Elektrotechnik für Gebäudetechnik und Maschinenbau [2. Aufl.] 978-3-658-20970-4;978-3-658-20971-1

Dieses Lehr- und Fachbuch behandelt Grundlagen der Elektrotechnik und die Gebiete der Elektrotechnik, die für Ingenieure

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German Pages XIII, 443 [453] Year 2019

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Elektrotechnik für Gebäudetechnik und Maschinenbau [2. Aufl.]
 978-3-658-20970-4;978-3-658-20971-1

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIII
Grundlagen der Elektrotechnik (Andreas Böker)....Pages 1-126
Niederspannungsnetze im Gebäude (Andreas Böker, Hartmuth Paerschke)....Pages 127-187
Halbleitertechnik (Hartmuth Paerschke)....Pages 189-242
Elektrische Energiewandler und Speicher (Andreas Böker, Ekkehard Boggasch, Hartmuth Paerschke)....Pages 243-353
Elektrische Messtechnik (Hartmuth Paerschke)....Pages 355-404
Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz (Hartmuth Paerschke)....Pages 405-439
Back Matter ....Pages 441-443

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Andreas Böker Hartmuth Paerschke Ekkehard Boggasch

Elektrotechnik für Gebäudetechnik und Maschinenbau 2. Auflage

Elektrotechnik für Gebäudetechnik und Maschinenbau

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Springer für Professionals

Andreas Böker  Hartmuth Paerschke  Ekkehard Boggasch

Elektrotechnik für Gebäudetechnik und Maschinenbau 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2019

Andreas Böker FB EGU Fachhochschule Münster Steinfurt, Deutschland

Ekkehard Boggasch Fakultät Versorgungstechnik Ostfalia HS für angewandte Wissenschaft Wolfenbüttel, Deutschland

Hartmuth Paerschke Fakultät 05 – Energie- und Gebäudetechnik Hochschule München München, Deutschland

ISBN 978-3-658-20970-4 https://doi.org/10.1007/978-3-658-20971-1

ISBN 978-3-658-20971-1 (eBook)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2017, 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort zur 2. Auflage

Die Energiewende hin zu nachhaltiger Energieerzeugung und -verwendung treibt vielfältige technische und wirtschaftliche Entwicklungen an. In Verteilungsnetzen sind viele kleinere und dezentrale Erzeugungsanlagen zur Nutzung regenerativer Energien integriert. Ihre Zahl wird noch zunehmen. Gleichzeitig werden vielfältige Technologien entwickelt, um in größerem Umfang elektrische Energie zu speichern. Verteilungsnetzbetreiber prüfen, ob die Anwendung von intelligenter Steuerungs- und Leittechnik eine Alternative zum konventionellen Netzausbau sein kann. Diese Entwicklungen haben auch Einfluss auf die Gebäudetechnik. Gebäude werden in Zukunft als elektrische Erzeuger oder Speicher auftreten und Systemdienstleistungen für Verteilungsnetzbetreiber anbieten. Intelligente Stromzähler sind inzwischen per Gesetz vorgeschrieben. Automation und digitale Kommunikation in Gebäuden schaffen die Voraussetzungen für Entwicklungen, für die die Begriffe smart grid und smart home geprägt wurden. Der in diesem Umfeld tätige Ingenieur wird zunehmend Gewerke-übergreifend tätig werden und entsprechende Systemlösungen anbieten. Vor diesem Hintergrund soll das vorliegende Buch einen Einstieg in die Grundlagen und die vielfältigen elektrotechnischen Themenstellungen bieten, die für Ingenieure in der Gebäude- und Energietechnik, in der Versorgungstechnik, im Maschinenbau und in der Umwelttechnik von besonderer Bedeutung sind. Es ist aus den langjährigen Lehr-Erfahrungen der Autoren an den Hochschulen Münster, München und Wolfenbüttel entstanden. Die Autoren sind Mitglieder im Arbeitskreis der Professoren für Gebäudeautomation und Energiesysteme. Die Kollegen im Arbeitskreis haben durch zahlreiche Diskussionen und Anregungen zum vorliegenden Buch beigetragen. Das erste Kapitel führt, ohne besondere Vorkenntnisse vorauszusetzen, in die Grundlagen der Elektrotechnik ein. Ausgehend von der Darstellung des elektrischen Feldes werden die Gesetzmäßigkeiten im Gleichstromkreis dargelegt. Es folgt das magnetische Feld und das Induktionsgesetz mit seinen Anwendungen. Das Verhalten von Werkstoffen in elektrischen und magnetischen Feldern wird in einer vereinfachten Darstellung erläutert, die im Anhang mit den Maxwellgleichungen begründet wird. Es folgen die für die Anwendungen so wichtigen Themen der Wechselstrom- und Drehstromtechnik. Für die Berechnungen von Strömen, Spannungen und Leistungen wird mit Zeigerbildern und komplexen Zahlen gearbeitet. Dabei wird auch auf von der Sinusform abweichende V

VI

Vorwort zur 2. Auflage

Stromverläufe eingegangen, die durch den verbreiteten Einsatz von leistungselektronischen Schaltungen verstärkt auftreten. Im zweiten Kapitel „Niederspannungsnetze im Gebäude“ wird ein Überblick über die Struktur der elektrischen Energieversorgung gegeben. Es werden die Schutzmaßnahmen gegen elektrischen Schlag beschrieben. Dazu werden die verschiedenen NiederspannungsSchaltgeräte und der Aufbau und die Funktion von TN-, TT- und IT-Netzsystemen erläutert. Der Abschnitt über die Auslegung der Leitungen schließt das Kapitel ab. Dabei wird auf den Schutz bei Überlast und Kurzschlüssen vertieft eingegangen. Im Kapitel zur „Halbleitertechnik“ werden auf der Basis des Bändermodells die Vorgänge am pn-Übergang anschaulich dargestellt und der Aufbau und die Funktion der verschiedenen Typen von Dioden und Transistoren erörtert. Als Anwendungen werden die leistungselektronischen Grundschaltungen zur Wandlung von Elektroenergie und die Signalwandlung mit Operationsverstärkern erläutert. Das Kapitel „Energiewandler und elektrische Speicher“ beschreibt zunächst den Aufbau, die Funktion und den Einsatz von Transformatoren, Synchron- und Asynchronmaschinen. Im Abschnitt Photovoltaik werden die physikalischen Vorgänge und das elektrische Verhalten von Solarzellen, sowie die verschiedenen photovoltaischen Systemlösungen, insbesondere die unterschiedlichen Wechselrichtertypen hinsichtlich ihrer Funktion und ihrer Wirkungsgrade ausführlich erläutert. Das Kapitel schließt ab mit einer systematischen Darstellung der verschiedenen Technologien zur Speicherung elektrischer Energie. Dabei wird auch auf die Techniken zur Unterbrechungsfreien Stromversorgung eingegangen. Im Kapitel „Messtechnik“ werden die grundlegenden Begriffe der Messtechnik, wie zufällige und systematische Messabweichungen, Gerätefehlergrenzen sowie die Verfahren zur Ermittlung des vollständigen Messergebnisses unter Angabe der Messunsicherheit verdeutlicht. Die wichtigsten elektrischen analogen und digitalen Messgeräte werden beschrieben und die Messung elektrischer Größen und die elektrische Messung ausgewählter, insbesondere für die Gebäudetechnik wichtiger nicht-elektrischer Größen erläutert. Im abschließenden Kapitel „Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz“ werden die Mechanismen unerwünschter elektromagnetischer Störbeeinflussungen dargelegt. Darauf aufbauend werden mit Bezug auf die Gebäudetechnik die Maßnahmen zu ihrer Unterbindung, wie Erdung, Schirmung, Potentialtrennung und Schutzbeschaltungen anschaulich erläutert. Das Buch richtet sich insbesondere an Studierende der Gebäude- und Energietechnik, der Versorgungstechnik, des Maschinenbaus, sowie verwandter Gebiete, für die elektrotechnische Themen in der Berufspraxis immer größere Wichtigkeit erlangen. Um die Anschaulichkeit zu gewährleisten, wurde auf mathematisch vertiefende Darstellungen, wie sie speziell für Studierende der Elektrotechnik erforderlich sind, weitgehend verzichtet. Das Buch vermittelt die Grundlagen für das Verständnis der Elektrotechnik in Anlagen und Gebäuden und dient als Hilfestellung, um in der Praxis selbständig sinnvolle, sichere und energieeffiziente elektrotechnische Lösungen zu realisieren. Es wird auch bei

Vorwort zur 2. Auflage

VII

Ingenieuren und Praktikern in der Elektro-Industrie, bei Netzbetreibern, Energieversorgungsunternehmen, sowie bei Planern und Betreibern von Gebäuden Interesse finden, wenn sie gezielt Informationen zu einzelnen Themenstellungen suchen oder sich in begrenzter Zeit weiterbilden möchten. Steinfurt, München und Wolfenbüttel 1. August 2018

Andreas Böker Hartmuth Paerschke Ekkehard Boggasch

Inhaltsverzeichnis

1

Grundlagen der Elektrotechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Böker 1.1 Elektrisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Coulombkraft und elektrische Feldgrößen . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Elektrische Spannung und Stromstärke . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Kondensator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Gleichstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Ohmsches Gesetz und elektrische Leistung . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Elektrische Widerstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Aktive Zweipole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Schaltungen mit ohmschen Widerständen und Kirchhoffsche Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.5 Berechnung von linearen Gleichstromnetzwerken . . . . . . . . 1.3 Magnetisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Grundgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Materie im Magnetfeld und magnetischer Kreis . . . . . . . . . 1.3.3 Elektromagnetische Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Wechselstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Wechselspannung – Kenngrößen und Zeigerdarstellung . . . . 1.4.2 Wechselstromverbraucher – komplexe Zweipole . . . . . . . . . 1.4.3 Elektrische Leistung, Wirkungsgrad und Kompensation . . . . 1.4.4 Oberschwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Drehstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Leitungen und Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Symmetrischer Betrieb und elektrische Leistung . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1

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1 2 9 15 20 20 23 31

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32 38 42 43 53 61 70 70 74 83 92 100 100 106 110 123

IX

X

2

3

Inhaltsverzeichnis

Niederspannungsnetze im Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Böker und Hartmuth Paerschke 2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Schutz gegen elektrischen Schlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Fehler in elektrischen Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Niederspannungs-Schaltgeräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Überstrom-Schutzeinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Erdungen und Netzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Erdverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 TN-Netze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 TT-Netze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 IT-Netze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Elektrische Leitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Leitungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Leitungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Thermisches Verhalten von Leitungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4 Kurzschlussströme in elektrischen Stromkreisen . . . . . . . . . . 2.5.5 Strombelastbarkeit von elektrischen Leitungen . . . . . . . . . . . 2.5.6 Schutz von elektrischen Leitungen und Anlagen in Fehlerfällen Tabellenanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Halbleitertechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmuth Paerschke 3.1 Halbleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Eigenhalbleiter und Eigenleitung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Dotierte Halbleiter und Störstellenleitung . . . . . . . . . . . 3.1.3 pn-Übergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Dioden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Diodenkennlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Bauarten und Einsatzfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Transistoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Bipolartransistor, Aufbau, Wirkungsweise und Bauformen 3.3.2 Kennlinienfeld des Bipolartransistors . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Anwendung des Transistors als kontaktloser Schalter . . . . 3.3.4 Anwendung als Analogverstärker in Emitterschaltung . . . 3.3.5 Feldeffekttransistoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 Bipolartransistor mit isolierter Gate-Elektrode, IGBT . . . . 3.3.7 Phototransistor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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127 132 132 134 139 139 145 150 150 153 156 157 158 160 163 168 170 176 177 184 187

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189 190 192 194 199 200 201 207 207 209 210 211 213 215 217

Inhaltsverzeichnis

XI

3.4

4

Leistungselektronische Schaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Leistungselektronische Schalter . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Gleichrichterschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Gleichspannungswandler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Wechselrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5 Netzteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Elektrische Signalverarbeitung mit Operationsverstärkern (OV) 3.5.1 Umkehraddierer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Subtrahierer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Aktive Filter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.4 Trennverstärker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Elektrische Energiewandler und Speicher . . . . . . . . . . . Andreas Böker, Ekkehard Boggasch und Hartmuth Paerschke 4.1 Transformatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Ersatzschaltbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Leerlauf- und Kurzschlussversuch . . . . . . . . . . 4.2 Drehstrom-Asynchronmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Wirkungsweise und Betriebsverhalten . . . . . . . 4.2.3 Anlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Drehzahlstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Drehstrom-Synchronmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Stationärer Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Photovoltaik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Das Strahlungsangebot der Sonne . . . . . . . . . . 4.4.2 Solarzellen, Aufbau, Funktion, Wirkungsgrad . . 4.4.3 Betriebskennlinien von Solarzellen . . . . . . . . . 4.4.4 MPP-Tracking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.5 Solarmodule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.6 Photovoltaiksysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.7 Solaranlagen mit Gleichstromverbrauchern . . . . 4.4.8 Solarwechselrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.9 Netzgekoppelte Solaranlagen . . . . . . . . . . . . . 4.5 Energiespeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Grundlegende Begriffe und Definitionen . . . . . . 4.5.2 Einteilung von Energiespeichern . . . . . . . . . . . 4.5.3 Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XII

5

Inhaltsverzeichnis

Elektrische Messtechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmuth Paerschke 5.1 Grundbegriffe und Definitionen der Messtechnik . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Systematische und zufällige Messabweichungen . . . . . . . . . . 5.1.2 Messgeräteabweichungen, Fehlergrenzen für Messgeräteabweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Vollständiges Messergebnis, Messunsicherheit . . . . . . . . . . . 5.1.4 Fortpflanzungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Elektromechanische Messwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Drehspulmesswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Elektrodynamisches Messwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Dreheisenmesswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Elektrizitätszähler zur Messung der elektrischen Arbeit . . . . . 5.3 Elektrische Messgeräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Analog-Multimeter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Digital-Multimeter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Messwandler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Hall-Element zur Messung der magnetischen Flussdichte B . . . 5.3.5 Strommesszangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.6 Oszilloskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.7 PC-gestützte Messtechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Messung elektrischer Größen im Gleichstromkreis . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Strommessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Spannungsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Widerstandsmessung durch gleichzeitige Messung von I und U 5.4.4 Brückenschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Messung elektrischer Größen im Wechselstromkreis . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2 Nichtsinusförmige periodische Größen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Messung des Effektivwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.4 Messung des Gleichrichtwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.5 Leistungsmessungen bei Wechselstrom . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.6 Wirkleistungsmessung bei Drehstrom . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Elektrische Messung nichtelektrischer Größen . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.1 Temperaturmessungen mit Widerstandsthermometer . . . . . . . 5.6.2 Temperaturmessungen mit Thermoelementen . . . . . . . . . . . . 5.6.3 Messungen mit Dehnmessstreifen (DMS) . . . . . . . . . . . . . . 5.6.4 Hitzdrahtanemometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.5 Magnetisch-induktiver Durchflussmesser . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. 355 . 355 . 357 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

358 359 361 363 364 365 367 368 371 371 372 373 376 377 378 382 382 382 384 386 387 389 389 390 392 392 393 394 395 395 397 399 402 403 404

Inhaltsverzeichnis

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz . Hartmuth Paerschke 6.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Störquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Technische elektromagnetische Störquellen . . . . . . . . 6.2.2 Elektrostatische Aufladungen und Entladung . . . . . . . 6.2.3 Blitzentstehung und -entladung . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Kopplungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Galvanische Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Induktive Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Kapazitive Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Strahlungskopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Störfestigkeit elektrischer und elektronischer Systeme . . . . . . 6.5 Grundlegende Prinzipien bei Überspannungsschutz und EMV . 6.5.1 Erdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2 Gegentakt- und Gleichtaktstörspannungen . . . . . . . . . 6.5.3 Schirmung von elektrischen Leitungen . . . . . . . . . . . 6.6 Schutz- und Entstörbeschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.1 Überspannungsschutz mit nichtlinearen Bauelementen . 6.6.2 Filter zum Überspannungsschutz . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Blitzschutz und Überspannungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . 6.7.1 Äußerer und innerer Blitzschutz . . . . . . . . . . . . . . . 6.7.2 Entstehung von Überspannungen durch Blitzeinwirkung 6.8 EMV-gerechte Elektrotechnik im Gebäude . . . . . . . . . . . . . 6.8.1 Verkabelung, Leitungsführung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8.2 Potentialausgleich, Erdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8.3 Schutzbeschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8.4 Blitzschutzzonen-, EMV-Konzept . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIII

. . . . . . 405 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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405 407 407 409 410 412 413 413 414 415 416 417 417 419 422 429 429 431 433 433 434 435 435 437 438 438 439

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441

1

Grundlagen der Elektrotechnik Andreas Böker

In diesem Kapitel werden die grundlegenden Eigenschaften von elektrischen und magnetischen Feldern beschrieben. Dazu kommen Gleich-, Wechsel- und Drehstrom. Dieser Stoff ist in vielen bekannten und bewährten Lehrbüchern zu den Grundlagen der Elektrotechnik zu finden. Dazu zählen [1–10], die eher für Studierende der Elektrotechnik gedacht sind. Auch die Lehrbücher [11–17], die sich an Studierende im Maschinenbau oder in der Verfahrens- und Versorgungstechnik richten, sind empfehlenswert. Dem Leser, die über gar keine Vorkenntnisse verfügen, wird für den ersten Einstieg [18] vorgeschlagen. Zur Vorbereitung auf Klausuren können Aufgabensammlungen wie [19–24] hilfreich sein. Beim elektrischen Feld wird auf die dielektrische Verschiebung D und beim magnetischen Feld auf die magnetische Feldstärke H komplett verzichtet. Das ist insgesamt einfacher. Die Materialkonstanten r und r werden über die elektrische Polarisation und die Magnetisierung eingeführt. Dieser Zugang ist anschaulich und erspart die Maxwellgleichungen für Materie. Eine Begründung dazu ist im Anhang unter der Überschrift Maxwellsche Theorie zu finden. Das alles geht im Wesentlichen auf [25–28] zurück.

1.1 Elektrisches Feld Der Ausgangspunkt für diesen ersten Abschnitt ist die elektrische Ladung mit der Coulombkraft. Damit werden statische elektrische Felder erklärt und ihre Ausbreitung in Materie wird charakterisiert. Es folgen die Definitionen der elektrischen Spannung und des elektrischen Stromes. Die Beschreibung des Kondensators mit seinen Eigenschaften schließt dieses Kapitel ab. A. Böker () FB EGU, Fachhochschule Münster Steinfurt, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Böker, H. Paerschke, E. Boggasch, Elektrotechnik für Gebäudetechnik und Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20971-1_1

1

2

A. Böker

Abb. 1.1 Anziehung von Papierschnitzel nach [18]

Polystyrolstab

Papierschnitzel

1.1.1 Coulombkraft und elektrische Feldgrößen Schon im Altertum waren elektrische Erscheinungen bekannt. Wird Bernstein mit einem Tuch oder Fell gerieben, zieht es leichte Fasern an. Das altgriechische Wort für Bernstein lautet e¯ lektron.

Elektrische Ladung Die Effekte bei der Reibung von Kunststoffen, Glasstäben oder Bernstein werden heute so gedeutet, dass die Stoffe elektrisch geladen werden und aufeinander Kräfte ausüben (Abb. 1.1). Das führt zu der physikalischen Größe elektrische Ladung q mit der SI-Einheit Œq D Coulomb D C D A s. Es sind zwei unterschiedliche Arten von elektrischen Ladungen bekannt. Sie werden als positive und negative Ladungen bezeichnet. Gleichnamige Ladungen stoßen sich ab. Ungleichnamige Ladungen ziehen sich an (Abb. 1.2 links). Diese Kraft zwischen den geladenen Körpern heißt Coulombkraft FC . Wenn im Vakuum zwei kugelsymmetrische Ladungsverteilungen q1 und q2 den Abstand r zwischen ihren Mittelpunkten haben (Abb. 1.2 rechts), gilt für sie das Coulombsches Gesetz. Es gibt den Betrag der Coulombsche Kraft FC an und lautet FC D

1 q1 q2 40 r 2

(1.1)

mit der Dielektrizitätskonstanten 0 des Vakuums. Sie heißt auch Influenzkonstante und ist eine Naturkonstante. Sie wird näherungsweise mit 0  8;854 1012 A s/(V m) angegeben. Neben der Kraftwirkung hat die elektrische Ladung weitere bedeutende Merkmale.

+

+

_

_

_

+

q1

FC

FC

q2

r

Abb. 1.2 Kräfte zwischen Ladungsverteilungen und ungleichnamig geladene Metallkugeln im Abstand r

1

Grundlagen der Elektrotechnik

3 Elektron: me ≈ 9,108 10–28 g qe ≈ −1,602 10–19 C

Abmessungen:

Proton:

d ≈ 10–14 m (Kern) d ≈ (0,5…6) 10–10 m (Schale)

mp ≈ 1,6723 10–24 g qp ≈ +1,602 10–19 C

Neutron: mn ≈ 1,6746 10–24 g qn = 0 C

Abb. 1.3 Atommodell von Niels Bohr

 Ladung ist an Materie gebunden.  Ladung kann weder erzeugt noch vernichtet werden. Sie kann nur getrennt oder verschoben werden.  Ladung ist quantisiert. Es gibt eine kleinste unteilbare Ladungsmenge. Das ist die Elementarladung e  1;602 1019 C. Damit ist jede elektrische Ladung q ein ganzzahliges Vielfaches der Elementarladung. qD˙ne

mit

n 2 f0; 1; 2; : : :g

(1.2)

Die Elementarladung ist mit Elementarteilchen verknüpft. Ein Elektron trägt die Ladung e und ein Proton die Ladung Ce. Ein weiteres Elementarteilchen ist elektrisch ungeladen, das ist das Neutron. Atome sind aus diesen drei Elementarteilchen aufgebaut. Neutronen und Protonen bilden die Atomkerne, in denen nahezu alle Masse vereint ist. Die Elektronen befinden sich in großer Entfernung außerhalb des Kerns. Nach dem Bohrschen Atommodel umkreisen sie den Kern auf diskreten Bahnen (Abb. 1.3). Dieses halbklassische Atommodel ist nur eine grobe Veranschaulichung der Vorgänge. Sehr viel bessere Aussagen können mit der Quantentheorie getroffen werden, auf die in diesem Rahmen nicht eingegangen werden kann. Je nach Art und Struktur des atomaren, molekularen oder kristallinen Aufbaus der Werkstoffe und Materialien zeigen sich unterschiedliche elektrische Eigenschaften wie z. B. die elektrische Leitfähigkeit.

Elektrische Feldstärke In der Umgebung von elektrischen Ladungsverteilungen befinden sich elektrische Felder. Diese werden mit Feldlinien dargestellt und durch die elektrische Feldstärke charakterisiert. Das wird nun ausgebreitet. Ausgangspunkt ist das Beispiel einer Metallkugel, die die Ladung CqK trägt. In ihrer Nähe soll sich eine Probeladung q befinden (Abb. 1.4). Beide Ladungen ziehen sich wegen der Coulombkraft an. Diese ist abhängig vom Abstand r zwischen den Mittelpunkten

4

A. Böker

Abb. 1.4 Geladene Kugel mit Probeladung

FC

–q

FC +qK

Abb. 1.5 Querschnitt durch das elektrische Feld eines Plattenkondensators, idealisierte Darstellung

r

E +q + + + + +

− −q − − − −

der beiden Ladungen. Das Ganze kann auch so gesehen werden, dass die Metallkugel ein elektrostatisches Kraftfeld bildet. Jedem Punkt des Raumes außerhalb der geladenen Kugel wird eine Coulombkraft FC zugeordnet, die auf die Probeladung wirkt. Daher kommt die Bezeichnung Feld. Dieses Beispiel der geladenen Metallkugel hat Analogien zum Schwerefeld der Erde. Die Metallkugel entspricht der Erde, die Coulombkraft der Gravitationskraft FG und die elektrischen Ladungen den schweren Massen m1 und m2 im Newtonschen Gravitationsgesetz. FG D G

m1 m2 r2

(1.3)

Die universelle Gravitationskonstante ist ungefähr G  6;674 1011 m3 =.kg s2 /. Wird die Coulombkraft durch die Ladung q dividiert, liegt eine neue vektorielle Feldgröße vor. Das ist die elektrische Feldstärke E . Sie ist definiert als ED

FC q

ŒE D N=C D N=.A s/ D V=m :

(1.4)

Diese Feldgröße ist unabhängig von der Probeladung q. Beim Beispiel der geladenen Metallkugel steht die Richtung der elektrischen Feldstärke senkrecht auf den gedachten Kugeloberflächen um die Metallkugel. Für ihren Betrag gilt ED

1 qK : 40 r 2

(1.5)

Ein weiteres Beispiel ist der Plattenkondensator (Abb. 1.5). Zwischen seinen Elektroden befindet sich ein annähernd homogenes elektrisches Feld. Richtung und Betrag der elektrischen Feldstärke sind in jedem Punkt des Raumes gleich. Elektrische Felder werden mit elektrischen Feldlinien dargestellt. Sie können sichtbar gemacht werden, wenn man z. B. Streufasern aus dem Modellbau zwischen die Elektroden bringt. Genauso kann Grieß mit Rizinusöl verwendet werden. Die elektrischen Feldlinien zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

−q

5

+q

−q

pe

+q

d

Abb. 1.6 Feldlinien eines elektrischen Dipols und sein elektrisches Dipolmoment p e

 Elektrische Feldlinien schneiden sich nicht.  Der Abstand der Feldlinien ist ein Maß für den Betrag der elektrischen Feldstärke E . Je dichter die Feldlinien sind, desto größer ist der Betrag.  Die Richtung der elektrischen Feldstärke ist tangential zu den Feldlinien.  Elektrische Feldlinien treten senkrecht zu leitfähigen Oberflächen ein oder aus.  Sie haben Anfang und Ende. Die Quelle des elektrischen Feldes ist die positive Ladung und die negative Ladung ist die Senke.  Ihre Richtung verläuft von Plus nach Minus. Auch da, wo keine Feldlinien gezeichnet sind, existiert ein elektrisches Feld. Es befindet sich in jedem Punkt des Raumes. Dass elektrische Ladung Quelle oder Senke von elektrischen Feldern ist, wird auch als Grundgesetz der Elektrostatik oder als der Gaußsche Satz für das elektrische Feld bezeichnet. Dies wird durch die 3. Maxwellsche Gleichung 1.297 beschrieben. Im Inneren des Plattenkondensators ist das elektrische Feld homogen. In praktisch allen anderen Fällen ist das nicht so. Dann verändern sich die Richtung oder der Betrag der elektrischen Feldstärke mit der Position im Raum. Auch ein elektrischer Dipol hat ein inhomogenes elektrisches Feld (Abb. 1.6). Sein elektrisches Dipolmoment pe ist durch das Drehmoment M definiert, das es im elektrischen Feld erfährt. M D pe  E

Œpe  D Cm

(1.6)

6

A. Böker

E=0 E=0

E≠0

E≠0

4+

pe

Abb. 1.7 Diaelektrische Polarisation bei einem einzelnen Atom und im Ionen-Kristallgitter

Im einfachsten Fall besteht ein elektrischer Dipol aus zwei ungleichnamigen Ladungen ˙q, die sich im Abstand d voneinander befinden. pe D q d

(1.7)

Die Vektoren p e und d müssen von der negativen zur positiven Ladung zeigen, damit Gl. 1.6 gültig ist. Bislang wurden die elektrischen Felder im Vakuum betrachtet. Nun soll ihre Wechselwirkung mit Materie beleuchtet werden.

Materie im elektrischen Feld Breiten sich elektrische Felder in Materie aus, kommt es zu Wechselwirkungen zwischen dem äußeren elektrischen Feld und den geladenen Elementarteilchen im Material. Das soll für zwei besondere Fälle genauer betrachtet werden. Einmal ist es ein Isolator im elektrischen Feld, das andere Mal ein Metall. Im Isolator kann aufgrund eines äußeren elektrischen Feldes die dielektrische Polarisation auftreten. Diese setzt sich aus der diaelektrischen und der paraelektrischen Polarisation zusammen. Beide Effekte werden nun nacheinander erklärt. Isolatoren leiten keinen elektrischen Strom, ihre Ladungsträger sind kaum beweglich. Wird ein elektrisches Feld angelegt, werden wegen der Coulombkräfte die Protonen und die Elektronen nur mikroskopisch verschoben, d. h. im atomaren Maßstab. Die Ladungsschwerpunkte liegen nicht mehr übereinander. Es werden elektrische Dipolmomente induziert. Dieser Vorgang wird als diaelektrische Polarisation oder Verschiebungspolarisation bezeichnet (Abb. 1.7). Bei manchen Stoffen ist die diaelektrische Polarisation extrem schwach, sie lassen sich praktisch nicht polarisieren. Das ist beispielsweise bei Schwefelhexafluorit (SF6 ) der Fall, das in gasisolierten Schaltanlagen eingesetzt wird (Abb. 1.8). In Abschn. 1.4.3 wird sich zeigen, dass solche Materialien kaum Umorientierungsverluste zeigen, was in der Energietechnik natürlich wünschenswert ist. Es gibt Materialien, in denen auch ohne äußeres elektrisches Feld elektrische Dipole vorhanden sind. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Wasser mit den polaren Wassermolekülen H2 O. Meistens ist die Orientierung der zahllosen elektrischen Dipole chaotisch verteilt.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

Abb. 1.8 Bindungslänge und -winkel beim gasförmigen SF6 und Inbetriebnahme einer gasisolierten Schaltanlage (Foto rechts: ABB [29])

7

156,4 pm

F 90°

F

F

S F

F F

Bei Anlegen eines äußeren elektrischen Feldes richten sie sich aus. Dieser Effekt wird paraelektrische Polarisation oder Orientierungspolarisation genannt (Abb. 1.9). Sie ist reversibel, d. h. umkehrbar. Wird das äußere elektrische Feld weggenommen, verschwindet die Polarisation wieder. Die diaelektrische Polarisation tritt immer auf. Sie kann durch die paraelektrische Polarisation überlagert werden. Beide Effekte führen zu einer Dichte der elektrischen Dipolmomente dpe /dV . Die wird dieelektrische Polarisation genannt und hat selbst ein elektrisches Feld mit der mittleren Feldstärke E p . Ep D 

1 dpe "0 dV

Œdpe =dV  D A s=m2

(1.8)

Die Wechselwirkungen zwischen der elektrischen Feldstärke E und der dielektrischen Polarisation dpe /dV können sehr kompliziert ausfallen. Einen Einfluss hat immer das Material mit seiner chemischen und elektronischen Struktur. Darüber hinaus können die Temperatur und die Frequenz eine Rolle spielen. Es gibt auch Ferroelektrika, die Hystereseverhalten zeigen. Dieses Verhalten wird später bei der Hysteresekurve von Ferromagnetika erklärt. Im einfachsten Fall liegt ein isotroper (von der Richtung unabhängiger) Isolator vor. Die Vektoren E und E p zeigen in dieselbe Richtung unabhängig davon, wie der Isolator relativ zum Feld gedreht wird. Wenn das Material zusätzlich linear ist (E  Ep ), kann ein dimensionsloser Proportionalitätsfaktor eingeführt werden. Das ist die elektrische Suszeptibilität e (lateinisch susceptibilitas für Übernahmefähigkeit). E p D e E E=0 O2− H+

104,5°

H+

Abb. 1.9 Wassermolekül und paraelektrische Polarisation

(1.9)

E≠0

8

A. Böker

In der Literatur ist meistens eine andere Stoffkonstante zu finden. Das ist die relative Dielektrizitätskonstante "r . Sie wird auch als relative Permittivität, Permittivitätszahl oder Dielektrizitätszahl bezeichnet (lateinisch permittere für erlauben, überlassen, durchlassen). (1.10) "r D 1 C e Beide Größen e und "r sind ein Maß dafür, wie stark sich ein Stoff polarisieren lässt. Im Vakuum gibt es keine elektrische Ladung und daher auch keine elektrischen Dipolmomente. Die Polarisation verschwindet und es gilt exakt e D 0 bzw. "r D 1. Für Luft gilt das in guter Näherung. Lässt sich ein Stoff leicht polarisieren, sind seine elektrische Suszeptibilität und relative Dielektrizitätskonstante groß. Eine Permittivitätszahl "r > 1 gibt an, um welchen Faktor das durch freie Ladungen erzeugte Feld im Isolator abgeschwächt wird. Das ist anhand von Abb. 1.7 und 1.9 ersichtlich. Die induzierten und ausgerichteten Dipole zeigen zwar in Richtung des äußeren Feldes. Jedoch ist ihr eigenes elektrisches Feld entgegen gesetzt gerichtet. Daher rührt das Minuszeichen in Gl. 1.8. Permittivitätszahlen für verschiedene Materialen sind im Anhang in Tab. 1.18 zu finden. An dieser Stelle kann die dielektrische Verschiebung D erklärt werden, die vielfach in der Literatur zu finden ist. Sie wird auch elektrische Flussdichte, elektrische Erregung, Verschiebungsdichte oder Verschiebungsflussdichte genannt. Wegen der Materialgleichung 1.305 ist 1 dp e D  (1.11) ŒD D A s=m2 : ED "0 "0 dV Demnach ist D="0 der Teil der elektrischen Feldstärke E , der von freien nicht gebundenen Ladungsträgern stammt und von der dieelektrischen Polarisation im Isolator geschwächt wird. Die dielektrische Verschiebung ist eine reine Rechengröße und kann nicht gemessen werden. Wir werden auf sie verzichten. Die relative Dielektrizitätskonstante "r und die Dielektrizitätskonstante des Vakuums "0 werden häufig zur Dielektrizitätskonstante " zusammengefasst. Œ" D Œ"0  D A s=.V m/ (1.12) " D "r "0 Sie wird auch Permittivität genannt. Nun wird ein Metallblock in das homogene elektrische Feld eines Plattenkondensators gebracht (Abb. 1.10). Der trägt die Ladung q1 und die Querschnittsfläche seiner Elektroden ist A1 . Metalle sind gute elektrische Leiter, weil sie quasi frei bewegliche Elektronen im Gitter haben. Diese Ladungsträger können über den ganzen Metallblock verschoben werden. Auf dessen Oberflächen A2 , die den Kondensatorplatten gegenüber stehen, sammelt sich Abb. 1.10 Metallblock im homogenen E-Feld

1

Grundlagen der Elektrotechnik

9

Abb. 1.11 Geladene Kugel mit Probeladung

Probeladung +q +qK

r

die Ladung ˙q2 . Das Experiment zeigt, dass die Oberflächenladungsdichten auf dem Metallblock und den Elektroden des Kondensators gleich sind. q2 q1 D A1 A2

(1.13)

Daher haben die mit den Oberflächenladungsdichten verbundenen elektrischen Felder den gleichen Betrag, jedoch sind sie entgegen gesetzt gerichtet. Im Inneren des Metalls verschwindet die elektrische Feldstärke. Dieser Effekt wird als Influenz oder elektrische Induktion bezeichnet. Dadurch können elektrische Störfelder z. B. auf Signalleitungen und Sensoren abgeschirmt werden. Auch die Blechkarosse eines Autos wirkt als ein Faradayscher Käfig.

1.1.2 Elektrische Spannung und Stromstärke Am Beispiel einer geladenen Metallkugel soll das elektrische Potential und die elektrische Spannung definiert werden. Im Anschluss geht es um die elektrische Stromstärke und Stromdichte. Schaltungen von Spannungsquellen schließen diesen Abschnitt ab.

Elektrisches Potential und elektrische Spannung Ausgangspunkt ist noch einmal das Beispiel der Metallkugel (Abb. 1.11). Sie soll fixiert sein und die Ladung CqK tragen. In der Umgebung der Metallkugel ist ein statisches elektrisches Feld aufgebaut. Wird in dieses Feld eine bewegliche Probeladung Cq gebracht, wird diese wegen der Coulombkraft FC abgestoßen. Je näher die Probeladung an die Kugel gebracht wird, desto mehr gewinnt sie an potentieller Energie. Die potentielle Energie W der Probeladung ist grundsätzlich abhängig von ihrer Position im elektrischen Feld. Wird die Probeladung aus dem Unendlichen zum Ort r bewegt, gilt Zr ŒW  D J D N m D W s : (1.14) W .r/ D FC .s/  ds 1

Das führt zur Definition des elektrischen Potentials '. '.r/ D

W .r/ q

Œ' D J=C D Volt D V

(1.15)

10

A. Böker

Abb. 1.12 Elektrische Potentiale und elektrische Spannung an einer Batterie

+

φ+ = 1,5 V U+ − = 1,5 V



φ− = 0 V (Masse)

Im Gegensatz zur potentiellen Energie W ist das elektrische Potential eine Größe, die unabhängig von der Ladungsmenge q der Probeladung ist. Mit der Definition der elektrischen Feldstärke nach Gl. 1.4 gilt Zr E .s/  ds :

'.r/ D

(1.16)

1

Beide Größen W und ' sind auch abhängig von der Wahl der unteren Integrationsgrenze. Dieser Bezugspunkt ist in Gl. 1.14 bzw. 1.16 auf r D 1 gesetzt. Die Wahl des Bezugspunktes ist willkürlich. Im Bezugspunkt ist immer W D 0 J und ' D 0 V, da die untere und obere Integrationsgrenze identisch sind. In der elektrischen Energietechnik ist der Bezugspunkt das Erdreich in großer Entfernung vom Einfluss der Erdungsanlagen. Das ist die Bezugserde. Beim PKW ist es der Minuspol der Batterie, der mit der Karosserie verbunden ist. Dieser Bezugspunkt wird Masse genannt (Abb. 1.12). Jedem Punkt des elektrischen Feldes wird ein elektrisches Potential zugeordnet. Dagegen ist die elektrische Spannung die Potentialdifferenz zwischen zwei Punkten.

u12

W1  W2 W12 D '1  '2 D D D u21 D q q

Zr 2 E  ds

Œu D V

(1.17)

r1

Sie ist unabhängig von der Wahl des Bezugspunktes für das elektrische Potential. Das elektrische Potential ' und die elektrische Spannung u sind skalare Größen und keine Vektoren. Von der Richtung der elektrischen Spannung zu sprechen, ist missverständlich und sollte vermieden werden. Es sollte besser vom Vorzeichen der Spannung die Rede sein. Auch ist die Konvention für die Groß- und Kleinschreibung der Formelbuchstaben zu beachten. Allgemein sind elektrische Spannungen zeitabhängig, dann wird für sie ein kleiner Formelbuchstabe verwendet. Gleichspannungen sind zeitlich konstant und werden mit einen großen Formelbuchstaben gekennzeichnet. Die Gl. 1.15 und 1.17 sind die grundsätzlichen Definitionen des elektrischen Potentials und der elektrischen Spannung. Die Größen sollen nun für zwei Beispiele berechnet werden. Das sind der Plattenkondensator und die geladene Metallkugel (Abb. 1.13). Das elektrische Feld im Inneren des Plattenkondensators ist näherungsweise homogen. Daher vereinfacht sich das Wegintegral über die elektrische Feldstärke, mit dem die elektrischen Spannung U zwischen den Elektroden berechnet werden kann. Mit dem Abstand

1

Grundlagen der Elektrotechnik

Abb. 1.13 Elektrische Potentiale und Spannungen beim Plattenkondensator und der geladenen Kugel

11

φ1

+q +

φ2

E

d U12

φ1 φ2

+ + + + E

− −q − − − −

U12 +qK

U

d zwischen den Elektroden ist Zd U D

Zd E ds D E

0

ds D E d

(1.18)

0

und daher ED

U : d

(1.19)

Die Flächen und Linien, auf denen das elektrische Potential konstant ist, heißen Äquipotentialflächen. Sie werden von den elektrischen Feldlinien senkrecht durchstoßen. Hier sind die Äquipotentialflächen Ebenen, die parallel zu den Plattenoberflächen liegen. Bei der geladenen Metallkugel hängt der Betrag der Coulombkraft nur vom Abstand r zwischen der Kugel und der Probeladung ab. Wegen Gl. 1.1 ist E.r/ D

1 qK FC : D q 40 r 2

(1.20)

Da E und ds im Skalarprodukt vom Wegintegral der Gl. 1.15 gleichgerichtet sind, kann mit den Beträgen gerechnet werden. Zr

Zr E.s/ds D

'.r/ D 1

1

 r qK 1 qK qK 1 1 ds D D  2 40 s 40 s 1 40 r

(1.21)

Die elektrische Spannung zwischen zwei Punkten ist dann U12

qK D '1  '2 D  40



1 1  r1 r2

 :

Hier sind die Äquipotentialflächen konzentrische Kugeloberflächen.

(1.22)

12

A. Böker

allgemein

Batterie

PV-Zelle +

+

+ −





Abb. 1.14 Schaltsymbole von Gleichspannungsquellen und Photovoltaikanlage (Foto rechts: Siemens [30]) Abb. 1.15 Synchrongenerator (Foto links: Siemens [30]) und Generator für eine Windkraftanlage (Foto rechts: ABB [29])

a

b

Der Plattenkondensator und die geladene Metallkugel sind eher Gegenstand vom Physikunterricht in der Schule. Es sollen nun technische Spannungsquellen vorgestellt werden, die in der Praxis zu finden sind. Einfachste Beispiele sind Batterien und Akkumulatoren. Diese stellen ebenso wie eine Photovoltaik-Zelle (PV-Zelle) eine Gleichspannung zur Verfügung (Abb. 1.14). Bei größeren elektrischen Leistungen findet man klassischerweise rotierende elektrische Maschinen (Abb. 1.15). Diese Generatoren liefern in den seltensten Fällen Gleichspannungen. Meistens liegen an ihren Klemmen drei unterschiedliche sinusförmige Spannungen an. Das wird als dreiphasige Wechselspannung oder einfacher als Drehstrom bezeichnet. Neben den klassischen Synchrongeneratoren haben sich zunehmend Elemente der Leistungselektronik etabliert (Abb. 1.16). Das sind beispielsweise Wechselrichter. Diese formen eine Gleichspannung in eine Wechselspannung um. Zwischen einer PV-Anlage und dem Niederspannungsnetz im Gebäude müssen Wechselrichter eingebaut werden. Bis hier sind das elektrische Potential und die elektrische Spannung erklärt. Nun folgt die elektrische Stromstärke. Gleichstrom G −

Wechselstrom G ~

Drehstrom G 3~

= ~

Abb. 1.16 Schaltsymbole für drei unterschiedliche Generatoren und einem Wechselrichter

1

Grundlagen der Elektrotechnik

13

Abb. 1.17 Strömung der einzelnen Elektronen im Kupferdraht

Elektrische Stromstärke und Stromdichte Die elektrische Stromstärke i gibt an, wie viel Ladung pro Zeit insgesamt durch den Querschnitt eines Leiters fließt. i.t/ D

d q.t/ dt

Œi D Ampere D A

(1.23)

Die Strömung der elektrischen Ladungsträger im elektrischen Leiter hat Parallelen zur Strömung von Gasen und Flüssigkeiten in Rohren. Die elektrische Stromstärke entspricht dem Volumen- oder Massenstrom der Teilchen, die elektrische Spannung dem Druckverlust (Abb. 1.17). Vielfach wird die elektrische Stromstärke vereinfachend als elektrischer Strom bezeichnet. Sie ist eine der sieben Basisgrößen im SI-Einheitensystem (Tab. 1.14). Für das präzise Messverfahren zur Bestimmung von einem Ampere wird hier auf die Publikationen der nationalen Metrologie Institute verwiesen. In Deutschland ist das die PhysikalischTechnische Bundesanstalt (PTB). Die Bandbreite von elektrischen Stromstärken in der Elektrotechnik ist beachtlich (Tab. 1.1). Innerhalb eines Leiters kann der elektrische Strom nur in zwei Richtungen fließen. Das ist keine Richtung im dreidimensionalen Raum wie beispielsweise bei einer Kraft F . Die elektrische Stromstärke ist wie die elektrische Spannung eine skalare Größe und kein Vektor. Die beiden möglichen Strömungsrichtungen werden durch unterschiedliche Vorzeichen festgelegt. Nach der Konvention in der Elektrotechnik wird der technischen Stromrichtung ein positives Vorzeichen zugeordnet. Das ist die Strömungsrichtung der positiven Ladungsträger. Die reale bzw. physikalische Stromrichtung kann davon abweichen. Ein gutes Beispiel dazu ist ein Kupferdraht, in dem sich die Elektronen durch das Gitter entgegen der technischen Stromrichtung bewegen. In Abb. 1.18 sind zwei Ersatzschaltbilder für einen einfachen Stromkreis zu sehen. In beiden Fällen ist links eine Gleichspannungsquelle eingezeichnet. Sie dient als Energiequelle. Rechts befinden sich elektrische Verbraucher und die Stromkreise schließen sich

Tab. 1.1 Größenordnungen für elektrische Stromstärken 1012 A 106 A 103 A 10 A 104 A 105 A

Ansteuerstrom eines Feldeffekttransistors Kontaktstrom einer Sensortaste Reizschwelle beim Menschen Heizlüfter mit 2,3 kW Leistung Betriebsstrom vom Drehstrom-Synchrongenerator Kurzschlussstrom vom Generator oder Al-Schmelze

14

A. Böker

Abb. 1.18 Strombezugspfeile mit Vorzeichenangabe

+

I = +1 A



+

I = −1 A



über ideale Leiterbahnen. Die Stromrichtung ist mit zwei Angaben eindeutig festgelegt. Das sind der Strombezugspfeil im Schaltbild und das Vorzeichen in einer Formel. Die Angabe I D C1 A für das linke Schaltbild bedeutet, dass die positiven Ladungsträger in Richtung des Strombezugspfeiles fließen. Im rechten Schaltbild besagt das negative Vorzeichen, dass die positiven Ladungsträger in umgekehrter Richtung zum Strombezugspfeil fließen. Beide Darstellungen sind äquivalent. Die Strömung der Ladungsträger ist meistens nicht homogen über den Querschnitt verteilt. Ein einfaches Beispiel dazu ist Wechselstrom, bei dem der Skin-Effekt (englisch für Haut) auftritt. Der Ladungstransport findet dann zum großen Teil längs der Leiteroberfläche statt, was mit zusätzlichen Verlusten verbunden (Abschn. 1.4.3). Zur Beschreibung solcher Phänomene wird der Vektor der elektrischen Stromdichte j in einem Punkt des Querschnitts eingeführt. Sein Betrag ist j.t/ D

d i.t/ dA

Œj  D A=mm2 :

(1.24)

Die Richtung der Stromdichte zeigt in Richtung der elektrischen Feldstärke. Der Vektor j steht senkrecht auf den Äquipotentialflächen. Bei Gleichstrom sind das die Querschnittsflächen, die senkrecht zur Kupferader stehen. Denn wir gehen davon aus, dass die elektrische Stromdichte j überall in der Querschnittsfläche A gleich ist. Daher ist bei einem Gleichstrom I der Betrag der Stromdichte J D

I : A

(1.25)

Beim Wechselstrom kann mit der Formel 1.25 eine mittlere Stromdichte J angegeben werden, wenn der Effektivwert I bekannt ist. Der wird später noch anhand von Gl. 1.169 genau erklärt. Die Grenzen der thermischen Belastbarkeit von Leitern oder Kabeln können mit einer maximal zulässigen Stromdichte angegeben werden (Abschn. 2.5.5). Das ist ein Thema im Brandschutz [31, 32].

Schaltungen von Spannungsquellen Batterien gleicher Bauart können parallel oder in Reihe geschaltet werden. Bei der Parallelschaltung werden die einzelnen Ströme zu einem gesamten Strom addiert, die Spannung ist konstant (Abb. 1.19). Bei einer Serienschaltung ist es umgekehrt. Die Teilspannungen addieren sich zur gesamten Spannung, während der Strom konstant bleibt (Abb. 1.20).

1

Grundlagen der Elektrotechnik

U = U1 = U2 = … = Un

15

I1

I3

I2

In

I

U

I = I1 + I 2 + … + I n Abb. 1.19 Stromerhöhung bei der Parallelschaltung von Batterien

U = U1 + U2 + … + Un

I

I = I1 = I 2 = … = I n

U1

U2

U3

Un

U

Abb. 1.20 Spannungserhöhung bei der Serienschaltung von Batterien Abb. 1.21 Schaltzeichen eines Kondensators

1.1.3 Kondensator Ein Kondensator ist ein passives elektrisches Bauelement, welches elektrische Ladung speichern kann. Er verfügt über zwei Elektroden. Die eine trägt eine Ladung Cq und die andere eine Ladung q. Dazwischen befindet sich ein Isolator, das Dielektrikum. Das allgemeine Schaltzeichen ähnelt einem Plattenkondensator (Abb. 1.21). In der Elektronik gibt es eine Vielzahl von Kondensatoren für unterschiedliche Anwendungen. Hier soll zunächst auf Leistungskondensatoren eingegangen werden, die in Schaltschränken oder in Freiluft-Schaltanlagen zu finden sind. Die Kompensation selbst wird später in Abschn. 1.4.3 erklärt.

Kapazität und Energie Ist bei Kondensatoren die gespeicherte elektrische Ladung q.t/ proportional zur anliegenden elektrischen Spannung u.t/, kann die Kapazität C eingeführt werden. Sie ist definiert als q.t/ ŒC  D A s=V D Farad D F : (1.26) C D u.t/ Die Kapazität ist ein Maß für die Ladungsmenge, die der Kondensator bei einer bestimmten Spannung aufnehmen kann. Beim Plattenkondensator ist C D"

A A D "0 "r d d

(1.27)

mit dem Plattenabstand d und der Plattenfläche A. Die Kapazität hängt grundsätzlich von der Geometrie und dem Material über die relative Dielektrizitätskonstante "r ab. Das ist auch anhand der Tab. 1.16 im Anhang zu diesem Kapitel erkennbar. Dort sind Formeln für die Kapazität von einfachen Elektrodenanordnungen angegeben. Wird die Geometrie

16

A. Böker

Cn

C2

C1

U

U2

U1

Un

Abb. 1.22 Kondensatoren in Parallelschaltung

komplizierter können keine Formeln mehr angegeben werden. Die Kapazität kann dann nur noch gemessen werden oder mit Hilfe spezieller Software berechnet werden. Das Trennen von elektrischer Ladung wie bei der dielektrischen Polarisation erfordert Energie. Die wird wiederum im elektrischen Feld gespeichert. W D

1 2

C u2 D

1 2

q2 C

ŒW  D Joule D J

(1.28)

Die Energiedichte w D dW =dV in einem homogenen isotropen Isolator ist wD

1 2

"0 "r E 2

Œw D J=m3 :

(1.29)

Bis hier wurden die Eigenschaften eines einzelnen Kondensators vorgestellt. Nun sind Schaltungen mit mehreren Kondensatoren im Fokus.

Schaltungen von Kondensatoren Es soll nun die gesamte Kapazität berechnet werden, wenn n unterschiedliche Kondensatoren parallel oder in Reihe geschaltet sind. Werden Kondensatoren parallel an eine Spannungsquelle angeschlossen (Abb. 1.22), sind zwangsläufig die Spannungen U1 bis Un an den einzelnen Kondensatoren gleich der von außen anliegenden Spannung U . U D U1 D U2 D : : : D Un

(1.30)

Die Kondensatoren tragen die Ladungen q1 bis qn . Die gesamte Ladung q, die in der Schaltung gespeichert ist, ist die Summe der einzelnen Ladungen auf den Kondensatoren. q D q1 C q2 C : : : C qn

(1.31)

Die gesamte Kapazität C der Schaltung ist damit q2 qn q q1 C q2 C : : : C qn q1 C C:::C D D U U U1 U2 Un D C1 C C2 C : : : C Cn :

C D

(1.32)

Bei einer Parallelschaltung werden die einzelnen Kapazitäten C1 bis Cn zur Gesamtkapazität C addiert.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

17

Abb. 1.23 Kondensatoren in Reihenschaltung

C1 U

Cn

C2 U2

U1

Abb. 1.24 Zwei Kondensatoren in Serienschaltung

Un C1

U

C2 U1

U2

In einer Serienschaltung addieren sich die Teilspannungen U1 bis Un zur gesamten von außen angelegten Spannung U (Abb. 1.23). U D U1 C U2 C : : : C Un

(1.33)

Die einzelnen Ladungen auf den Kondensatoren sind gleich. Die gesamte in der Schaltung gespeicherte Ladung q ist demnach q D q1 D q2 D : : : D qn :

(1.34)

Damit gilt für die gesamte Kapazität C 1 U2 Un U U1 C U2 C : : : C Un U1 C C:::C D D D C q q q1 q2 qn 1 1 1 D C C:::C : C1 C2 Cn

(1.35)

In einer Serienschaltung wird der Kehrwert der gesamten Kapazität aus der Summe der Kehrwerte der Kapazitäten C1 bis Cn gebildet. Für den Sonderfall, dass nur zwei Kondensatoren in Reihe verschaltet sind (Abb. 1.24), kann eine einfache Formel für die gesamte Kapazität angegeben werden. C D

C1 C2 C1 C C2

(1.36)

Hier gelten Spannungsteilerregeln wie U1 U1 C C2 D D D U1 C U2 U C1 C C2 C1

und

U1 C2 D : U2 C1

(1.37)

Bis hier wurden nur statische Verhältnisse betrachtet, bei denen die Ladungen und Spannungen zeitlich konstant sind. Nun sollen die dynamischen Vorgänge beleuchtet werden, die beim Be- und Entladen von Kondensatoren stattfinden.

18

A. Böker

R S

uR(t)

±q0 ‒ ‒ ‒ +++ i(t)

uC(t)

u R (t ) = R i (t ) + R

d q (t ) dt

uC (t ) =

q (t ) C

Abb. 1.25 Ersatzschaltung für das Entladen des Kondensators

Entlade- und Beladevorgänge Aus den Definitionen der elektrischen Stromstärke nach Gl. 1.23 und der Kapazität nach Gl. 1.26 folgt d d d .C u.t// D C u.t/ : (1.38) i.t/ D q.t/ D dt dt dt Wenn sich die Spannung am Kondensator ändert, treten Entlade- oder Beladeströme auf. Zunächst soll das Entladen eines Kondensators anhand von Abb. 1.25 untersucht werden. Ausgangspunkt ist ein mit q0 geladener Kondensator der Kapazität C . Im Ersatzschaltbild ist ein elektrischer Widerstand R eingezeichnet. Nach dem Schließen des Schalters S fließt die elektrische Ladung von Kondensator ab. Der Entladestrom i.t/ fließt durch den Widerstand R, bis der Kondensator vollständig entladen ist. Es muss uR .t/ C uC .t/ D 0 gelten und daher ist q.t/ d D0: (1.39) R q.t/ C dt C Hier liegt eine gewöhnliche homogene Differentialgleichung erster Ordnung vor. Ihre Normalform lautet 1 d q.t/ C q.t/ D 0 : (1.40) dt RC Die Lösung q.t/ zum Anfangswert q.0/ D q0 ist die Funktion t

q.t/ D q0 e  mit der kapazitiven Zeitkonstante  D RC und ΠD s. Mit uC .0/ D U0 D uC .t/ D und der Entladestrom

t q.t/ D U0 e  C

(1.41) q0 ist C (1.42)

d U0  t (1.43) q.t/ D  e  : dt R Wegen des negativen Vorzeichens fließt der Strom i.t/ in der Ersatzschaltung entgegen der Richtung des Strombezugspfeiles. Der zeitliche Verlauf von Strom und Spannung ist in Abb. 1.26 dargestellt. Der Strom i.t/ macht beim Schließen des Schalters zum Zeitpunkt t D 0 einen Sprung und klingt nach begrenzter Zeit ab. Im Weiteren soll das Laden des Kondensators analysiert werden (Abb. 1.27). Dieser ist anfangs ungeladen und wird in Reihe mit einem ohmschen Widerstand R an eine ideale i.t/ D

1

Grundlagen der Elektrotechnik

19

U0 uC(t) U0 / R

−i(t)

t

t=0 Abb. 1.26 Entladestrom i.t / und Spannung am Kondensator uC .t /

Gleichspannungsquelle angeschlossen. Die Quellenspannung U0 ist zeitlich konstant, sie ändert sich nicht. Wenn der Schalter S zum Zeitpunkt t D 0 geschlossen wird, treibt die Spannungsquelle einen elektrischen Strom i.t/ durch die Schaltung. Dabei nimmt die elektrische Ladung q.t/ auf dem Kondensator zu, bis dieser vollständig geladen und der elektrische Strom verschwunden ist. Wegen des Maschensatzes 1.81, der später erklärt wird, teilt sich die Spannung U0 wie U0 D uR .t/ C uC .t/ D R

d q.t/ q.t/ C dt C

(1.44)

auf. Die Normalform dieser gewöhnlichen inhomogenen Differentialgleichung erster Ordnung ist 1 U0 d q.t/ C q.t/ D : (1.45) dt RC R Die Lösung q.t/ zum Anfangswert q.0/ D q0 ist die Funktion q.t/ D C U0



t

1  e 

 :

(1.46)

Damit ist die Spannung am Kondensator uC .t/ D

+ uR(t) −

(1.47)

S

R U0

  t q.t/ D U0 1  e  C

C i(t)

uC(t)

Abb. 1.27 Ersatzschaltung für den Ladevorgang

uR (t ) = R i (t ) = R

d q (t ) dt

uC (t ) =

q (t ) C

20

A. Böker

U0 uC(t)

U0 R

d U uC(0) = 0 τ dt

i(t) t=0

τ

t

Abb. 1.28 Ladestrom i.t / und Spannung uC .t / am Kondensator

und der Entladestrom

d U0  t (1.48) q.t/ D e  : dt R Der Strom macht nach Schließen des Schalters einen Sprung und ist nach begrenzter Zeit abgeklungen (Abb. 1.28). Die Spannung am Kondensator hat dann den Wert U0 angenommen. i.t/ D

1.2 Gleichstrom In diesem Abschnitt geht es um Gleichströme und Gleichspannungen. Die elektrischen Ströme und Spannungen sind zeitlich konstant. Beispiele für solche Stromkreise sind im einfachsten Fall die Taschenlampe oder auch die Elektrotechnik im Automobil. Als elektrische Energiequellen kommen neben anderem Batterien, Akkumulatoren, Brennstoffzellen oder Photovoltaikmodule in Frage. Zunächst wird das ohmsche Gesetz erklärt. Es folgt die Definition der elektrischen Arbeit und Leistung im Gleichstromkreis. Ihre Vorzeichen werden durch die Wahl eines Zählpfeilsystems festgelegt. Danach geht es um elektrische Widerstände und aktive Zweipole. Es schließen sich Grundschaltungen von ohmschen Widerständen und die Kirchhoffschen Gesetze an. Zwei allgemeine Verfahren zur Berechnung von linearen Widerstandsnetzwerken runden diesen Abschnitt ab.

1.2.1 Ohmsches Gesetz und elektrische Leistung Ohmsches Gesetz Ausgangspunkt der folgenden Betrachtungen ist ein einfacher Drahtwiderstand. Es soll eine Messreihe durchgeführt werden, bei der für verschiedene elektrische Gleichspannungen U der elektrische Strom I gemessen wird (Abb. 1.29). Es wird dabei vorausgesetzt, dass die Temperatur des Drahtes konstant bleibt. Die elektrischen Ströme müssen so klein

1

Grundlagen der Elektrotechnik

21

Abb. 1.29 Versuchsanordnung

I +

Spannungsmessgerät

A V

Strommessgerät

Draht U

− Abb. 1.30 U-I-Kennlinie vom Drahtwiderstand und Schaltzeichen eines ohmschen Widerstands

U R

I

sein, dass sie den Draht nicht erwärmen. In der Abbildung sind ein ideales Spannungs- und Strommessgerät eingezeichnet. Die ideale Gleichspannungsquelle soll bei jeder Belastung eine konstante Spannung an ihren Klemmen zur Verfügung stellen. Werden die Messwerte in eine Spannungs-Strom-Kennlinie aufgetragen, wird ein linearer Zusammenhang zwischen Spannung und Strom sichtbar (Abb. 1.30). Das ist das ohmsche Gesetz. U I (1.49) Die Steigung der Kennlinie ist der ohmsche Widerstand R. U DRI

ŒR D V=A D Ohm D

(1.50)

Häufig wird er auch linearer Widerstand, elektrischer Widerstand oder nur Widerstand genannt. Die Bezeichnungen elektrischer Widerstand und Widerstand sind mehrdeutig. Darunter fallen auch Widerstände mit nicht-linearer Kennlinie. Erschwerend kommt hinzu, dass auch Bauteile als Widerstand bezeichnet werden. Die Steigung der linearen StromSpannungs-Kennlinie ist der ohmsche Leitwert G. I DGU

ŒG D A=V D 1 D Siemens D S

(1.51)

Er heißt auch elektrischer Leitwert oder einfach Leitwert. Damit ist G D R1 :

(1.52)

In vielen Fällen gilt das ohmsche Gesetz nicht. Ein einfaches Beispiel dazu ist eine Glühlampe (Abb. 1.31). Bei einer nicht-linearen Kennlinie kann der differentielle Widerstand r eingeführt werden. dU Œr D (1.53) rD dI Der gleicht der Steigung der Kennlinie in einem Arbeitspunkt des nicht-linearen Zweipols.

22

A. Böker 300

250

200

150

100

U r=

50

0

ΔU ΔI

ΔU ΔI

0

0.05

0.1

0.15

0.2

0.25

0.3

0.35

0.4

0.45

0.5

I

Abb. 1.31 Gemessene U-I-Kennlinien, Schaltzeichen von Glühbirnen und differentieller Widerstand r

Arbeit, Leistung und Wirkungsgrad Die Gl. 1.17 definiert allgemein die elektrische Spannung u.t/. Daraus folgt für die elektrische Energie W , die im Gleichstromkreis ein Verbraucher aufnimmt oder ein Erzeuger einspeist. W DU q ŒW  D J (1.54) Die elektrische Energie bzw. Arbeit wird vielfach in kWh angegeben. Der Umrechnungsfaktor für die Einheiten ist 1 kWh D 3;6 106 J. Mit der Definition der elektrischen Stromstärke i.t/ nach Gl. 1.23 wird daraus W DU I t :

(1.55)

Wegen p.t/ D dW=dt ist beim Gleichstrom die elektrische Leistung P P DU I

ŒP  D J=s D VA D W :

(1.56)

Sie ist zu jedem Zeitpunkt konstant. Wegen U D R I ist die elektrische Leistung, die von einem ohmschen Widerstand aufgenommen wird, P D R I2 D

U2 : R

(1.57)

Sie wird zum größten Teil in Wärme umgewandelt. Dieser Effekt wird bei elektrischen Heizgeräten genutzt. Diese Stromwärmeverluste sind unerwünscht, wenn über eine Leitung elektrische Leistung transportiert werden soll.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

23

Abb. 1.32 Leistungsbilanz eines Energiewandlers

Pzu

Pab Pδ

Ein Elektromotor wandelt die elektrische Leistung Pzu , die er aus dem Netz bezieht, in die mechanische Leistung Pab D M ! der Drehbewegung um. Es treten Verluste P• auf. Pzu D Pab C P•

(1.58)

Es ist sinnvoll, den Wirkungsgrad einzuführen (Abb. 1.32).

D

Pab Pab D Pzu Pab C P•

Π D 1 D 100 %

(1.59)

Diese dimensionslose Größe gibt an, wie viel Prozent der zugeführten Leistung genutzt werden. Sie liegt zwischen 0 und 100 %. Bislang ist das Vorzeichen der elektrischen Energie und Leistung noch ungeklärt. Es muss festgelegt werden, ob die Leistung, die ein Verbraucher dem Stromkreis entnimmt, positiv oder negativ gezählt wird. Wir wählen grundsätzlich das Verbraucherzählpfeilsystem. In diesem Zählpfeilsystem ist die Leistung P D U I eines Verbrauchers positiv. Die Leistung, die eine elektrische Energiequelle an den Stromkreis abgibt, ist negativ. In Abb. 1.33 haben der Strom- und Spannungsbezugspfeil am Verbraucher die gleiche Richtung und daher das gleiche Vorzeichen. Damit ist die Leistung positiv. Bei der Gleichspannungsquelle ist es umgekehrt. Elektrische Widerstände gibt es in den vielfältigsten Bauformen und mit unterschiedlichsten Eigenschaften. Darüber soll im folgenden Abschnitt ein Überblick gegeben werden.

1.2.2

Elektrische Widerstände

Elektrische Zweipole haben zwei Anschlussklemmen. Zu ihnen zählen elektrische Widerstände (Abb. 1.34). Diese nehmen im zeitlichen Mittel Energie auf und können von sich

I = +0,2 A Gleichspannungsquelle

+

U = +1,5 V



Abb. 1.33 Einfacher Gleichstromkreis im Verbraucherzählpfeilsystem

Verbraucher

24

A. Böker a

b

Abb. 1.34 Schaltzeichen vom elektrischen Widerstand nach DIN EN 60617 (a) und nach ANSI (American National Standards Institute) (b)

aus keine Spannung aufbauen. Sie zählen zu den passiven Zweipolen. Oft werden elektrische Widerstände vereinfachend durch ihren ohmschen Widerstand R gekennzeichnet, obwohl sie eine nicht-lineare Kennlinie haben. Technische Widerstände dienen unter anderem zum Einstellen eines gewünschten Widerstandswertes in einer Schaltung oder in der elektrischen Messtechnik als Sensoren. Sie werden grob in Festwiderstände und veränderliche Widerstände unterteilt (Abb. 1.35). Letztere können mechanisch verstellbare Widerstände sein. Dazu kommen Widerstände, die von der Temperatur, vom Magnetfeld, von der Spannung, vom Licht oder von der Dehnung abhängig sind. Zunächst soll gezeigt werden, wie der elektrische Widerstand vom Material und seiner chemischen Struktur bestimmt ist. Das führt zu der klassischen Einteilung in Leiter, Halbleiter und Isolatoren.

technische Widerstände Festwiderstände

veränderbare Widerstände

Drahtwiderstände Schichtwiderstände

mechanisch veränderbare Widerstände

Kohleschichtwiderstände Metallschichtwiderstände Metallglasurwiderstände Metalloxidwiderstände Chipwiderstände Massewiderstände

Potentiometer einstellbare Widerstände

temperaturabhängige Widerstände NTC-Widerstände (Heißleiter)

ϑ

PTC-Widerstände (Kaltleiter)

ϑ

magnetfeldabhängige Widerstände

B

spannungsabhängige Widerstände

u

lichtabhängige Widerstände dehnungsabhängige Widerstände

Δl

Abb. 1.35 Einteilung technischer Widerstände mit deren Schaltzeichen nach DIN EN 60617 und [18]

1

Grundlagen der Elektrotechnik

25

κ / (S/m) Isolatoren

Halbleiter

Leiter

10+18 10+16 10+14 10+12 10+10 10+8 10+6 10+4 10+2 1 10‒2 10‒4 10‒6 10‒8 ρ / (Ω m)

10‒18 10‒16 10‒14 10‒12 10‒10 10‒8 10‒6 10‒4 10‒2 1 10+2 10+4 10+6 10+8

SiO2, Al2O3 Keramische Isolatoren ferromagnetische und ferroelektrische Keramik

organische Polymere

anorganische Gläser

GaAs Si (rein) Si (dotiert) Graphit NiCr Metalle und Legierungen Al Ag, Cu Supraleiter

Abb. 1.36 Leitfähigkeit verschiedener Werkstoffe nach [33]

Einfluss des Materials Es ist ein langer dünner Leiter gegeben. Der Durchmesser seiner kreisförmigen Querschnittsfläche A ist sehr klein gegenüber seiner Länge l. Das kann beispielsweise eine Kupferader in einem Installationskabel sein. Sein elektrischer Widerstand R ist mit R20 D 20

l l D A 20 A

(1.60)

gegeben. Der Index 20 besagt, dass die Größen für eine Temperatur von 20 ı C gelten. Anhand des spezifischen elektrischen Widerstands 20 oder des spezifischen elektrischen Leitwertes 20 werden die Materialien in Leiter, Halbleiter und Isolatoren eingeteilt (Abb. 1.36). Die Zuordnung ist für reine Stoffe eindeutig, jedoch können beispielsweise verunreinigte Halbleiter metallische Leitfähigkeit erreichen. Zweckmäßigerweise werden die Länge l in m und die Querschnittsfläche A in mm2 angegeben. In dem Fall haben 20 und 20 die Einheiten Œ 20  D mm2 =m D 106 m

und

Π20  D S m=mm2 D 106 S=m :

Angaben zu den Stoffkonstanten 20 und 20 sind für wichtige Leitermaterialien wie Kupfer und Aluminium in Tab. 1.19 im Anhang zu finden. Für Festkörper kann die Leitfähigkeit auch anhand des Energiebändermodells erklärt werden (Abb. 1.37). Die Energieniveaus Wx von Elektronen in einzelnen Atomen und Molekülen sind diskret. Im Festkörper mit sehr vielen Atomen bzw. Ionen bilden sich Bänder aus, da sich nach dem Pauli-Prinzip die einzelnen Energieniveaus unterscheiden müssen.

26

A. Böker

W W4 W3 W2

W1 zweiatomiges Molekül

Atom

dreiatomiges Molekül

Atome im Festkörper

Abb. 1.37 Bändermodell von Festkörpern (qualitative Darstellung)

Das oberste Band, das nahezu vollständig mit Elektronen besetzt ist, heißt Valenzband (VB). Die Elektronen im Valenzband sind nicht frei beweglich und liefern keinen Beitrag zum elektrischen Strom. Das nächst höhere Band heißt Leitungsband (LB). Wie der Name nahe legt, sind die Elektronen im Leitungsband beweglich. Leitungs- und Valenzband können durch eine verbotene Zone getrennt sein. Die wird auch als Bandabstand oder Bandlücke (englisch band gap) bezeichnet. Ihre Größe wird durch den Bandabstand Wg angegeben (Abb. 1.38). Bei Isolatoren ist dieser Bandabstand groß. Die thermische Energie der Elektronen reicht nicht aus, um vom Valenzband in das Leitungsband zu gelangen. Bei Halbleitern ist die verbotene Zone schmal. Bei Zufuhr von Energie in Form von Wärme oder Licht können Elektronen die verbotene Zone überwinden und in das Leitungsband gelangen. Dort liefern sie einen Beitrag zum elektrischen Strom. Bei Metallen überlappen sich Valenz- und Leitungsband oder die Valenzelektronen befinden sich in nicht vollständig gefüllten Bändern. Dann können diese Elektronen Energie aufnehmen und sich innerhalb des metallischen Leiters bewegen. Wegen der Analogie

LB LB Wg ≥ 5 eV VB

LB

Wg < 5 eV VB

VB

Abb. 1.38 Einteilung in Isolatoren, Halbleiter und Leiter

1 eV ≈ 1,602 10‒19 J

1

Grundlagen der Elektrotechnik

Abb. 1.39 Thermische Aktivierung

27

W

LB kB ϑ

VB

Boltzmann-Konstante kB ≈ 1,38 10‒23 J/K

zur Bewegung von Gasmolekülen wird auch vom Elektronengas gesprochen. Fast immer verändert sich der elektrische Widerstand mit der Temperatur. Darum wird es nun gehen.

Einfluss der Temperatur und Supraleitung Die gerichtete Bewegung der Elektronen im Metallgitter bildet den elektrischen Strom in einem metallischen Leiter. Die Strömung der Elektronen ist nicht gleichförmig. Sie werden durch das elektrische Feld beschleunigt und durch Stöße mit den Atomrümpfen abgebremst und umgelenkt. Effektiv führt das zu einer mittleren Strömungsgeschwindigkeit. Steigt die Temperatur im Metall, erhöht sich die Amplitude der Gitterschwingungen und damit die Wahrscheinlichkeit von Zusammenstößen. Daher steigt der elektrische Widerstand von Metallen mit der Temperatur. Die Temperaturabhängigkeit R.#/ von elektrischen Widerständen kann in eine TaylorReihe entwickelt werden.  R.#/ D Rn 1 C ˛ # C ˇ # 2 C : : :

(1.61)

mit Rn ˛ ˇ

#

Widerstandwert bei der Referenztemperatur #n , ŒRn  D linearer Widerstandsbeiwert, Widerstandstemperaturkoeffizient, Œ˛ D K1 quadratischer Widerstandsbeiwert, Œˇ D K2 Temperaturdifferenz: # D #  #n , Œ # D K

Die Stoffkonstanten ˛20 und ˇ20 für die Referenztemperatur von 20 ı C sind in Tab. 1.19 im Anhang zu finden. Die Gl. 1.61 findet Anwendung bei der Temperaturmessung mit einem Metallwiderstandsthermometer. Über die Messung des elektrischen Widerstands kann auf die Temperatur am Ort des Sensors zurück geschlossen werden. Es sind Pt100und Ni100-Messwiderstände verbreitet (Abschn. 5.6.1). Halbleitermaterialien haben meist kristallinen Aufbau, z. B. aus vierwertigem Silizium oder Germanium. Es können Störstellen mit Fremdatomen eingebaut sein, um gewünschte Eigenschaften zu erzielen. Bei steigender Temperatur werden die Ladungsträger zunehmend thermisch aktiviert, sie werden vom Valenzband in das Leitungsband gehoben (Abb. 1.39). Je mehr Elektronen im Leitungsband sind, desto besser ist die Leitfähigkeit des Halbleiters. Ein Thermistor ist ein Kofferwort aus englisch thermally-sensitive resistor. Sein elektrischer Widerstand ändert sich reproduzierbar mit der Temperatur. Zu den Halbleiterthermistoren zählen Heiß- und Kaltleiter.

28

A. Böker

106

Rmax

Widerstand R / Ω

Widerstand R / Ω

10

105 Heißleiter

104 Pt-Widerstandsthermometer

10

6

Kaltleiter 104 102

100

3

200

400

800 600 Temperatur / °C

1000

RB Rmin 0

TB 100

300

200

Temperatur / °C

Abb. 1.40 Widerstands-Temperatur-Kennlinie eines Heiß- und Kaltleiters nach [33] Tab. 1.2 Halbleiterthermistoren NTC-Widerstände D Heißleiter PTC-Widerstände D Kaltleiter

dR 0 d#

Gepresste und gesinterte Metalloxide (z. B. MnO) Halbleitende polykristaline Keramiken (z. B. dotiertes BaTiO3 )

Temperatursensor oder Einschaltstrombegrenzer Temperatursensor oder Übertemperaturschutz

Heißleiter sind Materialien, die bei steigender Temperatur besser leiten. Daher ist der Widerstandstemperaturkoeffizient ˛ negativ. Demzufolge werden sie auch als NTCWiderstand (englisch Negative Temperature Coefficient thermistor) bezeichnet. Entsprechend heißen Kaltleiter auch PTC-Widerstände (englisch Positive Temperature Coefficient thermistor). Ihre Widerstands-Temperatur-Kennlinien sind in Abb. 1.40 schematisch dargestellt. Die Materialien und Einsatzbereiche sind in der Tab. 1.2 zu finden. Für einen Heißleiter ist der elektrische Widerstand bei der absoluten Temperatur # mit der Materialkonstante B durch R.#/ D Rn eB .#

1 # 1 n

/

(1.62)

gegeben. Hier ist Rn der Nennwiderstand bei Nenntemperatur #n (meisten 25 ı C). Verliert ein Material seinen elektrischen Widerstand, spricht man von Supraleitung. Dieser Zustand wurde erstmals 1907 bei Quecksilber entdeckt, das auf 4,15 K und darunter abgekühlt war. Diese Grenze heißt Sprungtemperatur #S (Abb. 1.41). Weiterhin müssen die elektrische Stromstärke i.t/ und der Betrag der magnetische Flussdichte B.t/ unterhalb ihrer kritischen Werte sein. Die magnetische Flussdichte ist ein Maß für die Stärke und Richtung eines Magnetfeldes (Abschn. 1.3.1). Wegen der teuren Helium-Kühlung finden sich die klassischen metallischen Tieftemperatur-Supraleiter nur in wenigen Anwendungen wie bei der Kernspin-Resonanz-Spektroskopie oder bei Teilchenbeschleunigern in Kernforschungszentren. Seit 1988 sind so genannte Hochtemperatur-Supraleiter (HTS) aus Keramiken bekannt. Diese Entdeckung war sensationell, da erstmals entgegen der Vorhersage der Theorie Sprungtemperaturen mit flüssigem Stickstoff möglich waren. Seitdem hat es eine stürmische Entwicklung von neuen Materialien mit immer höheren Sprungtemperaturen gegeben. Ihrem Einsatz in der

1

Grundlagen der Elektrotechnik

Abb. 1.41 Prinzipielle Widerstands-TemperaturKennlinie eines Supraleiters

29

R

ϑS

ϑ

elektrischen Energietechnik stehen viele Herausforderungen entgegen. Die Fertigung von Kabel mit den keramischen HTS-Materialen ist schwierig und die Kühlung ist aufwendig. Daher gibt es einzelne Pilotprojekte, jedoch ist eine breite Anwendung noch nicht in Sicht. Vielfältige Anwendung finden dagegen Dehnungsmessstreifen, die sich nun anschließen.

Einfluss der Dehnung und des Lichts Für einen langen dünnen Leiter, der im elastischen Bereich gedehnt wird, gilt

R

l Dk R l

Œk D 1

(1.63)

mit dem sogenannten K-Faktor k. Dieser Effekt wird bei Dehnungsmessstreifen (DMS) genutzt. Die werden mit Spezialkleber auf Oberflächen befestigt. Damit können mechanische Oberflächenspannungen, Drehmomente oder Kräfte (z. B. in Waagen) gemessen werden (Abschn. 5.6.3). Ein Fotowiderstand ist ein lichtabhängiger elektrischer Widerstand (Abb. 1.42). Er wird abgekürzt auch als LDR bezeichnet (englisch Light Dependent Resistor). Fotowiderstände bestehen aus einer amorphen Halbleiterschicht. Steigt die Intensität des einfallenden Lichts, sinkt der elektrische Widerstand aufgrund des inneren fotoelektrischen Effekts. Fotowiderstände sind beispielsweise in Belichtungsmessern von Kameras oder in Dämmerungsschaltern eingebaut. Eine Fotodiode ist eine Halbleiterdiode, die Licht in einen elektrischen Strom umwandelt (Abb. 1.42). Im Gegensatz zum Photowiderstand kommt sie ohne externe Spannungsquelle aus (Abschn. 3.2). Sie wird in Photovoltaikanlagen zur Einstellung des optimalen Betriebspunktes eingesetzt.

Einfluss der elektrischen Spannung Spannungsabhängige Widerstände nennt man Varistoren (englisch variable resistor), sie bestehen aus halbleitenden Siliziumkarbid (SiC) oder Zinkoxid (ZnO). Bei Nennspannun-

Abb. 1.42 Schaltzeichen von Fotowiderständen und Fotodioden

30

A. Böker

I ΔIx Ix

ΔUx

Ux

U

Abb. 1.43 Prinzipielle I-U-Kennlinie vom Überspannungsableiter nach [33] und Blitzüberspannung (Foto rechts: Siemens [30])

gen sind die Materialien isolierend. Wird die Spannung deutlich erhöht, steigt der Strom schlagartig an (Abb. 1.43 links). Varistoren werden als Überspannungsschutz eingesetzt, beispielsweise in der Elektroinstallation oder in Schaltanlagen (Abb. 1.44).

Hausanschlusskasten

Überspannungsableiter

Verteilung

L1 L2

Zähler

RCD

L3 PEN

kWh

IΔn = 30 mA

L1 L2 L3 N PE

N Schaltschrank PE

Gasleitung Wasserleitung

Heizung

25 mm2 Cu

Sicherung oder MCB Potentialausgleichsschiene

Stromkreise

Fundamenterder

W

Wasserzähler

Abb. 1.44 Überspannungsableiter in Niederspannungs-Verbraucheranlage nach [34]

1

Grundlagen der Elektrotechnik

31

Abb. 1.45 Ideale Gleichspannungsquelle mit Verbraucher

+

I RV

U

U0 −

1.2.3 Aktive Zweipole Im Gegensatz zu den passiven Zweipolen stellen die aktiven Zweipole von sich aus eine Spannung an den beiden Klemmen zur Verfügung. Sie treiben einen elektrischen Strom in die Schaltung und geben im zeitlichen Mittel Leistung und Energie ab. Bisher wurden im Gleichstromkreis die aktiven Zweipole im Ersatzschaltbild mit idealen Gleichspannungsquellen nachgebildet (Abb. 1.45). An den beiden Anschlusspunkten liegt immer die konstante Quellenspannung U0 an (U D U0 ). Das ist unabhängig davon, welcher Strom I oder welche Leistung P D U I eingespeist wird. Tatsächlich sinkt jedoch die Klemmenspannung U mit steigender Belastung. Ein bekanntes Beispiel ist die Autobatterie. Wird bei eingeschalteter Beleuchtung der Anlasser betätigt, bricht während der kurzen Startphase des Motors die Spannung so stark ein, dass das Licht verdunkelt wird. In dem Moment hat der Anlasser eine Stromaufnahme von mehreren hundert Ampere. Es folgen nun zwei äquivalente Ersatzschaltbilder, die dieses Verhalten berücksichtigen. Der Abfall der Klemmenspannung wird im Ersatzschaltbild der realen bzw. technischen Spannungsquelle durch die Reihenschaltung einer idealen Spannungsquelle und eines inneren Widerstands Ri nachgebildet (Abb. 1.46 links). Bei Belastung der Batterie kommt es zu einem internen Spanungsfall Ri I und die Spannung U an den Klemmen ist (1.64) U D U0  Ri I : Meistens geht man von einem konstanten Innenwiderstand aus, der unabhängig von Strom und Spannung ist. Dann ist die Belastungskennlinie der realen Gleichspannungsquelle eine abfallende Gerade (Abb. 1.46 rechts). Bei Leerlauf (I D 0) gibt es keinen internen Spannungsfall und an den Klemmen liegt die Spannung U0 an. Der Leerlauf wird mit den Index 0 gekennzeichnet. Daher wird die Spannung U0 Leerlaufspannung genannt. Sie

Ri + U0 −

Ri I I

U U

U0

Ri = const

RV Ik I

Abb. 1.46 Technische Gleichspannungsquelle mit Verbraucher und ihre U-I-Kennlinie

32

A. Böker

Abb. 1.47 Technische Gleichstromquelle mit Verbraucher

I

I0 + Gi

U

RV



heißt auch Quellenspannung oder Urspannung. Die größte Belastung ist der Kurzschluss (U D 0), der den Index k trägt. Dann fließt der maximale Strom, das ist der Kurzschlussstrom Ik . Allgemeine Netzwerke aus Spannungsquellen, Stromquellen und linearen Widerständen lassen sich auf eine einzelne Spannungsquelle mit Innenwiderstand reduzieren. Das besagt das Thévenin-Theorem, das auch als Helmholtz-Thévenin-Theorem oder Helmholtz-Satz bezeichnet wird. Eine technische Spannungsquelle kann alternativ auch durch ein Ersatzschaltbild nach Abb. 1.47 beschrieben werden. Es enthält eine ideale Stromquelle, die den konstanten Quellenstrom I0 liefert. Durch die Parallelschaltung mit einem Innenleitwert Gi wird die Abnahme des Stroms I bei zunehmenden Lastwiderständen nachgebildet. Technische Strom- und Spannungsquellen müssen als Modelle für das reale Verhalten einer elektrischen Quelle gleiches Klemmenverhalten haben. Insbesondere gilt das bei Leerlauf (RV D 1) I0 I0 bzw. Gi D D Ri1 (1.65) U0 D Gi U0 und bei Kurzschluss (RV D 0) Ik D

U0 D I0 : Ri

(1.66)

Der Quellenstrom I0 und der Kurzschlussstrom Ik sind identisch. Mit diesen einfachen Formeln ist es möglich, die Kenngrößen U0 und Ri einer technischen Gleichspannungsquelle in die Kenngrößen I0 und Gi einer technischen Gleichstromquelle umzurechnen und umgekehrt.

1.2.4

Schaltungen mit ohmschen Widerständen und Kirchhoffsche Regeln

Zunächst werden die Reihen- und Parallelschaltung allgemein und danach für zwei einzelne Widerstände behandelt. In dem Zusammenhang werden die Kirchhoffschen Regeln erklärt. Als Anwendungen folgen der Spannungsteiler sowie die Dreieck- und die Sternschaltung.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

33

Abb. 1.48 Serienschaltung der Widerstände

I U

R1

R2

Rn

U1

U2

Un

Abb. 1.49 Parallelschaltung der Widerstände

I I1 U

R1

I2 R2

In Rn

Reihen- und Parallelschaltung Es liegen n unterschiedliche ohmschen Widerstände R1 bis Rn vor, die einmal in Reihe und einmal parallel verschaltet sind. Grundsätzlich fließt durch jeden einzelnen Widerstand ein Teilstrom und es fällt eine Teilspannung ab. In einer Reihenschaltung müssen alle Teilströme I1 bis In identisch sein (Abb. 1.48). Sie gleichen dem gesamten Strom I . I D I1 D I2 D : : : D In

(1.67)

Die gesamte Spannung U setzt sich aus den Teilspannungen U1 bis Un zusammen. U D U1 C U2 C : : : C Un

(1.68)

Damit ist der gesamte Widerstand R die Summe der einzelnen Widerstände U2 Un U1 C U2 C : : : C Un U1 U C C:::C D D I I I1 I2 In D R1 C R2 C : : : C Rn :

RD

(1.69)

Andere Verhältnisse zeigen sich bei einer Parallelschaltung von n Widerständen (Abb. 1.49). Hier müssen die Teilspannungen U1 bis Un und die gesamte Spannung U gleich sein. (1.70) U D U1 D U2 D : : : D Un Der gesamte Strom I setzt sich aus den Teilströmen I1 bis In zusammen. I D I1 C I2 C : : : C In

(1.71)

34

A. Böker

I U

R1

I

R2

I1 U1

U

U2

R1

I2 R2

Abb. 1.50 Serien- und Parallelschaltung von zwei Widerständen

Entsprechend werden die einzelnen Leitwerte G1 bis Gn zum gesamten Leitwert G D R1 addiert. I I2 In I1 C I2 C : : : C In I1 GD C C :::C D D U U U1 U2 Un (1.72) D G1 C G2 C : : : C Gn Bei einer Parallelschaltung teilen sich die Ströme und Leitwerte auf, bei einer Reihenschaltung die Spannungen und Widerstände. Beim Sonderfall von zwei einzelnen Widerständen (Abb. 1.50) lassen sich einfache Regeln finden. Sind sie in Reihe geschaltet, ist der gesamte Widerstand R D R1 C R2 . Dann gelten die Spannungsteilerregeln U1 R1 D U2 R2

und

U1 R1 R1 : D D U R R1 C R2

(1.73)

Das Verhältnis der Spannungen gleicht dem Verhältnis der Widerstände. Bei einer Parallelschaltung von zwei Widerständen ist der gesamte Leitwert R1 D G D G1 C G2 und damit 1 1 R1 C R2 1 C D : (1.74) D R R1 R2 R1 R2 Daher gibt es eine einfache Formel für den gesamten Widerstand R der Parallelschaltung. RD

R1 R2 R1 C R2

(1.75)

Hier gelten die Stromteilerregeln I1 G1 D I2 G2

und

I1 G1 G1 : D D I G G1 C G2

(1.76)

Die Ströme verhalten sich wie die Leitwerte. Die Stromteilerregeln können auch mit den elektrischen Widerständen formuliert werden. R2 I1 D I2 R1

und

I1 R2 R D D I R1 R1 C R2

(1.77)

In der Gl. 1.71 ist die erste Kirchhoffsche Regel und in der Gl. 1.68 die zweite Kirchhoffsche Regel zu sehen. Da beide Regeln die Grundlage für die Berechnungsverfahren von allgemeinen Gleichstromnetzwerken bilden, werden sie nun ausführlich erklärt.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

35

Kirchhoffsche Regeln Elektrische Ladung bleibt erhalten, sie kann weder erzeugt noch vernichtet werden. Daher muss an einem elektrischen Knoten die Summe der zufließenden elektrischen Ströme gleich der Summe der abfließenden Ströme sein. Das ist das erste Kirchhoffsche Gesetz bzw. die erste Kirchhoffsche Regel. Im linken Teil von Abb. 1.51 ist beispielhaft ein elektrischer Knoten dargestellt. Für die eingezeichneten Strombezugspfeile gilt I1 D I2 C I3 C I4 :

(1.78)

Werden die auf den Knoten zufließenden Ströme positiv und die abfließenden Ströme negativ gezählt, ist die Summe aller Ströme gleich Null und man kommt man zu dem gleichen Ergebnis. (1.79) I1  I2  I3  I4 D 0 Es ist genauso möglich, die zufließenden Ströme negativ und die abfließenden Ströme positiv zu zählen. Das erste Kirchhoffsche Gesetz wird häufig in der Form X Ik D 0 (1.80) k

geschrieben. Ein Knoten muss nicht nur ein einzelner Knotenpunkt wie in Abb. 1.51 links sein. Auch eine ganze Schaltung kann einen Knoten bilden. Die gesamte Schaltung in Abb. 1.51 rechts kann als ein Knoten mit sieben angeschlossenen Leitungen betrachtet werden. Weiterhin gilt in einer geschlossenen Masche eines Netzwerks X Uk D 0 : (1.81) k

Das ist das zweite Kirchhoffsche Gesetz. Es ist Ausdruck des Energieerhaltungssatzes. Als Beispiel dazu soll die Masche in Abb. 1.51 untersucht werden. Dort sind die elektrischen Potentiale und Spannungen eingezeichnet. Die Umlaufrichtung in der Masche kann

U12 φ2

φ1 I4

I1

I3

U32

U41

I2

φ3

φ4 U34

Abb. 1.51 Elektrischer Knoten und elektrische Masche

36

A. Böker

beliebig vorgegeben werden und zeigt hier in Uhrzeigersinn. Zählt man die Spannungsbezugspfeile in Richtung des Umlaufs positiv und die Spannungsbezugspfeile im Gegensinn negativ, ergibt sich (1.82) U12  U32 C U34 C U41 D 0 : Das ist das zweite Kirchhoffsche Gesetz. Es ist Ausdruck des Energieerhaltungssatzes. Als Beispiel dazu soll die Masche in Abb. 1.51 untersucht werden. Dort sind die elektrischen Potentiale und Spannungen eingezeichnet. Die Umlaufrichtung in der Masche kann beliebig vorgegeben werden und zeigt hier in Uhrzeigersinn. Zählt man die Spannungsbezugspfeile in Richtung des Umlaufs positiv und die Spannungsbezugspfeile im Gegensinn negativ, ergibt sich (1.83) U12  U32 C U34 C U41 D 0 : Wegen Gl. 1.17 sind elektrische Spannungen Differenzen von elektrischen Potentialen, z. B. U12 D '1  '2 . .'1  '2 /  .'3  '2 / C .'3  '4 / C .'4  '1 / D 0

(1.84)

Nach Gl. 1.15 ist das elektrische Potential die auf die elektrische Ladung q bezogene potentielle Energie W im elektrischen Feld. Damit ist der Maschenumlauf .W1  W2 /  .W3  W2 / C .W3  W4 / C .W4  W1 / D 0 :

(1.85)

Die Summe der elektrischen Spannungen muss in einer geschlossenen Masche verschwinden, da man nach einem Umlauf genau auf das Potential bzw. die potentielle Energie des Ausgangspunktes zurückkehrt. Bei einer Rundwanderung im Gebirge gilt es entsprechend. Wenn man zum Startpunkt zurückfindet, ist die Summe der Höhendifferenzen Null und damit auch die Bilanz über die Differenzen der potentiellen Energien.

Spannungsteiler Wie der Name nahelegt, teilen Spannungsteiler eine anliegende Spannung U so auf, dass eine kleinere Teilspannung zur Verfügung steht (Abb. 1.52). Diese wird Lastspannung UL genannt, weil der Spannungsteiler mit einem Verbraucher belastet wird. Es fließt ein Laststrom IL durch seinen Lastwiderstand RL . Die Lastspannung kann schrittweise durch eine Reihenschaltung von Festwiderständen verändert werden. Bei einem Drehpotentiometer wird sie kontinuierlich eingestellt. In beiden Fällen teilt sich der gesamte Widerstand R in zwei Teilwiderstände auf, R D R1 CR2 . Abb. 1.52 Spannungsteiler

R1 U

R2

IL UL

RL

1

Grundlagen der Elektrotechnik

37

Ist der Spannungsteiler unbelastet, fließt kein Laststrom IL und für die Lastspannung gilt die bekannte Spannungsteiler Regel UL D

R2 U : R1 C R2

(1.86)

Wird der Spannungsteiler belastet (IL ¤ 0), ist das Spannungsverhältnis UL D

R2L R2L U D U R1 C R2L R  R2 C R2L

(1.87)

mit dem Ersatzwiderstand R2L für die Parallelschaltung der Widerstände R2 und RL . R2L D

R2 RL D R2 k RL R2 C RL

(1.88)

Mit Spannungsteilern werden z. B. die Arbeitspunkte von Hi-Fi-Verstärkern eingestellt. Bei kleinen Leistungen dienen sie auch zur Drehzahlstellung von Gleichstrommotoren.

Stern-Dreieck-Umwandlung Ohmsche Widerstände können nicht nur in Reihe oder parallel geschaltet werden. Bei Elektroherden und Durchlauferhitzern werden die Heizwendeln in einer Stern- oder in einer Dreieckschaltung angeschlossen (Abb. 1.53). Sind die ohmschen Widerstände in einer Dreieckschaltung bekannt, kann die in eine äquivalente Sternschaltung umgerechnet werden. Das geht auch umgekehrt. R12 R31 R12 C R23 C R31 R23 R12 R2 D R12 C R23 C R31 R31 R23 R3 D R12 C R23 C R31 R1 D

R1 R2 R3 R2 R3 D R2 C R3 C R1 R3 R1 D R3 C R1 C R2

R12 D R1 C R2 C R23 R31

(1.89)

Nach den einfachen Schaltungsvarianten soll es nun um Netzwerke aus ohmschen Widerständen gehen. Die Berechnungen werden dann schwieriger.

R1

1

R2

2

R12

1 2 R3 3 Abb. 1.53 Stern- und Dreieckschaltung

R31 R23

3

38

A. Böker

1.2.5 Berechnung von linearen Gleichstromnetzwerken Schaltungen, in denen lineare Widerstände und Gleichspannungsquellen eingebaut sind, zählen zu den linearen Gleichstrom-Netzwerken. Häufig ist die Aufgabe, elektrische Ströme in einzelnen Zweigen zu berechnen, wenn Widerstände und Leerlaufspannungen der Gleichspannungsquellen bekannt sind. Sind Größe und Komplexität der Schaltungen begrenzt, ist eine Lösung „zu Fuß“ noch möglich und der Aufwand kann vertretbar sein. Irgendwann sind jedoch formale Verfahren effektiver und ohne Alternative. Ein Mittelspannungsnetz mit ca. 30.000 Leitungen kann nur noch mit Software berechnet werden, in der solche Verfahren implementiert sind. Von den zahlreichen Methoden sollen hier nur zwei besprochen werden. Das ist zum einen die direkte Anwendung der Kirchhoffschen Regeln. Dieses Verfahren wird analog auch zur Berechnung von stationären Strömungen von Flüssigkeiten und Gasen in Rohren angewendet. Es lässt sich jedoch kaum in effektive Algorithmen umsetzen. In dieser Hinsicht hat das Knotenpotentialverfahren einen entscheidenden Vorteil. Es findet breite Anwendung in der elektrischen Energietechnik und wird hier für Gleichstromnetze vorgestellt.

Direkte Anwendung der Kirchhoffschen Regeln Wenn im Netzwerk die Widerstände und Gleichspannungsquellen bekannt sind, können Knoten- und Maschengleichungen für die gesuchten Ströme in den Zweigen aufgestellt werden.  In einem beliebigen elektrischen Netzwerk mit k Knoten können stets k  1 voneinander unabhängige Knotengleichungen aufgestellt werden, falls die elektrische Ladung im Netzwerk erhalten bleibt. Sonst sind es k Gleichungen.  In einem beliebigen elektrischen Netzwerk mit m Maschen lassen sich m voneinander unabhängige Maschengleichungen aufstellen. Das führt zu einem inhomogen linearen Gleichungssystem für die gesuchten Zweigströme. Diese allgemeinen Vorschriften sollen nun beispielhaft für das Netzwerk in Abb. 1.54 angewendet werden. Hier sind die Spannungen U1 und U2 sowie die Widerstände R1 , R2 und R3 vorgegeben. Die drei Zweigströme I1 , I2 und I3 sind zu berechnen. Zuerst müssen die Strombezugspfeile festgelegt werden. Sie dürfen danach nicht mehr verändert werden. Wie sie festgelegt werden, ist unerheblich. Stellt sich am Ende der Rechnung heraus, dass ein Strom ein negatives Vorzeichen hat, ist die tatsächliche Stromrichtung dem Strombezugspfeil entgegen gerichtet. In Abb. 1.54 sind sie willkürlich eingezeichnet. Hier ist die Anzahl der Knotengleichungen k  1 D 1 und der Maschengleichungen m D 2. Diese drei Gleichungen müssen nun aufgestellt werden. Für den Knoten K1 folgt aus dem ersten Kirchhoffschen Gesetz I1 C I2  I3 D 0 :

(1.90)

1

Grundlagen der Elektrotechnik

Abb. 1.54 Netzwerk mit zwei Knoten (k D 2) und zwei Maschen (m D 2)

39

K1

I1

I3

I2

U1

U2 M2

R1

M1

R3

R2

Es ist offensichtlich, dass die Strombilanz für den zweiten Knoten genauso ausfällt. Es gibt nur eine unabhängige Knotengleichung. Bei mehr als zwei Knoten im Netzwerk lässt sich zeigen, dass sich jede Knotengleichung durch Linearkombination der anderen k  1 Knotengleichungen darstellen lässt, wenn die elektrische Ladung in der Schaltung erhalten bleibt. Jede ist von den anderen k  1 Knotengleichungen linear abhängig. Daher ist es vollkommen gleichgültig, welche der Knotengleichungen gestrichen wird. Es muss nur genau eine sein. Für die beiden Spannungsgleichungen sind in den Maschen zwei Umläufe im Uhrzeigersinn eingezeichnet. Zusätzlich muss berücksichtigt werden, dass an einem ohmschen Widerstand R die Spannung U D R I abfällt. Dann folgt aus dem zweiten Kirchhoffschen Gesetz für die Masche M1  U1 C U2  R2 I2 C R1 I1 D 0

(1.91)

 U2 C R3 I3 C R2 I2 D 0 :

(1.92)

und für die Masche M2 Es liegen nun drei Gleichungen für die drei gesuchten Ströme vor. Sie bilden ein inhomogenes lineares Gleichungssystem, das in Matrixschreibweise 2

1 6 4R1 0

1 R2 R2

3 2 3 2 3 I1 0 1 7 6 7 6 7 0 5  4I2 5 D 4U1  U2 5 R3 I3 U2

(1.93)

lautet. Es kann mit dem Gaußschen Algorithmus gelöst werden.

Knotenpotentialverfahren Die einzelnen Schritte bei der Anwendung des Knotenpotentialverfahrens sollen am Beispiel der Schaltung in Abb. 1.55 besprochen werden. Wer Interesse hat, kann in [4] für dieses Beispiel die Herleitung des Verfahrens aus den Knotengleichungen nach dem 1. Kirchhoffschen Gesetz nachlesen. Bei vorgegebener Gleichspannung U0 und bekannten Widerständen R1 bis R6 sollen alle Zweigströme berechnet werden. Eine Lösung „zu Fuß“ ist noch möglich. Dazu müsste

40

A. Böker

Abb. 1.55 Netzwerk mit einer Spannungsquelle und sechs Widerständen

R6 R4

R5

R1 R2

R3

U0

die Dreieckschaltung aus den Widerständen R2 , R3 und R5 in eine äquivalente Sternschaltung umgerechnet werden. Danach können alle Widerstände sukzessive zusammengefasst werden. Mit dem gesamten Ersatzwiderstand lässt sich der Strom durch den Widerstand R1 berechnen usw. Kommen wir zurück zum Knotenpotentialverfahren. Im ersten Schritt werden die Spannungsquellen mit Innenwiderstand in äquivalente Stromquellen mit Innenleitwert umgewandelt. In unserem Beispiel liegt nur eine Spannungsquelle vor (Abb. 1.56). Es empfiehlt sich, das Netzwerk mit den Stromquellen und Leitwerten neu zu zeichnen (Abb. 1.57). Die Leitwerte können direkt aus den Widerständen berechnet werden. Ein beliebiger Knoten im Netzwerk wird als Bezugsknoten gewählt (Abb. 1.58). Ihm wird der Index 0 und das Potential '0 D 0 V zugeordnet. Die restlichen k  1 Knoten müssen anschließend nummeriert werden. Damit sind die Knotenspannungen U10 , U20 und U30 festgelegt. Das Gleichungssystem für die gesuchten k 1 Knotenspannungen muss nun formuliert werden. Dabei wird die Knotenleitwertmatrix direkt aufgestellt.  Auf den Nebendiagonalelementen stehen die negativen Leitwerte Gij zwischen Knoten i und j .  Ein Hauptdiagonalelement ist die Summe der Leitwerte, die mit dem Knoten direkt verbunden sind. Das ist gleich der negativen Summe der Nebendiagonalelemente plus der Leitwerte zum Referenzknoten.

I1

Ik

I1 G1 = R1−1

R1 G1

Ik = U0 / R1 = G1 U0

U0

Abb. 1.56 Umwandlung der technischen Spannungsquelle in die technische Stromquelle

1

Grundlagen der Elektrotechnik

Abb. 1.57 Netzwerke mit Leitwerten und Stromquellen

41

Ik

G6

I1 G4

G5 G3

G2

G1

G2 = R2−1 G3 = R3−1 G4 = R4−1 G5 = R5−1 G6 = R6−1

In der konkreten Aufgabenstellung bedeutet das für zwei Elemente:  Für das Nebendiagonalelement in der ersten Zeile (i D 1) und zweiten Spalte (j D 2) ist das der Leitwert zwischen Knoten 1 und 2. Das ist G4 .  Für das erste Hauptdiagonalelement (i D j D 1) müssen alle Leitwerte am Knoten 1 addiert werden. Das sind G1 , G4 und G6 . Insgesamt ist das dann 2

G1 C G4 C G6 6 G4 4 G6

G4 G2 C G4 C G5 G5

3 2 3 2 3 G6 U10 Ik 7 6 7 6 7 G5 5  4U20 5 D 4 0 5 : 0 G3 C G5 C G6 U30

(1.94)

Die eingeprägten Kurzschlussströme der Energiequellen stehen auf der rechten Seite. Die auf den Knoten zufließenden Ströme werden positiv gezählt. Im Gleichstromkreis ist die Leitwertmatrix symmetrisch. Die Lösung des inhomogenen linearen Gleichungssystems 1.94 sind die Knotenspannungen U10 , U20 und U30 . Mit denen können die gesuchten elektrischen Ströme in Abb. 1.59 über das ohmsche Gesetz berechnet werden. Der Strom I1 , den die Spannungsquelle mit Innenwiderstand bzw. die Stromquelle mit Innenleitwert in die Schaltung treibt, ist (1.95) I1 D Ik  U10 G1 :

G6

φ1

G6

φ3 G5

G4 G1

φ2

G4

G2 φ0 = 0 V

G5

G3

U10 G1

Abb. 1.58 Elektrische Potentiale und Knotenspannungen

G2

U30

U20 G3

42

A. Böker

Abb. 1.59 Elektrischen Ströme in der Schaltung

I6 Ik

G6

I1

I4 G4

I2

I3 U30

U20

U10 G1

G5 I 5

G2

G3

Die zum Referenzknoten fließenden Ströme sind I2 D U20 G2

und

I3 D U30 G3 :

(1.96)

Die Ströme zwischen den k  1 Knoten sind I4 D .U10  U20 / G4 ;

I5 D .U20  U30 / G5

und I6 D .U10  U30 / G6 :

(1.97)

Der große Vorteil des Knotenpotentialverfahrens liegt darin, dass das Aufstellen der Leitwertmatrix einfach in Software implementiert werden kann.

1.3 Magnetisches Feld Manche Eisenerze ziehen Eisenteile in ihrer Nähe an. Der Name Magnet stammt von der Stadt Magnesia in Kleinasien. In ihrer Nähe wurden schon im Altertum Erze mit besonders starkem Magnetismus gefunden. Ein anderer natürlicher Magnet ist die Erde selbst. Kompassnadeln werden in Richtung des magnetischen Nord- bzw. Südpols gedreht. Zuerst wurden Elektrizität und Magnetismus als unabhängige Phänomene betrachtet. Das änderte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Entdeckung, dass Kompassnadeln in der Nähe von elektrischen Strömen beeinflusst werden. Seit dem ist bekannt, dass bewegte elektrische Ladung mit einem Magnetfeld verbunden ist. In der Umgebung von elektrischen Strömen treten Magnetfelder auf. Beim Beispiel einer Spule ist das leicht einzusehen. Nicht so offensichtlich ist, warum ein Dauermagnet, der nicht von einem messbaren elektrischen Strom durchflossen wird, trotzdem ein Magnetfeld hat. Später entstand die spezielle Relativitätstheorie. Sie zeigt, dass es auch von der Bewegung des Bezugssystems abhängig ist, was als elektrische und magnetische Felder wahrgenommen wird. Beide Felder sind zwei Aspekte eines einzigen Phänomens. Die Wirkung von Magnetfeldern auf bewegte Ladung ist eine Kraft. Sie heißt Lorentzkraft. In der Technik taucht Sie in zwei Varianten auf.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

43

 Ein elektrischer Leiter, durch den ein elektrischer Strom fließt, erfährt im Magnetfeld eine Kraft. In Elektromotoren bilden die Lorentzkräfte von zwei Leitern, die sich auf dem Rotor gegenüber befinden, ein mechanisches Drehmoment. Der Motor treibt so eine Arbeitsmaschine an. Das ist das Motorprinzip.  Neben solchen messbaren Kräften und Drehmomenten, gibt es Kräfte im Inneren von stromlosen Leitern, die eine Ladungstrennung verursachen. Diese Induktionsvorgänge sind mit elektrischen Spannungen verbunden, die dann gemessen und technisch genutzt werden können. Ein bedeutende Anwendung dafür sind Transformatoren und Generatoren. Das sind das Transformator- und das Generatorprinzip. Diese drei Prinzipien werden später noch genauer betrachtet.

1.3.1 Grundgesetze Statisches Magnetfeld Durch einfache Experimente mit magnetisierten Eisenstäben stellt man fest, dass diese in ihrer unmittelbaren Umgebung eine Kraftwirkung auf Eisenfeilspäne oder andere Magnete haben. Bei Versuchen mit zwei Stabmagneten (Abb. 1.60) zeigen sich zwei unterschiedliche Pole mit den Eigenschaften:  Gleichnamige Pole stoßen sich ab.  Ungleichnamige Pole ziehen sich an. Jeder Stabmagnet verhält sich wie eine Kompassnadel, wenn er an einem Faden drehbar aufgehängt wird. Auf ihn wirkt ein Drehmoment und er richtet sich nach Norden bzw. Süden aus. Der magnetische Pol der Kompassnadel, der zum geografischen Nordpol der Erde zeigt, wird Nordpol genannt. Das gegenüberliegende Ende vom Stabmagneten heißt Südpol. Demzufolge befindet sich der magnetische Südpol der Erde am geographischen Nordpol und umgekehrt. Magnetischer und geographischer Pol weichen voneinander ab. Diese Missweisung beträgt in Deutschland etwa 2ı . Wird ein Stabmagnet in zwei Hälften geteilt, haben die neuen Eisenstäbe wieder Nord- und Südpol (Abb. 1.61). Weder Nordnoch Südpol lassen sich einzeln isolieren. Wir kennen nur magnetische Dipole. Im elektrischen Feld tritt die Coulombkraft in Erscheinung, die die elektrische Feldstärke E definiert. Analog dazu gibt es im magnetischen Feld den Vektor B. Nach DIN Abb. 1.60 Kräfte zwischen Stabmagneten

S

N

S

N

N

S

S

N

44

A. Böker

Abb. 1.61 Zerteilen eines Stabmagneten

S

S

N

N

S

N

1324 wird diese Größe magnetische Flussdichte genannt. Manchmal ist auch von der magnetischen Induktion die Rede. Sie hat die Einheit ŒB D V s=m2 D Tesla D T. Es wäre von Vorteil, für B die Bezeichnung magnetische Feldstärke zu wählen. Aus historischen Gründen trägt eine andere vektorielle Größe diesen Namen. Sie hat den Formelbuchstaben H und wird auch magnetische Erregung genannt. Eine Umbenennung von B und H würde jedoch bedeuten, dass sämtliche Normen und Lehrbücher in deutscher Sprache angepasst werden müssten. Der Aufwand wäre kaum vertretbar. Um aus dem Dilemma herauszukommen, wird in [35] ein Vorschlag für die Namensgebung gemacht. Demnach könnte E elektrisches Kraftfeld und B magnetisches Kraftfeld heißen. Mit Eisenfeilspänen können magnetische Felder sichtbar gemacht werden (Abb. 1.62). Sie werden mit magnetischen Feldlinien dargestellt. Es ist vereinbart, dass deren Richtung außerhalb vom Magneten vom Nord- zum Südpol zeigt (Abb. 1.63 links) Magnetische und elektrische Feldlinien haben in mancher Hinsicht gleiche Eigenschaften.  Die Feldlinien schneiden sich nicht.  Die Dichte der Feldlinien ist ein Maß für den Betrag der magnetischen Flussdichte B oder der elektrischen Feldstärke E .  Die Richtung von B oder E ist tangential zu den Feldlinien. Jedoch gibt es fundamentale Unterschiede.  Elektrische Feldlinien haben Anfang und Ende. Die Quelle des elektrischen Feldes ist positive Ladung, die Senke negative Ladung. Das elektrische Feld ist ein Quellenfeld. Das wird durch das Grundgesetz der Elektrostatik, den Gaußschen Satz für das elektrische Feld bzw. durch die 3. Maxwellsche Gleichung 1.297 ausgedrückt.  Magnetische Feldlinien sind immer geschlossen, sie haben weder Anfang noch Ende. Das Magnetfeld hat keine Quellen oder Senken, es gibt keine magnetischen Punktladungen oder Monopole. Das magnetische Feld ist ein Wirbelfeld. Das gibt das Grundgesetz des Magnetismus, der Gaußscher Satz für das Magnetfeld bzw. die 4. Maxwellsche Gleichung 1.298 wieder.

Abb. 1.62 Eisenfeilspäne in verschiedenen Magnetfeldern

1

Grundlagen der Elektrotechnik

Abb. 1.63 Prinzipieller Verlauf der magnetischen Feldlinien eines Stabmagneten und einer von Gleichstrom durchflossenen Spule

45

N

S

Abb. 1.64 Schematisches Feldlinienbild eines geraden von einem Gleichstrom I durchflossenen Leiters und Rechtsschraubenregel

I

Das Grundgesetz des Magnetismus gilt auch für Permanentmagnete. Ihre magnetischen Feldlinien schließen sich im Inneren (Abb. 1.63). Die Magnetfelder des Stabmagneten, der Erde und der langen Spule haben ähnliche Form. Anders sieht es bei einem langen dünnen Leiter aus, der von einem elektrischen Strom durchflossen wird. Im einfachsten Fall ist das Gleichstrom. Die elektrische Ladung fließt gleichförmig, ohne beschleunigt zu werden. Dann ist das Magnetfeld stationär. Die Feldlinien um den langen dünnen Leiter sind kreisförmig angeordnet und ihre Dichte wird mit zunehmendem Abstand kleiner. Hier ist die Rechtsschraubenregel hilfreich, die auch als Korkenzieherregel oder Rechtefaustregel bezeichnet wird (Abb. 1.64). Sie legt die Richtung der Magnetfelder in der Umgebung von elektrischen Leitern fest. Fließt der elektrische Strom in Richtung des Daumens der rechten Hand, dann zeigen die Fingerspitzen in Richtung der magnetischen Feldlinien.

Elektromagnetisches Feld Sobald die elektrische Ladung beschleunigt wird, d. h. die elektrische Stromstärke zeitlich variiert, ändert sich auch das Magnetfeld. Der Raum um den Leiter wird dann gleichzeitig von einem veränderlichen elektrischen und magnetischen Feld erfüllt. Ein einfaches Beispiel für ein elektromagnetisches Feld ist das Feld von linear polarisiertem Licht im Vakuum (Abb. 1.65). Die elektrische Feldstärke und die magnetische Flussdichte schwin-

46

A. Böker

y

Wellenlänge λ

E B

z

x

Ausbreitungs -richtung

Abb. 1.65 Momentaufnahme einer linear polarisierten elektromagnetischen Welle im Vakuum

gen hier nur eindimensional. Die beiden Richtungen stehen senkrecht aufeinander. Die Welle breitet sich im Vakuum quer zu den Schwingungsrichtungen mit der Geschwindigkeit von (1.98) c0 D 299:792:458 m=s  300:000 km=s aus. Die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit c0 ist eine bedeutende Naturkonstante. Sie hängt wegen 1 (1.99) c0 D p "0 0 mit der elektrischen Feldkonstante "0 und der magnetischen Feldkonstante 0 zusammen. Letztere wird auch als Induktionskonstante oder Vakuumpermeabilität bezeichnet. Im SIEinheitensystem gilt (1.100) 0 D 4 107 V s=.A m/ : In anderen Medien ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit c vom Licht kleiner als c0 . 1 1 1 1 Dp c0 Dp cDp p " "r r "0 0 "r r

(1.101)

Die Dielektrizitätskonstante " und die relative Dielektrizitätskonstante "r sind schon bekannt. Die Permeabilität  und die relative Permeabilität r sind an dieser Stelle neu. Sie sind magnetische Stoffkonstanten. Ihre genaue Definition wird später im Abschn. 1.3.2 nachgeholt. Mit der Wellenlänge  und der Frequenz f des Lichts gilt weiterhin cDf :

(1.102)

In unterschiedlichen Medien bleibt die Frequenz der elektromagnetischen Welle immer konstant. Es verändern sich die Wellenlänge und die Ausbreitungsgeschwindigkeit. Die Bandbreite der Frequenzen von elektromagnetischer Strahlung ist beachtlich (Abb. 1.66). Zeitlich veränderliche Magnetfelder induzieren elektrische Spannungen. Für diese Induktionsvorgänge spielen Coulomb- und Lorentzkraft die entscheidende Rolle. Zunächst soll der Fokus auf die Lorentzkraft gerichtet werden.

1

Grundlagen der Elektrotechnik 3 104

47 3 10−4

3

3 10−8 Ultraviolett

sichtbares Licht

Infrarot Radiowellen Mikrowellen (z. B. Radar) 50 Hz (Wechselstrom)

102

104

Mittelwellen-AM FM Radio Radio

106

108

1010

1012

3 10−12

1014

Wellenlänge λ0 / m Gammastrahlen

Röntgenstrahlen

1016

λ0 = 750 nm f = 400 THz

1018

1020

Frequenz f / Hz

400 nm 750 THz

Abb. 1.66 Elektromagnetisches Spektrum nach [36]

Lorentzkraft Ein Magnetfeld übt auf eine elektrische Ladung q eine Kraft aus, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind.  Die elektrische Ladung q bewegt sich relativ zur magnetischen Flussdichte B mit einer Geschwindigkeit v.  Die Vektoren der Geschwindigkeit und der magnetischen Flussdichte zeigen in verschiedene Richtungen. Diese Kraft heißt Lorentzkraft FL . Sie definiert die magnetische Flussdichte B durch FL D q .v  B/ :

(1.103)

Die Geschwindigkeit v und der magnetische Flussdichte B werden hier per Vektor- bzw. Kreuzprodukt multipliziert. Das ist am Multiplikationszeichen  zu sehen. Das Vektorprodukt hat folgende Eigenschaften.  Stehen die Vektoren der Geschwindigkeit und der magnetischen Flussdichte senkrecht aufeinander, kann man mit den Fingern der rechten Hand die Richtung der Lorentzkraft leicht ermitteln (Abb. 1.67). Das ist die Drei-Finger-Regel. In diesem Fall ist der Betrag der Lorentzkraft FL D q v B.  Bewegt sich die Ladung tangential zu den magnetischen Feldlinien, gibt es keine Lorentzkraft. Für die präzise mathematische Definition des Vektorprodukts wird auf die Literatur verwiesen. Sowohl die Rechtsschraubenregel (Abb. 1.64) als auch die Dreifingerregel (Abb. 1.67) werden als Rechtehandregel bezeichnet. Die Coulombkraft FC und Lorentzkraft FL bilden zusammen die elektrodynamische Kraft. (1.104) F D FC C FL D q .E C v  B/

48

A. Böker

v

B v

B FL

FL

Abb. 1.67 Veranschaulichung vom Vektorprodukt

B ‒‒ ‒‒‒‒‒‒ X

UH d

+++++++

Steuerstrom I

Abb. 1.68 Hall-Sonde im Magnetfeld und ihr Schaltzeichen

Sie ist eine der vier grundlegenden Kräfte in der Physik. Die anderen sind die Gravitationskraft sowie die starke und schwache Wechselwirkung. Letztere sind Kräfte im Inneren von Atomkernen, die extrem kurze Reichweiten haben. Die allgemeine Definition der Lorentzkraft nach Gl. 1.103 soll nun in drei praktischen Beispielen angewendet werden. Hall-Sensoren nutzen die Lorentzkraft zur Messung der magnetischen Flussdichte oder zur Strommessung mit Stromzangen (Abschn. 5.3.5). Sie finden auch Anwendung als Sensoren in modernen bürstenlosen Motoren (EC-Motoren) für Lüfter. Die Grundlage für ihre Funktionsweise ist der Hall-Effekt (Abb. 1.68). Fließt ein Steuerstrom I durch die Hall-Sonde, werden die Ladungsträger durch die Lorentzkraft abgelenkt. Positive und negative Ladungen werden getrennt und es entsteht eine Hall-Spannung UH . UH D RH

BI d

ŒRH  D m3 =C

(1.105)

Sind die Dicke d der Hall-Sonde und die Materialkonstante RH bekannt, kann über die Messung der Hall-Spannung UH und des Steuerstroms I die vertikale Komponente der magnetischen Flussdichte B angegeben werden. Als nächstes wird ein elektrischer Leiter im statischen Magnetfeld betrachtet (Abb. 1.69 links). Durch den Leiter fließt ein Gleichstrom I . Der Leiter ist beweglich aufgehängt und befindet sich im Magnetfeld auf einer Länge l. Der Vektor l der Länge

1

Grundlagen der Elektrotechnik

49

B1 S I

I

F2

B FL

l I1

a

I2

N Abb. 1.69 Kraft auf Leiter im Magnetfeld und Kräfte zwischen langen parallelen Leitern

zeigt in Stromrichtung. Die Lorentzkraft ist hier FL D I .l  B/ :

(1.106)

Nach diesem Prinzip arbeitet ein Gleichstrommotor. In seinem Rotor sind Leiter eingesetzt, die Gleichströme führen. Auf die Leiter wirken Lorentzkräfte, die Drehmomente bilden und zu einer Drehbewegung führen. Ein weiteres Beispiel sind zwei lange parallele Leiter (Abb. 1.69 rechts). Sie tragen die Gleichströme I1 und I2 . Der Abstand a zwischen den Leitern soll viel größer sein als die Durchmesser ihrer kreisrunden Querschnitte. Es sind nur die magnetischen Feldlinien des linken Leiters eingezeichnet. Die Richtung der Lorentzkraft F2 auf den rechten Leiter kann wieder mit der rechten Hand bestimmt werden. Die Kraft F1 auf den linken Leiter ist hier auch nicht dargestellt. Sie weist genau in entgegen gesetzter Richtung. Die Beträge der beiden Kräfte sind gleich. F1 D F2 D 0 r

I1 I2 l 2 a

(1.107)

Weisen die elektrischen Ströme I1 und I2 in die gleiche Richtung, ziehen sich beide Leiter an. Sind die Ströme entgegen gesetzt, stoßen sich die Leiter ab (Abb. 1.70). Mit dieser Anordnung wird die Basisgröße elektrischer Strom im SI-Einheitensystem definiert. Die Messvorschrift für 1 Ampere ist über die Kraft zwischen zwei parallelen Leitern festgelegt. Bei Sammelschienen in der elektrischen Energietechnik sind die Kräfte nach Gl. 1.107 zu berücksichtigen. Diese müssen mechanisch so ausgelegt werden, dass sie bei Kurzschlüssen den Lorenzkräften standhalten.

50

A. Böker

Abb. 1.70 Überlagerung der magnetischen Felder bei parallelen Leitern, schematische Darstellung Abb. 1.71 Statisches Durchflutungsgesetz

I2

I1

Integrationsweg A I3

Statisches Durchflutungsgesetz Bisher ist bekannt, dass messbare makroskopische elektrische Ströme mit einem Magnetfeld verbunden sind. Ein einfaches Beispiel ist ein langer dünner Draht, durch den ein elektrischer Gleichstrom fließt. Der Zusammenhang zwischen der magnetischen Flussdichte und dem elektrischen Strom soll nun durch das statische Durchflutungsgesetz quantifiziert werden. Dazu wird vorausgesetzt, dass sich das Magnetfeld im Vakuum ausbreitet. Daher wird die magnetische Flussdichte mit dem Index 0 versehen. Ausgangspunkt ist ein geschlossener Weg im Magnetfeld (Abb. 1.71). Dieser umschließt eine Fläche A, durch die elektrische Gleichströme fließen. Wenn der Integrationsweg in Richtung der Finger der rechten Hand zeigt, werden die elektrischen Ströme in Richtung des Daumens positiv gezählt. Dann ist die Summe dieser elektrischen Ströme gleich dem Wegintegral über die magnetische Flussdichte längs eines geschlossenen Weges. I X 1 Ij D (1.108) B0  dr 0 j Das ist das statische Durchflutungsgesetz in integraler Form. Das allgemeine bzw. erweiterte Durchflutungsgesetz gilt auch für zeitlich veränderliche elektrische Ströme. Das ist

1

Grundlagen der Elektrotechnik

51

B0 B0(r)

r1 I

r1

r

Abb. 1.72 Magnetische Flussdichte und Feldlinie in der Umgebung eines langen dünnen Leiters sowie Betrag der Flussdichte in Abhängigkeit vom Radius

1. Maxwellschen Gleichung 1.295, die in diesem Rahmen nicht weiter betrachtet wird. Häufig werden die elektrischen Ströme zu einer elektrischen Durchflutung  zusammengefasst. X Ij Œ D A (1.109) D j

Im Beispiel von Abb. 1.71 ist die Durchflutung  D I1 C I2  I3 . Das Durchflutungsgesetz nach Gl. 1.108 soll nun auf zwei einfache Beispiel angewendet werden. Das ist zunächst ein langer dünner Leiter, in dem ein Gleichstrom I fließt (Abb. 1.72). Seine Querschnittsfläche ist kreisförmig mit dem Radius r1 . Zuerst wird das Magnetfeld außerhalb des Leiters (r  r1 ) untersucht. Es wird um den Leiter ein konzentrischer Kreis mit dem Radius r als Integrationsweg gewählt. Das deckt sich mit einer Feldlinie. Der Vektor der magnetischen Flussdichte liegt tangential an der Feldlinie und zeigt in Richtung des Integrationsweges. Damit vereinfacht sich das Skalarprodukt B0  dr zum Produkt der Beträge beider Vektoren B0 dr. Mit  D I lautet hier das Durchflutungsgesetz I 1 (1.110) B0 dr : I D 0 Der Betrag der magnetischen Flussdichte ist auf dem Integrationsweg konstant. Diese Größe kann vor das Integral gezogen werden. 1 B0 I D 0

I dr D

1 B0 2 r 0

(1.111)

Daher gilt für den Betrag der magnetischen Flussdichte außerhalb des Leiters B0 .r/ D 0

I : 2 r

(1.112)

Innerhalb des Leiters (r r1 ) wird wieder ein kreisförmiger Integrationsweg gewählt. Wir gehen davon aus, dass die Strömung der Ladungsträger gleichmäßig über die Quer-

52

A. Böker

Abb. 1.73 Querschnitt durch die Spule

l I

Integrationsweg

schnittsfläche verteilt ist. Dann ist die Durchflutung DI

 r2 :  r12

(1.113)

Zur Berechnung von B0 innerhalb des Leiters wird nun wieder das Durchflutungsgesetz angewendet. Das funktioniert genauso wie bei obiger Berechnung für (r  r1 ). Analog zur Gl. 1.111 ist hier 1 D B0 .r/ 2 r : (1.114) 0 Wenn beide Gleichungen gleich gesetzt werden, verschwindet die elektrische Durchflutung  und es folgt I r : (1.115) B0 .r/ D 0 2 r12 Die Funktionen B0 .r/ nach Gl. 1.112 und 1.115 sind in Abb. 1.72 rechts dargestellt. Am Rand des Leiters bei r1 ist der Betrag der magnetischen Flussdichte B0 maximal, während sie in seiner Mitte bei r D 0 verschwindet. Als zweites Beispiel soll eine lange Spule betrachtet werden (Abb. 1.73). Die hat die Länge l und ihre Windungszahl ist N . Durch die Spule fließt ein Gleichstrom I . Der Integrationsweg ist rot eingezeichnet. Wenn ausschließlich das Magnetfeld im Inneren der Spule berücksichtigt wird, kommt man zu einer einfachen Formel für die magnetische Flussdichte B0 . Wegen 1 DN I D 0

Zl B0 ds D

1 B0 l 0

(1.116)

0

gilt N I : (1.117) l Die magnetische Flussdichte B0 im Inneren der langen Spule ist annähernd homogen, analog zur elektrischen Feldstärke beim Plattenkondensator. B0 D 0

1

Grundlagen der Elektrotechnik

53

1.3.2 Materie im Magnetfeld und magnetischer Kreis Eine Kompassnadel hat einen Nord- und Südpol. Sie erfährt in einem äußeren Magnetfeld ein mechanisches Drehmoment M und wird ausgerichtet (Abb. 1.74 links). Ihr magnetisches Dipolmoment p m ist durch M D pm  B

Œpm  D A m2

(1.118)

definiert. Es wird vereinfachend auch als magnetisches Moment bezeichnet. Gleichzeitig bildet die Kompassnadel bzw. ihr magnetisches Dipolmoment selbst ein Magnetfeld aus. Das hat die Form vom Magnetfeld eines Stabmagneten (Abb. 1.74). Auch eine geschlossene Leiterschleife hat ein magnetisches Dipolmoment, wenn durch sie ein elektrischer Strom fließt (Abb. 1.75). Für einen Gleichstrom I ist der Betrag vom magnetischen Moment der Leiterschleife pm D I A :

(1.119)

Dabei ist A die Fläche, die die Leiterschleife umschließt. Die Richtung vom magnetischen Dipolmoment ist mit der Rechtsschraubenregel festgelegt. Fließt der elektrische Strom zu den Fingerspitzen der rechten Hand, zeigt der Daumen in Richtung des magnetischen Dipolmoments. Genauso gut kann das mechanische Drehmoment auf die Leiterschleife auch über die Lorentzkräfte und deren Hebelarme berechnet werden. Bei einer Spule mit N Windungen gilt (1.120) pm D N I A : Ein Beispiel dazu ist ein Drehspulmesswerk, das in analogen Strommessgeräten eingebaut wird (Abb. 1.76). Wenn die Spule im Magnetfeld vom elektrischen Messstrom durchflossen wird, erfährt sie ein Drehmoment. Das ist mit dem rückstellenden Drehmoment der Spiralfeder im Gleichgewicht, so dass insgesamt der Ausschlag des Zeigers proportional zur Stromstärke ist. Die Skala ist linear. Ein anderes Beispiel ist ein Gleichstrommotor.

B pm N

B

S

pm

M

Abb. 1.74 Kompassnadel im äußeren Magnetfeld und ihr eigenes Magnetfeld

54

A. Böker

Abb. 1.75 Querschnitt durch Leiterschleife im Magnetfeld

pm

I

B M

Abb. 1.76 Drehspulmesswerk, schematisch

Skala Spiralfeder

N

S

Spule Abb. 1.77 Magnetisches Dipolmoment pm eines kreisförmigen Gleichstroms

pm

Fläche A Kreisstrom I

In seinem Rotor befinden sich Leiter, die von Gleichstrom durchflossen werden. Die Lorentzkräfte bilden über Hebelarme das antreibende Drehmoment. Auf atomarer Ebene können auch magnetische Dipolmomente auftreten. Bewegt sich ein Elektron gleichförmig auf einer Kreisbahn, kann das als kreisförmiger Gleichstrom I aufgefasst werden (Abb. 1.77). Der ist wieder mit einem magnetischen Moment verbunden. Sein Betrag lässt sich mit Gl. 1.119 angeben. Seine Richtung ist wieder mit der Rechtsschraubenregel festgelegt. Elektronen und Protonen rotieren zusätzlich um ihre eigene Achse. Man spricht dann vom Spin statt vom Bahndrehimpuls. Der Spin hat ebenfalls ein magnetisches Dipolmoment. Alle magnetischen Momente der geladenen Elementarteilchen sind Elementarmagnete. Ihr Zusammenwirken im Festkörper bestimmt seine magnetischen Eigenschaften. Darum wird es nun gehen.

Magnetisierung Eisenkerne können magnetisiert werden. Analog zur Dichte der elektrischen Dipolmomente im elektrischen Feld kommt es hier zu einer Dichte der magnetischen Dipolmomente dp m =dV , die auf die Bahndrehimpulse und Spins der Elektronen und Protonen zurückgeht. Diese Dichte wird Magnetisierung genannt. Sie hat selbst ein Magnetfeld mit

1

Grundlagen der Elektrotechnik

55

der mittleren magnetischen Flussdichte B p D 0

dpm dV

Œdpm =dV  D A=m :

(1.121)

B p wird magnetische Polarisation genannt und liefert den Beitrag der Materie zur magnetischen Flussdichte B. (1.122) B D B0 C B p Das ist die Materialgleichung 1.306 im Anhang. Im Vakuum ist nur das äußere Magnetfeld B0 vorhanden. Es wird durch makroskopische elektrische Ströme in der Umgebung hervorgerufen, die messbar sind. Manche sprechen auch von freien Strömen. Sie tauchen im Durchflutungsgesetz auf. In der Literatur wird vielfach die magnetische Feldstärke H verwendet, die durch ŒH  D A=m (1.123) H D B0 =0 definiert ist. Die magnetische Feldstärke H ist nicht messbar. Sie ist eine Rechengröße, ein Zwischenergebnis. Wir werden sie nicht weiter verwenden. Die Wechselwirkungen zwischen B0 und B p sind im Allgemeinen kompliziert und kaum zu quantifizieren. Die Temperatur, die Frequenz oder auch die Vorgeschichte können einen Einfluss haben. Manchmal kann ein linearer und isotroper Zusammenhang vorausgesetzt werden. Dann gilt (1.124) B p D m B0 : Der Proportionalitätsfaktor ist die magnetische Suszeptibilität m (lateinisch susceptibilitas für Übernahmefähigkeit). Sie ist dimensionslos. Häufig wird eine andere dimensionslose Stoffkonstante angegeben. Das ist die relative Permeabilität r (lateinisch permeare für durchgehen oder passieren). (1.125) r D 1 C m Sie heißt auch Permeabilitätszahl. Siehe dazu die Tab. 1.20 im Anhang. Damit gilt B D r B0 :

(1.126)

Die relative Permeabilität r und die magnetischen Feldkonstante 0 können zur magnetischen Permeabilität  zusammengefasst werden.  D 0 r

ΠD V s=.A m/

(1.127)

Die Gl. 1.126 kann interpretiert werden. Das Magnetfeld der freien elektrischen Ströme wird vom Material effektiv um den Faktor r verstärkt, wenn m > 0 bzw. r > 1. Im Vakuum ist exakt m D 0, r D 1 und  D 0 . In Luft gilt das in guter Näherung. Daher trägt 0 auch den Namen Vakuumpermeabilität. Materialien werden hinsichtlich ihrer Wechselwirkung mit Magnetfeldern eingeteilt. Wir werden drei Kategorien genauer besprechen. Das sind Diamagnetika, Paramagnetika

56

A. Böker

Tab. 1.3 Einteilung der Materialien nach ihren magnetischen Eigenschaften Diamagnetika m < 0 0 r < 1 Paramagnetika m > 0 r > 1 Ferromagnetika m 0 r 1

Substanzen mit Edelgaskonfiguration wie H2 , N2 , H2 O, . . . Substanzen mit teilweise gefüllten Elektronenschalen wie Sn, Pt, Al, ... Substanzen mit unaufgefüllten inneren Elektronenschalen wie Fe, Co, Ni, . . .

B0 D 0 Keine permanenten magnetischen Dipole Bp D 0 Permanente magnetische Dipole

B0 > 0 Induzierte magnetische Dipole Bp < 0 Ausgerichtete magnetische Dipole Bp > 0

Permanente magnetische Ausgerichtete magnetiDipole sche Dipole Bp ¤ 0 Hysterese

S

N

Abb. 1.78 Ausrichtung der vorher ungeordneten Elementarmagnete in Paramagnetika

und Ferromagnetika (Tab. 1.3). Sie unterscheiden sich in ihrem Verhalten, je nachdem ob ein äußeres Magnetfeld fehlt (B0 D 0) oder anliegt (B0 ¤ 0). Ohne externes magnetisches Feld heben sich bei Diamagnetika innerhalb eines Atoms die magnetischen Momente auf. Das Atom hat insgesamt kein Magnetfeld. Durch ein äußeres Magnetfeld verändern sich die Bahndrehimpule und Spins. Deren Magnetfelder sind wegen der Lenzschen Regel, die später beim Induktionsgesetz erklärt wird, dem externen Feld entgegen gesetzt. Das Material versucht, das äußere Magnetfeld aus seinem Inneren zu drängen. Daher ist m < 0 und r < 1. Dieser diamagnetische Effekt tritt in allen Stoffen auf, ist jedoch sehr schwach. Er ist unabhängig von der Temperatur, im Gegensatz zum paramagnetischen und ferromagnetischen Verhalten. Bei paramagnetischen Stoffen kommt ein weiterer Effekt dazu, der stärker als der diamagnetische Effekt ist. In diesen Materialien sind permanente magnetische Momente vorhanden (Abb. 1.78). Jedoch sind diese Stoffe ohne externes Magnetfeld unmagnetisch, da die magnetischen Momente der einzelnen Atome völlig ungeordnet gerichtet sind. Ihre Magnetfelder heben sich insgesamt auf. Sie richten sich jedoch in Richtung eines äußeren Magnetfeldes aus und verstärken es. Daher ist m > 0 und r > 1. Verschwindet das externe Magnetfeld, ist das Material wieder unmagnetisch. Beispiele für relative Permeabilitäten von diamagnetischen und paramagnetischen Stoffen sind in Tab. 1.20 im Anhang zu finden. Andere Verhältnisse herrschen bei den ferromagnetischen Materialien. Für diese Eisenwerkstoffe ist die Gl. 1.124 nicht gültig. Trotzdem werden in der Literatur sehr große

1

Grundlagen der Elektrotechnik

57

Abb. 1.79 Eisenprobe in einer Spule

I

Permeabilitätszahlen angegeben. Ferromagnetische Materialien können hervorragend Magnetfelder führen und sind daher für die Anwendungen in Transformatoren, Generatoren und Motoren von großer Bedeutung. Zusätzlich sind diese Werkstoffe als Dauermagnete zu finden. Ihre magnetischen Eigenschaften sollen nun anhand der Magnetisierungskurve erklärt werden.

Ferromagnete Wir betrachten einen einfachen Versuch mit einer langen Spule (Abb. 1.79). Diese hat die Windungszahl N und die Länge l. In die Spule wird eine Eisenprobe gebracht, die nicht magnetisiert ist. Sie hat kein eigenes Magnetfeld. Zunächst soll der elektrische Strom I durch die Spule ausgeschaltet sein, so dass auf die Eisenprobe kein externes Magnetfeld einwirkt. Im Eisenkristall existieren Bereiche mit gleicher Magnetisierung. Sie werden Weißsche Bezirke genannt und sind etwa 10 m bis 1 mm groß. Wenn die Probe unmagnetisch ist, sind die Magnetfelder der Weißschen Bezirke ungeordnet ausgerichtet und löschen sich aus. Nun wird der Spulenstrom I eingeschaltet und langsam erhöht. Die Weißschen Bezirke richten sich zunehmend in Richtung der magnetischen Flussdichte aus. Es wird die Neukurve in Abb. 1.80 durchlaufen, bis man in den Bereich der Sättigung kommt. Hier sind die magnetischen Momente aller Weißschen Bezirke in Richtung des äußeren Feldes gedreht. Die Kurve steigt nur noch sehr schwach an und verläuft auf einer Geraden. Die Magnetisierung bleibt trotz Erhöhung des Stroms konstant. B Sättigung

BS BR Neukurve −IC

IC

I

−BR −BS

BS = Sättigungsflussdichte BR = Remanenzflussdichte

Abb. 1.80 Magnetisierungskurve eines Ferromagneten

58

A. Böker

2,0 T 1,5 BR 1,0 0,5 0 B

HC

−HC ‒0,5 ‒1,0 −BR ‒1,5 ‒2,0

‒100 ‒80

‒60

‒40 ‒20 H=NI/l

0

20

40

60

80

100 A/cm

Abb. 1.81 Hysteresekurven magnetisch harter und weicher Materialien nach [6]

Ab einem bestimmten Punkt wird der elektrische Strom I wieder verkleinert. Unterhalb der Sättigungsflussdichte B S wird eine andere Kurve als auf dem Hinweg durchlaufen. Sie liegt oberhalb der Neukurve. Wenn der Strom ausgeschaltet ist, ist der Eisenwerkstoff mit der Remanenzflussdichte B R magnetisiert. Das ist der Zustand des permanenten Magnetismus. Die Eisenprobe ist nun ein Dauermagnet. Danach wird die Stromrichtung umgekehrt und die Stromstärke langsam erhöht. Bei der Stromstärke IC verschwindet das Magnetfeld vom Eisenwerkstoff. In der Literatur wird diesem Punkt wegen des statischen Durchflutungsgesetzes der Betrag der magnetischen Erregung HC D N IC = l zugeordnet (Abb. 1.81). Die vektorielle Größe H C wird auch Koerzitivfeldstärke genannt. Bei weiterer Erhöhung des Stromes ist die magnetische Flussdichte negativ und das Material ist irgendwann wieder gesättigt. Verkleinert man danach den Strom, wird eine andere Kurve durchlaufen. Die Magnetisierungskurve zeigt insgesamt eine Hysterese. Die magnetische Flussdichte B und ihr Betrag B sind vom elektrischen Strom I und der Vorgeschichte abhängig. Es gibt keine eindeutige Zuordung zwischen B und I , insbesondere keinen linearen Zusammenhang. Daher dient die Angabe einer konstanten relativen Permeabilität r für einige Eisenwerkstoffe wie in Tab. 1.21 nur zur Orientierung. Dort sind auch die Beträge der Remanenzflussdichte B R und der Koerzitivfeldstärke H C zu finden. Je nach Breite der Hysterese unterscheidet man zwischen Weichmagneten (HC < 1 kA/m) und Hartmagneten (HC > 450 kA/m). Dazwischen liegen magnetisch halbharte Materialien. Hartmagnete werden als Dauermagnete eingesetzt. Weichmagnete sind in den

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Grundlagen der Elektrotechnik

59

Abb. 1.82 Induktionsfluss ˚

Φ B A

Kernen von Transformatoren und Motoren zu finden. Die Elementarmagnete müssen sich permanent umorientieren. Das ist mit Verlusten verbunden, die heißen Hystereseverluste. Die von den den Hysterese-Kurven eingeschlossenen Flächen sind ein Maß dafür, wieviel Energie aus dem Magnetfeld in Wärme umgewandelt wird. Die mittlere Wärmeleistung ist proportional zur Frequenz der Wechselspannung.

Magnetischer Kreis Zunächst wird eine weitere magnetische Größe eingeführt. Das ist der magnetische Fluss ˚, der manchmal auch als Induktionsfluss bezeichnet wird. Ausgangspunkt der Betrachtungen ist eine geschlossene Fläche A, die von einem Magnetfeld durchsetzt wird (Abb. 1.82). Die magnetischen Feldlinien gehen durch die Fläche. Wird über die gesamte Fläche integriert und gleichzeitig über die Komponenten der magnetischen Flussdichte in Richtung der Flächennormalen bilanziert, kommt man zum magnetischen Fluss ˚.t/. Z Œ˚ D Tm2 D Vs D Weber D Wb (1.128) ˚.t/ D B.t/  dA A

Der magnetische Fluss ist eine skalare Größe, analog zur elektrischen Stromstärke i.t/. Bei homogenen Magnetfeldern gilt vereinfachend ˚ DBA:

(1.129)

An dieser Stelle wird deutlich, warum die Größe B auch magnetische Flussdichte heißt. Im Weiteren soll das Durchflutungsgesetz auf eine Ringkernspule angewendet werden (Abb. 1.83). Ihre kreisförmigen Querschnittsfläche A hat den Durchmesser d . Mit dem mittleren Radius r ist der mittlerer Ringumfang l D 2 r. Die Spule hat eine Windungszahl N und führt den Gleichstrom I . Der mittlere Ringumfang umschließt die elektrische

Abb. 1.83 Ringkernspule

I Integrationsweg r A d

60

A. Böker

Durchflutung  D N I . Daher lautet hier das statische Durchflutungsgesetz I 1 B0 B0 l DN I D 2 r D : B0 .r/ dr D 0 0 0

(1.130)

Ist der mittlere Radius r viel größer als der Windungsdurchmesser d , ist das Magnetfeld in der Querschnittsfläche A weitgehend homogen. Dann gilt für den magnetischen Fluss ˚ D B A. Wird zusätzlich B D r B0 vorausgesetzt, folgt ˚ D B A D r B0 A D r 0 oder D

 A l

l ˚: A

(1.131)

(1.132)

Hier gilt also ˚ :

(1.133)

Das ist das ohmsche Gesetz des magnetischen Kreises. In Analogie zum elektrischen Stromkreis wird ein magnetischer Widerstand Rm eingeführt.  D Rm ˚

ŒRm  D A=.V s/

(1.134)

1 . Entsprechend gilt Sein Kehrwert ist der magnetische Leitwert m D Rm

˚ D m 

Œm  D V s=A

(1.135)

Für die Ringkernspule ist der magnetische Widerstand Rm D

l : A

(1.136)

Interessant ist die formale Übereinstimmung mit der Formel für den elektrischen Widerstand eines langen dünnen Leiters im Gleichstromkreis. Genauso gibt es Parallelen zum ohmschen Gesetz für den elektrischen Stromkreis. Es liegt demnach nahe, eine Ersatzschaltung für den magnetischen Kreis einzuführen (Abb. 1.84). Die elektrische Durchflutung  treibt einen magnetischen Fluss ˚ durch den magnetischen Widerstand Rm . Daher wird die elektrische Durchflutung  auch magnetische Spannung genannt. Bei rotierenden elektrischen Maschinen schließt sich das Magnetfeld über den Luftspalt. Dann sind im magnetischen Kreis die magnetischen Widerstände vom Eisenblech und Luftspalt in Reihe geschaltet. Wegen r D 1 ist der magnetische Widerstand vom Luftspalt deutlich größer als der vom Eisen. Formal lassen sich die magnetischen Kreise wie die elektrischen Stromkreise berechnen. Die Anwendung der Kirchhoffschen Regeln oder des Knotenpotentialverfahrens sind grundsätzlich möglich. Es ist jedoch Vorsicht geboten, wenn Eisen im magnetischen Kreis eingebaut ist. Wegen der nichtlinearen Kennlinie sind die magnetischen Widerstände dann nicht mehr konstant.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

61

Abb. 1.84 Magnetischer Kreis

Φ Rm

Θ

1.3.3 Elektromagnetische Induktion Zunächst werden an einem einfachen Beispiel das Induktionsgesetz und die Lenzsche Regel erklärt. Danach wird auf das Generator- und Transformatorprinzip sowie auf Selbstund Gegeninduktion eingegangen. Aussagen über die Energie im Magnetfeld schließen diesen Abschnitt ab.

Induktionsgesetz und Lenzsche Regel Es soll das Experiment in Abb. 1.85 betrachtet werden. Ein Metallstab rollt in horizontaler Richtung mit einer Geschwindigkeit v quer zu einem Magnetfeld. Er hat Kontakt zu zwei elektrisch leitenden Führungsschienen, die einen Abstand l voneinander haben. Durch die Bewegung des Metallstabes wirkt die Lorentzkraft auf die Ladungsträger. Die beweglichen Ladungen im Metall sind die Elektronen, sie werden verschoben. Auf einer Führungsschiene ist ein Überschuss an Elektronen und gegenüber ist ein Mangel. Durch diese Ladungstrennung baut sich ein elektrisches Feld auf. Die Coulombkraft im elektrischen Feld ist der Lorentzkraft entgegen gerichtet. Im Gleichgewicht gibt es keine elektrischen Ausgleichsströme im Stab und für die beiden Kräfte gilt FC C FL D q .E C v  B/ D 0 :

(1.137)

E D v  B :

(1.138)

Daher ist

Abb. 1.85 Bewegter Leiter im zeitlich konstanten Magnetfeld

1

FL l

FC q B

v=

d x dt

u12(t) 2

V

62

A. Böker

Zwischen den Führungsschienen ist eine elektrische Spannung u12 .t/ messbar. Bei konstanter Geschwindigkeit ist das eine Gleichspannung, d. h. u12 .t/ D U12 D const: U12 D E l D v B l :

(1.139)

Das ist ein Beispiel für die elektromagnetische Induktion. Die induzierte Gleichspannung U12 lässt sich in etwas anderer Form schreiben.     d d d x B lD A BD ˚ (1.140) U12 D  dt dt dt Hier wird das Induktionsgesetz sichtbar. Die induzierte Spannung muss nicht konstant sein. Daher ist eine weit verbreitete Formulierung des allgemeinen Induktionsgesetzes u.t/ D 

d ˚.t/ : dt

(1.141)

In einem Leiter wird eine elektrische Spannung u.t/ induziert, wenn der magnetische Fluss ˚.t/, der den Leiter auf einer Fläche durchsetzt, sich zeitlich ändert. Eine andere Formulierung ist die 2. Maxwellsche Gleichung 1.296, auf die wir hier nicht näher eingehen werden. Das Induktionsgesetz und die elektrodynamische Kraft nach Gl. 1.104 sind zwei Seiten einer Medaille. Durchsetzt das Magnetfeld eine Spule mit N Windungen, wird der magnetische Fluss N -mal umfasst. In dem Fall gilt für die induzierte Spannung u.t/ D N

d ˚.t/ : dt

(1.142)

In diesem Zusammenhang kommt die Lenzsche Regel zum Tragen, die auch Lenzsches Gesetz oder Regel von Lenz genannt wird. Sie besagt, dass die Wirkung der Induktion ihrer Ursache entgegen gesetzt ist. Das ist Ausdruck des Energieerhaltungssatzes. Betrachten wir dazu das obige Experiment noch einmal in einer anderen Variante (Abb. 1.86). Der Stab soll gleichförmig (a D 0) in horizontaler Richtung rollen. An den Anschlusspunkten 1 und 2 ist statt des Spannungsmessgeräts nun ein elektrischer Verbraucher angeschlossen. Die induzierte Gleichspannung U12 treibt einen elektrischen Gleichstrom I durch den Verbraucher. Der Stromkreis schließt sich über den Metallstab. Daher wirkt insgesamt eine Lorentzkraft FB auf den Metallstab. Wegen der Drei-Finger-Regel zeigt sie entgegen der Bewegungsrichtung und bremst den Metallstab. Damit der Metallstab sich weiter mit konstanter Geschwindigkeit bewegen kann, muss von außen eine gleichgroße Kraft FA aufgewendet werden, die der Lorentzkraft FB entgegen gesetzt gerichtet ist. Kraft mal Weg ist Arbeit. Es wird von außen mechanische Arbeit aufgewendet, die zur Ladungstrennung führt. Die elektrische Spannung wird über die Leitungen zu den Verbrauchern gebracht. Diese entnehmen die elektrische Energie wiederum aus dem Stromkreis und wandeln sie z. B. in Wärme oder Bewegung um. Genau das passiert im Kraftwerk und Versorgungsnetz.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

63

I FB

v

I

1

U12

l

FA 2

I

elektrischer Verbraucher

B Abb. 1.86 Gleichförmig bewegter Leiter mit angeschlossenem Verbraucher

Das Induktionsgesetz nach Gl. 1.141 bzw. 1.142 kann auch ohne Minuszeichen formuliert werden [4]. Dazu sehen wir uns noch einmal die Gleichspannung U12 in Gl. 1.139 an. Hier bedeutet das Minuszeichen, dass der Spannungszählpfeil am Verbraucher in Abb. 1.86 entgegen dem Stromzählpfeil gerichtet ist. Anders gesagt, Strom und Spannung haben unterschiedliche Vorzeichen und die Leistung vom Verbraucher ist negativ. Das ist die Konvention des Erzeugerzählpfeilsystems. Da wir grundsätzlich mit dem Verbraucherzählpfeilsystem arbeiten, lassen wir von nun an das Minuszeichen weg. Das heißt u.t/ D

d ˚.t/ dt

bzw.

u.t/ D N

d ˚.t/ : dt

(1.143)

Die elektromagnetische Induktion wird technisch im großen Stil genutzt, in Generatoren, Motoren und Transformatoren. Diesen Anwendungen stehen unerwünschte Wirkungen der Induktion gegenüber.  Durch elektromagnetische Störfelder kann die Funktionalität elektrischer und elektronischer Geräte störend beeinflusst werden. Das ist ein wichtiges Thema bei der Gewährleistung der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) in Kap. 6.  Weiterhin können Wirbelströme und der Skin-Effekt auftreten, die zu zusätzlichen Verlusten bei der Energieübertragung und -verteilung führen. Das wird Thema bei der Wechselstromtechnik sein. Siehe dazu den Abschn. 1.4.3 Verluste im Wechselstromkreis. Nun schließen sich zwei Varianten der elektromagnetischen Induktion an.

64

A. Böker

Tab. 1.4 Formen der Induktion Transformatorprinzip Generatorprinzip

d A.t / D 0 dt d A.t / ¤ 0 dt

d B.t / ¤ 0 dt d B.t / D 0 dt

Transformator Bewegter Leiter, rotierende Spule

Transformator- und Generatorprinzip Nach Gl. 1.128 hängt der magnetische Fluss von der magnetischen Flussdichte B und der durchdrungenen Fläche A ab. Daher ist es für den Induktionsvorgang unerheblich, ob sich die magnetische Flussdichte oder die Fläche ändert. Entsprechend gibt es zwei Varianten der Spannungsinduktion.  Die magnetische Flussdichte ändert sich, während die durchströmte Fläche unverändert bleibt. Das ist das Transformatorprinzip. Manche sprechen auch von Ruheinduktion.  Ein Leiter wird relativ zum statischen Magnetfeld bewegt oder die vom statischen Magnetfeld durchsetzte Fläche ändert sich. Das ist das Generatorprinzip oder die Bewegungsinduktion. Selbstverständlich können sich auch beide Größen B und A gleichzeitig ändern. In Tab. 1.4 sind die beiden Varianten zusammengefasst. Wie der Name nahe legt, ist das Transformatorprinzip beim Transformator zu finden (Abb. 1.87). Im einfachsten Fall besteht dieser aus zwei galvanisch getrennten Kupferwicklungen, die um einen gemeinsamen Eisenkern mit den Windungszahlen N1 und N2 gewickelt sind. Die Anschlüsse der beiden Wicklungen werden herausgeführt. An denen liegen die Spannungen u1 .t/ und u2 .t/ an. Unter der Annahme, dass der Transformator keine Verluste hat und das Magnetfeld vollständig im Eisenkern geführt wird, ist u1 .t/ N1 : D u2 .t/ N2

i1 u1

Abb. 1.87 Einphasiger Transformator

(1.144)

i2 u2

1

Grundlagen der Elektrotechnik

65

N = 100 (t) = ω t

n = 50 Hz ω

u(t)

n B

Abb. 1.88 Rotierende Spule im Magnetfeld

Die Spannungen werden ideal transformiert und verhalten sich wie das Windungsverhältnis. Für die Ströme gilt i1 .t/ N2 : (1.145) D i2 .t/ N1 Das Generatorprinzip soll anhand einer drehbar gelagerten rechteckförmigen Leiterschleife demonstriert werden, die in einem homogenen Magnetfeld rotiert (Abb. 1.88). Das ist ein einfaches Modell für einen Wechselstromgenerator. Wegen der gleichförmigen Drehbewegung (n D const) ändert sich der magnetische Fluss. ˚.t/ D ˚m cos .'.t// D ˚m cos .!t/

˚m D 10 mV s

(1.146)

Das Argument der Cosinusfunktion ist der Dreh- bzw. Phasenwinkel '.t/ D !t. Damit kann die Wechselspannung u.t/ berechnet werden, die über Schleifringe abgegriffen werden kann. Hier liefert das Induktionsgesetz im Verbraucherzählpfeilsystem u.t/ D N

d d ˚.t/ D N .˚m cos .!t// D N ˚m ! sin .!t/ : dt dt

(1.147)

Mit der Amplitude uO D N ˚m ! ist die sinusförmige Wechselspannung u.t/ D uO sin .!t/ :

(1.148)

Werden die Funktionen ˚.t/ und u.t/ über den Phasenwinkel aufgetragen, ist ersichtlich, dass sie um =2 phasenverschoben sind (Abb. 1.89). Bauteile können in sich selbst und anderen Bauteilen eine Spannung induzieren. Das soll nun anhand von einfachen Leiterschleifen demonstriert werden.

Selbst- und Gegeninduktion Zunächst geht es um die Selbstinduktion. Ausgangspunkt ist eine einzelne Leiterschleife (Abb. 1.90). An ihren Anschlussklemmen wird eine zeitlich veränderliche Spannung angelegt. Das kann im einfachsten Fall eine sinusförmige Wechselspannung u0 .t/ sein. Damit fließt durch die Leiterschleife ein Wechselstrom i.t/, der wiederum mit einem Magnetfeld verbunden ist.

66

A. Böker

Abb. 1.89 Zeitlicher Verlauf vom magnetischen Fluss und der elektrischen Spannung

Φ(t)

u(t)

π

ωt



Ein Teil des Magnetfeldes durchsetzt die Fläche A der Leiterschleife und bildet insgesamt den magnetischen Fluss ˚.t/. Die Richtung des elektrischen Stroms und der magnetische Fluss sind mit der Rechtsschraubenregel verbunden. Da sich dieser magnetische Fluss zeitlich ändert, wird in die Leiterschleife eine elektrische Spannung u.t/ induziert. Diese ist nach der Lenzschen Regel der treibenden Spannung u0 .t/ entgegen gerichtet. Zusätzlich hat die Leiterschleife einen elektrischen Widerstand R, mit dem ein ohmscher Spannungsfall R i.t/ verbunden ist. Insgesamt resultiert aus dem Maschenumlauf (1.149) u0 .t/  R i.t/  u.t/ D 0 : Wir gehen vom Durchflutungsgesetz aus. Hier durchsetzt das Magnetfeld keine ferromagnetischen Materialien. Es kann von einem linearen Zusammenhang zwischen dem magnetischen Fluss ˚.t/ und dem elektrischen Strom i.t/ ausgegangen werden, d. h. ˚.t/  i.t/. Der Proportionalitätsfaktor L wird so eingeführt, dass auch für Spulen mit N Windungen d ŒL D V s=A D Henry D H (1.150) u.t/ D L i.t/ dt

i(t)

S

u0(t) N

i(t)

Abb. 1.90 Magnetfeld einer Leiterschleife und magnetischer Fluss ˚.t /

A Φ(t)

1

Grundlagen der Elektrotechnik

67

(veraltet) Abb. 1.91 Schaltzeichen für die Induktivität L

gilt. Das ist die Definition der Selbstinduktivität L im Verbraucherzählpfeilssystem. Sie wird auch Selbstinduktionskoeffizient oder einfach Induktivität genannt. Ihr Schaltsymbol ist in Abb. 1.91 dargestellt. Die Induktivität hängt mit dem magnetischen Widerstand Rm und dem magnetischen Leitwert m zusammen. N2 D N 2 m (1.151) LD Rm Analog zur Kapazität C ist die Induktivität L von der Geometrie und dem Material abhängig. Das geht auch aus der Tab. 1.17 im Anhang hervor. Darin sind Induktivitäten für verschiedene einfache Leiteranordnungen angegeben. Die Formeln unterscheiden sich je nach Bauart und enthalten die Stoffkonstante r . In den meisten Fällen jedoch können Induktivitäten nicht analytisch angegeben werden. Dann können sie entweder mittels Feldberechnung numerisch bestimmt oder gemessen werden. Mit der Gl. 1.150 für die induzierte Spannung u.t/ resultiert aus dem Maschenumlauf in Gl. 1.149 d (1.152) u0 .t/ D R i.t/ C L i.t/ : dt Diese Spannungsbilanz taucht mit uR .t/ D R i.t/

und

uL .t/ D L

d i.t/ dt

(1.153)

im elektrischen Ersatzschaltbild der Leiterschleife auf (Abb. 1.92). Die Gegeninduktion soll nun anhand von zwei Leiterschleifen betrachtet werden, die sich gegenüber stehen (Abb. 1.93). Man könnte diese Anordnung auch als „LuftTransformator“ bezeichnen. An beiden Anschlüssen wird je eine Wechselspannung angelegt, so dass durch jeden Draht ein Wechselstrom fließt. Beide Wechselströme haben ein Magnetfeld, das teilweise die eigene und teilweise die gegenüber liegende Leiterschleife durchsetzt. Wie bei der einzelnen Leiterschleife wird ein linearer Zusammenhang zwischen den magnetischen Flüssen und den elektrischen Strömen vorausgesetzt. Dann

Abb. 1.92 Ersatzschaltbild der Leiterschleife

i(t) u0(t)

R

L

uR(t)

uL(t)

68

A. Böker

i2(t)

i1(t) u1(t)

u2(t)

Φ2(t)

Φ1(t)

Abb. 1.93 Zwei Leiterschleifen Abb. 1.94 T-Ersatzschaltbild für die beiden Leiterschleifen

i1(t)

R1

L1–M

L2–M

R2

i2(t)

i1(t)+ i2(t) u1(t)

u2(t) M

gilt ˚1 .t/ D L1 i1 .t/ C M i2 .t/

(1.154)

˚2 .t/ D M i1 .t/ C L2 i2 .t/

(1.155)

mit den Selbstinduktivitäten L1 und L2 sowie der Gegeninduktivität M . Damit können die Spannungsgleichungen aufgestellt werden. d d d ˚1 .t/ D R1 i1 .t/ C L1 i1 .t/ C M i2 .t/ dt dt dt d d d u2 .t/ D R2 i2 .t/ C ˚2 .t/ D R2 i2 .t/ C M i1 .t/ C L2 i2 .t/ dt dt dt

u1 .t/ D R1 i1 .t/ C

(1.156) (1.157)

Hier sind R1 und R2 die ohmschen Widerstände der Leiterschleifen. Eine einfache Umformen von Gl. 1.156 und 1.157 liefert d i1 .t/ C M dt d u2 .t/ D R2 i2 .t/ C .L2  M / i2 .t/ C M dt u1 .t/ D R1 i1 .t/ C .L1  M /

d .i1 .t/ C i2 .t// dt d .i1 .t/ C i2 .t// dt

(1.158) (1.159)

Diese Form der Spannungsgleichungen führt zur der Ersatzschaltung in Abb. 1.94, das aufgrund seiner Form T-Ersatzschaltbild genannt wird. Der Maschenumlauf nach Gl. 1.158 ist im linken Teil der Schaltung zu finden, der Maschenumlauf nach Gl. 1.159 im rechten Teil. Das T-Ersatzschaltbild wird später für ein- und dreiphasige Leistungstransformatoren verwendet. In magnetischen Feldern ist wie in elektrischen Feldern Energie gespeichert. Das soll nun am Beispiel einer Spule gezeigt werden.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

69

Abb. 1.95 Ersatzschaltbild für eine Spule an einer Gleichspannungsquelle

S U0

R

L

uR(t)

uL(t)

i(t)

Energie im Magnetfeld Im Magnetfeld einer Spule ist Energie gespeichert, solange ein elektrischer Strom fließt. Im einfachsten Fall ist das Gleichstrom. Es soll nun der Einschaltvorgang betrachtet werden, wenn eine Spule an eine Gleichspannungsquelle U0 geschaltet wird (Abb. 1.95). Hier folgt aus dem Maschenumlauf U0 D R i.t/ C L

d i.t/ : dt

(1.160)

Es liegt eine gewöhnliche Differentialgleichung für den elektrischen Strom i.t/ vor. Dividiert man diese Gleichung durch die Induktivität L, kommt man zur ihrer Normalform. d R U0 i.t/ C i.t/ D dt L L

(1.161)

Mit der Zeitkonstante  D L=R ist die Lösung i.t/ zum Anfangswert i.0/ D 0 i.t/ D

 U0  t 1  e  : R

(1.162)

Dies kann durch Einsetzen dieser Lösung in die Differentialgleichung leicht überprüft werden. Nach hinreichend langer Zeit wird der Einschaltstrom i.t/ zum Gleichstrom I0 D U0 =R. Dann ist die Selbstinduktionsspannung uL .t/ uL .t/ D L

d t i.t/ D U0 e  dt

(1.163)

verschwunden (Abb. 1.96). Fließt Gleichstrom durch die Spule, gibt es keine Selbstinduktion. Für diesen stationären Zustand lässt sich eine einfache Formel für die gesamte Energie W angeben, die während des Ladevorgangs im Magnetfeld der Spule gespeichert wird. Wegen Z1

Z1 p.t/dt D

W D 0

Z1 i.t/ uL .t/dt D

0

d i.t/ L i.t/dt D L dt

0

ist sie W DL

ZI0 i di

(1.164)

0

I02 : 2

(1.165)

70

A. Böker

I0 =

U0 R U0

i(t)

d I i (0) = 0 τ dt

uL(t) t

τ

t=0

Abb. 1.96 Zeitlicher Verlauf vom Strom i.t / und der Spannung uL .t /

Analog zum elektrischen Feld kann im Magnetfeld die Energiedichte w D dW=dV für homogene isotrope Materialien angegeben werden. wD

B2 2 0

Œw D J=m3

(1.166)

Nun folgt der Wechselstromkreis.

1.4 Wechselstrom Wir gehen beim Thema Wechsel- und Drehstrom zunächst davon aus, dass die elektrischen Ströme und Spannungen im ungestörten Zustand sind und annähernd sinusförmigen Verlauf haben. Diese werden vereinfachend als Wechselströme und -spannungen bezeichnet. Es werden zunächst die Eigenschaften und Kenngrößen von Wechselspannungen behandelt. Danach folgt ein Abschnitt über Wechselstromverbraucher. Weiterhin geht es um die elektrische Leistung im Wechselstromkreis mit der Wirk-, Blind- und Scheinleistung sowie der Blindleistungskompensation. Es werden Verluste in der Wechselstromtechnik behandelt, die im Gleichstromkreis nicht auftreten. Zum Abschluss sind Oberschwingungen Thema, da vor allem Wechselströme deutlich vom sinusförmigen Verlauf abweichen können.

1.4.1 Wechselspannung – Kenngrößen und Zeigerdarstellung Am Anfang geht es um die charakteristischen Eigenschaften von Wechselspannungen im Zeitbereich. Dort werden sie als Liniendiagramme graphisch dargestellt und mathematisch durch reelle Zeitfunktionen beschrieben. Danach folgt im Bildbereich die Darstellung der Wechselspannungen mit komplexen Zeigern. Es wird sich zeigen, dass die Gesetze der Elektrotechnik auch für die komplexen Zeigergrößen gültig sind.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

71

Zeitbereich Im einfachsten Fall ist die Wechselspannung die elektrische Spannung, die an der Steckdose anliegt. Wegen den gleichförmigen Drehbewegungen der Synchrongeneratoren in den Kraftwerken ändert sich die Wechselspannung u.t/ sinusförmig. u.t/ D uO sin .!t C 'u /

(1.167)

mit den Größen u.t / uO !t C 'u ! D 2 f f T D f 1 'u

Augenblickswert, Momentanwert Amplitude, Maximalwert, Scheitelwert, Spitzenwert Phasenwinkel, Phase (Argument der Sinusfunktion) Kreisfrequenz Frequenz (f D 50 Hz) Periodendauer (T D 20 ms) Nullphasenwinkel der Spannung

Œu.t / D V Œu O DV Œ!t C 'u  D 1 D rad Œ! D s1 Œf  D Hz ŒT  D s Œ'u  D rad

Der zeitliche Verlauf der Wechselspannung lässt sich im Labor mit einem Oszillografen darstellen. Diese Liniendiagramme werden über die Zeit t oder über den Winkel !t aufgetragen (Abb. 1.97). Der arithmetische Mittelwert der Wechselspannung über die Periodendauer ist null. Es wird ein quadratischer Mittelwert eingeführt. Das ist der Effektivwert, der eine physikalische Bedeutung hat. Wenn ein Wechselstrom in einem ohmschen Widerstand im zeitlichen Mittel die gleichen Wärmeverluste wie ein Gleichstrom zeigt, sind die Gleichstromstärke und der Effektivwert des Wechselstroms gleich. Der Wechselstrom hat den gleichen thermischen Effekt bzw. die gleiche Wärmeentwicklung wie der Gleichstrom. Das wird nun gezeigt.

u(t)

u(t)

û T T/2

T

t

−û

Abb. 1.97 Liniendiagramme einer Wechselspannung

φu

π

2π ωt

72

A. Böker

Für einen ohmschen Verbraucher kann der zeitliche Mittelwert P der momentanen elektrischen Leistung p.t/ D u.t/ i.t/ berechnet werden. 1 P D T

ZT

1 p.t/ dt D T

0

ZT

1 u.t/ i.t/ dt D R T

0

ZT i 2 .t/ dt

(1.168)

0

An dieser Stelle wird der Effektivwert Ieff für den Wechselstrom eingeführt.

Ieff

v u u ZT u1 Dt i 2 .t/ dt T

(1.169)

0

Damit ist die mittlere Leistung 2 : P D R Ieff

(1.170)

Formal deckt sich das mit dem Ausdruck für die Leistung eines Gleichstroms I . Analog zum Effektivwert des Wechselstroms ist der Effektivwert der Wechselspannung

Ueff

v u u ZT u1 Dt u2 .t/ dt : T

(1.171)

0

Für sinusförmige Wechselspannungen gilt uO Ueff D p : 2

(1.172)

Das lässt sich leicht durch Einsetzen der Funktion u.t/ D uO sin.!t C 'u /pin Gl. 1.171 zeigen. Die Spannung an der Steckdose hat damit eine Amplitude von uO D 2 230 V  325 V. Der Effektivwert ist zeitlich konstant und positiv. Daher wird ein großer Formelbuchstabe verwendet. Sofern es nicht ausdrücklich anders vermerkt wird, werden in der Wechselstromtechnik die elektrischen Ströme und Spannungen immer als Effektivwerte angegeben, beispielsweise die Netzspannung an der Steckdose von 230 V (Abb. 1.98). Auch die Strom- und Spannungsmessgeräte zeigen Effektivwerte an, wenn sie mit RMS (englisch Root Mean Square) gekennzeichnet sind. Zur Vereinfachung wird im Weiteren der Index „eff“ beim Effektivwert weggelassen, da eine Verwechselungsgefahr mit den Formelbuchstaben I und U im Gleichstromkreis so gut wie nie gegeben ist. Statt Ueff D 230 V heißt es schlicht U D 230 V.

Bildbereich Harmonische Schwingungen kann man als Projektion einer gleichförmigen Drehbewegung ansehen. Das soll anhand von Abb. 1.99 gezeigt werden. Links ist die Wechselspan-

1

Grundlagen der Elektrotechnik

73

200 V bis 1987

220 V

−10 % ‒5 %

von 1987 bis 2003

−10 %

ab 2003

‒10 % 190 V

240 V

260 V

+5 % +10 % +6 % +10 %

210 V

230 V

250 V

Abb. 1.98 Toleranzbereiche für Wechselspannungen in der Niederspannungsebene

nung u.t/ dargestellt. Rechts ist die Momentaufnahme eines komplexen Zeigers u.t/ O zu sehen, der sich gleichförmig (! D const) entgegen dem Uhrzeigersinn dreht. Der aktuelle Dreh- bzw. Phasenwinkel ist '.t/ D !t C 'u und der Zeiger hat die Länge der Amplitude u. O Dann ist die Projektion des rotierenden Zeigers auf die imaginäre Achse gleich dem Augenblickswert der Wechselspannung.   u.t/ D uO sin .!t C 'u / D Im .u.t// D Im uO ej'.t / D Im uO ej!t ej'u

(1.173)

Meistens interessiert im Wechselstromkreis nur der stationäre Zustand. Der ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Frequenz sowie die Amplituden und Nullphasenwinkel von Strom und Spannung nicht ändern. In diesem Fall kann die Drehbewegung eingefroren werden und man kommt zu ruhenden Zeigern. Zusätzlich werden aus den Amplitudenzeigern Effektivwertzeiger gemacht, da Wechselströme und -spannungen grundsätzlich als Effektivwerte angegeben werden. U D U ej'u

I D I ej'i

und

(1.174)

j Im(u)

û u(t1) u(t)

ωt φu

φ(t1)

π

u(t1)

φ(t1)

2π φ(t) = ωt + φu u(t) = û ejφ(t)

Abb. 1.99 Liniendiagramm der Spannung u.t / mit dem rotierenden Zeiger u.t /

φu Re(u)

74

A. Böker

Die enthalten alle Informationen, die für die Wechselstromtechnik im stationären Zustand von Interesse sind. Zur Vereinfachung werden von nun an die ruhenden Effektivwertzeiger nur noch als Zeiger bezeichnet. Bei einigen Taschenrechnern wird der Phasenfaktor ej˛ mit dem winkelförmigen Versorzeichen † dargestellt. Zwei Beispiele sind ı

ej22 D †22ı

und

ı

U D 12 V ej38 D 12 V †38ı :

(1.175)

Das Rechnen mit komplexen Zahlen hat viele Vorteile. Beispielsweise kann die Überlagerung von zwei phasenverschobenen Wechselströmen i1 .t/ und i2 .t/ sehr einfach durch die Addition der Zeiger I 1 und I 2 berechnet werden. Das erspart eine aufwendige Rechnung mithilfe der Additionstheoreme für Sinus- und Cosinus-Funktionen.

1.4.2

Wechselstromverbraucher – komplexe Zweipole

In diesem Abschnitt geht es um Wechselstromverbraucher. Sie tauchen in den Ersatzschaltbildern als passive Zweipole mit den festen Parametern R, L oder C auf. Zunächst werden die Verbraucher im Zeitbereich charakterisiert. Im Bildbereich mit den Stromund Spannungszeigern kommt man zu komplexen Widerständen und Leitwerten, wenn das ohmsche Gesetz vorausgesetzt werden kann. Das wird an vier besonderen Fällen konkretisiert. Das sind der ohmsche, der induktive, der kapazitive und der ohmsch-induktive Verbraucher. Zum Abschluss werden die Ergebnisse in einer Tabelle zusammengefasst.

Phasendifferenz Nach dem Einschalten eines Wechselstromverbrauchers treten Einschwingvorgänge auf. Sind diese abgeklungen, fließt ein stationärer Wechselstrom i.t/ durch den Verbraucher und an seinen Anschlussklemmen fällt eine Wechselspannung u.t/ ab. Grundsätzlich können sich die Nullphasenwinkel 'i und 'u von Strom und Spannung unterscheiden. In Abb. 1.100 sind beide Größen positiv. Ihre Pfeilspitzen zeigen nach rechts in die positive Zählrichtung für den Winkel. Von großer Bedeutung ist die Phasenverschiebung zwischen dem Strom i.t/ und der Spannung u.t/. Sie wird durch den Phasenverschiebungswinkel ' charakterisiert, der auch Phasendifferenz genannt wird. Er ist definiert als ' D 'u  'i : Je nach Vorzeichen bzw. Größe von ' sind drei Fälle zu unterscheiden. Wenn 0 < '

 ; 2

eilt die Spannung dem Strom voraus.

Wenn ' D 0; sind die Spannung und der Strom in Phase.  Wenn  ' < 0; eilt die Spannung dem Strom nach. 2

(1.176)

1

Grundlagen der Elektrotechnik

75

i(t)

i(t) φ

~

u(t)

Verbraucher

u(t)

ωt π

φi

u(t) = û sin(ωt + φu)



φu

i(t) = î sin(ωt + φi)

Abb. 1.100 Wechselstromverbraucher mit Liniendiagramm

Gleich bedeutend kann auch davon gesprochen werden, dass der Strom der Spannung nach oder voraus eilt.

Impedanzen und Admittanzen Hier werden die Widerstände und Leitwerte der Wechselstromverbraucher im Bildbereich erklärt. Im Unterschied zum Gleichstromkreis führt das zu komplexen Widerständen und Leitwerten. Diese berücksichtigen neben dem Verhältnis der Effektivwerte von Strom und Spannung auch deren Phasendifferenz. Der Ausgangspunkt ist das ohmsche Gesetz, es lautet U I : (1.177) Da Strom und Spannung in diesem Zusammenhang komplexe Größen sind, muss ein komplexer Proportionalitätsfaktor eingeführt werden. U DZI

oder

ZD

U U ej'u U j.'u 'i / D D D Z ej' e I I ej'i I

(1.178)

Das ist die Impedanz Z, die auch komplexer Widerstand genannt wird. Der Betrag Z wird als Scheinwiderstand bezeichnet. ZD

U I

ŒZ D Ohm D

(1.179)

Die Impedanz ist in arithmetischer Darstellung Z D Z .cos ' C j sin '/ D R C jX

ŒR D ŒX D :

(1.180)

Der Realteil R heißt Wirkwiderstand und der Imaginärteil X Blindwiderstand oder Reaktanz. Diese arithmetische Form kann mit ZD

p R2 C X 2

und

' D arctan

X R

(1.181)

76

A. Böker

Abb. 1.101 Zeigerbilder der Impedanz und Admittanz für ' >0

j Im(Z)

j Im(Y)

Z

X

φ

G

R

Re(Y)

−φ

Re(Z)

B

Y

in die Polarform nach Gl. 1.178 umgerechnet werden. Mit R D Z cos '

X D Z sin '

und

(1.182)

ist das auch umgekehrt möglich. Das ist aus der Zeigerdarstellung in der komplexen Ebene ersichtlich (Abb. 1.101 links). Die andere Variante des ohmschen Gesetzes lautet I DY U

oder

Y D

I 1 D Z 1 D D Y ej' D G C jB : U Z ej'

(1.183)

Der Kehrwert der Impedanz ist die Admittanz Y , die auch als komplexer Leitwert bezeichnet wird. Der Realteil G ist der Wirkleitwert und der Imaginärteil B der Blindleitwert. Der Betrag Y D Z 1 heißt Scheinleitwert. Die Einheit für die Leitwerte ist wie im Gleichstromkreis ˝ 1 D Siemens D S. Bei einer Reihenschaltung setzt sich die gesamte Spannung U aus Teilspannungen zusammen (Abb. 1.102 links). Daraus folgen für lineare Wechselstromverbraucher analog zum Gleichstromkreis Spannungsteilerregeln wie U1 Z1 D U Z1 C Z2

U1 Z D 1 : U2 Z2

oder

(1.184)

Die Summe der einzelnen Impedanzen gleicht der gesamten Impedanz. Z ges D Z 1 C Z 2

Y ges D

oder

Y1 Y2 Y1 CY2

(1.185)

Dagegen wird in einer Parallelschaltung der gesamte Strom I in einzelne Ströme aufgeteilt (Abb. 1.102 rechts). Entsprechend gelten hier Stromteilerregeln. I1 Z2 D I Z1 C Z2 Abb. 1.102 Reihen- und Parallelschaltung von zwei komplexen Widerständen

oder

I1 Z D 2 I2 Z1

(1.186)

U

I1

Z1

Z2

U1

U2

I I2

Z1 Z2

1

Grundlagen der Elektrotechnik

77

Die Admittanzen der einzelnen Verbraucher werden zur gesamten Admittanz addiert. Y ges D Y 1 C Y 2

Z ges D

oder

Z1 Z2 Z1 C Z2

(1.187)

Bisher wurden die komplexen Widerstände allgemein beschrieben. Nun sollen die Verhältnisse für vier besondere Beispiele genauer beleuchtet werden.

Beispiele für Verbraucher Bei den Verbrauchern sind drei idealisierte Elemente von großer Bedeutung. Das sind der lineare Wirkwiderstand R, die Induktivität L und die Kapazität C . Dazu kommen noch die ohmsch-induktiven Verbraucher. Auch im Wechselstromkreis wird in einem Wirkwiderstand die elektrische Energie irreversibel in Wärme oder Licht umgewandelt, beispielsweise bei einer Heizwendel (Abb. 1.103). Beim linearen Wirkwiderstand sind Strom und Spannung in Phase, ' D 'u  'i D 0. Für die Zeitfunktionen lautet das ohmsche Gesetz u.t/ D R i.t/ :

(1.188)

Die Zeiger für Strom und Spannung haben den gleichen Winkel ('u D 'i ), sie zeigen in der komplexen Ebene in die gleiche Richtung. Daher ist die Impedanz reell und gleich dem Scheinwiderstand Z. U DRI

ZDZDR

und

(1.189)

Durch Multiplikation mit einem positiven reellen Faktor wird die Richtung eines Zeigers nicht verändert. Ohne Berücksichtigung der Nullphasenwinkel von Strom und Spannung gilt hier für die Effektivwerte U DRI : (1.190) Das gleicht formal dem ohmschen Gesetz im Gleichstromkreis, siehe dazu Gl. 1.50.

i(t) u(t)

i(t) u(t)

ωt

R

π



U I

Abb. 1.103 Strom und Spannung am Wirkwiderstand R: Ersatzschaltbild, Liniendiagramm und Zeiger

78

A. Böker

i(t) u(t)

i(t) u(t)

U ωt

L

π

φ = +90°



φ = +π/2

I

Abb. 1.104 Strom und Spannung an der Induktivität L: Ersatzschaltbild, Liniendiagramm und Zeiger

Wir betrachten die Selbstinduktion. Aus dem Induktions- und dem Durchflutungsgesetz folgt der Zusammenhang zwischen der Selbstinduktionsspannung u.t/ und dem Wechselstrom i.t/. d (1.191) u.t/ D L i.t/ dt Die Selbstinduktivität L wird auch einfach Induktivität genannt (Abb. 1.104). Dabei wird vorausgesetzt, dass die Induktivität sich nicht mit Strom und Spannung ändert. In der Praxis gibt es keine reinen induktiven Verbraucher. Das wäre z. B. eine ideale Spule. Die hätte keinen Leiterwiderstand R und ihre Windungen hätten keine kapazitiven Eigenschaften. Aus Gl. 1.191 folgt, dass bei einem sinusförmigen Stromverlauf i.t/ D iO sin.!t C 'i / die Spannung dem Strom um =2 vorauseilt, ' D 'u  'i D C=2.  d O i sin .!t C 'i / dt   D L ! iO cos .!t C 'i / D L ! iO sin !t C 'i C 2

u.t/ D L

(1.192)

O Die Differentiation der reellen Demnach ist der Scheitelwert der Spannung uO D L! i. Funktion i.t/ nach der Zeit entspricht der Multiplikation des Stromzeigers I mit dem Faktor j!.  d  j.!t C'i / d (1.193) D j! I ej.!t C'i / D j! I .t/ I .t/ D I e dt dt ı Die Multiplikation eines Zeigers mit j D ej90 führt zu seiner Drehung um C90ı in der komplexen Ebene. So kommt die Phasenverschiebung von ' D C=2 zum Ausdruck. Zusammen mit der Induktivität L führt das zu U D j!L I :

(1.194)

Die Impedanz eines idealen induktiven Verbrauchers ist imaginär. Sie hat keinen Realteil (RL D 0). und XL D ZL D !L (1.195) Z L D j!L

1

Grundlagen der Elektrotechnik

79

i(t)

i(t)

I

u(t)

C

ωt

u(t)

π



φ = −90° U

φ = ‒π/2 Abb. 1.105 Strom und Spannung an der Kapazität C : Ersatzschaltbild, Liniendiagramm und Zeiger

Blind- und Scheinwiderstand sind hier gleich. Gl. 1.194 vereinfacht sich zu U D !L I;

(1.196)

wenn nur die Effektivwerte von Strom und Spannung relevant sind. In der Praxis kommen technische Kondensatoren von hoher Güte dem rein kapazitiven Verbraucher recht nah. Dieser ideale Kondensator wird im Ersatzschaltbild nur mit seiner Kapazität C wiedergegeben (Abb. 1.105). Er hat weder Leitungs- noch dielektrische Verluste und es gibt keine Einflüsse von Magnetfeldern. Setzt man zusätzlich voraus, dass sich die Kapazität mit Strom und Spannung nicht ändert, gilt mit C D q.t/=u.t/ i.t/ D

d d q.t/ D C u.t/ : dt dt

(1.197)

Aus Gl. 1.197 folgt, dass bei einer sinusförmigen Spannung u.t/ D uO sin .!t C 'u / der Strom der Spannung um =2 vorauseilt, ' D 'u  'i D =2. i.t/ D C

d .uO sin .!t C 'u // dt

  D C ! uO cos .!t C 'u / D C ! uO sin !t C 'u C 2

(1.198)

Der Scheitelwert vom Strom ist daher iO D ! C u. O Analog zum induktiven Verbraucher entspricht die Ableitung der Funktion u.t/ nach der Zeit im Bildbereich der Multiplikation des Spannungszeigers U mit j!. (1.199) I D j! C U Damit ist

1 1 D j : (1.200) j! C !C Die Impedanz hat keinen Realteil (RC D 0). Wir legen fest, dass der Blindwiderstand XC negativ ist. Der Scheinwiderstand ZC ist in jedem Fall positiv. ZC D

XC D 

1 !C

und

ZC D

1 : !C

(1.201)

80

A. Böker

i(t)

u(t)

u(t) = û sin( + φ) i(t) = î sin( ) ωt π

U



φ

φ

I

Abb. 1.106 Liniendiagramm und Zeigerbild für einen ohmsch-induktiven Verbraucher

Das ohmsche Gesetz vereinfacht sich hier zu I D ! C U;

(1.202)

wenn die Phasenlagen von Strom und Spannung keine Rolle spielen. In der Praxis sind Verbraucher von großer Bedeutung, bei denen der Phasenverschiebungswinkel zwischen 0 und C=2 liegt (Abb. 1.106). Das kann z. B. ein Asynchronmotor sein. Im Ersatzschaltbild sind ein Wirkwiderstand R und eine Induktivität L enthalten. Daher kommt der Name ohmsch-induktiver Verbraucher. Zunächst soll die R-L-Reihenschaltung nach Abb. 1.107 charakterisiert werden, anschließend folgt die R-L-Parallelschaltung nach Abb. 1.108. Beide Varianten haben gleiches Klemmenverhalten. Es liegt die gleiche Spannung U an und es fließt der gleiche Strom I in die Schaltung. Aufgrund der Reihenschaltung fließt der gesamte Strom I durch den Wirkwiderstand RS und die Induktivität LS . Wird der Stromzeiger I in die reelle Achse gelegt, gilt insgesamt (1.203) I D IR D IL D I : In der Reihenschaltung teilt sich die gesamte Spannung U in die Teilspannungen U R und U L auf, die am Wirkwiderstand R und an der Induktivität L abfallen. U D UR C UL

I U

RS UR

(1.204)

LS UL

U φ UR

Z

UL I

φ RS

jωLS

Abb. 1.107 R-L-Serienschaltung: Ersatzschaltbild, Strom- und Spannungszeiger sowie Widerstände

1

Grundlagen der Elektrotechnik

IR I U

IL

81

RP IR φ

LP

I

U

RP‒1 φ −j/(ωLP)

IL

Y

Abb. 1.108 R-L-Parallelschaltung: Ersatzschaltbild, Strom- und Spannungszeiger sowie Leitwerte

Die Spannung U R ist in Phase mit dem Strom und daher reell. Die Spannung U L ist imaginär. und U L D j UL (1.205) U R D UR Aus dem Spannungsdreieck folgt U D

q UR2 C UL2 :

(1.206)

Auch die Widerstände teilen sich auf. Die Impedanz Z und der Scheinwiderstand Z sind Z D RS C j!LS

und

ZD

q RS2 C ! 2 L2S :

(1.207)

Dagegen liegen an den Elementen der Parallelschaltung die gleichen Spannungen an. Die Spannungszeiger dreht man zweckmäßigerweise in die reelle Achse. U D UR D UL D U

(1.208)

Der gesamte Strom I teilt sich in die Teilströme I R und I L auf. I D IR C IL

(1.209)

Der Zeiger I R liegt in Richtung der Spannung, der Zeiger I L ist dazu um 90ı gedreht. I R D IR

und

I L D j IL

(1.210)

Dementsprechend bilden die drei Ströme in der komplexen Ebene ein rechtwinkliges Dreieck. q (1.211) I D IR2 C IL2 Die gesamte Admittanz Y setzt sich aus den Leitwerten vom Wirkwiderstand und der idealen Spule zusammen. Y D GP C jBP D

1 1 j RP !L

(1.212)

82

A. Böker

Ihr Betrag Y ist Y D

q GP2 C BP2 :

(1.213)

Alle Zusammenhänge sind in Tab. 1.5 zusammengefasst. Wegen Z L D j!L D j 2f L

ZC D

und

1 1 D j! C j 2f C

(1.214)

sind die Impedanzen und Scheinwiderstände der idealen induktiven und kapazitiven Verbraucher von der Frequenz abhängig. Das gilt auch für technische Spulen und Kondensatoren. Tab. 1.5 Passive Zweipole im Wechselstromkreis Wirkwiderstand R Induktivität L Zeitbereich Schaltbild i(t)

Grundgesetz Phasendifferenz Frequenzbereich Schaltbild

i(t)

R

u D Ri 'D0

I

Zeigerbild

u(t)

U

u(t)

L

u D Ldi=dt ' D C=2

U

U

R

U

φ=0°

u(t)

i(t)

C

I

φ=90° I

U

i(t)

u(t)

– –

U (jωC)

jωL

I

allgemeiner Zweipol

i D C du=dt ' D =2

L

I

Kapazität C

−1

I φ=−90°

I

U

U Z

φ I

−90°≤ φ ≤ 90°

Ohmsches Gesetz U D RI Impedanz Z ZDR

U D j!LI Z D j!L D jXL

Blindwiderstand X Scheinwiderstand Z D R Z Z.!/

XL D !L

U D I =.j!C / U D ZI Z D .j!C /1 D Z D R C jX D jXC Ze j' 1 XC D .!C /

ZL D !L

ZC D .!C /1

Z

Z

Z

R ω

Admittanz Y

Y DR

Blindleitwert B Scheinleitwert Y

Y DG

1

DG

ω 1

Y D .j!L/ D jBL BL D .!L/1 YL D .!L/1

1

Z D .R2 C X 2 / 2

ω

Y D j!C D jBC BC D !C YC D !C

Y D G C jB D Y e j' 1

Y D .G 2 C B 2 / 2

1

Grundlagen der Elektrotechnik

83

1.4.3 Elektrische Leistung, Wirkungsgrad und Kompensation Ausgangspunkt ist der zeitliche Verlauf der elektrischen Leistung, die ein WechselstromVerbraucher aus dem Netz bezieht. Damit werden die für die Praxis wichtigen Größen erklärt. Das sind die Wirk-, Blind- und Scheinleistung sowie der Leistungsfaktor. Danach wird gezeigt, dass die Blindleistung den Wirkungsgrad der Energieübertragung verschlechtert. Abhilfe bietet die Blindleistungskompensation. Zum Abschluss werden Verluste im Wechselstromkreis beschrieben. Genauso wie in den Abschn. 1.4.1 und 1.4.2 setzen wir voraus, dass die Wechselspannung und der Wechselstrom einen idealen sinusförmigen Verlauf haben.

Wirk-, Blind- und Scheinleistung Wenn ein Wechselstromverbraucher in seinem Ersatzschaltbild mindestens einen Wirkwiderstand hat, bezieht er aus dem Stromkreis im arithmetischen Mittel über die Zeit elektrische Leistung. Diese wird im Verbraucherzählpfeilsystem positiv gezählt. Es wird sich zeigen, dass manche Verbraucher in gewissen Zeitabschnitten Leistung aufnehmen und in anderen Zeitabschnitten Leistung abgeben. Dazu sehen wir uns die momentane elektrische Leistung p.t/ genauer an. p.t/ D u.t/ i.t/ D uO sin .!t C '/ iO sin .!t/

(1.215)

In dieser Formel ist zur Vereinfachung der Nullphasenwinkel vom Strom 'i D 0 bzw. 'u D ' gesetzt. Die wesentlichen Aussagen sind davon nicht berührt. Während Strom und Spannung mit einer Frequenz von f D !=.2/ D T 1 schwingen, ändert sich die momentane Leistung p.t/ mit doppelter Frequenz und halber Periodendauer (Abb. 1.109). Die Funktion p.t/ nach Gl. 1.215 wird nun unter Verwendung von Additionstheoremen umgeformt und gleichzeitig werden die Amplituden uO und iO durch die Effektivwerte U und I ersetzt. So wird offensichtlich, dass sie aus zwei Anteilen besteht. p.t/ D pW .t/ C pB .t/ Abb. 1.109 Zeitlicher Verlauf von Strom, Spannung und Leistung für einen Verbraucher mit 'i D 0 und ' D 'u D =4

(1.216)

p(t)

i(t)

u(t)

t T/2

T

84

A. Böker

Abb. 1.110 Liniendiagramme von pW .t / und pB .t / für 'i D 0 und 0 < ' < =2

2 U I cosφ pW(t) U I cosφ U I sinφ pB(t)

t T/2

T/4 −U I sinφ

mit pW .t/ D UI cos ' .1  cos .2!t//

und

pB .t/ D UI sin ' sin .2!t/ (1.217)

Diese beiden Anteile heißen momentane Wirkleistung pW .t/ und momentane Blindleistung pB .t/. Ihr zeitlicher Verlauf ist in Abb. 1.110 für einen ohmsch-induktiven Verbraucher dargestellt. Die momentane Wirkleistung pW .t/ ist zu jedem Zeitpunkt positiv. Sie wird im Verbraucher irreversibel umgesetzt, z. B. in Licht oder Wärme. Das kann als Nettolieferung interpretiert werden. Die momentane Blindleistung pB .t/ pendelt zwischen der elektrischen Energiequelle und dem Verbraucher (Abb. 1.111). Wenn sie positiv ist, bezieht der Verbraucher Leistung aus dem Netz. Dann wird Energie in sein elektrisches oder magnetisches Feld gespeichert. Die momentane Blindleistung ist negativ, wenn das Feld wieder abgebaut wird. Der arithmetische Mittelwert der momentanen Blindleistung pB .t/ über eine halbe Periodendauer des Wechselstroms ist null. Daher sind der arithmetische Mittelwert der gesamten Leistung p.t/ und der momentanen Wirkleistung pW .t/ gleich. Das ist die Wirkleistung P . T T Z2 Z2 2 2 p.t/dt D pW .t/dt ŒP  D Watt D W (1.218) P D T T 0

0

Bei einem Verbraucher ist die Wirkleistung positiv. T

2 P D UI cos ' T

Z2 .1  cos .2!t// dt D UI cos ' > 0

(1.219)

0

Abb. 1.111 Momentane Wirkund Blindleistung auf der Leitung zwischen der elektrischen Energiequelle und dem elektrischen Verbraucher

Einspeisung

pW(t)

~

Verbraucher Z

pB(t)

1

Grundlagen der Elektrotechnik

85

Die Wirkleistung ist im Verbraucherzählpfeilsystem für einen Erzeuger negativ, wenn der im arithmetischen Mittel elektrische Leistung ins Netz speist. Ein Beispiel dafür ist eine PV-Anlage, die über einen Wechselrichter einphasig am Niederspannungsnetz angeschlossen ist. Die Wirkleistung ist nicht nur zeitliches Mittel der momentanen elektrischen Leistung. Ihr Betrag j P j ist die Amplitude der momentanen Wirkleistung pW .t/. Das gilt für Erzeuger und Verbraucher. Im Zusammenhang mit der momentanen Blindleistung pB .t/ wird die Blindleistung Q eingeführt. Sie ist definiert als Q D UI sin '

ŒQ D volt ampère réactif D var oder Var:

(1.220)

Wegen ' > 0 ist das Vorzeichen der Blindleistung bei einem ohmsch-induktiven oder induktiven Verbraucher positiv. Sie ist bei einem ohmsch-kapazitiven oder kapazitiven Verbraucher negativ. Blindleistung kann im Gegensatz zur Wirkleistung dem Stromkreis weder entzogen noch zugefügt werden. Bei Induktivitäten und Kapazitäten sollte anstatt von Blindleistungserzeugung oder -verbrauch besser von Blindleistungsbedarf gesprochen werden. Das unterschiedliche Vorzeichen der induktiven und kapazitiven Blindleistung rührt daher, dass ihre momentanen Blindleistungen untereinander um 180ı phasenverschoben sind, weil in Gl. 1.217 die Phasendifferenzwinkel ' unterschiedliche Vorzeichen haben. Das wird später bei der Blindleistungskompensation eine Rolle spielen. Analog zur Wirkleistung ist der Betrag der Blindleistung j Q j gleich der Amplitude der momentanen Blindleistung pB .t/. Das gilt für Induktivitäten und Kapazitäten. Mit den Messwerten I und U für Strom und Spannung ist ohne Berücksichtigung der Phasenlagen die „scheinbare“ Leistung S D UI

ŒS D VA :

(1.221)

Diese Scheinleistung S ist für Verbraucher und Erzeuger positiv, da die Effektivwerte U und I grundsätzlich positiv sind. Wegen den Gl. 1.219, 1.220 und 1.221 gilt S 2 D P 2 C Q2

und

SD

p P 2 C Q2 :

(1.222)

Es kann vorteilhaft sein, die komplexe Scheinleistung S einzuführen. Sie ist definiert als S D U I D U ej'u I ej'i D U I ej.'u 'i / D S ej'

(1.223)

mit der zum Stromzeiger I konjugiert komplexen Größe I D I ej'i . In arithmetischer Form ist (1.224) S D UI .cos ' C j sin '/ D P C j Q : Die Scheinleistung ist der Betrag des Zeigers S , die Wirkleistung sein Realteil und die Blindleistung sein Imaginärteil. Daher können in der komplexen Ebene die Wirk-, Blindund Scheinleistung im rechtwinkligen Leistungsdreieck dargestellt werden (Abb. 1.112).

86

A. Böker

Abb. 1.112 Leistungsdreieck für einen ohmsch-induktiven Wechselstromverbraucher

S

j Im(S)

Q

φ P

Re(S)

Weiterhin ist der dimensionslose Leistungsfaktor  von Bedeutung, der auch Wirkleistungsfaktor genannt wird. D

jP j S

mit

0  1

(1.225)

Hier wird der Betrag der Wirkleistung verwendet, damit der Leistungsfaktor auch bei Erzeugern positiv ist. Er gibt an, wie hoch der Anteil der Wirkleistung ist (Tab. 1.6). Bei exakt sinusförmigen Strömen und Spannungen gilt  D cos ' :

(1.226)

In diesem Fall wird j cos ' j Verschiebungsfaktor genannt. Weitere Kenngrößen sind der Wirkfaktor P =S, der Blindfaktor Q=S und der Verlustfaktor j P =Q j. Für einen linearen Verbraucher kann mit der Impedanz Z die komplexe Scheinleistung S D P Cj Q entweder mit   U U U U2 D (1.227) S D U I D U D Z Z Z oder mit S D U I D .Z I / I D Z I 2

(1.228)

berechnet werden. Das gilt unabhängig davon, ob der Verbraucher ohmsche, induktive oder kapazitive Anteile hat. Beim ohmsch-induktiven Verbraucher können einfache Formeln für die Wirk- und Blindleistung angegeben werden, die sich nach der Wahl der Ersatzschaltung unterscheiden (Abb. 1.113). In der Serienschaltung gilt P D RS I 2

und

Q D XS I 2 :

(1.229)

Tab. 1.6 Leistungen und Leistungsfaktoren

Wirkleistung P Blindleistung Q Scheinleistung S Leistungsfaktor 

Wirkwiderstand R Induktivität L

Kapazität C

P D UI QD0 S DP D1

P D0 Q D UI S D Q D0

P D0 Q D UI S DQ D0

Allgemeiner Verbraucher P D UI cos ' Q D UI sin ' S D UI  Dj P j =S

1

Grundlagen der Elektrotechnik

87

Abb. 1.113 Reihen- und Parallelsatzschaltbild eines ohmsch-induktiven Verbrauchers

RP

XS = ωLS

RS

XP = ωLP

Dagegen ist in der Parallelschaltung P D

U2 RP

und

U2 : XP

QD

(1.230)

Bis hier war die elektrische Leistung im Wechselstromkreis Thema. Für den wirtschaftlichen Betrieb der Netze ist der Wirkungsgrad der elektrischen Energieübertragung und -verteilung von großer Bedeutung. Darum wird es nun gehen.

Wirkungsgrad Eine erhöhte Blindleistungsaufnahme eines ohmsch-induktiven Wechselstromverbrauchers verkleinert den Wirkungsgrad der Energieübertragung. Der induktive Blindstrom sorgt für zusätzliche ohmsche Verluste auf den Zuleitungen. Das soll anhand eines einfachen Wechselstromkreises gezeigt werden. In Abb. 1.114 sind die Leitungsverluste P• und die abgeführte Nutzleistung Pab eingezeichnet. Damit lässt sich der Wirkungsgrad berechnen.

D

Pab D Pab C P•

1 P• 1C Pab

D

1 P• Pab 1C 2 Pab

(1.231)

Mit P• D RL I 2 und Pab D UV I cos ' ist

D 1C

1 RL Pab

:

(1.232)

.UV cos '/2

Demnach gibt es vier Einflussgrößen auf den Wirkungsgrad. Das sind  die vom Verbraucher aufgenommene Leistung Pab ,  der Leitungswiderstand RL , Abb. 1.114 Wechselstromkreis mit Einspeisung, Leitung und Verbraucher

Einspeisung

Leitung

Verbraucher I

~

RL UQ



Pab UV

LV

RV

88 Abb. 1.115 Vollständige Blindleistungskompensation ohmsch-induktiver Verbraucher

A. Böker

Einspeisung

~

Leitung

pW(t)

Verbraucher Kondensator

R

C

L pB(t) = 0

 die Spannung am Verbraucher UV und  der Verschiebungsfaktor cos '. Die Wirkleistung Pab wird von den Anschlussnehmern vorgegeben und bezahlt. An dieser Stelle gibt es keine Möglichkeiten, den Wirkungsgrad zu vergrößern. Auch die Leitungswiderstände bieten wenig Spielraum. Der Einsatz von Supraleitern würde den Wirkungsgrad auf 1 bringen, ist jedoch wegen der aufwendigen Kühlung unwirtschaftlich. Größere Querschnitte der Kupfer- oder Aluminiumleiter haben einen kleineren Leiterwiderstand, sie kosten jedoch mehr Geld. Freileitungsseile müssen mechanisch sicher aufgehängt werden. Kabel müssen mit Biegeradien verlegt werden können. Allein aus diesen beiden Gründen müssen die Querschnittsflächen begrenzt bleiben. Die Erhöhung der Betriebsspannungen ist eine wirkungsvolle Methode, um die Betriebsströme und damit die ohmschen Verluste R I 2 zu reduzieren. Darauf werden wir später noch eingehen. Wenn die Blindleistungen auf den Leitungen klein sind, ist der Verschiebungsfaktor nahe bei 1 ist. Optimal ist ein Wert von 1. Diese Variante zur Verbesserung des Wirkungsrades führt zur Blindleistungskompensation, die sich nun anschließt.

Blindleistungskompensation In den technischen Anschlussbedingungen (TAB) der Netzbetreiber wird verlangt, dass sich der Leistungsfaktor einer Verbrauchereinheit zwischen 0,9 und 1,0 bewegt. Bei Haushalten ist er erfahrungsgemäß bei 0,9. In Handwerk und Industrie kann es anders sein. Wenn der Leistungsfaktor unter 0,9 liegt, wird meistens eine Blindstromkompensation mit Leistungskondensatoren durchgeführt. Die heißt auch Blindleistungskompensation. Wenn ein Anschlussnehmer darauf verzichtet, muss er im Gegenzug die Blindarbeit bezahlen, die in einem Blindleistungszähler gemessen wird. Wegen der einfacheren Installation werden die Leistungskondensatoren parallel zu den Verbrauchern geschaltet (Abb. 1.115). Der Wirkwiderstand R und die Induktivität L werden durch die eingeschalteten Verbraucher vorgegeben. Daher wird die Kapazität der Kondensatoren so angepasst, dass der Leistungsfaktor den gewünschten Wert annimmt, z. B. durch Zu- und Abschaltungen von einzelnen Kondensatoren im laufenden Betrieb. Bei der vollständigen Kompensation ist der gemeinsame Leistungsfaktor von den Verbrauchern und Kondensatoren auf 1 eingestellt ( D 1). Die momentanen Blindleistungen der Kapazitäten und Induktivitäten sind um 180ı phasenverschoben und neutralisieren

1

Grundlagen der Elektrotechnik

Einspeisung Leitung

89

Verbraucher

IV

~

UV

IL

ohne Kompensation ( IC = 0 )

IC

IR C

L

IR φ

IL

UV

mit Kompensation ( IC ≠ 0 ) IV = IR

UV IC

IL

IV

R Abb. 1.116 Ersatzschaltbild und Zeigerdiagramme ohne und bei vollständiger Blindleistungskompensation Abb. 1.117 Leistungsdreieck bei der unvollständigen Blindleistungskompensation

S1

jQ1

S φ1 φ2 2

jQC jQ2

P1=P2

sich vollständig. Die Anlage bezieht aus dem Netz nur Wirkleistung und keinerlei Blindleistung. Der kapazitive Blindstrom I C der Kondensatoren und der induktive Blindstrom I L der Verbrauchereinheit haben den gleichen Betrag und auf der Zuleitung fließt kein Blindstrom (Abb. 1.116). In der Praxis wird meistens unvollständig kompensiert. D. h. der Leistungsfaktor  wird unterhalb von 1,0 eingestellt. Das hat mehrere Gründe. In jedem Fall kann bei den Kondensatoren gespart werden. Zum anderen soll eine Überkompensation vermieden werden. Dann würde sich die gesamte Anlage wie ein ohmsch-kapazitiver Verbraucher verhalten. Es kann zu Spannungserhöhungen kommen, wenn die Induktivität des vorgelagerten Netzes und die Kapazität der Verbrauchergruppe einen Schwingkreis bilden. Wird das Netz abgeschaltet, können überkompensierte Asynchronmotoren in die Selbsterregung geraten [37]. Bis zu deren Stillstand können gefährliche Überspannungen auftreten. Aus dem Leistungsdreieck der teilweise kompensierten Schaltung in Abb. 1.117 folgt die Formel zur Berechnung der kapazitiven Blindleistung QC , die die Kondensatoren zur Verfügung stellen müssen. QC D Q2  Q1 D P .tan '2  tan '1 /

(1.233)

Damit ist die erforderliche Kapazität C D

QC : 2f U 2

(1.234)

Die Blindleistungskompensation kann zentral durchgeführt werden, z. B. im Schaltschrank (Abb. 1.118). Diese Lösung ist einfach und preisgünstig. Sie hat den Nachteil,

90

A. Böker

Industrienetz

Zentralkompensation

Werkseinspeisung

Gruppenkompensation

Einzelkompensation

MS-Netz

Z

Abb. 1.118 Zentral-, Gruppen- und Einzelkompensation nach [38]

dass die Blindströme zwischen den Verbrauchern und dem Kondensator die Leitungen belasten. Unter Umständen müssen die Querschnitte vergrößert werden, damit der Spannungsfall begrenzt bleibt. Blindstromverluste treten in jedem Fall auf. Bei der aufwendigeren Einzelkompensation verschwinden dagegen die Blindströme zwischen den Verbrauchern und dem zentralen Schaltschrank.

Verluste im Wechselstromkreis Wechselstrom hat gegenüber dem Gleichstrom entscheidene Vorteile. Die Spannungen können mit den Transformatoren hochgestellt werden. Mit Leistungsschaltern können elektrischen Ströme unterbrochen werden. Mit diesen Vorteilen müssen Nachteile in Kauf genommen werden. Dazu zählen zusätzliche Verluste, die hier für Leistungstransformatoren, elektrische Leitungen und Kondensatoren aufgezeigt werden. Leistungstransformatoren haben Kupfer- und Eisenverluste. Die Kupferverluste sind die Stromwärmeverluste der Wicklungen, die praktisch immer aus Kupfer gefertigt sind. Die Eisenverluste erwärmen den Eisenkern. Sie setzen sich aus Hysterese- und Wirbelstromverlusten zusammen, die nun genauer erklärt werden. Wegen der Wechselströme in den Wicklungen ändert sich die Stärke und Richtung des Magnetfeldes periodisch. Die Elementarmagnete im Eisenkern müssen sich permanent umorientieren. Das Material durchläuft die Hysterse mit der vorgebenenen Frequenz des Wechselstroms. Das führt insgesamt zu den sogenannten Hystereseverlusten, die auch Umorientierungsverluste genannt werden. Für ihre mittlere Wärmeleistung PH gilt PH  f :

(1.235)

1

Grundlagen der Elektrotechnik

91

B(t)

Abb. 1.119 Verringerung der Wirbelstromverluste durch isolierte Eisenbleche und Fertigungshalle mit Drehstromtransformator 850 MVA (Foto rechts: Siemens [30])

Zur Reduzierung der Hystereseverluste werden Weichmagnete eingesetzt, die eine schmale Hysteresekurve haben. Die Fläche zwischen der Hysteresekurve ist ein Maß für die Energie, die als Wärme dem magnetischen Kreis verloren geht. Gleichzeitig werden quer zur Flussrichtung elektrische Spannungen induziert, die ihrerseits elektrische Ströme treiben. Die Stromkreise schließen sich im Material und sind wirbelförmig. Daher spricht man von Wirbelströmen. Die mittlere Wärmeleistung PW der Wirbelstromverluste ist auch von der Frequenz abhängig. PW  f 2

(1.236)

Um die Wirbelstromverluste möglichst gering zu halten, werden Transformatorkerne aus sehr dünnen Eisenblechen gefertigt, die gegen einander elektrisch isoliert sind (Abb. 1.119). Dadurch werden die Wege verkürzt, auf denen sich die Wirbelströme schließen. Fließt Wechselstrom durch einen elektrischen Leiter führt sein zeitlich veränderliches elektromagnetisches Feld ebenso zu Wirbelströmen im Leitermaterial. Diese überlagern sich mit dem Wechselstrom derart, dass der Ladungstransport nicht mehr gleichmäßig über den Leiterquerschnitt verteilt ist. Die Stromdichten sind dann am Rand der Querschnittsfläche deutlich höher. Dieser Stromverdrängungseffekt wird auch Skin-Effekt (englisch für Haut) genannt. Daher sind die Generatorsammelschienen im Kraftwerk als Röhren gefertigt. In Leistungstransformatoren werden Roebelstäbe eingebaut, d. h. die Leiter bestehen aus rechteckigen Teilleitern die in Längsrichtung gegeneinander verdrillt sind. Im Wechselstromkreis haben Kabel und Freileitungen wegen der Wirbelströme und dem Skineffekt einen größeren ohmschen Widerstand als im Gleichstromkreis. Der Wechselstromwiderstand Rac setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Rac D Rdc C R

(1.237)

92

A. Böker

Abb. 1.120 Ersatzschaltbild (a) und Zeigerdiagramm (b) mit dem Verlustwinkel ı

a

b

I

IC

U

IR

IR Pδ

C



IC δ I U

Das sind der Gleichstromwiderstand Rdc D l=A und der Zusatzwiderstand R. Letzterer kann nicht mehr analytisch als Formel angeben werden. Man ist auf eigene Messwerte oder den Angaben der Hersteller angewiesen. Damit sind die Stromwärmeverluste größer als im Gleichstromkreis. Alle Verluste eines Kondensators werden zu den dielektrischen Verlusten P• zusammen gefasst. Sie setzen sich aus Leckstromverluste aufgrund mangelhafter Isolierung und Umorientierungsverluste zusammen. Letztere treten wegen des Umpolens der elektrischen Dipole im äußeren Wechselfeld auf. In der Ersatzschaltung nach Abb. 1.120 treten die dielektrischen Verluste am Widerstand R• auf. Hier ist der Verlustfaktor j P =Q jD tan ı D

IR : IC

(1.238)

Die Güte Q ist der Kehrwert vom Verlustfaktor. QD

IC 1 D tan ı IR

(1.239)

1.4.4 Oberschwingungen Wenn der zeitliche Verlauf der periodischen Wechselspannungen und -ströme von der idealen Sinusform abweicht, enthalten die Signale u.t/ und i.t/ Oberschwingungen. Oft ist insbesondere der Wechselstrom i.t/ stark verzerrt (Abb. 1.121). Oberschwingungen bei den Strömen sind wiederum mit Spannungsfällen an den Impedanzen des Netzes verbunden, so dass auch die Wechselspannungen verformt werden. Das wird zusammenfassend als Netzrückwirkung bezeichnet. Wir werden zunächst auf die Ursachen eingehen. Danach geht es um die Analyse mit Hilfe von Fourierreihen. Oberschwingungen können zu Störungen, Ausfällen oder Fehlfunktionen führen. In solchen Fällen müssen Maßnahmen getroffen werden, um Oberschwingungen zu reduzieren. Dazu zählen passive oder aktive Filter. Für weitergehende Informationen zum Thema Netzrückwirkungen und Spannungsqualität wird auf die Literatur wie [39–42] verwiesen.

Ursachen Die Quellen bzw. Ursachen von Oberschwingungen können grob in zwei Gruppen eingeteilt werden. Das sind zum einen

1

Grundlagen der Elektrotechnik

93

1

i/A 0

‒1

0

20

10

30

40

t / ms Abb. 1.121 Elektrischer Strom eines Schaltnetzteils Abb. 1.122 Strom i.t / durch die gedimmte Glühbirne

i(t)

ωt π



α

 nichtlineare Verbraucher, Erzeuger oder Betriebsmittel und andererseits  leistungselektronische Schalter, die synchron oder asynchron mit dem Netz arbeiten. Bei einer nicht-linearen Kennlinie entstehen Oberschwingungen. Das lässt sich leicht für einen Varistor mit der Kennlinie i.t/ D k u3 .t/ zeigen. Bei einer sinusförmigen Wechselspannung ist der elektrische Strom zwar periodisch, aber nicht mehr sinusförmig. i.t/ D k .uO sin.!t//3 D

k 3 uO .3 sin.!t/  sin.3!t// 4

(1.240)

Andere Beispiele sind Entladungslampen oder Transformatoren, die in Sättigung gehen. Ein einfaches Beispiel für einen periodisch arbeitenden Schalter ist ein Dimmer, der in Reihe mit einer Glühbirne geschaltet ist. Der zugehörige Wechselstrom ist in Abb. 1.122 dargestellt. Über Veränderung des Phasenanschnittswinkel ˛ kann die Helligkeit verändert werden. In Tab. 1.7 sind mögliche Ursachen zusammengefasst. Die Effektivwerte Ik und I1 im rechten Teil der Tabelle werden nun im Rahmen der Fourier-Analyse erklärt.

94

A. Böker

Tab. 1.7 Ursachen und Beispiele für Oberschwingungsströme nach [43] Ursache Sättigung

i u

Gasentladung

i u

Einweggleichrichter mit ohmscher Last Einweggleichrichter mit kapazitiver Last

Zweiweggleichrichter mit kapazitiver Last

.Ik =Il / =% kD2 kD3 kD4 kD5 Kleinmotoren 3 : : : 10 1:::5 Transformator 25 : : : 55 8 : : : 30 Magnetisierungsstrom Leuchtstoff1:::2 8 : : : 20 2:::3 lampe Lichtbogen5 : : : 12 6 : : : 12 2 : : : 5 3:::7 ofen Leistungs42 8 halbierung thermischer Geräte (Fön, Heizdecke) Einfache 70 : : : 90 40 : : : 60 35 : : : 50 25 : : : 50 Netzgeräte mit niedriger Leistung (Unterhaltungselektronik) Netzgeräte 65 : : : 80 50 : : : 70 (Fernsehgerät, Monitor, PC, Motorantriebe)

Kennlinie Beispiele

i u

i u

i u

kD7 2 : : : 10

1:::2 1:::3

12 : : : 25

25 : : : 35

Fourier-Reihen und Kenngrößen Wir werden zunächst die periodischen Signale f .t/ in Fourier-Reihen entwickeln [6]. Die numerisch berechneten Fourier-Koeffizienten gehen in die Kenngrößen wie den Klirrfaktor ein. Es taucht die Verzerrungsblindleistung auf und es wird klar, warum sich der Leistungsfaktor und der Verschiebungsfaktor unterscheiden können. Die Fourier-Reihe für ein periodisches Signal f .t/ lautet f .t/ D a0 C

1 X

ak cos.k!t/ C

kD1

1 X

bk sin.k!t/ :

(1.241)

kD1

Für die Kreisfrequenz ! gilt ! D 2f mit der Frequenz f in der kleinsten Periodendauer T D f 1 . Der zeitliche Mittelwert der Funktion ist 1 a0 D T

ZT f .t/dt : 0

(1.242)

1

Grundlagen der Elektrotechnik

95

Er wird auch Gleichanteil genannt. Analytisch werden die Fourier-Koeffizienten ak und bk mit den Eulerformeln ak D

2 T

ZT f .t/ cos.k!t/dt

bk D

und

0

2 T

ZT f .t/ sin.k!t/dt

(1.243)

0

berechnet. Näherungsweise werden sie numerisch mit dem Digitalrechner bestimmt. Das ist Gegenstand der harmonischen Analyse, die auch Diskrete Fourier Transformation (DFT) heißt. Das Signal wird diskret abgetastet. Zu den gängigen Verfahren zählen die trigonometrische Interpolation oder auch die schnelle Fourier-Transformation (FFT, englisch Fast Fourier Transformation). Alternativ kann die Fourier-Reihe 1.241 auch in der Form f .t/ D

1 X

ck sin.k!t C 'k /

(1.244)

kD1

geschrieben werden. Die gesamte Amplitude ck der k-ten Oberwelle und ihre Phasenlage 'k werden mit q ak und tan 'k D (1.245) ck D ak2 C bk2 bk berechnet. Die Amplitude ck der k-ten Oberschwingung in Gl. 1.244 entspricht bei den elektrischen Strömen und Spannungen den Amplituden iOk und uO k . Werden diese über die Ordnungszahl k aufgetragen, erhält man das Amplitudenspektrum der Funktion (Abb. 1.123 rechts). Den Amplituden werden die Effektivwerte Ik und Uk zugeordnet. iOk Ik D p 2

und

uO k Uk D p 2

u(t) / V

ûk(t) / V

10

4

(1.246)

1 2

t / ms

1

5

k

Abb. 1.123 Verlauf einer periodischen Spannung u.t / mit dem zugehörigen Amplitudenspektrum nach [4]

96

A. Böker

Die Gleichanteile von Strom und Spannung, die dem Gleichanteil a0 in Gl. 1.242 entsprechen, werden mit I0 und U0 bezeichnet. Aus der Definition der Effektivwerte v u u ZT u1 i 2 .t/dt I Dt T

und

v u u ZT u1 U Dt u2 .t/dt T

0

folgt hier

(1.247)

0

v u1 uX Ik2 I Dt

und

v u1 uX U Dt Uk2 :

kD0

(1.248)

kD0

Messinstrumente, die die Beiträge der Oberschwingungen zu den Effektivwerten berücksichtigen, werden mit TRMS (englisch True Root Mean Square) gekennzeichnet. Für periodische Größen ohne Gleichanteil (I0 D 0 bzw. U0 D 0) ist der Grundschwingungsgehalt definiert als I1 U1 und gu D : (1.249) gi D I U Der Oberschwingungsgehalt oder Klirrfaktor der Wechselströme ist dann

ki D I 1

q v u1 q I 2  I12 uX 2 t Ik D D 1  gi2 : I

(1.250)

kD2

Er wird auch mit THDC (englisch Total Harmonic Distortion Current) abgekürzt. Das ist ein Maß für den gesamten Oberschwingungsgehalt. Entsprechend gilt für die Spannungen ku D U 1

v u1 q uX t Uk2 D 1  gu2 :

(1.251)

kD2

Für praktische Zwecke wird der Laufindex k auf 40 oder 50 begrenzt.

Elektrische Leistung Wenn die Wechselströme und -spannungen Oberwellen zeigen, verändert sich auch die elektrische Leistung p.t/. Auch die Wirk-, Blind-, und Scheinleistung sowie den Leistungsfaktor sind davon betroffen. Darum wird es nun gehen. Wir werden uns ausschließlich auf einphasige Erzeuger und Verbraucher beschränken. Die Verhältnisse beim Drehstrom werden nicht betrachtet. Die elektrische Leistung p.t/ wird grundsätzlich mit p.t/ D u.t/ i.t/

(1.252)

1

Grundlagen der Elektrotechnik

97

berechnet. Ist der zeitliche Verlauf von u.t/ und i.t/ periodisch, ist mit der Periodendauer T die Wirkleistung P definiert als T

2 P D T

Z2 p.t/dt :

(1.253)

0

Das ist unabhängig davon, ob die Wechselströme und -spannungen Oberwellen zeigen oder nicht. Das Gleiche gilt auch für die Scheinleistung S und den Leistungsfaktor . S DU I

und

D

jP j S

(1.254)

Sind Oberwellen vorhanden, werden die Effektivwerte I und U mit den Gl. 1.248 aus den Fourierkoeffizienten berechnet. Bei rein sinusförmigen Strömen und Spannungen ist die Leistung p.t/ D uO sin.!t C 'u / iO sin.!t C 'i / D 2 UI sin.!t C 'u / sin.!t C 'i / :

(1.255)

Mit dem Phasenverschiebungswinkel ' D 'u  'i sind für einen Wechselstromverbraucher die Wirk- und Blindleistung P D UI cos '

und

Q D UI sin ' :

(1.256)

Damit gilt S 2 D P 2 C Q2 :

(1.257)

Ohne Oberschwingungen sind der Leistungsfaktor  und der Verschiebungsfaktor cos ' gleich. Das ist nichts neues. Haben Strom und Spannung Oberwellen, ist die Auswertung der Formel 1.252 schwieriger. Im ersten Schritt werden wir den Fall betrachten, dass nur der Strom Oberwellen zeigt und die Spannung rein sinusförmig ist. Beide Größen sollen keine Gleichanteile haben. Das ist für viele praktische Belange ausreichend. Dann ist die Wechselspannung u.t/ D

p

2 U sin.!t C 'u /

(1.258)

2 Ik cos.k!t C 'i k / :

(1.259)

und der Wechselstrom i.t/ D

1 X p kD1

Aus Gl. 1.253 folgt für die Wirkleistung P D UI1 cos '1

(1.260)

98

A. Böker

Abb. 1.124 Diagramm der Leistungen

S

Qd

Q S1 φ1

Q1

P

mit '1 D 'u  'i1 . Die Scheinleistung ist hier v u1 uX Ik2 : S D UI D U t

(1.261)

kD1

In Analogie zur Gl. 1.257 für den sinusförmigen Wechselstromkreis wird hier die Blindleistung definiert. p (1.262) Q D ˙ S2  P 2 Nun werden die Formeln für S und P eingesetzt und die Terme für k D 1 separat geschrieben. v v u u 1 1 X X u u Ik2  U 2 I12 cos2 '1 D ˙t.UI1 sin '1 /2 C U 2 Ik2 : (1.263) Q D ˙tU 2 kD1

kD2

Es zeigen sich zwei Anteile in der Blindleistung. Das ist zum einen die Grundschwingungsblindleistung oder Verschiebungsblindleistung Q1 . Q1 D UI sin '1

(1.264)

Der zweite Teil ist die Verzerrungsblindleistung Qd . v u1 uX Ik2 : Qd D U t

(1.265)

kD2

Sie wird auch als Verzerrungsleistung, Oberschwingungsblindleistung oder Oberwellenblindleistung bezeichnet. In der Literatur wird für sie auch der Formelbuchstabe D verwendet. Es gilt also q Q D ˙ Q12 C Qd2 :

(1.266)

Das kann im dreidimensional wie in Abb. 1.124 dargestellt werden. Darin ist auch analog zu Q1 die Grundschwingungsscheinleistung S1 D UI1 enthalten.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

99

Wenn auch die Spannung signifikante Oberwellen zeigt, muss die Gl. 1.252 erneut ausgewertet werden. Mit 'k D 'uk  'i k , u.t/ D

1 X p

2 Uk cos.k!t C 'uk /

und i.t/ D

kD1

1 X p

2 Ik cos.k!t C 'i k / (1.267)

kD1

ist die gesamte Wirkleistung P D

1 X kD1

Pk D

1 X

Uk Ik cos 'k :

(1.268)

kD1

Die Anteile von P heißen Grundschwingungswirkleistung P1 und Oberschwingungswirkleistungen Pk .k  2/. Die Blindleistung wird wieder als p Q D ˙ S2  P 2

(1.269)

definiert. Die Grundschwingungsblindleistung und die Verzerrungsblindleistung existieren hier nicht.

Gefahren Oberschwingungsströme können innerhalb einer Anlage oder auch im Versorgungsnetz Probleme bereiten. Dazu zählen die     

Überlastung von Neutralleitern (Abb. 1.125), die Überhitzung von Transformatoren, eine Fehlauslösung von Leistungsschaltern, Leitungsschutzschalter oder FI-Schalter, eine Überbeanspruchung von Kompensationskondensatoren und Skinneffekte

Durch Oberschwingungsspannungen können Überhitzung und Hochlaufschwierigkeiten von Drehfeldmotoren auftreten. Die Methoden zur Reduktion bzw. Begrenzung von Oberwellen lassen sich grob in drei Gruppen einteilen. Das sind  passive Filter (verdrosselte Kondensatoren als Saugkreise),  Trenntransformatoren oder Oberschwingungs-Reduktionstransformatoren und  aktive Filter. Nun folgt der dreiphasige Wechselstrom, der auch Drehstrom genannt wird.

100

A. Böker

Abb. 1.125 Sinusförmige Wechselspannungen mit oberschwingungsbehafteten Strömen, schematische Darstellung

u1(t)

u2(t)

u3(t)

i1(t)

i2(t)

i3(t)

ωt

iN(t)

ωt

1.5 Drehstrom Zum Transport und zur Verteilung von elektrischer Energie kommen grundsätzlich die Gleich-, Wechsel- oder Drehstromtechnik in Frage. Wechsel- und Drehstrom werden genauer als einphasiger und dreiphasiger Wechselstrom bezeichnet. Die Einbindung von Gleichstromleitungen in Drehstromnetze ist aufwendig und teuer. Daher wird die Hochspannungs-Gleichstromübertragung nur in speziellen Fällen angewendet, beispielsweise bei langen See- und Landverbindungen oder bei der Anbindung von Offshore-Windparks. Wechselstromnetze gibt es praktisch nur bei elektrischen Eisenbahnen wegen der einphasigen Stromabnehmer. Der mit weitem Abstand größte Teil der Elektroenergie wird mit Drehstrom übertragen und verteilt. Hier werden zunächst die Leitungen und Verbraucher charakterisiert. Daran schließt sich ein Abschnitt über die elektrische Leistung im symmetrischen Betrieb an. Zuletzt wird auf die Typen der Niederspannungs-Verteilungsnetze eingegangen. Die weitergehenden Themen der elektrischen Energietechnik werden in diesem Rahmen außer Acht gelassen.

1.5.1

Leitungen und Verbraucher

Als Leitungen kommen Freileitungen oder Kabel in Frage. Typische Verbraucher sind ein Drehstrom-Asynchronmotor oder der Elektroherd im Haushalt.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

101

Tab. 1.8 Kennzeichnung der Leiter [34] Benennung Schaltzeichen Name Außenleiter L1/L2/L3 Neutralleiter N (früher Mittelleiter) Schutzleiter PE

Farbliche Kennzeichnung Alles außer: grün-gelb, grün, gelb, mehrfarbig In der Regel hellblau

PEN-Leiter (früher Nullleiter)

Grün-gelb, zwingend

PEN

Verteilung vom Anschlussnehmer Neutralleiter Außenleiter N PE

Grün-gelb, zwingend

Antenne

Metallrohr

Verbrauchsmittel

Schutzleiter

fremdes leitfähiges Teil W

Hausanschlusskasten (HAK)

Schutzleiter

Hauptschutzleiter (Hauptpotentialausgleichsleiter) L1 L2 L3 PEN-Leiter Zugang Netzbetreiber

Wasserleitung

Potentialausgleichsleiter

(Haupt-)Erdungsleiter

(Haupt-)Potentialausgleichsschiene Erder

Abb. 1.126 Bezeichnungen für Leiter nach [34]

Kennzeichnung der Leiter Eine Leitung besteht aus drei Außenleitern, die auch kurz Leiter genannt werden. Sie werden mit L1, L2 und L3 gekennzeichnet und bilden ein Dreileitersystem. Nur in der Niederspannungsebene kann noch ein vierter Leiter hinzukommen. Das ist der Neutralleiter N. Dann liegt ein Vierleitersystem vor. Die Außenleiter und der Neutralleiter gehören zum Betriebsstromkreis und dienen zur Fortleitung der elektrischen Energie. Für Schutzzwecke gibt es einen weiteren Leiter, das ist der PE-Leiter (englisch Protective Earth). Werden Neutralleiter und PE-Leiter separat verlegt, liegt ein 5-Leiternetz vor. Wird Schutz- und Neutralleiterfunktionalität in einem Leiter kombiniert, heißt dieser PEN-Leiter (Tab. 1.8). Schutzleiter haben je nach Einbauort noch unterschiedliche Namen (Abb. 1.126). Auf ihre Funktionsweise wird später noch genauer eingegangen. Zunächst wird der Fokus auf die Leiter L1, L2 und L3 und N gelegt. Wichtige elektrische Größen einer Drehstromleitung sind die Außenleiterspannungen und -ströme. Sie werden nun erklärt.

102

A. Böker

Leitergrößen Zwischen den drei Leitern L1, L2 und L3 liegen drei Wechselspannungen an (Abb. 1.127). Man nennt sie Außenleiterspannungen, Leiter-Leiter-Spannungen oder kurz Leiterspannungen. Sie werden auch als verkettete Spannungen oder Dreieckspannungen bezeichnet, da sie an den Strängen eines Drehstromverbrauchers in Dreieckschaltung abfallen. Ihre Indizierung richtet sich nach den Kennzeichnungen der Leiter. Beispielsweise ist uL1L2 .t/ die Wechselspannung zwischen den Leitern L1 und L2. Sofern keine Verwechselung möglich ist, wird zur Vereinfachung der Buchstabe L weggelassen. Die drei Wechselspannungen sind wegen der Drehbewegung der Synchrongeneratoren in den Kraftwerken untereinander um 2/3 bzw. 120ı phasenverschoben. Grundsätzlich sind beim Drehstrom zwei unterschiedliche Phasenfolgen möglich. Haben die Wechselspannungen ihre Maxima in der Reihenfolge wie in Abb. 1.127, liegt ein Rechtsdrehfeld vor. Die Bezeichnung Drehfeld rührt daher, dass mit den drei Wechselströmen in den Motoren und Generatoren ein magnetisches Drehfeld verbunden ist. Daher kommt auch der Name Drehstrom. Genaueres dazu wird später beim Drehstrom-Asynchronmotor und beim Drehstrom-Synchrongenerator erklärt. Durch Vertauschen zweier beliebiger Anschlüsse wird aus dem Rechtsdrehfeld ein Linksdrehfeld. Die Momentwerte der drei Wechselspannung in Abb. 1.127 sind: u12 .t/ D uO 12 sin .!t/ u23 .t/ D uO 23 sin .!t  2=3/

(1.270)

u31 .t/ D uO 31 sin .!t  4=3/ Unter Verwendung von Additionstheoremen lässt sich zeigen, dass u12 .t/ C u23 .t/ C u31 .t/ D 0 :

(1.271)

Das entspricht dem 2. Kirchhoffschen Gesetz (Maschenregel). Gewöhnlich werden die Außenleiterspannungen nicht mit Ihren Amplituden sondern mit ihren Effektivwerten angegeben. Sie können als Zeiger in der komplexen Ebene dargestellt werden, entweder in

u12(t)

u23(t)

u31(t)

L1 u12(t)

u31(t)

L2 u23(t) L3

Abb. 1.127 Außenleiterspannungen und ihr zeitlicher Verlauf

π



ωt

1

Grundlagen der Elektrotechnik

103

L1 U12

U31

U31

L2 U23

U12 = U12 ej0°

U12 U23

L3

U31

U23

U23 = U23 e−j120° U31 = U31 e−j240°

U12

Abb. 1.128 Außenleiterspannungen und ihr Zeigerbild Tab. 1.9 Spannungsebenen in der Deutschland mit den Netznominalspannungen Un und den maximal zulässigen Spannungen Umax

Höchstspannung Hochspannung Mittelspannung

Kurzform HöS HS MS

Niederspannung

NS

Un /kV 380 110 20 10 0,4

Umax /kV 420 123 23 12 –

Form eines Sterns oder eines Dreiecks (Abb. 1.128). Die Maschenregel findet sich ebenso bei den Zeigern. (1.272) U 12 C U 23 C U 31 D 0 Je nach Größe der Außenleiterspannungen werden die Drehstromnetze in vier Spannungsebenen unterteilt, die inzwischen europaweit harmonisiert sind. Sie sind in Tab. 1.9 aufgelistet. In dem Zusammenhang wird von Netznominalspannungen oder Nennspannungen gesprochen. Daneben gibt es die alte Höchstspannung mit 220 kV und Mittelspannungen mit 60 kV oder 30 kV. Der Neutralleiter wird am Sternpunkt der Ortsnetztransformatoren angeschlossen. Dadurch stehen drei weitere Wechselspannungen zwischen den Außenleitern und dem Neutralleiter zur Verfügung (Abb. 1.129). Sie heißen Sternspannungen, weil sie gleich den Strangspannungen eines Drehstromverbrauchers oder -generators in Sternschaltung sind. Sie heißen auch Leiter-Erd-Spannungen, da die Neutralleiter in den Ortsnetzstationen mit der Betriebserdung verbunden sind. Ihre präzise Kennzeichnung folgt wieder der Bezeichnung der Leiter. Vereinfachend können die Buchstaben einzeln oder gemeinsam weggelassen werden, wenn die Kennzeichnung eindeutig bleibt. Dann heißt die Wechselspannung zwischen L1 und N statt U L1N einfach U 1N oder U 1 . L1

L1 L2 L3 N

L1

U1

U1

U31

U2 U3

U3 L3

N

U23

U12 = U1 – U2

U1

U12 U2 L2

U12

U23 = U2 – U3

N

−U2

L2

U31 = U3 – U1

Abb. 1.129 Sternspannungen und Zeigerbild der Dreiecks- und Sternspannungen

104

A. Böker

Abb. 1.130 Zeiger der Außenleiterströme bei gleichmäßiger Belastung

L1 L2 L3

Y

~ UUY

U

~ UVY

V

~ UWY W

I1

I3

IU UUV

UWU

I2

I L1 L1

IV

I L2 L2

UVW

I1

I3

I2

IW

I L3

L1

UL1L2 UL3L1 L2

UL2L3 L3

L3

UYE

UL1E UL2E UL3E

E

Abb. 1.131 Drehstromnetz mit drei Außenleitern

~ UUN

U

~ UVN

V

~ UWN

W

L1

I L1

L2

N

L3

U L1N

I PEN

PEN

E

L1

U L1L2=U

I L1N I PE

U L1E

N PE

U NE

Abb. 1.132 Einphasennetz gespeist aus einem Drehstromnetz

Die Zeiger der Leiterspannungen in Abb. 1.129 bilden ein gleichschenkliges p Dreieck. Daher ist p das Verhältnis von den Dreiecks- zu den Sternspannung U =UY D 3. Der Faktor 3 wird Verkettungsfaktor genannt. Durch den zusätzlichen Normalleiter in der NS-Ebene können die zahlreichen Wechselstromverbraucher angeschlossen werden. Er gewährleistet, dass bei ungleichmäßiger Belastung der Außenleiter die Spannung an der Steckdose weitgehend konstant bleibt. Die Wechselströme in den drei Leitern der Drehstromleitung heißen Außenleiterströme oder kurz Leiterströme (Abb. 1.130). Sie sind Sterngrößen und können zu den Sternspannungen eine Phasenverschiebung aufweisen. Die Effektivwerte der drei Leiterströme

1

Grundlagen der Elektrotechnik

105

können sich unterscheiden. Bei gleichmäßiger Belastung der Leitung sind die Effektivwerte der Außenleiterströme gleich groß und untereinander um ˙120ı phasenverschoben. Die vollständigen Bezeichnungen der Ströme und Spannungen sind noch einmal in Abb. 1.131 und 1.132 dargestellt.

Drehstromverbraucher Beispiele für Drehstromverbraucher sind elektrische Durchlauferhitzer, Elektroherde oder Drehstrommotoren. Ihre Anschlusspunkte werden mit U, V, W oder N gekennzeichnet (Tab. 1.10). Die Drehstromverbraucher sind im einfachsten Fall aus drei Zweigen aufgebaut. Das können beim Drehstrom-Asynchronmotor drei Spulen im fest stehenden Gehäuse sein, deren Spulenachsen räumlich um ˙120ı gedreht sind. Eine genaue Beschreibung vom Aufbau der Maschine folgt später. Diese Zweige heißen Stränge. Folglich ist von Strangspannungen und -strömen die Rede. Die Stränge werden im Dreieck oder Stern verschaltet (Abb. 1.133). Bei der Dreieckschaltung liegen die Außenleiterspannungen am Strang an. Bei der Sternschaltung fließen die Außenleiterströme durch die Stränge. Tab. 1.10 Bezeichnung der Außenleiter und Betriebsmittelanschlüsse

Wechselstrom

Gleichstrom

Außenleiter 1 Außenleiter 2 Außenleiter 3 Neutralleiter Positiver Leiter Negativer Leiter Mittelleiter

Schutzleiter PEN-Leiter Erde Fremdspannungsfreie Erde Masse

U

Leiter L1 L2 L3 N C D M PE PEN E TE MM

Anschlüsse U V W N LC L M PE E TE MM

U Z1

Z31

Z12 Z3

Z23 W

V

W

Abb. 1.133 Dreieck- und Sternschaltung mit den Impedanzen der Stränge

Z2 V

106

A. Böker

Sind die Impedanzen eines Verbrauchers in Dreieckschaltung gegeben, können diese in die Impedanzen einer äquivalenten Sternschaltung umgewandelt werden. Z1 D

Z 12 Z 31 Z 12 C Z 23 C Z 31

Z2 D

Z 23 Z 12 Z 12 C Z 23 C Z 31

Z3 D

Z 31 Z 23 Z 12 C Z 23 C Z 31 (1.273)

Das geht auch umgekehrt. Z 12 D Z 1 CZ 2 C

Z1Z2 Z3

Z 23 D Z 2 CZ 3 C

Z2Z3 Z1

Z 31 D Z 3 CZ 1 C

Z3Z1 (1.274) Z2

Bis hierher wurden die Leitungen und Verbraucher mit ihren elektrischen Strömen und Spannungen beschrieben. Nun geht es um die Wirk-, Blind- und Scheinleistung des Drehstromverbrauchers.

1.5.2

Symmetrischer Betrieb und elektrische Leistung

Es geht zuerst um den symmetrischen Betrieb des Drehstromnetzes. Für diesen Fall wird die elektrische Leistung untersucht, die ein Drehstromverbraucher aufnimmt.

Symmetrischer Betrieb Es soll ein symmetrisches Spannungssystem vorliegen. Dann sind die Effektivwerte der drei Außenleiterspannungen gleich und ihre Phasenverschiebungen untereinander 120ı oder 240ı . U12 D U23 D U31 D U

und

U U1 D U2 D U3 D p 3

(1.275)

Wenn zusätzlich die Impedanzen der Leitungen und der Stränge gleich groß sind, wird vom symmetrischen Betrieb gesprochen. Dann sind die drei Leiterströme gleich groß und untereinander um 120ı bzw. 240ı phasenverschoben. Der Neutralleiter ist stromlos. I1 D I2 D I3 D I

und

IN D 0

(1.276)

Bei symmetrischem Betrieb ist in der Dreieckschaltung das Verhältnis vom Leiter- zum p Strangstrom I =Istr D 3. Das stationäre Verhalten des Drehstromnetzes kann mit einem einphasigen Ersatzschaltbild dargestellt werden (Abb. 1.134). Das vereinfacht die Berechnung des Drehstromnetzes erheblich. Der Strom I im einphasigen Ersatzschaltbild ist der Außenleiterstrom. Dagegen ist die Spannung die Sterngröße der Außenleiterspannung U . Entsprechend ist die eingezeichnete Impedanz Z V die Impedanz des Verbrauchers in Sternschaltung. Im einphasigen Ersatzschaltbild wird nur ein Drittel der gesamten Wirk-, Blind- und Scheinleistung umgesetzt.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

L1 L2

U1 U2

L3 N

U3

107

I1

U

I2

V

Verbraucher

I3

W

P, Q, S

IN

N

I

U / √3

~

ZV

P/3 Q/3 S/3

Abb. 1.134 Reduzierung auf ein einphasiges Ersatzschaltbild im symmetrischen Betrieb

Wenn im Drehstromnetz keine Störung vorliegt, kann man vom symmetrischen Betrieb ausgehen. Ausnahme sind Niederspannungsverteilernetze, die in den Leitern unterschiedliche Stromstärken haben. Spätestens beim Erdschluss im Kabelnetz liegt kein symmetrischer Betrieb mehr vor.

Elektrische Leistung Zunächst wird symmetrischer Betrieb vorausgesetzt. Die drei Stränge des Drehstromverbrauchers sollen im Stern oder im Dreieck verschaltet sein. Jeder Strang ist ein einphasiger Wechselstromverbraucher (Abb. 1.135). Seine momentane Leistung pstr .t/ ist das Produkt von Strangspannung und -strom. pstr .t/ D u.t/ i.t/ D uO sin .!t C '/ iO sin .!t/ D

uO iO .cos '  cos .2!t C '// (1.277) Hier wurde wieder zur Vereinfachung 'i D 0 bzw. 'u D ' gesetzt. Die Strangleistung setzt sich aus der momentanen Wirk- und Blindleistung zusammen. 1 2

pstr .t/ D pW .t/ C pB .t/ D UI cos ' .1  cos .2!t// C UI sin ' sin .2!t/

(1.278)

Damit wird von jedem Strang die Wirkleistung Pstr D Ustr Istr cos ' aufgenommen, seine Blindleistung ist Qstr D Ustr Istr sin '. Zur Berechnung der gesamten momentanen Leistung des Drehstromverbrauchers müssen die Phasenverschiebungen der Strangspannungen untereinander berücksichtigt werden

Abb. 1.135 Momentane Wirkund Blindleistung in einem Strang für 'i D 0

2 Pstr pW(t) Pstr |Qstr| pB(t) T/4 ‒|Qstr|

t T/2

108

A. Böker

Abb. 1.136 Zeitlicher Verlauf der drei Strangleistungen und der gesamten Leistung

p(t) = 3 Pstr p1(t)

p2(t)

p3(t)

Pstr T/4

T/2 t

(Abb. 1.136). Dann sind die drei Strangleistungen: p1 .t/ D u1 .t/ i1 .t/ D p2 .t/ D u2 .t/ i2 .t/ D p3 .t/ D u3 .t/ i3 .t/ D

1 2 1 2 1 2

uO iO .cos '  cos .2!t C '// uO iO .cos '  cos.2!t C '  43 //

(1.279)

uO iO .cos '  cos.2!t C '  83 //

Das gilt unabhängig davon, ob eine Stern- oder Dreieckschaltung vorliegt. Die gesamte Leistung p.t/ des Drehstromverbrauchers ist die Summe der drei Strangleistungen. p.t/ D p1 .t/ C p2 .t/ C p3 .t/

(1.280)

Die drei momentanen Blindleistungen der Stränge heben sich zu jedem Zeitpunkt auf. p1B .t/ C p2B .t/ C p3B .t/ D 0

(1.281)

Daher ist die gesamte Leistung gleich der Summe der drei momentanen Wirkleistungen. p.t/ D p1W .t/ C p2W .t/ C p3W .t/

(1.282)

Sie ist im symmetrischen Betrieb zu jedem Zeitpunkt konstant. p.t/ D

3 2

uO iO cos '

(1.283)

In diesem Punkt unterscheidet sich der symmetrische Drehstromverbraucher von einem einphasigen Wechselstromverbraucher, bei dem die über die Leitung transportierte Leistung mit der doppelten Netzfrequenz schwingt. Durch diese Leistungspendelung werden Wechselstromgeneratoren und ihre Turbinen mechanisch belastet. Dagegen arbeiten Drehstromgeneratoren mit nahezu konstanten Drehmomenten. Nur daher können hocheffiziente Dampfturbinen eingesetzt werden. Das ist ein sehr bedeutender Vorteil der Drehstromtechnik.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

109

Abb. 1.137 Momentane Wirk- und Blindleistungen beim Drehstromverbraucher in Sternschaltung

Einspeisung

p1W(t) p1B(t)

~

Verbraucher Z

p2W(t) p2B(t)

~

Z p3W(t) p3B(t)

~

Z

Die Wirkleistung ist das arithmetische Mittel der momentanen Leistung über eine Periodendauer. Daher ist die Gl. 1.283 schon die gesamte Wirkleistung P . 3 2

uO iO cos ' D 3 Ustr Istr cos ' D 3 Pstr D P

(1.284)

Diese wird meistens in Abhängigkeit der Leitergrößen I und U angegeben. Hier unterscheiden sich Stern- und die Dreieckschaltung. Für die Sternschaltung gilt Istr D I

und

U Ustr D p : 3

(1.285)

Ustr D U :

(1.286)

Dagegen ist bei der Dreieckschaltung I Istr D p

und

3

Für beide Schaltungen ist P D

p

3 U I cos ' :

(1.287)

Die Summe der momentanen Blindleistungen der drei einzelnen Stränge verschwindet im symmetrischen Betrieb (Gl. 1.281). Wenn der Leistungsfaktor unter 1 ist, schwingt in jedem Strang des Drehstromverbrauchers die momentane Blindleistung und damit auf jedem Leiter der Drehstromleitung (Abb. 1.137). Das ist wiederum mit Blindstromverlusten verbunden. Die gesamte Blindleistung des Drehstromverbrauchers setzt sich aus den drei Blindleistungen der Stränge Qstr zusammen. Q D 3 Qstr D 3 Ustr Istr sin ' Analog zur Wirkleistung gilt QD

p 3 U I sin ' :

(1.288)

(1.289)

Die gesamte Scheinleistung ist schließlich SD

p

3U I :

(1.290)

110

A. Böker

Befinden sich in den Strängen des Drehstromverbrauchers lineare Widerstände, kann das Verhältnis der gesamten Wirkleistung in Stern- und Dreieckschaltung P =PY angeben werden. Wegen U cos ' (1.291) P D 3 Ustr Istr cos ' D 3 U Z und U U U cos ' D U cos ' (1.292) PY D 3 UstrY IstrY cos ' D 3 p p Z 3 3Z ist

P D3: PY

(1.293)

Bei einem asymmetrischen Verbraucher, der in den Zweigen unterschiedliche Impedanzen hat, ist es zweckmäßig, mit komplexen Größen zu rechnen. Die gesamte Scheinleistung setzt sich dann aus der Summe der Scheinleistung der drei einzelnen Stränge zusammen. S D P C jQ D S 1 C S 2 C S 3 D U 1 I 1 C U 2 I 2 C U 3 I 3 D .P1 C P2 C P3 / C j .Q1 C Q2 C Q3 /

(1.294)

Um eine komplizierte Lastflussrechnung zu vermeiden, wird meistens ein starres Drehstromnetz vorausgesetzt. Dann sind die Außenleiterspannungen, die von der Ortsnetzstation vorgegeben werden, konstant und symmetrisch. Das ist unabhängig davon, wie viel Leistung der Verbraucher aufnimmt. Diese Annahme ist praxisgerecht, da die Bemessungsscheinleistungen der Ortsnetztransformatoren viel größer als die Anschlussleistungen der einzelnen Wechsel- und Drehstromverbraucher sind.

Anhang Maxwellsche Theorie Bei der Darstellung des elektrischen und magnetischen Feldes wird komplett auf die dielektrische Verschiebung D und die magnetische Feldstärke H verzichtet, da es insgesamt einfacher und für die Studierenden verständlicher ist. Diese Vorgehensweise hat zu lebhaften Diskussionen geführt und soll daher an dieser Stelle begründet werden. Für ein tieferes Verständnis ist die Lektüre von [28, 35] zu empfehlen. Im ersten Schritt werden kurz die Differentialoperatoren der Vektoranalysis wiederholt. Weitergehende Information sind in der Literatur wie [44] zu finden. Danach geht es um die klassische Maxwellsche Theorie des elektromagnetischen Feldes, die der schottische Physiker Maxwell 1865 veröffentlichte. Die heute gängigen Notationen kamen später dazu. Diese vier Gleichungen sind in der Beschreibung einer sehr großen Anzahl elektromagnetischer Phänomene sehr erfolgreich gewesen. Nur die Abstrahlung elektromagnetischer

1

Grundlagen der Elektrotechnik

111

Wellen konnte bis 1900 nicht korrekt wiedergegeben werden. Zur erfolgreichen Korrektur erfand Max Planck das Planksche Wirkungsquantum h. Diese Größe taucht in der Quantentheorie auf, die etwas später formuliert wurde. Scheinbare Inkonsistenzen bei der Betrachtung bewegter Systeme führten darüber hinaus 1905 zur Formulierung der speziellen Relativitätstheorie. Die Weiterentwicklung von Feynman namens Quantenelektrodynamik ist die am genauesten überprüfte Theorie in der Physik. Wir werden die Maxwellgleichungen innerhalb vom SI-Einheitensystem in zwei Varianten besprechen. Das sind differentielle Formen, die integralen Formen werden außen vor gelassen. Dabei wird klar werden, welche Bedeutung die vier vektoriellen Feldgrößen E , D, H und B haben. Bei der Interpretation von D und H kann es zu Missverständissen kommen. Es ist für manche Studierende schwer verständlich, worin der Unterschied zwischen E und D einerseits und zwischen H und B andererseits liegt. Das alles kann vermieden werden. Wie das geht und warum das konsistent mit den Maxwellgleichungen ist, wird hoffentlich am Ende deutlich sein.

Elemente der Vektoranalysis Wir beschränken uns auf kartesische Koordinaten. Ein Vektor wie die elektrische Feldstärke E wird bezüglich der Einheitsvektoren e x , e y und e z dargestellt. 2 @ 3 2 3 6 @x 7 6 7 Ex 6 @ 7 6 7 7 r D6 E D 4Ey 5 D Ex e x C Ey e y C Ez e z 6 @y 7 6 7 Ez 4 5 @ @z Die Differentialoperatoren Gradient (grad), Divergenz (div) und Rotation (rot) können mit dem Nabla-Operator r formuliert werden. Der Gradient wird hier nicht gebraucht. Bei der Divergenz wird der Nabla-Operator formal über ein Skalarprodukt mit dem Vektor verknüpft und bei der Rotation ist es das Kreuzprodukt. 2@ 3 E  @z@ Ey @y z 6@ 7 @ @ @ 7 Ex C @y Ey C @z@ Ez rotE D r  E D 6 divE D r  E D @x 4 @z Ex  @x Ez 5 @ @ E  @y Ex @x y Diese Schreibweisen werden nun verwendet.

Maxwellgleichungen – zum einen Für die folgenden vier Maxwellgleichungen existieren im deutschen Sprachraum verschiedene Bezeichnungen wie

112

A. Böker

 grundsätzliche Maxwellgleichungen [27, 35, 45],  Maxwellgleichungen für das Vakuum [46, 47] oder  mikroskopischen Maxwellgleichungen [48]. Das 1. Maxwellsche Gesetz ist das erweiterte Durchflutungsgesetz bzw. das Ampèresche Gesetz. (1.295) r  B D 0 j C 0 "0 @t@ E Das 2. Maxwellsche Gesetz ist das Induktionsgesetz bzw. Faradaysche Gesetz. r  E D  @t@ B

(1.296)

Das 3. Maxwellsche Gesetz ist das Grundgesetz der Elektrostatik bzw. der Gaußsche Satz für das elektrische Feld. (1.297) "0 r  E D Das 4. Maxwellsche Gesetz ist das Grundgesetz des Magnetismus bzw. der Gaußsche Satz für das Magnetfeld. r B D0 (1.298) Diese vier Gesetze lauten zusammengefasst und in etwas anderer Reihenfolge: "0 r  E D r E D

 @t@

r B D0 B

r  B D 0 j C 0 "0

@ @t

(1.299) E

Hier sind die Raumladungsdichte und die elektrische Stromdichte j zu finden. Mit der elektrischen Ladung q und der elektrischen Stromstärke i sind sie definiert als Z dq D j  dA ; (1.300) und iD dV A

wobei mit der die Geschwindigkeit v j D v

(1.301)

gilt. Die elektrische Feldstärke E ist nach Gl. 1.4 mit der Coulombkraft FC und die magnetische Flussdichte B ist nach Gl. 1.103 mit der Lorentzkraft FL verbunden. FC D q E

ŒE D V=m

FL D q .v  B/

ŒB D T

Diese zwei Kräfte bilden die elektrodynamische Kraft nach Gl. 1.104, die die Wirkung des elektromagnetischen Feldes auf elektrische Ladungen charakterisiert. Die Ursache der Felder werden mit den Maxwellgleichungen 1.299 beschrieben. Das sind wiederum elektrische Ladungen, ob ruhend oder bewegt.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

113

Maxwellgleichungen – zum anderen Neben den vier Maxwellgleichungen 1.299 sind vier andere Maxwellgleichungen verbreitet. Auch diese haben unterschiedliche Bezeichnungen verwendet, wie  grundsätzliche Maxwellgleichungen [49–51],  Maxwellgleichungen für Materie [46, 47] oder  makroskopischen Maxwellgleichungen [48]. Sie lauten: r B D0

r  D D f r E D

 @t@

r  H D jf C

B

@ @t

(1.302) D

Hier gibt es zwei weitere vektorielle Feldgrößen. Das sind die dielektrische Verschiebung D im Zusammenhang mit dem elektrischen Feld und die magnetische Feldstärke H . Sie haben die Einheiten ŒD D A s=m2 und ŒH  D A=m. Im SI-Einheitensystem sind es andere physikalische Größen als E und B. Weiterhin ist zu beachten, dass hier f und j f statt und j zu finden sind. Im Zusammenhang mit den Maxwellgleichungen 1.302 sind zwei Materialgleichungen von Bedeutung. Für lineare und isotrope Werkstoffe gilt D D " E D "0 "r E

(1.303)

B D  H D 0 r H :

(1.304)

und Das ist der einfachste Fall. Sind die Größen "r und r von der Richtung abhängig, müssen anstatt Skalare Tensoren eingeführt werden. Bei nichtlinearen Verhalten kann eine Reihenentwicklung gemacht werden, bei Bedarf auch mit Tensoren. Für Dauermagnete ist die Gl. 1.304 wegen H D 0 nicht mehr gültig, was weiter unten begründet wird. Spätestens in solchen Fällen müssen die allgemeinen Materialgleichungen herangezogen werden. Sie lauten (1.305) D D "0 E C P und B D 0 H C 0 M

(1.306)

mit der dielektrischen Polarisation P und der Magnetisierung M . Sie sind die Dichte der elektrischen oder magnetischen Dipolmomente. PD

dpe dV

und

MD

dpm dV

(1.307)

114

A. Böker

Wegen Gl. 1.6 und 1.118 sind ein elektrisches Dipolmoment p e und ein magnetisches Dipolmoment pm über das Drehmoment definiert, das sie im elektrischen bzw. magnetischen Feld erfahren. Zur Erinnerung T D pe  E

und

T D pm  B :

Hier hat das Drehmoment den Formelbuchstaben T , damit es nicht mit der Magnetisierung M verwechselt werden kann. Genau betrachtet sind das Facetten der Coulomb- und Lorentzkraft. Statt der Magnetisierung ist in der Literatur auch die magnetische Polarisation J D 0 M zu finden. An dieser Stelle tauchen einige Fragen auf.  Welches sind nun die grundlegenden Maxwellgleichungen? Wenn Vakuum ein Sonderfall der Materie ist, müssen die Maxwellgleichungen 1.299 aus den Maxwellgleichungen 1.302 folgen. Wie sieht die Herleitung aus?  Warum gibt es im elektrischen Feld zwei unterschiedliche physikalische Größen E und D? Wie unterscheiden sich beide? Wie ist die dieelektrische Verschiebung zu erklären?  Warum werden auch im magnetischen Feld zwei unterschiedliche physikalische Größen H und B verwendet? Wie ist die magnetische Feldstärke definiert?  Welche Bedeutung haben f und j f ? Um es kurz zu machen, die Gl. 1.299 sind die grundsätzlichen Maxwellgleichungen. Sie gelten in Vakuum und Materie und wir werden sie vereinfachend als Maxwellgleichungen bezeichnen. Die Gl. 1.302 sind eine praktikable Lösung, wenn Materie ins Spiel kommt. Wir werden sie Maxwellgleichungen für Materie nennen. Sie beruhen darauf, dass die geladenen Elementarteilchen in gebundene und freie Ladungen und Ströme unterteilt werden. und j D jf C jp (1.308) D f C p Daher rührt hier der Index f, manche Autoren wählen den Index frei [35]. Freie Ladungen und freie Ströme kann man messen. Die vielfältigen Beiträge der gebundenen Elementarteilchen werden effektiv mit den Stoffkonstanten "r und r zusammengefasst. Dafür steht der Index p. Es liegen also immer 6 Gleichungen zu Grunde, 4 Maxwellgleichungen für Materie plus 2 Materialgleichungen.

Interpretation der Maxwellgl. für Materie – Bedeutung von D und H Die Einführung von D und H hat den Vorteil, dass die Maxwellgleichungen für Materie ohne die Naturkonstanten "0 und 0 auskommen. Diese Schreibweise ist sehr elegant. Das hat zum Nachteil, dass es zu Missverständnissen kommen kann. Die Vektoren D und H sind reine Rechen- bzw. Hilfsgrößen. Sie nicht messbar. Jedoch ist eine physikalische Interpretation indirekt möglich.

1

Grundlagen der Elektrotechnik

Tab. 1.11 Bedeutung der traditionellen Feldgrößen modifiziert nach [28]

115 Feldgröße D Bedeutung "0 E 0 Ursache f

H B0 = 0 jf

P "0 E p p

M B p = 0 jp

 Die Größe D="0 ist der Teil von E , der von den freien Ladungsträgern ausgeht. Dieser Teil wird von der Materie im Mittel geschwächt, falls "r > 1. Das folgt aus der Materialgleichung 1.305. Der Teil von E , der von den gebundenen Ladungsträgern verursacht wird, ist P="0 .  Die Größe 0 H ist der Teil von B, der von der Strömung der freien Ladungsträger j f hervorgerufen wird. Daher gilt bei Dauermagneten H D 0. Der andere Teil ist 0 M . Falls r > 1, verstärkt die Materie das Magnetfeld im Mittel. Das besagt die Materialgleichung 1.306. Die vektoriellen Feldgrößen D und H sind Anteile von E bzw. B und keine eigenständigen Felder. Es bietet sich an, E 0 D D="0 und B0 D 0 H einzuführen. Damit sind die 4 Maxwellgleichungen für Materie "0 r  E 0 D f

r B D0

r  E D  @t@ B

r  B0 D 0 j f C 0 "0

@ @t

(1.309) E0

sowie die Materialgleichungen 1.305 und 1.306 "0 E D "0 E 0  P

und

B D B0 C 0 M D B0 C J :

(1.310)

Die dielektrische Polarisation und die Magnetisierung können zusätzlich mit E p D P="0 und B p D 0 M D J substituiert werden. Ihre Felder sind ebenso Anteile von E und B. Damit vereinfachen sich die Materialgleichungen zu E D E0 C Ep

und

B D B0 C B p :

(1.311)

In Tab. 1.11 ist noch einmal alles zusammengefasst. Es ist also möglich, komplett auf D und H zu verzichten.

Materialkonstanten ohne D und H Insgesamt ist das alles Studierenden im 2. Semester an der Fachhochschule, die Elektrotechnik im Nebenfach belegen, nicht zumutbar. Daher werden die Größen D und H komplett weggelassen. Das erspart die vorangegangene Interpretation der Maxwellgleichungen für Materie. Es werden nur die vektoriellen Feldgrößen E und B verwendet, die durch die Coulomb- und Lorentzkraft definiert sind. Die Stoffkonstanten "r und r werden ohne Kenntnis der Maxwellgleichungen und ohne Kenntnis von D und H mit der elektrischen Polarisation P und der Magnetisierung

116

A. Böker

M nach Gl. 1.307 erklärt. In Tab. 1.12 sind noch einmal die Definitionen der elektrischen und magnetischen Dipolmomente zusammen mit den Definitionen der elektrischen und magnetischen Polarisation gegenübergestellt. Dazu kommen die Feldanteile der Materie. Das alles gilt grundsätzlich. Im einfachsten Fall hat man es mit linearen und isotropen Materialien zu tun (Tab. 1.13). Das ist anschaulich und kann in den entsprechenden Abschnitten über Materie im elektrischen und magnetischen Feld detaillierter nachgelesen werden.

Tab. 1.12 Materie in elektrischen und magnetischen Feldern Elektr. Dipolmoment p e T D pe  E Magn. Dipolmoment p m T D pm  B

Elektrische Polarisation dpe dV Magnetisierung dpm dV

Feldanteil 1 dpe Ep D  "0 dV Feldanteil dpm B p D 0 dV

Tab. 1.13 Lineare und isotrope Materialien in elektrischen und magnetischen Feldern + + + + +

− − − − −

E p D e E "r D 1 C  e

B p D m B 0 r D 1 C  m

"r < 1

Diaelektrische Polarisation "r D 1 Keine Polarisation "r > 1 Paraelektrische Polarisation r < 1 Diamagnetismus r D 1 Kein Magnetismus r > 1 Paramagnetismus

Isoliergas SF6 H2 O Molekül – Gehäuse einer GIS Alkalimetalle, O2 , NO2

1

Grundlagen der Elektrotechnik

117

SI-Einheiten Tab. 1.14 SI-Basiseinheiten Basisgröße Länge Masse Zeit

Elektrische Stromstärke

Temperatur

Stoffmenge

Lichtstärke

Basiseinheit Definition Name Zeichen Meter m Das Meter ist die Länge der Strecke, die Licht im Vakuum während der Dauer von (1/299.792.458) Sekunden durchläuft Kilokg Das Kilogramm ist die Einheit der Masse; es ist gleich der gramm Masse des Internationalen Kilogrammprototyps Sekunde s Die Sekunde ist das 9.192.631.770fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133 Cs entsprechenden Strahlung Ampere A Das Ampere ist die Stärke eines konstanten elektrischen Stromes, der, durch zwei parallele, geradlinige, unendlich lange und im Vakuum im Abstand von einem Meter voneinander angeordnete Leiter von vernachlässigbar kleinem, kreisförmigem Querschnitt fließend, zwischen diesen Leitern je einem Meter Leiterlänge die Kraft 2  107 Newton hervorrufen würde Kelvin K Das Kelvin, die Einheit der thermodynamischen Temperatur, ist der 273,16te Teil der thermodynamischen Temperatur des Tripelpunktes des Wassers Mol mol Das Mol ist die Stoffmenge eines Systems, das aus ebenso vielen Einzelteilchen besteht, wie Atome in 0,012 Kilogramm des Kohlenstoffnuklids 12 C enthalten sind. Bei Benutzung des Mol müssen die Einzelteilchen spezifiziert sein und können Atome, Moleküle, Ionen, Elektronen sowie andere Teilchen oder Gruppen solcher Teilchen genau angegebener Zusammensetzung sein Candela cd Die Candela ist die Lichtstärke in einer bestimmten Richtung einer Strahlungsquelle, die monochromatische Strahlung der Frequenz 540  1012 Hertz aussendet und deren Strahlstärke in dieser Richtung (1/683) Watt durch Steradiant beträgt

118

A. Böker

Tab. 1.15 SI-Vorsätze Potenz 1024 1021 1018 1015 1012 109 106 103 102 101

Name Yotta Zetta Exa Peta Tera Giga Mega Kilo Hekto Deka

Zeichen Y Z E P T G M k h da

Potenz 101 102 103 106 109 1012 1015 1018 1021 1024

Name Dezi Zenti Milli Mikro Nano Piko Femto Atto Zepto Yocto

Zeichen d c m  n p f a z y

1

Grundlagen der Elektrotechnik

119

Kapazitäten und Induktivitäten Tab. 1.16 Kapazitäten und elektrische Feldstärken verschiedener Elektrodenanordnungen nach [49] (" D "0 "r ) Platten-Kondensator C D " A=d

A

ε

E D U=d

d

ε1 ε2

A

C D

A d2 d1 C "1 "2



E1.2/ D "1.2/

U  d2 d1 C "1 "2

d1 d2

Zylinder-Kondensator 2"l C D r 2 ln r1

r2

ε r1

C D

r2

ε2 ε1

r1

2l r2 1 r3 1 ln C ln "1 r1 "2 r2

U

ED

r ln

E1.2/ D

r2 r1

.r1 r r2 /

1 r 1 r3 1 "1.2/ r 2 ln C ln "1 r1 "2 r2 U

r3

Kugel-Kondensator r1 r2 C D 4" r2  r1

r2

ε r1

r

r

2a x

Kugel-Kugel-Anordnung 2" C 4 1 1  r 2a

E D U r1 r2 r 2 r2  r1

 U E

Kugel-unendlich

r x

C D 4"r

EDU

r x2

.r1 r r2 /

1 1 C x2 .2a  x/2 2 1  3 a



120

A. Böker

Tab. 1.16 (Fortsetzung) Parallele Leiter "l # C D " r  a 2 a C ln 1 r r ED

r

r

2a x



p a2  r 2 U 2 a  r 2  x2 # " r  a 2 a ln 1 C r r



p a2  r 2 2U 2  r 2  x2 # " a r  a 2 a ln 1 C r r

"l für a r ln 2a r Einzelleiter-Erde 2"l # C D " r  a 2 a C ln 1 r r ED

r a x

2"l ln 2a r

für a r

Tab. 1.17 Induktivitäten verschiedener geometrischer Anordnungen nach [49] r

Parallele runde Leiter

L D .0 r = / l ln.a=r/ C 14

r a

Parallele rechteckige Leiter L D .20 r =/ l ln Œ1 C b=.b C h/ für a b, h L D .0 r =/ l2b=.h C b/ für a b, h und b h

b a b h

Koaxialleiter L D .0 r =2/ l ln .r2 =r1 / ohne Innenleiter und Mantel

r2 r1

Ring

L D 0 r R ln.R=r/ C 14

R

2r

Spule mit Ringkern L D N 2 0 r .b=2/ ln.r2 =r1 / r2 r1

b

2r l

Lange Luftspule r  1 L  N 2 0  r 2 = l

1

Grundlagen der Elektrotechnik

121

Datenblätter Tab. 1.18 Beispiele für Permittivitätszahlen "r nach [49] Argon Aceton Bariumtitanat Benzol Bernstein Condensa Diethylether Epoxydharz Ethylalkohol Germanium Glas Glimmer Glycerin Hartgummi Helium Holz Kabelvergussmasse Kabelpapier, imprägniert Kabelöl Keramiken Kohlendioxid Luft, 0 ı C, trocken Marmor Methylalkohol

1,000504 21,4 1000: : :9000 2,3 2;2: : :2;9 40: : :80 4,3 3,7 25,1  16 2: : :16 4: : :9 41,1 2;5: : :5 1,000066 2;5: : :6;8 2,5 4: : :4;3 2,25 bis 4000 1,000985 1,000594 8;4: : :14 33,5

Mikanit Nitrobenzol Paraffinöl Petroleum Pertinax Phenoplaste Plexiglas Polyethylen Porzellan PVC Quarzglas Sauerstoff Schellack Silikonöl Silizium Stickstoff Styroflex Styropor Teflon Transformatorenöl Vakuum Wasser, destilliert Wasserstoff Zellulose

4;0: : :6;0 35,5 2,2 2,2 3;5: : :5;5 5: : :7 3: : :4 2;2: : :2;7 4;5: : :6;5 3;1: : :3;5 3;2: : :4;2 1,000486 2;7: : :4 2;2: : :2;8  12 1,000528 2,5 1;1: : :1;4 2,1 2;2: : :2;5 1,000000 81 1,000252 3: : :7

122

A. Böker

Tab. 1.19 Spezifischer Widerstand 20 , spezifischer Leitwert 20 , linearer und quadratischer Widerstandsbeiwert ˛20 und ˇ20 verschiedener Materialien bei einer Referenztemperatur von 20 ı C nach [3]      20 = mm2 =m 20 = S m=mm2 ˛20 = 103 K1 ˇ20 = 106 K2 Reinmetalle Aluminium Blei Eisen Gold Kupfer Nickel Platin Quecksilber Silber Zinn Legierungen Konstantan (55 %Cu, 44 %Ni, 1 %Mn) Manganin (86 %Cu, 2 %Ni, 12 %Mn) Messing Kohle, Halbleiter Germanium (rein) Graphit Kohle (Bürstenkohle) Silizium (rein) Elektrolyte Kochsalzlösung (10 %) Schwefelsäure (10 %) Kupfersulfatlösung (10 %) Wasser (rein) Wasser (destilliert) Meerwasser Isolierstoffe Bernstein Glas Glimmer Holz (trocken) Papier Polystyrol Porzellan Transformator-Öl

0,027 0,21 0,1 0,022 0,017 0,07 0,098 0,97 0,016 0,12

37 4,75 10 45,2 58 14,3 10,5 1,03 62,5 8,33

4,3 3,9 6,5 3,8 4,3 6,0 3,5 0,8 3,6 4,3

0,5

2

0;04

0,43

2,27

˙0;01

0,066

15

0;46  106 8,7 40 : : : 100 2;3  109

2;2  106 0,115 0;01 : : : 0;025 0;43  109

79  103 25  103 300  103 2;5  1011 4  1010 300  103

12;7  106 40;0  106 3;3  106 4;0  1010 2;5  109 3;3  106

1022 1017 : : : 1018 1019 : : : 1021 1015 : : : 1019 1021 : : : 1022 bis 1022 bis 5  1018 1016 : : : 1019

1,5

0;2 : : :  0;8

1,3 2,0 6,0 0,5 0,6 9,0 0,6 1,2 0,7 6,0

1

Grundlagen der Elektrotechnik

123

Die Angaben in der Tab. 1.19 weichen teilweise von den Angaben in [6] ab. Dort sind z. B. für die spezifische Leitfähigkeit von Kupfer die Werte 20 D 55 : : : 56 Sm=mm2 (hartes Kupfer) und 20 D 57 Sm=mm2 (weiches Kupfer) zu finden. Für weiches Kupfer wird dort ein linearer Widerstandsbeiwert von 3,7 bis 4;3  103 K1 angegeben. Tab. 1.20 Permeabilitätszahlen r für verschiedene Materialien nach [1] und [2]

Diamagnetische Stoffe (r < 1) Aluminiumoxid 0,9999864 Kupfer 0,9999904 Wasser 0,99999097 Paramagnetische Stoffe (r > 1) Aluminium 1,0000208 Eisen bei 800 ı C 1,149 ı Eisen bei 1200 C 1,00259 Sauerstoff 1,00000186

Tab. 1.21 Remanenzflussdichte B R , Koerzitivfeldstärke H C und relative Permeabilität r für technisch relevante magnetische Legierungen nach [51]

Werkstoff BR =T Hartmagnetische Metalle Kohlenstoffstahl 1:::2 Chromstahl 0,992 Wolframstahl 1,1 Cobaltstahl 0,93 Vicalloy 0,97 KS-Magnetstahl 1 Tromalit 0,4 Weichmagnetische Metalle E-Eisen (1 geglüht) 1,08 E-Eisen (2 geglüht) 0,085 E-Eisen 0,3 Permalloy – Nicalloy 1,4 Hyperm 50 1,5 Mumetall 0,8

HC =.A=m/ r 4000 5200 4800 18.160 24.000 19.200 60.000

– – – – – – –

30,4 12 7,68 >8 24 6,8 5

14.600 4900 19.400 100.000 10.000 28.000 100.000

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Grundlagen der Elektrotechnik

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A. Böker

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Niederspannungsnetze im Gebäude Andreas Böker und Hartmuth Paerschke

2.1

Überblick

Andreas Böker In Abb. 2.1 ist die vertikal integrierte Struktur der deutschen Stromversorgung dargestellt. Die Verbindungen zwischen den Spannungsebenen werden durch die Drehstromtransformatoren hergestellt. Diese sind in Umspannwerken, Umspannstationen und Ortsnetzstationen untergebracht. Die horizontalen Verbindungen zwischen den Stationen werden mit Freileitungen oder Kabeln gebildet. In den Stationen werden die Schalthandlungen durchgeführt, die Leitungen werden dort ein- und ausgeschaltet. Hier ist auch die gesamte Sekundärtechnik untergebracht. Das umfasst die Messeinrichtungen, Schutzsysteme sowie die Stations- und Netzleittechnik. Die Höchstspannungsebene mit ihren Bemessungsspannungen 380 kV und 220 kV bildet im Wesentlichen die Transportebene. Sie ist Teil des europäischen Verbundnetzes, in dem die Transportnetzbetreiber die Leistungs-Frequenz-Regelung untereinander koordinieren. Hier speisen die großen Kraftwerksblöcke ein. Nach Abschaltung der Kernkraftwerke (KKW) sind das Dampfkraftwerke (DKW) oder Gas-und-DampfturbinenKraftwerk (GuDKW), die mit Stein-, Braunkohle oder Erdgas befeuert werden. Die Richtung des Lastflusses auf den Leitungen kann in die eine oder andere Richtung zeigen. Das ändert sich mit dem Schaltzustand und den Ein- und Ausspeisungen, die wiederA. Böker () FB EGU, Fachhochschule Münster Steinfurt, Deutschland E-Mail: [email protected] H. Paerschke Fakultät 05 – Energie- und Gebäudetechnik, Hochschule München München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 127 A. Böker, H. Paerschke, E. Boggasch, Elektrotechnik für Gebäudetechnik und Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20971-1_2

2

128

A. Böker und H. Paerschke

Höchstspannungsnetze

Nachbarnetze

380 kV

KKW

OffshoreWindparks > 300 MVA

DKW > 700 MW 380/220 kV 220 kV

DKW

WKW 300...700 MW

Hochspannungsnetze 220/110 kV

110 kV

380/110 kV Direktumspannung

Industriekraftwerke Windparks

Industrieabnehmer 10/20 kV

Mittelspannungsnetze

WEA Industrie öffentliche Einrichtungen Niederspannungsnetze PVA

Abb. 2.1 Aufbau des elektrischen Energieversorgungsnetzes in Deutschland

um vom Wochentag, der Tageszeit und dem Wetter abhängig sind. Die untergeordnete Netzebene 110 kV wird aus dem überlagerten Netz gespeist. In städtischen Ballungsräumen dient sie als Verteilernetz und in ländlichen Gebieten als regionales Transportnetz. Unterhalb der Hochspannungsebene wird die Energie zu den Verbrauchern verteilt. Der Leistungsfluss zeigt in Richtung der Verbraucher, manche sprechen vom unidirektionalen Lastfluss. Sonderkunden wie z. B. Industriebetriebe werden direkt an die Hoch- oder Mittelspannung angeschlossen. Dagegen werden Tarifabnehmer einheitlich von der 0,4kV-Ebene versorgt. Die Zahl der Transformatoren und die Leitungslängen sind beachtlich (Tab. 2.1). Durch den Trend zur vermehrten Stromerzeugung aus regenerativen Energiequellen verändert sich das gesamte System deutlich. An der deutschen Nord- und Ostseeküste entstehen Offshore-Windparks, die direkt an das Übertragungsnetz angeschlossen wer-

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

129

Tab. 2.1 Stromkreislängen und geschätzte Zahl der Transformatoren (Oberspannungsseite) in Deutschland, Quelle: VDN Jahresbericht 2006 NS MS U D 0;4 kV 6 kV U 60 kV Stromkreis- 1.067.100 493.000 längen/km Anzahl der – 557.500 Trafos

HS 60 kV < U < 220 kV 75.200

HöS Gesamt U D 220=380 kV 36.000

1.671.300

7500

1100

566.300

Abb. 2.2 Traditionelles Netz und Smart Grid nach [1]

den. Das wird wiederum mit Hochspannungs-Gleichstrom-Leitungen ausgebaut, um die elektrische Energie von Nord nach Süd zu transportieren. Hier findet eine Zentralisierung der Erzeugung statt. Einzelne Windkraftanlagen (WKA), kleinere Windparks und PV-Anlagen (PVA) sind an die Verteilernetze angebunden. Hier ist die Erzeugung dezentralisiert. Dadurch kann es in manchen Fällen zur Umkehr der Lastflussrichtung auf den Leitungen kommen. Weiterhin ist man bestrebt, durch eine intelligente Steuerung die Energieeffizienz zu erhöhen. Diese Entwicklungen werden unter dem Stichwort Smart Grid zusammengefasst (Abb. 2.2). Ein Smart Grid ist ein elektrisches Netz, das die Aktionen aller seiner Nutzer – Erzeuger, Verbraucher und Speicher – intelligent integriert, um die effiziente, nachhaltige, wirtschaftliche und sichere Elektroenergieversorgung zu gewährleisten [2, 3]. Niederspannungsnetze werden meistens über Ortsnetzstationen aus dem übergeordneten Mittelspannungsnetz gespeist (Abb. 2.3). Verteilungsnetzbetreiber sind für den Betrieb der Netze bis zum Hausanschlusskasten (HAK) verantwortlich. Unterhalb der Hausanschlusssicherungen im HAK ist das Netz in der Obhut des Anschlussnehmers. Einzige Ausnahme ist der Zähler vom grundzuständigen Messstellenbetreiber. Zähler und HAK sind verplombt. Manche Industrieunternehmen sind direkt am Mittelspannungsnetz ange-

130

A. Böker und H. Paerschke

MS

Hausanschluss

NS

L1 L2 L3 PEN

N HAK L1 L2 L3 ≥ 20 m Betriebserdung ZV1 Stationserdung (Schutzerdung)

ZV2 M

Fundamenterdung

N PE

Abb. 2.3 Ortsnetzstation mit Niederspannungsversorgung nach [4]

schlossen. Sie betreiben die Transformatoren und die kompletten Niederspannungsnetze in eigener Regie. Im Weiteren werden wir uns ausschließlich auf Niederspannungsverteilungen in Gebäuden und Liegenschaften konzentrieren. Das wesentliche Regelwerk dazu ist die DIN VDE 0100 (Abb. 2.4). Zur weiteren Vertiefung der Themen wird auf Lehr- und Fachbücher wie [5–10] verwiesen. Bei der Planung, Errichtung, Prüfung und dem Betrieb der Anlagen müssen eine Reihe von Kriterien berücksichtigt werden.  Die Gesundheit und das Leben von Mensch und Tier sollen möglichst nicht gefährdet werden.  Die Betriebsmittel müssen vor unzulässigen Überströmen geschützt werden, damit keine Brände entstehen. Genauso müssen sie den mechanischen Wirkungen von Kurzschlussströmen stand halten.  Überspannungen müssen sicher ins Erdreich abgeleitet werden. Wir werden uns zunächst auf den Schutz gegen elektrischen Schlag konzentrieren. Danach geht es Niederspannungs-Schaltgeräte und Netzsysteme, die für die Schutzmaßnahmen von wesentlicher Bedeutung sind. Zum Abschluss wird die Auslegung der elektrischen Leitungen erklärt.

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

DIN VDE 0100

131

Errichten von Starkstromanlagen mit Nennspannungen bis 1000 V

Gruppe 100 Anwendungsbereich, allgemeine Anforderungen

Gruppe 200 Allgemeingültige Begriffe

Gruppe 300

Gruppe 400

Gruppe 500

Gruppe 600

Allgemeine Angaben zur Planung elektrischer Anlagen

Schutzmaßnahmen

Auswahl und Errichtung elektrischer Betriebsmittel

Prüfungen

Teil 410: Schutz gegen gefähliche Körperströme

Teil 510: Allgemeines

Teil 600: Erstprüfung mit den Abschnitten:

Teil 420: Schutz gegen thermsche Einflüsse

Teil 520: Kabel, Leitungen, Stromschienen

Teil 430: Schutz von Kabeln und Leitungen bei Überstrom

Teil 530: Schalt- und Steuergeräte

Teil 440: Schutz gegen Überspannungen

Teil 540: Erdung, Schutzleiter, Potentialausgleichsleiter

Teil 450: Schutz bei Unterspannungen

Teil 550: Sonstige elektrische Betriebsmittel

Teil 460: Schutz durch Trennen und Schalten

Teil 560: Elektrische Anlagen für Sicherheitszwecke

- Besichtigen - Erproben und Messen - Schutzleiter und Potentialausgleich - Schutz durch sichere Trennung - Isolationswiderstand - Schutz durch automatische Abschaltung - Spannungspolarität - Spannungsfestigkeit - Funktionsprüfungen

Teil 300: Allgemeine Angaben zur Planung elektrischer Anlagen mit den Abschnitten: - Leistungsbedarf - Gleichzeitigkeitsfaktor - Stromerzeugung - Netzformen - Aufteilung in Stromkreise - Äußere Einflüsse - Verträglichkeit - Wartbarkeit

Teil 470: Anwendung von Schutzmaßnahmen Teil 480: Auswahl von Schutzmaßnahmen

Gruppe 700 Betriebsstätten, Räume und Anlagen besonderer Art

Teil 701: Räume mit Badewanne … Teil 7 … … oder Dusche

Abb. 2.4 Überblick über die DIN VDE 0100

… Teil 7 … …

… Teil 7 … …

… Teil 7 … …

132

A. Böker und H. Paerschke

2.2 Schutz gegen elektrischen Schlag Andreas Böker Fließt elektrischer Strom durch Mensch oder Tier, wird die physiologische Wirkung als elektrischer Schlag bezeichnet. Wir werden Maßnahmen betrachten, die das Risiko eines elektrischen Schlags mindern bzw. minimieren. Pathophysiologische (schädigende) Effekte sollen möglichst nicht auftreten. Dazu wird zuerst ein Überblick über mögliche Fehler in elektrischen Anlagen gegeben.

2.2.1

Fehler in elektrischen Anlagen

Fehler können auftreten. Anlagen altern, Isoliermaterial verändert sich im Laufe der Jahre. Es gibt Wettereinflüsse wie Sturm und Blitz. Auch Menschen machen Fehler.

Fehlerarten Auf einer Drehstromleitung kann ein symmetrischer dreipoliger Kurzschluss (KS) entstehen. Alle anderen Fehler sind asymmetrisch (Abb. 2.5). Nach [4] sind etwa 80 % aller Fehler in Freileitungsnetzen einpolige Erdfehler wie ein  Erdschluss (Verbindung zwischen Außenleiter und Erde) oder ein  Erdkurzschluss (Erdschluss in Netzen mit niederohmig geerdeten Transformatorsternpunkten). Weitere asymmetrische Fehler sind ein  Doppelerdschluss (zwei Erdschlüsse an verschiedenen Leitern und Orten), ein  zweipoliger Kurzschluss ohne Erdberührung, ein  zweipoliger Kurzschluss mit Erdberührung (zwei Erdschlüsse am selben Ort und an verschiedenen Leitern), ein

1

2

3

4

5

6

7

L1 L2 L3 PEN

M 3~

E Abb. 2.5 Einfachfehler in Netzen mit geerdeten Sternpunkt nach [11]

1 dreipoliger KS 2 zweipoliger KS ohne Erdberührung 3 einpoliger KS 4 Erdschluss 5 zweipoliger KS mit Erdberührung 6 Leiterschluss 7 Körperschluss

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

ZT

133

ZL

RF

ZT ZL RF RK RSt RA RB

L1 L2 L3 N

IF RK

UT UF

RB

RA

RSt Bezugserde

IF UT UF

Transformatorimpedanz Leitungsimpedanz Fehlerwiderstand Körperwiderstand Standortwiderstand Anlagenerdungswiderstand Betriebserdungswiderstand vom Transformator Fehlerstrom Berührungsspannung Fehlerspannung

Abb. 2.6 Körperschluss mit Fehler- und Berührungsspannung

 Leiterschluss (Nutzwiderstand im Fehlerstromkreis), ein  Körperschluss (durch einen Fehler entstandene leitende Verbindung zwischen Körper und aktiven Teilen elektrischer Betriebsmittel) und eine  Leiterunterbrechung. Ein Kurzschluss ist vollkommen, wenn im Fehlerstromkreis kein Fehlerwiderstand vorhanden ist. Manche sprechen auch von satten oder direkten Kurzschlüssen. Sonst ist der Kurzschluss unvollkommen. Beispielsweise kann eine defekte Isolierung in einem Kabel einen Übergangswiderstand haben.

Fehlerstrom und Berührungsspannungen Wir betrachten einen Körperschluss, bei dem ein Mensch das unter Spannung stehende und geerdete Gehäude berührt (Abb. 2.6). Über den Isolationsfehler fließt der Fehlerstrom IF . Dessen Größe ist von den unterschiedlichen Impedanzen in der Strombahn abhängig. Die werden zusammengefasst als Schleifenimpedanz bezeichnet [7]. Hinsichtlich der Berührungsspannung, die am Körper von Mensch oder Tier abfällt, werden zwei Fälle unterschieden.  Solange es keinen Kontakt mit der Anlage gibt und durch den Körper kein Strom fließt, liegt die prospektive oder unbeeinflusste Berührungsspannung UPT an. Das ist der maximale Wert bei einem bestimmten Fehler.  Fließt Strom durch den Körper, ist der Körperwiderstand parallel zu anderen Widerständen, so dass die Berührungsspannung UT sinkt (UT < UPT ). Die wird auch Berührungsspannung über den Körper genannt. Die vereinbarten Grenzwerte für die höchstzulässige Berührungsspannung sind nach Tab. 2.2 festgelegt. Grundsätzlich wird das Berühren durch Mensch und Tier in zwei Kategorien eingeteilt. Das sind das direkte Berühren und das indirekte Berühren. Das direkte Berühren ist

134

A. Böker und H. Paerschke

Tab. 2.2 Maximale dauerhaft zulässige Berührungsspannungen

AC DC

Mensch 50 V 120 V

Tier 25 V 60 V

das Berühren von aktiven Teile. Das sind Leiter oder leitfähige Bereiche, die im üblichen Betrieb unter Spannung stehen sollen. Das schließt den Neutralleiter ein, jedoch nicht den PEN-, PEM und PEL-Leiter [9]. Beim indirektem Berühren kommt es zum Kontakt zu metallischen Körpern bzw. Gehäusen, die durch einen Fehler unter Spannung stehen. Ein Beispiel dazu ist der Körperschluss in Abb. 2.6. An die Unterteilung in direktes und indirektes Berühren orientieren sich die Schutzmaßnahmen, die sich nun anschließen.

2.2.2

Schutzmaßnahmen

Es gibt im Wesentlichen zwei Bereiche bei den Schutzmaßnahmen. Das sind der Basisund der Fehlerschutz (Abb. 2.7). Ergänzend kann es noch zusätzlichen Schutz geben. Der Basisschutz wird auch Schutz gegen direktes Berühren oder Schutz gegen elektrischen Schlag unter normalen Bedingungen genannt. Es dürfen also keine fehlerhaften Bedingungen bzw. Fehlzustände vorliegen. Der Fehlerschutz heißt auch Schutz bei indirektem Berühren oder Schutz gegen elektrischen Schlag unter Fehlerbedingungen. Hier wird ein Einzelfehler vorausgesetzt.

Basisschutz Nach DIN VDE 0100-410 werden für Niederspannungsanlagen die Vorkehrungen für den Basisschutz in Vorkehrungen für normale Bedingungen und für besondere Bedingungen unterteilt. Die Vorkehrungen für besondere Bedingungen gelten nur für Anlagen, die von Elektrofachkräften oder elektrotechnisch unterwiesenen Personen betrieben und überwacht werden. Die Basisisolierung soll das Berühren von Leitern oder leitfähigen Teilen verhindern, die im üblichen Betrieb unter Spannung stehen (Tab. 2.3). Das bietet den grundsätzlichen Schutz gegen gefährliche Körperströme. Dazu zählen neben der    

Isolierung eine Umhüllung, eine Abdeckung und ein Hindernis.

Die Isolierung darf nur durch Zerstörung entfernbar sein. Abdeckungen und Umhüllungen müssen bestimmte Schutzarten (IP-Code) erfüllen. Bei besonderen Bedingungen sind auch Hindernisse oder die Anordnung außerhalb des Handbereichs hinreichend. Hindernisse sollen nur vor unbeabsichtigten Berühren von Leitern oder leitfähigen Teilen

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

135 Kleinspannung SELV; PELV

Schutz gegen direktes Berühren

Schutz bei indirektem Berühren Begrenzung von Berührungsstrom und Ladung

vollständiger Schutz

Schutz durch Abschaltung oder Meldung Überstrom-Schutzeinrichtung

Isolierung TN-System

RCD

Abdeckung

Überstrom-Schutzeinrichtung Umhüllung TT-System

RCD FU-Schutzeinrichtung

teilweiser Schutz

Überstrom-Schutzeinrichtung IT-System

Hindernisse

RCD Isolationsüberwachungseinrichtung

Abstände Schutzisolierung Schutz durch nicht leitende Räume

zusätzlicher Schutz

Schutz durch erdfreien, örtlichen Potentialausgleich

RCD

ein Verbrauchsmittel Schutztrennung mehrere Verbrauchsmittel

Abb. 2.7 Schutzmaßnahmen nach DIN VDE 0100-410

Tab. 2.3 Basisisolierungen (Fotos: Siemens [12] und Westnetz [13]) Isolierung

Hindernis

Abstand

136

A. Böker und H. Paerschke

schützen, nicht jedoch vor einem absichtlichen Kontakt. Bei der Anordnung außerhalb des Handbereichs sollen leitfähige Teile mindestens 2,5 m voneinander angeordnet werden, wenn Sie unterschiedliches elektrisches Potential haben. Dadurch sind sie nicht gleichzeitig berührbar.

Fehlerschutz Nach [9] zählen zum Fehlerschutz die Maßnahmen    

automatische Abschaltung der Stromversorgung und Potentialausgleich, Kleinspannungen, Schutzisolierung (zusätzliche, doppelte oder verstärkte Isolierung) und Schutztrennung (sichere Trennung eines Stromkreises gegen andere Stromkreise oder gegen Erde)  Schutz durch nicht leitende Umgebung. In TN- und TT-Netzen schalten die Automaten die Anlage augenblicklich spannungslos, wenn sie einen Fehler erkennen. Wie die Niederspannungs-Schaltgeräte in diesen Netzsystemen genau funktionieren, wird später in den Abschn. 2.3 und 2.4 erklärt. Dann wird auch verständlich, warum IT-Netze bei einem einfachen Fehler weiter betrieben werden können. Es erfolgt nur ein Alarm bzw. eine Meldung von einem Isolationswächter. Wesentlicher Bestandteil dieser Maßnahmen ist der Potentialausgleich, bei dem alle leitenden Teile, die nicht zum Betriebsstromkreis gehören, über die Potentialausgleichsschiene mit der Erdungsanlage vor Ort galvanisch verbunden sind (Abb. 2.23).

Schutzkleinspannungen Kleinspannungen tragen das Kürzel ELV (englisch Extra Low Voltage). In der Umgangssprache wird auch von Niedervolt oder Schwachstrom gesprochen. Der nach IEC 60449 festgelegte Spannungsbereich von AC

U 50 V

Leiter-Leiter-Spannung

DC U 120 V Spannung zwischen Leiter LC und L darf nicht überschritten werden. Das gilt für geerdete, isolierte und nicht wirksam geerdete Netze. Es wird zwischen SELV- und PELV-Systemen unterschieden (Abb. 2.8). Die Bezeichnung SELV (englisch Safety Extra Low Voltage) steht für Sicherheitskleinspannung in einem nicht geerdeten System. Quellen für SELV sind beispielsweise Batterien, Klingeltransformatoren, Trafos für Modelleisenbahnen und Netzteile in Geräten der Schutzklasse III wie Steckernetzteile oder Ladegeräte. PELV (englisch Protective Extra Low Voltage) ist die Abkürzung für Funktionskleinspannung, die früher Funktionskleinspannung mit sicherer Trennung genannt wurde. Wenn aus betrieblichen Gründen aktive Leiter der Kleinspannung oder die Körper der Betriebsmittel geerdet werden müssen, wird PELV eingesetzt. Ein Beispiel dazu sind explosionsgefährdete Räume, bei denen zur Vermeidung von Funkenbildung in Behältern einen Potentialausgleich realisiert wird.

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

L1 N PE

137

~ 50 Hz 230 V L1

~ 50 Hz 230 V

N PE

Transformator

AC ≤ 50 V

Sicherheitstransformator

Transformator mit Gleichrichter L−

L+

~

DC ≤ 120 V

geerdete Kleinspannungsseite

Abb. 2.8 Kleinspannungen SELV und PELV

Schutzarten und Schutzklassen von elektrischen Betriebsmitteln Für die Gehäuse der elektrischen Betriebsmittel sind Schutzarten definiert, die in DIN VDE 0470-1 bzw. EN 60525 und IEC 60529 veröffentlicht sind. Es werden damit der  Schutz von Personen gegen direktes Berühren aktiver Teile (Berührungsschutz), der  Schutz des Betriebsmittels gegen Eindringen von festen Fremdkörpern (Fremdkörperschutz) und der  Schutz der Betriebsmittel gegen schädliche Einwirkungen durch das Eindringen von Wasser (Wasserschutz) festgelegt. Dazu dient die IP-Kennzeichnung bzw. der IP-Code, der neben dem Kürzel IP (englisch International Protection) aus mindestens zwei Kennziffern aufgebaut ist (Abb. 2.9). Die erste Kennziffer charakterisiert den Berührungs- und Fermdkörperschutz, die zweite den Wasserschutz (Tab. 2.4). Wenn die erste oder zweite Kennziffer nicht angegeben werden muss, ist sie durch den Buchstaben X zu ersetzen.

IP

Code Kennung erste Kennziffer (Ziffer 0 bis 6 oder Buchstabe X) zweite Kennziffer (Ziffer 0 bis 8 oder Buchstabe X) zusätzlicher Buchstabe (wahlweise) (Buchstaben A, B, C, D) ergänzender Buchstabe (wahlweise) (Buchstaben H, M, S, W)

Abb. 2.9 Aufbau vom IP-Code

2

3

C

H

138

A. Böker und H. Paerschke

Tab. 2.4 Erste und zweite Kennziffer der IP-Schutzarten

0 1

Erste Ziffer Schutz gegen Berüh- Schutz gegen Einren von Personen dringen von festen Fremdkörpern Kein Schutz Kein Schutz Mit Handrücken  50 mm Durchmesser

Symbol

Zweite Ziffer Wasserschutz gegen

Kein Schutz Senkrecht tropfendes Wasser

 12;5 mm Durchmesser  2;5 mm Durchmesser

Gegen schräg (15ı ) tropfendes Wasser Gegen Sprühwasser schräg bis 60ı

Mit einem Draht

 1;0 mm Durchmesser

Spritzwasser aus allen Richtungen

5

Mit einem Draht

Staubgeschützt

Strahlwasser

6

Mit einem Draht

Staubdicht

Starkes Strahlwasser

7





Zeitweiliges Untertauchen in Wasser

8





Dauerndes Untertauchen in Wasser

2

Mit Fingern

3

Mit Werkzeugen

4

Tab. 2.5 Schutzklassen nach DIN EN 61140 mit den Symbolen nach DIN EN 60601

I

Schutzleiteranschluss Schutzisolierung Kleinspannung

II III III

Symbol

5 bar

Keine Berührungsspannung bei Versagen der Basisisolierung Doppelte oder verstärkte Isolierung Anwendung einer Kleinspannung (ELV)

Die zusätzlichen Buchstaben A, B, C und D können optional benutzt werden. Dieser Kennbuchstabe unterscheidet den Zugang zu gefährlichen aktiven Teilen mit den Handrücken (A), mit einem Finger (B), mit einem Werkzeug (C) und mit einem Draht (D). Die ergänzenden Buchstaben H, M, S und W sind auch optional. Sie betreffen Hochspannungsgeräte (H), die Wasserprüfung während des Betriebs (M), die Wasserprüfung bei Stillstand (S) und die Wetterbedingungen (W). Die zusätzlichen oder ergänzenden Buchstaben dürfen ersatzlos entfallen, wenn Sie nicht zutreffen. Die elektrische Schutzklasse beschreibt Maßnahmen gegen gefährliche Spannungen an berührbaren leitfähigen Teilen von Betriebsmitteln. Es gibt die Schutzklassen I, II und III (Tab. 2.5). Die Schutzklasse 0 ist noch in einigen Betriebsmittelnormen zu fin-

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

139

den und soll in Zukunft von der internationalen Normung ausgeschlossen werden [9]. Sie beruht nur auf einer Basisisolierung. Ein Schutzleiter kann nicht angeschlossen werden, so dass beim Versagen der Basisisolierung der Schutz durch die Umgebung geleistet werden muss.

2.3

Niederspannungs-Schaltgeräte

Andreas Böker In diesem Abschnitt geht es um zwei Kategorien von Niederspannungs-Schaltgeräten. Das sind Überstrom-Schutzeinrichtungen und Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen.

2.3.1 Überstrom-Schutzeinrichtungen Überstrom-Schutzeinrichtungen unterbrechen die Strombahn, wenn Überströme auftreten. Dazu zählen Kurzschlussströme, die sehr schnell ausgeschaltet werden müssen, und Überlastströme, die eine ausreichend lange Zeitdauer fließen müssen. Es soll eine unzulässige Erwärmung von Leitungen und Verbrauchern verhindert werden. Das dient dem Brandschutz. Zusätzlich sollen Überstrom-Schutzeinrichtungen unter üblichen Bedingungen Stromkreise einschalten können. Man unterscheidet zwischen Sicherungen und Überstrom-Schutzschaltern (Abb. 2.10). Sicherungen unterbrechen durch Abschmelzen einer definierten Stelle in der Leiterbahn. Sie sind preisgünstig und müssen nach Auslösung ausgetauscht werden. Eine Vorratshaltung ist sinnvoll. Überstrom-Schutzschalter können nach Behebung der Fehlerursache wieder eingeschaltet werden. Wir werden uns hier auf NH-Sicherungen und Leitungsschutzschalter beschränken.

Sicherungen In Ortsnetzstationen oder Kabelverteilschränken der Verteilnetzbetreiber sowie in Niederspannungs-Hauptverteilungen sind NH-Sicherungen weit verbreitet (Abb. 2.11). Dagegen werden zur Absicherung von einzelnen Stromkreisen NEOZED-Sicherungen kaum mehr eingesetzt. An ihrer Stelle werden seit längerer Zeit Leitungsschutzschalter eingebaut (Abb. 2.12). Die Auswahl einer Sicherung wird anhand der Bemessungsspannung und des Bemessungsstroms getroffen. Weitere Kenngrößen sind die Leistungsabgabe (Verlustleistung) und das Bemessungsausschaltvermögen (Ausschaltstrom). Für die Arbeitsweise sind der Strom-Zeit-Bereich und die Strom-Zeit-Kennlinie bedeutend. Sicherungen sind für ihre Bemessungsspannung ausgelegt und werden damit bezeichnet. Die Tab. 2.6 zeigt genormte Bemessungsspannungen.

140

A. Böker und H. Paerschke

Überstrom-Schutzeinrichtungen Niederspannungssicherungen nach DIN EN 60269 (VDE 0636) bzw. IEC 60269 NH-Sicherungen D-System (DIAZED) D0-Sicherungen (NEOZED) Geräteschutzsicherungen (G-Sicherungen) Überstrom-Schutzschalter Leitungsschutzschalter (LS-Schalter) nach DIN EN 60898 (VDE 0641) Geräteschutzschalter nach DIN EN 60934 (VDE 0642) Elektromechanische Schütze und Motorstarter nach DIN EN 60647-4-1 (VDE 0660-102) Selektive Haupt-Leitungsschutzschalter (SH-Schalter) SHA-Schalter nach E DIN VDE 0643 SHU-Schalter nach E DIN VDE 0645 Hochspannungssicherungen (HH-Sicherungen) Teilbereichssicherungen Vollbereichssicherungen

Abb. 2.10 Einteilung der Überstrom-Schutzeinrichtungen

1 2 3 4 5

1 2 3 4 5 6

Anzeiger Steatitkörper Lotauftrag Schmelzleiter Grifflasche Kontaktmesser

6

Abb. 2.11 Prinzipieller Aufbau einer NH-Sicherungen nach [4] und zwei Beispiele (Fotos: Siemens [14] und Westnetz [13])

Abb. 2.12 NEOZED-Sicherung und Sockel sowie Leitungsschutzschalter (Fotos: Siemens [12])

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

Tab. 2.6 Bemessungsspannungen (fett dargestellte Werte nach IEC 60038) [9]

Wechselspannung in V Reihe 1 Reihe 2 – 120 – 208 230 240 – 277 400 415 500 480 690 600

141 Gleichspannung in V 110 125 220 250 440 460 500 600 750

Der Bemessungsstrom In einer Sicherung ist der Strom, den sie dauerhaft tragen kann, ohne dass ihre Funktionalität beeinträchtigt wird (Tab. 2.7). Von den Herstellern werden Zeit-Strom-Kennlinien angegeben (Abb. 2.13a). Sie beschreiben für die verschiedenen Bemessungsströme die Schmelzzeit bzw. Ausschaltzeit als Funktion des unbeeinflussten Kurzschlussstroms Ik . Der Streubereich bzw. das Toleranzband liegt bei etwa ˙10 % [9]. Der Durchlassstrom iD ist der höchste Augenblickswert beim Schaltvorgang der Sicherung (Abb. 2.14). Die Abhängigkeit vom Durchlasstrom vom unbeinflussten Kurzschlusstrom Ik wird für verschiedene Bemessungströme in einer Durchlass-Kennline dargestellt (Abb. 2.13 rechts). Die Betriebsklasse einer Sicherung wird durch zwei Buchstaben gekennzeichnet. Der erste Buchstabe legt die Funktionsklasse fest, von der es zwei Typen gibt: g a

Ganzbereichssicherungen (englisch general purpose fuse), die zwischen dem kleinsten Schmelzstrom und dem Bemessungsausschaltstrom sicher unterbrechen. Teilbereichssicherungen (begleitende Sicherung, englisch accompanied fuse), die oberhalb eines Vielfachen des Bemessungsstroms bis zum Bemessungsausschaltstrom ausschalten.

Tab. 2.7 Genormte Bemessungsströme [9] Sicherungsart D, D0 NH 00 NH 1 NH 2 NH 3 NH 4 NH 4a

In in A 2 / 4 / 6 / 8 / 10 / 13 / 16 / 20 / 25 / 32 / 40 / 50 / 63 / 80 / 100 6 / 8 / 10 / 16 / 20 / 25 / 32 / 40 / 50 / 63 / 80 / 100 80 / 100 / 125 / 160 / 200 / 250 125 / 160 / 200 / 250 / 315 / 400 315 / 400 / 500 / 630 500 / 630 / 800 / 1000 500 / 630 / 800 / 1000 / 1250

vs

2

10 -4 10 1

2

10 -3 6 4

2

10 -2 6 4

2

10 -1 6 4

2

10 0 6 4

2

10 1 6 4

2

10 2 6 4

2

10 3 6 4

2

4

2

4

6 10 3 2

4

6 10 4

2

nbeeinflusster (prospektiver) Kurzschlussstrom

6 10 2

630 A 500 A 400 A 315 A 250 A 200 A 160 A 125 A 100 A 80 A 63 A 50 A 40 A

4

6 10 5

Durchlassstrom i D / A 10 1 10 2

2

4

6

10 2

2

4

6

10 3

2

4

6

10 4

2

4

6

10 5

2

ip

630 A 500 A 400 A 315 A 250 A 200 A 160 A 125 A 100 A 80 A 63 A 50 A 40 A

4 6 10 3 2 4 6 10 4 2 4 6 10 5 2 4 6 10 6 nbeeinflusster (prospektiver) Kurzschlussstrom

Abb. 2.13 Zeit-Strom-Kennlinien und Durchlass-Kennlinien von NH-Sicherungen AC (Quelle: Siemens [12])

irtuelle Schmelzzeit

10 4 6 4

142 A. Böker und H. Paerschke

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

Abb. 2.14 Stromverlauf bei Unterbrechung eines Kurzschlussstroms nach [9]

143

i(t)

ip iD ts

tL ta

t

ts tL ta iD ip

Schmelzzeit Lichtbogenzeit Ausschaltzeit Durchlassstrom Stoßkurzschlussstrom

prospektiver Kurzschlussstrom

Beide Typen führen dauerhaft Ströme bis zum Bemessungsstrom. Der zweite Kennbuchstabe der Betriebsklasse definiert das Schutzobjekt: B G L M R S Tr

Bergbauanlagenschutz Schutz für allgemeine Zwecke (englisch General Application) Kabel- und Leitungsschutz (veraltet) Schutz von Motorstromkreisen Halbleiterschutz (englisch Rectifier) Halbleiterschutz sowie Kabel- und Leitungsschutz Transformatorenschutz

Kombiniert sind das dann die gängigen Betriebsklassen gL, gG, aM, gM, aR, gR, gS, gB und gTr. gL gG aM gM aR gR gS gB gTr

Ganzbereichs-Kabel- und Leitungsschutz Ganzbereichsschutz für allgemeine Zwecke Teilbereichs-Schaltgeräteschutz (Motorschutz) Ganzbereichs-Schaltgeräteschutz Teilbereichs-Halbleiterschutz Ganzbereichs-Halbleiterschutz Ganzbereichs-Bergbauanlagenschutz Ganzbereichs-Transformatorenschutz

Leitungsschutzschalter Der Leitungsschutzschalter oder kurz LS-Schalter trägt international das Kürzel MCB (englisch Miniature Circuit Breaker). In der Umgangssprache heißt er auch Sicherungsautomat oder kurz Automat oder fälschlicherweise Sicherung. Wir beschränken uns auf LS-Schalter für Wechselspannungen, die in der Normenreihe DIN EN 60898 (VDE 064111) beschrieben sind. Die Abschaltung erfolgt dabei über zwei unterschiedliche Auslöser. Zum Schutz bei Kurzschluss dient der zeitlich nahezu unverzögerte Elektromagnetauslöser, der nur von der Stromstärke abhängig ist. Der Thermo-Bimetall-Auslöser schützt vor Überlast. Er reagiert auf Erwärmung, die durch Stromstärke und Zeit bedingt ist. Die einzelnen Auslösekennlinien von Elektromagnetauslöser und Thermo-Bimetall-Auslöser bilden zusammen

144

A. Böker und H. Paerschke

Abb. 2.15 AuslöseCharakteristiken [15]

120

I11 ==1.05 °C C (K, Z) 1.05xxlnIn I2I2= =1.2 1.2x xln In ϑRϑ=RR =2020ß

60 40

II11==1.13 °C C (B, C, D) 1.13xxlnIn I2I2= =1.45 1.45x xln InϑRϑ=RR =3030ß

1 = Grenzkennlinie aus dem kalten Zustand

20

Minuten Minuten

Auslösezeit

10

1

6 4

1

2 1 40 20

Sekunden

10 6 4 2 1 0.6 0.4 0.2

Z

B

C

0.1

D K

0.06 0.04 0.02 0.01 1

1.5 2

3

5

8 10 14

20

30

Vielfaches des Bemessungsstromes

eine gemeinsame Auslösekennlinie für den Überlastschutz. Sie stellt das Zeit- und Stromverhalten eines Sicherungsautomaten dar (Abb. 2.15). Zum einem gibt es den Wunsch nach größtmöglichem Schutz, was höchste Empfindlichkeit der Sicherungsautomaten bedeutet. Dem stehen unterschiedliche Betriebseigenschaften der zu schützenden Verbrauchsgeräte gegenüber. Stromspitzen sollen ungehindert passieren können. Bei verhältnismäßig niedrigen, länger anstehenden Überströmen muss jedoch abgeschaltet werden. Deshalb sind je nach Art des zu schützenden Betriebsmittels Sicherungsautomaten mit verschiedenen Auslösecharakteristiken erhältlich. Aktuell genormt sind die Auslösecharakteristiken mit den Beizeichnungen B, C, D, E, Z und K (Tab. 2.8). In der Tabelle sind die Verhältnisse I2 =In und I5 =In zum Bemessungsstrom In angegeben. I2 ist der Strom, bei dem der Leitungsschutzschalter bei

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

Tab. 2.8 Auslösecharakteristiken von Leitungsschutzschalter

B C

D

E Z K

Standard Höherer Einschaltstrom: Maschinen, Lampengruppen, . . . Stark induktive oder kapazitive Last: Transformatoren, Magnete, Kondensatoren, Schaltnetzteile Selektiver Leitungsschutzschalter (SLS-Schalter) Halbleiterschutz, hohe Netzimpedanz Hoher Einschaltstrom, sensible Überlastauslösung

145 I2 =In 1;13 : : : 1;45 (30 ı C und 1 h)

I5 =In 3:::5 5 : : : 10

10 : : : 20

1;05 : : : 1;2 (30 ı C und 2 h) 1;05 : : : 1;2 (30 ı C und 2 h) 1;05 : : : 1;3 (30 ı C und 1 h)

5 : : : 6;25 2:::3 8 : : : 14

einer Umgebungstemperatur von 30 ı C innerhalb von 1 h oder 2 h über den ThermoBimetall-Mechanismus sicher abschaltet (Überlastschutz). I5 ist der Strom, bei dessen Überschreitung der elektromagnetische Auslöser in kürzester Zeit (ca. 40 ms) für eine Unterbrechung sorgt (Kurzschlussschutz). Bei den untereren Werten von I2 =In und I5 =In löst der Automat noch nicht aus. Die obereren Werte geben den maximalen Strom an, der noch unterbrochen werden kann.

2.3.2 Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen oder kurz FI-Schutzeinrichtungen werden international mit dem Kürzel RCD (englisch Residual Current protective Device) bezeichnet. In den Herstellernormen wird häufig vom Fehlerstrom-Schutzschalter gesprochen. RCD ist der Oberbegriff für unterschiedliche Ausführungen, zwei davon haben die Kurzbezeichnungen RCCB und RCBO.  RCCB (englisch Residual Current operated Circuit-Breaker without overcurrent protection) ist die internationale Kennung für den Fehlerstrom-Schutzschalter oder kurz FI-Schutzschalter (Abb. 2.16 und 2.17). Diese Geräte haben keine eingebaute Überstrom-Schutzeinrichtung.  RCBOs (englisch Residual current operated Circuit-Breaker with Overcurrent protection) bieten neben dem Schutz vor Fehlerströmen einen Schutz vor Überlast- und Kurzschlussströmen. (Abb. 2.16). Im deutschen Sprachraum ist das der FI/LS-Schalter. Insbesondere für Anwendungen mit Bemessungsströmen oberhalb von 125 A gibt es noch andere RCDs in Kombination mit Leistungsschaltern.

146

A. Böker und H. Paerschke

a

b

c

d

Abb. 2.16 RCCB, RCBO, MRCD und analoges RCM (Fotos: Siemens [12])

PE

N

L1

L2

L3 IΔ > 0,5 IΔn

S K K = Eisenkern S = Sekundärwicklung des Stromwandlers Abb. 2.17 Prinzipieller Aufbau eines dreipoligen FI-Schutzschalters nach [4] und ältere Bauart mit I n D 1 A

 CBRs (englisch Circuit-Breaker incorporating Residual current protection) sind Leistungsschalter mit Fehlerstromschutzfunktion. Die Fehlerstromerfassung ist fest an dem Leistungsschalter angebaut.  MRCDs (englisch Modular Residual Current protective Device) bzw. RCMs (Residual Current Monitor) sind modulare Fehlerstrom-Schutzgeräte ohne integrierte Abschaltvorrichtung (Abb. 2.16). Sie heißen auch Differenzstrom-Überwachungsgeräte. Die Fehlerstromerfassung über Wandler sowie die Auswertung und Auslösung über Leistungsschalter sind in getrennten Baugruppen untergebracht. Die grundsätzliche Funktionsweise kann am Beispiel des FI-Schutzschalters in Abb. 2.17 erklärt werden. Der Stromwandler (auch Ringkernwandler genannt) überwacht die Stromsumme I in den vier Leitern L1, L2, L3 und N. Im Normalfall heben sich zu jedem Zeitpunkt die Magnetfelder der ein- und ausfließenden elektrischen Ströme nahezu auf. Tritt beispielsweise ein Gehäuseschluss auf, schließt sich der Fehlerstromkreis außerhalb dieser vier isolierten Leiter über den PE-Leiter bzw. dem Erdreich zurück zum speisenden Transformator. Das Magnetfeld der verbleibenden Ströme in den Leitern L1,

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

147

400/230 V

L1 L2 L3 PEN Hausanschluss Fehlerstromspule

Summenstromwandler

I>

L1 L2 L3 N PE

Verteilung

M 3~

RB Bezugserde

RE

Abb. 2.18 Einbau eines Fehlerstrom-Schutzschalters nach [16]

L2, L3 und N ist nun so groß, dass in der Sekundärwicklung eine Spannung induziert und die unterlagerte Verteilung ausgeschaltet wird (Abb. 2.18). Eine wichtige Kenngröße vom RCD ist der Bemessungsdifferenzstrom I n . Der wird auch Bemessungsfehlerstrom genannt. Eine Abschaltung erfolgt spätestens, wenn der Bemessungsdifferenzstrom erreicht wird. Unterhalb vom Bemessungsnichtauslösefehlerstrom I no darf nicht ausgelöst werden. Den gibt der Hersteller an und sein Normwert beträgt I no D 0;5 I n . Ein RCCB oder ein RCBO darf also nur auslösen, wenn I no I I n . Üblich ist ein Wert bei I  0;8I n [9]. Ein RCCB und ein RCBO werden hinsichtlich ihrer Eignung zur Erfassung von unterschiedlichen Fehlerstromformen typisiert. Die Tab. 2.9 bietet einen Überblick über die Typen AC, A, B und B+ mit den möglichen Einsatzbereichen.

148

A. Böker und H. Paerschke

Tab. 2.9 Einteilung der Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen (Quelle: ZVEI [17])

 Der Typ AC kann nur sinusförmige Wechselfehlerströme erkennen, er ist wechselstromsensitiv. Dieser Typ ist in Deutschland entsprechend DIN VDE 0100-530 nicht zur Realisierung der in der Norm definierten Schutzmaßnahmen mit FehlerstromSchutzeinrichtungen zugelassen. Er darf kein VDE-Zeichen tragen.  Der Typ A erfasst neben sinusförmigen Wechselfehlerströmen auch pulsierende Gleichfehlerströme, er ist pulsstromsensitiv. Damit werden auch die Fehlerstromformen bei einphasigen Verbrauchern mit elektronischen Bauteilen im Netzteil wie EVG oder Dimmer beherrscht. Glatte Gleichfehlerströme bis 6 mA führen zu einer sicheren Auslösung.  Der Typ B ist für alle Fehlerstromarten wie Typ A geeignet. Zusätzlich führen Fehlerströme, die aus einem Frequenzgemisch von Frequenzen bis 2 kHz zusammengesetzt sind oder glatte Gleichfehlerströme bis 10 mA zur sicheren Auslösung. Dieser Typ ist allstromsensitiv. Damit werden auch die möglichen Fehlerstromformen auf der Ausgangsseite von einphasig angeschlossenen Frequenzumrichtern wie in Waschmaschinen oder Pumpen beherrscht.  Der Typ BC erfüllt alle Anforderung vom Typ B. Auch er ist allstromsensitiv. Zusätzlich sind Auslösebedingungen bis 20 kHz definiert. Das dient dem gehobenen vorbeugenden Brandschutz bei Erdfehlerströmen. In diesem Frequenzbereich ist der Anstieg des Auslösestroms auf maximal 420 mA begrenzt. Um eine hohe Zuverlässigkeit in der Geräteschutzfunktion zu erzielen, ist die Erfassung, Auswertung und Abschaltung unabhängig von der Netz- oder einer Hilfsspannung. Lediglich für die Erfassung von glatten Gleichfehlerströmen erfolgt beim Typ B eine Spannungsversorgung aus dem Netz. Für Wechsel- und pulsierende Gleichfehlerströme ist das nicht notwendig. Die Funktionsfähigkeit der Fehlerstrom-Schutzeinrichtung kann bei jedem Gerät über eine vorhandene Prüftaste kontrolliert werden. Beim Betä-

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

149

Abb. 2.19 Vier Wirkungsbereiche von Wechselströmen im Körper mit den Zeit-Strom-Kennlinien von zwei Fehlerstrom-Schutzschalter (Quelle: ZVEI [17])

tigen der Prüftaste wird ein künstlicher Fehlerstrom erzeugt, bei dem die FehlerstromSchutzeinrichtung auslösen muss. Mit Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen können zwei Schutzmaßnahmen gegen gefährliche Körperströme realisiert werden.  Fehlerschutz (früher Schutz bei indirektem Berühren)  zusätzlicher Schutz mit I n 30 mA (früher Schutz bei direktem Berühren) Darüber hinaus können Brände durch Erdschlussströme im Entstehen verhindert werden, wenn I n 300 mA. Abb. 2.19 zeigt die Wirkung von Wechselstrom auf den menschlichen Körper in Abhängigkeit von der Durchströmdauer t und dem Körperstrom IK . Es sind vier durch gestrichelte Linien getrennte Bereiche zu unterscheiden. 1. Normalerweise sind keine Wirkungen spürbar. 2. Der Strom ist wahrnehmbar. Medizinisch schädliche Einwirkungen und Muskelverkrampfungen treten üblicherweise nicht auf. 3. Blutdrucksteigerungen, Muskelverkrampfungen und Atemnot können auftreten. Die Gefahr des Herzkammerflimmerns besteht üblicherweise nicht. 4. Herzkammerflimmern kann vorkommen. Pathophysiologische Wirkungen wie Herzstillstand, Atemstillstand und Brandverletzungen werden immer wahrscheinlicher.

150

A. Böker und H. Paerschke

Zusätzlich sind in Abb. 2.19 die Toleranzbänder der Zeit-Strom-Kennlinien von zwei Fehlerstrom-Schutzschaltern mit den Bemessungsdifferenzströmen von 10 mA und 30 mA eingezeichnet. Es wird nicht die Höhe des Fehlerstroms begrenzt. Die gewünschte Schutzwirkung wird durch eine schnelle Abschaltung erzielt. Sie muss entsprechend der Gerätebestimmung DIN EN 61008-1 (VDE 0664-10) beim Bemessungsfehlerstrom innerhalb von 300 ms erfolgen. Nur für stromstossfeste selektive Schalter sind 0,5 s zulässig [9]. Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen können in Reihe geschaltet werden. Dazu müssen Geräte des Typs S eingebaut werden, um im Fehlerfall selektiv abzuschalten. In der VDE 0664-Serie sind für diese Geräte Abschaltzeitverzögerung definiert. Es wird empfohlen, dass ein mindestens 3-fach höherer Bemessungsfehlerstrom I n für die nach geschalteten Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen vorgesehen wird. Selektive Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen des Typs S haben eine sehr hohe Stoßstromfestigkeit von mindestens 3 kA. Bei einem CBR nach DIN EN 60947-2 sind keine selektiven Ausführungen definiert. Wenn die Abschaltzeitverzögerungen einstellbar sind, kann die gewünschte Selektivität erreicht werden (Abb. 2.16).

2.4 Erdungen und Netzsysteme Andreas Böker

2.4.1

Erdverbindungen

Erdungen spielen eine bedeutende Rolle beim Betrieb elektrischer Anlagen und bei den Schutzmaßnahmen. Sie sind die Gesamtheit aller Maßnahmen zum Erden. Erden ist die elektrische Verbindung eines Punktes der Anlage mit dem Erdreich. Der Punkt ist geerdet. Der Begriff Erde ist mehrdeutig. Zum einen ist damit unser Planet oder die Bodenart wie Lehm, Sand oder Kies gemeint. Zum anderen wird damit ein elektrisch leitender Bereich in der Erde bezeichnet, der nicht von Erdern beeinflusst wird. Ihm wird das elektrische Potential von 0 V zugeordnet. Dieser Bereich wird auch Bezugserde oder neutrales Erdreich genannt. Dort ist das elektrische Potential überall gleich (Abb. 2.20) Zur Verbindung des geerdeten Punktes mit der Erde dient ein Erder. Erder werden hinsichtlich ihrer Funktion in Netzbetriebserdung, Schutzerdung und Funktionserdung unterteilt. Die Netzbetriebserdung dient zur Betriebs- und Schutzerdung eines oder mehrerer Punkte im elektrischen Energienetz. Die Schutzerdung dient der elektrischen Sicherheit. Die Funktionserdung erdet einen oder mehrere Punkte zu anderen Zwecken. Erder können als Oberflächenerder oder als Tiefenerder ausgeführt sein (Abb. 2.21). Sie müssen so dimensioniert sein, dass die Schritt- und Berührungsspannungen innerhalb der zulässigen Werte nach Tab. 2.2 bleiben (Abb. 2.22). In Gebäuden gibt es Fundamenterder, die mit der Potentialausgleichsschiene verbunden sind (Abb. 2.23). Die Impedanz zwischen einem Punkt im Netz und der Bezugserde wird

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

151

Potentialausgleichsleiter Potentialausgleichsschiene Leitplanke Bezugserde

Transformator

Erdungsleiter

Straße W

Wasserrohrnetz

Steuererder Humus, Kies, Fels (Erde)

WasserverbrauchsNatürlicher leitung Erder Fundamentenerder

Oberflächenerder

< 1m

Abb. 2.20 Begriffe bei Erdungen nach [9]

Tiefenerder

Stab- und Rohrerder

Strahlen-, Ring- und Maschenerder

Abb. 2.21 Oberflächen- und Tiefenerder für Schaltanlagen nach [5]

als Impedanz gegen Bezugserde bezeichnet. Ihr ohmscher Anteil heißt Wirkwiderstand gegen Bezugserde. Der Erdungswiderstand einer Anlage ist der Widerstand zwischen der Bezugserde und der Potentialausgleichsschiene bzw. der Haupterdungsschiene. Er setzt sich aus zwei Anteilen zusammen. Der eine ist der Ausbreitungswiderstand des Erders oder der Erdungsanlage. Dazu kommt der Widerstand des Erdungsleiters zum Anschluss des Erders. Alle Netzarten können nach Art der Erdverbindung eingeordnet werden. Nach DIN EN 61293 (früher DIN VDE 0100-300) gibt es im Netz mit Nennspannungen unterhalb von 1 kV verschiedene Erdverbindungen. Die werden mit jeweils zwei der drei Kennbuchstaben T, N und I gekennzeichnet (Tab. 2.10).

152

A. Böker und H. Paerschke

UT

φ(x) UT

US

US

x Haupterder

Steuererder

Abb. 2.22 Potentialverteilung '.x/ und -steuerung bei einem einpoligen Erdschluss mit Berührungspannung UT und Schrittspannung US nach [11]

Potentialausgleichschiene

Potentialausgleichsleiter

HAK Deckel, plombierbar 30cm

Verbindung zum PEN-Leiter im TN-Netz

Federverbinder Betonfundament

Abstandhalter für Bandstahl Fundamenterder (Bandstahl)

Abb. 2.23 Fundamenterder und Potentialausgleich nach [5]

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

Tab. 2.10 Kennzeichnung der Erdverbindungen, erster und zweiter Kennbuchstabe

Tab. 2.11 Kennzeichnung der Erdverbindungen, dritter Kenn-Buchstabe

153

T

Terre (französisch) Erde

N

Neutral

I

Isolated (englisch)

C S

Direkte Erdung von Spannungsquelle oder Körper Direkte Verbindung mit der Betriebserde Isoliert Isolierung aller aktiven Teile

Combined (englisch) Separated (englisch)

Zusammen, kombiniert Getrennt

 Der erste Buchstabe bezeichnet die Erdungsverhältnisse der Spannungsquelle. Die kann z. B. der Ortsnetz-Transformator oder ein Generator sein.  Der zweite Buchstabe charakterisiert die Erdungsverhältnisse leitfähiger Körper (wie beispielsweise Gehäuse) in einer elektrischen Anlage, die nicht zum Betriebsstromkreis gehören. Es sind drei Varianten etabliert, das sind das TN-, das TT- und das IT-System. Bei TNNetzen gibt es drei unterschiedlichen Typen. Das sind das TN-C-, das TN-C-S- und das TN-S-System (Tab. 2.11). Diese sollen nun genauer dargestellt werden.

2.4.2

TN-Netze

Bei TN-Systemen gibt es im Gegensatz zu den TT- und IT-Systemen noch zwei weitere Kennbuchstaben, die die Funktionalitäten Neutralleiter und Schutzleiter charakterisieren.

Netzstation

Betriebserdung

Abb. 2.24 TN-C-Netz

L1 Gebäude L1 L2 L2 L3 L3 PEN PEN

PE RB E

RA Körper

Anlagenerder

TN-C-Systeme Hier sind im gesamten System die Funktionen des Neutral- und Schutzleiters in einem einzigen Leiter zusammengefasst. Das ist der PEN-Leiter (Abb. 2.24). Früher wurde von klassischer Nullung gesprochen.

E

154

A. Böker und H. Paerschke

L1

L1

230 V PEN

PEN Gehäuse

230 V

Abb. 2.25 Lebensgefahr aufgrund einer Unterbrechung des PEN-Leiters

Im Haushaltsbereich waren diese Netze bis zur Einführung der FI-Schutzschalter Mitte der 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts verbreitet. Sie bestechen durch Ihre Einfachheit. In der Schutzkontaktsteckdose wird mit einem kurzen Drahtstück der PEN-Leiter mit dem Schutzkontakt verbunden. Der entscheidende Nachteil dieser Bauform ist, dass bei Leiterunterbrechung vom PEN-Leiter das „geschützte“ Metallgehäuse unter voller Spannung gegen Erde gesetzt wird, wenn im Gerät der Schalter geschlossen ist (Abb. 2.25). Damit besteht Lebensgefahr. TN-C-Netze sind heute heute nur noch als Restbestände in Altbauten oder wegen ihres einfachen Aufbaus in der Industrie zu finden.

TN-C-S-Systeme Andere Verhältnissen liegen in TN-C-S-Systemen vor. In einem Teil des Systems sind die Funktionen des Neutralleiters und Schutzleiters in einem einzigen Leiter kombiniert, im anderen Teil des Systems sind sie getrennt (Abb. 2.26 und 1.44). Diese Netzform ist bei Gebäudeversorgungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz weit verbreitet und für Neuinstallationen Standard. Vom Verteilnetzbetreiber kommt ein vieradriges Kabel ins Gebäude. In der Verteilung sind dann fünf Leiter zu finden. Der Verbindungspunkt zwischen dem PE- und N-Leiter kann im Hausanschlusskasten gemacht werden. TN-S-Systeme Bei TN-S-Systemen wird überall ein getrennter Schutzleiter verlegt. Es darf dabei nur einen zentralen Verbindungspunkt zwischen dem PE und N geben. Das ist der zentrale Erdungspunkt (ZEP) auf der US-Seite des Transformators (Abb. 2.27). Diese Netzform ist z. B. in Rechenzentren zu finden (Abb. 2.28). Dann ist der Betrieb der Transformatoren in der Hand des Anschlussnehmers und es wird auf FI-Schutzschalter verzichtet, um eine möglichst hohe Verfügbarkeit zu erreichen. Verteilnetzbetreiber haben keine TN-S-Netze.

Niederspannungsnetze im Gebäude

L1 Gebäude L2 L3 PEN

PE RB

RA Körper

E

Betriebserdung

Netzstation

L1 L2 L3 PEN

Körper

PE RB

Körper

N PE

RA

RA E

Körper

Netzstation L1 L2 L3 N PE

Betriebserdung

Gebäude

Gebäude

RB

Anlagenerder

Betriebserdung

L1 L2 L3 N PE

E

PE

E Netzstation

L1 L2 L3 N PE

Anlagenerder

Betriebserdung

Netzstation

L1 L2 L3 PE

Gebäude

L1 L2 L3 PE

Anlagenerder

Abb. 2.26 TN-C-S-Netze

155

Anlagenerder

2

PE RB

RA Körper

Abb. 2.27 TN-S-Netze mit und ohne Neutralleiter

b a

Abb. 2.28 Niederspannungs-Hauptverteilungen im Data Center mit doppelter Redundanz für eine hohe Ausfallsicherheit (Fotos: Siemens [14])

156

A. Böker und H. Paerschke

2.4.3 TT-Netze Wie bei den TN-Systemen wird hier auf der Unterspannungsseite der speisenden Transformatoren der Sternpunkt geerdet. An dem wird meistens ein Neutralleiter N angeschlossen. Im Gegensatz zum TN-System wird hier jedoch der Schutzleiter PE nicht über den Neutralleiter geerdet. Er wird vor Ort mit dem Anlagenerder verbunden und ist im gesamten System vom Neutralleiter getrennt (Abb. 2.29). Wegen der unterschiedlichen Erdungswiderstände kann eine kleine Spannung von 1 bis 2 V zwischen PE und N anliegen. Die vollständige Trennung von dem N- und PE-Leiter hat einen Vorteil. Eine Blitzüberspannung, die aus einer Freileitung über den Leiter N ins Gebäude läuft, gelangt nicht über die Potentialausgleichsschiene auf metallischen Gehäuse oder Rohrleitungen. So werden lebensgefährliche Berührungsspannungen vermieden. Mit zunehmender Verkabelung der öffentlichen NS-Netze verliert dieser Vorteil an Gewicht. Netzstation

L1 L2 L3 N PE

PE RB

RA

Körper

E

L1 L2 L3

Gebäude L1 L2 L3 PE

PE

RA

RB

Körper

E

E

E

Abb. 2.29 TT-Netze, mit und ohne Neutralleiter

MS

NS L1 L2 L3 N Fehlerstrom IF RB

Betriebserdung

PE M

Fundamenterdung

RA

Bezugserde E Abb. 2.30 Schutzerdung im TT-System

Anlagenerder

Gebäude

Betriebserdung

L1 L2 L3 N

Anlagenerder

Betriebserdung

Netzstation

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

157

Gegenüber dem TN-C-S-System hat das TT-System einen Nachteil. Die Schutzmaßnahme Schutzerdung ist problematisch, da zum schnellen Ansprechen der ÜberstromSchutzeinrichtung sehr hohe Ströme nötig sind (Abb. 2.30). Die treten nur bei niedrigsten Erdungswiderständen auf, was in der Praxis kaum realisierbar ist. Der Aufwand zur Sanierung einer bestehenden Fundamenterdung ist in der Regel nicht vertretbar. Daher wird meistens auf Fehlerstrom-Schutzschaltungen zurückgegriffen. In Deutschland betreiben heute noch einige Verteilnetzbetreiber (VNB) TT-Systeme. Auch in anderen europäischen Ländern wie z. B. Spanien, Italien oder Frankreich sind TT-Netze weit verbreitet.

2.4.4

IT-Netze

L1 Gebäude L2 L3 N

Körper

L1 L2 L3 N

PE

Netzstation L1 Gebäude L2 L3

Fundamenterder Rumpf/Gehäuse

Netzstation

L1 L2 L3 PE

RA

Fundamenterder Rumpf/Gehäuse

Hier ist der Sternpunkt des Trafos isoliert, seine hochohmige Erdung ist zulässig. Es gibt keine direkte Verbindung zwischen den aktiven Leitern und geerdeten Teilen (Abb. 2.31). Bei einem einfachen Körper- oder Erdschluss schließt sich der Fehlerstrom über die Erdkapazitäten und die Isolationswiderstände der gesunden Leiter. In Abb. 2.32 sind nur die Erdkapaztäten CE eingezeichnet.

RA

Körper

Abb. 2.31 IT-Netze mit und ohne Neutralleiter Abb. 2.32 Verteilung der Fehlerströme bei einem Gehäuseschluss im IT-System

Gebäude Transformator L1 L2 L3 N PE

CE CE CE Körper

Bezugserde

Fehlerstrom IF

RA E

158

A. Böker und H. Paerschke

Abb. 2.33 Isolationswächter AC und DC (Fotos: Siemens [12])

Bei hinreichend kurzen Leitungen sind die Erdkapazitäten klein und deren Scheinwiderstände ZE D .! CE /1 groß. Dann sind diese Fehlerströme niedrig. Die Schrittund Berührungsspannungen sind klein, Mensch und Tier sind kaum gefährdet. Daher können bei diesem Fehler IT-Netze noch einige Zeit weiter betrieben werden, im Gegensatz zu TN- oder TT-Systemen. Es erfolgt lediglich eine Meldung bzw. ein Alarm vom Isolationsüberwachungsgerät, das auch Isolationswächter genannt wird (Abb. 2.33). Auch bei Überströmen in den Leitungen wird nicht sofort spannungslos geschaltet, wenn dies der einzige Fehler ist. Falls ein zweiter Fehler auftritt, der elektrisch ungünstig zum ersten Fehler liegt, wird mit einem Fehlerstrom-Schutzschalter oder einer ÜberstromSchutzeinrichtung (Sicherung oder LS-Schalter) abgeschaltet. Solche Netzformen sind immer dann zu finden, wenn trotz eines elektrischen Fehlers weiter versorgt werden muss. Das ist insbesondere im OP-Bereich von Krankenhäusern oder bei Bordnetzen von Flugzeugen und U-Booten der Fall.

2.5 Elektrische Leitungen Hartmuth Paerschke Elektrische Leitungen dienen der Übertragung von elektrischer Energie und von Informationen. Elektrische Leitungen bestehen aus einzelnen Leitern, in der Regel aus isolierten Kupferdrähten. Manchmal kommen auch Aluminium oder bestimmte Metalllegierungen zum Einsatz. Aderleitungen bestehen aus einzelnen mechanisch nicht miteinander verbundenen einzeln isolierten Adern. Sind mehrere Adern miteinander mechanisch durch einen umhüllenden, isolierenden Mantel verbunden, spricht man von Mehraderleitungen bzw. Mantelleitungen. Spezielle Leitungen, die für eine direkte Verlegung im Erdboden geeignet sind, werden als Kabel bezeichnet. Die Isolierungen von Leitungen und Kabeln bestehen meist aus Kunststoff. Weiterhin gibt es Freileitungen mit und ohne isolierende Umhüllung, die im Freien durch die Luft geführt werden. Hochspannungsleitungen weisen meist wegen der erforderlichen Zugfestigkeit im Inneren eine Stahlseele auf und außen Aluminiumadern, die eine hinreichend gute elektrische Leitfähigkeit gewährleisten. Sie haben keine isolierende Umhüllung und werden mit Isolatoren an Freileitungsmasten

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

159

befestigt. Viele Aussagen gelten gleichermaßen für Leitungen und Kabel. Deswegen wird im Folgenden zusammenfassend nur von Leitungen gesprochen. Hier soll insbesondere die Auslegung von isolierten elektrischen Leitungen in Gebäuden dargestellt werden. Die Richtlinien für Planung, Errichtung, Inbetriebnahme und Betrieb von elektrischen Anlagen mit Wechselspannungen bis 1000 V und Gleichspannungen bis 1500 V sind in der umfangreichen Normenreihe DIN VDE 0100 „Errichtung von Niederspannungsanlagen“ enthalten. Sie umfasst auch die Niederspannungsverteilung im 230/400-Volt-Netz. Eine Übersicht über die einzelnen Bestandteile der Normenreihe DIN VDE 0100 gibt Abb. 2.4. In Buchform übersichtlich und ausführlich zusammengestellt sind die Inhalte in [9] zu finden. Im Zweifel ist auf den Wortlaut der zuständigen Normen zurückzugreifen. Anforderungen an elektrische Leitungen An elektrische Leitungen sind bestimmte Anforderungen hinsichtlich mechanischer und thermischer Festigkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit zu stellen.  Leitungen müssen eine bestimmte mechanische Festigkeit besitzen (Mindestquerschnittsfläche ACu D 1;5 mm2 für Adern mehradriger festverlegter Leiter für Steckdosenstromkreise und Leistungsstromkreise). Sie müssen widerstandsfähig gegen mechanische Beschädigungen sowie gegen ggf. vorhandene äußere Einflüsse, wie z. B. Feuchtigkeit und UV-Strahlung sein.  Zum Schutz von Gesundheit und Leben sowie von Sachwerten darf der in den Leitungen fließende Strom weder im Normalbetrieb, noch bei Kurzschlüssen oder bei länger anhaltender Überlast zu unzulässigen Erwärmungen oder Bränden führen. Bei Überströmen muss automatisch abgeschaltet werden, bevor ein gefährlicher Zustand erreicht wird.  Leitungen müssen den Schutz von Personen und Tieren gegen elektrischen Stromschläge gewährleisten.  Dazu gehört einerseits der Basisschutz (siehe Abschn. 2.2.2 mit dem Schutz gegen direktes Berühren von spannungsführenden Teilen). Dazu müssen die Leitungen, in Abhängigkeit von der Betriebspannung, ausreichend elektrisch isoliert sein.  Neben dem Basisschutz muss auch in Fehlerfällen Schutz gewährleistet sein, z. B. bei indirektem Berühren eines metallischen Gehäuses, das durch einen Isolationsfehler mit einem spannungsführenden Leiter in Kontakt kommt. Unzulässige Berührungsspannungen müssen vermieden werden. Fehlerhafte Geräte und Anlagenteile müssen durch geeignete Fehlerschutzeinrichtungen hinreichend schnell vom Netz getrennt werden.  Die Leitungsverluste und der Spannungsfall der elektrischen Leitungen hängen von Querschnitt und Leitungslänge ab und sollten möglichst gering sein. Andererseits sollten aus wirtschaftlichen Gründen die Leitungsquerschnitte nur so groß wie nötig gewählt werden. Die Auswahl von Leitungen und der Leiterquerschnitte muss vom konkreten Einsatzfall ausgehen und insbesondere gemeinsam mit der Bemessung der zugehörigen Fehler-

160

A. Böker und H. Paerschke

schutzeinrichtung erfolgen. Zur Gewährleistung der Sicherheit sind bei der Inbetriebnahme und im weiteren Betrieb in regelmäßigen Abständen fachgerechte Prüfungen vorgeschrieben.

2.5.1

Leitungsarten

Nach Einsatzgebiet wird unterschieden zwischen  Leitungen für feste Verlegung  Leitungen für ortsveränderliche Verbraucher und  Kabeln. Für ortsveränderliche Verbraucher werden flexible Leitungen eingesetzt mit fein- oder feinstdrahtigen Adern und mit PVC- oder Gummi-Isolierung. Die für unterschiedliche Anforderungen entwickelten gebräuchlichen Arten von elektrischen Leitungen sind entweder nach internationalen Vereinbarungen harmonisiert oder sie unterliegen nationalen Normen. Dementsprechend gibt es zwei unterschiedliche Bezeichnungssysteme. Im international vereinbarten harmonsierten Bezeichnungssystem für harmonisierte Installationsleitungen nach DIN VDE 0292 beginnt der Bezeichnungsschlüssel mit dem Buchstaben „H“ – siehe Tab. 2.12.

Tab. 2.12 Bezeichnungssystem für harmonisierte Installationsleitungen Spg. Bsp.:

H

Isolierung 05

V

V

Aufbau -F

3

G

1,5

Querschnitt in mm2

harmonisierter Typ H anerkannt nationaler Typ A Nennspannung 300V/300V 300V/500V 450V/700V

X G 03 05 07

Isoliermaterial PVC Silikonkautschuk sonstiger Kautschuk

V S R

Mantelmaterial PVC abriebfester Kautschuk sonstiger Kautschuk Glasfasergeflecht Textilgeflecht flach, aufteilbar flach, nicht aufteilbar

V N R J T H H2

ohne Schutzleiter mit Schutzleiter Aderzahl

F H K R U

Aufbau feindrahtig, flex. Verlegung feinstdrahtig, flex. Verleg. feindrahtig, feste Verleg. mehrdrahtig eindrahtig

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

Tab. 2.13 Kennbuchstaben für Normleitungen

161

N

Norm

O

A M J

Ader Y Mantelleitung F Mit grün-gelbem Schutz- I leiter

Ohne grün-gelbem Schutzleiter Isolierhülle aus PVC Flach Imputzleitung, Stegleitung

Daneben gibt es nicht harmonisierte Leitungen nach DIN VDE 0250 und DIN VDE 0284 mit dem Bezeichnungssystem nach Tab. 2.13. Diese Bezeichnungen beginnen mit dem Buchstaben N, gefolgt von weiteren alphanumerischen Zeichen. Kupferleitungen werden nicht gesondert gekennzeichnet, Aluminiumleitungen durch die Kennbuchstaben Al. Die einzelnen Adern einer Leitung sind durch festgelegte Farben der Aderisolation gekennzeichnet. Tab. 2.14 zeigt Leitungsbeispiele für feste Verlegung, Tab. 2.15 für flexible Verlegung. Die Isolation des Schutzleiters (PE) ist stets grün-gelb (gn-ge) gefärbt, ein PEN-Leiter grün-gelb mit zusätzlicher blauer Markierung an den Aderenden. Der NLeiter hat eine blaue Isolierung.

Tab. 2.14 Leitungen für feste Verlegung NYM 3x1,5 J mit Schutzleiter 1,5 mm2 3-adrig Mantel PVC-Isolierung Normbezeichnung NYIF 3x2,5 J mit Schutzleiter 2,5 mm2 3-adrig flach Stegleitung PVC-Isolierung Normbezeichnung NYA bzw. H07V-U Aderleitung PVC-Isolierung Normbezeichnung NYY 4x10 J mit Schutzleiter 10 mm2 4 Adern PVC-isoliert PVC-Mantel Normbezeichnung

PVC

PVC-Mantel

Mantelleitung, Verlegung in Räumen, im Freien, sowie im und über Putz

Füllung

PVC

Stegleitung, Verlegung in und unter Putz in trockenen Räumen, nicht auf Holz oder Metall und in Hohlräumen

Gummisteg

Aderleitung, Verlegung in Rohren und zur Verwendung in Geräten

PVC

PVC

PVC

Kunststoffkabel, Verlegung wie bei NYM, außerdem für Verlegung im Erdboden geeignet

162

A. Böker und H. Paerschke

Tab. 2.15 Leitungen für flexible Verlegung ohne PE

PVC

H03 VV-F 2X1,5 1,5 mm2 2 Adern feindrahtig PVC-Mantel PVC-Ader 300 V harmonisiert mit PE

PVC

Verwendung im Haushalt, Büro, nicht in Gewerbe und Landwirtschaft

Füllung

Gummi

Gummimantel

Leichte Gummischlauchleitung, für Hangeräte in Haushalt und Büro

H05 RR-F 3G1,5 1,5 mm2 3 Adern feindrahtig Kautschuk-Mantel Kautschuk-Ader 300V / 500 V harmonisiert

Verwendung bei geringer mechanischer Beanspruchung in Haushalt, Büro z. B. für Tischlampen

PVC

ohne PE H03 VH-H2X1,5 1,5 mm2 2 Adern feinstdrahtig flach PVC isoliert 300V harmonisiert mit PE H07 RN-F 3G2,5 2,5 mm2 3 Adern feindrahtig Kautschuk-Mantel Kautschuk-Ader 450V / 700 V harmonisiert

Cu

Gummi

Gummi

Gummimantel

Schwere Gummischlauchleitung, bei mittleren mechanischen Beanspruchungen, z. B. für transportable Motoren

Gewebe

Neben den Standardleitungen gibt es für spezielle Anforderungen z. B. wärmebeständige, kältebeständige, halogenfreie Leitungen mit verbessertem Verhalten im Brandfall, spezielle wärmebeständige Silkon-Leitungen für höhere zulässige Leitertemperaturen und Leitungen mit besonderer mechanischer Festigkeit.

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

163

Abb. 2.34 Ersatzschaltbild eines Leitungsabschnitts einer 2-Drahtleitung der Länge l

i1 (t )

u1 (t )

2.5.2

R' · ∆l

L' · ∆l

G' · ∆l

i2 (t )

C' · ∆l u2 (t )

Leitungsmodelle

Für den ordnungsgemäßen Betrieb von elektrischen Betriebsmitteln, dürfen bestimmte Grenzwerte der Spannung nicht unter- oder überschritten werden (vergl. Gl. 2.10). Bei längeren Leitungen mit knapp bemessenen Querschnitten ist zu prüfen, ob keine zu großen Spannungsfälle1 entstehen. Im Normalbetrieb und im Fehlerfall dürfen keine unzulässigen Erwärmungen entstehen. Es ist zu prüfen, ob die bei Überlast, bei Kurzschluss oder Körperschluss auftretenden Fehlerströme durch die Überstrom-Schutzeinrichtungen schnell genug unterbrochen werden. Aus wirtschaftlichen Gründen sind die ohmschen Verluste der elektrischen Leitungen möglichst gering zu halten. Zur Berechnung von Spannungsund Leistungsverlusten, von Erwärmung und von Fehlerströmen benötigt man geeignete Leitungsmodelle und Ersatzschaltbilder. Der Hin- und der Rückleiter besitzen jeweils einen bestimmten ohmschen Widerstand RL . Der in Hin- und Rückleiter fließende Strom erzeugt einen magnetischen Fluss ˚, der im Ersatzschaltbild durch Induktivitäten L dargestellt wird. Die Spannungen zwischen Hin- und Rückleiter bewirken ein elektrisches Feld, das durch Kapazitäten C berücksichtigt wird. Die Verluste durch unvollständige Isolation zwischen den Leitern werden durch einen Leitwert G berücksichtigt. Abb. 2.34 zeigt das Ersatzschaltbild für einen kurzen Leitungsabschnitt einer Zweidrahtleitung mit der Länge l. Der Widerstandsbelag R0 beschreibt den Widerstand R bezogen auf die Länge l mit der Maßeinheit ŒR0  D Ohm=m. Der Induktivitätsbelag L0 ist der Wert der Induktivität eines Leitungsstücks dividiert durch die Länge des Leitungsstücks. Die Einheit ist ŒL0  D H=m. Entsprechendes gilt für den Kapazitätsbelag C 0 mit der Einheit ŒC 0  D F=m. Der Ableitungsbelag G 0 ist der Leitwert der unvollständige Isolation pro Länge. Eine lange Leitung ist aus einer Kette solcher Abschnitte zusammengesetzt. Für elektrisch lange Leitungen lassen sich spezielle Leitungsgleichungen herleiten, die die Ausbreitung der elektromagnetischen Felder längs solcher Leitungen berücksichtigen (bei Freileitungen mit Lichtgeschwindigkeit, bei Kabeln deutlich langsamer). Diese Leitungsgleichungen benötigt man z. B., um die Ausbreitung von Überspannungen in Hochspannungsnetzen zu untersuchen. Auch in der Nachrichtentechnik spielen die Leitungsgleichungen eine Rolle bei der leitungsgebundenen Informationsübertragung mit hohen Frequenzen. 1

Die Bezeichnungen Spannungsfall und Spannungsabfall werden hier synonym benutzt.

164

A. Böker und H. Paerschke

a

b

ΔU I

R UR

φ L

UL UV=U1-U2

UL

Ulängs

ΔU

U R ∙ cosφ

UR

U2

U1

U L ∙ sinφ

φ

UV U1 U2 I φ R L X = ωL Ulängs

Spannungsfall Eingangsspannung Ausgangsspannung Betriebsstrom Phasenverschiebung zw. I und U2 Ohmscher Leitungswiderstand Leitungsinduktivität induktiver Widerstand der Leitung Längsspannung

U2 U1 IB IW φ

I

Abb. 2.35 Leitungsmodell für kurze elektrische Leitungen (a), Zeigerdiagramm für eine elektrisch kurze Leitung mit ohmsch-induktiver Belastung (b)

Elektrisch kurze Leitungen Für die im Folgenden betrachteten Leitungen im Niederspannungsnetz spielt die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Felder längs der Leitung keine Rolle. Man spricht hier von elektrisch kurzen Leitungen, für die sich das Modell und die Berechnungen ganz entscheidend vereinfachen. Elektrisch kurze Leitungen sind z. B. Freileitungen unter ca. 100 km und Erdkabel unter ca. 50 km [18] und erst recht die deutlich kürzeren elektrischen Leitungen in Gebäuden und Liegenschaften. Elektrisch kurze Leitungen können mit dem in Abb. 2.35a dargestellten vereinfachten Modell berechnet werden. Die längs der Leitersegmente verteilten ohmschen und induktiven Widerstände werden dabei als in einem Widerstand R und in einer Induktivität L konzentriert betrachtet. Bei einer Wechselspannungsleitung (zwei aktive Leiter) enthält R in Abb. 2.35a die addierten Werte von Hin- und Rückleitung bzw. für die Widerstandsberechnung ist die doppelte Leitungslänge l einzusetzen. Für eine Kupferleitung mit der Leitertemperatur # gilt 20  2  l I 20  0;0177 mm2 =m ACu R# D R20 .1 C ˛20 .#  20 ı C// I ˛20  3;93  103 K1

R20 D

(2.1)

R80 D R20  1;24 (für eine Leitertemperatur von # D 80 ı C) :

(2.2)

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

165

Die Werte von L und C einer Leitung werden nach den Formeln in Tab. 1.17 bzw. 1.16 durch die Leitungslänge l und den Quotienten aus Leiterabstand a und Leiterradius r sowie durch das Isolationsmaterial bestimmt. 0 r Œln.a=r/ C 1=4 l (2.3) L   "0 "r C  l (2.4) ln.a=r/ Bei unterschiedlich dicken Mehraderleitungen ändert sich das Verhältnis a=r nur geringfügig und die Induktivitätsbeläge unterscheiden sich nur wenig. Freileitungen mit großem Verhältnis a=r (Leiterabstand a Leiterradius r) haben nach Gl. 2.3 eine vergleichsweise hohe Induktivität. Die Kapazität zwischen den Leitern ist hier vernachlässigbar klein2 und der Isolationswiderstand ist sehr hoch. Leitungskapazität und Isolatinswiderstand treten im Ersatzschaltbild Abb. 2.35a dementsprechend nicht in Erscheinung. Der Ableitstrom zwischen den Leitern ist gleich Null. Berechnungsbeispiel Für eine Wechselstrom-Mantelleitung der Länge l und dem Aderquerschnitt ACu D 4 mm2 ergibt sich nach Gl. 2.1 und 2.2 bei # D 80 ı C R20 0;0177 mm2 =m D 2  4;43 m =m D2 l 4 mm2 R80 D 2  4;43 m =m  1;24 D 2  5;48 m =m : l Die Induktivität L bzw. der induktive Widerstand X D !L der Leitung mit ACu D 4 mm2 pro Meter Leitungslänge ergibt sich mit r D 1;13 mm und a  4;5 mm aus Gl. 2.3. L 4 107 V s=.A m/ D Œln.4;5=1;13/ C 1=4 D 0;652 H=m l  X D 2  0;1 m =m l Tab. 2.16 gibt eine Übersicht über die Ohmschen, die induktiven und die Impedanzbeläge für Mantelleitungen p mit verschiedenen Aderquerschnitten zur Berechnung von R und X D ! L bzw. Z D R2 C X 2 . Die Werte in der Tabelle beziehen sich auf jeweils eine Ader der Länge l. Bei einer Wechselstromleitung sind die nach Tab. 2.16 für den Hin- und den Rückleiter berechneten Widerstandswerte zu addieren. 2

Nicht zu vernachlässigen sind Kapazitäten (Streukapazitäten) zwischen elektrischen Leitungen als Ursache für elektromagnetische Störeinflüsse, siehe Abschn. 6.3.3.

166

A. Böker und H. Paerschke

Tab. 2.16 Widerstandsbeläge für eine Kupferader in einer Mantelleitung bei 50 Hz und # D 80 ı C, nach [9] ACu =mm2 R0 =m m1 X 0 =m m1 Z 0 =m m1

1,5 14,62 0,115 14,62

2,5 8,77 0,110 8,770

4 5,48 0,107 5,480

6 3,66 0,110 3,660

10 2,244 0,094 2,246

16 1,415 0,090 1,418

25 0,898 0,086 0,902

35 0,652 0,083 0,657

50 0,482 0,083 0,489

70 0,336 0,082 0,346

95 0,244 0,082 0,257

Spannungsfall Abb. 2.35b zeigt das Zeigerbild der Spannungsverhältnisse einer Wechselstromleitung bei ohmsch-induktiver Belastung. Der fließende Strom I hat die Phasenverschiebung ' gegenüber der Ausgangsspannung U 2 . Der Spannungsabfall U R D I  R hat die gleiche Richtung wie I . Dem Spannungsabfall U L D j  I  X eilt der Strom I um 90ı hinterher („Induktivitäten – Ströme sich verspäten“). Der exakte Differenzwert UV D U2  U1 der Effektivwerte von Ein- und Ausgangsspannung kann mit Hilfe von Abb. 2.35b berechnet werden. In der Praxis berechnet man als guten Näherungswert wesentlich einfacher die „Längsspannung“ Ulängs . UV D U2  U1  Ulängs D UR  cos '  UL  sin ' D I  .R cos '  X sin '/

(2.5)

Für die typischen Fälle mit 0;7 cos ' 1 ist der so berechnete Wert hinreichend genau. (In Abb. 2.35b sind U R und U L wegen der besseren Erkennbarkeit unverhältnismäßig groß gezeichnet.) Die Formel 2.5 ist anzuwenden, wenn der induktive Widerstand X der Leitung gegenüber R nicht vernachlässigt werden darf. Dies ist der Fall bei Leitungen im Mittelspannungsnetz (vergl. Gl. 2.3 bei großem Leitungsabstand a) und bei dicken Leitungen mit Querschnitten über ca. 70 mm2 . Im Hochspannungsnetz dominieren die induktiven Widerstände. Nach Tab. 2.16 überwiegt für elektrische Installationsleitungen bis etwa 70 mm2 der ohmsche Leitungswiderstand R gegenüber X. Es gilt X R. Für solche Leitungen vereinfacht sich Gl. 2.5 und die Berechnung des Spannungsfalls von Wechselstromleitungen. (2.6) UV D U2  U1  I  R  cos ' Bei Gleichstrom oder bei Lasten mit geringer Phasenverschiebung '  0 gilt UV D U2  U1  I  R :

(2.7)

Der Spannungsfall wird in Volt angegeben. Bezogen auf die Netzspannung U0 erhält man den prozentualen Spannungsfall uV D

UV  100 % : U0

(2.8)

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

167

Sind mehrere unterschiedliche Leitungsstücke hintereinander geschaltet, so sind die Einzelstücke getrennt zu berechnen und die Spannungsfälle zu addieren. Sind zwei oder mehr Spannungsebenen vorhanden, sind die relativen Spannungsabfälle zu addieren. Die Formeln 2.5 bis 2.6 gelten für einphasige Wechselstromkreise. R und X sind dabei die addierten Werte von Hin- und Rückleiter.

Spannungsfall bei Drehstrom Die Formeln lassen sich auf die Berechnung der Spannungsfälle in symmetrisch belasteten Drehstromleitungen übertragen. Bei symmetrisch belasteten Drehstromnetzen ist der N-Leiter stromlos und verursacht keinen Spannungsfall. Für die Berechnung des Spannungsfalls zwischen Außenleiter und Sternpunkt bei Drehstromleitungen sind dann für R und X in Gl. 2.5 die Werte nur eines Leiters, des Außenleiters zu berücksichtigen. Zur Berechnung des Spannungsfalls bei Drehstromleitungen zwischen zwei Außenleip tern muss der so ermittelte Wert von UV mit 3 multipliziert werden UV D

p 3 I .R cos '  X sin '/ :

(2.9)

Der prozentuale Spannungsfall UV im Drehstromnetz wird auf die Außenleiterspannung u bezogen. Für die Gebäudeinstallation gibt die DIN VDE 0100, Teil 520 zulässige relative Spannungsfälle uV nach Gl. 2.8 für Leitungen vom Hausanschlusskasten bis zu den Verbrauchern an: uV 3 % bei Beleuchtungsanlagen und (2.10) uV 5 % bei anderen elektrischen Anlagen. Berechnungsbeispiel Der Verdichter einer Kompressionskälteanlage wird durch einen Drehstrommotor angetrieben. Der Außenleiterstrom beträgt I D 125 A. Der Motor ist auf cos ' D 0;9 kompensiert und soll mit einer Leitung NYM 4  95 mm2 , l D 160 m angeschlossen werden. Wie hoch sind Spannungsfall und Leistungsverluste? Nach Tab. 2.16 ergibt sich mit Gl. 2.9 R D 160 m  0;244 m =m D 39;0 m ; XL D 160 m  0;082 m =m D 13;1 m p UV D 3  125 A .39;0 m  0;9 C 13;1 m  0;436/ D 8;69 V 8;69 V D 2;17 % uV D 400 V PV D 3  I 2  R D 1;83 kW :

168

A. Böker und H. Paerschke

2.5.3

Thermisches Verhalten von Leitungen

Jeder stromdurchflossene Leiter wird durch unvermeidliche elektrische Leitungsverluste erwärmt. Leitungen müssen im Normalbetrieb und im Fehlerfall vor unzulässigen Erwärmungen geschützt werden, die sich schädlich auf die Isolation und die Umgebung auswirken. Dazu müssen einerseits die Leiterquerschnitte geeignet gewählt werden. Andererseits werden Überstrom-Schutzeinrichtungen (Leitungsschutzschalter, Schmelzsicherungen) benötigt, zum Schutz der Leitungen gegen  betriebsmäßige Überlastung durch Überlastströme und  vollkommene und unvollkommene Kurzschlüsse. Die Auswahl der Leiterquerschnitte elektrischer Leitungen muss deswegen zwingend gemeinsam mit den zugehörigen Überstrom-Schutzeinrichtungen erfolgen. Das thermische Verhalten einer Leitung kann in guter Näherung durch die einfache Bilanzgleichung Gl. 2.11 beschrieben werden. Die Änderung der Inneren Energie bzw. der Temperatur des Leiters ergibt sich aus der Differenz der im Zeitintervall t zugeführten Wärmeleistung QP zu und der an die Umgebung abgegebenen Wärmeleistung QP ab . QP ab ist proportional zur Leitungsoberfläche AM (Mantelfläche) und steigt mit zunehmender Temperaturdifferenz # zwischen Leiter und Umgebung. Der Wärmeübergangskoeffizient ˛ beschreibt den Wärmeübergang vom Leiterinneren an die Umgebung (analog zum U -Wert der Gebäudehülle). m ist die Masse und c die spezifische Wärmekapazität des Leiters. QP zu  t  QP ab  t D m  c  # I

QP zu D I 2  RL I

QP ab D ˛  AM  #

(2.11)

Umgeformt ergibt sich nach Division durch t im Grenzübergang t ! 0 die Differentialgleichung für den zeitlichen Verlauf der Temperaturerhöhung #.t/

#.t/ C

I 2  RL mc P  #.t/ D : ˛  AM ˛  AM

(2.12)

Gleichungen dieser Struktur beschreiben generell das Beladen von Speichern. Analog z. B. zum Ladevorgang eines Kondensators (vergleiche Abb. 1.28) wächst die Temperatur des Leiters nach Einschalten des Stroms entsprechend Abb. 2.36 nach einer e-Funktion.

Stationäres Verhalten Mit zunehmender Leitertemperatur steigt die Temperaturdifferenz zur Umgebung und damit die abgegebene Wärmeleistung bis bei konstanter Endtemperatur ein Gleichgewicht zwischen zugeführter und abgeführter Wärmeleistung erreicht ist. Der dabei erreichte Temperaturendwert darf die für den Leiter maximal zulässige Betriebstemperatur nach Tab. 2.17 nicht überschreiten. Für den konstanten Gleichgewichtswert #GG ergibt sich P aus Gl. 2.12 mit #.t/ D0  2 I I 2  RL Cu D  r: (2.13)

#GG D ˛  AM A 2˛

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

169

ϑ / °C

160 e-Funktion

adiabate Erwärmung bei Kurzschluss

70 Normalbetrieb

Überlast 30 unbelastet Belastungsbeginn

Abschaltung bei Überlast

Kurzschluss

t Abschaltung bei Kurzschluss

Abb. 2.36 Temperaturverhalten einer elektrischen Leitung bei Normalbetrieb, Überlast und nach einem Kurzschluss (Zeitachse nicht maßstäblich, Temperaturwerte für Kupferleitung mit PVCIsolierung)

Man erkennt: Die Temperaturerhöhung hängt vom Quotienten aus zu und abgeführter Leistung ab. Sie wächst quadratisch mit der Stromdichte J D I =A und linear mit zunehmendem Leiterradius r. Eine doppelte Stromdichte bewirkt eine 4-fache Temperaturerhöhung. Dünnere Leitungen erlauben höhere Stromdichten als dickere. Beispielsweise für eine frei in Luft verlegte 2-adrige Leitung ergibt sich nach Tab. 2.20 (Verlegeart E) bei einem Nennquerschnitt von ACu D 1;5 mm2 eine zulässige Stromdichte J D 20 A=1;5 mm2 D 13;3 A=mm2 . Für ACu D 35 mm2 sind wegen der relativ zum Volumen geringen Leiteroberfläche nur J D 145 A=35 mm2 D 4;14 A=mm2 zulässig.

Thermisches Verhalten bei Kurzschluss Neben der Erwärmung durch den andauernd fließenden Betriebsstrom ist das Temperaturverhalten bei Kurzschluss zu betrachten. Bei einem Kurzschluss fließt ein großer Kurzschlussstrom Ik und die Leitertemperatur steigt sehr schnell an. Innerhalb dieser kurzen Zeit ist die abgeführte Wärmeleistung QP ab vernachlässigbar klein gegenüber der Tab. 2.17 Maximal zulässige Temperaturen und J1s nach Gl. 2.15 für ein- und mehradrige isolierte Kupferleitungen mit ACu 300 mm2 nach [9] Isolation Max. Betriebstemperatur in ı C PVC 70 VPE 90

Max. Endtemperatur in ı C 160 250

J1s in A/mm2 115 143

170

A. Böker und H. Paerschke

zugeführten Wärmeleistung QP zu . Aus der Bilanzgleichung 2.11 ergibt sich QP zu  t D Ik2  R  t D m  c  # und damit ein linearer Temperaturanstieg

# D

Ik2  R  t : mc

Der Anstieg ist umso schneller je größer der Quotient aus zugeführter Wärmeleistung und Wärmekapazität des Leiters ist. Mit der Querschnittsfläche A, dem spezifischen elektrischen Widerstand Cu und der Dichte und der spezifischen Wärmekapazität c der Kupferleitung erhält man   Cu Ik 2 Ik2  Cu  l=A  t :  t D

# D Al c c A Mit den entsprechenden Zahlenwerten erhält man den folgenden quadratisch von der Kurzschlussstromdichte Jk abhängigen Ausdruck für den Temperaturanstieg bei Kurzschluss 

# D K 

Ik A

2  t I

Ik D Jk I A

KD

K  mm4 Cu D 5;00  103 : c A2  s

(2.14)

Umgekehrt lässt sich nach Gl. 2.14 die Zeit t# max ermitteln, in der die bei Kurzschluss zulässige maximale Endtemperatur nach Tab. 2.17 erreicht wird. Der Kurzschlussstrom Ik muss nach höchstens 5 Sekunden unterbrochen werden, jedoch in jedem Fall bevor die zulässige maximale Leiter-Endtemperatur überschritten wird.

t# max

  A 2 D J1s   1s: Ik

(2.15)

Für ein- und mehradrige PVC- oder Polyethylen-isolierte Kupferleitungen sind die entsprechenden Werte von J1s in Tab. 2.17 aufgeführt. Die anschauliche Bedeutung von J1s ist aus Gl. 2.15 abzulesen. Es ist die Stromdichte, bei der die maximal zulässige Endtemperatur innerhalb von 1 Sekunde erreicht werden würde (1-Sekunden-Stromdichte).

2.5.4

Kurzschlussströme in elektrischen Stromkreisen

Für die Bemessung elektrischer Betriebsmittel müssen außer den Dauerbeanspruchungen durch die Betriebsströme und die Betriebspannungen auch die Beanspruchungen bei Kurzschlüssen berücksichtigt werden. Kurzschlussströme erreichen meist ein Vielfaches

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

171

der Betriebsströme. Es kann zu unzulässigen Berührungsspannungen und zur Zerstörung von Betriebsmitteln kommen. Neben der thermischen Belastung kann bei einem Kurzschluss auch ein kurzzeitiger Stoßstrom auftreten. Er verursacht hohe magnetische Kräfte, denen die Betriebsmittel standhalten müssen. Die in einer Anlage bei Kurz- und Körperschluss auftretenden Kurzschlussströme müssen zum Schutz gegen unzulässige Erwärmung und vor unzulässigen Berührungsspannungen durch die zugeordneten Überstrom-Schutzeinrichtungen zuverlässig und schnell genug abgeschaltet werden. Tritt an einer bestimmten Stelle der Niederspannungsverteilung ein Kurzschluss auf, so hängt die Größe des entstehenden Fehlerstroms von der wirksamen Spannung und von der Impedanz des jeweiligen Fehlerstromkreises, der Schleifenimpedanz ab. Beachtet werden müssen die größten auftretenden Kurzschlussströme im Hinblick auf die thermischen und die mechanischen Belastungen (vergl. Gl. 1.107) der Leitungen und Betriebsmittel. Insbesondere muss das Ausschaltvermögen der ÜberstromSchutzeinrichtungen ausreichend sein. Die kleinstmöglichen Kurzschlussströme sind im Hinblick auf die Bemessung der Schutzeinrichtungen von Bedeutung. Sie müssen auch bei den kleinsten Kurzschlussströmen hinreichend schnell abschalten. Dies ist vor allem bei großen Leitungslängen und/oder bei großen Impedanzen der Quelle (Wechselrichter) zu prüfen. Zur Ermittlung dieser Kurzschlussströme (und auch der Spannungsfälle) müssen die Schleifenimpedanzen bestimmt werden. Die Schleifenimpedanzen können bei der Planung berechnet oder an der bestehenden Anlage gemessen werden. Um den fehlerhaften Teil der elektrischen Anlage durch eine Überstrom-Schutzeinrichtung schnell genug automatisch abzuschalten, darf  der durch die Schleifenimpedanz bestimmte Fehlerstrom den maximalen Abschaltstrom der Überstrom-Schutzeinrichtung (Bemessungs-Kurzschluss-Ausschaltvermögen) nicht übersteigen und zur Vermeidung unzulässiger Erwärmung der Leitungen darf die Abschaltzeit nach Gl. 2.29 nicht überschritten werden und  muss der durch die Schleifenimpedanz bestimmte Fehlerstrom groß genug sein, damit die betreffende Überstrom-Schutzeinrichtung schnell genug abtrennt, bevor eine Gefährdung oder Schädigung entsteht. Bei Körperschluss müssen die Abschaltzeiten nach Tab. 2.18 eingehalten werden.

Zeitverlauf des Kurzschlussstroms Der Zeitverlauf von Kurzschlussströmem in elektrischen Netzen unterscheidet sich danach, ob der Kurzschluss in der Nähe eines einspeisenden Generators oder fern vom Generator erfolgt. Generator-nahe Kurzschlüsse sind vor allem für Kraftwerks- und Netzbetreiber von Interesse. Der hier interessierende Kurzschluss im Niederspannungsnetz erfolgt im Allgemeinen fern ab von einem Generator. Zur Berechnung der Zeitverläufe von Kurzschlussströmen bei Generator-fernen Kurzschlüssen kann das Ersatzschaltbild eines Wechselstromkreises ohne Belastung in Abb. 2.37 zu Grunde gelegt werden. Die

172

A. Böker und H. Paerschke

Abb. 2.37 Kurzschluss im Wechselstromkreis

Netzmodell

L

u (t )

~

uL (t ) = L ·

R di (t ) dt

i (t )

uR (t ) = R · i

Ra = ∞ t= 0

Leitungen sind durch die Induktivität L und dem Widerstand R charakterisiert. Der Kurzschluss wird zur Zeit t D 0 durch einen Schalter eingeleitet. Die vorgegebene Spannung u.t/ D uO  sin.!t C 'u / hat den Nullphasenwinkel 'u . Gesucht ist der zeitliche Verlauf des Kurzschlussstroms, d. h. der Strom i.t/ für t  0. Mit dem Maschensatz ergibt sich für t  0 uR .t/ C uL .t/ D i.t/  R C L 

di.t/ D u.t/: dt

Nach Division durch R erhält man die Differentialgleichung (DGL) i.t/ C T 

u.t/ L di.t/ D I T D : dt R R

(2.16)

Die allgemeine Lösung einer solchen Differentialgleichung gewinnt man aus der Summe einer speziellen Lösung is .t/ der DGL und einer allgemeine Lösung ia .t/ der zugehörigen homogenen DGL (das ist die gleiche DGL, jedoch mit u.t/ D 0). Eine spezielle Lösung ist der Stromverlauf is .t/ D iO sin.!t C 'i / im eingeschwungenen Zustand mit dem Nullphasenwinkel 'i . Mit der Phasenverschiebung zwischen Spannung und Strom ' D 'u  'i ergibt sich 'i D 'u  ' und is .t/ D iO sin.!t C 'u  '/. t Mit der flüchtigen Gleichstromkomponente ia .t/ D K  e  T als allgemeine Lösung der homogenen Gleichung ergibt sich die allgemeine Lösung der Gl. 2.16 t i.t/ D is .t/ C ia .t/ D iO sin.!t C 'u  '/ C K  e T :

Mit der Anfangsbedingung i.0/ D 0 ergibt sich K D iO sin.'u  '/. Der Kurzschlussstrom setzt sich somit aus dem stationären Wechselstrom- und dem flüchtigen Gleichstromanteil in folgender Weise zusammen: i h t i.t/ D iO sin.!t C 'u  '/  sin.'u  '/  e T (2.17) p R O L uO 2 2 cos ' D I iD I Z D R C X I X D !L I T D : Z Z R Der erste momentane Spitzenwert des Kurzschlussstroms wird als Stoßkurzschlussstrom ip bezeichnet. Der höchste Stoßkurzschlussstrom stellt sich ein bei einem Kurzschluss im Nulldurchgang der Spannung (d. h. bei 'u D 0). Im Extremfall kann der

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

Abb. 2.38 Kurzschlussstrom im Wechselstromkreis

173 Stoßkurzschlussstrom ≈ 2∙ iˆk i (t )

iˆk

t

Stoßkurzschlussstrom wie in Abb. 2.38 doppelt so groß sein wie die Kurzschlussstromamplitude iOk nach Abklingen der Einschwingvorgänge. Dies ist der Fall bei sin ' D 1 bzw. ' D 90ı ; !L R. Für den Effektivwert des Kurzschlussstroms nach Abklingen der Einschwingvorgänge ergibt sich iOk (2.18) Ik D p : 2 Im Niederspannungsnetz ist der ohmsche Leitungswiderstand im Allgemeinen nicht vernachlässigbar. Bei einem Kurzschluss im Nulldurchgang der Spannung ergibt sich der Stoßkurzschlussstrom in Abhängigkeit von R=X mit Hilfe der Stoßziffer nach Gl. 2.19, [18] p U ip D  2  Ik I Ik D p 2 R C X2 (2.19) 3R=X D 1;02 C 0;98  e : Die Entstehung hochfrequenter Störspannungen bei der Unterbrechung eines Kurzschlussstroms wird in Kap. 6 im Zusammenhang mit Abb. 6.2 erläutert.

Kurzschlüsse in Drehstromsystemen In Drehstromnetzen ist zu unterscheiden zwischen dem dreipoligen Kurzschluss zwischen allen drei Außenleitern, einem zweipoligen Kurzschluss zwischen zwei Außenleitern und dem einpoligen Kurzschluss zwischen Außenleiter und N- bzw. PE-Leiter. Erfahrungsgemäß wird angenommen, dass im Drehstromnetz die höchsten Kurzschlussströme beim 3-poligen Kurzschluss, die kleinsten Kurzschlussströme beim 1-poligen Kurzschluss auftreten. Die für die Höhe des Kurzschlusstroms verantwortlichen Schleifenimpedanzen sind bestimmt durch die ohmschen und induktiven Widerstände der in Serie geschalteten Leitungen, des vorgeschalteten Transformators und des Netzes. Angeschlossene Motoren größerer Leistung können bei Kurzschlüssen kurzfristig zusätzliche elektrische Energie einspeisen. Die Berechnungen der Kurzschlussströme in den verschiedenen Kurzschlussfällen in Drehstromsystemen sind relativ komplex [9, 18, 19] und erfordern vertiefte

174

A. Böker und H. Paerschke a

b U0

ZL

~

ZL

I k3

ZL

~

ZL

ZL

~

~ U0

ZL

I k1

Z LN

I k1

Abb. 2.39 3-poliger Kurzschluss (a), 1-poliger Kurzschluss (b)

Kenntnisse. Zur Berechnung ist geeignete Software erhältlich. Aus den umfangreichen Tabellen im Beiblatt 5 zu DIN VDE 0100 können die maximalen Leitungslängen und die erforderlichen Überstromsicherungen entnommen werden, die sich unter Berücksichtigung des Schutzes bei Kurzschluss, bei indirektem Berühren und des zulässigen Spannungsfalls ergeben.

Vereinfachte Berechnung von Schleifenimpedanzen und Kurzschlussströmen Für Generator-ferne Kurzschlüsse in strahlenförmigen Niederspannungsnetzen vereinfachten sich die Berechnungen von Schleifenimpedanzen und Kurzschlussströmen. Beim 3-poligen Kurzschluss liegt eine symmetrische Belastung aller drei Drehstromphasen vor, der N-Leiter ist stromlos. Die Berechnung kann einphasig durchgeführt werden. Der bei 3-poligen Kurzschluss in jedem Außenleiter fließende Strom Ik ergibt sich nach dem Ohmschen Gesetz. Ik D

p c  U0 cU Dp I ZS D .˙Ri /2 C .˙Xi /2 ZS 3  ZS

(2.20)

Im Falle des 3-poligen Kurzschlussstroms berechnet sich ZS aus den in Reihe geschalteten induktiven Widerständen Xi und den ohmschen Widerständen Ri eines Strangs von der Quelle bis zur Kurzschlussstelle. Die einzelnen, in der Fehlerschleife liegenden ohmschen und induktiven Widerstände von Netz, Trafo und Leitungen werden nach Gl. 2.20 addiert, um den Scheinwiderstand ZS zu berechnen. Für die Berechnung des größten Kurzschlussstroms wird durch den Spannungskorrekturfaktor c D 1;05 ein Sicherheitsaufschlag berücksichtigt. Netzimpedanz Zur Berücksichtigung der Impedanzen des vorgeschalteten Netzes wird die vom Leitungsnetzbetreiber angegebene Kurzschlussleistung Sk am Übergabepunkt benötigt. Sk D

p

3  Un  Ik D

Un2 ZN

(2.21)

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

175

Un ist die Nominalspannung der jeweiligen Netzebene nach Tab. 1.9. Umgestellt erhält man den Wechselstromwiderstand des vorgeschalteten Netzes. ZN D

Un2 Sk

(2.22)

Mit Un D 400 V ergibt sich der auf der Niederspannungsebene wirksame transformierte Wechselstromwiderstand des Netzes. Die Netzimpedanz ist überwiegend induktiv, d. h. der ohmsche Anteil der Netzimpedanz ist vernachlässigbar klein. Es gelten ZN  XN und RN  0. Bei Kurzschlussleistungen Sk  100 MVA ist die Netzimpedanz vernachlässigbar klein. Trafoimpedanz Aus der Scheinleistung ST und der Kurzschlussspannung uk des Transformators ergibt sich sein Wechselstromwiderstand ZT D uk

Un2 : ST

(2.23)

Auch die Trafoimpedanz ist überwiegend induktiv (RT  0;2  XT ). Damit gilt ZT  XT . Bei Trafos kleinerer Leistung ist der ohmsche Widerstand RT zu berücksichtigen. Er ergibt sich aus der Kurzschlussleitung Pk und dem Nennstrom I2N des Trafos. q Pk  3  RT  I2N I XT D ZT2  RT2 (2.24) Leitungsimpedanzen Weiterhin sind die ohmschen und die induktiven Leitungswiderstände zu berücksichtigen. Sie hängen von der Länge und den Querschnitten der Leitungen ab. Die Werte sind der Tab. 2.16 zu entnehmen. Beim 1-poligen Kurzschluss liegt ein unsymmetrischer Belastungsfall vor. Der 1-polige Kurzschlussstrom fließt über den N-Leiter bzw. bei Körperschluss im TN-System über PEund PEN-Leiter bzw. im TT-System über die Erdung zurück. Somit müssen in ZS zusätzlich noch die Widerstände ZLN der Rückleitung (siehe Abb. 2.39) berücksichtigt werden. In unsymmetrischen Belastungsfällen sind die Berechnungen komplizierter112 . Im Ergebnis lässt sich für den hier behandelten Fall analog zu Gl. 2.20 folgende auf der sicheren Seite liegende Näherungsformel für den kleinsten 1-poligen Fehlerstrom in einem TNNetz gewinnen. p cU I ZS D .˙Ri /2 C .˙Xi /2 Ik . p 3  ZS (2.25) ˙Ri D RL C RLN C RT . 0/ C RN . 0/ ; ˙Xi D XL C XLN C XT C XN : 112

Zur Berechnung werden die unsymmetrischen Ströme in leichter zu berechnende symmetrische Komponenten zerlegt und die Impedanzen im Mit-, Gegen- und Nullsystem [20] berechnet.

176

A. Böker und H. Paerschke

RL ; RLN ; XL ; XLN sind die ohmschen bzw. die induktiven Widerstände eines Außenleiters bzw. des N-Leiters. Hier ist c D 0;95 einzusetzen, um weitere Widerstände (Kontaktwiderstände, Widerstände von Schutzeinrichtungen usw.) zu berücksichtigen. Gl. 2.25 lässt die Einflüsse der verschiedenen Abschnitte der Fehlerstromschleife gut erkennen. Ein Berechnungsbeispiel ist in Abschn. 2.5.6 zu finden.

2.5.5 Strombelastbarkeit von elektrischen Leitungen Die Strombelastbarkeit von elektrischen Leitungen wird durch ihr thermisches Verhalten (Abschn. 2.5.3) bestimmt. Die Strombelastbarkeit hängt ab von  der Betriebsart, d. h. vom zeitlichen Verlauf des Belastungsstroms. Für die in den Tabellen angegebenen Werte wird von einer über längere Zeit konstanten Belastung ausgegangen113.  den Verlegebedingungen, da die Verlegung z. B. in Installationsrohren, Kabelkanälen in oder auf Wänden usw. die Wärmeabgabe an die Umgebung stark beeinflusst (Wärmestau)  den Umgebungsbedingungen, die durch die Umgebungstemperatur und die Nachbarschaft von weiteren stromführenden Leitungen (Häufung ) bestimmt sind. In der Praxis der Leitungsauslegung wird die Strombelastbarkeit, d. h. die im Normalbetrieb zulässigen Ströme bzw. Stromdichten üblicherweise mit Hilfe von Tabellen ermittelt. In Tab. 2.19 werden die unterschiedlichen Verlegearten erläutert. In Tab. 2.20 sind die maximal zulässigen konstanten Betriebsströme Ir von Einzelleitungen bei einer Umgebungstemperatur von 30 ı C bei den verschiedenen Verlegearten zusammengestellt. Bei abweichenden Umgebungstemperaturen und Häufung von Leitungen müssen die in Tab. 2.20 angegebenen Strombelastbarkeitswerte Ir nach Gl. 2.26 korrigiert werden. Die zulässige Strombelastbarkeit Iz ergibt sich zu Iz D Ir  f1  f2 :

(2.26)

Der Faktor f1 für abweichende Umgebungstemperatur ist der Tab. 2.21 zu entnehmen. Liegt eine Häufung von Leitungen vor, ist die zulässige Strombelastbarkeit um den Faktor f2 aus Tab. 2.22 bzw. 2.23 vermindert. Berechnungsbeispiel Wie groß ist in Bezug auf die Erwärmung unter Dauerbedingungen der zulässige Strom einer Drehstrom-Mantelleitung NYM mit ACu D 10 mm2 , die zusammen mit 3 weite113

Bei nur kurzzeitigen Belastungen sind höhere Ströme zulässig.

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

177

ren Drehstromleitungen auf einer Kabelpritsche verlegt wird? Die Umgebungstmperatur beträgt 45 ı C. Mit der Verlegeart E nach Tab. 2.19 ergibt sich nach Tab. 2.20 der Referenzwert Ir D 60 A, nach Tab. 2.21 der Temperaturabminderungsfaktor f1 D 0;79 und nach Tab. 2.22 bzw. 2.23 der Häufungfaktor f2 D 0;75. In Bezug auf die Erwärmung unter Dauerbedingungen ist der zulässige Außenleiterstrom Iz D 60 A  0;79  0;75 D 35;6 A :

2.5.6

Schutz von elektrischen Leitungen und Anlagen in Fehlerfällen

Leitungen und elektrische Anlagen müssen nicht nur im Normalbetrieb mit dem Betriebsstrom Ib sondern auch bei Überlastung und in Fehlerfällen gegen zu hohe Erwärmung geschützt werden.  Überlastung entsteht bei einem sonst fehlerfreien Stromkreis, wenn zu viele Verbraucher oder Verbraucher mit zu hoher Stromaufbahme angeschlossen sind.  Kurzschluss entsteht, wenn z. B. durch Isolationsfehler eine leitende Verbindung von 2 Leitern entsteht, die betriebsmäßig untereinander eine Spannung aufweisen.  Körperschluss ist eine z. B. durch einen Isolationsfehler entstehende leitende Verbindung zwischen einem spannungsführenden aktiven Leiter mit dem leitenden Gehäuse eines elektrischen Betriebsmittels (Körper). Um Leitungen vor Überlastung und Kurzschluss zu schützen, werden ÜberstromSchutzeinrichtungen eingesetzt. Als Überstromeinrichtungen werden verwendet  Einrichtungen gegen Überlast und Kurzschluss, wie z. B. Leitungsschutzschalter und Leitungsschutzsicherungen  Einrichtungen, die nur bei Überlast schützen, z. B. Schutzschalter, die nur mit einem thermischen Bimetallauslöser ausgerüstet sind  Einrichtungen, die nur bei Kurzschluss schützen, z. B. Teilbereichsschmelzsicherungen zum Geräteschutz. Die Bemessung von elektrischen Leitungen hat immer gemeinsam mit der Bemessung der zugeordneten Überstrom-Schutzeinrichtungen zu erfolgen.

Überlastschutz Damit der Schutz einer elektrischen Leitung gegen Überlastung durch eine ÜberstromSchutzeinrichtung gewährleistet ist, müssen die folgenden beiden Bedingungen erfüllt sein (2.27) Nennstromregel: Ib In Iz ; Auslöseregel:

I2 1;45  Iz :

(2.28)

178

A. Böker und H. Paerschke

Dabei ist Iz der für den Leiter dauerhaft zulässige Strom nach Gl. 2.26. Die Nennstromregel Gl. 2.27 besagt, dass der im Leiter fließende Dauerbetriebsstrom Ib nicht größer sein darf als der Bemessungsstrom In der zum Schutz eingesetzten ÜberstromSchutzeinrichtung und dieser nicht größer als der zulässige Strom Iz für die Leitung. In ist der Strom, den die Überstrom-Schutzeinrichtung dauerhaft ohne abschalten führen kann. Der Strom I2 in Gl. 2.28 ist neben dem Bemessungsstrom In eine weitere wesentliche Kenngröße von Überstrom-Schutzeinrichtungen. Beim Strom I2 schaltet die ÜberstromSchutzeinrichtung in einer für die jeweilige Schutzeinrichtung festgelegten Zeit sicher ab. I2 wird auch als großer Prüfstrom bezeichnet. Die üblicherweise eingesetzten Leitungsschutzschalter der Typen B, C und D (vergl. Tab. 2.8) schalten passend zur thermischen Trägheit von elektrischen Leitungen bei I2 D 1;45  In spätestens nach einer Stunde ab (Umgebungstemperatur von 30 ı C). Bei Verwendung solcher Überstrom-Schutzeinrichtungen mit I2 1;45  In vereinfacht sich die Auslegung: Bei Gültigkeit von Gl. 2.27 ist Gl. 2.28 automatisch erfüllt und muss nicht extra untersucht werden. Bei Leitungen mit zwei stromführenden Adern in Verlegart C (auf oder in Wand) gilt dies auch für Schmelzsicherungen vom Typ gG (für allgemeine Zwecke). Bei anderen Verlegearten ist für Schmelzsicherungen sicherheitshalber mit I2 D 1;6  In zu rechnen. In Tab. 2.7 sind die genormten Bemessungsstromstärken In von Schmelzsicherungen angegeben. Berechnungsbeispiel Ein Drehstromgerät mit der Scheinleistung S D 20 kW soll über eine Mantelleitung NYM versorgt werden. Die Leitung wird mit einer weiteren Leitung auf einer unperforierten Kabelwanne verlegt. Die maximale Umgebungstemperatur beträgt 25 ı C. Wie groß ist der kleinstmögliche Leiterquerschnitt und der Bemessungsstrom der zugeordneten Schmelzsicherung nach Tab. 2.7? Unter Verwendung der Tab. 2.21, 2.22 und 2.23 und Ir nach Tab. 2.20 sowie Gl. 2.27 ergibt sich 25:000 VA Dp D 36;1 A 3U 3  400 V f1 D 1;06 I f2 D 0;84 ! Izul D Ir;30 ı C  1;06  0;84 Ib D p

S

gefordert: Ib D 36;1 A < In < Izul für PVC-Mantelleitung, Verlegeart E, mit 3 stromführenden Adern und Ir 1. Versuch: ACu D 6 mm; Izul D 43 A1;060;84 D 38;3 A < In D 40 A, nicht möglich! 2. Versuch: ACu D 10 mm; Izul D 60 A  1;06  0;84 D 53;4 A > In D 40 A.

Kurzschlussschutz Bei einem Kurzschluss muss der Kurzschlussstrom Ik unterbrochen werden, bevor die zulässige maximale Leiter-Endtemperatur nach Gl. 2.15 überschritten wird. Wegen der

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

Tab. 2.18 Abschaltzeiten im TN-System nach DIN VDE 0100 Teil 410

179

Einsatz für

Spannung AC

Steckdosenstromkreise und Leitungen für ortsveränderliche Betriebsmittel der Schutzklasse I Verteilstromkreise in Gebäuden und Endstromkreise ausschließlich für ortsfeste Verbraucher

Abschaltzeit

tS 50 bis 120 V 0;8 s 120 bis 230 V 0;4 s 230 bis 400 V 0;2 s > 400 V 0;1 s 5s

dabei auftretenden hohen Temperaturen muss dies jedoch spätestens nach 5 Sekunden erfolgen. Für die höchst zulässige Abschaltzeit tS muss demnach gelten

t# max

  A 2 D S1s   1sI Ik

tS D Min Πt# max ; 5 s :

(2.29)

Für ein- und mehradrige PVC- oder Polyethylen-isolierte Kupferleitungen sind die Werte der 1-Sekunden-Stromdichte S1s in Tab. 2.17 aufgeführt. Berechnungsbeispiel Bei einer PVC-isolierten Kupferleitung mit A D 6 mm2 und einem Kurzschlussstrom Ik D 600 A erhält man für die höchst zulässige Abschaltzeit tS  2 A 6 mm2

t# max D 115   1 s D 1;152  s D 1;32 s : mm2 600 A

Schutz gegen indirektes Berühren bei Körperschlusss In TN-Netzen dienen die Überstrom-Schutzeinrichtungen zum Abschalten der fehlerhaften Anlagenteile bei Körperschlüssen. Tritt im TN-Netz ein (widerstandsfreier) Körperschluss auf, so wird die Fehlerschleife durch den Außenleiter und den PE-Leiter gebildet (vergl. Abb. 2.24 und 2.26). Beide Leiter haben im Allgemeinen die gleiche Impedanz. Die Spannung U0 D 230 V teilt sich auf, so dass am betroffenen Körper maximal eine Berührungsspannung von U0 =2 D 125 V gegen Erde auftritt. Bei Berührung durch Mensch oder Tier fließt ein mit der Einwirkungsdauer zunehmend gefährlicher Strom (vergl. Abb. 2.19). Dementsprechend sind bei Körperschluss zur Gewährleistung des Berührungsschutzes die maximalen Abschaltzeiten tS nach Tab. 2.18 vorgeschrieben. Bei großen Leitungslängen und großen Schleifenimpedanzen (z. B. bei TT-Netzen) sind die fließenden Körperschlussströme oftmals so niedrig, dass die geforderten Abschaltzeiten durch Überstrom-Schutzeinrichtungen nicht gewährleistet werden können. Dann ist ein zusätzlicher Schutz erforderlich. Dazu werden Fehlerstrom-Schutzschalter (RCDs) nach Abb. 2.16 verwendet, die auch bei kleineren Körperschlussströmen hinreichend schnell abschalten. Sie sind sinnvoll für Steckdosenstromkreise und vorgeschrieben für Schwimmbäder, Ausbildungsstätten und Stromkreise im Außenbereich.

180

A. Böker und H. Paerschke

Oft werden RCDs nicht ausschließlich für die Einhaltung der Abschaltzeiten benutzt. Sie bieten einen zusätzlichen Schutz. Hochempfindlich RCDs mit einem Bemessungsdifferenzstrom von 30 mA begrenzen den Strom durch den menschlichen Körper auch bei direktem Berühren von Spannung führenden Teilen. Bei gefährlichen Strömen über 30 mA schaltet die RCD in kürzester Zeit (ca. 40 ms) ab.

Anordnung und Selektivität von Überstromeinrichtungen Die Überstrom-Schutzeinrichtungen (ÜSE) sind stets am Anfang der zu schützenden Leitung einzusetzen, wie das Netzbeispiel in Abb. 2.40 zeigt. Bei jeder Verringerung des Leiterquerschnitts ist eine angepasstee ÜSE erforderlich. Dabei ist darauf zu achten, dass die Selektivität der gestaffelten ÜSE gewährleistet ist. D. h. bei Auslösen durch einen Überstrom soll nur die direkt vorgeordnete ÜSE auslösen damit nicht auch andere ungegeschädigte Anlagenteile abgeschaltet werden. Dazu müssen die untergeordneten ÜSE für jeden möglichen Auslösestrom schneller auslösen als die übergeordneten. Die entsprechende Strom-Auslösezeit-Kennlinie der übergeordnete ÜSE muss stets links von derjenigen der untergeordneten liegen (vergl. Abb. 2.13). Wegen der unvermeidbaren Bauteilstreuungen ist dies erfahrungsgemäß erst gegeben, wenn der Nennwert der untergeordneten ÜSE zwei Stufen niedriger ist als der Nennwert der übergeordneten ÜSE. Können sehr großen Kurzschlussströme auftreten, die das Abschaltvermögen (den maximale Abschaltstrom) des zum Leitungsschutz eingesetzten Leitungsschutzschalters überschreiten, wird als Back-up-Schutz eine Schmelzsicherung vorgeordnet, die auch die größten Kurzschlussströme sicher abschalten kann. Messung der Schleifenimpedanz Um in einer bestehenden elektrischen Anlage die Einhaltung der Abschaltzeiten nach Tab. 2.18 zu überprüfen, muss der Kurzschlussstrom gemessen werden. Der Kurzschlussstrom einer Anlage ist naturgemäß nicht direkt messbar. Der Messvorgang erfolgt mit einem speziellen Mess- und Prüfgerät für Schutzmaßnahmen in ortsfesten elektrischen Anlagen. Ein solches Gerät misst die Spannung U0 im unbelasteten Fall und die Spannung U bei einer Belastung mit einem definierten Widerstand R zwischen etwa 5 und 25 . Aus dem im belasteten Fall fließenden Strom I und der am Schleifenwiderstand RS abfallenden Spannungsdifferenz U wird der Schleifenwiderstand intern ermittelt und meist zusammen mit dem zu erwartenden Kurzschlussstrom Ik direkt angezeigt RS D

U0  U

U D I I I

Ik D

U0 : RS

(2.30)

Diese in den Messgeräten für die Schleifenimpedanz verwendete Berechnungsformel ist wegen der Vernachlässigung von Phasenverschiebungen nur bei rein ohmschen Schleifenwiderständen korrekt. Deswegen sind Messungen mit solchen Messgeräten nur bei Leitungen mit niedrigen Induktivitätsbelägen bei ACu 70 mm2 sinnvoll. Die ermittelten Messwerte sind mit einem systematischen Fehler in der Größenordnung von ˙ 30 % be-

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

181

HV Netz

In2 = 35 A, NYM 4x6mm2 l2 = 150 m

Trafo KS1

KS2

M

SN = 50 MVA ST = 400 kVA uk = 4 % In1 = 160 A NYY 4x70mm2, l1 = 280 m

KS3

G UV

In3 = 25 A, NYM 5x2,5 mm2 l3 = 80 m

Abb. 2.40 TN-Netz mit Hauptverteilung HV, Unterverteilung UV und ortsveränderliches Gerät G

haftet. Die angezeigte Schleifenimpedanz ist deswegen mit einem Sicherheitsfaktor von 1,5 zu multiplizieren und Ik durch 1,5 zu dividieren.

Berechnungsbeispiel, Kurzschlussströme, Abschaltbedingung Für das Netzbeispiel in Abb. 2.40 soll an den angegebenen Stellen der kleinste einpolige Kurzschlussstrom berechnet werden, um die Abschaltbedingungen bei Kurzschluss bzw. bei Körperschluss zu prüfen. Nach Gl. 2.22, 2.23 und Tab. 2.16 erhält man 4002 0;04  4002 D 3;20 m  X I Z D D 16;0 m  XT N T 50  106 400  103 D 19;2 m m D 2  0;336  280 m D 188 m m m D 2  3;66  150 m D 1098 m m m D 2  8;77  80 m D 1404 m m

ZN D XN C XT Rl1 Rl2 Rl3

Die induktiven Widerstände der Leitungen mit ACu 70 mm2 können als vernachlässigbar angesehen werden. Man erhält die Schleifenimpedanzen ZS1 bis ZS3 und die entsprechenden Kurzschlussströme Ik . Mit den Bemessungsströmen In der Schmelzsicherungen sind aus den Auslösekennlinien in Abb. 2.13 und 2.41 die Abschaltzeiten tS ablesbar. p .XN C XT /2 C .2 RL1 /2 D 19;02 C 1882 m D 189 m 0;95  400 V D 1161 A ; Ik D p 3  0;189 In1 D 160 A ; tS  0;8 s 5 s; Schutz gg. indirektes Berühren

KS1 W ZS1 D

p

182

A. Böker und H. Paerschke

KS2 W ZS2 D

p

19;02 C .188 C 1098/2 m D 1289 m 0;95  400 V D 170;6 A ; Ik D p 3  1;289 In2 D 35 A ; tS  1;5 s 5 s; Schutz gg. indirektes Berühren p KS3 W ZS3 D 19;02 C .188 C 1404/2 m D 1592 m 0;95  400 V D 138 A ; Ik D p 3  1;592 In3 D 25 A ; tS  1 s > 0;2 s; kein Schutz gg. indirektes Berühren In diesem Beispiel ist die Leitung l3 bei Verwendung einer Schmelzsicherung zu lang für den Schutz gegen indirektes Berühren. Abhilfe kann der Einsatz eines Leitungsschutzschalters vom Standardtyp B mit IN D 25 A sein, der bei der hier gegebenen Überschreitung des 5-fachen Nennstroms in jedem Fall hinreichend schnell magnetisch auslöst. Außerdem könnte der Schutz auch durch vergrößerte Leiterquerschnitte oder bei einem TN-S-Netz durch Einsatz eines RCD gewährleistet werden.

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

183

4

10

I2_06091a

tvs

6 4 2 3

10 6 4 2

2

10 6 4 2

1

10 6 4 2

0

10 6 4

4A

2 2A

-1

10

10 A 6A

20 A 16 A

35 A

63 A

25 A

50 A

100 A 80 A

6 4 2 -2

10 6 4 2 10

-3 4

6

8 10 1

2

4

6

8 10 2

2

4

6

8 10 3

2

A

Ieff Abb. 2.41 Zeit-Strom-Kennlinien von Neozed Sicherungen (Quelle: Siemens [12])

4

184

A. Böker und H. Paerschke

Tabellenanhang Tab. 2.19 Referenzverlegearten in und an Gebäuden bzw. in Luft Verlegearten von Kabeln und isolierten Leitungen nach DIN VDE 0298 Teil 4 Verlegeart Verlegebedingungen Verlegung in wärmedämmenden Wänden, Decken oder Fußböden A – A1: Aderleitungen im Elektroinstallationsrohr, – A2: mehradrige Leitung im Elektroinstallationsrohr

B1

Verlegung in Elektroinstallationsrohren oder -kanälen auf oder in Wänden oder Decken: – Aderleitungen in Elektroinstallationsrohren oder in Elektroinstallationskanälen auf der Wand oder an der Decke – Aderleitungen, einadrige Mantelleitungen oder mehradrige Leitung im Elektroinstallationsrohr im Mauerwerk

B2

Verlegung in Elektroinstallationsrohren oder -kanälen auf Wänden, Decken oder auf Fußböden: – Mehradrige Leitung im lnstallationsrohr auf der Wand, Decke oder Fußboden – mehradrige Leitung im Elektroinstallationskanal auf der Wand, Decke oder Fußboden

C

Verlegung direkt auf oder in der Wand, Decke oder Fußboden, Verlegung im und unter Putz: – Mehradrige Leitung oder einadrige Mantelleitungen auf der Wand, Decke oder auf dem Fußboden, – mehradrige Leitung oder Stegleitung in der Wand oder unter Putz

E

Verlegung frei in der Luft mit ungehinderter Wärmeabgabe: – Z. B. mehradrige Leitungen, verlegt mit einem Abstand zur Wand  0;3 Leitungsdurchmesser

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

185

Tab. 2.20 Strombelastbarkeit bei vereinbarten Betriebsbedingungen Strombelastbarkeit Ir (Referenzwerte) von fest verlegten PVC-isolierten Leitungen, in den Verlegearten A1, A2 bis E bei einer Umgebungstemperatur von 30 ı C nach DIN VDE 0298 Teil 4 Verlegeart A1 A2 B1 B2 C E Anzahl der 2 3 2 3 2 3 2 3 2 3 2 3 belasteten Adern ACu in Strombelastbarkeit Ir in A mm2 1,5 15,5 13,5 15,5 13,3 17,5 15,5 15,5 14 19,5 17,5 20 18,5 2,5 19,5 18 18,5 17,5 24 21 21 19 26 24 27 25 4 26 24 25 23 32 28 28 26 35 32 37 34 6 34 31 32 29 41 36 37 33 46 41 48 43 10 46 42 43 39 57 50 50 46 63 57 66 60 16 61 56 57 52 76 68 68 61 85 76 89 80 25 80 73 75 68 101 89 90 77 112 96 118 101 35 99 89 92 83 125 111 110 95 138 119 145 126 50 119 108 110 99 151 134 70 151 136 139 125 193 171 95 182 164 167 150 232 207

Tab. 2.21 Strombelastbarkeit bei abweichenden Umgebungstemperaturen Umrechnungsfaktoren f1 für abweichende Umgebungstemperaturen nach DIN VDE 0298 Teil 4 Umgebungstem- 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 peratur in ı C PVC-Isolation 1,22 1,17 1,12 1,06 1,0 0,94 0,87 0,79 0,71 0,61 0,5 – – ERP~Isolation 1,18 1,14 1,1 1,05 1,0 0,95 0,89 0,84 0,77 0,71 0,63 0,55 0,45 a

Ethylen-Propylen-Kautschuk

186

A. Böker und H. Paerschke

Tab. 2.22 Strombelastbarkeit bei Häufung für die Verlegearten A, B1, B2 und C Umrechnungsfaktoren f2 für Häufung von Leitungen, für die Verlegearten A, B1, B2 und C nach DIN VDE 0298 Teil 4 Anordnung der Leitungen Anzahl der mehradrigen Leitungen oder Anzahl der Wechsel- oder Drehstromkreise aus einadrigen Leitungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Gebündelt di1,0 0,8 0,7 0,65 0,6 0,57 0,54 0,52 0,5 0,48 rekt auf der Wand, dem Fußboden, im Elektroinstallationsrohr oder -kanal, auf oder in der Wand 1,0 0,85 0,79 0,75 0,73 0,72 0,72 0,71 0,7 – Einlagig auf der Wand oder auf dem Fußboden ohne Zwischenraum 1,0 0,94 0,9 0,9 0,9 0,9 0,9 0,9 0,9 0,9 Einlagig auf der Wand oder auf dem Fußboden mit Zwischenraum (Abstand  d)

Tab. 2.23 Strombelastbarkeit bei Häufung für die Verlegeart E Umrechnungsfaktoren f2 für Häufung von Leitungen für die Verlegeart E nach DIN VDE 0298 Teil 4 Anordnung der Leitungen Anzahl Anzahl der Leitungen der Pritschen 1 2 3 4 Unperforierte Kabelwannen 1 0,97 0,84 0,78 0,75 Wandabstand  20 mm 2 0,97 0,83 0,76 0,72 vertikaler Abstand  300 mm 3 0,97 0,82 0,75 0,71 Kabelpritschen, Auflagefläche < 10 % Wandabstand  20 mm vertikaler Abstand  300 mm

1 2 3

1,0 1,0 1,0

6 0,71 0,68 0,66

9 0,68 0,63 0,61

0,88 0,83 0,81 0,79 0,78 0,86 0,81 0,78 0,75 0,73 0,85 0,79 0,76 0,73 0,70

2

Niederspannungsnetze im Gebäude

187

Literatur 1. ABB Asea Brown Boveri Ltd. Internet Auftritte. www.abb.com und www.abb.de 2. SmartGrids – European Technology Platform for the Electricity Networks of the Future. Internet Auftritt. www.smartgrids.eu. 2006 3. Buchholz, B., Styczynski, Z.: Smart Grids – Grundlagen und Technologien der elektrischen Netze der Zukunft, 1. Aufl. VDE Verlag GmbH, Berlin Offenbach (2014). ISBN 978-3800735624 4. Heuck, K., Dettmann, K.-D., Schulz, D.: Elektrische Energieversorgung – Erzeugung, Übertragung und Verteilung Elektrischer Energie, 9. Aufl. Springer Vieweg Verlag, Wiesbaden (2013). ISBN 978-3834816993 5. Boy, H.-G., Dunkhase, U., Beiter, R.: Elektro-Installationstechnik, 13. Aufl. Vogel Business Media, Würzburg (2011). ISBN 978-3834331878 6. Hösl, A., Ayx, R., Busch, H.-W.: Die vorschriftsmäßige Elektroinstallation – Wohnungsbau Gewerbe Industrie, 21. Aufl. VDE Verlag GmbH, Berlin, Offenbach (2016). ISBN 9783800738960 7. Kasikci, I.: Elektrotechnik für Architekten, Bauingenieure und Gebäudetechniker: Grundlagen und Anwendung in der Gebäudeplanung, 1. Aufl. Springer Vieweg, Wiesbaden (2013). ISBN 978-3834808530 8. Kasikci, I.: Planung von Elektroanlagen – Theorie, Vorschriften, Praxis, 2. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York (2015). ISBN 978-3642409691 9. Kiefer, G., Schmolke, H.: VDE 0100 und die Praxis – Wegweiser für Anfänger und Profis, 16. Aufl. VDE Verlag GmbH, Berlin, Offenbach (2017). ISBN 978-3800743445 10. Schmolke, H.: Elektroinstallation in Wohngebäuden – Handbuch für die Installationspraxis, 8. Aufl. VDE Verlag GmbH, Berlin, Offenbach (2015). ISBN 978-3800740888 11. Flosdorff, R., Hilgarth, G.: Elektrische Energieverteilung, 9. Aufl. Vieweg+Teubner Verlag – Springer, Wiesbaden (2005). ISBN 978-3519364245 12. Siemens AG Industry: Bilddatenbank. www.automation.siemens.com/bilddb, Zugriff: 31.01.2019 13. Westnetz GmbH. Medien Center. www.westnetz.de und www.presse.westnetz.de 14. Siemens Global Website. Press Pictures – Pressefotos. www.siemens.com/presse und www.siemens.de 15. ABB Stotz-Kontakt GmbH. Auslöse-Charakteristiken für Sicherungsautomaten im Vergleich. www.abb.de/stotzkontakt – Druckschrift Nummer 2CDC 400 002 D0104 gedruckt in Deutschland (11.11-10-ZVD) 16. Schlabbach, J.: Elektroenergieversorgung – Betriebsmittel, Netze, Kennzahlen und Auswirkungen der elektrischen Energieversorgung, 3. Aufl. VDE Verlag, Berlin Offenbach (2010). ISBN 978-3800731084 17. ZVEI – Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V.: Leitfaden für FehlerstromSchutzeinrichtungen und elektrische Antriebe (2009). www.zvei.org (Erstellt: 10.2009). 2. Auflage 18. Schwab, A.J.: Elektroenergiesysteme – Erzeugung, Übertragung und Verteilung elektrischer Energie. Springer, Berlin Heidelberg New York (2015). ISBN 978-3662468562 19. Andreas Böker. Analytische Berechnung von symmetrischen und asymmetrischen Kurzschlussströmen in Drehstromnetzen mit Generator- und Netzeinspeisungen. Dissertation. Hamburg, 1996 20. Schwab, A.: Elektromagnetische Verträglichkeit. Springer, Berlin, Heidelberg, New York (2013). ISBN 978-3662069806

Halbleitertechnik Hartmuth Paerschke

Halbleiter sind Festkörper, deren Leitfähigkeit zwischen der von Isolatoren und metallischen Leitern liegt. Halbleiterbauelemente, wie Gleichrichterdioden, Leuchtdioden, Transistoren, integrierte Schaltkreise, Laserdioden und Photovoltaikzellen finden die vielfältigsten Anwendungen in der Nachrichtentechnik, der Leistungselektronik, der Informationstechnik, der Photovoltaik und in der Beleuchtungs- und Sensortechnik. Neben den Kapiteln zur Halbleitertechnik in den empfehlenswerten Elektrotechnik-Grundlagenbüchern [1–3] werden in [4–6] die Grundlagen und viele Anwendungen der Elektronik und Leistungselektronik vertiefend behandelt.

3.1 Halbleiter Grundlegend für das Verständnis der Vorgänge in Halbleiterbauelementen ist das bereits in Zusammenhang mit der Leitfähigkeit fester Leiter in Abb. 3.1 dargestellte Bändermodell des Festkörpers. Bei einem Halbleiter befinden sich die in der äußeren Schale der Atome befindlichen Valenzelektronen im obersten besetzten Energieband, dem Valenzband (VB). Dort sind sie an die Atomrümpfe gebunden und stehen für die Bildung eines Stroms nicht zur Verfügung. Bei Halbleitern können Valenzelektronen durch Zufuhr von Energie aus ihrem Verbund gerissen werden und über die die verbotene Zone VZ in das Leitungsband (LB) gelangen. Dort können sie sich bewegen und elektrischen Strom transportieren. Die Energien auf atomarer Ebene werden üblicherweise in Elektronenvolt angegeben. 1 eV ist die Energie, die ein Elektron benötigt, um eine Potentialdifferenz von 1 V zu überwinden.

H. Paerschke () Fakultät 05 – Energie- und Gebäudetechnik, Hochschule München München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 189 A. Böker, H. Paerschke, E. Boggasch, Elektrotechnik für Gebäudetechnik und Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20971-1_3

3

190

H. Paerschke LB LB Wg ≥ 5 eV VB

LB

Wg < 5 eV VB

1 eV ≈ 1,602 10‒19 J

VB

Abb. 3.1 Lage von Valenzband (VZ) und Leitungsband (LB) für Isolatoren, Halbleiter und Metalle

Mit der Elementarladung e D 1;602  1019 C ergibt sich 1eV D 1;602  1019 As  1V D 1;602  1019 J:

(3.1)

Die Energie W eines Lichtquants (Photon) ist nach W Dhf I

h  6;626  1034 J  s

(Planck-Konstante):

(3.2)

proportional zu seiner Frequenz f. Ein Photon von rotem Licht hat z. B. eine Energie von etwa 2 eV. Man kann die verschiedenen halbleitenden Materialien unterteilen in Elementhalbleiter aus 4-wertigen Atomen wie Silizium (Si) und Germanium (Ge) und in die Verbindungshalbleiter. Verbindungshalbleiter bestehen aus chemischen Verbindungen unterschiedlicher Elemente, die im Mittel 4 Valenzelektronen besitzen. Verbindungen aus Elementen der III. und der V. Hauptgruppe des Periodensystems der Elemente wie Indiumantimonid (InSb) und Galliumarsenid (GaAs) nennt man III-V-Halbleiter, Verbindungen aus Elementen der II. Nebengruppe mit Elementen aus der VI. Hauptgruppe, wie beispielsweise Cadmiumsulfid (CdS) und Zinkselenid (ZnSe) II-VI-Halbleiter. Darüber hinaus gibt es halbleitende kohlenstoffhaltige, organische Materialien, die in zunehmendem Maße in Leuchtdioden (OLEDs) eingesetzt werden. Die Atome bzw. die Moleküle bilden je nach Herstellungsprozess in geordneter Weise einen Kristall oder ungeordnet einen amorphen Festkörper. Silizium (Si) ist das in der Halbleitertechnik am weitesten verbreitete Halbleitermaterial. Es ist nach Sauerstoff das am zweithäufigsten in der Erdkruste vorkommende Element. Für den Einsatz in Halbleiterbauelementen muss Silizium in einem aufwändigen Herstellungsprozess in hochreiner Form hergestellt werden.

3.1.1 Eigenhalbleiter und Eigenleitung Im Folgenden sollen die Vorgänge im Halbleiter am Beispiel des Siliziumkristalls erläutert werden. Im reinen Siliziumkristall ordnen sich die Siliziumatome so an, dass jedes Siliziumatom 4 unmittelbare Nachbarn hat. Abb. 3.2 zeigt in zweidimensionaler Vereinfachung einen Ausschnitt aus einem reinen Siliziumkristall. Zur Veranschaulichung kann man sich vorstellen, dass jedes der 4 Valenzelektronen mit einem der Valenzelektronen eines Nachbaratoms eine Elektronenpaarbindung eingeht. Die Valenzelektronen sind an ihrem Platz fest gebunden und es bedarf eines „Anstoßes“, ein

3

Halbleitertechnik

191

a

b E

Si

LB

Leitungs-

h⋅f

Si

Si

Wg Rekombination

Si VB

Si

Valenzband

h⋅f

x

Abb. 3.2 Vereinfachtes 2-dimensionales Modell der Bindungsverhältnisse in einem reinen Siliziumhalbleiter (a) und Bändermodell mit Bildung eines Elektron-Lochpaares durch Absorption eines Lichtquants der Energie h  f und Rekombination (b)

Valenzelektron vom Atom loszureißen. Die dazu erforderliche Energie kann z. B. durch Wärmebewegung oder durch Licht (innerer Photoelektrischer Effekt, Photoleitung) zugeführt werden. Es entsteht ein frei bewegliches Elektron und ein Loch an der Herkunftsstelle dieses Elektrons. Das von dem Valenzelektron befreite Siliziumatom trägt eine einfach positive Gesamtladung. Da jedes frei gesetzte bewegliche Elektron genau ein Loch hinterlässt, ist ihre Anzahl in jedem Volumenelement eines reinen Siliziumkristalls genau so groß wie die Anzahl der Löcher. Es bilden sich Elektron-Loch-Paare, der Halbleiter bleibt dabei elektrisch neutral. Solche Halbleiter nennt man Eigenhalbleiter. Die Anzahl der frei beweglichen Elektronen pro Volumenelement, bzw. ihre räumliche Dichte oder Konzentration ne0 stimmt im reinen Siliziumkristall entsprechend Gl. 3.3 mit der räumlichen Dichte np0 der Löcher überein. Neben den freigesetzten Elektronen im Leitungsband tragen auch die im Valenzband entstandenen Löcher zur elektrischen Leitfähigkeit bei, indem ein Valenzelektron eines benachbarten Siliziumatoms in das entstandene Loch springen kann. Im Effekt ist damit ein Loch mit einem positiven Ladungsüberschuss zum dem benachbarten Siliziumatom weiter gewandert. In diesem Sinne spricht man bei Halbleitern von einer Leitung durch negative bewegliche Elektronen und durch positiv geladene Löcher. Die Vorgänge im Halbleiterkristall lassen sich im Bändermodell verdeutlichen. Durch Aufnahme thermischer Energie oder durch Absorption eines Lichtquants mit der Frequenz f bzw. nach Gl. 3.2 mit der Energie W D h  f kann ein Valenzelektron über die Energielücke aus dem Valenzband in das Leitungsband gehoben werden, wo es Energie aufnehmen und sich frei bewegen kann. Es hinterlässt im Valenzband ein positiv geladenes Loch. Das Valenzband ist damit nicht mehr vollständig gefüllt. In das vorhandene Loch kann mit wenig Energieaufwand ein Valenzelektron eines benachbarten Siliziumatoms springen. Dabei ist das Loch von der ursprünglichen Stelle an die Stelle weiter gewandert, von der das nachrückende Elektron stammte. Man kann das auch so auffassen, dass ein positiv geladenes Loch im Valenzband entgegengesetzt zum Elektron gewandert ist. In diesem Sinne erfolgt die elektrische Leitung im Halbleiter sowohl durch freie (negative) Elektronen im Leitungsband als auch durch positive Löcher im Valenzband. Die

192

H. Paerschke

positiv geladenen Donatoren und die negativ geladenen Akzeptoren bleiben unbeweglich zurück. Um die Bewegung von Elektronen und Löchern zu veranschaulichen, wird im Bändermodell des Halbleiters zur senkrechten Energieachse eine horizontale Achse mit der Ortskoordinate x hinzugefügt. Auf der horizontalen Achse ist der Ort und auf der senkrechten Achse die Energie des betreffenden Teilchens dargestellt. Treffen herumwandernde Elektronen und Löcher aufeinander, so kann das Elektron unter Energieabgabe in das Loch im Valenzband zurück springen. Diesen Vorgang nennt man Rekombination. Im thermischen Gleichgewicht werden im Eigenhalbleiter pro Zeiteinheit genauso viele Elektron-Lochpaare erzeugt, wie durch Rekombination verschwinden. Die Ladungsträgerdichte und damit die Leitfähigkeit von Eigenhalbleitern steigen mit der Temperatur stark an. Bei absoluten Temperaturen in der Nähe des Nullpunkts ist das Valenzband voll besetzt und das Leitungsband vollkommen unbesetzt. Der Halbleiter verhält sich wie ein Isolator. Bei zunehmender Temperatur T steigt in Anhängigkeit von der Energielücke W zwischen Valenz- und Leitungsband die räumliche Dichte ne0 der freien Elektronen und np0 der Löcher und damit die Leitfähigkeit des Halbleiters: ne0 D np0 D ni D f .T /:

(3.3)

Bei Zimmertemperatur ergibt sich ca. 1 Elektron-Loch-Paar auf 1012 Siliziumatome. Die Ladungsträgerdichte ni in reinen, undotierten Halbleitern wird intrinsische Ladungsträgerdichte oder Eigenleitungsdichte genannt. Ein Eigenhalbleiter wird deshalb oft auch als intrinsischer Halbleiter bezeichnet, der dominierende Leitungsmechanismus ist die stark temperaturabhängige Eigenleitung.

3.1.2 Dotierte Halbleiter und Störstellenleitung Bei einem reinen Halbleiter sind die Ladungsträgerkonzentrationen von freien Elektronen und Löchern gleich groß und beide Ladungsträgerarten tragen zum Stromtransport bei. Man spricht von Eigenleitung. Die Zahl der Ladungsträger und die Leitfähigkeit sind aber um viele Größenordnung geringer als in Metallen. Durch Dotierung, d. h. durch gezielte Zugabe mit Fremdatomen (Störstellen) werden zusätzliche Ladungsträger für den Stromtransport freigesetzt. Je nach Grad der Dotierung kommt etwa 1 Störstelle auf 106 Siliziumatome. Man unterscheidet die Dotierung mit Donatoren, das sind Atome, die im Halbleiter zusätzliche Elektronen im Leitungsband freisetzen (lat. donare = schenken) und die Dotierung mit Akzeptoren, die Elektronen aus dem Valenzband aufnehmen und damit Löcher im Valenzband hinterlassen. Dominiert die Zahl der durch Störstellen gelieferten beweglichen Ladungsträger, spricht man von Störstellenleitung.

n-Halbleiter Die Dotierung eines Siliziumkristalls mit 5-wertigen Atomen wie z. B. mit Arsen, ist in Abb. 3.3 schematisch auf der linken Seite dargestellt. Das 5-wertige Arsenatom substi-

3

Halbleitertechnik

Si

193

n-Leiter

p-Leiter

Si

Si

A

Si

Si

In

Si +

Si

Si

Abb. 3.3 n-leitender Silizium-Halbleiter mit Dotierung durch 5-wertige Donatoratome, die jeweils ein zusätzliches Elektron in das Leitungsband abgeben können, Stromtransport durch negative Elektronen im Leitungsband. p-leitender Silizium-Halbleiter mit Dotierung durch 3-wertige Akzeptoratome, Stromtransport durch positive Löcher im Valenzband

tuiert ein Si-Atom. Das 5. Valenzelektron des Arsenatoms ist nicht in Bindungen einbezogen und kann durch sehr geringe Energiezufuhr vom Donatoratom entfernt und in das Leitungsband gehoben werden. Das Energieniveau dieses Elektrons liegt damit kurz unterhalb des Leitungsbands. Bei Zimmertemperatur haben so gut wie alle Donatoren ihr schwachgebundenes Elektron in das Leitungsband abgegeben. Die Zahl der von den Donatoren freigesetzten (negativen) Elektronen im Leitungsband übersteigt damit die geringe Zahl der durch Elektron-Lochpaarbildung entstandenen beweglichen Ladungsträger um Größenordnungen. Damit erhöht sich die Leitfähigkeit im Vergleich zum Eigenhalbleiter beträchtlich. Man ezeichnet einen so dotierten Halbleiter als n-Halbleiter. Während im reinen Halbleiter jedem Loch genau ein Leitungsbandelektron gegenüber steht und sich durch Paarbildung und Rekombination eine Ladungsträgerdichte ni nach Gl. 3.3 einstellt, existieren im n-dotierten Leiter sehr viel mehr Leitungselektronen, wodurch für ein Loch die Wahrscheinlichkeit zu rekombinieren stark anwächst und die Konzentration Löcher der Löcher stark abnimmt. Im n-Halbleiter sind die zahlenmäßig überwiegenden Elektronen im Leitungsband die sog. Majoritätsladungsträger und die sehr wenigen Löcher im Valenzband die Minoritätsladungsträger. Quantitativ ist der Zusammenhang zwischen den Ladungsträgerdichten ne der Leitungselektronen und der Löcher np durch das Massenwirkungsgesetz der Thermodynamik gegeben (3.4) ne  np D n2i : Im thermodynamischen Gleichgewicht (ohne Stromfluss und Lichteinstrahlung) ist das Produkt der Konzentrationen der freien Elektronen und der Löcher gleich dem Quadrat der Gleichgewichtskonzentration ni im Eigenleiter. Dies gilt unabhängig von Art und Grad der Dotierung.

194

H. Paerschke

p-Halbleiter Ein mit 3-wertigen Atomen, sogenannten Akzeptoratomen dotierter Siliziumkristall ist in Abb. 3.3 auf der rechten Seite schematisch dargestellt. Durch das nicht vorhandene 4. Valenzelektron eines solchen Akzeptoratoms entsteht eine Lücke, in die ein Valenzelektron eines benachbarten Siliziumatoms mit geringem Energieaufwand hinein springen kann. Die 3-wertigen ortsfesten Akzeptoratome haben damit jeweils ein benachbartes Elektron aus dem Valenzband aufgenommen und sind damit negativ geladen. In die entstehenden Löcher im Valenzband können benachbarte Valenzelektronen springen und zum Stromtransport beitragen. Die Zahl der positiv geladenen beweglichen Löcher entspricht der Zahl der ortsfesten negativen geladenenAkzeptoratome. Damit entsteht ein sogenannter p-Halbleiter, in dem die Zahl der positiv geladenen Löcher im Valenzband als Majoritätsladungsträger die Zahl der Elektronen im Leitungsband (Minoritätsladungsträger) bei weitem übersteigt.

3.1.3 pn-Übergang Grenzt ein mit Donatoren dotierter Bereich (n-Leiter) an ein mit Akzeptoren dotierten Bereich (p-Leiter) eines Halbleiters, so entsteht ein pn-Übergang. Er ist das wesentliche Funktionselement von Halbleiterbauelementen wie Dioden, Transistoren, integrierten Schaltkreisen und Photovoltaikzellen. Deswegen sollen die Wirkungsmechanismen eines pn-Übergangs im Folgenden schrittweise erläutert werden. In Abb. 3.4 sind n- und pLeiter zunächst getrennt dargestellt.

n-Leiter

p-Leiter

bewegliche Elektronen

LB

LB

Akzeptoratome

Donatoratome

+ + VB

+

+

+ +

VB bewegliche Löcher

Abb. 3.4 Energiebändermodell eines n-leitenden Halbleiters mit den festsitzenden positiv geladenen Donatoren und den beweglichen Elektronen im Leitungsband (LB) und eines p-leitenden Halbleiters mit beweglichen Löchern im Valenzband (VB) und den ortsfesten negativ geladenen Akzeptoren

3

Halbleitertechnik

195

Um die Lage der Störstellen und die Bewegung der Ladungsträger abzubilden, wurde das Bänderschema um die horizontale x-Achse erweitert. Im n-Leiter haben die ortsfesten, 5-wertigen Donatoratome jeweils ein schwach gebundenes Elektron abgegeben. Diese Elektronen schwirren als Majoritätsladungsträger im Leitungsband LB umher und stehen für den Stromtransport zur Verfügung. Im Mittel befinden sich in einer Volumeneinheit genauso viele negative freigesetzte Leitungsbandelektronen wie positiv geladene (festsitzende) Donatoratome. Im p-Leiter stehen die beweglichen Löcher im Valenzband als Majoritätsträger für den Stromtransport zur Verfügung.

Ladungsträger-Verarmung in der Grenzschicht Werden der p- und der n-Leiter, wie in Abb. 3.5 in Kontakt gebracht, so bildet sich eine Grenzschicht. Vereinfachend wird angenommen, dass die Konzentrationen der Störstellen im p- und n- Bereich jeweils räumlich konstant sind und sich an der gestrichelt dargestellten Fläche sprunghaft ändern (abrupter pn-Übergang). Die frei umherschwirrenden Elektronen des n-Leiters gelangen auch in den benachbarten p-Leiter, in dem sich ansonsten praktisch keine Elektronen im Leitungsband befänden. Die Ursache für diese Diffusion ist das Konzentrationsgefälle der freien Elektronen im Kontaktbereich zwischen n- und p-Gebiet. Die diffundierenden Elektronen treffen auf die Valenzbandlöcher des p-Leiters und es kommt zur Rekombination, d. h. die Leitungsbandelektronen fallen unter Energieabgabe in die Valenzbandlöcher. Im Ergebnis sind in der Grenzschicht sowohl bewegliche Leitungsbandelektronen und Löcher im Valenzband verschwunden. Ein analoger Effekt entsteht dadurch, dass Löcher aus dem p-Leiter in das n-Gebiet diffundieren. Durch Diffusion der beweglichen Majoritätsladungsträger in die

lg (np·∆V)

lg (ne·∆V)

p-Leiter

n-Leiter

lg (ni·∆V)

Diffusion

LB x

Rekombination

np

ne

VB

+

+

xn Verarmungszone xp d ≈ 1 μm

+ + +

+

x

xn

xp

x

Abb. 3.5 pn-Übergang mit Diffusion und Rekombination von freien Ladungsträgern, Bildung der Verarmungszone, räumliche Dichte ne der freien Elektronen und räumliche Dichte np der Löcher in logarithmischer und linearer Skalierung, intrinsische Ladungsträgerdichte ni , Volumenelement des Halbleiters V

196

H. Paerschke

Nachbargebiete und die dort erfolgende „Verdünnung“ durch Rekombination bildet sich eine Verarmungszone, ein Gebiet mit sehr wenigen freien Ladungsträgern und sehr hohem elektrischen Widerstand. Quantitativ ist das Verhältnis der Ladungsträgerdichten ne der Leitungselektronen und der Löcher np längs des pn-Übergangs durch das Massenwirkungsgesetz Gl. 3.4 gegeben. Die Verläufe der beweglichen Ladungsträger sind in Abb. 3.5 mit logarithmischer Skala dargestellt. Bei linearer Skalierung wird die Ladungsträgerverarmung in der Grenzschicht noch deutlicher. Befinden sich abseits der Grenzschicht in einem bestimmten Volumenelement des ungestörten n-Leiters beispielsweise 106 Leitungselektronen und 1 Loch, so reduziert sich nach entsprechend Gl. 3.4 mit 106  1 D 103  103 D konst: die Zahl der beweglichen Ladungsträger in der Grenzschicht in einem gleich großen Volumenelement von 106 C 1 Ladungsträgern auf nur 103 Elektronen und 103 Löcher.

Bildung von Raumladungen in der Grenzschicht Außerhalb der Grenzschicht sind Ladungen der ortsfesten positiven Donatoratome und der negativen Akzeptoratome durch eine jeweils gleiche Anzahl von Leitungselektronen bzw. positiven Löchern neutralisiert. In der Grenzschicht sind jedoch die Leitungsbandelektronen und Löcher durch Diffusion und Rekombination sehr stark reduziert. Es entsteht, wie in Abb. 3.6 im linken Bereich der Grenzschicht, durch die festsitzenden ionisierten Donatoratome ein Überschuss positiver Ladungen. Auf der rechten Seite der Grenzschicht entsteht durch die Akzeptoratome ein gleich großer Überschuss festsitzender negativer Ladungen. Im Ergebnis bilden sich aus den positiven Donatoratomen im n-Gebiet und den negativen Akzeptoratomen im p-Gebiet der Grenzschicht Raumladungen mit einer annähernd rechteckförmigen räumlichen Ladungsdichte .x/. Damit verbunden ist ein elektrisches Feld E.x/, das von den positiven Donatoratomen im n-Gebiet ausgeht und auf den negativen Akzeptoratomen im p-Gebiet endet. 1 E.x/ D "0

Zx .x/dx

(3.5)

0

Ein Leitungsbandelektron, das aus dem n-Bereich durch Diffusion in die Raumladungszone eindringt, trifft auf dieses entgegenwirkende elektrische Feld. Entsprechendes gilt für die Löcher aus dem p-Bereich. Durch die Diffusion und nachfolgende Rekombination wächst die Raumladung solange, bis in einem dynamischen Gleichgewicht die Zahl der durch das elektrische Feld zurück transportierten Ladungsträger mit der Zahl der in die Grenzschicht hinein diffundierenden Ladungsträger übereinstimmt. Anders ausgedrückt, wird im Gleichgewicht der durch das Konzentrationsgefälle der jeweiligen Majoritätsladungsträger verursachte Diffusionsstrom durch einen entgegengesetzten gleichen, durch das innere Feld der Raumladungen verursachten Feldstrom kompensiert. Die Grenzschicht hat eine Dicke von ca. 1 m. Je stärker die Halbleiter dotiert sind, umso dünner ist die Raumladungszone.

3

Halbleitertechnik

197

p-Leiter

n-Leiter

ρ(x)

Ladungsdichte der ortsfesten ionisierten Störstellen

LB x

positive Ionen

E-Feld

negative Ionen

+

+

+

+ E(x)

VB xn Raumladungszone xp Verarmungszone d ≈ 1 μm

x xn

xp

x

Abb. 3.6 Bildung von Raumladungen in der Grenzschicht mit der Raumladungsdichte .x/ und elektrisches Feld E.x/ der Raumladungen

Bändermodell des pn-Übergangs Durch Integration der Feldstärke E.x/ erhält man den Verlauf des elektrischen Potentials '.x/ in der Grenzschicht. Die durch die Raumladungen entstehende Potentialdifferenz zwischen n- und p-Leiter nennt man Diffusionsspannung UD . Für Siliziumhalbleiter ergibt sich je nach Dotierungskonzentration und Temperatur US  0;6–0,7 V. Zx '.x/ D 

Zxp E.x/dx; UD D 

0

E.x/dx

(3.6)

xn

Wegen des rücktreibenden elektrischen Feldes in der Grenzschicht bzw. wegen der entsprechenden Diffusionsspannung UD benötigt ein freier Ladungsträger zusätzliche Energie, um die Grenzschicht zu überwinden. Die potentielle Energie des Elektrons in Abhängigkeit vom Ort x ergibt sich durch Multiplikation des Potentials '.x/ mit der Elektronenladung e D e D 1;602  1019 C. Zur Veranschaulichung addiert man die potentielle Energie e  '.t/ der Elektronen im elektrischen Feld zur Elektronenenergie im Bändermodell, wodurch sich das Leitungsund das Valenzband wie in Abb. 3.7 verbiegt. Diese Darstellung mit den beweglichen Leitungsbandelektronen im n-Leiter und den beweglichen Löchern im Valenzband des pLeiters macht anschaulich, wie sich die Elektronen des n-Leiters gegen den Potentialberg bewegen müssen, um den Übergang zu überwinden. Die positiven Löcher im p-Leiter haben das Bestreben sich an der Obergrenze des Valenzbandes aufzuhalten und benötigen ebenfalls zusätzliche Energie, um die Potentialbarriere zu überwinden. Die Akzeptor- und Donatorionen, die die Raumladungen und damit die Verbiegung der Bänder verursachen, wurden nicht mit eingezeichnet.

198

H. Paerschke Potenzial φ p-Leiter

n-Leiter

x UD

LB

W

+

+

+

e·UD WL

+ +

VB xn

Diffusion Feldwirkung

x

xp

+

WV xn

xp

x

+

Abb. 3.7 Bändermodell des pn-Übergangs mit den beweglichen Leitungsbandelektronen im nLeiter und den beweglichen Löchern im Valenzband des p-Leiters, Potentialverlauf '.x/ am pn-Übergang mit der Diffusionsspannung UD (ca. 0,6 bis 0,7 V bei Si); Multiplikation des Potentials '.x/ mit der negativen Elektronenladung e D e ergibt den dargestellte Verlauf der Leitungs- und Valenzbandkanten für die Elektronenenergien

Gleichrichterwirkung des pn-Übergangs Legt man an einen pn-Übergang eine Spannung an, so fließt in der einen Richtung ein großer Strom, bei Umpolung der Spannung praktisch kein, bzw. nur ein sehr kleiner Strom. Das kann man vergleichen mit der Wirkung eines Ventils an einem Fahrradschlauch, das die Luft nur in einer Richtung durchströmen lässt. pn-Übergang in Sperrrichtung Ist, wie in Abb. 3.8a dargestellt, die äußere Spannung U so angeschlossen, dass der positive Pol am n-Leiter und der negative Pol am p-Leiter anliegt, so haben das durch die Spannungsquelle erzeugte elektrische Feld und das innere Feld der Dipolschicht die gleiche Richtung. Das die Majoritätsträger rücktreibende Feld am pn-Übergang wird verstärkt. Die beweglichen Elektronen des n-Leiters werden nach links in Richtung des Pluspols gezogen, die Löcher in Richtung Minuspol. Die von beweglichen Ladungsträgern weitgehend freie hochohmige Grenzschicht verbreitert sich, die Potentialbarriere wird erhöht und es ist kein Stromfluss durch die Majoritätsladungsträger möglich. Für die wenigen Minoritätsladungsträger stellt die Sperrschicht kein Hindernis dar. Minoritätsladungsträger in der Nähe oder in der Sperrschicht werden durch die Diffusionsspannung und die angelegte äußere Spannung durch die Sperrschicht getrieben. Sie sind die Ursache für einen kleinen, in Sperrrichtung fließenden Sperrstrom. Mit steigender Temperatur wächst die Zahl der Minoritätsträger und damit der Sperrstrom an. pn-Übergang in Durchlassrichtung Legt man, wie in Abb. 3.8b dargestellt, an den pnÜbergang die äußere Spannung U mit dem positiven Pol am p-Leiter und dem negativen Pol am n-Leiter an, so wirkt das durch die Spannungsquelle erzeugte elektrische Feld dem

3

Halbleitertechnik a

199 b

Sperrrichtung

n-Leiter

UD + U

Durchlassrichtung

n-Leiter

p-Leiter

UD ‒ U

p-Leiter

+

+ U

U

Abb. 3.8 pn-Übergang in mit dem Pluspol der Spannungsquelle am n-Leiter und dem Minuspol am p-Leiter (a), pn-Übergang in Durchlassrichtung mit dem Minuspol der Spannungsquelle am nLeiter und dem Pluspol am p-Leiter (b), rechteckig sind die Raumladungen in der Grenzschicht und rund die Majoritätsträger eingezeichnet

inneren Feld der Dipolschicht entgegen. Die Potentialbarriere mit ihrer rücktreibenden Wirkung auf die diffundierenden Leitungsbandelektronen und Löcher wird abgeflacht. Mit zunehmender äußerer Spannung U können zunächst nur die Leitungselektronen mit höherer Energie von links aus dem n-Leiter und positive Löcher von rechts aus dem pLeiter in die Grenzschicht diffundieren und dort fortlaufend rekombinieren. Es beginnt ein Strom durch den pn-Übergang zu fließen. Mit steigender Spannung wird die der Diffusion entgegen wirkende Diffusionsspannung bis auf Null abgebaut. Damit können die Majoritätsträger ungehindert von beiden Seiten ungehindert in die Grenzschicht diffundieren und dort rekombinieren. Der Durchlassstrom steigt exponentiell an.

3.2 Dioden Eine Diode besteht aus einem pn-Übergang mit Anschlüssen am p- und am n-Bereich. Dioden lassen auf Grund der Gleichrichterwirkung des pn-Übergangs den Strom nur in eine Richtung durchfließen. Auf der Basis der oben beschriebenen Mechanismen wurde von dem Nobelpreisträger W. B. Shockley folgende idealisierte Formel für die StromSpannungs-Kennlinie des pn-Übergangs entwickelt U

I D IS .T /  .e UT  1/I UT D IS UT k T e

kT : e

Sättigungsstrom der Diode, IS .T /  1012 : : : 106 A bei Raumtemperatur Temperaturspannung, UT  26 mV bei Raumtemperatur Boltzmannkonstante, k D 1;38  1023 W  s=K D 8;63  105 eV=K Temperatur in K Elementarladung e D 1;602  1019 C

(3.7)

200

H. Paerschke I 100 mA

UD

−50 V

IS

I

1V

0,5 V

US

U

U

10μA

Abb. 3.9 Diodenkennlinie, Schaltungssymbol mit Bezugspfeilen für U und I, Schleusenspannung US , Sättigungsstrom IS , Durchbruchspannung UD

Für negative Spannungen U mit jU j UT ergibt sich der sehr kleine Sperrstrom I  IS , der durch die mit der Temperatur wachsenden Zahl der Minoritätsträger verursacht wird. Für positive Spannungen U mit jU j UT ist der Summand 1 vernachlässigbar und es ergibt sich ein exponentieller Anstieg des Durchlassstroms I. Gleichrichterdioden wie in Abb. 3.10 dienen als Ventile, die den Strom nur in eine Richtung durchfließen lassen. Der p-Anschluss wird auch als Anode, der n-Anschluss als Kathode bezeichnet.

3.2.1 Diodenkennlinie Für reale Dioden ergeben sich Kennlinien wie in Abb. 3.9 beispielhaft dargestellt. Im Schaltungssymbol der Gleichrichterdiode zeigt die Dreieckspitze die Durchflussrichtung des elektrischen Stroms an. Die am Schaltungssymbol angetragenen Bezugspfeile für U und I geben die Richtung an, in der die betreffenden Größen positiv gezählt werden. Bei Polung in Durchlassrichtung zählen Spannung U und Strom I positiv. Die Durchlass-Kennlinie ist im 1. Quadranten dargestellt. Übersteigt die Spannung U die Schleusenspannung US , so beginnt der Durchlassstrom zu fließen. Die Schleusenspannung hängt mit der Diffusionsspannung UD des pn-Übergangs zusammen. Für Siliziumdioden ist US  0;6 bis 0,8 V. In Sperrrichtung sind die angelegte Spannung und der Sperrstrom negativ hinsichtlich der angegebenen Bezugspfeilrichtungen. Der in Sperrrichtung fließende Sperrstrom ist um Größenordnungen geringer als der Durchlassstrom. Deswegen benutzt man üblicherweise für den 3. Quadranten in Abb. 3.9 angepasste Strom- und Spannungsmaßstäbe. Der dadurch im Koordinatenursprung entstehende Knick ist bei Verwendung gleicher Maßstäbe

3

Halbleitertechnik

201

natürlich nicht vorhanden. Der Sperrstrom wächst mit der Temperatur der Sperrschicht stark an. Die Temperatur darf bei Siliziumdioden maximal etwa 180 ı C betragen. Der Sperrstrom einer realen Halbleiterdiode steigt bei Spannungen jenseits einer Durchbruchspannung UD steil an. Dafür sind 2 Effekte verantwortlich: Zener-Durchbruch: bei Feldstärken über 20 kV/mm in der Sperrschicht können Valenzelektronen aus Gitterverband herausgerissen werden und einen hohen Durchbruchstrom bewirken. Dieser Effekt überwiegt bei hoch dotierten, dünnen Grenzschichten. Lawinen-Effekt: durch hohe Feldstärken in der Sperrschicht werden SperrstromElektronen so beschleunigt, dass sie Valenzelektronen aus Gitterverband herausreißen und so lawinenartig immer mehr Ladungsträger in der Sperrschicht freisetzen. Dieser Effekt überwiegt bei gering dotierten, dicken Grenzschichten. Dieses Durchbruchverhalten wird in sogenannten Z-Dioden vielfältig genutzt.

3.2.2 Bauarten und Einsatzfälle Es gibt Dioden für unterschiedliche Anwendungsfälle. Die Eigenschaften der Dioden hängen von den eingesetzten Halbleitermaterialien, der Dotierung sowie von der Fläche und der Dicke der Sperrschicht ab. Es sind Dioden mit Sperrspannungen von wenigen Volt bis hin zu mehreren 1000 V und für Durchlassströme von wenigen mA bis hin zu mehreren 1000 Ampere erhältlich. In Spitzendioden (Abb. 3.10) sitzt eine federnde Metallspitze auf einem Halbleiterplättchen auf. Ein Stromstoß verschweißt die Metallspitze mit dem Halbleiter-Kristall. In der Nähe der Metallspitze bildet sich ein fast punktförmiger pn-Übergang. In Sperrrichtung bilden die durch die Sperrschicht getrennten leitenden Flächen eine Kondensatoranordnung. Da die Kontaktfläche sehr klein ist, ist deren Kapazität ebenfalls sehr klein, wodurch Spitzendioden zur Gleichrichtung auch sehr hochfrequenter Ströme einsetzbar sind. Sie erlauben allerdings nur sehr geringe Durchlassströme von I 100 mA. Planardioden (Abb. 3.11) mit größerer Sperrschichtfläche werden für die Gleichrichtung großer Ströme eingesetzt. Über ihr Metallgehäuse mit Schraubanschluss kann die entstehende Verlustwärme an die Umgebung abgeführt werden. Eine spezielle Variante ist die Schottky-Diode, die auf der Gleichrichterwirkung eines Metall-Halbleiterübergangs beruht. Als Halbleitermaterial wird meist Silizium oder

HL-Chip Metallspitze

Kathode

Anode

p-Leiter Gehäuse

Abb. 3.10 Spitzendiode mit fast punktförmigen pn-Übergang, Anode am p-Leiter, Kathode am nLeiter

202

H. Paerschke

Anode

Metallschicht

Anode

p n Substrat

Kathode

Metallschicht Kathode

Abb. 3.11 Prinzipieller Aufbau einer Planardiode, Bauform einer Leistungsdiode mit Metallgehäuse für große Durchlassströme, Anode am p-Leiter, Kathode am n-Leiter

Siliziumcarbid (SiC) eingesetzt. Si-Schottky-Dioden haben mit ca. 0.4 V deutlich niedrigere Schwellenspannungen als p-n-Siliziumdioden (ca. 0,7 V) und entsprechend niedrige Durchlassverluste. SiC Schottky-Dioden zeichnen sich durch Sperrspannungen bis in den kV-Bereich aus. Schottky-Dioden werden häufig als Schutzdioden zum Spannungsabbau von Induktionsspannungen oder als Gleichrichterdioden in leistungselektronischen Schaltungen eingesetzt.

Z-Dioden Z-Dioden sind in Sperrrichtung betriebene Dioden, die zum Schutz vor Überspannungen eingesetzt werden. Sie verhalten sich im Durchlass- und im Sperrbereich wie normale Gleichrichterdioden. Der Knick in der Kennlinie bei der Durchbruchspannung UD ist jedoch besonders scharf. Dadurch nimmt der Sperrstrom bei Überschreitung von UD schnell sehr stark zu. Es gibt Z-Dioden mit Durchbruchspannungen UD zwischen wenigen Volt und einigen Hundert Volt. Das Prinzip der Spannungsbegrenzung mit zwei gegensinnig gepolten Z-Dioden ist in Abb. 3.12 dargestellt. Die Ausgangsspannung ua liegt an der in Sperrrichtung gepolten Z-Diode an. Die Spannung an der in Durchlassrichtung gepolten Diode ist vernachlässigbar klein. Solange ua kleiner ist als die Durchbruchspannung UD , ist die in Sperrrichtung gepolte Z-Diode hochohmig und die Ausgangsspannung ua .t/ wird durch die Z-Dioden nicht beeinflusst. Steigt die Ausgangsspannung über die Durchbruchspannung UD der Z-Diode, steigt der Strom durch die Diode und somit auch durch RV stark an. Der zusätzliche Spannungsabfall an RV begrenzt ua .t/ auf Werte zwischen UD und CUD . Der vorgeschalteten Widerstand RV verhindert eine unzulässige Zunahme des Stroms durch die Z-Dioden. Mit der in Abb. 3.13 dargestellten Z-Dioden-Kennlinie kann die Spannungsbegrenzung veranschaulicht werden. Die Kennlinie stellt den Zusammenhang zwischen uz und iz dar. Andererseits besteht auch folgender lineare Zusammenhang uZ D ue  uR D ue  .ia C iz /  RV ;

3

Halbleitertechnik a

203

i

b u (t )

c

RV uR

ue (t )

UD

u

ua (t )

ia iZ

ue (t )

t

uZ RL

ua (t )

− UD

Abb. 3.12 Begrenzerdiode oder Z-Diode, Schaltzeichen mit Richtungspfeilen für Strom und Spannung (a), begrenzte Ausgangsspannung ua .t / (b), Schaltungsbeispiel zum Überspannungsschutz z. B. für empfindliche elektronische Schaltungen (c) Abb. 3.13 Kennlinie einer ZDiode, Durchbruchsspannung UD , Spannungsbegrenzung

IZ

ue ⋅

RL RL +RV

UD UZ

1V

ue RV

der durch eine Widerstandsgerade dargestellt werden kann. Die Achsenabschnitte dieser Geraden ergeben sich, wie in Abb. 3.13 eingezeichnet, für iz D 0 zu uZ D ue 

RL RL C RV

und für uz D 0 zu iZ D

ue : RV

Die Ausgangsspannung ua D uz ergibt sich aus dem Schnittpunkt von Dioden-Kennlinie und Widerstandsgeraden. Erhöht sich ue0 , erhält man die gestrichelte Gerade, der Betriebspunkt verschiebt sich. Auf Grund der Steilheit der Kennlinie im Durchbruchsbereich bleibt dabei die Ausgangsspannung nahezu konstant.

Kapazitätsdioden Bei einer in Sperrrichtung gepolten Diode sind die leitenden Bereiche von p- und n-Leiter durch eine isolierende Sperrschicht getrennt. Wie in Abschn. 3.1.3 beschrieben, nimmt die Dicke der Sperrschicht mit zunehmender Sperrspannung zu. In Sperrrichtung bildet die Diode somit einen Kondensator mit variabler Kapazität C, bei dem die zwei Kondensatorplatten mit der Sperrschichtfläche A durch ein isolierendes Dielektrikum variabler

204

H. Paerschke

Dicke d voneinander getrennt sind. C D "0  "r 

A d

(3.8)

Mit wachsender Sperrspannung nimmt d zu und die Kapazität C ab. Man verwendet Kapazitätsdioden als spannungsgesteuerte, veränderbare Kondensatoren zur Abstimmung von Schwingkreisen z. B. in Eingangsstufen von Funkempfängern. Sie haben mechanische Drehkondensatoren weitgehend verdrängt. Die Eingangsspannung an der Diode setzt sich aus der Summe der konstanten Steuerspannung zur Einstellung der Kapazität und der hochfrequenten Signalspannung zusammen.

Photodioden und Photoelemente Photodioden und Photoelemente werden als Lichtsensoren eingesetzt, die Licht in elektrische Signale umwandeln. Sie sind im Prinzip normale Gleichrichterdioden (meist SiDioden) mit einem lichtdurchlässigen Gehäuse, so dass Lichtteilchen in die Sperrschicht eindringen können. Photodioden werden in Sperrrichtung gepolt. Solange kein Licht auf die Photodiode fällt, fließt nur der sehr kleine Sättigungsstrom durch die wenigen vorhandenen Minoritätsträger. Einfallende Lichtteilchen mit ausreichender Energie h  f (vergl. Gl. 3.2) aus dem sichtbaren Spektrum und aus dem nahen Infrarot werden in der Grenzschicht absorbiert und reißen ein Valenzelektron aus dem Kristallverbund heraus. Es entsteht ein bewegliches Elektron-Loch-Paar. Die Leitfähigkeit der Sperrschicht nimmt entsprechend zu. Bei gegebener fester Sperrspannung U1 wächst der Sperrstrom mit zunehmender Bestrahlungsstärke E, wie im 3. Quadranten des Kennlinienfelds in Abb. 3.14 ablesbar. Die Bestrahlungsstärke E ist die pro Flächeneinheit eingestrahlte Lichtenergie, siehe auch Abschn. 4.3.1. Zur Erhöhung der Lichtempfindlichkeit, z. B. von Sensoren in Lichtleitern zur Übertragung sehr hochfrequenter Signale über weite Strecken werden Photodioden mit einer Sperrspannung kurz unterhalb der Durchbruchspannung betrieben. Bei Erzeugung eines Elektron-Lochpaars in der Grenzschicht werden dann durch einen Lawineneffekt weitere bewegliche Ladungsträger freigesetzt. Dadurch kann der lichtabhängige Sperrstrom etwa hundertfach verstärkt und auch sehr schwache Lichtsignale erfasst werden. Die beleuchtete Diode erzeugt im Leerlauf an ihren Anschlüssen eine Leerlaufspannung U0 und stellt eine elektrische Energiequelle dar, deren Betriebspunkte im 4. Quadranten des Kennlinienfelds in Abb. 3.14 liegen. In dieser Betriebsweise wird der Sensor als Photoelement oder Photozelle bezeichnet. Im Abschn. 4.4 Photovoltaik wird dies detailliert dargestellt. Zur Messung der Bestrahlungsstärke E wird das Photoelement meist kurzgeschlossen und der Kurzschlussstrom Ik gemessen. Als Photosensoren werden auch oft Phototransistoren eingesetzt. Hier werden (anstatt durch den eingespeisten Basisstrom) durch das einfallende Licht Ladungsträger in der Basis-Emitter-Zone freigesetzt, wodurch ein verstärkter, sehr viel größerer Kollektorstrom gesteuert wird (vergl. Abschn. 3.3.1).

3

Halbleitertechnik

205

a

c

I 100μA

Linse

Licht E=0

b

U0

U1

1V U

i

u

E = 1000 W/m2

Ik

Abb. 3.14 Photodiode, Bauform (a), Schaltungssymbol (b), Kennlinien bei unterschiedlichen Bestrahlungsstärken E, U0 Leerlaufspannung, Ik Kurzschlussstrom (c)

Leuchtdioden Leuchtdioden (kurz LED von engl. light-emitting diode) sind spezielle Gleichrichterdioden, die im Durchlassbereich betrieben werden und dabei sichtbares Licht oder Infrarotstrahlung emittieren (siehe Abb. 3.15). Zunächst konnten LEDs wegen ihrer geringen Lichtausbeute nur für Leuchtanzeigen und zur optischen Signalübertragung eingesetzt werden. Heute werden LEDs für verschiedene Farben, sowie für weißes Licht hergestellt. Die Lichtausbeute konnte so erhöht werden, dass LEDs als Leuchtmittel z. B. zur Raumund Straßenbeleuchtung, in Fahrzeugscheinwerfern und zur Hintergrundbeleuchtung von Flüssigkristallbildschirmen (LCD) eingesetzt werden. LEDs sind keine Wärmestrahler und besitzen damit einen hohen Wirkungsgrad, der inzwischen auch den von Kompaktleuchtstofflampen („Energiesparlampen“) übersteigt. Der Aufbau einer LED entspricht dem einer Gleichrichterdiode. Bei Polung in Durchlassrichtung fließen die beweglichen Leitungselektronen aus dem n-Gebiet und die Valenzbandlöcher aus dem p-Bereich in die Grenzschicht und rekombinieren dort unter Energieabgabe. Der Unterschied besteht in dem eingesetzten Halbleitermaterial. Silizium ist ein sogenannter indirekter Halbleiter, in denen bei Rekombination die Energie in Form von Wärme an das Material abgegeben wird. Leuchtdioden verwenden spezielle Verbindungshalbleiter, sogenannte direkte Halbleiter, bei denen die bei der Rekombination frei werdende Energie vorwiegend direkt in Form von Lichtquanten abgegeben wird. Die Breite der Bandlücke W zwischen Leitungs- und Valenzband bestimmt die Energie d. h. die Frequenz f, die Wellenlänge  und damit die Farbe der emittierten Photonen.

W D h  f bzw.  D

1240 nm  eV hc D

W

W

h D Plancksche Konstante D 6;626  1034 Js D 4;13567  1015 eVs c D Lichtgeschwindigkeit D 2;998  108 m=s.

(3.9)

206

H. Paerschke a Kunststoffeinbettung,

b Anode +

c p

n

i

‒ LED-Kristall mit pn-Übergang, in Reflektormulde

Kathode

u

Abb. 3.15 Leuchtdiode (LED), Aufbau (a), Detail: LED-Kristall mit pn-Übergang (b), Schaltungssymbol (c)

Entsprechend der Bandlückenbreite emittiert eine LED nur monochromatisches Licht, d. h. Licht einer bestimmten Farbe. Für infrarot, rot, gelb, grün oder blau emittierende LEDs werden verschiedene Halbleitermaterialien mit mehr oder weniger breiten Bandlücken W verwendet. Um weißes Licht für die Raumbeleuchtung zu erzeugen, wird das kurzwellige Licht von blau oder ultraviolett strahlenden LEDs meist wie bei Leuchtstofflampen durch geeignete Leuchtstoffe in eine weiß wirkende Mischung langwelliger Frequenzen gewandelt. Aufwändiger ist die Erzeugung von weißem Licht durch Überlagerung der Strahlung von drei verschieden farbigen LEDs. Zunehmend an Bedeutung gewinnen organische Leuchtdioden (OLEDs), die aus dünnen organischen Halbleiterschichten aufgebaut sind. Sie werden für Displays z. B. von Smartphones und TV-Geräten oder als großflächig leuchtende Lichtquellen eingesetzt.

Laserdioden Im Gegensatz zu LEDs senden Laserdioden einen gebündelten Laserstrahl aus. Sie sind sehr klein und werden vielfältig verwendet in Laserpointern, Laserdruckern und Lichtschranken, zur optischen Vermessung (Laserpistole), zur optischen Datenabtastung (in CD- und DVD-Geräten, in Barcode-Lesegeräten), zur Datenübertragung über Glasfaserkabel und zur Materialbearbeitung. Kernstück der Laserdiode ist ein sehr stark dotierter pn-Übergang, der in Durchlassrichtung betrieben wird, wodurch wie in einer LED, Photonen in der Grenzschicht zwischen nund p-Bereich durch spontane Emission zunächst unkorreliert und ungerichtet freigesetzt werden. Wie in Abb. 3.16 dargestellt, sind die Stirnseiten der Laserdiode teilreflektierend. Photonen, die senkrecht auf diese Reflexionsschicht auftreten, werden zum größten Teil zurück gespiegelt und können durch stimulierte Emission in einer Kettenreaktion weitere rekombinierende Elektron-Lochpaare zur Abgabe mit gleicher Richtung, Phase und Frequenz schwingender Photonen veranlassen. Es entsteht ein Laserstrahl von kohärenten Photonen, der durch die teilreflektierenden Stirnseiten austritt. Damit diese Kettenreaktion nicht durch Absorption der entstandenen Photonen zum Erliegen kommt, muss die Wahrscheinlichkeit der Photonenemission die Wahrscheinlichkeit für die Absorption übersteigen. Dazu muss in der Grenzschicht die Zahl der Elektronen im Leitungsband größer

3

Halbleitertechnik Strom

207

Metallschicht Laserstrahl

p+ n+ nicht reflektierende Längsseiten

Laserstrahl

Fenster Metallschicht

planparallele, teilreflektierende Stirnseiten

Abb. 3.16 Prinzipieller Aufbau einer Laserdiode mit hochdotiertem n- und p-Leiter (gekennzeichnet durch nC bzw. pC), Bauform mit drei Anschlüssen für die eigentliche Laserdiode und für eine zusätzliche, eingebaute, Monitor-Photodiode zur internen Leistungsmessung

sein als die Zahl Elektronen im oberen Bereich der des Valenzbandes, d. h. dort müssen entsprechend viele leere Stellen vorhanden sein. Diese sogenannte Inversion ist Voraussetzung für den Laserbetrieb und erfordert sehr große Dotierungskonzentrationen und einen hinreichend großen Strom durch die Laserdiode.

3.3 Transistoren In diesem Abschnitt werden der Aufbau, die Wirkungsweise und Anwendungen von Transistoren erläutert. Transistoren haben (mindestens) 3 Anschlüsse. Über ein am Transistor anliegendes Eingangssignal kann der Widerstand zwischen den 2 Ausgangsklemmen des Transistors gesteuert werden. Transistoren können als analog verstärkendes Bauelement kleine analoge Eingangssignale verstärken. Andererseits können sie als Schalttransistoren, wie mechanische Schalter einen Laststromkreis ein und ausschalten, indem durch das anliegende elektrische Eingangssignal zwischen einem niederohmigen und hochohmigen Zustand umgeschaltet wird. Entsprechend den unterschiedlichen Wirkungsmechanismen unterscheidet man grundsätzlich zwei große Gruppen von Transistoren: die Bipolartransistoren und die Feldeffekttransistoren. Beide Transistortypen werden entsprechend ihrer typischen Vor- und Nachteile breit eingesetzt. Zunächst sollen Aufbau, Wirkungsweise und Anwendungen von Bipolartransistoren erläutert werden.

3.3.1 Bipolartransistor, Aufbau, Wirkungsweise und Bauformen Bipolartransistoren, wie in Abb. 3.17 schematisch dargestellt, sind Halbleiterbauelemente mit drei Halbleiterschichten, die mit drei Anschlüssen verbunden sind, die als Basis, Emitter und Kollektor bezeichnet werden. Bei Siliziumtransistoren befindet sich eine p-dotierte Basisschicht zwischen einer n-dotierten Emitterschicht und einer ebenfalls n-dotierten Kollektorschicht. Entsprechend dieser Reihenfolge spricht man von npn-Transistoren. Die

208

H. Paerschke a

b

c Kollektor

Kollektor

Diodenersatzschaltbild C B

n

n

Basis

Basis p n

Emitter

p n

Emitter

E Transistorschaltbild Kollektor Basis Emitter

Abb. 3.17 Aufbau und Wirkungsweise eines npn-Transistors, ohne Spannung zwischen Basis und Emitter (a), mit positiver Basisspannung (b), Diodenersatzschaltbild und Schaltzeichen für npnTransistor (c)

Emitterzone ist stark, die Basiszone nur gering dotiert. Es bilden sich zwei in Reihe geschaltete pn-Übergänge mit Gleichrichterwirkung, wie das Diodenersatzschaltbild in Abb. 3.17 zeigt. Man nennt den Transistortyp bipolar, weil hier, im Unterschied zum Feldeffekttransistor, der Strom p- und n-Schichten durchquert. Im Betrieb wird die zwischen Kollektor und Emitter anliegende Spannung UCE so gepolt, dass die Basis-Emitter-Strecke in Durchlassrichtung und die Kollektor-Basis -Strecke in Sperrrichtung betrieben wird. IB D 0: Fließt, wie in wie in Abb. 3.17a, kein Strom IB in die Basis, so fließt trotz der zwischen Emitter und Kollektor anliegenden Spannung auch kein Kollektorstrom IC , da die Kollektor-Basis-Strecke in Sperrrichtung gepolt ist. (Es befinden sich keine, dafür notwendigen Leitungselektronen in der p-leitenden Basis, die zum Kollektor fließen könnten.) Ik > 0: Wird, wie in Abb. 3.17b zwischen Basis und Emitter eine Basis-EmitterSpannung in Durchlassrichtung angelegt, fließt durch den in Durchlassrichtung gepolten Basis-Emitter-Kontakt ein Strom. Dabei fließen aus dem hochdotierten Emitter viele bewegliche Elektronen in die Basiszone. Die Basiszone wird mit Elektronen „überflutet“. Ein kleiner Teil dieser Elektronen rekombiniert mit den Löchern, die vom Basisstrom antransportiert werden. Die meisten Ladungsträger treibt das elektrische Feld der BasisKollektor-Sperrschicht in den Kollektor hinein. Es entsteht ein hoher Kollektorstrom. Im Ergebnis steuert der kleine Basisstrom einen großen Kollektorstrom mit einer Stromverstärkungsfaktor von etwa 10 bis 500. Bipolartransistoren sind stromgesteuerte Bauelemente.

3

Halbleitertechnik

209

a NPN-Legierungstransistor Kollektor

b NPN-Transistor in Planartechnik SiO

Emitter

Basis

n

p

2

Antimon Silizium

n-Leiter p-Leiter Basis

Antimon

n-Leiter

Emitter

n n+ Kollektor

Abb. 3.18 Bauformen von Bipolartransistoren, npn-Legierungstransistor (a), npn-Transistor in Planartechnik (b)

Abb. 3.18 zeigt zwei verschiedene Bauformen von Bipolartransistoren. Beim Legierungstransistor werden zwei Perlen eines 5-wertigen Materials von beiden Seiten in ein p-dotierten Siliziumplättchen hinein legiert, so dass sich die beiden n-leitende Bereiche des Transistors ausbilden. Mit der Planartechnologie werden die erforderlich dotierten Halbleiterschichten mit verschiedenen Methoden auf einem Substrat aufgebracht. Auf integrierten Schaltkreisen lassen sich sehr viele Planartransistoren unterbringen.

3.3.2 Kennlinienfeld des Bipolartransistors Das quantitative Verhalten eines Transistors kann in einem Kennlinienfeld wie in Abb. 3.19 veranschaulicht werden. Im 3. Quadranten ist die Abhängigkeit des Basisstroms IB von der anliegenden Basisspannung UB dargestellt. Diese Eingangskennlinie ist die bekannte Kennlinie eines Gleichrichters im Durchlassbereich. Bei Überschreitung der Schwellenspannung von etwa 0,6 V beginnt der Basisstrom zu fließen. Der 2. Quadrant zeigt die sog. Strom-Steuerkennlinie bei konstanter Kollektor-Emitter-Spannung UCE . Bei UCE D konst. wächst der Kollektorstrom IC proportional zum Basisstrom IB . Ursache ist die mit wachsendem Basisstrom zunehmende Zahl der freien Elektronen in der Basiszone. Der 1. Quadrant zeigt die Ausgangskennlinien, d. h. die Abhängigkeit des Ausgangsstroms IC von der anliegenden Kollektorspannung UC bei unterschiedlichen konstanten Basisströmen IB . Bei kleinen Spannungen steigt der Strom zunächst entsprechend dem Ohmschen Gesetz proportional zur anliegenden Spannung an. Bei höheren Spannungen werden sämtliche vom Basisstrom in die Basis geförderten Elektronen abgesaugt und die Kennlinien nähern sich den Sättigungsgeraden an.

210

H. Paerschke a

b Strom-Steuerkennlinie

Ausgangskennlinie IC/mA 0,4 mA 20 0,3 mA 15

IC

0,2 mA

IB

10

IB

UCE

5

UBE IB/mA

0,3

0,2

3

0,1

6

9

12 UCE/V

0,75 0,85

Eingangskennlinie UBE/V

Abb. 3.19 Schaltungssymbol mit Bezeichnung der Spannungen und Ströme (a), Kennlinienfeld eines Bipolartransistors (Beispiel) (b)

3.3.3 Anwendung des Transistors als kontaktloser Schalter Mit einem Transistor lässt sich, ähnlich wie mit dem Schütz Q1 in Abb. 3.20a über einen Steuerstromkreis ein Laststromkreis, hier mit einer Last R, ein- bzw. ausschalten. Auch beim Schalttransistor in Abb. 3.20b gibt es zwei Schaltzustände:  gesperrt: Ohne eingeprägten Basisstrom, d. h. mit IB  0 ist der Laststromkreis ausgeschaltet, d. h. der Widerstand des Transistors zwischen Kollektor und Emitter RCE ist sehr groß und im Laststromkreis fließt praktisch kein Strom, d. h. IC  0  geöffnet: Ist IB > IBmin , wird der Laststromkreis eingeschaltet, dabei ist RCE sehr klein und leitend. Bis auf den Spannungsverlust von ca. 0,6 V liegt die gesamte Betriebsspannung UB am Lastwiderstand R. Der Zusammenhang zwischen der Spannung UCE und dem Strom IC ist einerseits durch die Ausgangskennlinien des Transistors gegeben. Andererseits teilt sich die Betriebsspannung UB entsprechend der Spannungsteilerregel auf: UCE D UB  IC  R ist. Dieser lineare Zusammenhang zwischen UCE und dem Strom IC kann durch die in Abb. 3.20c eingezeichnete Widerstandsgerade veranschaulicht werden. Der Schnittpunkt UCE D UB dieser Gerade mit der horizontalen Achse ergibt sich für IC D 0, der Schnittpunkt IC D UB =R mit der vertikalen Achse ergibt sich für UCE D 0. Wegen des Spannungsverlusts von ca. 0,6 V im eingeschalteten Zustand entstehen Durchlassverluste von PV  0;6 V  IC . Wird mit hoher Frequenz ein- und ausgeschaltet, sind auch die Verluste während der Umschaltvorgänge zu berücksichtigen.

3

Halbleitertechnik a

211 b

+UB

+UB

R

R

c

IC

UB/R UR

Ausgangskennlinie IB > IBmin EIN

IC IB

Q1

IB UCE

UBE 0V

AUS 0V

UB

IB=0 UCE

Abb. 3.20 Transistor als kontaktloser Schalter, Schalter mit Schütz Q1 (a), Schalttransistor (b), Betriebspunkte eines Schalttransistors (c) Abb. 3.21 Transistor als Verstärker in Emitterschaltung mit Bezeichnung aller Ströme und Spannungen

+UB IC RC

R1

IB

UCE

Iq R2

UBE 0V

3.3.4 Anwendung als Analogverstärker in Emitterschaltung Zur Verstärkung analoger Signale wird der Transistor meist in Emitterschaltung entsprechend Abb. 3.21 eingesetzt. Bei dieser Schaltung bildet der Emitter den gemeinsamen Anschluss für den Ein- und Ausgang der Schaltung. Das Eingangssignal, meist eine Mischspannung (Summe aus Gleich- und Wechselspannungsanteil), liegt zwischen Basis und Emitter an. Der Gleichanteil von UBE ergibt sich durch den Spannungsteiler aus R1 und R2 und der Spannung UB . Diese Spannung bildet den Arbeitspunkt, um den der zu verstärkende Wechselspannungsanteil von UBE variiert. Das verstärkte Ausgangssignal steht zwischen Emitter (Masse) und Kollektor zur Verfügung. Die Funktion der Schaltung lässt sich leicht verstehen mit Hilfe des Kennlinienfeldes in Abb. 3.19. Berechnungsbeispiel Ein Transistor mit einem Kennlinienfeld nach Abb. 3.19 soll in Emitterschaltung betrieben werden. Das Eingangssignal (mit addiertem Gleichanteil) liegt zwischen Basis und

212

H. Paerschke

Abb. 3.22 Analogverstärkung in Emitterschaltung, das Eingangsspannungssignal uBE zwischen Basis und Emitter führt zu einem Basisstrom iB , einem verstärkten Kollektorstrom iC und einem verstärkten Spannungssignal uCE zwischen Kollektor und Emitter

Strom-Steuerkennlinie U 12 V I= B = =20 mA RC 600 Ω

Ausgangskennlinie

IC/mA

0,4 mA

20

0,3 mA

15

0,2 mA

10

∆IC

IB

5 0,3

IB/mA

0,2

0,1

3 0,75 0,85

6

9

12 UCE/V

∆UBE

Eingangskennlinie

Emitter. Durch einen Basis-Spannungsteiler soll aus der Betriebsspannung UCE D 12 V eine Basis-Emitter-Vorspannung UBE D 0;8 V (Gleichspannung) erzeugt werden. Bei UBE D 0;8 V beträgt IB D 0;2 mA. Durch R2 soll ein Querstrom Iq D 9  IB fließen, damit der Spannungsteiler als nahezu unbelastet betrachtet werden kann. a) b) c) d)

Wie groß sind R1 und R2 ? IC soll 20 mA nicht überschreiten. Bestimme RC . Analysiere das Verhalten anhand des Kennlinienfeldes. Bestimme den Wechselstromverstärkungsfaktor ˇ D IC = IB .

Lösung zu a) Iq D 9  IB D 9  0;2 mA D 1;8 mA; R2 D

UBE 0;8 V D D 0;444 k I Iq 1;8 mA

R1 D

UB  UBE 12 V  0;8 V D D 5;6 k 10  IB 2 mA

UCE 12 V D D 0;6 k ; Iq 20 mA zu c) An R2 wird die zu verstärkende Wechselspannung angelegt. Sie addiert sich zu der voreingestellten Gleichspannung. Es ergibt sich eine Mischspannung am Eingang des Transistors. Für die im 4. Quadranten in Abb. 3.22 beispielhaft eingezeichnete sinusförmige Eingangsspannung mit der doppelten Amplitude UBE ergibt sich mit der Eingangskennlinie der im 3. Quadranten dargestellte Verlauf des Basisstroms IB . Im 2. Quadranten ist der Verlauf des verstärkten Kollektorstroms IC dargestellt. Im 1. Quadranten erhält man schließlich das Bild des Verlaufs der verstärkten Spannung

zu b) RC D

3

Halbleitertechnik

213

UCE . Es lassen sich die folgenden differentiellen Widerstände ermitteln: rCE D

UCE 6V

UBE 0;1 V D D D 0;6 k und rBE D D 500 :

IC 10 mA

IB 0;2 mA

zu d) Für die Stromverstärkung lässt sich ablesen: ˇ D

10 mA

IC D D 50.

IB 0;2 mA

3.3.5 Feldeffekttransistoren Feldeffekttransistoren, kurz FET arbeiten nach einem anderen Wirkungsprinzip als Bipolartransistoren, bei denen der, durch den Basisstrom gesteuerte Strom nacheinander durch drei verschieden dotierte Halbleiterschichten fließt. Bei Feldeffekttransistoren fließt der, durch eine angelegte Steuerspannung gesteuerte Strom durch einen Kanal mit einheitlicher Dotierung. Da dabei jeweils nur eine Sorte von Ladungsträgern beteiligt ist, also nur Elektronen oder Löcher, bezeichnet man FET im Unterschied zu den Bipolartransistoren auch als unipolare Transistoren. FET besitzen drei Anschlüsse. Die Anschlüsse des Strompfades heißen  Source S (englisch für „Quelle“, „Zufluss“) und  Drain D (englisch für „Senke“, „Abfluss“). Der dritte Anschluss heißt  Gate G (englisch für „Tor“) und ist der Anschluss der Steuerelektrode. Der Feldeffekttransistor funktioniert wie ein steuerbarer Widerstand, der durch das elektrische Feld der an G anliegenden elektrischen Spannung gesteuert wird. Dies erfolgt bei  Sperrschicht-Feldeffekttransistoren (engl. Junction-FET oder JFET) durch Variation des Querschnitts dieses Pfades und bei  Isolierschicht-Feldeffekttransistoren (MOSFET) durch Variation der Konzentration der beweglichen Ladungsträger und damit der Leitfähigkeit. Der Aufbau und das Wirkungsprinzip eines Sperrschicht-Feldeffekttransistors mit nleitendem Kanal sind in Abb. 3.23a dargestellt. Auf einem n-leitenden Substrat ist eine p-leitende Insel mit dem Gate-Anschluss eingebracht. Der Anfang des n-leitenden Kanals ist mit dem Anschluss S und das Ende mit D verbunden. Die zwischen S und D anliegende Spannung UDS > 0 bewirkt den Strom ID > 0 durch den n-leitenden Kanal. Ist die Steuerspannung UGS , wie in Abb. 3.23a, in Sperrrichtung gepolt, so verbreitert sich die punktiert dargestellte, von Ladungsträgern weitgehend freie Grenzschicht. D. h. je größer jUGS j ist, umso kleiner wird der verbleibende Querschnitt und umso größer der Widerstand des leitfähigen Kanals. Bei Isolierschicht-Feldeffekttransistoren ist die Steuerelektrode G wie in Abb. 3.23b durch eine dünne, nichtleitende Metalloxid- oder Siliziumoxid-

214

H. Paerschke a

b

UDS > 0

UGS < 0

UGS > 0

ID

D

SiO2

SiO2

n

ID

G

S

D

G

S

UDS > 0

p

n

n+

n+ p-Substrat

B

Metallschicht

Abb. 3.23 n-Kanal pn-Feldeffekttransistor (JFET) mit n-dotiertem Kanal (a), schwarz: Metallkontakte, punktiert: Raumladungszonen mit Ladungsträgerverarmung, selbstsperrender MOS-FET mit punktiert dargestellten n-leitendem Kanal (b), der B-Anschluss wird mit Bulk B bezeichnet und wird meist intern mit S verbunden

Schicht vom leitenden Kanal isoliert. Dies kommt in der englischen Bezeichnung MetalOxid-Semiconductor-FET oder kurz MOSFET zum Ausdruck. Bei UGS D 0 kann trotz anliegender Spannung UDS wegen der beiden gegeneinander geschalteten, gleichrichtenden pn-Übergänge kein Strom ID fließen. Das p-leitende Substrat enthält als Löcher als Majoritätsträger und als Minoritätsträger sehr wenige bewegliche Elektronen. Mit wachsender Steuerspannung UGS werden die negativen Elektronen aus dem Substrat vom positiven Gate angezogen und sammeln sich dicht unter der Isolierschicht an. Überschreitet die Steuerspannung UGS einen Schwellenwert von wenigen Volt bildet sich eine stromleitende Brücke zwischen S und D. Solche sogenannten selbstsperrenden MOSFET sind ohne anliegende Steuerspannung UGS hochohmig. Mit wachsender Gatespannung reichern sich die Ladungsträger im der leitenden Brücke zwischen S und D an, man spricht vom Anreicherungstyp. Neben selbstsperrenden MOSFET vom Anreicherungstyp gibt es selbstleitende MOSFET vom Verarmungstyp, bei denen durch entsprechende Dotierung schon ohne anliegende Gatespannung eine n-leitende Brücke zwischen S und D besteht. Durch eine negative Gatespannung werden die Elektronen aus dieser Brücke herausgedrängt und zwar umso stärker, je negativer die Gatespannung wird. In den Schaltsymbolen (Abb. 3.24) ist bei selbstleitenden IGBTs (auch als Verarmungs-Typ bezeichnet) eine durchgezogene Linie zwischen den Anschlüssen Kollektor (C) und Emitter (E) gezeichnet. Diese Linie ist bei den selbstsperrenden Typen, auch Anreicherungs-Typ bezeichnet, unterbrochen dargestellt. Neben den JFET und MOSFET mit n-leitendem Kanal gibt es Ausführungen mit umgekehrter Dotierung, d. h. mit pleitendem Kanal. Gegenüber den n-Typen ändern sich die Polaritäten der anzulegenden Spannungen und der Ströme.

3

Halbleitertechnik a

D

215 b

D

c

d

D

S

S

S

DG

B G

G

G

f

D

B

B G

G

e

D

B G

S

S

S

Abb. 3.24 Schaltzeichen Feldeffekttransistor n-Kanal-Typ (a), Feldeffekttransistor p-Kanal-Typ (b), selbstsperrender MOS-FET mit n-leitendem (c), mit p-leitendem Kanal (d), selbstleitender MOS-FET mit n-leitendem Kanal (e), mit p-leitendem Kanal (f) Abb. 3.25 CMOSGrundelement, bestehend aus dem selbstsperrenden nKanal-Mosfet T1 und dem selbstsperrenden p-Kanal MOSFET T2

+UB T2

ue

T1

ua

Der FET wirkt somit als ein durch die Steuerspannung UGS nahezu leistungslos steuerbarer Widerstand. Mit kleinen Änderungen der Gatespannung UGS lassen sich große Änderungen des Drainstroms ID steuern. FET werden als schaltendes oder als verstärkendes Element vielfältig verwendet. In der elektrischen Energietechnik werden sie für die zu beherrschenden großen Ströme und Spannungen in Form einzelner Leistungstransistoren eingesetzt, in der Nachrichten – und Informationstechnik in integrierten analogen und digitalen Schaltungen. Dabei können wegen ihrer geringen Verlustleistungen sehr viele MOSFET auf einem einzelnen Bauelement integriert werden. Weit verbreitet in der Digitaltechnik sind CMOS-Schaltkreise (Complementary MOS), bei denen in Reihe geschaltete n-Kanal MOSFET und p-Kanal-MOSFET auf einem Schaltkreis zusammenwirken. Abb. 3.25 zeigt eine Schaltungsbeispiel mit einer Kombination aus einem n-Kanal MOSFET (T1) und einem p-Kanal-MOSFET (T2). Für die Schaltung gilt: Ist ue  UB (logisch 1), dann ist T1 leitend und T2 ist gesperrt. Damit ist ua  0 (logisch 0). Ist die Eingangsspannung ue  0 (logisch 0) ist T1 gesperrt, T2 leitend und ua  UB (logisch 1). Die Schaltung funktioniert somit als NICHT-Glied. Da in beiden Schaltzuständen stets einer der beiden Transistoren gesperrt ist, sind die fließenden Ströme und die Leistungsaufnahme extrem gering. Bauelemente der CMOS-Familie werden wegen ihrer extrem geringen Verlustleistung z. B. bei batteriebetriebenen elektronischen Geräten, in Speicherschaltkreisen und in Bildsensoren von Digitalkameras eingesetzt.

3.3.6 Bipolartransistor mit isolierter Gate-Elektrode, IGBT MOSFET können im Gegensatz zu bipolaren Transistoren (BPT) durch eine am Gate anliegende Spannung nahezu leistungslos ansteuert werden. BPT haben aber im einge-

216

H. Paerschke

schalteten Zustand bei vergleichbaren elektrischen Parametern einen deutlich geringeren Durchgangswiderstand und damit geringere Durchlassverluste, was insbesondere beim Schalten großer Ströme von großem Vorteil ist. Zum Schalten großer Ströme werden Bipolartransistoren mit isolierter Gate-Elektrode, kurz IGBT (vom englischen Insulated Gate Bipolar Transistor), eingesetzt. Sie sind die am häufigsten eingesetzten Leistungstransistoren, weil sie die wesentlichen Vorteile von MOSFET (nahezu leistungslose Ansteuerung) und Bipolartransistoren (geringer Durchlasswiderstand) vereinen. Der Struktur des IGBT in Abb. 3.26 ähnelt dem eines selbstsperrendem MOS-FET mit n-leitendem Kanal in Abb. 3.23b. Die Anschlüsse werden mit Emitter E, Kollektor C und Gate G bezeichnet. Auf der Seite des C-Anschlusses befindet sich eine zusätzliche p-dotierte Insel, so dass sich dort, ausgehend vom p-Substrat ein bipolarer pnp-Transistor mit einer n-dotierten Basis ausbildet. Der obere pn-Übergang ist in Durchlassrichtung gepolt (positive Spannung am p-Bereich), der Übergang zwischen dem p-Substrat und dem rechten, darüber liegenden n-Bereich ist in Sperrrichtung gepolt, so dass im Sperrbetrieb kein Strom durch das p-Substrat zu E fließen kann. Überschreitet die positive Spannung an G einen Schwellenwert (einige Volt), bildet sich ein n-leitfähiger Kanal, durch Elektronen von E in die Basis des pnp-Transistors und größtenteils weiter zu C fließen. Die Potentialbarriere des in Durchgangsrichtung gepolten pn-Übergangs wird abgebaut, wodurch Löcher aus dem unter C gelegenen p-Gebiet in die Basis und weiter durch das p-Substrat zum Emitter E strömen können. Im Durchlassbetrieb sind also (anders als beim FET) beide Ladungsträgerarten am Stromtransport beteiligt. Damit sind die Durchlasswiderstände und die Durchlassverluste bei hohen Strömen deutlich geringer als bei FET. IGBT sind zum Schalten hoher Ströme (bis etwa 3000 A) und Spannungen (derzeit bis etwa 6600 V) geeignet. Sie werden z. B. in Frequenzumrichtern für den drehzahlvariablen Betrieb von Drehstrommaschinen, in Wechselrichtern von USV- und Photovoltaik-Anlagen, in Schaltnetzteilen und für die Hochspannungsgleichstromübertragung eingesetzt.

a

b

UCE > 0

c

++ C

C

IC

UGE > 0

IC

+ E

SiO2

C

G

G

G

p n

n p-Substrat

E E ‒

Abb. 3.26 IGBT, Wirkungsschema (a), vereinfachtes Ersatzschaltbild aus selbstsperrendem MOSFET mit n-leitendem Kanal und nachgeschaltetem pnp-Bipolartransistor (b), Schaltzeichen (c)

3

Halbleitertechnik

Abb. 3.27 Phototransistor, Schaltzeichen (a), Optokoppler mit LED und Phototransistor (b)

217 a

b

3.3.7 Phototransistor Bipolare Phototransistoren (Abb. 3.27) haben ein lichtdurchlässiges Gehäuse, bei dem das Licht auf die Basis-Kollektor-Sperrschicht fallen kann. Wie bei der Photodiode erzeugen die absorbierten Photonen Elektron-Lochpaare in der Sperrschicht. Der erzeugte Basisstrom bewirkt entsprechend der Stromverstärkung des Transistors einen ca. hundertfach verstärkten Kollektorstrom und damit eine deutlich höhere Lichtempfindlichkeit als bei Photodioden. Phototransistoren werden z. B. zur analogen Messung der Bestrahlungsstärke oder in Verbindung mit einer Infrarotlicht emittierenden Diode (LED) in Optokopplern zur Potenzialtrennung bei der Informationsübertragung (vergl. Abschn. 6.5.3) eingesetzt.

3.4 Leistungselektronische Schaltungen Leistungselektronische Schaltungen (Abb. 3.28, siehe auch Internetmedien [7, 8]) werden zur Umformung elektrischer Energie eingesetzt. Sie sind in der Lage, die Effektivwerte und die Frequenzen von Strömen und Spannungen an den jeweiligen Bedarf anzupassen. Bei der Wandlung von Wechselstrom in Drehstrom bzw. umgekehrt lässt sich auch die Zahl der Stränge verändern. Gleichrichter wandeln Wechselspannungen und Wechselströme in Gleichspannungen und Gleichströme um. Wechselrichter (engl. inverter) sind Geräte, die eine Gleichspannung in eine Wechselspannung umwandeln. Gleichstromumrichter, englisch DC-DCconverter, wandeln eine am Eingang anliegende Gleichspannung U1 in eine niedrigere oder in eine höhere Ausgangsgleichspannung U2 um. In der elektrischen Energietechnik und Antriebstechnik werden Gleichstromwandler als Gleichstromsteller bezeichnet. Wechselstromumrichter oder AC-AC-converter wandeln den Effektivwert und die Frequenz einer Eingangswechselspannung in andere Wechselspannungen am Ausgang um. Umrichter gibt es für den Leistungsbereich von einigen mW bis hin zu GW, der Spannungsbereich reicht von wenigen Volt bis in den Bereich von mehreren 100 kV, Ströme reichen von mA bis zu kA. Solche Schaltungen finden sich beispielsweise in Netzteilen verschiedenster elektronischer Geräte, in Geräten zur unterbrechungsfreien Notstromversorgung (USV-Anlagen), in elektronischen Vorschaltgeräten zur Beleuchtungssteuerung, in Wechselrichtern zum drehzahlvariablen Antrieb von Ventilatoren und Pumpen sowie in

218

H. Paerschke

Abb. 3.28 Typen von Umrichtern (engl. converter) zur Umformung zwischen verschiedenen Arten elektrischer Energie

Wechseloder Drehstrom

Gleichstrom Gleichrichter

Wechselstromumrichter

Gleichstromumrichter

Wechselrichter Wechseloder Drehstrom

Gleichstrom

Solar- und Windkraftanlagen zur Einspeisung von regenerativ gewonnenem Strom in das elektrische Netz.

3.4.1 Leistungselektronische Schalter Funktionsbestimmende Komponenten von leistungselektronischen Schaltungen sind Schalter zum Ein- bzw. Ausschalten von Strömen und Spannungen. Wegen der erforderlichen hohen Schaltfrequenzen und Schalthäufigkeiten sind mechanische Schalter dafür nicht geeignet. Je nach Anforderung werden Gleichrichterdioden und ein- und ausschaltbare Bipolare Transistoren (BT), Isolated Gate Biplorar Transistoren (IGBT) oder Power-MOSFET eingesetzt (Schaltzeichen siehe Abb. 3.29). Gleichrichterdioden lassen wie Ventile den Strom nur in einer Richtung durchfließen. Ist die Spannung in Bezug auf den Spannungspfeil in Abb. 3.9 positiv, ist die Diode in Durchlassrichtung gepolt und es fließt bei geringen Widerstand der Durchlassstrom. Bei Polung in Sperrrichtung hat die Diode einen sehr hohen Widerstand und der fließende Strom ist praktisch Null. Im Gegensatz zu den Dioden, deren Durchlassverhalten von der Polarität der anliegenden Spannung bestimmt wird, können Transistoren und MOSFET aktiv zwischen dem durchlässigen und dem gesperrte Zustand umgeschaltet werden. Im eingeschalteten Zustand haben sie einem sehr niedrigen Durchlasswiderstand und im ausgeschalteten Zustand einen sehr hohen Widerstand. Sie sind in der Lage, wie mechani-

a

b

c

d

Abb. 3.29 Schaltzeichen für Gleichrichterdiode (a), Bipolar-Transistor (BT) (b) und Isolated Gate Bipolar Transistor (IGBT) (c) und MOSFET (d)

3

Halbleitertechnik

219

sche elektrischer Schalter, Stromkreise oder Spannungen in vorgegebener Weise ein und auszuschalten. Für das grundlegende Verständnis der Funktionsprinzipien leistungselektronischer Schaltungen können wir diese Dioden und Transistoren als ideale Bauelemente betrachten, mit vernachlässigbaren Verlusten, vernachlässigbar kleinem Widerstand im leitenden Zustand und unendlich großem Widerstand im gesperrten Zustand. Das Umschalten zwischen sperrenden und leitenden Zustand erfolgt sehr schnell. Hinsichtlich des Wirkungsgrads von leistungselektronischen Schaltungen spielen die Verluste im geöffneten und im geschlossenen Zustand sowie die Verluste während des Umschaltvorgangs jedoch eine entscheidende Rolle. Ein neuer Typ leistungselektronischer Bauelemente verwendet statt Silizium halbleitendes Siliziumcarbid (SiC). Solche, in zunehmendem Maße verfügbaren SiC-Dioden und SiC-Transistoren zeichnen sich durch besonders niedrige Verluste aus. SiC hat eine große Bandlücke von 3,2 eV. Dadurch ist die Eigenleitungsdichte sehr gering und nimmt mit steigender Temperatur weniger zu als in Silizium. Dadurch können solche Bauelemente bei höheren Temperaturen und mit kleineren Kühlkörpern betrieben werden. Darüber hinaus haben sie einen niedrigen Widerstand im Durchlasszustand und eine höhere zulässige Sperrspannung. Wegen der geringeren Verluste während des Umschaltvorgangs zwischen dem leitenden und dem nichtleitenden Zustand können höhere Schaltfrequenzen realisiert werden, wodurch in den leistungselektronischen Schaltungen kleinere Drosselspulen zur Energiespeicherung verwendet werden können.

3.4.2 Gleichrichterschaltungen Die meisten elektronischen Schaltungen der Informations- und Kommunikationstechnik müssen mit einer Gleichspannung versorgt werden, die aus der Wechselspannung des Versorgungsnetzes gewonnen wird. Dazu werden Gleichrichterschaltungen genutzt, die, aus einer vorhandenen Wechselspannung u.t/ eine Gleichspannung gewinnen. Abb. 3.30 zeigt die Funktion eines 1-Weggleichrichters, der eine Wechselspannung in eine (pulsierende) Gleichspannung wandelt. Während der positiven Halbwelle der Eingangsspannung hat die Diode D1 in Durchlassrichtung nur einen sehr geringen Widerstand, der Strom fließt ungehindert. Während der negativen Halbwelle von u.t/ ist der Widerstand der Diode in Sperrrichtung sehr hoch, der fließende Strom praktisch Null. Im Ergebnis ergeben sich eine Mischspannung mit einem Gleichspannungsanteil und Wechselspannungsanteilen und ein entsprechender pulsierender Gleichstrom durch den Lastwiderstand R. Abb. 3.31 zeigt eine 2-Weg-Gleichrichterbrücke zur Gleichrichtung von Wechselstrom, wie sie in Netzteilen verwendet wird. Während der ersten positiven Halbwelle der Spannung fließt der Strom i.t/ in Durchlassrichtung durch die Diode D1, durch den Lastwiderstand R und durch D3 zurück zur Spannungsquelle. Während der nachfolgenden negativen Halbwelle fließt der Strom durch D2, R und D4. Der Strom iR .t/ fließt also während beider Halbwellen in gleicher Richtung durch R. Die Pulsationen des Stroms iR .t/ sind geringer als in Abb. 3.30 und der aus der Quelle fließende Strom i.t/ bleibt anders als bei der

220

H. Paerschke

i (t )

D1

u (t )

i(t ) u (t )

R

i(t)

uR (t ) =R ⋅i (t )

t

Abb. 3.30 1-Weg-Gleichrichter bei sinusförmiger Spannung u.t / und mit ohmscher Last R, ist der zeitliche Mittelwert des gleichgerichteten Stroms iR (t )

D1

iR (t ) = i(t )

D2

iR (t)

i (t ) u (t )

uR (t )

R t

D4

D3

i (t )

Abb. 3.31 2-Weg-Brückengleichrichter mit ohmscher Last R, gleichgerichteter Strom iR (t )

D1

u, i

uR (t )

D2

i (t ) u (t )

C

D4

D3

uR (t )

R t1

t2

u (t )

t

i1 (t )

Abb. 3.32 2-Weg-Brückengleichrichter mit Glättungskondensator C und ohmscher Last R, Prinzipschaltbild, i1 .t / nichtsinusförmiger Netzstrom, iR .t / gleichgerichteter Strom, uR .t / Ausgangsspannung

1-Weg-Gleichrichtung sinusförmig. Zur Energieversorgung elektronischer Schaltungen muss i. A. eine derartig schwankende Gleichspannung geglättet werden. Dazu werden die Speichereigenschaften von Kondensatoren und Spulen genutzt. Die Glättung der pulsierenden Gleichspannung durch einen Glättungskondensator C ist in Abb. 3.32 dargestellt. Sobald zum Zeitpunkt t1 die Eingangsspannung u.t/ die am Kondensator anliegende Spannung uR .t/ übersteigt, fließt durch die Dioden D1 und D3 in Durchlassrichtung ein Strom und lädt den C auf. Dadurch steigt die Spannung an C bis zum Zeitpunkt t2 an. Bei t2 fällt die Spannung u.t/ wieder unter die momentane Kondensatorspannung. Die Polung der Spannungen an D1 und D3 kehrt sich um. D1 und D3 sperren. Der Kondensator C wirkt als Energiequelle für die Last R und wird dabei teilweise entladen bis sich bei der negativen Spannungshalbwelle von u.t/ der Prozess über D2 und D4 in analoger

3

Halbleitertechnik

221

Weise fortsetzt. Die Welligkeit der Ausgangsspannung uR .t/ kann durch Vergrößerung der Kapazität C verkleinert werden. Der aus dem Netz entnommene periodische Strom i.t/ fließt impulsförmig nur in den Zeitabschnitten zwischen t1 und t2 und weicht damit stark von der Sinusform ab. Das ist typisch für viele leistungselektronische Schaltungen, die stets Bauelemente mit nichtlinearer Strom-Spannungskennlinie enthalten. Die damit verbundenen Oberschwingungsströme können zu Störungen im Versorgungsnetz führen und müssen zur Gewährleistung der Elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) durch geeignete Entstörmaßnahmen, z. B. durch Netzfilter auf ein unschädliches Maß reduziert werden (siehe Kap. 6). Die Gleichrichterschaltung nach Abb. 3.32 liefert am Ausgang einen mittleren Gleichspannungswert, der etwas unter der Amplitude der Eingangswechselspannung liegt. Wird eine andere Ausgangsspannung benötigt, kann im einfachsten Fall ein vorgeschalteter Transformator die 50-Hz-Netzspannung auf eine erforderliche Eingangswechselspannung transformieren. Durch den Trafo wird auch die i. A. erforderliche galvanische Trennung von Ausgangs- und Eingangsseite gewährleistet, d. h. zu keinem Zeitpunkt besteht eine leitende elektrische Verbindung einer der beiden Ausgangsklemmen mit einem der Netzleiter am Eingang.

3.4.3 Gleichspannungswandler Spannungsteiler Die einfachste Möglichkeit zum Herabsetzen einer Gleichspannung bietet ein Spannungsteiler aus zwei in Reihe geschalteten Widerständen. Für den unbelasteten Spannungsteiler nach Abb. 3.33 ergibt sich entsprechend der Gl. 3.10 die Ausgangsgleichspannung U2 aus der Größe der Widerstände R1 und R2 . I1 D I2

weil

U2 D I1  R2 I

IL D 0 I1 D

R2 R1 C R2 U12 PV D R1 C R2 U2 D U1 

U1 R1 C R2 (3.10)

Dabei treten notwendigerweise erhebliche Verlustleistungen PV auf. Die Schaltung wird umso ineffizienter, je mehr sich Ein- und Ausgangsspannung unterscheiden. Darüber hinaus ist die Ausgangsspannung U2 abhängig von der evtl. schwankenden Eingangsspannung U1 und vom entnommenen Laststrom IL , bzw. vom Lastwiderstand RL , wie die

222

H. Paerschke

Abb. 3.33 Unbelasteter Spannungsteiler

I1

R1 IL=0

U1 R2

U2

I2

Rechnung Gl. 3.13 zum belasteten Spannungsteiler in Abb. 3.34 zeigt. K:

I1 D I2 C IL

  R2  RL M1: U1 D I1  Rges D I1  R1 C R2 C RL R2  RL U2 D I1  R2 C RL U2 D U1

(3.11)

R2  RL R2 R2 C RL D R2  RL R1  R2 R1 C R1 C R2 C R2 C RL RL

Wird anstelle des festen Widerstands R1 in Abb. 3.34 ein Transistor als linear steuerbarer Widerstand eingesetzt, so kann mit ihm die Ausgangsspannung auf einen gewünschten Wert U2 < U1 geregelt werden. Die am Transistor abfallende Spannung und der durchfließende Strom bewirken hohe Verluste und einen schlechten Wirkungsgrad einer solchen Schaltung.

Tiefsetzsteller Eine wesentlich effektiver arbeiten Tiefsetzsteller, bei denen der Transistor als leistungselektronischer Schalter betrieben wird. Dabei wird der Transistor nur zwischen einem vollständig leitenden und einem nichtleitendem Zustand hin und her geschaltet. Im leitenden Zustand ist der Widerstand sehr gering und damit die abfallende Spannung sehr klein, Abb. 3.34 Belasteter Spannungsteiler

I1 I1 R1 U1

M

IL

K R2 I2

U2 RL

3

Halbleitertechnik

223 u2 (t )

S

i1 U1

TS

U1

i2 u2

u2 (t ) RL

t

i2 (t )

U1 RL

Ta

Te

t

Abb. 3.35 Grundprinzip eines Tiefsetzstellers

im nichtleitenden Zustand ist der Strom sehr klein. In beiden Fällen ergibt sich als Produkt von U und I nur eine kleine Verlustleistung am Transistor! Tiefsetzsteller sind eine der wichtigsten leistungselektronischen Grundschaltungen. Sie werden z. B. in geregelten Netzteilen zur Versorgung von elektronischen Geräten, in Ladereglern zum Laden von Akkumulatoren und Photovoltaik-Wechselrichtern eingesetzt. Tiefsetzsteller setzen unabhängig von Änderungen der Eingangsspannung U1 und des Strombedarfs der Last die Ausgangspannung auf einen vorgebbaren niedrigeren Sollwert U2 herunter. Die einfachste Ausführung mit ohmscher Last zeigt das Abb. 3.35. Der Schalter S wird periodisch und geschlossen. Dabei ist D das Tastverhältnis, Te D Einschaltdauer (Schalter S unten), Ta D Ausschaltdauer (S oben) und TS D Te C Ta D Schaltperiodendauer. Te DD ; u2 .t/ D D  U1 (3.12) TS Am Lastwiderstand entsteht eine rechteckförmige Spannung u2 .t/ mit einem Mittelwert u2 .t/, der sich durch das Tastverhältnis D einstellen lässt. Die in der Praxis erforderliche Glätttung bewirkt die in Abb. 3.36 dargestellte Tiefsetzsteller-Schaltung. Sie enthält einen Transistor T (z. B. IGBT oder MOSFET), mit der Funktion des Schalters S in Abb. 3.35, einer Induktivität L als Energiespeicher zur Glättung des Ausgangsstroms und einer Freilaufdiode D. Die Steuereinrichtung des Transistors T und die Eingangsspannungsquelle sowie die am Ausgang angeschlossene Last sind nicht eingezeichnet. Ein- und Ausgangsspannung sind positiv hinsichtlich der eingezeichneten Bezugspfeile. Vereinfachend wird angenommen, dass die Ein- und Ausgangsspannung konstant sind. u1 .t/ D U1 ; u2 .t/ D U2 ; U1 ; U2 > 0 und U2 < U1

(3.13)

Die Eingangsspannung kann z. B. die Ausgangsspannung eines 2-Weg-Brückengleichrichters mit Glättungskondensator sein, die Ausgangsspannung z. B. die Spannung eines zu ladenden Kondensators oder eines Akkumulators. Die Spannung uL .t/ an der Indukti-

224

H. Paerschke u (t )

S i1

L

T

ta

i2

D

uD

t

i2 (t )

uL u1

uD (t )

TS

U1 u2 (t ) =U 2

M

u2

i2

Ta

Te

t

Abb. 3.36 Tiefsetzsteller mit Schalttransistor T , Freilaufdiode D und Glättungsdrossel L, Spannungs- und Stromverläufe, zeitliche Verläufe von Spannungen und Ausgangsstrom i2

vität L hängt mit dem durchfließenden Strom i2 .t/ zusammen. uL .t/ D L

di2 .t/ dt

(3.14)

Während der Einschaltzeit Te des Transistors T ist der Widerstand des Transistors praktisch Null. Damit liegt die Diode D in Sperrrichtung direkt an der Eingangsspannung U1 an, d. h. es gilt uD D U1 . Da durch D kein Strom fließt, gilt i1 D i2 , d. h. der Strom i1 fließt von der Quelle durch L, durch den Verbraucher und zurück. Aus dem Maschensatz für M ergibt sich: di2 .t/ uL D U1  U2 D L bzw. dtZ Z 1 1 U1  U2 uL dt D .U1  U2 /dt D i2 .0/ C t i2 .t/ D L L L

(3.15)

d. h. die während der Einschaltzeit an L anliegende konststante Spannung uL D U1  U2 ist mit dem linear mit der Zeit ansteigenden Strom i2 .t/ D i1 .t/ verbunden. Während der Ausschaltzeit Ta des Transistors T ist die Schaltung von der Eingangsspannung abgekoppelt und es gilt i1 .t/ D 0. Die in L gespeicherte Magnetfeldenergie bewirkt, dass der Strom i2 auch bei geöffnetem Transistor weiter fließt und zwar durch den Verbraucher und in Durchlassrichtung durch die Freilaufdiode D zurück zu L. In Durchlassrichtung ist der Durchlasswiderstand der Freilaufdiode praktisch Null, damit gilt uD .t/ D 0. Der Maschensatz liefert d i2 .t/ uL D uD  U2 D U2 D L bzw. dt Z Z 1 1 U2 .t  ta / ; uL dt D .U2 /dt D i2 .ta /  i2 .t/ D L L L

(3.16)

3

Halbleitertechnik

225

d. h. während der Ausschaltzeit liefert die Spule als Energiequelle einen linear mit der Zeit abfallenden Verbraucherstrom. Die Spannung uD .t/ springt entsprechend der Taktung des Schalttransistors, wie in Abb. 3.36 gezeigt, zwischen 0 und U1 hin und her. Für den zeitlichen Mittelwert der Spannung uD .t/ lässt sich ablesen uD .t/  TS D U1  Te :

(3.17)

Für den zeitlichen Mittelwert von uL .t/ ergibt sich mit Gl. 3.14 wegen der Periodizität der Zeitverläufe 1 uL .t/ D TS

ZTS 0

L uL .t/dt D TS

ZTS 0

di2 .t/ L dt D dt TS

ZTS di2 D 0

L Œi2 .TS /  i2 .0/ D 0 : TS

(3.18) Aus der Maschengleichung uD .t/ D U2 C uL .t/ folgt nach zeitlicher Mittelung uD .t/ D U2 C uL .t/ bzw. unter Verwendung von Gl. 3.17 und 3.18 U 2  TS D U 1  Te

bzw. U2 D

Te  U1 D D  U1 : TS

(3.19)

Der Eingangsstrom i1 .t/ und der Ausgangsstrom i2 .t/ des Tiefsetzstellers sind nicht konstant, sondern schwanken mit sägezahnartigem Verlauf. Für den hier betrachteten idealen, verlustlosen Tiefsetzsteller ergibt sich p1 .t/ D U1  i1 .t/ D p2 .t/ D U2  i2 .t/

bzw.

i1 .t/ i2 .t/

D

U2 Te DDD : U1 TS

(3.20)

Durch Variation des Tastgrades kann die Ausgangspannung U2 des Tiefsetzstellers auf Werte zwischen annähernd 0 und U1 eingestellt werden. Das Tastverhältnis D bestimmt ähnlich wie das Übersetzungsverhältnis beim Trafo das Verhältnis der Spannungen und Ströme. Das beschriebene Verhalten gilt jedoch nur, solange der von der Induktivität L gespeiste Ausgangsstrom i2 während einer zu langen Ausschaltphase Ta des Transistors nicht auf Null absinkt. Um diesen Lückbetrieb zu vermeiden, wird eine hinreichend hohe Schaltfrequenz z. B. von ca. 16 kHz gewählt. Eine Obergrenze für die Schaltfrequenz ist durch die Grenzfrequenz des Transistors gegeben und dadurch, dass die Verluste während der Umschaltvorgänge des Transistors zunehmen.

Hochsetzsteller Hochsetzsteller setzen eine niedrige Gleichspannung in eine höhere Gleichspannung um. Sie werden z. B. benötigt in trafolosen Photovoltaikwechselrichtern, um die niedrige Spannung des Solargenerators auf ein zur Einspeisung in das Stromversorgungsnetz erforderliches Niveau anzuheben. Die Grundschaltung ist Abb. 3.37 dargestellt. Sie enthält die gleichen Bauelemente, jedoch in vertauschter Anordnung. Die Schaltungen am

226

H. Paerschke u (t )

uT (t )

TS

U2 D

L

i1

uT (t ) =U1

i2

Ta

uL u1

M

T

uT

u2

Te

t

i1 (t )

i1

t

Abb. 3.37 Hochsetzsteller mit Schalttransistor T , Diode D und Glättungsdrossel L, Spannungsund Stromverläufe, zeitliche Verläufe der Spannungen und Ströme

Ein- und am Ausgang sowie zur Ansteuerung des Transistors T sind nicht eingezeichnet. Ein- und Ausgangsspannung sind positiv hinsichtlich der eingezeichneten Bezugspfeile. Vereinfachend wird angenommen, dass die Ein- und Ausgangsspannung konstant sind. u1 .t/ D U1 ;

u2 .t/ D U2 ;

U1 ; U2 > 0 und U2 > U1

(3.21)

Während der Einschaltzeit Te des Transistors T sind der Widerstand des Transistors und damit die Spannung uT praktisch Null. Wegen U2 > 0 ist die Diode D in Sperrrichtung gepolt und i2 D 0. Die konstante Eingangsspannung U1 liegt an der Induktivität L an und führt analog zu Gl. 3.14 zu einem linear ansteigenden Strom i1 durch L und den Transistor T. In dieser Phase wird die von der Quelle U1 gelieferte Energie im Magnetfeld der Induktivität L gespeichert. Während der Ausschaltzeit Ta des Transistors kommt nach Öffnen des Transistors T der Transistorstrom sofort zum Erliegen. Wegen der mit dem Strom verbundenen Magnetfeldenergie kann sich jedoch der Strom durch L nicht sprunghaft ändern. Bei ausgeschaltetem T wird an L eine Spannung uL induziert, die zusammen mit der Eingangsspannung U1 größer wird als die Ausgangsspannung U2 . Somit bewirkt die im Magnetfeld von L gespeicherte Energie, dass der Strom i1 linear abnehmend in Durchlassrichtung durch die Diode D zum angeschlossenen Verbraucher weiterfließt. Die während der Einschaltphase gespeicherte Energie wird während der Ausschaltphase am Ausgang bei der höheren Spannung U2 abgegeben. Die Spannung uT springt zwischen Null und U2 hin und her. Für den zeitlichen Mittelwert von uT lässt sich in Abb. 3.37 ablesen uT .t/  TS D U2  Ta :

(3.22)

Analog zu Gl. 3.18 gilt auch hier uL .t/ D 0 und aus der Maschengleichung uT .t/ D U1  uL .t/ ergibt sich nach zeitlicher Mittelung uT .t/ D U1  uL .t/ D U1 . Einsetzen in

3

Halbleitertechnik

227

Gl. 3.22 liefert U2 D

TS TS 1 1  U1 D  U1 D  U1 D  U1 : Ta TS  Te 1  Te =TS 1D

(3.23)

Ein Hochsetzsteller ermöglicht den Transport elektrischer Energie von einer Quelle mit niedriger Gleichspannung U1 zu einem Verbraucher mit hoher Spannung U2 .

3.4.4 Wechselrichter Wechselrichter werden eingesetzt zur Speisung von Wechselstromverbrauchern aus Gleichspannungsquellen. Solche Wechselrichter haben vielfältige Anwendungsgebiete. Wechselrichter können direkt angeschlossene Wechselstromverbraucher versorgen oder in ein vorhandenes Netz einspeisen, wenn sie mit den erforderlichen Einrichtungen zur Netzsynchronisation ausgestattet sind. Je nach Einsatzfall stehen Wechselrichter für die verschiedensten Leistungen und Spannungen zur Verfügung. Wechselrichter werden beispielsweise eingesetzt in  Photovoltaik-Wechselrichtern, um die vom Solargenerator gelieferte Gleichspannung in eine 50 Hz-Netzspannung umzuwandeln. Dabei kann der Wechselrichter ohne Verbindung zu einem vorhandenen Wechselspannungsnetz ein sog. Inselnetz betreiben oder in ein vorhandenes Netz einspeisen. Im letzteren Fall muss die vom Wechselrichter erzeugte Wechselspannung hinsichtlich der Frequenz genau mit der Netzfrequenz übereinstimmen und die Phasenlage des eingespeisten Stroms auf einen gewünschten Wert eingestellt werden. Soll reine Wirkleistung eingespeist werden, so muss eingespeiste Strom genau in Phase mit der Netzspannung sein.  zur Wandlung und Netzeinspeisung der frequenzvariablen Spannung von Windkraftgeneratoren.  in unterbrechungsfreien Stromversorgungen (USV). Hier muss der Wechselrichter bei Ausfall des Versorgungsnetzes, gespeist aus einer Akkumulatorbatterie eine Notstromversorgung aufrechterhalten.  als wesentlicher Bestandteil von Frequenzumrichtern, die zum drehzahlvariablen Betrieb von Elektromotoren z. B. in Pumpen und Ventilatoren in der Gebäudetechnik eingesetzt werden. Frequenzumrichter liefern dabei Drehstrom mit einer im Bereich zwischen ca. 5 Hz und 70 Hz vorgebbaren Frequenz und einstellbarer Spannung.  als wesentlicher Bestandteil von vielen Schaltnetzteilen, zur Speisung des internen Transformators mit einer hochfrequenten Wechselspannung. Die hohe Frequenz der erzeugten Wechselspannung erlaubt eine drastische Verkleinerung des Trafos bei gleicher übertragener Leistung im Vergleich zu einem 50-Hz-Trafo. Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Wechselrichter-Schaltungsvarianten. Stand der Technik sind Wechselrichter, die eine annähernd sinusförmige Ausgangsspannung erzeugen

228

H. Paerschke

Abb. 3.38 Wechselrichter mit Vollbrücke, Realisierung mit IGBT

i1 T1

D1 T2

D2 L u2

u1 T4

D4

T3

i2 u3

D3

mit vorgebbaren Werten für Frequenz und Effektivwert. Eine Standardschaltung ist die in Abb. 3.38 dargestellte Vollbrücke, bei der sich in jedem Brückenzweig ein leistungselektronischer Schalter befindet. Als Schalter werden IGBT oder MOSFET eingesetzt, zu denen jeweils eine Gleichrichterdiode D parallel geschaltet ist. Auf Grund der H-förmigen Anordnung wird diese Schaltung auch als H-Brücke oder H-Topologie bezeichnet. MOSFET erlauben hohe Schaltfrequenzen oberhalb der Hörschwelle von ca. 16 kHz. Sie werden typischerweise in Wechselrichtern bis etwa 30 kW eingesetzt. Bei höheren Leistungen findet man IGBT mit Schaltfrequenzen im einstelligen kHz-Bereich. Als Beispiel soll die Einspeisung in das Wechselspannungsnetz erläutert werden. Vorgegeben ist dann gemäß Abb. 3.39 der Verlauf der Netzspannung und der gewünschte Verlauf des vom Wechselrichter zu liefernden Stroms. Falls keine Phasenverschiebung zwischen dem gelieferten sinusförmigen Strom und der Netzspannung besteht, erzeugt der Wechselrichter eine reine Wirkleistung. Wir gehen davon aus, dass am Eingang eine konstante Gleichspannung u1 D U1 > 0 (beispielsweise die Ausgangsspannung eines Solargenerators, einer Akkumulatorbatterie oder eines Gleichrichters) anliegt. Wie bei einem Tiefsetzsteller kann auch hier über ein Tastverhältnis D der Ein- und Ausschaltzeiten der Schalter analog zu Gl. 3.20 der gemittelte Wert der Ausgangsspannung auf irgendeinen gewünschten positiven Wert U2 < U1 eingestellt werden (siehe in Abb. 3.36). Die Eingangsgleichspannung muss dafür größer sein als der Spitzenwert der Netzspannung. Anders als der einfache Tiefsetzsteller kann die Brückenschaltung aber auch negative Ausgangsspannungen liefern und damit sowohl die positive als auch die negative Halbwelle einer Ausgangswechselspannung erzeugen. Bei der einfachsten Ansteuerungsvariante werden die Schalter T1 und T3 bzw. T2 und T4 komplementär geschaltet: Sind T1 und T3 eingeschaltet, so sind T2 und T4 ausgeschaltet bzw. umgekehrt. Bei eingeschalteten T1 und T3 ist u2 D CU1 , d. h. die Spannung u2 am Ausgang der Brücke positiv. Werden in der Folge T1 und T3 gemeinsam aus- und T2 und T4 gemeinsam eingeschaltet, ist u2 D U1 d. h. die Spannung u2 am Ausgang der Brücke ist negativ. Die Spannung u2 springt somit immer zwischen den 2 Werten CU1 und U1 hin und her. Durch eine geeignete Pulsweitenmodulation der Ein- und Ausschaltdauer der Schalter T1 bis T4 nach

3

Halbleitertechnik

Abb. 3.39 Netzspannung und Sollstrom für die Netzeinspeisung von reiner Wirkleistung, Frequenz f D 50 Hz, Periodendauer T D 20 ms

229

uNetz isoll t

T = 20 ms

Abb. 3.40 ergibt sich Spannungsverlauf u2 am Brückenausgang dessen Grundschwingung dem Verlauf der Netzspannung angepasst ist. Das hier verwendete Verfahren zur Erzeugung der Pulsweitenmodulation ist in der oberen Grafik in Abb. 3.40 dargestellt. Eine intern erzeugte Dreieckspannung mit der Periodendauer Ts T D 20 ms wird mit dem sinusförmigen Sollwert uref für die Grundschwingung der Ausgangsspannung u2 verglichen. Dieser sinusförmige Sollwert wird von der Netzspannung ggf. unter Berücksichtigung einer Phasenverschiebung abgeleitet. Ist der Wert der Sinusspannung größer als die Dreieckspannung, werden T1 und T3 ein- und T2 und T4 ausgeschaltet, ist der Wert der Dreieckspannung kleiner, sind die Transistoren T1 und T3 aus und T2 und T4 eingeschaltet. Es ergibt sich der in Abb. 3.40 abgebildete zwischen den zwei Werten CU1 und U1 hin und her springende Spannungsverlauf für u2 mit der ebenfalls eingezeichneten sinusförmigen Grundschwingung. Durch die glättende Wirkung der Induktivität L ergibt sich der in Abb. 3.40 unten abgebildete, um die Sinusform schwankende Stromverlauf. Zur Verdeutlichung wurde für das Schaltmuster eine Frequenz von fs D 1=Ts D 1 kHz gewählt. Bei den üblichen Schaltfrequenzen von ca. 20 kHz oder darüber ergeben sich wesentlich glattere Stromverläufe. Durch Variation der Steuerimpulse lassen sich der Effektivwert der Grundschwingung und die Phasenlage des eingespeisten Stroms auf den Wert einstellen, der zur Anpassung an die Netzspannung und zur Steuerung des Leistungsflusses erforderlich ist. Würden T1 und T3 oder T2 und T4 gleichzeitig eingeschaltet, entsteht ein Kurzschluss. Zur Vermeidung von Kurzschlüssen wird nach Sperren eines zuvor leitenden Transistors der andere erst nach Ablauf einer kurzen Schutzzeit angesteuert. In dieser Übergangszeit sind alle Schalter geöffnet. Fließt zu diesem Zeitpunkt, angetrieben durch die Induktivität, z. B. ein positiver Strom i2 , so fließt dieser Strom während der Schutzzeit über die Paralleldioden D4 und D2 zurück zur Quelle. Ohne diese Bypassdioden würden durch die dann auftretenden schnellen Stromänderungen zerstörerisch hohe Spannungen an der Induktivität induziert werden. Bei dieser Wechselrichtervariante fließt ein Teil der in L gespeicherten Energie impulsartig zurück und lädt dabei den (hier nicht eingezeichneten) Eingangskondensator wieder

230

H. Paerschke a

uΔ uref 0

b T1, T3 Ein T2, T4 Aus T1, T3 Aus T2, T4 Ein

c

i2

u2 +U1 u2 0

i2

0

‒U1

Abb. 3.40 Wechselrichter mit zwei Brückenspannungsniveaus für u2 .t / bei komplementärer Taktung, Erzeugung des Schaltmusters aus Dreieckspannung u (Taktfrequenz fs D 1 kHz bzw. Ts D 1=fs D 1 ms) und Sollspannungsverlauf uref (a), pulsweitenmodulierte komplementäre Ansteuerung der Schalter T1 bis T4 (b), geschaltete Ausgangsspannung u2 .t / der Brücke und eingespeister Strom i2 .t / (c), gestrichelt: Grundschwingung des eingespeisten Stroms

auf, z. B. in Phasen, in denen T1 und T3 ausgeschaltet sind und i2 in Pfeilrichtung fließt (i2 positiv). Der Strom fließt dabei über D2 und D4 und lädt die Kapazität am Eingang wieder auf. Die damit verbundenen Nachteile (Verluste und elektromagnetische Störungen) können durch eine etwas aufwändigere Ansteuerung der Schalter T1 bis T4 vermieden werden. Dabei werden die Schalter in Abb. 3.41 nicht mehr komplementär, sondern um eine halbe Abtastperiode versetzt angesteuert. Es ergibt sich ein Spannungsverlauf entsprechend Abb. 3.41 nicht mit zwei sondern mit drei Spannungsniveaus u2 D CU1 ; 0; U1 . u2 D CU1 ergibt sich wenn T1, T3 ein- und T2, T4 ausgeschaltet sind. u2 D U1 ergibt sich, wenn T1, T3 aus- und T2, T4 eingeschaltet sind. Sind T1, T2 ein- und T3, T4 ausgeschaltet oder T1, T2 aus und T3, T4 eingeschaltet, ergibt sich eine Freilaufphase mit u2 D 0. Z. B. in der Freilaufphase mit T1, T2 ein und T3, T4 aus, wird der Stromkreis für einen positiven Strom i2 über T1 und D2 geschlossen. Eine störende Rückladung des Eingangskondensators findet dabei nicht statt.

3

Halbleitertechnik a

231

u2

+U1

0

-U1

b u2 +U1

i2 u2 i2

0

0

-U1

Abb. 3.41 Brückenausgangspannung u2 .t / für Wechselrichter mit drei Spannungsniveaus (a), gestrichelt Grundschwingung von u2 .t /, tatsächlicher eingespeister Strom i2 .t / (b), gestrichelt Grundschwingung von i2 .t /

3.4.5 Netzteile Netzteile gibt es in unterschiedlichen Ausführungen für verschiedenen Einsatzfälle. Netzteile sind oft in die zu versorgenden Geräte integriert, z. B in Computer. Bei kleineren Leistungen findet man oft externe Geräte, die mit einem Netzkabel gespeist werden und den Verbraucher (z. B. Drucker oder Laptop) über eine Leitung mit Gerätestecker versorgen. Steckernetzteile sind Geräte, die mit dem Netzstecker eine Einheit bilden, wie z. B. USB-Ladegeräte für Smartphones. Labornetzteile liefern für den Laboreinsatz eine üblicherweise stufenlos einstellbare geregelte Ausgangsspannung und verfügen meist über eine einstellbare Strombegrenzung sowie über eine Spannungs- und eine Stromanzeige. In den meisten Netzteilen wird die 50-Hz-Eingangswechselspannung von U D 230 V in eine Ausgangsgleichspannung umgewandelt. Man unterscheidet geregelte oder ungeregelte Trafonetzteile sowie Schaltnetzteile.

Trafonetzteile Bei herkömmlichen Trafonetzteilen nach Abb. 3.42 setzt ein Eingangstransformator mit geblechtem Eisenkern die am Eingang anliegende Netzwechselspannung auf eine niedrigere Wechselspannung herab. Eine nachgeschaltete Gleichrichterbrücke mit dem Glättungskondensator C1 erzeugt eine geglättete Gleichspannung (vergl. Abb. 3.32). Diese Spannung variiert jedoch in Abhängigkeit von der Netzspannung und dem entnommenen

232

H. Paerschke Längstransistor

AC

D1 T

+

D2

C1 D4

DC

C2

D3



Abb. 3.42 Prinzipschaltbild eines Trafonetzteils mit 50-Hz-Trafo zur Spannungsanpassung und galvanischer Trennung mit Brückengleichrichter und Spannungsregelung

Gleichstrom. In einem geregelten Trafonetzteil wird die weitgehend konstante Gleichspannung durch eine Regelung mit einem nachgeschalteten Transistor erzielt. Steigt z. B. die Ausgangsspannung (Regelgröße), so wird durch (die hier nicht dargestellte) Regelelektronik der Widerstand und damit der Spannungsabfall des Längstransistors (Stellglied) erhöht, bis die Ausgangsspannung wieder ihren Sollwert erreicht. Am Regeltransistor entstehen entsprechend dem Produkt aus dem Spannungsabfall und dem durchfließenden Betriebsstrom erhebliche Verluste. Solche konventionellen Trafonetzteile haben wesentliche Nachteile: Der Wirkungsgrad bei Nennleistung erreicht oft nur ca. 50 %, durch Verwendung meist sehr billiger Trafos mit hohen Leerlaufverlusten ergeben sich unverhältnismäßig hohe Verbräuche im stand-by-Betrieb. Der mit einer Frequenz von f = 50 Hz betriebene Trafo ist groß und schwer im Vergleich zu den in Schaltnetzteilen verwendeten Hochfrequenztrafos. Schaltnetzteile erfordern einen höheren schaltungstechnischen Aufwand. Sie haben jedoch einen deutlich besseren Wirkungsgrad, niedrigere Leerlaufverluste und sie sind deutlich kleiner und leichter als herkömmliche Trafonetzteile. Aus diesem Grund wurden Trafonetzteile weitgehend durch Schaltnetzteile abgelöst. Abb. 3.43 zeigt das Prinzipschaltbild eines Schaltnetzteils. Die Netzspannung mit 230 V und 50 Hz wird zunächst in einem Brückengleichrichter (Baugruppe 2) mit nachfolgendem Glättungskondensator (3) gleichgerichtet. Es entsteht, entsprechend dem Scheitelwert der Eingangsspannung, eine Gleichspannung von etwa 325 V. Der Brückengleichrichter bewirkt, wie im Zusammenhang mit Abb. 3.32 beschrieben, impulsförmige Netzströme, die Störungen führen. Bei Netzteilen bis zu Leistungen von ca. 100 W werden passive Entstörfilter aus Spulen und Kondensatoren (1) eingesetzt, die vergleichsweise groß sind, um einen zumindest annähernd sinusförmigen Netzstromverlauf zu bewirken. Der nachfolgende Wechselrichter (4) (vergl. Abb. 3.38) arbeitet mit Schaltfrequenzen in der Größenordnung von 100 kHz und erzeugt eine hochfrequente Wechselspannung, mit der der nachfolgende Trafo (5) arbeitet. Der Hochfrequenztrafo transformiert die am Eingang anliegende hochfrequente Wechselspannung herunter und bewirkt die galvanische Trennung der Ausgangsseite von der Netzseite. Die höhere Betriebsfrequenz ermöglicht bei gleicher übertragener Leistung den Einsatz wesentlich kleinerer Transformatoren. Dies lässt sich verstehen, wenn man das Induktionsgesetz auf die Primärspule des Trafos

3

Halbleitertechnik

233

Wechselspannungsnetz

Gleichstromverbraucher

1

2

3

4

6

5

7

8

Abb. 3.43 Prinzipschaltbild eines Schaltnetzteils mit passivem PFC, 1: Tiefpass als Leistungsfaktorkorrekturfilter, 2 und 6: Gleichrichter (z. B. Brückengleichrichter nach Abb. 3.32), 3 und 7: Glättungskondensator, 4: Wechselrichter nach Abb. 3.38, Hochfrequenztrafo zur Spannungsanpassung und galvanischen Trennung, 8: Regler zur Regelung der Ausgangsgleichspannung

mit der Windungszahl N1 und dem mit Querschnitt A anwendet. u1 .t/ D N1 

d˚ : dt

Die sinusförmige Eingangswechselspannung u1 .t/ D uO 1  sin.!t/ erzeugt nach dem Induktionsgesetz im magnetischen Kern der Primärspule den Fluss ˚.t/ D ˚O  cos.! t/ D BO  A  cos.! t/ Umgestellt nach A ergibt sich AD

uO 1

mit uO 1 D !  BO  A :

; !  BO d. h. bei zunehmenden Frequenzen ! ergibt sich ein kleinerer Trafoquerschnitt A und ein entsprechen kleinerer Trafo. Hochfrequenztrafos enthalten aus Metalloxiden bestehende ferromagnetische Kerne (Ferrite). Sie haben niedrige Ummagnetisierungsverluste und weisen einen um Größenordnungen höheren spezifischen Widerstand auf als die in 50-Hz-Trafos eingesetzten Weicheisenkerne. In Ferritkernen entstehen somit auch bei hohen Frequenzen fast keine Wirbelstromverluste. Die maximal nutzbare Flussdichte B in Ferriten ist mit ca. 0,2 bis 0,3 T (Tesla) jedoch kleiner als bei Weicheisen (ca. 1,5 T). Die Wicklungen werden wegen des bei hohen Frequenzen auftretenden Skineffekts aus Hochfrequenzlitze (parallele, voneinander isolierte dünne Drähte) oder aus flachen isolierten Kupferbändern gefertigt. Im nachgeschalteten Gleichrichter (6) mit Glättungskondensator (7) wird die hochfrequente transformierte Ausgangsspannung des Trafos gleichgerichtet und geglättet. Der Regler (8) erfasst die Ausgangsspannung (Regelgröße) und führt sie bei Abweichungen auf den vorgegeben Sollwert zurück über eine geeignete Pulsweitenmodulation des Wechselrichters. Verluste durch den, vom Betriebsstrom durchflossenen Regeltransistor, wie im herkömmlichen Trafonetzteil nach Abb. 3.42 werden dadurch vermieden. Die vom Regler an den Wechselrichter ausgegeben Stellsignale werden über einen Optokoppler galvanisch getrennt.

234

H. Paerschke

Leistungsfaktorkorrektur für Schaltnetzteile In vielen Schaltnetzteilen wird die Netzspannung durch den eingangsseitigen Gleichrichter mit Glättungskondensator gleichgerichtet. Wie in Abb. 3.32 dargestellt, wird dabei dem Netz der Strom in Form kurzer, hoher Impulse entnommen. Dieser stark von der Sinusform abweichende Eingangsstrom kann in einen phasenverschobenen sinusförmigen 50 Hz-Grundschwingungsstrom und sinusförmige Oberschwingungsströme mit ganzzahligen Vielfachen der Grundschwingungsfrequenz von 50 Hz zerlegt werden (FOURIERZerlegung). Der Blindstromanteil des phasenverschobenen Grundschwingungsstroms und die Oberschwingungsströme tragen nicht zum Nutzenergietransport bei und führen zu zusätzlichen störenden Spannungsabfällen in den Zuleitungen. Es entstehen unnötige Verluste in den Zuleitungen und Trafostationen, die von den Kraftwerken zusätzlich erzeugt werden müssen. Darüber hinaus verzerren die durch Oberschwingungsströme erzeugen Spannungsabfälle an den Impedanzen der Netzleitungen die sinusförmige Netzspannung, wodurch andere Gräte in ihrer Funktion beeinträchtigt werden können. In Drehstromnetzen können durch Oberschwingungsströme unzulässig hohe Ströme im Neutralleiter auftreten, da sich bestimmte Oberschwingungsströme im Neutralleiter addieren, statt sich wie bei der Grundschwingung im Neutralleiter gegenseitig aufzuheben. Um die Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) von Netzteilen zu gewährleisten, muss die dem Netz entnommene Blindleistung Q, die sich aus der Verschiebungsblindleistung Q1 und der Verzerrungsblindleistung Qd zusammensetzt (siehe Abschn. 1.4.4), auf ein verträgliches Maß reduziert werden. Der Leistungsfaktor D

jP j jP j : Dp S P 2 C Q2

muss durch einen Leistungsfaktorkorrekturfilter (englisch Power-Factor-Correction, PFC) auf einen Wert nahe Eins gebracht werden. Nach der seit 2001 geltenden Norm DIN EN 61000-3-2 [9] ist für alle Schaltnetzteile ab 75 W eine Leistungsfaktorkorrektur vorgeschrieben. Ein zum Verbraucher parallel geschalteter Kompensationskondensator, wie er zur Blindstromkompensation bei herkömmlichen induktiven Verbrauchern benutzt wird, ist nicht zur Reduktion von Verzerrungsblindeistungen geeignet. Passive Leistungsfaktorkorrekturfilter (passive PFC) sind dazu geeignet. Sie bestehen, wie in Abb. 3.43 dargestellt, aus einer relativ großen Drosselspule mit hoher Induktivität und Kondensatoren, die als Tiefpassfilter Oberschwingungsströme unterdrücken. Sie werden meist nur bei Schaltnetzteilen unter ca. 200 W eingesetzt und erreichen Leistungsfaktoren um   0;7 bis 0,8. Aktive Leistungsfaktorkorrektur (aktive PFC) wird vor allem bei Schaltnetzteilen größerer Leistung eingesetzt. Dadurch können Oberschwingungsströme bei kleinerer Baugröße wesentlich besser unterdrückt werden. Es werden damit Leistungsfaktoren bis   0;98 erreicht. Das Prinzipschaltbild eines Schaltnetzteils mit aktivem PFC ist in Abb. 3.44 dargestellt. Hinter dem Ausgang des Brückengleichrichters (Baugruppe 1) entsteht eine stets

3

Halbleitertechnik Wechselspannungsnetz

235

Gleichstromverbraucher

T 4

1 2

6

5

7

3 8

Abb. 3.44 Prinzipschaltbild eines Schaltnetzteils mit aktivem PFC, 1: Brückengleichrichter (ohne Glättungskondensator), 2 Hochsetzsteller nach Abb. 3.37 zur Leistungsfaktorkorrektur, 3: Glättungskondensator, 4: Wechselrichter 5: Hochfrequenztrafo zur Spannungsanpassung und galvanischen Trennung, 6 und 7: Gleichrichterbrücke mit Glättungskondensator, 8: Regler zur Regelung der Ausgangsgleichspannung

positive, zwischen Null und dem Scheitelwert 325 V variierende, gleichgerichtete Netzspannung. Der nachgeschaltete Hochsetzsteller transformiert diese positive, variierende Eingangsspannung für die Ladung des nachgeschalteten Kondensators (3) auf eine Gleichspannung von ca. 400 V hoch. Durch die hier nicht eingezeichnete Regelelektronik werden der zeitliche Verlauf der Netzspannung und die Höhe der Gleichspannung am Kondensator (3) erfasst. Der Schalttransistor T wird durch die Regelelektronik pulsweitenmoduliert so angesteuert, dass der dem Netz entnommene Strom (Regelgröße) in jedem Augenblick proportional zum gemessenen sinusförmigen Momentanwert der Netzspannung ist. Damit ergibt sich im Idealfall ein Leistungsfaktor von  D 1. Sinkt durch Energieentnahme die Gleichspannung am Kondensator unter den Sollwert von ca. 400 V, so wird der Strom erhöht, wodurch die Spannung am Kondensator (3) wieder ansteigt (und umgekehrt). Der Kondensator (3) dient als Gleichspannungsquelle für den nachgeschalteten Wechselrichter (4), den HFTrafo (5) und den Brückengleichrichter (6 und 7). Vor den Eingangsgleichrichter (1) ist noch ein Tiefpassfilter (hier nicht eingezeichnet) für die hochfrequenten Störungen durch die Schaltfrequenzen des Hochsetzstellers geschaltet. Da die Frequenzen der Störungen hier wesentlich höher liegen als beim passiven PFC kommt ein solcher Tiefpass mit wesentlich kleineren Drosselspulen aus. Gute Netzteile können im Bereich von ca. 20 % der Nennleistung bis zur Nennleistung einen Wirkungsgrad von ca. 90 % bei einem Leistungsfaktor von   0;95 erreichen.

3.5 Elektrische Signalverarbeitung mit Operationsverstärkern (OV) Operationsverstärker (kurz OV) sind mehrstufige, elektronische Gleichspannungsverstärker in Form einer integrierten Schaltung auf Transistorbasis. Der integrierte Schaltkreis LM 148 enthält vier separate 4 Operationsverstärker bei insgesamt 14 Anschlusskontakten. Solche Operationsverstärker sind wichtige Bauteile zur analogen Signalverarbeitung in der Informations- und Messtechnik. Durch einfache externe Beschaltung können da-

236

H. Paerschke

Abb. 3.45 Schaltungssymbol, Anschlüsse eines Operationsverstärkers

UB (+15 V)

E-

ie1 uD E+

uN

∞ ia

A

ie2 ua

uP ‒UB (‒15 V)

mit verschiedene Funktionen realisiert werden. Die Bezeichnung Operationsverstärker stammt von der Möglichkeit, mit ihnen elektrische Signale mathematischen Operationen zu unterziehen, wie Addieren, Subtrahieren, Differenzieren und Integrieren. Sie werden zur Verstärkung von kleinen Spannungen in Multimetern, NF-Vorverstärkern, in Sensoren, Analogeingängen von digitalen Automationsgeräten und PC-Messwerterfassungskarten, sowie zur aktiven Filterung elektrischer Signale und in Analog-Reglern eingesetzt. Abb. 3.45 zeigt das Schaltbild eines OV mit den Anschlüssen für die Eingänge und den Ausgang, sowie für die Hilfsspannungsversorgung. EC ist der nichtinvertierende, E der invertierende Eingang. Der OV verstärkt die am Eingang anliegende Differenzspannung uD D uP  uN . Ist diese Spannung positiv, so ist auch die verstärkte Ausgangsspannung ua positiv, ist uD negativ, so ist ua negativ. In Schaltplänen werden üblicherweise die Anschlüsse für die Hilfsspannungen weggelassen. Die Verstärkungskennlinie ist in Abb. 3.46 dargestellt. Im Proportionalitätsbereich wird das Verhalten durch den Verstärkungsfaktor V0 beschrieben: (3.24) ua D V0  uD I V0  104 : : : 105 : Der sehr hohe Verstärkungsfaktor V0 nimmt bei hohen Eingangsfrequenzen entsprechend dem in Abb. 3.46b dargestellten Frequenzgang ab. Als Transitfrequenz fT ist die Frequenz definiert, bei der V0 D 1 erreicht wird. Die Ausgangsspannung ist betragsmäßig durch die Betriebsspannung UB begrenzt. Die lineare Verstärkung ist dementsprechend nur für

a

b

ua 13 V

-1,3 mV

V0 104...105

1,3 mV

uD 1

-13 V

102

106

f/Hz

Transitfrequenz fT ≈ 1 MHz

Abb. 3.46 Verstärkerkennlinie (a) und Frequenzgang (b) in doppelt logarithmischer Darstellung eines Operationsverstärkers

3

Halbleitertechnik

237

Tab. 3.1 Kenngrößen von Operationsverstärkern

Kenngrößen Leerlaufverstärkung: V0 Eingangsstrom: ie1 , ie2 Eingangswiderstand: Re Ausgangswiderstand: Ra Ausgangsstrom: ia

Idealisiert Real 1 0;5 : : : 1;6  105 0 A 1 0;8 : : : 2;5 M 0 100 < 20 mA, kurzschlussfest

Spannungen uD im Millivoltbereich gewährleistet. Wichtige Kenngrößen von OV zeigt die Tab. 3.1. Durch den Einsatz von Feldeffekttransistoren in der Eingangsstufe des OV sind die Eingangswiderstände des OV extrem hoch bzw. die Eingangsströme entsprechend klein. Der Ausgangswiderstand Ra ist der Innenwiderstand des als lineare Spannungsquelle zu betrachtenden OV. In Abhängigkeit vom Ausgangsstrom ia reduziert sich die Ausgangsspannung ua um den Spannungsabfall Ra  ia . Der Ausgangsstrom ia ist auf 20 mA begrenzt. Die speziellen gewünschten Eigenschaften werden durch äußere Beschaltung mit Widerständen und Kondensatoren erreicht. Das Verhalten der wichtigsten Grundschaltungen kann mit Hilfe der Kirchhoffschen Gesetze unter den folgenden zutreffenden Näherungen einfach hergeleitet werden V0  104 ! uD  0 I

Re1 ; Re2  1 ! ie1 ; ie2  0 :

(3.25)

3.5.1 Umkehraddierer Der Umkehraddierer nach Abb. 3.47 addiert zwei elektrische Eingangssignale. Wegen der Übersichtlichkeit werden die Anschlüsse für die Betriebsspannungen CUB und UB weggelassen. Wegen Gl. 3.25 ergeben sich in Abb. 3.47 die Maschengleichungen M1 bis M3 und die Knotengleichung für den Knoten K. Werden die Maschengleichungen nach

R R

R ue2

ue1

i2

K

i1

uD

M1



ua M3

ue1 R ue2 M2 : −ue2 + i2 · R = 0 i2 = R ua i0 = M3 : −ua + i0 · R = 0 R K : i0 + i1 + i2 ≈ 0

M1 : −ue1 + i1 · R = 0 i1 =

i0

Abb. 3.47 Umkehraddierer, Maschengleichungen M1 bis M3, Knotengleichung K

238

H. Paerschke R0 i2 i1 ue2



R

i0 ≈ i2

uD

M1 : i2 · R − i1 · R + ue1 − ue2 = 0

R

ue1 M1

ua

R0

M2 : i2 · R0 − i1 · R0 + ua = 0

M2

≈ i1

Abb. 3.48 Subtrahierer, Maschengleichungen M1, M2

den Strömen aufgelöst und diese in die Knotengleichung eingesetzt erhält man i0 C i1 C i2 D

ue1 ua ue2 C C D 0 bzw. ua D  .ue1 C ue2 / : R R R

(3.26)

Die Ausgangsspannung dieser Schaltung ergibt sich als negierte Summe der Eingangsspannungen. Der Widerstand R zwischen Ausgang und invertierenden Eingang stellt eine negative Rückkopplung dar. Die Eingänge der Schaltung sind niederohmig, d. h. sie belastet die Quellen der Eingangsspannung mit den in Abb. 3.47 dargestellten Ströme i1 und i2 . Eine Ausgangslast kann angeschlossen werden, solange die Ausgangsstrombegrenzung (20 mA) nicht überschritten wird.

3.5.2

Subtrahierer

Der Subtrahierer nach Abb. 3.48 bildet die Differenz zweier elektrischer Signale. Wird von der mit R0 =R multiplizierten Gl. M1 die Gl. M2 subtrahiert ergibt sich ua D .ue1  ue2 /

R0 : R

(3.27)

Die Subtrahierer wird angewendet zur Differenzbildung in Analog-Reglern, AnalogRechnern und in Messverstärkern.

3.5.3 Aktive Filter Aktive Filter nach Abb. 3.49 enthalten frequenzabhängige Bauteile Z1 und Z2 , die aus Kombinationen von R, L oder C aufgebaut sein können. Es soll das Filterverhalten dieser Schaltung berechnet werden, d. h. das Verhalten bei Anlegen von sinusförmigen Eingangsspannungen, bzw. von periodischen Eingangsspannungen, die aus Schwingungen

3

Halbleitertechnik

239

Abb. 3.49 Aktiver Filter, Z1 und Z2 stehen für R, L, C oder Kombinationen aus R, L und C

Z2 i1



Z1

i0 ≈i1

uD ue

M2

ua M1

verschiedener Frequenzen zusammengesetzt sind. Unter Verwendung der komplexen Amplitudenzeiger für die sinusförmigen Spannungen und Ströme werden die Berechnungen einfacher. (3.28) u.t/ D uO  e j.!t C'u / I i.t/ D iO  e j.!t C'u / Die Maschengleichungen für die komplexen Zeigergrößen lauten M1 W

C ua C i 1  Z 2 D 0 ! ua D i 1  Z 2

M2 W

 ue C i 1  Z 1 D 0 ! ue D i 1  Z 1 :

(3.29)

Aus M2 ergibt sich der Eingangsstrom i 1 , der die vorgeschaltete Quelle der Spannung ue belastet. Der komplexe Frequenzgang F .j!/ ergibt sich als Quotient der komplexen Ausgangs- und Eingangsgrößen zu F .j!/ D

ua Z Z D  2 bzw. ua D  2  ue : ue Z1 Z1

(3.30)

Abhängig von der Art von Z1 und Z2 erhält man verschiedene Verhaltensweisen mit unterschiedlichen Anwendungen als Invertierverstärker, Tiefpass, Hochpass, Bandpass, Bandsperre, Integerierer, Differenzierer für Analogrechner und zur Signalformung. a) Bei Beschaltung mit zwei Widerständen Z 1 D R1 I Z 2 D R2 ergibt sich ua D 

R2 R2  ue bzw. F .j!/ D  ; R1 R1

(3.31)

d. h. die Schaltung wirkt als invertierender Verstärker, in der Sprache der Regelungstechnik handelt es sich um ein P-Glied mit P-Verhalten. Der Verstärkungsfaktor ist durch R2 und R1 einstellbar. Man erkennt, dass die Verstärkung nur von der Beschaltung und nicht von V0 abhängt. Da die Ausgangsspannung ua insbesondere nicht von angeschlossenem Ra abhängt, wirkt die Schaltung als eine geregelte, ideale Signalspannungsquelle. Der Umkehrverstärker wird z. B. als analoger P-Regler eingesetzt, dessen Verstärkung mit einem Potentiometer einstellbar ist.

240

H. Paerschke

b) Mit einem Kondensator C im Eingangszweig und einem Widerstand R im Rückkopplungszweig, erhält man Z1 D

1 I Z 2 D RI ua D .j!RC /  ue bzw: F .j!/ D j!RC j! C

Bildet man die 1. Ableitung einer komplexen Zeigergröße (Gl. 4.52), so entsteht der Vorfaktor j  !. F .j !/ D j!RC ist der in der Regelungstechnik bekannte komplexe Frequenzgang eines Differenziergliedes. Im Zeitbereich ergibt sich für die Ausgangsspannung ua .t/ D RC 

due .t/ : dt

(3.32)

Der elektronische Differenzierer findet Anwendung z. B. zur Signalformung und in der Regelungstechnik als analoger D-Regler. c) Mit einem Widerstand R im Eingangszweig und einem Kondensator C im Rückkopplungszweig ergibt sich 1 I Z 1 D R1 I Z 2 D j! C

 ua D 

1 j!RC

  ue bzw: F .j!/ D

1 : j!RC

Das ist der komplexe Frequenzgang eines Integriergliedes. Der Zeitverlauf der Ausgangsspannung ergibt sich aus 1  ua .t/ D  RC

Zt ue ./d :

(3.33)

0

Der elektronische Integrierer wird als analog wirkender I-Regler in der Regelungstechnik und zur Signalformung z. B. zur Erzeugung einer Sägezahnspannung aus einer Rechteckspannung eingesetzt.

3.5.4 Trennverstärker Alle bisher untersuchten Schaltungen besitzen einen „niederohmigen“ Eingang. D. h. der vorgeschalteten Signalspannungsquelle wird ein Strom entnommen, der am Innenwiderstand der Quelle einen Spannungsabfall bewirkt, was die von der Quelle abgegebene Klemmenspannung verringert. Dies tritt besonders bei Quellen mit einem relativ hohen Innenwiderstand in Erscheinung. Um diese Rückwirkung zu vermeiden, benötigt man einen „hochohmigen“ Verstärker, der praktisch keinen Eingangsstrom benötigt. Einen solchen Trennverstärker zeigt Abb. 3.50. Die Umstellung der Maschengleichungen M1 und M2

3

Halbleitertechnik

241

∞ uD M1 ue R3 ≈ia

M1 : − ue + ia · R3 = 0

ia R4

M2 : − ua + ia · (R3 + R4 ) = 0

ua

M2

Abb. 3.50 Trennverstärker, Maschengleichungen M1, M2 Abb. 3.51 Trennverstärker, Impedanzwandlerschaltung



ue

liefert ia D

ue ua R4 und D1C : R3 ue R3

ia

R3

ua = ue

(3.34)

Es ergeben sich eine Reihe wichtigen Schlussfolgerungen: Da der Eingang der Schaltung direkt am hochohmigen Eingang des Operationsverstärkers liegt, ist der Eingangsstrom nahezu Null. Die Schaltung hat keine Rückwirkungen auf die vorgeschaltete Spannungsquelle. Durch die Widerstände R3 , R4 fließt der Strom ia . Dieser durch R4 fließende Strom ist nach Gl. 3.34 nur von ue und R3 und nicht von R4 abhängig! Es fließt also unabhängig von R4 ein konstanter Strom durch diesen Widerstand R4 . Die Schaltung wirkt somit als Konstantstromquelle für den Strom durch R4 . Dies gilt jedoch nur solange R4 nicht so groß wird, dass der Bereich der linearen Verstärkung verlassen wird, wodurch uD zu groß wird und die Maschengleichung M1 in Abb. 3.50 nicht mehr erfüllt ist. Solche Konstantstromquellen werden z. B. für Temperaturmessungen mit PT100-Widerständen benötigt, wie in Abschn. 5.6.1 erläutert. Speziell mit R4 D 0 kann man die Schaltung wie in Abb. 3.51 umzeichnen. Dann stimmt nach Gl. 3.34 die Ausgangsspannung ua mit der Eingangsspannung ue überein. Diese Spannung fällt am Widerstand R3 ab. Am Ausgang liegt zwar genau die Eingangsspannung wieder an. Es besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied: Obwohl in die nachfolgende Schaltung, hier repräsentiert durch den Widerstand R3 , ein Strom ia gespeist wird, ist der Eingangsstrom in die Schaltung praktisch Null, d. h. die Signalspannungsquelle am Eingang wird nicht belastet. Die Schaltung wirkt als Trennverstärker. Weil sie einen hochohmigen Eingang und einen niederohmigen Ausgang hat, wird sie oft auch als Impedanzwandler oder Stromverstärker bezeichnet.

242

H. Paerschke

Trennverstärker werden als hochohmige Eingangsschaltungen von Messverstärkern eingesetzt, um zu verhindern, dass das Messsignal durch die Messung verfälscht wird. Dies ist vor allem bei hochohmigen Spannungsquellen erforderlich, wie z. B. bei Sensoren zur Messung von Deformationen mit Piezokristallen. Mit geeigneten externen Beschaltungen werden Operationsverstärker äußerst vielseitig eingesetzt  in Analogrechnern zur Durchführung von Rechenoperationen,  zum Glätten, Formen, Entkoppeln und Verstärken von elektrischen Signalen,  als Messverstärker in Multimetern, Messwerterfassungskarten und aktiven Sensoren und  in der Regelungstechnik für PID-Analogregler.

Literatur 1. Busch, R.: Elektrotechnik und Elektronik – Für Maschinenbauer und Verfahrenstechniker, 7. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York (2015). ISBN 978-3658096755 2. Fischer, R.: Elektrotechnik für Maschinenbauer – sowie für Studierende der Versorgungstechnik, des Wirtschaftsingenieurwesens und anderer technischer Fachbereiche, 15. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York (2016). ISBN 978-3658125158 3. Flegel, G., Birnstiel, K., Nerreter, W.: Elektrotechnik für Maschinenbau und Mechatronik. Carl Hanser Verlag GmbH Co KG, München (2016). ISBN 978-3446447738 4. Hering, E., Bressler, K., Gutekunst, J.: Elektronik für Ingenieure und Naturwissenschaftler, 6. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York (2014). ISBN 978-3642054990 5. Probst, U.: Leistungselektronik für Bachelors – Grundlagen und praktische Anwendungen. Carl Hanser Verlag GmbH Co KG, München (2015). ISBN 978-3446445321 6. Specovius, J.: Grundkurs Leistungselektronik – Bauelemente, Schaltungen und Systeme. Springer, Berlin Heidelberg New York (2015). ISBN 978-3658033095 7. Elektronik-Kompendium.de: Elektronik Kompendium, PC-Netzteile/Computer-Netzteile (2016). http://www.elektronik-kompendium.de/sites/com/1112041.html, Zugriff: 31.01.2019 8. Rehrmann, J.: Das InterNetzteil- und Konverter-Handbuch. http://www.joretronik.de/Web_NT_ Buch/Vorwort/Vorwort.html, Zugriff: 31.01.2019 9. DIN EN 61000-3-2:2015-03. Elektromagnetische Verträglichkeit, Teil 3-2 – Grenzwerte für Oberschwingungsströme. 2015

Elektrische Energiewandler und Speicher Andreas Böker, Ekkehard Boggasch und Hartmuth Paerschke

Wesentliche Bereiche der Elektrotechnik beschäftigen sich mit der Wandlung und Speicherung von Energie. Transformatoren transformieren Wechselspannungen, Generatoren wandeln mechanische Antriebsenergie in elektrische Energie, Motoren elektrische in mechanische Energie. Photovoltaikanlagen wandeln Sonnenenergie direkt in elektrische Energie. Im Abschn. 4.1 werden Bauformen von Transformatoren und ihr Betriebsverhalten erläutert. Die Abschn. 4.2 und 4.3 beschreiben den Aufbau, die Wirkungsweise und das Betriebsverhalten von Drehstrom-Asynchron- und Drehstrom-Synchronmaschinen. Aufbauend auf der Darstellung der Vorgänge in der Solarzelle werden in Abschn. 4.4 Solarmodule, Solargeneratoren und die photovoltaische Systemtechnik erläutert. Im Abschn. 4.5 werden Prinzipien der elektrischen Energiespeicherung dargelegt und ein Überblick über die verschiedenen Technologien zur Speicherung elektrischer Energie gegeben. Die Wandlung elektrischer Energie mit leistungselektronischen Schaltungen wird in Abschn. 3.4 in Zusammenhang mit der Halbleitertechnik beschrieben.

A. Böker () FB EGU, Fachhochschule Münster Steinfurt, Deutschland E-Mail: [email protected] E. Boggasch Fakultät Versorgungstechnik, Ostfalia HS für angewandte Wissenschaft Wolfenbüttel, Deutschland E-Mail: [email protected] H. Paerschke Fakultät 05 – Energie- und Gebäudetechnik, Hochschule München München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 243 A. Böker, H. Paerschke, E. Boggasch, Elektrotechnik für Gebäudetechnik und Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20971-1_4

4

244

4.1

A. Böker et al.

Transformatoren

Andreas Böker In Wechsel- und Drehstromnetzen werden mit Leistungstransformatoren die Betriebsspannungen hoch und runter gesetzt. Dadurch können die Stromwärmeverluste RI 2 gesenkt werden und der Übertragungswirkungsgrad wird verbessert. Diese Umspanner bilden die vertikalen Verbindungen zwischen den Spannungsebenen. Sie sind an verschiedenen Punkten im Netz zu finden, in Kraftwerken als Maschinen- bzw. Blocktransformatoren, in Umspannwerken bzw. -stationen als Umspanntransformatoren und in Netzstationen als Verteilertransformatoren. Verteilertransformatoren sind vielfach standardisiert mit Bemessungsscheinleistungen zwischen 100 und 2000 kVA. Blocktransformatoren gibt es bis Grenzleistungen von etwa 1500 MVA (Abb. 4.1). Bei Volltransformatoren sind die Wicklungen galvanisch getrennt. Wir beschränken uns auf diese Typen. Die Schaltzeichen sind in Tab. 4.1 zu finden. Zweiwicklungstransformatoren sind einphasig bei der Deutschen Bahn im Einsatz, dreiphasige Zweiwicklungstransformatoren in den öffentlichen Drehstromnetzen. Bei Zweiwicklungstransformatoren können die Wicklungen nach der Spannungshöhe unterschieden werden. Die Oberspannungswicklung (OS-Wicklung) ist durch eine höhere Windungszahl mit kleinen Leiterquerschnitten gekennzeichnet. Dagegen weist die Unterspannungswicklung (US-Wicklung) eine kleine Windungszahl und größeren Querschnitte auf. Die Größen der OS-Seite werden mit dem Index 1 gekennzeichnet, die der US-Seite mit dem Index 2. Weiterhin wird bezüglich der Leistungsflussrichtung unterteilt. Die Primärwicklung nimmt elektrische Leistung aus dem Netz auf, die Sekundärwicklung gibt sie ab. Die Oberspannungswicklung kann Primär- oder Sekundärwicklung sein. Bei

a

b

Abb. 4.1 Maschinentransformator vom Kraftwerk Schwarze Pumpe (Foto links: Siemens [1]) und Umspanner 110/10 kV (Foto rechts: Westnetz [2])

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

Tab. 4.1 Einpolige Schaltzeichen von Volltransformatoren nach EN 60617-6

Zwei Wicklungen

245 Einphasig Dreiphasig 3

3

Drei Wicklungen

Einphasig Dreiphasig

– 3

3 3

den Dreiwicklungstransformatoren kommt noch eine Tertiärwicklung dazu. Sie dient dem Eigenbedarf von Schaltanlagen oder zum Anschluss einer Kompensationsdrosselspule. Neben den vielfältigen Anwendungen als Leistungstransformatoren in der elektrischen Energieübertragung und -verteilung gibt es Sonderformen.  Spannungswandler übersetzen hohe Spannungen möglichst linear in kleine, leicht zu handhabende Spannungen für Messzwecke. Die Wandler sind vielfach einphasig bzw. einpolig (Abb. 4.2 links). Ihr Eigenverbrauch, der auch Bürde genannt wird, sollte möglichst gering sein.  Stromwandler sind Transformatoren mit eingeprägtem Strom. Sie dienen zur idealerweise linearen Übersetzung von Strömen zu Mess- und Schutzzwecken. Daher kommt nur eine Betriebsweise in Betracht, die dem sekundärseitigen Kurzschluss nahekommt. Hauptstromkreis und Messkreis sind galvanisch getrennt (Abb. 4.2 rechts). In Abb. 4.3 sind die Schaltzeichen zu sehen. In der Nachrichtentechnik werden Transformatoren vorzugsweise zur Leistungsanpassung eingesetzt. Dort werden sie Übertrager genannt. Ein Übertrager ist ein zur Leistungsanpassung eingesetzter Transformator. Zuerst werden wir auf den konstruktiven Aufbau der Drehstromtransformatoren und die Schaltgruppen eingehen. Danach wird das elektrische Ersatzschaltbild hergeleitet und

L1 L2 L3 zweipolig (bis 30 kV)

einpolig (ab 30 kV)

i1

A

i2

Abb. 4.2 Anschluss von induktiven einphasigen Spannungswandlern und Prinzip vom Stromwandler nach [3, 4]

246

A. Böker et al.

Abb. 4.3 Schaltzeichen von Spannungs- und Stromwandlern nach DIN EN 60617

OS

früher: US

erklärt. Zum Abschluss werden der Leerlauf- und Kurzschlussversuch beschrieben, mit denen die Kennwerte des Transformators bestimmt werden können.

4.1.1 Aufbau Der aktive Teil des Transformators besteht aus den Wicklungen, dem Kern und der Feststoffisolierung. Bei Öltransformatoren ist das alles in einem Kessel aus Stahlblech untergebracht, in das Öl gefüllt wird. Es dient als Isolator und Kühlmittel. In vermutlich über 90 % der Fälle wird hochraffiniertes Mineralöl verwendet. Dünnflüssiges Silikonöl oder vollsynthetisches Öl auf Basis von Erdgas sind auch im Einsatz. Neuerdings werden auch Isolieröle auf Basis von Raps, Soja oder Sonnenblumen angeboten. Für ein gutes Isoliervermögen muss der Feuchtigkeitsgehalt klein gehalten werden. Daher gibt es große Trockenöfen in der Fertigung oder bei Reparaturarbeiten. Auch sind die Dichtungen bei Durchführungen von Bedeutung. In der Höchst- und Hochspannungsebene werden ausschließlich Öltransformatoren eingesetzt. In der Mittelspannungsebene gibt es, besonders in brandgefährdeten Anlagen oder zum Umweltschutz, auch Gießharz-Trockentransformatoren bis 40 MVA oder seltener SF6 -Ausführungen (Abb. 4.4).

a

b

c

Abb. 4.4 Gießharz- und Öltransformator in der Fertigung (Fotos: Siemens [1]) und Wartung (Foto: Westnetz [2])

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

Manteltransformator

247

Kerntransformator

Abb. 4.5 Kernaufbau von einphasigen Transformatoren nach [5, 6] Abb. 4.6 Symmetrischer Drehstromtransformator: prinzipieller Kernaufbau und Beispiel (Foto rechts: ABB [7])

Kern Die Kerne sind mit 4000 bis 8500 einzelnen geschichteten Blechen aus Eisen-SiliziumLegierungen aufgebaut. Die Bleche sind 0,27 bis 0,35 mm stark und zur Begrenzung der Wirbelstromverluste gegeneinander elektrisch isoliert. Das wurde früher mit Papier oder einer Lackschicht gemacht. Heute wird eine sehr dünne Silikat-Phosphatschicht bereits beim Auswalzen aufgebracht. Die Bleche bestehen aus weichmagnetischen Materialien mit schmaler Hysterese, um zusätzlich die Ummagnetisierungsverluste zu reduzieren. Bei großen Transformatoren müssen Kühlkanäle vorgesehen werden. Zur Geräuschminderung werden die Bleche bandagiert oder es werden Dämmplatten außen am Gehäuse angebracht. Die waagerechten Segmente des Eisenkerns werden als Joch, die senkrechten als Schenkel bezeichnet. Bei Kerntransformatoren sind alle Schenkel bewickelt, bei Manteltransformatoren gibt es nicht bewickelte Schenkel (Abb. 4.5). In wenigen Fällen sind Verteilnetztransformatoren symmetrisch aufgebaut (Abb. 4.6). In praktisch allen anderen Fällen sind die Drehstromtransformatoren unsymmetrisch (Abb. 4.7). Bei kleineren Leistungen haben die unsymmetrischen Drehstromtransformatoren drei Schenkel. Bei größeren Leistungen werden sie mit fünf Schenkel gebaut, damit beim Transport mit der Eisenbahn noch die zulässigen Höhen eingehalten werden können. In Deutschland ist die Höhe des Lademaßes über Schienenoberkante 4,65 m. Zusätzlich ist der Transport auf Massen bis 450 t begrenzt, so dass bis etwa 1000 MVA kompakte Drehstromtransformatoren gebaut werden können (Abb. 4.8). Bei noch höheren Leistungen werden drei einphasige Transformatoren ausgeliefert und vor Ort zu einer Drehstrombank in Sternschaltung zusammengebaut. Häufig wird ein vierter einphasiger Transformator zur Reservehaltung daneben gestellt.

248

A. Böker et al.

Abb. 4.7 Unsymmetrische Drehstromtransformatoren: Drei- und Fünfschenkeltransformator

Wicklungen In den meisten Fällen wird eine Zylinderwicklung gewählt, die konzentrisch um den Eisenkern gewickelt ist. Aus isolationstechnischen Gründen ist die OS-Wicklung außen angebracht, die US-Wicklung innen. Bei Öltransformatoren werden bis ca. 30 kV Lagenwicklungen eingesetzt, bei höheren Spannungen gibt es Scheibenspulenwicklungen. Bei kleineren Strömen werden Papier-isolierte Einfachleiter gewickelt. Bei größeren Strömen werden Drillleiter verwendet. Diese sind aus Lack-isolierten Teilleitern aufgebaut, deren Positionen innerhalb des Bündels vertauscht werden. Dadurch führen die Teilleiter halbwegs gleiche elektrische Stromstärken und die Wirbelstromverluste sind gleichmäßiger verteilt. Die Wicklungen werden mit Druckringen zusammengepresst, da besonders bei Kurzschlussströmen bis zu deren Abschaltung starke Radialkräfte auftreten können (Abb. 4.9b). Die Scheiben und Lagen dürfen ihre Position nicht ändern. Weiterhin ist die Auslegung der Isolation von Bedeutung. Zum Anschluss von Leitungen müssen Durchführungen durch das geerdete Gehäuse ausgelegt und gefertigt werden (Abb. 4.9c). Es werden Schirmringe eingebaut, die zur Führung des elektrischen Feldes dienen. Hohe

a

b

c

Abb. 4.8 Transport um 1927 (Foto links: ABB [7]) und heute (Fotos: Westnetz [2] und Siemens [1])

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

a

249 c

Papierisolierung

Anschlusskontakt Kopfgehäuse Schauglas

b

Isolierbeilage

Teilleiter

Zentralrohr Kondensatorwickel

Druckring Schirmring Winkelring US OS

Lagenwicklung Scheibenspulenwicklung Isolierbarriere Eisenkern

Gehäuse Porzellanüberwurf

Flansch Kondensatorwickel

Abb. 4.9 Drillleiter (a), Aufbau mit Wicklungen (b) und Kondensatordurchführung (c) nach [4]

Abb. 4.10 Schaltungsvarianten der drei Spulen Tab. 4.2 Kennbuchstaben nach EN 60076

Y, y Sternschaltung Z, z Zickzackschaltung a Spartransformator

D, d Dreieckschaltung N, n Sternpunkt herausgeführt III, iii Unverschaltet

elektrische Feldstärken, die zu Durchschlägen führen, müssen vermieden werden. Das elektrische Feld sollte möglichst homogen sein. Schaltgruppen Drehstromtransformatoren haben auf der Ober- und Unterspannungsseite je eine Wicklung, die aus drei Wicklungssträngen besteht. Die können in Stern-, Dreieck- oder Zickzack verschaltet werden, so dass drei oder vier Anschlüsse für eine Drehstromleitung nach außen geführt werden können (Abb. 4.10). Die Kombination der Schaltungsmöglichkeiten auf der Ober- und Unterspannungsseite wird als Schaltgruppe bezeichnet. Ihre Kennzeichnung ist nach EN 60076 (früher VDE 0532) standardisiert. Die Tab. 4.2 und 4.3 geben einen Überblick. Ein Großbuchstabe

250

A. Böker et al.

Tab. 4.3 Häufig vorkommende Schaltgruppen nach EN 60076 und [4] Kenn- Schalt- Schaltungen zahl gruppe 0 Yy0 1U

5

Dy5

Yd5

Yz5

Zeiger der Spulenspannungen

1V 1W

2U 2V 2W

1U 1V 1W

2U 2V 2W

1U 1V 1W

2U 2V 2W

1U 1V 1W

1V 1U

Ideale Übersetzung ü w1 =w2

2V 1W

2U

2W 2U

1V 2W 1U

1W

2V

1V

2U 2W

1U

2U 2V 2W 1U

w1 j 150ı p e 3w2

1W

2V 2U

1V 2W 1W

p 3w1 j150ı e w2

2w1 j150ı p e 3w2

2V

steht für die Oberspannungsseite und ein kleiner Buchstaben für die Unterspannungsseite. Eine Kennziffer beschreibt die Phasendrehung zwischen Ober- und Unterspannungsseite als ein Vielfaches von 30ı . Der Sternpunkt einer Stern- oder Zickzackschaltung kann als Anschluss herausgeführt werden, der direkt oder indirekt über eine Drosselspule mit der Erdungsanlage verbunden wird. Die meisten Ortsnetztransformatoren haben die Schaltgruppe Dyn5. Die Kennziffer 5 steht für eine Phasendrehung von 150ı .

4.1.2

Ersatzschaltbild

Die Ersatzschaltung für einen einphasigen Zweiwicklungstransformator wird nun in zwei Schritten entwickelt. Zunächst werden die Spannungs-, Strom- und Widerstandstransformation für den idealen Transformator erklärt. Danach geht es um den technischen Transformator, für den das vollständige T-Ersatzschaltbild hergeleitet wird. Das ist für den stationären Betrieb hinreichend und es gilt auch für dreiphasige Zweiwicklungstransformatoren im symmetrischen Betrieb. Idealer Transformator Ein idealer Transformator wird auch als idealer Übertrager bezeichnet. Seine Schaltsymbole sind in Tab. 4.4 zusammengefasst. Einen idealen Transformator kennzeichnen zwei Eigenschaften.

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

251

Tab. 4.4 Schaltzeichen für ideale Transformatoren nach EN 60617-6 Allgemein

Mit Eisenkern

Abb. 4.11 Querschnitt durch einen Zweiwicklungstransformator nach [4]

Gleichsinnig gewickelt

Gegensinnig gewickelt

Hauptfeld

Streufeld

US

Abb. 4.12 Idealer Transformator

i1(t) u1(t)

Alt

OS

i2(t) u2(t)

 Es gibt keine Verluste. Die Wicklungs-, Hysterese- und Wirbelstromverluste werden vernachlässigt.  Es gibt keine Streufelder. Die magnetischen Feldlinien schließen sich vollständig im Eisenkern. Tatsächlich setzt sich das Magnetfeld eines realen technischen Transformators aus dem Haupt- und Streufeld zusammen (Abb. 4.11). Unter diesen Vorrausetzungen kann aus dem Induktionsgesetz das Verhältnis der Klemmenspannungen hergeleitet werden (Abb. 4.12). Mit den Windungszahlen N1 und N2 sowie dem Übersetzungsverhältnis ü gilt u1 .t/ N1 Dü: D u2 .t/ N2

(4.1)

252

A. Böker et al.

I1 U1

I2

I1 U2

Z2

U1

'

Z2

Abb. 4.13 Prinzip der Widerstandstransformation nach [8]

Das ist die ideale Spannungstransformation. Für die Klemmenströme folgt aus dem statischen Durchflutungsgesetz die ideale Stromtransformation. i1 .t/ 1 N2 D D i2 .t/ N1 ü

(4.2)

Beim idealen Transformator sind die momentanen Eingangs- und Ausgangsleistungen gleich. (4.3) p1 .t/ D u1 .t/ i1 .t/ D p2 .t/ D u2 .t/ i2 .t/ Sind die Ströme und Spannungen im stationären Zustand rein sinusförmig, können komplexe Strom- und Spannungszeiger verwendet werden. Die komplexen Scheinleistungen S 1 und S 2 sind gleich. Wird der Transformator mit einem Verbraucher der Impedanz Z 2 belastet, folgt  2  (4.4) S 2 D Z 2 I 22 D Z 2 ü I 1 D Z 2 ü2 I 21 D S 1 : Auch die Impedanzen werden ideal transformiert. 0

Z 2 D ü2 Z 2

(4.5) 0

Auf der Oberspannungsseite ist die transformierte Impedanz Z 2 wirksam (Abb. 4.13). Die Transformation der Spannungen, Ströme und Impedanzen wird im Ersatzschaltbild des technischen Transformators auftauchen. Technischer Transformator Tatsächlich hat jeder Leistungstransformator Verluste und Streufelder. Er nimmt Wirkleistung auf und setzt diese in Wärme um. Sein Wirkungsgrad ist kleiner 100 % und unter Umständen muss eine aktive Kühlung mit Lüftern vorgesehen werden. Zusätzlich verhält er sich wie ein induktiver Verbraucher im Netz. Seine Streufelder werden auf- und abgebaut, ohne einen Beitrag zur Energieübertragung zu liefern. Die kapazitiven Eigenschaften des Transformators werden in diesem Rahmen außer acht gelassen, so dass nur Wirkwiderstände und induktive Blindwiderstände in den stationären Ersatzschaltbildern eine Rolle spielen werden. Zur Herleitung des vollständigen T-Ersatzschaltbildes sehen wir uns noch einmal in Abb. 4.14 zwei einzelne Leiterschleifen an, die sich gegenüber stehen. Dieses Beispiel diente im Abschn. 1.3.3 dazu, die Gegeninduktion zu erklären. Hier sind im Gegensatz

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

253

i2(t)

i1(t) u1(t)

u2(t)

Φ2(t)

Φ1(t)

Abb. 4.14 Zwei Leiterschleifen Abb. 4.15 T-Ersatzschaltbild für die beiden Leiterschleifen

i1(t)

R1

L1–M

L2–M

R2

i2(t)

i1(t)+ i2(t) u1(t)

u2(t) M

zu einem Transformator die Windungszahlen 1 und es gibt keinen Eisenkern. Aus den Spannungsgleichungen für die beiden Leiterschleifen u1 .t/ D R1 i1 .t/ C

d ˚1 .t/ dt

D R1 i1 .t/ C .L1  M / u2 .t/ D R2 i2 .t/ C

d d i1 .t/ C M .i1 .t/ C i2 .t// dt dt

(4.6)

d d i2 .t/ C M .i1 .t/ C i2 .t// dt dt

(4.7)

d ˚2 .t/ dt

D R2 i2 .t/ C .L2  M /

wurde das T-Ersatzschaltbild abgeleitet. Die magnetische Kopplung wird so durch ein elektrisches Netzwerk beschrieben. Das ist in Abb. 4.15 hellblau hinterlegt. Im Ersatzschaltbild sind R1 und R2 die Leiterwiderstände. Die Gegeninduktivität ist M . Sie beschreibt den Teil des Magnetfeldes, über den elektrische Leistung von einer auf die andere Seite geht. Weiterhin sind die Differenzen aus den Selbst- und Gegeninduktivitäten L1  M und L2  M enthalten. Sie repräsentieren die Streufelder. Das wird auch anhand von Abb. 4.16 ersichtlich, in dem die magnetischen Flüsse schematisch dargestellt sind. Für den Hauptfluss ˚h und die Streuflüsse ˚1¢ und ˚2¢ gilt hier ˚h D M .i1 C i2 /

˚1¢ D .L1  M / i1

und ˚2¢ D .L2  M / i2 :

(4.8)

Das folgt unmittelbar aus den Spannungsgleichungen 4.6 und 4.7, wenn ˚1 D ˚h C ˚1¢ gesetzt wird.

und ˚2 D ˚h C ˚2¢

(4.9)

254

A. Böker et al.

Abb. 4.16 Zwei magnetisch gekoppelte stromdurchflossene Windungen

Φh

Φ1σ

Φ2σ i2(t) u2(t)

i1(t) u1(t)

Im ersten Schritt sollen die Verluste vernachlässigt werden, so dass in der Ersatzschaltung keine Wirkwiderstände auftauchen werden (Abb. 4.17). Ein technischer Transformator hat Windungszahlen N1 und N2 , die größer als 1 sind. Daher enthält sein Ersatzschaltbild einen idealen Transformator mit dem Übersetzungsverhältnis ü D N1 =N2 . Da nur stationäre Zustände betrachtet werden, sind die Ströme und Spannungen als Effektivwertzeiger eingezeichnet. Die Spannung und der Strom auf der Unterspannungseite werden transformiert, es gilt 0 0 und I 2 D I 2 =ü : (4.10) U2 D ü U2 Wegen der Knotenregel ist hier der Magnetisierungsstrom 0

I D I1 C I2 :

(4.11)

Weiterhin sind die Hauptreaktanz Xh sowie die Streureaktanzen X1¢ und X2¢ enthalten. Xh D !M

X1¢ D ! .L1  ü M /

X2¢ D ! .L2  M=ü/

(4.12)

Das folgt aus den Spannungsgleichungen für den verlustlosen Transformator, die hier zur Vereinfachung weggelassen sind. Wenn die Verluste berücksichtigt werden, kommen die Wicklungswiderstände R1 und R2 sowie der Eisenverlustwiderstand RFe ins Spiel (Abb. 4.18).

I1

X1σ

X2σ

'

I2 Iμ

U1

'

U2 Xh

I2

ü

idealer Transformator Abb. 4.17 T-Ersatzschaltbild für den verlustlosen Transformator

U2

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

I1

X1σ

R1

255

X2σ

'

I2

I2



IFe U1

U2

ü

Xh

RFe

R2

idealer Transformator Abb. 4.18 Vollständiges T-Ersatzschaltbild mit idealem Transformator Abb. 4.19 Vollständiges T-Ersatzschaltbild ohne idealen Transformator

I1

' X 2σ

X1σ

R1

IFe

R2'

'

I2

Iμ '

U1

RFe

U2

Xh

Vereinfachend kann der ideale Transformator weggelassen werden. Das ist in Abb. 4.19 zu sehen. Beide Varianten sind äquivalent. Für die transformierten Widerstände gilt 0

R2 D ü2 R2

und

 0 X2¢ D ü2 X2¢ D ! ü2 L2  ü M :

(4.13)

Anhand der vollständigen Ersatzschaltung kann auch der Leistungsfluss wie in Abb. 4.20 dargestellt werden. An den Wirkwiderständen treten die Kupfer- und Eisenverluste auf. Die Streureaktanzen sind induktive Blindleistungsverbraucher. Daher unterscheiden sich die komplexen Scheinleistungen auf der Ober- und Unterspannungsseite (S 1 ¤ S 2 ).

P1Cu

Q1σ

P2Cu

Q2σ '

Z2

S1

S2

PFe Abb. 4.20 Leistungsfluss durch einen Transformator, qualitative Darstellung

256

A. Böker et al.

Im Anschluss wird gezeigt, wie die Elemente im vollständigen T-Ersatzschaltbild aus zwei Messungen gewonnen werden können.

4.1.3 Leerlauf- und Kurzschlussversuch Die Querelemente RFe und Xh im vollständigen T-Ersatzschaltbild werden aus dem Leerlaufversuch gewonnen, die Längselemente im vereinfachten Ersatzschaltbild aus dem Kurzschlussversuch. Beide Versuche und das vereinfachte Ersatzschaltbild werden nun genauer beschrieben. Wir beschränken uns weiterhin auf einphasige Transformatoren. Leerlauf Beim Leerlauf werden unterspannungsseitig die Klemmen offen gelassen (I2 D 0) und oberspannungsseitig wird die Bemessungsspannung U1r angelegt. Der Versuch mit offenen Anschlüssen auf der Oberspannungsseite ist grundsätzlich auch möglich, wird aber hier nicht weiter untersucht. Der Leerlauf wird mit dem Index 0 gekennzeichnet. Die Abb. 4.21 zeigt den experimentellen Aufbau. Der eingezeichnete Stelltransformator dient dazu, die Oberspannung auf den gewünschten Wert zu setzen. Es werden die    

Leerlaufleistung P0 , der Leerlaufstrom I10 , die Bemessungsspannung U1r sowie die Leerlaufspannung U20 auf der Sekundärseite

gemessen. In sehr guter Näherung können die Längselement R1 und X1¢ im vollständigen Ersatzschaltbild gegenüber den Querelementen RFe und Xh vernachlässigt werden, da sie deutlich kleiner sind. Das führt zum vereinfachten Ersatzschaltbild für den Leerlauf, das nur noch RFe und Xh enthält (Abb. 4.22 rechts). Diese beiden Elemente können aus den vier Messwerten P0 , I10 , U1r und U20 bestimmt werden. Aus P0 D U1r I10 cos '0 folgt der Phasendifferenzwinkel '0 . Damit sind der Eisenverluststrom IFe und der Magnetisierungsstrom I IFe D I10 cos '0

und

I D I10 sin '0 :

W L1

N

Stelltransformator

A U1r

V1

P0

Abb. 4.21 Leerlaufversuch mit dem Transformator

(4.14)

I10 Transformator

U20

V2

4

Elektrische Energiewandler und Speicher a

I10

R1

X1σ

b

I2 = 0 '

RFe

U1r

257

I10

U1r

Xh

RFe

Xh IFe



Abb. 4.22 Vollständiges (a) und vereinfachtes (b) Ersatzschaltbild für den Leerlauf

Schließlich können die Querelemente mit RFe D

U1r IFe

und

Xh D

U1r I

(4.15)

berechnet werden. Kurzschluss Beim Kurzschlussversuch wird der Transformator auf der Unterspannungsseite kurzgeschlossen (U2 D 0). Die Oberspannung wird mit einem Stelltransformator vorsichtig so weit erhöht, bis der Bemessungsstrom I1r fließt (Abb. 4.23). Die Größen beim Kurzschluss tragen den Index k. Die Messung liefert die  Kurzschlussverluste Pk , den  Strom I1k D I1r sowie die  Kurzschlussspannung U1k . Die Querelemente sind hochohmig. Sie können in erster Näherung vernachlässigt werden. Das führt für den Kurzschluss zu der vereinfachten Ersatzschaltung in Abb. 4.24 rechts. Die Wirkwiderstände werden zum Kurzschlusswiderstand Rk und die Reaktanzen der Streufelder zur Kurzschlussreaktanz Xk zusammengefasst. Rk D R1 C R20

L1

N

0 Xk D X1¢ C X2¢

und

W Stelltransformator

U1k

V

Pk

Abb. 4.23 Kurzschlussversuch mit dem Transformator

(4.16)

I1r A Transformator

258

A. Böker et al.

I1r U1k

' X 2σ

R2'

X1σ

R1

RFe

I1r

' X 2σ

R2'

X1σ

R1

U1k

Xh

Abb. 4.24 Vollständiges und vereinfachtes Ersatzschaltbild für den Kurzschluss Xk

Rk

Rk"

I1 '

U1

X k"

"

I1

"

U2

U2

U1

Abb. 4.25 Kappsches Ersatzschaltbild auf die Ober- und Unterspannungsseite bezogen

Die vereinfachte Ersatzschaltung für den Kurzschluss gilt auch für den Bemessungsbetrieb, da in beiden Fällen der Bemessungsstrom fließt (Abb. 4.25). Es heißt auch Kappsches Ersatzschaltbild. Die auf die Unterspannungsseite bezogenen Größen sind U 001 D U 1 =ü Mit cos '1k D

I 001 D ü I 1

Rk00 D Rk =ü2

und

Xk00 D Xk =ü2 :

(4.17)

Pk sind U1k I1r Rk D

U1k cos '1k I1r

und

Xk D

U1k sin '1k : I1r

(4.18)

In dem Zusammenhang ist die relative Kurzschlussspannung uk von Bedeutung. Sie ist definiert als Uk uk D Œuk  D 1 D 100 % : (4.19) Ur Diese dimensionslose Größe ist ein relatives Maß für den maximalen internen Spannungsfall. Typische Werte sind in Tab. 4.5 angegeben. Wir wenden uns nun der DrehstromAsynchronmaschine zu.

Tab. 4.5 Relative Kurzschlussspannungen nach [4]

U1rT 10 . . . 20 kV uk 4 ... 6%

110 kV 10 . . . 14 %

380 kV 11 . . . 20 %

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

259

4.2 Drehstrom-Asynchronmaschinen Andreas Böker Drehstrom-Asynchronmaschinen (DAM) sind wartungsarme, robuste und preiswerte elektrische Maschinen. Als Motoren werden sie in Leistungsbereichen von 100 mW bis 15 MW eingesetzt (Tab. 4.6 und Abb. 4.26). Es wird geschätzt, dass weit über 50 % aller elektrischen Antriebsmaschinen Drehstrom-Asynchronmotoren sind. Überwiegend sind sie als drehzahlstarre Antriebe zu finden. Durch die Entwicklung leistungsfähiger und preisgünstiger Wechselrichter sind sie auch als drehzahlvariable Antriebe im Einsatz. In der Versorgungstechnik werden sie bei kleinen Leistungen durch EC-Motoren ersetzt, z. B. in Klimaanlagen. Als Generatoren sind sie in kleinen Wasserkraftanlagen oder bei Windkraftanlagen zu finden (Abb. 4.27 und 4.28). Dort werden sie zunehmend durch Synchrongeneratoren verdrängt. Zunächst wird der Aufbau der Drehstrom-Asynchronmaschine charakterisiert. Danach geht es um die Wirkungsweise. Es wird erklärt, warum der Rotor asynchron zum magnetischen Drehfeld laufen muss. Es schließen sich die Anlaufmethoden und die Drehzahlstellung mit Frequenzumrichter an.

Tab. 4.6 Leistungsklassen von Asynchronmaschinen nach [9]

0,1 W bis 0,5 kW 0,5 kW bis 1 MW

Einsträngig Dreisträngig

200 kW bis 15 MW

Dreisträngig

Abb. 4.26 DrehstromAsynchronmotoren (Fotos: Siemens [1] und ABB [7])

a

b

DGASG G 3~

fNetz

3

Trafo

3

Rotor umrichter

fRotor

~

=

230 V 400 V, 500 V und 690 V 400 V, 500 V, 690 V, 3 kV und 6 kV

MS-Netz

Netzumrichter =

~

Abb. 4.27 Übersichtsschaltbild einer Windenergieanlage mit doppelt gespeistem Asynchrongenerator (DGASG) nach [4]

260

A. Böker et al.

Getriebe n1 n2

SG oder ASG G 3~

Umrichter 3

~

Trafo =

=

MS-Netz

3

~

Abb. 4.28 Übersichtsschaltbild einer Windenergieanlage mit Synchrongenerator (SG) oder Asynchrongenerator (ASG) nach [4] Abb. 4.29 Blechpakete im Ständer und Läufer

Ständer

Läufer

4.2.1

Nuten

Aufbau

Das feststehende Teil der Maschine heißt Ständer oder Stator, das drehende Teil Läufer oder Rotor. Der Anker ist der Teil, in dem eine Spannung induziert wird. Es wird sich zeigen, dass bei Asynchronmaschinen der Rotor der Anker ist. Ständer wie Läufer sind aus Blechpaketen mit 0,3 bis 0,5 mm Dicke aufgebaut (Abb. 4.29). Die sind gegeneinander elektrisch isoliert, um die Wirbelstromverluste möglichst gering zu halten. Rotor Bei den Läufern gibt es zwei Typen. Das sind der Schleifringläufer und der Kurzschlussläufer, der auch Käfigläufer genannt wird (Abb. 4.30). Beim Schleifringläufer ist eine dreisträngige Wicklung aus Kupferdraht in die Nuten eingelegt. Die Stränge sind im Stern geschaltet, die Strangenden K, L und M werden über Schleifringe zum Klemmenkasten geführt. Dadurch können Anlasswiderstände dem Läuferkreis zugeschaltet werden. Beim Kurzschlussläufer sind in die Nuten des Läuferblechpakets Stäbe aus Kupfer oder Leitbronze eingelegt, die an den Enden über Kurzschlussringe verbunden sind (Abb. 4.31).

M 3~

DrehstromAsynchronmotor mit Käfigläufer

Abb. 4.30 Schaltzeichen

M 3~

DrehstromAsynchronmotor mit Schleifringläufer

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

261

Abb. 4.31 Käfig vom Kurzschlussläufer, prinzipielle Darstellung

Eine andere sehr verbreitete Variante sind Aluminium-Druckguss-Käfige in den unterschiedlichsten Formen. Auch die haben auf beiden Seiten Kurzschlussringe. Das Drehmomenten-Drehzahl-Verhalten hängt von der Geometrie und dem Material des Käfigläufers ab. Insbesondere können die Anlaufmomente beeinflusst werden. Durch Schrägstellung der Längsnuten werden unerwünschte Einflüsse von Oberschwingungen auf das Drehmoment reduziert. Stator In den Längsnuten des Ständerblechpakets wird die Ständerwicklung aus Kupfer eingelegt. Im einfachsten Fall besteht die dreiphasige Ständerwicklung aus drei Strängen, deren Spulenachsen räumlich um 120ı verdreht sind (Abb. 4.32). Die drei Stränge werden mit U, V und W gekennzeichnet, ihre Anschlusspunkte heißen U1, U2, V1, V2, W1 und W2. Sie werden zum Klemmenkasten geführt. Dort kann eine Dreieck- oder Sternschaltung der Stränge realisiert werden (Abb. 4.33).

U1

V2

W2

W2

U2

V2

U1

V1

W1

K

L

M

W2

U2

V2

U1

V1

W1

V1

W1

U2

Abb. 4.32 Prinzipieller Aufbau der Ständerwicklung und Klemmenkästen vom Kurzschluss- und Schleifringläufer

262

A. Böker et al.

Abb. 4.33 Stern- und Dreieckschaltung am Klemmenkasten vom Kurzschlussläufer

W2

U2

V2

W2

U2

V2

U1

V1

W1

U1

V1

W1

Unabhängig davon, ob eine Dreieck- oder Sternschaltung gewählt wird, entsteht in der Maschine nach dem Einschalten ein magnetisches Drehfeld. Das ist im Motorbetrieb für das antreibende Drehmoment auf den Rotor verantwortlich.

4.2.2

Wirkungsweise und Betriebsverhalten

Zuerst wird erklärt, wie das Drehfeld entsteht. Danach geht es um die Polpaarzahl, die direkt mit der Frequenz des Drehfeldes zusammenhängt. Nach diesen Vorbereitungen wird es verständlich, warum im Motor ein Drehmoment entsteht und warum er eine Asynchronmaschine ist. Drehfeld Nach dem Einschalten fließen in den drei Strängen Wechselströme, die untereinander um ˙120ı phasenverschoben sind. Jeder dieser drei sinusförmigen Wechselströme ist mit einem magnetischen Wechselfeld verbunden, das mit der Netzfrequenz auf- und abgebaut wird. Die drei Wechselfelder sind wie die Spulenachsen der Stränge um ˙120ı räumlich gedreht. Es zeigt sich, dass sich die drei Wechselfelder konstruktiv zu einem gemeinsamen Drehfeld überlagern, wenn die Stränge um ˙120ı räumlich gedreht sind und gleichzeitig die Wechselströme um ˙120ı phasenverschoben sind. Abb. 4.34 zeigt schematisch zwei Momentaufnahmen des Drehfeldes. An einer Stelle im Luftspalt tritt das Magnetfeld aus dem Rotor aus, auf der gegenüber liegenden Seite tritt es ein. Ein rotierender Stabmagnet hat ein Magnetfeld mit der glei-

U1

α = 0°

U1

α ≠ 0°

W2 N

W2

N

V2

V2

W1

W1 S

S V1 U2

Abb. 4.34 Momentaufnahmen des Drehfeldes für zwei Drehwinkel ˛ nach [4]

V1 U2

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

263

L1 L2 L3 N

U1 V1 W1

U1 V1 W1

W2 U2 V2

W2 U2 V2

Rechtslauf

Linkslauf

Abb. 4.35 Rechts- und Linkslauf einer DAM nach [8]

chen Form. Daher sind Nord- und Südpol eingezeichnet. Maximum und Minimum des Magnetfeldes im Luftspalt drehen sich mit der Frequenz des Wechselstroms. Im Bild ist die Drehrichtung im Uhrzeigersinn. Sind die Achsen der Spule um 90ı verdreht und werden zwei Spulen mit zeitlich ı 90 phasenverschobenen Strömen gespeist, entsteht auch ein Drehfeld. Das kommt bei Kleinmaschinen vor, die mit Wechselstrom betrieben werden. In der Praxis gibt es Drehfelder, die mit 2 bis 5 Strängen erzeugt werden. Für deren Phasen- bzw. Strangzahl m gilt 2 m 5. Der Drehsinn des Drehfeldes lässt sich durch Tauschen zweier beliebiger Anschlüsse umkehren (Abb. 4.35). Der positive Drehsinn entspricht der Rotation im Uhrzeigersinn, wenn man auf das freie Wellenende schaut. Das ist der Rechtslauf. Polpaarzahl Magnetische Monopole sind nicht bekannt. Magnetische Dipole haben wie der Name nahe legt zwei Pole. Das sind der Nord- und Südpol. Die Anzahl der magnetischen Dipole ist die Polpaarzahl p. Bei p D 1 liegt eine zweipolige Maschine vor. Im Luftspalt rotiert genau ein Nord- und ein Südpol. Dieser Fall wurde bisher betrachtet. In Abb. 4.36 sind noch einmal drei Momentaufnahmen dargestellt. Das magnetische Drehfeld rotiert hier mit 50 Hz D 3000 min1 . Bei Drehstrommaschinen ist es auch möglich, statt der drei Stränge sechs in die Ständernuten einzusetzen. Je zwei dieser Stränge werden in Reihe geschaltet, so dass beispielsweise für den Strang U wieder die Anschlüsse U1 und U2 zum Klemmbrett geführt werden können. Das Klemmbrett bleibt insgesamt unverändert. Der wesentliche Unterschied ist, dass nach Einschalten der drei Wechselströme im Luftspalt die doppelte Zahl der magnetischen Pole auftaucht. Statt einem Nord- und einem Südpol gibt es nun je zwei und die Polpaarzahl ist p D 2. Abb. 4.37 zeigt drei Momentaufnahmen. Hier macht das Drehfeld in einer Periodendauer des Wechselstroms nur eine halbe Umdrehung. Seine Drehfrequenz ist halbiert, es rotiert mit 25 Hz D 1500 min1 .

264

A. Böker et al.

B(α, t1)

α

W1

V2 B

U2 N S V1

N

ωt1 = 0

S U1 N

π

N 2π

S

W2

α

B(α, t2) W1

V2 N

α

U1

B U2

ωt2 =

S

V1

N

2π 3

π



α



α

S

W2

B(α, t3) V2 W1

α

S

U2

ωt3 =

B U1

N

N

4π 3

π

S

V1 W2

Abb. 4.36 Ständerdrehfeld für p D 1 modifiziert nach [8]

U2

V21 W12

α

V2

S N

U21

N S

V12

S

S π

N



N

α

V2 N

S

U21

U1 S

ωt 2 =

π 3

π

S

S

N

N

V12



α



α

N

W2 W1

U12

V1

U2

V21

B(α, t3)

W21

W12

α

S

B(α, t2)

W21

W12

α

ωt 1 = 0

V1

U2

V21

U1 W2

U12

W1

B(α, t1)

W21

V2 N

S

U1

U21 N

S

ωt 3 =

2π 3

S N

W2

V12 W1

U12

V1

Abb. 4.37 Ständerdrehfeld für p D 2 modifiziert nach [8]

π

S N

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

265

Tab. 4.7 Typische Werte für die Drehfrequenz des Ständerfeldes fs bzw. ns p 1 2 3 4

f1 =Hz 50

ns = min1 3000 1500 1000 750

fs =Hz 50 25 16 2/3 12,5

f1 =Hz 60

fs =Hz 60 30 20 15

ns = min1 3600 1800 1200 900

Die Polpaarzahl lässt sich noch weiter erhöhen. Allgemein hängt die synchrone Drehfrequenz fs des Ständerfeldes mit der Frequenz f1 des Dreiphasen-Wechselstroms und der Polpaarzahl p über der Formel f1 (4.20) fs D p zusammen. Für Wechselstromfrequenzen von 50 und 60 Hz sind einige Werte für die synchronen Drehfrequenzen in der Tab. 4.7 zu finden. Im Anschluss wird erklärt, warum im Anker eine Spannung induziert und der Anker asynchron zum Drehfeld läuft. Dazu betrachten wir zwei besondere Zustände: der Stillstand (n D 0) und der Synchronlauf (n D ns ). Betriebsverhalten und Kennlinie Wenn der Motor aus dem Stillstand des Läufers eingeschaltet wird, entsteht augenblicklich das synchrone Drehfeld. Da der Läufer ruht, wird er von einem veränderlichen Magnetfeld durchsetzt. Im Läufer wird eine Spannung induziert. Daher rührt auch sein englischer Name induction motor. Die induzierte Spannung treibt elektrische Ströme in den Läuferwicklungen, die sich beim Kurzschlussläufer über die Kurzschlussringe schließen. Die Lorentzkräfte auf die Längsstäbe bilden Kräftepaare. Es entsteht insgesamt ein Antriebsdrehmoment auf den Läufer, das für jede Stellung des Läufers konstant ist. Beim Synchronlauf wird keine Spannung induziert, da sich vom Läufer aus gesehen das Magnetfeld nicht ändert. Es entsteht kein Drehmoment. Der Läufer muss langsamer drehen als das synchrone Drehfeld, damit ein antreibendes Drehmoment entsteht. Er muss asynchron laufen. Daher kommt der Name Asynchronmotor. Ein Maß für die relative Drehzahlabweichung von der synchronen Drehzahl ns ist der Schlupf s. sD

ns  n ns

Œs D 1 D 100 %

(4.21)

Im Stillstand ist s D 1 und im Synchronlauf ist s D 0. Im Bemessungsbetrieb gilt nr D 1  sr :

(4.22)

Insgesamt kann das stationäre Verhalten des Asynchronmotors anhand der Drehmomenten-Drehzahl-Kennlinie charakterisiert werden (Abb. 4.38). Der Arbeitsbereich ist im abfallenden Teil der Kurve. Nur hier ist ein stabiler Betrieb möglich.

266

A. Böker et al.

M

Mk = Kippmoment Arbeitsbereich Ma = Anfahrmoment

s

1

0

0

1

Motorbetrieb

n / ns

Generatorbetrieb

Abb. 4.38 Prinzipieller Verlauf der M-n-Kennlinie

4.2.3 Anlauf Motoren haben beim Start für kurze Zeit hohe Anlaufströme (Abb. 4.39). Deren Effektivwerte Ian machen ein Vielfaches des Bemessungsstroms IN aus (Ian =Ir D 5 : : : 7). Mit den hohen Anlaufströmen sind im Netz kurzzeitige Spannungsabsenkungen verbunden. Daher werden in den technischen Anschlussbedingungen (TAB) der Verteilungsnetzbetreiber ab gewissen Scheinleistungen Anlaufverfahren gefordert. Es sind verschiedene Varianten zum Starten der Drehstrom-Asynchronmotoren verbreitet. Dazu zählen das    

direkte Einschalten, der Stern-Dreieck-Anlauf (manuell mit Schalter oder automatisch mit Schützen), der Start mit Sanftanlaufgerät oder der Anlauf über Frequenzumrichter (FU).

Diese sind von links nach rechts in Abb. 4.40 dargestellt. Im Allgemeinen ist im öffentlichen Netz das direkte Einschalten zulässig, wenn der gelegentlich anlaufende Drehstrommotor eine Scheinleistung von weniger als 5,2 kVA hat oder bei höheren Scheinleistungen der Anlaufstrom 60 A nicht überschreitet. Bei einer Netzspannung von 400 V und einem 8-fachem Anlaufstrom, entspricht dies einem Bemessungsstrom von 7,5 A bzw. einer abgegebenen Motorleistung von 4 kW (Wellenleistung). In Sanftanlaufgeräte werden auch als Softstarter bezeichnet. Sie begrenzen die Einschaltströme per Phasenanschnitt der Wechselspannung (Abb. 4.41 links). Mit Frequenzumrichtern kann genauso ein Sanftanlauf durchgeführt werden. Zusätzlich kann mit ihnen eine Drehzahlstellung gemacht werden.

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

267

10,0 i1 i2 7,5

i3

5,0

Strom I / A

2,5

0,0

Verhältnis: 4,6

-2,5

-5,0

-7,5

-10,0 0,00

0,02

0,04

0,06

0,08

0,10

0,12

0,14

0,16

0,18

0,20

Zeit t / s

Abb. 4.39 Anlaufströme eines unbelasteten Drehstrom-Asynchronmotors 550 W (Quelle: Dimitri Stoll 16.07.14)

.

.

F1

. .

.

3 / N / PE / AC 50/60 Hz

Q1

.

F2

M1

M 3~

M 3~

..

Q2

M 3~

T1

M 3~

B1

Abb. 4.40 Verfahren zum Motorstart mit den Abkürzungen F1 D Absicherung (Kurzschluss- und Leitungsschutz), Q1 D Schalten (Leistungsschütz, Motorschütz), F2 D Motorschutz (Schutz vor thermischer Überlast, Motorschutzrelais), Q2 D Softstarter, T1 D Frequenzumrichter und M1 D Drehstrom-Asynchronmotor

268

A. Böker et al.

Abb. 4.41 Prinzip der Phasenanschnittsteuerung und Softstarter (Foto: ABB [7])

4.2.4

Drehzahlstellung

Aus der Definition des Schlupfs nach Gl. 4.21 folgt n D ns .1  s/ D

f1 .1  s/ : p

(4.23)

Offensichtlich gibt es drei Stellschrauben, um die Drehzahl n zu verändern. Das sind die Netzfrequenz f1 , die Polpaarzahl p und den Schlupf s. Mit dem Schlupf wird auch die induzierte Spannung verändert. Daher wird die Schlupfsteuerung auch Spannungssteuerung genannt. Grundsätzlich kann über den Stator oder den Rotor eingegriffen werden. Mit dem Rotor ist nur eine Schlupfsteuerung möglich und das geht nur beim Schleifringläufer. Klassischerweise werden zum Anlassen und zur Drehzahlstellung Widerstände im Läuferkreis geschaltet. Auch können Leistungshalbleiter in den Läuferkreis eingebaut werden. Eine Drehzahlstellung über den Stator ist bei beiden Motortypen möglich. Vor Etablierung der Leistungshalbleiter gab es nur die Polumschaltung, mit der die Drehzahl in diskreten Stufen eingestellt werden kann. Diese Motoren haben im Ständer aufwendige DahlanderSchaltungen. Das macht die Motoren teuer und Reparaturen sind schwierig. Mit dem Aufkommen von Leistungshalbleitern gab es Schlupfsteuerungen mit Drehstromstellern, die die Spannung am Motor variiert haben. Heute sind praktisch nur noch Lösungen zu finden, die mit einem Frequenzumrichter (FU) arbeiten. Das soll nun näher dargestellt werden. Abb. 4.42 DAM mit Wechselrichter zur Spannungsfrequenzsteuerung nach [8]

L1 L2 L3

400 V 50 Hz U1 und f1 variabel M Umrichter 3~

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

Abb. 4.43 Prinzip der Spannungsfrequenzsteuerung

269

U1

Ankerstellbereich

Feldstellbereich

400 V Bemessungsbetrieb

0

50 Hz

f1

U-f-Steuerung Zwischen dem Drehstromnetz und dem Drehstrommotor wird ein Wechselrichter geschaltet. Der kann die Spannung U1 am Motor und die speisende Frequenz f1 verstellen (Abb. 4.42). Das Prinzip der Steuerung soll anhand der Funktion U1 .f1 / erklärt werden (Abb. 4.43). Das Kennlinienfeld wird bezüglich der Frequenz in den Ankerstellbereich (f1 50 Hz) und in den Feldstellbereich (f1  50 Hz) unterteilt. Der Strom im Stator kann mit U1 U1 Dp I1  p 3 X1 3 2f1 L

(4.24)

grob abgeschätzt werden. Das Verkleinern der Frequenz f1 im Ankerstellbereich führt zum Ansteigen des Stroms I1 , wenn die Spannung U1 gleichzeitig konstant gehalten wird. Bei Halbierung der Frequenz auf 25 Hz würde der Strom auf seinen doppelten Bemessungswert ansteigen. Das ist dauerhaft nicht zulässig. Daher muss neben der Frequenz auch die Spannung verstellt werden, so dass das Verhältnis U1 =f1 konstant bleibt. Daher kommt der Name Spannungsfrequenzsteuerung. Im Feldstellbereich müsste die Spannung über ihren Bemessungswert erhöht werden, damit weiterhin der Bemessungsstrom fließt. Das würde die Isolation irgendwann nicht mehr mitmachen. Hier muss man bei der Bemessungsspannung bleiben, während die Frequenz erhöht wird. Dadurch sinkt der Strom I1 und damit das abgegebene mechanische Drehmoment. Die entsprechenden M-n-Kennlinien sind in Abb. 4.44 zusammen mit einer quadratischen Lastkennlinie z. B. eines Ventilators dargestellt. Im Ankerstellbereich können die Kennlinien horizontal verschoben werden und der Antrieb kann im stabilen Arbeitspunkt (AP) arbeiten. Die Betriebspunkte können kontinuierlich verstellt werden. Im Feldstellbereich wird es schwieriger, da die Drehmomente kleiner werden. Irgendwann macht es keinen Sinn mehr, die Frequenz zu erhöhen, da kein stabiler Betrieb mehr möglich ist oder die Drehmomente zu klein sind.

270

A. Böker et al.

Ankerstellbereich

M

Feldstellbereich

ML MM AP2 AP3

0

AP1 n

ns

Abb. 4.44 Prinzipieller Verlauf der M-n-Kennlinien bei Drehzahlstellung mit Frequenzumrichter nach [8]

4.3

Drehstrom-Synchronmaschinen

Andreas Böker Synchronmotoren sind im Einsatz, wenn eine konstante Drehfrequenz gefragt ist, z. B. in Uhren oder in Phonogeräten. Durch die Entwicklung von Frequenzumrichtern hat die Synchronmaschine als drehzahlregelbarer Antrieb vom Bereich der Servomotoren bis hin zu größten Leistungen an Bedeutung gewonnen. Eine herausragende Rolle spielt seit über 100 Jahren die Drehstrom-Synchronmaschine als Generator (Abb. 4.45). Nahezu alle elektrische Energie wird mit Drehstrom-Synchrongeneratoren gewonnen. Zu den Ausnahmen zählen Windenergieanlagen mit Drehstrom-Asynchrongeneratoren oder photovoltaische Solargeneratoren. Zweipolige Drehstrom-Synchrongeneratoren werden mit Scheinleistungen bis ungefähr 1200 MVA und vierpolige Generatoren sogar bis

a

b

Abb. 4.45 Siemens-Schuckert Werke in Nürnberg um 1914 und moderner Generator mit 660 MW (Fotos: Siemens [1])

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

271

etwa 1700 MVA gefertigt. Die Bemessungsspannungen bewegen sich bis 27 kV, die Bemessungsströme bis etwa 26 kA. Im Weiteren wird zunächst der konstruktive Aufbau der Drehstrom-Synchronmaschinen beschrieben. Danach geht es um den stationären Betrieb am starren Netz, für den aus dem Ersatzschaltbild das P-Q-Diagramm hergeleitet wird.

4.3.1 Aufbau Bei kleinen Leistungen kann das Magnetfeld durch Permanentmagnete erzeugt werden. Vor allem bei den großen Leistungen in Kraftwerken wird diese Aufgabe von Spulen übernommen, in denen Gleichströme bis etwa 10 kA fließen. Die werden häufig als Erregerströme bezeichnet. Entsprechend wird von der Erregerwicklung bzw. vom Erregersystem gesprochen. Es wird zwischen Innenpol- und Außenpolmaschinen unterschieden (Abb. 4.46). Bei den Außenpolmaschinen ist die Gleichstromwicklung im feststehenden Gehäuse untergebracht. In den Nuten des Rotors befinden sich drei in Stern verschaltete Wicklungen. Dieser Maschinentyp wird im Erregersystem von Kraftwerksgeneratoren eingesetzt, um kontaktlos den Erregergleichstrom auf die Welle zu bringen. Die eigentlichen DrehstromSynchrongeneratoren im Kraftwerk sind Innenpolmaschinen, bei denen die Wicklung für den Erregerstrom im Läufer untergebracht ist. Rotor Bei Vollpolmaschinen ist der Läufer aus einer massiven Stahlwalze gefertigt, in die Nuten eingefräst sind (Abb. 4.46 links und Abb. 4.47 links). Die Nuten nehmen die Erregerwicklung auf, die auf mehrere Spulen konzentrisch zur Polachse aufgeteilt wird. Diese Bauform wird mit Polpaarzahlen von 1 oder 2 ausgeführt. Es handelt sich um schnell drehende Rotoren mit horizontal gelagerter Welle, die mit Gas- oder Dampfturbinen ein-

Innenpolmaschine

p=1

Außenpolmaschine

p=2

p=1

N

N S

S

N

S N S

Vollpolmaschine

Schenkelpolmaschine

Abb. 4.46 Typische Drehstrom-Synchronmaschinen nach [5]

272

A. Böker et al.

a

b

Abb. 4.47 Turbo- und Schenkelpolläufer (Fotos: Alstom [10]) Abb. 4.48 Ständer von DrehstromSynchrongeneratoren (Fotos: Alstom [10])

a

b

gesetzt werden. Sie werden auch Turboläufer genannt und können eine Masse von bis zu etwa 100 t haben. Bei Schenkelpolläufern sind die einzeln ausgeprägten Pole bewickelt (Abb. 4.46 mittig und Abb. 4.47 rechts). Wegen der größeren Polpaarzahl drehen die Läufer langsamer. In Wasserkraftwerken haben Schenkelpolmaschinen bis zu 100 Pole und eine senkrechte Welle. Die Wasserturbine befindet sich dann unterhalb des Generators. Bei größeren Synchronmaschinen ist im Läufer eine Dämpferwicklung eingebaut, die mechanische Pendelmomente dämpfen soll. Bei Turbosätzen befindet sie sich in den Nuten der Erregerwicklung und ist kurz geschlossen, ähnlich wie der Kurzschlusskäfig im Läufer der Asynchronmaschine. Bei Schenkelpolmaschinen befindet sich die Dämpferwicklung in gesonderten Dämpfernuten der Polschuhe. Stator Der Stator vom Drehstrom-Synchrongenerator hat Ähnlichkeiten zum Stator der Drehstrom-Asynchronmaschine. Er ist bei großen Maschinen aus Segmenten von geschichteten Eisenblechpaketen mit schmaler Hysteresekurve aufgebaut. Das soll die Eisenverluste klein halten. Das Gewicht von Statoren kann bis zu 440 t erreichen (Abb. 4.48). In die Nuten werden bei großen Ständerströmen gegeneinander isolierte Teilleiter eingesetzt, die längs der horizontalen Drehachse verdrillt sind und Roebelstäbe heißen (Abb. 4.49). Sie sorgen für eine gleichmäßigere Stromverteilung. Im Stator der Innenpolmaschinen sind die Wicklungen immer in einem isolierten Sternpunkt verschaltet. Zwei Beispiele sind in Abb. 4.50 zu sehen.

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

273

Luftspalt Nutenverschlusskeil Wicklung 10´

1



10

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1´ 2´ 3´ 4´ 5´ 6´ 7´ 8´ 9´ 10´

10´



Eisen

Abb. 4.49 Nutaufbau und Verdrillen der parallelen Teilleiter im Roebelstab nach [5] U1 U11

W2

V22

3 1

V2

W22

W12

V11

U22

4

U21

4

W1 5 V1 U2

2

3

6 V12

W11

W21

U12 U

V21

V

1 Wicklungsstrang 2 Teilstrang (Teil eines Wicklungsstrangs) 3 Ständer 4 Erregerwicklung 5 Vollpolläufer 6 Schenkelpolläufer

W

U1

V1

W1

U11

U12

V11

V12

W11

W12

U2

V2

W2

U21

U22

V21

V22

W21

W22

Abb. 4.50 Prinzipielle Schnittbilder einer zwei- und vierpoligen Synchronmaschine mit Schaltungen der Ständerwicklungen nach [4]

Erregersystem Zur Spannungshaltung und Blindleistungssteuerung müssen die Gleichströme in den Erregerwicklungen verändert werden können. Das Erregersystem ist Stellglied dieser Regeleinrichtungen. Die erforderlichen Erregerleistungen liegen für zweipolige Turbogeneratoren ungefähr zwischen 3 kW bei 100 kVA und 4000 kW bei einem 1000-MVA-Generator [11]. Sie haben einen nennenswerten Anteil am Eigenbedarf von Kraftwerken. Bei modernen Erregersystemen, die auf Schaltungen der Leistungselektronik basieren, haben sich zwei Typen etabliert. Das sind die

274

A. Böker et al.

Generator

Istwert- Netz erfassung

Turbine Uist

Schleifringe

Usoll

E Bürsten

Regler 3

3

Stromrichteranlage

Eigenbedarfsnetz

Abb. 4.51 Prinzipieller Aufbau einer statischen Erregereinrichtung nach [4]

 statische Erregereinrichtung und die  bürstenlose Erregereinrichtung. Die statische Erregereinrichtung wird auch als Innenpol-Drehstrom-Erregergenerator mit Dioden- oder Thyristorumrichter bezeichnet (Abb. 4.51). Die Bezeichnung statisch kommt daher, dass die wesentlichen Bestandteile feststehend sind und sich nicht mit der Welle drehen. Die Stromrichteranlage ist ein netzgeführtes Thyristorstellglied und bezieht die elektrische Leistung vom dreiphasigen Erregertransformator. Der Erregerstrom wird mit Kohlebürsten und Schleifringen übertragen, deren Wartung im Betrieb möglich ist. Diese Lösung ist im Sinne der Spannungsregelung von Vorteil, da sie eine hohe Regeldynamik bietet. Dem stehen die Wartungskosten und das Risiko von Bürstenfeuer gegenüber, so dass dieses Erregersystem in Ex-geschützten Bereichen nicht eingesetzt wird. Eine Alternative zur statischen Erregereinrichtung bietet die bürstenlose Erregereinrichtung, die auch Außenpol-Drehstrom-Erregergenerator mit rotierenden Gleichrichter genannt wird (Abb. 4.52). Hier wird der Erregerstrom ohne Schleifringe kontaktlos mit einem Wellengenerator auf die Welle gebracht. Der Wellengenerator ist eine spezielle Drehstrom-Synchronmaschine mit Außenpol (Abb. 4.46 rechts). Auf der Welle rotieren drei im Stern verschaltete Drehstromwicklungen, deren Wechselströme mit Thyristoren gleichgerichtet werden. Dieser Aufbau macht die Spannungsregelung träge. Eine Wartung von Kohlebürsten und Schleifringen entfällt und eine Verwendung im Ex-geschützten Bereich ist möglich. Die bürstenlose Erregung ist nur für hohe Drehzahlen geeignet, so dass bei Wasserkraftwerken nur statische Erregersysteme zu finden sind.

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

275

Generator Turbine

Istwert- Netz erfassung

Wellengenerator Uist Usoll

E Regler Hohlwelle Erregerstrom für den Wellengenerator

3

Leistungsglied für die Erregung des Wellengenerators

3

Eigenbedarfsnetz

Abb. 4.52 Prinzipieller Aufbau eines bürstenlosen Erregersystems nach [4]

4.3.2 Stationärer Betrieb Wir gehen davon aus, dass sich das Drehstromnetz in einem ungestörten stationären Zustand befindet. Die Frequenz, die Amplituden und Nullphasenwinkel der Wechselspannungen und -ströme sind konstant. Damit kann das Ersatzschaltbild formuliert werden, mit dem der Betrieb am starren Netz charakterisiert wird. Polradspannung Das Magnetfeld der Erregerwicklung induziert in die im Stern verschalteten Ständerwicklungen des Generators drei Wechselspannungen. Im Netz wird mit Leiter-LeiterSpannungen gerechnet. Daher wird der Effektivwert dieser induzierten Wechselspannungen als Dreiecksgröße angegeben. Das ist die Polradspannung UP . Sie ändert sich je nach Betriebszustand des Generators und hängt von der Wirk- und Blindleistung an seinem Anschlusspunkt ab. Das wird durch die Wirkleistung bzw. das Drehmoment der Turbine einerseits und anderseits durch den Erregerstrom IE eingestellt. Es wird sich später zeigen, dass im übererregten Betrieb die Polradspannung deutlich größer als die Bemessungsspannung Ur ist (Abb. 4.55). In einem Leerlaufversuch (I D 0) kann die Polradspannung direkt an den Klemmen gemessen werden. Die Leerlaufkennlinie U0P .IE / entspricht der Magnetisierungskennlinie der Maschine (Abb. 4.53). Sie beginnt im Allgemeinen nicht exakt bei Null wegen des remanenten magnetischen Flusses. Die Remanenzspannung UR , die bei nicht erregter Maschine im Leerlauf gemessen wird, beträgt wenige Prozent der Bemessungsspannung. Bei kleinen Erregerströmen verläuft die Kennlinie zunächst linear auf der sogenannten

276

A. Böker et al.

Abb. 4.53 Leerlaufkennlinie der Synchronmaschine

U0P

ideale Kennlinie (Luftspaltgerade)

Ur

reale Kennlinie

UR IrE

IE

Luftspaltgeraden. Mit zunehmender Sättigung des Eisens flacht sie ab. Die Maschine wird so ausgelegt, dass die Bemessungsspannung im Knie der Kennlinie gelegt wird [11]. Ankerrückwirkung Wird der Generator belastet, fließen in den Wicklungssträngen drei phasenverschobene Wechselströme. Die sind mit drei magnetischen Wechselfeldern verbunden, die sich zu einem magnetischen Drehfeld überlagern. Bei induktiver Belastung ist nach der Lenzschen Regel dieses Statordrehfeld dem Läuferdrehfeld entgegen gerichtet, es wird geschwächt. Die Spannung an den Klemmen sinkt im Vergleich zur Leerlaufspannung, es kommt zu einem internen Spannungsfall. Das ist die Selbstinduktion des Synchrongenerators, die auch Ankerrückwirkung genannt wird. Für stationäre Verhältnisse wird die Ankerrückwirkung mit der synchronen Reaktanz Xd charakterisiert. Dann beträgt der interne Spannungsfall jXd I . Wird dieser für den Bemessungsbetrieb (Index r) auf die Klemmenspannung bezogen, ist das der maximale interne Spannungsfall in Prozent. xd D

Xd Ir p Ur = 3

Œxd  D 1 D 100 %

(4.25)

Diese dimensionslose synchrone Reaktanz liegt bei 120 % xd 300 %. Daher muss im Kraftwerk eine Spannungs-Blindleistung-Regelung mit dem Erregersystem gemacht werden. Die Umrechnung in die absolute Größe Xd wird mit Xd D

Ur2 xd Sr

ŒXd  D ˝

gemacht. Die Bemessungsscheinleistung ist Sr D

(4.26)

p 3 Ur Ir .

Ersatzschaltbild Zu dem internen Spannungsfall durch die Ankerrückwirkung kommt noch ein Spannungsfall R I an den ohmschen Widerständen der Statorwicklungen dazu. In guter Näherung

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

R

~

G 3~

Xd

R

Xd

R

~

V

Xd

R

U

~

Y

277

U UP /

3

ΔU

~

U/

3

Xd W

Y

Abb. 4.54 Schaltzeichen und stationäre Ersatzschaltbilder eines Synchrongenerators mit Turboläufer

ist ein Turbogenerator symmetrisch aufgebaut. Dann ist das Drehfeld im Luftspalt sinusförmig und Oberwellen können vernachlässigt werden. Bei zusätzlicher elektrischer Symmetrie kann das dreiphasige stationäre Ersatzschaltbild auf das einphasige Ersatzschaltbild reduziert werden (Abb. 4.54). Für Schenkelpolgeneratoren ist die einphasige Ersatzschaltung nach nur bedingt gültig. Hier kommt noch eine synchrone Querreaktanz Xq ins Spiel, auf die nicht weiter eingegangen wird. Betrieb am starren Netz Wir gehen von einem starren Netz aus. Am Anschlusspunkt des Generators liegt die konstante Netzspannung U N an, unabhängig davon, welche Leistung ins Netz gespeist wird. Das trifft in guter Näherung auf Verbundnetze zu. Weiterhin können die Wirkwiderstände R des Stators vernachlässigt werden. Daher ist in der Ersatzschaltung in Abb. 4.55 nur noch die synchrone Reaktanz Xd zu finden.

UP sinϑ = Xd I cosφ 3

ϕ

I

UP 3

~

Xd j Xd I

UN

UP

3

3 Netz

UN 3

j Xd I

ϑ

ϕ I

Abb. 4.55 Ersatzschaltbild einer Synchronmaschine mit ohmsch-induktiver Last im übererregten Betrieb (UP > UN ) und zugehöriges Zeigerdiagram nach [4]

278

A. Böker et al.

Das Zeigerdiagramm in Abb. 4.55 kann nun konstruiert werden. Die Spannung an den Klemmen U N ist vom Netz vorgegeben. In dem dargestellten Betriebspunkt speist der Generator einen Strom I ins Netz, der der Netzspannung um den Winkel ' nacheilt. Damit ist die Lage des Zeigers für den internen Spannungsfall jXd I festgelegt. Die Multiplikaı tion eines Zeigers mit der imaginären Einheit j D e j90 führt zu seiner Drehung in der komplexen Ebene um den eingezeichneten Winkel von 90ı . Wegen der Maschenregel von Kirchhoff schließt der Zeiger der Polradspannung U P das Spannungsdreieck. Zwischen der Polradspannung und der Netzspannung taucht der Lastwinkel # auf, der auch Polradwinkel genannt wird. Der hat nicht nur eine elektrische Bedeutung als Phasendifferenz. Räumlich dreht sich der Rotor um den Winkel #=p gegenüber seiner Lage im Leerlauf (P D 0). In dem Betriebszustand von Abb. 4.55 gibt der Generator Wirkleistung ans Netz ab. Gleichzeitig kompensiert er die induktive Blindleistung, die beispielsweise DrehstromAsynchronmotoren, Transformatoren oder gesteuerte Stromrichter aus dem Netz beziehen. Das ist der übererregte Betrieb. In seltenen Fällen ist der Generator im untererregten Betrieb. Diese Betriebsart kann in ländlichen Küstenregionen bei starker Windkrafteinspeisung oder nachts bei schwach belasteten städtischen Kabelnetzen vorkommen. Im sogenannten Phasenschieberbetrieb gibt der Generator keine Wirkleistung sondern nur Blindleistung ab. Kraftwerksstandorte wie Pumpspeicherwerke oder Druckluftspeicher bieten so für Transportnetzbetreiber eine Systemdienstleitung zur Spannungssteuerung an. Auch gibt es Fälle, in denen bei der Stilllegung von Kernkraftwerken die vorhandenen Synchrongeneratoren für einen Phasenschieberbetrieb umgerüstet wurden. Im Kernkraftwerks Biblis wurde dazu der Generator von Block A (1225 MW) von der Turbine getrennt. Im Motorbetrieb kann er nun Blindleistung im Bereich von 400 Mvar bis C900 Mvar liefern. Es werden nun Formeln für die Wirkleistung P und die Blindleistung Q des Generators abgeleitet. In diesem Zusammenhang wird ausnahmsweise das Erzeugerzählpfeilsystem gewählt, wie es vielfach in der Literatur zu finden ist. Daher ist hier die Wirkleistung P des Generators positiv, im Verbraucherzählpfeilsystem ist sie negativ. Auch bei der Blindleistung gibt es ein Vorzeichenwechsel. Ist im Erzeugerzählpfeilsystem Q > 0, verhält sich der Generator am Netz wie ein Kondensator zur Blindleistungskompensation. Dies ist im übererregten Betrieb der Fall. Im untererregten Betrieb ist Q < 0. Aus dem Zeigerdiagramm in Abb. 4.55 folgt UP p sin # D Xd I cos ' : 3

(4.27)

Damit ist die Wirkleistung P D

p p 3 UN I cos ' D 3 UN



UP p sin # 3 Xd

 D

UP UN sin # : Xd

(4.28)

Im stationären Betrieb dreht der Synchrongenerator mit konstanter Drehzahl n, die wegen n D f1 =p von der Frequenz f1 des Wechselstroms vorgegeben ist. Das Bremsmoment des

4

Elektrische Energiewandler und Speicher a

279 b

MT MG G 3~ MT MG Mk

ϑ

MG(ϑ) Netz

Antriebsmoment der Turbine Bremsmoment des Generators Kippmoment Polradwinkel = Lastwinkel

Stabilitätsgrenze

Mk1

UN1 UN2



90°

180°

ϑ

Abb. 4.56 Drehmomente auf der Welle (a) und Kennlinien (b) MG .#/ nach [4]

Generators M G ist so groß wie das antreibende Drehmoment M T der Turbine, nur entgegen gesetzt gerichtet (Abb. 4.56). Wegen P D MG !mech ist der Betrag vom bremsenden Drehmoment des Generators MG D

UP UN sin # : !mech Xd

(4.29)

Die Kennlinien MG .#/ für zwei verschiedene Netzspannungen sind in Abb. 4.56 dargestellt. Sie sind auch von der Polradspannung UP abhängig. Das maximale Drehmoment tritt bei #max D 90ı auf und wird Kippmoment Mk genannt. Damit ist die maximale Wirkleistung des Generators festgelegt. Der Lastwinkel #max bildet auch die Grenze für den stabilen Betrieb. Würde man oberhalb von #max das Antriebsmoment der Turbine weiter erhöhen, würde es das Bremsmoment des Generators übersteigen. Der Läufer würde beschleunigen und außer Tritt geraten. Dies erklärt auch die Bezeichnung Kippmoment. Solch eine schwere Störung muss verhindert werden. Daher bleibt man immer in einem sicheren Abstand unterhalb von #max . Analog zur Gl. 4.27 folgt aus dem Zeigerdiagramm in Abb. 4.55 UP UN p cos # D p C Xd I sin ' : 3 3 Multiplikation mit

(4.30)

p 3 UN und Division durch Xd ergibt UP UN U2 p cos # D N C 3 UN I sin ' D QG C Q : Xd Xd

(4.31)

Der Anteil QG D UN2 =Xd ist derpEigenbedarf des Generators, der selbst ein induktiver Verbraucher ist. Der Anteil Q D 3 UN I sin ' wird ans Netz abgegeben. Im übererregten Betrieb ist Q > 0 (Erzeugerzählpfeilsystem).

280

A. Böker et al.

P

Betriebspunkt (übererregter Betrieb)

P

UP UN Xd

ϕ

S

ϑ Q

QG

jQ

Abb. 4.57 Leistungsdreiecke im P-Q-Diagramm für den übererregten Betrieb

Quadriert und addiert man die Gl. (4.28) und die Gl. (4.31) folgt 

UP UN Xd

2 D P 2 C .QG C Q/2 :

(4.32)

Dieser Sachverhalt wird durch das rot gezeichnete rechtwinkelige Leistungsdreieck in Abb. 4.57 veranschaulicht. Das berücksichtigt auch den Eigenbedarf an Blindleistung. Für die Schein-, Wirk- und Blindleistung, die netto ins Netz gespeist werden, gilt p S 2 D P 2 C Q2 D . 3 UN I /2 :

(4.33)

Das entsprechende Leistungsdreieck ist in Abb. 4.57 blau gefärbt. Ein Kraftwerk kann nicht beliebig Wirk- und Blindleistung zur Verfügung stellen. Zum einen setzt der Generator Grenzen. Dazu zählen der  maximal zulässiger Polradwinkel #zulG (Stabilität), seine  Bemessungsscheinleistung SrG (Stromwärmeverluste) und der  maximal zulässiger Erregerstrom IzulE (Stromwärmeverluste). Andererseits hat die Turbine eine  Schwachlast PsT und eine  Bemessungsleistung PrT . Insgesamt führt das zu dem zulässigen Bereich im Leistungsdiagramm in Abb. 4.58. Die Wirkleistung P wird nur über den Antrieb durch die Turbine verändert. Der Lastwinkel # und der Phasendifferenzwinkel ' sind ein Maß für das Verhältnis von Wirk- und Blindleistung. Wegen UP  IE muss der Erregerstrom IE gleichzeitig verändert werden, wenn man bei Veränderung der Wirkleistung P die Blindleistung Q konstant lassen will.

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

281

IrE IzulE 1

P PrT

1: Bemessungsbetrieb 2: Schwachlast

ϕr ϑzulG PsT

ϑr

ϕ2

SrG

2

ϑ2

untererregter Betrieb

übererregter Betrieb

Q

Abb. 4.58 Leistungsdiagramm einer Vollpolmaschine an einem starren Netz im Erzeugerzählpfeilsystem nach [4]

4.4 Photovoltaik Hartmuth Paerschke Erneuerbare Energien liefern einen zunehmenden Beitrag zur Energieversorgung. Wegen ihrer Unabhängigkeit von fossilen Energien und Kernbrennstoffen und ihrer insgesamt vorteilhaften Umweltbilanz sind sie die einzigen auch zukünftig verlässlichen Energiequellen. Nach dem Ausbau der Windenergienutzung gewinnt im Bereich kleinerer und mittlerer Leistungen die dezentrale photovoltaische Solarenergienutzung wegen der stark gesunkenen Systemkosten an Bedeutung. Die Energie eines einzelnen Lichtquants (Photons) ist durch seine Frequenz f bestimmt W Dhf I

h  6;626  1034 J s

.Planck-Konstante/:

(4.34)

Photovoltaikzellen sind in der Lage die Energie der Lichtquanten des Sonnenlichts direkt in elektrische Energie umzuwandeln. Aufbau und Wirkungsprinzip entsprechen einer großflächigen Photodiode (siehe Abschn. 3.2). Die erste Photovoltaik-Zelle wurde 1954 in den Bell-Laboratorien in den USA gebaut. Lagen die Umwandlungswirkungsgrade anfänglich bei ca. 5 %, so erreichen industriell hergestellte Photovoltaikzellen bis 20 %, im Labor sind heute ca. 46 % möglich. Einzelne Siliziumsolarzellen nehmen typischerweise eine Fläche in der Größenordnung von ca. 12;5 cm  12;5 cm ein und liefern Leerlaufspannungen von ca. 0,6 V. Mehrere, in Reihe geschaltete Solarzellen werden baulich in einem Solarmodul integriert. Mehrere in Reihe geschaltete Module formen einen String. Die Gesamtheit aller Strings bildet einen Solargenerator. Weitere und vertiefende Darstellungen zur Photovoltaik sind in [12, 13] und [14] zu finden.

A. Böker et al.

Spektrale Bestrahlungsstärke in W/(m2 · nm)

282

2,0

AM 0 Schwarzkörperspektrum, T = 5778 K

1,5 AM 1,5 1,0 H2O H2O, CO2

0,5

200 UV

400

600 Sichtbar

800

1000

1200

1400

1600

IR

1800

2000

2200

Wellenlänge in nm

Abb. 4.59 Spektren des Sonnenlichts außerhalb der Erdatmosphäre (AM 0) und nach Durchtritt durch die Atmosphäre bei AM 1,5

4.4.1 Das Strahlungsangebot der Sonne Die Sonne gibt wie jeder Körper Strahlung an seine Umgebung ab. Die Intensität des einfallenden Lichts wird durch die Bestrahlungsstärke E gemessen. Die Bestrahlungsstärke E ist definiert als Quotient aus der auf eine Fläche A fallende Lichtleistung und der Größe dieser Fläche A. Außerhalb der Erdatmosphäre liegt die Bestrahlungsstärke des Sonnenlichts bei einer senkrecht zur Strahlrichtung liegende Fläche zwischen 1325 und 1412 W=m2 . Der Mittelwert ist die Solarkonstante ES D 1367 W=m2 :

(4.35)

Das Spektrum der Strahlung ist durch die Oberflächentemperatur des Körpers bestimmt. Mit der Oberflächentemperatur der Sonne von 5778 K, ergibt sich das in Abb. 4.59 gestrichelt dargestellte Spektrum eines idealen schwarzen Strahlers, das mit dem außerhalb der Erdatmosphäre gemessenen Sonnenspektrum (mit AM0 gekennzeichnet) grob übereinstimmt. Summiert man die Einzelbeiträge dieses Spektrums, ergibt sich der Wert der Solarkonstanten. Tritt das Sonnenlicht durch die Erdatmosphäre, so ändern sich die Bestrahlungsstärke und Spektrum durch 1. Reflexion von Licht: Die auf die Erde treffende Strahlung wird durch die Reflexion beim Auftreffen auf die obersten Luftschichten der Atmosphäre reduziert. 2. Absorption von Licht: Moleküle wie O2 , O3 , CO2 , H2 O usw. werden bei bestimmten Wellenlängen angeregt und absorbieren dabei einen Teil der Strahlung. Dadurch

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

283

entstehen insbesondere im Infrarotbereich sogenannte Absorptionslinien oder Absorptionsbande im Spektrum. 3. Rayleigh-Streuung: Sie liegt vor, wenn Strahlung an Teilchen gestreut wird, die viel kleiner sind als die Wellenlänge der Strahlung. Dies ist bei den Gasmolekülen der Atmosphäre der Fall. Die Rayleigh-Streuung ist stark wellenlängenabhängig, so dass kürzere Wellenlängen (blau) besonders stark gestreut werden und uns der klare Himmel blau und die untergehende Sonne rot erscheint. 4. Streuung an Aerosolen und Staubteilchen: Fällt Licht auf Teilchen, die größer als die Wellenlänge des Lichts sind, so kommt es zur Mie-Streuung. Sie tritt beispielsweise an Wassertropfen oder Eiskristallen in Wolken auf. Aus diesem Grund erscheinen uns Wolken weiß. Die Mie-Streuung ist in Gebieten mit verschmutzter Luft besonders stark. Das Spektrum und die Bestrahlungsstärke werden durch die Länge des Lichtweges durch die Atmosphärenschichten beeinflusst. Der Verlängerungsfaktor für den Weg im Vergleich zum senkrechten Durchgang wird Air Mass (AM) genannt. Bei senkrechtem Einfall in Äquatornähe ergibt sich AM D 1. Bei einem Sonnenhöhenwinkel S über dem Horizont erhält man das zugehörige (4.36) AM x mit x D 1=sin S Mit wechselnden Tages- und Jahreszeiten ändert sich der Sonnenhöhenwinkel S und die Länge des Lichtweges durch die Atmosphäre und damit AM. Je nach AM ergeben sich unterschiedliche Spektren. Der Sonnenhöhenwinkel S D 41;8ı mit AM 1,5 wird in Mitteleuropa im Frühjahr und Herbst erreicht. Das zugehörige Spektrum bei AM 1,5 in Abb. 4.59 hat sich als „mittleres“ Spektrum für vergleichende Messungen von Solarmodulen etabliert. Integriert man das AM 1,5-Spektrum über die Beiträge aller Wellenlängen, ergibt sich eine Bestrahlungsstärke von 835 W/m2 [4]. Am Erdboden kommen also statt der ursprünglichen 1367 W/m2 nur noch 61 % als so genannte Direktstrahlung an. Neben dieser Direktstrahlung entsteht durch die Streuung von Licht in der Atmosphäre zusätzlich eine Diffusstrahlung. Die gesamte an der Erdoberfläche auftreffende Solarstrahlung nennt man Globalstrahlung. Die Globalstrahlung setzt sich somit zusammen aus 1. der auf direktem Weg eintreffenden Direktstrahlung und 2. der Diffusstrahlung, die über Streuung an Wolken, Staub, Wassertröpfchen und Luftmolekülen indirekt die Erdoberfläche erreicht. Globalstrahlung auf horizontale Flächen Die Momentanwerte der Globalstrahlung variieren sehr stark in Abhängigkeit von der Tages- und Jahreszeit, vom Standort und vom Wetter. Üblicherweise werden die Bestrahlungsstärken auf horizontal ausgerichtete Flächen angegeben. In Deutschland erreicht die Globalstrahlung (auf einer horizontalen Fläche) um die Mittagszeit an einem klaren Tag

284

A. Böker et al.

im Juni oder Juli etwa 900 W/m2 . In speziellen Fällen können lokal beschränkt auch bis zu 1300 W/m2 erreicht werden. Dies ist der Fall bei sonnigem Wetter und dünnen, hellen Wolken in der Umgebung der Sonne durch einen Anstieg des Diffusionsanteils (cloud enhancement) oder in Bergen durch die verringerte Atmosphärendicke und reflektierende Schneefelder. Bei bedecktem Himmel tritt nur die Diffusstrahlung auf, die Globalstrahlung fällt auf Werte von 100 W/m2 oder darunter. Summiert man die eingestrahlte Leistung der Globalstrahlung über einen bestimmten Zeitraum, erhält man die in dieser Zeit eingestrahlte solare Energie pro Fläche, die in kWh/m2 gemessen wird. Die Jahressumme der Globalstrahlung auf einer horizontalen Fläche in Deutschland bewegt sich zwischen 900 und 1200 kWh/(m2 a) (gesprochen Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr, vom lateinischen anno: das Jahr). Dem entspricht bei 8760 h/a eine mittlere Bestrahlungsstärke einer horizontalen Fläche durch die Globalstrahlung von ca. 100 bis 137 W/ m2 . In Südeuropa beispielsweise beträgt die Jahressumme der Globalstrahlung etwa 2000 kWh/(m2 a), in der Sahara etwa 2500 kWh/(m2 a). Karten der weltweiten Globalstrahlungsverteilung zeigen, dass in vielen Regionen Afrikas, Australiens und Amerikas bedeutende solare Ressourcen zur Verfügung stehen, die bisher jedoch noch wenig genutzt werden. Tagessummen der Globalstrahlung werden in kWh/(m2 d) angegeben. Globalstrahlung bei geneigten Flächen Für Auslegung und für die optimale Orientierung und Neigung von Photovoltaikmodulen sind die Bestrahlungsstärke und die eingestrahlte Energie auf geneigte Flächen von Interesse. Dabei ergeben sich für die Direkt- und die Diffusstrahlung unterschiedliche Winkelabhängigkeiten. Direktstrahlung Der direkte Anteil kommt als Parallelstrahlung direkt aus Richtung der Sonne und bewirkt gegebenenfalls einen Schattenwurf. Die Bestrahlungsstärke Edir;A des Direktstrahlungsanteils auf eine, nach Abb. 4.60 zur Sonne ausgerichteten Fläche A hängt vom Anstellwinkel ˇ dieser Fläche gegenüber der Horizontalen ab. Nach Abb. 4.60 berechnet sich die Leis-

a

b As

direkte Einstrahlung

χ

diffuse Einstrahlung

A

A γs

β

β

Ah

Abb. 4.60 Bestrahlungsstärke der direkten Strahlung auf einer um ˇ geneigten Fläche A bei einem Sonnenhöhenwinkel s (a), diffuse Einstrahlung (b)

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

285

tung P, die auf die Fläche A bzw. auf die Flächen As und Ah fällt zu P D Edir;A  A D Edir;h  Ah D Edir;s  As : Mit den aus der Geometrie folgenden Beziehungen As D A  sin  D Ah  sin s

und  D s C ˇ

ergibt sich die Bestrahlungsstärke der direkten Strahlung auf der geneigten Fläche A Edir;A D

P sin.s C ˇ/ Edir;h  Ah : D D Edir;h  A A sin s

(4.37)

Bei senkrechter Ausrichtung zur Sonneneinstrahlung (s C ˇ D 90ı bzw. ˇ D 90ı  s ) ist der Direktanteil der Bestrahlungsstärke maximal. Diffusstrahlung Der indirekte Anteil kommt mehr oder wenig gleichmäßig diffus aus allen Himmelsrichtungen und verursacht keine Schatten. Bei einer geneigten Fläche ist nur ein Teil des Gesichtsfeldes vom Himmel ausgefüllt. Für den Diffusanteil der Strahlung ergibt sich die Abhängigkeit 1 (4.38) Edif;A D Edif;h  .1 C cos ˇ/ : 2 Mit zunehmender Neigung nimmt der Diffusanteil ab. Hinzu kommt bei geneigten Flächen ein von benachbarten Flächen reflektierter Strahlungsanteil, der bei stark reflektierenden Flächen (Schneedecke, Wasserflächen) erheblich sein kann. Berechnungsbeispiel Wird zur Zeit der Sommersonnenwende am 21. Juni der Sonnenhöchststand erreicht, so ist die Erdachse um 23,4ı in Richtung Sonne geneigt. Z. B. für einen Standort mit 48,1ı nördlicher Breite (München) ergibt sich der maximale Sonnenhöhenwinkel und das zugehörige AM x zu s D 90ı C 23;4ı D 65;3ı ;

x D 1= sin.65;3ı / D 1;10 :

Setzt man für einem klaren Sommertag die Globalstrahlung auf einer horizontalen Fläche mit Edir;h D 820 W=m2 und Edif;h D 100 W=m2 an, ergeben sich nach Gl. 4.37 und 4.38 für eine senkrecht zur Sonne ausgerichteten Fläche (ˇ D 90ı  s D 24;3ı ) die Bestrahlungsstärken sin.s C ˇ/ sin 90ı D 820 W=m2   903 W=m2 ; sin s sin 65;3ı 1 1 Edif;A D Edif;h .1 C cos ˇ/ D 100 W=m2  .1 C cos 24;3ı /  96 W=m2 ; 2 2 EA D Edir;A C Edif;A  1000 W=m2 :

Edir;A D Edir;h 

286

A. Böker et al.

Die Bestrahlungsstärken einer konkreten Anlage hängen von der Orientierung der Solarmodule hinsichtlich der Himmelsrichtung und ihrer Neigung gegenüber der Horizontalen ab. Auch der Anteil von direkter und diffuser Strahlung an der Gesamtstrahlung hängt von der Ausrichtung des Solarkollektors ab. In Deutschland liefert die Diffusstrahlung über das ganze Jahr gesehen einen größeren Beitrag als die Direktstrahlung. Bei einer ungefähr nach Süden ausgerichteten Anlage mit einer Neigung gegenüber der Horizontalen von 25 bis 30ı erhält man den höchsten Ertrag. Für überschlagsmäßige Berechnungen kann von folgenden Werten für die eingestrahlte Energie ausgegangen werden: Hamburg: ca. 950 kWh/(m2 a) bzw. ca. 2,6 kWh/(m2 d) Berlin: ca. 1050 kWh/(m2 a) bzw. ca. 2,9 kWh/(m2 d) München: ca. 1100 kWh/(m2 a) bzw. ca. 3,0 kWh/(m2 d). Bei abweichenden Orientierungen nach Osten bzw. Westen von bis zu etwa 45ı und Neigungen zwischen ca. 5ı und 45ı verschieben sich die Anteile von Direkt- und Diffusstrahlung, sowie die Tagesmaxima der Bestrahlungsstärke. Die im Jahr eingestrahlte Energie wird dadurch aber nur um wenige Prozent reduziert. Standardtestbedingungen Standardtestbedingungen (englisch: Standard Test Conditions, STC) wurden definiert, um weltweit die Solarmodule verschiedener Hersteller unter gleichen Bedingungen zu testen und miteinander vergleichen zu können. Die Spannungen, Ströme und Leistungen werden angegeben für eine Bestrahlung mit einer Bestrahlungsstärke 1000 W/m2 , wie sie in Mitteleuropa an einem klaren Sommertag erreicht wird. Als Standardspektrum zur Vermessung von Solarmodulen hat sich das AM 1,5-Spektrum etabliert. Es tritt im Frühjahr und Herbst auf und kann gewissermaßen als „mittleres“ Jahresspektrum angesehen werden. Das in Abb. 4.59 dargestellte Spektrum für AM 1,5 des direkten Globalstrahlungsanteils liefert integriert nur eine Bestrahlungsstärke von 835 W/m2 . Für die vorgegebene Bestrahlungsstärke von E D 1000 W=m2 muss mit einer um den Faktor 1000/835 verstärkten spektralen Verteilung getestet werden. STC W E D 1000 W=m2 I

AM 1;5 I

Zellentemperatur 25 ı C

(4.39)

Die bei STC ermittelte Leistung wird in Prospekten der Hersteller als Peakleistung mit der Maßeinheit Wp (Watt-peak) angegeben.

4.4.2

Solarzellen, Aufbau, Funktion, Wirkungsgrad

Industrielle Solarzellen Industriell hergestellte Solarzellen können nach verschiedenen Kriterien eingeteilt werden. Solarzellen unterscheiden sich nach dem eingesetzten Halbleitermaterial. Nach der

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

287

Schichtdicke wird zwischen Dickschichtzellen und Dünnschichtzellen unterschieden. Dickschichtzellen werden aus monokristallinem oder polykristallinem Silizium hergestellt. Dünnschichtzellen werden aus amorphem Silizium, aus dem II-VI-Halbleitern Cadmiumtellurid (CdTe) oder I-III-VI-Halbleitern z. B. Kupfer-Indium-Disulfid (CIS) gefertigt. Sehr hohe Wirkungsgrade von ca. 30 % werden mit Gallium-Arsenid-Zellen (GaAs, III-V-Halbleiter) erreicht. Wegen hohen Kosten ist die Anwendung von GalliumArsenid-Zellen auf Einsätze wie z. B. in der Raumfahrt beschränkt. Silizium ist eines der am häufigsten in der Erdkruste vorkommenden Elemente und steht im Gegensatz zu Ausgangsstoffen wie Indium, Gallium und Tellur in praktisch unbegrenzter Menge zur Verfügung. Silizium muss für die Anwendung in der Photovoltaik in einem mehrstufigen energieaufwändigen chemischen Reinigungsprozess hergestellt werden. Durch einen Reduktionsprozess bei Temperaturen von 1800 ı C wird aus SiO2 metallurgisches Si mit einer Reinheit von etwa 98 % gewonnen, entsprechend der Reaktion SiO2 C 2C ! Si C 2CO. In einer nachfolgenden exothermen Reaktion bei ca. 350 ı C wird das metallurgische Si in einem Wirbelschichtreaktor mit gasförmigem Chlorwasserstoff zu Trichlorsilan umgesetzt: Si C 3HCl ! SiHCl3 C H2 . Trichlorsilan ist bei 30 ı C flüssig und wird durch Destillieren von Verunreinigungen getrennt. In einem weiteren elektrisch beheizten Reaktor wird das gasförmige Trichlorsilan bei 1000 bis 1200 ı C in Anwesenheit von Wasserstoff wieder zersetzt, wodurch sich Reinstsilizium in fester Form absetzt. Das Reinstsilizium wird anschließend wieder bei hohen Temperaturen geschmolzen. Bei langsamen Abkühlen entstehen polykristalline Siliziumblöcke, die nicht überall die gleiche Kristallorientierung aufweisen. Monokristallines Silizium wird erzeugt, indem ein kleiner Siliziumeinkristall als Keim in die Schmelze getaucht wird. Durch langsames Drehen und nach oben Ziehen wächst das erstarrende Material zu einem zylindrischen Einkristall an. Zur Herstellung der Dickschichtphotozellen werden die Siliziumblöcke anschließend unter Materialverlust in etwa 100 m dünne Scheiben gesägt. Monokristalline Photozellen erreichen die höchsten Wirkungsgrade, bei polykristallinen Zellen sind die Wirkungsgrade wegen zusätzlicher Verluste an den Korngrenzen geringer. Trotz des hohen Energieaufwands bei der Fertigung liefern moderne Siliziumzellen in ihrer Betriebszeit ein Mehrfaches der eigesetzten Energie. Als Erntefaktor bezeichnet man das Verhältnis der in der Betriebsdauer der Solarmodule (typischerweise wird mit 25 Jahren gerechnet) ersparten Primärenergie zur für die Herstellung erforderlichen Primärenergie. Für Dünnschichtzellen wird das Halbleitermaterial auf einem Trägermaterial abgeschieden bzw. aufgedampft. Die entstehenden amorphen Schichten sind ist nur einige Mikrometer dick. Die Dotierung erfolgt während des Abscheidens durch Beifügung entsprechender Dotiergase. Wegen der niedrigen Fertigungstemperatur ist es möglich, Dünnschichtzellen auf vielen unterschiedlichen Trägermaterialien aufzubringen. Die Abscheidung der dünnen amorphen Halbleiterschichten ist vergleichsweise billig. Allerdings liegen die Wirkungsgrade noch deutlich unter denen von kristallinen Dickschichtzellen. Es gibt viele Ansätze, die Fertigungsprozesse zu optimieren und die Wirkungsgrade zu verbessern. Zur Verbesserung der Wirkungsgrade von amorphen Siliziumzellen wurden übereinander geschichtete Tandem- und Triple-Anordnungen entwickelt. Die einzelnen

288

A. Böker et al.

Schichten bestehen aus unterschiedlichen Halbleitermaterialien und können somit unterschiedliche Lichtwellenlängenbereiche nutzen. Bei HIT-Zellen (Heterojunction with Intrinsic Thin layer) werden auf einem n-dotierten monokristallinen Silizium zunächst eine undotierte (intrinsische) Schicht und darauf erst die p-dotierte Schicht aus amorphem Silizium aufgedampft. Einzelne Silizium-Solarzellen liefern eine Spannung in der Größenordnung von U  0;6 V. Mehrere solcher in Reihe geschalteter Zellen bilden zusammen mit der erforderlichen Verdrahtung, der isolierenden Einbettung, der Glasabdeckung, einer Rückfläche aus Glas oder Folie und einem Rahmen das Solarmodul. Bis etwa zum Jahr 2000 wurden meist 36 quadratische Siliziumzellen mit 10 cm Kantenlänge ( 4 Zoll) zu einem 12-V-Modul integriert später meist 72 Zellen mit 12,5 cm Kantenlänge ( 5 Zoll) zu einem Modul mit einer Modulspannung von 24 V. Ab 2002 sind Module mit 60 Zellen mit 15,6 cm Kantenlänge ( 6 Zoll) weit verbreitet. Die Tab. 4.8 nach [4] gibt eine Übersicht über die gebräuchlichsten Typen von Solarmodulen. Die Wirkungsgrade von industriell hergestellten Solarmodulen liegen unter denen von Labormustern einzelner Zellen. An der Verbesserung der Wirkungsgrade wird intensiv geforscht. Bei hohem Modulwirkungsgrad kann auf einer bestimmten Fläche ein höherer Ertrag erzielt werden. Bei gegebenem Modulwirkungsgrad und der Modulfläche ergibt sich unter Standardtestbedingungen (STC, Gl. 4.39) die elektrische „Peak-Leistung“ zu PSTC D ESTC  AModul  Modul :

(4.40)

Die für eine Peak-Leistung von 1 kWp erforderliche Modulfläche beträgt A1 kWp D

1 kWp : ESTC  Modul

Bei Modul D 16 % ergibt sich z. B. A1kWp D 6;25 m2 . Diese Peak-Leistung unter Standardtestbedingungen wird im Betrieb nur selten erreicht, kann jedoch auch überschritten werden.

Aufbau und Wirkungsprinzip einer Solarzelle Eine Solarzelle stellt einen großflächigen pn-Übergang dar. Meist wird, wie in Abb. 4.61, auf einem p-dotierten Substrat eine dünne n-dotierte Schicht aufgebracht, durch die das einfallende Licht hindurch dringen kann. Der pn-Übergang wurde in Abschn. 3.1 in Zusammenhang mit Dioden und Transistoren ausführlich dargestellt. Auch die grundlegenden Prozesse in der Solarzelle lassen sich mit dem Bändermodell des pn-Übergangs in Abb. 4.62 gut beschreiben. Zwischen dem nund dem p-Bereich der Solarzelle bildet sich eine Grenzschicht aus. In diese Grenzschicht können aus dem n-Gebiet Leitungsbandelektronen und aus dem p-Gebiet Löcher hinein diffundieren und dort rekombinieren. Im Ergebnis verarmt die Grenzschicht an beweglichen Ladungsträgern und es bildet sich ein elektrisches Feld, das von den Raumladungen

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

289

Tab. 4.8 Erreichte Wirkungsgrade, Vor- und Nachteile unterschiedlicher Zellmaterialien, nach [12] Zelltyp Zelle aus monokristallinem Silizium

Zelle;Labor 25,0 % [12]

Modul 16 bis 18 %

Zelle aus polykristallinem Silizium

20,4 % [12]

13 bis 15 %

HIT-Zelle Si-Substrat, kristallin mit amorpher Si-Beschichtung Zelle aus amorphem und mikrokristallinem Silizium Einschichtanordnung Dreischichtanordnung CdTe (Cadmiumtellurid), IIIV-Halbleiter

25,6 %, 2014, Fa. Panasonic

23,8 %, 2016, Fa. Panasonic

 10 % [12]  13 % [12]

5–7 % [12] 8,2 % [12]

22,1 %, 2016, [15] Fa. First Solar

CIS- bzw. CIGS-Zellen (Kupfer-Indium-Disulfid bzw. Cu-In-Ga-Diselenid) I-III-VIHalbleiter

21,7 %, 2014, [16], ZSW BadenWürtemberg

GaAs (Galliumarsenid), III-VHL) Einschichtanordnung Dreischichtanordnung mit Lichtkonzentrator Organische Photovoltaikzellen, (Kohlenwasserstoffverbindung)

26 % 30 % 46 %, 2014, [17] 13,2 %, 2016, [18], Fa. Heliatek

Vor- und Nachteile C hoher Wirkungsgrad C Si unbegrenzt verfügbar  lange Energierücklaufzeit C hoher Wirkungsgrad C Si unbegrenzt verfügbar C mittlere Energierücklaufzeit C sehr hoher Wirkungsgrad  relativ teuer

C Dünnschichtzelle  Wirkungsgrad gering C Temperaturkoeffizient gering 16,4 %, 2015, C Dünnschichtzelle [15] Fa. First C mittlerer Wirkungsgrad Solar C kurze Energierücklaufzeit  Tellur ist sehr selten  Cd ist giftiges Schwermetall 16 %, C Dünnschichtzelle 2014, [16], C mittlerer Wirkungsgrad Fa. Manz AG, C kurze Energierücklaufzeit Schwäbisch  Indium ist sehr selten Hall C sehr hoher Wirkungsgrad  sehr teuer  nur für Sonderanwendungen z. B. Raumfahrt  Ga wird für LED benötigt C flexible Solarfolie  begrenzte Lebensdauer

der verbliebenen ortsfesten ionisierten positiven Donatoren im n-Bereich ausgeht und auf den negativen Akzeptoren im p-Bereich endet. Die Grenzschicht wird wegen der dort fest sitzenden Raumladungen auch als Raumladungszone bezeichnet. Mit dem elektrischen Feld dieser Raumladungen ist nach Gl. 3-6 die Diffusionsspannung UD verbunden. Ob ein Lichtquant (Photon) absorbiert wird, hängt von seiner Energie W ab, die nach Gl. 4.34 proportional zu seiner Frequenz f ist. Damit ein Photon ein gebundenes Valenzelektron aus seiner Bindung zu lösen vermag, ist eine Mindestenergie W erforderlich. Oder mit anderen Worten, die Energie W des Photons muss ausreichen, um ein Valenzbandelektron über die verbotene Zone W D WLB  WVB in das Leitungsband zu „heben“. Das Elektron ist dort frei beweglich.

290

A. Böker et al.

1 ReAbb. 4.61 Aufbau einer PV-Zelle (nicht maßstäblich) mit p-leitendem Substrat, Prozesse: 2 Absorption im Emitter, 3 Absorption in der flexion und Abschattung durch Frontkontakte, 4 Absorption innerhalb der Diffusionslänge der Elektronen, 5 Absorption auRaumladungszone, 6 Ungenutzte energiearme Lichtquanten ßerhalb der Diffusionslänge der Elektronen,

Abb. 4.62 Erzeugung eines Elektron-Loch-Paars in der Raumladungszone durch ein absorbiertes Photon mit der Energie W D h  f , Ladungstrennung in der Grenzschicht (Raumladungszone) und Entstehung des Photostroms

W =h· f

n-dotiert

WLB

WVB

p-dotiert Grenzschicht I

Wird ein Photon in der Raumladungszone absorbiert, wie in Abb. 4.62 oder wie bei Prozess 3 in Abb. 4.61, so wird das dort frei gesetzte Elektron durch das elektrische Feld der Raumladungen in das n-Gebiet gezogen. Das ebenfalls erzeugte positive Loch wird durch das elektrische Feld in das p-Gebiet gezogen. Es entsteht eine elektrische Spannungsquelle mit Elektronenüberschuss am n-Leiter und Elektronmangel am p-Leiter und der Leerlaufspannung UD . Über Metallkontakte kann diese Spannung abgegriffen werden. Schließt man den elektrischen Stromkreis über einen Verbraucher, fließt der in der Grenzschicht erzeugte Photostrom. Mit jedem so genutzten Photon wird ein Elektron durch den Verbraucher gefördert.

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

291

Verlustmechanismen und Wirkungsgrad Nicht jedes einfallende Photon kann zum Photostrom beitragen. Ein Teil der einfallenden Photonen wird an der Oberfläche reflektiert oder von den kammartigen Frontkontakten abgeschattet (Abb. 4.61, Prozess 1). Die Energie langwelliger Photonen reicht nicht aus, ein Elektronen-Loch-Paar zu bilden. Sie werden nicht absorbiert und durchdringen ungenutzt die Halbleiterschichten (Prozess 6). Ob die gebildeten Elektron-Lochpaare zum Photostrom beitragen oder zuvor unter Energieverlust rekombinieren, hängt weitgehend von ihrem Entstehungsort ab. In der Raumladungszone (Prozess 3) frei gesetzte Elektron-Lochpaare werden durch das elektrische Feld der Raumladungen und der damit verbundenen Diffusionsspannung UD schnell räumlich voneinander getrennt, so dass die Wahrscheinlichkeit der Rekombination gering ist. Die getrennten Ladungsträger müssen noch den Weg durch n- und p-Bereich zu den Elektroden zurücklegen. Da sie in diesen Bereiche jedoch die Majoritätsträger sind, ist wegen der sehr geringen Anzahl der dort vorhandenen Minoritätsträger die Wahrscheinlichkeit zur Rekombination sehr gering, so dass die so erzeugten Ladungsträger an den Kontakten auch ankommen. In der Nähe der Raumladungszone in das Leitungsband freigesetzte Elektronen können, bevor sie rekombinieren, in die Raumladungszone diffundieren, werden dort von den Raumladungen ebenfalls abgesaugt und tragen zum Photostrom bei. Elektron-Lochpaare in der Tiefe der p-Schicht (Prozess 5) rekombinieren, bevor sie die Raumladungszone erreichen können. Löcher von Elektron-Lochpaaren, die im hochdotierten und deshalb dünnen n-Bereich (Prozess 2) erzeugt werden, treffen sehr schnell eines der vielen Leitungsbandelektronen und rekombinieren, bevor sie das Raumladungsgebiet erreichen können. Der Spektralbereich des nutzbaren Lichts und die Energie, die man pro genutztem Photon gewinnen kann, ist entscheidend von der Größe der Bandlücke des Halbleiters abhängig, d. h. vom Energieabstand zwischen dem Leitungsband und dem Valenzband: Photonen mit einer Energie W, die geringer ist als die Bandlücke, können nicht genutzt werden. Photonen mit einer Energie, die größer ist als die Bandlücke ist, erzeugen Leitungsbandelektronen höherer kinetischer Energie, die sie jedoch sehr schnell durch Stoßprozesse mit dem Kristallgitter teilweise wieder verlieren, bis sie nur noch die Energie der Bandlücke besitzen. Unabhängig davon, wie hoch das Elektron über die untere Kante des Leitungsbandes angeregt wird, erhält man pro Elektron maximal die Energie der Bandlücke als elektrische Energie. Bei Halbleitern mit kleiner Bandlücke werden mehr Elektronen erzeugt, da auch langwelliges Licht Elektronen anregen kann. Die zusätzliche Energie der kurzwelligen Photonen geht jedoch teilweise verloren. Bei einer großen Bandlücke kann nur energiereiches Licht (blaues und ultraviolettes Licht) Elektronen anregen, da längere Wellenlängen nicht absorbiert werden. Wegen der großen Bandlücke besitzt jedes Elektron eine hohe Energie. Zusammenfassend ist festzustellen, dass in Photozellen nur ein bestimmter Spektralbereich der Lichts genutzt werden kann und mehr oder weniger unvermeidliche Verluste durch Reflexion, Transmission, Rekombination und Relaxation zu den in Tab. 4.8 aufgeführten Wirkungsgraden führen.

292

A. Böker et al. b II

a

I

I Durchlassbereich

I

U

U I

Einstrahlung

Dunkelkennlinie

III Photodiodenbetrieb

U

IV Solarzellenbetrieb

Abb. 4.63 Schaltungssymbole für Photodiode und Photozelle mit Bezugspfeilrichtungen nach dem Verbraucherpfeilsystem (a), Betriebskennlinien einer Photovoltaik-Zelle bei unterschiedlichen Bestrahlungsstärken (b)

4.4.3 Betriebskennlinien von Solarzellen Der innere Aufbau einer Solarzelle gleicht dem einer Photodiode. Das Schaltzeichen der Photodiode ist in Abb. 4.63 dargestellt. Die Pfeilspitzen in den Schaltungssymbolen zeigen die Durchlassrichtung des pn-Übergangs an. Mit den angegebenen Richtungspfeilen für U und I (Verbraucher-Pfeilsystem) erhält man das nebenstehende Kennlinienfeld. Ohne Einstrahlung ergibt sich die bekannte Dioden-Kennlinie nach Abb. 3.9, hier als Dunkelkennlinie bezeichnet. Mit zunehmender Einstrahlung nimmt der Betrag des Photostroms zu. Der Photostrom fließt entgegen der Durchlassrichtung des pn-Übergangs und entgegen der angegebenen Bezugspfeilrichtung für I, d. h. er ist bezüglich dieser Richtung negativ. Die Kennlinien der Solarzelle ergeben sich durch Addition des in der Grenzschicht erzeugten Photostroms IPh zur Diodenkennlinie. Im Solarzellenbetrieb gibt die Photozelle elektrische Energie ab. Sie wirkt als Generator elektrischer Leistung. Die Darstellung nach Abb. 4.63 wird hier angegeben, um den Zusammenhang mit der Diodenkennlinie zu verdeutlichen. Üblicherweise wird für die Darstellung der Kennlinien von Solarzellen die Bezugsrichtung und damit das Vorzeichen des Stromes umgekehrt. Damit ergibt sich das Kennlinienbild nach Abb. 4.64. Dies entspricht der Verwendung des Erzeuger-Pfeilsystems. Durch Verwendung des Erzeugerpfeilsystem ergibt sich die übliche Darstellungsweise nach Abb. 4.63, bei der die Kennlinien für den Generatorbetrieb der Photozelle im 1. Quadranten verlaufen. Strom, Spannung und die abgegebene elektrische Leistung P D U  I der Photozelle werden positiv gerechnet. Die Kennlinien von Solarzellen sind im Gegensatz z. B. zu den linearen Kennlinien von herkömmlichen Akkumulatoren und Batterien stark nichtlinear. In Erweiterung der von Shockley angegebenen Näherungsformel für die Kennlinie einer Gleichrichterdiode

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

293 b II

a I U

U

I Ik

Einstrahlung

I

I

Solarzellenbetrieb UL U

III

IV

Abb. 4.64 Schaltungssymbole für Photodiode und Solarzelle mit den Bezugspfeilrichtungen nach dem Erzeugerpfeilsystem (a), Betriebskennlinien einer Photovoltaik-Zelle bei unterschiedlichen Bestrahlungsstärken (b)

(siehe Gl. 3.7) erhält man für die Photozelle U

I  IPh  IS .T /  .e UT  1/ I UT D IPh IS UL UT k T e

kT Ik I UL  UT  ln e IS

(4.41)

Photostrom  Kurzschlussstrom Ik proportional zur Bestrahlungsstärke E Sättigungsstrom der Diode, IS .T /  1012 : : : 106 A bei 25 ı C Leerlaufspannung bei I D 0 Temperaturspannung, I D 0, UT  26 mV bei 25 ı C Boltzmannkonstante, k  1;38  1023 Ws=K D 8;63  105 eV=K Temperatur in K Elementarladung e  1;602  1019 C.

Ohne angeschlossenen Verbraucher wird kein Strom entnommen und an den Klemmen stellt sich die Leerlaufspannung UL ein. Bei kurzgeschlossenen Klemmen ist die Spannung U an den Klemmen gleich Null. Es fließt der Kurzschlussstrom Ik . Die abgegebene Leistung ergibt sich aus dem Produkt P D U  I und kann als Fläche eines entsprechenden Rechtecks unter der I-U-Kennlinie der Solarzelle in Abb. 4.65 dargestellt werden. Die abgegebene Leistung ist im Kurzschlussfall und im Leerlauf gleich Null. Die an den jeweiligen Arbeitspunkten abgegebene Leistungen entsprechen den Flächen der in Abb. 4.65a eingezeichneten Rechtecke. Die Leistung P erreicht ihr Maximum bei einem bestimmten Betriebspunkt, der mit MPP (Maximum Power Point) bezeichnet wird. Auf Grund der großen Nichtlinearität ist der im Optimum fließende Strom nicht viel geringer als der Kurzschlussstrom und die Spannung ist nur etwas geringer als die Leerlaufspannung. Für eine optimale Ausbeute muss bei jeder Bestrahlungsstärke E der jeweilige Betriebspunkt maximaler Leistungsabgabe MPP durch das sogenannte Maximum Power Point Tracking, kurz MPP-Tracking eingestellt werden.

294

A. Böker et al. a

I Ik

b I

AP1 MPP

MPP

P =U ⋅ I AP2 UL

UL

U

U

Abb. 4.65 Leistungsabgabe einer Solarzelle bei verschiedenen Arbeitspunkten (a), Arbeitspunkt maximaler Leistungsabgabe, MPP, MPP-Tracking nach dem Suchschwingverfahren (b)

4.4.4

MPP-Tracking

Die Einstellung des Betriebspunktes mit maximaler PV-Leistung wird als MPP-Tracking bezeichnet (deutsch etwa „Maximalleistungs-Punkt-Suche“). Es existieren dafür verschieden Verfahren. Sehr verbreitet ist das in Abb. 4.65b dargestellte Suchschwingverfahren. Dabei wird die vom PV-Generator momentan abgegebene Leistung P ermittelt. Die geschieht, indem entweder am Ausgang des Solargenerators oder auf der Ausgangsseite des eingesetzten leistungselektronischen Umrichters die Spannung U und Strom I und damit die Leistung P D U  I gemessen wird. Ausgehend vom Leerlauffall ohne Stromentnahme wird der entnommene Strom durch die Steuerung des Umrichters schrittweise erhöht, solange dabei die abgegeben Leistung P steigt. Fällt bei zu großem entnommenen Strom die Leistung P, wird in die Gegenrichtung verstellt, bis bei abnehmendem Strom die Leistung wieder ansteigt. Auf diese Weise pendelt der Betriebspunkt etwas um den Punkt maximaler Leistung.

4.4.5 Solarmodule Reihenschaltung von Solarzellen Die Spannung einer einzelnen Solarzelle beträgt ca. 0,5 bis 0,6 V. Um Spannungen von 18 V bis 36 V zu erhalten, werden in Solarmodulen meist alle Zellen in Reihe geschaltet. Daraus ergeben sich übliche Zellenzahlen von 36, 48, 60 oder 72. Bei einer Reihenschaltung fließt durch alle Zellen der gleiche Strom I, die Einzelspannungen Ui addieren sich zur Gesamtspannung U. I D I1 D I2 D : : : D In I

U D

X

Ui

(4.42)

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

I2

I1

295

I3

1

2

U1

U2

3

I

I IK

U3

MPP

Zelle 3 Zelle 2

U

Zelle 1

UL U

Abb. 4.66 Reihenschaltung von Solarzellen am Beispiel von 3 Zellen I

U1

U2

I IK

I3

I2

I1

U3

U

Zelle 3 Zelle 2 Zelle 1

UL U

Abb. 4.67 Parallelschaltung von Solarzellen am Beispiel von 3 Zellen

Die Gesamtkennlinie der Reihenschaltung in Abb. 4.66 lässt sich konstruieren, indem punktweise für jeden gegebenen Strom I die Spannungen der Einzelkennlinien zur Spannung der Gesamtkennlinie addiert werden. Parallelschaltung von Solarzellen Werden einzelne Zellen parallel geschaltet, erhöht sich der entnehmbare Strom. Bei einer Parallelschaltung liegt an allen Zellen die gleiche Spannung U an, die Einzelströme Ii addieren sich zum Gesamtstrom I. U D U1 D U2 D : : : D Un I

I D

X

Ii

(4.43)

Die Gesamtkennlinie der Parallelschaltung wie in Abb. 4.67 kann konstruiert werden, indem punktweise für jede gegebene Spannung U die Ströme der Einzelkennlinien zum Gesamtstrom addiert werden. Solarmodul, String und Solargenerator Würde man alle Zellen eines Moduls parallel schalten, so ergäben sich eine Leerlaufspannung von nur etwa 0,6 V und hohe Betriebsströme. Solche großen Ströme erfordern entsprechend dicke Zuleitungen und verursachen hohe Leitungsverluste. Die niedrigen Spannungen ließen sich auch nur mit hohem Aufwand auf ein für die Verbraucher erforderliches Niveau transformieren.

296

A. Böker et al.

Abb. 4.68 Bildung von Strings durch Reihenschaltung von n Modulen und Parallelschaltung von Strings mit gleicher Anzahl von Modulen

1

1

1

PV-Modul n = 36 (48, 60, 72)

n

U ≈ 18 V

n

n

Aus diesen Gründen werden üblicherweise alle einzelnen Zellen eines Solarmoduls in Reihe geschaltet. Mehrere in Reihe geschaltete Module bilden einen String. In großen Solargeneratoren sind mehrere solcher Strings wie in Abb. 4.68 parallel geschaltet. In Abb. 4.69 ist der 1. Quadrant der Strom-Spannungskennlinie eines Solarmoduls unter Standardtestbedingungen (STC) bei E D 1000 W=m2 (bei AM 1,5 und Modultemperatur 25 ı C) und bei weiteren Bestrahlungsstärken E dargestellt. Auf der horizontalen Achse ist die Modulspannung U aufgetragen (normiert auf die unter STC gemessene Leerlaufspannung UL ). Auf der senkrechten Achse ist der Modulstrom aufgetragen (normiert auf den unter STC gemessene Kurzschlussstrom Ik ). Die Modulhersteller geben die erforderlichen Werte in ihren Datenblättern an. Beispielhaft sind in Tab. 4.9 die Daten für das Modul SW 250 poly mit 60 in Reihe geschalteten polykristallinen Silizium-Zellen genannt. Man erkennt, dass der im Optimum fließende

1,0

1000 W/m2

MPP

0,8 800 W/m2 0,6

600 W/m2

I / Ik 0,4

400 W/m2

0,2

200 W/m2

0,1

100 W/m2

0,0 0,0

0,1

0,2

0,3

0,4

0,5

0,6

0,7

0,8

0,9

1,0

U / UL

Abb. 4.69 Normierte Kennlinien eines polykristallinen Si-Solarmoduls unter Standardtestbedingungen bei E D 1000 W=m2 , AM 1,5 und Modultemperatur 25 ı C sowie bei weiteren Bestrahlungsstärken E

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

Tab. 4.9 Kenndaten Solarmodul SW 250 poly, [19]

Maximalleistung Leerlaufspannung (STC) Kurzschlussstrom (STC) Spannung (MPP) Strom (MPP) Modulfläche Zellenfläche

297 PMPP U0

250 Wp 37,6 V

Ik

8,81 A

UMPP IMPP AModul AZ

30,5 V 8,27 A 1;675 m  1;0 m D 1;675 m2 16;5 cm  16;5 cm D 272 cm2

Strom nicht viel geringer ist als der Kurzschlussstrom und auch die Spannung nur etwas geringer als die Leerlaufspannung. Für die Leistung am Maximum Power Point (MPP) ergibt sich aus den angegeben Werten für Spannung und Strom die Leistung PMPP D UMPP  IMPP D 30;5 V  8;27 A D 252 W : Bezogen auf die Modulfläche AModul ergibt sich der im MPP erreichte Modulwirkungsgrad

MPP D

P 252 W D 15;0 % : D E A 1000 W=m2  1;675 m2

Bezogen auf die Zellenfläche AZ ergibt sich der im MPP erreichte Zellenwirkungsgrad

MPP D

P 4;2 W D 15;4 % : D E A 1000 W=m2  272  104 m2

Wie man aus Abb. 4.69 ablesen kann, verändert sich der optimale Betriebspunkt mit der Bestrahlungsstärke. Die Spannung bleibt dabei aber relativ konstant. Für eine bei jeder Bestrahlungsstärke optimalen Einstellung des Betriebspunktes sind spezielle Verfahren zum Maximum Power Point Tracking, kurz MPP-Tracking erforderlich. Temperaturverhalten von Solarzellen und -modulen In der Praxis hat die Zellentemperatur einen großen Einfluss auf die Energieausbeute. Nur etwa 15 % der einfallenden Sonnenenergie wird in elektrische Energie umgewandelt, ein Großteil des verbleibenden Rests wird in Wärme umgewandelt und heizt die Solarzellen auf. Dabei können im Sommer Temperaturen bis ca. 80 ı C erreicht werden. Die PeakLeistung von Solarmodulen wird unter den Standardtestbedingungen Gl. 4.39 bei einer Zellentemperatur von 25 ı C ermittelt. Abb. 4.70 zeigt Kennlinienverläufe für eine typische polykristalline Siliziumzelle bei unterschiedlichen Temperaturen. Man erkennt, dass die Leerlaufspannung mit steigender Temperatur relativ stark abnimmt. Ursache ist die mit der Temperatur zunehmende Zahl der Minoritätsträger durch die thermisch gebildeten Elektron-Lochpaare. Das führt zu einem vergrößerten

298

A. Böker et al. 5 Strom

4

3 I/A

P/W

2 Leistung 1 0 0,0

50 °C 75 °C 0,1

0,2

0,3

0,4

0,5

0 °C 25 °C 0,6

0,7

U/V

Abb. 4.70 Temperaturverhalten einer typischen Siliziumsolarzelle

Sättigungsstrom und einer entsprechenden Verminderung der Diffusionsspannung UD . Andererseits nimmt der Kurzschlussstrom mit der Temperatur geringfügig zu. Ursache ist die auftretende Verringerung des Bandabstands, wodurch Photonen geringer Energie nutzbar werden. Die angegebenen Leistungskurven zeigen eine deutliche Abnahme der maximal erzielbaren Leistung MPP bei steigenden Modultemperaturen. Für die relativen Änderungen von Leistung, Leerlaufspannung und Kurzschlussstrom bei Abweichungen von 25 ı C geben die Hersteller der Solarmodule in ihren Datenblättern entsprechende Temperaturkoeffizienten an. Z. B. für die polykristalline Siliziumzelle SW 250 poly (Solarworld AG [14]) wird angegeben:

MPP %  0;41  .#  25 ı C/I MPP K %

U0  0;31  .#  25 ı C/I U0 K

Ik %  0;051  .#  25 ı C/ : Ik K

(4.44)

Bei den im Sommer auftretenden hohen Modultemperaturen bis ca. 80 ı C sind die Leistungen deutlich reduziert. Um unnötige Erwärmung zu vermeiden, ist daher eine Installation mit möglichst guter Hinterlüftung erforderlich. Bei hoher Einstrahlung und niedrigen Modultemperaturen im Winter ist die Spannung am höchsten. Der gespeiste Solarwechselrichter muss eine entsprechende Spannungsfestigkeit besitzen. Solarzellen als Generator und Verbraucher Bisher wurden nur Betriebspunkte im I. Quadranten des Betriebskennlinienfeldes betrachtet (Abb. 4.64 und 4.69), bei denen die Photozelle als Generator wirkt und Lichtenergie in

4

Elektrische Energiewandler und Speicher II. Sperrbereich

299 I 2

1000 W/m

I. Generatorbereich I

500 W/m2

U

2

0 W/m 10

1 III.

U/V

Rückstrombereich IV.

Abb. 4.71 Kennlinienfeld einer Solarzelle im Erzeugerpfeilsystem mit Generatorbereich (I. Quadrant) und im Betrieb als Verbraucher (II. und IV. Quadrant)

elektrische Energie umwandelt. In diesem Quadranten sind U und I positiv und damit ist auch die abgegebene elektrische Leistung P D U  I positiv. Es können auch Betriebspunkte im II. Quadranten des in den Abb. 4.64 bzw. 4.71 dargestellten Kennlinienfeldes auftreten, wenn durch eine Zelle ein Strom fließt, der größer als der Kurzschlussstrom dieser Zelle ist. Dann kehrt sich die Richtung der Spannung an dieser Zelle um, bezüglich des der Richtung des Spannungspfeils im Erzeugerpfeilsystem wird die Spannung U negativ und damit wird auch das Produkt P D U  I negativ gezählt. Die Zelle wirkt wie ein Widerstand als Verbraucher elektrischer Energie. Dies kann bei einer Reihenschaltung von Photozellen an einer einzelnen abgeschatteten oder defekten Zelle auftreten. Betriebspunkte im IV. Quadranten treten auf, wenn an einer Zelle eine Spannung anliegt, die größer ist als die Leerlaufspannung dieser Zelle. Dann kehrt sich die Stromrichtung um, d. h. I wird negativ und damit auch elektrische Leistung P D U  I . Die Zelle wirkt als Verbraucher, in der elektrische Energie in Verlustwärme umgewandelt wird. Dies kann bei teilweiser Abschattung auftreten bei parallel geschalteten Zellen oder Modulen. Verhalten bei ungleichmäßiger Einstrahlung und Verschattung Bei Abschattungen kann ein Großteil der von den nicht abgeschatteten Zellen erzeugten elektrischen Energie in einer abgeschatteten Zelle in Wärme umgewandelt werden. Dies führt zu einer erheblichen, überproportionalen Minderung der abgegebenen Gesamtleistung und unter Umständen zur thermischen Überhitzung (hot spot) der abgeschatteten Zellen. Dies soll an folgenden Beispielen erläutert werden. Verschattungswirkung bei Reihenschaltung Solange entsprechend dem gewählten Erzeugerpfeilsystem von Abb. 4.64 ein Strom I < Ik in Richtung des Strompfeils aus dem positiven Pol der Photozelle heraus fließt, so wirkt die Photozelle als Erzeuger elektrischer Energie (Betriebspunkte im I. Quadranten des Kennlinienfeldes). Wird jedoch ein Strom I durch die Zelle getrieben, der größer als der Kurzschlussstrom ist, so kehrt sich entsprechend der Kennlinie die Richtung der Spannung um, d. h. der Strom fließt in den nun negativen Pol der Zelle. Die Zelle ver-

300

A. Böker et al.

I

U1

Gesamtkennlinie unverschattet

IK

MPP 2

U2

U Zelle 3 Zelle 2

3

I

U3 Zelle 1 zu 3/4 verschattet

MPP UL

U

Abb. 4.72 Verschattungswirkung bei einer Reihenschaltung von Solarzellen am Beispiel von 3 Zellen

braucht elektrische Energie (Betriebspunkte im II. Quadranten). Genau dies kann bei der in Solarmodulen verwendeten Reihenschaltung von Photozellen passieren, wenn eine oder mehrere dieser Zellen abgeschattet werden. Die abgeschattete Zelle wirkt als Verbraucher und kann u. U. vollständig die Leistung aller in Reihe geschalteter Zellen des ganzen Moduls vernichten. Man könnte annehmen, dass die Leistung der Reihenschaltung nur im Verhältnis der abgeschatteten Fläche zur gesamten Modulfläche abnimmt. Die Einbuße ist jedoch viel drastischer! Dies soll in Abb. 4.72 am Beispiel mit 3 in Reihe geschalteten Photozellen erläutert werden, von denen die erste zu drei Vierteln abgeschattet ist. Durch alle drei Zellen fließt der gleiche Strom. Aus den drei durch die jeweilige Bestrahlungsstärke gegebenen Einzelkennlinien lässt sich die Gesamtkennlinie konstruieren, indem für jeden Strom, beginnend mit I D 0 die Spannungen der Einzelkennlinien zur Gesamtspannung der Reihenschaltung addiert werden. Im Ergebnis kann die Reihenschaltung im MPP nur einen Strom liefern, der niedriger ist als der auf 25 % reduzierte Kurzschlussstrom der abgeschatteten Zelle! Würde nämlich der Strom den geringen Kurzschlussstrom der abgeschatteten Zelle auch nur geringfügig überschreiten, ergäbe sich entsprechend der gestrichelt dargestellten Kennlinie ein negativer, betragsmäßig hoher Wert U1 . D. h. die gesamte von den Zellen 2 und 3 erzeugte Spannung würde an der Zelle 1 vernichtet. Dies lässt sich verhindern, wenn man zu jeder Zelle eine Freilauf - oder Bypassdiode parallel schaltet. Bei positiver Spannung an der Zelle ist diese Diode in Sperrrichtung gepolt. Kehrt sich bei Abschattung oder Beschädigung die Spannung an der Zelle um, so führt diese Diode nun in Durchlassrichtung den Strom an der betroffenen Zelle vorbei. Auf diese aufwändige Möglichkeit wird jedoch verzichtet. Meist werden mehrere in Rei-

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

301

he geschaltete Zellen mit einer Bypassdiode überbrückt, beispielsweise bei einem Modul mit 32 in Reihe geschalteten Zellen jeweils 16 Solarzellen mit einer Diode. Die Freilaufdioden sind oft bereits im rückwärtigen Anschlusskasten integriert. Somit wird bei teilweiser Abschattung nicht das gesamte Modul, sondern nur ein Teil deaktiviert. Verschattungswirkung bei Parallelschaltung Ist die an einer Zell anliegende Spannung höher als die Leerlaufspannung, dann fließt Strom in umgekehrter Richtung durch diese Zelle. D. h. der Strom und damit die Leistung P D U  I wird negativ. Die Zelle wirkt als Verbraucher elektrische Energie. Dies kann bei einer Parallelschaltung von Photozellen an einer einzelnen abgeschatteten oder defekten Zelle mit verringerter Leistung auftreten. In Abb. 4.73 wird dies beispielhaft für die Parallelschaltung von 3 Photozellen gezeigt, bei der die Zelle 3 zu drei Vierteln abgeschattet ist. Statt der eher unüblichen Parallelschaltung von 3 Einzelzellen tritt der gleiche Sachverhalt auf, wenn, wie üblich, Module mit in Reihe geschalteten Zellen parallel geschaltet sind. Im Vergleich zur unverschatteten Gesamtkennlinie sinkt der MPP ab. Wird bei starker Abschattung oder bei einem Kurzschluss im Zweig 3 die Leerlaufspannung UL3 des Strangs 3 kleiner als die Klemmenspannung U, entsteht ein unerwünschter Rückstrom durch den gestörten Strang. Die von den parallelen Zweigen erzeugte Energie wird im gestörten Zweig in Wärme umgesetzt. Solche Rückströme werden verhindert, wenn in jeden Strang eine in Durchlassrichtung gepolte Strangdiode eingebaut wird. Dafür werden wegen ihrer kleinen Durchlassspannungen und geringer Durchlassverluste sogenannte Schottky-Dioden eingesetzt. Sind nur wenige Module parallel geschaltet, kann bei entsprechender Dimensionierung der Leitungen und ausreichender Rückstrombelastbarkeit der Module auf Strangdioden verzichtet werden, um die zusätzlichen Durchlassverluste zu vermeiden. Vor allem bei großen Anlagen mit vielen parallelen Strängen können in einzelnen Strängen große Rückströme auftreten, die durch in die Stränge eingebaute Überstromschutzeinrichtungen aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden müssen. Zu-

I

U1

1

U2

Gesamtkennlinie unverschattet

Ik

neue Gesamtkennlinie

I3

I2

I1

I

2

U3

3

U

Zelle 3 zu 3/4 verschattet

MPP Zelle 1 Zelle 2 Zelle 3 zu 3/4 verschattet UL

U

Abb. 4.73 Verschattungswirkung bei parallel geschalteten Solarzellen bzw. von Strängen mit in Reihe geschalteten Zellen am Beispiel von 3 Strängen

302

A. Böker et al.

sammenfassend ist festzustellen, dass teilweise Verschattungen von Photovoltaikanlagen überproportionale Leistungseinbußen bewirken und durch geeignete Anordnung des Solargenerators unbedingt vermieden werden sollten.

4.4.6 Photovoltaiksysteme Photovoltaikanlagen können unterteilt werden in Inselanlagen und netzgekoppelte Anlagen. Inselanlagen versorgen einen oder mehrere Wechsel- oder Gleichstromverbraucher unabhängig von einem vorhandenen Netz mit elektrischer Energie [20]. Die Leistungen von Insellösungen reichen von einigen Milliwatt oder Watt zur Versorgung von elektronischen Kleinverbrauchern (Taschenrechner, Uhren), stationären oder mobilen Geräten (z. B. abseits gelegenen Verkehrsinfrastrukturanlagen) bis hin zu mehreren MW z. B. zur Versorgung von Inselnetzen weitab von zentralen Stromversorgungsnetzen. Inselnetze verfügen meist über Speicher, im Allgemeinen Akkumulatoren, um auch in Zeiten ohne solare Einstrahlung elektrische Energie liefern zu können. Inselanlagen ohne Speicher findet man z. B. bei Bewässerungs- oder Belüftungsanlagen. Zur netzfernen Stromversorgungen in Wechselstrom-Inselnetzen z. B. für Berghütten oder Regionen ohne Netzanschluss werden Inselnetz-fähige selbstgeführte Wechselrichter benötigt. Für die Versorgung von Gleichstromverbrauchern werden Gleichstromsteller eingesetzt. Bei gut ausgebauten Stromversorgungsnetzen wie z. B. in Mitteleuropa werden größere Photovoltaikanlagen üblicherweise netzgekoppelt betrieben. Produziert die Solaranlage mehr Energie als vor Ort benötigt, wird Energie in das Netz eingespeist. Bei geringer Einstrahlung oder nachts wird die benötigte Energie aus dem Stromversorgungsnetz bezogen. Auch in solchen Systemen kann es sinnvoll sein, Batteriespeicher zu integrieren, um solare Leistungsspitzen zu speichern und bei Bedarf wieder zu nutzen oder um den Eigenverbrauchsanteil der solaren Energie zu steigern. Für die Einspeisung in ein vorhandenes Wechselstromnetz werden Wechselrichter eingesetzt, die hinsichtlich ihres Wirkungsprinzips den selbstgeführten Wechselrichtern von Inselnetzen entsprechen. Jedoch muss bei Wechselrichtern zur Netzeinspeisung die Ausgangsspannung genau synchron zu der vorgegeben Netzspannung geregelt werden. Netzgekoppelte, auf Hausdächern installierte Anlagen besitzen typischerweise Leistungen von etwa 1 bis 30 kW, Großanlagen haben Leistungen im Megawattbereich. Bei Anlagen auf Hausdächern werden bis 5 kWp meist einphasige Wechselrichter eingesetzt. Höhere Leistungen müssen in das Drehstromnetz eingespeist werden. Bei Leistungen bis ca. 30 kW werden dazu meist drei einphasige Wechselrichter parallel betrieben. Bei darüber liegenden Leistungen werden meist dreiphasige Wechselrichter mit 50-HzTransformatoren eingesetzt.

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

303

4.4.7 Solaranlagen mit Gleichstromverbrauchern Solargenerator mit Widerstandslast Im einfachsten Fall kann ein ohmscher Verbraucher mit dem Widerstand R direkt an einen Solargenerator angeschlossen werden (siehe Abb. 4.74). Der Betriebspunkt ergibt sich als Schnittpunkt der Widerstandsgeraden für R und der Betriebskennlinie des Solarmoduls. Man erkennt, dass sich bei den unterschiedlichen Einstrahlungen Abweichung vom MPP ergeben. Durch geeignete Wahl von RV kann die Widerstandsgerade so eingestellt werden, dass sich bei unterschiedlichen Einstrahlungen möglichst geringe Abweichungen vom MPP ergeben. Solargenerator zur Batterieladung Zur Ladung eines Akkumulators kann dieser im einfachsten Fall über eine Blockingdiode D an den Solargenerator angeschlossen werden (siehe Abb. 4.75). Die Spannung des Solargenerators liegt dabei direkt an den Klemmen des Akkumulators an. Der Akku wird geladen, solange die Spannung U des Solargenerators größer ist als die Leerlaufspannung U0 des Akkumulators. Die Diode verhindert die Entladung des Akkus über den Innenwiderstand des Solargenerators bei geringer Einstrahlung. Um die Durchlassverluste klein zu halten wird üblicherweise wegen ihrer kleinen Schwellenspannung von UD  0;4 V eine Schottky-Diode eingesetzt. Mit steigender Einstrahlung steigt die Spannung U und damit der Ladestrom IL an. Das Ladeverhalten ist durch das Kennlinienfeld des Solargenerators und die Akkumulatorkennlinie bestimmt. Der Einfachheit halber betrachten wir nur den Spezialfall ohne angeschlossen Verbraucher. Mit IV D 0 und I D IL ergibt sich U D U0 C I  Ri

(4.45)

und die entsprechende Akkumulatorkennlinie in Abb. 4.75. Die Betriebspunkte bei variierender Einstrahlung ergeben sich als Schnittpunkte der Kennlinien des Solargenerators

I

I

E = 1000 W/m2

I U

RV

U

MPP1000 0 E = 500 W/m2

Widerstandsgerade U I= R

MPP500

U

Abb. 4.74 Solargenerator mit Widerstandslast

304

A. Böker et al. D

E = 1000 W/m2

I

IV

I Ui

U

Ri

Akkukennlinie

MPP1000 0 E = 500 W/m2

IL RV

MPP500

U0

U

U0

Abb. 4.75 PV-Modul zur direkten Ladung einer Akkumulatorbatterie mit angeschlossenem Verbraucherwiderstand RV , gestrichelt eingerahmt: Ersatzschaltbild des Akkumulators Abb. 4.76 PV-Modul mit Parallel-Laderegler zur Ladung einer Akkumulatorbatterie

S2

D

S1

Laderegler

U

Akkumulator

Last

mit der Akku-Kennlinie. Bei geeigneter Anpassung von Solarmodul und Akku werden, wie hier dargestellt, bei unterschiedlichen Einstrahlungen „gute“ Arbeitspunkte erreicht. Auf Spannungswandler und MPP-Tracker kann also unter Umständen verzichtet werden. Batterieladung mit Laderegler Um die Überladung und die Tiefentladung des Akkumulators zu verhindern, muss ein Laderegler eingesetzt werden (siehe Abb. 4.76). Der Verbraucher wird bei Erreichen der Tiefentladespannung(11,4 V beim 12 V Bleiakku) durch S2 vom Akku abgetrennt. Bei Erreichen der Ladeschlussspannung (14,4 V beim 12 V Bleiakku) wird die Ladung unterbrochen, indem der Solargenerator getrennt wird oder wie hier durch S1 kurzgeschlossen wird. Dies ist ohne weiteres möglich, da der entstehende Kurzschlussstrom nur unwesentlich größer ist als der im MPP fließende Strom. Wird für S1 ein selbstsperrender MOSFET eingesetzt, so ist dieser auch ohne Spannungsversorgung geöffnet. Somit kann der Ladevorgang auch bei entladenem Akku beginnen. Batterieladung mit Gleichstromsteller und MPP-Tracking Bei der direkten Ladung einer Batterie, wie in Abb. 4.75, bewirken die Abweichungen vom Betriebspunkt mit maximaler Leistung (MPP) eine reduzierte PV-Ausbeute. Zur fortlaufenden Einstellung des MPP wird eine zusätzliche leistungselektronische Schaltung, ein Gleichstromsteller eingesetzt (siehe Abb. 4.77 und Abschn. 3.4.3). Gleichstromsteller enthalten neben einer Drosselspule als Energiespeicher einen leistungselektronischen Schalter, mit dem im kHz-Bereich ein Strom periodisch ein- und

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

305

DC-Steller

I1

U1

S2

I2

D

I2

Lad Lade-und MP MPP-Regler

U2

Akkumulator

Last

Rmess

Abb. 4.77 PV-Modul mit Gleichstromsteller

ausgeschaltet wird. Durch Vorgabe eines bestimmten Tastverhältnisses D nach Gl. 3.12 kann die Eingangsspannung U1 und der Eingangsstrom I1 durch eine Regelung so vorgegeben werden, dass sich bei wechselnder Einstrahlung der jeweilige Punkt maximaler Leistungsabgabe MPP einstellt. Dabei wird die vom PV-Generator momentan abgegebene Leistung P ermittelt. Die geschieht, indem auf der Eingangsseite des DC-Stellers oder auf der Ausgangsseite wie in Abb. 4.77 die Spannung U2 und der Strom I2 und damit die Leistung P D U2  I2 gemessen wird. Ausgehend vom Leerlauffall ohne Stromentnahme wird der entnommene Strom durch Variation des Tastverhältnisses D schrittweise erhöht, solange dabei die abgegeben Leistung P steigt. Fällt bei zu großem entnommenem Strom die Leistung P, wird das Tastverhältnis in die Gegenrichtung verstellt, bis bei abnehmendem Strom die Leistung wieder ansteigt. Auf diese Weise pendelt der Betriebspunkt um den Punkt maximaler Leistung. Die Regelung übernimmt auch den Schutz vor Überladung und Tiefentladung des Akkumulators.

4.4.8 Solarwechselrichter Um Wechselstromverbraucher aus einer Solaranlage zu speisen, muss die von den Solarmodulen gelieferte Gleichspannung durch einen Wechselrichter in eine Wechselspannung umgewandelt werden. Zur netzfernen Stromversorgungen in Inselnetzen werden Inselnetz-fähige Wechselrichter für Wechselstromverbraucher eingesetzt. Sehr weit verbreitet sind netzgekoppelte Anlagen zur Einspeisung regenerativer Solarenergie über Wechselrichter in das elektrische Wechselspannungs- oder Drehstromnetz. Netzgekoppelte, auf Hausdächern installierte Anlagen besitzen typischerweise Leistungen von etwa 1 bis 30 kW, Großanlagen haben Leistungen im Megawattbereich. Bei Anlagen auf Hausdächern werden bis 5 kWp meist einphasige Wechselrichter eingesetzt. Bei Leistungen bis ca. 30 kWp werden häufig mehrere einphasige Wechselrichter parallel betrieben. Bei darüber liegenden Leistungen werden meist dreiphasige Wechselrichter mit 50-Hz-Transformator eingesetzt.

306

A. Böker et al.

Anforderungen an Solarwechselrichter Allgemeine Anforderungen Der Wirkungsgrad des Wechselrichters bestimmt wesentlich den Energieertrag und damit die Wirtschaftlichkeit einer Photovoltaikanlage. Deswegen werden hocheffiziente Wechselrichter benötigt, die vor allem auch in den häufigen Teillast-Betriebszuständen einen hohen Wirkungsgrad besitzen. Daneben ist eine hohe Zuverlässigkeit, Wartungs- und Benutzerfreundlichkeit, Geräuscharmut und möglichst geringes Gewicht und Volumen zu fordern. Das Auftreten gefährlicher Berührungsspannungen bei Isolationsfehlern muss verhindert werde, bei Wechselrichtern mit Trafo durch eine Isolationsüberwachung, bei trafolosen Wechselrichtern mit einem speziellen allstromsensitiven Fehlerstrom-Schutzschalter. Die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) muss gewährleistet sein, d. h. weder auf der Gleich- noch auf der Wechselstromseite dürfen hochfrequente Störungen auftreten, die benachbarte elektronische Geräte in ihrer Funktion stören können. Dies macht aus Spulen und Kondensatoren aufgebaute Filter am Eingang und am Ausgang des Wechselrichters erforderlich. Moderne Wechselrichter sammeln alle Daten zum Energieertrag, die direkt am Gerät abgelesen oder online ausgewertet werden können. Durch Monitoring können ertragsmindernde Effekte schnell erkannt und beseitigt werden. Eingangsseitige Anforderungen Die Solargeneratorspannung schwankt in Abhängigkeit von Temperatur und Belastung in weiten Grenzen. Bei niedrigen Außentemperaturen und im Leerlauf ist die Spannung hoch und nimmt mit steigender Temperatur und Belastung ab. Der Wechselrichter darf bei den auftretenden hohen Eingangsspannungen bei maximaler Einstrahlung und tiefen Temperaturen keinen Schaden nehmen und muss auch dann zuverlässig anlaufen können. Photovoltaik-Wechselrichter übernehmen das Maximum Power Tracking (MPPT), d. h. sie suchen bei jeder Bestrahlungsstärke automatisch den optimalen Betriebspunkt MPP auf der Solargeneratorkennlinie und schalten sich je nach verfügbarer solarer Einstrahlung ein und aus. Manche Wechselrichter besitzen mehrere MPP-Tracker, um für unterschiedlich beschienene Teile eines PV-Generators den MPP unabhängig einstellen zu können. Bei kurzeitigen Strahlungsspitzen muss der Wechselrichter entweder kurzeitig überlastbar sein oder die wechselstromseitige Nennleistung durch Arbeitspunktverschiebung in Richtung Leerlaufspannung begrenzen. Bei einphasigen Wechselrichtern schwingt die in das Netz eingespeiste Leistung mit der doppelten Netzfrequenz. Entsprechende pulsierenden Gleichströme am Eingang des Wechselrichters machen einen genügend großen Eingangskondensator erforderlich, damit entstehende Spannungsschwankungen (Spannungsrippel) möglichst klein sind, da solche Schwankungen um den MPP Energieeinbußen bewirken. Durch geeignete Überspannungsableiter müssen transiente Überspannungen auf der Gleichspannungsseite durch direkte oder indirekte Blitzeinschläge unschädlich gemacht werden. Bei trafolosen Wechselrichtern treten je nach Typ zwischen dem Plus- und dem Minuspol des Solargenerators unterschiedliche Spannungen gegenüber dem Erdpotential auf.

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

307

Solche Spannungen können unter Umständen zu Schädigungen führen (Potential Induced Degradation, PID). Bei der Planung ist deswegen zu prüfen, inwie weit der Hersteller der Module den betreffenden Wechselrichtertyp als geeignet einstuft. Ausgangsseitige Anforderungen Ausgangsseitig muss der Wechselrichter einen möglichst reinen sinusförmigen Strom liefern ohne Gleichanteil und mit einem möglichst geringem Oberschwingungsanteil. Bei der Kopplung mit dem Netz muss die Ausgangsspannung in Frequenz, Phase und Amplitude zuvor genau mit der Netzspannung in Übereinstimmung gebracht werden. Zur Gewährleistung einer weitgehend konstanten Netzfrequenz können leistungsstarke Wechselrichter bei einem leichten Anstieg der Netzfrequenz ihre Leistung angepasst verringern. Größere Anlagen bieten dem Leitungsnetzbetreiber die Möglichkeit, bei Netzüberlastung die eingespeiste Wirkleistung ferngesteuert zu reduzieren. Herkömmliche Solarwechselrichter liefern annähernd reine Wirkleistung, d. h. der Ausgangsstrom ist in Phase mit der Netzspannung, der Leistungsfaktor cos ' D 1. Neuere, vor allem größere Anlagen sind blindleistungsregelungsfähig. Damit können sie die von anderen Verbrauchern benötigte Blindleistung bei Bedarf „vor Ort“ produzieren und die Stromleitungen von Blindströmen entlasten. Andererseit kann durch Einspeisung von Blindleistung die Spannung am Einspeisepunkt abgesenkt werden, was einer unzulässigen Spannungserhöhung bei Einspeisung entgegen wirkt. Somit kann die Einspeisefähigkeit des Netzes erhöht werden. Der Solarwechselrichter überwacht die elektrischen Funktionen des PV-Generators und die Einspeisung ins öffentliche Netz. Bei Netzausfall sowie bei Unter- bzw. Überschreitung bestimmter Grenzwerte für Netzspannung und -frequenz muss sich der Wechselrichter aus Sicherheitsgründen allpolig vom Netz trennen. Es darf unter keinen Umständen zu einer gefährlichen Einspeisung in ein abgeschaltetes Netzsegment kommen. Im Wesentlichen ist zu unterscheiden zwischen Geräten mit Transformator und trafolosen Geräten. Trafowechselrichter werden vor allem bei großen Anlagen eingesetzt und bei Anlagen, die in das Mittelspannungsnetz einspeisen. Trafolose Wechselrichter haben eine besseren Wirkungsgrad, sind kompakter und billiger und haben sich bei kleinen und mittleren Anlagen durchgesetzt. Wechselrichter mit Transformator Das Prinzipschaltbild eines einphasigen Wechselrichters mit 50-Hz-Trafo zeigt Abb. 4.78. Der Transformator dient der Spannungsanpassung und Potentialtrennung zwischen Eingangs- und Ausgangsseite. Kernstück ist die pulsweitenmoduliert angesteuerte HBrücke (siehe Abschn. 3.4.4) mit Power-MOSFET (Abschn. 3.3.5) bzw. bei größeren Leistungen mit IGBT (Abschn. 3.3.6). Der am Eingang der Brücke liegende Kondensator C glättet die Spannung des Solargenerators. Durch Variation des pulsweitenmodulierten Schaltmusters wird der Effektivwert und die Phasenlage der abgegebenen Spannung so eingestellt, dass der Netzstrom fließt, bei dem sich am MPP die maximale Leistung ergibt. Über das Netzrelais wird die Ausgangsseite der Wechselrichter bei genügender Einstrah-

308 Abb. 4.78 Wechselrichter mit 50-Hz-Trafo T zur Einspeisung in das Wechselstromnetz

A. Böker et al. + U1

L C

u2

T L1

L N



lung nach der Synchronisation mit der Netzspannung an das Netz angeschlossen bzw. bei nicht ausreichender Einstrahlung oder im Fehlerfall vom Netz getrennt. Die vom Solarmodul gelieferte Eingangsgleichspannung muss immer höher sein als der Scheitelwert der Spannung am Brückenausgang. Durch den nachgeschalteten 50-HzTrafo kann die Spannung auf der Gleichspannungsseite frei gewählt werden. Insbesondere große Anlagen, die in das Mittelspannungsnetz einspeisen, benötigen einen Transformator. Der Transformator bewirkt neben der Spannungsanpassung eine Potentialtrennung zwischen DC- und AC-Seite, d. h. zu keinem Zeitpunkt und auch bei Kurzschlüssen in der H-Brücke ist einer der Modulkontakte mit einer spannungsführenden Leitung des Netzes verbunden. Daraus ergeben sich wesentliche sicherheitstechnische Vorteile. Durch einen Isolationswächter kann die Isolation des Wechselrichters gegenüber dem Erdpotential laufend überwacht werden. Entstehende Fehler können erkannt und rechtzeitig behoben werden. Aus Sicherheitsgründen ist in einigen Ländern die galvanische Trennung durch einen Trafo vorgeschrieben. Trafo-Wechselrichter können im Gegensatz zu den meisten trafolosen Geräten auch an PV-Module mit geerdetem Minuspol (oder Pluspol) angeschlossen werden. Das ist ein entscheidender Vorteil bei Dünnschicht-Modulen, die meist die Erdung des Minuspols erfordern. Nachteilig sind die Größe, Gewicht, Zusatzkosten und die zusätzlichen Verluste des Trafos. Die sog. Kupferverluste entstehen durch die Ströme in den Trafowicklungen. Sie nehmen bei Teillast quadratisch mit den Strömen ab. Hinzu kommen die sog. Eisenverluste, die beim periodischen Ummagnetisieren und durch Wirbelströme im Eisenkern entstehen. Diese Verluste sind durch die Stärke des magnetischen Flusses ˚ im Eisenkern bestimmt. Entsprechend dem Induktionsgesetz ist dieser Fluss ˚ durch die am Trafo anliegende Eingangsspannung u bestimmt und tritt damit auch bei sehr kleinen Strömen im Teillastbetrieb in voller Stärke in Erscheinung! Dadurch verschlechtert sich der Wirkungsgrad vor allem im Teillastbereich. Bei Wechselrichtern mit 50-Hz-Transformator werden maximale Wirkungsgrade von ca. 92 % bis 94 % erreicht. Drehstromwechselrichter Eine einphasige Einspeisung in das Wechselstromnetz ist nur bei kleineren Anlagen bis 4,6 kVA zulässig, um zu große Schieflasten zu vermeiden. Größere Leistungen müssen dreiphasig in das Drehstromnetz eingespeist werden. Dies kann durch drei parallel arbei-

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

309

+ U1

L1 L2 L3



Abb. 4.79 Wechselrichter mit B6-Brückenschaltung und Drehstromtransformator zur Einspeisung in das Drehstromnetz

tende Wechselrichter geschehen, die jeweils zwischen dem N-Leiter und einem der drei Außenleiter an das Drehstromnetz angeschlossen sind. Eine andere Möglichkeit sind Drehstrom liefernde Wechselrichter, bei denen statt der H-Brücke eine B6-Brückenschaltung mit 6 leistungselektronischen Schaltern verwendet wird. Solche B6-Brücken können entweder direkt oder wie in Abb. 4.79 über einen Drehstromtrafo in das Drehstromnetz einspeisen. Dabei ist die Summe der in den 3 Strängen in das Drehstromnetz eingespeisten Momentanleistung zeitlich konstant (vergl. Abb. 2.35). Damit ist auch die vom Solargenerator abgegebene Leistung zeitlich konstant. Dies ist ein Vorteil gegenüber einphasig einspeisenden Wechselrichtern, bei denen die eingespeiste Momentanleistung und damit auch die dem Eingangskondensator entnommene Momentanleistung mit der doppelten Netzfrequenz periodisch schwanken. Um die dadurch entstehenden Schwankungen der Spannung U1 am Ausgang des Solargenerators und die damit verbundenen Abweichungen vom MPP möglichst klein zu halten, muss die Kapazität des Eingangskondensators C in einphasig einspeisenden Wechselrichtern relativ groß sein. Bei Einspeisung in das 400-V-Drehstromnetz ohne Drehstromtrafo, muss die vom Solargenerator gelieferte Gleichspannung U1 höher als die Scheitelwert uO D 565 V der Außenleiterspannung sein, was nur bei großen Anlagen durch Reihenschaltung einer entsprechenden Anzahl von Modulen erreicht werden kann. Der Drehstromtrafo ermöglicht kleinere DC-Ausgangsspannungen des Solargenerators und ist bei Einspeisung in das Mittelspannungsnetz zur Transformation der Spannungen und zur galvanischen Trennung unbedingt erforderlich. Nachteilig ist der verminderte Wirkungsgrad durch die im Trafo entstehenden Zusatzverluste. Wechselrichter mit Hochfrequenztrafo Durch Einsatz eines wesentlich kleineren Hochfrequenztrafo zur galvanischen Trennung kann die Baugröße und das Gewicht des Wechselrichters im Vergleich zu einem Wechselrichter mit einem großen 50-Hz-Trafo wesentlich verkleinert werden. Bei diesem Wechselrichterkonzept wird die Gleichspannung des Solargenerators zunächst z. B. durch eine getaktete H-Brücke in eine hochfrequente Wechselspannung umgesetzt, dann mit dem Hochfrequenztrafo auf das erforderliche Spannungsniveau hoch transformiert, anschlie-

310 Abb. 4.80 Transformatorloser Wechselrichter ohne Hochsetzsteller

A. Böker et al. + T1

T2

U1

L u2

C T4

L

L1 CF N

T3



ßend wieder gleichgerichtet und über eine weitere nachgeschaltete Brückenschaltung mit 50 Hz in das Netz eingespeist. Wechselrichterkonzepte mit Hochfrequenztransformator bieten hauptsächlich Gewichtsvorteile, die erzielten Wirkungsgrade liegen aber nicht wesentlich über denen von Wechselrichtern mit 50-Hz-Transformatoren. Transformatorlose Solarwechselrichter Da die meisten Photovoltaikmodule hinreichend gut isoliert sind (Schutzklasse 2, geprüfte Isolationsspannungen 1000 V), fordern die Netzbetreiber bei solchen Modulen nicht mehr unbedingt die galvanische Trennung zwischen dem Leitungsnetz und den Solarmodulen. Stringspannungen von über 400 V sind ohne weiteres möglich. Damit kann auf den Trafo verzichtet werden. Dies führt zu einer erheblichen Einsparung hinsichtlich Volumen, Gewicht und meist auch Kosten. Bei herkömmlichen Wechselrichtern ohne den verlustbehafteten Trafo erhöht sich der Wechselrichterwirkungsgrad um ca. 2 % auf etwa 96 %. Bei speziellen trafolosen Wechselrichterschaltungen mit drei anstatt mit zwei Spannungsniveaus am Brückenausgang (vergl. Abb. 3.41) werden Wirkungsgrade von ca. 97 % erreicht. Anlagen, die in das Niederspannungsnetz einspeisen, werden in zunehmendem Maße mit transformatorlosen Wechselrichtern betrieben. Abb. 4.80 zeigt einen trafolosen Wechselrichter mit H-Brücke und Glättungsinduktivitäten L zur einphasigen Einspeisung in das Wechselspannungsnetz. Durch geeignete Ansteuerung der H-Brücke kann der Punkt maximaler Leistung MPP eingestellt werden. Aus Sicherheitsgründen ist bei trafolosen Wechselrichtern ein spezieller allstromsensitiver Fehlerstrom-Schutzschalter erforderlich, der in der Lage ist, bei Isolationsfehlern und Störungen auftretende Fehlerwechselströme und Fehlergleichströme zu erkennen und den Wechselrichter vom Netz zu trennen. Transformatorlose Solarwechselrichter mit Hochsetzsteller Der trafolose Wechselrichter erfordert bei Einspeisung in das Wechselstromnetz am Ausgang des Solargenerators bzw. am Eingangskondensator C eine Gleichspannung, die mit UDC  350 V unter Einbeziehung von Toleranzen über dem Scheitelwert 325 V der Netzspannung liegen muss. Dies ist nur für große Anlagen durch Reihenschaltung von vielen Modulen möglich. In den meisten trafolosen Wechselrichtergeräten ist deswegen ein Hochsetzsteller (siehe Abschn. 3.4.3) integriert. Der Hochsetzsteller hebt die niedrige variable Gleichspan-

4

Elektrische Energiewandler und Speicher Hochsetzsteller

+

LHS

311

getaktete H-Brücke

D L C

Ud

L

Netzrelais L1 N

S



Abb. 4.81 Transformatorloser Wechselrichter mit Hochsetzsteller

nung des Solargenerators auf den für den Einspeisewechselrichter erforderlichen Wert von etwa 350 V an und führt gleichzeitig das Power Tracking durch. Wegen der zusätzlichen Verluste im Hochsetzsteller wird der Umwandlungswirkungsgrad insgesamt etwas kleiner. Dafür kann der Wechselrichter auch niedrige Ausgangsspannungen des Solargenerators (bei schwacher Einstrahlung und höheren Temperaturen) nutzen. Abb. 4.81 zeigt den Aufbau des transformatorlosen Photovoltaikwechselrichters mit Hochsetzsteller. Die Spule mit der Induktivität LHS ist in Reihe mit der Diode D geschaltet. Wird der Schalter S (z. B. MOSFET oder IGBT) geschlossen, baut sich ein Strom durch LHS mit einem entsprechenden Magnetfeld auf. Wird S dann geöffnet, so bewirkt die in LHS gespeicherte Energie, dass die Spannung am sekundärseitigen Anschluss von LHS solange ansteigt bis sie die an C anliegende Spannung übersteigt. Dann wird die Diode leitend und der Strom durch L fließt zunächst unverändert weiter. Das Magnetfeld wird dabei abgebaut und gibt seine Energie ab, indem es den Ladekondensator C auf die für den nachgeschalteten Wechselrichter erforderlich höhere Spannung Ud D 350 V auflädt. Der integrierte Hochsetzsteller reduziert den gesamten Wirkungsgrad des Wechselrichters um etwa 2 Prozentpunkte. Wirkungsgrad von Wechselrichtern Der Wirkungsgrad des Wechselrichters wird durch Verluste bei der Wandlung und durch Verluste bei nicht optimaler Einstellung des MPP bestimmt. Der Wirkungsgrad des Wechselrichters hat einen entscheidenden Einfluss auf den Ertrag und die Wirtschaftlichkeit einer Photovoltaikanlage. Der Wirkungsgrad von Wechselrichtern ist nicht über den gesamten Leistungsbereich konstant und hängt außerdem von der variierenden Spannung des Solargenerators ab. Für einen Vergleich verschiedener Wechselrichter ist die Angabe eines maximalen Wirkungsgrades wenig aussagekräftig, da dieser maximale Wirkungsgrad nur bei einer bestimmten Leistung auftritt. Der Wechselrichter befindet sich jedoch in seiner Betriebszeit in ständig wechselnden Lastzuständen. Typischerweise ist der Wechselrichterwirkungsgrad bei niedrigen Leistungen meist relativ ungünstig. Im mittleren Leistungsbereich wird das Wirkungsgradoptimum erreicht.

312

A. Böker et al.

Der europäische Wirkungsgrad Euro nach Gl. 4.46 trägt dem Rechnung. In der Definition werden die Häufigkeiten geringerer und stärkerer Einstrahlung für einen Standort in Mitteleuropa berücksichtigt. Dafür wurden bestimmte Teillastbereiche definiert (5 %, 10 %, 20 %, 30 %, 50 % und 100 % der Nennleistung PN ) und nach ihrem relativen Energieertrag gewichtet und zwar mit 3, 6, 13, 10, 48 und 20 %. D. h. es wird dabei z. B. angenommen, dass der Wechselrichter im Bereich um 50 % der Nennleistung 48 % des Energieertrags liefert. Dabei ist die Spannung des Solargenerators nicht festgelegt. Die Hersteller wählen für die Messung des Wirkungsgrads die jeweils günstigste Eingangsspannung aus.

Euro D 0;03  5 % C 0;06  10 % C 0;13  20 % C 0;10  30 % C 0;48  50 % C 0;2  100 %

(4.46)

Für Standorte z. B. in Südeuropa ist der mit einer anderen Wichtung arbeitende kalifornische Wirkungsgrad aussagefähiger.

C D 0;04  10 % C 0;05  20 % C 0;12  30 % C 0;21  50 % C 0;53  75 % C 0;05  100 %

(4.47)

Hocheffiziente Wechselrichter mit weiterentwickelten Topologien Einphasige trafolose Wechselrichter zeichnen sich durch hohen Wirkungsgrad, minimalen Preis, minimale Komplexität und minimales Gewicht aus. Weiterentwicklungen wie z. B. die HERIC- und die H5-Wechselrichter haben einen verbesserten Wirkungsgrad. Andere trafolose Wechselrichtervarianten liefern ein konstantes Potential am Solargenerator bzw. erlauben die Erdung eines Pols des Solargenerators. Die Funktion einer herkömmlichen H-Brücke nach Abb. 4.80 wurde in Abschn. 3.4.4 genauer erläutert. Üblicherweise werden die Schalter T1 und T3 bzw. T2 und T4 komplementär geschaltet. Sind T1 und T3 eingeschaltet, so sind T2 und T4 ausgeschaltet bzw. umgekehrt. Dabei stellt sich am Brückenausgang die zwischen CU1 und U1 hin- und her springende Spannung u2 .t/ ein (siehe Abb. 3.40). Während der positiven Stromhalbwelle fließt in den Freilaufphasen mit geöffneten T1 und T3 ein Teil der in den Induktivitäten L gespeicherten Energie zum Kondensator C zurück. Das führt zu unerwünschten Verlusten und Störspannungen. Bei der sog. HERIC-Topologie nach Abb. 4.82 liegen am Brückenausgang die beiden gegenparallel wirkenden Schalter T5 und T6. Das Schaltmuster und der Verlauf der Spannung u2 am Brückenausgang und der Ausgangsstrom i2 sind in Abb. 4.82 dargestellt. Ist während der positiven Halbwelle des Stroms T1 und T3 geschlossen, entsteht am Ausgang die Spannung CU1 und die Energie fließt vom Kondensator C über die Induktivitäten L zum Netz. Der Stromfluss durch den geöffneten Schalter T5 wird durch die in Reihe geschaltete, in Sperrrichtung gepolte Diode verhindert. Sind während der positiven Halbwelle des Stroms T1 und T3 geöffnet, fließt in dieser Freilaufphase der

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

313

a

i2(t)

L

+ T1

T2

L1

T5

U1 C

u2(t) T4

T3

T6 L



N

b T1, T3 Ein T1, T3 Aus

T2, T4 Ein T2, T4 Aus

T5 Ein, T6 Aus T6 Ein, T5 Aus

c

u2 +U1

i2 u2 i2

0

0

–U1

Abb. 4.82 Transformatorloser Wechselrichter mit HERIC-Topologie (a), Schaltmuster (b), 3Punkt-Brückenausgangsspannung u2 .t / und Ausgangsstrom i2 .t / (c)

Strom angetrieben durch die in L gespeicherte Magnetfeldenergie weiter und zwar über den geöffneten Schalter T5 und die in Reihe geschaltete Diode. In diesen Phasen gilt für die Spannung am Brückenausgang u2 D 0. Es ergibt sich der abgebildete, zwischen drei Spannungen CU1 , 0, und U1 springende Spannungsverlauf u2 .t/ und der sinusähnliche Strom i2 .t/.

4.4.9 Netzgekoppelte Solaranlagen Topologien von PV-Anlagen Für den Aufbau netzgekoppelter Photovoltaikanlagen sind verschiedene Strukturvarianten möglich. Bei der Auswahl des Konzeptes ist die örtliche Situation zu berücksichtigen und der Solargenerator und das Wechselrichterkonzept aufeinander abzustimmen.

314

A. Böker et al.

Abb. 4.83 Wirkungsgrad der Gleichstromleitungen des Solargenerators

RL

I

UL U1

U2

≈ Wirkungsgrad der Gleichstromverkabelung Zunächst entsteht die Frage, in wie weit die einzelnen Module des Solargenerators in Reihe oder parallel zu schalten sind. Aus Abb. 4.83 und der zugehörigen Rechnung Gl. 4.48 ergibt sich, dass der Wirkungsgrad der Gleichstromverteilung umso höher ist, je größer die Spannung U2 ist. Die Querschnitte der Gleichstromleitungen können entsprechend geringer gewählt werden. Man versucht wegen der Leitungsverluste so viele Module in Reihe zu schalten, wie möglich. So entstehen Leerlaufspannungen bis zu 1000 V. Schon bald rechnet man mit Strangspannungen bis zu 1500 V. Die Spannungsfestigkeit des Solarwechselrichters und die zulässige Systemspannung der Module dürfen jedoch nicht überschritten werden. Strings sind parallel zu schalten, wenn bei Reihenschaltung die zulässige Spannung in der Anlage überschritten würde oder bei Reihenschaltung der einzelnen Strings wegen unterschiedlicher Ausrichtung und Verschattung zu große Leistungseinbußen entstünden. PV D RL  I 2 I P2 D U2  I 1 1 1 P2 D D D

D  P P P R P2 C PV V V 2 L  P2 1C 1C 1C 2 P2 P2 U22

(4.48)

Zentralwechselrichter Bei einem Zentralwechselrichter nach Abb. 4.84a werden alle Modulstränge über Gleichstromleitungen zentral zusammengeführt. Der Solargenerator besteht aus mehreren parallelen Strängen, die aus in Serie geschalteten Modulen aufgebaut sind. Zentralwechselrichter sind sinnvoll, wenn alle PV-Module wie bei großen Dachanlagen oder Freiflächenanlagen ähnliche Neigung und Ausrichtung haben. Bei Teilbeschattung ergeben sich jedoch für jeden Strang unterschiedliche optimale Betriebspunkte MPP. Durch den Zentralwechselrichter werden aber alle parallel geschalteten Stränge in gleicher Weise betrieben, wodurch Ertragseinbußen durch mismatching (Fehlanpassung) auf Grund von unterschiedlicher Bestrahlung, teilweiser Verschattung oder Verschmutzung oder durch Bauteilstreuung und Alterung auftreten können. Die parallel geschalteten Stränge sind durch Strangsicherungen oder Strangdioden vor Rückströme zu schützen. Ein weiterer Nachteil ist, dass bei einer Störung des Zentralwechselrichters die gesamte Anlage stillsteht.

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

315

a

Zentral-WR

.....

String 1



Versorgungsnetz

.....

String 2

..... b

Hochsetzsteller mit MPP-Regelung

PWM-Brücke

String 1



Versorgungsnetz

String 2

..... c

Modulwechselrichter

Modul 1



Modul 2



N

VersorgungsL Ve netz

Abb. 4.84 PV-Anlagenkonzepte: PV-Anlage mit einem Zentral-Wechselrichter (a), PV-Anlage mit mehreren String-Wechselrichtern (b), PV-Anlage mit Modul-Wechselrichtern (c)

Zentralwechselrichter werden meist in Innenräumen oder in wetterfesten Containern untergebracht. Viele Anlagen mit Leistungen über 100 kW speisen den erzeugten Solarstrom über einen Transformator direkt in das Mittelspannungsnetz ein. Da Wechselrichter im unteren Teillastbetrieb i. A. schlechtere Wirkungsgrade aufweisen, kann der Zentralwechselrichter zur Verbesserung des Wirkungsgrads bei sehr geringer Einstrahlung aus mehreren parallel arbeitenden Einzelwechselrichtern aufgebaut werden. Bei kleinen Leistungen arbeitet nur einer der Einzelwechselrichter, mit steigender Leistung werden die parallel wirkenden Einzelwechselrichter zugeschaltet. String-Wechselrichter sind für den Anschluss an einem einzelnen Strang ausgelegt. Bei größeren Anlagen werden mehrere String-Wechselrichter eingesetzt. Sie werden wechselstromseitig, wie in Abb. 4.84b an das Wechselspannungsnetz oder an das Drehstromnetz angeschlossen. Der Vorteil gegenüber Zentralwechselrichtern besteht darin, dass auch bei unterschiedli-

316

A. Böker et al.

cher Einstrahlung für jeden Strang einzeln der optimale MPP eingeregelt werden kann. Derartige Anlagen sind auf Teilbeschattung weniger empfindlich, der Aufwand für die Gleichstromverkabelung ist geringer. Obwohl die Wirkungsgrade von großen Zentralwechselrichtern i. A. höher als die kleiner Wechselrichter sind, kann der Ertrag von Anlagen mit Strang-Wechselrichtern deswegen durchaus vergleichbar oder besser sein. Eine Variante sind Wechselrichter, bei denen nur die Hochsetzsteller/MPP-Tracker an die einzelnen Stränge angeschlossen sind und die über eine gemeinsame Gleichspannungsschiene einen gemeinsamen nachfolgenden Wandler speisen. Modulwechselrichter nach Abb. 4.84c haben typischerweise einen Leistungsbereich um 100 bis 400 W. Sie sind nur einem Modul zugeordnet und an diesem direkt befestigt. Sie müssen so ausgelegt sein, dass sie den äußeren Einwirkungen durch Feuchtigkeit, Erwärmung usw. gewachsen sind. Die Leitungsverluste auf der Gleichstromseite sind vernachlässigbar klein. Die Verdrahtung erfolgt ausschließlich auf der Wechselstromseite. Für jedes einzelne Modul kann der optimale MPP separat eingeregelt werden. Anlagen mit Modulwechselrichtern sind unempfindlicher gegenüber Teilbeschattungen. Dimensionierung des Solarwechselrichters Bei der Planung ist meist von der zur Verfügung stehenden Fläche und/oder der gewünschten Leistung der Solaranlage auszugehen. Die Leistung und die Spannung des Solargenerators variiert je nach Bestrahlungsstärke und der Zellentemperatur in einem weiten Bereich. Für eine optimale Ausbeute müssen der Solargenerator und der Wechselrichter hinsichtlich Leistung, Spannungsbereich und Maximalstrom aufeinander abgestimmt sein [21]. In Abb. 4.85 ist der Arbeitsbereich eines typischen Solarwechselrichters schattiert dargestellt. Die hier beispielhaft eingetragenen Kennwerte können den Datenblättern der Hersteller entnommen werden. Der Betriebsbereich, in dem der Wechselrichter den Punkt maximaler Leistung MPP einregelt, ist einerseits durch die maximale Wechselrichterwirkleistung Pmax , andererseits durch die Spannungen UMPPmin und UMPPmax sowie durch den maximal zulässigen Strom IWRmax eingeschränkt. Die Wechselrichterleistung ist sinnvollerweise so zu wählen, dass die unter Standardtestbedingungen STC erzeugte solare Leistung in das Netz eingespeist werden kann. Ist die gewählte Nennleistung des Wechselrichters zu niedrig, muss der Wechselrichter bei zu großem Leistungsangebot abgeregelt werden. Die an kalten Sonnentagen erzeugte Solarenergie kann nicht vollständig eingespeist werden. Bei zu groß gewählter Nennleistung arbeitet der Wechselrichter unnötig oft bei schlechtem Wirkungsgrad im Teillastbereich. Die höchste auftretende Spannung liefert der Solargenerator im Leerlauf bei maximaler Bestrahlungsstärke (1000 W/m2 ) und der niedrigsten dabei auftretenden Modultemperatur (10 ı C). Diese Spannung darf den oberen Grenzwert UWRmax nicht übersteigen, um Schädigungen zu vermeiden. Sinkt die Spannung des Solargenerators bei geringer Einstrahlung unter den unteren Grenzwert UWRmin , schaltet der Wechselrichter ab.

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

317

16 IWRmax

Pmax = 4 kW 12

1000 W/m2

I/A

70 °C 8 1000 W/m2

4

−10 °C

100 W/m2

70 °C 0 0

300

100 UWRmin

UMPPmin

600

400 UMPPmax

700

U/V

UWRmax

Abb. 4.85 Betriebsfeld eines Netzwechselrichters, mit beispielhaften Kenngrößen und Kennlinien eines Solargenerators bei unterschiedlichen Temperaturen und Bestrahlungsstärken

Für den geregelten Einspeisebetrieb des Wechselrichters muss die Spannung des Solargenerators zwischen den Werten UWRmin und UMPPmax liegen. Die maximal zu erwartende MPP-Spannung stellt sich bei maximaler Bestrahlungsstärke (1000 W/m2 ) und niedriger Modultemperatur (10 ı C) ein. Sie darf den oberen Grenzwert UMPPmax nicht übersteigen. Daraus ergibt sich die maximale Anzahl der Module, die in Reihe geschaltet werden können. Die niedrigsten Spannungen liefern die Solarmodule bei hohen Modultemperaturen. Bei hohen Umgebungstemperaturen und maximaler Einstrahlung treten Modultemperaturen von ca. 70 ı C auf. Der MPP der entsprechenden Kennlinie muss dabei innerhalb des Betriebsfeldes des Wechselrichters liegen. Dies sollte auch der Fall sein, wenn die Einstrahlung bei einer hohen Modultemperatur vorrübergehend abnimmt. Die Ausgangsspannung des Solargenerators muss stets oberhalb des Wertes UWRmin liegen. Daraus ergibt sich die Mindestanzahl der in Reihe zu schaltenden Solarmodule. Bei Parallelschaltung von Strings addieren sich die Stringströme. Die maximale Zahl der parallelen Strings des Solargenerators ist durch IWRmax begrenzt. Da unter bestimmten Bedingungen auch Bestrahlungsstärken oberhalb von 1000 W/m2 auftreten können, ist es sinnvoll dabei mit bis zu 25 % erhöhten Stringströmen zu rechnen. Regelung von Wirk- und Blindleistung Bei der Einspeisung eines Stroms I steigt entsprechend Abb. 4.86 die Netzspannung UEP am Einspeisepunkt proportional zum eingespeisten Strom an. Auf Dauer darf die Spannungserhöhung 3 % nicht überschreiten. Neue große Solaranlagen werden nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz so ausgerüstet, dass die Versorgungssnetzbetreiber bei einem solaren Überangebot, wie es an Son-

318

A. Böker et al. a

I

RN

LN

URN

ULN

UEP

U0

≈ Einspeisepunkt

b

Versorgungsnetz ΔUE

c

P

ΔUEP0 I

I

UEP0 U0

IB

ULN URN

φ

UEP

ULN

IW URN U0

Abb. 4.86 Spannungsstabilisierung des Netzes durch Einspeisung von Blindleistung, vereinfachtes Netzmodell (a), Effektivwertzeigerbilder bei Einspeisung reiner Wirkleistung (b), mit zusätzlicher Einspeisung von Blindleistung (c)

nentagen in der Mittagszeit auftritt, die Wirkleistung der Anlagen ferngesteuert abregeln können. Bei kleineren Anlagen darf auf das Einspeisemanagement verzichtet werden, wenn zur Abminderung mittäglicher Spitzen von vorn herein ein 30 % unterdimensionierter Wechselrichter installiert wird. Herkömmliche Solarwechselrichter liefern annähernd reine Wirkleistung, d. h. der Ausgangsstrom ist in Phase mit der Netzspannung, für die Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung gilt ' D 0. Neuere, vor allem größere Anlagen sind auch blindleistungsregelungsfähig. Damit können sie die von anderen Verbrauchern benötigte Blindleistung bei Bedarf „vor Ort“ produzieren und die Stromleitungen von Blindströmen entlasten. Andererseits kann, wie Abb. 4.86 zeigt, durch Einspeisung von Blindleistung die Spannung UEP am Einspeisepunkt abgesenkt werden. Dies wirkt einer unzulässigen Spannungserhöhung bei Einspeisung entgegen. Abb. 4.86 zeigt vereinfacht die Verhältnisse bei der Einspeisung eines Stromes I in das elektrische Netz. Das Verhalten der Spannung U EP am Einspeisepunkt wird modellmäßig beschrieben durch die Spannung U 0 , die am Einspeisepunkt ohne Stromeinspeisung auftritt und die zusätzlichen Spannungsabfälle U RN und U LN , die der eingespeiste Strom I am ohmschen Widerstand RN bzw. an der Induktivität LN erzeugt. U RN hat die gleiche Phase wie der eingespeiste Strom. U LN eilt dem Strom um 90ı voraus. Bei Einspeisung reiner Wirkleistung (Abb. 4.86a) hat der Strom I keine Phasenverschiebung zur Spannung U EP am Einspeisepunkt. Durch die Spannungsabfälle an R und L erhöht sich der Effektivwert der Spannung am Einspeisepunkt um UEP0 . Wird durch den PV-Wechselrichter ein zusätzlicher Blindstrom bzw. Blindleistung geliefert, fällt die Spannungserhöhung UEP deutlich geringer aus (Abb. 4.86b). Somit wird

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

a

319 b

Wechselrichter

Solargenerator USG



L1

φ/V

N

200

+

...

U+ USG/2

U−



PE

U+

0 V –200

–400 Erdung

USG U-

ûNetz/2 0

t

20 ms

Abb. 4.87 Definition der Potentialverläufe am Eingang des Solarwechselrichters (a), Potentiale ' am Solargenerator bei trafolosen Wechselrichter ohne Hochsetzsteller (b) (USG D 400 V)

einer unzulässigen Spannungserhöhung entgegengewirkt. Dies ist besonders wirksam bei Anlagen, die in das Mittelspannungsnetz einspeisen, weil im Mittelspannungsnetz der Widerstand RN relativ klein ist im Vergleich zum Wechselstromwiderstand der Induktivität LN ist (kurzer Spannungspfeil U RN ). Moderne, große Photovoltaikanlagen können somit durch geregelte Einspeisung von Blindleistung die Spannungsstabilität des Netzes verbessern und damit auch die Einspeisefähigkeit des Netzes für die schwankenden regenerativen Energien erhöhen. Der cos ' und die eingespeiste Blindleistung wird dabei in Abhängigkeit von der momentan eingespeisten Wirkleistung dynamisch nachgeführt. Dies erfordert jedoch einen erhöhten Aufwand für den Wechselrichter. Neben der erforderlichen Regelung muss der Solarwechselrichter für einen größeren Strom I für die Einspeisung des zusätzlichen Blindstromanteils IB dimensioniert sein. Potentialverläufe am Solargenerator Da zunehmend Solargeneratoren mit Stringspannungen bis zu mehreren hundert Volt und trafolose Wechselrichter eingesetzt werden, gewinnen die Spannungen zwischen den Solarmodulen und den benachbarten geerdeten leitenden Teilen (Rahmen, Gestell, evtl. metallische Modulrückwand) an Bedeutung. Diese Spannungen können zu unerwünschten Ableitströmen und zu reversiblen oder irreversiblen Leistungsverlusten der Photovoltaikmodule (Potentialinduzierte Degradation, kurz PID) führen. Abb. 4.87a zeigt die Potentialverhältnisse bei einer netzgekoppelten Solaranlage. Der N-Leiter ist stets zusammen mit dem PE-Leiter über die Hauptpotentialausgleichschiene geerdet. Die am negativen Pol des Solargenerators befindliche Solarzelle hat gegenüber den umgebenden geerdeten metallischen Leitern die Potentialdifferenz U . Ausgehend vom negativen Pol des Solargenerators erhöht sich mit jeder der in Reihe geschalteten Zellen die Spannung und entsprechend das Potential gegenüber der geerdeten Umgebung. Die am positiven Pol des Solargenerators angeschlossene Zelle hat gegenüber der geerdeten Umgebung die Potentialdifferenz UC , die zu jedem Zeitpunkt um USG höher ist als

320

A. Böker et al.

U . Somit hat jede der in Reihe geschalteten Zellen zu jedem Zeitpunkt eine bestimmte Potentialdifferenz zur Umgebung, die irgendwo zwischen UC und U liegt. Die Höhe und der zeitliche Verlauf des Potentials der Zellen hängen ganz wesentlich von der Art des verwendeten Wechselrichters ab. Bei den sehr effizienten trafolosen Wechselrichtern mit H-Brücke (Abb. 4.80) sind die Anschlusskontakte des Solargenerators in einzelnen Schaltphasen des Wechselrichters zeitweise mit dem Wechselspannung-führenden Leiter L1 des Netzes galvanisch leitend verbunden: Sind T2 und T4 leitend, so steht der Minuspol des Solargenerators über die untere Spule L direkt mit dem L1-Leiter in Kontakt. Sind die beiden Transistoren T1 und T3 leitend, so ist der Pluspol des Solargenerators über die obere Spule L mit dem L1Leiter verbunden. An den Anschlüssen des Solargenerators treten dabei die in Abb. 4.87b dargestellten Potentialverhältnisse auf. Man erkennt, dass die Zellen, die sich nahe dem Minuspol des Generators befinden, eine stets oder überwiegend negative Mischspannung (50-Hz-Wechselspannung mit Gleichanteil) gegenüber der geerdeten Umgebung haben, Zellen nahe dem positiven Anschluss eine stets oder überwiegend positive Mischspannung. Der Einsatz von solchen hocheffizienten trafolosen Wechselrichtern mit H-Brücke hat somit eine Reihe von Konsequenzen: Wegen der hohen Spannung des Solargenerators (USG  400 V) müssen die Solarmodule eine Schutzisolierung (verstärkte Isolierung) entsprechend der Schutzklasse II aufweisen. Bei Wechselrichtern mit H-Brücke wie in Abb. 4.80 darf, anders als bei Trafowechselrichtern üblich weder der negative noch der positive Anschluss des Solargenerators geerdet werden, da sonst ein Kurzschluss entstünde. Streukapazitäten und Ableitströme Die Halbleiterschichten der im Modul integrierten Solarzellen bilden nach Abb. 4.88 elektrisch leitende Flächen, die mit der geerdeten Umgebung (Modulrahmen, Gestell) Kondensatoranordnungen mit der Streukapazität CS aufbauen. CS wird besonders groß, wenn bei Regen ein leitender Wasserfilm auf der Moduloberfläche als zweite große Kondensatorfläche wirkt. Abb. 4.88 Streukapazitäten zwischen Solarzellen und geerdetem Modulrahmen

geerdeter Modulrahmen Feuchtigkeitsfilm

Streukapazität CS Glas Antireflexschicht

n-Leiter p-Leiter Kunststoffeinbettung

CS

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

Abb. 4.89 Trafoloser Wechselrichter mit RCD mit Ableitstrom iA über die Streukapazität CS

321

+

L1 RCD N



iA iA

CS

Der Wechselspannungsanteil des Potentials der Solarzelle führt zu einem Wechselstrom, der über die Streukapazitäten CS zur Erde abfließt. (siehe Abb. 4.89). Die Größe dieses, auch im Normalbetrieb auftretenden unerwünschten Ableitstroms iA hängt von der Größe der Streukapazitäten zwischen den Halbleiterflächen und der geerdeten leitenden Umgebung ab. Berechnungsbeispiel Bei einer Modulfläche von A D 1 m2 und einer Glasdicke von d D 3 mm ergibt sich mit der relativen Dielektrizitätskonstante des Glases "r  7 die Streukapazität CS der Plattenkondensatoranordnung CS D " 0  " r

A As 1 m2  21 nF: D 8;85  1012 7 d Vm 3  103 m

Bei einem einphasigen trafolosen Wechselrichter hat der 50-Hz-Wechselspannungsanteil des Potentials des Solargenerators nach Abb. 4.87b den Effektivwert U D UNetz =2 D 125 V. Damit ergibt sich bei heftigem Regen pro Quadratmeter des Solargenerators ein Ableitstrom iA von iA D C 

du.t/ dt

bzw.

IA D C  2f  U D 21 nF  314 s1  115 V D 0;75 mA:

Bei polykristallinen Modulen mit einem Wirkungsgrad von ca. 15 % ergibt sich bei einer Generatorfläche von 40 m2 eine Leistung von ca. 40 m2  1000 W=m2  15 % D 6 kW. Für einen solchen 40 m2 großen Solargenerator könnte also unter ungünstigen Umständen ein Ableitstrom von IA D 40  0;75 mA D 30 mA entstehen, der zum Auslösen des eingebauten RCDs (s. u.) führt. Fehlerstrom-Schutzschalter RCD Fehlerstrom-Schutzschalter (Residual Current Protective Device RCD) werden zum Schutz von Personen und Anlagen bei Isolationsfehlern eingesetzt. Kommt es auf Grund

322

A. Böker et al.

eines Fehlers, z. B. durch eine schadhafte Isolation zum Kontakt einer spannungsführenden Leitung mit einer geerdeten Person oder mit geerdeten Anlagenteilen (Körperschluss), so fließt ein sprunghaft ansteigender Fehlerstrom iF über die Erde ab. Dieser Fehlerstrom bewirkt eine entsprechende Stromdifferenz im RCD, der die Anlage schnell abschaltet, spätestens, sobald der Differenzstrom den Wert von 30 mA erreicht. Zum Schutz gegen das Berühren spannungsführender Teile und gegen Körperschlüsse werden Solaranlagen mit trafolosem Wechselrichter über einen Fehlerstrom-Schutzschalter an das Netz angeschlossen (siehe Abb. 4.89). Der Fehlerschutzschalter kann in den Wechselrichter integriert sein oder extern am Ausgang des Wechselrichters installiert sein. Einfache RCD vom Typ A erfassen nur sinusförmige Fehlerströme korrekt und funktionieren nicht bei Fehlerströmen mit großem Gleichanteil. Bei trafolosen Wechselrichtern treten jedoch Fehlerströme mit Gleichanteil auf, wenn unter Gleichspannung stehende Schaltungsteile durch Isolationsfehler mit dem Erdpotential in Verbindung kommen. Anlagen mit trafolosen Wechselrichtern müssen durch allstromsensitive RCDs vom Typ B oder BC geschützt werden (siehe Tab. 2.9). Der Differenzstrom, auf den das RCD reagiert, setzt sich dabei aus zwei Anteilen zusammen: dem eigentlichen Fehlerstrom iF und dem kapazitiven Ableitstrom iA . Wird der kapazitive Ableitstrom z. B. bei Starkregen zu groß, kann dies zu einer unerwünschten Abschaltung führen. Löst ein intern im Wechselrichter eingebauter RCD aus, wird üblicherweise in gewissen zeitlichen Abständen automatisch ein Neustart versucht. Bei Auslösung eines externen RCD muss ein Neustart durch den Handschalter des RCDs erfolgen. Bei Trafowechselrichtern kann der Solargenerator an einem Pol geerdet werden. So treten praktisch keine Wechselspannungen gegen Erde auf. Auch einige neuere Typen trafoloser Wechselrichter haben annähernd konstante Potentiale am Solargenerator, bei einigen kann der Solargenerator an einem Anschluss geerdet werden. Das senkt die kapazitiven Ableitströme auf unkritische Werte. Potentialinduzierte Degradation von Solarmodulen PID Die potentialinduzierte Degradation (Potential Induced Degradation, PID) ist ein Effekt, der vor allem bei hohen Solargeneratorspannungen und feuchtwarmen Umgebungsbedingungen innerhalb weniger Wochen zu einer deutlichen Abnahme von MPP-Leistung, Leerlaufspannung und Kurzschlussstrom der Solarmodule führen kann. Bestimmte Formen von PID sind reversibel, d. h. sie können durch spezielle Maßnahmen wieder „ausgeheilt“ werden. Irreversible Formen führen zu einer dauerhaften Schädigung der Module. Um einen wirtschaftlichen Betrieb einer Solaranlage zu gewährleisten, muss die potentialinduzierte Degradation unbedingt vermieden werden bzw. reversibel geschädigten Zellen sind zu regenerieren. Dazu ist das Verständnis der zu Grunde liegenden Mechanismen erforderlich. Ursache sind die, an den Solarmodulen auftretenden Potentiale oder mit anderen Worten die Spannungen zwischen den gekapselten, leitenden Flächen im Inneren der Solarmodule und ihrer geerdeten Umgebung. Höhe und Vorzeichen dieser Spannungen sind von der gewählten Solargeneratorspannung und der Topologie der ver-

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Elektrische Energiewandler und Speicher

323

wendeten Wechselrichter abhängig. Diese Spannungen führen zu winzigen Leckströmen durch die isolierenden Schichten, in die die Solarzellen eingebettet sind. Die Leckströme hängen vom Potential ab, das an dem betreffenden Modul wirkt und von der Beschaffenheit der in den Modulen verwendeten isolierenden Einbettungsmaterialien und des Deckglases. Bei kristallinen Siliziummodulen mit einem Aufbau wie in Abb. 4.88 tritt PID auf, wenn die Halbleiterschichten eine hohe negative Spannung gegenüber der geerdeten Umgebung besitzen. Dann bewegen sich die im Deckglas üblicherweise vorhandenen positiven NaC -Ionen in Richtung der negativen Halbleiterschichten, negativ geladene Ionen und Elektronen wandern zum Erdpotential ab. Die einzelnen Mechanismen für die schädigende Wirkung und Gegenmaßnahmen sind noch Gegenstand der Forschung. Die sich auf der Oberfläche der Halbleiterschicht konzentrierenden geladenen Ionen führen wahrscheinlich zu zusätzlichen Verlusten durch verstärkte Rekombination. In den n-Halbleiter diffundierende positiv geladen Natriumionen wirken als Akzeptoren von Elektronen und neutralisieren die Wirkung der dort befindlichen 5-wertigen Donatoratome, was die Wirkung des pn-Übergangs abbaut. Darüber hinaus wird angenommen dass die eingelagerten Natriumatome auch punktuelle metallische Kurzschlüsse zwischen der p- und der n-leitenden Schicht der Solarzelle erzeugen und die Zelle dauerhaft schädigen können. Die Degradation lässt sich durch Verwendung eines Wechselrichters vermeiden, der die Möglichkeit bietet, den negativen oder den positiven Pol des Generators zu erden. Dies ist bei Trafowechselrichtern möglich und neuerdings auch bei extra für die Erdung des negativen Anschlusses konzipierten trafolosen Wechselrichtern. Bei Zellen mit p-Leiter als Substrat wie in Abb. 4.88 ist der negative Pol zu erden. Dann haben alle Solarmodule ein positives Potential. Reversibel PID-geschädigte kristalline Silizium-Solarzellen lassen sich regenerieren, indem die kurzgeschlossenen Pole des Solargenerators in den Zeiten ohne solare Einstrahlung über eine sogenannte PV-Offset-Box an ein positives Potential von ca. 1000 V angeschlossen werden. Dünnschichtmodule aus amorphen Silizium und CdTe sind als Superstrat-Zellen aufgebaut. D. h. die aktiven Schichten sind direkt auf die Rückseite der dem Licht zugewandten Glasfläche aufgebracht. Direkt unter der Glasschicht liegt die transparente Elektrodenschicht (Transparent Conducting Oxide, TCO) für die Stromentnahme. Bei negativen Potentialen wandern NaC -Ionen in diese Schicht. Dringt gleichzeitig Wasserdampf ein, wird diese Schicht elektrochemisch korrodiert, was zur irreversibelen Schädigung der Module führt. Solche negativen Potentiale sind hier unbedingt zu vermeiden durch Erdung des negativen Anschlusses des Solargenerators. Dies ist möglich bei Trafowechselrichtern aber neuerdings auch bei speziellen trafolosen Wechselrichtern, die die Erdung des negativen Anschlusses des Solargenerators erlauben und mit Dünnschicht-Modulen harmonieren. Grundsätzlich sind Angaben der Hersteller über die Vereinbarkeit der verwendeten Solarmodule und der Wechselrichter zu beachten.

324

A. Böker et al.

Beispiel einer netzgekoppelten Solaranlage In Abb. 4.90 ist der typische Aufbau einer netzgekoppelten Solaranlage dargestellt. Die Gleichstromleitungen der parallelen Strings werden zum Generatoranschlusskasten geführt. Dabei sind Hin- und Rückleitung in geringem Abstand parallel zu führen, um die durch Blitzströme magnetisch induzierten Spannungen möglichst gering zu halten (siehe Abb. 4.91c und Abschn. 6.7). Bei großen Anlagen sind mehrere Strings parallel geschaltet. Dann sind in einzelnen Strings Rückströme möglich, die den Betriebsstrom um ein Mehrfaches übersteigen können. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Leerlaufspannungen der Strings stark unter-

Stringdioden Trennstellen Stringsicherung

DC-Hauptleitung

Schirm oder PAL 16 mm2

ÜSA Solargenerator Modulrahmen

Generatoranschlusskasten

DC-Hauptschalter

≈ SZ

WR

LS

= ÜSA

HSA

EKI

PEN

N

VZ

PE BSA

Verbraucher

L1 L2 L3

PAS

LS ÜSA

HPAS

Abb. 4.90 Typischer Aufbau einer netzgekoppelten Solaranlage, HPAS: Hauptpotentialausgleich, HSA: Hausanschlusskasten, BSA: Blitzstromableiter, ÜSA: Überstromableiter, EKI: Entkopplungsinduktivitäten, WR: Wechselrichter, LS: Leitungsschutzschalter, SZ: Solarstromzähler, VZ: Verbrauchs- und Einspeisezähler, PAL: Potentialausgleichsleitung

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

a

325 b

c

Rückstrom

Kurzschluss

Abb. 4.91 Bildung eines Rückstroms im defekten String als Summe der Ströme aus den anderen Strings (a), fehlerhafte String-Verdrahtung mit großer Leiterschleife (b) (grau eingefärbt), induktive Einkopplung hoher Überspannungen durch benachbarte Blitzströme, Stringverdrahtung zur Vermeidung magnetischer Einkopplungen (c)

scheiden. Da Abschattungen nur einen geringen Einfluss auf die Leerlaufspannung haben, treten dabei keine nennenswerten Rückströme auf. Liegt jedoch die Leerlaufspannung eines Strings z. B. durch Kurzschluss eines oder mehrerer Module oder Zellen deutlich unter der Leerlaufspannung der anderen Strings, so fließt durch den betroffenen String in Rückwärtsrichtung der Summenstrom der parallelen Strings (siehe Abb. 4.91). Ohne Gegenmaßnahmen kann das zur Zerstörung des betroffenen Strings und zu Sekundärschäden führen. Die Strangdioden im Generatoranschlusskasten werden in Reihe in den jeweiligen Strang (engl. string) integriert und können jeglichen Rückstrom verhindern. Sie sind von den Bypassdioden zu unterscheiden, die zur Abminderung der Verschattungsverluste parallel zu Modulen oder Zellen geschaltet sind. Durch die unvermeidlichen Spannungsabfälle an den von den Stringströmen durchflossenen Strangdioden entstehen ständig Verluste. Durch eine defekte Stringdiode kann der Strompfad unterbrochen werden, was zum Ausfall des gesamten Strangs und entsprechenden Ertragseinbußen führt, solange der Fehler nicht erkannt wird. Statt der Strangdioden werden zunehmend spezielle Schmelzdrahtsicherungen eingesetzt werden, die den Rückstrom auf einen zulässigen Wert begrenzen. Diese Strangsicherungen haben einen geringen ohmschen Widerstand und somit geringere Verluste. Ihr Auslösen kann durch eine Überwachung erkannt werden. Der DC-Hauptschalter ist ein speziell für Gleichstrom ausgelegter Lastschalter. Er dient der Trennung des Solargenerators vom Wechselrichter für Wartungs- oder Montagearbeiten und auch zum Schutz der Feuerwehr bei einem Brand. Dabei bleiben jedoch die Anlagenteile vor dem Lastschalter unter Spannung (bis zu 1000 V), auch wenn das gan-

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A. Böker et al.

ze Gebäude z. B. im Brandfall vom Netz getrennt wird. Eine vergleichbare Gefährdung entsteht, wenn Wasser bei einem Rohrbruch oder einer Flutkatastrophe bis zum Wechselrichter steigt. Um solche Risiken zu vermeiden, ist es sinnvoll, den Solargenerator nicht nur über den DC-Hauptschalter vom Rest der Anlage zu trennen sondern ihn zusätzlich auch kurz zu schließen. Dafür könnte ein selbstleitender MOSFET eingesetzt werden, der aktiv offen gehalten wird, solange der Wechselrichter eingeschaltet ist. Während im Wechselstromnetz bei Ziehen eines Netzsteckers oft nur ein kleiner Funke beobachtet werden kann, entstünde in einem Gleichstromnetz ein kapitaler Lichtbogen. Die DC-Steckverbinder dürfen deswegen nur stromlos, nach Öffnen des DC-Hauptschalters getrennt werden! Blitz- und Überspannungsschutz Photovoltaikanlagen sind gegen direkte und indirekte Blitzschläge und gegen Überspannungen aus dem Netz zu schützen (siehe Abschn. 6.7). Das gilt umso mehr, je größer und teurer eine Anlage ist. Es ist zwischen dem äußeren Blitzschutz (umgangssprachlich „Blitzableiter“) und dem inneren Blitz- und Überspannungsschutz zu unterscheiden. Das Untergestell und die Modulrahmen aus Aluminium müssen zum Schutz vor gefährlichen Berührungsspannungen geerdet sein. Ausnahmen sind möglich bei Anlagen mit Generatorspannungen unter 120 V ohne galvanische Verbindung zum Niederspannungsnetz oder mit Modulen, die nach Schutzklasse 2 verstärkt isoliert sind. Bei trafolosen Wechselrichtern ist die Erdung der Modulrahmen jedoch in jedem Falle angebracht. Bei ungeerdetem Modulrahmen könnte sonst der Ableitstrom in der Größenordnung von bis hin zu 30 mA über die berührende Person und über die Streukapazität (siehe Abb. 4.88) zur Erde abfließen. Dieser Strom kann für die berührende Person durchaus spürbar sein, auch wenn bei ordnungsgemäßer Funktion des vorgeschriebenen RCD die Anlage vom Netz getrennt wird, bevor eine lebensgefährliche Stromstärke erreicht werden könnte. Bei Gebäuden mit äußerem Blitzschutz sind die Rahmen am geerdeten Gestell anschließen, wenn Abstand zum äußeren Blitzschutz klein ist. Der Generatoranschlusskasten enthält Varistoren als Überspannungsableiter, um die Ausbreitung von bei Gewittern entstehenden Überspannungen in der Anlage zu verhindern. Weitere Überspannungsableiter befinden sich auf der Gleichstromseite unmittelbar vor dem Wechselrichter. Der Staffelschutz aus Blitzstromableiter und VaristorÜberspannungsableiter hinter dem Hausanschlusskasten schützt die Anlage vor Überspannungen aus dem Netz (siehe Abschn. 6.6.1). Elektromagnetische Verträglichkeit EMV Die in den Wechselrichtern wirkenden getakteten Brückenschaltungen erzeugen Störspannungen mit der Frequenz der Taktung und mit Vielfachen dieser Taktfrequenz. Zur Gewährleistung der Elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) sind Filterschaltungen im Wechselrichter integriert. Der Kondensator CF in Abb. 4.80 unterdrückt die Übertragung dieser hochfrequenten Störspannungen in das Netz: Die Induktivitäten L und CF bilden einen Spannungsteiler für die anliegende Spannung u2 . Für die hochfrequen-

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Elektrische Energiewandler und Speicher

327

ten Störspannungsanteile von u2 hat der CF einen sehr niedrigen und die Induktivitäten L einen sehr hohen Wechselstromwiderstand. Der Störanteil von u2 wird entsprechend dem Spannungsteilerverhältnis reduziert. Die hochfrequenten Störungen werden über die Gleichspannungsleitungen zum Solargenerator abgestrahlt. Um das zu vermeiden ist auch auf der Gleichstromseite ein (hier nicht eingezeichneter) EMV-Filter aus Filterkondensator und Induktivität erforderlich. Energiezähler Der generierte Strom kann mit entsprechender Vergütung in das öffentliche Netz eingespeist werden bzw. ganz oder teilweise für den Eigenbedarf genutzt werden. Die Vergütungen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG unterscheiden sich nach Anlagengröße, nach dem Termin der Inbetriebnahme und danach, ob es sich z. B. um eine Hausdach- oder eine Freiflächenanlage handelt. Mit einer Kleinanlage lässt sich Solarstrom je nach Lage und Preis-Leistungsverhältnis der Anlage mit Selbstkosten von ca. 10 bis 14 Cent/kWh produzieren (Stand 2015). Man erhält eine Einspeisevergütung von ca. 12 Cent/kWh. Für einen Haushalt mit Strombezugskosten von ca. 25 Cent/kWh macht es Sinn, einen möglichst großen Anteil des Solarstroms selbst zu verbrauchen anstatt ihn einzuspeisen. Hinzu kommt, dass bei Anlagen bis 30 kWp ab 2014 die Einspeisung auf 70 % der Generatorleistung begrenzt wurde. Der Eigenverbrauchsanteil kann durch gezieltes Einschalten von Verbrauchern zu Zeiten starker Einstrahlung erhöht werden. Anlagentechnisch können Batteriespeicher eingesetzt werden oder die Solarmodule nach Ost bzw. West ausgerichtet werden, so dass sie während der Verbrauchsspitzen am Morgen und Nachmittag mehr Leistung liefern. Bei Eigenverbrauch ist eine Zähleranordnung wie in Abb. 4.92 erforderlich. Die Erfassung des gesamten solaren Ertrags mit dem Solarstromzähler erlaubt die Beurteilung der Effizienz der Anlage im Vergleich zu den prognostizierten Werten. Im Zweirichtungszähler sind zwei Zähler integriert, von denen der eine die eingespeiste Energie und der andere die bezogene Energie zählt und anzeigt. Der Wechselrichter kann dabei entweder Wechselstrom (einphasig) oder Drehstrom (dreiphasig) liefern.

Solargenerator

Wechselrichter

Solarstromzähler

Zweirichtungszähler

L1

L1 WEinspeisung L2 WBezug L3



N

N WVerbrauch hauseigene Verbraucher

Abb. 4.92 Energiezählung

328

A. Böker et al.

Bei einphasiger Einspeisung und dreiphasigem Bezug ist zu beachten: Herkömmliche Ferraris-Zähler für Drehstrom erfassen in jedem Augenblick die Summe der Teilleistungen der einzelnen Phasen. Das ist für die korrekte Erfassung des Eigenverbrauchs bei (einphasigen) Wechselstromwechselrichtern von Vorteil, wie das folgende Beispiel zeigt. Der Wechselrichter speist z. B. in L1 eine Leistung von 2 kW ein. Zur gleichen Zeit wird an L3 eine Leistung von 1 kW verbraucht. Innerhalb einer Stunde zeigt der Zweirichtungszähler, wie erwartet, eine eingespeiste Energie von 1 kWh an (Vergütung ca. 12 Cent). Nach dem Energiewirtschaftsgesetz müssen seit Anfang 2010 in allen Neubauten und auch bei Modernisierungen elektronische Zähler eingebaut werden. Elektronische Zähler bieten die Möglichkeit, Wirkleistung oder Wirkenergie jeder einzelnen Phase getrennt zu erfassen. Für einen normalen Haushalt ist dies von Vorteil, weil man so detaillierte Informationen über Verbräuche in den verschiedenen Stromkreisen erhält. Im genannten Beispiel mit solarer Einspeisung wird jedoch bei getrennter Erfassung innerhalb der betrachteten Stunde eine über L1 eingespeiste Energie von 2 kWh (Vergütung ca. 24 Cent) und über L3 eine bezogene Energie von 1 kWh (Verbrauchskosten ca. 25 Cent) gezählt. Statt der erwarteten Vergütung von 12 Cent würden Einspeisekosten von 1 Cent berechnet werden! D. h. bei einphasiger Einspeisung und dreiphasigem Bezug ist zur korrekten Erfassung des Eigenverbrauchs der elektronische Zähler so einzustellen, dass wie beim Ferraris-Zähler stets die Summenleistung erfasst wird.

4.5

Energiespeicher

Ekkehard Boggasch

4.5.1

Grundlegende Begriffe und Definitionen

Speicherung von Energie in stationären und mobilen Anwendungen spielt eine immer wichtiger werdende Rolle in Anbetracht der Umstellung unserer Energieversorgung auf zunehmend erneuerbare Energiequellen. Zum einen erfolgt eine zunehmende Nutzung regenerativer Energie basierend auf Wind- und PV-Energie mit stark fluktuierendem Charakter in dezentralen Speichersystemen zur Eigenbedarfsdeckung. Des Weiteren zeichnet sich auch im Individualverkehr eine zunehmende Umstellung auf Fahrzeuge mit Elektroantrieb ab. Diese Fahrzeuge führen, je nach Ausführung, mehr oder weniger große elektrische Energiespeicher an Bord mit. Der physikalische Nutzen von Energiespeichern besteht in der kurz- mittel- oder langfristigen Aufnahme und Bevorratung von nicht kontinuierlich anfallender Energie, um im zeitlichen Mittel zu einem Ausgleich zwischen dem jeweiligen Angebot und der vorhandenen Nachfrage zu gelangen, wie es in Abb. 4.93 schematisch für fünf Tage dargestellt wird. Die Sonne scheint nur tagsüber, der Wind kann auch nachts auftreten, während der Lastgang des Bedarfs einen davon unabhängigen Verlauf hat.

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

329

Abb. 4.93 Prinzip des Speichereinsatzes

Der Strom- und Wärmebedarf in Gebäuden unterliegt, je nach Bewohneranzahl und -typ, gewissen tages- und jahreszeitlichen Schwankungen. Im Fall von thermischer Energiespeicherung ist die Nutzung der Solarenergie mittels Solarthermie zu einem häufigen Anwendungsfall geworden. Tagsüber wird die mehr oder weniger intensiv verfügbare Solarstrahlung im Kollektor in Wärmeenergie gewandelt und diese in einem Brauchwasserspeicher gesammelt, so dass sie den Bewohnern bei Bedarf auch in den Nachtstunden zur Verfügung steht. Speichergröße und Kollektorfläche sind entsprechend dem Bedarf zu dimensionieren. Anders sieht es bei elektrischer Energie aus. Hier gibt es bislang wenige Speichertechnologien, die diese Energieform in größerer Menge und mit hoher Energiedichte speichern können. Um bei einer Spannung U D 230 V die moderate Energiemenge von einer Kilowattstunde 1 kWh D 3,6 MJ in einem Kondensator zu speichern, wird bereits eine Kapazität von  2  3;6  106 Ws 2 Wel D  136 F (Farad) C D U2 .230 V/2 benötigt. Solche extrem großen Kapazitätswerte können heutzutage durch Verwendung elektrochemischer Doppelschichtkondensatoren (EDLC oder kurz auch als Super¯caps bezeichnet) realisiert werden [22], allerdings nur bei einem Spannungsniveau von wenigen Volt. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei magnetischer Feldenergie. Für die Speicherung einer Kilowattstunde bei einem Strom von 10 A wird hier eine extrem große Induktivität von 2 Wm D 72:000 H (Henry) LD U2 benötigt. Alternativ müsste man die Stromstärken etwa um den Faktor 1000 erhöhen, um in den Bereich zu realisierender Induktivitäten zu gelangen was aber wiederum hohe technologische Anforderungen an die dafür notwendige Schalt- und Leitungstechnik, ggf. unter Nutzung von Supraleitung stellt und im normalen Gebäudebetrieb derzeit kaum umsetzbar erscheint.

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A. Böker et al.

Anders liegen die Verhältnisse bei der Speicherung anderer Energieformen etwa mit chemischen Speichermedien. Ein Kfz mit einem Tankinhalt (Speicher) von 40 Litern Benzin (1 Liter Benzin enthält etwa eine Energiemenge von 12 kWh.) führt etwa eine chemische Energiemenge von Wchem D 40 Liter  12

kWh D 480 kWh Liter

mit sich. Natürlich muss man diese Energiemenge noch mit einem Energiewandler (z. B. Motor mit angekoppeltem Generator) in elektrische Energie überführen, hätte aber bei einem Wirkungsgrad von 30 % immer noch 144 kWh verfügbar, also ein Vielfaches der Energiemenge gegenüber der direkten Speicherung elektrischer Energie in Kondensatoren oder Spulen. Auch die im Kfz standardmäßig mitgeführte Bleibatterie trägt beträchtliche elektrochemische Energiemengen in sich. Eine Batterie mit 80 Ah enthält bei einer Spannung von 12 V eine Energiemenge von 0,96 kWh D 3456 kJ, also etwa den Energieinhalt von 80 ml Benzin und ist eine schon seit langem etablierte Speichertechnik. Der Vorgang des Energiespeicherns lässt sich formal in die folgenden drei Prozessschritte einteilen [23]:  Einspeichern (Ladeprozess),  Speichern (Speicherprozess),  Ausspeichern (Entladeprozess). Bei Induktivitäten, Kondensatoren und Akkumulatoren erfolgen die drei Energiewandlungsprozesse in einem Bauteil. Sich bewegende Ladungsträger werden als Ladestrom im Kondensator eingespeichert bzw. angesammelt und bauen dort ein elektrisches Feld auf. Bei Bedarf können die angesammelten Ladungsträger wieder als Entladestrom ausgespeichert bzw. entnommen werden. In Batterien wird der Ladestrom elektrochemisch gewandelt und chemisch gespeichert. Bei anderen Formen von Energiespeichern sind für die drei Prozesse mehrere unterschiedliche Bauteile erforderlich. So werden etwa Pumpspeicher im sogenannten Pumpbetrieb „geladen“ und im Turbinenbetrieb „entladen“. Bei allen Arten von Energiespeicherung wird letztlich nicht die volle primär zur Verfügung stehende Energie eingespeichert, sondern es entstehen Verluste beim Ein-und Ausspeichern sowie wie auch während der Speicherung. Im Weiteren wird angenommen, dass es sich bei der primär vorhandenen Energieform um elektrische Energie Wel handelt, die beim Einspeichern entweder erhalten bleibt oder aber auch in andere Energieformen gewandelt werden kann, aber nach dem Ausspeichern letztlich wieder als elektrische Energie zur Verfügung stehen soll. Damit lässt sich die primär vorhandene elektrische Energie Wel

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Elektrische Energiewandler und Speicher

331

über die zeitabhängige elektrische Leistung pel .t/ berechnen1 Z Wel D pel dt : Die zunächst primär vorhandene elektrische Energie wird im Verlauf des Einspeicherungsvorganges in die eingespeicherte Energiemenge Wspein einer bestimmten Speicherenergieform mit der zeitlich abhängigen Einspeicherleistung pspein gewandelt. Der Einspeicherungsvorgang erfolgt mit einem gewissen Wandlungswirkungsgrad Z pspein dt Wspein : (4.49) D Z

ein D Wel pel dt

ein ist dabei kleiner als 1, da bei jedem Energiewandlungsprozess ein Teil der primären Nutzenergie als Verlustenergie Wvein „verloren“ geht. Wvein D Wel  Wspein Nach der Einspeicherung können im Speicher durch Selbstentladung wiederum Verluste Wvsp auftreten, die zu einer Abnahme der anfangs gespeicherten Energie Wspein führen und mit einem Speicherwirkungsgrad sp ausgedrückt werden können, so dass die Ausspeicherenergie im Vergleich zur Einspeicherenergie noch weiter abnimmt. Wspaus < Wspein

sp D

Z

Wspaus D Z Wspein

pspaus dt ;

Wvsp D Wspein  Wspaus

(4.50)

pspein dt

Bei der Ausspeicherung und Rückwandlung der Speicherenergie Wspaus in Form des zeitlichen Integrals der zeitabhängigen elektrischen Leistung pspaus in nutzbare ausgespeicherte Energie Waus treten erneut Verluste Wvaus auf, die mit aus beschrieben werden: Z paus dt Waus mit Wvaus D Wspaus  Waus : DZ (4.51)

aus D Wspaus pspaus dt 1

Wegen der zu beschreibenden Umwandlungen von verschiedenen Energieformen mit ihren zugehörigen Leistungen wird hier in Abschn. 4.5 die elektrische Wirkleistung p.t / mit pel .t / bezeichnet.

332

A. Böker et al. Speicher

η ein

Ausspeichern

η Speicher

Ausspeicherverlust

Ausgespeicherte Energie

Einspeichern

Speicherenergie

Primäre Energie

Einspeicherund Speicherverlust

η aus

Energie Einspeicherverluste Speicherverluste Ausspeicherverluste Zeit

Abb. 4.94 Energiewandlungskette beim Einspeichern, Speichern, Ausspeichern

Treten also beim Vorgang des Ein- und Ausspeicherns mehrere Energiewandlungen auf spricht man von Wandlungsketten, bei denen sich der Gesamtwirkungsgrad ges multiplikativ aus den jeweiligen Teilwirkungsgraden der Wandlungsprozesse ergibt (siehe Abb. 4.94):

ges D ein  sp  aus Wspein Wspaus Waus Wel  Wvges Wvges Waus

ges D   D D D1 Wel Wspein Wspaus Wel Wel Wel mit

 Wvges D Wvein C Wvsp C Wvaus D Wel  Waus D Wel 1  ges :

(4.52)

(4.53)

Neben der Energiemenge und dem Wandlungswirkungsgrad ist ein weiterer wichtiger Punkt die Zeitdauer, in der eine bestimmte Energiemenge in den Speicher geladen bzw. aus dem Speicher entnommen werden kann, also die Leistung, mit der ein Energiespeicher gefüllt oder geleert werden kann. Unter der Annahme einer auf den Bemessungsfall bezogenen während der Zeit tein=aus konstanten maximal möglichen Ein- bzw. Ausspeimax ergibt sich cherleistung pein=aus tein=aus D

Wein=aus : max pein=aus

(4.54)

max ergibt Die Zeit der Ladung eines Speichers mit maximaler Bemessungsleistung pein die kürzeste Einspeicherdauer tein oder auch minimale Ladedauer mit maximaler Einspeicherleistung und damit maximaler Ladeleistung. Entsprechend ergibt die Entladung

4

Elektrische Energiewandler und Speicher

333

max eines Speichers mit maximaler Bemessungsleistung paus die kürzeste Ausspeicherdauer taus oder auch minimale Entladedauer mit maximaler Ausspeicherleistung und damit mit maximaler Entladeleistung. Die Ausspeicherdauer taus (Entladedauer) wird auch als W=P -Verhältnis (W=P -Ratio) bezeichnet und dient üblicherweise zur zeitlichen Klassifizierung von Energiespeichern. Die bei den Speicher- und Wandlungsprozessen anfallende Verlustenergie Wvges tritt am Ende meist in Form von abgegebener Wärmeenergie nach außen in Erscheinung. Im Fall einer möglichen nutzbringenden Verwendung dieser thermischen Energie ist diese auch als additive Nutzenergie zu bewerten und führt zu einer bilanztechnischen Verbesserung des Gesamtwirkungsgrades so wie es etwa bei der Kraft-Wärme-Kopplung zur Anwendung kommt. Gerade im Bereich der elektrischen Energieversorgung mit 50-Hz-Wechselstrom muss elektrische Speicherenergie bei manchen Anwendungen innerhalb von Millisekunden zur Verfügung stehen, damit es zu keiner Versorgungsunterbrechung kommt (siehe Abschn. 4.5.3). Muss die elektrische Energie dabei zunächst über verschiedene Prozesse in verschiedenen Wandlungsketten aus einem Speicher bereitgestellt werden, wird es herausfordernd, diese hohe zeitliche Anforderung zu erfüllen. Andererseits sind elektrische Speicher wie Kondensatoren oder Induktivitäten bei relativ kleinem W=P -Verhältnis auch nicht in der Lage große Energiemengen zu speichern. Daher wird es in der Praxis häufig auf eine Kombination verschiedener Speichertechnologien ankommen, um elektrische Energie sowohl schnell verfügbar als auch in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen. Man unterscheidet hier deshalb im zeitlichen Maßstab entsprechend zwischen Kurz- (mit einer Zeitkonstante von Millisekunden bis Sekunden), Mittel- (Minuten bis Stunden) und Langzeitspeichern (Tage bis Wochen/Monate/Jahre). Die sogenannte Bemessungskapazität CN einer Speicherbatterie2 entspricht der speicherbaren Ladungsmenge. Die Maßeinheit von CN ergibt sich als Produkt der Maßeinheiten von Strom und Zeit. Sie wird typischerweise in As oder Ah angegeben. Aus CN lässt sich die Zeitdauer angegeben, in der bei einem konstanten Entladestrom der Speicher entladen wird. Erhöht sich der Entladestrom, verkürzt sich die Zeitdauer und umgekehrt. Wenn die Bemessungskapazität CN und ein konstanter Lade-, bzw. Entladestrom Imax vorgegeben ist, ergibt sich die sogenannte C -Rate oder der C -Faktor für den Lade- bzw. Entladevorgang aus Imax : (4.55) C D CN Der C -Faktor hat die Dimension 1/Zeit. Die Maßeinheit ist also z. B. 1/s oder 1/h. Je nach C -Faktor kann damit bei gegebenem CN der jeweilige Lade- bzw. Entladestrom Imax bestimmt werden, siehe dazu Tab. 4.10. Der C -Faktor ist im Allgemeinen für das Laden der Batterie meist deutlich geringer als beim Entladen. Elektrische Speicher mit hoher Speicherfähigkeit für elektrische Energie (hohe Kapazitäten) erlauben in der Regel nur kleine bis mittlere Entladeströme und haben dementspre2

Nicht zu verwechseln mit der Kapazität C eines Kondensators.

334 Tab. 4.10 C-Raten einer Batterie mit CN D 1000 mAh, Zusammenhang mit Zeit und Strom

A. Böker et al. Strom Imax 1000 mA 500 mA 2000 mA 30.000 mA

Zeitdauer 1 h 2 h 30 min 2 min

C-Rate in h1 1 0,5 2 30

chend nur geringe Leistungsdichten (W=P -Verhältnis groß). Spezielle leistungsoptimierte Speicher haben häufig nur geringe Energiedichten aber hohe Leistungsdichten (W=P Verhältnis klein), so dass kurzzeitig sehr hohen Entladeströme geliefert werden können. So ist etwa für reine Elektrofahrzeuge die Reichweite des Fahrzeugs direkt von der Kapazität und damit der gespeicherten Energiemenge abhängig. Bei hybrid-elektrischen Fahrzeugen werden dagegen höchste Anforderungen an die Leistungsdichte und damit auch an die Hochstromfähigkeit beim Be- und Entladen gestellt. Beim Anfahren und Beschleunigen treten Leistungsspitzen auf, die über das elektrische Antriebssystem abgedeckt werden. Die in der Batterie gespeicherte Energie muss in diesem Fall sehr schnell abgegeben werden. Beim Ladevorgang dagegen ist die elektrische Energie, die beim Bremsvorgang durch den elektrischen Motor aus kinetischer Energie umgewandelt und zurückgewonnen wird (Rekuperation), innerhalb weniger Sekunden in der Batterie zu speichern. Je schneller die Vorgänge stattfinden, desto höher ist der Lade- bzw. Entladestrom. Für hohe gravimetrische Leistungsdichten von Speichern (bezogen auf die gesamte Speichermasse in W/kg) bzw. volumetrische Leistungsdichte (bezogen auf das gesamte Speichervolumen in W/l) und einen schnellen Lade- und Entladevorgang der Zellen bzw. des Gesamtsystems (z. B. bei Schnellladung bzw. Beschleunigung) ist die Hochstromfähigkeit der Speicher ein wichtiger Faktor. Mit hohen Strömen ist auch eine hohe Wärmeentwicklung verbunden. Daher sind für einen zuverlässigen Betrieb geeignete Batterietypen auszuwählen und auf eine ausreichende Kühlleistung zu achten. Ist letztere nicht gegeben, haben die entstehenden hohen Temperaturen negative Zell-Reaktionen zur Folge. Die Zyklenfestigkeit bzw. die Lebensdauer der Batterie verschlechtern sich. Es gibt deutliche Unterschiede hinsichtlich Energie- und Leistungsdichte, Zyklenfestigkeit und Entladetiefe, die für eine Klassifizierung von Speichertypen herangezogen werden. Man unterscheidet zwischen primären und sekundären Energiespeichern. Primäre Energiespeicher sind Energiespeicher, die nur einmal geladen und entladen werden können. Bei sekundären Energiespeichern ist dies mehrfach möglich. Einwegbatterien zählen zu den primären Energiespeichern. Sie werden auch als Primärbatterien bezeichnet. Im Bereich elektrischer Energiespeicher unterscheidet man entsprechend zwischen Primärzellen, die auf nicht oder nur teilweise reversiblen Redoxreaktionen basieren, und Sekundärzellen, welche mit für eine begrenzte Zyklenanzahl reversiblen Redoxreaktionen arbeiten. Erstere werden umgangssprachlich als Batterien, letztere als Akkumulatoren bezeichnet. Beispiele für primäre Energiespeicher sind insbesondere die natürlich vorkommenden Energieträger, wie etwa die fossil vorkommenden Brenn- und Kraftstoffe, die in

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entsprechenden Speichereinheiten wie Erdöllager, Kohlehalden oder Erdgasspeichern vorgehalten werden. Ihre „Einspeicherung“ erfolgte einmalig über sehr lange Zeiträume über die Photosynthese zu Biomasse und die natürliche Umformung zu fossiler Primärenergie. Die „Ausspeicherung“ erfolgt einmalig über das Verbrennen der fossilen Energieträger in Kraftwerken, Heizungen und Fahrzeugen. Zu den sekundären Energiespeichern zählen alle wieder aufladbaren Energiespeicher wie Akkumulatoren, die auch als Sekundärbatterien bezeichnet werden. Weitere Beispiele sind Pumpspeicherwerke, Druckluftspeicher, Kondensatoren, Spulen, Schwungmassenspeicher oder stoffliche Speichersysteme wie Gasspeicher und Kraftstofftanks, welche mehrfach gefüllt und über entsprechende Ausspeichertechnologien mehrfach entladen werden. Speichersysteme können mit einem externen (z. B. Tank) oder internen (z. B. Kondensator) Speicher zur Verfügung stehen. Eine weitere Klassifizierung von Energiespeichern kann durch die Unterscheidung in sektorale oder sektorenübergreifende Speicherung erfolgen. Unter dem Begriff Energiesektoren werden häufig die vier energietechnischen Hauptanwendungsbereiche Strom, Wärme, Gas und Verkehr verstanden. Klassische Beispiele für Anwendungen sektoraler Energiespeicher sind z. B. der Pumpspeicher im Stromsektor, der Pufferspeicher im Wärmesektor, der Gasspeicher im Gassektor und die Kraftstofftanks im Verkehrssektor. Die ausgespeicherte Energie Waus ist in diesem Fall identisch mit der eingespeicherten Energieform Wein . Sektorale Energiespeicher sind also Energiespeicher, die ausschließlich in einem Energiesektor eingesetzt werden. Das Ein- und Ausspeichern erfolgt dabei bidirektional im selben Energiesektor. Sektorenübergreifende Energiespeicher sind Energiespeicher, die dagegen beim Ein- und Ausspeichern mehrere Energiesektoren einbeziehen und dort sowohl uni- als auch bidirektional arbeiten können. Beispiele für sektorenübergreifende Energiespeicher sind etwa elektrische Speicherheizungen, die z. B. im Lastmanagement zwischen dem Strom- und Wärmesektor Verwendung finden. Unter dem Begriff Power-to-Heat werden elektrische Wärmeerzeuger wie Wärmepumpen und Heizstäbe dazu benutzt, um etwa überschüssig vorhandenen Wind- und Solarstrom, aber auch Regelenergie in Wärme sektorübergreifend zu wandeln und zu speichern. Eine bidirektionale Zurückverstromung dieser gespeicherten Niedertemperaturwärme ist in der Regel nicht möglich. Eine interessante Variante stellt auch die Power-to-Gas-Technologie dar. Hierbei geht es im Wesentlichen um eine Wandlung von elektrischer Energie über Wasserelektrolyse in Wasserstoff, bevorzugt von überschüssig vorhandener regenerativer elektrischer Energie. Optional kann daran anschließend, unter Nutzung von CO2 , Methan synthetisiert und in das bestehende Gasnetz eingespeichert werden. Durch diese sektorale Verknüpfung mit der vorhandenen Gasinfrastruktur kann der Energieträger Gas transportiert und gespeichert werden. Analog zu Power-to-Heat kann Power-to-Gas durch die Verbrennung des Gases für Wärmezwecke (BHKW, Gastherme etc.) eine Kopplung zwischen Strom- und Wärmesektor bewirken. Eine Kopplung zwischen dem Strom- und dem Verkehrssektor wird die Elektromobilität ermöglichen, mit der sich längerfristig bei bidirektionaler koor-

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dinierter Nutzung vieler Fahrzeugbatterien eine interessante Speichermöglichkeit für den Stromsektor bietet. Die einzelnen Prozesse sind nicht zwingend an ein Medium, ein Bauteil oder einen Ort gebunden. Power-to-Gas Systeme bestehen beispielsweise aus einem Gasspeicher, der sich räumlich vom Gasentstehungs- und Einspeicherungsort entfernt befinden kann ebenso wie die Gasturbine oder das BHKW, die sich für das Ausspeichern an anderen Orten des Gasnetzes befinden können. Die Effizienz oder der Wirkungsgrad eines Speichers hängt davon ab, wie viele physikalische Umwandlungsschritte zwischen den drei Prozessen stattfinden. Für komplexere Systeme kommt häufig eine Kombination verschiedener Speichertypen zum Einsatz, um individuelle Vorteile der verschiedenen Typen besser zu nutzen und deren Nachteile zu minimieren. Ein praktisches Beispiel des Einsatzes von mehreren Speichersystemen zur Nutzung von erneuerbarer Energie in einem Gebäudeumfeld und das dafür notwendige Energiemanagement, wird am Ende des Kapitels vorgestellt. Ein wichtiges Kriterium beim Einsatz von Energiespeichern ist auch deren Wirtschaftlichkeit und die damit verbundene Lebensdauer. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist je nach Speichertyp und Bauart unterschiedlich. Sie beträgt z. B. 3 bis 5 Jahre für Standard USV-Anlagen mit Bleiakkumulatoren, für Lithium-Ionen-Akkus etwa 10 Jahre. Für andere Typen, wie Redox-Flow-Akkus wird sie mit über 20 Jahren angegeben. Die Lebenserwartung ist jedoch von den Umgebungs- und Betriebsbedingungen abhängig. Die optimale Umgebungstemperatur liegt bei ca. 20 ı C. Frost und hohe Temperaturen, hohe Lade- und Entladeströme, sowie Tiefentladungen oder Überladungen können die Lebensdauer der Batterien erheblich verkürzen. Gerade die neueren Energiespeichertypen für dezentrale Speicherung elektrischer Energie in Gebäuden und mobile Speicher für Elektrofahrzeuge unterliegen gegenwärtig einem rasanten technologischen Entwicklungsprozess, so dass auch Angaben zur Wirtschaftlichkeit einem schnellen Wandel unterliegen und Speichersysteme interessant werden, die bislang als unwirtschaftlich angesehen wurden.

4.5.2

Einteilung von Energiespeichern

Eine häufig vorgenommene Einordnung von Energiespeichern ist die Unterteilung nach der physikalischen Form der gespeicherten Energie. Häufig wird dabei zwischen folgenden Energieformen unterschieden [24]:    

elektrische Energie in Form von elektrostatischer oder magnetischer Energie, stofflich-chemische Energie in Form von Bindungsenergie der gespeicherten Stoffe, mechanische Energie in Form von kinetischer und potentieller Energie, thermische Energie in Form von Wärme und Kälte.

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In diesen vier Hauptenergieformen können wiederum Untergruppen definiert werden. Beispielsweise lassen sich die mechanischen Energiespeicher in potentielle Energiespeicher wie Pumpspeicher oder kinetische Energiespeicher wie Schwungräder unterteilten. Elektrische Energiespeicher Es wurde bereits im Kapitel 1 angesprochen, dass ein Kondensator oder eine Induktivität elektrische Wel und magnetische Feldenergie Wm direkt, also ohne Wandlung und externen Speicher speichern können. Im Gleichstromkreis gilt Wel D

1 CU2 2

und Wm D

1 L I2 : 2

(4.56)

In einem Kondensator der Kapazität C werden durch Anlegen der Spannung U an die Elektroden elektrische Ladungen Q D C U auf den Metallplatten gespeichert und dabei ein elektrisches Feld E aufgebaut. Kondensatoren sind in nahezu jedem elektronischen Gerät verbaut und dienen entweder als kurzzeitiger Energiespeicher oder als frequenzabhängiger Widerstand. Zur Speicherung größerer Energien verwendete Kondensatoren werden auch als Leistungskondensatoren bezeichnet. Eine Weiterentwicklung des klassischen Kondensatorkonzepts stellen Doppelschichtoder auch Superkondensatoren oder kurz Supercaps genannte Kondensatoren dar. Sie speichern die Energie ebenfalls in Form eines elektrischen Feldes, das jedoch zwischen den zwei Elektroden und den positiv bzw. negativ geladenen Ionen eines speziellen als Dielektrikum dienenden Elektrolyten aufgebaut wird. Doppelschichtkondensatoren weisen einen hohen Wirkungsgrad, eine hohe Leistungsdichte aber wie normale Kondensatoren nur eine geringe Energiedichte auf. Doppelschichtkondensatoren stellen auf Grund ihres Aufbaus den Übergang zwischen den rein elektrischen zu den elektrochemischen Energiespeichern dar. Positive Eigenschaften sind die schnelle Be- und Entladezeit, sehr hohe Leistungsdichten und die hohe Zyklenanzahl. Durch ihre geringe Energiedichte kommen Kondensatoren allerdings nur als Kurzzeitspeicher in Frage. Sollen Kondensatoren in Wechselspannungsnetzen als Energiespeicher eingesetzt werden, sind Gleichrichter für den Ladevorgang und Wechselrichter für den Entladevorgang erforderlich. Anwendung findet der Kondensator hauptsächlich als Pufferspeicher in leistungselektronischen Schaltungen wie Wechseloder Frequenzumrichtern. Supraleitende Spulen als magnetische Energiespeicher, auch als Superconducting Magnetic Energy Storage (SMES) bezeichnet, speichern elektrische Energie im magnetischen Feld einer supraleitenden Spule. Der Effekt der Supraleitung beruht darauf, dass bestimmte Materialien bei Unterschreiten einer bestimmten kritischen Temperatur, der sogenannten Sprungtemperatur, ihren elektrischen Wirkwiderstand verlieren. Unterhalb dieser Temperatur wird der elektrische Strom verlustlos geleitet. Supraleitende magnetische Energiespeicher bestehen im Wesentlichen aus einer supraleitenden, thermisch gut

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gegen die Umgebung isolierten Spule, die durch ein Tiefkühlsystem mit flüssigem Helium auf Temperaturen unterhalb der notwendigen Sprungtemperatur abgekühlt ist. Beim Laden fließt der Strom durch die supraleitende Spule und baut ein Magnetfeld auf. Nach abgeschlossenem Ladevorgang fließt der das Magnetfeld erzeugende Strom I verlustfrei in der kurzgeschlossenen Spule im Kreis. Chemische Energiespeicher Die chemischen Energiespeicher mit den Untergruppen der elektro- und stofflichchemischen Energiespeicher bilden eine sehr vielseitige Gruppe der Energiespeicher. Hierzu gehören Batterien als Primärspeicher und Akkumulatoren als Sekundärspeicher. Im Sprachgebrauch wird häufig der Begriff Batterie synonym auch für wiederaufladbare Akkumulatorsysteme verwendet. Bei den mobil in Fahrzeugen mitgeführten Akkumulatoren, wie die weit verbreiteten Bleiakkumulatoren, in denen die elektrische Energie beim Ein- und Ausspeichern komplexe Energiewandlungsprozesse in Wechselwirkung der Elektroden mit dem umgebenden Elektrolyt durchlaufen, zählen zur Untergruppe der elektrochemischen Speicher. In modernen Elektrofahrzeugen finden heutzutage die wesentlich effektiveren LithiumionenAkkumulatoren Anwendung, mit denen höhere Energiedichten erreicht werden. Akkumulatoren und Batterien als elektro-chemische Speicher bestehen aus einer Anordnung von galvanischen Zellen, in denen eine Redoxreaktion abläuft, die sich mit einer Vielzahl von Elektroden-Elektrolyt-Kombinationen realisieren lässt. Die Energie wird in elektrochemischer Form in den beteiligten Elektrodenmaterialien, so wie bei Blei- oder LithiumIonen-Akkumulatoren oder in Form unterschiedlich geladener Ladungsträger, wie in einer Redox-Flow-Batterie gespeichert. In stofflich-chemischen Speichern wird ein Energieträger, wie etwa Wasserstoff, in externen Speichern gespeichert. Blei-Akku Blei-Säure-Akkumulatoren gehören zu den ältesten und am weitesten verbreiteten elektrochemischen Speichern. Sie gehören zu den Systemen mit internem Speicher und dienen millionenfach als Starterbatterien für Kraftfahrzeuge. Mit größerer Kapazität kommen sie auch noch als Traktionsbatterien für Elektrofahrzeuge und als dezentrale Speicherbatterien in Gebäuden zur Speicherung von PV-generiertem Strom oder im Bereich der Notstromversorgung als unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) zur Anwendung. Die Elektroden bestehen aus Blei bzw. Bleidioxid, als Elektrolyt wird Schwefelsäure verwendet. Der Elektrolyt wird mittlerweile oft durch Zusätze in Form eines Gels (BleiGel-Akku) gebunden. Kernstück der Akkumulatoren sind zwei Elektroden, die aus unterschiedlichen Metallen oder Metalloxiden bestehen können, welche von einer ionenleitenden Elektrolytlösung, z. B. verdünnter Schwefelsäure, umgeben sind. Die Möglichkeiten hinsichtlich Auswahl und Kombination der Materialien im Bereich der elektrochemischen Speichersysteme sind sehr vielseitig. Blei-Säure-Akkumulatoren weisen mit über 70 % einen relativ hohen Wirkungsgrad auf, haben mittlere Speicherverluste von etwa 10 % pro Monat und eine Lebensdauer im

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Bereich von 3 bis 12 Jahren. Der Vorteil dieser Batterien liegt vor allem in den geringen Kosten und der Vielzahl möglicher Anwendungen. Obwohl Blei-Batterien schon lange in Gebrauch sind, besteht vor allem in Bezug auf ihre Lebensdauer und Leistungsfähigkeit noch immer weiteres Entwicklungspotential. Negativ wirkt sich die geringe Energiedichte von 25 bis 40 Wh/kg aus, die auch durch die maximale Entladetiefe von 70 % bedingt wird. Neben ihrem Hauptanwendungsfeld als Starterbatterie kommen Blei-Säure-Akkumulatoren als kurz- und mittelfristige Energiespeicher in Notstromversorgungen oder regenerativ gespeisten Inselsystemen zum Einsatz. Der erfolgreiche Betrieb eines Energiesystems mit einem Batteriespeicher erfordert ein genaues Verständnis der inneren Vorgänge in einer Batterie und ihre Abhängigkeiten von äußeren Einflussfaktoren. In allen Batterien ist die elektrische Energie chemisch gespeichert, der Übergang von elektrischer in chemische Energie und umgekehrt läuft nach einer reversiblen Redox-Reaktion ab. Andere Nebenreaktionen führen zu Verlusten bei den Umwandlungsprozessen. Die maßgebliche Reaktionsgleichung eines Blei-Akkus kann als Gesamtgleichung angegeben werden: 2 H2 SO4 C Pb C PbO2 ! 2 PbSO4 C 2 H2 O C 2;04 V: Aus der elektrochemischen Spannungsreihe lassen sich die Reduktions- und Oxidationspotentiale und damit auch die Potentialdifferenz und damit die elektrische Spannung angeben: 0 D 'Red  '0x D C1;68 V .0;36 V/ D C2;04 V:

'ges Diese Spannung liegt begleitend zu den chemischen Reaktionen an den Elektroden der Batterie an. Folgende Umstände beeinflussen diese Spannung:    

Konzentration des Reaktionsmaterials, Stromstärke bezogen auf die Ladungsmenge der Batterie (C-Faktor), Umgebungstemperatur, Alter der Batterie.

Um die hochkomplexen, physikalischen und chemischen Vorgänge innerhalb einer Batterie vereinfacht abbilden und modellieren zu können, wird häufig mit Ersatzschaltbildern gearbeitet. Dabei wird das elektrische Verhalten durch einfache Bauteile, wie Spannungsquellen, Widerstände, Kapazitäten und Induktivitäten nachgebildet. Detaillierte Modelle erzielen eine präzise Nachbildung der einzelnen elektrochemischen Effekte, während stark vereinfachte Modelle mit nur wenigen Widerständen und Kapazitäten zu einer äußerst schnellen Berechnung im Rahmen von einfachen Simulationen führen. Bis zum Ende 1994 war mit 17 MW eine der weltweit größten Batteriespeicheranlagen in West-Berlin in Betrieb. Sie bestand aus 7080 Bleiakkumulatoren mit einer Speicherkapazität von 14 MWh für die Spannungsstabilisierung des West-Berliner Insel-Stromnetzes. Derzeit werden zunehmend Blei-Akku-Speicher-Systeme in Kombination mit PVAnlagen auf Gebäuden für dezentrale Speicherlösungen preisgünstig angeboten. Damit

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soll der Anteil der Nutzung des vor Ort selbst produzierten Stromes und damit der Grad der Unabhängigkeit vom Energieversorgungsnetz erhöht werden. Nickel-Cadmium-Akku Nickel-Cadmium-Akkumulatoren wurden im Jahr 2004 EU-weit verboten. Davor wurden sie vor allem zur Versorgung von tragbaren Geräten aus der Unterhaltungselektronik eingesetzt. Sie besitzen gegenüber Blei-Säure-Akkumulatoren eine höhere Energiedichte und Entladetiefe. Wirkungsgrad und Speicherverluste sind mit denen von Blei-SäureAkkumulatoren vergleichbar. Die Elektroden bestehen aus Cadmium bzw. Nickel-IIIOxid-Hydrat, als Elektrolyt wird meist eine Kaliumhydroxid-Lösung verwendet. Beim Entladen wird an beiden Elektroden jeweils ein Metallhydroxid gemäß Cd C 2 NiO.OH/ C 2 H2 O ! 2 Ni.OH/2 C Cd.OH/2 C W gebildet. Nickel-Cadmium-Akkumulatoren zeigen jedoch einen verstärkten Memory-Effekt, der bei Teilentladung zu einer dauerhaften Verringerung der Speicherkapazität führen kann. Danach folgende Weiterentwicklungen, wie der Nickel-Metallhydrit-Akkumulator, kommen ohne den Einsatz des toxisch wirkenden Schwermetalls Cadmiums aus. Li-Ionen-Akku Der Li-Ionen-Akku gehört zur Gruppe der Sekundärzellen und würde also korrekt als Li-Ionen-Akkumulator bezeichnet werden. Er stellt aufgrund seiner zahlreichen Vorteile gegenüber anderen Sekundärzellarten eine der zukunftweisendsten Speichertechnologien im mobilen als auch im stationären Einsatz dar. Lithium wird auch als ideales Aktivmaterial von Primärbatterien verwendet. Es ist das leichteste Element in Feststoffform (relative Atommasse M D 6;941 g=mol; Dichte 0;53 g=cm3 ) und besitzt mit ' 0 D 3;04 V das größte negative Standardpotential (Potential gegenüber einer NormalWasserstoffelektrode) in der elektrochemischen Spannungsreihe. Bei Primärzellen wird das reine Lithium Metall für die negative Elektrode verwendet. Vorteile im Vergleich zu herkömmlichen Primärzellen wie etwa Alkali-Mangan-Zellen sind eine höhere Zellspannung, eine höhere Energiedichte, eine geringe Selbstentladung, lange Lagerfähigkeit und ein größerer nutzbarer Betriebstemperaturbereich. Lithium-Ionen-Akkumulatoren bezeichnen eine Klasse von elektrochemischen Speichern, die auf einer positiven lithiumdotierten Metalloxid-Elektrode und einem lithiumbasierten Elektrolyten basieren. Als zweite negative Elektrode kommt meist Graphit oder amorpher Kohlenstoff zum Einsatz. Sowohl in der Metalloxid- als auch in der GraphitElektrode werden Lithium-Atome in das Elektrodengitter eingelagert. Beim Entladen werden Lithium-Ionen von der Graphit-Elektrode durch den Elektrolyten zur MetalloxidElektrode transportiert. Dort nehmen Sie aus dem äußeren Stromkreis Elektronen auf und werden in das Metalloxid eingelagert. Die zugehörige Redoxreaktion bei der Energiefreisetzung W lautet Li1x MeO2 C Lix Cn ! LiMeO2 C Cn C W:

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Es kommt eine Vielzahl von unterschiedlichen Materialkombinationen zum Einsatz. Als Metalloxide MeO2 werden Kobalt-, Mangan- oder Nickeloxid alternativ auch Eisenphosphat eingesetzt. In der Regel bezieht sich der genaue Name auf die chemische Zusammensetzung des verwendeten Materials auf der positiven Elektrode. Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Zellchemien mit spezifischen unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Dadurch ist ein Typ für eine bestimmte Anwendung gut oder weniger gut geeignet. Dabei ist nicht nur das elektrochemische Verhalten für den Einsatz wichtig, sondern auch die jeweiligen Kosten, die zu erreichende Lebensdauer sowie Sicherheit- und Umweltaspekte. Lithium-Ionen-Akkumulatoren weisen hohe Energie- und Leistungsdichten und Wirkungsgrade von über 80 % auf. Hinzu kommen geringe Speicherverluste von unter 5 % pro Monat und eine im Gegensatz zum Blei-Akku nahezu vollständige Entladbarkeit. Nachteilig wirkt sich die hohe Reaktivität von Lithium gegenüber Luft und Wasser aus, die besondere Sicherheitsanforderungen bedingt. Lithiumbasierte Akkumulatoren stellen hinsichtlich Energiedichte und Zyklenfestigkeit eine realistische Option für den Mobilitätsbereich dar und werden heute in Elektrofahrzeugen überwiegend als Lithium-Eisen-PhosphatAkku eingesetzt. Im Gegensatz zu den Metalloxiden zeigt Lithium-Eisen-Phosphat (LFP) bis 300 ı C kaum thermische Effekte, die sicherheitstechnisch bedenklich wären. Eine vergleichsweise hohe Zyklenfestigkeit von bis zu 5000 ist ebenso ein großer Vorteil gegenüber anderen Zellchemien. Insbesondere ist es von der Toxizität her unbedenklich und erlaubt relativ hohe C -Raten (C D 50), was für die Schnellladung von Elektrofahrzeugen vorteilhaft ist. Nachteilig sind jedoch die im Vergleich niedrige Nennspannung und die damit verbundene geringere Energiedichte. Mehrere Zellen werden zu Modulen (Packs) in Reihe verschaltet und mehrere Module je nach Anwendungsfall wiederum zu seriell und parallel verschalteten Gesamtsystemen kombiniert. Eine der wichtigsten elektronischen Komponenten ist dabei das Batteriemanagementsystem (BMS), das beim Be- und Entladen neben der Steuerung und Überwachung des Ladungszustandes State of Charge (SOC) auf Zell- und Systemebene zusätzlich die Funktion als Schnittstelle zwischen Elektrofahrzeug- und Akkumulator-Kommunikation übernimmt. Die Lebensdauer von Li-Ionen-Batterien ist definiert als Zeitspanne zwischen dem Auslieferungszeitpunkt, dem Beginn of Life (BoL) und dem Zeitpunkt des End of Life (EoL) zu dem definierte Eigenschaften einen bestimmten Wert durch Alterung unterschreiten. Besonders für die Elektromobilität ist die Lebensdauer ein wichtiges Kriterium. Das Lebensdauerende tritt beispielsweise bei Unterschreiten der Speicherfähigkeit auf weniger als 80 % der Nennkapazität ein. Wann das EoL eintritt, hängt dabei stark von der Anwendung ab. Als Maß für die Lebensdauer wird unterschieden zwischen der Zyklenlebensdauer bzw. Zyklenfestigkeit und der kalendarischer Lebensdauer. Durch Wechselwirkungen zwischen Elektrolyt und Aktivmaterialien sowie durch Korrosionsvorgänge findet auch bei Nichtnutzung ein stetiger Alterungsprozess in der Zelle statt. Extreme Temperaturbedingungen und die Qualität des Herstellungsprozesses sind weitere Faktoren, welche die Alterung beschleunigen können.

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Redox-Flow-Batterie Eine Redox-Flow-Zelle ist ein elektrochemisches System, welches die Möglichkeit bietet, elektrische Energie in zwei flüssigen Elektrolyten mit unterschiedlichen RedoxIonenpaaren in externen Speichertanks zu speichern. Die flüssigen Elektrolyte, die Metallionen enthalten, werden durch Elektroden aus porösem Graphitflies gepumpt, die von einer ionendurchlässigen Membran getrennt sind. Bei einem Ladungsaustausch werden Elektronen freigesetzt, die sich über einen äußeren Stromkreis mit angeschlossenem Verbraucher als elektrische Energie nutzen lassen. Beim Beladen muss über eine Stromquelle elektrische Energie als DC-Leistung zugeführt werden. Redox-Flow-Batterien zeichnen sich durch eine hohe Zyklenfestigkeit aus, zudem sind Kosten bei Großinstallationen bis zu einigen MWh pro Wh relativ niedrig und sie eignen sich daher als stationäre Energiespeicher. In den vergangenen Jahren sind die weltweiten Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Vanadium-Redox-Flow-Batterie (VRFB) intensiviert worden. Die Anwendung als stationärer Speicher im Maßstab von kW/kWh bis zu MW/MWh konnte erfolgreich demonstriert werden. Typische Anwendungen waren hierbei Inselnetze, Notstromversorgungen sowie die Bereitstellung von Netzdienstleistungen wie Lastverschiebung in größeren Bürogebäuden oder die Stabilisierung der Leistungsabgabe von großen Photovoltaikanlagen und Windparks. In Deutschland wurde kürzlich ein Vanadium-Redox-Flow-BatterieSystem auf der Insel Pellworm mit einer Leistung von 200 kW und einer Kapazität von 1.6 MWh in Betrieb genommen [25]. Die Anlage wird in Kombination mit einem LithiumIonen Batteriesystem (1 MW/560 kWh) zur Maximierung des Eigenverbrauchs von lokal erzeugter regenerativer Energie betrieben. Sie entlastet darüber hinaus die elektrische Versorgungsleitung zum Festland. Die VRFB ist eine noch relativ junge Technologie, die aber zunehmend kommerziell verfügbar geworden ist. In den vergangen Jahren ist die Anzahl der Hersteller zwar weltweit gestiegen, auf dem europäischen Markt ist die Verfügbarkeit allerdings noch beschränkt. Zudem zeigte sich, dass die technische Verfügbarkeit von Systemen dem fundamentalen Wissen über den Prozess voreilt. Europaweit wurden daher die Forschungsaktivitäten im Bereich der Redox-Flow-Batterien in den vergangen Jahren ausgebaut. Der Technologie wird ein großes Potential zugeschrieben, sich auf dezentraler Ebene als Speichertechnologie zu etablieren. Ein besonderes Merkmal von VRFB, im Vergleich zu konventionellen Akkumulatoren, ist die unabhängige Skalierung von Leistung und Energie. Die Leistung wird über den zentralen Energiewandler (Batteriestack) und die Energie über das bereitgestellte Elektrolytvolumen definiert. Zudem bieten VRFB als Vorteile, dass sie theoretisch beliebig oft be- und entladen werden können und dass sie unempfindlich gegenüber Tiefentladung sind. Redox-Flow-Batterien stellen eine vielversprechende elektrochemische Speicheroption dar und zeichnen sich durch einen relativ hohen Wirkungsgrad, die Möglichkeit die Leistung- und Energiemenge separat zu skalieren sowie eine hohe Zyklenfestigkeit aus. Der Hauptvorteil dieser Technologie besteht darin, dass ein anwendungsbezogenes Design von Leistung und Energiemenge einfach zu realisieren ist. Die speicherbare Energiemenge lässt sich durch die Größe der externen Tanks sehr flexibel dimensionieren. Neben einem

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nahezu verschleißfreien Betrieb bieten Redox-Flow-Batterien den Vorteil, dass der Elektrolyt als Energieträger sich faktisch nicht selbst entlädt und deshalb, da der Elektrolyt in den Tanks getrennt von der Energiewandlungseinheit gelagert wird, die Energie gegebenenfalls auch sehr lange gespeichert werden kann. Eine sehr geringe Selbstentladung ist für diese Speicherart typisch und sie hat damit das Potential auch als Langzeitspeicher zum Einsatz zu kommen. Ein Nachteil des Vanadium Systems liegt, neben der Toxizität von Vanadium, vor allem in der schlechten Verfügbarkeit und dem damit verbundenen hohen Rohstoffpreis sowie in der relativ geringen erzielbaren Energiedichte wodurch sich große Baugrößen und hohe Rohstoffkosten ergeben. Es gibt noch verschiedene alternative Möglichkeiten Redox-Flow-Systeme zu realisieren, wovon gegenwärtig einige intensiv entwickelt werden. Während alternative RedoxFlow-Systeme wie Zink-Brom und Vanadium-Vanadium bereits kommerziell erhältlich sind, befinden sich andere Systeme, wie etwa das Eisen-Chrom-System aktuell im Demonstrationsstadium. Diese Eigenschaften machen die Redox-Flow-Batterie insgesamt zu einer interessanten Alternative für den Einsatz als Energiespeicher [22]. Weiterhin kann sie als unterbrechungsfreie Stromversorgung und in dezentralen Energieversorgungsnetzen eingesetzt werden, wo sie bei einem zunehmend hohen Anteil der im Angebot stark schwankenden erneuerbaren Energien, für einen Lastausgleich sorgen. Ein praktisches Beispiel dazu wird am Ende des Kapitels gegeben. Wasserstoff-Speichersysteme Wasserstoff-Speichersysteme benötigen neben dem eigentlichen externen Speicher eine umfangreiche Peripherie zur Ein- und Ausspeicherung. Beim Ladevorgang wird zunächst mittels eine Elektrolyseurs Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt und in Gasspeicher gefüllt. Beim Entladevorgang kann der chemische Energieträger Wasserstoff z. B. durch eine Brennstoffzelle, einen Gasmotor oder eine Gasturbine unter Energiefreisetzung W wieder zu Wasser oxidiert werden. Da die Systeme mit externen Speichern arbeiten, erlauben auch sie eine unterschiedliche Dimensionierung von Speicher- und Energiewandlereinheit und damit von Energie und Leistung. Der im externen Speicher enthaltene Wasserstoff wird beim Entladen unter Energiefreisetzung zu sauberem umweltfreundlichem Wasser oxidiert: 2 H2 C O2 ! 2 H2 O C W: Wasserstoff hat bei Umgebungsdruck eine relativ niedrige Energiedichte von etwa 3 kWh/m3 . Durch Kompression bzw. Verflüssigung lässt sich diese Energiedichte massiv steigern. Sie beträgt bei 250 bar 750 kWh/m3 und im flüssigen Zustand 2.400 kWh/m3 . Drucktanks bis 700 bar sind technologisch ausgereift und können schon in Kraftfahrzeugen eingesetzt werden. Für die Speicherung großer Mengen Wasserstoff zur saisonalen Langzeitspeicherung sind auch Salzkavernen grundsätzlich geeignet. Zudem weisen Druckgasspeicher sehr niedrige Speicherverluste auf. Nachteil von Wasserstoff-

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Photovoltaik H2 Elektrolyseur Windkraft

η = 40 bis 50%

Druckgasspeicher

H2 Brennstoffzelle

Elektr. Verbraucher

η = 50%

Abb. 4.95 Regenerative Wasserstoffkette

Speichersystemen ist ein mit maximal 30 % sehr niedriger Gesamtwirkungsgrad für den Speicherzyklus, siehe Abb. 4.95. Durch seine physikalisch-chemische Eigenschaften ist Wasserstoff ein vielseitig nutzbarer sauberer Energieträger. In der Verwendung als stofflicher Speicher ermöglicht er eine sektoral übergreifende Verbindung des Strom-, Verkehrs- und Wärmesektors. Wenn er aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, könnte Wasserstoff dazu beitragen, die durchschnittlichen Kohlenstoffdioxidemissionen in den jeweiligen Sektoren zu senken. Die dezentrale Wasserstoffgewinnung durch Anlagen zur Wasserspaltung, etwa durch Elektrolyseure, könnte zum Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur beitragen. Obwohl es in den vergangenen Jahren technische Fortschritte bei Elektrolyseuren und Brennstoffzellen gab, ist der Einsatz dieser Technologien noch kostenintensiv und die Systemintegration solcher Anlagen stellt eine große Herausforderung dar. Der Gesamtwirkungsgrad der Wandlungsprozesse in der Wasserstoffkette beträgt je nach Betriebspunkt zwischen 20 % und 30 %. Sie sollte nur bei einem Überschuss an elektrischer Energie als Speicher herangezogen werden. Wird elektrische Energie, etwa bei Power-to-Gas-Konzepten, beim Einspeichern in einen stofflichen Energieträger in Form von chemischer Energie gewandelt, benötigt man dafür geeignete Technologien. So kann man etwa mittels Elektrolyseuren Wasser durch Zufuhr von elektrischem Gleichstrom in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen und die entstandenen Gase in Druckgasflaschen zwischenspeichern und bei Bedarf etwa mittels einer Brennstoffzelle wieder in elektrische und thermische Energie zurückwandeln. Alternativ könnte man den Wasserstoff aber auch in motorischen Blockheizkraftwerken verbrennen. Auch eine direkte Wandlung von überschüssiger elektrischer Energie in Wärmeenergie bei Power-to-Heat-Konzepten ist vorstellbar und wird zunehmend diskutiert. Es existieren verschiedene Brennstoffzellentypen. Man kann diese in die folgenden sechs Kategorien unterteilen:  AFC (Alkaline Fuel Cell), alkalische Brennstoffzellen  PEMFC (Polymer Electrolyte Membrane Fuel Cell), Polymer-Elektrolyt-MembranBrennstoffzellen  DMFC (Direct Methanol Fuel Cell) Direktmethanol-Brennstoffzellen  PAFC (Phosphor Acid Fuel Cell) Phosphorsäure-Brennstoffzellen

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 MCFC (Molten Carbonite Fuell Cell) Schmelzkarbonat-Brennstoffzellen  SOFC (Solid Oxyde Fuel Cell) oxidkeramische Brennstoffzellen. Wasserstoffspeicher besitzen das Potential zur saisonalen Langzeitspeicherung. Insbesondere die Methanisiserung von Wasserstoff wird derzeit als weitere Option diskutiert. Dadurch könnte die vorhandene Erdgasinfrastruktur mit großen, bereits vorhandenen Speicherkapazitäten genutzt werden. Dabei wird der erzeugte Wasserstoff zunächst über die katalytische exotherme Reaktion 4 H2 C CO2 ! CH4 C 2 H2 O C W in Methan umgewandelt. Der dazu benötigte Kohlenstoff könnte durch Kohlendioxid aus verschiedenen Quellen bereitgestellt werden. Eine daran anschließende Nutzung des Methans in Form einer mit der Ausspeicherung erfolgenden Rückverstromung kann großtechnisch in Gas- bzw. kombinierten Gas-und-Dampf-Kraftwerken (GuD) erfolgen. Derzeit liegt der Gesamtwirkungsgrad für diesen Speicherprozess jedoch noch in einem unwirtschaftlichen Bereich von weniger als 40 %. Als Alternative zu Druckgasspeichern werden für mobile Anwendungen unterschiedliche Materialen für eine Feststoffspeicherung untersucht. Feststoffspeicher basieren auf der Lösung von gasförmigem Wasserstoff in einem Feststoff (Hydridspeicher). Die Einlagerung erfolgt bei einem mittleren Druckniveau, die Entladung durch Unterdruck oder durch Wärmezufuhr. In der Entwicklung befinden sich Speicher auf der Basis von Metallhydriden oder Graphit-Nanostrukturen. Mechanische Energiespeicher Im elektrischen Versorgungsnetz werden schon seit Beginn der flächendeckenden Elektrifizierung in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Pumpspeicherkraftwerke eingesetzt, bei denen primäre elektrische Energie in Form von potentieller Energie gespeichert wird. Bei Überschussenergie wird über spezielle Pumpturbinen Wasser in ein Oberbecken gepumpt und bei Bedarf wird das Wasser aus dem Oberbecken über die Turbinen in elektrische Energie zurückgewandelt. Pumpspeicherkraftwerke – weltweit derzeit die Speicher mit der größten Bedeutung – bedienen sich einer der ältesten Methoden der Stromspeicherung. Die Einspeicherung erfolgt durch eine motorisch mit Strom angetriebene Pumpe, die Wasser in das Oberbecken befördert. Das Oberbecken stellt mit dem Unterbecken oder Unterwasser die Speichereinheit dar. Die gespeicherte potentielle Energie Wpot D m g h hängt von der Masse m des Wassers, der wirkenden Erdbeschleunigung g und der Höhendifferenz h zwischen Ober- und Unterbecken ab. Bei der Ausspeicherung fließt das Wasser vom Oberbecken durch eine Turbine mit angekoppeltem Generator, der Strom für das Netz generiert, ins Unterwasser ab.

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Ein weitere Form mechanischer Speicherverfahren sind Schwungradspeicher, die meist für kleinere Leistungen und Energien ausgelegt sind. Bisher realisierte Schwungradspeicher haben eine Speicherkapazität von wenigen kWh und können kurzzeitig eine Leistung von einigen kW bis in Einzelfällen kurzfristig MW zur Verfügung stellen. Der eigentliche Speicher ist ein reibungsarm gelagerter Rotor mit dem Trägheitsmoment , der mit der Winkelgeschwindigkeit ! rotiert. Er wird durch einen elektromechanischen Wandler im Motorbetrieb geladen und im Generatorbetrieb entladen. Für die gespeicherte Rotationsenergie Wrot gilt 1 Wrot D  ! 2 : 2 Bei einer Verdopplung der Rotationsgeschwindigkeit ergibt sich also eine Vervierfachung der gespeicherten Energie. Schwungradspeicher können sowohl mobil als auch stationär betrieben werden. Durch ihre kurze Zugriffszeit im Millisekundenbereich eignen sie sich besonders zur Bereitstellung und Deckung sehr kurzer, hoher Lastspitzen. Durch die relativ hohen Stillstandsverluste von bis zu 20 % pro Stunde eignen sie sich allerdings nicht zur Langzeitspeicherung von Energie. Schwungradspeicher werden für die unterschiedlichsten Spezialanwendungen eingesetzt, wie etwa zur Pufferung von Stromversorgungsnetzen gegenüber kurzzeitigen Lastspitzen oder zur Speicherung von Bremsenergie im Verkehrsbereich. Thermische Energiespeicher In versorgungstechnischen Anwendungen werden seit langem Wärmespeicher eingesetzt, in denen Wärmeenergie Wtherm über einen Wärmetauscher unter Nutzung eines Temperaturunterschiedes T in ein vorhandenes Reservoir der Masse m und der spezifischen Wärmekapazität cp ein- und ausgespeichert wird. Wtherm D cp m T Typische Beispiele sind Pufferspeicher, die bei BHKW- oder solarthermischer Nutzung zur Aufnahme von thermischer Leistung oder im Fall von Eisspeichern von Kälteleistung zum Einsatz kommen. Bei Latentwärmespeichern erfolgt die Energiespeicherung überwiegend durch Nutzung von latenter Wärme bei gleichbleibender Temperatur durch Änderung des Aggregatzustandes des Speichermediums. Auch thermochemische Speicher kommen zum Einsatz. Sie speichern Wärme durch eine endotherme Reaktion und geben sie durch exotherme Reaktionen wieder ab. Dabei kommen spezielle Materialien wie Silicagel, Zeolithe oder auch Metallhydride zur Anwendung. Eine Übersicht auf wichtige Energiespeicher gibt Tab. 4.11.

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Tab. 4.11 Übersicht Energiespeicher Speicherklasse Elektrisch

Speichertechnologie

Kondensatoren Spulen Chemisch Blei, Li-Ionen, etc. Redox-Flow Brennstoff-Kraftstoffspeicher Mechanisch Lageenergiespeicher Pumpspeicher

Thermisch

Speicherenergie/-technologie Elektrisches Feld Magnetisches Feld Elektrode mit Aktivmasse Chemische Verbindungen, Tank Tank, Kraftstoff, Kaverne Hub von Masse (Granit, Wasser) Spezieller Lageenergiespeicher, Wasser in Oberbecken relativ zu Unterbecken Kaverne, Rohr, Wärmespeicher Rotationsenergie

Druckluftspeicher Schwungmassenspeicher Federenergiespeicher Potentielle Energie Warmwasserspeicher Tank, Wasser Latentwärmespeicher Eisspeicher, Phasenwechsel-Material (Phase Change Material PCM) Thermochemische Silicagel, Zeolithe, Metallhydride, Tanks Speicher

4.5.3 Anwendungsbeispiele Unterbrechungsfreie Stromversorgung Für viele Geräte und Maschinen muss eine rund um die Uhr sichere Stromversorgung garantiert werden. Dies trifft beispielsweise für die sensiblen Komponenten in der Kommunikations- und Informationstechnik wie z. B. für Server und Router in Rechenzentren zu. Deshalb werden solche wichtigen Systeme mit einer unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV oder im Englischen als Uninterruptible Power Supply, UPS bezeichnet) ausgestattet. USV sollen die daran angeschlossenen Verbraucher vor den nachführend aufgeführten möglichen Störungen der Spannungsversorgung schützen:       

Ausfall der Stromversorgung Unterspannung und Überspannung Spannungseinbrüche und Spannungsstöße Schaltspitzen Störspannungen Frequenzschwankungen Harmonische Oberschwingungen.

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Tab. 4.12 Einteilung der USV-Klassen Eigenschaften Wirkungsgrad Leistung Kosten Typische Anwendung Schutzfunktion

Umschaltzeit

Klasse 1 Ca. 90 % Ab ca. 500 VA Hoch Datenkommunikation und Server Vollschutz durch dauernde Erzeugung der Sinusspannung Keine

Klasse 2 Ca. 95–98 % Bis ca. 5000 VA Mittel TK-Anlagen, einzelne Computer, Netzwerke Netzausfall, Ausgleich von Spannungsspitzen und -einbrüchen 2 ms–4 ms

Klasse 3 Ca. 95 % Bis ca. 1000 VA Niedrig Einzelne Computer, Kleinstverbraucher Netzausfall, kurzzeitige Spannungsschwankungen 4 ms–10 ms

Aufgrund unterschiedlicher Anforderungen haben sich drei Klassen im USV-Bereich etabliert, die das International Engineering Consortium (IEC) unter der Produktnorm IEC 62040-3 und die Europäische Union unter EN 50091-3 festgelegt haben.  Klasse 1: VFI (Voltage and Frequency Independent), auch bezeichnet als Dauerwandler- bzw. Online-USV  Klasse 2: VI (Voltage Independent oder auch netzinteraktive USV)  Klasse 3: VFD (Voltage and Frequency Dependent, auch bezeichnet als Standby- bzw. Offline-USV) Eine Übersicht der wichtigsten Eigenschaften der drei Klassen gibt Tab. 4.12. Die Elektronik einer USV überwacht dauernd die Eigenschaften der vom Netzanschluss eingehenden Spannung. Bei Detektion einer Störung schalten USV der Klassen 3 und 2 innerhalb weniger Millisekunden auf die Versorgung mittels der internen Stromerzeugung um, welche aus einem oder mehreren Akkumulatoren versorgt wird. Der Schaltvorgang benötigt eine kurze Umschaltzeit, in der es bei diesen USV trotz der Bezeichnung zu einer kurzzeitigen Unterbrechung der Spannungsversorgung für die angeschlossenen Verbraucher kommt. Diese Unterbrechung dauert allerdings nur wenige Millisekunden, die von den meisten Stromverbrauchern ohne größere Funktionsstörungen toleriert wird. Bei USVs der Klasse 1 kommt es dagegen zu keiner Unterbrechung, weil die Stromversorgung der Verbraucher permanent über den Generator der USV geführt wird. Je nach Auslegung kann eine USV Störungen im Zeitrahmen von einer Minute bis hin zu mehreren Stunden überbücken. Innerhalb dieser Zeit sollten entweder die Störungen beseitigt werden oder aber die angeschlossenen Systeme kontrolliert heruntergefahren und/oder außer Betrieb genommen werden. Viele USV können dazu über eine Kommunikationsschnittstelle zusätzlich eine Alarmmeldung aussenden, um den Störfall zu melden oder auch direkt durch entsprechende Konfiguration der angeschlossenen Systeme automatisch das Schließen offener Dateien und das Herunterfahren dieser Systeme veranlassen.

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Elektrische Energiewandler und Speicher

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Energiehybridsystem als Versuchsanlage Der gezielten Beeinflussung der zunehmenden Energieflüsse aus regenerativen Quellen und des Energieverbrauchs im Energieversorgungsnetz auf regionaler und lokaler Ebene wird im Zuge der Energiewende eine wachsende Bedeutung zukommen. Bereits heute werden PV-Anlagen in Kombination mit dezentralen Speichersystemen zur Erhöhung des eigengenutzen Stromanteils angeboten. Dezentrale Energieversorgungssysteme werden sich weiter in der Praxis etablieren. Smart Grids, Smart Cities oder Smart Buildings sind dabei Begriffe, die mit dem nachhaltigen Umbau unseres Energiesystems häufig genannt werden. Wohngebäude haben derzeit einen signifikanten Anteil von fast 30 % am Gesamtstromverbrauch in der EU [26]. Voraussetzung für das gezielte Beeinflussen von Leistungsflüssen in einem Gebäude bzw. zwischen dem Gebäude und dem Versorgungsnetz ist die Einführung von entsprechender Informations- und Kommunikationstechnik sowie die Nutzung von lokal wirkenden Energiespeichern zur zeitlichen Entkopplung von Energiebereitstellung und -bedarf. Gebäude oder Siedlungseinheiten können durch die intelligente Kopplung von Energieerzeugern, Lasten und Energiespeichern zu einem Energiehybridsystem kombiniert werden, so dass ein gezieltes Energiemanagement ermöglicht wird. Neben den bekannten Batteriespeichertechnologien basierend auf Blei-Gel oder Lithium-Ionen Akkumulatoren sind auch alternative Speichertechnologien unter Einsatz von Wasserstoffsystemen oder Vanadium-Redox-Flow-Batterien (VRFB) für einen dezentralen Einsatz im versorgungstechnischen Umfeld der Energie- und Gebäudetechnik denkbar. Zu diesem Themenkontext wurden in den vergangenen Jahren an der Ostfalia Hochschule am Labor für Elektrotechnik und regenerative Energietechnik mehrere Forschungsprojekte [27, 28] bearbeitet, die den Aufbau eines regenerativen Energieparks, wie in Abb. 4.96, mit verschiedenen Erzeuger- und Speichertechniken ermöglicht haben. Im Rahmen einzelner Forschungsprojekte wurden die Systemintegration von Wasserstoffsystemen, einer Vanadium-Redox-Flow-Batterie (VRFB) sowie die experimentelle Charakterisierung der Energiespeichersysteme und deren Modellierung untersucht. Hervorzuheben ist der modulare Aufbau des Energieparks mit Anlagenleistungen im Kilowattbereich, mit denen wahlweise unterschiedliche Anlagenkombinationen kombiniert und untersucht werden können. Darüber hinaus kann die Versuchsanlage vom vorgelagerten Versorgungsnetz getrennt und in ein autarkes Drehstrom-Inselnetz überführt werden. Zur kommunikativen Vernetzung der Energiesysteme kommt ein Gebäudeautomationsstandard (Local-Operating-Network LON) zum Einsatz. Weitere wichtige Komponenten sind drei programmierbare elektronische Lasten. Über eine Bediensoftware können unterschiedliche Lastprofile verschiedener Haushaltstypen abgefahren werden. Die entwickelte Versuchsanlage ermöglicht es, unterschiedliche hybride Energiesysteme zu verschalten und verschiedene Betriebsstrategien zu entwickeln und praxisnah zu erproben. Im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien ist insbesondere das dynamische Verhalten von Energiespeichern eine wichtige noch wenig untersuchte Eigenschaft. In der

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A. Böker et al.

Abb. 4.96 Ostfalia Energiepark zur Untersuchung hybrider Energiesysteme

Literatur sind zwar entsprechende Parameter wie die Antwortzeit der jeweiligen Technologie dokumentiert, jedoch bezieht sich diese meistens auf den Idealfall eines homogenen Systemaufbaus. Ein Gebäudesystem ist jedoch durch seinen heterogenen Aufbau charakterisiert. Es gibt unterschiedliche Gewerke, die für einen optimalen Gesamtbetrieb zusammen betrachtet werden müssen. Offene Kommunikation und Interoperabilität sind die Schlagwörter, die seit Jahren die Gebäudeautomationsbranche prägen. Durch den stetigen Ausbau dezentraler Energieerzeuger und die Einführung von Energiespeichersystemen kommen laufend innovative Anlagentypen mit neuen Anforderungen an die Gebäudeautomation hinzu, die für einen optimalen Gesamtbetrieb im Kontext des SmartBuilding-/Building-to-Grid-Konzepts einbezogen werden müssen. Es ist daher notwendig die Eigenschaften der Speichertechnologien auf Systemebene zu untersuchen. Limitierungen des dynamischen Zusammenspiels zwischen Energiespeicher, Leistungselektronik und Automationssystem, wie sie in der Praxis auftreten, können damit aufgezeigt und untersucht werden. Häufig wird in Simulationsstudien von der Annahme eines konstanten Wirkungsgrades ausgegangen, die zu einer nur ungenauen Einschätzung der Anlagenperformance bei einer dynamischen Belastung über den gesamten Betriebsbereich führt. Daher sind besonders die Ergebnisse von dynamischen Tests von Interesse. Die Anlagen haben charakteristische Zeitkonstanten bis sie mit vollen Funktionalität und effektiv als Energiespeicher eingesetzt werden können. Durch die Einführung von einheitlichen Kommunikations-

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Elektrische Energiewandler und Speicher

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standards für die Systemkomponenten und die bessere Verfügbarkeit von angepasster Leistungselektronik für die alternativen Energiesysteme kann das dynamische Verhalten des Gesamtsystems für ein übergeordnetes Energiemanagement zukünftig weiter verbessert werden. Evaluierung gebäudeintegrierter Wasserstoffsysteme Der Einsatz von gebäudeintegrierten Wasserstoffsystemen ist auch im privaten Wohnumfeld zukünftig vorstellbar, wie es Abb. 4.97 verdeutlicht. Dazu ist es zunächst notwendig, ein übergeordnetes Energiemanagement zu definieren und zu entwickeln. Die Nutzung einer Simulationssoftware ermöglicht es relativ leicht, Parametervariationen vorzunehmen und anhand von Jahressimulationen unterschiedliche Szenarien zu bewerten. Im Rahmen einer Dissertation wurden, basierend auf den gewonnenen experimentellen Erkenntnissen, Systemmodelle für den alkalischen Elektrolyseur, die Brennstoffzelle und die VRFB entwickelt und validiert [29]. Zielsetzung des Energiemanagements ist im Sinne der Schaffung eines intelligenten Netzknotens die Steigerung des Eigenverbrauchs der lokal erzeugten regenerativen Energie im Gebäude bei gleichzeitiger Reduzierung der elektrischen Austauschleistung mit dem vorgelagerten Versorgungsnetz. Dazu wird die laufende Überwachung der zur Verfügung stehenden Differenzleistung (aktuell verfügbare Regenerativleistung minus aktueller Last) mit hoher Zeitauflösung erfasst und eine Prognose erstellt, wann ein Energiesystem zu- oder abgeschaltet werden soll. Dabei werden die Betriebsgrenzen sowie der die Effektivität reduzierende dynamische Betrieb durch eine entsprechende Aufbereitung der Stellsignale für die lokale Leistungsregelung berücksichtigt.

Abb. 4.97 Simulationsszenario im Energiepark

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A. Böker et al.

Mit den Simulationen lassen sich interessante Regelstrategien und ein komplexes bedarfsorientiertes Energiemanagement entwickeln. Durch Nutzung der Abwärme des Elektrolyseurs können beträchtliche Mengen von bislang über einen konventionellen Boiler bereitgestellte thermische Energie substituiert werden. Bei der energetischen Nutzung der Abwärme des Elektrolyseurs, die sich aufgrund des Temperaturniveaus von etwa 75 ı C zur Warmwasser-Bereitung eignet, lässt sich der Gesamtwirkungsgrad des Wasserstoffsystems signifikant erhöhen. Es lassen sich noch weitere Funktionen in das Energiemanagementsystem implementieren, um etwa die Leistungsaufnahme bzw. -abgabe des Gebäudes am Netzübergabepunkt mit dem vorgelagerten Energieversorgungsnetz zu minimieren. Denkbar ist auch die Integration von Wasserstoffsystemen in größeren industriell genutzten Gebäuden, wie Büro- oder Verwaltungskomplexen, oder deren Einsatz in größeren Siedlungen. Dies könnte dazu beitragen, eine flächendeckende Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen, um so den Wasserstoff auch für weitere Anwendungsfelder, etwa im Mobilitätsbereich, bereitstellen zu können. Ein interessantes Szenario ist auch die Integration von Energiespeichern und Photovoltaik in kleinere Unternehmen zur Eigenverbrauchssteigerung und Lastspitzenreduktion. Ein weiteres zunehmend wichtiges Forschungsgebiet wird die Einbeziehung der Elektromobilität in das Gebäudemanagement.

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Elektrische Energiewandler und Speicher

353

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5

Elektrische Messtechnik Hartmuth Paerschke

5.1

Grundbegriffe und Definitionen der Messtechnik

Unter Messen versteht man das quantitative Erfassen einer Größe, der sogenannten Messgröße mit Hilfe einer Messeinrichtung. Dabei wird die zu messende Größe als Vielfaches einer festgelegten Maßeinheit ermittelt. Das quantitative Ergebnis einer Messung wird als Produkt aus Maßzahl und Maßeinheit ausgedrückt. Messwert D Maßzahl  Maßeinheit

(5.1)

Die elektrische Messtechnik befasst sich mit der Messung elektrischer Größen, wie z. B. Strom I, Spannung U, Widerstand R, Kapazität C, Induktivität L und elektrische Wirkleistung P. Ein weiteres Gebiet der elektrischen Messtechnik ist die Messung von nichtelektrischen Größen wie z. B. Temperatur, Druck, Luftfeuchte und Luftqualität, Strömungsgeschwindigkeiten, Mengen und Zeiten. Dazu werden die nichtelektrischen Größen mit Hilfe von Messfühlern (Sensoren) in elektrische Signale umgewandelt. Wichtige Begriffe, Definitionen und Methoden der Messtechnik sind in der grundlegenden Norm DIN 1319 [1] dargelegt. Übersichten zur elektrischen Messtechnik sind in [2] und [3] zu finden. Die elektrische Messtechnik umfasst  die Erfassung von Messsignalen und Wandlung in geeignete elektrische Signale  die Verarbeitung, Wandlung und Übertragung der Messsignale  die Ausgabe, Darstellung, Speicherung und Dokumentation der Messwerte. H. Paerschke () Fakultät 05 – Energie- und Gebäudetechnik, Hochschule München München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 355 A. Böker, H. Paerschke, E. Boggasch, Elektrotechnik für Gebäudetechnik und Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20971-1_5

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H. Paerschke

Messgröße x

Messwertaufnehmer

Messsignal x1

z. B. Messverstärker

Messsignal x2

Ausgabeeinheit

angezeigter Messwert xa

Abb. 5.1 Elektrische Messkette zur Erfassung der Messgröße x, Wandlung der Signale und Ausgabe des Messwerts xa

Eine elektrische Messeinrichtung hat im Allgemeinen die Struktur einer Messkette entsprechend Abb. 5.1. Die Messgröße x wird im Messwertaufnehmer aufgenommen, dort in ein elektrisches Messsignal umgeformt, das in einem nachfolgenden Messverstärker oder in einer digitalen Recheneinheit weiter umgeformt wird. Die Ausgebeeinheit gibt die Messwerte analog oder digital auf einer Anzeige, einem Drucker oder z. B. in eine Computerdatei aus oder stellt den Messwert für einen Regelvorgang zur Verfügung. Man unterscheidet Messungen nach dem Ausschlagverfahren und nach dem Kompensationsverfahren. Beim Ausschlagverfahren wird der Messwert in einen möglichst proportionalen Ausschlag eines Zeigers oder einen entsprechenden Anzeigewert umgewandelt. Beispiele sind Drehspulmesswerke, Elektrodynamische Messwerke und Analogmultimeter (siehe Abschn. 5.2 und 5.3). Beim Kompensationsverfahren erzeugt das Messgerät eine Kompensationsgröße, die vom Messwert subtrahiert wird und das Messgerät wieder in die Ausgangslage zurückführt. Die Kompensation erfolgt im Allgemeinen automatisch durch eine integrierte Regelung. Typische Beispiele sind Strommesszangen (Abschn. 5.3.5), Widerstandsmessungen mit Brückenschaltungen (Abschn. 5.4.4) und Hitzdrahtanemometer (Abschn. 5.6.4). Bei einem kontinuierlichen Messverfahren wird der Messwert ohne zeitliche Unterbrechung erfasst. Bei einem diskontinuierlichen Messverfahren wird die Messgröße nur in bestimmten zeitlich diskreten Abständen abgetastet. Bei einer direkten Messung wird der Messwert der interessierenden Messgröße direkt auf dem Messgerät ausgegeben, beispielsweise ein Spannungswert auf einem Voltmeter. Sehr häufig sind indirekte Messungen. Dabei wird der Wert der interessierenden Messgröße mit Hilfe einer gegebenen physikalischen Formel aus einer oder aus mehreren anderen Messgrößen berechnet. Beispiele sind die indirekte Messung eines Widerstandswertes R D U=I nach dem Ohmschen Gesetz oder die Messung der elektrischen Leistung P D U  I aus den Messgrößen Spannung und Strom. Es ist zwischen analogen und digitalen Messverfahren zu unterscheiden. Bei analogen Messungen wird eine stetig veränderliche Messgröße durch ein stetig arbeitendes Messgerät erfasst und dann meist über einen Zeiger auf einer Skala ausgegeben. Bei digitalen Messgeräten wird eine analoge Messgröße zeitdiskret in Form digitaler Zahlenwerte erfasst und ausgegeben.

5

Elektrische Messtechnik

5.1.1

357

Systematische und zufällige Messabweichungen

Das Ziel einer Messung ist die Ermittlung des wahren Wertes xw einer Messgröße x. Wegen vieler unbekannter und möglicherweise auch bekannter Einflüsse auf den Messvorgang treten unvermeidlich Messabweichungen1 auf. Die Messabweichung e ist definiert als Differenz zwischen Messwert x und wahren Wert xw der zu messenden Größe. Die Messabweichungen führen dazu, dass der wahre Wert xw nicht genau ermittelt werden kann. Die Messabweichung e setzt sich aus einer systematischen Messabweichung es und einer zufälligen Messabweichung ez zusammen e D x  xw I

e D es C ez

(5.2)

Erhält man bei wiederholten Messungen immer das gleiche Ergebnis, spricht man von einer systematischen Messabweichung, bei voneinander in Betrag und Vorzeichen variierenden Werten von zufälligen Messabweichungen. Eine systematische Abweichung entsteht beispielsweise durch Rückwirkung des Messgeräts auf die zu messende Größe. Solche Rückwirkungen treten z. B. bei Spannungsmessungen auf (siehe Abschn. 5.4.2). Je nach der Größe des Innenwiderstandes des Spannungsmessers fließt durch den Spannungsmesser ein (kleiner) Strom, der die Spannungsquelle belastet, was durch den Spannungsabfall am Innenwiderstand der Quelle den Messwert der Spannung verringert. Bei wiederholten Messungen bleiben systematischen Abweichungen hinsichtlich Größe und Vorzeichen unverändert. Dies ist eine typische Eigenschaft systematischer Fehler. Bekannte systematische Abweichungen können durch eine Korrektion berichtigt werden, im Fall der Spannungsmessung durch rechnerische Berücksichtigung der Innenwiderstände des Voltmeters und der Spannungsquelle (siehe Gl. 5.51). Man erhält einen berichtigten Messwert xE . Es verbleibt ein Rest von unbekannten systematischen Abweichungen, der nicht korrigiert werden kann. Auch die im folgenden Abschnitt erläuterten, durch Unvollkommenheiten der eingesetzten Messgeräte verursachten Messgeräteabweichungen sind meist vorwiegend systematischer Art. Bei vielen Messungen treten neben den systematischen Abweichungen auch zufällige Messabweichungen auf. Sie zeigen sich dadurch, dass bei wiederholten Messungen streuende Messwerte auftreten. Ein typisches Beispiel aus der Gebäudetechnik ist die Messung von Strömungsgeschwindigkeiten z. B. mit einem Anemometer in einem Lüftungskanal. Bei wiederholten Messungen der Strömungsgeschwindigkeit ergeben sich auf Grund der Turbulenz der Luftströmung unterschiedliche Messwerte. Auch bei der Bestimmung des Heizwertes eines Vorrats von festen Brennstoffen wird man bei verschiedenen Proben unterschiedliche Werte messen und mit diesen den mittleren Heizwert des Vorrats schätzen. 1

Häufig findet man die Begriffe „Fehler“ und „Fehlerrechnung“. Da es sich hier aber nicht um Fehler geht, in dem Sinne, dass man etwas falsch gemacht hat, sondern um eine Abschätzung der Unsicherheit bzw. der Genauigkeit einer Messung, wird hier im Einklang mit der Norm [1] der Begriff „Abweichung“ verwendet.

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H. Paerschke

p( x) =

Häufigkeit

x

1

σ 2π

μ −σ

1 ⎛ x−μ ⎞ − ⎜ ⎟ e 2⎝ σ ⎠

μ

μ +σ

2

x

Abb. 5.2 Häufigkeitsverteilung, Normalverteilung p.x/ streuender Messwerte x,  ist der Mittelwert,  die Standardabweichung der Gaußschen Normalverteilung

Durch die zufälligen Abweichungen streuen die ermittelten Messwerte um einen Mittelwert. Die Streuung kann man in einem Diagramm veranschaulichen. Dazu teilt man den Bereich der bei insgesamt N Messungen erhaltenen Werte xi in schmale Intervalle der Breite b ein und trägt wie in Abb. 5.2 zu jedem Intervall ein, wie viele Messwerte dort vorkommen. Abb. 5.2 zeigt eine typische Häufigkeitsverteilung. In sehr vielen in der Praxis auftretenden Messaufgaben nähert sich die Häufigkeitsverteilung bei zunehmender Anzahl von Messungen, d. h. bei N ! 1 und b ! 0 der in Abb. 5.2 rechts dargestellten Normalverteilung an. Im Grenzwert unendlich vieler Wiederholungsmessungen und bei vernachlässigbar kleiner systematischer Abweichung stimmt der Mittelwert der Messwerte mit dem wahren Wert xw überein: v u N N u 1 X 1 X xi ;  D t lim .xi  /2 : (5.3) xw D  D lim N !1 N N !1 N i D1 i D1 Die Standardabweichung  ist ein Maß für die Schwankungsbreite der Messwerte. Die Messwerte liegen mit einer Wahrscheinlichkeit von 68,3 % im Intervall [   I  C  ]. In der Praxis hat man jedoch nur eine endliche Zahl von Messungen, oft auch nur eine einzige Messung und zusätzlich bekannte und teilweise unbekannte systematische Abweichungen. Damit kann prinzipiell nur ein Schätzwert für den wahren Wert xw angegeben werden. Für die Angabe eines aussagefähigen vollständigen Messergebnisses ist aber eine quantitative Aussage über die Genauigkeit des Ergebnisses zwingend erforderlich.

5.1.2

Messgeräteabweichungen, Fehlergrenzen für Messgeräteabweichungen

Auch die verwendeten Messgeräte selbst sind wegen Unvollkommenheiten hinsichtlich ihrer Konstruktion, Fertigung, Justierung und Alterung eine wesentliche Ursache von

5

Elektrische Messtechnik

359

Messabweichungen. Solche, allein vom Messgerät hervorgerufenen Abweichungen des Ausgangssignals vom wahren Wert werden als Messgeräteabweichungen bezeichnet. Meist überwiegt die systematische Abweichung. Die maximale mögliche Größe der Messabweichungen, die durch die Unvollkommenheiten des Messgeräts bewirkt werden, wird durch die Fehlergrenze G angegeben, die von den Geräteherstellern bei Einhaltung bestimmter Betriebsbedingungen garantiert wird. G macht eine Aussage über die Qualität des Messgeräts. Ein vom Gerät ausgegebener Messwert x weicht entsprechend Gl. 5.4 höchsten um den Wert von G vom wahren Wert xw ab jx  xw j G:

(5.4)

Die Fehlergrenze eines Messgerätes ist begrifflich von der Messabweichung eines Messgerätes zu unterscheiden. Die Fehlergrenze sagt aus, wie groß die Abweichung dem Betrage nach höchstens werden darf. Die tatsächliche Messabweichung liegt irgendwo innerhalb des durch Gl. 5.4 gegebenen Intervalls. Häufig wird statt G eine relative Fehlergrenze g angegeben, die auf einen Bezugswert xb bezogen ist. Für diesen Bezugswert wird bei Analogmultimetern der Endwert der verwendeten Skala, bei Digitalmultimetern der jeweilige angezeigte Wert benutzt. Mit G ergibt sich jx  xr j g  xb : (5.5) gD xb Wird eine höhere Genauigkeit gefordert, können systematische Messgeräteabweichungen durch Kalibrieren teilweise korrigiert werden. Dazu kann z. B. eine Korrektionstabelle heran gezogen werden, in der die Differenzen der angezeigten Messwerte zu den richtigen, mit einem genaueren Messgerät bestimmten Werten angegeben sind. Von Justieren spricht man, wenn die Messgeräteabweichungen durch einen bleibenden Eingriff am Instrument reduziert werden.

5.1.3 Vollständiges Messergebnis, Messunsicherheit Bei der Angabe eines Messergebnisses ist immer zu fragen, in wieweit der ermittelte Wert mit dem wahren Wert der Messgröße übereinstimmt. Beträgt ein Strom z. B. genau 5 A, wird dann auch 5 A angezeigt? Heißt andererseits ein ermittelter Wert von I D 5 A, dass der wahre Strom genau 5 A beträgt oder vielleicht 5,1 A? Hat die Angabe I D 5 A den gleichen Aussagewert wie die Angabe I D 5;00 A? Wenn auf einem Digitalmultimeter eine Spannung von U D 98;835 V abgelesen wird, wie sinnvoll sind die angezeigten Nachkommastellen? Wird eine nicht vorhandene Qualität der Messung evtl. nur vorgetäuscht? Als vollständiges Messergebnis kann nur ein Ergebnis gelten, dass auch eine quantitative Aussage über die erzielte Messgenauigkeit enthält [1, 4, 5]. Es wird in einer der

360

H. Paerschke

folgenden Formen angegeben. x DM ˙u  x DM 1˙

u jM j

 mit der relativen Messunsicherheit

u : jM j

(5.6)

Die Messunsicherheit u macht eine quantitative Aussage über die Ungenauigkeit der Messung, in dem Sinne, dass jeder Wert innerhalb des Intervalls [M  u I M C u] als wahrer Wert in Betracht kommt. Bei einer direkten Messung wird eine bestimmte Größe durch ein Messgerät ein- oder mehrmals gemessen, beispielweise der Strom I mit Hilfe eines Strommessers. Der Schätzwert M für den wahren Wert xw der Messgröße und die Messunsicherheit u wird direkt aus den ermittelten Messwerten xi und aus evtl. vorliegenden Kenntnissen über systematische Messabweichung ermittelt. Messunsicherheit bei zufälligen Messabweichungen Streuen die einzelnen Messwerte bei wiederholten Messungen, so liegen zufällige Messabweichungen vor. Aus den N mit zufälligen Abweichungen behafteten gemessen Werten xi sind der Mittelwert M und die durch die zufälligen Abweichungen verursachte Messunsicherheit uz folgendermaßen zu berechnen: N 1 X xi M D N i D1

v u u uz D t

X 1 .xi  M /2 : N.N  1/ i D1 N

(5.7)

M ist ein guter Schätzwert für den wahren Wert xw , wenn die systematischen Abweichungen vernachlässigbar klein sind bzw. wenn diese zuvor korrigiert wurden. M liegt dann mit einer gewissen statistischen Sicherheit im Bereich M  uz xw M C uz :

(5.8)

Die durch zufällige Messabweichungen hervorgerufene Messunsicherheit uZ wird umso kleiner, je größer die Anzahl N der Messungen ist. Die anzugebende Unsicherheit u ist auf zwei signifikante Stellen aufzurunden. Das Messergebnis M ist an der gleichen Stelle wie die zugehörige Unsicherheit zu runden. Messunsicherheit auf Grund der Gerätefehlergrenzen Neben den zufälligen Messabweichungen treten zusätzliche, nicht korrigierte systematische Messabweichungen auf, die zu einer zusätzlichen Unsicherheit des Messergebnisses führen. Diese systematischen Messabweichungen müssen zu einer zusätzlichen Komponente us der Messunsicherheit zusammengefasst werden. In der Praxis sind insbesondere die unbekannten systematischen Fehler des Messgerätes, die durch die angegebene Fehlergrenze G eingegrenzt sind, zu berücksichtigen. Sie führen unter der Annahme, dass jede

5

Elektrische Messtechnik

361

Messgeräteabweichung innerhalb der durch G gegebenen Grenzen gleich wahrscheinlich ist (Rechteckverteilung) nach [1] zu einer Messunsicherheit G us D p : 3

(5.9)

Diese durch die Fehlergrenzen G des Messgeräts bestimmte Unsicherheit tritt auch auf, wenn bei Messwiederholungen keine Streuung beobachtet wird (uz D 0), d. h. wenn keine zufälligen Fehler in Erscheinung treten. Es liegt damit nur ein einzelner Messwert vor. Die Unsicherheit dieses Messwerts ergibt sich allein aus den Fehlergrenzen G des Messgeräts zu u D us . Kombinierte Messunsicherheit Treten streuende Messwerte auf, ist zusätzlich zu us nach Gl. 5.9 noch die durch zufällige Messabweichungen verursachte Messunsicherheit uz nach Gl. 5.7 zu berücksichtigen. Die gesamte, kombinierte Unsicherheit u bei Vorhandensein von zufälligen Abweichungen und von systematischen Messgeräteabweichungen ergibt sich als Spezialfall des Fortpflanzungsgesetzes (siehe Gl. 5.15) nach [1], Teil 3 uD

q .u2z C u2s /:

(5.10)

Berechnungsbeispiel Bei der Messung eines Widerstands R mit einem Ohmmeter wurden 10 Einzelmessungen durchgeführt. Es liegen mit zufälligen Abweichungen behaftete, streuende Messwerte vor. Für das digitale Ohmmeter ist, bezogen auf den Messwert, eine relative Fehlergrenze von 2 % angegeben. Weitere systematische Abweichungen sind vernachlässigbar. Es wird angenommen, dass sich aus den abgelesenen 10 Messwerten nach Gl. 5.7 der Mittelwert M D 102;385 und die durch zufällige Abweichungen bestimmte Unsicherheit uz D 0;453 ergeben. Mit der angegebenen relativen Fehlergrenze von 2 % erhält man die Fehlergrenze G D 102;385  2 % D 2;048 und daraus nach Gl. 5.9 die durch den Messgerätefehler verursachte Unsicherheit us = 1,182 ˝. Die gesamte, kombinierte Unsicherheit nach Gl. 5.10 beträgt u D 1;266 . Mit der auf zwei signifikante Stellen aufgerundeten Unsicherheit und dem an gleicher Stelle gerundetem Messwert lautet das vollständige Messergebnis R D 102;4 ˙ 1;3 .

5.1.4

Fortpflanzungsgesetze

Liegt eine indirekte Messung vor, berechnet sich die Messgröße y nach einer gegebenen Funktion f aus einer oder aus mehreren direkt gemessenen Messgrößen xi y D f .x1 ; : : : ; xm /:

(5.11)

362

H. Paerschke

Beispiele sind die Berechnung eines Widerstandes y D R aus dem durchfließenden Strom x1 D I und der am Widerstand anliegenden Spannung x2 D U nach dem ohmschen Gesetz oder die Berechnung der Leistungszahl (COP) einer Wärmepumpe als Quotient aus abgegebener Wärmeleistung und aufgenommener elektrischer Leistung RD

U D f .U; I / I

und COP D

QP th D f .QP th ; Pel /: Pel

(5.12)

Sind die Messabweichungen xi der direkt gemessenen Größen xi bekannt, so ergibt sich die Abweichung y der Größe y durch das totale Differential

y D

@f @f @f

x1 C

x2 C : : : C

xm @x1 @x2 @xm

(5.13)

@f . Dies ist das Fortpflanzungsgesetz für bekannte @xi systematische Abweichungen xi . Bei den partiellen Ableitungen wird eine Funktion f .x1 ; : : : ; xm ) mit mehreren Variablen nach jeweils einer Variablen abgeleitet, wobei die anderen Variablen als Konstanten behandelt werden (siehe auch unten stehendes Rechenbeispiel). Die maximal mögliche durch die Messgeräteabweichungen bewirkte Gesamtabweichung G der Größe y ergibt sich, wenn die gewichteten Beiträge der maximalen Abweichungen Gi der Einzelgeräte betragsmäßig addiert werden: ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ ˇ @f ˇ ˇ G1 C ˇ @f ˇ G2 C : : : C ˇ @f ˇ Gm : (5.14) G D ˇˇ ˇ ˇ ˇ ˇ @x1 @x2 @xm ˇ mit den partiellen Ableitungen

Der so ermittelte Wert G wäre aber nur relevant, wenn jedes Gerät die maximal zulässige Geräteabweichung aufwiese und alle diese Abweichungen in die gleiche Richtung wirkten. Dies ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Somit gibt G nur die obere Grenze für die durch die Messgeräte verursachte Abweichung des berechneten Messwertes y an und stimmt nicht mit der Unsicherheit u des vollständigen Messergebnisses überein. Auch für jede nach Gl. 5.11 indirekt gemessene Größe y ist es erforderlich, ein vollständiges Messergebnis einschließlich der Unsicherheit u anzugeben. Den Wert für y erhält man, indem in Gl. 5.11 für x1 bis xm die ggf. korrigierten Mittelwerte der Einzelmessungen einsetzt werden. Die Unsicherheit u der Messgröße y ergibt sich aus dem Fortpflanzungsgesetz für die Unsicherheiten ui der einzelnen Messgrößen xi s uD



@f @x1



2 u21 C

@f @x2



2 u22 C : : : C

@f @xm

2 u2m :

(5.15)

Gl. 5.15 erlaubt die Berechnung der Unsicherheit u einer nach Gl. 5.11 indirekt ermittelten Messgröße y, wenn die Unsicherheiten ui der einzelnen Einflussgrößen xi bekannt sind. Gl. 5.15 gilt nur bei statistisch unabhängigen Messwerten xi . Die statistische Unabhängigkeit ist z. B. gegeben, wenn die verschieden direkt gemessenen Messgrößen keine

5

Elektrische Messtechnik

363

Streuung zeigen und somit die Unsicherheiten allein aus den Fehlergrenzen der Messgeräte berechnet wurden. Die statistische Unabhängigkeit ist auch gegeben, wenn die einzelnen Größen xi jeweils mehrmals, aber nicht gemeinsam in einer Messung gemessen werden. Bei korrelierten Messwerten sind zusätzliche aus den streuenden Messwerten zu berechnende Korrelationsterme zu berücksichtigen, siehe [1], Teil 3. Berechnungsbeispiel Es soll die Leistung P eines Gleichstromverbrauchers gemessen werden. Mit einem Digitalmultimeter wurden eine Spannung U D 48;32 V und ein Strom I D 7;853 A abgelesen. Bei Wiederholung der Messung ergaben sich keine abweichenden Werte. Für das Multimeter wird eine relative, auf den Messwert bezogene Fehlergrenze von 2 % angegeben. Andere systematische Abweichungen z. B. durch Geräterückwirkung waren vernachlässigbar. Die Leistung berechnet sich aus P D f .U; I / D U  I D 48;32 V  7;853 A D 379;46 W: Die Unsicherheiten uU und uI von U und I ergeben sich aus den Grenzfehlern GU und GI nach Gl. 5.9. p GU D 48;32 V  2 % D 0;966 V I uU D 0;9664 V= 3 D 0;5580 V: p uI D 0;1571 A= 3 D 0;09068 A GI D 7;853 A  2 % D 0;1571 A I Mit den partiellen Ableitungen ˇ @f @.U  I / ˇˇ DII D @U @U ˇI Dkonst

ˇ @f @.U  I / ˇˇ DU D @I @I ˇU Dkonst

ergibt sich aus den (unkorrelierten) Messgeräteabweichungen und Gl. 5.15 die kombinierte Messunsicherheit q q u D I 2  u2U C U 2  u2I D 7;8532  0;55802 C 48;322  0;090682 W D 6;197 W: Mit der auf zwei signifikante Stellen aufgerundeten Unsicherheit und dem an gleicher Stelle gerundetem Messwert lautet das vollständige Messergebnis P D 379;5 W ˙ 6;2 W:

5.2 Elektromechanische Messwerke In diesem Abschnitt werden der Aufbau und die Funktion verschiedener analog arbeitender elektrischer Messwerke erläutert. Solche Messwerke werden als Bestandteil von elektrischen Messgeräten vielfältig eingesetzt. Mit analogen Zeigerinstrumenten ist der Verlauf schwankender Messwerte besser erkennbar als bei digital anzeigenden Geräten.

364

H. Paerschke

Abb. 5.3 Drehspulmesswerk: Aufbau, Funktion, Skalensymbol

F

α I1

N

B S

Weicheisen

F

Dauermagnet

Drehspule

5.2.1

Drehspulmesswerk

Drehspulmesswerke werden zur analogen Messung von elektrischen Größen, z. B. in analog arbeitenden Multimetern (siehe Abschn. 5.3.1) verwendet. Das Drehspulmesswerk nach Abb. 5.3 beruht auf der Kraftwirkung F auf einen stromdurchflossenen Leiter der Länge l in einem äußeren homogenen Magnetfeld mit der Flussdichte B F D I.l  B/:

(5.16)

Das Magnetfeld wird durch einen Dauermagneten erzeugt. Zwischen den Polschuhen des Dauermagneten und dem zylindrischen Weicheisenkern bildet sich im Luftspalt ein radial verlaufendes Magnetfeld, in dem sich eine drehbar gelagerte, auf einen rechteckigen Rahmen mit den Seitenlängen l und 2r gewickelte Spule mit N Windungen befindet. Der im Luftspalt senkrecht zum magnetischen Feld fließende Messstrom I bewirkt ein, am Radius r angreifendes Kräftepaar F und ein Drehmoment auf die Drehspule Mel D 2  r  F I

F DN B l I

Mel D 2  r  l  N  B  I :

(5.17)

Durch eine an der Drehspule angebrachte Spiralfeder (nicht eingezeichnet) entsteht proportional zur Auslenkung ˛ ein rücktreibendes Moment (Proportionalitätskonstante c) Mmech D c  ˛ :

(5.18)

Im Gleichgewicht Mel C Mmech D 0 ergibt sich eine zum Strom proportionale Auslenkung ˛ 2N lBr  I D k  I: (5.19) ˛D c

5

Elektrische Messtechnik

365

Drehspulmesswerke können außer zur Strommessung auch für Spannungsmessungen eingesetzt werden, da eine an der Messspule anliegende Messspannung nach dem ohmschen Gesetz bei gegebenen Innenwiderstand RM der Messspule einen definierten messbaren Strom hervorruft. Die bewegte Drehspule kann auf Grund ihrer mechanischen Trägheit schnellen Stromänderungen nicht folgen und ist damit zunächst nur für die Messung von Gleichgrößen geeignet. Bei periodischen Strömen zeigt das Drehspulinstrument den zeitlichen Mittelwert an. Zur Messung von Wechselgrößen ist eine Gleichrichtung der Wechselgröße erforderlich.

5.2.2

Elektrodynamisches Messwerk

Elektrodynamische Messwerke (Abb. 5.4) sind ähnlich wie Drehspulmesswerke aufgebaut und werden zur Messung von elektrischen Leistungen eingesetzt. Sie besitzen ebenfalls eine vom Messstrom durchflossenen Drehspule. Jedoch wird das im Luftspalt wirkende Magnetfeld nicht durch einen Dauermagneten, sondern elektromagnetisch, durch eine zweite feststehende Spule, die Feldspule erzeugt. Die Drehspule wird vom Strom I1 , die feststehende Feldspule vom Strom I2 durchflossen. Die magnetische Spannung  D N2  I2 erzeugt einen magnetischen Fluss durch das Weicheisen und zweimal durch den Luftspalt mit der Dicke s führt. Nach dem Durchflutungsgesetz ergibt sich  D N2  I2 D 2s  HL C lFe  HFe ;

(5.20)

wobei HL und HFe die magnetischen Feldstärken in Luft und Eisen sind. Bei kleinem Luftspalt s gilt für die Flussdichte BFe  BL . Mit BL D 0 HL und BFe D 0 Fe HFe ist wegen Fe >> 1 in Gl. 5.20 die magnetische Feldstärke im Eisen a b I2 N2

feste Spule

N1

c I1

s Drehspule

B

Weicheisen

Abb. 5.4 Elektrodynamisches Messwerk: Aufbau (a), Schaltzeichen (b), Skalensymbol (c)

366

H. Paerschke

Abb. 5.5 Leistungsmessung im Gleichstromkreis mit einem elektrodynamischen Messwerk in spannungsrichtiger Schaltung in Bezug auf den Verbraucher

I2

Uq

I1

I

R

U

HFe vernachlässigbar klein. Damit ergibt sich für die Flussdichte im Luftspalt BL D

 0 N2  I2 : 2s

(5.21)

Setzt man diese Flussdichte, den Strom I1 und die Windungszahl N1 in Gl. 5.19 ein, ergibt sich l  r   0 N1 N2 (5.22) ˛D  I1  I2 D k  I1  I2 : sc Das elektrodynamische Messwerk zeigt gemäß Gl. 5.22 das Produkt zweier Ströme an und ist in der Schaltung von Abb. 5.5 geeignet, elektrische Leistungen zu messen. Zur Messung der Leistung des Verbrauchers R wird der Betriebsstrom durch die feststehende Feldspule (Stromspule) geschickt. Diese Feldspule muss einen niedrigen Innenwiderstand RFS besitzen. An die Drehspule (Spannungsspule) mit hohem ohmschen Widerstand RDS wird die Verbraucherspannung U angelegt. Unter Vernachlässigung des kleinen Stroms I1 ist der Ausschlag des Messwerks direkt proportional der Verbraucherleistung P. ˛ D k  I1  I2 D k 

U U  .I  I1 /  k   I D k0  U  I D k0  P : RDS RDS

(5.23)

Legt man an die Drehspule und an die feststehende Spule zeitlich schnell veränderliche Ströme an, zeigt das Messwerk wegen der mechanischen Trägheit der Drehspule ein zeitliches Mittel an (5.24) ˛ D k  i1 .t/  i2 .t/ : Bei sinusförmigen Strömen gleicher Frequenz und der Phasenverschiebung ' ergibt sich ˛ D k  iO1 sin.!t/  iO2 sin.!t C '/ D ˛ D k  iO1  iO1 

1 T

ZT sin.!t/  sin.!t C '/ dt 0

1 ˛ D k  iO1  iO1  2T

ZT Œcos '/  2 cos.2!t C '/ dt : 0

(5.25)

5

Elektrische Messtechnik

367

Das Integral über den periodischen Summanden im Integranden liefert keinen Beitrag. Damit ergibt sich iO1  iO2 (5.26) ˛ D k0   cos ' D k 0  iO1  iO2  cos ' : 2 Somit lässt sich auch die Wirkleistung P von Wechselstromverbrauchern mit dem elektrodynamischen Messwerk mit der Schaltung in Abb. 5.5 messen. Analog zu Gl. 5.23 ergibt sich ein Ausschlag proportional zur Wirkleistung P des Wechselstromverbrauchers ˛ D k  U  I  cos ' D k  P :

(5.27)

Dies gilt auch für Wechselstromverbraucher mit nichtsinusförmigen Strömen, da sich die Wirkleistung auch bei vorhanden Oberschwingungsströmen und -spannungen aus dem zeitlichen Mittel der Momentanleistung p.t/ D u.t/  i.t/ analog zu Gl. 5.24 berechnet. Wirkleistungsmesser haben getrennt einstellbare Messbereiche für den Strom- und den Spannungspfad. Bei ihrem Einsatz gilt wie bei anderen Messgeräten, dass für eine hohe Messgenauigkeit der niedrigste zulässige Messbereich eingestellt werden sollte. Da z. B. bei stark induktiven oder kapazitiven Verbrauchern auch bei kleinen Wirkleistungen große Ströme fließen können, ist zu Beginn einer Messung stets der höchste Strom und Spannungsbereich einzustellen. Bevor in einen niedrigeren Messbereich umgeschaltet wird, muss man sich durch Strom- oder Spannungsmessung davon überzeugen, dass der niedrigere Messbereich nicht überschritten wird.

5.2.3

Dreheisenmesswerk

Dreheiseninstrumente nach Abb. 5.6 können neben Gleichspannungen und -strömen auch die Effektivwerte sogar von nichtsinusförmigen periodischen Größen messen. Dreheiseninstrumente enthalten einen feststehenden Weicheisenkern und einen mit der der Zeigerachse verbundenen beweglichen Weicheisenkern, das Dreheisen. Durch den Spulenstrom werden beide Eisenkerne unabhängig von der Richtung des Stromes gleichsinnig magnetisiert und stoßen sich voneinander ab. Der bewegliche Eisenkern dreht sich gegen das Moment einer Spiralfeder vom fest stehenden Eisenkern weg bis ein Gleichgewicht erreicht ist. Der magnetische Fluss in den beiden Weicheisenkernen ist proportional zum Spulenstrom. Damit hängt die magnetische Abstoßungskraft F der beiden Weicheisenmagnete vom Quadrat des Stromes ab. Deswegen besitzen Dreheisen-Messgeräte eine nichtlineare Skaleneinteilung und sind auch für die Messung von Wechselgrößen geeignet. Auf Grund der mechanischen Trägheit und der Dämpfung des Drehteils wird der zeitliche Mittelwert des quadrierten Stroms angezeigt ˛ D k  i 2 .t/ :

(5.28)

368

H. Paerschke a

b

c N

B S

Spule

N S

i feststehendes Weicheisen i

drehbar gelagertes Weicheisen

Abb. 5.6 Dreheisenmesswerk, Aufbau (a), Wirkungsprinzip (b), Skalensymbol (c)

Damit zeigen Dreheisenmesswerke bei periodischen Strömen beliebiger Signalform direkt den Effektivwert an, wie der Vergleich mit der Definitionsgleichung 5.61 für den Effektivwert zeigt: ZT 1 2 i 2 .t/ dt D k  Ieff : (5.29) ˛Dk T 0

Mitunter sind sie noch als Anzeigeinstrumente auf Schaltschränken und Schalttafeln zu finden. Dreheisenmesswerke werden im Gegensatz zu Drehspulinstrumenten weitgehend von Digitalmessgeräten abgelöst.

5.2.4

Elektrizitätszähler zur Messung der elektrischen Arbeit

Zur Messung der elektrischen Arbeit Wel im Wechselstromkreis werden sogenannte Ferraris-Zähler eingesetzt. Der Aufbau und das Wirkungsprinzip eines solchen Messwerks sind in Abb. 5.7 dargestellt. Die elektrische Arbeit im Zeitintervall (0; T ) berechnet sich als Zeitintegral über die Momentanleistung p.t/ ZT Wel D

ZT p.t/ dt D

0

u.t/  i.t/dt :

(5.30)

0

Zur Vereinfachung wird für die Spannung angesetzt u.t/ D usin.! O t/. Der zur erfassende Strom i.t/ D iO  sin.! t  '/ (5.31) hat die Phasenverschiebung '. Er fließt durch die Stromspule 2 mit der Windungszahl N2 und erzeugt den geschlossenen magnetischen Fluss ˚2 , der das Stromeisen und die im

5

Elektrische Messtechnik

369

a

b

Spannungseisen N1

Spannungsspule 1 drehbare Aluminiumscheibe

B1

s

Stromeisen B2 Φ2

bremsender Permanentmagnet

N2

B2

iW

iW B1

B2

Stromeisen B1

Stromspule

Spannungseisen

Abb. 5.7 Induktionsmesswerk (Ferraris-Zähler) zur Messung der elektrischen Energie, Aufbau (a) und Wirkungsprinzip (b)

Luftspalt befindliche drehbare Aluminiumscheibe durchdringt. Für die Aluminiumscheibe gilt r D 1. Damit ergibt sich aus dem Durchflutungsgesetz (Gl. 5.20) mit dem dort dargestellten Vorgehen die Flussdichte B2 im Luftspalt (Breite s) und der zu ihr proportionale magnetische Fluss ˚2 B2 .t/ D

 0  N2 O  i sin.! t  '/  ˚2 .t/ : 2s

(5.32)

Dieser zeitlich veränderliche magnetische Fluss induziert in der Aluminiumscheibe Spannungen ui .t/ und nach dem Ohmschen Gesetz, die in Abb. 5.7 dargestellten proportionalen Wirbelströme iW .t/ ui .t/ D

d˚2 .t/  !  iO cos.!t  '/  iW .t/: dt

(5.33)

Das Spannungseisen mit der Spannungsspule 1 umfasst die Aluminiumscheibe zangenartig. An die Spannungsspule mit der Windungszahl N2 und der Induktivität L wird die zu messende Spannung u.t/ angelegt u.t/ D uO  sin.! t/:

(5.34)

Unter Vernachlässigung der ohmschen Verluste in der Spannungsspule ergibt sich für den Strom i1 .t/ durch die Spannungsspule di1 .t/ u.t/ D L dt

bzw:

1 i 1 .t/ D L

Z u.t/dt D 

1 uO cos ! t : !L

(5.35)

370

H. Paerschke

Dieser Strom erzeugt, wie oben beschrieben, eine Flussdichte B 1 in der Aluminiumscheibe  0 N1 B1 .t/ D (5.36)  i1 .t/  uO  cos ! t : 2s Die magnetischen Feldlinien dieses Flusses verlaufen senkrecht zu den in der Aluminiumscheibe induzierten Wirbelströmen iw .t/ und es entsteht eine antreibende Kraft F  iW .t/  B1 .t/ D iO  cos.! t  '/  uO  cos.! t/ :

(5.37)

Im zeitlichen Mittel ergibt sich durch Integration über die Periodendauer T die mittlere Kraft ZT 1 O F  i  uO  cos.! t  '/  cos.! t/ dt T 0 (5.38) ZT 1 iO  uO 1 Œcos ' C cos.2! t  '/ dt D cos ' : D iO  uO  T 2 2 0

Dieser Antriebskraft wirkt die zur Drehzahl n proportionale Bremskraft des Bremsmagneten entgegen (5.39) FBrems D k  n : Im Gleichgewicht F D FBrems ist die Drehzahl n der Aluminiumscheibe proportional zur Wirkleistung: uO  iO (5.40) n D k0   cos ' D k 0  Ueff  Ieff  cos ' : 2 Somit kann die elektrische Arbeit durch Zählen der Umdrehungen der Aluminiumscheibe ermittelt werden. Dreiphasen-Ferraris-Zähler summieren die Wirkleistungen aller drei Phasen, indem aus den drei Phasenströmen und -spannungen elektromagnetisch ein Drehmoment erzeugt und auf die Zählerscheibe übertragen wird. In zunehmendem Maße werden statt der analog arbeitenden elektromechanischen Ferraris-Stromzähler auf digitaler Basis arbeitende elektrische Energiezähler (smart meter) eingesetzt. Diese Geräte erfassen gleichzeitig die Momentanwerte von Strom und Spannung. Die anliegenden Messsignale werden in bestimmten Zeitintervallen abgetastet. Mit einem Analog-Digital-Umsetzer (ADU) werden die jeweils anstehenden analogen Messwerte in Binärzahlen umgewandelt und zur Berechnung der Momentanleistung p.t/ D u.t/  i.t/ digital multipliziert. Gemittelt über eine Periode ergibt sich die Wirkleistung bzw. aufsummiert nach Gl. 5.30 die verbrauchte elektrische Energie Wel . Elektronische Zähler bieten die Möglichkeit, die Wirkleistung bzw. die Wirkenergie jeder einzelnen Phase getrennt zu erfassen. Für einen normalen Haushalt ist dies von Vorteil, weil man so detaillierte Informationen über Verbräuche an den einzelnen Phasen erhält. In Neubauten und auch bei Modernisierungen werden elektronische Zähler eingebaut.

5

Elektrische Messtechnik

5.3

371

Elektrische Messgeräte

5.3.1 Analog-Multimeter Multimeter sind geeignet, die am häufigsten interessierenden elektrischen Größen wie Strom, Spannung und Widerstand zu messen. Hier sind analog und digital arbeitende Vielfachmesser zu unterscheiden. Abb. 5.8 zeigt ein analoges Vielfachmessgerät mit Skalenanzeige für Gleich- und Wechselstrom, Gleich- und Wechselspannung und Widerstand. Das Skalensymbol zeigt an, dass es ein Drehspulmesswerk nach Abb. 5.3 eingebaut ist. Das Gleichrichtersymbol zeigt an, dass die Effektivwerte von Wechselgrößen über eine eingebaute Gleichrichterschaltung ermittelt werden (siehe Abschn. 5.5.3). Über einen Drehknopf sind die jeweilige Messgröße und der Messbereich auszuwählen. Für die verschiedenen Strommessbereiche werden Parallelwiderstände, für die Spannungsmessbereiche werden in Reihe geschaltete Vorwiderstände eingesetzt (siehe Abschn. 5.4). Für die Genauigkeit von Analog-Multimetern wird meist eine relative, auf den jeweiligen Messbereichsendwert bezogene Fehlergrenze (siehe auch Abschn. 5.1.2) angegeben. Berechnungsbeispiel Mit einem Analogmultimeter mit einer, auf den Messbereichsendwert von 150 mA bezogenen relativen Fehlergrenze von 2,5 % wurde ein Strom I D 44;5 mA abgelesen. Es ergibt sich für den ermittelten Messwert eine Fehlergrenze G D 150 mA  2;5 % D 3;75 mA und nach Gl. 5.9 eine Unsicherheit von u D 0;217 mA. Für das das vollständige Messergebnis ergibt sich sinnvoll gerundet I D 44;5 mA ˙ 0;3 mA. Bei Spannungs- und Strommessungen ist darauf zu achten, dass zuerst auf den höchsten Messbereich geschaltet wird. Dann ist für eine möglichst genaue Messung auf niedrigere Messbereiche umzuschalten, so dass sich möglichst ein Ausschlag im oberen Drittel der Skala einstellt. Analogmultimeter werden in genormte Genauigkeitsklassen (z. B. 0,1; 0,2; 0,5; 1; 1,5; 2, 2,5) eingeteilt, wobei der Zahlenwert die Grenze der relativen Messgeräteabweichung angibt, die unter angegebenen Betriebsbedingungen nicht überschritten wird. Abb. 5.8 Analoges Vielfachmessgerät für Gleich- und Wechselstrom, Gleich- und Wechselspannung sowie Widerstand mit Skalensymbol

372

H. Paerschke a

b ux

Eingangs-

ix

modul *)

Rx

= ≈

Effektiv-

wertmodul

ADU

Ziffernanzeige

*)

bestehend aus einem Netzwerk von Vor- und Nebenwiderständen, Eingangsverstärker sowie Gleichstromquelle zur Widerstandsmessung

Abb. 5.9 Digitalmultimeter für Gleich- und Wechselstrom (a), Gleich- und Wechselspannung und Widerstände [6], Wirkungsschema (b)

5.3.2

Digital-Multimeter

Analog arbeitende Messgeräte werden zunehmend durch Digitalmessgeräte wie digitale Multimeter und Oszilloskope oder Messwertefassungskarten für PC’s ersetzt. Ein Digitalmultimeter, wie in Abb. 5.9 dargestellt, ist eines der wichtigsten Messgeräte in der Elektrotechnik und Elektronik zur Messung von Gleich- und Wechselstrom, Gleich- und Wechselspannung sowie von Widerständen. Durch das Digitalmultimeter wird die Messgröße mehrmals in der Sekunde abgetastet und in Form einer in festgelegten Schritten quantisierten Anzeigegröße dargestellt. Durch die Ziffernanzeige werden Ablesefehler vermieden. Die digitalen Multimeter sind vergleichsweise unempfindlich gegen Erschütterungen und Temperatureinflüsse und sind bequem handhabbar. Sie messen unabhängig von der Lage des Messgeräts, und nach Einstellung der zu messenden physikalische Größe am Einstellrad wählt das Gerät den optimalen Messbereich automatisch aus. Das Digitalmultimeter in Abb. 5.9 hat eine Anzeige mit 4 Ziffern (englisch digits) und zeigt den Effektivwert einer Wechselspannung (AC wie Alternating Current) an. Die Auflösung ergibt sich aus der niedrigstwertigen Stelle und beträgt hier 0,1 V. Die höchstwertige Ziffer kann nur im Bereich zwischen 0 und 4 variieren. Der Maximalwert der Spannung, der gemessen und angezeigt werden kann, beträgt somit 499,9 V. In diesem Sinne werden also nur 3,5 Ziffern (3,5 Digits) angezeigt. Die Fehlergrenze eines DigitalMultimeters berechnet sich als Summe aus einem auf den Messwert bezogenen relativen Fehler und einer zusätzlich angegebenen höchsten Messabweichung für die niedrigstwertige Stelle.

5

Elektrische Messtechnik

373

Berechnungsbeispiel Für die Fehlergrenze ist angegeben: ˙0;7 %, ˙2 Digits. Damit ergibt sich für die Fehlergrenze des angezeigten Wertes von 220,8 V: G D 220;8 V  0;7 % C 0;2 V D 1;5 V C 0;2 V D 1;7 V : Digital-Multimeter enthalten ein Eingangsmodul, ein, aus Operationsverstärkern (siehe Abschn. 3.5) aufgebautes Effektivwertmodul, einen Analog-Digital-Umsetzer (ADU) und eine Ziffernanzeige. Das Eingangsmodul enthält ein Netzwerk von Vor- und Nebenwiderständen zur Einstellung der Messbereiche, eine Gleichstromquelle zur Widerstandsmessung und den Eingangsverstärker. Der Einangsverstärker führt dazu, dass bei Spannungsmessungen der Widerstand des Messgeräts sehr hoch (ca. 10 M ) und bei Strommessungen sehr niedrig (wenige m ) ist, wodurch die Rückwirkungen des Messgeräts auf die Messwerte im Allgemeinen sehr gering sind. Das Effektivwertmodul dient zur Messung von Wechselspannungen und Wechselströmen. Im einfachsten Fall wird nur der Gleichrichtmittelwert (siehe Abschn. 5.5.1) ermittelt, wodurch nur bei sinusförmigen Größen der Effektivwert (englisch rms) korrekt angezeigt werden kann. Hochwertige Geräte bestimmen auch für nichtsinusförmige Eingangsgrößen den echten Effektivwert nach Gl. 5.61. Solche Geräte tragen meist die Kennzeichnung true rms. Durch den AnalogDigital-Wandler wird in diskreten Zeitschritten der anstehende analoge Messwert in eine Dualzahl umgewandelt, die dann im Anzeigemodul in Form einer Dezimalzahl ausgegeben wird. Manche Digitalmultimeter können die digitalen Werte zur weiteren Verarbeitung an einen angeschlossenen PC ausgeben.

5.3.3 Messwandler Messwandler werden eingesetzt, um zu messende hohe Wechselströme und -spannungen in eine für die Messwerke geeignete Größe zu herabzusetzen. Messwandler enthalten einen Transformator, auf dessen geschlossenen Weicheisenkern die Eingangswicklung mit der Windungszahl N1 und die Ausgangswicklung mit der Windungszahl N2 gewickelt sind (Abb. 5.10). Es gilt U1 I2 N1 D uR D D : (5.41) N2 U2 I1

Abb. 5.10 Prinzipieller Aufbau eines Messwandlers

Φ

I1 U1

N1

I2

N2

U2

374

H. Paerschke

Stromwandler Stromwandler (Abb. 5.11) werden zur Messung sehr großer Wechselströme eingesetzt. Sie besitzen primärseitig nur wenige Windungen N1 eines dicken Drahts, durch die der zu messende große Wechselstrom I1 fließt. Bei Strömen I1 um 100 A ist meistens nur eine Primärwindung nötig. Die Windungszahl N2 ist so hoch, so dass der herunter transformierte sekundäre Strom I2 mit einem Strommesser gemessen werden kann. Für einen idealen Stromwandler ergibt sich der zu messende Strom I1 aus dem sekundär gemessenen Strom I2 und dem Übersetzungsverhältnis ü des Transformators. I1 D

N2 1  I2 D  I2 N1 ü

(5.42)

Aus dem Ersatzschaltbild des realen Trafos (siehe Abb. 4.18) lässt sich der systematische Fehler des Strommesswandlers erkennen, der durch den die Querelemente RFe und Xh abgeleiteten Strom verursacht wird. Dieser Strom ist jedoch gegenüber dem Strom I2 , der durch den parallel liegenden niederohmigen Strommesser fließt, vernachlässigbar klein. Durch den ausgangsseitig angeschlossenen Strommesser wird der Trafo nahezu im Kurzschluss betrieben. Der niedrige Innenwiderstand des Strommessers auf der Ausgangsseite bewirkt auf der Eingangsseite einen sehr niedrigen transformierten Widerstand. Damit wird die Rückwirkung der Strommessung auf den Primärstromkreis vernachlässigbar klein. Stromwandler werden als Strommessgerät und als sog. Schutzwandler zum Erkennen von Kurzschlüssen eingesetzt. Stromwandler dürfen nie ohne angeschlossenes Strommesser im Leerlauf betrieben werden. Im Leerlauf sind der ausgangsseitige Widerstand und damit auch der auf der Eingangsseite wirkende Widerstand des Trafos stark erhöht. Bei annähernd konstantem Primärstrom wachsen damit auch die Primärspannung und der magnetische Fluss im Eisenkern. Die entsprechend ansteigenden Eisenverluste können zu Überhitzung und Zerstörung des Stromwandlers führen. Eine andere übliche Methode zur berührungslosen Messung von Wechselströmen über ihr Magnetfeld beruht auf dem Prinzip des sog. Rogowski-Stromwandlers in Abb. 5.12. Er besteht aus einer auf einen nichtmagnetischen, nichtleitenden Ring gewickelten Spule (Luftspule) mit der Windungszahl N. Um den Strom i.t/ zu messen, wird die Rogowskispule um den stromführenden Leiter gelegt und die induzierte Spannung mit einem hochohmigen Voltmeter gemessen. Damit ist der Strom in der Rogowskispule nahezu

Abb. 5.11 Durchsteckstromwandler, Schaltung

I1

N1 N2 I2

A N 2 > N1

5

Elektrische Messtechnik

375

A

B(r)

B(r) = μ0

i(t) 2π · r

Φ = B · A = μ0

i(t ) r

u=N·

dΦ dt

u = N · μ0 · i(t) =

i ·A 2π · r

di di A · =M· 2π · r dt dt

1 t u(τ )dt M t0

u (t ) Abb. 5.12 Rogowski-Stromwandler zur berührungslosen Strommessung und Herleitung des Zusammenhangs zwischen der induzierten Spannung u.t / und dem zu messenden Strom i.t /

Null. Nach Gl. 1.106 ergibt sich das B-Feld im Abstand r und daraus der magnetische Fluss ˚.t/ D B  A in der in der Ringspule. Nach dem Induktionsgesetz ist die in der Spule induzierte Spannung u.t/ entsprechend der Berechnung in Abb. 5.12 proportional zur ersten Ableitung des umschlossenen zu messenden Stroms i.t/. Eine nachfolgende Integration mit einem Integrator nach Gl. 3.33 liefert den Strom i.t/ als Ausgangswert. Bei sinusförmigem Strom kann ohne Integration die gemessene Spannung in Strom-Einheiten kalibriert werden, da sie lediglich um 90ı voreilt. Die Zylinderspule ist oft auf einen flexiblen Kern gewickelt und kann um den betreffenden Leiter zu einem Ring geschlossen werden, ohne dass der Leiter aufgetrennt werden müsste. Die Rogowskispule ist wegen ihrer bequemen Handhabung sehr verbreitet für die berührungslose Messung von Wechselströmen im Bereich zwischen einigen Ampere und Kiloampere bei Frequenzen von 1 Hz bis zu einigen MHz. Zur Erhöhung der Empfindlichkeit können auch mehrere Leiterschleifen des zu messenden Leiters durch den Ring gelegt werden. Spannungswandler Spannungswandler wie in Abb. 5.13 werden zur Messung hoher Spannungen eingesetzt. Die zu messende Wechselspannung wird an die Eingangswicklung mit vielen Windungen angeschlossen. An die Ausgangswicklung mit wenigen Windungen wird ein Spannungsmesser angeschlossen. Der Spannungswandler reduziert die hohe zu messende Wechselspannung auf einen niedrigeren, mit einem einfachen Voltmeter messbaren Wert. Wegen des hohen Innenwiderstands des angeschlossenen Voltmeters verhält sich der Spannungswandler praktisch wie ein im Leerlauf betriebener Transformator. Für einen idealen Spannungswandler ergibt sich die zu messende Spannung U1 aus dem Übersetzungsverhältnis

376

H. Paerschke

Abb. 5.13 Spannungswandlerschaltung

U1 N1 N 2 < N1

N2 U2 V

ü und der am Voltmeter abzulesenden Spannung U2 . U1 D

N1  U2 D uR  U2 : N2

(5.43)

5.3.4 Hall-Element zur Messung der magnetischen Flussdichte B Mit Hall-Elementen kann die magnetische Flussdichte B gemessen werden. Sie werden z. B. als kontaktlose Signalgeber und in Strommesszangen (siehe nächsten Abschnitt) eingesetzt. In Abb. 5.14 sind ein Hall-Element und der Wirkungsmechanismus schematisch dargestellt. Das dargestellte kleine Halbleiterplättchen – hier ein p-Halbleiter – wird senkrecht von dem zu messenden magnetischen Fluss durchsetzt. Quer dazu fließt ein konstanter, vorgegebener Strom I. Durch die Lorentz-Kraft F magn werden die bewegten Ladungsträger – hier positive Löcher – seitlich abgelenkt, was zu einem Überschuss an positiven Ladungen am vorne dargestellten Kontakt und einem Mangel am hinteren Kontakt und zur Hall-Spannung UH führt. Damit ist ein elektrisches Feld E verbunden, das eine rücktreibende Kraft Fel auf die Ladungsträger ausübt. Die beweglichen Ladungsträger q werden verschoben, bis sich im Gleichgewichtszustand die magnetischen und die elektrischen Kräfte gegenseitig aufheben. Für die Beträge gilt dann Fmagn D q  v  B D Fel D q  E:

(5.44)

Mit dem Zusammenhang zwischen der Driftgeschwindigkeit v, der Dichte n der Ladungsträger und der Stromstärke I vD

I nqbd

und E D

UH b

(5.45)

ergibt sich die eine zur Flussdichte B proportionale Hall-Spannung UH D

1 B I BI D RH  : ne d d

(5.46)

5

Elektrische Messtechnik

377

Abb. 5.14 Wirkungsprinzip eines Hall-Elements, Entstehung der Hall-Spannung UH in einem äußeren Magnetfeld mit der Flussdichte B

B

q

I Fmagn

d

b

UH

RH wird als Hallkonstante bezeichnet. Sie ist in Halbleitern wegen der geringen Ladungsträgerdichten n besonders groß.

5.3.5 Strommesszangen Für die Messung des Stromes mit einem herkömmlichen Strommesser muss der Stromkreis aufgetrennt werden und der Strom durch den Strommesser geführt werden. Insbesondere bei Leitungen mit großem Querschnitt ist dies kaum praktikabel. Hier werden Strommesszangen wie in Abb. 5.15 eingesetzt, die den Strom führenden Leiter zangenförmig umfassen, ohne dass ein elektrisch leitender Kontakt zum Leiter besteht. Der zu messende Strom baut um sich herum einen geschlossenen magnetischen Fluss auf, der sich in dem weichmagnetischen Material der Zange konzentriert. Die Stärke dieses magnetischen Flusses ist ein Maß für die Größe des zu messenden Stroms. Zur Erhöhung der Messempfindlichkeit kann man den zu messenden Leiter auch mehrfach durch den durch die Zange gebildeten Ring führen. Strommesszangen für Wechselstrom (Abb. 5.15b) funktionieren wie die in Abschn. 5.3.4 erläuterten Stromwandler nach dem Trafo-Prinzip. Der zu messende Primärstrom i1 ergibt sich mit N1 D 1 nach Gl. 5.42 aus dem gemessenen Sekundärstrom i2 . Strommesszangen für Gleichstrom (Abb. 5.15c) arbeiten nach einem anderen Funktionsprinzip. Der magnetische Kreis der Zange ist durch einen Luftspalt unterbrochen, in dem sich ein Hall-Element der Dicke d befindet. Es misst die senkrecht hindurchtretende Flussdichte B. Sie ist verursacht durch die magnetische Spannung  D I und erzeugt den magnetischen Fluss durch das Weicheisen und durch das Halbleiterplättchen der Dicke d. Analog zum Vorgehen im Abschn. 5.2.2 ergibt sich mit dem Durchflutungsgesetz  D N I D I D d HHL ClFe HFe  d HHL D d

B 0

und damit B  0

I : (5.47) d

Die Flussdichte B durch das Hall-Element ist proportional zum Strom I, der nach Gl. 5.46 über die Hall-Spannung gemessen werden kann. Wegen der Temperaturabhängigkeit der Hall-Konstanten RH in Gl. 5.46 wird das Messergebnis jedoch verfälscht. Zur Verbesserung der Messgenauigkeit wird ein Kompensationsverfahren angewendet: Durch eine

378

H. Paerschke a

b B

i2 i1 N2

i

c B

ik i1 N2

I = konst

i

UH

Abb. 5.15 Strommesszange zur kontaktlosen Strommessung (a), Wirkungsprinzip für Wechselstrommesszange (b), Wirkungsprinzip für Gleichstrommesszange (c)

zusätzliche Spule mit der Windungszahl N2 wird ein Kompensationsstrom Ik geschickt, der dem Magnetfeld des zu messenden Strom I entgegen wirkt. Dieser Strom wird soweit erhöht, bis die Hall-Spannung und der magnetische Fluss zu Null werden. Dann ist die magnetische Spannung  ebenfalls Null. Aus dem Durchflutungsgesetz ergibt sich mit  D N2  Ik C I D 0 für den gesuchten Strom I D N2  Ik . Die Messung von Ik erlaubt die exakte Bestimmung des Leiterstroms.

5.3.6 Oszilloskope Oszilloskope werden in der Messtechnik vielfältig eingesetzt, um Zeitverläufe einer oder mehrerer elektrischer Spannungen u.t/ darzustellen. Ströme i.t/ können indirekt bestimmt werden über den Spannungsabfall an einem bekannten ohmschen Widerstand R. Oszilloskope können auf analoger oder auf digitaler Basis arbeiten. In den letzten Jahren haben sich die digitalen Oszilloskope gegenüber den analogen weitgehend durchgesetzt. Analoge Elektronstrahloszilloskope enthalten eine Brownsche Röhre, in der, wie in Abb. 5.16, 5.17 vereinfacht dargestellt, ein Elektronenstrahl mit konstanter Geschwindigkeit horizontal über einen Leuchtschirm geführt wird und am Auftreffpunkt für eine kurze Zeitdauer einen Leuchtpunkt hinterlässt. Die horizontale Bewegung wird durch das elektrische Feld einer sägezahnförmigen Spannung an den Kondensatorplatten der x-Ablenkung bewirkt. Die senkrechte Ablenkung erfolgt durch durch die angelegte Spannung u.t/ zwischen den Kondensatorplatten der y-Ablenkung. Bei periodischen Spannungen ergibt sich durch ständige Wiederholung des Schreibvorgangs ein stehendes Bild des Signalspannungsverlaufs. Dafür muss der Schreibvorgang immer zum gleichen Zeitpunkt

5

Elektrische Messtechnik

379

a

b u(t) uTr t

Elektronenstrahl y-Ablenkung

ux(t)

x-Ablenkung

Vorlauf

Rücklauf

Schirm Wartezeit

t

Abb. 5.16 Vereinfachtes Funktionsprinzip eines Elektronenstrahloszilloskops zur Darstellung einer periodischen Spannung (a), Verlauf der Sägezahnspannung ux .t / und Prinzip des Triggervorgangs (b)

innerhalb der Periodendauer des Signals gestartet werden. Dies wird durch eine Triggerschaltung gewährleistet, die den Schreibvorgang immer dann startet, wenn das Eingangssignal eine einstellbare Triggerspannung uTr überschreitet. Moderne Geräte besitzen eine Autoset-Einrichtung, die bei Betätigung einer entsprechenden Taste, die Verstärkung des Signals, die Dauer des abgebildeten Zeitabschnitts und die Trigerspannung automatisch geeignet einstellt. Zweikanaloszilloskope besitzen 2 Eingangskanäle, so dass 2 Eingangssignale y1 .t/ und y2 .t/ gleichzeitig sichtbar sind. Im alternierenden Modus wird dazu in jeweils einem Schreibvorgang das Eingangssignal y1 .t/ und im nachfolgenden y2 .t/ abgebildet. Die Eingänge sind als Gleichspannungs- (DC) oder als Wechselspannungseingänge (AC) umschaltbar. Dies ist von Belang, wenn die Signalspannung Gleichspannungsanteile enthält, wenn also der zeitliche Mittelwert des Eingangssignals von Null abweicht. Mit der DC-Einstellung wird die gesamte Mischspannung mit Gleich- und Wechselspannungsanteil angezeigt. Bei der AC-Einstellung wird der Gleichanteil unterdrückt und nur der Wechselspannungsanteil abgebildet. Dies ist insbesondere dann erforderlich, wenn der interessierende Wechselspannungsanteil von einem großen Gleichanteil überlagert wird. Ist die zu messende Spannung größer als für das Oszilloskop zulässig, wird ein Tastkopf verwendet, der die Eingangsspannung im passenden Verhältnis z. B. 10 : 1 herabsetzt. Digital-Speicheroszilloskope haben auf Grund von vielfältigen zusätzlichen Möglichkeiten die analog arbeitenden Elektronenstrahlgeräte weitgehend verdrängt. Im DigitalSpeicheroszilloskop werden die anliegenden Messsignale in bestimmten Zeitintervallen abgetastet. In einem Analog-Digital-Umsetzer (ADU) wird der jeweils anstehende analoge Messwert in eine Binärzahl umgewandelt, anschließend in einem Datenspeicher gespeichert und in einer Mikroprozessor-Einheit weiter verarbeitet. Durch den Analog-Digital-Umformer wird das analoge Eingangsspannungssignal uA .t/ wie in Abb. 5.18 in ein zeit- und wertdiskretes Ausgangssignal uD .t/ mit entsprechenden Messabweichungen umgeformt. Durch die Abtastung in bestimmten Zeitinter-

380

H. Paerschke

Verstärker

Datenspeicher

ADU

μP

Display

Abb. 5.17 Grundaufbau eines Digital-Speicheroszilloskops uD(t) / V

uA(t) / V 7

7

6

6

5

5

4

4

3

3

2

2

1

1 0

0 t0

t1

t2

t3

t4

t5

t6

t7

t8

t

t0

t1

t2

t3

t4

t5

t6

t7

t8

t

Abb. 5.18 Prinzip der Analog-Digital-Wandlung eines analogen Spannungsverlaufs uA .t / in das zeit- und wertdiskrete Ausgangssignal uD .t /

vallen entsteht ein dynamischer Fehler, er umso kleiner ist je dichter die Abtastintervalle sind. Durch die Einordnung der analogen Werte in bestimmte Spannungsintervalle entsteht ein Quantisierungsfehler. Die Grenzen der Digitaloszilloskope sind durch die Analog-Digital-Wandlung bestimmt. A/D-Wandler haben typischerweise eine Auflösung von 8 bis 14 bit. Bei einem A/D-Wandler mit 8 Bit ergeben sich 28 D 256 Spannungbereiche zur Einordnung der Messwerte. Bei einem Messbereich von z. B. 0 bis 800 mV erhält man 800 mV=256 D 3;125 mV als kleinste Auflösung. Neben der Auflösung in Y-Richtung (Spannung) wird bei sehr schnell veränderlichen Spannungen auch die zeitliche Auflösung wichtig: Sie ist begrenzt durch die Abtastrate, die angibt, wie oft das Eingangssignal pro Sekunde abgetastet wird. Z. B. bei einer Abtastrate von 1 GSamples/s (Gigasamples) wird das Eingangssignal 109 mal pro Sekunde abgetastet. Die Darstellung erfolgt meist auf einem Computerbildschirm oder nach einer Digital-Analog-Wandlung mit einer herkömmlichen Elektronenstrahlröhre. Dabei wir zwischen den einzelnen Abtastwerten geeignet interpoliert, so dass sich ein kontinuierlicher Kurvenverlauf ergibt. Die digital vorliegenden Werte können auch an einen PC übertragen und weiterverarbeitet werden. Digitaloszilloskope haben im Allgemeinen mehrere Anzeigebetriebsarten. Ähnlich wie im Elektronenstrahloszilloskop kann ein periodisches Signal nach jedem Trigger-Ereignis neu abgebildet werden, so dass sich ein stehendes Bild eines Abschnitts des periodischen Signals ergibt.

5

Elektrische Messtechnik

Abb. 5.19 Hinreichend genaue Abtastung einer periodischen Funktion (a), Veranschaulichung des Alias-Effekts bei zu geringer Abtastrate (b), Eingangssignal: durchgezogene Linie, Ausgangssignal: gestrichelte Linie

381 a

t b

t

Alle digitalen Messwerterfassungssysteme (Digitaloszilloskop, Messwerterfassungskarten, digitale Automationsgeräte usw.) erfassen das kontinuierliche analoge Eingangssignal prinzipiell nur in konstanten Zeitabständen (äquidistant). Hinsichtlich der Größe des Abtastintervalls ist das Shannonsche Abtasttheorem zu beachten. Es besagt, dass ein Signal, das keine höheren Frequenzen als fmax enthält, durch im Abstand t D 1=.2fmax ) abgetasteten Funktionswerte eindeutig bestimmt ist. D. h. die Periode der höchstfrequenten Schwingung muss wie in Abb. 5.19a mindestens zweimal abgetastet werden. Ist die Abtastrate geringer oder enthält das Eingangssignal Anteile mit Frequenzen f > fmax , so wird das Messergebnis durch das sogenannte Aliasing verfälscht. Abb. 5.19b veranschaulicht den Effekt. Ein kontinuierliches Signal (durchgezogene Linie) wird mit einer zu niedrigen Abtastfrequenz abgetastet. Aus den erhaltenen Messwerten (Punkte) entsteht durch Interpolation ein verfälschtes Signal mit einer im Signal gar nicht vorkommenden Periodendauer (gestrichelte Linie). Zur Vermeidung des Aliasing-Effekts wird das Eingangssignal durch einen Tiefpass gefiltert (Anti-Aliasing-Filter). Diese Filterung muss vor der Digitalisierung geschehen. Eine nachträgliche Korrektur des Aliasing-Effekts ist nicht möglich. Digitaloszilloskope können nicht nur periodische, sondern auch einzelne, transiente Ereignisse erfassen, z. B. den Entladevorgang eines Kondensators. Eine solche Einzelaufnahme kann beliebig lange auf dem Display dargestellt werden. In einer weiteren Betriebsart als Transientenrekorder können die fortlaufend am Eingang anliegenden digitalen Signale nacheinander zyklisch im Speicher abgelegt werden. Nach Erreichen des letzten Speicherplatzes wird beim ersten Speicherplatz fortgefahren und die dort stehenden Werte überschrieben. Tritt während dessen ein bestimmtes TriggerEreignis ein, so wird eine festgelegte Anzahl weiterer Werte erfasst. Die im Speicher enthaltenen vor und nach dem Trigger-Ereignis aufgetretenen Werte bleiben gespeichert und können beliebig lange auf dem Display dargestellt werden. Auf diese Weise lassen sich z. B. die Umstände eines selten auftretenden Anlagenfehlers analysieren. Auch sehr langsam veränderliche Vorgänge, wie z. B. die Tagesverläufe von Temperaturen können mit einem Digitaloszilloskop ähnlich wie bei einem x-t-Schreiber dargestellt werden.

382

H. Paerschke

5.3.7 PC-gestützte Messtechnik Zur Erfassung von zeitabhängigen Spannungen werden in zunehmenden Maße Multifunktions-Einsteckkarten für PC’s genutzt. Sie haben meist mehrere Messeingänge. Die analogen Eingangsspannungen werden in ähnlicher Weise wie im Digitaloszilloskop abgetastet, mittels Analog-Digital-Umsetzern digitalisiert und zur Speicherung und Weiterverarbeitung an den Computer übergeben. Neben den Eingängen besitzen solche MultifunktionsEinsteckkarten meist auch programmierbare digitale Ausgänge zum Schalten von Relais. Ebenfalls enthaltene Digital-Analog-Konverter erlauben die programmierbare Ausgabe von stetigen Spannungswerten z. B. für die Steuerung und Regelung von Prozessen. Für die Programmierung solcher Multifunktionskarten wurde spezielle Software entwickelt. Ein Beispiel ist das Programm LabVIEW der Fa. National Instruments mit einer grafischen Bedienoberfläche [7]. Ähnliche Funktionalität wie Einsteckkarten für PC’s weisen Messmodule auf, die mit dem Notebook oder dem PC über eine USB-Schnittstelle kommunizieren. Solche Kombinationen aus USB-Messmodul und Notebook werden als USBScope bezeichnet. Sie bieten als virtuelles Messgerät eine ähnliche Funktionalität wie Digitaloszilloskope und können über grafische Bedienoberflächen auch ähnlich bedient werden. Speziell für den Einsatz in der Gebäudetechnik wurden USB-Datenlogger entwickelt mit Sensoren, Verstärker, ADU und Speicher für die elektronische Aufzeichnung von Temperatur und Luftfeuchte [8].

5.4 5.4.1

Messung elektrischer Größen im Gleichstromkreis Strommessung

Ein Gerät zur Messung des elektrischen Stromes wird Strommesser oder Amperemeter genannt. Zur Strommessung muss Stromkreis aufgetrennt und der Strommesser in Reihe geschaltet werden. Eine positive Anzeige ergibt sich, wenn der Strom in die meist rot markierte Anschlussklemme des Strommessers fließt. Bei der Messung des Stromes tritt stets eine systematische Abweichung auf durch die Rückwirkung des Messgeräts. Dies soll am Beispiel eines beliebigen Zweigs in einem linearen elektrischen Netzwerks (aus ohmschen Widerständen und linearen Quellen) gezeigt werden. Das lineare Netzwerk kann wie in Abb. 5.20 durch eine Ersatzspannungsquelle beschrieben werden. Nach Gl. 5.48 ergibt sich der, ohne Strommesser fließende wahre Strom I. Durch den Innenwiderstand RA des Strommessers stellt sich bei der Messung davon abweichend der Strom IA ein. Uq Uq C RL ; IA D C RL C RA (5.48) I D Ri Ri Diese systematische Abweichung ist bei RA Ri C RL vernachlässigbar klein. Dementsprechend sollte der Innenwiderstand RA von Strommessern stets möglichst klein sein.

5

Elektrische Messtechnik

383

Abb. 5.20 Strommessung und Rückwirkung des Strommessers auf den zu messenden Strom

RA

Ri

I

A Ui Uq

Abb. 5.21 Messbereichserweiterung bei einem Strommesser mit Nebenwidertand RN

RL

U

K

I

IM

IN

A

RM

RN

Messbereichserweiterung Strommesser Sollen Ströme I gemessen werden, die größer sind als der maximal durch das Messwerk messbare Strom IM , so ist eine Messbereichserweiterung nach Abb. 5.21 mit Hilfe eines präzisen Parallelwiderstands RN (engl. shunt) erforderlich. Mit I ; IM Knotensatz (K): IN D I  IM D k  IM  IM D .k  1/  IM ; (5.49) RN IM IM D I RN D  RM Stromteilungsverhältnis: IN RM IN

Messbereichserweiterungsfaktor k D

ergibt sich für den gewünschten Messbereichserweiterungsfaktor k der gesuchte Nebenwiderstand RN und der Gesamtwiderstand Rges des erweiterten Strommessers RN D

RM ; .k  1/

Rges D

UM RM IM  RM D D : I k  IM k

(5.50)

Berechnungsbeispiel Ein Messwerk erreicht mit IM D 10 mA bzw. UM D 100 mV Vollausschlag. Es soll für Strommessungen bis I D 1 A benutzt werden. Wie groß sind der erforderliche Nebenwiderstand RN und der Innenwiderstand Rges des erweiterten Messgeräts? I 1A UM 100 mV D D D 100; RM D D 10 ; IM 0;01A IM 10 mA RM 10 RN D D D 0;101 ; .k  1/ 99 RM 10 Rges D D D 0;1 : k 100 kD

384

5.4.2

H. Paerschke

Spannungsmessung

Ein Messwerk zur Strommessung ist im Prinzip auch geeignet Spannungen zu messen. Wird das Messwerk an eine Spannung U angeschlossen, fließt entsprechend dem Innenwiderstand RM des Messwerks ein Strom durch das Messwerk. Die anliegende Spannung ergibt sich aus dem Strom nach dem Ohmschen Gesetz U D RM  I . Ein Gerät zur Messung der elektrischen Spannung wird Spannungsmesser oder Voltmeter genannt. Die Spannungsmessung erfolgt stets zwischen zwei Punkten einer Schaltung. Der Stromkreis muss dazu nicht aufgetrennt werden. Die Anzeige ist positiv, wenn der positive Pol des Messwerks an den Pluspol der Spannung angeschlossen wird. Auch bei Spannungsmessungen entstehen systematische Abweichungen durch die Rückwirkung des Geräts auf die zu messende Größe. Betrachten wir ein lineares Netzwerk, das wie in Abb. 5.22 durch eine Ersatzspannungsquelle beschrieben werden kann. Ohne angeschlossenes Voltmeter stellt sich an den Klemmen die Spannung U D Uq ein. Mit dem Voltmeter ergibt sich davon abweichend nach Gl. 5.51 die niedrigere Spannung U D UV . Mit IV D misst man also

Uq Ri C RV

 UV D Uq  Ri  IV D Uq 1 

Ri Ri C RV

 :

(5.51)

Die systematische Abweichung des gemessenen UV vom wahren Wert Uq ist umso geringer, je größer RV im Vergleich zu Ri ist. Dementsprechend müssen Spannungsmesser einen möglichst hohen Innenwiderstand RV besitzen. Messbereichserweiterung Spannungsmesser Sollen Spannungen U gemessen werden, die größer sind als die maximal durch das Messwerk messbare Spannung UM , so ist eine Messbereichserweiterung nach Abb. 5.23 mit Abb. 5.22 Spannungsmessung und Rückwirkung des Spannungsmessers auf die zu messende Spannung

Ri

IV RV

Ui Uq

U

V

UV

5

Elektrische Messtechnik

385

Abb. 5.23 Messbereichserweiterung bei einem Spannungsmesser mit Vorwiderstand RV

I

RV

UV

U V

UM

Hilfe eines präzisen Vorwiderstands RV erforderlich. Mit U UM Maschensatz: UV D U  UM D k  UM  UM D .k  1/  UM UM RM UV Spannungsteilerverhältnis: D I RV D  RM UV RV UM (5.52) ergibt sich für den gewünschten Messbereichserweiterungsfaktor k der erforderliche Vorwiderstand RV und der Gesamtwiderstand Rges des erweiterten Voltmeters Messbereichserweiterungsfaktor k D

RV D RM  .k  1/;

Rges D RV C RM D k  RM :

(5.53)

Berechnungsbeispiel Ein Messwerk mit IM D 10 mA und UM D 100 mV soll zur Messung von Spannungen bis zu 10 V benutzt werden. Wie groß sind der erforderlichen Vorwiderstand, der Gesamtwiderstand und die umgesetzte Leistung bei Endausschlag? 10 V U D D 100; UM 0;1V UM 100 mV RM D D D 10 ; IM 10 mA RV D RM  .k  1/ D 990 kD

Rges D k  RM D 100  10 D 1000 Pges D U 2 =Rges D .10 V/2 =1000 D 0;1 W:

386

H. Paerschke a

b RA ∙ I

IA A

A

I

I UV

V

R

R

U

IV U

V

Abb. 5.24 Widerstandsmessung mit stromrichtiger (a), mit spannungsrichtiger Schaltung (b)

5.4.3 Widerstandsmessung durch gleichzeitige Messung von I und U Nach dem Ohmschen Gesetz kann man R aus der Messung von anliegender Spannung U und durchfließendem Strom I bestimmen. Für die gleichzeitige Messung kann man die zwei verschiedenen, in Abb. 5.24 dargestellten Schaltungen verwenden. Bei der stromrichtigen Messung misst der Strommesser den durch R fließenden Strom I. Das Voltmeter misst jedoch nicht die am Widerstand anliegende Spannung U, sondern die Spannung UV D U C RA  I . Damit ergibt sich RD

UV U D  RA : I I

(5.54)

Ist RA R, so kann die Korrektur durch RA außer Acht bleiben. Bei der spannungsrichtigen Messung misst das Voltmeter die an R anliegende Spannung U, der Strommesser jedoch den von I abweichenden Strom IA . Mit dem Knotensatz ergibt sich U I D IA  IV D IA  RV und damit

1 I IA 1 : D D  R U U RV

(5.55)

Man erkennt, dass für die genaue Berechnung von R im ersten Fall der Innenwiderstand RA des Strommessers und im zweiten Fall der Innenwiderstand RV berücksichtigt werden muss, um die sonst auftretenden systematischen Abweichungen zu beseitigen. Bei kleinem Widerstand R RV liefert die spannungsrichtige Messung eine kleinere systematische Abweichung, bei großem R RA die stromrichtige Messung. Berechnungsbeispiel Mit einem Voltmeter (RV D 106 ) und einem Strommesser (RA D 150 m ) wird in stromrichtiger Schaltung ein ohmscher Widerstand gemessen. Die Digitalmultimeter zeigen U D 9;38 V und I D 0;610 A an. Der Widerstand R ist zu berechnen.

5

Elektrische Messtechnik

387

Mit Korrektur des systematischen Messabweichung nach Gl. 5.54 ergibt sich RD

U 9;38 V  RA D  0;15 ˝ D 15;38 ˝  0;150 ˝ D 15;23 ˝ : I 0;610 A

Für die Spannungs- und die Strommessung wurde eine Messunsicherheit u von jeweils 0,7 % ermittelt. Nach dem Fortpflanzungsgesetz für Messunsicherheiten (Gl. 5.15) von indirekt gemessenen Größen ergibt sich mit @f U 1 @f U R D f .U; I / D  RA I D I D  2I I @U I @I I s s     2    @f 2 2 1 @f 2 2 U 2 uD u1 C u2 D .U  0;7 %/2 C  2 .I  0;7 %/2 @x1 @x2 I I p U uD  2  0;7 % D 0;15 ˝: I Das vollständige Ergebnis lautet R D .15;23 ˙ 0;15/ .

5.4.4

Brückenschaltungen

Zur genauen Bestimmung von ohmschen Widerständen werden in der Praxis oft Brückenschaltungen eingesetzt. Die nach dem Physiker Wheatstone benannte Brückenschaltung nach Abb. 5.25 besteht aus zwei parallelgeschalteten Spannungsteilern, die mit der Spannung U0 gespeist werden. Beim Betrieb unterscheidet man zwischen dem Ausschlagverfahren, bei dem die Diagonalspannung UAB mit einem hochohmigen Instrument gemessen wird, und dem Abgleichverfahren, bei dem die Diagonalspannung durch Variation von Brückenwiderständen zu Null abgeglichen wird. Brückenschaltungen werden außer zur Messung von Widerständen auch zur Weg- und Temperaturmessung, zur Messung von Strömungsgeschwindigkeiten mit Hitzdrahtinstrumenten und zur Messung von Dehnungen und Kräften unter Verwendung von Dehnmessstreifen (DMS) eingesetzt. Mit den in Abb. 5.25 definierten Maschen und erhält man die drei Maschengleichungen M1 bis M3. Wird die Spannung UAB mit einem hochohmigen Voltmeter gemessen, so ist der Strom I5 vernachlässigbar klein und es ergeben sich die Knotengleichungen KA und KB. Löst man die Maschengleichungen M2 und M3 nach den Strömen I1 und I3 auf und setzt diese in die Gleichung für M1 ein, erhält man   R1 R3  R1 R4 C R1 R3 C R2 R3 R3 R1 C UAB D U0  D U0 R1 C R2 R3 C R4 .R1 C R2 / .R3 C R4 / R2 R3  R1 R4 UAB D U0 : (5.56) .R1 C R2 / .R3 C R4 / Bei einer abgeglichenen Brücke ist die Brückenspannung UAB D 0. Dies ist bei R2  R3 D R1  R4 D 0 der Fall. Nach Umstellung ergibt sich die Abgleichbedingung in

388

H. Paerschke

I1

I3

M2 1 U0

A

I5

M1

3

V

M1 :

UAB = −I1 · R1 + I3 · R3

M2 :

U0 = I1 · (R1 + R2 )

M3 :

U0 = I3 · (R3 + R4 )

B

2

speziell :

4 M3

R5 → ∞

KA :

I1 = I2

KB :

I3 = I4

d. h.

I5 = 0

Abb. 5.25 Wheatstonesche Brückenschaltung, Maschengleichungen M1 bis M3, Knotengleichungen KA und KB

U0 R2

im abgeglichenen Zustand gilt :

R3

R1

R3 R1 = R2 R4

V R4=Rx

Rx =

R2 l2 · R3 = · R3 R1 l1

Abb. 5.26 Widerstandsmessung mit Brückenschaltung

folgender Form: R3 R1 D : R2 R4

(5.57)

Als Nullindikator für den Nullabgleich genügt ein einfaches Messinstrument. Eine Brückenschaltung wie in Abb. 5.26 kann zur Messung eines unbekannten Widerstands Rx eingesetzt werden. Dabei enthält die Brückenschaltung in einem Zweig ein Potentiometer mit den zwei gegensinnig veränderbaren Widerständen R1 und R2 . Das Verhältnis von R2 und R1 ist aus den Längen l1 , l2 eines angebrachten Maßstabs ablesbar. Der andere Zweig enthält neben dem unbekannten Rx einen sehr genau bekannten Widerstand R3 . Nach Abgleich der Brücke durch Verschieben des Potentiometerabgriffs kann Rx aus dem gemessenen Längenverhältnis l2 = l1 und R3 bestimmt werden. Durch ein solches Kompensationsmessverfahren sind unter Verwendung von hochpräzisen Widerständen R1 bis R3 sehr genaue Widerstandsmessungen möglich. Der Vorteil besteht darin, dass keine nach einer Ausschlagmethode gemessenen fehlerbehafteten Werte von Strom und Spannung in die Widerstandsberechnung eingehen. Die Messung des Widerstands wird auf Längenmessungen zurückgeführt.

5

Elektrische Messtechnik

5.5 5.5.1

389

Messung elektrischer Größen im Wechselstromkreis Begriffe

Eine sinusförmige Wechselspannung nach Gl. 5.58 wird durch die Amplitude u, O ! die Kreisfrequenz (Maßeinheit s1 ) und den Nullphasenwinkel 'u gekennzeichnet. u.t/ D uO  sin.!t C 'u /

(5.58)

Für die Frequenz f (Maßeinheit Hz) und die Periodendauer T gilt f D T 1 I

! D 2  f:

(5.59)

Bei periodischen Größen unterscheidet man zwischen Effektivwert2 , linearem Mittelwert und Gleichrichtwert. Aus diesen Werten lassen sich Formfaktor und der Scheitelfaktor (auch als Crestfaktor bezeichnet) berechnen.

Effektivwert Ueff

v u u ZT u1 Dt u2 dt T

(5.60)

0

linearer Mittelwert

uN D

1 T

ZT u.t/dt

(5.61)

ju.t/jdt

(5.62)

0

Gleichrichtwert juj D

1 T

ZT 0

Ueff Effektivwert D Formfaktor F D Gleichrichtwert juj Scheitelwert uO Scheitelfaktor C D D Effektivwert Ueff

(5.63) (5.64)

Spannungen mit uN D 0 bezeichnet man als Wechselspannung. Ist uN ¤ 0, so spricht man von einer Mischspannung aus einer Summe von Gleichspannungs- und Wechselspannungsanteil. Diese Definitionen gelten analog für den elektrischen Strom i.t/ und darüber hinaus auch für jede periodische, auch nicht sinusförmige Funktion mit der Periodendauer T. 2

Entsprechend der Definitionsgleichung wird der Effektivwert nach der englischen Bezeichnung root mean square (root D Wurzel, mean D Mittelwert, square D Quadrat) auch als rms-Wert bezeichnet. Meist wird bei der Bezeichnung eines Effektivwerts auf den Index eff verzichtet: z. B. U statt Ueff .

390

H. Paerschke

Berechnungsbeispiel Eine periodische Spannung mit der Periodendauer T und uO D 100 V hat den dargestellten sägezahnartigen Verlauf. Wie groß sind Gleichrichtwert, Effektivwert und Formfaktor? u(t) Û u(t) =

u ˆ ·t T

für

0≤t≤T

t

T

Effektivwert Ueff

v u u ZT u1 Dt u2 dt T 0

2 Ueff

1 D T

ZT 0

Gleichrichtwert

ju.t/j D

1 T

ˇT uO 2 100 V uO 2 t 3 ˇˇ uO  t dt D 3 ˇ D p D p D 57;7 V T T 3 0 3 3

ZT ju.t/j dt D

1 uO  T uO D D 50 V T 2 2

0

57;7 V D 1;154 : Formfaktor F D 50 V

5.5.2

Nichtsinusförmige periodische Größen

Das Energieversorgungsnetz liefert Spannungen, die nur sehr geringfügig vom Sinusverlauf abweichen. Auch die Ströme in Schaltungen, die nur Widerstände, Spulen und Kondensatoren (lineare Bauelemente) enthalten, sind dann nahezu sinusförmig. In Geräten mit nichtlinearen Bauelementen (Netzteile mit Diodengleichrichtern und Glättungskondensator, Frequenzumformer mit Schalttransistoren), treten nicht-sinusförmige periodische Ströme auf. Abb. 5.27 zeigt beispielhaft eine nichtsinusförmige, periodische Funktion i.t/ mit der Periode T. Nach Ablauf der Periodendauer T wiederholt sich die Funktion. Es gilt 1 I Œf  D 1 Hz T ! D 2f I Œ! D 1 s1

f D

(5.65)

i.t/ D i.t C n  T / mit n D 1;2; 3; : : : Solche Schwingungen können in eine Summe aus einer sinusförmigen Grundschwingung i1 .t/ mit der Frequenz f D 1=T und Oberschwingungen ik .t/ mit ganzzahligen Vielfa-

5

Elektrische Messtechnik

391

Abb. 5.27 Beispiel für eine nicht sinusförmige periodische Funktion i.t / mit der Periodendauer T und einem linearen Mittelwert uN ¤ 0, f ist die Frequenz der Grundschwingung

i(t)

i (t ) t

T

chen der Grundfrequenz zerlegt werden (FOURIER-Zerlegung). Hinzu kommt ggf. noch ein Gleichanteil iN (siehe auch Abschn. 1.4.4). i.t/ D iN C

N X

iOk  sin.k  !t C 'k /

(5.66)

kD1

Ein Beispiel für die Zerlegung zeigt Abb. 5.28. Trägt man die Amplituden der einzelnen Schwingungen über einer Frequenzachse auf, erhält man das Amplitudenspektrum des betrachteten Signals. Setzt man Gl. 5.66 in die Gl. 5.61 für den Effektivwert ein, so erhält man für einen periodischen, nicht sinusförmigen Mischstrom

Ieff

v u N u X t 2 N D i C I2

k;eff

kD1

;

iOk Ik;eff D p ; 2

(5.67)

d. h. der Effektivwert Ieff eines periodischen Stroms i.t/ ergibt sich durch geometrische Addition der Effektivwerte der einzelnen Oberschwingungsströme.

iˆk

iˆ1 iˆ2 iˆ3

f

2f

3f

Abb. 5.28 Zerlegung einer nichtsinusförmigen periodischen Funktion in Grundschwingung und Oberschwingungen OS (Beispiel)

392

5.5.3

H. Paerschke

Messung des Effektivwerts

Analoge Multimeter mit Drehspulinstrumenten sind für die Messung von Gleich- und Wechselgrößen geeignet. Für die Messung von Wechselgrößen wird die Wechselgröße, wie oben beschrieben, mit einem Brückengleichrichter gleichgerichtet und somit wird eigentlich der Gleichrichtwert ermittelt. Unter Verwendung des Formfaktors für sinusförmige Wechselgrößen nach Gl. 5.68 wird auf der Skala der Effektivwert angezeigt. Obwohl solche Geräte im Allgemeinen das Kennzeichen rms (wie root mean square) tragen, zeigen sie nur für sinusförmige Größen den richtigen Effektivwert an. Das gilt auch für einfache Digitalmultimeter, in denen als Effektivwertmodul ein Brückengleichrichter eingesetzt wird. Hochwertige Messgeräte enthalten einen Effektivwertbaustein, der mit Hilfe von Operationsverstärkern den Effektivwert nach Gl. 5.61 bildet. Solche Geräte tragen meist den Schriftzug true rms (wahrer Effektivwert). Die in Abschn. 5.2.3 beschriebenen Dreheiseninstrumente sind in der Lage, (wahre) Effektivwerte direkt zu messen.

5.5.4

Messung des Gleichrichtwerts

Der Gleichrichtwert kann mit Hilfe einer Gleichrichter-Brückenschaltung wie in Abb. 5.29 bestimmt werden. Solche Brückengleichrichter findet man auch in Netzteilen elektronischer Geräte. Der sinusförmige Strom i.t/ fließt während der positiven Halbperioden nacheinander durch die Diode V1, den Widerstand R und die Diode V2, während der negativen Halbperioden durch V2, den Widerstand R und V4. Der Strom iR .t/ hat somit immer die gleiche Richtung und es gilt iR .t/ Dj i.t/ j. Wird dieser Strom mit einem Drehspulmessgerät gemessen, so wird auf Grund der mechanischen Trägheit des Zeigers der zeitliche Mittelwert, d. h. der Gleichrichtwert angezeigt. Für einen sinusförmigen Strom ergibt sich für

i (t )

i (t ) =

iR (t ) = i(t )

V4

V1

V3

V2



2iˆ = 0,637 ∙ iˆ 

u (t )

iR (t ) t

R

i (t )

Abb. 5.29 Gleichrichter-Brückenschaltung mit den Gleichrichterdioden V1 bis V4, Stromverläufe

5

Elektrische Messtechnik

393

a

b P

i(t)

i(t)

u(t)

u(t)

φ = − 90°

Wechselstromverbraucher

Wechselstromverbraucher

Abb. 5.30 Wirkleistungsmessung im Wechselstromkreis, stromrichtige Schaltung (a), Blindleistungsmessung mit 90ı -Phasenschieber (b)

den Gleichrichtwert 1 ji.t/j D T

ZT ˇ ZT ZT =2 ˇ 2  iO 2 O iO ˇO ˇ sin.!t/dt D i jsin.!t/j dt D ˇi  sin.!t/ˇ dt D T T  0

0

0

und damit für den Formfaktor F und den Scheitelfaktor C p O 2 i= iO  iO Ieff p  0;7071 : D D p  1;111 ; C D F D O 2 O Ieff i= 2i= 2 2 jij

5.5.5

(5.68)

Leistungsmessungen bei Wechselstrom

Die Messung der Wirkleistung P eines Wechselstromverbrauchers erfordert die gleichzeitige Erfassung der Momentanwerte von Strom i.t/ und Spannung u.t/. Ein elektrodynamisches Messwerk (siehe Abb. 5.2.2) ist wie in Abb. 5.30 anzuschließen. Dabei fließt der Betriebsstrom durch die niederohmige Stromspule, die Spannung liegt über einen Vorwiderstand an der Drehspule an. Der Ausschlag ist nach Gl. 5.27 proportional zur Wirkleistung P. Das gilt auch bei vorhandenen Oberschwingungsströmen. Elektronische Wirkleistungsmesser sind in gleicher Weise anzuschließen. Die Blindleistung kann ebenfalls mit einem elektrodynamischen Messwerk gemessen werden. Dazu wird ein 90ı -Phasenschieber integriert, der den Strom des Spannungspfades gegenüber der Spannung u.t/ um 90ı verschiebt. Wegen der Frequenzabhängigkeit des Phasenschiebers, sind solche Blindleistungsmesser nur bei annähernd sinusförmigen Strömen einer festen Frequenz geeignet. Bei induktiven Lasten wird eine positive Blindleistung, bei kapazitiven Lasten eine negative Blindleistung angezeigt. Die Scheinleistung S eines Wechselstromverbrauchers ist am einfachsten durch separate Messung der Effektivwerte von Verbraucherspannung U und Verbraucherstrom I und nachfolgende Produktbildung zu ermitteln. Dies gilt auch bei Vorhandensein von Oberschwingungsströmen, wenn die wirklichen Effektivwerte (true rms) gemessen werden.

394

H. Paerschke a L1

I1

L2

I2

b

c

P1

P12

P1 P2 P3

L3 N oder künstl. Sternpunkt

I3 U1

U1

U2

P32

zum Verbraucher

U3

Abb. 5.31 Leistungsmessungen im Drehstromnetz, bei symmetrischer Last (a), bei unsymmetrischer Last (b), mittels Aaronschaltung (c)

Die korrekten Werte für die Scheinleistung S, für den Leistungsfaktor  und die Blindleistung Q ergeben sich aus: S D U  II

5.5.6

D

jP j S

p und Q D ˙ S 2  P 2 :

(5.69)

Wirkleistungsmessung bei Drehstrom

Bei Drehstromsystemen ist zu unterscheiden zwischen 3- und 4-Leitersystemen sowie zwischen symmetrischen und unsymmetrischen Lasten. Bei symmetrischer Last reicht die Messung der Wirkleistung P1 in einem Strang entsprechend Abb. 5.31a. In einem 3Leitersysten muss für die erforderliche Messung der Sternspannung U 1 ein künstlicher Sternpunkt gebildet werden, indem man die drei Außenleiter L1, L2, L3 jeweils über hochohmige Widerstände zum künstlichen Sternpunkt verbindet. Die Gesamtleistung ergibt sich nach (5.70) Pges D 3  P1 : Bei unsymmetrischer Last benötigt man, wie in Abb. 5.31b, drei Wirkleistungsmesser oder einen kombinierten z. B. elektrodynamischen Wirkleistungsmesser mit drei Messwerken auf einer Achse. Die gesamte Wirkleistung ergibt sich als Summe der 3 Messwerte in den einzelnen Strängen. Auch im 3-Leitersystem werden oft drei Wirkleistungsmesser eingesetzt, um die einzelnen Leitungen separat zu beobachten. Dazu muss ein künstlicher Sternpunkt für die Messung der Sternspannungen gebildet werden. Pges D P1 C P2 C P3

(5.71)

Entsprechend Abb. 5.31c ist die Messung der gesamten Wirkleistung im 3-Leitersystem auch bei unsymmetrischer Last und im 4-Leitersystem bei symmetrischer Last mit der

5

Elektrische Messtechnik

395

sog. Aaronschaltung mit nur zwei Leistungsmessern möglich. Die Gesamtleistung ergibt sich aus den gemessenen Werten für P12 und P32 aus Pges D P12 C P32 :

(5.72)

Zu beachten ist, dass einer der Messwerte negativ sein kann. Er muss dann auch als negativer Wert in die Formel eingesetzt werden. Bei der Messung der Wirkleistung einzelner Drehstromverbraucher, z. B. eines Lüftungsventilators ist die Last weitgehend symmetrisch und es tritt eine eindeutige Energieflussrichtung auf (in Abb. 5.31 von links nach rechts). Bei einer Messung an einer beliebigen Stelle in einem Versorgungsnetz werden üblicherweise unsymmetrische Außenleiterströme auftreten. Sind außerdem dezentral einspeisende Anlagen, wie z. B. PV-Anlagen oder Blockheizkraftwerke vorhanden, kann sich am Messpunkt die Energieflussrichtung (und damit das Vorzeichen der Wirkleistung) insgesamt oder nur in einem Außenleiter umkehren.

5.6

Elektrische Messung nichtelektrischer Größen

Elektrische Messverfahren werden in vielfältiger Weise auch zur Messung nichtelektrischer Größen eingesetzt. Dazu werden Messwandler benötigt, in denen die nichtelektrische physikalische Größe in ein elektrisches Signal umgesetzt wird. Hier sollen unter Anwendung elektrotechnischer Berechnungen einige für die Gebäudetechnik wichtige Messverfahren erläutert werden. Weitere Verfahren zur Messung nichtelektrischer Größen in der Gebäudetechnik, werden in [9] beschrieben. Ein typisches Beispiel ist die Temperaturmessung mit Widerstandsthermometern. Dabei wird die Temperaturabhängigkeit der ohmschen Widerstände von Metallen und Halbleitern genutzt.

5.6.1

Temperaturmessungen mit Widerstandsthermometer

Als Sensoren werden in der Gebäudetechnik wegen ihrer Stabilität sehr häufig Widerstände aus einem legierten Platindraht oder einer dünnen Platinschicht verwendet. Solche Platin-Messwiderstände werden nach ihrem Material und ihrem Widerstand R0 bei # D 0 ı C bezeichnet. Am meisten verbreitet sind die in der DIN EN 60751 [10] genormten Pt100- und Pt1000-Widerstände mit R0 D 100 bzw. 1000 . Im Bereich zwischen 0 und 100 ı C ist das Verhalten in guter Näherung durch eine lineare Funktion beschreibbar R# D R0 .1 C ˛  #/

mit

˛ D 3;851  103 = K :

(5.73)

Zur Erfassung des temperaturabhängigen Widerstandwerts R# wird der Spannungsabfall U# an dem von einem konstanten Messstrom Iq durchflossenen Messwiderstand gemes-

396

H. Paerschke a IV ≈ 0 Iq

V

UL U

M

c UJ

RL

RJ

UL

2 ∙ I q ∙ RL

Iq

RL RL

Iq U L = I q ∙ RL

b

V

U

UJ M U L = I q ∙ RL

RJ

IV ≈ 0 Iq

V

U

M

UJ

RJ

RL

RL

Abb. 5.32 Temperaturmessung mit 2-Leiter-Schaltung (a), 4-Leiterschaltung (b), 3-Leiterschaltung (c)

sen. Für die elektrische Verbindung zwischen dem Sensor und dem Messumformer werden Zweileiter-, Dreileiter- und Vierleiterschaltungen verwendet (siehe Abb. 5.32). Eine im Messumformer befindliche, geregelte Stromquelle liefert den konstanten Strom Iq . Dieser Strom bewirkt nach dem Ohmschen Gesetz einen zum Widerstand R# proportionalen Spannungsabfall, der durch einen im Messumformer befindlichen Spannungsmesser erfasst wird. (5.74) U# D R#  Iq In der Gebäudetechnik sind Messort und Messwerterfassung typischerweise weit voneinander entfernt, so dass der Widerstand RL der Leitungen zu berücksichtigen ist. Die bei der Zweileiterschaltung in Abb. 5.32a auftretenden Spannungsabfälle UL an den Zuleitungen führen nach dem Maschensatz M dazu, dass die Messspannung U von der Spannung U# abweicht (5.75) U D 2  UL C U# ¤ U# : Eine solche Schaltung ist nur bei RL R# geeignet. d. h. bei kurzen Zuleitungen. Pt1000 sind hier gegenüber Pt100 zu bevorzugen. Bei der Vierleiterschaltung (Abb. 5.32b) benutzt man 2 zusätzliche Leitungen, um die am Messwiderstand anliegende Spannung U# zu messen. In diesen Leitungen fließt wegen des hohen Innenwiderstands des Voltmeters der nur der sehr kleine Strom IV . Die Spannungsabfälle an diesen beiden Leitungen sind vernachlässigbar klein. Unabhängig von der Länge der Zuleitungen kann damit die exakte Spannung am Messwiderstand erfasst werden: (5.76) U D U# :

5

Elektrische Messtechnik

Abb. 5.33 Thermisches Ansprechverhalten eines Widerstandsthermometers, Sprungantwort bei sprunghafter Änderung der Umgebungstemperatur

397 J J2

Δ RPt100 (t ) = Δ R ⋅ (1 − e



t T

)

ΔJ J1

t

T

t

In der Dreileiterschaltung nach Abb. 5.32c spart man unter Verwendung von zwei Konstantstromquellen im Messumformer eine Verbindungsader ein. Die Konstantstromquellen treiben die Ströme Iq in den angegebenen Richtungen durch die Zuleitungen. Aus dem Maschensatz für die Masche M ergibt sich auch hier, dass die exakte Spannung am Messwiderstand unabhängig von der Länge der Zuleitungen gemessen werden kann U D UL  UL C U# D U# :

(5.77)

Das gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Widerstände der drei Leitungen gleich sind. Auftretende unterschiedliche Kontaktwiderstände an den Klemmen der Leitungen verfälschen bei der Dreileiterschaltung das Messergebnis. Die Eigenerwärmung des Messwiderstands durch den konstanten Messstrom Iq führt zu Messabweichungen. Mit einem Pt1000 sind der für gleiche Messspannung erforderliche Strom und die in Wärme umgesetzte elektrische Leistung zehnmal kleiner als bei einem Pt100. Ein Pt1000 hat im Vergleich zum Pt100 bei gleicher Messspannung eine deutlich geringere Messabweichung durch Eigenerwärmung und bei der 2-Leiterschaltung ist der Einfluss der Zuleitungen geringer. Das dynamische Verhalten eines Messgeräts spielt eine Rolle bei zeitlich veränderlichen Messgrößen, z. B. wenn der Sensor in einer Regelung eingesetzt wird. Ändert sich die Umgebungstemperatur eines Temperatursensors sprunghaft, ergibt sich ein typisches Einschwingverhalten wie in Abb. 5.33. Die Zeitkonstante T ist direkt proportional zur Wärmekapazität des Sensors. Ein solches Verhalten wird in der Regelungstechnik als PT1Verhalten oder Tiefpass-Verhalten bezeichnet.

5.6.2

Temperaturmessungen mit Thermoelementen

Thermoelemente (siehe Abb. 5.34) bestehen aus zwei elektrischen Leitern unterschiedlichen Materials, die an der Messstelle miteinander verschweißt sind. Bei nicht zu großen Temperaturunterschieden ist die zu messende Thermospannung im Millivolt-Bereich proportional zur Differenz # D #2  #1 . Dabei ist #2 die Temperatur an der Messstelle und #1 die einheitliche Temperatur des Anschlussblocks. Die Anschlussstellen befinden sich auf einem isothermen Anschlussblock mit gut wärmeleitender isolierender Verbindung, damit die Messspannung nicht

398

H. Paerschke ΔJ

J1

Abb. 5.34 Thermoelement, Prinzipdarstellung

J2

Metall 1

Kontaktstelle

V Metall 2 isothermer Anschlussblock

Messstelle

durch weitere Temperaturdifferenzen verfälscht wird. Da die gemessenen Thermospannung nur die Temperaturdifferenz # widerspiegelt, muss für absolute Messungen von #2 die Temperatur des Anschlussblocks bekannt sein. In Temperaturmessgeräten kann #1 z. B. durch ein Widerstandsthermometer gemessen werden oder thermostatisch auf einen bestimmten Sollwert geregelt werden. Thermoelemente haben wegen ihrer geringen Wärmekapazität eine kleine Zeitkonstante T (vergl. Abb. 5.33) und sind deswegen für die Messung schneller Temperaturänderungen vorteilhaft. Spezielle Thermoelemente können für die Messungen von hohen Temperaturen, z. B. im Feuerraum von Heizkesseln oder zur Überwachung von Flammen in Gasgeräten eingesetzt werden. Hintereinander geschaltete Thermoelemente werden zur Gewinnung elektrischer Energie eingesetzt. Die mit solchen Thermoelektrischen Generatoren erzielbaren Wirkungsgrade liegen jedoch im einstelligen Prozentbereich und damit weit unter den theoretisch erzielbaren Carnot-Wirkungsgraden. In der Tab. 5.1 sind verschiede gebräuchliche Typen von Thermoelementen aufgeführt. Weitere Details, insbesondere die genauen Thermospannungen in den angegeben Temperaturbereichen, sind in [11] zu finden. Sind längere Leitungen erforderlich, benutzt man als Verlängerung für das jeweilige Thermopaar statt der (teuren) Thermoelementleitungen spezielle Ausgleichsleitungen. Bei höheren Temperaturdifferenzen ist die nichtlineare Abhängigkeit der Thermospannung von der Temperatur zu berücksichtigen. Erläuterung des Effekts In Metallen führen die frei beweglichen Leitungselektronen thermische Bewegungen aus. Je höher die Temperatur, desto größer sind die Geschwindigkeiten. Besteht in dem metallischen Leiter ein Temperaturgefälle, so diffundieren die schnelleren Elektronen aus dem heißen Bereich stärker in den kalten Bereich als umgekehrt. Die kalte Seite lädt sich gegenüber der heißen Seite negativ auf. Es entsteht längs des Leiters ein elektrisches Feld. Bestehen die beiden Leiter in Abb. 5.34 aus dem selben Material, so sind die entspre-

Tab. 5.1 Thermopaare

Typ Temperaturbereich J K R

210 ı C–1200 ı C 270 ı C–1372 ı C 50 ı C–1769 ı C

Thermopaar Fe-CuNi NiCr-Ni PtRh-Pt

Thermospannung/K im Bereich 0–100 ı C 0,0537 mV/K 0,041 mV/K 0,0065 mV/K

5

Elektrische Messtechnik

399

chenden Spannungen gleich groß und heben sich gegenseitig auf. Bei unterschiedlichen Materialien ergibt sich eine resultierende Thermospannung [12].

5.6.3 Messungen mit Dehnmessstreifen (DMS) Mit Hilfe von Dehnmessstreifen (DMS) nach Abb. 5.35 werden Verformungen in Längsrichtung an der Oberfläche von Bauteilen genmessen. Schon geringe Dehnungen oder Stauchungen der DMS führen zu proportionalen Widerstandsänderungen. DMS werden in sehr vielfältiger Weise eingesetzt für die Messung von mechanischen Spannungen in Bauteilen, von Kräften, Drücken, Biege- und Drehmomenten. Dafür werden meist Brückenschaltungen eingesetzt. Dehnmessstreifen bestehen aus einem dünnen Widerstandsdraht aus Metall oder einem Halbleiter, der mäanderförmig auf einer dünnen Kunststofffolie aufgebracht ist. Der Dehnmessstreifen wird auf die zu untersuchende Oberfläche aufgeklebt. Ohne Deformation hat der DMS einen bestimmten Widerstand R. Typische Werte liegen zwischen 100 und 1000 ˝. Der Widerstand R berechnet sich nach der unten angegebenen Funktion f . ; l; D/ aus dem spezifischen Widerstand , der Länge l und dem Durchmesser D des Widerstandsdrahtes. RD 

l I A

mit

AD

 2 D 4

R D f . ; l; D/ D

ergibt sich

4 l :   D2

Ändern sich die Variablen , l oder D in der Funktion f . ; l; D/ um kleine Werte d , dl, und/oder dD, so ändern sich in der Folge auch der Funktionswert bzw. der Widerstand R. Mathematisch wird die sich ergebende Änderung dR des Widerstands R durch das sogenannte totale Differential dR beschrieben, das an dieser Stelle erläutert werden soll. dR D Die auftretenden Ausdrücke

@f @f @f d C dl C dD @ @l @D @f @f @f ; ; @ @l @D

F

Abb. 5.35 Aufbau eines Dehnmessstreifens

F

DMS 100 - 600 Ω

400

H. Paerschke

heißen partielle Ableitungen der Funktion f nach den Variablen , l bzw. D. Bei einer partiellen Ableitung wird die Funktion nach der betreffenden Variablen abgeleitet, wobei die anderen Variablen als Konstanten behandelt werden. Es ergibt sich ˇ  ˇ @ 4  l ˇˇ 4 l @f . ; l; D/ ˇˇ D D  2  ˇ ˇ 2 @ @  D  D l;DDkonst ˇ l;DDkonst  ˇ ˇ ˇ @f . ; l; D/ ˇ @ 4 l ˇ 4 D D  2  2 ˇ ˇ @l @l  D  D ;DDkonst ;DDkonst ˇ  ˇ @f . ; l; D/ ˇˇ @ 4  l ˇˇ 4 l D D .2/   3  2 ˇ ˇ @D @l  D  D ;lDkonst ;lDkonst 4 l 4 4 l d C  2 dl C .2/   3 dD   D2  D  D dR d dl dD D C 2 : R l D dR D

bzw. (5.78)

Somit setzt sich die relative Widerstandsänderung aus den relativen Änderungen von , l und D zusammen. Mit der relativen Dehnung " D dl= l und der Querkontraktionszahl D

dD=D rel. Querdehnung D ; dl= l rel. Längsdehnung

0  0;5

(5.79)

ergibt sich dR D k  " mit R

k D 1 C 2 C

d : "

(5.80)

Der vom Hersteller angegebene k-Faktor nach Gl. 5.80 ist vom Drahtmaterial des DMS abhängig. Bei Metall-DMS ist die Änderung d des spezifischen Widerstands bei Streckung oder Stauchung gering. Der Effekt wird vorwiegend durch die Längen- und Dickenänderung bei Streckung oder Stauchung verursacht. Es ergibt sich k  2. Bei Halbleiter-DMS ist der k-Wert beträchtlich größer, weil sich der spezifische Widerstand des Halbleiters bei Deformation durch den piezoresistiven Effekt sehr stark ändert. Ein typischer Wert ist k  100. Zur Kompensation von Messabweichungen, z. B. durch die Temperaturabhängigkeit der DMS werden vorzugsweise Brückenschaltungen nach Abb. 5.36 eingesetzt. Bei der dargestellten Vollbrücke befinden sich 4 DMS in den Brückenzweigen. Die DMS haben im nicht deformierten Zustand alle den gleichen Widerstand R0 . Nach einer Deformation stellen sich die Widerstände R1 bis R4 bzw. die Widerstandsänderungen i ein.

5

Elektrische Messtechnik

401

Abb. 5.36 Vollbrücke mit 4 gleichen Dehnmessstreifen 3

1 U0

V

A 2

B 4

Es ergibt sich Ri D R0 C i I i R0 R2 R3  R1 R4 UAB D U0 .R1 C R2 / .R3 C R4 / .R0 C 2 / .R0 C 3 /  .R0 C 1 / .R0 C 4 / UAB D U0 .2R0 C 1 C 2 / .2R0 C 3 C 4 / R0 2 C R0 . 2 C 3 /  R0 2  R0 . 1 C 4 / : UAB  U0 4R0 2 C 2R0 . 1 C 2 C 3 C 4 /

(5.81)

Man erhält für die Brückenspannung UAB in linearer Näherung UAB D

U0 . 2 C 3  1  4 / : 4R0

(5.82)

Zur Messung von Zug- und Druckkräften, z. B. in Kraftmessdosen werden die DMS wie in Abb. 5.37 auf einen Zugbalken aufgebracht. Bei reinen Zugkräften werden nur DMS2 und DMS3 gedehnt, DNS1 und DNS4 bleiben unbeeinflusst. Die Blindstreifen 1 und 4 dienen zur Kompensation von Temperaturänderungen sowie von Biegung und Torsion des Zugbalkens.

2

1

A

F 4

3

Abb. 5.37 Anordnung der DMS zur Kraftmessung an einen Zugbalken mit Hilfe einer Vollbrücke, Zusammenhang zwischen relativer Längenänderung und relativer Widerstandsänderung des DMS mit Proportionalitätsfaktor k, Hooksches Gesetz mit Elastizitätsmodul E des Zugbalkens

402

H. Paerschke

Mit dem Zusammenhang zwischen relativer Längenänderung und relativer Widerstandsänderung und dem Hookschen Gesetz nach Gl. 5.83 0 1 U0 U @ 2 C 3  1  4 A D 0 UAB D 4R0 „ ƒ‚ … „ ƒ‚ … 2 R0 (5.83) 2 0

l

l 1 F Dk I D  R0 l l E A ergibt sich die Brückenspannung als Maß für die relative Längenänderung bzw. für die Kraft F am Zugbalken UAB D

U0 l k 2 l

bzw. UAB D

U0 1 k F : 2 E A

(5.84)

Berechnungsbeispiel Wie groß ist die relative Widerstandsänderung eines DMS auf einem Stahl-Zugbalken, der mit der maximalen zulässigen mechanischen Spannung zul belastet wird? zul  500 N=mm2 I  D"E I

E D 200:000 N=mm2 I 500 zul D D 2;5  103 D 2;5 mm=m I "D E 200:000

l

R Dk D 100  2;5  103 D 0;25 R l

5.6.4

Hitzdrahtanemometer

Hitzdrahtanemometer werden zur Messung kleiner Luftströmungsgeschwindigkeiten benutzt. In der Gebäudetechnik werden sie eingesetzt z. B. zur Messung von zeitlich veränderlichen Raumluftströmungen, Strömungen an Luftauslässen oder als Strömungswächter in Klimaanlagen. An der Messspitze des Instruments (Abb. 5.38) befindet sich ein dünner beheizter Metalldraht, der durch die quer dazu verlaufende Luftströmung in Abhängigkeit von der Strömungsgeschwindigkeit mehr oder weniger gekühlt wird. Hitzdrahtanemometer können auch sehr niedrige Strömungsgeschwindigkeiten, z. B. von Raumluftströmungen in der Größenordnung von 0,1 m/s messen. Sie sind wegen der geringen Wärmekapazität des dünnen Hitzdrahts auch in der Lage, Turbulenzen der Strömung zu erfassen. Der Hitzdraht ist zusammen mit drei weiteren Präzisionswiderständen Bestandteil einer sog. Viertelbrücke nach Abb. 5.38. Ist die Strömungsgeschwindigkeit der Luft gleich Null, bewirkt die Brückenspannung U0 einen bestimmten Strom durch den Hitzdraht und heizt diesen auf. Es stellt sich eine bestimmte Drahttemperatur mit einem bestimmten Widerstand R1 ein. In diesem Zustand ist die Brücke abgeglichen und die Brückenspannung ist Null. Bei zunehmender

5

Elektrische Messtechnik

1

403 platinierter Wolframdraht, Dicke ≈ 5 μm

3

A

B 2

4

Regler

UAB

U0 + ΔU

Abb. 5.38 Hitzdrahtanemometer zur Messung von Luftgeschwindigkeiten, vereinfachtes Funktionsschema, Sonde mit platiniertem Wolframdraht

Strömungsgeschwindigkeit wird der Widerstand R1 stärker gekühlt. Mit der Drahttemperatur nimmt der Widerstand ab, die Brücke ist nicht mehr abgeglichen. Die steigende Brückenspannung wird an den Regler übertragen, der Regler erhöht Brückenspannung U0 um U . Der wachsende Strom I1 . heizt den Hitzdraht zusätzlich auf, bis bei abgeglichener Brücke die Hitzdrahttemperatur und der Hitzdrahtwiderstand die Ausgangswerte wieder erreichen. Die Zunahme U der Brückenspannung ist ein Maß für die Strömungsgeschwindigkeit.

5.6.5 Magnetisch-induktiver Durchflussmesser Magnetisch-induktiver Durchflussmesser, kurz MID, werden zur Messung des Volumenstroms von leitende Flüssigkeiten eingesetzt. Die Leitfähigkeit des Fluids muss mindestens 106 S/cm betragen und ist damit auch für Leitungswasser mit einer typischen Leitfähigkeit von 500 bis 800  106 S/cm geeignet. Ein magnetisch-induktiver Durchflussmesser besteht aus einem Messrohr aus einem nichtmagnetischen, elektrisch isolierenden Material. Ein außen liegender Elektromagnet erzeugt eine magnetische Flussdichte B, welche das Messrohr quer durchsetzt. Die im Rohr mit der Geschwindigkeit v strömenden Ladungsträger (Ionen) werden durch die Lorentz-Kraft senkrecht zu B und v und somit in Abb. 5.39 je nach Polarität nach rechts oder links abgelenkt. Die an den Elektroden entstehende Spannung U ist proportional zum Innendurchmesser D des Messrohrs, der magnetischen Flussdichte B und zur mittleren Strömungsgeschwindigkeit v im Messrohr U D B  D  v:

(5.85)

404

H. Paerschke

Magnetspulen nichtleitendes, unmagnetisches Rohr

B

Elektroden

v

V

Abb. 5.39 Aufbau und Wirkungsprinzip eines Magnetisch-Induktiven Durchflussmessers (MID) [13]

Der Elektromagnet des MID wird mit Wechselstrom betrieben. Dadurch werden Fehler durch elektrostatische Aufladungen der Elektroden vermieden. Die Messelektroden können isoliert von der Flüssigkeit im Messrohr eingebettet werden. Die Messwechselspannung wird durch kapazitive Kopplung übertragen und kann leicht verstärkt werden.

Literatur 1. DIN 1319. Grundlagen der Messtechnik, Teil 1 bis 4 2. Lerch, R.: Elektrische Messtechnik – Analoge, Digitale und Computergestützte Verfahren, 6. Aufl. Springer, Berlin, Heidelberg, New York (2013). ISBN 978-3642226083 3. Parthier, R.: Messtechnik – Grundlagen und Anwendungen der elektrischen Messtechnik, 8. Aufl. Springer, Berlin, Heidelberg, New York (2016). ISBN 978-3658135980 4. Deutsches Institut für Normung: Guide to the Expression of Uncertainty in Measurement (Deutsche Übersetzung). Beuth Verlag GmbH, Berlin (1995). ISBN 978-3410134053 5. Taylor, J.R.: Eine Einführung in die Untersuchung von Unsicherheiten in physikalischen Messungen. Wiley-VCH, Weinheim (1988). ISBN 978-3527268788 6. Mit freundlicher Genehmigung, Fluke Deutschland GmbH 7. National Instruments Corporation: Homepage der Fa. National Instruments (2016). http://www. ni.com/de-de.html. Zugriff 31.01.2019 8. Meilhaus Electronic: Homepage der Fa. Meilhaus Electronic (2016). http://www.meilhaus.de. Zugriff 31.01.2019 9. Arbeitskreis der Dozenten für Regelungstechnik: Messtechnik in der Versorgungstechnik. Springer, Berlin, Heidelberg, New York (2013). ISBN 978-3642604379 10. DIN EN 60751:2009-05. Industrielle Platin-Widerstandsthermometer und PlatinTemperatursensoren 11. DIN EN 60584-1:2014-07. Thermoelemente – Teil 1: Thermospannungen und Grenzabweichungen 12. Pelster, R., Pieper, R., Hüttl, I.: Thermospannungen – viel genutzt und fast immer falsch erklärt (2005). http://phydid.de/index.php/phydid/article/view/28/28. Zugriff 31.01.2019 13. Mit freundlicher Genehmigung, Fa. Krohne Messtechnik GmbH

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz Hartmuth Paerschke

6.1

Grundbegriffe

Elektromagnetische Vorgänge können neben erwünschten Effekten in vielfältiger Weise auch unerwünschte, störende oder gefährliche Effekte bewirken: Elektrische Anlagen und Geräte der Gebäudetechnik können durch ihre elektromagnetische Umgebung in ihrer Funktion gestört oder gar zerstört werden. Entstehende Gebäude- und Anlagenschäden können zu teuren Betriebsausfällen führen, Blitze und Überspannungen können Leben gefährden. Die Fähigkeit eines Gerätes oder einer Anlage „in seiner Umgebung zufriedenstellend zu arbeiten, ohne untragbare Störungen in die Umwelt oder andere Geräte hinein zu tragen“ (Definition der IEC, International Electrotechnical Commission IEC), nennt man Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV). Dazu sind entsprechende EMV-Maßnahmen zu treffen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Maßnahmen, die vorrangig für die Sicherheit und den Schutz von Personen und von Anlagen vor gefährlichen Überspannungen erforderlich sind und Maßnahmen, die vorrangig dem störungsfreien Funktionieren der Geräte und Anlagen dienen. Die zunehmende Komplexität der elektrischen und elektronischen Ausstattung von Gebäuden mit Gebäudeautomation, Kommunikationstechnik, EDV-Systemen, Photovoltaikanlagen usw. führt zu einer erhöhten Empfindlichkeit und zu erhöhten Folgekosten durch elektromagnetische Störungen und Zerstörungen. Fehlfunktionen durch mangelhafte EMV treten oftmals zufällig auf und sind schwer von anderen Fehlern zu unterscheiden. Die Beseitigung kann sehr aufwändig sein. Überspannungen können zu teuren Schäden an der Anlage und zu Folgekosten z. B. durch Produktionsausfälle führen. Art und Umfang H. Paerschke () Fakultät 05 – Energie- und Gebäudetechnik, Hochschule München München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 405 A. Böker, H. Paerschke, E. Boggasch, Elektrotechnik für Gebäudetechnik und Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20971-1_6

6

406

H. Paerschke

Störquelle (Sender)

Kopplungsmechanismus

Störsenke (Empfänger)

Reduktion der Emission

Reduktion der Kopplung

Erhöhung der Störfestigkeit

Abb. 6.1 Modell der elektromagnetischen Beeinflussungen und der möglichen EMV-Maßnahmen

von Blitzschutz- und EMV-Maßnahmen sind unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu planen und zu realisieren. Der Umfang der betreffenden Maßnahmen hängt einerseits von dem erforderlichen Aufwand ab und andererseits von der Wahrscheinlichkeit des Auftretens eventueller Beschädigungen und Funktionsstörungen sowie den zu erwartenden Risiken und Folgekosten. Entsprechend der Vielfältigkeit der EMV-Probleme existiert auch eine Vielfalt spezieller vertiefender Literatur. Empfohlen seien hier die Grundlagenbücher [1–3] und [4] speziell zur EMV in der Elektroinstallation. Abb. 6.1 zeigt das grundlegende Modell der elektromagnetischen Störbeeinflussung. Die Störung geht von einer Störquelle aus. Störsenken sind alle Komponenten, deren Funktionen gestört oder die beschädigt werden können. Störgrößen sind elektromagnetische Größen, die in elektrischen oder elektronischen Anlagen und Geräten unerwünschte Wirkungen hervorrufen. Die Kopplung kann über elektrische Leitungen, aber auch ohne leitende Verbindung, über elektromagnetische Felder erfolgen. In der Folge können elektrische Einrichtungen in ihrer Funktion vorübergehend oder dauerhaft gestört oder auch zerstört werden. Um dies zu verhindern, sind geeignete Maßnahmen zu treffen. Prinzipiell können EMV-Maßnahmen die Störaussendung der Quellen vermindern, die Kopplungen reduzieren und die Störungswirkung an den Störsenken begrenzen. Dazu sind konkrete Maßnahmen, insbesondere bei der Verkabelung, im Erdungs- und Schutzleitersystem, bei den Stromversorgungen und Signalleitungen sowie beim äußeren und inneren Blitzschutz erforderlich. Die elektromagnetischen Störbeeinflussungen sind in der Praxis sehr vielfältig. Blitzströme im Blitzschutzsystem können Betriebsstromkreise von Verbrauchern beeinträchtigen. Betriebsströme in Versorgungsleitungen und Ströme im Erdungssystem können sowohl im normalen Betrieb als auch im Fehlerfall Störungen verursachen. Wegen der Vielfalt der möglichen Störbeeinflussungen ist die Kenntnis der zugrunde liegenden physikalischen Mechanismen sehr wichtig.

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

407

6.2 Störquellen Als potentielle Störquellen kommen alle Einrichtungen sowie Ereignisse in Betracht, bei denen eine elektromagnetische Energieumsetzung erfolgt. Generell unterscheidet man zwischen externen und internen Störquellen. Externe Störquellen wirken von außen auf ein System ein. Natürliche externe Störquellen sind z. B. atmosphärische Entladungen. Besonders kritisch sind Blitzentladungen. Künstliche externe Störquellen können alle im Normalbetrieb und alle in Störungsfällen ablaufenden elektrophysikalischen Vorgänge sein, z. B. in Hochspannungseinrichtungen, Fernseh- und Radiosendern, Mobilfunkanlagen, Navigationssystemen, Schweißanlagen, Leuchtstofflampen, Schaltnetzteilen, Umrichter-gespeisten Antriebssystemen und Zündsystemen in Verbrennungsmotoren. Interne Störquellen sind die im System selbst erzeugten Störungen z. B. durch Schaltvorgänge in leistungselektronischen Geräten, durch Signalwechsel auf Daten- und Steuerleitungen, durch Rauschen von integrierten Schaltkreisen.

6.2.1 Technische elektromagnetische Störquellen Praktisch alle elektrischen und elektronischen Geräte und Einrichtungen zur Energieerzeugung, -übertragung und -umwandlung können Störungen bewirken. Elektromagnetische Störungen können dabei sowohl im Normalbetrieb als auch im Störungsfall z. B. durch Auslösen einer Überstrom-Schutzeinrichtung auftreten. Die Störungen können über Netz- und Datenleitungen aber auch über elektromagnetische Felder übertragen werden. Im Niederspannungsnetz ist mit länger andauernden Spannungsabweichungen (˙10 %) und Frequenzabweichungen (˙2 %), Verzerrungen der Sinusform, Störspannungen von Tonfrequenz-Rundsteueranlagen, sowie mit kurzeitigen Spannungseinbrüchen und Überspannungen zu rechnen. Erhebliche Überspannungen können durch die Wirkungen von Blitzen entstehen. Man unterscheidet pulsförmige, zeitlich zufällige und periodische Störungen. Pulsförmige, zeitlich zufällige, kurze Störgrößen (Impulse, Spikes, Bursts, Flicker) sind häufige Ursache von Betriebsstörungen. Pulsförmige Störungen entstehen durch das Abschalten von stromdurchflossenen Induktivitäten, wie z. B. von Schaltgeräten (Schützen), von großen induktiven Lasten (Trafos, Drosseln, Leuchtstofflampen mit Zünddrossel) oder beim Lichtbogenschweißen (Zünden und Abreißen des Lichtbogens). Insbesondere bei Kurz- und Erdschlüssen fließen sehr große Ströme, die durch Sicherungseinrichtungen abgeschaltet werden.

408

H. Paerschke a

b uS iS

t=0

t

LS u

uS

CS

c uS

LS = 1 mH . . . 10 H 1 1 WS = LS · iS0 2 = CS · uS0 2 2 2 CS = pF . . . nF RS = 1 . . . 104 Ω 1 fS = √ = 104 . . . 107 Hz 2π LS CS u ˆS = 2W /CS ≈ 10 kV

RS

t

Abb. 6.2 Abschaltvorgänge des Stromes durch eine induktive Last mit Induktivität LS , ohmschen Widerstand RS und Streukapazität CS (a), schematisierter Spannungsverläufe uS .t / an der Spule, ohne Überschreitung der Durchschlagspannung an den Schaltkontakten (b), mit geändertem Zeitmaßstab während der ersten Halbperiode mit wiederholten Funkenüberschlägen (c)

Abb. 6.2 zeigt die prinzipiellen Verhältnisse beim Abschalten eines induktiven Verbrauchers. Das Ersatzschaltbild des Verbrauchers besteht aus einer Reihenschaltung von Spule LS und Widerstand RS . Zu berücksichtigten ist auch die kleine Streukapazität CS zwischen den Windungen der Spule. Nach Abschalten des Verbrauchers fließt der Spulenstrom, gespeist aus der Energie des magnetischen Feldes der Induktivität weiter. Die Spule wirkt nun nicht mehr als Verbraucher, sondern als Spannungsquelle und baut in dem parallelen CS ein elektrisches Feld fast gleich großer Energie auf, wobei wegen der geringen Kapazität von CS eine sehr hohe Spannung uS entsteht. Der durch die Spule und die Streukapazität gebildete Parallelschwingkreis führt gedämpfte hochfrequente störende Resonanzschwingungen mit der Frequenz fS aus. In der Praxis wird die berechnete hohe Scheitelspannung meist nicht erreicht, weil schon während der ersten Halbperiode der Resonanzschwingung an den Schaltkontakten ein Überschlag erfolgt und somit der Strom kurzeitig wieder fließt. Durch den zunehmenden Abstand der Schaltkontakte erlöschen der Schaltfunke und der fließende Strom wieder und es baut sich bis zum nächsten Durschlag erneut eine hohe Spannung auf. Während des Öffnungsvorgangs der Schaltkontakte bildet sich eine schnelle Folge vieler sehr kurzer Störimpulse (bursts). Periodische Störeinflüsse einer festen Frequenz („schmalbandig“) entstehen durch Wechselstrom- und Drehstromkreise mit einer Störfrequenz von 50 Hz und z. B. durch TVSender, Mobiltelefone, Rundsteueranlagen. Periodische Störeinflüsse mit einer Mischung aus vielen Frequenzen („breitbandig“) entstehen z. B. durch periodische, nicht-sinusförmige Ströme in Geräten mit nichtlinearen Bauelementen, wie z. B. bei Gleichrichterschaltungen mit Glättungskondensator (vergl. Abschn. 3.4.2). Hier treten periodisch impulsförmige Lastströme zum Nachladen des Kondensators auf. Auch Frequenzumrichter, die in der Gebäudetechnik zum drehzahlvariablen

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

409

Betrieb von Ventilatoren und Pumpen eingesetzt werden, können relativ starke elektromagnetische Störungen aussenden. Der typische Aufbau eines Frequenzumrichters ist in Abb. 6.30 dargestellt. Ein Gleichrichtermodul wandelt die angeschlossene Netzspannung in eine Gleichspannung um. Dabei können ebenfalls nicht-sinusförmige Betriebsströme entstehen. Auch Dimmerschaltungen mit Phasenanschnittsteuerung bewirken nichtsinusförmige Stromverläufe. Solche Stromverläufe können entsprechend einer FOURIER-Transformation zerlegt werden in eine Summe sinusförmiger Oberschwingungsströme mit den Frequenzen fn D n  50 Hz (siehe Abschn. 5.5.2). Diese Oberschwingungsströme bewirken entsprechende Spannungsfälle an den Zuleitungen und verzerren die sinusförmige Netzspannung. In gewissen Grenzen sind diese Netzrückwirkungen zulässig. Eine zu große Verzerrung führt dazu, dass elektronische Geräte nicht mehr einwandfrei funktionieren und z. B. Blindstromkompensationskondensatoren zerstört werden können. Diese Kondensatoren liegen zwischen den spannungsführenden Leitungen und haben für die hohen Frequenzen der Oberschwingungsspannungen einen niedrigen Wechselstromwiderstand, was zu zerstörerisch hohen Oberschwingungsströmen führen kann.

6.2.2

Elektrostatische Aufladungen und Entladung

Aufladung durch Reibung entsteht, wenn zwei, zunächst elektrisch neutrale isolierende Stoffe aneinander gerieben werden. Im engen Kontakt nehmen manche Stoffe dabei Elektronen auf und laden sich negativ auf, andere geben Elektronen ab und laden sich positiv auf. Auch Personen können Aufladungen erzeugen, z. B. durch Reibung mit der Bekleidung, durch Gehen auf isolierenden Fußböden oder durch Entnahme von elektronischen Schaltkreisen aus einer Plastiktüte. Befindet sich ein leitender Körper in einem äußeren elektrischen Feld, so folgen die beweglichen Ladungen durch Influenz dem äußeren elektrischen Feld. Das führt zur Trennung der Ladungen im leitenden Körper. Fließt bei Kontakt des Leiters oder durch Funkenüberschlag ein Teil der Ladungen zur Umgebung ab oder wird der leitende Körper geteilt, können auch elektrisch leitende Körper aufgeladen werden. Die üblicherweise beim Ladungsaufbau fließenden Ströme und die Ladungsmengen sind sehr klein. Es können jedoch trotzdem sehr hohe Spannungen entstehen: Werden die beiden geladenen Körper bei konstanter Ladung Q mechanisch voneinander getrennt (siehe Abb. 6.3), wird mechanische Arbeit gegen die Anziehungskraft der unterschiedlichen Ladungen geleistet. Mit dem wachsenden Abstand d erhöht sich die Energie W der Anordnung und die Kapazität C nimmt ab. Die Spannung u kann dabei auf Werte bis zu 20 kV steigen. Wird eine Kondensatoranordnung, wie in Abb. 6.4 durch einen konstanten Strom aufgeladen, z. B. beim Gehen über einen isolierten Boden, können sich ebenfalls sehr hohe Spannungen bis zu 50 kV aufbauen. Durch einen nach der Aufladung erfolgenden Ladungsausgleich (Electrostatic Discharge, ESD), der stetig oder plötzlich durch einen

410

H. Paerschke a

b

c

Q + + + + +

-

d = 0,1 μm

+ + + + +

E

i2(t)

-

R

i1(t)

d = 0,1 m

1 1 Q2 W = C · u2 = 2 2 C A C = ε 0 εr d Q ≈ 10 . . . 20 kV u= C

-

+ + + + +

Abb. 6.3 Aufladung durch Reibung oder Influenz (a), Erhöhung der Spannung durch Abstandsvergrößerung (b), Ladungsausgleich stetig (i1 ) oder plötzlich durch Überschlag (i2 ) (c) Abb. 6.4 Modell der Konstantstromaufladung eines Kondensators durch einen kontinuierlichen Prozess

i

i ≈ 1 μA ; q(t) + + + - - -

C

uC =

q(t) ; C

C ≈ 1 nF duC 1 kV = dt s

Überschlag erfolgen kann, können elektronische Bauelemente in ihrer Funktion gestört oder zerstört werden. Dies kann entweder direkt durch den Entladestrom erfolgen, z. B. bei Berühren mit der Hand oder auch ohne direktes Berühren durch einen schnellen Entladevorgang in der Nachbarschaft. Ist die Flankensteilheit di=dt des auftretenden Entladestroms sehr hoch (unter ungünstigen Bedingungen bis 100 A/ns) kann abhängig von der Koppelinduktivität L in einem benachbarten elektronischen Bauelement eine Schaden verursachende Spannung ui D L  di=dt entstehen. Gefährdet sind insbesondere hochintegrierte digitale Schaltkreise. Beim Hantieren mit Bauelementen und Leiterplatten, sind elektrostatische Aufladungen unbedingt zu vermeiden. Dies kann erfolgen durch Erdung der Personen, durch leitfähige Fußbodenbeläge und Arbeitsflächen, durch antistatische Pflegemittel und eine relative Luftfeuchte > 50 %. Elektronische Bauelementen müssen in leitfähigen, antistatischen Behältnissen gelagert und transportiert werden.

6.2.3 Blitzentstehung und -entladung In Mitteleuropa treten jährlich ca. 15 bis 35 Gewittertage und etwa 1–5 Blitze/km2 auf. Direkte Blitzschäden (Brände, Zerstörungen) sind wegen der verbreiteten äußeren Blitzschutzmaßnahmen (Blitzableiter) seltener geworden. Mit der Zunahme elektronischer Geräte und Anlagen haben sich jedoch die Schäden und die Folgeschäden durch die Überspannungen bei indirekten Blitzeinwirkungen stark erhöht. In einer Gewitterwolke, wie sie in Abb. 6.5 skizziert ist, treten extrem starke vertikale Luftbewegungen auf. Dabei wird warme, feuchte Luft in große Höhen transportiert. Bei den, mit der Höhe abnehmenden Temperaturen kondensiert die Luftfeuchtigkeit. In größeren Höhen bilden sich Eiskristalle. Die heftigen Auf- und Abwinde führen zur elek-

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

411

Gewitterzelle

10 km

-50 º C

abfallende Kaltluft

aufsteigende Warmluft

2 km

15 º C E

influenzierte Ladungen am Boden

Bezugserde

Abb. 6.5 Gewitterzelle und entstehende Ladungsverteilung, die Feldlinien des sich ausbildenden elektrischen Feldes beginnen auf den positiven und enden auf den negativen Ladungen

trostatischen Ladungstrennung, Wasser- und Eisteilchen laden sich durch Reibung auf. Es entstehen großvolumige Bereiche einheitlicher Ladung. Die negativen Ladungen im Unterteil der Wolken bewirken durch Influenz eine großräumige Ladungsverschiebung auf der Erdoberfläche und auch in elektrischen Freileitungen. Zwischen den Bereichen positiver und negativer Ladungen bilden sich elektrische Felder, die eine Stärke von etwa 100 kV/m erreichen können. Bei Überschreitung einer kritischen Feldstärke kommt es zur Ionisation der Luftmoleküle. Es bildet sich ein Ionisationskanal, über den sich die Ladungen in Form des Blitzstroms ausgleichen. Die meisten Blitze erfolgen innerhalb der Wolken oder zwischen den Wolken eines Gewittersystems. Auch solche Blitze können Schäden verursachen, indem sie Ladungen und Ströme z. B. in Freileitungen influenzieren. Dabei entstehen Überspannungen, die sich auf den Freileitungen ausbreiten. An den Umspannstationen werden diese durch Überspannungsableiter (siehe Abschn. 6.6.1) auf einige 10 kV begrenzt. Trotzdem kann es im Niederspannungsnetz zu Durchschlägen an Isolationsschwachpunkten oder zu Funktionsstörungen kommen, wenn kein weiterer Überspannungsschutz vorhanden ist. Die Mehrzahl der Schäden entsteht durch zu Boden gehende Blitze. Überschreitet die Feldstärke in der Wolke in Richtung Erde einen kritischen Wert, geht von der Wolke ein Leitblitz in Richtung Erdboden aus. Nähert sich dieser Leitblitz dem Erdboden, gehen von exponierten Stellen

412

H. Paerschke i(t) Ladung Q = 150... 300 As Stromscheitelwert ˆi = 1 - 200 kA Energie W/R = 2,5...10 MJ/Ω Steilheit di/ dt = 2 ... 200 kA/μs 0,25 … 10 μs

t

Abb. 6.6 Schematisiertes Zeitverhalten des Blitzstromes, Kenngrößen für die Schadenswirkung, W ist die entstehende Wärmemenge im Blitzstrom-führenden Leiter mit dem Widerstand R

oft sogenannte Fangentladungen in Richtung des Leitblitzes aus. Treffen Leitblitz und Fangentladung zusammen, kommt es zur Hauptentladung. Bei Direkteinschlägen werden Blitzschutzeinrichtungen oder elektrische Leitungen getroffen, die in das Gebäude führen. Ferneinschläge sind Einschläge z. B. in benachbarte Gebäude oder Freileitungen. Bei Blitzschlägen wurden Stromstärken von 2 bis zu über 200 kA ermittelt. Häufig folgen der Erstentladung in kurzer Folge weitere Teilentladungen. Für die Schadenswirkung sind folgende Blitzparameter von Bedeutung: 1. die Energie W des Blitzstromes, die den stromführenden Leiter aufheizt. 2. die hohe Stromstärke, die hohe Spannungen in den durchflossenen Leitern bewirkt, 3. die extrem schnellen Anstiege auf den Spitzenstrom und die Spitzenspannung in weniger als 10 s können, die über induktive und kapazitive Kopplungen (siehe Abschn. 6.3 und 6.7) Schäden verursachen können. 4. Darüber hinaus ist jeder Blitz von einem transienten (kurzzeitigen) elektromagnetischen Wechselfeld begleitet (Lightning Electromagnetic Pulse, LEMP), das auch in größerem Abstand vom Blitzkanal Schäden verursachen kann (vergl. Knattern im Radio). Ein schematisierter Blitzstromverlauf ist in Abb. 6.6 dargestellt. Zum Testen der Schutzwirkung von Blitzschutzkomponenten werden Testströme ähnlicher Form verwendet.

6.3

Kopplungsmechanismen

Die Störung, die ein störender Stromkreis (Störquelle) in einem gestörten Stromkreis (Störsenke) ausübt, kann durch galvanische Kopplung über einen elektrischen Leiter oder durch Störfelder übertragen werden. Je nachdem welches Störfeld überwiegt, spricht man von magnetischer oder kapazitiver Kopplung. Wird die Störung über elektromagnetische Wellen über größere Entfernungen übertragen, spricht man von Strahlungskopplung. In der Praxis können mehrere Kopplungsarten gleichzeitig auftreten.

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

Abb. 6.7 Prinzipdarstellung der galvanischen Kopplung, oben gestörter Stromkreis, unten störender Stromkreis, gemeinsames Leiterstück mit R und L, ustör eingekoppelte Störspannung

413

L

R

istör

ZE

ustör

6.3.1 Galvanische Kopplung Der störende Stromkreis und der gestörte Stromkreis haben ein gemeinsames Leiterstück mit dem ohmschen Widerstand R und der Induktivität L (siehe Abb. 6.7). Ursache für die Störung ist der störende Strom istör , der vom störenden Stromkreis durch das gemeinsame Leiterstück getrieben wird. Er erzeugt dort den Spannungsabfall ustör . Das mit ZE gekennzeichnete Symbol steht hier und in den folgenden Abschnitten vereinfachend für irgendeinen ohmschen, induktiven oder kapazitiven Empfänger/Verbraucher (und darf hier nicht als Wechselstromwiderstand verstanden werden). ustör D istör  R C L 

distör dt

(6.1)

Die Spannung ustör kann als zusätzliche, störende Spannungsquelle im gestörten Stromkreis betrachtet werden. Die Störspannung ist groß, wenn der ohmsche Widerstand und/ oder die Induktivität des gemeinsamen Leiterstücks groß und wenn der Störstrom groß ist und/oder sich schnell ändert. Für Ströme bis in den Kilohertz-Bereich dominiert meist der ohmsche Widerstand R. Bei höheren Frequnzen wird die Induktivität L des gemeinsamen Leiterstückes bestimmend. Beispiele für gemeinsame Leiterstücke sind gemeinsame Versorgungsleitungen von verschiedenen Verbrauchern, gemeinsame Bezugspotentialleitungen für Messsignale oder Stellsignale, das Schutzleitersystem und der Innenwiderstand Ri von Netzteilen mit mehreren angeschlossenen Verbraucherkreisen. Galvanische Kopplungen lassen sich reduzieren durch kurze, im Idealfall punktförmige gemeinsame Leiterstücke (siehe Abschn. 6.8.1) oder durch Potentialtrennung (siehe Abb. 6.22).

6.3.2 Induktive Kopplung Durch induktive Kopplungen können Störungen übertragen werden, auch wenn keine leitende Verbindung zwischen dem störenden und dem gestörten Stromkreis besteht (siehe Abb. 6.8). Das mit ZE gekennzeichnete Symbol im gestörten Stromkreis steht vereinfachend für eine ohmsche, induktive oder kapazitive Last. Induktiv bzw. magnetisch eingekoppelte Störungen entstehen durch magnetische Felder von Betriebsströmen oder

414

H. Paerschke a

b istör

istör

L1

L2

Φ (t )

ustör

M ustör

ZE

ZE

Abb. 6.8 Prinzipdarstellung der induktiven Kopplung durch den Strom istör im störenden Stromkreis, ustör ist die eingekoppelte Störspannung im gestörten Stromkreis, Feldmodell (a), mit dem Ersatzschaltbild des realen Trafos für die magnetische Feldwirkung mit Gegeninduktivität M und Streuinduktivitäten L1 , L2 (b)

Fehlerströmen in anderen Stromkreisen, durch Blitzströme in Blitzschutzleitungen oder durch Ströme elektrischer Entladungen. Die Störspannung ustör ergibt sich aus dem Induktionsgesetz. d˚ distör DM (6.2) ustör D dt dt Die Störspannung ist groß, wenn die Änderungsgeschwindigkeit des störenden Stromes und die Kopplungsinduktivität M groß sind. M hängt von der geometrischen Anordnung der Leiter ab und ist besonders groß, wenn bei langen, parallel verlaufenden Leitungen viele Magnetfeldlinien beide Leiter umschließen. Die Kopplungsinduktivität M lässt sich reduzieren durch geeignete Verlegung von Leitungen, durch Verdrillen und Schirmung von Leitungen. Die Anordnung nach Abb. 6.9 lässt sich mit einem Transformator vergleichen, bei dem auf der Primärseite der Störstrom istör fließt und auf der Sekundärseite die Störspannung ustör induziert wird.

6.3.3 Kapazitive Kopplung Bei galvanisch getrennten Stromkreisen können auch kapazitive Kopplungen auftreten. Ursache sind zeitlich veränderliche elektrische Felder zwischen Leitern oder leitfähigen Gebilden (z. B. Gehäuse oder Schutzleitersystem), zwischen denen eine zeitlich veränderliche Spannung u.t/ besteht. Die beeinflussende Wirkung des elektrischen Feldes kann entsprechend Abb. 6.9 durch Streukapazitäten CS1 und CS2 beschrieben werden. Die zwischen dem Leiter 1 (Störquelle) und dem gestörten Stromkreis (Störsenke) wirkende Spannung u.t/ bewirkt den Störstrom istör durch die Streukapazität CS1 . istör D CS1 

du dt

(6.3)

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

a

415

b Leiter1

u

E

u

istör

CS1

CS2

istör

Leiter 2

ZE

ustör

ZE

ustör

Abb. 6.9 Prinzipdarstellung der kapazitiven Kopplung durch die Spannung u.t / zwischen dem störenden Stromkreis und dem gestörten Stromkreis, ustör eingekoppelte Störspannung, Feldmodell (a), Ersatzschaltbild mit den Kopplungskapazitäten CS1 und CS2 (b) Abb. 6.10 Prinzip der Strahlungskopplung, störender Stromkreis (Sender) (a), gestörter Stromkreis (Empfänger) (b), ustör eingekoppelte Störspannung

a

b

ustör

Dieser Störstrom fließt teilweise über die Last ZE des Signalempfängers. Dort wird die Störspannung ustör hervorgerufen. Störstrom und Störspannung sind umso größer, je schneller sich die Spannung u.t/ ändert und je größer die Kopplungskapazität CS1 ist. Die Kopplungskapazitäten CS1 und CS2 sind besonders groß bei langen, eng benachbart verlegten Leitungen. Die Kopplungskapazitäten können reduziert werden durch getrennte Verlegung von störender und gestörter Leitung, durch nur kurze gemeinsame Leiterlängen und durch Schirmung von Leitungen.

6.3.4 Strahlungskopplung Die Strahlungskopplung entsprechend Abb. 6.10 erfolgt durch elektromagnetische Wellen der Wellenlänge  über Entfernungen x, die wesentlich größer als die Abmessungen von Quelle und Senke sind. Die Störquelle sendet eine elektromagnetische Welle aus, die im Fernfeld von der als Antenne wirkenden Störsenke empfangen wird. Strahlungskopplung tritt insbesondere bei sehr hohen Frequenzen auf. Die Strahlungskopplung kann durch einen möglichst großen Abstand und durch einen elektrisch leitenden Schirm zwischen Quelle und Senke reduziert werden. Dieser Schirm reflektiert und absobiert die Strahlung. Auch induktive und kapazitive Felder werden dabei abgeschwächt. Im elektrisch leitenden Schirm werden durch das auftreffende Störfeld Ströme induziert. Diese erzeugen Felder, die sich den Primärfeldern überlagern und diese in den gefährdeten Bereichen schwächen.

416

H. Paerschke

6.4 Störfestigkeit elektrischer und elektronischer Systeme Eine eingekoppelte Störung wirkt sich im beeinflussten Stromkreis nur aus, wenn bestimmte Grenzen bezüglich der Größe und der Einwirkungsdauer überschritten werden. Störfestigkeit energietechnischer Komponenten Energietechnische Geräte und Anlagen in Gebäuden sind gegen elektromagnetische Störungen weit weniger empfindlich als Geräte zur digitalen oder analogen Signalverarbeitung und Signalübertragung. Solange keine Zerstörungen oder dauerhafte Schädigungen auftreten sind im Allgemeinen auch keine Funktionsstörungen zu erwarten. Überspannungen können jedoch die Isolation von Leitungen schädigen oder entstehende Lichtbögen können Schaltgeräte zerstören. Solche Überspannungen können z. B. beim Ausschalten von Motoren entstehen. Auch Frequenzumformer für den drehzahlvariablen Betrieb von Motoren können Spannungsspitzen bewirken, die die Isolation von Spulenwicklungen durchschlagen und Lagerschäden verursachen können. Oberschwingungsströme bei verzerrtem, nicht-sinusförmigem Netzspannungsverlauf können Blindstromkompensationsanlagen überlasten. Störfestigkeit analoger Signalübertragung Bei analogen Signalen repräsentiert der jeweilige Spannungs- oder Stromwert die zu übertragende Information. Weil sich Störungen ohne jede Schwelle direkt dem analogen Nutzsignal überlagern, sind analoge Signale besonders anfällig gegen niederfrequente Störsignale. Funktionsstörungen durch impulsförmige Einflüsse sind meist vernachlässigbar. Störfestigkeit binärer Signalübertragung Bei binären Signalen ist nur zwischen 2 Signalzuständen LOW und HIGH zu unterscheiden (Abb. 6.11). Eine Änderung des logischen Signalzustandes am Ausgang eines digitalen Übertragungsweges erfolgt erst, wenn bestimmte Schwellenwerte der Störspannung und bestimmte Einwirkungsdauern überschritten werden. Die statische Störfestigkeit charakterisiert die Widerstandsfähigkeit bei Einwirkungszeiten, die länger sind als die Umschaltdauer zwischen LOW und HIGH. Sind die Einwirkungszeiten der Störungen kürzer, treten erst bei höheren Störspannungen bzw. Störenergien Signalumschaltungen auf (dynamische Störfestigkeit). Das binäre Signal bietet eine größtmögliche Zuverlässigkeit für die Signalerkennung durch den Signalempfänger. Gibt die Quelle z. B. das LOW-Signal aus, so kann der Empfänger dies sicher erkennen, solange durch die Störung die im Störabstand USL liegende Spannung UELmax nicht überschritten wird. Hohe Störabstände USL und USH verringern die Störbeeinflussungen. Jedoch sind auch bei binärer Signalübertragung Maßnahmen zur Reduzierung von Störungen erforderlich. Dies erfolgt durch räumliche Trennung von Signal- und Starkstromleitungen, durch geschirmte, verdrillte Leitungen oder Glasfaserleitungen, durch Potentialtrennung, durch niederohmige Eingänge oder RC-Filter an den Eingängen. Die

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

Abb. 6.11 Ein- und Ausgangssignalpegel bei binärer Signalübertragung

U

HIGH

UQHmin

USH

Übergangsbereich

UQHmax LOW Signalpegel der Quelle Q

417

HIGH

UEHmin UELmax

USL LOW Signalpegel des Empfängers E

Verwendung höherer Signalpegel z. B. bei BUS-Leitungen (KNX, LON) und zur Ansteuerung von Schaltaktoren vermindert ebenfalls die Störbeeinflussungen. Digitale Signalübertragungen können durch hinzu gefügte Prüfzeichen (z. B. Paritätsbit) mit geeigneter Fehlererkennungssoftware überwacht werden. Wird ein Fehler erkannt, kann die Übertragung des fehlerhaften Abschnitts wiederholt werden.

6.5

Grundlegende Prinzipien bei Überspannungsschutz und EMV

Beim Überspannungsschutz und der Gewährleistung der EMV spielen die Erdung, die Maßnahmen gegen die Einkopplung von Gegentakt- und Gleichtaktstörungen und die Schirmung von Leitungen und eine große Rolle. Diese Maßnahmen sollen nun im Einzelnen betrachtet werden.

6.5.1

Erdung

Um gefährliche Berührungsspannungen zu vermeiden, sind wie in Abb. 6.12 dargestellt, die Körper der elektrischen Betriebsmittel und die nicht aktiven metallischen Teile der Hausinstallation (Wasser-, Heizungs-, Gasinstallation) über den Schutzleiter PE und die Potentialausgleichsschiene PAS miteinander verbunden und über den Fundamenterder geerdet (siehe Abb. 2.23). Ein gegebenenfalls vorhandener äußerer Blitzschutz wird ebenfalls an den Fundamenterder angeschlossen. In TN-Niederspannungssystemen ist die Potentialausgleichsschiene PAS über den PEN-Leiter direkt mit dem ebenfalls geerdeten Sternpunkt der Quelle, dem Drehstromtrafo verbunden. In elektrischen Anlagen dient die Erdung vorrangig der Sicherheit von Menschen, Tieren und Sachwerten. Wenn durch einen Isolationsfehler ein spannungsführender Außenleiter mit einem geerdeten metallischen Gehäuse (Körper) in Kontakt kommt, entsteht ein Körperschluss und es fließt ein Fehlerstrom über den PE- und nachfolgend über den PEN-Leiter zum Sternpunkt des Trafos zurück. Durch die Sicherung F2 wird das schad-

418

H. Paerschke Trafostation

Gebäudeanschluss F1

L1 L2 L3

N PEN

PE PAS

F2

RB

RA

Rohrleitungen Fundamenterder

Drehstromverbraucher

Körper

Wechselstromverbraucher

Abb. 6.12 Erdungssystem in TN-CS-System, Körper der Betriebsmittel mit Schutzleiter PE und über PEN direkt mit dem geerdeten Sternpunkt der Quelle verbunden, PAS Potentialausgleichsschiene, RA und RB Erdausbreitungswiderstände der Fundamenterder

hafte Gerät hinreichend schnell vom Netz getrennt, so dass am metallischen Gehäuse keine gefährliche Berührungsspannung bestehen bleibt. Der N-Leiter darf über die Potentialausgleichsschiene nur an einem einzigen Punkt mit dem PE-Leiter verbunden sein. Der Neutralleiter N wirkt als Rückleiter für die Betriebsströme aller Wechselstromverbraucher, die zwischen einem der Außenleiter L1, L2 oder L3 und dem N-Leiter angeschlossen sind. Diese Betriebsströme fließen ab der Potentialausgleichsschiene über den PEN-Leiter und zum kleinen Teil auch über parallel verlaufende Strompfade durch das Erdreich und parallele metallische Leitungen zum Sternpunkt des Trafos zurück. Der N-Leiter ist vergleichbar mit der Schaltungsmasse in elektronischen Schaltungen. Die Schaltungsmasse stellt den gemeinsamen Rückleiter der Stromkreise einer elektronischen Schaltung dar. Die Schaltungsmasse muss nicht, ist aber in vielen Fällen mit der Erde verbunden. Dies gilt analog auch für den N-Leiter, der im TNund im TT-System mit dem Erdungssystem verbunden ist, während im IT-System keine leitende Verbindung besteht, vergl. Abschn. 2.4. Hinsichtlich möglicher Störaussendungen besteht zwischen dem N-Leiter und dem PELeiter ein wesentlicher Unterschied: Im N-Leiter fließen die Betriebsströme. Gleiches gilt für den PEN-Leiter in einem TN-C-System. Dadurch entstehen in einem PEN-Leiter Spannungsabfälle und Ströme über alle parallelen Wege z. B. über ein metallisches Wasserrohr oder über geerdete Schirme von Datenleitungen. Auf den Schirmen von Datenleitungen kann dieser Strom Störungen oder auch unzulässige Erwärmungen verursachen. Solche „vagabundierenden“ Ströme sind auf vielfältige Weise als Störquelle wirksam. In

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

419

Gebäuden mit komplexer elektronischer Ausrüstung ist deshalb eine Trennung von N- und PE-Leiter unbedingt erforderlich (TN-S-System). Im Schutzleiter PE fließt bei störungsfreiem Betrieb kein Strom. Der PE-Leiter, an dem die Körper der Verbraucher angeschlossen sind, hat dann ein einheitliches Potential. Im Störungsfall kann das Potential des PE-Leiters kurzzeitig erheblich vom Erdpotential abweichen, z. B. durch Blitzströme, die durch den Fundamenterder abfließen oder durch Körperschlussströme. Sind zur Funkentstörung Filterkondensatoren zwischen Betriebsstromkreisen und PE-Leiter geschaltet (siehe Abb. 6.28b), fließen schon im normalen Betrieb geringfügige Ableitströme über die Filterkondensatoren durch den PE-Leiter ab. Im Schutzleitersystem fließende Ströme können zu Funktionsstörungen oder Zerstörungen in benachbarten Stromkreisen führen.

6.5.2

Gegentakt- und Gleichtaktstörspannungen

Bei der Analyse von galvanischen, induktiven und kapazitiven Störbeeinflussungen unterscheidet man Gegentakt- und Gleichtaktstörungen. Dies soll in Abb. 6.13 an einem Fallbeispiel mit magnetischer Störeinkopplung erläutert werden. Die Abbildung zeigt einen Nutzstromkreis mit einer Spannungsquelle uNutz und einem Verbraucher bzw. Empfänger, der hier mit ZE gekennzeichnet ist. Dieser Nutzstromkreis kann z. B. ein Netzstromkreis mit den Leitern L1 und N sein oder ein Stromkreis mit einem Automationsgerät als Quelle, das einen Aktor als Empfänger ansteuert oder ein Sensormodul, das Signale an ein Automationsgerät überträgt. Die Spannungsquelle ist einseitig leitend mit dem Potentialausgleichsystem PAS verbunden, ebenso das Gehäuse des Verbrauchers bzw. Empfängers. Ein in der Nachbarschaft dieses Stromkreises fließender Störstrom kann z. B. ein Betriebsstrom oder ein kurzzeitig fließender Fehlerstrom sein. Häufig wirkt ein kurzzeitig

a

b r

Leiter1

r2

Φ1 (t )

u Nutz Leiter 2

Φ 2 (t )

ZE r1

PAS

RPAS

istör

B

Abb. 6.13 Magnetische Störeinkopplung in einen Stromkreis mit der Nutzspannungsquelle uNutz und einer Last ZE , die magnetische Störeinkopplung erfolgt durch den benachbarten Störstrom istör , die magnetische Flüsse ˚1 bzw. ˚2 induzieren Spannungen in den entsprechenden Leiterschleifen und im Leiter des Potentialausgleichsystems PAS (a), Verlauf der Flussdichte B in Abhängigkeit vom Abstand r vom störstromführenden Leiter (b)

420

H. Paerschke

im Potentialausgleichsystem fließender Strom als Störquelle. Dies kann z. B. ein Blitzteilstrom im äußeren Blitzschutzsystem oder ein Körperschlussstrom sein. Dieser Störstrom verursacht Gegentakt- und Gleichtaktstörungen im Nutzstromkreis. Abb. 6.13 zeigt zwei Leiterschleifen, die die vom Störstrom istör verursachten magnetischen Flüsse ˚1 bzw. ˚2 umgreifen. Bei einem geraden, langestreckten Leiter ergibt sich ein ringförmiges Feld um den Leiter. Die Flussdichte B dieses Magnetfelds nimmt mit wachsendem Abstand r nach Gl. 6.4 ab. B.r/ D 0

istör 2 r

(6.4)

In den Leiterschleifen werden entsprechend dem Induktionsgesetz (Gl. 6.5) Störspannungen induziert. Gegentaktstörspannungen (auch Querspannungen oder differential mode voltage) werden im hier betrachteten Fall durch den magnetischen Fluss ˚1 .t/ durch die Leiterschleife des gestörten Stromkreises hervorgerufen. Fließt der Störstrom parallel zu den Leitern des gestörten Stromkreises ergibt sich mit Gl. 6.5 die Störspannung d d ustör .t/ D ˚ D dt dt

Zr2

d B.r/ldr D dt

r1

Zr2 0 r1

istör 0 l r1 distör ldr D ln : 2 r 2 r2 dt

(6.5)

Dabei ist l die Länge der Leiterschleife, r1 bzw. r2 sind die Abstände von Hin- und Rückleiter zum störstromführenden Leiter. Je nach Art des Störstroms ergeben sich transiente oder periodische Störspannungen. Die induzierte Gegentaktspannung kann, wie in Abb. 6.14, durch eine Quellenspannung uGg0 modelliert werden. Sie liegt in Reihe mit der Nutzspannung uNutz und tritt zwischen den Leitern des Adernpaares auf und treibt die zusätzlichen Gegentaktströme iGg , die im Hin- und Rückleiter in entgegengesetzte Richtung fließen.

Leiter1

iGg

uNutz0 uNutz + uGg

uGg0

Leiter 2

ZE

iGg

Abb. 6.14 Stromkreis mit magnetisch eingekoppelter Gegentaktspannung uGg zwischen den beiden Adern des Nutzstromkreises, vereinfachend ist nur der Gegentaktstörstrom iGg eingezeichnet. Gegentaktspannungen treiben Gegentaktstörströme, die im Hin- und Rückleiter in unterschiedliche Richtung fließen

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz Leiter1

iGl = 0 u Nutz

uNutz0 Leiter 2

421

ZE

iGl = 0

uGl0 PAS

Abb. 6.15 Stromkreis mit magnetisch eingekoppelter Gleichtaktstörspannung uGl zwischen dem gestrichelt dargestellten geerdetem Gehäuse und den Leitern des Nutzstromkreises, vereinfachend ist nur der Gleichtaktstörstrom iGl eingezeichnet. Gleichtaktspannungen treiben Gleichtaktstörströme, die im Hin- und Rückleiter die gleiche Richtung haben

Am Erzeuger/Verbraucher ZE rufen diese Ströme die Gegentaktstörspannung uGg hervor. Solche Gegentaktstörspannungen am Eingang des Empfängers verursachen Funktionsstörungen oder Zerstörungen und müssen durch geeignete Maßnahmen auf ein unkritisches Maß reduziert werden. Grundsätzlich sind Hin- und Rückleitungen eines Stromkreises möglichst eng benachbart zu verlegen, um solche Induktionsschleifen zu vermeiden. Gleichtaktstörspannungen (auch Längsspannungen, common mode voltage) werden in der Anordnung von Abb. 6.13 durch den magnetischen Störfluss ˚2 .t/ induziert. Dies führt zu einer Gleichtaktspannung uGl zwischen dem gestrichelt dargestellten geerdetem Gehäuse und den aktiven Leitern des Nutzstromkreises. Die induzierte Gleichtaktstörspannung kann wie in Abb. 6.15 durch eine Quellenspannung uGl0 modelliert werden. Hohe Gleichtaktstörspannungen können zu Isolationsdurchschlägen führen. Gleichtaktstörungen treiben Gleichtaktströme, die in den Leitern des gestörten Kreises die gleiche Richtung haben, wie Abb. 6.16 zeigt. Da hier jedoch kein galvanisch geschlossener Strompfad vorliegt, können sich diese Gleichtaktströme bei niedrigen Frequenzen nicht ausbilden. Mit zunehmender Frequenz der Störeinwirkung treten die in Abb. 6.16 eingezeichneten Streukapazitäten CS1 und CS2 zwischen den aktiven Leitern und dem geerdeten Gehäuse in Erscheinung. Abb. 6.16 zeigt wie durch Gleichtakt/Gegentaktkonversion aus einer Gleichtaktstörspannung eine Gegentaktstörspannung am Eingang des Empfängers E entstehen kann. Zur Vereinfachung ist die Nutzspannungsquelle nicht mit eingezeichnet. Die Gleichtaktspannung uGl treibt gleichsinnige Gleichtaktströme iGl1 und iGl2 durch den Hin- und den Rückleiter. Im Allgemeinen haben Hin- und Rückleiter wegen der nur in oberen Zweig liegenden Impedanz der (hier nicht eingezeichneten) Nutzspannungsquelle unterschiedliche Impedanzen Z1 und Z2 . Somit fließen in Hin- und Rückleitung unterschiedliche Gleichtaktströme iGl1 und iGl2 über die Streukapazitäten CS1 und CS2 ab. Der Empfänger/Verbraucher ZE liegt als Brückenzweig zwischen dem aus Z1 und CS1 und dem aus Z2 und CS2 gebildeten Spannungsteilern. Als Brückenspannung stellt sich eine

422

H. Paerschke

Abb. 6.16 Entstehung einer Gegentaktstörspannung uGG durch Gleichtakt/Gegentaktkonversion, zur Verdeutlichung der Störwirkung wurde die Nutzspannungsquelle nicht dargestellt

Leiter1

CS1

Z1

iGl1 ≠ 0

Z2

iGl2 ≠ 0

uGG Leiter 2

ZE

CS2

uGl

RPAS

istör

Gegentaktstörspannung uGG am Eingang des Empfängers ein, was zu Funktionsstörungen oder Zerstörungen führen kann. Gleich- und Gegentaktstörungen, die Funktionsstörungen und auch Zerstörungen bewirken, können durch eine Reihe von Maßnahmen reduziert werden z. B. durch eine geeignete Leitungsführung, durch Verdrillen von Signalleitungen, durch Schirmung von Leitungen, durch ein geeignetes Erdungssystem, durch Potentialtrennung und durch Überspannungsableiter.

6.5.3 Schirmung von elektrischen Leitungen Schirmung ist eine sehr wirksame Maßnahme zur Unterdrückung von elektromagnetischen Störbeeinflussungen. Ein elektrisch leitender Schirm wirkt wie ein Faradayscher Käfig gegen das Eindringen und das Aussenden von elektromagnetischen Störfeldern. Schirme für elektrische Leitungen bestehen meistens aus einem Flechtwerk von Kupferoder Aluminiumdrähten, das die Adern der Leitung umschließt. Als Schirm wirken auch Schaltschränke und metallische Gehäuse von Elektromotoren und anderen Geräten sowie leitend verbundene Kabelpritschen und Eisenarmierungen in Gebäudewänden. Die Art des Schirms und die geeignete Schirmanbindung richten sich in erster Linie nach der zu erwartenden Störbeeinflussung. Die Abb. 6.17 bis 6.21 zeigen die verschiedenen Schirmungsvarianten. Anhand dieser Abbildungen soll die Wirksamkeit der verschiedenen Schirmungsvarianten bei magnetischen und kapazitiven Störungen erläutert werden. Die Quelle Q und der Empfänger E sind jeweils über die aktiven Leiter 1 und 2 miteinander verbunden. ZQ ist der Wechselstrominnenwiderstand der Quelle, ZE der Wechselstromwiderstand des Empfängers E. Die leitenden Gehäuse (Körper) von Quelle und Empfänger sind an das PAS angeschlossen. Die Quelle ist wie in den Abb. 6.17 bis 6.21 meist einseitig mit dem PAS verbunden. Als Störströme im Potentialausgleichssystem PAS wirken z. B. Betriebsströme in einem PEN-Leiter, Fehlerströme im PE-Leiter oder Blitzteilströme.

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

423

Dabei treten folgende Störeffekte auf: 1. Zeitlich veränderliche Störströme im PAS induzieren über ihr Magnetfeld Störspannungen ui in den benachbarten Leiterschleifen und im Störleiter selbst nach dem Induktionsgesetz. d˚ (6.6) ui D dt 2. Der Spannungsabfall des Störstroms am ohmschen Widerstand R und der Induktivität L des Potentialausgleichleiters ändert das Potential des Potentialausgleichleiters. Es entstehen Störspannungen u zwischen dem PAS und den Leitungen des gestörten Kreises. distör (6.7) C R  istör uDL dt 3. Die zeitlichen Änderungen der Spannung u zwischen dem störenden Leiter und den Leitungen des Nutzstromkreises bewirken Störströme über die Streukapazitäten Cs . istör D CS 

du dt

(6.8)

Ungeschirmte Leitung mit Erdschleife In Abb. 6.17 zeigt eine ungeschirmte Leitung. Sowohl die Quelle Q als auch der Empfänger bzw. Verbraucher E sind einpolig mit den geerdeten Gehäusen verbunden. Wegen der beidseitigen Erdverbindung von Quelle und Empfänger entsteht eine Erdschleife. Zur Vereinfachung ist die in Reihe zu ZQ liegende Nutzspannungsquelle in Q nicht dargestellt. Der Störstrom istör im PAS verursacht durch den ohmschen Widerstand RPAS und durch die entstehenden Magnetfelder eine Störspannung uAB zwischen den Punkten A und B. Die Störspannung uAB treibt wegen der unterschiedlichen Impedanzen der Stromwege über Hin- und Rückleiter unterschiedliche Gleichtaktstörströme iGl1 und iGl2 . Der durch die Impedanzen der Quelle Q und des Empfängers E gebildete Spannungsteiler teilt die Spannung uAB so auf, dass am Eingang des Empfängers E ein Teil der gesamten Störspannung als Gegentaktspannung uGG im Empfänger wirksam wird. uGG D

ZE u Z E C Z Q AB

(6.9)

Eine solche Signalübertragung mit Erdschleife ist nur in Ausnahmefällen möglich, wenn z. B. bei sehr kurzen Leitungen keine Störspannungen auftreten. Ist es nicht möglich, die Erdschleife wie in Abb. 6.18 aufzutrennen, so ist eine Potentialtrennung der Signalleitungen wie in Abb. 6.22 erforderlich. Kurze ungeschirmte Leitung, Empfänger potentialfrei In Abb. 6.18 ist (wie in Abb. 6.16) die Leitung ungeschirmt und der Empfänger E potentialfrei, d. h. es besteht hier keine galvanische Verbindung zwischen einem der Leiter und

424

H. Paerschke E

Q

iGl1 ZQ

ZE

iGl2

Φ PAS A

istör

RPAS

B

Abb. 6.17 Stromkreis mit ungeschirmter Leitung, geerdeter Quelle Q und geerdetem Empfänger E. Es bildet sich eine Erdschleife. Der Störstrom istör im Potentialausgleichsystem PAS mit Störmagnetfeld ˚.t / bewirkt eine Gleichtaktstörspannung sowie ungleiche Gleichtaktstörströme iGl1 und iGl2 und somit eine Gegentaktstörspannung am Empfänger E. Die Nutzspannungsquelle im gestörten Stromkreis ist zur Vereinfachung nicht dargestellt CE1

E

Q

iGl1 ZE

ZQ

CE2

iGl2

Φ PAS

A

RPAS

istör

B

Abb. 6.18 Kurze ungeschirmte Leitung mit potentialfreiem Empfänger/Verbraucher E, der Störstrom istör im Potentialausgleichsystem PAS und das zugehörige Störmagnetfeld ˚.t / bewirken eine Gleichtaktstörspannung zwischen dem Körper von E und den aktiven Leitungsadern. Bei hohen Frequenzen bewirken die Streukapazitäten CE1 und CE2 E ungleiche Gleichtaktstörströme iGl1 und iGl2 und damit eine Gegentaktstörspannung an E

dem geerdeten Gehäuse des Empfängers E. Zur Vereinfachung ist die Nutzspannungsquelle in der Quelle nicht dargestellt. Der Störstrom istör im PAS bewirkt durch den Widerstand RPAS und durch die entstehenden Magnetfelder eine Störspannung uAB zwischen den Punkten A und B, die als Gleichtaktspannung uGl wirksam wird. Diese Gleichtaktspannung liegt an der Isolation zwischen den aktiven Leitern und dem leitendem Gehäuse von E an und kann zu einem Isolationsdurchschlag führen. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Durch die galvanische Auftrennung der Erdschleife wird bei langsam veränderlichen Störströmen die Störeinkopplung deutlich vermindert. Bei schnell veränderlichen Störströmen können jedoch erhebliche Gegentaktund Gleichtaktstörspannungen entstehen, was ungeschirmte Leitungen verbietet.

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

425 CE1

E

Q

iGl1

ZE

ZQ

iGl2

CE2

CA1 CA2

Φ PAS

A

istör

B

Abb. 6.19 Ungeschirmte lange Leitung mit zusätzlichen Streukapazitäten CA1 und CA2 zwischen den Leitern und dem Potentialausgleichsystem PAS, Empfänger/Verbraucher E potentialfrei, Störstrom istör im Potentialausgleichsystem PAS und Störmagnetfeld ˚.t /, bewirken eine Gleichtaktstörspannung. Die Streukapazitäten gegen PAS bewirken ungleiche Gleichtaktstörströme iGl1 und iGl2 und damit eine Gegentaktstörspannung an E, Nutzspannungsquelle in Q zur Vereinfachung nicht dargestellt

Lange ungeschirmte Leitung, Empfänger potentialfrei Bei langen ungeschirmten Leitungen nach Abb. 6.19 sind die zusätzlichen Streukapazitäten CA1 und CA2 zwischen den Leitern einerseits und dem PAS nicht mehr vernachlässigbar. Die Störspannung uAB zwischen den Punkten A und B bewirkt zwischen den Leitern des gestörten Stromkreises und dem Leiter des PAS Potentialdifferenzen und elektrische Felder, deren Wirkungen vereinfacht durch Streukapazitäten CA1 und CA2 berücksichtigt werden können. CA1 und CA2 liegen parallel zu CE1 und CE2 und vergrößern somit die kapazitive Störeinkopplung. Die Gleichtaktstörspannung an der Isolation des Empfängers E bleibt praktisch unverändert hoch. Durch die zunehmenden Gleichtaktstörströme wächst durch GleichtaktGegentaktkonversion auch die Gegentaktstörspannung an ZE . Gegen die zunehmende Störbeeinflussung durch kapazitive Kopplung bei langen Leitungen müssen geschirmte Leitungen eingesetzt werden. Dabei entsteht die Frage, welche Effekte eine einseitige oder eine zweiseitige Erdung des Schirms hat. Lange Leitung mit einseitig geerdetem Schirm Durch den einseitig geerdeten Leitungsschirm S in Abb. 6.20 enden die vom PAS ausgehenden elektrischen Feldlinien auf dem Erdpotential führenden Schirm S. Die Wirkung dieses elektrischen Feldes wird vereinfacht durch die Streukapazität CS zwischen Schirm und PAS beschrieben. Die Streukapazitäten zwischen dem PAS und den Adern der Leitung sind bei einem dichten Schirmgeflecht vernachlässigbar klein. Im Vergleich zur ungeschirmten Leitung in Abb. 6.21 sind die Gleichtaktstörströme reduziert, da die Stromwege über Streukapazitäten CA1 und CA2 durch den einseitig geerdeten Schirm versperrt sind. Die durch Gleichtakt- Gegentaktkonversion entstehende Gegentaktstörspannung zwischen den Leitern am Eingang von E ist entsprechend vermindert. Die einseitig geerdete Schirmung schirmt somit die vor allem die bei langen

426

H. Paerschke CE1

E

Q

ZE

ZQ

CE2

CS

Φ

PAS

A

istör

B

Abb. 6.20 Lange Leitung mit einseitig geerdetem Schirm, Empfänger E potentialfrei, Störstrom istör im Potentialausgleichsystem PAS, Störmagnetfeld ˚.t /, Streukapazitäten CS zwischen Schirm und Potentialausgleichsystem PAS, Nutzspannungsquelle in Q zur Vereinfachung nicht dargestellt

Leitungen zusätzlich auftretenden kapazitiven Störungen ab. Sind Quelle und Empfänger potentialfrei, so ist der Schirm auf der Seite mit den höheren Streukapazitäten CE1 und CE2 zu erden. Der über den Schirm und über die kleine Streukapazität CS fließende geringe Störstrom bewirkt praktisch keine magnetische Störung der innen geführten Adern. Der über den Anschluss des Schirms, den Schirm und CS fließende Strom verursacht jedoch Potentialdifferenzen längs des Schirms, die zu Störströmen über die Streukapazitäten zwischen dem Schirm und den innen liegenden Adern führen. Um diese kapazitiven Störungen zu vermeiden, müssen Schirmanschluss und Schirm und einen niedrigen Wechselstromwiderstand haben! Allerdings kann das vom Störstrom im PAS erzeugte magnetische Feld den einseitig geerdeten Leitungsschirm durchdringen und koppelt in der von PAS und Schirm gebildeten Leiterschleife Störspannungen ein. Die vorwiegend durch das magnetische Störfeld eingekoppelte Gleichtaktstörspannung zwischen dem Gehäuse und den aktiven Leitern des Empfängers E wird durch den einseitig geerdeten Schirm praktisch nicht vermindert und belastet die Isolation zwischen dem Gehäuse des Empfängers und Schirm sowie den Adern. Bei langen Leitungen werden durch einen einseitig geerdeten Schirm die kapazitive Störungen, aber nicht die induktiv eingekoppelte Störspannungen vermindert. Die durch den magnetischen Fluss durch die Fläche zwischen den aktiven Leitern verursachte Gegentaktstörspannung wird durch Verwendung verdrillter Adernpaare verhindert. Lange Leitung mit beidseitig geerdetem Schirm Ist der Schirm wie in Abb. 6.21 beidseitig geerdet, wird in der galvanisch geschlossenen Schleife aus Schirm und PAS durch die induzierte Störspannung ein Kurzschlussstrom hervorgerufen, der nach der Lenzschen Regel dem verursachenden magnetischen Störfeld in der Schleife entgegen wirkt und damit auch die magnetisch eingekoppelte Gleichtaktstörspannung und die durch Gleichtakt-Gegentakt-Konversion entstehende Gegentakt-

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

427 CE1

E

Q

ZE

ZQ

CE2

Φ PAS

A

istör

B

Abb. 6.21 Lange Leitung mit beidseitig geerdetem Schirm, Empfänger E potentialfrei, Störstrom istör im Potentialausgleichsystem PAS, Störmagnetfeld ˚.t /, Streukapazitäten CS zwischen Schirm und Potentialausgleichsystem PAS, Nutzsspannungsquelle im gestörten Stromkreis zur Vereinfachung nicht dargestellt

spannung an ZE abbaut. Im Ergebnis werden durch den beidseitig geerdeten Schirm die magnetischen Störflüsse in der Schleife und kapazitive Störungen abgebaut. Der beidseitig geerdete Schirm bildet jedoch eine Erdschleife. Bei größeren Störströmen im PAS (z. B. Blitzteilströmen) fließt auch ein größerer Teilstrom über den beidseitig geerdeten Schirm, der für solche Ströme ausgelegt sein muss. Der Schirmstrom bewirkt magnetische Störeinkopplungen und wegen der Schirmimpedanz Spannungsabfälle und damit kapazitive Störungen auf die innen liegenden Adern, die jedoch wesentlich geringer sind als die Einkopplungen ohne Schirm oder bei nur einseitiger Erdung. Zusammenfassung Sind starke Störeinflüssen zu erwarten, z. B. bei einer Signalleitung zwischen 2 Gebäuden und bei hohen Anforderungen an die Störsicherheit ist ein äußerer beidseitig geerdeter Schirm und ein innenliegender einseitig geerdeter Schirm sowie paarweise verdrillte Signalleitungen einzusetzen. Eine vergleichbare Wirkung erzielt auch die Verlegung auf einer beidseitig geerdeten durchgängig leitenden Kabelpritsche oder entlang eines massiven Leiters. Werden mehrere Signale übertragen, so sollten die verdrillten Signalleitungen mit jeweils einem eigenen inneren Schirm geschirmt werden, um eine kapazitive Kopplung zwischen den Signalleitungen zu verhindern. Damit Leitungsschirme auch bei hohen Frequenzen wirksam sind, sind Schirme grundsätzlich impedanzarm mit Hilfe von Kabelschellen an das Metallgehäuse und möglichst nah an der Kabelklemme anzuschließen. Die oft zu sehende Verbindung über zusammengedrehte Enden des Schirmgeflechts („pigtails“) macht die Schirmwirkung zum großen Teil unwirksam. Potentialtrennung von Signalleitungen Sind in störender Umgebung Signalempfänger und Signalgeber nicht potentialgetrennt (wie in Abb. 6.17), so wirken sich die in der galvanischen Erdschleife fließenden Stör-

428 Abb. 6.22 Potentialtrennung bei Signalleitungen in gestörter Umgebung, potentialgetrennte Signalübertragung (a), Potentialtrennung mit Relais bei Schaltsignalen (b), Potentialtrennung mit Optokoppler (c), potentialgetrennte Signalübertragung über Lichtwellenleiter (d)

H. Paerschke a Q

E el el Potentialtrennung

b

c

CS

CS

d Lichtwellenleiter

Q

E opt

el opt

el

ströme direkt im Signalkreis aus. Auch wenn die Erdschleife galvanisch aufgetrennt ist (Abb. 6.18 bis 6.21), so können durch die unvermeidlichen Streukapazitäten CE1 und CE2 hochfrequente Störströme Gleich- und Gegentaktstörungen verursachen. Sind Signalempfänger und Signalgeber nicht potentialgetrennt, ist in gestörter Umgebung eine Potentialtrennung durch eine der in Abb. 6.22 dargestellten Maßnahmen erforderlich. Auch bei aufgetrennter Erdschleife ist eine solche Potentialtrennung oft nötig. Bei Schaltsignalen können zur Potentialtrennung Relais eingesetzt werden, bei digitalen Signalen Optokoppler. Bei analogen Signalen verwendet man Trennverstärker. Lichtwellenleiter aus Glas- oder Kunststofffasern werden in der Automationstechnik eingesetzt, wenn elektromagnetische Störungen mit anderen Mitteln nicht in den Griff zu bekommen sind oder die Datenübertragungsraten sehr hoch sind. Um auch für hochfrequente Störungen eine gute Trennung zu erreichen, muss die Koppelkapazität CS des Trennelementes möglichst gering sein. Eine weitere Methode zur Störunterdrückung ist die Symmetrierung der Signalübertragung wie in Abb. 6.23. Werden Signalquelle und Leitungen genau symmetrisch ausgeführt und das Signal von einem Differenzverstärker aufgenommen, ergeben sich die gleichen Störeinflüsse auf beiden Signalleitungen. Durch die Differenzverstärkung heben sich diese symmetrischen Störeinflüsse am Empfänger gegenseitig auf. Eine solche erdsymmetrische Signalübertragung wird bei BUS-Leitungen nach dem RS 422- bzw. RS 485- Standard z. B. für LON- und KNX-Busleitungen verwendet.

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

Abb. 6.23 Symmetrische Signalübertragung mit Differenzverstärker im Signalempfänger

Q u 2

symmetrische Signalübertragung

429 E

u 2

+ -

u

6.6 Schutz- und Entstörbeschaltungen Für Schutz- und Entstörbeschaltungen gibt es zwei Wirkungsprinzipien: 1. Sind die Störspannungen sehr viel höher als die Nutzspannungen können Schutzbeschaltungen aus Bauelementen mit nichtlinearer Kennlinie eingesetzt werden. Bei Überschreitung einer bestimmten Spannung, dem Ansprechwert, reduziert sich ihr Widerstand deutlich. Damit können Überspannungen, wie sie durch Schalten von Induktivitäten oder durch Blitzschlag entstehen, abgebaut werden. 2. Störspannungen haben häufig Frequenzen im kHz-Bereich. Damit besteht i. A. ein hinreichend großer Frequenzunterschied zu den Nutzfrequenzen (Gleichspannungsversorgung, Netzfrequenz, Signalfrequenzen). Dies ermöglicht den Einsatz von Filtern aus frequenzabhängigen Bauelementen (Kondensatoren, Spulen), um die hochfrequenten Störungen in Signalleitungen und in Stromversorgungsleitungen abzuleiten.

6.6.1 Überspannungsschutz mit nichtlinearen Bauelementen Als Grobschutz bezeichnet man Überspannungsableiter, die Blitzteilströme ableiten können, wie gasgefüllte Überspannungsableiter und Gleitableiter. Ein Grobschutz ist allerdings im Allgemeinen nicht in der Lage, die Störspannungen auf für elektronische Geräte verträgliche Werte zu reduzieren. Deswegen wird i. A. der Grobschutz mit einem sogenannten Feinschutz aus Varistoren oder aus Z-Dioden kombiniert. Gasgefüllte Überspannungsableiter bestehen aus zwei Elektroden, die sich in einer dicht geschlossenen Edelgas-gefüllten Umhüllung isoliert gegenüber stehen (Widerstand ca. 1010 ). Steigt die anliegende Spannung über die Zündspannung von ca. 600 V erfolgt eine Gasentladung und der Ableiter wird leitend (Widerstand ca. 10 ). Sinkt die anliegende Spannung nach dem Ansprechen unter die Löschspannung wird der Gasableiter wieder nichtleitend. Gleitableiter erfüllen eine analoge Funktion. Sie bestehen aus zwei scheibenförmigen Elektroden, die durch einen Isolierkörper voneinander getrennt sind, der etwa 1 mm über den Rand der Elektroden vorsteht. Bei Überschreiten der Zündspannung von 2 bis 3 kV erfolgt eine Gleitentladung entlang der Oberfläche des hervorstehenden Teils der Isolation.

430

H. Paerschke a

b

c

d

i U u

U

U

Abb. 6.24 Varistor, Kennlinie (a), Schaltzeichen und Wirkungsprinzip (b), Schaltungsbeispiele zum Schutz von Transistoren (c) und elektronischen Schaltungen (d) vor Überspannungen Abb. 6.25 Z-Diode, Schaltzeichen und Kennlinie (a), UZ Durchbruchsspannung, Schaltungsbeispiel zur Spannungsstabilisierung (b)

a

b i

UZ u

Ein Varistor (Variable Resistor) ist ein Halbleiterwiderstand mit einer nichtlinearen, symmetrischen Strom-Spannungskennlinie (Abb. 6.24). Ein Varistor besteht aus vielen kleinen, gesinterten Halbleiterkristallen, an deren Berührungspunkten sich Sperrschichten ausbilden. Bei kleinen Spannungen fließt nur ein kleiner Strom über diese Berührungspunkte. Höhere Spannungen durchbrechen die Sperrschichten teilweise und verbreitern die Stromwege und verringern damit den Widerstand. Metalloxydvaristoren haben eine Ansprechzeit von ca. 0,1 s. Varistoren schützen spannungsempfindliche Bauteile wie Transistoren oder integrierte Schaltungen vor Überspannungsspitzen. Begrenzerdioden bzw. Z-Dioden sind spezielle Halbleiterdioden, die in Sperrrichtung betrieben werden. Bei Überschreiten der Durchbruchspannung UZ (3 bis 200 V) tritt ein scharf einsetzender Anstieg des Sperrstromes auf (Abb. 6.25). Zur Strombegrenzung ist immer ein Vorwiderstand erforderlich. Ist die Polarität zwischen den zu schützenden Leitern nicht festgelegt, so sind zwei gegensinnig gepolte Z-Dioden in Reihe zu schalten. Z-Dioden sprechen sehr schnell an (Ansprechzeiten von kleiner 10 ns) und werden z. B. zum Schutz von Transistoren beim Schalten induktiver Lasten benutzt. Supressor-Dioden sind spezielle Z-Dioden für den Überspannungsschutz mit kurzen Ansprechzeiten von ca. 10 ps (lat. suppressor D Unterdrücker). Oft werden Kombinationen von Schutzelementen eingesetzt. Beim Schutz von Netzleitungen mit Gasableitern ist deren Löschspannung niedriger als die Betriebsspannung, so dass der Lichtbogen im Ableiter so lange brennt, bis eine Überstromsicherung abschaltet. Deswegen wird gegen Blitzeinwirkung meist eine Reihenschaltung von Schutzfunkenstrecke und Varistor verwendet (Abb. 6.26a). Dabei reduziert der Varistor den Strom nach dem Ableitvorgang soweit, dass der Gasableiter löscht und die Sicherung i. A. nicht auslöst. Sind z. B. bei Gleichstromversorgungen oder in Signalstromkreisen hohe Ableitströme

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz a

b

L1

L+

431

U LU N

Abb. 6.26 Serienschaltung eines Gasableiters und eines Varistors zum Löschen des Gasableiters nach dem Ableitvorgang (a), Gestaffelter Schutz durch Dreierkombination von Gasableiter, Varistor, Zehnerdiode und Längsimpedanzen (b) Abb. 6.27 Überspannungsableiter (bestehend aus Gasableiter, Varistor und Trennvorrichtung), Anordnung im TN-C-Netz und im TN-S-Netz, die Erdungsleitung der Ableiter ist mit der Potentialausgleichsschiene PAS verbunden.

TN-C

TN-S

PAS

L1 L2 L3 N PE

zu beherrschen und gleichzeitig niedrige Schutzpegel einzuhalten, dann werden Parallelschaltungen wie in Abb. 6.26b eingesetzt. Das Übertragen von Überspannungen aus dem Stromversorgungsnetz auf elektronische Anlagen wird wie in Abb. 6.27 durch Überspannungsableiter zwischen Netzleitung und einem geerdeten Leiter verhindert. Im TN-C System ist für die Außenleiter L1, L2 und L3 jeweils ein Überspannungsableiter erforderlich, beim TN-S-System muss auch der Neutralleiter N geschützt werden. Der Überspannungsschutz ist möglichst nah an der Gebäudeeinführung einzubauen. Tritt eine gefährliche Überspannung auf, wird der Überspannungsschutz niederohmig.

6.6.2 Filter zum Überspannungsschutz Schutzbeschaltungen mit Filtern aus linearen Bauelementen, wie Kondensatoren und Drosseln funktionieren auch bei gleicher Größenordnung von Stör- und Nutzspannungen, wenn sie in ihrer Frequenz hinreichend weit genug auseinander liegen. Bei sehr schnellem Anstieg der Störspannungen (hohe „Flankensteilheit“), sprechen Überspannungsableiter nicht schnell genug an. Die dabei durchgelassenen Spannungsspitzen können durch nach geschaltete Filter abgebaut werden.

432

H. Paerschke a

b Zi

L1

L1

C N

M 1~

L

Cy Cx

N

Cy

M 1~

L

PE

Abb. 6.28 Funkentstörung am Beispiel eines Universal-Motors, mit parallelgeschaltetem Kondensator C (a), Netzfilter mit XY-Kondensatoren und Funkentstördrosseln L (b)

Schutzbeschaltungen können wie bei der Funkentstörung von Universalmotoren in Abb. 6.28 und bei Schützspulen in Abb. 6.29 direkt an den Störquellen angebracht sein oder am Eingang des zu schützenden Geräts oder des zu schützenden Bereichs. Entstördrosseln sollen die niederfrequenten Betriebsströme möglichst wenig beeinflussen. Da durch die Drosseln der Betriebsstrom des angeschlossenen Geräts fließt, benötigen sie einen entsprechend großen Leiterquerschnitt. Der Kondensator C in Abb. 6.28a hat für die vom Motor ausgehende störende Hochfrequenz einen kleinen Wechselstromwiderstand. Ist der Wechselstromwiderstand von Zi für die Störfrequenzen genügend hoch, so ist nach der Spannungsteilerregel die Störspannung an C bzw. im Netz klein. Der Netzfilter mit XY-Kondensatoren und Funkentstördrosseln L in Abb. 6.28a reduziert die Störspannungen gegen PE (common mode protection) und zwischen L1 und N (differential mode protection). Die Induktivitäten haben für die hohen Störfrequenzen einen hohen Blindwiderstand. Einen besonderen Effekt zur Unterdrückung von Gleichtaktstörungen nutzen stromkompensierte Drosseln, wie man sie z. B. an den Ein- und Ausgängen von Schaltnetzteilen findet. Im einfachsten Fall ist das ein Ferrit-Ring, der über das zu schützende Leiterpaar geschoben wird. Der Kern wird von den Nutzströmen in entgegengesetzter Richtung durchflossen. Deren Magnetfelder heben sich gegenseitig auf. Damit ist die Drossel für Gegentaktströme unwirksam. Für in gleicher Richtung durchfließende Gleichtaktströme hoher Frequenz ergibt sich ein hoher induktiver Widerstand. In der Gebäudeautomation für werden Frequenzumformer (FU) für drehzahlveränderliche Antriebe von Ventilatoren und Pumpen eingesetzt. Frequenzumformer verursachen elektromagnetische Störungen, die spezielle Schutzmaßnahmen erfordern. Die Funktion eines Frequenzumrichters nach Abb. 6.30 wird in Abschn. 3.4.4 erläutert. Frequenzumformer richten die Netzspannung gleich und wandeln diese anschließend in eine Spannung mit variabler Frequenz und Amplitude um. Mit einem Diodengleichrichter entstehen impulsförmige periodische Netzströme iN .t/ zum Nachladen des Kondensators im Zwischenkreis. Der Netzstrom ist also nicht sinusförmig und enthält entsprechende Oberschwingungsanteile. Die dadurch verursachten Netzrückwirkungen werden durch vorgeschaltete LC-Netzentstörfilter auf ein zulässiges Maß reduziert. Der Pulswechselrichter wandelt die gleichgerichtete Spannung ud im Zwischenkreis in pulsweitenmodulierte Rechteckimpulse u.t/ um. Bei direktem Anschluss des Motors

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz a +

433

b

c

d

+

~

~

U -

-

~

~

Abb. 6.29 Beseitigung der Störspannungsspitzen beim Abschalten von Gleichstromschützen mit Freilaufdiode (a) bzw. RC-Beschaltung (b) und von Wechselstromschützen mit Varistor (c) bzw. RC-Beschaltung (d)

u, i

ud

uN, iN

u1, i1

L1 M 3~

L2 L3 Netzentstörfilter

Gleichrichter

Zwischen kreis

Pulswechselrichter

Motorfilter

Abb. 6.30 Aufbau eines Frequenzumrichters (FU) zur Drehzahlregelung eines Motors mit Entstörbeschaltungen

an diese Spannung, wird der fließende Strom i.t/ durch Induktivitäten der Motorspulen geglättet. Es ergibt sich ein ungefähr sinusförmiger Strom mit einer verbleibenden Welligkeit, die zu mechanischen Resonanzschwingungen und Störgeräuschen im Motor führen kann. Ein nachgeschalteter LC-Filter (Motor-Filter) glättet die Spannungs- und Stromverläufe u1 , i1 , wodurch Motorgeräusche und Motorbelastungen reduziert werden. Die Leitung zwischen Frequenzumrichter und Motor strahlt wie eine Antenne elektromagnetische Störfelder aus und muss deshalb geschirmt werden und sollte so kurz wie möglich sein. Der Schirm wirkt als Faradaykäfig gegen die Störaussendung und muss beidseitig, am Frequenzumformer und am Motor geerdet werden.

6.7 Blitzschutz und Überspannungsschutz 6.7.1

Äußerer und innerer Blitzschutz

In Gebäuden mit aufwändiger Kommunikations-, Automations- oder Datenverarbeitungstechnik ist ein äußerer Blitzschutz erforderlich, der Blitzströme an der Oberfläche von Gebäuden durch ein geerdetes Leitungssystem mit möglichst vielen parallelen Bahnen nach dem Prinzip des Faradaykäfigs ableitet, so dass im Inneren keine hohen Potential-

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H. Paerschke

differenzen und elektromagnetische Störfelder entstehen können. Der innere Blitzschutz bewirkt die weitere Reduktion verbleibender elektromagnetischer Beeinflussungen auf ein für die Elektronik verträgliches Maß. Dabei werden auch auftretende Überspannungen aus dem Stromversorgungsnetz reduziert. Zum inneren Blitzschutz gehören der  Potentialausgleich zwischen allen passiven metallischen Installationen und  Maßnahmen gegen Blitz- und Überspannungen durch Überspannungs-Schutzeinrichtungen.

6.7.2

Entstehung von Überspannungen durch Blitzeinwirkung

Blitzströme können über galvanische, induktive und kapazitive Kopplungen Störungen und Zerstörungen verursachen. Abb. 6.31 zeigt als Beispiel eine galvanische Störeinkopplung. Der im äußeren Blitzschutzsystem fließende Blitzstrom von ca. 100 kA fließt durch den Erdungswiderstand RE  1 . Nach dem Ohmschen Gesetz wird das Potential des Potentialausgleichssystems im Gebäude um etwa 100 kV angehoben. Führt eine ferngeerdete Leitung mit dem ungestörten Erdpotential in das Gebäude, kann es an der Eintrittsstelle zu einem Funkenüberschlag kommen mit katastrophalen Folgen in explosionsgefährdeten Bereichen. Das Gleiche geschieht umgekehrt auch bei einem Ferneinschlag in eine ferngeerdete Leitung. Elektrische Verbindungen zwischen Gebäuden oder nach außerhalb (Stromversorgung, Telefon, Datenleitungen) erweisen sich als besonders kritisch. Führt z. B. eine Signalleitung in ein entferntes Gebäude, so ist die Verwendung eines einseitig geerdeten Schirms allein nicht ausreichend. Um Überschläge zu verhindern, ist die (einseitig geschirmte) Leitung zwischen den Gebäuden in einem beidseitig geerdeten elektrisch leitenden Schutzrohr oder parallel zu einem massiven geerdeten Leiter zu verlegen und Überspannungsableiter einzusetzen. Neben der Potentialanhebung durch den Blitzstrom führt induktive Kopplung durch die hohe Änderungsgeschwindigkeit des Blitzstromes in benachbarten Leiterschleifen zu

Abb. 6.31 Potentialanhebung des PAS im Gebäude gegenüber dem ungestörten Erdpotential einer ferngeerdeten Leitung durch galvanische Kopplung

Faradaykäfig "Faraday-Loch"

iˆB ≈ 100 kA

uˆ B ≈ 100 kV

ferngeerdete Leitung

RE ≈ 1 Ω

RE ≈ 1 Ω

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

a

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b iˆB ≈ 100 kA

uˆ B ≈ 100kV

diB (t ) dt

CS1 (t )

uB

Φ2 (t )

udifferential

Φ1 (t )

ucommon

CS 2

Abb. 6.32 Blitzwirkung durch induktive Kopplung, maßgeblich ist die hohe Änderungsgeschwindigkeit des Blitzstromes, ˚1 hebt die Spannung beider Signalleitungen in gleicher Weise an (Gleichtaktstörung, common mode), ˚2 verursacht eine Spannung zwischen beiden Signalleitungen (Gegentaktstörung, differential mode) (a), Blitzwirkung durch kapazitive Kopplung, maßgeblich ist die hohe Änderungsgeschwindigkeit der Blitzspannung (b)

hohen Störspannungen (Abb. 6.32a). Kapazitive Kopplungen über Streukapazitäten führen durch die hohe Änderungsgeschwindigkeit der auftretenden Spannung ebenfalls zu hohen Störströmen und -spannungen in den benachbarten Leiterschleifen (Abb. 6.32b).

6.8

EMV-gerechte Elektrotechnik im Gebäude

Die Beseitigung von Fehlfunktionen durch mangelhafte EMV ist meist sehr aufwändig. Durch Überspannungen können große Schäden verursacht werden. Deswegen sind bereits in der Planung der Elektrotechnik im Gebäude die Prinzipien der EMV und des Überspannungsschutzes strikt zu berücksichtigen. Das betrifft Maßnahmen zur Reduktion der Störaussendung, der Kopplung und der Störempfindlichkeit.

6.8.1 Verkabelung, Leitungsführung Gegen leitungsgeführte Störungen ist eine Reihe von Maßnahmen erforderlich. Die Abb. 6.33 und 6.34 zeigen Beispiele für vermeidbare galvanische Kopplung in Versorgungsstromkreisen über gemeinsame Leiterstücke. Hier werden verschiedene Baugruppen über ein gemeinsames Netzteil versorgt. Dabei ergibt sich durch die im Allgemeinen zeitabhängige Gesamtstromaufnahme über die gemeinsamen Leiterstücke ein störender Spannungsabfall. Abhilfe liefert der „sternförmige“ Anschluss der einzelnen Baugruppen an das Netzteil nach Abb. 6.33b. Verschiedenartige Baugruppen, z. B. Verbraucher höherer Leistung und analoge und digitale Signalbaugruppen sollten selbst bei sternförmigem Anschluss Abb. 6.34a nicht

436

H. Paerschke a

b G1

G1 Netzteil

Netzteil

G2

G3

G2

G3

Abb. 6.33 Galvanische Kopplung zwischen verschiedenen Geräten über die Stromversorgungsleitungen (a), sternartiger Anschluss der Geräte an das Netzteil zur Vermeidung der Kopplung über die Stromversorgungsleitungen (b)

über ein gemeinsames Netzteil betrieben werden. Bei Betätigen von Verbrauchern höherer Leistungen wird die Klemmenspannung des Netzteiles wegen des Spannungsfalls am Innenwiderstand Ri beeinflusst. Dies wirkt als Störung auf analoge und diskrete Baugruppen. Hier ist die Versorgung durch getrennte Netzteile die bessere Lösung (Abb. 6.34b). Gemeinsame Abschnitte von verschiedenen Stromkreisen sollten immer so kurz wie möglich gehalten werden. Für Automationssysteme, für Maschinen, Beleuchtung usw. sind getrennte Stromversorgungen einzusetzen. Betriebsmittel sehr hoher Leistung (Schweißmaschinen, Pressen usw.) sind direkt an die höhere Spannungsebene mit größerer Kurzschlussleistung anzuschließen. Schaltnetzteile mit Schaltfrequenzen von ca. 100 kHz müssen geschirmt sein, Eingangs- und Ausgangsleitungen von Netzteilen sind getrennt zu verlegen. Zur Vermeidung induktiver und kapazitiver Kopplung sollten Stromkreise soweit wie möglich räumlich voneinander getrennt werden. Parallele Verlegungen sollten so kurz

a

b

& Ri

Netzteil

&

Netzteil

Netzteil

Abb. 6.34 Galvanische Kopplung zwischen verschiedenartigen Funktionsgruppen (analog, digital, Leistungsverbraucher) über das Netzteil (a), getrennte Netzteile zur Vermeidung von Kopplungen über den Ri eines Netzteils (b)

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

437

wie möglich gehalten und möglichst vermieden werden. Z. B. in Schaltschränken sind Leistungsteil, Analog- und Digitalkomponenten getrennt voneinander anzuordnen. Analogsignal- und Digitalsignalleitungen sind in größerem Abstand (> 0;1 m) von Stromversorgungsleitungen zu führen. Die Verlegung erfolgt auf geerdeten, durchgängig leitend verbundenen Kabelkanälen, mit separaten Kammern für Signal-, Steuer- und Leistungskabel. Leitungen, die das Gebäude verlassen, sind gegen Blitzwirkungen mit einem beidseitig geerdeten Schirm (Blitzstrom-tragfähig) zu versehen oder in metallischen Rohren zu führen. Die Verwendung verdrillter Leitungen reduziert die magnetische Störeinkopplung um etwa eine Größenordnung. Die wichtigste Maßnahme zur Störunterdrückung ist die Schirmung von Leitungen und Geräten. Besonders störanfällig sind Signalleitungen. Zur Reduzierung induktiver und kapazitiver Störbeeinflussung benutzt man verdrillte, geschirmte, einseitig geerdete Signalleitungen. Bei nicht potentialgetrennten Signalgebern und Aktoren entstehen Erdschleifen, die zu Störspannungen in den Signalstromkreisen führen. Die Verwendung potentialfreier Geber und Aktoren oder die Potentialtrennung durch Optokoppler, Relais, Lichtwellenleiter usw. reduziert solche Störungen drastisch. Bei BUS-Kabeln zur Übertragung digitaler Signale werden standardmäßig verschiedene Maßnahmen zur Störunterdrückung benutzt (Beschränkung von Leitungslängen und Teilnehmerzahl, verdrillte, geschirmte Leitungen, Verwendung von Repeatern zur Signalverstärkung, höhere Signalpegel, symmetrische Signalführung mit Differenzverstärkung, galvanische Trennung der BUS-Teilnehmer). Darüber hinaus werden die gesendeten Daten so „verpackt“, dass Übertragungsfehler von der empfangenden Seite erkannt werden können.

6.8.2 Potentialausgleich, Erdung Das Potentialausgleichsystem dient neben dem Überspannungsschutz auch dem Berührungsschutz. Es verbindet Fundamenterder, alle metallischen Installationen, wie Gebäudebewehrung, Wasser- und Heizungsleitungen, Klimakanäle, Schirmleiter, Kabelkanäle und das Schutzleitersystem der Elektroinstallation (Gehäuse aller Motoren). Beim TN-C-Netz fließen störende Betriebsströme im PEN-Leiter. Dies wird vermieden im TN-S-Netz mit getrenntem Neutral- und Schutzleiter PE. Die Bezugspotentialleiter der einzelnen Geräte (Automationsgeräte, Schaltschränke, Frequenzumrichter) sind über Leitungen mit hinreichend großem Querschnitt mit der Potentialausgleichsschiene zu verbinden: Bei der üblichen Stern-Erdung werden die Bezugspotentialleiter über isolierte Leiter sternförmig zu einem isolierten Sternpunkt geführt. Dieser Sternpunkt wird auf kürzestem Weg mit der Potentialausgleichsschiene verbunden. Bei Frequenzumrichtern treten hochfrequente Störungen auf. Deswegen ist auf eine möglichst geringe Impedanz (Wechselstromwiderstand) der Erdverbindungen zu achten. Die Metallgehäuse der verschiedenen Geräte müssen mit geringster Impedanz an der metallenen Tragstruktur angeschlossen werden. Z. B. hat ein flacher Leiter bei hohen

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H. Paerschke

Frequenzen eine niedrigere Impedanz als ein runder Leiter mit gleichem Querschnitt. Isolierlackschichten an den Befestigungspunkten müssen sorgfältig entfernt werden. Die Anschlussleitung des Motors an den Frequenzumformer sollte möglichst kurz sein und der Kabelschirm mit möglichst großer Anschlussfläche geerdet werden. In Anlagen mit sehr schneller Digitaltechnik wird die Flächenerdung benutzt. Dabei werden die Bezugspotentialleiter in jedem Gerät direkt mit dem Metallgehäuse verbunden und auf kurzem Weg mit einem im Raum verlegten Flächenerder verbunden, der wiederum mit der Potentialausgleichsschiene verbunden ist.

6.8.3 Schutzbeschaltungen Neben den Maßnahmen zur Reduktion der Störeinkopplung ist es wichtig, auch die Aussendung von Störungen zu reduzieren. Dies geschieht z. B. durch Unterbinden von Funkenbildung an Schaltkontakten, durch Schirmung von Störquellen und Filter in abgehenden störenden Leitungen. Netzrückwirkungen von stark störenden Betriebsmitteln (z. B. Stromrichterantriebe, Magnetventile) sind möglichst direkt an der Quelle durch geeignete Schaltungen (Filter, Überspannungsableiter) zu reduzieren. Zur Unterdrückung von Störungen werden spezielle Schutzbeschaltungen eingesetzt. Schutzbeschaltungen mit nichtlinearer Strom-Spannungskennlinie werden bei Überspannungen niederohmig und schützen damit die nachfolgenden Geräte. Als Grobschutz benutzt man Gas- und Gleitableiter, die hohe Ströme ableiten können aber nur bei hohen Spannungsspitzen wirken. Als Feinschutz für elektronische Geräte werden zusätzlich Varistoren, Z-Dioden und Suppressordioden eingesetzt, die schneller ansprechen und die Störspannungen reduzieren. Tiefpassfilter aus R-C- bzw. L-C-Gliedern sind geeignet, hochfrequente Störungen auf Signal- und Stromversorgungsleitungen zu unterdrücken. Zum Schutz vor Störungen über das Stromversorgungsnetz ist ein Überspannungsschutz an der Gebäudeeinführung einzubauen. Datenverarbeitungsgeräte sind durch Schutzbeschaltungen am Netz- und an den Datenanschlüssen zu schützen.

6.8.4 Blitzschutzzonen-, EMV-Konzept Die oben genannten Beispiele zeigen, dass die Sicherung der elektromagnetischen Verträglichkeit durch Schutzbeschaltungen sehr aufwändig sein kann. Bei einer systematischen EMV-Planung bei Gebäuden mit umfangreicher elektronischer Ausstattung unterteilt man das Gebäude in unterschiedliche Blitz-Schutzzonen. Außerhalb der geschützten Anlage liegen die Zonen E und 0. In Zone E sind direkte Blitzeinschläge möglich. Innerhalb des Gebäudes folgen Schutzzonen mit abnehmender Gefährdung. Die Armierung aller Außenwände bildet einen Schirmkäfig und schirmt die Schutzzone 1 nach außen ab. Die Armierung innen liegender Räume bildet z. B. den Schirm der Schutzzone 2. Alle energietechnischen Leitungen und alle Datenleitungen werden an den Übergängen zwi-

6

Elektromagnetische Verträglichkeit und Überspannungsschutz

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schen den verschiedenen Schutzzonen mit Überspannungsableitern ausgerüstet. An der Eintrittsstelle in das Gebäude werden Blitzstromableiter eingesetzt, die in der Lage sind, Blitzströme abzuleiten. An den Übergängen zu Zone 2 werden Überspannungsableiter für geringere Störströme aber mit niedrigerem Schutzpegel eingesetzt. Durch die Staffelung der Schutzbeschaltungen wird der Aufwand deutlich reduziert und die Gefährdung in Richtung zu den Endgeräten immer geringer.

Literatur 1. Habiger, E.: Elektromagnetische Verträglichkeit – Grundzüge ihrer Sicherstellung in der Geräteund Anlagentechnik, 3. Aufl. Hüthig, Berlin (1998). ISBN 978-3778526453 2. Rodewald, A.: Elektromagnetische Verträglichkeit – Grundlagen Experimente Praxis. Springer, Berlin, Heidelberg, New York (2013). ISBN 978-3663120872 3. Schwab, A.: Elektromagnetische Verträglichkeit. Springer, Berlin, Heidelberg, New York (2013). ISBN 978-3662069806 4. Schmolke, H., Erimar, A.C., Soboll, R., Walfort, J.: Elektromagnetische Verträglichkeit in der Elektroinstallation – Das Handbuch für Planung, Prüfung und Errichtung, 2. Aufl. Hüthig, Rheinbach (2012). ISBN 978-3810103543

Stichwortverzeichnis

A Aaronschaltung, 395 Ableitstrom, 320 Abtastrate, 380 Air Mass AM, 283 Aktive Filter, 238 Aliasing, 381 Analog-Digital-Umformer, 379 Analog-Multimeter, 371 Ausschlagverfahren, 356 äußerer Blitzschutz, 433 B Bändermodell, 189 Bipolartransistor, 207 Blindleistungsregelung, 318 Blitzschutz, 326 Brownsche Röhre, 378 Brückengleichrichter, 219 Brückenschaltungen, 387 Bypassdiode, 300 C Crestfaktor, 389 D DC-Hauptschalter, 325 Dehnmessstreifen, 399 Dickschichtzellen, 287 Diffusstrahlung, 283, 285 Digital-Multimeter, 372 Digital-Speicheroszilloskop, 379 direkte Messung, 356 Direktstrahlung, 283, 284 DMS, 399 Dreheisenmesswerk, 367 Drehspulmesswerk, 364

Dreileiterschaltung, 397 Dünnschichtzellen, 287 E Effektivwert, 389 Eigenhalbleiter, 190, 191 Eigenleitung, 192 electrostatic discharge, 409 Elektrizitätszähler, 368 Elektrodynamisches Messwerk, 365 Elektronstrahloszilloskop, 378 Elementhalbleiter, 190 Emitterschaltung, 211 EMV, 326, 405 Erdschleife, 423 Erntefaktor, 287 ESD, 409 europäischer Wirkungsgrad, 312 F Faradaykäfig, 433 Fehlerstromschutzschalter, 321 Feldeffekttransistor, 213 Ferraris-Stromzähler, 370 FET, 213 Formfaktor, 389 FOURIER-Zerlegung, 391 Freilaufdiode, 300 Frequenzumformer, 432 Fundamenterder, 417 Funkentstörung, 432 G galvanische Kopplung, 413 Gegentaktstörspannungen, 419 Gleichrichtwert, 389 Gleichtaktstörspannungen, 419

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 441 A. Böker, H. Paerschke, E. Boggasch, Elektrotechnik für Gebäudetechnik und Maschinenbau, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20971-1

442 Gleitableiter, 429 Globalstrahlung, 283 H Hall-Element, 376 HERIC-Wechselrichter, 312 Hitzdrahtanemometer, 402 Hochsetzsteller, 225 I IGBT, 215 Impedanzwandler, 240 indirekte Messung, 356 induktive Kopplung, 413 Influenz, 409 innerer Blitzschutz, 434 Isolierschicht-Feldeffekttransistor, 213 J JFET, 213 Justieren, 359 K Kalibrieren, 359 kapazitive Kopplung, 414 Kompensationsverfahren, 356 L Laserdiode, 206 LED, 205 Leitungsband, 189 Leitungsschirme, 422 Leuchtdiode, 205 M Maßeinheit, 355 Maßzahl, 355 Messgeräteabweichungen, 358 Messunsicherheit, 359 Messwert, 355 MID, 403 Mie-Streuung, 283 Modulwechselrichter, 316 MOSFET, 213 MPP-Tracking, 294 N n-Halbleiter, 192 Normalverteilung, 358

Stichwortverzeichnis O Operationsverstärker, 235 Optokoppler, 217 P partielle Ableitung, 400 PFC, Power-Factor-Correction, 234 p-Halbleiter, 194 Photodiode, 204 Photoelement, 204 Phototransistor, 204, 217 Photozelle, 204 PID, 319, 322 Planardiode, 201 pn-Übergang, 194 Potentialausgleich, 437 Potentialausgleichsschiene, 417 Potentialinduzierte Degradation, 319, 322 Potentialtrennung, 427 Pt100-Widerstand, 395 PV-Zelle, 288 Q Quantisierungsfehler, 380 R Rayleigh-Streuung, 283 RCD, 321 rms-Wert, 389 Rogowski-Stromwandler, 374 S Schaltnetzteil, 232 Scheitelfaktor, 389 Schottky-Diode, 201 Shannonsches Abtasttheorem, 381 Solargenerator, 295 Solarkonstante, 282 Solarmodul, 295 Solarwechselrichter, 305 Solarzelle, 288 Sonnenhöhenwinkel, 283 Spannungswandler, 375 Sperrschicht-Feldeffekttransistor, 213 Spitzendiode, 201 Standardabweichung, 358 Standardtestbedingungen, 286 STC, 286 Störfestigkeit, 416 Strahlungskopplung, 415

Stichwortverzeichnis Strangdiode, 301, 325 Strangsicherungen, 325 Streukapazität, 320 String, 295 String-Wechselrichter, 315 Strommesszange, 377 Stromwandler, 374 Subtrahierer, 238 Supressor-Diode, 430 systematische Messabweichung, 357 T Thermoelemente, 397 Thermopaare, 398 Tiefsetzsteller, 222 totales Differential, 399 Trafonetzteil, 231 Trennverstärker, 240 U Überspannungsableiter, 429

443 Überspannungsschutz, 326 Umkehraddierer, 237 V Valenzband, 189 Varistor, 430 Verbindungshalbleiter, 190 Verschattung, 299 Vierleiterschaltung, 396 Vollbrücke, 400 vollständiges Messergebnis, 359 W Wechselrichter, 227 Wirkleistungsmessung, 393 Z Z-Diode, 202, 430 Zentralwechselrichter, 314 zufällige Messabweichung, 357