessen Aufnahme verstärkt wird (Köster & Kruse, 2012). Darüber hinaus weisen die Autoren darauf hin, dass durch das Lernen am Modell - der operanten Konditionierung - komplexe Verhaltensformen im sozialen, sprachlichen, kognitiven und motorischen Bereich sowie entsprechende Motive im Sinne von Handlungstendenzen übernommen werden können. Danach kann auch Kompetenz durch die Beobachtung des Verhaltens sowie der mit dem Verhalten verbundenen Konsequenz erlernt werden. Durch die Lernmechanismen Versuch und Irrtum, Belohnung und Bestrafung sowie das Lernen am Modell liefert der Behaviorismus auch Erklärungsansätze für die Übernahme von Werten und Normen in der Sozialisation (ebd.). Lerntheorien Behaviorismus

Kognitivsmus

Konstruktivismus

Konnektivismus

„Black Box“ Reiz-ReaktionsModell

Lernen durch Einsicht und Denken

Lernen durch persönliche Erfahrung

Lernen im Netz(-werk)

„Lehrer“ Faktenwissen erklären Darbietung

„Tutor “ Methoden Verfahren Beraten Erarbeiten

Initiierung von Verhalten

Initiierung zielgerichteter Handlungen

Rolle der Lernbegleiter

Fremdgesteuertes Lernen

„Coach“ Soziale Praktiken Begleiten Exploration

Darbietung Ermöglichung individueller in und mit Netzwerken

„Mentor“ Netzwerkbildung fördern Verknüpfung von Lerner im Unternehmen

Ermöglichung von Problemlösungen in und mit Netzwerken

Selbstgesteuertes bzw. selbstorganisiertes Lernen

Abbildung 5: Theorien der bertrieblichen Bildung (Erpenbeck & Sauter, 2013, 40) 5 5

In der Abbildung scheint nach Ermöglichung individueller ein Wort zu fehlen. Diese Darstellung findet sich exakt so im Original.

40

3 Kompetenzerwerb

Dabei ist allerdings anzumerken, dass das Beobachtungslernen am Modell nach Bandura (1976) sich zwar aus der behavioristischen Tradition kommend entwickelt hat, es aber kein klassisch behavioristisches Modell mehr ist, sondern bereits kognitive Aspekte enthält, was auch daran zu erkennen ist, dass seine Theorie als sozial-kognitive Lerntheorie bezeichnet wird. Trotz begründeter Kritikpunkte hat die behavioristische Lerntheorie für Bereiche in denen zunächst reines statisches Wissen zu erwerben ist, wie beispielsweise bei Vokabeln oder medizinischen Begriffe, durchaus ihre Berechtigung. Die Kritik an diesem Ansatz bezieht sich vor allem auf die Nicht-Beachtung von Emotionen und Motivation des Lernenden und die Ergebnisorientierung, die die Entstehung neuen Verhaltens außer Acht lässt (Erpenbeck & Sauter, 2013). Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt begründet sich in der eingeschränkten Auffassung des Lernprozess, bei dem der Lernende im Rahmen einer Trichterdidaktik eine vollkommen passive Rolle einnimmt und der Lehrer in seiner Rolle diesen Trichter füllt, mit dem was aus Lehrendensicht relevant ist um entsprechendes Verhalten zu initiieren. Menschen aber sind nicht ausschließlich passive, mechanische Empfänger von Stimuli, sondern aktive Wesen, so dass diese Theorie der Komplexitätserfassung des Lernprozesses nicht gerecht wird (Baumgartner, Laske, & Welte, 2000). Die kognitive Lerntheorie rückt in Bezug auf den Kompetenzerwerb die Vernetzung und Anbindung von Kenntnissen in die bestehenden Strukturen in den Fokus. Lehr-Lernszenarien auf Basis des Kognitivismus zielen didaktisch darauf ab, Möglichkeiten bereit zu stellen, um vom know-that des Behaviorismus zum know-how, im Sinne prozeduralen Wissens vergleichbar mit der dritten Wissensdimension der erweiterten kognitiven Taxonomie, zu kommen. Kritisiert wird, dass „die menschliche Emotionalität und Situiertheit des Handelns der Lerner […] in ihrer Lebenswelt ausgeblendet [wird]“ (Erpenbeck & Sauter, 2013, 39) und dass der Körper eine relativ geringe Rolle spielt (Baumgartner et al., 2000). So findet nach Auffassung der letztgenannten Autoren im Kognitivismus eine Überbetonung der mentalen Verarbeitungsprozesse statt, während beim Behaviorismus das körperliche Verhalten zu sehr im Fokus steht. Damit zeigen sich gemäß der Autoren in Bezug auf menschliche Alltagsaufgaben, die nicht bewusst gelöst werden sowie bei Aufgaben in komplexen Situationen, die stark von den sie umgebenden Kontexten beeinflusst werden, große Erklärungsprobleme für

3.2 Lerntheoretische Verbindungen

41

den Lernprozess. Darüber hinaus wird kritisiert, dass im realen Leben die Probleme nicht vorgegeben werden, sondern sie „müssen erst einmal gesehen (konstruiert oder erfunden) werden, damit sie gelöst werden können“ (Baumgartner et al., 2000, 249). Im Kognitivismus nimmt der Lehrende dabei die Rolle eines Tutors ein, der in Bezug auf von ihm ausgewählte Lerninhalte berät und erarbeitet, um zielgerichtete Handlungen zu initiieren. Behavioristische und kognitivistische Lernarrangements orientieren sich dabei näher am Pol der Fremdsteuerung des Lernprozesses. Konstruktivismus und Konnektivismus Lernen aus konstruktivistischer Sicht basiert auf einem aktiven, situativen und sozialen Prozess, innerhalb dessen Wissen durch selbstgesteuerte Interpretation und Konstruktion charakterisiert ist. Lernende werden so befähigt, Wissenserwerbsprozesse selbst zu erfahren und vielfältige Sichtweisen zu erkennen und zu nutzen. Dieser, durch Dynamik und Multidimensionalität geprägte Prozess repräsentiert dabei gleichzeitig einen individuellen Prozess der Sinngebung (Köster & Kruse, 2012). Im konstruktivistischen Kontext steht der Kompetenzerwerb im Zusammenhang mit individuellem Vorwissen sowie eigenen Erfahrungen und Einstellungen. Nach konstruktivistischem Verständnis kann Kompetenzentwicklung aufgefasst werden als ein weitgehend selbstgesteuerter Lern- und Aneignungsprozess, wobei Lern- und Reflexionsprozesse dem Lernenden ermöglichen, eingelebte, routinebehaftete und bewährte Handlungsmuster und Sichtweisen infrage zu stellen, zu reflektieren und zu verändern, so dass fachliche, methodische und soziale Handlungsfähigkeiten erweitert, neu strukturiert und aktualisiert werden können. So richtet sich der Lernprozess an individuell bedeutungsvollen Sachverhalten und Kontexten aus, welche dabei gleichzeitig anschlussfähig sind (Köster & Kruse, 2012). Unter dem Verständnis, dass Lernende ihr Wissen aus individuellen Erfahrungen erzeugen und kognitiv verarbeiten, setzen konstruktivistische Lerntheorien „den Schwerpunkt auf das fall- und problembezogene Lernen in realen Situationen, das Lernen aufgrund eigener Erfahrungen in authentischen Situationen, wobei der Transfer und die Umsetzung des Erlernten im Vordergrund stehen“ (Köster & Kruse, 2012, 91). Ziel des Konstruktivismus ist es, selbstorganisierte Lernprozesse in entsprechend gestalteten Lernumgebungen

42

3 Kompetenzerwerb

zu ermöglichen, wofür der Lehrende die Rolle eines Coachs einnimmt (Erpenbeck & Sauter, 2013). Erpenbeck und Sauter (2013) führen unter der Annahme, dass Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen nicht mehr gerecht werden, den auf den Kanadier George Siemens zurückgehenden Konnektivismus an (Siemens, 2005). Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen tragen dazu bei, dass es immer wichtiger wird zu wissen, wo das benötigte Wissen zu finden ist und wie es für die jeweiligen Problemlösungen genutzt werden kann. Die Annahme der dargestellten Lerntheorien, dass der Lernprozess entweder durch äußere Einflüsse oder eigene Erfahrungen erfolgt, beinhaltet nach Auffassung des Konnektivismus nicht ausreichend den Aspekt, dass der größte Teil des Wissens im heutigen Kontext durch dritte Personen, Organisationen oder Datenbanken erschlossen wird. Unter der Annahme, dass Entscheidungen auf sich schnell verändernden Grundlagen getroffen werden, gilt es danach zum einen um den Erwerb der Fähigkeit zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden und zum anderen zu erkennen, wann neue Informationen zu einer entscheidenden Veränderung des Gesamtbildes führen (ebd.). Dabei werden unter Netzwerken Verbindungen zu verschiedenen Elementen wie einzelne Menschen, Gruppen oder Informationstechnologien verstanden, die es im Sinne eines konnektivistischen Lernsystems als offene Lernumgebung bereit zu stellen gilt. Um relevantes Wissen für den Lernprozess zu identifizieren, zu bewerten, zu beschreiben und in einem gemeinsamen Prozess mit Partnern weiterzuentwickeln, benötigen die Lernenden die entsprechenden Fähigkeiten. In diesem Prozess werden nicht nur die Mittel und Methoden der Wissens- und Wertekommunikation reflektiert, sondern bei Bedarf auch selbstorganisierte Entwicklungssituationen geschaffen, die einen optimalen Wissensaufbau und eine Wertverinnerlichung ermöglichen. Die Auffassung der Lehrendenrolle bewegt sich dabei vom Coach hin zum Mentor bzw. „Enabler“ (Reinmann, 2011, 105) der ermöglicht, beobachtet, aktiv zuhört, Feedback gibt, berät und begleitet. In Bezug auf den Kompetenzerwerb stellt der konnektivistische Ansatz dabei insbesondere den Aspekt der Verknüpfung in den Fokus. Am Konnektivismus kritisiert wird, dass dieser keine eigene umfassende Lerntheorie darstellt, aber deutlich macht, dass die klassischen Lerntheorien in

3.2 Lerntheoretische Verbindungen

43

Bezug auf Lernprozesse in (digitalen) Netzwerken Defizite zeigen. So verbindet er „wesentliche Anforderungen der Wissens- und Informationsgesellschaft mit Überlegungen zu einem netzwerkorientierten Lernen“ (Moser, 2008, 67). Darüber hinaus wird kritisiert, dass sich wesentliche Elemente des konnektivistischen Ansatzes – vor allem derAufbau von Konnektionen – bereits in der konstruktivistischen Theorie, hier insbesondere im interaktionistischen Konstruktivismus finden (Reich, 2012). Lernarrangements der beiden dargestellten Ansätze befinden sich im Gegensatz zum Behaviorismus und Kognitivismus näher am Pol der Selbststeuerung. Da Lernen allerdings immer in einem sozialen bzw. kulturellen Umfeld stattfindet, unterliegt es immer auch externen Einflüssen und ist demnach nicht ausschließlich nur fremd- oder selbstgesteuert (Prenzel, 1993). Allenfalls die Gestaltung der Lernarrangements und die Auffassung der Lehrendenrolle können einen Aufschluss darüber geben, ob Selbststeuerungsprozesse besonders hervorgehoben und gefördert werden.

3.3

Kompetenz-Aneignungswege

Neben den Lerntheorien spielen die Wege der Kompetenzaneignung eine weitere wichtige Rolle. So kann der Kompetenzerwerb „intendiert in Schulen, Universitäten und Seminaren oder aber beiläufig in der Familie, im Verein oder im Beruf erfolgen“ (Köster & Kruse, 2012, 96). Abbildung 6 zeigt die nicht immer trennscharf zu isolierenden Kategorien von Aneignungswegen. Gnahs (2010) verweist dabei auch darauf, dass die Wahrnehmung der verschiedenen Lernwege und auch der Grad des Lernerfolgs in Abhängigkeit zu persönlichen und strukturellen Voraussetzungen steht. Zu diesen gehören individuelle Merkmale wie Geschlecht, Alter oder physischer Status, die familiäre Herkunft, Status und Bildungsniveau der Eltern, Geschwisteranzahl und das Milieu, sowie die regionale Herkunft wie der Geburts- und Wohnort, der Schulort und der Regionstyp. Neben den persönlichen und strukturellen Voraussetzungen spielen auch die Rahmenbedingungen des Lernens wie die Lernortgestaltung

44

3 Kompetenzerwerb

oder die Art der Lehre eine entscheidende Rolle (3.2 – Lerntheoretische Verbindugen).

Abbildung 6: Aneignungswege für Kompetenzen (Gnahs, 2010, 31)

Da es sich bei den von Gnahs genannten Aspekten um umfangreiche grundlegende erziehungswissenschaftliche Ansätze und Theorien handelt, deren detaillierte Erläuterung über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen würde und die dem Fachpublikum, wie die Lerntheorien auch, in der Regel bekannt sind, werden diese nur in einem sehr kleinen Umfang erläutert. Für eine genauere Darstellung im Zusammenhang zum Kompetenzerwerb sei an dieser Stelle an die Originalquelle Gnahs (2010) und die darin enthaltenen Literaturverweise verwiesen. Sozialisation Unter Sozialisation wird ein Prozess verstanden, durch den Menschen im Umgang mit anderen Menschen, Gruppen und Organisationen sozial handlungsfähig werden, indem sie Normen und Werte der Gesellschaft kennenlernen und verinnerlichen. Nur

3.3 Kompetenz-Aneignungswege

45

dann sind sie in der Lage, soziale Rollen wie die Berufs- oder Elternrolle gesellschaftsadäquat auszufüllen. Bei der Sozialisation handelt es sich um einen elementaren Vorgang, der praktisch mit der Geburt beginnt und erst mit dem Tode endet (Gnahs, 2010, 111). Es wird zwischen primärer Sozialisation, die in der Regel im Zusammenwirken zwischen Eltern und Kind(ern) stattfindet, und sekundärer Sozialisation die Sozialisationsinstanzen wie Peer-Group, Kindergarten, Schule etc. umfasst, unterschieden. Dabei werden dem Kind durch Grenzsetzungen, Zurechtweisungen, Belobigungen und Ermunterungen der Bezugspersonen innerhalb der primären Sozialisation Normen vermittelt, die in den sekundären Sozialisationsinstanzen ausgebaut und verfeinert werden. Neben der Wert- und Dispositionsvermittlung liefert der Sozialisationsprozess, „auch das kognitive und motorische Rüstzeug für die heranwachsende Persönlichkeit“ (Gnahs, 2010, 33). Dabei finden die Prozesse zum Teil beiläufig als Teil des Tagesgeschehens und teilweise intendiert als Teil bewusster Erziehungshandlungen zur Verhaltenssteuerung und –änderung statt. Formales Lernen Hierbei handelt es sich um Lernen, das im institutionellen Rahmen (z.B. Schule, Universität, etc.) stattfindet, wobei „das Lernen durch professionelles Personal organisiert, gesteuert, bewertet und zertifiziert wird“ (Gnahs, 2010, 34). Die vergebenen Zertifikate unterliegen der staatlichen Anerkennung und in der Regel erfolgen durch ihre Verleihung Einstiegsberechtigungen in andere Bildungsgänge oder in das Ausüben eines entsprechenden Berufes. Aufgrund der Abstimmung und Hierarchisierung des (deutschen) Bildungssystems sind bestimmte Bildungslaufbahnen vorgezeichnet. Beim formalen Lernen werden die Lernenden in Form von Lernzielen, welche in Curricula, Ausbildungsplänen oder Studienplänen festgelegt sind, von außen mit Anforderungen konfrontiert, die sie für den Zertifikatserwerb bewältigen müssen. Die Überprüfung der Zielerreichung erfolgt dabei durch verschiedenste Prüfungen. Darüber hinaus findet im Zusammenhang mit formalem Lernen auch informelles Lernen, Lernen ´en passant´ und Sozialisation statt, wobei einige dieser Prozesse bewusst angestrebt werden, während andere unbeabsichtigt und unkontrolliert bleiben.

46

3 Kompetenzerwerb

Nicht-formales Lernen Nicht-formales Lernen beschreibt organisierte Bildungsprozesse außerhalb des Regelsystems. So greift der institutionelle Kontext über Bildungseinrichtungen hinaus und bezieht auch Betriebe, Vereine, Musikschule, etc. mit ein. Auch hier wird in der Regel allerdings entsprechend ausgebildetes Personal eingesetzt. In nicht-formalen Lernprozessen finden sich Personen aller Altersgruppen und es können auch Abschlüsse erworben werden. Allerdings sind solche Bildungsmaßnahmen in der Regel im Durchschnitt kürzer als die in formalen Systemen (Gnahs, 2010). Informelles Lernen „Informelles Lernen ist intentional: Die Lernenden wissen, dass sie lernen, sie haben konkrete Lernabsichten und können die Lernhandlung von anderen Aktivitäten abgrenzen“ (Gnahs, 2010, 108). Dabei erfolgt es in der Regel nicht in einem explizit für Lernzwecke eingerichteten organisierten Rahmen und wird auch nicht durch entsprechend professionelles Personal angeleitet oder begleitet, sondern ist in Alltagsprozesse am Arbeitsplatz, in der Familie oder im sozialen Umfeld eingegliedert. „Es ist in hohem Maße selbstgesteuert und zielt nicht vorrangig auf das Erreichen von Abschlüssen oder Zertifikaten“ (ebd.). Lernen ‚en passant‘ Lernen ‚en passant‘ meint beiläufiges, unsystematisches und unstrukturiertes bzw. ganzheitliches und komplexes Lernen. Der Begriff liegt eng am Sozialisationsbegriff und überschneidet sich mit diesem auch teilweise. Lernen welches ‚en passant‘ stattfindet wird definiert als nicht-intentionales, unbewusstes und nicht verbalisierbares Lernen. Es entwickelt sich in Handlungs- und Lebenszusammenhängen, bei denen es nicht primär auf den Kompetenzzuwachs ankommt, sondern auf das situative Agieren und Reagieren, auf das Erreichen bestimmter Ziele und das Lösen akuter Probleme (ebd.). Der Lernvorgang ist implizit und den handelnden Personen entsprechend nicht bewusst, weshalb der Lernvorgang als solcher im Nachhinein auch schwer zu

3.3 Kompetenz-Aneignungswege

47

identifizieren oder zu rekonstruieren ist. Lernen ‚en passant‘ verweist somit auch „auf das „Undefinierbare“, auf das, was „alte Hasen“ mit Fingerspitzengefühl, Bauchentscheidung oder Instinkt bezeichnen, also eine offenbar wirksame, nicht beschreibbare Handlungskompetenz, die über Erfahrungen quasi natürlich generiert wird“ (Gnahs, 2010, 39). Für die Didaktik besonders reizvoll wäre die Möglichkeit, genau diese undefinierbaren Abläufe sichtbar und definierbar zu machen, um so nachhaltige Prozesse des Kompetenzerwerbs und der Kompetenzentwicklung durch das Bereitstellen und die Begleitung entsprechender Szenarien anstoßen zu können.

3.4

Zusammenfassung Kompetenzerwerb

Kompetenzerwerbsmodellen liegt in der Regel ein hierarchisch aufgebautes Verständnis des Kompetenzerwerbs zugrunde, wobei insbesondere die kognitiven Taxonomien die Entwicklung von Curricula und Lehrveranstaltungen wesentlich beeinflusst haben. Allerdings nehmen auch die affektiven Aspekte insbesondere hinsichtlich der Bereitschaft, Informationen zu empfangen und der Entwicklung des Wertesystems, das der Kompetenzbegriff ebenso umfasst wie die kognitiven Aspekte, eine relevante Stellung ein. Sowohl in Bezug auf die lerntheoretischen Zugänge als auch hinsichtlich der verschiedenen Aneignungswege von Kompetenz kann zusammenfassend festgehalten werden, dass ein integratives Konzept der verschiedenen Betrachtungsweisen am erfolgreichsten für die Erklärung von Lernen und Lernerfolg und damit auch zur Erklärung von Kompetenzerwerb und -entwicklung erscheint. Bedingt wird das Lernen dabei hochindividuell durch den Einsatz der Sinne, welche jeder Mensch anders einsetzt, um seine Umwelt wahrzunehmen, Erfahrungen zu machen und zu verarbeiten, persönlichen Voraussetzungen wie Begabung, Motivation, Gesundheitszustand, etc. und sächlichen Rahmenbedingungen wie finanzielle Mittel, Platz zum Lernen, etc., die den Kompetenzerwerb hindern oder fördern können. Die dargestellten Lerntheorien erklären den Kompetenzentwicklungsprozess als Lernprozess, wobei sich die damit zusammenhängende Didaktik von einer behavioristisch geprägten Erzeugungsdi-

48

3 Kompetenzerwerb

daktik zu einer Ermöglichungsdidaktik gewandelt hat, so dass die moderne Didaktik stark von konstruktivistischen Ideen gekennzeichnet ist. Lernen aber beschreibt einen dynamischen Entwicklungsprozess, der immer sowohl fremd- als auch selbstgesteuert ist und bei dem die Ziele auf vielfältigen Wegen erreicht werden können. Eine solche differenzierte Sichtweise führt dazu, den Lernprozess in Stufen, Lernziele und Inhalte zu unterteilen und dieser Unterscheidung entsprechend die Lehrmethoden und -ansätze auszuwählen. Im Verständnis von Lernen als einem sozialen Prozess können in den verschiedenen Phasen unterschiedliche Lehrparadigmen bedeutsam sein. Dabei ist es wesentlich, „daß [sic!] der Lehrprozeß [sic!] nicht auf ein einziges Lernparadigma eingeengt und immer überlegt wird, wie Studierende sich von einer Lern“stufe“ zur nächsten weiterentwickeln können. […] Das konstruktivistische Paradigma kann nicht als das einzig „Wahre“, absolut Gültige angesehen werden. Das würde der eigenen erkenntnistheoretischen Position (Skeptizismus) widersprechen“ (Baumgartner et al., 2000, 257). Alle lerntheoretischen Ansätze haben ihre Berechtigung und sollten je nach Lernstufe, -inhalt und -ziel entsprechend ausgewählt werden. Sind die wesentlichen Kompetenzbestandteile allerdings bereits aufgebaut und geht es darum, spezifische und besonders detaillierte Kompetenzentwicklung und -erfassung zu ermöglichen, wird in dieser Arbeit die Auffassung vertreten, dass es auf Seiten der Bildungsinstitutionen eines lerntheoretisch-konstruktiven Verständnisses von Lernprozessen und der Gestaltung konstruktivistischer Lehr-Lernarrangements bedarf, die sich auch den angeführten nicht immer formalen Aneignungswegen bewusst sind und diese mit einbeziehen. Dieser Auffassung entsprechend kommt unstrukturierten Lernprozessen, die die Lernenden systematisch vor Herausforderungen stellen, mit Unsicherheit umzugehen, eine besondere Bedeutung zu, denn die Bewältigung dieser Herausforderungen beinhaltet gleichzeitig den Erwerb von Kompetenz im Umgang mit unerwarteten Anforderungen, was wiederum den Kompetenzbegriff wesentlich auszeichnet. Je mehr dabei komplexe Aufgaben in einer den natürlichen Verhältnissen so nah wie möglich kommenden Umgebung bearbeitet werden, desto besser kann der Lernprozess und damit die Kompetenzaneignung und -entwicklung gelingen.

4

Kompetenzerfassung

Um Aussagen darüber treffen zu können, ob tatsächlich eine Kompetenz erworben wurde und welches Niveau diese hat, bedarf es Verfahren der Kompetenzerfassung. Dabei geht es um „Bewertungsformen, die mit unterschiedlichen Bezeichnungen in der einschlägigen Literatur verwendet werden: Zertifizierung, Validierung, Beurteilung, Bescheinigung, Testierung usw. […]“ (Gnahs, 2010, 48) sind Begriffe, die in diesem Zusammenhang auftauchen und sich sowohl teilweise überschneiden als auch in Konkurrenz zueinander stehen. Grundsätzlich gilt es, bei der Erfassung von Kompetenz das entsprechende Verständnis von Kompetenz offen zu legen, was eine entsprechende Operationalisierung und Definition zur empirischen Erfassung beinhaltet, so dass „vertretbare, plausible und voraussagegültige Schlüsse aus der jeweiligen Kompetenzerfassung bzw. -messung gezogen werden können“ (Gnahs, 2010, 50). Für nicht direkt beobachtbare Aspekte wie beispielsweise Empathie oder Teamfähigkeit beinhaltet das, die Erarbeitung und Herausstellung von Indikatoren, die direkt beobachtet werden können „und deren Auftreten einen plausiblen Rückschluss auf das eigentlich zu erfassende Phänomen zulässt“ (ebd.). In Bezug auf das Kompetenzverständnis weist Kaufhold (2006) auf die Wichtigkeit der Differenzierung zwischen einer funktionalen und einer verstehenden Betrachtungsweise von Kompetenz hin. Während sich eine funktionale Betrachtung von Kompetenz an einem funktionalen, zweckrationalem Handeln orientiert, das in erster Linie darauf ausgerichtet ist, situative Anforderungen zu erfüllen, bezieht sich eine sinnbezogene verstehende Auffassung von Kompetenz auf sinnbezogenes Handeln. Eine funktionale Perspektive geht von einer Operationalisierung von Kompetenz aus, während ein sinnbezogenes Kompetenzverständnis annimmt, „dass sich Kompetenz als eine mit Sinn verbundene Kategorie im Handeln selbst entwickelt“ (Kaufhold, 2006, 118). Diese auf hermeneutischen Wurzeln basierende Sichtweise bedient sich daher eher Methoden, bei denen Prozesse des Verstehens und Deutens im Fokus stehen, während die

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Vogel, Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26380-5_4

50

4 Kompetenzerfassung

funktionale Auffassung vor allem auf erfahrungswissenschaftliche Methoden zurückgreift. Im Zusammenhang mit dieser Differenzierung weist die Autorin darauf hin, dass zu vermuten ist, dass eine funktionale Betrachtungsweise im Kontext beruflichen Handelns stärker auf betriebliche Anforderungen eingehen kann und damit Aussagen darüber möglich sind, in welchem Maße eine Person in einer Situation gestellte Handlungsanforderungen und -erwartungen erfüllen kann (Kaufhold, 2006). Da diese Arbeit sich auf die im klinischen Alltag zu bewältigenden ärztlichen Herausforderungen bezieht anhand derer Kompetenz entsprechend operationalisiert wird, liegt ein funktionales Kompetenzverständnis zugrunde.

4.1

Lernergebnisse und Constructive Alignment

Innerhalb formaler Lernprozesse, zu denen auch die universitäre medizinische Ausbildung gehört, werden die zu erreichenden und zu bewältigenden Anforderungen und Aufgaben, die innerhalb einer Kompetenzerfassung überprüft werden können, durch die in den Curricula dargelegten Lehr- und Lernziele festgelegt. In Bezug auf eine kompetenzorientierte Currciulums- und auf diese abgestimmte Prüfungsgestaltung liegt der Fokus zum gegebenen Zeitpunkt allerdings besonders auf Lernergebnissen im Sinne von Learning Outcomes. Outcomeorientiertes Vorgehen fokussiert dabei auf das, was Studierende am Ende des Studiums/Moduls können sollen. Es geht in erster Linie um das Lernen und weniger um das Lehren, wobei dieser Zugang auf die Lernergebnisse und weniger den Lernprozess fokussiert ist, womit er in Ansätzen an die behavioristische Lerntheorie erinnert. Der Fokus auf Lernergebnissen steht in engem Zusammenhang mit der Bologna-Reform, welche das Ziel verfolgte, Wettbewerbsfähigkeit, Transparenz, Anerkennung und Mobilität innerhalb europäischer Bildungssysteme zu verbessern und zu ermöglichen (Kultusministerkonferenz (KMK), & Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 2015). Dabei unterscheiden länderspezifische Qualifikationsrahmen Lernergebnisse nach bestimmten Bestandteilen der Kompetenzdefinition und ordnen sie entsprechenden Kompetenzdimensionen zu.

4.1 Lernergebnisse und Constructive Alignment

51

Eine einheitliche Kompetenzdefinition, die beispielsweise Wissen und Fertigkeiten als Kompetenzbausteine betrachtet, lässt sich innerhalb der Qualifikationsrahmen des Bologna-Prozesses allerdings nicht finden (Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen (AK DQR), 2011; Europäische Kommission, 2008). Lernergebnisse stehen dabei im Zusammenhang von Lehre, Lernen und Prüfen. Diese drei Aspekte in Einklang zu bringen, versucht das von John Biggs (1996) entwickelte Konzept des constructive alignments (Abbildung 7). Dahinter liegt die Verbindung der konstruktivistischen Lerntheorie mit dem Ansatz des Instructional Designs. So lässt sich constructive alignment als eine Fusion zwischen Konstruktivismus und Instructional Design einordnen, wobei der Konstruktivismus den Rahmen darstellt auf dessen Basis die Ausführung der Instructional-Design-Stufen entschieden wird (Biggs, 1996). Auf diesem Verständnis basierend, bilden die Lernergebnisse die inhaltlichen und methodischen Leitlinien der Planung und stellen damit den Bezugsrahmen des Instructional Designs. An diesen müssen auch die Prüfungsformate entsprechend der Orientierung auf Kompetenz und Lernergebnisse angepasst werden. Constructive alignment bezieht sich dabei auch auf die Entscheidung des Verwendens eines Portfolios, welches den Lernenden ihr erreichtes Niveau widerspiegelt und anhand dessen sie ihr gefühltes Lernergebnis abgleichen können und sieht die Herausforderung in der Herstellung einer Balance zwischen Lernergebnis, Lehr-Lern-Szenarien und Prüfungsformaten (Bergstermann et al., 2013). „Das bedeutet in der Praxis, dass die LehrLernaktivität genau so gestaltet sein muss, dass die Studierenden die angestrebten Lehr-Lernziele auch erreichen können und dass die Prüfung auch genau das Erreichen dieser Ziele abprüft“ (Baumert & May, 2013, 23). In Anlehnung an eine outcomeorientierte Currciulumsentwicklung stellen Lernergebnisse im Entwicklungsprozess von Studienprogrammen dabei sowohl den Ausgangs- als auch den Endpunkt dar (Bergstermann et al., 2013).

52

4 Kompetenzerfassung

Prüfung

Prüfungssituation, -anforderungen und -aufgaben

Situationen Anforderungen Aufgaben Lernsituationen, -anforderungen und -aufgaben Lehr-Lernprozess

berufl. + gesellschaftl. Situationen, Anforderungen und Aufgaben

Kompetenzen als Learning Outcomes

Abbildung 7: Constructive Alignment von Prüfung (Wildt & Wildt, 2011, 9)

4.2

Situative Bedingungen

Der Situations- und Erfassungskontext spielt bei Kompetenzerfassungsverfahren eine wesentliche Rolle. So ist der Situationszusammenhang zum einen ein wesentliches Definitionsmerkmal von Kompetenz und zum anderen wird Handeln nicht nur durch personelle, sondern auch durch situative Aspekte bestimmt, da Handeln in sozialen Situationen stattfindet und daher nicht unabhängig von diesen gesehen werden kann. Die zentralen Elemente einer Situation sind Akteur, Rahmenbedingungen und Anforderungen. Das Element Akteur umfasst dabei, wer jeweils in eine Situation einbezogen ist, wobei sowohl passive als auch aktiv beteiligte Personen an einer Situation als Akteure gesehen werden. Kompetenzerfassung vollzieht sich als Beurteilungsprozess, der immer aufgrund individueller Wahrnehmung erfolgt (Kauf-

4.2 Situative Bedingungen

53

hold 2006). Demnach steht dieser Prozess untrennbar in Verbindung mit der Person, die ihn durchführt. Somit beeinflussen neben Aspekten wie Ausbildung, Arbeitsbedingungen oder Familiensituation des Beurteilers auch „personeninterne Verhaltensursachen und anregungsbedingende Elemente“ (Kaufhold, 2006, 128) die Handlungssituation, ebenso wie Merkmale des Beurteilers wie beispielsweise „Interessen, Fähigkeiten, Erfahrungen, Einstellungen, Erwartungen und Bedürfnisse, welche Ausschnitte des Verhaltens registriert würden“ (ebd.). Darüber hinaus kann das Urteil auch durch Vorinformationen von Dritten beeinflusst werden und die Urteilsaussage wird durch die sprachlichen Fähigkeiten und Strategien des Beurteilers bedingt. Diesen Ausführungen entsprechend ist es von großer Bedeutung über die beeinflussenden Aspekte hinsichtlich des Umgangs und der Verwendung der getroffenen Beurteilungen Kenntnis zu besitzen. Dabei ist es auch von Bedeutung, wer die Beurteilung vornimmt. Das Element Rahmenbedingungen beinhaltet die Bedingungen, innerhalb derer sich die Situation abspielt und das Element Anforderungen die Aktion selbst und die damit zusammenhängenden Aktivitäten. Danach wird in einem Kompetenzerfassungsverfahren „jeweils eine Anforderung benannt oder beschrieben, welche die Person zu bewältigen hat. Zudem ist die Situation […] durch bestimmte (organisatorische) Rahmenbedingungen gekennzeichnet, die bei der Kompetenzerfassung“ (Kaufhold, 2006, 121) vorliegen. Die Rahmen- und Kontextbedingungen beeinflussen somit zum einen die Kompetenzentwicklung und zum anderen sind sie die Basis, anhand derer die Kompetenz gezeigt und angewendet werden kann. Dabei können ungünstige Rahmenbedingungen „dazu führen, dass eine Kompetenz, obwohl sie vorhanden ist, nicht gezeigt und damit auch nicht erfasst werden kann“ (Kaufhold, 2006, 124).

4.3

Methodik der Kompetenzerfassung

Welche Methoden für Kompetenzerfassungsverfahren verwendet werden, steht in Zusammenhang mit den jeweils gegebenen Voraussetzungen und Bedingungen. „Die gewählte Methode beeinflusst wiederum die Verwendungsmöglichkeiten und die Qualität der erhobenen Daten“ (Kaufhold, 2006, 126). Sowohl der

54

4 Kompetenzerfassung

quantitative als auch der qualitative Forschungsansatz weisen Stärken und Schwächen auf, weshalb es sich bei entsprechenden Fragestellungen und ökonomischen Rahmenbedingungen empfiehlt beide Ansätze bei Forschungsprojekten zu verwenden. Diese Arbeit bedient sich aus ökonomischen Gründen ausschließlich quantitativer Verfahren.

4.3.1

Beurteilungsarten und Formen der Kompetenzerfassung

Beurteilungen werden in Selbst- und Fremdbeurteilungen unterschieden. Im beruflichen Kontext sind die Fremdbeurteilungen häufig auf einen kleinen Ausschnitt beschränkt, da die Beurteiler in der Regel nur in bestimmten, meist im Arbeitskontext bestehenden Situationen auf die zu beurteilenden Personen treffen. „Dennoch gelten sie häufig als zuverlässiger und insgesamt qualitativ besser als Selbstbeurteilungen“ (Kaufhold, 2006, 128). So zeigen Metaanaylsen zu Selbstbeurteilungen eine geringe Validität (Harris & Schaubroek, 1988; Mabe & West, 1982), was in Zusammenhang mit Fehlerquellen wie sozialer Erwünschtheit, Zustimmungstendenzen oder der Bevorzugung von extremen oder mittleren Antworttendenzen stehen kann. Um ökonomisch und effektiv Daten gewinnen zu können, ist der Rückgriff auf Selbstbeurteilungen oder Selbstauskünfte in der Forschungspraxis allerdings unabdingbar. Befragung „Im Rahmen von Kompetenzerfassung werden schriftliche Befragungen in Form von Selbstbeurteilungen verwendet, um Persönlichkeitsmerkmale, Einstellungen oder individuelle Handlungsweisen in bestimmten Situationen zu erfassen“ (Kaufhold, 2006, 130). Voraussetzung bei der Verwendung dieser Befragungsart ist eine Operationalisierbarkeit von Kompetenz in definierte Soll-Kategorien. „Eine Person würde dann in dem Maße als kompetent gelten, in dem sie die in den Kategorien festgehaltenen Erwartungen erfüllt“ (Kaufhold, 2006, 131). Die theoretischen Vorstellungen des funktionalen Kompetenzverständnisses spiegeln sich dementsprechend in festgelegten Antwortkategorien wider. Mündliche Befragungen werden eher im Kontext eines sinnbezogenen Kompetenzverständnisses angewandt. Verglichen mit schriftlichen Befragungen ist die mündli-

4.3 Methodik der Kompetenzerfassung

55

che Form allerdings zeitaufwendiger und wesentlich stärker persönlich durch den Interviewer beeinflusst. Tests Neben Befragungen werden häufig schriftliche Tests eingesetzt, die auf die Messung eines oder mehrerer psychischer Merkmale abzielen, um so Unterschiede zwischen mehreren Personen oder einer Person zu verschiedenen Messzeitpunkten erfassen zu können. Aufgrund der großen Anzahl an Testarten hat sich eine grobe Klassifizierung in Leistungs- und Persönlichkeitstests durchgesetzt. Dabei beziehen sich Leistungstests wie beispielsweise Intelligenztests stärker auf die kognitiven Aspekte und versuchen anhand von Aufgaben, welche objektiv in die Kategorien richtig oder falsch einzuordnen sind (Bortz & Döring, 2006), Fähigkeiten und Fertigkeiten zu messen (Kaufhold, 2006), während bei Persönlichkeitstests die Erfassung typischer Charaktermerkmale im Vordergrund steht. Beobachtung Im engeren Sinn ist damit das Zusammentragen von Erfahrungen innerhalb eines nicht-kommunikativen Prozesses anhand sämtlicher Wahrnehmungsmöglichkeiten gemeint (Bortz & Döring, 2006). Grundlage bildet dabei die Annahme, dass Handlungsweisen allein über Beobachten zu erschließen sind. „Dabei ist zu beachten, dass ein Beobachtungsprozess immer nur auf bestimmte Teile eines komplexen Handlungsprozesses fokussiert und damit sehr spezifisch ist“ (Kaufhold, 2006, 132). Bei einer wissenschaftlichen Beobachtung, die sich durch Systematik und Nachvollziehbarkeit kennzeichnet, werden die Aktivitäten bei der Beobachtung durch einen entsprechenden Beobachtungsplan gelenkt. Dieser enthält dabei folgende Merkmale: • „was (und bei mehreren Beobachtern auch von wem) zu beobachten ist, • was für die Beobachtung unwesentlich ist, • ob bzw. in welcher Weise das Beobachtete gedeutet werden darf, • wann und wo die Beobachtung stattfindet und • wie das Beobachtete zu protokollieren ist“ (Bortz & Döring, 2006, 263). Der Vorteil der Beobachtungsmethode ist die Möglichkeit, dass das Handeln der Personen direkt erfasst werden kann und nicht von Umwegen über Dritte wie

56

4 Kompetenzerfassung

beispielsweise Schilderungen von Kollegen oder Selbstbeschreibungen beeinflusst ist. Da Kompetenz nur über Performanz und damit Handeln erschlossen werden kann, kommt dieser Methode im Rahmen von Kompetenzerfassung eine bedeutende Rolle zu. Darüber hinaus werden den Personen durch eine Beobachtung im realen Umfeld entsprechende Handlungs- und Gestaltungsspielräume geöffnet. Da dem Beobachtenden im Rahmen seiner Beurteilungsrolle eine bedeutende Funktion zukommt, sind neben den genannten Beobachtungskategorien entsprechende Beobachterschulungen, welche auch darauf abzielen eine höchstmögliche Objektivität herzustellen, unabdingbar. Da Beobachtungen in sozialen Situationen stattfinden, die nicht wiederholt werden können, ist es nach Kaufhold (2006) auch nicht möglich die Retest-Reliabiltätzu ermitteln. Da die Beobachtung als Methode direkt am Handeln der Individuen ansetzt, ist sie für die Erfassung von Kompetenz besonders geeignet. Nachteilig allerdings ist der nötige hohe Zeit- und Kostenaufwand. Zu den Beobachtungsmethoden können auch Arbeitsproben gezählt werden. Bei Arbeitsproben wird die Person „mit realen Arbeitsaufträgen aus dem beruflichen Alltag konfrontiert, wobei untersucht wird, wie gut diese die Arbeitsaufträge bewältigen kann“ (Kaufhold, 2006, 136). Dabei wird das Verhalten durch die systematische Beobachtung und Bewertung wichtiger Ausschnitte der Arbeitstätigkeit durch Fachkräfte hinsichtlich der Art und Weise der Aufgabenbearbeitung und des Ergebnisses direkt erfasst. Zwar können sie keine Erfassung des Gesamtbildes leisten, aber sie können dazu verwendet werden, „isolierte Realitätsausschnitte abzubilden und die dafür klar definierte Kompetenz zu analysieren“ (ebd.). Hinsichtlich der dargestellten Verfahren zur Kompetenzerfassung kann zusammenfassend festgehalten werden, dass sich eine Kombination mehrerer Methoden empfiehlt, wenn das Ziel der Kompetenzerfassung darin besteht, möglichst umfassende Kompetenzaussagen zu einer Person treffen zu wollen (Kaufhold, 2006).

4.3 Methodik der Kompetenzerfassung 4.3.2

57

Prüfungsformate

Neben den dargestellten Erfassungsverfahren, welche vorwiegend im Forschungsbereich verwendet werden, stellen auch Prüfungsformate, wie sie innerhalb bzw. häufig am Ende von Lehr-Lernsequenzen in formalen Lernprozessen und dementsprechend auch im Hochschulbereich verwendet werden, Formen von Kompetenzerfassung dar. Wichtig dabei ist, sich bewusst zu machen, dass das Format einer Prüfung als hochschuldidaktisches Element den Lernprozess so stark beeinflusst wie kein anderes Instrument, da Studierende in der Regel ihren Lernprozess daraufhin ausrichten, die entsprechenden Prüfungen erfolgreich zu bestehen. In diesem Zusammenhang weisen Müller und Schmidt (2009) darauf hin, dass tradierte Prüfungsformen an Hochschulen „für sich einen Lerneffekt erzielen, indem sie eine Explikation und Strukturierung von Wissen sowie dessen präzise Darstellung erfordern“ (Müller & Schmidt, 2009, 30). Auch können sie als extrinsische Unterstützungsquelle des Lernprozess gesehen werden, die Studierende dazu bewegt möglichst gute Studienleistungen zu erbringen. Allerdings besteht die Gefahr dabei, dass der eigentliche Lernprozess, eine intensive und kritische Auseinandersetzung mit den Lerninhalten, in den Hintergrund rückt und an dessen Stelle seitens der Lernenden vor allem eine möglichst effiziente Prüfungsvorbereitung tritt (Müller & Schmidt, 2009). Um genau das zu verhindern bedarf es einer erweiterten Sichtweise auf Prüfungen, die diese als Bestandteil des Lernprozesses mit einbezieht. Entsprechend des Constructive alignments ist die logische Konsequenz dieser Sichtweise, „dass Prüfungen – ebenso wie die eingesetzten Lehr- und Lernmethoden – an den jeweiligen Lernzielen ausgerichtet werden müssen“ (Müller & Schmidt, 2009, 30). Dies trifft umso mehr zu, wenn das Ziel ist, die Lernenden in ihrer Selbststeuerung zu fördern. Eine Weiterentwicklung der Lernkultur an Hochschulen auch im Zusammenhang mit einer stärkeren Kompetenzorientierung beinhaltet daher auch eine kritische Auseinandersetzung und entsprechende Veränderung der Prüfungskultur im Hochschulbereich. Die folgende Tabelle 2 gibt eine Übersicht der im Hochschulbereich eingesetzten Prüfungsformate und zeigt auf, „welche Lernergebnisse und damit auch Kompetenzen sich anhand welcher Prüfungsformate gut beurteilen lassen“ (Bergstermann et al., 2013, 26). Dabei können nach in dieser Arbeit vertretenen

58

4 Kompetenzerfassung

Auffassung bestimmte Prüfungsformen als Teilprüfungen von Kompetenz angesehen werden. Tabelle 2: Prüfungsformate in Verbindung mit Lernergebnissen durch Kompetenzen formuliert (Bergstermann et al. 2013, 27)

Prüfungsart

Prüfungsformate

Schriftliche Prüfung

Klausur Seminararbeit/ Hausarbeit Lerntagebuch Poster-Präsentationen Referate/ Präsentationen Podiums-diskussion/ Panel-Simulation Plan- und Rollenspiele Field-Trip/ Erkundungen Transferaufgaben im Betrieb Fallaufgabe/ Case Study Serious Games / Simulationen Portfolio Parcours (z.B. OSCE)6

Mündliche Prüfung

Praktische Prüfung

Mischformen

Fachkompetenzen x

Überfachliche Kompetenzen MethodenSozialSelbstkompetenz kompekompetenz tenz x

x

x

x

x

x

x

x*

x

x

x

x*

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x*

x x

x x

x x

* Falls in der Gruppe ja, sonst nicht.

6

Objective Structured Clinical Examination (OSCE) Diese Angabe findet sich in der ausführlicheren Tabelle des Entwurfs von Bergstermann & Theis (2012, 12). Damit ist eine moderne dem Arbeitsalltag möglichst nahkommende mündlich-praktische Prüfungsmethode gemeint (Chenot & Ehrhardt 2003). Da in der Medizin häufig OSCE-Prüfungen zum Einsatz kommen, wurde diese Form auch mit in die Tabelle aufgenommen.

4.3 Methodik der Kompetenzerfassung

59

So prüft ein klassischer Multiple-Choice-Test explizites bzw. je nach Gestaltung der Aufgabe prozedurales Wissen im Sinne von kognitiver Transferfähigkeit. Da Wissen einen Teil der Kompetenzdefinition darstellt, stellt der Wissenstest dementsprechend eine Kompetenz-Teilprüfung dar. Mit einer Mischung verschiedener Prüfungsverfahren kann eine größtmögliche Annäherung erreicht werden. Die Tabelle 2 veranschaulicht, dass alle Prüfungsformate Fach- und Methodenkompetenz abdecken. Sieben der Verfahren bieten danach auch die Möglichkeit Sozialkompetenz zu überprüfen, wobei dies bei klassischen Verfahren wie beispielsweise dem Referat nur zutrifft, soweit dies innerhalb einer Gruppe erarbeitet und vorgetragen wird. Fünf Methoden beziehen sich neben der Überprüfung der Methoden- auch auf die Überprüfung der Selbstkompetenz, die im Sinne Erpenbeck und Hasebrooks (2011) verstanden wird als personale Kompetenz. Da in der Medizin verstärkt Klausuren im Multiple-Choice-Format (MC) eingesetzt werden, so auch als Teil der staatlichen medizinischen Abschlussprüfungen, und dieses schriftliche Prüfungsformat ebenfalls innerhalb dieser Arbeit eingesetzt wird, bedarf es einer genaueren Betrachtung und Darstellung.

4.3.3

Multiple-Choice-Klausuren

MC-Prüfungen spielen innerhalb der Medizin sowohl als Prüfungsform während des Studiums als auch als Studienabschlussprüfungen eine herausragende Rolle. Eingeführt wurde diese Prüfungsart als objektives Prüfungssystem in Deutschland als Folge der Studierendenrevolte in den 1970er Jahren, um die Studierenden von der Willkür der Professoren in mündlichen Prüfungen zu befreien. Auch die Auffassung von Wissen als Vorhersagefaktor von Kompetenz im Sinne eines wissenden Experten wie sie Glaser (1984) in seiner Publikation zeigt, kann ein Faktor für die weite Verbreitung sein. MC-Klausuren gelten als ökonomisch im Sinne von zeit- und kosteneffizient, besonders wenn sie regelmäßig und bei großen Studierendenzahlen eingesetzt werden, fokussieren sich allerdings nach Einschätzung mancher Dozierender auf reines Abfragen von Wissen. Kritische Stimmen, welche bemängeln, dass MC-Fragen zum Raten ermutigen, nur die Wiedergabe von Wissen statt detaillierter Auseinandersetzung fördern und nur eine

60

4 Kompetenzerfassung

bruchstückhafte Wissensspeicherung statt einem tieferen Verständnis für angewandtes Wissen bewerten, finden sich daher viele (u.a. Boland, Lester, & Williams, 2010). Unter dem Aspekt, dass mit einer MC-Prüfung, „ein wichtiger Qualitätsaspekt der Ausbildungsabsolventen kontrolliert werden soll, nämlich die Verfügbarkeit relevanten Fachwissens und die Kompetenz, dieses in konkreten Problemsituationen anzuwenden“ (Krebs, 2004, 2), kann auf diese Kritik argumentiert werden, dass es an der Qualität der Fragen liegt, inwiefern es gelingt über die erste Stufe der kognitiven Taxonomie hinauszukommen und auch die Ebenen Verstehen sowie Anwenden und Beurteilen innerhalb einer Frage zu prüfen. So ist es auch vor dem Hintergrund der klassischen Qualitätskriterien, auf die im nächsten Schritt noch genauer eingegangen wird, unabdingbar, auch die anderen genannten Anspruchsniveaus bei Leistungsmessungen durch MC-Klausuren zu bedienen. Kennzeichnet sich die unterste Stufe Kennen durch das Abfragen von Inhalten so wie sie im Lehrbuch oder Skript zu finden sind, kann Verstehen durch das Beantworten von Fragen geprüft werden, bei denen die Studierenden dazu aufgefordert sind, Informationen zu analysieren, zu verknüpfen, zu integrieren und beispielsweise anhand einer Tabelle oder Graphik zu transformieren, Zusammenhänge zu erfassen und Schlussfolgerungen zu ziehen (Krebs, 2004). Die Stufen Anwenden und Beurteilen können durch Items erfasst werden, deren Beantwortung beinhaltet, erworbenes Wissen sowohl auf neue Situationen zu übertragen (abstrahieren, transferieren, generalisieren) als auch beim Lösen von Problemen anzuwenden und die jeweiligen Informationen (Gegebenheiten, Ergebnisse) zu beurteilen, bewerten, gewichten und die Folgen abzuschätzen (ebd.). Innerhalb der Medizin spielen dabei Fragen auf der Basis von Mustererkennung (pattern recognition) als Fragen höherer Ordnung, eine wesentliche Rolle, da sich mit diesen auch klinische Denkprozesse, wie sie innerhalb medizinischer Arbeitsprozesse, im Sinne des clinical reasonings zu finden sind, abbilden lassen und damit angewandtes Wissen geprüft werden kann (Freiwald, Salimi, Khaljani, & Harendza, 2014). Clinical reasoning, wie es im praktischen Alltag vorkommt, meint dabei die Verbindung zwischen diagnostischen Mustererkennungen und analytisch-hypothesenbasiertem Denken (Eva, 2005).

4.3 Methodik der Kompetenzerfassung

61

In Bezug auf die Aufgabenstellung lassen sich zwei Grundtypen unterscheiden: Best-Antwort-Typen und Richtig-Falsch-Typen (Case & Swanson, 2002, Krebs, 2004). Best-Antwort-Fragen kennzeichnen sich dadurch, dass die Zahl der auszuwählenden Antworten angegeben ist. Meist handelt es sich um eine auszuwählende Antwort, die einzig richtige oder beste. Bei Richtig-Falsch-Fragen muss für jede einzelne Antwort oder Aussage eine Ja- oder Nein-Entscheidung getroffen werden. Allerdings wird dieser Fragentyp im schriftlichen Teil des medizinischen Staatsexamens nicht mehr verwendet. Die Auswahl der Frageninhalte sollte sich an den vorgegebenen Lernzielen sowie den Kriterien Relevanz und Trennschärfe orientieren (Krebs, 2004). Um auch Fähigkeiten wie Interpretation von Informationen oder Integration und Anwendung theoretischer Kenntnisse auf ein konkretes Problem überprüfen zu können, bedarf es eines zweiteiligen Fragenstamms, bei dem im ersten längeren Teil durch eine sog. Fall- oder Problemvignette ein Problem aus dem Berufsfeld beschrieben wird und im zweiten abgetrennten Teil die kurze Fragestellung dazu erfolgt. Darüber hinaus sollte der Stamm alle erforderlichen und keine überflüssigen Informationen enthalten, auch zu beantworten sein ohne vorher die Antworten gesehen zu haben (cover-the-options-rule) und möglichst positiv formuliert sein (ebd.). Wahlantworten sollten möglichst kurz und inhaltlich homogen formuliert sein und nur eine Aussage enthalten. Für den Einsatz von Distraktoren im Sinne von Ablenkern „sollen klare Gründe bestehen. Es kann sich z.B. um häufige Fehlmeinungen, falsche Konzepte, veraltete Ansichten handeln“ (Krebs, 2004, 17). Dabei gilt, dass nicht alle Distraktoren falsch sein müssen, die richtige Antwort für Personen mit Fachkenntnissen aber eindeutig als die beste zu erkennen ist. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine gute MC-Frage so gestellt sein sollte, dass sie von Studierenden mit entsprechendem Fachwissen und Verständnis ohne größere Schwierigkeiten gelöst werden kann. Werden all die genannten Kriterien beachtet, zeigt sich, dass auch MC-Prüfungen mit einem hohen Aufwand verbunden sind, allerdings ist der Arbeitsaufwand in die Erstellungsphase verlagert. „Auch geübte Autoren rechnen durchschnittlich mit einer Stunde Arbeit, um ein MC-Item herzustellen“ (Krebs, 2004, 1). Die Zeit- und Kosteneffizienz kommt erst während der Klausurkorrektur zum Tragen.

62

4 Kompetenzerfassung

Wissen allein ist, wie in dieser Arbeit bereits detailliert dargelegt wurde, nur ein Teil von Kompetenz und eine reine Wissensprüfung, auch wenn diese unterschiedliche kognitive Stufen einschließt, keine umfassende Kompetenzprüfung im Verständnis dieser Arbeit. Schriftliche MC-Prüfungen testen explizites medizinisches Wissen, das im Sinne der Wissenschaftstheorie klar definiert ist, aber auch z.B. durch Verwendung von Vignetten und der Nutzung von Aufgaben höherer kognitiver Stufen Bezüge zur Alltagswelt herstellt. Weitere Dimensionen wie Handlungsorientierung, soziale Konstruktion oder die Anwendung des Wissens um erfolgreich arbeiten und Leistungen erbringen zu können, kann diese Art von Prüfung allerdings nicht erfassen. Es finden sich zwar Fragen, die durch Interpretations- und Problemlösestrategien darauf abzielen, Fähigkeiten höherer Ordnung zu prüfen und die somit je nach Konstruktion komplexere kognitive Prozesse testen können, womit Aussagen getroffen werden können, inwiefern der angehende Arzt über bestimmte Anwendungen Kenntnis hat. Ob diese Kenntnis dann auch wirklich praktisch umgesetzt wird, wie es im ärztlichen Alltag erforderlich ist, darüber können allerdings keine Aussagen getroffen werden. Trotz des zentralen Anliegens der Bologna- und damit einhergehenden Bildungsreform und KMK-Beschlüssen, mit der Orientierung an Lernergebnissen und Fokussierung auf Kompetenzen mit Kompetenzprüfungen, werden 80-90% aller Prüfungen in Deutschland mittels Klausuren und Hausarbeiten erbracht, also in „Prüfungsformen, in denen sich situationsabhängige Fähigkeiten erwiesenermaßen nicht darstellen lassen“ (Wex, 2013, 711). Denn in der Regel sind schriftliche Leistungen ungeeignet, um Handlungskompetenz nachzuweisen, da diese sich ja gerade durch den Situationsbezug und das gezeigte Handeln in dieser definiert. Wex (2013) schlägt daher vor, Kompetenz ganzheitlich zum Beispiel in besonderen Ausbildungsabschnitten oder übergreifend am Semesterende nachzuweisen. Das folgende Zitat eines Leseartikels einer angehenden Ärztin verdeutlicht anschaulich, dass zu Kompetenz und somit auch zu einer Kompetenzprüfung wesentlich mehr gehört als reines Wissen und so müssen sich auch die Hochschulen der herausfordernden Aufgabe stellen Lehren, Lernen und Prüfen sinnvoll miteinander zu verbinden.

4.3 Methodik der Kompetenzerfassung

63

Multiple-Choice-Fragen mögen den Vorteil haben, Faktenwissen schnell und mit geringem Personalaufwand abzufragen. Für meine spätere Tätigkeit benötige ich jedoch wesentlich mehr als die Fähigkeit, aus fünf möglichen Antworten die richtige auszusuchen. Ich muss problemorientiert in einem Team aus unterschiedlichen Berufsgruppen arbeiten können. Ich werde schlechte Nachrichten überbringen müssen. Ich werde an ethische Grenzen stoßen. Ich werde mit menschlichen Krisen konfrontiert werden, fremden wie eigenen. Ich werde Budgets verwalten und Personalverantwortung tragen. Ich werde junge und angehende Kollegen ausbilden. […] Ich wünsche mir jedoch vom Medizinstudium, dass es vielfältiger, kontroverser und persönlichkeitsbildender wird. […] Eine gute Ausbildung der heranwachsenden Generation ist sich unser Berufsstand schuldig. Sonst haben wir neben dem quantitativen Ärztemangel bald auch einen Mangel an Qualität (Falke, 2014, 2).

4.4

Qualitätskriterien von Messverfahren

Alle Erhebungsverfahren unterliegen Qualitätskriterien vor deren Hintergrund die mit den Verfahren gewonnenen Ergebnisse zu beurteilen sind. Im Kontext von Kompetenzerfassung zählen dabei neben den klassischen Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität auch die Kriterien Fairness, Nutzen, Ökonomie und Anwendbarkeit dazu (Kaufhold, 2006). Da die Bedeutung und Ermittlung der klassischen Gütekriterien in der Regel bekannt ist, wird auf diese an dieser Stelle nicht weiter eingegangen, sondern an Bortz und Döring (2006) verwiesen. Bei den weiteren von Kaufhold (2006) genannten Kriterien ist davon auszugehen, dass zwischen den einzelnen Standards Zusammenhänge bestehen und sie daher nicht als isolierte Faktoren zu betrachten sind. Fairness meint in diesem Zusammenhang, dass alle Personen die gleichen Chancen der Teilnahme haben, das Verfahren ausreichend transparent gemacht wird und die Ergebnisse rückgemeldet werden. Darüber hinaus „ist Fairness auch bei der Auswertung ein wesentliches Kriterium“ (142). Danach sind alle

64

4 Kompetenzerfassung

Personen nach dem gleichen Maßstab zu bewerten. Das Kriterium Nutzen bezieht sich auf den praktischen Bedarf der Untersuchung eines Merkmals oder einer Verhaltensweise. Dabei weist Kaufhold (2006) darauf hin, dass sich Nützlichkeitsstandards an den Informationsbedürfnissen der Betroffenen orientieren sollten. Ökonomie als Kriterium bezieht sich auf ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis des Verfahrens, während Akzeptanz auch über den Verfahrensnutzen entscheidet und besonders bei Kompetenzerfassungserfahren aufgrund unterschiedlicher Akteursgruppen aus verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten ist. „Ist die Akzeptanz nicht gegeben, kann es sein, dass die Ergebnisse angefochten oder gar ignoriert werden. Damit wäre der durch die Verfahrensanwendung angestrebte Nutzen verloren“ (Kaufhold, 2006, 143). Dieser Aspekt zeigt als ein Beispiel die angesprochenen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Faktoren auf. Generell kann durch die Verwendung eines multimodalen Methodeneinsatzes eine verbesserte Datenqualität erreicht werden.

4.5

Zusammenfassung Kompetenzerfassung

Die Abbildung 8 greift die Graphik von Erpenbeck und Sauter (2013) noch einmal auf und erweitert sie um den Bildungs- und Performanzaspekt. Sie soll so eine graphische Zusammenfassung der Verbindungen zwischen den Begriffen Bildung, Qualifikation, Kompetenz und Kompetenzentwicklung und -erfassung sowie Performanz darstellen. Dieser Arbeit liegt ein funktionales Kompetenzverständnis zugrunde, das von einer Operationalisierbarkeit von Kompetenz ausgeht. Sie greift zurück auf erfahrungswissenschaftliche Methoden der Kompetenzerfassung. Die Anforderungen und Aufgaben, die innerhalb der Kompetenzerfassung überprüft werden, sind dabei durch die in den Curricula vorgegebenen Lehr- und Lernzielen festgelegt, wobei kompetenzorientierte Curricula- und Prüfungsgestaltungen auf Lernergebnisse fokussieren. Im Verständnis des constructive alignments gilt es dabei die Lehr-, Lern- und Prüfungsprozesse in einer entsprechenden Balance aufeinander abzustimmen, so dass es möglich ist, die angestrebten Ziele im Lehr-

4.5 Zusammenfassung Kompetenzerfassung

65

Lernprozess zu erreichen und die Prüfung auch genau dieses Erreichen der Ziele prüft.

Interiorisierte Regeln

Regeln

Interiorisierte Werte

Wissen

Qualifikation

Kompetenz sichtbar durch Performanz Interiorisierte Normen

Werte

Bildung Normen

Kompetenz “lernenˮ: • Erlebnislernen und Erlebnishandeln • Situiertes Lernen und situiertes Handeln • Erfahrungslernen und Erfahrungshandeln • Expertisegewinn, Expertise

Abbildung 8: Vom Wissensaufbau zur Kompetenzentwicklung (modifiziert nach Erpenbeck & Sauter, 2013, 28)

Kompetenzerfassung ist dabei abhängig von situativen Bedingungen zu denen die Elemente Akteure, Rahmenbedingungen und Anforderungen gehören, die sowohl die Kompetenzentwicklung beeinflussen als auch die Basis der Performanz über die auf die Kompetenz geschlossen wird, darstellen. In der Forschung kommen sowohl quantitative als auch qualitative Methoden zum Einsatz, wobei diese Arbeit quantitative Methoden verwendet. Gängige Methoden sind Selbst- und Fremdbeurteilungen mittels Befragungen, Tests und Beobachtungen. Darüber hinaus stellen auch die vielfach in der Lehre eingesetzten Prüfungsformate wie z.B. Klausuren oder Referate Formen der Kompetenzerfassung dar. Eine besondere Rolle in der Medizin spielen dabei MC-Klausuren zur Überprüfung des Wissensstands. Je nach Qualität der Items können diese dabei verschiedene kognitive Stufen prüfen, wobei der zeitliche Aufwand für qualitativ hochwertige Items

66

4 Kompetenzerfassung

in die Erstellungsphase gelegt wird und sich die häufig benannte Zeit- und Kosteneffizienz erst während der Korrektur zeigt. Besteht das Ziel darin, möglichst umfassende Kompetenzaussagen zu einer Person treffen zu wollen, sollte eine Kombination mehrerer Methoden angewandt werden, da Kompetenz nur so annähernd ganzheitlich erfasst werden kann. Taxonomie der Lernziele

Kompetenzbestandteile

Messgegenstände

Messverfahren

Kenntnisse/Wissen

Ressourcen als Grundlagen

Testen

Anwenden

Fertigkeiten

Aneignung und Reflexion

Befragen

Analyse

Fähigkeiten/ Kontextwissen

Synthese

Handlungsfähigkeit Selbststeuerung

Prototypisches Verhalten

Beobachten

Handeln/Beurteilen/ Neues Generieren

Einstellungen Haltungen

Kennen

Verstehen

Abbildung 9:

Kompetenz testtheoretisch (Reis, 2014, 51)

Abbildung 9 fasst die Zusammenhänge zwischen der Taxonomie der Lernziele, der Kompetenzbestandteile, der Messgegenstände und Messverfah-ren übersichtlich graphisch zusammen und zeigt auf, „dass in (diagnostischen) Prüfungssituationen alle entsprechenden Messgegenstände in angemessenen Verfahren geprüft werden müssen, um von der Performanz auf die Kompetenz zu schließen“ (Reis, 2014, 50).

5

Ärztliche Kompetenz

Eine Übersicht wie Kompetenz im Gesundheitsbereich definiert wird, findet sich im Review von Fernandez et al. (2012). Bei den von ihnen untersuchten 14 Kompetenzdefinitionen, besteht zwar eine generelle Akzeptanz darüber, dass Wissen (bei acht Definitionen) und ´skills´ (bei sechs Definitionen) neben weiteren Komponenten zu Kompetenz gehören, in Bezug auf den Charakter der weiteren Komponenten herrscht allerdings wie beim Kompetenzdiskurs generell, wenig Übereinstimmung. In fünf der 14 Definitionen werden nach den Autoren auch Fähigkeiten als Kompetenzbestandteile genannt. „Thus clinical reasoning, professional socialisation, communication and reflection in daily practice can be thought of as abilities that constitute a part of competence” (360). Daneben spielen auch „attitudes and values“ (ebd.) eine bedeutende Rolle, sind allerdings vergleichsweise schwierig zu beobachten und zu bewerten, da sie eng mit Emotionen zusammenhängen, die nur in der Wirklichkeit erfahren werden können. Schubert et al. (2005) verweisen vor dem Hintergrund fortschreitender Ökonomisierung des Gesundheitswesens, zunehmenden technischen Fortschritts, einem sich verändernden Krankheitspanaroma und der demographischen Entwicklung auf die Wichtigkeit des Diskurs zu professionellem ärztlichen Verhalten in der Kompetenzdiskussion hin, an dessen Festlegung schon seit Jahrhunderten ein reges Interesse besteht, wie das Beispiel des hippokratischen Eids zeigt. Die Autoren definieren professionelles Handeln auf Grundlage eines aus der Soziologie stammenden Merkmalskonzepts professionalisierter Berufsgruppen, wonach diese sich durch die Merkmale Wertuniversalie, hier als gesellschaftliche Leistungserbringung von Gesundheit und Wissensbasis, spezifisches medizinisches (kognitives) und Berufswissen im Sinne von Erfahrungswissen und Autonomie hinsichtlich der Kontrolle über die eigene Tätigkeit, kennzeichnet. Danach definieren sie professionelles Handeln als „ein komplexes Zusammenwirken von kognitivem, interaktionalem und normativem Wissen, um ein spezifisches medizinisches Problem eines Patienten zu lösen“ (Schubert et al., 2005, 2). Dabei stellt jeder Patient eine neue

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Vogel, Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26380-5_5

68

5 Ärztliche Kompetenz

einzigartige Situation dar und die professionelle Handlungsqualität definiert sich sowohl durch das Ergebnis als auch durch den Prozess der Problemlösung. Staatlicherseits sind die gesellschaftlichen Erwartungen an den Arztberuf zumindest in Umrissen durch die ÄApprO (2002) definiert. Für die Sicherstellung professionellen ärztlichen Verhaltens sind in Deutschland allerdings die, auch für die Fort- und Weiterbildungen verantwortlichen, Landesärztekammern als Körperschaften der ärztlichen Selbstverwaltung zuständig, welche an der Ausgestaltung des Medizinstudiums jedoch kaum teilnehmen (Schubert et al., 2005). Während die Vermittlung von Werten, Normen und Rahmenbedingungen der ärztlichen Profession der angehenden Ärzte innerhalb des beruflichen Sozialisationsprozesses überwiegend latent und implizit stattfindet als sog. „hidden currciulum“ (Hafferty, 1998), wird das Thema der Professionalisierung und Professionalität explizit häufig nur in den eher als randständig zu sehenden Fächern Medizinsoziologie und Medizinethik thematisiert. Grundsätzliche Prinzipien professionellen ärztlichen Verhaltens werden in Deutschland einleitend mit dem ärztlichen Gelöbnis durch die Berufsordnungen der Landesärztekammern formuliert und geregelt. Danach bestehen die ärztlichen Aufgaben in der Lebenserhaltung, dem Schutz und der Wiederherstellung von Gesundheit, der Leidenslinderung, dem Beistand von Sterbenden und dem Mitwirken an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen hinsichtlich der Bedeutung für die menschliche Gesundheit (Ärztekammer Hamburg, 2000). Bei Van de Camp, Vernooij-Dassen, Grol und Bottema (2004) wird auf Basis ihrer qualitativen Untersuchung Professionalität als ein aus drei Komponenten zusammengesetztes multidimensionales Konzept dargestellt: •



Interpersonale Professionalität: Anforderungserfüllung des angemessenen Kontakts im Umgang mit Patienten und Kollegen (auch aus anderen Gesundheitsbereichen), kennzeichnend durch beispielsweise Altruismus, Respekt, Ehrlichkeit, Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, etc. Gesellschaftliche Professionalität: Erfüllung der gesellschaftlichen Anforderungen an den Arztberuf, kennzeichnend durch beispielsweise Transparenz, Einhaltung ethischer und moralischer Standards, klare professionelle Werte, etc.

5 Ärztliche Kompetenz •

69

Intrapersonale Professionalität: Individuelle Erfüllung der ärztlichen Anforderungen kennzeichnend durch z.B. Lebenslanges Lernen, Moral, Temperament, Motivation, etc.

Für eine Bewertung und Überprüfung professionellen ärztlichen Handelns, sind dabei operationalisierte Ausbildungsziele Voraussetzung, die wie in den vorangegangen Kapiteln dargestellt durch Hierarchisierung gekennzeichnet sind. Bei der Betrachtung ärztlicher Kompetenz spielen so zum einen gesetzliche Vorgaben und Rahmenbedingungen und zum anderen inter- und intrapersonale Aspekte eine wesentliche Rolle. Für die differenzierte Betrachtung ärztlicher Kompetenz wird im Folgenden zuerst auf die Konstruktion des Medizinstudiums in Deutschland generell und der medizinischen Ausbildung in Hamburg im spezifischen eingegangen. Daran anschließend erfolgt die Darstellung des ärztlichen Rollenmodells des Royal College of Physicians and Surgeons of Canada (CanMEDS – Frank, 2005)7 auf dessen Basis auch der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM) entwickelt wurde. Dieser von der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) und dem Medizinischen Fakultätentag (MFT) unter Beteiligung weiterer Experten entwickelte Katalog soll zu einem allgemeinen hochschulübergreifenden Verständnis dessen, was ärztliche Kompetenz im Sinne der Verständigung über was ein Medizinstudierender am Ende seines Studiums verfügen sollte, beitragen (MFT, 2015).

7

Das Akronym CanMEDS stand ursprünglich für „Canadian Medical Education Directions for Specialists” (Frank 2005, vii). Da das Modell allerdings nicht mehr auf den kanadischen Raum begrenzt ist und international viel Beachtung gefunden hat, wird das Akronym mittlerweile als Eigenname benutzt. Aus diesem Grund ist es auch im Abkürzungsverzeichnis nicht aufgeführt.

70

5 Ärztliche Kompetenz

5.1 Kompetenzerwerb und -erfassung - Aufbau, Ablauf und Inhalte des Medizinstudiums Die gesetzlichen Vorgaben und die universitäre Ausgestaltung geben den Rahmen des ärztlichen Kompetenzaufbaus und -erwerbs sowie der Kompetenzerfassung vor. Diesen liegen dabei die in den vorangegangen Kapiteln dargestellten Ansätze und Theorien des Lehrens und Lernens zugrunde.

5.1.1

Gesetzliche Vorgaben

Die ÄApprO gibt als ärztliche Ausbildung ein Medizinstudium von sechs Jahren und drei Monaten vor, wobei das letzte Studienjahr eine zusammenhängende praktische Ausbildung (Praktisches Jahr) von 48 Wochen beinhaltet. Weitere gesetzliche Vorgaben sind: eine Ausbildung in erster Hilfe, ein Krankenpflegedienst von drei Monaten, eine viermonatige Famulatur sowie die Ärztliche Prüfung, deren Ablegung in drei Abschnitte gegliedert ist (ÄApprO 2002). Der Gliederung der Ärztlichen Prüfung entsprechend ist auch das Studium in oben genannte drei Abschnitte unterteilt, ein vorklinischer theoretischer Abschnitt, ein klinischer Teil und das Praktische Jahr (PJ), welches zum klinischen Abschnitt gehört. Am Ende der jeweiligen Abschnitte steht jeweils ein Teil der Ärztlichen Prüfung. Das übergeordnete Ziel der ärztlichen Ausbildung ist laut der Approbationsordnung der wissenschaftlich und praktisch in der Medizin ausgebildete Arzt, der zur eigenverantwortlichen und selbständigen ärztlichen Berufsausübung, zur Weiterbildung und zuständiger Fortbildung befähigt ist. Die Ausbildung soll grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in allen Fächern vermitteln, die für eine umfassende Gesundheitsversorgung der Bevölkerung erforderlich sind (ÄAppro, 2002, 1). An dieser Stelle spiegelt sich die gesellschaftliche und intrapersonale Komponente des oben dargestellten Professionalitätskonzepts von Van de Camp et al. (2004) wider. Eine wissenschaftliche, sowie praxis- und patientenbezogene Aus-

5.1 Kompetenzerwerb und -erfassung – Medizinstudium

71

bildung bildet dabei die Grundlage der Zielerreichung. Inwieweit die Ziele erreicht werden, muss auf Seiten der jeweiligen Universitäten regelmäßig und systematisch überprüft und bewertet werden. 1. Studienabschnitt Im ersten Studienabschnitt, der sogenannten Vorklinik, welche die ersten vier Semester umfasst, sollen die medizinischen Grundlagen der Körperfunktionen und der psychischen Eigenschaften des Menschen im Vordergrund stehen. Grundlage dafür bilden die medizinisch relevanten Inhalte der naturwissenschaftlichen Fächer Biologie, Chemie und Physik. Daneben stellen die Grundlagenfächer Anatomie, Biochemie/Molekularbiologie, Medizinische Psychologie/Soziologie und Physiologie den Schwerpunkt im ersten Studienabschnitt. Auch sollen die Fächer Berufsfelderkundung, Einführung in die klinische Medizin und Terminologie abgedeckt werden. Darüber hinaus belegen die Studierenden innerhalb des zweiten bis vierten Semesters ein nach eigenen Interessen geleitetes Wahlfach. Das Unterrichtsgeschehen ist durch Vorlesungen, Kurse, Seminare und Praktika gestaltet und darauf ausgerichtet, Aspekte des Grundlagenwissens mit klinischen Anteilen zu verbinden. Die Ausbildung soll auch Aspekte ärztlicher Gesprächsführung und ärztlicher Qualitätssicherung beinhalten „und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Ärzten und mit Angehörigen anderer Berufe des Gesundheitswesens fördern“ (ÄApprO, 2002, 1). In dieser Vorgabe findet sich der Aspekt der interpersonalen Professionalität des Konzepts von Van de Camp et al. (2004). Um den Zielen nachzukommen und es den Studierenden zu ermöglichen, die geforderten Kenntnisse, Fähig- und Fertigkeiten zu erwerben, soll der Unterricht fächerübergreifendes Denken fördern, sowie praxis- und problemorientiert am Lehrgegenstand ausgerichtet sein. Dafür müssen im ersten Abschnitt mindestens 98 Stunden der Seminare als integrierte Veranstaltungen durchgeführt werden, die geeignete klinische Fächer einbeziehen. Dazu kommen weitere Seminare mit einem klinischen Bezug, die mindestens 56 Stunden umfassen. Die Vorklinik endet mit dem Ersten Abschnitt der staatlichen Ärztlichen Prüfung, die aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil besteht, nach einer Mindest-

72

5 Ärztliche Kompetenz

studiendauer von vier Semestern. Dabei erfolgt die schriftliche Prüfung des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung durch die Bearbeitung von 320 MultipleChoice-Fragen an zwei aufeinander folgenden Tagen mit einer Zeitdauer von jeweils vier Zeitstunden. 2. Studienabschnitt Für den zweiten klinischen Abschnitt des Medizinstudiums schreibt die ÄApprO vor, dass Leistungsnachweise in 21 von ihr vorgegebenen Fächern und zusätzlich in einem Wahlfach erbracht werden müssen. Zu den Fächern zählen globale Fachrichtungen der Medizin wie beispielsweise Allgemeinmedizin, Chirurgie, Innere Medizin, Kinderheilkunde, etc. (ÄApprO 2002). Hinzu kommen Leistungsnachweise in 14 Querschnittsbereichen wie z.B. Notfallmedizin, Prävention, Bildgebende Verfahren, Palliativmedizin, etc. sowie fünf Blockpraktika in den Fächern Innere Medizin, Chirurgie, Kinderheilkunde, Frauenheilkunde und Allgemeinmedizin. Eine praktische Unterweisung innerhalb des regulären Lehrgeschehens findet im Rahmen des Unterrichts am Krankenbett (UaK) statt. Die ÄApprO gibt eine Gesamtstundenzahl von 476 Stunden UaK vor. Darüber hinaus müssen vier Monate Famulatur8 abgeleistet werden. Am Ende des klinischen Abschnitts, allerdings vor dem PJ, steht nach einer Mindeststudiendauer von drei Jahren nach Bestehen des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung, der Zweite Abschnitt der Ärztlichen Prüfung, der durch eine schriftliche staatliche Prüfung erfolgt. Auch diese schriftliche Prüfung setzt sich zusammen aus insgesamt 320 Fragen im Multiple-Choice-Format und findet an drei aufeinander folgenden Tagen mit einer zeitlichen Dauer von jeweils fünf Zeitstunden statt. Die schriftliche Prüfung bezieht sich dabei auf Kenntnisse und Fähigkeiten der Studierenden insbesondere hinsichtlich der berufspraktischen Anforderungen an den Arzt und der wichtigsten Krankheitsbilder. Zur Überprüfung dessen sollen die Fragen fächerübergreifend und problemorientiert gestellt werden (ÄApprO 2002).

8

Famulatur bei Medizinstudierenden meint ein viermonatiges Praktikum, das aufgeteilt im stationären und ambulanten Bereich zu absolvieren ist.

5.1 Kompetenzerwerb und -erfassung – Medizinstudium

73

3. Studienabschnitt Als dritter Studienabschnitt zugehörend zum klinischen Abschnitt ist das PJ als eine zusammenhängende praktische Ausbildung von 48 Wochen in drei thematisch getrennte Abschnitte (Tertiale) zu jeweils 16 Wochen unterteilt. Zu den Bereichen gehören jeweils als Pflichttertial Chirurgie und Innere Medizin und ein Wahlfach (Wahltertial). Start und Ende des PJ sind verbindlich festgelegt. Seit dem 01.01.2014 werden die Studierenden, die die schriftliche Prüfung des zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung bestanden haben, für das PJ zugelassen. Die Regelung vor dem 01.01.2014 sah vor, alle Studierenden, die den klinischen Abschnitt erfolgreich durchlaufen hatten, zum PJ zuzulassen. Die schriftliche Prüfung und die mündlich-praktische Prüfung des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung fanden beide nach Abschluss des PJs statt. Nach der geänderten Regelung der ÄApprO findet der Dritte Abschnitt der Ärztlichen Prüfung als mündlichpraktische Prüfung nach Ablauf des PJs statt. Die Prüfung findet an zwei Tagen statt, wobei am ersten Tag die praktische Prüfung mit Patientenvorstellung erfolgt. Der Prüfling muss fallbezogen zeigen, „dass er die während des Studiums erworbenen Kenntnisse in der Praxis anzuwenden weiß und über die für den Arzt erforderlichen fächerübergreifenden Grundkenntnisse und über die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten, auch in der ärztlichen Gesprächsführung, verfügt“ (ÄApprO, 2002, 16). Dazu gehören z.B. Anamnese und klinische Untersuchungsmethoden, etc. Im Fokus steht dabei besonders, dass der Prüfling in der Lage ist, Zusammenhänge zu anderen Bereichen zu erkennen und herzustellen. Darüber hinaus schreibt die ÄApprO vor, dass der Prüfling die Regeln ärztlichen Verhaltens gegenüber dem Patienten inklusive ethischer Aspekte kennt und sich diesen situationsangemessen und -entsprechend verhält.

5.1.2

Die medizinische Ausbildung an der Universität Hamburg

Im Wintersemester 2012/2013 startete an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg der integrierte Modellstudiengang (iMED) und löste damit den Regelstudiengang Medizin an der Universität Hamburg für alle neuen Studieren-

74

5 Ärztliche Kompetenz

den ab. Da die Teilnehmenden der vorliegenden Untersuchungen alle den Regelstudiengang Medizin durchlaufen bzw. durchlaufen haben, wird nur der Aufbau desselben vorgestellt. Medizin I Die Vorgaben der Approbationsordnung 98 Stunden als integrierte Veranstaltungen im ersten Abschnitt durchzuführen, werden am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) im Regelstudiengang anhand von integrierten Seminaren umgesetzt. Dafür finden pro Semester insgesamt sieben Seminartermine zu je vier Unterrichtsstunden statt, die im Wechsel durch die medizinischen Grundlagenfächer Anatomie, Biochemie, Physiologie, Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie gestaltet werden. Von den insgesamt 28 Terminen werden dabei zwei Termine durch mehrere der genannten Fachrichtungen gemeinschaftlich zu einem Thema umgesetzt (Weidtmann et al., 2007). Eine Übersicht der Seminarthemen und ausrichtenden Fächer der integrierten Seminare am UKE vom ersten bis zum vierten Semester findet sich im Anhang A I (Extras Online). Medizin II Der zweite Studienabschnitt, in Hamburg Medizin II als das Klinische Curriculum Medizin (KliniCuM) bezeichnet, gliedert sich in sechs Themenblöcke, einen Wahlfachblock, zwei Freiblöcke und das PJ. Die Blockstruktur gibt vor, dass nicht in Semestern studiert wird, sondern, dass sich ein Studienjahr aus vier Trimestern, das heißt, dreimonatigen Abschnitten, zusammensetzt, wobei die Sommermonate Juli, August und September unterrichtsfreie Zeit sind. Das zentrale Konzept von KliniCuM bilden Praxisbezug und Interdisziplinarität, um das Ausbildungsziel der Allgemeinen Arztreife (Medizinische Fakultät der Universität Hamburg, 2009) zu erreichen. Die allgemeine Arztreife meint dabei, dass sich die Absolventen für jede Weiterbildungsstelle bewerben können sollen. Daneben bestimmt der Hamburger Lernzielkatalog Inhalt, Tiefe und Art der Lernziele aller Fächer und Querschnittsbereiche, die von der ÄApprO im Studienabschnitt II gefordert werden. Dabei werden die 33 Fächer und Querschnittsbereiche, die von der ÄApprO im

5.1 Kompetenzerwerb und -erfassung – Medizinstudium

75

klinischen Abschnitt vorgegeben sind, den Themenblöcken thematisch entsprechend zugeordnet (Van den Bussche et al., 2005). Folgende sechs Themenblöcke kommen in KliniCum vor(Medizinische Fakultät der Universität Hamburg 2009): • • • • • • •

Themenblock 1: Reproduktion und Schwangerschaft, Kindheit und Jugend Themenblock 2: Operative Medizin Themenblock 3: Der innere Mensch Themenblock 4: Der Kopf Themenblock 5: Psychosoziale Medizin Themenblock 6: Diagnostische Medizin Themenblock 7: Wahlfachblock

Die Themenblöcke bilden jeweils eine in sich geschlossene Einheit und ihre Reihenfolge kann von den Studierenden frei gewählt werden. Ein wesentlicher Baustein des KliniCuMs sind die Fälle des problemorientierten Lernens (POL), von denen jeder Studierende insgesamt 72 Fälle (jeweils einen pro Woche) bearbeitet. Die sogenannten Leitsymptomvorlesungen ergänzen dabei dieses lerndidaktische Konzept, wobei im Gegensatz zu traditionellen Fachvorlesungen die Krankheitslehre über wesentliche Leitsymptome an einzelnen Symptomen der Patienten dargestellt wird. Auch finden Seminare und der von der ÄApprO geforderte UaK statt, der als Veranstaltung mit Praxisbezug eine wichtige Stellung einnimmt. Darüber hinaus ist am UKE ein Trainingszentrum für ärztliche Fähig- und Fertigkeiten (MediTreFF) fest in den zweiten Studienabschnitt integriert. Im MediTreFF haben die Studierenden die Möglichkeit, unter fachlicher Anleitung praktische Fertigkeiten zu trainieren. Daneben stehen E-Learning-Programme in den Computerräumen zur Verfügung, die in der Regel interaktiv und problemorientiert aufgebaut sind und so eine weitere Vertiefung des Wissens ermöglichen. Am Ende eines jeden Blocks findet jeweils eine entsprechende universitäre Prüfung statt, die entweder schriftlich oder als Objective Structured Clinical Examination (OSCE) gestaltet wird. Damit ist eine moderne dem Arbeitsalltag möglichst nahkommende mündlich-praktische Prüfungsmethode gemeint, mit dem Ziel (klinisch-) praktische Fertigkeiten des medizinischen Alltags wie beispielsweise körperliche Untersuchungen, das Anfordern von Untersuchungen und Bildgebenden Verfahren, soziale Kompetenzen, etc. zu prüfen (Chenot & Ehrhardt, 2003). Ein

76

5 Ärztliche Kompetenz

OSCE soll dabei eine Prüfungssituation herstellen, die es zum einen den Studierenden ermöglicht, ihr theoretisches Wissen anhand von standardisierten Fällen im praktischen Einsatz zeigen zu können und zum anderen den Prüfern die Gelegenheit gibt, die Fähigkeiten der Studierenden mit standardisierten Checklisten so objektiv und von der Prüferpersönlichkeit unabhängig wie möglich zu bewerten. Dabei rotiert eine bestimmte Anzahl von Studierenden durch einen Parcours von standardisierten Prüfungsstationen, die in der Regel einen Fall oder standardisierten Patienten (SP) mit spezifischer Problemstellung präsentieren. Am UKE haben die Studierenden pro Station eine Minute Zeit um die Aufgabe zu lesen und fünf Minuten um diese zu lösen. An jeder Prüfungsstation findet sich ein Prüfer, der die Betreuung und Bewertung übernimmt und sich je nach Aufgabe einbringt oder heraushält. Die Gesamtnote ergibt sich aus der Summe der Teilbewertungen der einzelnen Stationen. Zur Vorbereitung der OSCEs sollten die Studierenden die praktischen Fähigkeiten, die sie in dem jeweiligen Themenblock erlernt haben, trainieren und verfestigen, wozu sie den oben dargestellten MediTreff nutzen können. Entsprechend der dargestellten Übersicht der Prüfungsformate (4.3.2) kann mit OSCEs neben der Fach- auch die Methoden- und Selbstkompetenz geprüft werden. Praktisches Jahr Der letzte Studienabschnitt das PJ gestaltet sich der ÄApprO entsprechend. Darüber hinaus gehende Vorgaben resultieren aus Ausbildungsverträgen mit den Akademischen Lehrkrankenhäusern, aus Vereinbarungen mit Studierendenvertretungen, dem Landesprüfungsamt und den Kliniken und Instituten. Es können bis zu zwei PJ-Tertiale an deutschen Universitätskliniken oder Akademischen Lehrkrankenhäusern abgeleistet werden, ebenso können bis zu zwei PJ-Tertiale, auch halbe Tertiale, im Ausland absolviert werden.

5.2 Ärztliche Rollen- und Kompetenzmodelle 5.2

77

Ärztliche Rollen- und Kompetenzmodelle

Innerhalb der medizinischen Ausbildungsforschung haben sich verschiedene ärztliche Rollen-Kompetenzmodelle etabliert, von denen zwei im folgenden Abschnitt genauer dargestellt werden. Zu Beginn steht dabei das kanadische Rollenkompetenzmodell, das vor allem für den Bereich der ärztlichen Weiterbildung entwickelt wurde und daran anschließend findet sich das des NKLM, das sich u.a. am kanadischen orientiert.

5.2.1

CanMEDS-Rollenmodell

Beim international viel beachteten CanMEDS-Modell des Royal College of Physicians and Surgeons of Canada (Frank, 2005) setzt sich ärztliche Kompetenz aus sieben Rollen zusammen, die es auszufüllen gilt und für welche spezifische Kompetenzfacetten erforderlich sind. Es werden für die einzelnen Rollen ausschließlich die Definitionen wiedergegeben. Für die weitere detaillierte Untergliederung sei an dieser Stelle an die angegebene Originalquelle verwiesen. Die Rollen werden benannt als Medical Expert, Communicator, Collaborator, Manager9, Health Advocate, Scholar und Professional (Frank, 2005). Wie die folgende Abbildung 10 veranschaulicht, steht im Zentrum des Modells der Medical Expert, da diese Rolle alle anderen Rollen bündelt und diese vom Zentrum aus ab- und wieder zu diesem zurückgehen. Die Rolle des Medical Expert beinhaltet dabei angewandtes medizinisches Wissen, klinische Fähig- und Fertigkeiten sowie professionelles Verhalten in der patientenzentrierten Versorgung (Frank, 2005).

9

Beim 2015 veröffentlichten überarbeiteten CanMEDS Konzept wurde diese Rolle in Leader umbenannt (Frank, Snell, & Sherbino 2015). Da sich der NKLM allerdings auf das ursprüngliche CanMEDS-Modell 2005 bezieht, greift auch diese Arbeit auf die Veröffentlichung von 2005 zurück.

78

5 Ärztliche Kompetenz

Abbildung 10: The CanMEDS Roles Framework (Frank, 2005, 3)

Die Rolle des Communicators definiert sich durch die Förderung der Arzt-Patienten-Beziehung und den diese beinhaltenden wechselseitigen dynamischen Interaktionen vor, während und nach der medizinischen Konsultation. Die Rolle des Collaborators beinhaltet die Zusammenarbeit innerhalb eines Gesundheitspflegeteams, um eine optimale Patientenversorgung zu gewährleisten. Die ManagerRolle beinhaltet den Blick auf Ärzte als integrale Teilnehmer an Organisationsprozessen im Gesundheitswesen, womit die Organisation von nachhaltigen Gesundheitspraktiken, das Treffen von Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen und das Beitragen zu einem effizienten Gesundheitssystem verbunden ist. Die Rolle des Health Advocate beinhaltet das verantwortungsvolle Nutzen der Expertise und die Einflussnahme um die Gesundheit und das Wohlbefinden sowohl einzelner Patienten als auch von Gemeinschaften und Bevölkerungsgruppen voranzutreiben. Die Scholar-Rolle bezieht sich auf die lebenslange Verpflichtung der Ärzte, ihre Lernprozesse und ihr aufgebautes Wissen zu reflektieren, weiterzuentwickeln, zu verbreiten, anzuwenden und ihr medizinisches Wissen in eine für Patienten verständliche Sprache zu übersetzen. Die Rolle des Professionals bezieht sich auf die ärztliche Verpflichtung in Bezug auf die Gesundheit und

5.2 Ärztliche Rollen- und Kompetenzmodelle

79

das Wohlbefinden einzelner und der Gesellschaft in der Praxis ethische und mit dem Arztberuf entsprechend verbundene berufliche Verhaltensstandards einzuhalten (Frank, 2005).

5.2.2

Rollenmodell des NKLM

Unter anderem an diesem kanadischen Modell orientiert sich auch der NKLM 10, der im Juli 2015 in Kraft getreten ist. Ziel des NKLM ist die gemeinsame Verständigung auf den Begriff der Approbation als Weiterbildungskompetenz im Verständnis der Befähigung zur Weiterbildung. Die dahinterliegende Frage ist dabei, auf welcher gemeinsamen Basis die Weiterbildung aufbauen kann. „Im Erstellungsprozess des NKLM war dafür eine Fokussierung auf die im Studium zu vermittelnden Kompetenzen zur Befähigung für die ärztliche Weiterbildung von zentraler Bedeutung“ (MFT, 2015, 7). Das Absolventenprofil von Ärzten wird dabei durch den NKLM im Sinne eines Kerncurriculums für das Medizinstudium beschrieben und „will damit einen Beitrag zu einem besseren Übergang von der ärztlichen Aus- zur Weiterbildung leisten […]“ (MFT, 2015, 7), wobei die im Studium angelegten Kompetenzen in der Weiter- und Fortbildungsphase weiterentwickelt und differenziert werden. Orientierungspunkt ist dabei der in der ÄApprO vorgegebene §1 Abs. 1. welcher als Ziel der ärztlichen Ausbildung, den wissenschaftlich und in der Praxis ausgebildeten Mediziner, „der zur eigenverantwortlichen und selbstständigen ärztlichen Berufsausübung, zur Weiterbildung und zu ständiger Fortbildung befähigt ist“ (ÄApprO, 2002, 1), vorgibt. Während die Gegenstandskataloge des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), das die Aufgaben der schriftlichen MC-Prüfungen am Ende des ersten und zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung erstellt, das ärztliche Faktenwissen auf dem die Staatsexamina basieren, erfassen, zielt der NKLM darauf ab, das Faktenwissen um Fähig- und Fertigkeiten zu ergänzen, die wichtig sind für den ärztlichen Berufsalltag, bisher aber nicht direkt abgebildet werden. Dazu gehören auch soziale und kommunikative Elemente. Kompetenzen werden im 10

Entsprechend des NKLM wurde auch ein Lernzielkatalog der Zahnmedizin (NKLZ) entwickelt, auf den aus Gründen des Themenbezugs dieser Arbeit allerdings nicht weiter eingegangen wird.

80

5 Ärztliche Kompetenz

NKLM nach Weinert verstanden als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert, 2002, 27/28.). Auch die englische Definition von Epstein und Hundert diente als Grundlage des Kompetenzverständnisses. „Professional competence is the habitual and judicious use of communication, knowledge, technical skills, clinical reasoning, emotions, values, and reflections in daily practice for the benefit of the individual and community being served” (2002, 226). In diesem Verständnis ordnet der NKLM zentrale Kompetenzen Rollen zu, die „sich ihrerseits wiederum aus Teilkompetenzen und Lernzielen zum medizinischen Wissen, wissenschaftlichen und klinischen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie professionellen Haltungen zusammensetzen“ (MFT, 2015, 13). Zusammenfassend werden im NKLM Kompetenzen verstanden als „verfügbare kognitive und praktische Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Problemlösung sowie die damit verbundenen Einstellungen, diese erfolgreich einzusetzen“ (ebd.). Der NKLM gliedert sich in die folgenden drei Abschnitte: • • •

Abschnitt I: Rolle des Arztes, Abschnitt II: medizinisches Wissen, klinische Fähigkeiten und professionelle Haltungen und Abschnitt III: patientenzentrierte Gesundheitsversorgung.

Der erste Abschnitt beinhaltet mit den Rollen dabei die zentralen übergeordneten Kompetenzen, auf die das Studium hinleiten soll, während im Abschnitt II die Inhalte, die zum Erlernen der Arztrollen notwendig sind, weiter konkretisiert werden. Im dritten Abschnitt sind konkrete Konsultationsanlässe und Erkrankungen aufgeführt, „die am Ende des Medizinstudiums bis zu einem bestimmten Grad theoretisch und praktisch beherrscht werden sollen“ (MFT, 2015, 13) und die zusammen mit den Arztrollen des Abschnitts I die Eckpunkte des Medizinstudiums

5.2 Ärztliche Rollen- und Kompetenzmodelle

81

definieren. Dabei sind die Abschnitte inhaltlich untereinander eng miteinander verbunden (Abbildung 11).

5.2.3

Kompetenzebenen des NKLM

Zur Unterscheidung der Lerntiefe sind drei aufeinander aufbauende Kompetenzebenen festgelegt (MFT, 2015): 1. Faktenwissen • Deskriptives Wissen (Fakten, Tatsachen) nennen und beschreiben. 2. Handlungs- und Begründungswissen • Sachverhalte und Zusammenhänge erklären, in den klinisch-wissenschaftlichen Kontext einordnen und datenbasiert bewerten. 3. Handlungskompetenz a. Unter Anleitung selber durchführen und demonstrieren. b. Selbständig und situationsadäquat in Kenntnis der Konsequenzen durchführen. Voraussetzung zum Erreichen der Handlungskompetenz (Ebenen 3a und 3b) ist dabei der Erwerb von Faktenwissen der ersten und der Erwerb von Handlungsund Begründungswissen der zweiten Ebene.

82

5 Ärztliche Kompetenz

Abschnitt I Arztrollen

Medinische/r Experte/-in

Abschnitt II medizinisches Wissen, klinische Fähigkeiten und professionelle Haltungen

Abschnitt III Patientenzentrierte Gesundheitsversorgung

Prinzipien normaler Struktur & Funktion Prinzipien der Pathogenese & Pathomechanismen

Gelehrte/-r

Anlässe für ärztliche Konsultationen

Medizinisch-Wissenschaftliche Fertigkeiten Kommunikator/-in

Medizinisch-Praktische Fertigkeiten Mitglied eines Teams

Gesundheitsberater/-in & -fürsprecher/-in

Ärztliche Gesprächsführung

Diagnostische Verfahren

Therapeutische Prinzipien

Verantwortungsträger/-in & Manager/-in

Notfallmaßnahmen

Erkrankungsbezogene Prävention, Diagnostik, Therapie, Versorgungsund Notfallmanagement

Ethik, Geschichte & Recht Professionell Handelnde/-r

Gesundheitsförderung & Prävention

Abbildung 11: Gliederungsübersicht des NKLM (MFT, 2015, 14)

Die Taxonomie zur Beschreibung der Kompetenzebenen orientiert sich dabei neben derer des Schweizer Lernzielkatalogs (Joint Commission of the Swiss Medical Schools, 2008) auch an der Kompetenzpyramide zur Bewertung klinischer Kompetenz von Miller (1990), die neben theorierelevanten Aspekten auch klinisch relevante Aspekte, umfasst, welche einen wesentlichen Teil der ärztlichen Kompetenz ausmachen und sich an der kognitiven Taxonomie Blooms et al. (1969) orientiert. Abbildung 12 veranschaulicht die Kompetenzebenen des NKLM im Vergleich zu den anderen zwei genannten Konzepten.

5.2 Ärztliche Rollen- und Kompetenzmodelle

83

Miller-Pyramide (1990)

Kompetenzebenen NKLM

DOES

selbständig situationsadäquat und in Kenntnis der Konsequenzen durchführen

General Skills Level 2 Routine

SHOWS HOW

unter Anleitung durchführen und demonstrieren

General Skills Level 1 Some practical experience

KNOWS HOW

Handlungs- und Begründungswissen

Further Konwledge Level 2 Able to cope with in practice

KNOWS

Faktenwissen

Further Konwledge Level 1 Overvies level

Clinical Pictures Level 1 define in broad terms without details

Clinical Pictures Level 2 define in broad terms without details

SCLO (smifk 2008)

Abbildung 12: Kompetenzebenen von NKLM im Vergleich zu Miller-Pyramide und Swiss Catalogue of Learning Objectives for Undergraduate Medical Training (SCLO) (MFT, 2015, 20)

Alle drei Konzepte zeigen jeweils zwei Stufen des Wissens und zwei des Handelns und haben einen klaren hierarchischen Aufbau von einem breiten Grundlagenwissen, über theoretisches Wissen, wie diese Grundlagen angewendet werden können auf der zweiten Stufe, hin zu den praktischen Aspekten wobei sich die dritte Stufe auf die Performanz während des Studiums bezieht. Die ersten beiden Stufen werden dabei in der Regel mit MC-Klausuren überprüft, während die dritte Stufe mithilfe von OSCEs überprüft wird. Die oberste Stufe umfasst die

84

5 Ärztliche Kompetenz

Kompetenz des klinischen Handelns in der Praxis im Sinne des routinemäßigen und spezifischen ärztlichen Handelns inklusive der damit verbundenen Konsequenzen am Patienten. Diese sollte in Ansätzen am Ende des Studiums erreicht und in der fachärztlichen Weiterbildung weiterentwickelt werden. Die vom NKLM angestrebte kompetenzbasierte Ausbildung soll sich im Sinne des bereits erläuterten constructive alignments (Biggs, 1996) erschließen. Ein entsprechendes Prüfungsformat dafür liegt allerdings nicht vor. Die ärztlichen Rollen können dem allgemeinen Modell der Kompetenzdimensionen (2.3.5) zugeordnet werden. Eine von der Autorin vorgenommene Zuordnung findet sich in Abbildung 13.

Sozial-kommunikative Kompetenzen Fach- und Methodenkompetezen • Gelehrter • Professionell Handelnder

Personale Kompetenzen • Professionell Handelnder • Verantwortungsträger und Manager

• • • •

Kommunikator Mitglied eines Teams Gesundheitsberater- und fürsprecher Verantwortungsträger und Manager

Aktivitäts- und handlungsorientierte Kompetenzen • Professionell Handelnder • Gesundheitsberater und -fürsprecher

Abbildung 13: Verbindung zwischen Kompetenzdimensionen und ärztlichem Rollenmodell (eigene Darstellung)

5.2 Ärztliche Rollen- und Kompetenzmodelle

85

Dabei ist die Zuweisung nicht statisch zu sehen, da die ärztlichen Rollen je nach Gewichtung bestimmter Aspekte auch anderen Dimensionen zugeordnet werden können. Da es sich beim Medizinischen Experten um die Zentrumsrolle handelt, die alle von ihr abgehenden Rollen vereint, wird auf diese in der Abbildung nicht gesondert Bezug genommen, da sie sich als Zentrumsrolle in allen vier Kompetenzdimensionen widerspiegelt. Die dargestellte Zuordnung erfolgte entsprechend der Schwerpunkte der Kompetenzdimensionen, die jeweils bestimmte Kompetenzfacetten beinhalten, die es auch in den entsprechenden Rollen auszufüllen gilt.

5.3

Die Arzt-Patienten-Beziehung

Die Arzt-Patienten-Beziehung nimmt eine besonders relevante Rolle im praktischen Kontext ein, wird der Behandlungserfolg doch wesentlich davon bestimmt wie die Beziehung gestaltet ist und ob sie gelingt (Krones & Richter, 2008). So macht die ‚Droge‘ Arzt, deren empirisch so gut belegte positive Wirkung ihresgleichen sucht, einen erheblichen Teil des Placeboeffektes aus, wobei das Ausmaß wesentlich von der Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung bedingt wird (DiBlasi, Harkness, Ernst, Georgiou, & Kleijnen, 2001). Aufgrund der gesellschaftlichen Zusammenhänge „sind für die Analyse der Arzt-Patient-Beziehung medizinsoziologische, medizinhistorische und medizinpsychologische Untersuchungen, aber auch medizinethische und theoretische Reflexionen gleichermaßen wichtig“ (Krones & Richter, 2008, 818). Die Arzt-Patienten-Beziehung wird, wie z.B. die Lehrer-Schüler-Beziehung auch, durch gesellschaftlich jeweils gültige Denkmodelle und Leitideen beeinflusst, und steht damit auch immer in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Veränderungen und einem stetigen Wandel.

5.3.1

Beziehungsmodelle

So steht in der neueren Medizinethik (ca. seit den 1970er Jahren) „die Reflexion über und die Stärkung der Patientenautonomie in der Arzt-Patient-Beziehung ge-

86

5 Ärztliche Kompetenz

gen den (bis heute durchaus prominenten) ärztlichen Paternalismus im Vordergrund“ (Krones & Richter, 2008, 819). Diesem liegt die Ansicht des Arztes als Experten zugrunde, der aufgrund seines fachlichen Expertenstatus am besten weiß, was das Beste für den Patienten ist. Erst in den 1970er Jahren konnte sich als minimaler ethischer Standard der Patientenautonomie die informierte Zustimmung (Informed Consent), welche die informierte und freiwillige Einwilligung des Patienten nach bestmöglicher Aufklärung seitens des Arztes beinhaltet, durchsetzen, obwohl diese sich bereits im Nürnberger Kodex von 1947 (Mitscherlich & Mielke, 1978) findet, der am Ende des Nürnberger Ärzteprozess in Form von zehn ethischen Grundätzen verfasst wurde, um grauenvolle Menschenversuche, wie sie unter dem nationalsozialistischen Regime durchgeführt wurden, zu verhindern. Kolb (2012) weist in diesem Zusammenhang in seiner Dissertation auf das damals vorherrschende Bild der Medizin als Naturwissenschaft und des Maschinenparadigmas mit einem entsprechend mechanistischen Menschbild hin. Krones und Richter (2008) geben als mögliche Gründe für das (wenn auch späte) Durchsetzen der informierten Zustimmung zum einen das stark hierarchische und asymmetrische Medizinsystem und die damit verbundenen Machtverhältnisse an und weisen zum anderen hin, auf die vorhandenen Nöte und Abhängigkeiten kranker Menschen und den immensen Vertrauens- und Verantwortungszuwachs durch die Erfolge und Eingriffsmöglichkeiten der modernen Medizin, deren Wissensbestände immer komplexer werden, sodass eine fürsorgende, leitende Haltung des Arztes in der Arzt-Patient-Beziehung mit Verweis auf den fachlichen Expertenstatus gefordert bzw. nahegelegt wird (Krones & Richter, 2008, 819). Das vorangegangene Zitat zeigt dabei die charakteristischen Merkmale der ArztPatienten-Beziehung auf. Die Beziehung ist durch Asymmetrie und Abhängigkeiten geprägt. So tritt der Patient als kranker leidender Mensch in einer schwachen Position dem gesunden und medizinisch kompetenten Arzt gegenüber, mit dem Anliegen wieder gesund zu werden, wobei er dafür von der Hilfe, Fürsorge und Verantwortung des Arztes abhängig ist, dem er sein Vertrauen entgegenbringt. Weiterhin zeigt sich die Asymmetrie darin, dass der Nutzen und Schaden des ärztlichen Handelns nicht der Arzt als Handelnder selbst, sondern der Pa-

5.3 Die Arzt-Patienten-Beziehung

87

tient trägt (Geisler, 2002). Ärztliche Eingriffe und Veränderungen können die menschliche Existenz wesentlich verändern und im Extremfall mit Leben und Tod verbunden sein. Vor dem Hintergrund dieser Asymmetrie und des Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrechts des Menschen, ist es Pflicht, die Autonomie des Patienten im Sinne von Selbstbestimmung, deren Wurzeln sich in der Aufklärung finden, zu wahren und so lang wie möglich aufrecht zu erhalten11 und zu schützen (ebd.). Insbesondere die Careethik hat in den 1980er Jahren den Fokus von der Autonomiediskussion auf den Aspekt der Beziehung und damit auf die Elemente Fürsorge, Verantwortung und Vertrauen gelegt. Dabei stellen die Care- und Prinzipienethik die Aspekte Wahrhaftigkeit und Transparenz in der Arzt-PatientenBeziehung in den Mittelpunkt. Dem partnerschaftlich-deliberativen Modell der Arzt-Patienten-Beziehung liegen dabei vorwiegend Prinzipien der Careethik zugrunde, zu denen zum einen die Anerkennung des Bestehens von Abhängigkeiten und Asymmetrien (Krankenrolle vs. Medizinisches Expertenwissen) und zum anderen die Prinzipien der relationalen und der optimalen Autonomie sowie das Fürsorgeprinzip gehören (Krones & Richter, 2008). Beide Partner besitzen für sich relevantes Expertenwissen (biographisches vs. medizinisches Wissen) und können daher nur gemeinsam eine optimale Lösung finden. Demgegenüber steht beim traditionellen paternalistischen Modell das Fürsorgeprinzip im Vordergrund. Danach übernimmt der Arzt die Verantwortung und das Entscheidungsprimat unter der Auffassung, dass allgemein gültige Kriterien für die Bestimmung des Patientenwohls vorliegen, dem der Arzt aufgrund seiner Fürsorgepflicht gerecht werden muss. Nach Geisler (ebd.) werden Leitbegriffe wie Lebensqualität, Normalität und Optimierung für Patientenansprüche und ärztliches Handeln zunehmend mitbestimmend. Dabei sieht er die dargestellte Veränderung der Arzt-PatientenBeziehung durch die stärkere Fokussierung auf die Patientenautonomie als Verschiebung vom Krankenwohl als oberstes Gebot hin zum Patientenwillen als 11

Dieser Aspekt bezieht sich insbesondere auf Patienten, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes ihre Autonomie nicht mehr ausüben können. Ein großer Teil der Literatur insbesondere im Bereich der Palliativmedizin beschäftigt sich mit dieser Thematik, auf die entsprechend des Fokus dieser Arbeit allerdings nicht weiter eingegangen wird.

88

5 Ärztliche Kompetenz

oberstes Gebot, bei dem die Patientenautonomie Vorrang vor dem ärztlichen Fürsorgeprinzip gewinnt. Berechtigterweise stellt er dabei die kritische Frage, wie schnell Selbstbestimmtheit in Sich-Selbst-Überlassensein umschlagen kann. Dabei weist er darauf hin, dass eine oft als idealtypisch angesehene symmetrische Arzt-Patienten-Beziehung de facto nur in Ausnahmefällen existiert und auch Krones und Richter (2008) machen darauf aufmerksam, dass Studierende der Patientenautonomie am Anfang ihres Studiums einen größeren Stellenwert einräumen als am Ende. Die Herausforderung besteht daher darin, zwischen einer möglichen Überforderung der Patienten und einer Beschneidung ihrer Autonomie eine ausgewogene Balance herzustellen. Neben dem paternalistischen und partnerschaftlich-deliberativen Modell findet sich auch noch das Kunden- bzw. Konsumentenmodell, das an dieser Stelle vor dem Hintergrund der Vollständigkeit erwähnt wird. Bei diesem findet sich die Zubilligung der größtmöglichen Patientenautonomie, da der Arzt die Rolle des Dienstleisters und der Patient die des Kunden einnimmt. Die Entscheidungsfindung und Verantwortung liegt ausschließlich beim Patienten, der vom Arzt medizinisch informiert wird. Dieses Modell ist häufig im Bereich der plastischen Chirurgie im Sinne der Schönheitsoptimierung äußerlicher Gegebenheiten zu finden, womit nicht der Bereich nach beispielsweise Unfallverletzungen gemeint ist, und kennzeichnet wohl die stärkste Ausprägung eines ökonomisierten Systems.

5.3.2

Ärztliche Haltung und Verhaltensregeln

Neben den dargestellten Ansätzen wird zur Orientierung ethisch-moralischer Ansprüche, Professionalität und ethischer Grundsatzfragen häufig auch der hippokratische Eid herangezogen. Er trägt dem Anliegen Rechnung, ärztliches Handeln auf eine rationale Grundlage zu stellen. „Dem Patienten wird eine gewisse Rechtssicherheit in dem Vertragsverhältnis mit dem Arzt vermittelt“ (Nagel & Manzeschke, 2006, 168) verbunden mit dem Grundsatz primär das Patientenwohl im Blick zu haben und der Verpflichtung die Patientensituation nicht auszunutzen. Auch der von der Robert-Bosch-Stiftung geförderte Murrhardter Kreis (1995) entwickelte ein „Arztbild der Zukunft“ mit bestehender Gültigkeit. Danach

5.3 Die Arzt-Patienten-Beziehung

89

charakterisiert sich das Arztbild durch ein spezifisch fachliches und ein soziales Element, gekennzeichnet durch ein Spannungsverhältnis einerseits Bedingungsfaktoren von Krankheit und Gesundheit angemessen zu analysieren und andererseits ein direktes persönliches Verhältnis zum Patienten aufzubauen und zu entwickeln und die damit verbundenen nicht unbedingt übereinstimmenden Verhaltensoptionen in eine Balance zu bringen. In diesem Zusammenhang gewinnen „bei aller wissensmäßigen und biotechnischen Kompetenz, die auch weiterhin unverzichtbar bleiben wird, […] personale Eigenschaften wie kommunikative und interaktive Fähigkeiten, Bereitschaft zur Verantwortung, politische Tugend und ethische Bildung eine überragende Rolle“ (Murrhardter Kreis, 1995, 127). Der professionell tätige Arzt muss dabei die Gegensätzlichkeit zwischen empathischer Beziehung und den mit der Berufsrolle verbundenen Anforderungen aushalten und ausbalancieren, auch um sich selbst beispielsweise vor einem BurnOut-Syndrom oder einem mit wenig Humanität verbundenen Menschenbild zu schützen. So ist der Arzt neben beispielsweise professionell Handelndem und Organisator auch immer ein Privatmensch und füllt als dieser weitere Rollen wie beispielsweise Ehemann und Vater, Tochter und Freundin, Sportpartnerin, Chormitglied, etc. aus. „Es gibt viele Eigenschaften, die diese Privatrolle ausmachen und nicht ohne Einfluss auf die individuelle Ausgestaltung der anderen Rollen sind. Wichtig ist, alle Rollen möglichst authentisch in das ärztliche Handeln zu integrieren“ (Nagel & Manzeschke, 2006, 170). Besonders herausfordernd ist dabei die richtige Balance zu finden. So darf der private Bereich nicht übermäßig in das ärztliche Handeln einfließen, der Patient aber auch nicht das Gefühl haben einem ‚steinernden‘ Experten gegenüber zu sitzen, da dies den Aufbau einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung hemmen kann. „Unabhängig von der situativen Komponente finden sich jedoch auf Seiten der Ärzte tief verwurzelte Einstellungen, die das Umsetzen einer bestimmten Arzt-Patient-Interaktion wahrscheinlich machen“ (Krones & Richter, 2008, 823). So zeigte sich in der Studie von Falkum und Førde (2001), dass unter Chirurgen und Laborärzten signifikant häufiger klassische Paternalisten vertreten waren und Frauen sowie jüngere Ärzte und Psychiater häufiger unter den Autonomisten vertreten waren. Berufsethische Haltungen und Professionalität stehen in einem engen Zusammenhang,

90

5 Ärztliche Kompetenz

werden allerdings in hohem Maße implizit erworben, was eine theoretische Vermittlung entsprechend schwierig und Vorbilder umso bedeutsamer macht. „Das Lernen am Beispiel gehört zu den primären und zentralen Lernerfahrungen. Entscheidend dabei ist, dass eine Vorbildfunktion nur vorgelebt werden kann und sich nicht theoretisch vermitteln lässt“ (Nagel & Manzeschke, 2006, 168). So werden auch im CanMEDS-Rollen-Modell (Frank, 2005) eine spezifische Haltung und ethisch verpflichtende Verhaltensregeln zum Aus- und Weiterbildungsziel gemacht. Insbesondere für die ethische Vermittlung sind Vorbilder dabei von immenser Bedeutung und von Schulze, Schmucker und Jocham (2002) in einem Wunschzettel für die Medizinreform als Weg zu einer verbesserten Ausbildung benannt worden. Mit der Fokussierung auf kommunikative und soziale Kompetenzen in der medizinischen Ausbildung innerhalb der Novellierung der ÄApprO 2002 wurde der Bedeutsamkeit dieser Aspekte im Rahmen ärztlicher Kompetenz in ersten Schritten Rechnung getragen. Denn „kommunikative Beziehungen sind der Stoff aus dem die Arzt-Patient-Beziehung lebt und die ihren „Kammerton“ bestimmen“ (Geisler, 2004b, 4). Die Herausforderung liegt nun auch darin, entsprechende Formate bereit zu stellen, anhand derer Kommunikationsformen geübt werden können. Ein solches Format ist beispielsweise durch den Einsatz von standardisierten Patienten (SPs) möglich. Abschließend ist festzuhalten, dass in der Regel keines der dargestellten Modelle in absoluter Reinform im praktischen Alltag zu finden ist, sondern je nach gesundheitlicher und persönlicher Situation der Patienten verschiedene individuelle Mischformen genutzt werden. Aus ethischer Sicht spricht „vieles für ein deliberatives Arzt-Patient-Beziehungsmodell, das situativ flexibel und kontextsensitiv auf Basis eines ganzheitlichen Gesundheits- und Krankheitsmodells die größtmögliche Autonomie des Patienten zu realisieren versucht, ohne dass sich der Arzt aus der Verantwortung für den Patienten verabschieden muss […]“ (Krones & Richter, 2008, 824/825).

5.4 Empathie als bedeutende ärztliche Kompetenz 5.4

91

Empathie als bedeutende ärztliche Kompetenz

Für eine gelingende Arzt-Patienten-Beziehung und das Umsetzen der neueren dargestellten ethischen Modelle sind ärztliche Grundhaltungen wie Ehrlichkeit, Vertrauen, Verantwortung, Verschwiegenheit und Kompetenzen wie einfühlsame Fürsorge im Sinne von Empathie unumstritten wichtig, da sie einen wesentlichen Einfluss auf den Krankheits- und Heilungsprozess nehmen (u.a. MacPherson, Mercer, Scullion, & Thomas, 2003; Bikker, Mercer, & Reilly, 2005). Aus diesem Grund ist es ein besonderes Anliegen diesen Aspekt der ärztlichen Kompetenz dahingehend besonders zu untersuchen, wie er erworben und trainiert wird und sich im Laufe des Medizinstudiums entwickelt. Ausgehend vom etymologischen Ursprung des Begriffs stellt der folgende Abschnitt die in der Literatur zu findenden Auffassungen von Empathie dar, wobei der Schwerpunkt der Darstellung auf der Empathieauffassung und -entwicklung innerhalb der Medizin, im besonderen des Medizinstudiums liegt. Im letzten Teil des Abschnitts wird dabei auch auf das Training empathischer Aspekte innerhalb eines Kommunikationstrainings des Regelstudiengangs Humanmedizin am UKE eingegangen.

5.4.1

Zum Verständnis von Empathie - Emotion und Kognition

Als Vorläufer des Empathiebegriffs in der vor allem psychologisch ausgerichteten Empathieforschung findet sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Begriff der Einfühlung (Wind, 1994). Dabei meint Einfühlung nachempfinden, was im Englischen als „´feeling within´“ (Mercer & Reynolds, 2002, 9) benannt wird. Auf der Suche nach einer fassbareren Übersetzung des Einfühlungsbegriffes im angloamerikanischen Diskurs entschied sich Titchener (1909), ausgehend vom griechischen Ursprung empátheia, das „sinngemäß als mit(erlebte) Leiden(schaft) [sic!] übersetzt werden kann“ (Liekam, 2004, 27), für den abstrakten Begriff empathy. Bis heute findet sich jedoch keine einheitliche Definition von Empathie (BattRawden, Chisolm, Anton, & Flickinger, 2013; Singer & Lamm, 2009). Dass Empathie eine affektive Komponente besitzt, ist laut Schmitt (1982) der einzige Aspekt, bei dem Einigkeit zwischen den unterschiedlichen Definitionen und Autoren zu bestehen scheint. Auch Titchener (1909) ging bei seiner Übersetzung des Wortes

92

5 Ärztliche Kompetenz

Einfühlung zunächst von einem rein emotionalen Konzept aus, nach dem das Erleben einer anderen Person nur mittels kinästhetischer Nachahmung zugänglich war. Im Verlauf begann Titchener (1915) allerdings, Empathie als kognitiven Prozess aufzufassen und öffnete somit die Differenzierung in kognitive und affektive Sichtweisen von Empathie. Dabei wird Empathie kognitiv als Fähigkeit im Sinne von Perspektivübernahme, die auch ohne emotionale Beteiligung möglich ist, und emotional als Reaktionsbereitschaft aufgefasst (Enzmann, 1996). Die Vorstellung von Empathie als kognitivem Prozess führt innerhalb der Entwicklungspsychologie unter dem Begriff der Rollenübernahme zur kognitiven Theorie Jean Piagets (1974) und zum symbolischen Interaktionismus von George Herbert Mead (1980), zeigt und entfaltet Empathie sich doch erst und nur in der Interaktion mit anderen. Es handelt sich also um eine Fähigkeit, die sich im Laufe des Entwicklungs-, Erziehungs- und Sozialisationsprozesses je nach gemachten Erfahrungen ausbildet. Entscheidend für die Ausprägung sind dabei die Quantität und Qualität der Interaktionen eines Kindes mit seiner sozialen Umwelt (Eltern, Peers). Darüber hinaus „spielt die Notwendigkeit, kognitive Konflikte, die in der Interaktion mit Sozialpartnern auftreten, zu lösen“ (Schmitt, 1982, 8) eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Fähigkeit zu Perspektivübernahme. Auch finden sich immer wieder Hinweise auf Erkenntnisse der Spiegelneuronen in Zusammenhang mit Empathie, wobei die Funktion der Spiegelneuronen abhängig ist von Sozialisationsfaktoren (Bauer, 2005). Denn zum einen bedarf es der Voraussetzungen für eine frühkindliche Entwicklung von Empathie und zum anderen kann sich eine bereits entwickelte Empathiefähigkeit auch durch extreme Erfahrungen oder belastende Faktoren wie Angst, Stress oder Anspannung massiv verändern. „Sobald Druck, Angst und Stress vorhanden sind, klinkt sich alles, was vom System der Spiegelneurone abhängt, aus: Das Vermögen, sich in andere einzufühlen, andere zu verstehen und Feinheiten wahrzunehmen“ (Bauer, 2005, 71). Empathie ist von Sympathie und Mitleid abzugrenzen. Während Empathie kognitiv und emotional verstehen und einfühlen meint, wird unter Sympathie die Haltung einer Person gegenüber einer anderen Person in Form eines sozialen Urteils, dass sich in personaler Attraktion oder Ablehnung manifestiert,

5.4 Empathie als bedeutende ärztliche Kompetenz

93

verstanden (Barthel, 2008). In Bezug auf die Abgrenzung von Empathie und Mitleid verweist Liekam (2004) darüber hinaus darauf, dass die Fähigkeit zum Mitleid an sich noch kein ausreichender Indikator für Empathiefähigkeit ist, da sich hinter Mitleid auch eine unterentwickelte emotionale Fähigkeit verbergen kann, nicht zwischen den eigenen Gefühlen und einer angemessenen Reaktion auf die Emotionen anderer zu unterscheiden und es sich um ein rein emotionales Konzept handelt. Enzmann (1996) verdeutlicht den wesentlichen Unterschied zwischen emotionalen und kognitiven Empathieansätzen: „Während aus kognitiv akzentuierter Perspektive Empathie ohne emotionale Beteiligung möglich ist, ist der Eindruck, der Gefühle des anderen unmittelbar teilhaftig zu werden, in emotionalaffektiv akzentuierter Auffassung ein entscheidendes Merkmal empathischer Reaktionen“ (Enzmann, 1996, 77). Während es aus kognitiver Perspektive demnach um die Fähigkeit geht, die Sichtweise in Bezug auf Motive, Gefühle und Hilfeansuchen bewusst wahrzunehmen, bezieht sich die affektive Komponente auf die Tendenz emotional auf die Emotionen anderer zu reagieren (Mehrabian & Epstein, 1972). So berichten Krebs (1975) sowie Batson und Oleson (1991) in ihren Reviews auch vom Zusammenhang zwischen Empathie und Altruismus. Funder und Harris (1986) konnten außerdem eine hohe Korrelation zwischen Empathie und Selbstkontrolle feststellen, die als Teil von Perspektivübernahme gesehen werden kann. Empathie wird häufig auch mit Wärme in zwischenmenschlichen Beziehungen in Verbindung gebracht und in der Regel von Menschen, die Hilfe suchen, besonders begrüßt. Allerdings birgt eine besonders hoch ausgeprägte Empathie auch die Gefahr, sich zu sehr in die Gefühle anderer hineinzuversetzen, insbesondere wenn sie sehr emotional oder beunruhigt sind. Da es sich bei Empathie nicht um eine eigene Emotion, sondern um eine Reaktion auf die Emotion eines anderen handelt (Ekman, 2010), kann das Einfühlen allerdings, eigene Emotionen auslösen, was die Gefahr birgt, bei zu starkem Mitgefühl, die nötige Abgrenzung zu verlieren und die Emotionen des anderen zu eigenen zu machen. Auch Subjektivität spielt bei der Betrachtung von Empathie eine Rolle, denn „sie ist konstitutiv auf die Fähigkeit‚ eine Erfahrung machen zu können, d.h. auf Subjektivität, angewiesen […] [und] setzt zugleich und unabweisbar einen Ge-

94

5 Ärztliche Kompetenz

genstand, d.h. ein Objekt der Erfahrung voraus“ (Poferl, 2014, 177/178). Die damit in Zusammenhang stehenden Prozesse der Sinnkonstitution sind dabei durch unterschiedliche kulturelle und symbolische Aufladungen geprägt. Empathie äußert und zeigt sich in Kommunikationsprozessen und wird deshalb in dieser Arbeit der sozial-kommunikativen Kompetenzdimension (Erpenbeck & Sauter, 2013) zugeordnet. Im Verständnis von der Fähigkeit, Emotionen in Bezug auf sich selbst und andere wahrzunehmen, auszudrücken, Gedanken und Vorstellungen zu verstehen und zu regulieren, kann Empathie auch als emotionale Kompetenz gesehen werden (Asendorpf, 2002), die nach Auffassung dieser Arbeit wiederum ein Teil der sozialen und auch personalen Kompetenz im Sinne des Umgangs mit sich selbst und anderen darstellt. Die Zuordnung von Empathie zum Begriff der Emotionalen Intelligenz (EI) hingegen wird abgelehnt aufgrund des nicht ausreichend fundierten Konstrukts. „Alles, was das Konzept der EI zu bieten hat, liegt längst vor, und zwar in besserer, theoretisch fundierter und empirisch leidlich akkumulierend wirkender Begriffsfassung“ (Schuler, 2002, 139). Der Bezug zur personalen Kompetenz zeigt, dass die Beschäftigung mit Empathie auch einschließt, sich mit Persönlichkeitstheorien und –merkmalen auseinander zu setzen. Die Auffassung von Empathie als Fähigkeit steht dabei im Zusammenhang mit der Persönlichkeitstheorie Rogers (1961), die ebenfalls überwiegend kognitive Elemente aufweist. In Bezug auf Empathie-Trainings postuliert Altmann (2013), dass Empathie im Sinne der Expressivität des Merkmals, im Kontakt mit anderen trainiert und umgesetzt werden kann.

5.4.2

Empathie in der Medizin

Im medizinischen Bereich beschreiben Mercer und Reynolds (2002) auf Grundlage einer ausführlichen Literaturanalyse von Morse, Bottorff, Anderson, O'Brien und Solberg (1992) einen multidimensionalen Entwurf eines Empathiekonstrukts. Dieses umfasst dabei vier Komponenten: die emotionale, die moralische, die kognitive und die Verhaltenskomponente (ebd.). Sie sehen Empathie eher „as a form of professional interaction (a set of skills or competencies), rather than a subjective emotional experience, or a personality trait that you either have or

5.4 Empathie als bedeutende ärztliche Kompetenz

95

don´t have“ (Mercer & Reynolds, 2002, 10). Dabei wird den kognitiven und verhaltensbezogenen Aspekten im klinischen Kontext besondere Bedeutung zugeschrieben, während sich moralische Aspekte vor allem im Kontext der Medizinphilosophie finden. Stepien und Baernstein (2006) berichten in ihrem Review, dass sechs der 13 untersuchten Studien die Verhaltensdimensionen von Empathie als einer Kommunikationstechnik in den Fokus nehmen und sich signifikant höhere Effekte bei Interventionsgruppen finden lassen. Allerdings verweisen auch sie darauf, dass keine konzeptuelle Klarheit besteht, klinische Empathie aber überwiegend multidimensional als Interkation von Emotionen, Moral (Motivation), Kognition und Verhaltensdimensionen gesehen wird. Mit dem Einbezug der Verhaltenskomponente bezieht das multidimensionale Modell somit auch empathisches Handeln und damit einen Performanzaspekt ein, der wiederum einen Bestandteil der Kompetenzdefinition ist. Damit liegt dieser Arbeit die Auffassung von Empathie als Kompetenz, die erlern- und modifizierbar ist, zugrunde. Auf Basis des multidimensionalen Konstrukts von Mercer und Reynolds (2002), das gezielt handlungsorientierte Aspekte mit einstellungsorientierten verbindet „entzieht sich der Begriff der ärztlichen Empathie einerseits der Zufälligkeit eines emotionalen Zustandes, der in der Interaktion mit einer Patientin entweder auftritt oder eben nicht. Andererseits lehnt er aber auch die Beschränkung eines rein handlungsorientierten kognitiven Empathiebegriffs ab“ (Zschocke 2016, 17). Ärztliche Empathie beinhaltet nach Neumann, Scheffer, Tauschel, Lutz, Wirtz und Edelhäuser (2012) das Verstehen des Patienten durch verbale und nonverbale Kommunikation und ist somit Teil der Arzt-Patienten-Kommunikation, die wiederum eine Säule des Patienten-Outcomes darstellt. Empathische Kommunikation zeigt dabei positive Effekte für Patienten auf z.B., dass diese mehr über ihre Symptome und Sorgen [berichten], eine erhöhte Genauigkeit von Diagnosen […], [die] Versorgung des Patienten mit krankheitsspezifischen Informationen, eine verbesserte Teilnahme und Aufklärung von Patienten, eine erhöhte Compliance und Zufriedenheit von Patienten, eine verbesserte „Befähigung“ der Patienten, d.h. die durch die ärztliche Behandlung erzielte Befähigung des Patienten, mit der aktuellen Krankheitssituation umgehen zu können

96

5 Ärztliche Kompetenz [sowie] weniger Depression und eine erhöhte Lebensqualität […] (Neumann et al., 2012, 13).

Auch Colliver, Willis, Robbs, Cohen und Swartz (1998) konnten in ihrer Untersuchung zeigen, dass Empathie im Zusammenhang mit Verhaltensweisen stand, die dazu führten, dass Patienten sich angenehm und ernst genommen fühlten und bei Glaser, Markham, Adler, MacManus und Hojat (2007) zeigten sich positive Einflüsse auf die Anamneseerhebung und Diagnostik. Darüber hinaus wird berichtet, dass empathische ärztliche Kommunikation im Zusammenhang zu einem verbesserten Umgang mit der Krankheitssituation seitens der Patienten steht (Mercer et al. 2007; MacPherson, Mercer, Scullion, & Thomas 2003; Bikker, Mercer & Reilly 2005). Auch findet sich ein positiver Zusammenhang zwischen ärztlicher Empathie und berichteter Lebensqualität bei onkologischen Patienten und ein negativer zu depressiven Symptomen (Neumann et al., 2008). Bei Erkältungskrankheiten konnte ein positiver Einfluss zwischen der ärztlichen Empathie und der Dauer und Schwere der Krankheit gefunden werden (Rakel, Hoeft, Barrett, Chewning, Craig, & Niu, 2009). Ebenso zeigen mehrere Untersuchen, dass empathisches Eingehen auf die Patienten, die Patientenzufriedenheit erhöht (Roter, Stewart, Putnam, Lipkim, Stiles, & Inui, 1997; Glaser et al., 2007, Zachariae, Pedersen, Jensen, Ehrnrooth, Rossen, & von der Maase, 2003; Zonierek & DiMatteo, 2009). Neben dem signifikanten Einfluss auf die Patientenzufriedenheit berichten Stepien und Baernstein (2006) in ihrem Review auch über eine höhere professionelle Arztzufriedenheit bei entsprechend ausgeglichener Empathieausprägung. Aus diesen Gründen „bildet die ärztliche Empathie seit langem ein wesentliches Element der Professionalisierung in der Medizin und ist ein definiertes Ziel in der medizinischen Ausbildung in mehreren Ländern“ (Neumann et al., 2012, 14). Evans, Stanley und Burrows (1993) berichten in diesem Zusammenhang, dass Empathie gelehrt werden kann und viele medizinische und pflegerische Schulen entsprechende Lehrkonzepte integrieren. Vor dem Hintergrund, dass eine stark ausgeprägte Empathie zum Belastungsfaktor werden kann, geben Munro, Bore und Powis (2005) allerdings an, dass die kognitive Empathie nützlicher ist für die Diagnose, Patientenunterstützung und Nachuntersuchung, da eine moderat af-

5.4 Empathie als bedeutende ärztliche Kompetenz

97

fektive, die klinische Beurteilung trüben kann, auch wenn sie von einigen Patienten sehr begrüßt wird. Zusammenfassend zeigt sich, dass ärztliche Empathie sowohl in Bezug auf die Versorgungsqualität der Patienten als auch die Berufszufriedenheit der Ärzte selbst ein entscheidender Faktor ist. Zur Selbsteinschätzung von Empathie werden in der internationalen Ausbildungsforschung vor allem der Interpersonal Reactivity Index (IRI) (Davis, 1980, 1983), der sich auf Empathie generell bezieht und die Jefferson Scale of Physician Empathy (JSPE) (Hojat, Gonnella, Nasca, Mangione, Vergare, & Magee, 2002a; Hojat, Gonnella, Nasca, Mangione, Veloski, & Magee, 2002b), die sich speziell auf den medizinischen Bereich bezieht, verwendet. Neumann et al. (2012) nennen daneben noch die Hogan Empathy Scale (Hogan, 1969) und die Balanced Emotional Empathy Scale (Mehrabian, 1996) als weitere Instrumente der Selbsteinschätzung von Empathie. Die Ergebnisse verschiedenster Untersuchungen mit den genannten Instrumenten kommen allerdings nicht zu konsistenten Ergebnissen. Dies hängt sicherlich auch mit unterschiedlichen Definitionen und Studiendesigns zusammen und zeigt auch noch einmal die Komplexität des Themas, was auch eine schwierige bzw. zumindest kritisch zu betrachtende Messbarkeit beinhaltet. Einen Konsens scheint es über den Zusammenhang zwischen Empathie und persönlichem Stress zu geben (Stepien & Baernstein, 2006). Neumann et al. (2012) geben einen negativen Einfluss von Distress auf selbsteingeschätzte Empathie an. Dabei sollten „Personen, die ihre emotionalen Reaktionen optimal regulieren können, […] weniger empathischen Distress, mehr Perspektivübernahme und mehr empathische Anteilnahme zeigen“ (Enzmann, 1996, 81), letztgenanntes im Sinne eines bewusstes „Sichhineinversetzen in die andere Person ohne dabei die emotionale Kontrolle zu verlieren“ (Enzmann, 1996, 87). Die beiden von Enzmann angegebenen Zitate beziehen sich dabei auf die Merkmale des Selbstbeurteilungsindex von Davis (1980, 1983), der unter 7.3.2 detailliert dargestellt wird.

98

5 Ärztliche Kompetenz

5.4.2.1 Empathie und ärztliche Persönlichkeit Neben zeitlichen Aspekten spielt durchgeführten Untersuchungen zufolge auch die Persönlichkeit des Arztes und das Geschlecht bei der Empathieausprägung eine Rolle. Hojat, Erdmann und Gonnella (2013) geben in ihrem Literatur-Review an, dass Persönlichkeit als eine nicht kognitive Komponente eine signifikante Rolle in akademischem und professionellem Verhalten spielt und schlagen vor, dass Persönlichkeitsmerkmale wie Gewissenhaftigkeit und Empathie bei medizinischen Assessment-Centern, die sich auf akademisches und professionelles Verhalten beziehen, stärker fokussiert werden sollten. Diese Auffassung widerspricht allerdings der Annahme, dass die sehr stabilen Persönlichkeitseigenschaften für Unternehmen „viel weniger interessant [sind] als die zuweilen schnell veränderbaren Handlungsfähigkeiten in Form von Kompetenzen“ (Erpenbeck & Sauter, 2013, 36). Kompetenzen wiederum schlagen sich immer in Handlungen nieder und seien demnach keine Persönlichkeitseigenschaften (ebd.). Magalhães, Costa und Costa (2012) berichten in ihrer Untersuchung in Portugal von positiven Zusammenhängen zwischen dem Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit und der JSPE (Hojat et al., 2002a,b). Danach zeigten sich, wie erwartet, positive Zusammenhänge zwischen Empathie und Verträglichkeit, sowie dem Merkmal Offenheit für Erfahrungen. Ein erwarteter negativer Zusammenhang zwischen Neurotizismus und Empathie konnte allerdings nicht bestätigt werden. Toto, Man, Blatt, Simmens und Greenberg (2014) untersuchten Zusammenhänge zwischen Macht (als Gegenteil von Empathie), Empathie und Persönlichkeitseigenschaften, konnten aber keine Unterschiede zwischen Machtgefühl und Persönlichkeitsmessungen feststellen. Costa, Alves, Neto, Marvao, Portela, und Costa (2014) untersuchten in ihrer multiinstitutionalen Studie mithilfe des Fünf-Faktoren-Modells der Persönlichkeit und der JSPE (Hojat et al., 2002a,b) Persönlichkeitsunterschiede zwischen Studierenden und stellten dabei fest, dass Offenheit für Erfahrungen und Verträglichkeit wichtige Vorhersagefaktoren für hohe oder geringe Empathieausprägung waren. In Bezug auf das Geschlecht sind die Ergebnisse konsistent. So berichten die herangezogenen Studien (Paro et al., 2014; Hegazi & Wilson, 2013; Quince, Parker, Wood, & Benson, 2011; Tavakol, Dennick, & Tavakol, 2011; Magalhães,

5.4 Empathie als bedeutende ärztliche Kompetenz

99

Salgueira, Costa, & Costa, 2011; Berg, Majdan, Berg, Veloski, & Hojat, 2011) alle höhere Empathiewerte für Frauen als für Männer, wenn auch nicht in allen Aspekten von Empathie und dafür zum Teil auch ein höheres Risiko für ein Burnout, wenn die Balance gestört ist. Der höhere Empathiewert bei Frauen geht dabei einher mit dem Hinweis Buddeberg-Fischers (2004), dass männliche Studierende eine höhere Handlungsorientierung und weibliche eine höhere Gefühlsorientierung zeigen. Borkenau und Ostendorf (2008) geben an, dass Frauen in allen Skalen des NEO-Fünf-Faktoren-Inventars (NEO-FFI) höhere Werte zeigen als Männer und Buddeberg-Fischer (2004) berichtet, dass Medizinstudierende als Persönlichkeitszüge hohe Anforderungen an sich selbst stellen und ihr Selbstwert- und Kohärenzgefühl im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung höher einschätzen. An der Universität Witten-Herdecke konnte unter Kontrolle des Alters ein signifikanter Unterschied der Merkmale Extraversion und Altruismus des Hamburger Persönlichkeitsinventars (HPI) (Andresen, 2002) zwischen Studierenden zwischen dem ersten und neunten Fachsemester mit abnehmender Ausprägung zum neunten Fachsemester festgestellt werden (Zupanic, Bauer, Hofmann, Reißenweber, Fricke, & Fischer, 2010). Darüber hinaus zeigten sich geschlechtsspezifische Unterschiede in den Merkmalen Nervosität im Sinne von emotionaler Stabilität und Risiko-und Kampfbereitschaft, wobei das erst genannte Merkmal bei den weiblichen und das zweitgenannte bei den männlichen Medizinstudierenden stärker ausgeprägt war (ebd.). Lievens, Coetsier, De Fruyt und De Maeseneer (2002) berichten von höheren Extraversions- und Verträglichkeits-Ausprägungen bei Medizinstudierenden und dem Merkmal Gewissenhaftigkeit als signifikantem Prädiktor der Endergebnisse in jedem vorklinischen Jahr. Auch bei Ferguson, James, O´Hehir und Sanders (2003) zeigte sich das Merkmal Gewissenhaftigkeit als bester Prädiktor für das Abschneiden im Medizinstudium. Darüber hinaus konnte ein positiver Zusammenhang zwischen Kommunikationsfähigkeiten und den Merkmalen Wärme und emotionale Stabilität festgestellt werden (Manuel, Borges, & Gerzina, 2005). Die Validitätskoeffizienten bei Munro et al. (2005) zeigen, dass Empathie im positiven Zusammenhang zu Extraversion, Offenheit und Verträglichkeit und negativ zu Distanziertheit steht, während Narzissmus in positiver Beziehung zu Unverträglichkeit, Aggressivität, Distanziertheit und Sensibilität für

100

5 Ärztliche Kompetenz

Belohnungen und Angst steht. Die von den Autoren durchgeführte Faktorenanalyse unterstützt die Hypothese zwei separater Dimensionen von narzisstischen Aggressionen und empathischen Beziehungen. Die geringere Selbsteinschätzung von Nervosität und höhere Beurteilung von Extraversion der Medizinstudierenden bei Zupanic et al. (2010) entspricht dementsprechend anderen in der Literatur zu findenden Ergebnissen. Höhere Ausprägungen für Offenheit und Altruismus konnten die Autoren bei den untersuchten Medizinstudierenden der Universität Witten-Herdecke allerdings nicht feststellen.

5.4.2.2 Verlauf von Empathie während des Medizinstudiums Untersuchungen zufolge scheint sich, die ärztliche Empathie im Laufe des Studiums und auch während der weiteren fachärztlichen Weiterbildung und der späteren praktischen Tätigkeit zu verändern. So berichten Neumann et al. (2011) in ihrem systematischen Literaturüberblick von Studien im Zeitraum 1990-2010 von neun Untersuchungen, die eine signifikante Abnahme der Empathie während des Medizinstudiums zeigten, einer Studie, die eine Tendenz zur Abnahme, und einer, die eine solche zu stabilen Werten fand, sowie fünf Untersuchungen, die eine Empathieabnahme während der ärztlichen Weiterbildung fanden. Die eigene Recherche ergab vier Untersuchungen, die keine Abnahme während des Studiums fanden (Paro et al., 2014, Hegazi & Wilson, 2013, Tavakol et al., 2011, Rosenthal et al., 2011), drei, die eine Abnahme entdeckten (Lim, Moriarty, Huthwaite, Gray, Pullon, & Gallagher, 2013, Burks & Kobus, 2012, Hojat et al., 2009) und eine, die in ihren Ergebnissen einen Anstieg der Empathie feststellte (Magalhães et al., 2011). Besonders interessant ist dabei das Ergebnis von Hojat et al. (2009), dass sich der deutliche Rückgang der Empathie erst am Ende des 3. Jahres bis zum Abschluss hin zeigte. Ironischerweise genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die Patientenversorgung stärker in den Lehrplan rückt und Empathie als Kompetenz anfängt besonders wesentlich zu werden. Dabei zeigte sich in Bezug auf den Rückgang kein Unterschied zwischen den Geschlechtern oder Spezialisierungen. Als mögliche Gründe für die Empathieabnahme gibt Benbassat (2014) an, dass die medizinische Ausbildung emotionalen Stress verursacht und somit die Entwick-

5.4 Empathie als bedeutende ärztliche Kompetenz

101

lung der Studierenden verzögert und ihre klinische Leistung beeinträchtigt. Darüber hinaus tragen Faktoren wie hohes Lernpensum und Zeitdruck und Erfahrungen von Herabwürdigungen und Schikane durch Vorgesetzte, Kommilitonen und/oder Patienten zu studentischem Stress bei. Ebenso spielen negative Erfahrungen mit Patienten wie überhöhte Ansprüche, mangelnde Anerkennung und Eigenverantwortung sowie die Vermittlung eines stark technikzentrierten Bildes der klinischen Medizin eine Rolle im Zusammenhang zur Empathieabnahme (Zschocke, 2016). Aspegren (1999) berichtet ebenfalls, dass Kommunikationskompetenzen unterrichtet und gelernt werden können, diese von Männern allerdings langsamer gelernt werden als von Frauen und ohne Anwendung schnell vergessen werden. Auch dieser Aspekt der fehlenden Anwendung könnte ein Grund für die in einigen Studien gefundene Abnahme von Empathie sein. Auch könnte ein verdecktes, formelles bzw. informelles Curriculum Stress produzieren und dadurch zu einer Abnahme der Empathie beitragen (Neumann et al., 2011). Burks und Kobus (2012) vermuten, dass der Studienprozess mit zunehmender hoher Arbeitsbelastung und anstrengenden Anforderungen verbunden ist und Studierende im Lauf ihres Studiums nicht-humanistische informelle Praktiken sowie eine medizinische Kultur näher kennenlernen, die durch starke Hierarchien und einem damit verbundenem medizinischem Habitus geprägt ist. Diese Faktoren in Kombination erhöhen danach die Wahrscheinlichkeit, dass es zu emotionaler Unterdrückung, Loslösung von Patienten, Burnout und anderen negativen Folgen führen kann, vielleicht auch als ein Mittel der Selbsterhaltung. Ein Grund könnte auch ein möglicher Mangel an Vorbildern sein, die laut der qualitativen Untersuchung von Tavakol, Dennick und Tavakol (2012) den wichtigsten Einfluss auf die Empathieentwicklung der Studierenden nehmen und hinsichtlich derer auch Afghani, Besimanto, Amin und Shapiro (2011) einen Mangel angeben. Diese nehmen allerdings einen besonderen Stellenwert ein, da Empathie nur gefördert werden kann, „wenn derjenige, der sie fördern soll auch selbst zu empathischem Handeln fähig ist“ (Liekam, 2004, 22). Der Einsatz standardisierter Patienten (SPs) spielt beim Training von Empathie eine wesentliche Rolle, so dass auf diesen im folgenden Abschnitt näher eingegangen wird.

102 5.5

5 Ärztliche Kompetenz Bedeutungseinsatz standardisierter Patienten

Der Einsatz von SPs im Medizinstudium gibt den Studierenden besonders die Möglichkeit, ihre kommunikative Kompetenz unter Beweis zu stellen. Dass Empathie dabei erlernbar zu sein scheint, bestätigen die Studienergebnisse, die ihren Fokus auf die Erhaltung bzw. Steigerung von Empathie durch pädagogische Interventionen gelenkt haben. So geben sie alle positive Effekte durch entsprechende Trainings oder Schulungen an (Hegazi & Wilson, 2013; Tavakol et al., 2012; Rosenthal et al., 2011; Batt-Rawden, 2013). Bei Konsultationen mit SPs konnte dabei gezeigt werden, dass insbesondere die Empathie in der Kommunikation verbessert werden kann (Bachmann, Barzel, Roschlaub, Erhardt, & Scherer, 2013; Schweller, Costa, Antonio, Amaral, & de Carvalho-Filho, 2014). Darüber hinaus bieten SPs die Möglichkeit, die Empathie von Medizinstudierenden zu bewerten und so als zusätzliche, von der Kompetenz betroffene, Rater zu fungieren. Dafür steht z.B. der Consultation and Relational Empathy-Fragebogen (CARE) zur Verfügung, mit dem Patienten das empathische Verhalten von Ärzten bewerten können (Neumann et al., 2008). Einige Autoren berichten dabei von geringen Übereinstimmungen der selbsteingeschätzten und patienteneingeschätzten Empathiebewertung (Berg et al., 2011; Grossemann et al., 2014). Andere hingegen postulieren, dass SPs gültige Beurteilende der Empathie von Medizinstudierenden während einer OSCE–Prüfung sein könnten (O´Connor, King, Malone, & Guerandel, 2014). Ogle, Bushnell und Caputi (2013) berichten auf der Basis von OSCEBewertungen von einem Zusammenhang zwischen Empathie und klinischer Kompetenz, sowie von einem starken Zusammenhang zwischen beobachteter Empathie und Patientenbeurteilungen. Selbstbeurteilte Empathie stand dagegen in keinem Zusammenhang zu klinischer Kompetenz. Der Einsatz von OSCEs und SPs bietet daher eine gute Möglichkeit Praxisbezug herzustellen. Vor dem Hintergrund der kognitiven und affektiven Komponente des Empathiekonstrukts und der Tatsache, dass die Bewertung von Empathie im situativen und persönlichem Zusammenhang steht, ist davon auszugehen, dass sich die Bewertung einer in den Prozess involvierten Person von einer externen nicht involvierten Bewertung unterscheidet.

5.6 Empathietraining 5.6

103

Empathietraining als Bestandteil eines Kommunikationstrainings

Innerhalb des medizinischen Regelstudiengang-Curriculums haben die Studierenden zwischen dem fünften und zehnten Semester die Möglichkeit, an einem Kommunikationstraining mit SPs teilzunehmen. Dieses Training wird vom Institut für Allgemeinmedizin im Rahmen des Themenblocks 5 Psychosoziale Medizin: Seele-Körper-Umwelt durchgeführt. An diesem Themenblock sind die Fächer Allgemeinmedizin, Arbeitsmedizin, Psychiatrie und Psychotherapie (inkl. Kinderund Jugendpsychiatrie und –psychotherapie), Psychosomatik und Psychotherapie und Sozialmedizin, sowie die Querschnittsbereiche Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, Öffentliche Gesundheitspflege sowie Medizin des Alterns und des alten Menschen (Geriatrie) beteiligt. Der gemeinsame Nenner aller beteiligten Fächer und Querschnittsbereiche sind die Themen Arzt-Patienten-Verhältnis sowie Kommunikation und Anamnese. Diese sind insbesondere im Einführungsblock gleichzeitig das Leitmotiv der den Themenblock beinhaltenden interdisziplinären Veranstaltungen. Im Propädeutikum stehen zwei Lernzielkomplexe im Vordergrund: Zum einen sollen die Studierenden eine möglichst reflektierte, patientenzentrierte Kommunikationsweise erwerben und zum anderen sollen sie lernen, eine möglichst umfassende, patientenzentrierte Anamnese zu erheben. Um dies zu trainieren, wurde das Kommunikationstraining initiiert. Der praktischen zweistündigen Übung geht dabei ein dreistündiges Seminar voraus, in dem die Studierenden eine Einführung in die theoretischen Grundlagen der Kommunikation und Anamnese erhalten. Darüber hinaus beinhaltet der Themenblock neun Fälle problemorientierten Lernens (POL), 44 einstündige Leitthemen-Vorlesungen aus den beteiligten Fächern und Querschnittsbereichen, UaK, die Teilnahme an der Krankenversorgung durch ein Blockpraktikum Psychiatrie sowie ein Blockpraktikum im allgemeinmedizinischen Bereich, Exkursionen und Portfolio-Aufgaben. Am Ende des Themenblocks sollen die Studierenden die Bedeutung der sozialen Umwelt für die Entstehung von Krankheiten erkennen können, über die Fähigkeit verfügen, ärztliches Handeln im Spannungsfeld von Ethik und Ökonomie beurteilen zu können und in der Lage sein, die gesellschaftliche Verantwortung des Arztes zu reflektieren.

104 5.6.1

5 Ärztliche Kompetenz Theoretischer Rahmen des Kommunikationstrainings

Die dreistündige theoretische Einführung vor dem praktischen Kommunikationstraining wird, je nach Kapazitäten, von Dozierenden aus dem Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie oder der Psychosomatik durchgeführt. Alle im folgenden Abschnitt dargestellten theoretischen Aspekte entstammen den Präsentationen des Seminars. Dabei legen die Lehrenden innerhalb der Veranstaltung individuell unterschiedliche Schwerpunkte auf bestimmte Themenbereiche. Arzt-Patienten-Kontakt In Bezug auf den Themenbereich des Arzt-Patienten-Kontakts wird dargestellt, dass die Gesprächsatmosphäre durch die räumliche Atmosphäre, die Gesprächsführung und das Beziehungsverhalten beeinflusst wird. Es wird vermittelt, dass zu einer positiven Gesprächsführung eine entsprechende Begrüßung mit Namen und Funktion gehört, sowie das Ziel und den zeitlichen Rahmen des Gesprächs zu benennen und falls unvermeidliche Störungen auftreten, dies vorher anzukündigen. Das Gespräch sollte drei Phasen folgen: (1) einem offenen Beginn, in dem die Patienten berichten, was ihnen wichtig ist und lediglich Verständnisfragen gestellt werden, (2) einem zweiten Drittel, das sich durch offene, lenkende Fragen, beispielsweise zum Beschwerdeverlauf, kennzeichnet und (3) einem letzten Drittel, das sich durch geschlossene Fragen charakterisiert, um noch fehlende Informationen zu bekommen. Zum Beziehungsverhalten, welches auch die ärztliche Haltung mit der den Patienten begegnet wird, einschließt, zählt die ungeteilte Aufmerksamkeit, eine freundliche Zuwendung, Empathie und Authentizität sowie emotionale Wärme, fachliche Kompetenz und die Rückmeldung der emotionalen Verfassung des Patienten durch den Arzt sowie die Zusammenfassung inhaltlicher Informationen und eine klare verständliche Ausdrucksweise. Auch Respekt vor der Meinung der Patienten gehört zu den Kernelementen einer guten Gesprächsführung. Dieser zeigt sich besonders durch das Ausredenlassen der Patienten sowie dem Versuch, zu verstehen, womit der Patient Probleme hat und aufgrund welcher Erfahrungen, Gedanken und Gefühle er entscheidet. Auch eine ergebnisoffene Beratung, ist von besonderer Bedeutung. Einige Lehrende nutzen

5.6 Empathietraining

105

eine Selbsterfahrungsübung als Einstieg in die Thematik, in dem sie die Studierenden bitten, über eigene Erlebnisse als Patient beim Arzt nachzudenken. Ansetzend an diesen Überlegungen wird dann aufgezeigt, dass Informationsdefizite als Folgen mangelnder Kommunikation einher gehen mit beispielsweise schlechterer subjektiver Befindlichkeit, mehr Angst, höheren physiologischen Stressreaktionen oder einem höheren Schmerzmittelverbrauch (u.a. Geisler, 2008). Es wird herausgestellt, dass Kommunikation mit dem Patienten das wichtigste Handwerkzeug des Arztes ist und daher das Beherrschen von Kommunikationsgrundlagen und Kernelementen einer guten Gesprächsführung von wesentlicher Bedeutung ist. Zu den Kommunikationsgrundlagen werden die ersten vier der fünf Kommunikationsaxiome genannt (Watzlawick, Beavin, & Jackson, 2011): 1. 2. 3. 4. 5.

Kommunikation erfolgt sowohl verbal als auch nonverbal. Man kann nicht nicht kommunizieren. Kommunikation kann symmetrisch oder asymmetrisch sein. Kommunikation hat einen Inhalts- und Beziehungsaspekt. Kommunikation ist symmetrisch oder komplementär.

Auch das Nachrichtenquadrat von Schulz von Thun (2015) (Abbildung 14), welches beinhaltet, dass jede Nachricht vier Seiten hat (einen Sachinhalt, einen Beziehungsaspekt, einen Appell und eine Selbstoffenbarung), wird thematisiert. In diesem Zusammenhang wird auch darauf eingegangen, dass eine Nachricht sowohl vom Sender als auch vom Empfänger mit dem Fokus auf einen bestimmten der vier Aspekte gesendet bzw. empfangen werden kann. Dementsprechend finden sich den vier Seiten einer Nachricht auch die entsprechenden vier Empfängerohren. Da einseitige Empfangs- bzw. Sendegewohnheiten häufig zu Kommunikationsproblemen führen, ist es als Arzt besonders wichtig um diese Aspekte zu wissen und sie präsent zu haben. Ebenso sollten dem Arzt die eigenen Emotionen bewusst sein, da sie die Kommunikation beeinflussen. Folgende Formen der Gesprächstechniken werden den angehenden Ärzten beispielsweise empfohlen: supportiv – stützend, ermunternd, themenzentriert; talking down – beruhigend,

106

5 Ärztliche Kompetenz

entlastend, bestärkend; empfehlend, wissend; kognitiv – rational das Verstehen fördernd.

Abbildung 14: Vier Seiten der Nachricht - ein Modellstück der zwischenmenschlichen Kommunikation (Schulz von Thun, 2015, 15)

Neben den Gesprächstechniken kommt dem Zuhören eine bedeutende Rolle zu. Als Einstieg für diesen Aspekt wird von einigen Dozierenden eine praktische Übung verwendet, in der sich Tandems bilden, bei denen einer der Erzähler einer dreiminütigen Urlaubsgeschichte ist, während der andere zuhört, entweder aufmerksam, interessiert, den Blickkontakt suchend und nachfragend oder unaufmerksam, abweisend und offensichtlich Desinteresse zeigend. Danach werden die jeweiligen Erfahrungen ausgetauscht. Diese Übung dient dazu den Studierenden aufzuzeigen, dass Zuhören schwieriger ist als Sprechen, da es Geduld, Konzentration, Disziplin, analytisches Denken und ein Gespür für Zwischentöne erfordert. Auch ist Zuhören an die Voraussetzungen Interesse, Bereitschaft sowie Präsenz und Zeit geknüpft. Da Zuhören ein wesentlicher Bestandteil von Arzt-Patienten-Gesprächen ist, werden den Studierenden die Techniken des aktiven Zuhörens und des Spiegelns verdeutlicht. Aktives Zuhören kennzeichnet sich dadurch, Geduld zu haben und den Sprechenden nicht zu unterbrechen, sondern ausreden zu lassen, sich auf das Gegenüber einzulassen, sich zu konzentrieren und dies auch durch die eigene Körperhaltung auszudrücken. Auch das Aushalten von Pausen, die ein Zeichen für Unklarheiten, Angst oder Ratlosigkeit sein können, gehört dazu, ebenso wie ein zurückhaltender Umgang mit der eigenen Mei-

5.6 Empathietraining

107

nung. Zuhören heißt nicht gutheißen, bei Unklarheiten sollte nachgefragt werden. Auch das Halten des Blickkontakts und kurze bestätigende Äußerungen gehören dazu. Die Methode des Spiegelns kennzeichnet sich durch die wörtliche Wiederholung des Gehörten, der Wiederformulierung des Gehörten und Verstandenen mit eigenen Worten (paraphrasieren) und dadurch, die emotionalen Erlebnisinhalte des Patienten in Worte zu fassen (verbalisieren) (u.a. Geisler, 2008). Auch werden den Studierenden die Ziele des Erstkontakts vermittelt. Dazu gehören nach Faller und Lang (2010) folgende Aspekte: •

• •



Aufbau einer therapeutischen Beziehung: Der Patient fühlt sich verstanden und angenommen. Er erlebt den Arzt als kompetent. Beide arbeiten auf das gleiche Ziel hin. Definition des Problems: Warum kommt der Patient? Ziele und Wünsche des Patienten werden geklärt. Entscheidungsfindung: Was soll getan werden? Diagnostische Strategien und Behandlungsmöglichkeiten werden besprochen und eingeleitet. Die Compliance wird sichergestellt. Beratung über Diagnose, Prognose und Behandlung: Der Patient erhält Information über die Krankheit, ihren voraussichtlichen Verlauf und den Behandlungserfolg. (177)

Anamneseerhebung Der zweite große Themenbereich neben der ärztlichen Gesprächsführung ist die Anamneseerhebung, die an dieser Stelle allerdings etwas kürzer dargestellt wird, da sich die fokussierten Empathie-Aspekte stärker im Arzt-Patienten-Kontakt widerspiegeln und auch die Art und Weise der Anamneseerhebung auf der Gestaltung des Arzt-Patienten-Kontakts basiert. Die Anamneseerhebung unterteilt sich in die biomedizinische und psychosoziale Krankheitsanamnese. Generell folgt die Anamnese den Grundprinzipien, dass zuerst mit den aktuellen Beschwerden begonnen wird (Was führt Sie zu mir?) und der Patient diese zunächst schildert und nur bei Verständnisfragen

108

5 Ärztliche Kompetenz

unterbrochen wird. Die biomedizinische Krankheitsanamnese umfasst die aktuelle Anamnese, die systematische krankheitsbezogene Vorgeschichte und die erweiterte Krankheitsanamnese. Zur psychosozialen Anamnese gehören die biographische, die allgemeine soziale Anamnese, die auch die Arbeits- und Berufsanamnese umfasst, und die aktuelle soziale Anamnese. Eine genauere Darstellung der beinhaltenden Aspekte findet sich im Anhang A II (Extras Online). Auch der Reflexion des eigenen Befindens kommt bei der Anamneseerhebung eine bedeutende Rolle zu, um beispielsweise dem häufigen Problem der emotionalen Überflutung zu begegnen. So erleichtert die Wahrnehmung des eigenen Befindens und der Emotionen bzw. der Gegenübertragung den Umgang. Auch die eigenen Grenzen zu respektieren und ggf. einen anderen Zeitpunkt oder einen anderen Gesprächspartner anzubieten, spielen eine relevante Rolle. Unterstützungsangebote für Ärzte wie Supervisions- oder Balintgruppen 12 sollten bekannt sein und bei Bedarf auch genutzt werden.

5.6.2

Ablauf des Kommunikationstrainings

Am Ende des Seminars wird den Studierenden der Ablauf des Kommunikationstrainings dargestellt, in dem sie die Gelegenheit haben das theoretische Wissen praktisch anzuwenden. Ziel des Trainings ist, dass die Studierenden in einem geschützten Rahmen durch Konsultationsgespräche mit SPs sowohl ihr Wissen als auch ihre Kommunikationskompetenz erproben und überprüfen können. Dabei rotieren die Studierenden innerhalb des Trainings als Gruppen von drei bis fünf Studierenden durch fünf unterschiedliche Stationen, welche unterschiedliche Krankheitsbilder repräsentieren. So findet sich an der ersten Station ein kinderund jugendpsychiatrischer Fall einer schizophrenen Erkrankung eines Kindes, welches nicht in Kontakt mit der Umwelt tritt, weshalb der begleitende Elternteil versucht dies zu übernehmen. Inhalt der Station zwei aus dem Bereich der Medi-

12

Balintgruppen stellen eine Form von Gruppensupervision dar, in der Angehörige einer Profession, in diesem Fall Ärzte, die beruflich und privat unabhängig voneinander sind, sich mit psychotherapeutischer Anleitung und Hilfe „mit der Analyse von Professional-Klient-Interaktionen befassen“ (Rappe-Giesecke 1994, 76).

5.6 Empathietraining

109

zinischen Soziologie sind Rückenschmerzen, hinter denen ein verdecktes Rentenbegehren liegt. In der dritten Station findet sich mit einer Zwangsstörung eine psychiatrische Erkrankung, bei der allgemeinmedizinischen Station vier geht es um die Mitteilung der Demenzerkrankung Morbus Alzheimer und bei der psychosomatischen Station fünf um eine durch den Tod eines nahen Angehörigen ausgelöste Depression. Die SPs werden innerhalb des Simulationspatientenprogramms des Instituts für Allgemeinmedizin umfangreich in ihren Rollen geschult. Innerhalb der Gruppe legen die Studierenden vor Beginn einer Konsultation fest, wer von ihnen das Gespräch führt. Die SPs stehen als Gesprächspartner zur Verfügung und geben, wie auch der Rest der Gruppe und die Dozierenden, die jeweils an der Station sitzen, am Ende des Konsultationsgesprächs ein strukturiertes Feedback zur verbalen und non-verbalen Kommunikation des Studierenden und zu den medizinischen Inhalten. Dieses strukturierte Feedback gibt den Studierenden die Möglichkeit, ihre Fertigkeiten zu modifizieren und weiter zu entwickeln. Da das praktische Training realitätsnah als Arztkonsultation konzipiert ist, innerhalb derer die Studierenden der Herausforderung gegenüber stehen psychosozial belastete Patientengespräche zu führen und dabei die theoretisch vermittelten Inhalte praktisch anzuwenden, kann das Training als konstruktivistisches Lernarrangement gesehen werden. Da die Studierenden die Konsultationsanlässe der SPs vorher nicht kennen, stehen sie der Herausforderung gegenüber mit dieser Unsicherheit umzugehen und sie zu bewältigen, was wiederum die Kriterien des Kompetenzbegriffs ausmacht, so dass das Kommunikationstraining als Kompetenztraining charakterisiert werden kann, innerhalb dessen auch Empathie als Teil der Kommunikation trainiert wird. Auch insgesamt zeigt sich, dass der Themenblock 5 – Psychosoziale Medizin innerhalb dessen das Kommunikationstraining stattfindet mit Vorlesungen, Seminaren, UaK, etc. die verschiedenen theoretischen LehrLern-Ansätze durch entsprechend unterschiedliche Gestaltungsformen der Lernarrangements repräsentiert.

110 5.7

5 Ärztliche Kompetenz Zusammenfassung Ärztliche Kompetenz

Es zeigt sich, dass, wie in der Diskussion um das generelle Kompetenzkonstrukt auch, über den Begriff und das Konstrukt der ärztlichen Kompetenz keine klare Einigkeit besteht, sondern unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Ärztliche Kompetenz geht dabei einher mit Professionalität und damit verbundenem professionellen ärztlichen Verhalten, wobei versucht wird das ärztliche Handeln durch das ärztliche Gelöbnis bei Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand auf eine rationale und entsprechend ethische Grundlage zu stellen. Weiterhin spielen gesetzliche Vorgaben und Rahmenbedingungen sowie inter- und intrapersonale Aspekte beim Verständnis von ärztlicher Kompetenz eine bedeutsame Rolle. Einen wesentlichen Einfluss hat dabei die ÄApprO, die den gesetzlichen Rahmen und die damit verbundene Aufteilung in die drei Studienabschnitte vorklinischer (theoretischer) Abschnitt, klinischer Teil und Praktisches Jahr und den damit verbundenen hierarchischen Kompetenzaufbau vorgibt, der in der Umsetzung an den Universitäten erfolgt. Zur Verständigung ärztlicher Kompetenz im Sinne dessen, was ein Medizinstudierender am Ende seines Studiums können sollte, wurde ausgehend von einem kanadischen Rollenmodell, welches für die ärztliche Weiterbildung erarbeitet wurde, der NKLM entwickelt. Dieser definiert sieben ärztliche Rollen, wobei die Rolle des Medizinischen Experten im Zentrum steht. Er ist ebenfalls mit drei aufeinander aufbauenden Kompetenzebenen hierarchisch aufgebaut. Ziel des Katalogs ist es, das Faktenwissen um für den Berufsalltag wichtige Fähig- und Fertigkeiten zu ergänzen, wozu auch sozial-kommunikative Elemente gehören. Der NKLM definiert Kompetenzen aufbauend auf Weinerts Definition (Weinert, 2002) dabei als „verfügbare kognitive und praktische Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Problemlösung sowie die damit verbundenen Einstellungen, diese erfolgreich einzusetzen“ (MFT, 2015, 13). Neben diesen Aspekten nimmt die Arzt-Patienten-Beziehung eine besondere Rolle im Diskurs der ärztlichen Kompetenz ein, da der Behandlungserfolg wesentlich davon bestimmt ist, wie die Beziehung gestaltet ist und ob sie gelingt. Dem früher vorherrschenden paternalistischen Beziehungsmodell stehen heute Modelle gegenüber, die die Patientenautonomie und den Bezie-

5.7 Zusammenfassung Ärztliche Kompetenz

111

hungsaspekt mehr in den Vordergrund stellen. Leitgedanken der Care- und Prinzipienethik sind Wahrhaftigkeit und Transparenz. Vor dem Hintergrund des Aufbaus einer gelingenden Arzt-Patienten-Beziehung nimmt die ärztliche Empathie eine bedeutsame Stellung ein. So geht sie einher mit positiven Aspekten des Patienten-Outcomes und einer höheren professionellen Arztzufriedenheit bei entsprechend balancierter Ausprägung. Auch zum Empathiebegriff findet sich allerdings keine einheitlich anerkannte Definition. Überwiegend wird in kognitive und affektive Sichtweisen von Empathie unterschieden. In der Medizin wird häufig ein multidimensionales Empathiekonstrukt mit den vier Komponenten emotional, moralisch, kognitiv und verhaltensbezogen zugrunde gelegt, wobei im Verständnis der klinischen Empathie den kognitiven und verhaltensbezogenen Komponenten besondere Bedeutung zukommen. Zum Tragen kommt die ärztliche Empathie als Teil der verbalen und non-verbalen Kommunikation im Arzt-Patienten-Kontakt und der Gestaltung der Arzt-Patienten-Beziehung. Dabei steht Empathie auch im Zusammenhang mit Persönlichkeit. So zeigen sich Zusammenhänge zwischen bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und empathischer Ausprägung, sowie zwischen persönlichem Stress und Empathie. Auch zeigen sich geschlechtsabhängige Ausprägungen. In Bezug auf Veränderungen der Empathieausprägungen im Verlauf des Medizinstudiums sind die Ergebnisse inkonsistent. So finden sich sowohl Studien, die von einer Abnahme berichten als auch solche, die von gleich bleibenden oder zunehmenden Empathieausprägungen berichten. Untersuchungen von Empathie-Trainings und Schulungen berichten von positiven Veränderungen. So können auch Konsultationen mit SPs die Empathie verbessern, da diese ebenfalls wie OSCE-Prüfungen eine gute Möglichkeit bieten, Praxisbezug herzustellen. Die Meinung inwiefern SPs geeignete Empathie-Rater sein können ist derweil unterschiedlich. Trainiert wird die ärztliche Empathie als bedeutender Kompetenzteil der Gesprächsgestaltung im Rahmen des Regelstudiengangs Medizin der Universität Hamburg innerhalb eines praktischen Kommunikationstrainings mit SPs. Dem Training voraus geht eine theoretische Einführung in der den Studierenden theoretische Grundlagen des Arzt-Patienten-Kontakts und der Anamneseerhebung vermittelt werden. Im Fokus des Arzt-Patienten-Kontakts stehen dabei kommunikationstheoretische Ansätze Watzlawicks et al. (2011) und Schulz von Thuns

112

5 Ärztliche Kompetenz

(2015), während bei der Anamneseerhebung insbesondere auf die Differenzierung zwischen biomedizinischer und psychosozialer Krankheitsanamnese sowie der Reflektion und Akzeptanz des eigenen Befindens und der eigenen Grenzen Bezug genommen wird.

6

Forschungsfragen und Hypothesen

Auf Basis der dargestellten theoretischen Ansätze soll in dieser Arbeit übergeordnet dem Verlauf der Empathieausprägung des Studiums mit der Frage nachgegangen werden, ob sich Medizinstudierende im mittleren Studienabschnitt im Vergleich zu PJ-Studierenden am Ende des Studiums hinsichtlich ihrer Empathie unterscheiden und ob es Zusammenhänge der Empathie zu anderen Kompetenzfacetten gibt, die innerhalb eines simulierten Arbeitsalltags bewertet wurden. Dazu werden zwei Untersuchungsgruppen, einmal eine Gruppe Studierender im mittleren Studienabschnitt zwischen dem siebten und zehnten Semester und eine Gruppe PJ-Studierender am Ende ihres Studiums herangezogen. In den Untersuchungsgruppen wird dabei folgenden Unterfragen nachgegangen: Studierende im mittleren Studienabschnitt • Wie schätzen die Studierenden ihre Persönlichkeitsmerkmale selbst ein im Vergleich zur bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe? • Zeigen sich Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Selbsteinschätzung von Persönlichkeitsmerkmalen und selbstbeurteilter Empathie? • Gibt es Unterschiede in der Empathiebewertung durch die SPs verglichen mit einer Bewertung durch Fremdbeurteiler und lassen sich unterschiedliche Beurteilungen hinsichtlich des Geschlechts finden? • Zeigen sich Zusammenhänge zwischen selbst- und fremdbeurteilter Empathie sowie zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und selbst- und fremdeingeschätzter Empathie? PJ-Studierende • Wie schätzen die PJ-Studierenden ihre Persönlichkeitsmerkmale selbst ein im Vergleich zur bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe? • Zeigen sich Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Selbsteinschätzungen von Persönlichkeitsmerkmalen und Empathie?

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Vogel, Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26380-5_6

114 •





6 Forschungsfragen und Hypothesen Gibt es Unterschiede in der Empathiebewertung durch die SPs verglichen mit einer Bewertung durch Fremdbeurteiler und lassen sich unterschiedliche Beurteilungen hinsichtlich des Geschlechts finden? Zeigen sich Zusammenhänge zwischen selbst- und fremdbeurteilter Empathie sowie zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und selbst- und fremdeingeschätzter Empathie? Zeigen sich innerhalb des entwickelten ärztlichen Kompetenzerfassungsformats Zusammenhänge zwischen dem Wissensstand, weiteren Kompetenzfacetten und Eignungsbewertungen sowie Empathie und Persönlichkeitsmerkmalen?

Den Fragestellungen entsprechend werden folgende Hypothesen aufgestellt und geprüft: •









In beiden Gruppen unterscheiden sich die Selbsteinschätzungen der Persönlichkeitsmerkmale im Vergleich zur bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe, wobei sich die Studierenden insbesondere in den Merkmalen Extraversion und Verträglichkeit höher einschätzen. Frauen schätzen sich in den Selbstbeurteilungen der Persönlichkeitsmerkmale und der generellen Empathie in beiden Untersuchungsgruppen höher ein als Männer. In beiden Untersuchungsgruppen zeigen sich Unterschiede zwischen der Empathie-Bewertung der SPs und der externen Bewerter und die Frauen werden empathischer bewertet. Die Beurteilungen der selbst- und fremdeingeschätzten Empathie stehen in beiden Untersuchungsgruppen in einem positiven Zusammenhang untereinander ebenso wie zu den Persönlichkeitsmerkmalen Extraversion, Offenheit und Verträglichkeit. Aufgrund der unterschiedlichen zugrunde liegenden Konstrukte besteht kein Zusammenhang zwischen dem zu erfassenden Wissensstand und der selbst- und fremdbeurteilten Empathie.

6 Forschungsfragen und Hypothesen •



115

Es zeigen sich positive Zusammenhänge zwischen den Kompetenzfacetten und den Eignungsbewertungen sowie zwischen Empathie- und Persönlichkeitsskalen, insbesondere zwischen positiven Kompetenzbeurteilungen und hoher Ausprägung des Merkmals Gewissenhaftigkeit. Die Studierendengruppen unterscheiden sich hinsichtlich der fremdeingeschätzten Empathie, wobei die Richtung aufgrund der inkonsistenten Studienergebnisse der Literatur nicht festgelegt wird.

Durch die Untersuchung sollen Aussagen zur Stabilität der Empathieausprägung im Verlauf des Medizinstudiums und zur Ausprägung von Empathie im Verhältnis zu weiteren wesentlichen Kompetenzfacetten und Kenntnissen von angehenden Medizinern getroffen werden. Aus diesen sollen Empfehlungen für die weitere curriculare Entwicklung und Gestaltung des Medizinstudiums abgeleitet werden, um eine Nachhaltigkeit von empathischer Kommunikation zu gewährleisten. Insbesondere der zweite Bereich des Studiendesigns – die Untersuchung der PJ-Studierendengruppe – ermöglicht darüber hinaus einen weitreichenden und aus verschiedenen Positionen schauenden Blick auf medizinische Kompetenzen angehender Ärzte am Ende ihres Studiums, wie er bisher im deutschen Sprachraum nicht bekannt ist. Damit sollen Aussagen zur Ausprägung der ärztlichen Kompetenzen der Studierenden am Ende ihres Medizinstudiums gemacht, der Stellenwert einzelner Kompetenzen im Gesamtbild überprüft und Bezüge zu medizinischem Wissen und Persönlichkeitsmerkmalen hergestellt werden.

7

Design und Methodik

Da diese Arbeit durch den Vergleich von zwei Untersuchungsgruppen Aussagen über bereits bestehende Strukturen überprüfen und daraus Curriculumsempfehlungen ableiten will, wurden quantitative Forschungsmethoden gewählt. Diese haben zwar den Nachteil, dass individuelle Besonderheiten vernachlässigt werden, die sicherlich auch weitere spannende Aspekte enthalten, sind aber bei Gruppenvergleichen aus der Außenperspektive und der Erhebung von vielfältigen Aspekten aus unterschiedlichen Perspektiven, wie es bei dieser Arbeit der Fall ist, die Methode der ersten Wahl. Entsprechend der Empfehlungen eines multimodalen Methodeneinsatzes kamen bei der vorliegenden Kompetenzerfassung die unterschiedlichen Beurteilungsarten Selbst- und Fremdbeurteilungen anhand von Befragungen, sowie ein Wissenstest und die Beobachtung innerhalb eines simulierten Arbeitstages zum Einsatz. Gemäß des dargestellten Kompetenzverständnisses wurden dabei auch Persönlichkeitsmerkmale erfasst und in Bezug gesetzt. Die Operationalisierung von Empathie und Kompetenz erfolgte dabei zum einen durch die Auswahl der eingesetzten Instrumente und zum anderen durch die Entwicklung der Kompetenzprüfung als Erfassungsformat bei den PJ-Studierenden, der eine Befragung in Bezug auf Leistungen von Medizinabsolventen und ein Delphi-Verfahren bezüglich besonders relevanter ärztlicher Kompetenzfacetten vorausging.

7.1

Design der Studie

Das Design der Untersuchung gliederte sich in zwei Bereiche: 1. Bereich:

Untersuchung zu Persönlichkeitsmerkmalen und Empathieaspekten von Studierenden im mittleren Abschnitt ihres Medizinstudiums

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Vogel, Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26380-5_7

118 2. Bereich:

7 Design und Methodik Untersuchung von medizinischem Wissen, Persönlichkeitsmerkmalen und Empathie sowie weiteren Kompetenzfacetten von Studierenden am Ende ihres Medizinstudiums innerhalb einer ärztlichen Kompetenzerfassungsprüfung anhand eines simulierten Arbeitsalltags

1. Bereich: Medizinstudierende nehmen in Hamburg verpflichtend zwischen dem siebten und zehnten Semester am dargestellten Kommunikationstraining, das auch empathische Aspekte umfasst, teil. Im weiteren Verlauf des Studiums wird jedoch die empathische Kommunikation nicht weiter reflektiert, supervidiert oder geprüft. Im ersten Bereich wurde daher die Empathieausprägung von Medizinstudierenden im Rahmen des Kommunikationskurses untersucht. Eine Gruppe von 33 Studierenden diente hierbei als Untersuchungsgruppe. Vor Beginn der praktischen Übung füllten die Studierenden einen Persönlichkeitstest und einen Selbsteinschätzungsbogen hinsichtlich ihrer generellen Empathie aus. Als Instrumente wurden dafür das Neo-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI) (Borkenau & Ostendorf, 2008) zur Erfassung der Persönlichkeit und der Interpersonal Reactivity Index (IRI) (Davis, 1980, 1983) als Selbsteinschätzungsbogen der generellen Empathie eingesetzt. Darüber hinaus wurden die Studierenden innerhalb des Kommunikationstrainings mit Hilfe des Consultation and Relational Empathy (CARE)-Bogens (Neumann et al., 2008) von den SPs an zwei Stationen hinsichtlich ihrer Empathieausprägung bewertet. Daneben bewerteten auch geschulte externe Beobachter mit und ohne medizinischen Hintergrund mit dem CARE-Bogen die Empathie der Studierenden in den Gesprächen. 2. Bereich: In diesem Bereich wurden Daten zu Kompetenzfacetten, medizinischem Wissen und Persönlichkeitsmerkmalen von Hamburger Medizinstudierenden am Ende ihres Studiums (nach dem PJ) analysiert. Diese Daten wurden mit einer neu konzipierten Prüfung, die einen ersten Arbeitstag eines Arztes mit SPs, Pflegepersonal und Oberärzten simuliert, im Rahmen eines Kooperationsprojektes zwischen dem UKE und der Universität Utrecht erhoben. 30 Studierende aus Hamburg nahmen teil. Die Ausprägung der Empathie wurde in diesem

7.1 Design der Studie

119

Format als eine Kompetenzfacette neben einer Vielzahl von weiteren Kompetenzfacetten erfasst und von den SPs ebenfalls mit dem CARE-Bogen bewertet. Dafür wurden fünf SP-Fälle konzipiert, wobei ein Fall ein Krankheitsbild mit Sprech- und Schluckbeschwerden beinhaltete und bei diesem auch die Begleitperson einen CARE-Bogen ausfüllte, so dass für diese Gruppe insgesamt 180 Bewertungen vorliegen. Die Konsultationssituationen wurden auf Video aufgezeichnet was externen geschulten Beobachtern ermöglichte, diese auch mithilfe des CARE-Bogens zu beurteilen. Bei der Videobeobachtung handelte es sich um eine nicht-teilnehmende offene Beobachtung mit technischem Hilfsmittel, bei der die Videokamera, für alle Beteiligten sichtbar, eingeschaltet war, sich sonst aber kein weiterer Beobachtender im Konsultationszimmer befand. Die Oberärzte bewerteten die verschiedenen Kompetenzfacetten anhand von entwickelten Beurteilungsformularen und sogenannten Entrustable Professional Activities (EPAs) (Ten Cate, 2005, 2013; Berberat, Harendza, & Kadmon, 2013), die bei den Hypothesen als Eignungsbewertungen bezeichnet wurden. Vor der Durchführung des Verfahrens gaben die Studierenden ebenfalls unter Verwendung des NEO-FFI und des IRI Einschätzungen zu ihrer Persönlichkeit und ihrer generellen Empathie ab. Auch absolvierten die 30 Teilnehmenden einen neu zusammengestellten Multiple-Choice-Wissenstest mit 100 Fragen vom Schwierigkeitsgrad eines medizinischen Staatsexamens. Die folgende Abbildung 15 stellt das Design der Studie schematisch dar.

Empathiebewertung durch zwei externe Rater anhand Videoaufzeichnung

Abbildung 15: Studiendesign (eigene Darstellung)

CARE (Extern):

Empathiebewertung durch jeweils einen externen Rater an einer der beiden Stationen

FOC: Kompetenzbewertungen der Pflege auf Basis von Telefonkontakten und Störungen

Fremdeinsc hätzung

3. Phase: Oberarztreport

Kompetenz- und Eignungsbewertungen der Oberärzte auf Basis von Telefonkontakten und des Reports

FOC und EPA:

2. Tag: Simulationsprüfung

2. Phase: Bearbeitungs/Selbststudienzeit mit standardisierten Störungen

Instrumente

Empathiebewertung durch alle SPs

CARE (SP):

1. Phase: 5 standardisierte Patientenfälle

CARE (Extern):

NEO-FFI: Persönlichkeit

Empathiebewertung durch SPs an zwei Stationen

NEO-FFI: Persönlichkeit

Selbsteinschätzung IRI: Empathie

CARE (SP):

Fremdeinsc hätzung

MC-Test (100 Fragen )

IRI: Empathie

Selbsteinschätzung

Instrumente

Praktische Phase: 5 standardisierte Patientenfälle

1. Tag: Fragebogenerhebung

Juli 2011 UHTRUST Kompetenzprüfung

(≈ 10. Semester zum Erhebungszeitpunkt)

Oktober 2014 Theoretische Einführung & praktisches Kommunikationstraining

Gruppe 2: PJ-Studis (≈ Ende des 12. Semesters zum Erhebungszeitpunkt)

Gruppe 1: Studierende im mittleren Studienabschnitt

120 7 Design und Methodik

7.2 Analysemethoden 7.2

121

Analysemethoden

Die Daten wurden mit dem Computerprogramm SPSS für Windows Version 22 und 23 ausgewertet. Die Irrtumswahrscheinlichkeit wurde in der Regel, falls nichts Anderweitiges angegeben ist, auf 5% festgelegt und die Signifikanzprüfungen erfolgten zweiseitig. Reliabilitätsprüfungen Reliabilitätsprüfungen der Instrumente erfolgten anhand der Ermittlung der internen Konsistenz durch Cronbachs Alpha und bei zu überprüfenden BeurteilerÜbereinstimmungen anhand der Intraklassenkorrelation (ICC), wobei bei dieser gegen einen Testwert von 0 auf Signifikanz getestet wurde. Brosius (2008) gibt an, dass häufig ein Cronbachs Alpha-Wert von mindestens 0,8 gefordert wird, damit eine Skala als ausreichend zuverlässig gilt, in einigen Fällen allerdings auch ein Wert von 0,7 akzeptiert wird. Für die ICC geben Wirtz und Caspar (2002) als vagen Richtwert ebenfalls 0,7 an als Zeichen für eine gute Interrater-Reliabilität. Die Entscheidung für die auf der Varianzanalyse basierenden ICC als Übereinstimmungsmaß wurde vor dem Hintergrund der Intervallskalierung der CARE-Skala und auch der weiteren von mehreren Ratern genutzten Skalen und nach umfangreicher Überlegung und Abwägung der Vor- und Nachteile getroffen. Insbesondere bei den SPs der Studierenden im mittleren Studienabschnitt zeigte sich, dass sie die CARE-Skala nicht voll ausgeschöpft haben und Deckeneffekte vorliegen. Bei den externen Ratern sowohl im mittleren Abschnitt, als auch bei den PJ-Studierenden sowie bei den SPs der PJ-Studierenden wurde die Skala allerdings auch im unteren Teil stärker ausgeschöpft, so dass davon auszugehen ist, dass die besonders milde Beurteilung der SPs bei den Studierenden im mittleren Abschnitt darauf zurückzuführen ist, dass die SPs während ihres Trainings instruiert wurden, den Studierenden ein nicht zu strenges Feedback zu geben, um einer Demotivation vorzubeugen. Da der Einsatz der SPs bei den PJ-Studierenden nicht im direkten Zusammenhang zum Kommunikationstraining stand, war der Aspekt der möglichst milden Bewertung bei den SPs der PJ-Studierenden eventuell nicht so sehr im Vordergrund, so

122

7 Design und Methodik

dass diese die Ausprägungen der CARE-Skala besser ausgeschöpft haben. Grundsätzlich ist die Vorgabe an die SPs einer möglichst nicht zu strengen Beurteilung der Studierenden ein kritischer Punkt, den es im weiteren Verlauf noch zu diskutieren gilt und der bei den Ergebnissen zu beachten ist. Vor dem Hintergrund, dass nach Bortz und Döring (2006) die Varianzanalyse robust gegen Verletzungen der Normalverteilung ist, die Skala unterschiedlich ausgeschöpft wurde, praktisch die Äquidistanz der Stufen einer Likert-Skala immer unterstellt wird, um die Anwendung parametrischer Verfahren zu rechtfertigen, auch wenn es sich grundsätzlich um ordinale Skalierungen handelt (Mittag, 2012) und in dieser Arbeit überwiegend parametrische Auswertungsmethoden verwendet werden, ist die Entscheidung für die ICC als parametrisches und gegen non-parametrische Übereinstimmungsverfahren gefallen. Damit folgt die Arbeit den Hinweisen von Wirtz und Caspar (2002) als verwendete Maße zur Reliabilitätsbestimmung dasselbe Skalenniveu zu nutzen, das für die weiteren Auswertungen benutzt wird. Bezogen auf häufig kritische Einwände Empathie könne nicht erlernt werden, wenn sie nicht innerhalb der sensiblen Kindheitsphasen durch Erziehungsprozesse und den damit verbundenen Eltern-Kind-Interaktionen ausgebildet wurde, können mögliche Übereinstimmungen unterschiedlicher Rater auf Itemebene dazu beitragen einen differenzierteren Einblick in die Wahrnehmung von Empathie zu bekommen. Sollten sich bei einigen Items signifikante Zusammenhänge zeigen und bei anderen nicht, können dies Hinweise sein, auf die Aspekte der Empathie die unabhängig von Personen und Rollen ähnlich wahrgenommen werden und somit ggf. in einem Training fokussiert werden sollten. Nach der Überprüfung der internen Konsistenz der Instrumente, deren Werte bei den jeweiligen Instrumentenbeschreibungen angegeben sind, wurde zunächst eine deskriptive Datenanalyse durchgeführt, um Häufigkeiten, Mittelwerte und Standardabweichungen zu ermitteln. Für weitere Analysen wurden den Voraussetzungen entsprechende Verfahren gewählt.

7.2 Analysemethoden

123

Voraussetzungsüberprüfung Die in dieser Studie eingesetzten statistischen Verfahren zur Hypothesenüberprüfung setzen intervallskalierte Variablen voraus. Abgesehen von den soziodemographischen Daten erfassten alle eingesetzten Instrumente die Merkmale auf einer Likert-Skala. Als weitere Voraussetzung für parametrische Testverfahren gilt die Normalverteilung der Daten. Da „das zentrale Grenzwerttheorem (zentraler Grenzwertsatz: central limit theorem) besagt, dass die Verteilung von Mittelwerten aus Stichproben des Umfanges n, die einer beliebig verteilten Grundgesamtheit entnommen werden, einer Normalverteilung entspricht – vorausgesetzt, n ist genügend groß (mindestens n≥30)“ (Döring & Bortz, 2016, 641), und diese Voraussetzung mit n = 33 Studierende im mittleren Studienabschnitt und n = 30 bei den PJ-Studierenden hier vorlag, und die parametrischen Testverfahren in der Regel robust gegen die Verletzung der Normalverteilung sind, wurde auf die umfangreiche Einzelprüfung der Variablen auf Normalverteilung verzichtet und von der Normalverteilungsannahme ausgegangen. Bei varianzanalytischen Verfahren wurde die Varianzhomogenität mit Levene-Tests überprüft. Sofern im Rahmen der Analysen kleinere Teilgruppen gebildet wurden, deren Umfang kleiner als 30 war, wurden diese mit nonparametrischen Tests analysiert, da diese keine spezielle Verteilung der Daten in der Population voraussetzen und besonders für kleine Stichproben geeignet sind. Überprüfung von Mittelwertsunterschieden bei unabhängigen Stichproben Unterschiede zweier unabhängiger Stichproben wurden bei Verletzung mehrerer Voraussetzungen und bei kleinen Stichprobengruppengrößen mit dem nonparametrischen Verfahren Mann-Whitney-U-Test untersucht, ansonsten wurde auf parametrische t-Tests zurück gegriffen. Beim Mann-Whitney-U-Test werden dabei neben den Mittelwerten und Standardabweichungen auch die Mediane berichtet, da der Mann-Whitney-U-Test auf dem Vergleich von Rängen basiert und der Median als Maß der zentralen Tendenz als Bezugsgröße besser geeignet ist. Für kategoriale Variablen wurde der non-parametrische Chi-Quadrat-Test genutzt. Lagen mehr als zwei unabhängige Stichproben vor, kam bei den parametrischen Tests eine Varianzanalyse zum Einsatz, musste auf ein non-parametri-

124

7 Design und Methodik

sches Verfahren zurückgegriffen werden, wurde der Kruskall-Wallis-H-Test eingesetzt. Da es nicht möglich ist, den Alpha-Fehler und Beta-Fehler gleichzeitig zu minimieren, da mit dem Sinken des Alpha-Fehlers in gleichem Umfang der BetaFehler steigt (Bortz & Döring, 2006), wurde auf eine auftretende Alpha-FehlerKumulierung mittels Bonferroni-Korrektur verzichtet. Unter der Annahme, dass neben der Gruppenzugehörigkeit (mittlerer Studienabschnitt vs. PJ-Studierende) die Empathieausprägung durch weitere Variablen beeinflusst wird, wurden für den Gruppenvergleich Kovarianzanalysen durchgeführt mittels derer die Einflussgrößen neutralisiert bzw. korrigiert werden und durch die Kovariaten der Fehleranteil verringert bzw. der erklärte Varianzanteil erhöht werden kann. Zusammenhangsverfahren Für Zusammenhangsanalysen wurden Korrelationskoeffizienten eingesetzt. Für intervallskalierte Variablen bei n≥30 wurde auf die Produkt-Moment-Korrelation nach Pearson zurückgegriffen. Effektgrößen Neben der statistischen Bedeutsamkeit wird durch die Angabe von Effektstärken auch die praktische Bedeutsamkeit berücksichtigt, welche die Relevanz eines Ergebnisses für die Praxis wiedergibt. Für varianzanalytische Verfahren gibt SPSS das partielle Eta-Quadrat (η² ) aus, das angibt, wie groß der Varianzanteil eines Merkmals ist, der durch die Gruppenzugehörigkeit erklärt werden kann. Nach Rost (2007) werden Werte von ,01 bis ,08 als kleine Effekte, Werte von ,09 bis ,24 als mittlere Effekte und Werte ab ,25 als große Effekte bezeichnet. Für Mittelwertsvergleiche von zwei unabhängigen Stichproben empfiehlt sich als Maß Cohens d, das den Unterschied zwischen zwei Gruppen in Einheiten der Standardabweichung ausdrückt. Nach Cohen (1988) gelten Werte von d = ,20 als klein, Werte von d = ,50 als mittlere und Werte von d = ,80 als große Effekte. Für nonparametrische Tests empfehlen Bühner und Ziegler (2009) als Effektstärke den Koeffizienten φ (Phi) bzw. ω (Omega), je nach z-oder χ²- Verteilung, wobei sie Werte bis ,10 als kleine, bis ,30 als moderate und bis ,50 als starke Effekte angeben. Sie verweisen allerdings auf die Schwierigkeit der Bestim-

7.2 Analysemethoden

125

mung der Effektstärke bei non-parametrischen Verfahren, da die Standardabweichung bei diesen inhaltlich nur eingeschränkt interpretierbar ist. Die Effektgröße bei Korrelationsanalysen wird bereits über den Korrelationskoeffizienten geliefert. Brosius (2008) gibt als Orientierungshilfen für den Korrelationskoeffizienten folgende Werte an: über ,20-,40 schwach, über ,40-,60 mittel, über ,60,80 stark, über ,80-unter 1 sehr stark.

7.3

Erhebungsmethoden und -instrumente

In den folgenden Abschnitten werden die im Design bereits angesprochenen eingesetzten Untersuchungsmethoden und –instrumente beschrieben und ihre Auswahl wird begründet. Am Anfang stehen die erhobenen soziodemographischen Daten, gefolgt von den Erhebungsinstrumenten, die in beiden Bereichen eingesetzt wurden. Zum Bericht der Messgenauigkeit werden dabei am Ende der Instrumentenbeschreibungen die entsprechenden Reliabilitätswerte der internen Konsistenz der jeweiligen Literaturquellen und der für die hier untersuchten Stichproben berechneten Cronbachs-Alpha-Werte wieder gegeben. Hinsichtlich der fremdeingeschätzten Empathie wird in diesem Zusammenhang auf die Interrater-Reliabilität und das entsprechende Verfahren zur Messung dieser eingegangen. Anschließend werden die Methoden sowie deren Entwicklung des zweiten Bereiches der PJ-Studierenden beschrieben und begründet. Darauf folgt die Beschreibung der Umsetzung des Forschungsdesigns. Alle Daten wurden anhand einer jeweils anonymisierten Codierung erfasst, im ersten Bereich durch die Angabe der letzten drei Buchstaben des Vornamens der Mutter und des Vaters, so konnten Zuordnungen zu weiteren studentischen Evaluationsbögen im Studiumsverlauf des UKE vermieden werden, im zweiten Bereich durch die ersten drei Buchstaben des jeweiligen Elternteils. Hinzu kam bei beiden die Angabe des Geburtstages (z.B. 05).

126 7.3.1

7 Design und Methodik Soziodemographische Daten

Folgende soziodemographische Daten wurden für beide Untersuchungsgruppen erhoben: • Alter • Geschlecht • Jahr des Studienbeginns • Fachsemesterzahl • Ausbildung vor Aufnahme des Studiums • Wenn ja, welche Tätigkeit • Zahl der Auslandssemester/-themenblöcke • Wenn ja, wo? • Muttersprache: deutsch oder Angabe einer anderen Muttersprache Bei den PJ-Studierenden kam noch die Angabe in Bezug auf die Reihenfolge ihrer PJ-Tertiale hinzu.

7.3.2

Instrumente zur Erfassung von Persönlichkeit und Empathie

Die Persönlichkeit wurde ausschließlich durch einen Selbstbeurteilungsbogen, die Empathie durch Selbst- und Fremdbeurteilungsbögen erhoben.

7.3.2.1 NEO-Fünf-Faktoren-Inventar – Persönlichkeitseinschätzung Das NEO-FFI stellt ein multidimensionales Persönlichkeitsinventar zur Erfassung indivdueller Persönlichkeitsmerkmale dar. Als faktorenanalytisch konstruiertes Fragebogenverfahren berücksichtigt es anhand von fünf Skalen mit jeweils 12 also insgesamt 60 Items individuelle Merkmalsausprägungen in den fünf Bereichen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrung, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Der NEO-FFI basiert auf einem psycholexikalischen Ansatz, der sich wiederum auf die Sedimentationshypothese bezieht. Diese beinhaltet,

7.3 Erhebungsmethoden und -instrumente

127

dass in Lexika geführte Begriffe, die sich dazu eignen Persönlichkeitseigenschaften zu beschreiben, die Gesamtheit aller bedeutenden Persönlichkeitseigenschaften abdecken (Borkenau & Ostendorf, 2008). Faktorenanalysen vielfältiger Eigenschaftsurteile auf Adjektiv-Skalen haben gezeigt, dass den Einschätzungen fünf robuste Dimensionen zugrunde liegen. Die fünf Faktoren haben sich dabei in einer Vielzahl faktorenanalytischer Untersuchungen unabhängig von den untersuchten Probandenstichproben als überwiegend replizierbar erwiesen (Borkenau & Ostendorf, 2008). Beim NEO-FFI handelt es sich um die Kurzform des mit 240 Items (48 pro Skala) deutlich längeren NEO-Persönlichkeitsinventars (Costa & McCrae, 2008). Im Vergleich zum NEO-PI-R ermöglicht der NEO-FFI mit 12 Items pro Persönlichkeitsmerkmal eine effiziente Erfassung der fünf Dimensionen. Weiterhin zeichnet er sich durch einen geringen Aufwand hinsichtlich der Durchführung - im Durchschnitt brauchen die Probanden ca. zehn Minuten - und Auswertung aus. Die Items sind als Aussagen formuliert, die fünfstufig nach dem Zustimmungsgrad (starke Ablehnung, Ablehnung, neutral, Zustimmung, starke Zustimmung) beurteilt werden. Dabei sind die Items zum Teil positiv und zum Teil negativ gepolt. Zwölf Items gehen jeweils in die entsprechende Skala ein und pro Skala wird ein Summenwert gebildet. Dieser wird durch die Anzahl beantworteter Items dividiert und dann mit 12 multipliziert. Das Ergebnis zeigt den Testwert des Probanden (Borkenau & Ostendorf, 2008). Wurden alle Items beantwortet, entspricht der Testwert dem Summenwert. Vorliegende Normstichproben ermöglichen einen Vergleich und die Einordnung der jeweiligen Testwerte. Die deutschen Autoren, die im Jahr 1986 mit der sinngemäßen Übersetzungsarbeit zunächst des englischen NEO-PI begannen, der dann rückübersetzt und vom Urheber Paul Costa auf Übereinstimmung mit dem Original geprüft wurde, geben an, dass der NEO-FFI bei Forschungsprojekten genutzt werden kann, die Interesse an einer groben, aber vollständigen Persönlichkeitserfassung haben. Dabei wurde das Instrument zur Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen klinisch unauffälliger Personen entwickelt. Die Merkmalsbereiche, die jeweils durch 12 Items repräsentiert werden, lassen sich wie folgt inklusive eines Beispielitems beschreiben (Borkenau & Ostendorf, 2008, 40 ff):

128

7 Design und Methodik Neurotizismus: Die Skala erfasst individuelle Unterschiede in der emotionalen Stabilität und der emotionalen Labilität von Personen. Der Kern dieser Dimension liegt in der Art und Weise, wie Emotionen, vor allem negative Emotionen, erlebt werden. Personen mit einer hohen Ausprägung geben häufiger an, sie seien leicht aus dem seelischen Gleichgewicht zu bringen, neigen dazu, nervös, ängstlich, traurig, unsicher und verlegen zu sein und sich Sorgen um ihre Gesundheit zu machen. Sie neigen zu unrealistischen Ideen und sind weniger in der Lage, ihre Bedürfnisse zu kontrollieren. Emotional stabile Menschen beschreiben sich selbst dagegen als ruhig, ausgeglichen, sorgenfrei, und sie geraten auch in Stresssituationen nicht schnell aus der Fassung. Beispielitem: Ich fühle mich oft angespannt und nervös. Extraversion: Personen mit hohen Ausprägungen in dieser Skala sind gesellig und beschreiben sich als selbstsicher, aktiv, gesprächig, energisch, heiter und optimistisch. Extravertierte mögen Menschen, fühlen sich in Gruppen und auf gesellschaftlichen Veranstaltungen besonders wohl, sie mögen Anregungen und Aufregungen. Personen mit geringeren Ausprägungen in dieser Skala sehen sich dagegen eher als zurückhaltend und kennzeichnen sich durch den Wunsch allein zu sein, wobei sie nicht unglücklich oder pessimistisch sind. Beispielitem:Ich bin leicht zum Lachen zu bringen. Offenheit für Erfahrungen: Die Skala erfasst das Interesse an und das Ausmaß der Beschäftigung mit neuen Erfahrungen, Erlebnissen und Eindrücken. Menschen mit hohen Punktwerten geben häufig an, dass sie ein reges Phantasieleben besitzen, ihre eigenen Gefühle, positive wie negative, akzentuiert wahrnehmen und an vielen persönlichen und öffentlichen Vorgängen interessiert sind. Sie beschreiben sich als wissbegierig, intellektuell, phantasievoll, experimentierfreudig und künstlerisch interessiert. Sie sind eher bereit, bestehende Normen kritisch zu hinterfragen und auf neue soziale, ethische und

7.3 Erhebungsmethoden und -instrumente politische Wertvorstellungen einzugehen. Sie sind unabhängig in ihrem Urteil, verhalten sich häufig unkonventionell, erproben neue Handlungsweisen und bevorzugen Abwechslung. Personen mit niedrigen Punktwerten dagegen neigen eher zu konventionellem Verhalten und zu konservativen Einstellungen. Sie ziehen Bekanntes und Bewährtes dem Neuen vor und ihre emotionalen Reaktionen sind eher gedämpft. Beispielitem: Mich begeistern die Motive, die ich in der Kunst und in der Natur finde. Verträglichkeit: Personen mit hohen Werten in der Skala Verträglichkeit sind altruistisch, mitfühlend, verständnisvoll und wohlwollend. Sie sind bemüht, anderen zu helfen und überzeugt, dass diese sich ebenso verhalten werden. Sie neigen zu zwischenmenschlichem Vertrauen, zu Kooperation, Nachgiebigkeit und sie haben ein starkes Harmoniebedürfnis. Menschen mit geringen Skalenausprägungen dagegen beschreiben sich als antagonistisch, egozentrisch und misstrauisch gegenüber den Absichten anderer Menschen. Sie verhalten sich eher kompetitiv als kooperativ. Beispielitem: Ich versuche zu jedem, dem ich begegne, freundlich zu sein. Gewissenhaftigkeit: Personen mit hohen Punktwerten in der Skala Gewissenhaftigkeit beschreiben sich als zielstrebig, ehrgeizig, fleißig, ausdauernd, systematisch, willensstark, diszipliniert, zuverlässig, pünktlich, ordentlich, genau und penibel. Der sozial erwünschte Aspekt dieser Dimension liegt in ihrer Beziehung zu akademischen und beruflichen Leistungen. Ihre neagtive Seite mag sich in einem übertriebenen hohen Anspruchsniveau, in zwanghafter Ordentlichkeit oder in Formen von Arbeitssucht äußern. Personen mit niedrigen Punktwerten beschreiben sich eher als nachlässig, gleichgültig und unbeständig. Sie verfolgen ihre Ziele also mit geringerem Engagement. Beispielitem: Ich halte meine Sachen ordentlich und sauber.

129

130

7 Design und Methodik

Der NEO-FFI zählt zu einem der am häufigsten beforschten Persönlichkeitsfragebögen als auf Beschreibungen der Persönlichkeit bezogenes Instrument. Die von den Autoren berichteten Gütekriterien und Normwerte beruhen auf einer nicht klinischen Stichprobe von 11.724 Probanden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die das NEO-PI-R bearbeiteten. Da dieses alle Items des NEO-FFI einschließt, konnten diese Daten auch für die Analysen des NEO-FFI genutzt werden. Aus dem Datensatz konnte eine bevölkerungsrepräsentative Quotenstichprobe (n = 871) gezogen werden und es sind nach Geschlecht und Alter differenzierte Normen vorhanden. Frauen zeigen in allen Skalen des NEO-FFI höhere Werte als Männer und neben Geschlechtsunterschieden liegen auch Altersunterschiede vor. Auch zeigen verschiedene Befunde, dass „Persönlichkeitsmerkmale in systematischen Beziehungen zum Verhalten und Erleben [stehen] und gravierende Konsequenzen z.B. für Berufserfolg, Lebenserwartung und Lebenszufriedenheit [haben]“ (Borkenau & Ostendorf, 2008, 27). Kritisch zu betrachten ist, dass der Mensch nicht auf diese fünf Merkmale reduziert werden darf und dass die Items in Bezug auf die soziale Erwünschtheit relativ leicht zu durchschauen sind und die Ergebnisse somit leicht gefälscht werden können. Da in der vorliegenden Untersuchung mit der Teilnahme allerdings keine studien- oder arbeitsrelevanten Aspekte verbunden waren, ist nicht davon auszugehen, dass die Teilnehmenden nicht wahrheitsgemäß geantwortet haben. So ist aufgrund des zur Arbeit passenden zugrunde liegenden Persönlichkeitsmodells, der guten Kennwerte, dem Vorliegen von Normwerten und dem effizienten Einsatz die Wahl auf dieses Instrument gefallen. Der gesamte Fragebogen kann aufgrund der Vertragslizenzen nicht komplett dargestellt werden. Gütekriterien In der folgenden Tabelle 3 finden sich die Reliabilitätsangaben der internen Konsistenzen der Autoren bezogen auf die Gesamtstichprobe und die berechneten internen Konsistenzen der hier untersuchten Gruppen. Hinsichtlich der RetestReliabilitäten (rtt) geben die Autoren bei einem Fünfjahresintervall (n = 1.730) Werte zwischen rtt = ,71 (Verträglichkeit) und rtt = ,82 (Extraversion) an. Die beim NEO-FFI 27 negativ gepolten Items werden unterschieden in positiv formulierte

7.3 Erhebungsmethoden und -instrumente

131

Aussagen, die den Gegenpol der Skala betreffen und in negative Aussagen unter der Verwendung von ‚nicht oder kein‘ (Hinz, Brähler, Geyer, & Körner, 2003). Diese wurden bereits bei der Dateneingabe der jeweiligen Richtung entsprechend eingegeben, so dass alle Items in die gleiche Richtung kodiert waren, was die Grundlage für alle Datenanalysen bildete. Die Tabelle 3 zeigt überwiegend vergleichbare Reliabilitätswerte der hier untersuchten Studierendengruppen mit der Gesamtstichprobe von Borkenau und Ostendorf (2008). Die besten Werte fanden sich über alle Gruppen hinweg hinsichtlich der Neurotizismus-Skala. Die Skala Extraversion zeigte bei den hier untersuchten Gruppen akzeptable Werte, wohingegen die Skala Verträglichkeit mit einem Wert von α = ,64 bei den PJ-Studierenden nur fragwürdig reliabel war. Besonders schwach war die Skala Offenheit bei den Studierenden im mittleren Studienabschnitt mit einem Wert von α = ,57. Tabelle 3: Interne Konsistenz der NEO-FFI-Skalen (Cronbachs Alpha)

Skalen

Gesamtstichprobe (Borkenau & Ostendorf 2008, 18)

Studierende im mittleren Studienabschnitt

PJ-Studierende

(n = 11.724)

(n = 33)

(n = 30)

Neurotizismus Extraversion Offenheit Verträglichkeit Gewissenhaftigkeit

,87 ,81 ,75 ,72 ,84

,87 ,71 ,57 ,75 ,85

,84 ,69 ,81 ,64 ,73

n = Anzahl der Versuchpersonen

Da zu den Skalen Normwerte vorliegen, mit denen die Testwerte verglichen werden konnten und die Skala bei den PJ-Studierenden eine gute interne Konsistenz zeigte, wurde auf eine Itemreduktion der Offenheits-Skala bei den Studierenden im mittleren Studienabschnitt verzichtet. Die schlechtere Reliabilität ist allerdings bei allen weiteren Analysen und deren Interpretationen, bei denen auch diese Skala einging, entsprechend zu berücksichtigen. Neben den Gesamtwerten finden sich in den folgenden Tabellen 4 und 5 die internen Konsistenzwerte nach

132

7 Design und Methodik

Geschlechtern getrennt mit den jeweiligen Vergleichswerten von Borkenau und Ostendorf (2008). Tabelle 4: Interne Konsistenz der NEO-FFI-Skalen - Männer (Cronbachs Alpha)

Skalen

Männer (Borkenau & Ostendorf, 2008, 18)

Männliche Studierende im mittleren Studienabschnitt

Männliche PJ-Studierende

n = 4.219

n = 17

n=8

Neurotizismus Extraversion Offenheit Verträglichkeit Gewissenhaftigkeit

,85 ,81 ,76 ,72 ,85

,77 ,62 ,68 ,79 ,86

,87 ,53 ,90 ,70 ,86

n = Anzahl der Versuchpersonen

Bis auf die Skala Extraversion bei den männlichen PJ-Studierenden zeigten die Skalen ausreichende interne Konsistenzen. Demgegenüber zeigte sich bei den weiblichen Studierenden im mittleren Studienabschnitt ein schlechter Wert der Offenheitsskala, die diese Skala wesentlich heterogener beantwortet haben als die anderen Skalen (Tabelle 5). Da beide schlechten Werte allerdings in jeweils nur einer der Gruppen vorkommen, wurde auf eine Itemreduktion verzichtet. Tabelle 5: Interne Konsistenz der NEO-FFI-Skalen - Frauen (Cronbachs Alpha)

Skalen

Frauen (Borkenau & Ostendorf, 2008, 18)

Weibliche Studierende im mittleren Studienabschnitt

Weibliche PJ-Studierende

n = 7.505

n = 16

n = 22

Neurotizismus Extraversion Offenheit Verträglichkeit Gewissenhaftigkeit n = Anzahl der Versuchpersonen

,87 ,81 ,75 ,72 ,84

,85 ,73 ,49 ,70 ,83

,82 ,71 ,78 ,64 ,66

7.3 Erhebungsmethoden und -instrumente

133

In Bezug auf die Validität des NEO-FFI zeigen laut Borkenau und Ostendorf (2008) sowohl Faktorenanalysen der Items des Instruments als auch gemeinsame Faktorenanalysen der NEO-FFI-Skalen mit anderen Persönlichkeitsinventaren wie z.B. das Freiburger-Persönlichkeitsinventar (Fahrenberg, Hampel, & Selg, 2010) und das Eysenck-Persönlichkeits-Inventar (Eysenck & Eggert, 1983) die Konstruktvalidität des Instruments, welche zusätzlich untermauert wird durch relevante Korrelationen zwischen den NEO-FFI-Skalen und Selbsteinschätzungen auf Adjektivskalen (r = ,54 bis r = ,80) und Korrelationen zwischen Selbst- und Bekannteneinschätzungen anhand des NEO-FFI ( r = ,49 bis r = ,61) (Borkenau & Ostendorf, 2008).

7.3.2.2 Interpersonal Reactivity Index – Selbsteinschätzung Empathie Zur Erfassung einer generellen Empathie, die in dieser Arbeit entsprechend der Kompetenzdimensionen (2.3.5) als Teil der personalen und sozial-kommunikativen Kompetenz verstanden wird, die mit Persönlichkeitsmerkmalen zusammen hängen kann, wurde als Messinstrument der IRI von Davis (1980, 1983) ausgewählt. Im klinischen Bereich wird auch häufig die JSPE (Hojat et al., 2002a,b) eingesetzt. Da die Items des letztgenannten Instruments erkennbar die ärztliche Empathie erfassen und die Studierenden damit unter Umständen in ihrem Verhalten während der Simulation beeinflusst gewesen wären, wurde das generelle Instrument verwendet. Ein weiterer Grund für die Entscheidung war, dass keine Untersuchungen zwischen dem IRI und NEO-FFI bekannt sind, so dass die vorliegenden das Forschungsfeld erweitern und verglichen werden kann, ob die Analysen zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie die zwischen NEO-FFI und der JSPE. Darüber hinaus zeigt sich der aus vier Skalen bestehende IRI differenzierter in der Erfassung als die einskalige JSPE. Dem IRI liegt ein multidimensionales Empathiekonstrukt mit affektiven und kognitiven Komponenten zugrunde, wobei die kognitive Auffassung stark durch Mead (1980) und Piaget (1974) geprägt ist. Für den Autor beinhaltet Em-

134

7 Design und Methodik

pathie als Konstrukt die kognitiven Komponenten Fantasie und Perspektivübernahme und die emotionalen Komponenten Empathische13 Anteilnahme und Empathischer Distress (Davis 1980). Aus ursprünglich 50 Items, zum Teil adaptiert aus anderen Messinstrumenten, wurden über mehrere Schritte hinweg 28 Items konstruiert, verteilt auf vier Skalen, jeweils sieben Items pro Skala, die auf einer 5-stufigen Likert-Skala beantwortet werden. Davis (1980) gibt dabei die Stufen 0 (does not describe me well) bis 4 (describes me very well) vor. Die Kodierungen 0-4 wurden in dieser Arbeit beibehalten, allerdings sprachlich wie folgt zugeordnet: 0 = trifft nie zu, 1 = trifft selten zu, 2 = trifft manchmal zu, 3 = trifft oft zu und 4 = trifft immer zu. Was genau inhaltlich nach Auffassung des Autors unter den Skalen verstanden wird, wird im Folgenden erläutert und anhand eines jeweiligen Beispielitems illustriert, wobei die Skalenbeschreibungen sinngemäß von Enzmann (1996, 332-333) aus dem Englischen übersetzt sind (Davis, 1980, 1983): Fantasie (FS): Diese Skala misst die Tendenz, sich gedanklich in die Gefühle und Handlungen fiktionaler Charaktere aus Büchern, Filmen und Spielen hineinzuversetzen. Beispielitem: Wenn ich einen Roman lese, fühle ich mit den beschriebenen Personen richtig mit. Perspektivübernahme (PU): Die Items dieser Skalen messen die Tendenz sich spontan gedanklich in eine andere Person hineinzuversetzen und die Situation aus der psychischen Sicht des Anderen zu betrachten. Beispielitem: Wenn ich mich über jemanden aufrege, versuche ich üblicherweise dennoch, mich eine Zeitlang in seine Lage zu versetzen.

13

Wenn sich die Ausführungen direkt auf die Skalen des Instruments beziehen werden diese im Verständnis von Eigennamen groß geschrieben.

7.3 Erhebungsmethoden und -instrumente

135

Empathische Anteilnahme (EA): Diese Skala fragt nach Gefühlen von Wärme, Mitgefühl und Fürsorge für andere sowie nach Sorge um unglückliche Menschen. Beispielitem: Gegenüber Menschen, die weniger Glück im Leben haben als ich, empfinde ich meist Mitgefühl und Betroffenheit. Empathischer Distress (ED): Diese Skala erfasst persönliche Gefühle von Angst und Beschwerden sowie den Umgang mit Unbehagen bei Spannungen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Beispielitem: Gespannte emotionale Situationen machen mir Angst. Die Mehrdimensionalität der Skalen spiegelt den doppelten Charakter von Empathie wider. Während empathische Anteilnahme und Perspektivübernahme „Fähigkeiten zu simultaner Identifikation und Verdinglichung (Selbstkonzept) sowie zu Dezentrierung“ (Enzmann, 1996, 79) voraussetzen, ist dies bei Gefühlsansteckung, die in Zusammenhang mit empathischen Distress und empathischer Anteilnahme steht, nicht der Fall. Gefühlsansteckung kann sowohl empathischer Anteilnahme vorausgehen, als auch als Quelle von empathischem Distreß [sic!] erscheinen, der sich von empathischer Anteilnahme vor allem dadurch unterscheidet, daß [sic!] bei ihm die eigene Befindlichkeit im Gegensatz zur Befindlichkeit des anderen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist (Enzmann, 1996, 80). Neben diesen Aspekten kann empathischer Distress auch dadurch hervorgerufen werden, dass das durch empathische Anteilnahme und Perspektivübernahme hervorgerufene Bedürfnis zu helfen aufgrund äußerer oder intrapersonaler Umstände nicht erfüllt werden kann. Dementsprechend nimmt die Gefühlsansteckung bei empathischer Anteilnahme und empathischem Distress scheinbar unterschiedliche Rollen ein. Bei empathischer Anteilnahme löst sie eine Reaktion der Orientierung aus ohne intensive Emotionen zu erzeugen, die die Aufmerksamkeit von der anderen Person nehmen. Bei empathischem Distress hingegen löst sie eine fehlende Emotionsregulation und eine Abgrenzung zwischen dem

136

7 Design und Methodik

Ich und der anderen Person aus und führt so dazu, dass die eigenen Emotionen ins Zentrum rücken. Mit dem Aspekt der Fantasie erfasst das Instrument die Fähigkeit des inneren Probehandelns und der Identifikation mit anderen Personen, anhand derer die eigenen Reaktionsweisen verglichen werden und so zum Aufbau des Selbstkonzepts beitragen. „Insbesondere kann empathische Fantasie auch der Entwicklung der Voraussetzungen für Perspektivübernahme und empathische Anteilnahme und damit empathischer Reaktionsbereitschaft allgemein dienlich sein“ (Enzmann, 1996, 80/81). In helfenden Berufen, zu denen auch der Arztberuf gehört, im Verständnis mit dem Leid anderer konfrontiert zu sein, sind diese vier Aspekte empathischer Reaktionen und besonders die Unterscheidung zwischen den kognitiven und emotionalen Aspekten wichtig, wobei die emotionalen Aspekte Empathische Anteilnahme und Empathischer Distress eine nochmals besondere Bedeutung haben. Insgesamt neun der 28 Items sind negativ gepolt, drei aus der Skala Empathische Anteilnahme und jeweils zwei aus den anderen Skalen. Diese wurden entsprechend umkodiert. Es ist nach Davis (1980) kein einheitliches zusammenfassendes Maß vorgesehen. Er begründet dies zum einen mit den unterschiedlichen Korrelationen der Skalen und zum anderen damit, dass ein Gesamtscore inhaltlich wenig aussagekräftig wäre, da die Informationen der Subskalen verloren gehen würden. Der komplette Fragebogen findet sich im Anhang A III (Extras Online). Gütekriterien Davis (1980, 1983) berichtet für alle vier Skalen nach Geschlechtern getrennte zufriedenstellende interne Konsistenzwerte zwischen α = ,71 bis α = ,77 und zwischen α = ,62 bis α = ,71 hinsichtlich der Retest-Reliabilität. Geschlechtsübergreifende Reliabilitätskoeffizienten gibt er nicht an, allerdings unterscheiden sich die Cronbachs Alpha Werte zwischen den Geschlechtern um maximal ,03 und sind damit ähnlich. Die ausschließlich geschlechtergetrennte Darstellung mag damit zusammenhängen, dass sein Ziel explizit darin bestand, ein geschlechtsunabhängiges Instrument zu entwickeln, und er dieses Ziel mit der getrennten Darstellung

7.3 Erhebungsmethoden und -instrumente

137

besser demonstrieren konnte. Enzmann (1996) gibt bei seinen Analysen der deutschen Übersetzung bei zwei Erhebungen an Fachkräften der Sozialen Arbeit geschlechtsunabhängige Werte zwischen α = ,68 bis α = ,77 an. Zum Vergleich werden tabellarisch Enzmanns Werte aus beiden Erhebungen den hier gefundenen Werten der beiden Untersuchungsgruppen gegenübergestellt (Tabelle 6). Im Anschluss wird die interne Konsistenz noch getrennt nach Geschlechtern berechnet und diese Werte den Originalwerten Davis (1980) gegenübergestellt. Bei der Skala Fantasie, Perspektivübernahme und Empathischer Distress zeigte sich jeweils ein fehlender Wert bei einem Studierenden. Da es sich jeweils nur um ein Item eines jeweils anderen Studierenden handelte wurde dieser durch den Mittelwert ersetzt. Tabelle 6: Interne Konsistenz der IRI-Skalen (Cronbachs Alpha)

Skalen

Fantasie (FS) Perspektivübernahme (PU) Empathische Anteilnahme (EA) Empathischer Distress (ED)

1. Erhebung Enzmann (1996)

2. Erhebung Enzmann (1996)

Studierende im mittleren Studienabschnitt

PJStudie rende

n = 645 ,77 ,68 ,73 ,73

n = 596 ,76 ,71 ,75 ,77

n = 33

n = 30 ,87 ,78 ,71 ,70

,78 ,69 ,86 ,75

n = Anzahl der Versuchpersonen

Die internen Konsistenzwerte der Untersuchungsgruppen sind mit denen von Enzmann (1996) vergleichbar und zum Teil sogar besser. Mit einem Wert von α = ,69 schnitt die Skala Perspektivübernahme bei den Studierenden im mittleren Studienabschnitt am schlechtesten ab. Bei seiner psychometrischen Analyse des übersetzten IRI berichtet Enzmann von Schwierigkeiten mit den Items FS01, PU01, PU04, EA02, ED03 und ED07, weshalb diese bei ihm für weitere Analysen ausgeschlossen wurden. Bei den hier vorliegenden Untersuchungsgruppen zeigten sich bis auf das Item FS01 andere Items, deren Ausschluss die Cronbachs Alpha Werte erhöht hätten. Hinsichtlich der Skala Empathischer Distress bei den

138

7 Design und Methodik

Studierenden im mittleren Studienabschnitt zeigte sich kein einziges Item, dessen Ausschluss zu einer höheren internen Konsistenz beitragen hätte Der Ausschluss des Items FS01 zeigte allerdings bei beiden Untersuchungsgruppen bessere Werte. So erhöhte er bei den Studierenden im mittleren Studienabschnitt den Wert auf α = ,82 und bei den PJ-Studierenden auf α = ,90 und erreichte damit den Spitzenwert. Dieses Item zeigte sich auch bei Enzmanns Analysen als problematisch und wurde daher bei ihm für weitere Analysen ausgeschlossen. Da allerdings die Reliabilitätskoeffizienten bei den hier untersuchten Stichproben auch unter Beibehaltung des Items akzeptabel waren, wurde entschieden, es auch für weitere Analysen nicht auszuschließen. Enzmann erklärt sich das schlechte Abschneiden des Items bei seinen Analysen damit, dass es fraglich ist, ob mit der Formulierung des Items FS01: „Ich verliere mich öfter in Tagträumereien und entwickle Fantasien darüber, was mir geschehen könnte“, Fantasie in dem von Davis intendierten Verständnis erfasst wird. Dieser Erklärungsversuch ist im Hinterkopf zu behalten. Der Inhalt der Fantasien selbst ist in dem Item nicht angesprochen, aber die Befragten könnten dabei durchaus an selbstbedrohliche Situationen denken, die sie als streßhaft [sic!] empfinden, womit dieses Item dann nicht Fantasie im Sinne des Sichhineinversetzens in andere (fiktive) Personen erfaßt [sic!] (Enzmann, 1996, 185). Bei den PJ-Studierenden schnitt die Skala Empathischer Distress mit einem Wert von α = ,70 am schlechtesten ab. Der Wert hätte sich unter Ausschluss des Items ED02 auf einen Wert von α = ,75 verbessert. Da dieses Item allerdings weder bei Davis (1980) noch bei Enzmann (1996) besondere Auffälligkeiten zeigte und der Wert bei den Studierenden im mittleren Studienabschnitt mit einem Wert von α = ,75 annehmbar war, wurde auf eine Reduktion verzichtet. Bei der Interpretation der Analyseergebnisse sind allerdings Enzmanns Resultate, dass es sich bei der Skala Empathischer Distress um eine vergleichsweise heterogene Skala zu handeln scheint, die auch theoretisch plausibel stärker mit Aspekten der Perspektivübernahme oder der Empathischen Anteilnahme vermengt ist, zu berücksichtigen.

7.3 Erhebungsmethoden und -instrumente

139

Geschlechtergetrennte Gütekriterien Bei den Männern zeigten sich überwiegend gute Reliabilitätswerte bis auf die Skala Empathischer Distress bei den männlichen Studierenden im mittleren Studienabschnitt (Tabelle 7). Da die Skala bei den männlichen PJ-Studierenden allerdings einen guten Wert zeigte, wurde auf eine Itemreduktion verzichtet. Bei der weiteren Betrachtung einer möglichen Itemreduktion zur Verbesserung der internen Konsistenz tauchten häufig die auch von Enzmann (1996) genannten Items auf. Insbesondere die Items FS01 und PU04 fielen bei den Männern im mittleren Studienabschnitt auf. Da die Skalenwerte der beiden Skalen so allerdings akzeptabel waren, wurde auch hier auf eine Reduktion verzichtet. Tabelle 7: Interne Konsistenz der IRI-Skalen - Männer (Cronbachs Alpha)

Davis (1980)

Männliche Studierende im mittleren Studienabschnitt

Männliche PJ-Studierende

RetestReliabilitäten Davis (1980)

(n = 579) ,78 ,75 ,72 ,78

(n = 17) ,72 ,79 ,81 ,50

(n = 8)

(n = 56) ,79 ,61 ,72 ,76

Skalen

Fantasie (FS) Perspektivübernahme (PU) Empathische Anteilnahme (EA) Empathischer Distress (ED)

,92 ,88 ,50 ,74

n = Anzahl der Versuchpersonen

Bei den weiblichen Studierenden des mittleren Studienabschnitts zeigte die Skala Perspektivübernahme mit einem Wert von α = ,49 eine schlechte interne Konsistenz (Tabelle 8). Die Reduktion des Items PU04, das wie bereits dargestellt auch bei anderen Analysen negativ auffiel, hätte den Wert auf α = ,51 verbessert. Da die interne Konsistenz bei den weiblichen PJ-Studierenden allerdings annehmbar war, wurde auch hier auf eine Reduktion verzichtet. Die Skalen Empathische Anteilnahme und Empathischer Distress wurden dagegen von den weiblichen PJ-

140

7 Design und Methodik

Studierenden heterogener beantwortet. Auch bei den Frauen hätte die Reduktion insbesondere der Items FS01 und PU04 zu einer besseren internen Konsistenz beigetragen, was ein weiterer Hinweis darauf ist, dass diese Items nicht so homogen zu den jeweiligen Skalenkonstrukten passen. Tabelle 8: Interne Konsistenz der IRI-Skalen - Frauen (Cronbachs Alpha)

Davis (1980)

Weibliche Studierende im mittleren Studienabschnitt

Weibliche PJStudierende

RetestReliabilitäten Davis (1980)

(n = 582) ,75 ,78 ,70 ,78

(n = 16)

(n = 22) ,83 ,71 ,62 ,60

(n = 53) ,81 ,62 ,70 ,76

Skalen

Fantasie (FS) Perspektivübernahme (PU) Empathische Anteilnahme (EA) Empathischer Distress (ED)

,85 ,49 ,81 ,79

n = Anzahl der Versuchpersonen

Zur Überprüfung der Konstruktvalidität benutzte Davis (1983) Instrumente aus fünf Bereichen, die einen potenziellen Zusammenhang zu Empathie aufweisen: Soziale Kompetenz, Selbstachtung, Emotionalität, Sensibilität gegenüber anderen und Intelligenz. Wie von ihm erwartet, zeigte jede der vier Subskalen ein markantes und vorhersagbares Beziehungsmuster zu den anderen Konstrukten, womit er die Konstruktvalidität bestätigt sah. Enzmann (1996) dagegen weist auf psychometrische Schwierigkeiten hin. Neben seinen Ergebnissen muss bei den Analyseergebnissen ebenso der Aspekt berücksichtigt werden, dass im klinischen Alltag vor allem auf den kognitiven Aspekt von Empathie fokussiert wird.

7.3.2.3 Consultation and Relational Empathy – Fremdeinschätzung Empathie Beim CARE handelt es sich um ein ursprünglich von der schottischen Arbeitsgruppe um Mercer und Reynolds (Mercer, Maxwell, Heaney, & Watt, 2004) entwickeltes, generisches im Sinne von krankheitsübergreifendes Messinstrument, welches als Fragebogen die ärztliche Empathie aus der subjektiven Perspektive

7.3 Erhebungsmethoden und -instrumente

141

von Patienten erfasst. Die Entwicklung des Fragebogens erfolgte auf breiter theoretischer und empirischer Basis und wurde anhand qualitativer und quantitativer Forschungsarbeiten mit stationär und allgemeinmedizinisch behandelten Patienten kontinuierlich verbessert und validiert. Dabei liegt der Ansatz eines multidimensionalen Empathiekonstrukts zugrunde, welches eine emotionale, eine moralische, eine kognitive und eine Verhaltenskomponente beinhaltet. Empathie wird verstanden als Fähigkeit, die Situation, Sichtweise und Gefühle des Patienten (sowie die damit verbundenen Bedeutungen) zu verstehen, dieses Verstehen gegenüber dem Patienten zu kommunizieren und sich dessen Richtigkeit zu vergewissern und auf dieser Basis im Sinne des Patienten zu handeln und ihn therapeutisch zu unterstützen (Mercer & Reynolds, 2002). Für den deutschsprachigen Raum wurde die CARE-Skala von Neumann et al. (2008) vom Englischen ins Deutsche übersetzt und nach einem mehrschrittigen Übersetzungsverfahren und qualitativen Pre-Tests vom Originalautor Stewart Mercer genehmigt. Neben der Übersetzung zielte die explorative Querschnittsstudie darauf ab, die psychometrischen Eigenschaften der CARE-Skala an einer Stichprobe von stationär behandelten Krebspatienten des Universitätsklinikums Köln zu überprüfen. Die Originalautoren Mercer und Reynold (2002) berichten mit α = 0,93 eine hohe interne Konsistenz. Der CARE-Bogen besteht aus zehn Items, die auf einer fünfstufigen Likert-Skala beantwortet werden (1 = trifft voll und ganz zu, 2 = trifft weitgehend zu, 3 = trifft teilweise zu, 4 = trifft kaum zu, 5 = trifft überhaupt nicht zu). Da es sich bei der vorliegenden Untersuchung nicht um Arzt-Patient-Gespräche mit therapeutischem und prognostischem Ausblick, innerhalb dessen der Fragebogen entwickelt und eingesetzt wurde, sondern um diagnostische Erstkontakte handelte, wurde über die fünf Antwortmöglichkeiten hinaus, die Möglichkeit gegeben, die Items mit nicht beurteilbar zu beantworten. Da es sich bei dieser Möglichkeit nicht um eine Antwortstufe handelt, wurden diese Antworten für eine statistisch saubere Auswertung in der Datenanalyse wie fehlende Werte behandelt. Vor dem Hintergrund, dass der CARE-Bogen das einzige Instrument ist, das, dem Original und der deutschen Übersetzung entsprechend, gemäß einer No-

142

7 Design und Methodik

tenskala (je niedriger die Werte desto besser) aufgebaut ist, alle anderen Instrumente aber entgegengesetzt kodiert sind, wurden die CARE-Items für die Analysen umkodiert. Der gesamte Fragebogen ist im Anhang A IV (Extras Online). Beispielitem: War der Arzt fürsorglich und hat er Mitgefühl gezeigt? (Er hat sich aufrichtig um Sie gekümmert und sich Ihnen gegenüber menschlich gezeigt. Dabei war er nicht gleichgültig oder distanziert). Gütekriterien In der vorliegenden Untersuchung wurden die CARE-Bögen zum einen durch die SPs nach der Konsultation und zum anderen durch externe Rater ausgefüllt. Bei den Studierenden im mittleren Studienabschnitt geschah dies bei den externen Ratern am Ende der Gesprächssituation im Kommunikationstraining selbst, bei den PJ-Studierenden erfolgte das externe Rating anhand der Videoaufzeichnungen. Die SPs füllten die Bögen bei beiden Studierendengruppen jeweils nach der Konsultation aus. Da sich schon augenscheinlich zeigte, dass insbesondere die Items neun und zehn der CARE-Skala häufig nicht beantwortet wurden, wurden bei diesen und allen weiteren folgenden Analysen ausschließlich die CARE-Items eins bis acht eingeschlossen. Wenn nicht mehr als ein fehlender Wert vorlag (10%), wurde dieser durch den Mittelwert der vorhandenen Items ersetzt. Am häufigsten ersetzt werden, musste bei den SPs Item 8 gefolgt vom Item 5. Bei den beiden externen Ratern der PJ-Studierenden fanden sich nur in den Items 9 und 10, die sowieso ausgeschlossen wurden, fehlende Werte. Die nachfolgende Tabelle 9 zeigt die Reliabilitätswerte der Skala des externen und des SP-Ratings beider Studierendengruppen. Es zeigte sich, dass die Skala bei den untersuchten Studierendengruppen konsistent beantwortet wurde. Der höchste Wert mit α = ,94 wurde beim SP-Rating des dritten Patientenfalls der PJ-Studierendengruppe erreicht, der niedrigste Wert mit α = ,76 zeigte sich beim fünften standardisierten Patientenfall. Es zeigte sich also, dass die Items der CARE-Skala als eindimensionale Erfassung zur erlebten ärztlichen Empathie homogen sind und die Skala in sich eine gute Konsistenz besaß.

7.3 Erhebungsmethoden und -instrumente

143

Tabelle 9: Interne Konsistenz der CARE-Skala (Cronbachs Alpha)

Mercer et al. 2004

Studierende im mittleren Abschnitt

PJ-Studierende

(n = 10)

(n = 33) Standardisiertes Patientenrating

(n = 30) Standardisiertes Patientenrating SP1: SP2: SP3: SP4.1: SP4.2: SP5:

,93

Externes Rating

,88

,83

Externes Rating

,89 ,82 ,94 ,79 ,80 ,76

1. Rater SP1: SP2: SP3: SP4.1: SP4.2: SP5:

Externes Rating

,89 ,90 ,83 ,82 ,84 ,87

2. Rater SP1: SP2: SP3: SP4.1: SP4.2: SP5:

,81 ,87 ,81 ,83 ,79 ,82

n = Anzahl der Versuchpersonen

Interrater-Reliabilität Neben der generellen internen Konsistenz spielen bei diesem Instrument auch die Rater-Übereinstimmungen eine besondere Rolle. Studierende im mittleren Abschnitt Zu den Studierenden des mittleren Studienabschnitts lagen dabei jeweils ein SPUrteil und ein externes Ratingurteil vor. Dabei ist davon auszugehen, dass der SP in seiner Rolle mit entsprechenden subjektiven Gefühlen subjektiver und der externe Rater objektiver geratet hat, da er selbst nicht in der Patientenrolle war. Die externen Rater haben dabei nicht die gleichen Studierenden im mittleren Studienabschnitt geratet, die Interrater-Reliabilität bezieht sich also auf die Übereinstimmungen zwischen SP und externem Rater. Da hier nicht alle Rater alle Studierenden beurteilt haben, wurde entsprechend den Empfehlungen von Wirtz und Caspar (2002) als Reliabiltätsmaß für die Raterübereinstimmung die unjustierte, also absolut übereinstimmende einfaktorielle Intraklassenkorrelation (ICC unjust, einfakt) berechnet. Dabei gilt, dass die ICC unjust, einfakt (ICC(1)) als Maß „für den Anteil der Varianz aller Ratingwerte (xij), der durch die wahren Werte der Personen μi erklärt werden kann“ (Wirtz & Caspar, 2002, 190) herangezogen werden

144

7 Design und Methodik

kann. Da die einfaktorielle Varianzanalyse die Grundlage der ICC(1) bildet, ist die Berechnung an die Voraussetzungen der einfaktoriellen Varianzanalyse geknüpft. Dementsprechend muss die Varianzhomogenität der Messwertreihen gegeben sein. Den Empfehlungen der Autoren folgend, wurde vor Berechnung der entsprechenden Interrater-Reliabiliät mit dem Levene-Test die Varianzhomogenität getestet, so dass eventuelle Einflüsse auf die ICC-Ausprägung abgeschätzt werden konnten. Das Signifikanzniveau wurde dabei wie empfohlen auf α = 0,25 festgelegt. Kritisch zu bemerken ist allerdings die inhaltlich etwas problematische Interpretation der Werte, da die Varianz zwischen den Ratern bei diesem Verfahren auf die Fehlervarianz aufgeschlagen wird. Da allerdings nicht alle Studierenden von denselben Ratern bewertet wurden, war dieses Verfahren das Maß der Wahl. Bis auf Item 8 lag bei allen Items der CARE-Skala Varianzhomogenität vor, so dass die Voraussetzung für die ICC(1) überwiegend gegeben war. Bei Item 8 ist die fehlende Varianzhomogenität bei der Interpretation zu berücksichtigen. Die genauen Werte finden sich in der Anhangs-Tabelle 1 (Anhang B Extras Online). Es zeigten sich bei den Items 3, 4, 5, 6 und 8 und dem Gesamtwert signifikante und überwiegend akzeptable Werte der ICC der durchschnittlichen Maße, allerdings war der Wert von ,543 bei Item 5 grenzwertig und bei Item 8 ist zu bedenken, dass die Varianzhomogenität nicht gegeben war und die Reliabilität fehlgeschätzt werden kann. Bei den Items 1, 2 und 7 nahm die ICC einen negativen Wert an, was als Hinweis auf eine Reliabilität von 0 gewertet werden muss, „weil auf Basis der Beurteilung durch einen Rater keine ‚wahren‘ Varianzanteile eindeutig aufgeklärt werden können“ (Wirtz & Caspar, 2002, 161). Die geringen Reliabilitätsergebnisse bei diesen Items können auch dadurch zustande gekommen sein, dass die Unterschiede zwischen den Mittelwerten der Studierenden nur geringfügig waren und dadurch keine oder keine bedeutsame Reliabilität gemessen werden konnte, da es umso schwieriger ist die Varianz aufzuklären, wenn von dieser nur wenig in den wahren Werten vorhanden ist. „Reliabilitätsmaße quantifizieren somit nicht nur, wie genau Rater urteilen, sondern sie bilden auch indirekt Informationen bezüglich der Merkmalsvariabilität in der untersuchten Stichprobe ab“ (ebd). Für recht homogene Stichproben kann somit auch eine geringere ICC als akzeptabel angenommen werden.

7.3 Erhebungsmethoden und -instrumente

145

SPs bei den PJ-Studierenden Bei den PJ-Studierenden lagen zu den Studierenden jeweils sechs SP-Urteile aus fünf unterschiedlichen Gesprächssituationen vor. Bei einem Urteil handelte es sich zusätzlich zur SP um die Begleitperson der SP, da dieser Fall mit Sprach- und Schluckbeschwerden konzipiert wurde und die Begleitperson als sprachliche Unterstützung dabei war. Darüber hinaus wurden die Videoaufzeichnungen von zwei externen Ratern beurteilt, hier lagen also zusätzlich zu den SP-Urteilen jeweils zwei Urteile externer Rater vor. Alle Studierenden wurden in dieser Gruppe also von allen Ratern eingeschätzt, auch wenn die Personen der SPs im Laufe des Tages gewechselt haben, waren es die gleichen standardisierten Patientenrollen. Daher wurde hier die zweifaktorielle justierte Intraklassenkorrelation (ICCjust (ICC(3)) gewählt und der Faktor Rater als fixed festgelegt, da in dieser Arbeit die Reliabilitätsschätzung der tatsächlich untersuchten Raterstichprobe von Interesse war. Mit dieser Wahl wurde den Empfehlungen von Wirtz und Caspar (2002) gefolgt, die angeben, dass wenn die Reliabilitätsaussage nur für die in der Stichprobe untersuchten Rater gelten soll, die ICCjust ein Reliabilitätsmaß ist. Die folgenden Berechnungen der Interrater-Reliabilität für die Gruppe der PJ-Studierenden beziehen sich zum einen auf die Übereinstimmung zwischen den SP-Urteilen untereinander und zum anderen auf die Übereinstimmung der zwei externen Rater untereinander und der Übereinstimmung der SP-Urteile und dem Mittelwert der externen Urteile. Die Überprüfung des Faktors zeigte, dass die ausgewählte ICC das Maß der Wahl war, da der Faktor bei allen Items signifikant war und es sich somit nicht empfohlen hätte die unjustierte ICC, zu verwenden. Bei den Items 1, 5, 7 und 8, sowie beim Gesamtwert waren die Varianzen nicht homogen, was die ICC-Werte systematisch verringert. Wie der Anhangs-Tabelle 2 (Anhang B Extras Online) zu entnehmen ist, fand sich nur bei den Items 4, 6 und 7 eine signifikante Übereinstimmung der SPs untereinander. Item 1 verpasste mit p = ,029 knapp das festgelegte Signifikanzniveau von ,025. Das höchste Signifikanzniveau und die stärkste Korrelation zeigten sich bei Item 7. Das Ergebnis könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Beurteilungen hinsichtlich der einzelnen Empathie-Items in Zusammenhang mit der entsprechenden Rolle und dem dazugehörenden Krankheitsbild stehen. Diesem Aspekt wird im Ergebnisteil durch die Untersuchung der

146

7 Design und Methodik

Unterschiede zwischen den SPs weiter nachgegangen. Über alle Items hinweg zeigte sich eine akzeptable Übereinstimmung. Externe Rater bei den PJ-Studierenden Zwischen den beiden externen Ratern zeigte sich auf Itemebene über alle standardisierten Patientenfälle hinweg keine Varianzhomogenität bei den Items 1, 6, 7 und 8 sowie hinsichtlich des Gesamtwertes. Bis auf Item 1 zeigte sich bei allen anderen Items und beim Gesamtwert eine Signifikanz des Faktors, welche die ICC(3) als Maß der Reliabilität unterstreicht. Wie die Ergebnisse (Anhang B Anhangs-Tabelle 3) (Extras Online) zeigen, stimmten die beiden externen Ratern bei ihren Empathie-Bewertungen aus Sicht der SP-Fälle auf Itemebene gut bis sehr gut überein, wobei sich der höchste Wert der durchschnittlichen Maße mit ,922 beim Item 6 und der niedrigste mit ,836 beim Item 4 fand. Die Übereinstimmungen waren dabei alle hochsignifikant. Die beiden externen Rater wiesen also eine gute Übereinstimmung auf. SP-Rating und externes Rating bei den PJ-Studierenden Da die Analyse der Interrater-Reliabilität der SPs untereinander für die einzelnen Items durchwachsene Ergebnisse zeigte, wurde der Vergleich zwischen SPs und dem externen Rating den jeweiligen SP-Fällen entsprechend durchgeführt. Den Berechnungen lag dabei jeweils der Mittelwert der beiden externen Rater zugrunde, da diese einen guten Zusammenhang zeigten. Die meisten signifikanten ICCs zeigten sich beim SP1 in den Items 1, 4, 5, 6, 7 und 8 (Anhang B AnhangsTabelle 4) (Extras Online). Über alle SP-Fälle hinweg zeigten sich sehr hohe Übereinstimmungen (Anhang B Anhangs-Tabelle 5) (Extras Online). Unter Einbezug des ICC-Ergebnis der Ratings bei den Studierenden im mittleren Studienabschnitt zeigten sich in beiden Gruppen hinsichtlich der detaillierten Analysen auf Ebene der SP-Fälle bei den Items 4 und 6 gute übereinstimmende Ergebnisse. Insgesamt zeigte sich allerdings eine gemischte Interrater-Reliabilität zwischen den SPs. Vor dem Hintergrund guter interner Konsistenzen der einzelnen SPs und externen Rater zeigte sich das Instrument insgesamt als reliabel. Überlegungen zu ggf. besseren Schulungen und der Subjektivität bei Empathie-Bewertungen sollte allerdings weiter nachgegangen werden.

7.3 Erhebungsmethoden und -instrumente

147

Validitätsangaben der Autoren Um die konvergente und divergente Validität der deutschen Version zu überprüfen, wurden von den deutschen Autoren die Konstrukte Ermutigung durch den Arzt und Offenheit des Patienten gegenüber dem Arzt formuliert (Neumann et al., 2008). Für die weitere Konstruktvalidität wurden daneben arztbezogene Fragen eingesetzt. 326 Onkologiepatienten beteiligten sich an der anonymisierten Befragung, die drei Erhebungswellen umfasste. Die Autoren geben an, dass die Stichprobe hinsichtlich des Geschlechts und der prozentualen Verteilung der Krebserkrankungen als weitgehend repräsentativ für den stationären onkologischen Versorgungsbereich des Universitätsklinikums Köln angesehen werden kann. Die statistischen Analysen zeigten, „dass die zehn Items der CARE-Skala durch ein eindimensionales Modell angemessen modelliert werden können“ (Neumann et al., 2008, 12). Die psychometrischen Ergebnisse des englischen Originals konnten somit bestätigt werden. Allerdings müssen die Ergebnisse unter der Einschränkung gesehen werden, dass ein Vergleich mit einem validierten deutschen Messinstrument in Bezug auf die subjektiv wahrgenommene ärztliche Empathie nicht möglich war, da kein Vergleichsinstrument vorhanden ist. Die Autoren geben aber dennoch aufgrund ihrer Untersuchung an, dass die praktische Eignung neben den Patienten auch von den Ärzten bestätigt wurde. Unter der Voraussetzung der empirischen Überprüfung hinsichtlich der Änderungssensitivität des Instruments sehen die Autoren die Nutzung des CARE-Bogens „als ein Evaluationsinstrument nach Interventionen, wie z.B. in der medizinischen Ausbildung sowie in Fort- und Weiterbildungen zum Thema empathische Kommunikation“ (Neumann et al., 2008, 13).

7.4

Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung

Die Entwicklung der Kompetenzerfassung bzw. kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung bestehend aus einem Wissenstest und der Simulation eines ersten Arbeitstages der PJ-Studierenden vollzog sich als Kooperation zwischen dem UKE und der Universität Utrecht in den Niederlanden.

148 7.4.1

7 Design und Methodik Erfassung von medizinischem Wissen durch einen Multiple-Choice-Test

Zur Überprüfung des medizinischen Wissens, wie es am Ende des Medizinstudiums im Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung schriftlich verlangt wird, wurde ein 100 Fragen umfassender MC-Test konstruiert. Diesem ging ein Pilottest mit 150 Fragen voraus an dem 45 Hamburger Studierende am Anfang ihres PJs freiwillig teilgenommen haben. Dabei sollten die Fragen für den MC-Test dem Niveau des Zweiten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung entsprechen. 1000 publizierte Fragen, die an die Fragen des United States Medical Licensing Examination (Le & Vierregger, 2010), der US-amerikanischen medizinischen Abschlussprüfung, angelehnt sind, bildeten die Auswahlbasis für den MC-Tests.

7.4.1.1 Konzeption, Konstruktion und Durchführung des MC-Pilottests Aus der genannten Fragensammlung wurden von einer medizinischen Expertin 300 Fragen ausgewählt, die zehn verschiedenen Disziplinen zugeordnet waren: Allgemeinmedizin, Anästhesiologie und Notfallmedizin, Chirurgie, Gynäkologie, Innere Medizin, Klinische Pharmakologie, Neurologie, Pädiatrie, Psychiatrie und Urologie. Nicht mit einbezogen, wurden kleinere Fächer wie z.B. Hals-Nasen-Ohrenheilkunde oder Dermatologie, da deren Fragenanteil beim Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung sehr gering ist. Die Auswahl der 300 Fragen basierte auf folgenden Kriterien: • • • • •

Alle Fragen beruhten auf klinischen Fällen. Spezifisch im nordamerikanischen Raum auftretende Krankheiten (z.B. Rocky Mountain Spotted Fever) wurden nicht berücksichtigt. Fragen, die Bilder (z.B. Röntgenaufnahmen) enthielten, konnten aus Rechtsgründen (Copyright) nicht eingeschlossen werden. Die jeweils fünf Antwortoptionen einer Aufgabe mussten alle der gleichen Kategorie angehören (z.B. diagnostische Maßnahmen). Fragen, die mehrere verschiedenen Bereichen entstammende Antwortoptionen (beispielsweise zwei diagnostische und drei therapeutische) enthielten, wurden entweder nicht berücksichtigt oder modifiziert.

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung •

149

Waren mehrere Fragen vorhanden, die sich auf dasselbe Thema bezogen, wurde nur jeweils eine ausgewählt.

Diese 300 englischen Fragen wurden in einem Prozess mit Medizinabsolventen aus Hamburg und Utrecht, die in einer Gutachterfunktion 150 Fragen auswählten, die ihrer Meinung nach am besten relevante Inhalte ihres entsprechenden Landes widerspiegelten, reduziert. Um die Inhaltsvalidität bei der Auswahl zu sichern, wurde jeder der zehn Disziplinen eine festgelegte Anzahl an Fragen zugeordnet. Für den 150 Fragen umfassenden Pilottest wurden aus den Absolventenbewertungen die Fragen gewählt, welche mindestens von zwei der fünf Rater jeden Landes als geeignet markiert wurden. Dabei wurde pro Land für jedes Item ein Summenwert gebildet. Darüber hinaus wurde noch von jeweils einem Gutachter aus Hamburg und Utrecht eine Bewertung der Fragen in Bezug auf ihre Schwierigkeit und inhaltliche Domäne (Grundlagen bzw. klinische Wissensinhalte) vorgenommen, um die Brauchbarkeit des endgültigen Tests zu prüfen. Die ausgewählten 150 Fragen wurden von einer medizinischen Expertin in Hamburg ins Deutsche übersetzt. Die entsprechenden Disziplinen der einzelnen Fragen waren im Test selbst nicht markiert und auch den am Pilottest teilnehmenden Studierenden vorher nicht bekannt. Die Fragen wurden so durchmischt, dass eine folgende Frage jeweils eine andere Disziplin bediente als die vorausgegangene. Ein Algorithmus im Sinne von‚ an erster Stelle der zehn Disziplinen steht zum Beispiel immer eine Frage aus dem Bereich der Allgemeinmedizin wurde ausgeschlossen, so dass die Fragenanordnung für die Studierenden keiner Logik in Bezug auf die zu bedienenden Disziplinen folgte. Die folgende Abbildung 16 veranschaulicht den Prozess der Fragenauswahl und zeigt die Ergebnisse. Die Graphik zeigt, dass es nicht immer völlig gelungen ist, die vorher festgelegten Auswahlkriterien einzuhalten. So wurden im Bereich der Urologie, der Notfallmedizin und der Pädiatrie auch Fragen ausgewählt und in den Test aufgenommen, die vom Auswahlverfahren abweichen. Bei der Urologie handelt es sich dabei um zwei Fragen von vier, bei den Notfällen um sieben von 15 und bei der Pädiatrie um eine Frage von 15. Diese Fragen wurden dann ausgewählt, wenn besonders viele Beurteiler aus einem, aber nur ein Beurteiler aus dem anderen Land sie als besonders relevant gekennzeichnet hatten.

150

7 Design und Methodik

übereinstimmend ausgewählt mit 1 Punkt Differenz ausgewählt

Prozent 100%

mit 2 Punkten Differenz ausgewählt mit 3 Punkten Differenz ausgewählt abweichend vom Auswahlverfahren ausgewählt

50%

0%

Disziplin Abbildung 16: Fragenauswahl der deutschen und niederländischen Rater

Der so konstruierte Pilottest mit 150 Fragen wurde von 45 freiwillig teilnehmenden Hamburger Studierenden zu Beginn ihres PJ in einer prüfungsähnlichen Situation bearbeitet. Dabei standen pro Frage 90 Sekunden Bearbeitungszeit zur Verfügung. Diese Zeit orientiert sich an der Bearbeitungszeit im Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung. Die Durchführung des Pilottestes betrug damit drei Stunden und 45 Minuten. In Utrecht meldeten sich 11 Studierende für diesen Prozess, bei denen die Fragen allerdings in der Originalsprache (englisch) vorlagen. Die Ergebnisse dieser beiden Gruppen bildeten die Basis für eine Itemanalyse innerhalb der entsprechenden Gruppe, auf deren Grundlage eine Itemreduktion vorgenommen werden konnte, mit dem Ziel einen ausgeglichenen, von der Länge her akzeptablen und für Studierendenvergleichszwecke geeigneten Test mit 100 Fragen zu konstruieren. Folgende sechs Schritte wurden dabei verwendet:

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung x

x x x x

x

151

Für den gesamten 150 Fragen umfassenden Test wurde die interne Konsistenz mit Hilfe von Cronbachs Alpha sowohl für die verbundenen Stichproben als auch für jede einzelne getrennt berechnet. Items mit einer negativen Trennschärfe wurden getrennt nach Gruppe identifiziert. Items, die in beiden Gruppen eine Trennschärfe kleiner als -,20 hatten, wurden verworfen. Items, die in beiden Gruppen eine geringere Trennschärfe als ,00 zeigten, wurden verworfen. Items, die in einer Gruppe einen Trennschärfenwert kleiner als ,00 und in der anderen Gruppe einen Wert von kleiner als ,20 hatten, wurden aussortiert. Abschließend wurden die Items verworfen, die eine geringe, aber positive Trennschärfe zeigten, um so einen endgültigen, 100 Fragen umfassenden Test, zu erhalten, bei dem nochmals Summenwerte pro Land und Disziplin berechnet wurden.

7.4.1.2 Ergebnisse des MC-Pilot und der endgültige MC-Test Die folgenden Tabellen 10 und 11 und die Abbildung 17 zeigen die Ergebnisse des 150 Fragen umfassenden Pilottests und die Charakteristika des 100 Fragen umfassenden MC-Tests nach der Itemreduktion.

152

7 Design und Methodik

Tabelle 10: Test- und Fragencharakteristika des Pilottests (150 Fragen)

Deutsche Stichprobe

Verbundene Stichprobe n

Niederländische Stichprobe

56

45

11

Mittelwert

96,02

96,27

95,00

Standardabweichung

11,35

11,46

11,37

,79

,80

,79

23

25

38

2

3

16

0

0

7

Cronbachs Alpha (Interne Konsistenz) Itemanzahl mit Trennschärfe < 0,01 Itemanzahl mit Trennschärfe < -0,20 Itemanzahl mit Trennschärfe < -0,50 n = Anzahl der Versuchspersonen

Für die deutsche Stichprobe zeigte sich eine gute interne Konsistenz von α = ,80. Aus deutscher Sicht entsprachen 28 Items nicht den Einschlusskriterien, in der niederländischen Stichprobe waren es 61 und die verbundene Stichprobe zeigte 25 Fragen mit einer nicht entsprechenden Trennschärfe. Insgesamt zeigte der Pilottest mit einer internen Konsistenz von α = 0,79 für die verbundene Stichprobe, gute Kennwerte. Die Ergebnisse des 100 Fragen umfassenden Wissenstest finden sich in folgender Tabelle 11. Bei diesem waren die Werte noch besser und zeigten eine interne Konsistenz von α = 0,81 bei der deutschen und α = 0,84 bei der verbundenen Stichprobe. Insgesamt ist ein balancierter Fragenauswahlprozess gelungen, bei dem die Raterurteile beider Länder nah beieinander lagen (Abbildung 17).

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung

153

Tabelle 11: Testcharakteristika des 100-Fragen-Tests

Verbundene Stichprobe n

Deutsche Stichprobe

Niederländische Stichprobe

56

45

11

Mittelwert

63,50

63,53

63,36

Standardabweichung

10,52

9,53

14,47

,84

,81

,92

Cronbachs Alpha (Interne Konsistenz) n = Anzahl der Versuchspersonen

Punkte

Punkteverteilung Punkte DE

90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

Punkte NL

Disziplin

Abbildung 17: Punkteverteilung der deutschen und niederländischen Rater der ausgewählten 100 Fragen nach Disziplinen

154

7 Design und Methodik

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es sich bei dem vorliegenden 100 Fragen umfassenden MC-Test, um einen brauchbaren Test handelt, der gemäß den staatlichen und hochschulentsprechenden curricularen Anforderungen, explizites medizinisches Wissen misst14. Die für die Kompetenzprüfung erforderliche weitere Operationalisierung ärztlicher Kompetenz erfolgte anhand eines Delphi-Verfahrens deren Durchführung und Ergebnisse in den folgenden Abschnitten dargestellt sind.

7.4.2

Leistungen von Medizinabsolventen

Ausgehend von Ergebnissen, dass Absolventen eines vertikalen Medizinstudiums wie es sich an der Universität Utrecht findet, sich besser auf ihre Berufstätigkeit vorbereitet fühlen, selbsteingeschätzt über mehr entsprechende medizinische Fähigkeiten verfügen und sich bezüglich ihrer medizinischen Wissenskenntnisse von Absolventen eines klassischen horizontalen Medizinstudiums wie das am UKE unterscheiden (Wijnen-Meijer, ten Cate, van der Schaaf, & Borleffs, 2010), wurde ein 13 Items umfassender kurzer Fragebogen zur Vorbereitung des Delphi-Verfahrens zu ärztlichen Kompetenzen entwickelt, um eine Einschätzung zu bekommen, wie Vorgesetzte die Leistungen und den Ausbildungsstand von Absolventen ihrer Universität beurteilen (Wijnen-Meijer, ten Cate, van der Schaaf, & Harendza, 2013c). Dabei wurde abgefragt, in welchem Maße Absolventen aus der Sicht von Vorgesetzten (Ärzte, Oberärzte oder Abteilungsdirektoren) auf unterschiedliche Aspekte ihrer ärztlichen Tätigkeit vorbereitet sind bzw. mit diesen umgehen können. Anhand einer fünfstufigen Likert-Skala von eins (sehr schlecht) bis fünf (sehr gut) wurde beispielsweise gefragt, in welchem Maße Hamburger Absolventen vorbereitet sind, um in der jeweiligen Abteilung zu arbeiten, in welchem Maße die Hamburger Absolventen biomedizinische Grundlagenkenntnisse haben, sie in der Lage sind medizinische Probleme zu lösen oder ihre Aufgaben zu priorisieren. Auch sollten die Befragten die drei wichtigsten Qualitäten eines Absolventen angeben, die für sie eine Rolle spielen, wenn sie 14

Aufgrund weiterer Verwendungen innerhalb von Forschungskontexten ist der entwickelte und eingesetzte MC-Test dieser Arbeit nicht veröffentlicht und nicht als Anlage beigefügt, kann aber bei der Autorin angefragt werden.

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung

155

über die Einstellung eines Hamburger Absolventen für eine assistenzärztliche Position in ihrer Abteilung nachdenken. Zusätzlich gab es Raum für Anmerkungen weiterer Aspekte, die für die Befragten wesentlich waren, der vielfältig genutzt wurde. Der Fragebogen wurde online verschickt und umfasste einen Bearbeitungszeitraum von zehn Minuten innerhalb eines Zeitrahmens von zwei Wochen zum Ausfüllen. Die komplette Version dieses Fragebogens findet sich im Anhang A V (Extras Online). Die folgende Tabelle 12 zeigt die gewonnenen Befunde dieser Fragebogenuntersuchung, wobei für die Bewertenden in Utrecht statt Hamburger Absolventen Utrechter Absolventen stand. Tabelle 12: Beurteilungen der Leistungen von Medizinabsolventen ¬ Ergebnisse und Unterschiede (Wijnen-Meijer et al., 2013c, 157)

Region In welchem Maße…

Utrecht MW

Hamburg SD

MW

SD

Praktische Tätigkeit

3,47

0,76

3,67

0,72

1 … sind Hamburger Absolventen vorbereitet, um in Ihrer Abteilung zu arbeiten?

3,47

0,76

3,67

0,72

Medizinisches Wissen

3,19

0,64

3,28

0,54

3,12

0,70

2,97

0,80

3,36

0,65

3,31

0,75

3,09

0,88

3,11

0,88

Fähigkeiten

3,65

0,49

3,17

0,46

5 … sind Hamburger Absolventen in der Lage, selbstständig zu arbeiten? **

3,64

0,78

3,00

0,90

6 … sind Hamburger Absolventen in der Lage, medizinische Probleme zu lösen? *

3,44

0,71

3,05

0,86

2 … haben Hamburger Absolventen biomedizinische Grundlagenkenntnisse? 3 … haben Hamburger Absolventen klinische Kenntnisse? 4 … haben Hamburger Absolventen genug pathophysiologisches Krankheitsverständnis?

156

7 Design und Methodik

Utrecht

Hamburg

In welchem Maße… M 7 … sind Hamburger Absolventen in der Lage, unbekannte medizinische Situationen zu managen? ** 8 … sind Hamburger Absolventen in der Lage, ihre Aufgaben zu priorisieren? ** 9 … sind Hamburger Absolventen in der Lage, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten?** 10 … sind Hamburger Absolventen in der Lage, abzuschätzen, wann sie einen Kollegen oder Oberarzt konsultieren sollten? * 11 … sind Hamburger Absolventen in der Lage, ihre Aktivitäten zu reflektieren? * 12 … sind Hamburger Absolventen in der Lage, sich gegenüber Patienten professionell zu verhalten? 13 … sind Hamburger Absolventen in der Lage, stressreiche Situationen zu managen?

SD

M

SD

3,35

0,54

2,64

0,71

3,41

0,61

2,53

0,77

4,15

0,62

3,64

0,80

3,97

0,59

3,50

0,95

3,72

0,68

3,25

0,87

3,76

0,61

3,45

1,06

3,38

0,65

3,25

0,81

*p < 0,05; **p < 0,01; p = zweiseitiger Signifikanzwert; MW = Mittelwert; SD = Standardabweichung

Wie ersichtlich fanden sich weder im Bereich der praktischen Tätigkeit noch in dem des medizinischen Wissens signifikante Unterschiede der beiden Gruppen. Allerdings waren aus der Skala Fähigkeiten, die aus Sicht dieser Arbeit Kompetenzaspekte umfasst, sieben der neun Aspekte signifikant unterschiedlich (Fragen 5-11) und zeigten, dass die Utrechter Vorgesetzten ihre Absolventen im Mittel höher bewerteten als die Hamburger Kollegen. Ausgehend von diesen Untersuchungsergebnissen der t-Tests und insbesondere den Anmerkungen aus den sehr häufig genutzten Freiflächen, wurde dann das Delphi-Verfahren initialisiert.

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung 7.4.3

157

Delphi-Verfahren

Für die Festlegung der zu untersuchenden Kompetenzfacetten wurde ein DelphiVerfahren mit klinischen Experten durchgeführt. Die ursprünglich aus den USA und der Betriebswirtschaft stammende, weithin akzeptierte Methode des Delphi-Verfahrens (Krekel & Ulrich, 2000) gehört zu den Konsensverfahren und verfolgt das Ziel, als formelles Konsensverfahren mit divergierenden Meinungen umzugehen und bei diesen in der Gruppe eine Übereinstimmung zu finden. Bei dieser Umfragemethode werden ausgewählte Experten wiederholt gebeten, zu einem Thema Stellung zu nehmen (Cox, 2007). Die wiederholten Befragungsrunden ermöglichen es dabei, kontrollierte Informationsrückkoppelungen der Zwischenergebnisse an die Experten zu geben (Krekel & Ulrich, 2000). Im Sinne eines Instruments der Informationsgewinnung, Entscheidungsfindung und Problemlösung wird es häufig im prognostischen Rahmen, zur Generierung von Informationen bzw. zur Herausstellung von Erwartungen über zukünftige Entwicklungen genutzt. Dem Verständnis der Delphi-Methode als Planungstechnik, mit deren Hilfe Entscheidungen vorbereitet werden sollen (Krekel & Ulrich, 2000), wurde sie gewählt, um aufgrund der Expertenmeinungen zu entscheiden, welche Kompetenzen für den Arztberuf von besonderer Bedeutung sind bzw. in Zukunft von noch stärkerer Bedeutung sein werden. Im Verständnis einer auf die Zukunft ausgerichteten Expertenbefragung beschäftigt sich diese Untersuchung daher auch mit der Frage, welche Kompetenzen so wichtig sind, dass sie in Zukunft besser ausgebildet werden sollten. Im Sinne der Evidenzbasierung von Studien, die auch in der Erziehungswissenschaft und in besonderem Maße in der Erwachsenenbildung als einem ihrer Felder, immer größere Bedeutung gewinnt (Tippelt & Reich-Claassen, 2010), bewegt sich das vorliegende Delphi-Verfahren auf der untersten Stufe V, da bei dieser auch explizit von Konsensuskonferenzen gesprochen wird. Zugrunde gelegt werden dabei die Evidenzstufen des Oxford Centre for Evidence-based Medicine (2009). Da es sich bei der Untersuchung im Rahmen der medizinischen Ausbildungsforschung zwar um ein pädagogisch zu untersuchendes Feld handelt, die zu untersuchenden Kompetenzen entsprechend ihrer Profession aber von Medizinern konsensuell zusammengetragen worden sind, wurde entschieden,

158

7 Design und Methodik

die Stufen aus der evidenzbasierten Medizin zugrunde zu legen. Denn auch „die Idee evidenzbasierter Bildungsforschung als ein auf bestätigten Erfahrungen beruhendes und an hohen und einheitlichen Standards orientiertes Wissen […] [geht] unmittelbar zurück auf Entwicklungen in der Medizin […]“ (Tippelt & ReichClaasen, 2010, 22). Im Bereich der Erwachsenenbildung und im Rahmen der Erziehungswissenschaft wird evidenzbasierte Steuerung nach der Auffassung von Tippelt und Reich-Claasen hier verstanden als „eine empirische Forschung nach wissenschaftlichen Kriterien in empirisch-pragmatischer Hinsicht zu betreiben, um für die Praxis Orientierungs- und Aufklärungswissen bereitzustellen“ (Tippelt & Reich-Claasen, 2010, 23). Diese darf sich dabei allerdings nicht nur auf outputorientierte Merkmale stützen, „sondern es müssen auch immer im Sinne einer umfassenden Qualitätssicherung die Gestaltungsprozesse des Lehrens und Lernens und deren Evaluation im Blick behalten werden“ (ebd.). Diesem Punkt wurde u.a. durch die Erhebung der Leistungen von Medizinabsolventen unterschiedlicher Curricula und damit verbundener unterschiedlicher Lehr-Lern-Gestaltungen versucht, Rechnung zu tragen. Ablauf des Delphi-Verfahrens der ärztlichen Kompetenzen Für die erste Delphi-Runde wurden auf Basis einer umfangreichen Literaturdurchsicht und qualitativen Analyse relevante ärztliche Kompetenzfacetten herausgearbeitet. Grundlage der Untersuchung bildeten dabei das CanMEDS-Rollenmodell (Frank, 2005) (5.2.1) sowie weitere Kompetenzkonzepte aus den Niederlanden und Großbritannien (Dutch Federation of University Medical Centers, 2009, General Medical Council, 2009), welche sich mit generellen ärztlichen Kompetenzen auseinander setzen und zum anderen die Artikel von Kearney (2005), Ginsburg, McIlroy, Oulanova, Eva und Regehr (2010) und Sterkenburg, Barach, Kalkman, Gielen und ten Cate (2010), die sich speziell auf klinische Kompetenzen beziehen. Insgesamt wurden 24 relevante Kompetenzfacetten herausgearbeitet und bildeten damit die Grundlage des Delphi-Verfahrens. Folgende Auswahlkriterien der Kompetenzfacetten wurden zugrunde gelegt: eine möglichst große inhaltliche Übereinstimmung bei unterschiedlichen Beschreibungen ähnlicher As-

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung

159

pekte mit der Originalquelle, Beobachtbarkeit und Bewertbarkeit sowie die Anwendbarkeit für medizinische Absolventen (Wijnen-Meijer, van der Schaaf, Nillesen, Harendza, & ten Cate, 2013b). Die Delphi-Studie selbst umfasste insgesamt drei Runden im Herbst 2010. Für die beiden ersten Runden wurden in den Niederlanden 24 Ärzte, die Expertise in medizinischer Ausbildung hatten, klinisch arbeiteten und Ärzte in Weiterbildung betreuten, angefragt, sich an der Befragung zu beteiligen. 18 folgten der Anfrage, 11 davon nahmen an beiden Runden in den Niederlanden teil (Wijnen-Meijer, van der Schaaf, Nillesen, Harendza, & ten Cate, 2013b). Die Experten wurden gebeten, die vorgegebenen Kompetenzfacetten hinsichtlich zweier Aspekte zu beurteilen: 1. Klarheit und Vollständigkeit der Formulierung und 2. Relevanz für die Entscheidung, einem Arzt, der am Anfang der ärztlichen Weiterbildung steht, eine kritische klinische Aufgabe anzuvertrauen. Der genaue Ablauf gestaltete sich folgendermaßen: 1. Runde: In dieser wurden den Experten die 24 herausgearbeiteten Kompetenzfacetten vorgelegt mit der Bitte, diese auf die beiden genannten Aspekte hin auf einer siebenstufigen Likert-Skala zu bewerten, bei der nur der Anfangs- und Endpunkt beschriftet war (1: stimme überhaupt nicht zu; 7: stimme stark zu). Zusätzlich gab es Raum für Anmerkungen und Ratschläge, um die Kompetenzbeschreibungen zu verbessern. Am Ende des Fragebogens wurden die Experten gebeten, weitere Kompetenzfacetten, die ihrer Meinung nach fehlten, hinzuzufügen. Insgesamt haben sich in dieser ersten Runde 14 Experten beteiligt. Die Fragebögen wurden den Experten zur Beantwortung über einen Zeitraum von zwei Wochen online bereitgestellt (ebd.). 2. Runde: Basierend auf den Ergebnissen der ersten Runde wurden alle Beschreibungen der Kompetenzfacetten leicht modifiziert und die Kompetenzdimensionen angepasst, so dass für die zweite Runde 25 Kompetenzfacetten zur Verfügung standen (ebd.). Zusätzlich fand sich eine Zusammenfassung der Expertenurteile der ersten Runde und bei drei Kompetenzfacetten wurden Multiple-ChoiceFragen hinzugefügt, um Widersprüche oder Unklarheiten der ersten Runde aufzuklären. Zwei Wochen nach Abschluss der ersten Runde wurden den Experten

160

7 Design und Methodik

die gleichen Fragen mit den überarbeiteten Items noch einmal gestellt. An dieser zweiten Runde haben sich 15 Experten beteiligt. Hinsichtlich der Aspekte Klarheit und Vollständigkeit der Formulierung sowie Entscheidungsrelevanz einem Arzt am Anfang der ärztlichen Weiterbildung eine kritische klinische Aufgabe anzuvertrauen, herrschte am Ende der zweiten Runde eine hohe Übereinstimmung, so dass nach dieser nur noch kleinere Veränderungen an der Beschreibung von elf Kompetenzfacetten vorgenommen wurden. 3. Runde: Für die Festlegung der externen Validität wurden in der dritten Runde neben niederländischen Ärzten auch deutsche Mediziner gebeten, die Kompetenzfacetten in eine Rangfolge zu bringen und daran anschließend den Übereinstimmungsgrad zwischen den beiden Ländern in Bezug auf die am höchsten bewerteten Kompetenzfacetten zu überprüfen. In den Niederlanden wurden hierfür die gleichen Personen wie in den beiden ersten Runden um eine Teilnahme gebeten, während in Deutschland eine Gruppe von Ärzten mit einem Masterabschluss in Medical Education angefragt wurde, die angegeben Kompetenzen einzuordnen. Die Aufgabe bestand darin, den angegebenen 25 Kompetenzen Punkte von fünf bis eins zu vergeben. Die aus Expertensicht fünf wichtigsten Kompetenzen sollten fünf Punkte, die fünf zweitwichtigsten Kompetenzen vier Punkte, die fünf drittwichtigsten Kompetenzen drei Punkte, usw. erhalten. Zur Auswahl standen dabei Kompetenzen wie beispielsweise schriftliche (und digitale) Niederschriften für Kollegen und Betreuer; verbale Kommunikation mit Kollegen und Betreuern; Teamwork und Kollegialität; Empathie und Offenheit; aktives Zuhören gegenüber Patienten, etc. Die gesamten 25 Kompetenzen inklusive ihrer differenzierten Beschreibungen finden sich im Anhang A VI (Extras Online). Von 24 möglichen niederländischen und 36 in Frage kommenden deutschen Experten haben sich jeweils acht an der im Winter 2010 durchgeführten Befragung beteiligt. Die Teilnehmenden repräsentierten dabei verschiedene medizinische Disziplinen wie beispielsweise Innere Medizin, Gynäkologie, Psychiatrie, etc. Am Ende zeigte sich eine hohe Übereinstimmung der jeweils ersten zehn Kompetenzfacetten, die für die Teilnehmenden beider Ländern eine besonders relevante Rolle spielten, in Bezug auf das Anvertrauen unbekannter kritischer medizinischer Situationen an ihre Mitarbeitenden (Wijnen-Meijer, van der Schaaf, Nillesen,

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung

161

Harendza, & ten Cate 2013d). Folgende Kompetenzfacetten haben die ersten zehn Rangplätze eingenommen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Wissenschaftlich und empirisch begründete Arbeitsmethoden Kennen und Handhaben von persönlichen Grenzen und Möglichkeiten Aktive professionelle Entwicklung Teamwork und Kollegialität Aktives Zuhören gegenüber Patienten Verbale Kommunikation mit Kollegen und Betreuern Empathie und Offenheit Verantwortung Umgang mit Fehlern Sicherheit und Risikomanagement

Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurde die Simulation entwickelt und in einem Pilottest getestet. Für die Simulation mussten dabei Patientenfälle entwickelt und entsprechende SPs geschult werden. In den folgenden Abschnitten wird zuerst die Entwicklung und Erprobung der klinischen Szenarien dargestellt. Anschließend findet sich die Konzeption der Kompetenzprüfung nach Anpassungen auf Basis der Ergebnisse des Pilottests. Dabei wird zur besseren Verständlichkeit nur sehr verkürzt auf die Konzeption und Durchführung des Pilottests eingegangen. Daran anschließend werden die eingesetzten Instrumente der Kompetenzprüfung und die Beurteilerschulung beschrieben, die ausführlich vor dem Pilottest stattfand und vor dem überarbeiteten Kompetenzerfassungsverfahren noch einmal aufgefrischt wurde.

7.4.4

Entwicklung von Patientenfällen für den simulierten Arbeitstag

Für die Kompetenzprüfung wurden ursprünglich sechs Patientenszenarien 15 entwickelt, anhand derer die ersten zehn im Delphi-Verfahren priorisierten Kompe-

15

Aufgrund weiterer Verwendungen innerhalb von Forschungskontexten ist die Übersicht der klinischen Fallszenarien dieser Arbeit nicht veröffentlicht und nicht als Anlage beigefügt, kann aber bei der Autorin angefragt werden.

162

7 Design und Methodik

tenzfacetten von Oberärzten und Pflegekräften innerhalb der Simulation beurteilt werden sollten. Dementsprechend wurden diese unbekannten medizinischen Situationen so konzipiert, dass es möglich war, die angegebenen Kompetenzen zu beobachten. Die Fälle deckten dabei unterschiedliche klinische Bereiche ab. Es wurden ein pädiatrisches, ein neurologisches und ein chirurgisches Szenario sowie drei internistische Szenarien, von denen zwei sehr komplex waren, entwickelt. Einer der komplexen internistischen Fälle bezog sich auf das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS), eine seltene Erkrankung der kleinen Blutgefäße, die häufig als Folge von Bakteriengiften Blutzellen zerstört sowie die Nierenfunktion schädigt. In Deutschland und insbesondere in Norddeutschland kam es in der Zeit von Mai bis Juli 2011 zu einer ungewöhnlichen lokalen und zeitlichen Häufung schwerer und untypisch verlaufender Fälle eines HUS mit Durchfall bei Erwachsenen durch EHEC (enterohämorrhagische Escherichia coli) Bakterien (Harendza, 2011). Aufgrund dieser besonderen lokalen Situation wurde der ursprünglich erarbeitete HUS-Fall durch ein anderes internistisches Szenario ersetzt, da die Hamburger PJ-Studierenden angesichts der durchlebten EHEC-Epidemie sofort eine HUS-Diagnose in Betracht gezogen hätten. Der Entwicklungsprozess aller Szenarien erfolgte unter der Beteiligung von niederländischen und deutschen Klinikern, die in einem regen Austausch die Fälle immer wieder überarbeitet, optimiert und in Bezug auf das diagnostische Verfahren und die Behandlung abgestimmt haben, bis sich die Experten beider Länder einig waren und die Fälle realistischen Szenarien, wie sie im Klinikalltag anzutreffen sind, entsprachen. Diesen Vorgaben entsprechend wurden dann auch die SPs in Kooperation mit dem Simulationspatientenprogramm des Instituts für Allgemeinmedizin des UKE in den Rollen und der Anwendung des CAREBogens geschult. Auf Basis der Ergebnisse und des Feedbacks der Beurteilenden und SPs des Pilottests wurden die Szenarien noch einmal kritisch überarbeitet. Dabei wurde auch entschieden, ein internistisches Szenario auszuschließen und in der Simulation die folgenden fünf Szenarien durchzuführen: 1.

Besorgte Mutter eines 5-jährigen Mädchens mit Müdigkeit und Bauchschmerzen (Pädiatrie)

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung 2. 3. 4. 5.

7.4.5

163

53-jähriger Mann mit Bluthusten und progressiver Müdigkeit (Innere Medizin) 58-jährige Frau mit starken Bauchschmerzen (Chirurgie) 65-jährige Frau mit Sprech- und Schluckproblemen in Begleitung ihres Mannes (Neurologie) 36-jähriger Mann mit rheumatoider Arthritis und Fieber (Innere Medizin)

Konzeption des simulierten ersten Arbeitstages

Am Pilottest nahmen drei Studierende aus dem dritten Studienjahr, drei aus dem sechsten Studienjahr und drei im ersten Weiterbildungsjahr tätige Ärzte als Kandidaten sowie Oberärzte, Pflegekräfte und SPs als Bewertende teil. Die Auswahl der Studierenden bzw. Ärzte begründete sich in dem unterschiedlichen Ausbildungsstand, der sich in Bezug auf das Umgehen und Lösen der unbekannten medizinischen Situationen in der Kompetenzprüfung widerspiegeln sollte. Als Rückmeldung gab es u.a., dass die Kandidaten, Beurteiler, Pflegekräfte und SPs das Setting als realistisch erfahren haben. Dabei wurde auch den SPs seitens der Kandidaten eine hohe Glaubwürdigkeit ihrer Auftritte attestiert. Im Pilot wurden alle zehn Kompetenzfacetten verwendet. Nach den Erfahrungen mit diesen wurde für die Hauptstudie entschieden, sieben auszuwählen, die innerhalb einer Simulation eines ersten Arbeitstages eines Assistenzarztes in einem Klinikum von Oberärzten und Pflegepersonal, gut zu beobachten und zu bewerten sind. Dabei sind die Kompetenzfacetten Aktives Zuhören gegenüber Patienten (5) und Empathie und Offenheit (7) heraus gefallen, da auf diese bereits mit dem CARE-Bogen Bezug genommen wurde sowie die Facette Umgang mit Fehlern (9), da diese nur durch längere Beobachtungen bewertet werden kann. Nach Anpassungen auf Basis der Ergebnisse des Pilottests wurden das Verfahren und der Ablauf wie folgt konzipiert: 1. Begrüßung des Kandidaten durch den zuständigen Oberarzt (Supervisor) wie es im Klinikalltag häufig vorkommt: Sie haben gerade Ihr Medizinstudium abgeschlossen und dies ist ihr erster Tag auf einer für Sie unbekannten Abteilung. Ich bin Ihr Oberarzt, aber leider muss ich jetzt weg. Die Termine

164

7 Design und Methodik mit den Patienten können nicht abgesagt werden und Sie sind für diese verantwortlich. Wenn es nötig ist, können Sie mich anrufen. Nach der Hälfte und am Ende des Tages komme ich bei Ihnen vorbei, um mit Ihnen zu besprechen, wie es läuft.

2.

Patientenkonsultationen: In dieser Zeit hatten die Kandidaten Konsultationen mit den geschulten SPs. Dabei saßen sie jeweils in einem Sprechzimmer und wurden von den SPs in diesem aufgesucht. Pro Konsultation standen ihnen zehn Minuten Zeit zur Verfügung16. Der Beginn und das Ende wurden durch einen laut hörbaren Gong deutlich gemacht, so dass alle Kandidaten zur gleichen Zeit begannen und auch ihr Patientengespräch beendeten. Nach der Konsultation füllten die SPs den CARE-Bogen zur Bewertung der ärztlichen Empathie aus. Dafür sowie für den Raumwechsel der SPs wurden drei Minuten benötigt, so dass eine Gesamtzeit von 65 Minuten pro Gruppe für diesen Abschnitt gebraucht wurde. Die Konsultationen wurden auf Video aufgezeichnet wobei die Kamera so installiert war, dass der PJStudierende und der SP gut zu sehen waren.

3.

Selbststudienzeit: Nach den Konsultationen hatten die Kandidaten drei Stunden Selbststudienzeit zur Verfügung, in der sie im Internet recherchieren, Laboruntersuchungen in Auftrag geben und bei Bedarf ihren Oberarzt telefonisch kontaktieren konnten. Bei den Telefonkontakten konnten die Oberärzte nach eigenem Ermessen entscheiden, ob sie in einem bestimmten Moment ans Telefon gingen, die Kandidaten darum baten, sie später noch einmal anzurufen oder ihnen versprachen sich selbst später noch einmal telefonisch zu melden. Besonders wichtig dabei war es, dass die Oberärzte bei den telefonischen Kontakten möglichst so reagierten, wie sie normalerweise in ihrer oberärztlichen Position reagieren würden. Sie konnten den Kandidaten zuhören, ihnen Fragen stellen und ihnen eventuell einen kleinen Hinweis in die richtige Richtung geben, aber sie sollten nicht zu

16

Dieser Zeitrahmen entspricht in Deutschland gemessenen durchschnittlichen Werten einer Konsultationsdauer (im Zeitraum 1997-2000 durchschnittlich gemessene Dauer: 7,6 Minuten) (Bahrs & Dingelstedt, 2009).

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung

165

schnell Informationen preisgeben, die zur richtigen Diagnose führten. Von allen Kontaktmomenten mit den Kandidaten sollten sich die Oberärzte eine kurze Notiz in einem beigefügten Beurteilungs-Logbuch machen. Darüber hinaus wurden die Studierenden in der Selbststudienphase von einer Pflegekraft beobachtet und nach unterschiedlichen Zeitintervallen sowohl vom Pflegepersonal als auch von für die Untersuchung rekrutierten Personen mit festgelegten Rollen gestört (Tabelle 13). Den Pflegekräften und anderen Beteiligten wurden die Beschreibungen der Störungen inklusive möglicher Lösungen der Kandidaten und des eigenen Verhaltens während der Situationen schriftlich ausgehändigt. Zu möglichen Lösungsansätzen gehörten dabei beispielsweise kurzes Nachschlagen, was getan werden kann/muss oder Rücksprache mit dem Oberarzt. Da die Kandidaten nach der Konfrontation mit einer der Störungen möglicherweise Kontakt zu den Oberärzten suchen würden, bekamen auch diese eine Beschreibung der verschiedenen Störfaktoren, bei denen mögliche Hinweise auf ihre eigene oberärztliche Rolle unterstrichen waren. Tabelle 13: Störungsplan während der Simulation

Nr.

Selbststudienzeit (gesamt 3 Stunden)

1

35 Minuten

33-jähriger Mann: Epileptischer Anfall (Pflegekraft)

2

60 Minuten

Kaliumwerte (Pflegekraft)

3

1 Stunde 30 Minuten

53-jähriger Mann, der Blut abhustet (Pflegekraft)

4

1 Stunde 45 Minuten

Emma ruft an wegen Änderung Dienstplan

1 Stunde 55 Minuten 5 2 Stunden 10 Minuten

6

2 Stunden 25 Minuten

Störung

Pflegekraft kommt, Fingerverband zeigen (Pflegekraft) Oberarzt und Beurteiler-Kollege kommen, um den Kandidaten zu sehen Medizinstudierende/r kommt mit Bitte um Information bezüglich Patient mit Bluthusten

166

7 Design und Methodik In der Mitte der Selbststudienzeit stattete der Oberarzt seinem entsprechenden Teilnehmenden einen Besuch für eine kurze Lagebesprechung ab. Dabei begleitete ihn ein Beurteiler-Kollege (Assessor), der auch alle Kontaktaufnahmen der Kandidaten mit dem entsprechenden Oberarzt vorher mithörte, in dieser Rolle selbst aber keine Informationen abgab und sich auch nicht ins Gespräch einmischte. Nach Ende der Selbststudienzeit füllten die Pflegekräfte direkt die Beurteilungsformulare der Kompetenzfacetten der einzelnen Kandidaten aus und teilten dem zuständigen Oberarzt telefonisch kurz ihre Eindrücke mit. Jeder Oberarzt und Assessor betreute als erfahrener Kliniker in seiner Supervisor- oder Beobachter-Rolle dabei insgesamt sechs Kandidaten, einen in jeder Gruppe. Die Pflegekräfte standen jeweils mit zehn Kandidaten von zwei Gruppen in Kontakt.

4.

Report: In dieser 30 Minuten dauernden Berichterstattungsphase präsentierten die Kandidaten ihrem Oberarzt und dem Beurteilerkollegen die Patientenfälle mit Diagnostik- und Behandlungsvorschlägen wie bei einer Stationsbesprechung, bei der nach Bedarf Fragen gestellt werden konnten. Dabei entschieden die Kandidaten selbst, wie sie die 30 Minuten inhaltlich gestalteten, in welcher Reihenfolge sie die Patientenfälle präsentierten und wie viel Zeit sie für den Bericht über jeden einzelnen SP aufwendeten.

5.

Bewertungsformulare: Nach der Berichterstattungsphase hatten die Oberärzte und Beurteilerkollegen ca. 20 Minuten Zeit Beurteilungsformulare auszufüllen. Besonders wichtig dabei war, dass sich die Kollegen während der Beurteilung nicht über die Kandidaten austauschten, die von ihnen gemeinsam beurteilt wurden.

7.4.6

Beurteilung ärztlicher Kompetenzfacetten

Die Kandidaten wurden dabei von den Oberärzten anhand von Beurteilungsformularen der eingeschlossenen Kompetenzfacetten und in Bezug darauf beurteilt inwiefern sie den Kandidaten bestimmte medizinische Situationen anvertrauen würden. Darüber hinaus wurde auf Basis der Pilotergebnisse ein Instrument eingesetzt, mit dem die Kandidaten ihre Diagnostik- und Therapievorschläge auch

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung

167

schriftlich für die Berichtphase festhalten sollten. Diese Instrumente werden in den folgenden Abschnitten beschrieben und es wird auch auf ihre Gütekriterien eingegangen.

7.4.6.1 Beurteilungsformular Kompetenzfacetten (FOCs) Die Oberärzte bewerteten die Studierenden nach den Patientenfällen gegliedert in Bezug auf folgende Kompetenzfacetten: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Wissenschaftlich und empirisch fundierte Arbeitsmethoden, Kenntnis und Beachtung der persönlichen Grenzen und Möglichkeiten, Teamwork und Kollegialität, Verbale Kommunikation mit Kollegen und Supervisoren (Oberärzten), Verantwortung, Sicherheit und Risikomanagement, Aktive professionelle Entwicklung.

Die Pflegekräfte bewerteten bis auf die letzte Kompetenzfacette die gleichen Aspekte17. Jede Kompetenzfacette sollte mit Bezug auf den entsprechenden standardisierten Patientenfall anhand einer dreistufigen Likert-Skala (1 = schwach; 2 = akzeptabel; 3 = gut) bewertet werden. Darüber hinaus wurde auf einer fünfstufigen Likert-Skala (1 = sehr schwach; 2 = schwach; 3 = akzeptabel; 4 = gut; 5 = sehr gut) ein zusammenfassendes Endurteil der jeweiligen Kompetenzfacette abgegeben. Das Instrument wird im Sinne der englischen Übersetzung von Kompetenzfacetten als ´facets of competence´ mit dem Akronym FOC abgekürzt. In Bezug auf Gütekriterien berichten Wijnen-Meijer et al. (2013a) anhand des PhiKoeffizienten gute Reliabilitätswerte (0,74 bis 0,89). In dieser Arbeit wird die Reliabiltät des Instruments bei der hier untersuchten Gruppe den anderen Instrumenten entsprechend anhand der internen Konsistenz mittels Cronbachs Alpha und, da die Instrumente der Oberärzte immer von zwei Beurteilenden ausgefüllt wurden, der Interrater-Reliabilität anhand der ICC bestimmt.

17

Aufgrund weiterer Verwendungen innerhalb von Forschungskontexten sind die Beurteilungsformulare der Kompetenzfacetten nicht veröffentlicht und dieser Arbeit nicht als Anlage beigefügt, können aber bei der Autorin angefragt werden.

168

7 Design und Methodik

Interne Konsistenz der FOCs Wie der nachfolgenden Tabelle 14 zu entnehmen ist, wurden die Skalen der FOCs, in die die Bewertungen pro standardisiertem Patientenfall sowie das Endurteil eingingen, von den Oberärzten sowohl in der Rolle des direkten Betreuers als auch in der Beobachterrolle konsistent genutzt. Auch die Pflegekräfte zeigten eine gute konsistente Nutzung des Beurteilungsinstruments. Tabelle 14: Interne Konsistenz der FOCs (Cronbachs Alpha)

Nr.

1

2

Kompetenzfacette (FOC) Wissenschaftlich und empirisch fundierte Arbeitsmethoden Kenntnis und Beachtung der persönlichen Grenzen und Möglichkeiten

1. Supervisor

2. Supervisor

Pflege18

(n = 30)

(n = 30)

(n = 26/27)

,86

,81

,81

,83

,88

,90

3

Teamwork und Kollegialität

,91

,96

,74

4

Verbale Kommunikation mit Kollegen und Supervisoren (Oberärzten)

,89

,90

,77

5

Verantwortung

,88

,92

,75

,77

,89

,87

,84

,83

6 7

Sicherheit und Risikomanagement Aktive professionelle Entwicklung

n = Anzahl der Versuchspersonen

Interrater-Reliabilität der FOCs der Oberärzte Jedes ärztliche Team bewertete jeweils sechs Studierende, jeweils drei als direkter Ansprechpartner und drei als Beobachtende. Insgesamt standen zehn Oberärzte als Rater aufgeteilt in fünf Zweiergruppen zur Verfügung. Dementsprechend wurden nicht alle Studierenden von allen Ratern bewertet. Daher wurde

18

Da die Pflege eine Kompetenzfacette (FOC) weniger bewertet hat, findet sich für die FOC 7 entsprechend kein Wert.

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung

169

entsprechend der CARE-Interrater-Reliabilität der Studierenden im mittleren Abschnitt die unjustierte, also absolut übereinstimmende einfaktorielle Intraklassenkorrelation (ICC unjust, einfakt (ICC(1)) berechnet. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Varianzhomogenität der Endurteile und der ausschließlichen Verwendung dieser Endurteile für weitere Untersuchen wurde die ICC(1) der fünfstufigen Skala berechnet und wird entsprechend berichtet. Die ICC(1) gesamt der zwei Oberärzte war bei allen sieben Kompetenzfacetten mit einem Wert von p < ,001 hochsignifikant (Anhang B Anhangs-Tabelle 6) (Extras Online). Bei einer, wenn auch nur sehr vagen Richtlinie von 0,7 als Zeichen für eine gute Reliabilität (Wirtz & Caspar, 2002), zeigte sich bei allen Kompetenzfacetten mit Ergebnissen von ,842 bis ,911 (Anhangs-Tabelle 6) der durchschnittlichen Maße eine gute bis sehr gute Interrater-Reliabilität. Zusammenfassend kann das Instrument somit als reliabel und geeignet gefasst werden. In sechs der sieben Kompetenzfacetten wurden die Studierenden auch von den ihnen zugeteilten Pflegekräften bewertet. Da die Pflegekräfte allerdings zweimal einer Gruppe zugeteilt wurden, sie also theoretisch jeweils zehn Studierende bewerteten, dabei allerdings nicht immer die gleichen wie die jeweiligen oberärztlichen Teams und es darüber hinaus bei einer Pflegekraft zu Datenverlust kam, wurde die ICC bei den Pflegekräfte nicht berechnet. Es wurde allerdings inhaltlich untersucht, ob es Unterschiede zwischen den beiden Bewertungsgruppen der Oberärzte und Pflegekräfte gab. Die entsprechenden Ergebnisse finden sich im Ergebniskapitel acht.

7.4.6.2 Entrustable Professional Activities ¬ Eignungsbewertungen (EPAs) Bei den sog. Entrustable Professional Activities (EPAs)19 handelt es sich um Tätigkeitskonstrukte, bei denen anhand von realen professionellen Handlungen, die in einem definierten klinischen Kontext auftreten, entschieden wird, inwieweit

19

Deutsche Übersetzung Anvertraubare professionelle Tätigkeiten (APT) (Kadmon et al. 2013). Diese Arbeit wird allerdings den englischen Begriff bzw. die Abkürzung verwenden, da das Instrument zur Erfassung original als erstes im Englischen erschienen ist und auch international darunter verwendet wird.

170

7 Design und Methodik

diese Handlungen an einen angehenden Arzt (PJ-Studierenden oder Arzt in Weiterbildung) übertragen werden können unter der Voraussetzung, dass eine entsprechende Kompetenzstufe erreicht wurde (Ten Cate, 2005). Das Instrument kann vielfach in der ärztlichen Fachweiterbildung und im PJ seitens der Ausbilder eingesetzt werden. Bei der Beurteilung der EPAs entscheidend ist dabei „der Grad der Selbstständigkeit, die dem Aus- und Weiterzubildenden zugetraut werden kann und das Ausmaß der Supervision definieren sollte“ (Kadmon et al., 2013). Der EPA-Ansatz beruht auf Zutrauen im Sinne von Anvertraubarkeit als zentralem Konzept für Patientensicherheit und effektivem Gesundheitsmanagement (Ten Cate, 2013) und verfolgt das Ziel, Kompetenzen im klinischen Alltag abzubilden. Dabei werden in der Praxis entrustment decisions von vier Variablen beeinflusst: Merkmale des Auszubildenden/Studierenden (z.B. müde, vertrauend, souverän, Ausbildungsstand); Merkmale des Ausbilder (z.B. mild oder streng); Kontext (z.B. Tageszeit, Ort) und die Beschaffenheit der EPA (selten und komplex vs. üblich und einfach). EPAs sind von Kompetenzen zu unterscheiden, da es bei EPAs um Handlungen geht, für die in integrativer hollistischer Weise mehrere relevante Kompetenzen erforderlich sind. Sie können daher in Komplexität und Umfang variieren. So kann eine komplexe EPA aus verschiedenen, weniger komplexen EPAs bestehen. EPAs werden aufgefasst als unabhängig ausführbare Handlungen, die in ihrem Ablauf und Ergebnis beobachtbar und messbar sind und daher eine geeignete Basis für Anvertraubarkeitsentscheidungen bilden. Die Entwicklung von EPAs orientiert sich an folgenden Kriterien (Ten Cate, 2013, Kadmon et al., 2013): 1. 2. 3.

Die Auswahl der EPAs sollte hinsichtlich eines bestimmten Ausbildungsziels erfolgen. Es sollten reale professionelle Handlungen identifiziert werden. Vorab sollte über die Anzahl und den Umfang entschieden werden.

Jede EPA sollte einen kurzen prägnanten Titel tragen und hinsichtlich der Beschreibung ist darauf zu achten, dass die ärztliche Tätigkeit genau formuliert wird und die für die EPA erforderlichen Kompetenzen inklusive eventueller Subkompetenzen identifiziert werden. Darüber hinaus müssen Informationen über den

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung

171

Beobachtungsprozess vorhanden und klar sein und es muss Einigkeit darüber bestehen, ab welchem Level damit zu rechnen ist, dass die Handlungen seitens des Aus- und Weiterzubildenden ohne Betreuung übernommen werden können. Die übergeordnete Frage der EPAs lautet: In welchem Maße würden Sie dieser Person die Durchführung neuer, kritischer klinischer Aktivitäten anvertrauen? Dabei werden die EPAs anhand einer graduell ansteigenden fünfstufigen LikertSkala bewertet: 1 = Das traue ich ihm/ihr überhaupt nicht zu; 2 = Das traue ich ihm/ihr unter direkter Aufsicht zu; 3 = Das traue ich ihm/ihr unter auf Abruf verfügbarer Aufsicht zu; 4 = Das traue ich ihm/ihr ohne Aufsicht zu; 5 = Dabei kann er/sie eine andere Person beaufsichtigen. Für die Kompetenzprüfung wurden neun EPAs20 als theoretische Handlungen entwickelt, denen jeweils zwei bis vier der Kompetenzfacetten zugrunde liegen und deren Anvertraubarkeit am Ende der Kompetenzprüfung in Bezug auf die Studierenden durch die Oberärzte bewertet wurde. Aufgrund der Beobachtungen und Kontakte zu den jeweiligen Kandidaten sowie der Berichterstattung am Ende des Tages konnten sich die Oberärzte somit erst einen Eindruck hinsichtlich des Kompetenzlevels der Studierenden verschaffen, auf dessen Basis sie dann nach der Oberarztbesprechung die Entscheidungen für die Anvertraubarkeitsstufe der EPAs bei den jeweiligen Kandidaten treffen konnten. Folgende EPAs, die mit drei bis vier Sätzen genauer beschrieben wurden, wurden dabei bewertet: • • • • • • •

20

Notfallbehandlung bei akuter Herzinsuffizienz Gespräch mit einem Patienten, der sich beschweren möchte Prä-operative Information und Einwilligung Überbringen einer schlechten Nachricht Klinische Entscheidung unter Zeitdruck Lösen eines Organisationsproblems Verdacht einer selbstinduzierten Krankheit

Aufgrund weiterer Verwendungen innerhalb von Forschungskontexten sind die eingesetzten EPAs dieser Arbeit nicht veröffentlicht und nicht als Anlage beigefügt, können aber bei der Autorin angefragt werden.

172 • •

7 Design und Methodik Management eines kritisch kranken Patienten Interaktion mit einem Konsiliar

Bei der Entwicklung dieser neun EPAs wurde darauf geachtet, dass jede der vorher bewerteten sieben Kompetenzfacetten sich in mindestens einer EPA als benötigte Kompetenz zur Ausführung der EPA wiederfand. So wurde bei der Entwicklung sichergestellt, dass mit den neun EPAs alle Kompetenzfacetten umfasst wurden. Um den Zusammenhang zwischen den FOCs und EPAs als weiteres Qualitätsmerkmal der Instrumente nachzuweisen, berechneten Wijnen-Meijer et al. (2013a) Pearson-Korrelationen, welche bei zweiseitiger Testung alle signifikant waren. Die Reliabilitätsprüfung der EPAs erfolgte analog der bereits dargstellten Instrumente in dieser Arbeit anhand der Interrater-Reliabilität mittels der ICC. Interrater-Reliabiltät der EPAs Die Varianzhomogenität war für alle EPAs gegeben. Eine interne Konsistenz der EPAs nach Bewertenden wurde nicht berechnet, da jeder Oberarzt nur ein Urteil pro EPA abgegeben hat und somit keine inhaltliche Skala mit mehreren Items vorlag um eine Berechnung durchzuführen. Die Ergebnisse zeigten, dass die ICC nur in den EPAs 1, 5, 8 und 9 signifikant war und nur beim ‚Management eines kritisch kranken Patienten‘ mit einem durchschnittlichen Maß von ,689 eine gute Reliabilität erreichte. Die weiteren signifikanten EPAs bewegten sich mit Durchschnittsmaßen von ,601 bis ,532 im mittleren Bereich. Bei der EPA 4 ‚Überbringen einer schlechten Nachricht‘ nahm die ICC einen negativen Wert an, was als ein Hinweis auf eine Reliabilität von 0 gewertet werden muss (Anhang B AnhangsTabelle 7) (Extras Online). Die geringen Reliabilitätsergebnisse bei den EPAs könnten auch dadurch zustande gekommen sein, dass die Unterschiede zwischen den Mittelwerten der Studierenden nur geringfügig waren und dadurch keine oder keine bedeutsame Reliabilität gemessen werden konnte, da es umso schwieriger ist, die Varianz aufzuklären, wenn von dieser nur wenig in den wahren Werten vorhanden ist. Bei Betrachtung der Rohwerte der EPA 4 zeigte sich allerdings, dass die beiden Rater die Studierenden zum Teil sehr konträr bewertet haben. Die geringe Übereinstimmung ist bei der Interpretation weiterer Analysen zu berücksichtigen.

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung

173

7.4.6.3 Post Patient Encounter Forms Auch das Instrument Post Patient Encounter Forms (PPEF) kam seitens der Studierenden zum Einsatz, wurde allerdings nicht von allen Kandidaten benutzt und konnte daher nicht in die Datenanalyse einbezogen werden. Der Vollständigkeit entsprechend wird es an dieser Stelle kurz dargestellt. Beim PPEF handelt es sich um ein Instrument, das, basierend auf der PostEncounter Form von Durning, et al. (2012) entwickelt und validiert wurde und das als Instrument zur Erfassung von Clinical Reasoning sechs Aspekte der Patientenbehandlung umfasst. Dazu gehören: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

die Patientenbeschreibung in einem Satz mit den wichtigsten Krankheitsmerkmalen, die Beschreibung von drei Problemen im Sinne von Beschwerden oder Symptomen des Patienten, drei mögliche Differentialdiagnosen beginnend mit der wahrscheinlichsten und unter Erklärung der wichtigsten Probleme, Auswahl von vier Merkmalen aus der Anamnese oder körperlichen Untersuchung, die die wahrscheinlichste Diagnose stützen, Vorschlag von drei Therapie- oder Behandlungsoptionen beginnend mit der erfolgsversprechendsten und drei Argumente zur Begründung der Therapie- und Behandlungsoption.

Die Originalautoren geben an, dass das Instrument vor dem Hintergrund von Bewertungen des Clinical Reasonings häufig in OSCEs eingesetzt wird. In Bezug auf psychometrische Gütekriterien berichten sie gute Werte hinsichtlich der Durchführbarkeit gemessen an der benötigten Zeit, einer Interrater-Reliabilität von ,82 und guten Validitätswerten ermittelt durch Vergleichsuntersuchungen mit anderen OSCE-Komponenten. Insgesamt handelt es sich um ein brauchbares Instrument, das für eine Abschlussdokumentation genutzt werden kann, wobei es dem Prüfling eine Zusammenfassung und Reflexion der eigenen Überlegungen und

174

7 Design und Methodik

Entscheidungen ermöglicht und dem Prüfer eine gute Entscheidungsgrundlage für seine Bewertung bietet21.

7.4.6.4 Die Beurteilerschulung Um mit dem Setting und den zu benutzenden Instrumenten vertraut zu werden, fand vor dem Pilottest für die beteiligten Oberärzte und Pflegekräfte eine Beurteilerschulung statt, deren Inhalte vor der Hauptuntersuchung im Juli 2011 noch einmal aufgefrischt wurden. Das Schulungsprogramm war folgendermaßen aufgebaut: • • • • • • • • • •

Begrüßung Kennenlernen, Einführung Inhalt und Ziele der Studie mit den PJ-Studierenden Kurzvortrag EPAs Ergebnisse Delphi-Studie: zu beurteilende Kompetenzfacetten Praktische Übung: Kompetenzbeurteilung Bewerten während des Beurteilungstages, Fallstricke Wann ist Kompetenz ausreichend? Konsens erreichen Das holistische Urteil, EPAs Abschluss, Vereinbarungen, Fragen

Nach der Begrüßung und dem Kennenlernen wurde den Teilnehmenden das Gesamtkonzept der Untersuchung sowie der Ablauf der stattfindenden Kompetenzprüfung erläutert mit dem Ziel, dass allen Teilnehmenden der Kontext der Schulung und der Beurteilung deutlich wurde. Auch die exakten Daten des Pilottests und der endgültigen Kompetenzerhebung wurden mitgeteilt. Daran anschließend wurde dargelegt, dass die angestrebte Kompetenzerfassung als Kompetenzprüfung in einem arbeitsauthentischen Setting der höchsten Kompetenzstufe (Does) der Millerschen Kompetenzpyramide (Miller, 1990) (5.2.3) ent-

21

Aufgrund weiterer Verwendungen innerhalb von Forschungskontexten ist kein Abdruck des Instruments veröffentlicht und dieser Arbeit auch nicht als Anlage beigefügt, kann aber bei der Autorin angefragt werden.

7.4 Entwicklung einer kompetenzbasierten ärztlichen Prüfung

175

spricht. Dieser Kompetenzstufe getreu erfolgte die Konzeption und Durchführung auch entsprechend der statistischen Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität und Validität) auf die sowie auf deren Spannungsfeld ebenfalls eingegangen wurde. Nach diesen Darstellungen fand als Kurzvortrag die theoretische Einführung in das Erhebungsinstrument der EPAs sowie eine Darstellung der neuesten Erkenntnisse zur Beurteilung klinischer Kompetenzen statt. So verfügten alle Teilnehmenden am Ende dieser Mini-Vorlesung über den gleichen aktuellen Erkenntnisstand. Daran anschließend wurden die Delphi-Studie und die, aus dieser herausgearbeiteten, zehn bzw. sieben Kompetenzen dargestellt. Ziel dabei war es, zu verdeutlichen was, wie und warum beurteilt wird und welche Unterschiede zwischen den FOCs und den EPAs bestehen. Darüber hinaus wurden am Ende dieses Abschnitts die Szenarien präsentiert, die zum Einsatz kamen. Anhand der Bewertungsformulare (FOCs und EPAs) wurde erläutert, wie es mit den genutzten Instrumenten gelingt, anhand der Analyse verschiedener Kategorien zu einem holistischen, (im Verständnis von ganzheitlich, globalen) Urteil zu kommen. Im Zuge dessen wurde mit dem Ziel der Bewusstmachung von Beurteilungsfehlern, auch Bezug genommen auf eine Reihe von Fallstricken, die im Beurteilungsprozess auftreten können und die sich in die zwei Bereiche Beurteilungsfehler und Genauigkeit des Beurteilers klassifizieren lassen. Zu den Beurteilungsfehlern gehören der Distributions- und der Korrelationsfehler. Beim Distributionsfehler wird nicht die gesamte Skala verwendet und es besteht entweder eine Tendenz zu Mittelwerten oder zu zu positiven oder zu strengen Urteilen. Beim Korrelationsfehler hingegen bewerten die Beurteiler die verschiedenen Aspekte einer Kompetenz gleich, auch wenn ein deutlicher Unterschied zwischen den einzelnen Aspekten besteht. Es kommt dann zur Beurteilungsinflation, dem sogenannten Halo-Effekt. Die Gründe für diesen Prozess können unterschiedlich sein. So kann der Allgemeineindruck den Ausschlag bei der Beurteilung aller Kompetenzen geben oder ein Unwille oder Unvermögen, einen Unterschied zwischen den einzelnen Aspekten zu machen, zugrunde liegen. Auch Zögern oder Unwille, eine negative Bewertung zu geben oder unzureichendes Observieren oder Informieren über die Leistung eines Kandidaten können mögliche Gründe sein, ebenso wie der confirmation bias, der dann auftritt, wenn so bewertet wird, wie man es

176

7 Design und Methodik

selbst auch machen würde und daher davon ausgegangen wird, dass die Handlung stimmen wird. Auch durch die Nichteinbeziehung gegensätzlicher Informationen und Beobachtungen, den Grad der Bekanntschaft mit einem Teilnehmenden, den Grad der Vertrautheit mit medizinischen Kenntnissen, Fähigkeiten und Einstellungen oder dass die Aspekte einer Kompetenz faktisch nicht ganz unabhängig voneinander sind, entstehen Halo-Effekte (Rosenzweig, 2008). Bei der Genauigkeit der Beurteilenden ist die zentrale Frage, wie gut die Beurteilung zur tatsächlichen Performanz passt. Dabei spielen das Verhalten des Kandidaten und die Beurteilungsgenauigkeit eine entscheidende Rolle. Diese bemisst sich daran, ob ein Kandidat ein bestimmtes Leistungsniveau gezeigt hat und wie sich die Genauigkeit bei der Unterscheidung zwischen den verschiedenen Kandidaten und Aspekten der Kompetenzen zeigt. Am Ende sollten allen Teilnehmenden die eingesetzten Beurteilungsformulare sowie die Aspekte des holistischen Urteils deutlich sein. Zum Abschluss bekamen alle Teilnehmenden eine Mappe, die neben den ausgedruckten Powerpoint-Präsentationen, die entsprechenden Instruktionen, ein Beurteiler-Logbuch-Beispiel, sowie die ausführlichen Beschreibungen der Patientenszenarien und sieben Fachartikel enthielten. Auf noch ausstehende Fragen wurde eingegangen und allen Prüfern die Zeitpläne und Prüfereinteilungen ausgehändigt.

7.5

Umsetzung des Forschungsdesigns

In den folgenden Abschnitten werden die Datenerhebungen der beiden Studierendengruppen und der Aspekt beschrieben, inwiefern es gelungen ist, das Forschungsdesign umzusetzen.

7.5.1

Datenerhebung im mittleren Studienabschnitt

Im Oktober 2014 fand das reguläre Kommunikationstraining für den Regelstudiengang Medizin am UKE statt. Innerhalb dieses Kommunikationstrainings erfolgte die Datenerhebung der Studierenden im mittleren Studienabschnitt, die

7.5 Umsetzung des Forschungsdesigns

177

mit den Daten der PJ-Studierenden verglichen werden. Dafür wurden die Studierenden, die an den Stationen zwei und fünf das Gespräch führten, am Ende der Konsultation von dem SP und einem geschulten Rater anhand des CARE-Fragebogens Bogens in Bezug auf ihre empathische Kompetenz gegenüber den SPs bewertet. Die Wahl der Station zwei und fünf erfolgte aufgrund der Einschätzung und Empfehlung der Leitung des Simulationspatientenprogramms hinsichtlich der möglichen zu beobachtenden Aspekte und der bekannten Eigenschaften der SPs. Die zwei Rater wechselten bei der Bewertung so, dass beide gleich häufig die Stationen sahen (jeweils zweimal Station zwei und zweimal Station fünf). Neben dieser Besonderheit innerhalb des sonst normal ablaufenden Trainings bestand eine weitere darin, dass die Studierenden, die von den SPs und geschulten externen Ratern bewertet wurden, gebeten wurden am Ende des kompletten Rotationszyklus auf freiwilliger Basis den Persönlichkeitsfragebogen NEO-FFI und den IRI zur generellen empathischen Selbsteinschätzung auszufüllen, um damit vergleichbare Daten zu den PJ-Studierenden zu erhalten. Dafür bekamen die Studierenden, die das Gespräch geführt hatten, nach dessen Beendigung eine Nummer, die dann den weiteren Fragebögen zugeordnet wurde. Auf den Fragebögen selbst gaben die Teilnehmenden einen individualisierten Code an (die letzten drei Buchstaben des Vornamens der Mutter und des Vaters) über den ihnen, bei Interesse, die Ergebnisse zurück gemeldet werden konnten. Am Mittwoch, den 01.10. fand ein Durchlauf, am Donnerstag, den 02.10. fanden drei Durchläufe statt, so dass insgesamt 38 Studierende aufgeteilt auf vier unterschiedlich große Gruppen an der Studie teilnahmen. Als Anerkennung und Anreiz wurde pro Gruppe jeweils ein Lehrbuch verlost, daneben bekamen alle Teilnehmenden kleine Süßigkeiten als Aufmunterung. Das Ausfüllen der Fragebögen umfasste einen maximalen Zeitraum von 15 Minuten, die meisten Studierenden waren nach 10 Minuten fertig. Die Daten von 37 Studierenden konnten in die Auswertung einbezogen werden, ein Datensatz musste aufgrund offensichtlicher Falschausfüllung ausgeschlossen werden. Von diesen 37 Studierenden wurden 33 von einem geschulten Rater und einem SP durch den CARE-Bogen bewertet, bei vier Studierenden ist die Bewertung durch den SP aufgrund organisatorischer Probleme nicht gelungen, so dass diese nicht für den Vergleich genutzt werden konnten. Insgesamt

178

7 Design und Methodik

konnten also 33 Datensätze der Studierenden des mittleren Studienabschnitts verwendet werden.

7.5.2

Datenerhebung der PJ-Studierenden

Für die Rekrutierung der Untersuchungsgruppe wurden alle PJ-Studierenden des Jahrgangs 2010/2011 per Email angeschrieben. Die Anmeldung war freiwillig und auf first come – first serve Basis. Ein Ethik-Antrag mit der Projektnummer PV3649 der Ethikkommission der Ärztekammer Hamburg lag vor. Alle Studierenden nahmen freiwillig teil und waren darüber informiert, dass sie jederzeit von der Studie zurücktreten konnten. Neben der Möglichkeit den eigenen Wissensstand zu überprüfen und sich in einem praktischen Setting auszuprobieren, erhielten die Studierenden für ihre Teilnahme am Ende eine Aufwandsentschädigung von 100 Euro pro Person und die Rückmeldung ihrer individuellen Ergebnisse anhand ihres personifizierten Codes. Entsprechend der Konzeption fand die Kompetenzprüfung von 30 Studierenden am Ende ihres PJ im Juli 2011 in Hamburg am UKE statt. Dabei erfolgten am ersten Tag die Durchführung des Multiple-Choice-Wissentests und die Selbsteinschätzungen der Studierenden hinsichtlich ihrer Empathie anhand des IRI und in Bezug auf ihre Persönlichkeit anhand des NEO-FFI. Am darauffolgenden Tag wurde dann die praktische Kompetenzprüfung durchgeführt. Diese beinhaltete: •

• • • • • • • •

30 Teilnehmende – Studierende des letzten Studienjahres (jeweils fünf bildeten gemeinsam eine Gruppe, also sechs Gruppen zu jeweils fünf Teilnehmenden) Fünf Ambulanzstationen mit SPs 13 Prüfer (10 Oberärzte, 3 Pflegekräfte) Fünf Sprechzimmer Fünf Berichtzimmer Ein großer bzw. drei kleine Computerräume mit Internetzugang Fünf Filmkameras inklusive Equipment 28 Mobiltelefone (15 für Teilnehmende und 13 für Prüfende) Ausreichend Hilfskräfte für logistische Unterstützung.

7.5 Umsetzung des Forschungsdesigns

179

Die Prüfung wurde dann entsprechend der dargestellten Konzeption mit den drei Phasen Patientenkonsultationen, Selbststudienzeit und Berichterstattung und unter Einsatz der dargestellten Instrumente durchgeführt (7.4.5).

7.6

Zusammenfassung Design und Methodik

Um den Fragestellungen nachzugehen, wie sich Empathie im Studium direkt nach der Teilnahme an einem Kommunikationstraining mit empathischen Aspekten und am Ende des Studiums zeigt und wie Empathie im Zusammenhang mit weiteren ärztlichen Kompetenzen innerhalb einer kompetenzbasierten Prüfung steht, wurden zwei Studierendengruppen, einmal im mittleren Studienabschnitt und einmal am Ende des PJs untersucht. Die eingesetzten Analysemethoden inklusive Reliabilitätsanalysen sind entsprechend dargestellt. Neben der Erhebung soziodemographischer Daten kamen dabei verschiedene Selbst- und Fremdbeurteilungsinstrumente zum Einsatz, wobei auch der Aspekt der Persönlichkeit mit einem auf dem Fünf-Faktoren-Modell basierenden beschreibenden Persönlichkeitsinstrument einbezogen wurde. Das Verständnis von Empathie wurde durch die theoriegeleitete Auswahl der Instrumente operationalisiert, wobei dem Selbsteinschätzungsbogen ein multidimensionales Konstrukt mit affektiven und kognitiven Elementen zugrunde liegt, das anhand von vier Skalen erhoben wird. Auch dem Fremdbeurteilungsinstrument das von den in den Gruppen eingesetzten geschulten SPs zur Empathiebewertung der Studierenden genutzt wurde, liegt ein multidimensionales Konstrukt mit emotionalen, moralischen, kognitiven und Verhaltenskomponenten zugrunde, das durch das Instrument anhand einer Skala erfasst wird. Zur Erfassung der ärztlichen Kompetenz am Ende des Studiums wurden ein dem Niveau des medizinischen Staatsexamens entsprechender MC-Test und eine Simulation eines ersten Arbeitstages eines Assistenzarztes in einem Klinikum entwickelt. Ärztliche Kompetenz wurde dabei zum einen durch die Entwicklung des Wissenstests als Teil von Kompetenz und anhand eines Delphi-Verfahrens, innerhalb dessen zehn als besonders wichtig erachtete Kompetenzfacetten

180

7 Design und Methodik

von erfahrenen Medizinern ausgewählt wurden, operationalisiert. Dem DelphiVerfahren voraus ging dabei eine Befragung von Klinikern zu Leistungen von Medizinabsolventen. Auf den ausgewählten Kompetenzfacetten basierend wurden Kompetenzbewertungsformulare und ein Bogen zur Anvertraubarkeit verschiedener ärztlicher Tätigkeiten sowie Patientenfälle, anhand derer die priorisierten Kompetenzfacetten von Oberärzten und Pflegekräften beurteilt werden sollten, entwickelt. Die SPs wurden den entwickelten Fällen entsprechend sowie im Umgang mit dem Empathie-Bogen anhand dessen sie eine Empathie-Bewertung der teilnehmenden PJ-Studierenden vornahmen, geschult. Nach Auswertung des Pilottests wurden sieben Kompetenzfacetten für die kompetenzbasierte Prüfung ausgewählt. Die Kompetenzprüfung strukturierte sich dabei in drei Phasen: einer ersten Phase mit Patientenkonsultationen, einer zweiten Phase der Selbststudienzeit, sowie einer dritten Phase der Berichterstattung gegenüber den Oberärzten. Alle Entwicklungen erfolgten dabei unter Beachtung der gängigen Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität. Da sowohl die Studierenden des mittleren Studienabschnitts innerhalb des Kommunikationstrainings als auch die PJ-Studierenden innerhalb des konzipierten Verfahrens mit unbekannten medizinischen Situationen umgehen und diese bewältigen mussten, stellen beide Formate eine Kompetenzerfassung im Sinne der Definition von Kompetenz dar. Das Kommunikationstraining stellt dabei allerdings nur eine Teilprüfung ärztlicher Kompetenz dar, da es sich explizit auf die Kommunikations- und Empathie-Aspekte bezieht, während die Prüfung der PJ-Studierenden unter Einbezug des Wissenstests eine umfangreiche Kompetenzerfassung ärztlicher Kompetenz darstellt, bei der mehrere Aspekte aus unterschiedlichen Perspektiven beobachtet und bewertet werden. Während die Studierenden innerhalb des Kommunikationstrainings kommunikativen Anforderungen in einer Konsultationssituation gegenüber stehen, stehen die PJ-Studierenden in der Kompetenzprüfung der Herausforderung gegenüber mit mehreren Konsultationsanlässen, medizinischen Problemen und alltäglichen Störungen umzugehen. Die Bewertungen in beiden Settings stehen dabei in Verbindung mit den Personen, die die Beurteilungen durchgeführt haben, was bei der Diskussion der Ergebnisse zu berücksichtigen ist.

8

Ergebnisse

Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der beiden untersuchten Studierendengruppen dargestellt. Dies erfolgt im ersten Schritt getrennt voneinander. Am Ende des Kapitels findet sich der Vergleich der beiden Gruppen hinsichtlich der bei beiden Gruppen genutzten Instrumente in Bezug auf die Fragestellung, ob sich die beurteilte Empathie in Abhängigkeit des Studienabschnitts unterscheidet.

8.1

Beschreibung der Studierenden im mittleren Studienabschnitt

Im folgenden Abschnitt wird die Kohorte der Studierenden im mittleren Studienabschnitt hinsichtlich ihrer soziodemographischen Daten und ihres Abschneidens im NEO-FFI Persönlichkeitstest beschrieben. Anschließend erfolgt die Darstellung der Selbst- und Fremdeinschätzung der Empathie anhand der Werte des IRI (Selbsteinschätzung) und des CARE-Bogens (Fremdeinschätzung) inklusive Bezugnahme auf mögliche Geschlechtsunterschiede. Darauf folgen Zusammenhangsanalysen zwischen selbst- und fremdeingeschätzter Empathie (IRI und CARE) sowie zwischen diesen Einschätzungen und Persönlichkeitsmerkmalen (IRI und NEO-FFI sowie CARE und NEO-FFI).

8.1.1

Soziodemographische Daten

Die Geschlechtsverteilung war mit fast ebenso vielen Frauen wie Männern ausgeglichen und die meisten Studierenden fanden sich mit jeweils 15 Personen in den Alterskategorien 21-25 Jahre und 26-30 Jahre. Mit 66,7% hatten die meisten der Teilnehmenden ihr Studium im Zeitraum zwischen 2010-2011 aufgenommen, wobei sie sich damit zum Zeitpunkt der Erhebung überwiegend im sechsten bis

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Vogel, Kognitive und soziale Kompetenz im Arztberuf, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26380-5_8

182

8 Ergebnisse

neunten Fachsemester befanden (Tabelle 15). Ein Drittel der Studierenden hatte eine Ausbildung vor dem Studium absolviert, sieben davon im klinischen Bereich (Krankenpflege (4), Rettungssänitäter (2) und Zahnärztin (1)) und vier im nichtklinischen Bereich (Bankangestellte (1), Biochemiker BA (1), Psychologie-Studium (1) und Pharmazeutisch-technische Assistentin (1); ohne Tabelle). Mit 12,1% berichtete nur ein kleiner Teil der hier untersuchten Studierenden von einem Auslandsaufenthalt. Die Muttersprache der Studierenden war mit 78,8% mehrheitlich Deutsch (Tabelle 15). Tabelle 15: Soziodemographische Daten - Studierende mittlerer Studienabschnitt

Merkmal Geschlecht Männlich Weiblich Alter 21-25 Jahre 26-30 Jahre 31-33 Jahre 43 Jahre Studienbeginn 2006-2009 2010-2011 Fachsemesterzahl 6.- 9. Fachsemester 10.-13. Fachsemester Ausbildung vor dem Studium Ja Nein Auslandsaufenthalt Ja Nein Muttersprache Deutsch Andere

n

Prozentualer Anteil 33 17 16 33 15 15 2 1 33 11 22 33 24 9 33 11 22 33 4 29 33 26 7

51,5% 48,5% 45,5% 45,5% 6,0% 3% 33,3% 66,7% 72,7% 27,3% 33,3% 66,7%

12,1% 87,9% 78,8% 21,2%

8.1 Beschreibung der Studierenden im mittleren Studienabschnitt 8.1.2

183

Persönlichkeitsmerkmale (NEO-FFI)

In der folgenden Tabelle 16 finden sich die Mittelwerte der Testergebnisse der Skalen sowohl hinsichtlich der gesamten Gruppe als auch nach Geschlechtern aufgeschlüsselt. Der p-Wert und die Effektstärke beziehen sich auf den Geschlechtervergleich. Aufgrund der kleinen miteinander verglichenen Geschlechtergruppen wurde als Verfahren wie unter 7.2 beschrieben der Mann-WhitneyU-Test verwendet und als Effektstärke ist Phi angegeben. Für die Testwerte der Skalen liegen von Borkenau und Ostendorf (2008) Vergleichswerte vor, die in der Anhangs-Tabelle 8 (Anhang B Extras Online) dargestellt sind und mit den Ergebnissen der Studierenden im mittleren Studienabschnitt verglichen wurden. Tabelle 16: NEO-FFI Ergebnisse und Geschlechtervergleich - Studierende mittlerer Studienabschnitt

Merkmal

Gesamt

Männer

Frauen

(n = 33)

(n = 17)

(n = 16)

MW

SD

MW

SD

MW

SD

Signifikanz

Effektstärke Phi

p

rphi

Neurotizismus

16,24

± 7,20

12,65

± 5,07

20,06

±7,26

,002

,512

Extraversion

30,55

± 5,22

32,00

± 4,34

29,00

±5,75

,204

,022

Offenheit

31,91

± 5,31

32,23

± 5,65

31,56

±5,07

,557

,107

Verträglichkeit

34,91

± 5,77

34,41

± 6,25

35,44

±5,37

,581

,098

Gewissenhaftigkeit

35,61

± 6,11

34,70

± 6,55

36,56

±5,66

,606

,091

n = Anzahl der Versuchspersonen; MW = Mittelwert; SD = Standardabweichung, p zweiseitig

In den in die gleiche Richtung kodierten Merkmalen schätzten sich die Studierenden am höchsten im Merkmal Gewissenhaftigkeit ein, gefolgt von Verträglichkeit, Offenheit und Extraversion. Diese Reihenfolge gilt für beide Geschlechter. Es zeigte sich ausschließlich ein signifikanter Unterschied der Geschlechter im Merkmal Neurotizismus (Mdn gesamt = 15,00, Frauen = 20,00,

184

8 Ergebnisse

Männer = 11,00). Die Frauen weisen höhere Werte auf, U(17,16) = 54,50, z = 2,94, p = ,002, rphi = ,512 und verteilen sich wie die Abbildung 18 zeigt, über die Testwerte 10-40, während sich die Testwerte der Männer im Bereich unter 10 bis unter 30 bewegen. Es handelt sich um einen großen Effekt.

Abbildung 18: Vergleich mittlerer Ränge Neurotizismus Männer und Frauen - Studierende mittlerer Studienabschnitt

Bei den weiteren Merkmalen zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die neben, den in der Tabelle 16 genannten, genauen Ergebnisse der Teststatistiken sind folgende: x x x x

Extraversion: Mdn gesamt = 31,00, Frauen = 30,00, Männer = 32,00; U(16,17) = 100,50, z = -1,28 Offenheit: Mdn gesamt = 31,00, Frauen = 31,00, Männer = 33,00, U(16,17) = 119,00, z = -,614 Verträglichkeit: Mdn gesamt = 36,00, Frauen = 37,50, Männer = 36,00, U(16,17) = 120,50, z = ,560 Gewissenhaftigkeit: Mdn gesamt = 36,00, Frauen = 36,00, Männer = 35,00, U(16,17) = 121,50, z = ,520

Verglichen mit den Ergebnissen der bevölkerungsrepräsentativen Quotenstichprobe von Borkenau und Ostendorf (2008) (Anhang B Anhangs-Tabelle 8) (Extras

8.1 Beschreibung der Studierenden im mittleren Studienabschnitt

185

Online), bewerteten sich die Studierenden im mittleren Studienabschnitt signifikant bei mittleren bis starken Effekten als weniger neurotisch (t(902) = -3,40; p < ,001; d = ,629), extravertierter (t(902) = 3,22; p = ,001; d = ,624), offener (t(902) = 2,12; p = ,034; d = ,410), verträglicher (t(902) = 4,66; p < ,001; d = ,800) und gewissenhafter (t(902) = 2,77; p = ,005; d = ,491). Die weiblichen Studierenden des mittleren Abschnitts unterscheiden sich allerdings nicht signifikant im Merkmal Neurotizismus im Vergleich zu den Frauen der Bevölkerungsstichprobe (t(462) = -1,07; p = ,286).

8.1.3

Selbst- und Fremdeinschätzung der Empathie (IRI & CARE)

Die Selbsteinschätzung erfolgte anhand des IRI wie unter Punkt 7.3.2 beschrieben mit den Skalen Fantasie und Perspektivübernahme als kognitive Aspekte und Empathische Anteilnahme und Empathischer Distress als emotionale Bereiche. Fremdeingeschätzt wurde die Empathie mit acht Items des CARE-Bogens durch jeweils einen SP und einen externen Rater. Den Analysen lagen jeweils die Summenscores der Skalen zugrunde.

8.1.3.1 Selbsteinschätzung anhand des IRI Die Analysen zeigten, dass die Items der Empathischen Anteilnahme bei den Studierenden den höchsten Mittelwert aufweisen (Tabelle 17). Beim Merkmal Fantasie bewegen sich die Studierenden zwischen den Stufen zwei und drei (trifft manchmal und trifft oft zu) und bei der Perspektivübernahme tendieren sie im Mittel zur oft zutreffenden Ausprägung. Beim Empathischen Distress bewegen sie sich zwischen den Stufen eins und zwei (trifft selten und trifft manchmal zu). Der Geschlechtervergleich zeigte hinsichtlich der mittleren Ränge signifikante Unterschiede in Bezug auf Empathische Anteilnahme (Mdn gesamt = 20,00, Frauen = 23,00, Männer = 18,00; U(17,16) = 219,00, z = 2,99) und Empathischen Distress (Mdn gesamt = 10,00, Frauen = 12,50, Männer = 9,00; U(17,16) = 200,50, z = 2,34) bei einem starken und einem moderaten Effekt. In Bezug auf Perspektivübernahme und Fantasie ließen sich keine signifikanten Unterschiede feststellen, Mdn gesamt = 18,00, Frauen = 19,00, Männer = 17,00; U(17,16) = 165,00, z =

186

8 Ergebnisse

1,05, p = ,309 für Fantasie und Mdn gesamt = 20,00, Frauen = 20,00, Männer = 19,00; U(17,16) = 146,50, z = ,381, p = ,709 für Perspektivübernahme. Tabelle 17: IRI Ergebnisse und Geschlechtervergleich - Studierende mittlerer Studienabschnitt

Gesamt Merkmal

Männer

(n = 33)

Frauen

(n = 17)

MW

SD

Fantasie

17,28

±4,62

Perspektivübernahme

19,42

Empathische Anteilnahme Empathischer Distress

MW

(n = 16)

Signifikanz

Effektstärke Phi

p

rphi

SD

MW

SD

16,71

±4,15

17,87

±5,13

,309

,183

±3,41

19,23

±4,12

19,62

±2,58

,709

,067

19,97

±4,67

17,59

±4,64

22,50

±3,21

,002

,521

10,49

±4,09

8,71

±2,85

12,37

±4,42

,019

,408

n = Anzahl der Versuchspersonen; MW = Mittelwert; SD = Standardabweichung, p zweiseitig

8.1.3.2 Fremdeinschätzung anhand des CARE Die Fremdeinschätzung der Empathie erfolgte jeweils nach dem Gespräch einmal durch den SP und durch einen externen Rater. Dabei fand das Gespräch in den folgenden zwei Szenarien statt: 1. 2.

Rückenschmerzen, hinter denen ein verdecktes Rentenbegehren liegt (Med. Soziologie) Eine durch den Tod eines nahen Angehörigen ausgelöste Depression (Psychosomatik)

Da sich bei den Bewertungen der Studierenden durch die SPs im mittleren Abschnitt starke Deckeneffekte der Empathiebewertung zeigten, wurde die Skala

8.1 Beschreibung der Studierenden im mittleren Studienabschnitt

187

nach Umkodierung der Items für die Häufigkeitsverteilung in folgende drei Bereiche geteilt (Tabelle 18): Tabelle 18: Einteilung der CARE-Skala

Bereich

Beschreibung

Punkte

1

Teilweise empathisch

8-24

2

Empathisch

25-32

3

Sehr empathisch

33-40

Insgesamt wurden die Studierenden überwiegend als empathisch und sehr empathisch bewertet (Abbildung 19). Es zeigte sich allerdings auch, dass der jeweils externe Rater die Studierenden strenger bewertet hat im Vergleich zu den SPs (Abbildung 19). Die Verteilung auf die Kategorien zwei und drei war beim externen Rating relativ ausgeglichen, während bei den SPs die dritte Kategorie sehr empathisch mit 66,7% am häufigsten genutzt wurde. CARE-Kategorien 100%

66,7% 45,5%

50%

42,4%

27,3% 6,1%

SPs Externes Rating

12,1%

0% Teilweise empathisch

Empathisch

Sehr empathisch

Abbildung 19: Verteilung der Bewertungen über die CARE-Kategorien - Studierende mittlerer Stuidenabschnitt

188

8 Ergebnisse

Die weiteren statistischen Analysen bestätigten einen signifikanten Unterschied zwischen den SPs und dem externen Rating (Mdn gesamt: SPs = 34,00, externes Rating = 32,00, U(33,33) = 383,00, z = -2,08, Tabelle 19). Tabelle 19: CARE-Ergebnisse - Studierende mittlerer Studienabschnitt

SP-Rating

Externes Rating

Signifikanz

Effektstärke Phi

MW

SD

p

rphi

Station MW

SD

Gesamt (n = 33)

33,52

4,92

30,96

4,90

,038

,256

Rückenschmerzen (n = 18)

33,73

5,98

30,89

5,26

,096

,277

Depression (n = 15)

33,27

3,43

31,04

4,61

,176

,247

Dabei war das externe Rating geringer, d.h. der externe Rater beurteilte die Studierenden insgesamt als weniger empathisch als der SP (Abbildung 20). Es handelt sich um einen kleinen Effekt.

Abbildung 20: Vergleich mittlerer Ränge CARE - Externes und SP-Rating - Studierende mittlerer Studienabschnitt

Bei der Betrachtung der Stationen einzeln konnte allerdings kein signifikanter Unterschied festgestellt werden (Mdn Rücken: SP = 34,50, externes Rating = 31,95,

8.1 Beschreibung der Studierenden im mittleren Studienabschnitt

189

U(18,18) = 109,50, z = -1,66; Mdn Depression: SP = 34,00, externes Rating = 32,00, U(15,15) = 80,00, z = -1,35). Geschlechtsunterschiede Bei Betrachtung der SP-Ratings zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der Empathiebewertung durch die SPs in Bezug auf das Geschlecht der Studierenden (Mdn der Männer = 33,00, Mdn der Frauen = 35,00, U(17/16) = 175,50, z = 1,43, p = ,157). Auch beim externen Rating fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern (Mdn der Männer = 32,00, Mdn der Frauen = 31,11, U(17,16) = 141,50, z = ,199, p = ,845).

8.1.4

Zusammenhangsanalysen ¬ selbst- und fremdeingeschätzte Empathie (IRI & CARE)

Im folgenden Abschnitt wird der Untersuchung von Zusammenhängen zwischen dem IRI und dem CARE-Bogen nachgegangen. Dabei sind die Ergebnisse am Ende des Abschnitts tabellarisch zusammengefasst. Es zeigten sich weder beim SP-Rating noch beim externen Rating signifikante Zusammenhänge zwischen der selbst- und fremdeingeschätzten Empathie. Allerdings zeigte sich bei den Ergebnissen der beiden Ratings ein unterschiedliches Bild. So tritt der negative Zusammenhang zwischen Perspektivübernahme und CARE der SPs beim externen Rating noch stärker zu Tage und während bei den SPs zwischen Empathischem Distress und CARE keine Korrelation zu finden war, zeigte sich beim externen Rating ein negativer Zusammenhang (Tabelle 20). Tabelle 20: Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen IRI und CARE- Studierende mittlerer Studienabschnitt

Skalen

Fantasie

Perspektivübernahme

Empathische Anteilnahme

Empathischer Distress

CARE-SPs

,237 [-,134; ,586]

-,036 [-,405; ,334]

,016 [-,277; ,319]

,001 [-,301; ,252]

CARE externes Rating

,090 [-,269; ,465]

-,233 [-,470; ,085]

-,085 [-,369; ,214]

-,219 [-,565; ,193]

n = 33 (Anzahl der Versuchspersonen); [Ober-; Untergrenze 95%-BCa-Bootstrap-Konfidenzintervalle]

190 8.1.5

8 Ergebnisse Zusammenhangsanalysen ¬ Persönlichkeitsmerkmale und Empathie (NEO-FFI, IRI & CARE)

Im Fokus des folgenden Abschnitts steht die Untersuchung und der Ergebnisbericht von Zusammenhängen zwischen den Persönlichkeitsmerkmalen und der selbsteingeschätzten und fremdeingeschätzten Empathie. Persönlichkeitsmerkmale und selbsteingeschätzte Empathie (NEO-FFI und IRI) Es zeigten sich signifikante Zusammenhänge zwischen Neurotizismus und Empathischem Distress sowie zwischen Offenheit und Fantasie und Offenheit und Perspektivüberahme (Tabelle 21). Tabelle 21: Pearson Korrelationskoeffizienten r zwischen NEO-FFI und IRI - Studierende mittlerer Studienabschnitt

Skalen

Fantasie

Perspektivübernahme

Empathische Anteilnahme

Empathischer Distress

Neurotizismus

,037 [-,306; ,391]

-,164 [-,507; ,207]

,284 [-,142; ,594]

,530** [,101; ,796]

Extraversion

,009 [-,353; ,443]

,336 [-,022; ,625]

,158 [-,163; ,457]

-,150 [-,581; ,321]

,414* [,098; ,623]

,353* [-,153; ,676]

,014 [-,313; ,281]

-,220 [-,494; ,085]

Verträglichkeit

-,020 [-,290; ,262]

,256 [-,018; ,504]

,248 [-,052; ,564]

,186 [-,128; ,518]

Gewissenhaftigkeit

-,043 [-,454; ,442]

,214 [-,097; ,514]

,153 [-,212; ,498]

-,207 [-,554; ,252]

Offenheit

n = 33 (Anzahl der Versuchspersonen); *p ≤ 0,05; **p ≤ 0,01; p = zweiseitiger Signifikanzwert; [Ober-, Untergrenze 95%-BCa-Bootstrap-Konfidenzintervalle]

Der stärkste Zusammenhang fand sich zwischen Neurotizismus und Empathischem Distress (r(31) = ,530), der als mittlerer Zusammenhang eingestuft werden kann, gefolgt von Offenheit und Fantasie und Offenheit und Perspektivüber-

8.1 Beschreibung der Studierenden im mittleren Studienabschnitt

191

nahme. Die Studierenden, die sich in den Testwerten als eher neurotisch einstuften, bewerteten sich demnach auch höher in Empathischem Distress, während diejenigen, die sich selbst als offen charakterisierten, sich auch höhere Werte hinsichtlich der Fantasie und Perspektivübernahme zuschrieben. Die folgende Abbildung 21 zeigt dabei besonders vier Ausreißer. Zum einen fand sich ein Studierender der überhaupt keinen Empathischen Distress empfand und sich selbst auch als sehr wenig neurotisch einstufte, dann zeigte sich ein weiterer, der sich schon als stärker neurotisch einschätzte, aber geringen Empathischen Distress empfand und zwei weitere Ausreißer gaben höhere Ausprägungen der Neurotizismus-Skala und höhere der Empathischen Distress-Skala an.

Empathischer Distress

Korrelation zwischen Neurotizismus und Empathischem Distress 30 20 10 0 0

10

20

30

40

50

Neurotizismus Abbildung 21: Streudiagramm Zusammenhang Neurotizismus und Empathischer Distress Studierende mittlerer Studienabschnitt

Auch der Zusammenhang zwischen Offenheit und Fantasie (r(31) = ,414) lag im mittleren Bereich, während es sich bei Offenheit und Perspektivübernahme (r(31) = ,353) um einen schwachen Zusammenhang handelte. Beim Merkmal Offenheit zeigte sich dabei besonders ein Ausreißer, der sich als relativ wenig offen und sehr wenig fantasievoll einschätzte (Abbildung 22).

192

8 Ergebnisse

Korrelation zwischen Offenheit und Fantasie

Fantasie

30 20 10 0 0

10

20

30

40

50

Offenheit Abbildung 22: Streudiagramm Zusammenhang Offenheit und Fantasie - Studierende mittlerer Studienabschnitt

Demgegenüber fanden sich zwischen Offenheit und Perspektivübernahme (Abbildung 23) ein Ausreißer, dessen Offenheits-Testwert unter 20 lag und der sich selbst auch wenig Perspektivübernahme zuschrieb und ein weiterer der sich relativ gering in Offenheit (Testwert unter 25), allerdings hoch in Perspektivübernahme einschätzte. Korrelation zwischen Offenheit und Perspektivübernahme Perspektivübernahme

30

20

10

0 0

10

20

30

40

50

Offenheit Abbildung 23: Streudiagramm Zusammenhang Offenheit und Perspektivübernahme - Studierende mittlerer Studienabschnitt

8.1 Beschreibung der Studierenden im mittleren Studienabschnitt

193

Persönlichkeitsmerkmale und fremdeingeschätzte Empathie (NEO-FFI & CARE) Hinsichtlich der fremdeingeschätzten Empathie und den Persönlichkeitsmerkmalen zeigten sich keine signifikanten Zusammenhänge weder aus Sicht des SP-Ratings noch aus Sicht des externen Ratings (Tabelle 22). Es zeigte sich allerdings, dass die Größe der Zusammenhänge zwischen dem SP- und dem externen Rating zum Teil stark differieren, wie beispielsweise beim Merkmal Offenheit, welches beim SP-Rating mit einem Wert von r(31) = ,275 eine schwache Korrelation, beim externen Rating aber mit einem Wert von r(31) = -,097 einen sehr geringen Zusammenhang zeigte und der geringe Wert darüber hinaus auch noch in eine andere Richtung ging als beim SP-Rating. Da keiner der Zusammenhänge signifikant war, können alle durch den Zufall bedingt sein. Tabelle 22: Pearson-Korrelationskoeffizienten r zwischen NEO-FFI und CARE - Studierende mittlerer Studienabschnitt

Fremdeingeschätzte Empathie (CARE) Persönlichkeitsmerkmale (NEO-FFI) SP-Rating

Externes Rating

Neurotizismus

,183 [-,094; 415]

,-086 [-,413; ,280]

Extraversion

-,256 [-,507; ,058]

-,097 [-,418; ,309]

Offenheit

,275 [-,059; ,578]

-,060 [-,404; ,308]

Verträglichkeit

-,050 [-,363; ,312]

-,159 [-,526; ,205]

Gewissenhaftigkeit

-,120 [-,388; ,162]

,043 [-,338; ,428]

n = 33 (Anzahl der Versuchspersonen); [95%-BCa-Bootstrap-Konfidenzintervalle]

194 8.1.6

8 Ergebnisse Zusammenfassung der Ergebnisse - Studierende im mittleren Studienabschnitt

Bei den Studierenden im mittleren Studienabschnitt zeigte sich eine ausgeglichene Geschlechterverteilung. Sie gaben mehrheitlich Deutsch als Muttersprache an, waren überwiegend zwischen 21-30 Jahre alt, befanden sich zum Zeitpunkt der Erhebung im 6.-9. Fachsemester und ein Drittel hatte vor dem Studium eine Ausbildung aufgenommen. Bei den Persönlichkeitsmerkmalen zeigte sich beim Geschlechtervergleich ein signifikanter Unterschied im Merkmal Neurotizismus, das bei den Frauen signifikant höher ausgeprägt war, wobei es sich um einen großen Effekt handelt. Im Vergleich zur bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe schätzten die Studierenden im mittleren Studienabschnitt sich als weniger neurotisch und stärker extravertiert, offen, verträglich und gewissenhaft ein. In Bezug auf die selbsteingeschätzte Empathie fand sich der höchste Wert der IRI-Skalen bei Empathischer Anteilnahme. Es zeigten sich zwei signifikante Geschlechtsunterschiede für die Merkmale Empathische Anteilnahme und Empathischer Distress, die beide bei den Frauen signifikant stärker ausgeprägt waren, bei einem starken und einem moderaten Effekt. Hinsichtlich der fremdbeurteilten Empathie wurden die Studierenden von den SPs und den externen Ratern überwiegend als empathisch und sehr empathisch bewertet, wobei das externe Rating im Vergleich zum SP-Rating insgesamt signifikant strenger war. Zwischen selbst- und fremdeingeschätzter Empathie wurden keine signifikanten Zusammenhänge gefunden. Es zeigten sich allerdings signifikante Zusammenhänge zwischen den Persönlichkeitsmerkmalen und der selbsteingeschätzten Empathie und zwar zwischen Neurotizismus und Empathischen Distress, Offenheit und Fantasie sowie zwischen Offenheit und Perspektivübernahme, allerdings keine zwischen der fremdeingeschätzten Empathie und den Persönlichkeitsmerkmalen.

8.2 Beschreibung der PJ-Studierenden 8.2

195

Beschreibung der PJ-Studierenden

In diesem Abschnitt finden sich analog zu den Ergebnissen der Studierenden im mittleren Studienabschnitt die Ergebnisse der Studierenden am Studienende. Darüber hinaus werden die Untersuchungsergebnisse der Instrumente, die nur in dieser Gruppe zum Einsatz kamen, berichtet. Diese Analysen ermöglichen umfangreiche Aussagen zu den mit verschiedenen Instrumenten gemessenen ärztlichen Kompetenzfacetten und dem Stellenwert der Empathie innerhalb dieser bei der alltagsanalogen Simulation.

8.2.1

Soziodemographische Daten

Die Gruppe der PJ-Studierenden bestand mit einem Anteil von 73,3% überwiegend aus Frauen und bewegte sich mehrheitlich in den Alterskategorien 24-25 Jahre und 26-30 Jahre (Tabelle 23). Dass in dieser Gruppe keine Studierenden unter 24 Jahren zu finden waren, erklärt sich durch den Zeitpunkt der Erhebung am Ende des Studiums. Mit 75,9% haben die meisten Studierenden ihr Studium im Jahr 2005 aufgenommen und befanden sich mit 79,3% überwiegend im 12. Fachsemester, wobei jeweils eine Angabe fehlte. Nur zwei Studierende gaben eine Ausbildung vor dem Studium an, einmal Biochemie und einmal ein Wirtschaftsingenieursstudium (ohne Tabelle). Insgesamt 43,3% gaben ein Auslandssemester bzw. einen Auslandsthemenblock an. Im Zusammenhang mit dem Erhebungszeitraum wurden die PJ-Studierenden auch nach der Reihenfolge ihrer PJ-Tertiale befragt, wobei die meisten Studierenden ihre ersten beiden Tertiale in der von der ÄApprO vorgegebenen Inneren Medizin oder Chirurgie absolvierten und das Wahlfach überwiegend im dritten Tertial belegt wurde. Nur ein PJStudierender gab an, nicht Deutsch-Muttersprachler zu sein.

196

8 Ergebnisse

Tabelle 23: Soziodemographische Daten - PJ-Studierende

Merkmal Geschlecht Männlich Weiblich Alter 24-25 Jahre 26-30 Jahre 36 Jahre Studienbeginn 2003 2004 2005 Ausbildung vor dem Studium Ja Nein Auslandssemester-/Themenblock Ja Nein Fachsemesterzahl 12. Fachsemester 13.-15. Fachsemester

n

Prozentualer Anteil 30 8 22 30 15 14 1 29 1 6 22 30 2 28 30 13 17 29 23 6

26,7% 73,3% 50,0% 46,7% 3,3% 3,4% 20,7% 75,9% 6,7% 93,3% 43,3% 56,7% 79,3% 20,7%

8.2 Beschreibung der PJ-Studierenden Merkmal Reihenfolge der PJ-Tertiale 1. Tertial Innere Medizin Chirurgie Wahlfach 2. Tertial Innere Medizin Chirurgie Wahlfach 3. Tertial Innere Medizin Chirurgie Wahlfach Muttersprache Deutsch Andere

197 n

Prozentualer Anteil 30 11 11 8

36,7% 36,7% 26,6%

14 14 2

46,7% 46,7% 6,6%

5 5 20 30 29 1

16,7% 16,7% 66,6% 96,7% 3,3%

n = Anzahl der Versuchspersonen

8.2.2

Persönlichkeitsmerkmale (NEO-FFI)

Auch diese Gruppe der PJ-Studierenden bewegte sich insgesamt im oberen Bereich der Skalen bzw. bei der Skala Neurotizismus im unteren Bereich. Die Analyse zeigte keine signifikanten Unterschiede der Persönlichkeitsmerkmale zwischen den Geschlechtern (Tabelle 24). Die neben, den in der Tabelle 24 genannten, genauen Ergebnisse der Teststatistiken sind folgende: x x x

Neurotizismus: Mdn gesamt = 18,00, Männer = 11,50; Frauen = 19,00; U(8,22) = 118,50, z = -1,43 Extraversion: Mdn gesamt = 31,00, Männer = 29,50, Frauen = 30,50; U(8,22) = 119,50, z = -1,48 Offenheit: Mdn gesamt = 32,00, Männer = 37,50, Frauen = 32,00, , U(8,22) = 69,00, z = -,895

198 x

8 Ergebnisse Verträglichkeit: Mdn gesamt = 35,00, Männer = 35,50, Frauen = 35,00, U(8,22) = 95,00, z = -,331 Gewissenhaftigkeit: Mdn gesamt = 35,50, Männer = 35,00, Frauen = 36,50, U(8,22) = 79,00, z = -,423

x

Im Vergleich zur bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe (Anhang B AnhangsTabelle 8) (Extras Online)schätzten sich die PJ-Studierenden bei starken Effekten in den Merkmalen Extraversion (t(899) = 4,14; p < ,001; d = 844), Offenheit (t(899) = 3,89; p < 001; d = ,689), Verträglichkeit (t(899) = 5,46; p < ,001; d = ,981) und Gewissenhaftigkeit (t(899) = ,3,14; p = ,001; d = ,643) signifikant höher ein. Beim Neurotizismus hingegen konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt werden. Tabelle 24: NEO-FFI Selbsteinschätzungen und Geschlechtervergleich ¬ PJ-Studierende

Gesamt

Männer

Frauen

Signifikanz

(n = 30) MW SD 18,40 ± 7,53

(n = 8) MW 15,63

SD ± 9,05

(n = 22) MW SD 19,41 ±6,86

Merkmal

Neurotizismus Extraversion

,156

Effektstärke Phi rphi ,261

p

31,83

± 5,19

29,63

± 3,78

32,64

±5,47

,142

,270

Offenheit

34,20

± 7,18

36,13

± 9,59

33,50

±6,21

,393

,163

Verträglichkeit Gewissenhaftigkeit

35,87

± 4,29

35,50

± 5,61

36,00

±3,84

,765

,060

36,15

± 4,83

37,07

± 5,94

35,82

±4,47

,696

,077

n = Anzahl der Versuchspersonen; MW = Mittelwert; SD = Standardabweichung; p zweiseitig

8.2.3

Selbst- und Fremdeinschätzung der Empathie (IRI & CARE)

Die PJ-Studierenden gaben ebenfalls Selbsteinschätzungen hinsichtlich der IRISkalen ab und wurden durch den CARE-Bogen von SPs und zwei externen Ratern fremdeingeschätzt.

8.2 Beschreibung der PJ-Studierenden

199

8.2.3.1 Selbsteinschätzung anhand des IRI Insgesamt schätzten sich die Frauen in allen Merkmalen im Mittel höher ein als die Männer. Im Merkmal Fantasie bewegen sich beide Geschlechter zwischen den Stufen zwei und drei (trifft manchmal und trifft oft zu), wobei die Frauen näher an der dritten Stufe sind. Auch beim Merkmal Perspektivübernahme schätzten sich beide Geschlechter zwischen den Stufen eins und zwei ein, sind allerdings auch näher beieinander als beim Merkmal Fantasie. Hinsichtlich der emotionalen Merkmale Empathische Anteilnahme und Empathischer Distress waren die Unterschiede statistisch signifikant (Tabelle 25). Tabelle 25: IRI-Selbsteinschätzungen und Geschlechtervergleich¬ PJ-Studierende

Gesamt

Männer

(n = 30) MW SD

(n = 8) MW

Frauen

Signifikanz

Merkmal

Fantasie Perspektivübernahme Empathische Anteilnahme Empathischer Distress

SD

(n = 22) MW SD

p

Effektstärke Phi rphi

17,62

±4,84

16,12

±6,78

18,18

±4,00

,393

,159

18,26

±4,01

17,62

±5,53

18,49

±3,43

,696

,128

20,43

±3,23

17,50

±2,72

21,50

±2,72

,002

,546

10,42

±3,51

8,12

±3,56

11,25

±3,18

,045

,371

n = Anzahl der Versuchspersonen; MW = Mittelwert; SD = Standardabweichung, p zweiseitig

Die weiteren nicht in der Tabelle angegeben Teststatistiken sind folgende: • •

Fantasie: Mdn gesamt = 18,00, Frauen = 18,00, Männer = 16,00; U(22,8) = 106,50, z = ,870 Perspektivübernahme: Mdn gesamt = 17,36, Frauen = 18,36, Männer = 16,00; U(22,8) = 97,00, z = ,424

200 • •

8 Ergebnisse Empathische Anteilnahme: Mdn gesamt = 21,00, Frauen = 21,50, Männer = 17,50; U(22,8) = 151,50, z = 2,99 Empathischer Distress: Mdn gesamt = 10,00, Frauen = 11,00, Männer = 8,00; U(22,8) = 131,00, z = 2,03

8.2.3.2 Fremdeinschätzung anhand des CARE – Standardisierte Patienten Die Fremdeinschätzung der Empathie erfolgte jeweils nach dem Gespräch durch den jeweiligen SP. Dabei fanden die Gespräche in den folgenden fünf Szenarien statt: 1. Besorgte Mutter eines 5-jährigen Mädchens mit Müdigkeit und Bauchschmerzen (Pädiatrie) 2. 53-jähriger Mann mit Bluthusten und progressiver Müdigkeit (Innere Medizin) 3. 58-jährige Frau mit starken Bauchschmerzen (Chirurgie) 4. 65-jährige Frau mit Sprech- und Schluckproblemen in Begleitung ihres Mannes (Neurologie) 5. 36-jähriger Mann mit rheumatoider Arthritis und Fieber (Innere Medizin) Die Studierenden wurden von den SPs unterschiedlich bewertet (Abbildung 24). So wurden sie von der SP1, der Mutter des fünfjährigen Mädchens mit 16,7% in der Kategorie teilweise empathisch am strengsten bewertet gefolgt vom SP3 mit 13,3% in dieser Kategorie. Sowohl das Ehepaar (SP4.1 und 4.2), als auch SP5 haben nur zwei der drei Kategorien benutzt und die Studierenden überwiegend als sehr empathisch eingeschätzt, wobei der höchste Wert mit 86,7% beim SP4.2 zu finden war, gefolgt von SP4.1. Auch SP3 bewertete die Studierenden mit 46,7% am meisten als sehr empathisch, während sich bei SP2 mit 66,7% die meisten Studierenden in der empathischen Kategorie fanden ebenso wie bei SP1 mit 43,3%. Diesen Unterschieden wurde im Folgenden anhand einer einfaktoriellen Varianzanalyse und daran anschließenden Post-hoc-Tests weiter nachgegangen. Als Effektstärkenmaß wird Eta-Quadrat angegeben (η²).

8.2 Beschreibung der PJ-Studierenden

teilweise empathisch

100%

201

empathisch

sehr empathisch 86,7%

90% 80,0% 80% 66,7%

70%

60,0% 60% 50% 40%

46,7% 43,3% 40,0%

40,0%

40,0% 30,0%

30% 20,0% 20%

16,… 13,3%

13,3%

10%

3,3%

0% SP1

SP2

SP3

SP4.1

SP4.2

SP5

Abbildung 24: Verteilung der SP-Bewertungen über die CARE-Kategorien - PJ-Studierende

Wie die Mittelwerte der Tabelle 26 zeigen, war der Mittelwert des SPs 4.2 höher als alle anderen und zeigte die geringste Streuung, während SP1 und SP2 die niedrigsten Mittelwerte aufwiesen. Die stärkste Streuung fand sich beim SP3 (Tabelle 26).

202

8 Ergebnisse

Tabelle 26: CARE-Ergebnisse der SPs - PJ-Studierende

CARE SP 1 SP 2 SP 3 SP 4.1 (Patientin) SP 4.2 (Ehemann) SP 5

Gesamt (n = 30) MW

SD 30,19 30,90 32,37 35,01 36,39 33,02

±5,57 ±3,66 ±6,43 ±3,87 ±3,19 ±3,32

n = Anzahl der Versuchspersonen; MW = Mittelwert; SD = Standardabweichung

Die Boxplots (Abbildung 25) zeigen darüber hinaus, dass es beim SP4.2 drei Ausreißer und einen extremen Wert gab. SPSS [unterscheidet] bei Boxplots nach folgendem Kriterium zwischen Extremwerten und Ausreißern: Die Entfernung von Ausreißern zur grauen Box beträgt zwischen dem 1,5fachen und dem Dreifachen der Boxhöhe, Extremwerte liegen dagegen mehr als das Dreifache der Boxhöhe über dem 75 %-Perzentil bzw. unter dem 25 %-Perzentil (Brosius 2008, 390). Neben SP4.2 zeigten sich auch bei SP4.1 und SP3 Ausreißer. Der schon optisch zu erkennende Strenge-Unterschied bestätigte sich auch in der einfaktoriellen Varianzanalyse durch einen signifikanten Unterschied F(5,174) = 8,34; p < ,001; η² = ,193. Nach den Richtwerten von Rost (2007) handelt es sich um einen mittleren Effekt, wonach sich 19,3% der Varianz durch die verschiedenen Rater erklären lassen. Aufgrund fehlender Varianzhomogenität wurden Post-hoc-Tests nach der Games-Howell-Prozedur durchgeführt (Field 2013). Diese zeigte bestätigend signifikante Unterschiede zwischen SP1 und SP4.1 und SP4.2 (p = ,004; p < ,001) sowie zwischen SP2 und SP4.1 und SP4.2 (p = ,001; p < ,001), sowie zwischen SP3 und SP4.2 (p = ,041) und auch zwischen SP5 und SP4.2 (p = ,002). Insbesondere der Ehemann des vierten Szenarios hat die Studierenden als besonders empathisch bewertet, während hingegen die Mutter des 5-jährigen Mädchens am

8.2 Beschreibung der PJ-Studierenden

203

strengsten bewertet hat Die inhaltlichen Unterschiedsanalysen zeigen also insbesondere Strengeunterschiede zu SP4.2.

Abbildung 25: Boxplots CARE nach SPs - PJ-Studierende; (°Ausreißer; *Extremwerte)

8.2.3.3 Geschlechtsunterschiede der Studierenden bei der SP-Bewertung Möglichen Geschlechtsunterschieden wurde in dieser Gruppe anhand einer zweifaktoriellen Varianzanalyse mit dem Geschlecht der Studierenden und den SPs als festen Faktoren nachgegangen, so dass eine Aussage, inwiefern bestimmte SPs die Studierenden je nach Geschlecht unterschiedlich bewertet haben, getroffen werden kann. Die zweifaktorielle Varianzanalyse zeigte in Bezug auf die beiden festen Faktoren signifikante Ergebnisse, Faktor SPs F(5,168) = 10,99; p < ,001; η² = ,246; Faktor Geschlecht der Studierenden: F(1,168) = 14,90; p < ,001; η² = ,081; Interaktion: F(5,168) = 2,85; p = ,078; η² = ,078. Die Effektstärken zeigen allerdings, dass nur der Unterschied zwischen den SPs, auf den im vorangegangen Abschnitt eingegangen wurde, eine statistische Bedeutsamkeit hat. Insbesondere die SP1 hat die männlichen Studierenden als weniger empathisch bewertet

204

8 Ergebnisse

als die weiblichen (p = ,003) und auch bei SP3 war der Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern größer als bei den weiteren SPs (p = ,027). Demgegenüber bewerteten die SPs 4.2 und 5 die Studierenden nicht unterschiedlich in Bezug auf ihr Geschlecht (Abbildung 26).

Abbildung 26: Interaktion CARE-SP-Bewertung und Geschlecht der PJ-Studierenden

Über alle SPs hinweg zeigte sich ein insgesamt signifikanter Geschlechtsunterschied zugunsten der weiblichen Studierenden (Mdn Männer = 31,58; Frauen = 34,00; U(8,22) = 148,50; z = 2,84; p = ,003).

8.2.3.4 Fremdeinschätzung anhand des CARE – Externes Rating Das externe Rating erfolgte bei den PJ-Studierenden durch zwei unabhängige Rater, einem Medizinstudenten und der Autorin dieser Arbeit, die anhand der Videoaufzeichnungen alle Konsultationen der SPs mit den Studierenden anhand des CARE-Bogens bewertet haben.

8.2 Beschreibung der PJ-Studierenden

205

Der medizinische Rater (Rater 2) bewertete die Studierenden in allen SP-Rollen häufiger in der Kategorie ‘empathisch’, während die Bewertungen der Autorin (Raterin 1) strenger waren und sich ihre Bewertungen auch häufiger in der Kategorie ‘teilweise empathisch’ wiederfanden, insbesondere bei den SP-Rollen 1, 2, und 4.2. Bei den übrigen SP-Fällen fanden sich auch bei ihr die meisten Bewertungen in der Kategorie empathisch. Insgesamt betrachtet haben auch die beiden externen Rater die PJ-Studierenden überwiegend im empathischen und sehr empathischen Bereich bewertet (Abbildung 27). 100% 80% 60%

Externes Rating aus Perspektive der SP-Rollen 76,7%

70,0% 53,3%

46,7%

46,7%

63,3% 50,0%

40,0%

40%

63,3%

56,7% 50,0%

36,7%

20% 0%

SP1

SP2

SP3

Rater 1 teilweise empathisch Rater 1 sehr empathisch

SP4.1

SP4.2

SP5

Rater 1 empathisch Rater 2 teilweise empathisch

Abbildung 27: Verteilung der externen Rating-Bewertungen aus Perspektive der SP-Rollen über die Kategorien - PJ-Studierende

Die zweifaktorielle Varianzanalyse zeigte einen signifikanten Unterschied zwischen den beiden externen Ratern F(1,348) = 34,04, p < ,001, η² = ,089, wobei es sich um einen geringen Effekt handelt. Beim zweiten Faktor, den SP-Fällen ließ sich kein signifikanter Unterschied feststellen, F(5,348) = ,246; p = ,941; η² = ,004. Auch zeigte sich keine signifikante Interaktion zwischen den beiden Ratern und den jeweiligen SP-Fällen (Abbildung 28), F(5,348) = ,488; p = ,786; η² = ,007.

206

8 Ergebnisse

Abbildung 28: Interaktion CARE-Bewertungen der externen Rater - PJ-Studierende

Die nicht-medizinische erste Raterin hat die Studierenden dementsprechend bis auf den SP-Fall 5 signifikant strenger bewertet als der medizinische Rater (Tabelle 27). Die genauen t-Werte und BCa 95% Konfidenzintervalle sind folgende: SP1: t(49,95) = -2,69; BCa 95% KI [-6,37; -,872] SP2: t(58) = -2,20; BCa 95% KI [-6,09; -,487] SP3: t(58) = -2,18; BCa 95% KI [-5,20; -,410] SP4.1: t(58) = -2,16; BCa 95% KI [-5,10; -,467] SP4.2: t(52,31) = -3,70; BCa 95% KI [-7,06; -1,94] SP5: t(58) = -1,46; BCa 95% KI [-4,44; ,772] Gesamt: t(339,57) =-5,88; BCa 95% KI [-4,18; -1,99]

8.2 Beschreibung der PJ-Studierenden

207

Tabelle 27: CARE-Ergebnisse der beiden externen Rater - PJ-Studierende

1. Rater CARE SP 1 SP 2 SP 3 SP 4.1 SP 4.2 SP 5 Gesamt (jeweils n = 180)

(n = 30) MW 25,20 24,97 25,77 25,03 24,23 25,23 25,07

2. Rater

SD ±6,20 ±5,97 ±5,39 ±5,16 ±5,56 ±5,76 ±5,62

Signifikanz

(n = 30) MW SD 28,83 ±4,05 28,23 ±5,53 28,47 ±4,10 27,73 ±4,53 28,83 ±3,94 27,17 ±4,39 28,21

±4,44

,010 ,032 ,033 ,035 ,001 ,149

Effektstärke Cohen d ,693 ,567 ,564 ,556 ,955 ,379