Energie-Infrastrukturrecht: Kolloquium anlässlich der Verabschiedung von Prof. Dr. Wilfried Erbguth am 11. September 2014 [1 ed.] 9783428545667, 9783428145669

Der von Sabine Schlacke und Mathias Schubert herausgegebene Band dokumentiert die Referate des rechtswissenschaftlichen

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Energie-Infrastrukturrecht: Kolloquium anlässlich der Verabschiedung von Prof. Dr. Wilfried Erbguth am 11. September 2014 [1 ed.]
 9783428545667, 9783428145669

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1289

Energie-Infrastrukturrecht Kolloquium anlässlich der Verabschiedung von Prof. Dr. Wilfried Erbguth am 11. September 2014

Herausgegeben von Sabine Schlacke Mathias Schubert

Duncker & Humblot · Berlin

Energie-Infrastrukturrecht

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1289

Energie-Infrastrukturrecht Kolloquium anlässlich der Verabschiedung von Prof. Dr. Wilfried Erbguth am 11. September 2014

Herausgegeben von Sabine Schlacke Mathias Schubert

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Fördervereins OSU e. V. Rostock

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Meta Systems Publishing & Printservices, Wustermark Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-14566-9 (Print) ISBN 978-3-428-54566-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-84566-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Das der Energie-Infrastruktur geltende Recht hat in den letzten Jahren einen erheblichen Bedeutungszuwachs und zugleich tiefgreifende Änderungen erfahren. Als Triebfedern dieser Entwicklung erwiesen sich vor allem die deutsche Energiewende sowie das Bemühen der EU um die möglichst rasche Ertüchtigung der transeuropäischen Energienetze. Die damit aufgeworfenen Fragen nach der Natur des EnergieInfrastrukturrechts, unionsrechtlichen und nationalen Anforderungen an den Ausbau der Stromnetze bis hin zur Beteiligung und zum Rechtsschutz waren Gegenstand des rechtswissenschaftlichen Kolloquiums in Rostock, dessen Referate der vorliegende Band in ihrer schriftlichen Fassung dokumentiert. Neben das fachliche Anliegen der Tagung trat ein festliches: Es galt, das wissenschaftliche Wirken von Prof. Dr. Wilfried Erbguth zu würdigen, der zum Ende des Sommersemesters 2014 aus dem universitären Dienst verabschiedet worden ist. Jenes Wirken nahm seinen Ausgang am Zentralinstitut für Raumplanung an der Universität Münster und führte Wilfried Erbguth – nach der Habilitation bei Werner Hoppe und verschiedenen Lehrstuhlvertretungen – zunächst als Professor an die Ruhr-Universität Bochum. Im Jahr 1992 kehrte er zurück in seine Geburtsstadt Rostock und nahm an der soeben wieder eröffneten Juristischen Fakultät einen Ruf auf den Lehrstuhl für öffentliches Recht unter besonderer Berücksichtigung des Verwaltungsrechts an. Noch im selben Jahr gründete Wilfried Erbguth an der Fakultät das Ostseeinstitut für Seerecht und Umweltrecht (OSU). Dem Institut, zu dessen Forschungsbereich später explizit das Infrastrukturrecht hinzutrat, hat er seither als Geschäftsführender Direktor bundesweites Ansehen verschafft: Mehr als 40 Fachtagungen, über 20 erfolgreich abgeschlossene, zu einem Großteil interdisziplinäre Drittmittelprojekte, eine institutseigene Schriftenreihe im Nomos Verlag mit 51 Bänden – dies ist die Bilanz seines 22 Jahre währenden, unermüdlichen wissenschaftlichen Wirkens. Blickt man auf all das und auf die Fülle der Publikationen zurück, die Wilfried Erbguth bislang vorgelegt hat, so beeindrucken Vielseitigkeit und Quantität: An den Arbeiten, die sich durch eine rechtssystematische und rechtsdogmatische Analyse und Einordnung auszeichnen, orientiert sich inhaltlich die Fachwelt – und nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Praxis. Besonders am Herzen lagen und liegen Wilfried Erbguth Themen wie etwa der integrativ-materielle Charakter der Umweltverträglichkeitsprüfung und dessen Bedeutung für das Fachrecht und die gerichtliche Kontrolle, ferner der phasenspezifische Rechtsschutz, vor allem verstanden als notwendige Reaktion auf die Deregulierungs- und Beschleunigungsgesetzgebung im Infrastrukturrecht, das maritime Recht – und auch das „Dauerthema“

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Vorwort

der Abgrenzung und Verzahnung verschiedener Planungsformen, insbesondere von Raumordnung und Fachplanung, auch und gerade im Kontext der Energiewende. Schließlich zählen auch das Infrastrukturrecht in seiner spezifisch maritimen Ausprägung sowie die bundesstaatliche Ordnung – insbesondere die Kompetenzverteilung und eine etwaige Neugliederung des Bundesgebiets – zu den Themen, denen sich Wilfried Erbguth besonders verschrieben hat. Bei der Durchdringung dieser und vieler anderer Problemfelder bestechen sein Stil und die eigenständige Bewertung, die nicht selten unbequem ist. Diese Qualitätsmerkmale zeichnen selbstredend auch die erfolgreichen Lehrbücher zum Allgemeinen Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht, zum Umweltrecht und zum öffentlichen Baurecht aus, die Wilfried Erbguth regelmäßig in neuer Auflage vorlegt. Nicht unerwähnt bleiben darf schließlich, dass Wilfried Erbguth in Rostock fünf Habilitationen und 15 Promotionen betreut und zu einem erfolgreichen Abschluss geführt hat. Uns, seinen Schülerinnen und Schülern, hat er immer ein hohes Maß an wissenschaftlicher Freiheit gewährt, die wir genossen und von der wir erheblich profitiert haben. Er hat uns in unseren wissenschaftlichen Auffassungen und Aktivitäten bestärkt und dadurch zugleich Optimismus und sein Zutrauen in unsere Fähigkeiten bekundet. Wilfried Erbguth gebühren Anerkennung und großer Dank für allzu Vieles. Der vorliegende Band möge dies ebenso wie das Kolloquium, das er dokumentieren und abrunden soll, zum Ausdruck bringen. Damit verbindet sich der Wunsch der Herausgeberin und des Herausgebers nach einer anhaltenden wissenschaftlichen wie persönlichen Verbundenheit. Alles Gute für die Zukunft – und: ad multos annos! Münster / Rostock im Januar 2015

Sabine Schlacke / Mathias Schubert

Inhaltsverzeichnis Helmuth Schulze-Fielitz Energie-Infrastrukturrecht im Prozess der Wissenschaftsentwicklung . . . . . . . .

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Annette Guckelberger Einwirkungen des Unionsrechts auf das nationale Energie-Infrastrukturrecht . .

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Hans-Joachim Koch Energie-Infrastrukturrecht zwischen Raumordnung und Fachplanung – das Beispiel der Bundesfachplanung ,Trassenkorridore‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolfgang Durner Öffentlichkeitsbeteiligung und demokratische Legitimation im Energie-Infrastrukturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Winfried Kluth Rechtsschutz im Kontext der Energieinfrastrukturentwicklung. Am Beispiel des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Autoren- und Herausgeberverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Energie-Infrastrukturrecht im Prozess der Wissenschaftsentwicklung Von Helmuth Schulze-Fielitz, Würzburg I. Was ist Energie-Infrastrukturrecht? 1. Ausgangsbeobachtungen Die heutige Tagung gilt in allen ihren Teilen dem „Energie-Infrastrukturrecht“. Der Begriff und sein durchgängiger Gebrauch in den Themenstellungen aller Referate unterstellt ein gefestigtes Verständnis. Doch sucht man unter diesem Begriff „Energie-Infrastrukturrecht“ einmal nach Veröffentlichungen in Bibliotheken oder Datenbanken1, etwa im Südwestdeutschen Bibliotheksverbund (SWB-Online), so wird man gar nicht erst fündig, und bei juris findet sich gerade ein einziger Zeitschriftenaufsatz aus dem Jahre 2004, der auf Wechselwirkungen zwischen Energie-, Verkehrs- und Telekommunikationsrecht und die neue Zeitschrift „Infrastrukturrecht“ (seit 2004) verweist2. Etwas erfolgreicher findet man unter dem Stichwort „Energie-Infrastruktur“ bei SWB-online 13 juristische Veröffentlichungen, davon 12 aus den Jahren seit 2011; entsprechend stammen von den 36 juristisch einschlägigen Einträgen in juris 33 aus den Jahren nach 2004, 21 aus den Jahren seit 2011. Das Recht der Energie-Infrastruktur scheint demnach sehr aktuell und dynamisch zu „haussieren“. Ähnliches gilt für den Begriff „Infrastrukturrecht“: In SWB-Online gibt es (nach Abzug doppelter oder juristisch irrelevanter Einträge) 47 einschlägige wissenschaftliche Veröffentlichungen, davon nur acht aus der Zeit vor 2008; bei juris gibt es 21 Treffer, davon 15 aus der Zeit nach 2007, als das von Wilfried Erbguth einst gegründete Rostocker Ostseeinstitut nun ausdrücklich im Namen dem Infrastrukturrecht gewidmet worden war (2006) und auch die Rostocker Umweltrechtstage nun dem Infrastrukturrecht galten (2007), bevor es (seit 2011) auf diesen dem Titel nach überhaupt nur noch um Infrastrukturrecht ging. Immerhin gibt es schon seit 2002 die Schriftenreihe „Energie- und Infrastrukturrecht“ (bei Beck), und neuerdings die „Schriften zum öffentlichen Immobilienrecht und Infrastrukturrecht“ (bei Heymanns, seit 2009), die „Schriften zum Infrastrukturrecht“ (Mohr Siebeck, seit 2013) und neuestens „Schriften zum deutschen und europäischen Infrastrukturrecht“ (Duncker & Humblot, seit 2014). Auch die Staatsrechtslehrertagung war im Herbst 1

Zugriff: 06. 08. 2014. C. Theobald, Aktuelles aus dem Infrastrukturrecht: Wechselwirkungen zwischen Energie-, Verkehrs- und Telekommunikationsrecht, IR 2004, 2 ff. 2

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Helmuth Schulze-Fielitz

2013 u. a. den „Anforderungen an ein zukunftsfähiges Infrastrukturrecht“ gewidmet3. Was lässt sich aus diesen Ausgangsbeobachtungen folgern? Erstens ist Infrastrukturrecht ein erst seit gut einem Jahrzehnt haussierender Rechtsbereich, der begrifflich auf diese neue Weise zusammengefasst wird, obwohl es Infrastruktur(en) und deren Rechtsprobleme seit langem gibt4. Zweitens ist speziell das „Energie-Infrastrukturrecht“ als ein Teilbereich des Infrastrukturrechts durch eine noch größere begriffliche und publizistische Novität gekennzeichnet als das Infrastrukturrecht5 ; es „haussiert“ erst seit etwa 2011. Die nachstehenden Überlegungen knüpfen hieran an und fragen: Was verbirgt sich wissenschaftlich hinter dieser zunächst einmal nur sprachlichen Entwicklungsdynamik? 2. (Energie-)Infrastrukturrecht – ein neues Rechtsgebiet? Man könnte fragen, ob hier ein neues Rechtsgebiet „Infrastrukturrecht“ im Entstehen ist, dem auch das Energie-Infrastrukturrecht zuzurechnen wäre. Gewiss gibt es einige Indizien, die die Frage nach einem neuen Rechtsgebiet als „Querschnittsrechtsgebiet ,im Werden‘“6 nicht abwegig erscheinen lassen können. Es gibt bereichsspezifische tatsächliche soziale Probleme und Veränderungen, normative Antworten der Gesetzgeber, einen einheitsschaffenden Begriff („Infrastrukturrecht“), Elemente der äußeren Professionalisierung wie Lehrstuhlbezeichnungen7, Tagungsprogramme und Schriftenreihen, spezialisierte Zeitschriften, Gesetzgebungs- und Rechtssprechungsberichte8, doch fehlt es dafür noch an vielen anderen mitkonstituierenden Erscheinungsformen wie Lehrbücher oder wenigstens Lehrbuchkapitel, sachliche Einteilungskriterien in Bibliotheken, Bibliographien, Registern von Entscheidungssammlungen oder Geschäftsverteilungsplänen von Gerichten, Verwaltungen oder Ministerien9, wissenschaftliche Fachgesellschaften, einen selbstverständli-

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O. Dörr / H. Wißmann, Die Anforderungen an ein zukunftsfähiges Infrastrukturrecht, VVDStRL 73 (2014), S. 323 ff. bzw. S. 369 ff. 4 Der bloße Begriff „Infrastruktur“ generiert bei juris 3.220 literarische und 9.686 judikative Treffer. 5 Deshalb kommt der Begriff „Energie-Infrastrukturrecht“ auch in jüngsten Praxisberichten noch nicht vor, vgl. B. Scholtka / A. Baumbach / M. Pietrowicz, Die Entwicklung des Energierechts im Jahr 2013, NJW 2014, 898 ff. 6 So J. Kühling, Anforderungen an ein zukunftsfähiges Infrastrukturrecht, DVBl. 2013, 1093 (1094). 7 Nw. bei Dörr (Fn. 3), S. 324 mit Anm. 3. 8 Vgl. z. B. C. Theobald, Aktuelle Entwicklungen des Infrastrukturrechts, NJW 2003, 324 ff. 9 S. aber auch auf Landesebene das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft (in Brandenburg) und das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie.

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chen Begriffsgebrauch in Fachlexika u. a.10 Die Referenten auf der Greifswalder Staatsrechtslehrertagung waren sich denn auch einig, dass es sich beim Infrastrukturrecht nicht um ein eigenständiges neues Rechtsgebiet handelt11; das muss dann auch (wenn nicht erst recht) für das Energie-Infrastrukturrecht gelten. 3. Vom Proprium des (Energie-)Infrastrukturrechts Umstritten blieb dort auch, was das Proprium eines Infrastrukturrechts sei. Die Offenheit, die Vielfalt und die Heterogenität des Begriffs der Infrastruktur12 scheinen viele zweckmäßige Definitionen zu erlauben. Engel wollte (in der Diskussion) den Begriff des Infrastrukturrechts auf das Recht von ortsgebundenen Netzwerkgütern beschränken – eine solche Verengung widerspricht nicht nur kontraintuitiv einem gängigen Verständnis von Infrastruktur; sie würde punktförmige Infrastruktureinrichtungen wie etwa Schulen oder Krankenhäuser definitorisch ausklammern und erscheint daher unzweckmäßig13. Dörr sah in Anknüpfung an die anlagenbezogene Gesetzessprache in Gesetzen und EU-Richtlinien in Infrastruktur „ortsfeste Anlagen und Einrichtungen, die der Versorgung der Allgemeinheit mit essentiellen Gütern oder Leistungen dienen“14, im Infrastrukturrecht die „Regeln über die Planung, Errichtung, den Unterhalt und den Betrieb von Infrastruktur“ als eine instrumentelle Teilmenge des Rechts der Daseinsvorsorge als öffentlicher Aufgabe15. Eine solche Umschreibung legt implizit das Missverständnis nahe, dass es Infrastrukturrecht eigentlich schon immer gegeben hat und mit dem Begriff nur eine Neuetikettierung verbunden ist. Die neue Begrifflichkeit „Infrastrukturrecht“ verweist aber doch wohl auf sachliche Gründe. Der skizzierten neuartigen Dynamik des Begriffs scheint mir deshalb Wißmann deutlich näher zu kommen, wenn er Infrastrukturrecht ausdrücklich nicht gegenständlich fassen will, sondern auf eine spezifische Fragestellung bezieht, nämlich (auch) auf die „Planung (d. h. Konzeption und Entscheidung), Bereitstellung und Pflege von Einrichtungen, die unmittelbar von der Allgemeinheit genutzt werden können oder für weitere Dienste zur Verfügung stehen, die sich 10 Zu den Konstituanten eines Rechtsgebiets näher M. Ludwigs, Das deutsche und europäische Energieeffizienzrecht – Ein Rechtsgebiet im Werden?, in: R. Brinktrine / M. Ludwigs / W. Seidel (Hrsg.), Energieumweltrecht in Zeiten von Europäisierung und Energiewende, Berlin 2014, S. 175 (181 ff.); H. Schulze-Fielitz, Umweltrecht, in: D. Willoweit (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert, München 2007, S. 989 (990 ff.); anders S. Schlacke, Klimaschutz – ein Rechtsgebiet?, in: dies. (Hrsg.), Umwelt- und Planungsrecht im Wandel, Berlin 2010, S. 121 (152 ff.). 11 Dörr (Fn. 3), S. 332, 361; Wißmann (Fn. 3), S. 376. 12 S. näher Dörr (Fn. 3), S. 326 ff.; Wißmann (Fn. 3), S. 372 ff.; s. auch A. Glöckner, Kommunale Infrastrukturverantwortung und Konzessionsmodelle, München 2009, S. 5 ff. 13 Krit. Dörr (Fn. 3), S. 331; Wißmann (Fn. 3), S. 376; früher schon C. Möllers / L. Pflug, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Schutzes kritischer IT-Infrastrukturen, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Schutz kritischer Infrastrukturen, Baden-Baden 2010, S. 47 (49 f.). 14 Dörr (Fn. 3), S. 331. 15 Dörr (Fn. 3), S. 332, 335.

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grundsätzlich an die Allgemeinheit richten“16, die aber (zudem) einerseits durch eine „integrierte Betrachtung, die die Kopplung der Einrichtung mit den Diensten einbezieht“ – etwa auch Einzelheiten von Zugang und Entgelt, Versorgungssicherheit und Datenschutz – , gekennzeichnet ist17, andererseits Planung, Bereitstellung, Nutzung und Pflege der Infrastruktureinrichtungen als auf Dauer angelegtes Verbundsystem akzentuiert18. Die Neuartigkeit der zahlreichen und sehr verschiedenartigen Infrastrukturteilrechtsordnungen – und damit auch des Energie-Infrastrukturrechts – ergibt sich mithin aus einem sehr weiten Infrastrukturbegriff unter Einbeziehung der Leistungen (Dienste), die mit Hilfe der Anlagen erbracht werden19, und aus einer ganzheitlichen Betrachtungsweise: Sie betrachtet die verschiedenen Problemebenen – u. U. in Orientierung an unterschiedlichen Rechtsgrundlagen – nicht isoliert voneinander, sondern bezieht die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen „Stellschrauben“ und die Auswirkungen in ihrer Gesamtheit mit ein. Ganz in diesem Sinne stellen sich auch die Steuerungsaufgaben nach der Energiewende „auf allen Ebenen – von der (Strom-)Erzeugung über die Übertragung bzw. Verteilung einschließlich der dafür notwendigen Ausbauplanung bis hin zum Vertrieb und den Endkundenbeziehungen“ in ihrem Zusammenspiel20. 4. Energie-Infrastrukturrecht – ein Modethema? Nicht nur die Neuartigkeit der eingangs skizzierten veränderten Verwendung des Begriffs „Energie-Infrastrukturrecht“ lässt fragen, warum wir ihn hier und heute so ausführlich diskutieren. Handelt es sich um ein Modethema, etwa als Folge speziell der Energiewende von 2011? Der viele Jahre vor diesem Zeitpunkt liegende Beginn der neueren Diskussion verweist auf tiefer liegende Entwicklungen, die 2011 lediglich partiell aktualisiert worden sein dürften. Handelt es sich um ein Thema, das alle jene Rechtsgebiete aufs Beste verknüpfen kann, denen die wissenschaftlichen Interessen von Wilfried Erbguth seit Jahrzehnten gelten: Allgemeines Verwaltungsrecht21, Raum- und Bauplanungsrecht22, Fachplanungsrecht23, Umweltrecht24, Rechtsschutz16

Wißmann (Fn. 3), S. 375. Wißmann (Fn. 3), S. 376. 18 Wißmann (Fn. 3), S. 377, 387 ff., 408 ff. 19 So auch G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, Tübingen 1998, S. 172 (freilich beschränkt auf netzgebundene Infrastruktur). 20 M. Fehling, Neues Regulierungsrecht im Anschluss an die Energiewende, Die Verwaltung 47 (2014), 313 (315); dazu auch G. Hermes, Planungsrechtliche Sicherung einer Energiebedarfsplanung – ein Reformvorschlag, ZUR 2014, 259 (261). 21 Vgl. z. B. W. Erbguth, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. Baden-Baden 2014. 22 Vgl. z. B. W. Erbguth / M. Schubert, Öffentliches Baurecht, 7. Aufl. München 2014; zuerst W. Erbguth, Probleme des geltenden Landesplanungsrechts, Münster 1975. 23 Vgl. z. B. W. Erbguth, Raumordnung und Fachplanung: ein Dauerthema, DVBl. 2013, 274 ff.; ders., Zum System der Fachplanung, in: ders. u. a. (Hrsg.), Planung. FS für Werner Hoppe, München 2000, S. 631 ff. 17

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fragen25? Das gewiss auch. Ich möchte nachstehend aber weitere Gründe für die zunehmende Entwicklungsdynamik des (Energie-)Infrastrukturrechts skizzieren (II.) und vor allem rechtswissenschaftsinterne Veränderungen als Folgen dieser Entwicklung näher beschreiben (III.) und so auch die These bestätigen, dass das Recht der leitungsgebundenen Versorgung mit Strom und Gas „schon immer“ als Referenzgebiet für grundlegende Betrachtungen zum Recht fungierte26. II. Impulse für das Bedeutungswachstum des Energie-Infrastrukturrechts 1. Europäisierung Ein wesentlicher Bedeutungsschub für das Energie-Infrastrukturrecht verbindet sich (lange vor 2011) mit der Europäisierung des „Energierechts“, das die gesamte energiewirtschaftliche Wertschöpfungskette von der Erzeugung über den Handel bis zum Verbrauch von Energie regelt27. Rechtssprachlich scheint „Energieinfrastruktur“ vor allem in europäischen Dokumenten gebräuchlich zu sein, beginnend mit der begrifflichen Aufnahme in Art. 129b EGV (heute: Art. 170 AEUV) im Vertrag von Maastricht (1992). Besonders aktuell konkretisiert die Verordnung zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur (TEN-E-Verordnung von 2013)28 den Begriff der Energieinfrastruktur – dies freilich sehr spezifisch: Er meint nach Art. 2 24

Vgl. z. B. W. Erbguth / S. Schlacke, Umweltrecht, 4. Aufl. Baden-Baden 2012; zuerst W. Erbguth, Rechtssystematische Grundfragen des Umweltrechts, Berlin 1987. 25 Vgl. z. B. W. Erbguth, Verwaltungsrechtsschutz in der Krise. Vom Rechtsschutz zum Schutz der Verwaltung, Baden-Baden 2010; ders., Primär- und Sekundärrechtsschutz im Öffentlichen Recht, VVDStRL 61 (2002), S. 221 ff. 26 So J.-Chr. Pielow, Die Energiewende auf dem Prüfstand des Verfassungs- und Europarechts, EurUP 2013, 150 (150 f.). 27 Übersichtlich G. Morgenthaler, Energie, in: H. Kube u. a. (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts. FS für Paul Kirchhof, Band I, Heidelberg u. a. 2013, § 81 Rn. 1 ff.; T. Müller, Thesen zur regulierungsrechtlichen Zukunft der Stromnetzinfrastruktur, in: M. Kment (Hrsg.), Netzausbau zugunsten erneuerbarer Energien, Tübingen 2013, S. 101 (105 ff.); ausf. J.-Chr. Pielow, Energierecht, in: D. Ehlers / M. Fehling / H. Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Band I, 3. Aufl. Heidelberg u. a. 2012, § 22 Rn. 2 f., 17 ff.; G. Britz, Energie, in: M. Fehling / M. Ruffert, Regulierungsrecht, Tübingen 2010, § 9 Rn. 6 ff. 28 Vgl. Verordnung (EU) Nr. 437/2013 vom 17. 04. 2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur, ABl. EU L 115, S. 39; s. dazu M. Kment, Das Planungsrecht der Energiewende, Die Verwaltung 47 (2014), 377 (393 ff.); ausf. P. Fest / B. Operhalsky, Der deutsche Netzausbau zwischen Energiewende und europäischem Energieinfrastrukturrecht, NVwZ 2014, 1190 ff.; W. Erbguth / M. Schubert, Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur, EurUP 2014, 70 ff.; S. Dietrich / A. Steinbach, (Kein) Änderungsbedarf im Energie- und Netzausbaurecht aufgrund der neuen TEN-E Verordnung?, DVBl. 2014, 488 ff.; L. Giesberts / A. Tiedge, Vorhaben von gemeinsamem Interesse nach der TEN-E-Verordnung: Anforderungen, Verfahren, Rechtsschutz, EurUP 2013, 166 ff. m.w.N.; T. Strobel, Die Verordnung zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur: Primärrechtliche Einordnung und genehmigungsrechtliche Implikationen, ZEuS 2013, 167 ff.

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Nr. 1 TEN-E-VO jede materielle Ausrüstung, die unter die Infrastrukturkategorien i.S. des Anhangs II fällt, z. B. bei Strom also Höchst- und Hochspannungsfreileitungen und Stromspeicheranlagen und die zu deren Betrieb unentbehrlichen Systeme und Ausrüstungen mit bidirektionaler Kommunikation von Stromerzeugung, -übertragung, -verteilung und -verbrauch; Paralleles gilt für Gas, Erdöl und Kohlendioxid; die Energieerzeugungsanlagen gehören gar nicht dazu. Die Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse erfasst (neben einigen Phasenschiebern, Elektrizitätsspeichern, Pumpspeicherwerken und zwei Projekten zur „Realisierung intelligenter Netze“) nur Strom- und Gasleistungen29. Das Recht der TEN-E-Verordnung kann also nur einen Ausschnitt des Energie-Infrastrukturrechts bilden. Doch diesseits der TEN-E-Verordnung gibt es schon seit 1996 unionsrechtliche Vorgaben für die Schaffung eines (bis heute unvollendeten) Elektrizitätsbinnenmarkts und seit 1998 für einen Erdgasbinnenmarkt, die seitdem durch zwei weitere „Liberalisierungspakete“ beschleunigt worden sind30. Sie forcieren neben der Entflechtung der Energieversorgungsunternehmen durch Trennung von Netzbetreibern und Stromerzeugern31 u. a. einen zunehmenden Stromaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, um durch eine solche Vernetzung Kostenvorteile durch Angleichung der Großhandelspreise zu erzielen32. Schon das verlangt den Ausbau der deutschen Stromübertragungsnetze, soweit das erforderliche Engpassmanagement zur bestmöglichen Nutzung der Übertragungs- und Verteilernetze an Grenzen stößt. Zu dieser Entwicklungslinie zur Sicherung der Versorgung und Infrastruktur durch Wettbewerb33 kommen die umweltpolitisch motivierten Ergänzungen: Zu nennen sind vor allem34 die Richtlinien der EU zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen im Elektrizitätsbinnenmarkt35 und die sie ablösende 29 Vgl. T. Strobel, Europäische Bedarfsermittlung nach der TEN-E-VO – Zugleich zur Unionsliste der VGI 2013, EnZW 2014, 299 (301 f.). 30 Grdl. jetzt Erdgasbinnenmarktrichtlinie 2009/73/EG vom 13. 07. 2009, ABl. EG L 211, S. 94; Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2009/72/EG vom 13. 07. 2009, ABl. EG L 211, S. 55; EU-Kommission, Energieinfrastrukturprioritäten bis 2020 und danach – ein Konzept für ein integriertes europäisches Energienetz, KOM (2010) 677 endg. vom 17. 11. 2010; s. näher M. Ludwigs, Energierecht, in: M. Ruffert (Hrsg.), Europäisches Sektorales Wirtschaftsrecht, Baden-Baden 2013, § 5 Rn. 4 ff. 31 Übersichtlich Pielow (Fn. 27), § 22 Rn. 79 ff.; M. Schmidt-Preuß, Energierecht – eine innovative wissenschaftliche Disziplin, in: S. Storr (Hrsg.), Neue Impulse für die Energiewirtschaft, Wien 2012, S. 1 (15 ff.); ausf. Ludwigs (Fn. 30), § 5 Rn. 180 ff. 32 C. König, Engpassmanagement in der deutschen und europäischen Elektrizitätsversorgung, Baden-Baden 2013, S. 56 ff. 33 Übersichtlich zuletzt M. Schmidt-Preuß, Energie und Umwelt – Aktuelle Entwicklungstendenzen im Zeichen von Europäisierung und Energiewende, in: Brinktrine / Ludwigs / Seidel (Fn. 10), S. 9 (11 ff.) m.w.N.; Müller (Fn. 27), S. 103 ff. 34 Übersichtlich Ludwigs (Fn. 30), § 5 Rn. 15 ff., 211 ff., 226 ff.; M. Knauff, Die Entwicklung eines europäischen Rechts der Erneuerbaren Energien im Kontext des europäischen Umweltenergierechts, in: T. Müller (Hrsg.), 20 Jahre Recht der Erneuerbaren Energien, Baden-Baden 2012, S. 408 ff. 35 Richtlinie 2001/77/EG vom 27. 09. 2001, ABl. EG Nr. L 283, S. 33.

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umfassendere Richtlinie zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen36 als Impulse zur Steigerung des Anteils erneuerbarer Energiequellen, die zur Energiestrategie 2020 der EU zusammengeführt wurden37. Gerade auch mit diesem forcierten Wachstum Erneuerbarer Energien verbindet sich eine erheblich steigende Nachfrage nach Stromtransportkapazitäten38, über die durch den Energiebinnenmarkt und den wachsenden Energiebedarf induzierte Kapazitätsnachfrage hinaus: Nach Feststellungen der Deutschen Energie-Agentur in ihren Netzstudien von 2005 und 2010 ist ein Ausbau der deutschen Stromübertragungsnetze um tausende von Kilometern notwendig39. Diese Entwicklungen erzeugen neuartigen Handlungsbedarf in den Bereichen Netze und Verbrauch und führen in dieser Zusammenschau zu einem spezifischen Energie-Infrastrukturrecht, in dem die gewachsenen Systempflichten der Netzbetreiber und die Regelungen über den Netzausbau zentral geworden sind. 2. Regulierung Ein auch durch europarechtliche Liberalisierungsimpulse verstärkter, wenn nicht veranlasster Megatrend ist – ungeachtet punktueller retardierender Gegentendenzen (Stichwort: Rekommunalisierung40, namentlich auch der Energienetze41) – ein generell wachsendes Zusammenwirken von Staat und Privaten an den Infrastruktureinrichtungen der staatlichen Daseinsvorsorge. Art. 14 AEUV verlangt die Gewährleistung von Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse, ohne dabei die Leistungserbringung durch Private auszuschließen. Die vielfältigen Prozesse der Privatisierung oder – wie im Energiewirtschaftsrecht eher umgekehrt – der neuartigen öffentlich-rechtlichen Einbindung Privater sind teils Folge der staatlichen Überlastung bei der unmittelbaren Erfüllung der Aufgaben der Daseinsvorsorge, teils wollen sie in Anknüpfung an wirtschaftswissenschaftliche Theorien über Markt- und/oder 36 Richtlinie 2009/28/EG vom 23. 04. 2009, ABl. EG Nr. L 140, S. 16; dazu näher T. Müller, Neujustierung des europäischen Umweltenergierechts im Bereich Erneuerbarer Energien? Zur Richtlinie zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, in: W. Cremer / J.-Chr. Pielow (Hrsg.), Probleme und Perspektiven im Energieumweltrecht, Stuttgart 2010, S. 142 ff.; W. Lehnert / J. Vollprecht, Neue Impulse von Europa: Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU, ZUR 2009, 307 ff. 37 EU-Kommission, Energie 2020. Eine Strategie für wettbewerbsfähige, nachhaltige und sichere Energie, KOM (2010), 639 endg. vom 10. 11. 2010; der klima- und der energiepolitische Ansatz wurden in einem Grünbuch der Kommission (2013) fortgeschrieben: EU-Kommission, Grünbuch: Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik bis 2030, COM (2013), 169 final vom 27. 03. 2013. 38 König (Fn. 32), S. 48 ff. 39 Vgl. zu den dena-Netzstudien König (Fn. 32), S. 66 f., 105 f. mit genauen Zahlen. 40 H. Bauer, Zukunftsthema „Rekommunalisierung“, DÖV 2012, 329 ff. 41 H. Sodan, Rekommunalisierung des Berliner Stromnetzes?, LKV 2013, 433 (435 ff.); Pielow (Fn. 26), 161 f.; dazu jetzt auch C. F. Haellmigk, Kartellrechtliche Aspekte der sog. (Re-)Kommunalisierung, in: J. Gundel / K.W. Lange (Hrsg.), Die Energiewirtschaft im Instrumentenmix, Tübingen 2014, S. 107 ff.

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Staatsversagen die Angebots- und Nachfragebedingungen optimieren42. Die Ablösung von der durch staatliche Eigentätigkeit gewährleisteten Energieversorgung43 führt mittlerweile zu mannigfachen Formen der Kooperation von Privaten mit dem Staat und zu abgestuften Formen der staatlichen Gewährleistungsverantwortung44. Die Rechtsprobleme der durch die neuartige Erscheinungsform des Regulierungsrechts namentlich bei netzgebundenen Infrastrukturen als natürlichen Monopolen45 werden überwiegend nicht mehr nur als zeitlich begrenztes Privatisierungsfolgenrecht zur Herstellung von Wettbewerb angesehen, sondern als dauerhaftes Handlungskonzept zur Aufrechterhaltung von Wettbewerb im Markt mit dem Ziel der Gemeinwohlsicherung im jeweiligen Bereich46. Solche netzgebundenen Strukturen verlangen eine ständige gestalterische Anpassung an geänderte Marktbedingungen beim Wettbewerb im Markt oder um den Markt nach Maßgabe des Regulierungsermessens von – von den Unternehmen unabhängigen – Regulierungsbehörden wie der Bundesnetzagentur. Auch das Energie-Infrastrukturrecht ist von dieser Dynamik geprägt und wird schon deshalb vor immer neue rechtliche Herausforderungen stellen. Hinzu kommen die – teilweise konträren – ökologischen Gemeinwohlziele der Energiewende, namentlich durch Integration der erneuerbaren Energien bei der Erzeugung und beim Leitungsbau von Höchstspannungs(übertragungs)netzen und Hoch-, Mittel- und Niederspannungs(verteil)netzen für den Stromtransport (und die Pipelines für Gas und Öl), die die Akzente insgesamt von der – staatlich mehr oder weniger auch regulierten – Selbstregulierung hin zu einer stärkeren Inpflichtnahme Privater (Kraftwerks- und Netzbetreiber) verschoben haben47.

42 Zuletzt M. Burgi, Regulierung: Inhalt und Grenzen eines Handlungskonzepts der Verwaltung, in: Allgemeines Verwaltungsrecht. FS für Ulrich Battis, München 2014, S. 329 (330). 43 Hermes (Fn. 19), S. 288 ff.; M. Fehling, Nichtbenutzungsrechte Dritter an Schienenwegen, Energieversorgungs- und Telekommunikationsleitungen vor dem Hintergrund staatlicher Infrastrukturverantwortung, AöR 121 (1996), 59 (76 ff.). 44 Dörr (Fn. 3), S. 340 ff.; H. Schulze-Fielitz, Grundmodi der Aufgabenwahrnehmung, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. München 2012, § 12 Rn. 51 ff., 91 ff.; M. Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, Berlin 2004, S. 59 ff., 74 ff. 45 Übersichtlich zum Energierecht Pielow (Fn. 27), § 22 Rn. 88 ff.; zsfssd. zur ökonomischen Logik M. Schmidt-Preuß, Das Regulierungsrecht als interdisziplinäre Disziplin – am Beispiel des Energierechts, in: J.F. Baur u. a. (Hrsg.), FS für Gunther Kühne, Frankfurt a.M. 2009, S. 329 (330 f.); grdl. Hermes (Fn. 19), S. 356 ff.; J. Masing, Grundstrukturen eines Regulierungsverwaltungsrechts, Die Verwaltung 36 (2003), S. 1 ff. 46 Zuletzt Fehling (Fn. 20), 314 f., 337 ff., 346 f.; ferner etwa J. Kersten, Herstellung von Wettbewerb als Verwaltungsaufgabe, VVDStRL 69 (2010), S. 288 (316 ff.); O. Lepsius, Ziele der Regulierung, in: Fehling/ Ruffert (Fn. 27), § 19 Rn. 1 ff. 47 Fehling (Fn. 20), 340 ff.; M. Burgi, Die Energiewende und das Recht, JZ 2013, 745 (747 ff.).

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3. Kritische Infrastrukturen Funktionierende Infrastrukturen sind ganz allgemein Vorbedingung für die individuelle Freiheitsentfaltung48. Speziell der „Schutz kritischer Infrastrukturen“, wie er seit 2009 auch gesetzesbegrifflich in § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG aufgegeben ist, zielt auf den Umstand, dass einige bestimmte Infrastruktureinrichtungen für das Gemeinwesen von so zentraler Bedeutung sind, dass deren Ausfall oder Beeinträchtigung zu nachhaltigen Versorgungsengpässen oder erheblichen Störungen der öffentlichen Sicherheit mit dramatischen Folgen (etwa für Leben, Gesundheit und andere wichtige Schutzgüter) führen kann49, weil sie zur Grundvoraussetzung für das Funktionieren fast aller anderen Infrastrukturen geworden sind50. Zu diesen regelmäßig netzwerkartig strukturierten Infrastrukturen gehört neben den Informationsstrukturen auch die Energie-Infrastruktur – man denke nur an die Folgen eines flächendeckenden Zusammenbruchs der Stromversorgung; eine verlässliche Versorgung mit Energie als „Gemeinschaftsinteresse höchsten Ranges“51 ist eine Fundamentalbedingung für das friedliche Zusammenleben in Staat und Gesellschaft52. Auch die Gemeinwohlziele des § 1 Abs. 1 EnWG nennen nicht zufällig die „möglichst sichere“ Energieversorgung unverändert an erster Stelle53, was auch in der Infrastruktursicherungsklausel des § 1 Abs. 2 EnWG hervorgehoben wird54. Diese industriegesellschaftliche Abhängigkeit von einer funktionierenden netzgebundenen Energie-Infrastruktur und die Anfälligkeit moderner Gesellschaften für den Fall ihres Ausfalls führen seit gut einem Jahrzehnt auch zu einer wachsenden Sensibilisierung für deren Schutz, sicher auch als Folge terroristischer Aktionen wie denen am 11. September 2001 in New York. Die Energie-Infrastruktur ist dadurch gekennzeichnet, dass sie weithin auch in privater Hand liegt und ihr Schutz eine gemeinsame Aufgabe von Staat und Unternehmen darstellt, die eine entsprechende Kooperation verlangt55. Auch alle diese Umstände führen zu einer wachsenden Bedeutung des Energie-Infrastrukturrechts.

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Wißmann (Fn. 3), S. 371, 385. Vgl. übersichtlich M. Kloepfer, Einleitung, in: ders. (Fn. 13), S. 9 (11 ff.); s. auch Möllers / Pflug (Fn. 13), S. 52 f.; M. Schmidt-Preuß, Europäische und internationale Ansätze zum Schutz kritischer IT- und Energieinfrastrukturen, in: Kloepfer (Fn. 13), S. 67 (67 f.). 50 Kloepfer (Fn. 49), S. 16. 51 So bereits BVerfGE 30, 292 (323 f.). 52 M. Schmidt-Preuß, Energieversorgung, in: J. Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. Heidelberg u. a. 2006, § 93 Rn. 1 f.; ähnlich Hermes (Fn. 19), S. 324. 53 Pielow (Fn. 26), 153; anders Fehling (Fn. 20), 333: Gewicht des Umweltschutzes „zumindest gleichberechtigt“. 54 Britz (Fn. 27), § 9 Rn. 24 f. 55 Kloepfer (Fn. 49), S. 17. 49

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4. Prävention Ein prägender Megatrend auch in der Bundesrepublik scheint die zunehmende Bedeutung von Prävention zu sein, nicht nur in der spezifischen Erscheinungsform des Vorsorgeprinzips im Umweltrecht56. Der Gedanke der Prävention gewinnt bekanntlich etwa im Polizei-und Sicherheitsrecht57, im Katastrophenrecht58, im Sozialrecht, im Gesundheitsrecht oder im Strafrecht zunehmend Gewicht (mitunter nicht frei von paternalistischer Bevormundung59). Die präventive Intention gilt auch für den Schutz der bestehenden Infrastrukturen und wird auf verfassungsrechtlicher Ebene durch das Umweltstaatsprinzip (Art. 20a GG)60 und durch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) mit seinem Auftrag zur Wohlstandsvorsorge61 verstärkt. Vor diesem Hintergrund dürfte auch das Energie-Infrastrukturrecht einen andauernden Bedeutungsgewinn erfahren, so sehr staatliche Krisenvorsorge (etwa durch die Erdölbevorratungspflicht) die Energieversorgung schon immer mit bestimmt hat62. Umweltrechtlich ist es wichtiger Teilbereich eines nachhaltigen Klimaschutzes63 durch Gewährleistung einer entsprechenden (Energie-)Infrastruktur64 in Wahrnehmung einer „Infrastrukturverantwortung“. Sozialstaatlich ist es Teil der Wohlstandsvorsorge – und sei es nur als Rechtfertigungsgrund für die energiewirtschaftliche Privilegierung stromintensiver Unternehmen etwa der Stahl- und Alumi-

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S. nur Erbguth / Schlacke (Fn. 24), § 3 Rn. 3 ff. Vgl. zuletzt M. Jasch, Neue Sanktionspraktiken im präventiven Sicherheitsrecht, KritJ 47 (2014), 237 ff.; (krit.) M. Baldus, Entgrenzungen des Sicherheitsrechts – neue Polizeirechtsdogmatik?, Die Verwaltung 47 (2014), 1 (3, 6 ff.); F. Schoch, Abschied vom Polizeirecht des liberalen Rechtsstaats? Vom Kreuzberg-Urteil des preußischen Oberverwaltungsgerichts zu den Terrorismusbekämpfungsgesetzen unserer Tage, Der Staat 43 (2004), 347 (350 ff.); H. Schulze-Fielitz, Nach dem 11. September: An den Leistungsgrenzen eines verfassungsstaatlichen Polizeirechts?, in: H.-D. Horn (Hrsg.), Recht im Pluralismus. FS für Walter Schmitt Glaeser, Berlin 2003, S. 407 (410 ff.). 58 F. Ekardt, Katastrophenvermeidung und Katastrophenvorsorge: Möglichkeiten, Grenzen und Vorgaben, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Katastrophenrecht: Grundlagen und Perspektiven, Baden-Baden 2008, S. 61 ff.; M. Kloepfer, Katastrophenschutzrecht, VerwArch 98 (2007), 163 (190 ff.). 59 Krit. F. Hufen, Wenn Vorsorge die Freiheit bedroht, DRiZ 2014, 302 ff. 60 Kloepfer (Fn. 58), 176. 61 S. jetzt M. Burgi, Wohlstandsvorsorge als Staatsziel und als Determinante im Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Schutz der Freiheit und Gewährleistung von Teilhabe im Sozialstaat, Tübingen 2014 (AöR-Beiheft), S. 30 (35 ff.); ferner M. Kotzur, Der nachhaltige Sozialstaat, BayVBl. 2007, 257 (262); H. F. Zacher, Das soziale Staatsziel, in: J. Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. Heidelberg u. a. 2004, § 28 Rn. 53 ff., 57 ff. 62 Schmidt-Preuß (Fn. 52), § 93 Rn. 48 f.; zur europäischen Dimension Ludwigs (Fn. 30), § 5 Rn. 36 ff., 260 ff. 63 Zur „Ökologisierung“ des Energierechts F.-J. Säcker / A. Timmermann, in: F.-J. Säcker (Hrsg.), Energierecht, Berliner Kommentar, 3. Aufl. Frankfurt 2014, § 1 EnWG Rn. 23 f. 64 Vgl. Burgi (Fn. 61), S. 41, 44 f.; s. auch Dörr (Fn. 3), S. 338 f. 57

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niumindustrie nach §§ 63 ff. EEG 201465 zur Sicherung industriegesellschaftlicher Arbeits- und Lebensverhältnisse. Auch die zunehmende Einsicht in die Aufrechterhaltung, Erneuerung, Pflege und gegebenenfalls den Rückbau von Infrastrukturen als Daueraufgabe66 lässt sich als Erscheinungsform nachhaltiger Prävention interpretieren – vom Repowering von Windenergieanlagen67 bis hin zum Abbau von Atomkraftwerken und der Suche nach einer Endlagerstätte für hochradioaktive Abfälle68. 5. Energiewende Ein Hauptmotiv für das Bedeutungswachstum des Energie-Infrastrukturrechts ist gewiss die „Energiewende“, verstanden als mehr oder weniger schnelle Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Energiemix – ob man den Beginn dieser Wende in den Diskussionen der 1980er Jahre, im Stromeinspeisungsgesetz von 1991, in den Umstiegsentscheidungen der rot-grünen Koalition von 2002 sieht oder gar auf 2011 abstellen wollte69. Die bislang benannten Impulse für das Energie-Infrastrukturrecht sind jedenfalls 2011 in Deutschland noch einmal verstärkt worden: Das Projekt eines beschleunigten Ausstiegs aus der Atomenergie bis Ende 2022 (vgl. § 7 Abs. 1a AtG)70, einer Abkehr von fossilen Energieträgern („Dekarbonisierung“) und eines forcierten Ausbaus regenerativer Energien, die bis 2050 mindestens 80 % der Stromversorgung ausmachen sollen (vgl. § 1 Abs. 2 EEG 2014), hat diese Impulse intensiviert71, ohne dass damit ein grundlegender Paradigmenwechsel verbunden wäre. Seitdem sind allerdings die Diskussionen um die Ausgestaltung der Energie-Infrastruktur nicht nur ein unerschöpfliches öffentliches Dauerthema, bei dem die Gefährdung der Versorgungssicherheit (vgl. §§ 13, 13a EnWG), der beschleunigte Ausbau der Stromnetze und der Widerstand dagegen 65

Burgi (Fn. 61), S. 45 f.; konkret zur aktuellen Rechtslage A. Große / M. Kachel, Die Besondere Ausgleichsregelung im EEG 2014, NVwZ 2014, 1122 ff.; zur prinzipiellen Kritik E. Gawel / C. Klassert, Probleme der besonderen Ausgleichsregelung im EEG, ZUR 2013, 467 ff. 66 Wißmann (Fn. 3), S. 405 ff., 411, 421. 67 Kment (Fn. 28), 384 f.; ausf. J. Lutz, Repowering-Steuerung aus planungsrechtlicher Perspektive, Baden-Baden 2012, S. 17 ff. 68 Dazu neuestens Kment (Fn. 28), 401 ff.; B. Keienburg, Verfassungs- und europarechtliche Fragen hinsichtlich der Standortauswahl eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle, NVwZ 2014, 1133 ff.; U. Smeddinck, Elemente des Standortauswahlgesetzes zur Entsorgung radioaktiver Abfälle – Vorgeschichte, Zuschnitt und Regelungskomplexe, DVBl. 2014, 408 ff. 69 Zum Begriff und den unterschiedlichen Teilphasen S. Heselhaus, Europäisches Energieund Umweltrecht als Rahmen der Energiewende in Deutschland, EurUP 2013, 137 (137 ff.); zum Stromeinspeisungsgesetz von 1991 als Ausgangspunkt T. Müller, Vom Kartell- zum Umwelt(energie)recht, in: ders. (Fn. 34), S. 129 (134 ff.). 70 Zur Verfassungsmäßigkeit zuletzt M. Ludwigs, Die Energiewende im Zeichen des Europa- und Verfassungsrechts, Rechtswissenschaft 5 (2014), 254 (256 ff.). 71 Burgi (Fn. 47), 745 ff.; übersichtlich zum Gesetzespaket von 2011: D. Sellner / F. Fellenberg, Atomausstieg und Energiewende 2011 – das Gesetzespaket im Überblick, NVwZ 2011, 1025 ff.; s. auch Pielow (Fn. 27), § 22 Rn. 145 ff.

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sowie die Sinnhaftigkeit und die entsolidarisierenden sozialen Verteilungswirkungen der EEG-Umlage im Mittelpunkt stehen72. Auch rechtlich aktualisiert der Ausbau der Erneuerbaren Energien die Diskussion um die Energie-Infrastruktur, weil die Volatilität der Erneuerbaren Energien sowohl die Errichtung und den Ausbau der Netze als auch deren Betrieb ganz neu herausfordert. Auch der Gesetzgeber verändert ständig die rechtlichen Rahmenbedingungen durch akzidentelle Reformen – allein das EnWG wurde namentlich zur Folgenbewältigung der Energiewende seit 2011 17 Mal geändert, das EEG seitdem 7 Mal (seit 2000 18 Mal73): Dessen „permanente Reform“ ist nicht nur ein Strukturmerkmal des EEG74, sondern Ausdruck einer Daueraufgabe75 der fortlaufenden Anpassung von Maßnahmegesetzen einerseits an die dynamischen tatsächlichen Veränderungen des Verhaltens von Produzenten und Verbrauchern von Energie, andererseits an die zunehmende Beeinflussbarkeit des Stromnetzes durch den wachsenden Anteil an fluktuierender wetterabhängiger Energie. Auf diese Weise werden das Energieumweltrecht und das Energiewirtschaftsrecht zugleich als bislang weithin „normativ getrennte Welten“76 stärker aufeinander bezogen und punktuell verschränkt77, mag Energierecht gegenüber Umweltrecht nach wie vor auch eine spezifische Eigenständigkeit aufweisen78. Der Gesamtkomplex des (Umwelt-)Energierechts umfasst mittlerweile eine kaum noch übersehbare Zahl von vielen hundert Paragraphen. Rechtswissenschaftlich erweisen sich die Diskussionen im Umweltenergierecht als Folge – politisch veranlasster – neuartiger Rechtsentwicklungen, die das Umweltenergierecht als ein neues Referenzgebiet zu strukturieren scheinen79, dieses (und mit ihm den Teilbereich des Energie-Infrastrukturrechts) jedenfalls zunehmend als ein praktisch sehr bedeutsames Experimen-

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Freilich enthalten die neueren Gesetze zur Netzausbaubeschleunigung oder Planvereinheitlichung den Begriff der Infrastruktur gar nicht, vgl. Wißmann (Fn. 3), S. 375. 73 Übersichtlich: F. Sailer / K. Kantenwein, in: J. Reshöft / A. Schäfermeier, EEG-Kommentar, 4. Aufl. Baden-Baden 2014, Einl. Rn. 44 ff., 75 ff.; zuletzt zum EEG 2014: T. Müller / H. Kahl / F. Sailer, Das neue EEG 2014, ER 2014, 139 ff.; G. Wustlich, Das ErneuerbareEnergien-Gesetz 2014, NVwZ 2014, 1113 ff. 74 E. Hofmann, Das Recht der Energiewende als Transformationskonzept: Beschleunigung um jeden Preis oder alles nur eine Frage der Zeit?, Die Verwaltung 47 (2014), 349 (357 ff., 375). 75 So auch für das Energieeffizienzrecht M. Knauff, Energieeffizienz als Verwaltungsaufgabe, Die Verwaltung 47 (2014), 407 (434); allg. Müller (Fn. 27), S. 107, 111 ff. 76 Burgi (Fn. 47), S. 752 f. 77 Müller (Fn. 27), S. 106 f.; s. schon W. Lehnert / W. Templin / C. Theobald, Die Erneuerbaren Energien im System des Energierechts, VerwArch 102 (2011), 83 (91 ff.). 78 Betont z. B. bei Schmidt-Preuß (Fn. 31), S. 11 ff. 79 Vgl. etwa F. Sailer, Klimaschutzrecht und Umweltenergierechts – Zur Systematisierung beider Rechtsgebiete, NVwZ 2011, 718 (721 ff.); W. Kahl, Schwerpunktbereich – Einführung in das Umweltenergierecht, JuS 2010, 599 ff.; T. Müller / H. Schulze-Fielitz, Auf dem Wege zu einem Klimaschutzrecht, in: H. Schulze-Fielitz / T. Müller (Hrsg.), Europäisches Klimaschutzrecht, Baden-Baden 2009, S. 9 (13 ff.); M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. München 2004, § 16.

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tallabor eigener Art erscheinen lassen. Solches lässt sich an Blickveränderungen oder Gewichtsverschiebungen in der Rechtswissenschaft verdeutlichen. III. Rechtswissenschaftsinterne Akzentverschiebungen 1. Verwaltungsrechtsdogmatik Die Anwendung des Besonderen Verwaltungsrechts, insbesondere auch des Fachplanungsrechts der Energie-Infrastrukturanlagen, folgt systematisch grundsätzlich, das heißt ungeachtet ausdrücklich angeordneter Sonderregelungen, jenen allgemeinen Regeln, wie sie sich als „Allgemeines Verwaltungsrecht“ herausgebildet und teilweise in den Verwaltungsverfahrensgesetzen von Bund und Ländern ihren Niederschlag gefunden haben. Hinzu kommen die bereichsspezifischen Dogmatiken des Besonderen Verwaltungsrechts, etwa des Fachplanungs- oder des Regulierungsrechts. Die Auflösung von Zielkonflikten bei der Planung von Infrastrukturprojekten durch Abwägung nach Maßgabe der konkreten örtlichen Verhältnisse bleibt unverändert aktuell80. Die am Verwaltungsverfahren und am verwaltungsgerichtlichen Individualrechtsschutz orientierte Verwaltungsrechtsdogmatik und die ihr korrespondierende juristische Methodik sind auch für die Anwendung des Energie-Infrastrukturrechts ein gesicherter Ausgangspunkt für das Handeln der Verwaltung. Das Bundesverwaltungsgericht verspürt nicht zufällig eine hohe Arbeitsbelastung gerade durch Infrastrukturvorhaben81. Gleichwohl war das Energierecht schon immer auch stark zivilrechtlich geprägt – man denke etwa auch an das Recht der privatrechtlichen Konzessionsverträge82 – und entzog sich auch verwaltungsorganisatorisch mit den Energieversorgungsunternehmen in kommunaler Hand den herkömmlichen Mustern hierarchischer Staatlichkeit. Seit der staatlichen Regulierung der Netzentgelte (1998) hat die öffentlich-rechtliche Einbindung der Privaten durch Regulierungsrecht zugenommen. So lassen sich am Beispiel (auch) des Energie-Infrastrukturrechts neuere Gewichts- oder jedenfalls Akzentverschiebungen innerhalb der verwaltungsrechtswissenschaftlichen Betrachtungsweisen feststellen, die die Basis der herkömmlichen Dogmatiken des Allgemeinen oder Besonderen Verwaltungsrechts oder des Verwaltungsprivatrechts als reduktionistisch erscheinen lassen und rechtswissenschaftliche Modifikationen oder Erweiterungen hervorrufen.

80 Kment (Fn. 28), 379 ff.; exemplarisch T. Leidinger, Abwägung und Alternativenprüfung beim Stromnetzausbau – Zum aktuellen Streitstand, DVBl. 2014, 683 (684 ff.). 81 Vgl. M. Eckertz-Höfer, Erneuter Reformbedarf beim Umweltrechtsbehelfsgesetz?, DVBl. 2013, 499 (500). 82 Vgl. dazu H.-C. Thomale, Das „Vergabeverfahren“ beim Auslaufen des Konzessionsvertrages, in: Gundel / Lange (Fn. 41), S. 133 (134 ff.); Lehnert / Templin / Theobald (Fn. 77), 94 ff.

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2. Intradisziplinarität Als eine erste Tendenz lässt sich eine starke Verknüpfung oder Zusammenschau unterschiedlicher Teildisziplinen der Rechtswissenschaft feststellen. Das gilt einerseits für die immer stärkere Verknüpfung von Europa- und nationalem Recht im europäischen Rechtsverbund (namentlich auch im Bereich der Energieversorgung), auch des Völkerrechts83, andererseits für die Pluralität von Regelungselementen, Rechtsquellen, Handlungsformen und Organisationseinheiten sowohl in Zusammenführung von rechtstheoretischen, rechtsdogmatischen oder systematischen Sichtweisen als auch von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Problemzugängen. Für das Energie-Infrastrukturrecht ist – wie für das Infrastrukturrecht allgemein – eine Mischung von sehr unterschiedlichen Regelungsansätzen charakteristisch, angesiedelt zwischen den Polen einer vollständigen Privatisierung und einer rein staatlichen Aufgabenerfüllung. Diese Mischung ist einerseits Symptom für den „beweglichen, reaktiven Charakter des Verwaltungsrechts“84, führt andererseits durch den typischen (energie-)umweltrechtlichen „Instrumentenmix“85 im Sinne eines „Verbundsystems“86 zu einem engen Zusammenwirken von privatrechtlichen und öffentlichrechtlichen Regelungsstrukturen, wenn etwa zivilrechtliche Netzzugangsansprüche im Verhandlungsweg mit behördlichen Anordnungsbefugnissen verzahnt werden87 oder die Privaten im Wege der „Vollzugsprivatisierung“ eng in den Vollzug energieeffizienzrechtlicher Vorgaben einbezogen werden88. Sie überschreiten die herkömmlichen Handlungsformen des Allgemeinen Verwaltungsrechts89, um mit unterschiedlichen Bewirkungsformen namentlich indirekter Steuerung90 – unter Ergänzung von ordnungsrechtlichen Instrumenten – etwa mit ökonomischen Anreizen91, Steue83

S. z. B. R. Ismer, Klimaschutz als Rechtsproblem, Tübingen 2014, S. 277 ff., 533 ff. Wißmann (Fn. 3), S. 386. 85 E.-K. Lee, Umweltrechtlicher Instrumentenmix und kumulative Grundrechtseinwirkungen, Tübingen 2013, S. 60 ff., 165 ff.; M. Rodi, Das EEG im Instrumentenverbund des Energieumweltrechts, in: Müller (Fn. 34), S. 371 ff.; für den kommunalen Klimaschutz W. Kahl / M. Schmidtchen, Kommunaler Klimaschutz durch Erneuerbare Energien, Tübingen 2013, S. 382 ff.; ähnlich für das Energieeffizienzrecht Knauff (Fn. 75), 426, 429 ff.; ausf. S. Jesse, Instrumentenverbund als Rechtsproblem am Beispiel effizienter Energienutzung, Tübingen 2014, S. 19 ff.; allg. L. Michael, Formen- und Instrumentenmix, in: W. Hoffmann-Riem / E. Schmidt-Aßmann / A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, 2. Aufl. München 2012, § 41 Rn. 34 ff. 86 Wißmann (Fn. 3), S. 377. 87 Burgi (Fn. 42), S. 339; M. Fehling / M. Ruffert, Perspektiven, in: dies. (Fn. 27), § 23 Rn. 31; zur Abkehr vom Grundsatz der Vertragsfreiheit bei den Netznutzungsentgelten näher Lehnert / Templin / Theobald (Fn. 77), 105 ff. 88 Knauff (Fn. 75), 431 f.; dazu auch Ludwigs (Fn. 10), S. 196 ff. 89 Wißmann (Fn. 3), S. 409 f. 90 Zur Intensivierung durch die Energiewende Fehling (Fn. 20), 335 ff. 91 Übersichtlich zur Anreizregulierung im Energierecht C. Lismann, Einführung in das Regulierungsrecht der Netzwirtschaften am Beispiel der energiewirtschaftsrechtlichen Anreizregulierung, NVwZ 2014, 691 ff.; Pielow (Fn. 27), § 22 Rn. 109 ff. 84

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rungswirkungen zu optimieren. Die auf diese Weise existierenden Spielräume zivilrechtlicher Gestaltung sind eingebunden in einen öffentlich-rechtlich geprägten Rahmen der energierechtlichen Regulierung92. Wegen der damit regelmäßig verbundenen Verknüpfung von Öffentlichem Recht und Privatrecht93 wird auch eine Spezialisierung im Rahmen der drei herkömmlichen rechtswissenschaftlichen Teildisziplinen94 hinfällig. Einerseits kennt etwa das Europarecht nicht die strenge Trennung von Privatrecht und Öffentlichem Recht nach deutschem Muster, andererseits ist die Gesetzgebung „oft einfallsreicher, als es die Theorie von ihr erwartet“95, und schneidet ihre Instrumente nicht nach den fachwissenschaftlichen Abgrenzungen, sondern nach der Notwendigkeit der Regelungsaufgaben zu. Gerade im (Umwelt-)Energierecht mit seinen regulierungsrechtlichen Bestandteilen verbinden sich so teils privatrechtliche Regeln – man denke nur an das EEG – mit öffentlich-rechtlichen Regeln. Auf diese Weise ist wissenschaftlich für Teile des (Umwelt-)Energie- und auch des Energie-Infrastrukturrechts ein ausgeprägter intradisziplinärer Problemzugang charakteristisch. 3. Interdisziplinarität Anders als die herkömmliche rechtsaktbezogene Verwaltungsrechtsdogmatik lässt sich wie für das Umweltenergierecht allgemeinen auch für das Energie-Infrastrukturrecht eine größere und zunehmende Offenheit für die interdisziplinäre Integration anderer nichtrechtlicher Steuerungstendenzen feststellen, die die Verwaltungsrechtswissenschaft als bloße „Interpretationswissenschaft“ hinter sich lässt. Es geht um die Einbeziehung von Nachbar-, namentlich auch der Wirtschaftssowie der Ingenieurwissenschaften96. Insbesondere ökonomische Instrumente sei es als funktionale Äquivalente, sei es als komplementäre Mittel sind bei einer die Steuerungs- und Wirkungsdimensionen betonenden Sichtweise namentlich im Regulierungsrecht allenthalben einzubeziehen97; Voraussetzung ist eine Sensibilisierung für ökonomische Theorie, etwa die ökonomischen Eigenarten von Infrastrukturen: Kostendegression durch economies of scale, ausgeprägte externe Effekte, hoher Fix- und Gemeinkostenanteil, großer Investitionsumfang, fehlende Marktpreise, regelmäßig defizitäre Betriebsführung u. a.98 Anders lässt sich z. B. die „wirtschaftliche 92

Schmidt-Preuß (Fn. 31), S. 12 f. Allg. M. Burgi, Rechtsregime, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Fn. 44), § 18 Rn. 1 ff., 34 ff., 79 f. 94 Vgl. M. Jestaedt, Die Dreiteilung der juridischen Welt: Plädoyer für ihre intradisziplinäre Relationierung und Relativierung, in: A. Bruns u. a. (Hrsg.), Festschrift für Rolf Stürner, Tübingen 2013, S. 917 ff. 95 E. Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik, Tübingen 2013, S. 8. 96 So auch allg. zum Infrastrukturrecht Kühling (Fn. 6), 1101 f.; speziell zum Energierecht Pielow (Fn. 26), 151; zu naturwissenschaftlichen Grundlagen Schmidt-Preuß (Fn. 31), S. 7 ff. 97 Ausf. Ismer (Fn. 83), S. 54 ff. (allg.), 164 ff., 500 ff. (zum Emissionshandel), 206 ff., 505 ff. (zur Stromsteuer), 246 ff., 527 ff. (zur EEG-Förderung), 270 ff. (zur KWK-Förderung). 98 Dörr (Fn. 3), S. 329; energiespezifisch Schmidt-Preuß (Fn. 45), S. 331 f., 335 ff. 93

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Zumutbarkeit“99 von gesetzlichen Investitionspflichten100 nicht bestimmen, so wie sich die Normen der Entgeltregulierung im Energierecht oft nur auf Grundlage der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung erfassen lassen101. Neben solchen wirtschaftswissenschaftlichen Annahmen sind es sozialwissenschaftliche Steuerungs- und Handlungstheorien102, die Steuerungsschwächen im Recht der Technik103 und Vollzugsdefizite im Verwaltungsrecht kompensieren könnten. Bestimmte Aufgaben wie etwa auch der Schutz der Energie-Infrastruktur als einer kritischen Infrastruktur lassen sich mithin nur in interdisziplinärer Zusammenarbeit mehrerer Wissenschaftsdisziplinen realisieren104. Insoweit bilden oft auch ingenieur- und technikwissenschaftliche Analysen eine Voraussetzung für die Erkenntnis von Rechtsproblemen, etwa im Energieeffizienzrecht105 oder beim technischen Engpassmanagement von strukturellen Netzengpässen (etwa an den Grenzkuppelstellen zwischen den Mitgliedstaaten)106. Oft haben technische Veränderungen bestimmte rechtliche Regelungen (wie z. B. Durchleitungs- und Mitbenutzungsrechte107) erst möglich gemacht. Gerade auch die Umsetzung der Energiewende bedarf vielfältiger technischer Innovationen108, etwa die Möglichkeiten von Repowering, Smart Grids, Smart Meters und Demand Side Management als technische Alternativen oder Ergänzungen zum Netzausbau109. 4. Wirksamkeitsorientierung Die herkömmlichen Handlungsformen des Staates werden in der Verwaltungsrechtsdogmatik vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer Rechtsform und der jeweils 99 Ausf. C. Ringel, Die wirtschaftliche Zumutbarkeit im Energierecht, Baden-Baden 2011, S. 128 ff., 214 ff. 100 Zu diesen R. Ruge, Der Umbau der Energienetze und die Koordination mit der Netzplanung auf europäischer Ebene, in: J. Gundel / K.W. Lange (Hrsg.), Der Umbau der Energienetze als Herausforderung für das Planungsrecht, Tübingen 2012, S. 85 (92 ff.); Ringel (Fn. 95), S. 37 ff. 101 Schmidt-Preuß (Fn. 45), S. 332, 335, 336 u. ö. 102 Ismer (Fn. 83), S. 86 ff. 103 Bündig zsfssd. Lee (Fn. 85), S. 24 ff. 104 Kloepfer (Fn. 49), S. 18. 105 Knauff (Fn. 75), 425, 432 f.; s. auch Ludwigs (Fn. 10), S. 185 ff. 106 Vgl. König (Fn. 32), S. 37 ff., 166 ff., 362 ff.; Schmidt-Preuß (Fn. 45), S. 339. 107 Vgl. allg. Wißmann (Fn. 3), S. 403 f.; Fehling (Fn. 43), 60 ff. 108 Pielow (Fn. 26), 152. 109 Vgl. zuletzt Fehling (Fn. 20), 313 f., 320 f., 333; übersichtlich Monopolkommission, Energie 2013 – Wettbewerb in Zeit den der Energiewende, Sondergutachten, BT-Drs. 17/ 14742, Tz. 328 ff.; L. Jendernalik, Einblicke in die Praxis: Die komplexe Netzstruktur und die Anforderungen an den notwendigen Ausbau der Stromverteilnetze, in: Kment (Fn. 27), S. 1 (4 ff.); R. Pirstner-Ebner, Rechtsprobleme intelligenter Systeme, in: Storr (Fn. 31), S. 147 ff.; A. Windhoffer / J. Groß, Rechtliche Herausforderungen des „Smart Grid“, VerwArch 103 (2012), 491 ff.

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rechtsaktabhängigen Rechtsschutzform systematisiert und erörtert110, vor allem auf Basis eines Verwaltungsverständnisses hierarchisch verfasster Staatlichkeit, dem ein überholtes Leitbild von verwaltungsrechtlicher Systembildung korrespondiert111. Die Folgen der umwelt- und energierechtlichen Reformen mit ihrer Vielfalt und dem Zusammenspiel auch neuartiger Instrumente verlagert die Aufmerksamkeit stärker auf den Bewirkungsauftrag der Verwaltung und der mit ihr kooperierenden privaten Akteure, wie ihn auch die Diskussion um die „Reform“ des Verwaltungsrechts besonders akzentuiert hat. Weniger die Kontrolle durch den Rechtsschutz Einzelner gegen Rechtsakte als vielmehr die Handlungs- und Entscheidungsperspektive und der Erfolg der Steuerungswirkungen infolge bestimmter Verhaltensweisen zur Zielerreichung gewinnt dabei zunehmend wissenschaftliches Gewicht112. Aus dieser Verschiebung von einem rechtsakt- zu einem eher verhaltensbezogenen dogmatischen Ansatz folgt eine stärkere Affinität zu „weichen“ Steuerungsinstrumenten der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften wie etwa „Leitbildern“, aber auch zu spezifisch ökonomisch veranlassten Instrumenten, wenn es um den optimalen Einsatz von Preisinstrumenten113 oder im Zuge von Regulierungen etwa um Missbrauchsverbote, Entflechtung, Informationstransparenz, Zusammenschaltung, Netzzugang, Entgeltregulierung usw. geht114. Dabei dominieren weniger binäre Zuordnungen wie die Alternative rechtswidrig/rechtmäßig, sondern gradualisierende Skalierungen, Typenreihen, kontextabhängige Wirksamkeitskriterien (wie Effektivität- oder Effizienzkriterien115), Kosten-Nutzen-Analysen oder sonstige Optimierungskriterien unter Berücksichtigung von unerwünschten Nebenwirkungen verwischen eher eindeutige Zuordnungen. Wann etwa schlägt eine Gesamtbelastung durch die kumulative Verstärkung vieler verschiedener, für sich zweifellos verhältnismäßiger additiver Grundrechtseingriffe nach Maßgabe verschiedener Regelungen im Umweltenergierecht um in eine „Gesamt-Unverhältnismäßigkeit“116 ? Doch nicht nur die einzelnen Steuerungsinstrumente und Handlungsformen, sondern auch ihr Zusammenhang mit der Verwaltungsorganisation – etwa bei den neuartigen unabhängigen Regulierungsbehörden wie der Bundesnetzagentur, aber etwa 110

Exemplarisch verengt M.-E. Geis, Handlungsmittel, in: Kube u. a. (Fn. 27), § 9 Rn. 3 ff. Schmidt-Aßmann (Fn. 95), S. 17. 112 Ausf. M. Eifert, Regulierungsstrategien, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Fn. 44), § 19 Rn. 1ff. 113 Ismer (Fn. 83), S. 92 ff. 114 Kersten (Fn. 46), S. 321 f.; ausf. M. Fehling, Instrumente und Verfahren, in: Fehling / Ruffert (Fn. 26), § 20. 115 S. am Beispiel der Kosteneffizienz des EEG-Fördersystems ausf. Hofmann (Fn. 74), 363 ff.; zur Effektivität und Effizienz von Preisinstrumenten Ismer (Fn. 83), S. 96 f., 98 f., 164 ff., 170 f., 206, 208 ff., 247 ff. u. ö.; zur Effizienz als Optimierungsmaßstab des Rechtsschutzes N.A. Christiansen, Optimierung des Rechtsschutzes im Telekommunikations- und Energierecht, Tübingen 2013, S. 79 ff.; s. auch zur Energieeffizienz als Querschnittsaufgabe Knauff (Fn. 75), 407 ff.; ausf. Jesse (Fn. 85), S. 110 ff. 116 So die Fragestellung bei Lee (Fn. 85), S. 165 ff., 203 ff. 111

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auch der Bundesstelle für Energieeffizienz117, aber auch des Verwaltungsverbundes in der Energieregulierung118 – geraten stärker in den Fokus der Rechtswissenschaft, vielleicht auch im Kontext der Governance-Diskussion, die die (Aus-)Wirkungen bestimmter Regelungsstrukturen als solcher betrachtet119. Zusammen mit der europarechtlichen Tendenz zu einer betont finalen, zielgeleiteten Normsetzung steigt die Breite gleichermaßen rechtmäßiger Handlungsspielräume und sinkt die Kontrolldichte des gerichtlichen Rechtsschutzes, der aber auch sonst (etwa beim Rechtsschutz gegen die Planfeststellung von Höchstspannungsleitungsbauprojekten) auf eine Instanz reduziert ist; statt dessen stärken Transparenzpflichten nichtgerichtliche Kontrollmöglichkeiten. Der Bedeutungsverlust des Individualrechtsschutzes bei der Aufrechterhaltung eines funktionierenden Netzes vor dem Zusammenbruch folgt auch schon aus der für verbundene Systeme wie das Energienetz charakteristischen Eigenart, dass der Staat (bzw. die Bundesnetzagentur) nicht den einzelnen Systemteilnehmer in seinen subjektiven Schutzansprüchen, sondern nur das System umfassend durch entsprechende Maßnahmen (in der Regel auf Kosten Dritter) schützen kann120. 5. Heterogenisierung Die Entwicklung des Gesetzesrechts und seine Anwendung führen zu einer wachsenden Heterogenisierung der Rechtsgrundlagen. Dieser Vielfalt der Rechtsgrundlagen entspricht eine Vielfalt der beteiligten Privaten und öffentlichen Kompetenzträger; sie zwingt zu gesteigerter Kooperation der zahlreichen Beteiligten mit einer entsprechenden Prozeduralisierung der Kooperation durch eine gegenseitige schonende Wahrnehmung der jeweiligen Kompetenzen121. Während z. B. früher die Beurteilung eines Ausbaus der Stromübertragungsnetzes dem Übertragungsnetzbetreiber nach seinen betriebswirtschaftlichen Überlegungen überlassen war, gibt es nun eine sehr aufwändige gesetzgeberische Bedarfsfestlegung, die in Aufnahme eines Netzentwicklungsplans von den vier Übertragungsnetzbetreibern nach Beteiligung der Öffentlichkeit von der Bundesnetzagentur zu bestätigen und das Ergebnis als Bundesbedarfsplangesetz zu verabschieden ist (§§ 12a ff. EnWG)122 ; dessen Realisie-

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Knauff (Fn. 75), 428. J. Haller, Der Verwaltungsverbund in der Energieregulierung, Baden-Baden 2013, S. 43 ff., 161 ff., 197 ff. 119 Übersichtliche Bilanz: G.F. Schuppert, Was ist und wozu Governance?, Die Verwaltung 40 (2007), 463 ff.; vgl. M. Burgi, Governance und Verwaltungsrechtsdogmatik – Skizze mit Fallstudie, in: V. Mehde / U. Ramsauer / M. Seckelmann (Hrsg.), Staat, Verwaltung, Information. FS für Hans Peter Bull, Berlin 2011, S. 497 ff. 120 J. Steffens, Das Argument der Systemrelevanz am Beispiel des Energiesektors, VerwArch 105 (2014), 313 (331, s.a. 335). 121 Allg. Schulze-Fielitz (Fn. 44), § 12 Rn. 64 ff. 122 Kment (Fn. 28), 395 ff.; Hofmann (Fn. 74), 370 ff.; E. Gurlit, Energiewende – Rechtliche Anforderungen an den Ausbau der Energieleitungen „nach Stuttgart 21“, in: Jahrbuch der juristischen Gesellschaft Bremen 14 (2013), S. 54 (59); C. Calliess / M. Bross, Neue Netze 118

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rung wird zur durchsetzbaren verwaltungsrechtlichen Pflicht der Netzbetreiber123. Auch kann es schon wegen divergierender Behördenzuständigkeiten und Planungsziele zu Koordinationsmängeln kommen, etwa zwischen der Planungsbeschleunigung im Netzplanungsrecht durch die Landesbehörden (nach §§ 43 ff. EnWG) und der Kosteneffizienz im Netzregulierungsrecht durch die Regulierungsbehörden (nach §§ 21 f. EnWG i.V.m. ARegV)124. Auch sonst kann es wegen fehlender Koordination der Beteiligten zu Friktionen kommen (etwa bei unterschiedlichen Netzausbauzielen von Bund und Ländern125). Hinzu kommt eine wachsende Ausdifferenzierung und Unüberschaubarkeit des positivierten Rechts. Die seit langem beobachtbare und beklagte Zunahme von fachplanungsverfahrensrechtlichen Sonderregelungen in Abweichung von den klassischen Anforderungen der allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetze126 vervielfacht sich zusätzlich zu einem „Regelungspluralismus“127 bis zur Unübersichtlichkeit128, wenn etwa für Höchstspannungsleitungen schon seit 2009 das Energieleitungsausbaugesetz (EnlAG)129 gilt, für den Ausbau der länderübergreifenden und grenzüberschreitenden Netze das Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG)130 und Hochspannungsleitungen wiederum einem anderen fachplanungsrechtlichen Regelungsregime der §§ 43 ff. EnWG131 unterliegen132. Auch Länderöffnungsklauseln (wie jetzt für die konflikthaften Abstandsregelungen bei Windenergieanlagen in § 249 Abs. 3 BauGB) führen zur – zumindest zeitweiligen – weiteren Pluralisierung des Rechts133. Selbst der regulierungsverwaltungsrechtliche Rechtsschutz enthält vielfältige zuständigkeitsbezogene und prozess-

braucht das Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG), JZ 2012, 1002 (1005 f.); Ruge (Fn. 100), S. 99 ff. 123 W. Durner, Die neuen Instrumente für den Umbau der Energienetze – eine verfassungsrechtliche Bewertung, in: Gundel / Lange (Fn. 100), S. 1 (6 f.). 124 J.-Chr. Pielow, Ausbaubedarf und -instrumente bei den Verteilernetzen, in: Gundel / Lange (Fn. 100), S. 121 (145 f.). 125 Vgl. Hofmann (Fn. 74), 360 ff. 126 Dazu nur S. Paetow / R. Wahl, Umweltschutz in der Fachplanung, in: Arbeitskreis für Umweltrecht (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 4. Aufl. Berlin 2012, Abschnitt 4 Rn. 10 ff. 127 Kment (Fn. 28), 392. 128 Für das Energieeffizienzrecht Knauff (Fn. 75), 424; Ludwigs (Fn. 10), S. 198 f.; für das Infrastrukturrecht Erbguth / Schubert (Fn. 28), S. 84: „Wildwuchs“. 129 Gesetz vom 21. 08. 2009, BGBl. I, S. 2870, geändert durch Gesetz vom 23. 07. 2011, BGBl. I, S. 2543. 130 Gesetz vom 28. 07. 2011, BGBl. I, S. 1690; s. näher Kment (Fn. 28), 397 ff. 131 S. näher J. Hennig / T. Lühmann, Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren für den Ausbau der Hochspannungsnetze, UPR 2012, 81 (83 ff.); Pielow (Fn. 124), S. 135 ff. 132 M. Kment, Grundstrukturen der Netzintegration Erneuerbarer Energien, UPR 2014, 81 (81 f., 85 ff.); zusätzlich zur Offshore-Planungsebene: T. Leidinger, Planungsrechtliche Grundsätze bei der Trassierung von Übertragungs- und Verteilnetzen, DVBl. 2013, 949 ff. 133 Dazu näher Kment (Fn. 28), 385 ff.

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rechtliche Besonderheiten134. Auch wenn die Stärke des juristischen Denkens gerade in der Anschaulichkeit der konkreten Problembezüge liegen mag135 – solche vielfältigen Sonderregelungen erschweren die genuin rechtswissenschaftliche Aufgabe einer Systematisierung des Rechts, die zu einer konsistenten, praktikablen und letztlich gerechten Rechtsanwendung beitragen soll, und fördern auf Kosten der Rechtssicherheit ein eher kleinteiliges „Laborieren in Expertennischen bzw. das Schubladendenken im Subkategorien“136. 6. Rechtsgestaltung Die dynamische Veränderlichkeit des Energie-Infrastrukturrechts steht schließlich beispielhaft für den notwendig politischen Gehalt von Infrastrukturentscheidungen137 und damit für eine zunehmende Tendenz, über die Beschreibung und Systematisierung des positiv geltenden Rechts im Blick auf die richtige und/oder gerechte Rechtsanwendung hinaus zukünftige tatsächliche Entwicklungen in den Blick zu nehmen und eine angemessene Rechtsgestaltung rechtswissenschaftlich zu diskutieren138 mit dem Ziel, die angestrebten Gesetzesziele zu optimieren, ökonomisch ineffiziente Friktionen zwischen verschiedenen Regelungskomplexen mit ihrer Instrumentenvielfalt139 zu beseitigen140 und etwaigen Fehlentwicklungen möglichst frühzeitig präventiv begegnen zu können. Allenthalben scheint die Diskussion über die rechtspolitische Angemessenheit von rechtlichen Regeln (über die Traditionsschiene des Deutschen Juristentages hinaus) zuzunehmen – man denke etwa an die angemes-

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M. Knauff, Regulierungsverwaltungsrechtlicher Rechtsschutz, VerwArch 98 (2007), 382 ff.; zur Heterogenisierung des Rechtsschutzes in vergleichbaren Netzwirtschaften Christiansen (Fn. 115), S. 97 ff., 251 ff. 135 C. Möllers, Theorie, Praxis und Interdisziplinarität in der Verwaltungsrechtswissenschaft, VerwArch 93 (2002), 22 (48). 136 Krit. Pielow (Fn. 26), 152. 137 Wißmann (Fn. 3), S. 411. 138 Ismer (Fn. 83), S. 84 und etwa S. 170 ff., 251 ff., 272 f. u. ö.; D. Sliwiok-Born, Wettbewerb statt EEG-Umlage?, Tübingen 2014, S. 205 ff.; Gawel u. a., Die Zukunft der Energiewende in Deutschland, ZUR 2014, 219 ff.; s. auch (über den engeren Bereich der Energieinfrastruktur hinaus) im Blick auf die Klimawandelanpassung im Raumordnungs- und Bauplanungsrecht C. Fischer, Grundlagen und Grundstrukturen eines Klimawandelanpassungsrechts, Tübingen 2013, S. 256 ff., 315 ff. 139 Dazu näher F. Höffler, Umweltpolitischer Instrumentenmix im Kontext der Energiewende, in: Brinktrine / Ludwigs / Seidel (Fn. 10), S. 29 (34 ff.). 140 Vgl. jetzt zur Harmonisierung der Förderinstrumente von Biomasse: H. v. Bredow, Energieeffizienz und erneuerbare Energien am Beispiel Biomasse/Biogas, in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.), Dokumentation zur 37. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e.V. Berlin 2013, Berlin 2014, S. 321 (345 ff.); am Bsp. Klimaschutz schon T. Müller, Klimawandel als Herausforderung der Rechtsordnung, in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.), Dokumentation zur 31. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e.V. Berlin 2007, Berlin 2008, S. 191 (220 f. u. ö.).

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sene Ausgestaltung einer akzeptanzfördernden Öffentlichkeitsbeteiligung141 oder einer Neutralitätssicherung in Planfeststellungsverfahren142 bei dem Ausbau der „Stromautobahnen“, aber auch die grundrechtlich nicht unproblematische Überlegung einer Einbindung der energieerzeugenden Energieversorgungsunternehmen in einen „Energieerzeugungsentwicklungsplan“143 oder Vorschläge zur Schaffung eines neuen „Marktdesign“ in Form von „Kapazitätsmärkten“144. Gerade auch die angestrebte Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes auf dem Stromsektor i. S. einer Maximierung des grenzüberschreitenden Stromhandels durch mehrere Handels- und Preiszonen kann Regelungen konterkarieren und vor neuartige Probleme und Lösungsangebote stellen. Inwieweit könnte ein einheitlicher Energiebinnenmarkt durch einen Ausbau der Grenzkuppelstellen das innerdeutsche Problem des Nord-Süd-Transports der Windenergie entschärfen, so dass der Umbau des Netzes durch „smarte“ Techniken den Ausbau (teilweise) entbehrlich machen könnte145 ? Oder man denke an die Aufsicht über transnational agierende Übertragungsnetzbetreiber und die Strombörse oder an das zukünftige deutsche Netzanpassungsmanagement durch Marktaufspaltung. Die Dynamik des Energie-Infrastrukturrechts sensibilisiert für zukünftige Ausgestaltungsnotwendigkeiten von Recht, die jedenfalls eine bloß anwendungsorientierte Rechtsdogmatik überschreiten. Es geht um die Steuerung durch eine lernende Gesetzgebung, die zugleich Grenzen für die Experimentierfreudigkeit des Gesetzgebers aufzeigen könnte146. Hinzu kommt die wachsende Bedeutung der Pflege der bestehenden Infrastrukturen als nachwirkende Pflichten ihrer Erstellung. IV. Ausblick: Über den Sinn rechtswissenschaftlicher Selbstreflexion Die vorstehenden Überlegungen aus einer metadogmatischen Perspektive galten der Beobachtung eines Teilbereichs des (Umwelt-)Energierechts und versuchten, bestimmte wissenschaftsinterne Entwicklungstendenzen zu akzentuieren. Solche 141

Vgl. etwa O. Renn u. a., Öffentlichkeitsbeteiligung bei Vorhaben der Energiewende, ZUR 2014, 281 ff.; Gurlit (Fn. 122), S. 64 ff.; K.-P. Dolde, Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, NVwZ 2013, 769 ff.; K. Waechter / T. Mann, Großvorhaben als Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat, VVDStRL 72 (2013), S. 499 (529 ff.) bzw. S. 544 (559 ff., 561 ff., 570 ff.); E. Hofmann, Die Modernisierung des Planungsrechts: das Energierecht als neues Paradigma der Öffentlichkeitsbeteiligung in einer Planungskaskade? JZ 2012, 701 ff.; E. Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? – Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, 833 ff.; J. Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, Gutachten D zum 69. DJT, München 2012; krit. W. Durner, Vollzugs-und Verfassungsfragen des NABEG, NuR 2012, 369 (377). 142 Waechter (Fn. 141), S. 508 ff.; für eine stärkere Zuständigkeitstrennung von Anhörungs- und Planfeststellungsbehörde Gurlit (Fn. 122), S. 70 f. 143 Hermes (Fn. 20), 269; krit. Burgi (Fn. 42), S. 344 f. 144 Pielow (Fn. 26), 158 f.; ausf. Monopolkommission (Fn. 109), Tz. 382 ff. 145 Pielow, Energiewende (Fn. 26), S. 160 f. 146 Vgl. schon Müller (Fn. 140), S. 227 ff.

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Überlegungen lösen weder theoretisch noch praktisch irgendeines der Rechtsprobleme, auf die die Referate der heutigen Tagung hinweisen werden. Auch der Problemzuschnitt der einzelnen Referate heute mag sich ganz auf der gesicherten Basis der herkömmlichen Verwaltungsrechtsdogmatik bewegen. Schon meine Fragestellung hat manchen vielleicht etwas ratlos blicken lassen (hoffentlich nur zuvor). Doch welchen Sinn macht es, sich solche Entwicklungen innerhalb der Wissenschaft selbstreflexiv bewusst zu machen? Die Art der praxisorientierten Juristenausbildung an Universitäten in Deutschland, die es etwa an den amerikanischen Universitäten überhaupt nicht mehr gibt147, hat dazu geführt, dass die Rechtswissenschaft als universitäre Wissenschaft gegenüber anderen Wissenschaften im „Streit der Fakultäten“ an den Universitäten an Boden zu verlieren scheint. Ihr Selbstverständnis weicht von dem anderer Wissenschaften ab, es sperrt sich oft auch praktisch gegen interdisziplinäre Zusammenarbeit und kann auf Dauer schlimmstenfalls dazu führen, dass Juristenausbildung immer stärker aus den Universitäten auswandert – an Repetitoren, Anwälte, Fachhochschulen, begleitet von Fakultätsschließungen. Nur eine Rechtswissenschaft, die sich ihren Wissenschaftscharakter, ihre unterschiedlichen rechtsdogmatischen Argumentationsebenen148, die Veränderungen ihrer Fragestellungen und die Art und Weise ihrer Anschlussfähigkeit für andere Wissenschaften immer wieder selbstreflexiv vergegenwärtigt149, wird sich gegen solche Gefahren eines Niedergangs zu einer bloßen Praxiskunde mit der Folge einer universitären Exkommunikation auf Dauer wehren können. Wenn der Wissenschaftscharakter der Rechtswissenschaft gerade darin besteht, in Ausrichtung an der regulativen Idee der Gerechtigkeit rechtliche Zwecke, Mittel und ihre Zusammenhänge kritisch zu analysieren150, dann liefert das Energie-Infrastrukturrecht vielleicht besonders ergiebiges Anschauungsmaterial für die Vielfalt dieser Aufgaben.

147 Vgl. H. Dedek, Recht an der Universität: „Wissenschaftlichkeit“ der Juristenausbildung in Nordamerika, JZ 2009, 540 (543 ff.). 148 Vgl. zuletzt A.-B. Kaiser, Die Öffnung der öffentlich-rechtlichen Methode durch Internationalität und Interdisziplinarität. Erscheinungsformen, Chancen, Grenzen, DVBl. 2014, 1102 (1104 ff.). 149 Vgl. jetzt E. Hilgendorf / H. Schulze-Fielitz (Hrsg.), Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, Tübingen 2015. 150 So U. Mager, Wissenschaft, in: Kube u. a. (Fn. 27), § 51 Rn. 11 ff., 17.

Einwirkungen des Unionsrechts auf das nationale Energie-Infrastrukturrecht Von Annette Guckelberger, Saarbrücken I. Einleitung Über lange Zeit hinweg konnten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union alleine über die Konzeption und Zulassung der zu ihrem Territorium gehörenden Energieinfrastruktur entscheiden. Auch wenn der erste europäische Vertrag zur Vergemeinschaftung von Kohle und Stahl und der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft einen besonderen Energiebezug hatten,1 konnte man sich angesichts strategischer Meinungsverschiedenheiten und unterschiedlicher politischer Sensibilitäten der Mitgliedstaaten erst allmählich auf eine gemeinsame europäische Energiepolitik verständigen.2 Weil die Vorgängerorganisation der heutigen Europäischen Union zunächst mit der Beseitigung rechtlicher Hindernisse für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr ausgelastet war,3 rückte die dafür notwendige Infrastruktur erst ab den 1990er Jahren mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit.4 Durch den Vertrag von Maastricht5 wurden mit den Art. 129 b–d EGV a.F. erstmals Regelungen über die transeuropäischen Netze in das Primärrecht eingefügt. In ähnlicher Formulierung sind diese Regelungen heute in Art. 170–172 AEUV enthalten.6 Der mit dem Vertrag von Lissabon7 aus dem Jahre 2009 neu eingefügte Kompetenztitel des Art. 194 AEUV über die Europäische Energiepolitik mit dem Unionsziel der 1 Dazu F. Geber, Die Netzanbindung von Offshore-Anlagen im europäischen Supergrid, Tübingen 2014, S. 50; H. Nordmann, Integrierte Energie- und Klimapolitik: Die Sicherstellung der Erdgasversorgung: eine Untersuchung deutschen und europäischen Rechts, BadenBaden 2012, S. 238; T. Woltering, Die europäische Energieaußenpolitik und ihre Rechtsgrundlagen, Frankfurt a.M. 2010, S. 3. 2 M. Nettesheim, Transeuropäische Energieinfrastruktur und EU-Binnenmarkt – Die Neuregelung der TEN-E, in: T. Giegerich (Hrsg.), Herausforderungen und Perspektiven der EU, Berlin 2012, S. 77 (80); J.-C. Pielow, Energierecht, in: D. Ehlers / M. Fehling / H. Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., Heidelberg u. a. 2012, § 22 Rn. 16 f. 3 C. Calliess / A. Lippert, Transeuropäische Netze, in: B. W. Wegener (Hrsg.), Europäische Querschnittpolitiken, EnzEuR, Bd. 8, Baden-Baden u. a. 2014, § 2 Rn. 12. 4 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 13 ff. 5 ABl. EG Nr. C 191 v. 29. 07. 1992. 6 S. nur W. Kahl, Die Kompetenzen der EU in der Energiepolitik nach Lissabon, EuR 2009, 601 (612). 7 ABl. EU Nr. C 306 v. 17. 12. 2007.

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„Förderung der Interkonnektion der Energienetze“8 belegt den Stellenwert, den Energie und Energienetze heute innerhalb der Europäischen Union haben. Energie ist eine wesentliche Grundbedingung sowohl für nichtwirtschaftliche als auch wirtschaftliche Betätigungen.9 Deshalb wird die dafür notwendige Infrastruktur oft metaphorisch als Lebensader jedes Gemeinwesens,10 als Blutkreislauf des europäischen Binnenmarktes11 oder als zentrales Nervensystem der Wirtschaft12 umschrieben. Der seit Februar 2014 schwelende Ukraine-Konflikt und die damit in Zusammenhang stehende Befürchtung, dass russische Gaslieferungen, die zu einem nicht unbedeutenden Anteil durch das ukrainische Gasnetz transportiert werden, einzelne EU-Mitgliedstaaten nicht mehr wie bisher erreichen könnten, führt eindrucksvoll vor Augen, welche Bedeutung Energieverbindungsleitungen für eine kontinuierliche und angemessene Energieversorgung des Unionsgebiets haben.13 Angesichts des deutlichen Anstiegs der weltweiten Energienachfrage, man denke etwa an die Schwellenländer China und Indien,14 und der sinkenden Produktion eigener Primärenergieträger innerhalb der Union wird sich nach einer erst vor kurzem veröffentlichten Prognose der Internationalen Energieagentur die Abhängigkeit der Union von Öl von derzeit 80 % auf mehr als 90 % im Jahre 2035 erhöhen.15 Die Gasimportabhängigkeit der Union soll von momentan rund 60 % auf voraussichtlich über 80 % ansteigen.16 Aus diesem Grund macht sich die EU-Kommission seit einiger Zeit neben Forderungen nach der Erschließung weiterer heimischer Energiequellen sowie nach mehr Energieeffizienz für eine Diversifizierung der Bezugsländer ihrer Mitgliedstaaten und deren Versorgungswege stark.17 Da die Union trotz bereits erzielter Fortschritte „nach wie vor für externe Schocks im Energiebereich anfällig“ sei,18 seien weitere Anstrengungen nötig. Beispielsweise müsste auf grenzüberschreitenden Verbindungsleitungen zwischen den Mitgliedstaaten auch Gas entgegen der Hauptflussrichtung fließen können (sog. reverse flow).19 Ein weiterer, auch die Energieversorgungssicherheit betreffender Faktor ist der Klimaschutz, zu dem erneuerbare Energien einen wesentlichen Beitrag liefern. An8

Art. 194 Abs. 1 lit. d AEUV. Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 201; s. auch H. Wißmann, Die Anforderungen an ein zukunftsfähiges Infrastrukturrecht, VVDStRL 73 (2014), 369 (371). 10 So allgemein in Bezug auf die Infrastruktur O. Dörr, Die Anforderungen an ein zukunftsfähiges Infrastrukturrecht, VVDStRL 73 (2014), S. 323 (361). 11 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 201. 12 KOM(2010) 677 endg., S. 4. 13 Zur Energieversorgungssicherheit COM(2014) 15 final, S. 13. 14 S. dazu COM(2014) 15 final, S. 16. 15 Wiedergegeben bei COM(2014) 15 final, S. 11. 16 Wiedergegeben bei COM(2014) 15 final, S. 11. 17 COM(2014) 15 final, S. 12, 14. 18 COM(2014) 330 final, S. 2, 19. 19 COM(2014) 330 final, S. 4 f., 11. 9

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gesichts der für 2015 anstehenden Verhandlungen über ein neues internationales Klimaschutzabkommen ab 2020 hat die EU-Kommission als Kernstück ihrer Energieund Klimapolitik bis 2030 die Minderung der EU-internen Treibhausgasemissionen in Höhe von 40 % gegenüber dem Stand von 1990 vorgeschlagen.20 Damit der erhöhte Anteil an den fluktuierend eingespeisten erneuerbaren Energien ohne Nachteile für die Energieversorgungssicherheit abgefedert werden kann, ist – so die EU-Kommission – ein „Umbau der Energieinfrastruktur zugunsten von mehr grenzüberschreitenden Verbindungsleitungen, von Speichermöglichkeiten und intelligenten Netzen“ nötig.21 Schließlich setzt der Austausch von Strom als „Ware“ i. S. d. Warenverkehrsfreiheit22 in einem wirklich integrierten und wettbewerbsorientierten Energiebinnenmarkt „einen bedeutenden Ausbau der Energietransportinfrastruktur, insbesondere grenzüberschreitende Verbindungsleitungen zwischen den Mitgliedstaaten“,23 voraus. Nach Schätzungen der Kommission werden in den nächsten fünf Jahren rund 200 Mrd. E zum Auf- und Ausbau derartiger Verbindungsleitungen benötigt.24 Die hier nur angedeuteten gegenwärtigen und künftigen Energieprobleme reichen über den Einflussbereich der einzelnen EU-Mitgliedstaaten hinaus.25 Die Entwicklung eines integrierten europäischen Energienetzes, das auch die Meere einbezieht, ist mittlerweile ein zentrales Anliegen der Union.26 Als ein praktisches Beispiel hierfür sei nur die in der Ostsee gelegene Region Kriegers Flak mit ihren Offshore-Windkraftanlagen genannt, die nunmehr über eine kombinierte Kabelleitung, die zugleich dem Stromhandel dient, mit dem Festland (Deutschland, Dänemark) verbunden werden sollen.27 Die Gasabhängigkeit der Union könnte z. B. durch die Trans-AdriaPipeline reduziert werden, bei der Erdgas aus dem kaspischen Raum über Griechenland und Italien in andere EU-Mitgliedstaaten transportiert werden kann.28 Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Herausforderungen stellt – wenn auch mit etwas unter-

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COM(2014) 15 final, S. 5. COM(2014) 15 final, S. 8, 12, 14. 22 EuGH, Slg. 1994, I-1508 (1516), Rn. 28 (bezogen auf Elektrizität als Ware); Geber (Fn. 1), S. 53. 23 COM(2014) 330 final, S. 11. 24 COM(2014) 15 final, S. 11; COM(2014) 330 final, S. 9. 25 S. Schulenberg, Die Energiepolitik der Europäischen Union: eine kompetenzrechtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung finaler Kompetenznormen, Baden-Baden 2009, S. 41; s. auch A. Guckelberger, Energieaußenpolitik der Union, Festschrift für Torsten Stein, Manuskript S. 3 i. E. 26 Geber (Fn. 1), S. 50 ff. 27 Näher dazu den Artikel „Europäischer Verbund – Stromleitung durch die Ostsee“, FAZ, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/europaeischer-verbund-strom leitung-durch-die-ostsee-12733569.html, zuletzt geprüft am 30. 9. 2014. 28 S. dazu den Artikel „So wird Deutschland unabhängiger von Putin“, von W. von Petersdorf, FAS v. 3. 8. 2014, S. 20, wo auch auf die Aufgabe des Nabucco Projekts sowie die Schwierigkeiten des South Stream Projekts eingegangen wird. 21

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schiedlicher Gewichtung29 – der beschleunigte Auf- und Ausbau der Energieinfrastruktur ein zentrales politisches Anliegen sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene dar.30 Weil sich die Mitgliedstaaten räumlich betrachtet ihr Territorium mit der Union als Wirkbereich für mögliche Maßnahmen teilen,31 verwundert es nicht, dass seit geraumer Zeit das Planungsrecht für Energieleitungen einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfährt32 und die Union in diesem Sektor nunmehr ebenfalls vermehrt mitmischt. Die mit Ausnahme der Art. 14 und 15 seit 01. 06. 2013 geltende Verordnung (EU) zu Leitlinien über die transeuropäische Energieinfrastruktur (nachfolgend TEN-E VO)33 hat auf europäischer Ebene einen neuen Rechtsrahmen etabliert, um so die Realisierung transeuropäischer Energieverbindungen stärker als bisher voranzutreiben. Da das mitgliedstaatliche Planungsrecht bislang – sieht man von Verfahrensvorgaben wie der Umweltverträglichkeitsprüfung oder der strategischen Umweltprüfung ab34 – vom Unionsrecht wenig angetastet wurde,35 wird nunmehr diskutiert, wie sich die verschiedenen (Rechts-)Ebenen zueinander verhalten und diese Einwirkungen auf das nationale Planungsrecht mit seiner langen Tradition zu bewerten sind. In seinem Vortrag auf der Staatsrechtslehrertagung 2013 betonte Dörr einerseits die begrenzten Einwirkungsmöglichkeiten der Union auf das nationale Infrastrukturrecht, andererseits aber auch mit dem Unionsrecht einhergehende neue Impulse.36 Nur ein der unionsrechtlichen Determinierung Rechnung tragendes nationales Infrastrukturrecht sei zukunftsfähig.37

29 Zu den Divergenzen z. B. S. Heselhaus, Europäisches Energie- und Umweltrecht als Rahmen der Energiewende in Deutschland, EurUP 2013, 137 (142); H. Schmitz / P. Jornitz, Regulierung des deutschen und europäischen Energienetzes: Der Bundesgesetzgeber setzt Maßstäbe für den kontinentalen Ausbau, NVwZ 2012, 332 (337). 30 S. Dietrich / A. Steinbach, (Kein) Änderungsbedarf im Energie- und Netzausbaurecht aufgrund der neuen TEN-E Verordnung?, DVBl. 2014, 488. 31 C. Rung, Strukturen und Rechtsfragen europäischer Verbundplanungen, Tübingen 2013, S. 44, 408. 32 D. Kupfer, Das Fachplanungsrecht in der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – Fortschreibung 2014, Die Verwaltung 47 (2014), 77 (78). 33 Verordnung (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17. 4. 2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 1364/2006/EG und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 713/2009, (EG) Nr. 714/2009 und (EG) Nr. 715/2009, ABl. EU 2013 Nr. L 115, S. 39 ff. 34 Dazu Rung (Fn. 31), S. 5, 85. 35 Kupfer (Fn. 32), 98. 36 Dörr (Fn. 10), S. 358 f. 37 Dörr (Fn. 10), S. 359.

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II. Ausgangsbefund: Gegenwärtiger Netzzustand Ein Blick auf die aktuelle Energieinfrastruktur innerhalb der Europäischen Union ergibt, dass diese teils veraltet38 und häufig nur schlecht vernetzt ist.39 Das Stromnetz ist oft nicht auf den steigenden Energiebedarf sowie die Besonderheiten der erneuerbaren Energien, z. B. ihre hohe Volatilität40 oder die Integration vermehrt dezentraler Erzeugungsanlagen,41 ausgerichtet. Für Offshore-Windkraftanlagen müssen vielfach erst Anschlüsse geschaffen werden.42 Auch wird ein Bedarf an Übertragungsleitungen für die Ausnutzung des Potenzials erneuerbarer Energien, z. B. aus Südeuropa oder Nordafrika, ausgemacht.43Aus historischen Gründen wurde das Gasnetz von Ost nach West gebaut und ist bis dato nur unzureichend für Gastransporte entgegen der Hauptflussrichtung gerüstet.44 Die vielfach schlechte Vernetzung der Energieleitungen über die Staatsgrenzen hinweg geht darauf zurück, dass sich der Aufbau der Netzstruktur bislang meist innerhalb der jeweiligen Staaten vollzog.45 Weil sich diese bei ihrer Infrastrukturpolitik vornehmlich an ihren Bedürfnissen und dem nationalen Rahmen orientierten, wurden Grenz- und Randgebiete oft vernachlässigt und aus geographischen, ökonomischen oder auch militärischen Gründen nicht mit der Infrastruktur des Nachbarstaats verbunden.46 Geschichtlich bedingt seien die Elektrizitätsnetze auf den regionalen Markt mit einer verbrauchsortnahen Stromerzeugung zugeschnitten worden47 und hätten fehlende grenzüberschreitende Verbindungen vor ausländischen Investoren geschützt.48 Weitere Ursachen für die länderspezifischen Energieinfrastrukturen sind die unterschiedliche Verteilung der Energieträger innerhalb der Mitgliedstaaten49 sowie deren divergierende Präferenzen in Bezug auf einzelne Energieträger, etwa die Kernkraft.50 38

S. auch Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 56; Nettesheim (Fn. 2), S. 83. Kupfer (Fn. 32), 79 spricht insoweit von „anachronistische[r] Netzarchitektur“. 40 S. die Vortragsfolie, S. 6 von W. Boltz, Vorstand E-Control, Netzausbau für ein zukunftssicheres Energiesystem – Was bedeutet das EU Infrastrukturpaket für Österreich?, abrufbar unter http://www.e-control.at/portal/page/portal/medienbibliothek/presse/dokumente/ pdfs/20140516_Webinar_EIP_V10.pdf, zuletzt geprüft am 30. 09. 2014; s. auch Nettesheim (Fn. 2), S. 83. 41 Boltz (Fn. 40), Vortragsfolie, S. 6; s. auch M. Kment, Grundstrukturen der Netzintegration Erneuerbarer Energien, UPR 2014, 81. 42 Boltz (Fn. 40), Vortragsfolie, S. 6. 43 Boltz (Fn. 40), Vortragsfolie, S. 6. 44 Boltz (Fn. 40), Vortragsfolie, S. 6. 45 Geber (Fn. 1), S. 56; s. auch Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 57. 46 Rung (Fn. 31), S. 58. 47 Rung (Fn. 31), S. 102. 48 Geber (Fn. 1), S. 56. 49 A. Nötzold, Die europäische Politik zur Sicherung der Energieversorgung und die Auswirkungen der Nuklearkatastrophe in Fukushima, in: B. Neuss / M. Niedobitek / L. Novotny´ / P. Rosu˚lek (Hrsg.), Kooperationsbeziehungen in der neuen Europäischen Union – unter be39

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Sieht man in den transeuropäischen Netzen Garanten für das Funktionieren des Energiemarkts, die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit sowie das Erreichen der ambitionierten Klimaschutzziele in der Europäischen Union, bedarf es zusätzlicher Anstrengungen zur Behebung der Schwachstellen der bestehenden Energieinfrastruktur. Ausgehend von den in Art. 194 Abs. 1 AEUV sichtbar werdenden Zielen der europäischen Energiepolitik geraten nunmehr die Grenz- und Randregionen in das Blickfeld der europäischen Infrastrukturpolitik.51 Zunehmend wird man sich der Notwendigkeit transnationaler Verbindungen der mitgliedstaatlichen Energienetze durch den Neubau von Verbindungsleitungen zur Lückenschließung (Beseitigung sog. missing links), durch den Ausbau von Schnittstellen sowie die Behebung von Kapazitätsengpässen (sog. bottle necks) durch Anpassung der bestehenden Infrastrukturen an die geänderte Nachfrage bewusst.52 III. Forcierung der transeuropäischen Energieinfrastruktur durch unionsrechtliche Vorgaben Bis vor kurzem zeitigte das Unionsrecht nur schwache Effekte auf die Planung und Durchführung transeuropäischer Energieinfrastrukturprojekte. Eine Evaluierung der Leitlinien für die transeuropäischen Energienetze aus dem Jahr 200653 ergab, dass diese zwar einen positiven Beitrag für ausgewählte Projekte durch ihre politische Sichtbarkeit leisteten, aber die festgestellten Infrastrukturlücken nicht ausreichend schließen konnten.54 Ausweislich eines Arbeitspapiers wäre bei einer Fortsonderer Berücksichtigung des sächsisch-tschechischen Grenzraums, Hamburg 2012, S. 175 (181); s. auch S. Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor: eine Untersuchung unter Berücksichtigung der vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages durch Russland, Heidelberg u. a. 2011, S. 15; EuGH, BeckRS 2014, 81088, Rn. 98. 50 A. Nötzold, Die Energiepolitik der EU und der VR China. Handlungsempfehlungen zur europäischen Versorgungssicherheit, Wiesbaden 2011, S. 305; s. auch O. Geden / S. Dröge, Integration der europäischen Energiemärkte – notwendige Voraussetzung für eine effektive EU-Energieaußenpolitik, Berlin 2010, S. 15. 51 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 3. 52 F. Becker / E. Harms, Die Kompetenz der EU bei Erhalt und Ausbau der mitgliedstaatlichen Infrastruktur am Beispiel des transeuropäischen Verkehrsnetzes, IR 2014, 128; Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 44; K. F. Gärditz, Europäisches Planungsrecht – Grundstrukturen eines Referenzgebiets des europäischen Verwaltungsrechts, Tübingen 2009, S. 25; zu den Kapazitätsengpässen auch J. Gundel, Europäisches Energieverwaltungsrecht, in: J. P. Terhechte (Hrsg.), Verwaltungsrecht der Europäischen Union, Baden-Baden 2011, § 23 Rn. 33. 53 Entscheidung Nr. 1364/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 06. 09. 2006 zur Festlegung von Leitlinien für die transeuropäischen Energienetze und zur Aufhebung der Entscheidung 96/391/EG und der Entscheidung Nr. 1229/2003/EG, ABl. EU 2006 Nr. L 262, S. 1 ff. 54 Erwägungsgrund (5) TEN-E VO; s. auch KOM(2011) 658 endg., S. 12; L. Giesberts / A. Tiedge, Vorhaben von gemeinsamem Interesse nach der TEN-E Verordnung: Anforderungen, Verfahren, Rechtsschutz, EurUP 2013, 166 (167).

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führung des bisherigen TEN-E Rahmens zu befürchten gewesen, dass die Hälfte der erforderlichen Investitionen in diesem Infrastrukturbereich wegen Hindernissen bei der Genehmigungserteilung, der Regulierung und der Finanzierung der Vorhaben nicht oder zu spät getätigt worden wäre.55 Deshalb hat die Europäische Union mit der heute geltenden TEN-E VO einen deutlich zielgerichteteren Pfad56 mit mehr rechtlicher Durchschlagskraft eingeschlagen.57 Die Planung bestimmter transeuropäischer Energienetze vollzieht sich nunmehr in einem Zwei-Phasen-Modell:58 In einer aszendierenden Planungsphase59 weist die Union unter Beteiligung der Mitgliedstaaten bestimmte zentrale transeuropäische Energieinfrastrukturvorhaben aus. Für die deszendierende Phase60 hält das Unionsrecht Vorgaben zur Durchführung und Überwachung sowie zur Erteilung von Genehmigungen durch die Mitgliedstaaten bereit. Die Planung der transeuropäischen Energieinfrastruktur erfolgt somit in den „Strukturen einer Verbundverwaltung“,61 bei der die nationalen Stellen untereinander und mit der Unionsverwaltung zusammenarbeiten.62 Die aktuellen TEN-E Anforderungen enthalten erstmals erheblich auf das nationale Planungsrecht einwirkende Steuerungsvorgaben.63 Mit den Worten von Erbguth und Schubert erweisen sich diese „in ihrer kumulativen Wirkung als ein engmaschiges Korsett, das die organisations- und verfahrensrechtlichen Gestaltungsspielräume der Mitgliedstaaten nicht unerheblich einschränkt“.64 Um beurteilen zu können, ob sich die Union hier innerhalb ihrer Kompetenzen gehalten hat, soll zunächst ein Überblick über den Inhalt der TEN-E VO und die Wirkungen, welche die sog. Vorhaben von gemeinsamem Interesse für die Mitgliedstaaten zeitigen, gegeben werden. Anschließend wird die Vereinbarkeit dieser Vorgaben mit der unionsrechtlichen Kompetenzordnung geprüft.

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Erwägungsgrund (16) TEN-E VO. In diese Richtung Nettesheim (Fn. 2), S. 97. 57 S. auch Giesberts / Tiedge (Fn. 54), 173 ff.; Kupfer (Fn. 32), 99. 58 Allgemein zur Europäisierung der Planung durch Einführung von 2-Phasen-Modellen G. Sydow, Strukturen europäischer Planungsverfahren. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten im Planungsverbund, DÖV 2003, 605. 59 Begrifflichkeit nach Sydow (Fn. 58), 605. 60 Begrifflichkeit nach Sydow (Fn. 58), 605. 61 Nettesheim (Fn. 2), S. 102; s. auch Gärditz (Fn. 52), S. 57; Geber (Fn. 1), S. 69 f.; Schmitz / Jornitz (Fn. 29), 336 f.; Sydow (Fn. 58), 613. 62 Dazu auch S. Kadelbach, Der Einfluß des Europarechts auf das deutsche Planungsrecht, in: W. Erbguth (Hrsg.), Planung, Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, München 2000, S. 897 (912). 63 So auch W. Erbguth / M. Schubert, Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur, EurUP 2014, 70 (70 f.); Nettesheim (Fn. 2), S. 101. 64 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 74 f. 56

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1. Inhalt der TEN-E VO vom 17. April 2013 Die TEN-E Verordnung enthält Leitlinien für die rasche Identifizierung und Förderung vorrangiger transeuropäischer Infrastrukturprojekte im Energiesektor.65 Ihr Anwendungsbereich ist weit gezogen.66 Gem. Art. 2 Nr. 1 TEN-E VO bezieht sie sich auf jede materielle Ausrüstung oder Anlage, die unter die Energieinfrastrukturkategorien für Strom, Gas, Erdöl und Kohlendioxid67 fällt und sich in der Union befindet oder die Union mit mindestens einem Drittland verbindet. Die Verordnung untergliedert sich in mehrere Kapitel über die Ermittlung der Vorhaben von gemeinsamem Interesse (Kapitel II), über ihre Zulassung (Kapitel III: Erteilung von Genehmigungen und Beteiligung der Öffentlichkeit), sowie die Regulierung (Kapitel IV) und die Finanzierung (Kapitel V). a) Die Identifizierung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse Zur Entwicklung einer transeuropäischen Energieinfrastruktur sind nach der TEN-E VO zunächst sog. Vorhaben von gemeinsamem Interesse – in der englischen Sprache ist von Projects of Common Interest (PCI) die Rede – zu ermitteln.68 Wie man an der Umschreibung des Art. 2 Nr. 4 TEN-E VO erkennen kann, wonach ein „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ (nachfolgend: VGI) ein solches ist, „das für die Realisierung der in Anhang I aufgeführten vorrangigen Energieinfrastrukturkorridore und -gebiete erforderlich ist und das Bestandteil der in Artikel 3 genannten Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse ist“, bildet die Ausweisung der VGI den zentralen Akt der Unionsplanung.69 Es handelt sich bei ihnen um konkrete Projekte. Wie durch den Zusatz „von gemeinsamem Interesse“ zum Ausdruck gebracht wird, liegen diese nicht nur im Interesse der Union, sondern auch eines oder mehrerer Mitgliedstaaten.70 Die VGI werden nicht wie früher bereits in dem Rechtsakt über die transeuropäischen Netze abschließend benannt,71 sondern aufgrund der in der TEN-E Verordnung enthaltenen abstrakten Kriterien nach Durchlaufen eines mehrstufigen72 Auswahlverfahrens identifiziert.73 65

BR-Drucks. 333/13, S. 4; s. auch BT-Drucks. 17/14131, S. 1. Giesberts / Tiedge (Fn. 54), 167 f. 67 S. Art. 1 Abs. 2 lit. a TEN-E VO. 68 S. auch BNetzA, Verfahrenshandbuch Projects of Common Interest (PCI), Stand: 30. 5. 2014, abrufbar unter: http://www.netzausbau.de/SharedDocs/Downloads/DE/2014/PCI-Verfah renshandbuch.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt geprüft am 30. 09. 2014, S. 2. 69 So Rung (Fn. 31), S. 69; s. auch Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 166. 70 T. Strobel, Die Verordnung zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur: Primärrechtliche Einordnung und genehmigungsrechtliche Implikationen, ZEuS 2013, 167 (179); s. auch Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 167. 71 Dazu Giesberts / Tiedge (Fn. 54), 168. 72 BT-Drucks. 17/14131, S. 1; näher dazu Strobel (Fn. 70), 190 ff.; M. Vogt / V. Maaß, Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur – Netzausbau die Zweite, RdE 2013, 151 (153). 66

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Vereinfacht dargestellt entwickeln zunächst zwölf regionale Gruppen einen Vorschlag für Vorhaben von gemeinsamem Interesse für ihren geographischen Bereich (Art. 3 Abs. 1–3 TEN-E VO). Je nach Energiesektor variiert dabei die Zusammensetzung der regionalen Gruppen.74 Bei Stromvorhaben setzt sich die Gruppe aus Vertretern der Mitgliedstaaten, den nationalen Regulierungsbehörden, den Übertragungsnetzbetreibern sowie der Kommission, der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) und der ENTSO-Strom zusammen.75 Letztlich entscheidungsbefugt innerhalb der Gruppe sind aber nur die Mitgliedstaaten und die Kommission (Art. 3 Abs. 1 S. 3 TEN-E VO). Das Auswahlverfahren der regionalen Gruppen wird durch Antrag der Träger von Vorhaben eingeleitet, die möglicherweise als VGI in Betracht kommen und diesen Status für ihr Projekt anstreben.76 Zunächst prüft die jeweilige regionale Gruppe, ob die zur Debatte stehenden Vorhaben die materiellen Kriterien des Art. 4 Abs. 1, 2 TEN-E VO erfüllen.77 Jeder einzelne Vorschlag für ein VGI bedarf der Genehmigung desjenigen Mitgliedstaats, dessen Hoheitsgebiet das Vorhaben betrifft (Art. 3 Abs. 3 S. 2 lit. a TEN-E VO). Die Reihenfolge der Projekte in ihrem Listenvorschlag bestimmt die regionale Gruppe aufgrund einer Bewertung nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 4 TEN-E VO.78 Nach Vorlage der zwölf regionalen Vorschlagslisten prüft die Kommission, welche der dort aufgeführten Vorhaben sie in eine unionsweite Liste überführt (Art. 3 Abs. 4 TEN-E VO). Die materiellen Entscheidungskriterien für die Ausweisung der VGI sind wieder Art. 4 TEN-E VO zu entnehmen.79 Gem. Art. 4 Abs. 1 TENE VO muss das Vorhaben für die Realisierung der vorrangigen Energieinfrastrukturkorridore und -gebiete erforderlich sein (lit. a), sein potenzieller Gesamtnutzen auch seine langfristigen Kosten übersteigen (lit. b) und es entweder die Grenzen eines Mitgliedstaats überschreiten oder erhebliche grenzüberschreitende Auswirkungen haben (lit. c).80 Des Weiteren muss das einzelne Vorhaben bestimmte für es geltende Kriterien erfüllen (Art. 4 Abs. 2, 3 TEN-E VO). Schließlich hat die Kommission die überregionale Kohärenz sicherzustellen (Art. 3 Abs. 5 lit. b TEN-E VO) sowie darauf zu achten, dass die Gesamtzahl der VGI auf der Unionsliste überschau- und bewältigbar bleibt (Art. 3 Abs. 5 lit. d TEN-E VO). Die Unionsliste wird von der Kom73

Rung (Fn. 31), S. 69. Giesberts / Tiedge (Fn. 54), 169. 75 S. den Anhang III der TEN-E VO unter 1. Nr. 1. 76 S. den Anhang III der TEN-E VO unter 2. Nr. 2; zu den Überlegungen des Vorhabenträgers R. Ruge, Bedeutung der Infrastruktur-Verordnung der EU, in: H. Weyer (Hrsg.), Energienetze, EEG und Energiewende, 50 Jahre Institut für deutsches und internationales Berg- und Energierecht der TU Clausthal, Baden-Baden 2014, S. 35 ff. 77 Näher dazu Giesberts / Tiedge (Fn. 54), 168 ff. 78 Näher dazu Giesberts / Tiedge (Fn. 54), 169 f. 79 Näher dazu S. Fischerauer, Die Verordnung zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur, EnWZ 2013, 56 (57 f.). 80 Dazu z. B. K. Schadtle, Neue Leitungen braucht das Land – und Europa!, ZNER 2013, 126 (129); Schmitz / Jornitz (Fn. 29), 337. 74

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mission alle zwei Jahre überprüft und aktualisiert (Art. 3 Abs. 4 UAbs. 2 TEN-E VO). Die Unionsplanung ist somit als dynamischer Prozess konzipiert und stellt so eine Austauschbeziehung zu den erfassten Kontexten her.81 Angesichts der im Energiesektor nötigen Prognosen zum Energiebedarf, aber auch den schwer abzuschätzenden Entwicklungen etwa beim Energieimport aus politisch instabilen Ländern,82 besteht für die Union durch diese Konzeptionsweise die Möglichkeit, ihre Planung in angemessenen Zeitabständen an die aktuellen Verhältnisse, etwa die veränderten Marktbedingungen und Bedürfnisse, anzupassen83 und nachzujustieren. So können abgeschlossene Projekte oder solche, die sich als nicht realisierbar erwiesen haben, von der Liste gestrichen84 und durch „neue“ VGI ersetzt werden (s. auch Art. 5 Abs. 8 TEN-E VO).85 Nach einer Kommissionsäußerung sind VGI Infrastrukturprojekte zur physischen Integration der Energiemärkte der Mitgliedstaaten und zur Diversifizierung ihrer Energiequellen.86 Durch VGI könnten von der Energieversorgung abgeschottete Mitgliedstaaten aus ihrer Isolation befreit werden.87 Außerdem trügen derartige Strominfrastrukturvorhaben zur zunehmenden Aufnahme von Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen bei.88 In der delegierten Verordnung (EU) Nr. 1391/2013 vom 14. Oktober 201389 wurden 248 Projekte als VGI ausgewiesen, die sich – so der Erwägungsgrund (11) der Verordnung – in verschiedenen Entwicklungsphasen befinden. Auf dieser ersten Unionsliste befinden sich mit einem direkten Bezug zu Deutschland zwanzig VGI im Strombereich, wie z. B. im vorrangigen Korridor „Offshore-Netz in den nördlichen Meeren“ im Cluster Dänemark – Deutschland die Verbindungsleitungen zwischen Endrup und Brunsbüttel, zwischen Kasso und Dollern sowie die als ,Projekt Nord.Link‘ bekannte Verbindungsleitung zwischen Wilster (Deutschland) und Tonstad (Norwegen). Daneben weisen fünf VGI im Gasbereich und zwei VGI im Ölbereich einen direkten Deutschland-Bezug auf.90

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So allgemein zur europäischen Planung ohne Bezug zur Energieinfrastruktur Gärditz (Fn. 52), S. 9. 82 Zur Energieaußenpolitik Guckelberger (Fn. 25), Manuskript S. 3 i.E. (zum Aspekt politisch instabiler Regionen). 83 So auch European Commission – MEMO/13/880, 14/10/2013, S. 3. 84 So auch European Commission – MEMO/13/880, 14/10/2013, S. 3. 85 Dazu auch P. Fest / B. Operhalsky, Der deutsche Netzausbau zwischen Energiewende und europäischem Energieinfrastrukturrecht, NVwZ 2014, 1190 (1192). 86 So auch European Commission – MEMO/13/880, 14/10/2013, S. 1. 87 So auch European Commission – MEMO/13/880, 14/10/2013, S. 1. 88 So auch European Commission – MEMO/13/880, 14/10/2013, S. 1. 89 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 1391/2013 der Kommission v. 14. 10. 2013 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur in Bezug auf die Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse, ABl. EU 2013 Nr. L 349, S. 28 ff. 90 BNetzA (Fn. 68), S. 2.

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Analysiert man diese Ausweisung der VGI auf Unionsebene, handelt es sich insoweit um eine unionseigene Fachplanung.91 Denn Art. 171 Abs. 1 Spstr. 1 AEUV überantwortet der Union die Auswahl und Priorisierung bei den transeuropäischen Netzen aus den drei Bereichen der Verkehrs-, Telekommunikations- und der hier einschlägigen Energieinfrastruktur,92 womit zugleich planerische Gestaltungselemente verbunden sind.93 Diese unionale Fachplanung baut auf den Vorhaben der antragstellenden Übertragungsnetzbetreiber auf. Auf diese Weise wird die Verbindung zu deren Investitions- und Netzbedarfsplanung hergestellt94 und die Kohärenz zwischen unionaler Fachplanung sowie Netzinvestitionsplänen gefördert.95 Gleichzeitig können so die grundrechtlichen Positionen der Vorhabenträger in die Planung Eingang finden.96 Da nur mit Genehmigung des jeweiligen Mitgliedstaats ein auf seinem Territorium befindliches Vorhaben als VGI ausgewiesen werden darf, kann die Identifizierung der VGI nicht losgelöst von den mitgliedstaatlichen Vorstellungen erfolgen.97 Durch dieses „Kooperationserfordernis“ werden die gröbsten Widersprüche zwischen der Planung auf nationaler und Unionsebene vermieden.98 Die integrative Vernetzung erfolgt in einem „Bottom-Up“-Prozess.99 Nach Gärditz wird durch diesen Aufbau der Planinhalte von unten nach oben die nationale Planungshoheit geschützt, der allgemeine Subsidiaritätsgedanke mit Leben erfüllt und die Komplexitätsbewältigung im Mehrebenensystem erst technisch möglich.100 Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Unionsplanung als Aufgreifen der zumeist national als notwendig identifizierten Netzausbauprojekte101 und deren Hochstufung zu VGI102 charakterisiert wird. Alles in allem stellen die regionalen Gruppen ein gutes Forum zur

91 E. Bogs, Die Planung transeuropäischer Verkehrsnetze, Berlin 2002, S. 150 ff.; W. Durner, Konflikte räumlicher Planungen – verfassungs-, verwaltungs- und gemeinschaftsrechtliche Regeln für das Zusammentreffen konkurrierender planerischer Raumansprüche, Tübingen 2005, S. 521; Erbguth / Schubert (Fn. 63), 78; Gärditz (Fn 52), S. 25. 92 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 78. 93 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 78. 94 Geber (Fn. 1), S. 85 f.; zu den zwei Stellschrauben bei der Netzplanung auch Rung (Fn. 31), S. 104 ff.; s. auch P. Franke, Aktuelle Tätigkeitsschwerpunkte der Bundesnetzagentur im Energiebereich, in: H. Weyer (Hrsg.), Energienetze, EEG und Energiewende, 50 Jahre Institut für deutsches und internationales Berg- und Energierecht der TU Clausthal, BadenBaden 2014, S. 9 (11). 95 Geber (Fn. 1), S. 85. 96 Geber (Fn. 1), S. 85 f. 97 Rung (Fn. 31), S. 70. 98 Rung (Fn. 31), S. 133. 99 Gärditz (Fn. 52), S. 52; s. auch European Commission – MEMO/13/880, 14/10/2013, S. 3. 100 Gärditz (Fn. 52), S. 54. 101 So Gärditz (Fn. 52), S. 52; Rung (Fn. 31), S. 125; s. auch BNetzA (Fn. 68), S. 2. 102 So Rung (Fn. 31), S. 125.

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Förderung der netzbezogenen Kooperation der Mitgliedstaaten untereinander, aber auch im Verhältnis zur Union, dar.103 Indem die Kommission die Letztentscheidung über die auszuweisenden VGI trifft, soll sichergestellt werden, dass die gelisteten Vorhaben auch tatsächlich den größten Beitrag für die Realisierung der vorrangigen strategischen Energieinfrastrukturkorridore und -gebiete leisten.104 Da sich die Ausweisung der VGI nach den materiellen Kriterien der TEN-E VO richtet, wird im Schrifttum hervorgehoben, dass es sich dabei um keine (politische) Festsetzung a priori handle,105 sondern die VGI tatsächlich – wie im Erwägungsgrund (21) der TEN-E VO explizit erwähnt – im Hinblick auf ihren Beitrag zu den energiepolitischen Zielen „gemeinsame, transparente und objektive Kriterien erfüllen“. In der delegierten Verordnung zur Festlegung der VGI wird im ersten Erwägungsgrund das für sie eingeführte transparente und inklusive Verfahren für ihre Ermittlung besonders herausgestellt.106 b) Die an die VGI-Ausweisung anknüpfenden Konsequenzen An die als VGI festgelegten Vorhaben knüpfen eine Reihe von Wirkungen an.107 Aus Sicht der Vorhabenträger ist zu betonen, dass sie eine andere regulatorische Behandlung erfahren.108 Nach Erwägungsgrund (35) TEN-E VO kommt bei den VGI eine grenzüberschreitende Kostenaufteilung in Betracht, wenn sich infolge einer Bewertung der Marktnachfrage oder der erwarteten Auswirkungen auf die Tarife ergibt, dass die Kosten voraussichtlich nicht durch die Tarife der Infrastrukturnutzer gedeckt werden können. Die Aufnahme in die Unionsliste ist eine Voraussetzung dafür, dass einzelne VGI eine finanzielle Unterstützung im Rahmen der Fazilität „Connecting Europe“ (CEF) erhalten können.109 Mit der Verordnung (EU) Nr. 1316/2013 möchte man Investitionen im Bereich der transeuropäischen Netze beschleunigen, eine Hebelwirkung für Finanzmittel aus dem öffentlichen und dem privaten Sektor erzeugen und gleichzeitig Rechtssicherheit schaffen.110 Für den Zeitraum zwischen 2014 und 2020 hat die Union zur Verbesserung der transeuropäischen Energienetze rund 5,85 Mrd. Euro bereitgestellt.111 103

In diese Richtung Geber (Fn. 1), S. 86. S. Erwägungsgrund (23) TEN-E VO; in diese Richtung Nettesheim (Fn. 2), S. 88. 105 S. Giesberts / Tiedge (Fn. 54), 168. 106 S. den Erwägungsgrund (1) Satz 2. 107 Zu den Privilegierungen der VGI auch Kment (Fn. 41), 82. 108 S. den Erwägungsgrund (1) Satz 3 der Verordnung Nr. 1391/2013. 109 S. den Erwägungsgrund (1) Satz 2 der Verordnung Nr. 1391/2013. 110 Verordnung (EU) Nr. 1316/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 12. 2013 zur Schaffung der Fazilität „Connecting Europe“, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 913/2010 und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 680/2007 und (EG) Nr. 67/ 2010, ABl. EU 2013 Nr. L 348, S. 129 ff., s. Erwägungsgrund (2). 111 S. zum genauen Betrag Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. c Verordnung (EU) Nr. 1316/2013. 104

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Mit der Ausweisung als VGI gehen für die Vorhabenträger zugleich bestimmte Pflichten einher, so müssen sie z. B. jährlich über die erzielten Fortschritte bei der Entwicklung, dem Bau und der Inbetriebnahme des Vorhabens berichten (Art. 5 Abs. 4 TEN-E VO). Im Verzögerungsfall kann unter den in Art. 5 Abs. 7 TEN-E VO genannten Voraussetzungen ein Dritter zur Realisierung des Vorhabens eingeschaltet werden. Nach Art. 9 Abs. 3 TEN-E VO hat der Vorhabenträger ein Konzept für die Öffentlichkeitsbeteiligung zu erstellen und unter den Voraussetzungen des Absatz 4 mindestens eine Anhörung der Öffentlichkeit im Vorantragsabschnitt durchzuführen. Nachfolgend stehen vor allem die an die VGI-Ausweisung anknüpfenden Wirkungen für die Mitgliedstaaten im Vordergrund. 2. Genehmigungsrechtliche Folgen Ausweislich einer Erklärung der Kommission gehören zu den zentralen Vorteilen der VGI die Auslösung beschleunigter Planungs- und Genehmigungsverfahren, niedrigere Verwaltungskosten, zügigere und effizientere UVP-Verfahren sowie eine größere Transparenz und bessere Einbeziehung der Öffentlichkeit.112 Die VGI unterliegen mithin einem besonderen Rechtsregime, das in den Art. 7–10 TEN-E VO teils detailliert ausgeformt wird. Da die Unionsplanung der VGI auf hoher Ebene erfolgt und daher eher abstrakter Natur ist – Erbguth/Schubert charakterisieren sie zutreffend als hochstufige Bedarfsplanung113 –, können die dort ausgewiesenen VGI nicht sogleich in die Tat umgesetzt werden. Treffend bringt der Erwägungsgrund (12) Satz 1 der delegierten Verordnung Nr. 1391/2013 zum Ausdruck, dass die Aufnahme von VGI insbesondere in einem frühen Stadium keinesfalls dem Ergebnis der jeweiligen Umweltverträglichkeitsprüfungen und Genehmigungsverfahren vorgreife. Diese finden auf nationaler Ebene, allerdings unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben statt. a) Vorgaben der TEN-E Verordnung Gem. Art. 3 Abs. 6 TEN-E VO sind die in die Unionsliste aufgenommenen VGI fester Bestandteil der regionalen Investitionspläne, der nationalen Zehnjahresnetzentwicklungspläne und ggf. anderer betroffener nationaler Infrastrukturpläne. Innerhalb dieser Pläne erhalten die Vorhaben die „höchstmögliche Priorität“. Weitere materielle Konsequenz der ausgewiesenen VGI ist, dass für die Entscheidungen im Rahmen der nationalen Genehmigungsverfahren die Erforderlichkeit des jeweiligen Vorhabens in energiepolitischer Hinsicht unabhängig von dem genauen Standort, der Trassenführung und der Technologie feststeht (Art. 7 Abs. 1 TEN-E VO). Die Planrechtfertigung dieser Vorhaben ergibt sich also direkt aus dem Unionsrecht.114 Art. 7 112

European Commission – MEMO/13/880, 14/10/2013, S. 1. Erbguth / Schubert (Fn. 63), 79. 114 Strobel (Fn. 70), 201; zur Union als Impulsgeber für die Bedarfsfeststellung auch Kment (Fn. 41), 82. 113

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Abs. 8 TEN-E VO bestimmt zunächst, dass VGI sowohl bei der Verträglichkeitsprüfung nach der FFH-Richtlinie als auch bei der Prüfung der Umweltauswirkungen nach Art. 4 Abs. 7 Wasserrahmenrichtlinie als Vorhaben gelten, die in energiepolitischer Hinsicht von öffentlichem Interesse sind. Außerdem können die VGI bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung als von überwiegendem öffentlichen Interesse betrachtet werden, sofern alle Richtlinienvoraussetzungen erfüllt sind. Die TEN-E VO enthält eine Reihe detaillierter Vorgaben zu den Genehmigungsverfahren der nationalen Behörden. Soweit dies im nationalen Recht vorgesehen ist, erhalten die VGI den „national höchstmöglichen Status“ und werden in den Genehmigungsverfahren und – falls dies im nationalen Recht so vorgesehen ist – in den Raumordnungsverfahren, einschließlich der Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren, entsprechend behandelt (Art. 7 Abs. 3 TEN-E VO). Jeder Mitgliedstaat muss eine zuständige nationale Behörde benennen, die für die Erleichterung und Koordinierung der Genehmigungsverfahren von VGI verantwortlich ist (Art. 8 Abs. 1 TEN-E VO). Damit unterliegen auch die VGI dem sog. One-Stop-Shop Konzept.115 Aus Gründen der Komplexität würden Effizienz und Transparenz116 sowie die Zusammenarbeit der Behörden verbessert.117 Der Vorhabenträger verfügt so über einen stetigen einheitlichen Ansprechpartner.118 Die Verantwortlichkeit kann auch einer anderen Behörde übertragen werden, sofern die Kommission und die Öffentlichkeit hierüber informiert werden und diese Behörde das jeweilige Verfahren insgesamt betreut (Art. 8 Abs. 2 TEN-E VO).119 Aus Rücksichtnahme auf die Zuständigkeitsordnung der Mitgliedstaaten120 obliegt es ihrer Entscheidung, ob diese OneStop-Stelle selbst die umfassende Abschlussentscheidung erlässt (sog. integriertes Schema, Art. 8 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 lit. a TEN-E VO)121 oder nur die Einzelentscheidungen mehrerer Behörden koordiniert und im Falle einer ungerechtfertigten Verzögerung diese selbst trifft bzw. von deren Vorliegen oder Ablehnung ausgehen kann (sog. koordiniertes Schema, Art. 8 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 lit. b TEN-E VO).122 Beim dritten, sog. Kooperationsschema kann die zuständige Behörde der betroffenen Be115

S. auch BR-Drucks. 333/13, S. 4; Erbguth / Schubert (Fn. 63), 72; A. Guckelberger, Schnellerer Energienetzausbau durch Unionsrecht?, DVBl. 2014, 805 (808); R. M. Linßen / C. Aubel, (Noch) schnellerer Netzausbau durch neue TEN-E VO?, DVBl. 2013, 965 (966). 116 Erwägungsgrund (29) TEN-E VO; Guckelberger (Fn. 115), 808. 117 Erwägungsgrund (29) TEN-E VO; Guckelberger (Fn. 115), 808; Strobel (Fn. 70), 205. 118 Dietrich/Steinbach (Fn. 30), 490; Guckelberger (Fn. 115), 808; Strobel (Fn. 70), 205. 119 S. auch BR-Drucks. 333/13, S. 4; Strobel (Fn. 70), 205. 120 Dazu auch Geber (Fn. 1), S. 71; Strobel (Fn. 70), 206; dazu, dass die Union keine staatenübergreifende Hoheitsträger als Akteure grenzüberschreitender Planungen schaffen kann, Gärditz (Fn. 52), S. 108, 117; zur grundsätzlichen Unzulässigkeit des Regelungszugriffs der Union auf die mitgliedstaatliche Verwaltungsorganisation W. Erbguth, Planerische Rechtsfragen des Netzausbaus. EnWG und NABEG im Zusammenspiel mit der Gesamtplanung, in: M. Kment (Hrsg.), Netzausbau zugunsten erneuerbarer Energien, Tübingen 2013, S. 17 (56). 121 Dazu etwa Erbguth / Schubert (Fn. 63), 72. 122 Dazu etwa Erbguth / Schubert (Fn. 63), 72 f.

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hörde im Einzelfall eine angemessene Frist setzen und deren Einhaltung kontrollieren (Art. 8 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 lit. c TEN-E VO).123 Während die Mitgliedstaaten nach der früheren TEN-E Entscheidung lediglich die erforderlichen Maßnahmen zur Erleichterung und Beschleunigung der Projektrealisierung treffen mussten,124 macht ihnen nunmehr Art. 10 TEN-E VO stringentere Vorgaben zur Dauer und Durchführung des Genehmigungsverfahrens. So beträgt die längst mögliche Gesamtverfahrensdauer drei Jahre und sechs Monate (Art. 10 Abs. 2 S. 1 TEN-E VO), die nur unter eingeschränkten Voraussetzungen verlängert werden kann.125 Schließlich hat der Unionsgesetzgeber in Art. 9 TEN-E VO umfängliche Vorgaben zur Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung aufgestellt. U. a. ist ein „Verfahrenshandbuch“ über das Genehmigungsverfahren für die VGI zu erstellen (Art. 9 Abs. 1 TEN-E VO). Nach Art. 9 Abs. 3 S. 2 TEN-E VO hat die zuständige Behörde das Konzept des Vorhabenträgers für die Öffentlichkeitsbeteiligung binnen drei Monaten zu genehmigen oder Änderungen zu verlangen. b) Nationale Umsetzung Wie man es von der mehrstufigen Planung in Deutschland her kennt, gilt auch im Verhältnis der unionalen Bestimmung der VGI und deren Zulassung auf nationaler Ebene, dass die parzellenscharfen Festlegungen auf letzter Stufe getroffen werden.126 Die Entscheidung über die Zulassung einzelner Leitungsvorhaben innerhalb eines vorgegebenen Korridors setzt gute Kenntnisse der jeweiligen örtlichen Verhältnisse voraus.127 Indem die VGI auf unionaler Ebene bestimmt werden und anschließend über ihre Zulassung auf nationaler Ebene zu entscheiden ist, ergibt sich angesichts des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit in Art. 4 Abs. 3 EUV die Notwendigkeit zur Öffnung des deutschen Planungssystems gegenüber dem Unionsrecht. Rung hat dies markant in der Aussage auf den Punkt gebracht, dass die Staaten nunmehr auch ihre Planungen für die Inhalte von Unionsplänen öffnen müssten so wie sie ihre Rechtsordnungen für die Unionsrechtsordnung geöffnet hätten.128 Wie man an den Art. 7 ff. TEN-E VO erkennen kann, bleiben die Zulassungsverfahren weiterhin in nationaler Hand.129 Aus der Festlegung des „Vorrangstatus“ für die VGI in Art. 7 TEN-E VO sowie der Erforderlichkeit der VGI in energiepolitischer Hinsicht lässt sich gerade nicht entnehmen, dass die Zulassung dieser Vorhaben nicht

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Dazu etwa Erbguth / Schubert (Fn. 63), 73. Näher dazu Geber (Fn. 1), S. 70. 125 Eingehend zu den unionsrechtlichen Entscheidungsfristen Guckelberger (Fn. 115), 809 ff. 126 S. auch Rung (Fn. 31), S. 118. 127 S. auch Rung (Fn. 31), S. 118. 128 Rung (Fn. 31), S. 117. 129 Geber (Fn. 1), S. 87. 124

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aufgrund anderer Aspekte scheitern könnte.130 Zutreffend stellt sich Geber auf den Standpunkt, dass die Vorgaben für die zügige verfahrensrechtliche Behandlung der VGI kein Garant für positive Zulassungsentscheidungen seien.131 Da die letztverantwortliche Entscheidung über die Zulassung der Vorhaben weiterhin bei den Mitgliedstaaten liegt, folgt allein aus der Ausweisung der VGI keine Pflicht der Mitgliedstaaten, diese auch zu realisieren.132 Sie sind nur handlungs- und nicht erfolgsorientiert133 zur Mitarbeit in den Zulassungsverfahren der VGI134 und zur Unterlassung erschwerender Maßnahmen verpflichtet.135 Vor diesem Hintergrund sind z. B. vorschnelle Äußerungen nationaler Entscheidungsträger, wonach exemplarisch die als VGI ausgewiesene136 Südost-Gleichstromtrasse in ihrer jetzigen Form für nicht durchsetzbar erklärt wird, kritisch zu sehen.137 In einer der ersten Stellungnahmen zur TEN-E VO meinte Strobel, mit dieser könne die Union zwar ein Leitbild für ein (trans-)europäisches Energienetz entwickeln und entsprechende Impulse ausüben.138 Wegen ihrer begrenzten Verbindlichkeit würden sie aber letztlich „kein sonderlich scharfes Schwert“ bilden.139 Da EU-Verordnungen gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV allgemeine Geltung haben, in allen ihren Teilen verbindlich sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten, sind viele Vorgaben der TEN-E VO direkt anwendbar. Anders als die EU-Richtlinien bedürfen Verordnungen grundsätzlich keiner weiteren Umsetzungsmaßnahmen auf nationaler Ebene. Etwas anderes gilt jedoch insbesondere bei einzelnen Verordnungsvorgaben, die inhaltlich so ausgestaltet wurden, dass sie nationale Implementierungsmaßnahmen verlangen.140 Gerade aus Rücksichtnahme auf die Interessen der oder die Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten finden sich in der TEN-E Verordnung einige Vorgaben, die von den Mitgliedstaaten entsprechende Festlegungen oder weitere Vollzugsmaßnahmen verlangen. So hat z. B. die Bundesnetzagentur im Mai 2014 das in Art. 9 Abs. 1 TEN-E VO vorgeschriebene Verfahrenshandbuch „Projects of Common Interest“ veröffentlicht und – wie es auch in Art. 9 Abs. 1 S. 4 TEN-E VO vorgesehen ist – seine mangelnde Rechtsverbindlichkeit betont, „da es die deutschen Rechtsvorschriften nicht ersetzen soll“.141 130

Geber (Fn. 1), S. 87. Geber (Fn. 1), S. 87. 132 C. Frey, Grundrechtliche Probleme bei einem beschleunigten Ausbau der transeuropäischen Energienetze, ZEuS 2013, 19 (25 f.); Strobel (Fn. 70), 182 f.; s. auch Gärditz (Fn. 52), S. 27. 133 Strobel (Fn. 70), 182. 134 S. auch Frey (Fn. 132), 26. 135 So Gärditz (Fn. 52), S. 27. 136 S. Nr. 3.12 des Anhangs zur Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1391/2013. 137 Dazu auch Fest / Operhalsky (Fn. 85), 1193. 138 Strobel (Fn. 70), 182 f. 139 Strobel (Fn. 70), 183. 140 S. auch Erbguth / Schubert (Fn. 63), 79. 141 BNetzA (Fn. 68), Vorwort. 131

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aa) Materielle Vorgaben Wie bereits erwähnt, steht für die VGI gem. Art. 7 TEN-E VO die Erforderlichkeit in energiepolitischer Hinsicht fest und sie sollen den national höchstmöglichen Status erhalten. Was die Erforderlichkeit der VGI anbetrifft, ist somit von ihrer Planrechtfertigung auszugehen.142 Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass die Notwendigkeit der VGI auf der Unionsliste national nicht mehr hinterfragt werden und die Öffentlichkeit ihr Engagement auf die Trassenfestlegung verlagern soll.143 Das deutsche Recht trägt dem insoweit Rechnung, als die VGI in die aufgrund von § 1 Abs. 2 EnLAG bzw. § 12e Abs. 4 EnWG144 erlassenen gesetzlichen Bedarfspläne aufgenommen wurden145 bzw. in die Bedarfspläne aufzunehmen sind, falls sie dort nicht enthalten sein sollten.146 Solange das VGI nicht aus der unionsweiten Liste gestrichen wurde, ist seine nachträgliche Herausnahme aus dem nationalen Bedarfsplan unionsrechtswidrig.147 Die Aufnahme in die gesetzlichen Bedarfspläne bewirkt, dass in den nachfolgenden Planfeststellungsverfahren, in denen über die Zulassung der jeweiligen VGI zu befinden ist, von ihrer Erforderlichkeit auszugehen ist und daher ihre Planrechtfertigung nicht mehr individuell geprüft wird (s. § 12e Abs. 4 S. 2 EnWG).148 Bislang gibt es für Gasleitungen keinen gesetzlichen Bedarfsplan. Infolgedessen ist ihre Planrechtfertigung im Planfeststellungsverfahren weiterhin zu prüfen.149 Da jedoch kraft Unionsrecht die Erforderlichkeit dieser VGI feststeht, ist damit kein größerer Aufwand verbunden. Des Weiteren findet die unionsrechtliche Bewertung in energiepolitischer Hinsicht in die planerische Abwägung bei der Entscheidung über die Zulassung des konkreten VGI Eingang.150 Der Bedarf für ein Infrastrukturvorhaben stellt einen von vielen Belangen innerhalb der planerischen Abwägung dar.151 Allein aus der Aufnahme eines Vorhabens in den Bedarfsplan lässt sich a priori kein Gewichtungsvorrang des VGI gegenüber anderen Belangen in der planerischen Abwägung entnehmen.152 Die gesetzliche Bedarfsfeststellung als solche trifft zwar eine Aussage über die Erforder142

Strobel (Fn. 70), 202; s. auch Kupfer (Fn. 32), 103; Vogt / Maaß (Fn. 72), 154. Commission Staff Working Paper, Impact Assessment, SEC(2011) 1233 final, S. 23. 144 S. das Bundesbedarfsplangesetz BGBl. 2013 I S. 2543, 2014 I S. 148, das durch Art. 11 des Gesetzes v. 21. 07. 2014, BGBl. I S. 1066 geändert worden ist. 145 Dietrich / Steinbach (Fn. 30), 490; s. auch Erbguth / Schubert (Fn. 63), 80, 83. 146 Dietrich / Steinbach (Fn. 30), 490; Kupfer (Fn. 32), 100; s. auch Erbguth / Schubert (Fn. 63), 83. 147 Fest / Operhalsky (Fn. 85), 1195. 148 Dietrich / Steinbach (Fn. 30), 490. 149 Dazu, dass die nationalen Prüfverfahren nicht bei allen VGI gleich sein müssen, Dietrich / Steinbach (Fn. 30), 490. 150 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 80. 151 BVerwGE 100, 238 (254 f.). 152 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 80 f.; s. auch M. Appel, Neues Recht für neue Netze – das Regelungsregime zur Beschleunigung des Stromnetzausbaus nach EnWG und NABEG, UPR 2011, 406 (407, 415). 143

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lichkeit des jeweiligen Vorhabens, nicht aber über die Gewichtung der damit verfolgten Belange. Allerdings sind möglicherweise aus anderen gesetzlichen Bestimmungen etwaige Gewichtungsvorgaben zu entnehmen. So wird nach § 1 S. 3 NABEG die Realisierung der diesem Gesetz unterfallenden länderübergreifenden und grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen „aus Gründen eines überragenden öffentlichen Interesses“ für erforderlich gehalten. Laut den Gesetzesmaterialien gehen diese Vorhaben „daher mit dem entsprechenden Gewicht u. a. in die nach den § 34 Absatz 3 und 45 Absatz 7 Satz 1 Nr. 5 des Bundesnaturschutzgesetzes erforderliche Abwägung ein, sofern im Einzelfall eine entsprechende gebiets- oder artenschutzrechtliche Ausnahmeentscheidung notwendig werden sollte“.153 Wie die jeweilige Abwägung, insbesondere die gesamtplanerische Abwägung ausgeht, lässt sich aber letztlich immer nur mit Blick auf den jeweiligen Einzelfall nach Bestimmung der entgegenstehenden Belange samt ihres Gewichts sagen.154 bb) Genehmigungsrechtliche Vorgaben (1) One-Stop-Stelle Obwohl die Mitgliedstaaten gem. Art. 8 Abs. 1 TEN-E VO bis zum 16. November 2013 eine nationale Behörde als Ansprechpartner für die VGI benennen mussten, sind sie dieser Verpflichtung zum Teil nur schleppend nachgekommen.155 Angesichts der für die Bundesnetzagentur vom deutschen Gesetzgeber geschaffenen Möglichkeit, die abschließende Planfeststellungsentscheidung über NABEG-Vorhaben zu treffen,156 ist das deutsche Schrifttum davon ausgegangen, dass Deutschland diese als One-Stop-Behörde benennen werde, nahm aber zunächst an, dass man eine Erklärung für das integrierte Schema nach Art. 8 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 lit. a TEN-E VO abgeben werde.157 In der Bekanntmachung Deutschlands vom Mai 2014158 wird die Bundesnetzagentur als die zuständige nationale Behörde für die Erleichterung und Koordinierung der VGI-Genehmigungsverfahren angegeben. Für manchen sicherlich überraschend heißt es aber dann: „Unbeschadet der Zuständigkeit anderer Behörden für die Durchführung der Verwaltungsverfahren nach nationalem Recht 153 BT-Drucks. 17/6073, S. 23; s. auch Dietrich / Steinbach (Fn. 30), 490; P. L. Wolfshohl / F.-J. Scheuten, in: S. de Witt / F.-J. Scheuten, Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG), Kommentar, München 2013, § 1 Rn. 41. 154 BVerwGE 100, 238 (255); s. auch Wolfshohl / Scheuten (Fn. 153), § 1 Rn. 42; Strobel (Fn. 70), 200. 155 BGBl. 2014 I S. 576. S. auch Informal Meeting of Energy Ministers, Athens 15–16 May 2014, „Financing of Projects of Common Interest“, Discussion Paper, abrufbar unter http:// gr2014.eu/sites/default/files/Discussion%20Paper%20on%20PCIs_0.pdf, zuletzt geprüft am 30. 9. 2014, S. 3. Für diesen Hinweis möchte ich mich bei meinem Mitarbeiter Dr. Frederic Geber, LL.M. herzlich bedanken. 156 Näher zu den Gründen der Planfeststellungszuweisungsverordnung BR-Drucks. 333/ 13, S. 3 f. 157 Guckelberger (Fn. 115), 808; Linßen / Aubel (Fn. 115), 967; Strobel (Fn. 70), 206. 158 Bekanntmachung im BGBl. 2014 I S. 576.

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übernimmt die Bundesnetzagentur die Koordination der Genehmigungsverfahren für Vorhaben von gemeinsamem Interesse gemäß Artikel 8 Absatz 3 Satz 2 Buchstabe c der Verordnung (EU) Nr. 347/2013“. Deutschland hat sich somit – wie übrigens auch Großbritannien159 – für das Kooperationsschema entschieden. Wie lässt sich dies erklären, obwohl die Bundesnetzagentur doch bei einigen VGI selbst über deren Planfeststellung entscheidet? Letztlich dürfte diese nationale Festlegung darauf beruhen, dass es in Deutschland bis dato kein einheitliches Zulassungsregime für die VGI gibt und deshalb die Zuständigkeiten hinsichtlich der abschließenden Entscheidung divergieren, also die Bundesnetzagentur nur bei manchen VGI für deren Planfeststellung zuständig ist. Beispielsweise ist die Bundesnetzagentur nach § 2 Abs. 2 NABEG i.V.m. der PlfZV160 nur hinsichtlich der im Bundesbedarfsplangesetz gekennzeichneten Höchstspannungs- und Anbindungsleitungen planfeststellungsbefugt. Damit gibt es eine Reihe von Hochspannungsleitungen, über deren Planfeststellung z. B. Länderbehörden nach § 43 S. 1 EnWG entscheiden.161 Handelt es sich bei dem VGI um eine Gasversorgungsleitung mit einem Durchmesser von mehr als 300 Millimetern, bedarf diese nach § 43 S. 1 Nr. 2 EnWG der Planfeststellung durch die nach Landesrecht zuständige Behörde. Für VGI, die Erdöl-Rohrleitungen zum Gegenstand haben, ergibt sich die Planfeststellungszuständigkeit aus § 20 Abs. 2 UVPG i.V.m. mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes bzw. der Länder.162 Insoweit bestätigt sich hier die von Erbguth immer wieder vertretene These, dass das Unionsrecht keinesfalls die Übertragung der Entscheidungszuständigkeit über die Planfeststellung der VGI auf die Bundesnetzagentur gebietet,163 sondern auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung Rücksicht nimmt.164 Wie man an der Formulierung „[u]nbeschadet der Zuständigkeit anderer Behörden“ in der deutschen Bekanntmachung gut erkennen kann, wollte Deutschland durch die Auswahl des Kooperationsschemas nichts an den bestehenden Zuständigkeiten ändern.165 Die Wahl des integrierten Schemas hätte einen deutlich größeren Aufwand ausgelöst, sei es, weil aus Vereinfachungsgründen möglicherweise Überlegungen hinsichtlich weiterer Zuständigkeitsübertragungen auf die Bundesnetzagentur hätten angestellt werden müssen, oder weil bei Übertragung der Verantwortung der nationalen One-Stop-Behörde auf andere Behörden weitere Maßnahmen nach Art. 8 Abs. 2 TEN-E VO erforderlich geworden wären. 159

Department of Energy & Climate Change, The TEN-E Regulation EU347/2013, May 2014, S. 5. 160 Verordnung über die Zuweisung der Planfeststellung für länderübergreifende und grenzüberschreitende Höchstspannungsleitungen auf die Bundesnetzagentur, BGBl. 2013 I S. 2582. 161 S. auch BNetzA (Fn. 68), S. 22. 162 Näher dazu BNetzA (Fn. 68), S. 49; Dietrich / Steinbach (Fn. 30), 493. 163 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 84; a. A. Schmitz / Jornitz (Fn. 29), 337. 164 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 84. 165 Geber (Fn. 155).

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Weil die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 3 UAbs. 3 S. 1 TEN-E VO eines von den drei ihnen zur Verfügung gestellten Schemata zur Erleichterung und Koordinierung der Verfahren wählen müssen, konnte die Bundesrepublik keine Zuständigkeit der Bundesnetzagentur einmal nach dem integrierten und einmal nach dem Kooperationsschema vorsehen. Daher erscheint die Option des Kooperationsschemas angesichts der Zuständigkeiten anderer Behörden für die Zulassung von VGI auf den ersten Blick konsequent. Andererseits ist man etwas erstaunt, da die Bundesnetzagentur in denjenigen Fällen, in denen sie selbst über die Planfeststellung entscheidet, keine Koordinierung von behördlichen Einzelentscheidungen vornimmt. Wenn aber beim Kooperationsschema nach Art. 8 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 lit. c TEN-E VO die umfassende Entscheidung durch die zuständige Behörde koordiniert wird und beim koordinierten Schema nach lit. b mehrere rechtsverbindliche Einzelentscheidungen anderer betroffener Behörden von der One-Stop-Behörde koordiniert werden, kann man durchaus daran denken, dass auch beim Kooperationsschema Einzelentscheidungen zur koordinieren sind. Der Unterschied zwischen den beiden Schemata würde dann darin bestehen, dass die zuständige Behörde beim koordinierten Schema ausstehende Einzelentscheidungen ersetzen bzw., sofern dies im nationalen Recht so vorgesehen ist, von deren Annahme oder Ablehnung ausgehen kann, wohingegen sie beim Kooperationsschema der anderen Behörde lediglich eine angemessene Frist für deren einzelne Entscheidung setzen und deren Einhaltung überwachen kann. Mangels zu koordinierender Einzelentscheidungen bei einer Planfeststellungszuständigkeit der Bundesnetzagentur stellt sich die Frage nach der Unionsrechtskonformität der von Deutschland vorgenommenen Wahl. Richtigerweise gelangt man zu einer unionsrechtskonformen Festlegung, wenn man den Standpunkt einnimmt, dass sich die umfassende Entscheidung beim Kooperationsschema nicht zwingend aus mehreren Einzelentscheidungen zusammensetzen muss.166 Stellt man jeweils den ersten Satz der Umschreibung des koordinierten und des Kooperationsschemas gegenüber, ist nur bei der koordinierten Entscheidung davon die Rede, dass sie „mehrere rechtsverbindliche Einzelentscheidungen“ umfasst. Da ausweislich der Erläuterung des Kooperationsschemas die umfassende Entscheidung von der zuständigen Behörde koordiniert wird, lassen sich darunter auch Konstellationen subsumieren, in denen diese selbst umfassend entscheidet.167 Mit anderen Worten besteht bei einer solchen Sichtweise die Aufgabe der zuständigen Behörde darin, sich und andere im Verfahren zu beteiligende Stellen zu koordinieren. Ein weiteres Argument für die hier favorisierte Sichtweise ist,168 dass der Ausschuss für Umweltfragen, Öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in einer Stellungnahme an den Ausschuss des Europäischen Parlaments für Industrie, Forschung und Energie hinsichtlich des Kooperationsschemas als Formulierung vorschlug, dass bei diesem die umfassende Entscheidung mehrere rechtsverbindliche Einzelent166

Geber (Fn. 155). Geber (Fn. 155). 168 Geber (Fn. 155). 167

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scheidungen der zuständigen Behörde und anderer betroffener Behörden beinhalten „kann“.169 Die andersartige Formulierung des Kooperations- gegenüber dem koordinierten Schema ist demnach der Rücksichtnahme auf die nationalen Besonderheiten geschuldet. Nach der Konzeption des Art. 8 Abs. 1 TEN-E VO ist die außenwirksame Benennung der zuständigen Behörde entscheidend,170 während die in Absatz 3 genannte Wahl des Schemas angesichts ihrer großen Bandbreite von sekundärer Bedeutung sein dürfte. Für Letzteres spricht auch, dass Art. 8 Abs. 4 TEN-E VO den Mitgliedstaaten bei Onshore- und Offshore-VGI die Anwendung unterschiedlicher Schemata gestattet.171 (2) Entscheidungsfristen Die von Art. 10 Abs. 1 lit. a und lit. b TEN-E VO vorgesehene Aufteilung des Genehmigungsverfahrens in einen Vorantrags- und einen formalen Genehmigungsabschnitt bezieht sich nur auf die letzte Stufe im Gesamtverfahren der VGI, d. h. das Planfeststellungsverfahren, in dem über die Zulassung des konkreten VGI entschieden wird.172 Bezogen auf ein VGI, das dem NABEG unterliegt, bedeutet dies, dass der Planfeststellungsbeschluss nach § 24 Abs. 1 NABEG die umfassende Entscheidung i. S. d. Art. 10 Abs. 1 lit. b TEN-E VO bildet. Nach Art. 10 Abs. 2 S. 1 TEN-E VO darf die Gesamtverfahrensdauer für das diesbezügliche Verfahren maximal drei Jahre und sechs Monate betragen. Wie man an Art. 10 Abs. 3 TEN-E VO gut erkennen kann, ging der Unionsgesetzgeber bei der Konzeption seiner Vorschriften davon aus, dass die Festlegung des Trassenkorridors im Genehmigungsverfahren und nicht, wie bei der Bundesfachplanung nach § 15 NABEG, auf einer diesem vorgelagerten Verfahrensstufe erfolgt. Aus Rücksichtnahme auf derartige nationale Besonderheiten bestimmt jedoch § 10 Abs. 3 S. 1 TEN-E VO, dass in derartigen Konstellationen die Entscheidung hinsichtlich der Trasse innerhalb einer gesonderten Frist von sechs Monaten ab Einreichung der endgültigen und vollständigen Antragsunterlagen durch den Vorhabenträger zu treffen ist, sich dann aber die nach Art. 10 Abs. 2 TEN-E VO mögliche Fristverlängerung auf sechs Monate einschließlich dieses Verfahrens verringert, so dass die längstmögliche Gesamtverfahrensdauer bei vier Jahren liegt.173

169

S. dazu den Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 1364/2006/EG, A7 – 0036/2013, S. 210. 170 Dazu, dass diese gerade nicht für die umfassende Entscheidung zuständig sein muss, Linßen / Aubel (Fn. 115), 968. 171 Dabei kann die Regelung durchaus so gelesen werden, dass die Mitgliedstaaten sowohl innerhalb der Onshore- als auch der Offshore-Vorhaben unterschiedliche Schemata anwenden können, so Dietrich / Steinbach (Fn. 30), 493; nur für unterschiedliche Schemata bei Onshoreim Vergleich zu Offshore-Vorhaben Linßen / Aubel (Fn. 115), 967. 172 BNetzA (Fn. 68), S. 4; Erbguth / Schubert (Fn. 63), 82; Strobel (Fn. 70), 209 f. 173 Dietrich / Steinbach (Fn. 30), 492 (Bundesfachplanung und Planfeststellungsverfahren); Linßen / Aubel (Fn. 115), 970; Strobel (Fn. 70), 210.

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§ 12 Abs. 1 NABEG greift die Regelung in § 10 Abs. 3 S. 1 TEN-E VO auf und gibt den Abschluss der Bundesfachplanung binnen sechs Monaten nach Vorliegen der vollständigen Antragsunterlagen bei der Bundesnetzagentur vor. Ab Beginn des Vorantragsabschnitts, nämlich der schriftlichen Bestätigung der Mitteilung des Vorhabens mit ausführlicher Beschreibung (s. Art. 10 Abs. 1 lit. a S. 6, 7 TEN-E VO)174 läuft eine indikative Frist von zwei Jahren.175 Das formale Genehmigungsverfahren beginnt mit der Annahme der eingereichten Unterlagen176 und ist grundsätzlich innerhalb eines Jahres und sechs Monaten mit der umfassenden Entscheidung abzuschließen (Art. 10 Abs. 1 lit. b TEN-E VO). Da die herkömmliche Dauer der Planfeststellungsverfahren bislang häufig deutlich über dem vom Unionsrecht vorgegebenen Zeitrahmen liegt,177 bleibt mit Spannung abzuwarten, ob und inwieweit die nationalen Verfahren durch die unionsrechtlichen Zeitvorgaben „beschleunigt“ werden.178 Im Schrifttum wird die Fristenproblematik tendenziell eher gelassen gesehen. Die TEN-E VO statuiere zwar eine Frist für die Festlegung des Trassenkorridors und eine für das Genehmigungsverfahren, treffe aber keine Aussage für das Zeitfenster zwischen dem Abschluss der Bundesfachplanung und der nachfolgenden Planfeststellung.179 Da gerade diese Phase voraussichtlich in der Praxis von großer Bedeutung sein werde, wird davon ausgegangen, dass bei den meisten Vorhaben die Zeitvorgaben eingehalten werden könnten. Neuerdings werden zu Recht Bedenken an der Unionsrechtskonformität dieser Lesart von Art. 10 Abs. 3 TEN-E VO angemeldet.180 Es handelt sich dabei um eine Ausnahmeregelung, mit der der Unionsgesetzgeber auf die mitgliedstaatliche Organisationshoheit und Verfahrensautonomie Rücksicht nehmen wollte. Es dürfte aber kaum seinem Willen entsprochen haben, dadurch Mitgliedstaaten mit einem gestuften Planungsverfahren einen erheblichen Vorteil in zeitlicher Hinsicht gegenüber solchen Mitgliedstaaten zu verschaffen, die sich für die Implementierung der Trassenfestlegung in das gewöhnliche Genehmigungsverfahren entschieden haben. Denn es ist ein allgemeines, für alle VGI geltendes Anliegen der TEN-E VO, die rechtzeitige Durchführung dieser Vorhaben durch die Straffung und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren zu erleichtern (s. Art. 1 Abs. 2 lit. b TEN-E VO). Auch wenn die TEN-E VO keine zeitliche Vorgabe für die Mitgliedstaaten zwischen der zunächst erfolgenden Festlegung der Tras174 Es wird davon ausgegangen, dass im NABEG der Vorantragsabschnitt ab der Festlegung des Untersuchungsrahmens aufgrund der Ergebnisse des Planfeststellungsverfahrens beginnen soll, s. § 20 Abs. 3 NABEG, so Linßen / Aubel (Fn. 115), 969. 175 Näher zur Bedeutung einer „indikativen Frist“ Guckelberger (Fn. 115), 810. 176 Zur Maßgeblichkeit des § 21 Abs. 5 NABEG insoweit Linßen / Aubel (Fn. 115), 970. 177 Es wird von einer oft zehnjährigen Dauer ausgegangen, s. BT-Drucks. 17/6073, S. 22; C. Calliess / M. Dross, Neue Netze braucht das Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG), JZ 2012, 1002 (1003); A. Steinbach, Keine Energiewende ohne Netze: Die Umsetzung des Bedarfsplangesetzes im reformierten Rechtsrahmen, DÖV 2013, 921 (922). 178 So auch Guckelberger (Fn. 115), 806; Strobel (Fn. 70), 210. 179 Linßen / Aubel (Fn. 115), 968; s. auch Dietrich / Steinbach (Fn. 30), 492. 180 In diese Richtung Dietrich / Steinbach (Fn. 30), 492.

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senkorridore und dem anschließenden Genehmigungsverfahren eingeführt hat, sind die Mitgliedstaaten aufgrund von Art. 4 Abs. 3 EUV dazu verpflichtet, für einen zügigen Beginn des nachfolgenden Planfeststellungsverfahrens zu sorgen. Dies entspricht dem effet-utile-Gedanken. Die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie wird nach ständiger EuGH-Rechtsprechung durch die Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz beschränkt.181 Dementsprechend ist die Bundesnetzagentur nach § 12 Abs. 2 S. 3 NABEG berechtigt, den Vorhabenträger durch Bescheid zur erforderlichen Antragstellung für das Planfeststellungsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist aufzufordern.182 Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur abgeschlossenen Bundesfachplanung und der erst noch einzuleitenden Planfeststellung reduziert sich ihr Ermessen kraft Unionsrechts auf Null. c) Weitere Folgen Soweit die Mitgliedstaaten die Trassenkorridore für die VGI in der Unionsliste festlegen oder anschließend über deren Zulassung per Planfeststellung entscheiden, ist zu beachten, dass sie sich in einem vom Unionsrecht determinierten Bereich bewegen. Gem. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh gilt diese Charta für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Unionsrecht. Nach der nicht unumstrittenen183 EuGH-Rechtsprechung finden die Unionsgrundrechte in sämtlichen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen Anwendung.184 Hierfür lässt der EuGH es genügen, wenn der infrage stehende nationale Rechtsakt „in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt“.185 Die Mitgliedstaaten müssen daher bei der Zulassung die Unionsgrundrechte, z. B. Art. 15 ff. GRCh, beachten und ihre Rechtsvorschriften in Einklang mit diesen anwenden. Neben der Union können auch die einzelnen Mitgliedstaaten die Verwirklichung bestimmter VGI finanziell unterstützen, dürfen dabei aber nicht gegen die unionsrechtlichen Beihilfevorschriften verstoßen.186 Ohne hier auf alle Einzelheiten einzugehen, sei insoweit nur auf die Mitteilung der Kommission „Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 – 2020“187 verwiesen. Diese nimmt unter 181

EuGH, DVBl. 2004, 370 (373); NVwZ 2012, 553 (555); NVwZ 2013, 565 (567). S. auch Dietrich / Steinbach (Fn. 30), 492. 183 S. zu deutschen Bedenken an der EuGH-Rechtsprechung H.-J. Rabe, Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten, NJW 2013, 1407 (1408); R. Scholz, Nationale und europäische Grundrechte: Umgekehrte „Solange“-Regel?, DVBl. 2014, 197 (200 f.). 184 EuGH, NVwZ 2013, 561. 185 EuGH, NVwZ 2013, 561. 186 Zum Streit, ob die finanzielle Förderung von erneuerbaren Energien nur aus dem eigenen Mitgliedstaat beihilferechtlich zulässig ist, M. Ludwigs, Die Förderung erneuerbarer Energien im doppelten Zangengriff des Unionsrechts, EuZW 2014, 201 (202); T. Müller, Beihilfe & Grundfreiheiten: Europarechtliche Anforderungen an die EE-Förderung, ZNER 2014, 21 (22 f.); EuGH, BeckRS 2014, 81088. 187 ABl. EU 2014 Nr. C 200, S. 1 ff. 182

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Erwägungsgrund (206) explizit auf VGI i. S. d. TEN-E VO Bezug. Darin bringt die Kommission zum Ausdruck, dass bei derartigen VGI „bei intelligenten Stromnetzen und bei Infrastrukturinvestitionen in Fördergebieten das Marktversagen im Hinblick auf positive externe Effekte und Koordinierungsprobleme derart gelagert ist, dass eine Tariffinanzierung möglicherweise nicht ausreicht und staatliche Beihilfen gewährt werden können“.188 Soweit es sich um derartige Infrastrukturvorhaben handelt und diese ganz oder teilweise von den Vorschriften über den Energiebinnenmarkt ausgenommen sind, wird deren Erforderlichkeit von der Kommission im Einzelfall geprüft.189 IV. Vereinbarkeit mit der unionsrechtlichen Kompetenzordnung Da die TEN-E VO mit ihren verfahrensrechtlichen Vorgaben tief in die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie eingreift,190 wurde schon bald die Frage nach der diesbezüglichen Regelungszuständigkeit der Union aufgeworfen. Mangels Kompetenz-Kompetenz gilt für diese der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 S. 1 EUV).191 Weil die Union bis heute über keine allgemeine Raumplanungskompetenz verfügt,192 ist zu prüfen, ob das Primärrecht für sie einen oder mehrere Kompetenztitel bereithält, die den gesamten Inhalt der fachplanungsrechtlichen Vorschriften der TEN-E VO in der erlassenen Form abdecken. 1. Transeuropäische Netze gem. Art. 170 ff. AEUV Die TEN-E VO wurde ausweislich ihrer Einleitung auf Art. 172 AEUV abgestützt. In der Tat scheint der Titel XVI des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union mit seiner Überschrift „Transeuropäische Netze“ für die Planung und Zulassung derartiger Energieinfrastrukturen auf den ersten Blick gut zu passen.193 Die Bezeichnung „transeuropäisch“ weist auf die besondere Bedeutung einer das gesamte Unionsgebiet abdeckenden Energieinfrastruktur194 einschließlich der Verbindung zu Drittstaaten (s. Art. 171 Abs. 3 AEUV) hin.195 Gem. Art. 170 Abs. 1 AEUV trägt die Union zur Verwirklichung des Binnenmarktes (Art. 26 188

ABl. EU 2014 Nr. C 200, Erwägungsgrund (206). ABl. EU 2014 Nr. C 200, Erwägungsgrund (207). 190 Näher zur Verfahrensautonomie A. Guckelberger / F. Geber, Allgemeines Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht vor seiner unionsrechtlichen Kodifizierung?, Baden-Baden 2013, S. 49 ff.; Rung (Fn. 31), S. 10. 191 S. nur Erbguth / Schubert (Fn. 63), 73; Geber (Fn. 1), S. 73. 192 Eingehend zur fehlenden Raumordnungskompetenz der Union W. Erbguth, Maritime Raumordnung – Entwicklung der internationalen, supranationalen und nationalen Rechtsgrundlagen, DÖV 2011, 373 (376 ff.); Gärditz (Fn. 52), S. 50; Geber (Fn. 1), S. 63. 193 S. auch Geber (Fn. 1), S. 79. 194 S. Frey (Fn. 132), 21 f. 195 S. auch den Erwägungsgrund (13) sowie Art. 2 Nr. 1 TEN-E VO. 189

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AEUV) sowie zur Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts (Art. 174 AEUV) zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Netze im Energieinfrastrukturbereich bei. Ziel der Unionstätigkeit ist insbesondere die „Förderung des Verbunds“ dieser Netze, um u. a. „der Notwendigkeit Rechnung [zu tragen], insulare, eingeschlossene und am Rande gelegene Gebiete mit den zentralen Gebieten der Union zu verbinden“ (Art. 170 Abs. 2 AEUV). Wie man bereits an der Terminologie („Beitrag“ in Art. 170 Abs. 1 AEUV, „Förderung“ in Art. 170 Abs. 2 AEUV) erkennen kann, eröffnet das Primärrecht der Union nur begrenzte Möglichkeiten für eine eigenständige Infrastrukturpolitik.196 Da sich die Union im Bereich der transeuropäischen Netze die Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten teilt (Art. 4 Abs. 2 lit. h AEUV),197 zielt das Primärrecht vor allem auf eine ergänzende und unterstützende Steuerung der mitgliedstaatlichen Politik ab.198 Zur Erreichung der Ziele des Art. 170 AEUV stehen der Union die in Art. 171 AEUV abschließend benannten Instrumente zur Verfügung.199 Neben der Möglichkeit von Aktionen, die sich zur Gewährleistung der Interoperabilität der Netze als notwendig erweisen,200 und der finanziellen Förderung von VGI201 kann die Union eine Reihe von „Leitlinien“ aufstellen, in denen die Ziele, Prioritäten und Grundzüge der im Bereich der transeuropäischen Netze in Betracht gezogenen Aktionen erfasst und die VGI ausgewiesen werden.202 Die Regelungen über die Identifizierung und Finanzierung der VGI lassen sich ohne Weiteres unter Art. 171 Abs. 1 AEUV subsumieren.203 Zum Schutz der Mitgliedstaaten ordnet Art. 172 Abs. 2 AEUV an, dass Leitlinien und VGI, die das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen, seiner Billigung bedürfen. Gegen den Willen eines betroffenen Mitgliedstaats kann also kein VGI ausgewiesen werden.204 Erklären lässt sich dieses Zustimmungserfordernis mit der Rücksichtnahme auf die tief in den nationalen Traditionen verwurzelte mitgliedstaatliche Planungshoheit.205 Die Raumintegration ist angesichts ihres Bezugs zum Staatsgebiet und zur territorialen Souveränität der Staaten eine sensible, ihre Identität tangierende Materie.206 Darüber hinaus trägt das Billigungserfordernis bei der Ener196 Becker / Harms (Fn. 52), 129; Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 28; Erbguth / Schubert (Fn. 63), 73 f.; Gärditz (Fn. 52), S. 25 f.; Rung (Fn. 31), S. 58 f. 197 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 18; Frey (Fn. 132), 25; Rung (Fn. 31), S. 59. 198 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 28; Dörr (Fn. 10), S. 355; Erbguth / Schubert (Fn. 63), 73 f.; Frey (Fn. 132), 24 f. 199 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 74. 200 Art. 171 Abs. 1 S. 1 Spstr. 2 AEUV. 201 Art. 171 Abs. 1 S. 1 Spstr. 3 AEUV. 202 Art. 171 Abs. 1 S. 1 Spstr. 1 AEUV. 203 Wie hier Erbguth / Schubert (Fn. 63), 74; zum konkreten Vorhabenbezug auch Gärditz (Fn. 52), S. 25. 204 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 153; näher zu diesem Zustimmungserfordernis Rung (Fn. 31), S. 70 ff. 205 Gärditz (Fn. 52), S. 26; Giesberts / Tiedge (Fn. 54), 177; Rung (Fn. 31), S. 70 f. 206 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 153; Gärditz (Fn. 52), S. 49 f.

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gieinfrastruktur zur Verhinderung von Übergriffen über das Netzdesign in die nationale Festlegung des Energiemix (s. Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV) bei.207 Angesichts der Bedeutung des Energienetzes für die (nationale) Energieversorgungssicherheit wollen neuere Stimmen im Schrifttum darin weniger ein Blockadeinstrument erblicken als vielmehr ein Mittel zur Sicherung des Einflusses der Mitgliedstaaten bei der unionalen Fachplanung sowie zur konsensualen Behebung von Schwachstellen im transeuropäischen Energienetz.208 Die Leitlinien und die übrigen in Art. 171 Abs. 1 AEUV genannten Maßnahmen werden vom Europäischen Parlament und vom Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschlossen, Art. 172 S. 1 AEUV. Über das in Art. 172 S. 2 AEUV vorgesehene Billigungserfordernis für betroffene Mitgliedstaaten wird die Mehrheitsentscheidung im Rat faktisch modifiziert.209 Durch die vorherige Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen wird der wirtschaftlichen und finanziellen Bedeutung der VGI einschließlich der Betroffenheit bestimmter Regionen Rechnung getragen.210 Zugleich wird zur regionalen und gesellschaftlichen Rückkoppelung beigetragen.211 Unter anderem aus dem Erlass der Leitlinien im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, aber auch dem Zustimmungserfordernis des betroffenen Mitgliedstaats folgt ihre Rechtsverbindlichkeit.212 Auch wenn „Leitlinien“ der Begrifflichkeit nach nur eine Art Orientierungsrahmen bieten sollen213 und diese nicht in Art. 288 AEUV genannt werden, handelt es sich bei ihnen richtigerweise um keine Rechtsform sui generis.214 Durch den Verweis auf das ordentliche Gesetzgebungsverfahren wird vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass diese in den Formen des Art. 288 AEUVals Verordnung oder Richtlinie ergehen können.215 Je nach Inhalt müssen sich die Unionsorgane für die Leitlinien also der für die Zielerreichung passenden Rechtsform bedienen.216 So kann die in den „Leitlinien“ vorzunehmende Ausweisung der VGI durchaus einen sehr konkreten Inhalt haben.

207

Zu Letzterem Geber (Fn. 1), S. 70; zu den Beharrungsinteressen der Mitgliedstaaten aus Gründen einer souveränen Energiepolitik auch Pielow (Fn. 2), § 22 Rn. 17. 208 Rung (Fn. 31), S. 71. 209 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 153. 210 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 150. 211 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 150. 212 S. Armbrecht, Infrastrukturplanung auf europäischer Ebene – Entwurf einer Verordnung zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur, DVBl. 2013, 479 (483); Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 157; Gärditz (Fn. 52), S. 26; Heselhaus (Fn. 29), 145; Strobel (Fn. 70), 181. 213 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 142; Erbguth / Schubert (Fn. 63), 74; s. auch Becker / Harms (Fn. 52), 129 (Rahmenvorgabe). 214 So aber Gärditz (Fn. 52), S. 26; Rung (Fn. 31), S. 71; Strobel (Fn. 70), 186. 215 Wie hier Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 144; s. auch Geber (Fn. 1), S. 72; Nettesheim (Fn. 2), S. 98 f. 216 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 144.

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Mit dem jetzigen Übergang zur Form der Verordnung für die Leitlinien möchte man diesen eine größere Verbindlichkeit verleihen und die rechtzeitige Umsetzung der transeuropäischen Netze bis 2020 forcieren.217 Jedenfalls hinsichtlich der ersten beiden Kapitel der TEN-E VO ist die vom Unionsgesetzgeber gewählte Handlungsform nicht zu beanstanden. Denn die dortigen TEN-E Vorschriften betreffen die Ausweisung der VGI auf unionaler Ebene. Das dafür maßgebliche Prozedere bedarf unmittelbar verbindlicher (Verhaltens-)Vorgaben für diverse Akteure.218 Demgegenüber werden Zweifel an der Wahl der Verordnungsform für die Anforderungen an die mitgliedstaatlichen Genehmigungsverfahren angemeldet.219 Hier scheint sich auf den ersten Blick eine EU-Richtlinie eher anzubieten, weil diese für die Mitgliedstaaten nur hinsichtlich des Ziels verbindlich ist, aber noch der innerstaatlichen Umsetzung bedarf (Art. 288 Abs. 3 AEUV).220 Zutreffend setzt sich aber vermehrt die Erkenntnis durch, dass es keinen generellen Vorrang der Richtlinien im Verhältnis zu Verordnungen gibt. Denn es macht in der Sache keinen wesentlichen Unterschied, ob an einen Mitgliedstaat eine auf einer Maximalharmonisierung beruhende Richtlinie oder z. B. eine hinkende Verordnung mit Auswahlmöglichkeiten oder dem Erlass konkretisierender Durchführungsvorschriften adressiert wird.221 Abgesehen von der Ausweisung der VGI müssen sich die Leitlinien auf eine Vorgabe von Zielen, Prioritäten und Grundzügen im Bereich der transeuropäischen Netze beschränken. Auch wenn man die Festlegung des Vorrangstatus für die VGI noch unter die Prioritäten fassen kann, gehen die detaillierten Vorschriften über die One-Stop-Behörde und die Auswahl eines bestimmten Verfahrensschemas, die Öffentlichkeitsbeteiligung und die an eine bestimmte Struktur des Genehmigungsverfahrens anknüpfenden Fristen über bloße „Grundzüge“ oder auch als Orientierungsvorgaben dienende „Leitlinien“ hinaus.222 Angesichts der erheblichen Einwirkungen der TEN-E VO auf das nationale Planungsrecht kann mit den Worten von Erbguth/Schubert „von einem bloßen ,Beitrag‘ der Union i.S.e. Orientierungsrahmens mit lediglich planungsleitender Wirkung keine Rede mehr sein“.223 Da sich die Art. 170 ff. AEUV somit nur für einen Teil der Regelungen der TEN-E VO als

217

184. 218

KOM(2011) 658 endg., S. 9; Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 145; Strobel (Fn. 70),

I. E. Heselhaus (Fn. 29), 145; s. auch Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 145. Centrum für Europäische Politik (CEP), CEP-Analyse Nr. 05/2012 v. 30. 01. 2012, S. 4, abrufbar unter http://www.cep.eu/fileadmin/user_upload/Kurzanalysen/TEN-E/KA_TEN-E. pdf, zuletzt geprüft am 30. 9. 2014; Armbrecht (Fn. 212), 482 f. 220 Armbrecht (Fn. 212), 483. 221 Geber (Fn. 1), S. 72 f.; s. auch Erbguth / Schubert (Fn. 63), 77; zu den detailgenauen Regelungen in Richtlinien Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 146; ablehnend wegen der mangelnden Vollzugsfähigkeit der Leitlinien Armbrecht (Fn. 212), 483. 222 Armbrecht (Fn. 212), 483; Geber (Fn. 1), S. 82; in diese Richtung auch Nettesheim (Fn. 2), S. 99. 223 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 75; i. E. auch Geber (Fn. 1), S. 82. 219

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Rechtsgrundlage eignen, ist zu untersuchen, ob es keine andere oder weitere Kompetenzgrundlage für derartige Rechtsvorschriften gibt. 2. Europäische Energiepolitik Seit dem Vertrag von Lissabon verfügt die Union mit Art. 194 AEUV über einen eigenständigen Kompetenztitel für ihre Energiepolitik,224 zu deren Zielen gemäß Absatz 1 die „Sicherstellung des Funktionierens des Energiemarkts“ (lit. a), die „Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Union“ (lit. b), die Förderung von Energieeffizienz und Energieeinsparungen einschließlich der „Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen“ (lit. c) und schließlich die „Interkonnektion der Energienetze“ (lit. d) gehören. Letztere umfasst angesichts ihrer Bedeutung für die Energieversorgungssicherheit sowie das Funktionieren des Energie(binnen)markts auch die Herstellung von Verbindungen zwischen im Unionsgebiet gelegenen Energieinfrastrukturen mit solchen aus Drittländern.225 Während sich die in Art. 171 Abs. 1 S. 1 Spstr. 2 AEUV erwähnte „Interoperabilität der Netze“ auf die Schaffung der technischen Voraussetzungen für ein störungsfreies Ineinandergreifen der Netze bezieht,226 ist der in Art. 194 Abs. 1 lit. d AEUV verwendete Begriff der „Interkonnektion“ der Netze weiter und verleiht der Union die Kompetenz für die u. a. auch ökonomische Zusammenschaltung der Energienetze.227 Art. 194 Abs. 1 AEUV ist einerseits gegenüber Art. 170 ff. AEUV enger, als er sich auf den Energiesektor beschränkt.228 Mit den Worten der Unionsgerichte „ist […] Art. 194 AEUV eine allgemeine Vorschrift nur für den Energiebereich und weist somit eine sektorspezifische Zuständigkeit zu“.229 Anderseits ist diese Norm weit konzipiert: Sie gilt für alle Formen von Energie230 und alle deren Wertschöpfungsstufen unter Einschluss des Transports.231 Nach Art. 194 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV können das Parlament und der Rat unbeschadet der Anwendung anderer Bestimmungen der Verträge ebenfalls im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen zur Erreichung der Ziele des Art. 194 Abs. 1 AEUV erlassen, wobei ebenfalls zuvor der Wirtschafts- und Sozialausschuss 224

Kahl (Fn. 6), 605 f. Guckelberger (Fn. 25), Manuskript S. 13 i. E.; Schulenberg (Fn. 25), S. 388 ff. unter zusätzlichem Rekurs auf die Historie. 226 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 24; Geber (Fn. 1), S. 77 f.; H. D. Jarass, Europäisierung des Planungsrechts, DVBl. 2000, 945 (949). 227 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 24; Geber (Fn. 1), S. 78, 80; M. Ludwigs, Energierecht, in: Europäisches Sektorales Wirtschaftsrecht, EnzEuR, Bd. 5, Baden-Baden u. a. 2013, § 5 Rn. 64; s. auch Heselhaus (Fn. 29), 144. 228 Art. 170 Abs. 1 AEUV bezieht sich demgegenüber auf Infrastrukturen aus drei Bereichen; s. auch Woltering (Fn. 1), S. 249. 229 EuGH, BeckRS 2013, 80493 Rn. 17; EuG, Urt. v. 7. 3. 2013 – T-370/11, Rn. 17. 230 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 75. 231 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 75; Geber (Fn. 1), S. 76. 225

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sowie der Ausschuss der Regionen anzuhören sind. Da die Interkonnektion der Netze für die Erreichung der anderen in Art. 194 Abs. 1 AEUV genannten Ziele zentral232 und im Unterschied zu Art. 170 ff. AEUV nicht auf das Leisten eines Beitrags beschränkt ist, eröffnet Art. 194 AEUV der Union die Möglichkeit, den Mitgliedstaaten konkrete Vorgaben zur Ausgestaltung ihrer Genehmigungsverfahren zu machen.233 Dies folgt aus der allgemeinen Regel, wonach die Sachkompetenz die Planungskompetenz einschließt.234 Hierfür spricht neben einem Blick auf die Entstehungsgeschichte des Art. 194 AEUV die teleologische Erwägung, dass der Union ohne eine Planungskompetenz für das Energienetz ein wesentlicher Baustein ihrer Energiekompetenz fehlen würde.235 3. Konsequenzen für die kompetenzrechtliche Beurteilung Da nach den vorausgehenden Ausführungen die Union sowohl über eine Kompetenz für die Ausweisung von transeuropäischen Energienetzvorhaben von gemeinsamem Interesse nach den Art. 170 ff. AEUVals auch für die Planung der Interkonnektion der Netze nach Art. 194 Abs. 1 S. 1 lit. d, Abs. 2 AEUV verfügt, ist das Verhältnis dieser beiden Kompetenztitel zueinander zu klären. Weil Art. 194 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV nur „[u]nbeschadet der Anwendung anderer Bestimmungen der Verträge“ zur Anwendung kommt, scheint auf den ersten Blick der Titel XVI des AEUV über die transeuropäischen Netze spezieller zu sein.236 Denn laut dem EuGH wird mit dieser Klausel ganz am Anfang des Art. 194 Abs. 2 AEUV ausgedrückt, dass „speziellere Bestimmungen über Energie im AEU-Vertrag bestehen“,237 womit nach den Ausführungen des Rates Art. 122, 170 AEUV gemeint seien.238 Wie anhand der zuletzt genannten Formulierung deutlich wird, wollte der EuGH damit aber keine eigene Aussage verbinden.239 Da er in seiner Entscheidung trotz Eröffnung des Anwendungsbereichs des Art. 337 AEUV die Kompetenznorm des Art. 194 AEUV für einschlägig hielt, zeigt sich, dass er ihr tendenziell einen weiten Anwendungsbereich verleihen möchte und dem bei der Auslegung der Unbeschadetheitsklausel in Art. 194 Abs. 2

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Erbguth / Schubert (Fn. 63), 75; Geber (Fn. 1), S. 78. So auch Erbguth / Schubert (Fn. 63), 75. 234 Geber (Fn. 1), S. 80; G. Hermes, Energierecht, in: R. Schulze / M. Zuleeg / S. Kadelbach (Hrsg.), Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, Baden-Baden 2010, § 35 Rn. 37; allgemein auch W. Erbguth, Gesamtplanerische Abstimmung zu Wasser – Rechtslage und Rechtsentwicklung, Die Verwaltung 42 (2009), 179 (194); Gärditz (Fn. 52), S. 19 f.; A. Proelß, Völkerrechtliche Grenzen eines maritimen Infrastrukturrechts, EurUP 2009, 2 (6). 235 Geber (Fn. 1), S. 81. 236 So im Ergebnis Heselhaus (Fn. 29), 144 f. 237 EuGH, EurUP 2013, 226 (231), Rn. 67. 238 EuGH, EurUP 2013, 226 (231), Rn. 67. 239 So auch Geber (Fn. 1), S. 76. 233

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UAbs. 1 AEUV Rechnung trägt.240 Weil Art. 194 Abs. 1 S. 1 lit. d AEUV über die Interkonnektion der Netze zeitlich nach den Bestimmungen über die transeuropäischen Netze erlassen wurde und Letztere der Union keine ausreichende Kompetenz für die Regelung der mitgliedstaatlichen Planungsverfahren zur Zusammenschaltung der Netze verleihen, steht vorliegend die Unbeschadetheitsklausel dem Rekurs auf Art. 194 Abs. 1 S. 1 lit. d i.V.m. Abs. 2 AEUV nicht entgegen.241 Während die konkrete Vorhabenplanung für Energienetze Art. 170 ff. AEUV zugeordnet ist, sind allgemeine Regelungen der Union zur Verbesserung der Planungsbedingungen auf Art. 194 AEUV zu stützen.242 Da die TEN-E VO, wie man an ihrer Gliederung gut erkennen kann, unterschiedliche Ziele verfolgt, die einmal eine Stützung auf Art. 170 ff. AEUV und einmal auf Art. 194 AEUV nahe legen, stellt sich die interessante Folgefrage, ob unter derartigen Bedingungen nicht doch die Angabe eines einzigen Kompetenztitels – vorliegend des Art. 172 AEUV – ausreichen könnte. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung ist die Rechtsgrundlage für einen Unionsrechtsakt aufgrund objektiver und gerichtlich nachprüfbarer, das Ziel und den Inhalt des Rechtsakts umfassender Umstände zu bestimmen.243 Eine zwei Zielsetzungen oder zwei Komponenten umfassende Maßnahme ist dabei in Konstellationen, in denen eine Komponente oder Zielsetzung vorherrscht, grundsätzlich ausschließlich auf die dafür maßgebliche Rechtsgrundlage zu stützen.244 Hat eine Maßnahme dagegen mehrere gleichrangige Zielsetzungen oder Komponenten, „die untrennbar miteinander verbunden sind, ohne dass die eine gegenüber der anderen von untergeordneter Bedeutung ist“,245 sind dafür ausnahmsweise beide Kompetenznormen anzugeben.246 Eine derartige Stützung des jeweiligen Rechtsakts auf doppelte Rechtsgrundlagen ist nur dann nicht möglich, wenn ihre Verfahren inkompatibel sind.247 Erbguth / Schubert stellen sich richtigerweise auf den Standpunkt, dass es bei der aktuellen TEN-E VO mit ihren Regelungen über die VGI und den genehmigungsrechtlichen Vorschriften keine hauptsächliche Komponente gibt, diese vielmehr als „ebenbürtig anzusehen“ sind.248 Infolge der gleichen Verfahrensweisen nach Art. 172 S. 1 AEUV und Art. 194 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV 240 So auch Geber (Fn. 1), S. 77. Dazu, dass Art. 194 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV nicht i.S.e. formellen Subsidiarität zu verstehen ist, Ludwigs (Fn. 227), § 5 Rn. 77. 241 Geber (Fn. 1), S. 81; in diese Richtung auch Ludwigs (Fn. 227), § 5 Rn. 79. 242 Calliess / Lippert (Fn. 3), § 2 Rn. 24. Nach Woltering (Fn. 1), S. 249 sind Maßnahmen zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Netze im (Energie-)Infrastrukturbereich jenseits der Interkonnektion der Energienetze weiterhin auf die sachnäheren Art. 170 ff. AEUV zu stützen. 243 EuGH, EurUP 2013, 226 (228), Rn. 44. 244 EuGH, EurUP 2013, 226 (228), Rn. 45. 245 EuGH, EurUP 2013, 226 (228), Rn. 46. 246 EuGH, EurUP 2013, 226 (228), Rn. 46. 247 EuGH, EurUP 2013, 226 (228 f.), Rn. 47; zum Streit über eine doppelte Abstützung der Richtlinie zur Förderung erneuerbarer Energien D. Granas, Die primärrechtlichen Grundlagen für die Förderung von Erneuerbaren Energien im Europarecht, EuR 2013, 619 ff. 248 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 76.

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hätte die TEN-E VO deshalb auf beide Rechtsgrundlagen abgestützt werden müssen.249 Zwar weichen die beiden Kompetenzgrundlagen insoweit voneinander ab, als die Ausweisung eines VGI nach Art. 172 S. 2 AEUV stets der Billigung des Mitgliedstaats bedarf, dessen Hoheitsgebiet betroffen ist.250 Allerdings ergibt ein Blick allein auf die nach Art. 170 ff. AEUV möglichen TEN-E Regelungen, dass sich das Genehmigungserfordernis nur auf einen Teil von diesen bezieht und sie trotzdem in einem gemeinsamen Rechtsakt verabschiedet werden können. Sofern die Zustimmung des betroffenen Mitgliedstaats für ein auszuweisendes VGI vorliegt, lassen sich die beiden Verfahrensweisen ohne Weiteres in Einklang bringen. Fehlt es an der Billigung, beschränkt sich die fehlende Zustimmung allein auf das jeweilige VGI, während andere VGI, von denen der jeweilige Mitgliedstaat nicht betroffen ist, durchaus beschlossen werden können. Auch wenn das Zustimmungserfordernis bei der Norm über die Beschlussfassung verortet ist, liegt es tendenziell näher, darin eine materielle Voraussetzung für die Ausweisung der einzelnen VGI zu sehen. Dieses Ergebnis ist insoweit „unschön“, als die falsche kompetenzrechtliche Fundierung zur teilweisen Ungültigkeit dieses Sekundärrechtsakts führt.251 Damit gehen zugleich Negativeffekte für die Rechtssicherheit in diesem Bereich und die Verwirklichung der Ziele der neuen TEN-E VO einher. Ein Blick auf die transeuropäischen Netze ergibt jedoch, dass der Vorgängerin der Union hier schon früher Fehler bei der Bestimmung der einschlägigen Rechtsgrundlage unterlaufen sind. In diesen Fällen sah sich jedoch der EuGH dazu veranlasst, bestimmte Wirkungen des für nichtig erklärten Beschlusses aufrechtzuerhalten, weil sich aus den von der Kommission vorgelegten Informationen ergeben würde, dass dies zur Verhinderung einer Unterbrechung der angelaufenen Aktionen sowie aus gewichtigen Gründen der Rechtssicherheit notwendig sei.252 Art. 264 Abs. 2 AEUV erlaubt es dem Gerichtshof, trotz Nichtigkeit einer Handlung bestimmte Wirkungen zu bezeichnen, die als fortgeltend zu betrachten sind.253 Im Übrigen sollte der hier ausgemachte Mangel durch den Neuerlass der Verordnung unter Benennung der zutreffenden Kompetenznormen baldmöglichst behoben werden.254 4. Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes Darüber hinaus hat die Union bei Ausübung ihrer Zuständigkeiten den Subsidiaritätsgrundsatz zu beachten (Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 EUV i.V.m. dem Protokoll 249

Erbguth / Schubert (Fn. 63), 76. Für eine Inkompatibilität der Verfahrensvorschriften Geber (Fn. 1), S. 77; J. Gundel, Die energiepolitischen Kompetenzen der EU nach dem Vertrag von Lissabon: Bedeutung und Reichweite des neuen Art. 194 AEUV, EWS 2011, 25 (30). 251 Dazu Geber (Fn. 1), S. 73, 83; s. auch EuGH, EurUP 2013, 226 (232), Rn. 87. 252 EuGH, Urt. v. 26. 3. 1996 – C-271/94 –, Slg. 1996 I-1705 (1718 f.), Rn. 39 f.; Urt. v. 28. 5. 1998 – C-22/96 –, Slg. 1998 I-3242 (3254), Rn. 41 f. 253 S. auch Geber (Fn. 1), S. 83; sowie EuGH, EurUP 2013, 226 (232), Rn. 89. 254 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 76. 250

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über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit). In dem hier vorliegenden Energiebereich, in dem die Union nur über eine geteilte Zuständigkeit verfügt (s. Art. 4 Abs. 2 lit. h, i AEUV) darf die Union lediglich tätig werden, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern diese besser auf der Unionsebene zu verwirklichen sind.255 In ihrem Vorschlag wies die Kommission zutreffend darauf hin, dass Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten bei der transeuropäischen Energieinfrastruktur angesichts ihres grenzüberschreitenden Charakters bzw. ihrer zumindest grenzübergreifenden Auswirkungen unzulänglich sind, zumal die nationalen Stellen nicht dafür zuständig seien, sich mit den Infrastrukturen als Ganzes zu befassen.256 Auch die auf das nationale Genehmigungsregime bezogenen Vorgaben der TEN-E VO entsprechen dem Subsidiaritätsprinzip, da die Genehmigungsverfahren mit der Unionsplanung eng verwoben sind. An den Grenzen der jeweiligen Zulassungsverfahren entstehende Probleme, z. B. durch unterschiedliche Genehmigungszeitpunkte, lassen sich besser durch einheitliche unionsrechtliche Vorgaben als durch das Nebeneinander verschiedener mitgliedstaatlicher Verfahrensvorschriften vermeiden.257 Ausweislich des Erwägungsgrunds (32) Satz 1 TEN-E VO wurde bei der Straffung und Verbesserung der Genehmigungsverfahren auf die nationalen Zuständigkeiten und Verfahren im Zusammenhang mit dem Bau der Infrastrukturen soweit wie möglich Rücksicht genommen, „um dem Subsidiaritätsprinzip gebührend Rechnung zu tragen“. 5. Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Eine weitere Kompetenzausübungsschranke bildet der in Art. 5 Abs. 4 EUV enthaltene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Nach diesem dürfen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Zielerreichung erforderliche Maß hinausgehen. In dieser Hinsicht gesteht der EuGH der Union regelmäßig einen weiten Gestaltungsspielraum zu und beanstandet nur offensichtlich unverhältnismäßige Maßnahmen.258 Zutreffend wird darauf aufmerksam gemacht, dass es für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Rechtsakts weniger auf die gewählte Handlungsform als auf seine Regelungsdichte ankommt.259 Entscheidend ist vielmehr, ob dem jeweiligen Mitgliedstaat trotz unionseinheitlicher Verordnungsvorgaben noch ausreichend Freiräume verbleiben,260 d. h. ob ein schonender Ausgleich zwischen dem Interesse an der transeuropäischen Energieinfrastruktur und dem Interes255

Näher zur vorzunehmenden Prüfung Rung (Fn. 31), S. 14 f. KOM(2011) 658 endg., S. 9. 257 Geber (Fn. 1), S. 84. 258 EuGH, Urt. v. 12. 11. 1996 – C-84/94 –, Slg. 1996 I-5793 (5811), Rn. 58; Geber (Fn. 1), S. 84. 259 Geber (Fn. 1), S. 84; s. auch Erbguth / Schubert (Fn. 63), 77. 260 Geber (Fn. 1), S. 84 f.; s. auch Erbguth / Schubert (Fn. 63), 77 f. 256

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se der Mitgliedstaaten an der Bewahrung ihrer Verfahrensautonomie herbeigeführt wurde.261 Die genehmigungsrechtlichen Vorschriften der TEN-E VO sollen eine schnellere Realisierung der VGI ermöglichen.262 Dabei handelt es sich angesichts der Herausforderungen in der Energiepolitik um ein wichtiges Ziel. Mit den detaillierten Vorgaben über die Genehmigungsverfahren wird zwar auf die mitgliedstaatlichen Zulassungsverfahren eingewirkt. Nichtsdestotrotz belassen sie den Mitgliedstaaten noch ausreichend Spielräume. So wird bei dem „national höchstmöglichen Status“ für die VGI ebenso wie bei ihrer verfahrensrechtlichen Behandlung in Art. 7 Abs. 3 TEN-E VO auf die Rechtslage in den Mitgliedstaaten Rücksicht genommen.263 Die Mitgliedstaaten entscheiden über die Benennung der nationalen Ansprechbehörde und können zwischen drei verschiedenen Verfahrensschemata auswählen (Art. 8 TEN-E VO).264 Trotz Vorgabe von Entscheidungsfristen und der Unterteilung des nationalen Zulassungsverfahrens in einen Vorantrags- und einen formalen Genehmigungsabschnitt bleibt es ihnen überlassen, wie sie diese ausfüllen wollen.265 Wie gesehen obliegt es der mitgliedstaatlichen Entscheidung, ob sie die Festlegung der Trassenkorridore für die VGI in das konkrete Zulassungsverfahren integrieren oder hierfür eine vorgelagerte Planungsstufe vorsehen wollen. Eine Gesamtschau der unionsrechtlichen Vorgaben ergibt nach all dem, dass sich der Unionsgesetzgeber noch innerhalb seines Gestaltungsspielraums bei der Verhältnismäßigkeit gehalten hat.266 V. Fazit Die TEN-E VO hat den Grundstein für eine dauerhafte Verbundverwaltung zwischen den nationalen Behörden untereinander und der Unionsebene gelegt. Institutionell schlägt sich dieser Verbund in den regionalen Gruppen zur Vorbereitung des Vorschlags für die in die Unionsliste aufzunehmenden VGI nieder. Die Steuerungsvorgaben der TEN-E VO über die Erteilung von Genehmigungen und Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Zulassung dieser Vorhaben modifizieren das nationale Planungsrecht. Indem die nationale One-Stop-Behörde die regionale Gruppe und die Kommission über Verzögerungen bei Zulassungsverfahren der einzelnen VGI in Kenntnis zu setzen hat (Art. 10 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 TEN-E VO), kommt es auch nach Beendigung der unionalen Fachplanung zu einer informationellen Rückkoppelung mit der Unionsebene und anderen Mitgliedstaaten. Bei erheblichen Durchführungsschwierigkeiten kann die Kommission im Einvernehmen mit den betroffenen Mitgliedstaaten einen europäischen Koordinator benennen (Art. 6 Abs. 1 TEN-E 261

Geber (Fn. 1), S. 85; s. auch Erbguth / Schubert (Fn. 63), 78. KOM(2011) 658 endg., S. 9. 263 S. auch Erbguth / Schubert (Fn. 63), 77. 264 So auch Geber (Fn. 1), S. 85; s. auch Erbguth / Schubert (Fn. 63), 78. 265 Ähnlich Geber (Fn. 1), S. 85. 266 So auch Erbguth / Schubert (Fn. 63), 78; Geber (Fn. 1), S. 85.

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VO), der diese u. a. prozedural unterstützen soll.267 Wie es für die europäische Verbundverwaltung charakteristisch ist, enthält die TEN-E VO Elemente der informellen, prozeduralen und institutionellen Kooperation. Wegen Zweifeln an der Fähigkeit der Mitgliedstaaten zur Herstellung ausreichender Verbindungen zwischen ihren Energieinfrastrukturen im Wege der Selbstkoordinierung sah sich der Unionsgesetzgeber nunmehr veranlasst, durch Vorgaben mit größerer rechtlicher Durchschlagskraft die Schaffung transeuropäischer Energienetze voranzutreiben. So lobenswert diese Zielsetzung auf der einen Seite ist, so bedauerlich ist die nicht kompetenzgerechte Verortung der TEN-E VO. Da eine Verwirklichung der transeuropäischen Energieinfrastruktur nur zusammen mit den jeweiligen Mitgliedstaaten gelingen kann,268 muss die Union auf deren Interessen, insbesondere die dort anzutreffenden Planungsregime mit ihren unterschiedlichen Traditionen, Bedacht nehmen. Den Mitgliedstaaten müssen im Planungssektor der Energieinfrastruktur noch ausreichend eigene Zuständigkeiten mit dem nötigen Gewicht verbleiben.269 Indem eine Reihe von Vorgaben der TEN-E VO aufgrund ihrer unmittelbaren Geltung als Verordnung direkt neben bzw. vor die nationalen Planungsrechtsvorschriften tritt, verkompliziert sich die Rechtslage bei der Planung und Zulassung derartiger Energieleitungen. Die nationale Rechtslage ist schon deshalb nicht einfach zu erschließen, weil je nach VGI unterschiedliche Zulassungsregime gelten.270 Um die mit den transeuropäischen Netzen ebenso wie die mit der Energiewende verfolgten Ziele schnell und gut zu erreichen, sollte sich deshalb der deutsche Normgeber um eine möglichst einfache, übersichtliche und widerspruchsfreie Ausgestaltung der nationalen Rechtsvorschriften bemühen.271 Erbguth/Schubert haben völlig zu Recht auf den sich weniger aus der Warte des Unions-, sondern des nationalen Rechts ergebenden Reformbedarf aufgrund des „Wildwuchs[es], der das deutsche Infrastrukturrecht im Allgemeinen und dasjenige im Energiesektor im Besonderen zunehmend seiner Konsistenz beraubt“,272 erinnert.

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S. Art. 6 Abs. 2 lit. b TEN-E VO. S. auch Kadelbach (Fn. 62), S. 911 f. 269 S. auch Kadelbach (Fn. 62), S. 910. 270 Kment (Fn. 41), 82; Kupfer (Fn. 32), 124. 271 So in Bezug auf die Implementierung des Unionsrechts Kupfer (Fn. 32), 124. 272 Erbguth / Schubert (Fn. 63), 84. 268

Energie-Infrastrukturrecht zwischen Raumordnung und Fachplanung – das Beispiel der Bundesfachplanung ,Trassenkorridore‘* Von Hans-Joachim Koch, Hamburg I. Aufgabe und Rechtsnatur der Bundesfachplanung ,Trassenkorridore‘ gemäß §§ 4 ff. NABEG 1. Die Neuordnung des Planungsgefüges für Höchstspannungsleitungen Mit der Gesetzgebung zur Energiewende von Juni/Juli 2011 hat der Gesetzgeber u. a. das Planungsrecht für Stromübertragungsnetze gravierend umgestaltet: Erstmals ist im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)1 eine staatlich organisierte und letztlich durch Bundesgesetz zu verantwortende Bedarfsplanung für Elektrizitätsnetze normiert worden (§§ 12a bis 12e EnWG). Auf der Grundlage eines ,Szenariorahmens‘ (§ 12a EnWG) und eines darauf gestützten nationalen Netzentwicklungsplanes (§ 12b EnWG), die beide unter der ,Aufsicht‘ der BNetzA (vgl. §§ 12a Abs. 2 und 3, 12c EnWG) von den Netzbetreibern zu entwickeln sind, hat die BNetzA einen Bundesbedarfsplan (§ 12e Abs. 1 EnWG) zu entwickeln, der schließlich vom Bundesgesetzgeber zu verabschieden ist. Dadurch werden für die darin enthaltenen Vorhaben die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und ein vordringlicher Bedarf gesetzlich festgestellt. Im Bedarfsplan sind u. a. die länderübergreifenden und die grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen besonders zu kennzeichnen. Für diese derart gekennzeichneten Höchstspannungsleitungen führt das Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) vom 28. 07. 20112 ein neues Planungsinstrument ein, nämlich die sog. Bundesfachplanung, deren Zweck es ist, die erforderlichen Trassen* Der nachfolgende Text beruht im Wesentlichen auf meinem Beitrag zu dem mit Förderung und im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erstellten Forschungsbericht „Umweltbelange und raumbezogene Erfordernisse bei der Planung des Ausbaus des Höchstspannungsübertragungsnetzes“, der in der Reihe „Climate Change“ (11/2014 und 12/2014) des Umweltbundesamtes veröffentlicht worden ist: http:// www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/climate_change_11_ 2014_komplett_neu.pdf (S. 1 – 24). 1 In der Fassung des EnWG ÄndGes vom 26. 07. 2011, BGBl. I, S. 1554. 2 BGBl. I, S. 1690; Inkraftgetreten am 05. 08. 2011.

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korridore verbindlich für die nachfolgenden Planfeststellungsverfahren festzulegen (s. § 4 NABEG). Das Planfeststellungsverfahren ist grundsätzlich im EnWG (§§ 43 ff) geregelt. Jedoch trifft das NABEG auch davon abweichende und ergänzende Bestimmungen (§§ 18 ff). Das Planfeststellungsverfahren ist von den Ländern durchzuführen, es sei denn, eine Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats gem. § 2 Abs. 2 NABEG weist die Aufgabe der BNetzA zu. Dies ist inzwischen mit der Planfeststellungszuweisungsverordnung geschehen. Insgesamt ist damit eine dreistufige Planung der Höchstspannungsleitungen kodifiziert worden. In der Trias von Bundesbedarfsplanung, Bundesfachplanung und Landes- oder Bundesplanfeststellung fehlt auf den ersten Blick die in der Stromtrassenplanung seit langem bedeutsame Raumordnung der Länder, insbesondere das Raumordnungsverfahren gem. § 15 Abs. 1 Raumordnungsgesetz (ROG)3 i. V. m. § 1 S. 1, S. 3 Nr. 14 RoV, das bei der Errichtung von Hochspannungsfreileitungen mit einer Netzspannung von 110 kV oder mehr durchgeführt werden soll, wobei gem. § 16 Abs. 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)4 i. V. m. Anlage 1 Nr. 19.1 eine Umweltverträglichkeitsprüfung bei Freileitungen von mehr als 15 km Länge und einer Netzspannung von 220 kVoder mehr durchgeführt werden muss. § 28 NABEG ordnet demgegenüber ausdrücklich an, dass „abweichend von § 15 Abs. 1 ROG i. V. m. § 1 S. 2 Nr. 14 der RoV (…) ein Raumordnungsverfahren für die Errichtung oder die Änderung von Höchstspannungsleitungen, für die im Bundesnetzplan Trassenkorridore oder Trassen ausgewiesen sind“, nicht stattfindet. Die raumordnerischen Planungserfordernisse, die für die Planung von Trassenkorridoren, die nicht dem NABEG unterfallen, auch weiterhin maßgeblich sind, können auch dem intensiven Wunsch nach Beschleunigung mit Hilfe einer Bundesfachplanung nicht „geopfert“ werden. Demgemäß bestimmt auch § 5 NABEG den Inhalt der ,Bundesfachplanung‘ – sachlich nicht überraschend – im Wesentlichen als Raumordnungsverfahren mit strategischer Umweltprüfung.5 Die Bundesfachplanung soll das entfallende Raumordnungsverfahren der Länder im Grunde materiell substituieren und die Erfordernisse der Raumordnung in der Konkretisierung durch die Landes- und Regionalplanung des jeweils betroffenen Bundeslandes angemessen berücksichtigen. Die Bundesfachplanung ,Netzkorridore‘ ist damit eine verwaltungswissenschaftlich bemerkenswerte und juristisch ungewöhnliche Kombination aus einem fachplanerischen Auftrag aus energiewirtschaftlicher Perspektive einerseits 3 ROG – Raumordnungsgesetz vom 22. 12. 2008 (BGBl. I, S. 2986), zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes vom 31. 07. 2009 (BGBl. I, S. 2585). 4 UVPG – Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. 02. 2010 (BGBl. I, S. 94), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 25. 07. 2013 (BGBl. I, S. 2749). 5 S. auch die Formulierung in der Gesetzesbegründung: „Die Bundesfachplanung (Raumverträglichkeitsprüfung und strategische Umweltprüfung) …“ (s. BT-Drs. 17/6073, S. 24 r. Sp).

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und einem raumordnerischen Koordinierungsauftrag für überörtliche Nutzungskonflikte aus übergeordneter, sozusagen ,neutraler‘ Perspektive andererseits. Diese von der BNetzA zu bewältigende Spannungslage wird in der nur scheinbar ,begriffsjuristischen‘ Diskussion über die Einordnung der neuen ,Bundesfachplanung‘ zwischen Fachplanung und Raumordnung intensiv kontrovers diskutiert. Das wird im Folgenden knapp dargestellt. 2. Die gesetzlichen Aufgaben der Bundesfachplanung ,Netzkorridore‘ (§ 5 NABEG) Das gesetzliche Prüfprogramm der Bundesfachplanung lässt keinen Zweifel daran, dass der Raumordnung der Länder eine zentrale Bedeutung in diesem Planungsverfahren zukommt. Grundlegend für das Prüfprogramm ist zwar zunächst die fachplanerische Zielbestimmung dieses Verwaltungsverfahrens: „Die Bundesnetzagentur bestimmt in der Bundesfachplanung zur Erfüllung der in § 1 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes genannten Zwecke Trassenkorridore von im Bundesbedarfsplan aufgeführten Höchstspannungsleitungen“ (§ 5 Abs. 1 S. 1 NABEG). Dafür hat die Bundesnetzagentur zu prüfen, „ob der Verwirklichung des Vorhabens in einem Trassenkorridor überwiegende öffentliche oder private Belange entgegenstehen“ (§ 5 Abs. 1 S. 3). Damit werden eine sachgerechte Ermittlung der betroffenen Belange und eine gerechte Abwägung gefordert. Dies wird sodann wie folgt ergänzt: „Sie prüft insbesondere die Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung (…), und die Abstimmung mit anderen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 6 des Raumordnungsgesetzes“ (§ 5 Abs. 1 S. 3 NABEG). Das gibt fast wörtlich die Aufgabenstellung des Raumordnungsverfahrens in § 15 Abs. 1 S. 2 ROG wieder. Die BNetzA hat auch „etwaige ernsthaft in Betracht kommende Alternativen von Trassenkorridoren“ zu prüfen (§ 5 Abs. 1 S. 5 NABEG). Das unterscheidet sich von den Raumordnungsverfahren gemäß § 15 Abs. 1 ROG insofern, als diese nur die Prüfung weiterer, vom Träger der Planung eingeführter Standort- oder Trassenalternativen umfasst (§ 15 Abs. 1 S. 3 ROG). Die Verpflichtung der BNetzA zur Alternativenprüfung ist dem – fachplanerischen – Auftrag geschuldet, nach Möglichkeit eine geeignete Trasse zu finden, während das Raumordnungsverfahren auch mit einer negativen raumordnerischen Stellungnahme zu der zur Prüfung gestellten Trasse enden darf. Die erweiterte Alternativenprüfung in der Bundesfachplanung ändert aber nichts am inhaltlichen Charakter auch dieser Prüfungen als Raumordnungsprüfungen. § 5 Abs. 2 NABEG verpflichtet die BNetzA außerdem zur Durchführung einer strategischen Umweltprüfung.

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3. Die Trassenplanung zwischen Fachplanung und Raumordnung In der juristischen Diskussion wird überwiegend die erhebliche Bedeutung der raumordnerischen Belange der betreffenden Bundesländer für die Bundesfachplanung anerkannt. Am weitesten geht insoweit wohl Erbguth, der insgesamt zu dem Ergebnis kommt, dass unter dem Namen ’Bundesfachplanung’ in Wahrheit Raumordnung betrieben werde. Er weist nicht nur auf das Prüfprogramm des § 5 NABEG und die erheblichen Übereinstimmungen dieser Anforderungen mit dem Prüfauftrag in § 15 Abs. 1 ROG hin, sondern auch auf korrespondierende Vorschriften zur Antragskonferenz (§ 7 Abs. 1 S. 2 NABEG) und zu den vom Antragsteller geforderten Unterlagen (§ 8 S. 1 NABEG) sowie schließlich darauf, dass die Rechtsfolge der Bundesfachplanung in Form der verbindlichen Festlegung eines Trassenkorridors ebenso als landesplanerische Festlegung in einem Raumordnungsplan erfolgen könne und vielfach auch erfolge (s. § 8 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 lit. b ROG und § 3 Abs. 2 Nr. 3 NROG).6 Ähnlich eindeutig äußern sich Moench/Ruttloff, die in der Prüfung der Raum- und Umweltverträglichkeit durch die BNetzA eine „zusammenfassende, übergeordnete Planung und Ordnung des Raums“ (Zitat BVerfGE 3, S. 407, 425) und damit eine Aufgabe der Raumordnung erkennen.7 Ebenso sehen auch Calliess/Dross im NABEG ein „modifiziertes Raumordnungsverfahren“ bzw. „ein Raumordnungsverfahren auf Bundesebene“ normiert.8 Andere Autoren gelangen zu einer eindeutigen Einordnung der Bundesfachplanung als typische Fachplanung. Diese Autoren sehen durchaus raumordnerische ,Bezüge‘ bzw. ,Elemente‘ in der Bundesfachplanung. Für ihre Position einer Einordnung der Bundesfachplanung ,Netzkorridore‘ als energiewirtschaftliche Fachplanung ist der Umstand ausschlaggebend, dass es sich um ein in energiewirtschaftliche Zielsetzungen eingeordnetes Verwaltungsverfahren in einer mehrstufigen Verfahrenskaskade handele. Insoweit – so wird auch betont – sei die Perspektive der BNetzA nicht überfachlich, wie in der Raumordnung geboten, sondern fachlich-sektoral.9 6 W. Erbguth, Energiewende: großräumige Steuerung der Elektrizitätsversorgung zwischen Bund und Ländern, NVwZ 2012, 326 ff; ders., Trassensicherung für Hochspannungsleitungen: Systemgerechtigkeit und Rechtsschutz, DVBl 2012, 325 ff. 7 C. Moench / M. Ruttloff, Netzausbau in Beschleunigung, NVwZ 2011, 1040 (1041). 8 S. C. Calliess / M. Dross, Neue Netze braucht das Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG), JZ 2012, 1002 ff., Fn. 17 und 20. Allerdings kommen die Autoren bei der Erörterung der Gesetzgebungskompetenzen energisch zu der Ansicht, es handele sich bei der Bundesfachplanung um eine energiewirtschaftliche Fachplanung, deren bundesgesetzliche Regulierung demgemäß auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gestützt werden könne (s. 1008 f.). 9 S. insbes. M. Appel, Die Bundesfachplanung nach §§ 4 ff. NABEG – Rechtsnatur, Bindungswirkungen und Rechtsschutz, ER 2012, 3 ff.; ders., Neues Recht für neue Netze – das Regelungsregime zur Beschleunigung des Stromnetzausbaus nach EnWG und NABEG, UPR 2011, 406; ähnlich J. Wagner, Bundesfachplanung für Höchstspannungsleitungen – rechtliche und praktische Belange, DVBl 2011, 1453 (1456) sowie H. Schmitz / P. Jornitz, Regulierung

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Der juristische Meinungsstreit muss hier nicht abschließend entschieden werden. In der juristischen Kontroverse geht es nämlich vorrangig um Fragen der Gesetzgebungskompetenz für die neue Bundesfachplanung sowie um die Verwaltungskompetenz für deren Vollzug. Dafür ist es wichtig, ob die Bundesfachplanung als im Schwerpunkt Fachplanung im Energierechtsbereich auf den Kompetenztitel „Recht der Wirtschaft“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) oder überwiegend als Verfahren der Raumordnung auf den Kompetenztitel „die Raumordnung“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG) mit der Konsequenz gestützt werden müsste, dass die Länder insoweit eine sehr weitreichende Abweichungskompetenz nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 4 GG haben. Im vorliegenden Zusammenhang sollen jedoch die verfassungsrechtlichen Fragen einer Gesetzgebungs- und Exekutivkompetenz des Bundes nicht vertieft, sondern allein die Frage der Rolle der Erfordernisse der Raumordnung in der Bundesfachplanung nach dem NABEG beantwortet werden. Daher genügt hier die Feststellung, dass dem Aufgabenspektrum der Raumordnung eine hohe Bedeutung im Rahmen der Bundesfachplanung ,Netzkorridore‘ zukommt. Im Grunde geht es um eine Substitution von Raumordnungsaufgaben der Länder, namentlich der von ihnen bislang durchgeführten Raumordnungsverfahren für Leitungstrassen. Diese raumordnerischen Aufgaben sind auch weiterhin zu bewältigen, und zwar nunmehr für die Höchstspannungsnetze durch die Bundesnetzagentur. Das fachplanerische Verfahrenselement kommt insbesondere darin zum Tragen, dass im Konfliktfall zwischen den Erfordernissen der Raumordnung einerseits und dem „überragenden öffentlichen Interesse“ an den länder- und den grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen andererseits den fachplanerischen Interessen unter Umständen der Vorzug gegeben werden darf. Dieser Vorrang allerdings ist keineswegs ungewöhnlich, denn in der jeweiligen Fachplanung darf nach geltendem Recht grundsätzlich das Ergebnis des Landesraumordnungsverfahrens, das als gutachtliche Äußerung einzuordnen ist,10 im Rahmen der fachplanerischen Abwägung zurückgestellt werden. Eine wichtige Ausnahme bilden Ziele der Raumordnung, worauf alsbald näher einzugehen ist. II. Die Raumverträglichkeitsprüfung der beabsichtigten Trassenkorridore 1. Die Erfordernisse der Raumordnung (§§ 5 Abs. 1 S. 4 NABEG, 3 Abs. 1 Nr. 1 ROG) Im Rahmen der Raumverträglichkeitsprüfung hat die BNetzA gem. § 5 Abs. 1 S. 4 NABEG die Übereinstimmung „mit den Erfordernissen der Raumordnung“ des deutschen und des europäischen Energienetzes: Der Bundesgesetzgeber setzt Maßstäbe für den kontinentalen Netzausbau, NVwZ 2012, 332 (334) und Calliess / Dross (Fn. 8), 1008 f. 10 Gefestigte Rechtsprechung des BVerwG: NVwZ-RR 1996, 67; überwiegende Meinung in der Literatur: s. nur K. Goppel, in: W. Spannowsky / P. Runkel / K. Goppel, ROG, 1. Aufl. 2010, § 15 Rn. 80 ff.

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zu prüfen. Dazu gehören gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ROG Ziele der Raumordnung, Grundsätze der Raumordnung und sonstige Erfordernisse der Raumordnung. Ziele der Raumordnung sind nach der Legaldefinition in § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG „verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen (§ 7 Abs. 2) textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums“. Nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BVerwG können auch Festlegungen mit Regel-Ausnahme-Struktur11 sowie in Form von Soll-Vorschriften12 den verbindlichen Charakter eines Zieles der Raumordnung haben.13 Wie schon die eingangs referierte Legaldefinition von Zielen der Raumordnung zeigt, handelt es sich dabei um rechtsverbindliche Vorgaben. § 4 Abs. 1 S. 1 ROG bestimmt für die dort genannten Adressatengruppen, nämlich für „öffentliche Stellen“, das Maß der Rechtsverbindlichkeit näher. Danach sind die Ziele der Raumordnung „zu beachten“, die später zu erörternden Grundsätze der Raumordnung „zu berücksichtigen“. Es ist unstreitig, dass die Beachtenspflicht eine strikte Verbindlichkeit der Ziele (entsprechend dem Regelungsgehalt des Zieles), die Berücksichtigungspflicht eine Einstellung der Grundsätze in die gerechte Abwägung des Entscheidungsträgers gebieten. Die Striktheit der Beachtenspflicht wird allgemein durch das sogenannte Zielabweichungsverfahren (§ 6 ROG i. V. m. dem maßgeblichen Landesrecht) und speziell für die „öffentlichen Stellen des Bundes“ durch die ,Widerspruchsverfahren‘ des § 5 ROG abgeschwächt. Diese Vorschriften könnten auch für die BNetzA bei der Planung der ,Trassenkorridore‘ für Höchstspannungsleitungen von erheblicher Relevanz sein. 2. Die Bindungswirkungen von Zielen der Raumordnung und ihre Grenzen a) Raumordnungsrechtliche Ausgangspunkte Eine grundsätzliche Bindung der BNetzA an landesplanerisch festgestellte Ziele der Raumordnung könnte sich aus § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG ergeben. Danach sind – wie soeben ausgeführt – bei „raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen öffentlicher Stellen“ die „Ziele der Raumordnung zu beachten“. Die Planung der Trassenkorridore für Höchstspannungsleitungen ist als „Bundesfachplanung“ (vgl. § 4 NABEG) der BNetzA zugewiesen (vgl. § 5 Abs. 1 S. 1 NABEG). Die BNetzA ist auch eine „öffentliche Stelle“ i.S. des § 4 Abs. 1 Nr. 1 ROG. Dementsprechend

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BVerwGE 119, 25 (38 ff.). BVerwGE 138, 301 (304 f.). 13 Näher H.-J. Koch / R. Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 5. Aufl. 2009, §§ 3 Rn. 14 ff., 13 Rn. 14 ff.; ferner H.-J. Koch, Erhaltung und Entwicklung „Zentraler Versorgungsbereiche“, Die Verwaltung 2012, 231 (240 f.). 12

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wird auch im Beschluss der MKRO vom 6. 2. 201314 eine grundsätzliche Bindung der BNetzA bei der Trassenplanung an entgegenstehende Ziele der Raumordnung angenommen. Allerdings fehlt dafür eine nähere Begründung. Auch Teile der Literatur nehmen eine grundsätzliche Bindung der BNetzA an Ziele der Raumordnung bei der Trassenplanung an. Für Runkel etwa steht fest, dass für die BNetzA im Rahmen der ihr aufgegeben Raumverträglichkeitsprüfung eines Trassenkorridors „die Bindungsvorschriften des § 4 Abs. 1 (ROG) gelten, da es sich um eine raumbedeutsame Planung einer öffentlichen Stelle im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 (ROG) handelt“.15 Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass die Annahme einer Verbindlichkeit von Zielen der Raumordnung gem. § 4 Abs. 1 S. 1 ROG keineswegs ausschließt, dass die Bindung aufgrund anderer Regelungen wie etwa § 5 ROG, § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG oder § 5 Abs. 1 S. 3 NABEG möglicherweise eingeschränkt wird bzw. entfällt. Darauf wird noch später einzugehen sein. b) Die Trassenplanung als staatliche Planung der BNetzA oder als private Planung der ÜNB Zur Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung in der Bundesfachplanung „Trassenkorridore“ vertritt die BNetzA die Rechtsauffassung, dass die Bundesfachplanung keine raumbedeutsame Planung einer öffentlichen Stelle i.S. von § 4 Abs. 1 S. 1 ROG darstelle, sondern als „sonstige Entscheidung“ einer öffentlichen Stelle „über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen von Personen des Privatrechts“ i.S. von § 4 Abs. 2 ROG einzuordnen sei. Dies hätte konkret zur Folge, dass keine Zielbindung gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG für die BNetzA bestünde, sondern die Beachtens- oder Berücksichtigungspflicht für Ziele der Raumordnung sich gem. § 4 Abs. 2 ROG nach dem jeweiligen Fachrecht, hier nach dem NABEG, richten würde, das – worauf noch einzugehen ist – jedenfalls explizit keine entsprechende Regelung trifft, nach Auffassung der BNetzA jedoch implizit eine Bindung der Bundesfachplanung an Ziele der Raumordnung nicht vorsieht. 14

Die MKRO bezieht sich auf § 4 Abs. 1 S. 1 ROG, ohne sich auf eine der Alternativen (Nr. 1 bis 3) festzulegen: Verstärkte Nutzung von regenerativen Energien und Ausbau der Netze, Positionspapier vom 06. 02. 2013, S. 12. Der Bund hat als Mitglied der MKRO dieser Position allerdings widersprochen: Positionspapier, S. 12 Fn.1. 15 P. Runkel, in: W. Bielenberg / P. Runkel / W. Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Stand 2012, L § 4 Rn. 377; im Ergebnis ebenso: J. Frik, Die Rolle von Bund, Ländern und Gemeinden im neuen Energieleitungsrecht, in: J. Gundel / K. W. Lange (Hrsg.), Der Umbau der Energienetze als Herausforderung für das Planungsrecht, 2012, S. 49 (64); M. Hanusch u. a., Wie kann der Netzausbau raumverträglich gestaltet werden?, UVP-report 2013, 148 (154); D. Sellner / F. Fellenberg, Atomausstieg und Energiewende, NVwZ 2011, 1025 (1031 li. Sp.), die sich explizit auf § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ROG beziehen; ARL-Empfehlungen zum Netzausbau für die Energiewende, Positionspapier 93, 2013, S. 4; schließlich sehen auch T. Wagner / K. Faßbender / A.-C. Gläß, in: K. Faßbender / H. Posser (Hrsg.), Praxishandbuch Netzplanung und Netzausbau, 2013, Kap. 7 Rn. 129, in der Bundesfachplanung eine raumbedeutsame Planung einer öffentlichen Stelle im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG.

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Inzwischen ist die Position der BNetzA im Kommentar von Steinbach16 von mehreren Autoren näher erläutert und begründet worden. Die zentrale These der Autoren lautet: „Bei der Bundesfachplanung handelt es sich um eine raumbedeutsame Planung von Personen des Privatrechts. Nicht die BNetzA, sondern die verpflichteten ÜNB [Übertragungsnetzbetreiber] planen die Trassenkorridore. In der Bundesfachplanung trifft die BNetzA eine Entscheidung über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Planungen der ÜNB. Bei der Entscheidung über die Bundesfachplanung handelt es sich daher um eine ,sonstige Entscheidung‘ im Sinne des § 4 Abs. 2 ROG. Die Erfordernisse der Raumordnung sind daher gem. § 4 Abs. 2 ROG nach den für diese Entscheidungen geltenden Vorschriften zu berücksichtigen“.17

Damit rekurrieren die Autoren – durchaus nicht überraschend – auf das regulierungsrechtliche Paradigma: Die BNetzA plane nicht, sie reguliere das planende Handeln von Personen des Privatrechts, hier den ÜNB. Zur Begründung können die Vertreter dieser Ansicht auf eine Fülle von (Pflicht-)Aufgaben hinweisen, die den ÜNB gesetzlich übertragen sind und die die ÜNB als Träger der Trassenplanung erscheinen lassen können. Zwar ist unstreitig, dass die ÜNB eine erhebliche Rolle in der Planung der Trassenkorridore zu spielen haben, aber das – wenn man so sagen will – planungsrechtliche Paradigma kann die Beteiligung des privaten Sachverstandes ebenfalls, aber anders in seiner rechtlichen Qualität rekonstruieren: Es geht aus dieser Sicht um die Indienstnahme Privater, nämlich der ÜNB, bei der staatlichen Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe. Wesentlich für die Beantwortung der Frage, ob nun die BNetzA oder der jeweilige ÜNB – im NABEG „Vorhabenträger“ genannt – die planende Stelle im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG ist, dürfte die Rollenverteilung sein, die das Gesetz für das Verhältnis von BNetzA und ÜNB konkret normiert. Diese Rollenverteilung analysiert Sangenstedt detailliert und gelangt einleuchtend zu dem Ergebnis, dass die „Dispositionsbefugnis“ der ÜNB von deutlichen Einschränkungen im Vergleich etwa mit der Rolle des Vorhabenträgers im Planfeststellungsverfahren geprägt sei.18 Gleichwohl sieht er den Schwerpunkt der planerischen Aufgaben bei den ÜNB angesiedelt und bleibt daher bei der Auffassung, dass den ÜNB, und nicht der für „das Fachplanungsverfahren zuständigen“ BNetzA die Planung des Trassenkorridors obliege.19 Wenn man aber bedenkt, dass die ÜNB zur Stellung eines Antrags auf Bundesfachplanung verpflichtet sind, durch Bescheid konkret dazu aufgefordert werden 16

A. Steinbach (Hrsg.), NABEG/EnLAG/EnWG, 2013. J.-A. Nebel / C. Riese, in: Steinbach (Fn. 16), NABEG § 5 Rn. 73; dies., in: Steinbach (Fn. 16), NABEG § 12 Rn. 27; C. Sangenstedt, in: Steinbach (Fn. 16), NABEG § 7 Rn. 53; ebenso J. Willbrand, in: Faßbender / Posser (Fn. 15) Kap. 4 Rn. 8. 18 C. Sangenstedt, in: Steinbach (Fn. 16), NABEG § 7 Rn. 7, 25, 30 ff. 19 In diesem Sinne auch M. Appel, Bundesfachplanung vs. landesplanerische Ziele der Raumordnung, NVwZ 2013, 457 (459). 17

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und gegebenenfalls entsprechende Zwangsgelder festgesetzt werden dürfen, dass die BNetzA bei der Festlegung des Untersuchungsrahmens nicht an den entsprechenden Antrag der ÜNB gebunden ist und abweichend von den Vorschlägen der ÜNB bestimmen kann, welche alternativen Trassenkorridore in Betracht zu ziehen sind, dass die BNetzA Korridorvorschläge der Bundesländer oder anderer Beteiligter als Prüfgegenstände bestimmen und letztlich auch – auf der Grundlage einer eigenen fachlichen Abwägung – die Trassenkorridore festsetzen darf, so ergeben sich doch gewichtige Zweifel daran, ob es sich bei der Trassenplanung wirklich um eine raumbedeutsame Planung von Personen des Privatrechts, nämlich den ÜNB, handelt oder nicht vielmehr um eine raumbedeutsame Planung einer öffentlichen Stelle, wobei die ÜNB zur Erfüllung der Aufgabe herangezogen werden. Es liegen noch einige weitere Indizien vor, die für die rechtliche Zuordnung der Planungsaufgabe zur BNetzA oder den ÜNB zu bedenken sind: (1) Zur Aufgabenzuordnung heißt es in § 4 S. 1 NABEG, dass die im Bundesbedarfsplan gekennzeichneten Höchstspannungsleitungen „durch die Bundesfachplanung Trassenkorridore bestimmt“ werden. In § 5 Abs. 1 NABEG wird diese Aufgabe der BNetzA als öffentlicher Planungsstelle explizit zugewiesen: „Die Bundesnetzagentur bestimmt in der Bundesfachplanung zur Erfüllung der in § 1 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes genannten Zwecke Trassenkorridore von im Bundesbedarfsplan aufgeführten Höchstspannungsleitungen.“ Am Ende des aufwändigen Verwaltungsverfahrens, das die BNetzA im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu gestalten hat, bestimmt die BNetzA gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 NABEG den „Verlauf eines raumverträglichen Trassenkorridors“, der durchaus von den Vorschlägen des ÜNB abweichen und etwa einem Vorschlag der Länder entsprechen darf (s. § 7 Abs. 3 NABEG). Die Aufgabenübertragung an die BNetzA, die Trassenkorridore zu „bestimmen“, ist sprachlich sicherlich hinsichtlich des Umfanges der Aufgabenzuweisung nicht eindeutig, dürfte angesichts der erheblichen Einflussmöglichkeiten im Verfahren und dadurch auch auf das Ergebnis sowie mit Blick auf die verantwortliche Letztentscheidung der BNetzA20 eher als Zuweisung einer staatlichen Planungsaufgabe denn als ein Auftrag zur Regulierung privater Planungsaktivitäten zu verstehen sein. (2) Die Entscheidung gem. § 12 Abs. 2 NABEG ist nach § 15 Abs. 1 S. 1 NABEG für das nachfolgende Planfeststellungsverfahren gemäß §§ 18 ff. NABEG verbindlich. Auch die Landesplanungen haben die Verbindlichkeit der Entscheidung zu respektieren (§ 15 Abs. 1 S. 2 NABEG). Die Entscheidung der BNetzA ist jedoch nicht an den beteiligten Übertragungsnetzbetreiber adressiert. Ihm wird, anders als bei einem Planfeststellungsbeschluss, keine Rechtsposition eingeräumt. Auch dies 20 J.-P. Schneider, Akzeptanz für Energieleitungen durch Planungsverfahren, in: FS Würtenberger, 2013, S. 411, sieht eine „Letztverantwortung“ der BNetzA, die „eigenständige planerische Abwägungsentscheidung in ihrer alleinigen Zuständigkeit“ fordere (S. 418); zustimmend G. Hermes, in: J.-P. Schneider / C. Theobald (Hrsg.), Recht der Energiewirtschaft, 4. Aufl., 2013, Kap. 7 Rn. 104; Wagner / Faßbender / Gläß (Fn. 15), Rn. 132; Nebel / Riese, in: Steinbach (Fn. 16), § 5 NABEG Rn. 74.

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kann als Indiz dafür verstanden werden, dass es bei der Korridorplanung nicht um eine private Angelegenheit der ÜNB geht, sondern um eine staatliche Aufgabe an deren Erfüllung die ÜNB mitzuwirken verpflichtet sind. (3) Der gemäß § 12 c Abs. 4 S. 3 EnWG zuständige ÜNB wird zwar gesetzlich als „Vorhabenträger“ bezeichnet (§ 3 Abs. 3 NABEG). Er ist jedoch als „Vorhabenträger“ nicht notwendig Träger der Aufgabe „Bundesfachplanung“. Aufgabenträgerin kann gleichwohl aufgrund gesetzlicher Aufgabenzuweisung die BNetzA sein. Die ÜNB werden bei dieser Betrachtungsweise – wie schon gesagt – zur Erfüllung dieser staatlichen Aufgabe herangezogen und im NABEG intensiv mit Mitwirkungspflichten belastet. So haben sie u. a. die Durchführung einer Bundesfachplanung bei der BNetzA zu beantragen, wobei ein Vorschlag für den erforderlichen Trassenkorridor, Darstellungen möglicher Alternativen und Erläuterungen zur Auswahl zwischen den Alternativen unter Berücksichtigung der Umweltauswirkungen und der zu bewältigenden raumordnerischen Konflikte beizufügen sind (§ 6 Abs. 1 und 2 NABEG). Die Heranziehung Privater in staatlichen Verwaltungsverfahren macht diese Privaten aber nicht zu den Aufgabenträgern der jeweiligen staatlichen Planungsaufgabe, also die ÜNB auch nicht zu Trägern der Bundesfachplanung „Trassenkorridore“.21 Nach der Ansicht von Schneider führt die Verkoppelung behördlicher und privater Verfahrensbeiträge in der Bundesfachplanung zu einer „partiellen funktionalen Verfahrensprivatisierung, während die Letztverantwortung bei der BNetzA verbleiben“ solle.22 (Partielle) „Verfahrensprivatisierung“ meint, dass die Sachaufgabe bei der BNetzA liege. (4) Wenn man in der Korridorplanung die BNetzA als Aufgabenträgerin sieht, im nachfolgenden Planfeststellungsverfahren aber tatsächlich über ein Projekt der ÜNB zu entscheiden ist, so könnte man dies als systematischen „Bruch“ insofern ansehen, als sachlich die Korridorplanung und die daran gebundene nachfolgende Planfeststellung einer einheitlichen Herausforderung des „Netzausbaus“ dienen. Es erscheint aber durchaus sachgerecht, die erheblich von raumordnerischen Aspekten geprägte Trassenplanung als eine staatliche Aufgabe, die Errichtung und den Betrieb der Netze als eine private Angelegenheit zu normieren, wie dies nach der hier vertretenen Ansicht der Fall ist. c) Grenzen einer Bindung der BNetzA an die Ziele der Raumordnung: die raumordnungsrechtlichen Konfliktlösungsmechanismen Eine Länder- und/oder grenzüberschreitende Trassenplanung für Höchstspannungsleitungen ist in mehr oder minder großem – uns noch nicht bekanntem – Umfang auf Abweichungen von Zielen der Raumordnung der Länder unter Umständen 21 Private Unterstützung bei der Erfüllung einer staatlichen Planungsaufgabe ändert nichts dran, dass in solchen Fällen eine Planung der öffentlichen Stelle vorliegt: Runkel, in: Spannowsky / Runkel / Goppel (Fn. 10), § 4 Rn. 39; ders., in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Fn. 15), § 4 Rn. 76 f. 22 Schneider (Fn. 20), 418.

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zwingend angewiesen. Geht man nun von einer Bindung der BNetzA an Ziele der Raumordnung gem. § 4 Abs. 1 S. 1 ROG aus, so kommen für eine Konfliktlösung zwischen einem landesrechtlichen Ziel der Raumordnung und einem erwogenen Trassenkorridor für Höchstspannungsleitungen mehrere raumordnungsrechtliche Problembewältigungsmechanismen in Betracht, nämlich (1) ein Zielabweichungsverfahren gemäß § 6 Abs. 2 ROG in Verbindung mit konkretisierendem Landesrecht, (2) das Widerspruchsverfahren gemäß § 5 Abs. 1 und 2 ROG sowie (3) das nachträgliche Widerspruchsverfahren gemäß § 5 Abs. 3 ROG. Zu (1): Im Zielabweichungsverfahren gemäß § 6 Abs. 2 ROG kann von Zielen der Raumordnung dann abgewichen werden, „wenn die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und die Grundzüge der Planung nicht berührt werden“. Antragsberechtigt sind in den speziellen, landesrechtlich vorgesehenen Zielabweichungsverfahren die öffentlichen Stellen, die das Ziel grundsätzlich zu beachten haben. Die Länder legen besonderen Wert darauf, dass ein eigenständiges raumordnerisches Verfahren von den Raumordnungsbehörden durchgeführt wird. So meint etwa Goppel, es wäre „keinesfalls hinnehmbar, wenn diejenigen (d. h. die fachlichen öffentlichen Stellen), die an die Ziele der Raumordnung gebunden sind, sich von dieser Bindungswirkung im Einzelfall selbst befreien könnten“.23 Diese Überlegung hat gewiss Vieles für sich. Sofern man allerdings – worüber noch zu sprechen sein wird – der Auffassung sein sollte, § 5 Abs. 1 NABEG verweise die Prüfung der Raumverträglichkeit uneingeschränkt in die fachplanerische Abwägung, ist jedenfalls zu empfehlen, dass die BNetzA als unselbstständigen Bestandteil der Raumverträglichkeitsprüfung in der Bundesfachplanung eine Zielabweichungsprüfung nach Maßgabe des § 6 Abs. 2 S. 1 ROG in Verbindung mit dem maßgeblichen Landesrecht durchführt.24 Zu (2): Eine bedeutendere Rolle als dem Zielabweichungsverfahren kommt den Widerspruchsverfahren gem. § 5 ROG zu. Für öffentliche Stellen des Bundes wäre eine kategorische Bindung an Ziele der Landesraumordnungen nicht angemessen, da bundesweite Planungen wie etwa im Fernstraßenrecht, aber auch in der Planung länder- oder grenzüberschreitender Trassenkorridore für Stromleitungen unter Umständen auf bestimmte Flächen alternativlos angewiesen sein können. Das ist die ratio der in § 5 ROG zugunsten öffentlicher Planungsstellen des Bundes normierten Widerspruchsrechte, die – vorläufig, unter Absehung von vielen Einzelheiten gesagt – eine öffentliche Stelle des Bundes dann von der Bindung an Ziele der Raumordnung freistellt, wenn sie „raumbedeutsame Planungen oder Maßnahmen nicht auf anderen geeigneten Flächen durchführen kann, als auf denen, für die ein entgegenstehendes Ziel im Raumordnungsplan festgelegt wurde“ (§ 5 Abs. 2 Nr. 2 ROG). Zwei Widerspruchsrechte sind zu unterscheiden: 23 24

Goppel (Fn. 10), § 6 Rn. 13. In diesem Sinne Frik (Fn. 15), 65.

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Nach § 5 Abs. 1 ROG gilt die Bindungswirkung der Raumordnungsziele nur, wenn der öffentliche Planungsträger bei der Aufstellung der Raumordnungsplanung beteiligt worden ist und „innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Mitteilung des rechtsverbindlichen Zieles nicht widersprochen hat“. Die Bindungswirkung entsteht gemäß § 5 Abs. 2 ROG materiell-rechtlich gesehen dann nicht, wenn entweder das in Streit stehende Ziel der Raumordnung auf einer fehlerhaften Abwägung beruht (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 ROG) oder wenn die öffentliche Stelle „raumbedeutsame Planungen oder Maßnahmen nicht auf anderen geeigneten Flächen durchführen kann als auf denen, für die ein entgegenstehendes Ziel im Raumordnungsplan festgelegt wurde“ (§ 5 Abs. 2 Nr. 2 ROG). Für die aktuelle Raumordnungsplanung in den Bundesländern ist dieses Widerspruchsverfahren für die BNetzA von erheblicher Bedeutung, namentlich die zweite Alternative, die auf der Grundlage der ohnehin rechtlich bindend aufgegebenen Prüfung alternativer Trassenkorridore geklärt werden kann. Zu (3): Für ältere Raumplanungen der Länder aus der Zeit vor der grundlegenden Neuorientierung der Energiepolitik, den damit verbundenen Erfordernissen, die Stromübertragungsnetze erheblich auszubauen sowie der zu diesem Zweck geschaffenen Bundesfachplanung, kommt das nachträgliche Widerspruchsverfahren gemäß § 5 Abs. 3 ROG in Betracht: Wenn „eine Veränderung der Sachlage ein Abweichen von den Zielen der Raumordnung“ erfordert, kann der öffentliche Planungsträger des Bundes – hier die BNetzA – in angemessener Frist, längstens binnen sechs Monaten ab Kenntnis der veränderten Sachlage unter den bereits zuvor erörterten Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 ROG – also insbesondere bei Alternativlosigkeit der Trassenführung – nachträglich Widerspruch einlegen. Kenntnis von der veränderten Sachlage dürfte dann anzunehmen sein, wenn der BNetzA im Rahmen ihrer Trassenplanung die Tatsachen bekannt werden, die einen Widerspruch rechtfertigen können, also die Tatsachen, die Abwägungsfehler bei der Festlegung des infrage stehenden Ziels der Raumordnung begründen, oder die Tatsachen, aus denen sich die Alternativlosigkeit der intendierten Trassenführung ergibt. Von diesem Zeitpunkt ab läuft die Sechsmonatsfrist. Schulte25 hat vorgetragen, dass in den hier zu behandelnden Konflikten keine Veränderung der Sachlage, sondern nur eine Änderung der Rechtslage vorliege, die nach dem Tatbestand des § 5 Abs. 3 ROG einen Widerspruch nicht zu rechtfertigen vermöge. Das leuchtet nicht ein: Die Energiewende hat zu rechtlichen Reformen, unter anderem zu rechtlichen Regelungen im NABEG geführt, die nun zu neuen konfliktbehafteten Sachverhalten führen, in denen die Bindung des Bundes an Ziele der Raumordnung entsprechend § 5 Abs. 3 ROG relativiert ist. Zu berücksichtigen ist noch, dass die Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung – wie einführend bereits erwähnt – gegenüber den öffentlichen Stellen des Bundes grundsätzlich nur eintritt, wenn der öffentliche Planungsträger bei der Aufstellung des Raumordnungsplanes beteiligt worden ist. Diese Beteiligung als Bedingung für eine mögliche Bindungswirkung war aber vor Einführung einer Bundesfachpla25 M. Schulte, Rechtsgutachten zur Frage der Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung im Rahmen der Bundesfachplanung gem. §§ 4 ff. NABEG, 9/2013, S. 10.

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nung ,Trassenkorridore‘ und vor einer entsprechenden Kompetenzzuweisung an die BNetzA überhaupt nicht erfüllbar. In solchen Fällen kann die Beteiligung keine Voraussetzung einer Bindungswirkung sein. Das Widerspruchsverfahren bleibt gleichwohl sachgerecht, damit sich der neue Aufgabenträger einer neuen Aufgabe gegebenenfalls von den Zielen der Raumordnung durch Widerspruch unter der Bedingung lösen kann, dass eine alternative Trasse zur sachgerechten Aufgabenerfüllung nicht in Betracht kommt. Die alternative Auslegung von § 5 Abs. 1 ROG dahingehend, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in dem eine Beteiligung einer öffentlichen Stelle nicht möglich war, weil es an einer entsprechenden Planungsaufgabe und einem entsprechenden Aufgabenträger gefehlt hat, zukünftige Bundesplanungsaufgaben von der Bindung an Raumordnungsziele, die zuvor festgelegt worden sind, gänzlich freizustellen, erscheint der Landesplanung nicht zumutbar.26 Umgekehrt kommt eine Zielbindung von öffentlichen Stellen des Bundes ohne ein adäquates Widerspruchsrecht, dass den Bundesplanungen den erforderlichen Raum lässt, nicht als angemessene Konfliktlösung in Betracht. Das liegt als Teleologie der Verknüpfung von Bindung und Widerspruch in § 5 Abs. 3 ROG zugrunde. Runkel, der – wie dargelegt – eine Bindung der BNetzA an Ziele der Raumordnung gem. § 4 Abs. 1 S. 1 ROG annimmt, stellt auch die Leistungsfähigkeit der Widerspruchsrechte für eine angemessene und zügige Konfliktlösung für die Bundesfachplanung „Trassenkorridore“ auf der Grundlage des NABEG dar.27 Auch Markus Appel, der zwar gegen eine Zielbindung der BNetzA gem. § 4 Abs. 1 S. 1 ROG erhebliche Bedenken hat, kommt aber hilfsweise zu dem Ergebnis einer Anwendbarkeit des § 5 ROG, wobei er zutreffend betont, dass auch ein nachträglicher Widerspruch in Betracht komme, wobei die materiell- rechtlich geforderte Alternativlosigkeit der Trasse in der Regel im Rahmen der ohnehin geforderten Alternativenprüfung sich darlegen lasse. Verzögerungen erwartet Appel mit Recht auch deshalb nicht, weil der Widerspruch ex lege die Zielbindung der BNetzA aufhebe, langwierige Verwaltungsverfahren mit den Ländern insoweit nicht erforderlich seien.28 Demgegenüber lehnen die MKRO in ihrem Positionspapier so wie Hanusch u. a. eine Widerspruchsmöglichkeit der BNetzA gem. § 5 ROG ohne nähere Begründung ab.29

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Anderer Ansicht Wagner / Faßbender / Gläß (Fn. 15), Rn. 134 f. Runkel, in: Bielenberg / Runkel / Spannowsky (Fn. 15), L § 4 Rn. 377 ff; ähnlich ARL (Fn. 15), 4. 28 Appel (Fn. 19), 459. 29 MKRO (Fn. 14), 12; Hanusch u. a. (Fn. 15), 154; Kritik an dieser Position auch bei ARL (Fn. 15), 4. 27

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d) Mögliche Relativierung der Zielbindung durch § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG In § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG ist geregelt, dass „Bundesfachplanungen (…) grundsätzlich Vorrang vor Landesplanungen“ haben. Diese Vorschrift wird teilweise so verstanden, dass nicht nur die Bindungswirkungen einer abgeschlossenen Bundesfachplanung, sondern auch der Vorrang der Bundesfachplanung „Trassenkorridore“ gegenüber präexistenten Zielen der Raumordnung normiert werden.30 Demgegenüber steht die Auffassung, dass § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG ausschließlich die Bindungswirkungen gegenüber zukünftigen Landesplanungen regele, während die Überwindung der zum Zeitpunkt der Planungsentscheidung bereits existenten Ziele der Raumordnung sich nach den planerischen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Trassenfestsetzung, also nach § 5 NABEG i. V. m. § 4 Abs. 1 S. 1 ROG richte.31 Im Einzelnen ist folgendes zu bedenken: Zunächst trifft es zu, dass der Wortsinn der Vorschrift keine Beschränkung des Vorranges der Bundesfachplanung auf nachfolgende landesplanerische Zielfestlegungen ausdrückt. Man könnte sogar darin, dass von „der“ Bundesfachplanung die Rede ist, ein Indiz für die Richtigkeit einer weiten Auslegung sehen. Denn ein Vorrang „der“ Bundesfachplanung kann sich sprachlich auch auf die gesamte Planungsphase, also auch auf die Rolle präexistenter Ziele der Raumordnung in der fachplanerischen Abwägung beziehen. Allerdings sprechen Regelungskontext und -systematik eher für eine enge Auslegung, die den Vorrang auf nachfolgende Landesplanungen beschränkt: Zunächst ist der Regelungskontext zu beachten. § 15 NABEG normiert explizit die „Bindungswirkung der Bundesfachplanung“, also die Rechtsfolgen einer abgeschlossenen Fachplanung eines Trassenkorridors, nicht aber die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Trassenplanung. Letztere finden sich in § 5 NABEG. Dort findet sich auch der gesetzgeberische Auftrag der BNetzA, die Übereinstimmung der geplanten Trassen mit den Erfordernissen der Raumordnung zu prüfen. Das ist mithin – systematisch gesehen – der gesetzliche Ort, über einen „Vorrang“ der Trassenplanung oder der Ziele der Raumordnung – unter Beachtung von § 4 Abs. 1 S. 1 ROG – zu diskutieren und zu entscheiden. Diese Überlegungen zum Wortsinn von ,Vorrang‘ im Regelungskonzept des § 15 NABEG und über die Regelungssystematik des Gesetzes in Form der Trennung zwischen der Normierung der Voraussetzungen einer rechtmäßigen Fachplanung in § 5 NABEG und ihrer Rechtsfolgen in § 15 30 W. Durner, Vollzugs- und Verfassungsfragen des NABEG, NuR 2012, 369 (374); Sangenstedt (Fn. 18), NABEG § 15 Rn. 6 ff., 24 ff; Appel (Fn. 19), 460 f. 31 In diesem Sinne Sellner / Fellenberg (Fn. 15), 1031 li. Sp.; MKRO (Fn. 14), 12; ARL (Fn. 15), 4; Runkel zu der vergleichbaren Vorschrift des § 16 Abs. 3 S. 3 FStrG (Fn. 15), § 4 Rn. 160; Hermes, in: Schneider / Theobald (Fn. 20), § 7 Rn. 104, 107; Wagner / Faßbender / Gläß (Fn. 15), Rn. 120 ff.; Willbrand (Fn. 17), Rn. 25 ff.; Schulte (Fn. 25), 8 f., 19 f.; G. Schiller, Das Verhältnis der Bundesfachplanung zur Planfeststellung nach dem NABEG, EurUP 2013, 178 (181).

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NABEG finden auch in den Gesetzesmaterialien eine Fundierung. So heißt es zur Begründung von § 15 NABEG: „Während durch § 5 Absatz 1 sichergestellt wird, dass der Bund präexistenten oder konkret in Erscheinung befindlichen landesplanerischen Maßnahmen Rechnung trägt, geht es bei Absatz 1 umgekehrt im Kern darum, dass die Länder die Ergebnisse der Bundesfachplanung verbindlich hinnehmen.“32

Danach bezieht sich der ,Vorrang‘ der Bundesfachplanung in § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG auf die Rechtswirkung der rechtsverbindlichen Trassenplanung gegenüber späteren Landesplanungen. Diese Sicht bestätigt auch der Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. Dort heißt es zu § 15 NABEG: „Insbesondere wird klargestellt, dass die Bundesfachplanung Vorrang vor Raumordnungsplänen der Länder hat. So können die Länder in späteren Raumordnungsplänen keine Festlegungen treffen, die der Bundesfachplanung widersprechen. (…) Damit soll dem Bedürfnis Rechnung getragen werden, dass die Entscheidung in der Bundesfachplanung von den Ländern nicht durch entgegenstehende Planungen ausgehebelt werden kann.“33

Auch hier geht es also um die Rechtswirkungen nach dem Fachplanungsentscheid über einen Trassenkorridor. Ferner wird die oben angesprochene Systematik der §§ 5, 15 NABEG in der Gesetzesbegründung zu § 15 recht deutlich zum Ausdruck gebracht: „Die Regelung des Absatzes 1 schafft einen Ausgleich zwischen der Wechselwirkung zwischen der Planungshoheit der Länder, die ihren Ausdruck in raumordnerischen Plänen findet, und dem Anliegen des Ausbaus des Übertragungsnetzes. Während durch § 5 Absatz 1 sichergestellt wird, dass der Bund präexistenten oder konkret in Erscheinung befindlichen landesplanerischen Maßnahmen Rechnung trägt, geht es bei Absatz 1 umgekehrt im Kern darum, dass die Länder die Ergebnisse der Bundesfachplanung als verbindlich hinnehmen.“34

Sangenstedt hat einen anderen Aspekt aus der Entstehungsgeschichte des § 15 NABEG herausgehoben, der nach seiner Ansicht für ein weites Verständnis des § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG spricht, also für eine Erstreckung des Vorranges auf präexistente Ziele der Raumordnung. Zutreffend weist Sangenstedt darauf hin, dass im ersten Gesetzentwurf § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG nur ein Vorrang gegenüber „Fachplanungen“ der Länder, nicht jedoch gegenüber den „Raumplanungen“ vorgesehen war. Erst auf Vorschlag des Wirtschaftsausschusses wurden „Landesfachplanungen“ durch „Landesplanungen“ ersetzt. Daraus folgert Sangenstedt, dass sich der Vorrang nun auch auf Raumplanungen der Länder beziehe.35 Das trifft zu und ist wichtig, betrifft jedoch nicht die Frage, ob sich der Vorrang nur auf nachfolgende oder auch auf 32

BT-Drs. 17/6073, S. 27 li. Sp. BT-Drs. 17/6366, S. 19 r. Sp.; zu dem oben im Text ausgelassenen Satz „Die Änderung orientiert sich am Muster des § 16 Abs. 3 3 des Fernstraßengesetzes“ wird nachfolgend noch Stellung genommen. 34 BT-Drs. 17/6073, S. 27 li. Sp. (der Text wurde teilweise schon oben bei Fn. 32 zitiert). 35 Sangenstedt (Fn. 18), Rn. 29; zustimmend Appel (Fn. 19), 460. 33

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präexistente Landesplanungen einschließlich der Raumordnung bezieht. Gerade insoweit ist aber die Begründung der Änderung aussagekräftig. Sie lautet nämlich: „So können die Länder in späteren Raumordnungsplänen keine Festlegungen treffen, die der Bundesfachplanung widersprechen.“36

Insgesamt bleibt als Zwischenbilanz aus der Betrachtung des Wortsinnes, des Regelungskontextes, der Gesetzessystematik sowie der Entstehungsgeschichte festzuhalten, dass sich die Vorrangregelung des § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG eher nicht auf präexistente Raumplanungen, insbesondere Ziele der Raumplanung, bezieht.37 Durner begründet sein Votum für ein weites, präexistente Ziele der Raumordnung umfassendes Verständnis in einer vergleichenden Betrachtung des § 16 Abs. 3 S. 3 FStrG. Er knüpft zentral an die Begründung des Gesetzgebers zur Änderung der ersten Fassung des § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG an, mit der – wie soeben berichtet – statt „Landesfachplanung“ der weitere, die Raumordnung umfassende Begriff „Landesplanung“ eingefügt worden ist. Die Gesetzesbegründung weist ausdrücklich darauf hin, dass sich die neugewählte Fassung an § 16 Abs. 3 S. 3 FStrG orientiere.38 Die Vorschrift lautet: „Bundesplanungen haben grundsätzlich Vorrang vor Orts- und Landesplanungen.“

Durner möchte nun seine Ansicht, der zufolge die Vorrangregelung in § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG solche Ziele der Raumordnung, die einer Trassenkorridorplanung entgegenstehen, den strikten Beachtungsanspruch des § 4 Abs. 1 ROG nehme und die Ziele der Raumordnung zu ,Abwägungsmaterial‘ herabstufe, auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht zu § 16 Abs. 2 S. 3 FStrG a. F. (§ 16 Abs. 3 S. 3 FStrG n. F.) stützen.39 Das erscheint schwerlich überzeugend. Zwar trifft es zu, dass das Bundesverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung eine sehr weite Vorrangregelung für die fernstraßenrechtliche Linienbestimmung gegenüber Zielen der Raumordnung für richtig zu halten scheint. Allerdings erweist sich der maßgebliche Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls als nicht entscheidungstragendes obiter dictum, dessen Gehalt obendrein eher vage ist und der – weil es eben in dem Fall nicht darauf ankommt – nicht näher begründet wird. Der Satz lautet: „Mit der in § 16 Abs. 2 S. 3 FStrG benutzten Wendung, dass ,grundsätzlich‘ die Bundesplanung den Vorrang vor der Landesplanung hat, bestimmt das Bundesrecht zugleich den prinzipiellen Vorrang der fernstraßenrechtlichen Planung vor der Landesplanung.“40

Vage ist der Satz insofern, als weder er selbst noch der Argumentationskontext zum Ausdruck bringen, ob nur Vorrang als Rechtsfolge gegenüber nachfolgenden 36

BT-Drs. 17/6366, S. 19. Vergleiche auch die ähnliche, ausführliche Würdigung bei Willbrand (Fn. 17), Rn. 22 ff. 38 BT-Drs. 17/6366, S. 19 re. Sp. 39 Durner (Fn. 30). 40 BVerwGE 84, 31 (37 unten).

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landesplanerischen Zielsetzungen gemeint ist, oder ob auch eine Relativierung der präexistenten Ziele zu ,bloßem‘ Abwägungsmaterial in der Rechtfertigung der Planung behauptet wird. Wenn letzteres anzunehmen sein sollte, wäre der Satz insofern ein obiter dictum, als die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gerade einen Fall, der eine gegenüber der Linienbestimmung des Bundes und einem entsprechenden Planfeststellungsverfahren nachfolgende, spätere Änderung des maßgeblichen Ziels der Raumordnung betraf. Dieser Umstand weckt natürlich auch erhebliche Zweifel daran, ob das Bundesverwaltungsgericht überhaupt die Konstellation vor Augen hatte, in der eine der Linienbestimmung vorausgehende Festlegung von Zielen der Raumordnung im Konflikt mit der nachfolgenden Linienplanung steht. Der vom Gesetzgeber in der Begründung von § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG in Bezug genommene § 16 Abs. 3 S. 3 FStrG wird auch in der Literatur überwiegend im Sinne eines Schutzes der Fernstraßenplanung nur vor zukünftigen Änderungen der Ziele der Raumordnung nach einer Bundeslinienbestimmung verstanden.41 Auch damit wird die hier vorgeschlagene Auslegung von § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG gestützt. Kontext, Gesetzessystematik und Entstehungsgeschichte sowie Normenvergleiche mit dem Fernstraßengesetz führen zu der Zwischenbilanz, dass § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG eher restriktiv im Sinne einer Bindung zukünftiger Raumplanungen an die Entscheidungen der BNetzA über Trassenkorridore auszulegen ist. Es bleibt aber noch die wichtige Fragestellung nach dem Zweck der Norm und möglichen Auswirkungen der teleologischen Betrachtungen auf die Auslegung. In diesem Kontext betont Sangenstedt das gesetzgeberische Ziel der Beschleunigung des Netzausbaus. Mit Recht weist er auf das in § 1 NABEG normierte Ziel einer Beschleunigung des Ausbaus der länderübergreifenden und grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen hin. Eine der Beschleunigungsstrategien sieht er in Vorschrift des § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG, deren Vorrangregelung zu diesem Zwecke so zu interpretieren sei, dass auch Konflikte mit bestehenden Raumordnungszielen „ohne weiteren Mehraufwand“ durch Widerspruchs- oder Abweichungsverfahren in der Bundesfachplanung selbst durch fachplanerische Abwägung bewältigt werden können.42 Eine solche Auslegung würde sicherlich einen Beschleunigungsbeitrag leisten können. Ob dies eine entsprechende teleologische Interpretation des § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG rechtfertigt, begegnet jedoch auch Zweifeln. Zum einen ist zu bedenken, dass die Relevanz der Erfordernisse der Raumordnung als Element des Prüfprogramms der BNetzA in § 5 Abs. 1 S. 4 NABEG normiert ist. Das Beschleunigungsziel bei präexistenten Zielen der Raumordnung wäre also bezüglich dieser Regelung zu thematisieren. Dabei würde zugleich deutlich, dass die Regelungen des NABEG natürlich auch Zielkonflikte lösen müssen, hier den Konflikt zwischen Beschleunigung und den ebenfalls als gewichtig eingestuften Erfordernissen der Raumordnung. Dies wird daher alsbald auch noch geprüft. 41 M. Ronellenfitsch, in: Marschall, FStrG, 6. Aufl. 2012, Rn. 49 zu § 16 FStrG; Runkel (Fn. 15) § 4 Rn. 360; Sellner / Fellenberg (Fn. 15), 1031 li. Sp. 42 Sangenstedt, in: Steinbach (Fn. 16), § 15 Rn. 7 f.

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Zum anderen darf noch einmal daran erinnert werden, dass nach der hier vertretenen Position gerade das Raumordnungsrecht einen befriedigenden Konfliktlösungsmechanismus bereit hält, nämlich in Form einer grundsätzlichen Bindung an Ziele der Raumordnung bei „raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen von öffentlichen Stellen des Bundes“ in Verbindung mit einem konditionierten Widerspruchsrecht mit entfallender Bindungswirkung. Damit werden sowohl die gesetzliche Verbindlichkeit von Zielen der Länderraumordnung wie auch zwingende Erfordernisse einer länderübergreifenden Bundesplanung mit einem begrenzten Zeitverlust respektiert. Allerdings setzt dies voraus, dass es auch tatsächlich – wie hier vertreten wird – um eine Planungsaufgabe geht, die der BNetzA zuzurechnen ist. e) Mögliche Überwindung der Ziele der Raumordnung im Rahmen der fachplanerischen Abwägung gemäß § 5 Abs. 1 S. 3 NABEG Mit § 5 Abs. 1. S. 3 NABEG ist der BNetzA grundsätzlich die Aufgabe einer fachplanerischen Abwägung gegeben: „Die Bundesnetzagentur prüft, ob der Verwirklichung des Vorhabens in einem Trassenkorridor überwiegende öffentliche oder private Belange entgegenstehen.“

Diese Aufgabenstellung ist auf Vorschlag des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie Gesetz geworden.43 In der Begründung wird allerdings nicht dargelegt, dass damit alle betroffenen Belange dem Maßstab des Gebots gerechter Abwägung unterliegen sollen. Die Maßstäblichkeit des Gebots gerechter Abwägung der betroffenen Belange hätte auch klarer zum Ausdruck gebracht werden können, Vorbilder gibt es im geltenden Recht genug. Gleichwohl wird man den Auftrag zu prüfen, ob überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen, jedenfalls grundsätzlich als Abwägungsaufgabe verstehen dürfen, denn die Feststellung eines Überwiegens von Belangen setzt notwendig eine Abwägung zwischen verschiedenen Belangen voraus. Allerdings ist einschränkend zu bedenken, dass die Formulierung „ob überwiegende öffentliche Belange entgegenstehen“ nicht ausschließlich i.S. eines Abwägungsauftrages verstanden werden kann, vielmehr ist sie ohne weiteres auch so zu verstehen, dass etwa verbindliche Ziele der Raumordnung gerade wegen ihrer Verbindlichkeit als öffentliche Belange entgegenstehen können, so dass insoweit die bereits dargestellten Konfliktlösungsmechanismen des ROG für eine Freistellung der BNetzA von dieser Bindung allein maßgeblich sind. Dafür spricht recht deutlich § 5 Abs. 1 S. 4 NABEG. Es heißt dort: „Sie prüft insbesondere die Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 ROG (…) und die Abstimmung mit anderen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 6 ROG.“

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BT-Drs. 17/6366, S. 6 f. (a, 1.e).

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Die MKRO entnimmt dieser Vorschrift ohne weiteres, „dass die BNetzA bei der Aufstellung der Bundesfachplanung zum Netzausbau bestehende Ziele der Raumordnung zu beachten hat“.44 Ähnlich steht für Runkel mit diesem Prüfauftrag fest, „dass bei dieser Prüfung die Bindungsvorschriften des § 4 Abs. 1 S. 1 (ROG) gelten, da es sich um eine raumbedeutsame Planung einer öffentlichen Stelle im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 (ROG) handelt“. Ein Trassenkorridor sei raumunverträglich, wenn er gegen ein Ziel der Raumordnung verstoße. Ein derart entgegenstehendes Ziel der Raumordnung werde auch nicht zu einem entgegenstehenden öffentlichen Belang im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 3 NABEG, der durch das überragende öffentliche Interesse an der Stromleitung überwunden werden könnte. Denn die Beachtenspflicht des § 4 Abs. 1 S. 1 ROG sei der fachplanerischen Abwägung „vorgeschaltet“.45 Eine ganz andere Interpretation des § 5 Abs. 1 NABEG liefern Nebel/Riese, wobei sie einräumen, dass sich ihre Position nicht aus dem Wortlaut direkt erschließe:46 Die Raumverträglichkeit eines Trassenkorridors sei nicht einfach „festzustellen“, sondern sie müsse gegebenenfalls durch Abwägung allererst „hergestellt“ werden.47 Das ist mit dem Wortsinn von § 5 Abs. 1 S. 4 NABEG kaum vereinbar. Die „Prüfung“ der „Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Raumordnung“ bedeutet sprachlich nicht, die Raumverträglichkeit durch abwägende Überwindung vorfindlicher Ziele der Raumordnung „herzustellen“. Bei der Auslegung ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber problemlos eine Einordnung aller Erfordernisse der Raumordnung, also einschließlich verbindlicher Ziele der Raumordnung, in die Abwägungsentscheidung mit der Formulierung „insbesondere sind die Erfordernisse der Raumordnung in der Abwägung zu berücksichtigen“ hätte zum Ausdruck bringen können. Dass nicht eine solche naheliegende Formulierung gewählt worden ist, sondern ein Prüfauftrag vorgegeben ist, muss ernst genommen werden.48 Die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung harmoniert mit dem hier eingenommen Standpunkt, dass die BNetzA zunächst gem. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG an die Ziele der Raumordnung gebunden ist. Eine Freistellung von der Verbindlichkeit der Ziele der Raumordnung ist nicht durch die in § 5 Abs. 1 S. 3 NABEG normierte Abwägung, sondern nur durch die Widerspruchsmöglichkeiten des § 5 ROG unter den angegebenen Bedingungen angemessen gewährleistet. Ziele der Raumordnung sind 44

MKRO (Fn. 14), 12. Runkel (Fn. 15), Rn. 377; ebenso auch Sellner / Fellenberg (Fn. 15), 1031 li. Sp. 46 Nebel / Riese, in: Steinbach (Fn. 16), NABEG § 5 Rn. 69. 47 Nebel / Riese, in: Steinbach (Fn. 16), NABEG § 5 Rn. 68. 48 Hermes (Fn. 20) entnimmt § 5 Abs. 1 S. 4 NABEG unmittelbar, ohne Rückgriff auf § 4 ROG, eine Bindung der BNetzA an Ziele der Raumordnung: Rn. 104 sowie ders., Das neue System der Energienetzplanung, EuZW 2013, 395 (397); Wagner / Faßbender / Gläß (Fn. 15) sehen in § 5 Abs. 1 S. 4 NABEG eine strikte Verbindlichkeit von Zielen der Raumordnung normiert, die allerdings – wenig plausibel – wegen fehlender Beteiligung der BNetzA gem. § 4 Abs. 1 ROG entfallen soll (Rn. 134); Schiller (Fn. 31), 181. 45

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übrigens nicht die einzigen öffentlichen Interessen, die nicht dem fachplanerischen Ermessen des § 5 Abs. 1 S. 3 NABEG unterliegen. So ist etwa über eventuell erforderliche Abweichungen im FFH-Gebietsschutz und eventuelle Ausnahmen im besonderen Artenschutzrecht nicht im Rahmen des fachplanerischen Ermessens gem. § 5 Abs. 1 S. 3 NABEG, sondern ausschließlich nach Maßgabe der naturschutzrechtlichen Spezialregelungen zu entscheiden.49 Der insoweit auch gegenüber weiteren zwingenden Rechtsvorschriften wie solchen des Immissionsschutzes begrenzte Anwendungsbereich des fachplanerischen Ermessens ist zu beachten. 3. Das Gewicht von Grundsätzen der Raumordnung Grundsätze der Raumordnung sind „Aussagen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen; Grundsätze der Raumordnung können durch Gesetz oder als Festlegungen in einem Raumordnungsplan (§ 7 Abs. 1 und 2) aufgestellt werden“ (s. § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG). Im Rahmen der raumplanerischen Abwägung geplanter Trassen sind die Grundsätze der Raumordnung mithin zu berücksichtigen: a) Bundesrechtlich ist insofern zu Gunsten einer Trassenplanung zu berücksichtigen, - dass den „räumlichen Erfordernissen für eine kostengünstige, sichere und umweltverträgliche Energieversorgung einschließlich des Ausbaus von Energienetzen (…) Rechnung zu tragen“ (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 S. 3 ROG) ist, und - dass „die räumlichen Voraussetzungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien, für eine sparsame Energienutzung sowie für den Erhalt und die Entwicklung natürlicher Senken für klimaschädliche Stoffe und für die Einlagerung dieser Stoffe zu schaffen“ sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 7 ROG). Gegenläufig kommen insbesondere die Grundsätze - zur Raumstruktur (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG), - zum Schutz der Kulturlandschaften (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 ROG) sowie - zum Umwelt- und Naturschutz (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 ROG) in Betracht. b) In den Landesraumordnungsgesetzen finden sich weitere ergänzende, teils konkretisierende, teils den spezifischen Rahmenbedingungen des jeweiligen Landes Rechnung tragende Grundsätze der Raumordnung.

49 S. für zahlreiche Einzelheiten Koch (Fn.*), 163 – 174 mit Nachweisen der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

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c) Grundsätze der Raumordnung können auch in den Raumordnungsplänen der Länder festgelegt sein. Dabei finden sich insbesondere auch Grundsätze, die sich speziell auf die Planung von Trassenkorridoren für Stromleitungen beziehen. Das Land Niedersachsen beispielsweise ändert gegenwärtig seine Verordnung über das Landes-Raumordnungsprogramm. d) Nach § 4 Abs. 1 ROG sind Grundsätze der Raumordnung in der fachplanerischen Abwägung „zu berücksichtigen“. Das Berücksichtigungsgebot verlangt, dass die Grundsätze der Raumordnung nach den Anforderungen des Gebots gerechter Abwägung je nach sachlichem Gewicht berücksichtigt werden, gegebenenfalls auch überwunden werden können. Das hängt vom Gewicht der kollidierenden Belange ab. Dabei ist auch zu beachten, dass die Landesplanung Grundsätze der Raumordnung mit einem für die Abwägung relevanten besonderen Gewicht ausstatten kann. In einer Entscheidung zum Ausbau des Frankfurter Flughafens hat das Bundesverwaltungsgericht insofern entschieden, dass Grundsätze der Raumordnung „auch konkretisierende Gewichtungsvorgaben enthalten (können) und dadurch… den im Rahmen der Abwägung eröffneten Gestaltungsspielraum der nachfolgenden Planungsebene sehr weit – gegebenenfalls auf annähernd Null – einschränken“.50 Auf dieser Grundlage hat das Gericht die Festlegung eines „grundsätzlichen“ Verbots planmäßiger Flüge in der Zeit zwischen 23:00 und 5:00 Uhr „als einen Grundsatz der Raumordnung mit starker Gewichtungsvorgabe“ anerkannt.51 Auch auf solche Gewichtungsvorgaben ist mithin bei den planerischen Festlegungen in korridorrelevanten Raumordnungsplänen zu achten, um die betreffenden Flächen adäquat in das Restriktionsflächenkataster einzuordnen III. Zusammenfassung und Folgerungen Die inzwischen sehr komplexe Diskussion über die Verbindlichkeit von Zielen der Raumordnung in der Bundesfachplanung „Trassenkorridore“ lässt sich mit Blick auf die Ergebnisse in drei Ansichten, deren Vertreter in den Fußnoten nachgewiesen sind, bündeln: Eine erste, selten vertretene Auffassung geht von einer strikten Bindung der BNetzA an Ziele der Raumordnung gem. § 4 Abs. 1 S. 1 (Nr. 1) ROG aus, ohne die gesetzlich in § 5 ROG vorgesehenen Möglichkeiten einer Aufhebung der Bindung durch Widerspruch der planenden Stellen des Bundes anzuerkennen. Eine zweite, vielfach vertretene Auffassung, die auch hier favorisiert wird, hält ebenfalls eine Bindung der BNetzA an Ziele der Raumordnung gem. § 4 Abs. 1 S. 1 (Nr. 1, teilweise Nr. 3) ROG für zutreffend, geht aber zugleich von dem Recht der BNetzA aus, durch Widerspruch auch nachträglich (§ 5 Abs. 3 ROG) die Verbindlichkeit ex lege aufzuheben, sei es wegen Alternativlosigkeit der Trassen50 51

BVerwGE 142, 234 (320 Rn. 299). BVerwGE 142, 234 (319 ff.).

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führung, sei es wegen fehlerhafter Abwägung des Trägers der Landes- bzw. Regionalplanung. Eine dritte, ebenfalls vielfach vertretene Auffassung sieht die Bundesfachplanung nicht als raumbedeutsame Planung oder Maßnahme einer öffentlichen Stelle, wie in § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ROG vorausgesetzt wird, sondern als eine raumbedeutsame Planung von Personen des Privatrechts, den ÜNB, sodass gem. § 4 Abs. 2 ROG die öffentliche Stelle, die über die Zulässigkeit dieser Planungen zu entscheiden hat, hier also die BNetzA, nach Maßgabe der für diese Entscheidung maßgeblichen Vorschriften die Erfordernisse der Raumordnung zu berücksichtigen hat. Die Vertreter dieser Ansicht stützen sich insoweit auf § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG, demzufolge die Entscheidung der BNetzAVorrang gegenüber Landesplanungen habe, und/oder auf § 5 Abs. 1 S. 3, 4 NABEG, dem sie entnehmen, dass die Erfordernisse der Raumordnung, also auch Ziele der Raumordnung, in der fachplanerischen Abwägung zu berücksichtigen sind, aber keine strikte Bindungswirkung entfalten. Diese Auffassung überzeugt letztlich deshalb nicht, weil sich der „Vorrang“ gem. § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG allein auf die (zukünftigen) Rechtsfolgen der fachplanerischen Korridorfestlegung bezieht, prioritär existente Ziele der Raumordnung jedoch nicht erfasst, und weil gem. § 5 Abs. 1 S. 4 NABEG die „Vereinbarkeit“ eines Korridors mit den Zielen der Raumordnung zu prüfen ist, was eine abwägende Überwindung der Ziele ausschließt. Soweit die Vertreter der dritten Auffassung den Zielen der Raumordnung in der Abwägung einen hohen Rang zuerkennen wollen, sind die Divergenzen zur zweiten, hier vertretenen Auffassung nicht sehr groß. Gleichwohl spricht Überwiegendes dafür, den besonderen Rang der Ziele der Raumordnung gerade durch die speziellen raumordnerischen Konfliktlösungsmechanismen, namentlich den Widerspruchsmöglichkeiten des § 5 ROG Rechnung zu tragen. Rechtssystematisch gesehen entspricht dies den Regelungen des FFH-Schutzregimes und den Vorschriften des besonderen Artenschutzrechts: Auch in diesen Bereichen sind Abweichungen bzw. Ausnahmen nur nach den speziellen naturschutzrechtlichen Vorschriften zulässig und unterfallen gerade nicht dem fachplanerischen Abwägungsgebot.

Öffentlichkeitsbeteiligung und demokratische Legitimation im Energie-Infrastrukturrecht* Von Wolfgang Durner, Bonn Der vorliegende Beitrag ist eine Mischung aus Auftragsarbeit und eigener Präferenz. Als ich gebeten wurde, im Rahmen des Kolloquiums zur Verabschiedung von Wilfried Erbguth über die Öffentlichkeitsbeteiligung im Energie-Infrastrukturrecht zu berichten, rief dieser Wunsch bei mir zunächst große Skepsis hervor, ob sich ein solcher Vortrag nicht letztlich auf die Wiedergabe dessen beschränken müsste, was andere, nicht zuletzt auch der Jubilar und aus dem Kreis der heutigen Redner namentlich Frau Guckelberger zu diesem seit „Stuttgart 21“ breit behandelten Thema geschrieben haben.1 Zwar haben manche der im Zuge dieser Debatte vorgebrachten Vorschläge – namentlich jene für eine „frühe“ Bürgerbeteiligung – gezeigt, dass sich auch alter Wein in neuen Schläuchen vortrefflich verkaufen lässt.2 Dennoch scheint die spezifisch juristische Dimension der Ausweitung der Öffentlichkeitsbeteiligung in infrastrukturellen Zulassungsverfahren wie jenen für den Netzausbau mittlerweile ein Stück weit ausdiskutiert. Weiterhin möchte ich dabei, ohne diesen Punkt hier zu vertiefen, an meiner 2011 entwickelten These festhalten, dass die verfahrenstechnischen Befriedungspotentiale des Verwaltungsverfahrens zur Akzeptanzbildung zwar genutzt werden sollten, dass sich jedoch die für eine erfolgreiche Öffentlichkeitsbeteiligung maßgeblichen Faktoren einer gesetzlichen Normierung * Für wertvolle Hilfe, anregende Gespräche und konstruktive Kritik bei der Erstellung des Manuskripts danke ich Martin Paus und Thomas Recht. 1 Vgl. aus der kaum überschaubaren Fülle der Beiträge zum Thema exemplarisch zunächst nur P. Ahmels, Praktische Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Netzplanung, in: R. Brinktrine / M. Ludwigs / W. Seidel (Hrsg.), Energieumweltrecht in Zeiten von Europäisierung und Energiewende, Berlin 2014, S. 57 ff.; A. Guckelberger, Öffentlichkeitsbeteiligung und Netzausbau – zwischen Verfahrenspartizipation und Gewinnbeteiligung, in: M. Kment (Hrsg.), Netzausbau zugunsten erneuerbarer Energien, Tübingen 2013, S. 59 ff.; O. Renn / W. Köck / P.-J. Schweizer / J. Bovet / C. Benighaus / O. Scheel / R. Schröter, Öffentlichkeitsbeteiligung bei Vorhaben der Energiewende, ZUR 2014, 281 ff.; allgemeiner etwa J. Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, in: Verhandlungen des 69. Deutschen Juristentages, Bd. I: Gutachten, München 2012, S. D1 ff. 2 Dies gilt für eine große Zahl der vielen im Zusammenhang von Stuttgart 21 erschienenen Beiträge zur „frühen Bürgerbeteiligung“, die meist hinter dem facettenreichen Diskussionsstand bei W. Blümel (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, Berlin 1982, zurückbleiben, ohne den Band überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

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weitgehend entziehen und gegenüber dem geltenden Recht keiner weitergehenden gesetzlichen Vorgaben bedürfen.3 Eher in den Anfängen befindet sich demgegenüber die Diskussion um die demokratische Legitimation im Zusammenhang mit der Energiewende im Allgemeinen und dem Netzausbau im Speziellen.4 Ich bin den Veranstaltern dankbar für die Erlaubnis, auch diesen zweiten Fragenkomplex in meinen heutigen Vortrag integrieren zu dürfen. Tatsächlich wird meine Hauptthese darauf hinauslaufen, dass beide Problemkreise bei Lichte besehen eng verknüpft sind und dass die massive Ausweitung der Öffentlichkeitsbeteiligung auch als Versuch des Gesetzgebers interpretiert werden kann, demokratischen Defiziten der Energiewende entgegenzuwirken. I. Wege zur Öffentlichkeitsbeteiligung im neuen Energie-Infrastrukturrecht Das 2011 in kaum drei Monaten konzipierte und in Kraft gesetzte Gesetzespaket zur Energiewende hat nicht nur die Struktur der Energieversorgung in Deutschland, sondern auch den Ausbau der Netze in vieler Hinsicht auf völlig neue Grundlagen gestellt. Ein zentrales Element innerhalb dieses neuen Systems der Energienetzplanung ist das auf Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) und dem neu erlassenen Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG) beruhende neuartige Planungsregime für Höchstspannungsnetze, das die Dauer der Planungs- und Genehmigungsverfahren stark reduzieren soll. Publizistisch entwickelt sich das neue EnergieInfrastrukturrecht derzeit zu einem verlegerischen Kassenschlager, der nicht nur für das heutige Kolloquium den Nährboden bietet, sondern auch für zahlreiche weitere Tagungen wie jene der GfU für das Jahr 2014.5 Mittlerweile sind, wiewohl der Vollzug erst einsetzt, mehr Kommentare und Handbücher zum NABEG erschienen oder angekündigt als zu sämtlichen übrigen Infrastrukturgesetzen des Bundes – dem Fernstraßengesetz, dem Wasserstraßengesetz und dem Eisenbahngesetz – zusammen.6

3 W. Durner, Möglichkeiten der Verbesserung förmlicher Verwaltungsverfahren am Beispiel der Planfeststellung, ZUR 2011, 354 (359 ff.); dem folgend D. Volkert, Legitimität und Legitimation von Partizipation: Zur Frage der Notwendigkeit einer Ausweitung der Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren für das Gelingen der Energiewende, in: K. Töpfer / D. Volkert / U. Mans (Hrsg.), Verändern durch Wissen. Chancen und Herausforderungen demokratischer Beteiligung: Von „Stuttgart 21“ bis zur Energiewende, München 2013, S. 133 (141); dagegen jedoch etwa Ziekow (Fn. 1), S. D87 ff. und D140 f. 4 Hervorzuheben sind dabei die Überlegungen von K. F. Gärditz, Die Entwicklung des Umweltrechts im Jahr 2011: Umweltpolitische Herausforderungen zwischen Partizipation, Wutbürgertum und Energiewende, ZfU 2012, 249 (272 f.), sowie G. Hermes, Planungsrechtliche Sicherung einer Energiebedarfsplanung – ein Reformvorschlag, ZUR 2014, 259 (265 ff.). 5 Vgl. nur J. Gundel / K. Lange (Hrsg.), Der Umbau der Energienetze als Herausforderung für das Planungsrecht, Tübingen 2012; Kment (Fn. 1). 6 Vgl. ganz exemplarisch H. Posser / K. Faßbender (Hrsg.), Praxishandbuch Netzplanung und Netzausbau, Berlin 2013; A. Steinbach (Hrsg.), NABEG / EnLAG / EnWG, Kommentar

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Ein Schlüsselelement dieses in vielfacher Hinsicht innovativen Planungs- und Genehmigungsregimes ist der enorme Ausbau der Öffentlichkeitsbeteiligung auf – je nachdem, wie die Öffentlichkeit der Antragskonferenzen bewertet und gezählt wird – sechs oder sieben Stufen. Diese bis vor kurzem trotz der jahrzehntealten Forderungen noch kaum vorstellbare Ausweitung der Öffentlichkeitsbeteiligung speist sich im Kern aus drei unterschiedlichen Entwicklungen: 1. Die Impulse der Århus-Konvention Eine erste Entwicklungslinie bildet dabei der Ausbau der Öffentlichkeitsbeteiligung im Unionsrecht, der auf das regionale Völkerrecht der Århus-Konvention zurückgeht7 und im Gesamtkontext eines umfassenden europäischen Gesetzgebungskonzepts einer „informierten Öffentlichkeit“ zu sehen ist.8 Dieses Modell – das beispielsweise auch im Wasserrecht zu erheblichen Rechtsänderungen führte9 – wird im Planungsrecht namentlich durch zwei Rechtsakte verwirklicht, die sog. Plan-UVPoder SUP-Richtlinie 2001/42/EG10 und die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie 2003/35/EG11, die einheitliche europäische Standards für Umweltprüfungen bei raumbedeutsamen Plänen und eine damit verknüpfte umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit vorsehen. Diese Neuerungen, die 2005 auch Gegenstand des durch Erbguth veranstalteten Rostocker Umweltrechtstages waren,12 haben nicht nur zu einer umfassenden Öffentlichkeitsbeteiligung auf allen Stufen der Raumordnung geführt, zum Recht des Energieleitungsbaus, Berlin 2013; S. de Witt / F.-J. Scheuten (Hrsg.), NABEG – EnLAG, Kommentar, München 2013. 7 Dazu statt vieler A. Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, Tübingen 2010. 8 C. Walter, Internationalisierung des deutschen und Europäischen Verwaltungsverfahrensund Verwaltungsprozessrechts – am Beispiel der Arhus-Konvention, EuR 2005, 302 (315 ff.). 9 Dazu etwa A. Guckelberger, Die diversen Facetten der Öffentlichkeitsbeteiligung bei wasserrechtlichen Planungen, NuR 2010, 835 ff. 10 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27. 06. 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABlEG Nr. L 197 S. 30); vgl. dazu besonders C. Uebbing, Umweltprüfung bei Raumordnungsplänen – eine Untersuchung zur Umsetzung der Plan-UP-Richtlinie in das Raumordnungsrecht, Münster 2004, S. 13 ff. und 113 ff.; S. Grotefels / C. Uebbing, Öffentlichkeitsbeteiligung in der Raumordnung, NuR 2003, 460 ff., sowie die Beiträge in den Sammelbänden von R. Hendler (Hrsg.), Die strategische Umweltprüfung (sog. Plan-UVP) als neues Instrument des Umweltrechts, UTR 76, Berlin 2004, und der Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.), Dokumentation zur 28. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht, Berlin 2005, S. 93 ff. 11 Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26. 05. 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (ABlEG Nr. L 156 S. 17). 12 Vgl. dazu die Beiträge bei W. Erbguth (Hrsg.), Strategische Umweltprüfung (SUP) – Stand, Rechtsfragen, Perspektiven –, Baden-Baden 2006.

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sondern erfassen generell jeden einzelnen Schritt jener gestuften Planungs- und Zulassungsverfahren, die für das deutsche Anlagenrecht besonders kennzeichnend sind.13 Sie bilden auch den Hintergrund der Regelungen in § 19b UVPG über die „Strategische Umweltprüfung bei Verkehrswegeplanungen auf Bundesebene“,14 nach denen im Zusammenhang der Verkehrswegeausbaugesetze des Bundes nunmehr eine Beteiligung der Öffentlichkeit auch im Zuge der Bundesgesetzgebung erforderlich sein kann. Da das neue Energie-Infrastrukturrecht auf einer starken Stufung der Planung des Netzausbaus beruht, waren also bereits unionsrechtlich die Weichen für eine starke Öffentlichkeitsbeteiligung gestellt. 2. Der Zeitplan der Energiewende Zweitens erklärt sich das gesamte Modell des NABEG aus der Erfahrung der Atomkatastrophe in Fukushima und dem extremen Zeitdruck der in dieser Form einzigartigen deutschen Energiewende. Mit dem Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes stellte der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Folgen der Reaktorkatastrophe in Japan die Weichen, um die friedliche Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität in Deutschland zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beenden.15 Spätestens 2022 wird nach dem geltenden § 7 Abs. 1a Satz 1 AtG das letzte deutsche Atomkraftwerk abgeschaltet. Bis dahin müssen nicht nur andere, vor allem erneuerbare und klimaneutrale Energiequellen erschlossen werden, sondern für das neue Energiedesign parallel auch die Höchstspannungsnetze massiv erweitert werden.16 Der Gesetzgeber war bei der Einleitung der Energiewende überzeugt, dass sich seine hochambitionierten Zeithorizonte – vermeintlicherweise wegen rechtlicher Defizite – auf der Grundlage des bisherigen Planungsinstrumentariums kaum realisieren lassen würden. In dieser Situation erlangten die weitreichenden Reformvorschläge des Sondergutachtens 2011 des Sachverständigenrats für Umweltfragen,17 13 Zu dieser Stufung W. Durner, Konflikte räumlicher Planungen, Tübingen 2005, S. 68 f.; allgemeiner S. Salis, Gestufte Verwaltungsverfahren, Baden-Baden 1991. 14 Näher dazu K. F. Gärditz, in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, § 19b UVPG (2012) Rn. 8 ff.; M. Wulfhorst, in: J. Ziekow (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2012, Berlin 2013, S. 349 ff. 15 Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes v. 31. 07. 2011, BGBl. Nr. 43 v. 05. 08. 2011, S. 1704 ff. Die letzten Kraftwerke, die ihren Betrieb mit Ablauf des 31. Dezember 2022 einstellen müssen, sind demnach die Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2. 16 Vgl. bereits die Presseerklärung der Bundesnetzagentur v. 03. 08. 2012: Bundesnetzagentur stellt weitere Verzögerung bei EnLAG-Projekten fest; ferner: Der Stromnetzausbau gerät in Verzug, FAZ v. 23. 04. 2014, S. 16, sowie das Interview mit dem Präsidenten der Bundesnetzagentur J. Homann, Beim Ausbau der Energienetze gibt es Grund zur Sorge, FAZ v. 26. 03. 2012, S. 15. 17 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU), Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung, Sondergutachten, Berlin 2011, S. 295 ff.

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die unter anderen Umständen womöglich kaum Beachtung gefunden hätten, eine Schlüsselrolle. Die weitgehende Ersetzung des bestehenden Zulassungsregimes für die Netze erfolgte unter dem Eindruck von Fukushima in einem atemberaubenden Tempo, bei dem nach der Präsentation des SRU-Sondergutachtens zwischen der Vorlage eines ersten Eckpunktepapiers am 21. März,18 eines Arbeitsentwurfs am 20. Mai,19 eines stark überarbeiteten Regierungsentwurfs am 6. Juni,20 der Ausschusssitzungen im Bundesrat am 10. Juni und der Verabschiedung im Juli gerade einmal ein Vierteljahr verstrich21 und beispielsweise die Frist für die Ministerien der Länder zur Rückäußerung gerade einmal 36 Stunden betrug. Nie zuvor wurde ein derart bedeutsames Infrastrukturgesetz in solchem Tempo und ohne nennenswerte öffentliche oder parlamentarische Diskussion konzipiert und verabschiedet.22 Man wird unterstellen dürfen, dass die Neuerungen des zwar nicht unverändert rezipierten, wohl aber konzeptionell wegweisenden Sondergutachtens23 die allgemeine Zustimmung der Politik überhaupt erst durch den Kontext von Fukushima und die Schnelle des Gesetzgebungsverfahrens finden konnte. In diesem Gutachten spielt die Beteiligung der Öffentlichkeit erneut eine Schlüsselrolle.24 Insgesamt ist es somit ein bemerkenswertes Paradoxon, dass das Energiewendepaket zwar inhaltlich für das neue Energie-Infrastrukturrecht zu einem bis dahin kaum vorstellbaren, erklärtermaßen durch einen radikalen Abschied von der bisherigen „Basta-Politik“ geprägten Ausbau der Bürgerbeteiligung führte. Andererseits wurde ebendieses Gesetzespaket selbst verfahrenstechnisch handstreichartig und unter bewusster Ausschaltung aller Optionen zu einer kritischen öffentlichen Reflexion in die Welt gesetzt und bleibt damit seiner Genese nach einer extremen Variante ebenjenes Politikstils verpflichtet, der angeblich gerade abgelöst werden soll. Auf dieses Paradoxon ist noch zurückzukommen. 18

Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Eckpunkte für ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz („NABEG“) v. 21. 03. 2011. 19 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Arbeitsentwurf v. 20. 05. 2011 für ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG). 20 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze, BR-Drs. 342/11 v. 06. 06. 2011. 21 Eine Stellungnahme des Verfassers zum Eckpunktepapier wurde vor Drucklegung noch auf den Referentenentwurf umgestellt (W. Durner, Die aktuellen Vorschläge für ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) – Bewertung der Verfassungsmäßigkeit und des Beschleunigungspotentials, DVBl. 2011, 853 ff.) und dann gleichwohl vor ihrem Erscheinen sowohl vom Regierungsentwurf als auch vom Inkrafttreten des Gesetzes überholt. 22 Sehr kritisch dazu K. Schönenbroicher, Rechtsabenteuer NABEG. Übereiltes Gesetzgebungsverfahren zum Ausbau der Hochspannungsnetze, Publicus 2011.10, 8 ff.; Unabhängiges Institut für Umweltfragen (UfU), (Kurz)-Stellungnahme zum Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Netzausbaubeschleunigung (NABEG) v. 30. 05. 2011/01. 06. 2011, S. 1; C. Ziehm, Kehrt zurück zu guter Gesetzgebung!, ZUR 2011, 281 f. 23 Zu den Unterschieden im Einzelnen C. Calliess / M. Dross, Neue Netze braucht das Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG), JZ 2012, 1002 (1010 f.). 24 SRU (Fn. 17), S. 281 ff. und 324 ff.

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3. Die gesetzgeberischen Reaktionen auf „Stuttgart 21“ In einer dritten Entwicklungslinie stellt das NABEG das wohl weitreichendste Beispiel für die gesetzgeberischen Reaktionen auf die Vorgänge um Stuttgart 21 in den Jahren 2010/2011 dar. Obwohl gesellschaftlicher Widerstand gegen Großvorhaben alles andere als ein besonders neues Phänomen darstellte,25 haben die Proteste gegen das Verkehrsprojekt „Stuttgart 21“ offenbar einem großen Teil der politischen Entscheidungsträger das gewaltige Konfliktpotential der Planung und Zulassung umweltbelastender Großvorhaben überhaupt erst bewusst gemacht.26 Da die Proteste in Stuttgart auch durch eine missglückte Kommunikationsstrategie des Landes und der Bahn verschärft worden sein dürften, wurde das Gesamtphänomen weithin und unter souveräner Ausblendung sämtlicher in Umsetzung der Århus-Konvention längst vorgenommener Änderungen auf angebliche Defizite der bestehenden Vorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung zurückgeführt.27 Eine zentrale Reaktion zur Bändigung des in neuer Schärfe entdeckten „Wutbürgers“ bestand daher in einem weiteren Ausbau und einer Vorverlagerung der Öffentlichkeitsbeteiligung. Neben der neuen Vorschrift über die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 Abs. 3 VwVfG bildet das neue Energie-Infrastrukturrecht mit seinen Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung das Flaggschiff dieser Entwicklung. All diese Entwicklungen führten im neuen Energie-Infrastrukturrecht zu einem Umfang an Öffentlichkeitsbeteiligung, der in dieser Form das gesamte bisherige Zulassungsrecht in den Schatten stellt, seitdem allerdings zwischen allen politischen Kräften zu einer Art Rechtskonsens erstarkt ist und als vorbildhaft für viele weitere Bereiche gilt.28 Allerdings sind zumindest seitens der Rechtswissenschaft mittlerweile auch Stimmen vernehmbar, die generell eine Rückführung der Öffentlichkeitsbeteiligung auf ein konsistentes Grundmuster fordern.29 Über welche Normen sprechen wir also?

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Vgl. zu einigen dieser Beispiele bereits B. Stüer (Hrsg), Planung von Großvorhaben, Osnabrück 1999. 26 Vgl. nur die Thesen von einem einen „Testfall für die Demokratie“ (U. Sarcinelli, Das Parlament v. 03. 01. 2011, S. 9.) oder gar einer neuen Ära der „Postdemokratie“ (D. Jörke, Bürgerbeteiligung in der Postdemokratie, APuZ 1 – 2/2011, 13 ff.). 27 Vgl. die Nachweise bei Durner (Fn. 3), 357. 28 Vgl. etwa T. Montag, Netzausbau ohne Bürger, Analysen & Argumente Mai 2012, S. 1: „Die Mitwirkungsrechte der Öffentlichkeit bei der Planung und Zulassung von Höchstspannungsleitungen sind dort beinahe vorbildlich ausgestaltet.“; E. Hofmann, Die Modernisierung des Planungsrechts: das Energierecht als neues Paradigma der Öffentlichkeitsbeteiligung in einer Planungskaskade?, JZ 2012, 701 (711). 29 So vor allem T. Mann, Großvorhaben als Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat, Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer (VVDStRL) 72 (2013), S. 544 (577 ff.); Kritik an der Komplexität der einzelnen Stufen der Öffentlichkeitsbeteiligung auch bereits bei Durner (Fn. 3), 358.

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II. Vorgaben zur Öffentlichkeitsbeteiligung im neuen Energie-Infrastrukturrecht Die Kaskade der Öffentlichkeitsbeteiligung beim Ausbau der Energienetze ist nur im Zusammenhang des gestuften Planungssystems selbst verständlich. Am stärksten fällt diese Stufung für die länderübergreifenden oder grenzüberschreitenden NABEG-Leitungen aus, bei denen sich der sechsstufige Planungsprozess in drei Phasen untergliedern lässt. Hier soll nur ein Überblick über diese anderweitig ausführlich beschriebene und analysierte Öffentlichkeitsbeteiligung gegeben werden.30 1. Phase I: Regulierte Bedarfsfestlegung Zunächst wird die bislang stark durch politische Erwägungen geprägte erste Phase der gesetzlichen Bedarfsplanung durch eine gemeinsame Netzausbauplanung aller Netzbetreiber ersetzt. Nach § 12a EnWG erarbeiten die Übertragungsnetzbetreiber hierfür jährlich einen gemeinsamen Szenariorahmen, der die Bandbreite wahrscheinlicher Entwicklungen und die letztlich wahrscheinliche Entwicklung für die nächsten zwanzig Jahre darstellt und dabei die „mittel- und langfristigen energiepolitischen Ziele der Bundesregierung“ in Rechnung stellen soll. Die Regulierungsbehörde macht den Entwurf gem. § 12a Abs. 1 Satz 2 EnWG auf ihrer Internetseite – und nur dort – öffentlich bekannt und gibt der Öffentlichkeit ein erstes Mal Gelegenheit zur Kritik. Die Behörde genehmigt dann den Szenariorahmen „unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung“ und kann ihn dabei eigenverantwortlich modifizieren. Dies soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers bereits in einem frühen Stadium größtmögliche Transparenz und Akzeptanz gewährleisten.31 Der erste von mittlerweile drei Szenariorahmen wurde auf dieser Grundlage im Dezember 2011 durch die BNetzA genehmigt,32 der vierte befindet sich derzeit im Verfahren.33 Damit sollen die energiestrukturellen Szenarien als Grundlage der anschließenden Netzentwicklungsplanungen feststehen und in den folgenden Planungsstufen grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellt werden können. Auf dieser Grundlage legen die Übertragungsnetzbetreiber dann seit 2012 jährlich einen nationalen Netzentwicklungsplan vor, der alle im jeweils nächsten Jahrzehnt für einen sicheren Netzbetrieb erforderlichen Maßnahmen enthält, namentlich die erforderlichen Ausbaumaßnahmen, jedoch noch keine konkreten Trassenverläufe. Wiederum sind nach § 12b Abs. 3 EnWG – diesmal allerdings durch die Übertra30 Eingehend dazu Guckelberger (Fn. 1), S. 64 ff.; G. Becker, in: Posser / Faßbender (Fn. 6), Kap. 6 Rn. 100 ff. 31 Vgl. BT-Drs. 17/6072 v. 06. 06. 2011, S. 2. 32 Vgl. die Presseerklärung der Bundesnetzagentur v. 07. 12. 2011, „Genehmigung des Szenariorahmens zur energiewirtschaftlichen Entwicklung nach § 12a EnWG“. 33 Vgl. die Presseerklärung der Bundesnetzagentur v. 05. 04. 2013, „Bundesnetzagentur stellt Entwurf des Szenariorahmens zum Netzentwicklungsplan Strom und Offshore Netzentwicklungsplan 2014 zur Konsultation“.

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gungsnetzbetreiber selbst – Öffentlichkeit, nachgelagerte Netzbetreiber und Träger öffentlicher Belange zu beteiligen. Die Regulierungsbehörde kann anschließend Änderungen am Entwurf verlangen. Auf dieser Grundlage haben die Übertragungsnetzbetreiber am 15. August 2012 einen überarbeiteten Netzentwicklungsplan Strom 2012 veröffentlicht.34 Eine weitere, auf die „betroffene Öffentlichkeit“ beschränkte Öffentlichkeitsbeteiligung findet nach § 12c Abs. 3 EnWG im Zusammenhang mit dem durch die Bundesnetzagentur begleitend erstellten Umweltbericht statt.35 In diesem Verfahren wurde der Netzentwicklungsplan am 25. November 2012 bestätigt und tags darauf der Bundesregierung übergeben.36 Auf dieser Grundlage hat der Bundestag im April 2013 den Bundesbedarfsplan als Gesetz beschlossen, das nach Beteiligung des Bundesrates im Sommer 2013 in Kraft getreten ist, damit für die Zulassungsverfahren den Bedarf verbindlich feststellt und im Folgenden mindestens alle drei Jahre überarbeitet werden soll. 2. Phase II: Bestimmung der Trassenkorridore Im Hinblick auf die dann anstehende Phase der Verwirklichung der im Bundesbedarfsplan als länderübergreifend oder grenzüberschreitend gekennzeichneten Höchstspannungsleitungen ist das zentrale Element des Gesetzentwurfs die Untergliederung der Zulassung in eine verbindliche Grobtrassenplanung und eine parzellenscharfe Planfeststellung. Die grobe „Bundesfachplanung“ durch die Bundesnetzagentur soll die 500 bis 1000 Meter breiten Trassenkorridore37 für nachfolgende Verfahren bindend festlegen und insoweit auch die Öffentlichkeitsbeteiligung abarbeiten. Hierzu findet nach § 7 Abs. 1 und 2 NABEG zur Festlegung des Untersuchungsrahmens eine öffentliche Antragskonferenz statt, die als zusätzliche Stufe der Öffentlichkeitsbeteiligung verortet werden kann, auf die dann eine weitere förmliche Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 9 NABEG folgt, die gem. § 10 NABEG zwingend einen ersten Erörterungstermin umfasst.38 Ab dann steht die grobe Trasse fest und wird im Bundesanzeiger veröffentlicht. Gegenüber Betroffenen entfaltet diese Festlegung nach der ausdrücklichen Vorgabe in § 15 Abs. 3 Satz 1 NABEG aber noch keine unmittelbare Rechtswirkung.

34 Vgl. die Presseerklärung der Bundesnetzagentur v. 16. 08. 2012, „Bundesnetzagentur erhält von den Übertragungsnetzbetreibern überarbeiteten Netzentwicklungsplan Strom 2012“. 35 Auch dazu Guckelberger (Fn. 1), S. 68 f. 36 Vgl. die Presseerklärung der Bundesnetzagentur v. 26. 11. 2012, „Bundesnetzagentur legt Entwurf für Bundesbedarfsplan vor“. 37 So die Vorgabe der Gesetzbegründung BT-Drs. 17/6073 v. 06. 06. 2011, S. 23. 38 Dazu im Detail Guckelberger (Fn. 1), S. 70 ff.; J. Willbrand, in: Posser / Faßbender (Fn. 6), Kap. 4 Rn. 48 und 66 ff.

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3. Phase III: Zulassung der Anlage Die anschließende energierechtliche Planfeststellung – bei der man mittlerweile von der im Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Zuständigkeit durch Verordnung ebenfalls von den Ländern auf die Bundesnetzagentur übertragen hat39 – reduziert sich damit zumindest nach der gesetzlichen Konzeption auf eine Detailplanung. Wiederum ist nach § 20 Abs. 2 NABEG bereits die zur Festlegung des Untersuchungsrahmens der Umweltverträglichkeitsprüfung und aller sonstigen für die Planfeststellung erheblichen Fragen vorgeschriebene Antragskonferenz öffentlich. Vertreter der Öffentlichkeit haben dabei ein (bloßes) Anwesenheitsrecht. Darauf folgt dann im Rahmen der letzten Stufe der Beteiligung der Öffentlichkeit der zwingend erforderliche zweite Erörterungstermin nach § 22 NABEG in Verbindung mit § 73 Abs. 6 VwVfG.40 Der in diesem Verfahren erlassene außenwirksame Planfeststellungsbeschluss ist dabei nach der Konzeption des neuen Energie-Infrastrukturrechts der einzige angreifbare Rechtsakt.41 Der Potenzierung der Öffentlichkeitsbeteiligung steht also ein ausgesprochen restriktives Angebot an Rechtsschutz entgegen. Wie namentlich Erbguth herausgearbeitet hat, wird durch diese komplette Verlagerung des gesamten Rechtsschutzes auf die Anfechtung der allerletzten Verwaltungsentscheidung, bei der sämtliche Vorstufen nur inzident mit dem Planfeststellungsbeschluss überprüft werden können, zumindest faktisch auch die gerichtliche Kontrolldichte erheblich reduziert.42 Dennoch hat der Jubilar erst im vergangenen Jahr seine Auffassung bekräftigt, dass dieses Modell mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar sei.43 Seitdem hat freilich das Bundesverfassungsgericht in seinem Garzweiler-Urteil vom 17. Dezember 2013 gefordert, den Rechtschutz so rechtzeitig zu eröffnen, dass im Hinblick auf die bereits erfolgten Vorfestlegungen „eine grundsätzlich ergebnisoffene Überprüfung“ aller maßgeblichen Fragen noch „realistisch er-

39 Vgl. Verordnung über die Zuweisung der Planfeststellung für länderübergreifende und grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen auf die Bundesnetzagentur v. 23. 7. 2013, BGBl. Nr. 41, v. 26. 07. 2013, S. 2582; dazu A. Steinbach, Keine Energiewende ohne Netze: Die Umsetzung des Bedarfsplangesetzes im reformierten Rechtsrahmen, DÖV 2013, 921 (926 f.). 40 Auch dazu Guckelberger (Fn. 1), S. 74 f. 41 Gewichtige Zweifel an der Durchhaltbarkeit dieses Grundsatzes entwickeln indes H. Posser / H.-J. Schulze, in: Posser / Faßbender (Fn. 6), Kap. 13 Rn. 3 ff. 42 W. Erbguth, Phasenspezifischer oder konzentrierter Rechtsschutz? – Anhand des Umwelt- und Planungsrechts, Art. 14 GG, § 35 III 3 BauGB, NVwZ 2005, 241 ff. 43 W. Erbguth, Planerische Rechtsfragen des Netzausbaus, in: Kment (Fn. 1), S. 17 (45 ff.); vgl. zu all diesen Fragen auch die Ausführungen von W. Kluth, in diesem Band S. 119 (128 ff.).

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wartet werden kann“.44 Dass dies ganz am Ende des Netzausbaus noch für alle Vorentscheidungen der Fall sein soll, lässt sich jedenfalls anzweifeln.45 4. Vielzahl der Öffentlichkeitsbeteiligungen in diesem Modell Bereits bei einer einfachen Abfolge aller vorgesehenen Stufen dieses Planverfahrens lassen sich bis zu sieben Stufen der Öffentlichkeitsbeteiligung unterscheiden. Diese Normen liefern aber beileibe noch kein vollständiges Bild von der Vielzahl der tatsächlich stattfindenden Öffentlichkeitsbeteiligungen: a) Zunächst sind der Szenariorahmen und der Netzentwicklungsplan jährlich zu erneuern, sodass es auch im Zuge der zwingend vorgeschriebenen Aktualisierungen jährlich zu neuen Runden der Öffentlichkeitsbeteiligung kommt. Immerhin kann sich nach § 12d EnWG bei dieser Fortschreibung des Netzentwicklungsplans die Öffentlichkeitsbeteiligung auf Änderungen des Szenariorahmens oder des Netzentwicklungsplans beschränken. b) Hinzu treten jedoch ggf. weitere Öffentlichkeitsbeteiligungen im Zuge von Planänderungen. Explizit normiert ist das nur für das Planfeststellungsverfahren. Nach § 76 Abs. 1 VwVfG bedarf es eines neuen Planfeststellungsverfahrens, wenn vor Fertigstellung des Vorhabens der festgestellte Plan geändert werden soll. Zudem sind nach den durch die Rechtsprechung für das Planfeststellungsverfahren entwickelten Grundsätzen neue Auslegungen und Einwendungsverfahren immer dann erforderlich, wenn wesentliche Änderungen erfolgen.46 c) Für die Ebene der Bundesfachplanung hat der Gesetzgeber die bisherige These des Verfassers und anderer, der Bundesnetzagentur sei dann als Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes der Planerhaltung das Recht zugestehen, Mängel der Bundesfachplanung durch Planänderung, Planergänzung oder ergänzendes Verfahren47 zu beheben, durch den im Dezember 2012 erlassenen neuen § 15 Abs. 3 Satz 3 NABEG bestätigt.48 Auch hier werden jedoch konsequenterweise analog zum Plan44 BVerfG, Urt. v. 17. 12. 2013 – Az: 1 BvR 3139/08 und 1 BvR 3386/08 –, DVBl. 2014, 175 (177) mit Anm. W. Durner / F. Karrenstein; in der Sache ebenso bereits Beschl. v. 31. 5. 2011 – 1 BvR 857/07 –, BVerfGE 129, 1 (32 f.). 45 So durch C. Moench / M. Ruttloff, Rechtsschutzgarantie und Bundesfachplanung, NVwZ 2014, 897 ff. 46 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 2. 2. 1996 – Az. 4 A 42/95, NVwZ 1996, 905 ff.; Urt. v. 12. 12. 1996 – Az.: 4 C 29/94, BVerwGE 102, 331 (340). 47 Umfassend zu den erwähnten Instituten P. Henke, Planerhaltung durch Planergänzung und ergänzendes Verfahren, Münster 1997. 48 Eingefügt durch Art. 4 Abs. 4 des Dritten Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom 20. Dezember 2012. Zwar ist die dort in Bezug genommene Planerhaltungsvorschrift des § 43e Abs. 4 EnWG zwischenzeitlich dem Planvereinheitlichungsgesetz zum Opfer gefallen (Art. 4 Abs. 4 lit. b des Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren vom 31. 05.

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feststellungsverfahren bei wesentlichen Änderungen neue Öffentlichkeitsbeteiligungen erforderlich sein.49 Tatsächlich spricht vieles dafür, dass die Bundesnetzagentur von der Möglichkeit zur Nachbesserung der Bundesfachplanung starken Gebrauch machen und die Ermittlungen zunächst in einer deutlich geringeren Ermittlungstiefe durchführen wird, als dies der ursprünglichen Konzeption des NABEG entspricht.50 Im Endeffekt wäre die Bundesfachplanung damit kaum mehr als eine erste kartographische Vorzugstrasse des Bundes, die dann im Zuge der Vorbereitungen für die nachfolgende Planfeststellung auf der Grundlage weiterer Kartierungen zeitnah modifiziert würde. Bundesfachplanung und Planfeststellung würden dann – ähnlich wie in einem Parallelverfahren nach § 8 Abs. 3 BauGB51 – ständig aufeinander abgestimmt und die notwendige Flexibilität bei der Planfeststellung durch kurzfristige Anpassungen der Bundesfachplanung sichergestellt. Sollte sich dieses Szenario als Weg der Praxis erweisen, so wäre nochmals eine Fülle weiterer Öffentlichkeitsbeteiligungen durchzuführen. d) Hinzu treten schließlich weitere freiwillige Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung einerseits durch die Bundesnetzagentur selbst, andererseits durch die Übertragungsnetzbetreiber, die in dem System des Energie-Infrastrukturrechts auch ohne gesetzliche Grundlage möglich und nach der Vorstellung des Gesetzgebers explizit erwünscht sind.52 In der Praxis wird auch von dieser Option vielfach Gebrauch ge-

2013), sodass der Verweis mit dem In-Kraft-Treten des maßgeblichen Art. 4 ab Juni 2015 ins Leere gehen wird. Gleichwohl lässt sich § 15 Abs. 3 Satz 3 NABEG seinem Sinn und Zweck nach die Befugnis der Bundesnetzagentur entnehmen, Mängel der Bundesfachplanung zu beheben. 49 Näher J. Willbrand, in: Posser / Faßbender (Fn. 6), Kap. 4 Rn. 138. 50 So soll bei der erstmaligen Bundesfachplanung zunächst auf vollständige artenschutzrechtliche Prüfungen – die gemäß § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG explizit trassenrelevant (vgl. nur C. Weidemann / T. Krappel, Artenschutzrecht bei der Planung von Infrastrukturvorhaben, EurUP 2011, 2 (12 f.)) und insoweit nach notwendiger Teil des Prüfprogramms der Bundesfachplanung sind (so etwa C. Sangenstedt, in: Steinbach (o. Fußn. 6), § 7 NABEG Rn. 96 und 99 sowie § 20 NABEG Rn. 30) –, grundsätzlich verzichtet werden und lediglich ein Abgleich mit der bestehenden naturschutzrechtlichen Gebietskulisse erfolgen. Vgl. zu diesem Vorgehen die Ankündigung der Bundesnetzagentur im Leitfaden zur Bundesfachplanung vom 07. 08. 2012, S. 22, eine „Vorprüfung der artenschutzrechtlichen Belange auf Grundlage vorhandener Unterlagen“ durchzuführen, die nur „im Einzelfall … eine vollständige artenschutzrechtliche Prüfung“ beinhalten müsse; vgl. auch S. de Witt, in: ders./Scheuten (Fn. 6), § 5 Rn. 6 und 13; J. Willbrand, in: Posser / Faßbender (Fn. 6) Kap. 4 Rn. 32 („Vorabschätzung“). 51 Vgl. zu diesem Vorgehen auch J. Willbrand, in: Posser / Faßbender (Fn. 6), Kap. 4 Rn. 107. 52 Schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 4. Juli 2011 eingegangenen Antworten der Bundesregierung, BT-Drs. 17/6541 v. 08. 07. 2011, S. 51: „Dem Vorhabenträger und auch der zuständigen Behörde steht es selbstverständlich im Einzelfall frei, neue begleitende Verfahrens- und Dialogformen zuzulassen, die zur Steigerung der Akzeptanz von Leitungsprojekten beitragen können. Dafür bedarf es keiner speziellen gesetzlichen Regelung.“

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macht,53 so dass neben die erwähnten zwingenden Formen der Bürgerbeteiligung zusätzliche Dialog- und Beteiligungsformen treten, die der Forderung nach einem „permanenten Dialog“ neben den förmlichen Schritten der Bürgerbeteiligung54 bereits nahe kommen. Wie immer man die Aussichten bewertet, dass durch gestufte Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung Akzeptanz bei betroffenen und interessierten Bürgern geschaffen wird,55 so ist jedenfalls festzustellen, dass das Gesamtbild der vorgeschriebenen, ständig zu aktualisierenden oder im Zuge der Planänderungen erforderlich werdenden Stufen der Öffentlichkeitsbeteiligung schon für Juristen ausgesprochen verwirrend erscheint. Bereits aus einer rein rechtlichen Perspektive drängt sich somit die Frage auf, ob und wie der Bürger in diesem System überhaupt noch erkennen kann, wozu er jeweils Stellung beziehen soll. Insgesamt erscheint die gesetzgeberische Ausgestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung im neuen Energie-Infrastrukturrecht in ihrer Stufung als unnötig überkomplex. 5. Abschichtung des Entscheidungsprogramms – keine Abschichtung der Bürgerbeteiligung Darüber hinaus ist ein gewisser Widerspruch des Gesamtmodells darin zu sehen, dass zwar einerseits eine angeblich trennscharfe Abschichtung der verschiedenen Planungsstufen intendiert ist, dass jedoch andererseits im Verhältnis zum abschließenden Planfeststellungsverfahren durchgängig und offenbar bewusst auf jede Präklusionsregelung verzichtet wurde. Zwar steht zu diesem Zeitpunkt immerhin der eigentliche Ausbaubedarf gesetzlich fest. Neue Einwendungen gegen den Korridor jedoch sind verfahrensrechtlich auch im Planfeststellungsverfahren nicht ausgeschlossen. Dies wird vielfach als Schritt zur Akzeptanzbildung begrüßt,56 kann aber systematisch kaum überzeugen: Nach der bindenden Festlegung der Trasse bleibt es zwar Jedermann weiterhin unbenommen, erstmals im Planfeststellungsverfahren etwa die Umweltverträglichkeit des Trassenkorridors in Frage zu stellen. In diesem Stadium aber verfügt die nunmehr handelnde Planfeststellungsbehörde wegen ihrer gesetzlichen Bindung an die Bundesfachplanung über keinerlei Kompetenzen mehr, entsprechende Einwände zu berücksichtigen.57 Präkludiert ist sozusagen allein die Geneh53

Vgl. dazu besonders den Bericht von Ahmels (Fn. 1). Kritisch dazu K.-P. Dolde, Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, NVwZ 2013, 769 (771 f.) m.w.N. 55 Vgl. dazu etwa K. Schnelle / M. Voigt, Energiewende und Bürgerbeteiligung. Öffentliche Akzeptanz von Infrastrukturprojekten am Beispiel der „Thüringer Strombrücke“, 2012, S. 31 ff.; Ziekow (Fn. 1), S. D72 ff., sowie bereits frühzeitig T. Würtenberger, Akzeptanz durch Verwaltungsverfahren, NJW 1991, 257 ff. 56 So etwa Gärditz (Fn. 4), 266; Hofmann (Fn. 28), 707. 57 Näher dazu W. Durner, Die „Bundesfachplanung“ im NABEG – Dogmatischer Standort, Bindungswirkung, Prüfprogramm und infrastrukturpolitische Modellfunktion, DVBl. 2013, 1564 (1569 ff.). 54

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migungsbehörde. Ein solches Auseinanderklaffen von Verfahrensrecht und materiellem Entscheidungsprogramm dürfte den auf dieser Stufe vorgesehenen zweiten Erörterungstermin unweigerlich teilentwerten, da dort Fragen mündlich erörtert werden sollen, die zwar den Gegenstand umfangreicher Einwendungen bilden werden, jedoch rechtlich längst bindend vorentschieden sind.58 III. Der Vollzug der Öffentlichkeitsbeteiligungsvorschriften Nach den im Netz verfügbaren Informationen wurden durch die Bundesnetzagentur bislang bundesweit acht Beteiligungsverfahren abgeschlossen;59 hinzu tritt eine nicht genannte Zahl weiterer nicht bundesweiter Verfahren. Die konkrete Zahl an Stellungnahmen lässt sich aus den offengelegten Dokumenten dabei nicht immer entnehmen. Für den Netzentwicklungsplan 2022 und den zugehörigen Umweltbericht erwähnt die Bundesnetzagentur den Eingang von „über 3.300 Stellungnahmen […] , der überwiegende Teil davon von Privatpersonen“, deren Inhalt in die Prüfung durch die Bundesnetzagentur eingeflossen sei.60 Für den Netzentwicklungsplan 2023 hat die Bundesnetzagentur mehr als 7.000 Stellungnahmen erhalten, die sich zumeist weniger auf die Gesamtpläne als vielmehr auf konkrete Vorhaben bezogen.61 Für den Szenariorahmen 2023,62 den Szenariorahmen 202463 und den Untersuchungsrahmen für die Strategische Umweltprüfung 201364 liegen die Einwendungen der beteiligten Institutionen und Privatpersonen auszugsweise vor, doch scheint eine erhebliche Zahl von Einwendern einer Veröffentlichung widersprochen zu haben. Insgesamt beteiligen sich dabei Private ebenso wie Energiekonzerne, kleine Unternehmen oder Hochschulen, sodass etwa im Verfahren zur Erstellung des Netzent58

Gerade solche Vorfestlegungen gelten weithin als das Hauptdefizit der bestehenden Bürgerbeteiligungsverfahren. Vgl. in diesem Sinne beispielsweise die vielbeachtete Stellungnahme von H. Geißler, Schlichtung Stuttgart 21 PLUS vom 30. 11. 2010, S. 6. 59 Es handelt sich dabei um folgende Verfahren: Konsultation des Szenariorahmens 2022 (19. 07. 2011 – 29. 08. 2011); Konsultation des Szenariorahmens für den Netzentwicklungsplan Strom 2013 (20. 07. 2012 – 30. 08. 2012); Konsultation des Netzentwicklungsplans Strom 2022 und des Umweltberichts (06. 09. 2012 – 02. 11. 2012); Konsultation des Szenariorahmens 2024 (05. 04. 2013 – 17. 05. 2013); Festlegung des Untersuchungsrahmens für die Strategische Umweltprüfung 2013 (02. 05. 2013 – 31. 05. 2013); Konsultation der Netzentwicklungspläne 2023 und des Umweltberichts (13. 09. 2013 – 08. 11. 2013); Festlegung des Untersuchungsrahmens für die Strategische Umweltprüfung 2014 (23. 04. 2014 – 28. 05. 2014); Konsultation des Szenariorahmens 2025 (12. 05. 2014 – 23. 06. 2014). 60 http://www.netzausbau.de/ ! Bedarfsermittlung ! Zieljahr 2022 ! NEP 2022 und Umweltbericht. Alle Internetquellen wurden im Juli 2014 zuletzt besucht. 61 http://www.netzausbau.de/ ! Bedarfsermittlung ! Zieljahr 2023 ! NEP 2023 und Umweltbericht. 62 http://data.netzausbau.de/Bravo/Stellungnahmen_Szenariorahmen2023.zip. 63 http://data.netzausbau.de/Charlie/Stellungnahmen_Szenariorahmen_2024.zip. 64 http://data.netzausbau.de/Bravo/UB/Entwurf/Untersuchungsrahmen_2013_Stellungnah men.zip.

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wicklungsplans „NEP2023“ Stellungnahmen der Deutschen Umwelthilfe, aber auch einer Bäckerei und einer Fashionagentur vorliegen.65 Manche dieser Einwendungen, etwa die Stellungnahme der Bürger Pro Erdkabel Harzvorlands zum Netzentwicklungsplan 2013, befassen sich auch mit grundlegenden Fragen wie jener nach der Sinnhaftigkeit des Atomausstiegs, andere beziehen sich auf Details einzelner Vorhaben. Insgesamt vermitteln die Dokumente den Eindruck, dass gerade bei Privatpersonen und Bürgerinitiativen kaum Vorstellungen existieren, welche Gesichtspunkte sie in welchem Beteiligungsverfahren vorbringen dürfen.66 Das ist wenig überraschend, bestätigt jedoch die bereits auf Grundlage des Gesetzesbefunds naheliegenden Einwände gegen die Überkomplexität der Abschichtung der Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Bundesnetzagentur bemüht sich insoweit um Unterstützung und hat sogar ein Video bei Youtube eingestellt, das den Betrachter freilich in keiner Weise klüger zurücklässt als zuvor.67 Neben diese formale Öffentlichkeitsbeteiligung treten in der Praxis der Bundesnetzagentur zusätzliche Informationsveranstaltungen und Workshops68, Gesprächsangebote der Netzbetreiber an die Öffentlichkeit69 sowie die bereits nach bisherigem Recht vorgesehenen Erörterungstermine im Zuge der Planfeststellung von Einzelprojekten. Trotz der Schwierigkeiten einer sachgerechten Abschichtung der einzelnen Beteiligungsstufen und -formen wird jedenfalls deutlich, dass die Zahl der Beteiligungen erheblich ansteigt und zugleich die Ausführungen konkreter werden. In vielen Dokumenten der BNetzAwird die positive Resonanz auf die Beteiligungsmöglichkeiten hervorgehoben, ohne dass aber belastbare Zahlen genannt würden.70 Ebenso ist nur vage erkennbar, welche Berücksichtigung die erhobenen Einwände in den Planungen der Bundesnetzagentur finden. So heißt es – und dies ist durchaus repräsentativ – zum Szenariorahmen 2024: „Die Bundesnetzagentur hat die eingegangenen Stellungnahmen ausgewertet und sie bei der Genehmigung des Szenariorahmens berücksichtigt.“71 Im Rahmen der Bestätigung des Netzentwicklungsplans 2012 werden die Stellungnahmen zwar auf über 70 Seiten zusammengefasst, bei der Bewertung der einzelnen Maßnahmen wird dann aber oftmals wiederum nur pauschal auf ihre Be65

Bestätigung Netzentwicklungsplan Strom 2013 v. 19. 12. 2013, S. 23, 25, abrufbar unter http://data.netzausbau.de/Bravo/NEP/NEP2023_Bestaetigung.pdf. 66 Ähnlich auch Guckelberger (Fn. 1), S. 78. 67 http://www.netzausbau.de ! Das Verfahren ! Szenariorahmen (unten rechts). 68 Näher Guckelberger (Fn. 1), S. 67 und 69 m.w.N. 69 Vgl. etwa http://www.tennet.eu/de/netz-und-projekte/tennet-im-dialog.html; http://www. 50hertz.com/de/3711.htm. 70 Vgl. etwa http://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Allgemeines/ Bundesnetzagentur/Publikationen/VERNETZT/VERNETZT2014_01.pdf?__blob=publication File&v=3 S. 6 ff. 71 http://www.netzausbau.de/cln_1421/DE/Bedarfsermittlung/Charlie/SzenariorahmenChar lie/SzenariorahmenCharlie-node.html.

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rücksichtigung verwiesen.72 Dies dürfte freilich auch daran liegen, dass sich viele der Anmerkungen und erhobenen Forderungen in der Sache geradezu diametral gegenüberstehen und durch die Bundesnetzagentur auch genau in diesem diametralen Sinne dargestellt werden.73 Die gestalterischen Freiräume der Behörde werden durch derart divergierende Forderungen jedenfalls kaum berührt. Im Gesamteindruck ist gleichwohl festzustellen, dass nicht nur die Bundesnetzagentur, sondern auch die Netzbetreiber und sonstigen Beteiligten sich nach Kräften bemühen, die neue energieinfrastrukturelle Öffentlichkeitsbeteiligung mit Leben zu erfüllen. Dies deckt sich mit dem Ausbau der Öffentlichkeitsbeteiligung in zahlreichen anderen Bereichen.74 Führt diese dauerhafte Kommunikation mit der Öffentlichkeit indes auch zu den gesetzgeberisch angestrebten Erfolgen? IV. Der Erfolg der bisherigen Öffentlichkeitsbeteiligung Die im neuen Energie-Infrastrukturrecht geschaffenen umfassenden Partizipationsmöglichkeiten gewährleisten nach der Prognose der Gesetzesbegründung „eine höhere Akzeptanz hinsichtlich des Ergebnisses des Planungsprozesses“ und ermöglichen daher sogar „eine gleichzeitige Beschleunigung der Verfahren“.75 Ersichtlich geht es hier nicht mehr um die herkömmliche dienende Funktion des Verfahrensrechts, das in erster Linie die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung sicherstellen soll. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit den Neuerungen bewusst erreichen, dass Einwendern und Betroffenen im und durch das Verwaltungsverfahren zusätzlich die Sinnhaftigkeit des Netzausbaus vermittelt, Widerstände überwunden und Zustimmung geschaffen werden. Das Verwaltungsverfahren soll dazu führen, dass, Energiefreileitungen nicht nur rechtmäßig und rechtssicher zugelassen werden, sondern auch tatsächlich verwirklicht werden können und nicht an dem Protestpotential der Bevölkerung scheitern. Der Gesetzgeber knüpft dabei in der Sache an über 40 Jahre alte Überlegungen des Systemtheoretikers Niklas Luhmann an, der dem Verfahren aus Sicht der Rechtssoziologie tatsächlich vor allem 72

Bestätigung Netzentwicklungsplan Strom 2012 v. 25. 11. 2012, S. 27 – 99 und etwa 178, abrufbar unter http://data.netzausbau.de/Alfa/NEP/NEP2022_Bestaetigung.pdf. 73 Diesen Eindruck erweckt etwa eine Lektüre von S. 30 ff. der Bestätigung Netzentwicklungsplan Strom 2013 v. 19. 12. 2013, abrufbar unter http://data.netzausbau.de/Bravo/ NEP/NEP2023_Bestaetigung.pdf (für ein besonders augenfälliges Beispiel siehe etwa auf S. 36: „Die Erhöhung des Übertragungsbedarfes von 2 GW auf 4 GW (D16) sei […] nicht nachzuvollziehen.“ vs. „Ein anderer Konsultationsteilnehmer erachtet die Erhöhung auf 4 GW hingegen für schlüssig.“). 74 Vgl. etwa jüngst die Fallstudie bei M. Wulfhorst, Neue Wege bei der Bürgerbeteiligung zu Infrastrukturvorhaben – ein Werkstattbericht, DÖV 2014, 730 ff. 75 BT-Drs. 17/6073 v. 06. 06. 2011, S. 19 und 2; vgl. zu diesem Aspekt der Verfahrensverkürzung besonders P. Franke, Beschleunigung der Planungs- und Zulassungsverfahren beim Ausbau der Übertragungsnetze, in: Energie – Wirtschaft – Recht. Festschrift für Peter Salje, Köln 2013, S. 121 ff.

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die Funktion zugesprochen hat, die faktische Hinnahme der Endentscheidung durch alle Betroffenen sicherzustellen.76 Vor allzu hohen Erwartungen ist dabei freilich zu warnen. Bereits bislang haben die zusätzlich eingeführten Beteiligungsschritte die Widerstände weder gegen den Netzausbau noch gegen andere Großvorhaben nennenswert vermindert. Luhmann hat dies damit erklärt, dass es bei bloßen Zweckprogrammen – und die Großvorhaben der Energiewende fallen unter diese Kategorie – nicht möglich sei, der Verwaltung „die politische Mitverantwortung für die wohlwollende Aufnahme ihrer Entscheidungen durch das Publikum“ zuzuschieben; diese Legitimationsleistung müsse das politische System vielmehr selbst erbringen.77 Tatsächlich legt nach Ablauf dreier Jahre zumindest die Berichterstattung in der Tagespresse nahe, dass das neue Energie-Infrastrukturrecht bislang weder die erhofften Beschleunigungseffekte erzielt, noch erkennbar dazu beigetragen hat, Vorbehalte gegen den Netzausbau zu überwinden. Die Widerstände gegen den Netzausbau – sei es von Betroffenen,78 sei es aus Gründen des Naturschutzes,79 sei es seitens von Teilen der Politik80 – sind jedenfalls ungebrochen, der Netzausbau selbst ist längst ins Stocken geraten.81 Die Verzögerungen haben bereits ein Ausmaß angenommen, dass im Süden des Landes Versorgungsengpässe drohen sollen.82 Bemerkenswert ist bei alledem, dass die Widerstände gegen den Netzausbau zunehmend auch eine politische und insbesondere föderale Dimension aufweisen und Landesregierungen sich gegen ebenjenen Netzausbau positionieren, der 2011 noch im Blitzkonsens zwischen Ländern und Bund vereinbart worden war. Ein Kristallisationspunkt dieser Entwicklung ist die sog. Süd-Ost-Trasse von Sachsen-Anhalt nach Bayern, die – wiewohl 2013 unter Zustimmung Bayerns in das Bedarfsplangesetz aufgenommen – seit Beginn des Jahres 2014 durch Bayern wieder in Frage gestellt wird;83 dabei steht der – freilich umstrittene84 – Vorwurf im Raum, durch 76 N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren (1969), 3. Aufl., Neuwied am Rhein 1978, dort auf S. 55 ff. vor allem für das Gerichtsverfahren, aber auf S. 201 ff. auch für Verfahren der Verwaltung dargestellt; vgl. zu dieser oft verkannten Hauptaussage des Werks J. Pietzcker, in: Europäisches Recht zwischen Bewährung und Wandel – Festschrift für Dieter H. Scheuing, Baden-Baden 2011, S. 374 f. 77 Luhmann (Fn. 76), S. 209. 78 C. P. Müller, Stromtrassen und Grödendümbel, FAZ v. 18. 01. 2014, S. 3; Der Stromnetzausbau gerät in Verzug, FAZ v. 23. 04. 2014, S. 16; G. Ismar, Die Angst vor den Windrädern, Bonner General-Anzeiger v. 22. 05. 2014, S. 5. 79 Vgl. W. von Petersdorff, Wie die Ökos die Natur verschandeln, FAS Nr. 52 v. 29. 12. 2013, S. 28. 80 Bayern zieht Stromnetzausbau in Zweifel, FAZ v. 06. 02. 2014, S. 9. 81 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 16. 82 Stromversorgung in Süddeutschland wird eng, FAZ v. 11. 4. 2014, S. 20; vgl. demgegenüber aber auch: Deutschland droht kein Blackout, taz.de v. 23. 11. 2013. 83 Vgl. bereits den Nachweis oben in Fn. 80; ferner: Stromtrassenbau: Seehofer will Kernpunkte der Energiewende neu verhandeln, Spiegel-Online v. 08. 02. 2014; Seehofer hält

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diese Trasse solle lediglich die Abnahme von Braunkohlestrom aus den neuen Ländern sichergestellt werden.85 Angesichts der Proteste in Bayern, die wohl unter Billigung der Staatsregierung gegen Süd-Ost-Trasse geführt wurden, stellte der Präsident der Bundesnetzagentur bemerkenswerterweise fest, die Debatte um den Netzausbau müsse am Ende „vielleicht auch politisch geführt werden“.86 So scheint es nunmehr auch zu kommen: Im Lauf des Sommers 2014 deutet sich sowohl seitens Bayerns87 wie auch seitens des zuständigen Bundesministers Gabriel, der die Position des Freistaats zunächst heftig kritisierte,88 Verhandlungsbereitschaft an.89 Ende Juli wurde durch maßgebliche Politiker über die Köpfe der Bundesnetzagentur hinweg erklärt, die Süd-Ost-Trasse solle nunmehr in dieser Form aufgegeben bzw. verlegt werden.90 Deutlich wird damit eines: Die Frage nach dem Bedarf und dem Verlauf der künftigen Stromtrassen ist keineswegs – wie dies in den Jahren 2011 und 2012 bisweilen geradezu als Konsens angesehen wurde – eine primär technische Frage geblieben, sondern hat in den letzten Jahren auch eine politische Dimension gewonnen. Gerade der Präzedenzfall der Süd-Ost-Trasse scheint derzeit zu einer weiteren Re-politisierung des Netzausbaus zu führen.91 neue Stromtrasse für unnötig, Sueddeutsche.de v. 17. 03. 2014; M. Bartsch, Stromautobahn spaltet Union, taz.de v. 23. 04. 2014. 84 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Dieter Janecek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 18/1177 v. 15. 04. 2014, die – allerdings ohne auf die Trasse selbst konkret einzugehen – erklärt, „… dass der Transport von Braunkohlestrom nicht als wesentlicher Treiber des Netzausbaus bezeichnet werden kann“. Vielmehr wird das Vorhaben gemäß der Begründung des Gesetzes über den Bundesbedarfsplan „durch einen massiven Zubau Erneuerbarer Energien in den ostdeutschen Bundesländern“ und daraus resultierenden „Engpässen im Transport von Strom nach Süddeutschland“ gerechtfertigt, BR-Drucks 819/12 v. 21.12.12, S. 21. 85 Vgl. etwa die entsprechenden und von Bürgerinitiativen vielfach zitierten Aussagen des DWI, C. Gerbaulet / F. Kunz / C. v. Hirschhausen / A. Zerrahn, Netzsituation bleibt stabil, Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 20 – 21/2013,11 und das Interview mit Hirschhausen ebd., 13; sowie allgemeiner L. Jarass, Stromnetzausbau für erneuerbare Energien erforderlich oder für unnötige Kohlestromeinspeisung?, EWeRK 2013, 320 ff.; ders., Kein Netzausbau für unnötigen Kohlestrom, ZfK 5/2014, 2. 86 H. Bünder, Der Ausbau der Stromnetze gerät immer weiter in Verzug, FAZ v. 23. 04. 2014, S. 16. 87 Energieversorgung: Bayern fordert nationale Gasreserve, Spiegel-Online v. 13. 06. 2014. 88 Seehofer in der Energieklemme: Sigmar Gabriel sagt nein zu Trassenmoratorium, Focus-Online v. 05. 02. 2014. 89 M. Bauchmüller / M Szymanski, Seehofers Kabelsalat, Sueddeutsche.de v. 03. 06. 2014. 90 Energiewende: Gabriel rückt von Planung für Südost-Stromtrasse ab, Spiegel-Online v. 30. 07. 2014; Stromleitung von Sachsen-Anhalt nach Bayern. Gabriel rückt von Südost-Trasse ab, Sueddeutsche.de v. 30. 07. 2014; Süd-Ost-Stromtrasse. Ende eines Ungetüms, Sueddeutsche.de v. 30. 07. 2014. 91 Vgl. Energiewende. Die Problemtrassen, FAZ-net v. 31. 03. 2014; zuletzt: Bayern und Thüringen blockieren Bau neuer Stromautobahnen, FAZ v. 12. 09. 2014, S. 17.

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V. Kompetenzen und Kräfteverhältnisse im Zuge des Ausbaus der Energienetze Streitfragen müssen, wenn sich der Streit nicht beheben lässt, am Ende auch rechtlich entschieden werden. Wer aber verfügt juristisch überhaupt über das Letztentscheidungsrecht im neuen Energie-Infrastrukturrecht? 1. Die Stellung der Bundesnetzagentur im Planungsverfahren Die gemeinsame Netzausbauplanung aller Netzbetreiber entsteht im Zusammenwirken dieser Unternehmen mit der Bundesnetzagentur, ohne dass die tatsächlichen Kräfteverhältnisse für Außenstehende deutlich wären. Juristisch ist die Frage der Letztentscheidungskompetenz umstritten: Vor allem seitens der Übertragungsnetzbetreiber wird vertreten, sämtliche Planungsprozesse im Kontext des Netzausbaus seien Antragsverfahren, in denen die antragstellenden Vorhabensträger als materielle Träger der Planungshoheit anzusehen seien; die Funktion der Bundesnetzagentur beschränke sich daher im Regelfall auf eine nachvollziehende Abwägung der Planungen der Vorhabenträger ohne eigene Gestaltungsmacht.92 Nach dieser These würde der gesamte Netzausbau letztlich durch die Übertragungsnetzbetreiber konzipiert und durch die Bundesnetzagentur lediglich auf seine Rechtmäßigkeit überprüft. Diese Deutung des neuen Energie-Infrastrukturrechts entspricht freilich gerade nicht den Aussagen der Bundesnetzagentur93 und ihrer bisherigen Planungspraxis, in der die Behörde etwa den durch die Übertragungsnetzbetreiber am 15. August 2012 vorgelegten überarbeiteten Netzentwicklungsplan Strom 201294 nach einer weiteren Öffentlichkeitsbeteiligung erst nach einer Reduzierung der 74 vorgeschla-

92 So eingehend T. Leidinger, Abwa¨ gung und Alternativenpru¨ fung beim Stromnetzausbau – Zum aktuellen Streitstand, DVBl. 2014, 683 ff.; ähnlich K. Mätzig, Das Recht der Elektrizitätsversorgungsnetze – Netzbetreiberpflichten zwischen unternehmerischer Eigenverantwortung und staatlicher Steuerung, 2012, S. 97 und 100; J. Willbrand, in: Posser / Faßbender (Fn. 6), Kap. 4 Rn. 8 ff.; knapp wohl auch S. de Witt, in: ders. / Scheuten (Fn. 6), § 5 Rn. 11 m.w.N. 93 Deutlich Bundesnetzagentur, Szenariorahmen für die Netzentwicklungspläne Strom 2014, Stand: 28. 03. 2013, S. 3: „Die vorrangige Einspeisung erneuerbarer Energien und ihre vollständige Integration sind in Deutschland gesetzlich geregelt. Darüber hinaus existieren gesetzliche Regelungen zum Netzanschluss von regenerativen und konventionellen Erzeugungsanlagen, etwa die freie Standortwahl der Kraftwerke, die für die ÜNB bindend sind. Die ÜNB bestimmen somit nicht über Art, Umfang und Ort der Erzeugung oder den Energieverbrauch. Ebenso entscheiden sie nicht über Genehmigungen von Stromtrassen, sondern setzen politische Entscheidungen um.“ 94 Vgl. die Presseerklärung der Bundesnetzagentur v. 16. 08. 2012, „Bundesnetzagentur erhält von den Übertragungsnetzbetreibern überarbeiteten Netzentwicklungsplan Strom 2012“; derzeit überarbeiten die Netzbetreiber den Entwurf des Netzentwicklungsplans 2013.

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genen Maßnahmen auf 51 bestätigte und der Bundesregierung übergab.95 Gerade diese weitreichende Kürzung in einem zweiten Überarbeitungsprozess, die wohl einer zeitgleich aufgeflammten Diskussion um die Kosten des Netzausbaus geschuldet war, verdeutlicht die tatsächliche Reichweite der durch die Behörde beanspruchten gestalterischen Freiräume. Dabei dürfte die Bundesnetzagentur das Recht auf ihrer Seite haben. In der Argumentation der Übertragungsnetzbetreiber wird verkannt, dass in planerischen Antragsverfahren stets erst durch Auslegung des einschlägigen Fachrechts zu ermitteln ist, ob die Ausübung der planerischen Gestaltungsfreiheit der Behörde oder dem Vorhabenträger zugewiesen ist.96 Der Konzeption und dem Gesamtzusammenhang der maßgeblichen Rechtsgrundlagen entspricht insoweit allein ein Letztentscheidungsrecht der Bundesnetzagentur: Der Netzausbau und überhaupt die gesamte Energiewende sind nicht etwa unverbindliche Angebote der Politik an die Stromindustrie, sondern ein politisches, im Ansatz durchaus planwirtschaftliches Projekt des Bundes und keine autonom der Energiewirtschaft überlassene Aktivität. Im System der Netzplanung können die Netzbetreiber auf allen Stufen gezwungen werden, zeitnah entsprechende Anträge zu stellen und Investitionen zu treffen.97 Solche Schritte sind nicht mehr – wie bislang – Unternehmerentscheidungen, sondern regulierungsrechtlich durchsetzbare Pflichten der Betreiber.98 Schon bei der weichenstellenden Festlegung des Untersuchungsrahmens ist die Bundesnetzagentur zudem gem. § 7 Abs. 3 Satz 2v NABEG weder an den Antrag des Vorhabenträgers noch an Trassenvorschläge der Länder gebunden. Auch Vorschriften wie § 12c Abs. 1 Satz 2 EnWG, nach denen die Bundesnetzagentur Änderungen des Entwurfs des Netzentwicklungsplans durch die Übertragungsnetzbetreiber verlangen kann, sind daher keine Ausnahmebestimmungen, sondern Ausdruck einer generellen Kompetenzverteilung zwischen Betreibern und Behörde.99 Entscheidend ist aber letztlich vor allem, dass die gesamten Kosten des Netzausbaus keineswegs den Marktkräften überlassen, sondern über staatlich regulierte Netzentgelte auf die Stromkunden abgewälzt werden.100 Die Risiken jeglicher Fehl95 Vgl. die Presseerklärung der Bundesnetzagentur v. 26. 11. 2012, „Bundesnetzagentur legt Entwurf für Bundesbedarfsplan vor“. 96 Näher dazu Durner (Fn. 13), 312 ff. m.w.N. Grundlegend für diese Einsicht ist der Beitrag von W. Hoppe / J.-D. Just, Zur Ausübung der planerischen Gestaltungsfreiheit bei der Planfeststellung und Plangenehmigung, DVBl. 1997, 789 ff. 97 Ausführlich dazu A. Glaser, Das Netzausbauziel als Herausforderung für das Regulierungsrecht, DVBl. 2012, 1283 (1285); K. Beckmann, Das neue atomausstiegsrechtliche Begleitgesetz des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG), VR 2011, 365 (367). 98 Vgl. etwa M. Kment, Vorbote der Energiewende in der Bundesrepublik Deutschland: das Netzausbaubeschleunigungsgesetz, RdE 2011, 341 (343 ff.); C. Moench / M. Ruttloff, Netzausbau in Beschleunigung, NVwZ 2011, 1040 (1040). 99 Vgl. dazu gleichsinnig H.-J. Koch, in diesem Band S. 65 (71 ff.). 100 Zur Berücksichtigung der Netzinvestitionen in der Entgeltregulierung Leidinger in: Posser / Faßbender (Fn. 6), Kap. 3 Rn. 499 ff.; vgl. im Übrigen bereits H. Kube / U. Palm / C. Seiler, Finanzierungsverantwortung für Gemeinwohlbelange, NJW 2003, 927 (929 ff.).

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planungen und Überdimensionierungen werden also nicht etwa von den Netzbetreibern,101 „sondern vom Konsumenten getragen“.102 Diese Strukturentscheidung macht aber letztlich ein System unumgänglich, in dem die Maßnahmen für den Netzausbau durch den Staat definiert, konzipiert, finanziert, gewährleistet und verantwortet werden.103 Ähnlich wie beispielsweise das Erdölbevorratungsgesetz legt auch das neue Energie-Infrastrukturrecht den privaten Netzbetreibern somit „bestimmte Handlungspflichten auf, um damit die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe sicherzustellen“. Dies lässt sich mit dem Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Erdölbevorratungsgesetz als „Indienstnahme Privater für öffentliche Aufgaben“104 deuten.105 Nicht der Netzbetreiber, sondern die Bundesnetzagentur ist nach alledem als materieller Träger der Bundesfachplanung anzusehen. 2. Formelle und informelle Einflüsse von Bundesregierung und Politik Ist aber der Netzausbau seit den Weichenstellungen des Energiewendepakets in allen wesentlichen Fragen ein staatliches Vorhaben, so stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation dieses gewaltigen Projekts in ganz anderer Weise als in dem früheren privatwirtschaftlich organisierten System. Dabei hat der Bund die Vorschläge des Sachverständigenrats für Umweltfragen, die Verantwortung weitgehend in die Hand der Bundesregierung zu legen,106 gerade nicht umgesetzt. Stattdessen wird die Wahl zwischen den verschiedenen Ausbaudesigns in der Sache zunächst der – aus der normalen Behördenhierarchie weitgehend ausgegliederten – Bundesnetzagentur zugewiesen, die dabei allerdings gem. § 12a Abs. 1 Satz 3 EnWG die „mittel- und langfristigen energiepolitischen Ziele der Bundesregierung“ in Rechnung stellen soll. Einzige offizielle Zielsetzungen, die derzeit in Betracht kommen und demnach auch dem ersten Szenariorahmen zu Grunde ge-

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So die Behauptung bei J. Willbrand, in: Posser / Faßbender (Fn. 6), Kap. 4 Rn. 8. So der treffende Befund bei C. Klein / J. Kühling, Der Belastungsausgleich für Haftungen bei der Offshore-Windenergie – Rechtsprobleme wie bei der EEG-Umlage?, DÖV 2014, 103 (110). 103 Ablehnend zu dieser These des Verf. und der daraus ableitbaren Verantwortung der BNetzA für das Gelingen der Energiewende deren Vizepräsident äußerst sich bemerkenswerterweise deren Vizepräsident P. Franke, in: Festschrift für Peter Salje (Fn. 75), S. 121 (129). 104 So BVerfG, Beschl. v. 16. 3. 1971 – Az: 11 BvR 52, 665, 667, 754/66 –, BVerfGE 30, 292 (310 f.); näher zur umstrittenen dogmatischen Einordnung dieser Figur M. Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, S. 82 f.; J.-C. Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 451 ff.; K. Waechter, Verwaltungsrecht im Gewährleistungsstaat, 2008, S. 130 ff., allesamt auch m.w.N. zur Rspr. 105 So bereits H. Posser / H.-J. Schulze, in: Posser / Faßbender (Fn. 6), Kap. 13 Rn. 8, sowie in diesem Band H.-J. Koch, S. 65 (72) und ähnlich H. Schulze-Fielitz, S. 9 (16). 106 SRU (Fn. 17), S. 314 f. 102

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legt wurden,107 sind die eher vagen und schon vor mehr als sieben Jahren gefassten „Meseberger Beschlüsse“ aus dem Jahr 2007108 und vor allem das formal weiterhin geltende, lediglich um die Aussagen zu dem Atomausstieg ergänzte Energiekonzept vom 28. September 2010,109 das heute bereits ebenfalls wie ein Dokument aus einer anderen Zeit wirkt.110 Formal genießt die Behörde damit mangels weiterer Vorgaben gewaltige Freiräume bei der Ausgestaltung der Energiewende. Diese formale Rechtsposition besagt freilich noch wenig über die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten von Wirtschaft und Politik. Wie im Mai 2013 die erstaunlichen Vorgänge um die Besetzung der Stelle des Pressesprechers der Bundesnetzagentur offenlegten,111 scheinen die informellen Einflüsse der Politik auf die Arbeit der formal unabhängigen Behörde freilich entgegen allen offiziellen Äußerungen durchaus erheblich sein. Die Bundesnetzagentur ist nach Aufgabenfeld und Ausstattung vom Wohlwollen der Bundesregierung abhängig. Nach allem was man in Bonn aus der Behörde vernimmt, sind Anrufe der Kanzlerin wirkungsvoller als jede förmliche Weisung des Wirtschaftsministeriums. Möglicherweise schirmt die formale Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur die Behörde daher zwar von jedem Parlamentseinfluss ab, belässt die informale Kontrolle der Bundesregierung indes weitgehend intakt. 3. Die Rolle des Parlaments im Netzausbau Dies deutet auf die Frage nach der Stellung des Bundestages im System der Energienetzplanung. Die formale Rolle des Parlaments besteht im Erlass eines Gesetzes über den Bundesbedarfsplan, der den Ausbaubedarf bundesrechtlich verbindlich vorschreibt. Die entsprechende Gesetzesvorlage ist der über die Bundesregierung über107 Vgl. die Genehmigung des Szenariorahmens 2012 v. 30. 11.2012, S. 43 ff., abrufbar unter http://www.netzausbau.de/SharedDocs/Downloads/DE/Alfa/Szenariorahmen/Szenariorah men2022_Genehmigung.pdf?__blob=publicationFile; dazu auch U. Heimann, in: M. Rodi (Hrsg.), Anspruchsvoller Umweltschutz in der Fach- und Raumplanung. Planungskaskaden bei Großvorhaben, Berlin 2012, S. 85 (92 f.). 108 Eckpunkte für ein integriertes Energie- und Klimaprogramm – Beschluss des Bundeskabinetts vom 23. Juli 2007. 109 Das Energiekonzept – Beschluss des Bundeskabinetts vom 28. September 2010. 110 Vgl. zu den Problemen dieses Konzepts unter den geänderten Rahmenbedingungen auch W. Sturbeck, Ohne Masterplan droht die Krise, FAZ v. 05. 04. 2012, S. 19. 111 Nach unwidersprochenen Presseberichten (Chef der Bundesnetzagentur wegen TopPersonalie in Erklärungsnot, Spiegel-Online v. 12. 05. 2013; F. Dohmen / G. Latsch, Der Frauenförderer, DER SPIEGEL 20/2013, S. 80 f.) wurde bei der Auswahl eine interne Ausschreibung nicht durchgeführt und auch der normale Ausschreibungsweg nicht eingehalten. Die erfolgreiche Kandidatin wurde anschließend nicht nur unmittelbar auf A 15 verbeamtet (mit der Option einer Beförderung auf A16), sondern erhielt noch zusätzlich das Privileg, ihren Beruf nicht vom Sitz der Behörde in Bonn aus wahrnehmen zu müssen, sondern an ihrem Wohnsitz in Berlin – unter gleichzeitiger Auflösung des bisherigen Pressereferats in Bonn – ein eigenes Büro eingerichtet zu bekommen. Bei der erfolgreichen Bewerberin handelt sich um die Mutter des unehelichen Kindes von Horst Seehofer, einem der politischen Hauptakteure des gesamten Netzausbaus.

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mittelte Netzentwicklungsplan der Übertragungsnetzbetreiber, so wie er durch die Bundesnetzagentur modifiziert und genehmigt wurde. Anders als bei sonstiger Infrastruktur, zu der das Parlament durchaus auch politisch geprägte Ausbauentscheidungen trifft, fand insoweit beim Netzausbau offenbar keinerlei politische Willensbildung statt. Jedenfalls hat der Bundestag im Bundesbedarfsplangesetz vom 23. Juli 2013, obwohl er an die Vorlage natürlich formal nicht gebunden war,112 die Vorgaben der Exekutive unbesehen übernommen. Man darf dieses Desinteresse der Parlamentarier an den Weichenstellungen des Netzausbaus gewiss kritisch betrachten. Ein Stück weit erklärt sich das „Durchwinken“ der Planentwürfe der Bundesnetzagentur jedoch auch aus der Logik des stufenförmigen Planverfahrens: Der Netzentwicklungsplan wird aus dem zuvor festgelegten Szenariorahmen entwickelt. Da jedoch dem Bundestag bei dieser vorgelagerten Szenariobildung eine Mitwirkung nicht zusteht – die gewählten Abgeordneten hätten sich allenfalls im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung an der Online-Befragung der Bundesnetzagentur beteiligen können –, wäre dem Parlament die Entwicklung abweichender Ausbauziele aus eigener Kompetenz jedenfalls sehr schwergefallen.113 Insgesamt blicken wir so auf ein aus demokratischer Perspektive durchaus merkwürdiges Gesamtgebilde: Die energiepolitischen Weichen für das künftige Energiedesign stellen zunächst zwischen Betreibern und Behörde ausgehandelte Szenarien, die das neue System der Netzausbauplanung grundlegend vorprägen und durch die Bundesregierung allenfalls informal beeinflusst werden. Dieses für den Ausbaubedarf weichenstellende Konzept wird jedenfalls nach der bisherigen Praxis durch die Bestätigung des Bundesbedarfsplans nach § 12e Abs. 1 S. 1 EnWG inhaltlich nicht mehr beeinflusst. Das Parlament hat also zwar den Bedarfsplan formal autorisiert, wollte und konnte aber wohl auch auf das diesem Plan zu Grunde liegende Energiedesign mit all seinen föderalen und gesellschaftlichen Umverteilungen kaum Einfluss nehmen. Verglichen mit dem sonstigen Infrastrukturbereich führt das neue Energie-Infrastrukturrecht damit zu einer Verlagerung strukturpolitischer Fragen in eine aus der parlamentarischen Verantwortlichkeit weitgehend ausgegliederte Behörde zu Lasten des Parlaments.114 VI. Der politische Gehalt der Szenariobildung Welche Faktoren erklären es, dass im Recht der Verkehrsinfrastruktur das Parlament nach genuin politischen Maßstäben entscheidet, welche Verkehrswege errichtet werden sollen, im neuen Energierecht die gemeinsame Netzausbauplanung hingegen letztlich durch die Regulierungsbehörde verantwortet wird?

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So statt vieler Moench / Ruttloff (Fn. 98), 1042; Guckelberger (Fn. 1), S. 69. Vgl. dazu die Analyse durch Hermes (Fn. 4), 263. 114 Vgl. Gärditz (Fn. 4), 272 f.; Hermes (Fn. 4), 265. 113

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Ein wichtiger Grund sind zweifellos die ungleich stärker technisch geprägten Anforderungen an das Höchstspannungsnetz, in dem einzelne Abschnitte kaum eigenständige Funktionen erfüllen und – anders als z. B. ein Autobahnabschnitt – nur sehr begrenzt regionale Erschließungsbedürfnisse befriedigen115 und sich zudem selbst kleinste Fehlplanungen oder Lücken im Netz auf dessen Gesamtstabilität auswirken. Dennoch sind die außergewöhnlichen Gestaltungsspielräume der Behörde nicht allein mit diesen – zweifellos bestehenden – Unterschieden der Aufgabenstellung zu erklären. Bereits konzeptionell sind nämlich ganz unterschiedliche Leitbilder für den Netzausbau denkbar, neben verschiedenen Graden an Dezentralität116 namentlich einerseits das ökologisch anspruchsvolle Projekt des Sachverständigenrats für Umweltfragen, das eine nationale „100 % erneuerbare Stromversorgung“ anstrebt und mit dem Ausbau der Windkraft in erster Linie auf einen Nord-Süd-Ausbau setzt.117 Dieses Modell hat sich im Grundsatz auch die Bundesnetzagentur zu Eigen gemacht. Nach diesem Ausbauplan geht es beim Netzausbau – überspitzt – fast ausschließlich darum, deutschen Strom von den deutschen Offshore-Windparks im Norden zu deutschen Verbrauchern im Westen und Süden der Republik zu transportieren. Zugleich legt die bereits erwähnte Süd-Ost-Trasse von Sachsen-Anhalt nach Bayern angesichts ihrer Einspeisepunkte in der durch starke Kohleverstromung geprägten Region Leipzig/Halle in der Tat den Eindruck nahe, dass speziell diese Leitungsanlage wohl vor allem Kohlestrom transportieren sollte. Auch die – freilich bemerkenswert wenig aussagekräftigen – Angaben in den Szenariobildungen lassen diese Deutung zumindest als plausibel erscheinen.118 Und dass im Juli 2014 gemeldet wurde, der 115 Grundlegend zu den damit verbundenen Problemen bei der Bildung einzelner Abschnitte M. Kment / T. Pleiner, Abschnittsbildung bei energiewirtschaftlichen Streckenplanungen, Tübingen 2013, S. 43 ff. 116 Vgl. dazu einerseits – für stärkere Dezentralität – UfU (Fn. 22), S. 1, U. Mans / L. Kayser, Bürgerschaft und dezentrale Energieversorgung, in: Töpfer u. a. (Fn. 3), S. 133 ff.; andererseits für das stark zentralistische Konzept der BNetzA M. Kurth, Energiewende zwischen Mythos und Wirklichkeit, FAZ. v. 16. 03. 2012, S. 12. 117 SRU (Fn. 17), S. 107. 118 Der erste Szenariorahmen 2022 nimmt erstaunlicherweise keinerlei Regionalisierung vor, sondern stellt lediglich den zukünftigen Anteil der verschiedenen Erzeugungsträger bundesweit dar. Eine Regionalisierung wird erst im Netzentwicklungsplan vorgenommen, der aber die Notwendigkeit der Süd-Ost-Trasse durch den Zubau von EEG Anlagen im Ostdeutschland begründete (vgl. dazu bereits oben Fn. 84). Der noch nicht genehmigte Szenariorahmen 2025 (abrufbar unter http://www.netzausbau.de) wird hingegen etwas konkreter und gibt die wahrscheinlichen Erzeugungsleistungen für jedes Land an: In Sachsen-Anhalt steigt demnach in Szenario A die Erzeugungsleistung aus Braunkohle von 1,1 im Referenzjahr auf 1,7 GW 2025, in den anderen Szenarien bleibt der Umfang nahezu gleich (Tabelle auf S. 41 des Entwurfs). Demgegenüber nimmt die Leistung der Gaskraftwerke in Bayern seltsamerweise ab, und auch die Erzeugungskapazitäten sonstiger Energieträger werden sich in der Summe mehr als halbieren (S. 29). Dies legt jedenfalls den Eindruck nahe, dass nach Abschaltung der bayerischen Atomkraftwerke zumindest auch Kohlestrom zum Ausgleich nach Süden transportiert werden soll(te). Stichhaltige Aussagen, wie die Stromversorgung in

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Startpunkt der Trasse solle aus der Region Leipzig und Halle nunmehr nach Mecklenburg-Vorpommern mit seinen vielen Windrädern verlegt werden,119 lässt eigentlich nur die Schlussfolgerung zu, dass der ursprüngliche Vorwurf Bayerns im Kern berechtigt war. Diesem autark zentralistischen Ansatz steht andererseits das Modell der EU-Generaldirektion Energie entgegen, das vor allem auf die Herstellung des Energiebinnenmarkts abzielt und bei dem daher auch die Ost-West-Verbindungen nach Frankreich, Polen und Tschechien eine zentrale Rolle spielen.120 Obwohl diese Konzeptionen meist gleichsam in einem Atemzug genannt werden,121 dürften sie jeweils einen durchaus verschiedenen Ausbaubedarf begründen. Zudem gibt es eher zentralistische Modelle, die auf Windparks in Norddeutschland setzen, und stärker dezentrale Modelle, bei denen z. B. Biomasse eine größere Rolle spielt,122 und daneben natürlich ganz unterschiedliche Szenarien für die künftige Rolle von Kohle und Gas. All dies verdeutlicht, dass die Fragen nach dem Bedarf und dem Verlauf der künftigen Stromtrassen ihrer Natur nach keineswegs allein technisch sind, sondern auch eine verteilungspolitische Dimension aufweisen. „Nordrhein-Westfalen zahlt für Bayerns Ökostrom“ – so titelt ein Beitrag der FAZ vom 4. Februar 2014, in dem dargelegt wird, dass die stetig anwachsenden Umverteilungseffekte des EEG dem des Länderfinanzausgleichs schon jetzt nahe kommen.123 Dabei versucht jedes Bundesland innerhalb der Rahmenbedingungen des EEG seine ganz persönliche Energiewende so zu gestalten, dass die föderalen Umverteilungen möglichst günstig ausfallen.124 Diese Verteilungseffekte des EEG werden jedoch ihrerseits durch den Netzausbau maßgeblich mit- und vorgeprägt. Denn in der Sache stellt der Netzausbau Weichen, die herausragende Standortfaktoren des künftigen Strommarktes darstellen: Das zu schaffende Höchstspannungsnetz definiert die künftigen Stromerzeuger und ihre Abnehmer. Bereits durch das Design des Netzausbaus werden daher nicht nur regional unterschiedliche Betroffenheiten ausgelöst, sondern zusätzlich auch massive Verteilungsprobleme aufgeworfen. Allein schon diese Umverteilungseffekte werfen Fragen nach der politischen Legitimation der einzelnen Modelle auf, die einer politischen – und damit zuallererst einer parlamentarischen – Willensbildung durchaus zugänglich wären. Bayern aussehen wird und welche Rolle die Süd-Ost-Trasse letztlich erfüllen soll, gibt jedoch auch der neue Entwurf des Szenariorahmens bemerkenswerterweise nicht. 119 Vgl. oben Fn. 90. 120 Vgl. etwa EU-Kommission, Energieinfrastrukturprioritäten bis 2020 und danach – ein Konzept für ein integriertes europäisches Energienetz, KOM (2010) 677 endg. v. 17. 11. 2010, S. 11 und 15; näher zur auf diesem Ausbaukonzept der EU aufbauenden neuen TEN-Verordnung Nr. 347/2013 A. Guckelberger, in diesem Band S. 31 (34). 121 So etwa durch Kment (Fn. 98), 341 f. 122 Vgl. bereits oben die Nachweise in Fn. 116. 123 A. Mihm, Nordrhein-Westfalen zahlt für Bayerns Ökostrom, FAZ v. 04. 02. 2014, S. 9. 124 Sechzehn Energiewenden. Am Freitag beschließt der Bundesrat die EEG-Reform, FAZ v. 11. 7. 2014, S. 4.

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Die konzeptionellen Weichenstellungen finden sich dabei nach dem Konzept des neuen Planungssystems in dem allen nachfolgenden Planstufen zu Grunde liegenden Szenariorahmen. Der Szenariorahmen soll die künftige deutsche Energielandschaft beschreiben und bildet die Grundlage für den Netzentwicklungsplan. Die Bundesnetzagentur beschreibt ihn auf ihrer Website als „Blick in die Zukunft mit vielen Variablen“, dem bestimmte Annahmen über Stromverbrauch, Stromproduktion und den künftigen grenzübergreifende Handel mit Elektrizität zu Grunde liegen.125 Tatsächlich geht es gerade bei der Szenariobildung und namentlich bei der Rolle der Windkraft darin auch um einen Nord-Süd-Konflikt.126 Der Szenariorahmen stellt die Weichen für die Verteilung des künftigen Wohlstands, der in der Energiewirtschaft künftig erwirtschaftet und durch die Verbraucher gegenfinanziert werden soll. Der erwähnte Streit um die Süd-Ost-Trasse, die nach Auffassung ihrer Kritiker Braunkohlenstrom von Sachsen-Anhalt nach Bayern transportieren sollte, macht dies besonders deutlich: Der im Kern eher technischen Frage nach dem Verlauf dieser Strecke ist zunächst die energiepolitische Frage vorgelagert, ob und in welchem Umfang der Strom für Bayern künftig tatsächlich durch Windenergie, Gas- oder Kohleverstromung erzeugt werden soll. Gerade der Szenariorahmen, auch wenn er formal lediglich als eine Prognose künftiger Entwicklungen ausgestaltet ist, erscheint damit im Gesamtsystem des neuen Energie-Infrastrukturrechts als eine erste Ebene genuin politischer Vorentscheidungen. Die prognostischen Annahmen der Bundesnetzagentur etwa zu den energiepolitischen Fragen, ob und wieweit im Osten Deutschlands neue Kohlekraftwerke oder in Bayern weniger Gaskraftwerke entstehen oder weiterbetrieben werden, stellen anschließend – ob sie im Szenariorahmen explizit niedergelegt sind oder auf informalen Vorentscheidungen der Agentur beruhen – die Weichen für jene Infrastruktur, die solche Anlagen erschließen und damit überhaupt erst wirtschaftlich möglich machen oder ihren Bestand sichern. Ein erstaunliches Ergebnis der bisherigen Darstellung ist es damit, dass gerade dieser grundlegende, weichenstellende, am stärksten politische Teil der Netzplanung, für den aus verfassungsrechtlicher Sicht bereits nach der Wesentlichkeitstheorie eine hinreichend konkrete gesetzliche Grundlage zu fordern wäre,127 nach der Logik des Planverfahrens einer demokratischen Willensbildung tendenziell entzogen und nahezu vollständig in die Hand einer vermeintlich „entpolitisierten“ Behörde gelegt wird. Neben den zu berücksichtigenden, aber nur rahmensetzenden „energiepolitischen Zielen der Bundesregierung“ und den offenbar durchaus robusten informalen Einflüssen der Politik auf die Behörde sorgt lediglich die Öffentlichkeitsbeteiligung in diesem Planungssystem noch für einen formalisierten politischen Input. 125

http://www.netzentwicklungsplan.de/content/der-szenariorahmen-%E2 %80 %93-grund lage-f%C3 %BCr-den-netzentwicklungsplan. 126 Der Süden wehrt sich gegen das „Diktat des Nordens“, FAZ-net v. 01. 04. 2014. 127 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 21. 12. 1977 – Az: 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75 –, BVerfGE 47, 46 ff.

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VII. Demokratische Legitimation durch Öffentlichkeitsbeteiligung? Diese Analyse lässt die Beobachtungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung in einem anderen Licht erscheinen: Kann der fehlende parlamentarische Input womöglich durch eine demokratische Partizipation im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung kompensiert werden? Während die Gesetzesbegründungen vor allem das Ziel einer Schaffung von Akzeptanz betonen, wird im Schrifttum und ebenso von Seiten einiger politischer Parteien tatsächlich vielfach vertreten, die Öffentlichkeitsbeteiligung im Planungsverfahren hätte „einen eigenständigen demokratischen Gehalt“.128 Dies trifft sich mit allgemeineren deliberativen Demokratietheorien des Schrifttums, etwa mit der „zivilgesellschaftlich orientierten Theorie der Demokratie“ Andreas Fisahns, in welcher „der Öffentlichkeitsbeteiligung ein demokratischer Status“ zugeschrieben wird und diese eine eigenständige Form demokratischer Willensbildung darstellen soll.129 Tatsächlich legt das gesamte Konzept des neuen Energie-Infrastrukturrechts die Vorstellung nahe, dass hier eine hybride Form einer partizipations- und outputbezogenen demokratischen Legitimität begründet werden soll. Aus dieser Perspektive erscheint das neue Modell als Einlösung der jahrzehntealten, von jeher hochumstrittenen Forderungen nach einer „Demokratisierung“ der Planung.130 Bereits das Sondergutachten des Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, das dem gesamten Modell ein Stück weit Pate stand, lässt in seinen Überlegungen zu den „Möglichkeiten einer im Verfahren zu erarbeitenden Legitimationserweiterung“131 ähnliche Vorstellungen erkennen. Auch in Rostock ist dieser Ansatz auf Wohlwollen gestoßen, und Erbguth vertrat im vorletzten Jahr die These, im Hinblick auf die sachliche Legitimation des Netzausbaus seien „vor allem mit Blick auf die Öffentlichkeitsbeteiligung“ Abstriche beim ministeriellen Weisungsrecht zulässig.132 Nach diesem Modell 128 So stellvertretend für einen großen Kreis von Stimmen etwa T. Groß, Stuttgart 21 – Folgerungen für Demokratie und in: H. Hill / K.-P. Sommermann / U. Stelkens / J. Ziekow (Hrsg.), 35 Jahre VwVfG – Bilanz und Perspektiven, Berlin 2011, S. 31 (35) m.w.N.; V. M. Haug / K. Schadtle, Der Eigenwert der Öffentlichkeitsbeteiligung im Planungsrecht, NVwZ 2014, 271 (272); T. Bunge, Beteiligung in umweltbezogenen Verwaltungs- und vergleichbaren Verfahren, in: S. Schlacke / C. Schrader / T. Bunge (Hrsg.), Informationsrecht, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht. Aarhus-Handbuch, Berlin 2010, S. 137; vgl. dazu zuletzt mit umfassenden Nachweisen eingehend T. Mann, (Fn. 29), 561 ff. 129 A. Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, Tübingen 2002; im Ansatz ähnlich P. Nanz / M. Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung, Bonn 2012, S. 11 ff. m.w.N.; vgl. dazu weiter die Nachweise bei Ziekow (Fn. 1), S. D22 ff. 130 Hierzu aus jüngerer Zeit etwa J. A. V. Fischer, Stuttgart 21: mit direkter Demokratie aus der Sackgasse?, Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 51 – 52/2010, 19 ff.; H. Prantl, Zwischenruf. Die Apfelbaum-Demokratie, ZRP 2011, 24 f.; dagegen jedoch Leisner, Stuttgart 21: „Wir sind das Volk!“ – Wer?, NJW 2011, 33 ff. 131 SRU (Fn. 17), S. 315. 132 W. Erbguth, Energiewende: großräumige Steuerung der Elektrizitätsversorgung zwischen Bund und Ländern, NVwZ 2012, 326 (331).

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würde – zugespitzt formuliert – die Konzeption des Netzausbaus ihre demokratische Legitimität in erster Linie nicht über den – wie skizziert eher dürftigen – parlamentarischen Legitimationsstrang gewinnen, sondern durch die demokratische Qualität der im Zuge der Planaufstellung vorgenommenen Öffentlichkeitsbeteiligung. Bei der Bewertung dieser These ist zunächst zu erinnern, dass unabhängig von allen sozialwissenschaftlichen Demokratiemodellen das Demokratieprinzip des Grundgesetzes jedenfalls im Kern auf ein parlamentarisches Repräsentativsystem setzt133 und dass auch der Unionsvertrag ein Demokratiekonzept entfaltet, das sich mit der dualen Legitimation durch das Europäische Parlament und die nationalen Volksvertretungen sowie ergänzenden Elementen demokratischer Partizipation134 in Art. 10 Abs. 1 EUV explizit zu einer repräsentativen Demokratie bekennt. Demokratische Willensbildung erfolgt demnach auf beiden Ebenen formalisiert primär in Wahlen und ergänzend in Abstimmungen aller Wahlbürger.135 Politisch bedeutsame Vorhaben können und sollen damit ggf. zum Wahlkampfthema oder zum Gegenstand einer Abstimmung werden.136 Die hybride Öffentlichkeit der Teilnehmer an einer Bürgerbeteiligung steht demgegenüber für deren jeweilige Partikularinteressen, aber nicht für das Legitimationssubjekt Volk im Sinne des Art. 20 GG,137 und auch eine durch diese Partizipation vermittelte reale Akzeptanz ist keineswegs mit demokratischer Legitimation zu verwechseln.138 Wieweit die Öffentlichkeitsbeteiligung daher über ihre rechtsstaatlichen Funktionen hinaus überhaupt sinnvoll im Zusammenhang des Demokratieprinzips verortet werden kann, ist zwar schon seit fast einem halben Jahrhundert diskutiert worden,139 133 Zur Vorzugswürdigkeit dieses Ansatzes zuletzt R. Steinberg, Die Repräsentation des Volkes: Menschenbild und demokratisches Regierungssystem, Baden-Baden 2013. 134 Vgl. dazu M. Ruffert, Institutionen, Organe und Kompetenzen – der Abschluß eines Reformprozesses als Gegenstand der Europarechtswissenschaft, EuR 2009 Beiheft, 31 (34 f.). Solche Elemente deliberativer Demokratie können nach den Feststellungen in BVerfG, Urt. v. 30. 6. 2009 – Az: 2 BvE 2, 5/08, 2 BvR 1010, 1022, 1259/08, 182/09 –, BVerfGE 123, 267 (369) „… den auf Wahlen und Abstimmungen zurückgehenden Legitimationszusammenhang nicht ersetzen“, jedoch „ergänzende Funktion bei der Legitimation europäischer Hoheitsgewalt übernehmen“. 135 So zuletzt etwa J. Hofmann, Repräsentative Demokratie und Bürgerbeteiligung in Deutschland und der EU, in: Freiheit und Sicherheit in Deutschland und Europa. Festschrift für Hans-Jürgen Papier, Berlin 2013, S. 83 ff. 136 Vgl. dazu nur die Ausführungen bei Ziekow (Fn. 1), S. D111 ff. 137 K. F. Gärditz, Angemessene Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturplanungen als Herausforderung an das Verwaltungsrecht im demokratischen Rechtsstaat, GewArch 2011, 273 (274 f.); T. Mann, (Fn. 29), 562 f.; im Ausgangspunkt auch Renn / Köck u. a. (Fn. 1), S. 285. 138 W. Durner, Schutz der Verbraucher durch Regulierungsrecht, VVDStRL 70 (2011), S. 398 (440); Gärditz (Fn. 137), 275. 139 Vgl. bereits W. Blümel, Demokratisierung der Planung oder rechtsstaatliche Planung?, in: Festschrift für Ernst Forsthoff, München 1972, S. 9 ff.; ders., Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung, in: ders. (Fn. 2), S. 23 (25 ff.) mit umfassenden Nachweisen zu jahrzehntealten Debatten.

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aber nach dem normativen Befund des Verfassungs- und Unionsrechts mindestens zweifelhaft.140 Gewiss können erfolgreiche Bürgerbeteiligungsverfahren zur Transparenz und Lebendigkeit der politischen Entscheidungsprozesse beitragen und in diesem Sinne, wie etwa auch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit,141 ein Element einer freiheitlichen Demokratie bilden.142 Insoweit kann auch die Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem „offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog“ mit der Zivilgesellschaft im Sinne des Art. 11 Abs. 2 EUV beitragen. Allzu großen Erwartungen sind allerdings nach den bisherigen Erfahrungen mit der Öffentlichkeitsbeteiligung des neuen Energie-Infrastrukturrechts nicht angezeigt: Oben wurde bereits festgestellt, dass die erhobenen Einwendungen sich bislang in der Sache vielfach geradezu diametral gegenüberstehen143 und die gestalterischen Freiräume der Bundesnetzagentur letztlich kaum berühren. Mit dieser begrenzten Funktion und Leistungsfähigkeit sind administrative Beteiligungsverfahren – auch die des Energie-Infrastrukturrechts – schwerlich geeignet, die Anforderungen des Demokratieprinzips an die sachliche Legitimation von Grundsatzfragen nennenswert zu reduzieren. In jedem Fall aber sind Verfahren der Bürgerbeteiligung – anders als Volksabstimmungen – gerade nicht der Ort, an dem interessierte Bürger „mitentscheiden“ könnten. Auch im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung kann den Bürgern daher keine Möglichkeit eröffnet werden, formaldemokratisch gebildete Mehrheitsentscheidungen zu ersetzen oder dar zu korrigieren. Der Input der Öffentlichkeitsbeteiligung kann und soll dem demokratischen Entscheidungsprozess Anstöße geben, diesen jedoch nicht substituieren.144 Der in den anstehenden räumlich konkretisierten Runden der Öffentlichkeitsbeteiligung zu erwartende Widerstand der Betroffenen gegen konkrete Netzbauvorhaben kann daher die demokratische Legitimität des Netzausbaus juristisch nicht erschüttern. Diese Feststellungen entsprechen allerdings nicht der verbreiteten Erwartungshaltung in Erörterungsterminen, in denen vielfach die Vorstellung vorherrscht, die hier versammelte Öffentlichkeit repräsentiere ein zivilgesellschaftliches Wahlvolk, dessen Votum Verwaltung und Vorhabensträger hinzunehmen hätten. Dass gerade den Vertretern der Protestbewegungen die Anerkennung einer Verbindlichkeit des formalen demokratischen Mehrheitsbeschlusses oft ausgesprochen schwer fällt, dürfte auch an der subkutanen, über die skizzierten Maßstäbe weit hinausgehenden und durch die jahrzehntealten Diskurse um deliberative Demokratie wirkmächtigen 140

Gänzlich ablehnend Gärditz (Fn. 137), 275, sowie Blümel (jeweils Fn. 139). Vgl. nur BVerfG, Urt. v. 22. 02. 2011 – Az: 1 BvR 699/06 –, BVerfGE 128, 226 (250) mit der vielfach verwandten Formulierung, die Versammlungsfreiheit sei „für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend“. 142 So auch das Vorwort in: Bündnis 90/Die Grünen (Hrsg.), Bessere Planung mit mehr Bürgerbeteiligung, Berlin 2012, S. 3 („Außerdem ermöglicht die Öffentlichkeitbeteiligung eine lebendige Demokratie.“) sowie der dort abgedruckte Beschluss der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen vom 1. September 2011, S. 4. 143 Vgl. bereits die Nachweis oben in Fn. 73. 144 Schnelle / Voigt (Fn. 55), S. 23. 141

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Vorstellung liegen, die aktiven Teilnehmer an Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren bildeten eine politische Avantgarde mit spezifischen, durch ihr Engagement und ihre Sachkunde erworbenen demokratischen Sonderrechten.145 Es ist freilich – wie Christoph Möllers es treffend formuliert hat – gerade für Intellektuelle eine der unumgänglichen „Zumutungen“ der Demokratie, dass derartige Sonderrechte politischer Eliten nicht anerkannt werden können.146 VIII. Die Energiewende, die Öffentlichkeitsbeteiligung und demokratische Alternativen Nach alledem werden die Möglichkeiten, für ein Vorhaben durch Öffentlichkeitsbeteiligung Akzeptanz und demokratische Legitimation zu schaffen, sowohl in normativer als auch in tatsächlicher Hinsicht nicht nur im Kontext der Energiewende bisweilen überschätzt. Eine spezifische Überforderung der Öffentlichkeitsbeteiligung des Energie-Infrastrukturrechts könnte freilich darin liegen, dass die Öffentlichkeit hier in einem Verwaltungsverfahren von energiepolitischen Vorgaben überzeugt werden soll, die zuvor im politischen Raum kaum diskutiert wurden, weil das Parlament sich einer greifbaren Willensbildung verweigert. Der Befriedungseffekt der baden-württembergischen Volksabstimmung über Stuttgart 21 hat gezeigt, dass klare demokratische Voten für ein Vorhaben eine ganz erhebliche Akzeptanzwirkung mit sich bringen.147 Warum sollten demgegenüber betroffene Bürger, um das Beispiel nochmals aufzugreifen, die umstrittene Süd-Ost-Trasse als unverzichtbar akzeptieren, wenn die dahinterstehende Entscheidung für oder gegen die Braunkohlenverstromung ohne greifbaren demokratischen Diskurs und ohne jede öffentliche politische Diskussion getroffen wurde und die Politik selbst diese Trasse im An145 Eine frühe Analyse dieses elitären Selbstverständnisses stammt von dem Politologen B. Guggenberger, Krise der repräsentativen Demokratie?, in: ders. / U. Kempf (Hrsg.) „Bürgerinitiativen und repräsentatives System, Opladen 1978, S. 18 (23 ff). Nach Guggenberger beansprucht die Bürgerinitiativbewegung „als eine außerparlamentarische, über weite Strecken antiparteienstaatliche Bewegung der unmittelbaren Selbstorganisation des betroffenen Bürgers“ ein basisdemokratisches Mandat: „Gegen die repräsentative Vermittlung, ja Verbiegung des Volkswillens wird auf den empirischen Mehrheitskonsens verwiesen oder doch stillschweigend von ihm ausgegangen.“ Dabei stehe die jeweilige Initiative für die betroffene Mehrheit und „gerade gegen den oligarchischen Repräsentationsanspruch einer Minderheit professioneller Parteipolitiker“. In einer späteren Veröffentlichung verdeutlicht B. Guggenberger, Die neue Macht der Minderheit, in: ders. / C. Offe (Hrsg.), An den Grenzen der Mehrheitsdemokratie, Opladen 1984, S. 207 (213) dann – tendenziell zustimmend –, wie seitens vieler Bürgerinitiativen aus den Momenten der Sachkompetenz und Betroffenheit explizite Sonderrechte beansprucht werden: „Der hohe Grad an Sach- und Zusammenhangswissen, auf den man in jenen Regionen trifft, die als Standorte gefürchteter großtechnologischer Projekte ausersehen sind bzw. waren, rechtfertigt zugleich das erhöhte Gewicht der politischen Mitsprache: Warum sollten nicht die Bewohner um Wyhl und Gorleben gute, in gewisser Hinsicht gar ideale Repräsentanten der Gesamtbevölkerung sein?… Stehen sie damit nicht stellvertretend für eben jene Haltung, welche einer verantwortungsbewußten, wachen Mehrheit eigentlich zukäme?“. 146 C. Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, Berlin 2008, S. 80. 147 Vgl. Steinberg (Fn. 133), S. 260 ff.

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schluss an das scheinbar politikfreie Planverfahren einer weisungsfreien Spezialistenbehörde doch wieder in Frage stellt? Die Alternative zu diesem Ansatz wäre eine echte Beteiligung des Wahlvolks an der künftigen Ausgestaltung der Energiewende. Die Energiewende stärker demokratisch zu legitimieren, würde allerdings eine genuin politische Willensbildung und damit eine Politisierung des Themas implizieren, in der die verschiedenen Optionen mit ihren jeweiligen ökologischen, ökonomischen und sozialen Implikationen offengelegt, dem Kampf der Meinungen ausgesetzt und gegebenenfalls sogar Gegenstand von Wahlkämpfen und Abstimmungen würden. Dies entspricht freilich gerade nicht jener zielgerichtet geschaffenen Aura der Alternativlosigkeit, die der deutschen Energiewende sowohl durch die Bundesregierung als auch durch die Parteien seit 2011 zugesprochen wird. Alternativlos ist die deutsche Energiewende jedoch – bei aller Anerkennung ihres mutigen Grundansatzes – weder in den Details ihrer Zielsetzungen noch in ihrem Instrumentenansatz und ganz bestimmt nicht in konkreten Elementen wie der Süd-Ost-Trasse oder der Finanzierung der Errichtung von Windparks ohne Netzanschluss. Schon heute ist Deutschland in Europa selbst unter den Staaten, die unsere klimapolitischen Ziele teilen und die Vorreiterrolle der Energiewende anerkennen, zumindest mit seiner Umsetzungsstrategie ein Stück weit isoliert.148 Dass sogar der Weltklimarat IPPC Deutschlands Klimapolitik mittlerweile als ineffizient in Frage stellt, weil die milliardenschwere Ökostromförderung das im Kyoto-Protokoll vorgesehene Emissionshandelssystem entwertet,149 legt nahe, dass über Alternativen zum bisherigen deutschen Ansatz allein schon im Sinne einer Kontrollüberlegung zumindest gründlich diskutiert werden sollte. Kaum etwas scheint die Politik jedoch mehr zu fürchten als eine öffentliche Diskussion über die Grundparameter der 2011 nach Auffassung des Bundesrechnungshofs150 „überstürzt“ und „unkoordiniert“ eingeleiteten Energiewende. Die extrem ausgeweitete Öffentlichkeitsbeteiligung im neuen Energie-Infrastrukturrecht und die damit verbundene Erwartungshaltung der Politik können insoweit 148 So aus unterschiedlichen Perspektiven: Isolated in Brussels: Merkel Clashes with EU Commission, Spiegel-Online-International v. 02. 01. 2014 ; K. Bock, Von wegen Vorreiter in der Klimapolitik, FAZ v. 11. 02. 2014, S. 10; J Rhys, Current German Energy Policy – the „Energiewende“: A UK and climate change perspective, Oxford 2013; J. von Altenbockum, Fremdkörper im Klimaschutz, FAZ v. 27. 02. 2014, S. 8; Deutschland steht mit seiner Klimapolitik allein, FAZ v. 20. 03. 2014, S. 19; vgl. zu alledem auch die Analysen bei S. Fischer / O. Geden, Europeanising the German Energy Transition, Berlin 2011. 149 C. Schrader, Fluch des schwarzen Stroms, Sueddeutsche.de v. 12. 04. 2014.; J. Weimann, Nutzlose Ökostromförderung – Der verschwiegene Klimapolitik-Skandal, FAZ-net v. 01. 06. 2014. 150 Bundesrechnungshof. Miese Noten für Merkels Energiewende, Sueddeutsche.de v. 20. 08. 2014. Dass die abrupte Energiewende der Regierungspolitik auf durchaus rationalen machtpolitischen Erwägungen beruht haben dürfte, verdeutlichen indes F. W. Rüb, Rapide Politikwechsel in der Demokratie: Gründe, Akteure, Dynamiken und Probleme, in: J. Kersten / G. F. Schuppert (Hrsg.), Politikwechsel als Governanceproblem, Baden-Baden, 2012, S. 15 (36 ff.), sowie F. Nullmeier / Matthias Dietz, Überzeugungswandel – Zur Erklärung von Politikwechseln am Beispiel der Atompolitik 2010 und 2011, ebenda S. 88 ff.

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auch als Versuch gedeutet werden, politische Legitimität für die Weichenstellungen des Netzausbaus zu erzeugen, ohne dies mit einer Politisierung der Sachfragen zu verbinden. Aus dieser Perspektive wird auch das bereits erwähnte Paradoxon verständlich, dass das Energiewendepaket zwar offiziell einen Abschied von der älteren „Basta-Politik“ einleiten soll, das Verfahren zum Erlass dieses Gesetzes jedoch ein Extrembeispiel ebenjenes Politikstils darstellt. Insgesamt reiht sich die Energiewende so in den Kreis jener Entpolitisierungstendenzen, die etwa auch im Zusammenhang der Euro-Rettung oder der Bologna-Reform zu beobachten sind und die manche Beobachter zu der pessimistischen Einschätzung führen, Europa befinde sich auf dem Weg zur „Postdemokratie“.151 Im Gegenzug könnte jedoch gerade eine Politisierung der Energiewende ihrerseits zu jener Neubelebung der demokratischen Prozesse beitragen, die von den Kritikern des Modells der Postdemokratie zu Recht vielfach eingefordert wird152 und die allein dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes gerecht wird.

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D. Jörke, Die Weichen sind auf Postdemokratie gestellt, Cicero-Online v. 08. 02. 2012; grundlegend für das Modell C. Crouch, Postdemokratie, Frankfurt 2008; differenzierend zur Diagnose freilich A. Schäfer, Krisentheorien der Demokratie. Unregierbarkeit, Spätkapitalismus und Postdemokratie, MPIfG Discussion Paper, Köln 2008, S. 38 ff. m.w.N. 152 C. Mouffe, „Postdemokratie“ und die zunehmende Entpolitisierung, APuZ 1 – 2/2011, 3 ff.

Rechtsschutz im Kontext der Energieinfrastrukturentwicklung Am Beispiel des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes Von Winfried Kluth, Halle I. Einführung in die Thematik Die gründliche Erforschung und lehrbuchmäßige Aufbereitung des Allgemeinen Verwaltungsrechts und Umweltrechts gehört zu den Bereichen, denen Wilfried Erbguth über viele Jahrzehnte hinweg besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat.1 Die gemeinsame Bearbeitung beider Themenfelder erscheint unter anderen deshalb naheliegend und sinnvoll, weil das Umweltrecht lange Zeit als das innovativste Teilgebiet des Verwaltungsrechts eingestuft wurde. Diese „Rolle“ haben ihm in den letzten Jahren das Regulierungsrecht2 und das Informationsrecht3 streitig gemacht. In Gestalt des Energieinfrastrukturrechts, das im Kontext der Energiewende eine neue Aktualität gewonnen hat, kommt es nun zu einer Konvergenz von umweltrechtlichen, planungsrechtlichen4 und regulierungsrechtlichen Entwicklungen, die überdies spezifische Fragen des Rechtsschutzes5 aufwerfen. Ihnen soll in diesem Vortrag die besondere Aufmerksamkeit gelten. Dabei sollen zwei Schwerpunkte gesetzt werden: Erstens sollen die präzisierenden Vorgaben für den effektiven Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG, wie sie das Bundesverfassungsgericht in seiner Garzweiler-II-Entscheidung6 für das Fachplanungsrecht formuliert hat, auf den Bereich des Netzausbaus, der einen wichtigen Eckpfeiler der sog. Energiewende darstellt, übertragen werden.

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W. Erbguth, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2014; W. Erbguth / S. Schlacke, Umweltrecht, 5. Aufl. 2014. 2 Exemplarisch M. Fehling / M. Ruffert (Hrsg.), Regulierungsrecht, 2010. 3 Exemplarisch M. Kloepfer, Informationsrecht, 2002. 4 Dazu W. Erbguth/ W. Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle: Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012; W. Erbguth / M. Schubert, Öffentliches Baurecht, 6. Aufl. 2014. 5 Dazu W. Erbguth (Hrsg.), Verwaltungsrechtsschutz in der Krise: vom Rechtsschutz zum Schutz der Verwaltung?, 2010. 6 BVerfG, NVwZ 2014, 211 ff. Dazu W. Frenz, NVwZ 2014, 194 ff.; G. Kühne, NVwZ 2014, 321 ff.; W. Durner / F. Karrenstein, DVBl. 2014, 182 ff.

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Daran knüpfen zweitens Überlegungen zum besonderen Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess7 sowie der spezifischen Rollenzuweisung an Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte in diesem Bereich an. Bevor ich mich diesen beiden Themenfeldern zuwende, soll aber zunächst ein kurzer Blick auf die weiteren staats- und verwaltungsrechtlichen Dimensionen der Energiewende erfolgen. II. Staats- und verwaltungsrechtliche Dimensionen der Energiewende Die sog. Energiewende ist wie viele andere bedeutende Entwicklungen im Bereich der Umweltpolitik8 in ihrem konkreten Ursprung mit einer Katastrophe verbunden: der in Folge eines schweren Erdbebens in Japan ausgelösten Havarie der Atomreaktoren in Fukushima.9 Ob die Umweltgesetzgebung auf diese Weise in einem schwer vorhersehbaren Prozess von „Kairos zu Kairos“ ihre Qualität kontinuierlich verbessert oder die unter dem Eindruck der jeweiligen Katastrophen erlassenen Gesetze unter Einseitigkeiten und Unausgewogenheit leiden, wäre einer gründlichen Untersuchung wert. Betrachtet man die Rechtsentwicklung aus dem Blickwinkel der das Umweltrecht prägenden Prinzipien, so kann eine an diesen Prinzipien10 orientierte Entwicklung jedoch nicht bestritten werden. Das gilt auch für die aktuelle Energiewende und zwar sowohl für die mit dieser Chiffre bezeichnete Grundsatzentscheidung, nicht nur (kurzfristig) auf die weitere Nutzung der Atomenergie zu verzichten, sondern auch in der darüber hinausgehenden Zielsetzung, auch andere knappe Ressourcen nutzende Erzeugungsformen von Strom durch erneuerbare Energiequellen so weit wie möglich zu ersetzen.11 Im Vordergrund steht dabei die Nutzung von Wind- und Solarenergie. Der Austausch der Energieträger ist, sieht man einmal von derzeit noch nicht verfügbaren Zukunftstechnologien ab, mit großen logistischen und infrastrukturellen Herausforderungen verbunden, die besonders deutlich werden, wenn man die Entwicklung der Strukturen der deutschen Energieversorgung kurz in den Blick nimmt. Historisch entwickelte sich die Stromerzeugung und -versorgung auf regionaler Ebene unter Nutzung der jeweils in der Region am leichtesten zugänglichen Ressour7 Dazu H. Jochum, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsprozessrecht, 2004; H. J. Wolff / O. Bachof / R. Stober / W. Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 58, Rn. 17. 8 Dazu im Überblick W. Kluth, in: ders. / U. Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht, 2013, § 1, Rn. 21 ff. 9 Zur politischen und rechtlichen Entwicklung im Überblick: J. Radtke / B. Henning (Hrsg.), Die deutsche „Energiewende“ nach Fukushima, 2013; F. Ekardt, Jahrhundertaufgabe Energiewende, 2014. 10 Zu Einzelheiten Kluth (Fn. 8), § 1, Rn. 122 ff. 11 Zu Details des politischen Fahrplans Radtke / Henning (Fn. 9).

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cen. Dabei kam den kommunalen Energieversorgungsunternehmen eine große Bedeutung zu. Es sei nur daran erinnert, dass die RWE aus einem Verbund kommunaler Unternehmen hervorgegangen ist.12 Im Laufe der Zeit wurden durch die Entwicklung im Transportwesen sowie durch die Erschließung neuer Energieträger die Standortabhängigkeiten gemindert und zugleich die Stromversorgungsgebiete vergrößert und nach und nach vernetzt. Dadurch wurde zugleich die Marktstruktur hin zu einem beherrschenden Oligopol und einer großen Zahl von kleinen Anbietern bereinigt. Auf diese Struktur wirkte das europäische Regulierungsrecht ein, das die Netzträgerschaft verselbständigte und damit auch die Voraussetzungen für neue kommunale, privatwirtschaftliche sowie genossenschaftliche Aktivitäten verbesserte. Bereits vor der Energiewende war deshalb ein neues Interesse an der Gründung oder Wiederbelebung von kleinen und mittleren Energieunternehmen zu verzeichnen, wobei mit der Rekommunalisierung13 und den genossenschaftlichen Aktivitäten14 zwei Formen regionalen bürgerschaftlichen Engagements zu verzeichnen sind. Daran wird deutlich, dass die Energieerzeugung zunehmend als Gegenstand politisch-bürgerschaftlichen Engagements wahrgenommen15 wird. Energetische Versorgungssicherheit, die wie kaum ein anderer Bereich der Infrastruktur zu einer existenziellen Bedingung modernen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens geworden ist, kann aber auch weiterhin nur gewährleistet werden, wenn die vielfältigen lokalen und regionalen Aktivitäten in einen großen Netzverbund einbezogen und durch Kooperationen abgesichert sind. Es gehört zu den spezifischen Merkmalen der Energiewende, dass der Zwang zur Kooperation im Netzverbund noch einmal deutlich zugenommen hat bzw. zunehmen wird, weil die erneuerbaren Energien räumlich und zeitlich sehr viel diskontinuierlicher zur Verfügung stehen, als dies bei Kohle, Wasser und Gas – und auch bei Atomenergie – der Fall ist. Bislang bestehende politische und ökonomische Abhängigkeiten von ausländischen Rohstofflieferanten werden durch neue Abhängigkeiten von der Natur abgelöst, ein Umstand, der dem modernen technikgläubigen Menschen nicht sehr behagt. Die erhöhte Relevanz der Energienetze auf Grund der vielfach peripheren16 neuen Erzeugungsstandorte, die viele hundert Kilometer von den industriellen Großverbrauchern entfernt sind, sowie die erheblichen Schwankungen der produzierten Strommengen je nach Wetterlage stellen zunächst eine große technologische Herausforderung dar. 12

Zu Einzelheiten W. Kluth, in: Peter / Rhein (Hrsg.), Wirtschaft und Recht, 1989, S. 177 ff. 13 Dazu vertiefend H. Bauer, DÖV 2012, 329 ff.; ders., JZ 2014, 1017 ff. 14 Zu Energiegenossenschaften G. Oelsner, BWGZ 2010, 860 ff.; M. von Kaler / F. Kneuper, NVwZ 2012, 791 ff. 15 Und zwar im doppelten Sinne dieses Wortes. 16 Das gilt vor allem für die Offshore-Energiegewinnung.

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Netzneubau, Netzumbau, Netzoptimierung, Repowering, Auslastungsmonitoring, Erzeugungsmanagement und Lastenmanagement sind die Stichworte, mit denen die Themen- und Aktionsfelder umrissen werden können, denen sich die Ingenieurwissenschaften widmen und die zudem die Grundlage für die ökonomische Bewertung verschiedener Versorgungsmodelle darstellen.17 Von besonderer rechtlicher Relevanz ist in diesem Zusammenhang der zusätzliche Bedarf an Netzkapazitäten für eine großräumige Weiterleitung großer Stromkapazitäten, der einen Neubau von Höchstspanungsleitungen18 erforderlich macht. Ähnlich wie bei den großen Infrastrukturmaßnahmen im Bereich des Eisenbahnund Autobahnbaus nach der Wiedervereinigung hat der Bundesgesetzgeber auch für den Netzneubau und -ausbau einen besonderen Beschleunigungsbedarf gesehen und ein Spezialgesetz erlassen, das diesem Zweck dient: Das Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG).19 Dieses Gesetz soll im Folgenden zunächst in seinen wesentlichen Elementen vorgestellt und sodann aus der Rechtsschutzperspektive analysiert werden. Daran schließen sich allgemeinere Überlegungen zum Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess an. III. Besondere Herausforderungen der Energieinfrastrukturentwicklung an den Rechtsschutz 1. Hintergrund der aktuellen Entwicklung: Energiewende und Folgeanforderungen an die Netzinfrastrukturen Mit dem NABEG flankiert der Bundesgesetzgeber20 sein politisches Ziel einer zeitnahen Umsetzung der Energiewende. Da – wie gezeigt wurde – die Energiewende ohne eine angepasste Netzinfrastruktur nicht umsetzbar ist, kann man hier von einem Nadelöhr sprechen, das den Zeitrahmen des gesamten Projekts bestimmt. Konkret stand dem Gesetzgeber das Ziel vor Augen, die Planungszeiten für Leitungstrassen von bislang ca. 10 Jahren auf vier bis fünf Jahre zu reduzieren. Wie realistisch das ist, wird man erst nach Abschluss der ersten Verfahren wissen und vermutlich von längeren Zeiträumen ausgehen müssen. Ein wichtiger legislativer Baustein des Beschleunigungskonzepts ist es dabei, die Phase der Bundesfachplanung als rein internes Verwaltungsverfahren auszugestalten und ihr gegenüber keinen Rechtsschutz zuzulassen. Dieser soll sich nur gegen das anschließende Planfeststellungsverfahren richten. 17 Näher L. Jarass / G. M. Obermair, Welchen Netzumbau erfordert die Energiewende?, 2012, S. 59 ff. 18 Zur Unterscheidung von Nieder-, Hoch- und Höchstspannungsleitungen näher Jarass / Obermair (Fn. 17), S. 58 ff. 19 G. v. 28. 07. 2011, BGBl. I S. 1690. Dazu im Überblick C. Moench / M. Ruttloff, NVwZ 2011, 1040 ff. 20 Zum unionsrechtlichen Rahmen P. Fest / B. Operhalsky, NVwZ 2014, 1190 ff.

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2. Eckpunkte der gesetzlichen Regelungen Für die Architektur des Planungsverfahrens sieht das NABEG drei Stufen vor: Auf einer ersten Stufe wird durch Gesetz im Bundesbedarfsplan21 nach § 12e Abs. 4 S. 1 EnWG die energiewirtschaftliche Notwendigkeit der jeweiligen Vorhaben mit Verbindlichkeit für das Planfeststellungsverfahren bestimmt. Auf der zweiten Stufe stellt die Bundesfachplanung nach § 4 ff. NABEG bindend die Raum- und Umweltverträglichkeit der Trassenkorridore für das Planfeststellungsverfahren fest. Zu diesem Verfahrensteil, der in die Entscheidung nach § 12 NABEG mündet, wird in § 15 Abs. 3 NABEG normiert: „(3) Die Entscheidung nach § 12 hat keine unmittelbare Außenwirkung und ersetzt nicht die Entscheidung über die Zulässigkeit der Ausbaumaßnahme. Sie kann nur im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Zulassungsentscheidung für die jeweilige Ausbaumaßnahme überprüft werden. § 43e EnWG ist entsprechend anzuwenden.“

Auf der dritten Stufe folgt sodann die Zulassung der einzelnen Ausbaumaßnahme im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens nach §§ 18 ff. NABEG.22 3. Die gesetzliche Definition der „rein internen“ Entscheidungsphase Die Bundesfachplanung, mit der die Trassenführung vorgegeben wird, findet im ersten Drittel des Planungsverfahrens statt. Sie hat eine erhebliche vorprägende Wirkung für die weiteren Verfahrensschritte und Entscheidungen. Durch sie werden 500 bis 1000 m breite Korridore bestimmt, innerhalb derer die später planfestzustellen Leitungsführung zu erfolgen hat. Der Verlauf eines jeden Abschnitts des Trassenkorridors hat damit auch Auswirkungen auf die anderen, da die einzelnen Abschnitte ja einander zugeordnet, d. h. räumlich und funktionell kompatibel sein müssen. Auf genau diesen mittleren Entscheidungsabschnitt bezieht sich die Aussage des § 15 Abs. 3 NABEG, dass es an einer unmittelbaren Außenwirkung fehlt und Rechtsschutz gegenüber diesem Verfahrensteil nicht selbständig zulässig ist. Der Gesetzgeber bzw. genauer: die das Gesetzesinitiativrecht ausübende Bundesregierung hat in der Begründung zum Gesetzesentwurf ausgeführt, durch § 15 Abs. 3 NABEG werde nur die ohnehin bestehende Rechtslage verdeutlicht, also die bestehende Rechtslage nur deklaratorisch normiert. Das mag in der Tat für die meisten Fallkonstellationen zutreffen, da wegen der weiterhin bestehenden Offenheit der Planung in Bezug auf die genaue Trassenführung eine genaue Zuordnung der endgültigen Wirkungen zu einzelnen Grundstücken nicht sicher erfolgen kann mit der Folge, dass aus dem Eigentumsrecht abgeleitete 21 22

Dazu R. Ruge, EnWZ 2013, 435 ff. Dazu B. Schirmer / C. Seiferth, ZUR 2013, 515 ff.

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Klagebefugnisse noch nicht bestehen. Es reicht nämlich nicht aus, dass ein Grundstück möglichweise von dem Vorhaben betroffen sein kann. Es sind aber durchaus Fallgestaltungen denkbar, in denen es sich anders verhält, etwa weil bei allen denkbaren Konkretisierungen der Trassenführung ein und derselbe Eigentümer betroffen ist.23 In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber auch konstitutiv die Außenwirkung einer Maßnahme ausschließen kann. 4. Grundlagen und Grenzen der gesetzgeberischen Definition von subjektiven öffentlichen Rechten Dogmatisch geht es dabei um die Frage, wie weit die Befugnisse des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung grundrechtsgeprägter subjektiver-öffentlicher Rechte reichen. Soweit nicht bereits aus dem Verfassungsrecht selbst, namentlich aus den Grundrechten24 subjektive Rechtspositionen mit Relevanz für den Sachverhalt folgen, steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, subjektive Rechte zu schaffen oder dies zu unterlassen. Daran knüpft auch die Schutznormlehre an, die auf eine vom Gesetzgeber begründete Rechtsdurchsetzungsmacht abstellt.25 Soweit indes Grundrechte in ihrem Schutzbereich betroffen sind, stellt die Negierung einer Außenwirkung den Versuch dar, die Auslösung des grundrechtlichen Abwehranspruchs zu verhindern. Damit liegt eine grundrechtsbeschränkende Maßnahme vor, bei der jedoch zu fragen ist, ob sie (nur) das materiell betroffene Grundrecht oder (zusätzlich) die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG betrifft. IV. Der „richtige“ Zeitpunkt der Rechtsschutzgewährung 1. Die Doppelfunktion des subjektiven öffentlichen Rechts im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG Das lenkt die Aufmerksamkeit auf die beiden Dimensionen subjektiver öffentlicher Rechte, die im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG zu unterscheiden sind.

23 Vor dem Hintergrund der Eigentumsstrukturen in den neuen Bundesländern, in denen besonders viele neue Trassen errichtet werden sollen, kommt diesem Aspekt eine hohe praktische Relevanz zu, da in vielen Bereichen aus historischen Gründen großflächige Eigentumsstrukturen anzutreffen sind, so dass auch bei vorläufigen Trassenbreiten von 1000 m einund derselbe Eigentümer betroffen ist mit der Folge, dass er auch klagebefugt ist. 24 Zur Bedeutung der Grundrechte für die Erzeugung subjektiver öffentlicher Rechte s. exemplarisch E. Schmidt-Aßmann, in: T. Maunz / G. Dürig, Grundgesetz Kommentar, Stand: 71. EGL 2014, Art. 19 IV, Rn. 121 ff. 25 Schmidt-Aßmann (Fn. 24), Art. 19 IV, Rn. 127 ff.

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Die Regelung setzt die materiellen subjektiv-öffentlichen Rechte voraus und begründet ein subjektives öffentliches Recht auf ausgewogenen wirksamen Rechtsschutz.26 Die Verlagerung des Rechtsschutzes auf einen späteren Zeitpunkt, wie er durch die Zulassung des Rechtsschutzes nur gegen die abschließende Planungsentscheidung bewirkt wird, ist sowohl an der Rechtsschutzgarantie selbst als auch am materiellen Grundrecht zu messen. Denn wo die Wirksamkeit des Rechtsschutzes gemindert wird, droht auch der materiellen Rechtsverwirklichung eine Einbuße. 2. Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz bei Großplanungsverfahren – die Kriterien der Garzweiler-II-Entscheidung Diesen Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht in seiner umwelt- und energiepolitisch bedeutsamen Entscheidung zu dem seit Jahrzehnten27 kontrovers diskutieren Braunkohleabbaugebiet Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen vertiefend behandelt.28 Im Vordergrund stand dabei die Frage, in welcher Art und Weise der Gesetzgeber einerseits das Verwaltungsverfahren im Interesse einer Vereinfachung und Beschleunigung so ausgestalten darf, dass einzelne Entscheidungselemente abgeschichtet und später nicht mehr gerichtlich angreifbar sind oder andererseits den Rechtsschutz auf die Endentscheidung begrenzen darf. Zum zweiten Modell, das im Fall der Netzausbaubeschleunigung gewählt wurde, führt das Gericht unter Absatz-Nr. 194 aus: „Wählt der Gesetzgeber eine Verfahrensgestaltung, die den Betroffenen … Rechtsschutz erst gegen den ein Verfahren abschließenden Hoheitsakt eröffnet, ist dies auch in komplexen Verfahren nicht von vornherein verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, zumal Betroffene dadurch in diesen Fällen von einer vorherigen Anfechtungslast befreit sind.“

An diese grundsätzliche Bejahung eines entsprechenden Gestaltungsermessens des Gesetzgebers schließen sich jedoch gewichtige Bedingungen an, die sowohl die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens als auch den gerichtlichen Rechtsschutz betreffen: „Das Verwaltungsverfahren und die gerichtliche Kontrollbefugnis müssen bei solchen Verfahrensgestaltungen allerdings so beschaffen sein, dass auch in umfangreichen und langwierigen Verwaltungsverfahren eine umfassende und effektive Prüfung des abschließenden Eingriffsakts, einschließlich ihn tragender, von den Betroffenen aber nicht selbständig angreifbarer Vorentscheidungen, gewährleistet ist. Ist eine solche, durch die Garantie effektiven Rechtsschutzes grundsätzlich garantierte Kontrolle des angegriffenen Hoheitsaktes 26 Zu den allgemeinen Anforderungen BVerfGE 35, 263 (274); 60, 253 (269); 101, 106 (124); Schmidt-Aßmann (Fn. 24), Art. 19 IV, Rn. 262 ff. 27 Die Planungen begannen im Jahr 1994. 28 BVerfG, Urt. v. 17. 12. 2013, Az. 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, NVwZ 2014, 211 ff.

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zwar rechtlich vorgesehen, insbesondere mit Rücksicht auf die Dauer und Komplexität der Verwaltungsverfahren aber realistischerweise nicht zu erwarten, ist dies mit Art. 14 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht vereinbar. Dies ist der Fall, wenn Rechtsschutz erst zu einem Zeitpunkt eröffnet wird, zu dem im Hinblick auf Vorfestlegungen oder den weitgehenden tatsächlichen Vollzug des zugrunde liegenden Vorhabens eine grundsätzlich ergebnisoffene Überprüfung aller Enteignungsvoraussetzungen nicht mehr erwartet werden kann. In gleicher Weise defizitär ist der Rechtsschutz, wenn zu diesem Zeitpunkt selbst bei Erfolg des Begehrens die Verletzung des Eigentums regelmäßig nicht mehr verhindert und auch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.“29

Diese Ausführungen im maßstabsbildenden Teil der Entscheidungsgründe werden durch die folgenden anwendungsbezogenen Ausführungen ergänzt: „Die auch im Eigentumsgrundrecht wurzelnde Garantie effektiven Rechtsschutzes gegen Eigentumseingriffe (…) verlangt, dass jedenfalls in komplexen Großverfahren den von der Inanspruchnahme ihres Eigentums bedrohten Eigentümern Rechtsschutz bereits gegen die Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens gewährt wird. Wird in solchen Großverfahren Rechtsschutz erst gegen die Enteignungsentscheidung eröffnet, wird er typischerweise zu spät kommen, sofern der Erfolg des Rechtsbehelfs von der inzident zu prüfenden Rechtmäßigkeit des Gesamtvorhabens abhängt und dieses bereits seit langem ins Werk gesetzt wurde (…).“30

Die entscheidende verfassungsrechtliche Maßgabe hat das Bundesverfassungsgericht im vierten Leitsatz der Entscheidung zudem folgendermaßen als positives Kriterium formuliert, das somit auch auf andere Sachbereiche wie den Netzausbau anwendbar ist: „Der Garantie effektiven Rechtsschutzes gegen Verletzungen der Eigentumsgarantie wird nur genügt, wenn Rechtsschutz gegen einen Eigentumsentzug so rechtzeitig eröffnet wird, dass im Hinblick auf Vorfestlegungen oder den tatsächlichen Vollzug des die Enteignung erfordernden Vorhabens eine grundsätzlich ergebnisoffene Prüfung aller Enteignungsvoraussetzungen realistisch erwartet werden kann.“31

Das Bundesverfassungsgericht lässt damit anknüpfend an seine bisherige Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 4 GG die rein formale Eröffnung einer Rechtsschutzmöglichkeit nicht ausreichen, sondern verlangt, dass der Rechtsschutz auch wirksam ist. Wirksamkeit ist dabei mit Blick auf die spezifische Schutzfunktion der Grundrechte als Abwehrrechte zu verstehen, die einen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch begründen. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz dient insbesondere der Umsetzung der materiell-rechtlichen Abwehrfunktion der Grundrechte, die auf Unterlassung und Beseitigung einer Grundrechtsverletzung ausgerichtet sind. Die ausschließliche Verweisung auf sekundäre Ansprüche, vor allem in Gestalt von Schadensersatz, soll nur die Ausnahme darstellen. 29

BVerfG (Fn. 28), Absatz-Nr. 194. BVerfG (Fn. 28), Absatz-Nr. 317. 31 BVerfG, a. a. O., LS 4. 30

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Allerdings ist auch das Rechtsschutzgrundrecht mit anderen Belangen abzustimmen. So ist zu beachten, dass bei der Erteilung von privatnützigen Genehmigungen die Eröffnung von Klagemöglichkeiten für Dritte, vor allem soweit sie verfassungsrechtlich nicht geboten ist, selbst grundrechtserheblich ist, weil der Gebrauch der Genehmigung und der damit verbundenen grundrechtlichen Freiheit beschränkt werden.32 Deshalb bedarf es auch insoweit einer tragfähigen Rechtfertigung. Darüber hinaus ist anerkannt, dass auch die Verfahrensbeschleunigung eine gewisse Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten rechtfertigen kann. Die Regelungen zur Präklusion im Fachplanungsrecht und die den Bestand von Plänen sichernden Regelungen in §§ 214, 215 BauGB sind Beispiele für entsprechende Regelungen, die grundsätzlich zulässig sind.33 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung diese Gesichtspunkte verarbeitet und das Gebot effektiven Rechtsschutzes durch den Aspekt der Ausgewogenheit ergänzt.34 Wenn es nun zusätzlich auf das Kriterium „realistischerweise“ abstellt, so scheint mir damit eine erfahrungsbezogene Komponente in Bezug auf das Entscheidungsverhalten von Gerichten eingeführt zu werden. Bereits im Baurecht wirkt sich bei der Entscheidung über einen Beseitigungsanspruch in Bezug auf ein materiell illegal errichtetes Bauwerk im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Vollendung des Vorhabens zumindest psychologisch günstig für den Bauherrn aus. Deshalb kommt dem vorläufigen Rechtsschutz eine große Bedeutung zu. Nicht anders verhält es sich im Planungsrecht, wobei hier schon dem Abschluss von Planungsphasen wegen des damit verbundenen erheblichen Aufwandes und den Erwartungshaltungen der Beteiligten und Betroffenen eine erhebliche Bestandssicherungskraft zukommt. Das Kriterium „realistischerweise“ transportiert insoweit eine formelhafte Botschaft, die in etwa besagt: je später der Gesetzgeber in einem Planungsverfahren Rechtsschutz zulässt, desto länger muss mit dem Vollzugsbeginn (einschließlich der vorläufigen Vollziehbarkeit) und ggf. auch endgültigen Entscheidungen auf den Vorstufen zugewartet werden. Vermutlich vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht die für den zu entscheidenden Fall nicht relevante Darstellung der verschiedenen gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten in seine Entscheidungsgründe aufgenommen.

32 Darauf weist zutreffend K. F. Gärditz, NVwZ 2014, 1 (6) unter Bezugnahme auf BVerfGE 116, 135 (155) hin. 33 Vertiefend Wolff / Bachof / Stober / Kluth (Fn. 7), § 62, Rn. 95 ff. 34 Zu Einzelheiten BVerfGE 35, 263 (274); 60, 253 (269); 101, 106 (124).

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3. Auswirkungen auf den Rechtsschutz nach dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz Was bedeuten diese Ausführungen für die Regelung in § 15 Abs. 3 NABEG? Zunächst ist festzustellen, dass der nach dem NABEG eröffnete Rechtsschutz die Zulassungsentscheidung als solche betrifft und nicht auf eine Enteignungsmaßnahme beschränkt ist. Damit ist die zentrale Forderung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf einen wirksamen Rechtsschutz erfüllt. Zu klären bleibt indes, ob der Ausschluss des Rechtsschutzes gegenüber der Bundesfachplanung nach § 15 Abs. 3 NABEG mit der Verfassung in Einklang steht und ob auch darüber hinaus angesichts der vorläufigen Vollziehbarkeit der Entscheidungen ein hinreichend wirksamer Rechtsschutz besteht. Um diese Frage zu beantworten, müssen zunächst zwei Vorfragen geklärt werden: - Wie wäre die Rechtslage ohne diese Regelung? - Wie weit reichen die Vorfestlegungen und wie wirken sich diese auf den Rechtsschutz gegen die Zulassungsentscheidung aus? Zur ersten Frage ist im Anschluss an das bereits Gesagte festzustellen, dass auch ohne § 15 Abs. 3 NABEG nur ausnahmsweise eine Klagebefugnis gegenüber der Trassenplanung begründet werden kann. In den Fällen, in denen dies denkbar ist, stellt sich die Frage, ob das Verfassungsrecht eine verfassungskonforme Auslegung derart verlangt, dass von einer Außenwirkung auszugehen ist, wie es Moench/Ruttloff vertreten35, oder ob für diese Fälle von eine konstitutiven Wirkung des § 15 Abs. 3 NABEG auszugehen ist. Meines Erachtens spricht nichts dagegen, eine solche konstitutive Wirkung anzunehmen, soweit der Rechtsschutz im Übrigen den vom Bundesverfassungsgericht beschriebenen Mindestanforderungen genügt. Davon aber ist auszugehen, denn es bestehen bei realistischer Betrachtungsweise keine Anhaltspunkte, warum die gerichtliche Kontrolle durch vollendete Tatsachen in diesem Bereich stärker beschränkt sein sollte als in vergleichen Fällen. Es ist deshalb „realistischerweise“ davon auszugehen, dass die Gerichtskontrolle in der Lage ist, im Rahmen einer Inzidentkontrolle auch die Bundesfachplanung ausreichend wirksam zu kontrollieren und ggf. zu korrigieren. Das Hauptproblem besteht – wie bei vielen anderen großräumigen Planungen – darin, dass die Umsetzung abschnittsweise erfolgt und unterschiedlich schnell erfolgt. Dazu gibt es aber schon aus Gründen der Arbeitskapazität der zuständigen Fachbehörden keine realistische Alternative. Problematisch ist aber darüber hinausgehend, dass die abschnittsbezogenen Genehmigungen ihrerseits in den meisten Fällen sofort vollziehbar sind mit der Folge, 35

C. Moench / M. Ruttloff, NVwZ 2014, 897 ff.

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dass je nach zeitlichen Divergenzen zwischen den einzelnen abschnittsbezogenen Verfahren bereits Vollzugsmaßnahmen erfolgen, bevor der Rechtsschutz gegenüber den Planfeststellungsbeschlüssen abgeschlossen ist. Da die vorläufige Vollziehbarkeit keine automatische Folge der gesetzlichen Regelungen ist, richten sich die Vorgaben des Verfassungsrechts insoweit an die behördliche Ebene im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bzw. an die Verwaltungsgerichte im Falle einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit. Der durch das Bundesverfassungsgericht herausgearbeitete Gesichtspunkt ist dabei in die Abwägung einzubeziehen. Er wird in der herkömmlichen Betrachtungsweise auch durch das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache aufgefangen. Es bleibt deshalb im Ergebnis dabei, dass ein verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz verfassungsrechtlich unbedenklich auf die Zulassungsentscheidung beschränkt werden kann. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 15 Abs. 3 NABEG in den Fällen, in denen ausnahmsweise bereits eine Betroffenheit konkreter Eigentümer durch die Bundesfachplanung feststellbar ist, ist nicht geboten, da die entsprechenden Belange im Rahmen einer Entscheidung über die vorläufige Vollziehbarkeit zu berücksichtigen sind. Der Gesetzgeber durfte insoweit der Verfahrensbeschleunigung den Vorrang einräumen. In der Praxis dürfte sich bei entsprechender Berücksichtigung dieser Vorgaben trotz Bestätigung der Gesetzeslage gleichwohl eine wichtige Änderung ergeben, indem die Entscheidung zugunsten einer vorläufigen Vollziehbarkeit der andere Abschnitte betreffenden Planfeststellungsbeschlüsse eher die Ausnahme als die Regel sein muss, jedenfalls dann, wenn Rechtsstreitigkeiten bei benachbarten Planungsabschnitten absehbar sind. Das ist trotz der zeitlichen Verschiebungen der einzelnen Abschnitte in der Regel bereits frühzeitig der Fall und damit auch in den entsprechenden Entscheidungen ohne weiteres zu „verarbeiten“. V. Verwaltungsrechtliche Funktionen des Rechtsschutzes 1. Zum Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess im Allgemeinen Stärker als in anderen Rechtsbereichen ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von Beginn an eine enge Verknüpfung von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess angelegt gewesen.36 Dies zeigt zunächst die Doppelfunktion des Widerspruchsverfahrens. Im Laufe der Zeit wurde durch die erweiterte Zulassung von Heilungshandlungen (§ 45 VwVfG) bis zur abschließenden mündlichen Verhandlung (§ 45 Abs. 2 VwVfG) sowie speziell im Planungsrecht durch die Zulassung ergänzender Verfahren, die eine vollständige Nichtigkeit eines Planes zu verhindern ver36 Dies kommt unter anderem in der gemischten Besetzung der Verwaltungsgerichte durch Verwaltungsbeamte und Richter in der Frühzeit der Entwicklung zum Ausdruck.

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mögen (§ 214 BauGB), eine immer engere Verbindung beider Verfahrensebenen herbeigeführt.37 Für den Bereich des Umwelt- und Planungsrechts hat sich in Gestalt der Verbandsklagen zudem eine Funktionserweiterung des gerichtlichen Verfahrens über den Individualrechtsschutz hinaus etabliert, die auch den Charakter des gerichtlichen Verfahrens und die materielle Weite der Rechtsprüfung im einzelnen Verfahren verändert hat.38 2. Die spezifische Befriedungsfunktion verwaltungsgerichtlicher (Groß-)Verfahren im Planungsrecht Gerade bei den verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu umstrittenen Fachplanungen, für die in vielen Fällen nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO das Bundesverwaltungsgericht erstinstanzlich zuständig ist, kann man beobachten, dass ihnen eine spezifische Befriedungsfunktion schon durch die Art der Verfahrensgestaltung zukommt, die auch das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess in einem neuen Licht erscheinen lässt. Obwohl auch die für das Planfeststellungsverfahren zuständigen Verwaltungsbehörden39 zur Objektivität verpflichtet sind, werden sie in der Praxis wegen der engen Einbindung in die politische Steuerung mehr als Verfahrenspartei denn als neutrale Instanz wahrgenommen. Das gilt vor allem dort, wo eine (andere) staatliche Stelle als Vorhabenträger auftritt. Mit dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren wird aus der Sicht der betroffenen Bürgerinnen und Bürger mit dem Richter erstmals eine „neutrale“ Instanz in diesen Verfahren aktiv und ein wirksames Forum für einen sachlichen Diskurs eröffnet. Die auf Grund des Prozessrechts anders verteilte Rechtfertigungslast trägt dazu bei, dass sich der Diskursrahmen verändert und die Sachthemen stärker in den Vordergrund treten können. Das Gericht kann zudem durch die Strukturierung der Verhandlung die Aufmerksamkeitsschwerpunkte beeinflussen und zu einer neuen Sichtweise bei allen Beteiligten beitragen. Es sind die an dieser Stelle ansetzenden Klugheitsregeln innerhalb des prozessrechtlichen Gestaltungsermessens, die den spezifischen Eigenwert eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ausmachen und die Möglichkeit zu einer neuen Art der Verständigung und Befriedung eröffnen. Dazu trägt sicher auch die für viele Bereiche des Fachplanungsrechts greifende Entscheidung des Gesetzgebers bei, eine erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zu begründen. Damit ist die Möglichkeit eröffnet, die Verfahren 37 Zu den zugrunde liegenden unterschiedlichen Bewertungen J. Schwarze, Der funktionale Zusammenhang von Verwaltungsverfahrensrecht und verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz, 1974, S. 61 ff.; F. Schoch, VerwArch 1992, 21 (29). 38 Dazu umfassend S. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008. 39 Das gilt sowohl für die Planfeststellungsbehörde als auch die Anhörungsbehörde. Soweit der Vorhabenträger ein Verwaltungsträger ist, ist er immerhin an Gesetz und Gemeinwohl gebunden. S. näher Wolff / Bachof / Stober / Kluth (Fn. 7), § 62, Rn. 34 ff.

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an einem Gericht zu führen, das nicht nur über eine besondere Fachkompetenz verfügt, sondern auch über die Zeit, solche Verfahren gründlich zu führen, wobei dies für die unteren Instanzen damit nicht generell in Abrede gestellt werden soll. Die Belastungen sind aber an den Instanzgerichten anderer Art als am Bundesverwaltungsgericht. Zudem handelt es sich in noch stärkerem Maße um einen neutralen Ort in einem weit verstandenen Sinne. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren dient auf diese Art und Weise der Nachholung von Funktionen, die bereits durch das Verwaltungsverfahren erfüllt werden sollten, in vielen Fällen aber nicht erfüllt werden oder erfüllt werden können. Der Gestaltung der mündlichen Verhandlung bzw. des Verfahrens überhaupt kommt eine mindestens ebenso große Bedeutung zu wie dem späteren Urteil, soweit nicht eine andere Art der Verständigung erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist letztlich auch durch den Gesetzgeber zu entscheiden, welche Art der Verfahrensgestaltung die bessere ist: Das Modell der abgeschichteten verbindlichen Teilentscheidungen, die separat angefochten werden können oder das Modell der einen, späten Entscheidung, die in einem Großverfahren abzuarbeiten ist. Gute Gründe sprechen dafür, dass das Modell der mehrstufigen verbindlichen Entscheidungen mit separaten Rechtsschutzmöglichkeiten jedenfalls dann die bessere Lösung darstellt, wenn der Rechtsschutz auf eine Instanz begrenzt wird. Die Akzeptanz dürfte dabei größer sein und die verfassungsrechtlichen Risiken geringer. VI. Zusammenfassung und Ausblick Der Netzausbau wird uns noch viele Jahre beschäftigen. Hier in Rostock, wo Wind reichlich zur Verfügung steht, wird man sich darum die geringsten Sorgen machen. Wilfried Erbguth wird den damit zusammenhängenden Fragen aber sicher auch in Zukunft seine Aufmerksamkeit schenken und den einen oder anderen Beitrag zur Entwicklung des Rechts und seiner dogmatischen Infrastruktur leisten. Dafür sei ihm schon an dieser Stelle, ebenso wie für seine vielen bisherigen Beiträge und Anregungen, ein herzlicher Dank gesagt.

Autoren- und Herausgeberverzeichnis Wolfgang Durner, Univ.-Prof. Dr. iur. Dr. phil., LL.M. (London), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Adenauerallee 44, 53113 Bonn Annette Guckelberger, Univ.-Prof. Dr. iur., Universität des Saarlandes, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Postfach 15 11 50, 66041 Saarbrücken Winfried Kluth, Univ.-Prof. Dr. iur., Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Juristische und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Universitätsplatz 10a, 06099 Halle (Saale) Hans-Joachim Koch, Univ.-Prof. Dr. iur. em., Universität Hamburg, Fakultät für Rechtswissenschaft, Edmund-Siemers-Allee 1, 20146 Hamburg Sabine Schlacke, Univ.-Prof. Dr. iur., Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Institut für Umwelt- und Planungsrecht, Universitätsstraße 14/16, 48143 Münster Mathias Schubert, Priv.-Doz. Dr. iur., Universität Rostock, Juristische Fakultät, Ulmenstraße 69, 18057 Rostock Helmuth Schulze-Fielitz, Univ.-Prof. Dr. iur. em., Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Juristische Fakultät, Domerschulstraße 16, 97070 Würzburg