Der Römerbrief als Gratwanderung (Forschungen Zur Religion Und Literatur Des Alten Und Neuen Testaments) (German Edition) 3525538782, 9783525538784

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Der Römerbrief als Gratwanderung (Forschungen Zur Religion Und Literatur Des Alten Und Neuen Testaments) (German Edition)
 3525538782, 9783525538784

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V&R

Für Christine-Sophie

ANGELIKA REICHERT

Der Römerbrief als Gratwanderung Eine Untersuchung zur Abfassungsproblematik

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Dietrich-Alex Koch und Matthias Köckert 194. Heft der ganzen Reihe

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Reichert, Angelika: Der Römerbrief als Gratwanderung: eine Untersuchung zur Abfassungsproblematik / Angelika Reichert. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2001 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments; Bd. Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Habil.-Schr., 2000 u.d.T.: Reichert, Angelika: „Sowohl unter euch wie auch unter den übrigen Heiden ISBN 3-525-53878-2

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der EvangelischTheologischen Fakultät der Universität Münster gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

© 2001 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Klaus Krüger Druck- und Bindearbeiten: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Der Gegenstand der Untersuchung liegt - in einer Formulierung Umberto Ecos - „zwischen Autor und Text". Diese „Zwischenlage" des Gegenstandes bedeutet in jedem Fall eine methodische Herausforderung. Die vorliegende Arbeit versucht, dieser Herausforderung durch eine Differenzierung der auf den Autor zielenden von der auf den Text zielenden Fragestellung zu begegnen. Erst im Nachhinein werden die unter verschiedenen Fragestellungen erreichten Ergebnisse miteinander verbunden. Aus dieser Zugangsweise dürften sich neue Impulse ergeben für die Lösung des alten Rätsels um den Zweck des Römerbriefs - und vielleicht auch für die Bearbeitung vergleichbarer „Einleitungsfragen" in der neutestamentlichen Briefliteratur. Die Arbeit wurde im Sommersemester 2000 unter dem Titel „'Sowohl unter euch wie auch unter den übrigen Heiden'. Zur Abfassungsproblematik des Römerbriefes" von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Habilitationsschrift angenommen. Sie hätte nicht ohne vielfältige Hilfe geschrieben werden können. Herr Professor Dr. Günter Klein hat während des ersten Teils meiner Assistentinnenzeit die Entstehung der Konzeption in kritischer Aufgeschlossenheit begleitet. Sein Nachfolger, Herr Professor Dr. Jens-W. Taeger, hat die Durchführung dieser Konzeption mit zahlreichen Anregungen und Hinweisen gefördert und das Erstgutachten geschrieben. Für die Bereitschaft, mich auf eigenen Wegen zu bestärken, gilt ihnen beiden mein herzlicher Dank, darüber hinaus aber auch Herrn Professor Dr. Dietrich-Alex Koch als dem Verfasser des Zweitgutachtens und als Herausgeber der Reihe FRLANT. Eine unverzichtbare Stütze war mir das Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen, von denen an dieser Stelle Frau Susanne Schewe, Herr Professor Dr. Peter Pilhofer und Herr Dr. Martin Schewe genannt seien. Wahrscheinlich bilden ihre unterschiedlichen Frageperspektiven den „Modelleser" dieser Arbeit. Der deutschen Forschungsgemeinschaft ist für eine erhebliche Druckkostenbeihilfe zu danken und Herrn Klaus Krüger für sein umsichtiges Engagement bei der Erstellung der Druckvorlage. Besonderen Dank schulde ich meiner Familie, meiner Mutter für vielfache Entlastung von anderweitigen Verpflichtungen, meinem Mann für seine Geduld mit rapiden Stimmungsschwankungen, die sich bei wissenschaftlicher Arbeit einzustellen pflegen, und unserer Tochter für ihre ebenso nützliche diesbezügliche Ungeduld.

Gütersloh, im Februar 2001

Angelika Reichert

Inhalt Vorbemerkung zu Weg und Ziel der Untersuchung 1 Zur Forschungslage

9 13

1.1 Inhaltliche und methodische Problemanzeige

13

1.2 „Klassische" Lösungsmuster (1969-1975)

22

1.3 Zum weiteren Verlauf der Diskussion

34

1.3.1 Methodische Auffächerung 1.3.2 Tendenzen 1.3.2.1 „Bündelhypothesen" 1.3.2.2 Vorordnung der Frage nach den Entstehungsverhältnissen 1.3.2.3 Rhetorisch orientierte Beiträge als Korrektiv

34 47 47 49 50

1.4 Zwischenbilanz

58

1.5 Die zweiteilige „Paränese" des Rom - Zuordnungsvorschläge

60

1.5.1 Adressatenorientiert 1.5.2 Adressantenorientiert 1.5.3 Orientierung an der Brieffunktion

1.6 Rückblick und Konsequenzen 2 Hypothese zum Zweck des Rom in der Intention des Paulus 2.1 Erstkommunikation und potentielle Letztkommunikation

61 66 68

71 77 77

2.2 Primäre und potentielle sekundäre Ausrichtung der Evangeliumsverkündigung

83

2.3 Die Prägungsfähigkeit der römischen Adressatenschaft

92

2.4 Zusammenfassung

99

3 Analysen zur Textfunktion 3.1 Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten 3.1.1 Vorbemerkung 3.1.2 Die Zuordnung der Adressaten zu den εθνη - zur neueren Kritik am Konsens 3.1.3 1,1-7 3.1.4 1,8-15 3.1.5 11,13f. 3.1.6 15,14-33 3.1.7 Zusammenfassung im Rückblick auf die Hypothese zum Abfassungszweck

3.2 Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel 3.2.1 Vorbemerkung

101 101 101 103 108 118 129 137 145

147 147

Inhalt

8

3.2.2 Israel in Rom 1-8 - exemplarische Hinweise 3.2.3 Gottes Wort und Israel in cap. 9-11 3.2.3.1 Die soteriologische Gleichstellung von Juden und Heiden (10,1-13) 3.2.3.2 Die Übereinstimmung Gottes mit sich selbst (9,1-13; 11,11-32) 3.2.3.2.1 Jüdische Heilsfeme und Gottes Zuwendung zu Israel (9,1-5) 3.2.3.2.2 Die Wirkweise des λόγος τοϋ θεού in Israels Anfängen (9,6-13) 3.2.3.2.3 Die Beständigkeit der Israel geltenden Zuwendung Gottes und die Durchsetzungsweise seines auf alle gerichteten Heilswillens (11,11-32) 3.2.4 Ergebnis und Rückblick auf die Hypothese zum Abfassungszweck . . 3.3 Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken" 3.3.1 Vorbemerkungen 3.3.2 Das Programm: Der kommunikative Gottesdienst der ethisch unabhängig urteilsfähigen Gemeinde (12,lf.) 3.3.2.1 Struktur 3.3.2.2 Gottes universaler Heilswille als die das παρακαλεΐν provozierende Kraft 3.3.2.3 Die ekklesiologische Zielrichtung 3.3.2.4 Die kommunikative Kraft der λατρεία 3.3.2.5 Zusammenfassung und Anschlußvermutung 3.3.3 Die Durchführung des Programms: Binnenstruktur und Außenwirkung der Gemeinde 3.3.3.1 Modell eines gemeindlichen Selbstverständnisses (12,3-8) 3.3.3.2 Das Zeugnis „vor allen Menschen" (12,14-21) 3.3.3.3 Die Gemeinde der „Starken" (14,1-15,6) 3.3.3.3.1 Die Überschrift und das Problem der Identität des Schwachen (14,1) 3.3.3.3.2 Der Schwache und sein Gegentyp - Darstellung und theologische Ortsbestimmung (14,2-13a) 3.3.3.3.3 Prägung der Adressatenschaft zur Gemeinde der „Starken" (14,13b-15,6) 3.3.4 Der Horizont des Programms: Das weltweite Gotteslob der Heiden (15,7-13) 3.3.5 Ergebnis, Ergänzung und Rückblick auf die Hypothese zum Abfassungszweck 3.3.5.1 Ergebnis 3.3.5.2 Ergänzung 3.3.5.3 Rückblick auf die Hypothese zum Abfassungszweck

149 166 166 177 178 187

200 217 222 222 228 228 230 233 238 246 248 248 258 271 271 275 285 299 312 312 313 321

4 Schlußbemerkungen: Zwei methodologische Postulate zu Beginn der „Romans Debate"

335

Literaturverzeichnis

347

Vorbemerkung zu Weg und Ziel der Untersuchung Die Frage nach Veranlassung und Zweck des Rom wurde im 19. Jahrhundert nachdrücklich und in Abgrenzung zur vorherrschenden dogmatischen Auslegung von F. Chr. Baur angestoßen 1 . Sein Impuls, der in den folgenden Jahrzehnten eine lebhafte Debatte auslöste 2 , kam nach der Mitte des 20. Jahrhunderts allmählich erneut zur Geltung 3 in einer weiteren, bis heute andauernden Diskussion. In dieser Diskussion, die seit dem Ende der 70er Jahre in zunehmender methodischer Auffächerung und thematischer Ausweitung geführt wird 4 und aus der - wie leicht unwillig bemerkt wurde - eine „Unzahl von Thesen" 5 hervorgegangen ist, wurde ein Konsens über die ursprüngliche Kernfrage der „Romans Debate", die Frage nach dem Abfassungszweck 6 , nicht erreicht. Zwar verweist Schnelle auf einen sich abzeichnenden Konsens im Bereich der klassischen Einleitungsfragen zum Rom, und er erläutert den Hinweis im Blick auf das hier fragliche Problem folgendermaßen: „Im Hinblick auf den Abfassungszweck werden zumeist mehrere Gründe geltend gemacht, denn eine monokausale Erklärung wird der komplexen Gesprächssituation zwischen Paulus, der römischen Gemeinde, den Paulusgegnern und den Jerusalemer Autoritäten

1 Vgl. besonders den 1836 erschienenen Aufsatz (Zweck 147-266). Weitere (spätere) Stellungnahmen Baurs zum Problem der geschichtlichen Erklärung des Rom sind aufgezählt bei Gräfe, Veranlassung 7. Gräfe weist auch auf Vorgänger Baurs in der Suche nach der Zweckbestimmung des Rom hin (ebd. lf.5f.). 2 Vgl. dazu den komprimierten Überblick bei Holtzmann (Einleitung 238-240), die detailliertere Darstellung in der 1881 erschienenen Arbeit von Gräfe (Veranlassung 11-33) und die Auseinandersetzung mit sechs verschiedenen Positionen der zeitgenössischen Forschungslage in der 1903 erschienenen Arbeit von Feine (Römerbrief 6-37). 3 Der Aufsatz von Preisker (Problem 25-30) gehört zu denjenigen Arbeiten, die das Interesse der Forschung zurücklenkten auf „[d]as historische Problem des Römerbriefes" (so der volle Titel des 1952 erschienenen Beitrags). 4 Diese Auffächerung und Ausweitung macht sich z.B. bemerkbar in der 1991 erschienenen 2. Auflage des von Donfried herausgegebenen Sammelbandes (Romans Debate), in dem die in der ersten Auflage (1977) zusammengestellten, sämtlich auf Zweck und Veranlassung des Rom bezogenen Beiträge wieder abgedruckt sind (3-171) und ergänzt werden durch eine Sammlung von zwischenzeitlich erschienenen Arbeiten (175-345). Die neuere Sammlung ist in drei Sektionen eingeteilt, von denen die dritte - über die erste Auflage hinausgehend - Arbeiten enthält zum Thema „The Theology of Romans. Issues in the Current Debate" (Romans Debate VIII). Die beiden anderen Sektionen der neuen Sammlung untergliedern die auf die Einleitungsproblematik bezogenen Beiträge nach den Themen „Historical and Sociological Factors" und „The Structure and Rhetoric of Romans" (ebd.). 5 Schnelle, Einleitung 126. - Vgl. dazu den Hinweis auf die „beängstigende Fülle von Hypothesen" in der 1908, also gegen Ende der ersten, durch Baur angestoßenen Forschungsphase, erschienenen Arbeit von Richter (Untersuchungen 7). 6 Vgl. Bruce, Debate 176.

Vorbemerkung

10

nicht gerecht"7. Aber abgesehen von Einzelfragen, zu denen die von Schnelle beschriebene Haupttendenz der gegenwärtigen Forschungslage Anlaß gibt8, bleibt festzuhalten: Die Auskunft benennt einen rein formalen Konsens, der keineswegs besagt, daß seine Vertreter und Vertreterinnen die entscheidende Frage, „Wozu schrieb Paulus den Römerbrief?", auch inhaltlich übereinstimmend beantworten. M.a.W.: Der Gegenstand der Übereinstimmung ist nicht die Antwort auf die Frage. Auch wenn so der allererste Blick auf die einschlägige Forschung der letzten vierzig Jahre weniger den Eindruck eines „debat ... passionnant"9 vermitteln kann, sondern eher den Gedanken an Apg 19,32 als Muster nahelegt, wird sich der erste Teil der vorliegenden Arbeit vergleichsweise ausführlich auf diese Debatte einlassen. Die Auseinandersetzung mit ausgewählten Beiträgen dieser Forschungsphase soll nicht nur zeigen, warum die vorgeschlagenen Auffassungen zum Abfassungszweck des Rom unbefriedigend bleiben und folglich zu einem neuen Vorschlag herausfordern. Vielmehr geht es in diesem ersten Teil zugleich um eine inhaltliche und methodische Grundlegung des in dieser Arbeit entfalteten Lösungsvorschlags, die gleichsam gesprächsweise erarbeitet werden soll. 1. Inhaltlich soll deutlich werden: Die Diskussion der Abfassungsproblematik wird maßgeblich geprägt durch vier, schon zu Beginn der 70er Jahre vorgeschlagene Lösungstypen, die in der Folgezeit neu kombiniert und ausgearbeitet worden sind. Zwar bieten diese vier Lösungstypen jeweils für sich gesehen keine befriedigende Antworten auf die Frage nach dem Abfassungszweck. Zusammengesehen und ergänzt durch einige wichtige Einsichten aus der Folgediskussion läßt sich hier jedoch ein Potential entdekken, auf dessen Grundlage eine weiterführende Antwort möglich wird. 2. Das methodische Problem, das sich im Verlauf der Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur immer wieder meldet, liegt - verallgemeinert formuliert - im Verhältnis zwischen dem Text als einem sprachlichen Zeichen und der Adressanten· bzw. Adressatenwirklichkeit, aus der der Text hervorging bzw. in die er sich wandte. Im vorliegenden Fall des Textes als eines Briefes gibt es zwar eine Art von „Überschneidungsbereich", weil Adressant und Adressaten im Text vorkommen. Dieses Vorkommen läßt sich aber nicht einfach als Spiegelung begreifen, so daß der Rückschluß von der innertextuellen Repräsentanz zur extratextuellen Realität nicht nur im Hinblick auf die Adressaten (die im Text ja ohnehin nur vermittelt über die Wahrnehmung des Autors repräsentiert sind) prinzipiell uneindeutig bleibt, sondern auch im Hinblick auf den Adressanten. Das bedeutet für die Frage nach dem Abfassungszweck: Es gibt keinen

7

Einleitung 141f.

8

Fraglich ist das Verhältnis von ,,Gründe[n]" und „Abfassungszweck"; außerdem ist die Einordnung von „Paulusgegnern" und , Jerusalemer Autoritäten" als dem Adressanten und den Adressaten gleichrangige Faktoren der „komplexen Gesprächssituation" verwunderlich. 9

Aletti, Bulletin (1993) 283.

Vorbemerkung

11

gesicherten Weg, der mit Eindeutigkeit vom Text her zur Antwort führt auf die Frage, was sein Autor Paulus mit ihm bewirken wollte. Andererseits zeigt aber gerade die Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur auch: Vom Text her läßt sich doch immerhin zwischen mehr und minder wahrscheinlichen Einschätzungen des vom Autor intendierten Zwecks des Schreibens unterscheiden. Dabei kommt einer Annahme zum Abfassungszweck um so mehr Wahrscheinlichkeit zu, je leichter sich der Text durch die angenommene Autorintention verursacht denken läßt, bzw. umgekehrt: Eine Annahme verliert dann an Wahrscheinlichkeit, wenn sich erhebliche Teile nicht auf die angenommene Autorintention als Ursache zurückführen lassen. Dieser Doppelseitigkeit der methodischen Problematik soll die Arbeit im weiteren Verlauf Rechnung tragen. Teil 2 entspricht dem eben an zweiter Stelle geltend gemachten methodischen Gesichtspunkt: In ihm wird eine Hypothese zum Abfassungszweck vorgeschlagen, die in wesentlichen Punkten Gedanken aus der zuvor dargestellten Diskussion aufgreift, aber insofern weiterzuführen versucht, als sie Erklärungsdefizite, die bei der Auseinandersetzung mit einzelnen Beiträgen auffallig wurden, vermeidet. Das eigentliche Interesse richtet sich in diesem Teil also auf die extra- oder vortextuelle Realität des Autors und seiner Absicht, und der Text wird dabei - wie üblich - benutzt als „the most important resource"10. Teil 3 entspricht dem oben an erster Stelle erwähnten methodischen Gesichtspunkt, der die prinzipielle Uneindeutigkeit des Rückschlusses vom Text auf die „wirkliche" Absicht des Autors festhält. Das Interesse gilt in diesem Teil ausschließlich dem Text; der Autor Paulus und die römischen Christen spielen nur insofern und insoweit eine Rolle, als sie im Text vorkommen. In diesem Teil der Arbeit werden unabhängig von der zuvor dargestellten Hypothese zum Abfassungszweck Textanalysen durchgeführt unter dem Gesichtspunkt der Frage nach der Mitteilungs- und Wirkabsicht des jeweils analysierten Teiltextes. Die Auswahl der Teiltexte orientiert sich an der in Teil 1 geführten Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur, bei der sich die brieflichen Rahmenpassagen, die Israel-Kapitel und vor allem der „paränetische" Teil des Rom als besonders umstrittene Punkte in der Diskussion um den Abfassungszweck herausstellen. Das Ziel der Arbeit liegt im Aufweis der Vereinbarkeit der Ergebnisse der methodisch unterschiedlich orientierten Teile 2 und 3. Dieser Aufweis wird jeweils im Anschluß an die funktionalen Textanalysen des dritten Teils versucht. Darin soll gezeigt werden: Wenn man die Intention des Paulus bei der Abfassung des Rom so bestimmt, wie in Teil 2 vorgeschlagen, dann lassen sich die Teiltexte, so wie sie sich nach der Analyse in Teil 3 in ihrer Funktion darstellen, auf die Intention des Autors zurückbeziehen. 10

Donfried, Introduction 1977 XLVII.

Vorbemerkung

12

Das Verhältnis der Kompatibilität zwischen Text und Autorintention, um das es in dieser Arbeit geht, ist abzugrenzen von einer notwendigen und eindeutigen Relation in der einen und der anderen Richtung: Weder soll behauptet werden, daß unter Voraussetzung der hypothetisch angenommenen Intention des Paulus unter den gegebenen Umständen der von ihm erzeugte Text so und nur so ausfallen mußte, wie der Rom ausgefallen ist, noch soll suggeriert werden, daß die Funktionsanalysen der behandelten Teiltexte einen zwingenden Schluß auf die Autorintention erlauben. Diese Abgrenzung ist keine „Vorsichtsmaßnahme", die ein Nicht-Erreichen des eigentlich Angestrebten andeuten wollte. Der Verzicht auf ein einliniges Verfahren folgt vielmehr aus der komplexen Beziehung zwischen dem Text als einem sprachlichen Zeichen und der ihm zugrundeliegenden Wirklichkeit, die sich nicht in das Muster einer l:l-Relation einfügt. Beim Versuch, dieser komplizierten Beziehung im Fall des Rom näher zu kommen, hat allerdings „die bloße Präsenz des Textes etwas tröstlich Verläßliches als ein Anhaltspunkt, auf den wir stets zurückgreifen können" 11 .

11

Eco, Autor 97.

1 Zur Forschungslage 1.1 Inhaltliche und methodische Problemanzeige Die Unübersichtlichkeit der gegenwärtigen Diskussionslage 1 ist nicht nur durch die Vielzahl der Beiträge und die entsprechende Vielfalt der Lösungsvorschläge2 bedingt, sondern auch durch die Divergenz der jeweils zugrundeliegenden Problembestimmungen und durch die Divergenz der Wege, auf denen Lösungen erarbeitet werden. Im Sinne einer vorläufigen Bestimmung des Standorts, von dem aus in den folgenden Abschnitten die Auseinandersetzung mit Sekundärliteratur erfolgen kann (1.2-1.5.3), geht es in dieser einleitenden Problemanzeige 1. um inhaltliche Fragen, die im Rahmen der Abfassungsproblematik eine entscheidende Rolle spielen, und 2. um methodische Problemfaktoren, die bei der Anbahnung von Lösungswegen zu berücksichtigen sind. 1. Im Rom besteht ein eigentümliches Verhältnis zwischen brieflichem Rahmen (1,1-15; 15,14-16,243) und Corpus des Schreibens (1,16-15,13), obwohl das Corpus so eng an den vorderen Rahmenteil anschließt, daß man verschiedene Abgrenzungsmöglichkeiten in Betracht ziehen kann4, und obwohl der hintere Rahmenteil mit einem Rückblick auf Vorangegangenes einsetzt (15,15), also keinesfalls einen „angeklebten" Eindruck macht. Eigentümlich ist das Verhältnis von Rahmen und Corpus vielmehr unter pragmatischfunktionaler Perspektive: Der Rahmen verweist auf die beteiligten Kommunikationspartner, also auf Paulus und die römischen Christen. Es gibt keinen

1 1974 wurde von Donfried das harte Urteil formuliert: „Current research concerning the purpose of Romans is in a state of confusion" (False Presuppositions 102). 1991 scheint derselbe Forscher zu einer positiveren Sicht der Lage zu neigen (Introduction 1991 LXX). Aber selbst wenn man die Relevanz der Gesichtspunkte, unter denen sich ein Konsens anzubahnen scheint (vgl. die Zusammenstellung: Introduction 1991 LXIXf.), für die Frage nach dem Abfassungszweck sehr hoch veranschlagt und der Schlußfolgerung, „that significant advance has been made in resolving some major issues" (Introduction 1991 LXX), zustimmt, wird man nicht behaupten können, die Diskussion habe mittlerweile ein höheres Maß an Klarheit erreicht. 2 Eine übersichtliche Darstellung unterschiedlicher Positionen, die knapp über die Ergebnisse einer großen Zahl von Diskussionsbeiträgen informiert, findet sich bei Jervis (Purpose 11-28). Vgl. außerdem den bis 1970 reichenden Forschungsbericht von Kuss (Paulus 178-202), der auch die Literatur des 19. Jahrhunderts einbezieht und detailliert auf ausgewählte Beiträge eingeht. 3 Zu 16,24 als dem ursprünglichen Ende des gegenwärtig in seiner ursprünglichen Zugehörigkeit zum Rom kaum noch angezweifelten cap. 16 s. Gamble, Textual History 129-132. 4 Vgl. z.B. die Abgrenzung bei Schmithals (Beginn des Briefcorpus in 1,13 [Römerbrief 59]); Zeller (Ende des Briefeingangs in 1,17 [Römer 33]); Cranfield (1,16b—17 als eigenständiger Abschnitt nach l , l - 7 . 8 - 1 6 a und vor 1,18-4,25 [Romans I 28]). In Dunns Urteil, „1:16-17 serves both as the climax to what has preceded and as the thematic statement for what follows" (Coherence 246), ist die Ansicht vieler Exegeten zusammengefaßt.

14

Zur Forschungslage

Grund, zu bezweifeln, daß die Verweise auf Adressant und Adressaten die beiden Hauptfaktoren der tatsächlichen Kommunikationssituation thematisieren, in die das Schreiben gehört und in der es Träger einer bestimmten Absicht ist, mit der der Adressant auf die Adressaten einwirken will. Explizit formuliert wird diese Absicht nicht. Demgegenüber macht das Briefcorpus über weite Strecken hin den Eindruck, als sei es von der im Rahmen ausführlich thematisierten Kommunikationssituation (Paulus an die Christen in Rom) entbunden. Greifbar wird dieser Eindruck am Zurücktreten der 2. Person Plural im Großteil des Briefcorpus (1,16-11,36): Nur die Abschnitte 6,11-23; 8,917; 11,13—325 sind von der Ihr-Form der Anrede bestimmt, die man nach der im vorderen Teil des Briefrahmens thematisierten Kommunikationssituation als Normalform erwarten würde. Zugespitzt könnte man sagen: Die Gestaltung des Briefrahmens fordert geradezu dazu auf, die Frage nach der kommunikativen Funktion, nach dem Zweck des Schreibens zu stellen; demgegenüber ist die von der Kommunikationssituation abstrahierende Gestaltung des Briefcorpus eher dazu angetan, die Frage wieder vergessen zu lassen. Vom letzten Teil des Briefcorpus (12,1-15,13) her ist die zweite Feststellung allerdings sogleich mit einem Fragezeichen zu versehen: Von 12,1 an dominiert wieder die Ihr-Anrede, in den einleitenden Worten von 12,1 wird die kommunikative Situation erneut in Erinnerung gerufen 6 . Insofern weist Patte cap. 12-15 zu Recht dem „dialogic level" des Schreibens zu7. Zu diesem ersten kommt ein zweites Fragezeichen: Relativ häufig wendet sich der Adressant im Rom an ein „Du"8, also an ein Gegenüber, das sich nicht ohne weiteres mit der in l,6f. angeredeten Adressatenschaft identifizieren läßt. Die mit dem „Du" gemeinte Größe läßt sich nur aus dem jeweiligen engeren Kontext erschließen. Dabei kann sich die Du-Anrede zwar als Ersatz, gewissermaßen als Stilisierung der Ihr-Anrede, herausstellen9, das „Du" kann aber 5 Abgesehen von diesen Abschnitten findet sich direkte Adressatenanrede, also 2. Person Plural und/oder anredendes άδελφοί, innerhalb von 1,16-11,36 nur: 6,3; 7,1.4; 10,1; 11,2. 11,13-32 ist trotz V. 17-24 den ,Jhr-Abschnitten" zugerechnet, vgl. dazu u. S. 200. 6 παρακαλώ ouv ύμάς, άδελφοί (12,1a) verweist auf den Adressanten und die Adressaten; darüber hinaus enthält παρακαλεΐν eine Bezeichnung der Wirkabsicht, in der sich der Adressant den Adressaten jetzt zuwendet. 7 Paul's Faith 247. - Im Blick auf das „Fragezeichen", das sich schon bei dieser allerersten Annäherung an das Problem aus 12,1-15,13 ergibt, sind die Ausführungen bei Vielhauer interessant: Vielhauer geht von einer Gliederung des Rom aus, die im Briefcorpus zwei Hauptteile (1,1811,36; 12,1-15,13) unterscheidet und diese von Briefeingang (l,lff.) und Briefschluß (15,14ff.) umgeben sieht (Geschichte 176). In den weiteren Überlegungen zum literarischen Charakter kommt nur noch „der Hauptteil (1,18-11,36)" vor; 12,1-15,13 wird teilweise (14,1-15,13) dem Briefschluß zugeschlagen und teilweise (12,1-13,14) gar nicht mehr in die Überlegung einbezogen (Geschichte 185). 8

2,1-5.17-27; 8,2; 9,19-21; 10,9f.; 11,17-24; 12,20f.; 13,3b-4; 14,4.10.15.20-22. Z.B.: 12,20f.; 14,15.20-22. Im Anschluß an 11,13 dürfte das im Prinzip wohl auch für 11,1724 zutreffen, wenngleich sich das Verhältnis zwischen dem typisierend gekennzeichneten (11, 17b.c. 18b. 19.24a) „Du" zum direkt adressatenbezogenen „Ihr" des Kontextes (11,13.25) jedenfalls 9

Inhaltliche und methodische Problemanzeige

15

auch durch die ihm im Text zugeschriebenen Verhaltensweisen und Einstellungen eigenständige Züge annehmen, also als Typus erscheinen. Weil letzteres in 2,17-27 eindeutig der Fall ist und sich der Adressant hier an den in bestimmter Weise charakterisierten Typus des Juden wendet10, kann man erwägen, ob weitere Passagen mit einem „Typus-Du" auf dasselbe Gegenüber zu beziehen sind11. Wenn man darüber hinaus noch eine Reihe von Einwänden und falschen Schlußfolgerungen in Frageform 12 auf dieses gedachte Gegenüber zurückführt13, legt sich die Annahme einer sekundären Dialogebene, auf der sich der Adressant an den von ihm typisierten Juden wendet, nahe. Im Blick auf den Abfassungszweck stellt sich dann die Frage, wie sich die sekundäre zur primären Ebene verhält: Was will der Adressant mit den auf das gedachte Gegenüber bezogenen Ausführungen bei seinen Adressaten bewirken? Gegen die Annahme einer solchen sekundären Dialogebene zwischen Paulus und dem Typus des Juden kann man einwenden: Weder gelten alle dialogisch stilisierten, an ein „Typus-Du" gerichteten Passagen dem Typus des Juden14, noch sind alle in Frageform formulierten Einwände und falschen Schlußfolgerungen notwendig auf eine typisierte jüdische Position zurückzuführen 15 . Daß es sich in mehreren Fällen doch so verhält, hängt mit der Gewichtung und relativ breiten Ausführung zusammen, die die Israel-Thematik im Römerbrief (besonders cap. 9-11) nun einmal erfährt. Mit dem Einwand ist dem soeben beschriebenen Problem im Blick auf den Abfassungszweck allerdings nicht zu entkommen, es stellt sich nur etwas anders: Wie verhält sich die ausführliche Behandlung der Israel-Thematik zum Zweck des Schreibens, das sich ausdrücklich an heidenchristliche Adressaten richtet? Die Zuordnung der Adressaten zu den Heidenchristen wird schon bei der ersten Adressatenanrede (1,6) vorgenommen, in 1,13 wieder aufgegriffen, im Briefcorpus in einer der wenigen Adressatenanreden des ersten Teils wiederholt (11,13) und findet sich schließlich zu Beginn des Briefschlusses (15,15f.). Auf den ersten Blick scheint sich diese Zuordnung im schlichten Hinweis auf Realität, nämlich auf die Herkunft der Adressaten bzw. eines Großteils von

nicht ohne weiteres ganz präzise auf den Begriff bringen läßt. Zum ebenfalls nicht unmittelbar eindeutigen „Du" in 14,4.10 s. u. S. 277f.282. In 13,3b-4 ist das „Du" nicht als Ersatz für Adressatenanrede, sondern nach 13,1 (πάσα ψυχή) allgemeiner i.S. von „man" zu verstehen, in 8,2 dürfte das „Du" einem alle Christen umfassenden „Wir" entsprechen (8,1.4). 10 Genauer: Er wendet sich mit der Du-Anrede an jeden, der sich selbst als Jude bezeichnet (2,17) und die im folgenden aufgezählten Merkmale aufweist. 11 Besonders: 2,1-5; 9,19-21. 12 Die einschlägigen Belege im Rom sind zusammengestellt und diskutiert bei Stowers (Diatribe 119-125.133-137.148-152). "3 Z.B.: 3,1; 6,1.15; 7,7; 9,14. 14 Vgl. besonders 11,17-24. 15 Eine eindeutig nicht auf eine jüdische Position zuriickführbare falsche Schlußfolgerung ist 11,11.

16

Zur Forschungslage

ihnen, zu erschöpfen. Zumindest 1,6 verunsichert in diesem ersten Eindruck: Warum wird ein den Adressaten bekannter Sachverhalt vom Adressanten an prägnanter Stelle ausdrücklich festgestellt? Möglicherweise erschöpft sich die Zuordnung der Adressaten zu den Heidenchristen nicht in der Hinweisfunktion, sondern hat mit der Wirkabsicht zu tun, die der Adressant mit dem Rom diesen Adressaten gegenüber verfolgt. Im Blick auf den brieflichen Rahmen sind einige weitere Auffälligkeiten festzuhalten: Die Tatsache, daß der Rom die kommunikative Beziehung zwischen Paulus und den römischen Christen in ihrer Gesamtheit allererst eröffnet, bleibt im Text eigentümlich unbetont. Statt dessen werden die Adressaten knapp in die Vorgeschichte und, vor allem im Briefschluß, in die Nachgeschichte des Adressanten einbezogen. Seine schon länger währende Besuchsabsicht (1,10.13; 15,23), sein den Adressaten geltendes ständiges Gedenken (1,9c) sind gleichsam Ersatz für die dem Rom fehlende kommunikative Vorgeschichte. In 15,22-32 skizziert der Adressant seine Zukunftspläne nach den drei Stationen: Jerusalem, Rom, Spanien. Für ein kommunikationseröffnendes Schreiben ist diese Skizze - jedenfalls im Blick auf die beiden äußeren Stationen - schon an sich fast ebenso bemerkenswert wie die für jede Station vergleichsweise selbstverständlich geäußerte Einbeziehung der Adressaten: Für die unmittelbar bevorstehende, ihm persönlich gefahrliche Kollektenreise nach Jerusalem erwartet der Adressant das συναγωνίσασθαι in den Gebeten der Adressaten für ihn (15,30), beim Rombesuch möchte er die Gemeinschaft mit den Adressaten ein wenig genießen (15,24) bzw. mit ihnen ausruhen (15,32), für die eigentliche Zielstation, Spanien, erhofft er ihr „Geleit" (15,24) 16 . Besonders eigentümlich an dieser Zukunftsskizze aber ist die Tatsache, daß der Brief, also das erste Stadium in der Beziehung zwischen Paulus und der Gesamtheit der römischen Christen, keinem der folgenden Stadien speziell (und auch nicht der Skizze als ganzer) zugeordnet wird. Der Zweck des Briefs wird nicht formuliert. Diese „Fehlanzeige" wird in der Literatur meist nicht eigens vermerkt - sie ist aber nicht irrelevant 17 : Der Rom hat keine kommunikative Vorgeschichte, vielmehr ergreift der Adressant die Initiative; der Adressant blickt gegen Briefende auf seine näheren und weiteren Zukunftspläne und bezieht die Adressaten - wenngleich in einer nicht sehr deutlichen Weise - in die Pläne ein; aus beiden Blickwinkeln ist es bemerkenswert, daß er darauf verzichtet, seine Adressaten ausdrücklich über den Zweck des Kommunikationsaktes zu orientieren, der die auf Zukunft hin konzipierte Beziehung zu ihnen eröffnet. Das bedeutet im Blick auf die Zukunftsskizze und das Problem

,f

> Unter diesen Angaben sind zweifellos diejenigen zum Rombesuch besonders erklärungsbedürftig, und zwar im Blick auf die anders gerichtete Angabe zum Rombesuch in der Briefeinleitung (1,13), ferner im Blick auf die dort prinzipiell (also nicht auf den Rombesuch eingeschränkt) erklärte Bereitschaft des Adressanten zur Evangeliumsverkündigung an die Adressaten (1,15). 17 Vgl. ähnlich Schmithals, Rez. Wedderbum 676; ders., Römerbrief 41.

Inhaltliche und methodische Problemanzeige

17

des Abfassungszwecks: Wenn sich herausstellen sollte, daß sich der Abfassungszweck des Rom von einem der drei zukünftigen Stadien her erschließt, dann müßte erklärt werden, warum an der Stelle, die sich dazu angeboten hätte (15,22-32), kein entsprechendes Signal gesetzt ist. Wenn es sich umgekehrt herausstellen sollte, daß der Zweck des Schreibens mit den Zukunftsplänen des Adressanten nichts zu tun hat, dann müßte erklärt werden, warum der Adressant sie den Adressaten gegen Briefende darlegt. Die vorangehende Problemanzeige läßt sich summieren in einem Bündel von Fragen, die in den verschiedenen Forschungsbeiträgen zum Abfassungszweck je unterschiedlich beachtet, gewichtet und akzentuiert werden. a. Stellt die von der Kommunikationssituation entbundene Formulierungsweise des Rom, die zumindest in 1,16-11,36 vorliegt, die Annahme einer konkreten Wirkabsicht, die der Adressant in bezug auf diese Adressaten verfolgt, in Frage? b. Wird innerhalb des stärker vom Dialog mit den Adressaten geprägten Teils (12,1-15,13) eine auf sie bezogene Wirkabsicht greifbar? c. Läßt sich für die ausführliche und damit inhaltlich stark gewichtete Bearbeitung der Israel-Thematik in cap. 9-11 eine Funktion ausmachen im Zusammenhang des Schreibens, mit dem sich Paulus an die als Heidenchristen angesprochenen Christen in Rom wendet? d. Ist die Zuordnung der Adressaten zu den Heidenchristen lediglich als Hinweis auf deren ethnische Zugehörigkeit zu verstehen, oder ist neben der hinweisenden noch eine weitere Funktion dieser Zuordnung erkennbar? e. Warum kommt die Tatsache, daß der Rom ein initiativer Kommunikationsakt ist, im Text nur unbetont zur Sprache? Warum wird der Zweck dieses ersten und insofern grundlegenden Kommunikationsaktes nicht formuliert? f. Wie verhalten sich die im Briefschluß formulierten, die Adressaten einbeziehenden Zukunftspläne des Adressanten zum nicht formulierten Zweck des Schreibens? 2. Die vorangehenden inhaltlichen Hinweise und Fragen zur Abfassungsproblematik beziehen sich durchweg auf die textuelle Seite des Problems 18 . Mit dieser Konzentration verbindet sich keineswegs die Intention, die Frage nach der konkreten Situation des Adressanten und der Adressaten, nach den „Abfassungsverhältnissen", programmatisch abzuschneiden und damit den engen Zusammenhang zwischen der textuellen und der historischen Seite des Problems zu sprengen.

18 D.h.: Die Fragen erwachsen aus der Lektüre des Textes des Rom, der sich als Brief, also als ein Schreiben in kommunikativer Absicht, ausgibt und darin nicht angezweifelt wird.

18

Zur Forschungslage Bereits in dem grundlegenden Aufsatz von Baur 19 , der mit seiner Forderung nach Berücksichtigung der Entstehungsverhältnisse auch im Fall des Rom der Diskussion entscheidende Impulse gab, bildete die Einsicht in die Verbindung von textueller und historischer Problematik den Ausgangspunkt der Überlegungen: „Je glücklicher die vorhandenen, wenn auch dürftigen, Data [erg.: die Rückschlüsse auf die historischen Verhältnisse erlauben] benützt werden, desto besser wird dadurch das exegetische Verständniß gefördert, und je gründlicher die Exegese den Sinn und Gedankengang des Schriftstellers ermittelt,..., ein desto klareres und anschaulicheres Bild des Kreises, in welchen wir durch einen apostolischen Brief uns versetzt sehen, muß auf diesem Wege gewonnen werden" 20 .

So wenig dieser prägnant formulierte Hinweis auf die Interdependenz von historischer und (im engeren Sinn, nämlich unmittelbar auf den Text bezogener) exegetischer Frage zu bestreiten ist, so wenig ist doch andererseits die praktische Bearbeitung der Abfassungsproblematik durch die Einsicht in diesen Zirkel entbunden von der Reflexion ihres jeweils gewählten Einstiegspunktes, der dann folgenden Arbeitsschritte und des darin gesetzten Schwerpunktes21. M.a.W.: Der Zirkel zwischen textueller und historischer Fragerichtung im Zusammenhang der Abfassungsproblematik gibt nicht vor, wie sich die Bearbeitung dieser Problematik innerhalb dieses Zirkels zu bewegen hat, und vor allem: Der Zirkel berechtigt nicht zu einer schwer kontrollierbaren, beide Fragerichtungen vermischenden Bearbeitung. Für die einseitige Konzentration auf die textuelle Seite im vorangehenden inhaltlichen Teil der Problemanzeige waren zwei grundsätzliche Überlegungen maßgeblich. a. Es soll versucht werden, jenem Graben Rechnung zu tragen, der sich zwischen Text und historischer Wirklichkeit der Kommunikationspartner also des Adressanten und der Adressaten - auftut. Der Text läßt den Adressanten nur so erkennen, wie er sich diesen Adressaten gegenüber gibt, und er läßt die Adressaten nur in der Rolle erkennen, die ihnen vom Adressanten zugewiesen wird. D.h.: Der Text bietet Entwürfe beider Kommunikationspartner, wobei allerdings diesen Entwürfen im Fall eines nicht-fiktiven Textes wie des

19 Zweck 147-266. Zweck 147 (Ergänzung von mir). 2 ' Über der Selbstverständlichkeit, mit der der Hinweis auf den Zusammenhang beider Fragen oft erfolgt (vgl. z.B. Hübner: „Aus dem Zirkeldenken von literarischer und historischer Erkenntnis kann eben niemand aussteigen" [Biblische Theologie II 232]), kann das dadurch nicht gelöste, sondern allererst aufgeworfene methodische Problem leicht aus dem Blickfeld geraten. Vgl. dazu besonders Szondi: „Der Begriff des Zirkels, für die Hermeneutik von höchster erkenntnistheoretischer Relevanz, ..., spielt indessen in der heute verbreiteten Praxis der Interpretation eine Rolle, die sie von der Kritik der eigenen Erkenntnisweise zu dispensieren scheint. Aus dem Skandalon des Zirkels, in dem das Verstehen seine Bedingung erkennen muß, wurde ein Beruhigungsmittel" (Hermeneutik 12f.). 20

Inhaltliche und methodische Problemanzeige

19

Rom selbstverständlich Grenzen gesetzt sind22. Adressant und Adressaten begegnen also zunächst als innertextuelle Größen, und das bedeutet zugleich: nur in Beziehung aufeinander. Der angesprochene Sachverhalt läßt sich anhand des primär historisch orientierten Beitrags von Baur erläutern. Etwa in der Mitte des Aufsatzes ist die eigentliche These zum Abfassungszweck erreicht: Mit dem Rom wendet sich Paulus an die primär judenchristliche Gemeinde Roms, weil diese von einer dem paulinischen Universalismus widersprechenden Tendenz geprägt ist, der Paulus polemisch bzw. apologetisch entgegentreten will 2 3 . Diese These beruht auf verschiedenen, zuvor entfalteten Gedankengängen 24 . Gleichsam nachträglich und eher beiläufig werden jene Stellen, in denen der Adressant seine Adressaten explizit den εθνη zuordnet (11,13; l,5f,13), behandelt 25 und in Übereinstimmung zur zuvor entwickelten These gebracht: 11,13 ist Anrede eines unbedeutenden heidenchristlichen Teils der überwiegend judenchristlichen Gemeinde 26 ; in 1,5.13 bezieht sich der Ausdruck εθνη auf die Völker einschließlich des jüdischen Volks 2 7 . Wichtiger als die mit dieser (gegenwärtig zu Recht kaum noch diskutierten 28 ) Auswertung verbundenen Schwierigkeiten 29 ist in diesem Zusammenhang der überaus geringe Stellenwert, der der im Text vorgenommenen Zuordnung der Adressaten bei Baur eingeräumt wird. Für die eigentliche These zum Abfassungszweck spielt sie genau genommen überhaupt keine Rolle. Im Rahmen eines Ansatzes, der das Problem des Abfas-

22 Die römischen Christen sollen sich mit der ihnen im Text zugewiesenen Rolle identifizieren, und sie sollen das Bild, das der Adressant von sich entwirft, auf die historische Person Paulus beziehen; innerhalb dieser Grenzen bleibt aber Spielraum. 23 Zweck 202. 24 Grundsätzliche Überlegungen lassen eine in der römischen Gemeinde liegende Veranlassung des Rom als von vornherein wahrscheinlich erscheinen (Zweck 153-157). Inhaltliche Erwägungen zur Stoßrichtung von Rom 9-11 (158-160) als „Mittelpunkt und Kern des Ganzen" (158) im Zusammenhang mit dem vorbereitenden Teil Rom 1-8 (166-180) lassen judenchristlichen Partikularismus als Front erkennen (164.174). Eine tendenzkritische Auswertung einschlägiger Passagen der Apg, besonders Apg 28,17-31 (186-202), läßt auf das „Daseyn einer antipaulinischen Partei" schließen, „die an dem paulinischen Universalismus Anstoß nahm. Der Sitz dieser Partei kann nur die großentheils aus Judenchristen bestehende römische Gemeinde gewesen seyn" (202). 25 Zweck 204-206. 26 Zweck 204. 27 Zweck 206. 28 Vgl. Schmithals, Problem 28; s. neuerdings aber wieder Watson, Paul 103f.211 Anm. 65 und besonders Mason, First Readers 268-276. 29 Im Fall von l,5f. gerät Baurs Auslegung in die Nähe einer petitio principii: Er postuliert zunächst den extensiven Sinn von εθνη („die Völker überhaupt") und erläutert dann die entsprechend aufgefaßte Selbstaussage des Apostels im Blick auf die nach Baur judenchristlichen Adressaten: „Den Judenchristen gegenüber erinnert er an die Universalität seines Berufs, sofem von der Gesammtheit der Völker, auf die sich sein Beruf erstrekt, auch die römischen Judenchristen nicht ausgeschlossen seyn können" (Zweck 205). Noch unwahrscheinlicher ist der vorgeschlagene Sinn von εθνη in 1,13: Wollte man hier £θνη i.S. von „Völker" verstehen, wären implizit die römischen Adressaten als Volk bezeichnet. Gegen die Annahme einer an den weniger bedeutenden Teil der Gemeinde gerichteten Anrede in 11,13a spricht das Fehlen irgendwelcher Anzeichen für eine vom Adressanten an dieser Stelle beabsichtigte Aufteilung der Adressatenschaft.

20

Zur Forschungslage sungszwecks stärker als textuelles Problem auffaßt, hätte die Gewichtung anders auszufallen.

b. Die Betonung der textuellen Seite des Abfassungsproblems in der vorangehenden Problemanzeige versucht überdies eine Gefahr zu vermeiden, in die historisch orientierte Beiträge möglicherweise nicht notwendig, aber doch sehr leicht geraten. Schlagwortartig kann man diese Gefahr durch die Formel „Texterfassung nach dem Reiz-Reaktions-Schema" umschreiben, wobei als „Reiz" die rekonstruierte Wirklichkeit des Adressanten und/oder der Adressaten fungiert, und als „Reaktion" der Text. Wiederum läßt sich die gemeinte Sache exemplarisch anhand von Baurs Aufsatz demonstrieren. Beim Versuch einer genaueren historischen Einordnung und Profilierung der Adressaten 3 0 schließt Baur auf die „beinahe durchaus mehr oder minder ebionitische[n] Grundsätze" dieser römischen Judenchristen 3 1 . Von hier aus erklären sich für Baur bestimmte Züge des paränetischen Teils des Rom: Der in cap. 14 vom Schwachen ausgesagte Fleisch- und Weinverzicht, die Tagebeachtung und die nach Baur in 13,1-7 von Paulus attackierte, dualistisch motivierte Verachtung weltlicher Obrigkeit haben Parallelen bei den späteren Ebioniten 3 2 , bei denen sich die genannten Einstellungen und Verhaltensweisen als Konsequenzen aus einer dualistischen Grundkonzeption verständlich machen lassen. Folglich wird man „eine dem spätem Ebionitismus in ihrer Wurzel ganz nahe verwandte dualistische Weltansicht auch schon bei den römischen Judenchristen" voraussetzen 3 3 . Unter methodischem Gesichtspunkt interessiert nun die Antwort auf einen naheliegenden, von Baur selbst formulierten Einwand („wenn der Apostel solche Gegner vor Augen gehabt hätte, so müßte j a seine Polemik eine ganz andere gewesen seyn" 3 4 ): „Demungeachtet kann ich dieser Einwendung kein großes Gewicht beilegen. Es ist an sich schon eine mißliche Sache, bestimmen zu wollen, wie der Apostel unter gewissen Voraussetzungen gegen seine Gegner habe argumentiren müssen. Ist nur einmal die Voraussetzung durch historische Gründe hinlänglich gerechtfertigt, daß die Leser seiner Briefe bestimmte Ansichten und Grundsätze gehabt haben, so müssen wir auch voraus überzeugt seyn, daß seine Polemik dasjenige enthält, was unter den gegebenen Verhältnissen das zweckmäßigste war" 3 5 . In aller Deutlichkeit ist in dieser Antwort ein methodischer Zugriff beschrieben, bei dem der Schlüssel zum Text außerhalb seiner selbst, eben in den rekonstruierten „Verhältnissen", liegt und bei dem der Text im Prinzip gar nicht mehr anders zum Zuge kommen kann denn als Reaktion auf diese „Verhältnisse". Dieses „Ableitungsverfahren" droht aber den Blick für die Funktionsweise des Textes, die nur aus ihm selbst zu erheben ist, zu versperren; möglicherweise will der Text j a nicht als Reaktion, sondern als Initiative verstanden sein.

30

Zweck Zweck 32 Zweck 33 Zweck 34 Zweck 35 Zweck 31

206-215. 216. 215-223. 223. 223. 224 (Hervorhebungen von mir).

Inhaltliche und methodische Problemanzeige

21

Die folgende Skizze der Diskussion seit ca. 1969 und die Auseinandersetzung mit einzelnen Beiträgen ist bestimmt durch das inhaltliche Interesse an den darin gebotenen Antworten auf die oben aufgezählten Fragen und überdies durch das methodische Interesse an der jeweiligen Verbindung von textueller und historischer Problemseite.

22

Zur Forschungslage

1.2 „Klassische" Lösungsmuster (1969-1975)' Im folgenden sind vier Antworttypen auf die Frage nach dem Abfassungszweck des Rom zusammengestellt, die als „klassisch" gelten können, sofern die für sie jeweils zentralen Beobachtungen und Schlußfolgerungen in der späteren Diskussion immer wieder aufgegriffen werden2. Die vier idealtypischen Antworten werden anhand weniger, sämtlich im Zeitraum von 1969— 1975 erschienener Beiträge aus der Sekundärliteratur3 vorgeführt. Im weiteren Verlauf der forschungsgeschichtlichen Darstellung sollen diese Antworttypen dann als Raster benutzt werden. 1. Der Rom als Vorbereitung auf Jerusalem. - Dem ersten Lösungstyp zufolge liegt die geschichtliche Verankerung des Rom in seinem Bezug auf die Vergangenheit und vor allem auf die nahe Zukunft des Verfassers. Im Rom sind Themen und Motive paulinischer Verkündigung neu reflektiert; diese Neureflexion geschieht unter der Perspektive der für die nahe Zukunft geplanten Kollektenübergabe in Jerusalem und der dabei zu erwartenden Auseinandersetzung mit den judenchristlichen Empfängern. Mit dem Rom bereitet sich Paulus auf diese Auseinandersetzung vor. Er schickt den Brief an die römischen Christen, weil er sie auf seiner Seite wissen möchte. Als Vertreter dieses Ansatzes können Bornkamm (1971 ) 4 und Jervell (1971 )5 gelten6, deren Arbeiten sich allerdings besonders in den beiden folgenden Punkten unterscheiden: 1. Bornkamm nimmt bei der im Rom enthalte -

1

Zur Zitation im folgenden forschungsgeschichtlich orientierten Teil der Arbeit: Den Hinweisen auf Beiträge aus der Sekundärliteratur, die wie in den übrigen Teilen nach der im Literaturverzeichnis angegebenen Fassung zitiert sind, wird jeweils das Erscheinungsjahr des Originals hinzugefügt. 2 Gegenwärtig noch häufig erwähnt, aber - soweit ich sehe - nicht mehr vertreten wird jener Antworttyp, für den die ursprünglich intendierte Leserschaft des Rom nicht nur den römischen Adressatenkreis umfaßt (so besonders Manson [1948], Others 3-15. Zu Mansons Hypothese einer an die Epheser gerichteten, um cap. 16 ergänzten Kopie des an die Römer gerichteten Schreibens [cap. 1-15] s. die Kritik von Kaye [1976] [Revisited 37-41], der sich in anderer Hinsicht, nämlich in der Auffassung des Rom als eines durch die Adressatensituation nicht wesentlich beeinflußten Manifests, an Mansons Ansatz anschließt und diesen modifizierend weiterführt [ebd. 41-77]). 3 In der ersten Hälfte der 70er Jahre läßt sich eine breit gefächerte Neubelebung der über längere Zeit hin abgeflauten Diskussion zum Abfassungszweck des Rom verzeichnen (vgl. zuvor aber schon Preisker [1952/53], Problem 25-30; Harder [1959], Anlaß 13-24; Marxsen [1964], Einleitung 3. Aufl. 85-97; Bartsch [1965], Situation 199-210). Wichtige Beiträge aus dieser neueren Diskussionsphase sind zusammengestellt in dem erstmals 1977 erschienenen Band: Donfried (Hg.), Romans Debate. 4 Testament 120-139. 5 Brief 61-73. 6 Beide Verfasser erwähnen die Bemerkung von Fuchs (1954), die Jerusalemer Urgemeinde sei „die geheime Adressatin des Römerbriefs" (Hermeneutik 191). Diese gar nicht speziell am Abfassungszweck des Rom interessierte Bemerkung hat offensichtlich exegetisch anregend gewirkt.

.Klassische" Lösungsmuster (1969-1975)

23

nen Neureflexion einer Fülle von Themen eine generalisierende und auf das „Hauptthema des Briefes" (l,16f.) 7 hin systematisierende Tendenz an 8 . Jervell konzentriert sich auf einen Vergleich der Israel-Thematik im Gal und im Rom und meint, Paulus habe im Rom sein früheres Israel-Bild (und sein Gesetzesverständnis) im Blick auf die erwartete Auseinandersetzung in Jerusalem zum Positiveren hin revidiert 9 . 2. Intensiver als Bornkamm 10 versucht Jervell 11 zu erklären, warum Paulus das inhaltlich und formal auf die eigene Verteidigung in Jerusalem bezogene Schreiben nach Rom versandt hat: Das Schreiben soll den Römern die in 15,30 erbetene Fürbitte ermöglichen, und es wird gerade ihnen zugesandt, weil Paulus ein besonderes Interesse daran hat, in Jerusalem als Repräsentant auch dieser von ihm uneingeschränkt geschätzten und einflußreichen Gemeinde auftreten zu können. Das Hauptproblem des Ansatzes liegt auf der Hand: Wenn der Rom primär als „Zurüstung" 12 des Paulus für die Jerusalemer Auseinandersetzung, als Vorwegnahme seiner Verteidigung dort 13 begriffen wird, dann erfolgt diese primäre Funktionsbestimmung unabhängig von der im brieflichen Rahmen thematisierten Kommunikationssituation (Paulus an die römischen Christen). Weil so die Wurzel des oben skizzierten Problembündels beseitigt ist, lassen sich Folgefragen - isoliert von dieser Wurzel - teilweise gut beantworten. Z.B.: Die ausgeprägte Abstraktion von der Kommunikationssituation in 1,1811,36 ist im Rahmen dieses Ansatzes überhaupt nicht verwunderlich. Oder: Die in cap. 9 - 1 1 greifbare, besondere Gewichtung der Israel-Thematik scheint jedenfalls auf den ersten Blick im Rahmen einer Vorbereitung des Paulus auf Jerusalem leichter verständlich als im Rahmen der Kommunikation zwischen Paulus und den heidenchristlichen Adressaten in Rom. Andere Folgefragen treten in der Konsequenz dieses Ansatzes nicht wirklich ins Blickfeld. Z.B.: In welcher Absicht unterrichtet Paulus die römischen Christen von seiner Zukunftsplanung bis hin zum Ziel in Spanien? Ein besonderes Problem für diesen Ansatz ergibt sich schließlich aus dem paränetischen Briefteil, der stärker als der vorangehende von der direkten Bezugnahme auf die Adressaten geprägt ist und sich in jedem Fall gegen die Erfassung aus der Leitperspektive der Vorbereitung des Verfassers auf Jerusalem sperrt 14 . 7

Testament 131.

8

„Die aktuellen, konkreten Bezüge von einst sind verschwunden ... Stattdessen sind die Gedanken jetzt fast durchweg neu durchdacht, tiefer und differenzierter begründet, in größere Zusammenhänge eingefügt und haben eine umfassende Bedeutung erhalten" (Testament 135). 9 Brief 68f. 10 11 12 13

Testament 138.139 Anm. 47. Brief 7 0 - 7 3 . Bomkamm (1971), Testament 137. Jervell (1971), Brief 70.

14 Zu späteren Arbeiten, die sich von dem eben skizzierten Lösungstyp anregen lassen, zählen z.B. Wilckens (1974), Abfassungszweck 110-170 (besonders 127-139); Hübner (1978), Gesetz

Zur Forschungslage

24

2. Der Rom als Einbeziehung der Adressaten in das paulinische Missionskonzept. - Diesem Ansatz zufolge liegt der Schlüssel für die Zweckbestimmung des Schreibens in den weiteren Zukunftsplänen des Paulus, die über Rom hinaus nach Spanien reichen. Paulus möchte die Christen in Rom als Stützpunkt und als Unterstützung bei der Spanienmission gewinnen. Mit dem Rom wird der geplante Besuch in Rom vorbereitet; Paulus legt im Brief den römischen Adressaten die Sache dar, zu deren Weiterverbreitung die von ihnen erhoffte Hilfe dient. Zu der großen Zahl von Exegeten, die bei der Bestimmung des Abfassungszwecks in diese Richtung tendieren15, gehören Zeller (1973) 1 6 und Viel-

55-58; Dräne (1980), Romans 208-227; vgl. auch Bassler (1982), Impartiality 166-170; ferner Sanders (1988), Rez. Watson 298. - Die genauere Rekonstruktion der Situation des Verfassers z.Zt. der Abfassung des Rom fällt allerdings unterschiedlich aus: Wilckens betont die „prekäre Situation" (Abfassungszweck 138), in die Paulus durch den für ihn negativen Ausgang des Konflikts in Galatien geraten ist, weil dieser seine Stellung in Jerusalem verschlechtert und seine Hoffnung auf Annahme der Kollekte gemindert hat (136f.). Aus dieser Situation erklärt sich die Abfassung des Rom als einer für Jerusalem berechneten „Apologie" (138) und die Versendung des Schreibens an die römische Gemeinde, deren Hilfe Paulus benötigt (139). Anders meint Hübner, Paulus sei vor der Abfassung des Rom von Jakobus bewogen worden, seine im Gal ausgedrückte, radikal israel- bzw. gesetzeskritische Position zu überdenken (Gesetz 56f.). Entsprechend zeigt sich Paulus im Rom um „Vermittlung ... mit dem judenchristlichen Standpunkt" bemüht (56). Hübner erwägt, „ob nicht Paulus daran lag, seine 'Vermittlungstheologie' ... auch schon vor seiner Ankunft in Jerusalem bekannt werden zu lassen ..., ob nicht auch ein weithin mit Rom identischer Brief nach Jerusalem gegangen ist, ein Brief freilich, der (aus durchsichtigen Gründen?) nicht erhalten geblieben ist?" (57f.). In einer neueren Veröffentlichung ([1993] Biblische Theologie II 236f.) meint Hübner, Paulus habe den römischen Paulinem (vom Claudius-Edikt betroffene Judenchristen, die nach der Ausweisung unter paulinischen Einfluß gerieten und dann nach Rom zurückkehrten [236]) zeigen wollen, „daß er in der Israelfrage hinzugelernt, aber in grundsätzlicher Hinsicht an der Freiheit vom Gesetz keinerlei Abstriche gemacht hatte" (237). Wiederum anders meint Dräne, Paulus sei zur Zeit der Abfassung des Rom nicht allein mit der Vorbereitung der Verteidigung seines gesetzesfreien Evangeliums in Jerusalem befaßt gewesen, sondern er habe zugleich die zurückliegenden Mißverständnisse seiner Verkündigung in Korinth zu bedenken gehabt (Romans 223). Der Rom sei darum nicht einfach eine ausführlichere Darlegung der im Gal vertretenen Position, „but a reformulation of that teaching as Paul now saw it through the spectacles of his experiences at Corinth" (223). - Die vorangehende Meinungssammlung soll zeigen: Wenn man den Sprung vom Text in die von ihm vorausgesetzte geschichtliche Wirklichkeit anders als Baur nicht von der Adressatenseite, sondern von der Adressantenseite aus unternimmt, gelangt man nicht notwendig auf einen sichereren Boden. 15

Vgl. die umfangreichen Literaturhinweise bei Jervis (1991), Purpose 19f. Anm. 3; 21 Anm. 2 (aus dem deutschsprachigen Bereich könnte man für die Zeit nach 1975 zusätzlich auf Kümmel [1977], Probleme 27f.; Haacker [1978], Exegetische Probleme 2; Köster [1980], Einführung 577; tendenziell wohl auch Pedersen [1985], Überlegungen 4 7 - 6 7 und Lohse [1993], Summa 103 verweisen). Vgl. außerdem Holtzmann (1892), Einleitung 240, mit einer Aufzählung von Exegeten des 19. Jahrhunderts, die den Zweck des Rom „vornehmlich" aus dem paulinischen Interesse an einem „Stützpunkt für seine Mission im Abendland" herleiten. - Darüber hinaus ist noch der Beitrag von Schrenk ([1954], Missionsdokument 81-106) zu erwähnen, der zwar deutlich vom Interesse an theologisch-aktualisierender Auslegung des Rom bestimmt ist, dabei aber einen im Zusammenhang der Abfassungsproblematik interessanten Gesichtspunkt hervortreten läßt: Paulus will mit dem Rom nicht bzw. nicht primär in einem technischen Sinn seine Adressaten in das

.Klassische" Lösungsmuster (1969-1975)

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hauer (1975) 17 . Auch bei diesen beiden Arbeiten ist ein wichtiger Differenzpunkt festzuhalten. Vielhauer meint, mit dem skizzierten Abfassungszweck verbinde sich eine apologetische bzw. polemische Stoßrichtung: Paulus mußte auch für Rom mit dem faktischen oder potentiellen Einfluß jüdischer bzw. judenchristlicher Gegner rechnen, dem er entgegenzutreten oder vorzubeugen hatte, „wenn sein Spanien-Plan gelingen sollte" 18 . Von hier aus erklärt sich jedenfalls z.T. die Auseinandersetzung mit dialogisch stilisierten Einwänden und falschen Konsequenzen, deren Inhalt Paulus aus seiner bisherigen Arbeit bekannt ist 19 ; darüber hinaus erklärt sich für Vielhauer so aber wohl auch die besondere Gewichtung der Israel-Thematik im Rom insgesamt 20 ; er sieht darum in cap. 9 - 1 1 Paulus dem Mißverständnis entgegentreten, „er sei ein Feind Israels" 21 . Anders wendet sich Zeller ausdrücklich gegen den Schluß auf ein faktisch oder potentiell in Rom wirksames gegnerisches Gegenüber 2 2 . Die Auseinandersetzung mit Einwänden und die Abweisung falscher Konsequenzen ist für Zeller inhaltlich bedingt, und die ausführliche Behandlung der Israel-Thematik in cap. 9 - 1 1 gilt einem Problem, das sicher für Paulus, vermutlich aber nicht für die Adressaten relevant war 23 . - Mit beiden Stellungnahmen

eigene Missionskonzept einbeziehen, vielmehr geht es „im Römerbrief um Zurüstung lebendiger Arbeitsgemeinschaft ... Wäre er [erg.: Paulus] bloß Missionspolitiker, so könnte die Anfachung des Propagandageistes genügen. Aber Mission ist keine Spezialität. Es handelt sich einfach um das εύαγγέλιον, und dieses ist immer zugleich Totalitätsaspekt des Dienstes an der Völkerwelt" (82f.). D.h.: Das Schreiben ruft die intendierte Unterstützung nicht einfach ab, sondern setzt die Adressaten dazu in Stand. Juden und Heiden 38-77. Von Zeller (ebd. 72; vgl. auch ders. [1985], Römer 17) wurde auch der von Schrenk besonders betonte Gesichtspunkt (s. die vorige Anm.) aufgegriffen. Daraus ergibt sich zumindest eine Relativierung eines dem skizzierten Ansatz gelegentlich entgegengehaltenen Einwands, nach dem das Modell nicht die Frage beantworten könne, „warum Paulus einen so langen und auch eigenwilligen Brief ... zu dem angenommenen Zweck schreiben mußte" (Theobald [1983], Warum 151; vgl. Myers [1992], Art. Romans 820; ähnlich auch schon Richter [1908], Untersuchungen 11). 17

Geschichte 181-184.

18

Geschichte 183. - Zur Hervorhebung des apologetischen bzw. polemischen Elements bei der Bestimmung des Abfassungszwecks vgl. aus der neueren Diskussion besonders Campbell (1994), Determining 315-336. 19

Als Beispiele nennt Vielhauer 3,8.31; 6,1.15; 7,7 (Geschichte 183f.). „Wenn Paulus diese [erg.: faktisch oder potentiell von den Gegnern in Rom verbreitete] Auffassung widerlegen bzw. von vornherein unterbinden wollte, dann mußte er den römischen Christen sein Evangelium in extenso darlegen - und zwar unter besonderer Berücksichtigung seiner Stellung zur 'Schrift', zum jüdischen Gesetz und zum jüdischen Volk" (Geschichte 184). 20

21 22

Geschichte 183. Juden und Heiden 76.

23 „Daß das anscheinende Versagen des Ev bei seinem eigenen Volk ein schweres Hindernis für die Missionspläne des Apostels darstellt, liegt auf der Hand. Wir können dabei offen lassen, ob sich den Lesern dieses Problem aufdrängen mußte, oder ob - was ich eher annehme - PI hier im Anschluß an den Briefkern einer mehr persönlichen Schwierigkeit nachgeht" (Juden und Heiden 110).

26

Zur Forschungslage

verbinden sich Schwierigkeiten: Vielhauer muß beim Rückschluß auf gegnerische Stimmungsmacher in Rom mit einer sehr dünnen Belegbasis operieren24; Zeller muß annehmen, daß der Adressant mit cap. 9-11 jedenfalls streckenweise den Zweck seines Schreibens aus den Augen verliert. Abgesehen von diesem Problem, das sich in beiden Arbeiten unterschiedlich stellt, bleiben vor allem zwei Fragen, die den gemeinsamen Ansatz betreffen. 1. Zwar läßt sich aus der fehlenden persönlichen Bekanntschaft mit den Adressaten heraus verständlich machen, daß die Hoffnung auf römische Unterstützung des Spanien-Projekts erst im Briefschluß (15,24), und auch dort nur zurückhaltend formuliert wird. Es bleibt aber auffällig, daß der Adressant den von ihm beabsichtigten Zusammenhang zwischen dem vorangehenden Schreiben und der geäußerten Hoffnung auf Unterstützung nicht ausdrückt. Rätselhaft bleiben auch die Angaben zum Rombesuch, für den dem Ansatz zufolge doch die gemeinsame Vorbereitung des Spanien-Projekts ins Auge gefaßt sein müßte. Gleichgültig, wie man die direkt auf den Besuch bezogenen Angaben in 1,11-13; 15,23f.29.32 versteht, aufeinander bezieht und mit der prinzipiellen Bereitschaftserklärung in 1,15 verbindet, es gibt keine Angabe, die den Rombesuch positiv so charakterisiert, wie er dem Ansatz zufolge vom Adressanten intendiert ist. 2. Auch bei diesem Ansatz stellt sich die Frage nach dem paränetischen Briefteil: Welche Funktion haben die allgemeinen und speziellen Ermahnungen im Rahmen eines Schreibens, das die Adressaten für den Inhalt paulinischer Missionsverkündigung aufschließen und Bereitschaft zu ihrer Unterstützung wecken will? 25

24 Unter den von Vielhauer herangezogenen Belegen läßt sich eigentlich nur 3,8 eindeutig zugunsten der These auswerten, über eine Wirksamkeit der Gegner in Rom sagt allerdings auch dieser Beleg nichts (mit Zeller [1973], Juden und Heiden 41 und Anm. 13; zu 3,8 vgl. auch Lüdemann [1983], Paulus II 158-161). 25 Mit besonderen Akzentsetzungen ist das missionstheologische Erklärungsmodell in neuerer Zeit von Dewey ([1994], Future 321-349) aufgegriffen worden. Dewey möchte den Rom konsequent aus der auf Spanien hin erweiterten Zukunftsperspektive des Adressanten verstehen: „Paul attempts to disclose lines of direction, inviting his audience to join in the trek. Hence, the matter of Spain will be seen as crucial to the entire letter and strategy, for Paul's vision is not a closed circle but an ever-widening spiral" (ebd. 323f.). - Deutlicher als viele andere Vertreter des Lösungsansatzes hat Dewey vor allem zwei für die Abfassungsproblematik wesentliche Gesichtspunkte herausgestellt: 1. Die Hinweise auf Spanien in 15,24.28 sind als pure Informationen über das weitere Vorhaben des prospektiven Rom-Besuchers Paulus nicht hinreichend gewichtet (ebd. 322.339). 2. Spanien dürfte für die paulinische Missionstätigkeit vor allem deshalb völliges Neuland dargestellt haben, weil jüdische Ansiedlungen dort vor 70 n. Chr. bislang nicht nachgewiesen, also eher unwahrscheinlich sind (ebd. 324-327). Auf beide Gesichtspunkte (und einige Einzelbeobachtungen) wird noch zurückzukommen sein, wenngleich sich auch aus Deweys Beitrag keine plausiblen Antworten auf die beiden oben im Text formulierten Fragen zum missionstheologischen Lösungsmodell ergeben: 1. Wenn Paulus im Brief ein primäres Interesse daran hat, die römischen Adressaten in seine Zukunftsvision zu verwickeln (ebd. 339), dann wird man für den geplanten Rombesuch kein andersartiges Interesse, sondern nur die gemeinsame Vorbereitung der Realisierung der Zukunftsvision vermuten können. Die direkten Angaben zum Rombesuch geben dieses Interesse aber nicht zu erkennen, auch nicht in einer vorsichtigen, die Problematik der unbekann-

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3. Der Römerbrief als Entfaltung des paulinischen Evangeliums in gemeindegründender Absicht. - In dieser Überschrift ist die Gemeinsamkeit der beiden Vertreter des dritten Ansatzes, Klein (1969)26 und Schmithals (1975)27, bereits enthalten; im übrigen gehen beide Verfasser unterschiedliche Wege. Nach Klein (1969) liegt die gesamte, also Brief und geplanten Besuch umfassende, Tendenz des Verfassers gegenüber den römischen Christen im Willen zur Evangeliumsverkündigung28. Dieser Wille des Verfassers ist provoziert durch die Situation der römischen Adressaten, deren Christentum nicht auf die Missionsverkündigung durch einen Apostel zurückgeht. Diesen Mangel an einer für die Gemeinde grundlegenden und verbindlichen apostolischen Verkündigung möchte der Verfasser aufheben, wobei „der Brief geradezu als ein vorweggenommener Akt jenes εύαγγελίσασθαι erscheint, welches Paulus persönlich in Rom noch vor sich hat" 29 . - Eigentümlicherweise haben die offenen Fragen zu diesem Beitrag ähnliche Ansatzpunkte wie die zum vorangehenden Lösungsmodell notierten: 1. Läßt sich der den Adressaten direkt zugewandte paränetische Briefteil als Bestandteil jenes grundlegenden Kerygma verständlich machen, das ihnen der Verfasser nachträglich vermitteln will? 2. Selbst wenn man unter inhaltlicher Perspektive zu einer fugenlosen Zuordnung der Israel-Thematik zum Hauptthema des Briefs 30 gelangen sollte, bleibt unter funktionaler Perspektive die Frage, warum gerade dieses Teilthema so ausführlich (cap. 9-11) behandelt wird in einem Brief, der die römischen Heidenchristen nachträglich zur Gemeinde machen will. 3. Zwar läßt sich im Rahmen dieses Beitrags gut erklären, warum die Wirkabsicht des Schreibens nicht eindeutig formuliert ist31, dafür wird die Zukunftsskizze in 15,23-32 weithin zum Rätsel: Warum gibt der Verfasser gerade diesen Adressaten Einblick in seine Besorgnis hinsichtlich des geplanten Jerusalem-Aufenthalts32

ten Adressatenschaft berücksichtigenden Form. 2. Auch in Deweys Beitrag wird die Funktion der Paränese nur sehr knapp und nicht besonders präzise bestimmt: „In Rom 12-14 we find how Paul weds praxis to his Utopian vision" (ebd. 342). 26 Abfassungszweck 129-144. - Die in einer späteren Veröffentlichung Kleins ([1976], Art. Romans 754) enthaltene Abgrenzung gegen ein Mißverständnis, zu dem der Aufsatz Anlaß gibt, ist in den folgenden Bemerkungen zum Aufsatz mitberücksichtigt. 27 Problem 7-94.210f. 28 Abfassungszweck 134f. Vgl. die in diesem Punkt übereinstimmenden und an Kleins Vorschlag anknüpfenden Ausführungen bei van der Minde (1976), Schrift 194-197. 29 Abfassungszweck 144. 30 Der „zentrale Inhalt des Römerbriefes" liegt nach Klein in der „Lehre von der Rechtfertigung des Gottlosen" (Abfassungszweck 144). 31 In der Konsequenz dieses Beitrags ist die Wirkabsicht des Schreibens dann zum Zuge gekommen, wenn die Adressaten den Inhalt des Briefcorpus verstanden und akzeptiert haben. Eine darüber hinausgehende Wirkung ist nicht intendiert. 32 Daß der Verfasser vom Faktum der bevorstehenden Reise spricht, liegt nahe; sie verzögert den Rombesuch. Die Hinweise auf die persönliche Gefährdung und das mögliche Scheitern des Kollektenunternehmens (15,31) gehen darüber aber hinaus.

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Zur Forschungslage

und in sein Spanien-Projekt 33 , vor allem: Warum läßt der Verfasser von seinem den Römern geltenden Verkündigungswillen bei den Absichtserklärungen zum Rombesuch in 15,24.32 nichts mehr durchblicken? Für den anderen Vertreter dieses Lösungsansatzes, Schmithals (1975), sind die Fragen 1. und 3. eines gewichtigen literarkritischen Eingriffs wegen von vornherein ausgeschlossen: Der Brief, mit dem der Verfasser die ihm persönlich unbekannten römischen Christen auf den Boden des paulinischen Evangeliums stellen und so zu einer έκκλησία im paulinischen Sinn machen will 34 , umfaßt Rom 1,1-4,25; 5,12-11,36; 15,8-13 (= „Rom A") 35 · Das Schreiben bezieht sich auf die Situation der römischen Christen, sofern diese sich vor allem aus ehemaligen Gottesfürchtigen rekrutieren, die mehr oder minder auch als Christen noch unter dem Einfluß der Synagoge stehen 36 . Aus dem Zweck des Schreibens erklärt sich die Argumentationsrichtung und die Gewichtung, mit der die Israel-Thematik im Rom behandelt wird: Paulus setzt sich mit der Position der Synagoge auseinander, von der er seine Adressaten ablösen will 37 . Entsprechend sieht Schmithals das eigentliche Thema von Rom Α in der „Gleichheit von Juden und Heiden angesichts der Gottesgerechtigkeit und des Glaubens" 38 . - In Schmithals' Beitrag sind entscheidende Faktoren des Problemkomplexes „Abfassungszweck" literarkritisch eliminiert, wichtiger ist in diesem Zusammenhang: Auch der literarkritisch zurechtgeschnittene Text von Rom Α fügt sich nicht mühelos zu Schmithals' Lösungsvorschlag. Skeptisch gegen die vorgeschlagene Themabestimmung macht allein schon die Tatsache, daß ca. die Hälfte von Rom Α nur mittelbar und mittelbar nur mehr oder weniger der Entfaltung des Themas dient 39 . Schwierig im Blick auf die vorgeschlagene Zweckbestimmung ist vor allem 11,13-32. Das vom direkten Dialog mit den Adressaten geprägte (und schon deshalb hervorgehobene) Stück rückt in Schmithals' Rekonstruktion zusammen mit dem Rest von Rom Α in eine hervorgehobene Endposition, nämlich vor den verlorenen 40 Briefschluß. Selbst wenn man den inhaltlichen Zusammenhang des Stücks mit dem Thema von

33 Allein schon der aus den Fugen geratene Satzbau in 15,23f. spricht eher gegen die Kennzeichnung von V. 24 (und V. 28) als ,,beiläufige[...] Bemerkungen" (zu Klein [1969], Abfassungszweck 134). 34 Problem 88. 35 Problem 210. 36 Problem 83-91. 37 Problem 90. 38 Problem 12f. 39 Vgl. dazu den GliederungsVorschlag (Problem 210): Die zweite Hälfte von Rom Α enthält zwei Exkurse (6,1-23; 7,1-16), eine ,,[d]ogmatische Beilage" (7,17-8,39) und einen „Anhang" (9,1-11,36; 15,8-13). Zur Begründung dieser Einteilung s. Problem 17-22. 40 Problem 210.

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Rom A 41 nicht bestreitet, bleibt doch die Frage: Welche Funktion hat die Warnung der Adressaten vor Überheblichkeit dem ungläubigen Israel gegenüber (ll,17ff.) bzw. die Ansage der auch für Israel bestehenden Heilszukunft ( l l , 2 5 f f . ) am Schluß eines Schreibens, das die Adressaten in eine der Synagoge gegenüber selbständige gemeindliche Existenz fuhren will? 42 4. Der Rom als Beitrag zur Lösung eines gemeindeinternen Problems. - Dieser Ansatz ist in unterschiedlichen, z.T. sogar gegensätzlichen Versionen vertreten worden. Die Gemeinsamkeit der Beiträge, die die Bandbreite demonstrieren sollen, liegt in folgendem Punkt: Der Adressant bezieht sich mit dem Rom direkt auf eine problematische Situation der Adressaten 43 und will zu einer Lösung beitragen. Als Hinweis auf diese (unterschiedlich rekonstruierte) Problematik gilt der Gegensatz zwischen „Schwachen" und „Starken" in 14,115,13. Dieser Gegensatz hat mit dem Gegensatz von Juden und Heiden in irgendeiner Weise zu tun. Nach Suhl (1971) 44 wendet sich der Rom an eine Gemeinde, „die im Umkreis der Synagoge entstand, sich als Christengemeinde aber vom Judentum

41 Schmithals kennzeichnet diesen inhaltlichen Zusammenhang folgendermaßen: Die „Warnung vor heidenchristlicher Überheblichkeit und die Verteidigung des Apostels gegen den Vorwurf, er leugne die Erwählung seines Volkes überhaupt zugunsten der einseitigen Erwählung der Heiden, sind nur die Kehrseite der eindringlichen Behauptung, daß es keinen Vorzug des empirischen Israel mehr gibt. Angesichts der Gerechtigkeit aus Glauben stehen Juden und Heiden ('alle') gleich da" (Problem 84). 42 M.a.W.: Wäre nicht gerade für das direkt adressatenbezogen formulierte Stück gegen Ende von Rom Α eine unmittelbar am Zweck des Schreibens orientierte Argumentation zu erwarten? Z.T. findet sich der in den Versionen von Klein und Schmithals vertretene Lösungsansatz schon bei Fridrichsen (1947) angedeutet: „I believe that the main motive of Romans is to assert, in a discreet way, the apostolic authority and teaching of Paul in the church of Rome" (Apostle 7). Nach Fridrichsen sieht sich Paulus zu diesem Vorhaben aber nicht durch eine römische Spezialsituation herausgefordert, sondern er vermutet eine ganze Reihe paulinischer Briefe an nicht paulinisch gegründete, heidenchristliche Gemeinden mit demselben Zweck. „The Epistle to the Romans is probably one link of an extensive correspondence of Paul's with the non-Pauline churches in the Mediterranean" (Apostle 7f.). Über dieser nicht weiter ausgeführten Vermutung von Fridrichsen wird nachträglich deutlich, daß dem Beitrag von Klein ([1969], Abfassungszweck 129-144) eine wichtige historische Voraussetzung zugrundeliegt: Nur dann, wenn es keine Parallele zur Situation der römischen Christen gab bzw. Paulus keine bekannt war (also keine weitere Ansammlung von Heidenchristen, die bislang noch nicht die für die Gemeinde grundlegende Verkündigung eines Apostels erfuhr), ist diese Situation im Verständnis des Paulus eine hinreichende Bedingung für die Abfassung des Rom. 43 In Abgrenzung zum vorangehenden Ansatz ist hervorzuheben, daß sich nach Meinung der jetzt zur Debatte stehenden Exegeten die Adressatensituation nicht nur bzw. nicht primär in der Sicht des Verfassers als problematisch darstellt, sondern auch unabhängig davon für die Adressaten als problematisch gegeben ist. Sofern der Frage nach der objektiv gegebenen Adressatensituation eine Schlüsselposition in der Abfassungsproblematik eingeräumt wird, knüpft dieser Ansatz direkt an den von Baur ([1836], Zweck 147-266) eingeschlagenen Lösungsweg an. 44

Anlaß 119-130. Vgl. außerdem die Ausführungen von 1975 (Paulus 264-282).

Zur Forschungslage

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fortzuentwickeln begann"45. Paulus möchte diese Entwicklung stützen, bei der die Starken das progressive Element darstellen, die aber von den Schwachen, „die noch am gesetzlichen Judentum festhalten wollen"46, gehemmt wird, sofern sie die Starken in ihrer Tendenz verunsichern47. Aus dieser angespannten Situation heraus ist Paulus von den Römern um einen Besuch gebeten worden48. Der Brief ist „vorläufiger Ersatz" für den der Jerusalem-Reise wegen verschobenen Besuch 49 . - Im Rahmen von Suhls Vorschlag läßt sich gut erklären, daß die Zugehörigkeit der Adressaten zu den Heidenchristen eigens festgestellt wird (l,6f.) 50 ; die Feststellung markiert die Tendenz, die der Verfasser fördern will. Es bleiben aber folgende Probleme: 1. In dem Abschnitt, der die beiden Spannungspole (Schwache - Starke) der Adressatengemeinde wirklich thematisiert (14,1-15,6), zielt die Argumentation gerade nicht auf Stabilisierung des progressiven Elements (also der Starken)51, und umgekehrt wird bei den Argumentationsgängen des ersten Hauptteils (cap. 1-11), die „die jüdische Position ... erschüttern"52, nicht angedeutet, daß die Kritik einer Position gilt, die insofern von innergemeindlicher Relevanz ist, als das konservative Element der Adressaten jedenfalls teilweise daran festhalten will. 2. Cap. 9-11 fügt sich auch im Rahmen dieses Vorschlags nur sehr mühsam zur angenommenen Zweckbestimmung53; ll,13ff. bildet - ähnlich wie bei Schmithals

45 46 47

Anlaß 127. Anlaß 130. Anlaß 128.

48

Anlaß 129.130. Zur Annahme einer dem Brief vorausliegenden Bitte der Adressaten vgl. Harder (1959), Anlaß 21; Ulonska (1963), Zitate 152; Marxsen (1964), Einleitung 3. Aufl. 91; Neill (1976), Jesus 63. - Die Hypothese hat für eine Einschätzung des im Rom vorliegenden Kommunikationsaktes erhebliches Gewicht: Trifft sie zu, ist der gesamte Brief als Reaktion, nicht als Initiative zu beurteilen. Eben dieser Hypothese geht Suhl in seiner späteren Veröffentlichung weiter nach, indem er historisch die Möglichkeit eines adressatenseitig (genauer: seitens der Gruppe der römischen Heidenchristen) aufgenommenen Kontakts zu Paulus aufweist ([1975], Paulus 277-279) und durch exegetische Beobachtungen zum Briefeingang (279-282) wahrscheinlich zu machen versucht. Im Zusammenhang dieser Überlegungen legt sich dann die noch weiter gehende Annahme nahe: Paulus wendet sich im Rom nur an den heidenchristlichen Teil der römischen Gemeinde, d.h. an jenen Teil, aus dem heraus die Anfrage an ihn ergangen ist (279). Gerade die adscriptio des Rom - m.E. die in diesem Zusammenhang wichtigste Kontrollinstanz läßt sich mit dieser Annahme aber nicht vereinbaren: ιτασιν τοις ουσιν έν ' Ρ ώ μ ρ ά γ α π η τ ο ΐ ς θεοΟ, κλητοΐς άγίοις (1,7a). Wäre ττάσιν τοις ουσιν έν ' Ρ ώ μ η auf einen Teil der römischen Christen zu beziehen, dann wären implizit die beiden angeschlossenen Prädikationen dem nicht angeredeten Teil der römischen Christen abgesprochen. - Die folgenden Bemerkungen zu Suhls Vorschlag beziehen sich auf die im Aufsatz von 1971 vertretene Version. 49

Anlaß 129; vgl. 130.

50

Anlaß 127. Auch Suhl meint zur Argumentation in cap. 14: „Paulus steht grundsätzlich auf Seiten der Starken, aber er schützt die Schwachen, ..., er schützt sie davor, daß sie ihr Gewissen vergewaltigen müssen" (Anlaß 128). 51

52 53

Anlaß 128. Vgl. dazu den kurzen Hinweis: Anlaß 128.

.Klassische" Lösungsmuster (1969-1975)

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- ein besonders sperriges Element. 3. Die Charakterisierung des Rom als eines reaktiven und (im Bezug auf den Rom-Besuch) vorläufigen Kommunikationsaktes wirft Fragen auf: Warum stellt sich der Verfasser in auffälliger Ausführlichkeit (1,1-5) vor? Warum wird in der Zukunftsskizze (15,23-32) der vorläufige (Brief) nicht auf den eigentlichen (Rom-Besuch) Kommunikationsakt bezogen? Warum lassen die Absichtsangaben zum Rom-Besuch in dieser Skizze (15,24.32) von dem an den Verfasser herangetragenen Anliegen nichts mehr erkennen? Letzteres ist vor allem deshalb unverständlich, weil doch auch nach Suhl Paulus mit „einem möglichen Protest gegen seinen Eingriff in Rom" rechnete54 und insofern ein das Gewicht dieses Eingriffs mindernder Hinweis auf seinen rein reaktiven Charakter nur nützlich gewesen wäre. Campbell (1973/74)55 vertritt im Rahmen des gemeinsamen Ansatzes eine Gegenposition zu Suhl. Der Rom wendet sich nicht in eine angespannte, sondern durch Spaltung gekennzeichnete Situation: Die liberale heidenchristliche Majorität (die Starken) verweigert der konservativen judenchristlichen Minorität (den Schwachen) die Gemeinschaft 56 . Paulus möchte im Rom der gegenseitigen Feindschaft durch die Hervorhebung der Gleichstellung von Juden und Heiden entgegenwirken57, wobei aber die kritische Stoßrichtung auf die Heidenchristen und deren durch ein „misunderstanding of Ηeilsgeschichte" bedingte Tendenz zum Antijudaismus zielt58. - 1. Unter Campbells Voraussetzung einer in Juden- und Heidenchristen gespaltenen Adressatenschaft wird die in l,5f. vorgenommene Zuordnung aller Adressaten zu den Heiden zum Problem59. 2. In dem Abschnitt, der den nach Campbell die Adressatenschaft kennzeichnenden Gruppenkonflikt anspricht (14,1-15,13), ist ein Mißverständnis der Heilsgeschichte seitens der Starken (nach Campbell die eigentliche Wurzel des Problems) nicht einmal angedeutet; umgekehrt: Diejenigen Ausführungen des ersten Hauptteils des Rom, die die Heidenchristen vor Überheblichkeit warnen (11,13ff. spielt in Campbells Vorschlag eine wichtige Rolle60), warnen vor Überheblichkeit gegenüber dem ungläubigen Israel, nicht gegenüber einer Gruppe von Judenchristen mit konservativer Tendenz. 3. Campbell möchte den ganzen Rom (also auch den von der Kommunikationssituation weithin abstrahierenden ersten Hauptteil) als direkt auf die problemati-

54

Anlaß 129. Romans 264-269. 56 Romans 268. 57 Romans 268f. 58 Romans 269. 59 Der Hinweis, daß sich der Rom „primarily" an die Heidenchristen richtet (Romans 268), führt bei Annahme einer gespaltenen Adressatenschaft nicht weiter. 60 Vgl. die Hinweise Romans 269. 55

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Zur Forschungslage

sehe Adressatensituation bezogen verstehen61, muß aber im Blick auf cap. 5-8 selbst zugestehen: „some parts of the letter are less obviously related to Rome than others"62. Im Rückblick auf die vier verschiedenen Lösungstypen zeigen sich vor allem zwei Fragen, die keines der erwähnten Modelle befriedigend zu beantworten vermag. Zum einen läßt sich das Verhältnis des ersten zum zweiten Hauptteil nicht recht durchsichtig machen: Die drei erstgenannten Modelle versuchen, dem ersten Hauptteil (cap. 1-11) in seiner situationsentbundenen Formulierungsweise gerecht zu werden, können dann aber den „paränetischen" zweiten Hauptteil in die jeweilige Bestimmung des Abfassungszwecks nicht wirklich einbeziehen. Umgekehrt bildet der angenommene Situationsbezug des „paränetischen" Teils - oder genauer seiner zweiten Hälfte - für den vierten Lösungsansatz den eigentlichen Schlüssel, mit dessen Hilfe sich der erste Hauptteil freilich nur mühsam erschließen läßt. Zum andern läßt sich bei keiner der genannten Hypothesen zum Abfassungszweck verständlich machen, warum der Verfasser bei jenen explizit auf den geplanten Rombesuch ausblickenden Bemerkungen (15,24.28f.32) nichts mehr durchblicken läßt von dem für die Abfassung des Briefs jeweils ange-

61 Vgl. Campbells Kritik am Vorschlag von Marxsen: „Is it consistent to allow, as Marxsen does, that 12-15 relate directly to Rome, whilst 1-11 are held to speak only of an 'indirect situation' ... In our opinion it is preferable to relate the whole of the letter to Rome" (Romans 268). 62 Romans 269. - In das weite Feld zwischen den Standpunkten von Suhl und Campbell kann man weitere Beiträge einordnen, ebenfalls aus der Diskussionsphase der frühen 70er Jahre vgl. z.B. die Beiträge von Donfried ([1974], False Presuppositions 102-125) und Wiefel ([1970], Gemeinschaft 65-88), aus der neueren Diskussion diejenigen von Patte ([1983], Paul's Faith 2 4 4 250) und Marcus ([1989], Circumcision 67-81). Die beiden durch Suhl und Campbell markierten Eckpunkte finden sich in vergleichbarer Weise zuvor in den Beiträgen von Harder ([1959], Anlaß 13-24) und Bartsch ([1965], Situation 199-210); vgl. außerdem Preisker ([1952/53], Problem 2 5 30) und Marxsen ([1964], Einleitung 3. Aufl. 85-97). - Ebenfalls in diesem Zusammenhang zu erwähnen ist die 1971 erschienene Arbeit von Minear (Obedience). Minear sieht die problematische Situation der römischen Christen, die z.Zt. des Rom keine einheitliche Gemeinde bilden (Obedience 7), in ihrer Aufspaltung in fünf Fraktionen, die aus cap. 14f. rekonstruiert werden: Schwache (weitgehend Judenchristen [9f.]) und Starke (Heidenchristen und emanzipierte Judenchristen [11]), die einander verurteilen bzw. verachten (8-12), „doubters", die von diesem Streit verunsichert sind (weitgehend Judenchristen [12f.]), Schwache und Starke, die einander nicht verurteilen bzw. nicht verachten (13-16). Nach Minear möchte Paulus - auch wegen der von ihm erwünschten Unterstützung für Jerusalemvorhaben und Spanienmission (5f.) - mit dem Rom den Abbau der Gruppenfeindschaften erreichen, d.h. die beiden letzten Gruppen auf Kosten der beiden ersten vergrößern, wodurch sich die Mittelgruppe von selbst reduziere (14.16f.). Weil Minear cap. 14f. rigoros und unmittelbar - also ohne vorangehende Analyse des Textes als Briefteil - als Quelle für die Rekonstruktion römischer Gemeindeverhältnisse benutzt, prallt an diesem Beitrag das gesamte o. S. 17 zusammengestellte Fragenbündel gleichsam ab. Zur Auseinandersetzung mit Minear s. aber Cranfield (1979), Romans II 820-822.

„Klassische" Lösungsmuster (1969-1975)

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nommenen Anliegen 63 . M.a.W.: Es wird nicht deutlich, warum der Verfasser zwar von einer von ihm intendierten Fortsetzung der Kommunikation mit den römischen Christen spricht, die er selbst durch den Brief initiiert hat, andererseits aber keinen Zusammenhang herstellt zwischen brieflicher Erstkommunikation und mündlicher Fortsetzung.

63 Nur im Rahmen des ersten Ansatzes, der nicht mit einem speziell auf die römische Adressatengemeinde bezogenen Briefzweck rechnet, bleibt die Zusammenhanglosigkeit von Briefzweck und Besuchszweck unauffällig.

Zur Forschungslage

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1.3 Zum weiteren Verlauf der Diskussion 1.3.1 Methodische Auffächerung Die Abfassungsproblematik blieb nach jener besonders intensiven Phase in der ersten Hälfte der 70er Jahre in der Diskussion und wurde auch in mehreren Monographien zum Thema oder Teilthema gemacht. Im folgenden Abschnitt werden fünf unterschiedlich angelegte Beiträge herausgegriffen; sie vermitteln einen Eindruck von der methodischen Differenzierung der Diskussion und der Anknüpfung an die Antworten der „klassischen" Modelle. Kettunen (1979) 1 plädiert für ein textorientiertes 2 und aus dem Vergleich mit anderen Paulusbriefen schlußfolgerndes 3 Verfahren, das er auf die brieflichen Rahmenteile des Rom (1,1-17; 15,14-32) anwenden möchte 4 . Er versucht in diesen Teilen, primär in Präskript und Proömium, Indizien für den Abfassungszweck ausfindig zu machen. Diese Indizien fügen sich für Kettunen zu einem Gesamtbild, das abschließend auf den ganzen ersten Hauptteil des Rom (cap. 1-11) bezogen wird 5 . Kettunens Antwort auf die Frage nach dem Abfassungszweck läßt sich etwa folgendermaßen zusammenfassen: Der Rom ist vom Verfasser primär als Apologie intendiert. Dabei gelten cap. 1 - 8 der Verteidigung des paulinischen Evangeliums, cap. 9 - 1 1 der Verteidigung des paulinischen Heidenapostolats 6 . Paulus, der die römischen Christen seinem Verantwortungsbereich zurechnet 7 , möchte mit dem Brief die Adressaten „stärken" (1,11) 8 . Solche Stärkung ist notwendig, weil judaistische Paulusgegner in Rom 9 im Begriff sind, zerstörerisch auf die Gemeinde einzuwirken, an

' Abfassungszweck. 2 Zu Kettunens Sicht des Verhältnisses von Textanalyse und der Frage nach der historischen Situation von Briefverfasser und Adressaten s. Abfassungszweck 26. 3 Die vergleichende Einbeziehung „ist schon dadurch begründet, dass der Anlass in anderen Briefen zutage liegt: Wenn Paulus da konsequenterweise den Abfassungszweck enthüllt oder ihn mindestens aus seinen Anspielungen schliessen lässt, ist zu erwarten, dass er es ähnlich auch im Römerbrief tut" (Abfassungszweck 23). 4 5

Abfassungszweck 23ff.

Abfassungszweck 176-193. 6 „Ausser im Briefrahmen verteidigt Paulus sich als Heidenapostel sonst direkt nur in den Kapiteln 9ff.; in den Kapiteln 1 - 8 handelt es sich mehr um die Apologie der Sache (vgl. Einwände in 3,8.31; 6,1.15)" (Abfassungszweck 191). 7 Abfassungszweck 41 f.; vgl. ebd. 126: „Paulus ist allen Heiden(christen), εθνη, verpflichtet und zu diesen gehören auch die Adressaten in Rom". 8 Kettunen meint, mit der nicht explizit auf den Briefzweck bezogenen Aussage in 1,11 wolle Paulus sagen, „was er jetzt in Rom will, also was er nun dort machen würde, wenn er da wäre" (Abfassungszweck 142), und er versucht zu zeigen, „dass die gegenwärtige Absicht des Apostels in Rom und der Abfassungszweck des Briefes weithin zusammenfallen" (ebd. 146). „In 1,11 spricht Paulus nicht direkt vom Brief. Er denkt aber hier m.E. an diesen" (ebd. 147 Anm. 2). 9 Zu Kettunens Annahme von Gegnern, die in Rom bereits präsent sind, s. besonders Abfassungszweck 70 (zu 16,17-20) und 184 (zu 3,8).

Zum weiteren Verlauf der Diskussion

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der Paulus selbst nichts auszusetzen hat10. Der Erfolg der Apologie spielt eine wichtige Rolle für die von Paulus geplante Mission in Spanien11. Vor dem Hintergrund der vier „klassischen" Modelle läßt sich Kettunens Vorschlag zuordnen: Er liegt auf der Linie des zweiten Modells in der Version von Vielhauer12, wobei Kettunen die apologetische Absicht des Verfassers besonders unterstreicht und exegetisch wahrscheinlich zu machen versucht. Im Rahmen der Arbeit von Watson (1986)13 ist der Abfassungszweck des Rom ein - allerdings gewichtiges - Teilthema. Er verfolgt einen soziologischen Ansatz, mit dessen Hilfe er der umfassenden Frage nach dem Verhältnis des Paulus zum zeitgenössischen Judentum nachgeht. Die soziologische Realität, von der her Watson das Gegenüber des Paulus zum Judentum begreift, ist die von Paulus selbst betriebene Gründung heidenchristlicher, von der Synagoge unabhängiger Gemeinden14. Diesen Prozeß der Herauslösung christlicher Gemeinden aus der jüdischen Gemeinschaft versteht Watson nach dem soziologischen Modell der Transformation einer Reformbewegung in eine sich der „parent community" gegenüber scharf abgrenzende Sekte15. Die theologische Reflexion in den paulinischen Briefen hat die Funktion, die Trennung der Kirche von der Synagoge theologisch zu legitimieren16, d.h.: die Briefe enthalten „the theoretical rationale for separation required by a sectarian group"17. In diesem Zusammenhang ist Watsons Antwort auf die Frage nach dem Abfassungszweck des Rom zu sehen. Aus der Erwähnung von „Schwachen" und „Starken" in 14,1-15,13 erschließt Watson eine ,judenchristliche" und eine „heidenchristliche", mittelbar paulinische Gemeinde18 in Rom, die unabhängig voneinander existieren und sich in der Frage der Gesetzesobservanz grundsätzlich voneinander unterscheiden19. Paulus möchte in 14,1-15,13 die gegenseitige Akzeptanz der beiden Gemeinden und darüber hinaus ihren Zusammen-

Ό Abfassungszweck 47. 11 Abfassungszweck 169. - Zu einer ganz ähnlichen Antwort gelangt auch Stuhlmacher (1986), Abfassungszweck 180-193; vgl. besonders 186. 12

S. o. S. 24f.

•3 Paul. 14

Paul 19. Paul 19. „New religious movements within an existing opposition is encountered, one sect - i.e. a closely-knit group the parent-community" (ebd.). 15

movements (including early Christianity) often begin as reformreligious community (in this case, the Jewish community). When possibility is that the reform-movement will be transformed into a which sets up rigid and clearly-defined barriers between itself and

>6 Paul 19. 17

Paul 20. Die Bezeichnungen sind im abkürzenden Sinn gemeint: Zur .judenchristlichen" Gemeinde können Proselyten gehört haben, zur ,.heidenchristlichen" Gemeinde gesetzesfreie Juden wie Paulus selbst (Paul 95). Die heidenchristliche Gemeinde ist nach Watson mittelbar paulinischen Ursprungs, sie wurde wahrscheinlich von Paulus-Anhängern gegründet (ebd. 100). 18

19

Paul 94ff.

Zur Forschungslage

36

schluß erreichen20, was der judenchristlichen Gemeinde erheblich größere Konzessionen abverlangt21. Von hier aus ergibt sich Watsons Gesamtsicht des Abfassungszwecks des Rom: Paulus wendet sich an die judenchristliche Gemeinde als primäre Adressatengruppe22, er möchte sie zur Anerkennung der gesetzesfreien, heidenchristlichen Gemeinde, zum Zusammenschluß mit ihr bewegen (und d.h. zugleich zur Abkehr von der Synagoge), er möchte eine einzige „paulinische" Gemeinde in Rom schaffen23. Rom 1-11 ist also zu verstehen als „ theoretical legitimation for the social reorientation called for in Rom. 14:1-15:13 Der Vorschlag von Watson hat in dem im vorigen Kapitel dargestellten Meinungsspektrum zwei Anknüpfungspunkte: Die Beurteilung und Auswertung von 14,1-15,13 als Schlüssel zur Adressatensituation, die dann zum entscheidenden Faktor bei der Bestimmung des Abfassungszwecks wird, verbindet mit dem vierten der „klassischen" Lösungsmuster25. Dabei greift Watson mit seiner Einordnung der primären Adressaten als gesetzesobservante Judenchristen auch inhaltlich auf die das vierte Lösungsmuster methodisch prägende Konzeption von Baur26 zurück27. In gewisser Weise berührt sich Watsons Lösung aber auch mit der (in anderer Hinsicht völlig gegenläufigen) Konzeption von Schmithals zu „Rom A" 2 8 : Paulus will in Rom eine „paulinische" Gemeinde gründen; er wendet sich an Christen, die noch unter dem Einfluß der Synagoge stehen, und versucht durch seine Argumentation deren Ablösung vom Judentum zu fördern. In diesem Punkt stimmt Watson mit Schmithals überein29. Die Arbeit von Wedderburn (198 8)30 gilt den Gründen, die zur Abfassung des Rom geführt haben; er vermutet „a constellation or cluster of different circumstances, each contributing in its own way to the writing of the letter and

20 Paul 96-98. 21

„They are required to abandon the idea that the law is the authoritative, binding law of God,

to which all must submit, and to regard it instead as purely optional" (Paul 96). 22

Paul 103f.

23

Paul 98.

24

Paul 107. - Dieses Verständnis des ersten Hauptteils des R o m (cap. 1 - 1 1 ) wird von Watson

in vier Kapiteln der Arbeit ausführlich entfaltet (ebd. 106-174). 25

S. o. S. 29-32.

26

S. o. S. 18-20.

27

Zu Watsons Anknüpfung an Baur vgl. Paul 10-12.88; zur Kritik an Baurs Gegenüberstel-

lung von jüdischem Partikularismus und paulinischem Universalismus s. ebd. 20f. 28

S. o. S. 28f.

29

A u f diese Übereinstimmung hat Donfried (Introduction 1991 L l l f . ) hingewiesen. In der Dis-

kussion der letzten Jahre ist dieser Gesichtspunkt in Anknüpfung an Watson dann von Byrne ([1993], "Rather B o l d l y " 8 3 - 9 6 ) besonders zur Geltung gebracht worden: „Paul is aiming to get law-leaning Christians in R o m e to let go of it once and for all in the cause of a deeper unity" (ebd.

86). 30

Reasons.

Zum weiteren Verlauf der Diskussion

37

thus to our understanding of it"31. Diesem historischen Ansatz entsprechend werden zunächst die wichtigsten Faktoren in der Situation des Paulus32 und der römischen Adressatengemeinde33 rekonstruiert und zueinander in Beziehung gesetzt34. Dem Gesamtbild, das sich aus dieser Rekonstruktionsarbeit ergibt, wird dann die Argumentation des auch nach Wedderburn primär apologetischen35 ersten Hauptteils des Rom (cap. 1-11) zugeordnet36. - In Wedderburns Rekonstruktion des dem Rom zugrundeliegenden Motivationsgefüges kommt dem Zusammenhang zweier Faktoren zentrale Bedeutung zu: 1. dem (weithin aus cap. 14 erschlossenen37) letztlich im Problem „observance or non-observance of the Jewish Law" 38 wurzelnden Konflikt der römischen Adressaten, bei dem eine „judaisierende", Paulus gegenüber kritische Gruppe einer gesetzesfreien, in ihrer Distanz zum Judentum noch über Paulus hinausgehenden Gruppe gegenübersteht39, und 2. der unmittelbar bevorstehenden Kollektenübergabe in Jerusalem, für die Paulus die Fürbitte und die Rückendeckung der Römer erbittet. Beide Faktoren hängen insofern zusammen, als sich Paulus bei keiner der Adressatengruppen der Unterstützung in der Kollektenangelegenheit sicher sein konnte, bei den „judaisierenden" Christen nicht, weil ihnen die paulinische Form des Christentums, sein gesetzesfreies Evangelium, suspekt war40, bei den gesetzesfreien Christen nicht, weil sie in der Unterstützung der Kollekte ein Zeichen der Unterwerfung Jerusalem gegenüber gesehen haben können41. D.h.: Der Rom hat nicht nur den Zweck, um des friedlichen Zusammenlebens der Adressaten willen, für die sich Paulus für verantwortlich hält42, auf einen Ausgleich hinzuwirken, das Schreiben soll auch vor dem Hintergrund der benötigten Unterstützung in der Kollektenangelegenheit, ferner um einer wohlwollenden Aufnahme beim intendierten Rombesuch43 willen konfliktlösend wirken. Von hier aus erklärt Wedderburn den ersten Hauptteil des Rom: „... its main purpose is to answer those criticisms of Paul's gospel and ministry which would prevent the Christians in Rome who had espoused a

31 32 33 34 35 36 37

Reasons 6. Reasons 2 2 - 4 3 . Reasons 4 4 - 6 5 . Reasons 6 6 - 9 1 . Reasons 93.123.139.141. Reasons 92-139. Reasons 31-35.

38

Reasons 49; vgl. 141.

39

Reasons 64f.; vgl. 140f.

Reasons 72f. „Those that felt thus in the Roman church might well have hoped that, like themselves, the Jerusalem Christians would reject both Paul and his message and his churches full of ritually impure and immoral gentiles" (ebd. 73). 41 Reasons 73f. 42 In diesem Punkt stimmt Wedderburn mit Kettunen überein (vgl. z.B. Reasons 98). 43

Reasons 102.108.

38

Zur Forschungslage

Judaizing form of Christianity from offering their support, their endorsement and their prayers for the success of his visit to Jerusalem with the collection;... At the same time, however, Paul writes with at least half an eye on the attitude of those who had espoused the Law-free gospel in Rome" 44 . Im Rückblick auf die vier „klassischen" Lösungsmuster in ihren unterschiedlichen Versionen erscheint Wedderburns Vorschlag als ausgesprochen integrativ 45 : Die Gewichtung der aus dem Starke - Schwache - Kontrast in cap. 14 abgeleiteten Adressatensituation verbindet deutlich mit dem vierten der „klassischen" Modelle; dabei nähert sich die Auswertung der Adressatensituation eher der von Suhl repräsentierten Version 46 dieses Modells als ihrer Kontrastversion. Zugleich wird von Wedderburn das Grundmotiv des ersten Modells (bevorstehende Kollektenübergabe in Jerusalem) aufgegriffen und mit der Adressatensituation verbunden. Schließlich knüpft Wedderburn mit der Annahme einer apologetischen Stoßrichtung von cap. 1-11 auch an das zweite Modell in der Version von Vielhauer an, freilich ohne das Grundmotiv dieses Modells (die geplante Spanienmission) zu übernehmen 47 . In scharfem Kontrast zum Beitrag von Wedderburn steht die rhetorischanalytische Arbeit von Elliott (1990) 48 . Das Hauptproblem, das Elliott zu lösen versucht, ist der Doppelcharakter des Schreibens, das seine Adressaten als Heidenchristen identifiziert, sich aber doch über Jüdische" Themen bzw. mit einem jüdischen Gegenüber auseinandersetzt 49 . Da dieses Problem nach Elliott zugleich die Zentralfrage bei jeder Bestimmung des Abfassungszwecks ist, wendet sich ein erstes Kapitel „Paul's Purpose in Writing to the Romans" 50 zu.

44

Reasons 139. Solche Integration wird von Wedderburn, der viele frühere Lösungsvorschläge als „partial or one-sided" empfindet (Reasons 5), auch angestrebt. 46 S . o . S. 29-31. 45

47 Im Blick auf die Spanienmission als eines die Abfassung des Rom mitbestimmenden Faktors verhält sich Wedderburn trotz seines integrativen Ansatzes skeptisch: Der Hinweis auf eine mögliche Erwägung des Paulus - Rom als „key to future work in the West", als „supporting base" (Reasons 43; vgl. auch Wedderburn [1978/79], Purpose 140) - wird an späterer Stelle der Arbeit eher zurückgenommen: Paulus „regarded the Roman church as his responsibility, ... And in fact that may be his major reason for going there, and thus for preparing the way in writing, rather than any pressing need to have the church there as a base of operations for his Spanish mission or to have their material backing or their moral and spiritual support for that mission" (ebd. 102). - Daß Zeller als ein Hauptvertreter des missionsorientierten Losungsmodells u.a. deshalb in Wedderburns Arbeit eine „letztlich doch ... einseitige Sicht des R o m " feststellt, ist „aus der Perspektive des Rezensenten" verständlich (Zeller, Rez. Wedderburn 367; vgl. zu diesem Punkt aber auch Hultgren, Rez. Wedderburn 171). 48

Rhetoric. Rhetoric 11. Dieses Problem sieht Elliott unmittelbar mit der Frage nach der Beziehung zwischen situationsbezogenem Briefrahmen (1,1-15; 15,14-33) und dem scheinbar situationslosen „content of the letter-body" verbunden (ebd. 12). 50 Rhetoric 69. Allein die Formulierung der Kapitelüberschrift im Vergleich mit der Formulierung des Titels von Wedderbums Arbeit („The Reasons for Romans") läßt die methodische Diver49

Zum weiteren Verlauf der Diskussion

39

Auf der Grandlage einer rhetorischen Analyse des Briefrahmens (1,1-17; 15,14—33)51, vor dem Hintergrund der zuvor ermittelten Adressatensituation (die Rückkehr von durch das Claudius-Edikt betroffenen Judenchristen als Ursache für Spannungen mit der heidenchristlichen Mehrheit der römischen Christen52) und unter Berücksichtigung thematischer und struktureller Übereinstimmungen zwischen Passagen des ersten Hauptteils und der Einleitung des paränetischen Teils (12,lf.) 5 3 wird im ersten Kapitel der Arbeit eine Hypothese zum Abfassungszweck erarbeitet: Der ganze Brief ist Paränese54, deren Ziel in 15,14-16 besonders deutlich wird: „... what Paul wants from the Romans is not first of all their approval or endorsement of 'his gospel', but their holy living, for this will guarantee the sanctity of the offering of the Gentiles. He writes to secure that obedience" 55 . Dieses Ziel hat eine situationsbezogene Dimension: Die römischen Adressaten sollen sich gegenseitig achten und respektieren, „despite possible tensions over Jewish observance within the congregation, and thus ... accept a cooperative role in the eschatological 'offering of the Gentiles' (15.9-12; 16)"56. Vor dem Hintergrund der Annahme des Rom als eines paränetischen Schreibens an Heidenchristen (und d.h. für Elliott an Christen, die Paulus in der Gefahr sieht, Israel und die Tora zu verwerfen 57 ) geht Elliott in den folgenden Kapiteln der Arbeit 58 anhand von rhetorischen Analysen der Argumentation in Rom 1-11 dem Problem des „Doppelcharakters" nach. Tendenziell führen diese Analysen zu folgendem Ergebnis: „Jüdi-

genz erkennen. Im Prinzip geht es bei Elliott darum, über die Analyse der Argumentationsstrategie des Textes auf den vom Autor intendierten Effekt auf die Adressaten zu schließen. (Zum Methodischen vgl. besonders Rhetoric 15-20.60-67). Die historische Rekonstruktion der Adressatensituation, der bei Wedderburn Schlüsselfunktion zukommt, hat bei Elliott den Rang einer - allerdings wichtigen - Voraussetzung und wird entsprechend im Rahmen der Einleitung erörtert (ebd. 4 3 57). 51 Rhetoric 70-93. 52 Rhetoric 95f. 53 Rhetoric 97. Solche Übereinstimmungen mit 12,lf. liegen nach Elliott in 1,18-32 und cap. 6; er weist auf dort verarbeitete Elemente des paränetischen „Einst-Jetzt"-Schemas hin und vermutet darin einen Schlüssel für die Struktur des gesamten Briefs (ebd. 98; vgl. 66f.). 54 Rhetoric 98. Dabei ist „Paränese" von Elliott nicht im formgeschichtlichen Sinn gemeint, sondern in einem an der intendierten Wirkung auf die Adressaten orientierten Sinn (ebd. 99-104). Worum es Elliott bei der Kennzeichnung des gesamten Rom als Paränese eigentlich geht, wird deutlich aus seinen Gegenüberstellungen zu anderen, seiner Meinung nach unzutreffenden Kennzeichnungen: „sample sermon", „precis of Pauline theology" (ebd. 104), „theological essay in epistolary form" (ebd. 167), „theoretical exposition" (ebd. 281), „source lode for a systematic Pauline theology" (ebd. 290). 55 Rhetoric 93. Nach Elliott bezieht sich Paulus nicht erst in 15,30-32, sondern schon in 15,16 mit dem Ausdruck προσφορά των έθνών auf die in Jerusalem zu übergebende Kollekte (vgl. ebd. 92). 56 Rhetoric 94. 57 Rhetoric 223.291 u.ö. 58 Rhetoric 105-275.

40

Zur Forschungslage

sehe" Themen und die Gestalt des jüdischen Dialogpartners werden nicht im kritischen Gegenüber zum Judentum behandelt. Ihre Behandlung hat vielmehr jeweils eine Funktion im Rahmen der Paränese, mit der Paulus kritisch modifizierend auf die Einstellung seiner heidenchristlichen Adressaten einwirken will. Z.B.: Der fiktive jüdische Dialogpartner in 2,17ff. wird nicht disqualifiziert, sondern die an ihn gerichtete Anrede gilt einer den heidenchristlichen Adressaten geltenden Argumentation: Wenn schon der privilegierte Jude „is not exempt from God's judgment when he or she violates the very Torah that constitutes those privileges (2.12b), then how can Gentiles who have never shared those privileges lay any claim to God's indulgence (2.12a; cf. 2 . 3 5)?" 59 . Insgesamt liegt für Elliott die Klimax des ersten Hauptteils in den Kapiteln 9 - 1 1 , die ihrerseits ihre Klimax in dem paränetischen Abschnitt 11,17-24 erreichen 60 . Im Rückblick auf die vier „klassischen" Lösungsmuster fällt der scharfe Kontrast zwischen Elliotts Vorschlag und den drei ersten Modellen auf. Eigentlich berührt sich der Vorschlag im Ergebnis nur mit dem vierten Lösungsmuster - von dem er sich andererseits methodisch besonders deutlich abhebt - , und zwar innerhalb dieses Modells nur mit der von Campbell vertretenen Variante 61 . Die Arbeit von Jervis (1991 ) 62 geht auf die Abfassungsproblematik ein auf der Grundlage einer „comparative letter structure analysis" 63 . D.h.: Jervis analysiert nacheinander die formal relativ festen Briefbestandteile - Präskript, Danksagung, „apostolic parousia" und Briefschluß 6 4 - in den authentischen Paulusbriefen 6 5 und kann auf diese Weise besondere Merkmale bei ihrer Verwendung im Rom (1,1-7; 1,8-15; 15,14-32; 15,33-16,24) bestimmen 6 6 . Im Schlußkapitel der Arbeit 6 7 werden diese Besonderheiten zusammengefaßt und für die Frage nach dem Abfassungszweck ausgewertet. Dabei ergibt sich: Eine apologetische Zielsetzung des Verfassers ist unwahrscheinlich 68 , und dasselbe gilt für die Annahme eines pastoralen - an Lehre oder Lebensweise der Adres59 Rhetoric 131. Rhetoric 270.

60

61 S. ο. S. 3If.; vgl. auch Elliotts eigene Hinweise auf den Vorschlag von Campbell (Rhetoric 39.42). Purpose. 63

Purpose 29. Zur Erläuterung und Begründung des Verfahrens s. ebd. 29-55. Vgl. dazu Purpose 47-55. Der Ausdruck „apostolic parousia" bezeichnet solche Abschnitte, die die Präsenz des Paulus in der Gemeinde thematisieren. 65 Zur Einbeziehung des 2Thess s. Purpose 56 Anm. 1. 66 Vgl. die zusammenfassenden Abschnitte jeweils am Ende der Untersuchung eines Briefteils: Purpose 84f.l07-109.127-131.155-157. 67 Purpose 158-164. 68 Außer der Betonung der apostolischen Berufung, die man in diesem Sinn verstehen könnte, „there is no other evidence of a self-defensive stance within the opening and closing sections" (Purpose 158). 64

Zum weiteren Verlauf der Diskussion

41

säten interessierten - Zwecks 69 . Der Brief dient auch nicht primär der Vorbereitung des Rombesuchs 70 , der z.Zt. des Schreibens „only a future probability" darstellt 71 , bzw. der Gewinnung eines Stützpunkts für die Spanien-Mission 72 . Vielmehr geht es für Paulus darum, von den Adressaten als der auch für sie zuständige Apostel akzeptiert zu werden, und entsprechend hat der Brief primär den Zweck, die römischen Christen an seiner Evangeliumsverkündigung teilhaben zu lassen 73 . Unter den im vorangehenden Abschnitt dargestellten „klassischen" Lösungsmodellen weist der Vorschlag von Jervis m.E. Berührungspunkte mit dem dritten Modell auf 74 , und zwar - vor allem hinsichtlich der Auffassung des Rom als der Durchführung der paulinischen Evangeliumsverkündigung 75 speziell mit der Version von Klein 76 . Im Rückblick auf die fünf neueren Monographien zeigt sich, daß die Kerngedanken der zuvor dargestellten „klassischen" Lösungsmuster beinahe sämtlich lebendig geblieben, durch deren unterschiedliche Gewichtung und Kombination aber doch neue und wiederum verschiedene Gesamtbilder entstanden sind. Von einem Konsens kann jedenfalls nicht die Rede sein, und im Blick auf die komplexe Problematik einerseits und die methodische Auffächerung ihrer Bearbeitung andererseits ist das auch nicht besonders erstaunlich. Vor dem Hintergrund dieser methodischen Auffächerung (zwischen dem noch am ehesten traditionell exegetischen Ansatz Kettunens, dem soziologischen Ansatz Watsons, dem historischen Ansatz Wedderburns, dem rhetorisch-analytischen Ansatz Elliotts und dem auf dem Vergleich der brieflich-formalen Teile in den authentischen Paulus-Briefen aufbauenden Ansatz von Jervis) und den dadurch eher noch verstärkten Verständigungsschwierigkeiten im Rahmen der „Romans Debate" könnte eine Zwischenüberlegung hilfreich sein. Die Abfassungsproblematik, so wie sie in diesen Monographien zusammengesehen behandelt wird, umfaßt drei Teil69

Purpose 163.

70

Purpose 160f. Purpose 161.

71 72

Purpose 163.

73

„The function of Romans is to encourage the Roman believers to enter Paul's apostolic orbit ... Romans is written to fulfill Paul's mandate to establish and nurture his Roman readers in a life of faith marked by obedience and holiness - to preach the gospel to them" (Purpose 164). 74 Jervis ordnet ihren Vorschlag selbst ein (Purpose 163f.); diese Einordnung geschieht natürlich anhand des in ihrer Arbeit erstellten forschungsgeschichtlichen Rasters (vgl. Purpose 14-27). 75 Vgl. Purpose 129f. 76 S. o. S. 27f. - Allerdings grenzt sich Jervis ausdrücklich ab von Kleins These, nach Meinung des Paulus fehle den römischen Christen das grundlegende apostolische Kerygma (vgl. dazu Purpose 130); entscheidend ist für sie, daß Paulus von seinem Selbstverständnis als Heidenapostel her sich eben auch den römischen Christen verpflichtet weiß (ebd.). Daß sich sein Schreiben ausgerechnet nach Rom richtet, erklärt sich für Jervis (in einer m.E. mit ihrem Einspruch gegen die missionsstrategische Erklärung des Rom [ebd. 163f.] nicht ganz ausgeglichenen Weise) am besten aus der Hauptstadt-Position der Stadt und ihrer strategischen Position in bezug auf die paulinischen Missionsziele (ebd. 164).

42

Zur Forschungslage Probleme: 1. die Frage nach den adressaten- bzw. adressantenbezogenen Abfassungsverhältnissen, die den Autor möglicherweise zu seinem Schreiben veranlaßt haben; 2. die Frage nach dem Zweck, den der Autor mittels des Schreibens zu erreichen suchte; 3. die Frage nach der Textfunktion, d.h. die Frage nach der sprachlichen Handlung, die im Text selbst durchgeführt ist 77 . - Die drei Fragen hängen nun einerseits so dicht miteinander zusammen, daß eine Lösung je eines Teilproblems in der Regel auch gewisse Implikationen hinsichtlich der beiden anderen Teilprobleme enthält78. Andererseits erscheint eine grundsätzliche und schwerpunktmäßige Unterscheidung zwischen Abfassungsverhältnissen, Zweck und Textfunktion doch sinnvoll, weil sich die drei Faktoren, gleichgültig, wie man sie paarweise kombiniert, nicht in ein l:l-Verhältnis setzen lassen. Aus den Abfassungsverhältnissen folgt nicht direkt der Abfassungszweck 79 . Auch die Bestimmung der Textfunktion setzt nicht den Schluß auf den Zweck bzw. auf die Abfassungsverhältnisse unmittelbar aus sich heraus80; umgekehrt ist mit einer Antwort auf die Frage nach dem Zweck, den der Autor verfolgt, die Frage nach der Funktion seines Textes noch nicht eindeutig beantwortet81 usw. In Anbetracht der prinzipiellen Unterscheidbarkeit der drei Teilprobleme, die andererseits doch untrennbar miteinander zusammenhängen (und darum in den praktischen Bearbeitungen nicht lupenrein voneinander getrennt werden), erscheint die Unterschiedlichkeit der Schwerpunkte, die die im vorangehenden zusammengefaßten Antworten setzen, zunächst einmal völlig legitim: Die an den brieflichen Rahmenpassagen orientierten und jeweils mit den anderen Paulus-Briefen vergleichenden Arbeiten von Kettunen und Jervis zielen

77

Zum Differenzierungsvorschlag vgl. ähnlich Keck (1995), Romans 20f.

78

Z.B.: Wenn man die Textfunktion des Rom i.S. von Elliott als „Paränese" bestimmt, dann impliziert das hinsichtlich der Abfassungsverhältnisse: Der Adressant sah seine Adressaten nicht in der wünschenswertesten aller denkbaren Verfassungen. Im Blick auf den vom Autor angestrebten Zweck impliziert diese Funktionsbestimmung: Der Autor wollte durch das Schreiben die Einstellung bzw. das Verhalten der Adressaten in irgendeiner Weise verändern. 79 Z.B.: Wenn man sich der weithin geteilten Annahme eines Konflikts unter den römischen Adressaten zwischen stärker der jüdischen Tradition verhafteten „Schwachen" und emanzipierteren „Starken" anschließt, dann ergibt sich aus dieser die Abfassungsverhältnisse betreffenden Annahme an sich noch keine bestimmte Auffassung des Abfassungszwecks, und das gilt auch dann noch, wenn man die Adressatensituation präzisiert und die adressantenseitige Abfassungssituation einbezieht. 80 Der Sachverhalt läßt sich am Beispiel der Arbeit von Jervis im Vergleich mit der These von Klein (Abfassungszweck) verdeutlichen. Beide stimmen in der Funktionsbestimmung des Textes im Prinzip überein; sie sehen im Rom eine Durchführung der paulinischen Evangeliumsverkündigung. Sie divergieren aber in der Annahme des Zwecks, zu dem Paulus diese Evangeliumsverkündigung an die römischen Christen durchgeführt hat; Kleins diesbezügliche Annahme der von Paulus angestrebten apostolischen Fundamentierung wird von Jervis (Purpose 130) ausdrücklich zurückgewiesen. Ähnlich gilt natürlich auch für andere Funktionsbestimmungen wie „Apologie" oder „Paränese": Eine entsprechende Auffassung der im Text durchgeführten sprachlichen Handlung erlaubt keinen eindeutigen Rückschluß auf den vom Autor damit angestrebten Zweck. Ebensowenig führen die Funktionsbestimmungen in unmittelbarer und eindeutiger Weise zum Rückschluß auf die Abfassungsverhältnisse. 81 Z.B.: Wenn man ähnlich wie Kettunen den Zweck des Briefs darin sieht, gegnerische Stimmungsmacher in Rom vorab aus dem Feld zu schlagen, dann ist damit noch nicht gesagt, wie der Text funktioniert, der zu diesem Zweck verfaßt wurde.

Zum weiteren Verlauf der Diskussion

43

schwerpunktmäßig auf den Abfassungszweck des Autors Paulus; diejenige von Elliott auf die Textfunktion (von cap. 1-11); diejenige von Wedderburn auf die von ihm primär in den Abfassungsverhältnissen gesehenen Gründe 82 . Daß die jeweils anderen Teilprobleme in den Antworten nicht gleichgewichtig zum Zuge kommen, kann darum kaum als weiterführender Einwand gegen die einzelnen Arbeiten gelten^.

In diesem Zusammenhang interessiert in bezug auf die fünf neueren Monographien primär, ob sich im Rahmen der jeweiligen Vorschläge Antworten auf jene beiden Fragen ergeben, die sich im Rahmen der „klassischen" Modelle als nicht befriedigend beantwortbar zeigten, d.h. zum einen die Frage nach der Funktion des „paränetischen" Teils im Zusammenhang des Rom und zum andern die Frage nach der vom Adressanten offengelassenen Beziehung zwischen dem von ihm initiierten brieflichen Erstkontakt mit der römischen Gemeinde und der geplanten mündlichen Fortsetzung dieses Kontakts, auf die im Briefschluß (15,23f.28f.32) ausgeblickt wird. Hinsichtlich der ersten Frage läßt sich nicht nur in den Arbeiten von Kettunen (1979) und Jervis (1991), für die sich - durch den jeweiligen Ansatz bedingt - das Problem nicht stellt84, kein Fortschritt verzeichnen, auch im Rahmen der drei anderen Arbeiten bleiben hier Schwierigkeiten. Das gilt vor allem für die Arbeit von Watson (1986): Wenn es zuträfe, daß Paulus in 14,1-15,13 den Anschluß der judenchristlichen Gemeinde an die heidenchristliche Gemeinde erreichen will 85 und auch der erste Hauptteil des nach Watson primär

82 Die Arbeit von Watson läßt sich nicht unmittelbar zuordnen, weil der in ihr enthaltene Beitrag zur „Romans Debate" eingeordnet ist in eine umfassendere Thematik und ein darauf bezogenes, umfassendes methodisches Konzept. In dem für die Abfassungsproblematik wichtigsten Kapitel (Paul 88-105; vgl. die in Donfried [Hg.] [1991], Romans Debate 203-215 abgedruckte Fassung) schließt Watson vergleichsweise direkt aus der Rekonstruktion der Abfassungsverhältnisse, genauer, der Adressatensituation als des entscheidenden Faktors, auf den Abfassungszweck. 83 Die Bemerkung richtet sich z.B. gegen die massive Kritik an Wedderburn bei Aletti (Bulletin [1991] 44), der eine genaue Argumentationsanalyse des Rom als Ausgangsbasis jedes Losungsvorschlags fordert (und damit die Frage nach der Textfunktion zur allein entscheidenden erklärt). Ein ähnliches Beispiel bietet die Kritik von Thompson ([1993] Rez. Jervis), der offensichtlich den adressatenseitigen Abfassungsverhältnissen Schlüsselfunktion beimißt (ebd. 363) und entsprechend „a full discussion of the various factors leading to the writing of Romans" in der rezensierten Arbeit zu vermissen scheint (ebd.). 84 Kettunen äußert sich nur allgemein: Paulus ist mit den Adressaten zufrieden, was nicht ausschließt, daß „der gerühmte Glaube der Römer (bes. 1,7.8; 15,14)" „allerdings einer Stärkung durch die Kapitel 12-15 bedarf' (Abfassungszweck 140). Der Grund für die Paränese cap. 13-15 liegt in der Situation der Adressaten (ebd. 81), über die Paulus gut informiert war (ebd. 57-62). Auf jeden Fall ist die Paränese nicht „Hauptzweck" des Schreibens (ebd. 152f.; vgl. 52). Jervis entschließt sich zur Ausgrenzung der Paränese aus ihrer Untersuchung, weil Paränese nicht zu jenen formal relativ festen, der vergleichenden Strukturanalyse zugänglichen Briefbestandteilen gehört, von denen sich die Verfasserin in besonderem Maß Aufschluß für den Abfassungszweck erhofft (Purpose 44-47). 85 Paul 97f.

Zur Forschungslage

44

an die Judenchristen gerichteten Briefs 86 auf dieses Ziel hin orientiert ist 87 , bliebe es völlig unverständlich, daß sich Paulus ausgerechnet in 14,Iff. primär an die „Starken" wendet. In abgeschwächter Form ist derselbe Einwand auch Wedderburn gegenüber festzuhalten, der doch zumindest mit einem Wechsel in der Hauptstoßrichtung rechnen muß: Wenn sich der Adressant über elf Kapitel hin primär gegen eine Kritik verteidigt, die aus Kreisen ,judaisierender" Christen stammt88, dann leuchtet nicht ein, daß der paränetische Briefteil primär kritisch auf das Verhalten der extremen Vertreter eines gesetzesfreien Christentums zielt, die Paulus zuvor doch nur nebenbei berücksichtigt89 hatte. Außerdem: Wenn Wedderburn das Problem der Gesetzesobservanz als Wurzel des römischen Konflikts annimmt90, aber aufgrund von cap. 14 doch mit einer vergleichsweise moderaten Position der die Einhaltung eines „basic minimum of Jewish ritual requirements" fordernden römischen Schwachen rechnet91, dann fragt sich, warum der Adressant im ersten Hauptteil derart gründlich auf die Konfliktwurzel eingeht. Auf der Linie der im „paränetischen" Teil nach Wedderburn angestrebten Abschwächung des Adressatenkonflikts92 ist solche Gründlichkeit jedenfalls schwer erklärbar93. Auch im Ansatz von Elliott (1990), der den ganzen Rom für eine an Heidenchristen gerichtete, ihnen gegenüber kritische Paränese hält, liegt die Funktion des primär an die „Starken"

86

Paul 103f.

87

Paul 178. Reasons 139; vgl. 141.

88 89 90 91 92

Reasons 139. Reasons 49. Reasons 61 (Zitat ebd.).

Reasons 139. Insofern leuchtet Wedderbums zusammenfassende These zum Verhältnis von erstem und zweitem Hauptteil des Rom nicht ein: „The arguments of chapters 1-11 prepare the ground for the way in which Paul seeks to address this divided community in the appeals which follow in chapters 12-15 ... by allaying the fears and suspicions that fostered these divisions and tensions" (Reasons 139). Andererseits könnte man auf der Linie von Wedderbums Ansatz natürlich entgegenhalten: Der Konflikt der Adressaten untereinander ist nur ein Faktor in dem Bedingungsgefüge, aus dem heraus der Rom zu erklären ist. Um die grundsätzliche Argumentation des ersten Hauptteils zu erklären, muß dann eben ein weiterer Faktor (das Kollektenvorhaben, für das Paulus die Römer gewinnen will) geltend gemacht werden: Paulus muß sich grundsätzlich besonders mit solchen Einwänden auseinandersetzen, die die Schwachen veranlassen könnten, ihm die gewünschte Rückendeckung zu versagen. (Entsprechend bestimmt Wedderburn auch den Hauptzweck von cap. 1-11 [ebd.]). - Die Auseinandersetzung ließe sich nun mühelos fortsetzen, bliebe aber vermutlich unfruchtbar: Von seinem Ansatz her hat Wedderburn die Möglichkeit, Sachverhalte im Text, die sich nicht gut zueinander fügen, auf unterschiedliche Faktoren der historischen Wirklichkeit zurückzuführen, die nach seiner Rekonstruktion dem Text zugrundeliegt. Das ist - jedenfalls im Prinzip - wohl auch überzeugend für jeden, der Wedderbums schwerpunktmäßiges Interesse an einem differenzierten und in sich stimmigen Bild der im Rom vorausgesetzten historischen Realität teilt. Versucht man demgegenüber, die Abfassungsproblematik von ihrer textuellen Seite her anzugehen, bleibt dieses (zugespitzt formuliert: nach Bedingungsfaktoren aufsplittende) Erklärungsverfahren unbefriedigend. 93

Zum weiteren Verlauf der Diskussion

45

gerichteten Teils 14,Iff. nur scheinbar auf der Hand. Angenommen, die von Elliott einleitend erschlossene, konflikthaltige Adressatensituation 94 trifft zu und war Paulus bekannt, dann wendet sich das Schreiben nicht nur an Heidenchristen, die zur Fehleinschätzung Israels, zum Mißverstehen der Gottesgerechtigkeit usw. neigen. Die Frage ist dann: Was soll die judenchristliche Minorität, die in 14,Iff. in Gestalt der „Schwachen" vorkommt, mit dem ersten, allein auf die Heidenchristen berechneten Hauptteil in der Absicht des Verfassers anfangen? 95 Nun scheint Elliott freilich andererseits mehr zur Annahme einer rein prophylaktischen Ermahnung in 14,Iff. zu neigen: Paulus muß die Verhältnisse der römischen Gemeinde nicht genau gekannt haben. „His paraenesis is directed ... to prevent the sort of offense that Paul has seen in other Gentile-Christian congregations, and that he might reasonably expect could arise in Rome as well" 96 . In diesem Fall wären die Ausführungen von cap. 14 nicht unmittelbar an die faktischen Verhältnisse in Rom gebunden. Unter dieser Voraussetzung aber fragt sich: Warum läßt Paulus in cap. 14 dann nicht deutlicher werden, daß der Schwache für den Judenchristen steht, dem gegenüber er seine heidenchristlichen Adressaten vor möglichem Fehlverhalten bewahren will? Im Fall einer rein prophylaktischen Ermahnung war dieser Schluß für die Adressaten ja nicht ohne weiteres naheliegend 97 . - In allen drei Spielarten wirft der Versuch, die Starke-Schwache-Thematik aus 14,1-15,13 mit der Juden-Heiden-Thematik des ersten Hauptteils zu verbinden und von hier aus die Funktion des paränetischen Teils zu bestimmen, also ähnliche Fragen auf wie der entsprechende Versuch in den beiden Versionen des vierten „klassischen" Lösungsmusters 98 . Darüber hinaus bleibt festzuhalten: Während dem zweiten Teil der „Paränese" (14,Iff.) in allen drei Versionen eine Schlüsselposition für die Abfassungsproblematik eingeräumt wird, spielt deren erster „allgemeiner" Teil (12,1-13,14) in diesem Zusammenhang eine sehr unterge-

94

Rhetoric 5 I f f .

95

Vgl. die Frage von Daboume an Elliott (Rez. Elliott 609).

96

Rhetoric 56; vgl. 281; etwas anders aber ebd. 292. M.E. hätte sich Elliott für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden müssen: Entweder es gab Spannungen zwischen Heidenchristen und Judenchristen in Rom, und Paulus wußte davon. In diesem Fall konnte er damit rechnen, daß die Adressaten die nicht eindeutigen Hinweise auf die „Schwachen" in cap. 14f. durch eigene Situationskenntnis auffüllen. Oder: Paulus wußte nichts von Spannungen zwischen Heidenchristen und Judenchristen in Rom (gleichgültig, ob es sie gab oder nicht). In diesem Fall konnte er nicht damit rechnen, daß die Adressaten die Hinweise auf die „Schwachen" auf Judenchristen beziehen, und folglich kann dem Verfasser diese von den Adressaten herzustellende Beziehung dann auch nicht besonders wichtig gewesen sein. - Die Unausgeglichenheit von Elliotts Argumentation in diesem Punkt scheint mir auf eine grundsätzliche methodische Schwierigkeit hinzuweisen: Offenkundig lassen sich Ergebnisse historischer Rekonstruktionsarbeit nicht so unmittelbar wie bei Elliott in einen rhetorischen Ansatz integrieren, der sich in jedem Fall gegen die Gefahr des „mirror reading" (Rhetoric 281 Anm. 1) abgrenzen muß. 97

98

S. o. S. 29-32.

46

Zur Forschungslage

ordnete Rolle. Die Ausführungen von Wedderburn99, die den „allgemeinen" Teil als Vorbereitung des „speziellen" Teils erweisen wollen100, bilden in dieser Hinsicht eine Ausnahme, auf die noch zurückzukommen ist101. Es bleibt die zweite im Rahmen der „klassischen" Lösungsmuster nicht überzeugend beantwortete Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem jeweils angenommenen Briefzweck und den konkreten Hinweisen auf den geplanten Rombesuch im Briefschluß. Nach Kettunen (1979) will sich der Verfasser beim geplanten Besuch vor allem davon überzeugen, daß der Brief seinen Zweck (Stabilisierung der Adressaten gegen außergemeindliche Gegner) erreicht hat102 und daher „die Gemeinde Anlass für seinen Trost und seine Freude ist"103, so daß er von dieser Gemeinde Hilfe für die geplante Spanienmission bekommen kann104. Im Prinzip ähnlich kombiniert Wedderburn (1988) seine Bestimmung des Briefzwecks mit den Besuchsankündigungen: Paulus plant den Rombesuch, weil er sich für die Christen dort für verantwortlich hält (und nicht primär wegen der anschließenden Spanienreise)105. Der Brief, in dem sich Paulus gegen innergemeindliche Kritik an ihm verteidigt, soll verhindern, daß der geplante Rombesuch so ausfällt, wie es ohne Vorbereitung zu erwarten ist, nämlich als „occasion for strenous effort, even discomfort and distress, rather than one for refreshing encouragement as he hoped" 106 . Watson (1986) und Elliott (1990) gehen auf die spezielle Frage (Briefzweck und geplanter Besuch) nicht im einzelnen ein, sondern ordnen allgemeiner den Briefzweck den Zukunftsplänen des Paulus zu, und zwar in gegensätzlicher Weise: Nach Watson plant Paulus, der im Brief die römischen Judenchristen zum Anschluß an die Heidenchristen bewegen will, die auf diese Weise entstandene eine römische Gemeinde als Basis der Missionsarbeit in Rom und Spanien einzusetzen107. Vom Brief gilt jedenfalls: „Its function was preliminary: to persuade the Roman Jewish Christians to accept the Paulinists, in preparation for Paul's longer-term plans" 108 . 99

Reasons 75-87. In eine ähnliche Richtung zielt wohl auch die Bemerkung von Elliott: „The paraenesis... in chs. 12-13 urges a sober consideration of ones place before God and beside ones neighbor; the more concrete exhortations in chs. 14-15 apply that theme to Jew and Gentile" (Rhetoric 59; vgl. auch ebd. 92). Anders erklärt Watson die „general paraenesis of Rom. 12-13" zur Ausnahme: Anders als alle übrigen Briefteile trägt sie nichts bei zu dem Zweck, den Paulus nach Watson mittels des Schreibens erreichen möchte (Paul 173). 101 S. u. S. 63f. 102 Abfassungszweck 159.162; vgl. 164: „Die Römer müssen hinter Paulus stehen, bevor dieser in Spanien missionieren kann". 103 Abfassungszweck 166. 104 Abfassungszweck 167ff. 105 Reasons 102. 106 Reasons 108. 107 Paul 104. 108 Paul 105. 100

Zum weiteren Verlauf der Diskussion

47

Im Gegensatz dazu betont Elliott die Selbständigkeit des Briefs, in dem Paulus seine Absicht den Adressaten gegenüber vollständig realisiert109. Erst nachdem das geschehen ist, kommt Paulus am Briefende auf seine Missionspläne i.S. eines „broader context" zu sprechen110. M.E. setzen sich die unterschiedlichen Vorschläge zu schnell über die Auffälligkeit und Erklärungsbedürftigkeit des Textbefundes hinweg: Der Verfasser des Rom eröffnet mit dem Schreiben eine Kommunikationsbeziehung, er stellt schon in diesem ersten Kommunikationsakt - wiederum von sich aus - eine mündliche Fortsetzung in Aussicht, deutet dabei aber in keiner Weise an, welchen Sinn diese mündliche Fortsetzung denn für die Adressaten haben könnte. Unter ganz anderem Gesichtspunkt tritt in der Arbeit von Jervis (1991) dieses Problem ins Blickfeld: Ausgehend von der Beobachtung besonderer Merkmale des „apostolic parousia"-Abschnitts im Rom (15,14-32), bzw. seiner zweiten Hälfte (15,22-32)! n , hebt Jervis die „contingent nature" des paulinischen Rom-Besuchs hervor. Für Paulus ist der Rom-Besuch z.Zt. der Abfassung des Rom nicht mehr als eine „future probability"112. Aus der Hervorhebung dieses Sachverhalts folgt in bezug auf die Abfassungsproblematik für Jervis die Selbständigkeit des Briefs im Verhältnis zum geplanten, aber möglicherweise nicht realisierbaren Besuch113. An Jervis' Beobachtung bzw. deren Auswertung wird an späterer Stelle der Arbeit114 anzuknüpfen sein. 1.3.2 1.3.2.1

Tendenzen

„Bündelhypothesen"

Die eindeutige Fehlanzeige für Anzeichen einer Konsensbildung, die bei der Behandlung der fünf neueren, nach 1975 erschienenen Monographien zu erstatten war, läßt sich nicht unbedingt aufrecht erhalten, wenn man den Blickwinkel auf andere in diesem Zeitraum erschienene Veröffentlichungen erweitert. Zwar findet sich eine Reihe von Beiträgen, die eins der vier „klassischen" Modelle in der einen oder anderen Version mehr oder weniger geradlinig fortsetzen115; in der Mehrzahl sind aber wohl Stellungnahmen, die jedenfalls insofern miteinander übereinstimmen, als sie für ein ganzes Bündel von Motivatio109 Rhetoric 87. „The letter is Paul's εύαγγελίσασθαι" (ebd.). Zu Elliotts Verständnis von εύαγγελίσασθαι (1,15), das seiner Annahme einer paränetischen Funktion des ganzen Rom entspricht, s. ebd. 84f. 110 Rhetoric 91. 111 Purpose 124.130. 112 Purpose 161. 113 Purpose 161. 114 S. u. S. 80f. 115 Vgl. dazu o. S. 23f. Anm. 14; S. 24f. Anm. 15; S. 25 Anm. 18; S. 26f. Anm. 25; S. 27 Anm. 28; S. 32 Anm. 62.

Zur Forschungslage

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nen plädieren, die dem Rom zugrundeliegen, und daraus ein Bündel von Absichten ableiten, die bei der Abfassung des Briefs leitend waren" 6 . Für diese im Prinzip mit der Titelformulierung von Wedderburns Arbeit, „The Reasons for Romans", übereinstimmende - Tendenz zu „Bündelhypothesen" ist der Vorschlag von Williams (1980) ein charakteristisches Beispiel: „Paul has multiple motivations for writing Romans: he is thinking of the need soon to defend his mission in Jerusalem so that the highly symbolic collection will be received; he includes in a letter to Rome an extended statement formulated with his Jerusalem trip in mind because such a statement will provide a 'theological resume' on the basis of which he hopes to gain the support of the Roman Christians for his mission to Spain even as it will lay the foundation for the parenesis of chapters 12-14, Paul's response to certain conflicts in Roman Christianity. Because he intends to preach his Law-free gospel in the capital and because he requests the Christians there to exert themselves in prayer on his behalf as he journeys to Jerusalem, he considers it all the more appropriate to include in his letter a careful explication of his gospel which is, at the same time, a defense of his missionary career" 117 . An dieser zusammenfassenden Stellungnahme fällt auf: Williams führt den ersten und den zweiten Hauptteil des Rom auf Motivationsfaktoren zurück, die im Prinzip nichts miteinander zu tun haben. Kollektenübergabe, Spanienmission und aufgeschobener Rombesuch sind die dem ersten Hauptteil zugrundeliegenden, adressantenseitigen Faktoren 118 ; der innergemeindliche Konflikt ist der den zweiten Hauptteil bedingende, adressatenseitige Faktor 119 . Nun könnte man zwar - über Williams hinausgehend - im Interesse der vorgeschlagenen „Bündelhypothese" geltend machen, daß sich die aus den unterschiedlichen Faktoren ableitbaren Absichten ja durchaus plausibel verkoppeln lassen: Weil Paulus an der Fürbitte für die Kollektenübergabe, an der Unterstützung des Spanien-Projekts und überhaupt an einer positiven Reaktion auf die brieflich vorweggenommene

116 Vgl. z.B. Beker (1980), Paul 71-74; ders. (1988), Paul's Theology 371-377; Klaiber (1982), Rechtfertigung 55 Anm. 216; Dunn (1987), Analysis 2844; Ziesler (1989), Romans 15f.; Haacker (1990), Friedensmemorandum 29; Donfried (1991), Introduction 1991 LXX; Myers (1992), Art. Romans 821; Fitzmyer (1993), Romans 79f.; Schnelle (1999), Einleitung 124f.; Guerra (1995), Romans 4 0 - 4 2 . Vgl. auch die Hinweise von Wedderbum (1991), Ever-Rolling Stream 370f. Da Wedderburns eigene Arbeit der erwähnten Tendenz nahesteht und zu deren zunehmend breiteren Akzeptanz beigetragen hat, wird man seiner Warnung Gewicht beimessen: „Yet, although it is correct to see a variety of factors influencing Paul in his writing this insight has its dangers: above all, commentators may be too ready to accommodate all proposed possibilities" (ebd. 371). 117 118

Righteousness 254. Dazu: Righteousness 246-252.

119 Dazu: Righteousness 252-254. Wegen 12,3 und 13,1-7 vermutet Williams, daß sich der ganze „paränetische" Teil, und nicht nur cap. 14, in eine aktuelle Konfliktsituation richtet (ebd. 253). Hinsichtlich einer näheren Bestimmung des Konflikts bleibt Williams sehr zurückhaltend (ebd.).

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Verkündigung interessiert ist, darum ist eben nicht nur die „careful explication of his gospel", die der erste Hauptteil bietet, notwendig, sondern auch die im zweiten Hauptteil gebotene Korrektur der angespannten Gemeindesituation. Andererseits: Je dichter man die ableitbaren Absichten verkoppelt denkt, um so rätselhafter wird die getrennte Durchführung dieser Absichten im Text. Daß sich Paulus durch die Adressatensituation zur Stellungnahme genötigt sieht, davon aber im ganzen ersten Hauptteil nichts durchblicken läßt 120 , bleibt schwer erklärbar. M.a.W.: Das Hauptproblem von „Bündelhypothesen" dürfte in der Zurückführung verschiedener Textteile auf unterschiedliche Motivationsfaktoren liegen, weil auf diese Weise die Einheit des Textes unter pragmatischer Perspektive prinzipiell in Frage gestellt ist. Wenn man die Abfassungsproblematik von ihrer textuellen Seite her angeht, wird man darum „Bündelhypothesen" eher für eine Festschreibung denn für eine Lösung des Problems halten. 1.3.2.2

Vorordnung der Frage nach den

Entstehungsverhältnissen

Mit der inhaltlichen Tendenz zur Annahme einer Vielzahl von Motivationsfaktoren und daraus resultierender Absichten in gewisser Weise verbunden ist die methodische Tendenz, die Abfassungsproblematik von ihrer historischen Seite, also von den Entstehungsverhältnissen her, anzugehen. In diesem Zusammenhang hat die besonders schwer rekonstruierbare Situation der römischen Adressatengemeinde zweifellos das Hauptinteresse auf sich gezogen 1 2 1 . 1974 hatte Donfried programmatisch gefordert, jede Studie zum Rom habe von der Voraussetzung des Briefs als eines Eingriffs in die aktuelle Adressatensituation auszugehen und entsprechend mit der Auswertung der einschlägigen historischen Daten einzusetzen 122 . 1991 konstatiert derselbe Exeget das weitreichende positive Echo dieser Forderung, deutet aber zugleich an, daß die grundsätzliche und als Fortschritt gewertete methodische Übereinstimmung jedenfalls bislang nur zu ungefährer Übereinstimmung in der Einschätzung der Adressatensituation geführt hat: Viele Exegeten vermuten einen spannungsreichen Unruhezustand, bei dem die Polarisierung in mehrere Hauskirchen und unterschiedliche Grade der Abhängigkeit vom Judentum eine wichtige Rolle gespielt haben dürften 1 2 3 . Weitergehenden Aufschluß erhofft Donfried vor allem von einer künftig anzustrebenden intensiveren Wahrnehmung der Komplexität

12

0 Daran ändert sich nicht viel, wenn man mit Williams schon 11,13-24 durch das Verhalten einiger römischer Christen veranlaßt sieht (Righteousness 252f.), zumal der Zusammenhang des hier angesprochenen Problems (Überheblichkeit dem ungläubigen Israel gegenüber) mit dem Starke-Schwache-Konflikt aus cap. 14 auch nach Williams undeutlich bleibt (ebd. 253 Anm. 40). 121 Vgl. Dunns Hinweis auf die „increasing emphasis on the importance of the historical situation addressed" ([1987], Analysis 2844). 122

False Presuppositions 103f.

123

Introduction 1991 LXIX.

Zur Forschungslage

50

der römischen Adressatensituation; „do not the arguments of Lampe and others, for example, concerning the wide-ranging diversity of Roman Christianity contain the greatest plausibility?" 124 D.h.: Im Prinzip geht es für Donfried darum, den seinerzeit eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen, dessen Ziel in der differenzierten und historisch plausiblen Erfassung der Adressatensituation liegt. - Zwar darf die Tatsache, daß dieses Ziel bislang noch nicht erreicht ist, nicht gegen den von Donfried postulierten methodischen Zugriff ausgespielt werden, andererseits bleibt festzuhalten: Das bislang erreichte Ergebnis ist nicht geeignet, die schon erwähnten Vorbehalte gegen eine prinzipielle Vorordnung des historischen Zugriffs im Zusammenhang der Abfassungsproblematik 1 2 5 auszuräumen. Außerdem: In Donfrieds Richtungsangabe für künftige Forschung deutet sich die Gefahr einer Verselbständigung der Frage nach der Adressatensituation gegenüber dem Zusammenhang der Abfassungsproblematik an. In diesem Zusammenhang kann es j a nicht primär um eine möglichst differenzierte Beschreibung der komplexen Adressatensituation gehen (der selbstverständlich historisch die „greatest plausibility" zukommt), sondern es käme vielmehr primär auf die vom Adressanten (möglicherweise auch undifferenziert) wahrgenommene Adressatensituation an, für deren Beschreibung die Rekonstruktion der tatsächlichen Situation nur Hilfsfunktion hat, sofern die Wahrnehmung des Adressanten vermutlich nicht im Widerspruch zur historischen Realität steht, aber andererseits beides auch nicht identisch ist 126 . 1.3.2.3

Rhetorisch orientierte Beiträge als Korrektiv

Neben der inhaltlichen Tendenz zu „Bündelhypothesen" und der methodischen Tendenz zur Vorordnung der Frage nach den Entstehungsfaktoren ist schließlich auf die Tendenz zur Integration rhetorischer Fragestellungen zu verweisen. Mit einer entsprechenden Forderung hatte 1976 Wuellner kritisch in die „Romans Debate" eingegriffen 1 2 7 , mit seinen Hinweisen auf die in rhetorischen Kategorien beschreibbare Disposition 128 und Gattungszugehörigkeit 1 2 9

124 125

Introduction 1991 LXXf. S. o. S. 17-20.41-43.

12i > Zur Kritik vgl. insgesamt die detaillierten und stärker theoretisch interessierten Ausführungen von Vorster ([1994], Context 128-138). Vgl. auch Achtemeier ([1997], Judgments 5-9), der in der Zusammenfassung seiner Kritik (ebd. 9) allerdings den Bereich der Abfassungsproblematik verläßt. 127 „I want to restate my thesis that the study of Paul's letters generally, and of Romans specifically, requires a new orientation in the priority of our methods of study. The argumentative nature of religious literature ... calls for a methodology that can account for the nature and effects of argumentation" (Paul's Rhetoric 350). 128 1,1-15: Exordium (Paul's Rhetoric 335); l,16f.: Transitus (ebd. 345); 1,18-15,13: Confirmatio (ebd.); 1,18-11,36: Probatio (ebd. 347); 12,1-15,13: „parenesis" (ebd.); 15,14-16,23: Peroratio (ebd. 339). 129

Vgl. dazu besonders Paul's Rhetoric 337.342-345.

Zum weiteren Verlauf der Diskussion

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des Rom hatte er eine Richtung aufgezeigt, in der ihm einige spätere Beiträge gefolgt sind. Wie Wuellner möchten u.a. auch Kennedy (1984) und Jewett (1982.1986) den Rom dem epideiktischen Genus zuweisen 130 und vertreten eine an der Disposition der antiken Rede orientierte Beschreibung des Aufbaus des Rom 131 . - Hinsichtlich des Nutzens des Verfahrens kann man - jedenfalls beim gegenwärtigen Diskussionsstand132 - geteilter Meinung sein. Einerseits kann hier, wie bei den historisch orientierten Beiträgen, die Divergenz der Ergebnisse, z.B. bei der Zuordnung der Textteile des Rom zu den Redeteilen 133 (Exordium, Narratio, Propositio, Argumentatio, Peroratio)134, nicht als Argument gegen den methodischen Zugriff ausgewertet werden135. Es ist immerhin theoretisch denkbar, daß ein Konsens über die für einen Redeteil konstitutiven Merkmale gefunden werden 136 und dann einen Konsens über eine

130 Kennedy (1984), Rhetorical Criticism 152; Jewett (1982) möchte den Rom einer bestimmten Teilgattung epideiktischer Rhetorik, der „Ambassador's Speech", zuordnen (Ambassadorial Letter 8-10); vgl. ders. (1986), Following 383. Anders meint Vouga (1987), der Rom sei „nach dem Muster einer antiken Apologie konstruiert" (Narratio 225). Ein „apologetischer B r i e f ist der Rom auch für Hübner ([1992], Rhetorik 177); diese Zuordnung verdankt sich - wie Hübner selbst andeutet (ebd. 1770 - aber primär Überlegungen zur Genese des Rom (dazu ebd. 167-169). 131 Kennedys Dispositionsvorschlag ([1984], Rhetorical Criticism 152-156) unterscheidet sich von dem Wuellners (vgl. o. S. 50 Anm. 128) vor allem durch die Annahme von l,16f. als einer dem ganzen Brief zugrundeliegenden Propositio, die als Partitio zugleich strukturbestimmend für den ersten Hauptteil (1,18-11,36) ist (ebd. 153f.), außerdem durch die Auffassung von 12,1-15,13 („pastoral application") als eines neben 1,18-11,36 („the positive message and the refutation of objections") eigenständigen Hauptteils (ebd. 153). Hauptdifferenzen zwischen Jewetts Dispositionsvorschlag ([1986], Following 382-389) und dem von Wuellner sind; Annahme einer Narratio in 1,13-15 (ebd. 384.386); Auffassung von l,16f. als Propositio bzw. Partitio (ebd. 384.386); Kennzeichnung von 1,18-15,13 als Probatio, innerhalb derer 5,1-8,39; 9,1-11,36; 12,1-15,13 je eine auf die grundlegende Confirmatio in 1,18-4,25 („main argument" [ebd. 385]) zurückbezogene Amplificatio bietet (ebd. 385f.). Einen weiteren Dispositionsvorschlag, der allerdings nur bis 11,36 reicht und nur als „Ausgangshypothese" der Untersuchung von 1,18-3,20 dient, bietet Vouga (1987), Narratio 225f.; vgl. außerdem noch Siegert (1985), Argumentation 113. - Eine Übersicht über Dispositionsvorschläge zum Rom, die sich an rhetorischen Kategorien orientieren, bietet Watson (1995), Rhetorical Criticism 226-228. 132 Donfried ([1991], Introduction 1991 LXXI) und Hübner ([1992], Rhetorik 167) weisen zu Recht darauf hin, daß sich die Diskussion noch in einem Anfangsstadium befindet. 133

Vgl. o. Anm. 131. Aufzählung nach: Schematische Übersicht über das System der antiken Rhetorik. Die wichtigsten Gliederungen des rhetorischen Systems 1413f. (Tabelle im Anhang zu: Hommel/Ziegler, Art. Rhetorik 1396-1410). Diese Tabelle bedient sich „einer notwendig vergröbernden Vereinfachung", um die „verwirrende Systematik überschaubar zu machen" (ebd. 1413). 134

135 Auch aus der möglicherweise negativen Beantwortung der Frage nach den für Paulus anzunehmenden Kenntnissen griechischer Rhetorik scheint mir kein prinzipielles Gegenargument ableitbar zu sein (vgl. dazu die grundsätzlichen Überlegungen von Classen [1991], Paulus 2 - 4 ) . Andernfalls wäre mit demselben Recht die Verwendung grammatischer Kategorien bei der Textinterpretation (z.B. „gen. subj." und „gen. qual." bei der Interpretation von δικαιοσύνη θεοϋ) zu problematisieren. 136 Praktisch ist solch ein Konsens allerdings nur schwer vorstellbar, weil er seinerseits einen Konsens über die Materialgrundlage voraussetzen würde: Sollen die Merkmale aus theoretischen

Zur Forschungslage

52

entsprechende Identifikation der Teile des Rom nach sich ziehen könnte; analog könnte man sich theoretisch eine weitere Diskussion der Genus-Frage vorstellen. Andererseits: Es bleibt die Frage, ob aus solcher konsensmäßig akzeptierten Neukennzeichnung von Aufbau und Gattung des Rom Erkenntnisse zur kommunikativen Funktion des Textes ableitbar sind, die so speziell und präzise ausfallen, daß sich aus ihnen in der Diskussion der Abfassungsproblematik ein Fortschritt ergeben könnte. M.a.W.: So interessant identifizierende Zuordnungen des Rom zum rhetorischen Modell unter einem übergreifenden literatur- bzw. gattungsgeschichtlichen Gesichtspunkt möglicherweise sind, so wenig ist damit vorab über den Gewinn für eine am Einzeltext interessierte Fragestellung entschieden 137 . Daß jedenfalls bislang auf dem Weg rhetorischer Neubeschreibung noch kein einschneidender Fortschritt erreicht ist 138 , zeigen die Antworten von Wuellner, Kennedy und Jewett auf die Frage nach der Zuordnung des zweiten Hauptteils des Rom, also auf jene Frage, die sich schon nach der Diskussion der vier „klassischen" Lösungsmodelle und der fünf neueren Monographien als ungelöst zeigte. Die Frage kommt einerseits dem Interesse der rhetorischen Ansätze am Aufweis des Textes als Argumentationseinheit entgegen, berührt aber im Blick auf die Verwendung von Kategorien aus der antiken Rhetorik einen wunden Punkt 139 : Die Ermahnung gehört nicht zu den für das epideiktische Genus 140 charakteristischen Funktionen, und die Disposition der antiken Rede sieht für Ermahnungen keinen eigenständigen Redeteil vor. Entsprechend orientiert sich Wuellner (1976) bei seiner Erläuterung des Verhältnisses des zweiten zum ersten Hauptteil an Überlegungen aus der „Neuen Rhetorik"141; er kennzeichnet 12,1-15,13 insgesamt als Explikation der praktischen Verpflichtung, die den Argumentationsteilnehmern aus der im ersten Hauptteil vorangehenden Argumentation erwächst 142 . Des näheren ist 14,Iff., wie schon 13,1-7, als Exemplum zu der in mehreren Topoi entfalteten allgemeinen Paränese in 12,3ff.

Äußerungen antiker Rhetoriker bzw. moderner Rezipienten oder aus einem - wie auch immer abzugrenzenden - Kanon von Gattungsexemplaren erhoben werden? 137 M.E. ist das Problem dem der dezidiert historischen, auf differenzierte Erfassung der komplexen Adressatensituation zielenden Ansätze grundsätzlich vergleichbar: Wird dort der Rom primär als Quelle zur Rekonstruktion historischer Realität behandelt, so kommt er im Rahmen der Ansätze, die auf eine am rhetorischen Modell orientierte Neubeschreibung zielen, primär als (mögliches) Gattungsexemplar ins Blickfeld. 138 vgl. auch die Kritik von Aletti (1990), Presence 2-7. 139

Zum Problem vgl. Aletti (1992), Dispositio 400. 140 Vgl. dazu: Matuschek (1994), Art. Epideiktische Beredsamkeit, besonders 1258f.

141

Konkret bezieht sich Wuellner bei dieser Frage (wie bei den vorangehenden Überlegungen zur Epideiktik) auf die „Neue Rhetorik" von Perelman und Olbrechts-Tyteca (vgl. Paul's Rhetoric 347 mit Anm. 84f.). 142 Paul's Rhetoric 347: „Thus, the parenetic part, Rom 12:1-15:13, spells out the practical commitment of those who took part in the argumentation".

Zum weiteren Verlauf der Diskussion

53

zu verstehen 143 . Da Wuellner darauf verzichtet, inhaltlich zu erläutern, worin genauer die praktische Verpflichtung der Adressaten besteht, inwiefern sie sich aus dem ersten Hauptteil ergibt, inwiefern 14,Iff. zusammen mit 13,1-7 exemplarischen und auf 12,3ff. zurückbezogenen Charakter hat usw., ist seine in rhetorischer Terminologie ausgedrückte Gesamtcharakterisierung von 12,1-15,13, die übrigens genauso gut, wenn nicht besser, zur Paränese des Gal passen würde, zwar einerseits nicht angreifbar, andererseits aber auch nicht besonders hilfreich. Etwas anders als Wuellner, der im Blick auf den ersten Hauptteil grundsätzlich auf den handlungsvorbereitenden bzw. handlungserzeugenden Charakter von Argumentation hinweist 144 , nuanciert Kennedy (1984), der den zweiten Hauptteil als mit Überzeugung und Einstellung, „not with action", befaßt annimmt und darum die Zuordnung des Rom zum epideiktischen Genus durch 12,1-15,13 nicht in Frage gestellt sieht 145 . Insgesamt gilt ihm der zweite Hauptteil als „pastoral application" der zuvor entfalteten Lehre 1 4 6 . Jewett (1986), der ebenfalls den engen Zusammenhang des paränetischen Teils mit den vorangehenden Ausführungen aufweisen möchte, erklärt ganz direkt, daß er den Terminus Exhortatio für 12,1-15,13 deshalb nicht verwendet, weil er in der antiken Rhetorik nicht als Bezeichnung eines Rede- bzw. Briefteils vorkommt 1 4 7 . Er schlägt eine Art formaler Gleichschaltung zwischen 12,1-15,13 und 5,1-8,39; 9 , 1 11,36 vor: Alle drei Teile bieten j e eine Steigerung (Amplificatio), die sich auf den grundlegenden Teil der Argumentation, 1,18-4,25 (Confirmatio), zurückbezieht 148 . Genauer ist 12,1-15,13 (wie 5,1-8,39) eine Steigerung duch Schlußverfahren (Amplificatio als Ratiocinatio); behandelt werden die ethischen Implikationen der in 1,18-4,25 dargelegten Lehre von der Gottesgerechtigkeit durch den Glauben 1 4 9 . Die beiden Schwierigkeiten, mit denen Jewetts Vorschlag konfrontiert, liegen auf der Hand: 1. Der Rückgriff auf eine rhetorische Kategorie wie „Amplificatio als Ratiocinatio" trägt darum nichts aus, weil der entscheidende Sachverhalt, nämlich der mit 1,18-4,25 verbindende Implikationszusammenhang, auf diese Weise zwar behauptet, aber nicht gezeigt ist. 2. Unabhängig davon, ob und aus welchen Gründen man die Kennzeichnung des zweiten Hauptteils als Exhortatio für unpassend hält 150 , fest steht, daß 12,1-15,13 erheblich stärker adressatenbezogen, „dialogischer" formuliert ist als 1,18-11,36. Dieser Wechsel des Sprechaktcharakters wird

143

Paul's Rhetoric 347f. „That is why there is, and has to be 'a close connection between argumentative thought and the action it paves the way for or brings about'" (Paul's Rhetoric 347; Zitat aus dem Werk von Perelman und Olbrechts-Tyteca). 145 Rhetorical Criticism 154. Die paränetischen Ausführungen „do not, as elsewhere, convert the letter into deliberative rhetoric" (ebd.). 146 Rhetorical Criticism 153. 147 Following 386: „Since none of the ancient rhetoricians used the term exhortatio as a part of a speech or a letter, I prefer to avoid its use here". 148 Following 385f. 149 Following 386. 150 M.E. können sich solche Gründe allein aus Textbeobachtungen ergeben, keinesfalls aber aus Hinweisen auf das Modell, das man zur Beschreibung des Textes einsetzen möchte (zu Jewetts in der folgenden Anm. zitierten Bemerkung). 144

54

Zur Forschungslage durch die Gleichschaltung von 12,1-15,13 und 5,1-8,39 (9,1-11,36) nivelliert151, so daß das Problem im Rahmen von Jewetts Vorschlag nicht zum Zuge kommen kann152.

Zusammen gesehen, verweisen die drei Antworten auf eine prinzipielle Schwierigkeit: Da das Interesse an der Zuordnung des Rom zum rhetorischen Modell (in der jeweils vorausgesetzten Fassung) dominiert, treten bei der Analyse die modellentsprechenden und rein formalen Züge des Textes in den Vordergrund, und die individuellen Züge bleiben im Hintergrund. Umgekehrt ist die Abfassungsproblematik eindeutig primär auf den Rom als individuellen Text bezogen, und aus dieser Perspektive ist von einer kategorisierenden Neubeschreibung kein entscheidender Fortschritt erwartbar153. Auf diese Schwierigkeit ist mittlerweile nicht nur von Kritikern 154 , sondern auch von Vertretern

151 An dieser Gleichschaltung hält Jewett auch in der erweiterten Fassung des Aufsatzes von 1991 (Following the Argument) fest. Diese erweiterte Fassung benutzt z.T. ergänzend, z.T. ersetzend andere Kategorien für die Kennzeichnung von 5,1-8,39; 9,1-11,36; 12,1-15,13 (ebd. 271f.273f.). Aufgrund einer bestimmten und ungewöhnlichen Verwendung des Terminus Exhortatio in einem Beleg bei Hermogenes (ebd. 270 Anm. 29) meint Jewett nun doch, 12,1-15,13 als Exhortatio bezeichnen zu können: „Hermogenes' use of the term 'exhortation' to describe a phase in the elaboration of a thesis opens the door to its employment in the analysis of Romans. In this instance, the exhortation section is an essential portion of the proof concerning the righteousness of God manifest in the gospel, as stated in the thesis of 1:16-17" (ebd. 272). In der Sache, also in der Einordnung von 12,1-15,13 in den Rom, hat sich gegenüber der Fassung von 1986 also nichts geändert. Gerade der Vergleich der beiden Fassungen des Aufsatzes von Jewett dürfte ein deutliches Licht auf den Experimentiercharakter des Verfahrens werfen und außerdem das Gewicht, das Jewett den zur Beschreibung herangezogenen rhetorischen Kategorien beimißt, erheblich in Frage stellen. (Zu Jewett [1991] vgl. aber anders Donfried [1991], Introduction 1991 LVIII). 152 Einen andersartigen - den rhetorischen Ansätzen jedenfalls nicht unmittelbar zuzurechnenden - Vorschlag bietet der Beitrag von Aune ([1991], Logos 278-296), in dem der Rom in doppelter Hinsicht der Gattung des Logos protreptikos „or 'speech of exhortation'" (ebd. 278) zugerechnet wird: 1. Bis auf Rom 9 - 1 1 besteht der erste Hauptteil des Rom aus drei ursprünglich selbständigen Logoi protreptikoi (1,16-2,11; 2,12-4,25; 5,1-8,39), die in der Zeit der paulinischen Verkündigungs- und Lehrtätigkeit vor dem Rom entstanden sind. 2. Paulus hat diese Einheiten miteinander verbunden, um den römischen Christen Beispiele für seine Evangeliumsverkündigung zu bieten. Durch die Verbindung mit cap. 9 - 1 1 und mit den paränetischen Ausführungen („an appropriate conclusion to the main protreptic section ..., for they provide examples of the concrete moral behavior expected of Christians" [ebd. 296]) und die Ergänzung der brieflichen Rahmenteile ist der Rom entstanden. „Romans is a speech of exhortation in written form which Paul addressed to Roman Christians to convince them (or remind them) of the truth of his version of the gospel ... and to encourage a commitment to the kind of lifestyle which Paul considered consistent with his gospel" (ebd. 278f.). An einer genaueren Bestimmung der Funktion von 12,1-15,13 in Verbindung mit der dem ersten Hauptteil zugeschriebenen Funktion ist Aune nicht interessiert, sein Interesse richtet sich vielmehr eindeutig (trotz der mehr beiläufigen Bemerkungen zur Abfassungsproblematik ebd. 289) auf den Rom als Exemplar der Gattung Logos protreptikos. 153 Damit soll natürlich nicht die heuristische Relevanz bestritten sein, die rhetorisch orientierten Zuordnungsvorschlägen (ähnlich aber z.B. auch epistolographisch orientierten Vorschlägen) zukommen kann. 154 Vgl. z.B. Dunn (1987), der vor ,rhetorical parallelomania or overenthusiastic categorizing" warnt (Analysis 2845).

Zum weiteren Verlauf der Diskussion

55

rhetorisch orientierter Forschung155 hingewiesen worden. Unter denjenigen Beiträgen zum Rom, die sich im Rahmen eines rhetorisch orientierten Ansatzes um eine über formale Kategorisierung hinausgehende Weiterführung bemüht haben, ist derjenige von Crafton (1990) besonders interessant, weil hier die rhetorische Analyse explizit mit der Abfassungsproblematik verbunden wird156. In einem ersten Schritt unternimmt Crafton eine Analyse der historischen Adressaten· und Adressantensituation und gelangt dabei zu einer von vielen Exegeten geteilten Beurteilung. Entscheidendes Merkmal in der Adressatensituation ist „a lack of mutual acceptance and tolerance, specifically focused in strained Jewish-Gentile relations" 157 ; entscheidend für die paulinische Situation ist der Ausblick auf die geplante Spanienmission und die in ihrem Erfolg gefährdete Kollektenübergabe, die die Gleichheit von Juden und Heiden symbolisiert 158 . Den Rom selbst versteht Crafton als „rhetorical vision", die zwar anknüpft an die historische Adressantenund Adressatensituation, beide aber gleichsam einzeichnet in einen Entwurf, dessen übergreifendes Thema der alle Völker betreffende Heilsplan Gottes ist 159 : Der Adressant stellt sich als der mit der Realisierung des Heilsplans Gottes Beauftragte dar, die Adressaten werden als in diesen Heilsplan bereits Eingebundene gezeigt 160 . Speziell der zweite Hauptteil des Rom fungiert nach Crafton als Einladung der Adressaten, die ihnen im Entwurf zugewiesene, Streitereien und Intoleranz ausschließende Rolle zu leben und auf diese Weise wie Paulus selbst „active workers" im Zusammenhang der Realisierung von Gottes Heilsplan zu werden 1 6 1 . Dabei berührt cap. 14 zwar den Problemkern der historischen Adressatensituation, spart aber den heilsgeschichtlichen Streitpunkt gerade aus: „This new formulation is not made in the terms of the Jewish-Gentile conflict, as one might expect,... because Paul desires that his audience move beyond this dichotomy. Explicit references to the salvational-historical issue have been left behind in Paul's paraenesis, for he is now addressing the Roman Christians as the body of Christ, called from Jew and Gentile into a new reality" 162 . - Die Behandlung der Starke-Schwache-Thematik bei Crafton dürfte auf ein Problem hinweisen, das auch im Rahmen seines weiterführenden Entwurfs nicht schlüssig gelöst wird: Mit der Feststellung, daß die Neuformulierung der Adressatensituation in cap. 14 auf der Ebene der „rhetorical vision" keinen Hinweis auf einen Juden-Heiden-Konflikt enthält, ist ja die wichtigste Quelle für die gegenläufige Behauptung auf der Ebene historischer Realität aus der Hand gegeben. (Auch dem auf den Rom als Quelle angewiesenen Historiker steht der Text ja nur als „rhetorical vision" zur Verfügung.) Das gilt jedenfalls dann, wenn man

155

Vgl. z.B. Aletti, Presence 4f.; ders., Dieu 49 Anm. 1. Der volle Titel des Aufsatzes lautet: „Paul's Rhetorical Vision and the Purpose of Romans: Toward a New Understanding". 156

157

Rhetorical Vision 320-325 (Zitat 321).

158

Rhetorical Vision 325-328. Rhetorical Vision 328

159 160 161 162

Rhetorical Vision 332f. Rhetorical Vision 333. Rhetorical Vision 336f.

Zur Forschungslage

56

Craftons Ansicht, nach der schon aus dem ersten Hauptteil des Rom (und aus cap. 16) direkt Spannungen zwischen Juden- und Heidenchristen in Rom erschließbar sind' 6 3 , auf keinen Fall zu teilen vermag 1 6 4 . Zweifel an Craftons historischer Rekonstruktion ziehen dann aber unweigerlich Zweifel an seiner Interpretation der „rhetorical vision" nach sich. Konkret: Wenn man den auf dem ersten Hauptteil basierenden, historischen Rückschluß auf einen Konflikt zwischen Juden- und Heidenchristen in Rom nicht teilt, dann wird man auch bezweifeln, daß Paulus auf der Ebene der „rhetorical vision" deshalb generalisiert, weil er seine Adressaten über diesen Konflikt hinausführen will.

Über den Anfragen an ausgewählte Arbeiten aus der rhetorisch orientierten Forschung darf das im Rahmen der „Romans Debate" weiterführende Potential dieser Forschung nicht aus dem Blickfeld geraten. Dieses Potential läßt sich in zwei Punkten zusammenfassen: 1. Anknüpfend an Ansätze aus der neuen Rhetorik und aus der Sprachphilosophie hat besonders Crafton (1990) in seiner Behandlung des Rom als einer ,rhetorical vision" den kreativen Charakter des Textes mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht 165 . Der Text ist nicht einfach Antwort, die aus vorausliegender Adressanten- bzw. Adressatenwirklichkeit folgt, sondern er enthält einen situationsübergreifenden Entwurf, in dem Adressant und Adressaten neu konstituiert und aufeinander bezogen werden. In diesen Entwurf will Paulus die römischen Christen einbeziehen 166 . Gleichgültig, wie man die Durchführung dieses Ansatzes bei Crafton beurteilt - seine Verbindung von historischer Rekonstruktion und Interpretation der „rhetorical vision", deren Themabestimmung und die darin vorausgesetzten exegetischen Entscheidungen in jedem Fall stellt seine Auffassung des Textes als einer von historischer Realität nicht unabhängiger, aber auch nicht einfach daraus resultierender Größe ein entscheidendes Korrektiv zu jenem Ansatz dar, der im Rahmen der Abfassungsproblematik zu prinzipieller Vorordnung der historischen Frage nach den Entstehungsfaktoren neigt. 2. Alle rhetorisch orientierten Ansätze stellen den Text explizit oder implizit primär unter eine pragmatische Perspektive 167 . Unter dieser Perspektive erscheint der Text

163

Rhetorical Vision 321 f. (Crafton geht bei seiner historischen Analyse also nicht den von Vertretern seiner Position normalerweise eingeschlagenen Argumentationsweg: Rückschluß auf einen Konflikt der römischen Christen aus cap. 14; religionsgeschichtliche Zuordnung der „Schwachen" zum Judenchristentum; Verlängerung der beiden Kontrastpositionen nach rückwärts in den ersten Hauptteil des Rom). 164 Zu Craftons Aufzählung von Indizien (Rhetorical Vision 321). 165 Vgl. dazu den theoretischen Vorspann des Beitrags (Rhetorical Vision 317-320). 166 „In Romans Paul reconstitutes the Christian community in Rome, his own missionary career, and the entire Christian mission, under a new set of terms. Paul creates a text which is a strategic and stylized naming of a situation, which invites the readers to participate in a specific world-view" (Rhetorical Vision 320). 167 Zur mittlerweile gebräuchlichen Unterscheidung zwischen syntaktischer, semantischer und pragmatischer Perspektive bzw. zwischen den diesen Perspektiven korrespondierenden Ebenen eines Textes s. Plett (1979), Textwissenschaft 52-114. Zum Zusammenhang zwischen Textprag-

Zum weiteren Verlauf der Diskussion

57

als sprachliches Handeln des Verfassers an seinen Adressaten. (Erst von dieser Fragehinsicht aus wird ja der Rückgriff auf die nach den Regeln der antiken Rhetorik gebaute Rede als Modell überhaupt verständlich: Der antiken Reflexion der Disposition einer Rede liegt die Frage zugrunde, wie ein Text gebaut sein muß, um in bestimmter Weise zu wirken; entsprechend steht die Reflexion der Genera in engem Zusammenhang mit der Reflexion typischer Redesituationen bzw. diesen entsprechender, typischer Wirkabsichten.) Aus solcher Konzentration auf die pragmatische Ebene des Textes ergibt sich (unabhängig von dem zur Analyse dieser Ebene eingesetzten Werkzeug) für die Diskussion der Abfassungsproblematik ein wichtiger Impuls: Der traditionellen Frage nach dem Abfassungszweck, also nach dem Ziel, das der Verfasser mittels des Textes zu erreichen trachtet, wird die Frage nach dem „Funktionieren" des Textes zur Seite gestellt, also die Frage nach der sprachlichen Handlung, die der Text selbst ist. M.a.W.: Die Frage nach dem „warum" und „wozu" der sprachlichen Handlung wird ergänzt durch die Frage, worin denn diese sprachliche Handlung überhaupt besteht. Daß die Fragen nicht identisch sind, liegt trotz ihres unbestreitbaren Zusammenhangs auf der Hand 168 . Die Gewichtung der Frage nach der Textfunktion als eines relativ eigenständigen Faktors neben Abfassungszweck und Abfassungsverhältnissen hat nun ihrerseits eine erhebliche Konsequenz: Sie bindet die Diskussion der Abfassungsproblematik in höherem als dem gewohnten Maß an die Exegese des Textes.

raatik und Rhetorik vgl. die zugespitzte Formulierung bei Thuren (1990): „In a sense, the textlinguistic term for rhetorics is pragmatics" (Rhetorical Strategy 52 Anm. 49). '68 S. o. S. 4 1 - 4 3 .

58

Zur Forschungslage

1.4 Zwischenbilanz 1. Trotz intensiver Diskussion seit Beginn der 70er Jahre ist die Frage nach dem Abfassungszweck des Rom ungelöst. Allerdings scheint sich eine Mehrheitsmeinung zugunsten der Annahme eines Absichts- bzw. Motivationsbündels herauszubilden. Tatsächlich vermag aber die angenommene Kombination mehrerer dem ersten Hauptteil des Rom zugrundeliegender, adressantenbezogener Motivationen mit einer dem zweiten Hauptteil zugrundeliegenden, adressatenbezogenen Motivation vor allem deshalb nicht zu überzeugen, weil sie das Verständnis des ganzen Textes als einer Einheit auf pragmatischer Ebene eher hindert als fördert. 2. Die durch die methodische Auffächerung der neueren monographischen Beiträge provozierte Überlegung zum eigentlichen Gegenstand der Debatte und die Rückfrage nach dem Potential der rhetorisch orientierten Beiträge ließen übereinstimmend folgenden Gesichtspunkt hervortreten: Die Abfassungsproblematik läßt sich nicht auf die Frage nach dem Zweck bzw. den Zwecken reduzieren, die der Autor Paulus mittels des Schreibens zu erreichen trachtete, und die Bestimmung dieses Zwecks bzw. dieser Zwecke ist nicht als eindeutige Konsequenz aus der Bestimmung der adressanten- bzw. adressatenseitigen Abfassungsverhältnisse ableitbar. Im Sinn eines kritischen Korrektivs gegen historistische Engführungen erscheint es sinnvoll, die Frage nach der Textfunktion (genauer vielleicht: nach dem Funktionieren des Textes) als relativ eigenständigen Problemfaktor zu gewichten. Bei dieser Frage geht es um Beschreibung und Analyse des Textes als sprachlicher Handlung, d.h. es geht um das, was der Adressant in seinem Schreiben tut, im Unterschied zum „warum" und „wozu" dieses Tuns. Ziel einer solchen Analyse ist die Erhebung der im Text (bzw. in den einzelnen Teiltexten) realisierten Mitteilungs- und Wirkabsicht. 3. Die Gewichtung der auf dem Weg der Analyse zu ermittelnden Textfunktion als eines Faktors im Rahmen der Abfassungsproblematik bindet die Diskussion dieser Problematik in hohem Maß an die Einzelexegese. Daher erscheint es sinnvoll, die forschungsgeschichtlichen Hinweise zur Abfassungsproblematik zu ergänzen durch eine Skizze unterschiedlicher Modelle in der Auslegung desjenigen Briefteils, der sich in den vorangehenden Überlegungen zur Sekundärliteratur immer wieder als problematisch zeigte (12,1-15,13): Bei den adressantenseitigen Hypothesen war die Tendenz zur Verdrängung dieses Briefteils bemerkbar 1 , bei den adressatenseitigen Hypothesen die hohe Ge-

1

S. o. S. 32; vgl. S. 14 Anm. 7; S. 43 Anm. 84.

Zwischenbilanz

59

wichtung von cap. 14 als Quelle2; bei Zuordnungsvorschlägen zum rhetorischen Modell fiel die Sperrigkeit dieses Briefteils dem vorausgesetzten Modell gegenüber auf 3 , bei rhetorischen Arbeiten, die über solche Zuordnung hinausdrängen, wurde gerade bei der Behandlung von 12,1-15,13 die Schwierigkeit der angestrebten Integration von rhetorischer und historischer Fragestellung auffällig4.

2 3 4

S. o. S. 32; vgl. S. 43-46. S. o. S. 52-54. S. o. S. 45 Anm. 97; S. 55f.

60

Zur Forschungslage

1.5 Die zweiteilige „Paränese" des Rom Zuordnungsvorschläge In gewisser Weise hat die Zweiteiligkeit des Briefcorpus des Rom eine Entsprechung innerhalb des zweiten, dialogisch gehaltenen Hauptteils: Nach geläufiger Einschätzung folgen hier den allgemeinen, also nicht exklusiv auf die Adressaten berechneten Ermahnungen (cap. 12; 13) solche, die sich direkt in die Adressatensituation richten (14,1-15,13). Zur Verfestigung dieser Zweiteilung 1 haben besonders die formgeschichtlichen Untersuchungen von Dibelius beigetragen, der Rom 12; 13 als Paränese im engeren Sinn charakterisiert hatte, d.h. die Kapitel jenen Textabschnitten zugeordnet hatte, die weithin traditionelles Material wiedergeben und denen darum „eine unmittelbare Beziehung auf die Briefsituation" fehlt 2 . Solche Ermahnungen „sind nicht für bestimmte Gemeinden und konkrete Fälle formuliert, sondern für die allgemeinen Bedürfnisse der ältesten Christenheit" 3 . - Diese formgeschichtliche Charakterisierung des in cap. 12; 13 enthaltenen Materials nützt, selbst wenn sie auf den ganzen Bestand der beiden Kapitel gleichmäßig zuträfe, der am Text der beiden Kapitel interessierten Auslegung wenig. Im Zusammenhang der Auslegung interessiert ja nicht die Frage, ob die Kapitel den „allgemeinen Bedürfnisse[n] der ältesten Christenheit" entsprechen, ob sie folglich an jede beliebige Gemeinde hätten gerichtet werden können. Die Auslegung fragt vielmehr, inwiefern sich Paulus auch in diesen beiden Kapiteln an die römischen Christen gerichtet hat. Unter dem Aspekt dieser Frage ist Dibelius' Zuordnung von Rom 12; 13 zu den „unbrieflichsten Abschnitte[n]" der Paulusbriefe 4 keine Hilfe, sondern eine Problemanzeige, und das gilt vor allem dann, wenn man cap. 12; 13 mit den folgenden Ausführungen in 14,Iff. zusammensieht, die nun doch der Mehrheitsmeinung zufolge direkt auf die Adressatensituation bezogen sind und daher einen im Rahmen des Rom geradezu auffallend brieflichen Charakter haben. Entsprechend sind die Überlegungen von Dibelius in neueren Beiträgen zur Auslegung des zweiten Hauptteils des Rom denn auch als Problemanzeige aufgefaßt worden. Im Blick auf die verschiedenartigen Versuche, die „unbrieflichen" Ausführungen (12,1-13,14) mit ihrer „brieflichen" Fortsetzung (14,115,13) zusammenzusehen, lassen sich idealtypisch drei Lösungsmodelle voneinander unterscheiden.

1

Vgl. z.B. Kühl (1913), Römer 412f.; Jülicher (1917), Römer 226.

2

Dibelius (1966 [1. Aufl. 1919]), Formgeschichte 239 (1. Aufl.: 70); vgl. ders. (1964 [1. Aufl. 1921]), Jakobus 15f. (1. Aufl.: 3). 3 4

Dibelius (1966 [1. Aufl. 1919]), Formgeschichte 239 (1. Aufl.: 70). (1964 [1. Aufl. 1921]), Jakobus 15 (1. Aufl.: 3).

Die zweiteilige „Paränese" des Rom - Zuordnungsvorschläge

1.5.1

61

Adressatenorientiert

Das erste Modell liegt in sehr unterschiedlichen Versionen vor. Die diesen Versionen gemeinsamen Grundgedanken lassen sich etwa folgendermaßen zusammenfassen: Mit den Ausführungen über Starke und Schwache in 14,Iff. will Paulus in einen aktuellen Konflikt der römischen Adressatengemeinde eingreifen. Die beiden vorangehenden Kapitel 12 und 13 sind, anders als Dibelius meinte, darum nicht schlechterdings „unbrieflich", weil sie auf dieses Problem der Adressatensituation schon hinführen. Eine Hauptdifferenz zwischen den im folgenden zu erwähnenden Versionen liegt in dem Maß, in dem für cap. 12; 13 Vorbereitungscharakter angenommen wird. 1. Noch ganz zurückhaltend in dieser Richtung argumentiert z.B. Ortkemper (1980), der grundsätzlich zwar am Kontrast zwischen allgemeiner Paränese in cap. 12f. und spezieller Paränese in cap. 14f. festhält 5 , aber doch nicht ausschließen möchte, daß sich Einzelelemente innerhalb von cap. 12f. in die römische Gemeindesituation richten. So scheint ihm die „Warnung vor Überheblichkeit und die Mahnung zu rechter Selbsteinschätzung und Demut in 12,3.10.16 ... in die römische Situation zu zielen" 6 . 2. Prägnanter fällt die Zuordnung von 12,Iff. zu 14,Iff. bei Schmithals (1988)7 aus. Die „Allgemeine Paränese" ist die „Einleitung" 8 , die „Spezielle Paränese" ist der „Hauptteil" 9 eines aus 12,1-15,33; 16,21-23 rekonstruierten eigenständigen Briefs des Paulus an die Römer (= „Rom B") 10 . Dabei verhält es sich so, „daß Paulus die 'spezielle Paränese' in der 'allgemeinen' mit Bedacht schon thematisch vorbereitet, so freilich, daß er dabei die Grundsätze und die Grundlegung des christlichen Handelns überhaupt entfaltet" 11 . Die vorbereitende Funktion der allgemeinen Paränese wird von Schmithals an den folgenden Textelementen festgemacht: 12,3.93.10[εϊς άλλήλους].16; 13,10a 12 . Diese Textelemente gehören nach Schmithals zu einer redaktionellen Schicht, in der Paulus das ihm vorgegebene Traditionsmaterial auf das in 14,Iff. direkt angesprochene gemeindeinterne Problem hin ausrichtet. Schmithals erklärt nun aber nicht nur diese redaktionelle Schicht innerhalb von 12,Iff. in ihrer vorbe-

5 6

Leben 13f. Leben 12f.; vgl. ähnlich z.B. Theobald (1993), Römerbrief II 12.

7 Die folgenden Bemerkungen beziehen sich - anders als die Hinweise o. S. 28f. - auf Schmithals' Kommentar (Römerbrief), der aber im wesentlichen an der 1975 (Problem) entwickelten Konzeption orientiert ist. 8

Römerbrief 425.

9

Römerbrief 487. 10 Römerbrief 417-424. 11 Römerbrief 424. 12

Römerbrief 478; ähnlich 471.

62

Zur Forschungslage

reitenden Funktion, sondern er kann - vor dem Hintergrund seiner Voraussetzungen - zugleich verständlich machen, in welcher Absicht Paulus das von ihm rezipierte und redigierte allgemein-paränetische Traditionsmaterial an die Römer weitergibt: Paulus wendet sich in „Rom B " an seine neu, nämlich durch „Rom A", entstandene römische Gemeinde; er liefert ihr die allgemeine Paränese, die eigentlich in die postbaptismale Unterweisung gehört, schriftlich 13 . Schmithals' Vorschlag beruht auf besonderen Voraussetzungen 14 , die hier nicht einzeln diskutiert werden können: 1. der Auffassung von „Rom B" als eines ursprünglich selbständigen Schreibens, das sich in eine klar erkennbare und auch hinsichtlich ihrer Vorgeschichte durchschaubare Adressatensituation 15 richtet, 2. der Überzeugung von der Abhebbarkeit der paulinischen Textelemente innerhalb von cap. 12; 13, die die Ausführungen auf 14,Iff. hin ausrichten, von der traditionellen Schicht, die der Belehrung der neu entstandenen Gemeinde dient, 3. der Annahme von 13,1-7 und 13,11-14 als späterer Glossen 16 , die folglich keiner der beiden von Schmithals in cap. 12; 13 unterschiedenen Schichten zugeordnet werden müssen. Auch wenn man sich auf dieses Bündel von Voraussetzungen einläßt, bleiben zwei Schwierigkeiten: 1. Nach Schmithals enthält der Abschnitt 12,14.1721 zwar inhaltlich traditionelles Gut 17 , er ist aber von Paulus ad hoc formuliert 18 , und er ist von Paulus direkt in die römische Situation gerichtet. Die neu entstandene Gemeinde mußte „mit Verfolgung von Seiten sowohl der Synagoge, die ihre Glieder nicht verlieren wollte, als auch der römischen Behörden, ..., rechnen ... Auf diese Situation stellt Paulus die Gemeinde in V. 14 und eingehender in V. 17-21 ein" 19 . D.h. aber: Der Abschnitt paßt nicht zu der allgemeinen, postbaptismalen Unterweisung, die Paulus nach Schmithals seiner neuen Gemeinde in der Einleitung zu „Rom B" bietet, und er paßt auch nicht zu dem konkreten gemeindeinternen Problem, das im Hauptteil von „Rom B" (14,Iff.) verhandelt und in der Einleitung zu „Rom B" (12,Iff.) vorbereitet wird. Der Abschnitt fügt sich folglich Schmithals' Verständnis von „Rom B" nicht gut ein. 2. Die auf 14,Iff. vorbereitende Funktion von 12,Iff. beruht nach Schmithals vor allem auf 12,3.9a. 10 [εις αλλήλους]. 16; 13,10a. Von diesen Textelementen weist aber keines von sich aus auf einen Kontrast

13

Römerbrief 422f. - Zu „Rom A " s. o. S. 28f. Die Annahme, daß der Text von Rom 14,Iff. auf ein aktuelles Adressatenproblem hinweist und daß Paulus über dieses Problem in einer von ihm selbst nicht angedeuteten Weise in Kenntnis gesetzt wurde, ist allen Vertretern dieses Lösungstyps gemeinsam, zählt also nicht zu den besonderen Voraussetzungen. 14

15 Als Quelle für die Vorgeschichte der Adressaten von „Rom B" steht Schmithals ja „Rom A " zur Verfügung. 16 17 18 19

Römerbrief 422. Römerbrief 452. Römerbrief 452. Römerbrief 448.

Die zweiteilige „Paränese" des Rom - Zuordnungsvorschläge

63

zwischen zwei Gruppen unter den Adressaten, den Schmithals (mit der Mehrzahl der Ausleger) in 14, Iff. angesprochen sieht, und keines weist auf die sachlichen Gesichtspunkte, hinsichtlich derer sich die Gruppen unterscheiden. Die Brücke, die Schmithals durch die genannten Textelemente aus cap. 12f. zwischen den beiden Teilen von „Rom B" geschlagen sieht 20 , ist also - wenn überhaupt - nur vom zweiten Teil her erkennbar 21 (und in der Rezeption „begehbar"). 3. Noch entschiedener als Schmithals (1988) bezieht Wedderburn (1988) 12,ΙΟ , 1 4 auf die in 14,1-15,13 angesprochene Situation der römischen Adressatengemeinde, nach Wedderburn einer Gemeinde „split over the question of adherence to the Jewish Law and confronted with the question of support for the collection which raised all too acutely the issue of the valididy of the Lawfree gospel" 22 . Die auf der gemeinsamen Bezugnahme auf die Adressatensituation beruhende enge Beziehung der beiden Teile von 12,1-15,13 versucht Wedderburn in einem doppelten Argumentationsgang aufzuweisen: a. In 12,2 ist mit dem scheinbar allgemeinen Hinweis auf die Erneuerung des νους, aus der das δοκιμάζειν des Willens Gottes folgt, ein bis hin zu 15,13 reichendes Thema formuliert 23 . Das Thema ist nur scheinbar allgemein, weil Paulus mit ihm schon konkrete Konsequenzen der Erneuerung des νοϋς im Blick hat, die die Problematik von 14,Iff. betreffen: die neue Sicht des Mitchristen in der römischen Gemeinde, die Fähigkeit, dem Willen Gottes gerade hinsichtlich der umstrittenen rituellen Vorschriften zu entsprechen 24 , b. In einem zweiten Argumentationsgang deutet Wedderburn für fast alle Einzelabschnitte der nur scheinbar allgemeinen Paränese einen auf die Adressatensituation bezogenen konkreten Sinn an 25 . Dieser konkret adressatenbezogene Sinn steht zu den 20

Römerbrief 478.

2

' In der Auslegung ist Schmithals darum gelegentlich gezwungen, die erwähnten vorbereitenden Textelemente gegen ihren unmittelbaren Kontext zu isolieren. Vgl. dazu besonders die Interpretation von 12,3 als einer an Starke und Schwache gerichteten Aufforderung (Römerbrief 438) und die anschließende Inteipretation der Fortsetzung in 12,4f.: Auch nach Schmithals fügt sich das in 12,4f. verarbeitete Bild „nicht völlig kongruent" zur impliziten Bezugnahme auf Starke und Schwache in 12,3 (Römerbrief 440); er möchte diesen Sachverhalt aber offensichtlich nicht als kritische Anfrage an sein Verständnis von 12,3 gelten lassen. 22 Reasons 81. Zum Zusammenhang zwischen Gemeindekonflikt und Kollektenvorhaben bei Wedderburn s. o. S. 37f. 23

Reasons 75-78.87. Reasons 77f. - Wedderburn begründet dieses Verständnis von 12,2 mit Hinweisen auf die Verwendung von νους bzw. δοκιμάζειν und die damit zusammenhängenden Begriffe (φρονεΐν und Derivate; προνοεΐσθαι, πρόνοια) innerhalb von 12,3-15,13 (ebd. 76f.). Im einzelnen ist mir diese Begründung weithin unverständlich geblieben. 24

25 Zu 12,3; 12,4-5; 12,6-8; 12,9-16; 12,17-21; 13,1-7; 13,8-10: Reasons 78-84. Alle diese scheinbar allgemeinen Ermahnungen „take on a new immediacy when set in the context of the situation of the Roman church when they are read in the light of what follows, particularly in chapter 14, but also in chapter 15" (ebd. 78).

Zur Forschungslage

64

jeweiligen Textabschnitten freilich häufig nur in einem sehr indirekten Verhältnis, was sich z.B. am Interpretationsvorschlag zu 12,17-21 besonders deutlich zeigt: Mit dem feindlichen Gegenüber in 12,17-21 könnten nichtchristliche Juden gemeint sein; deren Feindseligkeiten gegenüber den Christen könnten Heidenchristen dazu bewegt haben, Israel ganz abzuschreiben 26 . Bei der Abschlußermahnung, Böses mit Gutem zu besiegen (12,21), könnte dann an die Kollekte als Konkretion gedacht sein, die zwar nicht nicht-christlichen Juden, aber doch der Jerusalemer Gemeinde zugedacht ist, also einer Gemeinde, die die Opposition gegen die gesetzesfreie Heidenmission teilt 27 . - Ähnlich kompliziert fallt Wedderburns situationsbezogene Interpretation von 1 3 , l - 7 2 8 aus, und auch bei den Erwägungen zur Charismenliste (12,6—8)29 ist es schwer, sich dem von Wedderburn selbst formulierten, möglichen Leseeindruck zu entziehen: „It may seem that some of these comments ... press more out of Paul's exhortations than is warranted" 30 . Insgesamt sind zu Wedderburns Vorschlag vor allem zwei Punkte kritisch festzuhalten: 1. Der oben zu Schmithals geltend gemachte Einwand gilt ähnlich auch für Wedderburn: Da 12,1-13,14 weder einen Gruppenkontrast noch die entsprechenden Kontroverspunkte andeutet, ist der Abschnitt 12,1-13,14 als Hinführung auf die Problematik, die beide Autoren mit der StarkeSchwache-Thematik in 14,Iff. angesprochen sehen, schwer begreiflich. 2. Die primär am situativen Hintergrund orientierte Auslegung der Einzelabschnitte von 12,1-13,14 droht den „Vordergrund", nämlich den Text in seiner ausdrucksformalen Gestalt, aus den Augen zu verlieren. Die Tatsache, daß der Text selbst weithin nicht den Eindruck macht, als sei er für eine Konfliktsituation unter den Adressaten formuliert - ein Sachverhalt, den Schmithals unter Voraussetzung seines Hypothesenbündels immerhin noch berücksichtigt - , läßt sich im Rahmen von Wedderburns Ansatz nicht weiter verständlich machen. 4. Am weitesten von der traditionellen Differenzierung zwischen allgemeiner und spezieller Paränese in 12,Iff. und 14,Iff. entfernt sich der Vorschlag von Moiser (1990). Moiser gelangt zu einer völlig einheitlichen Sicht von 12,115,13 (mit 15,14-3331). Er sieht 12,14-14,23 als Mittelstück des Briefteils 12,1-15,33; in diesem Mittelstück werden drei Probleme behandelt, die in gleicher Weise durch die Situation der römischen Adressaten vorgegeben sind: 1. „civil disobedience" (12,14-13,7); 2. „the law" (13,8-10); 3. „vegetarianism

26 27 28 29 30 31

Reasons 82. Reasons 82f. Reasons 83. Reasons 79-81. Reasons 81. Rethinking 580-582.

Die zweiteilige „Paränese" des Rom - Zuordnungsvorschläge

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and holy days" (14,2—23)32. Möglicherweise ist die Gruppe derer, die einen „bürgerlichen Ungehorsam" befürworten, identisch mit jener primär heidenchristlichen Gruppe, die das Gesetz abschaffen will und einen uneingeschränkten Fleischgenuß praktiziert 33 . Moisers Vorschlag ist nicht primär vom Text selbst her ermittelt, sondern ergibt sich weithin aus Überlegungen zur Adressatensituation bzw. deren Vorgeschichte 34 . Das zeigt sich in einer Fülle von exegetischen Schwierigkeiten, aus denen nur folgende herausgegriffen seien: 1. Wegen der Gleichordnung der drei situationsbezogenen Stücke in 12,1414,23 muß 13,11-14 als Exkurs behandelt werden 35 . 2. Die Zusammenfassung von 12,15-20 mit 12,21-13,7 unter der in gezwungener Weise interpretierten Überschrift von 12,14 36 leuchtet nicht ein 37 . 3. Das Thema von 13,8-10 ist nicht das Gesetz, sondern die Liebe. 4. Vor allem: Eine Gruppierung der Adressatenschaft hinsichtlich der Themen Staat und Gesetz ist in den Ausführungen überhaupt nicht angedeutet. Im Blick auf die verschiedenen Versionen des Modells, in dem die nach Meinung seiner Vertreter in 14,Iff. angesprochene historische Situation der Adressaten der Schlüssel ist, ergibt sich folgendes Bild: Wenn man die Textelemente innerhalb von 12,1-13,14, die auf die in 14,Iff. angesprochene Situation vorbereiten, so zurückhaltend bestimmt wie z.B. Ortkemper (1980), dann bleibt für den Großteil der „allgemeinen Paränese" die alte Frage offen: Welche Funktion haben Ausführungen, die an alle Gemeinden hätten gerichtet werden können, im Rahmen der Kommunikation zwischen Paulus und den Römern? Wenn man dagegen 12, Iff. so rigoros auf die für 14,Iff. in Anschlag gebrachte Adressatensituation bezieht wie Moiser (1990) oder auch Wedderburn (1988), dann tut sich eine Fülle exegetischer Probleme auf, die sämtlich in einer Frage verwurzelt sind: Warum verweist der Text von 12,Iff. nicht auf die Adressatensituation, in die er sich angeblich richtet? Wenn man schließlich zu einer mittleren Lösung neigt, also die auf 14,Iff. vorbereitende Funktion an ganz bestimmten Textelementen festmacht und dem Restbestand eine andersartige Funktion zuschreibt, wie es Schmithals (1988) versucht, dann zerfällt die „all-

32

Rethinking 574.

33

Rethinking 579.

34 Zusammenfassend Rethinking 578f.: „Now we should probably not be greatly wide of the mark if we ascribed the three differences of opinion to the same gentile-Jewish divide ... In Romans we are evidently witnessing the immediate aftermath of the separation of church from synagogue". 35 36

Rethinking 578. Rethinking 576 Anm. 22.

37 Moiser stellt selbst Schwierigkeiten seiner Interpretation fest, meint aber, sie seien durch „confused writing" bedingt. „A possible solution is to interpret the text as a juxtaposition of two separate but related ideas. Christians need to renounce thoughts of revenge both against each other (12. 15-20) and against the state (12. 21-13. 7)" (Rethinking 576).

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Zur Forschungslage

gemeine Paränese" in zwei Schichten. Um diese zwei Schichten in ihrem Zusammenhang miteinander verständlich zu machen, muß man ein ganzes Hypothesenbündel literarkritischer bzw. formgeschichtlicher Art in Anschlag bringen, und selbst wenn man sich darauf einzulassen bereit ist, verbleiben im Text immer noch Passagen, die sich der Lösung nicht gut einfügen.

1.5.2 Adressantenorientiert Während das erste Lösungsmodell 12,1-13,14 gleichsam an 14,1-15,13 annähert, verfährt das zweite Lösungsmodell umgekehrt: Grundlegend dafür ist die Bestreitung eines aktuellen Bezugs auf die Adressatensituation in 14,1-15,13. Hinzu kommt eine andere Zielrichtung der expliziten oder impliziten Kritik an Dibelius' Kennzeichnung der „allgemeinen" Paränese von cap. 12; 13. Bestritten wird nicht die „Allgemeinheit" der Adressatensituation wie im ersten Modell, wohl aber die „Allgemeinheit" des Inhalts: Auch in cap. 12; 13 ist der Adressant nicht einfach Traditionsübermittler, sondern der Inhalt der Kapitel ist durch vorausliegende Erfahrungen und die theologische Reflexion des Adressanten geprägt. Im Zusammenhang ist dieses Lösungsmodell im Beitrag von Karris (1973) entwickelt worden 38 , der den Schwerpunkt auf die Analyse von 14,1-15,13 legt und dabei zu dem Ergebnis kommt: „Rom 14:1-15:13 has no specific refer[...]ent within the Roman community" 39 . Das Motiv für diese Kritik an der Mehrheitsmeinung liegt in der Ergebnislosigkeit religionsgeschichtlicher bzw. historischer Zuordnungsversuche von „Schwachen" und „Starken" in Rom 40 , den Kern der Untersuchung bildet ein Vergleich zwischen IKor 8; 9; 10,2311,1 und Rom 14,1-15,13 41 . Dabei läßt der Vergleich der in beiden Texten parallelen (und im Rahmen von Rom 14,1-15,13 auf 14,13-23 konzentrierten) Aussagen auf der Seite des Rom eine generalisierende Neubearbeitung der im IKor situationsgebundenen Aussagen annehmen 42 ; auch die gegenüber dem 38 In den Einzelkomponenten kann Karris jeweils auf frühere Forschungsbeiträge zurückgreifen bzw. daran anknüpfen; zur Bestreitung eines aktuellen Bezuges auf die Situation der römischen Adressaten in 14,1-15,13 vgl. besonders Sanday/Headlam (1902), Romans 399-403; Furnish (1972), Love Command 115-118; vgl. darüber hinaus die übrige bei Karris (1973), Occasion 162 Anm. 36 genannte Literatur. Bei der Kritik an Dibelius' Verständnis der „allgemeinen" Paränese bezieht sich Karris vor allem auf Furnish (1968), Theology 6 8 - 9 2 (Occasion 175 Anm. 82). - Zu den Exegeten, die nach Karris gegen die Interpretation von 14,1-15,13 als einer Bezugnahme auf einen aktuellen Gemeindekonflikt plädieren, gehören Dräne ([1980], Romans 221), Aune ([1987], Literary Environment 220), Meeks ([1987], Judgment 292), Aletti ([1991], Dieu 202 Anm. 1), Vorster ([1994], Context 132). 39 40 41

Karris (1973), Occasion 177. Occasion 157-161.

Occasion 163-169. „Rom 14:1-15:6 is a theoretical development of the thoroughly actual treatment of 1 Cor 8 10" (Occasion 167; ebd. auch eine Zusammenfassung der Einzelbeobachtungen, die in diese Richtung weisen). 42

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IKor differierenden Elemente lassen nicht darauf schließen, daß der Verfasser des Rom seine in IKor vertretene Position nun auf eine aktuelle und konkrete Problematik unter den römischen Adressaten habe ausrichten wollen 43 . „The exegetical evidence suggests that 14:1-15:13 is a generalized, expanded adaption of the theological positions Paul arrived at after his discussions in various missionary situations, especially in 1 Cor 8; 9; 10:23-1 Iii" 4 4 . In dieser Interpretation fügt sich 14,1-15,13 mit den vorausgehenden Ausführungen gut zusammen: Auch 12,1-13,14 enthält mehrere Passagen, zu denen sich Parallelen in früheren paulinischen Briefen finden 45 . D.h.: Auch die „allgemeine" Paränese bildet, anders als Dibelius meinte, keinen Fremdkörper in der Theologie des Paulus; vielmehr lassen sich beide Teile der Paränese im Rom als Einheit verständlich machen: „In Rom 12-15 Paul ... is giving paraenesis that has been modified by his own theologizing, by his own solutions to problems which occurred in his former missionary work" 46 . An Karris' Ausführungen zu 14,1-15,13 fällt vor allem die Gewichtung des Vergleichs mit der IKor-Parallele auf, die der verfasserseitigen „Vorgeschichte" des Textes entscheidende Relevanz für seine Auslegung einräumt. Es legt sich zumindest der Eindruck nahe, daß über dieser Gewichtung die Frage, wen der Verfasser mit „Starken" und „Schwachen" eigentlich meint (wenn es sich denn nicht um römische Gemeindegruppen handelt), eigentümlich knapp behandelt wird. Z.B.: Karris betont zwar die Relevanz der nachdrücklichen Selbstzuordnung des Verfassers zu den „Starken" in 15,l 47 , er erläutert auch die Bedeutung des Ausdrucks δυνατοί in diesem Zusammenhang 48 . Offen bleibt aber, mit wem sich der Verfasser an dieser Stelle des an die Römer gerichteten Textes eigentlich im „wir" zusammenschließt. Ähnlich undeutlich im Verhältnis zur eigentlichen These von Karris bleibt auch die Einteilung des Textes von 14,1-15,13 in solche Passagen, die sich an die ganze Gemeinde wenden (14,3a.b.5c.6-12.13a.l7-19.22f; 15,2—7)49, und solche, die sich speziell an „die Schwachen" (14,3c.4.14) bzw. an „die Starken" (14,1.13b.c.l5.16. 20.21; 15,1) wenden 50 . Gleichgültig, wie man die Einteilung im einzelnen

43 Occasion 168f. Zu Rom 15,7-13 (und gegen die Annahme eines Rückbezuges von Juden und Heiden auf „Schwache" und „Starke") s. ebd. 172f. 44

Occasion 174.

45

Karris verweist für 12,3-8 auf IKor 12; für 13,8-10 auf Gal 5; fur 13,11-14 auf IThess 5 , 5 9 (Occasion 176f.). 46 Occasion 176. 47 Occasion 169f. Anm. 64. 48

„... we who are strong, i.e., are not afraid of the freedom we have in Christ" (Occasion 170). D.h. es geht nicht um eine bestimmte Gruppe „with a distinct theology or Weltanschauung" (ebd.). 49

Occasion 170f. Occasion 171. Karris sieht die Vielzahl der an die gesamte Gemeinde gerichteten Passagen als Indiz gegen die Annahme, Paulus wolle vermittelnd in einen Gruppenkonflikt eingreifen (ebd. 171 f.). 50

Zur Forschungslage

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beurteilt, in jedem Fall bleibt grundsätzlich das Problem: Mit der Annahme, daß sich einige Passagen direkt an „die Schwachen" und einige direkt an „die Starken" wenden, ist irgendeine Art von im Text vorausgesetzter Gruppierung der römischen Adressatenschaft 5 1 postuliert. Dieses Postulat steht irgendwie unvermittelt neben der eingangs zitierten These von Karris, 14,1-15,13 habe in der römischen Gemeinde keinen Referenten 5 2 . Insgesamt bleibt zum Vorschlag von Karris also festzuhalten: Wenn man den Briefteil ausschließlich verfasserbezogen interpretiert, ihn also ganz in den Erfahrungen und der Theologie des Paulus situiert, dann kommt eine bestimmte Ebene des Textes, nämlich die der kommunikativen Funktion, des sprachlichen Handelns des Adressanten an seinen Adressaten, nicht angemessen zum Zuge.

1.5.3 Orientierung an der Brieffunktion Das dritte Modell ist weder von den empirischen Adressaten und ihrer historischen Situation aus konzipiert (wie das erste Modell) noch vom empirischen Autor Paulus und seiner Erfahrung bzw. Reflexion aus (wie das zweite Modell). Entsprechend wird weder der „allgemeine" Teil der Paränese dem „speziellen" Teil angenähert noch umgekehrt. Das Verständnis von 12,1-13,14; 14,1-15,13 und der Zusammenhang der beiden Teile ergibt sich vielmehr aus der ihnen gemeinsamen Beziehung auf die Funktion des ganzen Briefs. Das Modell läßt sich am Beitrag von Vouga (1986) verdeutlichen 53 . Seine Ausführungen zu den beiden „paränetischen" Teilen stehen vor dem Hintergrund einer Hypothese zu Zweck und Funktion des Rom. Den Zweck des Schreibens sieht Vouga in der Vorbereitung der Spanienmission: Paulus will seine Spanienmission von Rom aus betreiben, und zwar als offizieller Gesandter der römischen Gemeinde54. Die Funktion des Schreibens ist die einer doppelten, nämlich auf das paulinische Evangelium und den paulinischen Apostolat bezogenen, Apologie55, die judenchristlichen, potentiell auf die Adressaten einwirkenden Gegnern gegenüber festhält: Die paulinische Heidenmission setzt die Verheißungen nicht außer Kraft, „mais manifeste leur accomplissement eschatologique. La koinönia rendue possible entre pagano- et judeo-chretiens, qui decoule d'une justice devant laquelle il n'y a plus ni Juifs ni Grecs, est la consequence"56.

51 Dabei muß es sich natürlich nicht um feste und organisierte Gruppen handeln. Aber: Es müssen irgendwelche Leute unter den Adressaten vorausgesetzt sein, die sich in den nach Karris speziell ausgerichteten Passagen als speziell angeredet verstehen konnten. 52 53 54 55 56

Occasion 177. Document 485-495. Document 487. Document 488. Document 491.

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In diesem Zusammenhang ist zunächst 14,1-15,13 keine spezielle, durch die historische Adressatensituation hervorgerufene Paränese 57 . Die stark typisierenden Ausführungen zu „Schwachen" und „Starken" bieten vielmehr ein Szenarium, in dem es um die im paulinischen Evangelium gründende kirchliche Gemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen geht. „En clair: l'evangile tel que Paul le comprend et dont Paul est l'apötre ne conduit ni au sacrifice des promesses faites aux peres, ni ä l'eclatement des communautes" 58 . D.h.: Das auf der Grundlage des paulinischen Evangeliums entwickelte Starke-Schwache-Szenarium dient zugleich zu dessen Bestätigung und entspricht damit der apologetischen Funktion des Gesamtbriefs 59 . Auch 12,1-13,14 wird von Vouga auf die apologetische Funktion des Rom bezogen. Obwohl einerseits der Anschluß dieses Briefteils an cap. 1-11 der Sache nach der paulinischen Indikativ-Imperativ-Dialektik entspricht, ist andererseits für Vouga die „autonomie propre" dieses Briefteils auffällig 60 : Neuansatz in 12,1 f. mit einer vom vorangehenden Rom unterschiedenen Begrifflichkeit 61 ; Geschlossenheit im Aufbau von 12,1-13,14 62 ; Integration des „Indikativs" in den „Imperativ" (besonders in 13,8—14)63. Die intendierte Wirkung dieser relativen Eigenständigkeit ist nach Vouga: Die vorangehende Verteidigung des paulinischen Evangeliums soll nicht durch eine direkt darauf aufbauende Paränese um den Effekt gebracht werden 64 . Vielmehr soll 12,1-13,14 die Apologie bekräftigen, und das geschieht, indem sich Paulus hier seinen Adressaten gegenüber faktisch als Apostel präsentiert und damit den schon im Präskript geltend gemachten Anspruch realisiert 65 . In diesem Sinn ist auch die vor allem in 12,3-8 deutliche ekklesiologische Akzentsetzung zu verstehen, die - mit kritischer Konsequenz im Blick auf mögliche judenchristliche Propaganda - die Einheit von Apostel und römischen Adressaten im einen Leib herausstellt 66 . Diese Einheit ist das ekklesiologische Fundament für das kon57

Document 490. Document 490. - In bezug auf den ersten Gesichtspunkt betont Vouga, daß das StarkeSchwache-Szenarium in 15,7-13 einmündet (dazu ebd. 489f.). 59 Das Szenarium „sert de verification et, comme tel, ressortit au genre de l'apologie de l'ensemble de l'epitre. Ce que Paul a obtenu de cette fagon, c'est les moyens de refuter les deux objections de ceux qui penseraient devoir donner raison aux propagandes judeo-chretiennes contre son apostolat" (Document 491). 60 Document 495. 61 Document 492. 62 Vgl. dazu den Vorschlag, den Aufbau in den rhetorischen Kategorien Exordium, Propositio, Probatio zu erfassen (Document 495; vgl. 493). 58

63

Document 493. Document 493.495. 65 Document 493f. 66 Weil Apostel und Adressaten „par l'indicatif de la grace (v. 3a!)" zusammengeschlossen sind, folgt nach Vouga, „que les pretentions que les prophetes judeo-chretiens pourraient elever contre son ministere apostolique (diakonia) sont stricto sensu impertinentes" (Document 494). 64

Zur Forschungslage

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krete Anliegen, mit dem Paulus, der seinen Spanien-Plan als Apostel der römischen Gemeinde realisieren will, seine Adressaten in 15,24 konfrontieren wird67. Vougas Einordnung der beiden Teile von 12,1-15,13 in den als Apologie verstandenen Rom wirft vor allem zwei Fragen auf: 1. Wenn das StarkeSchwache-Szenarium in 14,1-15,13 in kritischer Auseinandersetzung mit einer judenchristlichen Gegnerschaft den Adressaten die Möglichkeit kirchlicher Gemeinschaft von Juden- und Heidenchristen als Konsequenz des paulinischen Evangeliums darlegen soll, warum wird dann der „Schwache" im Text nicht deutlich als /wifenchrist profiliert? 2. Wie verhält sich die breit angelegte Berücksichtigung des Verhältnisses zu Nicht-Christen innerhalb von 12,14-13,7 zur vorgeschlagenen Funktionsbestimmung? Insgesamt bleibt zum Vorschlag von Vouga (1986) festzuhalten: Der Beitrag ist methodisch vor allem deshalb interessant, weil er die Alternative zwischen einseitig adressaten- und einseitig adressantenorientiertem Modell überwindet und gerade so die kommunikative Funktion des Textes ins Blickfeld bekommt. Wenn sich dennoch vom Text von 12,1-15,13 her Schwierigkeiten auftun, dann könnte das mit der schon im ersten Schritt festgelegten Bestimmung des Gesamtschreibens als Apologie zu tun haben.

67

Document 494.495.

Rückblick und Konsequenzen

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1.6 Rückblick und Konsequenzen 1. Aus dem Überblick über unterschiedlich orientierte Bearbeitungen des zweiten Hauptteils des Rom (12,1-15,13) ergibt sich kein Ausweg, wohl aber eine Lichtung in der verästelten Diskussion um die Abfassungsproblematik. Der adressaten- und der adressantenorientierte Auslegungstyp von 12,115,13 (1.5.1 und 1.5.2) lassen sich klar in das Raster der „klassischen" Lösungsmuster zur Abfassungsproblematik (1.2) eintragen: Der adressantenbezogene Auslegungstyp hat deutliche Affinitäten zum ersten „klassischen" Lösungsmuster (der Rom als Vorbereitung auf Jerusalem 1 ), der adressatenbezogene Auslegungstyp zum vierten (der Rom als Beitrag zur Lösung eines gemeindeinternen Problems 2 ). Weil dieses vierte Lösungsmuster (und nur dieses) nun aber seinen eigentlichen Stützpunkt aus der Behandlung von „Starken" und „Schwachen" in 14,Iff. bezieht, ist seine Überzeugungskraft in besonderer Weise von einer in sich stimmigen Auslegung des zweiten Hauptteils des Rom (12,1-15,13) abhängig. Die Schwierigkeit der verschiedenen Versionen der adressatenorientierten Auslegung der „Paränese", deren ersten Teil (cap. 12f.) als Vorbereitung eines zweiten, situationsbezogenen Teils (cap. 14) wirklich plausibel zu machen 3 , ist folglich ein gravierendes Argument gegen das vierte „klassische" Lösungsmuster. Das bedeutet einerseits: Die vier „klassischen" Lösungsmuster können nun nicht mehr als gleich wahrscheinlich bzw. unwahrscheinlich gelten. Das bedeutet aber auch: Mit der Reduktion um das vierte Lösungsmuster darf keinesfalls dessen - von den anderen Mustern eher verdrängter - Stützpunkt aus dem Blickfeld geraten. Diese Reduktion im Raster der „klassischen" Muster betrifft natürlich auch die Diskussion der Folgezeit mit den das vierte Muster ganz oder teilweise rezipierenden Beiträgen. Das gilt insbesondere für die bereits aus anderem Grund als problematisch vermerkten 4 „Bündelhypothesen", die in der Regel eine in 12,1-15,13 intendierte Korrektur der römischen Gemeindesituation annehmen und entsprechend in das dem Rom insgesamt zugrundeliegende Motivationsbündel einordnen. 2. Das dritte Auslegungsmodell zu 12,1-15,13 (Orientierung an der Brieffunktion [1.5.3]) deutet methodisch auf einen Sachverhalt, der schon notiert wurde bei der Besprechung einiger neuerer Monographien und bei der Überlegung zum Potential von rhetorisch orientierten Ansätzen 5 : Neben der Frage nach den 1 2 3 4 5

S. o. S. 22f. S. o. S. 29-32. S. o. S. 65f. S. o. S. 47-49. S.o. S. 41—43.56f.

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Zur Forschungslage

Abfassungsverhältnissen und nach dem vom Autor verfolgten Abfassungszweck stellt die Textfunktion eine relativ selbständige Fragehinsicht dar. Relativ selbständig ist diese Fragehinsicht deshalb, weil sich weder aus den Abfassungsverhältnissen, die bei der Erzeugung des Textes eine Rolle gespielt haben mögen, noch aus dem Zweck, den der Autor bei der Erzeugung im Kopf gehabt haben mag, eindeutig ableiten läßt, wie die daraus erwachsene sprachliche Handlung, der Text, funktioniert, und weil sich umgekehrt aus der Textfunktion nicht eindeutig der Abfassungszweck bzw. die Abfassungsverhältnisse ableiten lassen. 3. Rückblickend auf die einleitende Problemanzeige (1.1) drängt sich nun folgende Frage auf: Wie verhält sich die Annahme von 1. Abfassungsverhältnissen, 2. Abfassungszweck und 3. Textfunktion als der drei die Abfassungsproblematik bestimmenden Faktoren zur eingangs erwähnten, weithin akzeptierten Zweipoligkeit der Problematik, die eine historische und eine literarische Seite aufweist? Für die Verhältnisbestimmung sind zwei Punkte wichtig. a. Die entscheidende Differenz liegt nicht in der Anzahl der Problemfaktoren. Tatsächlich sind nämlich die drei Faktoren, die sich bei der Besprechung der Sekundärliteratur herauskristallisiert haben, auf zwei ihnen zugrundeliegende reduzierbar: Die adressaten- und adressantenseitigen Abfassungsverhältnisse können in der Abfassungsproblematik nur insofern eine Rolle spielen, als sie in der Wahrnehmung des Autors existieren 6 . Im Prinzip zielt daher die Frage nach der historischen Situation von Adressant und Adressaten auf einen ähnlichen Sachverhalt wie die nach dem Abfassungszweck, nämlich auf ein mentales Phänomen im Kopf des Autors Paulus. Für die Antwort auf beide, letztlich dem Autor geltende Fragen ist der Text des Rom die wichtigste Quelle, allerdings nicht die einzige. Weil vorauszusetzen ist, daß die Wahrnehmung des Autors jedenfalls Anhalt hat an der historischen Realität, sind andere diese Realität bezeugenden Dokumente immerhin von potentieller Relevanz. Entsprechendes gilt für die Frage nach dem Abfassungszweck: Weil man voraussetzen wird, daß Paulus mit dem Rom keinen Zweck verfolgte, der sich völlig fremd oder widersprüchlich ausnähme im Rahmen der diesem Autor in anderen Kommunikationssituationen aufgrund seiner anderen Briefe zuschreibbaren Intentionen, darum können diese anderen Briefe vermittelt und potentiell Relevanz bekommen. Die beiden Problemfaktoren Abfassungsverhältnisse und Abfassungszweck sind also miteinander verbunden durch die Person des Autors als

6

Vgl. o. S. 49f. zu dem in dieser Hinsicht entgegengesetzten, z.B. von Donfried vertretenen methodischen Programm.

Rückblick und Konsequenzen

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extratextueller Größe und stehen in dieser Hinsicht dem Problemfaktor Textfunktion gegenüber. b. Mit der Zurückführung der drei Faktoren, Abfassungsverhältnisse, Abfassungszweck und Textfunktion, auf eine autorbezogene (extratextuelle) und eine innertextuelle Seite der Abfassungsproblematik ist die entscheidende Differenz zu dem in der einleitenden Problemanzeige erwähnten, traditionellen Modell angesprochen, das zwischen historischer und literarischer Problemseite unterscheidet. Dieses Modell siedelt die Frage nach dem vom Autor verfolgten Zweck des Schreibens im Prinzip auf der literarischen Seite an. Dabei fließen die Fragen nach Autorintention und Textfunktion ineinander, obwohl sie sich doch auf theoretisch klar unterscheidbare Gegenstände richten, nämlich auf die Person des Texterzeugers einerseits und auf eine bestimmte Ebene des Textes als eines sprachlichen Zeichens andererseits. 4. Die Unterscheidung zwischen autor- und textbezogener Seite der Abfassungsproblematik bestimmt den Aufbau der folgenden Arbeit. a. Im folgenden Teil (2) wird eine Hypothese zum Abfassungszweck des Rom in der Intention seines Autors Paulus formuliert. In diesem Zusammenhang wird - wie traditionell einleitungswissenschaftlich üblich der Text des Rom benutzt als die wichtigste Quelle. Inhaltlich setzt die Darstellung der Hypothese die vorangehende Auseinandersetzung mit Beiträgen aus der Sekundärliteratur voraus; sie verbindet zentrale Anliegen der ersten drei „klassischen" Lösungsmuster (allerdings nicht im additiven Sinn einer „Bündelhypothese") und knüpft darüber hinaus an einige Einzelüberlegungen aus der anschließenden Diskussionsphase an. b. Der daran anschließende Teil (3) bietet Einzelanalysen ausgewählter Textpassagen des Rom unter dem Gesichtspunkt ihrer kommunikativen Funktion. Diese Textpassagen sind denjenigen Briefteilen entnommen, die - wie die vorangehenden Ausführungen zur Forschungslage gezeigt haben - in der Diskussion der Abfassungsproblematik aus je unterschiedlichen Gründen eine besondere Rolle spielen: die brieflichen Rahmenteile (3.1), die Israel-Kapitel (3.2) und der zweite Hauptteil des Rom (3.3) 7 . Die Einzelanalysen gehen nicht von der Hypothese zum Abfassungszweck des Autors aus, sondern sie setzen von der anderen Seite

7 Cap. 16, also der Schlußabschnitt des hinteren brieflichen Rahmenteils, wird im Rahmen des dritten Teils der Arbeit nicht zum Gegenstand einer Einzelanalyse gemacht, obwohl z.B. Donfried gerade diesem Passus eine besondere Rolle bei der Behandlung der Abfassungsproblematik zuweisen möchte (Short Note 44-52; False Presupprositions 104.119f.). Auf Donfrieds Postulat und auf die Funktion von cap. 16 wird rückblickend am Ende der Arbeit noch einzugehen sein (s. u. S. 335-342).

Zur Forschungslage

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der Abfassungsproblematik her neu ein. Entsprechend werden die Teiltexte in diesem Zusammenhang nicht als Quelle benutzt, um die Frage nach dem außerhalb ihrer selbst liegenden, vom Autor verfolgten Abfassungszweck zu ergründen. Die Analysen richten sich vielmehr auf die Mitteilungs- und Wirkabsicht, die aus dem Text als einem von seinem Erzeuger abgelösten sprachlichen Zeichen zu erheben ist. Dabei kommt der Autor nur so vor, wie er im Zeichengebilde Text präsent ist (und entsprechend die römischen Christen, wie sie im Text als Adressaten vorgesehen sind)8. Für die praktische Durchführung der Analysen ist - im Verhältnis zur traditionellen, Autor und Text zusammendenkenden Exegese - kein methodisch völlig neuer Ansatz erforderlich. Wohl aber zieht die Fragestellung eine methodische Eingrenzung nach sich. Das bedeutet konkret die Ausblendung solcher Erwägungen, die möglicherweise zur präziseren Erfassung von Konzeption und Intention des Autors Paulus verhelfen, die sich aber auf Sachverhalte beziehen, die der Text selbst den Adressaten nicht zu erkennen gibt. Greifbar wird diese Unterscheidung zur traditionellen Exegese besonders in drei Punkten: 1. Auf die Rekonstruktion der Vorgeschichte einzelner Textelemente wird verzichtet. Der rekonstruierte „Hintergrund" von Textelementen mag im Einzelfall nützlich sein für die Ermittlung der Autorintention; er gehört aber - jedenfalls in der Regel - nicht zu dem, was der Text den Adressaten zu erkennen geben will. 2. Bei der Analyse einzelner Passagen wird nicht auf später im Text folgende Ausführungen vorgegriffen. Zwar kann es sich durchaus so verhalten, daß ein Autor erst an späterer Stelle des Textes deutlich formuliert, was er an früherer Stelle noch offenläßt oder unbestimmt andeutet. Eine auf den Text gerichtete Analyse wird sich darum aber nicht über dessen Verlauf hinwegsetzen können und die späteren Ausführungen in die früheren eintragen. 3. Der bei der Ermittlung der Autorintention oft hilfreiche Vergleich mit Texten desselben Autors nützt bei der Erhebung der Mitteilungsund Wirkabsicht in den ausgewählten Passagen des Rom kaum: Der Rom sieht keine Adressaten vor, die den an sie gerichteten Brief mit früheren Briefen des Autors an andere Gemeinden vergleichen.

5. Im Prinzip entspricht die Unterscheidung zwischen beiden Seiten der Abfassungsproblematik der „von den 'Neuen Kritikern' seit Jahrzehnten geheiligte[n] Doktrin, daß die vortextliche Absicht des Autors - seine Motive, ein Werk zu schreiben - keinen Prüfstein der Interpretation liefern und sogar irrelevant oder irreführend für die Textdeutung sein kann"9. Anders als diese „Doktrin" beruht die Unterscheidung im Zusammenhang dieser Arbeit aber nicht primär auf texttheoretischen Erwägungen. Es geht nicht darum, aufgrund theoretischer Überlegungen zur Differenz von Erkenntnisgegenständen das auseinanderzureißen, was - jedenfalls im Fall eines echten Briefs - praktisch, also vom Untersuchungsergebnis her, zusammengehört. Vielmehr kommt es 8

Zur Präsenz der Kommunikationsteilnehmer im Text s. o. S. 18f. und u. S. lOlf.

9

Collini, Interpretation 16.

Rückblick und Konsequenzen

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darauf an, an die Stelle eines schwer nachvollziehbaren Hin- und Herpendeins zwischen dem Abfassungszweck im Kopf des Autors und der Textfunktion einen doppelten Einstieg in die Untersuchung von beiden Seiten der Abfassungsproblematik her zu setzen, um dann die Ergebnisse nachträglich aufeinander zu beziehen. Solche „Brückenschläge" zwischen Textfunktion und Abfassungszweck werden in Teil 3 der Arbeit jeweils am Ende eines Kapitels bzw. am Ende von Unterkapiteln vorgenommen. Dabei soll gezeigt werden, inwiefern die kommunikative Funktion des jeweils analysierten Teiltextes, also seine Mitteilungs- und Wirkabsicht, zum zuvor (Teil 2) hypothetisch skizzierten Abfassungszweck im Kopf des Autors paßt. M.a.W.: Es soll gezeigt werden, daß die Hypothese zur Autorintention das Entstehen der in bestimmter Weise funktionierenden Teiltexte erklärt10, bzw. umgekehrt: daß die Analysen der Teiltexte die Hypothese stützen.

10 Vgl. ähnlich (aber im Zusammenhang einer Diskussion über die Bedeutung eines noch lebenden Autors für die Interpretation seiner Texte) Eco, der an der Unabhängigkeit der „Textstrategie" von den „Intentionen des empirischen Autors" festhält, aber dem empirischen Autor insofern eine Funktion einräumt, als dessen Zeugnis das Entstehen der Textstrategie nachträglich begreiflich machen kann (Autor 93, Zitate ebd.).

2 Hypothese zum Zweck des Rom in der Intention des Paulus Die Selbstverständlichkeit, mit der Paulus in Rom 15,23-33 auf die Abfolge von Kollektenübergabe in Jerusalem, Rombesuch und Spanienmission ausblickt, verdeckt die Nicht-Selbstverständlichkeit einer vorausliegenden Entscheidung. Aus dieser Entscheidung bzw. aus der Auseinandersetzung mit deren wahrscheinlichen Konsequenzen läßt sich der Rom in der Absicht des Autors erklären.

2.1 Erstkommunikation und potentielle Letztkommunikation Keins der drei Projekte ist zur Zeit der Abfassung des Rom völlig neu in die Zukunftsplanung des Verfassers aufgenommen worden. Der Wunsch nach einem Rom-Besuch währt seit mehreren Jahren (15,23; vgl. 1,13). Auch der Entschluß, das Missionswerk im Westen des römischen Reiches fortzusetzen, dürfte sich schon vor der Abfassung des Rom herausgebildet haben (2Kor lO.lSf.)1· Hinsichtlich der Kollektenübergabe in Jerusalem war freilich in IKor 16,3f. noch offen, ob sich Paulus an der Übergabe beteiligen oder nur eine dazu bestimmte Delegation mit Briefen ausrüsten würde. Möglicherweise zeichnet sich schon in 2Kor 8,19 nur die erstere Möglichkeit ab2, in Rom 15,25ff. jedenfalls steht die eigene Reise des Apostels fest 3 . Die Jerusalemreise zum Zweck der Kollektenübergabe wird im brieflichen Schlußteil des Rom im doppelten Anlauf behandelt. Zunächst (15,25-29) geht es um eine Begründung für die nochmalige Verzögerung des Rombesuchs; danach (15,30-32) werden im Rahmen einer Bitte um Fürbitte die Risiken thematisiert, die sich für Paulus mit der Kollektenübergabe verbinden: ι'να ρυσθώ άττό των άπειθούντων έν ττ\ Ιουδαία και ή διακονία μου ή εις Ιερουσαλήμ ευπρόσδεκτος τοις άγίοις γένηται (15,31). Der Zusammenhang zwischen den beiden im einen Finalsatz zusammengeschlossenen Sach-

1 2

Vgl. Suhl, Paulus 96. Vgl. Becker, Paulus 272.

3 Von einer Delegation, bzw. überhaupt von irgend jemandem, der mit Paulus zusammen zur Kollektenübergabe nach Jerusalem reiste, ist in Rom 15,25ff. übrigens nicht mehr die Rede. Möglicherweise unterbleibt der Hinweis, weil er für die an der Aktion nicht unmittelbar beteiligten römischen Christen nicht von Interesse wäre. Denkbar ist aber auch: Der Gedanke an eine Alternative zur persönlichen Teilnahme des Paulus an der Reise soll bei den Adressaten gar nicht erst aufkommen, vielmehr soll die bevorstehende Jerusalemreise so selbstverständlich und unabdingbar wie möglich erscheinen.

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Hypothese zum Zweck des Rom in der Intention des Paulus

verhalten 4 dürfte auch für die ins Kollektenwerk nicht einbezogenen Römer durchschaubar sein: Wenn den Jerusalemern die Kollekte nicht „wohlgefällig" ist, dann hat der Initiator und Überbringer auch keinen Schutz vor möglichen Anschlägen der nichtchristlichen Juden Judäas zu erwarten 5 . Daraus folgt: Das Scheitern des zeitlich nächstliegenden Projekts in persönlicher und sachlicher Hinsicht ist eine Möglichkeit, die von Paulus zur Zeit der Abfassung des Briefs auf jeden Fall mitbedacht wurde. Das gilt, obwohl der Text in der Form einer Bitte um Fürbitte die Aufmerksamkeit der Leser nicht auf diese Möglichkeit, sondern auf einen ebenfalls möglichen glücklichen Ausgang des JerusalemProjekts lenkt, der dann seinerseits die Verwirklichung des Rom-Besuchs zur Folge hätte (15,32). Diese Feststellung führt - im Zusammenhang der Frage nach der Intention des historischen Autors - unausweichlich zu folgendem Problem: Wie mag Paulus selbst die Chancen seines Jerusalem-Vorhabens beurteilt haben? Die Tatsache, daß in der Zukunftsskizze am Ende des Rom nur der Fall eines glücklichen Ausgangs der Kollektenübermittlung direkt angesprochen und weitergedacht wird, erlaubt zwar selbstverständlich keinen Zweifel am intensiven Wunsch des Verfassers, nach erfolgreichem Jerusalem-Aufenthalt wohlbehalten nach Rom und von dort nach Spanien zu gelangen. Andererseits ergibt sich daraus durchaus nicht der Schluß, Paulus habe solchen Erfolg in Jerusalem auch für wahrscheinlich, zumindest für wahrscheinlicher als das Gegenteil gehalten 6 . Der Wunsch und die Erwartung des Paulus müssen nicht denselben Inhalt gehabt haben. Tatsächlich gibt es mehrere Indizien, die in die Richtung einer eher pessimistischen Beurteilung des Vorhabens durch Paulus selbst weisen. 1. Allein schon die Tatsache einer an die ins Kollektenwerk nicht einbezogenen Römer gerichteten dringlichen Bitte um Fürbitte (15,30-32) läßt darauf schließen, daß Paulus das Gefahrenpotential seines nächsten Vorhabens keineswegs gering eingeschätzt hat 7 . Das gilt um so mehr, als die in der Bitte enthaltene Andeutung einer möglichen Empfangsverweigerung durch die Jerusalemer Christen (15,31b) im Blick auf die Leserrezeption ein Risiko in sich birgt: Die Adressaten könnten sich nach Gründen fragen und solche Gründe womöglich nicht nur

4 „The two were no doubt as closely linked in Paul's mind as his syntax makes them" (Dunn, Romans II 883). 5 D.h. der Zusammenhang der beiden im ϊνα-Satz von V. 31 angedeuteten Befürchtungen liegt in dieser den nichtchristlichen Juden Judäas und der Jerusalemer Urgemeinde gemeinsamen Frontstellung gegen Paulus (mit Wilckens, Römer ΠΙ 129; vgl. ebd. [mit Anm. 624 und 625] auch die Kritik an zwei grundsätzlich andersartigen historischen Auswertungen von 15,31). 6 Gegen Campbell, Determining 322: „Certainly he [erg.: Paulus] knew that his trip to Jerusalem would be dangerous (Rom. 15.30-31), but he was constantly in danger and had indeed just escaped some extremely difficult circumstances. In Romans Paul is clearly expecting to arrive in Rome himself reasonably quickly". 7 Vgl. Klein, Verleugnung 82.

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auf der Empfänger-, sondern auch auf der Geberseite suchen8. 2. Die Bitte um Fürbitte für „Errettung von den Ungehorsamen Judäas" nimmt die Gefahrenbzw. Notsituation des Paulus in der Formulierung schon vorweg; Inhalt der erbetenen Fürbitte ist nicht die Abwendung möglicher Gefährdung, sondern die Errettung daraus. 3. Indirekt wird das Vorhaben des Paulus mit Kampfmetaphorik belegt9. Bei einer tendenziell optimistischen Einschätzung müßte das als völlig unmotivierte Dramatisierung erscheinen. 4. Zu einer pessimistischen Einschätzung des Ausgangs der Jerusalem-Reise fügt sich schließlich auch eine Auffälligkeit im ersten Anlauf zur Darstellung dieses bevorstehenden Projekts (15,25-29): Da dieser Passus die erneute Verzögerung des RomBesuchs begründet10, sich also auf einen durchaus heiklen Punkt in der Kommunikation zwischen Adressant und Adressaten bezieht, wäre eigentlich eine Darstellung zu erwarten, in der Paulus den außenstehenden Römern das Kollektenwerk in der ganzen Bedeutsamkeit erläutert, die diesem seiner eigenen Auffassung nach zukommt11. Statt dessen wird sein offizieller Charakter und vor allem der paulinische Einsatz für das Zustandekommen der Kollekte heruntergespielt und deren karitativer Sinn betont12. Diese Akzentsetzung wird dann begreiflich, wenn im Kalkül des Verfassers der Gedanke an ein mögliches Scheitern dominiert und er darum das ekklesiologische Gewicht des Un-

8 Jedenfalls im Blick auf 15,31b erscheint Weimas Vermutung zur möglichen Funktion der Bemerkungen Uber die Kollekte im Rom als einer Hervorhebung des Erfolges der paulinischen Evangeliumsverkündigung (Preaching 307) ziemlich unwahrscheinlich. Die Frage nach den Gründen für die mögliche Empfangsverweigerung drängt sich nicht nur der modernen Exegese auf (vgl. Wilckens, Rom III 129), sondern dürfte auch für die römischen Adressaten auf der Hand gelegen haben.

9 Die Bitte des Paulus an die Adressaten um ein συναγωνίσασθαι in deren Gebeten (15,30) impliziert im Blick auf sein eigenes Verhalten das Bild des Kampfes. Es geht um ein „Beten, in dem die Adressaten teilnehmen sollen (σύν) an dem, was Paulus in Jerusalem bevorsteht" (Wilckens, Römer III 128 Anm. 621). Vgl. auch die ausführliche Diskussion bei Pfitzner, Agon Motif 120-125; „the verb is to be understood on the basis of Paul's own missionary Agon" (ebd. 122). Ό vuvi δέ in V. 25a schließt adversativ an V. 24 an. 11 Anders als z.B. Fitzmyer, der in seiner Kommentierung des Textabschnitts Hintergrundinformationen zum Sinn des Kollektenwerks in der Konzeption des Paulus einfließen läßt (Romans 720f.) und so die Eigentümlichkeit des Textes nivelliert, stellt Käsemann zutreffend fest: „Das Problem des Textes liegt weniger in dem, was er ausspricht, als in dem, was er nicht erwähnt" (Römer 385). 12 Das hat besonders Käsemann (Römer 384-387) gezeigt. Entscheidend ist vor allem, daß die Kollekte nicht auf eine vorausliegende Vereinbarung beim Apostelkonvent (Gal 2,10) zurückgeführt wird, sondern auf einen unmittelbar einsichtigen (15,27b.c) Entschluß, als dessen alleinige Träger die Gemeinden Makedoniens und Achajas erwähnt werden. Paulus erscheint auf diese Weise als Übermittler einer nicht näher bestimmten (κοινωνία τις [V. 26]) Hilfsaktion, die konkret auf die Bedürftigen der Jerusalemer Gemeinde (oi π τ ω χ ο ί των άγιων [v. 26]) zielt und darin zugleich eine Gabe an die Gemeinde als ganze darstellt (vgl. Wilckens, Römer III 126).

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ternehmens und sein eigenes Engagement für diese Sache in der für die außenstehenden Römer bestimmten Darstellung 13 zurückzudämmen versucht. Die Skepsis, mit der Paulus z.Zt. der Abfassung des Rom auf die Kollektenübergabe und sein persönliches Geschick ausblickt, lenkt auf einen Gesichtspunkt, den Jervis besonders deutlich in die Debatte um den Abfassungszweck eingebracht hat 14 : Der Rom-Besuch setzt den glücklichen Ausgang der Jerusalem-Reise voraus. Wenn Paulus seine eigene Gefährdung in Jerusalem hoch veranschlagt hat, dann muß er entsprechende Zweifel an der Realisierbarkeit des Rom-Besuchs (und des Spanien-Plans) gehabt haben. Zu dieser naheliegenden Folgerung fügt sich die eigentümliche Weise, in der sich Paulus im Rom auf den intendierten Besuch bei den Adressaten bezieht: Keiner der Hinweise stellt eine wirkliche Ankündigung bzw. ein Versprechen dar. Im Briefeingang erwähnt der Verfasser die Realisierung des Besuchswunschs als Inhalt seiner andauernden Gebete (1,10), als Gegenstand seines gegenwärtigen Verlangens (1,11) und als Ziel eines schon mehrfach gefaßten Vorsatzes, an dessen Ausführung er „bis jetzt" gehindert wurde (1,13) 15 . Übereinstimmend damit wird im Briefschluß auf das seit vielen Jahren bestehende Verlangen nach einem Besuch (15,23) und auf dessen Verhinderung (15,22) verwiesen. Der Besuch wird als Gegenstand der Hoffnung des Verfassers geltend gemacht (15,24). Auffälligerweise schließen beide Anläufe zur Thematisierung der Kollektenübergabe mit Erwähnungen des Rom-Besuchs (15,28f.32). Nur isoliert könnte V. 28b den Eindruck einer echten Ankündigung machen: άπελεύσομαι δι' ύμών εις Σπανίαν. Tatsächlich ist die Spanienreise, und damit natürlich auch die Durchreise durch Rom, aber abhängig vom intendierten, doch keineswegs gewährleisteten erfolgreichen Abschluß des JerusalemVorhabens (V. 28a), und entsprechend läßt sich die Partizipialwendung ερχόμενος προς ύμάς in V. 29a nur konditional auffassen. V. 32 schließlich nennt den Rom-Besuch als ein über den glücklichen Abschluß des JerusalemUnternehmens (V. 31) hinausgehendes weiteres Ziel der von den Adressaten erbetenen Fürbitte 16 . D.h.: Auch im Briefschluß kündigt Paulus - anders als z.B. IKor 16,2f.5f.; 2Kor 12,14; 13,1 - den Adressaten seinen Besuch nicht wirklich an 17 . Insgesamt ist daher der Folgerung zuzustimmen, die Jervis aus

13

Für die Annahme, Paulus setze bei den Römern ein Wissen um das Kollektenwerk voraus, gibt es m.E. keine Indizien (zu Dunn, Romans II 881). 14 S. dazu o. S. 47; vgl. auch Chae, Self-Awareness 131f. 15 Vgl. dazu besonders Knox, Note 192: „Now it is a very striking fact that, in ch. I, Paul does not actually promise a visit to Rome". 16 Dabei liegt syntaktische Abhängigkeit des ϊνα-Satzes in V. 32 vom vorangehenden ϊνα-Satz in V. 31 nahe; in jedem Fall besteht inhaltliche Abhängigkeit (das Kommen έν χ α ρ ά und das dann erhoffte συνανατταυεσθαι setzt voraus, daß das „Mitkämpfen" der Adressaten in ihrer Fürbitte zu den in V. 31 genannten Zielen gelangt). 17

Anders Knox, der meint, daß die Adressaten zwar nicht in Kap. 1, wohl aber in Kap. 15 vom Adressanten erfahren, „that he was actually coming" (Note 192).

Erstkommunikation und potentielle Letztkommunikation

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ihren vergleichenden Beobachtungen zum Parusia-Abschnitt (Rom 15,14-32) zieht: „Paul is ambiguous about the prospect of visiting Rome in the immediate future" 18 . Der Verzicht auf eine wirkliche Ankündigung des Rom-Besuchs fügt sich also zusammen mit der eher skeptischen Beurteilung des Erfolgs des Jerusalem· Vorhabens durch den Verfasser. Beides tritt freilich nur dann zutage, wenn man die einschlägigen Passagen des Rom bewußt gegen die in ihnen leitende Textstrategie und statt dessen als Quelle liest, die Aufschluß geben kann über einen extratextuellen Sachverhalt, nämlich über den historischen Autor z.Zt. der Abfassung des Schreibens. Die Strategie des Textes zielt in die gegenläufige Richtung, wie besonders die beiden Passagen zur Jerusalemreise in 15,25-29 und 15,30-32 zeigen: Beide Abschnitte münden in einen Ausblick auf die erhoffte Ankunft des Apostels in Rom, die „in der Fülle des Segens Christi" (15,29), „nach dem Willen Gottes in Freude" (15,32) geschieht; sie wollen die Aufmerksamkeit der Adressaten also gerade nicht in die Befürchtungen verwickeln, die dem historischen Autor präsent gewesen sein müssen, sondern in deren positives Gegenstück 19 . Aus der Annahme, daß Paulus die Erfolgschancen des Jerusalem-Projekts in persönlicher und sachlicher Hinsicht sowie die Realisierbarkeit des RomBesuchs skeptisch beurteilte, ergibt sich zunächst eine negative Konsequenz für die Frage nach dem Zweck, die er mit seinem Schreiben verfolgte: Paulus hat dem Brief keinen auf den Rom-Besuch bezogenen Zweck beigelegt 20 , etwa i.S. einer Vorbereitung, einer Antizipation, einer Überbrückung bis zum persönlichen Kontakt o.ä. Was immer er bei den römischen Christen erreichen wollte, der Brief mußte als alleiniger Träger dieser Wirkabsicht abgefaßt werden und durfte nicht auf die Ergänzung durch einen folgenden Kommunikationsakt hin angelegt sein 21 . Andererseits: Gewißheit konnte es nach Lage der Dinge nicht geben; bei aller Skepsis war für Paulus ein glücklicher Ausgang des Jerusalem-Vorhabens, die Möglichkeit zum Rom-Besuch und zur SpanienMission natürlich nicht auszuschließen. D.h. zugleich: Paulus mußte sein Schreiben für zwei Lesarten unter unterschiedlichen Rezeptionsbedingungen öffnen, die eine für den Fall seines Scheiterns in Jerusalem und den Ausfall des Rom-Besuchs, die andere für den unwahrscheinlicheren, aber erhofften

18

Purpose 130.

19

Die konkrete Frage, wie der Apostel z.Zt. der Abfassung des Rom die Chancen des Jerusalem-Vorhabens beurteilt haben mag bzw. welche Konsequenzen sich ergeben, wenn ein möglicher Mißerfolg bewußt von ihm einkalkuliert wurde, wird in der Sekundärliteratur nicht oft gestellt. Das dürfte mit der Textstrategie zu tun haben, die einen auf den positiven Verlauf hin ausgerichteten Leser vorsieht. Diese im Text vorgesehene Leserrolle beeinflußt auch die Rezeption späterer, ursprünglich mit dem Schreiben nicht intendierter Leserkreise. 20 Mit Jervis, Purpose 161. 21

Entsprechend finden sich im Rom auch keine Hinweise auf eine mündliche Ergänzung der brieflichen Ausführungen bei dem vom Apostel erwünschten Besuch. Vgl. anders z.B. IKor 11,34.

82

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Fall, auf den der Text von Rom 15,25ff. die Aufmerksamkeit der Leser lenkt. Dieser verbleibende Hoffnungsschimmer erklärt mindestens teilweise, warum der Verfasser seinen Adressaten keine Gründe für die in 15,31b angedeutete Skepsis hinsichtlich der Annahme der Kollekte nennt: Im Fall der Einigung mit den Jerusalemer Christen bei der Kollektenübergabe wäre eine vorausgehende Darlegung bestehender Spannungen an die außenstehenden römischen Adressaten nicht nur unproduktiv, sondern auch riskant gewesen. Eine solche Darstellung hätte sich nach einer Überwindung des Konflikts in Jerusalem ja nicht ohne weiteres zurücknehmen lassen. Ein zweiter Grund für die auf den erwünschten, positiven Verlauf der Ereignisse zielende Textstrategie kommt hinzu. Ein deutlicheres Eingeständnis der Gefährdung, in die sich Paulus mit der persönlichen Kollektenübergabe begibt, hätte eine Begründung der Entscheidung des Verfassers für die Jerusalemreise erforderlich gemacht. Tatsächlich hat Paulus mit dieser Entscheidung ja eine Priorität gesetzt, die den Besuch bei den römischen Adressaten in eine nachgeordnete Position rückt und für sie folglich nicht ohne weiteres akzeptabel sein konnte. Das gilt um so mehr, als es sich beim Rom um eine erste Kontaktaufnahme handelt. Das Eingeständnis des Verfassers, sich auf ein Risiko einzulassen, das die Fortsetzung des Kontakts zu den Römern undurchführbar machen kann, hätte ein schwer überwindbares Kommunikationshindernis dargestellt. M.a.W.: Ein spezifisches Problem des Rom liegt im Zusammentreffen von Erstkommunikation und potentieller Letztkommunikation. Um seine erste kommunikative Handlung an den römischen Christen nicht von vornherein um den Erfolg zu bringen, hat es Paulus vermieden, deren Charakter als einer potentiell letzten Kommunikationshandlung offenzulegen, und entsprechend die Nicht-Selbstverständlichkeit seines Entschlusses zur persönlichen Kollektenübergabe kaschiert. Im Rückblick auf die vier klassischen Lösungsmodelle ist an dieser Stelle die Berührung mit dem ersten Modell (Der Rom als Vorbereitung auf Jerusalem) 22 festzuhalten: Auch hier wird dem Jerusalem-Projekt und den darauf gerichteten Befürchtungen des Verfassers entscheidendes Gewicht bei der Erörterung des Abfassungszwecks beigemessen. Problematisch erschien aber die Auswertung dieses Faktors, die den Rom als kommunikative Handlung an den römischen Christen aus dem Blickfeld zu verlieren droht 23 . Versucht man anders, das Jerusalem-Projekt des Verfassers und das Schreiben an die Römer aufeinander zu beziehen, ergibt sich zunächst nur: Die Entscheidung für die persönliche Kollektenübergabe, deren Risiko Paulus bewußt war, zwang ihn, sein Schreiben an die Römer so anzulegen, daß der Beginn der Kommunikation zugleich als deren Abschluß fungieren konnte. Gegen eine offene Darlegung dieser äußerst heiklen Kommunikationssituation im Schreiben selbst gab es zwingende Gründe. 22 23

S. o. S. 22f. S. o. S. 23.

Primäre und potentielle sekundäre Ausrichtung der Evangeliumsverkündigung

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2.2 Primäre und potentielle sekundäre Ausrichtung der Evangeliumsverkündigung Mit der Entscheidung zur persönlichen Kollektenübergabe verbindet sich nicht nur eine Prioritätensetzung in bezug auf den Rom-Besuch, sondern auch in bezug auf das Spanien-Vorhaben. Man könnte daher fragen, warum der Apostel seinen römischen Adressaten überhaupt etwas von diesem Zukunftsplan mitteilt, dessen Realisierung ihm selbst alles andere als gewährleistet erschienen sein muß. Natürlich ist auch in diesem Punkt festzuhalten, daß ein glücklicher Verlauf der Ereignisse nicht ausgeschlossen war und Paulus für diesen Fall an der Vorbereitung des von den Römern erbetenen „Geleits" 1 lag. Diese naheliegende Erklärung, die vom erwünschten, positiven, aber dem Verfasser nicht unbedingt wahrscheinlichen Ergebnis der Jerusalem-Reise ausgeht, wäre allerdings befriedigender, wenn sie sich ergänzen ließe durch eine zweite „Lesart" der Spanien-Notizen, die unter der Bedingung des vom Verfasser befürchteten Scheiterns einen Sinn ergibt. Die zugrundeliegende Prämisse bei der Suche nach einer solchen zweiten „Lesart" läßt sich nicht zwingend begründen, dürfte aber mehr Plausibilität für sich beanspruchen können als ihr Gegenteil: Es ist wahrscheinlich, daß der Verfasser des Rom im ganzen und im einzelnen die negative Möglichkeit im Auge hatte, auch wenn er die erhoffte positive Möglichkeit noch nicht auszuschließen brauchte. Vor der Überlegung zu einer solchen zweiten „Lesart" der Spanien-Notizen ist allerdings ein für die Einschätzung des Spanien-Projekts in der Konzeption des Paulus wichtiger Impuls zu berücksichtigen, der in der Sekundärliteratur nur gelegentlich aufgegriffen wurde2. Dieser Impuls3 zielt auf die Hervorhebung des grenzüberschreitenden Charakters, den die geplante paulinische Missionsarbeit mit dem Spanien-Projekt annimmt. Spanien stellt nicht nur in geographischer Hinsicht Neuland dar für den Apostel, der die Osthälfte des römischen Reichs zu verlassen und in die Westhälfte vorzustoßen sucht. Eine erhebliche Barriere bestand zunächst in sprachlicher Hinsicht: „If he [erg.: Paulus] were to seek out the small remnants of Greek-speaking population, the mission would have little chance of spreading through the peninsula. Proclamation and instruction in Latin would be required"4. Eine zweite, möglicherweise noch gravierendere Barriere kommt hinzu. Die verbreitete Annahme einer mehr oder weniger starken Präsenz jüdischer Ansied-

1

Zur Bandbreite der Bedeutungsmöglichkeiten des προττεμφθήναι in Rom 15,24 vgl. Cranfield, Romans II 769 mit Anm. 4. 2 S. o. S. 26f. Anm. 25 zum Vorschlag von Dewey, Future 321-349; vgl. auch: Jewett, Phoebe 143-147; ferner auch Keck, Romans 22. 3 Vgl. Thornton, Intentions 120. 4 Jewett, Phoebe 146. Vgl. ebd. 145-147 eine zusammenfassende Auswertung der einschlägigen Spezialliteratur (besonders: Garcia y Bellido, Latinisierung 4 6 2 - 4 9 1 ) zum Grad der Latinisierung der drei Provinzen Baetica, Terraconensis und Lusitania in der fraglichen Zeit.

84

H y p o t h e s e z u m Z w e c k d e s R o m in d e r I n t e n t i o n d e s P a u l u s

l u n g e n in S p a n i e n 5 , d i e d e r p a u l i n i s c h e n M i s s i o n s a r b e i t e i n e n A n k n ü p f u n g s p u n k t b i e t e n k o n n t e n , w u r d e 1975 in e i n e m g r u n d l e g e n d e n A u f s a t z v o n B o w e r s in F r a g e gestellt. D i e P r ü f u n g d e s l i t e r a r i s c h e n u n d n i c h t l i t e r a r i s c h e n B e l e g m a t e r i a l s f ü h r t e B o w e r s zu d e r T h e s e : B i s z u r Z e r s t ö r u n g J e r u s a l e m s ( 7 0 n . C h r . ) sind j ü d i s c h e G e m e i n d e n in S p a n i e n n i c h t n a c h w e i s b a r 6 . D e r B e g i n n d e r s p a n i s c h e n J u d e n s c h a f t , d i e f ü r d a s 3. u n d 4. J h . n . C h r . d e u t l i c h u n d vielfältig b e z e u g t ist, k ö n n t e in d e r d e r Zerstörung Jerusalems folgenden Phase jüdischer Umsiedlungen ( 7 0 - 1 3 5 n.Chr.) l i e g e n 7 ; z.Zt. d e s P a u l u s d ü r f t e R o m n o c h d i e w e s t l i c h e G r e n z e d e r j ü d i s c h e n D i a spora gebildet haben8. D i e T h e s e v o n B o w e r s ist in d e n A r b e i t e n v o n J e w e t t u n d D e w e y a u f g e g r i f f e n u n d in u n t e r s c h i e d l i c h e n R i c h t u n g e n a u s g e w e r t e t w o r d e n . J e w e t t h e b t d i e p r a k t i s c h e n K o n s e q u e n z e n f ü r d i e p a u l i n i s c h e M i s s i o n s a r b e i t h e r v o r , d i e sich a u s d e r g e p l a n t e n G r e n z ü b e r s c h r e i t u n g e r g e b e n : „In s u m , t h e S p a n i s h m i s s i o n r e q u i r e d a level o f p l a n n i n g a n d s u p p o r t that r e p r e s e n t e d a q u a n t u m l e a p f r o m t h e i m p r o v i s i o n a l s c h e m e of e a r l i e r P a u l i n e m i s s i o n i z i n g " 9 . D e w e y b e t o n t d e n u t o p i s c h - v i s i o n ä r e n

5 Vgl. Schürer, Geschichte III 69 mit Anm. 119; Harnack, Mission 8; Schlatter, Gottes Gerechtigkeit 389; Michel, Römer 463 Anm. 3; Schlier, Römerbrief 435; Käsemann, Römer 383; Cranfield, Romans II 769. 6 Von den inschriftlichen Belegen (Bowers, Jewish Communities 396f.) führt nur einer ins 1. Jh. n.Chr., eine Amphore aus Ibiza mit zwei hebräischen Buchstaben (vgl. in der neueren Inschriftensammlung von Noy, Inscriptions, Nr. 178, 239). Dieses Zeugnis dürfte freilich eher auf den Handel mit Juden als auf eine jüdische Einwohnerschaft auf Ibiza hinweisen (Bowers, Jewish Communities 400; ebd. Anm. 1 zu Ibiza als Handelsplatz. Zu demselben Urteil gelangt auch Noy, Inscriptions 239: „this amphora strongly suggests trade from Judaea coming to Ibiza"). Über das von Bowers berücksichtigte inschriftliche Material hinausgehend bietet die Sammlung von Noy nur zwei weitere Belege: eine nicht näher bestimmbare und zeitlich nicht einzuordnende, zweisprachige Inschrift aus einem Dorf in der Nähe von Tortosa (ebd., Nr. 184, 253f.) und eine lateinische Grabinschrift aus Villamesias (ebd., Nr. 188, 261f.), bei deren Datierung Noy an den Zeitraum vom 1.-3. Jh. n.Chr. denkt (ebd. 261), aber den spekulativen Charakter des Vorschlags hervorhebt: „the inscription is relatively early, but in the absence of further details this can only be speculative" (ebd. 262). Auch Noy hält die oben erwähnte Amphore aus Ibiza für den einzigen frühen Beleg für Juden in Spanien („There is no other evidence of Jews in Spain at such an early date" [ebd. 239]) und bestätigt damit das Gesamturteil von Bowers. Auch in der Neubearbeitung des Werkes von Schürer wird das Urteil von Bowers zustimmend aufgegriffen (History III/1 84 mit Anm. 124). Von den literarischen Belegen (Bowers, Jewish Communities 398f.) reicht ebenfalls nur ein einziger mit Sicherheit ins 1. Jh. n.Chr. zurück; Josephus erwähnt eine Verbannung des Herodes Antipas nach Spanien (Bell II 183) bzw. nach Gallien (Ant XVIII 252). „Modem scholars resolve this by postulating Lugdunum Convenarum, a town in Gaul on the Spanish frontier" (Bowers, Jewish Communities 398). Für die Frage nach der Präsenz jüdischer Ansiedlungen in Spanien z.Zt. des Paulus lassen sich aus diesem marginalen Beleg keine positiven Schlußfolgerungen ableiten (ebd. 400); für Dewey stellt der Beleg sogar eher ein Gegenindiz dar: „in the Empire exile meant separation from one's people and one's gods" (Future 325). - Zur These von Bowers vgl. übrigens schon Schott, Römerbrief 105-112. 7

Jewish Communities 400.

" Jewish Communities 402. Zu anderen Ländern des westlichen Mittelmeerraums vgl. ebd. 401: „there seems to be an absence of firm evidence for settled Jewish residence prior to A.D. 70" (Literaturhinweise ebd. Anm. 1); vgl. auch Schürer, History III/l 85f. 9 Phoebe 147. Jewett nimmt an, daß Paulus im Blick auf diese praktischen Schwierigkeiten Phoebe (Rom 16,1 f.), eine einflußreiche Heidenchristin von gehobener sozialer Stellung und

Primäre und potentielle sekundäre Ausrichtung der Evangeliumsverkündigung

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Charakter des paulinischen Spanien-Projekts und versucht den Rom aus dieser Perspektive heraus zu interpretieren 10 . Ohne an dieser Stelle schon die Konsequenzen ausloten zu können, ist darüber hinaus aber vor allem folgender Sachverhalt festzuhalten, der sich mit dem über den Bereich der jüdischen Diaspora hinausgehenden Missionsplan des Paulus verbindet: Paulus hatte z.Zt. der Abfassung seines Schreibens schon eine andere, spätere Verkündigungssituation im Blick. Die Adressaten dieser späteren Verkündigungssituation unterscheiden sich von seinen bisherigen Adressaten, einschließlich der römischen Christen, weil für sie eine grundsätzliche und - soweit es die Texte erkennen lassen - vom Apostel nie hinterfragte Voraussetzung paulinischer Theologie, nämlich die Identität Gottes als des Vaters Jesu Christi mit dem Gott Israels, nicht in derselben Weise greifbar sein konnte wie in jenen Gemeinden, für die unmittelbar durch judenchristliche oder ehemals gottesfürchtige Gemeindeglieder - oder mittelbar - durch räumliche Nähe zu Synagogengemeinden - jüdischer Glaube eine gelebte Realität war. D.h.: Die Grenzüberschreitung, die Paulus im Rom erstmalig konkret benennt, impliziert nicht nur praktische Probleme und wirft nicht nur Licht auf einen utopischen, zu den Rändern hindrängenden Zug paulinischen Denkens, sondern der gedachte Schritt in eine vom Judentum nicht mitbeeinflußte Kultur ist ein Schritt in eine neue Verkündigungssituation, in der eine theologische Prämisse des Paulus erläuterungsbedürftig werden muß.

Im Hinblick auf die sprachliche Barriere, die bei der paulinischen SpanienMission zu überschreiten war, wird deutlich, worauf Paulus für den Fall des glücklichen Ausgangs der Kollektenübergabe bei der Bitte um das „Geleit" der römischen Christen (15,24) vor allem gehofft haben dürfte: Er benötigte lateinsprachige Reisebegleiter 11 . Daß diese Hoffnung nur unbestimmt formuliert wird, erklärt sich mühelos aus der der fremden Gemeinde gegenüber auferlegten Zurückhaltung. Es bleibt aber die Frage, was die römischen Adressaten in der Intention des Paulus mit den Hinweisen auf das Spanien-Unternehmen anfangen sollten, wenn dieser nicht in Rom eintreffen und folglich nicht nach Spanien Weiterreisen würde. Daß die Spanien-Hinweise für diesen negativen, aber wahrscheinlichen Fall als Personalnotizen gemeint sind, die, nunmehr leider obsolet geworden, von den römischen Adressaten ad acta zu legen sind, ist aufgrund ihrer Einbindung in einen umfassenden Rahmen schlechterdings unwahrscheinlich: Die erste Erwähnung des Spanien-Plans (15,24) schließt an eine breit angelegte Darstellung des paulinischen Heidenapostolats (15,16ff.) an, die in den übrigen Paulus-Briefen keine Parallele hat. Diese Darstellung faßt das Wesen und das umfassende Ziel des Auftrags des Paulus zusammen (Ausrichtung des Evangeliums an die Heiden [15,16]), markiert den gegenwärtigen Stand der Evangelientsprechenden finanziellen Möglichkeiten (ebd. 148-150), gewinnen konnte und daß ihr eine Schlüsselrolle bei der Planung und Vorbereitung der Spanien-Mission zugedacht war (ebd. 151155). 10

Future 321-349.

11

Vgl. Lampe, Stadtrömische Christen 63.

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ums Verkündigung geographisch (15,19) 12 und hält ein die Durchführung dieser Arbeit bestimmendes Prinzip fest (15,20f.) 13 , das sich seinerseits aus der Reichweite des Verkündigungsauftrags erklärt14. Aus der auftragsgemäßen 12 Der mit τό Ίλλυρικόν gemeinte Bereich ist nicht klar identifizierbar. Der Grund dafür liegt nicht einfach in der Alternative zwischen Landschafts- und Provinzbezeichnung (vgl. Liddell/Scott/Jones 828), sondern vor allem in der fehlenden Eindeutigkeit beider Bezeichnungsmöglichkeiten des Nomens (s. dazu Vulic, Art. Illyricum 1087), die ihrerseits wohl mit den divergierenden Vorstellungen vom Verbreitungsgebiet der Myrier zusammenhängt (vgl. dazu die Zusammenstellung von Angaben antiker Autoren bei Fluss, Art. Illyrioi 313f.). Denkbar sind vor allem folgende drei Möglichkeiten: 1. der Bereich der nördlich von Makedonien gelegenen Provinzen Dalmatien, Pannonien und Moesien, die insgesamt als „Illyricum" bezeichnet werden konnten (vgl. Turner, Historical Introduction 23f.; ähnlich wohl auch Dunn, Romans II 864); 2. der Bereich der Provinz Dalmatien, für die auch die Bezeichnung superior provincia Illyricum" belegt ist (Vulic, Art. Illyricum 1087; vgl. z.B. Sanday/Headlam, Romans 408; Michel, Römer 460 Anm. 22 [jeweils als Möglichkeit]); 3. der an der Adria bzw. am ionischen Meer gelegene, in die Provinz Makedonien hineinreichende Küstenbereich (vgl. z.B. Sanday/Headlam, Romans 408; Michel, Römer 460 Anm. 22 (jeweils als Möglichkeit]; Suhl, Paulus 94). - In der Formulierung von 15,19 wird τό Ίλλυρικόν (wie Ιερουσαλήμ) als Grenze geltend gemacht. Zwar enthalten alle drei erwähnten Bezeichnungsmöglichkeiten eine solche Grenzangabe, weil in jedem Fall ein Teil des Italien gegenüber gelegenen Küstenbereichs (der nur im Fall der dritten Möglichkeit südlicher liegt als im Fall der beiden anderen Lösungen) mitgemeint ist. Je enger man aber den Hinweis auf Illyricum faßt - die dritte Lösung bezieht sich auf Jllyricum im engsten Sinne, später auch Nova genannt" (Forbiger, Geographie III 561) - , desto deutlicher kommt die Funktion des Hinweises als einer Grenzangabe zum Zuge. Daraus dürfte sich ein gewisser Vorzug für die dritte Lösung ergeben, der freilich die zweite Lösung nicht ohne weiteres ausgeschlossen sein läßt. Gegen die erste Lösung spricht außerdem: Die weite, mehrere Provinzen zusammenfassende Bezeichnungsmöglichkeit von „Illyricum" erklärt sich wohl vor allem aus dem wirtschaftspolitischen Zusammenhalt dieser Provinzen (vgl. Turner, Historical Introduction 23f.), also aus einer Perspektive, die in Rom 15,19 sicher nicht zur Geltung kommt. '3 Inhalt dieses von Paulus auch in 2Kor 10,15f. - wenngleich dort in polemischer Funktion erwähnten Prinzips, das er bei seiner Arbeit im Bereich von Jerusalem bis Illyrien befolgte, ist der Verzicht auf Evangeliumsverkündigung dort, wo Christus (schon vorher) genannt wurde (15,20a), „d.h. durch Proklamation bekannt ist" (Schlier, Römerbrief 433). Hinderungsgrund für ein paulinisches εύαγγελίζεσθαι an einem Ort ist also eine vorausliegende, von anderen durchgeführte Christus-Verkündigung. Schon das aoristische ώνομάσθη, das sich auf ein vorzeitiges Ereignis bezieht, spricht gegen das erst recht von 15,20b her auszuschließende „Mißverständnis als sei für Paulus ein geographischer Bereich schon daraufhin unantastbar, daß in ihm Glaubende sich nachweisen lassen" (Klein, Abfassungszweck 140; vgl. in diesem Punkt Schmithals, Römer 531). (Ganz abgesehen von der sprachlich nächstliegenden Beziehung des ώνομάσθη auf eine Verkündigung, die der Gemeinde ein θεμέλιον bietet, ist auch zu bedenken: Hätte Paulus bei seiner Missionsarbeit Orte deshalb ausgespart, weil es in ihnen schon Christen gab, dann wäre er wohl kaum nach Korinth gegangen.) Vielmehr hat Paulus seine Evangeliumsverkündigung bewußt solchen Orten vorbehalten, in denen noch keine für eine Gemeinde grundlegende ChristusVerkündigung durchgeführt worden war. V. 20 ist als Präzisierung an V. 19b angeschlossen (οϋτως δέ): Bei seinem Wirken im Bereich zwischen Jerusalem und Illyrien hat sich Paulus an die „Pionier-Arbeit" gehalten und sie da geleistet, wo sie von anderen noch nicht geleistet war (vgl. ähnlich Knox, Mission 10). 14 An die Zusammenfassung des Prinzips (εύαγγελίζεσθαι οϋχ οπού ώνομάσθη Χριστός [V. 20a]) ist eine finale Erläuterung (V. 20b.21) mit antithetischem Bau (ίνα μή ··· άλλά ...) angeschlossen. (Explizit anders z.B. Zahn, Römer 601 Anm. 34; Lagrange, Romains 353, die einen Kontrast zwischen οϋχ οπού ... [V. 20aß] und άλλά ... [V. 21] annehmen; vgl. aber Pedersen,

Primäre und potentielle sekundäre Ausrichtung der Evangeliumsverkündigung

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Ausrichtung der Evangeliumsverkündigung durch den Adressanten erklärt sich die bisherige Hinderung an einem Rom-Besuch (15,22). Die Abgeschlossenheit der Verkündigungsarbeit im gekennzeichneten Bereich läßt den langjährigen Wunsch nach einem Rom-Besuch aktuell werden (15,23), bei der nunmehr erforderlichen Ausdehnung der Mission nach Westen, nach Spanien, ergibt sich die Gelegenheit, von der zugleich ein Nutzen im Blick auf dieses eigentliche Ziel erhofft wird. D.h.: die Spanienmission ist prinzipiell im Auftrag des Apostels, dem er „bis jetzt" (15,23) entsprochen hat, mitenthalten15; der Auftrag ist gegenwärtig also keineswegs schon abgegolten. Den Adressaten ist folglich unmißverständlich mitgeteilt worden, daß das dem Paulus anvertraute Evangelium über den Bereich, in dem es dieser „erfüllen" konnte16, hinausreichen will und daß ihnen selbst in diesem Zusammenhang vom Adressanten eine Funktion zugedacht ist. Im Falle seines Nichteintreffens in Rom ist es ihnen überlassen, diese Funktion in einer sehr viel intensiveren Weise wahrzunehmen, als es im Fall eines glücklichen Ausgangs der Überlegungen 62 Anm. 44.) Während sich der erste Teil (Nicht-Aufbauen auf fremdem Fundament) auf die unmittelbare Konsequenz des ebenfalls negativ formulierten Prinzips (keine Evangeliumsverkündigung, wo Christus schon bekannt gemacht worden ist) bezieht, benennt der zweite Teil mit dem Zitat aus LXX Jes 52,15 positiv den Zweck, der sich für Paulus mit der Einhaltung des Prinzips verbindet. „Das Wesentliche an dieser Regel ist, wie das Zitat klar macht, daß alle, d.h. auch diejenigen, die sonst nicht gehört haben, hören sollen. Deshalb muß überall verkündigt werden, und d.h. für Paulus: dort, wo andere nicht gewesen sind" (Pedersen, Überlegungen 62). D.h.: Es geht nicht primär um Nichteinmischung an sich, sondern um deren Sinn im Zusammenhang der Durchführung des universal ausgerichteten paulinischen Missionsauftrags. 15

Nur wenn das εις τ ά εθνη in der überschriftsartigen Auftragsbestimmung (15,16a) den umfassenden Sinn hat, der bei der Erwähnung der Heiden in 1,5 eindeutig ausgedrückt ist (δι' ου έ λ ά β ο μ ε ν χ ά ρ ι ν καί άττοστολήν π ί σ τ ε ω ς έν π ά σ ι ν τοις εθνεσιν), erklärt sich ein Stück weit die eigentümliche Selbstverständlichkeit, in der der Adressant die Adressaten mit seinem SpanienVorhaben konfrontiert. 16

ττειτληρωκέναι τό εύαγγέλιον meint die vollständige Ausführung der Evangeliumsverkündigung, mit der Paulus beauftragt ist (vgl. z.B. Zeller, Juden und Heiden 68 Anm. 127). Schmithals verweist auf das in 15,19 vorausgesetzte paulinische Missionskonzept, nach dem es die Aufgabe des Apostels ist, „einzelne zentrale Gemeinden zu gründen, von denen aus die umliegende Landschaft oder Provinz missioniert werden konnte" (Römer 530). Dieser Hinweis erscheint vor allem im Blick auf die in 15,20f. angeschlossene Präzisierung der Aussage von 15,19 einleuchtend (vgl. auch Cranfield, Romans II 762), und er erklärt die Grenzangaben Jerusalem und Illyricum, die Bereiche betreffen, für die paulinische Missionsarbeit auszuschließen bzw. nicht nachzuweisen ist. (Auch aus der von Suhl vorgeschlagenen Rekonstruktion einer Reise durch Illyricum i.S. der zu Makedonien gehörigen westlichen Küstenlandschaft [Paulus 92-96] folgt j a nicht ohne weiteres der Rückschluß auf eine dort geleistete Missionsarbeit.) - Nun läßt der Hinweis auf das zugrundeliegende paulinische Missionskonzept zwar den in 15,19 festgestellten Sachverhalt verständlich werden, er erklärt aber noch nicht die Wahl der ungewöhnlichen Formulierung πεττληρωκέναι τό εύαγγέλιον (die nächste Parallele dürfte Kol 1,25 darstellen), die das Bedeutungsmerkmal der Vollständigkeit stark hervorhebt. Im Hinblick auf 15,23 wird man annehmen können: Die Aussage zielt nicht auf eine Charakterisierung der Art und Weise der paulinischen Missionsarbeit, sondern will deren gegenwärtigen Stand markieren. Der Bereich von Jerusalem bis zur östlichen Adriaküste soll den römischen Adressaten als abgeschlossen und keiner grundlegenden Missionsverkündigung mehr bedürftig gezeigt werden.

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Hypothese zum Zweck des Rom in der Intention des Paulus

Jerusalem-Reise notwendig ist. M.a.W.: Im unglücklichen, aber vom Adressanten mitbedachten Fall können sich die Adressaten als selbständige Träger der Verkündigung des paulinischen Evangeliums angesprochen sehen. Die Hoffnung auf eine entsprechende Reaktion der Adressaten ist vom Adressanten nicht ausgesprochen (ebensowenig wie die Möglichkeit des Scheiterns in Jerusalem thematisiert wird, also der negative Fall, für den der Adressant diese Reaktion erhofft), aber die Grundlage für eine selbständige Trägerschaft paulinischer Evangeliumsverkündigung ist gelegt, und zwar mit dem Brief selbst. Dafür spricht zunächst die Verklammerung zwischen dem kurzen Rückblick auf das Schreiben (15,15) und der Wesens- und Zielbestimmung des paulinischen Auftrags (15,16), die der folgenden Darstellung überschriftsartig vorangestellt ist. Das einzige Bindeglied zwischen 15,15 und 15,16 (bzw. 15,16ff.) liegt im Hinweis auf die apostolische Beauftragung des Paulus (δια την χάριν την δοθεΐσάν μοι ύπό του θεού). Diese χάρις zielt auf die Evangeliumsverkündigung an die Heiden und will sie zum „wohlgefälligen" Opfer werden lassen (15,16); die gewonnenen Heiden sind hier also proleptisch als Kollektiv ins Auge gefaßt. Um dieser χάρις willen ist der Brief geschrieben, seine Abfassung ist folglich Teil der umfassend an die Gesamtheit der Heiden gerichteten apostolischen Wirksamkeit des Adressanten, die in der Ausrichtung des Evangeliums besteht. Die Zuordnung des Schreibens zur paulinischen Beauftragung mit der Evangeliums Verkündigung im Übergang von 15,15 zu 15,16ff. hat ihr Pendant in der Einleitung des Schreibens, genauer im Übergang von 1,14 über 1,15 zu l,16f. 17 . Der Adressant konstatiert seine umfassende, Griechen und Barbaren, Weisen und Unweisen gegenüber bestehende Verpflichtung (1,14) 18 . Diese Verpflichtung bezieht sich auf die Evangeliumsverkündigung, denn die Bereitschaft zum εύαγγελίσασθαι auch den römischen Adressaten gegenüber (1,15) resultiert aus diesem Verpflichtetsein. Wenn Paulus unmittelbar nach der Erklärung seiner Bereitschaft zum εύαγγελίσασθαι an den Römern in 1,16 das εύαγγέλιον zum Thema macht, dann ist deutlich, daß er dazu ansetzt, seine Bereitschaftsbekundung durch das entsprechende Tun einzulösen 19 . Die Einlei17

Zu dieser Entsprechung vgl. im Prinzip ähnlich Klein, Abfassungszweck 134f. Lampe möchte das zweite Gegensatzpaar in 1,14 auf eine von Paulus vorausgesetzte soziale Schichtung im römischen Adressatenkreis beziehen (Stadtrömische Christen 63). Der Vorschlag ist nicht überzeugend, weil erst 1,15 wieder auf die römischen Adressaten zu sprechen kommt und diese dem zuvor (1,14) generell beschriebenen Kreis derer, denen Paulus verpflichtet ist, zugeordnet werden (και ύμΐν τοις έν ' Ρώμη). 18

19 Durch den Anschluß von 1,16f. bekommt 1,15 (ούτως το κ α τ ' έμέ ττρόθυμον καϊ ύμΐν τοις έν Ρώμη ε ύ α γ γ ε λ ί σ α σ θ α ι ) beinahe die Funktion eines metakommunikativen Einleitungssatzes (s. dazu Gülich/Raible, Textmodelle 27f.): Der Sprecher macht eine Aussage Uber sein derart eingeleitetes sprachliches Handeln. In diesem Sinn bildet 1,15 die Entsprechung zum metakommunikativen Schlußsatz in 15,15, in dem der Sprecher eine Aussage über die vorangehende sprachliche Handlung formuliert. - Freilich besteht diese Parallelität nur „beinahe": Anders als in

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tung des Briefs mündet also in derselben Weise in das Corpus ein, wie der Briefschluß vom Corpus (bzw. dem Rückblick darauf) ablöst, nämlich jeweils durch die Zuordnung des Schreibens an die Römer zur Evangeliumsverkündigung, mit der der Adressant einem weit umfassenderen Adressatenkreis gegenüber beauftragt ist. Folglich hat der Adressant sein Schreiben als Darlegung seiner Evangeliumsverkündigung verstanden 20 . Die Adressaten haben also mit dem Schreiben die Möglichkeit erhalten, sich im Falle eines negativen Ausgangs der paulinischen Jerusalem-Reise selbständig im Sinne des umfassenden und noch weithin unabgegoltenen Auftrags des Apostels zu engagieren. Die Richtung, in der Paulus das Evangelium weiterverbreitet sehen will, ist durch die Spanien-Hinweise angezeigt, und entsprechend ist der Raum von Jerusalem bis Illyrien als ein Bereich gekennzeichnet, der der Evangeliumsverkündigung nicht mehr bedarf. Wenn also Paulus den römischen Adressaten mit dem Rom sein Evangelium darlegt und dabei - für den Fall seiner Verhinderung - eine selbständige Verkündigung der Adressaten ins Auge faßt, dann war die Abfassung dieses Schreibens auch dieser Erwartung wegen, und nicht nur, weil es sich um eine erste Kontaktaufnahme handelte, genau das, was der Rückblick in 15,15 her-

15,15, wo der Bezug auf das vorangehende Schreiben durch das regierende Verb ( έ γ ρ α ψ α ) auch formal sichergestellt ist, fehlt im Nominalsatz von 1,15 ein entsprechendes Prädikat in der 1. Person Singular: „Deshalb, was mich anlangt, die Bereitschaft, auch euch in Rom das Evangelium zu verkündigen". Diese grundsätzliche und zeitlos formulierte Bereitschaftserklärung ist in der Auslegung oft eingeengt worden zur Feststellung einer früher vorliegenden Bereitschaft, deren Ausführung (das ε ύ α γ γ ε λ ί σ α σ θ α ι ) Paulus für einen früher geplanten, dann aber verhinderten Besuch ins Auge gefaßt hatte (vgl. dazu besonders Kettunen, Abfassungszweck 119-126; im Anschluß daran auch Stuhlmacher, Abfassungszweck 187; ders., Römer 28; zuvor schon Zeller, Juden und Heiden 57f.; vgl. ders., Römer 41; vgl. ferner auch die Hinweise auf ein im Nominalsatz zu ergänzendes έγένετο in der bei Kettunen, Abfassungszweck 124 Anm. 3 genannten Literatur). Die Auffassung von 1,15 als einer Vergangenheitsaussage erscheint sprachlich nicht überzeugend; 1,15 will als Folgerung (ούτως) aus der ebenso grundsätzlichen und präsentisch formulierten Aussage von 1,14 verstanden sein: Der Wechsel zur Vergangenheitsperspektive von 1,13b ist durch nichts angezeigt. Wegen der Fortsetzung der Bereitschaftserklärung zur Evangeliumsverkündigung (1,15) durch die Definition des Evangeliums in l,16f. wird man 1,15 aber auch nicht auf eine futurische Perspektive einengen und als Ankündigung eines beim künftigen Rom-Besuch des Apostels durchzuführenden ε ύ α γ γ ε λ ί σ α σ θ α ι (so z.B. Klein, Abfassungszweck 134f.; Schlier, Römerbrief 41; Jervis, Purpose 108; Dunn, Romans I 33) verstehen können; über einen Zeitpunkt des ε ύ α γ γ ε λ ί σ α σ θ α ι , zu dem sich Paulus den Römern gegenüber bereit erklärt, läßt sich der Formulierung von 1,15 nichts entnehmen. - Zum Verhältnis zwischen 1,15 und l,16f. vgl. Bowers: „What Paul says he is ready to do (1:15) he proceeds, in effect, in the remainder of his letter to do: He proclaims the gospel to the Christian community in Rome (l:16ff.)" (Mission 196; vgl. auch Barrett, Romans 27; Aletti, Presence 7; Theobald, Römerbrief I 42; Fitzmyer, Romans 251; Weima, Preaching 352). 20 Vgl. Klein, Abfassungszweck, besonders 144 (allerdings in Verbindung mit der Annahme eines späteren persönlichen ε ύ α γ γ ε λ ί σ α σ θ α ι beim „angekündigten" Rom-Besuch [ebd.]); Jervis, Purpose, besonders 129.161; außerdem Dahl, Missionary Theology 77; Stowers, Diatribe 182; Elliott, Rhetoric 84.87; Weima, Preaching 338.352.366.

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vorhebt: „einigermaßen kühn" 21 . Aus den oben angestellten Überlegungen zum Zusammentreffen von Erst- und (potentieller) Letztkommunikation wird verständlich, warum der Adressant seine Erwartung den Adressaten gegenüber verschweigt und es statt dessen ihnen überläßt, im Fall seines Nichteintreffens in Rom die Konsequenz, die er mit seinem Schreiben ermöglicht hat, selbst zu ziehen. Die Erwartung konnte nicht thematisiert werden, weil dann die Möglichkeit des Scheiterns in Jerusalem mit dessen Konsequenz, dem riskierten Ausfall des Rom-Besuchs, vor allem aber die Gründe für den getroffenen Entschluß zur persönlichen Kollektenübergabe hätten offengelegt werden müssen. Aus der unausgesprochenen Erwartung, die der Adressant für den Fall der eigenen Verhinderung auf die Adressaten richtet, folgt für das Schreiben selbst: Bei der Evangeliumsverkündigung des Paulus an die römischen Christen ist eine potentielle zweite Verkündigungssituation im Blick. In dieser zweiten Verkündigungssituation geht es prinzipiell um denselben Inhalt; es ist das paulinische Evangelium, das über Rom hinaus bis nach Spanien ausgebreitet werden soll. Die potentielle zweite Situation unterscheidet sich aber von der ersten, also der Situation des Rom, weil in ihr die Rollen von Adressant und Adressaten neu besetzt werden: Die römischen Christen könnten gegebenenfalls die Adressantenrolle übernehmen, und sie hätten sich an Adressaten außerhalb des Bereichs der jüdischen Diaspora zu richten. Es ist mindestens denkbar, daß sich der Ausblick auf jene zweite Verkündigungssituation in gewisser Weise auch auf das Schreiben selbst ausgewirkt hat. Im Rückblick auf die vier „klassischen" Lösungsmodelle sind an dieser Stelle die Anknüpfungen an das zweite (der Rom als Einbeziehung der Adressaten in das paulinische Missionskonzept) 22 und an das dritte Modell (der Rom als Entfaltung des paulinischen Evangeliums in gemeindegründender Absicht) 23 festzuhalten. Das zweite Modell hebt zu Recht den Spanien-Plan als eine Komponente hervor, die für Paulus z.Zt. der Abfassung des Schreibens nicht irrelevant war, läßt sich aber beim Rückschluß auf die Intention des Autors allzu direkt von der dem Briefschluß (15,22ff.) zugrundeliegenden Textstrategie leiten, die die Realisierbarkeit der Spanien-Mission durch den Apostel selbst nicht problematisiert. Das dritte Modell betont zutreffend, daß der Rom seiner Funktion nach Entfaltung des paulinischen Evangeliums für die

21 Daß sich dieser Rückblick auf das Schreiben als ganzes bezieht (so z.B. Käsemann, Römer 377; Schlier, Römerbrief 428; Dunn, Romans II 859) und nicht wegen des ά π ό μέρους nur auf bestimmte Teile wie etwa 12,1-15,13 (so z.B. Cranfield, Romans II 753; Zeller, Römer 237f.), war in den vorangehenden Überlegungen schon vorausgesetzt und dürfte vor allem wegen der letzten auf έ γ ρ α ψ α zurückbezogenen Bestimmung (διά την χ ά ρ ι ν την δοθείσάν μοι ύπό τοϋ θεοΰ) als eindeutig gelten können: Hätte der Adressant nur in bestimmten Teilen „einigermaßen kühn" geschrieben, dann hätte er eben auch nur in Teilen um der ihm gegebenen χ ά ρ ι ς willen geschrie-

22 23

S. o. S. 24-26. S. o. S. 27-29.

Primäre und potentielle sekundäre Ausrichtung der Evangeliumsverkündigung 91 Christen in Rom ist. Unzureichend gewichtet wird dabei aber die Zuordnung des Schreibens zur umfassenden Beauftragung des Adressanten, der an die Heiden schlechthin gewiesen ist und sein Evangelium weit über Rom hinaus verbreitet wissen will.

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2.3 Die Prägungsfähigkeit der römischen Adressatenschaft Wenn die vorangehenden Überlegungen zutreffen, dann ging es Paulus bei der Abfassung des Rom darum, die Voraussetzung für die Weiterverbreitung seines Evangeliums zu schaffen, weil ihm eine eigene Missionstätigkeit nach der Jerusalem-Reise alles andere als gewährleistet gelten konnte. Einerseits kann diese Erwartung art sich nicht als besonders erstaunlich gelten: Wenn denn dem Rückblick auf das „Erfüllen" des Evangeliums im Bereich von Jerusalem bis Illyricum (15,19) irgendein Realitätsgehalt beizumessen ist, dann hat Paulus von den römischen Christen im Prinzip nicht mehr erwartet als von jeder der von ihm gegründeten Gemeinden. Diese Erwartung gründet in der Überzeugung der kommunikativen Kraft des vom Evangelium gewirkten Glaubens, die Paulus vermutlich durchaus konkret und nicht auf den einzelnen eingegrenzt gedacht hat. Der entscheidende Unterschied zu den paulinischen Gemeinden zwischen Jerusalem und Illyricum ist nur: Der Christusglaube in Rom geht weder direkt auf Paulus, noch indirekt auf die Missionsarbeit von Paulusanhängern zurück 1 ; vielmehr muß die Kommunikation zwischen Adressant und römischen Adressaten im Brief (der zugleich das mögliche Ende solcher Kommunikation ist) allererst hergestellt werden. Vor allem der Briefeingang (1,8-15) weist deutliche Spuren des Umgangs mit dieser im Fehlen einer kommunikativen Vorgeschichte liegenden Schwierigkeit auf: Die einleitende, paulinischer Briefkonvention entsprechende Danksagung für den Stand der Adressatengemeinde (1,8) läßt gerade in ihrer hyperbolischen Fassung keinerlei besonderes Wissen über die Adressaten erkennen; sie fällt extrem kurz aus; vor allem: der anschließende - an sich ebenfalls konventionelle - Hinweis auf die Gebete des Adressanten für die Adressaten (1,9) knüpft inhaltlich gar nicht an die Danksagung an, sondern leitet über zum Hinweis auf das die Gebete bestimmende Anliegen, das Gelingen des erwünschten Rom-Besuchs (1,10). Dieser erwünschte Kontakt zu den Adressaten und dessen Ziele bilden das Thema der anschließenden Ausführungen bis 1,13 und damit einen - im Vergleich zu anderen Paulus-Briefen - recht ungewöhnlichen Schwerpunkt des Briefeingangs. Damit stellt sich die Frage: Warum wendet sich Paulus mit seinem Brief und der für den Negativfall daran geknüpften Erwartung an die Christen in Rom, zu denen er eine Beziehung doch erst aufbauen muß? Vor allem drei Gesichtspunkte dürften zusammengesehen die römische Adresse des Schreibens verständlicher werden lassen. 1. Bei der Abfassung des Schreibens hatte der Adressant jene „Transversale" durchs römische Reich von Jerusalem im Osten bis nach Spanien im We-

1

Daß die Präsenz einiger Paulusanhänger in Rom zur Zeit des Schreibens möglich und - im Blick auf cap. 1 6 - auch wahrscheinlich ist, steht auf einem anderen Blatt.

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sten vor Augen 2 . Rom war nach dem Abschluß der Arbeit von Jerusalem bis Illyricum der nächste Schritt. 2. Bei der von Paulus anvisierten Missionsverkündigung in der Westhälfte des römischen Reichs mußte das Sprachproblem virulent werden. In Rom konnte Paulus mit Christen rechnen, denen Latein jedenfalls nicht prinzipiell unzugänglich war. 3. Neben diesen mehr oder weniger offenkundigen Sachverhalten dürfte schließlich aber das eine Rolle gespielt haben, was man positiv - aus der Perspektive des Adressanten - als Prägungsfähigkeit der Adressatenschaft bezeichnen könnte. Negativ formuliert: Bei der historischen Rückfrage nach einem theologischen Profil der römischen Adressatenschaft 3 ergibt sich kein deutliches Bild. Das gilt jedenfalls dann, wenn man bei dieser Rückfrage solche Ausführungen des Rom, über deren Bezug auf die Adressatensituation noch nicht entschieden ist (besonders Rom 14f.; 9-11), ausblendet. Festzuhalten ist zunächst: Die Adressatengemeinde läßt sich nicht auf eine gezielte Mission eines einzelnen oder einer Gruppe von Christen zurückführen 4 . Wahrscheinlicher ist vielmehr ein zufälliges Platzgreifen des Christus-

2

Harnack, Mission 83. Vgl. dazu Wiefel, Gemeinschaft 65-88; Brown/Meier, Antioch and Rome 1-9.87-127 (der Verfasser der angegebenen Teile des Buches ist R. E. Brown); Lampe, Stadtrömische Christen, besonders 1 —9.53ff. 124ff.; Brown, Further Reflections 98-115; Brändle/Stegemann, Entstehung 1-11. 3

4 Gegen diese Annahme spricht vor allem, daß Paulus ein solches für die Adressatenschaft grundlegendes Ereignis nicht erwähnt. „Eine gezielte missionarische Absicht von Christusgläubigen Rom gegenüber ist uns abgesehen von Paulus nicht bekannt" (Brändle/Stegemann, Entstehung 11); die einfachste Erklärung dafür ist, daß eine solche Absicht nicht bestand bzw. nicht durchgeführt wurde. - Eine andere Auffassung ist von Brown vertreten worden (Brown/Meier, Antioch and Rome 92-122). Seiner Meinung nach geht die römische Christenheit zurück auf unbekannte Jerusalemer Judenchristen (ebd. 103f.). Diese werden einem gemäßigt konservativen Typ des Christentums zugerechnet, der in weiten Teilen an der Verbindlichkeit des Gesetzes festhält, aber nicht auf der Beschneidung von Heidenchristen besteht. Repräsentanten dieses Typs des frühen Christentums sind Petrus und Jakobus (ebd. 104; zur Beschreibung des von Jerusalem nach Rom gelangten Typs des Christentums vgl. ebd. 3f.); im Blick auf die durch die Namen Petrus und Jakobus angezeigte Spannbreite verweist Brown allerdings auf die größere Nähe des frühesten römischen Christentums zu der durch Petrus repräsentierten Richtung (ebd. 110 Anm. 229). Problematisch an Browns Sicht erscheint - unabhängig von der ihr entsprechenden Auswertung des Textes des Rom (ebd. 114-122) - vor allem zweierlei: 1. Die Annahme von Jerusalemer Judenchristen, die sich für die Heidenmission unter Verzicht auf die Beschneidungsforderung noch vor dem Apostelkonvent engagierten, steht in Spannung zum wichtigsten Quellentext, Gal 2,1-10. Entsprechend charakterisiert Brown den Petrus- (Jakobus-)Typ des frühen Christentums denn auch unter Bezugnahme auf die beim Apostelkonvent allererst erreichte Übereinkunft (ebd. 3). 2. Die primäre Frage, ob die römische Gemeinde überhaupt auf eine missionarische Initiative zurückgeht, wird bei Brown von der sekundären Frage, welchen Typs diese Initiative gewesen sein könnte, verdrängt. Die größere Wahrscheinlichkeit eines „missionary endeavor" gegenüber einer „accidental transmission by travelers" liegt für Brown in einer sehr allgemeinen und keineswegs zwingenden Einschätzung begründet: „The stress on mission in the Gospels, Paul, and Acts creates, in my

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glaubens „via Handelsweg"5, also durch längerfristigen Aufenthalt oder Umsiedlung von Christen aus der Osthälfte des Reichs aus wirtschaftlichen Gründen. Das zahlenmäßige Anwachsen der Christen in Rom - das jedenfalls zur Zeit der Nero-Verfolgung im Jahr 64 schon ein höheres Ausmaß erreicht haben muß6 - dürfte von Beginn an durch die starke Repräsentanz der römischen Judenschaft7 begünstigt gewesen sein; vor allem in der Gruppe der mit den relativ selbständig organisierten Synagogengemeinden 8 locker verbundenen „Gottesfürchtigen"9 läßt sich ein Interesse an der Christusbotschaft vermuten10. Darüber hinaus wird für die Ausbreitung des Christusglaubens in Rom die vom Osten des Reichs auf die Hauptstadt gerichtete Zuwanderungstendenz11 eine Rolle gespielt haben, von der Christen vermutlich genauso erfaßt wurden wie andere Bevölkerungsgruppen auch. Daß solche Zuwanderer einen größeren Teil der römischen Christen ausgemacht haben werden, zeigt sich übrigens auch in der Sprache des römischen Christentums, die bis zum Ende des 2. Jahrhunderts hauptsächlich das Griechische blieb12. Die genannten Faktoren legen es nahe, sich das früheste Christentum in Rom als eine ausgesprochen heterogene Größe vorzustellen, die sich Typisierungsversuchen entzieht. Wenn zu Beginn des römischen Christentums keine gezielte Missionsverkündigung stand, dann kann man auch nicht mit einem geprägten Kern einer Christengemeinde rechnen, die dann einen Kristallisationspunkt für zugewanderte Christen hätte darstellen und somit für die weitere judgment, the likelihood that the planting of Christianity in the capital city would not have been left to chance" (Further Reflections 104). 5

S. dazu Lampe, Stadtrömische Christen 1 - 4 (Zitat: ebd. 1; im Orig. hervorgehoben).

*> Vgl. Brown/Meier, Antioch and Rome 99 Anm. 206 und Lampe, Stadtrömische Christen 65; jeweils unter Hinweis auf Tacitus, Ann. 15,44,4 und lClem 6,1. 7 Die Schätzungen der Anzahl der jüdischen Einwohner Roms schwanken zwischen 10.000 und 60.000 (s. die Hinweise bei Penna, Juifs 341 Anm. 53; Penna selbst plädiert aufgrund einer nachvollziehbaren Überlegung für eine Anzahl von etwa 20.000 Juden in Rom zur Zeit Neros [ebd. 328]). 8 Zu den römischen Synagogengemeinden, von denen sich für die Zeit vor 70 n.Chr. fünf wahrscheinlich machen lassen, s. Penna, Juifs 327-330; vgl. Lampe, Stadtrömische Christen 367f. 9 Zu den „Gottesfürchtigen" („diejenigen, die dem Gott der Juden besondere Verehrung entgegenbrachten") im Unterschied zu Nachahmern einzelner jüdischer Bräuche und zu Personen, die sich den Juden gegenüber politisch entgegenkommend zeigten, s. Siegert, Gottesfürchtige 109-164 (Zitat: ebd. 147). Wichtig im Zusammenhang der Frage nach den Gottesfürchtigen in Rom sind die Belege bei Horaz (Sat. I 9,67-73) und Iuvenal (Sat. XIV 96-106); zur Auslegung des letzteren vgl. Siegert (ebd. 153f.), der in der Verwendung des typisierend beschriebenen Gottesfürchtigen als Beispiel ein Indiz für zahlreiches Vorkommen von Gottesfürchtigen in der Realität des Dichters sieht (ebd. 154). 10 Die Relevanz dieser Gruppe für die Ausbreitung des Christusglaubens in Rom wird in vielen einschlägigen Beiträgen hervorgehoben; vgl. z.B. Lampe, Stadtrömische Christen 54ff.; Brändle/Stegemann, Entstehung 4ff. und zuvor besonders Schmithals, Problem 69-90. Anders (allerdings nicht speziell auf Rom bezogen) jetzt Reinbold, Propaganda 180 Anm. 63. 11

Vgl. dazu Lampe, Stadtrömische Christen 117.347.

12

S. dazu Lampe, Stadtrömische Christen 117-119.

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E n t w i c k l u n g hätte m a ß g e b l i c h sein k ö n n e n . F ü r diese z u g e w a n d e r t e n Christen wird m a n z w a r n e b e n J u d e n c h r i s t e n und e i n z e l n e n H e i d e n c h r i s t e n o h n e vorh e r g e h e n d e n K o n t a k t z u r S y n a g o g e eine M e h r z a h l v o n e h e m a l i g e n Gottesf ü r c h t i g e n a n n e h m e n k ö n n e n 1 3 ; eine T y p i s i e r u n g des v o n ihnen repräsentierten C h r i s t e n t u m s ist aus dieser A n n a h m e natürlich nicht ableitbar. Z u m einen m e i n t die auf die vorchristliche Existenz b e z o g e n e A n n a h m e j a nicht einen klar u m r i s s e n e n und i n s o f e r n einheitlichen „ S t a n d " dieser Personen, z u m and e r n d ü r f t e n sie d u r c h unterschiedliche Arten der M i s s i o n s v e r k ü n d i g u n g zu Christen g e w o r d e n sein. Auch das Claudius-Edikt bietet dem Versuch einer einheitlichen Kennzeichnung der vorpaulinischen römischen Christen keine Stütze, obwohl es von Auseinandersetzungen um die Christusbotschaft im Bereich der römischen Judenschaft und damit indirekt von einem frühen römischen Christentum zeugt. Für die Auswertung der Quellen 14 des Edikts hat die eingehende Diskussion von Lampe 1 5 folgende Ergebnisse wahrscheinlich gemacht: Das Christuszeugnis von Judenchristen und ehemaligen Gottesfürchtigen „führt zu Unruhen innerhalb einer oder mehrerer Synagogen" 1 6 in Rom. „Die Behörden weisen die Schlüsselfiguren des Streites aus ... Die Ereignisse sind ans Ende der 40er Jahre zu datieren" 17 . Wenngleich folglich durch das Claudius-Edikt sichergestellt ist, daß es in Rom spätestens 49 n.Chr. und wohl auch schon einige Zeit zuvor Judenchristen und bzw. oder Christen aus den Kreisen der Gottesfürchtigen gab, so bezeugt das Edikt doch noch lange nicht, was ihm gerade in der neueren Forschung häufig entnommen wird: daß nämlich diese mit dem Judentum verbundenen, jedenfalls im Bereich der Synagogen wirksamen Personen die einzigen Christen waren, die sich vor Abfassung des Rom in Rom aufhielten 18 . Keine der Quellen des Claudius-Edikts ist an einer Beschreibung der christlichen Gruppen in Rom z.Zt. des Edikts interessiert; es handelt sich vielmehr um eine - unter dem Aspekt dieser Frage - zufällige Bezeugung von Christen mit Beziehung zu einer oder mehreren Synagogen. Über die Existenz anderer Christen ohne solche Beziehung besagen die Quellen selbstverständlich nichts. Die Folgerung, „wenn Suetons Notiz über das Claudiusedikt zutrifft, dann muß der Anfang des Christusglaubens in Rom im Umkreis des Judentums gesucht werden" 1 9 , erscheint darum als unangemessene Vereinfachung. Zuwanderer, die etwa durch die missionarischen Aktivitäten des Stephanus-Kreises zu Christen geworden waren, bzw. solche, die aus der für Heidenchristen offenen Gemeinde Antiochias stamm-

13

Vgl. Schmithals, Römerbrief 38f.

14

Apg 18,2; Sueton, Claud. 25,4; Orosius, Hist. 6,15f. - Gegen die Beziehung des von Dio Cassius (60,6,6f.) bezeugten Versammlungsverbots für Juden auf das in den drei genannten Quellen erwähnte Ereignis s. Lampe, Stadtrömische Christen 8. 15 16 17

Stadtrömische Christen 4 - 8 . Stadtrömische Christen 5.

Stadtrömische Christen 5. In dieser Richtung vgl. aber z.B. Wiefel, Gemeinschaft 77; Lampe, Stadtrömische Christen 5; Brändle/Stegemann, Entstehung 2. 19 Brändle/Stegemann, Entstehung 2. 18

Hypothese zum Zweck des Rom in der Intention des Paulus

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ten, lassen sich für die Mitte der 40er Jahre in Rom nicht ausschließen 20 . Dabei mag es sich auch bei diesen weithin um ehemalige Gottesfürchtige gehandelt haben 2 1 . Daß diese jedoch sämtlich „durch jüdische Ansichten gebunden" waren 22 , daß sie durchweg nach einer Umsiedlung nach Rom erneut Kontakt zu einer der dortigen Synagogengemeinden gesucht haben, wird man jedenfalls nicht pauschal voraussetzen dürfen. Das Claudius-Edikt bietet daher keinen Schlüssel zu einem einheitlichen Bild des frühesten römischen Christentums. Vermutlich hat es selbst auch keine grundlegende Vereinheitlichung bewirkt. Zwar bedeutet die Ausweisung eine Schwächung des judenchristlichen Elements und zugleich einen Schritt in Richtung größerer Distanz der Christen von den Juden 23 . Andererseits hängt die Größe dieses Schritts mit der Anzahl der auf beiden Seiten von der Ausweisung tatsächlich Betroffenen zusammen 2 4 . Vor Überschätzung dieser Anzahl und des Gewichtes des Edikts warnt aber der eher verhaltene Niederschlag, den das Claudius-Edikt in den Quellen gefunden hat: von Josephus und Tacitus wird nichts von dieser Maßnahme des Claudius berichtet 25 . Entscheidender ist: Auch wenn durch die Maßnahme die Gruppe der jüdischen Christen geschwächt wurde, müssen die in Rom verbliebenen Christen immer noch als uneinheitlich, weil unterschiedlich geprägt, vorgestellt werden. Auch die Zurechnung der römischen Christen zu den Heidenchristen im Rom zwingt nicht zur stärkeren Gewichtung des Claudius-Edikts, da man schon vor dem Edikt mit einem erheblichen Anteil von ehemaligen Gottesfürchtigen zu rechnen hat - und zwar sowohl unter den Zuwanderern als auch unter denen, die in Rom zu Christen geworden waren.

Die fehlende kollektive Prägung der römischen Adressatenschaft mußte dem paulinischen Vorhaben in hohem Maß entgegenkommen. Gerade darin lag ja die Chance des Paulus, die römischen Christen auf der Grundlage seines Evangeliums zusammenzufassen und damit zu einer paulinischen Gemeinde 20

Vgl. Zeller, Römer 11.

21

So besonders Schmithals, Problem 83; ders., Römerbrief 39. 22 Schmithals, Römerbrief 39. 23 Ähnlich Lampe (Stadtrömische Christen 8), der allerdings von „Loslösung des Christentums von der Synagoge" spricht (ebd.), im Prinzip also insofern für den vorangehenden Zeitraum von größerer Einheitlichkeit ausgeht, als er das früheste Christentum in Rom durchgehend den Synagogengemeinden zugeordnet voraussetzt - trotz der Hinweise auf den wirtschaftsgeschichtlichen Hintergrund, vor dem die Übersiedlung der ersten Christen nach Rom zu sehen ist (ebd. 3f.)· Wenn die ersten Christen wie andere Zuwanderer aus wirtschaftlichen Gründen nach Rom kamen, warum sollten dann nicht weitere Christen aus demselben Grund nachgekommen sein? Sobald man den Faktor „Zuwanderung" in Rechnung stellt, wird der Versuch, eine Geschichte der voipaulinischen Christen Roms zu rekonstruieren, problematisch. Noch eindeutiger als Lampe meint Campbell: Die Ausweisung der Juden durch Claudius „did contribute to a splintering into the diverse groups that were typical of Roman Christianity several decades later" (Rule 264). Diese Annahme setzt eine nicht in Einzelgruppen aufgesplitterte Existenzweise des römischen Christentums vor dem Edikt voraus. 24 Wenn man die Angabe ττάντας τ ο ΰ ς 'Ιουδαίους (Apg 18,2) für übertrieben hält (zur Begründung s. Lampe, Stadtrömische Christen 7), kann man über die Zahl der Ausgewiesenen und damit über das Gewicht der Maßnahme im Prinzip nur noch spekulieren. 25 Vgl. Penna, Juifs 331.

Die Prägungsfähigkeit der römischen Adressatenschaft

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zu machen. Eben dies aber mußte im Rom geschehen, wenn der Apostel in Anbetracht der wahrscheinlichen Konsequenzen seines Jerusalem-Vorhabens wirken wollte im Sinne seines auf „alle Heiden" (1,5) gerichteten und noch längst nicht abgegoltenen Auftrags. Unter diesem Aspekt war übrigens auch die fehlende gemeinsame Vorgeschichte zwischen Paulus und seinen römischen Adressaten nicht nur eine Schwierigkeit, sondern zugleich eine Chance: Paulus konnte den Rom nicht auf vorausliegende kommunikative Handlungen beziehen, und er brauchte es nicht zu tun. Vor allem folgender Einwand ist denkbar: Im Blick auf die dürftige Quellenlage könnte die vorgeschlagene Einschätzung der römischen Adressatenschaft als einer bunten Mischung, die sich keiner grundlegenden und prägenden Missionsverkündigung verdankt, unzutreffend sein. Paulus könnte über die Durchführung einer Mission in Rom durch andere Missionare uninformiert geblieben sein. - Die letztere Vermutung, zu der man in der Konsequenz des Einwandes gezwungen ist, verliert freilich alle Plausibilität, wenn man mit der Historizität von Apg 18,2 rechnet und folglich einen dem Rom vorausgehenden Kontakt zwischen Paulus und den aus Rom ausgewiesenen Judenchristen Priscilla und Aquila annimmt: Ob es sich bei den römischen Christen um eine durch gezielte Mission gegründete und geprägte Gemeinde handelte oder nicht, das konnte Paulus bei seinem Kontakt zu den beiden Ausgewiesenen nicht verborgen geblieben sein. Insbesondere ist dem Einwand aber folgender Punkt entgegenzuhalten: Ein historischer Sachverhalt, dessen sich der Autor nicht bewußt ist, kann im Zusammenhang der Abfassungsproblematik ohnehin keine Rolle spielen. Daß Paulus keine grundlegende Prägung der Adressatenschaft voraussetzt, ergibt sich nun aber deutlich aus dem in 15,20f. erwähnten Arbeitsprinzip, das im Zusammenhang der Diskussion um den Abfassungszweck besonders von Klein 26 hervorgehoben wurde. Das Prinzip 27 formuliert den Verzicht des Paulus auf eine Evangeliumsverkündigung an solchen Orten, an denen Christus schon proklamiert wurde. Das Ziel des Prinzips liegt negativ formuliert in der Nichteinmischung in solche Gemeinden, in denen die grundlegende Verkündigungsarbeit von anderen geleistet wurde, und positiv formuliert im Erreichen derer, die die Christusbotschaft noch nicht vernommen haben. Zwar ist 15,20f. im Kontext des Rückblicks auf die nunmehr abgeschlossene Arbeit im Osten (15,18-22) nicht auf die römische Adressatenschaft bezogen. Andererseits: Es wäre mehr als erstaunlich, wenn der Adressant die römische Adressatenschaft als eine durch die Missionsarbeit anderer fundamentierte Gemeinde voraussetzte, mit seinem Schreiben an diese Adressaten seiner Bereitschaft zum εύαγγελίσασθαι nachkäme und dann in demselben Schreiben auf das ihn bisher leitende, gegenläufige Prinzip hinwiese. Tatsächlich zwingt aber nichts, 26

Abfassungszweck 129-144.

27

Zu 15,20f. vgl. o. S. 86f. Anm. 13.14.

98

Hypothese zum Zweck des Rom in der Intention des Paulus

dem Adressanten solche Unstimmigkeit zuzutrauen. Näherliegend ist die Annahme seines Wissens um die nicht vorhandene gemeindliche Prägung seiner Adressaten und seiner Intention, die römischen Christen als paulinische Gemeinde zusammenzufassen. Sieht man diese Intention des Adressanten zusammen mit den vorangehenden Überlegungen zum Abfassungszweck, dann steht die im Rom vollzogene sprachliche Handlung nicht im Widerspruch zum Arbeitsprinzip in seiner negativen Zielsetzung (15,20b), und es besteht eine Entsprechung zum Arbeitsprinzip in seiner positiven Zielsetzung (15,21): Das im Rom durchgeführte εΰαγγελίσασθαι, das den römischen Christen ein Fundament bieten, sie zur paulinischen Gemeinde machen will, ist in den weit über sie hinausreichenden Missionsauftrag des Paulus eingebunden. Im Rückblick auf die vier „klassischen" Lösungsmodelle ist bei diesem Teil der Hypothese die Anknüpfung an das dritte Modell (der Rom als Entfaltung des paulinischen Evangeliums in gemeindegründender Absicht 28 ) festzuhalten. Näher als mit der Version von Schmithals, für die die Bindung der Adressaten von „Rom A" an die Synagogengemeinden konstitutiv ist, berührt sich dieser Teil der Hypothese mit der Version von Klein, die auf die in Rom vorpaulinisch nicht durchgeführte Evangeliumsverkündigung i.S. eines für die Gemeinde verbindlichen Fundaments abhebt. Aber: Diese notwendige Bedingung für ein paulinisches Eingreifen in Rom darf nicht unter der Hand in eine hinreichende Bedingung überführt werden. M.a.W.: Das ekklesiologische, auf Gemeindebildung in Rom gerichtete Interesse läßt sich nicht abkoppeln von seinem Bezugsrahmen, dem umfassenderen Missionsauftrag des Apostels, dem die Möglichkeit zu eigener Durchführung dieses Auftrags ungewiß ist.

28

S. o. S. 27-29.

Zusammenfassung

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2.4 Zusammenfassung Zur Zeit der Abfassung des Rom stand Paulus vor zwei, sich gegenseitig ausschließenden Möglichkeiten. Entweder: Engagement für die Verbindung der paulinischen Gemeinden mit Jerusalem durch persönliche Beteiligung an der Kollektenübergabe - mit dem Risiko des Scheiterns und, dadurch bedingt, mit dem Risiko, das Missionswerk nicht in geplanter Weise, nämlich unter eigener Regie, nach Westen hin fortsetzen zu können. Oder: Fortsetzung des Missionswerks einschließlich des Rom-Besuchs ohne weiteres persönliches Engagement für das Kollektenwerk - mit dem Risiko eines Bruches zwischen paulinischen Gemeinden und Jerusalem. Paulus hat sich für die erste und gegen die zweite Möglichkeit entschieden. Dabei war ihm das Risiko der getroffenen Entscheidung bewußt, seine persönliche Gefährdung in Jerusalem, die zugleich die geplante Ausdehnung des Missionswerks nach Westen in Frage stellt. Der Rom ist der Versuch, dieser möglichen Konsequenz aus der getroffenen Entscheidung entgegenzuwirken: Es geht Paulus um die Konstitution einer paulinischen Gemeinde in Rom und um deren Befähigung zu selbständiger Weiterverbreitung des Evangeliums. In diesem Sinn stellt der Rom eine dreifache Gratwanderung dar: Er ist Beginn und zugleich möglicher Abschluß des Kommunikationsgeschehens zwischen Paulus und seiner Adressatenschaft. Er ist Durchführung des paulinischen εύαγγελίσασθαι für die römischen Christen und hat doch zugleich dessen Weiterverbreitung über eine kulturelle Grenzlinie hinaus im Blick. Er wendet sich an Adressaten, die zu einer Gemeinde zusammengefaßt werden sollen und doch schon als potentiell selbständige Verkündigungsträger anvisiert sind. Die Hypothese erlaubt eine Antwort auf drei der in der einleitenden Problemanzeige formulierten Fragen 1 . 1. Stellt die von der Kommunikationssituation entbundene Formulierungsweise des Rom, die zumindest in 1,16-11,36 vorliegt, die Annahme einer konkreten Wirkabsicht, die der Adressant in bezug auf diese Adressaten verfolgt, in Frage? Wenn das im Rom durchgeführte εύαγγελίσασθαι die Adressaten als paulinische Gemeinde konstituieren und sie zur Weitergabe des paulinischen Evangeliums befähigen will, wenn also potentielle, spätere Verkündigungssituationen im Blick sind, dann ist die von der primären Verkündigungssituation entbundene Formulierungsweise dem Zweck völlig adäquat. 2. Warum kommt die Tatsache, daß der Rom ein initiativer Kommunikationsakt ist, nur indirekt zur Sprache, warum wird der Zweck der Initiative nicht benannt?

1

S. o. S. 17.

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Hypothese zum Zweck des Rom in der Intention des Paulus

Die von Paulus ergriffene Initiative ist zugleich das mögliche Ende der Kommunikation mit den römischen Adressaten. Der Zweck dieser Initiative konnte deshalb nicht angegeben werden, weil Paulus dann hätte erläutern müssen, warum er denn die Möglichkeit seiner eigenen weiteren Missionsverkündigung skeptisch beurteilt. Solche Erläuterung wäre ohne den Hinweis auf das gespannte Verhältnis zur Jerusalemer Gemeinde nicht ausgekommen. Ein solcher Hinweis aber hätte die Spannung festgeschrieben zu einem Zeitpunkt, zu dem ein glücklicher Ausgang des Kollektenvorhabens doch immerhin noch nicht ausgeschlossen war. 3. Wie verhalten sich die im Briefschluß formulierten, die Adressaten einbeziehenden Zukunftspläne zum nicht formulierten Zweck des Schreibens? Paulus stellt deshalb keinen expliziten Zusammenhang her zwischen dem Zweck des Schreibens und der erbetenen Unterstützung des Spanien-Projekts, weil er für den Fall seiner eigenen Verhinderung mehr mit dem Schreiben zu erwirken hofft, nämlich das selbständige Engagement der Adressaten im Sinne des paulinischen Missionsauftrags. Für die drei restlichen Fragen ergibt sich aus der Hypothese an sich noch keine Antwort. Auf sie wird zurückzukommen sein nach den Analysen zur Textfunktion in den drei folgenden Kapiteln des nächsten Teils der Arbeit (3.1-3.3).

3 Analysen zur Textfunktion 3.1 Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten 3.1.1

Vorbemerkung

Die zum brieflichen Rahmen gehörenden Abschnitte 1,1-15 und 15,14-33 spielen - wie dem forschungsgeschichtlichen Teil 1 der Arbeit leicht zu entnehmen ist - in der Diskussion der Abfassungsproblematik des Rom eine zentrale Rolle. Das ist darum nicht erstaunlich, weil in diesen Passagen des Briefs die an ihm beteiligten Kommunikationspartner, also der Adressant und die Adressaten, thematisiert werden. Entsprechend sind diese Passagen auch bei der Aufstellung der in Teil 2 skizzierten Hypothese gebraucht und auf eine extratextuelle Realität, nämlich die Intention des empirischen Autors, bezogen worden. Demgegenüber setzen die folgenden Analysen von 1,1—7; 1,8-15; 15,1433 (3.1.3; 3.1.4; 3.1.6) - darüber hinaus wird 11,13f. einzubeziehen sein (3.1.5) - neu an. Gefragt wird nach der Rolle, die Adressant und Adressaten im Text spielen 1 , und nach deren Beziehung zueinander. Vorausgesetzt ist dabei, daß diese Rollen, also die Vorkommensweisen von Adressant und Adressaten im Text, zwar auf den empirischen Autor und auf die von ihm intendierten empirischen Adressaten verweisen (das Adressanten-Ich hat seinen Referenten im Autor Paulus, das Adressaten-Ihr hat seinen Referenten in den römischen Christen), daß aber andererseits die empirischen Kommunikationsteilnehmer im Text auch nicht einfach gespiegelt werden 2 . Beide kommen im Text vielmehr ausschnittweise vor, und diese Ausschnitte haben immer auch Entwurfscharakter. In diesem Sinn geht es in den Abschnitten 3.1.3-3.1.6 auf der Grundlage der genannten Textpassagen um den innertextuellen Adressanten und die innertextuellen Adressaten und um deren Beziehung zueinander.

1 Der Ausdruck „Rolle" ist hier im umgangssprachlichen Sinn, und nicht als kommunikationstheoretischer Terminus (s. dazu Bernecker, Art. Adressant/Adressat 123f.), verwendet. 2 Vgl. dazu die zeichentheoretischen Überlegungen von Eco (Spiegel 2 6 - 6 1 , besonders 39-45), aus denen sich m.E. völlig plausibel ergibt, daß, anders als ein Spiegelbild, „kein sprachlicher Ausdruck ein absoluter starrer Designator sein kann" (ebd. 42). Der Sachverhalt ist aber auch über eine schlichte Alltagserfahrung zugänglich: Wer sich bei der Erzeugung von mündlichen oder schriftlichen Texten in kommunikativer Absicht beobachtet, weiß, daß dies nie ,/ollenfrei" oder „unstilisiert" zugeht, weder hinsichtlich der texterzeugenden noch hinsichtlich der angesprochenen Person.

102

Analysen zur Textfunktion

Statt der Ausdrücke „innertextueller Adressant" bzw. „innertextuelle Adressaten" finden sich in der Literatur3 oft Ausdrücke wie „implizierter", „impliziter", „encodierter" Adressant/Autor/Sprecher bzw. Adressat/Leser/Hörer, gelegentlich 4 auch „Modell-Autor" bzw. „Modell-Leser". Der kleinste gemeinsame Nenner bei der Verwendung dieser - j e nach texttheoretischem Ansatz - unterschiedlich gefüllten Begrifflichkeit dürfte in der Intention liegen, die Ebene der empirischen Realität der Textbenutzer (also des empirischen Autors, der von ihm intendierten empirischen Adressaten bzw. späterer Rezipienten) zu unterscheiden von der Ebene des Textes 5 . Die Intention der Unterscheidung zwischen dem Text als Zeichengebilde und der Realität seines Erzeugers bzw. seiner Empfänger liegt auch in dieser Arbeit bei der Verwendung des Wortes „innertextuell" zugrunde. Auf die gebräuchlichere „impliziert'V'implizit" - Terminologie wird deshalb verzichtet, weil sie in Anwendung auf einen echten Brief, der explizit auf den empirischen Autor und die von ihm intendierten empirischen Adressaten verweist, einfach mißverständlich wäre 6 .

Der vorgeschaltete Abschnitt 3.1.2 behandelt eine Voraussetzung für die Erfassung der innertextuellen Adressaten. Diese Voraussetzung wird im Zuge der folgenden drei Gesichtspunkte wichtig: 1. Bislang ist diese Arbeit in Übereinstimmung mit einem weitreichenden Konsens7 von der Annahme ausgegangen, daß die einschlägigen expliziten Aussagen des Rom (l,5f.; 1,13; 11,13; 15,15f.) von den Adressaten als Heidenchristen sprechen. 2. Außerdem hatte sich bei den historischen Überlegungen zur römischen Adressatenschaft nahe-

3

Vgl. z.B. Siegert, Argumentation 19 Anm. 15a; Thuren, Rhetorical Strategy 44, vgl. ebd. 5557; Johanson, Brethren 22; du Toit, Persuasion 196; Lodge, Romans 9-11 27-29; Stowers, Rereading 2 If. 4 Vgl. Eco, Lector 61-82; ders., Portait 232. 5 Für den von Lodge (Romans 9-11) vertretenen Ansatz der „Reader-Response Analysis" trifft vermutlich nicht einmal dieser kleinste gemeinsame Nenner zu. Einerseits spicht Lodge zwar vom „implied reader of Paul's text", den der empirische Leser beim Lesen zu identifizieren bemüht ist (ebd. XII). Andererseits ist der implizierte Leser dann aber doch wieder nicht ein Implikat des Textes, sondern „a construction fostered among real readers by their 'response' to the implied author" (ebd. 28), also eine nur in der Rezeption durch empirische Leser „vorhandene" Größe. 6 Berücksichtigt ist das Problem in Stowers' Unterscheidung zwischen „encoded explicit reader" und „encoded implicit reader" (Rereading 21) und beider Gegenüberstellung zu den „empirical readers of any sort" (ebd.). - Die terminologische Schwierigkeit hat Gründe: Forschungsgeschichtlich steht im Hintergrund der „impliziert"/„implizit"-Terminologie der Ansatz von Iser (Impliziter Leser), der an Romanen, also an fiktiven Erzähltexten, entwickelt wurde. Der „implizite Leser" ist für Iser der „im Text vorgezeichnete[n] Aktcharakter des Lesens" (ebd. 9), also die im Text vorgesehene Rezeptionsweise, unabhängig von deren historischer Besetzung (vgl. ausführlicher zum Ansatz von Iser: Lategan, Current Issues 1 If.). In Analogie dazu wäre dann der „implizite Autor" gleichzusetzen mit der Textstrategie, die den „impliziten Leser" erzeugt (in dieser Richtung: Eco, Lector 76f. zum „Modell-Autor" bzw. „Modell-Leser"). In dem an fiktiven Erzähltexten entwikkelten Ansatz von Iser kann so das fiir echte Briefe doch in jedem Fall anzunehmende Verweisungsverhältnis zwischen dem im Text explizit vorkommenden Autor/Leser und dem empirischen Autor/Leser nicht wirklich ins Blickfeld kommen. 7 Vgl. z.B. Käsemann, Römer 13; Wilckens, Römer I 34; Lampe, Stadtrömische Christen 54; Dunn, Romans IXLV; Fitzmyer, Romans 33; besonders: Schmithals, Problem 10f.; ders., Römerbrief 35.

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

103

gelegt: Mit hoher Wahrscheinlichkeit waren unter den Adressaten verhältnismäßig viele ehemalige „Gottesfürchtige", so daß für die römischen Christen tatsächlich mehrheitlich heidenchristliche Herkunft anzunehmen ist8. 3. Aus den beiden eben genannten Punkten ergibt sich eine für die folgenden Textanalysen (3.1.3-3.1.6) wichtige Frage: Welche Funktion hat die Zuordnung der Adressaten zu den Heidenchristen (also die Erwähnung eines den empirischen Adressaten doch bekannten Sachverhalts) im Text? - Vorausgesetzt, die unter 1. und 2. genannten Annahmen wären unzutreffend, dann würde die unter 3. genannte Frage unsinnig. Eben diese Ansicht, nach der nämlich die römischen Christen mehrheitlich keine Heidenchristen waren und nach der der Rom von ihnen auch nicht als Heidenchristen spricht, wurde seinerzeit von Baur vertreten9. Sie ist in neuerer Zeit vor allem in den Beiträgen von Watson10 und Mason11 geltend gemacht worden. Auf ihren Einspruch gegen den Konsens ist in einem ersten Schritt (3.1.2) einzugehen.

3.1.2 Die Zuordnung der Adressaten zu den εθνη - zur neueren Kritik am Konsens Watson hält den im Rom primär angesprochenen Teil der Adressatenschaft für judenchristlich12; Mason denkt an eine einheitlich judenchristliche Adressaten-

8 Vgl. dazu o. S. 94f. - Anders meint Vielhauer: „Andrerseits geht aus der Tatsache, daß Paulus die römischen Christen in toto als Heidenchristen anredet, nicht hervor, daß sie es auch mehrheitlich waren; denn es ist fraglich, ob der Apostel sich bei dieser Kategorisierung von einem Majoritätsprinzip leiten läßt" (Geschichte 180). In diesem Urteil kommt die Differenzierung zwischen historisch-realen und innertextuellen Adressaten so stark zum Tragen, daß der für einen echten Brief doch immerhin auch anzunehmende Zusammenhang zwischen beiden Ebenen gesprengt zu werden droht. Konkret: Wenn Judenchristen den überwiegenden Teil der römischen Adressatenschaft ausmachten (wenn also die Möglichkeit, die Vielhauer nicht ausschließen möchte, zuträfe), dann hätte Paulus damit rechnen müssen, mit der Zuordnung der Adressatenschaft zu den Heiden von den römischen Christen nicht verstanden zu werden. Es erscheint zumindest sehr fraglich, ob die von Vielhauer für Paulus angenommene Perspektive, nach der ,jede Gemeinde außerhalb Judäas eine Gemeinde 'aus den Heiden' ist" (ebd.), von einer mehrheitlich judenchristlichen Gemeinde Roms geteilt worden wäre. - In anderer Weise wird der für einen echten Brief anzunehmende Zusammenhang zwischen innertextueller und empirischer Adressatenschaft auch von Stowers (Rereading 29-33) zerschnitten. In polemischer Abgrenzung gegen die geläufige Annahme, nach der zur empirischen Adressatenschaft auch eine Minorität von Judenchristen gehörte, tendiert Stowers dazu, sich die Frage nach der empirischen Adressatenschaft geradezu zu verbieten: „One of my principles... will be to take the explicit audience in the text literally ... Thus I will resist speculating about an empirical audience in Rome as a replacement for the reader in the text" (ebd. 30). Zweifellos läßt sich die innertextuelle Adressatenschaft nicht durch die (rekonstruierte) empirische „ersetzen", aber andererseits muß einkalkuliert werden, daß im Entwurf der innertextuellen Adressatenschaft auf eine empirische hingewiesen werden soll. 9

S . o . S. 19. Ό Paul. 11

First Readers.

12

Zu Watsons These s. o. S. 35f.

Analysen zur Textfunktion

104

schaft 13 . Beide Forscher versuchen zu zeigen, daß auch die oben genannten Stellen, die Adressaten und εθνη explizit aufeinander beziehen, mit der Annahme einer größtenteils bzw. ganz judenchristlichen Adressatenschaft zu vereinbaren sind. l,5f.: Paulus verweist auf seinen Apostolat, der sich ausrichtet εις ύπακοήν πίστεως έν πάσιν τοις εθνεσιν υπέρ τού ονόματος αύτοΰ, έν οις έστε και ύμεΐς κλητοι Ί η σ ο ΰ Χρίστου. Im Unterschied zur gängigen Auffassung, die im Relativsatz von 1,6 auf die Zugehörigkeit der Adressaten zu den εθνη abgehoben sieht, also έν οϊς έστε als die eigentliche Aussage und entsprechend zwischen ύμεΐς und κλητοι Ί η σ ο ΰ Χριστού eine Zäsur annimmt, stellt für Watson 14 und Mason 15 κλητοι Ί η σ ο ΰ Χριστού gewissermaßen das Prädikatsnomen dar; και ύμεΐς verbindet dann die Adressaten mit Paulus, dem κλητός απόστολος (1,1), der in 1,5 von seinem Wirken unter den Heiden spricht. „Both he and his readers are called to be among the Gentiles. This is an appropriate way of describing dispersed Judeans who live in the capital of the pagan world" 16 . Der Vorschlag ist problematisch: Auch wenn man κλητοι Ί η σ ο ΰ Χριστού als Prädikatsnomen auffaßt, ist in 1,6 doch nicht auf ein Berufungsgeschehen abgehoben, das jüdische Christen unter die εθνη versetzt, und auch wenn man durch καί die Adressaten mit Paulus verbunden sieht, ergibt sich kein impliziter Hinweis auf die Adressaten als Judenchristen, weil auch Paulus im Text nicht als Judenchrist heraus- und in diesem Sinn den έ'θνη gegenübergestellt wird 17 . Natürlich trifft es zu, daß unter Voraussetzung des vorgeschlagenen grammatischen Verständnisses, bei dem έν οίς eine vergleichsweise unbetonte Lokalangabe darstellt, die Stelle isoliert gesehen keinen Beleg bietet für die von Watson und Mason bestrittene Annahme einer im Rom vorausgesetzten heidenchristlichen Adressatenschaft. Nur ergibt sich eben auch bei diesem grammatischen Verständnis - auf das noch zurückzukommen ist - nicht der geringste Anhaltspunkt für die Annahme einer ganzheitlich oder teilweise judenchristlichen Adressatenschaft. 1,13d beschreibt den Zweck des Besuchs, an dessen Ausführung Paulus bislang gehindert war: ϊνα τινά καρπόν σχώ και έν ύμϊν καθώς και έν τοις λοιποΐς εθνεσιν. In Watsons Bemerkungen zu dieser Stelle wird auf eine Erklärung weitgehend verzichtet, seiner Ansicht nach ist der Hinweis auf die Adressaten (έν ύμΐν) „somewhat loosely" formuliert; diese sollen hier (wie in

13 „Paul wrote the letter to persuade a Judean-Christian community of his gospel" (First Readers 276). 14 15 16

Paul 103. First Readers 269. Mason, First Readers 269.

17 εις ύπακοήν π ί σ τ ε ω ς έν π α σ ι ν τοις εθνεσιν (1,5) betont die Ausdehnung des Wirkungsbereichs und hebt nicht hervor, daß Paulus, der Judenchrist, sich nun den Heiden zuwendet.

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

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1,15) einfach als Einwohner Roms angeredet werden 1 8 . Im Blick auf die in diesem Zusammenhang eigentlich relevante, folgende Erwähnung der „übrigen Heiden" trägt diese Vermutung allerdings nicht viel aus. Mason meint, der Ausdruck τ ά λ ο ι π ά εθνη impliziere keine Relation zu den ύμεΐς; gemeint seien vielmehr die restlichen Heiden im Westen des römischen Reichs im Kontrast zu denen im Osten, bei denen Paulus seine Aufgabe erfüllt sieht. Der Sinn wäre dann: „He will harvest some fruit both among the Judean-Christians of Rome, in passing, and then continue the mission for which he was called among the western Gentiles"19. Die Vermutung wäre dann zu erwägen, wenn im unmittelbar vorangehenden Kontext die Heiden des Ostens, unter denen Paulus schon gewirkt hat, explizit erwähnt wären. Weil das aber nicht der Fall ist, kann sich die in λ ο ι π ά enthaltene Relation nur auf die unmittelbar zuvor genannten ύμεΐς beziehen. In diesem Fall sind die Adressaten also deutlich zu den Heiden gerechnet. - Unabhängig davon wird allerdings Masons Vermutung, nach der mit den λ ο ι π ά εθνη die Heiden des Westens ins Blickfeld kommen, noch zu bedenken sein 20 . Besonders klar weist 11,13 in Form einer direkten Anrede auf die im Rom vorausgesetzte heidenchristliche Adressatenschaft: Ύ μ ΐ ν δέ λέγω τοις εθνεσιν· ε φ ' δσον μεν οΰν είμι έγώ εθνών ά π ό σ τ ο λ ο ς ... Watson, der mit einer judenchristlichen und einer heidenchristlichen Gemeinde in Rom rechnet, kann

18

Paul 103 (Zitat ebd.).

19

First Readers 270.

20 In Abgrenzung gegen die gängige Auffassung, die im Übergang von 1,14 zu 1,15 eine Zuordnung der Adressaten zu den Heiden ausgedrückt sieht (και ύμΐν im Rückbezug auf "Ελλησίν τ ε και β α ρ β ά ρ ο ι ς , σοφοίς τε και άνοήτοις), hat Mason eine komplizierte Neuinterpretation vorgeschlagen, für die zwei Punkte entscheidend sind: 1. Die eher despektierlichen Ausdrücke β ά ρ β α ρ ο ι und ανόητοι in V. 14 sind nicht auf die römischen Adressaten, sondern auf die von Paulus noch nicht erreichten Heiden im Westen zu beziehen (First Readers 271 f.). Inhaltlich geht es in V. 14 dann um die Erfüllung der Verpflichtung des Paulus gegenüber Griechen und Barbaren, die ihn vom Osten des Reichs nach Spanien, und also auch über Rom, führen wird (ebd. 272). 2. οϋτως in V. 15 schließt nicht an V. 14 an, sondern weist voraus auf V. 16 im Sinne einer Begründung für die Erklärung der Bereitschaft des Paulus, auch den römischen Judenchristen das Evangelium zu verkündigen (ebd.). Als Sinn von 1,14-16 ergibt sich dann : „[For] I am obliged to both Greeks and barbarians, to both wise and foolish. [That is why I plan to head West; cf. 15.1924]. Hence the readiness on my side ... to bring the euangelion also ... to you who are in Rome: for I am not ashamed of the euangelion" (ebd. 273). - Die Interpretation ist aus mehreren Gründen schwer nachvollziehbar: 1. Für den in der zitierten Paraphrase ergänzten kausalen Anschluß von V. 14 an das Ende von V. 13 gibt es im Text keinen Anhalt. 2. Die grundsätzliche Aussage von V. 14 läßt sich nicht ohne weiteres verstehen als Überblick über teilweise schon geleistete und teilweise noch zu leistende Erfüllung der Verpflichtung. 3. Masons Einwand gegen die traditionelle Auffassung des και ύμΐν in V. 15 als einer Zuordnung zu der in V. 14 durch zwei Kontrastpaare genannten Heidenwelt, diese Auffassung laufe auf eine Beleidigung der Adressaten hinaus (ebd. 271), trifft so nicht zu: Offenkundig sollen beide Kontrastpaare die Gesamtheit der heidnischen Menschheit bezeichnen; in dieser Funktion sind die kontrastierten Ausdrücke (Griechen, Barbaren, Weise, Unweise) nicht als identifizierende Beschreibungen zweier Gruppen zu verstehen. 4. Der Text bietet keinen wirklichen Anhalt für einen vorausverweisenden Sinn von οϋτως.

106

Analysen zur Textfunktion

bei der Erklärung der Stelle auf die schon von Baur21 vorgeschlagene Annahme einer speziell dem heidenchristlichen Teil der Adressatenschaft geltenden Anrede zurückgreifen; gerade die gesonderte Anrede der Heidenchristen an dieser Stelle weist darauf hin, daß sonst primär die Judenchristen angeredet sind22. Gegen die Annahme einer solchen Teilanrede23 spricht vor allem zweierlei: 1. Durch die unmittelbar folgende Selbstbezeichnung als εθνών απόστολος hätte sich Paulus dann als für seine Adressatenschaft nur teilweise zuständig erklärt. 2. Bei Annahme einer Teilanrede müßte geklärt werden, wie weit diese denn reicht. Watson geht auf das Problem nicht näher ein, aber die Argumentation bei Zahn, der ebenfalls mit der Teilung der Adressatenschaft in 11,13 rechnete24, zeigt, daß man in erhebliche Schwierigkeiten geraten kann, wenn man das Ende des von der Teilanrede bestimmten Stücks aufzuweisen versucht: Zahn sah 12,1 aus inhaltlichen Gründen wieder an die gesamte Adressatenschaft gerichtet 25 , obwohl hier keine Erweiterung des Adressatenkreises angezeigt ist; wie in 11,25 werden die Adressa21

Zweck 204. Paul 211 Anm. 65. Vgl. ebd. 170: In l l , 1 3 f f . richtet sich Paulus direkt und explizit an die heidenchristliche Gemeinde Roms, um sie vor Hochmut zu warnen. Watson versucht allerdings, diese Interpretation von 11,13ff. mit einer zweiten Deutung zu vermitteln, nach der auch 11,13ff. eine gerade für die Judenchristen wichtige Botschaft enthält (ebd. 171-173): „Instead of opposing the Jewish view of election with his own view, he argues here that the Jewish view of election is to a large extent compatible with his own view of the failure of Israel and the salvation of the Gentiles" (ebd. 172). Dieser Vermittlungsvorschlag ist schwer nachzuvollziehen; Paulus hätte dann ja die Rezeption der an die judenchristliche Gemeinde gerichteten Botschaft durch die direkte Anrede der Heidenchristen geradezu behindert. In ähnlicher Richtung wie Watson argumentiert auch Guerra, der ebenfalls in 11,13 eine Teilanrede annimmt, diese aber gleichsam als rhetorisches Mittel versteht: „The most convincing proof of Paul's respect for Jewish Christians would be his discourse to others about them, not his direct discourse!" (Romans 154). Aber: l l , 1 3 f f . handelt doch gar nicht von iudenchristen. 23 Daß solche „Zerlegung des Auditoriums" zu den rhetorischen Möglichkeiten der Zeit gehört, hat Siegert gezeigt (Argumentation 27; Zitat ebd. 166). Die Frage ist nur, ob diese Möglichkeit in 11,13 realisiert ist. Siegert sieht in der „Vereinfachung der Argumentationsweise (keine Schriftzitate)" in ll,13ff. ein Indiz für die Hinwendung speziell zum heidenchristlichen Teil der Adressatenschaft (ebd. 227). Diese Teilanrede gilt nach Siegert bis 11,32 (ebd. 166; anders wohl ebd. 117). - Gegen diesen Vorschlag spricht aber 11,25-27, weil hier eine Anrede (αδελφοί [11,25a]), die in der Konsequenz des Vorschlags als Wiederaufnahme der Teilanrede aus 11,13 zu begreifen wäre, mit einem alttestamentlichen Zitat (ll,26b.27) zusammentrifft. Wenn man das Zurücktreten von alttestamentlichen Zitaten für eine Teilanrede anführen möchte (vgl. auch Aageson, der einen entsprechenden Zusammenhang jedenfalls nicht völlig ausschließen will [Scripture 283]), dann könnte diese folglich nur für 11,13-24 gelten. Dann aber müßte man zeigen (und das scheint mir kaum möglich), daß 11,25 den zuvor ausgeblendeten judenchristlichen Teil der Adressatenschaft wieder in die direkt Angesprochenen einbezieht. Abgesehen davon stellt sich die Frage, ob das Fehlen von alttestamentlichen Zitaten in 11,11-24 überhaupt auf ein identifizierbares Motiv des Verfassers zurückzuführen ist (vgl. dazu Aageson, ebd. 282-284). - Zur Kritik an der Annahme einer Teilanrede vgl. Niebuhr, Heidenapostel 160 Anm. 111; Stowers, Rereading 287-289 (vgl. auch schon Gräfe, Veranlassung 40; Lagrange, Romains 276f.). 22

24

Römer 507.

25

Römer 533.

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

107

ten mit αδελφοί angeredet. Der umfassendere Sinn des αδελφοί in 12,1 (im Vergleich zu 11,25) wird nach Zahn nachträglich, nämlich durch 12,3 (παντι τώ οντι έν ύμίν) festgelegt 26 . Zahn meinte, für solche nachträgliche Bestimmung der mit άδελφοί in 12,1 Gemeinten sei die Annahme einer für 11,13-32 geltenden Teilanrede die „natürliche Erklärung"27. Man kann fragen, ob die Annahme einer der gesamten Adressatenschaft geltenden Anrede in 12,1 und 11,25 und folglich auch in 11,13 nicht doch noch etwas „natürlicher" ist.

Mason, der von einer einheitlich judenchristlichen Adressatenschaft ausgeht, folglich keine Teilanrede in 11,13 postulieren kann, hat eine sehr ungewöhnliche Erklärung vorgeschlagen: Das ύμΐν τοις εθνεσιν redet die Adressaten weder ganz noch teilweise an, sondern richtet sich an die Gesamtheit der Heidenchristen, von der zuvor (11,11 f.) die Rede war. Die Anredeform ist ein rhetorisches Mittel; Paulus begibt sich in ein fiktives, mahnendes Gespräch mit den Heidenchristen, dem die judenchristlichen Adressaten des Römerbriefs zuhören28. - Abgesehen davon, daß man Masons eigene Argumentation gegen den von ihm bestrittenen jüdischen Einredner in cap. 1-11 teilweise auch gegen seine Annahme zu 11,13 richten könnte29, macht die Auffassung von 11,13-32 als eines an ein abstraktes Gegenüber gerichteten Teiltextes die Erklärung von 11,17-24 kompliziert: In das Gespräch mit der abstrakten Gesamtheit der Heidenchristen wäre dann ein an ein ebenfalls abstraktes, aber individuelles Gegenüber gerichtetes Stück eingelagert. Direkt gegen Masons Vorschlag spricht 11,25; die άδελφοί-Anrede, aber auch das formelhafte ού γαρ θέλω ύμάς άγνοεΐν sind in einem Textstück, das aus der Briefsituation ausschert und sich an ein fiktives Gegenüber wendet, kaum vorstellbar. 15,15f. wird von Watson und Mason nicht im einzelnen diskutiert. Die Stelle bietet auch keine explizite Zuordnung der Adressaten zu den Heiden, wohl aber wird das an sie gerichtete Schreiben auf den εις τά έθνη gerichteten Auftrag des Adressanten zurückgeführt. Ist das Schreiben selbst folglich als Teil der Ausführung dieses Auftrags gekennzeichnet, dann sind implizit seine Adressaten als zu den έθνη gehörig vorausgesetzt. Insgesamt erscheint also die Kritik am Konsens kaum durchschlagend. Die Hinweise im Text selbst sind am ehesten verständlich als Hinweise auf eine heidenchristliche Adressatenschaft. Darüber hinaus ist aus der Auseinandersetzung um die vier zentralen Belegstellen noch ein weiterer Punkt festzuhalten: Mit der Zuordnung der Adressaten zu den έθνη (l,5f.; 1,13; 15,14) verbindet sich im unmittelbaren Kontext 26

Römer 533f. Römer 534. 28 First Readers 273f. 29 Gegen die Annahme eines fiktiven jüdischen Einredners, dessen Einwände und Fragen nicht notwendig die Probleme der römischen Adressatenschaft ausdrücken, meint Mason: „The readers of Romans were not highly educated as a group, and we should not credit them with the subtlety of doctoral candidates" (First Readers 258). 27

108

Analysen zur Textfunktion

jeweils eine Darstellung des in seinem Auftrag an die Heiden gewiesenen Adressanten, und mit der Anrede der Adressaten als εθνη (11,13a) verbindet sich im Kontext die Bezeichnung des Adressanten als έθνών Απόστολος (11,13b). Nun entspricht zwar beides dem Bewußtsein des Autors: Paulus versteht sich als ein zu den Heiden gesandter Apostel, und er geht von mehrheitlich nicht-jüdischer Herkunft der römischen Adressaten aus 30 . Auffällig ist aber, daß beides nur im Rom in dieser Klarheit auch ausgedrückt und miteinander verbunden wird: Als Heidenapostel verstanden hat sich Paulus nicht erst zur Zeit des Rom 31 , aber die Bezeichnung έθνών άττόστολος findet sich nur in Rom 11,13 32 (wie sich auch der explizite Hinweis auf den alle Heiden umfassenden Wirkungsbereich nur in Rom 1,5 findet). An Adressaten, die vorwiegend nicht-jüdischer Herkunft sind, richtet sich Paulus nicht nur im Rom, aber die direkte Anrede als εθνη findet sich nur in Rom 11,13. Beide Besonderheiten lassen - zumal in ihrem Zusammentreffen - den bereits angedeuteten Sachverhalt praktisch greifbar werden: Der innertextuelle Adressant und die innertextuellen Adressaten sind auch im Fall eines echten Briefs nicht einfach starre Spiegelbilder des Autors und der empirischen Adressaten (in der Sicht des Autors), sondern sie weisen ihren eigenen Zuschnitt auf. Dieser Zuschnitt hängt mit der Mitteilungs- und Wirkabsicht des Textes, in dem sie vorkommen, zusammen. 3.1.3

1,1-7

Unter dem Aspekt der gekennzeichneten Frage nach dem innertextuellen Adressanten und den innertextuellen Adressaten ist das Briefpräskript von besonderer Relevanz. Diesem Briefteil kommt in seiner traditionell dreiteiligen Struktur (Superscriptio, Adscriptio, Salutatio) die Funktion der Herstellung von Kommunikation zu, und zwar durch die Präsentation der daran beteiligten Partner im Text. Die Besonderheiten des Röm-Präskripts sind häufig registriert und ausgewertet worden 33 . Regelmäßig und zutreffend wird dabei auf die ungewöhnlich breite Ausgestaltung der Superscriptio (1,1-6) hingewiesen. Vergleichsweise geringe Gewichtung 34 hat dabei aber ein Sachverhalt erfahren, der auch unabhängig vom Vergleich mit den Präskripten der übrigen authentischen PaulusBriefe auffällt und darum auf jeden Fall für eine an der kommunikativen Funk-

Zur gegenläufigen Auffassung Vielhauers s. o. S. 103 Anm. 8. Vgl. besonders Gal l,15f.; 2,2.8f. 32 In der Literatur wird dieser Sachverhalt selten vermerkt, vgl. aber Zeller, Mission 175. Vgl. ferner Hengeis Hinweis auf den Rom als „Kulminationspunkt" der paulinischen „Deutung seines Apostolats zu den Völkern" (Ursprünge 22). 33 Vgl. z.B. Wilckens, Römer I 56; Cranfield, Romans I 4 6 - 4 8 ; Dunn, Romans I 4f. und besonders die eingehende Analyse bei Jervis, Purpose 69-85. 34 Vgl. allerdings die Hinweise bei Jervis, Purpose 78.158f. 31

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

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tion des Textes interessierte Analyse relevant ist35: Das Ende der Superscriptio (V. 6) sprengt die Funktion dieses der Selbstvorstellung des Verfassers vorbehaltenen Präskript-Teils, in dem die Aussage über die direkt angeredeten Adressaten keinen angemessenen Ort hat36. Syntaktisch stellt V. 6 eine dem vorangehenden Kontext gegenüber relativ selbständige Aussage dar, die relativisch an τοις εθνεσιν (V. 5) angeschlossen ist. Entsprechendes gilt zwar auch für V. 5; da diese syntaktisch ebenfalls relativ selbständige Aussage aber thematisch zum Beginn der Superscriptio zurücklenkt und sie auf diese Weise rahmend abschließt, hebt sich von hier aus gesehen V. 6 noch deutlicher als „Fremdkörper" im Rahmen dieses Präskript-Teils ab. D.h.: Die vorgegebene Präskript-Form ist in ihrem ersten Teil nicht nur breit, sondern mit V. 6 auch strukturwidrig ausgeführt. Schon die Superscriptio verbindet Verfasser und Adressaten, die Adressaten werden in den Selbstentwurf des Verfassers eingezeichnet. Dieser Selbstentwurf, der angibt, wie der Verfasser bei der Rezeption seines Schreibens wahrgenommen werden will, setzt ein mit einer dreifachen, der Namensnennung angeschlossenen Kennzeichnung (V. I) 37 . Diese drückt zunächst ein ausschließliches Bestimmtsein von Christus aus (δούλος Χρίστου Ίησοϋ) 38 . Die folgende Kennzeichnung gilt der auf Berufung beruhenden Funktion des Verfassers als Apostel, ohne daß hier schon klargestellt würde, an wen er in dieser Funktion gesandt ist39. Die abschließende Bestimmung άφωρισμένος εις εύαγγέλιον θεοΰ bezieht den Verfasser auf die ihm vorge-

35 Demgegenüber muß Eigentümlichkeiten, die nur im Vergleich mit Texten desselben Autors auffällig werden, bei der Bestimmung der kommunikativen Funktion des Textes nicht notwendig Bedeutung zukommen: Den römischen Adressaten lagen die anderen Paulus-Briefe nicht vor; jedenfalls konnte der Verfasser ihre Kenntnis nicht voraussetzen, folglich mußte der Text „allein" funktionieren. 36 Unter den neutestamentlichen Briefpräskripten findet sich dazu auch keine Analogie. Es ist darum nicht verwunderlich, daß V. 6 gelegentlich direkt als Teil der Adscriptio angesprochen wird (vgl. z.B. Saß, Verheißungen 346). 37 Gegen die Auffassung von άφωρισμένος εις εύαγγέλιον θεοΰ als Apposition zu κλητός άιτόστολος s. Cranfield, Romans 153 mit Anm. 1. 38 Du Toit meint, die vorangestellte Bezeichnung dämpfe den Autoritätsanspruch, der sich mit der folgenden - κλητός α π ό σ τ ο λ ο ς - verbindet, sie trage zur Vermeidung eines „image of authoritativeness" (Persuasion 204) bei. Aber abgesehen davon, daß sich die Annahme einer vorangestellten Relativierung zu α π ό σ τ ο λ ο ς reibt mit der nicht in κλητός α π ό σ τ ο λ ο ς , sondern erst in άφωρισμένος εις εύαγγέλιον θ ε ο ΰ erreichten Spitze der dreiteiligen Selbstpräsentation, erscheint der Vorschlag auch deshalb nicht plausibel, weil sich der Ausdruck δοϋλος Χρίστου Ί η σ ο ΰ überhaupt nicht auf das Verhältnis des δούλος zu anderen Menschen bezieht, also auch nicht Autoritätsverzicht, -minderung oder Gleichordnung ausdrückt, und darum als ein in diesem Sinn κλητός α π ό σ τ ο λ ο ς vorangestelltes kritisches Korrektiv nicht verwendbar ist. 39

Von der „specific apostolic role - that of an apostle to the Gentiles" wird an dieser Stelle noch nicht gesprochen (zu Jervis, Purpose 73 [Zitat ebd.]).

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A n a l y s e n zur Textfunktion

gebene Sache des Evangeliums Gottes, zu dessen Verkündigung40 er „ausgesondert" ist. Die Abfolge der drei Kennzeichnungen weist eine zunehmende Spezialisierung auf: κλητός απόστολος gibt an, in welcher besonderen Funktion „Paulus" ein δούλος Χριστού Ίησοϋ ist, der Hinweis auf das εύαγγέλιον θεού nennt das Kriterium, dem sich „Paulus" in seiner Apostelfunktion zugeordnet sieht. Alle drei Kennzeichnungen stimmen insofern überein, als sie den Verfasser jeweils aus der Relation zu Christus bzw. zu Gott heraus bestimmen. Dabei halten die zweite und dritte Kennzeichnung fest, daß er sich nicht selbst in diese Relation versetzt hat. Die beanspruchte Autorität ist also relative, abgeleitete Autorität, was in Anbetracht von Christus bzw. Gott als Bezugsgrößen Unterstreichung, nicht Minderung der Autorität bedeutet. Außerdem lassen die zweite und dritte Kennzeichnung erkennen: Durch die Berufung bzw. Aussonderung ist der Verfasser in eine Kommunikationsbeziehung gestellt. Als Apostel ist er zu anderen gesandt, und das εύαγγέλιον will weitergesagt werden41. Die beiden letzten Kennzeichnungen deuten also an, daß das derart eröffnete Schreiben von den Adressaten als Wahrnehmung solcher Kommunikation begriffen sein will, eben als Handeln des Apostels, der - seiner Bestimmung durch Gott entsprechend - das εύαγγέλιον zur Sprache bringt. Indirekt wird also vor allem mit der letzten Kennzeichnung die Einstellung der Rezipienten auf das Schreiben gesteuert: Von einem Verfasser, der sich vor den Adressaten als „ausgesondert zum Evangelium Gottes" entwirft und darin seine kommunikationseröffnende Selbstpräsentation gipfeln läßt, ist ein diesbezügliches sprachliches Handeln zu erwarten42. In V. 2 und V. 3f. wird das εύαγγέλιον θεοϋ, also die Botschaft, für die der Verfasser bestimmt ist, jeweils näher gekennzeichnet.

40 Bei der Verwendung des Ausdrucks εύαγγέλιον in 1,1 sind beide Bedeutungskomponenten, Verkündigungshandeln und Verkündigungsinhalt, realisiert. Im Anschluß an άφωρισμένος εις scheint ersteres betont, aber der Hinweis auf Gott als Urheber und erst recht der angeschlossene Relativsatz (V. 2) heben letzteres hervor. Anders Kettunen, der einseitig das Verkündigungshandeln betont sieht (Abfassungszweck 85f.) und damit eine entscheidende Weiche für seine apologetische Deutung von V. 1-5 (ebd. 82-99) stellt. 41 Vgl. Michel: „Die in der Aussonderung liegende Absonderung ... ist gleichzeitig auch eine Zuordnung" (Römer 68f.). 42 Anders vermutet Kettunen (Abfassungszweck 82-85) einen apologetischen Sinn der beiden letzten Kennzeichnungen in der Dreierreihe: Paulus will seine (nicht durch die Adressaten, sondern durch Gegner in Frage gestellte Apostolizität betont herausstellen (Abfassungszweck 85). Bei der Begründung dieser Vermutung argumentiert Kettunen ganz aus dem Vergleich mit den Präskripten anderer Paulusbriefe bzw. mit Gal 1,15 heraus. Kettunens Argumentation verdeutlicht die Differenz der jeweiligen Leitfrage: Diese richtet sich bei ihm auf die Intention des Paulus, also auf eine Größe im Kopf des Autors. Im Zusammenhang dieser Leitfrage hat der Vergleich mit anderen Texten desselben Verfassers selbstverständlich Schlüsselfunktion (ob man die Auswertung des Vergleichs bei Kettunen für plausibel hält oder nicht, ist eine andere Frage). Im Zusammenhang der hier verfolgten Leitfrage nach der Textfunktion verhält es sich anders, s. o. S. 74.

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

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Dieser Rückbezug ist zunächst für die Bestimmung der Funktion von V. 2 im Auge zu behalten43, zumal er inhaltlich durch die V. lb und V. 2 verbindende Akzentsetzung verstärkt wird: Gott ist das logische Subjekt zu άφωρισμένος 44 ; er ist Urheber der Botschaft, für die er den Verfasser ausgesondert hat, und es sind „seine" Propheten, durch die eine vorhergehende Ankündigung dieser Botschaft erfolgt ist45. Diese „Vorausankündigung" ist in „heiligen Schriften" zugänglich. V. 2 stellt so eine Vergewisserung der Adressaten hinsichtlich der Evangeliumsverkündigung dar46, durch die sich der Verfasser definiert sieht. Der Grund dieser Vergewisserung liegt in Gott als Urheber dieser Verkündigung, der seinen darauf gerichteten Willen schon früher, aber in einer bleibend zugänglichen Weise kundtun ließ; „die Leser sollen merken, daß sie vom treuen Gott herkommt und also zuverlässig ist"47. Auch die zweite, syntaktisch und inhaltlich auf εύαγγέλιον Θεοΰ in V. lc zurückbezogene Bestimmung in V. 3 f 4 8 läuft ihrer Funktion nach im Prinzip auf eine Vergewisserung der Adressaten hinsichtlich der dem „Paulus" aufgetragenen Evangeliumsverkündigung, nun aber auf christologischer Basis, hin-

43 Vgl. Zeller, Juden und Heiden 47. Anders interpretiert Koch V. 2 weniger als eine auf V. 1 rückbezügliche denn als eine auf die christologischen Aussagen von V. 3f. hinführende Aussage (Schrift 328-331). Zwar entscheidet auch Koch gegen syntaktische Unterordnung von V. 3f. (περί τ ο υ υιού α ύ τ ο ϋ ...) unter V. 2 (7τροεπηγγείλατο ...) (ebd. 328), er nimmt aber ein von V. l b auf V. 3f. zulaufendes „Aussagegefälle" an (ebd.), innerhalb dessen V. 2 vorab feststellt, „daß das in V 3f formulierte christologische Geschehen insgesamt den prophetischen Ankündigungen der Schrift entspricht" (ebd. 329). Die Funktion von V. 2 für V. 3f. entspricht dann der Funktion des doppelten κ α τ ά τ ά ς γ ρ α φ ή ς für die in IKor 15,3b-5 verarbeiteten christologischen Aussagen (ebd.). Auch wenn V. 2 (wie dann V. 3b.4a) eine vorpaulinisch-traditionelle Aussage bietet (ebd. 329 mit Anm. 35; anders Saß, Verheißungen 368), ist es aber doch wohl näherliegend, die Beziehungen zwischen den verschiedenen Aussagen von 1,1-4 so zu interpretieren, wie sie syntaktisch angezeigt sind. 44 Es wird explizit in der Genitiv-Bestimmung des unmittelbar folgenden Ausdrucks εύαγγέλιον θεού genannt (vgl. Michel, Römer 68 Anm. 19). 45 Zu Recht hebt Rese den theozentrischen Charakter von 1,2 hervor (Gott 103). Auch Stuhlmacher setzt bei dieser Beobachtung an (Probleme 376f.), führt aber schon im unmittelbar folgenden Satz, der V. 2 als Hinweis auf den „erwählenden Vorgriff Gottes" kennzeichnet (ebd. 378), darüber hinaus. Zur Kritik seiner Auslegung, die auf das Konzept einer „Erwählungsgeschichte" zielt (ebd.), in der „Evangelium und alttestamentliche Gnadenwahl Gottes" (ebd. 381) verbunden sind, s. Koch, Schrift 329f. und Lübking, Paulus 22. 46 Vgl. Lübking, Paulus 22. - Anders z.B. Kettunen (Abfassungszweck 94), der auch für V. 2 wieder eine apologetische, gegen die Behauptung von Verheißungs- und Schriftwidrigkeit des paulinischen Heidenapostolats gerichtete Tendenz annimmt und dabei nicht hinreichend berücksichtigt, daß vom Heidenapostolut vor V. 5 noch nicht die Rede ist. 47 Zeller, Juden und Heiden 47. V. 2 und V. 3f. sind also je für sich auf εύαγγέλιον θεού in V. 1 zurückbezogen, wobei V. 3 vergleichsweise dichter an den zu erläuternden Ausdruck anschließt als V. 2, der folglich Einschubscharakter annimmt (vgl. Käsemann, Römer 8). Daß schon in V. 1 mit dem εύαγγέλιον θ ε ο ύ das Christusevangelium gemeint ist, liegt wegen der ersten Selbstprädikation (δούλος Χριστού Ι η σ ο ύ ) auf der Hand.

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Analysen zur Textfunktion

Allerdings ist in der Forschung häufig ein apologetisches Motiv in den Vordergrund gerückt worden. Dabei waren vor allem formgeschichtliche Erwägungen leitend. Nach weitreichendem Konsens greift Paulus auf ein vorgegebenes, bekenntnisartiges Traditionsstück zurück 49 , das von ihm redaktionell ergänzt und in den aus V. 3a (περί του υιού αύτού) und V. 4b ('Ιησού Χριστού του κυρίου ήμών) gebildeten Rahmen eingeordnet wurde. Die Bestimmung von redaktionellen Einschüben ist umstritten und kann in diesem Zusammenhang nicht im einzelnen diskutiert werden. Das zentrale Problem liegt in der Entscheidung über traditionelle oder redaktionelle Herkunft des σάρξπνεύμα-Gegensatzes. Für die letztere Annahme hat in Auseinandersetzung mit Vertretern der Gegenposition besonders Linnemann mit überzeugenden Argumenten plädiert 50 . Die Entscheidung ist deshalb wichtig, weil sich die antithetischen Ausdrücke κατά σάρκα - κ α τ ά πνεύμα άγιωσύνης nicht als nähere Bestimmungen - etwa im lokalen Sinn als Sphärenangaben 51 - zu den in den beiden Gliedern der Formel genannten Geschehnissen (Geburt aus dem Davidssamen, Einsetzung zum Gottessohn) verständlich machen lassen. Die Wendungen haben vielmehr einen diese Geschehnisse interpretierenden Sinn 52 und sind darum für deren Zuordnung zueinander entscheidend. D.h.: Wenn κ α τ ά σάρκα - κ α τ ά πνεύμα άγιωσυνης - gleichgültig, ob die traditionelle Formel die Wendung πνεύμα άγιωσύνης in syntaktisch anderer Zuordnung schon enthielt oder nicht 53 - auf paulinische Redaktion zurückgeht, dann ist auf dieser Stufe ein Eingriff in die Struktur des Traditionsstücks erfolgt 54 . Das ursprünglich lineare Verhältnis der beiden Glieder, das der Geburt aus dem Davidssamen i.S. einer Voraussetzung das entscheidende Ereignis, nämlich die Einsetzung zum Gottessohn, folgen läßt, wird in ein antithetisches umgewandelt. Die Geburt aus dem Davidssamen wird als Faktum festgehalten, aber dieses Ereignis, das sich nach der Norm der σάρξ, nach Maßgabe des Irdisch-Weltlichen zugetragen hat, stellt nun nicht mehr die notwendige Voraussetzung dar für die Einsetzung zum Gottessohn, die nach der gegenläufigen Norm erfolgte und unter den Bedingungen des Irdisch-Weltlichen auch nicht ausweisbar ist 55 . V. 3b bildet auf der Ebene der Redaktion also die Folie für die Zielaussage von V. 4a.

49 Neben den Kommentaren vgl. z.B. Bultmann, Theologie 52; Schweizer, Rom. l,3f. 563f.; Eichholz, Paulus 123-128; Linnemann, Tradition 264; Wengst, Christologische Formeln 112; Vielhauer, Geschichte 29-32; Becker, Auferstehung 18-20; Theobald, Dem Juden zuerst 377-384; Jewett, Ecumenical Theology 97-104. 50 Tradition 266-273. - Zur Debatte um diesen Punkt vgl. ausführlicher Reichert, Praeparatio 415-422. 51 So besonders Schweizer, Rom. l,3f. 187. 52

Vgl. Theobald: .Jedenfalls bringt das abstrakte Begriffspaar σάρξ-πνεΰμα in die temporale Zuordnung der beiden Bekenntnissätze eine neue Optik hinein, die im Vergleich zur Unmittelbarkeit des Bekenntnisses eine eher reflektierende Meta-Ebene signalisiert" (Dem Juden zuerst 383). 53 Zum Problem vgl. mit unterschiedlichen Lösungsvorschlägen z.B. Linnemann, Tradition 266.272-274; Theobald, Dem Juden zuerst 381-383; Strecker, Theologie 72f. 54 Vgl. Reichert, Praeparatio 422. 55 Eine gegenläufige Interpretation der als redaktionell eingestuften κατά-Wendungen hat Theobald vorgeschlagen: Er betont zutreffend die mit dem Einschub bewirkte Neustrukturierung, die aus dem linearen Verhältnis der beiden Ereignisse ein antithetisches werden läßt (Dem Juden

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

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D i e R e k o n s t r u k t i o n d e r T r a d i t i o n ist n u n o f t u n m i t t e l b a r f ü r d i e B e s t i m m u n g d e r kommunikativen Funktion ausgewertet worden: Mit der Zitation vorausliegender T r a d i t i o n w o l l e sich d e r V e r f a s s e r s e i n e n A d r e s s a t e n g e g e n ü b e r b e w u ß t als „ i m c o n s e n s u s e c c l e s i a e s t e h e n d " p r ä s e n t i e r e n 5 6 . D i e A d r e s s a t e n sollen in d e r zitierten T r a d i t i o n g e m e i n s a m e s G l a u b e n s g u t e n t d e c k e n ; d e r V e r f a s s e r h ä t t e sich d e m n a c h in s e i n e m e i n l e i t e n d e n S e l b s t e n t w u r f g e g e n d i e R o l l e e i n e s t h e o l o g i s c h e n A u ß e n seiters a b g e g r e n z t u n d d i e i h m u n d d e n A d r e s s a t e n g e m e i n s a m e t h e o l o g i s c h e B a s i s herausgestellt. - Abgesehen von der k a u m kontrollierbaren historischen Voraussetzung - Paulus mußte u m die Verbreitung der Formel wissen und von deren Kenntn i s bei d e n r ö m i s c h e n A d r e s s a t e n a u s g e h e n k ö n n e n - b i e t e t d e r T e x t , d e m j e d e r e x p l i z i t e H i n w e i s a u f T r a d i t i o n s v e r a r b e i t u n g fehlt, f ü r d i e s e A u s w e r t u n g a b e r n i c h t den geringsten Anhalt57. Überdies erscheint die Auswertung geradezu

inkonse-

q u e n t , w e n n m a n m i t d e r M e h r z a h l d e r F o r s c h e r r e d a k t i o n e l l e E i n g r i f f e in d e n trad i t i o n e l l e n T e x t b e s t a n d v e r m u t e t , d i e e i n e m „ W i e d e r e r k e n n e n " der T r a d i t i o n i m W e g e s t e h e n 5 8 . D i e s gilt n a t ü r l i c h in b e s o n d e r e m M a ß , w e n n m a n m i t k r i t i s c h e n , die Struktur des Traditionsstücks betreffenden paulinischen Eingriffen rechnet. Off e n s i c h t l i c h läßt sich e i n e a u s d e m V e r h ä l t n i s v o n t r a d i t i o n e l l e n u n d r e d a k t i o n e l l e n S c h i c h t e n e r s c h l o s s e n e A u s e i n a n d e r s e t z u n g n i c h t o h n e w e i t e r e s ü b e r t r a g e n auf d i e Kommunikation, die im Text stattfindet59.

zuerst 383.387), meint aber, daß mit dem Eingriff „die erste Zeile des Bekenntnisses aufgewertet" werde (ebd. 387): „Sie meint jetzt nicht mehr nur die davidische Herkunft Jesu, deren Sinn sich erst mit seiner messianischen Inthronisation erfüllt, sondern umfassender Jesu Messianität. Danach spricht die erste Zeile im Sinne Pauli vom Messias Israels, die zweite aber in Überbietung der ersten vom Herrn der Heidenvölker" (ebd.). - Die Schwierigkeit dieser Interpretation liegt auf der Hand: Wenn die erste Zeile des Traditionsstücks in ihrer unredigierten Gestalt „weder vom Messias noch vom Messias designatus" spricht (ebd. 383), sondern von davidischer Abstammung i.S. einer notwendigen Voraussetzung, dann kann sie auch auf der Ebene der Redaktion trotz der Auflösung des linearen Verhältnisses zur zweiten Zeile nicht Messianität bezeichnen wollen; durch das eingeschobene κ α τ ά σάρκα läßt sich die von Theobald angenommene redaktionelle Bedeutung von V. 3b einfach nicht ausdrücken. 56 Vielhauer, Geschichte 31; vgl. ähnlich Bultmann, Theologie 52; Bornkamm, Bekenntnis 199 Anm. 25; Schweizer, Rom. l,3f. 563; Theobald, Römerbrief I 37; Weima, Preaching 341f.; Dunn, Romans 15; Fitzmyer, Romans 234. 57

Vgl. die Kritik bei Zeller, Juden und Heiden 47. Dunn weist auf diese Schwierigkeit hin: „the more redaction argued for, the less fitted would the formula be to serve its most obvious function of assuring the Roman addressees that Paul fully shared their common faith" (Romans I 5). 58

59

Eine andere Variante für die Auswertung formgeschichtlicher Rekonstruktion ist von Jewett vorgeschlagen worden (Ecumenical Theology 97-104; zur Rekonstruktion vgl. schon ders., Anthropological Terms 136-139). Er nimmt an, ein ursprünglich judenchristliches Traditionsstück sei schon vorpaulinisch durch die Einfügung des σάρξ-ττνεϋμα-Kontrasts redigiert und dann paulinisch-redaktionell um die Wendungen έν δυνάμει und άγιωσύνης ergänzt worden (Ecumenical Theology 98-102). Die beiden vorpaulinischen Schichten entsprechen konträren theologischen Tendenzen, die nach Jewett auch in Rom präsent sind (ebd. 98.94). Obwohl sich die beiden paulinischen Einschübe kritisch jeweils auf eine der vorpaulinischen Schichten beziehen (ebd. 101 f.), wird das Traditionsstück „with respect" zitiert (ebd. 103); seine Zitation dient dem Bemühen um eine gemeinsame Grundlage (ebd. 104). - Dieser vergleichsweise extreme Vorschlag (vgl. die Kritik bei Sampley, Different Light 117) läßt das methodische Risiko jeder direkten Beziehung

114

Analysen zur Textfunktion

Plausibler läßt sich demgegenüber die Funktion von V. 3f. auf der Ebene der Synchronic bestimmen. Die auf den in eine himmlische Herrschaftsstellung versetzten Christus bezogene Zielaussage des Traditionsstücks (V. 4a) wird aufgenommen in der syntaktisch parallelen Prädikation Ί η σ ο ΰ Χρίστου roü κυρίου ημών (V. 4b). Zugleich führt diese Prädikation weiter, weil sie mit ημείς diejenigen benennt, die sich bereits unter der Herrschaft des in eine universale Machtstellung Eingesetzten befinden. In diesem ήμεΐς sind Verfasser und Adressaten zusammengeschlossen. Daß dieser Zusammenschluß kein exklusiver ist - der κύριος ημών meint selbstverständlich Christus als Herrn aller Glaubenden - mindert den Effekt des adressateneinschließenden, im Rahmen einer Superscriptio übrigens ungewöhnlichen ήμείς 6 0 in keiner Weise. Im Zusammenhang mit 1,1 signalisiert die zusammenfassende Prädikation: Der Inhalt des εύαγγέλιον θεού, zu dem der Verfasser „ausgesondert" ist, besteht nicht in einer besonderen Lehre, es handelt im Kern von dem κύριος, als dessen δούλος sich der Verfasser in der ersten und allgemeinsten Kennzeichnung präsentiert hatte (1,1a) und dessen Herrschaft auch für die Adressaten schon Realität ist. Der „berufene Apostel" ist folglich keinem Kriterium zugeordnet, das den Adressaten fremd wäre, er ist vielmehr bestimmt zur Verkündigung des gemeinsamen Herrn. Der oben erwähnte, aus diachroner Perspektive heraus konzipierte Erklärungsvorschlag weist also insofern in eine richtige Richtung, als es bei der christologischen Inhaltsbestimmung des εύαγγέλιον θεού (l,3f.) tatsächlich um so etwas wie eine für Adressant und Adressaten gemeinsame Basis geht. Nur liegt diese Basis nicht im zitierten Traditionsgut, das dann ja entsprechend gekennzeichnet oder zumindest unverstellt hätte zitiert werden müssen, sondern in dem Punkt, auf den die zitierte Tradition zuläuft und an dem der Zusammenschluß von Adressant und Adressaten auch explizit angezeigt wird, also im gemeinsamen Bezug auf Christus als Herrn, der historisch als Davidsnachkomme identifizierbar ist und von Gott voraussetzungslos in seine universale himmlische Machtstellung eingesetzt wurde. Der folgende Kontext (V. 5), der den Auftrag des Verfassers nach seinem Ziel (εις ύπακοήν πίστεως ... ύπέρ του ονόματος αύτού) und seiner Reichweite (έν πάσιν τοις εθνεσιν) beschreibt, zeigt allerdings, daß die zusammenfassende Prädikation in V. 4b die vorangehende Aussage über die Einsetzung in die universale Machtstellung des himmlischen Herrschers nicht einfach verdrängt hat. „Unser Herr" (V. 4b) ist der Vermittler von χάρις und αποστολή, der Auftrag zielt aber auf die Aufrichtung von Glaubensgehorsam

von rekonstruierten Traditionsschichten auf Faktoren der Kommunikationssituation besonders deutlich hervortreten. 60 Unter den neutestamentlichen Briefpräskripten findet sich ein adressateneinschließendes ήμεΐς in der Superscriptio nur lTim 1,1; Tit 1,3· Insofern fällt nicht erst die 1. Person Plural in Rom 1,5 aus dem Schema des Präskripts heraus (zu Wilckens, Römer I 56).

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

115

ihm gegenüber 61 unter allen Heiden, d.h. auf die weit über die ήμεΐς hinausgehende, universale Ausdehnung seines Herrschaftsbereichs. Diese Ausdehnung entspricht der Stellung, in die Christus von Gott eingesetzt wurde (V. 4a). Die anspruchsvolle und umfassende Zielsetzung, die dem Auftrag in V. 5 beigelegt wird, folgt darum nahtlos aus der christologischen Inhaltsbestimmung des εύαγγέλιον θεού 62 , zu dessen Verkündigung der Verfasser nach 1,1 bestimmt ist. Der eigentlich problematische, weil strukturwidrige V. 6 läßt sich mit vielen anderen Auslegern 63 dann folgendermaßen anschließen: Aus der umfassenden Bestimmung des auftragsgemäßen Verkündigungsbereichs (έν πάσιν τοις εθνεσιν und aus der Einordnung der Adressaten unter die εθνη (έν οΐς έστε και ύμεΐς) folgt das Recht des Verfassers, sich mit seinem Schreiben an die römischen Adressaten zu wenden 64 . Auch als Christen gehören sie zu den έθνη 6 5 und insofern in seinen Arbeitsbereich; daß sie umgekehrt als Christen angeredet sind, an denen das Ziel des Auftrags, nämlich die Aufrichtung des Glaubensgehorsams Christus gegenüber, schon verwirklicht ist, wird durch die Apposition κλητοι Ί η σ ο ΰ Χριστού explizit festgehalten. Zu übersetzen wäre dann etwa folgendermaßen: „unter denen seid auch ihr, Berufene Jesu Christi". Bei diesem Verständnis sind die Adressaten in die Selbstpräsentation des Verfassers als dessen Gegenüber eingezeichnet; sie rangieren zwar nicht als „Missionsobjekte", aber doch auf deren Seite - daß sie einer Mission gar nicht mehr bedürfen, wird zwar selbstverständlich vorausgesetzt und explizit ausgedrückt, aber nicht eigentlich betont 66 . Diese gängige Auffassung von V. 6 erscheint durchaus akzeptabel. Verwirrenderweise läßt sich derselbe Text aber genauso gut in anderer Akzentuierung begreifen: Danach wären die Adressaten dem Verfasser nicht primär 61

Zu ύττέρ τοϋ ονόματος αύτοϋ als „Objekt" zu ύπακοή πίστεως s. Käsemann, Römer 12. Vgl. ähnlich Zeller: „... die christologische Formel unterstreicht den Anspruch des Herrn, der im Ev durch seinen δοϋλος zur Sprache kommt" (Juden und Heiden 48). Wenn Beckers Hypothese, nach der das 1,3f. zugrundeliegende Traditionsstück seinen Sitz im Leben in der Begründung der Heidenmission hatte (Auferstehung 25-31), zutreffen sollte, dann ließe sich von Rom 1,5 her die literarische Verwendung des Traditionsstücks gut zusammendenken mit seiner vorliterarischen Verwendung. 63 Vgl. z.B.: Kühl, Römer 15; Dahl, Missionary Theology 75; Käsemann, Römer 11; Klein, Abfassungszweck 134; Zeller, Juden und Heiden 48; du Toit, Persuasion 194; Jervis, Purpose 77; Weima, Preaching 343. 64 Die Folgerung ist nicht ausgedrückt, sie liegt aber nach den beiden Prämissen auf der Hand (vgl. du Toit [Persuasion 194], der den Gedankengang in der Form eines Syllogismus wiedergibt). 65 Der Ausdruck εθνη kann - was in 1,5f. natürlich nicht der Fall ist - auch direkt als Bezeichnung für Heidenchristen stehen; unter den von Dabeistein (Heiden 37) und Heckel (Heiden 272 Anm. 13) aufgezählten Stellen sind jedenfalls Rom 11,13; 15,27; 16,4; Gal 2,12.14 deutliche Belege. 66 „Aber auf κλητοϊ ΊησοΟ Χρίστου liegt der Nachdruck nicht, sondern diese Worte sind als Näherbestimmung an ύμεΐς angefügt, um den vollen Christenstand der Römer zu bezeichnen" (Feine, Römerbrief 9). 62

Analysen zur Textfunktion

116

gegenüber, sondern an die Seite gestellt. Tatsächlich kann man, ähnlich wie Watson und Mason vorgeschlagen haben67, ja auch das και ύμεΐς κλητοί Ίησοΰ Χριστού zusammenfassen und für die eigentlich betonte Aussage halten: „unter denen auch ihr Berufene Jesu Christi seid". Der Ton läge dann auf der durch καί ausgedrückten Zuordnung zum Verfasser, der sich in 1,1 als κλητός απόστολος präsentiert hatte68. Auch in dieser Akzentsetzung läßt sich V. 6 an den vorangehenden Kontext anschließen. Schon in der Prädikation Jesu Christi als „unseres Herrn" (V. 4) sind die Adressaten eingeschlossen. Weil V. 5 mit der Erwähnung des Vermittlers von χάρις und άποστολή genau daran anschließt (δΓ ου έλάβομεν χάριν και άποστολήν), ist es naheliegend, das pluralische έλάβομεν in V. 5 im Zusammenhang mit dem vorangehenden ήμεΐς zu sehen. Zwar ist in 1,5 völlig eindeutig vom Auftrag des άπόστολος die Rede, als der der Verfasser eingeführt war (1,1), und insofern kann man die 1. Person Plural für einen Ersatz der eigentlich zu erwartenden SingularFormulierung halten69. Nur verlangt dieser Ersatz-Plural, der damit als ein stilistisches Phänomen eingestuft ist, eine Interpretation70. D.h.: Es stellt sich

67

S. o. S. 104.

68

„The key to the verse is the phrase, καί ύμεΐς ... 'You too' probably means 'you as well as me', for Paul has spoken of himself in 1:1 as having been 'called'" (Watson, Paul 103). Der Plural in έ λ ά β ο μ ε ν wird in der Sekundärliteratur mit einer verwirrenden Vielfalt von Bezeichnungen versehen: schriftstellerischer Plural (Michel, Römer 75; Käsemann, Römer 11) bzw. sogenannter schriftstellerischer Plural (Schlier, Römerbrief 28; Zeller, Römer 34); stilistischer Plural (Satake, Apostolat 100); „apostolic plural" (Scott, Nations 122); „sog. Majestätsplural" (Stuhlmacher, Römer 22); „authentic literary plural" (Jervis, Purpose 76); „writer's plural" (Cranfield, Romans I 65). Gemeint ist in jedem Fall: Der Plural steht für den Singular; der Empfang von χ ά ρ ι ς und α π ο σ τ ο λ ή wird vom Verfasser-"Ich" ausgesagt. - Prinzipiell ist die Möglichkeit der Verwendung der 1. Person Plural für die 1. Person Singular. kaum zu bezweifeln. Feine hat eine größere Zahl von Belegen aus den paulinischen Briefen zusammengestellt (Römerbrief 7f.; vgl. auch Cranfield, Changes 286f.), unter denen vor allem diejenigen überzeugend sind, in denen eine Singular- und eine Pluralformulierung ohne erkennbaren Bezeichnungsunterschied nebeneinander stehen (z.B. Gal 1,9; 2Kor 7,3.4; Phil 3,17). Selbst Byrskog, der dem Problem der 1. Person Plural bei Paulus im Zusammenhang mit dem Vorkommen von Mitabsendern (also unter Ausblendung des Rom) nachgegangen ist (Co-Senders 230-250) und dabei vor der unproblematischen Annahme einer „extensive presence of the literary plural in the Pauline letters" warnt (ebd. 236), schließt die Möglichkeit als solche doch nicht kategorisch aus (ebd. 246 [zu Phil 3,17b]. 249). Auszuschließen ist demgegenüber aber wohl die gelegentlich und in verschiedenen Varianten erwogene Alternative, die in έ λ ά β ο μ ε ν den Verfasser mit Dritten zusammengeschlossen sieht, also mit anderen Aposteln oder mit „Genossen und Gehilfen der heidenchristlichen Predigt" (Feine, Römerbrief 8; vgl. Dunn, Romans I 16; du Toit, Persuasion 204). Eine Anspielung auf andere Apostel i.S. eines Hinweises darauf, nicht der einzige Heidenapostel zu sein, wäre in dieser Form schlechterdings unverständlich. Ein indirekter Hinweis auf Mitarbeiter erscheint noch unwahrscheinlicher, weil gerade im Röm-Präskript „Paulus" allein und ohne Mitabsender auftritt. 70 Die Tatsache, daß eine solche Interpretation des die 1. Person Singular ersetzenden Plurals bei Paulus in vielen Fällen nicht oder noch nicht gelingen will oder zumindest unsicher ist, entbindet j a nicht von der Aufgabe, eine solche Interpretation im Einzelfall jeweils zu versuchen. Gelegentlich ist das im Fall von Rom 1,5 geschehen: Michel z.B. sieht auf diese Weise Bescheidenheit in der Formulierungsweise signalisiert (Römer 75; in dieser Richtung verstand von Dobschütz das

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

117

die Frage, inwiefern sich die vorliegende Version der Aussage von 1,5 mit dem Ersatz-Plural von der Singular-Variante unterscheidet, welche Valenz ihr also durch die Bevorzugung des Plurals vor dem Singular zuwächst. Orientiert man sich am vorangehenden ήμεΐς 71 , gelangt man zu folgender Antwort: Der Text, der zunächst die Person des Verfassers als „berufenen Apostel" zeigte, als jemanden, der in eine von anderen Menschen abgrenzende und ihn selbst definierende Beziehung zum εύαγγέλιον θεού gestellt ist, öffnet durch die Pluralformulierung in έλάβομεν die Beschreibung des Auftrags dieses Verfassers so, daß sich die Adressaten mitgemeint sehen können (nicht müssen) als Empfänger von χάρις und άποστολή. In einem derart akzentuierten Zusammenhang wird man V. 6 in der von Watson und Mason vorgeschlagenen grammatischen Auffassung verstehen; die in den Auftrag des Verfassers einbezogenen Adressaten wären dann angesprochen als „Berufene Jesu Christi" unter den Heiden, auf deren Gewinnung der Auftrag zielt. Auch die teilweise Vorwegnahme des κλητοΐς άγίοις aus der folgenden Adscriptio (V. 7a) durch κλητοι Ίησοΰ Χριστού (V. 6) würde dann begreiflich; anders als in der Adscriptio hätte die Kennzeichnung der Adressaten als „Berufene Jesu Christi" in V. 6 die Funktion, diese dem „berufenen Apostel" unter dem Aspekt des durch Jesus Christus, „unseren Herrn", vermittelten Empfangs von χάρις und άποστολή anzunähern72.

,,schriftstellerisch[e]" Wir bei Paulus generell [Wir und Ich 255]), was sich nun nicht besonders gut zu 1,1 fügt. Cranfield vermutet eine betont autoritativ-formale Formulierungsweise (Romans I 65; vgl. ders., Changes 288; Käsemann, Römer 11 f.), er selbst bemerkt aber zutreffend, daß Paulus auch die 1. Person Singular in dieser Weise gebrauchen könne (Changes 288), und nennt u.a. mit Rom 12,3 ein eindeutiges Beispiel für eine autoritativ-formale Formulierung „with a special solemn effect" im Singular (ebd.), womit die entsprechende Annahme zum Plural in 1,5 aufgehoben ist. 71

Auch bei Bl/Debr/Rehk wird versucht, dem vorangehenden ήμεΐς bei der Interpretation des hier nicht als schriftstellerischen Plurals verstandenen έλάβομεν Rechnung zu tragen: Zwar sei von Paulus als Empfänger der α π ο σ τ ο λ ή die Rede, „aber mit χ ά ρ ι ν sind die Adressaten und alle Christen (V 4 τοΟ κυρίου ήμών) Mitempfänger, so daß ε λ α β ο ν χ ά ρ ι ν nicht angebracht war" (§ 280 Anm. 3; vgl. im Anschluß daran Barrett, Romans 22 [als Möglichkeit]; Weima, Preaching 343). - Der Vorschlag ist problematisch: Er muß das an anderer Stelle (§ 442 Anm. 29) postulierte Abhängigkeitsverhältnis zwischen χ ά ρ ι ς und άττοστολή auflösen (vgl. die Kritik bei Jervis, Purpose 76 Anm. 3) und sich darüber hinwegsetzen, daß der Empfang von χ ά ρ ι ς durchaus von Paulus allein aussagbar, ε λ α β ο ν χ ά ρ ι ν also nicht unangebracht gewesen wäre (vgl. Rom 12,3; 15,15; IKor 3,10; Gal 2,9), wenn denn in 1,5 die Exklusivität des Verfassers hätte betont werden sollen. 72

Satake (Apostolat 97) verweist auf die Doppelung von κλητός bzw. κλητοί in der Superscriptio und der Adscriptio des IKor: Π α ύ λ ο ς κλητός απόστολος Χριστού Ί η σ ο ΰ ... κλητοΐς άγίοις ... ( l , l f . ) . „Im ersten Fall ist der κλητός Paulus selbst und das Wort bezieht sich auf seinen Apostolat, im zweiten Fall geht es um die Berufung der Gläubigen im allgemeinen" (ebd.). Wenn Satake im Präskript des Rom „Ähnliches" feststellt (ebd.), dann trifft das zu für V. 1 und V. 7 ( Π α ΰ λ ο ς δοΰλος Χρίστου Ί η σ ο ΰ , κλητός ά π ό σ τ ο λ ο ς ... κλητοϊς άγίοις ...), nicht aber für das in die Superscripts vorgezogene και ύμεΐς κλητοϊ Ί η σ ο ΰ Χριστοΰ (1,6).

118

Analysen zur Textfunktion

Eine Entscheidung zwischen beiden Interpretationsmöglichkeiten von V. 6 ist kaum möglich. Beide sind grammatisch vertretbar, und keine von beiden ist inhaltlich unproblematisch: Wenn es - so die erste Möglichkeit - um das Recht des Verfassers geht, sich an die römischen Adressaten zu wenden, wenn also die Adressaten dem Verfasser gegenübergestellt werden, dann ist die Begründung dieses Rechts nicht sonderlich stark, weil sie allein auf der Ausdehnung des Auftragsbereichs beruht, und nicht auf dem Ziel des Auftrags. Wenn es - so die zweite Möglichkeit - darum geht, die Adressaten an die Seite des Adressanten zu stellen, dann muß man im Blick auf die Rolle des Adressanten mit zwei unterschiedlichen Akzentsetzungen rechnen; der betont exklusiven Zuordnung der Person des Verfassers zum εύαγγέλχον θεού in 1,1 steht eine angedeutete Öffnung in der Beschreibung seines Auftrags gegenüber. Allerdings ergibt sich aus keiner der beiden Überlegungen ein wirkliches Argument gegen die jeweilige Interpretationsmöglichkeit: Eine geradlinig schlichte Fortsetzung der Superscriptio ist nach der eingangs gekennzeichneten Stellung von V. 6 im Zusammenhang dieses Präskriptteils nicht zu erwarten. Der Text läßt folglich beide Interpretationsmöglichkeiten zu. D.h.: Die historischen Adressaten können sich in ihm entdecken als solche, an denen der Verfasser im Rahmen seines auf „alle Heiden" gerichteten Auftrags wirken will. Sie können sich aber auch entdecken als solche, die an diesem Auftrag in welcher Weise auch immer teilhaben. Das Ergebnis läßt sich in Beziehung setzen mit der in Teil 2 skizzierten Hypothese zur Intention des empirischen Autors. Nach welcher der beiden Möglichkeiten dieser seinen Text von den römischen Christen rezipiert wissen wollte, läßt sich nicht mehr ermitteln. Nicht einmal dies läßt sich mit Sicherheit behaupten, daß er bewußt beide Möglichkeiten im Text anlegte. Unter Voraussetzung der Hypothese kann man aber immerhin schließen: Beide Verstehensmöglichkeiten müssen ihm recht gewesen sein. Wenn er denn die römischen Christen durch das ihm aufgetragene Evangelium prägen und dabei auch schon einer gegebenenfalls notwendigen eigenen Verkündigungsarbeit dieser Gemeinde vorarbeiten wollte, dann sah er seine Adressaten zwar primär im Gegenüber zu sich selbst, prinzipiell aber auch schon an seiner Seite. 3.1.4

1,8-15

Die im Präskript bei der Präsentation des Adressanten und der Adressaten gesetzten Akzente werden im Proömium beibehalten. Das gilt zum einen im Blick auf die besondere Zuordnung des Adressanten zum Evangelium; 1,9b kommt in einer grundsätzlichen Kennzeichnung seines Dienstes sogleich darauf zurück; 1,14 umschreibt den umfassenden Bereich, in dem er zur Verkündigung verpflichtet ist; die Erklärung der Bereitschaft zur Evangeliums Verkündigung in 1,15 schließlich entspricht der Erwartung, die

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

119

durch den Gipfel der einleitenden Selbstpräsentation ( ά φ ω ρ ι σ μ έ ν ο ς εις εύα γ γ έ λ ι ο ν θ ε ο ΰ [1,1c]) geweckt ist. D a s gilt aber auch für die eigentümliche Doppelrolle der Adressaten. D i e s e wurde im Fall des Präskripts in den z w e i verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten der einen Aussage in V. 6 greifbar. Im Fall des Proömiums wird diese Doppelrolle gleichsam aufgespalten; während der erste Unterabschnitt ( 1 , 8 - 1 2 ) die Adressaten an die Seite des Adressanten stellt, stehen sie i m zweiten Unterabschnitt an der Seite seiner übrigen Verkündigungsempfänger. Das soll i m folgenden zu zeigen versucht werden. Umstritten ist die Abgrenzung des mit 1,8 einsetzenden, unter epistolographischer Perspektive meist als „Danksagung" bzw. „thanksgiving", unter rhetorischer Perspektive meist als „Exordium" bezeichneten Briefteils nach hinten. In epistolographischen Beiträgen wird gelegentlich mit dem Hinweis auf die „disclosure formula" (1,13a), die das Briefcorpus einleite, ein Einschnitt nach 1,12 angenommen 7 3 . Demgegenüber hat Jervis 74 zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß die Formel in diesem Fall nicht die Darstellung eines Sachverhalts einleitet, auf den sich das Briefcorpus zuriickbezöge, 1,13 als Eröffnung des Corpus also kaum vorstellbar ist. Auch der entsprechende rhetorisch orientierte Vorschlag, der in 1,12 das Exordium abgeschlossen und in 1,13 eine bis 1,15 reichende Narratio eingeleitet sieht 75 , ist nicht überzeugend: Das in 1,13-15 enthaltene, vergangenheitsbezogene, „narrative" Element (l,13b.c) benennt den Hintergrund des Schreibens, nicht den der in ihm verhandelten Sache 76 . Schwieriger ist die Entscheidung über 1,15 oder 1,17 als Ende des Proömiums. Die Syntax bietet keine Hilfestellung, weil sich die Kausalverknüpfungen mit γ ά ρ von 1,15 über 1,17 bis 1,18 fortsetzen. Ein Anhaltspunkt ergibt sich aber aus dem elementaren Hinweis von Schubert: „the thanksgiving structure is characterized by a basic bipolarity, a double focus around which all thoughts center: the addressant and the addressee" 77 . Diese Bipolarität, die sich grammatisch im Nebeneinander von 1. Person Singular und 2. Person Plural niederschlägt 78 , ist von 1,16 an nicht mehr aufweisbar; in 1,16a formuliert vielmehr der

73 Vgl. z.B. White, Epistolary Literature 1744; weitere Verteter dieser Auffassung nennt Jervis, Purpose 105. 74 Purpose 106. 75 76

Vgl. Jewett, Ambassadorial Letter 14f. Vgl. die Kritik von Aletti, Presence 7.

77

Thanksgivings 37. - Daraus und aus der komplementären Beobachtung, nach der das einleitende ε υ χ α ρ ι σ τ ώ (bzw. das Äquivalent) mit einem Hinweis auf Gott in der 3. Person verbunden ist, folglich nicht selbst den Akt der Danksagung darstellt, sondern eine an die Adressaten gerichtete Aussage über den Dank des Adressanten an Gott bietet (ebd.), hatte Schubert die Hauptthese zur grundlegend brieflichen (nicht liturgischen) Form und Funktion der paulinischen „thanksgivings" abgeleitet: „To state the most important thesis of this study concisely: the Pauline thanksgivings are characteristically and basically epistolary in form and function" (ebd. 38). Diese - m.E. völlig zutreffende - These (zur Diskussion von Schuberts Arbeit in der Folgezeit s. Jervis Purpose 49-52) läßt allerdings die Bezeichnung „Danksagung", „thanksgiving" für die jeweiligen Briefabschnitte problematisch werden, weil sie sich dann ja nicht auf den Sprechaktcharakter, auf die Textfunktion, sondern nur auf den (teilweisen) Inhalt dieser Abschnitte beziehen kann. 78

Vgl. Schubert, Thanksgivings 38.

A n a l y s e n zur T e x t f u n k t i o n

120

A d r e s s a n t s e i n V e r h ä l t n i s z u m ε ύ α γ γ έ λ ι ο ν . M i t der d e f i n i t i o n s a r t i g e n K e n n z e i c h n u n g d e s E v a n g e l i u m s in 1,16b. 17 setzt er d a z u an, der z u v o r in V . 15 d e n A d r e s s a ten g e g e n ü b e r g e ä u ß e r t e n B e r e i t s c h a f t s e r k l ä r u n g z u m ε ύ α γ γ ε λ ί σ α σ θ α ι

nachzu-

k o m m e n 7 9 . U n t e r d i e s e m A s p e k t läßt s i c h 1,15 - trotz der s y n t a k t i s c h u n d s e m a n t i s c h e n g e n B e z i e h u n g z u l , 1 6 f . - g u t als E n d e d e s P r o ö m i u m s a u f f a s s e n 8 0 , u n d d i e in rhetorisch orientierten B e i t r ä g e n v o r g e s c h l a g e n e K e n n z e i c h n u n g der A b f o l g e v o n 1 , 8 - 1 5 u n d l , 1 6 f . als der v o n E x o r d i u m u n d P r o p o s i t i o 8 1 e r s c h e i n t d u r c h a u s treffend. Innerhalb des P r o ö m i u m s signalisiert die Eröffnungsformel ( ο ύ θ έ λ ω δ έ

ΰμάς

ά γ ν ο ε ΐ ν ) u n d d i e f o l g e n d e ά δ ε λ φ ο ί - A n r e d e in 1 , 1 3 a e i n e Zäsur. D e r v o r a n g e h e n d e T e i l ( 1 , 8 - 1 2 ) setzt ein mit einer in sich a b g e s c h l o s s e n e n A u s s a g e über d e n D a n k d e s A d r e s s a n t e n für d i e A d r e s s a t e n u n d d e s s e n G r u n d ( V . 8). In V . 9 findet dieses T h e m a aber keine Fortsetzung, das hier erwähnte ständige, V e r f a s s e r mit d e n A d r e s s a t e n v e r b i n d e n d e G e d e n k e n wird v i e l m e h r in V . erläutert als Gebetsbitte,

deren Gegenstand

ein B e s u c h

bei den

den 10

Adressaten

ist82. V . 1 lf. entfalten d e n Z w e c k d i e s e s B e s u c h s , d e n der Adressant z u m Zeitpunkt d e s S c h r e i b e n s ersehnt ( V . I I a ) , der f o l g l i c h für i r g e n d e i n e n

Zeitpunkt

nach d e m S c h r e i b e n vorgestellt ist83. N a c h der Zäsur in V . 13a wird das T h e m a d e s B e s u c h s u n d s e i n e s Z w e c k s erneut aufgegriffen, nun aber unter anderer Perspektive:

79

Schon

in der V e r g a n g e n h e i t

wurde ein Besuchsplan

mehrfach

Z u m Verhältnis zwischen 1,15 und l,16f. s. o. S. 88f. Anm. 19.

80

Vgl. z.B. Dunn, Romans 1 2 7 ; Ziesler, Romans 35; Barrett, Romans 24; Jervis, Purpose 105— 107. Schubert selbst nutzt die von ihm hervorgehobene grundlegende Bipolarität der „thanksgivings" allerdings nicht als Abgrenzungskriterium, sondern rechnet 1,16f. der Danksagung als deren „final climax" zu (Thanksgivings 32). 81 Vgl. z.B. Aletti, der 1,15 als Schluß des Exordiums annimmt (Presence 7) und l,16f. als eine primäre Propositio, die in mehreren sekundären Propositiones an späteren Stellen des Rom wieder aufgegriffen wird (Presence 1 lf.). Entsprechend wird der Schluß des Exordiums von Aletti dann auch interpretiert: „il permet ... ä Paul de dire son desir d'annoncer l'Evangile aux Chretiens de Rome, desir que le reste de l'epitre realisera en partie" (ebd. 7). - Vgl. auch den Überblick über verschiedene rhetorisch orientierte Dispositionsanalysen bei Watson (Rhetorical Criticism 2 2 6 228), die mehrheitlich eine Zäsur nach 1,15 annehmen. 82 π ά ν τ ο τ ε (V. 10) drückt wie α δ ι α λ ε ί π τ ω ς (V. 9) Beständigkeit aus (vgl. Bauer/Aland, W b . 1232: „stets, zu allen Zeiten, immer"), hebt also nicht darauf ab, daß der Verfasser schon seit langer Zeit f ü r das Gelingen einer Rom-Reise betet. 83 Kettunen weist zu Recht darauf hin, daß hier keine konkreten Reisepläne entfaltet werden (Abfassungszweck 142). Seine Behauptung: „Klar sagt Paulus nur, was er jetzt in R o m will, also was er nun dort machen würde, wenn er da w ä r e " (ebd.), trifft so aber nicht zu. Die im Schreiben selbst formulierte Sehnsucht nach einem Besuch ( έ π ι π ο θ ώ γ ά ρ ίδεϊν ύ μ α ς [1,11a]) kann sich j a nur auf einen künftigen, dem Schreiben folgenden Besuchszeitpunkt beziehen. In Kettunens Auffassung von 1,11 ist das Schreiben als Kommunikationsakt gewissermaßen verdrängt bzw. übersprungen. Dieses (scheinbare) Detail hat im Rahmen von Kettunens Arbeit, in der V. I I b fiva τι μ ε τ α δ ώ χ ά ρ ι σ μ α ύ μ ΐ ν π ν ε υ μ α τ ι κ ό ν ε ι ς τ ο σ τ η ρ ι χ θ ή ν α ι ύ μ ά ς ) direkt auf den Zweck des Schreibens bezogen wird (ebd. 146-149), weitreichende Konsequenzen. Die Problematik dieser Detailentscheidung wird dann bei der Interpretation der Absichtsangabe in 1,12 offenkundig, die sich j a eindeutig auf einen dem Schreiben folgenden Besuch bezieht und von Kettunen daher „zeitlich getrennt" von derjenigen in V. 11 gesehen werden m u ß (ebd. 159 Anm. 4).

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

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gefaßt, aber „bis jetzt" verhindert, so daß auch der damit verbundene Zweck (V. 13d) bislang nicht verwirklicht werden konnte. Der Zweck dieses schon früher geplanten Besuchs steht vor dem Hintergrund der umfassenden Verpflichtung (V. 14), der sich der Verfasser unterstellt sieht und der er auch den römischen Adressaten gegenüber nachkommen will, und zwar durch sein εύαγγελίσασθαι, dessen Ausführung in 1,16 beginnt. D.h.: Anders als im ersten Teil des Proömiums, der in eine Erläuterung des Zwecks eines ersehnten Rom-Besuchs nach dem Schreiben mündet, geht es im zweiten Teil des Proömiums um Zweck und Hintergrund eines Rom-Besuchs, der bis zum Zeitpunkt des Schreibens nicht durchgeführt werden konnte und an dessen Stelle nun das εύαγγελίσασθαι tritt, zu dem sich der Verfasser den Adressaten gegenüber bereit erklärt und im Schreiben selbst bereit zeigt84. Die in 1,8-12 und in 1,13-15 je unterschiedliche Platzanweisung für die Adressaten dürfte mit dieser unterschiedlichen Perspektive der beiden Teile des Proömiums zu tun haben. 1,8-12: Daß V. 8 mit einer captatio benevolentiae einsetzt, in der der Grund des Dankes (δτι ή ττίστις ύμών καταγγέλλεται έν ολω τω κόσμω) hyperbolisch formuliert wird85, läßt sich ebensowenig bezweifeln wie die konventionsentsprechende Verwendung einer solchen captatio im Proömium86. Deren allgemeine Funktion liegt auf der Hand: Der Ausdruck der Wertschätzung der Adressaten soll deren Rezeptionsbereitschaft erhöhen. In dieser allgemeinen Funktion hätten alle möglichen positiven Aussagen über die Adressaten formuliert werden können; Aufmerksamkeit beansprucht aber die im Text gebotene spezielle Füllung der captatio. Tatsächlich ist nämlich nicht ohne weiteres deutlich, worauf die Begründung des Dankes genau zielt: auf die weltweite Reputation des Glaubens der Adressaten oder auf dessen weltweites Wirken. Die Entscheidung hängt an der Bedeutung des Verbs καταγγέλλεχν. Meint dieses schlicht „erwähnen", „erzählen" o.ä., wird man V. 8b folgendermaßen interpretieren: „weil man von eurem Glauben überall in der Welt spricht"87. Die Bekanntheit des Glaubens bezeugt sein Vorhandensein, der Dank bezieht

84 Vgl. besonders Elliott: „The letter is Paul's ε ύ α γ γ ε λ ί σ α σ θ α ι " (Rhetoric 87). Für Elliott erklärt sich daraus, daß die Intention des ε ύ α γ γ ε λ ί σ α σ θ α ι beim Ausblick auf den ersehnten RomBesuch im Briefschluß (15,14ff.) nicht mehr erwähnt wird: „that intention has been achieved between chs. 1 and 15" (ebd.). Tatsächlich stehen aber die beiden von Elliott zutreffend unterschiedenen Sachverhalte - der längst geplante, aber verhinderte Besuch und der für die Zukunft ersehnte Besuch - schon innerhalb des Proömiums nebeneinander. 85 Vgl. z.B. Käsemann, Römer 15; Cranfield, Romans I 75 mit Anm. 2; Schmithals, Römerbrief 55. 86 S. dazu Lausberg, Rhetorik 158f. (§ 277a). 87 Schmithals, Römerbrief 55; vgl. ähnlich z.B. Jülicher, Römer 229; Barrett, Romans 25; Cranfield, Romans I 75; Kettunen, Abfassungszweck 47; Bowers, Church 99; Dunn, Romans I 28; trotz einer Übersetzung mit „verkündigen" bzw. „proclaim" vgl. auch Käsemann, Römer 15; Stuhlmacher, Römer 28; Fitzmyer, Romans 244.

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sich dann also auf den Glauben der Adressaten an sich 8 8 . Meint κ α τ α γ γ έ λ λ ε ι ν jedoch prägnanter „verkündigen", dann spricht der Begründungssatz von der Ausbreitung dieses Glaubens; der Dank bezieht sich dann nicht nur auf sein Vorhandensein, sondern auf seine Wirkung. Der Sprachgebrauch von κατα γ γ έ λ λ ε ι ν 8 9 weist, wie Schlier hervorgehoben hat 90 , deutlich in die Richtung der letzteren Möglichkeit, und danach ist in 1,8 „die Kunde vom Glauben" der Adressatenschaft als „Verkündigung" dargestellt 91 , die in alle Welt ausgegangen ist. Wichtiger als der Rückschluß auf einen Sachverhalt, der für den Autor möglicherweise hinter der hyperbolisch stilisierten Aussage von 1,8b stand, ist für die Textanalyse der Platz, an den die Adressaten in der stilisierten Aussage gestellt werden. Dieser Platz ist eindeutig näher an der Träger- denn an der Empfängerseite der Verkündigung; zwar wird keine Verkündigungsiäii'g&ei'i von ihnen ausgesagt 9 2 , aber ihr Glaube ist doch immerhin Ausgangspunkt eines weit ausgreifenden κ α τ α γ γ έ λ λ ε ι ν 9 3 .

88 „... the Statement that their faith κ α τ α γ γ έ λ λ ε τ α ι έν ολω τ ώ κόσμω ... means simply the fact that they believe, the fact that also in the imperial capital there is a church of Jesus Christ is being published abroad far and wide. This fact in itself is enough to call forth his thanksgiving" (Cranfield, Romans 175). 89

In den authentischen Paulusbriefen kommt das Wort außer in Rom 1,8 noch fünf mal vor; Gegenstand des κ α τ α γ γ έ λ λ ε ι ν ist: τό μυστηριον τοΰ θεοϋ (lKor 2,1); τό εΰαγγέλιον (IKor 9,14); ό θ ά ν α τ ο ς τοΰ κυρίου (IKor 11,26); Χριστός (Phil 1,17.18; vgl. auch Kol 1,28). Alle übrigen neutestamentlichen Belege (11) sind in der Apg enthalten. Hier findet sich der Ausdruck mehrfach im Bezug auf ό λ ό γ ο ς τοΰ θεοϋ (13,5; 17,13) bzw. τοΰ κυρίου (15,36), so daß man von „Missionssprache" sprechen (Schniewind, Art. α γ γ ε λ ί α 69) und dieser Rubrik auch Apg 4,2; 13,38; 17,3.23 zurechnen kann (vgl. ebd. 70). - Jedenfalls findet sich kein neutestamentlicher Beleg für κ α τ α γ γ έ λ λ ε ι ν i.S. von „sprechen über", „erzählen" o.a.; zum außemeutestamentlichen Sprachgebrauch s. Schniewind (ebd. 68f.) mit dem zusammenfassenden Urteil: „Stehend aber ist, wie bei allen άγγελ-Verben, die Bedeutung proklamieren" (ebd. 68). 90

Römerbrief 36. Schlier, Römerbrief 36; vgl. auch Jervell, Brief 71. - Käsemann versucht, die Bedeutung von κ α τ α γ γ έ λ λ ε ι ν mit dem geläufigen Verständnis von 1,8 im erstgenannten Sinn zu vermitteln; er sieht in „dem einfaches 'erzählen' überbietenden κ α τ α γ γ έ λ λ ε ι ν " einen Ausdruck von Hyperbolie (Römer 159). - Aber κ α τ α γ γ έ λ λ ε ι ν läßt sich wohl kaum einfach als Steigerung zu λ α λ ε ΐ ν begrei91

92

Daraufhat Burchard (Formen 320 Anm. 28) zu Recht hingewiesen. Nur bei diesem Verständnis von V. 8b stellt übrigens die häufig als Vergleichstext erwähnte Stelle IThess 1,8 eine wirkliche Parallele dar: ά φ ' ύμών γ α ρ έξήχηται ό λ ό γ ο ς τ ο ΰ κυρίου οΰ μόνον έν τη Μακεδονίςι και [έν τη] ' Α χ α ΐ α ά λ λ ' έν 7Γαντϊ τόττω ή ττίστις ύμών ή π ρ ο ς τόν θεόν έξελήλυθεν. Auch hier wird von den Adressaten nicht direkt eine aktive Verkündigungsarbeit ausgesagt, sondern vom „Wort des Herrn" und von „eurem Glauben" ist wie von selbständigen, dynamischen Größen die Rede. Der entscheidende Unterschied zu Rom 1,8b liegt in folgendem Punkt: Der vorhergehende Kontext zu IThess 1,8 zeigt die Adressaten zunächst als Empfänger der paulinischen Verkündigung (l,5f.). Der für diesen Text wesentliche Zusammenhang zwischen Empfang der Verkündigung und ihrer Weiterverbreitung wird von Ware zutreffend zusammengefaßt: „Through their acceptance of it as the word of God, Paul's gospel was at work in the Thessalonians in such a way that it did not stop with them, but continued to sound forth from them, by virtue of its own inherent power" (Congregation 130). 93

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Der an V. 8 angeschlossene Passus V. 9f. 94 ist in doppelter Hinsicht auffällig, zum einen wegen der eingeschobenen „dienstlichen" Charakterisierung des Verfassers (V. 9b), zum andern wegen des zielstrebig auf dessen Besuchswunsch hinführenden Duktus. Beides lenkt weg vom einleitenden Dank für die Adressaten95, steht aber im Zusammenhang mit der ihnen im Begründungssatz V. 8b zugewiesenen Rolle: Denjenigen, deren Glaube sich in einem weltweiten καταγγέλλεσθαι fortsetzt, tritt der Adressant gegenüber als im Dienst des εύαγγέλιον stehend. Mit der hyperbolisch formulierten Begründung des Dankes sind die Adressaten also in gewisser Weise an den Adressanten angenähert worden. Im Vergleich zur Aussage über die Adressaten hat diejenige über den Verfasser allerdings einen ungleich bestimmteren, auf seine im Präskript vorgestellte Person zugeschnittenen Charakter: Gott, von dem in 1,1 implizit Berufung und „Aussonderung" des Verfassers ausgesagt war, wird als Auftraggeber festgehalten; λ α τ ρ ε ύ ε ι meint in Verbindung mit έν τω εύαγγελίω ein aktives und intentional ausgerichtetes Verkündigungshandeln, mit dem der Verfasser seiner Bestimmung entspricht96; έν τώ πνεύματί μου betont die totale und persönliche Bindung des Verfassers an seinen Dienst 97 - gleichgül-

94 V. 9f. besteht aus einem Satz, in dem δεόμενος dem vorangehenden μνείαν ποιούμαι subordiniert ist. Insofern besteht kein Grund, die „Fürbitte in V 9 ... von der Bitte in V 10 zu unterscheiden" (Wilckens, Römer I 78), zumal sich auch keine „doppelte Erwähnung des Gebets in V 9 und V 10" (ebd.) findet, sondern nur eine einfache, nämlich in dem entweder zum Vorangehenden oder zum Folgenden zu ziehenden έτη των προσευχών μου (V. 10). Daß natürlich auch bei der letzteren Möglichkeit μνείαν ύμών ποιούμαι die Erwähnung der Adressaten im Gebet meint (vgl. Bauer/Aland, Wb. 1061), wird nicht explizit ausgedrückt, ergibt sich aber aus V. 9a. Allerdings ist die Wendung μνείαν ποιεϊσθαι, anders als Wilckens (Römer I 78) voraussetzt, nicht speziell auf Fürbitte festgelegt; wenn Fürbitte gemeint ist, ergibt sich das aus dem Kontext (vgl. Eph 1,16 [mit dem folgenden ίνα-Satz]). Anders dürfte es sich in IThess 1,2 um eine dankbare Erwähnung der Adressaten im Gebet handeln (vgl. Holtz, IThess 43), und ähnlich verhält es sich wohl auch in Phlm 4, wo der Grund des Dankes unmittelbar anschließt (V. 5) und der Text erst in V. 6 in eine Fürbitte übergeht. - Die Entscheidung gegen die von Wilckens angenommene Zäsur zwischen Fürbitte und Bitte in V. 9f. ist deshalb wichtig, weil sie sich für Wilckens mit einer m.E. schwer nachvollziehbaren Interpretation von V. 9b verbindet, nach der sich das vom Adressanten ausgesagte λατρεύειν auf eben die in V. 9c angenommene Fürbitte bezieht (vgl. ähnlich Cranfield, Romans I 77): „Indem er das Evangelium verkündigt, durch dessen göttliche Kraft die Völker in das eschatologische Heil einbezogen werden, ist der Apostel selbst mit seinem Innern an diesem Geschehen beteiligt, indem er für die zum Glauben Gewonnenen vor Gott eintritt" (Römer 178). 95 Darauf hat Jervis im Zusammenhang ihrer die paulinischen Proomien vergleichenden Beobachtungen aufmerksam gemacht (Purpose 102), der Sachverhalt ist aber auch bei isolierter Betrachtung von Rom l,8ff. unübersehbar: πρώτον (i.S. von „in erster Linie", „besonders", vgl. Schmithals, Römerbrief 55: „Vor allen Dingen") hebt den Dank für die Adressaten hervor, die Hervorhebung läßt eine Weiterführung oder Explikation des Dankes über 1,8b hinaus erwarten, die im Text aber nicht erfolgt. 96 Ob in der Verwendung von λατρεύω in 1,9 das in der LXX mit dem Ausdruck verbundene Moment des Kultischen durchscheint (so z.B. Cranfield, Romans I 76; Wilckens, Römer I 78 mit Anm. 75), ist schwer zu entscheiden; positive Anhaltspunkte im Text scheinen mir nicht vorzuliegen. 97 Vgl. Balz, Art. λατρεύω 851.

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tig, ob man die Wendung mehr auf den individuell zugeeigneten Geist Gottes 98 bezieht oder als Hinweis auf „das den Menschen bestimmende Inwendige" 99 versteht (im Zusammenhang erscheint ersteres allerdings erheblich wahrscheinlicher) - ; έν τω εύαγγελίω του υίοϋ αύτοϋ schließlich meint die in l,3f. inhaltlich definierte Verkündigung, in deren Ausübung das λατεύειν des Verfassers besteht. D.h. einerseits: Die besondere Stellung des Verfassers wird zu Beginn des Proömiums in keiner Weise - etwa in Richtung einer Gleichstellung mit den Adressaten - nivelliert. Andererseits verhält es sich aber auch nicht so, daß hier schon auf apostolische Autorität und Verantwortlichkeit den Adressaten gegenüber 100 abgehoben wäre. Der Zusammenhang zwischen der Präsentation des Verfassers und der der Adressaten liegt vielmehr darin, daß beide mit „Verkündigung" zu tun haben, die Adressaten in sehr unbestimmter Weise, sofern von ihrem Glauben ein in alle Welt reichendes καταγγέλλεσθαι ausgesagt wird, der Verfasser in ganz bestimmter und mehrfach gekennzeichneter Weise. Im Prinzip sind die Adressaten zu Beginn des Proömiums also unter dem Aspekt „Verkündigung" dem Verfasser zugeordnet und ihm dabei eher an die Seite als gegenübergestellt. In diese Richtung weist auch die anschließende Erwähnung des Besuchswunsches und besonders der in der Zweckangabe des Besuchs (1,1 lf.) hervorgehobene Aspekt des Miteinanders von Verfasser und Adressaten. Der Verfasser will „Anteil geben", er will ihnen τι ... χάρισμα ... πνευματικόν mitteilen 101 , die Gabe 102 soll also „gemeinsamer Besitz werden" 103 . Eine völlig präzise Bestimmung dieses mit der ungewöhnlichen Wendung χάρισμα πνευματικόν bezeichneten Sachverhalts ist kaum möglich und liegt wohl auch nicht in der Intention des Textes. Andererseits kann man über reine Vermutungen 104 doch hinausgelangen, wenn man die in V. 9b vorhergehende Aussage über den Verfasser einbezieht: Dort war dessen totale Bindung an die Evangeliumsverkündigung mit der ebenfalls schwer präzisierbaren Wendung έν τω πνεύματί μου ausgedrückt. Eine pneumatische Gabe, die der so gekennzeich98

So z.B. Kümmel, Römer 7 33; Schweizer, Art. ιτνεϋμα 434. Käsemann, Römer 15. 100 So Weima, Preaching 348; vgl. auch Jervis: „It would appear that Paul wants to communicate that it is as their apostle that he gives thanks for them" (Purpose 107; vgl. ebd. 159). 101 Zu μεταδίδωμι vgl. die bei Bauer/Aland (Wb. 1034) angegebenen Bedeutungen: „Anteil geben an, mitteilen". 102 Zur Verwendung von χάρισμα in 1,11 im allgemeineren Sinn von „Gabe" vgl. z.B. Lagrange, Romains 14; Cranfield, Romans I 79; Schlier, Römerbrief 38; Conzelmann, Art. χάρισμα 395. 103 Zeller, Juden und Heiden 53. 104 Vgl. z.B. Wilckens: Die Kennzeichnung des χάρισμα als πνευματικόν dient „dem Zweck, sich hier zunächst als Pneumatiker einzuführen" (Römer I 79 Anm. 82); Käsemann: Wahrscheinlich drückt πνευματικόν eine Reduktion der „Weite charismatischer Wirkungen auf den mit der Predigt gegebenen Segen" aus (Römer 16); Conzelmann: „χάρισμα ist hier allgemein das, was mit der πίστις gegeben ist, nämlich seine [erg.: Paulus'] Predigt" (Art. χάρισμα 395). 99

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nete Verfasser seinen Adressaten mitteilen will, dürfte mit seinem πνεύμα, in dem er seinen Dienst am Evangelium vollzieht, zu tun haben. D.h.: Beim ersehnten Besuch will der Adressant Anteil geben an dem ihn bestimmenden und an die Verkündigung bindenden πνεύμα 1 0 5 . Solche Mitteilung läuft dann auf eine „Stärkung" der Adressaten hinaus. Da also schon V. 11 vom Gedanken der Gemeinsamkeit zwischen Verfasser und Adressaten ausgeht (μεταδίδωμι), stellt V. 12 nicht eigentlich eine Korrektur 106 dar, sondern führt den zum στηριχθήναι der Adressaten komplementären, mehr verfasserbezogenen Aspekt ein: Die Mitteilung von „geistlicher Gabe" an die Adressaten bedeutet für den Verfasser ein „Mitgetröstetwerden". Inwiefern es sich so verhält, liegt dann auf der Hand, wenn das Anteilgeben an „geistlicher Gabe" auf die Mitteilung des den Verfasser in seinem Verkündigungsdienst bestimmenden πνεύμα zielt und wenn außerdem die damit bezweckte „Stärkung" für diejenigen erwartet wird, von deren Glauben ein Verkündigungseffekt behauptet worden ist (V. 8b). 1,12 reiht den Verfasser direkt unter die Adressaten ein (έν ύμΐν), und zwar auf der Grundlage ihres und seines Glaubens, dessen wechselseitiges Wirken am Ende des ersten Teils des Proömiums stark hervorgehoben wird. 1,13-15: Dem ersten Proömiumsteil gegenüber, der in seinen Aussagen über Adressaten und Verfasser (l,8b.9b) und in seinem Ausblick auf den vom Verfasser für einen möglichst nahen, künftigen Zeitpunkt ersehnten Besuch (1,11 f.) den Akzent auf das Miteinander von beiden legt, setzt V. 13 neu an. Anders als in V. 11 geht es nun nicht um den zum Zeitpunkt des Schreibens ersehnten Besuch und dessen Zweck, sondern um ein in der Vergangenheit mehrfach geplantes, aber „bis jetzt" verhindertes Vorhaben. In dessen Zweckbestimmung (ίνα τινά καρπόν σχώ και έν ύμΐν καθώς και έν τοις λοιποΐς εθνεσιν) ist den Adressaten ein anderer, wenngleich nicht ganz genau bestimmter, Platz zugewiesen; jedenfalls stehen sie nun dem Verfasser gegenüber und an der Seite seiner „Missionsobjekte" 107 . Die mit den früheren Besuchsplänen verbundene Absicht wird durchaus nicht als gegenwärtig - also

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Zeller meint: Daß die pneumatische Gabe „in irgendeiner Weise mit der Verkündigung des Ev zu tun hat, läßt sich höchstens erahnen" (Juden und Heiden 53). Wenn man von einem Zusammenhang des durch den Verfasser vermittelten χ ά ρ ι σ μ α πνευματικόν und „meinem" π ν ε ύ μ α (1,9b) ausgeht, braucht man wohl nicht ganz so vorsichtig zu formulieren. '06 So z.B. Schlier, Römerbrief 38f.; Zeller, Juden und Heiden 53; Käsemann, Römer 16. 107 Natürlich läßt die Formulierung mit έν („bei", „unter") Spielraum. Die Adressaten sind nicht als „Missionsobjekte" bezeichnet; das ändert aber nichts an ihrer im Vergleich zu 1,11 f. veränderten Rolle. In der Zusammenstellung mit den „übrigen Heiden" stehen sie dem Verfasser gegenüber, der bei oder unter ihnen einen „Ertrag" erreichen will, κ α ρ π ό ς meint hier das Ergebnis von missionarischem Wirken; das entspricht der Verwendung des Wortes in Phil 1,22 (vgl. Michel, Römer 84; Klein, Abfassungszweck 140f. Anm. 54; Wilckens, Römer I 79). τις drückt ähnlich wie bei τ ι . . . χ ά ρ ι σ μ α ... πνευματικόν in V. 11 - Unbestimmtheit aus.

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zum Zeitpunkt des Schreibens - überholt gekennzeichnet, sie konnte vielmehr, wie der Besuch selbst, „bis jetzt" nicht zum Zuge kommen108. Die Zuordnung der Adressaten zu den λοιπά εθνη wird in der Forschung beinahe durchgehend aufgefaßt als eine Zuordnung zu jenen Heiden, auf deren Gewinnung der Adressant schon zurückblickt: „Bei den übrigen Heidenvölkern hat er durch das Evangelium Frucht davongetragen und Gemeinden gegründet. So will er auch έν ύμΐν, 'bei euch', ... Christen durch das Evangelium gewinnen"109. Diese Auffassung mag grammatisch möglich sein; καθώς και έν τοις λοιποΐς εθνεσιν wäre dann ein verkürzter Nebensatz, in dem καρπόν εσχον zu ergänzen ist110. Näherliegend erscheint es demgegenüber, beide Angaben - και έν ύμΐν und καθώς και έν τοις λοιποΐς εθνεσιν - als in gleicher Weise von ϊνα τινά καρπόν σχώ abhängig anzunehmen111. Zu übersetzen wäre dann: „daß ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen aber gehindert wurde bis jetzt - damit ich einen gewissen Ertrag hätte, sowohl unter euch wie auch unter den übrigen Heiden"112. Diese Auffassung hat folgende Konsequenz: Die auf einen gewissen Ertrag bedachte, schon mehrfach geplante Tätigkeit bei den Adressaten ist zusammengesehen mit der Tätigkeit des Verfassers im prospektiven Missionsbereich113. V. 14 bestätigt diese auf die „übrigen Heiden" vorausweisende Perspektive von V. 13d. Die wiederum (nach V. 9b) auf den Verfasser allein - unabhängig von seiner Beziehung zu den Adressaten - bezogene Aussage zeigt diesen als „Schuldner" der nicht-jüdischen Menschheit gegenüber; dabei wird durch die nach sprachlichem und kulturellem Aspekt gegliederte Umschreibung (Griechen - Barbaren; Weise - Unverständige)114 das Moment der Gesamtheit her108 Anders Kettunen, für den ύμΐν in V. 13 auf die Adressaten „vor ihrer Bekehrung zum christlichen Glauben" hinweist (Abfassungszweck 119). 109 Schlier, Römerbrief 40; vgl. z.B. Lietzmann, Römer 29; Dahl, Missionary Theology 78; Wilckens, Römer 179; Elliott, Rhetoric 81.83; Jervis, Purpose 104; Weima, Preaching 350. 110 Vgl. Zahn (Römer 66), der diese Möglichkeit allerdings ausschließen möchte zugunsten des - m.E. sehr unwahrscheinlichen - Vorschlags, nach dem der καθώς-Satz bis einschließlich V. 14 reicht (ebd. 67). 111 Zahns Argument (Römer 66) gegen diese Möglichkeit ist kaum durchschlagend: Warum sollte ein „in manchem έθνος" schon erreichter Erfolg (ebd.) gegen eine Zusammenstellung von Adressaten und „übrigen Heiden" unter dem Aspekt des angestrebten Erfolgs sprechen? 112 Die Formulierung mit καί ... καθώς καί ... ist ungewöhnlich: Innerhalb des Neuen Testaments scheint mir eine Entsprechung nur in IThess 2,14 vorzuliegen; durch das doppelte καί werden dort ύμεΐς und αύτοί zusammengeordnet (vgl. Holtz, IThess 101 Anm. 461), ähnlich wie in Rom 1,13 die Angaben έν ύμΐν und έν τοις λοιποΐς εθνεσιν. 113 Zur Auffassung von Mason, der ebenfalls gegen die Annahme eines in έν τοις λοιττοϊς εθνεσιν enthaltenen Rückblicks entscheidet (First Readers 270), s. o. S. 105. 114 Daß die durch die beiden Gegensatzpaare umschriebene Gesamtheit die der Heiden (und nicht die der gesamten Menschheit) meint, steht wegen des Anschlusses an V. 13 fest (vgl. Cranfield, Romans I 83; vgl. auch Windisch, der auf l,5f. verweist: „'Έλληνες και βάρβαροι, ist also = πάντα τά εθνη" [Art. βάρβαρος 549]). Ob sich beide Gegensatzpaare auf dieselben oder auf unterschiedliche Gruppen beziehen, ist schwerer zu entscheiden, für den Argumentationsverlauf

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vorgehoben. Diese Hervorhebung der Gesamtheit lenkt den Blick indirekt natürlich auf den Teil, in dem der Verfasser seiner Verpflichtung noch nachkommen muß, und nicht etwa auf den Teil, in dem er ihr schon nachgekommen ist 115 . V. 14 stimmt also in dem nach vorn gerichteten Blickwinkel mit dem Ausblick auf die „übrigen Heiden" in V. 13d überein. Daraus ergibt sich: In der Absichtsangabe von V. 13 haben die Adressaten ihren Platz im Rahmen eines schon länger gefaßten, bislang nicht ausführbaren und sie weit übergreifenden Missionsplans des Verfassers. Die Reichweite dieses Plans entspricht der grundsätzlichen Verpflichtung des Verfassers, der mit seiner Verkündigung an die gesamte nicht-jüdische Menschheit gewiesen ist. V. 15 lenkt von der grundsätzlich formulierten Aussage über die umfassende Verpflichtung des Adressanten zurück auf eine ebenso grundsätzlich formulierte Aussage über seine Bereitschaft zur Evangeliumsverkündigung „auch euch" gegenüber. Ähnlich wie in V. 13d stehen die Adressaten hier also an der Seite der Heiden im Gegenüber zum Verfasser. Eindeutiger als V. 13d hebt V. 15 aber die Adressaten hervor als solche, an denen (und nicht nur unter oder bei denen) der Verfasser zu wirken bereit ist, und ebenfalls eindeutiger als V. 13d macht V. 15 das εύαγγελίσασθαι als gegenwärtig gültige Wirkabsicht 116 auf die Adressaten geltend. Allerdings läßt V. 15 bzw. der Zusammenhang von V. 14 und V. 15 noch eine Frage offen: Wird die umfassende Verpflichtung des Verfassers der nicht-jüdischen Menschheit gegenüber ausschließlich als Grund für seine Bereitschaft zur Evangeliumsverkündigung auch den Adressaten gegenüber angeführt, oder benennt die umfassende Verpflichtung darüber hinaus den Zusammenhang, in dem das εύαγγελίσασθαι an den Adressaten zu sehen ist? Wenn man die Zweckangabe in V. 13d im oben vorgeschlagenen Sinn versteht, dann spricht der Argumentationsverlauf in V. 13-15 deutlich für die zweite Möglichkeit: Die „Griechen und Barbaren", „Weisen und Unverständigen" gegenüber bestehende Verpflichtung stellt die Grundlage für die daraus abgeleitete Bereitschaft 117 zur Evangeliumsverkündigung „auch" an die Adressaten dar; darüber hinaus deutet aber die Erwähnung der der gesamten

aber auch nicht besonders wichtig. Plausibler erscheint mir die erstere Möglichkeit: Durch „Griechen und Barbaren" wäre dann die Unterscheidung zwischen Griechisch sprechenden und fremdsprachigen Menschen ausgedrückt (zu dieser Bedeutung von β ά ρ β α ρ ο ς , in der das Wort auch IKor 14,11 verwendet wird, s. Windisch, Art. β ά ρ β α ρ ο ς 545.549), „Weise und Unverständige" ist dann Apposition zum ersten Gegensatzpaar und fügt dem Sprach- den Bildungsaspekt hinzu (vgl. ähnlich Windisch, ebd. 549). 115 Insofern ist die Auffassung von Elliott, für den V. 14 das Hindernis benennen will, das dem geplanten Rombesuch entgegenstand (Rhetoric 81), nicht überzeugend. H6 Gegen die Interpretation von 1,15 als einer Vergangenheitsaussage s. o. S. 88f. Anm. 19. 117

Vgl. Cranfield, Romans I 85: οΰτως leitet die Aussage von V. 15 als Konsequenz des in V. 14 festgestellten Sachverhalts ein. „Dies Verpflichtetsein ... schafft die Bereitwilligkeit" (Michel, Römer 85). - Zur Verwendung der Ausdrücke προθυμία, ττρόθυμον, π ρ ο θ ύ μ ω ς in Zusammenhängen, in denen es um die Ausführung von Funktionen, von Verpflichtungen geht, s. Spicq, Notes II 750 mit Anm. 5.

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Heidenwelt geltenden Verpflichtung des Verfassers zugleich den umfassenden Horizont seiner Evangeliumsverkündigung an die Adressaten an, die im folgenden Text beginnt. Wiederum läßt sich im Rückblick auf die Textanalyse und die Hypothese zur Autorintention eine Brücke zwischen beidem schlagen 118 . Wenn Paulus die römischen Christen durch sein Schreiben zu einer potentiell selbständig missionsfähigen Gemeinde machen, sie zur Weiterverbreitung seiner Evangeliumsverkündigung befähigen wollte, dann erklären sich die beiden unterschiedlichen „Platzanweisungen" für die Adressaten im zweiteiligen Proömium - an der Empfänger- und an der Trägerseite der Verkündigung des Adressanten auch in ihrem Zusammenhang. Das, was in der Konzeption des Autors gleichsam zwischen den beiden „Plätzen" vermittelt, weil es aus Verkündigungsempfängern Verkündigungsträger macht, ist das Schreiben selbst. In 1,8-12 sind die Adressaten eher an der Träger- denn an der Empfängerseite der Verkündigung eingeordnet. D.h. unter dem Aspekt der Hypothese zur Autorintention: Paulus spricht die römischen Christen an als die, die sie nach seiner Absicht durch das Schreiben werden sollen. Das gilt schon für den einleitenden Dank, der hyperbolisch die Ausstrahlungskraft ihres Glaubens rühmt, genauso aber für den den Gemeinschaftsaspekt hervorhebenden Ausblick auf den Besuch, den Paulus tatsächlich ersehnt (wenngleich kaum für wahrscheinlich gehalten) haben wird. Im Hinblick auf diesen künftigen Besuch wird die positive Wirkung des aktuellen Kommunikationsakts, also des Briefs, 118 Die Darstellung von Adressant und Adressaten im Proömium ist in der Forschung häufig im Zusammenhang mit der jeweiligen Auffassung zum Abfassungszweck des Autors geltend gemacht worden. Für Klein ist die Argumentation in 1,11-15 auf der Seite des Adressanten durch einen „Wechsel zwischen Verzicht und Inanspruchnahme von Autorität" gekennzeichnet (Abfassungszweck 140) und auf der Seite der Adressaten durch eine Darstellung, die sie „einmal wie christliche Brüder, dann wie Missionsobjekte erscheinen läßt" (ebd. 141). Die Zwiespältigkeit erwächst für Klein aus der „analogielosen" Situation des Rom, in der Paulus „mit Adressaten zu tun hat, deren Glaube zwar außer Frage steht, der apostolischen Signatur aber noch entbehrt" (ebd.). Wilckens stimmt zwar hinsichtlich der das Proömium kennzeichnenden „Spannung" zu (Römer I 79), er betont aber das Moment des Autoritätsverzichts bzw. des Respekts des Adressanten vor der „Selbständigkeit der von ihm nicht gegründeten Gemeinde" (ebd. 80). Für ihn „bekommt der gewundene Gedankengang nur Sinn, wenn Paulus mit erheblichen Reserven gegen ihn in Rom rechnen muß" (ebd. 80 Anm. 87). Gegenläufig zu Wilckens betont Jervis das Moment des Autoritätsanspruchs, das ihrer Meinung nach nicht in Spannung steht zum Respekt vor dem Glauben der Adressaten (Purpose 108f.). Paulus will von den römischen Adressaten als ihr Apostel, und d.h. als „authority over them in matters of faith", akzeptiert werden (ebd. 159). - Gegen alle drei (exemplarisch herausgegriffenen) Vorschläge ist festzuhalten: 1,15, also die Aussage, in der eine Inanspruchnahme von Autorität den Adressaten gegenüber am deutlichsten zum Zuge kommt, bezieht sich auf den im Schreiben selbst vollzogenen Kommunikationsakt (vgl. dazu o. S. 88). Anders bezieht sich 1,11 f. - also die Aussage, die am deutlichsten den Gedanken der Gemeinschaft zwischen Adressant und Adressaten hervorhebt - auf einen zukünftigen Kommunikationsakt, dem die Rezeption des Schreibens vorausliegt. M.E. spielt der Bezug auf die unterschiedlichen Kommunikationsakte eine wichtige Rolle für die Erfassung der Darstellung von Adressant und Adressaten im Text und deren Zusammenhang mit der Autorintention.

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schon vorausgesetzt. Unter dieser Voraussetzung konnte es bei der (unsicheren, aber doch erhofften) Fortsetzung des Kontakts für Paulus tatsächlich nur noch darum gehen, die römischen Christen noch fester in seinen Dienst am Evangelium einzubinden, ihnen also ein gewisses χάρισμα πνευματικόν mitzuteilen, damit Anteil zu geben an dem πνεύμα, in dem er seinem Verkündigungsauftrag nachkommt, und aus solcher „Stärkung" der römischen Christen - die eine Stärkung in der dann gemeinsamen Sache bedeutet - selbst Trost zu erfahren. Wenn die Adressaten anders als in 1,8-12 in 1,13-15 zunächst in einer nicht ganz bestimmten Weise an die Seite der Verkündigungsempfänger gestellt (1,13d) und schließlich direkt als solche dargestellt sind (1,15), dann deshalb, weil Paulus hier nicht mehr ausblickt auf einen künftigen Kommunikationsakt, sondern hinführt zum aktuellen schriftlichen Kommunikationsakt, in dem er sich mit seiner Evangeliumsverkündigung an die römischen Christen richtet. Bei dieser Hinführung wird signalisiert, daß die paulinische Initiative den römischen Christen gegenüber in den Zusammenhang seines sie weit übergreifenden und in der Ausdehnung auf die Gesamtheit der Heiden seiner Verpflichtung entsprechenden Missionskonzepts gehört. Daraufhin gewinnt die Vermutung mancher Ausleger 119 , in der für Paulus ungewöhnlichen Aufgliederung der nicht-jüdischen Menschheit (1,14) stehe bei der Erwähnung der βάρβαροι der Gedanke des Autors an den Spanien-Plan im Hintergrund, erheblich an Plausibilität 120 . 3.1.5

ll,13f.

Die an die Adressaten als Heidenchristen gerichtete Auskunft des Heidenapostels über seinen Dienst wirkt - auch abgesehen von den nur hier verwendeten Bezeichnungen έθνών απόστολος und έθνη für Verfasser bzw. Adressaten überraschend: Innerhalb des Briefcorpus ist ll,13f. die einzige Aussage, die den Dienst des Verfassers explizit thematisiert, was zudem in einer durch einen metakommunikativen Einleitungssatz (11,13a) hervorgehobenen Weise geschieht. Zum Verständnis der Funktion dieser „dienstlichen" Auskunft erscheint ein Blick auf den engeren Kontext sinnvoll. Als engerer Kontext läßt sich 11,11-

119 Vgl. Windisch, Art. β ά ρ β α ρ ο ς 549f.; Thornton, Intentions 120; Balz, Art. β ά ρ β α ρ ο ς 474; vgl. auch Eichholz, Horizont 25; Cranfield, Romans 184; Pedersen, Überlegungen 66. 120 Um der Klarheit willen sei festgehalten: Man wird nicht behaupten können, Paulus habe seinen Adressaten in 1,14 eine Andeutung seines Spanien-Plans geben wollen (in diese Richtung bewegen sich wohl die Erwägungen von Pedersen [Überlegungen 66]). Wohl aber wird man vermuten können, daß er die Umschreibung Έ λ λ η ν ε ς τε και β ά ρ β α ρ ο ι aufgreift, weil ihm selbst der Gedanke an den den griechischen Sprachbereich überschreitenden Spanien-Plan bei der Abfassung des Rom von Anfang an präsent ist (und nicht, weil ihm schon an dieser Stelle an der Mitteilung dieses Gedankens läge).

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15 auffassen: Zwar setzt einerseits die den dialogischen Teil 11,13-32 einleitende Wendung ύμΐν δέ λέγω τοις έθνεσιν (V. 13a) neu an121. Andererseits sind aber die in ihrer Struktur übereinstimmenden Schlußfolgerungssätze in V. 12 und V. 15 deutlich aufeinander bezogen122. Die erste dieser Schlußfolgerungen beginnt mit einem aus V. IIb aufgegriffenen Gedanken (τό παράπτωμα αυτών). V. 1 lb.c bietet das positive Gegenstück zur negierten rhetorischen Einleitungsfrage von V. IIa. D.h.: Unter dem Aspekt des Argumentationsinhalts bildet V. 11-15 eine Teileinheit, auch wenn V. 13a den Beginn einer stärker dialogisch gehaltenen Argumentationsweise anzeigt, die sich bis hin zu 11,32 fortsetzt123. 11,11a setzt ein mit einer formal und in ihrer auf Israels „Anstoßen"124 bezogenen Thematik an 11,1 anklingenden Frage, in der es allerdings spezieller als in 11,1 um den Zweck dieses Geschehens geht. Der erwogenen und sogleich verneinten Möglichkeit (ίνα πέσωσιν) stellt V. llb.c die Behauptung gegenüber, das durch Israels παράπτωμα zu den Heiden gelangte Heil solle auf Israel selbst zurückwirken: εις τό παραζηλώσαχ αυτούς 125 . V. 12 setzt diesen Gedanken nicht geradlinig fort, sondern stellt eine Schlußfolgerung auf, die in doppelter Hinsicht auf V. 11 basiert: Die Protasis (V. 12a) greift den in V. 11 enthaltenen Gedanken eines durch Israels παράπτωμα bewirkten heidnischen Heilsgewinns heraus; die Apodosis (V. 12b) setzt die in V. 11 angesprochene Rückwirkung des Heils der Heiden auf Israel voraus. Wenn denn schon das negative Verhältnis Israels zum Heil (παράπτωμα αυτών, ηττημα αύτών) Gewinn für die Heiden erbringt (πλούτος κόσμου, πλούτος έθνών), wieviel mehr bewirkt dann ihr (vom Heil erreichtes) πλήρωμα 126 . Der Text 121 Die letzte vorangehende Anrede der Adressaten findet sich in 11,2. η ούκ οϊδατε ist dort aber lediglich Einleitung der folgenden Frage. 122 Vgl. z.B. Zeller, Juden und Heiden 240; Rese, Rettung 428. Meist werden 11,12.15 als typisch rabbinische Qal-Wahomer-Schlüsse eingeordnet; vgl. dazu kritisch Siegert, Argumentation 191f. 123 Eingelagert in das vom direkten Gespräch mit den Adressaten bestimmte Stück 11,13-32 ist der an ein Typus-Du gerichtete Passus 11,17-24. 11,25a (ού γάρ θέλω ύμάς άγνοεΐν, αδελφοί, τό μυστήριον τούτο) stellt die direkte Kommunikation mit den Adressaten wieder her. 124 Die Formulierung ist ungenau, weil als Subjekt zu επταισαν nur die nicht-christlichen Juden in Frage kommen, die in 11,7 als „die übrigen" von der „Auswahl" unterschieden werden; αύτών und αύτοΰς in V. 11 und das zweimalige αύτών in V. 12a beziehen sich auf das Subjekt zu επταισαν zurück. Andererseits läßt sich αύτών in V. 12b eigentlich nur auf alle Juden beziehen (vgl. Lagrange, Romains 276), obwohl dieser Wechsel im Gebrauch des Pronomens nicht eigens kenntlich gemacht wird. Für die Argumentation von 11,1 Iff. spielt folglich der zuvor in 11,1-10 wichtige Gedanke an den „Rest", der nicht „angestoßen" ist, keine entscheidende Rolle mehr. 125 Weil V. 1 lb.c den Gegensatz formuliert zu der in V. IIa verneinten Möglichkeit (Ιπτοισαν ίνα ιτέσωσιν), bekommt das aus 10,19 (Zitat von LXX Dtn 32,21) aufgegriffene παραζηλώσαι hier positiven Sinn (vgl. Siegert, Argumentation 166). 126 Die Apodosis in V. 12b enthält kein Prädikat. Es liegt nahe, dieses fehlende Prädikat aus V. 12a zu ergänzen; vgl. Käsemann, Römer 295; vgl. auch die Übersetzung: „Ist aber ihr Fall (himmlischer) Reichtum für die Welt und ihr Versagen Reichtum für die Heiden, um wieviel gewisser

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

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will an dieser Stelle also nicht erläutern oder versichern, daß es zu dieser Vollzahl127 Israels kommt128, und erst recht keine Auskunft über den Zeitpunkt geben. Über das Zustandekommen des πλήρωμα kann man lediglich V. 1 lb.c entnehmen, daß es mit dem Heil der Heiden zusammenhängt (παραζηλώσαι). Dabei läßt sich die „Eifersucht" nicht als Beschreibung eines historischen Vorgangs verstehen129, sondern ist wohl eher als eine vom proleptisch eingenommenen Standpunkt der als sicher vorausgesetzten Annahme Israels aus rückblickende Deutung des Geschehens zu begreifen, das zum πλήρωμα Israels führt. Insgesamt zielt die Schlußfolgerung in V. 12 jedenfalls auf die Heidenchristen und ihren Nutzen aus Israels Geschick 130 , der durch die positive Wende dieses Geschicks nur Steigerung erfährt. Im Anschluß daran ist deutlich, in welche Rolle die Adressaten durch die Anrede als Heiden in V. 13a eingewiesen werden: Sie stehen hier eindeutig nicht an der Seite der „Missionsobjekte" des απόστολος έθνών, sondern re(wird) ihre völlige Annahme (es sein)" (ebd. 293; vgl. ähnlich Theobald, Römerbrief I 297). D.h. inhaltlich: Israels π λ ή ρ ω μ α wird keine Wirkung zugeschrieben, die sich vom „Reichtum der Welt" bzw. vom „Reichtum der Heiden" (V. 12a) qualitativ unterschiede. Anders meint z.B. Donaldson (Riehes 93), die unvollständig ausgedrückte Schlußfolgerung von V. 12 sei von V. 15 her (ζωή έκ νεκρών) zu ergänzen. Im Rahmen von Donaldsons Erklärungsansatz von 11,11 f. 15 hat diese Ergänzung entscheidendes Gewicht: Er bezieht die ζωή έκ νεκρών auf die der Parusie unmittelbar vorangehende Totenauferweckung; Israels π λ ή ρ ω μ α bewirkt also das Ende der Zeitspanne, innerhalb derer den Heiden die Rettung durch die Mission eröffnet ist (ebd.). Entsprechend ist Israels π α ρ ά π τ ω μ α bzw. ή τ τ η μ α dann die Ermöglichung einer solchen Zeitspanne, in der die Heiden zum Heil gelangen können, und darum π λ ο ύ τ ο ς κόσμου bzw. έθνών. Die 11,1 If. 15 zugrundeliegende Logik ist „the temporal logic of delay. Israel's failure to respond the gospel makes possible the 'riches for the Gentiles' by opening up not some space but some time" (ebd. 94). - Der Vorschlag enthält - abgesehen von der Ergänzung von V. 12b durch den folgenden Kontext - vor allem folgende Schwierigkeiten: 1. Innerhalb von V. 11-15 ist an keiner Stelle eindeutig von Parusie die Rede. 2. Der in V. 13f. ausgedrückte Gedanke einer begrenzten Auswirkung der Heidenmission auf Israel ist im Rahmen von Donaldsons Vorschlag kaum einzuordnen. 3. Vor allem: Die nach Donaldson von einer zeitlichen Logik getragenen Aussagen sind eigentümlich zeitlos formuliert. V. 1 lb.12.15 enthalten kein einziges finites Verb. 127 Zu dieser weithin akzeptierten Bedeutung von π λ ή ρ ω μ α vgl. z.B. Cranfield, Romans II 557f.; Wilckens, Römer II 243. 128 Anders z.B. Stuhlmacher, für den V. 12 (und V. 15) zeigen will, „daß die Annahme der Vollzahl aller Israeliten durch Gott erwartet werden darf, und zwar als endzeitliches Erlösungsgeschehen" (Römer 150). Auch für Klumbies geht es in V. 12 und V. 15 darum, die „Hoffnung, daß auch Israel der Rettung teilhaftig wird", auszudrücken (Rede 229). 129 v g l . dazu Conzelmann, Grundriß 279. 130 Diesen für das Verständnis von V. 13f. entscheidenden Punkt hat Lübking klar herausgestellt: „Die Schlußfolgerung bleibt am Gewinn der Heiden durch Israels Geschick orientiert" (Paulus 110; vgl. auch Aletti, Dieu 181 Anm. 2). Insofern läßt sich V. 12 nicht einfach als Entfaltung, Vertiefung oder Ausgestaltung der Behauptung in V. 1 lb.c auffassen (zu Rese, Rettung 428; Siegert, Argumentation 166); vielmehr ist „mit V. 12 eine neue Wendung des Gedankens eingetreten ..., auf welche die Worte εις τό π α ρ α ζ η λ ώ σ α ι α υ τ ο ύ ς vorbereitet haben" (Holsten, Gedankengang 702). Nach V. 11 zielt das Heil der Heiden auf die Juden; V. 12 stellt das Gleichgewicht wieder her, „en montrant que la conversion des Juifs aura eile aussi de bons resultats pour les autres" (Lagrange, Romains 276).

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präsentativ für die Heidenchristen131, von denen zuvor in der 3. Person Plural, also im Gegenüber zu den nicht-christlichen Juden132, die Rede war. Wegen der Stoßrichtung von V. 12 ist zugleich klar: Die Adressaten sind in V. 13 angesprochen als Nutznießer aus dem gegenwärtigen und erst recht aus dem künftigen Geschick Israels. Schwieriger ist die Rolle des Adressanten zu bestimmen, der „nicht im exklusiven, aber im spezifischen Sinn"133 als Heidenapostel dargestellt, also von Judenaposteln unterschieden wird134. Die Schwierigkeit hängt an der eigentümlichen Verbindung zwischen Heidenapostolat und dem Interesse an der Gewinnung von Juden: έφ' δσον μεν ουν ειμί έγώ εθνών απόστολος, την διακονίαν μου δοξάζω, ε'ί πως παραζηλώσω μου την σάρκα και σώσω τινάς έξ αύτών (V. 13b.14). Konkret stellt sich die Frage, ob nun plötzlich anders als in Präskript und Proömium - der Verfasser als „Apostel der Heiden um Israels willen"135 auftritt, so daß folgender Kommentar die von ihm an dieser Stelle eingenommene Rolle 136 treffend kennzeichnen würde: „Although 131 Masons Vorschlag (First Readers 273f.; s. dazu o. S. 107), der das τοις εθνεσιν in der Anrede von V. 13a vom vorangehenden Kontext her interpretiert, hat darin also ein zutreffendes Moment, wenngleich seine These, nach der sich die Anrede nicht an die Adressaten des Briefs richtet (vgl. ähnlich auch Schmithals, Römerbrief 394), einen willkürlichen Eindruck macht. 132 Auch dieser Anschluß von V. 13 an den unmittelbar vorangehenden Kontext spricht gegen die Annahme einer dem heidenchristlichen Teil der Adressaten geltenden Anrede. Eine solche Teilanrede impliziert die Unterscheidung von einem judenchristlichen Teil der Adressatenschaft. Diese Unterscheidung ist in 11,1 lf., wo die εκλογή aus 11,7 nicht vorkommt, aber nicht angelegt. 133

Zeller, Mission 175. 134 v g l . Holsten, Gedankengang 703. Anders sieht Käsemann eine Unterscheidung zu andern Heidenaposteln angedeutet; von diesen trennt „die universale Weite des Auftrags, kraft deren sich Pls 'Apostel der Heiden' nennt" (Römer 296). Daß das titelartige εθνών α π ό σ τ ο λ ο ς von sich aus die Ausdehnung des Auftragsbereichs hervorhebt, scheint mir nicht zuzutreffen; andererseits hat Käsemann aber sicher recht, wenn er einen Rückgriff auf 1,5.13 vermutet (ebd.), wo diese Ausdehnung eindeutig betont ist. 135

Stuhlmacher, Römer 151. Diese - möglicherweise penetrant erscheinende - Erinnerung an die hier leitende Frage nach der Darstellung des Verfassers im Text, also nach einem Moment der Textstrategie, soll die Differenz festhalten zu der anderen Frage nach dem Selbstverständnis des Autors Paulus bzw. nach seinem Verhältnis zu Israel, die in der Auslegung von l l , 1 3 f . (im Kontext) in aller Regel dominiert und deren Behandlung methodisch andersartige Erwägungen erforderlich macht, als sie im Zusammenhang dieser Arbeit angestellt werden. Am Beispiel der bekannten und wirkungsgeschichtlich besonders wichtigen Position von Käsemann: Er vermutet hinter dem Text von 11,1115 ein Selbstverständnis des Paulus, nach dem sich dieser als eine zentrale Gestalt der Endzeit, als „Vorläufer der Parusie" (Römer 297) sah. Paulus wollte die „Fülle der Heiden" erreichen und auf diese Weise die „Eifersucht" als Voraussetzung für die Bekehrung ganz Israels erzeugen, die ihrerseits am Ende der Geschichte steht (ebd. 296f.). „Es genügt Paulus nicht, Apostel der Heidenwelt zu sein" (ebd. 297); er hat sich darüber hinaus „als Vollstrecker des gottgewollten Ausganges der Heilsgeschichte betrachtet" (ebd.). Für diese Rekonstruktion ist 11,11-15 zwar die primäre, aber keineswegs die einzige Quelle. Wichtige Faktoren des rekonstruierten Gesamtbildes ergeben sich etwa aus 11,25 (die Rettung ganz Israels in der Folge des Eingehens der „Fülle der Heiden") sowie aus der Annahme, Paulus habe „in unvorstellbarer Eile" (ebd. 296), also vor der nahe erwarteten Parusie, seine Mission durchzuführen versucht. - Methodisch ist gegen dieses 136

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Paul's ministry primarily concerns itself with the salvation of Gentiles, he insists that there is a deeper motivation in his mission: the salvation of Israel"»'. Mehrere Punkte sprechen gegen die Annahme, daß die „dienstliche" Bemerkung in ll,13f. auf ein solches, die Heidenmission letztlich funktionalisierendes Verständnis abhebt. 1. εΐ πως ist nicht Einleitung einer Zweckangabe 138 , sondern einer Erwartung i.S. eines Hintergedankens139, der sich mit der vom Verfasser eingenommenen Haltung zu seinem Dienst (την διακονίαν μου δοξάζω) 140 verbindet141. 2. Der Inhalt dieser Erwartung knüpft zwar mit dem ersten Teil (παραξηλώσω μου την σάρκα) an V. 11c (εις τό παραζηλώσαι αύτούς) an, d.h. das vom Verfasser erwartete und erhoffte „Eifersüchtigmachen" seines Volkes entspricht der von Gott 142 intendierten Rückwirkung des durch Israels Anstoßen zu den Heiden gelangten Heils auf dieses selbst. Andererseits ist das „Eifersüchtigmachen" aber nicht ohne weiteres gleichbedeutend mit „Retten"; vielmehr erscheint die Eifersucht, die der Verfasser bei seinem Volk allgemein als Reaktion auf seine Heidenmission erwartet und erhofft, wie eine notwendige Bedingung für die Rettung „einiger von ihnen". Im engeren Kontext wirkt diese auf „einige" begrenzte Rettung wie ein Schritt in Richtung auf das πλήρωμα Israels (V. 12) bzw. auf die πρόσλημψις (V. 15) 143 oder -

unterschiedliche Textpassagen kombinierende und mit historischen Annahmen verbindende Verfahren nichts einzuwenden (zur inhaltlichen Auseinandersetzung s. Lübking, Paulus 120-122), solange denn deutlich ist, daß es primär der Frage nach dem Autor Paulus dient. Im Rahmen dieser Frage ist für die andersartige Frage nach der Rolle des Verfassers im Text wenig Platz. (Wenn Käsemann in bezug auf 11,14 von „einer diplomatischen Vorsicht" spricht, „welche die Karten noch nicht offen auf den Tisch legt" [ebd. 296], dann handelt es sich eher um eine nur beiläufige Erklärung dafür, daß der Text nicht das sagt, was sein Autor nach Käsemanns Auffassung eigentlich denkt, und weniger um eine positive Bestimmung des innertextuellen Verfassers in seinem Verhältnis zum [rekonstruierten] Denken des Autors.) Umgekehrt ist im Rahmen der hier leitenden Fragestellung natürlich auch wenig Platz für die Frage nach dem Selbstverständnis des Autors und entsprechend für die Auseinandersetzung mit Forschungsbeiträgen, die an dieser Leitfrage orientiert sind. 137 Fitzmyer, Romans 612; in ähnlicher Richtung vgl. z.B. Lietzmann, Römer 103; Rese, Rettung 428; Räisänen, Israel 187; ders., Analyse 2913; Watson, Paul 173. Dabei ist allerdings der in der vorigen Anmerkung geltend gemachte Vorbehalt zu berücksichtigen: Das Urteil der genannten Exegeten bezieht sich auf den Autor Paulus. 138

In diesem Sinn wird ll,13f. z.B. bei Dahl (Future 150) paraphrasiert. 139 Vgl. Lagrange, Romains 277. 140 Zu δοξάζειν in diesem Zusammenhang s. Zeller (Juden und Heiden 276 Anm. 143), der mit „seinem Amt alle Ehre machen" übersetzt (ebd.). 141

Vgl. Bl/Debr/Rehk § 375 Anm. 3. εις τό (V. 1 lc) weist auf eine Absicht hin, und dabei kann es sich nur um die Absicht Gottes als des Gebers der σωτηρία handeln, die in V. 1 lb Subjekt ist. 143 vgl. Lagrange: „Ne voyant pas que le salut de tous soit proche, Paul espere en sauver par ce moyen du moins quelques-uns; ce sera toujours un pas vers le resultat final" (Romains 277). Zutreffend weist Lübking darauf hin, daß der Gedanke an das Heil ganz Israels im engeren Kontext die Einschränkung auf „einige", die als erhofftes, indirektes Ergebnis der Mission des Heiden142

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aus umgekehrter (und wegen der Abfolge von V. 13 f. auf V. 12 vielleicht angemessenerer) Perspektive - wie deren teilweise Vorwegnahme. D.h.: V. 13f. ordnet die an den Dienst des Heidenapostels gebundene Erwartung ein in den Richtungssinn der Absicht Gottes, nach der das von den Juden zu den Heiden gelangte Heil auf erstere zurückwirken soll (V. 11c), läßt aber nicht die Realisierung dieser Absicht als das vom Heidenapostel indirekt angesteuerte, eigentliche Ziel erscheinen. 3. Schließlich spricht die Einbettung von V. 13f. in die beiden thematisch und strukturell ähnlichen Schlußfolgerungen (V. 12.15) gegen die Annahme einer Funktionalisierung der Heidenmission zugunsten einer eigentlich angestrebten Rettung der Juden 144 . Die Schlußfolgerungen zielen nicht eigentlich auf das Erreichen von Israels πλήρωμα (V. 12) bzw. auf die πρόσλημψχς (V. 15)145 - beides wird als künftiges Ereignis vorausgesetzt - , sondern auf deren die Heidenchristen betreffende oder doch jedenfalls mitbetreffende Konsequenz146. Das liegt für V. 12 auf der Hand, wo es um den mehr noch als durch Israels παράπτωμα bzw. ήττημα durch Israels Vollzahl bewirkten „Reichtum der Welt" bzw. „der Heiden" geht, gilt aber genauso für V. 15, wo mit der ζωή έκ νεκρών 147 in jedem Fall ein Israel übergreifendes, universales, also die Heiden einschließendes Heilsgut148 gemeint ist. Weil V. 13f. an die erste Schlußfolgerung anschließt und durch die zweite begründet wird, liegt es nahe, die „dienstliche" Bemerkung des Heidenapostels auf derselben Linie zu interpretieren: „Gerade indem Paulus als Heidenmissionar tätig ist und auf diese Weise seine Stammesgenossen zu reizen sucht, um einige von ihnen zu retten, kommt das letztlich den Heidenchristen zugute"149. Wenn man die Aussage über den Heidenapostolat des Verfassers in V. 13f. in dieser Weise vom engeren Kontext her versteht, wird zugleich deren - durch V. 13a ohnehin hervorgehobenes - Gewicht deutlich. Die Auskunft stellt keine den umliegenden Aussagen (11,1 lf. 15) untergeordnete Zwischenbemerkung dar; weil sich diese vielmehr auf V. 13f. beziehen lassen, verhält es sich eher

apostels erwähnt werden, um so auffälliger werden läßt (Paulus 246 Anm. 814). Zur Wahrung der „Grenze zwischen seiner eigenen Aktivität und dem Wirken Gottes" vgl. auch Niebuhr, Heidenapostel 174. 144

Vgl. Lübking, Paulus 1 lOf. Das ist darum merkwürdig, weil die negierte rhetorische Frage in 11,1 l a allein Israels Geschick im Blick hat. Man könnte daher erwarten, daß die folgende Argumentation das Ziel hat, Israels künftige Rettung wahrscheinlich zu machen. Der Text fügt sich dieser Erwartung aber nicht. 145

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Vgl. Zeller, Juden und Heiden 239f. Zur Erläuterung des Ausdrucks ζωή έκ νεκρών s. mit geringfügigen Unterschieden in der Akzentsetzung Lagrange, Romains 278; Luz, Geschichtsverständnis 303f.; Zeller, Juden und Heiden 241-244; Lübking, Paulus 111. 148 Anders z.B. Schmithals, der die ζωή έκ νεκρών auf „Israels 'Auferstehung von den Toten'" bezieht (Römerbrief 398); vgl. ähnlich Fitzmyer, Romans 613. 149 Lübking, Paulus 111. 147

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

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umgekehrt 150 . In dieser Auskunft wird der Heidenapostolat des Verfassers - im Verhältnis zu Präskript und Proömium - nicht umfunktioniert i.S. eines eigentlich doch auf Israel gerichteten Auftrags, wohl aber wird er unter einen neuen Gesichtspunkt gerückt. Dieser neue Gesichtspunkt liegt in der Absicht Gottes, die Heiden und Juden umgreift und aufeinander bezieht. Weil die zu den Heiden gelangte σωτηρία nach Gottes Absicht auf die verstockte Mehrheit Israels zurückwirken soll (V. 11c), darum verhält sich das „Eifersüchtigmachen" der jüdischen Volksgenossen und die Rettung einiger von ihnen nicht sachfremd zum Dienst des Verfassers, der das in 1,16 als δύναμις θεοΰ εις σωτηρίαν definierte Evangelium unter den Heiden zu verkündigen hat. Die vom Heidenapostel nicht unmittelbar angestrebte und ihm in ihrer Realisierung auch nicht verfügbare 151 Auswirkung seines Dienstes ist vielmehr in der Absicht Gottes angelegt. In der begrenzten Auswirkung des Heidenapostolats auf Israel ereignet sich die als gewiß vorausgesetzte, künftige Ergänzung zum πλήρωμα (V. 12), die Annahme der derzeit verstockten Mehrheit (V. 15) ein Stück weit vorweg, und diese teilweise Vorwegnahme ist deshalb eine „Verherrlichung" des Heidenapostolats, weil sich auch die künftige Wende in Israels Geschick zugunsten der Heiden auswirken wird. Diese Deutung wird nun sicher nicht in der Weise einer Selbstverteidigung des Heidenapostels vorgetragen 152 , allein die ausdrückliche Wendung an die Adressaten als Heidenchristen in V. 13a spricht dagegen. Eher weist die von 11,11 f. her zu interpretierende Anrede, die die Adressaten repräsentativ in die Rolle der Nutznießer aus Israels Geschick versetzt, einen kritischen, gegen heidenchristlichen Hochmut dem nichtchristlichen Israel gegenüber gerichteten Akzent auf 153 . Festzuhalten ist aber, daß es sich dabei um einen kritischen Unterton handelt, dem gegenüber die Deutung des Dienstes des Heidenapostels Eigengewicht behält. Der έθνών απόστολος will den repräsentativ als εθνη angeredeten Adressaten verdeutlichen: Heidenmission nach seinem Verständnis läßt sich nicht herauslösen aus der Juden und Heiden umgreifenden

150 Mit dem Zielgedanken der von Gott intendierten Rückwirkung der σωτηρία der Heiden auf Israel ermöglicht V. 11 die Verbindung von Heidenapostolat und „Eifersüchtigmachen" Israels in V. 13f.; mit der auf den Heilsgewinn der Heiden gerichteten Schlußfolgerung ermöglicht V. 12 die explizite Wendung an die repräsentativ für die Heidenchristen angeredeten Adressaten in V. 13a; V. 15 schließlich ist als Begründung oder Erläuterung eingeführt (γάρ) und damit in seiner Abhängigkeit von V. 13f. gekennzeichnet. - Anders Rese, der für V. 13f. Unterordnung unter die beiden umliegenden Schlußfolgerungen V. 12 und V. 15 annimmt (Rettung 428). 151 V. 14 benennt einen Zweck, „dessen Verwirklichung das Subject nicht von seinem, sondern von einem andern, von Gottes Willen abhängig weiss" (Holsten, Gedankengang 703 Anm. 1). 152 In dieser Richtung vgl. z.B. Räisänen, der an Apologetik gegenüber judenchristlichen Kritikern denkt (Analyse 2914; vgl. ders., Israel 188). 153

In dieser Richtung vgl. z.B. Lübking, Paulus 108.117.

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Absicht Gottes. In der Rettung „einiger von ihnen" wird dieser Zusammenhang greifbar, darum macht sie den Glanz des Heidenapostolats aus. Wiederum zeichnet sich die Möglichkeit eines Brückenschlags zwischen dem Ergebnis der Textanalyse und der Hypothese zur Autorintention ab. Der Text bekundet ein deutliches Interesse daran, den apostolischen Dienst an den Heiden mit dem Problem des derzeit mehrheitlich in der Heilsferne befindlichen Israel in Zusammenhang zu bringen, ihn von der als gewiß vorausgesetzten und Gott vorbehaltenen Lösung dieses Problems her neu zu beleuchten und somit die einschlägigen Ausführungen aus Präskript und Proömium zu ergänzen. Dem Text ist auch ein kritischer Unterton gegen eine an Israel desinteressierte heidenchristliche Position zu entnehmen. Die Frage nach dem Grund für dieses Interesse und für den kritischen Unterton, in dem es geltend gemacht wird, ist damit nicht beantwortet. Beides läßt sich aber dann erklären, wenn man unter Voraussetzung der im zweiten Teil der Arbeit vorgeschlagenen Hypothese annimmt, daß Paulus bei der Abfassung des Rom den Vorstoß nach Westen, über die Grenze der jüdischen Diaspora hinaus, im Blickfeld hatte, in diesen Vorstoß die römischen Christen in einer gegebenenfalls eigenverantwortlichen Weise einbeziehen und sie darauf hin durch sein Schreiben prägen wollte. Beim Ausblick auf die gegebenenfalls nicht unter eigener Regie stattfindende Mission in einem Bereich ohne nennenswerte Präsenz des Judentums drängt sich der Gedanke an die Gefahr einer von Israel abgekoppelten, am Problem seiner abseits vom Heil befindlichen Mehrheit einfach desinteressierten Heidenmission auf. 11,13f. im Kontext von 11,11-15 läßt sich als Einspruch gegen diese vorstellbare Gefahr begreifen: Beides, der Gewinn, den die Heidenchristen aus Israels Geschick gezogen haben bzw. aus dessen künftiger Wende ziehen werden, und die erhoffte, wenngleich begrenzte, Rückwirkung der Heidenmission, die zur Rettung „einiger von ihnen" führt, sprechen gegen ein desinteressiertes Ausblenden des derzeit mehrheitlich heilsfernen Israel. Solches Ausblenden käme einer Ablösung von der umfassenden Absicht Gottes gleich. D.h.: Wenn man im Zuge der Hypothese voraussetzt, daß der Autor Paulus die römischen Christen vor Augen hatte als potentiell selbständige Träger von Heidenmission in einem Bereich, in dem das Judentum keine Rolle spielte, dann läßt sich erklären, was der innertextuelle Verfasser im Text bzw. im Kontext von 11,13f. tut: daß er überraschenderweise auf seinen Heidenapostolat zu sprechen kommt, ihn mit der Israel-Problematik bzw. deren künftiger Lösung in Zusammenhang bringt, sich dabei mit kritischem Unterton an die Adressaten wendet und diese repräsentativ als Heidenchristen anspricht.

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

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3.1.6 15,14-33 15,14-33 läßt sich gliedern unter dem hier leitenden Gesichtspunkt der Darstellung von Adressant und Adressaten im Text: V. 14-16 enthält einen kurzen Rückblick auf das vorangehende Schreiben und thematisiert entsprechend beide daran beteiligten Kommunikationspartner. V. 17-21 bietet - vorbereitet durch V. 16 - grundsätzliche Ausführungen zum Auftrag des Adressanten. In V. 22-32 werden nach einem kurzen Rückblick (V. 22) die die weitere und nähere Zukunft betreffenden Pläne des Adressanten dargelegt, in die die Adressaten einbezogen werden. Der abschließende, durch άμήν bekräftigte Wunsch setzt eine Zäsur zum folgenden. 15,14-16: Der Rückblick auf das Schreiben und die damit im einen Satz verbundene, grundsätzliche Bestimmung des Auftrags des Verfassers (15,15f.) schließen adversativ an die Einführung des brieflichen Schlußteils an, die eine offensichtliche captatio benevolentiae 154 enthält (15,14b). Diese ist - etwa im Vergleich zu derjenigen in 1,8 - allgemein und in ihrem Bezug auf Sittlichkeit, Erkenntnis und Kompetenz eigentümlich flächendeckend formuliert 155 . Die Würdigung der Adressatenschaft steht nun aber nicht für sich, sie wird vielmehr als Inhalt der Überzeugung des Verfassers geltend gemacht. V. 14 ist folglich nicht einfach ein Kompliment, sondern eine Versicherung der Adressaten hinsichtlich ihrer völlig positiven Einschätzung durch den Verfasser, was denn auch durch και αυτός έγώ περι ύμών nachdrücklich hervorgehoben wird. Der Anschluß von V. 15, in dem das zuvor hervorgehobene VerfasserIch auf das Schreiben zurückblickt, läßt die Funktion von V. 14 deutlich werden: Die einleitende „expression of confidence" 156 hält fest, daß der Verfasser sein Schreiben keinesfalls auf irgendeinen Defekt der Adressatenschaft zurückführen will 157 . Dazu paßt die auf έγραψα bezogene Angabe ώς

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Vgl. z.B. Zeller, Juden und Heiden 65f.; Käsemann, Römer 376; Strack, Terminologie 39. Dunn (Romans II 856) verweist auf die ähnliche Verwendung von ττεπληρωμένοι und μεστοί in 1,29. Darüber hinaus fällt auf: 1,28-32 wirkt wie ein ebenfalls völlig pauschal gehaltenes Kontrastbild zu 15,14b, in dem 1,28 das Fehlen der γνώσις, 1,29-31 das der ά γ α θ ω σ ύ ν η und 1,32 die Unfähigkeit zu gegenseitiger Zurechtweisung beschreibt. 155

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Unter dieser Überschrift hat Olson Rom 15,14 mit einer Reihe anderer neutestamentlicher Belege (2Kor 7,4.16; 2Kor 9,1 f.; Gal 5,10; 2Thess 3,4; Phlm 21) und mit Belegen aus außemeutestamentlichen Briefen zusammengefaßt (Expressions of Confidence 283-295). Die Diskussion des in funktional unterscheidbare Gruppen eingeteilten Materials führt Olson zu dem Schluß, daß die „expressions of confidence" primär als „persuasive technique" zu interpretieren sind, und läßt ihn vor einer direkten Auswertung für die Frage nach dem Verhältnis des Autors zu seinen Adressaten warnen (ebd. 295). 157 Das hindert an sich zwar nicht, für den Autor (aufgrund anderer Erwägungen) anzunehmen, dieser habe mit dem Schreiben auf irgendeinen Defekt der Adressatenschaft reagiert (so, wie es etwa in all den Hypothesen zum Abfassungszweck der Fall ist, die das Schreiben ganz oder teilweise als Korrektur innergemeindlicher Streitigkeiten ansehen). Man müßte dann aber die Diskrepanz zwischen Autor und innertextuellem Verfasser an dieser Stelle erklären können.

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έπαναμιμνήσκων ύμάς (V. 15), die den ,,subjektive[n] Grund"158 des Schreibens benennt: So, wie sich der Verfasser in V. 14 als von seinen Adressaten überzeugt darstellt, kann er subjektiv sein Schreiben nur noch als „Erinnerung"159, also als Verstärkung160 der positiven Verfassung der Adressatenschaft, deklarieren161; er hat geschrieben „in der Überzeugung"162, seine Adressaten zu erinnern. Nun geht es in V. 15 aber nicht nur und nicht einmal schwerpunktmäßig um die Kennzeichnung des Schreibens unter diesem subjektiven Aspekt, der von V. 14 her in der mit ώς eingeleiteten Partizipialbestimmung ausgedrückt wird. Die Partizipialbestimmung ist vielmehr eingelagert in eine Charakterisierung des Schreibens, die von der Beziehung zwischen Verfasser und Adressaten völlig absieht: Der Verfasser hat „teilweise recht kühn"163 geschrieben um der ihm gegebenen Gnade willen. Dieser objektive Aspekt wird jenem subjektiven Aspekt aus V. 14, der in der Partizipialbestimmung von V. 15 durchgehalten ist, gegenübergestellt. Das adversative δέ bezieht sich folglich nicht primär auf τολμηρότερον, sondern auf die in δια την χάριν την δοθεΐσάν μοι mündende Aussage von V. 15 als ganze 164 . Anders als in 1,5 ist von der χάρις hier in einer betont exklusiv auf den Verfasser bezogenen Weise die Rede. Die hier betonte Exklusivität steht nun aber keineswegs im Widerspruch zur Formulierung in 1,5, nach der sich die Adressaten als Mitempfänger von χάρις und άποστολή angesprochen sehen können. Anders als im Präskript fungiert der Hinweis auf die mitgeteilte χάρις in 15,15 nämlich im Zusammenhang einer Aussage des Verfassers über sein an die Adressaten gerichtetes

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Bl/Debr/Rehk § 425.3. Schmithals meint: ,,έττ ... bezeichnet die Wiederholung, nicht die Hinzufügung. Paulus hat sich erdreistet, die Gemeinde wiederum, noch einmal, erneut zu erinnern" (Problem 166; vgl. ders., Römerbrief 524.528); er sieht darin den von ihm rekonstruierten ersten Römerbrief vorausgesetzt (Problem 166; Römerbrief 528). - έτταναμιμνήσκειν ist biblisches Hapaxlegomenon und kommt auch im paganen Sprachgebrauch nicht sehr häufig vor. Von den drei in der Sekundärliteratur (vgl. z.B. Cranfield, Romans II 754 Anm. 1) gelegentlich angeführten vorpaulinischen Belegen (Plato, Leg. III 688A; Arist., Mem. 451 A; Demosthenes, 2Philip. 35) stützt aber keiner die von Schmithals angenommene, von άναμιμνρσκειν durch das Moment der Wiederholung unterschiedene Bedeutung von έπαναμιμνήσκειν. 160 Vgl. dazu die gleichsinnige Verwendung von έπανάμνησις und βεβαίωσις bei Dionysius von Halicamass, Ars Rhet. 10.18: ό επίλογος βεβαίωσις ή έπανάμνησις των προαττοδεδειγμένων πραγμάτων (Usener/Radermacher, Dionysius Halicarnaseus VI, 373). 159

161 Die Sache, an die erinnert werden soll, ist nicht genannt und dürfte darum aus V. 14 zu ergänzen sein. 162 vgl. Bl/Debr/Rehk § 425 Anm. 3 mit dem Übersetzungsvorschlag zu der vergleichbaren Konstruktion von ώς mit Partizip in IKor 7,25. 163 Weil der Gedankengang auf das V. 15 abschließende, im folgenden weitergeführte διά τήν χάριν τήν δοθεΐσάν μοι zuläuft, kann das από μέρους nicht gut eine Einschränkung auf bestimmte Teile des Briefes ausdrücken (vgl. o. S. 90 Anm. 21). Vgl. die Verwendung des Ausdrucks in Rom 15,24; 2Kor 1,14; 2,5 (anders Rom 11,25). 164 Vgl. Zahn, Römer 597 Anm. 26.

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

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Schreiben; dieses ist um der ihm gegebenen Gnade willen geschehen und folglich als Teil seiner Ausführung des damit gegebenen Auftrags zu begreifen. Entsprechend kann sich der Verfasser auch im Schreiben selbst für seine folgenden Ausführungen auf diese „mir" gegebene Gnade berufen (12,3) 1 6 5 · Die exklusive Formulierung an den beiden Stellen, die über das Schreiben (15,15) bzw. einen Teil davon (12,3) sprechen, läßt also durchaus die Möglichkeit eines nicht-exklusiven Verständnisses von 1,5 offen.

Bei der folgenden (V.16) Entfaltung dieses ,,Zweckgrund[es]"166, auf den das Schreiben objektiv zurückgeführt wird (für den also die subjektive Überzeugung des Verfassers keine Rolle mehr spielt), geraten die Adressaten gleichsam automatisch und ohne hier nochmals erwähnt zu werden ins Gegenüber zum Verfasser. Wenn die χάρις, um derentwillen der Brief an sie geschrieben ist, den Verfasser zum „Beauftragten Christi Jesu an die Heiden" macht und ihn zum „priesterlichen" Dienst am Evangelium Gottes bestimmt, dann ist er im Schreiben selbst als solcher aufgetreten, und dann gehören die Adressaten in das intendierte Ziel dieses Auftrags, nämlich in das „wohlgefällige Opfer der Heiden"167 mit hinein, und d.h. an die Seite der durch die Evangeliumsver-

'65 s a ge nämlich kraft der mir gegebenen Gnade zu jedem von euch ...". Die χάρις wird hier als die dem aktuellen Sprechakt zugrundeliegende Autorität geltend gemacht. 166 Zahn, Römer 598 Anm. 28; vgl. Kühl, Römer 469. Ähnlich wie beim deutschen „um - willen" (so der Übersetzungsvorschlag von Bl/Debr/Rehk § 223 Anm. 9) greifen in der διά + Akk.-Bestimmung (vorausliegender) Grund und (zukünftiger) Zweck ineinander (vgl. dazu Bl/Debr/Rehk § 222.2a): Die χάρις ist dem Verfasser gegeben worden, auf ihr gründet das Schreiben, und sie hat eine Zielperspektive (V. 16), unter der auch das Schreiben steht. Vgl. die präzise Erläuterung bei Kühl: „Die χάρις ή έμο! δοθείσα benennt, wie das folgende zeigt, hier in specie seinen Beruf als Heidenapostel; und διά steht vom Zweckgrund: um diesem Beruf zu genügen, habe ich geschrieben" (Römer 469). Die διά + Akk.-Bestimmung in 15,16 ist insofern gut unterscheidbar von den διά + Gen.-Bestimmungen z.B. in 12,1.3; 15,30, wo jeweils eine Berufung auf die hinter dem aktuellen τταρακαλεϊν bzw. λέγειν stehende Autorität erfolgt, für die daher rein kausaler Sinn anzunehmen ist. - Anders z.B. Zeller, Juden und Heiden 66 Anm. 119. 167 Die Beziehung der προσφορά των έθνών auf die durch die Evangeliumsverkündigung gewonnenen Heiden, d.h. die Auffassung von τών έθνών als gen. obj. bzw. epexeg. dürfte als die nächstliegende Interpretationsmöglichkeit gelten können (vgl. z.B. Lagrange, Romains 351; Käsemann, Römer 379; Strack, Terminologie 29). Gegen die dazu alternative Annahme eines gen. subj., nach der das Selbstopfer der Heiden gemeint ist (so z.B. Dabeistein, Heiden 113f.; Robinson, Priesthood 231), macht Strack auf „die textbestimmende 1. Person Singular" aufmerksam, mit der sich ein kurzfristiger Wechsel des handelnden Subjekts in V. 16c nicht gut vereinbaren läßt (Terminologie 29). Daß sich bei Annahme eines gen. obj. die Verwendung des Bildes vom Opfer in 15,16 von der in 12,1 unterscheidet, scheint mir deshalb keine erhebliche Schwierigkeit zu sein, weil sich die beiden unterschiedlichen Verwendungsweisen des Bildes inhaltlich ja nicht widersprechen. (In 12,1 ist der Verfasser immerhin derjenige, der zum Selbstopfer der Adressaten ermahnt.) - Für die Interpretation des Textes belangreicher ist die gelegentlich geäußerte Annahme, die προσφορά τών έθνών sei mit der in 15,25ff. erwähnten Kollektenübergabe in Zusammenhang zu bringen (vgl. z.B. Pedersen, Überlegungen 58f.; Elliott, Rhetoric 91). Abgesehen von der mit dieser Auffassung verbundenen traditionsgeschichtlichen Hypothese (vgl. dazu die Kritik bei Luz, Geschichtsverständnis 391 f.) ist vor allem festzuhalten, daß der Text von Rom 15 die προσφορά τών έθνών in keiner Weise auf die Kollektenübergabe bezieht (vgl. Luz, ebd.), daß

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kündigung gewonnenen und zu gewinnenden Heiden 168 . Dabei korrespondiert 15,15f. dem Schlußteil des Proömiums (1,13-15) nicht nur in der Veränderung des Blickwinkels 169 , der sich dort von der Gesamtheit der Heiden auf die Adressaten hin verengt und hier in umgekehrter Richtung öffnet. Die beiden das Corpus einschließenden Scharniere halten übereinstimmend auch fest: Der umfassende, an die Gesamtheit der Heiden gerichtete Auftrag des Verfassers ist nicht nur der Grund, aus dem sein aktuelles briefliches Handeln folgt. Die Erfüllung dieses Auftrags ist zugleich das Ziel, dem das briefliche Handeln an den Adressaten dient170. Deren Platz ist also hier wie in 1,13-15 an der Seite der „Missionsobjekte" des Verfassers. Die Darstellung des durch die von Gott empfangene Gnade geprägten Verfassers in V. (15b.) 16 greift terminologisch nicht nur im Hinweis auf die χάρις auf den vorderen Teil des brieflichen Rahmens zurück, sondern auch bei der Kennzeichnung des Inhalts (τό εύαγγέλιον τοΰ θεοΰ [1,1; vgl. 1,9.15]) und der Ausrichtung seines Wirkens (εις τά εθνη [1,5.13d. 14]). Darüber hinaus betont die der politischen und besonders der kultischen Sprache entnommene Terminologie (λειτουργός; ίερουργεΐν; προσφορά) 171 den offiziellen und funktional-abhängigen Status, in den der Verfasser durch die ihm individuell zugeeignete χάρις versetzt ist. Diesen Gesichtspunkt kann man in 1,1.9.14 zwar ebenfalls geltend gemacht sehen 172 , er wird in 15,16 aber zweifellos konzentriert und unterstrichen. Schließlich zeigt die proleptische Zusammenfassung „der Heiden", die vom Evangelium erreicht sind, im Bild des

folglich, selbst wenn man eine entsprechende Assoziation für den Autor des Rom annehmen wollte, diese Assoziation doch jedenfalls nicht in der Mitteilungsabsicht des Textes liegt. 168 v g l . Kühl: V. 16 macht deutlich, „daß er in und mit seinem Schreiben auch ihnen, den Römern, gegenüber seine apostolische Lebensaufgabe als λειτουργός Ί η σ ο ϋ Χριστού εις τ ά εθνη, als ιερουργών τό εύαγγέλιον τοΰ θεοΰ habe erfüllen wollen" (Römer 469). Anders z.B. Elliott, der meint, im brieflichen Schluß sei - anders als in der Einleitung - von einer den Adressaten geltenden Evangeliumsverkündigung nicht mehr die Rede (Rhetoric 86). 169

Vgl. Elliott, Rhetoric 86. Vgl. ο. S. 127f. zur Abfolge von 1,15 auf l,13f. 171 Zur Terminologie von 15,16 s. die ausführliche und materialreiche Untersuchung von Strack (Terminologie 4 4 - 6 7 ) . „λειτουργός bezeichnet im Griechisch-Hellenistischen den, der im Auftrag einer öffentlichen Dienstleistung steht, die dem Gesamtinteresse dient" (ebd. 45). In diesem Sinn ist der Ausdruck in Rom 13,6 gebraucht; in der frühjüdischen Literatur begegnet er häufig auch in kultischen Textzusammenhängen (ebd. 45-47). Anders zeigt sich Ιερουργεΐν in „allen Belegstellen als ein ausschließlich in kultischem Sprachgebrauch verwendeter Terminus" (ebd. 49). π ρ ο σ φ ο ρ ά ist zwar nicht durchweg kultisch konnotiert (ebd. 55; vgl. 49 Anm. 74), aber die neutestamentlichen Belege und die LXX-Belege stimmen im durchgehend kultischen Gebrauch des Wortes überein (ebd. 51). 172 Auch wenn man im Ausdruck λ α τ ρ ε ύ ω keine kultische Konnotation mithört, ist in 1,9 der „dienstliche" Charakter der Evangeliumsverkündigung des Verfassers angesprochen. Das gilt natürlich genauso für 1,14 (οφειλέτης ειμί). 1,1 (άφωρισμένος εις εύαγγέλιον θεού) bezieht den Verfasser auf das Evangelium (nicht umgekehrt), bringt also das funktionale Element zum Ausdruck. 170

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Opfers, daß in 15,16 das Wirken des Adressanten genauso im Weltmaßstab gedacht ist wie in 1,5.13f. 15,17-21: Das konstatierende und folgernde εχω ουν [την] καύχησιν έν Χριστώ Ί η σ ο ϋ τα προς τον θεόν (V. 17) setzt neu an 173 . Der Abschnitt will zeigen, daß sich die dem Verfasser gegebene χάρις so ausgewirkt hat, wie es in den beiden Finalsätzen von V. 16 vorab zusammengefaßt wurde174. Entsprechend werden die dort geltend gemachten Gesichtspunkte wieder aufgegriffen. V. 18.19a stellen im erläuternden Rückbezug auf την καύχησιν έν Χριστώ Ί η σ ο ΰ (V. 17) die Funktionalität und Abhängigkeit des Verfassers (des λειτουργός Χριστού Ί η σ ο ΰ ) heraus. Dieser fungiert als Instrument in einem Geschehen, dessen eigentliches Subjekt der erhöhte, machtvoll wirkende Christus ist und das universal auf die ύπακοή εθνών, also auf die Einholung der Heiden in seinen Machtbereich, zielt 175 . Vor diesem Hintergrund bietet der konsekutiv angeschlossene V. 19b keinen biographischen Bericht über eine nunmehr zurückliegende Schaffensphase des Verfassers, sondern konstatiert das Ausmaß, in dem sein in der Ausrichtung des Evangeliums bestehendes Mandat (sein ίερουργεΐν τό εύαγγέλιον) gegenwärtig verwirklicht ist. Durch V. 20a wird zwar die Verfahrensweise der gegenwärtig abgeschlossenen Arbeit zwischen Jerusalem und Illyrien näher bestimmt, weil diese Bestimmung aber durch ein nicht aufgehobenes Prinzip 176 ausgedrückt wird, geht es zugleich um eine grundsätzliche Charakterisierung des vom Verfasser ausgeübten εύαγγελίζεσθαι. Dieses beschränkt sich absichtlich auf jene Orte, an denen noch keine grundlegende Christusverkündigung177 erfolgte, um ein Aufbauen auf fremdem Fundament zu vermeiden (V. 20b). Die im alttestamentlichen Zitat ausgedrückte positive Zweckbestimmung (V. 21) 1 7 8 zeigt, inwiefern das Arbeitsprinzip selbst im Mandat des Verfassers begründet ist. Das Prinzip steht im Dienst der Weiterverbreitung der Evangeliumsverkündigung (von den 1 7 3 Der Rückblick auf das Schreiben ist mit 15,16 eindeutig abgeschlossen. Insofern legt sich Jervis' Zusammenfassung von 1 5 , 1 4 - 2 1 als „'writing' unit" (Purpose 120; vgl. ebd. I l l ) nicht nahe. 1 7 4 Zum rückverweisenden Sinn des textkritisch als ursprünglich anzunehmenden Artikels vor καύχησιν s. Käsemann, Römer 379; Cranfield, Romans II 757. 1 7 5 Im Rückbezug auf V. 16 kann ύπακοή έθνών als „Erläuterung zur Opfergabe der Völker' ... verstanden werden" (Dabeistein, Heiden 112). Zum Zusammenhang zwischen der Machtstellung des erhöhten Christus und der ύπακοή έθνών vgl. l,4f. (und dazu Dabeistein, Heiden 111). 1 7 6 Zu φιλοτιμούμενον (zum textkritischen Vorrang gegenüber dem ebenfalls gut bezeugten φιλοτιμούμαι s. Zahn, Römer 6 0 0 Anm. 2 4 ) vgl. Cranfield: Das Partizip benennt „a general principle which has in the past governed, in the present governs, and in the future still will govern, Paul's missionary practice" (Romans II 7 6 3 Anm. 1). 177

Zum Aorist ώνομάσθη, der auf ein zurückliegendes Ereignis hinweist, s. o. S. 86 Anm. 13.

Zur Syntax von 15,20f. s. o. S. 86f. Anm. 14. Der entscheidende Punkt dabei ist: V. 21 formuliert nicht den Kontrast zu V. 20a, sondern folgt als positive Zweckbestimmung des Prinzips dessen negativer Zweckbestimmung in V. 20b. 178

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einmal gelegten Fundamenten aus), es resultiert also aus der universalen Weite des Wirkungskreises dessen, der als Instrument des erhöhten Christus die auf die προσφορά τών έθνών gerichtete Evangeliumsverkündigung besorgt. Die Funktion des Abschnitts 15,17-21, in dem die Adressaten nicht erwähnt werden, ergibt sich aus seinem Rückbezug auf 15,15c.16: Die Adressaten sollen Einblick bekommen in das Mandat des Verfassers, aus dem auch die an sie gerichtete briefliche Initiative erwachsen ist, von dem sie daher mitbetroffen sind. 15,22-32: Anders als in der objektiven Begründung des nunmehr weithin zurückliegenden aktuellen brieflichen Kommunikationsaktes (15,15c.16) stehen die Adressaten unter dem Aspekt des ersehnten Rom-Besuchs vollständig an der Seite des Verfassers. Ihre Rolle wird gleichsam eingepaßt in die Rolle, die der Verfasser in der Zukunft spielen wird. Diese Einpassung ins Verfasserkonzept ist gleich an der ersten einschlägigen Stelle offenkundig: Der Beteuerung langjähriger Sehnsucht nach einem Besuch (15,23b) vorangestellt ist der Hinweis auf die „Raumlosigkeit" des Verfassers in der östlichen Reichshälfte (V. 23a). Vor dem Hintergrund der universalen Reichweite des Auftrags erzwingt die Abgeschlossenheit der Arbeit dort (V. 19b)179 einen Raumwechsel, und die persönliche Sehnsucht nach dem Besuch der Adressaten kann sich erfüllen, sobald 180 dieser um des Auftrags willen notwendige Raum Wechsel in Richtung Spanien erfolgt (V. 24a). Die Adressaten selbst kommen primär ins Blickfeld als die, die die weitere Arbeit des Verfassers unterstützen (V. 24c), und auch hinsichtlich des in V. 24d angedeuteten - um des Auftrags willen begrenzten (άιτό μέρους) - persönlichen Kontakts sind die Adressaten in der Rolle der Gebenden, der Verfasser in der des Nehmenden 181 . Die Einpassung ins Konzept des Verfassers wiederholt sich in 15,28f. Vorgeschaltet ist diesmal nicht der Abschluß der Arbeit im Osten, sondern der des Jerusalem-Projekts (V. 28a), dem die Reise nach Spanien folgt. Dabei macht sich der Einschub des Rom-Besuchs in diese Abfolge schon rein sprachlich durch eine gewisse Härte bemerkbar: άττελεύσομαι δι' ύμών εις Σττανίαν (V. 28b) 182 . Betont ist die Zielangabe „Spanien", und unter diesem Aspekt wird man auch die folgende, bedingte („wenn ich zu euch komme" [V. 29a]) Versicherung eines Kommens έν πληρώματι ευλογίας Χριστού (V. 29b) zu verstehen haben.

179 180

έν τοις κλίμασι τούτοις (V. 23a) ist ein Rückverweis auf V. 19b.

Zu ώς αν mit Konj. s. Bl/Debr/Rehk § 455.2: „'wenn', 'sobald'". 181 Vgl. Zeller, Juden und Heiden 72 Anm. 147. 182 Vgl. anders 2Kor 1,16: και δι' ύμών διελθεϊν εις Μακεδονίαν. Selbst wenn die v.l., die für διελθεϊν άπελθεϊν bietet, ursprünglich wäre, liest sich dieser Text wegen des vorangestellten und an V. 15 anknüpfenden δι' ύμών erheblich glatter als Rom 15,28.

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Eine präzise Bestimmung des Ausdrucks ist schwierig 183 , immerhin bietet sich vom vorangehenden Kontext (15,18.19a) die Möglichkeit an, die ευλογία Χριστού auf die Macht Christi zu beziehen, die sich des Verfassers als Instrument bedient, auf die υπακοή έθνών angelegt ist und sich in der V. 18c. 19a beschriebenen Weise auswirkt. Deutlich ist jedenfalls von V. 28 her, daß das πλήρωμα ευλογίας Χρίστου in seinem Wirken nicht auf Verfasser und Adressaten eingeschränkt wird und daß sich die Wendung auch nicht in eine Zweckbestimmung des Rom-Besuchs umfunktionieren läßt 184 . Vielmehr geht es um die Gewißheit des Verfassers, im Fall seiner Ankunft bei den Adressaten als Segensträger zu kommen und weiterzureisen.

Der Gedanke der Gemeinschaft von Verfasser und Adressaten kommt vor allem im Zusammenhang der erbetenen Fürbitte zum Tragen, deren Inhalt ein zweites Mal auf das Jerusalem-Projekt ausblickt; er wird durch die Deutung dieser Fürbitte als eines συναγωνίσασθαι der Adressaten mit dem Verfasser (15,30b) und durch die zweite Angabe ihres Zwecks, das συναναπαύεσθαι des Verfassers mit den Adressaten, sprachlich hervorgehoben185. Im Blick auf den Kampf des Verfassers in Jerusalem sind die Adressaten als seine Mitstreiter gedacht, wenngleich sich ihre Weise des Kämpfens anders als seine vollzieht, nämlich in ihren Gebeten für ihn. Trotz räumlicher Distanz ist ihnen die Rolle der Teilnehmer an seiner Sache zugewiesen186. Dem entspricht das für den Fall der Ankunft in Aussicht genommene συναναπαύεσθαι ύμΐν: „They will share his rest as they have shared his labour"187. Zugleich machen die beiden aufeinander bezogenen συν-Wendungen in V. 30.32, die - wie schon das συμπαρακληθήναι in 1,12188 - die Gemeinschaft der Adressaten mit dem Verfasser herausstellen, deutlich: Die Gemeinschaft ist Einbeziehung in den künftigen Weg des Verfassers.

183 Es verhält sich ähnlich wie im Fall des χάρισμα πνευματικόν aus 1,11, s. dazu o. S. 124f. Gelegentlich wird in der Auslegung beides miteinander identifiziert (so z.B. Dewey, Future 345; vgl. auch Fitzmyer, Romans 723). Anders denkt Nababan an eine Rückwirkung der angenommenen Kollekte (Bekenntnis 139; vgl. ähnlich Zeller, Juden und Heiden 234f.). 184 In dieser Richtung interpretiert z.B. Barrett: „both sides, he and his hosts, will share in the blessing" (Romans 255). Nach Barretts Paraphrase wäre solches Teilen dann der Zweck des RomBesuchs: „when I come to you I shall come to bring and to find a full measure of the blessing of Christ". Diese Paraphrase hat am Text wenig Anhalt (vgl. auch die Kritik von Cranfield, Romans II 775 Anm. 5). 185 Nach dem metakommunikativen Einleitungssatz in 15,30a (παρακαλώ ... πνεύματος) bilden die beiden συν-Wendungen einen Rahmen um das, was im Modus des τταρακαλείν gesagt wird. 186 Daß das συναγωνίσασθαι vom Vorhaben des Verfassers aus gedacht ist, und nicht etwa vom Motiv des „Gebetskampfes" aus, hat Pfitzner im einzelnen gezeigt (Agon Motif 120-125). 187 Pfitzner, Agon Motif 125. 188 Darauf verweisen einige Ausleger zu Recht, vgl. Schlier, Römerbrief 439; Barrett, Romans 256; Fitzmyer, Romans 726.

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Wenn man die im Briefschluß enthaltene Darstellung von Adressant und Adressaten nun wiederum mit der in Teil 2 vorgeschlagenen Hypothese zum Abfassungszweck des Autors zusammensieht, dann legt sich zunächst einfach die bereits im Anschluß an die Analyse von Präskript und Proömium gezogene Schlußfolgerung nahe: Die doppelte Rolle der Adressaten im Verhältnis zu der des Verfassers - unter dem Aspekt des aktuellen brieflichen Kommunikationsakts einerseits und unter dem Zukunftsaspekt andererseits - erklärt sich, wenn der Autor Paulus mit seinem Schreiben die römischen Christen auf eine künftige Rolle als Partner und gegebenenfalls selbständige Träger seiner Evangeliumsverkündigung hin prägen wollte. Daß die Ausblicke auf den vom Verfasser ersehnten Rom-Besuch hinsichtlich dessen, was die Adressaten von diesem Besuch zu erwarten haben, auch im Briefschluß nicht konkreter gefaßt sind als in 1,11 f., versteht sich von selbst, wenn Paulus den Rom, mit dem er eine Kommunikationsbeziehung zu den römischen Christen herstellen wollte, zugleich als deren mögliches Ende betrachtete: Es wäre unter dieser Voraussetzung nicht gerade sinnvoll gewesen, bei den Adressaten irgendwelche bestimmten Erwartungen zu wecken hinsichtlich der zwar erwünschten, aber durchaus nicht gewährleisteten Fortsetzung der Beziehung. Darüber hinaus läßt sich aus der Hypothese zum Abfassungszweck erklären, warum der Spanienplan zu Beginn des Briefs nicht erwähnt wird, sondern erst im Briefschluß, und hier erst im Anschluß an eine grundsätzliche Darlegung des dem Verfasser gegebenen Auftrags. Wenn Paulus für den Fall eines negativen Ausgangs des Vorhabens in Jerusalem den römischen Christen selbständiges Engagement im Spanien-Projekt nahelegen wollte, dann durfte der Spanienplan nicht mitgeteilt werden als Ergebnis einer persönlichen Entscheidung (die eventuell auch anders hätte ausfallen können), sondern er mußte dargestellt werden als ein aller Diskussion enthobener, in seiner Dringlichkeit selbstverständlicher Schritt. Genau diesen Eindruck erweckt 15,23f. im Rückbezug auf 15,19b (im Kontext von V. 17-21): Aus der universalen Weite des Bereichs, für den der Auftrag gilt, und aus seiner Erfüllung von Jerusalem bis Illyrien folgt die Wendung nach Westen mit objektiver Notwendigkeit. Schließlich läßt sich ein wichtiges Moment in der Darstellung des Verfassers verständlich machen. Die in Präskript und Proömium schon angesprochene, aber im Briefschluß geradezu pointiert herausgestellte funktionale Zuordnung des Verfassers zur Evangeliumsverkündigung, seine Darstellung als Instrument des erhöhten Christus hat unter dem Gesichtspunkt der Hypothese zum Abfassungszweck eine doppelte Valenz: Zum einen unterstreicht Paulus durch diese Selbstdarstellung die Autorität, in der er sein briefliches εύα γ γ ε λ ί ζ ε σ θ α ι an die römischen Christen richtet. Zugleich läßt er durch die betonte Bestimmung dieser Autorität als einer funktionalen deutlich werden, daß diese nicht mit seiner Person verschmolzen ist. D.h.: Bei aller Inanspruchnahme von Autorität bleibt Platz für den Gedanken an die Fortsetzung des vom

Der Heidenapostel und seine heidenchristlichen Adressaten

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έθνών απόστολος mit hoher Effizienz betriebenen, aber noch nicht zum Ziel gelangten εύαγγελίζεσθαι mit anderen Trägern.

3.1.7 Zusammenfassung im Rückblick auf die Hypothese zum Abfassungszweck Die Stellen, an denen der Verfasser als Heidenapostel und die Adressaten als den εθνη zugehörig dargestellt werden, bzw. deren engerer Kontext, lassen unterschiedliche Zuordnungen des innertextuellen Adressanten und der innertextuellen Adressaten zueinander erkennen. 1. Unter dem Aspekt des aktuellen brieflichen Kommunikationsakts, in dem 1,13-15 hinführenden und 15,15f. rückblickenden Charakter hat, stehen die Adressaten an der Seite der „übrigen Heiden", die der Verfasser noch gewinnen will, sind sie Empfänger seiner Evangeliumsverkündigung und gehören in die Gesamtheit der durch die Verkündigung des Verfassers geretteten Heiden mit hinein. 2. Unter dem Aspekt folgender Kommunikationsakte sind die Adressaten dem Verfasser als dem Verkündigungsträger wie Partner zugeordnet (1,1 lf.; 15,23f.28f.30.32). 3. Die die Adressaten einbeziehende Vorstellung des Verfassers in der Superscriptio läßt beide Möglichkeiten offen: Man kann die Einordnung der Adressaten unter die Heiden als Auftragsbereich des Verfassers betont sehen, man kann aber auch die Gemeinsamkeit von Verfasser und Adressaten als „Berufener Jesu Christi" unter den Heiden betont sehen. 4. In 11,13f. schließlich sind die Adressaten kritisch und repräsentativ (für die Heidenchristen als Nutznießer aus Israels Geschick) angeredete Gesprächspartner des Verfassers, der ihnen gegenüber seinen Heidenapostolat in dessen erhoffter, wenngleich begrenzter, Auswirkung auf die nicht-christliche Mehrheit Israels thematisiert. Die unterschiedlichen Zuordnungen der Adressaten zum Verfasser im Text - als Empfänger seiner Verkündigung und als Partner an seiner, des Verkündigungsträgers, Seite bzw. als kritisch angeredete Gesprächspartner zum Thema des Heidenapostolats im Zusammenhang der Israelproblematik - lassen sich einheitlich erklären, wenn man den Text auf die hypothetisch angenommene Intention seines Autors Paulus zurückführt, der im Schreiben selbst seine Evangeliumsverkündigung den römischen Christen gegenüber abschließend durchführen wollte, damit aber die Hoffnung verband, sie auf seine, des Verkündigungsträgers, Seite ziehen zu können und sie zu potentiell selbständigen Verkündigungsträgern zu machen in einem Bereich, in dem das Problem des mehrheitlich in der Heilsferne befindlichen Israel leicht aus dem Blickfeld geraten konnte. Mit dieser Erklärung gut zu vereinbaren ist die Weise, in der der „zum Evangelium ausgesonderte" Apostel (1,1) seine Autorität ins Spiel bringt. So eindeutig, wie dieser auf dem von ihm persönlich empfangenen Auftrag besteht, in dessen Rahmen er auch sein briefliches εύαγγελίζεσθαι an die römischen Christen stellt, so eindeutig macht er sich selbst doch als Funktionsträ-

146

Analysen zur Textfunktion

ger, als Instrument des durch ihn wirksamen Christus kenntlich, so daß sich im Fall seiner persönlichen Hinderung an der Weiterverbreitung der Evangeliumsverkündigung die römischen Adressaten als selbständige Verkündigungsträger angesprochen sehen können. In der einleitenden Problemanzeige war gefragt worden189: Ist die Zuordnung der Adressaten zu den εθνη lediglich als Hinweis auf deren ethnische Herkunft zu verstehen, oder ist neben der hinweisenden noch eine weitere Funktion dieser Zuordnung zu erkennen? Nach den vorangehenden Überlegungen liegt die Antwort auf der Hand: Die Zurechnung zu den εθνη setzt zwar voraus, daß Paulus von mehrheitlich nicht-jüdischer Herkunft der Adressaten ausgeht, sie hat aber nicht primär einen auf diesen Sachverhalt hinweisenden Sinn, sondern sie wird benutzt in solchen Kontexten, in denen die Adressaten dem Verfasser, dem „Heidenapostel", zugeordnet werden, und zwar sowohl als Verkündigungsempfänger wie auch als Partner.

189 S.o. S. 17.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

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3.2 Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel 3.2.1

Vorbemerkung

1. In keinem anderen Paulus-Brief wird „das Thema Israel, seine Erwählung, Verstockung und endliche Rettung, so breit erörtert" wie im Rom; cap. 9-11 bilden folglich ein „proprium dieses Briefes" 1 . Gerade dieser Teiltext fordert somit zu einer Betrachtung unter dem Aspekt der brieflichen Kommunikation des Paulus mit den römischen Christen heraus. So zutreffend auch der Hinweis2 auf die Auseinandersetzung des Verfassers mit seinen eigenen jüdischen Denkvoraussetzungen sein mag und sowenig der Einfluß solcher Selbstreflexion auf die Ausführungen von cap. 9-11 bestritten werden soll, so eindeutig ist doch zunächst einmal von der Voraussetzung auszugehen, daß Paulus auch in Rom 9-11 kein „se parier ä soi-meme" 3 betreibt, sondern auch bei seiner Erörterung der Israel-Problematik in bestimmter Weise auf seine römischen Adressaten einwirken will4. Von hier aus ist der enge Zusammenhang begreiflich, der zwischen der Auslegung von Rom 9-11 und der Frage nach dem Abfassungszweck des Rom seit F. C. Baur besteht5: In der Verbindung beider Fragestellungen meldet sich die plausible Annahme, nach der es die im Rom enthaltene, ausführliche und in sich geschlossene Behandlung der Israel-Frage nicht nur hinsichtlich ihrer Relevanz für die paulinische Theologie, sondern auch auf der brieflich-kommunikativen Ebene zu untersuchen gilt. Daß sich die unter diesem Aspekt vertretenen Auffassungen von Rom 9-11 diametral voneinander unterscheiden, liegt in Anbetracht der verworrenen Diskussion um den Abfassungszweck auf der Hand. Allein die im ersten Teil der Arbeit vorgestellten neueren Monographien6 bieten ein breites Spektrum unterschiedlicher Funktionsbestimmungen von Rom 9-11: Für Kettunen fügen sich die Kapitel in den apologetischen Charakter des Gesamtschreibens ein; Rom 9-11 schließt als eine Verteidigung des paulinischen Heidenapostolats an die Verteidigung des paulinischen Evangeliums an7. Für Elliott setzt sich in 9-11 die an die römischen Heidenchristen

1 Bornkamm, Testament 137. Die Feststellung steht vor dem Hintergrund von Bornkamms Aufweis der Wiederaufnahme zahlreicher Themen aus früheren Paulus-Briefen im Rom (ebd. 130— 133). 2 Niebuhr, Rez. Elliott 674. 3

Zu dieser Vermutung gelangt Bovon (Paul 15). Im Sinne eines Ausgangspunkts für die Interpretation der Israel-Kapitel im Rom gilt das auch dann, wenn man der in der Forschung gelegentlich (vgl. z.B. Vielhauer, Geschichte 70) vertretenen Annahme einer dem Schreiben vorausliegenden Abfassung der drei Kapitel durch Paulus zuneigt. 5 Vgl. dazu Holtzmann, Einleitung 238; Lübking, Paulus 1 lf. 6 S. o. S. 34ff. 4

7

Abfassungszweck 189-193.

148

Analysen zur Textfunktion

gerichtete Paränese aus cap. 1-8 fort, sie erreicht in 11,17-24 ihren Gipfel 8 . Für Watson dient cap. 9-11 umgekehrt der Gewinnung der römischen Judenchristen für den Anschluß an die dortige paulinisch-heidenchristliche Gemeinde 9 ; auch das an Heidenchristen gerichtete Stück ll,13ff. hat darin seine Funktion10. Wedderburn schließlich denkt an ein Nebeneinander von apologetischer und paränetischkritischer Funktion: Es geht sowohl um eine Verteidigung des paulinischen gesetzesfreien Evangeliums gegenüber Kritikern, die einer jüdischen Reaktion auf die paulinische Verkündigung zuneigen, als auch (besonders in 11,13-24) um eine Warnung vor heidenchristlichem Hochmut mit antijüdischer Tendenz1

2. Auch in dieser Arbeit steht die Bearbeitung der Israel-Kapitel im Zusammenhang mit der Frage nach dem Zweck, den Paulus mit dem Gesamtschreiben verfolgt. Im Sinn der Unterscheidung zwischen Textfunktion und Abfassungszweck des Autors als zwar zusammenhängender, aber nicht im l:l-Verhältnis auseinander ableitbarer Größen wird - wie im vorausgehenden Kapitel der Arbeit (3.1) - bei den Einzelanalysen von der in Teil 2 der Arbeit vorgeschlagenen Hypothese zum Abfassungszweck zunächst abgesehen. Die Einzelanalysen (3.2.3) zu Rom 9-11 beziehen sich auf Teiltexte, die im Duktus der drei Kapitel an hervorgehobener Stelle stehen: die Einleitung (9,15), der erste Argumentationsgang (9,6-13), der Mittelteil (10,1-13) und der dialogisch gehaltene Schlußteil der Argumentation (11,11-32). Die Analysen versuchen, die jeweilige Textfunktion zu bestimmen, also die Mitteilungs- und Wirkabsicht der verschiedenen Teiltexte. Diesen Einzelanalysen zu Rom 9 - 1 1 vorgeschaltet sind Hinweise auf die Behandlung der Israel-Thematik in Rom 1-8, die anhand einiger exemplarisch ausgewählter Teiltexte erarbeitet werden (3.2.2). In diesem vorgeschalteten Abschnitt soll gezeigt werden, inwiefern der Rom 9 - 1 1 vorangehende Kontext des Briefs Voraussetzungen für die Rezeption der Israel-Kapitel schafft. Der Brückenschlag zwischen der Mitteilungs- und Wirkabsicht der analysierten Teiltexte aus Rom 9-11 und dem in Teil 2 hypothetisch bestimmten Abfassungszweck des Autors erfolgt - anders als im vorangehenden Kapitel der Arbeit - nicht jeweils im Anschluß an die Einzelanalysen, sondern erst im Rahmen der Zusammenfassung am Ende des Kapitels (3.2.4). Es soll gezeigt werden, daß das Ergebnis der Textanalysen und die Hypothese zum Abfassungszweck des Autors miteinander kompatibel sind.

8 9

Rhetoric 257.270.

Paul 16tf.l73f. 10 Paul 171-173. 11 Reasons 136f.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

149

3.2.2 Israel in Rom 1-8 - exemplarische Hinweise Daß Rom 9-11 als ein in sich geschlossener Argumentationszusammenhang gelesen sein will, wird durch drei unübersehbare literarische Indizien sichergestellt: Die Kapitel sind gerahmt durch eine persönlich formulierte Einleitung (9,1-5), die in eine Doxologie mündet, und durch einen umfangreichen doxologischen Abschnitt am Ende (11,33-36). Der Gegenstand, auf den sich die Ausführungen beziehen, wird anders bezeichnet als im Rest des Schreibens; statt „Jude", „Juden" 12 findet sich der Ehrenname „Israel", „Israeliten" 13 . Unmittelbar auffällig ist überdies die Häufigkeit von alttestamentlichen Zitaten, die als solche gekennzeichnet sind 14 . Mit der Rahmung sind zugleich Abgrenzungen dem vorhergehenden und folgenden Kontext gegenüber gesetzt, wobei in diesem Zusammenhang ersteres interessiert. Eigentümlicherweise wird in 9,1 keine Verbindung zum Vorangehenden durch Partikel oder Konjunktion angezeigt 15 , es scheint also ein völliger Neueinsatz vorzuliegen. Andererseits entspricht der subjektive Neueinsatz, in dem sich das Ich des Adressanten meldet, dem subjektiv formulierten Schluß (8,38f.) 16 des vorangehenden Teils; dabei korrespondiert die Kundgabe der triumphierenden Gewißheit antithetisch der Kundgabe tiefer Trauer (9,1 f.). Da zudem der Inhalt der Gewißheit - nicht von der Liebe Gottes in Christus getrennt werden zu können (8,39; vgl. 8,35) - dem in 9,3 implizit angedeuteten Grund der Trauer - dem Fernsein der Israeliten von Christus antithetisch entspricht, ist der Anschluß an cap. 8 nicht gut als unverbunden, sondern eher als betont antithetisch zu bezeichnen. Er bewirkt, daß die auf Israel bezogene Trauerbekundung des Adressanten vor dem Hintergrund seiner Überzeugung von der Unzerstörbarkeit des Heils der Christen wahrgenommen wird 17 . Offenkundiger als der antithetische Anschluß ist die Tatsache, daß die Israel-Problematik innerhalb von cap. 1-8, insbesondere in cap. 1 - 4 , an vielen Stellen berührt wird. Die Adressaten treten folglich nicht unvorbereitet in die Lektüre von cap. 9 - 1 1 ein. Die entscheidenden Voraussetzungen für die Rezeption von cap. 9-11, die im vorangehenden Teil des Rom geschaffen sind, 12 Nur in 9,24; 10,12 werden Juden und Heiden bzw. der Jude und der Grieche zusammengefaßt i.S. einer Kennzeichnung der vorchristlichen Existenz von Christen. 13 14

Vgl. Rese, Vorzüge 215. Vgl. dazu die Tabelle bei Koch, Schrift 21 f.

15

Vgl. Kümmel, Probleme 15 mit Anm. 1. Siegert weist darauf hin, daß im ττέπεισμαι von 8,38 das Ich aus 1,16 wiedererscheint und vermutet deshalb οϋ γ α ρ έπαισχύνομαι ... und πέττεισμαι γ ά ρ ... als „strukturelle Klammer" (Argumentation 114; vgl. auch Wedderbum, Reasons 107). Die semantische Nähe der beiden Wendungen läßt die Vermutung durchaus plausibel erscheinen. (Der Hinweis auf die 1. Person Singular allein ist noch nicht zwingend, vgl. 8,18.) 16

17 Vgl. Aletti: „l'exclamation de tristesse de 9,1-2 n ' a de sens que par son contraire, le cri d'emerveillement de Rm 8,31-39" (Dieu 151).

150

Analysen zur Textfunktion

sollen im folgenden anhand der exemplarisch ausgewählten Textabschnitte 1,16f.; 2,28f.; 3,Iff. aufgewiesen werden18. Dabei lassen l,16f.; 2,28f. eine „Hauptstoßrichtung" erkennen; die Behandlung „des Juden" hier liegt sachlich auf einer Linie, die auch in anderen einschlägigen Passagen zutage tritt. Demgegenüber setzt 3,1-4 einen anderen Akzent. α. 7 , 7 6 /

1,16f. nimmt eine doppelt hervorgehobene Position ein. Der Passus stellt mit seiner Einleitung durch eine bekenntnisartige Aussage 19 des Adressanten den Übergang her vom Proömium, das Adressant und Adressaten durchgehend und explizit erwähnt, zu den folgenden Ausführungen, in denen dies über weite Strecken nicht mehr der Fall ist. Der Adressant beginnt mit der Durchführung jenes εύαγγελίσασθαι, über das er zuvor zu seinen Adressaten gesprochen hat20, indem er das Evangelium, zu dem er sich bekennt, nun zum zweiten Mal (nach 1,2-4) näher bestimmt. Zum andern bietet 1,16b. 17 nach weitreichendem Konsens21 die entscheidende Themenangabe des Rom. Dieser Konsens enthält eine offene Frage, die in diesem Zusammenhang nur genannt und nicht gelöst werden kann. Unklar ist, wie weit die in 1,16f. gebotene Themenangabe eigentlich reicht. Unter den verschiedenen Möglichkeiten (bis cap. 5 2 2 ; bis einschließlich cap. 8 23 ; bis einschließlich cap. 11 24 ; für das ganze Briefcorpus 25 ) sind alle vertreten worden.

18 Solche Einschränkung aufs Exemplarische erscheint vor allem im Blick auf die Proportionen der vorliegenden Arbeit sinnvoll, zum andern aber auch deshalb, weil der gesamte Rom 9 - 1 1 vorangehende Kontext unter der Perspektive der Israel-Problematik in der Monographie von Lübking gründlich untersucht worden ist (Paulus 21-51). Zwar besteht eine Differenz in der Leitfrage: Während in der vorliegenden Arbeit (stärker pragmatisch) gefragt wird, wie der vorangehende Kontext die Adressaten auf die Rezeption von cap. 9 - 1 1 einstellt, geht es in Lübkings (stärker semantisch und am Autor orientierter) Arbeit um den „Aufweis der sachlichen Zusammengehörigkeit von Rom 1 - 8 und 9 - 1 1 " (ebd. 21). Weil Lübking dieser Frage aber durchgehend einzelexegetisch nachgeht, seine Ergebnisse folglich transponierbar sind, erschien eine erneute Bearbeitung aller einschlägigen Textpassagen unter der hier leitenden Fragestellung unökonomisch. - Der wichtigste - mit der Unterschiedlichkeit der Fragehinsichten zusammenhängende - Differenzpunkt ist folgender: Die These von dem über weite Strecken hin als Dialogus cum Judaeis aufzufassenden Rom, der sich Lübking anschließt (vgl. besonders Paulus 40.44ff.51), kann im Zusammenhang dieser Arbeit einfach deshalb keine Rolle spielen, weil sie den Text von vornherein und pauschal unter den Gesichtspunkt einer Auseinandersetzung rückt, in die man seinen Autor verwickelt sieht. 19

Zu ούκ έπαισχύνομαι s. z.B. Schlier, Römerbrief 42; Käsemann, Römer 19. S. o. S. 88f. Anm. 19. 21 Vgl. unter vielen anderen: Bultmann, Theologie 280; Luz, Aufbau 166 und die ebd. Anm. 20 genannte Literatur; Dunn, Analysis 2847. 22 Vgl. z.B. Luz, der jedenfalls den „Schlüsselvers" 1,17 „zunächst nur als Themaangabe für Rom. 1, 1 8 - 4 , 25, eventuell 5, 11", verstehen möchte (Aufbau 166). Für Dupont gehört das ganze cap. 5 in die Behandlung des in 1,16f. abgesteckten Programms (Structure 382f.). 23 In dieser Richtung z.B. Schlier, der 1,16f. als „Briefthema" annimmt (Römerbrief 34), dann aber doch die Selbständigkeit von cap. 9 - 1 1 gegenüber dem Vorangehenden betont („Es handelt sich also in der Tat um ein gegenüber 1,18-8,39 neues und in sich geschlossenes Thema" [ebd. 20

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

151

Die Schwierigkeit einer Verständigung in dieser Sache dürfte jedenfalls auch methodisch bedingt sein: Eine sinnvolle Auseinandersetzung setzt den Konsens über eine geregelte Verfahrensweise voraus, nach der (Teil-)Texte (Teil-)Themen zugeordnet werden können. Einen entscheidenden Schritt in Richtung größerer methodischer Klarheit ist Aletti 26 gegangen, der eine differenzierte Orientierung am rhetorischen Modell fordert und damit ein Stück weit über eine rein semantisch orientierte Verfahrensweise hinausführt. Danach besteht die erste Aufgabe in der Identifikation der propositiones. Eine propositio ist nach Aletti nicht nur eine Themenangabe, sondern eine These, auf die ein anschließender Argumentationsgang bezogen ist 27 . Durch die Bestimmung der propositiones und ihrer Beziehung zueinander und durch die Abgrenzung der von ihnen dominierten Argumentationseinheiten gelangt Aletti zur Beschreibung von 1,16-8,39 als eines linear und hierarchisch geordneten Gebildes: l,16f. stellt die übergeordnete, primäre propositio dar 28 , diese wird in sekundären propositiones (1,18; 3,21f.; 5,20f.) 29 weiterführend entfaltet. Von den sekundären propositiones sind die aneinander anschließenden Argumentationsgänge 1,18-3,20; 3,21-4,25; 5,1-8,39 3 0 jeweils bestimmt. Diese Argumentationsgänge sind für Aletti jeweils einzeln in Orientierung an der Disposition der antiken Rede zu begreifen. Alettis Vorschlag enthält Schwierigkeiten 31 , und seine Überlegungen zur Zuordnung von Rom 9 - 1 1 3 2 zeigen, daß das Verfahren genau dann an seine Grenzen stößt, wenn ein Teiltext, der offensichtlich als Einheit verstanden sein will, nicht explizit eine propositio formuliert, auf die er sich insgesamt beziehen läßt 33 . Wie

282]), wenngleich andererseits das Gesamtthema des Briefs, die Gerechtigkeit Gottes, in cap. 9 - 1 1 „nicht verlorengegangen" sei (ebd. 283). 24 Vgl. z.B. Rolland, Epitre 9.13; Fitzmyer, Romans 253. 25 Vgl. z.B. Dinkier, Prädestination 82; Dunn, Analysis 2847; Saß, Verheißungen 346. 26

Dieu, besonders 31-38; ders., Presence 1-24.

27

Dieu 36.

28

Dieu 38. Dieu 40.46. Dieu 40.48.

29 30

31 Z.B.: Die Einordnung von 5,1-11 als eines exordium und die von 5,12-21 als einer auf die propositio (5,20f.) hinführenden narratio (Dieu 48) in den Argumentationsgang 5,1-8,39 erscheint mir so kaum nachvollziehbar. 32 33

Dieu 152-154.

Der durch 9,1-5 und 11,33-36 gerahmte dreiteilige Argumentationsgang weist nach Aletti drei propositiones auf (in der Konsequenz des Vorschlags müßten sie als tertiäre propositiones eingestuft werden), die jeweils für einen Argumentationsteil gelten (9,6a: 9,6-29; 10,4: 9,30-10,21; 11,1a: 11,1-32). Das Fehlen einer cap. 9 - 1 1 übergreifenden (in der Konsequenz des Vorschlags: sekundären) propositio erklärt sich für Aletti so: Die Rettung Israels sollte als „revelation inattendue" erscheinen, und darum konnte keine Eingangsproposition formuliert werden, die darauf vorgegriffen hätte (Dieu 153). Man kann fragen, wie die Voraussetzung, nach der eine cap. 9 - 1 1 dominierende propositio unbedingt Israels Rettung hätte enthalten müssen, sich zu Alettis eigener Bestimmung des Argumentationsschwerpunkts von cap. 9 - 1 1 (vgl. dazu ebd. 202f.) verhält. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang: Alettis Erklärung geht von der Voraussetzung aus, daß Rom 9 - 1 1 überhaupt eine übergreifende propositio „fehlt", d.h. daß auch dieser Briefteil in einer Weise gebaut ist, die sich nach dem vorgeschlagenen Analyseverfahren erschließt. - Vermutlich würden die Grenzen bzw. der Modifikationsbedarf der Verfahrensweise noch deutlicher, wenn

152

Analysen zur Textfunktion

auch immer es sich mit diesen Schwierigkeiten und Grenzen genauer verhält, immerhin vermag Alettis Vorschlag die oft mehr oder weniger fraglos vorausgesetzte hervorgehobene Bedeutung von 1,16f. für den folgenden Kontext ein Stück weit am Text plausibel zu machen.

Die zweite und durch die thetische Formulierungsweise noch deutlicher als 1,2-4 als Definition gefaßte Bestimmung des Evangeliums in 1,16b. 17 bildet den Zusammenhang für die erste Erwähnung „des Juden" im Rom. Die - bekanntlich umstrittene - Auffassung von l,16b,17 3 4 entscheidet folglich über den Sinn dieser Ersterwähnung, die in einer Apposition ( Ί ο υ δ α ί ω τε π ρ ώ τ ο ν και "Ελληνι) an V. 16 angehängt ist. Blendet man diese Apposition zunächst aus, stellen sich V. 16b. 17 als drei syntaktisch und semantisch dicht miteinander verknüpfte Einheiten dar. V. 16b [ΤΟ εύαγγέλιον], δύναμις γάρ θεοϋ έστιν είς σωτηρίαν παντι τω τπστεύοντι,... V. 17a δικαιοσύνη γάρ θεού έν αύτφ αποκαλύπτεται έκ πίστεως είς πίστιν, V. 17b καθώς γέγραπται· ό δέ δίκαιος έκ πίστεως ζήσεται.

V. 17a begründet V. 16b; V. 17b ist als bestätigendes Schriftzitat angeschlossen. Semantisch sind für den Zusammenhang vier Bedeutungselemente konstitutiv: 1. „Evangelium" verbindet V. 16b (in έστίν enthaltenes Subjekt der Aussage) und V. 17a (έν αύτω). 2. „Gerechtigkeit Gottes" - „der Gerechte aus Glauben" 3 5 verbindet V. 17a und V. 17b. 3. „Rettung" - „Leben" verbindet V. 16b und V. 17b 36 . 4. Durchgehend rekurrent und daher alle drei Sätze miteinander verbindend ist „Glaube" (παντί τώ τπστεύοντι, έκ π ί σ τ ε ω ς εις ιτίστιν, δίκαιος έκ πίστεως). Beim ersten Vorkommen des durchgehenden Bedeutungselements „Glaube" verbinden sich zwei verschiedene Akzente 37 : Das Evangelium ist umfassend wirksame Rettungsmacht - für jeden Glaubenden, und es ist exklusiv wirksame Rettungsmacht - für jeden Glaubenden. Daß die Betonung auf dem

man sie auf den folgenden Briefteil (12,1-15,13) anzuwenden suchte. In diese Richtung geht der Vorschlag von Vouga mit der darin enthaltenen rhetorischen Beschreibung von 12,1-13,14 (Document 495; vgl. 493). 34 Vgl. z.B. die divergierenden Auffassungen von Koch (Schrift 289-291), Schmithals (Römerbrief 68f.) und Dunn (Romans 1 4 6 - 4 9 ) . Saß versucht, die Schwerpunkte der unterschiedlichen Interpretationsrichtungen miteinander zu verbinden und sieht daraufhin in 1,16f. ein „sachliches Geflecht" dreier Motive: 1. Gottesgerechtigkeit, 2. Einheit von Juden und Heiden, 3. „Selbigkeit, Wahrhaftigkeit und Treue Gottes" (Verheißungen 345). 35 Zur Zusammengehörigkeit von δίκαιος έκ ττίστεως vgl. z.B. Zeller, Juden und Heiden 62; Lübking, Paulus 24; Koch, Schrift 290f.; anders z.B. Schlier, Römerbrief 46; Schmithals, Römerbrief 69. 36 Vgl. Zeller, Juden und Heiden 62; Koch, Schrift 277.290f. 37 Vgl. Lübking, Paulus 23.

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zweiten Akzent liegt, ist durch das singularische πάς38 angedeutet und wird durch die Erwähnung der πίστις in den beiden folgenden Sätzen sichergestellt39. Die Gottesgerechtigkeit, die im Evangelium offenbar wird, begegnet exklusiv im Bereich des Glaubens (έκ πίστεως εις πίστιν) 40 und entsprechend heißt der von solcher Begegnung geprägte Mensch „der aus Glauben Gerechte". Entscheidend ist nun die Frage, wie sich die Wendung Ίουδαίω τε πρώτον και "Ελληνι einfügt in den Zusammenhang, der die exklusive Beziehung betont zwischen dem Evangelium als heilswirkender Gottesmacht bzw. der in ihm begegnenden δικαιοσύνη θεοΰ und dem Glauben, der nach der ersten Definition des Evangeliums in l,3f. und nach den vorausgehenden Erwähnungen der πίστις in 1,5.8.12 eindeutig i.S. des Glaubens an Christus gemeint ist. Die Antwort hängt ab von der Beurteilung des πρώτον 41 , das in Spannung zu stehen scheint zu der durch τε ... καί42 betont ausgedrückten Gleichordnung zwischen dem Juden und dem Heiden. Mit einer solchen Spannung ist dann zu rechnen, wenn man durch πρώτον eine Konzession an die Position des Juden ausgedrückt sieht, sei es im Sinn eines nur zeitlichen Vorsprungs in der Begegnung mit der Evangeliumsverkündigung43, sei es im Sinn

38 Anders wird z.B. in 3,22f. mit dem pluralischen εις πάντας τοϋς πιστεύοντας der Akzent eher auf den ersten Aspekt (den der Universalität) gelegt (vgl. auch Rom 11,32). Daß die Verwendung von Singular und Plural bei dem für den Rom charakteristischen πάς (vgl. Bornkamm, Testament 135; Zeller, Juden und Heiden 64 mit Anm. 110; Cranfield, Romans I 90) nicht völlig willkürlich erfolgt, läßt sich besonders gut an Rom 10,11-13 verdeutlichen: Die beiden (zitierten) Aussagen in V. 11.13 enthalten ein singularisches πας (im ersten Fall ist es dem Zitat hinzugefügt, im zweiten Fall mitzitiert), betont ist jeweils der exklusive Zusammenhang zwischen Glauben und Nichtzuschandenwerden bzw. zwischen Anrufen des Herrn und Rettung. V. 12b.c betont demgegenüber die universale Reichweite des Herrschaftsbereichs Christi, der sich auf πάντες bzw. auf πάντες οί έπικαλούμενοι αύτόν erstreckt. 39 Anders besonders Schmithals: „Der Apostel betont vielmehr: 'Für jeden, der glaubt'. Die Themenformulierung wird also von dem für das ganze Lehrschreiben charakteristischen 'alle' ... beherrscht, das zudem in V. 16b durch 'Juden und Griechen' deutlich im Sinne des Universalismus der Glaubensgerechtigkeit näher bestimmt wird" (Römerbrief 68). Bei dieser Inanspruchnahme der Apposition Ίουδαίω τε πρώτον και "Ελληνι fällt die pluralische Wiedergabe und die Nichtberücksichtigung des eigentlich problematischen πρώτον auf. Die Bewertung der Apposition als Indiz für eine schwerpunktmäßig universalistische Akzentsetzung fügt sich auch nicht besonders gut zu der dann folgenden (ebd. 68f.) Auslegung dieser Apposition. 40 Zur doppelten Präpositionalwendung s. die prägnante Erläuterung von Cranfield: „an emphatic equivalent of έκ πίστεως, the εις πίστιν having much the same effect as the 'sola' of 'sola fide'" (Romans I 100). Anders z.B. Dunn (Romans I 45f.) und Saß (Verheißungen 360f.), die έκ πίστεως auf Gottes Treue beziehen möchten. 41 Die von einigen Zeugen gebotene Lesart ohne πρώτον geht möglicherweise auf Marcion zurück (vgl. Zahn, Römer 75 Anm. 44). Weil sie eine eindeutige Vereinfachung bietet, wird ihre Ursprünglichkeit gegenwärtig (anders z.B. noch Weiss, Rhetorik 212f.) wohl auch nicht mehr vertreten. 42 Vgl. Bl/Debr/Rehk § 444.2: ,,τε ... καί verknüpft enger als das einfache καί". 43 Vgl. z.B. Lagrange, Romains 19; Dinkier, Prädestination 243; Rese, Vorzüge 214.

154

Analysen zur Textfunktion

eines sachlichen Vorrangs 44 , der dann etwa „in the light of Paul's confident statement in 11,29" zu sehen sei 45 . Gegen diese Deutung, die in πρώτον eine wie auch immer zu bestimmende Besonderheit des Juden positiv gewertet und sie in dieser positiven Wertung der betonten Gleichordnung mit dem Griechen ein- oder untergeordnet sieht, spricht vor allem die Tatsache, daß das angenommene „konzessive" Verhältnis, in dem das eine Wort πρώτον zu seinem unmittelbaren Kontext steht, in keiner Weise angezeigt ist. Gegen die Deutung in ihrer ersten Spielart spricht außerdem die Einbindung der Apposition in den Zusammenhang des übergeordneten Satzes. Im Anschluß an die präsentische Definitionsaussage, δύναμις γ α ρ θεοΰ έστιν εις σωτηρίαν παντι τω πιστεύοντι erscheint eine „mehr historische Notiz" über die zuerst an die Juden gerichtete Evangeliumsverkündigung eher störend 46 ; sie ist als Rückblick wegen des dann anzunehmenden, aber nicht angezeigten Perspektivenwechsels wohl auch kaum erkennbar. Letzteres gilt aber nun auch für die „konzessive" Deutung in ihrer zweiten Spielart: Gerade die Tatsache, daß solche Exegeten, die in πρώτον einen bleibenden Vorrang geltend gemacht sehen, häufig zur Erläuterung ihrer Ansicht auf Rom 3,1-4 oder auf Rom 9 - 1 1 (bzw. auf Teile daraus) verweisen 47 , ist ein Indiz für die Schwierigkeit, den Vorrang des Juden an dem zur Debatte stehenden Text von 1,16f. aufzuweisen. Den Briefadressaten, die bis hin zu 1,16f. und noch nicht weiter gelangt sind, gibt dieser Text jedenfalls kaum eine Chance, πρώτον als Konzession, geschweige denn deren Inhalt, auszumachen 48 . Unter der Perspektive der hier leitenden Fragestellung liegt es näher, das πρώτον statt als „konzessiven Widerhaken" soweit wie möglich auf der Linie der These von 1,16b. 17 zu verstehen 49 . Ί ο υ δ α ί ω und "Ελληνι sind Aufgliederung des vorangehenden παντί τω τπστεύοντι; die Ausdrücke kennzeichnen den Glaubenden nach dessen früherer Existenz als Jude oder Grieche. Folglich umschreibt die Apposition konkretisierend, für wen die Behauptung des Evangeliums als einer im Glauben Rettung wirkenden Macht Gottes gilt. Wenn das zutrifft, dann will das Ί ο υ δ α ί ω τε πρώτον die Gültigkeit dieser Behauptung

44

Vgl. z.B. Cranfield, Romans I 91, Wilckens, Römer I 86; Stuhlmacher, Römer 29; Dunn, Romans 140. 45 Cranfield, Romans 191. Die anderen in der vorigen Anm. genannten Forscher verweisen auf Rom 3,1.2 oder 3,1-4 und 9,4f.6 oder auf cap. 9-11 insgesamt. 46 Vgl. Lübking, Paulus 25. 47 S. die vorletzte Anm. 48 Die Ansicht, nach der πρώτον zwar auf einen Vorrang hinweist, diesen aber nur als einen faktisch schon aufgehobenen und eigentlich ungültigen erwähnt (vgl. z.B. Lietzmann, Römer 30; Schmithals, Römerbrief 69), ist dem Text von 1,16f. erst recht nicht zu entnehmen. 49 Mit Suhl, Paulus 281; Lübking, Paulus 25f.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

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„auch und gerade für den Juden"50 festhalten. D.h.: Das πρώτον schafft kein Gegengewicht im Duktus des Textes, sondern unterstreicht, daß auch dem Juden kein Weg zur Rettung offensteht, der an der sich exklusiv dem Glaubenden mitteilenden Rettungsmacht des Evangeliums vorbeiführt. Durch diese Unterstreichung erscheint die Geltung der vorangehenden Behauptung für den Juden als etwas Nicht-Selbstverständliches, darum ergibt sich aus ihr eine kritische Akzentsetzung. Zwar wird durch diese kritische Akzentsetzung „eine reale Sonderstellung Israels nicht aufgehoben" 51 , diese Sonderstellung wird in 1,16f. aber noch nicht thematisiert52. Sie erscheint hier vielmehr unter negativem Aspekt, nämlich hinsichtlich ihrer Irrelevanz für die in 1,16b. 17 aufgestellte These vom Evangelium als Rettungsmacht, von der in ihm offenbaren Gottesgerechtigkeit und vom Glauben als der einzigen Begegnungsweise da-

Die Interpretation, die in πρώτον keine Konzession, sondern die besondere Gültigkeit der übergeordneten These ausgedrückt sieht, erfährt eine Bestätigung bei der Wiederaufnahme der Wendung 'Ιουδαίος τε πρώτον και "Ελλην 53 innerhalb des chiastisch gebauten und durch 2,6.11 gerahmten Passus 2,7-10 54 . V. 7f. erläutert antithetisch die Aussage über Gottes Vergeltung, die sich jedem gegenüber (έκάστω) am Maßstab der Werke orientiert (V. 6). Sinngemäß wird die Antithese in umgekehrter Reihenfolge, mit veränderter Satzstellung und singularischer Nennung der jeweils Betroffenen in V. 9f. wiederholt. Das in beiden Gliedern dieser Wiederholung enthaltene πάς und das jeweils angeschlossene Ιουδαίος τε πρώτον και "Ελλην hebt die universale und unterschiedslose Geltung des am Maßstab der Werke orientierten Gerichts hervor. Eben dieser in 2,9f. hervorgehobene Gesichtspunkt wird im abschließenden V. 11 mit der Aussage über Gottes 50 Suhl, Anlaß 130. - Vgl. auch die in diese Interpretationsrichtung weisende Übersetzung bei Holsten: „für jeden, der da glaubt, für den Juden sowohl und erst recht, als auch für den Hellenen" (Gedankengang 103). 51 Lübking, Paulus 26. 52 Von der Verheißung Gottes im Sinne eines ,,ungenutzte[n] Privileg[s] Israels", durch das dieses Volk in besonderer Weise dem Evangelium zugeordnet ist (Zeller, Römer 43), ist an dieser Stelle noch nicht die Rede. Auch der Hinweis auf 1,2 trägt in dieser Hinsicht nicht viel aus, weil die Aussage über das vorherverheißene Evangelium die Empfänger des durch Gottes Propheten vollzogenen π ρ ο ε π α γ γ έ λ λ ε σ θ α ι nicht nennt und folglich nicht das Interesse auf Israel als Empfänger lenken will. 53 Zwischen 1,16 und 2,9 werden die beiden Gruppen .Juden" - „Griechen" bzw. „Heiden" kein einziges Mal - weder zusammen noch einzeln - explizit erwähnt. Dieser Sachverhalt nimmt sich im Zusammenhang der traditionellen Einteilung in 1,18ff. als Anklage gegen die Heiden und 2,Iff. als Anklage gegen die Juden (vgl. z.B. Lietzmann, Römer 38f.; Bornkamm, Offenbarung 26f.; Käsemann, Römer 49f.; Cranfield, Romans I 138f.) störend aus. Die traditionelle Einteilung ist in der neueren Diskussion mehrfach in Frage gestellt worden, und zwar besonders unter Berufung auf die betont allgemeine Adressierung (ώ ά ν θ ρ ω π ε π α ς ό κρίνων) von 2,1-5 (vgl. z.B. Stowers, Diatribe 112; Bassler, Impartiality 135f.; Meeks, Judgment 296): Der Text, der in 2,1 den abstrakten Typus des richtenden Menschen anredet, zielt gerade nicht auf eine Identifikation derer, auf die die Typus-Beschreibung zutrifft. 54

Zur Struktur von 2,6-11 vgl. Bassler, Impartiality 125.

Analysen zur Textfunktion

156

U n p a r t e i l i c h k e i t explizit f o r m u l i e r t . W e g e n d e r D o p p e l u n g d e s π ρ ώ τ ο ν i m n e g a t i v e n u n d p o s i t i v e n Teil d e r A n t i t h e s e ist d e u t l i c h , d a ß d i e d a m i t a u s g e d r ü c k t e B e s o n d e r h e i t d e s J u d e n n i c h t s m i t d e m A u s g a n g d e s G e r i c h t s zu t u n h a b e n k a n n . F o l g l i c h d ü r f t e d a s π ρ ώ τ ο ν a u c h h i e r auf d i e b e s o n d e r e G ü l t i g k e i t d e s z u v o r ( V . 6 ) f o r m u l i e r t e n G r u n d s a t z e s ( G e r i c h t n a c h d e n W e r k e n ) zielen. D a s b e d e u t e t z u g l e i c h : D a s π ρ ώ τ ο ν trägt a u c h h i e r e i n e n k r i t i s c h e n A k z e n t , s o f e r n es e i n e g e d a c h t e S o n d e r s t e l l u n g d e s J u d e n i m G e r i c h t g e r a d e a u s s c h l i e ß e n will. D i e F o r t s e t z u n g in 2,12— 16 zeigt, d a ß d i e s e g e d a c h t e S o n d e r s t e l l u n g m i t d e m G e s e t z zu t u n h a t 5 5 . b.

2,28f.

D i e kritische Stoßrichtung erreicht eine Spitze in der definitionsartigen grenzung des wahren

vom

vermeintlichen

Juden

(2,28f.). D e r Passus

einem Gespräch mit einem fiktiven jüdischen Partner56, das nach 2,27

Abfolgt ab-

bricht5?. D e n Einsatz dieses Gesprächs (2,17) bildet nicht etwa eine

unproblemati-

sche A n r e d e des D u als Jude, vielmehr wird das D u durch die v o n i h m selbst beanspruchte Bezeichnung

Ι ο υ δ α ί ο ς beschrieben. Ei δέ σύ

'Ιουδαίος

επ-

ο ν ο μ ά ζ ε ι stellt s o m i t d a s erste e i n e r R e i h e v o n d e s k r i p t i v e n E l e m e n t e n 5 8 dar, die den fiktiven Kommunikationspartner wirklichen

Adressaten

Selbstverständnis

greifbar werden

beschrieben,

das

im Text aufbauen und ihn für die lassen. E r w i r d z u n ä c h s t in

sich

mit

dem

beanspruchten

seinem

Jude-Sein

verbindet59. Mit diesem Selbstverständnis wird von V. 21 an60 das gegenläufige Verhalten des D u konfrontiert. Eine Z u s a m m e n f a s s u n g dieser Polemik, die d e m fiktiven Gegenüber die Diskrepanz zwischen Anspruch und tatsächlichem Sein entgegenhält,

findet sich in 2,2361:

δς

έν

νόμω

καυχάσαι,

δια

της

55 Vgl. Zeller, Juden und Heiden 151: Gemeint ist der Jude, „der sich auf die Gabe des Gesetzes als solche etwas zugute hält"; gerade ihm wird „die Adäquatheit von Tun und Ergehen" entgegengehalten. 56 „Fiktiv" meint in diesem Zusammenhang natürlich: als Kommunikationspartner fiktiv. 57 Anders sieht Stowers in seiner älteren Arbeit das Ende des Gesprächs schon in 2,24 (Diatribe 80.112). Vermutlich ist er dabei von der Vielzahl formaler Parallelen geleitet, die 2,17-24 mit vergleichbaren Textabschnitten aus der Diatribe verbinden, in denen ein fiktiver Einredner angesprochen wird (s. dazu ebd. 96-98). Andererseits: Das in V. 25.27 angesprochene „Du" ist eindeutig identisch mit dem „Du" aus V. 17ff. Umgekehrt rechnet Elliott nicht nur V. 25-27, sondern auch noch V. 28f. dem Gespräch zu (Rhetoric 127). Für letzteres scheinen mir eigentlich keine Anhaltspunkte vorzuliegen. Demgegenüber wird der Abbruch der direkten Anrede in V. 28f. von Schmithals (Römerbrief 100) zutreffend registriert, die inhaltliche Seite dieser formalen Beobachtung wird von ihm dann aber nicht weiter verfolgt. 58 Zu diesen deskriptiven Elementen zählen 2,17-20, die vier partizipialen Wendungen in V. 21 f. und außerdem V. 23a.27b. 59 Im letzten der deskriptiven Elemente (V. 27b) ist das nicht mehr der Fall. 60 Zur Interpretation des Anakoluths (der V. 17-20 umfassende ει-Satz bleibt ohne Fortsetzung) s. Bornkamm, Anakoluthe 77f. 61 Vgl. Bornkamm, Anakoluthe 78; Koch, Schrift 260; zur bestätigenden Funktion des Zitats in V. 24, die ihrerseits die Auffassung von V. 23 als Aussage- (nicht als Frage-) Satz nahelegt, s. Koch, ebd. 260f.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

157

παραβάσεως τοΰ νόμου τον θεόν άτιμάζεις. Bei aller Schärfe der Polemik - die vom Du beanspruchte Rolle eines Heilsvermittlers (2,19.20a.b) wird geradezu ins Gegenteil verkehrt62 - ist ihr Maßstab doch ein mit dem jüdischen Gegenüber gemeinsamer: Sie orientiert sich an der Einhaltung des νόμος, der für das beanspruchte Jude-Sein des Du konstitutiv ist (2,17). An diesem Maßstab bleibt im Prinzip auch die Fortsetzung in 2,25f. noch orientiert, die den Wert der Beschneidung als eine von Gesetzesübertretung bzw. von Gesetzeseinhaltung abhängige Größe darstellt. Erst in der das Gespräch abschließenden Gerichtsansage an das jüdische Gegenüber (V. 27) deutet sich ein grundsätzlicher Perspektivenwechsel an63. Die Existenz des als παραβάτης νόμου bezeichneten Du wird hier als eine durch γράμμα und περιτομή bestimmte beschrieben: ... σέ τον διά γράμματος και περιτομής παραβάτην νόμου 64 . Dabei steht περιτομή (V. 27b) im Gegensatz zu V. 27a (ή έκ φύσεως άκροβυστία τον νόμον τελούσα); die „natürliche Unbeschnittenheit", die das Gesetz erfüllt, ist nach V. 26 die Unbeschnittenheit, die als Beschneidung gerechnet werden wird. Die περιτομή aus V. 27b steht folglich im Kontrast zur eschatologisch gültigen Beschneidung; das mit περιτομή verbundene γ ρ ά μ μ α teilt diese Kontrastposition und damit den pejorativen Sinn, der sich aus ihr ergibt 65 . Aus diesem Sinn von γ ρ ά μ μ α ergibt sich zugleich ein Kontrast zu dem in dieser Beschreibung des jüdischen Du verwendeten Ausdruck νόμος. Die Bestimmung des Du als einer durch γ ρ ά μ μ α (und περιτομή) gekennzeichneten Existenz sperrt sich gegen ein Verständnis der gleichzeitigen Kennzeichnung dieses Du als π α ρ α β ά τ η ς νόμου im Sinne des Übertreters von Gesetzesvorschriften. Der (durch die Verbindung mit dem Ausdruck περιτομή und dessen Relation zum vorangehenden Kontext sichergestellte) pejorative Sinn von γ ρ ά μ μ α drängt vielmehr zum Verständnis von νόμος im positiven Sinn als des die Gesetzesvorschriften übergreifenden, jedenfalls von ihnen zu unterscheidenden heiligen Gotteswillens 66 .

Mit der Unterscheidung von γράμμα und νόμος tendiert V. 27b in die von Lübking prägnant formulierte Richtung: „Trotz Erfüllung des Gesetzes als γράμμα kommt es zum Verfehlen des Gesetzes als dem heiligen Gotteswillen"67. Auch wenn diese letzte umschreibende Kennzeichnung des Gegenübers 62 63 64

Das bestätigende Zitat in 2,24 unterstreicht diesen Sachverhalt. Vgl. dazu Lübking, Paulus 29. Zu διά bei Angaben des begleitenden Umstands s. Bauer/Aland, Wb. 360.

65 Bekanntlich hat γ ρ ά μ μ α im Singular bei Paulus auch sonst pejorativen Sinn: Rom 7,6; 2Kor 3,6. Weil sich die paulinische Akzentuierung des Ausdrucks aber nicht ohne weiteres aus dem vorausliegenden Sprachgebrauch ableiten läßt (vgl. Käsemann, Römer 71f.), nützt der Hinweis auf die übrigen paulinischen Belege bei der Frage nach der Mitteilungsabsicht des Textes den römischen Adressaten gegenüber wenig. 66 Zu demselben Ergebnis gelangt Klein (Sündenverständnis 256f.) für die Verwendung von νόμος in 2,27a (και κρίνει ή έκ φύσεως άκροβυστία τόν νόμον τελούσα), allerdings aufgrund eines mehr autorbezogenen Interpretationsverfahrens, das sich an der paulinischen Verwendung von τ ε λ ε ΐ ν (2Kor 12,9; Gal 5,16) orientiert. 67 Paulus 29.

158

Analysen zur Textfunktion

in V. 27b nicht explizit in diesem Sinn gefüllt ist, gibt der Text selbst doch zumindest dies zu erkennen: Der Maßstab, in dem sich der vom fiktiven Gegenüber erhobene Anspruch und die ihm entgegengehaltene Polemik zunächst noch treffen (V. 23), also die Gesprächsgrundlage, ist durch die Differenzierung von γράμμα und νόμος (durch die den Ausdrücken in V. 27 beigelegten unterschiedlichen Konnotationen) zerbrochen. Dem korrespondiert formal das Ende der Hinwendung zum fiktiven jüdischen Du, das in dem begründend angeschlossenen Passus V. 28f. nicht mehr angeredet wird. Die dem fiktiven Gespräch folgende Definition des Juden bzw. der Beschneidung orientiert sich denn auch nicht mehr am Maßstab des Gesetzes, dessen Übertretung dem Du in V. 23 vorgeworfen wurde. Die gegenläufige Auffassung des in V. 28f. enthaltenen Konzepts des Ι ο υ δ α ί ο ς („The true Jew is thus defined strictly in terms of works" 68 ) scheitert vor allem an dem von Klein 69 in diesem Zusammenhang geltend gemachten Gegensatz zwischen φανηρός als Merkmal des scheinbaren Juden (V. 28) und κρυπτός als Merkmal des eigentlichen Juden (V. 29). Die Einhaltung von Gesetzesvorschriften läßt sich ja gerade nicht als etwas Verborgenes von ihrer Übertretung als etwas Offenkundigem unterscheiden, vor allem läßt sich der Ausschluß des Menschenlobs (V. 29c) in bezug auf den so verstandenen wahren Juden nicht plausibel machen. Die für das neue Konzept des Juden leitende Perspektive ergibt sich vielmehr aus der Kennzeichnung der eigentlichen Beschneidung, die der in V. 28b erwähnten „falschen" Beschneidung kontrastiert ist: έν τω φανηρώ περιτομή καρδίας

έν σαρκί έν πνεύματι

περιτομή ού γράμματι

V.28b V.29b

Diese eigentliche Beschneidung steht der vermeintlichen Beschneidung nicht nur als „Herzensbeschneidung" 70 gegenüber, sondern zugleich durch ihre Einbindung in den Wirkungsbereich des Gottesgeistes und ihre Abgrenzung von dem des γράμμα. In der Verknüpfung mit dieser dreifach antithetischen Bestimmung der wahren Beschneidung ist deutlich, daß mit dem Juden „im Verborgenen" (V. 29a) kein innerliches, sondern ein eschatologisches Phänomen gemeint ist 71 . Zugleich ist aber auch deutlich: Die bekannte, positiv identifizierende Erläuterung Käsemanns: „Der wahre Jude ist allein der Christ" 72 , mag zwar die Intention des historischen Autors Paulus treffen, die Mitteilungsabsicht des Textes will aber an dieser Stelle noch gar nicht auf solche geschicht68 69

Bassler, Impartiality 152; vgl. ähnlich Elliott, Rhetoric 129. Sündenverständnis 258.

70 Zum Motiv der Herzensbeschneidung s. Käsemann, Geist und Buchstabe 249f. Auf diesem Kontrast liegt z.B. in der Interpretation von Bassler (Impartiality 152) alles Gewicht; die eine Kontrastrelation läßt sich aber nicht aus dem zwei weitere enthaltenden Gefüge herauslösen. 7 ' Vgl. besonders Käsemann, Römer 70f. 72

Geist und Buchstabe 247; vgl. Wilckens, Römer I 157; Lübking, Paulus 29; Räisänen, Verständnis 187.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

159

liehe Konkretion des eschatologischen Juden hinaus73. V. 28f. zielt eben nicht auf die Beschreibung eines tatsächlich gegebenen Sachverhaltes" mit der Funktion, „die Christen als die Empfänger und Manifestationen der Herzensbeschneidung herauszustellen"74. Es geht hier vielmehr um so etwas wie einen Entwurf des wahren Jude-Seins. Dieser Entwurf wird in einer primär kritischen Funktion präsentiert, weil in ihm das Gesetz als γράμμα und die sichtbare, körperliche Beschneidung - nach V. 27b also das, was das fiktiv angesprochene jüdische Du charakterisiert - als Konstitutionsmerkmale des wahren, unanschaulichen und nur von Gott bestätigten Jude-Seins ausgeschlossen werden und das πνεύμα an ihre Stelle tritt. Zwischen 2,28f. und 1,16f. besteht eine strukturelle Übereinstimmung. In beiden Fällen bezieht sich die eigentliche These auf einen soteriologischen bzw. eschatologischen Sachverhalt: auf das Evangelium, das exklusiv dem Glaubenden die Gottesgerechtigkeit und damit Rettung zuteil werden läßt, bzw. auf den wahren, für Menschen nicht identifizierbaren Juden, der seine Bestätigung von Gott her erhält. In beiden Fällen wird einer besonderen Nähe des empirischen Juden zu dieser soteriologischen bzw. eschatologischen Wirklichkeit widersprochen. Diese kritische Tendenz stellt bei der Behandlung der Juden in dem cap. 9-11 vorangehenden Teil des Rom zweifellos die Hauptstoßrichtung dar; sie tritt besonders deutlich in cap. 3 (3,9.19f.22.28-30) und 4 (4,11-17), indirekter aber auch in cap. 5-8 (besonders 5,12-21) zutage. c. 3,1-4 Von dieser Hauptstoßrichtung ist nun aber die Antwort auf die Frage nach dem Besonderen des Juden75 und dem Nutzen der Beschneidung (3,1) in 3,2 zu unterscheiden: πολύ κατά πάντα τρόπον, πρώτον μεν [γάρ] δτι έπιστεύθησαν τά λόγια τοΰ θεοϋ. Die Auffassung und Gewichtung dieser Antwort hängt von der Einschätzung ihres Kontextes ab. Entscheidend dabei ist die Frage: Wird die eindeutig positive Auskunft durch die unmittelbar anschließenden Ausführungen bzw. durch die scheinbar völlig gegenläufige Antwort in 3,9 überholt, also in der Rezeption der Adressaten gleichsam gelöscht, oder nicht? Die Einleitungsfrage (3,1) folgt aus 2,28f.76. Sie gibt sich mit der dort aufgestellten Antithese zwischen dem Juden bzw. der Beschneidung als vorfindli73 Vgl. ähnlich Zeller, Römer 74. Zutreffend erscheint auch Zellers Hinweis, der Geist werde hier „nicht ausdrücklich als Wirkung der Gnade Christi erkennbar" (ebd.), wenngleich andererseits doch zu beachten ist: Im Kontrast zu σάρξ findet sich πνεΟμα im vorangehenden Rom ein einziges Mal, und zwar im christologischen Zusammenhang der ersten Definition des Evangeliums in l,3f. 74

Käsemann, Geist und Buchstabe 243 (Hervorhebung von mir). ιτερισσόν meint nicht einfach „Privileg" (vgl. Lagrange, Romains 61), sondern eher den „Überschuß" (vgl. Bauer/Aland, Wb. 1312), das „Besondere" im positiven Sinn. 76 Räisänen weist zu Recht darauf hin, daß man diese Frage durchaus nicht als gegnerischen Einwand verstehen muß (Verständnis 187 Anm. 3; vgl. auch Lagrange, Romains 61; Penna, Func75

160

Analysen zur Textfunktion

eher und als esehatologiseher Wirklichkeit nicht zufrieden, sondern stellt die darin enthaltene Abwertung des empirischen Jude-Seins als Problem heraus. Die Antwort in 3,2 ist nun nicht nur deshalb erstaunlich, weil sie eine Vielzahl positiver Besonderheiten (πολύ κ α τ ά π ά ν τ α τρόπον) anzukündigen scheint, dann aber doch nur die „in erster Linie" (πρώτον 7 7 ) geltende nennt 78 , sondern vor allem, weil sie eine neue Perspektive geltend macht, die sich im Wechsel von Tempus und Numerus andeutet. Die Besonderheit „des" Juden besteht nicht in einem - jedenfalls dem Anspruch nach - jeden einzelnen Juden kennzeichnenden Sachverhalt, sondern darin, daß „ihnen" (den Juden) 79 in der Vergangenheit die λόγια του θεοΰ anvertraut wurden. Der Ausdruck λόγια του θεοΰ wird in der Forschung oft inhaltlich zu füllen versucht 80 , tatsächlich drängt aber weder die umfassende Wortbedeutung 81 noch der Kontext zu einer inhaltlichen Präzisierung. Vielmehr liegt „der Akzent ... darauf, daß Gott zu diesem Volk gesprochen hat" 82 und es so zu sich in Beziehung gesetzt hat.

tion 75). Auch Stowers betont, daß die einleitende Frage aus den vorangehenden Ausführungen folgt (Dialogue 716). Schwer nachvollziehbar ist aber die für seine Exegese von 3,1-9 grundlegende These, nach der sich in 3,1 (und in 3,4.6.9a) der fiktive jüdische Gesprächspartner meldet, der in 2,17ff. angeredet wurde (ebd. 715). Unabhängig von der konkreten Zuweisung der einzelnen Passagen an den Adressanten und seinen fiktiven Gesprächspartner (vgl. dazu, besonders zur Zuweisung von 3,4 an den Partner, kritisch Räisänen, Verständnis 203) ist vor allem festzuhalten: Im Text von 3,1-9 wird kein fiktiver Gesprächspartner angedeutet. Wenn man dennoch meint, aus der Nähe zum Stil der Diatribe einen solchen postulieren zu müssen, dann ist damit noch nicht dessen Identität mit dem Du aus 2,17-27 sichergestellt. Gerade wenn man wie Stowers 3,1-9 als innerjüdisches, lehrhaftes Gespräch auffassen wollte, in dem der Adressant die Lehrer- und der fiktive Partner die Schülerrolle innehat (Dialogue 722), ist nicht einzusehen, wie diese Fiktion die Fortsetzung sein könnte jener anderen Fiktion aus 2,17-27, in der ein jüdisches Du bis auf dessen Grundfesten hin angegriffen wird. Für Stowers ergibt sich dieser Zusammenhang denn auch nicht aus dem Text, sondern aus dessen diatribischem Hintergrund, der ihn den polemischen Charakter von 2,17-24 bestreiten läßt: „such apostrophes and dialogues are almost always directed toward students or potential students in the diatribe" (ebd.). Zu Stowers' Analyse von 3,1-9 vgl. auch die Kritik von Penna, der die Figur des Einredners für überbetont hält und im Text selbst keinen Anhalt sieht für die Aufteilung von 3,1-9 auf alternierende Sprecher (Function 74 Anm. 55). 77

Vgl. 1,8. Vgl. dazu Lagrange: Man weiß nicht, woran der Autor bei π ο λ ύ sonst noch gedacht haben mag, die einzig genannte Besonderheit stellt jedenfalls eine Art Zusammenfassung aller anderen dar oder weist auf deren Quelle hin (Romains 61). 79 Penna macht auf den Wechsel im Numerus aufmerksam, rechnet ihn aber zu den „literary inconsistencies" des Abschnitts (Function 73). 80 Meist denkt man an die Verheißungen (Lietzmann, Römer 45; Räisänen, Verständnis 188; Balz, Art. λόγιον 878), an „die Gottes Bund mit seinem Volk begründenden Heilszusagen" (Bomkamm, Teufelskunst 142f.). Andere Möglichkeiten z.B. bei Lagrange, Romains 62; Stuhlmacher, Römer 50. 81 Vgl. dazu Kittels Hinweise auf LXX ψ 118, wo λόγιον τοΰ θεοΰ mehrfach ohne Bedeutungsunterschied mit λ ό γ ο ς τοΰ θεοΰ wechselt (Art. λόγιον 141). Doeves ausführliche Untersuchung führt zu dem Ergebnis: „in the Jewish sphere λόγιον became a term indicating God's revelation in Holy Scripture" (Notes 121). 82 Zeller, Juden und Heiden 87. 78

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

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D.h.: Das Besondere des Juden ist kein von jedem einzelnen Juden zu beanspruchendes Merkmal, sondern die von Gott in der Vergangenheit gesetzte Beziehung seiner selbst zum jüdischen Volk. In diese Richtung weist auch die geradlinige Fortsetzung des Gedankens von 3,2 in 3,3 83 , die mit dem ausdrucksformal hervorgehobenen Kontrast zwischen dem άτηστεΐν bzw. der άπιστία „einiger"84 und der πίστις τοΰ θεοΰ an die Israel „anvertrauten" Worte Gottes (έτπστεύθησαν) anknüpft und diese somit als Äußerung der Treue Gottes begreift. Die rhetorische Frage von V. 3 hebt hervor, daß die Treue Gottes unabhängig ist von einem gegenläufigen Verhalten derer, denen diese Treue gilt. Das bedeutet im Rückbezug auf V. 2 zugleich: Die „anvertrauten" Worte Gottes, die das Besondere des Juden ausmachen, sind einseitig in der Treue ihres Gebers verankert und von der Verfassung ihrer Empfänger gleichsam abgekoppelt 85 . Diese schon in V. 3 vorgenommene Zuordnung ist für das Verständnis von V. 4 entscheidend, μή γένοιτο macht die in der vorangehenden Frage enthaltene Negation explizit; V. 4b bekräftigt diese Negation durch den Ausblick auf das ersehnte Resultat des in V. 4c (im Zitat von LXX ψ 50,6) erwähnten Rechtsstreits zwischen Gott und Mensch, aus dem Gott als Sieger hervorgeht: γινέσθω δέ ό θεός αληθής, π ά ς δέ άνθρωπος ψεύστης 8 6 . Der Kontrast verweist also auf eine Wirklichkeit, die „umfassend gültig offenbar wird und werden soll: den radikalen Gegensatz zwischen Gottes Wahrheit und der Lüge aller"87. Der Gegensatz αληθής - ψεύστης korrespondiert dem in V. 3 vorangehenden Gegensatz π ί σ η ς - άπιστία. Der entscheidende Punkt, in dem die 83 Gegen die Auffassung von 3,3 als eines Einwandes (in dieser Richtung s. z.B. Bornkamm, Teufelskunst 143; Wilckens, Römer I 161f.; Stowers, Diatribe 119) vgl. Cranfield, R o m a n s I 179; Stowers, Dialogue 715f.; Lübking, Paulus 31, allerdings mit im übrigen völlig unterschiedlichen Auffassungen von 3,3. Schon in seiner früheren Arbeit hatte Stowers darauf hingewiesen, d a ß τί γ ά ρ in den von ihm ausgewerteten Diatribe-Texten nicht als geläufige Formel zur Einleitung von Einwänden und falschen Schlußfolgerungen vorkommt (Diatribe 133). Die Übersetzung „Denn was ist?" (Zeller, Römer 76) bringt den anknüpfenden Charakter der 3,3 einleitenden Frage zum Ausdruck. 84 Das unbestimmte τ ι ν έ ς läßt sich m.E. einfach erklären: Jeder bestimmtere Hinweis (etwa der auf die große Mehrheit der Juden) hätte vom Kern der Aussage abgelenkt. 3,3 zielt darauf, daß die Untreue, die sich in Israel ereignet hat, Gottes Treue nicht ins W a n k e n bringt. Eine Präzisierung des Ausmaßes dieser άπιστία hätte dem Satz Anklagecharakter gegeben, und darum geht es an dieser Stelle nicht. 85 Zutreffend meint Lübking: Das, was den Juden in 3,2f. bestätigt wird, liegt „offenbar auf einer anderen Ebene als die dem Juden ... entrissenen Privilegien von Rom 2 " (Paulus 32). 8 6 Daß sich schon die (LXX ψ 115,2 aufnehmende) Formulierung von V. 4b auf die Vorstellung eines gegen Gott angestrengten Prozesses (έν τ ω κ ρ ί ν ε σ θ α ί σ ε [V. 4c]) bzw. auf dessen Ergebnis bezieht, liegt wegen des Imperativischen γ ι ν έ σ θ ω nahe. In der Interpretation von V. 4 aus der Perspektive des Rechtsstreits stimmen in der deutschsprachigen Forschung viele Beiträge überein (vgl. Lübking, Paulus 32.110 Anm. 157). Anders z.B. Cranfield, Romans I 181 f.; Räisänen, Verständnis 194f.; Stowers, Dialogue 716f., die sich Uber die Auffassung von V. 4b als eines Axioms einig sind. 87

B o m k a m m , Teufelskunst 143.

162

Analysen zur Textfunktion

eschatologische Aussage von V. 4 weiterführt, liegt in der universalen Ausweitung des zweiten Kontrastgliedes: Mit dem endgültigen Offenbarwerden der Wahrheit Gottes stellt sich jeder Mensch als Lügner heraus. Auf diese Weise ist Israel eindeutig in „die Gemeinschaft der Gottlosen gezogen"88. Rückblikkend auf V. lf. stellt sich von hier aus die Frage: Wird durch diese unterschiedslose Einebnung Israels die emphatische Bejahung eines περισσόν des Juden nachträglich zurückgenommen?89 Die Frage ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn man V. 3 in der oben vorgeschlagenen Weise nicht als einen zum Textgefälle querliegenden Einwand liest, sondern als direkte Fortsetzung von 3,lf. Diese Fortsetzung mit ihrer Betonung der einseitigen Treue Gottes klärt die Perspektive, unter der die Frage nach dem περισσόν des Juden bejaht werden konnte: Die Israel anvertrauten λόγια τοΰ θεοΰ bleiben einseitig an Gott gebunden und sind nicht Fundament einer soteriologischen Sonderstellung ihrer Empfänger90. Beides - Israels Besonderheit als Adressat der früher ergangenen Worte Gottes und Israels soteriologische Gleichstellung mit der übrigen Menschheit - steht nun aber nicht einfach kontaktlos nebeneinander. Die universale, Israel einschließende Gottlosigkeit der Menschheit tritt zutage im Zusammenhang der eschatologischen Manifestation der Wahrheit Gottes (V. 4b). Beides ist Ergebnis desjenigen Geschehens, das im Zitat (V. 4c) als Gottes δικαιωθήναι έν τοϊς λόγοις σου bezeichnet wird. D.h.: Gerade der endgültige Erweis der Gültigkeit der Worte Gottes, deren Empfang Israels Besonderheit ausmacht, stellt jeden Menschen, und also auch den Juden, als Lügner der Wahrheit Gottes gegenüber. Die Überlegungen zu 3,1-4 zeigen zugleich das Verhältnis zwischen 3,1 f. und 3,9 als ein nur scheinbar widersprüchliches. Zwischen der uneingeschränkten Bejahung eines jüdischen περισσόν 91 und der Verneinung eines jüdischen προέχεσθαι 92 , die ebenso uneingeschränkt ausfällt93, besteht kein 88

Käsemann, Römer 80. In diesem Sinn wertet Klein vom Duktus der Ausführungen 3,1-9 her die Einbeziehung Israels in die gottlose Menschheit (V. 4) als entscheidenden Schritt, der „unaufhaltsam zur aufreizend lakonischen Verneinung jeglichen jüdischen Vorrangs drängt (V. 9a)" (Präliminarien 238). 89

90

Vgl. besonders Luz, Aufbau 168f. Von der in 3,2 gebotenen Antwort her liegt es nahe, den zweiten Teil der Doppelfrage (τίς ή ώφέλεια της ττεριτομής) so zu verstehen wie den ersten Teil, also die „objektive" Formulierung, die den Nutznießer nicht nennt, ernst zu nehmen. Anders verhält es sich in 2,25a, wo der Anredeform wegen das Du als Nutznießer vorkommt. 91

92 Zu den textkritischen Problemen von 3,9b s. Cranfield (Romans I 187f.l89), der für die in den Nestle/Aland-Text aufgenommene Lesart als die bestbezeugte und schwierigste plädiert (ebd. 189). Zu der weithin akzeptierten grammatischen Auffassung von προεχόμεθα i.S. eines Medium mit aktivischer Bedeutung („Haben wir einen Vorzug?") vgl. ebd. 189f. die entscheidenden Argumente. Das passivische Verständnis von προεχόμεθα („Sind wir übertroffen worden?") ist neuerdings von Stowers (Dialogue 719f.) wieder vertreten worden („Are we Jews in a worse position than Gentiles?" [ebd. 718]; vgl. u.a. Sanday/Headlam, Romans 76). Aber selbst wenn man die von Stowers vorgeschlagene unkonventionelle Interpretation von 3,5-8 voraussetzt, nach der „God's wrath against Jewish unfaithfulness" betont ist (ebd. 320), stellt sich die passivische Interpretation

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

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Widerspruch, weil jüdische Besonderheit unter zwei verschiedenen Perspektiven anvisiert wird. Die Differenz der Perspektiven ist durch die Differenz der sachlich formulierten Frage nach dem Besonderen des Jude-Seins (3,1) zur persönlich formulierten Frage nach einem jüdischen Vorrang (3,9) angedeutet und durch die jeweiligen Antworten sichergestellt: Die positive Besonderheit des Juden besteht in der Zugehörigkeit zu dem Volk, das in der Vergangenheit des Empfangs der Worte Gottes gewürdigt worden ist. Es ist damit - gleichsam gegen die eigene Verfassung - Zeuge der Worte, mit denen sich Gottes Wahrheit der Lüge jedes Menschen gegenüber eschatologisch herausstellt. Daß sich mit dieser Besonderheit gerade keine Heilsprärogative verbindet, hält schon 3,4 fest. 3,9 formuliert die entsprechende Negativauskunft unter soteriologischer Perspektive explizit: προητιασάμεθα γαρ 'Ιουδαίους τε και "Ελληνας ιτάντας ύφ' άμαρτίαν είναι. Dabei dürfte der in προητιασάμεθα enthaltene Rückverweis sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit direkt auf 3,4 zu beziehen sein 94 . Wenn das zutrifft und wenn darüber hinaus, wie oben zu zeigen versucht wurde, 3,2.3.4 einen geradlinig fortschreitenden Zusammenhang bilden, dann stellt der Rückverweis von 3,9 auf 3,4 ein zusätzliches Indiz dafür dar, daß die positive Kennzeichnung der Besonderheit des Juden vom unmittelbar folgenden Kontext gerade nicht überholt und damit gleichsam gelöscht werden soll. Andererseits wird der Gedanke jüdischer Besonderheit, die im Empfang der früher ergangenen Worte Gottes besteht, vor cap. 9-11 aber nicht erneut

von π ρ ο ε χ ό μ ε θ α wegen des folgenden Kontexte (bis 3,20) als problematisch heraus (vgl. Räisänen, Verständnis 203). 93 Anders wird ού π ά ν τ ω ς als eingeschränkte Negation aufgefaßt z.B. bei Lagrange („pas absolument" [Romains 69]); Käsemann („Nicht entscheidend!" [Römer 80]); Schlier („Nicht absolut" [Römerbrief 91; vgl. 98]). Dagegen spricht aber der folgende Kontext, der gerade nicht auf eine eingeschränkte Vorrangstellung hinauswill. Zu ού π ά ν τ ω ς als uneingeschränkter Verneinung vgl. Klein, Präliminarien 238; Lübking, Paulus 170 Anm. 165; Wilckens, Römer I 172; Räisänen, Verständnis 200. Zu der bei diesem Verständnis ungewöhnlichen Voranstellung der Negation s. Bl/Debr/Rehk § 433 Anm. 3. 94 Anders möchten viele Kommentare (z.B. Schlier, Römerbrief 98; Zeller, Römer 79; Schmithals, Römerbrief 110) den in π ρ ο η τ ι α σ ά μ ε θ α enthaltenen Rückverweis auf die gesamten vorangehenden Ausführungen von 1,18 an beziehen. Demgegenüber ist aber der von Bassler hervorgehobene Einwand zu berücksichtigen: „the actual charge of universal sinfulness is nowhere clearly articulated until the summary of 3:9" (Impartiality 155; vgl. auch Aletti, Dieu 73). Bassler geht der Frage nach 3,4 als eines möglichen Bezugspunktes für den in 3,9 enthaltenen Rückverweis im Zusammenhang ihrer primär an cap. If. interessierten Arbeit nicht weiter nach. Aletti verwirft diese Möglichkeit, weil seiner Meinung nach 3,4 ( π ά ς δέ ά ν θ ρ ω π ο ς ψεύστης) keinen wirklichen Aufweis, keine Demonstration der universalen Sündenherrschaft bietet. Zwar sei „l'autorite par excellence, l'Ecriture (Ps 115,2 LXX)" zitiert, der Aussage fehle dennoch die demonstrative Kraft, weil das Zitat als solches nicht kenntlich gemacht sei (Dieu 73). Weil aber die Verlogenheit jedes Menschen nur die Kehrseite des Sieges Gottes im Rechtsstreit darstellt und das folgende, ausdrücklich gekennzeichnete Zitat (von LXX ψ 50,6) auf diesen zum Sieg Gottes führenden Streit hinweist, leuchtet Alettis Einwand auch von seinen eigenen Voraussetzungen her nicht ein.

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Analysen zur Textfunktion

aufgegriffen und weitergeführt. D.h.: Von 3,Iff. aus läßt sich innerhalb von cap. 1-8 keine eigene Stoßrichtung in der Behandlung der Israel-Problematik konstruieren, die dann der exemplarisch an l,16f.; 2,28f. gezeigten, auf die Einebnung eines gedachten soteriologischen Vorsprungs zielenden Stoßrichtung gegenüberstünde. Ein inhaltlicher Anklang an 3,1 f. findet sich allerdings an der exegetisch schwierigen und entsprechend umstrittenen Stelle 4,1695: διά τούτο έκ πίστεως, ϊνα κατά χάριν, εις τό είναι βεβαίαν την έπαγγελίαν παντι τω σπέρματι, ού τω έκ τοΰ νόμου μόνον άλλα και τώ έκ πίστεως Αβραάμ, δς έστιν πατήρ πάντων ήμών. Selbstverständlich hängt die Vermutung eines solchen Anklangs an 3,2 am Bezug jenes erstgenannten Teils des „ganzen Samens" (τό έκ τοΰ νόμου) auf nichtchristliche Juden96. Für diesen Bezug97 bietet V. 14a ein klares Indiz: Meint die Wendung οί έκ νόμου dort eindeutig nicht-christliche Juden, dann kann es sich bei dem durch τό έκ τού νόμου bezeichneten Teil des Abrahamssamens kaum anders verhalten. Daraus folgt: 4,16b hält die Gültigkeit der Verheißung für das nichtchristliche Israel fest, wenngleich nicht darauf, sondern auf der im folgenden Glied ausgedrückten Ausweitung (άλλά καϊ τω έκ πίστεως Αβραάμ) der Ton liegt. Dieses nächstliegende Verständnis von 4,16b, das den ganzen - aus Juden und Christen98 bestehenden - Abrahamssamen unter der Verheißung sieht, scheint allerdings in Spannung zu stehen zu 4,13f. Der Empfang der Abraham „oder seinem Samen" gegebenen Verheißung des Erbes (τό κληρονόμον αύτόν είναι κόσμου) schließt nach 4,13 das Gesetz aus und ist an die Glaubensgerechtigkeit gebunden. Entsprechend werden in 4,14 „die aus dem Gesetz" als Erben ausgeschlossen; kämen sie als Erben in Betracht, dann wäre der Glaube und auch die Verheißung selbst aufgehoben. - Eine einleuchtende Lösung des problematischen Verhältnisses zwischen 4,13f. und 4,16 ist von Vielhauer99 angedeutet und von Lübking 100 aufgezeigt worden: Der springende Punkt dieser Lösung liegt in der Differenzierung zwischen dem Vollzug des verheißenen Erbes, der an die Glaubensgerechtigkeit gebunden ist (4,13f.), und der „kraft der χάρις ... feststehenden Verheißung des Erbes" 101 (4,16). Diese gilt für den ganzen Abrahamssamen, wenngleich sie in dem Teil, der έκ τοΰ νόμου ist, gegenwärtig gewissermaßen unrealisiert bleiben muß, da

95 Vgl. dazu die sehr unterschiedlichen Auslegungen z.B. von Zeller, Juden und Heiden 102— 104; Klein, Heilsgeschichte 159-162; Lübking, Paulus 37f.; Käsemann, Römer 114f.; Saß, Verheißungen 394-396. 96 Anders nehmen z.B. Käsemann (Römer 114); Cranfield (Romans I 242f.) einen Hinweis auf Judenchristen an. 97 Vgl. z.B. Klein, Heilsgeschichte 160; Lübking, Paulus 37; Saß, Verheißungen 395f. 98 Zum Bezug des durch τό έκ ττίστεως ' Α β ρ α ά μ bezeichneten Teils auf Juden- und Heidenchristen s. Klein, Heilsgeschichte 160. 99 Paulus 209. >00 Paulus 38. 101 Lübking, Paulus 38 (Hervorhebung von mir). Zur Differenzierung zwischen Verheißung und dem Erlangen des verheißenen Erbes vgl. im Ansatz auch Saß, Verheißungen 396: „... die Verheißung ist auch für die Juden, die (noch) auf das Gesetz vertrauen ...[,] fest. Sie werden das Erbe jedoch auf keinem anderen Weg erlangen als die Heiden, nämlich έκ πίστεως".

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

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sie auf Glauben hin angelegt ist. Wenn diese Differenzierung zutrifft102, dann berührt sich - bei aller Verschiedenheit im Duktus des jeweiligen engeren Kontexts 4,16b mit 3,2 in folgendem Punkt: Wie dort die „anvertrauten Worte Gottes", so ist hier die επαγγελία rein geberseitig im Blick. Nur unter dieser geberseitigen Perspektive stellen die Worte Gottes an Israel eine Besonderheit des Juden dar, und nur unter dieser Perspektive ist von der Gültigkeit der auf den Glauben angelegten Verheißung für die έκ τοΰ νόνου die Rede. Im Blick auf die Eingangsfrage nach den im vorangehenden Kontext geschaffenen Voraussetzungen für die Rezeption der Behandlung der Israel-Frage in Rom 9-11 sind im Anschluß an die ausgewählten Textstellen zwei Punkte festzuhalten. 1. Unter soteriologischem Aspekt ist der Gedanke an eine Vorzugsstellung Israels ausgeschlossen. Dies ergibt sich notwendig aus der Bindung des die Rettung erschließenden und die Gottesgerechtigkeit offenbarenden Evangeliums an den Glauben. Die Gleichstellung der Juden mit den Heiden wird innerhalb von cap. 1 - 4 mehrfach ausgedrückt und ist in cap. 5 - 8 vorausgesetzt. Jedenfalls will der Text dem Leser, der bis zu cap. 9 gelangt ist, hinsichtlich dieses Punktes keine Frage nahelegen oder offenhalten. 2. Zugleich ist dem Leser mit 3,Iff. aber doch zumindest angedeutet worden: Mit der Nivellierung eines heilsrelevanten Sonderstatus ist noch nicht alles gesagt, was zum Thema Israel mitgeteilt werden soll, und das ist deshalb der Fall, weil dieses Thema unter theologischem Aspekt im engeren Sinne eine Rolle spielt. Die Frage nach „dem Juden" (3,1) bekommt in 3,2-4 eine Antwort, in der mehr als von „dem Juden" von Gott die Rede ist: Der Gott, der in der Vergangenheit seine Worte an Israel gerichtet hat (3,2), dessen Treue durch das gegenläufige Verhalten der Empfänger dieser Worte nicht ins Wanken gerät (3,3), muß sich in seinen Worten letztlich als wahr erweisen und im Zuge dieses Wahrheitserweises jeden Menschen als Lügner herausstellen (3,4). Die λόγια τοΰ θεοΰ sind und waren kein „Vorzug" Israels, weil sich diese Worte in Israel nicht realisiert haben, sondern auf άτηστία getroffen sind. Gleichwohl ist die Aussage über die Besonderheit Israels damit nicht für irrelevant erklärt. Im Zusammenhang mit dem unmittelbar folgenden Kontext zielt sie vielmehr auf die Identität des Gottes, der endgültig über die der Lüge ver'02 Eine andere Lösung der von ihm deutlich herausgearbeiteten Spannung hat Klein vorgeschlagen: Danach ist die Einbeziehung des ungläubigen Israel in den ganzen Abrahamssamen in 4,16 eine zukünftige, vom Glauben erhoffte Wirklichkeit, ein „unanschaulicher Vorentwurf' (Heilsgeschichte 162). Dieser Vorentwurf ist motiviert durch den von V. 15 her zu interpretierenden χάρις-Begriff und gründet darauf, „daß inzwischen die χ ά ρ ι ς auf den Plan getreten ist, um die durch das Gesetz geweckte Sünde zu überwinden und damit der Verheißung neue Bahn zu brechen, - ein Vorgang mithin, der das Christusereignis zur Hoffnung entbindenden Voraussetzung hat" (ebd. 161). - Diese Interpretation ist deshalb schwierig, weil die Reihenfolge der beiden durch ού ... μόνον ά λ λ α και verbundenen Teile von 4,16b (vgl. dazu ebd. 161 Anm. 57) gegen die angenommene Pointe des Verses - also die erhoffte Eingliederung Israels - spricht.

166

Analysen zur Textfunktion

haftete Menschheit triumphiert, mit dem Gott, der in der Vergangenheit zu Israel gesprochen hat.

3.2.3 Gottes Wort und Israel in cap. 9-11 3.2.3.1

Die soteriologische Juden und Heiden

Gleichstellung (10,1-13)

von

Unter dem Aspekt des soeben zuerst erwähnten Punktes folgt die Erörterung der Israel-Thematik in cap. 9-11 unerwartet. Die vorangehenden Ausführungen von cap. 1-8 haben in einer nicht mehr ergänzungsbedürftigen Weise gezeigt, daß die soteriologische Gleichstellung des Juden mit dem Heiden nahtlos folgt aus der Behauptung des Christusglaubens als der exklusiven Begegnungsweise mit dem Heil. Für den Leser des Rom legt sich nach cap. 1 8 darum keineswegs der Eindruck nahe, daß in Rom 9-11 die „Frage nach den Konsequenzen der ... vollzogenen Gleichstellung von Juden und Heiden vor Gott" zur Erörterung ansteht103. Wenn diese These von der soteriologischen Gleichstellung, die im Zuge der „Hauptstoßrichtung" bei der Behandlung der Israel-Thematik in cap. 1-8 vertreten wurde, nun auch kein erkennbares Motiv für die Aufnahme dieser Thematik in cap. 9-11 abgibt, so bildet sie doch andererseits eine entscheidende Prämisse, die bei der Rezeption der Israel-Kapitel in Anschlag gebracht sein will. Das gilt um so mehr, als die Behauptung der Unterschiedslosigkeit im Zugang zum Heil in 10,11-13 in betonter Weise wiederholt wird, und zwar im Anschluß an einen Abschnitt (10,1-10), der die Grundlage für diese Behauptung im einzelnen entfaltet. Innerhalb von 10,1-13 sind genau diejenigen Bedeutungselemente verwendet, die sich bei der Behandlung von l,16f. als konstitutiv für die semantische Einheit des Abschnitts zeigten104: 1. Zu „Evangelium" (1,16b.17a) vgl. 10,8 (τό ρήμα της πίστεως δ κηρύσσομεν); 2. zu δικαιοσύνη θεοΰ, δίκαιος (1,17a. 17b) vgl. 10,3.4.6.10; 3. zu σωτηρία, ζήσεται (l,16b,17b) vgl. 10,1105.9.10.11 (ού καταχσχυνθήσεται).13; 4. zu τπστεύων, πίστις (l,16b,17a.b) vgl. 10,4.6.8.9.10.11. Im Vergleich mit 1,16f. tritt in 10,Iff. nun allerdings ein wichtiges Bedeutungselement hinzu. „Gottesgerechtigkeit" (10,3) bzw. „Gerechtigkeit aus Glauben" (10,6) steht hier in Opposition zur „eigenen Gerechtigkeit" (10,3) bzw. zur „Gerechtigkeit aus dem Gesetz" (10,5). Gerade diese für den Textzu-

103

So aber Klumbies, Rede 210 (Zitat ebd.). S.o. S. 152. 105 Zur Bedeutung des ζήσεται έν αύτοϊς (V. 5), das auf den ersten Blick in die Reihe der angegebenen Belege zu gehören scheint, s. u. S. 171f. 104

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

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sammenhang von 10,Iff. wichtige Oppositionsbeziehung weist zurück auf den vorangehenden Abschnitt 9,30-33 1 0 6 . Schon 9,30 schafft mit der Präzisierung der von den Heiden nicht angestrebten, aber empfangenen Gerechtigkeit als Gerechtigkeit aus Glauben Platz fur den Gedanken an eine anders verstandene Gerechtigkeit 107 . Dieser Platz wird durch den Hinweis auf den von Israel verfolgten, aber nicht erreichten νόμος δικαιοσύνης (9,31) 108 ausgefüllt. Die Kontrastbeziehung setzt sich fort bei der Begründung von Israels Scheitern in dessen „nicht aus Glauben, sondern wie aus Werken" orientierter Seinsweise (9,32b). 9,32c fuhrt mit dem in V. 33 angeschlossenen Schriftzitat die Begründung weiter und rückt den Kontrast unter christologische Perspektive: Christus ist für das auf dem Weg der Werke befindliche Israel als πρόσκομμα und σκάνδαλον gesetzt worden, und zugleich als Vermittler von Rettung für den an ihn Glaubenden. Der Kontrast wird auf diese Weise in die von Gott intendierte Wirkung des Christusgeschehens hinein verlegt. 10,2-4 läßt sich als eine präzisierende Parallele auf diese sehr knapp ausgedrückte Argumentation von 9,30-33 beziehen 109 . Der fehlgesteuerte, weil der έτπγνωσις ermangelnde ζήλος θεοΰ (10,2) entspricht dem διώκειν eines illusionären Ziels (9,31), ιδία δικαιοσύνη (10,3) entspricht der von Israel gelebten Seinsweise ώς 1 1 0 έξ έργων (9,32). Wie sich ττίστις und έργα als grundlegende Orientierungen gegenseitig ausschließen, so sind Gottesgerechtigkeit und eigene Gerechtigkeit (10,3) nicht miteinander zu vermitteln. Auch 9,32c.33 und 10,4 verhalten sich in ihrer Anbindung an den jeweils vorangehenden Kontext in gewisser Weise parallel, - das gilt jedenfalls dann, wenn man τέλος τοΰ νόμου i.S. von „Ende des Gesetzes" auffaßt 111 . Nach 9,33 steht Christus

106

Zur Verklammerung von 9 , 3 0 - 3 3 und 10,1-3(4) vgl. Luz, Geschichtsverständnis 31; Klein, Römer 9,30-10,4 366f.; Lübking, Paulus 82f.; Aletti, Dieu 122. 107

Vgl. Klein, Römer 9,30-10,4 367. !°8 Der Anschluß an V. 30 (... δικαιοσύνην, δικαιοσύνην δέ την έκ π ί σ τ ε ω ς ) ist der entscheidende Schlüssel für das Verständnis der eigentümlichen Formulierung νόμος δικαιοσύνης. Die Genitiv-Bestimmung zu νόμος in V. 31a kann sich im Kontrast dazu nur auf eine „Gerechtigkeit" beziehen, die nicht aus Glauben ist (vgl. Westerholm, Law 127), sondern (vgl. den πίστις-εργαKontrast in V. 32a) auf Werken gründet, νόμος in V. 31a meint dann das in solche illusionäre Gerechtigkeit führende Gesetz, also den Weg, den Israel „verfolgt" hat. 9,31b hält fest, daß dieser Weg zugleich auch das Gesetz verfehlt. In V. 30 und 31a wird also der Ausdruck δικαιοσύνη und in V. 31a und V. 31b wird der Ausdruck νόμος in j e unterschiedlicher Bedeutung verwendet, so daß die Formulierung von V. 31 ein Paradoxon bietet (vgl. Koch, Schrift 292). 109 Vgl. dazu besonders Lübking, Paulus 82f. 110 111

Zum subjektiven ώς vgl. Kühl, Römer 344; Klein, Römer 9,30-10,4 368.

Die verzweigte Diskussion um die Bedeutung von τέλος τοΰ νόμου in 10,4 kann an dieser Stelle nicht aufgerollt werden. Die hier vorausgesetzte Interpretation, die i.w. den z.B. von Zeller (Juden und Heiden 193); Klein (Römer 9,30-10,4 370 Anm. 20); Lindemann (Gerechtigkeit 238f. Anm. 28); Lübking (Paulus 83f.); Räisänen (Analyse 2907f. mit Anm. 90); Aletti (Dieu 114— 118.124-127) vertretenen Auffassungen (dort jeweils in kritischer Auseinandersetzung mit anderen Interpretationsvorschlägen) entspricht, beruht auf zwei Entscheidungen: 1. Wegen des begründenden Anschlusses von 10,4 an 10,3, vor allem aber wegen der Begründung von 10,4 in 10,5-8 ist zwischen νόμος und Christus in 10,4 ein Gegensatzverhältnis anzunehmen. 2. Weil mit τταντΐ τ ώ πΊστεύοντι ausdrücklich festgestellt wird.^uV wen Christus „Ende des Gesetzes zur Gerechtigkeit" ist, kann mit dem Ende nicht gut der „objektive" Schluß einer heilsgeschichtlichen Phase ge-

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Analysen zur Textfunktion

als „Stolperstein" dem auf dem Weg der Werke befindlichen Israel entgegen und läßt durch Israels προσκόπτειν diesen Weg als Unheilsweg manifest werden. Ähnlich wie 9,32c.33 an die vorangehende Aussage über Israels Existenz ώς έξ έργων anschließt, so setzt 10,4 mit der Bestimmung des die Gerechtigkeit erschließenden Christus als des τέλος τοϋ νόμου die vorangehende Aussage über Israels Bemühen um eigene Gerechtigkeit und die verweigerte Unterordnung unter die Gottesgerechtigkeit voraus.

In thematischer Hinsicht kann folglich am engen Zusammenhang zwischen 9,30-33 und 10,Iff. überhaupt kein Zweifel bestehen, und die in der Sekundärliteratur meist vorgenommene Zusammenfassung von 9,30-10,21 als des zweiten größeren Unterabschnitts von Rom 9-11 1 1 2 ist unter diesem Aspekt gut begründbar. Andererseits tritt unter pragmatisch-funktionaler Perspektive in 10,1 eine deutliche Zäsur hervor 113 : Nach 9,1-3 meldet sich in 10,1 zum ersten Mal wieder das Verfasser-Ich mit einer auf seine Person bezogenen Aussage. Diese Aussage ist gerichtet an die als „Brüder" bezeichneten Adressaten, d.h.: die beiden entscheidenden Faktoren der Kommunikationssituation sind im Text thematisiert. Dabei wendet sich der Verfasser - wie in 9,1-3 - an die (dort nicht explizit erwähnten) Adressaten als Heidenchristen 114 : Ihnen gegenüber bekundet er Trauer um „meine Brüder, meine Verwandten κατά σάρκα" (9,3), und in 10,1 das Ziel seines Herzensverlangens und seiner Bitte an Gott für „sie": (ihre) Rettung 115 . Das bedeutet zugleich: Im Verhältnis zu 9,30-33 bietet 10,1 eine andere Art von Sprechakt; es handelt sich um so etwas wie eine persönliche Kundgabe, von der aus der erläuternd angeschlossene V. 2 in die mehr argumentative Redeweise zurücklenkt, aus der V. 1 ausschert. Offenkundig hängt die Entscheidung zwischen 9,30 oder 10,1 als Neuansatz also mit der jeweils gewählten Gliederungsperspektive bzw. der ihr korre-

meint sein, in der das Gesetz als Heilsweg eine ihm nunmehr genommene Gültigkeit hatte. Vielmehr geht es um das Ende der Macht des Gesetzes, die jeder, der zu Christus gehört, im Glauben erfahrt: „ce qui prend fin, c'est la domination de la Loi sur le croyant" (Aletti, Dieu 126). 112 Vgl. unter vielen anderen: Kümmel, Probleme 18.21; Käsemann, Römer 267; Aletti, Dieu 122.147; Johnson, Romans 9 - 1 1 216f. 113 Darum wird gelegentlich auch in Übereinstimmung mit der traditionellen Kapitelabtrennung gegliedert, vgl. z.B. van Unnik, Diskussion zu Barrett, Fall 121 f.; Siegert, Argumentation 116; Rese, Unwissen 255f. Bei dieser Gliederung kann man einem thematischen Zusammenhang mit 9 , 3 0 - 3 3 durchaus Rechnung tragen (vgl. z.B. Rese, ebd. 256.259f.). - Der gegen die Zäsur vor 10,1 geltend gemachte Hinweis auf τί ουν έροϋμεν (9,30), das im Rom durchweg neue Abschnitte einleite (vgl. Güttgemanns, Heilsgeschichte 36; Kümmel, Probleme 18f. Anm. 19), greift nicht; der vorangehende Beleg für diese Wendung in 9,14 zeigt, daß es sich dabei auch um Unterabschnitte handeln kann. 114

Vgl. Feine, Römerbrief 119; Lübking, Paulus 117f.; Niebuhr, Heidenapostel 137. Zur Verschiebung im Inhalt der persönlichen Bekundungen von 9,Iff. und 10,1 (die zweite bringt anders als die erste den Gedanken an eine Rettung der Israeliten ins Spiel) s. Rese, Unwissen 259. 115

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spondierenden Textdimension 116 zusammen. Unter thematisch-semantischer Perspektive wird man für ersteres entscheiden, unter der im Zusammenhang dieser Arbeit leitenden funktional-pragmatischen Perspektive für letzteres. Mit der Lokalisierung der Zäsur verbindet sich nun eine Gewichtung: Wenn 10,1 als Neuansatz gilt, dann spielt der hier eingeführte Gedanke an eine Rettung der Israeliten auch für die anschließenden Ausführungen eine Rolle. Daß diese Vermutung auf 10,1-13 117 zutrifft, soll im folgenden gezeigt werden. Der im Modus der persönlichen Kundgabe ausgedrückte Inhalt von 10,1 besteht nicht im Hinweis auf das Faktum des Engagements bzw. der Fürbitte des Verfassers, sondern in der Angabe von deren Ziel: εις σωτηρίαν ist das Prädikat des Nominalsatzes, also die Satzaussage 118 . Dieses finale εις σωτηρίαν hat eine Entsprechung in der 10,1-3 mit 10,5-10 verbindenden christologischen These von V. 4 (εις δικαιοσύνη ν), und es wird wiederholt am Ende von 10,5-10 ( σ τ ό μ α π δέ ομολογείται εις σωτηρίαν [10,10b]), wobei in 10,10a ein dazu paralleles εις δικαχοσύνην vorangeht. Der letzte Unterabschnitt von 10,1-13, nämlich 10,11-13, schließt mit σωθήσεται (V. 13b), dem in V. 11 ein ού καταισχυνθήσεται entspricht. Die Aufnahme der σωτηρία/σωζειν-Terminologie an markanten Stellen innerhalb von 10,1-13 deutet an, daß es sich bei der nach 10,1 von Gott erbetenen Rettung der Israeliten keineswegs um einen isoliert in den Kontext eingesprengten Gedanken handelt, sondern daß hier vielmehr die Perspektive angegeben ist, unter der auch die folgenden, von 10,4 an nicht mehr explizit auf die Israeliten bezogenen Ausführungen begriffen sein wollen. Unter dieser Perspektive wird in 10,2f. zunächst in interpretierendem Rückbezug auf 9,30-33 erläutert, inwiefern „sie" der Rettung bedürfen. Nur auf den ersten Blick läßt V. 2a (μαρτυρώ γαρ αϋτοΐς δτι ζήλον θεοϋ έχουσιν) annehmen, der zugestandene ζήλος θεού werde als Grund für das Engagement des Verfassers geltend gemacht. Im unmittelbaren Anschluß hebt V. 2b ja den Defekt dieses Eifers hervor (άλλ' ού κατ' έπίγνωσιν), und V. 3 überführt die Einschränkung in eine Antithese 119 : Der defekte, „einsichtslose" 116 Vgl. dazu Plett, Textwissenschaft 56-114; außerdem die Hinweise bei Siegert, Argumentation 112-114. 117 Zur Zäsur zwischen 10,13.14 innerhalb des zweiten größeren Teils (10,1-21) von Rom 9 11 s. Rese, Unwissen 258f.; anders z.B. Aletti, Dieu 119f. 118 Ob man ϋττέρ αύτών zum Subjektsteil des Satzes zieht (vgl. z.B. Lagrange, Romains 252) oder dem Prädikatsteil zurechnet (vgl. z.B. Käsemann, Römer 270), macht keinen erheblichen Sinnunterschied aus (vgl. Cranfield, Romans II 513). 1 V g l . Siegert, Argumentation 149. - Die beiden Partizipien in V. 3 (άγνοοΰντες, ζητοϋντες) knüpfen an unterschiedliche Teile der Wendung ζήλος θεοϋ ... ού κατ' έπίγνωσιν an: άγνοοϋντες entspricht ού κ α τ ' έιτίγνωσιν; ζητοϋντες teilt mit ζήλος das Bedeutungsmoment des Wollens und Strebens. Die Weiterführung durch die beiden gleichrangigen Partizipialkonstruktionen in V. 3 läßt die jeweiligen Objekte (Gottes Gerechtigkeit und eigene Gerechtigkeit) als absoluten Gegensatz (d.h. die eigene Gerechtigkeit als „nicht-Gerechtigkeit vor Gott" [Siegert, ebd.]) erscheinen. - Im Blick auf die Abfolge von V. 3 auf V. 2 legt Lindemann Wert auf die Feststel-

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Eifer hat zu tun mit dem Verkennen der Gerechtigkeit Gottes und dem Bestreben, die eigene Gerechtigkeit aufzurichten. Dieses Verkennen120 der δικαιοσύνη θεού und das Streben nach der ιδία δικαιοσύνη sind der Modus, in dem die Israeliten die Unterordnung unter die Gottesgerechtigkeit verweigert haben 121 , d.h. sich der Herrschaft des die Gottesgerechtigkeit vermittelnden Christus 122 nicht unterstellt haben. 10,4 begründet diese Weigerung e contrario123: Weil die durch Christus als τέλος του νόμου vermittelte Gottesgerechtigkeit das von den Israeliten ausgesagte Streben nach ιδία δικαιοσύνη durchkreuzt und sich nur dem Glaubenden mitteilt, haben diese die Unterordnung verweigert. In 10,4 findet sich - im Unterschied zum funktionsähnlichen Vers 9,33 zum ersten Mal innerhalb von 10,1-13 das für den Schlußteil (V. 11-13) dieses Abschnitts charakteristische πάς 1 2 4 . Dieses πάς dürfte ähnlich zu begreifen sein wie im Zusammenhang der Themenangabe von l,16f.: Wenn Christus

lung, daß das ά γ ν ο ε ΐ ν der Gerechtigkeit Gottes „die Voraussetzung für den fehlgeleiteten Eifer" ist (Gerechtigkeit 238 Anm. 27), nicht dessen Folge. Wegen der Anknüpfung der beiden zueinander parallelen Partizipialkonstruktionen an die Wendung ζήλος θεού ... αλλ' ού κ α τ ' έπίγνωσιν (s. ο.) scheint es mir aber nicht sicher, daß der Text überhaupt auf ein Voraussetzung-Folge-Verhältnis hinauswill. 120 ά γ ν ο ε ΐ ν kann nicht im Unterschied zu der parallelen (und nicht etwa zeitlich nachgeordneten) Partizipialkonstruktion einfach einen intellektuellen Irrtum meinen, es geht vielmehr um verfehlte Gotteserkenntnis im praktischen (und in την ιδίαν [δικαιοσύνην] ζητούντες στήσαι ausgedrückten) Sinn (vgl. ähnlich Kühl, Römer 348; Bultmann, Art. άγνοέω 117; Käsemann, Römer 271; Lindemann, Rede 370f.; anders z.B. Sanday/Headlam, Romans 283; Rese, Unwissen 263). Das Interesse vieler Exegeten an der Frage, ob Israel durch die Hinweise auf den einsichtslosen Eifer und das ά γ ν ο ε ΐ ν der Gottesgerechtigkeit nun beschuldigt (so besonders deutlich Kühl, Römer 348) oder im Gegenteil entschuldigt (so Rese, Unwissen 263) werden soll, scheint mir vom Text her nicht nahegelegt zu sein. 121 Vgl. die Übersetzung mit „indem" z.B. bei Käsemann, Römer 270. Die beiden PräsensPartizipien drücken Sachverhalte aus, die mit der Handlung des Hauptverbs ( ύ π η τ ά γ η σ α ν ) gleichzeitig sind. 122 Der Gebrauch des Verbs ύ π ο τ ά σ σ ε σ θ α ι in bezug auf die Gottesgerechtigkeit (10,3) scheint die δικαιοσύνη τοΰ θεού einseitig als eine dem Menschen objektiv gegenüberstehende Macht festzulegen und das Bedeutungsmoment der Heilsgabe auszuschließen. Daraus ergeben sich dann aber Schwierigkeiten für die Interpretation des Ausdrucks δικαιοσύνη bzw. τού θεοϋ δικαιοσύνη in 9,30; 10,3a.4 (vgl. dazu Klein, Gottes Gerechtigkeit 232f.). Daher legt sich die von Klein (ebd. 233) angedeutete und von Lübking (Paulus 82f.) weitergeführte Annahme nahe, nach der die Formulierung in 10,3c durch den begründend angeschlossenen V. 4 bestimmt ist. D.h.: Die Unterordnung unter die Gottesgerechtigkeit meint die Unterordnung unter die Herrschaft Christi, der die δικαιοσύνη erschließt. 123 v g l . Rese (Unwissen 260), bei dessen konkreter Füllung des „argumentum e contrario" („Wenn die Israeliten sich nicht der Gerechtigkeit unterordneten, so geschah das deshalb, weil sie nicht an Christus glauben" [ebd.]), mir allerdings die Identifikation Christi als des τ έ λ ο ς τοΰ νόμου nicht hinreichend einbezogen zu sein scheint. 124 Besonders Aletti, der 10,4 für die propositio der rhetorischen Einheit 9,30-10,21 hält und diese in ihren einzelnen Bestandteilen im folgenden Kontext entfaltet sieht (Dieu 123), weist auf den durch π ά ς signalisierten Zusammenhang zwischen 10,4 und 10,11-13 hin (ebd.).

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,jedem, der glaubt"125, die Gerechtigkeit erschließt, dann ist der Glaube als einzige Begegnungsweise mit der δικαιοσύνη gedacht und solche Exklusivbeziehung zwischen Glaube und δικαιοσύνη als allgemeingültig erklärt126. Einerseits stellt 10,4 so den Abschluß des 10,2-4 umfassenden Argumentationsgangs dar, der im Anschluß an 10,1 zeigt, inwiefern Israel der σωτηρία bedarf: Das Festhalten am Gesetz, dem als Zielperspektive die ιδία δικαιοσύνη entspricht, ist Widerstand gegen die Gottesgerechtigkeit, die Christus als Ende des Gesetzes jedem Glaubenden erschließt. Zugleich bildet 10,4 die These, die durch die Kennzeichnung der beiden einander entgegengesetzten Gerechtigkeiten erläutert wird (10,5.6-8). 10,5 127 führt die aus LXX Lev 18,5c zitierte Aussage als eine Beschreibung der Gesetzesgerechtigkeit durch Mose ein. Der Inhalt dieser Beschreibung im geringfügig veränderten Zitat (ό ποιήσας αυτά άνθρωπος ζήσεται έν αύτοΐς) 128 läßt das ττοιεΐν als „Wesen der Gesetzesgerechtigkeit" erscheinen129, αύτά und έν αύτοΐς haben im Kontext von Rom 10,5 kein Bezugs wort. Zwar liegt es nahe, an etwas mit der Gesetzesgerechtigkeit Zusammenhängendes - also etwa an die vom Gesetz geforderten Werke - zu denken130, aber die fehlende sprachliche Präzision in diesem Punkt zeigt, daß das Interesse weniger dem „Was" als

125 Das substantivierte Partizip mit Artikel nach πάς ist einem Relativsatz gleichwertig (Bl/Debr/Rehk § 413.2). 126 Völlig anders interpretiert z.B. Dunn im Rahmen seiner andersartigen Gesamtauffassung von 10,4. Danach gehört εις δικαιοσύνην nicht mit παντι τω πιστεύοντι zusammen, sondern νόμου ... εις δικαιοσύνην bildet eine Einheit (Romans II 590.596). Gemeint ist damit das Gesetz, dem Israel nachstrebt, um seine Gerechtigkeit i.S. seiner besonderen Identität zu sichern (ebd.). Dazu bildet παντϊ τω πιστεύοντι den Gegenpol: „πας ό πιστεύων characterizes the eschatological universalism of the gospel..., in contrast to the national particularism of Israel now brought to an end by Christ" (ebd. 591). Auf diese Weise verlagert sich der grundlegende Kontrast von V. 4 zwischen „Gesetz" und „Gerechtigkeit"/"Glaube" im Prinzip auf den von Partikularismus und Universalismus. - Unabhängig von Dunns kontextbezogenen Argumenten (ebd. 589f.), die hier nicht im einzelnen diskutiert werden können, bleibt die sprachliche Schwäche dieses Vorschlags festzuhalten: Für die Zusammengehörigkeit von νόμου und εις δικαιοσύνην, an der der Partikularismus-Gedanke hängt, nennt Dunn kein exegetisches Argument („Paul's flow of dictation often offends grammatical propriety" [ebd. 590]), und der konsequente Austausch des Singulars (παντϊ τω πιστεύοντι) gegen den Plural in der Übersetzung (ebd. 579.589.596), der dem UniversalismusGedanken entgegenkommt, wird von Dunn überhaupt nicht erläutert. 127 Zu den textkritischen Problemen von 10,5 s. Lindemann (Gerechtigkeit 232-237), der zugunsten der dem Nestle/Aland-Text ab der 26. Aufl. zugrundeliegenden Entscheidungen argumentiert (vgl. auch Koch, Schrift 293f.). Inhaltlich ist an der textkritisch derart rekonstruierten Fassung folgendes wichtig: Die „Gerechtigkeit aus dem Gesetz" erscheint als Gegenstand einer Beschreibung des Mose (Μωϋσής γάρ γράφει την δικαιοσύνην τήν έκ [τοϋ] νόμου), sie ist also nicht Objekt des Tuns, von dem V. 5b (8τι ό ποιήσας αύτά άνθρωπος ζήσεται έν αύτοϊς) spricht. 128 LXX Lev 18,5c: (αύτά,) α ποιήσας άνθρωπος ζήσεται έν αύτοΐς· Der Text gehört in eine Gottesrede an Mose (18,1), und αύτά bezieht sich zurück auf πάντα τά προστάγματά μου και πάντα τά κρίματά μου (18,5a). >29 Vgl. Kühl, Römer 353 (Zitat ebd.). 130 vgl. Lindemann, Gerechtigkeit 236.

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dem „Daß" des ποιεΐν gilt. Vorläufig läßt 10,5 für den Leser des Rom eine wichtige Frage offen, nämlich die, ob „Mose" das ποιεΐν mit der Verheißung eschatologischen Lebens aufgrund der Taten verbindet, also in seiner Beschreibung die Gesetzesgerechtigkeit propagiert (und darin - nach 9,30-10,4 irrt), oder ob „Mose" mit einem zutreffenden Urteil zu Wort kommen soll, das dem Tun ein eingegrenztes Leben in den Taten zuordnet 131 , deren soteriologischen Sinn also gerade bestreitet und folglich eine kritische Beschreibung der Gesetzesgerechtigkeit bietet. Im Kontrast zur Gesetzesgerechtigkeit steht die „Selbstvorstellung" der Glaubensgerechtigkeit in 10,6-8, bei der eine einschneidend veränderte und mit drei Kommentierungen (V. 6d.7b.8c) versehene Wiedergabe von LXX Dtn 32,12-14 verarbeitet ist 132 . Diese zielt gerade nicht auf irgendein das Heil herbeischaffendes Tun, sondern auf die nahe und darum nicht erst zu beschaffende, sondern anzunehmende Glaubensbotschaft, in der Christus präsent ist. Die Annahme der Glaubensbotschaft wird in den drei folgenden, in die Form von allgemeingültigen Regeln 133 gefaßten Sätzen (V. 9f.) reflektiert, die als Erläuterung an V. 8 angeschlossen sind 134 und die daraus aufgenommenen Stichworte στόμα und καρδία in chiastischer Reihenfolge wiederholen. Diese Erläuterung gehört noch in die Gegenüberstellung von Gesetzesgerechtigkeit (V. 5) und Glaubensgerechtigkeit (V. 6ff.) hinein: In V. 8 war dem ποιεΐν (αύτά) als dem Prinzip der Gesetzesgerechtigkeit aus V. 5 die nahe Glaubensbotschaft gegenübergestellt worden; V. 9 benennt mit σωθήση die Konsequenz aus der Annahme dieser Botschaft und bietet so das Gegenstück zum ζήσεται έν αύτοϊς aus V. 5 135 . Auf diese Weise wird klargestellt, was sich nach der Lektüre von V. 5 noch nicht eindeutig beantworten ließ: ζην έν αΰτοϊς kann sich nicht auf das Leben im soteriologischen bzw. eschatologischen Sinn beziehen (also bedeutungsgleich mit σφζεσθαι verwendet sein), sondern es meint die „Einbindung des Menschen in den Lebenshorizont der Werke (oder der Gebote)" 136 , die dem ποιεΐν α ύ τ ά folgt. Demgegenüber ist das σφζεσθαι bzw. die σωτηρία (und parallel dazu: die δικαιοσύνη) nach V. 9f. allein an den Glauben gebunden, in dem sich die Unterordnung unter den

131 Für diese Bedeutungsmöglichkeit des ζήσεται έν αύτοίς hat Lindemann zu Recht auf Rom 6,2 hingewiesen (Gerechtigkeit 241). 132 Zur Verarbeitung von Dtn 32,12-14 in Rom 10,6-8, die „den Sinn eines Schriftwortes bewußt in sein Gegenteil verkehrt", s. Vielhauer, Paulus 2 1 4 - 2 1 6 (Zitat ebd. 215); Koch, Schrift 129-132.153-160. 133 Vgl. Michel, Römer 331 Anm. 22 zu den Passiv-Formulierungen von V. 10. Ähnlich macht aber auch das Konditionalgefüge von V. 9 mit der generellen 2. Person Singular (= „man") den Eindruck einer Regel. 134

Zum kausalen Verständnis von δτι (gegen die gelegentlich vertretene Annahme eines δτιrecitativum) vgl. Cranfield, Romans II 526. 135 Vgl. Aletti, Dieu 107. 136 Lindemann, Gerechtigkeit 241; vgl. auch Aletti, Dieu 107f.l24.

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auferweckten Christus als Herrn vollzieht. Erst mit der betonten Verbindung von Christusglaube und Rettung in V. 9f. ist so auch die Begründung der These in 10,4 abgeschlossen, um derentwillen der aus der Schrift erhobene Gegensatz der beiden Gerechtigkeiten überhaupt aufgestellt wurde: Christus ist insofern „Ende des Gesetzes", als der von der Verkündigung erreichte Mensch im Glauben auf Christus als Herrn bezogen ist und darum gerettet werden wird 137 . Das abschließende εις σωτηρίαν in 10,10 (vgl. σωθήση in V. 9) weist zurück auf das einleitend in 10,1 mitgeteilte Ziel des Engagements des Verfassers für die Israeliten, das in ihrer σωτηρία liegt. Unter diesem Aspekt halten die allgemeinen Ausführungen von V. 5 - 1 0 fest: Die erbetene Rettung der Israeliten kann sich nicht anders ereignen, als in V. 6 - 1 0 im Rückgriff auf die Stimme der Glaubensgerechtigkeit (in ihrem Kontrast zur Gesetzesgerechtigkeit [V. 5]) in der Schrift skizziert; gerade die allgemeingültig-regelhaft formulierten Schlußsätze (V. 9f.) schließen die Möglichkeit einer irgendwie anders bedingten Rettung für die derzeit abseits des Heils befindlichen Israeliten aus. Bis hin zu 10,10 lassen sich die Ausführungen also unter der Perspektive der persönlichen Kundgabe des Verfassers in 10,1 verständlich machen: 10,2f. hält im interpretierenden Rückgriff auf 9,30ff. fest, worin die derzeitige Heilsferne der Israeliten besteht. 10,(4.)5-10 zeigt generell den Glauben an den verkündigten Christus, der die Gerechtigkeit erschließt, als einzigen Weg zur Rettung und behauptet diesen Weg der Glaubensgerechtigkeit als schriftgemäß. Es liegt darum nahe, auch den als Erläuterung an 10,10 angeschlossenen Schlußabschnitt 10,11-13 unter dem Aspekt des einleitend ins Spiel gebrachten Gedankens der Rettung der Israeliten zu interpretieren. Die Zusammengehörigkeit dieses Passus ist angezeigt durch die beiden parallel gebauten, rahmenden Schriftzitate: π ά ς ό πιστεύων έ π ' αύτω ού καταισχυνθήσεται (V. l i b ) ; π ά ς γ α ρ δς αν έιπκαλέσηται τό δνομα κυρίου σωθήσεται (V. 13). Dabei entspricht das „Glauben an ihn" dem „Anrufen des Namens des Herrn", und ού καταισχυνθήσεται ist Äquivalent zu σωθήσεται 1 3 8 . Das erste, explizit gekennzeichnete (V. 1 la) Zitat wiederholt den schon 9,33c zitierten Text, stellt aber dem Partizip ein π ά ς voran; die Korrespondenz zum zweiten, mit π ά ς einsetzenden Zitat tritt auf diese Weise noch deutlicher hervor 139 . Der dadurch gerahmte V. 12 verweist im Zusammenhang der Christusherrschaft auf π ά ν τ ε ς bzw. auf π ά ν τ ε ς oi έπικαλούμενοι αυτόν. Die unterschiedlichen Auffassungen dieses Schlußabschnitts sind mitbedingt durch divergierende Annahmen zu der durch das wiederholte π ά ς angezeigten, oft als „universalistisch" ge-

137 Zur Zusammengehörigkeit von όμολογεΐν und πιστεύειν in V. 9f. als „Äußerungen der πίστις" s. Lübking, Paulus 86. 138 Vgl. Cranfield, Romans II 531. 139 Vgl. Koch, Schrift 134.

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kennzeichneten Stoßrichtung 140 . Tatsächlich läßt sich im Anschluß an V. 10 das durch πας ergänzte ό πιστεύων aber nicht verständlich machen i.S. einer Ausweitung des Kreises derer, für die das ού καταισχυνθήσεται gilt. Im erläuternden Anschluß an die regelhaft formulierten Sätze in (V. 9 und) V.10 will das πάς ό τπστεύων vielmehr explizit den Glauben als hinreichende, notwendige und darum einzige Bedingung des ού καταισχυνθήσεται festhalten. Unterstrichen wird so die Allgemeingültigkeit der exklusiven Beziehung zwischen Glaube und Rettung 141 , und nicht die Vielzahl derer, denen - etwa im Unterschied zu einem früher begrenzteren Kreis - Rettung in Aussicht gestellt ist 142 . Die Stoßrichtung, in der die Allgemeingültigkeit des Grundsatzes hervorgehoben wird, kann dann aber nur auf diejenigen zielen, für die dieser Grundsatz im Kontext als problematisch herausgestellt wurde, und daher ist mit Kühl zu schließen: „Er gilt also - darauf kommt es hier an - nicht nur für die Heiden, sondern auch für die Juden"143. Unter dem Aspekt des den heidenchristlichen Adressaten in V. 1 kundgetanen Engagements des Verfassers für die Rettung der Israeliten besagt also V. 11: Der Gedanke an ihre Rettung wird exklusiv an den Weg der Glaubensgerechtigkeit gebunden, der schon in der Schrift mit dem von ihnen gegenwärtig eingeschlagenen Weg der Gesetzesgerechtigkeit kontrastiert ist. Auf der Grundlage der in V. 11 behaupteten Allgemeingültigkeit der exklusiven Beziehung zwischen Glaube und Nicht-Zuschandenwerden stellt V. 12 in wörtlicher Aufnahme der schon in 3,22 gebrauchten Wendung die Unterschiedslosigkeit zwischen dem Juden und

140 Für Zeller z.B. erklären sich die „universalistischen Akzente" (Juden und Heiden 124 [im Orig. hervorgehoben]) in V. 11-13 (und V. 4) aus dem Gesamtanliegen des Abschnitts 10,1-13, der seiner Meinung nach eine „Rechtfertigung des Ev" für die Heidenchristen bietet (ebd. 123f.; Zitat 124). Durch die Betonung des universal eröffneten Zugangs zum Heil soll sich den Heidenchristen „die Heilskraft des Ev ... bestätigen" (ebd. 124). Anders sieht Lübking „die allumfassende und für alle geltende Heilswirkung der ττίστις" (Paulus 87) in V. 11-13 deshalb betont, weil so auf den in 9,30 lokalisierten Beginn des Abschnitts zurückgelenkt werden soll. Durch die universalistische Ausrichtung von 10,11-13 wird wieder der „Anschluß an die Ausgangsposition in 9,30f erreicht, womit die Erklärung der paradoxen Gegenwartssituation zwischen Israel und den Heiden und damit auch die Begründung für das Anteil-Gewinnen der Heiden an der Glaubensgerechtigkeit zum Abschluß gelangt" (ebd. 88). Wiederum völlig anders meint Theobald, die universalistische Akzentsetzung in (10,4 und) 10,11-13 solle „die Absage der Juden an das Evangelium begreiflich" machen (Römerbrief I 287): „Der Universalismus des Heils, wie ihn das Evangelium proklamiert, schien ihnen [erg.: den Juden] mit der Unterscheidung des Gesetzes zwischen Gerechten und Ungerechten, Frommen und Gottlosen unvereinbar zu sein" (ebd.). Umgekehrt wird für Rese durch die universalistische Akzentuierung nichts erklärt, sondern das Problem der derzeitigen Heilsferne der Israeliten zugespitzt: „Man möchte meinen, eigentlich hätten doch auch die ungläubigen Israeliten diese Botschaft hören müssen und so gerettet werden können" (Unwissen 262). 141 142 143

Vgl. ähnlich Koch, Schrift 133f. In dieser Richtung z.B. Dunn, Romans II 616. Römer 356.

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dem Griechen fest 144 . Diese Unterschiedslosigkeit wird in V. 12b.c gleichsam vom andern Ende der mit dem πιστεύειν έπ' αύτω gegebenen Relation her gesehen. Sie beruht auf der Einheit des Herrn, der seinen Reichtum allen zuwendet, die ihn anrufen, d.h. (nach V. 9) die sich im Glauben an seine Auferweckung und im Bekenntnis seiner Herrschaft unterstellen. Durch die Wiederaufnahme des Hinweises auf Christus als κύριος aus V. 9, der in V. 12 betont als Herr über „alle" ihm Zugehörenden herausgestellt wird, ist also ein deutlicher „universalistischer" Akzent gesetzt. Nur ist dieser Akzent eben eingelagert in die dazu komplementäre Akzentsetzung der beiden rahmenden Schriftzitate (V. 11.13), die die allgemeine Gültigkeit der exklusiven Bindung der Rettung an den Christusglauben ausdrücken. Insgesamt ist nach den Überlegungen zu Rom 10,1-13 im Verhältnis zur „Hauptstoßrichtung" der Behandlung der Israel-Problematik in cap. 1-8 also festzuhalten: An der Tatsache, daß sich Rettung für Israel nur auf dem Weg des Glaubens an den verkündigten Christus ereignen kann, läßt Rom 10,1-13 ebensowenig Zweifel wie die Themenangabe 1,16f., deren entscheidende Stichworte in cap. 10 wieder aufgenommen sind. Dann aber stellt sich die Frage, warum es mit einer knappen Wiederholung oder einem Rückverweis nicht sein Bewenden haben konnte. Für die Antwort sind zwei Gesichtspunkte entscheidend. 1. Die Gesprächslage ist komplizierter geworden. Am Ende des ersten größeren Abschnitts von Rom 9-11 (9,30-33) war ausdrücklich von dem „wie aus Werken" und nicht aus Glauben existierenden Israel und von seinem Anstoßen an Christus als dem ihm von Gott in den Weg gelegten Stolperstein die Rede. Wenn daraufhin zu Beginn des zweiten größeren Abschnitts den heidenchristlichen Adressaten gegenüber der Gedanke an die Rettung der Israeliten ins Spiel gebracht wird (10,1), dann müssen in den daran anschließenden Ausführungen zwei Gedanken miteinander vermittelt werden: Das, was einzig - also auch und gerade für Israel - Rettung ausmachen kann, nämlich der Glaube an den verkündigten Christus als Herrn, ist genau das, was Israels gegenwärtige Heilsferne ausmacht. In 10,2f. liegt - rückbezogen auf 9,30ff. - das Gewicht auf letzterem, in den scheinbar ganz allgemeinen Ausführungen von 10,5-13 auf ersterem, 10,4 formuliert den entscheidenden Verbindungsgedanken. 2. Auch für den zweiten Gesichtspunkt bleibt die Kommunikationssituation im Auge zu behalten, deren entscheidende Faktoren in 10,1 angegeben sind (der Verfasser und seine „Brüder", also die heidenchristlichen Adressaten)145. 144 Im Prinzip zutreffend wird der „Nachsatz" in V. 12a bei Michel (Römer 331) als Auslegung des πάς in V. IIa verstanden, genauer müßte man aber wohl von einer Auslegung der ganzen Partizipialwendung πάς ό τπστεύων reden. 145 Von hier aus ist die in der Sekundärliteratur oft vorausgesetzte und bei Lübking deutlich benannte Annahme einzuschränken, nach der „sich Paulus weiterhin im Gespräch mit jüdischen Positionen befindet" (Paulus 215 Anm. 572). Daß der Autor Paulus zu den in cap. 10 dargelegten Auffassungen auf dem Weg der Auseinandersetzung mit jüdischen Gegenpositionen gelangt ist,

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Der Text bekundet ein deutliches Interesse an der Verankerung des Kontrasts der von Israel verfolgten Gesetzesgerechtigkeit einerseits und der rettenden Glaubensgerechtigkeit andererseits in der Schrift. Dabei wird nicht ein Schriftwort gegen das andere ausgespielt 146 ; es geht nicht darum, Mose als Verkündiger des von Israel beschrittenen Wegs der Gesetzesgerechtigkeit darzustellen, um seiner Proklamation unter Verwendung eines anderen Schriftworts die Glaubensgerechtigkeit entgegenzuhalten. Der für 10,5ff. konstitutive Kontrast ist nicht ein Kontrast der Autoritäten 147 , sondern ein Kontrast in der Sache, nämlich zwischen den beiden Gerechtigkeiten. Dieser Kontrast soll nach beiden Seiten hin in der Schrift festgemacht werden. Durch das „Mose"Zitat wird „zutreffend das Wesen der δικαιοσύνη έκ νόμου" beschrieben 148 ; sie legt aufs Tun fest und vermag über ein Leben in den Taten nicht hinauszuführen, sie beläßt den Täter bei seinen Taten. Ihr steht die an anderer Stelle vernommene Stimme der Glaubensgerechtigkeit gegenüber, die von dem in der Verkündigung präsenten Heil spricht und die allein Rettung vermitteln kann. Die Bezugnahmen auf die Schrift erfolgen also nicht in einer kritischpolemisch an die Israeliten gerichteten Weise, etwa so, als sollte um „der δικαιοσύνη willen dem verstockten Judentum die Schrift entrissen werden" 149 . Den Ausführungen eignet vielmehr ein demonstrativer, an die Adressaten gerichteter Zug, der in V. 8c direkt zum Ausdruck kommt: τοΰτ' εστίν τό ρήμα της πίστεως δ κηρύσσομεν. Die Übereinstimmung des Zeugnisses der Schrift mit der vom Verfasser und anderen 150 ausgerichteten Verkündigung der Christusbotschaft ist darum nicht nur eine seitens des Autors Paulus vorauslie-

dürfte schwerlich zu bestreiten sein. Das Gespräch mit dem Judentum gehört in die verfasserseitige Vorgeschichte des Textes hinein. Dieser Sachverhalt ist aber methodisch zu unterscheiden von der Kommunikationssituation, in der der Text selbst steht; diese ist in 10,1 angegeben. 146 So z.B. Vielhauer, Paulus 214; Klein, Sündenverständnis 279; LUbking, Paulus 84. 147 Für die in diese Richtung zielende Interpretation wird häufig auf die Differenz zwischen dem γ ρ ά φ ε ι ν (des „Mose") und dem λέγειν (der Glaubensgerechtigkeit) hingewiesen, die als Antithese gedeutet und in die Nähe derer von γ ρ ά μ μ α und π ν ε ΰ μ α gerückt wird (vgl. besonders Käsemann, Geist und Buchstabe 271; Klein, Sündenverständnis 279; Lübking, Paulus 209 Anm. 532). Der Hinweis ist kaum überzeugend: 1. γράφει steht anders als λέγει mit Objekt (την δικαιοσύνην την έκ [τοϋ] νόμου). (Das gilt jedenfalls unter Voraussetzung der bei Nestle/Aland ab der 26. Aufl. abgedruckten Textfassung, deren Ursprünglichkeit Lindemann [Gerechtigkeit 232-237] textkritisch wahrscheinlich gemacht hat). 2. Der Text bietet nicht das geringste Signal, das die Adressaten zur Assoziation des ihnen aus 2,29 bekannten ΐΓνεϋμα-γράμμα-Gegensatzes auffordert. 148 149

Koch, Schrift 343. Güttgemanns, Heilsgeschichte 46.

150 Zu Recht hat Rese auf die Auffälligkeit des „wir" im Zusammenhang der unpersönlichen Ausführungen von 10,4-13 und nach den Ich-Aussagen in 10,1 f. aufmerksam gemacht (Unwissen 265), wegen der Differenz zum Gebrauch der 1. Person Singular in 10,lf. (und 10,18f.) gegen einen „schriftstellerischen" Plural argumentiert und auf eine umfassende Bedeutung des „wir" geschlossen, das den Verfasser und „alle christlichen Verkündiger" zusammenschließen will (ebd.).

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gende Überzeugung (aus der heraus sich sein Umgang mit den alttestamentlichen Zitaten ein Stück weit erklärt) 151 . Diese Übereinstimmung gehört vielmehr im Fall von Rom 10,5ff. auch direkt zu der Sache, die der Text den Adressaten zu erkennen gibt. Den Adressaten soll die Einheit des Wortes Gottes in der Schrift und der jetzt erfolgenden Verkündigung - gerade in Anbetracht des gegenwärtig ausfallenden Gotteszeugen Israel (10,2f.) - verdeutlicht werden, und zwar in dem Sinn, daß im Wort der Schrift „die Gerechtigkeit aus Glauben als das immer schon von Gott Gemeinte" 152 aufgewiesen wird. 3.2.3.2 Die Übereinstimmung Gottes mit sich selbst (9,1-13;

11,11-32)

Wenn bei der Aufnahme des zentralen Inhalts der Rechtfertigungsbotschaft und der daraus folgenden Gleichstellung von Juden und Heiden in 10,1-13 ein besonderer Akzent auf der demonstrativ entfalteten Übereinstimmung dieser Botschaft mit dem Zeugnis der Schrift liegt, in der die Stimme der Glaubensgerechtigkeit vernommen wird, dann deutet sich von hier aus ein Zusammenhang an mit dem nach weitreichendem Konsens 153 in cap. 9-11 vorliegenden Rückbezug auf 3, Iff., also auf jene Passage, die zwar keinen soteriologischen Vorsprung postuliert, wohl aber die Juden als Adressaten der früher ergangenen „Worte Gottes" festhält und darin ihre Besonderheit ausmacht. Bei der Behandlung von 3,Iff. 154 hatte sich herausgestellt: Die Hervorhebung von Israels Besonderheit zielt nicht auf ein Merkmal dieses Volkes (die „anvertrauten Worte Gottes" sind auf der Seite der Empfänger ja gerade auf απιστία getroffen [3,3]), sie zielt vielmehr auf Gott, der seine Worte in der Vergangenheit an Israel gerichtet hat. Seine Treue ist durch „ihre" άπιστχα nicht nur nicht aufhebbar, sondern umgekehrt stellt sich mit Gottes endgültigem Wahrheitstriumph die Verlogenheit der Menschheit einschließlich Israels heraus (3,4). Dieses in 3,Iff. bemerkbare, im engeren Sinn theologische Interesse an der Übereinstimmung des Gottes, von dem die Rechtfertigungsbotschaft spricht, mit dem Gott, der sich in der Vergangenheit an Israel gewendet hat, bestimmt auch die Behandlung der Israel-Thematik in cap. 9-11. Das soll im folgenden anhand dreier, allein ihrer Stellung nach hervorgehobener Passagen zu zeigen versucht werden: an dem die Ausführungen von 9-11 insgesamt einleitenden Passus 9,1-5 und dem daran dicht anschließenden ersten Argumentations-

151

Zur Verankerung dieser Prämisse im hermeneutischen Ansatz des Paulus vgl. Vielhauer, Paulus 219f.; Koch, Schrift, besonders 347-353. 152 Luz, Geschichtsverständnis 93f. (Zitat im Orig. hervorgehoben). 153 Vgl. besonders Penna, Function 75f.85-88; außerdem (unter vielen anderen): Luz, Aufbau 169; Lübking, Paulus 34; Brandenburger, Schriftauslegung 5.8; Barclay, Truth 248; Räisänen, Verständnis 186; Siegert, Argumentation 121; Wedderburn, Reasons 112f.; Rese, Gott 103f.; Saß, Verheißungen 371. 154

S. o. S. 159ff.

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schritt 9,6-13 sowie an dem die Argumentation beschließenden Abschnitt 11,11-32. 3.2.3.2.1

Jüdische Heilsferne

und Gottes Zuwendung

zu Israel

(9,1-5)

Im Einleitungsabschnitt zu cap. 9-11 (9,1-5) treffen scheinbar unvermittelt drei verschiedene Arten von Sprechakten aufeinander: 1. V. 1-3 ist eine persönliche Kundgabe, in der das Verfasser-Ich im Mittelpunkt steht. Sie besteht aus drei Elementen: (a) einer Wahrheitsbeteuerung, die (b) eine Mitteilung tiefer Trauer einleitet. Die folgende (c) Mitteilung des Wunsches nach stellvertretender Übernahme des von Christus getrennten Daseins schließt mit dem Hinweis auf die in der Christusferne Befindlichen (ύπέρ των άδελφών μου των συγγενών μου κατά σάρκα). 2. 9,4-5a schließt eine Prädikation der zuvor erwähnten Personen an: Sie werden „Israeliten" genannt, und diese Prädikation wird in einem dreiteiligen Katalog erläutert, dessen letztes Glied besonders ausgearbeitet ist. 3. 9,5b wechselt von der erläuterten Prädikation in einen durch άμήν bekräftigten Ausruf, bei dem vom Verfasser-Ich und von den als Israeliten prädizierten Personen abgesehen ist. - Entscheidend für die Interpretation des Einleitungsabschnitts ist die Bestimmung des Verhältnisses der drei verschiedenen Sprechakte und der in ihnen ausgedrückten Inhalte zueinander. 1. Die persönliche Kundgabe gipfelt und bricht ab mit dem Hinweis auf „meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch". Der Hinweis benennt das Problem, auf das die vorangehenden Ich-Aussagen indirekt zusteuern. Erst dieses Ende von V. 3 deutet an, wovon das λέγειν handelt, dessen Wahrheit in V. la.b positiv und negativ beteuert wird155 und das darüber hinaus als ein Reden έν Χριστώ geortet wird; erst von hier aus wird klar, worauf sich Kummer und Schmerz des Verfasser-Ichs beziehen (V. 2) und wem der Wunsch nach stellvertretender Übernahme eines von Christus getrennten Daseins (V. 3) zugute kommen soll156.

155 Damit ist vorausgesetzt, daß der δτι-Satz in V. 2 nicht von λέγω abhängt, sondern von συμμαρτυρούσης (V. lc); vgl. die Übersetzung von Michel, in der die syntaktischen Verhältnisse von V. lf. m.E. zutreffend wiedergegeben werden: „Wahrheit sage ich in Christus, ich lüge nicht, wobei mir mein Gewissen im heiligen Geist Zeugnis ablegt, daß ich große Trauer habe ..." (Römer 290). Diese Auffassung dürfte als einfacher gelten können als die Alternative, bei der man ού ψ ε ύ δ ο μ α ι . . . άγίω als Parenthese einordnen muß. Außerdem ist συμμαρτυρείν + öfi-explicativum außerhalb von Rom 9,lf. eindeutig belegt (Rom 8,16), während ά λ ή θ ε ι α ν λέγειν auch in lTim 2,7 (vgl. 2Kor 12,6; Eph 4,25) ohne οτι-explicativum steht. D.h.: Die einleitende Wahrheitsbeteuerung gilt nicht nur für die unmittelbar folgende Trauerbekundung, sondern auch für den weiteren Folgekontext. 156 Bei ύττέρ in V. 3 fließen die Bedeutungen „an Stelle von" und „zugunsten von" zusammen (vgl. Bauer/Aland, Wb. 1671). Zum Imperfekt Indikativ ηύχόμην, das hier einen hypothetischen, von einer nicht genannten Bedingung abhängigen Wunsch ausdrückt (also ähnlich wie im Deutschen „ich wünschte" verwendet wird), vgl. Lagrange: „'je souhaiterais', ä savoir: si cela etait

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Zur kommunikativen Funktion dieser persönlich gehaltenen, indirekten Hinführung, die stilistisch ausgearbeitet und insofern hervorgehoben ist 157 , sind unterschiedliche Vermutungen angestellt worden. Oft wird an eine apologetische Abgrenzung gegen den Vorwurf der Judenfeindlichkeit gedacht 158 , gelegentlich aber auch 159 an eine „exuscitatio", die bei den Adressaten die im Text kundgetanen Gefühle erregen soll (in diesem Fall: „compassion for the Jews" 160 ). Zwar dürfte ersteres für den empirischen Autor nicht rundweg zu bestreiten sein - man kann nicht ausschließen, daß Paulus bei der Formulierung von 9,Iff. an häufig gegen ihn erhobene Einwände dachte. Nur: Der Text zeigt das Verfasser-Ich nicht in einer solchen Frontstellung, und er legt den Gedanken an Vorwürfe nicht nahe, weil eine Gefühlskundgabe eine seltsame Form der Reaktion darauf wäre 161 . Die zweite Möglichkeit erscheint kaum überzeugender: Ginge es um Beteiligung der Adressaten an der den Juden geltenden Trauer des Verfasser-Ichs, dann wäre die Formulierung „meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch" ungeschickt, weil sie eine für die Adressaten gerade nicht geltende Beziehung zu den Juden hervorhebt. Einleuchtender läßt sich demgegenüber der stilistisch hervorgehobene persönliche Einstieg plausibel machen als eine Hervorhebung der Sache, um die es im folgenden geht 162 . Nach dem persönlich formulierten und rhetorisch ausgearbeiteten Ende von cap. 8, an das 9,Iff. antithetisch anschließt 163 , konnte den Adressaten das Gewicht des neuen Themas nur durch eine Einführung auf gleichem Niveau angezeigt werden. Vor allem konnte das in 8,38f. hervortretende Verfasser-Ich beim Neueinsatz in 9,1 nicht einfach verschwinden, wenn denn der Eindruck, es handele sich nunmehr um eine Angelegenheit minderer theologischer Relevanz, vermieden werden sollte. Entsprechend hebt gleich zu Beginn V. l a (άλήθειαν λέγω έν Χριστώ) nicht nur den subjektiv ehrlichen Charakter der folgenden Ausführungen und Christus als deren Bürge hervor; έν Χριστώ markiert außerdem, in wessen Namen der Verfasser auch hier das Wort ergreift 164 .

possible, ou si ce souhait etait ä faire" (Romains 225; vgl. auch die ausführliche Diskussion bei Cranfield, Romans II 455-457). 157 Zum Eindruck einer feierlich-gehobenen Redeweise trägt besonders die „Häufung von Doppelgliedern" (Michel, Römer 292 [im Orig. hervorgehoben]) bei; V. 1: Wahrheit sagen / nicht lügen; in Christus / im heiligen Geist; V. 2: Kummer / Schmerz; groß / unablässig; mir / in meinem Herzen; V. 3: ανάθεμα είναι / άιτό τοΰ Χρίστου; αύτός έγώ. 158 Vgl. z.B. Michel, Römer 291; Wilckens, Römer II 189f.; Käsemann, Römer 248; Räisänen, Analyse 2895; besonders: Brandenburger, Schriftauslegung 6 - 8 . 159 Vgl. Elliott, Rhetoric 261-263. 16 0 Elliott, Rhetoric 262. 161 Saß fragt zu Recht, inwiefern „durch die Betonung der eigenen Trauer" Vorwürfe widerlegt werden (Verheißungen 412). '62 i n dieser Richtung vgl. z.B. Luz, Geschichtsverständnis 26; Lübking, Paulus 57f.; Saß, Verheißungen 412. 163 164

S. o. S. 149. Vgl. Schlier, Römerbrief 284; Lübking, Paulus 57.

180

Analysen zur Textfunktion

Die Form der persönlichen Kundgabe trägt aber nicht nur zur Hervorhebung bei, sie läßt darüber hinaus das in V. 3 angesprochene Problem als Herausforderung erscheinen, die der Verfasser zwar annimmt, vor der er aber zugleich kapituliert. Die Christusferne derer, denen Kummer und Schmerz gelten, ihre Existenz unter dem Fluch kommt nicht als ein distanziert festgestelltes Phänomen in den Blick 165 , sondern als Voraussetzung eines Wunsches, der durch stellvertretende Übernahme - also um jeden Preis - diesen Zustand beenden soll, damit aber nur eine (nach 8,38f.) unmögliche Möglichkeit ins Spiel bringt. D.h.: Über den Grund des Kummers werden die Adressaten keineswegs im Unklaren gelassen. Wenn jüdische Nichtteilhabe am Christusheil, die dem Dasein unter dem Fluch gleichkommt 166 , in V. 3 nur als Implikation begegnet, dann deshalb, weil die den Verfasser bis zum äußersten provozierende Wirkung dieses Sachverhalts hervorgehoben werden soll, die über den zuvor geäußerten Kummer und Schmerz (V. 2) weit hinausgeht. Der vorausgesetzte Sachverhalt dürfte auch die eigentümliche Umschreibung ύπέρ των αδελφών μου των συγγενών μου κ α τ ά σάρκα erklären. Die Bruderbezeichnung - im Rom bislang als Adressatenanrede (1,13; 7,1.4; 8,12) verwendet und in 8,29 allgemeiner als Bezeichnung für die zu Christus als πρωτότοκος Gehörenden - wird durch τών συγγενών μου eingeschränkt 167 auf den Bereich der Stammesverwandtschaft. Im Anschluß daran liefe κ α τ ά σάρκα in einem „neutralen" Sinn auf eine Tautologie hinaus 168 , folglich bietet der Zusatz eine weitere Einschränkung, nach der die Beziehung zwischen Verfasser-Ich und seinen jüdischen Brüdern betont auf das Nur-Natürliche, auf die nur irdische Verwandtschaftsbeziehung reduziert erscheint 169 .

165 Besonders in der Interpretation von Klumbies (Rede 21 lf.) werden die in 9,1-5 ausgedrückten oder vorausgesetzten Inhalte in einer eigentümlich vom Sprechaktcharakter der Äußerungen absehenden Weise behandelt. Dabei erscheint dann V. 3 als Feststellung, daß die Juden sich unter dem Fluch befinden" (ebd. 211 [Hervorhebung von mir]). Damit ist zwar nicht der Inhalt verzeichnet - eine stellvertretende Übernahme der Existenz unter dem Fluch und in der Trennung von Christus setzt eben diese Existenz bei denen voraus, für die solche Übernahme geschieht - , wohl aber die Weise, in der dieser Inhalt im Text den Adressaten gegenüber zur Sprache gebracht wird. 166 Zu Recht weist Saß darauf hin, daß 9,3 eine Art Umkehrschluß zu 8,1 impliziert (Verheißungen 413 Anm. 355). 167 Auch unabhängig von der in der Apposition ausgedrückten Einschränkung wird man nicht behaupten können, hier werde der (sonst nur auf Christen bezogene) „Brudertitel auf die Juden übertragen" (Käsemann, Römer 248; vgl. ähnlich z.B. Niebuhr, Heidenapostel 162f. mit Anm. 125). Für diesen Fall wäre - statt des dann mißverständlichen „meine Brüder" - „unsere Brüder" oder Auslassung des Possessivum (so die durch p 46 bezeugte v.l.) zu erwarten. 168 Vgl. Jewett, Anthropological Terms 162 mit Anm. 2. 169

Gerade entgegengesetzt meint Wilckens: „Er [erg.: Paulus] nennt sie zunächst seine Brüder und bezieht so seine 'Stammesgenossen nach dem Fleisch' in die Bruderschaft der Christen ein" (Römer II 187). - Aber abgesehen von dem dann unverständlichen ,jneine Brüder" und dem dann tautologischen συγγενείς μου κ α τ ά σάρκα spricht gegen diese Auffassung die Vertauschung von Apposition und dem dadurch erläuterten Ausdruck.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

181

2. 9,4a schließt relativisch an und macht die Personen, die zuvor nur unter dem Aspekt der Beziehung zum Verfasser-Ich benannt waren, zum Subjekt. Daß die Aussage zu diesem Subjekt (εΐσίν Ί σ ρ α η λ ΐ τ α ι ) nicht einfach eine weitere Benennung, sondern eine wirkliche Prädikation bildet, zeigt sich an der Fortsetzung: Ein dreiteiliger Katalog (ών ... ών ... έξ ών ...) zählt auf, was „Israeliten" ausmacht und folglich auch für diejenigen gilt, die als Israeliten prädiziert werden. Die stilistische Ausarbeitung von 9,4-5a steht derjenigen von 9,1-3 nicht nach 170 . Offensichtlich sind in 9,1-3 und 4 - 5 a zwei Sprechakte aneinandergereiht, deren spannungsvolles Verhältnis sich nach dem Modell von Über- und Unterordnung nicht auflösen läßt 171 : Eine trauernde und resignierte Selbstkundgabe, die durch jüdische Christusferne veranlaßt ist, einerseits und andererseits eine feierliche Prädikation der christusfernen Juden, die den durch eine Fülle von Gaben ausgezeichneten Israeliten zugehören. Daß diese Spannung, in die 9 , 4 5a zum Vorangehenden tritt, den Adressaten wirklich zu erkennen gegeben werden soll, wird besonders deutlich im Blick auf die beiden ersten Glieder des Katalogs und die vorangehenden Ausführungen in cap. 8: In 8,15.23 war von der υιοθεσία in einer exklusiv auf Christen bezogenen Weise die Rede 172 , und entsprechend war in 8,30d (also an hervorgehobener Stelle, am Ende des umfangreichen Kettenschlusses 8,28-30) das δοξάζειν als im δικαιοϋν Inbegriffen, also für die Gerechtfertigten - und nur für sie - als bereits geschehen behauptet worden 173 . Damit legt sich die Frage nahe, in welchem Sinn die im Katalog aufgezählten Werte auf die Israeliten bezogen werden sollen. Ausscheiden dürfte dabei von vornherein die Annahme einer kritischen Tendenz, die sich gegen ein mit diesen Werten verbundenes jüdisches Selbstverständnis richtet und darauf zielt, den Gaben eine beanspruchte Heilsträchtigkeit abzusprechen 174 : Wenn

170 Alle drei Teile sind durch ein auf Ί σ ρ α η λ ΐ τ α ι rückbezügliches Relativpronomen im Genitiv Plural eingeleitet; nur im letzten Teil soll dieser Genitiv die Herkunft (έξ ών) ausdrücken. Die beiden letzten Teile enthalten Personenangaben, der erste dagegen einen sechsgliedrigen Katalog von Werten, der sich in zwei Reihen mit j e drei Gliedern unterteilen läßt; das 1. und 4. Glied enden auf -θεσία, das 3. und 6. enthalten den Femininum Plural-Artikel und die Endung -αι. Alle Glieder der beiden ersten Teile bestehen aus Artikel und Nomen, nur das Glied des letzten Teils enthält eine Zusatzbestimmung. 171 Gegen Brandenburger, der im Zusammenhang seiner Annahme einer apologetischen Funktion von 9,1-5 ohne weitere Begründung für V. 4f. eine „gegenüber V. 1 f ... durchaus untergeordnete Funktion" annimmt (Schriftauslegung 6). 172 „Um so erstaunlicher ist es, wenn Paulus nun in Rom. 9,4f. 'Sohnschaft' ohne jeden Abstrich" den Israeliten zuschreibt (Rese, Vorzüge 216). 173 Mindestens ebenso stark - wenngleich für die Adressaten vielleicht nicht ganz so eklatant ist die Spannung zur weiter zurückliegenden Behauptung von 3,23, nach der alle (also Juden und Heiden) der δόξα τοϋ θεοϋ ermangeln (vgl. Rese, Vorzüge 216). Zum ebenfalls spannungsvollen Verhältnis der Erwähnung der π α τ έ ρ ε ς (9,5) und cap. 4 vgl. ebd. 217. 174

So Klumbies, Rede 211 f.; vgl. ausführlicher ders., Vorzüge 136-140.

182

Analysen zur Textfunktion

man die Prädikation (V. 4a) und ihre stilistisch ausgearbeitete Erläuterung (V. 4b-5b) derart indirekt als eine kritische Stellungnahme zu verstehen hätte, dann müßte der kritisierte Anspruch in irgendeiner Weise im Text angedeutet sein 175 . Wesentlich plausibler erscheint demgegenüber ein Interpretationsansatz 176 , der beiden formalen Sachverhalten Rechnung trägt: 1. der Form der erläuterten Prädikation in V. 4-5a, die von sich aus gerade nicht auf Kritik oder Neutralisierung der in ihr ausgedrückten Sachverhalte zielt, und 2. dem Kontrast zu dem in V. 3 vorausgesetzten faktischen Unheilszustand der derart Prädizierten. Der Schlüssel zu diesem Ansatz liegt in der konsequent „geberseitigen" Auffassung der im Katalog aufgezählten Werte. D.h.: Wenn das, was „Israeliten" ausmacht, ausschließlich besteht „in der Zuwendung Gottes"177 (der Katalog also als Konkretion solcher Zuwendung zu begreifen ist), und nicht in der Reaktion darauf, dann läßt sich der Wechsel von V. 3 zu V. 4 als Wechsel in eine konträre Perspektive begreiflich machen. V. 3 formuliert den hypothetischen Stellvertretungswunsch im Hinblick auf die Unheilswirklichkeit, in der sich die jüdischen „Verwandten nach dem Fleisch" befinden. V. 4b.5a umschreibt durch die Aufzählung der verschiedenen Äußerungen der Zuwendung Gottes, was „Israeliten" ausmacht. Die Pointe liegt in der Prädikation οϊτινές είσιν Ί σ ρ α η λ ΐ τ α ι (V. 4a). Diese behauptet für das Subjekt, dessen Unheils Wirklichkeit V. 3 in aller Deutlichkeit voraussetzt, Gültigkeit der Israel konstituierenden Zuwendung Gottes 178 . Daß sich solche Unterscheidung zwischen „unbedingt gültiger Zusage Gottes und faktischem Resultat auf Sei-

175

Anders als Klumbies nimmt Klein (Präliminarien 238) zwar nicht eine kritisch gegen beanspruchte Heilsträchtigkeit der Gaben gerichtete Intention an, wohl aber besagt „die Kombination von apostolischer Selbstverfluchung mit dem Katalog der gottgegebenen Gaben ..., daß allen Gottesgaben zum Trotz die Verfassung seines Volkes dem Apostel nur den verzweifelten Wunsch zur stellvertretenden Übernahme des ... Fluches abzupressen vermag" (ebd.). Damit ist zweifellos eine Implikation getroffen, die sich aus der Spannung in 9,Iff. nicht wegdiskutieren läßt: Zwischen der beklagten Realität des Volkes und „Gottes Treueerweise[n]" klafft ein „Abgrund" (ebd.). Die Frage ist aber, ob sich die Funktion von V. 4 - 5 a darin erschöpft, die positive Folie für die in 9,2f. vorausgesetzte Sicht der negativen Verfassung des Volkes darzustellen. 176 Vgl. besonders Luz, Geschichtsverständnis 269-274; Lübking, Paulus 53-57; im Anschluß an Lübking vgl. auch Niebuhr, Heidenapostel 149f. Auch die Kritik an der gängigen Bezeichnung der in 9,4 aufgezählten Werte als „Vorzüge" Israels bei Saß (Verheißungen 430) weist in eine ähnliche Richtung. 177

Luz, Geschichtsverständnis 273. 178 Wegen der präsentischen Formulierung der Prädikation (V. 4a) und der zeitlosen Fassung der sie erläuternden Relativsätze (V. 4b.5a) ist der Hinweis Kleins auf die Diskrepanz zwischen „göttlicher Zuwendung und dem Stand derer, denen sie galt" (Präliminarien 238 [Hervorhebung von mir]), im Tempus des hervorgehobenen Wortes nicht einsichtig.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

183

ten Israels"179 bei der Interpretation der Einzelglieder des Katalogs bewährt, hat besonders Lübking im einzelnen gezeigt 180 . Unter Voraussetzung dieses Ansatzes, der - zugespitzt formuliert - die Wirklichkeit der Gaben gegen die Wirklichkeit der Verfassung ihrer Empfänger geltend gemacht sieht, legt sich ein Rückblick auf die vergleichbar ausgerichteten Ausführungen in 3,Iff. 1 8 1 nahe: Hier waren die früher anvertrauten Worte Gottes als Besonderheit des Juden festgehalten; zugleich war vorausgesetzt, daß diese Worte an dem der ττίστις τοϋ θεού die άτηστία entgegensetzenden jüdischen Volk gleichsam abgeprallt sind. Eine Differenz zwischen den beiden Stellen, die in vergleichbarer Weise jüdische Heilsferne und Gottes Zuwendung aufeinander beziehen, besteht in zeitlicher Hinsicht; in 3,3 war von jüdischer άπιστία vor Christus die Rede, in 9,3 ist als Unheilszustand das Fernsein von Christus vorausgesetzt.

Diese Differenz zu 3,Iff. lenkt speziell auf den letzten Teil des Katalogs: έξ ών ό Χριστός το κατά σάρκα. Bei der Bestimmung des Zusammenhangs, in den Christus und Israeliten hier gesetzt werden, sind drei formale Faktoren zu beachten: 1. die Zugehörigkeit zur Aufzählung der für Israel konstitutiven Gaben Gottes; 2. die besondere Ausformung dieses Schlußteils bzw. -gliedes im Vergleich zu den vorangehenden Teilen bzw. Gliedern (έξ ών und der Zusatz zum Nomen); 3. der Anklang des Zusatzes an das Ende von V. 3. Unter Berücksichtigung aller drei Gesichtspunkte ergibt sich für den Schlußteil des Katalogs ein komplexer Sinn: Die Zuordnung zum Katalog hält fest, daß Gott im Christusgeschehen nicht an Israel vorbei gehandelt hat; die ausdrückliche (καί) Verbindung mit den πατέρες legt den Gedanken an Anfang und Ziel der Zuwendung Gottes nahe182. Andererseits wird die Beziehung zwischen Israeliten und Christus durch die besondere Ausgestaltung (έξ ών; το κατά σάρκα) betont auf das Irdisch-Natürliche, also auf einen rein genealogischen Zusam-

179 Lübking, Paulus 54. - Völlig anders demgegenüber z.B. Räisänen, der die im Katalog aufgezählten Werte als „bleibender Besitz der Verwandten des Apostels κ α τ ά σ ά ρ κ α " (Analyse 2899) festgestellt sieht. 180 Paulus 54f.; vgl. aber auch Luz, Geschichtsverständnis 271-273. Besonders die Wahl des im Neuen Testament sonst nicht verwendeten Ausdrucks νομοθεσία (in der LXX in 2Makk 6,23; 4Makk 5,35; 17,16; weitere Belege aus dem hellenistischen Judentum bei Rese, Vorzüge 216 Anm. 35) weist deutlich in die Richtung des erwähnten Interpretationsansatzes; „nicht so sehr der Besitz des Gesetzes als vielmehr das Geschehen der Gesetzgebung durch Gott" (edb. 216) wird auf diese Weise herausgestellt (vgl. Luz, Geschichtsverständnis 272; Käsemann, Römer 249; Lübking, Paulus 249; anders z.B. Wilckens, Römer II 188 Anm. 828). - Von hier aus läßt sich übrigens auch das gelegentlich (vgl. Siegert, Argumentation 122 mit Anm. 25; Schmithals, Römerbrief 334) angemerkte „Fehlen" von konkret-materiellen Werten, wie z.B. Land oder Tempel, im Katalog erklären: Diese konkreten Güter lassen sich nun einmal nicht unter eine konsequent geberseitige Perspektive rücken. 181

Zum Zusammenhang und zur Differenz zwischen beiden Stellen vgl. Rese, Gott 103f.

182

Vgl. Lübking, Paulus 55; Saß, Verheißungen 416.

184

Analysen zur Textfunktion

menhang, eingeschränkt 183 ; der Zusatz τό κατά σάρκα hat insofern negativen Sinn, als er den Gedanken an eine uneingeschränkte Beziehung voraussetzt, die für Christus und Israeliten eben nicht gilt. Diese Einschränkung schließlich entspricht deutlich derjenigen Einschränkung, mit der die Kennzeichnung der Beziehung zwischen dem έν Χριστώ redenden (V. 1) Verfasser-Ich und seinen von Christus entfernten Brüdern in V. 3 abschließt (των συγγενών μου κατά σάρκα) 1 8 4 . Im Blick auf die drei formal angezeigten Faktoren wird man also schließen können, daß bei der Formulierung des Schlußteils bzw. -gliedes zwei Perspektiven ineinandergreifen: zum einen die auf Gottes Initiative gerichtete Perspektive, unter der die ganze vorangehende Aufzählung erfolgt - Gottes Zuwendung zu Israel ist mit Christus keineswegs zurückgenommen oder unterbrochen - ; zum andern aber auch die zuvor in V. 3 angelegte Perspektive auf die faktische Verfassung des jüdischen Volkes, das sich entfernt von Christus befindet, bei dem Gottes Zuwendung in Christus also keine Realisierung gefunden hat. D.h.: Das Schlußglied des Katalogs bindet die beiden Perspektiven aneinander, deren Spannungsverhältnis die inhaltliche Beziehung zwischen persönlicher Kundgabe (V. 1-3) und erläuterter Prädikation (V. 4 - 5 a ) bestimmt. Mit dem ausgebauten und durch καί verbundenen Schlußglied der Aufzählung ist die erläuterte Prädikation abgeschlossen. Der Anklang von τό κατά σάρκα an das Ende der persönlichen Kundgabe unterstreicht den Eindruck eines Abschlusses. 3. Der den Einleitungsabschnitt beendende Ausruf in 9,5b schließt asyndetisch an. Mit der Annahme eines asyndetischen Anschlusses verbindet sich eine Entscheidung in der intensiv diskutierten Frage 185 nach dem Bezug von V. 5b auf Christus oder auf Gott zugunsten der zweiten Möglichkeit 186 . Unter sprachlichem Aspekt beruht diese Entscheidung auf drei Überlegungen. a. Das sprachliche Hauptargument für die gegenteilige, also die christologische Deutung der Wendung liegt in der Wortstellung 187 : In einer unabhängigen Doxologie (wie sie hier im Fall eines Bezuges auf Gott vorliegt) hätte εύλογητός voranstehen müssen, so wie es in den einschlägigen LXX-Belegen (aber mit Ausnahme von ψ 67,19) und den neutestamentlichen Belegen für unabhängige Doxologien mit

183 Vgl. Klein, Präliminarien 238 Anm. 45. Vgl. dazu auch den auf Rom 9,5 bezogenen Hinweis bei Bl/Debr/Rehk, daß „der Zusatz des Artikels die Beschränkung stark hervorhebt" (§ 266 Anm. 4). 184

Vgl. Reichert, Praeparatio 425f. Vgl. dazu die Literaturzusammenstellung bei Fitzmyer, Romans 556f.; zur Geschichte der Auslegung von Rom 9,5 s. Kuss, Zu Römer 9,5 292-301. 186 £)i e beiden Möglichkeiten sind in verschiedenen Versionen vertreten worden, vgl. dazu die übersichtliche Darstellung bei Cranfield, Romans II 4 6 4 - 4 6 9 . 187 Für Cranfield ist dieses Argument „so strong as to be in itself conclusive" (Romans II468). 185

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

185

εύλογητός (Lk 1,68; 2Kor 1,3; Eph 1,3; IPetr 1,3) der Fall ist. - Bei der häufigen Wiederholung dieses Arguments 1 8 8 ist die seinerzeit von Winer geltend gemachte Kritik 189 unberücksichtigt geblieben, die darum in Erinnerung gerufen sei: Die Voranstellung des Prädikats ist kein Spezialgesetz für unabhängige εύλογητός-Wendungen, sie liegt vielmehr im Ausrufscharakter dieser Wendungen begründet, der sie z.B. mit Makarismen verbindet. In solchen Wendungen steht das, was ausgerufen wird, betont voran. „Aber ... wo das Subj. die Hauptvorstellung bildet, namentl. wo es einem andern Subject gegenübertritt, kann und wird das Prädicat nur nachstehen ... Und so ist auch Rö. 9,5., wenn die Worte ό ών έπι π ά ν τ ω ν θεός εύλογητός cet. auf Gott bezogen werden, die Wortstellung eine ganz angemessene, ja nothwendige" 1 9 0 . Daraus ergibt sich: Die Wortstellung besagt hinsichtlich des zur Debatte stehenden Bezugs auf Christus oder auf Gott nichts 191 . b. Gegen ein rückbezügliches (und dann christologisches) Verständnis von V. 5b spricht die daraus folgende, komplizierte und das εύλογτηός in eine deutlich untergeordnete Position rückende Syntax, ό ών έπϊ π ά ν τ ω ν θεός bildet rückbezogen aufgefaßt eine Apposition zum übergeordneten ό Χριστός τό κ α τ ά σάρκα, genauer einen „appositionalen Partizipialsatz" 192 . Das Problem in der Annahme eines appositionalen Partizipialsatzes (gleichgültig, ob dieser bis έπι π ά ν τ ω ν oder bis θεός reicht) liegt in der Zuordnung des εύλογητός εις τούς αιώνας, das dann jedenfalls nicht direkt als Prädikat dem ό ών als Subjekt zugeordnet werden kann, sondern auf einer im Verhältnis zu V. 5a syntaktisch doppelt untergeordneten Stufe anzusiedeln ist 193 . Auf jeden Fall stellt εύλογητός εις τούς αιώνας bei rückbezüglichem Verständnis von ό ών nicht die Satzaussage dar. Zu Recht hat ein Vertreter der christologischen Deutung die Konsequenz formuliert, die sich aus solcher Auffassung der Syntax für die Bestimmung des Sprechaktcharakters von V. 5b ergibt: „Eine Doxo-

188 vgl. u.a. Zahn, Römer 435; Lagrange, Romains 227; Kühl, Römer 315; Michel, Römer 297; Schlier, Römerbrief 288; Cranfield, Romans II 467f. 189

Grammatik 486.

190

Winer, Grammatik 486.

191 Ebensowenig besagt der oft zugunsten der christologischen Deutung geltend gemachte Hinweis auf den bei Paulus mehrfach belegten Gebrauch von nicht-asyndetisch angeschlossenen Doxologien (Rom 1,25; 11,36; 2Kor 11,31; Gal 1,5; Phil 4,20): Die Syntax von 9,5b läßt sich nur durch die Analyse der Stelle selbst bestimmen und nicht durch eine auf den Sprachgebrauch des Autors bezogene Wahrscheinlichkeitsrechnung, die nach dem Mehrheitsprinzip verfährt. Allerdings ist derselbe Einwand - Ubertragen auf die Ebene der Semantik - auch gegen das Hauptargument der Beziehung der Wendung auf Gott geltend zu machen. Die Vertreter dieser Ansicht verweisen oft darauf, daß sich Doxologien bei Paulus sonst auf Gott, nicht auf Christus beziehen (vgl. z.B. Wilckens, Römer II 189; Lübking, Paulus 56; Theobald, Römerbrief I 262). Aber auch dieser Hinweis auf die Parallelen kann die Entscheidung zur Stelle nicht präjudizieren. Als Argument für den Bezug auf Gott in 9,5b besagt der Hinweis nur: Wenn Paulus gegen seine sonst belegte Verwendungsweise von Doxologien, die auch im vorangehenden Text des Rom (1,25) zum Zuge gekommen ist, 9,5b auf Christus hätte bezogen wissen wollen, dann wäre ein eindeutig formulierter Rückbezug auf 9,5a zu erwarten gewesen. 192

Kühl, Römer 315. Es wäre entweder Apposition zum vorangehenden appositionalen Partizipialsatz θεός) (so - nach der Paraphrase zu urteilen - vermutlich Kühl, Römer 312), oder es attributiv zu θ ε ό ς zu ziehender Bestandteil einer solchen Apposition zu dem dann ό ών των umfassenden appositionalen Partizipialsatz (so Zahn, Römer 436; Cranfield, Romans 193

(ό ών ... wäre ein έπί π ά ν II 469).

186

Analysen zur Textfunktion

logie Christi kann man dies kaum nennen ... Es ist vielmehr eine ... neue Aussage über Christus"194. - Wenn es sich aber so verhielte, wäre zu fragen, was dann durch άμήν eigentlich bekräftigt wird. Demgegenüber läßt sich die ganze Komplikation vermeiden, wenn man in V. 5b asyndetisch einen neuen Satz und (gegenüber der erläuterten Prädikation) einen neuen Sprechakt angeschlossen sieht, auf den sich das bekräftigende άμήν bezieht. Als Übersetzung legt sich dann nahe: Der über allem ist, Gott, (sei) gepriesen in Ewigkeit! Amen 195 . c. Im Blick auf den von Vertretern der christologischen Deutung häufig geäußerten Hinweis, V. 5aß (ό Χριστός τό κατά σάρκα) lasse ein positiv antithetisches Pendant erwarten196, ist festzuhalten, daß der Text mit der Einbindung von V. 5aß in die erläuterte Prädikation und mit dem Anklang des abschließenden κατά σάρκα an das Ende von V. 3 diese Erwartung jedenfalls nicht hervorruft. Vor allem zeigt die durchaus nicht parallel zu V. 5aß gehaltene Formulierung von V. 5b, daß eine solche Erwartung auch gar nicht erfüllt werden soll.

Wenn V. 5b folglich auf Gott zu beziehen ist, dann bestätigt dies zunächst einmal die Interpretation von V. 4-5a: Was Israeliten ausmacht, ist die Zuwendung Gottes, an den die im Katalog aufgezählten Gaben gebunden bleiben; ihm gilt der abschließende Ausruf des Lobes. Zugleich ist aber zu beachten, daß V. 5b unverbunden einsetzt, folglich den in sich spannungsvollen Passus 9 , l - 5 a insgesamt beschließt und nicht nur mit der erläuterten Prädikation in V. 4 - 5 a im Zusammenhang steht. Die Doxologie fungiert darum nicht einfach ungebrochen positiv als „bestätigende Danksagung an Gott" 197 . Von der persönlichen Kundgabe in V. 1 - 3 her gesehen, stellt sie vielmehr eine Art sprachlicher Protesthandlung dar, die sich demonstrativ abwendet von der betrauerten Verfassung der Mehrheit des jüdischen Volkes und den Blick umlenkt auf Gott. Für die Verwendung einer Doxologie in dieser von Rese angedeuteten, der wahrgenommenen Wirklichkeit gleichsam ausweichenden Funktion 198 (die im vorangehenden Text des Rom [1,25] eine völlig eindeutige Parallele hat 199 ) spricht auch die Umschreibung ό ών έπι πάντων: In Anbetracht des alles andere als preisenswerten Sachverhalts jüdischer Heilsferne wird das Lob dessen ausgerufen, der „über allem" 200 ist, der folglich auch dieser Situation Herr zu werden vermag.

194 195

Zahn, Römer 436; vgl. auch Lagrange, Romains 227. Vgl. ähnlich z.B. Käsemann, Römer 247; Wilckens, Römer II 186; Zeller, Römer 172.

196 Vgl. z.B. Zahn, Römer 433; Kühl, Römer 315; Cranfield, Romans II 467; Siegert, Argumentation 122; Schlier, Römerbrief 288 (der diesen Hinweis allerdings durch einen Einwand relativiert [ebd.]). 197 Lübking, Paulus 56; vgl. Kuss, Zu Römer 9,5 303. 198 Der Verfasser fügt den Lobpreis Gottes da ein, „wo es ihm die Sprache und das Denken verschlägt" (Rese, Vorzüge 217). 199 Rese (Vorzüge 217) verweist außerdem noch auf Gal 1,5. 200 Von hier aus liegt die Auffassung von π ά ν τ ω ν als Neutrum Plural (vgl. z.B. Cranfield, Romans II 469 Anm. 2) nahe.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

187

Der Lobpreis in V. 5b schließt also an beide vorangehenden Sprechakte des Eingangspassus an: Im Sinn einer Abwendung von der beklagten Wirklichkeit der jüdischen Mehrheit, in der Gottes Gaben an Israel nicht zum Zuge kommen und im Sinn einer Hinwendung zu Gott als Urheber dieser Gaben, der „über allem" ist. Mit dem letzten Sprechakt wird die zwischen persönlicher Kundgabe und erläuterter Prädikation bestehende Spannung also nicht gelöst, wohl aber auf eine andere Ebene gehoben. Das Verfasser-Ich weicht darin der resigniert betrauerten jüdischen Heilsferne aus, aber dieses Ausweichen stößt nicht ins Leere, sondern richtet sich in Anbetracht aller geschehenen Zuwendung zu den Israeliten auf Gott, der in dieser Zuwendung gleichsam beim Wort genommen wird. 3.2.3.2.2

Die Wirkweise des λόγος τον θεον in Israels Anfängen

(9,6-13)

Im Anschluß an das spannungsvolle Zusammenspiel der drei verschiedenen Sprechakte in 9,1-5 sind theoretisch mindestens zwei Fortsetzungen denkbar; dabei dient es der Erfassung der im Text eingeschlagenen Richtung, sich den nicht eingeschlagenen, alternativen Weg zu verdeutlichen. Die Spannung zwischen resignierter Trauer um die „Verwandten nach dem Fleisch" und deren Prädikation als durch Gottes Zuwendung ausgezeichnete Israeliten hätte zur Frage nach den Konsequenzen für die derzeit in der Heilsferne befindlichen Israeliten führen können, zu einer Erörterung ihrer Wirklichkeit, in der die ihnen geltende Zuwendung Gottes keine Gestalt angenommen hat. Tatsächlich eingeschlagen wird aber die umgekehrte und bereits mit der Doxologie (9,5b) angedeutete Fragerichtung: Daß Gottes Gaben an Israel in der Wirklichkeit des jüdischen Volkes gegenwärtig nicht zum Zuge kommen, ist Anlaß für eine grundsätzliche Reflexion über die Wirkweise des Wortes Gottes 201 . Diese Behauptung einer dezidiert theologischen Ausrichtung von 9 , 6 - 1 3 soll im folgenden begründet werden. Die Grobstruktur des durch den Neuansatz in 9,14 nach hinten begrenzten Abschnitts zeichnet sich vergleichsweise deutlich ab: Mit δέ an 9,1-5 angeschlossen,

201 Auf der Linie des zuerst genannten, umgekehrten Weges interpretiert besonders deutlich Räisänen (Analyse 2897-2902). Das dürfte jedenfalls auch mit der Leitfrage zusammenhängen, unter der Räisänen seine Analyse von Rom 9 - 1 1 betreibt: „Rom 9 - 1 1 wird vor allem im Hinblick auf die Einstellung des Paulus zu Israel und zum Heil Israels untersucht" (ebd. 2893). Zu dieser Frage entnimmt Räisänen aus 9 , 6 - 1 3 eine klare Antwort, die die Überschrift zur Behandlung des Passus bildet: „Ganz Israel wurde nie berufen" (ebd. 2897; vgl. 2900 [im Orig. jeweils hervorgehoben]). Diese Antwort stellt aber - auch in Räisänens Auffassung - lediglich eine „Implikation" dar, die ohne „es expressis verbis auszusprechen, ... zu verstehen" gegeben wird (ebd. 2900). Man kann folglich fragen, ob die negative Antwort tatsächlich vom Text her das ihr von Räisänen beigemessene Gewicht erhält oder ob sich die Gewichtung der Implikation nicht eher der Tatsache verdankt, daß die implizierte Negativaussage eine Antwort auf die von Räisänen vorab gestellte Frage bietet. - Umgekehrt, also auf der Linie der zweiten Fragerichtung, interpretiert z.B. Hübner: „Hier geht es nur sekundär um Israel, primär aber geht es um Gott" (Ich 16).

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A n a l y s e n zur Textfunktion

stellt 9 , 6 a eine T h e s e auf, die eine denkbare K o n s e q u e n z aus d e m Einleitungspassus verneint 2 0 2 . D i e Begründung dieser T h e s e ( γ ά ρ [V. 6b]) beginnt mit z w e i negierten, miteinander durch ο ύ δ έ verbundenen N o m i n a l s ä t z e n (V. 6 b . 7 a ) 2 0 3 . ά λ λ ά leitet e i n e Ausführung ein (V. 7 b - 9 ) , die das positive Pendant zu V . 7a bietet. V . 1 0 - 1 3 fügt dieser ersten positiven A u s f ü h r u n g eine durch ο ύ μ ό ν ο ν δ έ , ά λ λ ά και anges c h l o s s e n e z w e i t e positive Ausführung h i n z u 2 0 4 . D i e s e Anordnung spricht für die weithin geteilte A n n a h m e von V . 6 a als der d e m f o l g e n d e n Argumentationsgang übergeordneten T h e s e 2 0 5 und außerdem für die i m V e r g l e i c h zu den negativen B e hauptungen von V . 6 b . 7 a stärkere G e w i c h t u n g der positiven Ausführungen v o n V . 7b-9.10-13206.

Der Sinn der Spitzenthese in V. 6a, die mit dem Vorangehenden verbindet und durch den folgenden Kontext begründet und so gefüllt wird, läßt sich mit Hilfe der übrigen paulinischen Belege für λόγος τοϋ θεοϋ nicht zutreffend erfassen, und auch der Hinweis auf Belege für πίπτειν bzw. διαπίπτειν in vergleichbarer Kombination in der LXX führt nur begrenzt weiter. Trotz IKor 14,36; 202 Zu der ungewöhnlichen Wendung ούχ οίον οτι und zum adversativen Sinn des eingelagerten δέ s. Cranfield, Romans II 472. Zur Konsequenz vgl. Lübking: „Ausschlaggebend ist, daß sich die Abwehr eines falschen Verdachtes in 9,6a (Ούχ οίον δτι) auf etwas zurückbeziehen muß, was den Verdacht erregen konnte" (Paulus 61). Dieser Rückbezug ist bei Brandenburger, der V. 6a aus einer realen Kontroverse heraus begreifen will (Schriftauslegung 18), übersehen. 2 °3 Mit der Auffassung von V. 7a als Nominalsatz, in dem π ά ν τ ε ς Subjekt, τέκνα Prädikat und οτι είσϊν σ π έ ρ μ α ' Α β ρ α ά μ vorangestellter Begründungssatz ist, wird die gängige syntaktische Interpretation vorausgesetzt. Gegen die alternative Auffassung (vgl. Rese, Israel 209f.; Saß, Verheißungen 445f.; vgl. auch die Übersetzung bei Jülicher, Römer 292), nach der πάντες τέκνα Subjekt und είσϊν σπέρμα ' Α β ρ α ά μ (vorangestelltes) Prädikat ist, scheint mir vor allem die dann anzunehmende Inkongruenz von π ά ν τ ε ς τέκνα zu sprechen. Rese berücksichtigt das Problem und schlägt als Erklärung des hier anzunehmenden ,joloecismus (schema) per genera" vor: π ά ν τ ε ς (mask.) resultiert aus dem Gedanken des Verfassers an die „Söhne" Abrahams (V. 7b), und τέκνα erklärt sich aus dem Gebrauch des Wortes in V. 8 (Israel 215 Anm. 20). Diese an den vermuteten Verfasser-Gedanken orientierte Erklärung ist vor allem im erstgenannten Punkt schwierig, weil in V. 7b der Ausdruck υιοί (mask, pl.) nicht vorkommt. Außerdem wäre im Blick auf V. 8 (τα τ έ κ ν α ... λογίζεται) bei dieser Auffassung statt des Plurals είσίν für das Prädikat eher der Singular zu erwarten. Gegen Reses Hinweis, auch die gängige Auffassung müsse von Inkongruenz (zwischen π ά ν τ ε ς als Subjekt und τ έ κ ν α als Prädikat) ausgehen (ebd.), ist festzuhalten, daß es für die Nichteinhaltung der Kongruenz zwischen pronominalem Subjekt und Prädikatsnomen im Griechischen naheliegende Belege gibt (bei Bl/Debr/Rehk § 132.1 ist auf IPetr 2,19f. verwiesen).

204 v g l . zur Struktur im Prinzip ähnlich Brandenburger (Schriftauslegung 10), dessen Annahme eines chiastischen Verhältnisses der beiden negativen Thesen und der beiden positiven Ausführungen allerdings nicht überzeugt, weil zwar der spezielle Zusammenhang zwischen V. 7a und V. 7 b 9, aber nicht der zwischen V. 6b und V. 10-13 im Text hervorgekehrt wird. 205 Vgl. z.B. Dahl, Future 143; Lübking, Paulus 62; Brandenburger, Schriftauslegung 10; Rese, Israel 209; ders., Gott 104; Aletti, Dieu 160f.; Saß, Verheißungen 442; anders Klein, Präliminarien 235. Wenn die zuerst genannten Autoren durchaus nicht einheitlich bestimmen, wie weit V. 6a als These reicht (bis 9,13, bis 9,29, für cap. 9 - 1 1 insgesamt), bzw. auf eine entsprechende Angabe verzichten, dann meldet sich hier wieder das schon bei der Diskussion von l,16f. angesprochene (und bei näherem Hinsehen komplizierte) methodische Problem: Wie verfährt man, wenn man Texten oder Textteilen Thesen bzw. Themen zuordnen will? 206 Vgl. Brandenburger, Schriftauslegung 21 mit Anm. 31.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

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2Kor 2,17; 4,2; IThess 2,13 kann λόγος τοΰ θεοΰ in 9,6 nicht speziell „die gegenwärtig erklingende apostolische Heilsbotschaft" 207 bezeichnen, weil 9 , 1 5 keinen Anlaß bietet für den Verdacht, das Evangelium sei „hingefallen" 208 . Zwar enthält diese Deutung insofern ein Wahrheitsmoment, als sie den λόγος τοΰ θεοΰ nicht auf eine der Vergangenheit zuzurechnende Größe eingrenzt, wobei sie aber eben den Gegenwartsaspekt in unzutreffender Weise verabsolutiert: Der Satz οΰχ οίον δέ öri έκπέπτωκεν ό λόγος τοΰ θεοΰ drückt ja gerade die Identität des Wortes Gottes vor und nach dem bestrittenen „Hinfallen" 209 aus. Daraus folgt: „La Parole de Dieu est ici plus large que le message chretien. Elle lui est en tout cas anterieure"210. Näher als die Identifikation des λόγος τοΰ θεοΰ mit dem Evangelium liegt die von vielen Exegeten 211 bevorzugte Deutung auf die Verheißungen, die vor allem von Berger durch Hinweise auf den Sprachgebrauch der LXX zu stützen versucht wurde 212 . Der Vorschlag ist allerdings insofern nicht ganz befriedigend, als er die singularische Fassung von λόγος (im Vergleich zu έπαγγελίαι in 9,4) nicht erklärt und überdies offenläßt, warum die Leitthese von V. 6a

207

So Güttgemanns, Heilsgeschichte 41; vgl. Klumbies, Vorzüge 141 f.; ders., Rede 213. Klumbies versucht zwar, dem Rückbezug auf 9,1-5 Rechnung zu tragen: „Auch gegenüber Israel und gerade angesichts dessen besonderer Gaben hat das Evangelium nicht seine Gültigkeit verloren. Vielmehr läßt der unheilvolle Zustand Israels seine Geltung um so nachdrücklicher bestehen" (Rede 213). Bei dieser die Elemente des Textes gewissermaßen umarrangierenden Auffassung des Zusammenhangs von V. 6a mit V. 1-5 tritt aber gerade die durch die Identifikation des λόγος τοΰ θεοϋ mit dem Evangelium erzeugte Schwierigkeit besonders deutlich zutage: Es verhält sich ja nicht so, daß die Gaben mich dem Evangelium auf den Plan getreten wären, so daß sie die Frage nach dem Weitergelten des Evangeliums veranlassen könnten, die dann im Blick auf die von den Gaben nicht geprägte Wirklichkeit Israels in der Heilsferne positiv entschieden würde. 209 Der Gegenbegriff zum verneinten έκπίπτειν findet sich in 9,11. Zu μένειν und seinen Gegenbegriffen s. Schräge, Was bleibt 98. 210 Bovon, Paul 9. 21 ' Vgl. z.B. Lagrange, Romains 228; Michaelis, Art. πίπτω 169; Lietzmann, Römer 90f.; Kümmel, Probleme 20; Hübner, Ich 16; Dunn, Romans II 539. 212 Abraham 79f. Anm. 77. Berger meint: In der LXX „begegnet an einer Reihe von Stellen ein nahezu festgeprägter Ausdruck von 'Nicht-Dahinfallen des Wortes Gottes', wobei dieses 'Wort' jeweils eine Verheißung über Zukünftiges bedeutet" (ebd. 79 Anm. 77). Er beruft sich dabei besonders auf LXX Jos 23,14; lKge 3,19; Jos 21,45; 2Kge 10,10 (versehentlich für: 4Kge 10,10); 3Kge 8,56. - Im Blick auf diese Belege ist aber festzuhalten: Zum einen wechselt beim Verb der Gebrauch von διαπίπτειν (Jos 23,14; 21,45), πίπτειν (lKge 3,19; 4Kge 10,10) und διαφωνεΐν (3Kge 8,56); έκττίτττειν kommt dabei nicht vor. Zum andern geht es in den genannten Belegen nicht um „das Wort" i.S. einer Gesamtheit, sondern um ein spezifisches (und gelegentlich qualifiziertes) Wort: εις λόγος άπό πάντων των λόγων (Jos 23,14; ähnlich lKge 3,19); (ού διέπεσεν) άπό πάντων των ρημάτων των καλών (Jos 21,45); (ού πεσεΐται) άπό τοΰ ρήματος κυρίου εις την γήν, ού έλάλησεν κύριος έπι τον οίκον Α χ α α β (4Kge 10,10); (ού διεφώνησεν) λόγος εις έν πάσιν τοις λόγοις αύτού τοις άγαθοϊς (3Kge 8,56). Besonders wegen des zweiten Differenzpunktes ist Bergers Schlußfolgerung aus den LXX-Belegen für Rom 9,6a schwer nachzuvollziehen: „Daß das Wort Gottes nicht hinfällt, besagt demnach bei ihm [erg.: bei Paulus]: ein in der Vergangenheit den Vätern, Moses oder den Propheten gegebenes Versprechen, das Heilsbedeutung für Israel hat, wird in der Zukunft erfüllt werden" (ebd. 80 Anm. 77). 208

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Analysen zur Textfunktion

dem Katalog von 9 , 4 - 5 a nur ein Element entnimmt und dabei diesen Rückgriff in der Formulierung nicht einmal deutlich macht. Beide Schwierigkeiten der Deutung des λόγος τοϋ θεοΰ auf die Verheißungen weisen in dieselbe Richtung: Offensichtlich will V. 6a nicht einfach auf die „ungebrochene[...] Geltung der Verheißungen Israels", sondern auf einen grundsätzlicheren Sachverhalt hinaus 213 , der mit dem Katalog der in 9 , 4 - 5 a aufgezählten Werte zu tun hat, damit aber nicht identisch ist. Die genauere Bestimmung des mit λόγος του θεοΰ ausgedrückten Sachverhalts muß sich am Rückbezug von V. 6a auf den Einleitungspassus orientieren. In V. l - 3 . 4 - 5 a war eine Spannung aufgebaut zwischen gegenwärtiger Unheilswirklichkeit der Mehrheit Israels und der Zuwendung Gottes, die Israeliten eigentlich ausmacht. Diese Spannung läßt viele Fragen offen, u.a. auch die folgende: Woran liegt es, daß die gegenwärtige Wirklichkeit der Mehrheit Israels von Gottes Zuwendung und den Gaben, die er den Israeliten zugedacht hat, nicht gekennzeichnet ist? 214 Unter den denkbaren Antworten auf diese Frage wehrt V. 6a die folgende ab: Es liegt am Versagen von Gottes Wort, von Gottes Kundgabe seiner Zuwendung, daß Israel gegenwärtig nicht als Empfänger der ihm zugedachten Gaben dasteht. Wenn man die Wendung λ ό γ ο ς τοϋ θεοΰ in dieser Weise auf die Gott vorbehaltene Mitteilung oder den Vollzug der Gaben bezieht 215 , dann läßt sich V. 6 b - 1 3 als indirekte Begründung auf die These von V. 6a beziehen. V. 6b. 7a: Die beiden negativen Behauptungen in V. 6b.7a bestreiten jeweils die Identität zweier Größen: Die Abstammung aus Israel ist nicht gleichzusetzen mit „Israel". Wenn nicht alle, die aus Israel stammen, „Israel" sind, dann ist ersteres keine hinreichende Bedingung für letzteres (V. 6b). Entsprechend gilt nach V. 7a: Die Zugehörigkeit zur natürlichen Abrahamsnachkommenschaft ist keine hinreichende Bedingung für den Kindschaftsstatus 216 . Beide Negativsätze sind als zeitlose Nominalsätze im Stil einer abstraktlogischen Argumentation 2 1 7 formuliert, sie wollen die Adressaten also nicht dazu auffordern, die jeweils zweite Größe ihrem Bestand nach konkret-

213

Lübking, Paulus 62; Zitat ebd.

214

Natürlich deutet die in 9,3 vorausgesetzte Christusfeme der „Verwandten nach dem Fleisch" auf eine Antwort hin, aber - in diesem Punkt ist stark modifizierend an die Bemerkungen von Klumbies (Vorzüge 137) anzuknüpfen - der Text von 9,1-5 stellt den Gedanken des Unglaubens der Christusbotschaft gegenüber noch nicht als Antwort heraus, sondern verwendet ihn im Zusammenhang der Beschreibung des Problems. 215 In diesem „kommunikativen" Sinn entspricht der Ausdruck ό λόγος τοϋ θεοΰ in 9,6a den Belegen, in denen der Ausdruck auf das Evangelium bezogen wird. 216 Da V. 7a wie V. 6b als Paradoxon formuliert ist, liegt es näher, die τέκνα als Abrahamskinder denn als Gotteskinder zu verstehen (vgl. z.B. Käsemann, Römer 252; Hübner, Ich 19 Anm. 23), was der Sache nach aber keine erhebliche Differenz darstellt. 217 Vgl. dazu Bl/Debr/Rehk § 128.1.

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soziologisch auszufüllen218, sondern dazu, die Dissoziation nachzuvollziehen, die durchgeführt wird an der Gesamtheit des empirischen Israel219. Im Zusammenhang mit V. 6a und dem vorangehenden Einleitungsabschnitt V. 1-5 besagen die beiden Negativthesen dann: Der λόγος τοΰ θεοϋ, der die den Israeliten von Gott zugedachten Gaben mitteilt und so „Israel" schafft, ist grundsätzlich nicht an irdische Abstammungsverhältnisse gebunden, darum ist die fehlende Deckungsgleichheit von empirischem und eigentlichem Israel ein Argument für das Wirken des λόγος τοΰ θεοΰ, und nicht ein Argument für sein „Hinfallen". Wenn man in diesem Sinn den λόγος τοΰ θεοΰ als die kommunikative Kraft Gottes auffaßt, die seine den Israeliten geltende Zuwendung in irdische Realität überführt und so im Bereich derer aus Israel ein eigentliches Israel schafft, dann ist das Verhältnis zwischen V. 6b.7a und der Prädikation der „Verwandten nach dem Fleisch" als durch Gottes Zuwendung ausgezeichneter Israeliten (V. 4.5a) jedenfalls keins von unüberwindlicher Widersprüchlichkeit: Ίσραηλΐται in V. 4 meint die Israeliten als Volk, denn nur in diesem Sinn können die „Verwandten nach dem Fleisch" ihnen zugerechnet werden. Ihrer sind die in V. 4.5a aufgezählten Werte, sofern sie ihnen von Gott her zugedacht sind. Zu wirklichkeitsbestimmenden Größen werden diese Werte aber nur durch die Vermittlung des λόγος τοΰ θεοΰ, der so in Israel „Israel" konstituiert.

218 Der Bestimmung des mit dem eigentlichen Israel bzw. mit den „Kindern" gemeinten Personenkreises ist in der Auslegung allerdings ein erhebliches Interesse entgegengebracht worden. Dabei ist entweder für die Christen (aus Juden und Heiden) plädiert worden (vgl. z.B. Dinkier, Prädestination 249f. Anm. 19; Güttgemanns, Heilsgeschichte 42.53) oder für die Judenchristen (vgl. z.B. Dinkier, Prädestination 267 [in Korrektur der zuvor vertretenen Position]; Hübner, Ich 17; Saß, Verheißungen 445). Demgegenüber hat Brandenburger zutreffend festgehalten, daß alle „solche Versuche ... die Gestaltung der paulinischen Erörterung gegen sich" haben (Schriftauslegung 14). Brandenburger macht überdies auf die Aporien aufmerksam, die der Auslegung aus einer um Konkretion eines gemeinten Personenkreises bemühten Auffassung von V. 6b.7a (und - daraus folgend - von V. 7 b - 1 3 ) erwachsen (ebd.). Zur Kritik Brandenburgers vgl. tendenziell Luz, Geschichtsverständnis 69; Lübking, Paulus 66. 219 Wenn man gegen die Zielrichtung des Textes dennoch mit „Israel" bzw. mit den „Kindern" einen bestimmten Personenbestand assoziiert, dann liegt wegen des doppelten οΰ π ά ν τ ε ς der Gedanke an die Judenchristen nahe. Aber: Gerade weil der Text an dieser Stelle weder diese noch sonst irgendeine Identifikation vornimmt und die Rezipienten nicht zur Identifikation auffordert, ist die Möglichkeit einer andersartigen Identifikation (nämlich mit den Christen aus Juden und Heiden) für den weiteren Verlauf des Textes nicht versperrt. Diese Möglichkeit wird in den ekklesiologischen Ausführungen in 9,24ff. realisiert (vgl. Lübking, Paulus 66). Diese späteren Ausführungen über die Berufenen aus Juden und Heiden treten deshalb nicht in Widerspruch mit 9,6b.7a, weil die beiden negativen Behauptungen lediglich implizieren, daß sich das eigentliche Israel mindestens auch aus den empirischen Israelabkömmlingen rekrutiert, daß es wirkliche Abrahamskinder mindestens auch unter den leiblichen Abrahamsnachkommen gibt. Abstammung aus Israel, Zugehörigkeit zur leiblichen Abrahamsnachkommenschaft wird lediglich als hinreichende Bedingung für Zugehörigkeit zum eigentlichen Israel, zu den wirklichen Abrahamskindern bestritten, damit aber nicht als notwendige Bedingung behauptet. Die Formulierung von V. 6b.7a läßt folglich Platz für die an dieser Stelle noch gar nicht ins Blickfeld tretenden Heidenchristen.

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Auf diese Gott selbst vorbehaltene schöpferische Kraft zielen nun die beiden angeschlossenen positiven Ausführungen (V. 7b-13), die an zwei Fällen den λόγος τοΰ θεοΰ in Aktion zeigen. Diese beiden Fälle sind der Anfangsgeschichte Israels entnommen; es geht um ein vergangenes Berufen und Erwählen durch Gott. V. 7b-9: Der Wechsel in die Zeit Abrahams, der zwischen der zeitlos abstrakten Negation von V. 7a und ihrem positiven Gegenstück in V. 7b liegt, wird nur indirekt, nämlich durch die auf Abraham zu beziehende Anrede (σοί), signalisiert. Dieses „dir" impliziert ein sprechendes „ich", das als logisches Subjekt zu κληθήσεται 2 2 0 nur Gott sein kann. Der Wechsel in eine andere Kommunikationssituation läßt V. 7b als Zitat kenntlich werden, gleichgültig, ob den Adressaten die Herkunft des Zitats aus LXX Gen 21,12 erkennbar ist oder nicht. Im Effekt trägt der Verzicht auf jede Zitateinleitung zur Hervorhebung des Kontrasts zu V. 7a bei; auf die negative Behauptung (ούδ' δτι είσιν σ π έ ρ μ α ' Α β ρ α ά μ π ά ν τ ε ς τέκνα) folgt das positive Gegenstück (άλλ' έν ' Ι σ α ά κ κληθήσεται σοι σ π έ ρ μ α ) direkt. Ähnlich wie in V. 6b eine Dissoziation hinsichtlich „Israels" durchgeführt wurde, verhält es sich hier mit dem σ π έ ρ μ α ' Α β ρ α ά μ : Dem σ π έ ρ μ α i.S. der leiblichen, von den „Kindern" zu unterscheidenden Nachkommenschaft steht Isaak als der von Gott berufene Same gegenüber. Hervorgehoben ist auf diese Weise nicht ein ,jiur in Isaak" 221 (auch wenn dieser Gedanke im Anschluß an V. 6b impliziert ist) wozu dann ein „und nicht in Ismael" zu ergänzen wäre - , sondern das auf Isaak bezogene κ α λ ε ΐ ν Gottes 222 , das den eigentlichen Samen schafft und den Kindschaftsstatus bewirkt. Entsprechend betont auch die an das zitierte Gotteswort in V. 7b angeschlossene Deutung (V. 8) nicht ein Sein, sondern ein Geschehen. Diese Deutung umfaßt ja nicht nur einen analog zu V. 6b.7a gebauten Nominalsatz (ού τ ά τέκνα τ η ς σαρκός τ α ϋ τ α τέκνα τοΰ θεού [V. 8a]), vielmehr wird der „Negation der Gleichung: τ έ κ ν α τ η ς σ α ρ κ ό ς = τέκνα τοΰ θ ε ο ύ " die syntaktisch eigentlich gar nicht notwendige „Deklaration (λογίζομαι) der Verheißungskinder zum σ π έ ρ μ α " positiv angeschlossen und auf diese Weise das Gewicht auf das aktuelle In-Kraft-Treten des Wortes Gottes gelegt 223 . In diesem Sinn entspricht das λογίζεται εις σ π έ ρ μ α (V. 8b) dem κληθήσεται σοι σ π έ ρ μ α (V. 7b); gemeint ist jeweils das konkrete schöpferische Wirken 2 2 4 des λόγος τοΰ θεοΰ. Die Deklaration der Verheißungskinder

22

" Zu κληθήσεται als passivum divinum vgl. z.B. Wilckens, Römer II 192; Hübner, Ich 18.

221

Wilckens, Römer II 192. Vgl. Hübner, Ich 18; Lübking, Paulus 63; Bovon, Paul 10. 223 Vgl. Lübking, Paulus 63; Zitate ebd. 224 Vgl. ähnlich Luz, Geschichtsverständnis 65; Käsemann, Römer 253; Saß, Verheißungen 447 Anm. 528. - Anders möchte Zeller durch κληθήναι und λογίζεσθαι das „ungebundene Werten Gottes" (Juden und Heiden 119) ausgedrückt sehen; seiner Meinung nach enthält das „'Nennen' V. 7 zunächst eine mehr rechtliche Nuance" (ebd. Anm. 155). Der Grund für Zellers Reserve 222

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zum σπέρμα meint also den Vollzug, die Verwirklichung von Verheißung. In diesem Sinn dürfte dann auch der abschließende V. 9 aufzufassen sein. Ein ganz bestimmtes Wort Gottes, nämlich sein an Abraham gerichtetes Versprechen der Geburt Isaaks, wird der Verheißung zugeordnet: ε π α γ γ ε λ ί α ς γ ά ρ ό λόγος ούτος (V. 9a). Diese Einleitungswendung, in der ε π α γ γ ε λ ί α ς Prädikatsfunktion hat 225 , kennzeichnet den folgenden, aus Gen 18,14.10 zitierten Satz 226 als Mit-teilung, als Realisierung von έπαγγελία 2 2 7 . Das Subjekt dieser Realisierung von Verheißung ist Gott, der in V. 9b (wie in V. 7b) als Sprecher vorgestellt ist. Inhaltlich stellt V. 9b im Rückbezug auf V. 8 Isaak als Verheißungskind (im Gegensatz zu den „Fleischeskindern") heraus. Solche Klarstellung ist nach V. 7b eigentlich kaum noch erforderlich, um so mehr Gewicht dürfte daher der Einleitungswendung in V. 9a zukommen, die das an Abraham gerichtete Versprechen als einen von Gott geleisteten Vollzug von επαγγελία interpretiert. Insgesamt zeigt also die erste der beiden positiven Ausführungen, wie der λόγος τοϋ θεοΰ im Fall des Isaak wirksam wurde: als schöpferische Äußerung Gottes, die sich unabhängig von irdischen Abstammungsverhältnissen ereignete, nämlich als Berufung des eigentlichen Samens (V. 7b), als Deklaration zum Samen (V. 8b), als ein Verheißung konkret vollziehendes Wort (V. 9a). V. 8 hebt die Demonstration am Fall Isaak ins Grundsätzliche. - Dabei dürfte es kein Zufall sein, daß in V. 7 b - 9 indirekt und direkt auf den die Israeliten auszeichnenden und ihrer gegenwärtigen Unheilswirklichkeit kontrastierten Katalog von Werten in 9,4 zurückgegriffen wird: τέκνα τοΰ θεοΰ (V. 8) hängt mit dem ersten Glied des ersten Katalogteils zusammen (υιοθεσία); επαγγελία (V. 8f.) nimmt dessen letztes Glied auf. Der Abschnitt 9,7b-9 macht deutlich: Zu wirklichkeitsbestimmenden Größen werden υιοθεσία und ε π α γ γ ε λ ί α dann, wenn sie durch Gottes Wort (sein καλεΐν, sein λογίζεσθαι, sein Sprechen eines Verheißungswortes) konkret mitgeteilt, also durch Gott selbst vollzogen werden. V. 10-13: Die durch οΰ μόνον δέ, άλλά καί ausgedrückte Zuordnung der zweiten positiven Ausführung zur vorangehenden ist schwer zu bestimmen, weil der durch άλλά καί eingeleitete Satz Anakoluth bleibt. Einleuchtend erscheint es aber, das elliptische οΰ μόνον δέ vom unmittelbar vorangehenden V. 9 her zu füllen und daraufhin den gemeinsamen Nenner von V. 7 b - 9 und

ist nicht recht einleuchtend: das κ α λ ε ΐ ν und das λογίζεσθαι bewirkt σπέρμα im eigentlichen Sinn; dieser Sachverhalt läßt sich im Deutschen nicht durch „nennen" oder „werten" ausdrücken. 225 226

Vgl. Sanday/Headlam, Romans 242; Cranfield, Romans II 476; Hübner, Ich 23. Zum Mischzitat s. Koch, Schrift 171f.

227 Der auch hier in λόγος enthaltene Aspekt des Mitteilens wird in den Übersetzungen von Cranfield und Käsemann zu Recht zum Ausdruck gebracht; „For a word of promise is this word" (Romans II476). „Denn der Verheißung (Stimme) ist dieses Wort: ..." (Römer 251).

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von V. 10-13 im jeweils ergangenen (Verheißungs-) Wort Gottes zu sehen 228 , das im Fall von V. 10-13 gewissermaßen verzögert erwähnt wird: έρρέθη αυτή (V. 12b). Diese „verzögerte" Erwähnung ist durch den komplizierten Bau von V. 10-12 2 2 9 bedingt, der seinerseits von inhaltlicher Relevanz ist, weil er dem eigentlichen Geschehen von V. 12b die für dessen Verständnis relevanten Umstände (V. 10.11a) und darüber hinaus eine finale Interpretation (V. IIb) vorschaltet. Zusammengesehen zeigen die dem έρρέθη αύτη vorgeschalteten Aussagen, daß anhand der Jakob-Erwählung der schon in V. 7b-9 herausgearbeitete Gesichtspunkt betont und in gewisser Weise vertieft wird, nämlich die Freiheit des je aktuell heilschaffenden Wortes Gottes, das unabhängig von menschlichen Vorgegebenheiten wirkt und in solcher Unabhängigkeit auch verbleibt. Auf diese verbleibende Unabhängigkeit weist schon der Verzicht auf eine narrative Anbindung der Jakob-Erwählung an die Isaak-Verheißung. Zwar geht aus V. 10 eindeutig hervor, daß - im Verhältnis zu V. 7b-9 - nunmehr von der nachfolgenden Generation die Rede ist, aber dieser Folgezusammenhang wird in keiner Weise ausgearbeitet. Die Verheißungskindschaft des Isaak spielt für die Erwählung eines seiner Söhne keine Rolle 230 ; vielmehr wirkt Gottes Wort von außen neu auf das Geschehen ein: „ce qui compte, c'est qu'ä chaque generation, il y eut une initiative et une intervention de Dieu luimeme"231.

228 So der Vorschlag von Rese (Israel 210), der in V. 10 folgendermaßen ergänzt: „Nicht allein dies ist das Wort der Verheißung" (ebd. 216 Anm. 30). Auch in Rom 5,3.11; 8,23; 2Kor 8,19 ist das elliptische ού μόνον δέ jeweils vom unmittelbar vorangehenden Kontext her zu füllen. Vgl. dazu die Erläuterungen von Winer (Grammatik 515), der die Wendung in 9,10 offenkundig ähnlich verstand wie Rese: „... am leichtesten supplirt man aus v. 9. vgl. v. 12." (ebd.). - Anders z.B. Saß, Verheißungen 452 Anm. 557. 229 Nach dem Anakoluth von V. 10 beginnt in V. I I a ein neuer Satz mit Genitivus absolutus (der fehlende Subjekts-Genitiv ist unproblematisch, weil aus γεννηθέντων und außerdem aus V. 10 hervorgeht, daß Rebekkas und Isaaks Kinder gemeint sind). V. 12b bietet dazu den Hauptsatz. Der eigentlich von έρρέθη (V. 12b) abhängige Finalsatz in V. I I b ist vorangestellt, weil er den Zweck des Redens Gottes zu dem im Genitivus absolutus angegebenen Zeitpunkt bezeichnet (vgl. Kühl, Römer 321). V. 12a (ουκ ... καλούντος) bietet eine „außer der Satzkonstruktion stehende Erläuterung" zum vorangehenden Finalsatz (Zahn, Römer 444 Anm. 94). - Zur Syntax von 9 , 1 0 12 vgl. ähnlich Rese, Israel 216 Anm. 31.; anders fassen z.B. Käsemann (Römer 254); Wilckens (Römer II 194); Hübner (Ich 26) 9,11.12a als Parenthese auf. Diese Auffassung ist grammatisch schwierig, weil V. 12b nicht V. 10, sondern V. 1 la fortsetzt. Das inhaltliche Problem in der Auffassung von V. 11.12a als Parenthese liegt in dem dann fehlenden Bezug des Finalsatzes; es bleibt offen, wozu genau V. 1 l b eine Zweckangabe formuliert. 230 In bezug auf die beiden noch nicht geborenen Kinder (also auf der Ebene des Erzählten) ist Isaak in V. 10 nichts weiter als deren leiblicher Vater, eben der eine Mann, von dem Rebekka schwanger ist. Die Kennzeichnung als „unser Vater" nimmt Isaak aus dem Erzählzusammenhang heraus, gleichgültig, ob das „uns" den Zusammenschluß des Verfassers mit den Israeliten (so z.B. Käsemann, Römer 254; Rese, Israel 213.216 Anm. 32) oder mit den Christen (so z.B. Koch, Schrift 305 Anm. 11) ausdrückt. 231

Bovon, Paul 11.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

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Daß die Einzelangaben von V . 10.11a darauf zielen, das erwählende Wort Gottes (V. 12b) als ein von menschlichen Vorgegebenheiten unabhängiges Geschehen zu zeigen, liegt auf der Hand. V. 10 stellt die Identität von Vater und Mutter für beide Kinder heraus und schließt so - möglicherweise in Anbetracht der in dieser Hinsicht offenen Flanke von V. 7 b - 9 - die Abstammung als einen für die Erwählung relevanten Faktor aus; dieselbe Funktion i m Blick auf das Tun als eines denkbaren Faktors hat der Hinweis auf die Zeit vor der Geburt in V. I I a . Der Finalsatz in V. I I b nimmt zusammen mit der angeschlossenen Erläuterung (ούκ ... κ α λ ο ύ ν τ ο ς ) eine hervorgehobene Stellung ein: Er unterbricht die A b f o l g e von Genitivus absolutus und Hauptsatz (V. I I a . 12b) und bietet so eine nicht einfach allgemein auf das Reden Gottes zu Rebekka bezogene Zweckangabe, sondern er erläutert den Z w e c k dieses Redens vor der Geburt und vor j e d e m Tun der Kinder. Dieser Anschluß an V. IIa erlaubt eine genauere Bestimmung der Wendung ή κατ' έκλογήν πρόθεσις, die sich an sich - genau wie ihre deutsche Entsprechung „Auswahlvorsatz " 2 3 2 - entweder primär auf den Vorsatz des Auswählens beziehen kann oder primär auf den Vorsatz der Auswahl i.S. des Ausgewählten. Wie Kühl zu Recht hervorgehoben hat, hat die Wendung in der zweiten, eher passivischen und auf das Ergebnis der έκλογή blickenden Akzentsetzung 233 mit V. 1 la „nicht die geringste innere Gedankenverbindung"234, während sie sich in der ersten, mehr aktivischen Akzentsetzung 235 durchaus anschließt: Gottes Vorsatz richtet sich auf sein freies, auf menschliche Vorgegebenheiten nicht reagierendes Auswählen; darum ergeht das erwählende Wort zu einem Zeitpunkt, zu dem solche Vorgegebenheiten ausgeschlossen sind. Tatsächlich wird die κατ' έκλογήν πρόθεσις im antithetischen Kurzkommentar von V. 12a ja auch in eben diesem Sinn bestimmt, ούκ έξ έργων, άλλ' έκ τοΰ καλούντος formuliert die „Regel für das göttliche Tun in Sachen des Heils" 236 . Dieses Tun ist ausschließlich in Gott verankert, und entsprechend wird Gott nach diesem seinem Tun auch bezeichnet (ό καλών) 237 .

232

Bauer/Aland, Wb., s.v. κ α τ ά , II.7.C., 828.

233

So z.B. Jülicher: ,Auswahl, also eine Minderheit" (Römer 293); in dieser Richtung vgl. auch Wilckens: Gottes „Auswahl der Träger seiner Verheißung, die in seinem Heilsratschluß bereits entschieden ist" (Römer II 195). In diesem passivischen Sinn ist εκλογή eindeutig in Rom 11,7 verwendet. 234 235

Kühl, Römer 322.

In dieser Richtung vgl. z.B. Schrenk, Art. έκλογή 184; Luz, Geschichtsverständnis 71. Kühl, Römer 322. 237 Anders interpretiert Brandenburger die für sein Verständnis von Rom 9 zentrale Stelle: Die κ α τ ' έκλογήν ττρόθεσις τοΰ θεοϋ meint eine urzeitliche Schöpfungsordnung, deren Prinzip die in der έκλογή zum Ausdruck kommende Gnade ist (Schriftverständnis, besonders 24.34f.). In dieser Grundordnung sind Existenz- bzw. Verhaltensweisen gesetzt: die dem Prinzip der Schöpfungsordnung entsprechende Existenzweise, die sich „im gnädig rufenden Gott begründet weiß" (ebd. 35), und deren Negation, die sich auf Werke gründende Existenzweise (ebd.). Gott wacht über der Einhaltung seiner Schöpfungsordnung und der ihr entsprechenden Existenzweise in Gnade und Gericht (ebd. 24). Von hier aus erschließt sich für Brandenburger dann auch der in V. 13 ausgedrückte Gedanke einer doppelten Prädestination (vgl. ebd. 23). - Die entscheidende Schwierigkeit 236

Analysen zur Textfunktion

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Die dem eigentlichen Geschehen vorgeschaltete Interpretation in V. IIb. 12a stellt einen doppelten Rückbezug her. Dieser Rückbezug richtet sich zum einen auf die vorangehende positive Ausführung in 9,7b-9, in der gleich zu Beginn Gott dem Abraham die Berufung des eigentlichen Samens zusagt, in der er sich also selbst verspricht als der Berufende, als der er in V. 12b grundsätzlich bezeichnet wird. Diese Verklammerung stellt heraus, daß beide Sachverhalte, der von V. 7b-9 und der von V. 10-13, verstanden sein wollen als Verwirklichungen des Grundsatzes „nicht aus Werken, sondern aus dem, der beruft" 238 . Das gilt, obwohl nur in V. 10-13 das Tun als Auswahlgrund explizit ausgeschlossen wird und obwohl nur in V. 7b-9 explizit von einem konkreten Berufungshandeln Gottes die Rede ist. Darüber hinaus fällt der Rückbezug von V. IIb auf die Leitthese von V. 6a 239 auf. Beide Aussagen interpretieren sich gewissermaßen gegenseitig: Trotz der Diskrepanz von gegenwärtiger Unheilswirklichkeit der Mehrheit Israels und der den Israeliten von Gott zugedachten Gaben (9,1-5) ist der λόγος τοϋ θεού nicht hingefallen (9,6a), weil das diese Gaben je aktuell zuwendende Wort Gottes (sein καλεΐν, sein λογίζεσθαι, sein Sprechen eines bestimmten λόγος επαγγελίας, sein an Rebekka gerichtetes λέγειν) schon immer so ergangen ist, wie es dem Vorsatz Gottes entspricht: auswahlweise, allein in Gott selbst begründet und deshalb schöpferisch wirksam. Umgekehrt kann dem so in seiner Wirkweise charakterisierten Wort Gottes bzw. einem bestimmten Fall, in dem dieses Wort ergeht (V. 12b), das „Bleiben" des Aus-

scheint mir in Brandenburgers Behauptung zu liegen, daß die Antithese von V. 12a auf Existenzweisen bzw. „auf ein Verhalten zielt" (ebd. 37 Anm. 55). Auch wenn vorgängig vom Schöpfer bereitete Existenzweisen gemeint wären, wäre dann in V. 12a eigentliches Subjekt doch in jedem Fall der Mensch, der sich entweder auf Werke oder auf den berufenden Gott gründet. Dieses - in der Konsequenz von Brandenburgers Vorschlag liegende - Subjektsein des Menschen, dem έξ έργων bzw. έκ τοϋ καλούντος als Prädikat zugeordnet wären, ist in V. 12a aber durch nichts angezeigt und für die Adressaten darum nicht wahrnehmbar. Nach dem Ausschluß jedes Tuns der Kinder zum Zeitpunkt des erwählenden Gotteswortes (V. 1 la) und nach dem Hinweis auf das von Gott intendierte Bleiben seines Auswahlratschlusses (V. 1 lb) läßt sich das ούκ έξ έργων nur als Ausschluß der Werke als eines für Gottes Auswählen konstitutiven Grundes verstehen, und das έκ τοϋ καλούντος nur als Hinweis auf Gott als Auswahlgrund. 238 239

Vgl. LUbking, Paulus 65.

Auf den Zusammenhang zwischen ούκ έκττίτττειν (V. 6a) und μένειν (V. IIb) wird häufig hingewiesen (vgl. z.B. Luz, Geschichtsverständnis 71 Anm. 173; Wilckens, Römer II 194; Rese, Israel 216 Anm. 33; Saß, Verheißungen 452f. Anm. 559). Zu der von Wilckens daneben vertretenen, zweiten Bedeutung des μένειν i.S. der Kontinuität mit der vorangehenden „Generation der Erwählungsgeschichte" (Römer II 194) vgl. die Kritik von Brandenburger, Schriftverständnis 34 Anm. 48.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

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wahlvorsatzes, also seine weitere Geltung und Kraft, als Zweck zugeordnet werden 240 . Die finale Interpretation in V. 1 lb und der angeschlossene Kurzkommentar in V. 12a bilden folglich den Gipfel der begründend an die Leitthese angeschlossenen Argumentationseinheit V. 6b-13. V. 12c gibt mit einem nicht explizit gemachten Rückgriff auf LXX Gen 25,23e den Inhalt des schon vorab interpretierten Redens Gottes zu Rebekka an. Wenn man, wie oben vorgeschlagen, das den Passus einleitende ού μόνον δέ, άλλα καί im Rückbezug auf V. 9 versteht, dann soll auch V. 12c ein Verheißungswort 241 darstellen. D.h.: Die beiden Kinder sind thematisch nicht gleichgewichtig, sondern die Aussage zielt auf die Herrschaftsstellung, die Gott irdischer Rangordnung zuwider dem Jüngeren zuwenden will. Erneut wird also die souveräne Freiheit des durch menschliche Verhältnisse unbeeinflußten Wirkens des Gotteswortes betont. Der explizit als Schriftzitat (Mal l,2f.) eingeführte Schlußsatz in V. 13 geht in dieser Richtung nun aber einen entscheidenden Schritt weiter, sofern er nicht nur Jakobs Erwählung, sondern auch Esaus Nicht-Erwählung auf eine vorausliegende Entscheidung Gottes zurückführt, die diesen zum Unheil bestimmt. D.h.: Der komplizierte Duktus von V. 10ff., der „den Eindruck eines immer weiteren und tieferen Erschließens des eigentlichen Beweggrundes für die Erwählung des Jakob" macht 242 , führt in einem letzten Schritt zur eindeutigen Behauptung der praedestinatio gemina 2 4 3 . Der Gedanke der doppelten Vorherbestimmung kommt also ins Spiel als Konsequenz und Unterstreichung der freien und nur an Gott selbst gebundenen Wirkweise des λόγος τοϋ θεοΰ 2 4 4 , die zuvor anhand von zwei Fällen aus der Anfangsgeschichte Israels (9,7b-13) aufgewiesen werden sollte.

Dieser Aufweis stellt im Blick auf die Leitthese von 9,6a nun allerdings nur eine indirekte Begründung bzw. einen ersten Begründungs schritt dar. Die Kennzeichnung der Wirkweise des λόγος τοΰ θεοΰ anhand des Falls von Isaak und Jakob entzieht zwar dem aus 9,1-5 erwachsenden Verdacht den Boden: Wenn denn der λόγος τοΰ θεοΰ tatsächlich die kommunikative Kraft Gottes ist, mit der Gott die Israel zugedachten Gaben (9,4.5a) je aktuell und 240

Die gängige Auffassung von V. 11.12a als Parenthese verschleiert das Abhängigkeitsverhältnis des Finalsatzes, das das „Bleiben" des Auswahlvorsatzes einem konkreten Fall des Ergehens des Gotteswortes als Zweck zuordnet. 241 Yg] Brandenburger, Schriftauslegung 23. 242 Lübking, Paulus 192 Anm. 375. 243 Anders Dinkier, der die praedestinatio gemina am gesamten Abschnitt 9,7-13 (und an 9,17f.) demonstriert sieht (Prädestination 254). 244 Zu diesem Ansatz des im folgenden Kontext (9,18.22f.) hervortretenden Gedankens der doppelten Prädestination vgl. Lübking, Paulus 66.95f. Dabei stellt Lübking sachkritisch auch das Eigengewicht heraus, das diesem Gedanken seinem Ansatz gegenüber beigemessen wird: „Wenn jedoch gesagt wird, daß der Voraussetzungslosigkeit der Erwählung die ebenso bedingungslose Verwerfung entspricht, dann wird damit mehr ausgesprochen, als zur Sicherung des sola gratia nötig ist" (ebd. 96).

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schöpferisch wirksam vollzieht, dann erlaubt die gegenwärtige Heilsferne der Mehrheit Israels nicht den Schluß auf das „Hinfallen" des λόγος τοΰ θεοΰ. Andererseits: Positiv ist die These von V. 6a durch den Rückblick auf ein vergangenes Wirken des λόγος τοΰ θεοΰ noch nicht gefüllt, die Aussage dieser These, ούκ έκπέπτωκεν, zielt ja auf die gegenwärtige Verfassung des Wortes Gottes. Eine eindeutig auf dieses gegenwärtige Wirken bezogene Aussage findet sich aber erst wieder in der Feststellung der Berufung der ήμεΐς „nicht allein aus Juden, sondern auch aus Heiden" (9,24). Diese Gegenwartsaussage wird ihrerseits durch eine Kette von Schriftzitaten (9,25-29) begründet und entfaltet. Daß sie durch das Stichwort καλεΐν (und ihre Begründung durch weitere Rückbezüge) mit 9,6-13 verbunden ist, wurde in der Forschung mehrfach herausgestellt245 und durch die Charakterisierung von 9,24ff. als der ,,andere[n] Seite eines Diptychon" 246 in ein plastisches Bild gefaßt. Im Anschluß an die vorangehenden Einzelüberlegungen zu 9,6-13 läßt sich der Zusammenhang zwischen Leitthese (9,6a), Vergangenheitsaussagen (9,7b13) und Gegenwartsaussage (9,24) folgendermaßen genauer charakterisieren. Erst 9,24 demonstriert eindeutig, daß das Wort Gottes nicht hingefallen ist·, sein gegenwärtiges Wirken zeigt sich in Gottes Berufen der Christen aus Juden und Heiden; d.h. es wirkt im Modus des Evangeliums. Vorab aber klärt 9,7b13, was denn das Wort Gottes ist, dessen Hinfallen bestritten wird. Diese Klärung erfolgt im Rückblick auf die Anfänge Israels, in denen Verheißung und Kindschaft konkret mitgeteilt und so die Väter geschaffen wurden247. Der Zusammenhang der rückblickenden und der gegenwartsbezogenen Aussagen mit der Leitthese von 9,6a verdeutlicht, worauf diese eigentlich hinauswill: Sie zielt auf die Übereinstimmung des zuerst in Israel ergangenen mit dem gegenwärtig im Evangelium wirksamen Wort Gottes. Diese Übereinstimmung ist ausschließlich im berufenden Gott begründet (έκ τοΰ καλούντος [9,12]; ους και έκάλεσεν ήμάς [9,24]); in ihm liegt die behauptete Kontinuität des „nicht hingefallenen" λόγος τοΰ θεοΰ 248 . Die Überlegung zu 9,6a im Zusammenhang mit den die These füllenden vergangenheits- und gegenwartsbezogenen Aussagen drängt zu einer Konse-

245 vgl. z.B. Zeller, Juden und Heiden 116; Aletti, L'argumentation 42.45; Niebuhr, Heidenapostel 143f.; Saß, Verheißungen 435f. 246

Zeller, Juden und Heiden 116. Im Hinblick auf den die Israeliten kennzeichnenden Katalog der ihnen von Gott her zugedachten Gaben (9,4.5a) kann man von 9,6-13 her für die πατέρες (9,5a) einen ähnlichen Zusammenhang annehmen wie für υιοθεσία und έπαγνελίαι (9,4): Gottes Wort schafft die Väter, so wie es Verheißungen und eigentliche Kindschaft realisiert. 248 Vgl. besonders deutlich Rese: „Gottes Wort ist nicht hinfällig geworden, weil es immer das frei berufende Wort des sich erbarmenden Gottes gewesen ist und bleibt. Das war schon bei der Erwählung der Erzväter so - ... - und das ist nicht anders bei der Kirche, die aus Juden und Heiden berufen worden ist (9,24)" (Vorzüge 218). 247

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quenz, die vergleichbar schon die Schriftverwendung in 10,5-8 nahelegte 249 : Die „Selbigkeit Gottes"250 (oder - bezogen auf Rom 9,6ff.24ff. - die Übereinstimmung des Gottes, der durch sein Wort in Israels Anfängen als der „Berufende" handelte, mit dem Gott, der gegenwärtig durch das Evangelium „uns" berufen hat) hat in diesem Fall nicht nur den Rang einer in der Gewißheit des Autors Paulus verankerten und dem Text selbst vorausliegenden Prämisse, sondern sie macht den eigentlichen Inhalt der im Folgetext gefüllten Leitthese von V. 6a aus 251 . Diese Differenzierung zwischen vorausliegender Prämisse und dem, was der Text vermitteln will, mag für eine autorbezogene Interpretation von untergeordneter Bedeutung sein. Im Zusammenhang einer funktional orientierten Interpretation, der es um die Mitteilungs- und Wirkabsicht des Textes geht, kommt ihr erhebliches Gewicht zu. Unter diesem Gesichtspunkt ist im Anschluß an die vorangehenden Überlegungen zusammenfassend festzuhalten: Die Spannung, die der judenchristliche Verfasser den heidenchristlichen Adressaten (,/neine Verwandten nach dem Fleisch") darlegt (9,1-5), veranlaßt eine Klarstellung im engeren theologischen Sinn. Diese Klarstellung zielt auf die Einheit des schöpferischen Gotteswortes. Den heidenchristlichen Adressaten, die die Wirksamkeit dieses Wortes gegenwärtig, nämlich durch die Berufung der Christen aus Juden und Heiden, erfahren haben, wird die Vergangenheitsdimension des Gotteswortes verdeutlicht: Dieses Wort hat im Fall von

249

S. o. S. 176f. Zum Ausdruck vgl. Vielhauer, Paulus 227. Vielhauer verwendet den Ausdruck im Anschluß an Conzelmann, der die „Selbigkeit des handelnden Gottes" (Fragen 124) als die entscheidende Voraussetzung der neutestamentlichen Glaubensformeln („daß der Gott, der Jesus erweckte, der Gott Israels, des AT ist" [ebd.]) geltend gemacht hatte. Diese Voraussetzung liegt nach Vielhauer auch dem hermeneutischen Ansatz des Paulus zugrunde; sie läßt sich in diesem Zusammenhang aber noch präziser im rechtfertigungstheologischen Sinn fassen: „die Selbigkeit Gottes, der den Gottlosen gerecht spricht" (Paulus 227). 250

Auch Koch meint, der Zusammenhang zwischen vergangenheitsbezogenen Aussagen in 9,6ff. und der Gegenwart beruhe „ausschließlich in der ... Selbigkeit des Handelns Gottes" (Schrift 305) (und nicht etwa auf der Kontinuität einer in die Gegenwart einmündenden Erwählungsgeschichte [zur Begründung s. ebd. 303-305]). Die Akzentsetzung in Kochs Interpretation fällt aber insofern anders aus, als diesem Gedanken letztlich doch Dienstfunktion zugewiesen wird: „Die an der Erwählung und Verwerfung in der Väter- (und Exodus-) Geschichte sichtbar werdende Souveränität Gottes eignet seinem heutigen Handeln in gleicher Weise". Die vergangenheitsbezogenen Aussagen werden angeführt, „weil sie heutige Erkenntnis ermöglichen" (ebd. 303), d.h., weil sie die gegenwärtige Berufung aus Juden und Heiden als Folge jenes souveränen Gotteshandelns durchschaubar machen, das zuvor im Rückgriff auf die Väter aufgewiesen wurde (vgl. ebd.). Wenn man - anders als Koch - das Schwergewicht der Interpretation auf die Leitthese von 9,6a legt, dann läßt sich den vergangenheitsbezogenen Aussagen nicht mehr so eindeutig interpretierende Funktion in bezug auf die Gegenwart zuschreiben und die Gegenwartsaussage nicht mehr so eindeutig als Angabe des zu klärenden Problems auffassen. Vielmehr trägt beides dazu bei, die Aussage über das „Nicht-Hinfallen" des λόγος τοϋ θεοΰ - also eine im engeren Sinn theologische Aussage - durch den Aufweis seiner identischen, allein im berufenden Gott begründeten Wirkweise zu füllen.

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Isaak und Jakob in derselben Weise gewirkt; es hat die den Israeliten als Volk von Gott her zugedachten Gaben jeweils schöpferisch in Realität überführt, sie aber nicht dem Volk als Besitz übereignet. 3.2.3.2.3 Die Beständigkeit der Israel geltenden Zuwendung Gottes und die Durchsetzungsweise seines auf alle gerichteten Heilswillens (11,11-32) Die funktionale Besonderheit von 11,11-32 ist ansatzweise schon bei der Behandlung von 11,13f. zur Sprache gekommen 252 ; sie läßt sich zusammenhängend folgendermaßen charakterisieren: 11,11-32 gehört zu den vergleichsweise wenigen Stücken im ersten Hauptteil des Rom, die die Adressaten direkt anreden und die zusammenhängend einen „brieflichen" Eindruck machen 253 . In der ersten Teileinheit (11,11-15) werden die Kommunikationspartner gekennzeichnet: Der Verfasser tritt als Heidenapostel (V. 13) jüdischer Herkunft (μου την σάρκα [V. 14]) seinen heidenchristlichen Adressaten (ύμΐν τοις εθνεσιν [V. 13]) gegenüber; diese stehen nach der Erwähnung der εθνη in der 3. Person (V. 11 f.) repräsentativ für die Heidenchristen 254 . In 11,17-24 ist das angeredete Adressaten-Ihr ersetzt durch ein Typus-Du. Dieses wird zunächst in der den Abschnitt bestimmenden Bildsprache als Heidenchrist identifiziert (V. 17b); es wird darüber hinaus gewarnt, in seiner eigenen Einstellung zitiert, darin kritisch korrigiert und hingewiesen auf die Möglichkeit und Bedingung eines künftigen Heils für das derzeit heilsferne Israel (V. 18ff.). Die Funktion des Wechsels vom Adressaten-Ihr zum Typus-Du liegt auf der Hand: Dieser Wechsel erlaubt die Formulierung von Warnung und Kritik, ohne die Einstellung der Adressaten als Grund und Anlaß dafür behaupten zu müssen 255 . Nach der eingelagerten Wendung an das Typus-Du wird in ll,25a.b die direkte Kommunikation zwischen Verfasser und Adressaten wiederhergestellt. In einem metakommunikativen Einleitungssatz (οΰ γάρ ... φρόνιμοι) werden beide Kommunikationspartner thematisiert, darüber hinaus Inhalt und Zweck 252

S. o. S. 130 mit Anm. 123. In bezug auf Rom 9 - 1 1 insgesamt meint Dahl: „Paul addresses the epistolary situation more directly than in most parts of Romans 1 - 8 " (Future 141). Er übersieht dabei aber nicht, daß dies für „large parts of Romans 9 - 1 1 " (ebd. 140) nun doch auch wieder nicht gilt (zu diesen „large parts" zählen 9,6-33; 10,4-21; 11,1-7.11-12.19-24 [ebd. 140 Anm. 14]). Wenn man den Dialog mit dem Typus-Du (11,17-24) als in bestimmter Weise in das direkte Gespräch mit den heidenchristlichen Adressaten eingebettet sieht (s. u. im Text), dann bleibt auch nach Dahls Hinweisen neben dem einleitenden Passus 9,1-5 und dem Neuansatz in 10,Iff. der Abschnitt 11,(11.)13-32 als auffallend langes Stück, das sich direkt auf die Kommunikationssituation bezieht. 253

254 Möglicherweise ist auch in Käsemanns etwas verwirrend formulierter Bemerkung zu 11, Π Ι 5 einfach diese repräsentative Rolle der angeredeten Adressaten gemeint: „Die Verse richten sich an die Heiden, ohne ... ausschließlich die römischen Briefleser anzureden" (Römer 295). 255 Vgl. dazu Stowers' Hinweise zur Modell-Funktion des Typus-Du: „The characterization is a model to be avoided for the Gentile audience and a censure of those who already take this attitude" (Diatribe 115).

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des bis V. 27 reichenden Passus. Darauf folgt der Schlußpassus (V. 28-32), dem eine explizite Verknüpfung mit dem Vorangehenden fehlt. Noch eindeutiger als in V. 13 stehen die direkt angeredeten Adressaten hier in der Rolle von Repräsentanten der Heidenchristen 256 . Die repräsentative Rolle, in die die Adressaten gestellt werden, tut andererseits der direkten Anrede keinen Abbruch. Keinesfalls wird man für 11,11-15.25-32 also von den Heidenchristen als einem „nur literarisch-imaginäre[n] Gegenüber" 257 sprechen können; es handelt sich vielmehr um einen realen Dialog, in den ein fiktiver (weil mit einem Typus-Du geführter) Dialog (V. 17-25) eingelagert ist. Das Typus-Du personifiziert die Rolle, in der die Adressaten tatsächlich angesprochen sind. Mit der funktionalen Sonderstellung von 11,11-32 innerhalb von Rom 9 11 verbindet sich eine thematische Besonderheit: Alle vier Teilabschnitte (11,11-15.16-24.25-27.28-32) thematisieren die Rettung des derzeit heilsfernen Israel: als einen im Zusammenhang zweier Schlußfolgerungen (11,12b. 15b) angenommenen, künftigen Sachverhalt (τό πλήρωμα αύτών, ή πρόσλημψις); als eine an das Aufhören der απιστία gebundene, in Gottes Macht stehende und ihm naheliegende Möglichkeit (V. 23f.); als Ansage eines zukünftigen Geschehens (V. 26); als Angabe einer schon für die Gegenwart geltenden Absicht Gottes (V. 31). D.h.: Zwar ist die Thematisierung von Israels Rettung nicht neu - schon in 10,1 war der Gedanke an hervorgehobener Stelle angesprochen 258 - aber dies geschieht in 11,11-32 bei aller Unterschiedlichkeit der einschlägigen Aussagen nicht mehr in einer Weise, die das „Daß" der Rettung grundsätzlich offenhält (wie in der Form der Bitte von 10,1). Die Beobachtung der beiden Besonderheiten von 11,11-32 läßt fragen, wie diese ineinandergreifen, oder - in Anbetracht der hier leitenden funktionalen Perspektive - genauer: Welche Wirkabsicht in bezug auf die Adressaten wird in diesen Ausführungen verfolgt, die an einer schließlichen Rettung auch des derzeit heilsfernen Israel keinen Zweifel lassen? Die folgenden Ausführungen, die die vier Teilabschnitte unter dem Gesichtspunkt der genannten Frage behandeln, versuchen zu zeigen: Die Abschnitte haben in bezug auf die Adressaten nicht einfach nur moralischen Sinn. Es geht nicht primär darum, daß ihnen als den „Heidenchristen ins Gewissen geredet" wird 259 , um sie vor Hochmut gegenüber den derzeit im Abseits befindlichen Israeliten zu bewahren. Vielmehr werden die Adressaten darüber hinaus auf die Ursache von Hochmut

256 Das wird besonders deutlich in V. 28. δι' ύμας bedeutet nicht: um euretwillen, i.S. von: um der römischen Christen willen, sondern: um euretwillen, i.S. von: um der Heidenchristen willen. Vgl. analog dazu V. 30.3 la. 257 So Walter, Interpretation 188. 258 Daß innerhalb von Rom 9 - 1 1 „die Möglichkeit der eschatologischen Rettung ganz Israels" erstmals in 11,11-32 ins Blickfeld kommt (so Niebuhr, Heidenapostel 151), wird man von daher nicht gut behaupten können. 259

So z.B. Walter, Interpretation 188; Zitat ebd.

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oder auch Desinteresse gestoßen, und diese Ursache betrifft unmittelbar ihr eigenes christliches Selbstverständnis. 1. Gegen die Annahme einer schlicht moralischen Intention spricht schon der erste der vier Teilabschnitte, 11,11-15. Dessen Stoßrichtung läßt sich im Anschluß an die im vorangehenden Kapitel der Arbeit vorgenommene Analyse260 folgendermaßen zusammenfassen: Den heidenchristlichen Adressaten soll die Israels Anstoßen umgreifende Absicht Gottes verdeutlicht werden, nach der zunächst die Heiden Heilsgewinn aus diesem Anstoß gezogen haben, der seinerseits auf Israel zurückwirken soll und von hier aus erst recht Heil wirkt. Heidenmission steht im Zusammenhang mit der Rückwirkung des Heils auf Israel: Die Rettung „einiger von ihnen" macht den Glanz der Heidenmission aus, weil sie deren Einordnung in die umfassendere Absicht Gottes erkennen läßt. Die in 11,11-15 geleistete Explikation dieser umfassenderen Absicht Gottes, in der dem παράπτωμα und der άποβολή Israels eine für den Weg der σωτηρία relevante Funktion zukommt, setzt die These von 11,2a261 voraus: ούκ άπώσατο ό θεός τον λαόν αΰτοΰ δν προέγνω. Gottes auf dieses Volk gerichtetes „Vorhererkennen" ist durch dessen gegenwärtiges Geschick nicht ungeschehen gemacht262. Zugleich wird diese These durch 11,11-15 positiv gefüllt, weil erst hier gezeigt wird, wie Gott in verborgener Weise (also nicht nur durch die Auswahl des in den Judenchristen vorhandenen „Restes" [ll,5ff.]) bei jenem προγινώσκειν bleibt, mit dem er das Volk Israel zu sich selbst in Beziehung gesetzt hat. Daß die als Heidenchristen angesprochenen Adressaten in diesen Plan des an seiner Vorentscheidung zugunsten Israels festhaltenden Gottes hineingehören (als Nutznießer aus Israels gegenwärtigem und künftigem Geschick, aber auch als Ausgangspunkt für die Rückwirkung der σωτηρία auf Israel), macht unter dem Aspekt der Wirkabsicht die eigentliche Pointe aus. 2. Ebensowenig wie 11,11-15 geht der Dialog mit dem heidenchristlichen Typus-Du ( 1 1 , 1 7 2 6 i - 2 4 ) in der hier deutlich ausgesprochenen Warnung vor 260

S. o. S. 129ff. Zur Parallelität der Einsätze von 11,1 ff. und 11,1 Iff. vgl. Rese, Rettung 424. 262 Das auf Israel gerichtete προγινώσκειν Gottes wäre gelöscht, wenn die Gegenwartssituation Konsequenz endgültiger Verwerfung (άπωθεΐσθαι) wäre. Insofern bietet der Relativsatz ein Argument für die Behauptung, Gott habe sein Volk nicht verworfen. - Anders meint Lübking, die entscheidende gedankliche Voraussetzung für 11,11-15 sei erst in den Bildworten von 11,16 genannt (Paulus 113). Die daraus folgende Annahme einer für die Rezeption äußerst hinderlichen Darstellungsweise (Formulierung einer entscheidenden Verstehensvoraussetzung nach dem davon bestimmten Gedankengang) scheint mir wegen 11,2a einfach nicht notwendig zu sein. 263 11,16 läßt sich dem folgenden Abschnitt nicht unmittelbar zuordnen, weil der Text an dieser Stelle noch gar kein Anzeichen bietet, das zu einem allegorischen Verständnis der in den beiden Bildworten enthaltenen Einzelelemente auffordert (vgl. Käsemann, Römer 298). Die Abfolge zweier Bildworte aus unterschiedlichen Bereichen, die sich syntaktisch exakt parallel zueinander verhalten, drängt vielmehr zum abstrahierenden Schluß auf eine Relation, in der die beiden Bild261

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Überheblichkeit gegenüber den derzeit heilsfernen Israeliten - im Bild: den herausgebrochenen Zweigen - auf. Die Warnung vor dem κατακαυχάσθαι (V. 18a) wird erläutert durch den Hinweis auf die eigene Abhängigkeit von der „Wurzel": οΰ σύ τήν ρίζαν βαστάζεις άλλα ή ρίζα σέ. Die genauere Deutung der „Wurzel" ist problematisch. Eindeutig ausschließen läßt sich immerhin die Identifikation mit Israel, das im Bild durch die herausgebrochenen und die verbleibenden Zweige repräsentiert ist 2 6 4 . Demgegenüber drängt sich im Blick auf die positiven Gegenvorschläge - also die Deutung auf die Väter 265 oder die auf Gott 2 6 6 - keine eindeutige Entscheidung auf 2 6 7 . Sachlich liegen beide Vorschläge dicht beieinander: Die erste Deutung meint natürlich die Väter als Empfänger von Gottes Verheißung bzw. Berufung, und die zweite Deutung meint „Gott - ... sein Erwählen und Verheißen und die von ihm ausströmende Heilsgnade" 268 . Der Überschneidungsbereich (und die mit beiden Deutungen jeweils verbundenen Schwierigkeiten) lassen m.E. eine Deutung der Wurzel auf den nicht hingefallenen λόγος τοϋ θεοϋ erwägen; jedenfalls kann sich diese Deutung den Adressaten aufgrund des vorangehenden Kontextes (9,6a; vgl. 10,8) durchaus nahegelegt haben.

Die Erläuterung der Warnung von V. 18a argumentiert also nicht unmittelbar mit dem mit Überheblichkeit angesehenen „Objekt", sondern sie stößt das angesprochene Subjekt auf den eigenen Konstitutionsgrund, der im Fall eines worte übereinstimmen. Die Übereinstimmung in der durch V. 16a und V. 16b jeweils ausgedrückten Relation läßt sich aber nur sehr unpräzise angeben, weil sich die in V. 16b gebotene Verhältnisbestimmung (zwischen Wurzel und Zweigen, d.h. zwischen Anfangsteil und daraus hervorgehenden, späteren Teilen) im Vergleich zu der in V. 16a ausgedrückten Verhältnisbestimmung (zwischen Teighebe und Teig, d.h. zwischen Anfangsteil und Ganzem) verschoben hat. Aus dem ersten Bildwort ins zweite übernommen wird aber der im Stichwort άγιος angegebene Aspekt, unter dem die Relation jeweils ausgedrückt wird. V. 16 bietet so eine Hinführung zu dem in V. 17ff. anschließenden Folgetext: „Das erste, aus dem Kult genommene Bild liefert den Aspekt, unter dem auch das zweite gesehen wird: Heilig meint gottgeweiht" (Käsemann, ebd.). Das zweite Wort in V. 16b fuhrt in den für V. 17ff. bestimmenden Bildbereich ein. Zutreffend hat Siegert (Argumentation 167) darauf hingewiesen, daß erst in V. 17 eine Allegorie erzeugt wird: Die Identifikation des angeredeten „Du" mit einem Zweig des wilden Ölbaums fordert dazu auf, auch die herausgebrochenen Zweige und die Wurzel des edlen Ölbaums allegorisch zu verstehen. 264 Vgl dazu besonders deutlich Walter, Interpretation 180. 265

Darauf hat sich mittlerweile ein relativ weitreichender Konsens eingependelt, vgl. Cranfield, Romans II 565. 266 Vgl. Walter, Interpretation 180. 267 Bei der Deutung auf die Väter stört die Tatsache, daß sich das wichtigste Indiz (11,28) erst im Folgekontext findet, also jedenfalls für die Adressaten bei der Rezeption von ll,17ff. keine Verstehenshilfe bietet. Anders verhält es sich mit 9,5a; bei diesem Indiz stört aber die Einordnung der „Väter" in den umfassenden Katalog von 9,4-5a. Die von Luz (Geschichtsverständnis 276 Anm. 41) zusätzlich geltend gemachten jüdischen Parallelen weisen übrigens mehrheitlich nicht auf „die Väter", sondern beziehen sich speziell auf Abraham (Jub 16,26; äthHen 93,5.8; Philo, Her 279). Die Deutung auf Gott scheint mir jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Rezeption durch die Adressaten näherzuliegen; andererseits stört daran, daß schon innerhalb von V. 17f. Gott indirekt anders, nämlich als logisches Subjekt des Herausgebrochen- und Eingepfropftwerdens, vorkommt. 268 Walter, Interpretation 180.

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Sich-Rühmens verkannt wäre. Die herausgebrochenen Zweige kommen dabei mittelbar, über ihre Beziehung zur Wurzel, ins Spiel. Ohne Bild und unter der Voraussetzung der Deutung der Wurzel auf den λόγος τοΰ θεοϋ wäre V. 17f. dann folgendermaßen zu verstehen: Dem heidenchristlichen „Du" ist das Rühmen über die nicht-christlichen Israeliten versagt, weil damit das für seine Existenz grundlegende und ihr vorausliegende Wort Gottes verkannt wäre, das zuvor an Israel gerichtet und von Gott her nicht gelöscht wurde. Die Fortsetzung des Dialogs mit dem heidenchristlichen Typus-Du bis V. 24 läßt sich begreifen als kritisch modifizierende Entgegnung auf die Feststellung, mit der das Typus-Du zum einzigen Mal selbst zu Wort kommt: έρεϊς ouv· έξεκλάσθησαν κλάδοι 'ίνα έγώ έγκεντρισθώ (V. 19). Die Entgegnung 269 darauf stellt klar, daß diese Feststellung begrenzt und insofern problematisch ist, als mit ihr das heidenchristliche Typus-Du sich selbst als „Endzweck des göttlichen Handelns" und die nicht-christlichen Israeliten als „seinetwegen preisgegeben"270 darstellt. Demgegenüber werden in V. 19-24 vor allem zwei Punkte herausgearbeitet: a. Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit zum Ölbaum werden an Glauben und Nicht-Glauben gebunden. Das Typus-Du wird auf seinen Glauben hin angesprochen und von hier aus zur Gottesfurcht ermahnt bzw. vor dem Gegenteil gewarnt: μή υψηλά φρόνεχ άλλα φοβοΰ (V. 20c). Der Kontrast macht den im Vergleich zum „Sich-Rühmen über die Zweige" (V. 18) umfassenderen Sinn des ύψηλά φρονεΐν deutlich: Wie sich φοβεΐσθαι direkt auf die dem Glaubenden angemessene Einstellung zu Gott bezieht, so bezeichnet in diesem Kontext ύψηλά φρονεΐν ein Verfehlen unter diesem „vertikalen" Aspekt271. In diesem Sinn wird die antithetisch ausge269 Häufig wird innerhalb von V. 19-24 eine weitere Zäsur angenommen (vor V. 22 z.B. Wilckens, Römer II 241; vor V. 23 z.B. Zeller, Römer 197). Wenn man unter funktionaler Perspektive gliedert, wird man von Zusammengehörigkeit ausgehen, weil sich unter dieser Perspektive innerhalb von V. 19-24 kein dem ,.Zitat" des Gesprächspartners in V. 19 vergleichbar deutlicher Neuansatz findet. Parallel dazu ist auf semantischer Ebene auffällig: 1. In V. 17f. steht das Bild von der Wurzel im Mittelpunkt; Gott wird nur implizit (als logisches Subjekt des Herausgebrochenund Eingepfropftwerdens) erwähnt; anders kommt in V. 19-24 die Wurzel nicht mehr vor, und Gott wird nicht nur implizit, sondern von V. 21 an häufig explizit erwähnt. 2. In V. 17f. finden sich Ausdrücke, die das Verhältnis des eingepfropften Zweigs zu den am edlen Ölbaum verbliebenen Zweigen betreffen (ένεκεντρίσθης έν αύτοϊς; συγκοινωνός τής ρίζης) sowie dessen Verhältnis zu den herausgebrochenen Zweigen (μή κατακαυχώ των κλάδων· εί δέ κατακαυχάσαι ...). Solche Ausdrücke auf „horizontaler" Ebene finden sich in V. 19ff. nicht mehr. 270

Zeller, Römer 197. Weil der auszulegende Text selbst den Kontrastausdruck zu ύψηλά φρονεΐν benennt, erscheint es nicht gerade sinnvoll, unter Berufung auf andere Belege (Rom 15,5f. [möglicherweise versehentlich für 12,16?]; ferner 12,3; IPetr 3,8) τό αύτό φρονεΐν als oppositum zu behaupten (Wilckens, Römer II 247 Anm. 1110) und entsprechend ll,20ca auf die Warnung davor einzugrenzen, daß sich der Heidenchrist „angesichts der abgefallenen Juden nicht überheben" dürfe (ebd. 247). Der „horizontale" Aspekt (Überheblichkeit den nichtchristlichen Juden gegenüber) ist nach dem vorangehenden Kontext sicher mitgemeint, an dieser Stelle geht es aber gerade darum, solche Überheblichkeit auszuschließen unter dem Aspekt des dem Glaubenden angemessenen Gottesverhältnisses, auf das άλλα φοβοΰ zielt. 271

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drückte Mahnung in V. 21 auch begründet durch den warnenden Hinweis auf Gottes Macht, die der Verfügung des Glaubenden entzogen bleibt, ihn darum „nicht schonen" muß. Dazu fügt sich die Kennzeichnung des gegenwärtigen Status des Du, das sich unter der χρηστότης θεού 2 7 2 befindet (V. 22). Daraus folgt: Dem heidenchristlichen Typus-Du, das mit dem Fallen der jüdischen Mehrheit den eigenen Heilsstand bezweckt sieht, wird nicht ins Gewissen geredet, sondern es wird „auf die zu fürchtende Gottesmacht verwiesen" 273 , b. Auch für den zweiten kritisch zur Feststellung von V. 19 geltend gemachten Gesichtspunkt spielt der Gedanke der Macht Gottes eine entscheidende Rolle: Der Status der „herausgebrochenen Zweige" ist nicht notwendig definitiv; sie werden wieder eingepfropft unter der Bedingung des Endes ihres Unglaubens (V. 23a) und weil Gott zu solchem Wiedereinpfropfen die Macht hat (V. 23b). Wenn solche Rückeingliederung durch den Hinweis auf die Eingliederung des heidenchristlichen Typus-Du gerade an Wahrscheinlichkeit gewinnt und vor diesem Hintergrund „um so mehr" erwartet werden darf (V. 24), dann erfährt die Feststellung von V. 19 eine kritische Verlängerung in die Zukunft, und zwar unter der Voraussetzung der Macht Gottes, der das Heil an den Glauben bindet und dem das Bewirken des Glaubens Israels naheliegt um seiner selbst, um seines eigenen προγινώσκειν (11,2) willen 274 . Zusammenfassend läßt sich die in 11,17-24 indirekt durch das Gespräch mit dem Typus-Du verfolgte Wirkabsicht gegenüber den Adressaten dann etwa folgendermaßen charakterisieren: Die Adressaten sollen ihren eigenen Glauben begreifen als Angewiesenheit auf den Gott, der sich zuvor für Israel präsent gemacht hat, der zu dieser seiner Vergangenheit mit Israel steht und der Heil nicht anders gewährt als im Glauben. 3. Der dritte Teilabschnitt (11,25-27) wird durch ll,25a.b eingeführt. Dieser metakommunikative Einleitungssatz benennt außer den Kommunikationspartnern (ich - ύμάς, αδελφοί) und dem Inhalt des aktuellen Kommunikationsakts (τό μυστήριον τοΰτο) auch dessen Zweck: ίνα μή ήτε [ π α ρ ' ] έαυτοΐς φρόνιμοι. In dieser Angabe der Wirkabsicht, in der das μυστήριον mitgeteilt wird, klingt die Warnung an das Typus-Du aus 11,20c (μή ύψηλά φρόνει) wieder an. Allein von hier aus kann man vermuten, daß auch das Selbstklugsein, das durch die Mitteilung des μυστήριον verhindert werden soll, nicht aufgeht in 272 vgl. Zeller: „asymmetrisch statt des zu erwartenden Glaubens" (Römer 197). 273

Lübking, Paulus 114. Zu Recht meint Lübking, es müsse erklärt werden, „warum das ττόσω μάλλον gerade den Juden zugute kommen soll" (Paulus 115), und argumentiert mit einem Rückbezug auf den seiner Meinung nach allegorisch zu interpretierenden V. 16: Die Rückeingliederung ist deshalb um so mehr zu erwarten, weil sie „der Erwählung Israels von den Vätern her entspricht und Gott darin seiner Verheißung treu bleibt" (ebd.). M.E. ergibt sich eine von diesem Vorschlag nur haarfein zu unterscheidende Erklärung, wenn man als Voraussetzung des ττόσω μάλλον nicht die allegorisch kaum verständlichen Bildworte (s. o. S. 202f. Anm. 263) von V. 16, sondern die eindeutige These von 11,2a in Anschlag bringt. 274

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einer hochmütigen Einstellung gegenüber dem heilsfernen Israel bzw. im Desinteresse an dessen vermeintlich besiegeltem Geschick (wenngleich es zweifellos beides impliziert). Ob diese Vermutung zutrifft, ist natürlich nur vom Inhalt der zur Verhinderung von Selbstklugheit formulierten Passage her zu beurteilen. Im Blick auf die Struktur von V. 25c-27 lassen sich drei Teile unterscheiden. V. 25c.d (ότι πώρωσις ... είσέλθη) beziehen sich direkt auf das angekündigte μυστήριον. V. 26a (και οϋτως ... σωθήσεται) ist als Folgerung angeschlossen. V. 26b-27 (καθώς γέγραπται... αυτών) bietet zu dieser Folgerung eine Begründung aus der Schrift 275 . Das kombinierte Schriftzitat bildet also nicht die Explikation des (dann als vorausweisend auf καθώς γέγραπται aufzufassenden) οϋτως (V. 26a) 276 , sondern schließt an den ganzen Satz (και ούτως πάς Ισραήλ σωθήσεται) an, der seinerseits eine Folgerung aus der zuvor (V. 25c.d) geltend gemachten Begrenzung der teilweisen Verstockung Israels benennt. - Diese Sicht des Aufbaus 277 , die vor allem an der Entscheidung für den rückbezüglichen Sinn von ούτως hängt, empfiehlt sich aus folgendem Grund 278 : Im Fall der Alternative ginge es in V. 25c-27 um zwei verschiedene Punkte; zum einen um die Begrenztheit der Verstockung durch das Eingehen der Heiden und zum andern - durch καί additiv hinzugefügt - um das Geschehen, das Israels Rettung ausmachen wird. Der metakommunikative Einleitungssatz will die Adressaten aber offensichtlich nicht auf zwei, sondern auf einen Punkt (τό μυστήριον τοΰτο) vorbereiten. Es liegt daher nahe, den Hinweis auf das mit dem Eingehen der Fülle der Heiden gesetzte Ende der Verstockung als diesen einen Punkt, als das eigentliche μυστήριον, aufzufassen, die Behauptung der künftigen Rettung ganz Israels im folgernden Sinn damit zu verbinden und diese Behauptung durch das folgende Schriftzitat bestätigt und interpretiert zu sehen. Der Inhalt von V. 25c-27 konfrontiert die Auslegung mit folgendem Problem: Die einzige Stelle, die von der künftigen Rettung Israels im Modus einer Behauptung spricht (V. 26a), bindet diese Rettung jedenfalls nicht explizit an die Christusbotschaft bzw. an den Glauben. Darin unterscheidet sich der Passus von allen vorangehenden Passagen, in denen Israels Rettung jeweils unter 275

Das Schwergewicht liegt also auf V. 26a (vgl. Luz, Geschichtsverständnis 288; Becker, Paulus 498). 276 In diesem auf καθώς γέγραπται vorausweisenden Sinn wird ούτως z.B. von Stuhlmacher (Interpretation 560; vgl. Bauer/Aland, Wb. 1209) verstanden. 277 vgl. besonders Luz, Geschichtsverständnis 288; Zeller, Juden und Heiden 25lf.; Koch, Schrift 320 Anm. 10. 278 In der Regel wird die Diskussion um den vor- oder rückbezüglichen Sinn von ούτως mit Hinweisen auf den paulinischen Gebrauch von οϋτως bzw. von ούτως - καθώς (γέγραπται) geführt (vgl. z.B. Stuhlmacher, Interpretation 560 mit Anm. 27; Jeremias, Beobachtungen 198; Räisänen, Analyse 2918f. Anm. 154). M.E. besagen die entsprechenden Auflistungen nichts: Weder folgt aus dem Aufweis der bei Paulus mehrfach belegten korrelativen Verwendung von οϋτως, daß οΰτως auch an dieser Stelle korrelativ steht, noch folgt aus dem Hinweis, daß καθώς/καθάττερ γέγραπται bei Paulus sonst nie in Korrelation mit οϋτως steht, daß dies auch an dieser Stelle nicht der Fall sein kann.

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doppelter Perspektive zur Sprache kam: a. In 10,1 ist die σωτηρία der an Christus angestoßenen Israeliten Gegenstand einer Bitte an Gott, der folglich als Initiator der von ihm erbetenen Rettung gedacht ist. 10,8ff. hält aber zugleich fest: Rettung ereignet sich grundsätzlich, und also auch für die Israeliten, nur im Zusammenhang von Christusverkündigung und Glaube, b. In 11,11-15 wird vor allem durch die „Eifersucht", die als intendierte Wirkung der den Heiden zugekommenen σωτηρία (11,11) bzw. als begrenzt vorgreifende Wirkung der paulinischen Missionsverkündigung (11,14) gedacht ist, klargestellt: Die Rettung der Israeliten ist kein Sonderheil, sondern eben jene jetzt von Israel mehrheitlich ausgeschlagene, den Heiden zugekommene und nach Gottes Absicht auf Israel zurückwirkende σωτηρία, c. Innerhalb von 11,17-24 treffen beide Aspekte direkt aufeinander (11,23): die Bindung des „Eingepfropftwerdens" an den Glauben (V. 23a) und das Verständnis des „WiederEinpfropfens" als einer in Gottes Macht liegenden Initiative (V. 23b). Diese Doppelperspektive, die Israels Rettung als Gottes einseitige Initiative sieht und deren Bindung an Christusverkündigung und Glauben festhält, bildet die Voraussetzung, von der aus die Rezeption von ll,25c-27 durch die Adressaten erfolgt. Im entscheidenden Punkt ist das Problem nicht gelöst, wenn man das begründende Schriftzitat als Interpretation zur Rettungsaussage von V. 26a heranzieht und von hier aus auf Christus als Person des Retters279 abhebt, der als der aus dem himmlischen Jerusalem kommende ρυόμενος (V. 26c) bei seiner Parusie die Rettung ganz Israels durch die Beseitigung der „Gottlosigkeiten" bewirkt280. Bei dieser Deutung bleibt Israels künftige Rettung insofern ein Sonderheil, als es sich am Ende der Geschichte nicht mehr geschichtlich an den Heilsempfängern konkretisieren kann281. Vor allem wäre - und darauf kommt es in diesem Zusammenhang an - V. 25-27 dann ein mit dem vorangehenden Kontext und den darin geschaffenen Rezeptionsvoraussetzungen unausgeglichener Passus.

279 Für die Beziehung des ρυόμενος auf Christus (und nicht auf Gott) spricht der Wechsel von der 3. Person (V. 26c.d) zur 1. Person (V. 27). Das auf Gott bezogene „Ich" fordert dazu auf, den unmittelbar vorangehend genannten ρυόμενος auf einen anderen zu beziehen (vgl. z.B. Räisänen, Analyse 2918 Anm. 152; anders möchte z.B. Rese [Rettung 429] die Frage offenhalten). 280 In der Beziehung des ρυόμενος auf Christus bei seiner Parusie stimmen überein z.B. Mußner, Psalmen 261 mit Anm. 51 (in Aufnahme früherer [ebd. 244 Anm. 2 genannter] Arbeiten), Stuhlmacher, Interpretation 561; Jeremias, Beobachtungen 200; Käsemann, Römer 304; Lübking, Paulus 124.126; Hübner, Ich 114.116; Sanders, Paul 194; Niebuhr, Heidenapostel 147. 281 Anders Lübking, der zwar den ρυόμενος auf den bei der Parusie wiederkehrenden Christus bezieht, aber dennoch das Schriftzitat V. 26b-27 nicht als positives Indiz für die Annahme „eines soteriologischen Sonderweges Israels" gelten lassen möchte (Paulus 126f.; Zitat ebd. 127). Auch Käsemann meint: „Nicht das Heil ist anders, wohl aber der Termin" (Römer 304; zustimmend aufgenommen auch bei Hübner, Ich 119 Anm. 425). In Anbetracht der Besonderheit des „Termins" der Parusie ist die These schwer nachvollziehbar.

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Dies wäre als exegetisches Ergebnis dann zu akzeptieren 282 , wenn der Bezug auf den Parwi/echristus in einer für die Adressaten erkennbaren Weise ausgedrückt wäre und nicht auf der Kombination zweier Voraussetzungen beruhte, die in anderen Paulus-Briefen geschaffen sind (IThess 1,10; Gal 4,25f.) 283 , nicht aber in dem Rom 11,25-27 vorangehenden Kontext 284 , der im Gegenteil einer Beziehung von Zion auf einen himmlischen Ausgangsort des ρυόμενος direkt widerspricht und insofern der Deutung auf den Parusiechristus den Boden entzieht: Im Zitat in 9,33 war Zion als Ort des Christusgeschehens genannt, also als irdisches Jerusalem, in dem Gott Christus als „Stolperstein" gesetzt hat, der zu Israels Anstoß führte (9,32b). Weil 9,33 als Teil des vorangehenden Kontextes auch adressatenseitig zu den Voraussetzungen gehört, von denen aus die Rezeption von 11,25-27 erfolgt, hat Becker 285 die Beziehung zwischen beiden Stellen zu Recht geltend gemacht als Ausgangspunkt für eine auch unabhängig davon erwogene Interpretationsalternative 286 , die in folgende Richtung geht: „Wenn Israel zur Zeit über den gepredigten Christus stolpert (9,32f.), dann wird es eine Zeit geben (ll,25f.), wo die Christuspredigt auch an Israel rettend wirkt" 287 . D.h.: V. 26c (ηξει έκ Σιών ό ρυόμενος) bezieht sich auf das „erste" Kommen Christi als Retter, und dabei meint Σιών wie in 9,33 das irdische Jerusalem. V. 26d (άποστρέψει α σ ε β ε ί α ς ά π ό Ι α κ ώ β ) bezieht sich auf die Verwirklichung seines Rettungswerkes an Israel. In der futurischen Verbform ηξει liegt keine Schwierigkeit, weil sie genau wie άποστρέψει auf ein Geschehen weist, das vom zeitlichen Standpunkt des explizit als Zitat eingeführten Textes in der Zukunft liegt 288 . Vom zeitlichen Standpunkt des zitierenden Textes, also des Rom, liegt das Kommen des Retters aus Zion schon zurück, 282 Zu Recht warnt Lübking vor der Argumentation mit „auf sonstige Aussagen des Paulus sich stiitzende[...] allgemeine[...] Postulate^..]" (Paulus 126; vgl. auch Becker, Paulus 500). 283 In IThess 1,10 ist der ρυόμενος der von den Christen έκ τ ω ν ουρανών erwartete Sohn Gottes, nämlich Jesus, der „uns" aus dem kommenden Zorn rettet. In Gal 4,26 ist von der ανω 'Ιερουσαλήμ im Gegensatz zu der νΰν Ι ε ρ ο υ σ α λ ή μ die Rede. 284 Für ein autorbezogenes Interpretationsverfahren mag das kein unüberwindliches Hindernis sein. Ein Autor kann in einer bestimmten Kommunikationssituation bewußt oder unbewußt von Vorstellungen, Gedanken etc. geleitet sein, die er in einer anderen Kommunikationssituation geäußert hat. Im Zusammenhang einer funktionalen Interpretation, die fragt, was ein Text den Adressaten zu verstehen gibt, führen solche Erwägungen aber nicht weiter. 285

Paulus 500.

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Vgl. z.B. Kühl, Römer 393; Zeller, Juden und Heiden 259-261; Koch, Schrift 177; ders., Schriftgebrauch 187f.; vgl. auch Luz, Geschichtsverständnis 294f.; Räisänen, Analyse 2919f. 287 Becker, Paulus 500. 288 κ α θ ώ ς γέγραττται zeigt an; Das folgende Textstück liegt der aktuellen Kommunikationssituation voraus. Das Tempus von ηξει und α π ο σ τ ρ έ ψ ε ι setzt die in den Verben ausgedrückten Geschehnisse folglich in Relation (Nachzeitigkeit) zu einem zeitlichen Standpunkt, der sich von dem der aktuellen Kommunikation unterscheidet. In Schwierigkeiten gerät man eigentlich nur dann, wenn man dem Tempuszeichen statt Relationsangaben, die sich auf den jeweiligen Standpunkt der Rede beziehen, (absolute) Zeitangaben entnehmen möchte.

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während sein Handeln an ,Jakob" noch aussteht. In diesem Sinn ist V. 26c.d dann in bezug auf die vorangehende Behauptung, και ούτως π ά ς 'Ισραήλ σωθήσεται, beides zugleich, nämlich Interpretation und Grund: Israels künftige Rettung, die sich mit dem Ende der Verstockung nach dem Eingehen der Heiden ereignen wird, wird interpretiert als die durch Christus bewirkte Sündenvergebung. Die Behauptung der künftigen Rettung Israels hat ihren Grund in einer in der Schrift enthaltenen Zusage, die sich grundlegend mit dem Kommen des Retters aus Zion schon verwirklicht hat und in der zugesagten Auswirkung auf „Jakob" noch verwirklichen wird. Wenn folglich die in V. 26a behauptete künftige Rettung von ganz Israel 289 kein auf die Parusie „terminiertes" Geschehen darstellt, dann sind die Adressaten bei der Lektüre von 11,25-27 auch nicht gezwungen, die oben aufgezeigte, für 10,1.8ff.; 11,11-15; 11,17-24 bestimmende Doppelperspektive aufzugeben. Eine durch den vorangehenden Kontext präparierte Rezeption wird vielmehr die künftige Rettung Israels begreifen als ein Handeln Gottes vor dem Ende der Geschichte, das auf dem Christusgeschehen beruht und im Glauben widerfährt. Zugleich ist aber auch festzuhalten: 11,25-27 verbaut zwar nicht die Doppelperspektive, der Text läßt Raum für den Gedanken an Israels Rettung als eines an den künftigen Glauben der (noch) Verstockten gebundenen Geschehens. Aber: Explizit geltend gemacht wird diese Seite der Doppelperspektive in 11,25-27 gerade nicht. „Vom Glauben ist in diesem Zusammenhang ebensowenig die Rede wie von der άκοή δια ρήματος Χριστού, die zum Glauben führt" 290 . Vielmehr liegt das Gewicht einseitig darauf, „die künftige Rettung ganz Israels als Tat Gottes anzusagen" 291 . Für diese Einseitigkeit gibt es zumindest zwei positive Indizien: 1. Der zur Spitze gelangte heidnische Heilsgewinn (das Eingehen des πλήρωμα τών εθνών 2 9 2 ) wird - anders als in 11,11-15 über das Eifersuchtsmotiv - nicht ursächlich mit Israels Rettung verbunden. Israels Rettung ist vielmehr folgernd verbunden mit dem Ende der bis zum Eingehen der Heiden währenden Verstockung. 2. Das Zitat aus LXX Jes 59,20f., das Israels Rettung als Auswirkung des Christusgeschehens, nämlich als noch ausstehendes Handeln des ρυόμενος an „Jakob", interpretiert, wird verlängert durch den LXX Jes 27,9 entnommenen Hinweis auf Gottes Handeln an den Israeliten, das mit dem des ρυόμενος übereinstimmt 293 . Die Beseitigung der Schuld 289 Der Ausdruck π ά ς 'Ισραήλ umfaßt die verstockte Mehrheit und den „Rest" (vgl. Rese, Rettung 429), aber die Satzaussage zielt natürlich auf erstere, die Aussage der künftigen Rettung folgt j a dem Hinweis auf die Grenze der Verstockung. 290 Rese, Rettung 429. - Dieselbe Fehlanzeige ist natürlich auch in bezug auf die Erwähnung der Parusie zu erstatten. 291 Zeller, Juden und Heiden 251; vgl. Lübking, Paulus 127f. 292 Zum Ausdruck π λ ή ρ ω μ α τών έθνών vgl. Lübking, Paulus 127f. 293 Zu den beiden Zitaten und ihrer Verbindung vgl. Koch, Schriftgebrauch 186-189; vgl. ders., Schrift 175-178. Schwer nachvollziehbar erscheint allerdings Kochs These zur Differenz im Zitatbeginn im Verhältnis zum LXX-Wortlaut (ηξει έκ Σιών [Rom 11,26], ηξει ενεκεν Σιών [LXX Jes 59,20]): Der LXX-Wortlaut mit ενεκεν würde sich besser in den Gedankengang von

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der Israeliten wird so doppelt und beim zweiten Mal von Gott selbst ausgesagt, zu dem bereits am Ende des ersten Zitats hingelenkt wurde (και αυτή αΰτοΐς ή παρ' έμοϋ διαθήκη).

Mit der Feststellung dieser Gewichtung kann es für eine funktionale Interpretation nicht sein Bewenden haben. Sie ist vielmehr in Beziehung zu setzen zu der in V. 25b explizit mitgeteilten Wirkabsicht des Abschnitts: ϊνα μή ήτε [παρ'] έαυτοΐς φρόνιμοι 294 . Die einseitige Herausstellung von Israels künftiger Rettung als Tat Gottes trifft sich nun genau mit der eingangs geäußerten Vermutung zur Wirkabsicht des Abschnitts. Diese richtet sich jedenfalls nicht im Kern gegen heidenchristliche Überheblichkeit, der dann die Gewißheit der künftigen Rettung i.S. einer „Aufwertung" des zu Unrecht verachteten Israel vorgehalten würde. Vielmehr geht es grundlegend um die Verhinderung eines Selbstklugseins, das von Gott absieht, weil es verkennt, daß dieser die in der Schrift bezeugte Zusage der Heilswirkung des ρυόμενος für Israel verwirklichen wird295.

Rom 11,25-27 einfügen als die veränderte Fassung mit έκ; in der Fassung mit ενεκεν wäre nämlich gleich im Zitatbeginn „das rettende Handeln Gottes bzw. Christi zugunsten Israels" ausgesagt worden (Schriftgebrauch 188). Für Koch erklärt sich der Sachverhalt durch die Annahme einer Verwendung von LXX Jes 59,20f. in christlichen Gemeinden vor Paulus, bei der die Umformulierung von ενεκεν in έκ erfolgte. Paulus habe also auf die schon umformulierte Fassung zurückgegriffen. - Aber: Wenn es denn (nach der auch von Koch [ebd.] bevorzugten Interpretation von Rom 11,25ff.) in V. 26c um das „erste" Kommen Christi bzw. um das Christusgeschehen geht, dann wäre eine Einengung der soteriologischen Bedeutung des Kommens des ρυόμενος auf Israel schwer zu vereinbaren mit dem in 9,33 ebenfalls auf Σιών verweisenden Zitat, das Christus als den von Gott in Zion aufgerichteten Stolperstein zeigt. 1 l,26c.d will 9,33b ja nicht in Abrede stellen, sondern will aus der Schrift heraus zeigen, daß „durch das Christusereignis für Israel statt Anstoß (9,33) auch Rettung" (Becker, Paulus 501) möglich sein wird (durch das künftige „Abwenden der Gottlosigkeiten von Jakob"). - Zum Ersatz des ενεκεν durch έκ vgl. auch Johnson: „The redeemer comes from Zion to establish God's covenant with the whole world, including but not limited to Jacob. God himself will banish the impiety and forgive the sin of Israel, even as he has that of the Gentiles" (Romans 9-11 236). 294 Textkritisch gibt es zur Lesart παρ' έαυτοΐς φρόνιμοι zwei nicht schlecht bezeugte Alternativen. εν έαυτοΐς φρόνιμοι (in den Text der 25. Aufl. des Nestle/Aland aufgenommene Lesart) beruht u.a. auf zwei wichtigen Majuskeln (A,B); έαυτοΐς φρόνιμοι wird u.a. immerhin durch p46 und die Minuskel 1739 bezeugt; παρ' έαυτοΐς lesen u.a. « und die Minuskel 33. - Für die Lesart mit dem einfachen Dativ spricht: Die beiden Lesarten mit Präposition lassen sich aus ihr als sprachliche Angleichungen erklären (vgl. Bl/Debr/Rehk § 188 Anm. 2; vgl. auch Lagrange, Romains 284; Cranfield, Romans II 574 Anm. 2). Zu παρ' έαυτοΐς φρόνιμοι vgl. Rom 12,16; LXX Prov 3,7; 26,5 (σοφός παρ' έαυτφ); 26,12 (παρ' έαυτώ σοφόν); 28,11 (σοφός παρ' έαυτώ). Zu έν έαυτοΐς φρόνιμοι vgl. LXX Jes 5,21 (οΐ συνετοί έν έαυτοΐς καΐ ένώπιον έαυτών έπιστήμονες). Der Übersetzungsvorschlag bei Bl/Debr/Rehk für den einfachen Dativ lautet: „für sich selber" (§ 188 Anm. 2). Es ergibt sich also eine andere Nuance, aber kein tiefgreifender Bedeutungsunterschied zu den Lesarten mit Präposition (zu παρ' έαυτοΐς φρόνιμοι vgl. Bauer/Aland, Wb. 1728: „bei sich selber klug = auf die eigene Einsicht bauend"). 295 Vgl. Lagrange: Der Passus will bei den heidenchristlichen Adressaten die Einstellung verhindern, „de ne comprendre les desseins de Dieu que lorsqu'il s'agit d'eux" (Romains 284).

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4. Der metakommunikative Einleitungssatz in V. 25a.b gilt nicht weiter als bis V. 27, darum liegt vor dem letzten der vier Teilabschnitte (11,28-32) eine Zäsur. D.h.: Der asyndetisch anschließende Schlußpassus läßt sich dem vorangehenden jedenfalls nicht ohne weiteres als Interpretation oder Begründung des μυστήριον 296 oder als eine Konsequenz daraus297 zuordnen. Für die relative Eigenständigkeit und Gewichtung von 11,28-32 spricht überdies die Fülle von Ausdrücken, die mit vorangehenden Abschnitten aus Rom 9-11 verbinden 298 und die ein vorläufiges, formales Indiz dafür darstellen könnten, daß der Schlußpassus tatsächlich so etwas wie ein ,,Fazit"299 zu Rom 9-11 bieten soll. Vor allem läßt die sprachlich ausgearbeitete Form und der in sich geschlossene Aufbau von V. 28-32 das Gewicht und die relative Eigenständigkeit des Abschnitts erkennen. Er ist zweiteilig (V. 28f.; V. 30-32) gebaut300, wobei beide Teile das Muster a - b, c erkennen lassen: Zwei dicht aufeinander bezogenen Teilsätzen (a - b: V. 28a - V. 28b; V. 30 - V. 31) folgt ein durch γάρ angeschlossener Begründungssatz (c: V. 29; V. 32). Subjekt der zueinander parallelen Teilsätze ist in V. 28a.b übereinstimmend „sie", also die nichtchristlichen Israeliten301; in V. 30.31 zunächst „ihr", also die repräsentativ als Heidenchristen angesprochenen Adressaten (V. 30), dann wieder „sie" (V. 31). Subjekt der beiden nachgestellten Begründungssätze, in denen weder „sie" noch „ihr" vorkommen, ist τά χαρίσματα και ή κλήσις τοΰ θεού (V. 29) bzw. ό θεός

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So die Vorschläge von Luz (Geschichtsverständnis 295) und Lübking (Paulus 128). So Jeremias, Beobachtungen 201. 298 Vgl. dazu die Tabelle von Aletti, Dieu 183. Allerdings faßt Aletti V. 25-27 mit V. 28-32 zusammen. Dabei fällt auf, daß sich die für V. 25-27 an Einzelausdrücken aufweisbaren Rückbezüge vor allem auf die vorangehenden Teile von cap. 11, kaum auf cap. 9-10, richten. - Natürlich ist die Orientierung an Einzelausdrücken ein problematisches Verfahren, bei dem notwendig ausgewählt und gewichtet wird. Z.B.: Warum wird πώρωσις (11,25) in Beziehung gesetzt zu σκληρΰνειν (9,18), aber nicht άπειθεϊν/άπείθεια (11,30.31.32) zu ούχ ύποτάσσεσθαι (10,3)? Warum werden die πατέρες (11,28) in Beziehung gesetzt zu Isaak, „unserem" πατήρ (9,10), und nicht auch zu den πατέρες in 9,5a? Warum werden wegen σφζειν zwar Zusammenhänge zwischen 11,26 und 9,27 und zwischen 11,26 und 11,11 notiert, aber nicht zwischen 11,26 und 10,1 ? Die Fragen, die sich mühelos fortsetzen ließen, zeigen, daß eine solche Liste noch keine Basis für Schlußfolgerungen bietet, sondern lediglich einen vagen Eindruck bei der Lektüre des Endes von cap. 11 irgendwie greifbarer werden läßt. In diesem Sinn ist die Liste nach den einführenden Bemerkungen von Aletti (ebd.) wohl auch gemeint. 299 Lübking, Paulus 146; vgl. Rese, der 11,28-32 als „Summe" von Rom 9-11 bezeichnet (Rettung 427). 300 Zum Aufbau s. Barrett, Romans 207; Jeremias, Beobachtungen 201f.; vgl. auch schon Weiss, Rhetorik 242, der allerdings das in V. 28f. und V. 30-32 wirksame Bauprinzip auch schon für V. 25ff. annahm und darin kaum überzeugt. - Der zweite Teil (V. 30-32) ist dem ersten (V. 28f.) durch γάρ angeschlossen, das hier aber wohl kein Begründungsverhältnis, sondern eher eine lockere Verknüpfung (vgl. Zeller, Juden und Heiden 262) anzeigt. 301 In V. 28a.b wird das Subjekt nicht ausgedrückt; es ist aber aus V. 27 mühelos zu erschließen. 297

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Analysen zur Textfunktion

(V. 32). Die beiden Begründungssätze sind also im Aufbau des Abschnitts hervorgehoben 302 . Der erste Begründungssatz folgt einer Kennzeichnung der Stellung der Israeliten vor Gott unter zwei verschiedenen Aspekten 303 , dem des Evangeliums und dem der Erwählung. Unter diesen Aspekten ist ihre Stellung konträr; sie sind „Feinde" und „Geliebte" zugleich. In dieser harten Polarität erinnert 11,28 sehr deutlich an den für die Struktur des Einleitungsabschnitts entscheidenden Widerspruch zwischen der Heilsferne der „Verwandten nach dem Fleisch" und ihrer Zugehörigkeit zu den Israeliten, denen die Fülle der Gaben Gottes zugedacht ist (9,l-3.4-5a). Trotz der (fast) fehlenden Übereinstimmung im Vokabular kommt 11,28 also auf den Ausgangspunkt von Rom 9 , l - 5 a zurück 304 , allerdings ist die Wiederaufnahme des Kontrasts im Schlußabschnitt gleichsam angereichert durch Bezüge auf dazwischen entfaltete Gedankengänge: Daß sich die Israeliten allererst unter dem Aspekt des Christusevangeliums (κατά τό εύαγγέλιον) als „Feinde" herausstellen, war in 9,30-33; 10,Iff. entfaltet worden, daß sich diese Stellung zugunsten der Heidenchristen (δι' ύμάς) auswirkt, in 11,11 f. 15. Wenn dem Evangelium in V. 28b Gottes Erwählungshandeln (κατά την έκλογήν) 305 als eine ebenfalls gültige Perspektive gegenübergestellt wird, in der Israel konträr zu V. 28a erscheint, dann ist damit der in 11,2a thetisch formulierte und in 11,11-27 implizit enthaltene Gedanke vorausgesetzt, demzufolge die besondere Relation, in die Gott Israel zu sich gesetzt hat, durch Israels Selbstverweigerung dem Evangelium gegenüber nicht gelöscht ist. Darum bleibt die εκλογή eine gültige Perspektive, unter der Israel erscheint als das, was es auch ist: von Gott geliebt, διά τούς π α τ έ ρ α ς - die einzige terminologische Berührung zwischen 11,28 und 9 , l - 5 a - benennt das Motiv 306 für Israels Geliebtsein von Gott und bestätigt die auf den Einleitungsabschnitt zurückbeziehende Interpretation von 11,28. Die Väter gehören in 9,4-5a zu jenem Katalog, der die für Israeliten konstitutive Zuwendung Gottes ausdrückte. Im Anschluß an 9,1-5 hatte 9,6-13 gezeigt 307 : Durch das Wirken des λόγος τοΰ θεοϋ ist in Israels Anfängen diese Zuwendung Gottes in Realität überführt worden, und zu dieser durch Gottes schöpferisches καλεΐν (durch

302 Weiss empfand sie den jeweils vorangehenden Parallelismen gegenüber als „Ruhepunkt" (Rhetorik 242). 303 Zu den κατά-Wendungen als Hinsichten oder Perspektiven vgl. Luz, Geschichtsverständnis 295f.; Lübking, Paulus 131. 304 Auf die strukturelle Übereinstimmung zwischen 9,1-5a und 11,28 hat Wolter zu Recht hingewiesen (Evangelium 191). 305 έκλογή hat hier (wie in 9,11; 11,5 und anders als in 11,7) aktivischen Sinn (vgl. Käsemann, Römer 305). 306 διά τούς π α τ έ ρ α ς verhält sich nicht exakt parallel zu δι' ύμάς. „Um euretwillen" blickt auf das, was durch die Feindschaftsstellung erreicht werden soll; „um der Väter willen" blickt auf das, was dem Geliebtsein zugrundeliegt. 307 Vgl. o. S. 187ff.

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sein λογίζεσθαι, durch sein Verheißungswort) hervorgebrachten Realität gehören die Väter. Von hier aus ergibt sich für 11,28: Unter der Perspektive von Gottes εκλογή sind die Israeliten deshalb „Geliebte um der Väter willen", weil die Väter eine Verwirklichung der Israel geltenden Zuwendung Gottes durch sein schöpferisches Wort sind, das „nicht hingefallen" (9,6a) ist. Der hervorgehobene Begründungssatz in V. 29 308 liegt auf der Linie des schon in δια τους π α τ έ ρ α ς enthaltenen Gedankens: άμεταμέλητα γ α ρ τά χ α ρ ί σ μ α τ α και ή κλήσις τού θεοΰ. Dabei ist deutlich, daß dieser Begründungssatz speziell an V. 28b anschließt 309 . In diesem Zusammenhang zwischen V. 28b und V. 29 sind die Väter zu den χ α ρ ί σ μ α τ α gerechnet, und entsprechend ist dann bei der κλήσις an das in 9,6ff. dargestellte Berufungshandeln zu denken. Zugleich ist aber auch deutlich, daß die χ α ρ ί σ μ α τ α nicht auf die Väter begrenzt 310 sind und die κλήσις nicht auf das Berufen Gottes in den Anfangen Israels 311 , daß folglich V. 29 allgemeiner gehalten ist, als es eine Begründung zu V. 28b sein müßte. In dieser allgemeinen Fassung zielt V. 29 demnach auf eine im engeren Sinn theologische Aussage, nach der Gott grundsätzlich „seine Heilszusagen nicht revidiert" 312 . In dieser grundsätzlichen theologischen Aussage hat die vorangehende Behauptung des Liebesverhältnisses Gottes zu den Israeliten, die unter dem Aspekt des Evangeliums „Feinde" sind, ihre Basis. Bei der Wiederholung des Musters a - b, c in V. 3 0 - 3 2 fällt die Verknüpfung von a - b (V. 30.31) komplizierter und feiner aus als bei dem an Perspektiven gebundenen Kontrast in V. 28a.b. Grundlegend ist die Übereinstimmung in der Abfolge Ungehorsam/Erbarmen, die in V. 30a.b von den Adressaten, in V. 31a.b von „diesen" ausgesagt wird. Weil darüber hinaus ήλεήθητε mit τή τούτων άπειθεία verbunden wird (V. 30b) und ήπείθησαν mit τ ω ύμετέρω έλέει (V. 31a) 313 , liegt in den beiden mittleren Teilsätzen eine Art von Chiasmus vor, der die Verknüpfung der Geschicke beider Gruppen zum Ausdruck

308 Daß 11,29 an 9,6a erinnert, ist mehrfach bemerkt worden (vgl. z.B. ständnis 295; Wilckens, Römer II 258; Lübking, Paulus 258 Anm. 897; Rese, 309 Vgl. Zeller (Juden und Heiden 132 Anm. 207) und Lübking (Paulus weisen, daß der Anschluß von V. 29 speziell an V. 28b der durch μεν - δέ gewichtung von V. 28b entspricht.

Luz, GeschichtsverRettung 427). 192), die darauf hinangezeigten Schwer-

31° Viele Exegeten (vgl. z.B. Käsemann, Römer 305; Wilckens, Römer II 258; Lübking, Paulus 131; Dunn, Romans II 686) verstehen die χ α ρ ί σ μ α τ α im Rückbezug auf den gesamten Katalog von 9,4-5a. Der Vorschlag ist natürlich gerade dann überzeugend, wenn man die Kontraststruktur von V. 28 als eine Wiederaufnahme derer von 9 , l - 5 a begreift. Festzuhalten ist aber auch: Der Rückbezug schränkt die χ α ρ ί σ μ α τ α aus V. 29 nicht auf die im Katalog von 9,4-5a enthaltenen Elemente ein. 311 Schon wegen der inzwischen erwähnten Berufung der Christen aus Juden und Heiden (9,24) läßt sich für 11,29 kein eingeschränkter Sinn von κλήσις behaupten. 312 313

Wolter, Evangelium 191.

Vgl. Weiss, Rhetorik 242. Gegen die Einbeziehung von τ ω ύμετέρω έλέει in den folgenden ϊνα-Satz s. Kühl, Römer 397f.

Analysen zur Textfunktion

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bringt. „Ihr" U n g e h o r s a m hat e i n e p o s i t i v e Funktion für „euer" Erbarmen, und „euer" Erbarmen hat e i n e p o s i t i v e Funktion für „ihren" U n g e h o r s a m . E i n e genauere B e s t i m m u n g der beiden D a t i v - A n g a b e n der Mittelsätze ist s c h w i e rig314,

v o m Text vermutlich aber auch nicht unbedingt gefordert: D i e s e r zielt

j e d e n f a l l s nicht auf e i n e Erklärung d e s Erbarmens über die H e i d e n und d e s U n g e h o r s a m s der Juden; herausgearbeitet und durch die f o r m a l e Gestaltung unterstrichen ist v i e l m e h r die Entsprechung der Einwirkung, d i e d e m G e s c h i c k beider Gruppen auf das der j e w e i l s anderen Gruppe z u g e m e s s e n ist 3 1 5 . Die exakten Entsprechungsverhältnisse zwischen V. 30 und V. 31 lassen allerdings auch eine Nichtentsprechung hervortreten: Ungehorsam und Erbarmen sind im Fall der heidenchristlichen Adressaten durch ποτέ - νυν als zeitlich aufeinander folgende Phasen gekennzeichnet (V. 30a.b). Dieser Kennzeichnung entspricht im Fall der nicht-christlichen Juden ein doppeltes νϋν: οΰτως και ούτοι νϋν ήπείθησαν τω ΰμετέρω έλέει, ϊνα και αυτοί [νϋν] έλεηθώσιν (V. 31) 3 1 6 . Eindeutig soll das zweite νυν nicht das Erbarmen auf einen mit dem Ungehorsam identischen Zeitpunkt festlegen, als Aussage des ϊνα-Satzes bleibt vielmehr das έλεηθήναι ein dem gegenwärtigen Ungehorsam in der Absicht Gottes folgendes, zukünftiges Geschehen. Der Sinn dieses zweiten νΰν dürfte sich am ehesten aus dem die Ansage der künftigen Rettung (V. 26a) begründenden und interpretierenden Schriftzitat (V. 2 6 b - 2 7 ) erschließen lassen. Zitiert war dort die Ankündigung des Kommens des ρυόμενος und seines Rettungswerkes an „Jakob" (V. 26). Mit seinem - vom Standpunkt des zitierenden Textes aus - schon erfolgten Kommen ist der Zeitraum eröffnet, in dem sich auch Israels Rettung vollziehen soll. Vermutlich soll das zweite νΰν in V. 31 das von Gott beabsichtigte έλεηθήναι der Israeliten auf diesen durch Christus eröffneten Zeitraum beziehen 3 1 7 .

314 In V. 30b dürfte der schon in V. 28 aufgegriffene und in 11,1 lf. formulierte Gedanke des heidnischen Heilsgewinns aus jüdischem Heilsverlust aufgegriffen sein, so daß man hier einen kausalen oder instrumentalen Dativ annehmen kann. Anders ist der zweite Dativ (V. 31a) eher „als dativus commodi zu verstehen: 'so sind auch sie ungehorsam geworden zugunsten eurer Erbarmung'" (Wilckens, Römer II 261). - Allerdings läßt sich m.E. auch der kaum beachtete, aber seiner Einfachheit wegen plausible Vorschlag von Kühl nicht einfach ausschließen. Danach sind beide Dativangaben instrumental zu verstehen, und beide Angaben benennen gewissermaßen die Wirkung statt der Ursache. „Ihr" Ungehorsam (V. 30b) meint dann den „durch die Aufstellung des νόμος πίστεως" (Römer 397) bewirkten Ungehorsam, und entsprechend meint „euer" Erbarmen (V. 31a) das auf dieselbe Ursache zurückgehende Geschick der Heidenchristen (ebd.). In diesem auf ein und dieselbe Ursache verweisenden Sinn lassen sich beide Dative in gleicher Weise verständlich machen. 315

Vgl. Lübking, Paulus 132. Textkritisch besteht über die Ursprünglichkeit des νϋν in V. 31b als der lectio difficilior ein breiter Konsens (vgl. z.B. Zeller, Juden und Heiden 263 Anm. 94; Luz, Geschichtsverständnis 297 mit Anm. 133; Lübking, Paulus 262 Anm. 923; Cranfield, Romans Π 585 Anm. 3; Fitzmyer, Romans 628). Anders entscheidet Wilckens zugunsten der Lesart ohne Adverb (Römer II 262); Dunn (Romans II 677) läßt die Entscheidung offen und schließt lediglich die Lesart mit ύστερον als eindeutige Erleichterung aus. 317 Vgl. ähnlich Luz, GeschichtsVerständnis 298; Zeller, Juden und Heiden 263; Cranfield, Romans II 586. Für die alternative Deutung des vüv von der Naherwartung der Parusie her (vgl. 316

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Über den Einzelentsprechungen zwischen V. 30 und 31 darf nun die durch ώσπερ - οΰτως ausgedrückte, die Teilsätze als ganze umfassende Zuordnung ebensowenig aus dem Blickfeld geraten wie die weiterhin durchgehaltene direkte Wendung an die repräsentativ für die Heidenchristen stehenden Adressaten. Diese werden in V. 30f. auf ihre eigene Erfahrung des Heils hin angesprochen, das ihnen als Überwindung von Ungehorsam durch Gottes Erbarmen zuteil wurde. Nach dem Muster dieser eigenen Heilserfahrung sollen sie die von Gott für die Israeliten beabsichtigte und darum gewisse Rettung als Erbarmen verstehen, das deren gegenwärtigen Ungehorsam überwindet. D.h.: Es geht weniger darum, die Gewißheit der künftigen Rettung Israels hervorzuheben - diese steht nach dem vorangehenden Kontext außer Frage318 - , sondern es geht um die Frage, wie diese Rettung in Anbetracht des gegenwärtigen Status der Mehrheit Israels zu begreifen ist. Dafür werden die Adressaten auf das von ihnen selbst erfahrene Erbarmen verwiesen, durch das ihr eigener Ungehorsam zur Vergangenheit geworden ist. Die Grundlage für die den Adressaten nahegelegte, an der eigenen Heilserfahrung orientierte Schlußfolgerung benennt der abschließende Begründungssatz: συνέκλεισεν γαρ ό θεός τούς πάντας εις άπείθειαν, ϊνα τούς πάντας έλεήση (V. 32). Die den ώσπερ- und den ουτως-Satz in V. 30f. bestimmende Abfolge von άπειθεΐν und έλεεΐσθαι wird hier zum dritten Mal aufgenommen. Dabei ist von der Phasenverschiebung, von den beiden Gruppen sowie von der gegenseitigen Beeinflussung ihrer beider Geschick abstrahiert. Auf diese Weise bringt V. 32 das Prinzip des Gotteshandelns319 zum Ausdruck, das dem Geschick der ύμεΐς und dem von da aus zu erhellenden Geschick der ούτοι zugrundeliegt: Gott läßt sein Erbarmen grundsätzlich nur als Überwindung von Ungehorsam zuteil werden; gerade die von ihm für „alle" herbeigeführte Unausweichlichkeit des Standes im Ungehorsam dient der Verwirklichung seiner auf „alle" gerichteten Heilsabsicht320. V. 32 drückt also die paraz.B. Lietzmann, Römer 106; Käsemann, Römer 306) lassen sich m.E. keine entsprechenden Signale im Kontext aufweisen. 318 Vgl. Zeller, Juden und Heiden 262. 319 Vgl. Lübking, Paulus 133. 320 Es besteht kein Grund, das doppelte τούς πάντας als „verhältnismäßig unbetont" aufzufassen (so aber Kühl, Römer 399; vgl. auch Barrett, Romans 210; Lübking, Paulus 264 Anm. 933). Auch das - ausführlich von Refoule (Paralleles 173-180) vertretene - eingeschränkte Verständnis von τούς πάντας, das weitreichende inhaltliche Konsequenzen hat, läßt sich kaum aufrechthalten. Refoule, der Rom 9-11 als einen ursprünglich dem Rom zugehörigen Teil bezweifelt (ebd. 172f. 190-193; vgl. ders., Unite 219-242), will zeigen: τούς πάντας in 11,32 meint nicht alle Menschen, sondern bezieht sich zurück auf ύμεΐς und ούτοι (V. 30f.), also auf in Raum und Zeit definierte Gruppen (Paralleles 179f.). Das in der Forschung (zur Literatur zu V. 32 vgl. die zahlreichen Hinweise ebd. 174-177) meistens vertretene umfassende Verständnis von τούς πάντας ist nach Refoule philologisch zu bezweifeln und verdankt sich seiner Meinung nach der unreflektierten Heranziehung scheinbarer Parallelen (3,9.23; 5,20) aus Rom 1-8 (ebd. 178f.). - Gegen Refoules philologische Argumentation sind zwei Punkte geltend zu machen: 1. Es mag sein, daß substantiviertes πάντες mit Artikel anders als πάντες ohne Artikel mehr auf eine Gesamtheit im

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Analysen zur Textfunktion

doxe Weise der Heilszueignung, die an hervorgehobenen Stellen (vgl. besonders 3,23f.; 5,20f. 321 ) des ersten Teils des Rom unter Verwendung von Rechtfertigungsterminologie und von der Seite der Heilsempfänger her 322 thematisiert war, als prinzipielles Handeln des Heilsgebers aus. Weil Gott sein Erbarmen allen in dieser paradoxen Weise, und nicht anders, zueignen will, darum können die heidenchristlichen Adressaten, die dieses den Ungehorsam überwindende Erbarmen erfahren haben, von sich selbst ausgehen, um das Geschick der derzeit ungehorsamen Israeliten zu begreifen. V. 32 begründet also V. 30f. insofern, als die grundsätzliche Aussage zu Gottes Heilshandeln den Schritt vom ώσττερ- zum ουτως-Satz sichert. Bei der Frage, was das Schlußstück des durchgehend brieflich gehaltenen Abschnitts 11,11-32 den Adressaten nun eigentlich vermittelt, wird man sich am Verhältnis der beiden parallel strukturierten Teile V. 28f.30-32 zu orientieren haben. Tatsächlich zeigt ja allein schon die Wiederholung des Musters a b, c, daß V. 28-32 keineswegs „zielstrebig" auf V. 32 zulaufen und daß sich die Aussage des Abschnitts nicht in einer erneuten Betonung der soteriologischen Gleichstellung von Juden und Heiden erschöpft 323 . So sicher das doppelte τούς π ά ν τ α ς solche Gleichstellung impliziert, so sicher ist das eigentliche Thema des Schlußsatzes in V. 32 nicht der Stand der Heilsempfänger, sondern die prinzipiell gültige Handlungsweise des Heilsgebers. Die Behauptung zur grundsätzlich paradoxen, nämlich an Ungehorsamen geschehenden, Durchsetzungsweise des universalen Erbarmungswillens Gottes steht vor dem Hintergrund der in V. 30 formulierten Heilserfahrung der Adressaten 324 . Ihnen wird verdeutlicht, daß der Gott, der Erbarmen übt, „wenn die menschlichen Voraussetzungen auf dem Nullpunkt sind" 325 , der folglich als „creator ex nihilo ... mit

Unterschied zu deren Teilen blickt (ebd. 176). Auch wenn es sich so verhalten sollte - wenn der Artikel also gewissermaßen demonstrative Kraft hat - folgt daraus aber nicht, daß oi π ά ν τ ε ς notwendig auf vorher im Text genannte Teile zurückverweist und diese zur gemeinten Gesamtheit zusammenzieht. In IKor 9,22 ist dies zwar der Fall (vgl. Bl/Debr/Rehk § 275.4); aber in Phil 2,21 verhält es sich anders. 2. Bei rückbezüglichem Verständnis wäre τούς πάντας i.S. von „sie alle" zu verstehen: „Dieu (les) a tous enfermes" (Refoule, Paralleles 179). Damit wäre aber der Anredecharakter der Ausführungen gerade im letzten Satz völlig unvermittelt aufgegeben. 321

Zum Zusammenhang mit 11,32 vgl. besonders Aletti, Dieu 153f. 322 Vgl. aber auch die partizipiale Gottesprädikation in 4,5 (ό δίκαιων τον άσεβη). 323

So aber Klumbies, Vorzüge 153 (Zitat ebd.). Käsemann verweist im Zuge seiner Auslegung von 11,32 („der konzentrierte Ausdruck der paulinischen Rechtfertigungslehre in ihrer tiefen Paradoxie" [Römer 306]) zurück auf den Übergang von Rom 1,18-3,20 zu 3,21 und betont, daß hier „nicht spekuliert, sondern im Rückblick auf ... aller Christen Erfahrung argumentiert" werde (ebd. 307). In 11,32 - nach Käsemann Ausdruck für das schon beim Übergang von 3,20 zu 3,21 „leitende Gesetz" (ebd.) - ist die Anbindung der grundsätzlichen Aussage zur Durchsetzungsweise von Gottes universalem Erbarmungswillen an die christliche Erfahrung dieses Erbarmens wegen des Zusammenhangs mit 11,30 unmittelbar zu greifen. 324

325

Zeller, Juden und Heiden 266.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

217

dem nach menschlichem Urteil unbrauchbaren Material" arbeitet 326 , in derselben Weise an den derzeit heilsfernen Israeliten wirken will. Der generalisierende Satz zum paradoxen Heilshandeln Gottes (V. 32) will nun aber seine Strukturparallele in V. 29 nicht verdrängen. V. 29 spricht nicht minder generalisierend als V. 32 von Gott und seiner Heilszuwendung. Die Behauptung, daß Gott grundsätzlich nicht hinter seine χ α ρ ί σ μ α τ α und seine κλήσις zurückgeht, ist - anders als V. 32 - nun aber nicht vor dem Hintergrund der Erfahrung der heidenchristlichen Adressaten formuliert, sondern vor dem Hintergrund der bleibenden Bedeutung der „Väter" für die um derentwillen geliebten Israeliten. Im Zusammenhang mit dem Einleitungsabschnitt und der ersten Argumentationseinheit von Rom 9 - 1 1 (9,1—5.6ff.) hält ll,28f. dann fest: Gottes Liebe zu Israel ist Ausdruck der Übereinstimmung Gottes mit sich selbst. Weil Gott seine Zuwendung zu Israel (9,4.5a) durch sein schöpferisches Wort, das die „Väter" hervorbrachte (9,6ff.), geäußert hat, darum geht Gottes Verhältnis zu diesem Volk nicht in der unter dem Aspekt des Evangeliums bestehenden Feindschaft unter; andernfalls wären ja mindestens in diesem Fall Gottes χαρίσματα, seine κλήσις, sein Wort ins Leere gelaufen. In der Hervorhebung der Übereinstimmung des Gottes, der sich von seiner Vergangenheit mit Israel nicht verabschiedet, mit dem Gott, der Heil - wie es die Adressaten erfahren haben - grundsätzlich nur als Überwindung menschlichen Ungehorsams heraufführt, dürfte das Argumentationsziel von 11,28-32 liegen. D.h.: Der zusammenfassende Schlußabschnitt argumentiert auf der theologischen Ebene im engeren Sinn, auf die schon der Eingangspassus mit der gleichsam ausweichenden Doxologie (9,5b) gezeigt hatte, und er mündet seinerseits in eine Doxologie (11,33-36), die von diesem „Ausweichcharakter" nichts mehr erkennen läßt 327 .

3.2.4 Ergebnis und Rückblick auf die Hypothese zum Abfassungszweck 1. Auf der Grundlage der Analysen von 9,1-5.6-13; 10,1-13; 11,11-32 zeichnet sich schwerpunktmäßig folgendes Ergebnis ab. In Rom 9 - 1 1 werden beide in cap. 1 - 8 geltend gemachten Gesichtspunkte aufgenommen und weitergeführt: die dort mehrfach betont herausgestellte und durchweg implizierte soteriologische Gleichstellung von Juden und Heiden einerseits und anderseits der - innerhalb von cap. 1 - 8 in 3,Iff. greifbare Gedanke einer bleibenden Besonderheit Israels als des Volkes, dem sich Gott durch seine Worte zuerst präsent gemacht hat. Rom 9-11 stellt beide Gedan-

326

Käsemann, Römer 307. 327 vgl. dazu besonders Lübking, Paulus 152f.

218

Analysen zur Textfunktion

ken unter eine strikt theozentrische Perspektive328. Unter dieser theozentrischen Perspektive, die auf die Identität Gottes bzw. seines Wortes zielt, erschließt sich auch der Zusammenhang zwischen beiden Gesichtspunkten. Dieser Zusammenhang kommt besonders deutlich zur Sprache in dem zur abschließenden Doxologie (11,33-36) überleitenden, die vorangehenden Ausführungen resümierenden und dabei insbesondere auf den Einleitungspassus (9,1-5) und die erste Argumentationseinheit (9,6ff.) zurückgreifenden Abschnitt 11,28-32, dessen Schwerpunkte in den beiden Begründungssätzen von V. 29 und V. 32 liegen: Gott wendet Heil grundsätzlich nur als Überwindung von Ungehorsam - oder in der Terminologie von 4,5: als Rechtfertigung des Gottlosen - zu, also in einer allein in seiner Gnade begründeten schöpferischen Weise (11,32). Diese grundsätzlich und für alle gültige Weise seines Heilshandelns schließt jedes Mehr oder Minder an menschlicher Affinität zum Heil aus. Der Gott, dessen Heilshandeln die heidenchristlichen Adressaten durch die Verkündigung des Christusevangeliums erfahren haben (11,30), ist identisch mit dem Gott, dessen Wort zuvor in Israel ergangen ist, der durch dieses „die Väter" hervorbringende Wort (9,6ff.) seine Israel geltende Zuwendung (9,4.5a) geäußert hat und der hinter diese Äußerung seiner Zuwendung nicht zurückgeht (11,28b), wie er denn grundsätzlich nicht hinter seine χαρίσματα und seine κλήσις zurückgeht (11,29). Diese Identität des Gottes, dessen Erbarmen die Adressaten erfahren haben, mit dem Gott, der mit Israel seine nicht überholte Vergangenheit hat, wird gegen die Wirklichkeit der Mehrheit der Israeliten festgehalten, die sich unter dem Aspekt des Christusevangeliums als „Feinde" herausstellen (11,28a; vgl. 9,1-3), wenngleich sie unter dem Aspekt der ihnen geltenden und in „den Vätern" Realität gewordenen Erwählung „Geliebte" bleiben (V. 28b; vgl. 9,4.5a.6ff.) und sich die einmal getroffene Vorentscheidung Gottes (11,2) vollends in ihrer auf dem Christusgeschehen beruhenden (11,26c) und als

328 Vor allem in der Auslegung von Luz ist „die Frage nach Gott" als der „zentrale!...] Gesichtspunkt" für die Behandlung der Israel-Problematik in Rom 9 - 1 1 herausgestellt worden (Geschichtsverständnis 402). Vgl. aber auch den Exkurs bei Lübking (Paulus 151-154), in dem konkrete Indizien für die Dominanz der im engeren Sinn theologischen Leitperspektive benannt werden (ebd. 15lf.; ebd. 271 Anm. 996 Hinweise auf weitere Literaturbeiträge, die mit dieser Bestimmung der Leitperspektive übereinstimmen). In der neueren Literatur scheint die Schwergewichtung der theozentrischen Perspektive in Rom 9 - 1 1 zunehmend Raum zu gewinnen; vgl. besonders deutlich Aletti: „la perspective et l'enjeu restent theologiques: ce n'est pas Israel qui constitue le centre de gravite de ['argumentation, mais Dieu" (Dieu 202f.). Vgl. aber auch Lindemann, Rede 369-371; Beker, Faithfulness 14f.; Niebuhr, Heidenapostel 176; Bovon, Paul 14; Theobald, Römerbrief I 309; Rese, Gott 103-105; Johnson, Romans 9 - 1 1 215-239; Saß, Verheißungen 41 lf.432.460f. - Man könnte einwenden, der genannte Berührungspunkt zwischen den verschiedenen Beiträgen besage nichts, weil dieser im Zusammenhang völlig divergierender Auffassungen vertreten wird (vgl. z.B. Lübking mit Johnson oder Lindemann mit Rese). Das trifft sicher zu, andererseits kann man den Berührungspunkt gerade deshalb besonders bemerkenswert finden.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

219

Überwindung von Ungehorsam vollziehenden (ll,31.26c.27) Rettung realisieren wird. Das bedeutet zugleich: Die mehrheitlich an Christus angestoßenen Israeliten (9,32b), die die Gottesgerechtigkeit und damit Gott selbst verkannt haben (10,3), fallen gegenwärtig als Zeugen des mit sich selbst identisch gebliebenen Gottes aus. Als Zeuge der Identität Gottes bzw. seines Wortes wird vielmehr die Schrift geltend gemacht, und diese Inanspruchnahme gipfelt in der ausführlich dargelegten Behauptung von Gesetzesgerechtigkeit und Glaubensgerechtigkeit als schon in der Schrift in ein einander ausschließendes Kontrastverhältnis gesetzter Größen (10,5-8). Der von Mose zutreffend negativ beschriebenen, den Täter bei seinen Werken belassenden Gesetzesgerechtigkeit steht das „nahe" und auf Christus zu beziehende Wort gegenüber. Dieses „nahe" Wort, auf das die in der Schrift vernommene Stimme der Glaubensgerechtigkeit verweist, ist identisch mit der gegenwärtigen Verkündigung. Insgesamt läßt sich von hier aus die Annahme Walters zur Interpretation von Rom 9 - 1 1 bestätigen: „Es geht ja nicht einfach nur um ein kollektives Heilsproblem, sondern auch - vielleicht zutiefst - um die Identität des Gottes Israels mit dem Vater Jesu Christi, also um eine offenbarungsgeschichtliche Grundfrage" 329 . Einspruch ist nur gegen das „vielleicht zutiefst" anzumelden: Die vorangehenden Einzelanalysen waren nicht darauf gerichtet, das Problem, von dem der Autor Paulus „umgetrieben wird, in seiner theologischen Relevanz" 330 zu erkennen, sondern haben sich durchweg um Konzentration auf die „Oberfläche" des Textes bemüht, um von hier aus der funktionalen Frage nach dem, was dieser Text den Adressaten zu verstehen gibt, nachgehen zu können. Gerade der „briefliche" Schlußteil (11,11-32) will ja ganz unmittelbar die heidenchristlichen Adressaten konfrontieren mit dem Geber des von ihnen empfangenen Heils, der sich darüber von seiner Vergangenheit mit Israel nicht losgesagt hat, sondern seine anfängliche Zuwendung mit Gewißheit realisieren wird, und zwar in einer Weise, in der er den Adressaten selbst sein Heil zugewendet hat. 2. Von diesem Ergebnis, in dem sich die Analysen zur Mitteilungs- und Wirkabsicht der vier Teiltexte aus Rom 9-11 bündeln lassen, ist nun wiederum zurückzublicken auf die im 2. Teil der Arbeit vorgeschlagene Hypothese zum Abfassungszweck. Konkret stellt sich die Frage: Wie verhält sich das, was der Text der analysierten Passagen aus Rom 9-11 den Adressaten zu verstehen gibt, zu dem, was als Zweck des Rom in der Intention seines Autors Paulus hypothetisch angenommen wurde? Der Zusammenhang zwischen beidem stellt sich vergleichsweise einfach dar. Der Hypothese zufolge hatte Paulus bei Abfassung des Rom eine sekundä-

329 Interpretation 176 Anm. 13. 330

Walter, Interpretation 176 Anm. 13.

220

Analysen zur Textfunktion

re Verkündigungssituation im Blick. Er wollte mit seinem Schreiben die römischen Christen zur gegebenenfalls selbständigen Verkündigung seines Evangeliums befähigen, und zwar in einem Bereich jenseits der westlichen Grenze der jüdischen Diaspora 331 . Im Hinblick darauf hat er mit Rom 9-11 einen Schwerpunkt gesichert, der bei solcher von seiner eigenen Person abgelösten Weiterverkündigung des rechtfertigungstheologisch ausgelegten Evangeliums in einem Bereich ohne jüdische Präsenz überaus leicht abhanden kommen konnte, aber keinesfalls abhanden kommen durfte: die Identität des Gottes, der in Christus Heil als Rechtfertigung der Gottlosen gewährt, mit dem Gott, der sich von seiner Vergangenheit mit Israel nicht lossagt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war dem Autor Paulus diese Identität nie zweifelhaft, und er gibt auch nicht zu erkennen, daß er auf entsprechende Zweifel der römischen Christen reagiert. Der Blick auf die sekundäre Verkündigungssituation kann erklären, warum sich Paulus genötigt sah, diese Gewißheit für seine römischen Adressaten zu entfalten 332 . Dabei mußte gezeigt werden, wie sich diese Gewißheit verhält zur Wirklichkeit der mehrheitlich in der Heilsferne befindlichen Israeliten, die die so verstandene Identität Gottes gegenwärtig ja gerade nicht bezeugen. Von hier aus erklärt sich auch der beinahe demonstrativ wirkende, jedenfalls auffallend häufige Gebrauch von Schriftzitaten, die als solche gekennzeichnet sind. Der Schrift ist das Wort des mit sich selbst identischen Gottes zu entnehmen, und dies ist das Wort, das „wir" verkündigen (10,8). Das im Kontext auffällige, alle anderen christlichen Verkündiger umfassende „wir" 333 läßt (nach 10,1) ein Verständnis zu, nach dem sich die Adressaten eingeschlossen sehen können. Ob der Autor an solchen Einschluß gedacht hat oder nicht, läßt sich nicht ermitteln. Unter Voraussetzung der Hypothese liegt diese mögliche Auffassung von 10,8 aber durchaus auf der Linie seiner Intention. In der einleitenden Problemanzeige war gefragt worden, ob sich für die schwerpunktmäßig auf Rom 9 - 1 1 konzentrierte Behandlung der IsraelThematik eine Funktion ausmachen läßt im Zusammenhang des an die römischen Heidenchristen gerichteten Schreibens 334 . Zusammenfassend läßt sich die Frage folgendermaßen beantworten: Rom 9-11 zielt auf die Identität des Gottes, der sich in der Vergangenheit für Israel präsent gemacht hat und sich von dieser Vergangenheit nicht lossagt, mit dem Gott, der als eigentliches 331

S . o . S. 83ff. In den Zusammenhang der Entfaltung dieser Gewißheit gehört auch die betonte Selbstpräsentation des Verfassers als Israelit in 11,1b. Der mit dem Christusevangelium betraute Heidenapostel gehört zu dem von Gott nicht verstoßenen Volk, das dieser „vorhererkannte" (11,2). Paulus nennt sich also selbst „als Beleg" für die Identität des Wirkens Gottes, der in Christus Heil gewährt und von seiner Zuwendung zu Israel nicht absieht (vgl. ähnlich die zusammenfassenden Ausführungen bei Niebuhr, Heidenapostel 177.180 [Zitat ebd. 180]). 332

333

S . o . S. 176 Anm. 150.

334

S . o . S. 17.

Die theozentrische Ausrichtung der Israel-Kapitel

221

Subjekt hinter dem rechtfertigungstheologisch ausgelegten, im Rom enthaltenen Christusevangelium steht. In der Darlegung dieses im engeren Sinn theologischen Gedankens besteht die Funktion der Israel-Kapitel im Rom. Aus der Hypothese zum Abfassungszweck läßt sich erklären, warum dem Autor Paulus an der ausführlichen Explikation dieses Gedankens in seinem Schreiben an die römischen Heidenchristen lag: Er hatte die Weiterverbreitung seiner im Brief enthaltenen Evangeliumsverkündigung im Blick, bei der er selbst, der israelitische Heidenapostel, gegebenenfalls nicht mehr Verkündigungsträger würde sein können und bei der doch um der „neuen", außerhalb der jüdischen Diaspora lebenden Adressatenschaft willen der Gedanke des mit seiner eigenen Vergangenheit übereinstimmenden Gottes in besonderer Weise entfaltet und in diesem Zusammenhang die Schrift als Zeuge geltend gemacht werden mußte.

222

Analysen zur Textfunktion

3.3 Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken" 3.3.1

Vorbemerkungen

1. Die entscheidende Rolle des zweiten Hauptteils des Rom (12,1-15,13) im Zusammenhang der Diskussion der Abfassungsproblematik hat mit der Annahme einer in 14,Iff. vorliegenden Bezugnahme auf die Situation der römischen Adressaten zu tun. Im ersten Teil der Arbeit wurde exemplarisch zu zeigen versucht, welche Probleme die Konzentration auf diese Annahme in Zustimmung (1.5.1) und Ablehnung (1.5.2) nach sich zieht: 1. Stimmt man ihr zu, wird man das vorangehende Stück des zweiten Hauptteils (12,1-13,14) in irgendeiner Weise als Vorbereitung des in 14,Iff. folgenden Eingriffs in die innergemeindlichen römischen Probleme zeigen müssen, was aber in keiner der vorgestellten Versionen dieses Auslegungstyps ohne weiteres gelang. 2. Lehnt man die Annahme ab, dann ist 14,Iff. hinsichtlich des Bezuges auf die Adressatensituation so allgemein aufzufassen wie 12,1-13,14. Diese Auffassung führt zu einer Auslegung, die sich einseitig auf die theologischen Anliegen des Autors konzentriert, damit aber die naheliegende Frage, was denn der zweite Hauptteil im Zusammenhang des Schreibens an die Römer eigentlich bewirken soll, auf sich beruhen läßt. 3. Im Anschluß an diese beiden alternativen Möglichkeiten war auch schon auf ein drittes Modell hingewiesen worden (1.5.3), das den zweiten Hauptteil im Rahmen der Gesamtfunktion des als Apologie angenommenen Rom zu interpretieren versucht. Auch der Beitrag von Sampley 1 zielt primär auf die Ebene der Textfunktion; für ihn erschließt sich diese Gesamtfunktion des Schreibens aber gerade von 14,1-15,13 her. Auf Sampleys Beitrag ist an dieser Stelle deshalb kurz einzugehen, weil sich daran besonders deutlich zeigen läßt, wie stark die Fixierung auf die Frage nach der Möglichkeit einer historischen Identifikation der „Schwachen" und „Starken" selbst auf solche Ansätze einwirkt, die von sich aus auf eine solche Identifikation gar nicht zugeschnitten sind. Sampley stellt fest: Im Text von Rom 14,1-15,13 werden „Starke" und „Schwache" nicht wirklich identifiziert, überdies sind die Ausführungen durchsetzt von Aufforderungen und Feststellungen, die für alle Adressaten in gleicher Weise gelten 2 . Daraus ergibt sich für Sampley der Schluß auf die die Ausführungen bestimmende rhetorische Strategie: Weder sollen die Erwähnungen von Schwachen und Starken auf bestimmte Gruppen des Adressatenkreises hinweisen, noch sollen die unter den Adressaten strittigen Punkte konkret benannt werden. Es handelt sich vielmehr um eine „oblique speech", die

1 2

Weak 40-52. Sampley, Weak 42, mit dem Hinweis auf 14,5.7.8.12.19; 15,2.5.7.

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

223

in einer im einzelnen aufgewiesenen rhetorischen Tradition steht 3 . Das Ziel dieser „oblique speech", die die tatsächlichen Probleme nur indirekt, in verkleideter Weise, anspricht, liegt darin, die Adressaten zu befähigen, „to consider afresh, and without already established prejudices, the relative insignificance of diverse practices and moral decisions when seen in the light of their common standing in the Lord" 4 . Der indirekte Zugriff entspricht zugleich der Vorsicht, die für Paulus geboten war im Gegenüber zu einer Adressatenschaft, bei der er die Anerkennnung seiner Autorität nicht voraussetzen konnte 5 . In der Linie der aus Rom 14,1-15,13 erhobenen Zielrichtung möchte Sampley den gesamten Brief interpretieren als „apostolic intervention, pastoral in style, in an intramural, ethnically grounded struggle over leadership and position in the Roman house-churches" 6 . Die grundlegende Schwierigkeit von Sampleys Beitrag liegt in folgendem Punkt: Trotz der rhetorischen Bestimmung von 14,1-15,13 als einer die tatsächlichen Probleme der Adressaten nur verschleiert und indirekt behandelnden „oblique speech" weiß Sampley doch von Beginn an um das von Paulus anvisierte tatsächliche Problem: „divisive practices of the ethnically different Roman believers", bei denen „sabbath-keeping" und „keeping kashrut" die entscheidenden Streitpunkte bildeten 7 . D.h.: Obwohl die Auffassung von 14,115,13 als „oblique speech" doch eigentlich den Quellenwert dieses Textes in Frage stellt, geht Sampley ganz selbstverständlich von den Schlußfolgerungen jener Forscher aus, die den Text gerade nicht als „oblique speech" lesen, sondern als eine Quelle, die Einblick in die römischen Gemeindeverhältnisse bzw. deren Einschätzung durch Paulus gibt 8 und die mit anderen Quellentexten zu kombinieren ist 9 . 3

Weak 4 3 - 4 6 ; Zitat ebd. 43.

4

Weak 42.

5

Weak 46. Weak 49-52; Zitat ebd. 49.

6 7

Weak 42; Zitate ebd.

8

Bei der Besprechung des ebenfalls rhetorisch orientierten Beitrags von Crafton (Rhetorical Vision) hatte sich ein ganz ähnliches Problem gezeigt (s. o. S. 55f.). Im Sprichwort „You can't have your cake and eat it" ist der methodische Einwand gegen beide Beiträge auf den Punkt gebracht. 9 Methodisch aufschlußreich für Sampleys Rückgriff auf historisch orientierte Beiträge erscheint besonders folgende Bemerkung zu Beginn seiner Überlegungen zum Gesamtschreiben unter dem Aspekt der „oblique speech" (14,1-15,13): „Here I suppose that Paul writes the Roman churches at a time when the Claudian edict has expired and when the Jewish believers (among whom are, e.g., Prisca and Aquila) who did leave Rome ca. 49 C.E. have returned to find that Gentile believers have flourished and even achieved ascendancy" (Weak 49f. Anm. 34; vgl. auch Sampley, Different Light 118). - Es ist in diesem Zusammenhang unwichtig, ob man die historische Annahme (Rückkehr von Judenchristen in eine heidenchristlich dominierte Gemeindesituation mit daraus resultierenden Spannungen) teilt oder nicht. (M.E. läßt sich diese in der Literatur immer wieder und oft mit verblüffender Sicherheit wiederholte Annahme [vgl. z.B. Wiefel, Gemeinschaft 78f.; Marxsen, Einleitung 114; Donfried, Short Note 48; Bruce, Debate 180; Wilckens,

224

Analysen zur Textfunktion

Dem Ansatz der vorliegenden Arbeit entsprechend wird versucht, die in Sampleys Beitrag besonders gut greifbare Vermischung von funktionaler Textanalyse und Beurteilung der tatsächlichen Adressatensituation zu vermeiden. Darum wird auf 12,1-15,13 dasselbe Verfahren angewendet wie in den vorangehenden Kapiteln auf die dort untersuchten Textkomplexe. In den folgenden Abschnitten (3.3.2-3.3.4) werden zentrale Passagen auf ihre Funktion hin analysiert. Anschließend (3.3.5) werden die Einzelergebnisse zusammenfassend gebündelt, um im Nachhinein einen „Brückenschlag" vornehmen zu können zu der in Teil 2 aufgestellten Hypothese zur Autorintention. 2. Die Einteilung von 12,1-15,13 in Teiltexte, die in den folgenden Analysen einiger dieser Teiltexte zugrundeliegt, läßt sich vorab zwar nicht erschöpfend begründen; wohl aber sind Zäsuren aufweisbar, die dem Leser als Einschnitte im Textverlauf bemerkbar gemacht werden, und diese Zäsuren lassen sich ihrerseits von mehr oder weniger gleitenden Übergängen unterscheiden. Zäsuren, die dem Leser als solche angezeigt werden, finden sich innerhalb von 12,1-15,13 an zwei Stellen. a. In 12,3a wird ein Neuansatz durch den metakommunikativen Einleitungssatz signalisiert: λέγω γ α ρ δια της χάριτος της δοθείσης μοι τταντι τω δντι έν ύμϊν. Dieser thematisiert die beiden an der Kommunikation beteiligten Partner (ich - jedem unter euch), er bezeichnet die folgende Kommunikationshandlung als λέγειν und benennt darüber hinaus die Instanz, auf die sich der Adressant dabei beruft (die mir gegebene Gnade). Der Neuansatz in 12,3 ist um so auffälliger, als der unmittelbar vorangehende Passus (12,1 f.) ebenfalls durch einen metakommunikativen Satz eingeleitet worden war: π α ρ α κ α λ ώ ούν ύμάς, άδελφοί, δια των οΐκτιρμών τοϋ θεοΰ (V. la). Dieser benennt ebenfalls die an der Kommunikation beteiligten Partner (ich - euch, Brüder), die folgende Kommunikationshandlung (τταρακαλεϊν) und die Instanz, auf die sich der Adressant dabei beruft (das Erbarmen Gottes). D.h.: 12,3a erRömer I 36; Stuhlmacher, Abfassungszweck 189; Campbell, Rule 265; Brändle/Stegemann, Entstehung 10; Watson, Paul 95; Dunn, Romans II 798.812; Heil, Speisegebote 255] nicht wahrscheinlich machen. Abgesehen von Prisca und Aquila, die sich doch wohl kaum als Modell eignen, gibt es keine Indizien für den Rückzug ausgewiesener Juden [christen] nach Rom). Der entscheidende Punkt ist vielmehr: Die Rückkehr einer größeren Zahl ausgewiesener Judenchristen ist auf keinen Fall ein unabhängig von Rom 14,Iff. feststehendes Datum. Die entsprechende Annahme beruht vielmehr auf der Kombination der Auswertung von Rom 14,1-15,13 (der Text spricht nach Meinung vieler Forscher einen Konflikt zwischen zwei Gemeindegruppen an) und Überlegungen zu einer möglichen Nachgeschichte des Claudius-Edikts (nach dem Tod des Claudius standen einer Rückkehr ausgewiesener Judenchristen vermutlich keine politischen Hindemisse im Weg). Wenn man wie Sampley Rom 14,1-15,13 nicht als direkte Quelle beanspruchen möchte. „Starken" und „Schwachen" also keine Referenten zuordnet und tatsächliche Streitigkeiten nicht direkt benannt sieht, dann hängt die Annahme der Rückkehr ausgewiesener Judenchristen völlig in der Luft.

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

225

setzt die in 12,1a gebotene Darstellung der Kommunikation durch eine neue mit anderen Akzenten: Angesprochen ist jetzt - bestimmter als in 12,1a - jede im Adressatenkreis befindliche Person, unbestimmter als in 12,1a wird ein λέγειν angekündigt, und ausschließlich auf den Adressanten bezogen wird nun die Berufungsinstanz, auf die sich seine Rede gründet. b. Zwischen 15,6.7 liegt eine Zäsur: Der in sich abgerundete Segenswunsch von V. 5f. 10 setzt ein Schlußsignal 11 , und schon die vorangehenden Ausführungen von 15,2 an führen auf einen Abschluß hin. Sie schließen verallgemeinernd an 15,1 an 12 , lassen das dort abschließend thematisierte Starke-Schwache-Problem aus dem Blickfeld treten und haben von V. 3 an nicht mehr Aufforderungscharakter. Nach dem Segenswunsch bildet die Aufforderung in 15,7 - trotz semantischer Anknüpfung an 15,5f. 13 und trotz des einleitenden διό 14 - einen unerwarteten Neueinsatz. Das aus 14,1 - also weit zurückliegende - in 15,7 wiederholte προσλαμβάνεσθε spricht keinesfalls gegen einen solchen Einschnitt im Textverlauf; das gilt um so mehr, als die „Annahme" nun nicht mehr speziell dem Schwachen gilt, sondern verallgemeinernd auf άλλήλους bezogen wird. Durch die beiden Zäsuren, die der Textverlauf unmittelbar zu erkennen gibt, heben sich 12,lf. und 15,7-13 als relativ selbständige Passagen vom dadurch umschlossenen Teil ab. Demgegenüber sind die Teiltexte von 12,3-15,6 durch eher gleitende Übergänge verbunden. a. Die Aufzählung unterschiedlicher Charismen bzw. Charismenträger (V. 6b-8) ist in V. 8d abgeschlossen, damit scheint auch das Ende des mit V. 3 einsetzenden Passus angezeigt zu sein. Andererseits knüpft die folgende, im Plural formulierte Aufzählung von Einstellungen und Verhaltensweisen, die für alle gelten (V. 9b-13), stilistisch und inhaltlich an die Charismenliste aus V. 6 b - 8 an. Der unpersönlich, aber ebenfalls ohne finites Verb als Prädikat formulierte Zwischensatz in V. 9a (ή α γ ά π η Ό Von Gott her wird das einheitliche φρονεΐν erbeten, und dieses zielt auf den einträchtigen Lobpreis Gottes. 11 12

Vgl. Käsemann, Römer 370; Dunn, Romans II 836. Vgl. Lagrange, Romains 345; Strecker, Perspektiven 295.

13 Im Gedanken der Herrlichkeit Gottes liegt das entscheidende Verbindungsglied zwischen 15,5f. und 15,7 (vgl. ähnlich Keck, Christology 89). Dem in 15,5 erbetenen Gut (τό α ύ τ ό φρονεΐν ...), dessen Ziel das einmütige δοξάζειν Gottes ist (15,6), sollen die Adressaten nach V. 7a verhaltensmäßig entsprechen ( π ρ ο σ λ α μ β ά ν ε σ θ ε άλλήλους), weil sie von Christus angenommen sind εις δ ό ξ α ν τοϋ θεού (V. 7b). 14 Im Zusammenhang mit der semantischen Anknüpfung an 15,5f. (s. die vorige Anm.) erscheint Kühls Vorschlag einleuchtend: „διό ist zu erläutern: damit es zu solchem einmütigen und einhelligen Lobpreis bei euch komme" (Römer 463).

226

Analysen zur Textfunktion ανυπόκριτος) stellt den Übergang von der einen zur anderen Aufzählung her15.

b. Die Form der additiven Aneinanderreihung kurzer Sätze setzt sich über V. 13 hinaus fort (V. 14.15a.b.l6a), dasselbe gilt für den Gebrauch von Partizipien (V. 16a.b.c.l7.18.19a) (und Infinitiven [V. 15]) anstelle finiter Verbformen als Prädikat. Erst von V. 19b an ist beides aufgegeben. Die feste Form von V. 9-13 - Aneinanderreihung kurzer Sätze mit Prädikaten, die nicht durch finite Verbformen ausgedrückt sind - wird gewissermaßen schrittweise und darum unauffällig zurückgenommen. Der erste und relativ deutlichste Schritt liegt in 12,14: Durch die dreimalige Verwendung der 2. Person Imperativ Plural, werden die Adressaten zum ersten Mal seit 12,3 wieder eindeutig angesprochen. c. Härter als 12,9 und 12,14 schließt 13,1a an den vorangehenden Passus an. Die Aufforderung zur Unterordnung den staatlichen Gewalten gegenüber gilt für jeden Menschen (πάσα ψυχή) 16 ; die Adressaten sind mit V. la also aufgefordert, einer explizit als allgemeingültig gekennzeichneten, also unabhängig von beiden Kommunikationspartnern gültigen Regel zu entsprechen. Die mit der Formulierung von 13,1a gegebene Ablösung von der aktuellen Kommunikationssituation ist zwar in gewisser Weise durch die allgemeine 2. Person Singular am Ende des vorangehenden Abschnitts (12,20f.) vorbereitet; 13,1a geht darüber aber noch ein erhebliches Stück hinaus und signalisiert so den Beginn eines neuen Abschnitts. Die unpersönliche Formulierungsweise reicht bis 13,5, erst in V. 6f. wendet sich der Adressant wieder direkt seinen Adressaten zu (2. Person Plural), so daß der Abschnitt 13,1-7 durch seinen Schluß explizit in den Zusammenhang der aktuellen brieflichen Kommunikation eingeordnet wird. Der Passus endet in V. 7 mit einer Aufforderung, die insofern verallgemeinert, als sie sich auf die „allen" gegenüber bestehenden Verpflichtungen bezieht und diese in einem viergliedrigen Katalog entfaltet. d. 13,8a (μηδενί μηδέν οφείλετε) greift die den vorangehenden Passus abschließende Aufforderung (V. 7a) in negativer Formulierung auf und schließt so das neue Thema (τό άλλήλους αγαπάν) als „Ausnahme" an. Diesen Übergang mag man „künstlich" finden17, in jedem Fall weist der Textverlauf keine einschneidende Zäsur zwischen 13,7.8 auf.

15

Vgl. ähnlich von Lips, Traditionen 386. Vgl. Merk, Handeln 163 und besonders Gielen, die zu Recht die ungewöhnliche Verwendungsweise von κάσα ψυχή (als Subjekt, an das sich eine Mahnung richtet) herausstellt (Haustafelethik 441). 17 Nababan, Bekenntnis 3; vgl. Zeller, Römer 215. 16

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

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e. Ähnlich wie in 13,1 (έξουσίαις ύπερεχούσαις) und 13,8 (μηδενί im Rückbezug auf ττάσιν in 13,7a) wird in 14,1 das Gegenüber benannt, auf das sich das im folgenden jeweils angemahnte Verhalten bezieht: τόν ... άσθενοϋντα τη πίστει 18 . δέ markiert den Übergang zum neuen Teilabschnitt19. Dabei wird die Anredeform in der 2. Person Imperativ Plural, mit der der vorangehende Passus in 13,14 geschlossen hatte, in 14,1 fortgesetzt. Eine wirkliche Zäsur zwischen 13,14 und 14,1 auf textpragmatischer Ebene wäre dann gegeben, wenn der Kreis der durch ένδύσασθε bzw. durch μή ποιεΐσθε (13,14) Angesprochenen nicht mit dem der durch προσλαμβάνεσθε (14,1) Angesprochenen übereinstimmte. Die Behauptung einer solchen Veränderung im Kreis der aktuell Angesprochenen wird selten explizit aufgestellt20. Die entsprechende Annahme ist aber vorausgesetzt, wenn man nach weitreichendem Konsens21 in 14,1 „die Starken in der 2. Person Plur. angeredet" und damit „eine Mehrheit der römischen Gemeinde" bezeichnet sieht22. Demgegenüber ist festzuhalten, daß 14,1 im Anschluß an 13,14 keine Veränderung im Kreis der Angesprochenen anzeigt. Daraus ergibt sich mindestens die Frage, ob denn in 14,1 der „Schwache im Glauben" überhaupt so erwähnt wird, als gehöre er zur Adressatenschaft hinzu. Der Frage ist im Zusammenhang der Analyse weiter nachzugehen, an dieser Stelle ist lediglich festzuhalten: Die Abfolge von 14,1 auf 13,14 läßt nicht durch einen tiefgreifenden Einschnitt, wie er mit einer Eingrenzung des Kreises der aktuell Angesprochenen gegeben wäre, erkennen, daß den vorangehenden Ausführungen gegenüber nun ganz neu angesetzt wird. Im Blick auf den Textverlauf von 12,1-15,13 bleibt zusammenfassend festzuhalten: 12,3a setzt einen Einschnitt durch die 12,1a gegenüber wiederholte und neu akzentuierte Darstellung der jeweils folgenden Kommunikationshandlung. Auch vor 15,7 ist eine Zäsur angezeigt: Nachdem die appellative Redeweise schon in 15,3 aufgegeben worden war und nachdem der Segenswunsch in 15,5f. ein Schlußsignal gesetzt hat, wirkt der erneute Appell wie ein Neuansatz. Vergleichbar deutliche Zäsuren finden sich in dem durch 12,lf. und 15,713 eingeschlossenen Teil nicht, auch nicht vor Beginn des umfangreichen

Zu Recht wird τη ιτίστει in der Auslegung beinahe durchweg auf „den Schwachen" (vgl. die Analogie in Rom 4,19), und nicht auf προσλαμβάνεσθε bezogen (s. aber anders Stowers, Reason 283). 19 Vgl. Cranfield, Romans II 699; Dunn, Romans II 797. 20 Vgl. aber Nababan, der eine Einschränkung auf einen Teil der Adressaten in 14,1 „unmißverständlich" findet (Bekenntnis 30). 21 Vgl. unter vielen anderen: Lagrange, Romains 322; Käsemann, Römer 354; Wilckens, Römer III 79.81; Dunn, Romans II 798. - Nicht so eindeutig auf der Linie des Konsenses liegen die Ausführungen von Schlatter, Gottes Gerechtigkeit 364f.; Schmithals, Römerbrief 496. 22 Zeller, Römer 223.224.

228

Analysen zur Textfunktion

Abschnitts, der zu einem angemessenen Verhalten dem „Schwachen im Glauben" gegenüber auffordert (14,1-15,6) 23 .

3.3.2 Das Programm: Der kommunikative Gottesdienst der ethisch unabhängig urteilsfähigen Gemeinde (12,1 f.) 3.3.2.1

Struktur

Die hervorgehobene Stellung des nach vorn und hinten klar abgegrenzten Passus leidet keinen Zweifel. Kennzeichnungen wie „Vorwort"24, „Motto und Überschrift"25, „Grundsatzprogramm oder Manifest"26, „Exordium"27 versuchen diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen28. Man wird also von vornherein vermuten können, daß der kurze Eingangspassus Akzente setzt und Gesichtspunkte aufzeigt, die für den durch 12,1 f. eingeleiteten Briefteil insgesamt eine Rolle spielen. Welches diese Akzente sind, worin also das Programmatische des Einleitungsabschnitts besteht, soll im folgenden zu ermitteln versucht werden29. Dabei ist auszugehen von der Struktur von 12,lf., die sich unter textpragmatischem Gesichtspunkt folgendermaßen beschreiben läßt: 12,1a setzt ein mit einer Aussage über die Kommunikation zwischen Adressant und Adressaten. Sie nennt die beiden Kommunikationspartner (ich euch, Brüder), kennzeichnet die aktuelle Kommunikationshandlung als „Er-

Wenn man allein von den Zäsuren im Textverlauf ausgeht, dann ist die Unterteilung in cap. 12 und 13,1-15,13 (so Betz, Grundlagen 215; Wilson, Love 128.205) genauso gut vertretbar wie die gängige Einteilung in cap. 12f. und 14,1-15,13. Abweichend von der Mehrheitsmeinung gliedert auch von Lips: Neben 12,1 f. als „Einleitung und Grundlegung der Paränese insgesamt" (Traditionen 385) unterscheidet von Lips 12,3-16 als „grundlegende und umfassende Mahnung" (ebd. 388) und 12,17-15,13 als eine aus sieben Einzelabschnitten bestehende Entfaltung je einzelner Themen, die im grundlegenden Teil (12,3-16) schon angeklungen sind (ebd. 388f.). Die sieben Abschnitte - 12,17-21; 13,1-7.8-10.11-14; 14,1-23; 15,1-6.7-13 - werden in Anlehnung an die formgeschichtliche Arbeit von Bradley (Form 238-246) als Topoi beschrieben (Traditionen 389). Unabhängig von der Frage, ob sich die Rückbezüge der einzelnen Topoi auf Motive von 12,3-16 wirklich plausibel machen lassen (im Fall von 13,1-7.11-14; 15,1-6.7-13 sind solche Rückbezüge nicht unmittelbar offensichtlich), erscheint jedenfalls unter textpragmatischer Perspektive die Abgrenzung von 12,3-16 vom folgenden Teil schwierig, weil dem Leser kein Einschnitt zwischen 12,16.17 angezeigt wird. 24

Kühl, Römer 413. Schräge, Einzelgebote 165; vgl. ähnlich Merk, Handeln 157. 26 Blank, Begriff 37. 27 Vouga, Document 495. 28 Anders allerdings: Bjerkelund, Parakalö 171 f.; Evans, Worship 33. 29 Dabei liegt in den Abschnitten 3.3.2.1; 3.3.2.2; 3.3.2.4 mein Aufsatz (Heilswille 79-95) zugrunde; 3.3.2.3 behandelt einen dort aus Platzgründen nur gestreiften (ebd. 93 Anm. 69) Aspekt. 25

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

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mahnen"30 und macht Gottes Erbarmen als Grundlage des 7ταρακαλεϊν geltend31. 12,lb.2a.b benennen die Inhalte der Ermahnung. Dabei sind 12,2a.b - anders als 12,1b - nicht mehr von παρακαλώ abhängig, sondern setzen syntaktisch neu an32. 12,lc.2c kommentieren die zuvor im Aufforderungsmodus benannten Inhalte: 12,1c bildet eine angehängte Satzapposition, die die Selbstübereignung der Adressaten an Gott als „eure λογική λατρεία" definiert33; 12,2c bestimmt die auf der Neuschöpfung des νοΰς beruhende Verwandlung auf ihr Ziel hin, es liegt in der selbständigen Wahrnehmung des Gotteswillens durch die Adressaten.

30 Gegen die besonders von Schlier (Wesen 75f.) vertretene, aus den unterschiedlichen Bedeutungs- und Verwendungsmöglichkeiten von π α ρ α κ α λ ε ΐ ν gewonnene These, nach der in Rom 12,1a die Bedeutungsmöglichkeiten „ermahnen" und „trösten" zusammen realisiert sind, spricht der in 12,1b angeschlossene Infinitiv, der π α ρ α κ α λ ε ΐ ν hier als Aufforderungsverb ausweist. Vgl. außerdem die Kritik von Cranfield (Romans II 597f.). 31 Hinsichtlich der syntaktischen Zuordnung der διά-Wendung zu π α ρ α κ α λ ώ (nicht zu π α ρ a στήσαι) besteht weitreichender Konsens (vgl. Cranfield, Romans II 596). Genauer dürfte διά mit Genitiv hier als Bezeichnung der wirkenden Ursache stehen (andere Belege für diese Verwendungsweise von διά bei Bauer/Aland, Wb. 360f.; auch in den mit Rom 12,1 vergleichbaren Belegen Rom 15,30; IKor 1,10; 2Kor 10,1 [jeweils metakommunikative Sätze mit π α ρ α κ α λ ώ und genitivischer διά-Bestimmung] legt sich das kausale Verständnis nahe), so daß man mit ,4urch" (Schlier, Wesen 78), „kraft" (Wilckens, Römer III 1; Zeller, Römer 205; Stuhlmacher, Römer 167) oder „im Namen von" (Käsemann, Römer 314; Ortkemper, Leben 23) übersetzen kann. Vor allem läßt sich die unmittelbar folgende Wendung in Rom 12,3a (metakommunikativer Satz mit λέγω und genitivischer διά-Bestimmung) ausschließlich im kausalen Sinn verständlich machen, worauf besonders Schlier (Wesen 80) zutreffend hingewiesen hat. - Anders, nämlich in einem mehr instrumentalen Sinn, verstehen z.B. Winer, Grammatik 341; Kühl, Römer 415; Betz, Grundlagen 209.211). Inhaltlich läuft die grammatische Differenz auf folgenden Punkt hinaus: Bei kausaler Interpretation bildet die Wendung eine Näherbestimmung zum sprachlichen Handeln des Adressanten; bei instrumentaler Interpretation bezieht sie sich stärker auf das geforderte Adressatenverhalten, sie meint dann das den Adressaten „vorgehaltene Motiv" (Winer, Grammatik 341). Wiederum anders sieht z.B. Bjerkelund die διά-Wendung als „eine Art Beschwörungsformell...]" (Parakalö 164). Sprachlich knüpft Bjerkelund (ebd. 162.167) an den Vorschlag Zahns an, der für die διά-Wendung mit der Möglichkeit eines Latinismus rechnete: „cf per Deos bei oro, obsecro, precor, juro" (Römer 534 Anm. 6; vgl. Bl/Debr/Rehk § 223.5; Lagrange, Romains 293). Auch diesem Vorschlag gegenüber verdient die einfachere Möglichkeit, nach Analogie von 12,3a zu erklären, den Vorzug. 32 33

Zum textkritischen Problem s. Cranfield, Romans II 605 Anm. 2.

Zu 12,1c als Satzapposition vgl. z.B. Cranfield, Romans Π 601. Zur Funktion solcher Satzappositionen vgl. Kühner/Gerth, Grammatik I 284: Zum ganzen Satz oder zu mehreren Wörtern tritt eine Apposition im Nominativ oder im Akkusativ (je nachdem, welcher Kasus vorangeht), „wenn die Apposition ein Urteil ausspricht". Dazu fügt sich die Auffassung von 12,1c als einer 12,1b kommentierend nachgestellten Definition. Vgl. auch die Übersetzung mit: das ist (oder: das sei) eure λογική λ α τ ρ ε ί α , in vielen Kommentaren (z.B. Käsemann, Römer 313; Wilckens, Römer III 1; Stuhlmacher, Römer 167).

230

Analysen zur Textfunktion

Aus der Unterscheidung zwischen metakommunikativem Einleitungssatz, eigentlichen Aufforderungen und Kommentarsätzen ergibt sich folgende Gliederung für 12,1 f.: la Παρακαλώ ούν ύμάς, άδελφοί, δια τών οίκτιρμών τοΰ θεοΰ lb παραστησαι τά σώματα ύμών θυσίαν ζώσαν άγίαν εύάρεστον τω θεώ, lc την λογικήν λατρείαν ύμών· 2a και μή συσχηματίζεσθε τώ αίώνι τούτω, 2b άλλα μεταμορφοΰσθε τη άνακαινώσει τοΰ νοός 2c εις τό δοκιμάζειν ύμάς τί τό θέλημα τοΰ θεοΰ, τό άγαθόν και εύάρεστον και τέλειον. Abgesehen von der Besonderheit des die Kommunikationshandlung darstellenden Einleitungssatzes V. la läßt die Gliederung vor allem folgenden - in der Auslegung selten beachteten - Sachverhalt auffällig werden: Die Satzapposition in V. lc formuliert eine Aussage über das in V. lb angemahnte Verhalten, genauso wie die Zweckbestimmung in V. 2c eine Aussage über das in V. 2a.b angemahnte Verhalten bietet. D.h.: Durch την λογικήν λατρείαν ύμών wird kein Thema benannt, sondern eine Aussage, genauer eine Definition, formuliert, deren Thema das in V. lb genannte Verhalten ist. 3.3.2.2

Gottes universaler Heilswille als die das παρακαλεϊνprovozierende Kraft

12,1 f. ist vom Vorangehenden durch eine tiefe Zäsur getrennt; nach 11,33-36 - einem Abschnitt, der als ganzer Ausrufscharakter hat, mit άμήν schließt und die Briefadressaten nicht erwähnt - setzt der metakommunikative Einleitungssatz von 12,1a ganz neu an. Andererseits zeigt ουν einen Rückbezug an 34 . Beides - Neuansatz und Rückbezug - ist erklärbar, wenn 12,1a die Funktion hat, das in 11,13-32 geführte und in 11,33-36 unterbrochene Gespräch des Adressanten mit seinen Adressaten 35 wieder aufzunehmen. Dieses Gespräch war in 11,13a durch einen metakommunikativen Satz eingeführt worden; nach der eingelagerten Wendung an ein Typus-Du (11,17-24) war es durch einen weiteren metakommunikativen Einleitungssatz (ll,25a.b) explizit wiederhergestellt und bis 11,32 weitergeführt worden. Analog zu ll,25a.b (und wie dort mit der άδελφοί-Anrede) stellt 12,1a die Fortsetzung nach einem unterbrechenden, weil nicht direkt an die Briefadressaten gerichteten Passus her. Auch hinsichtlich der in 12,1a explizit als Ermahnung gekennzeichneten Textfunktion besteht Kontakt mit 11,13-32. Zwar wird die in 11,13a eingeleitete Kommunikationshandlung nur durch ein allgemeines λέγειν bezeichnet, aber die warnende Tendenz macht sich bereits in der eingeschobenen Auseinandersetzung mit dem Typus-Du bemerkbar: Dieses fungiert 34 Anders z.B. Lietzmann, Römer 107: ούν ist „nur äußerliche Ueberleitungspartikel"; vgl. Käsemann, Römer 314; Evans, Worship 12. 35 Vgl. dazu o. S. 200f.

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

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geradezu als ein von den Adressaten zu vermeidendes Modell. Explizit formuliert wird die Warnung dann in ll,25a.b: Die Weitergabe des μυστηριον soll die Adressaten vor einem „Bei-sich-selbst-Klugsein" bewahren. Die eher warnende Tendenz von 11,13-32 wird in 12,1 durch die der positiven Ermahnung abgelöst. D.h.: Der Anschluß von 12,1 an den vorangehenden Kontext erscheint unter funktionalem Gesichtspunkt erheblich enger, als es bei einer rein auf die Textthematik konzentrierten Betrachtungsweise der Fall ist. Weil der metakommunikative Einleitungssatz von 12,1a 1. durch die Thematisierung der beiden Kommunikationspartner und 2. durch die Angabe der Textfunktion (τταρακαλεΐν) im Kontakt steht zu dem durch 11,33-36 unterbrochenen Gespräch des Heidenapostels mit seinen heidenchristlichen Adressaten, liegt es nahe, 3. auch die οΐκτιρμοί τοΰ θεού, also die für das παρακαλεΐν geltend gemachte Berufungsinstanz, vom vorangehenden Kontext, also von 11,30-32 her, zu interpretieren. Kritisch dazu könnte man zwar nicht die Pluralformulierung in 12,1a (δια τών οίκτιρμών) 36 , wohl aber den Wechsel im Ausdruck geltend machen (11,30-32: έλεέω, έλεος). Dieser Hinweis wird freilich durch die Verwendung von έλεέω und οικτίρω als Synonyme in Rom 9,15 erheblich relativiert37. Möglicherweise ist der Wechsel zum synonymen Ausdruck durch die Einbindung von έλεέω, ελεος in den Zusammenhang der Israel-Thematik bedingt, die in 12,1 nicht wieder aufgenommen wird.

In 11,30—3238 wird in einem ersten Schritt (V. 30f.) eine Gegenüberstellung der zeitlich versetzten Abfolge von Ungehorsam und Erfahrung von Gottes Erbarmen bei den Adressaten einerseits und bei der ungläubigen Mehrheit Israels andererseits vorgenommen. Dabei wird jüdischem Ungehorsam eine positive Funktion für das von den heidenchristlichen Adressaten erfahrene Erbarmen beigemessen und umgekehrt diesem eine positive Funktion für jüdischen Ungehorsam, der seinerseits durch das von Gott intendierte Erbarmen überwunden werden soll. Den heidenchristlichen Adressaten wird auf diese Weise Zum einen ist die Verwendung des Plurals für den Singular bei Abstrakta auch sonst belegt (vgl. Bl/Debr/Rehk § 142), wobei durchaus nicht immer der Gedanke „konkreter Erscheinungsformen" (ebd.) zur Geltung kommt (vgl. z.B. 2Kor 9,6; Gal 5,20; Eph 2,3; Jak 2,1). Zum andern dürfte die im Neuen Testament überwiegend gebrauchte Plural-Form von οίκτιρμός (Rom 12,1; 2Kor 1,3; Phil 2,1; Hebr 10,28; Singular nur: Kol 3,12) durch den Sprachgebrauch der LXX erklärbar sein: Zwar findet sich hier gelegentlich der Singular οίκτιρμός (Sir 5,6; Zach 1,16; 7,9; 12,10; Bar 2,27; Dan [Th] 1,9; 9,18; 4Makk 6,24), weitaus häufiger aber der Plural οΐκτιρμοί (31 Belege), der dem dabei meistens zugrundeliegenden hebräischen (ΟΌΓΠ) bzw. aramäischen (Dan 2,18: p o m ) Äquivalent entspricht (vgl. Bultmann, Art. οΐκτιρμοί 161f.). 37 οικτίρω begegnet im Neuen Testament nur Rom 9,15, und hier im Zitat von LXX Ex 33,19. Zur Synonymität der Ausdrücke in der LXX s. Bultmann, Art. οικτίρω 162: „Ein Unterschied zwischen οίκτίρειν u έλεεΐν oder zwischen οΐκτιρμοί u ελεος ist nicht wahrzunehmen" (Belege ebd. Anm. 17). Auch außerhalb der LXX sind die Ausdrücke als Synonyme belegt (vgl. ebd. 161 Anm. 7). 38

S. dazu o. S. 213-216.

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Analysen zur Textfunktion

verdeutlicht, daß mit dem von ihnen erfahrenen έλεηθήναι Gottes Erbarmen nicht zum Stillstand gekommen und Israel seiner Reichweite nicht entnommen ist. Der begründende Schlußsatz (συνέκλεισεν γ α ρ ό θεός τους π ά ν τ α ς είς άπείθειαν, ϊνα τούς π ά ν τ α ς έλεήστι [V. 32]) führt über V. 30f. in doppelter Hinsicht hinaus: 1. wird die erneut aufgegriffene Abfolge Ungehorsam Erbarmen nunmehr für eine grundsätzliche Charakterisierung des Gotteshandelns genutzt. Dessen Ziel liegt in der Verwirklichung seines Erbarmens, und solches Erbarmen geschieht grundsätzlich als Überwindung menschlichen Ungehorsams. 2. wird mit dem doppelten τους ττάντας die universale Ausrichtung des Gotteshandelns hervorgehoben. Gottes Erbarmen, das die heidenchristlichen Adressaten erfahren haben und das ganz Israel erfahren wird, will alle - und d.h.: auch die nicht-christlichen Heiden - erreichen. Aus dem Rückbezug auf 11,30-32 läßt sich der Sinn der Berufung auf die οίκηρμοί τοΰ θεοϋ in 12,1a folgendermaßen präzisieren: Die Adressaten haben das Erbarmen Gottes bereits erfahren, Gottes Heilswille hat sich an ihnen schon verwirklicht (11,30b). Weil diese Erfahrung aber kein vergangenheitlich abgeschlossenes Datum darstellt, sondern eine bleibende Abhängigkeitsbeziehung von dem sich erbarmenden Gott eröffnet 39 , darum kann der Adressant seine Adressaten in 12,1a vom Erbarmen Gottes her ansprechen. Sein π α ρ α καλεΐν besteht demnach in der Aufforderung zum Bleiben in der durch Gottes Heilswillen gestifteten Relation 40 . Darüber hinaus hat die Interpretation der διά-Wendung im Rückbezug nun aber auch dem argumentativen Schlußpunkt in 11,32 Rechnung zu tragen: Das Erbarmen Gottes, das die Adressaten erfahren haben und das auch Israel erfahren wird (11,31b), hat seinem Wesen nach eine universale, nämlich auf „alle" gerichtete Tendenz. Das bedeutet für 12,1a: Das sprachliche Handeln des Adressanten, das in der Autorität des so gekennzeichneten Erbarmens Gottes stattfindet, will die Adressaten in diese Tendenz mit hineinnehmen. Mit der Relation zum sich erbarmenden Gott, bei der der Adressant seine Adressaten behaften will, verbindet sich notwendig die Öffnung nach außen, andernfalls wäre der auf alle ausgreifende Richtungssinn von Gottes Erbarmen verkannt. 39

In diese Richtung weist vor allem das warnende Gespräch mit dem Typus-Du in 11,17-24 (s. dazu o. S. 202-205). 40

Vgl. dazu Barth: Es geht um das „Geltendmachen der Gnade als Forderung" (Römerbrief 414). Die prägnante Formulierung entspricht genau der grammatischen Zuordnung des διά τ ω ν οϊκτιρμών τοΰ θεοΰ als einer zu παρακαλώ zu ziehenden Kausalbestimmung (vgl. o. S. 229 Anm. 3 1 ) . - Anders grenzt Betz die διά-Wendung als „Indikativ" vom übrigen Satz („Imperativ") ab (Grundlagen 209) und gelangt (u.a. deshalb) zu einer Auffassung, die 12,1 nach dem Muster des in der Antike verbreiteten ,,Gedanke[ns] des freiwilligen Selbstopfers als Dankesgabe an die Gottheit" (ebd. 211) versteht. Diese - gerade in Anbetracht der betonten „Freiwilligkeit" - theologisch problematische Auffassung (vgl. dazu in anderem Zusammenhang: Klein, Bultmann 415) käme exegetisch nur dann in Frage, wenn man δια των οϊκτιρμών als Grund oder Motiv dem geforderten Verhalten zuordnen und nicht als die provozierende Kraft des sprachlichen Handelns des Adressanten verstehen wollte.

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

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Zusammenfassend wäre also zum Einleitungssatz in 12,1a festzuhalten: Der Adressant formuliert seine Ermahnung im Namen der Barmherzigkeit Gottes als einer Macht, die die Adressaten schon erreicht hat und die über sie hinausreichen will. 3.3.2.3

Die ekklesiologische

Zielrichtung

1. Vom Einleitungssatz in V . l a hängt die erste Aufforderung ab: τταραστήσαι τ ά σ ώ μ α τ α ύμών θυσίαν ζ ώ σ α ν ά γ ί α ν εΰάρεστον τω θεώ (V. lb). Sie greift - wie viele Exegeten beobachtet haben 4 1 - einen zentralen Gedanken aus Rom 6,12ff. wieder auf. Der Rückbezug wird sprachlich zu erkennen gegeben vor allem durch das Verb τταραστήσαι, dem in Rom 6,12ff. ein fünfmaliges Vorkommen von τταρίστημι bzw. π α ρ ι σ τ ά ν ω entspricht (6,13.16.19). Außerdem klingen die Kennzeichnungen „lebendig" und „heilig" an Formulierungen in 6,13b und 6,19c an 42 , und schließlich ist im grundsätzlich formulierten Einleitungssatz zu 6,12ff. wie in 12,1b der Ausdruck σώμα verwendet: μή ουν βασιλευέτω ή α μ α ρ τ ί α έν τ ω θνητώ ύμών σώματι εις τ ό ύπακούεχν τ α ΐ ς έτπθυμίαις α υ τ ο ύ (6,12). Der Ausdruck σώμα in 6,12 meint die Adressaten hinsichtlich ihrer an Vergänglichkeit und Welt partizipierenden Leiblichkeit und damit zugleich hinsichtlich ihres Konfrontiertseins mit dem bleibenden Herrschaftsanspruch der Sünde, der keine Neutralität zuläßt 43 . In der Aufforderung zur Übereignung der Leiber an Gott in 12,1b, die sich liest wie das positive Pendant zur negativ formulierten Warnung in 6,12, wird man für τ ά σ ώ μ α τ α ύμών daher den entsprechenden, von Käsemann prägnant herausgestellten Sinn annehmen: Es geht nicht nur um „private Existenz, sondern um deren Kommunikationsfähigkeit mit allen ihren Möglichkeiten ... Mit dem Leib wird jene Welt, die wir selber sind, ihr von uns bestimmter Raum Gott übergeben" 4 ^.

41

S. besonders Furnish, Theology 105f.; vgl. auch Zahn, Römer 534; Käsemann, Römer 315; Wilckens, Römer III 3; Evans, Worship 24; Strack, Terminologie 294; Dunn, Romans II 709. 42

ά λ λ α π α ρ α σ τ ή σ α τ ε εαυτούς τ ω θεώ ώσεϊ έκ νεκρών ζ ώ ν τ α ς (6,13b); ο ύ τ ω ς νυν π α ρ α σ τ ή σ α τ ε τ ά μέλη ύμών δούλα τη δικαιοσύνη εις άγιασμόν (6,19c). 43 Vgl. Käsemann, Römer 168f. 44 Käsemann, Römer 315; vgl. auch ders., Anthropologie 3 6 - 4 6 . In ähnlicher Richtung, z.T. im Anschluß an Käsemann, vgl. unter vielen anderen: Bauer, Leiblichkeit 179; Wilckens, Römer III 3; Evans, Worship 32; Dunn, Romans II 709. - Deutlich anders interpretieren Schmithals (Römerbrief 428) und Betz (Grundlagen 211), die die Erwähnung der σ ώ μ α τ α aus dem in V. lb verwendeten Bild des Opfers heraus verstehen möchten. Der Vergleich mit den parallelen Aussagen in Rom 6,13a.b.c.l6.19b.c, die in Rom 12,1b wieder aufgegriffen werden (vgl. Wilckens, Römer III 3), zeigt aber Flexibilität in der Wahl der Bilder - von dem der Waffen (6,13) über das der Sklaven (6,16) zu der daran noch anklingenden Bildlichkeit in 6,19 - , und solche Flexibilität läßt gegen eine Schwergewichtung des Opferbildes in 12,1b skeptisch werden.

234

Analysen zur Textfunktion

Neben der grundsätzlichen Übereinstimmung tritt beim genaueren Vergleich zwischen 12,1b und den παρίστημι/παριστάνω-Aussagen aus Rom 6,12ff. allerdings eine nur selten registrierte 45 Differenz hervor. 6,13a μηδέ παριστάνετε τα μέλη ύμών όπλα αδικίας τη αμαρτία, 6,13b άλλα παραστήσατε εαυτούς τώ θεώ ώσεί έκ νεκρών ζώντας 6,13c και τα μέλη ύμών δπλα δικαιοσύνης τώ θεώ. 6,16 ... ω παριστάνετε έαυτούς δούλους εις ύπακοήν, δοΰλοί έστε ω ύπακούετε,... 6,19b ώσπερ γάρ παρεστήσατε τά μέλη ύμών δούλα τη άκαθαρσία ..., 6,19c ούτως νϋν παραστήσατε τά μέλη ύμών δούλα τη δικαιοσύνη ... Durchweg entspricht in diesen Formulierungen dem Plural des auf die Adressaten bezogenen Akkusativ-Objekts (τά μέλη ύμών, έαυτούς) der Plural des prädikativ angeschlossenen Bildbegriffs (δπλα, δούλους, δούλα). In Analogie dazu wäre in 12,1b nach dem pluralischen Akkusativ-Objekt (τά σώματα ύμών) beim prädikativ angeschlossenen Bildbegriff statt des Singulars θυσίαν der Plural θυσίας zu erwarten 46 . Tatsächlich steht der Bildbegriff aber im Singular, folglich sind nicht die einzelnen σώματα jeweils als Opfer bezeichnet. Der Befund legt folgende Konsequenz nahe: Zwar sind in der Aufforderung von 12,1b die Adressaten individuell angeredet, und nicht „as a single community" 47 ; τά σώματα ύμών meint sie vielmehr „einzeln in ihrer persönlichen, leiblichen Existenz" 48 . Das Ergebnis des ihnen vom Adressanten im Rückgriff auf Rom 6,12ff. nahegelegten Handelns wird aber durch das singularische Opferbild unter einen kollektiven Gesichtspunkt gerückt. M.a.W.: Es ist die Gesamtheit der σώματα, die als das „lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfer" interpretiert wird. Daß mit dieser Konsequenz die Formulierungsdifferenz zu 6,12ff. nicht überstrapaziert ist, ergibt sich deutlich aus dem der Aufforderung angeschlossenen Kommentarsatz (12,1c). Dieser definiert das zuvor angemahnte Verhalten wiederum im kollektiven Sinn. Die Selbstübereignung der einzelnen an Gott wird als gemeinsamer Gottesdienst der Adressatenschaft bestimmt. In 12,1b geht es also nicht nur um eine Wiederholung der individuellen Ermahnung aus 6,12ff. Diese wird in 12,1b vielmehr aufgegriffen, um den Adressaten zu zeigen: Die Übereignung jener Teile irdischer Realität, die die Adressaten jeweils selbst sind (σώματα), ist zugleich auch das entscheidende Merk-

45

Vgl. aber Evans, Worship 24. Vgl. Evans: „the exhortation here also might have been expected to be that they should offer themselves as living sacrifices" (Worship 24). Eben diese Erwartung dürfte zu der - wohl versehentlich erfolgten - pluralischen Wiedergabe von θυσίαν bei Fitzmyer (Romans 637.639) geführt haben. 47 So die von Evans (Worship 25) erwogene Möglichkeit. 48 Wilckens, Römer III 3. 46

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mal ihrer Gemeinschaft, denn diese Übereignung, und nichts weiteres, macht ihren Gottesdienst aus. 2. Die Verbindung einer an die Adressaten als einzelne gerichteten Ermahnung (12,1b) mit einem folgenden Kommentarsatz (12,1c), der diese unter einen kollektiven Gesichtspunkt rückt, wiederholt sich in 12,2a.b und 12,2c. Die einander antithetisch zugeordneten Aufforderungssätze in 12,2a.b (και μή συσχηματίζεστε τω αϊώνι τούτω άλλα μεταμορφοΰσθε τη άνακαινώσει τοΰ νοός) schließen sachlich an V. lb an: Die Übereignung der Leiber an Gott kommt einer Neubestimmung der einzelnen Adressaten als Weltsegmente gleich, und solche Neubestimmung hat selbstverständlich die Distanzierung vom Konformitätsdruck des αιών ούτος zur Kehrseite, die V. 2a einschärfen will. V. 2b nennt als positives Korrelat zu solcher Distanznahme die fortgesetzte Verwandlung49, die die Adressaten an sich geschehen lassen sollen. Die Basis für solches Geschehen-Lassen des μεταμορφοΰσθαι wird ihrerseits mit dem Hinweis auf die άνακαίνωσις τοΰ νοός angedeutet50. Die Voraussetzungen für das Verständnis der ungewöhnlichen Wendung άνακαίνωσις τοΰ νοός stellt wiederum der vorangehende Teil des Rom bereit. Unter diesem Aspekt fallen zunächst zwei Abschnitte auf, die Gegenbilder zum erneuerten νοϋς bieten. 1,18—3251: Der in haltloses und zerstörerisches Tun führende άδόκιμος νοΰς 52 , an den Gott die Menschen nach 1,28 preisgegeben hat, ist der νοΰς derer, die die Gotteserkenntnis nicht zu schätzen wissen 53 , diese vielmehr pervertiert haben (1,21-23) und nun den Konsequenzen dieser Perversion als Täter und Objekte ausgesetzt sind (l,29ff.). Der νοΰς erscheint hier also zwar als die dem Handeln vorausgehende Vernunft, aber diese Vernunft steht dem Menschen nicht instrumental zur Verfügung 54 , sondern legt ihn auf das Handeln fest, das seinem Sein entspricht55.

49 Zur Übereinstimmung der Bedeutungen von (συ-)σχηματίζεσθε und (μετα-)μορφοϋσθε s. die ausführliche Diskussion bei Cranfield, Romans Π 605-607. Zur Präsensform der Imperative: ebd. 607. 50 Vgl. Betz, Grundlagen 213; anders Blank, der in der „Erneuerung der Vernunft" den Gegenstand einer Forderung sieht (Begriff 48), ähnlich wohl auch Bomkamm, Vernunft 137; Evans, Worship 28. 51 Zu den Beziehungen zwischen Rom 1 und 12,1-2 vgl. Furnish, Theology 103f. 52 Gottes Preisgabe der Menschen an den άδόκιμος νους führt zum ποιεϊν τα μή καθήκοντα (l,28b.c); das Ergebnis wird effektvoll beschrieben in einem Katalog (1,29-31), der in der zweiten Hälfte (I,30f.) nicht mehr zwischen Lastern und den sie ausübenden Subjekten unterscheidet. 53 Der Zusammenhang ist sprachlich hervorgehoben: ... ούκ έδοκίμασαν ... είς άδόκιμον νοϋν. 54 Die Formulierung von 1,28 hebt auf den umgekehrten Sachverhalt ab: Die Menschen werden von Gott an den άδόκιμος νοϋς ausgeliefert. 55 Zum νοϋς in 1,28 vgl. besonders Schräge, Vernunft 493.

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Analysen zur Textfunktion

7,14-25a 56 : Scheinbar weist 7,23 in eine andere Richtung, da νους μου hier dem εσω άνθρωπος (7,22) entspricht, also dem „Ich", sofern es seine Freude an Gottes Gesetz hat (V.22) und sofern sich sein Wollen auf das Gute (V.21) richtet. Beide Ausdrücke sind vermutlich dem Sprachgebrauch der griechischen, dualistischen Anthropologie entnommen57; ihre Verwendung im Zusammenhang von Rom 7,14ff. untersteht aber einer dazu geradezu gegenläufigen Intention, der es - dem Anschluß an 7,7-13 58 , der überschriftsartigen Wendung in 7,14c59 und den Schlüssen der drei Unterabschnitte (7,17b.20c.23c)60 entsprechend - um die Entfaltung der umfassenden Herrschaft der Sünde über den einzelnen geht. Unter dieser Herrschaft ist der νοΰς bzw. der εσω άνθρωπος mit seiner positiven Ausrichtung auf Gottes Gesetz zwar nicht einfach annulliert, aber er ist doch grundsätzlich gestört, weil er keine Möglichkeit hat, sich in irgendeiner Weise zu realisieren61. Der νόμος τοΰ νοός wird von einem „anderen", nämlich dem von der Sünde entstellten Gesetz bekämpft und besiegt: 7,23b zeigt das „Ich" in jeder Hinsicht im „Gesetz der Sünde" gefangen. Der Rückgriff auf die einer dualistischen Anthropologie entstammenden Ausdrücke νοΰς und εσω άνθρωπος dient folglich an dieser Stelle der Demonstration der Ausweglosigkeit menschlicher Existenz unter der Herrschaft der Sünde: Weil das „Ich" auch hinsichtlich seiner dem νόμος τοΰ θεοΰ zustimmenden Tendenz von der Sünde eingenommen ist, ist jeder beim „Ich" ansetzende Ausweg verbaut. Gerade dieser Aspekt der Herrschaft der Sünde macht deren Perfektion aus. Vor dem Hintergrund der beiden Gegenbilder aus 1,18-32 und 7,14-25a wird die άνακαίνωσις τοΰ νοός in 12,2 nur im engsten Zusammenhang mit der Durchbrechung der Sündenherrschaft verständlich; gemeint ist die Aufhebung jener Störung, der der νοΰς unter der Herrschaft der Sünde unterliegt. Weil, wie gerade Rom 7,14ff. zeigt, die Sündenherrschaft dem νοΰς gegenüber nicht äußerlich bleibt, darum kann die „Erneuerung" nur im eschatologischen Sinn von „Neuschöpfung" 62 gemeint sein. Auf der Grundlage dieser Neuschöpfung 56

Zu 7,25b als Glosse s. Wilckens, Römer II 96f. und die ebd. Anm. 399 genannte Literatur. Vgl. dazu Käsemann, Römer 198f. 58 Zum Zusammenhang von 7,14-25a mit 7,7-13 s. Klein, Römer 7,14-25a 407-409. 59 Thema der Ausführungen von 7,14-25b ist das unter die Sünde verkaufte „Ich" (vgl. Käsemann, Römer 192.200). 60 Die beiden ersten Unterabschnitte (zur Einteilung vgl. Klein, Römer 7,14-25a 406), 7 , Μ Ι 7.18-20, schließen exakt identisch: ούκέπ έγώ κατεργάζομαι αϋτό άλλά ή οϊκοϋσα έν έμοί αμαρτία. Dem entspricht der Schluß des dritten Unterabschnitts (7,21-23): και αϊχμαλωτίζοντά με έν τώ νόμω της αμαρτίας τω οντι έν τοις μέλεσίν μου. 61 „..., der nous billigt den Anspruch von Gottes Gesetz, bleibt aber auch als zustimmender ohnmächtig und in den Zwiespalt integriert" (Schräge, Vernunft 496). 62 Vgl. Schräge, Vernunft 498. - Der Ausdruck άνακαίνωσις, der vorpaulinisch nicht belegt ist (vgl. Behm, Art. καινός 455), findet sich im Neuen Testament sonst nur noch in Tit 3,5, dort parallel zu παλιγγενεσία und im Bezug auf die Taufe. Auch in Rom 12,2 liegt es nahe, die άνακαίνωσις τοΰ νοός auf ein einmaliges und grundlegendes Geschehen zu beziehen, und nicht auf die „Erneuerung des Denkens und Wollens, deren die Christen immer wieder bedürfen" (Behm, ebd.), die Wendung verweist ja auf die Grundlage, von der aus das fortwährende μεταμορφοϋσθαι von den Adressaten gefordert wird. Anders verhält es sich bei der Verwendung des 57

M o d e l l einer nach außen wirkenden G e m e i n d e der „Starken"

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des νοΰς werden die Adressaten ermahnt, jene Verwandlung an sich geschehen zu lassen, deren negatives Korrelat die verwehrte Anpassung an diesen Äon ist. W e n n man - gelenkt durch 1 , 1 8 - 3 2 und besonders durch 7 , 1 4 - 2 5 a - die ά ν α κ α ί ν ω σ ι ς τ ο ϋ ν ο ό ς i m e s c h a t o l o g i s c h e n Sinn auf die Befreiung aus der Herrschaft der Sünde bezieht, dann tritt z u g l e i c h der Z u s a m m e n h a n g mit d e m ebenfalls „Neuheits"-Terminologie v e r w e n d e n d e n Passus 6 , 1 - 1 1 hervor: Der Getaufte b e k o m m t Anteil an T o d und A u f e r w e c k u n g Christi, und die W e i s e , in der sich die Teilhabe an der A u f e r w e c k u n g schon jetzt vollzieht, ist der Wandel έ ν κ α ι ν ό τ η τ ι ζ ω ή ς (6,4); entsprechend ist die Teilhabe am T o d Christi als Ende d e s v o n der S ü n d e geknechteten π α λ α ι ό ς ά ν θ ρ ω π ο ς verstanden (6,6).

Wenn die Kausalbestimmung zu μεταμορφοϋσθε in der vorgeschlagenen Weise von Passagen des vorangehenden Rom her zu verstehen ist, dann bedeutet das für die Aufforderung von 12,2a.b als ganze, daß sie sich an die Adressaten als einzelne wendet. Eine auf der Neuschöpfung des νοΰς beruhende Verwandlung und die damit einhergehende Distanznahme zu „diesem Äon" ist nicht anders denn als individuelles Geschehen denkbar. Anders ist zu dem das Ziel von Nichtanpassung und „Verwandlung" formulierenden Kommentarsatz in 12,2c (εις το δοκιμάζειν ύμάς τί το θέλημα τοϋ θεού, το αγαθόν και εύάρεστον και τέλειον) gelegentlich vermutet worden, das Subjekt des δοκιμάζειν sei wohl nicht „der einzelne, der sich je und je zu entscheiden hat", sondern die Adressatengemeinschaft63. Unter Berücksichtigung des unmittelbar folgenden Kontextes läßt sich diese Vermutung erhärten64: Im metakommunikativen Einleitungssatz von 12,3a wendet sich der Adressant an πάς ό ων έν ύμϊν, also völlig eindeutig an die individuellen Adressaten. Dieser explizite Hinweis wäre überflüssig, wenn schon das vorangehende ύμάς in 12,2c in derselben Weise auf alle einzelnen Personen inner-

zugehörigen Verbs άνακαινοΰσθαι in 2Kor 4,16, das zwar auch dort „Gottes neuschaffendes, endzeitliches Wunderhandeln" (Schräge, Leid 151) bezeichnet, aber als ein sich ständig (ήμερα και ήμερα) ereignendes Wirken am neuen Menschen (zum έσω άνθρωπος in 2Kor 4,16 s. Schräge, ebd.) gedacht ist. Unter dem Aspekt der für Rom 12,2 wahrscheinlichen Bedeutung von ά ν α κ α ί ν ω σ ι ς („Neuschöpfung") ist die Verwendung von άνακαινίζειν in JosAs 8,11; 15,5 aufschlußreich: Beide Stellen beziehen sich auf Aseneths Bekehrung bzw. ihre darauf folgende Eingliederung in die jüdische Religionsgemeinschaft und interpretieren dieses Geschehen als Neuschöpfung, wie die an beiden Stellen übereinstimmende Aneinanderreihung der Verben ά ν α καινίζειν, άναττλάσσειν, ά ν α ζ ω ο π ο ι ε ϊ ν zeigt (vgl. die Ausgaben von JosAs von Philonenko und Burchard; die Ausgabe von Batiffol bietet die Dreierreihe nur an der zweiten Stelle [61,5], an der ersten Stelle [49,22] steht άνακαινίζειν allein). Zu einer ähnlichen Verwendungsweise von ά ν α καινίζειν in den Apostolischen Vätern vgl. die Hinweise bei Smith, Joseph and Asenath 113. 63 Wengst, Zusammenkommen 548f. (Zitat: 548); vgl. Ortkemper, Leben 39; Schräge, Vernunft 499. 64 Der Hinweis auf die Praxis des Vorlesens von Briefen in der Gemeindeversammlung (Wengst, Zusammenkommen 549; vgl. Ortkemper, Leben 39) führt in der Frage, ob ein kollektives oder ein individuelles δοκιμάζειν gemeint ist, nicht weiter.

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A n a l y s e n zur Textfunktion

halb des Adressatenkreises zielte, folglich liegt es nahe, den Kommentarsatz auf die Adressatengemeinschaft zu beziehen. In gewisser Weise verhält sich daher der Kommentarsatz in 12,2c zu den vorangehenden Aufforderungen in V. 2a.b wie der Kommentarsatz in 12,1c zu der vorangehenden Aufforderung in V. lb: Die Aufforderungen selbst sprechen unter Aufnahme von zuvor im Rom entfalteten Gedankengängen die Adressaten als einzelne an; die Hingabe der σώματα und die mit Nichtanpassung an diesen Äon verbundene Verwandlung aufgrund der άνακαίνωσις τοΰ νοός beziehen sich auf individuelle Subjekte. Die Kommentarsätze dagegen verlagern den Aspekt auf die Adressatengemeinschaft hin (im Fall von V. 1 ist diese Verlagerung schon durch das singularische θυσίαν vorbereitet): Die Hingabe der Einzelnen ist ihr gemeinsamer Gottesdienst, und die auf der Neuschöpfung des νοϋς beruhende Verwandlung zielt auf gemeinsames Herausfinden und Tun des Gotteswillens, also auf die ethische Kompetenz der in dieser Hinsicht auch vom Adressanten unabhängigen Adressatenschaft. Zusammenfassend ist also festzuhalten: Die Aufforderungssätze (12,lb.2a.b) greifen auf zuvor im Rom entfaltete Gedankengänge zurück und richten sich an die individuellen Adressaten. Die Kommentarsätze (12,lc.2c) rücken die Aufforderungsinhalte unter eine ekklesiologische Perspektive. Unter dieser Perspektive umreißt der Adressant, was er durch sein παρακαλεϊν in bezug auf die Adressatengemeinschaft erreichen will, nämlich deren unabhängiges ethisches Urteils- und Handlungsvermögen (V. 2c) und deren λογική λατρεία (V. lc). - Um die genauere Bestimmung des mit λογική λατρεία gemeinten Sachverhalts geht es im folgenden Abschnitt. 3.3.2.4 Die kommunikative Kraft der λατρεία Weithin liegt der Interpretation von 12,1c eine traditions- bzw. religionsgeschichtliche Verfahrensweise zugrunde. Ihren Ansatzpunkt bildet die Frage nach d e m „Hintergrund" der W e n d u n g λ ο γ ι κ ή λ α τ ρ ε ί α , die in der R e g e l beantwortet wird mit der Rekonstruktion eines mehrschichtigen V o r s t e l l u n g s k o m p l e x e s z u m T h e m a des eigentlichen, wahren Opfers i m Unterschied z u m materiellen O p f e r 6 5 . D i e für λ ο γ ι κ ή λ α τ ρ ε ί α a n g e n o m m e n e B e -

65 Vgl. die entsprechenden Materialsammlungen z.B. bei Lietzmann, Römer 108f.; Käsemann, Römer 316f.; Cranfield, Romans Π 602-605; Wilckens, Römer III 4 - 6 ; Evans, Worship 17-21; Strack, Terminologie 294-298. - Etwas anders Betz, der in der Wendung λογική λατρεία - Betz übersetzt mit,reasonable religion" (Christianity 335) bzw. mit „vernünftige Religion" (Grundlagen 208) - zurückgegriffen sieht auf „an ideal of the Hellenistic and Roman era, which is here endorsed by Paul. Like other religions, Christianity is an enlightened form of religion" (Christianity 337). Seiner Meinung nach war dieses auf die Unterscheidung von irrationalem Aberglauben zielende Konzept einer vernünftigen, aufgeklärten Religion auch den römischen Adressaten von ihrer vorchristlichen Zeit her vertraut (ebd.). Schwierig an Betz' Vorschlag erscheint vor allem folgender Punkt: Die lexikalische Basis bilden nicht andere Belege für die Wendung λογική

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

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zugnahme auf diesen Vorstellungskomplex wird dann wegen der Verbindung mit V. lb und des darin enthaltenen Gedankens der Leiblichkeit als eine kritische beurteilt; d.h. der Gedanke der Leiblichkeit bildet das paulinische Interpretament bei der Rezeption des in λογική λατρεία enthaltenen Vorstellungshintergrundes 66 .

Aus zwei Gründen soll dieser Weg im folgenden nicht eingeschlagen werden: 1. Weder läßt sich die Wendung λογική λατρεία als „Formel"67, als „Stichwort"68, als ,,zentrale[r] Begriff der hellenistischen Philosophie und Frömmigkeit"69 zeigen 70 , noch kann λογικός als Terminus gelten, der fest eingebunden wäre in den Vorstellungskomplex vom wahren im Unterschied zum materiellen Opfer71. D.h.: Es gibt keine wirkliche Handhabe für die Rekonstruktion eines in 12,1c vorausgesetzten Vorstellungshintergrundes. Für eine auf die Textfunktion gerichtete Bearbeitung bedeutet das zugleich: Der Text fordert die Adressaten durch die in ihm verwendeten Ausdrücke nicht zur Assoziation eines ganz bestimmten Vorstellungskomplexes auf. 2. Die Annahme, die Forλατρεία oder für λατρεία, sondern Überlegungen zur Nähe zwischen dem griechischen λατρεία und den lateinischen Ausdrücken cultus und religio (ebd. 319 mit Anm. 12). M.a.W.: Der von der Wendung λογική λατρεία ausgehende Rückschluß auf ein vorausliegendes und auch den Adressaten bekanntes religionsphilosophisches Konzept ist unsicher, weil keine Belege zu ermitteln sind, in denen dieses Konzept mit denselben Worten ausgedrückt wird; folglich wird man jedenfalls nicht vorab dieses Konzept als „Hintergrund" von 12,1c behaupten können. 66 Vgl. besonders deutlich: Käsemann, Römer 317; Wilckens, Römer III 6; Strack, Terminologie 298.301f.; Klauck, Symbolsprache 114. 67 Käsemann, Römer 316. 68 Stuhlmacher, Römer 168. 69 Radi, Kult 61. 70 Die Wendung λογική λατρεία ist m.W. vorpaulinisch bislang überhaupt nicht belegt. Die Belege in nachpaulinischer Zeit sind äußerst spärlich: Auf der Textbasis der TLG CD-Rom D unter Verwendung des Suchprogramms L-Base 6.05 ergaben sich für das 1. und 2. Jh. n.Chr. neben Rom 12,1 nur sechs Belege für λογική λατρεία (Irenaeus, Fragmenta deperditorum operum 36; Athenagoras, Legatio 13,4; Origenes, Commentarii in Romanos 12.2; Commentarii in evangelium Joannis 13.25.148; Selecta in Ezechielen) 13.785.44; Fragmenta in Lucam 123.4). Abgesehen vom Beleg aus Origenes' Röm-Kommentar bietet auch der Irenaeus-Beleg ein völlig eindeutiges Zitat von Rom 12,1. 71 Auf der Grundlage der o. S. 238 Anm. 65 erwähnten Materialsammlungen ergeben sich nur fünf Belege für die Verwendung von λογικός im direkten Zusammenhang mit der Vorstellung vom eigentlichen im Unterschied zum materiellen Opfer: TestLev 3,6; Philo, SpecLeg I 277; CorpHerm I 31; XIII 18.21. Von diesen fünf Belegen können jedenfalls die letzten drei aus Datierungsgründen nicht als Argumentationsbasis gelten. - Die methodische Problematik der Annahme einer besonderen Affinität zwischen dem genannten Vorstellungskomplex und dem Ausdruck λογικός läßt sich anhand von Philo verdeutlichen: Bei Philo finden sich zahlreiche Ausführungen zum wirklichen Opfer, das mit dem äußeren, rituell vollzogenen Opfer jedenfalls nicht identisch ist (zur moralisierenden und spiritualisierenden Auswertung und Umdeutung des Opferbegriffs bei Philo und zu den einzelnen Belegen s. Wenschkewitz, Kultusbegriffe 76-82). Bei Philo finden sich auch zahlreiche (160) Belege für das Wort λογικός. Die Tatsache, daß bei Philo das Wort λογικός und der erwähnte Vorstellungskomplex nur ein einziges Mal direkt aufeinandertreffen (SpecLeg I 277: Vor Gott ist nicht die Fülle der Opfer wertvoll, sondern das völlig reine πνεύμα λογικόν des Opfernden), zeigt, daß das Wort kein in diesen Vorstellungskomplex eingebundener Terminus ist.

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Analysen zur Textfunktion

mulierung λογική λατρεία lasse eine vorgegebene Vorstellung anklingen, die ihrerseits durch die Verbindung mit V. lb kritisch interpretiert werde, reibt sich mit der in der Strukturanalyse herausgestellten Funktion von V. lc. Bei dieser Annahme gerät nämlich unter der Hand V. lc, also die Satzapposition, in die Rolle der kommentierten, und V. lb, also die Aufforderung, in die Rolle der kommentierenden Aussage 72 . Tatsächlich verhält es sich aber umgekehrt: Die leibliche Selbstübereignung der Adressaten (V. lb) ist das Thema, zu dem V. lc eine (Definitions-) Aussage formuliert. M.a.W.: Wenn V. lc eine Definition zu V. lb bietet, dann kann als unwahrscheinlich gelten, daß der definierende Ausdruck (την λογχκήν λατρείαν) in kritischer Reserve verwendet ist. Es liegt darum näher, sich dem Verständnis von λογική λατρεία direkter, nämlich über die Frage nach der Bedeutung des Ausdrucks λογικός in 12,1c, zu nähern. Diskutiert werden gegenwärtig vor allem drei Antwortmöglichkeiten: „vernünftig", „geistlich" und „wahr" bzw. „eigentlich". Mit allen drei Möglichkeiten verbinden sich aber Schwierigkeiten. 1. Gegen die Bedeutung „vernünftig" 73 spricht: Die durch λογική λατρεία definierte Sache, also die völlige Übereignung der irdischen Existenz an Gott, ist nach den in 12,1b wieder aufgenommenen Ausführungen in 6,12ff. keine Angelegenheit der Vernunft, sondern Konsequenz aus der durch die Teilhabe an Tod und Auferweckung Christi bewirkten Befreiung aus der Sündenherrschaft (6,1-11). Außerdem: Die unproblematische Erwähnung eines „vernünftigen" Gottesdienstes stünde in eigentümlich ungeklärtem Verhältnis zu der dann nachträglich erwähnten άνακαίνωσις τοΰ νοός in 12,2. 2. Gegen die Bedeutung „geistlich" 74 spricht: Der Ersatz des gängigen πνευματικός durch das seltene (in der LXX und in den Apostolischen Vätern nicht und im Neuen Testament sonst nur noch IPetr 2,2 belegte) λογικός wäre schwer erklärbar. Vor allem aber läßt sich „geistlich" als vorpaulinische Bedeutungsmöglichkeit von λογικός nur unter Voraussetzung einer sehr gewagten traditionsgeschichtlichen Hypothese postulieren 75 .

72 Deutlich greifbar wird die Umkehrung des Textgefälles in der Paraphrase von Radi: „Sein [erg.: Paulus'] Anliegen in Rom 12,1 ist es gerade, den Begriff der λογική λατρεία umzudeuten und neu zu füllen. 'Das soll euer geistiger Kult sein', schließt Paulus den Vers ab. Was nämlich? Das 'Darbringen des Leibes'" (Kult 62). 73 Vgl. besonders Evans, Worship 19; außerdem z.B.: Kühl, Römer 414; Betz, Grundlagen 212; Stuhlmacher, Römer 167. 74 Vgl. besonders Käsemann, Römer 313.316f.; außerdem z.B.: Casel, Mystik 45; Wenschkewitz, Kultusbegriffe 127; Schlier, Wesen 86; Balz, Art. λατρεύω 852. 75 Ausgangspunkt dieser Hypothese ist die Verwendung von λογικός in CorpHerm 131; XIII 18-21; dort läßt sich im Zusammenhang mit der entsprechenden Verwendung von λόγος (vgl. besonders ΧΠΙ 18: ό σος Λόγος δι' έμοΰ ύμνεϊ σέ. δι' έμοΰ δέξαι τό παν λόγω, λογικήν θυσίαν [Text: Nock/Festugiere, Corpus Hermeticum II 208]) der Sinn von „geistlich" (= πνευματικός) belegen. Dieser „mystische" Sinn von λογικός wird dann für den zeitlich schon näheren Beleg in IPetr 2,2 in Anschlag gebracht. Als vorpaulinische Bedeutungsmöglichkeit kommt dieser „mystische" Sinn für die Vertreter der Hypothese deshalb in Betracht, weil sie in IPetr 2,2ff. alte, vorpaulinische Tradition aufgenommen sehen. - Die Konstruktion hängt also in hohem Maß am

M o d e l l einer nach außen wirkenden G e m e i n d e der „Starken"

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3. A u c h die Annahme, nach der λ ο γ ι κ ό ς i m abgrenzenden Sinn („wahr", „eigentlich") 7 6 verwendet ist, also überhaupt keine Eigenschaft der λ α τ ρ ε ί α benennt, bietet keinen plausiblen A u s w e g . Z u m einen läßt der Kontext nicht erkennen, w o v o n eigentlich abgegrenzt werden s o l l 7 7 , z u m andern stellt sich auch bei dieser L ö s u n g die Frage nach den B e l e g e n für eine entsprechende B e d e u t u n g s m ö g l i c h k e i t v o n λογικός78. D a sich λ ο γ ι κ ή λ α τ ρ ε ί α nicht als v o r g e g e b e n e r Ausdruck und λ ο γ ι κ ό ς nicht als Terminus innerhalb eines in R o m 12,1 vorausgesetzten

Vorstellungszusammen-

hangs n a c h w e i s e n läßt, die W e n d u n g f o l g l i c h als paulinische Bildung wahrscheinlich ist 7 9 , bleibt i m B l i c k auf alle drei V o r s c h l ä g e außerdem anzumerken: D a s zugehörige N o m e n λ ό γ ο ς k o m m t i m vorangehenden R o m nicht i.S. v o n „Vernunft", „Geist" oder „Wahrheit" vor, d.h. die V e r w e n d u n g des N o m e n s bot den Adressaten jedenfalls keinen Anlaß, das Adjektiv λ ο γ ι κ ό ς in einer der drei erwähnten B e d e u tungen zu verstehen. E r s t a u n l i c h e r w e i s e wird in der D i s k u s s i o n v o n R o m 12,1 e i n e auf λ ό γ ο ς i.S. v o n „Sprechen", „Sprache", „Wort" b e z o g e n e B e d e u t u n g v o n λ ο γ ι κ ό ς , die imm e r h i n bei Liddell/Scott/Jones als e i n e v o n z w e i G r u n d b e d e u t u n g e n d e s A d jektivs genannt wird80, entweder nicht e r w o g e n oder v o n vornherein

ausge-

s c h l o s s e n 8 1 . D i e f o l g e n d e n H i n w e i s e v e r s u c h e n z u z e i g e n : 1. D i e z w e i t e , a l s o die auf λ ό γ ο ς i m k o m m u n i k a t i v e n Sinn b e z o g e n e , Bedeutung v o n

λογικός

k o m m t in sprachlicher H i n s i c h t als M ö g l i c h k e i t durchaus in Betracht. 2. D i e e n t s p r e c h e n d a u f g e f a ß t e W e n d u n g τ η ν λ ο γ ι κ ή ν λ α τ ρ ε ί α ν ύ μ ώ ν ( V . l c ) läßt s i c h - a u c h h i n s i c h t l i c h ihrer F u n k t i o n - i m K o n t e x t v e r s t ä n d l i c h m a c h e n .

Verständnis von λογικός = πνευματικός in IPetr 2,2; zum λογικόν γ ά λ α in IPetr 2,2 vgl. aber unten im Text. 76 Vgl. Wilckens, Römer III 6; Strack, Terminologie 297f. 77

Die Abgrenzung von allen anderen λ α τ ρ ε ΐ α ι ist durch ύμών ausgedrückt.

78

Als einziger Beleg für λογικός im Sinn von „wahr", „eigentlich" wird von Strack (Terminologie 294) TestLev 3,6 angeführt. Der himmlische Dienst der Erzengel, die für die Verfehlungen der Gerechten Sühne darbringen (3,5), wird hier folgendermaßen gekennzeichnet: ττροσφέρουσι δέ κυρίω όσμήν ε ύ ω δ ί α ς λογικήν και ά ν α ί μ α κ τ ο ν π ρ ο σ φ ο ρ ά ν (Text: de Jonge, Testaments 28). Neben α ν α ί μ α κ τ ο ς liegt an dieser Stelle aber für λογικός der Sinn von „vernünftig" (vgl. die Übersetzung von Becker, Testamente 49) näher: „The chief ground for this would seem to be that the conjunction of α ν α ί μ α κ τ ο ς with sacrifice is typically Greek, and expresses what was originally the fundamental Greek objection to animal sacrifice, the aesthetic. When λογικός is found along with it, it is likely to be expressing the Greek thought of rationality" (Evans, Worship 22 Anm. 53). 79

Mit Evans, Worship 23. Liddell/Scott/Jones unterscheiden die Bedeutung „of or for speaking or speech" von der Bedeutung „possessed of reason, intellectual" (s.v. λογικός 1056). 80

81 Vgl. z.B. Kittel, der in Übereinstimmung mit Liddell/Scott/Jones (1056) beide Grundbedeutungen nennt, aber schon vor der Diskussion der beiden neutestamentlichen Belege erklärt: „Im NT fehlt Bdtg a." (Art. λογικός 145). Vgl. auch Cranfield: „the fact (as it surely is) that the word λογικ[ή]ν is here used with reference to λόγος in its sense of 'reason' rather than to λόγος in its sense of 'word', should not be obscured" (Romans II605).

242

Analysen zur Textfunktion

1. Unter dem Gesichtspunkt der sprachlichen Frage ist zunächst der einzige weitere neutestamentliche Beleg für λογικός heranzuziehen: ώς άρτιγέννητα βρέφη τό λογικόν αδολον γάλα έτπποθήσατε, ι'να έν αύτώ αΰξηθήτε εις σωτηρίαν (IPetr 2,2). Die Bedeutung von λογικός läßt sich hier aus dem Zusammenhang mit dem im engeren Kontext verwendeten Nomen erschließen82. Die den Abschnitt 1,22-2,3 einleitende Aufforderung zur Bruderliebe wird motiviert durch den Hinweis auf die Wiedergeburt, die durch das Wort Gottes bewirkt wurde (διά λόγου ζώντος θεού και μένοντος). 1,24.25a demonstriert im Zitat die Unvergänglichkeit des Wortes, und 1,25b identifiziert explizit das unvergängliche Wort als das von den Adressaten empfangene Wort der Evangeliumsverkündigung. Die Anrede als „eben geborene Kinder" (2,2) nimmt den Hinweis auf die Wiedergeburt (1,23) wieder auf, und entsprechend korrespondiert das λογικόν αδολον γάλα, nach dem die Adressaten als „eben geborene Kinder" streben sollen, dem λόγος, der ihre Wiedergeburt bewirkte. D.h.: λογικόν αδολον γάλα steht für das Wort der Verkündigung, das mit der von ihm bewirkten Wiedergeburt nicht überholt ist, sondern seine Empfanger in bleibende Abhängigkeit von seinem weitergehenden Wirken (2,2b) stellt; λογικός bezieht sich auf dieses weitergehende Wirken des bildlich durch γάλα ausgedrückten Wortes. Noch näher als die von mehreren Exegeten vorgeschlagene, im Prinzip in dieselbe Richtung zielende Übersetzung mit „Milch des Wortes" 83 liegt darum, aber auch wegen der Parallelität zwischen λογικόν und αδολον, ein Verständnis i.S. von „sprechende, truglose84 Milch". Der Seitenblick auf IPetr 2,2 ist für Rom 12,1 natürlich nur dann relevant, wenn der Ausdruck λογικός die auf λόγος im kommunikativen Sinn bezogene Bedeutung nicht erst im Kontext von IPetr 2,2 annimmt, sondern diese Bedeutung als Möglichkeit in den Kontext hinein mitbringt85. Dafür kann man eine Reihe von Belegen anführen 86 .

82

Zu IPetr 2,2 vgl. besonders McCartney, 1 Peter 2,2 130. S. die Literaturhinweise bei McCartney, 1 Peter 2,2 128. Vgl. aber auch die Kritik an diesem Übersetzungsvorschlag bei Brox: „Bei einer Wiedergabe mit 'unverfälschter Milch des Wortes' o.a. wird die Bildstruktur unklarer gemacht als in der Vorlage" (Petrusbrief 93). 84 Statt der gängigen Übersetzung von άδολος mit „unverfälscht" hatte Usteri unter Hinweis auf δόλος in 2,1 das mehr aktivische „truglos" vorgeschlagen (Petrusbrief 85). Der Bezug beider Attribute auf die mit dem Bild (Milch) gemeinte Sache (Wort der Verkündigung) kommt so noch klarer zum Ausdruck. 83

85

McCartney ist dieser Frage nachgegangen und zu folgendem Ergebnis gelangt: Die auf λόγος im kommunikativen Sinn bezogene Bedeutung von λογικός in 1 Petr 2,2 hat im vorausliegenden Sprachgebrauch einen Anknüpfungspunkt. Zwar wird das Wort in der Regel i.S. von „vernünftig" gebraucht, aber „the very common meaning of 'rational' was often closely tied to the facility of speech" (1 Peter 2,2 132). Die enge Verbindung beider Bedeutungskomponenten wird an exemplarisch herausgegriffenen Belegen (Dionysios von Halicarnass, CompVerb 11,119; 14,108 [im Vergleich mit der Epitome z.St.]; Philo, Op 119,5; All I 10) aufgewiesen (ebd. 131f.). - M.E. kann man in der von McCartney eingeschlagenen Richtung noch einen Schritt weitergehen; Es

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

243

Eindeutig ist zunächst Plutarchs Erwähnung der zum Sprechen notwendigen Teile (μέρη λογικά) des Körpers (Coriol 38,2) 8 7 . Auch bei der Gegenüberstellung der λογική zur μουσική bei Dionysios von Halicarnass (CompVerb 11) ist nicht auf die Verbindung von „ rationality and verbal articulation"^ abgehoben, sondern λογική bedeutet einfach „Sprache" 89 . Entsprechend kommt das Wort in literaturwissenschaftlichen Zusammenhängen vergleichsweise häufig vor 90 , es ist aber nicht darauf beschränkt. So ist z.B. bei Plutarch (Marc 14,5) im Zusammenhang der Geometrie von der και λογική και γραμμική άττόδειξις die Rede. Das Nebeneinander (καί ... καί ...) zeigt, daß zwei Beweisarten gemeint sind, die auf einer Ebene liegen; die Übersetzung „proof by word and diagram" 91 gibt dies zutreffend wieder. Vereinzelt ist der auf „Sprechen", „Sprache" bezogene Gebrauch von λογικός auch bei Philo belegt. Im Zusammenhang der Auslegung der Moseberufung wird der an der eigenen Redegewandtheit und der menschlichen Redegabe zweifelnde Mose (VitMos I 83) von Gott darauf hingewiesen, daß er selbst dem Menschen den Mund gegeben und ihm Zunge, Luftröhre και τήν α π α σ α ν λογικής φωνής όργανοττοιίαν geschaffen habe (84 9 2 ). Die Übersetzung „all the organism of reasonable speech" 93 macht wenig Sinn, weil nicht der Inhalt, sondern die Kommunikation der Mose aufgetragenen Rede zur Debatte steht. Es geht um das ganze Instrumentarium für sprachliche Äußerung 94 , mit dem Gott den Menschen ausgestattet hat. Entspre-

gibt auch Belege für λογικός, bei denen, ähnlich wie in IPetr 2,2, die auf „Sprechen", „Sprache", „Wort" bezogene Bedeutungskomponente eindeutig dominiert. Die folgenden exemplarischen Hinweise beziehen sich z.T. auf das bei Liddell/Scott/Jones (s.v. λογικός I. 1056) zusammengestellte Material; ergänzend wurde eine auf der Textgrundlage der TLG CD-Rom D beruhende Konkordanz zu λογικός vom 2. Jh. v.Chr. bis zum 1. Jh. n.Chr. benutzt. 87 εϊ μηδέ τήν ψυχήν καί τόν θεόν ανευ σώματος οργανικού και διηρμοσμένου μέρεσι λογικοΐς γέγονεν ήχεΐν καϊ διαλέγεσθαι (Text: Perrin, Plutarch's Lives IV 212). 88 McCartney, 1 Peter 2,2 131. 89 Vgl. die Übersetzung von Usher (Dionysius. Essays II 83): „speech". 90 Vgl. z.B. Diodorus Siculus 26.1, wo sich die Übersetzung „literarisch" anbietet: Οϋτε ποιητής οϋτε συγγραφεύς οϋτε άλλος τεχνίτης ουδείς παραγγελίας τινός λογικής δύναται ττάσι τοις άναγινώσκουσι κατά παν εύαρεστησαι' „Neither the poet nor the historian nor indeed any craftsman in literary form can in all respects satisfy all his readers" (Text und Übers.: Walton, Diodorus of Sicily XI 176.177). Ähnlich Dionysios von Halicarnass, De imitatione 31.VI: α καϊ αύτά μεν οικεία φύσει τέρπει, ει δέ καί κερασθείη δια της τέχνης εις ένός τύπον λογικού σώματος, βελτίων ή φράσις τη μίξει γίνεται. „Wenn das, was zwar auch in seiner eigenen Erscheinungsweise erfreut, aber durch die Kunst verbunden wird zur Form einer literarischen Einheit, wird die Ausdrucksweise durch die Mischung besser" (Text: Usener/Radermacher, Dionysius Halicamaseus VI, 213f.; Übers, von mir). Vgl. außerdem Dionysios von Halicarnass, Demosthenes 24 und darüber hinaus die technische Verwendung von λογικός zur Bezeichnung jener Teilgattung der Chreia, deren Zielpunkt in einem Wort (und nicht in einer Handlung oder einer Mischung von beidem) liegt, bei Theon, Progymnasmata (in: Sprengel [Hg.], Rhetores Π, 96.18-106.3) 97.11-13; 97.16; 98.21; 99.4; 101.24.30; 102.8. 91 Perrin, Plutarch's Lives V 471. 92 Text: Cohn/Wendland, Opera IV 139. 93 Colson, Philo VI 319. 94 Vgl. ähnlich die Übersetzung „die ganze Einrichtung der Sprachorgane" (Philo dt 1241).

244

Analysen zur Textfunktion

chend legt sich der auf Kommunikation bezogene Sinn von λογικός vom jeweiligen Kontext her auch für Philo, Som 1 106 95 und Praem 2 9 6 nahe.

2. Wenn man die Wendung λογική λατρεία i.S. der erwogenen Bedeutungsmöglichkeit von λογικός, also i.S. von „sprechender" Gottesdienst97, versteht, dann ergeben sich drei für die Interpretation von 12,1 f. aufschlußreiche Gesichtspunkte. Erstens: Die leibliche Selbstübereignung der Adressaten an Gott ist als ein Geschehen begriffen, dem von sich aus Mitteilungskraft eignet. Auf diesen Punkt zielt der auf V. lb zurückbezogene, definierende Kommentarsatz in V. lc. Diese Selbstübereignung geschieht nicht nur im Bereich des Irdisch-Weltlichen, sondern sie betrifft diesen Bereich unmittelbar, sofern sie ihm Weltsegmente (σώματα) entzieht und zum „heiligen, lebendigen, Gott wohlgefälligen Opfer" zusammenfügt, diese also auch nach außen hin nicht das bleiben läßt, was sie vorher waren. Die Übereignung der Leiber, die kollektiv das „Opfer" bilden, kann sich darum nicht stillschweigend und unmerklich vollziehen, sondern nur als „sprechender" Gottesdienst, der sich Außenstehenden gegenüber bemerkbar macht. Nimmt man 12,1 als funktionales Satzgebilde ernst, dann geht es hier nicht primär um Kultkritik98 oder um Verteidigung des kultlosen Gottesdienstes99 (auch nicht um ein intentional anzusteuerndes „Tat-

Som I 103f. erwähnt den λόγος als eine von Gott zu verschiedenen Zwecken gegebene Gabe, die allerdings auch mißbraucht werden kann (105-107). Zu den Arten des Mißbrauchs gehört auch der Kampf gegen sein natürliches Wachsen: π ό λ ε μ ο ς ουν έστιν ένίοις ά σ π ο ν δ ο ς και άκήρυκτος π ρ ό ς την λογικήν φύσιν (106; Text: Cohn/Wendland, Opera III 227). Daß hier der Kampf gegen „das natürliche Wachsen der Sprache" (Philo dt VI 195) gemeint ist, ergibt sich vor allem aus dem folgenden Kontext (Som I 108). 96 Während der spezielle Teil des Gesetzgebungswerks durch die Propheten verkündet wurde, ereignete sich der Überlieferung nach die Kommunikation des allgemeinen Teils, der zehn κεφάλαια, auf wunderbare Weise: κ ε φ ά λ α ι α μεν δέκα, α π ε ρ λέγεται κεχρησμωδήσθαι ού δι' έρμηνέως, άλλ' έν τ ω ύψώματι τοϋ ά έ ρ ο ς σχηματιζόμενα και αρθρωσιν έ χ ο ν τ α λογικήν (Text: Cohn/Wendland, Opera V 336). α ρ θ ρ ω σ ι ς λογική verweist hier auf die sprachliche Artikulierung (vgl. die Übersetzung „articulate speech" bei Colson [Philo VIII 315]) i.S. der kommunikativen Kraft, die den έρμηνεύς nicht benötigt. 97 Auch Michel scheint bei der Übersetzung „dem Wort gemäßer Gottesdienst" (Römer 367) an eine auf λόγος = „Sprechen", „Sprache", „Wort" bezogene Bedeutung von λογικός zu denken, tatsächlich gemeint ist aber auch bei Michel nicht die kommunikative Kraft, sondern das offenbarungsgemäße (dem Wort Gottes) entsprechende Wesen der λ α τ ρ ε ί α (vgl. ebd. 370). 98 In dieser Richtung wird Rom 12,1 f. bekanntlich in der grundlegenden und einflußreichen Interpretation von Käsemann (Gottesdienst 198-204, besonders 201; vgl. auch ders., Römer 3 1 5 317) verstanden: Die Definition der Hingabe der σ ώ μ α τ α als Gottesdienst liegt quer zu jeder Abgrenzung eines sakralen Bereichs von dem der Profanität. - Zweifellos ist damit eine wichtige gedankliche Voraussetzung bzw. ein lmplikat des Textes getroffen; verstanden als Entfaltung dieses Implikats scheinen mir die Ausführungen von Käsemann keiner weiteren Absicherung zu bedürfen und keine Abschwächung zu vertragen (zu: Schlier, Römerbrief 358; Wilckens, Römer 6f.; Strack, Terminologie 303). Nur: Der Text zielt nicht auf Kultkritik. 99 Zu Walter, der in 12,1 „ein (scheinbares) Defizit" (Christusglaube 437) erklärt sieht: ,Auch für uns Christen gibt es eine Form von λ α τ ρ ε ί α . Kultische Handlungen der euch Heiden geläufi-

M o d e l l einer nach außen wirkenden G e m e i n d e der „Starken"

245

z e u g n i s " ) , s o n d e r n u m d e n S a c h v e r h a l t , d e n m a n s c h o n in d e r

Formulierung

von 12,1b angedeutet sehen kann11»; es geht u m die der W e l t

kommunikativ

zugewandte Seite gemeindlicher Existenz. Z w e i t e n s : W e n n d a m i t d e r Z i e l g e d a n k e v o n 12,1 z u t r e f f e n d b e s t i m m t ist, liegt der inhaltliche Z u s a m m e n h a n g 1 0 1

mit der folgenden, erst negativ,

dann

positiv formulierten A u f f o r d e r u n g (V. 2a.b) auf der Hand: Die W a r n u n g Gleichstellung mit „diesem Äon", der Appell z u m

vor

„Sich-verwandeln-Lassen"

durch die N e u s c h ö p f u n g des ν ο ΰ ς halten die Besonderheit des der W e l t zugewandten, k o m m u n i k a t i v e n Gottesdienstes fest, der p a r a d o x an beizubehaltende W e l t d i s t a n z g e b u n d e n ist. Drittens ergibt sich ein inhaltlicher Z u s a m m e n h a n g zwischen der leiblichen Selbstübereignung, zu der e r m a h n t wird, und d e m E r b a r m e n Gottes als der Autorität, in d e r diese E r m a h n u n g g e s c h i e h t . W e n n d i e S e l b s t ü b e r e i g n u n g d e r Adressatenschaft, die das Erbarmen Gottes bereits erfahren hat (11,30b),

als

ein der Welt zugewandter, „sprechender" Gottesdienst interpretiert wird, dann teilt

sie d e n

Richtungssinn

von

Gottes

Erbarmen,

das

alle ergreifen

will

(11,32). V o n d i e s e m Verständnis der λ ο γ ι κ ή λ α τ ρ ε ί α tut sich neben den oben aufgezeigten B e z ü g e n v o n 12,1 f. z u m vorangehenden R o m ein weiterer auf. Z u B e g i n n des P r o ö m i u m s (1,9) wird unter V e r w e n d u n g des Verbs λ α τ ρ ε ύ ε ι ν 1 0 2 der Gottesdienst des Adressanten gekennzeichnet, und zwar so, daß d i e s e m eindeutig eine k o m m u nikative Ausrichtung zugeschrieben ist: ... ό θ ε ό ς , ω λ α τ ρ ε ύ ω έ ν τ ω π ν ε ύ μ α τ ί μ ο υ έ ν τ ω ε ύ α γ γ ε λ ί ω τ ο ϋ υ ι ο ύ α υ τ ο ύ , ... D e r Gottesdienst des Adressanten besteht in der weltweiten Evangeliumsverkündigung, zu der er beauftragt i s t 1 0 3 . Unter d e m Gesichtspunkt ihrer Ausstrahlungskraft hat die λ α τ ρ ε ί α der Adressaten mit

gen Art sind sinnlos, von Gott selbst überholt. Unser 'sinnvoller Gottesdienst' ... vollzieht sich ... durch uns alle 'im Alltag der Welt'" (ebd. 437f.). In dieser Interpretation wird wieder das o. S. 239f. gekennzeichnete Problem greifbar: Unter der Hand wird der Satzapposition V. lc das Thema („Gottesdienst") entnommen und die Aussage über dieses Thema aus 12,1b erschlossen. 100

„Im Verbum π α ρ ι σ τ ά ν α ι ... schwingt j a die Bedeutung des [Öffentlichen und Augenfälligen mit, welche durch den Verweis auf τ α σ ώ μ α τ α ύμών als Objekte des Opfers eigens herausgestellt wird" (Bauer, Leiblichkeit 179). 101 Zum Problem s. Evans, Worship 25. 102 Das Verb λ α τ ρ ε ύ ε ι ν und das Substantiv λ α τ ρ ε ί α kommen im Rom viermal vor: 1,9; 1,25; 9,4; 12,1 (in den übrigen authentischen Paulusbriefen sonst nur noch λ α τ ρ ε ύ ε ι ν in Phil 3,3; zur Verwendung der Ausdrücke in den übrigen neutestamentlichen Schriften s. Balz, Art. λ α τ ρ ε ύ ω 849-851; zur Verwendung in außerbiblischer Literatur und in der LXX s. Strathmann, Art. λ α τ ρ ε ύ ω 58-62). Von einem λ α τ ρ ε ύ ε ι ν bzw. einer λ α τ ρ ε ί α von Christen ist innerhalb des Rom nur in 1,9 und 12,1 die Rede (zum Zusammenhang beider Stellen vgl. - unter Voraussetzung eines anderen Verständnisses von λογική λ α τ ρ ε ί α in 12,1 - Betz, Christianity 321). Demgegenüber findet sich das Verb - neben σ ε β ά ζ ε σ θ α ι - in 1,25 im Zusammenhang der Kennzeichnung des heidnischen „Gottesdienstes", der statt des Schöpfers dem Geschöpf gilt, und das Substantiv steht in 9,4 in der Aufzählung der Gaben Gottes an Israel. Die Behauptung, λατρεύειν und λ α τ ρ ε ί α seien an allen vier Stellen des Rom als „key terms" eingesetzt (Betz, ebd. 319), erscheint - gerade in Anbetracht der Zuordnung der Ausdrücke in 1,25 und 9,4 - nicht ohne weiteres plausibel. 103

Zur andersartigen Auffassung von 1,9 bei Wilckens (Römer I 78) s. o. S. 123 Anm. 94.

Analysen zur Textfunktion

246

dem λατρεύειν des Adressanten zu tun, wenngleich diese anders als jenes kein intentionales Verkündigungshandeln meint, sondern den kommunikativen Effekt, der sich mit der Übereignung von Weltsegmenten an Gott verbindet. Wie man 12,1 f. folglich im Rückbezug auf die Selbstaussage zu Beginn des Proömiums lesen kann, so bildet die Einleitung zum zweiten Hauptteil des Rom ihrerseits einen Bezugspunkt, den man in einer Selbstaussage im brieflichen Schlußteil (15,15f.)104 wiederaufgenommen sehen kann: ... έγραψα ύμΐν ... διά την χάριν την δοθεΐσάν μοι ύττό τοΰ θεοΰ εις το ειναί με λειτουργόν Χρίστου Ίησοΰ εις τα εθνη, ίερουργοΰντα τό εύαγγέλιον τοΰ θεοΰ, ϊνα γένηται ή προσφορά τών έθνών ευπρόσδεκτος, ήγιασμένη έν πνεύματι άγίω. Danach besteht der Auftrag des Adressanten, in dem auch sein Schreiben an die Adressaten gründet, in der Evangeliumsverkündigung, und diese zielt darauf, daß das „Opfer der Heiden wohlgefällig, geheiligt im heiligen Geist" sei. In 12,1 ermahnt der Adressant seine Adressaten zur Selbstübereignung an Gott, die sie zum „lebendigen, heiligen und Gott wohlgefälligen Opfer" macht. Nur wenn man 12,1b aus dem Zusammenhang mit dem übergeordneten V. la löst, läßt sich eine Diskrepanz zwischen 12,1b und 15,16 aufbauen in dem Sinn, daß im ersten Fall die Adressaten als die das Opfer Darbringenden gedacht sind und im zweiten Fall der Adressant, der durch seine Evangeliums Verkündigung das Opfer der Heiden bewirkt. Wenn man anders 12,1b versteht als Durchführung des in 12,1a dargestellten, aktuellen Sprechakts, ergibt sich ein enger Zusammenhang zwischen beiden Stellen. Der Sache nach handelt der Adressant in 12,1 f. an seinen Adressaten nämlich so, wie es der Darstellung seines umfassenderen Auftrags von 15,15f. entspricht: Sein παρακαλεϊν will ja das „Opfer" bewirken, das durch die Selbstübereignung der Adressaten an Gott zustande kommt, und solche Selbstübereignung folgt - wie der Rückbezug auf 6,12ff. zeigt aus der im Rom dargelegten Evangeliumsverkündigung. 3.3.2.5

Zusammenfassung

und

Anschlußvermutung

1. Der programmatische Einleitungspassus (12,1 f.) ist in mehrfacher Hinsicht mit dem vorangehenden Rom verbunden. Der metakommunikative Einleitungssatz (V. la) stellt das durch 11,33-36 unterbrochene Gespräch des Adressanten mit seinen Adressaten wieder her und benennt im Anschluß daran Gottes Erbarmen als die das folgende παρακαλεϊν bestimmende Autorität. D.h.: Der zweite Hauptteil des Rom schließt in linearer Hinsicht an den ersten an. Für die beiden Aufforderungssätze in V. l b und V. 2b stellen vor allem die Ausführungen in Rom 6,12ff. und in Rom 6,Iff.; 7,14ff. entscheidende Verstehensvoraussetzungen dar. D.h.: Der Einleitungsabschnitt baut in thematischer Hinsicht auf dem ersten Hauptteil auf. Der auf die λατρεία der Adressaten verweisende Kommentarsatz in V. l c erinnert an die Charakterisierung des λατρεύειν des Adressanten zu Beginn des Proömiums (1,9); beider Gottesdienst hat kommunikative Kraft. Außerdem entspricht das in 12,1 f. vollzogene sprachliche Handeln des Adressanten an 104 vgl. dazu im einzelnen o. S. 137-141.

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

247

seinen Adressaten der im brieflichen Schlußteil gebotenen Charakterisierung seines Auftrags (15,15f.). D.h.: 12,lf. steht in dichtem Zusammenhang mit Selbstaussagen des Adressanten in den brieflichen Rahmenstücken. Daraus ergibt sich: 12,1-15,13 wird eingeführt als ein fest ins Briefganze eingebundenes Stück. 2. Die wiederholte Abfolge von Aufforderungen, die den Adressaten als einzelnen gelten, und darauf zurückbezogenen Kommentarsätzen, in denen die Adressatenschaft als Kollektiv im Blickfeld ist, legt den Schluß nahe: Zwar sind die Adressaten als einzelne, aber doch auf ihr Gemeinde-Sein hin angesprochen. Die Wirkabsicht von 12,1 f. läßt sich nach den beiden Kommentarsätzen folgendermaßen konkretisieren. a. V. lc: Der Adressant will seiner Adressatenschaft deren Weltbezogenheit verdeutlichen. Dabei geht es nicht nur um jene Weltbezogenheit, die Käsemann auf den einprägsamen Nenner „Gottesdienst im Alltag der Welt" 105 gebracht hat. Es geht darüber hinaus um die Außenwirkung solcher λατρεία. Die λατρεία der Adressaten wird nicht durch eine besondere Aktion zum „sprechenden Gottesdienst"; dieser ist vielmehr mit dem παραστήσαι τά σώματα gegeben, das die Einwilligung in den vollzogenen Herrschaftswechsel über Weltsegmente meint. Dieser Gottesdienst entspricht der Autorität, in deren Namen der Adressant sein τταρακαλεϊν vollzieht: Das Erbarmen Gottes ist das Erbarmen, das die Adressaten erreicht hat, das Israel erreichen wird und das alle erreichen will. b. V. 2c: Der Adressant will seine Adressatenschaft als ein ethisch kompetentes, also auch von sich selbst in dieser Hinsicht unabhängiges Gegenüber sehen. Die Basis für solche Selbständigkeit und Unabhängigkeit hat der Adressant im vorangehenden Teil des Rom selbst dargelegt. Vor dem Hintergrund der Beziehungen, die V. l b und V. 2b vor allem mit Rom 6; 7 verbinden, ist deutlich: Die Freiheit von der Herrschaft der Sünde, die auch das Unterscheidungs- und Wahrnehmungsvermögen seiner Funktionsfähigkeit beraubt, ist die entscheidende Bedingung solcher Selbständigkeit. 3. Wenn 12,1 f. Programmcharakter zukommt, dann läßt sich von hier aus eine Vermutung über die Wirkabsicht des durch 12,lf. und 15,7-13 gerahmten zweiten Hauptteils des Rom anstellen: Der Text hat eine die Adressatenschaft als Gemeinde prägende und sie auf ihre Außenwirkung hin orientierende Funktion.

105

Gottesdienst 198 (im Orig. hervorgehoben).

248

Analysen zur Textfunktion

Unter dem Gesichtspunkt dieser auf 12,1 f. beruhenden Vermutung sind die Textpassagen ausgewählt, die in den anschließenden Kapiteln im einzelnen analysiert werden und die sich dabei als Durchführung des in 12,1 f. skizzierten Programms herausstellen werden (12,3-8; 12,14-21; 14,1-15,6). 13,1-7 und 13,8-14 bleiben zunächst deshalb unberücksichtigt, weil sich diese Abschnitte zwar der vermuteten Wirkabsicht des Briefteils im Nachhinein zuordnen lassen, sie aber andererseits doch nicht von sich aus zu erkennen geben. Der Zusammenhang des doppelseitigen Programms von 12,1 f. mit dem im zweiten Teil der Arbeit hypothetisch skizzierten Zweck, den der empirische Autor mit dem Gesamtschreiben verfolgt, liegt auf der Hand: Wenn Paulus die römischen Christen auf die potentielle Weiterverbreitung seines Evangeliums für den Fall der eigenen Verhinderung vorbereiten wollte, dann mußte ihm an ihrer Verfassung als unabhängig urteilsfähiger Gemeinde genauso liegen wie an ihrer Einsicht in die Ausstrahlungskraft ihrer gemeindlichen Existenz. Auf diesen Zusammenhang wird nach der Analyse von Durchführung (3.3.3) und Horizont (3.3.4) des Programms zurückzukommen sein (3.3.5).

3.3.3 Die Durchführung des Programms: Binnenstruktur und Außenwirkung der Gemeinde 3.3.3.1 Modell eines gemeindlichen Selbstverständnisses

(12,3-8)

Auch bei diesem Abschnitt ist mit einer Überlegung zur Textstruktur einzusetzen: In der Entscheidung zwischen der Annahme eines dreiteiligen (V. 3; V. 4f.; V. 6 - 8 ) oder eines zweiteiligen (V. 3; V. 4 - 8 ) Aufbaus liegt die entscheidende Weichenstellung für die Ermittlung der Textfunktion. V. 3 bildet einen ersten Teil. Er besteht aus einem metakommunikativen Einleitungssatz (V. 3a), einer mit einem Wortspiel zu φρονεΐν ausgedrückten, negativ und positiv entfalteten Aufforderung (V. 3ba.ß) und einem kurzen, kommentierenden Nachsatz (V. 3c). Den mit V. 4a einsetzenden zweiten Teil sehen viele Exegeten 1 0 6 mit V. 5 abgeschlossen, so daß für sie in V. 6 - 8 ein dritter Teil folgt, in dem der Hauptsatz mit einem den Modus anzeigenden finiten Verb fehlt 107 . Die siebengliedrige Aufzäh-

106 Vgl. z.B. Lietzmann, Römer 109; Lagrange, Romains 298; Michel, Römer 373; Käsemann, Römer 327 (mit der Übersetzung ebd. 319); Cranfield, Romans II 618; Wilckens, Römer III 10; Ziesler, Romans 298f.; Bosch, Corps 52 mit Anm. 1; Ortkemper, Leben 41.59. Als ausgefallener Hauptsatz nach der Partizipialkonstruktion (V. 6a) wäre dann etwa anzunehmen: „so laßt uns denn auch ein Jeder in seiner Gabe dem Ganzen dienen" (Jülicher, Römer 311). Vgl. ähnlich z.B. Ziesler: „in the Greek there is no indicative verb, and so RSV has added let us use them in order to make a proper sentence" (Romans 298). Derselbe Sinn ergibt sich, wenn man einen in V. 6a beginnenden Satz annimmt, diesen als Anakoluth übersetzt und die einzelnen Glieder der in V. 6 b - 8 angeschlossenen Liste als Aufforderungen wiedergibt. Vgl. z.B. die Übersetzung der ZB: „6 Da wir aber je nach der uns verliehenen Gnade verschiedene Gnadengaben

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

249

lung von Substantiven mit j e einer Präpositionalbestimmung (V. 6 b - 8 ) wird dann in der Regel als eine Reihe von Aufforderungen verstanden. - Im Vergleich zu dieser Auffassung, die mit einer hochgradig elliptischen Ausdrucksweise rechnen muß 1 0 8 , verdient die vereinzelt immer wieder vertretene Alternative 1 0 9 den Vorzug: Die Partizipialkonstruktion ( ε χ ο ν τ ε ς δ έ χ α ρ ί σ μ α τ α κ α τ ά την χ ά ρ ι ν την δ ο θ ε ΐ σ α ν ήμίν δ ι ά φ ο ρ α [V. 6a]) ist dem zweigliedrigen Hauptsatz mit dem indikativischen έσμέν (V. 5) untergeordnet. Übersetzen kann man dann folgendermaßen: „so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, einzeln aber Glieder voneinander, und zwar indem wir gemäß der uns gegebenen Gnade verschiedene Gnadengaben haben" (V. 5.6a) 1 1 0 . Die folgende Aufzählung (V. 6 b - 8 ) schließt an V. 6a als Entfaltung der χ α ρ ί σ μ α τ α ... δ ι ά φ ο ρ α an, dabei wird die syntaktische Verbindung mit V. 6a allerdings in zwei Schritten gelockert bzw. aufgelöst 1 1 1 . Mit der Unterordnung der Partizipialkonstruktion (V. 6a) unter έσμέν ist die Annahme eines relativ selbständigen, Imperativisch aufzufassenden dritten Teils (V. 6 - 8 ) ausgeschlossen. 12,3-8 besteht also aus einer präskriptiven Einleitung (V. 3) und einem deskriptiven Hauptteil (V. 4 - 8 ) , die jeweils aus einem Satzgefüge bestehen. Beide Teile sind durch γ ά ρ an den jeweils vorangehenden Kontext angeschlossen. Dabei hat die Konjunktion in 12,3 eindeutig eine anknüpfende und weiterführende Bedeutung 1 1 2 . Ähnlich dürfte es sich in V. 4 verhalten; jedenfalls läßt sich die Funktion von V. 4 8 nicht auf die einer Begründung zu V. 3 reduzieren. A u s der Gliederung ergibt sich für die Frage nach der Textfunktion zunächst ein negativer Schluß: D i e s e Funktion dürfte k a u m zutreffend g e k e n n z e i c h n e t sein durch Formulierungen w i e z . B . „unmittelbare M a h n u n g an die Charismatiker"113 oder „ A n w e i s u n g für h e r a u s g e h o b e n e Charismatiker" 1 1 4 oder auch „Mahnung an j e d e n einzelnen, ... seinen A u f g a b e n b e r e i c h in der G e m e i n d e zu

besitzen, sei es die Gabe der Rede aus Eingebung, so werde sie gebraucht nach Massgabe des Glaubens; 7 sei es die Gabe der Dienstleistung, so werde sie gebraucht innerhalb der Dienstleistung; ...". 108 Der schwierigste Punkt dabei ist die Annahme einer elliptisch ausgesparten Anzeige für einen Moduswechsel von V. 4f. zu V. 6 - 8 . Der Text selbst bietet keinen Anhaltspunkt, auf den sich die Annahme eines Moduswechsels stützen kann. 109 Vgl. besonders Lowrie, Romans XII 637-639; außerdem: Kühl, Römer 422f.; Baumert, Unterscheidung 187f.; Dunn, Romans II 725. - Zu früheren Vertretern dieser Alternativlösung vgl. die Hinweise bei Baumert, Unterscheidung 187f. 110 D.h.: Die Partizipialkonstruktion fügt der zuvor „angedeuteten, grundsätzlichen Gleichstellung der einzelnen Glieder ... ein neues, die Verschiedenheit trotz der Gleichheit hervorhebendes Moment" hinzu (Kühl, Römer 423). δέ hat also erläuternden Sinn (vgl. Bl/Debr/Rehk § 447.1c). 111 Durch εϊτε - ε'ίτε und den Akkusativ der Substantive (προφητείαν, διακονίαν) wird der syntaktische Zusammenhang der ersten Glieder (V. 6b.7a) an έχοντες δέ χ α ρ ί σ μ α τ α ... διάφορα (V. 6a) noch direkt ausgedrückt; die beiden folgenden Glieder behalten zwar das είτε - είτε bei, enthalten aber ein die Charismenträger benennendes Substantiv im Nominativ (V. 7b.8a); in den drei letzten Gliedern ist das spezifizierende είτε - είτε aufgegeben und der Nominativ der (weiterhin auf Charismenträger bezogenen) Substantive beibehalten. 112 Vgl. Bauer/Aland, Wb., s.v. γάρ 4., 305. 113 Michel, Römer 373. 114 Käsemann, Römer 319.

Analysen zur Textfunktion

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akzeptieren und sein Charisma für die Gemeinde fruchtbar zu machen" 115 . Für eine positive Funktionsbestimmung ist ein näherer Blick auf beide Teile von 12,3-8 erforderlich. 12,3: Die Darstellung der nun einsetzenden Kommunikationshandlung im metakommunikativen Einleitungssatz (V. 3a) setzt zwei wichtige Akzente. 1. Die Adressatenanrede (τταντί τω δντι έν ύμΐν) bündelt das, was sich bei der Analyse von 12,1 f. bereits abzeichnete 116 : Die Adressaten sind als einzelne angesprochen, aber unter dem Aspekt ihrer Zusammengehörigkeit 117 . 2. Die Berufungsinstanz, auf der das angekündigte λέγειν des Adressanten gründet, ist die ihm „gegebene Gnade". Die Formulierung erinnert an die im Präskript erwähnte „empfangene Gnade und Sendung" (1,5) 118 , anders als dort wird hier aber eindeutig exklusiv auf den Adressanten bezogen formuliert. D.h.: Dieser tritt auf als derjenige, der er durch den Empfang der ihm gegebenen Gnade geworden ist, und als solcher war er umfassend gleich zu Beginn der Superscriptio gekennzeichnet worden, nämlich als „Knecht Christi Jesu", als „berufener Apostel", als „ausgesondert zum Evangelium Gottes". In Anbetracht solcher gewichtigen Präsentation des Adressanten und seines angekündigten λέγειν überrascht der Aufforderungsinhalt (12,3b): μή ύπερφρονεΐν π α ρ ' δ δει φρονεΐν, άλλα φρονεΐν εις τό σωφρονεΐν. Dieser ist mit der vierfachen Verwendung von Verben des Stammes cppov- zwar kunstvoll ausgedrückt, der Sache nach wird aber mit der σωφροσύνη lediglich ein „distinctively Greek ideal" 119 geltend gemacht. Dabei wirkt das Mahnwort mindestens in seinem ersten, negativ gehaltenen Teil beinahe trivial: Daß es nicht ratsam ist, über das hinaus zu sinnen, was „zu sinnen sich gebührt", versteht sich jedenfalls so lange von selbst, wie denn der Maßstab für das, was „sich gebührt", offen bleibt 120 . Die eigentümlich ungezielte Aufforderung von V. 3b entspricht also der Einführung von V. 3a in keiner Weise, offenkundig stellt

115

Ortkemper, Leben 85.

116

S. o. S. 238. 117 Vgl. Lagrange: „Paul s'adresse ä chacun des Romains, ... parce qu'il va toucher le röle des individus dans la communaute" (Romains 296). 118 Die Wendung ή χ ά ρ ι ς ή δοθείσα μοι wird im brieflichen Schluß des Rom (15,15) wörtlich wieder aufgegriffen. Sie hat darüber hinaus wörtliche Parallelen in Gal 2,9 und in IKor 3,10. Rom 1,5 ist in diesem Zusammenhang wichtiger, weil die Stelle zu den Rezeptionsvoraussetzungen von 12,3 gehört. 119 Wilson, Love 140. Dieses Ideal bezieht sich sowohl auf angemessene Selbsteinschätzung wie auch auf angemessenes Verhalten (ebd. 140f.). Vgl. auch die Belege für Mahnworte aus der griechischen Popularphilosophie, die Rom 12,3b formal und inhaltlich ähnlich sind (ebd. 140). 1 20 Daß das Mahnwort kritisch an Teile der Adressatenschaft gerichtet ist, also etwa in antienthusiastischer Stoßrichtung formuliert wird (vgl. z.B. Michel, Römer 374f.; Käsemann, Römer 320), ist unwahrscheinlich: 1. wird in V. 3a betont jedes Glied des Adressatenkreises angesprochen; 2. könnte sich durch das Mahnwort in der Formulierung von V. 3b nur jemand kritisiert fühlen, der für ein ύττερφρονείν π α ρ ' ο δει φρονεΐν und gegen ein σωφρονεΐν eintritt (und das dürfte weder für Enthusiasten noch für sonst irgendjemanden anzunehmen sein).

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

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sie vielmehr einen allgemein akzeptierten Ausgangspunkt her für das, was der Adressant zu jeder im Adressatenkreis befindlichen Person sagen will121. Schon der kommentierende Nachsatz in V. 3c (έκάστω ώς ό θεός έμέρισεν μέτρον πίστεως) trägt in einem entscheidenden Punkt zur Konkretion der Aufforderung bei. Dabei legt es gerade die in V. 3b völlig offene Frage nach dem Maßstab des φρονεΐν nahe, die exegetisch umstrittene Wendung μέτρον πίστεως 122 in dem Sinn zu verstehen, den Cranfield in Auseinandersetzung mit einer Vielzahl anderer Vorschläge als den nächstliegenden gezeigt hat. Danach meint μέτρον πίστεως den im Glauben selbst bestehenden Maßstab, den Gott einem jeden mitgeteilt hat123, der folglich das φρονεΐν jedes Glaubenden bestimmt124. D.h.: Im kommentierenden Nachsatz zur Aufforderung geht es zunächst noch nicht um Unterschiede zwischen den zum Adressatenkreis gehörenden Personen125, sondern es geht zunächst einfach darum, das „richtige" φρονεΐν, also das σωφρονεΐν, an den von Gott einem jeden gewährten Maßstab des Glaubens zu binden. Selbstverständlich meint έκαστος im Zusammenhang von V. 3 ,jeden", der zum Kreis der ύμεΐς gehört. Andererseits ist der Bezug auf die Adressatenschaft in V. 3c schon nicht mehr ausgedrückt; der kommentierende Nachsatz formuliert insofern abstrakter, als der Empfängerkreis des von Gott gegebenen μέτρον πίστεως natürlich alle Glaubenden umschließt. 12,4-8: Mit der sich von der Kommunikationssituation lösenden Formulierung des Nachsatzes (V. 3c) schafft dieser einen Übergang zum Hauptteil des Stückes, in dem 1. die präskriptive in eine deskriptive Redeweise wechselt und in dem 2. das Adressaten-Ihr gar nicht mehr vorkommt. An seine Stelle tritt ein „wir" (V. 4.5), das offenkundig nicht nur Adressant und Adressaten zusam121 Der metakommunikative Einleitungssatz gilt dann also nicht nur für die unmittelbar folgende Äußerung, sondern darüber hinaus. 122 v g l . dazu Cranfield, der acht verschiedene Verstehensmöglichkeiten nennt (μέτρον 347) und diskutiert (ebd. 347-350). 123 „μέτρον is used in the sense of standard, πίστις in the sense of (Christian) faith (fides quae [hier wie ebd. 347 wohl versehentlich für: fides qua]), and the genitive π ί σ τ ε ω ς is a genitive of apposition" (μέτρον 349f.). Vgl. im Anschluß an Cranfield auch Wilckens, Römer III 1 If.; Ziesler, Romans 296. 124 Der Gegensatz zu solchem vom μέτρον π ί σ τ ε ω ς bestimmten φρονεΐν wäre dann ein φ ρ ο ν ε ΐ ν nach eigenem oder aus dem Vergleich mit anderen Menschen gewonnenem Maßstab (vgl. Cranfield, μέτρον 350). 125 Der gelegentlich kritisch zu Cranfields Auslegung geltend gemachte Hinweis auf den Ausdruck μερίζω (vgl. z.B. Dunn, Romans II 721) stellt kein wirkliches Gegenargument dar, weil μερίζω in der Bedeutung „zuteilen" (Bauer/Aland, Wb. 1022) den Gedanken an die Unterschiedlichkeit des Zugeteilten nicht notwendig einschließt. Dunn hat zwar recht mit dem Hinweis: „The fact that the μέτρον is given to each does not imply that all have the same μέτρον" (Romans II 721), aber daraus ergibt sich nicht ohne weiteres das Gegenteil (ein jeweils unterschiedliches μέτρον πίστεως). - Daß der Unterschiedsgedanke in V. 3 noch nicht ausgedrückt ist, ist festzuhalten gegen den Versuch (vgl. z.B. Hainz, Ekklesia 184 mit Anm. 7), ihn vom folgenden Kontext her in den Beginn des Abschnitts einzutragen.

Analysen zur Textfunktion

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menfassen will126, sondern abstrakter - weil über die in V. 3a dargestellten Kommunikationspartner hinausgehend - die Gesamtheit derer meint, die von Gott den „Maßstab des Glaubens" empfangen haben, also alle Glaubenden. Aus diesem Wechsel zum „wir" folgt: Der Vergleich in V. 4 - 6a und die Explikation der χαρίσματα in V. 6b-8 beziehen sich nicht direkt auf die empirische Gemeindewirklichkeit der Adressaten127, sondern V. 4 - 8 will ein für die Gemeinschaft der Glaubenden generell gültiges Modell skizzieren. Diese Modellbeschreibung verwendet das gängige, vor allem in politischen Kontexten gebräuchliche Bild vom Leib und seinen unterschiedlichen Gliedern128, das möglicherweise als bekannt vorausgesetzt wird, andernfalls aber auch aus sich selbst verständlich ist129. Die in Rom 12,4ff. gesetzten Akzente bei der Verwendung des Bildes lassen sich aus der Gegenüberstellung des zweiteiligen Vergleichs- und des dreiteiligen Anwendungssatzes erschließen. V. 4a V. 4b

καθάττερ γαρ έν ένί σώματι πολλά μέλη έχομεν, τα δέ μέλη πάντα ού την αυτήν έχει πράξιν,

V. 5a V. 5b V. 6a

ούτως

οί ττολλοϊ έν σώμά έσμεν έν Χριστώ, τό δέ καθ' εις αλλήλων μέλη, 130 έχοντες δέ χαρίσματα κατά την χάριν την δοθεΐσαν ήμΐν διάφορα

126 Vgl. Bosch, der zutreffend auf oi πολλοί in V. 5 verweist (Corps 56). 127 Selbstverständlich liegt auch keine Bezugnahme auf eine Gesamtkirche i.S. einer die Einzelgemeinden übergreifenden Institution vor (vgl. Theobald, Römerbrief Π 35). 128 v g l . das von Schweizer (Art. σώμα 1034.1037.1039.1052) zusammengestellte Material. Vgl. auch die nach Verwendungsweisen des Bildes typisierende Darstellung von Lindemann (Kirche 142-146). - Viele Exegeten sehen in Rom 12,4f. allerdings neben dem vergleichend herangezogenen Gedanken vom Leib als einem gegliederten Organismus zugleich die (wie auch immer religionsgeschichtlich zu erklärende) Vorstellung der Gemeinde als des „Leibes Christi" (IKor 12,27) aufgenommen (vgl. z.B. Käsemann, Problem 181 f.; ders., Römer 323.326; Hahn, Charisma 428f.; Klaiber, Rechtfertigung 43; Ortkemper, Leben 48f.51—58). Anders - nämlich ohne Rekurs auf die in IKor 12,27 belegte Vorstellung des σώμα Χρίστου - interpretieren z.B. Hainz, Ekklesia 184; Cranfield, Romans II 617; Wilckens, Römer III 12f.; Lindemann, Kirche 159-162. Die Entscheidung dieser Frage ist wiederum an die jeweils eingeschlagene Interpretationsperspektive gebunden: Wer autorbezogen interpretiert, wird selbstverständlich dazu neigen, einen früheren Text als Verstehensvoraussetzung für einen späteren, an andere Adressaten gerichteten Text desselben Autors in Anschlag zu bringen. Wer textbezogen interpretiert, wird sich auf das konzentrieren, was der Text seinen Adressaten zu verstehen gibt, und die Frage, ob sich für den Autor früher Formuliertes damit verband, offenlassen. Zur Differenzierung der Perspektiven vgl. die in ähnliche Richtung weisende Überlegung bei Cranfield: Es ist möglich, daß Paulus bei der Formulierung von 12,4f. die Vorstellung vom Leib Christi im Kopf hatte, aber es ist unwahrscheinlich, daß die römischen Adressaten dem Text diese Vorstellung entnommen haben bzw. daß Paulus diese Vorstellung aus Rom 12,4f. entnommen wissen wollte (Romans II 617). 129

Das Bild vom Leib und den vielen Gliedern bezieht sich auf ein „self-evident fact" (Dunn, Romans II 722). 1 30 Das gegen die Interpunktion des Nestle/Aland gesetzte Komma entspricht der eingangs getroffenen Entscheidung zugunsten eines zweiteiligen Aufbaus von 12,3-8.

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

253

Der erste Teil des Anwendungssatzes (V. 5a) bezieht sich in einer Art von Chiasmus (in einem Leib - viele Glieder; die vielen - ein Leib) auf V. 4a zurück 131 . Weil bei dieser Umkehrung oi πολλοί als Subjekt steht, aber εν σώμα im Zusammenhang der Satzaussage, liegt das Gewicht hier auf dem Einheitsgedanken. Der aus dem Vergleichssatz übernommene Ausdruck εν σώμα wird sogleich interpretiert durch das abschließende έν Χριστφ; es zeigt, in welcher Weise das „Ein-Leib-Sein" der vielen Wirklichkeit ist, nämlich „in Christus". Danach - und nach den Überlegungen zur Bedeutung der σώματα in 12,1 132 wäre das εν σώμα der πολλοί in V. 5a also zu bestimmen als die Einheit der dem Herrschaftsbereich Christi schon inkorporierten Weltsegmente. Der zweite Teil des Anwendungssatzes (V. 5b) bezieht sich auf die ebenfalls im Vergleichssatz schon genannten „Glieder"; er hebt aber weder (im Anschluß an V. 4a) deren Vielzahl hervor, noch (im Anschluß an V. 4b) deren unterschiedliche Funktion, sondern fügt mit der Erwähnung der wechselseitigen Abhängigkeit der Glieder eine durch V. 4 nicht vorbereitete und genau genommen dazu nicht ganz stimmige 133 Aussage ein. Als ein dritter Teil des Anwendungssatzes stört V. 6a formal die Parallelität zwischen Vergleichs- und Anwendungssatz, außerdem ist hier die LeibGlieder-Metaphorik nicht mehr benutzt. Inhaltlich bildet er jedoch einen unbedingt notwendigen Teil der Anwendung 134 , χ α ρ ί σ μ α τ α ... διάφορα greift in positiver Formulierung auf οΰ την αύτήν ... πράξιν (V. 4b) zurück; erst in V. 6a wird der Unterschiedsgedanke positiv ausgewertet. Auf dem formal auffälligen Teil des Anwendungssatzes liegt also in jedem Fall das eigentliche Gewicht. Dabei hält die eingeschobene Präpositionalwendung κατά την χάριν την δοθεΐσαν ήμΐν nachdrücklich fest, daß die Unterschiedlichkeit der Charismen nicht einfach mit der Vielzahl der Träger gegeben ist, sondern vielmehr dem Wesen der χάρις entspricht, in der die χ α ρ ί σ μ α τ α gründen. Mit dem derart präzisierten Unterschiedsgedanken ist der Vergleich zu seinem Zielpunkt gekommen; entsprechend wird das Ende des Abschnitts (V. 6b-8) angeschlossen als Explikation zu χ α ρ ί σ μ α τ α ... διάφορα. Speziell unter funktionaler Perspektive fällt zur Verwendung des Ausdrucks χάρισμα in 12,6a auf: Trotz der gedrängten Kürze der Modellbeschreibung wird das Ver-

131 132

Vgl. Schmithals, Römerbrief 439.

Zu Recht weist Dunn (Romans II 726) darauf hin, daß die Interpretation des einen σώμα in irgendeiner Weise die Erwähnung der σ ώ μ α τ α in 12,1 berücksichtigen muß. 133 Vgl. Jülicher, Römer 311; Dunn, Romans II 724. Die folgende Überlegung bei Käsemann läßt die Voraussetzung des „unstimmigen" Teils des Anwendungssatzes verständlich werden: Weil „das irdische Regnum Christi ... die Christen als Glieder in sich einbezieht, sich nicht erst durch sie konstituiert, kann umgekehrt nun auch das Verhältnis dieser Glieder untereinander unter dem Aspekt eines Leibes erörtert werden" (Römer 326). 134 Mit Zahn, Römer 544; Kühl, Römer 422; Baumert, Unterscheidung 186; Dunn, Romans II 725.

A n a l y s e n zur T e x t f u n k t i o n

254

s t ä n d n i s d e s s c h o n i m v o r a n g e h e n d e n K o n t e x t d e s R o m g e b r a u c h t e n 1 3 5 , aber für 1 2 , 4 - 8 zentralen A u s d r u c k s nicht o h n e w e i t e r e s v o r a u s g e s e t z t . D e r A u s d r u c k w i r d hier v i e l m e h r vorbereitet b z w . erläutert: 1. D e r R ü c k b e z u g auf V . 4 b z e i g t , d a ß χ α ρ ί σ μ α τ α T ä t i g k e i t e n b e z e i c h n e t . 2. D i e P r ä p o s i t i o n a l w e n d u n g in V . 6 a stellt d e n Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n χ α ρ ί σ μ α τ α u n d χ ά ρ ι ς heraus, und z w a r s o , daß letztere als Q u e l l e und N o r m für erstere erscheint. 3. D i e U n t e r o r d n u n g v o n V . 6 a unter V . 5 a . b läßt j e d e n G l a u b e n d e n als C h a r i s m e n t r ä g e r e r s c h e i n e n 1 3 6 . 4 . D i e in V . 6 b - 8 a n g e s c h l o s s e n e L i s t e enthält B e i s p i e l e für χ α ρ ί σ μ α τ α . D a r a u s ergibt sich: D e r T e x t setzt n i c h t n o t w e n d i g e i n e A d r e s s a t e n s c h a f t v o r a u s , d i e s i c h selbst als G e m e i n s c h a f t v o n C h a r i s m e n t r ä g e r n v e r s t a n d 1 3 7 . B e i der a n g e s c h l o s s e n e n A u f z ä h l u n g ( V . 6 b - 8 ) stellt sich das v o n Jülicher klar gekennzeichnete Problem: Es werden „bloß noch einzelne Stichworte, die im G e m ü t haften sollen, hingeworfen", und deren Ergänzung bleibt „ d e m

Leser

überlassen"138. Für s o l c h e der R e z e p t i o n abverlangte E r g ä n z u n g s c h e i n e n sich z w e i M ö g l i c h k e i t e n g l e i c h b e r e c h t i g t g e g e n ü b e r z u s t e h e n . 1. E i n e M e h r z a h l v o n Exegeten

versteht

im

Imperativischen

Sinn,

den

z.B.

Schmithals

Ü b e r s e t z u n g f o l g e n d e r m a ß e n ausdrückt: „Sei e s die Prophetie: sie

in

seiner

geschehe

entsprechend d e m G l a u b e n ; sei es der Dienst: er g e s c h e h e i m D i e n e n ; sei es d e r Lehrer: e r b e f l e i ß i g e s i c h in d e r L e h r e " u s w . 1 3 9 . In d i e s e m Fall g e h t e s u m Aufforderungen z u m a n g e m e s s e n e n Gebrauch der Charismen; diese Aufforderungen

richten

sich indirekt an die j e w e i l i g e n Träger(kreise) der Charismen. 2.

Eine Minderheit

von Exegeten

versteht die A u f z ä h l u n g

im

indikativischen

Sinn140, den man etwa folgendermaßen wiedergeben kann141:

135 Zur Verwendung von χ ά ρ ι σ μ α in R o m 1,11; 5,15.16; 6,23; 11,29 vgl. Herten, Charisma 76-79. 136 Das in έ χ ο ν τ ε ς enthaltene Subjekt ist „wir, die vielen" aus V. 5a. 137 v g l . anders Dunn, der als „striking fact" hervorhebt, „that Paul can so confidently take it for granted that congregations he had neither founded nor visited would be charismatic" (Romans Π 726). - M.E. läßt der Text nicht erkennen, von welcher Voraussetzung sein Autor hinsichtlich der tatsächlichen Gemeindewirklichkeit bzw. des tatsächlichen gemeindlichen Selbstverständnisses der Adressatenschaft ausgeht. 138 Römer 311. Jülicher ahmt in seiner Übersetzung den Stichwortcharakter des Textes treffend nach: „etwa prophetische Rede: nach M a ß g a b e des Glaubens; oder Dienstleistung: im Dienen; oder wer Lehrgabe hat: im Lehren" usw. (ebd.). 139 Römerbrief 435. Weitere Exegeten, die im Imperativischen Sinn verstehen, s. o. S. 248 Anm. 106. 140 Vgl. Kühl, Römer 422f.; Schlatter, Römer 151 (Schlatter übersetzt indikativisch, er gewinnt dem Text bei der Auslegung dann allerdings auch eine Imperativische Seite ab [ebd. 152]); Dunn, R o m a n s II 725; im Zusammenhang einer im übrigen andersartigen Auslegung vgl. auch Baumert, Unterscheidung 186. 141 Beim folgenden Vorschlag geht es lediglich um die Möglichkeit einer indikativischen Wiedergabe von V. 6 b - 8 , nicht um Entscheidungen zur genauen Bedeutung der aufgezählten Charismen (zur Diskussion der Bedeutung der aufgezählten Einzelglieder vgl. außer den Kommentaren z.B. Bosch, Corps 6 1 - 7 2 ; Hainz, Ekklesia 185-192 und besonders Ortkemper, Leben 185-192).

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

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V. 6 „und zwar, indem wir gemäß der uns gegebenen Gnade verschiedene Gnadengaben haben, sei es Prophetie, die in Entsprechung zum Glauben wirkt; V. 7 sei es Dienst, der in der Dienstleistung wirkt; sei es der Lehrende, der in der Lehre wirkt; V. 8 sei es der Ermahnende, der in der Ermahnung wirkt; der Mitteilende in Lauterkeit; der Fürsorgende in Eifer; der sich Erbarmende in Fröhlichkeit." In diesem Fall bildet die Liste einen Bestandteil der V. 4 - 8 umfassenden Modellbeschreibung. Sie zeigt konkretisierend, wie die χ α ρ ί σ μ α τ α ... διάφορα zum Ausdruck kommen, inwiefern die Glaubenden Glieder voneinander sind (V. 5b), und damit, wie es in dem die „vielen" Glaubenden umfassenden „Leib in Christus" (V. 5a) zugeht 142 . Bei der Entscheidung zwischen beiden Möglichkeiten ist zu beachten, daß der Text dem Leser zwar die Ausfüllung der Ellipsen überläßt, ihn aber doch gleichzeitig dabei lenkt. Das entsprechende Signal, das deutlich die Ausfüllung im indikativischen Sinn nahelegt, liegt in V. 6a: „Der Satz wird nicht von einem Imperativ, sondern von einem Indikativ getragen: 'wir haben diese Gnadengaben'" 143 . Nach der eigentlichen Spitze im Vergleich mit dem Leib und den Gliedern ist weit eher eine nähere Ausführung zu erwarten als eine Reihe von indirekt an die Charismenträger gerichteten und nicht als solcher gekennzeichneten Aufforderungen. Wenn man V. 6 b - 8 in diesem deskriptiven Sinn liest, lassen sich die an die Charismen bzw. Charismenträger jeweils angeschlossenen Präpositionalbestimmungen verständlich machen als Kennzeichnung der Erscheinungsweise des jeweiligen Charisma: Die prophetische Rede ergeht in Entsprechung zum (gemeinsamen Stand im) Glauben 144 ; die Charismen der διακονία, des διδάσκων, des π α ρ α κ α λ ώ ν ereignen sich in den entsprechenden Handlungen (also im Vollzug der Dienstleistung, der Lehre und der Ermahnung) 145 ; bei den drei letzten, nicht mehr durch είτε angeschlossenen Charismen wird statt der Handlung, durch die sie zum Zuge gebracht werden, der Modus (die Haltung des Charismenträgers) genannt, in dem sie praktiziert werden (Lauterkeit, Eifer, Freundlichkeit). Eine genauere Bestimmung der die Charismen bezeichnenden Ausdrücke bereitet Schwierigkeiten.

142 vgl. Dunn: „The point then of the following phrases is that they are a description of the Christian congregation functioning as 'one body in Christ'" (Romans II725). 143

Schlatter, Gottes Gerechtigkeit 338. Die häufig vertretene Auffassung von πίστις i.S. der fides quae (vgl. z.B. Käsemann, Römer 329; Schlier, Römerbrief 370; Ortkemper, Leben 73) dürfte mit der Imperativischen Auffassung von V. 6 b - 8 zusammenhängen; κ α τ ά την ά ν α λ ο γ ί α ν τ η ς π ί σ τ ε ω ς würde dann das Kriterium benennen, nach dem prophetische Rede geschehen soll. 145 Vgl. ähnlich Dunn, der die Präpositionalbestimmungen von V. 7 - 8 a im Rückbezug auf die im Vergleichssatz den Gliedern zugeschriebenen π ρ ά ξ ε ι ς (V. 4b) auslegt (Romans II 725). 144

A n a l y s e n zur Textfunktion

256

δ ι α κ ο ν ί α meint „Dienste für die G e m e i n d e i m weitesten S i n n e " 1 4 6 , läßt sich also w e d e r auf ein bestimmtes Tätigkeitsfeld n o c h auf eine bestimmte Tätigkeitsweise (Wort oder Tat) e i n g r e n z e n 1 4 7 , ό π α ρ α κ α λ ώ ν , ό μ ε τ α δ ι δ ο ύ ς , ό π ρ ο ϊ σ τ ά μ ε ν ο ς können j e w e i l s in z w e i unterschiedlichen B e d e u t u n g e n aufgefaßt w e r d e n 1 4 8 . M i n destens für das letzte Glied der Liste (ό ε λ ε ώ ν έ ν ϊ λ α ρ ό τ η τ ι ) wäre zu fragen, o b es hier überhaupt n o c h u m eine spezielle Tätigkeit geht oder o b damit eine Verhalt e n s w e i s e angesprochen ist, die v o n j e d e m Christen erwartet werden kann. In dies e m Fall würde das letzte Glied s c h o n über die unterschiedlichen

Gnadengaben ( V .

6a) hinaus- und z u m f o l g e n d e n Abschnitt hinführen. D i e fehlende Konturenschärfe der einzelnen Ausdrücke, die auch die Grenzen z w i s c h e n den j e w e i l s bezeichneten Sachverhalten v e r s c h w i m m e n läßt149, kann zu der Schlußfolgerung führen: „ D i e offenbar bestehenden Grenzen z w i s c h e n d i e s e n A u f g a b e n s i n d heute

kaum noch nachzuvollziehen"150. W e n n man je-

d o c h die Liste als Teil der mit V . 4 einsetzenden Modellbeschreibung, also i m deskriptiven Sinn, liest, dann läßt sich d i e f e h l e n d e Konturenschärfe s o w i e die ( m i n d e s t e n s für das S c h l u ß g l i e d a n z u n e h m e n d e ) E n t g r e n z u n g auf alle Christen hin durchaus interpretieren, und z w a r unter d e m A s p e k t der Funktion, die d e m M o d e l l i m Z u s a m m e n h a n g der brieflichen K o m m u n i k a t i o n z u k o m m t . D i e B e s c h r e i b u n g d e s „ L e i b e s i n C h r i s t u s " , d e n „ w i r " , u n d d . h . hier: a l l e G l a u b e n d e n , d a r s t e l l e n , w i r d e n t w i c k e l t , d a m i t d i e A d r e s s a t e n ihr e i g e n e s Z u -

146 147

Ortkemper, Leben 76. - Anders z.B. Cranfield, Romans II 622f.; Wilckens, Römer III 15.

Der Hinweis, in dieser allgemeinen Bedeutung habe „das Wort neben den umstehenden keine konturierte Funktion" (Wilckens, Römer III 14), kann kaum als Gegenargument gelten. 148 Der π α ρ α κ α λ ώ ν kann als jemand aufgefaßt werden, der ermahnt, ebenso aber auch als jemand, der Trost zuspricht. Mit dem μ ε τ α δ ι δ ο ύ ς kann jemand gemeint sein, der von seinem eigenen Vermögen „mitteilt" (vgl. z.B. Lagrange, Romains 300; Dunn, Romans II 730), aber auch jemand, der Spenden weiterreicht (vgl. z.B. Käsemann, Römer 330). προϊστάμενος schließlich kann den Sinn von „Vorsteher" haben (vgl. Käsemann, ebd.: „verschiedene organisatorische Aufgaben"; ähnlich: Theobald, Römerbrief II 45), läßt sich aber auch im Sinn von „Fürsorger" verstehen (vgl. z.B. Lagrange, Romains 300; von Dobschütz, Thessalonicher-Briefe 216; Michel, Römer 379; Dunn, Romans II 731). Ortkemper (Leben 81-83) versucht, zwischen beiden Bedeutungsmöglichkeiten zu vermitteln. 149 Z.B.: π α ρ ά κ λ η σ ι ς läßt sich nur schwer von π ρ ο φ η τ ε ί α abgrenzen (vgl. Dunn, Romans II 730). Ebenso schwierig ist die Abgrenzung zwischen einem έλεών und einem μ ε τ α δ ι δ ο ΰ ς (i.S. eines aus seinem Vermögen Mitteilenden) oder einem π ρ ο ϊ σ τ ά μ ε ν ο ς (i.S. eines Fürsorgenden). Ein großer Überschneidungsbereich schließlich besteht zwischen διακονία (im weiten Sinn von „Dienst") und allen folgenden Charismen. Den Überschneidungen versucht ein Gruppierungsvorschlag (vgl. z.B. Wilckens, Römer III 15) unter den Oberbegriffen π ρ ο φ η τ ε ί α und διακονία (V. 7b.8a entfalten ersteres; V. 8b.c.d entfalten letzteres) Rechnung zu tragen; nur zeigt das vierfache είτε (V. 6b-8a), daß der Text nicht in diesem nach Gruppen geordneten Sinn begriffen sein will. Nebenbei fällt auf (auch wenn der Sachverhalt im Rahmen einer funktionalen Analyse nicht ausgewertet werden kann): Gerade die drei besonders schwer zu konturierenden Ausdrücke der Liste von Rom 12,6b-8 (διακονία, ό π α ρ α κ α λ ώ ν , ό έλεών) haben in den von Schürmann synoptisch dargestellten, vergleichbaren paulinischen Listen (Gnadengaben 386f.) keine Parallelen (διακονίαι in IKor 12,5 ist selbstverständlich ein Oberbegriff wie χ α ρ ί σ μ α τ α [IKor 12,4] und ε ν ε ρ γ ή μ α τ α [IKor 12,6]). Herten, Charisma 82 (Hervorhebung von mir).

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

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sammenleben in einer diesem Modell entsprechenden Weise verstehen. Der Text will offenkundig nicht auf faktische Gemeinderealität Bezug nehmen, sondern er will ein gemeindliches Selbstverständnis vermitteln, das dann entsteht, wenn die Adressaten dieses Modell für sich gelten lassen. Solcher Applikation kommt die Charismen-Liste gerade in ihrer Unscharfe entgegen. Tatsächlich geht es ja nicht darum, daß die Adressaten möglichst klar erkennen, was z.B. διακονία ist und wer genau zum Trägerkreis dieses Charisma gehört oder was die παράκλησις von der προφητεία unterscheidet 151 . Der entscheidende Punkt ist vielmehr: Die Adressaten sollen tatsächliche Vollzüge von spontanen oder regelmäßigen Handlungen, die ihrer Gemeinschaft bzw. einzelnen von ihnen zugute kommen, als Charismen verstehen, also als Auswirkungen der differenziert zugeteilten Gnade Gottes; damit verbindet sich dann natürlich ein Verständnis aller einzelnen als Charismenträger. Gerade die Unschärfe der Bezeichnungen sowie die mindestens für das Schlußglied (V. 8d) anzunehmende Entgrenzung gibt den Adressaten die Chance, das Modell des in seinen unterschiedlichen Gliedern wirksamen einen Leibes in Christus in ihrer eigenen Wirklichkeit zu entdecken und dabei sich selbst und alle anderen Adressaten als Charismenträger auszumachen. D.h.: Der Text legt es den Adressaten nahe, das Modell als ganzes auf sich zu beziehen, also ihre eigene Gemeinschaft nach diesem Modell zu verstehen. Solcher Applikation kommt die abschließende Aufzählung von Charismen entgegen. Die Analyse von 12,3-8 läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. In dem durch einen metakommunikativen Einleitungssatz (V. 3a) eingeführten und zweiteilig (V. 3; V. 4 - 8 ) gebauten Passus hat die zunächst allgemein gehaltene Mahnung zur Besonnenheit (V. 3b) und auch der Hinweis auf den jedem zugeteilten Glauben als Maßstab solcher Besonnenheit (V. 3c) eine auf V. 4ff. hinführende Bedeutung. Die Besonnenheitsmahnung stellt einen völlig unstrittigen Ausgangspunkt her. Der präzisierende Hinweis auf den Glauben als Maßstab ermöglicht den Übergang zu dem in V. 4ff. skizzierten Modell des alle Glaubenden umfassenden „Leibes in Christus": Wer sein φρονεΐν an dem von Gott zugeteilten Maßstab des Glaubens bemißt, muß sich selbst als Glied an dem alle Glaubenden umfassenden „Leib in Christus" erkennen 152 . 2. Der Imperativische erste Teil zielt also auf Einstimmung jedes einzelnen Adressaten in ein Modell, das faktisch schon gilt - für alle Glaubenden, also auch für die Adressatenschaft - und das daher indikativisch dargestellt wird (V. 4ff.). Dieses Modell betont die Pluralität der Funktionen, die die differenziert mit der Gnade begabten Glieder im einen Leib

151 152

Vgl. Dunn, Romans II 730. Zum Übergang von V. 3c zu V. 4ff. vgl. ähnlich Cranfield, μέτρον 351.

258

Analysen zur Textfunktion wahrnehmen (V. 6a). In der anschließenden Liste (V. 6b-8) werden diese Charismen exemplarisch entfaltet; dabei trägt gerade die fehlende Systematik und die fehlende Konturenschärfe in den Bezeichnungen für die einzelnen Charismen dazu bei, daß die Adressaten Vollzüge aus ihrer eigenen Gemeindewirklichkeit in der Liste „wiederentdecken", diese dann als Auswirkungen der differenziert zugeteilten Gnade verstehen und so zu einem gemeindlichen Selbstverständnis im Sinn des skizzierten Modells gelangen. D.h.: Das Modell hat nicht primär eine mahnende, sondern eine konstitutive Funktion.

3. Wenn man von dieser Sicht der Funktion des Modells ausgeht, erklärt sich nicht nur die Anrede des metakommunikativen Einleitungssatzes (V.3a), die die Adressaten als einzelne unter dem Aspekt ihrer Gemeinschaft anspricht, sondern auch die Darstellung des Adressanten: Die gewichtige Berufung auf die „mir gegebene Gnade", mit der sich der Adressant seinen Adressaten gegenüberstellt153, entspricht der gemeindekonstitutiven Funktion seines im folgenden vollzogenen sprachlichen Handelns. 3.3.3.2

Das Zeugnis „vor allen Menschen"

(12,14-21)

Der Analyse von 12,14-21 sind zwei Feststellungen zum Verhältnis zum vorangehenden Kontext vorzuschalten: 1. Die mit 12,4 einsetzende modellhafte Beschreibung des einen „Leibes in Christus" ist erst in 12,13 abgeschlossen. Von 12,14 an wird präskriptiv formuliert. 2. Thematisch ist 12,14-21 mit dem vorangehenden Abschnitt insbesondere durch 12,9 verbunden. - Beide Feststellungen sind begründungsbedürftig. Zu 1.: Gegen die Annahme eines Neueinsatzes in 12,14 scheint folgende Beobachtung zu sprechen: Beide Abschnitte, 12,9-13 und 12,14-21, weisen eine übereinstimmende sprachliche Besonderheit auf, nämlich die Verwendung des „Imperativischen" Partizips (12,9b.c. 1 Ob. 1 lb.c. 12a.b.c. 13a.b. 1 öa.b.c. 17a.b. 18. 19a)154. Sobald man jedoch genauer auf die Funktionsweise dieser Partizipien

153 Die Tatsache, daß sich der Adressant bei der Darstellung des Modells unter dem Aspekt der „uns gegebenen G n a d e " (V. 6a) mit den Adressaten und allen anderen Glaubenden zusammenschließt, ändert nichts an der Feststellung zu V. 3a. 154 v g l . Bl/Debr/Rehk § 468.2b: Das Partizip im Nominativ kann Imperativischen Sinn annehmen, obwohl es grammatisch nicht mit einer regulären Imperativ-Form verbunden ist. Durchweg werden die genannten Stellen aus R o m 12 zum Kreis der neutestamentlichen Belege für das „Imperativische" Partizip gerechnet (vgl. außer den Kommentaren z.B.: Moulton, Grammar I 180; Daube, Note 480f.; Meecham, Participle 207; Salom, Participle 45; Bl/Debr/Rehk § 468 Anm. 5; Kanjuparambil, Participles 285 Anm. 1; von Lips, Traditionen 380f.). Im Blick auf die sprachgeschichtliche Erklärung des Phänomens wird auf der einen Seite hebräischer (bzw. aramäischer) Einfluß angenommen (grundlegend für diese These ist die Arbeit von Daube, Note 4 6 7 - 4 8 8 ; vgl. ferner Barrett, Participle 165f.; Kanjuparambil, Participles 2 8 5 - 2 8 8 ) , auf der anderen Seite wird

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im Kontext 155 achtet, tut sich eine Differenz zwischen den Abschnitten 12,9ff. und 12,14ff. auf. 12,14ff.: Die finiten Verben in 12,14 (ευλογείτε, ευλογείτε, μή καταράσθε) führen die auf die Adressaten bezogene 2. Person Plural (zuletzt: έν ύμΐν in 12,3) wieder ein und kennzeichnen den Modus der Rede durch die Imperativformen. Die hier und in den folgenden Imperativen der 2. Person Plural (12,16c.19b) ausgedrückten Signale werden bei der Rezeption der folgenden nicht-finiten Verbformen, also der Infinitive in V. 15 und der Partizipien in V. 16-19, gleichsam automatisch in Anspruch genommen156. 12,9ff.: In diesem Abschnitt ist den nicht-finiten Verbformen, also den Partizipien (und den Adjektiven [V. lOa.lla]), kein Modus-Signal direkt vorgeschaltet157. Das letzte finite Verb findet sich vielmehr in 12,5, und dabei handelt es sich um eine 1. Person Plural Indikativ. Im Zusammenhang mit den Überlegungen zur Struktur von 12,3—8158 läßt sich die Anbindung von 12,9-13 an den vorangehenden Abschnitt folgendermaßen darstellen. V. 5 οϋτως oi πολλοί εν σώμά έσιιεν έν Χριστώ, τό δέ καθ' εις αλλήλων μέλη, V. 6 Εχοντες δέ χαρίσματα κατά την χάριν την δοθεϊσαν ήμΐν διάφορα, είτε προφητείαν κατά την άναλογίαν της πίστεως, V. 7 είτε διακονίαν έν τή διακονία, είτε ό διδάσκων έν τή διδασκαλία, V. 8 εϊτε ό παρακαλών έν τή παρακλήσει· ό μεταδιδούς έν άπλότητι, ό προϊστάμενος έν σπουδή, ό έλεών έν ίλαρότητι. V. 9 Ή άγάπη άνυπόκριτος. ά πο στυγρ ύντες τό πονηρό ν, κολλώμενρι τφ άγαθω, V. 10 τή φιλαδελφία εις άλλήλους φιλόστοργοι, τή τιμή άλλήλους προηγούμενοι, V. 11 τή σπουδή μή οκνηροί, τω πνεύματι .ζέοντες, τω κυρίω δουλευρντες Die Darstellung zeigt: Das Subjekt, auf das sich die Partizipien bzw. die Adjektive in 12,9b—13 beziehen, ist nicht unmittelbar „ihr", also die Adressatenschaft, soneine Erklärung aus hellenistischem Sprachgebrauch vertreten (vgl. besonders Moulton, Grammar I 180-183.223; außerdem: Meecham, Participle 207f.; Salom, Participle 41-49). 155 Zum Perspektivenwechsel von der sprachgeschichtlichen zur funktionalen Betrachtungsweise der „Imperativischen" Partizipien vgl. besonders deutlich Thuren: „In order to learn how they [erg.: die ersten Adressaten] were expected to understand the text, I argue that a new kind of investigation of the communicative and interactive function of these expressions is needed" (Rhetorical Strategy 4f.). Vgl. auch Wilson, Love 156. 156 Vgl. ähnlich von Lips, Traditionen 381. 157

Anders von Lips, der V. 9a (ή άγάπη ανυπόκριτος) dieselbe Funktion zuweist wie V. 14 (Traditionen 381). V. 9a kann aber den Imperativischen Sinn der folgenden Partizipien und Adjektive nicht anzeigen, weil hier kein Modus- und Personsignal ausgedrückt ist. 158 S. o. S. 248f.

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Analysen zur Textfunktion

dem „wir", also die im einen „Leib in Christus" zusammengeschlossenen Glaubenden (V. 5a), die „Glieder voneinander" sind (V. 5b) und „verschiedene Gnadengaben" haben (V. 6a) 159 . Diese werden in V. 9ff. gezeigt als „das Schlechte Verabscheuende", als „am Guten Hängende" usw. Die partizipialen bzw. adjektivischen Formulierungen sind darum nicht einfach identisch mit expliziten Imperativen160. Andererseits impliziert die deskriptiv gehaltene Aufzählung von positiv gewerteten Einstellungen und Verhaltensweisen im Zusammenhang eines Modells, das die Adressaten auf sich beziehen sollen, natürlich die Aufforderung, diesen Einstellungen und Verhaltensweisen zu entsprechen 161 , was aber - wiederum andererseits den primär deskriptiven Sinn der Partizipien bzw. Adjektive in V. 9 - 1 3 nicht in Frage stellt.

Aus den grammatischen Überlegungen ergibt sich: Die in V. 9-13 geltend gemachten Verhaltensweisen gehören mit hinzu zu jenem Gemeindemodell, das der Adressatenschaft in 12,3-8 eingeprägt wird. Die „Imperativischen" Partizipien (und die Adjektive) sind in einem primär deskriptiven Sinn gebraucht, wobei das Modell als ganzes natürlich auch Aufforderungscharakter hat. Anders erfolgt die Fortsetzung in 12,14ff. in einer direkt präskriptiven Redeweise. Zu 2.: 12,9a (ή αγάπη ανυπόκριτος) hat eine doppelte Verbindungsfunktion. Der Satz bildet zum einen die Überleitung von 12,3-8 zu 12,9-13 und stellt zum andern eine vorweggenommene Klammer zwischen 12,9-13 und 12,1421 dar. Mit der Liebe wird gegenüber 12,3-8 kein neues Thema eingeführt, da implizit mindestens am Ende der vorangehenden Aufzählung der Charismen bzw. deren Trägern (V. 6b-8) von Liebe bereits die Rede war 162 . Innerhalb von 12,9-13 führen vor allem 12,10.13 dieses Thema weiter. Gerade im Blick auf diese Verbindungsfunktion von 12,9a fällt nun aber auf: Die implizite Thematisierung der Liebe im Zusammenhang der Charismenreihe geschieht unter innergemeindlichem Aspekt 163 , 159 Vgl. die Darstellung von 12,4-15 bei Bultmann (Diatribe 75f.). Dort liegt zwar hinsichtlich des Übergangs von 12,5 zu 12,6 und der Zuordnung von 12,9a sowie des Übergangs von V. 13 zu V. 14 ein anderes Verständnis als das hier vertretene zugrunde, aber der in diesem Zusammenhang interessante Punkt, nämlich die Gleichrangigkeit von εχοντες δέ ... δ ι ά φ ο ρ α (V. 6a) und den partizipialen bzw. adjektivischen Wendungen von V. 9b—13, kommt auch dort zum Ausdruck. 160 v g l . die Übersetzungsvorschläge bei Dunn (Romans II 738) und Wilson (Love 162), die auf explizite Imperative verzichten. 161 Vgl. Wilson: „It is important to bear in mind that the verbs here are not true imperatives but must be interpreted as such" (Love 162). Vgl. aber auch schon Kühl (als Möglichkeit): „Vielleicht ist es [erg.: das Stück] aber auch als allgemeingültige Charakteristik gedacht, die als solche eine Aufforderung selbstverständlich in sich schließt. Das ergäbe eine genauere Parallele zu der Art der Aussagen in den vorigen Versen" (Römer 426). 162 Vgl. den Hinweis von Spicq: „la charite est evoquee comme une vertu bien connue" (Agape II 142). Konkretisierend meint Wilson, „love's presence in the Roman congregations" sei vorausgesetzt (Love 155). Der Tatsache, daß die Liebe wie etwas Bekanntes erwähnt wird, kann man aber auch dann Rechnung tragen, wenn man das Thema implizit schon in 12,8 angesprochen sieht. 163

12,6a-8 steht unter dem Aspekt des αλλήλων μέλη von V. 5b.

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und dasselbe gilt natürlich für 12,10.13. In 12,10 ist der Binnenaspekt durch die Formulierung (φιλαδελφία, φιλόστοργος) sogar besonders hervorgehoben 164 . Anders geht aus der abstrakten Formulierung von V. 9a nicht hervor, wem die Liebe gelten soll. Daraus ist zu schließen, daß hier „als Gegenstände der Liebe die Menschen ohne Unterschied gedacht sein" müssen 165 . Die Bruderliebe in V. 10 wird also als eine spezielle Form der αγάπη geltend gemacht 166 , und d.h. zugleich: In 12,9a wird der Blickwinkel gleichsam für kurze Zeit über den den engeren Kontext bestimmenden Aspekt der innergemeindlichen Verhältnisse hinaus geöffnet und ein Einschluß der Beziehungen ad extra, die erst in 12,14-21 behandelt werden, angedeutet. Die implizite Aufforderung zu ungeheuchelter Liebe 167 stellt so nicht nur die Überleitung von 12,3-8 zu 12,14-21 dar, sondern bildet zugleich eine vorweggenommene Verbindung zwischen 12,9-13 und 12,14-21. An dieser Klammerfunktion hat das folgende, noch weiter verallgemeinernde Paar von Partizipialwendungen (άποστυγοϋντες τό ττονηρόν, κολλώμενοι τώ άγαθω [12,9b.c]) 168 teil: Der Gegensatz von „Gutem" und „Schlechtem" wird in 12,17 (κακόν, καλά) und in 12,21 (κακόν, αγαθόν) wieder aufgegriffen. Für die Annahme, daß V. 9b.c zusammen mit V. 9a so etwas wie einen für beide folgenden Abschnitte (V. ΙΟΙ 3.14-21) gültigen Leitaspekt nennt, spricht auch die Tatsache, daß das „Gute" im programmatischen Passus 12,1 f. bereits eingeführt war, und zwar als Bestimmung des Willens Gottes (V. 2)lfi9. Zusammenfassend ist zu dem 12,14-21 vorangehenden Kontext festzuhalten: Das logische Subjekt, dem in V. 9 - 1 3 partizipial und adjektivisch Verhaltensweisen und Einstellungen zugeschrieben werden (Ausnahme: V. 9a), ist immer noch das „wir" aus V. 4f., also die Gesamtheit der Glaubenden. V. 9 - 1 3 muß darum als Fortsetzung der Modellskizze gelten, die das Leben des die vielen Glieder umfassenden „einen Leibes in Christus" umschreibt. Thematisch liegt in dieser Skizze das Gewicht zunächst auf den durch unterschiedliche Träger bzw. Trägerkreise ausgeübten Funktionen innerhalb des „einen Leibes" (V. 6 8), es verlagert sich dann auf Verhaltensweisen und Einstellungen, die allen unterschiedslos zugeschrieben werden (V. 9 - 1 3 ) . Die Modellskizze als ganze hat aber auch Aufforderungscharakter: Der Verfasser, der sich mit ihr an jede zur Adressatenschaft gehörende Person richtet (12,3a), beschreibt darin den „einen Leib in Christus" als eine Wirklichkeit, in die die Adressaten schon 164 Zur Kombination von φ ι λ α δ ε λ φ ί α und φ ι λ ό σ τ ο ρ γ ο ς als zweier „typically family words" s. z.B. Dunn, Romans Π 740f. (Zitat ebd. 741). 165

Zahn, Römer 549. 166 Vgl. Furnish, Love C o m m a n d 104.

167 Hinsichtlich des nicht ausgedrückten M o d u s von 12,9a lassen sich die eben angestellten Überlegungen zu den „Imperativischen" Partizipien in V. 9 b - 1 3 übertragen: Die an sich vieldeutige W e n d u n g ohne finites Verb (die man im Deutschen ebenso vieldeutig wiedergeben kann: „Die Liebe ohne Heuchelei") ist Teil der Modellbeschreibung und schließt eine Aufforderung ein. 168 Von den folgenden partizipialen und adjektivischen Wendungen unterscheidet sich V. 9b.c nicht nur inhaltlich durch den hohen Allgemeinheitsgrad, sondern auch formal durch die Voranstellung der Partizipien und die deutliche antithetische Zuordnung. 169 Vgl. Söding: „τό α γ α θ ό ν ist... inhaltlich vom Willen Gottes her gefüllt" (Liebesgebot 243).

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Analysen zur Textfunktion

einbezogen sind (die Adressaten gehören mit zu den „wir" aus V. 4f.), der sie aber auch ihrerseits entsprechen sollen. Mit dem Wechsel von der 1. Person Plural zur 2. Person Plural in 12,14 vollzieht sich zugleich der Wechsel in eine direkt präskriptive Redeweise170. In 12,3-13 sind durchweg gemeindeinterne Funktionen, Verhaltensweisen und Einstellungen genannt (in V. 1 lf. auch solche, die nicht Beziehungen zwischen Menschen betreffen). Nur der unpersönlich formulierte, von den Funktionen zu den Verhaltensweisen überleitende V. 9a öffnet kurz die Perspektive: Die „Liebe ohne Heuchelei" läßt sich neben der bald darauf erwähnten Bruderliebe (V. 11) keinesfalls auf die Beziehung zu Mitchristen einschränken. Genauso unabhängig vom jeweiligen Gegenüber ist die Festlegung auf das „Gute" (V. 9b.c); 12,14-21 kommt darauf unter dem Aspekt von erfahrener Feindseligkeit durch Nichtchristen zurück. Mitten in der Modellskizze, durch die die Adressaten als Gemeinde geprägt werden sollen, lassen die generellen Formulierungen von V. 9 also Platz für den Gedanken an die Beziehungen ad extra und schaffen so eine Basis für deren Behandlung in 12,14-21. 12,14-16: Daß sich mit dem formalen Wechsel von 12,13 zu 12,14 ein thematischer Wechsel von den Binnen- zu den Außenverhältnissen vollzieht, ist unbestritten. Demgegenüber gilt als fraglich, ob diese Perspektive ad extra im gesamten Abschnitt 12,14-21 durchgehalten wird171 oder ob V. 15f. den Blickwinkel erneut auf die Binnenverhältnisse einschränkt172. Eine solche Einschränkung erscheint zunächst für V. 15 (χαίρειν μετά χαιρόντων, κλαίειν μετά κλαιόντων) einfach deshalb unwahrscheinlich, weil sie vom Text in keiner Weise angezeigt wird173. Der vorangehende V. 14 hatte den Blick nicht nur allgemein auf Außenstehende gelenkt, sondern sogleich einen denkbar problematischen Grenzfall, nämlich die Verfolger, die die Christen aktiv bedrängen und gefährden 174 , geltend gemacht. Wenn die Adressaten

170 Dabei fällt auf: Im direkt präskriptiv gehaltenen Stück V. 14-21 wechselt das „Imperativische" Partizip außer mit expliziten Imperativen mit einer alten Ersatzform des Imperativs, nämlich dem Infinitiv (V. 15 [zum Infinitiv im Imperativischen Sinn vgl. Bl/Debr/Rehk § 389]). Im formal deskriptiven, und nur indirekt präskriptiven Stück V. 9-13 wechselt das „Imperativische" Partizip nicht mit einer Verbform, sondern mit Adjektiven (V. lOa.l la). 171 In dieser Richtung vgl. besonders Cranfield, Romans II 641-645; vgl. tendenziell auch Käsemann, Römer 335. Ortkemper z.B. sieht zwar in V. 15, aber nicht in V. 16 den Gedanken an Nichtchristen eingeschlossen (Leben 103f.). 172 In dieser Richtung vgl. z.B. Michel, Römer 387; Schlier, Römerbrief 379-381; Wilckens, Römer III 23; von Lips, Traditionen 386; Legasse, Vengeance 284; Söding, Liebesgebot 244f. 173 Vgl. Jülicher: „... will man für V.15 den stillen Vorbehalt machen lassen: wenn die Weinenden Heiden und Juden sind, laßt sie ruhig weinen; sie gehen euch nichts an?" (Römer 314). 174 Textkritisch ist das einfache διώκοντας trotz der guten Bezeugung des hinzugefügten ύμάς wahrscheinlicher, weil sich ύμάς aus dem Einfluß von Mt 5,44 als sekundäre Ergänzung erklären läßt (vgl. Cranfield, Romans II 640). Völlig identisch ist der Sinn beider Lesarten kaum (so aber Cranfield, ebd.): Starker als das einfache διώκοντας läßt διώκοντας ύμάς an eine aktuelle Be-

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in Anbetracht solchen ,,Abgrund[es] irdischer Feindschaft" 175 aufgefordert werden, die Verfolger dem Segen Gottes zu unterstellen und so der Feindschaft nicht das letzte Wort zu überlassen, dann gilt die Aufforderung zur „Solidarität mit Gottes Geschöpf ... noch mehr, wo es diesen Abgrund nicht gibt"176. Darum besteht kein Grund, die Aufforderung zur Teilnahme an Freude und Traurigkeit auf Mitchristen zu begrenzen177. Entscheidend für eine entsprechende - und auf den ersten Blick nicht ganz so eindeutige - Interpretation von V. 16 ist die Auffassung der vier Glieder des Verses als einer Einheit. Diese Auffassung legt sich wegen der dreifachen Verwendung des Stammes φρον- in V. 16a.b.d nahe178. Die beiden mittleren Glieder, eine Warnung (V. 16b) und eine Aufforderung (V. 16c), sind durch μή - άλλά verbunden; das Gewicht liegt natürlich auf der durch άλλά eingeleiteten positiven Aufforderung, für die die vorgeschaltete Warnung die Folie bildet. Gerahmt sind diese beiden Glieder wiederum von einer Aufforderung und einer Warnung (V. 16a.d); nur steht dabei die Aufforderung voran. Diese erste Aufforderung (τό αυτό εις άλλήλους φρονοΰντες) bezieht sich zweifellos auf das einmütige Trachten der Adressaten untereinander179. Die beiden mittleren Glieder führen aber nun weiter und zeigen, welche Richtung solchem einmütigen φρονεΐν nicht angemessen ist bzw. welche Richtung ihm angemessen ist180. Vor dem Hintergrund unangemessenen Hochmuts (τά ύψηλά φρονεΐν) bezeichnet V. 16c das angemessene Verhalten als τοις ταπεινοΐς συναπάγεσθαι. In der Auslegung dieses durch V. 16b hervorgehobenen Gliedes, das sich überdies durch den Verzicht auf eine Formulierung mit cppovvon den drei übrigen abhebt, ist die Auffassung von τοις ταπεινοΐς als Neu-

drängnissituation der Adressaten denken; demgegenüber läßt die Lesart ohne ύμάς die „Verfolger" als eine selbstverständlich und überall vorhandene Gefährdung der Christen erscheinen. 175 176

Käsemann, Römer 335. Käsemann, Römer 335.

177 Die Verwendung desselben Motivs unter eindeutig innergemeindlicher Perspektive in IKor 12,26 kann natürlich nicht als Gegenindiz gelten (zu Schlier, Römerbrief 380; Söding, Liebesgebot 245 Anm. 71). 178 Zum Aufbau von V. 16 vgl. Schmithals, Römerbrief 450; Wilson, Love 179f. 179 Die Formulierung von V. 16a ist derjenigen von Rom 15,5 (τό ά υ τ ό φρονεΐν έν άλλήλοις κ α τ ά Χριστόν Ίησοΰν) besonders ähnlich. Es liegt nahe, das εις άλλήλους in V. 16a so aufzufassen wie έν άλλήλοις in 15,5, nämlich i.S. von „untereinander"; vgl. die Übersetzungen z.B. bei Wilckens, Römer III 17 und Dunn, Romans II 736. Sinngemäß damit übereinstimmend, aber sprachlich vielleicht noch etwas genauer, Lietzmann: „seid eines Sinnes gegeneinander" (Römer 110). 180

Anders z.B. Wilson: V. 16 als ganzer enthält eine Warnung vor Hochmut und einen Appell zur Eintracht, und beides gilt, „even when this involves menial tasks or associating with people held in low esteem by society at large" (Love 180). V. 16c läßt sich aber wohl kaum in dieser Weise als Grenzfall herabstufen, vielmehr zielt die angemahnte Eintracht untereinander geradezu auf das τοις τ α π ε ι ν ο ϊ ς σ υ ν α π ά γ ε σ θ α ι .

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Analysen zur Textfunktion

trum 181 oder als Maskulinum 182 problematisch und oft diskutiert. Dabei dürften die für die zweite, die ταπεινοί auf Personen beziehende, Deutung vorgetragenen Argumente als gewichtiger gelten können 183 . (Selbst wenn man den Ausdruck aber als Neutrum auffaßt, ist sein Bezug auf sozial schwache, geringgeschätzte Personen übrigens nicht ausgeschlossen 184 .) Entscheidend ist nun, daß diese als ταπεινοί bezeichneten Personen nicht auf Glieder des Adressatenkreises und nicht einmal auf Christen eingeschränkt sind 185 . Im Anschluß an V. 15 mit der Erwähnung von χαίροντες und κλαίοντες stellt vielmehr die Beziehung der ταπεινοί auf sozial niedrig gestellte Personen allgemein - gleichgültig, ob Christen oder nicht - die nächstliegende Auffassung dar 186 . D.h.: Wie in V. 15 geht es weiterhin um eine die Grenze der Gemeinde übergreifende Solidarität. In diesem Sinn läßt sich das hervorgehobene dritte Glied (V. 16 c) als Explikation der ersten positiven Aufforderung in V. 16a begreiflich machen: Die Solidarität mit den gering Angesehenen, im sozialen Sinn „Niedrigen", ist der Inhalt des einmütigen Trachtens, zu dem die Adressatenschaft in V. 16a aufgefordert wird. Wie sich die beiden positiven Aufforderungen aus V. 16 aufeinander beziehen lassen, so auch die beiden Warnungen: Das Trachten nach den ύψηλά (V. 16b) ist die Tendenz jener Selbstklugheit, vor der die Adressaten in V. 16d gewarnt werden (μή γίνεσθε φρόνιμοι π α ρ ' έαυτοΐς). In V. 16d geht es also nicht primär um eine Warnung vor Individualismus, der die in V. 16a angemahnte Einheit stört, sondern um eine Warnung vor einer sich selbst verhafteten Vernünftigkeit 187 , die der angemahnten Solidarisierung mit den „Niedrigen" entgegensteht. 12,17-19a: Insgesamt fordert 12,14-16 die Adressatenschaft auf zu unterschiedlichen Formen der aktiven Hinwendung zu verschiedenen Menschengruppen (Verfolger, Menschen in extremen Alltagssituationen, Menschen auf

181 Vgl. z.B. Michel, Römer 388; Schlier, Römerbrief 380; zögernd auch Ortkemper, Leben 105. 182 Vgl. z.B. Lagrange, Romains 307; Käsemann, Römer 335; Cranfield, Romans II 644; Wengst, Demut 432. 183 1. Das einzige Argument für τοΐς ταττεινοϊς als Neutrum, nämlich der Gegensatz zu τ α ύψηλά, verliert an Gewicht in Anbetracht der festen Verbindung von (τα) ύψηλά und φρονεΐν (vgl. ύψηλοφρονεΐν [ITim 6,17] und die v.l. zu Rom 11,20). 2. Das Neutrum τ ά ταπεινά kommt im Neuen Testament und in der LXX nur ein einziges Mal vor (Ps 137,6), οί ταπεινοί wird dagegen häufig gebraucht. 3. συναπάγεσθαι (vgl. Gal 2,13; 2Petr 3,17) läßt eher an Personen als an Verhältnisse denken. 184 Zutreffend verweist Ortkemper (Leben 105 Anm. 212) auf IKor l,27ff., wo Ausdrücke im Neutrum Plural eindeutig für Personen stehen. 185 Anders gehen unter denjenigen Exegeten, die die ταπεινοί auf Personen beziehen, mehrere ganz selbstverständlich von solcher Einschränkung auf Christen aus (vgl. z.B. Schmithals, Römerbrief 450; Wengst, Demut 432). 186 Vgl. Käsemann, Römer 335 und besonders Cranfield, Romans II 644. 187 Vgl. Wengst: „eine Klugheit, die ... das eigene Interesse im Auge hat, die sich 'oben' orientiert" (Demut 432).

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der unteren Stufe der sozialen Hierarchie). Weil es sich dabei entweder ausschließlich (Verfolger) um Nichtchristen handelt oder Nichtchristen doch jedenfalls eingeschlossen sind, geschieht die im Zentrum des Abschnitts 12,1421 vorgenommene Verallgemeinerung auf „alle Menschen" jedenfalls nicht unvorbereitet. Das Gewicht dieser Verallgemeinerung ergibt sich aus der konzentrischen Gestaltung des Kernstücks des Abschnitts, die Wilson 188 zutreffend beschrieben hat. V. V. V. V. V.

17a μηδενί κακόν άντ\ κακοΰ άποδιδόντες, 17b προνοούμε γρι καλά ένώπιον πάντων ανθρώπων· 18a εί δυνατόν τό έξ ύμών, 18b μετά πάντων άνθρώπων εϊρηνεύοντες19a μή εαυτούς έκδικοΰντες, αγαπητοί

Zwei Verbote, die inhaltlich übereinstimmend auf Vergeltungsverzicht zielen (V. 17a.l9a), umklammern zwei Aufforderungen, die jeweils aus einem Partizip und dem durch eine Präposition eingeleiteten πάντων άνθρώπων bestehen und sich chiastisch zueinander verhalten. Die davon umschlossene doppelte Einschränkung mit direkter Adressatenanrede (εί δυνατόν τό έξ ύμών) gehört zu V. 18b; sie schränkt nicht die Aufforderung zum Friedensbemühen ein, wohl aber die Aussicht auf den Erfolg, der sich mit solchem Bemühen nicht notwendig verbindet. Das sprachlich stark ausgearbeitete Mittelstück von V. 14-21 geht von der Möglichkeit, daß Außenstehende den Adressaten Schlechtes zufügen, als Selbstverständlichkeit aus 189 ; die beiden Verbote (V. 17a.l9a) beziehen sich ja auf die daraufhin eigentlich naheliegende Reaktion des άποδιδόναι κακόν bzw. des έκδικεΐν. Auf den ersten Blick scheinen sich Verbot und Aufforderung in V. 17a.b und in V. 18b. 19a jeweils mehr oder weniger direkt zu entsprechen: μηδενί κακόν άντί κακού αποδίδοντες / προνοούμενοι καλά ένώπιον πάντων άνθρώπων μετά πάντων άνθρώπων είρηνεύοντες / μή έαυτούς έκδικοΰντες, άγαπητοί Tatsächlich ist das aber nicht der Fall: 1. ενώπιον πάντων άνθρώπων (V. 17b) benennt, anders als μηδενί (V. 17a), nicht die Objekte des Verhaltens, sondern das Forum, vor dem sich das προνοεΐσθαι καλά abspielt 190 . 2. 188

Love 187.

189

Ähnlich wird in V. 14 selbstverständlich mit Verfolgern gerechnet.

190

Der Sinn von 12,17b wird oft anders beurteilt. 1. Viele Exegeten sehen ένώπιον π ά ν τ ω ν ά ν θ ρ ώ π ω ν als einen Ersatz für eine (dann dem μηδενί aus V. 17a korrespondierende) Dativ-Angabe, d.h.: π ά ν τ ε ς άνθρωποι sind potentielle Empfänger des Guten, auf das die Adressaten bedacht sein sollen (vgl. z.B. Michel, Römer 390; Käsemann, Römer 336; Wilckens, Römer III 24; Ortkemper, Leben 107). Die Verwendung von ένώπιον kommt aber dieser Annahme rein lexikalisch kaum entgegen: Zu Recht weist Cranfield darauf hin, daß die bei Bauer/Aland (Wb., s.v. ενώπιον 4., 547) für die Verwendung von ένώπιον statt des einfachen Dativs angeführten Belege

266

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ττρονοεΐσθαχ καλά (V. 17b) und είρηνεύειν (V. 18b) setzen nicht an die Stelle der verbotenen Vergeltung eine andere Form der Reaktion, sondern benennen ein initiatives und grundsätzlich gültiges Verhalten191. Die beiden Verbote und die beiden Aufforderungen verbinden also unterschiedliche Sachverhalte miteinander: Es geht zum einen um Vergeltungsverzicht, und dabei wird die Erfahrung von Unrecht durch Außenstehende als jederzeit möglich vorausgesetzt. Es geht zum andern darum, den Lebenswandel im doppelten Sinn öffentlich zu halten - sowohl in dem Sinn, daß sich das Friedensbemühen auf „alle Menschen" als mögliches Gegenüber richtet, als auch in dem Sinn, daß „alle Menschen" als mögliche Beobachter des „Guten" gelten. Damit ist zumindest die Möglichkeit eines positiven Effekts des προνοεΐσθαι καλά bzw. des είρηνεύειν vorausgesetzt, auch wenn sich dieser Effekt - wie V. 18a ausdrücklich festhält - keineswegs zwangsläufig einstellt. 12,19b-21: Wie V. 14-16 hinführt zu den „alle Menschen" betreffenden Aufforderungen im Zentrum des Abschnitts (V. 17b. 18b), so schließt V. 19b21 an den Gedanken des Vergeltungsverzichts an, den die umgebenden Verbote (V. 17a. 19a) zum Ausdruck bringen. V. 17-19a stellt sich damit als Knotenpunkt des Abschnitts heraus. V. 19a (άλλα δότε τόπον τη όργή) benennt im direkten Anschluß (μή άλλά) an das Verbot aus V. 19a einen Gegensatz zur Vergeltung, der zugleich eine Begründung enthält: Eigene Rache ist Übergriff auf einen Gott allein vorbehaltenen Bereich. Zugleich stellt der Hinweis auf Gottes Gericht klar, daß das Vergeltungsverbot keineswegs mit einer Verharmlosung erlittenen Unrechts einhergeht192. Die Aufforderung, Gottes Zorn Raum zu geben, wird anders gelagert sind (Romans Π 645 Anm. 5). Auf jeden Fall ist ενώπιον in dem Rom 12,17b zugrundeliegenden Text LXX Prov 3,4 (και ττρονοοϋ κ α λ ά ενώπιον κυρίου και ανθρώπων) nicht anstelle des einfachen Dativs verwendet. Dasselbe gilt für die Verarbeitung von Prov 3,4 in 2Kor 8,21b: προνοοϋμεν γαρ καλά ού μόνον ένώπιον κυρίου άλλά και ένώπιον ανθρώπων. 2. Gelegentlich wird ένώπιον πάντων άνθρώπων nicht mit προνοούμενοι καλά insgesamt, sondern nur mit καλά verbunden, so daß sich der Sinn ergibt: „Die Christen sollen vielmehr auf das, was in den Augen aller Menschen gut und edel ist, bedacht sein" (Zahn, Römer 553; vgl. Furnish, Love Command 107; Dunn, Romans II748). Mit Wilckens (Römer III 24) ist zu fragen, ob die Aufforderung in diesem Sinn nicht anders (etwa so, wie Wilckens [ebd.] vermutet) formuliert sein müßte. Vor allem reibt sich die Interpretation mit der Tatsache, daß καλά (als Äquivalent zu αγαθόν) über den 12,17 vorangehenden Kontext (12,2.10) schon andersartig festgelegt wurde: τό ά γ α θ ό ν gehört in 12,2 in die Umschreibung des Gotteswillens und dürfte in diesem Sinn in 12,10 und 12,17 (durch καλά) wiederaufgenommen sein. - Plausibler erscheint datum für ένώπιον die gängige Bedeutung „vor" und für die präpositionale Wendung ένώπιον πάντων άνθρώπων die Verbindung mit προνοούμενοι καλά insgesamt, so daß sich als Sinn von 12,17b ergibt: „that Christians are to take thought for, aim at, seek, in the sight of all men those things which (whether they recognize it or not) are good" (Cranfield, Romans II646; vgl. auch Zeller, Römer 211). 191 Im Fall von προνοούμενοι καλά in der Gegenüberstellung zu αποδίδοντες ist geradezu sprachlich unterstrichen, daß es nicht um ein reaktives Verhalten geht, sondern um ein Verhalten, auf das sich das handelnde Subjekt schon vorab festlegt. 192 vgl. Schottroff: „Der Vergeltungsverzicht bedeutet nicht, daß das Unrecht siegt" (Kaiser 31).

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mit einem explizit als solchem eingeführten Schriftzitat193 begründet. Das nach der Zitateinleitung (V. 19c) eigentümliche, abschließende λέγει κύριος hebt das schon in V. 19d.e betonte „ich" (έμοί, εγώ) zusätzlich durch die explizite Identifikation mit Gott hervor194. V. 20 schließt ein nicht kenntlich gemachtes Schriftzitat195 mit άλλά an V. 19 an. Näher als eine auf V. 19a rückbezügliche Auffassung dieses άλλά, das dann parallel zu V. 19b der verbotenen Vergeltung einen zweiten Gegensatz zuordnen würde196, liegt es, άλλά i.S. von „aber" zu verstehen und auf diese Weise V. 20 mit der vorangehenden Aufforderung von V. 19b (άλλά δότε τόπον τη όργη) verbunden zu sehen 197 . Inhaltlich schließt V. 20 dann ein naheliegendes Mißverständnis der vorangehenden Aufforderung aus. Die Aufforderung, die Vergeltung Gott zu überlassen, könnte falsch verstanden werden i.S. einer Aufforderung zum Rückzug und zum passiven Abwarten198. Demgegenüber macht V. 20a.b eine Handlungsweise geltend, die zwar konkret nicht ständig, sondern speziell in einer Notsituation des Feindes durchführbar ist, die aber zeigt, daß sich Vergeltungsverzicht prinzipiell nicht im Abwarten erschöpft, sondern mit der Bereitschaft verbindet, dem Feind Gutes zu tun. Der kommentierende Nachsatz in V. 20c (τούτο γάρ ποιών άνθρακας πυρός σωρεύσεις έπι την κεφαλήν αύτοϋ) nennt kein zusätzliches Motiv für solche

193

Zum Zitat aus Dtn 32,35, das mit Hebr 10,30b übereinstimmt und vom MT und der LXX abweicht, s. Koch, der auf ein vorpaulinisch mündlich tradiertes und verbreitetes Logion schließt (Schrift 77f.). - Das Zitat greift im ersten Teil (έμοί έκδίκησκ) terminologisch auf V. 19a (μή εαυτούς έκδικοϋντες) zurück, und im zweiten Teil (έγώ άνταποδώσω) auf V. 17a (μηδενϊ κακόν άνιϊ κακού άποδιδόντες). Die Zusammengehörigkeit der beiden Verbote (V. 17a. 19a), die sich bei der Darstellung der konzentrischen Struktur von V. 17-19a abzeichnete, wird also durch das Zitat unterstrichen. 194 Zur Annahme paulinischer Herkunft des (in Hebr 10,30 fehlenden) λέγει κύριος s. Koch, Schrift 139. 195 Bis auf das einleitende άλλά und das durch ψώμιζε ersetzte τρέφε stimmt Rom 12,20 wörtlich mit LXX Prov 25,21.22a überein. 196 So z.B. Zeller, Römer 212; Koch, Schrift 271 Anm. 10; Legasse, Vengeance 288. Vgl. auch die Übersetzung von άλλά in V. 20 mit ,,[v]ielmehr" bei Wilckens (Römer III 17); ein άλλά i.S. von „vielmehr" kann V. 20 nur mit V. 19a verbinden. (Anders allerdings Wilckens' Erklärung, die gerade auf einen durch άλλά ausgedrückten Gegensatz zwischen V. 19b—f und V. 20 abhebt [ebd. 26]). 197 Mit Dunn, Romans II 750. Gegen die alternative Auffassung spricht: 1. V. 19b—f und V. 20 sind nicht parallel formuliert, dem Leser wird also nicht angezeigt, daß er V. 20 (wie V. 19b—f) direkt im Kontrast auf V. 19a zurückbeziehen soll. 2. Anders als V. 19b bildet V. 20a.b inhaltlich keine genaue Entsprechung zum unbedingten Verbot, sich selbst zu rächen, sondern setzt eine bestimmte Situation, nämlich die Notsituation des Feindes, voraus. 198 Vgl. ähnlich Klassen, Coals 346; Dunn, Romans II 750f. - Gerade die nachdrückliche Hervorhebung des Ichs Gottes im Zitat von V. 19d.e könnte zu einem Mißverständnis in dieser Richtung beitragen.

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Bereitschaft 199 , sondern beschreibt, was faktisch geschieht, wenn dem Feind in einer Notsituation geholfen wird. In der Auslegung dieses Nachsatzes stehen sich bekanntlich zwei Grundtypen gegenüber 200 . Der erste bringt die „glühenden Kohlen" in irgendeiner Weise mit Gottes Gericht in Zusammenhang und sieht mit dem Bild als ganzem ein negatives Geschick des Feindes angezeigt201. Anders stehen im zweiten Auslegungstyp die „glühenden Kohlen" bildlich für ein die Sinnesänderung des Gegners bewirkendes Mittel, und das Bild als ganzes weist auf die Möglichkeit, den Feind durch Wohltaten zu Scham, Reue und eventuell zur Umkehr zu bringen202. - Der erste Interpretationstyp wird gegenwärtig nur noch vereinzelt vertreten. Tatsächlich stößt eine entsprechende Auffassung von V. 20c auf deutlichen Widerstand im Kontext: 1. Ein Gegenindiz ist zunächst der durch άλλά angezeigte Anschluß von V. 20 an V. 19203 2. Nachdem in V. 19 mit äußerstem Nachdruck die Vergeltung des Unrechts Gott allein vorbehalten blieb, kann es in V. 20 nicht um eine irgendwie geartete „Mithilfe" der Adressaten gehen. 3. Die „negative" Deutung von V. 20c reibt sich mit der Aufforderung, die Verfolger zu segnen (V. 14). Die Tatsache, daß es in V. 20c nicht um die Feinde schlechthin, sondern anders als in V. 14 um den notleidenden Feind geht, treibt das Spannungsverhältnis auf die Spitze. 4. Wären die Wohltaten dem Feind gegenüber in V. 20c positiv mit Gottes Vergeltung korreliert, dann schlösse V. 21 kontaktlos an. So eindeutig sich die „negative" Auslegung von V. 20c vom Kontext her ausschließen läßt, so schwierig bleibt die präzisere Erfassung des bildlich ausgedrückten Inhalts von V. 20c im Sinne der „positiven" Auslegung. Das gilt vor allem deshalb, weil der in der Diskussion immer wieder geltend gemachte Hinweis auf ein ägyptisches Bußritual, bei dem glühende Kohlen in einem Becken zum Zeichen der Reue auf dem Kopf getragen werden 204 , für das Verständnis von Rom 12,20c 199 Durch den vorangehenden Kontext ist die zweiteilige Aufforderung von V. 20a.b hinreichend motiviert: Wenn die Adressaten grundsätzlich als „Anhänger des Guten" (V. 9) angesprochen sind, die „niemandem" auf Böses mit Bösem antworten sollen (V. 17a), dann gilt dies auch in der besonderen Situation, in der es möglich ist, dem Feind Gutes zu tun. 200 Zur Auslegungsgeschichte vgl. Klassen, Coals 338-345. 201 Im einzelnen unterscheiden sich die am „negativen" Lösungstyp orientierten Vorschläge hinsichtlich der Zuordnung des in V. 20c bildlich beschriebenen Handelns des Christen zum Gericht Gottes. Z.B.: Schottroff sieht in diesem Handeln eine „sichtbare Ankündigung des Zornes Gottes" (Kaiser 32). Nach Stendahl bilden die dem Feind erwiesenen guten Taten eine Vergrößerung seiner Schuld, die am „Tag des Zorns" vergolten werden wird (Hate 348; vgl. ähnlich Spicq, Agape 155). Zeller verzichtet auf eine Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln des Christen und dem Gericht über den Feind und meint vergleichsweise unbestimmt: „'glühende Kohlen' sind ... Bild für Gottes Strafgericht, das sich jetzt schon 'über dem Haupt' des Feindes zusammenzieht" (Römer 212). 202 Vgl. z.B. Käsemann, Römer 336f.; Cranfield, Romans II 649f.; Wilckens, Römer III 26; Stuhlmacher, Römer 177. Eine Art Vermittlungsvorschlag versucht Legasse: Zwar sei der Gedanke der „charite positive envers l'ennemi" dominant, aber sekundär werde auch der Gedanke des Gerichts (im Anschluß an V. 19b-f) geltend gemacht (Vengeance 289f.; Zitat ebd. 289). 2 °3 Zutreffend bemerkt Dunn: „to read the contrast as 'Leave your enemy to God, but try to increase his guilt by your acts of kindness' strikes a jarring note" (Romans II 751). 204 Vgl. dazu Morenz, Kohlen 187-192; Klassen, Coals 343f.

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nichts austrägt: Der Text deutet kein Verständnis der „glühenden Kohlen" als Zeichen eines vollzogenen oder sich aktuell vollziehenden Sinneswandels an. Außerdem: Selbst wenn dem Autor Paulus das Ritual bekannt gewesen wäre, bliebe ein entsprechendes Wissen der Adressaten höchst zweifelhaft; auf der Ebene der brieflichen Kommunikation spielt das Ritual also keine Rolle 205 .

In Anbetracht der Schwierigkeit einer genaueren Erhellung von V. 20c und in Anbetracht der Tatsache, daß das Bild offenkundig das zuvor angemahnte Verhalten interpretieren soll (τοΰτο γαρ ποιών ...), erscheint es sinnvoll, mit Zahn vom Vergleichspunkt zwischen nicht-bildlich (V. 20a.b) und bildlich (V. 20c) ausgedrücktem Verhalten auszugehen: „Der Vergleichspunkt zwischen dem hier gebrauchten Bild und dem daneben geforderten Verhalten des Gehaßten gegen seinen Hasser liegt... in der Unerträglichkeit"206. Das Bild interpretiert das von den Adressaten geforderte Verhalten als Herbeiführen eines für den notleidenden Feind auf Dauer unerträglichen Zustands, den dieser durch eine Veränderung seiner Haltung (bildlich und wörtlich) beenden kann. D.h.: Die Wohltaten am notleidenden Feind führen diesen in eine Krise. Mehr läßt sich dem die Sache interpretierenden Bild nicht entnehmen. Dabei enthält das so verstandene Bild den Gedanken an die Möglichkeit, daß der Feind aus der Krise, die das Verhalten des von ihm Gehaßten verursacht, als „NichtFeind" hervorgeht, aber es handelt sich dabei nur um eine Implikation, auf der jedenfalls nicht das Schwergewicht liegt207. Der Abschnitt schließt mit einer in sich abgerundeten Sentenz: μή νικώ ύπό τοϋ κακοΰ άλλα νίκα έν τω άγαθώ τό κακόν (12,21). Sie behält die individualisierende und generalisierende Anrede in der 2. Person Singular aus V. 20 bei und greift mit dem Kontrast von „Gutem" und „Bösem" auf V. 9b. 17 zurück. Inhaltlich bietet der Schlußsatz nicht nur eine Zusammenfassung, vielmehr bringt die Erwähnung des Bösen als einer Macht mit Angriffscharakter einen Gedanken ins Spiel, der in V. 14-20 noch nicht formuliert war, wohl aber in 12,2 in anderer Terminologie eine Rolle gespielt hat208. Das (von wem auch immer zugefügte) Böse kann insofern zu einer den Empfänger des Bösen 205 Dunn denkt an einen vermittelten Einfluß des Rituals, das Paulus nicht notwendig bekannt gewesen sein müsse: „Since so much of Proverbs is derived from or shared with Egyptian wisdom ... it may be sufficient that the original awareness that something positive was meant by the metaphor was transmitted with the metaphor i t s e l f (Romans II 751). Die Vermutung ist schwer kontrollierbar, denn die Argumente für den „positiven" Sinn von Rom 12,20c ergeben sich j a aus dem Kontext. Insofern läßt sich nicht entscheiden, ob das Bild diesen positiven Sinn schon aus dem zitierten, möglicherweise ägyptisch beeinflußten (vgl. dazu Morenz, Kohlen 19If.) Text Prov 25,21 f. mitbringt. 206 Römer 554. 207 Zu Recht warnt Käsemann vor einer ungebrochenen optimistischen Interpretation von V. 20c (Römer 337), nach der der positive Effekt auf den Feind gleichsam als gewährleistet gelten kann. 208

Auf einen Zusammenhang zwischen 12,21 und 12,2 weist auch Schlier (Römerbrief 384)

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besiegenden Macht werden, als Böses normalerweise mit Bösem vergolten zu werden pflegt, der Empfänger des Bösen also selbst vom Bösen funktionalisiert wird, das auf diese Weise an Kraft gewinnt. Die Warnung von V. 21 will verhindern, daß die Adressaten solchen Sieg des Bösen über sich selbst zulassen209. Entsprechend ist die Aufforderung zum Besiegen des Bösen mit dem Guten zu verstehen: Die Adressaten sollen das Böse um seine Normalwirkung bringen und ihm Gutes entgegensetzen210, das dem Bösen den von ihm beanspruchten Raum versagt. Der Schlußsatz gibt dem Vergeltungsverzicht, der in V. 19b—21 entfaltet wird, auf diese Weise einen ganz bestimmten Sinn: Vergeltungsverzicht ist ein Zurückdämmen des Bösen 211 aufgrund der Durchführung des dem Willen Gottes entsprechenden Guten212. Insgesamt wird in 12,19b—21 der in V. 17a. 19a gebotene Vergeltungsverzicht also in dreifacher Weise expliziert: als Anerkennung des Gott allein vorbehaltenen Rechtes auf Vergeltung (V. 19b-f); als eine Haltung, die gleichwohl nicht in Passivität verharrt, sondern sich mit der Bereitschaft zur Hilfeleistung an den Feind verbindet und mit solcher Hilfeleistung diesen in eine Krise zu führen vermag; als ein Zurückdämmen der expandierenden Macht des BöDie Analyse von 12,14-21 läßt sich folgendermaßen zusammenfassen. 1. Im Unterschied zum vorangehenden Kontext besteht der Abschnitt 12,14-21 aus direkt an die Adressaten gerichteten Ermahnungen. Diese Ermahnungen stehen durchgehend unter der Perspektive des Verhaltens ad extra. Diese Perspektive wird andeutend vorbereitet durch die Öffnung des Blickwinkels im grundsätzlich formulierten V. 9. Der eigentliche Knotenpunkt von V. 14-21 liegt im konzentrisch aufgebauten Zentrum V. 17-19a, in dem sich der Verfasser betont um den Kontakt mit seinen Adressaten bemüht (V. 18a: εί δυνατόν TO έξ ύμών; V. 19a: αγαπητοί nur hier im Rom als Anrede). Dieses Zentrum enthält zwei Aufforderungen zu einem „alle Menschen" als Forum und als (potentielles) Objekt betreffenden Verhalten (V. 17b. 18b), und darauf führen die

2 °9 Der hier vorausgesetzten Anziehungs- und Expansionstendenz des Bösen entspricht in 12,2 die Anziehungskraft „dieses Äons", dem sich die Adressaten nicht angleichen sollen. 210 Mit dem „Guten" kann hier wie in 12,2 (und 12,9b) nur das dem Willen Gottes Entsprechende gemeint sein. 211 Der Gedanke an den Feind als Person tritt in 12,21 also ganz zurück hinter dem Gedanken an „das Böse" als den eigentlichen Feind (vgl. Lagrange, Romains 309). 212 Man kann fragen, ob sich nach dem vorangehenden Kontext für V. 21b nicht auch der Gedanke an einen möglichen positiven Effekt des Guten auf die Person des Feindes nahelegt (so vorsichtig andeutend - Lagrange, Romains 309; eindeutiger in dieser Richtung z.B. Söding, Liebesgebot 248; vgl. auch Becker, Feindesliebe 390f.). Die Frage läßt sich begründet kaum entscheiden, fest steht nur, daß die Aufforderung nicht auf die Gewinnung des Feindes zielt, sondern darauf, sich dem Bösen nicht einverleiben zu lassen.

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vorangehenden Anweisungen zum Verhalten gegenüber unterschiedlichen Menschengruppen (V. 14-16) hin. Es enthält außerdem zwei Verbote (V. 17a. 19a), und von dem dort geltend gemachten Vergeltungsverzicht hängen die anschließenden Aufforderungen (V. 19b—21) ab. 2. Bei der Bestimmung der Wirkabsicht des Textes ist auszugehen vom Nebeneinander der beiden im Zentrum des Abschnitts verknüpften Sachverhalte, dem Vergeltungsverzicht einerseits und dem initiativen und öffentlichen Bemühen um das Gute i.S. einer dem Willen Gottes entsprechenden Lebensweise andererseits, a. Die Aussagen zum Vergeltungsverzicht setzen Unrecht, das den Adressaten von Nichtchristen zugefügt wird, als Selbstverständlichkeit voraus. Warum von solchen Unrechtserfahrungen wie von einer Normalität die Rede sein kann, läßt der Schlußvers deutlich werden: Im jeweils konkret zugefügten Unrecht meldet sich „das Böse", das sich durchsetzen und auch von den Adressaten Besitz ergreifen will. Vergeltungsverzicht ist darum eine Form der in 12,2 grundsätzlich geforderten Nichtanpassung an „diesen Aon", eine Form der Distanznahme. b. Die Aufforderungen zur Solidarität mit unterschiedlichen Menschengruppen, zum initiativen und öffentlichen Tun des Guten, zum Friedensbemühen sind an keiner Stelle motiviert durch die Aussicht auf Verbesserung der eigenen Lebensumstände, es handelt sich vielmehr um eine Form der in 12,2 grundsätzlich geforderten Wahrnehmung des Gotteswillens, die in einer für Außenstehende sichtbaren Weise erfolgen soll, wenngleich ihr keine notwendige und zwingende positive Auswirkung auf diese Außenstehenden in Aussicht gestellt wird. - Wenn man beide Linien zusammensieht nach dem Muster des programmatischen Einleitungsabschnitts 12,lf., dann zielt 12,14-21 auf eine Konkretion des „sprechenden Gottesdienstes", der in Distanz zu „diesem Aon" (und aufgrund der Neuschöpfung des νους) geschieht. 3.3.3.3 Die Gemeinde der „Starken"

(14,1-15,6)

3.3.3.3.1 Die Überschrift und das Problem der Identität des Schwachen (14,1) Der erste Satz führt das neue Thema (τον δέ άσθενοΰντα τη ττίστει) ein und formuliert eine grundsätzliche Aufforderung (προσλαμβάνεσθε), die durch eine einschränkende Zweckbestimmung (μή εις διαλογισμών) in bestimmter Hinsicht präzisiert wird. Im einleitenden Überblick über den Textverlauf von 12,1-15,13 und die darin gesetzten Zäsuren war festgehalten worden, daß in 14,1 (gegenüber 13,14) keine Veränderung im Kreis der aktuell Angesprochenen angezeigt ist213, daß folglich alle Adressaten zur Annahme des „Schwa213 s. o. S. 227f.

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chen im Glauben" aufgefordert sind. Damit wird nun aber die Zugehörigkeit des Schwachen zum Adressatenkreis problematisch. Zwar könnte man als sprachliche Analogien z.B. IThess 5,12.14 geltend machen, wo alle Glieder des Adressatenkreises, aber doch mit Ausnahme der jeweils im Akkusativ-Objekt genannten Glieder, aktuell angesprochen sind214. Man könnte argumentieren, die Gemeinde als ganze sei hinsichtlich ihres Verhaltens zu einer in ihr befindlichen kleinen Minderheit (den Schwachen) angesprochen215. Aber entschieden ist die Frage damit nicht: Bei τόν ... άσθενοϋντα τη πίστει handelt es sich eindeutig um einen generischen Singular216, der Ausdruck bezieht sich auf eine abstrakte Größe (auf jeden, für den die Beschreibung όσθενεϊν τη πίστει gilt217) und weist nicht unmittelbar auf eine in der gegenwärtigen Realität der Adressaten konkret vorhandene Größe hin. D.h.: Die Aufforderung in 14,1 wäre nicht unzutreffend formuliert, wenn es unter den Adressaten „Schwache im Glauben" gäbe, - in diesem Fall könnten die Adressaten den abstrakten Ausdruck „der Schwache im Glauben" mühelos auf die konkreten Personen in ihrer Mitte beziehen, auf die diese Beschreibung zutrifft. Aber die Formulierung ist eben auch dann nicht unzutreffend, wenn die angesprochenen Adressaten bislang noch nicht mit irgendwelchen „Schwachen im Glauben" zu tun haben, - in diesem Fall hätten sie den Ausdruck als Beschreibung eines Typus zu verstehen, der möglicherweise in Gestalt konkreter Personen in ihre Realität eintreten kann. Die erstgenannte Deutung wird nun aber fraglich in Anbetracht der Verwendung des Ausdrucks προσλαμβάνεσθαι. Wenn ό άσθενών τη πίστει auf eine, wenngleich kleine, aber doch zum Adressatenkreis gehörende, Minderheit wiese, dann wäre das gebotene προσλαμβάνεσθαι ein Handeln, das sich im Rahmen eines Binnenverhältnisses abspielte. Der Ausdruck müßte dann etwa den Sinn von „everyday recognition and practice of brotherhood"218

214

έρωτώμεν δέ ύμάς, αδελφοί, είδέναι τούς κοπιώντας έν ύμίν ... (IThess 5,12). παρακαλοϋμεν δέ ύμάς, αδελφοί, νουθετείτε τούς άτακτους ... (IThess 5,14). 215 So z.B. Lagrange, Romains 323; Riggenbach, Starke 650; Zahn, Römer 570; Kühl, Römer 448f.; Cranfield, Romans II 700. 216 Vgl. Bl/Debr/Rehk § 139 Anm. 2. 217 Vgl. Cranfield, Romans II 699 Anm. 1. 218 Dunn, Romans II 798. Vgl. auch Glad, der auf eine besondere Nähe des Ausdrucks προσλαμβάνω zur Freundschaftsmotivik hinweist (Paul 224) und von hier aus προσλαμβάνεσθε in 14,1 i.S. von ,,[t]ake into friendship" verstehen möchte (ebd.). Aber: Gerade in demjenigen unter den von Glad (ebd. Anm. 116) angeführten Belegen (Diodorus Siculus 10.4.6), in dem προσλαμβάνεσθαι völlig eindeutig in dem von Glad vorgeschlagenen Sinn zu verstehen ist, ist eben auch explizit von einem εις την φιλίαν προσλαβέσθαι die Rede. D.h. der Beleg spricht eher gegen als für Glads Annahme, nach der eine entsprechende Konnotation am Ausdruck προσλαμβάνεσθαι selbst haftet. Dasselbe methodische Problem zeigt sich auch bei Spicq: Er hebt den in Apg 28,2 ausgedrückten Zusammenhang von φιλανθρωπία und προσλαμβάνεσθαι hervor und meint: „C'est le coeur ici qui regoit le prochain et l'assiste. A ce titre, proslambanomai devient chez saint Paul une vertu chretienne" (Notes III 586). Entsprechend sieht Spicq dann auch in

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haben. Ob προσλαμβάνεσθαι in diesem von der Grundbedeutung „zu sich nehmen", „aufnehmen" 219 vergleichsweise entfernten Sinn gebraucht werden kann, mag man fragen 220 , wichtiger noch ist die Tatsache, daß sich mit dem erwähnten allgemeinen Verständnis von προσλαμβάνεσθαι die folgende Angabe von V. lb nicht vereinbaren läßt221. Ginge es in 14,1a um „die alltägliche Anerkennung der Bruderschaft, im weiten Sinn also die Solidarität"222, dann wäre der Hinweis, daß solche Solidarität aber nicht zum Zweck von διακρίσεις διαλογισμών verfolgt werden dürfe, undurchsichtig223. Der Anschluß von V. lb legt so für die Aufforderung zum προσλαμβάνεσθαι einen engeren bzw. „formaleren" Sinn nahe: Die Adressaten sollen den Schwachen „aufnehmen" und damit als Glied ihrer Gemeinschaft anerkennen224. Diese Auffassung des προσλαμβάνεσθαι läßt sich zweifellos besser vereinbaren mit der Beziehung des „Schwachen im Glauben" auf einen Typus als mit der Beziehung auf eine aktuell zur Adressatenschaft gehörende Minderheit. Gegen die „konkrete" Auffassung des άσθενών τη πίστει spricht außerdem der folgende Sachverhalt: Das von den Adressaten geforderte Aufnehmen π ρ ο σ λ α μ β ά ν ε σ θ α ι in 14,1 das Moment des Affektiven betont (ebd. 587), obwohl es hier nicht ausgedrückt ist. 219 Bauer/Aland, Wb. 1436. 220 Eindeutig ablehnend meinte Kühl: „Die allgemeinere Bedeutung sich jemandes freundlich und hilfsbereit annehmen ... kann das Wort nicht haben" (Römer 448). Die Verwendung des Wortes in der LXX und im Neuen Testament (zu Belegen aus außerbiblischer Literatur und den Papyri s. Spicq, Notes III 583-585) stützt das Urteil: In der LXX wird π ρ ο σ λ α μ β ά ν ε σ θ α ι mehrfach von Gott ausgesagt, der das Volk (IReg 12,22) oder den einzelnen (ψ 17,17; 26,10; 64,5; 72,24) in die Gemeinschaft mit sich stellt. In 2Makk 8,1; 10,15 sind Menschen als Subjekt des π ρ ο σ λ α μ β ά ν ε σ θ α ι genannt, die andere Menschen „mitnehmen" oder „aufnehmen" (Sap 17,10 hat π ρ ο σ λ α μ β ά ν ε ι ν ein unpersönliches Subjekt und steht i.S. von „hinzufügen"). Im Neuen Testament (vgl. Bauer/Aland, Wb. 1436) findet sich der in IReg 12,22 und den vier Psalmenstellen belegte Gebrauch von π ρ ο σ λ α μ β ά ν ε σ θ α ι mit Gott (bzw. Christus) als Subjekt in Rom 14,3; 15,7b. Die übrigen Belege mit persönlichem Subjekt und persönlichem Objekt verwenden προσλ α μ β ά ν ε σ θ α ι i.S. von „beiseite nehmen" (Mt 16,22; Mk 8,32); „aufnehmen" (Apg 18,26; 28,2; Phlm 17) oder „mitnehmen" (Apg 17,5) (mit unpersönlichem Objekt, auf das Einnehmen von Speisen bezogen: Apg 27,33.36). Unter diesen Belegen hat Rom 15,7a wegen der explizit ausgedrückten Wechselseitigkeit des π ρ ο σ λ α μ β ά ν ε σ θ α ι eine Sonderstellung: Anders als sonst impliziert das π ρ ο σ λ α μ β ά ν ε σ θ α ι auf der Seite des Subjekts hier nicht die „nuance de superiorite chez celui qui agit" (Lagrange, Romains 322) und auf der Seite des Objekts nicht den Standortwechsel im räumlichen oder übertragenen Sinn. Weil der besondere Gebrauch von π ρ ο σ λ α μ β ά ν ε σ θ α ι in 15,7a durch αλλήλους ausdrücklich gekennzeichnet ist, empfiehlt es sich nicht, 14,1 von hier aus zu interpretieren; vielmehr ist im Unterschied zu 15,7a festzuhalten: 14,1 fordert ein Verhalten, das einem unterlegenen Objekt (dem „Schwachen im Glauben") eine Form von Gemeinschaft gewährt, die so zuvor nicht bestand. 221 222 223

Vgl. Kühl, Römer 448. Käsemann, Römer 354.

Vgl. Nababan, Bekenntnis 35. Auch wenn man π ρ ο σ λ α μ β ά ν ε σ θ α ι nicht allgemein auf gelebte Bruderschaft beziehen möchte, braucht man darum nicht ins andere Extrem zu verfallen und an einen „rechtlichen Vorgang", noch genauer: an den „Aufnahmeakt", zu denken (so Michel, Römer 422; Zitate ebd.). 224

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des Schwachen soll nicht auf „Beurteilungen von Erwägungen" 225 zielen; dabei liegt es im Satzzusammenhang nahe, an ein Urteilen der aufgeforderten Adressaten über Erwägungen des aufzunehmenden Schwachen zu denken226, wobei diese Erwägungen mit der dem letzteren zugeschriebenen Schwäche im Glauben zusammenhängen müssen. Die διακρίσεις διαλογισμών sind damit eindeutig als eine mit dem προσλαμβάνεσθαι verbundene, künftige und von den Adressaten zu vermeidende Gefahr angesehen. Der Text von 14,1 erweckt also gerade nicht den Eindruck, als beziehe er sich auf eine aktuell problematische Gemeindesituation, in der sich eine Mehrheit kritisch-distanziert zu einer andersdenkenden Minderheit verhält. 14,1b lehnt vielmehr eine falsche Weise bzw. einen falschen Zweck des gebotenen προσλαμβάνεσθαι ab 227 und beschreibt nicht einen gegenwärtigen Problemzustand, der durch das gebotene προσλαμβάνεσθαι behoben werden müßte. Die Auffassung des „Schwachen im Glauben" als eines Typus, der in der angeredeten Adressatenschaft noch nicht durch konkrete Personen repräsentiert ist, bleibt übrigens unberührt von einem Problem, das sich im Fall der Alternativlösung unweigerlich stellt: Warum wird die Minderheit, die der Alternativlösung zufolge ja als im Adressatenkreis präsent gedacht ist, bezeichnet mit einem Ausdruck (ό ... άσθενών ττ\ πίστει), den diese Minderheit als herabsetzend hätte empfinden müssen?228 Umrißhaft läßt der überschriftsartige Einleitungssatz zu 14,1-15,6 deutlich werden, in welche Richtung der folgende Text zielt: Es geht um die Orientierung der gesamten Adressatenschaft, die an dieser Stelle übrigens nicht als „stark" angesprochen wird, hinsichtlich des potentiellen Problems, das der „Schwache im Glauben" für sie darstellen kann, wenn konkrete Vertreter dieses Typus in ihre Realität eintreten. Da die für diesen Fall gebotene Annahme des Schwachen ausdrücklich nicht im Interesse einer kritischen Überprüfung der für sie kennzeichnenden Auffassungen geschehen soll, können die die Schwachen kennzeichnenden διαλογισμοί nicht im Widerspruch zu deren christlicher Identität229 stehen. Mehr läßt sich dem Eingangssatz zur Identität 225

Zu den unterschiedlichen Übersetzungsmöglichkeiten für διακρίσεις διαλογισμών s. Cranfield, Romans II 701 mit Anm. 1; zur Entscheidung vgl. z.B. Glad, Paul 222f. 226 Mit Wilckens, Römer III 81; anders z.B. Nababan, Bekenntnis 36. 227 Vgl. Glad, Paul 223 Anm. 114. 228 Der gängige Hinweis (vgl. z.B. Nababan, Bekenntnis 30; Cranfield, Romans II 700; Wilckens, Römer III 81; Dunn, Romans II 797), die Kennzeichnung „der Schwache" bzw. „der Schwache im Glauben" sei der Sprache der angeredeten Adressatenmehrheit entnommen, löst das Problem nicht, sondern spitzt es eher zu. 229 Unabhängig von der in diesem Zusammenhang wichtigen Entscheidung über den konkreten oder den typischen Sinn des Ausdrucks ό άσθενών τρ πίστει besteht Konsens darüber, daß die Schwachen Christen sind bzw. als Christen gedacht sind. Dieser Konsens wird - soweit ich sehe nur von Nanos (Mystery 85-165) bestritten. Nach Nanos sind die Schwachen nicht-christliche Juden; diese werden als „schwach im Glauben" bezeichnet, weil sie noch nicht zur Anerkennung Jesu als des Christus Israels gelangt sind: „their faith is not deficient because it includes the prac-

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des Schwachen nicht entnehmen; offenkundig will der Text das Interesse der Adressatenschaft nicht auf die „Erwägungen" des Schwachen, auf die mit seiner Position verbundenen Motive, lenken. 3.3.3.3.2

Der Schwache und sein Gegentyp - Darstellung und theologische Ortsbestimmung (14,2-13a)

Die für den Einleitungssatz (14,1) kennzeichnende direkte Wendung an die Adressaten wird erst in 14,13b fortgesetzt. Im zwischengeschalteten Passus 14,2-13a 2 3 0 dominiert in der ersten Hälfte (V. 2 - 6 ) die 3. Person Singular, in der zweiten Hälfte (V. 7-13a) die 1. Person Plural In beiden Hälften finden sich jeweils direkte Anreden an den Schwachen (V. 4) bzw. an den Schwachen und seinen Gegentyp (V. 10). Diese direkten Anreden an den Schwachen sind oft geltend gemacht worden als Argument für die Annahme, der Text setze aktuell zur Adressatenschaft gehörende „schwache" Personen voraus 231 . Im

tice of the Law and Jewish customs; it is deficient in that it is just not yet able to recognize that the promises have been fulfilled in Christ" (ebd. 119; vgl. 143 u.ö.). Diese von Nanos ausführlich entwickelte und in ihren Konsequenzen für die Auslegung des ganzen Briefs weitreichende These kann hier nicht im einzelnen dargelegt und verhandelt werden. Festgehalten sei lediglich die Schwierigkeit, auf die Nanos' Auslegung gleich bei der ersten Erwähnung des Schwachen (14,1) stößt. Diese erste Erwähnung geschieht - so Nanos - zwar scheinbar völlig unvermittelt; tatsächlich müsse aber den Adressaten der Bezug auf die nicht-christlichen Juden deutlich gewesen sein (ebd. 119f.). Die Voraussetzung für die Herstellung dieses Bezugs sieht Nanos im vorangehenden Rom, besonders in 9,32f., geschaffen: Die Verwendung von άσθενεϊν in 14,1 entspreche dem in den prophetischen Schriften der LXX bezeugten Gebrauch von άσθενεϊν als Übersetzung von ^BiD („anstoßen", „straucheln") (ebd. 120f.). Diese Assoziation sei in 14,1 für Verfasser und Adressatenschaft vorauszusetzen; daraus ergibt sich: „the phrase 'weak in faith' in chapter 14 was not so abrupt, for it had already been clarified earlier in the letter, in chapters 9-11 along christological lines" (ebd. 139). Die Schwachen sind so mit den nicht-christlichen Juden identifizierbar, von denen in 9,32f. das Anstoßen am „Stein des Anstoßes" ausgesagt ist. - Selbst wenn man sich auf eine derart komplizierte Assoziationslösung einlassen wollte, wäre im konkreten Fall doch Einsprach anzumelden: Nach 9,32a fehlt den Israeliten der Glaube; 9,32b drückt diesen Sachverhalt christologisch aus; demgegenüber fehlt dem άσθενών τη πίστει von 14,1 der Glaube keineswegs. Die Differenz läßt sich nun sicher nicht ausgleichen durch die Annahme einer nichtchristologischen Verwendung von ττίστις in 14,1 i.S. des Glaubens an Gott (vgl. ebd. 118), dessen Defizit darin liegt, daß er den Christusglauben nicht einschließt und eben darum „schwach" ist (vgl. ebd. 119). Dieser Ausgleich verbietet sich ja gerade dann, wenn man wie Nanos für den Ausdruck άσθενών die genannte, besonders auf 9,32f. bezogene Assoziation in Anschlag bringt; bei dieser Assoziation läßt sich ja der 9,32f. und 14,1 gemeinsame Ausdruck πίστις nicht ausklammem. 23 0 Die Verbindungen zum umgebenden Kontext am Anfang und am Ende von 14,2-13a sind vergleichbar gebaut: Auf πίστει (V. 1) folgt πιστεύει (V. 2) in etwas anderer Nuancierung; auf κρίνωμεν (V. 13a) folgt κρίνατε (V. 13b) in anderem Sinn. 231 Vgl. z.B. Nababan: Die Schwachen sind „schon Glieder der Gemeinde. Paulus redet sie doch direkt V4 10 an und denkt sie in der Gemeindeversammlung anwesend als Hörer seines Briefes" (Bekenntnis 35). Vgl. auch Schneider: Die direkten Anreden im ermahnenden Tonfall (14,3f.l0) erklären „sich daraus, daß in Rom die 'Schwachen' eine streitbare Gruppe bildeten" (Gemeinde 66). - Allerdings hat Schneider recht, wenn er davor warnt, für dialogische Elemente

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folgenden soll gezeigt werden, daß dieses Argument nicht greift, daß vielmehr V. 2-13a die durch den Einleitungssatz (V. 1) gewonnene Annahme stützt, nach der vom Schwachen als von einem Dritten die Rede ist, als von einem Typus, dessen konkrete Repräsentanten aktuell noch nicht zur Adressatenschaft gehören. V. 2-6: V. 2 setzt ein mit einer Beschreibung des Schwachen nach der für ihn charakteristischen Verhaltensweise, der eine Beschreibung seines Gegentyps vorangestellt ist: δς μεν πιστεύει φαγεϊν πάντα, ό δέ ασθενών λάχανα έσθίει. Diese Beschreibung des Schwachen wäre, wenn sie sich auf konkrete Personen im Adressatenkreis bezöge, nicht nur deshalb schwierig, weil sie mit der Angabe von Gemüse als einziger Nahrung 232 einen stilisierten Eindruck macht233. Unverständlich bliebe unter dieser Voraussetzung vor allem, daß der Text überhaupt eine solche Beschreibung bietet, in der die Verhaltensweise einer problematischen Minorität (also ein den Adressaten bekannter Sachverhalt) nicht etwa kommentiert, erläutert oder gewertet, sondern der Adressatenschaft als schlichte Feststellung präsentiert wird234. Sehr viel näher liegt daher die Alternative: V. 2b soll den „Schwachen im Glauben" vorstellen, zu dessen Annahme V. 1 auffordert. Wegen der Parallelität zu V. 2b muß die in V. 2a vorangehende Erwähnung dessen, der „alles" ißt, auf derselben Ebene liegen. D.h. es muß sich auch dabei um eine Typusbeschreibung handeln, und nicht um einen direkten Hinweis auf eine konkrete Personengruppe. Weil aber andererseits der Kontrast des „Allesessenden" zum schwachen Vegetarier der Gegenüberstellung der Adressatenschaft zum von ihr aufzunehmenden „Schwachen im Glauben" in V. 1 entspricht, muß der Typus des „Allesessenden" mit der Adressatenschaft zu tun haben. M.a.W.: Zwar ist der „Allesessende" wie der schwache Vegetarier ein Typus, also eine abstrakte Größe, aber im Anschluß an V. 1 liegt es nahe, die Adressaten als Repräsentanten dieses Typus aufzufassen. In V. 2 werden also zwei Typen aufgebaut, die sich in je unterschiedlicher Distanz zu der in V. 1 direkt angesprochenen Adressatenschaft befinden. Auffallend ist die Asymmetrie in der Bezeichnung der beiden Typen: δς μεν / ό δέ άσθενών. Auf die

unter Hinweis auf „Diatribestil" von vornherein einen realen Hintergrund zu bestreiten (ebd. 66 Anm. 291), und statt dessen eine Prüfung des Einzelfalls fordert, um die es im folgenden gehen soll. 232 In der Gegenüberstellung zu πάντα in V. 2a bekommt λάχανα in V. 2b ausschließenden 233 Vgl. Lagrange, der aus der Gegenüberstellung von Extremfallen in V. 2 schließt: „Le faible est done ici un echantillon" (Romains 323). 234 vgl. im Unterschied dazu die Einfuhrung der Schwachen in IKor 8,7 im Zusammenhang einer gebündelten Erläuterung der Wirkung des Verzehrs von Götzenopferfleisch auf diese Perso-

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Bezeichnung des „Allesessenden" als „stark" wird verzichtet, obwohl sie sich in der Gegenüberstellung zum Schwachen angeboten hätte235. V. 3a.b setzt die beiden in V. 2 literarisch aufgebauten Typen ins Verhältnis zueinander. Die beiden Regeln (in der 3. Person Singular) wenden sich gegen die dem Nicht-Vegetarier damit implizit zugeschriebene Tendenz zur Verachtung des Vegetariers und gegen die dem Vegetarier implizit zugeschriebene Tendenz zum Richten des Nicht-Vegetariers236. Ob die in V. 3c angeschlossene Begründung (ό θεός γάρ αυτόν ιτροσελάβετο) ausschließlich V. 3b begründet, αυτόν folglich nur den „Allesessenden" meint237, ist schwer zu entscheiden. In Anbetracht der reziproken Formulierung von V. 3a.b läßt sich ein gleichzeitiger Rückbezug von αυτόν auf τον έσθίοντα und τον μή έσθίοντα nicht ausschließen238, jedenfalls wird ein solcher Ausschluß nicht signalisiert. Als Grund für das Verbot der den beiden Typen zugeschriebenen Tendenzen wird also das vorausgehende Heilshandeln Gottes am jeweils anderen geltend gemacht. In V. 4 wird die beide Typen parallel und in der 3. Person Singular behandelnde Argumentationsweise unterbrochen durch eine direkte Anrede des Schwachen, dem in V. 3b die Tendenz zum κρίνειν zugeschrieben war239: σύ τις ει ό κρίνων άλλότριον οίκέτην; (V. 4a). Diese eingesprengte Anrede an ein Typus-Du hat Entsprechungen in einigen vorangehenden Passagen des Rom (2,Iff.; 2,17ff.; 9,19ff.; 1 l,17ff.)240; die Identifikation des angeredeten Du 235 Diese „Fehlanzeige" gilt trotz der impliziten Charakterisierung des „Allesesscrs" durch die Verwendung von πίστις/πιστευειν in 14,lf. Im Anschluß an die Kennzeichnung des Schwachen als άσθενών τη τπστει liegt es nahe, δ ς μεν πιστεύει φ α γ ε ΐ ν π ά ν τ α als Hinweis auf die Glaubensstärke des Gegentyps aufzufassen (τπστεύειν hat hier den ungewöhnlichen Sinn von „überzeugt sein" [vgl. Liddell/Scott/Jones, s.v. πιστεύω 1.3., 1408] und deutet zugleich im Anschluß an ά σ θ ε ν ώ ν rf) πίστει in V. 1 an, daß sich die Überzeugung, alles essen zu dürfen, aus dem Glauben des Nicht-Vegetariers ergibt [vgl. ähnlich Lagrange, Romains 323; Käsemann, Römer 354]). 236 Die abgekürzten Hinweise ό έσθίων (für den alles Essenden) und ό ... μή έσθίων (für den Gemüseesser) deuten an: Das Problem der Lebensweise des letzteren hat zu tun mit seinem Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel, zu denen mit Sicherheit Fleisch gehört. 237 So z.B. Lagrange, Romains 324; Cranfield, Romans II 702; Wilckens, Römer III 82; Dunn; Romans II 803. 238

In dieser Richtung vgl. Nababan, Bekenntnis 41 Anm. 91; Schmithals, Römerbrief 498. Anders möchten z.B. Schmithals (Römerbrief 498) und Meeks (Judgment 295) die Anrede von V. 4 auf beide Typen beziehen. Aber: Auch wenn 14,13a zeigt, daß κρίνειν für die Verhaltensweise beider Typen stehen kann, geht daraus nicht hervor, daß es sich auch in V. 4 so verhält. 14,5 besagt hinsichtlich der Bedeutung von κρίνειν in V. 4 nichts, weil es sich dort nicht um eine Verhaltensweise anderen Menschen gegenüber handelt. Entscheidend für das Verständnis der Anrede in V. 4a ist allein der vorangehende, zwischen dem κρίνειν des Schwachen und dem έξουθενεϊν des Gegentyps unterscheidende V. 3: Das den angeredeten Typus identifizierende Partizip (σΰ τις ε! ö κρίνων) greift deutlich auf V. 3b zurück. - Kritisch zu Meeks vgl. auch Glad, Paul 220 mit Anm. 106; vgl. außerdem Schneider, Gemeinde 130 Anm. 681. 239

Diese Passagen einschließlich 14,4 (10) sind von Stowers analysiert und auf ihre Nähe zur Diatribe hin untersucht worden (Diatribe 79-118). Allen Passagen gemeinsam ist die Anrede eines „imaginary interlocutor" (ebd. 79). Die Bezeichnung „imaginary interlocutor" wird hier durch die

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durch ein Partizip (ό κρίνων) erinnert besonders an 2,1.3; 9,20; 11,17241. Die Schwierigkeit von 14,4 liegt in folgendem Punkt: Im vorangehenden Kontext waren zwei Typen aufgebaut worden, und die Anrede gilt dem Schwachen, also gerade dem der Adressatenschaft fernerstehenden Typus. Folglich läßt sich die Funktion dieser Wendung an das Typus-Du gerade nicht mit Stowers als indirekte Mahnung bzw. Warnung der Adressaten verstehen242. Auf den ersten Blick scheint es sich in V. 4 einfach um eine Verstärkung der für den Schwachen geltenden Regel von V. 3b zu handeln; V. 4 unterstreicht, daß der Schwache kein Recht hat, den Gegentyp zu richten, weil er damit seine Kompetenz überschreitet. Auf den zweiten Blick fällt auf, daß die an die vorwurfsvolle Frage von V. 4a angeschlossenen Feststellungen über diese Funktion hinausgehen: τω ίδίω κυρίω στήκει η πίπτει- σταθήσεται δέ, δυνατεΐ γαρ ό κύριος στήσαι αυτόν (V. 4b.c). Thema dieser Feststellungen ist die Beziehung des - aus der Perspektive des angeredeten Schwachen - άλλότριος οίκέτης zu Christus als Herrn243. Diese Beziehung ist zwar Argument für die Zurechtweisung des Schwachen244, aber die Versicherung, der vom Schwachen Gerichtete werde „stehen bleiben", weil der Herr ihn aufrecht zu halten vermag245, besagt darüber hinaus, daß das κρίνειν des Schwachen den „fremden Sklaven", also den Gegentyp, gar nicht tangiert. Das κρίνειν des Schwachen ist nicht nur unangemessen, sondern vor allem auch effektlos, weil das Geschick des von diesem Gerichteten ausschließlich an Christus hängt, der sein „Stehen bleiben" bewirken wird. Zu Recht hat Cranfield das σταθήσεται δέ in V. 4c als „confident affirmation" 246 bezeichnet. Diese Zusicherung gilt

neutralere Bezeichnung „Typus-Du" ersetzt, weil dieses Du durchaus nicht immer mit seinen Einwänden „zitiert" wird (vgl. 2,Iff.; 2,17ff.; 14,4.10) und weil die einheitliche Charakterisierung des Du als fingiert den folgenden Sachverhalt möglicherweise übersehen läßt: Zwar ist das Du an den genannten Stellen einheitlich als Kommunikationspartner fingiert, aber diese Fiktion kann in mehr oder weniger Distanz zur tatsächlichen Adressatenschaft entworfen sein. 241 Nach Stowers ist die Verwendung des Partizips zur Identifikation des „interlocutor" kein typisches Mittel der Diatribe, wohl aber der entsprechenden Röm-Passagen (Diatribe 93f.). (Der Bestreitung dieses Mittels für 11,17-19 [ebd. 218 Anm. 64] dürfte ein Versehen zugrundeliegen [vgl. V. 17b].). 242 „The address characterizes a type of behavior which the addressees are encouraged to avoid" (Stowers, Diatribe 115). Diese Annahme von Stowers hängt mit seiner Vorgehensweise zusammen, die unmittelbar bei V. 4 einsetzt und dabei nicht zur Geltung bringt, daß im vorangehenden Kontext zwei Typen aufgebaut wurden, die sich je unterschiedlich zu der in 14,1 angeredeten Adressatenschaft verhalten. 243 Nach der den vorangehenden Passus (13,8-14) abschließenden Aufforderung, άλλα ένδύσασθε τόν κύριον Ίησοϋν Χριστόν (13,14a), dürfte der christologische Sinn von κύριος in 14,4 als eindeutig gelten können. 244 Der richtende Schwache ignoriert das exklusiv mit Christus verbindende Herrschaftsverhältnis, in dem sich der von ihm Gerichtete befindet. 245 Zum Verständnis von σταθήσεται i.S. von „stehen bleiben" und zur Auffassung von στήσαι als der dieses Stehen bewirkenden Handlung s. Cranfield, Romans II 703f. 246 Romans II 704.

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direkt dem Gegentyp zum Schwachen 247 , indirekt aber den Adressaten als den konkreten Repräsentanten dieses Gegentyps. Mit V. 4 ist die Anrede an das schwache Typus-Du abgeschlossen. V. 5 greift die beide Typen parallel behandelnde Darstellungsweise wieder auf: δς μεν [γάρ] 248 κρίνει ήμέραν παρ' ήμέραν, δς δέ κρίνει πάσαν ήμέραν. Die Formulierung entspricht deutlich der von V. 2, nur wird in V. 5 keiner der beiden Typen mit einer Bezeichnung versehen. Der durch die Parallelität der Formulierung nahegelegte Vergleich mit V. 2 läßt immerhin erkennen: In beiden Fällen wird eine (das Gemüse von anderen Nahrungsmitteln; einen Tag vom andern Tag) kritisch unterscheidende Position mit einer Position konfrontiert, die keine solche Unterscheidung trifft (φαγεΐν πάντα, κρίνειν πάσαν ήμέραν). Bei der Hervorhebung von Tagen dürfte es sich also um eine dem „Schwachen im Glauben" naheliegende Verhaltensweise handeln, während die Gleichachtung dem Gegentyp naheliegt. Mehr als diese Korrelation249 mit der vegetarischen Ernährungsweise läßt sich dem Text hinsichtlich der Tagebeachtung nicht entnehmen. Offen bleibt nicht nur, an welche Form von Tagebeachtung gedacht ist, ob es sich bei den bevorzugten Tagen also etwa um Feieroder um Fastentage handelt250. Auch die genauere Zuordnung zur besonderen 247 Daß das „κρίνειν der Schwachen ... gefahrlicher zu sein" scheint als das έξουθενεϊν des Gegentyps (so Nababan, Bekenntnis 40), wird man nach V. 4 also gerade nicht behaupten können. 248 Falls γ α ρ in V. 5 textkritisch als ursprünglich zu beurteilen ist (zum Problem s. Nababan, Bekenntnis 45f.), hat es keinen begründenden, sondern einen locker anknüpfenden Sinn. 249 Von dieser Korrelation zwischen V. 2a/5b und V. 2b/5a geht auch die Mehrzahl derjenigen Exegeten aus, die in den Angaben des Textes nicht Typen gekennzeichnet sieht, sondern eine Adressatenmehrheit bzw. -minderheit. - Anders meinte Rauer, dem Schwachen von V. 2b entspreche der die Tage unterschiedslos Behandelnde aus V. 5b; gemeint sei eine Gruppe, die sich immer vegetarisch ernährt, im Gegensatz zu der in V. 2a gemeinten Gruppe, die keine Form von Enthaltsamkeit übt (Schwache 182f.). In V. 5b seien die Schwachen (κρίνοντες ττάσαν ήμέραν) - anders als in V. 2 - unterschieden von solchen Christen (κρίνοντες ήμέραν π α ρ ' ήμέραν), „die bestimmte Tage (zum Fasten) auswählen" (ebd. 183). Daraus ergeben sich für Rauer drei Gruppen, die er in V. 6 erwähnt sieht: die an bestimmten Tagen Fastenden (V. 6a); die keine Form der Enthaltsamkeit Übenden (V. 6b); die Schwachen, die sich immer vegetarisch ernähren (V. 6c) (ebd.). Die in V. 5a.6a gemeinten zeitweise Fastenden werden nach Rauer aus Demonstrationsgründen erwähnt. Der alles essenden und nie fastenden Adressatenmehrheit soll verdeutlicht werden: „Manche fasten j a (auch bei euch) an bestimmten Tagen; eure 'schwachen' Brüder enthalten sich eben immer" (ebd.). - Gegen Rauers These spricht formal: Die deutliche Parallelität zwischen V. 2a.b und V. 5a.b läßt eine Entsprechung zwischen beiden Teilen der beiden Verspaare erwarten. Inhaltlich ist einzuwenden: Im Text wird nicht angezeigt, daß der Tage Beachtende (V. 5a.6a) allein deshalb erwähnt wird, um den alles Essenden zur Akzeptanz des immer Fastenden zu bringen. Vor allem das Kontrastverhältnis zwischen V. 5a.b hat nach Rauers Interpretation wenig Sinn. 250 Eine sehr bestimmte Interpretation der Tagebeachtung in 14,5.6a hat Weiss (Judging 137153) vorgeschlagen: V. 5a.b zielt auf zwei verschiedene Weisen der Sabbatobservanz. V. 5a bezieht sich auf eine Position, die den Sabbat mit einem bestimmten Wochentag identifiziert und ihn entsprechend von anderen Wochentagen abgehoben sieht. V. 5b dagegen bezieht sich auf eine Position, der der Sabbat als eine Realität der ursprünglichen Schöpfungswelt gilt und die diese Realität an jedem Wochentag für erfahrbar hält (ebd. 147f.l52). Bei der Rekonstruktion dieser zweiten Position (V. 5b) stützt sich Weiss insbesondere auf ThomEv 27,2 im Kontext des Ge-

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Ernährungsweise des Schwachen ist kaum zu bestimmen. Jedenfalls wird man kaum behaupten können, der Text stelle die Tagebeachtung als ein Merkmal heraus, das den Typus des Schwachen notwendig charakterisiert, so daß eine Person diesem Typus nur dann zuzurechnen ist, wenn sie beide Merkmale vegetarische Ernährungsweise und Tagebeachtung - aufweist. Eher legt sich der Eindruck nahe, der kritisch-unterscheidenden Lebensweise, die der Schwache hinsichtlich seiner Ernährung praktiziert, werde nun ein weiteres Feld hinzugefügt, auf dem sich eine solche Lebensweise auch äußern kann. Auch in V. 5 wirkt die Verhaltensweise des Gegentyps (κρίνειν π ά σ α ν ήμέραν) wieder wie die Folie, von der sich das besondere Verhalten des Schwachen abhebt. Offensichtlich ist im Text eine erschöpfende und präzise Definition des Typus des Schwachen nicht angestrebt, sondern eher eine Charakterisierung der Tendenz seiner Lebensweise, die sich von der des Gegentyps unterscheidet und wie bei diesem in einer bestimmten Überzeugung wurzelt. Entsprechend schließt sich in V. 5c eine Bestätigung des Rechts beider Lebensweisen und des ihnen zugrundeliegenden Urteilsvermögens an: έκαστος έν τω ίδίω vot πληροφορείσθω 2 5 1 . Worauf die Bestätigung des Rechts beider Lebensweisen letztlich basiert, zeigt V. 6: ό φρονών την ήμέραν κυρίω φρονεί· και ό έσθίων κυρίω έσθίει, ευχαριστεί γαρ τω θεώ· και ό μή έσθίων κυρίω ούκ έσθίει και ευχαριστεί τω θεώ 2 5 2 . Von allen drei Praktiken - der Tagebeachtung, der nicht-vegetarischen und der vegetarischen Lebensweise - ist nicht „an sich" die Rede, sondern nur, sofern diese Praktiken „dem Herrn", also im Interesse und im Dienst Christi, vollzogen werden, wofür im Fall der konträren Ernährungsweisen der

samtwerks (ebd. 145-147). ό φρονών την ή μ έ ρ α ν in V. 6a bezieht sich auf beide Positionen: „whether they judged one day or they judged all days, they were thinking of 'the day', that is the sabbath" (ebd. 143). - Auch abgesehen von der schwer kontrollierbaren traditionsgeschichtlichen Ableitung erscheint die These schwierig: 1. Die Positionen von V. 5a.b haben in dieser Interpretation keinen Kontakt zu denen von V. 2a.b. 2. Daß τήν ή μ έ ρ α ν (V. 6a) wirklich ohne weiteres als Hinweis auf den Sabbat gelten kann („'the day', within a basically Jewish context, is not too vague a description" [ebd. 143]), muß als sehr fraglich gelten. 3. Es läßt sich kein Grund ausmachen für den Verzicht auf die Bezeichnung „des Tages" als „Sabbat" (vgl. Weiss: „Still why Paul avoided writing 'Sabbath' remains a puzzle" [ebd. 150]). Das Rätsel ist gelöst, wenn der Text nicht von Sabbatobservanz handelt. 251 Nach 12,lf. steht νους in 14,5 für das neugeschaffene Urteilsvermögen (vgl. z.B. Käsemann, Römer 358). 252

Ein zu V. 6a paralleler Satz, der sich auf den die Tage nicht Unterscheidenden bezöge, fehlt. Die v.l., die die Parallelität durch einen Einschub (και ό μή φρονών τήν ήμέραν κυρίω οϋ φρονεί) herzustellen versucht, ist als sekundär zu beurteilen (vgl. z.B. Cranfield, Romans II 706, Käsemann, Römer 358; Wilckens, Römer III 83 Anm. 428). Der sekundäre Einschub zeigt, warum im ursprünglichen Text auf eine Parallelformulierung zu V. 6a verzichtet ist. Mit ihr würde ausgedrückt, „dass der, der einen bestimmten Tag nicht einhalte, dies für den Herrn nicht tue" (Feine, Römerbrief 44), d.h. eine solche Parallelformulierung wäre zumindest sehr mißverständlich gewesen (vgl. Feine, ebd.; Schmithals, Römerbrief 499).

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Dank an Gott als Bestätigung angeführt wird. Das dreifache κυρίω aus V. 6 liefert so den Schlüssel für die gleichordnende Darstellung der beiden Typen mit ihren unterschiedlichen Einstellungen zu den Nahrungsmitteln und zur Tagebeachtung: Für beide Lebensweisen ist Platz, weil sie beide in der Anerkennung Christi als des Herrn gelebt werden, eine gemeinsame Basis also nicht - etwa durch Angleichung - erst geschaffen werden muß. V. 7-13a: V. 7f. setzt neu mit dem Wir-Stil ein, steht aber im engen Begründungszusammenhang mit dem vorangehenden V. 6. Daß sich der Vollzug der verschiedenen Lebensweisen von Christen notwendig auf den κύριος richtet, wie in V. 6 behauptet war, hat seinen Grund in der für christliche Existenz grundsätzlich gültigen Bezogenheit auf Christus als Herrn. Diese unter allen Umständen gültige Bezogenheit wird entfaltet unter dreifacher Verwendung des Gegensatzes von ζην - άποθνήσκειν. Dieser extreme Gegensatz besagt im Zusammenhang mit V. 6 zweierlei: 1. Wenn der Bezug auf Christus als Herrn Leben und Sterben der Christen bestimmt, dann erst recht den Vollzug bestimmter Lebensweisen. 2. Wenn der Bezug auf Christus den extremen Gegensatz zwischen Leben und Sterben überbrückt, dann stellt er erst recht eine Brücke dar zwischen den hinsichtlich der Ernährung und der Tagebeachtung verschiedenen Lebensweisen von Christen. Die stilistisch ausgearbeitete253 Begründung für die Behauptung von V. 6 mündet ein in einen zusammenfassenden Satz, der den Dat. comm. von κύριος gegen einen die Zugehörigkeit bezeichnenden Genitiv254 austauscht und so den κύριος prägnant als Besitzer der Christen herausstellt: έάν τε ούν ζώμεν έάν τε άποθνήσκωμεν, τού κυρίου έσμέν (V. 8c). V. 9a (εις τούτο γάρ Χριστός άττέθανεν και εζησεν) schließt begründend an V. 8c an; der gegenwärtige Status der Christen unter der Herrschaft Christi gründet in dessen Tod und Auferstehung. Andererseits führt der durch das einleitende und vorausweisende εις τούτο hervorgehobene Finalsatz in V. 9b (ϊνα και νεκρών και ζώντων κυριεύση) weiter, sofern er mit der Herrschaft über Tote und Lebendige, also über ausnahmslos alle Menschen, einen Zweck des Heilsgeschehens formuliert, der über das „wir" der von dieser Herrschaft schon bestimmten Glaubenden weit hinausgreift255. Der durch den vorangehenden Kontext nicht veranlaßte Gedanke der universalen Ausdehnung der Christusherrschaft als des Zwecks des Heilsgeschehens wird im folgenden Kontext auch nicht weitergeführt. Statt dessen wendet sich der Verfasser in V. 10 unvermittelt an die beiden in V. 2f. literarisch auf-

253 254 255

Vgl. dazu besonders Nababan, Bekenntnis 54f. Vgl. Bl/Debr/Rehk § 162.7. Dieser Sachverhalt wird von Nababan (Bekenntnis 77-79) zu Recht deutlich hervorgeho-

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gebauten Typen 256 , von denen der Schwache schon in V. 4 direkt angesprochen worden war: σύ δέ τί κρίνεις τον άδελφόν σου; η και σύ τί έξουθενεΐς τον άδελφόν σου; (V. lOa.b). Die Parallelität der beiden vorwurfsvollen Fragen und die Bezeichnung des jeweils anderen als „Bruder"257 deuten an, daß die beiden Vorwürfe im Prinzip übereinstimmen: Sowohl der Richtende als auch der Verachtende setzen sich über das bestehende Bruderschaftsverhältnis hinweg und damit zugleich über das Herrschaftsverhältnis, in dem sich auch der Bruder befindet. Grundlage der Vorwürfe sind also die Ausführungen von V. 7f. Indirekt ist der Adressatenschaft auf diese Weise signalisiert: Die Haltung des ihr naheliegenden Typus, das έξουθενεΐν, kommt dem κρίνειν des Schwachen im entscheidenden Punkt gleich. Entsprechend werden auch beide Vorwürfe in V. 10c einheitlich, nämlich mit dem Hinweis auf das Gericht Gottes258, vor dem „wir alle" erscheinen werden, bekräftigt. Zwar bedeutet das „wir alle" hier vermutlich die gesamte Menschheit unter Einschluß aller Christen259, im Anschluß an V. lOa.b zielt „wir alle" aber sicher auf den Einschluß der beiden angesprochenen Typen. D.h.: Die Wendung des Verfassers an diese beiden Typen umfaßt nicht nur V. lOa.b. Der bekräftigende Hinweis auf Gottes Gericht erhält seinerseits eine Bestätigung durch das als solches gekennzeichnete Zitat von LXX Jes 49,18 und Jes 45,23 (V. 1l) 260 . Auffalligerweise liegt in diesem Zitat das Gewicht aber nicht primär auf dem künftigen Gericht, sondern auf der künftigen Anerkennung Gottes und auf seinem Lobpreis in universaler Weite261. Das Zitat setzt so

256 In der V. 3 formulierten Regel war für den Schwachen die Tendenz zum κρίνειν, für seinen Gegentyp die zum έξουθενεΐν vorausgesetzt worden; V. 10 kommt in umgekehrter Reihenfolge auf beides zurück. 257 Daß die Bruder-Bezeichnung nach 12,1 (bzw. nach φ ι λ α δ ε λ φ ί α in 12,10) hier zum ersten Mal wieder auftaucht, wird häufig bemerkt (vgl. z.B. Cranfield, Romans II 709; Wilckens, Römer III 85 mit Anm. 430). Nababan vermutet wohl zu Recht einen engen Zusammenhang zwischen V. 7f. (besonders V. 8c) und der Verwendung der Bruder-Bezeichnung in V. lOa.b: „Dieses ά δ ε λ φός-Motiv ist die konsequente Folge des τοϋ κυρίου έσμέν: Weil wir dem Kyrios gehören, ist der andere α δ ε λ φ ό ς " (Bekenntnis 80). 258 Textkritisch besteht kein Grund, der zu βήματι τοϋ θ ε ο ϋ alternativen Lesart βήματι τοϋ Χριστού zu folgen, weil sich letztere aus dem Einfluß von 2Kor 5,10 als sekundär erklären läßt (vgl. Metzger, Commentary 531). 259

Vgl. Nababan, Bekenntnis 83. Der Kernbestand des Zitats stammt aus Jes 45,23c (οτι έμοϊ κάμψει iräv γόνυ και έξομολογήσεται ιτάσα γ λ ώ σ σ α τ ω θεώ). Der zitierende Text unterscheidet sich davon nur durch die Voranstellung von π ά σ α γ λ ώ σ σ α . Für das einleitende Stück ist ein Rückgriff auf Jes 49,18b (ζώ έγώ, λέγει κύριος) wahrscheinlich, auch wenn sich diese Schwurformel noch an weiteren Stellen in der LXX findet (z.B. Jer 22,24a; Ez 5 , I I a ) ; zur Begründung s. Koch, Schrift 185. 261 Formal entspricht der Betonung der Universalität die Endstellung von π α ν γόνυ (V. 11c) und die Anfangsstellung von π α σ α γ λ ώ σ σ α (V. 1 Id). 260

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innerhalb des engeren Kontextes einen eigenständigen Akzent 262 und ist darin mit V. 9 vergleichbar263. Die christologische Aussage dort und die theologische Aussage hier sind zwar als Begründung bzw. als Bestätigung an den vorangehenden Kontext angefügt, sie gehen in dieser Funktion aber nicht auf, sondern öffnen die Perspektive auf die umfassende Weite der Christusherrschaft und auf den endzeitlichen Triumph Gottes, dem sich jeder unterwerfen wird und der von jedem gepriesen werden wird. In der Folgerung von V. 12 (αρα έκαστος ήμών περί έαυτοϋ λόγον δώσει 264 ) entspricht das , jeder von uns" dem „wir alle" aus V. 10c; das Gespräch mit den beiden Typen wird also fortgesetzt, περί έαυτοϋ hält fest, daß Gottes Gericht über den einzelnen niemandes Einmischung zuläßt, so daß das dem Schwachen bzw. seinem Gegentyp vorgeworfene κρίνειν bzw. έξουθενεΐν auch unter dieser Perspektive als unangemessen erscheinen muß. V. 13a zieht eine abschließende Konsequenz und liefert mit κρίνειν das Stichwort, an das der neue, wie 14,1 direkt an die Adressaten gewandte Abschnitt (14,13a-15,6) anknüpft: μηκέτι οΰν αλλήλους κρίνωμεν. Unbestrittenermaßen hat κρίνειν hier einen umfassenderen Sinn als in V. 4a. 10a; der Ausdruck schließt neben der dem Typus des Schwachen zugeschriebenen Haltung die dem Gegentypus zugeschriebene Haltung des έξουθενεΐν ein265. Unter funktionalem Aspekt entscheidend ist die Frage, an wen sich der Verfasser mit dem adhortativischen κρίνωμεν eigentlich wendet: Ist hier schon (wie dann eindeutig in V. 13b) die Adressatenschaft direkt angesprochen, oder gehört V. 13a noch hinzu zu dem in V. 10 einsetzenden Gespräch mit den beiden Typen?266 Für die Entscheidung zugunsten der zweiten Möglichkeit 262 Vgl. Koch, der Rom 14,11 zwar zur Gruppe der „Schriftzitate mit rein bestätigender Funktion" (Schrift 260) rechnet, darin aber doch einen „Grenzfall" (ebd. 261) sieht: „Die Aussage des Zitats geht... über die reine Feststellung der Richtergewalt Gottes hinaus" (ebd.). 263 Auch Nababan sieht einen besonderen Zusammenhang zwischen V. 11 und V. 9 (Bekenntnis 85.87). Dieser Zusammenhang beruht für ihn aber vor allem auf der Annahme des christologischen Sinns von κύριος (und entsprechend von έγώ und έμοί) in V. 11 (ebd. 85f.; vgl. auch Wilckens, Römer III 85). Zur Kritik an der christologischen Auffassung von V. l l b . c s. besonders Cranfield, Romans II 710. 264 Zum textkritischen Verdacht gegen die Ursprünglichkeit von ούν und τφ θεώ s. Zahn, Römer 577 Anm. 15. Der Verdacht gegen τφ θεφ besteht auch dann, wenn man anders als Zahn (ebd. 576 Anm. 13) in V. 10 von βήματι roö θεοϋ als ursprünglich ausgeht: Die explizite Nennung des Richters ist als sekundäre Erläuterung erklärbar (vgl. Metzger, Commentary 53If.). Für die Ursprünglichkeit von τ φ θ ε φ vgl. dagegen Cranfield, Romans II 711 Anm. 3. 265 Yg[ u n ter vielen anderen: Zahn, Römer 577; Cranfield, Romans II 711 Anm. 5; Schmithals, Römerbrief 503. 266 j)j e Frage nach dem Ende des in V. 10 einsetzenden Gesprächs wird in der Sekundärliteratur - soweit ich sehe - nicht gestellt. Tatsächlich wird die Frage ja auch nur dann relevant, wenn man die gängige Voraussetzung, nach der mit dem Schwachen und seinem Gegentyp die beiden Gruppen gemeint sind, aus denen die Adressatenschaft besteht, nicht teilt. - In Stowers' Ausführungen zum „imaginary interlocutor" wird 14,10 nur am Rande behandelt (Diatribe 213 Anm. 6). Dem einleitenden Überblick zufolge scheint er den an den bzw. die fiktiven Einredner gerichteten

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spricht die Formulierung mit μηκέτι, die ein κρίνειν der aktuell Angesprochenen voraussetzt. Ein „Verurteilen" (κρίνειν bzw. έξουθενεΐν) war in V. 4a.l0a.b von den beiden Typen ausgesagt, nicht aber direkt von der Adressatenschaft 267 . Folglich liegt die Ermahnung „Laßt uns nun einander nicht mehr verurteilen" noch auf der Ebene des in V. 10 begonnenen Gesprächs mit dem Schwachen und seinem Gegentyp. Daraus ergibt sich: V. 13a richtet sich nicht auf eine aktuelle Konfliktsituation gegenseitiger Verurteilung mit der Aufforderung, diese zu beenden 268 . Ermahnt werden vielmehr die beiden als Gesprächspartner fiktiven Typen, von denen der eine innerhalb der Adressatenschaft noch gar nicht repräsentiert ist, der andere aber durch eine der Adressatenschaft naheliegende Lebens- und Verhaltensweise gekennzeichnet ist. Zusammenfassend sind aus der Analyse von 14,2-13a folgende Punkte festzuhalten: 1. Der Abschnitt unterbricht die in 14,1 einsetzenden und mit 14,13b fortgesetzten, direkt an die Adressaten gerichteten Ausführungen. Seine Struktur beruht auf der literarischen Konstruktion zweier Typen, des Schwachen und seines Gegentyps. Abgesehen vom bekenntnishaft formulierten Mittelstück wird in diesem Abschnitt entweder über die beiden Typen gesprochen (V. 2f.5f.) oder zu ihnen (V. 4.10-13a). 2. Das Verhältnis der beiden Typen zur Adressatenschaft ergibt sich aus dem Anschluß an V. 1 und die dort ausgedrückte Gegenüberstellung zwischen dem „Schwachen im Glauben" und der zu seiner Annahme aufgeforderten Adressatenschaft: Der Typus des Schwachen ist in der Wirklichkeit der Adressaten noch nicht konkret repräsentiert, anders steht sein Gegentyp modellartig für die Adressatenschaft. 3. Die beiden Typen werden durch bestimmte Lebensweisen und Einstellungen charakterisiert. Der Schwache ernährt sich vegetarisch, dazu kann die Einhaltung bestimmter Tage treten. Er tendiert zur Verurteilung von andersartig lebenden Christen. Die Lebensweise des Gegentyps bildet die Folie, von der sich die des Schwachen abhebt; er macht hinsichtlich der Nahrungsmittel und der Tage keine Unterschiede. Er tendiert zur Verachtung derer, die solche Unterschiede einhalten.

Teil auf 14,lOf. zu begrenzen (ebd. 81). Wenn sich aber V. 10c als Begründung zu V. lOa.b (und in der Konsequenz auch V. 11) noch an die beiden Typen richtet, dann besteht kein Grund, V. 12 anders zu beurteilen. 267 Die Adressatenschaft war in 14,1 vor διακρίσεις διαλογισμών gewarnt, aber nicht deshalb getadelt worden. 26 8 Die Gegenposition, von der die meisten Exegeten ausgehen, wird bei Zahn deutlich formuliert: „Durch μηκέτι ist ausgedrückt, daß das [erg.: das Richten] bisher in Rom geschah" (Römer 577).

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4. Die Stellungnahme des Verfassers zu den Lebensweisen und Einstellungen der beiden Typen folgt aus dem im Mittelstück (V. 7-9) entfalteten Gedanken der Herrschaft Christi über die ihm Zugehörenden: Er bestätigt das Recht der verschiedenen, aber doch beide im Bezug auf Christus als Herrn geführten Lebensweisen, und er weist von derselben Basis aus alles Richten und Verachten des Bruders scharf zurück. 5. Der zentrale Gedanke der Herrschaft Christi über jeden Christen und der literarisch komplizierte Bau des Abschnitts 14,2-13a (Konstruktion zweier Typen mit je unterschiedlicher Distanz zur Adressatenschaft) lassen sich aufeinander beziehen: In Anbetracht der Christusherrschaft sind prinzipielle Rangunterschiede zwischen Christen ausgeschlossen. Diese Gleichrangigkeit in der theologischen Ortsbestimmung hat ihre Entsprechung in der literarischen Gleichrangigkeit der beiden Typen. 6. An zwei Stellen des Abschnitts werden Akzente gesetzt, die den ekklesiologischen Horizont des Abschnitts sprengen: V. 9 macht Tod und Auferstehung Christi nicht nur als das die Herrschaftsbeziehung Christi zu den Glaubenden begründende Ereignis geltend, sondern bestimmt sein Ziel in der Herrschaft Christi über alle Menschen. Das alttestamentliche Zitat in V. 11 bestätigt nicht nur die vorangehende Ankündigung des Gerichtes Gottes, vor dem „wir alle" erscheinen werden, sondern es hebt vor allem den anbetenden Lobpreis hervor, der Gott schließlich von jedem Menschen, also in universaler Weite, erwiesen werden wird. Insgesamt kommt dem Abschnitt 14,2-13a die Funktion zu, jene gedachte Situation zu skizzieren und theologisch zu beleuchten, für die die Aufforderung von 14,1 gilt. Es handelt sich um eine Situation, in der die Adressaten auf andere Christen treffen, die sich zu bestimmten Restriktionen in ihrer Lebensweise verpflichtet sehen. Diese Situation enthält von beiden Seiten aus Konfliktpotential. Grundlegend für die theologische Interpretation dieser antizipierten Situation ist der Gedanke der Herrschaft Christi über die ihm Zugehörenden und damit über deren Gemeinschaft. Dieser stark ausgearbeitete Gedanke stellt zugleich eine Verbindung zu dem 14,1-15,7 vorausgehenden Stück 13,8-14 her, das in die Aufforderung zum „Anziehen des Herrn Jesus Christus" mündete (13,14a). 3.3.3.3.3 Prägung der Adressatenschaft zur Gemeinde der „Starken" (14,13b-]5,6) 14,13b (άλλα τούτο κρίνατε μάλλον, τό μή τιθέναι πρόσκομμα τω άδελφω η σκάνδαλον) knüpft im Stichwortanschluß an das Ende des Gesprächs mit den beiden Typen (V. 10-13a) an und stellt die direkte Kommunikation mit den Adressaten wieder her. Die direkte Hinwendung zu den Adressaten, mit der 14,1 eingesetzt hatte, die aber in 14,2-13a unterbrochen war, prägt die

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weiteren Ausführungen bis 15,6. Das gilt, obwohl sich die 2. Person Plural nach dem Einleitungssatz von V. 13b nur noch selten (14,16; 15,5f.) findet und neben der 1. Person Plural (14,19; 15,lf.4) vor allem die 2. Person Singular an ihre Stelle tritt (14,15.20-22). Dieses Du ist von der Verwendung des Du in 14,4.10 klar unterscheidbar: Während dort zwei zuvor aufgebaute und als Gesprächspartner fingierte Typen angeredet waren, gilt das Du im Abschnitt 14,13b—15,6 den jeweils einzelnen Adressaten269. Wie in 14,1 erscheint in 14,13bff. der Schwache bzw. der „Bruder" (14,13b.l5a.21) als ein Dritter, über den zu den Adressaten gesprochen wird. Wie 14,1 trägt 14,13b den Charakter eines Leitsatzes, der zusammenfassend das Verhalten kennzeichnet, das die Adressaten dem Schwachen gegenüber praktizieren sollen. Die Vermeidung von Anstoß oder Ärgernis für den Bruder entspricht negativ der in V. 1 geforderten Annahme des Schwachen. Diese negativ formulierte Anweisung von V. 13b wird in V. 14-23 in mehreren Schritten entfaltet, bis 15,1 schließlich einen dritten Leitsatz bietet, der wiederum zusammenfassend das erforderliche Verhalten dem Schwachen gegenüber formuliert, und zwar als Tragen der Schwachheiten der άδύνατοι. Nach diesem positiven Pendant zu 14,13b lösen sich die Ausführungen von 15,2 an schrittweise vom Problem des Schwachen ab 270 . 15,1 bildet so den Höhe- und Zielpunkt in der Behandlung des Problems des Schwachen271. Für die Annahme von 15,1 als des eigentlichen Zielpunktes spricht auch folgende Beobachtung: Innerhalb von 14,13b—15,6 tritt das Verfasser-Ich an zwei Stellen in den Vordergrund, und zwar in unterschiedlicher Weise. In 14,14 faßt der Verfasser seine persönliche Überzeugung (οίδα και πέττεισμαι έν κυρίω Ίησοΰ) zusammen, die er „im Herrn Jesus" gegründet sieht272. Auch wenn für 14,14b die Zustimmung der Adressaten vorausgesetzt sein dürfte, bleibt festzuhalten, daß der Text eine solche Übereinstimmung zwischen Ver269

Anders Cranfield, der in 14,4.10a.b den individuellen Schwachen bzw. den individuellen Starken (verstanden als Zugehörige zu zwei real präsenten Adressatengruppen) angeredet sieht und dann 14,15.20-22 mit 14,10b zusammenfaßt als Anrede an den individuellen Starken (Changes 282f. - Gerade die 2. Person Plural in 14,13b, unter deren Vorzeichen die folgenden Ausführungen stehen, bleibt bei Cranfield - wohl versehentlich - unberücksichtigt [vgl. die Aufzählung ebd. 282]). Aus Stowers' Ausführungen zum „imaginary interlocutor" (Diatribe 79-118) ergibt sich kein völlig eindeutiges Urteil zum Verhältnis der Du-Anreden in 14,4.10a.b einerseits und 14,15.20-22 andererseits. Weil Stowers aber 14,4 (und lOa.b) als exemplarisch behandelt für das Phänomen des imaginären Einredners im paränetischen Briefteil (ebd. 213 Anm. 1), scheint er ebenfalls keinen Unterschied zu sehen zwischen den Du-Anreden in 14,4.10 und 14,15.20-22. 27

0 Vgl. o. S. 225.

271

Gegen die Annahme einer Zäsur vor 15,1 vgl. Schmithals, Römerbrief 509. Die Einleitungswendung hat sicher nicht die Funktion, die folgende Aussage als Jesus-Wort zu kennzeichnen, vgl. dazu Räisänen, Law 246f. mit Anm. 99. Damit ist ein Rückgriff auf JesusTradition natürlich noch nicht ausgeschlossen (zur möglichen, aber kaum nachweisbaren Nachwirkung des Logions aus Mk 7,15 in Rom 14,14.20 s. Taeger, Unterschied 29 mit Anm. 79), wichtig ist in diesem Zusammenhang nur: Der Verfasser macht den Adressaten gegenüber für seine in Rom 14,14b.c zusammengefaßte Überzeugung nicht die Autorität eines Jesus-Wortes geltend. 272

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fasser und Adressaten an dieser Stelle nicht thematisiert; die Übereinstimmung ist folglich nicht der Punkt, auf den es in diesem Zusammenhang ankommt. Anders verhält es sich in 15,1, wo mit der Formulierung „wir, die Starken" ein betonter Zusammenschluß zwischen Verfasser und Adressaten vollzogen wird. Dieser Zusammenschluß mit den erst und nur hier als δυνατοί bezeichneten Adressaten geschieht nicht unter dem Aspekt der Sachfrage, sondern unter dem der Verpflichtung den Schwachen gegenüber. Die erst in 15,1, also gegen Ende der Ausführungen, erfolgende Bezeichnung der Adressaten als Starker und der erst hier stattfindende Zusammenschluß des Verfassers mit ihnen legt folgende Annahme nahe: Der vorangehende Text hat die Funktion, die Adressaten zu solchen Starken zu machen, als die sie am Ende angesprochen werden. Zu diesem Zweck wird das im Leitsatz von 14,13b formulierte Prinzip το μή τιθέναι πρόσκομμα τω άδελφω η σκάνδαλον - in mehreren Schritten und unter mehreren Aspekten in 14,14-23 entfaltet. 14,14f.: Die Behauptung des Verfassers, mit der die Entfaltung des Leitsatzes von V. 13b einsetzt, ist zweiteilig (V. 14b.c). Ihr erster, negativer Teil (ουδέν κοινόν δι' έαυτοϋ) entspricht der Position des der Adressatenschaft naheliegenden Gegentyps aus 14,2-13a, der sich unterschiedslos von allen Speisen ernährt. Tatsächlich setzt 14,14 in diesem Punkt also einen Konsens zwischen Verfasser und Adressaten voraus, aber nur im Sinn einer Prämisse für den positiven Teil der These, der das Urteil über rein und unrein allein an die Person des Entscheidenden bindet: εί μή τω λογιζομένω τι κοινόν είναι, έκείνω κοινόν (V. 14c). V. 14b ist schon auf V. 14c hin formuliert (δι' έαυτοϋ steht im Gegensatz zu τω λογιζομένω); auf V. 14c liegt also das Schwergewicht273. Die Behauptung, daß für denjenigen etwas unrein ist, der es dafür hält, setzt nun nicht die andere Behauptung (nichts ist unrein durch sich selbst) als eine Ausnahme teilweise außer Kraft 274 , vielmehr stellt V. 14c dem objektiven Urteil von V. 14b das personbezogene Urteil als das eigentlich relevante gegenüber. Im Kontext ist der λογιζόμενος τι κοινόν είναι natürlich auf den Schwachen zu beziehen. D.h.: Der Verfasser nennt zwar als Inhalt seiner Überzeugung die Position, hinsichtlich derer zwischen ihm und den Adressaten kein Dissens besteht, Inhalt seiner Überzeugung ist aber zugleich und besonders das Recht der gegenläufigen Position des Schwachen.

273 Vgl. anders Cranfield, der V. 14c als Teil des ön-Satzes bestreitet, auf diese Weise die in der Einleitungswendung (V. 14a) ausgedrückte Hervorhebung des Folgenden allein auf V. 14b bezieht und so V. 14b unabhängig von V. 14c auslegt als „full acceptance of the principle that ούδέν κοινόν δι' έ α υ τ ο ϋ " (Romans II 712 Anm. 3). 274

εί μή wird als Einführung einer Ausnahme verstanden z.B. von Wilckens, Römer III 91 Anm. 445; vgl. aber i.S. von „aber" Bl/Debr/Rehk § 448 Anm. 9.

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Bei der Behandlung der Problematik des Schwachen im Rom spielt 14,14 deshalb eine entscheidende Rolle, weil viele Ausleger 275 aus der Verwendung des Wortes κοινός Rückschlüsse ziehen auf die Position des Schwachen bzw. auf den Gegenstand des - nach Meinung dieser Ausleger - aktuellen Streits zwischen den beiden Adressatengruppen. Weil κοινός ausschließlich in jüdischen oder jüdisch beeinflußten Texten i.S. von „unrein" verwendet wird 2 7 6 , darum scheint diesen Auslegern die Position des Schwachen, der „etwas für unrein (κοινόν) hält", als eine Position gekennzeichnet zu sein, die in ihrer Bindung an kultisch-rituelle Reinheitsvorstellungen jüdisch geprägt ist. „Wir erfahren, daß die 'Starken' ... hinsichtlich der Speiseangelegenheit nach dem Motto 'Nichts ist unrein (an sich)' (14,14) bzw. 'Alles ist rein' (14,20b) gehandelt haben ... Grundsätzlich schließt sich Paulus der Überzeugung des 'Starken' an, indem er ihm in 14,14 mit Berufung auf den Herrn Jesus in der Sache zustimmt. Ε contrario heißt dies: Der 'Schwache im Glauben' (14,1) ... verwarf den Genuß von Fleisch und Wein (14,21), weil er diese für unrein hielt (14,14b ...). Diese durch Umkehrung der Aussage des Paulus erschlossene Begründung für die Enthaltsamkeit des 'Schwachen' stellt den ausschlaggebenden Anhaltspunkt dar, der erlaubt, die 'Schwachen' der jüdischen Torafrömmigkeit zuzuordnen" 2 7 7 . - Die entscheidende Schwierigkeit dieser Argumentation liegt in folgendem Punkt: Die Verwendung des Ausdrucks κοινός ließe sich in der gekennzeichneten Weise nur dann auswerten, wenn man 14,14b.c wörtliche Zitate entnehmen könnte, wenn man also V. 14b (ουδέν κοινόν δι' εαυτού) für die Parole der einen Position halten könnte und aus V. 14c (εί μή τώ λογιζομένω τι κοινόν είναι, έκείνω κοινόν) die Parole der konträren Position des Schwachen rekonstruieren könnte. Tatsächlich ist in 14,14 aber gar nicht angedeutet, daß die beiden Positionen, von denen dem Kontext zufolge die Rede ist, hier wörtlich zur Sprache kommen sollen; vielmehr leitet V. 14a eine Behauptung des Verfassers ein, und die darin enthaltene Verwendung von κοινός läßt sich - wie schon Spitta geltend gemacht hat 2 7 8 - zumindest nicht unmittelbar und ohne weitere Anhaltspunkte in Anspruch nehmen als Indiz für die Bindung des Schwachen an jüdische Reinheitsvorschriften. Aus der jüdisch geprägten Verwendung von κοινός ergibt sich nicht automatisch die jüdische Prägung des durch λογιζόμενος τι κοινόν είναι beschriebenen Typus 2 7 9 .

275 Vgl. z.B. Cranfield, Romans II 695; Wilckens, Römer III 112f.; Schmithals, Römerbrief 490; Lampe, Stadtrömische Christen 57; Dunn, Romans II 800.818f.; Nanos, Mystery 96 Anm. 36; Schneider, Gemeinde 108-115; Reasoner, Theology 290. 276 Zu den Belegen s. Schneider, Gemeinde 108-115. 277 Schneider, Gemeinde 127f. (Hervorhebung von mir). 278 Gegen den Schluß von κοινός (14,14) (und κ α θ α ρ ό ς [14,20]) „auf den jüdischen Charakter der Glaubensschwachen" wandte Spitta ein, „dass Paulus in der Darlegung seiner Ansicht sich leicht der Terminologie bedienen konnte, die ihm von den Auseinandersetzungen mit den Juden her geläufig war" (Römer 34). 27 ' Die Skepsis hinsichtlich des genannten Rückschlusses läßt sich durch einen Analogiefall zusätzlich stützen. Bei der Diskussion der Götzenopferfleisch-Problematik in IKor 8,1-11,1 wird mit Ausnahme von 10,28 durchgehend der Ausdruck είδωλόθυτον (8,1.4.7.10; 10,19) verwendet. An der jüdischen Herkunft und Prägung dieses Ausdrucks kann kein Zweifel bestehen (vgl. Büchsei, Art. ε'ίδωλον 375f.). Daß die Verwendung des Ausdrucks keinen Anhaltspunkt bietet für die Annahme einer jüdischen Prägung der Schwachen, für die der Genuß von είδωλόθυτον problema-

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Dabei geht es in 14,14 nicht einfach darum, dem Urteil des Schwachen über bestimmte Dinge als unrein neben der objektiv richtigen Verneinung der Unreinheit von Dingen ein Recht einzuräumen. Dieser Sinn hätte sich mit ούδέν κοινόν δι' έαυτοϋ, εί μή τώ λογιζομένω τι κοχνόν είναι vollständig ausdrücken lassen (wobei εί μή dann im Sinn von „außer" zu verstehen wäre). Die Pointe liegt gerade im abschließenden έκείνω κοινόν. Die Feststellung,, jenem ist es unrein", macht klar, daß die vom λογιζόμενος behauptete Unreinheit nicht einfach dessen Urteilsergebnis, sondern eine diesen bestimmende Wirklichkeit darstellt. Wenn V. 14 in dieser Zielrichtung zu begreifen ist, wird der Anschluß von V. 15 verständlich: Der Fall der „Betrübnis" des Bruders durch Speise (V. 15a) setzt das von ihm als κοινόν Beurteilte als etwas sich an ihm real und negativ Auswirkendes voraus280. In direkter Anrede an die einzelnen Adressaten will V. 15 diese davor warnen, eine solche negative Auswirkung von Speise auf den schwachen Bruder zuzulassen bzw. diese zu verursachen. Dabei steigert μή ... έκεϊνον άπόλλυε (V. 15c) das λυττεΐται (V. 15a) und verdeutlicht die negative Auswirkung i.S. des Heils Verlustes. Beide Teile der Warnung (V. 15a.b; V. 15c) enthalten je eine Motivierung: Die Inkaufnahme der „Betrübnis" des Schwachen der Speise wegen wäre die Aufgabe einer der Liebe entsprechenden Lebensweise; die Zerstörung des Bruders durch die eigene Speise wäre Zerstörung des ihm aus Christi Sterben erwachsenen Heils. V. 15 stellt zunächst grundsätzlich das Faktum eines Zusammenhangs zwischen der (vom Schwachen für unrein gehaltenen) Speise und ihrer verheerenden Wirkung auf den Schwachen heraus und erläutert noch nicht, wie es zu dieser Wirkung kommen kann. Erst V. 20ff. wird in dieser Richtung deutlicher. Der zwischengeschaltete Passus 14,16-19 rückt das Problem insofern unter eine neue Perspektive, als hier seine „Außensicht" thematisiert wird. Der folgernd an V. 15 angeschlossene V. 16 macht auf ein Risiko aufmerksam, das die Adressaten dann eingehen, wenn sie der Warnung von V. 15 zuwiderhantisch ist, zeigt 8,7b: τινές δέ τη συνήθεια εως αρτι τοϋ ειδώλου ώς είδωλόθυτον έσθίουσιν. Die betreffenden Personen können das Opferfleisch deshalb nicht wie „normales" Fleisch essen, weil sie durch ihre bis jetzt andauernde Gewöhnung an den Götzen, also durch eine Nachwirkung ihres früheren Heidentums, daran gehindert werden. Vorausgesetzt, mit dem in 10,28 mit den Worten τοΰτο ίερόθυτόν έστιν zitierten μηνύσας wäre ein schwacher Bruder gemeint (zur Diskussion vgl. z.B. Schräge, der dieser Annahme zuneigt [1. Korinther II 469-471], und Koch, der sie ablehnt [Unanstößig 47f.]), dann wäre durch das Zitat angezeigt: Die Schwachen halten an deijenigen Bezeichnung des Problemgegenstandes fest, der ihrer vorchristlichen Vergangenheit entspricht. (Vgl. ähnlich Schräge: „Möglicherweise ist der Ausdruck aber auch Erinnerung an die συνήθεια von 8,7" [1. Korinther II 470 Anm. 532].) - Wie auch immer es sich in IKor 10,28 genauer verhält, auch unabhängig davon ist deutlich: Der jüdische Terminus είδωλόθυτον signalisiert in 1 Kor 8,7 gerade nicht die jüdische Prägung derer, von denen das Essen einer Speise ώς είδωλόθυτον ausgesagt ist, und entsprechend signalisiert der jüdische Terminus κοινός in Rom 14,14 nicht die jüdische Prägung dessen, von dem ein λογίζεσθαι τι κοινόν είναι ausgesagt ist. 280 Vgl. ähnlich Kühl, Römer 455. Für γ ά ρ ist dann ein anknüpfender und fortführender Sinn (vgl. Bauer/Aland, Wb. 305) anzunehmen.

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dein sollten: μή βλασφημείσθω οΰν ύμών τό αγαθόν. Dabei meint ύμών το αγαθόν das den Adressaten mit allen anderen Christen gemeinsame „Gute", also ihren Stand im Heil281, der durch das Sterben Christi (V. 15c) verursacht ist. Dieses „Gute" wäre im Fall einer Situation wie der in V. 15 vorgestellten der Verächtlichkeit und der Schmach preisgegeben. Zwar mag der Schwache, also der „Bruder" aus V. 15, als logisches Subjekt zu βλασφημείσθω nicht ausgeschlossen sein, aber die unpersönliche Formulierung läßt eher an Schmähungen seitens der nicht-christlichen Umwelt denken282, die insofern nachvollziehbar auf die Auseinandersetzungen zwischen Christen reagiert, als diese Auseinandersetzungen über die Speise vom gemeinsamen „Guten" nichts erkennen lassen, sondern - im Gegensatz zur λογική λατρεία aus 12,If. gleichsam verdunkelnde Wirkung haben. Auf dieses pervertierte Bild, das die Adressaten in einer Auseinandersetzung mit dem Schwachen abgeben könnten, nimmt die folgende Bestimmung der Gottesherrschaft in ihrem ersten, negativen Teil Bezug: οΰ γάρ έστιν ή βασιλεία τού θεού βρώσις και πόσις (V. 17a). Auch die positive Bestimmung (άλλα δικαιοσύνη και ειρήνη και χαρά έν πνεύματι άγίω [V. 17b]) läßt mindestens mit der letzten der drei Heilsgaben die vorgestellte Situation von V. 15, in der es zur „Betrübnis" des Bruders kommt, im Kontrast wieder anklingen283. Im Kontext hat die Wesensbestimmung der Herrschaft Gottes, die sich im Raum der Gemeinde schon durchgesetzt hat, also nicht einfach lehrhafte Funktion, sondern sie zielt im Anschluß an V. 16 auf die Mahnung der Adressaten, „Gerechtigkeit und Frieden und Freude im Heiligen Geist" 284 in einer nach außen erkennbaren Weise auszuleben, anstatt sie durch unsachgemäße Konzentration auf βρώσις και πόσις zu verdunkeln und der Lästerung auszusetzen.

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Vgl. z.B. Nababan (Bekenntnis 94) und Schlier (Römerbrief 414f.), der auf Rom 8,28; 10,15 als Parallelen in der Verwendung von τό αγαθόν hinweist (ebd. 415). Anders denken z.B. Merk (Handeln 169 mit Anm. 91) und Wilckens (Römer III 93) spezieller an „das Gute", das die Adressatenschaft (bzw. nach Meinung dieser Ausleger: ein Teil der Adressatenschaft) dem schwachen Bruder voraushat, also an die Freiheit, die sich im nicht-restriktiven Umgang mit den Nahrungsmitteln äußert. Der Vorschlag erscheint deshalb kaum überzeugend, weil in dem Rom 14,16 vorangehenden Kontext die Freiheit der Adressatenschaft als ein positiver Wert nirgendwo auf den Begriff gebracht ist, so daß sich ύμών τό αγαθόν unproblematisch darauf beziehen könnte. Ein Rückbezug auf „die Position von VI4a" (Wilckens, Römer III 93) ist unwahrscheinlich, weil hinsichtlich des dort vertretenen Standpunkts zwar Übereinstimmung mit den Adressaten vorausgesetzt ist, dieser Standpunkt aber nicht wie ein besonderes Gut der Adressaten herausgestellt 282 vgl. z.B. Nababan, Bekenntnis 94; Käsemann, Römer 364; Cranfield, Romans II 717; Zeller, Römer 227. 283

Vgl. Nababan, Bekenntnis 95 Anm. 217. Im Anschluß an V. 16 lassen sich die drei Heilsgaben, von denen δικαιοσύνη und ειρήνη an zentralen Stellen des ersten Hauptteils des Rom (vgl. besonders 3,21-26; 5,1-5) verhandelt wurden, verstehen als Explikation des „Guten". 284

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

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Die Berücksichtigung der Außenwirkung wird in V. 18 direkt thematisiert: Das Ausleben der Gottes Herrschaft kennzeichnenden Gaben ist Dienst an Christus285; der in diesem Dienst Befindliche steht nicht nur unter Gottes Wohlgefallen, sondern gilt auch den Menschen als δόκιμος. Ob δόκιμος an dieser Stelle den Sinn von „anerkannt" oder „angesehen" hat286, erscheint eher fraglich, jedenfalls wäre eine uneingeschränkte Behauptung positiver Resonanz seitens der nichtchristlichen Umwelt kaum zu vermitteln mit den differenzierten Ausführungen von 12,14—21287. Näherliegend erscheint eine Bedeutungsmöglichkeit wie „glaubwürdig"288, die weniger das Faktum positiver Resonanz als den berechtigten Anspruch darauf betont289. Entscheidend für den Sinn von V. 18 ist in jedem Fall der Kontrast zu V. 16290: Wie ein Verhalten, das um einer gemessen am Heil unerheblichen Sache willen das Verderben des Bruders riskiert (V. 15), die nichtchristliche Umwelt provoziert, das Heil der Christen zu lästern (V. 16), so vollzieht sich auch der vom geschenkten Heil, von „Gerechtigkeit und Frieden und Freude im Heiligen Geist" bestimmte Dienst an Christus nicht unbemerkt, sondern kann den Respekt der nicht-christlichen Umwelt erwarten. Der folgernd angeschlossene V. 19 bündelt und leitet in seiner zweiten Hälfte zum anschließenden Passus über: άρα ουν τά της ειρήνης διώκομεν 291 και τά της οικοδομής τής εις αλλήλους. Trotz der indikativischen Formulierung dessen, was „wir" (die 1. Person Plural steht hier wieder generell für alle Christen) tun, enthält V. 19 natürlich ein appellatives Moment: V. 19 will die Adressaten festlegen auf den Weg, der vom geschenkten Frieden und der schon im Gang befindlichen, gegenseitigen Erbauung bestimmt ist und auf dem verfolgt wird, was mit der ειρήνη und der οικοδομή zusammenhängt292. Eine (häufig angenommene293) Einschränkung von τά της ειρήνης als nur den

285 Wilckens bemerkt zu Recht, daß an dieser Stelle „Herrschaft Gottes und die Christi ineins" gesetzt werden (Römer III 94). Der Gedanke der Christusherrschaft war in 14,7ff. grundlegend entfaltet worden. 286 So Bauer/Aland, Wb. 408. 287 Vgl. o. S. 271. 288 Vgl. Liddell/Scott/Jones, s.v. δόκιμος 1., 442: „trustworthy"', vgl. auch die Liste der Bedeutungsmöglichkeiten von δόκιμος bei Grundmann (Art. δόκιμος 258). 289 Cranfield übersetzt δόκιμος τοις άνθρώποις mit „deserves men's approval" (Romans II 699), nennt aber nicht die philologische Grundlage des Vorschlags. 290 In diesem Punkt stimmen viele Ausleger überein; vgl. z.B. Zahn, Römer 582f.; Sanday/Headlam, Romans 392; Nababan, Bekenntnis 96; Käsemann, Römer 365; Cranfield, Romans II 720; Dunn, Romans II 824. 29 ' διώκομεν ist besser bezeugt als die v.l. διώκωμεν; der Indikativ hat den Vorzug der lectio difficilior (vgl. Cranfield [Romans II 720], der sich allerdings aus Gründen der „intrinsic probability" zugunsten von διώκωμεν entscheidet [ebd. 721]). 292 Zur Formulierung τά τής ειρήνης bzw. οικοδομής vgl. Nababan, Bekenntnis 97 Anm. 223. 293 Vgl. z.B. Cranfield, Romans Π 721; Wilckens, Römer III 94; Käsemann, Römer 365.

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Kreis der Mitchristen betreffend ist im Text nicht angedeutet294. Erst durch τά της οικοδομής mit der angeschlossenen Kennzeichnung της εις άλλήλους 295 wird wieder auf die Binnenverhältnisse zurückgelenkt. V. 20-23: Der neue Passus setzt unter der durch τά της οικοδομής τής εις άλλήλους eröffneten ekklesiologischen Perspektive ein. V. 20 verwendet mit καταλΰειν („niederreißen") den Gegenbegriff zu οίκοδομεΐν 296 , mit dem έργον τοΰ θεοϋ ist daher die Gemeinde gemeint297. Stilistisch wird in V. 20ff. die die Adressaten individuell anredende Form aus V. 15 weitergeführt. Inhaltlich kommt V. 20f. in „chiastischer" Anordnung auf V. 13b—15 zurück; V. 20a hat eine Entsprechung in V. 15; V. 20b.c in V. 14b.c; V. 21 in V. 13b298. Damit stellt sich die Frage, was die Wiederaufnahme den Ausführungen von V. 13b—15 hinzufügt. Für V. 20a (μη ένεκεν βρώματος κατάλυε τό έργον τοΰ θεού) im Verhältnis zu V. 15 ist diese Frage im Prinzip schon beantwortet: V. 20a interpretiert das Verderben, das die Adressaten dem schwachen Bruder um einer nichtigen Sache, der Speise, willen bereiten können, als Zerstörung der Gemeinde, also als Destruktion des Werkes Gottes, in dem ihnen - wie allen anderen Christen - eigentlich eine konstruktive Funktion zukommt (V. 19). Die Voraussetzung der scharf formulierten Warnung von V. 20a liegt auf der Hand: Der schwache Bruder hat seinen Platz innerhalb des Gotteswerkes der Gemeinde, folglich wäre sein Verderben von einer über ihn selbst hinausgehenden zerstörerischen Auswirkung. Die Aufnahme von V. 14b.c in V. 20b.c erläutert den schon in V. 14f. angesprochenen Zusammenhang zwischen der dem Schwachen als unrein geltenden Speise und seiner „Betrübnis" bzw. seinem Verderben: Die Speise kann deshalb verheerend wirken, weil der Schwache sie (nur) unter Anstoß essen kann299, wozu er sich - wie man schließen muß - aber andererseits genötigt sehen wird, wenn die Adressaten diese Speise in einer ostentativen und den Schwachen provozierenden Weise verzehren.

294 Auch die Erwähnung des Friedens als eines Heilsgutes in V. 17 spricht gegen eine Einschränkung: Wem der Friede zuteil geworden ist, der „wird auch Friede um sich zu verbreiten bemüht sein und zwar im Verhältnis zu allen Menschen cf 12,18" (Zahn, Römer 583). 295 Vielhauer macht zu Recht τής εις άλλήλους als Indiz gegen ein individualistisches Verständnis der οικοδομή geltend (Oikodome 94). Auch die zusammenfassende Formulierung mit Artikel und Genitiv legt den Gedanken an einen Gesamtvorgang nahe. 296 Vgl. Bauer/Aland, Wb., s.v. καταλύω l.b.ß., 842; Vielhauer, Oikodome 94. 297 vgl. z.B. Vielhauer, Oikodome 94; Käsemann, Römer 365; Wilckens, Römer III 95. Vgl. auch die Hinweise Petersons zur Verwendung von έργον in der speziellen Bedeutung „Bau", „Gebäude" vor allem in epigraphischen Texten (Bedeutung 439f.). Anders möchte z.B. Cranfield das „Werk Gottes" auf den schwachen Bruder beziehen (Romans II 723), aber der Anschluß an V. 19 spricht für die erstgenannte Lösung. 298

Vgl. Nababan, Bekenntnis 97. Daß mit „dem Menschen" in V. 20c der Schwache gemeint ist, hat Wilckens einleuchtend gezeigt (Römer III 95); vgl. auch Lagrange, Romains 332; Schlier, Römerbrief 417; Theobald, Römerbrief II 168. Anders neigt z.B. Cranfield dazu, bei „dem Menschen" an denjenigen zu denken, der mit seinem Essen Anstoß gibt (Romans II 724). 299

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Entsprechend legt V. 21 den Adressaten den Verzicht nahe300: καλόν τό μή φαγεΐν κρέα μηδέ πιεχν οινον μηδέ έν ω ό άδελφός σου προσκόπτει. Die Regel expliziert den einführenden Leitsatz von V. 13b; sie zeigt, wie Anstoß vermieden werden kann301, und ist darin von erheblicher Relevanz für die Auslegung des gesamten cap. 14. Die dreiteilige Aufzählung ist nach dem zweiten μηδέ elliptisch formuliert, ein zu φαγεΐν und πιεΐν paralleles Verb muß ergänzt werden. Da auch ein zu κρέα und οινον paralleles Nomen fehlt, dürfte die Ellipse möglichst allgemein aufzufüllen sein - also etwa in der von Cranfield vorgeschlagenen Weise durch: αλλο τι ποιήσαι 302 so daß V. 21 zu verstehen ist i.S. von: Gut ist es, weder Fleisch zu essen noch Wein zu trinken noch sonst etwas zu tun, woran dein Bruder Anstoß nimmt303. Die Aufzählung von empfohlenen Verzichtmöglichkeiten ist aufschlußreich für das im Text vorausgesetzte Bild des Schwachen. Zu seinen Merkmalen gehört nach V. 21 nicht nur der Vegetarismus, mit dem sich nach 14,5f. Tagebeachtung verbinden kann; vielmehr könnte der Schwache auch jemand sein, der auf Wein verzichtet und der darüber hinaus eine nicht im einzelnen entfaltete Menge von anderen Besonderheiten des Lebensstils aufweist, die er meint einhalten zu müssen. D.h.: Durch das dritte Glied der Aufzählung in V. 21 wird die Palette der Merkmale des Schwachen völlig entschränkt304, und sol-

300 Erst V. 20 im Zusammenhang mit V. 21 erklärt also, warum die Adressaten schon in V. 15 als mögliche Verursacher des Verderbens des Schwachen dargestellt sind. Der Verzehr der kontrovers beurteilten Speise provoziert den Schwachen, gegen seine eigene Überzeugung zu handeln. 301 Vgl. Michel, der zu Recht V. 21 als „einen neuen Höhepunkt" im Zusammenhang von V. 13-23 bezeichnet (Römer 437): „Bisher hatten die vorangehenden Verse nur abgelehnt, dem 'Schwachen' Anstoß zu geben, hatten aber noch keinen Weg gezeigt, wie dies möglich ist" (ebd.). 302 Romans II 725 Anm. 1; vgl. auch Lagrange: „μηδέ έν ω, sous-entendue ποιεϊν" (Romains 333). 303 vgl. viele Übersetzungen, z.B. Lagrange, Romains 332; Käsemann, Römer 361; Schlier, Römerbrief 412; Cranfield, Romans II 699; Schmithals, Römerbrief 487; Zeller, Römer 222. - Undeutlich an dieser Stelle verfährt Wilckens: Er gibt in der Übersetzung die Ellipse wieder (Römer III 89; vgl. ähnlich Dunn, Romans II 815) und meint im Kommentar, daß „neben Fleisch auch Wein und weitere 'unreine' Nahrung genannt" werde (Römer III 96). In den Ausführungen dazu (ebd.) wird dann aber nur noch die Erwähnung des Weins berücksichtigt. Bei Theobald (Römerbrief II 169) wird das zweite μηδέ in V. 21 ganz übersehen. 304 Anders deutet Schmithals die Erwähnung des Verzichts auf Wein und auf andere, nicht genannte Sachen als Ausdruck für die „Unbedingtheit der Rücksichtnahme auf den Bruder" (Römerbrief 507). Der Vergleich mit der Parallelstelle 1 Kor 8,13, auf die auch Schmithals verweist (ebd.) und in der eindeutig die Unbedingtheit der Rücksichtnahme betont werden soll, zeigt aber, daß Rom 14,21 in dieser Funktion nicht aufgeht. IKor 8,13 drückt die Unbedingtheit aus zum einen durch die Steigerung des Verzichts (kein Fleisch) über den Problempunkt (Götzenopferfleisch) hinaus und zum andern durch das beinahe beschwörende εις τον αιώνα, das diesem Verzicht jede zeitliche Grenze nimmt. Anders als der Beteuerung von IKor 8,13 fehlt der lehrhaft-nüchtern formulierten Regel von Rom 14,21 (vgl. Michel, Römer 437) jedes pathetische Element, und vor allem sind das zweite und dritte Glied der Aufzählung (kein Wein, nichts andere Anstößige) nicht zu erkennen gegeben als Steigerung des Verzichts über das dem Schwachen Problematische (Fleischverzehr und gegebenenfalls Tagebeachtung) hinaus.

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che Einschränkung bietet ein klares Indiz dafür, daß der Schwache nicht für eine real existierende Gruppe, sondern für einen vorgestellten Typus steht. Der Text läßt offen, welche weiteren Formen der Rücksichtnahme erforderlich sein werden, um dem Schwachen keinen Anstoß zu geben, folglich ist auch offen, welche Merkmale der Typus des Schwachen genau aufweist 305 , wenn er in Gestalt konkreter Repräsentanten in die Wirklichkeit der Adressaten eintritt. Damit ist zugleich die Funktion der auf den Leitsatz von 14,13b zurückgreifenden Regel deutlich: V. 21 bereitet die Adressaten auf Restriktionen in der eigenen Lebensweise vor, die um des schwachen Bruders willen notwendig werden können und die auch mehr bzw. andere Punkte betreffen können als die bislang erwähnten. Der gegebenenfalls notwendige Verzicht wird in V. 22f. erläutert von der Seite der Adressaten her, die diesen Verzicht leisten sollen (V. 22a), und von der Seite des Schwachen her, dem dieser Verzicht zugute kommt (V. 23). Die an die Adressaten als einzelne gerichtete Aufforderung von V. 22a (σύ πίστιν [ην]306 εχεις κατά σεαυτόν εχε ένώιπον τοΰ θεού) zeigt, worauf ein der Regel von V. 21 entsprechendes Verhalten für sie hinausläuft, nämlich nicht auf Preisgabe, sondern auf Nicht-Demonstration der eigenen Glaubensüberzeugung307. Die anschließende Seligpreisung (V. 22b) gilt jedem Menschen, bei dem die getroffene Entscheidung und das darauf bezogene eigene Urteil im Einklang stehen. In dieser allgemein gehaltenen Formulierung ließe sich V. 22b vom Kontext her auf unterschiedliche konkrete Fälle beziehen308. Erst V. 23 zeigt, daß nochmals der Schwache ins Blickfeld gerückt werden soll309, bei dem die Entscheidung, (das ihm unrein Geltende) zu essen, nicht durch ein entsprechendes eigenes Urteil abgedeckt ist, sondern sich mit Zweifel verbindet. V. 23a.b zielt auf die verderbliche Wirkung solchen Zweifels, mit dem sich der Essende seine Verurteilung zuzieht (κατακέκριται), weil sein Verhalten und seine im Glauben wurzelnde Überzeugung auseinanderklaffen (δτι οΰκ έκ πίστεως). V. 23c ist wiederum allgemein formuliert (πάν δέ δ οΰκ έκ πίστεως αμαρτία έστίν), genauer: vom speziellen Verhalten (έάν φάγη [V. 305 Vgl. vorsichtig in derselben Richtung Lagrange, der vor allem wegen der Unbestimmtheit des dritten Gliedes der Aufzählung in V. 21 meint: ,,Ne pas manger de la chair et ne pas boire de vin sont done comme echantillons des abstentions par scrupule religieux" (Romains 333). 30 ^ Zur Auslassung von ήν als sekundärer stilistischer Vereinfachung (aus einem Satzgefüge werden zwei Hauptsätze) s. z.B. Cranfield, Romans II 726. 307 ττίστις kann hier nicht Glaube i.S. der fides qua meinen, weil dann die Aufforderung, den Glauben für sich zu behalten, völlig unverständlich wäre (vgl. Cranfield, Romans Π 726). 3 °8 Die Seligpreisung läßt sich auf denjenigen beziehen, der sich zu einem von Rücksichtnahme auf den Schwachen bestimmten Verhalten entschieden hat und sich darum nicht verurteilen muß (vgl. z.B. Wilckens, Römer ΠΙ 96; Schlier, Römerbrief 418). Sie gilt aber auch für jeden, der nicht unter den Skrupeln des Schwachen leidet (vgl. z.B. Käsemann, Römer 366; Cranfield, Romans II 727), und genauso für den Schwachen, der sich so verhält, wie es seinem skrupulösen Urteil entspricht (vgl. z.B. Schmithals, Römerbrief 508). 309 γ . 22b bildet also eine Überleitung zu V. 23 (vgl. Schlier, Römerbrief 418).

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23a]), das nicht aus Glauben geschieht (V. 23b), wird verallgemeinert zu „alles aber, was nicht aus Glauben (geschieht)". D.h.: Auch bei der letzten Erwähnung des für den Schwachen problematischen Essens wird dieses nachträglich, durch V. 23c, in den Zusammenhang einer nicht explizierten Menge anderer Verhaltensweisen gestellt, die ihre Wurzel ebenfalls nicht im Glauben haben und darum als „Sünde" qualifiziert werden. Insgesamt hebt V. 23 also die ernsthafte Gefährdung des Schwachen hervor, und diese Hervorhebung intensiviert die an die Adressaten gerichtete Mahnung (V. 22a), die eigene Glaubensüberzeugung nicht so auszuleben, daß der Schwache durch ein Verhalten nach fremder Überzeugung dieser Gefährdung erliegt. 15,1-6: Dem Aufweis der ernsthaften Gefährdung des Schwachen in 14,23 entspricht der (nach 14,1.13b) dritte das notwendige Verhalten dem Schwachen gegenüber zusammenfassende Leitsatz in 15,1: όφείλομεν δέ ήμεΐς οί δυνατοί τά άσθενήματα των αδυνάτων βαστάζειν και μή έαυτοΐς άρέσκειν. Gefordert ist nicht einfach ein Tolerieren der „Schwachheiten"310 άσθενήματα faßt die Menge der problematischen Punkte zusammen, an denen der Schwache Anstoß nehmen kann sondern ein aktives „Tragen". Konkret wird man sich unter diesem „Tragen" nach 14,20b-21 den Verzicht auf ein demonstratives Ausleben der eigenen Freiheit von den Tabus der Schwachen vorzustellen haben, also eine Selbstbegrenzung, die den Schwachen vor dem für ihn Anstößigen und darin objektiv Gefährlichen bewahrt. 15,1 macht diese Selbstbegrenzung als Verpflichtung geltend, und in diesem Zusammenhang bringt der betonte Zusammenschluß zwischen Verfasser und Adressaten (ήμεΐς οί δυνατοί) das Zutrauen zum Ausdruck, daß die Adressaten als „Starke" dieser Verpflichtung nachkommen können. Tatsächlich geht es bei diesem Zusammenschluß also nicht primär um den Ausdruck der Zustimmung des Verfassers zu der für die Adressaten vorausgesetzten theologischen Position, der die Tabus des Schwachen an sich als bedeutungslos gelten. Eine solche Zustimmung wäre im Zusammenhang mit 14,14b oder 14,20b denkbar, sie wird dort aber nicht eigens ausgedrückt. Der Zusammenschluß von Verfasser und Adressaten in 15,1 ist vielmehr „pädagogisch"311 gezielt, er sichert den intendierten Effekt der vorangehenden Ermahnungen312: Die Adressaten werden als diejenigen angesprochen, die sie sein sollen, und mit ihnen als „Starken" in diesem Sinn schließt sich der Verfasser zusammen. Im Gegensatz zum angemahnten aktiven Engagement für die Schwachen steht die Selbstbezogenheit, vor der 15,1b warnt. V. 2 formuliert diese Warnung in eine betont für ,jeden von uns" gültige positive Ermahnung um:

310

Vgl. z.B. Wilckens, Römer III 101.

311

Käsemann, Römer 368.

312

Vgl. ähnlich Dunn, Romans II 842.

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έκαστος ημών 313 τώ πλησίον άρεσκέτω εις τό αγαθόν προς οΐκοδομήν. Mit dieser Ermahnung erfolgt der entscheidende Schritt über das bislang von 14,1 an verhandelte Problem des Schwachen hinaus, denn ό πλησίον läßt sich nicht auf den Mitchristen und schon gar nicht auf einen bestimmten Typus des Mitchristen, den Schwachen, beschränken314. Die doppelte Zielbestimmung, die sich mit solchem „Dem-Nächsten-Gefallen" verbindet, grenzt nicht nur das geforderte Verhalten von Pragmatismus ab315, sondern ordnet diesem Verhalten auch positiv eine Leitperspektive zu. εις τό αγαθόν meint - nach 14,16 das Heil, d.h. das τω πλησίον άρέσκειν soll den Nächsten hinsichtlich seiner Heilsteilhabe zu fördern oder auch zu gewinnen versuchen, προς οΐκοδομήν ordnet dieses erste Ziel in den umfassenden Rahmen der Auferbauung der Gemeinde (vgl. 14,19) 316 ein. V. 3f. unterstreichen insgesamt das Gewicht der vorausgehenden verallgemeinerten Aufforderung von V. 2. V. 3a verweist auf Christus als Vorbild einer nicht sich selbst verhafteten Lebensweise. Dieser Hinweis wird durch ein explizit eingeführtes Schriftzitat von ψ 68,10 in V. 3b belegt und dabei zugleich konkretisiert, - das von Christus ausgesagte οΰχ έαυτω άρέσκειν kommt in seinem Ertragen der Gott geltenden Schmähungen, also in seiner Passion, zum Ausdruck. Der kommentierende Zusatz in V. 4 begründet zu-

313 Wenn man von der besser bezeugten LA ήμών (v.l.: ύμών) ausgeht, dann bildet 15,2 ein deutliches Indiz gegen die weithin akzeptierte Auffassung, nach der sich 15,1 an die Starken i.S. eines Teils der Adressatenschaft wendet: Einerseits liegt es nach ήμεΐς oi δυνατοί in V. 1 nahe, das έ κ α σ τ ο ς ήμών in V. 2 auf dieselbe Personengruppe zu beziehen, d.h. im Verständnis der erwähnten Auffassung: auf die Starken als Teil der Adressatenschaft. Andererseits läßt sich inhaltlich nicht einsichtig machen, warum V. 2, der j a gar nicht mehr von einem Verhalten speziell den Schwachen gegenüber handelt, sondern zum τ ώ πλησίον άρέσκειν mahnt, nur an einen Teil der Adressatenschaft gerichtet sein sollte. 314 Vgl. Lagrange: „ä leur prochain, c'est-ä-dire ä tous les hommes" (Romains 342). Für dieses nicht einschränkende Verständnis von ό πλησίον spricht vor allem die Verwendung des Ausdrucks im Abschnitt 13,8-10 (an den man sich gelegentlich [vgl. z.B. Käsemann, Römer 368] eben wegen der Übereinstimmung in diesem Ausdruck erinnert sieht). Zwar scheint auf den ersten Blick das Thema dieses Abschnitts mit εί μή τό αλλήλους ά γ α π ά ν (V. 8b) i.S. der Bruderliebe festgelegt zu sein. Tatsächlich verlangt aber die universale Ausrichtung des vorangehenden μηδέν! μηδέν ο φ ε ί λ ε τ ε (das der ebenfalls universal ausgerichteten Aufforderung von V. 7a korrespondiert) ein umfassenderes Verständnis auch von V. 8b i.S. von Nächstenliebe (vgl. Lagrange, Romains 315; Cranfield, Romans II 675; Wilckens, Römer III 68 Anm. 374; anders aber wohl Becker, Feindesliebe 393). In diesem Sinn wird V. 8b in V. 8c, der vom ά γ α π ά ν τον ετερον spricht, auch begründet: „ 'the other', that is, the one who at a particular moment confronts him as his neighbour in the NT sense" (Cranfield, Romans II 676). Im zitierenden V. 9c und im weiterführenden V. 10a wird ό ετερος durch ό πλησίον aufgenommen, und es gibt kein Indiz dafür, daß der letztere Ausdruck anders als der erste in einem (auf den Mitchristen) eingeschränkten Sinn zu verstehen ist. - Vgl. dazu grundsätzlich auch Klaiber, Rechtfertigung 223. 315

Vgl. z.B. Schlier, Römerbrief 420; Zeller, Römer 228; Dunn, Romans II 838. ' 6 Nach der ekklesiologischen Auffassung von οικοδομή in 14,19 erscheint es wenig sinnvoll, den Ausdruck in 15,2 auf die individuelle Auferbauung des Nächsten (so z.B. Cranfield, Romans II 732; vgl. auch Käsemann, Römer 369) zu begrenzen. 3

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nächst das Recht dieser Inanspruchnahme des Zitats 317 mit der Behauptung einer direkten Abzweckung der Schrift auf „unsere Belehrung" und macht dann die Hoffnung als eigentliches Ziel dieser „Belehrung" geltend: ϊνα διά της υπομονής και διά της παρακλήσεως των γραφών 3 1 8 Τ ή ν έλπίδα εχωμεν (V. 4b). Vermutlich hat die zunächst überraschende Erwähnung der Hoffnung nicht nur einen auf 15,7-13 vorausweisenden Sinn 319 , ebenso gut läßt sie sich auch zurückbeziehen auf die in V. 2 erwähnte Auferbauung der Gemeinde: Die οικοδομή ist das Ziel der dort gebotenen Lebensweise, die dem Nächsten zu gefallen sucht; das „Festhalten der Hoffnung" gehört in die Ausrichtung auf dieses Ziel mit hinein. Wenn das zutrifft, dann wäre jedenfalls am Ende der über den Sachzusammenhang hinausgreifenden hermeneutisehen Reflexion 320 der Kontakt wiederhergestellt zur Aufforderung von V. 2, die die folgenden Ausführungen ausgelöst hatte. Auch der abschließende Segenswunsch (V. 5f.), den der Verfasser für seine Adressaten formuliert, führt nicht zu dem mit 15,1 abgeschlossenen Problem des Schwachen zurück. Das erbetene το αΰτό φρονεΐν έν άλλήλοις kann sich nicht auf eine Übereinstimmung der Adressaten hinsichtlich des Essens, der Tagebeachtung, des Weins und anderer für den Schwachen problematischer Punkte beziehen 321 , weil 14,5c einer Nichtübereinstimmung in diesen Dingen ausdrücklich ihr Recht eingeräumt hatte. Vor allem weist die Angabe der Norm der erbetenen Einmütigkeit in andere Richtung; κατά Χριστόν Ίησοΰν läßt den Hinweis auf Christi ούχ έαυτω άρέσκειν als grundlegendes Orientierungsmuster in V. 3a assoziieren: In diesem Rückbezug geht es in der κατάWendung in V. 5 um die Ausschaltung der Selbstbezogenheit als des der erbetenen Einmütigkeit besonders entgegenstehenden Faktors 322 . V. 6 zeigt, daß die erbetene Einmütigkeit „kein Selbstzweck" ist 323 , sondern daß der Wunsch auf die Äußerung dieser Einmütigkeit zielt, die sich im gemeinsamen Lobpreis an Gott als ihren Geber zurückwendet. Die abschließende Identifikation 324 dieses Gebers als des „Vaters unseres Herrn Jesus Christus" läßt zugleich die grundlegende Identifikation christlicher Gemeinde (τοϋ κυρίου έσμέν [14,8c]) wieder anklingen. Insgesamt bietet V. 5f. also wenig Anhalt für die Eingrenzung des Segenswunsches auf eine aktuelle Bitte um „die Gemeinsamkeit von 'Starken' und 'Schwachen' in der römischen Gemeinde" 325 . Selbstverständlich

317 318 319 320 321 322 323 324 325

Vgl. Koch, Schrift 324f. Zum Verhältnis der beiden διά-Bestimmungen zueinander s. Cranfield, Romans II 735f. So z.B. Käsemann, Römer 370; Wilckens, Römer III 102. Vgl. Koch, Schrift 326. Vgl. Lagrange, Romains 344; Cranfield, Romans Π 737. Vgl. Lagrange, Romains 344. Nababan, Bekenntnis 111. Vgl. Käsemann, Römer 371; Wilckens, Römer III 102f. Schmithals, Römerbrief 514.

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ist der Wunsch nicht unangemessen in bezug auf die in 14,1-15,1 vorgestellte Situation, in der es um die Annahme des Schwachen geht, aber er ist andererseits doch so umfassend formuliert, daß er sich „auf jeden möglichen Zwiespalt in der Kirche" beziehen läßt326. Aus der Analyse von 14,13b—15,6 sind folgende Punkte festzuhalten: 1. Durchgehend wird die ganze Adressatenschaft angesprochen, an keiner Stelle sind die Ausführungen nur an einen Teil der Adressaten gerichtet. Ihre Zustimmung zu den Behauptungen „Nichts ist unrein von sich aus" bzw. „Alles ist rein" (14,14b.20b) wird vorausgesetzt; aber die gegen Ende erfolgende Anrede der Adressaten als „Starke" (15,1) bezieht sich nicht auf solche schon vorhandene Überzeugung, sondern auf die Fähigkeit, den schwachen Bruder zu akzeptieren und in die Gemeinde zu integrieren. Die Ausführungen von cap. 14 zielen auf den Aufbau dieser Fähigkeit und damit auf die Vorbereitung der Situation, in der Christen, die dem Typus des Schwachen zugehören, in die Wirklichkeit der Adressaten eintreten. 2. Aufschlußreich für das vom Text gebotene Bild des Schwachen ist nicht die aus jüdischem bzw. judenchristlichem Sprachgebrauch herzuleitende Verwendung des Wortes κοινός (14,14), sondern die das „gute" Verhalten dem Schwachen gegenüber zusammenfassende Regel von 14,21: Die Erweiterung der möglicherweise sinnvollen Formen des Verzichts über Fleisch- und Weinverzicht hinaus (μηδέ έν φ ό αδελφός σου προσκόπτει) öffnet zugleich die Palette der Merkmale des Schwachen, von denen bislang nur Vegetarismus und Tagebeachtung erwähnt wurden. Der Text bietet keine in sich abgeschlossene und erschöpfende Kennzeichnung des Schwachen, und dieser Sachverhalt wird verständlich, wenn sich die Angaben auf einen vorgestellten Typus beziehen, und nicht auf konkrete Personen in der aktuellen Wirklichkeit der Adressaten. 3. Wie im vorangehenden Abschnitt 14,2-13a wird auch in 14,13b—15,6 der Blickwinkel auf Nicht-Christen hin geöffnet: a. V. 16 bedenkt die negativen Folgen eines unangemessenen Verhaltens dem schwachen Bruder gegenüber, das das Heil der Gemeinde vor Nicht-Christen verächtlich erscheinen läßt. 14,18 kommt auf diesen Gedanken in positiver Fassung zurück, b. 15,2 führt über das in 15,1 abgeschlossene Problem des Schwachen hinaus mit der Ermahnung, dem πλησίον zu gefallen είς τό αγαθόν προς οΐκοδομήν. Weil der „Nächste" nicht notwendig ein Mitchrist sein muß, läßt sich der Missionsgedanke aus dieser letzten Ermahnung des Abschnitts 14,1-15,6 nicht ausklammern. 326

Schlier, Römerbrief 422.

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3.3.4 Der Horizont des Programms: Das weltweite Gotteslob der Heiden (15,7-13) In den Bemerkungen zur Einteilung des zweiten Hauptteils des Rom hatte sich 15,7-13 als Pendant zum Einleitungsabschnitt 12,lf. herausgestellt327. Anders als bei diesem Einleitungsabschnitt, dessen Programmcharakter weithin unbestritten ist328, divergieren die Funktionsbestimmungen von 15,7-13 erheblich. Die Spannbreite der Vorschläge reicht von „Anhang bzw. Nachtrag" zu 14,1-15,6 329 bis hin zu „final summary" des ganzen Briefcorpus330. Die im folgenden vertretene Auffassung der Funktion von 15,7-13 liegt zwischen diesen Extremvorschlägen: Der Abschnitt, der sich thematisch auf das sich universal ausbreitende Gotteslob der Heidenvölker bezieht, umschreibt den Horizont, vor dem der zweite Hauptteil des Rom die Prägung der Adressatenschaft zu einer auch nach außen hin wirksamen Gemeinde betreibt. M.a.W.: 15,7-13 skizziert den größeren Zusammenhang, in dem die λογική λατρεία aus 12,1 f. steht. Daß der Abschnitt 15,7-13 tatsächlich unter dem Thema des Gotteslobs der Heiden steht, läßt sich durch einen Blick auf seinen Aufbau bestätigen. Der Passus enthält vier Teile: 1. eine Aufforderung an die Adressaten mit christologischer Begründung (V. 7); diese mündet in die Zielangabe εις δόξαν τοϋ θεοϋ; 2. eine Behauptung des Verfasser-Ichs, die auf das von den εθνη ausgesagte δοξάσαι τον θεόν zielt (V. 8-9a); 3. eine Bestätigung durch eine Kette von vier je einzeln eingeführten Schriftzitaten (V. 9b-12), die sämtlich die εθνη erwähnen und von denen die ersten drei ausschließlich solche Verben enthalten, deren Bedeutung sich mit der von δοξάζειν überschneidet (έξομολογεΐσθαι, ψάλλειν, εύφραίνεσθαι, αΐνεΐν, έιταινεϊν); 4. ein abschließender Segenswunsch für die Adressaten (V. 13), der (anknüpfend an die vorangehende, zitierte Aussage über das έλττίζειν der Heiden) auf das περισσεύειν ... έν τη έλττίδι zielt, das der „Gott der Hoffnung" ihnen gewähren möge. - Mit Ausnahme des Segenswunsches in V. 13 sind die einzelnen Teile von 15,7-13 thematisch also durch das Motiv des Gotteslobes der εθνη miteinander verbunden. Der eigentlich kontroverse Punkt in der Auslegung von 15,7-13 hängt an der Erwähnung von περιτομή und εθνη (V. 8a.9a). Es stellt sich die Frage, ob bzw. wie der Gegensatz von Beschneidung und Heiden zusammenhängt mit

327

S. o. S. 225.

328

S. o. S. 228.

329

Koch, Schrift 281. Dunn, Romans II 847; vgl. Boers, Problem 193 („culmination of the argument of the letter as a whole"); Saß, Verheißungen 464 („eine Art Summe des gemeinhin als Briefcorpus beschriebenen Teils 1,16-15,13"). 330

300

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dem Gegensatz von Schwachen und Starken aus 14,Iff. In der Diskussion zeichnen sich vor allem drei Antwortmöglichkeiten ab: 1. Nachträglich wird durch 15,7ff. die Position des Schwachen als eine jüdisch geprägte gekennzeichnet331. 2. Der Gegensatz von περιτομή und εθνη in 15,7ff. liegt auf anderer Ebene als der von Schwachen und Starken in 14,Iff., er hat aber eine darauf bezogene, exemplarische Funktion: Der von Christus überwundene Gegensatz von Juden und Heiden - also der Gruppen, in die die Menschheit letztlich gespalten ist - läßt den Gegensatz zwischen Schwachen und Starken als einen unerheblichen erkennen332. 3. Die Erwähnung von περιτομή und έθνη in 15,7ff. hat mit den Schwachen und Starken aus 14,Iff. nichts mehr zu tun333. Gegen die erste und derzeit wohl mehrheitlich vertretene Auffassung ergibt sich vor dem Hintergrund der Analyse von 14,1-15,6 folgender Einwand: Die Ausführungen zum Problem des Schwachen sind mit 15,1 am Ziel und am Ende; 15,2 führt darüber hinaus, und der folgende Kontext lenkt nicht darauf zurück. Folglich müßte eine entsprechende Bezugnahme in 15,7ff. deutlich gekennzeichnet sein. Eine solche Kennzeichnung liegt aber gerade nicht vor, denn die Bezeichnung περιτομή verhält sich kontaktlos zur Beschreibung des Schwachen in 14,Iff. 334 , die dessen jüdische Prägung nicht anzeigt. Gegen die zweite, περιτομή und εθνη exemplarisch mit Starken und Schwachen verbindende Lösung ist festzuhalten, daß sich kein Indiz für den angenommenen Zusammenhang benennen läßt; περιτομή und εθνη werden nicht wie ein Beispiel erwähnt335. Auch dieser Lösung kommt überdies der schon in 15,1 er-

331

Vgl. unter vielen anderen: Riggenbach, Starke 677f.; Jülicher, Römer 319; Kühl, Römer 463f.; Käsemann, Römer 371 (vgl. 355); Cranfield, Romans II 740f.; Wilckens, Römer III 107.113; Koch, Schrift 283; Lübking, Paulus 107; Schneider, Gemeinde 135f.; Watson, Paul 97; Dunn, Romans II 845; Fitzmyer, Romans 705. - Mehrere der genannten Ausleger grenzen sich explizit gegen eine einfache Identifikation der Schwachen mit Judenchristen und der Starken mit Heidenchristen ab; der Zusammenschluß des Verfassers, der sich als Judenchrist gekennzeichnet hat (vgl. besonders 9,3; 11,1.14), mit den Starken in 15,1 läßt eine solche einfache Identifikation nicht zu. 332 vgl. z.B. Lietzmann, Römer 118f.; Klein, Abfassungszweck 136 Anm. 34 (als Möglichkeit). Schlier versucht, diese Lösung mit der zuvor genannten zu verbinden: Der Differenz zwischen Juden und Heiden „gegenüber erscheint die Trennung der 'Starken' und der 'Schwachen' in Rom geringfügig, die sich vielleicht ja auch auf Heiden- und Judenchristen verteilen" (Römerbrief 423). 333 Zu dieser Auffassung tendieren in je unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichen Konsequenzen z.B. Lagrange, Romains 341f.345f.; Thüsing, Per Christum 39.43f.; Karris, Occasion 172f.; Strecker, Perspektiven 295f.; Zeller, Juden und Heiden 218-220; Schmithals, Römerbrief 512; Söding, Liebesgebot 232 mit Anm. 23. 334 Vgl. besonders Lagrange, Romains 345. Anders meint Dunn: „It would occasion no surprise that after focusing so much on the Jewish distinctives of food laws and holy days Paul reverts once again to the other striking identity marker of the diaspora Jew, circumcision" (Romans II 847). Aber: Der von Dunn behauptete Zusammenhang leuchtet nur dann ein, wenn man voraussetzt, daß die Kennzeichnung des Schwachen in 14,Iff. einen jüdischen „identity marker" geltend macht. 335

Vgl. Schmithals, Römerbrief 523; Lübking, Paulus 107.

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folgte Abschluß des Problems von Starken und Schwachen nicht entgegen. Wenn also die bislang angestellten Überlegungen deutlich für die dritte, den Zusammenhang von Schwachen und Starken aus 14,Iff. mit περιτομή und εθνη aus 15,7ff. bestreitende Lösung sprechen, dann bleibt zu klären, ob die Einzelexegese von 15,7-13 diese Annahme bestätigt und welche Funktion dem Hinweis auf die περιτομή unter dieser Voraussetzung positiv zukommt. Wie bereits in den Vorbemerkungen zur Texteinteilung erwähnt336, schließt διό die christologisch begründete Aufforderung von V. 7 folgernd an den 14,115,6 abschließenden Segenswunsch V. 5f. an337: Im Hinblick auf das dort genannte Ziel des einmütigen δοξάζειν τον θεόν (V. 6), dem das von Gott erbetene τό αυτό φρονεϊν έν άλλήλοις κατά Χριστόν Ίησούν zugeordnet war (V. 5), wird in V. 7 zum προσλαμβάνεσθαι αλλήλους aufgefordert. Der erbetenen Eintracht untereinander entspricht verhaltensmäßig die gegenseitige Annahme338; beides zielt auf Gottes Verherrlichung. Diesem thematischen Anschluß von V. 7 an V. 5f. entspricht die christologische Begründung der Aufforderung zur wechselseitigen Annahme, die explizit formuliert, daß Christus die Adressaten339 εις δόξαν τοΰ θεού angenommen hat340. Weil προσλαμβάνεσθαι in V. 7a als wechselseitiges Verhalten geltend gemacht wird, hat sich die Bedeutung des Ausdrucks gegenüber 14,1 leicht verschoben: Ging es dort um die Annahme, durch die die Adressaten den Schwachen als einen Dritten in die Gemeinschaft zu sich versetzen, meint das προσλαμβάνεσθαι άλλήλους eher die Fortsetzung schon bestehender Gemeinschaft, also die

336

S. o. S. 225 mit Anm. 13.14. Anders meint z.B. Cranfield, διό leite V. 7 als eine zusammenfassende Schlußfolgerung ein, die von den Adressaten aus dem ganzen Abschnitt 14,1-15,6 zu ziehen ist (Romans II 739). Der Vorschlag leuchtet deshalb nicht ein, weil das die Ausführungen von 14,1-15,1 verbindende Thema des Schwachen in 15,7 nicht mehr vorkommt. Außerdem hatte bereits 15,1 eine präzise Schlußfolgerung aus dem Vorangehenden formuliert. 338 Vgl. Saß, Verheißungen 462 Anm. 607. 339 Die LA ύμάς dürfte der v.l. ήμάς vorzuziehen sein, weil sie vielfältiger bezeugt ist. (Darauf hat Metzger [Commentary 536] hingewiesen.) Außerdem läßt sich Χριστός ιτροσελάβετο ήμάς nach V. 6fin. (τοϋ κυρίου ήμών Ίησοϋ Χρίστου) als sekundäre Angleichung erklären. Anders tendieren z.B. Nababan (Bekenntnis 112 Anm. 258), Klein (Abfassungszweck 136 Anm. 34), Schlier (Römerbrief 424) mehr zur Annahme der Ursprünglichkeit von ήμάς. 340 Die Zugehörigkeit von εις δόξαν τοϋ θεού zum Begründungssatz liegt der Wortstellung wegen näher als die Zugehörigkeit zur Aufforderung von V. 7a (vgl. z.B. Lagrange, Romains 345; Thüsing, Per Christum 42; anders z.B. Cranfield, Romans II 739f.). Diese syntaktische Entscheidung läßt aber den inhaltlichen Zusammenhang der Zielbestimmung εις δόξαν τοϋ θεοϋ mit dem προσλαμβάνεσθαι der Adressaten durchaus eingeschlossen erscheinen: Wenn das ihnen gebotene Annehmen im eigenen, zur Ehre Gottes geschehenen Angenommensein durch Christus gründet, dann ist indirekt auch das gebotene Annehmen als eine Weise der Verherrlichung Gottes beschrieben (vgl. ähnlich Saß, Verheißungen 465f.). Das gilt natürlich besonders, wenn man V. 7a unter der Perspektive des einmütigen δοξάζειν τόν θεόν (V. 6) angeschlossen sieht. 337

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Akzeptanz, die sich die Adressaten gegenseitig gewähren sollen341. Mit der 2. Person Plural, sind - wie in 14,1-15,6 - alle Adressaten angesprochen. Dabei wird nicht angedeutet, daß die Aufforderung zum προσλαμβάνεσθαι άλλήλους unter der Perspektive einer bei den Adressaten vorausgesetzten Gruppierung formuliert ist, folglich bezieht sich die geforderte gegenseitige Annahme auf ein Verhalten der einzelnen Adressaten zueinander. Das Schwergewicht von V. 7 liegt auf der abschließenden Zielbestimmung εις δόξαν τοΰ θεοϋ, die insofern überschießt, als V. 7b auch ohne sie eine vollständige Begründung zu V. 7a wäre. Der Zusammenhang der anschließenden Behauptung des Verfasser-Ichs (V. 8.9a) mit V. 7 beruht auf dieser überschießenden Zielbestimmung. V. 9a (τά δέ έθνη ύπέρ έλέους δοξάσαι τον θεόν) hält fest: Die Verherrlichung Gottes, um derentwillen die Adressaten von Christus angenommen sind, kommt unter den Heiden zum Zuge, und zwar um des Erbarmens willen. Dieser zwischen εις δόξαν τοϋ θεοϋ / δοξάσαι τόν θεόν bestehende Zusammenhang erlaubt zwei Schlüsse: 1. Wie sonst im Rom 342 werden die Adressaten auch hier den Heidenchristen zugeordnet343. 2. Der Aspekt, unter dem der Text über V. 7 hinaus fortgesetzt wird, ist nicht der der gegenseitigen Annahme von V. 7a344. D.h.: Nicht nur funktional verändert sich der Text nach V. 7 - der Aufforderung folgt eine eigens eingeführte „feierlichef...] Erklärung"345 des Verfassers - ; auch das Thema der gegenseitigen Annahme wird nicht weitergeführt. In der umstrittenen Frage der syntaktischen Einordnung von V. 9a in den mit λέγω γάρ einsetzenden Satz stehen vor allem zwei Grundtypen zur Diskussion346.

341

Wie in 15,7a 14,1 anklingt, so erinnert 15,7b an die ebenfalls begründend angeführte Aussage über Gottes προσλαμβάνεσθαι in 14,3c und unterscheidet sich davon zugleich: In 15,7b bezieht sich Christi Annahme auf die zuvor aufgeforderten Subjekte; sein Annehmen der ύμείς ist Begründung und zugleich Muster (και) für die von ihnen geforderte wechselseitige Annahme. In 14,3c bezieht sich das Annehmen Gottes auf die vom zuvor (V. 3a.b) verbotenen Verachten und Richten Betroffenen; die Begründung läuft hier also über den von Gott gewährten Stand der Objekte des (darum verbotenen) Verhaltens. 342

Vgl. Rom l,5f.; 1,13; 11,13; 15,15f. Mit Lagrange, Romains 346; Lietzmann, Römer 119; Thüsing, Per Christum 44; Zeller, Juden und Heiden 219. (In Kecks Kritik an Zeller [Christology 95 Anm. 12] ist diese Beurteilung mißverstanden i.S. einer nur an den heidenchristlichen Teil der Adressaten gerichteten Anrede.). 344 Vgl. Käsemann: „Das λέγω γάρ leitet nicht ein zusätzliches Argument ein" (Römer 372). Anders sehen viele Exegeten V. 8.9a begründend an die Aufforderung von V. 7a angeschlossen (vgl. z.B. Cranfield, Romans Π 740), aber die Konjunktion γάρ weist durchaus nicht notwendig auf einen Begründungs- oder Erklärungszusammenhang hin (vgl. z.B. das λέγω γάρ von 12,3 im Anschluß an 12,lf.). 343

345

Käsemann, Römer 372; vgl. Cranfield, Romans II 740. Zum Problem vgl. genauer Cranfield, der sechs verschiedene Lösungsmöglichkeiten unterscheidet und gegeneinander abwägt (Romans II 742f.).

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1. V. 8b (Χριστόν ... θεοΰ) und V. 9a (τά δέ έθνη ... τον θεόν) verhalten sich gleichrangig zueinander und sind direkt von V. 8a (λέγω γάρ) abhängig. V. 8c (εις τό ... πατέρων) ist eine von V. 8b abhängige Finalbestimmung 347 . 2. Direkt abhängig von λέγω γ ά ρ ist nur V. 8b (Χριστόν ... θεοΰ). V. 8c und V. 9a bilden zwei gleichrangige Teile der mit εις τό eingeleiteten Finalbestimmung, die von V. 8b abhängt 348 . Die Diskussion ist deshalb erstaunlich, weil die sprachliche Schwierigkeit der zweiten Lösung (und damit der Vorzug der ersten Lösung) auf der Hand liegt: Von εις τό wären unter dieser Voraussetzung zwei Infinitive, βεβαιώσαι und δοξάσαι, abhängig; dabei gilt für βεβαιώσαι das Subjekt des übergeordneten V. 8b, also Χριστός. Anders stünde δοξάσαι mit dem neu eingeführten Subjekts-Akkusativ τά δέ έθνη. Dieser Subjekts- und Konstruktionswechsel im einen εις τό-Satz wird von Cranfield als „stylistic horror in Greek" bezeichnet 3 4 9 und stellt einen hinreichenden Grund für die Bevorzugung der ersten Lösung dar, die keine vergleichbare sprachliche Schwierigkeit bietet und darum für die Leser näherliegend gewesen sein muß. Demgegenüber verweisen Vertreter der zweiten Lösung gelegentlich auf eine inhaltliche Schwierigkeit, die das Verständnis i.S. der ersten Lösung nach sich ziehe: Das in V. 9a ausgesagte Lob der Heiden werde so abgetrennt vom Wirken Christi, das in V. 8b ausgesagt wird 350 . Abgesehen von der Tatsache, daß ein sprachliches Problem soweit wie möglich mit sprachlichen Argumenten diskutiert werden muß 3 5 1 , greift der Einwand nicht: V. 9a spricht vom Lob der Heiden ύιτέρ ελέους, das δοξάζειν τον θεόν antwortet also auf empfangenes Erbarmen. Dieses von den

347 vgl. z.B. Lagrange, Romains 347; Zeller, Juden und Heiden 219; Lübking, Paulus 242 Anm. 786; Cranfield, Romans II 743; Wilckens, Römer III 106. - Eine spezielle Variante dieser ersten Lösung ist von Saß (Verheißungen 467-469) entwickelt worden: Er sieht (wie die übrigen Vertreter dieser Losung) V. 8b und V. 9a gleichgeordnet und abhängig von V. 8a (λέγω γάρ), er meint aber, V. 8c (είς τό ... πατέρων) sei nicht nur abhängig vom vorangehenden V. 8b, sondern lasse sich zugleich auf den folgenden V. 9a beziehen. „Sachgemäß einfangen läßt sich die doppelte Beziehung des V8b [bei Saß für: V. 8c] in einer Paraphrase, die seine Aussage zweimal wiedergibt: Ich sage: Christus ist Diener der Beschnittenen geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, damit die Verheißungen an die Väter bestätigt werden. Und ich sage (auch): damit die Verheißungen an die Väter bestätigt werden, sollen die Heiden um der Barmherzigkeit willen Gott loben" (ebd. 469). Gegen diese (für Saß' Auslegung des Textes folgenreiche) Variante ist einzuwenden: Die Möglichkeit der Beziehung von V. 8c auf den folgenden V. 9a ergibt sich nur in der Paraphrase, die βεβαιώσαι τάς έπαγγελίας passivisch wiedergibt; im Text ist durch das zum aktivischen βεβαιώσαι zu ergänzende Subjekt (Christus) V. 8c eindeutig mit V. 8b verbunden. D.h.: Auch wenn sich ,,sachliche[...] Beziehungen" zwischen der Bestätigung der Väterverheißungen und dem Lob der Heiden ausmachen lassen (ebd. 468), ist eine Doppelbeziehung von V. 8c in der Syntax des Textes nicht vorgesehen. 348

Vgl. z.B. Zahn, Römer 594 Anm. 17; Kühl, Römer 464; Dabeistein, Heiden 191 Anm. 112; Schlier, Römerbrief 424; Keck, Christology 89f. 349 Romans II 743. 350 Vgl. z.B. Zahn, Römer 594 Anm. 17; Dabeistein, Heiden 191 Anm. 112; vgl. auch Cranfield, Romans II 742f. (im Zusammenhang der kritischen Würdigung der Position, die V. 9a in den είς τό-Satz eingebunden sieht). 351 Die vorschnelle Verwendung inhaltlicher Argumente bei sprachlichen Fragen führt leicht dazu, daß die Erwartung an den Text seine Aussage präjudiziell.

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Heiden empfangene Erbarmen ist nach vorangehenden Ausführungen des Rom (vgl. besonders ll,30f.) aber nicht unabhängig vom Christusgeschehen denkbar. Vor allem: Schon in V. 7b war ja bereits von Christi Annehmen, das auf die δόξα τοΰ θεοΰ zielt, die Rede. Da V. 9a offensichtlich mit δοξάσαι τον θεόν darauf zurückgreift, wird man nicht gut behaupten können, der christologische Grund des Gotteslobs der Heiden sei hier ausgeblendet. Die sprachlich näherliegende Auffassung von V. 9a als einer direkt von λέγω γ ά ρ abhängigen und zu V. 8b parallelen Aussage bereitet also inhaltlich keine entscheidende Schwierigkeit. Wenn man in dem hier nicht ausgedrückten Wirken Christi an den Heiden als Grund ihres Gotteslobs eine Lücke sehen will, dann läßt sich diese Lücke doch für jeden Leser von V. 7b aus leicht schließen. Anders verhält es sich mit V. 8b.c: Χριστόν διάκονον γεγενήσθαι περιτομής ύπέρ άληθείας θεοΰ, εις τό βεβαιώσαι τ ά ς επαγγελίας των πατέρων. Dieser erste Teil der durch λέγω γ ά ρ eingeleiteten Erklärung des Verfassers beschreibt ein Handeln Christi an den Juden 352 , benennt aber nicht die Konsequenz, die diesen daraus erwachsen ist. Dieser Sachverhalt ist von einigen Exegeten 353 als eine vom Leser auszufüllende Ellipse beurteilt und mit dem scheinbar analogen Befund in V. 9a parallelisiert worden: „V8a beschreibt ein Werk Christi an den Juden, ohne eine Wirkung des Werkes zu nennen. V9a beschreibt eine Wirkung an den Heiden, ohne deutlich zu sagen, woraus diese Wirkung erwächst" 354 . In beiden Fällen ist es dem Leser überlassen, „zu den beiden Sätzen jeweils den zweiten Teil (Wirkung bzw. Werk) zu ergänzen" 355 . So eindeutig dieser Beurteilung im Blick auf V. 9a zuzustimmen ist - ύπέρ ελέους und der Rückbezug auf V. 7b gibt dem Leser die Ergänzung an die Hand (Christi Annahme der Heiden, in der sich Gottes Erbarmen äußert) - , so fraglich bleibt die analoge Einschätzung von V. 8. Tatsächlich findet sich hier ja kein Hinweis an die Leser, der ihnen eine Ergänzung der nicht ausgedrückten Wirkung des Dienstes Christi auf die Juden erlaubte 356 . Auch V. 7b (καθώς και ό Χριστός προσελάβετο ύμάς εις δόξαν τοΰ θεού) läßt sich solch ein Hinweis nicht entnehmen; Christi Annahme ist von den Adressaten ausgesagt, die hier wie sonst im Rom als Heidenchristen angesprochen wer-

352 Zu περιτομή als „abstractum pro concreto anstelle von Ί ο υ δ α [ ί ] ο ι " vgl. Saß, Verheißungen 469 Anm. 637 (Zitat ebd.); Käsemann, Römer 372; anders: Lagrange, Romains 346; Thüsing, Per Christum 44 Anm. 129. 353 Cranfield, Romans II 743f. (im Anschluß an einen Beitrag aus der älteren Sekundärliteratur); Saß, Verheißungen 467f. 354

Saß, Verheißungen 467. Saß, Verheißungen 467. 356 Vgl. Thüsing: „von einem Gotteslob der Judenchristen oder von ihrer Aufnahme durch Christus sagt der Text unmittelbar nichts" (Per Christum 43). 355

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den 357 . Die einfachste Konsequenz aus dieser Fehlanzeige ist: περιτομή in V. 8b bezieht sich nicht auf Juden christen, sondern auf Israel358, von dem mehrheitlich ein Angenommensein durch Christus noch nicht ausgesagt werden kann359. Es bleibt die Frage nach der positiven Funktion, in der der erste Teil der Feststellung (V. 8b.c) dem zweiten, in seiner thematischen Einbindung in V. 7 - 1 3 eindeutigen Teil (V. 9a) vorgeschaltet ist. Auf diese Frage hat Zeller - ausgehend von denjenigen exegetischen Einzelentscheidungen, die sich im Vorangehenden als plausibel herausgestellt haben 360 - eine klare Antwort vorgeschlagen: Die Erwähnung der Beschneidung in V. 8 ist „Interpretament des Gnadenrufs an die Heiden" 361 . „Eigentlich war Gott durch seine Zusage nur der Beschneidung verpflichtet" 362 . „Vor diesem Hintergrund soll den Heidenchristen die Gnade ihrer Berufung aufgehen" 363 . Prinzipiell einleuchtend erscheint bei diesem Vorschlag die Orientierung am zweiten Teil der Feststellung (V. 9a), auf dem im Duktus des Textes das größere Gewicht liegt. Ob man darüber nun aber V. 8 ausschließlich als Negativfolie lesen kann, die durch den Hinweis auf ein „verpflichtungsgemäßes" Gotteshandeln durch Christus an der Beschneidung das Wunder der Heilsmitteilung an die Heiden um so leuchtender hervorhebt, erscheint

357 Nur wenn man ύμας in V. 7b als eine Zusammenfassung von römischen Juden- und Heidenchristen voraussetzte (so allerdings die Mehrzahl der Ausleger, vgl. besonders deutlich: Saß, Verheißungen 465), könnte man - in der Auffassung, V. 8 biete eine auf die Juden bezogene Beschreibung des προσλαμβάνεσθαι Christi - das Angenommensein als Wirkung des Dienstes Christi an der ττεριτομή denken. 358 Vgl. Zeller, Juden und Heiden 220; ders., Römer 231. 359 Vgl. den Ausblick auf die künftige ττρόσλημψις in 11,15. - Wenn sich also V. 8b nicht auf die Annahme der Judenchristen bezieht, bleibt zu fragen, worin denn dann Christi Dienst an den Beschnittenen besteht, der auf die Bekräftigung der Väterverheißungen zielt, (βεβαιώσαι τάς επαγγελίας könnte zwar den speziellen Sinn des „Erfüllens" der Verheißungen haben; vgl. die bei Bauer/Aland [Wb., s.v. βεβαιόω 1., 277] angegebenen Belege. Näher liegt wegen Rom 4,16 darauf weist Dunn [Romans II 847] zu Recht hin - aber die gängigere Bedeutungsmöglichkeit „festmachen", „bekräftigen" [vgl. Wilckens, Römer III 105 mit Anm. 503; Saß, Verheißungen 476].) Im Sinne einer Konkretion der an dieser Stelle nicht erläuterten Vorstellung von Christus als διάκονος ιτεριτομής läßt sich möglicherweise auf 11,26 (s. dazu o. S. 207-209) zurückgreifen. In 11,26c.d war in der Form einer zitierten Verheißung auf das Kommen des Retters aus Zion verwiesen und auf dessen rettendes Werk, die Abwendung der Sünden von ,Jakob". Diese Verheißung ist durch das bereits geschehene Kommen Christi in Kraft gesetzt; mit seinem Kommen ist Christus „Diener der Beschneidung" geworden, der sein rettendes Werk an Israel noch vollziehen

360

Diese für das Verständnis von V. 8.9a grundlegenden Einzelentscheidungen sind: 1. Direkte Abhängigkeit von V. 8b und V. 9a von λέγω γάρ; 2. Beziehung von υμάς (V. 7b) auf die Adressaten als Heidenchristen; 3. Beziehung der ττεριτομή (V. 8b) auf Israel, von dessen Mehrheit ein Angenommensein durch Christus noch nicht ausgesagt werden kann. 36 1 Juden und Heiden 215. Das Zitat (im Orig. hervorgehoben) ist der Überschrift entnommen, unter der Zeller die Texte Rom 11,16ff. und 15,7ff. behandelt. 362 Juden und Heiden 219. 363 Juden und Heiden 221.

306

Analysen zur Textfunktion

fraglich. Jedenfalls macht der von Zeller (im Anschluß an Lagrange 364 ) angenommene Kontrast zwischen V. 8b.c und V. 9a als eines Gegensatzes zwischen einer „economie de promesse" und einer „economie de misericorde" 365 einen eigentümlich konstruierten Eindruck vor dem Hintergrund der Ausführungen von 11,30-32, die ausdrücklich „alle" auf Gottes Erbarmen angewiesen zeigen 3 6 6 , und ebenso vor dem Hintergrund von 4,13ff., wo betont die universale Geltung der Verheißung herausgearbeitet war.

Näherliegend erscheint es demgegenüber, V. 8 in einem positiv interpretierenden Sinn auf V. 9a zu beziehen. Den Ausgangspunkt dafür bilden die beiden parallelen Wendungen ύπέρ αληθείας - ύπέρ έλέους 367 . Innerhalb von V. 8b.c ist ύπέρ άληθείας θεοΰ betont368, V. 8c gibt an, worin sich Gottes Wahrheit äußert, um derentwillen Christus zum Diener der Beschneidung geworden ist, nämlich in der Bekräftigung der den Vätern gegebenen Verheißungen. Der Punkt, auf den der erste Teil der Erklärung des Verfassers hinauswill, liegt also in der Übereinstimmung der früheren, an die Väter gerichteten Zusagen Gottes mit dem Wirken Christi, das sich nicht an Israel vorbei vollzogen hat, sondern die früheren Zusagen bekräftigt und eben darin Dienst an der Beschneidung ist. Auf diese Weise hält der erste Teil der Erklärung im Hinblick auf den zweiten, schwergewichtigen Teil (V. 9a) fest: Das den Heiden zuteil gewordene Erbarmen ist nicht eine Neuentscheidung Gottes, der sich von denen abwendet, denen er seine Verheißungen zuerst anvertraut hat. Das den Heiden in der Annahme durch Christus widerfahrene Erbarmen hat vielmehr seinen Hintergrund und seine Verläßlichkeit in der Wahrheit Gottes, die in der Übereinstimmung von Christusgeschehen und den früheren, an Israel adressierten Verheißungen zum Ausdruck kommt. Wenn man die Erklärung des Verfasser-Ichs in dieser im engeren Sinn theologischen Zielrichtung begreift, die mit der der Ausführungen von cap. 9-11 völlig übereinstimmt369, dann erklärt sich auch die nicht-parallele Gestaltung der beiden Teile der Erklärung, in denen allein die αλήθεια und das ελεος Gottes aufeinander bezogen sind.

364

Romains 346. Juden und Heiden 219. 366 Zeller selbst verweist auf 9,15ff. und 11,31 f. als möglichen Einwand und versucht, diesen Einwand zu entkräften durch den Hinweis auf die eher untergeordnete Position von V. 8 (Juden und Heiden 220). Aber: Die - im Vergleich zu V. 9a - untergeordnete Position von V. 8b.c kann nicht als Argument für die pointierte Auffassung des Verhältnisses zwischen V. 8b.c und V. 9a gelten. 367 Nur in den beiden ύπέρ-Wendungen weisen V. 8b(c) und V. 9a eine deutliche Entsprechung zueinander auf, folglich soll der Zusammenhang zwischen den beiden Teilen der Erklärung von hier aus begriffen werden. 368 Vgl. Schlier, Römerbrief 424. 369 Vgl. dazu o. besonders S. 217-219; außerdem zu 3,Iff. ο. S. 159-163. 365

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

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Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang noch auf eine selten thematisierte Frage, die sich rein sprachlich wohl kaum mit Sicherheit entscheiden läßt. Unter denjenigen Exegeten, die die Syntax von V. 8.9a in der hier bevorzugten Weise verstehen, sehen einige das δοξάζειν der Heiden nicht bzw. nicht nur wie ein gegenwärtiges Faktum erwähnt, sondern wie ein Geschehen, das nach der Auffassung des Verfassers sein soll 370 . Andere Exegeten, die V. 9a ebenfalls als direkt abhängig von λέγω γάρ lesen, entscheiden sich eher gegen diese Möglichkeit371. - Sprachlich läßt sich diese Nuance in V. 9a kaum ausschließen372; andererseits weist der erste, mit γεγενήσθαι ein Faktum nennende Teil der Erklärung nicht positiv in diese Richtung, was - wiederum andererseits - für das Verständnis des zweiten Teils nicht ausschlaggebend sein muß, weil sich die beiden Teile der Erklärung ohnehin nicht strikt parallel auffassen lassen. Wie immer man in dieser Frage zu V. 9a entscheiden mag, in jedem Fall macht die Fortsetzung des Textes deutlich, daß der Lobpreis der Heiden nicht nur als „fait actuel" 373 zur Sprache gebracht wird, sondern als ein gegenwärtiges Geschehen, das nach Meinung des Verfasser-Ichs immer weiter um sich greifen soll und wird. V. 9b-12: Die Bestimmung des verbindenden Themas der folgenden Kette von Schriftzitaten erfolgt in der Sekundärliteratur in der Regel auf der Linie der zu V. 8-9a jeweils eingeschlagenen Auslegungsrichtung: Wer in V. 7 die Adressatenschaft unabhängig von einer Gruppierung angesprochen sieht und V. 9a für den durch V. 8 interpretierten und an V. 7b anknüpfenden Zielpunkt der Erklärung des Verfasser-Ichs hält, der wird als verbindendes Thema der vier Zitate das Gotteslob der εθνη annehmen 374 . Wer anders V. 7 an eine aktuell in Schwache und Starke unterteilte Adressatenschaft gerichtet sieht und mit dieser Unterteilung die Erwähnung von περιτομή und εθνη in V. 8.9a kombiniert, der wird als Thema der Zitatenkette eher das gemeinsame, die Glaubenden aus Juden und Heiden miteinander verbindende Gotteslob annehmen 375 . Daß der Text der Zitate die erste Themenbestimmung erheblich näher legt, liegt in Anbetracht der nur in V. 10 enthaltenen Erwähnung des λ α ό ς Gottes

370 vgl. z.B. die Übersetzung von Zeller: „Ich halte nämlich fest, daß Christus zum Diener der Beschneidung geworden ist um der Wahrhaftigkeit Gottes willen ...; daß die Heiden aber Gott um seines Erbarmens willen verherrlichen (sollten)" (Römer 230); vgl. Wilckens, Römer III 104; vgl. auch Saß, Verheißungen 468f. 371

Vgl. z.B. Lagrange, Romains 347; Cranfield, Romans II 743. Nach Verben des Sagens und Glaubens kann ein angeschlossener Infinitiv ein Geschehen ausdrücken, das nach Meinung des Sprechenden sein soll (vgl. Winer [Grammatik 288], der Rom 15,9a aber ausdrücklich, wenngleich ohne Angabe von Gründen, nicht in diesem Sinn verstehen will [ebd.]). Ein eindeutiges Beispiel für diese Möglichkeit bietet Rom 12,3. 372

373

Lagrange, Romains 347. 374 vgl. z.B. Lagrange, Romains 347; Zeller, Juden und Heiden 221. 375 Vgl. z.B. Kühl, Römer 464; Cranfield, Romans 745; Boers, Problem 194; Dunn, Romans II 853; Fitzmyer, Romans 706-708.

308

Analysen zur Textfunktion

auf der Hand 376 und dürfte als Bestätigung der ersten Auslegungsrichtung gelten können, die im Vorangehenden eingeschlagen worden ist 377 . Schwieriger als die Thematik ist die Funktion der Zitatenkette zu bestimmen. V. 9a setzt ein mit einem Zitat von ψ 17,50. Zitiert ist eine im Gebet 378 geäußerte Absichtserklärung eines Ich, die sich auf den bekennenden Lobpreis unter den Heiden richtet. Durch die Zitation zeigt das Ich des zitierenden Textes (V. 8a), daß es die Absicht des zitierten Ich teilt 379 und daß es diese Absicht auch seinen Adressaten nahelegen möchte. Das Ich in V. 9b läßt sich (auf der Ebene des zitierenden Textes) darum nicht konkret identifizieren, es läßt sich vielmehr auf jeden Glaubenden beziehen, der die geäußerte Absicht des 376 Vgl. Lagrange, Romains 347. 377 Eine indirekte Bestätigung ergibt sich auch aus dem Urteil solcher Exegeten, die zwar V. 7 b - 9 im Prinzip i.S. der Mehrheitsmeinung (Aufnahme des Starke-Schwache-Kontrasts durch den TrepiTopri-eOvri-Kontrast) verstehen, andererseits aber doch die Einseitigkeit der auf die Heiden gerichteten Thematik der Zitatenkette einräumen und daraufhin in Interpretationsschwierigkeiten geraten. So konzediert z.B. Wilckens im Blick auf die Zitate von V. 9 b - 1 2 , „daß deren Skopos nicht völlig mit dem der Doppelthese von V V 8 - 9 a übereinstimmt" (Römer III 108). Er erwägt daraufhin eine möglicherweise traditionelle Herkunft der Zitatenkette (ebd. 108 Anm. 519), die selbst wenn sie sich wahrscheinlich machen ließe (vgl. kritisch dazu Koch, Schrift 283 Anm. 27) die Spannung im Text ja nicht ausräumen würde. Auch für Koch gilt der Kontrast von Juden und Heiden aus 15,8.9a und der von Schwachen und Starken aus 14,Iff. in etwa denselben innergemeindlichen Gruppen (ebd. 283), die er in der durch V. 7 b - 9 a begründeten Mahnung V. 7a zur gegenseitigen Annahme aufgefordert sieht (ebd. 282). Gleichwohl hat auch für Koch die begründend an V. 9a angeschlossene Zitatenkette einseitig „das Gotteslob der 'Heiden'" zum Thema (ebd. 283). Vermittelt wird beides durch die Annahme, daß sich die Zitatenkette „inhaltlich ... an die 'Juden' wendet" (ebd.); ihnen gegenüber soll „die Teilnahme der 'Heiden' am Gotteslob als schriftgemäß" gezeigt werden (ebd.). - Der Vorschlag ist methodisch schwierig, weil die Annahme einer „inhaltlichen" - also formal nicht angezeigten oder auch nur angedeuteten - Hinwendung zu einer Teilgruppe der Adressatenschaft am Text grundsätzlich nicht kontrollierbar ist. Davon abgesehen ist einzuwenden: Die für Koch mit den Juden aus 15,7ff. weithin identischen Schwachen aus 14,Iff. sind dort nicht so gekennzeichnet, als sei ihnen die Teilnahme der Starken am Gotteslob irgendwie problematisch. 37

^ Der Gebetscharakter des Zitats ergibt sich aus der doppelten Anrede Gottes. Insofern ist die in der Sekundärliteratur mehrfach geäußerte Ansicht nachvollziehbar, nach der Paulus selbst „als Beter von V. 9 " anzunehmen ist (Dabeistein, Heiden 108 [Zitat ebd.]; vgl. z.B. Käsemann, Römer 373; Hübner, Biblische Theologie II 323; Saß, Verheißungen 478. - Anders wird z.B. bei Lagrange [Romains 347]; Cranfield [Romans II 745]; Wilckens [Römer III 108] einer Beziehung des Ich aus V. 9b auf Christus tendenziell der Vorzug gegeben. Wiederum anders denkt Dunn an David als Sprecher des zitierten Psalms, „foreshadowing the situation of the diaspora Jew, and now particularly of the Jewish Christian" [Romans Π 849], Zur Kritik an den beiden zuletzt genannten Deutungen s. Koch, Schrift 282 Anm. 24.). Kritisch zur direkten Beziehung des Ich im zitierenden Text V. 9b auf das Verfasser-Ich von V. 8a ist aber festzuhalten: Selbst wenn der empirische Autor Paulus beim Zitat an sich selbst gedacht haben sollte, wenn er also „seine Aufgabe als Apostel der Heiden ... in diesem Schriftwort vorherverheißen" gesehen haben sollte (so Saß, Verheißungen 478), hat doch der Text von V. 9b nicht die Funktion einer Aussage des Verfassers „über sich selbst und sein Tun" (so Saß, ebd.). V. 9b informiert nicht über das auf eine bestimmte Person zu beziehende Ich, sondern tut eine in der Schrift enthaltene Absichtserklärung von aktueller Relevanz kund. 379

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έξομολογεΐσθαι unter den Heiden übernimmt380. In diesem ersten Zitat sind anders als in den beiden folgenden - die εθνη nicht die Subjekte des Gotteslobs, sondern die, die es hören können und denen es sich so vermitteln kann381. D.h. für die Funktion von V. 9b im Anschluß an V. 9a als Ausgangspunkt der Zitatenkette: Das Eingangszitat will die Adressaten einbeziehen in das έξομολογεΐσθαι unter den Heiden382, das deren eigenes, auf empfangenes Erbarmen antwortendes δοξάζειν τον θεόν fördert. Die beiden anschließenden Zitate (LXX Dtn 32,43c; ψ 116,1) sind Imperativisch (V. 10b.IIb) bzw. jussivisch (V. 11c) formuliert. Auf der Ebene des brieflichen Kontextes funktionieren die Imperative, die sich an die εθνη allgemein bzw. an πάντα τά εθνη und πάντες oi λαοί wenden, natürlich nicht als Aufforderungen an die Adressaten. Vielmehr geht es in beiden Zitaten eher darum, das Ziel des έξομολογεΐσθαι unter den Heiden (V. 9b) zu markieren, das diese zur Teilnahme am Gotteslob einlädt383. Beide Zitate lassen je unterschiedlich die Zukünftigkeit des umfassenden Ziels hervortreten. 1. V. 10b fordert die εθνη auf, sich zu freuen „mit seinem Volk". Diese Freude gemeinsam mit Israel384 kann sich - wie Thüsing zu Recht bemerkt hat - nach 11,2532 in vollendeter Weise erst dann verwirklichen, wenn ganz Israel gerettet ist385. 2. V. IIb steigert gegenüber V. 10b von εθνη zu πάντα τά έθνη bzw. πάντες οι λαοί. Die auf diese Weise betonte, unüberbietbare Universalität des Gotteslobes386, in das alle Heidenvölker387 einbezogen sind, weist eindeutig auf die Zukunftsperspektive des zitierenden Textes hin388.

380 vgl. im Prinzip ähnlich Schlier: Subjekt des έξομολογεΐσθαι ist .jedes einzelne Glied der Gemeinde, das dazu fähig ist" (Römerbrief 425); vgl. auch Nababan, Bekenntnis 119. 381 Wenn man in V. 9a das δοξάζειν der εθνη nicht nur als gegenwärtiges Faktum erwähnt sieht (s. dazu o. zu V. 8.9a), dann läßt sich das folgernde δια τούτο des ersten Zitats glatt anschließen: „... daß die Heiden um des Erbarmens willen Gott verherrlichen (mögen) ... Daher werde ich dich preisen unter den Heiden und deinem Namen lobsingen". 382 Vgl. Dabeistein, Heiden 108. 383 vgl. ähnlich Nababan, Bekenntnis 120. 384 Daß der Formulierung μ ε τ ά τοΰ λαοΟ αύτοΟ nicht der Gedanke des Hineinversetztwerdens der Heiden in Israel zu entnehmen ist, hat Koch (Schrift 282 Anm. 26) zu Recht kritisch gegen Wilckens (Römer III 107; vgl. tendenziell ähnlich wie Wilckens auch Dunn, Romans II 849) geltend gemacht. Kaum einleuchtend erscheint aber der von Koch angedeutete Vorschlag, λ α ό ς α ϋ τ ο ϋ nach Rom 9,25f. auf die Christen aus Juden und Heiden zu beziehen (Schrift 282f. Anm. 26). Zum einen steht dem die selbstverständliche Verwendung von λ α ό ς αύτοΰ für Israel in 11,1(2) entgegen, zum andern läßt sich das Nebeneinander von εθνη und λ α ό ς αϋτοΰ in 15,10b unter dieser Voraussetzung nicht verständlich machen. 385

Per Christum 45 Anm. 133.

386

Nach der Anrede Gottes in V. 9b und der Erwähnung des λ α ό ς αύτοΰ in V. 10b liegt es nahe, τόν κύριον auf Gott zu beziehen (anders Nababan, Bekenntnis 121). 387 Selbst wenn man in π ά ν τ α τ ά εθνη und ζ ά ν τ ε ς οί λαοί Israel eingeschlossen sehen wollte (so z.B. Nababan, Bekenntnis 121; Dabeistein, Heiden 193 Anm. 129; Wilckens, Römer III 108) die Verwendung von εθνη in V. 9f. und die explizite Erwähnung Israels im vorangehenden Zitat (V. 10b) scheinen mir eher gegen diese Annahme zu sprechen - , wäre festzuhalten, daß V. 1 lb.c

310

Analysen zur Textfunktion

Das formal in der Einleitung durch die Nennung Jesajas als Verfasser abgehobene Schlußzitat von LXX Jes l l , 1 0 a - c in V. 1 2 b - d enthält die Ankündigung eines Davididen als Herrscher über die Heiden, der zugleich den Grund ihrer Hoffnung darstellt. Aus der Perspektive des zitierenden Textes ist das angekündigte Geschehen z.T. realisiert - der „Sprößling" 389 Isais ist in Christus erschienen (V. 12b) - und z.T. in der Realisierung begriffen 390 - Christi Herrschaft über die Heiden ist eingetreten 391 und dauert an (V. 12c). Entsprechendes gilt von der auf ihn gerichteten Hoffnung der Heiden (V. 12d). Im Zusammenhang mit den drei vorangehenden hat das Schlußzitat, und darin besonders V. 12c 392 , interpretierende Funktion: Das Gotteslob, das sich seinen Weg zu den Heiden bahnt (V. 9b) und sie schließlich ganz erreichen wird (V. 10f.), ist Äußerung der sich immer weiter durchsetzenden Christusherrschaft. Zur Funktion der Zitatenkette insgesamt ist festzuhalten: V. 9b-12 sind nicht einfach V. 9a als Begründung untergeordnet. Die auf das künftige, weltweite Gotteslob zielende Stoßrichtung der Kette ginge in solcher Begründungsfunktion nicht auf. Vor allem das Eingangszitat legt es - im Anschluß an V. 9a und an V. 7b - nahe, an eine die Adressaten motivierende Funktion der Zitatenkette zu denken 393 : Sie, die von Christus angenommen sind εις δόξα ν τοϋ θεοϋ, werden mit der aus der Schrift zitierten Absicht konfrontiert, Gott unter den Heiden zu preisen. Darüber hinaus wird ihnen der in der Gegenwart durchaus noch nicht vollständig realisierte Aufruf aller Heidenvölker zum Gotteslob vorgehalten. Die Funktion dieser Diskrepanz zwischen der Gegenwart und über sie hinausgreifenden Schriftzitaten hat Dewey auf den Punkt gebracht: „... if these words are not totally fulfilled, then what does this mean? It means that there is a surplus of intent within the scriptures, which will continue to work upon and impel those who will mine them" 394 . Der abschließende Segenswunsch (V. 13) knüpft nicht nur stichwortartig an den letzten zitierten Satz an, sondern läßt sich in seiner Konzentration auf den Gedanken der Hoffnung aus dem vorangehenden Kontext verständlich machen. Die aus der Schrift zitierten Worte bringen die Zukunft zur Sprache, für auch dann nicht den ,,Gedanke[n] der Gemeinschaft von Juden und Heiden" herausstellt (so aber Nababan, Bekenntnis 121), sondern die universale Weite des Bereichs, in dem das Gotteslob ergeht. 388 Vgl. Saß, Verheißungen 479. 389 Vgl. Bauer/Aland, Wb. 1473. 390 vgl. Zeller: Das Jesaja-Wort nimmt „das im Sinn des PI geschichtlich schon eingetretene Christusereignis (εσται ή ρίζα τοϋ Ίεσσαί) im Futur mit dem zusammen, was sich erst daraus ergibt" (Juden und Heiden 261 Anm. 87). 391 Für die Adressaten des zitierenden Textes legt sich der Gedanke an die Auferstehung wegen άνιστάμενος assoziativ nahe (vgl. Käsemann, Römer 374; Wilckens, Römer III 108; Dunn, Romans II 850). 392 Zur Gewichtung von V. 12c vgl. Käsemann, Römer 374. 393 Mit Dabeistein, Heiden 108; Dewey, Future 344; vgl. auch Bornkamm, Paulus 211. 394 Future 344.

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

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die sich Gott verbürgt hat, auf die er darum durch die Gabe der Hoffnung ausrichten kann. Auf diese vom „Gott der Hoffnung" für die Adressaten erbetene Gabe richtet sich die Zielbestimmung des Wunsches (V. 13b); der Wunsch selbst (V. 13a) hält fest, daß die Hoffnung in der Erfahrung des Heils (χαρά, ειρήνη) im Glauben wurzelt. Auf der Grundlage der Analyse von 15,7-13 sind folgende Punkte festzuhal1. Die Ausführungen stehen nicht mehr unter dem Gesichtspunkt des in 14,1—15,1(—6) behandelten Problems der Annahme des schwachen Mitchristen. Die von hier aus verallgemeinerte, einleitende Aufforderung zu gegenseitiger Annahme (V. 7) wird vielmehr einem neuen Gesichtspunkt zugeordnet, nämlich dem der δόξα τοΰ θεοϋ. Der Verherrlichung Gottes, auf die Christi Annehmen zielt, dient auch die gegenseitige Annahme. 2. Die Erklärung des Verfasser-Ichs (V. 8.9a) benennt in ihrem zweiten Teil das den Abschnitt bestimmende Thema: die Verherrlichung Gottes durch die Heiden um seines Erbarmens willen. Der vorgeschaltete, erste Teil der Erklärung interpretiert dieses durch Christus verwirklichte Erbarmen als Handeln des mit sich selbst identisch gebliebenen Gottes, der zu seinen an Israel ergangenen Verheißungen steht. 3. Die Wirkabsicht, in der das Thema behandelt wird, wird in der Zitatenkette von V. 9 b - 1 2 greifbar: Die Adressaten werden einbezogen in die Verbreitung des Gotteslobs unter den Heiden, die auf die universale Verherrlichung Gottes zielt. 4. Von hier aus erschließt sich der Zusammenhang mit dem den zweiten Hauptteil des Rom programmatisch einleitenden Abschnitt 12,1 f.: Der nach außen hin „sprechende" Gottesdienst, der in der leiblichen Selbstübereignung der Adressaten an Gott besteht, steht vor dem Hintergrund der weltweiten Heidenmission, in der den Adressaten, die Gott schon jetzt um seines Erbarmens willen preisen, eine aktive Rolle zugedacht ist. Die missionstheologische Wirkabsicht von 15,7-13 verbindet mit dem anschließenden Briefteil (15,14-33), in dem der Verfasser seine eigene Missionsarbeit thematisiert.

Analysen zur Textfunktion

312

3.3.5 Ergebnis, Ergänzung und Rückblick auf die Hypothese zum Abfassungszweck 3.3.5.1

Ergebnis

Die vorangehenden Einzelanalysen zur Programmbestimmung (12,1 f.), zu größeren Teilen der Durchführung des Programms (12,3-8.14-21; 14,1-15,6) und zur Kennzeichnung seines Hintergrundes (15,7-13) führen zusammen gesehen zu folgendem Ergebnis, das die einleitend gestellte Frage nach der in 12,1-15,13 leitenden Wirkabsicht 395 beantwortet: Der zweite Hauptteil des Rom zielt auf die Prägung der Adressatenschaft zu einer selbständigen und nach außen hin ausstrahlenden Gemeinde. 12,1 f. bringt diese beiden Komponenten der Wirkabsicht zum Zuge: Das π α ρ α κ α λ ε ΐ ν des Adressanten will die selbständige Wahrnehmung des Gotteswillens seitens der Adressatenschaft fördern. Der grundlegende Inhalt der Ermahnung, die leibliche Selbstübereignung an Gott, wird als „sprechender" Gottesdienst der Adressatenschaft interpretiert. 12,3-8 (-13) bietet ein Modell, auf dessen Grundlage die Adressatenschaft ein gemeindliches Selbstverständnis entwickeln kann. Die Ermahnungen in 12,14-21 beziehen sich einheitlich auf das Verhalten zu Außenstehenden; aggressive Feindseligkeit von deren Seite wird als Selbstverständlichkeit erwähnt. Gleichwohl soll ihnen das am Willen Gottes orientierte, „gute" Verhalten der Adressaten gelten und gleichwohl sind „alle Menschen" als Forum gesehen, vor dem sich der auf das Gute bedachte Lebenswandel der Adressaten abspielt. 14,1-15,6 ist darauf angelegt, die Adressatenschaft zu einer Gemeinde der „Starken" zu machen. D.h.: Der Abschnitt zielt auf die Bereitschaft und die Fähigkeit der Adressatenschaft, andere Christen, die sich an besondere, restriktive Normen der Lebensführung gebunden sehen, zu integrieren. Dabei scheint jedoch an unterschiedlichen Stellen und in je unterschiedlicher Weise der Bezug auf die Nichtchristen durch: 1. Tod und Auferweckung Christi zielen auf seine Universalherrschaft (14,9); entsprechend werden in den endlichen Lobpreis Gottes alle Menschen einbezogen sein (14,11). 2. Das Verhalten dem schwachen Bruder gegenüber bleibt in keinem Fall konsequenzlos für den Eindruck auf die Nicht-Christen (14,16-18). 3. Der Auferbauung der Gemeinde dient nicht nur das im Binnenbereich angemessene Verhalten, sondern auch die von sich selbst absehende Hinwendung zum „Nächsten" (15,2). 15,7-13 blickt aus auf die weltweite Verbreitung des Gotteslobs unter den Heiden, bei der den εις δόξαν τοΰ θεού von Christus angenommenen Adressaten eine aktive Rolle zukommt.

395

S. o. S. 17.

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken" 3.3.5.2

313

Ergänzung

In den im vorigen Abschnitt skizzierten Zusammenhang, in dem sich die Konsolidierung und Prägung der Adressatenschaft auf der einen Seite und ihre Außenwirkung auf der anderen Seite als Brennpunkte herausstellten, lassen sich im Nachhinein auch die beiden Abschnitte einordnen, die nicht im einzelnen analysiert worden sind (13,1-7.8-14). Diese Behauptung soll im folgenden so knapp wie möglich und unter Verzicht auf die Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur begründet werden. a. 13,1-7 13,1-7 läßt sich auf die den zweiten Hauptteil des Rom bestimmende Wirkabsicht dann beziehen, wenn man die kommunikative Funktion des Abschnitts von seinem Schluß her begreift. Der Abschnitt enthält unter funktionalem Gesichtspunkt zwei Teile: 1. V. 1 - 5 ist abgelöst von der brieflichen Kommunikationssituation formuliert. Dies zeigt sich gleich zu Beginn in der überschriftsartigen Regel in V. la (πάσα ψυχή έξουσίαις ύπερεχούσαις ύποτασσέσθω), die für πάσα ψυχή gilt und die die beiden brieflichen Kommunikationspartner nur indirekt vorkommen läßt: Die Adressaten werden nur indirekt aufgefordert, sofern sie auf allgemein (und darum auch für sie) Gültiges verwiesen werden; der Adressant, der sich im Brief ja nicht an πάσα ψυχή, sondern an die Adressaten wendet, erscheint wie jemand, der Allgemeingültiges „zitiert", also nicht als Urheber der Regel. Der Regel folgen zwei Begründungsgänge (V. l b - 2 ; V. 3f.) und eine das Motiv der Unterordnung präzisierende Wiederaufnahme (V. 5). Die von der Kommunikationssituation abstrahierende Formulierungsweise wird bis einschließlich V. 5 beibehalten. (Nach V. l - 3 a steht die 2. Person Singular in V. 3b-4b natürlich im allgemeinen Sinn von „man".) 2. V. 6f. wendet sich unmittelbar an die Adressaten (2. Person Plural), entspricht also der Normalform brieflicher Kommunikation. - In Anbetracht dieser auffälligen Zweiteilung 39 ^ muß bei der Frage nach der Wirkabsicht des Abschnitts der Schwerpunkt auf dem brieflichen Schlußstück liegen. Dieses briefliche Schlußstück enthält eine Feststellung mit angeschlossener Begründung (V. 6) und eine Aufforderung (V. 7a), die in einem viergliedrigen Katalog exemplarisch entfaltet wird (V. 7b-e). Die - für die Erfassung der Wirkabsicht des gesamten Abschnitts zentrale - Kennzeichnung von V. 6a als

Die Auffälligkeit dieser Zweiteiligkeit wird indirekt bestätigt durch den in einem Zweig der Textüberlieferung vorgenommenen Ausgleich der Differenz zwischen den beiden Teilen, p 46 , D (urspüngliche Fassung), F, G, die Mehrheit der altlateinischen Zeugen, Irenaeus (lateinische Übersetzung) und Ambrosiaster lesen statt der für π ά σ α ψ υ χ ή gültigen Regel in V. la: ιτάσαις έξουσίαις ΰ π ε ρ ε χ ο ύ σ α ι ς ύ π ο τ ά σ σ ε σ θ ε , und dieselben Zeugen bieten statt der unpersönlichen Infinitiv-Formulierung in V. 5 das direkt anredende ύ π ο τ ά σ σ ε σ θ ε . Durch diese Umgestaltung der beiden Rahmenaussagen bekommt das ganze Stück V. 1 - 5 brieflichen Charakter.

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Analysen zur Textfunktion

Feststellung beruht auf dem nach weitreichendem Konsens 397 indikativisch zu verstehenden τελείτε; die indikativische Auffassung von τελείτε ihrerseits legt sich vor allem wegen des in V. 6a enthaltenen και γάρ (= „denn auch", „denn gerade"398) nahe399. Die Feststellung von V. 6a knüpft folgernd an das Vorangehende an; die zuvor geltend gemachte Notwendigkeit der Unterordnung stellt den Grund für das faktische Verhalten400, das Steuerzahlen, dar401. Herausgestellt wird also, daß das aktuelle Verhalten der Adressaten der allgemeingültigen Regel der Unterordnung entspricht. V. 6a hat folglich die Funktion einer Bestätigung der Adressaten. In diesem bestätigenden Sinn ist auch das in V. 6b hinzugefügte Motiv zu verstehen: Die Kennzeichnung der mit der Steuereinnahme befaßten Personen als λειτουργοί θεού entspricht der Kennzeichnung der εξουσία als θεού διάκονος in V. 4a.d. D.h.: Nicht nur das von den Adressaten geleistete Steuerzahlen entspricht den vorangehenden Ausführungen, sondern auch das Motiv, das der Verfasser diesem Verhalten zugrundeliegen sieht. Die unverbunden anschließende Aufforderung, allen das Geschuldete zu geben (V. 7a), bringt inhaltlich eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, die entsprechend allen Menschen 402 gegenüber gilt. Die viergliedrige Explikation 397 Abweichend von diesem Konsens beurteilen z.B. Zahn (Römer 560) und Friedrich/Pöhlmann/Stuhlmacher (Situation 160.164) τελείτε als Imperativ. 398 Vgl. Bauer/Aland, Wb., s.v. γ ά ρ l.b., 304. - Im NT sind - neben Rom 13,6 - Apg 17,28; IKor 11,19; 2Kor 2,9; 10,14; Kol 2,5; IPetr 4,6 Belege für die Partikelverbindung καϊ γ ά ρ . Unter diesen Belegen findet sich kein Aufforderungssatz. 399 Im Anschluß an die die Adressaten indirekt auffordernde Regel, die den Abschnitt 13,1-5 rahmt und die bedingungslos und umfassend Unterordnung unter die staatlichen Gewalten vorschreibt (V. la.5a), wäre V. 6a i.S. von „Darum entrichtet denn auch Steuern!" seltsam: Die Zahlung von Steuern gehört j a selbstverständlich zum ύ π ο τ ά σ σ ε σ θ α ι hinzu. 400 Aus der in V. 6a erfolgenden Bezugnahme auf die seitens der Adressaten faktisch geleistete Steuerzahlung ergibt sich ein wichtiger Einwand gegen die (besonders einflußreich von Friedrich/Pöhlmann/Stuhlmacher [Situation 156-159] vertretene) Deutung, nach der Rom 13,6f. sich bezieht auf die (durch Tacitus, Ann. 13,50f.; Sueton, Nero 10 belegte) Situation von Protesten des römischen Volks gegen das Steuerwesen, die dessen Neuordnung durch Nero im Jahr 58 vorangingen: Bei indikativischem Verständnis von τελείτε ist Rom 13,6a keine Mahnung, die die Adressaten davor bewahren will, sich in die Unruhen hineinziehen zu lassen und die Steuerleistung zu verweigern. Merklein greift die Deutung von Friedrich/Pöhlmann/Stuhlmacher auf und versucht sie mit dem indikativischen Verständnis von τελείτε zu vermitteln. Danach könnte es unter den Adressaten „Tendenzen" gegeben haben, „die Zahlung der augenblicklich noch entrichteten Steuern einzustellen. Die VV 6f hätten dann das pragmatische Ziel, dieser Tendenz entgegenzuwirken und die bisherige Praxis zu bestärken" (Sinn 264f.; Hervorhebungen von mir). Der Vorschlag läßt sich kaum wahrscheinlich machen, weil der Text von V. 6a (und V. 7b.c) nicht zu erkennen gibt, daß er sich auf eine Praxis bezieht, von der der Adressant meint, daß die Adressaten sie abzubrechen gedenken. 401 Dabei ist es relativ gleichgültig, ob man διά τοΰτο auf V. 1 - 5 als Ganzes oder speziell auf den zusammenfassenden Schlußsatz in V. 5 bezieht. 402 Die Beziehung von π ά ν τ ε ς auf alle Menschen dürfte als die wahrscheinlichste Lösung gelten können. Die Beziehung auf politische Instanzen allgemein ist sprachlich schwierig, weil έξουσίαι bzw. ά ρ χ ο ν τ ε ς (Plural) nur in V. la.c.3a vorkommen; in V. l b . 2 a . 3 b - 4 dagegen ist

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zu V. 7a (V. 7b-e) zeigt, daß die selbstverständliche Aufforderung zur Erledigung bestehender Verpflichtungen von den Adressaten auf deren Verhalten zu den politischen Instanzen bezogen werden soll; das erste Paar (φόρος, τέλος) weist diesen Bezug eindeutig auf; beim zweiten Paar (φόβος, τιμή) dürfte der Gedanke an die politischen Autoritäten, die Anspruch auf Ehrerbietung403 und Achtung haben, zumindest eingeschlossen sein. Inhaltlich fordern die beiden Paare des Katalogs nichts, was prinzipiell über das hinausginge, was der Verfasser den Adressaten in V. 6 bestätigt hat (Erledigung der Steuerpflicht mit dem Motiv der Achtung der mit der Steuererhebung befaßten Personen als λειτουργοί θεοΰ). Der Katalog in V. 7b-e will auf die Fortsetzung der von den Adressaten praktizierten Verhaltensweise hinaus. Die eigentliche Pointe dabei liegt in der Subsumption der Verhaltensweisen den staatlichen Autoritäten gegenüber unter die Aufforderung zur Erfüllung bestehender Verpflichtungen gegenüber allen Menschen. Diese Einordnung in das Selbstverständliche und für die Beziehung zu allen Menschen Gültige läuft auf eine deutliche Relativierung und Entproblematisierung des den politischen Instanzen gegenüber notwendigen Verhaltens hinaus. Die Wirkabsicht des brieflichen Schlusses in V. 6f. läßt sich demnach folgendermaßen kennzeichnen: Der Text zielt nicht - in adressatenkritischer Tendenz - auf ein Mehr an Loyalität den politischen Instanzen gegenüber. Die Adressaten werden vielmehr positiv bestätigt; sie werden dazu ermutigt, ihren politischen Verpflichtungen weiterhin zu genügen und diese als Teil ihrer selbstverständlichen Alltagsverpflichtungen anzusehen. Von dieser Tendenz des brieflichen Schlusses her läßt sich nun auch die Funktion des vorgeschalteten und von den Kommunikationspartnern abgelöst formulierten Teils V. 1-5 ermitteln, der konsequent auf das in den Rahmenaussagen (V. la.5) angegebene Thema bezogen ist: die Notwendigkeit der Unterordnung unter die staatlichen Gewalten. Die Entfaltung dieses Themas weist eine durchgehend oppositionelle Grundstruktur auf 404 . V. lf. beruht semantisch auf dem Gegensatz von ύττοτάσσεσθαι und άντιτάσσεσθαι (bzw. άνθίστασθαι). Ins Blickfeld kommen nur diese beiden extremen Verhaltensformen; Zwischenformen (also etwa bedingter Gehorsam bzw. Widerstand)

singularisch von der έξουσία die Rede. Die Beziehung von πάντες speziell auf die in V. 6b erwähnten, mit der Steuereinnahme befaßten Personen ist sprachlich gut möglich, aber inhaltlich schwierig; betont wäre dann die Unabhängigkeit der Verpflichtung von der jeweiligen Person des Steuereinnehmers, womit aber ein ganz fremder Gesichtspunkt ins Spiel gebracht würde. - Im Nachhinein bestätigt dann V. 8a die allgemein auf alle Menschen bezogene Auffassung von πάντες in V. 7a. 403 Zur Übersetzung von φόβος mit „Ehrerbietung" vgl. Bauer/Aland, Wb. 1722. Für diese Bedeutung spricht das parallele τιμή. Gegen die Annahme Gottes als der Autorität, der der φόβος zukommt, spricht das im übergeordneten Satz (V. 7a) enthaltene πασιν, das durch das vierfache τω ... expliziert wird. 404 Das hat Merklein im einzelnen gezeigt (Sinn 254-259).

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Analysen zur Textfunktion

sind in der Logik des Textes ausgespart. „Tatsächlich bewegt sich auch der folgende (Oberflächen-) Text nur in dieser bzw. einer entsprechend substituierten (αγαθόν ποχεϊν vs κακόν ποιεΐν) Oppositionalität. Das gilt zumindest für die VV 1-5" 405 . Diese Einschränkung auf die Extreme, bei der keine Differenzierungen vorgesehen sind, hat in bezug auf den brieflichen Schluß (V. 6f.) folgenden Effekt: Die erst hier direkt angesprochenen Adressaten stehen mit der von ihnen erwähnten Steuerleistung klar auf der „Positivseite", also auf der Seite der Unterordnung, die die für jedermann gültige Regel verlangt. Zugespitzt kann man die Funktion von V. 1-5 so beschreiben: Der Verfasser „referiert" eine gängige, nicht spezifisch christliche Norm und begründet sie in Abgrenzung zu ihrem Gegenteil derart, daß sich seine in V. 6f. direkt angesprochenen Adressaten ganz selbstverständlich als der Norm entsprechend verstehen können 406 . 13,1-7 läßt sich damit der 12,1-15,13 insgesamt bestimmenden Wirkabsicht, die auf die Konsolidierung der Adressatenschaft als Gemeinde und auf deren Außenwirkung zielt, zuordnen: Das Bewußtsein der eigenen Übereinstimmung mit der für πάσα ψυχή geltenden politischen Norm kommt der Stabilität und der Außenwirkung der Gemeinde, die sich „vor allen Menschen" (12,17b) präsentiert, entgegen. b. 13,8-14 Unter funktionaler Perspektive läßt sich der Abschnitt in den zweiten Hauptteil des Rom nur indirekt einordnen. Anders als die umliegenden Abschnitte, die jeweils schwerpunktmäßig auf einen bestimmten Lebensbereich der Adressaten bezogen sind (auf das Zusammenleben in der Gemeinde [12,3-13], auf ihre Beziehung zu Nicht-Christen [12,14-21], auf ihr Verhältnis zu den politischen Instanzen [13,1-7], auf ihre Beziehung zu potentiell in ihre Wirklichkeit ein-

405

Merklein, Sinn 259. 406 Mit dieser Funktionsbestimmung ist die sachlich-theologische Schwierigkeit von 13,1-5 natürlich ebenso wenig ausgeräumt, wie sie sich durch irgendeine andere Funktionsbestimmung ausräumen ließe. Die Wurzel dieser Schwierigkeit bildet die im ersten Begründungsgang zu V. la eindeutig ausgedrückte Ableitung jeder staatlichen Gewalt aus Gottes Anordnung (V. lb.c). Dieses Grundproblem zieht weitere Schwierigkeiten nach sich, z.B. die umstandslose Kennzeichnung des von den ά ρ χ ο ν τ ε ς gebilligten bzw. gewünschten Verhaltens als „gut" (V. 3), die sich nur unter der Voraussetzung göttlicher Einsetzung der Herrschenden vereinbaren läßt mit der Beziehung des „Guten" auf Gottes Willen im vorangehenden Kontext (12,9c. 17b.21 im Anschluß an 12,2). Nun könnte man zwar, gerade wenn man V. 6f. in der oben im Text vorgeschlagenen Weise auffaßt, unter der Perspektive dieses brieflichen Schlusses V. lb.c auch anders verstehen, nämlich im Sinn einer sachlichen Begrenzung der εξουσία, die in gar keinem Fall zur Gegenspielerin Gottes werden kann, weil es keine έξουσία „außer von Gott" gibt. (Vgl. vorsichtig in dieser Richtung Friedrich/Pöhlmann/Stuhlmacher: Alle staatlichen Instanzen besitzen „ihre Macht nicht an Gott vorbei, sondern mit seiner Einwilligung" [Situation 161f.].) Andererseits bleibt festzuhalten: Es gibt kein Textsignal, das es nahelegt, V. lb.c in dieser Weise als Einspruch gegen die Auffassung der έξουσία als Gegenspielerin Gottes zu verstehen, und der engere (Folge-) Kontext (V. 2 - 5 ) weist auch nicht in diese Richtung.

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tretenden, an eine andersartige Lebensweise gebundenen Christen [14,115,6]), läßt 13,8-14 keinen vergleichbaren Zuschnitt erkennen. Das Liebesgebot und die aus der Nähe des „Tages" abgeleiteten Ermahnungen sind grundsätzlicher und umfassender Art. Gerade deshalb stellt sich der Abschnitt nun aber andererseits als eine Art Knotenpunkt heraus, der zum einen verschiedene andere Abschnitte des zweiten Hauptteils dichter miteinander verknüpft und der zum andern die Rückbindung des zweiten Hauptteils an den ersten intensiviert. Im folgenden sind sind konkrete Verbindungslinien zu notieren. 1. Der erste Teil des Abschnitts thematisiert das Liebesgebot (13,8-10). Das Thema wird an dieser Stelle nicht neu eingeführt, sondern war bereits in 12,9 angesprochen. 12,9 hatte sich als vorgeschaltete Klammer zwischen den beiden folgenden Abschnitten gezeigt 407 , in denen zunächst das Gewicht auf den Binnenbeziehungen (V. 10-13), dann auf den Beziehungen ad extra (V. 1421) liegt. In 13,8-10 wird also das verknüpfende Leitmotiv zum Gegenstand der Ausführungen gemacht. Entsprechend wird im folgenden Abschnitt (14,115,6) die Liebe als Norm des Verhaltens in Anspruch genommen (14,15). Im verallgemeinernden Schluß dieses Abschnitts schließlich spielt die Aufforderung, dem πλησίον zu gefallen (15,2), eine entscheidende Rolle. Diese Aufforderung läßt wörtlich zwar nur mit dem Ausdruck πλησίον, inhaltlich aber wohl auch mit der ganzen Vorstellung, dem Nächsten im Gegensatz zu sich selbst zu gefallen (15,lb.3a), das Gebot der Nächstenliebe wieder anklingen. 2. Das direkt an die Adressaten gerichtete Liebesgebot (13,8a) wird mit einer unpersönlich formulierten Erläuterung der Liebe als Gesetzeserfüllung versehen (13,8b—10). Diese Erläuterung wird vom Leser des Rom vor dem Hintergrund der differenzierten Behandlung der Gesetzesproblematik wahrgenommen, die den ersten Hauptteil des Rom durchzieht. Um diese zurückweisende Verbindungslinie konkretisieren zu können, sind zunächst drei Beobachtungen zu 13,8-10 festzuhalten: a. Von Gesetzeserfüllung ist nicht im Modus der Aufforderung die Rede. Die Aufforderung ist vielmehr auf V. 8a begrenzt; sie bezieht sich auf die Liebe, die schon vorab, nämlich von 12,9 her, als entscheidendes Merkmal im Modell christlicher Gemeinde feststeht. 13,8b—10 zeigt gewissermaßen retrospektiv - Gesetzeserfüllung als Effekt der Liebe (und nicht umgekehrt Gesetzeserfüllung als die Art und Weise, in der sich die Liebe verwirklicht), b. Für die zunächst unabhängig vom Gesetz formulierte Verpflichtung auf die Liebe in V. 8a wird mit dem Zitat des Gebotes der Nächstenliebe (LXX Lev 19,18b) in V. 9d ein Stützpunkt im Gesetz selbst aufgewiesen. Dieses Gebot wird als „Summe" (άνακεφαλαιοΰται) nicht nur der in V. 9a zitierten vier Gebote der zweiten Dekalogtafel, sondern auch aller übrigen Gebote behauptet. Gerade die Ausweitung και ε'ί τις έτερα έντολή (V. 9b) zeigt: Das zitierte Liebesgebot ist nicht als eine Größe gesehen, die - wie 407

S. o. S. 260f.

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Analysen zur Textfunktion

ein gemeinsamer Nenner - aus den auf die sittlichen reduzierten Geboten ableitbar wäre. Die Hervorhebung des einen λόγος als „Summe" bildet also keine Behauptung, die aus dem Gesetz selbst gewonnen wäre, sie wird vielmehr von außen (unter Voraussetzung der zentralen Bedeutung des Liebesgebots) herangetragen, c. Mit den beiden vorangehenden Punkten ist schon angedeutet: Die „Erfüllung des Gesetzes", die V. 10b in chiastischem Bezug auf V. 8b von der Liebe aussagt, kann sich nicht einfach auf die Ausführung der im Gesetz enthaltenen Gebote beziehen; πλήρωμα/πληροΰν kann also nicht einfach das Tun der Gesetzesvorschriften meinen. Die Ausweitung in V. 9b schließt neben den zitierten Geboten alle übrigen ein, im Blick auf die kultisch-rituellen Gebote aber ergibt die Behauptung der Liebe als Gesetzeserfüllung (V. 8b. 10b) keinen Sinn, wenn man unter Gesetzeserfüllung das Tun, die Ausführung der im Gesetz enthaltenen Vorschriften versteht. Darum liegt es nahe, das πληρούν/πλήρωμα des Gesetzes auf die vollständige Übereinstimmung dessen, der liebt, mit dem dem Gesetz von Gott her zugrundeliegenden Anspruch zu beziehen408. Diese Übereinstimmung gibt dem Gesetz seine Erfüllung 409 , ohne notwendigerweise die Ausführung aller Einzelgebote zu umfassen. Naheliegend ist dieses Verständnis von 13,8-10, nach dem die Erfüllung des Gesetzes keine mit dem Gesetz selbst gegebene Möglichkeit darstellt, allerdings nur dann, wenn man die Behandlung der Gesetzesthematik im ersten Hauptteil des Rom bei der Interpretation in Anschlag bringt und dabei speziell jenen Abschnitt beachtet, der im Rom als einziger weiterer vom ττληροΰν/πληροΰσθαι des Gesetzes spricht (Rom 8,2-4): Die Erfüllung des δικαίωμα τού νόμου geschieht unter den Gerechtfertigten, die κατά πνεύμα wandeln (V. 4), und sie ist bewirkt durch Gottes Sendung des Sohnes mit ihrer die Sünde entmachtenden Wirkung (V. 3b). Aufgrund dieser Entmachtung begegnet das Gesetz den Gerechtfertigten nicht mehr als das pervertierte, todbringende Instrument der Sünde (V. 2), vielmehr kommt im Wirkungsbereich des Geistes „der im Gesetz ursprünglich sich bekundende[...] Gotteswille[...] zu seinem Recht"410. Von hier aus läßt sich in 13,8-10 die Liebe als Merkmal des vom Geist bestimmten Wandels verständlich machen; in ihr kommt die eigentliche, d.h. von der Sünde nicht mehr verstellte, Intention des Gesetzes zur Geltung. Sie kann darum als „Erfüllung des Gesetzes" behauptet und das 408

Zur Unterscheidung des „Erfüllens" vom „Tun" s. die überzeugende Einzelargumentation bei Westerholm, Law 203-205. 409 Die Verwendung von πλήρωμα in Gal 4,4 bietet eine aufschlußreiche Parallele zur Verwendung des Ausdrucks in Rom 13,10. In Gal 4,4 ist das πλήρωμα τοϋ χρόνου nicht der Termin, auf den die Zeit von sich aus zuläuft, sondern die Zeit bekommt ihr πλήρωμα durch die Sendung des Sohnes. Analog dazu ist das πλήρωμα τοϋ νόμου nicht ein Sachverhalt, der im Gesetz selbst vorgesehen ist (also die Ausführung des in ihm Gebotenen), sondern das Gesetz bekommt sein πλήρωμα durch die Liebe, die den eigentlichen Anspruch des Gesetzes realisiert. 410 Käsemann, Römer 210.

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Zitat des im Gesetz enthaltenen Gebotes der Nächstenliebe als materialer Stützpunkt411 in Anspruch genommen werden. In Anbetracht der Beziehung der beiden explizit vom ττληροΰν/πληροΰσθαι des Gesetzes handelnden Abschnitte zueinander und in Anbetracht der Tatsache, daß der Abschnitt 8,2-4 seinerseits unterscheidbare Linien in der Behandlung der Gesetzesthematik im Rom verknüpft 412 , erscheint die Behauptung eines in V. 13,8b—10 vorliegenden Rückgriffs „auf die rechtfertigungstheologischen Darlegungen in Rom 1-11" 413 im Sinne eines Fundaments keineswegs übertrieben. 3. 13,11-14 besteht aus einer an die Verpflichtung auf die Liebe anschließenden Motivierung (V. 11-12a) 414 und aus Ermahnungen, die aus dieser Motivierung abgeleitet werden (V. 12b—14)415. Daß der Passus in seiner eschatologischen Orientierung der Einleitung des zweiten Hauptteils (12,1 f.) korrespondiert, ist oft behauptet worden416; die Korrespondenz leuchtet - was die Motivierung in 13,11—12a betrifft - auf den ersten Blick jedoch nur begrenzt ein: Während 12,1 f. mit dem Hinweis auf „diesen Äon" implizit auf die Heilszukunft ausblickt und zugleich auf die an den Glaubenden schon geschehene und gegenwärtig wirksame Neuschöpfung des νοΰς zurückblickt, scheint die Motivierung in 13,11—12a einseitig die Gegenwart (V. lla.b) als Zeit der Einstellung auf die Heilszukunft (auf die näher gekommene σωτηρία, auf den „Tag" im Gegensatz zu der sich dem Ende zuneigenden „Nacht" [V. 11c. 12a]) zu sehen417. Ein näherer Blick auf den die bildliche Sprache von V. IIb. 12a sprengenden Begründungssatz von V. 11c (vüv γάρ έγγύτερον ήμών ή σωτηρία ή δτε έτηστεύσαμεν) stellt diese Einseitigkeit jedoch in Frage. Der Satz begründet den sogenannten „Weckruf von V. IIb, will also die Nähe der σωτηρία herausstellen. Die Frage ist, warum dieser Hinweis in der Form eines Vergleichs zweier Zeiträume erfolgt, des Zeitraums zwischen Gegenwart und

411 Vgl. ähnlich Lindemann: „das Liebesgebot steht nicht deshalb in Geltung, weil es von der Tora bezeugt wird, sondern deshalb, weil es dem Christusgeschehen entspricht" (Toragebote 264). 412

Vgl. dazu die Gesamtdarstellung paulinischer Gesetzestheologie bei Klein, Art. Gesetz 6 4 -

72. 413

Söding, Liebesgebot 257f. Die Motivierung wird durch eine elliptische Formulierung (και τ ο ϋ τ ο είδότες) eingeleitet (vgl. Bl/Debr/Rehk § 480 Anm. 9), in der man ποιείτε ergänzen kann, die man im Deutschen aber auch elliptisch wiedergeben kann („Und dies, weil ..."). Dabei liegt es nahe, τοϋτο auf den durch V. 8b—10 erläuterten V. 8a zu beziehen (vgl. Winer, Grammatik 505), und nicht auf die gesamten vorangehenden Aufforderungsinhalte. 4 ' 5 13,12b schließt an mit folgerndem ουν. 414

416 Vgl. besonders deutlich Furnish, der 12,lf. und 13,11-14 als „eschatological framework" der davon eingeschlossenen Ermahnungen bezeichnet (Love Command 102f.; Zitat: ebd. 102). 417 Von Schmithals wird diese Einseitigkeit, die „in schroffem Widerspruch" auch zu 12,1 f. stehe (Römerbrief 481), so stark empfunden, daß er sich auch in diesem Fall zum literarkritischen Schnitt genötigt sieht und 13,1 l - 1 2 a einem späteren Redaktor zuweist (ebd. 481f.).

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künftiger σωτηρία und des Zeitraums zwischen zurückliegender Bekehrung und künftiger σωτηρία. Tatsächlich besagt ja die „durch Substraktion der seit der Bekehrung verflossenen Phase" ausgedrückte Zeitansage 418 nichts über das tatsächliche Ausmaß des Zeitraums, durch den die Gegenwart von der künftigen Rettung noch getrennt ist. Wenn also in dieser Hinsicht der Vergleichssatz nicht aussagekräftiger ist, als es ein einfacher Hinweis auf die Nähe der σωτηρία gewesen wäre, so wird doch andererseits durch den Vergleichssatz eine Beziehung hergestellt zwischen Endheil und vergangenem Zum-GlaubenKommen bzw. der dadurch eröffneten Zeit. V. 11c drückt aus, daß schon die vergangene Zeit des Glaubens im Zeichen der jetzt noch näher gekommenen σωτηρία stand, und bindet so den Ausblick auf die künftige Vollendung des Heils an seine Grundlegung im Glauben. Dieses Verständnis von V. 11c, nach dem der Begründungssatz nicht aufgeht in der durch V. I I b vorgezeichneten Funktion eines Hinweises auf die Nähe des Endheils, dürfte sich für den Leser des Rom vor allem deshalb nahelegen, weil der Zusammenhang von σωτηρία und πίστις im ersten Hauptteil ja bereits in aller Deutlichkeit entfaltet wurde (vgl. besonders l,16f.; 10,1-13). Die (nur scheinbar einseitig futurisch orientierte) Motivierung in 13,11—12a weist also tatsächlich eine Entsprechung zum Einleitungspassus 12,1 f. auf. Diese Verbindungslinie wird gestützt durch die aus 13,11.12a gefolgerten Ermahnungen in V. 12b.13a: Das „Ablegen der Werke der Finsternis", das „Anziehen der Waffen des Lichts", der „anständige" Lebenswandel ώς έν ήμερα 4 1 9 entspricht der Nichtanpassung an „diesen Äon" und der Bereitschaft zum μεταμορφοΰσθαι (12,2). 4. Die aus der Motivierung in V. 11—12a abgeleiteten Ermahnungen sind dreifach antithetisch, nach negativ und positiv qualifiziertem Handeln, gegliedert: V. 12b.c; V. 13a.b; V. 14a.b. Unter den drei Paaren ist das letzte (άλλα ένδύσασθε τον κύριον Ίησοΰν Χριστόν και της σαρκός πρόνοιαν μη ποιεΐσθε εις επιθυμίας) zunächst syntaktisch von den beiden vorangehenden abgehoben (Anschluß durch άλλά; keine Fortsetzung der chiastischen Anknüpfung). Es unterscheidet sich zudem semantisch von V. 12b.13, weil die an V. 12a anknüpfende Metaphorik (Finsternis, Licht, ώς έν ήμερα) nicht weitergeführt wird. Darüber hinaus unterscheidet sich V. 14 funktional durch die Verwendung der die Adressaten direkt anredenden 2. Person Plural Das dritte antithetische Paar ist also in mehrfacher Hinsicht, und nicht nur durch seine Schlußstellung, hervorgehoben. Der Hervorhebung entspricht die Bedeutung, die der Mahnung in ihrem positiven Teil (V. 14a) für den Gesamtzusammenhang des zweiten Hauptteils des Rom zukommt. Zum einen greift V. 14a auf

418

Klein, Naherwartung 258. ' 9 Zu ώς έν ήμερα vgl. Wilckens: Es handelt sich um einen Vergleich, „bei dem jedoch nicht die Nichtentsprechung betont ist .... sondern vielmehr die wirkliche Entsprechung" (Römer III 77 Anm. 412). 4

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den zentralen Satz des Gemeindemodells von 12,3ff- (V. 5) zurück 420 . Auch wenn dort die Gewandmetaphorik nicht verwendet wird, liegt der Sachzusammenhang auf der Hand: Die Aufforderung, den Herrn Christus anzuziehen, macht das als Aufgabe geltend, was in 12,5 als eine für die Glaubenden gültige Realität behauptet war, nämlich die Eingliederung in den von Christus bestimmten Herrschaftsbereich. Zum andern leitet die christologisch gefaßte Aufforderung von V. 14a hin auf die mit 14,1 einsetzende Behandlung des Problems des Schwachen, die auf der in 14,7-9 entfalteten Basis der alle Lebensumstände und Standpunkte umgreifenden Bezogenheit auf Christus als Herrn beruht. An den aufgezeigten Verbindungslinien wird deutlich: Der Abschnitt, der die Liebe als grundlegende Norm herausstellt, bündelt die eschatologische und die christologische Motivierung für die im zweiten Hauptteil des Rom angestrebte Wirkung auf die Adressaten und bindet damit zugleich die Ausführungen des zweiten Hauptteils an die des ersten zurück. 3.3.5.3

Rückblick auf die Hypothese zum

Abfassungszweck

Im zweiten Teil der Arbeit war hypothetisch angenommen worden: Paulus wollte mit seinem Schreiben die uneinheitlich geprägte Adressatenschaft zu einer paulinischen Gemeinde machen und sie für den Fall der eigenen Verhinderung an der Durchführung seiner weiteren Missionspläne zur selbständigen Weiterverbreitung seines Evangeliums befähigen. Daß sich das Ergebnis in der Bestimmung der Wirkabsicht des Textes von 12,1-15,13 mit ihren beiden Brennpunkten - die Gemeindeprägung einerseits und die Außenwirkung der Gemeinde andererseits - dazu in Beziehung setzen läßt, liegt auf der Hand. Blickt man nun vom empirischen Autor und der für ihn angenommenen Intention aus auf den Text, dann gewinnen die in der Einzelanalyse unabhängig davon angestellten Beobachtungen ein noch deutlicheres Profil. Wenn Paulus daran lag, die römische Gemeinde im Fall des negativen Ausgangs der Kollektenübergabe gewissermaßen an seiner Stelle zu sehen, dann mußte er ein besonderes Interesse an der Eigenständigkeit dieser Gemeinde haben. Dieses Anliegen kommt vor allem in der abschließenden Zielbestimmung des Einleitungspassus (12,1 f.) zum Zuge, in der sich der Verfasser unter dem Gesichtspunkt der ethischen Entscheidungsfindung geradezu selbst überflüssig macht. Das Interesse des Paulus, aus den uneinheitlich geprägten römischen Christen eine paulinische Gemeinde zu machen, die sich vom Charisma-Gedanken her versteht, läßt die Präsentation des entsprechenden Ge-

420 Vom textkritisch umstrittenen τ ώ κυρίω δουλεΰοντες (12,11b), was wahrscheinlich als ursprünglich gelten kann (vgl. dazu Cranfield, Romans II 634-636), abgesehen, stellt 12,5 die einzige Aussage mit christologischem Bezug dar, die 13,14 innerhalb des zweiten Hauptteils des Rom vorangeht.

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Analysen zur Textfunktion

meinde-Modells in 12,3ff· begreiflich werden, und es macht auch die gewichtige Einführung dieses Modells mit der Berufung auf die „mir gegebene Gnade" (12,3) verständlich, bei der Paulus seine Beauftragung zur Gründung von Gemeinden vor Augen gehabt haben dürfte 421 . Diese konstruktive Absicht des Paulus den römischen Christen gegenüber läßt auch den Zusammenschluß mit ihnen (15,1) nach den Instruktionen zum Umgang mit dem Schwachen verständlich werden. Paulus will mit seinen Ausführungen von 14,1 an die Bereitschaft und die Fähigkeit bewirken, solche Christen zu integrieren, die sich an einen besonderen und restriktiven Lebensstil gebunden sehen. Der Zusammenschluß in 15,1 geschieht zwischen Paulus und den Adressaten als „Starken", d.h. als denen, bei denen die Absicht des Paulus zum Zuge gekommen ist. Aus dem Interesse des Autors an der potentiellen Missionstätigkeit der römischen Christen erklärt sich: die ungewöhnlich starke Gewichtung des Themas der nicht-christlichen Umwelt (12.14-21) 422 , das auch im Zusammenhang der Ausführungen zum Problem des Schwachen nicht aus dem Blickfeld verschwindet (14,16-18); die Stabilisierung der Adressaten in ihrem Bewußtsein, der geltenden politischen Norm zu entsprechen (13,1-7); der abschließende Ausblick auf die weltweite Verbreitung der δόξα τοΰ θεοΰ unter den Heiden (15,7-13) und natürlich die Kennzeichnung der Selbstübereignung der Adressaten an Gott als ή λοκική λατρεία ύμών im programmatischen Einleitungspassus (12,If.). Zum andern erklärt sich aus den - der Hypothese zufolge für Paulus anzunehmenden - Gründen, die ihn an der Mitteilung seiner Befürchtung und der für den Negativfall geltenden Hoffnung hinderten423, aber auch der Verzicht auf jede explizite Thematisierung einer möglichen eigenständigen Missionstätigkeit der Adressaten. Der Text rückt das Thema Mission in greifbare Nähe (besonders 15,7-13), aber er enthält keine Aufforderung und keine Aussage, die sich dann als irrelevant oder unzutreffend herausstellen würde, wenn Paulus wider Erwarten nach erfolgreich abgeschlossenem Kollektenwerk die geplante Mission in der Westhälfte des Reichs selbst würde durchführen können. Abschließend bleibt die Frage nach den Konsequenzen, die sich in der Perspektive der Autorintention für das Verständnis des Schwachen in 14,Iff. er421 Zur Wendung ή χ ά ρ ι ς ή δ ο θ ε ί σ α μοι gibt es in den paulinischen Briefen drei wörtliche Parallelen: Rom 15,15; IKor 3,10; Gal 2,9. Dabei geht es jeweils um die Bevollmächtigung bzw. Beauftragung zur Evangeliumsverkündigung, also um den paulinischen Apostolat. IKor 3,10 stellt besonders deutlich die gemeindegründende Wirkung der der „mir gegebenen Gnade" entsprechenden Tätigkeit des Apostels heraus. 422 In den übrigen paulinischen Briefen findet sich kein derart ausführlich auf die Beziehung zu Außenstehenden bezogenes Stück wie 12,14-21. Unter dem Aspekt der Intention des Autors, der an der potentiellen Missionstätigkeit der römischen Christen interessiert war, wird nun auch die Beobachtung von Wilckens zu 12,14 interessant: Von Feindseligkeiten seitens der nicht-christlichen Umwelt ist bei Paulus sonst vor allem im Blick auf die Missionare die Rede (IKor 4,9ff.; 2Kor 6,4ff.; 1 l,23ff.; anders IThess 2,14) (Römer III 22). 423 S. o. S. 81f.99f.

M o d e l l einer nach außen wirkenden G e m e i n d e der „Starken"

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geben. Tatsächlich ließ sich dem Text selbst ja nicht entnehmen, warum überhaupt das Problem des Schwachen derart ausführlich behandelt wird. Auf der Grundlage der unabhängig von der Autorintention vorgenommenen Textanalyse hatten sich lediglich folgende Punkte herauskristallisiert: 1. Die Schwachen sind keine zum Adressatenkreis hinzugehörende Personengruppe, sondern ein vorgestellter Typus von Christen, der aktuell noch nicht in der Wirklichkeit der Adressaten präsent ist. 2. Der Typus des Schwachen ist gekennzeichnet durch eine offene Palette von Merkmalen einer restriktiven Lebensweise, zu denen Fleischverzicht, Tagebeachtung und Weinverzicht gehören; der Schwache sieht sich als Christ daran gebunden. 3. Über die Motive des Schwachen verlautet nichts; es gibt keinen Hinweis darauf, daß seine Position als eine jüdisch geprägte gedacht ist. Die Mehrzahl der Exegeten, die die Schwachen auf konkrete Personen im Adressatenkreis bezieht, urteilt auch im zuletzt genannten Punkt anders und nimmt - vor allem wegen der Verwendung von κοινός in 14,14 und wegen der späteren Erwähnung von Juden und Heiden in 15,8f. - eine jüdische Prägung der Schwachen an424. Auf die Problematik der beiden textuellen Stützpunkte für diese Annahme wurde im Zusammenhang der Analyse bereits hingewiesen425. Darüber hinaus ist an dieser Stelle der Mehrheitsmeinung gegenüber kritisch festzuhalten: Die Verbindung der im Text erwähnten Merkmale der Lebensweise des Schwachen - insbesondere des im ganzen Abschnitt 14,115,6 vorrangig berücksichtigten Fleischverzichts - mit einer jüdisch geprägten Position gelingt nur dann, wenn man Zusatzannahmen ins Spiel bringt. Drei verschiedene Formen von Zusatzannahmen sind im Rahmen der Mehrheitsmeinung unterscheidbar. 1. D a s Juden(christen)tum, das der Position des auf Fleisch verzichtenden S c h w a chen zugrundeliegt, ist seinerseits synkretistisch b e e i n f l u ß t 4 2 6 . - D i e A n n a h m e ist deshalb problematisch, w e i l sie indirekt j a nur negativ die U n m ö g l i c h k e i t einer direkten Ableitung der L e b e n s w e i s e des S c h w a c h e n aus d e m Judentum bestätigt 4 2 7 , den jüdischen Einfluß aber nicht positiv aufweist.

424 Zur historischen Auswertung des Textes Rom 14,1-15,7 s. den informativen Forschungsbericht von Schneider (Gemeinde 15-55). 425 S. o. S. 288 und S. 299-301. 426 vgl. z.B. Käsemann, Römer 355f.; Barrett, Romans 237; vgl. auch Bomkamm, Art. λ ά χ α ν ο ν 67. 427 Die Hinweise auf Gal 4,9f. (vgl. Käsemann, Römer 355f.) und auf Kol 2,16ff. (vgl. Käsemann, ebd.; Barrett, Romans 237) führen kaum weiter. Nach Käsemann zeigen beide Stellen, „daß ein synkretistisch beeinflußtes Judentum in die Gemeinde Eingang fand" (Römer 355), und er sieht darin eine Stütze für die Annahme eines analogen Phänomens in Rom. Aber zum einen wird der für Rom 14,Iff. charakteristische Fleischverzicht an beiden Stellen nicht erwähnt (Kol 2,16.21 spricht nur unbestimmt von Speise- und Trankverboten). Zum andern unterscheiden sich auch die Hinweise auf die Tagebeachtung von der in Rom 14,5f. Die Aufzählung von Tagen, Monaten, Zeiten und Jahren (Gal 4,10) hat ihre Parallelen in frühjüdischer Literatur und entspricht der jüdischen Prägung der galatischen Gegner (vgl. dazu Vielhauer, Gesetzesdienst 188f.l92; zu den

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2. Der aus genuin jüdischer Tradition nicht ableitbare Fleischverzicht (und der Weinverzicht) der römischen Schwachen ist die Konsequenz ihres Bemühens um die Einhaltung der Reinheitsgesetze. Die Schwachen verzichteten ganz auf Fleisch (und Wein), weil sie in heidnischer Umgebung nur so sicher sein konnten vor Fleisch, das mit heidnischen Opferhandlungen in Zusammenhang geraten war oder von einem nicht ordnungsgemäß geschächteten Tier stammte 4 2 8 . (Analog dazu wäre der Weinverzicht dann auf die Scheu vor Libationswein zurückzuführen.) Die Zusatzannahme bezieht sich in diesem Fall also auf die Situation der römischen Schwachen, in der ihre Versorgung mit koscherem Fleisch (bzw. mit Wein) nicht gewährleistet war. - Die Schwierigkeit der Annahme 4 2 9 für eine Stadt wie Rom, in der es jüdische Fleischer (und Weinhändler) gegeben haben muß, liegt auf der Hand. Die Vertreter der Hypothese haben sie abzufangen versucht durch eine weitere Zusatzannahme, nach der die jüdischen Händler infolge der aus dem ClaudiusEdikt resultierenden Spannungen zwischen Juden und Judenchristen bzw. zu Christen gewordenen Gottesfürchtigen diese nicht mehr beliefern wollten 430 . Selbst wenn man aber die Vorstellung einer mehrjährigen Boykottaktion jüdischer Händler gegen Judenchristen und ehemalige Gottesfürchtige als plausibel empfinden könnte 4 3 1 , bliebe festzuhalten, daß die Einfuhrung des Schwachen im Text von 14,1 f. nicht den Eindruck macht, als handele es sich um jemanden, der Fleisch essen möchte, sofern es den jüdischen Reinheitsgesetzen entspricht, der aber - durch ungünstige Umstände bedingt - solches Fleisch nicht bekommen kann. 3. In prinzipieller Übereinstimmung mit dem unter 2. genannten Vorschlag erklärt auch die dritte Lösung den Fleischverzicht des Schwachen aus dem Bemühen um Einhaltung der jüdischen Reinheitsgesetze, nur wird die Situation, in der der Fleischverzicht durchgeführt wurde, enger, nämlich auf das Sättigungsmahl im gemeinsamen Gottesdienst, begrenzt. Anders als die häuslichen Mahlzeiten, bei denen sich die Schwachen an koscheres Fleisch halten konnten, stellte der gemeinschaftlich gedeckte Tisch ein Problem dar, dem die Schwachen durch Verzicht auf στοιχεία [του κόσμου] in 4,9 [und 4,3] als von Paulus eingeführtem Interpretationsausdruck vgl. Vielhauer, ebd. 186-192); die Aufzählung von έορτή, νεομηνία, σ ά β β α τ α in Kol 2,16 ist eindeutig den jüdischen Elementen der kolossischen Philosophie zuzurechnen (vgl. Wolter, Kolosser 157). Anders läßt die Bevorzugung eines Tags vor dem anderen (Rom 14,5) nichts spezifisch Jüdisches erkennen. 428 Vgl. z.B. Cranfield, Romans II 695-697; Wilckens, Römer III 113-115; Lampe, Stadtrömische Christen 57; Dunn, Romans II 799-802. 429

Zur Kritik vgl. ähnlich Barrett, Romans 237. 430 v g l . Wilckens, Römer III 113 Anm. 547; Lampe, Stadtrömische Christen 57; Dunn, Romans II 801; vgl. auch Cranfield, Romans II 695. 431 Vgl. ablehnend dazu Schneider, Gemeinde 145 Anm. 767. Weil der Vorschlag keine konkreten Anhaltspunkte hat, läßt er sich nicht wirklich diskutieren. Allenfalls könnte man Lampes Suggestivfrage („Kann man sich denken, dass jüdische Fleischer in Rom nach den heftigen Auseinandersetzungen rund um das 'Claudiusedikt' christliche Apostaten noch gerne an ihrem Stand bedienten?" [Stadtrömische Christen 57 Anm. 149]) mit der entgegengesetzten Suggestivfrage beantworten: Kann man sich denken, daß alle jüdischen Fleischer in Rom alle jüdischen und ehemals gottesfürchtigen Christen Roms persönlich kannten und über Jahre hin einen Boykott gegen sie durchführten, der ihren geschäftlichen Interessen schadete und zudem keinen bestimmten Zweck verfolgte?

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Fleisch (und Wein) begegneten 4 3 2 . Die Zusatzannahme, die die angenommene jüdische Prägung des Schwachen mit seinem Fleisch- (und Wein-) Verzicht verbindet, bezieht sich hier also auf das Gemeinschaftsmahl im Gottesdienst. - Historisch wäre zu fragen, ob solche alle Christen Roms einschließenden Gottesdienste mit Mahlgemeinschaft überhaupt praktiziert bzw. von Paulus als praktiziert vorausgesetzt wurden 433 . Literarisch schwierig erscheint die Tatsache, daß das Gemeinschaftsmahl, also der Brennpunkt, an dem das Verhalten der Schwachen dieser Hypothese zufolge überhaupt zum Problem wird, in Rom 14,Iff. gar nicht erwähnt ist, ohne daß sich ein Grund dafür benennen ließe. Insgesamt ergeben sich also aus allen drei Zusatzannahmen, die die postulierte jüdische Prägung des Schwachen mit seinem Fleisch- (und Wein-) Verzicht verbinden sollen, Schwierigkeiten.

Unter Voraussetzung der Hypothese zu der Paulus bei der Abfassung des Rom leitenden Intention läßt sich das Bild des Schwachen (in der Sicht des Autors) nunmehr genauer konturieren: Der Schwache steht als Typus für solche Christen, die sich infolge der gegebenenfalls von den Adressaten zu leistenden Missionsarbeit der Gemeinde neu anschließen, die aber nicht in der Lage sind, die Konsequenz des angenommenen Evangeliums in ihrem Lebensstil voll zu realisieren, sondern gerade als Christen meinen, diejenigen Restriktionen beibehalten zu müssen, die sie in ihrer vorchristlichen, heidnischen Vergangenheit eingehalten haben. Die Wirkabsicht des Textes von 14,Iff., der die Adressaten zu aktiv um die Integration der Schwachen bemühten „Starken" machen will, wird in der Absicht des Autors also nicht ungezielt verfolgt; dieser hat vielmehr die von ihm befürchtete Situation vor Augen, die er im Rom vorzubereiten versucht, ohne sie thematisieren zu können: die eigene Verhinderung an der Ausbreitung des Evangeliums in der Westhälfte des Reiches und die römischen Christen an seiner Stelle. Die vorgeschlagene Zusammenschau der Wirkabsicht des Textes von 14,Iff. und der Hypothese zum Zweck des Rom in der Intention des Autors hat sich abschließend zwei kritischen Rückfragen zu stellen. 1. Warum wird das von Paulus anvisierte, allgemeinere Problem, das im Zuge der potentiellen Missionsarbeit der Adressaten virulent werden kann, am Fall des Essens durchbuchstabiert? 2. Liegt die Vorstellung des Heidenchristen, der sich vor der Bekehrung vegetarisch ernährte und daran nach der Bekehrung festhält, überhaupt im Rahmen der Denkmöglichkeiten des Paulus? Zu 1.: Paulus hat selbst Konflikte, die sich an der Frage des Essens entzündeten, erlebt. Dabei liegt nun allerdings dem antiochenischen Konflikt (Gal

432 Vgl. Schneider, Gemeinde, besonders 121-153. 433

Unter Voraussetzung von Rom 16 als eines ursprünglichen Briefbestandteils kann man von solchen gemeinsamen Gottesdiensten für die Christen der Stadt kaum ausgehen (vgl. Lampe, Stadtrömische Christen, besonders 301 f.).

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2,1 Iff.) eine in jeder Hinsicht andersartige Konstellation zugrunde als dem in Rom 14,Iff. anvisierten Fall. Auch das korinthische Problem, auf das sich IKor 8-11,1 bezieht, ist anders gelagert: Die korinthischen Schwachen verzichten nicht auf Fleisch überhaupt, sondern sie wollen Götzenopferfleisch vermeiden434. Insofern kann der in Rom 14,Iff. gedachte Fall des vegetarisch lebenden Schwachen nicht einfach als eine Verallgemeinerung gelten. Außerdem liegt mit der Vermeidung von Opferfleisch durch die korinthischen Schwachen ein Wechsel in ihrer Lebenspraxis von der heidnischen Vergangenheit zur christlichen Gegenwart vor; ihr Vermeidungsverhalten soll eine (von ihnen für möglich gehaltene) erneute Einwirkung des Götzen verhindern, also die Trennung sichern435. Anders führt der in Rom 14,Iff. beschriebene Schwache seinen Fleischverzicht zwar „in bezug auf den Herrn" (V. 6c) durch, aber es gibt keinen Hinweis darauf, daß seine Ernährungsweise Konsequenz seiner Bekehrung wäre, sich also von der seines vorchristlichen Lebens unterschiede. Die Darstellung in Rom 14,Iff. legt vielmehr den Gedanken an solche Personen nahe, die Vegetarier waren und meinen, es gerade als Christen bleiben zu müssen. Andererseits können die Differenzen nicht hinwegtäuschen über eine grundlegende Übereinstimmung zwischen dem konkreten Fall der Schwachen in der korinthischen Gemeinde und dem gedachten Fall der Schwachen, die die römischen Christen annehmen sollen: Es geht in beiden Fällen um Heidenchristen, die sich - bedingt durch ihre vorchristliche Vergangenheit - als Christen gebunden sehen an eine bestimmte Verhaltensweise (Meidung von Opferfleisch; Fleischverzicht überhaupt), die nach Meinung des Paulus „objektiv" nicht ableitbar ist aus dem von den Schwachen angenommenen Evangelium. Dieser strukturellen Übereinstimmung im Problem entspricht die Übereinstimmung der paulinischen Lösungsvorschläge. Diese heben die Person des von Christus angenommenen Schwachen, der sich an eine bestimmte Verhaltensweise gebunden sieht, hervor; sie betonen die ihm geltende Verantwortlichkeit und stellen das „objektive" Urteil über sein Verhalten dahinter zurück. Wenn Paulus diesen anläßlich der korinthischen Problematik

434 Dem Text läßt sich nicht völlig eindeutig entnehmen, ob die korinthischen Schwachen (soweit sie nicht von anderen dazu verleitet werden) faktisch auf Opferfleisch radikal verzichten oder nicht (vgl. IKor 8,7.10; vgl. auch die divergierenden Äußerungen bei Schräge, der zunächst von „der korinthischen Minorität..., die kein Götzenopferfleisch aß", spricht [1. Korinther II 218] und später meint: „Sie essen ja offenbar Götzenopferfleisch" [ebd. 256]). Die erste Möglichkeit erscheint näherliegend, denn 8,7 will doch wohl beschreiben, was geschieht, wenn die Schwachen Opferfleisch essen. 435 Zu der dem Verhalten der Schwachen zugrundeliegenden, mit ihrer heidnischen Herkunft zusammenhängenden Motivation, die sich vor allem aus IKor 8,7 ergibt, vgl. Schräge, 1. Korinther II 218. Anders (neben den ebd. 218 Anm. 24 genannten Exegeten, die an judenchristliche Herkunft und Prägung der korinthischen Schwachen denken) z.B. Wilckens, der das Verhalten der korinthischen Schwachen erklärt als Orientierung „an den Torageboten, die für Heiden im Lebensbereich Israels gelten" (Römer III 115) und die im sogenannten Aposteldekret für Heidenchristen verbindlich gemacht werden (Apg 15,28f.).

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entwickelten Grundgedanken, dessen Relevanz für eine potentielle Missionssituation kaum zu bezweifeln ist, den römischen Christen vermitteln wollte, dann lag es nahe, diesen Gedanken auch hier anhand eines Problemfalls zu entfalten, der mit dem Essen zu tun hat. D.h.: die Konzentration auf die Frage des Essens in Rom 14,Iff. erklärt sich aus dem Interesse des Paulus, den römischen Adressaten seine zuvor den Korinthern gegenüber bezogene Position zu vermitteln und sie dadurch einzustellen auf den Umgang mit neu gewonnenen Christen, die aus dem Evangelium nicht die volle Konsequenz für ihre Lebenspraxis zu ziehen vermögen. Für diese Annahme spricht auch die vergleichsweise einfachere Struktur des gedachten Falls des Schwachen nach Rom 14,Iff. (ehemalige Heiden, die als Christen an ihrem Vegetarismus festhalten) im Verhältnis zum komplizierteren, konkreten Fall der korinthischen Schwachen (ehemalige Heiden, die sich als Christen radikal abgewandt haben vom früheren Verzehr von Opferfleisch, wobei gerade in dieser Abwendung ihr vorchristliches Sein noch nachwirkt). Zu 2.: Die Frage, ob der in Rom 14,Iff. beschriebene Typus des Schwachen überhaupt im Vorstellungsbereich des Paulus lag, ob ihm also der Entwurf dieses Typus zuzutrauen ist, läßt sich am besten beantworten in Auseinandersetzung mit der Studie von Rauer436, der in einem entscheidenden Punkt zuzustimmen ist. Rauer behandelt das Problem des Schwachen in Rom 14,Iff. insofern unter anderer Voraussetzung, als er von einem konkreten Konfliktfall der römischen Gemeinde, also von den Schwachen als aktuell zum Adressatenkreis hinzugehörenden Personen, ausgeht437. Er gelangt zu folgender Bestimmung der Identität der römischen Schwachen: „Die römischen 'Schwachen' waren heidnische Gnostiker, bevor sie Christen wurden" 438 . Als sie zu Christen wurden, haben sie ihren dualistischen Anschauungen abgeschworen, aber den in diesen Anschauungen verankerten Vegetarismus beibehalten und ihn , jetzt erst recht als Pflicht des Anhängers der wahren Religion" betrachtet439. Die mit dem offensichtlich unspezifisch verwendeten Ausdruck „Heidnische Gnosis" 440 überschriebene Darstellung des die römischen Schwachen in ihrer vorchristlichen Zeit bestimmenden Hintergrundes441 umfaßt solche Strömungen, in denen der Vegetarismus an ein dualistisch verstandenes Reinheitsprinzip gekop-

436

Schwache 76-186. Schwache 77f. 438 Schwache 165 (im Orig. hervorgehoben). 439 Schwache 165. 440 Schwache 148. 441 Schwache 148-154. Genauer handelt es sich um die Darstellung derjenigen Tendenzen und Strömungen, die sich fiir Rauer später (Schwache 165) als prägender Hintergrund der Schwachen in ihrer vorchristlichen Zeit herausstellen. 437

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pelt ist und darum grundsätzlich (also nicht zeit- oder anlaßbedingt) durchgeführt wurde (Orphismus, Neupythagoräismus, „Mysterienreligionen" 442 ). Rauers Lösung weist einen entscheidenden, aber in der Diskussion selten gewürdigten 443 Vorzug auf: Sie kann erklären, warum in Rom 14,Iff. vom Schwachen überaus nachsichtig die Rede ist. Das ist deshalb der Fall, weil die ihrem Vegetarismus zugrundeliegenden nicht-christlichen Anschauungen überwunden sind 444 . Dieser Grundgedanke von Rauers Lösungsvorschlag läßt sich nun aber mühelos von seiner Voraussetzung lösen, die sich im Zusammenhang der Analyse als problematisch gezeigt hatte, nämlich der Annahme der Schwachen als aktuell zum Adressatenkreis gehörender Personen. Gerade wenn man anders als Rauer - den Schwachen für eine von Paulus gedachte Größe hält, lassen sich nämlich mindestens zwei gravierende Problemstellen in seiner Argumentation überwinden. a. Um die in 14,5f. angesprochene Tagebeachtung mit dem Vegetarismus in Zusammenhang bringen zu können, führt Rauer eine kaum überzeugende Exegese durch, nach der gerade die Nicht-Unterscheidung der Tage (V. 5b) i.S. einer ständigen Askese der Position der Schwachen entspricht 445 . Die Zurückführung von Vegetarismus und Tagebeachtung auf eine gemeinsame Wurzel erscheint aber nur dann notwendig, wenn der Schwache ein empirisches Phänomen darstellt, das religionsgeschichtlich einzuordnen ist. Wenn es sich anders beim Schwachen um eine gedachte Größe handelt, dann müssen die ihm zugeschriebenen Merkmale nicht notwendig in einem religionsgeschichtlich aufweisbaren Zusammenhang stehen; entscheidend ist dann allein die Frage, ob die Merkmale jeweils im Vorstellungsbereich des Autors liegen können. Diese letztere Frage dürfte für das Merkmal der Tagebeachtung von Gal 4,8-10 her positiv zu beantworten sein. Gal 4,8f. interpretiert die Lebensweise, zu der sich die Galater (in der Konsequenz gegnerischer Agitation) hinwenden, als Rückfall in ihr vorchristliches Sein, als erneuten Dienst an den schwachen und armseligen στοιχεία. Wenn V. 10 bestätigend auf die Bereitschaft der Galater verweist, sich an die jüdischen Festzeiten zu halten, dann ergibt sich aus diesem Hinweis: Paulus assoziiert mit dem von den Gegnern

442 Was Rauer mit den einleitend genannten „heidnischen Mysterienreligionen" (Schwache 148) genauer meint, ist nicht völlig durchsichtig. Er verweist zunächst auf den Vegetarismus der thrakischen Dionysusmysten und meint dann: „Solche Speisegesetze fanden sich wohl in allen Mysterien" (ebd.). Die weiteren Ausführungen machen den Eindruck, als sei die Bezeichnung „Mysterienreligionen" wie ein Oberbegriff verwendet, dem der Neupythagoräismus subsumiert wird (vgl. ebd. 151 und die Feststellung zur Herkunft der römischen Schwachen in der Schlußzusammenfassung: „Ihr Weg zum Christentum ging durch die heidnischen Mysterien" [ebd. 185]). 443 Vgl. aber Karris, Occasion 159 mit Anm. 23. 444 Der Vegetarismus der Schwachen nach Rom 14,Iff. ist „[c]hristlich begründete heidnische Gewohnheit" (Schwache 164 [im Orig. hervorgehoben]). 445

Schwache 180-184; vgl. dazu im einzelnen o. S. 279 Anm. 249.

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propagierten Festkalender das vorchristliche Sein der Galater, und diese Assoziation kann sich dann nur auf irgendeine Form von Tagebeachtung beziehen, die die heidenchristlichen Galater vor ihrer Bekehrung praktiziert haben. Ohne diese Assoziation ließe sich ja gar nicht begreiflich machen, warum Paulus, der das von den Gegnern provozierte Verhalten der Galater mit ihrem früheren Heidentum „auf den gleichen begrifflichen Nenner" 446 des στοιχεία-Dienstes bringen will, in V. 10 ausgerechnet den Festkalender erwähnt, der ja sicher nicht „der signifikanteste Zug der gegnerischen Verkündigung" 447 war. Gal 4,8-10 erlaubt also den Schluß: Paulus kannte eine Form von nicht-jüdisch motivierter Tagebeachtung, wie auch immer diese genauer ausgesehen haben mag. Die in 14,21 indirekt erwähnte Weinenthaltung möchte Rauer nicht als tatsächliches Merkmal der römischen Schwachen gelten lassen 448 . Seinem Hinweis, der Autor könne μηδέ τπεΐν olvov nach dem formelhaften βρώσις και ττόσις (14,17) ergänzt haben 4 4 9 , wird man nun sehr viel leichter folgen können, wenn auch der durchgehend erwähnte Fleischverzicht und die Tagebeachtung (14,5f.) nicht faktische Verhaltensweisen real existierender Personen darstellen, sondern mögliche Merkmale eines vom Autor gedachten Typus.

b. Rauer versucht, dem Text von Rom 14,Iff. die Motivation zu entnehmen, aus der der Vegetarismus der als real existierende Personen angenommenen römischen Schwachen entstanden war. Auch Rauer gewinnt diese Motivation im Umkehrschluß aus 14,14b (ούδέν κοινόν δι' εαυτού) 4 5 0 ; er meint, der hier geltend gemachte Begriff von Unreinheit („unrein aus sich selbst, von Natur" 451 ), der eher paganen als jüdischen Vorstellungen entspreche 452 , weise auf die Herkunft der Schwachen „aus der heidnischen Gnosis" 453 . Das (aus 14,14b erschlossene) Schlagwort der Schwachen schließe eine „nur religiös-ethische Askese ..., die sie zur Enthaltung getrieben hatte", aus 454 . Nach der Hinwendung zum Christentum sei das den beibehaltenen Vegetarismus der Schwachen begründende Schlagwort christlich umgedeutet und „seines dualistischen In-

446 447

Vielhauer, Gesetzesdienst 192. Vielhauer, Gesetzesdienst 192.

448 Schwache 97-100; vgl. z.B. Karris, Occasion 160; Cranfield, Romans II 696.725; Wilckens, Römer III 110 (anders aber ebd. 114); Dunn, Romans II 827 (als nicht auszuschließende, aber vergleichsweise doch unwahrscheinliche Möglichkeit). 449 Schwache 98. 450

Schwache 104-107. Später meint Rauer sogar, der Text lege „den 'Schwachen' ausdrücklich in den Mund ..., daß das Fleisch κοινόν sei" (ebd. 164). Zum Umkehrschluß aus 14,14b in anderer Auswertung s. o. S. 288. 451

Schwache 106.

452

Schwache 106. Schwache 165f.; Zitat ebd. 166.

453 454

Schwache 165f.; Zitat ebd. 165.

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halts entleert" worden455. - Das methodische Problem solchen doppelten Rückschlußverfahrens (von der These des Verfassers zum Schlagwort der Schwachen; vom christlich umgedeuteten Sinn des Schlagworts zu seinem ursprünglichen [„gnostischen"] Sinn) liegt auf der Hand. Die problematischen Schlußfolgerungen zu 14,14 stellen sich aber als überflüssig heraus, wenn die Voraussetzung (die Schwachen als real existierende Personen in Rom) nicht zutrifft. Wenn es sich beim vegetarisch lebenden Schwachen um eine gedachte Größe handelt, dann besteht kein Grund für die Annahme, Paulus setze sich in 14,14 mit der Motivation des Schwachen auseinander und lasse sie so indirekt erschließen. Mit 14,14 entfällt nun zugleich der Anhaltspunkt, der Rauer für die römischen Schwachen in ihrer vorchristlichen Zeit einen dualistisch (nach Rauer: „gnostisch") motivierten Vegetarismus vermuten läßt, in strikter Unterscheidung von einem sittlich motivierten Vegetarismus. Tatsächlich erscheint eine solche Unterscheidung auch schwierig im Blick auf die konkreten, in etwa zeitgenössischen Vertreter des Vegetarismus456, der zwar letztlich vielleicht auf pythagoräischen Einfluß zurückgeht, aber doch von unterschiedlich ausgerichteten Positionen aufgenommen und vertreten werden konnte. Für die relativ starke Verbreitung eines aus pythagoräischer Tradition heraus entstandenen Vegetarismus im 1. Jh. v.Chr. spricht zunächst die aus Porph., de abst. I 13-26 dem Gedankengang nach rekonstruierbare Streitschrift des Clodius von Neapel 4 5 7 . In ihr sind Argumente gegen eine vegetarische Lebensweise pythagoräischer Prägung zusammengestellt, und sie wäre kaum erklärbar, wenn die bekämpfte Lebensweise nur die Sache weniger einzelner gewesen wäre 458 . Einen direkten Beleg für vegetarische Lebensweise bietet der z.Zt. des Augustus lebende Philosoph Q. Sextius, der Gründer einer vegetarisch lebenden philosophischen Gemeinschaft in Rom 4 5 9 . Sextius, gegen dessen Selbsteinschätzung von Seneca (Epist. 64,2) als Stoiker bezeichnet, praktizierte die Fleischenthaltung aus ethischen und hygienischen Gründen. Anders verband sein Schüler Sotion mit solchen Motiven für eine vegetarische Lebensweise die auf Pythagoras zurückgeführte Lehre von der Seelenwanderung als weiteres, mögliches Motiv. Von seinem Lehrer Sotion überzeugt, hielt sich Seneca in seiner Jugend zeitweilig an eine vegetarische Lebensweise. Der Bericht Senecas von Sotions Überzeugungsaktion (Epist. 108,17-22) ist in diesem

455

Schwache 166. Die folgenden Hinweise orientieren sich an der Arbeit von Haußleiter, Vegetarismus; vgl. auch Schneider, Gemeinde 71-74. 457 S. dazu im einzelnen Haußleiter, Vegetarismus 288-296. 458 „Wie es scheint, war damals der Vegetarismus Mode geworden ... Dann würde Clodius gegen eine Modetorheit angekämpft haben und darum vielleicht in seiner Polemik so heftig geworden sein" (Haußleiter, Vegetarismus 297f. Anm. 3). 459 Zu Sextius und den Sextiem s. Haußleiter, Vegetarismus 296-298; vgl. auch ebd. 259-262. Hauptquelle für die Informationen über den Vegetarismus des Sextius und seines Schülers Sotion sowie den zeitweiligen Vegetarismus von Sotions Schüler Seneca ist Seneca, Epist. 108,17-22 (in deutscher Übersetzung wiedergegeben bei Haußleiter, ebd. 259-261). 456

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

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Zusammenhang deshalb interessant, weil er zeigt, daß für den Vegetarismus geworben wurde, und zwar um seiner selbst willen 460 . Von hier aus kann man erwägen, ob auch der einzige konsequente Vertreter des Vegetarismus unter den Stoikern, Musonius Rufus (1. Jh. n.Chr.) 461 , in seiner Ablehnung fleischlicher Nahrung „von den pythagoreisierenden Sextiern ... beeinflußt" war 462 . Eine konsequent vegetarische Lebensweise ist schließlich für den seinem Vorbild Pythagoras nacheifernden Apollonius von Tyana (1. Jh. n.Chr.) 463 durch dessen Biographen Philostrat (VitAp I—VIII) bezeugt. Rauer sieht der Askese des Apollonius dualistische Anschauungen zugrundeliegen 464 und ordnet Apollonius entsprechend in jene „[heidnische Gnosis" 465 ein, von der die römischen Schwachen in ihrer vorchristlichen Zeit seiner Meinung nach geprägt waren. Diese einfache Zurückfuhrung der apollonischen Askese auf einen sich von der sinnlich wahrnehmbaren Welt abwendenden Dualismus erscheint aber fraglich, weil Apollonius den von ihm praktizierten Fleisch- und Weinverzicht nicht einmal von seinen Anhängern verlangt zu haben scheint (VitAp II 7). Dieser Verzicht auf Propaganda erklärt sich aber dann, wenn Apollonius - wie Haußleiter zu zeigen versucht hat - seine asketische Lebensführung als Bedingung für die „Gabe der Prophetie" verstand 466 , wenn bei ihm die Askese also primär im Dienst der Mantik stand 467 . Die vorangehende Zusammenstellung 4 6 8 läßt sich durch einige - allerdings nicht völlig eindeutige - Hinweise ergänzen. Zu erwähnen sind die - in eine etwas spätere Zeit führenden - Äußerungen Plutarchs, der vor allem in seinen beiden Traktaten über das Fleischessen in Auseinandersetzung mit antivegetarischen Argumenten den Vegetarismus verteidigt 469 . Ein bei Euseb (PraepEv VIII 14,69-70) erhaltenes Philo-Fragment 470 bietet das in der

460 Die Wiedergabe der Rede des Sotion schließt folgendermaßen: „Entspricht dieser Glaube [erg.: an die Seelenwanderungslehre des Pythagoras] der Wahrheit, so bist du unschuldig, wenn du dich der tierischen Nahrung enthältst; ist er falsch, so ist er doch eine Schule der Genügsamkeit... Folgst du mir, so entsagst du damit eben nur dem, wovon sich Löwen und Geier nähren" (Übersetzung: Apelt, Seneca. Briefe Π 242). 461

Zu Musonius Rufus s. Haußleiter, Vegetarismus 263-269.

462

So Haußleiter, Vegetarismus 268.

463

S. dazu Haußleiter, Vegetarismus 299-313. Schwache 153.

464 465

Schwache 148 (als Überschrift im Orig. hervorgehoben). 466 Vegetarismus 308-310 (Zitat ebd. 309). Hauptbeleg für diese Annahme ist Philostrat, VitAp VIII7. 467 vgl. auch Strathmann, Art. Askese I 757; Arbesmann, Art. Fasten 462. - Natürlich streitet diese Annahme dualistische Anschauungen bei Apollonius nicht ab; der entscheidende Punkt ist nur, daß diese nicht unmittelbar die Askese aus sich heraussetzen. 46 ^ In ihr sind die von Rauer (Schwache, besonders 152f.) geltend gemachten Mysterienreligionen nicht berücksichtigt, weil ein zeitlich unbegrenzter und alle Kultgenossen umfassender Vegetarismus in diesem Bereich nicht nachgewiesen zu sein scheint (vgl. dazu im einzelnen Arbesmann, Art. Fasten 456-462). 469 S. dazu im einzelnen Haußleiter, Vegetarismus 212-228. 470 In deutscher Übersetzung zitiert bei Strecker/Schnelle, Neuer Wettstein 212.

A n a l y s e n zur Textfunktion

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Vegetarismus-Debatte m e h r f a c h 4 7 1 gebrauchte Argument, Fleischverzehr trage zur Grausamkeit des M e n s c h e n bei. H i n z u w e i s e n ist schließlich n o c h auf die v o n Philo (VitCont) beschriebene j ü d i s c h e Sekte der Therapeuten in Ägypten. Ihre asketische L e b e n s w e i s e betrifft auch den Bereich der Nahrung; sie leben v o n Brot, Wasser und Salz, d e m e i n i g e H y s o p hinzusetzen (VitCont 3 7 . 7 3 . 8 1 ) . In der R e g e l wird die Ernährungsweise der Therapeuten durch den Einfluß orphischer oder pythagoreischer Kreise erklärt 4 7 2 .

Insgesamt dürfte das Material hinreichen für eine positive Antwort auf die Ausgangsfrage: Paganer Vegetarismus war ein Phänomen, von dem Paulus gewußt haben kann. Darum liegt der Typus des Schwachen auch in bezug auf das dominierende Merkmal des Fleischverzichts im Rahmen der Denkmöglichkeiten des Autors, dem folglich der entsprechende Entwurf zugetraut werden kann.

471

Vgl. z.B. Seneca, Epist. 108,18 in der Wiedergabe der Position des Sextius. 472 Vgl z b . Rauer, Schwache 155 Anm. 2; Haußleiter, Vegetarismus 40; Wilckens, Römer III 111; Zeller, Römer 225. Anders hat Schneider (Gemeinde 105-107; vgl. Theobald, Römerbrief II 130f.) eine Erklärung vorgeschlagen, nach der die Therapeuten durch ihre Ernährungsweise im Prinzip nur um die Einhaltung der jüdischen Reinheitsgesetze bemüht sind: Die Therapeuten - von Philo beschrieben als sechs Tage lang ausschließlich mit Gebet, Schriftstudium und der Abfassung von Hymnen beschäftigt und am siebten Tag in ihrer Gemeinschaft versammelt (VitCont 27-30) waren „sicher in ihrer Versorgung von der Außenwelt abhängig. Dies könnte die Erklärung dafür bieten, warum sie Fleisch und Wein nicht verwendet haben: Sie entsprachen nicht der Reinheitsforderung des jüdischen Gesetzes" (Schneider, Gemeinde 106f.). - Der Vorschlag, nach dem sich die Therapeuten für Schneider und Theobald als Analogie zu den römischen Schwachen herausstellen (eine genuin jüdische Motivation führt äußerer Umstände wegen zum besonderen Verzicht), erscheint kaum überzeugend. Eine permanente Versorgung durch Nicht-Juden ohne jede Gegenleistung ist schon von der Seite der Versorgenden her schwer vorstellbar. Außerdem ergibt sich kein deutliches Bild von den Therapeuten selbst: Wenn das Verhalten dieser Gruppe stark von jüdischen Reinheitsvorstellungen bestimmt war, dann fragt sich, warum sich diese Gruppe mit anderen Nahrungsmitteln (zumindest mit Brot) durch die nicht-jüdische Umwelt versorgen ließ, obwohl ihr doch jede Kontrolle über die Herstellungsbedingungen dieser Nahrungsmittel fehlte. Insofern wird man bei der Erklärung der philonischen Therapeuten ohne die Annahme eines fremden, nicht-jüdischen Einflusses kaum auskommen. Die Frage ist aber, auf wen der Einfluß gewirkt hat: auf die nicht unabhängig von Philo bezeugten, beschriebenen Therapeuten oder doch eher auf den beschreibenden Philo, der in VitCont „ein abgerundetes anschauliches Bild" des ihm „vorschwebenden Ideals" (Strathmann, Art. Askese I 753) bietet.

Modell einer nach außen wirkenden Gemeinde der „Starken"

333

Zum zweiten Hauptteil des Rom (12,1-15,13) insgesamt bleibt festzuhalten: Die Wirkabsicht des Textes richtet sich auf die Prägung der Adressatenschaft zu einer unabhängig urteilsfähigen Gemeinde, die sich als charismatisch geordnet begreift, die sich ihrer Wirkung auf Nicht-Christen bewußt ist, die sich selbst in Übereinstimmung mit der geltenden politischen Norm weiß, die andere, von ihrer Vergangenheit her an bestimmte Restriktionen der Lebensweise gebundene Christen zu integrieren vermag und die ihre eigene Rolle im Zusammenhang der auf alle Heiden ausgreifenden δόξα τοΰ θεοΰ realisiert. Dazu verhält sich die hypothetisch angenommene Intention des Autors, der mit dem Rom die römischen Christen zu einer gegebenenfalls an seiner Stelle missionierenden Gemeinde machen wollte, kompatibel. Im Zusammenhang der Autorintention wird der Entwurf des Schwachen begreiflich als Bearbeitung einer Problemsituation in der den Adressaten potentiell zufallenden Missionsarbeit.

4 Schlußbemerkungen: Zwei methodologische Postulate zu Beginn der „Romans Debate" 1974 hatte Donfried zwei methodologische Postulate in die „Romans Debate" eingeführt 1 , deren erstes in der vorliegenden Arbeit implizit durchgehend, wenngleich kritisch, berücksichtigt wurde und deren zweites in den vorangehenden Ausführungen noch nicht angesprochen worden ist. 1. Das zweite Postulat besagt: „Any study of Romans should proceed on the assumption that Rom. 16 is an integral part of the original letter. The burden of proof rests with those who wish to argue the contrary"2. Dieses methodologische Prinzip, oder genauer: die sachliche Entscheidung zugunsten von ursprünglicher Zugehörigkeit von cap. 16 zum Rom, die sich bei Donfried mit dem Prinzip verbindet, ist in der neueren Forschung auf weitreichende Zustimmung gestoßen3. Wenn in der vorliegenden Arbeit, die diese Zustimmung teilt, die Diskussion um cap. 16 bislang noch nicht thematisiert wurde, dann geschah das aus zwei Gründen: a. Die Arbeiten von Gamble4, Aland5, Ollrog6 und Lampe7 haben unter textgeschichtlichem und literarkritischem Aspekt eine solide Grundlage geschaffen für die mittlerweile weithin akzeptierte Annahme ursprünglicher Zugehörigkeit von cap. 168. Eine Wiederholung ihrer Argumentationen wäre überflüssig gewesen, b. Cap. 16 zählt nicht zu den wirklich neuralgischen Punkten in der Debatte um den Abfassungszweck: Beiträge, die hinsichtlich der Frage des Abfassungszwecks in eine gemeinsame Richtung tendieren, können bei der Frage nach der ursprünglichen Zugehörigkeit von Rom 16 durchaus unterschiedliche Entscheidungen treffen 9 ; bzw. umgekehrt: Eine Übereinstimmung im Urteil über cap. 16 muß keine Annäherung in der Frage des Abfassungszwecks nach sich ziehen. ' False Presuppositions 103f. False Presuppositions 104.

2

3 Vgl. Donfried, Introduction 1991 LIV; vgl. auch Schnelle, Einleitung 141. Dieser neuere Konsens wird nicht geteilt von Schmithals, Römerbrief 543-553. 4 Textual History. 5 6

Schluß. Abfassungsverhältnisse.

7

Stadtrömische Christen 124-135. Älter als der Konsens über die Zugehörigkeit von cap. 16 zum Rom ist der über die nachpaulinisch erfolgte Anfügung der Schlußdoxologie 16,25-27 (vgl. Ollrog, Abfassungsverhältnisse 227). Anders allerdings Stuhlmacher, Römer 216.225; auch Weima (Preaching 364f.) sympathisiert mit der Annahme der Authentizität. 8

9 Z.B. Wilckens, dessen Überlegungen zum Abfassungszweck sich in entscheidenden Punkten eng mit denen von Bomkamm (Testament 120-139) berühren (zur Differenz s. Wilckens, Abfas-

336

Schlußbemerkungen

Dennoch möchte Donfried cap. 16 nicht als text- bzw. literarkritisches Sonderproblem einstufen, sondern er möchte zeigen, daß gerade die von ihm favorisierte Sicht des Abfassungszwecks des Rom (Eingriff in einen innergemeindlichen Konflikt, der durch die Rückkehr der durch das Claudius-Edikt ausgewiesenen Judenchristen veranlaßt wurde) die Annahme ursprünglicher Zugehörigkeit von cap. 16 stützt10. Zwar erscheinen Donfrieds einschlägige Hinweise selbst dann problematisch, wenn man sich auf seine Sicht des Abfassungszwecks einlassen wollte". Andererseits stellt die auf den Zusammenhang von Abfassungszweck und cap. 16 gerichtete Intention seiner Erwägungen aber eine Herausforderung dar: Im folgenden soll erläutert werden, inwiefern die Funktion des in seinem Kernbestand (also ohne die Schlußdoxologie V. 25-27) mit dem Rom ursprünglich verbunden vorausgesetzten cap. 16 kompatibel ist zum Abfassungszweck des Rom, so wie er in Teil 2 der Arbeit hypothetisch angenommen wurde. Dabei ist auszugehen von jenem Textteil, der wegen der in ihm enthaltenen zahlreichen Grußbestellungen an namentlich genannte Personen das Hauptmotiv für literarkritische Skepsis geboten hatte (16,3-16a): Der Verfasser, der sungszweck 143f. Anm. 80), sieht - anders als Bornkamm (Testament 127f. Anm. 25) - Rom 16 als ursprünglichen Bestandteil des Rom (Abfassungszweck 124-126; ausführlicher: Ders., Römer I 24-27). Entsprechend treffen - wiederum im Rahmen einer vergleichbaren Sicht des Abfassungszwecks - Marxsen (Einleitung 117f.) und Suhl (Paulus 267-269) konträre Entscheidungen zu Rom 16. Ebenso unterscheiden sich bei einer vergleichbaren Sicht des Abfassungszwecks die Urteile über cap. 16 bei Klein (Art. Romans 752) und Jervis (Purpose 136-138). 10 Um diesen Zusammenhang zwischen Rom 16 und Donfrieds (im engen Anschluß an Marxsen entwickelte) Sicht des Abfassungszwecks geht es in Donfrieds 1970 erschienenem Aufsatz (Short Note 44-52), auf den er im oben zitierten, 1974 erschienenen Aufsatz zurückverweist (False Presuppositions 119f. mit Anm. 80.81). 11 Für Donfried läßt sich die lange Liste von gegrüßten Personen in 16,3ff. aus der Geschichte der römischen Gemeinde erklären; es handelt sich um Judenchristen, die durch das Claudius-Edikt ausgewiesen wurden, dann im Osten die Bekanntschaft des Paulus machten und nach dem Tod des Claudius (54 n.Chr.) nach Rom zurückgekehrt sind: „the people whom Paul was greeting are persons he has met along his journeys who are now back in Rome after the death of Claudius" (Short Note 48f.; Zitat: ebd. 49). Aber gegen einheitlich jüdische Herkunft der namentlich genannten Personen spricht die Tatsache, daß die jüdische Herkunft in drei Fällen (16,7.11) explizit erwähnt wird (vgl. den kritischen Hinweis bei Bornkamm, Testament 128 Anm. 127); diese Hinweise hätten keine Funktion, wenn sie einen tatsächlich auf alle Personen zutreffenden Sachverhalt hätten ausdrücken wollen. Aus Rom 16 läßt sich also ein Rückstrom von ausgewiesenen Judenchristen, der für Donfried und viele andere Exegeten als Schlüsseldatum für die Veranlassung des Rom gilt (vgl. o. S. 223f. Anm. 9), nicht ableiten (vgl. das Urteil von Keck: „Aquila and Prisca are the only persons who we know had been in Rome before. That there were others is surely a plausible inference, but no inference ... should ever be transfigured into evidence" [Ways 24]). Über die Grußliste hinaus möchte Donfried auch die Schlußmahnung 16,17-20 auf seine Sicht des Abfassungszwecks beziehen (Short Note 51f.); er sieht in diesem Abschnitt eine „concluding summary of the longer discussion in chapter 14" (ebd. 51). In diesem Rahmen läßt aber allein die Tatsache, daß in 16,17f. eindeutig von Personen außerhalb der Adressatenschaft die Rede ist, diese Annahme als völlig unwahrscheinlich erscheinen.

Schlußbemerkungen

337

nach 1,10.13; 15,22 noch nicht in Rom war, scheint sich in 16,3ff. überraschenderweise als mit einer größeren Zahl römischer Christen bekannt zu zeigen. Dieser Eindruck von durchgehender persönlicher Bekanntschaft hält einer genaueren Überprüfung am Text aber nicht stand12. Grußbestellungen ergehen für 26 Einzelpersonen (zwei von ihnen, Rufus' Mutter [V. 13b] und Nereus' Schwester [V. 15a], sind nicht mit eigenem Namen genannt)13. Von diesen 26 Personen wird in den letzten zehn Fällen (V. 14f.) ausschließlich der Name erwähnt, ohne jede weitere Notiz, die eine persönliche Bekanntschaft mit dem Verfasser andeuten könnte. Anders verhält es sich im ersten Teil der Liste: Die näheren Kennzeichnungen von Prisca und Aquila (V. 3f.), Epaenetus (V. 5b.c), Andronicus und Junia 14 (V. 7) und Rufus' Mutter (V. 13b) setzen mehr oder weniger deutlich ein Stück Geschichte voraus, das diesen Personen mit dem Verfasser gemeinsam ist 15 . Zwischen diesen vergleichsweise eindeutigen zehn Fällen am Ende der Liste und den weithin zu Beginn der Liste (V. 1-5.7.13b) piazierten sechs Fällen sind zehn Grußbestellungen mit nur kurzen Notizen über die jeweils zu grüßenden Personen eingeschaltet. Unter diesen Notizen setzen diejenigen über Apelles („bewährt in Christus" [V. 10a]), Herodion (συγγενής μου i.S. des jüdischen Volksgenossen [V. IIa]) und Rufus („erwählt im Herrn" [V. 13a]) eine persönliche Bekanntschaft mit dem Verfasser nicht notwendig voraus. Die Notiz über Maria (ήτις πολλά έκοττίασεν εις ύμάς [V. 6b]) macht keine eigene Erfahrung des Verfassers geltend, auch dem Hinweis auf Tryphaena und Tryphosa, „die sich im Herrn gemüht haben" (V. 12a), und auf Persis, „die sich viel im Herrn gemüht hat" (V. 12c), muß keine eigene Erfahrung des Verfassers zugrundeliegen. Dasselbe dürfte auch im Fall des mit der im Kontext auffälligen PluralFormulierung gekennzeichneten Urbanus („unser Mitarbeiter in Christus" [V. 9a]) gelten. Ob die Hinweise auf Ampliatus als αγαπητός μου έν κυρίω (V. 8), auf 12 Zum folgenden Abschnitt vgl. Ollrog (Abfassungsverhältnisse 236) und Lampe (Roman Christians 219f.), die zwar einige Einzelheiten anders beurteilen und auch miteinander nicht völlig übereinstimmen, aber doch beide zu der Ansicht gelangen, daß höchstens zwölf Personen deutlich wie persönliche Bekannte des Verfassers erwähnt werden. Vgl. auch Lietzmann, der mindestens neun „sicher persönliche Bekannte" (Römer 129) erwähnt sah. - Anders findet Käsemann schon die Vermutung, daß nicht in allen Fällen persönliche Bekanntschaft vorliege, ,,[u]nerlaubt" (Römer 399), und Wilckens meint gar: „die Zahl der Paulus persönlich bekannten Christen in Rom ist größer als die der namentlich Genannten" (Abfassungszweck 124). 13 Außerdem sollen fünf Gruppen von namentlich nicht genannten Personen gegrüßt werden: die Hausgemeinde um Prisca und Aquila (V. 5a), die Christen aus dem Hausstand des Aristobul und des Narcissus (V. 10b. 1 lb), die αδελφοί, die mit den zuvor genannten fünf Personen zusammen sind (V. 14), und „alle Heiligen", die mit den in V. 14 aufgezählten fünf Personen zusammen sind. Vermutlich sind die vier letzteren Kreise ebenso wie der erste als Hausgemeinden vorzustellen (vgl. Lampe, Stadtrömische Christen 302). 14 Zur Auffassung als Frauenname vgl. z.B. Lagrange, Romains 366; Lampe, Stadtrömische Christen 137 Anm. 40; Plisch, Junia 477f. 15 Bei Epaenetus liegt die Annahme persönlicher Bekanntschaft nahe, auch wenn der Text nicht die Auskunft liefert, Epaenetus sei vom Verfasser selbst bekehrt worden (zu Lietzmann, Römer 125): Zwar könnte man ό α γ α π η τ ό ς μου isoliert auch formelhaft auffassen, kaum aber in Verbindung mit der sehr individuellen Kennzeichnung als des Erstbekehrten der Asia.

338

Schlußbemerkungen

Stachys als α γ α π η τ ό ς μου (V. 9b) und auf Persis als α γ α π η τ ή (V. 12b) persönliche Bekanntschaft notwendig implizieren, läßt sich wohl kaum entscheiden; immerhin können alle Adressaten als ά γ α π η τ ο ί angeredet werden (12,19).

Wenn der Text folglich nur für sechs bis neun Personen unter den zu Grüßenden die persönliche Bekanntschaft mit dem Verfasser voraussetzt, dann ergibt sich daraus ein erster Schluß16 auf die Funktion der Grußbestellungen: Diese sollen nicht nur und wohl nicht einmal in erster Linie bestehende Kontakte pflegen, sondern vor allem neue Kontakte herstellen17; sie „sollen möglichst viele Fäden spinnen, Verbindungen bekräftigen, Interesse bekunden" 18 . Weiteren Aufschluß über die Funktion der Liste gibt deren Form, die durchgängig die der Grußbestellung (άσπάσασθε), nicht die des direkten Grüßens ist. Die Grußbestellungen wenden sich an die gesamte Adressatenschaft19 und beziehen sie aktiv in den Aufbau und die Pflege der Kontakte zwischen dem Verfasser und den zu Grüßenden ein. Zugleich fördern besonders die kollektiv formulierten Grußbestellungen (V. 5a. 10b.IIb. 14.15) das Interesse der verschiedenen Hausgemeinden aneinander. Schließlich bietet die Form der Grußbestellung die Möglichkeit, der Adressatenschaft gewissermaßen unauffällig Mitteilungen über die zu Grüßenden zukommen zu lassen20. Diese Möglichkeit wird bei den ersten 16 namentlich genannten Personen der Liste mehr oder weniger intensiv genutzt. Die an die Grußbestellungen angehängten Notizen weisen einen auffälligen Schwerpunkt auf: Bei mindestens zehn von den 16 Personen, von denen mehr erwähnt ist als der bloße Name, wird deren Bedeutung für die christliche Mission herausgestellt21. Prisca und Aquila werden erwähnt als „meine Mitarbeiter in Christus Jesus"; die Qualität ihrer Mitarbeit wird durch ihren Einsatz für den Verfasser unterstrichen (V. 3-ia). A l s „unser Mitarbeiter in Christus" gilt auch Urbanus (V. 9a), wobei das pluralische ήμών die Möglichkeit offenläßt, daß er nicht speziell als Mitarbeiter des Verfassers, sondern als „colleague of all gospel-workers generally" eingeführt 16 Die Konsequenz unter historischem bzw. literarkritischem Aspekt hat Schnelle im kritischen Rückgriff auf das bekannte Votum Jülichers deutlich formuliert: Bei Annahme ursprünglicher Zugehörigkeit von cap. 16 zum Rom setzt die Liste der Grußempfänger „also keineswegs 'eine Art von Völkerwanderung aus den paulinischen Gemeinden des Ostens' voraus" (Einleitung 133). 17 Die historische Frage, woher Paulus die Namen der ihm persönlich nicht bekannten Christen wußte, läßt sich mit dem Hinweis auf Prisca und Aquila als „Informationsquelle ersten Ranges" beantworten (Ollrog, Abfassungsverhältnisse 238). 18 Ollrog, Abfassungsverhältnisse 242. 19 Darauf wird zu Recht hingewiesen z.B. bei Ollrog (Abfassungsverhältnisse 241 Anm. 80), Lampe (Stadtrömische Christen 127), Jewett (Ecumenical Theology 107). 20 Theoretisch hätten sich die Notizen über die Einzelpersonen natürlich auch an direkt formulierte Grüße anhängen lassen (nach dem Muster: Ich grüße den/die X, der/die ...), aber bei der Form der Grußbestellung wenden sich die angehängten Notizen direkter an die Adressatenschaft, für die diese Notizen ja auch bestimmt sind. 21

Auf diesen Schwerpunkt hat Zeller hingewiesen (Römer 247).

Schlußbemerkungen

339

wird 22 . Auch die von Maria ausgesagten vielen Bemühungen (πολλά έκοπίασεν [V. 6]) stehen nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeit des Verfassers, sie sind der Adressatenschaft zugute gekommen (εις ύμάς) 2 3 . Mühevolle Arbeit „im Herrn" wird auch von Tryphaena, Tryphosa und Persis (V. 12) ausgesagt, ohne Angabe ihres Wirkungsbereichs. Epaenetus, der Erstbekehrte der Asia (V. 5c), weist gewissermaßen in Person auf den Anfang der Mission in einem bestimmten Bereich. Dabei impliziert zwar die Bezeichnung α π α ρ χ ή της 'Ασίας εις Χριστόν für den Erstbekehrten an sich nicht notwendig dessen eigenes, aktives Engagement 24 , andererseits soll die Bezeichnung den Epaenetus aber wohl auch nicht wie ein lebendiges Denkmal herausstellen, zumal das vorangehende ό α γ α π η τ ό ς μου andeutet, daß er seiner besonderen Stellung in den Augen des Verfassers gerecht wurde. An die Anfänge der christlichen Mission überhaupt führt schließlich die ausführliche Notiz über Andronicus und Junia, deren Bekehrung der des Verfassers noch vorausging (V. 7c). Ihnen wird eine herausragende Stellung im Zusammenhang der Mission (επίσημοι έν τοις άποστόλοις [V. 7b]) 2 5 und zudem ein besonderer Einsatz, der sie zu Mitgefangenen des Verfassers werden ließ (V. 7a), bescheinigt 26 . Außerdem wird in der Notiz über Andronicus und Junia - wie in deijenigen über Herodion (V. I I a ) - ausdrücklich die jüdische Herkunft dieser Personen erwähnt 27 , die sie mit dem Verfasser teilen (συγγενείς μου [V. 7a]). Auf diese

22

Cranfield, Romans II 791. 3 Ollrogs Vermutung, εις υμάς beziehe sich auf Prisca und Aquila (Abfassungsverhältnisse 239 Anm. 75), erscheint deshalb unwahrscheinlich, weil Prisca und Aquila ebenso wie die anderen zu grüßenden Personen nicht direkt angeredet werden. 24 In IKor 16,15d wird vom Haus des Stephanas, das als απαρχή της 'Αχαίας erwähnt wird, der aktive Dienst eigens vermerkt. 25 Zu den beiden sprachlich möglichen Auffassungen der Wendung s. Cranfield (Romans II 789), der zugunsten derjenigen Auffassung entscheidet, nach der Andronicus und Junia selbst den απόστολοι zugeordnet sind und unter ihnen eine hervorgehobene Stellung innehaben. 26 Dem Kreis dieser zehn Personen, denen in irgendeiner Weise ein Verdienst um die Mission zugeschrieben wird, könnte man eventuell noch Rufus' Mutter (V. 13b) zurechnen. Ihre Bezeichnung als „seine Mutter und meine" deutet ein den Verfasser unterstützendes Handeln an. 27 Die im Prinzip plausible Annahme mehrerer Exegeten (vgl. z.B. Kühl, Römer 479; Lietzmann, Römer 125; Lampe, Stadtrömische Christen 58; ders., Roman Christians 224f.), nach der Judenchristen im Zusammenhang der Liste konsequent als solche bezeichnet werden, jüdische Herkunft also in allen Fällen angegeben ist, von denen der Verfasser weiß, stößt im Fall von Prisca und Aquila, der nach Apg 18,2 Jude war, auf Schwierigkeiten. Der Hinweis, daß „Pls wichtigeres über sie [erg.: über Prisca und Aquila] zu sagen weiß" (Lietzmann, Römer 125; vgl. ähnlich Lampe, Stadtrömische Christen 58 Anm. 153), bietet keine befriedigende Lösung. Erklärbar wäre die für Prisca und Aquila zu erstattende Fehlanzeige, wenn man jüdische Herkunft nur für Aquila, nicht aber für Prisca anzunehmen hätte. Die Notiz in V. 3b-5a sollte für beide gelten, so daß die nähere Kennzeichnung Aquilas als Judenchrist aus diesem Grund unterblieb. - Die Annahme (relativ) konsequenter Erwähnung jüdischer Herkunft bei den 26 Personen der Liste bei Lampe konkurriert übrigens stark mit seiner Annahme des Rückzugs vieler durch das Claudius-Edikt Ausgewiesener nach Rom (bei den ausgewiesenen Rückwanderern kann es sich ja nur um Personen mit jüdischer Herkunft gehandelt haben): „It is possible that many of the 26 persons had been expelled from Rome under Claudius and had returned after Claudius' death - just like Aquila and Prisca" (Roman Christians 219; vorsichtiger: Stadtrömische Christen 128). Das gilt um so mehr, 2

340

Schlußbemerkungen

Weise wird festgehalten: Die heidenchristliche Mission, für die der Verfasser als εθνών ά π ό σ τ ο λ ο ς (11,13) steht, ist eine von anderen Judenchristen mitgetragene Bewegung.

Die zweifellos auffälligste Bemerkung im Rahmen der den Personennamen angehängten Notizen erfolgt gleich zu Beginn der mit Prisca und Aquila einsetzenden Liste: Die Notiz schließt mit der Bekundung des Dankes nicht nur des Verfassers, sondern „aller Gemeinden der Heiden" (V. 4b). Durch dieses Ende der Notiz wird der angesprochenen Adressatenschaft demonstriert, daß nicht nur der Verfasser selbst, sondern auch alle seine heidenchristlichen Gemeinden schon in Beziehung stehen zu den beiden zur Adressatenschaft gehörenden und durch sie zu grüßenden Personen. Der umfassenden, die paulinischen Gemeinden des Ostens zusammenschließenden Rückblicksperspektive von 16,4b (vgl. Rom 15,19.23) entspricht der an die Grußbestellungsliste (V. 3-16a) angehängte Gruß 28 , den der Verfasser der Adressatenschaft ausrichtet: άσπάνζονται ύμάς αί έκκλησίαι π ά σ α ι του Χριστού (V. 16b). Der Gruß weitet die in der Dankesbekundung (V. 4b) ausgedrückte Beziehung zwischen „allen Gemeinden" und Prisca und Aquila aus; „alle Gemeinden" blicken in positiver Verbundenheit nicht nur auf zwei Personen aus der Adressatenschaft, sondern auf diese insgesamt. Für die Notizen über die zu grüßenden Personen hatte sich die Erwähnung ihrer (wie auch immer gearteten) Einbindung in die Mission als Schwerpunkt gezeigt; der Eindruck, den dieser Schwerpunkt nahelegt, wird im angehängten Gruß aus anderer Perspektive gebündelt: Die Adressatenschaft soll sich selbst in positiver Verbindung sehen zu allen vom Verfasser bislang gegründeten Gemeinden 29 . Die Funktion der Liste läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Grußbestellungen festigen bestehende Beziehungen des Verfassers zu Personen, die er kennengelernt hat, und bahnen Beziehungen zu einer Fülle von Personen aus der Adressatenschaft an. Dies geschieht in einer demonstrativen, an die gesamte Adressatenschaft gerichteten Weise. Der Adressatenschaft wird als die Personen, deren jüdische Herkunft in der Liste erwähnt ist (Andronicus, Junia, Herodion), als aus Rom stammende Rückwanderer unwahrscheinlich sind: Die Notiz über Andronicus und Junia (V. 7) läßt auf deren Herkunft aus dem Osten schließen (vgl. Lampe, Stadtrömische Christen 138), für Herodion ist nach Lampe östliche Herkunft aufgrund des Namens wahrscheinlich (ebd. 140f.). 28 Vgl. Ollrog, Abfassungsverhältnisse 235. 29 Anders sind nach Theobald mit der Formulierung αί έκκλησίαι πάσαι του Χρίστου ausnahmslos alle Gemeinden gemeint, auch die „nicht von ihm [erg.: von Paulus] gegründeten und betreuten" (Römerbrief II 234). Der Vorschlag erscheint deshalb problematisch, weil der Verfasser in V. 16b als Grußbesteller auftritt. Die Bestellung von Grüßen impliziert ja die Behauptung eines Kontaktes zwischen der Person oder Gruppe, die grüßen läßt, und dem Grußbesteller. (Man kann unbekannterweise grüßen lassen, aber man kann nicht Grüße von Unbekannten ausrichten.) Ob die implizierte Behauptung wahr ist oder nicht, ob also die bestellten Grüße in Auftrag gegeben worden sind, spielt dabei keine Rolle.

Schlußbemerkungen

341

der Eindruck vermittelt, in gewisser Hinsicht - nämlich in Gestalt einer größeren Zahl zu ihr gehörender Personen - schon im Kontakt zu stehen mit der Missionsarbeit des Verfassers. Dieser Eindruck wird unter anderer Perspektive bekräftigt durch den der gesamten Adressatenschaft geltenden Gruß von allen Gemeinden, die bislang aus dem Missionswerk des Verfassers hervorgegangen sind. Die Überlegungen zur Funktion der Liste lassen sich problemlos mit der in Teil 2 der Arbeit vorgeschlagenen Hypothese zum Abfassungszweck verknüpfen. Wenn Paulus mit dem Rom eine Initiative ergriffen hat, die sich ihm in Anbetracht seiner eigenen Gefährdung bei der Kollektenübergabe aufdrängte und die auf die Ermöglichung der Weiterverbreitung des Evangeliums ohne seine eigene Beteiligung zielt, dann hat die Aufnahme des Briefs in Rom ein enormes Gewicht. Paulus mußte damit rechnen, an der ersten Wirkung seines Schreibens auf die Adressaten nichts mehr korrigieren zu können. Das Zusammentreffen von Erstkommunikation und potentieller Letztkommunikation macht verständlich, warum der Autor mit cap. 16 so viel „in die Kontaktaufnahme ... investiert hat"30, die seinem Brief eine positive Aufnahme sichern soll. Darüber hinaus erklärt die dem Autor vorschwebende Ziel Vorstellung (die römische Adressatenschaft als gegebenenfalls selbständige Trägerin bei der Weiterführung der Mission nach Westen) die in 16,4b. 16b enthaltenen Andeutungen einer schon bestehenden Beziehung der Adressatenschaft zu den paulinischen Gemeinden des Ostens; sie verringern die Schwelle vor dem entscheidenden Schritt, für den sich in der Planung des Paulus die Adressaten dann entscheiden müssen, wenn er den ersehnten Rom-Besuch nicht würde durchführen können. Überdies kommt der Nennung römischer Christen, die sich in der Mission bewährt haben (besonders Prisca und Aquila, Andronicus und Junia), natürlich auch ein „praktischer" Sinn zu: Für den von Paulus befürchteten Fall eigener Verhinderung sind den Adressaten kompetente Personen aus ihrer Mitte benannt. Im Blick auf Donfrieds Forderung, die auf die Annahme ursprünglicher Zugehörigkeit von cap. 16 zielt, bzw. auf die damit verbundene Forderung nach der Behandlung von cap. 16 im Zusammenhang der Abfassungsproblematik des Rom bleibt also festzuhalten: Unter Voraussetzung der in Teil 2 vorgeschlagenen Hypothese zum Abfassungszweck kann man den Forderungen vergleichsweise unproblematisch entsprechen. In den vorangehenden Überlegungen, die sich auf die Grußliste konzentriert haben, ist die anschließende Schlußwarnung 16,17-20a unberücksichtigt geblieben. Der Passus ist unter den Vertretern ursprünglicher Zugehörigkeit des Kernbestandes von

30

Ollrog, Abfassungsverhältnisse 242.

Schlußbemerkungen

342

cap. 16 zum Rom literarkritisch umstritten. Besonders Ollrog31 vermutet nachpaulinische Herkunft des Abschnitts; andere32 plädieren für die Authentizität und ursprüngliche Zugehörigkeit zu Rom 16. Nicht alle Argumente für den literarkritischen Schnitt sind in diesem Fall einfach von der Hand zu weisen. Das gilt besonders für die bei Paulus so nicht erwartbare Verwendung von διδαχή (16,17b)33. Andererseits läßt sich auch kein deutliches Motiv für einen sekundären Einschub von V. 17-20a benennen34. Ohne die literarkritische Frage begründet entscheiden zu können, sei in diesem Zusammenhang lediglich folgendes angemerkt: Wenn V. 17-20a ursprünglich sein sollte, dann könnte die Warnung vor Irrlehrern auf einer Linie mit 3,8 interpretiert werden35. An beiden Stellen ist jeweils am Schluß (3,8d; 16,20a) eine Verfluchung der Gegner ausgedrückt oder impliziert36; beide Stellen weisen nicht darauf hin, daß die Gegner als aktuell präsent in Rom gedacht sind37. Hinter dem durch Motive der Ketzerpolemik verzerrten Bild in 16,17f.38 dürfte dann von 3,8 her der Gedanke an potentiell in Rom wirksame judaistische Gegner zu erschließen sein. Der Grund für die Warnung vor dieser potentiellen Gefahr ließe sich dann aus der in dieser Arbeit angenommenen Situation des Autors erschließen, der mit Skepsis auf sein bevorstehendes Jerusalem-Projekt ausblickt: Mit dem Gedanken an den möglichen Mißerfolg der Kollekten-Übergabe und an seine persönliche Gefährdung mußte sich ihm der Gedanke an die dann gesteigerte Intensität einer gegen ihn und seine Verkündigung gerichteten Propaganda verbinden, der er selbst nicht mehr würde entgegentreten können. Von hier aus ließe sich der Sinn einer prophylaktischen Warnung verständlich machen und vor allem auch die verschleiernde Weise, in der von den Gegnern gesprochen wird. 2. Das andere der beiden 1974 von Donfried geltend gemachten methodologischen Postulate lautet: „Any study of Romans should proceed on the initial assumption that this letter was written by Paul to deal with a concrete situation in Rome ... the burden of proof rests with those exegetes who wish to demonstrate that it is impossible, or at least not likely, that Romans addresses a concrete set of problems in the life of the Christians in Rome ... one must first

3 ' Abfassungsverhältnisse 229-234; vgl. auch Jewett, Ecumenical Theology 105-107; Theobald, Römerbrief I I 2 4 9 - 2 5 3 . 32 Vgl. z.B. Kettunen, Abfassungszweck 65-73; Wilckens, Römer III 140; Stuhlmacher, Römer 222f.; Dunn, Romans Π 901f.; Sampley, Different Light 127f. 33 Die inhaltlich umstrittene und literarkritisch ebenfalls verdächtige Stelle Rom 6,17b kann keinen entscheidenden Aufschluß bieten. 34 Wäre der sekundäre Einschub erfolgt im Blick auf später in Rom aktuell gewordene „häretische Strömungen" (so Theobald, Römerbrief II 253), dann wäre die ausdrückliche Bestätigung der gesamten Adressatenschaft in V. 16,19 mit der Tendenz des Einschubs schwer zu vereinbaren. 35 Vgl. Stuhlmacher, Römer 222. 36 Vgl. Kettunen, Abfassungszweck 71. 37

Zu 3,8 vgl. Zeller, Juden und Heiden 41 Anm. 13; zu 16,17-20a vgl. Gamble, Textual History 52: „there is no reason to insist that the danger in view is present and already having effect". 38

Vgl. Wilckens, Römer III 142.

Schlußbemerkungen

343

begin with a review of the available historical data" 39 . Die vorliegende Arbeit ist dieser Forderung aus folgenden Gründen nicht nachgekommen: a. Die Veranlassung für den in bestimmter Weise abgezweckten Brief ist nicht notwendig primär auf der Adressatenseite zu suchen; sie kann auch primär auf der Adressantenseite liegen 40 . Da die Situation des Adressanten im Text des Briefs explizit thematisiert wird (15,23ff.), stellt letzteres die wahrscheinlichere Ausgangsvermutung dar. b. Der geforderte Ansatz bei den (zu rekonstruierenden) „historical data", die Aufschluß bieten über die Adressatensituation, kann irreführend sein, weil offenbleibt, bei welchen „historical data" einzusetzen ist. Nicht alle die Adressatensituation betreffenden Daten, die sich mit mehr oder weniger Sicherheit rekonstruieren lassen, müssen in der Sicht des Autors relevant gewesen sein. Aber nur solche, in der Sicht des Autors relevanten Daten können bei der Bestimmung von Veranlassung und Zweck des Briefs überhaupt eine Rolle spielen. Der Entscheidung über die mögliche Relevanz historischer Daten steht als Grundlage aber nur der Text des Rom zur Verfügung. c. Wenn Paulus ein bestimmtes „set of problems" der römischen Christen hätte behandeln wollen (wovon nach Donfried der übrigen Paulusbriefe wegen auszugehen ist 41 ), dann müßten sich diese Probleme, die in der Wahrnehmung des Autors bei den Adressaten vorlagen, (in Analogie zu den übrigen Paulus-Briefen) am Text des Rom aufweisen lassen. (Denkbar ist natürlich der Fall, daß Paulus ein Problem der Adressaten behandeln wollte und faktisch behandelt hat, ohne dieses Problem im Text direkt anzusprechen. In diesem Fall wird aber die Bestimmung des faktischen Problems schwierig, weil sich diese Bestimmung ja nur an seiner indirekten Behandlung im Text orientieren kann 42 . Vor allem müßte in diesem denkbaren Fall erklärbar sein, warum das Problem der Adressaten nicht genannt wird.) Die drei Punkte konvergieren in der Skepsis gegen Donfrieds Einschätzung von historischer Rekonstruktionsarbeit als des eigentlichen Schlüssels, weil diese Einschätzung in Gefahr steht, den Text vorab auf die Funktion eines

39 40

False Presuppositions 103f. Vgl. ähnlich schon Schott, Römerbrief 6f. (gegen Baur).

41 „The support for such an assumption is the fact that every other authentic Pauline writing, without exception, is addressed to the specific situations of the churches or persons involved" (False Presuppositions 103). 42 Vgl. ο. S. 222f. zu Sampleys Annahme einer „oblique speech".

344

Schlußbemerkungen

Instruments festzulegen, mit dem der Autor auf das (rekonstruierte) „set of problems" seiner Adressaten reagiert. Anstelle des von Donfried geforderten Weges ist in der vorliegenden Arbeit eine Verfahrensweise zugrundegelegt worden, die zwischen den Fragen nach der Veranlassung und dem vom Autor verfolgten Zweck einerseits und der Mitteilungs- und Wirkabsicht der untersuchten Teiltexte andererseits unterscheidet. Diese Unterscheidung erschien methodisch notwendig, weil sich die Fragestellungen auf unterschiedliche Gegenstände richten: einerseits auf den empirischen Autor und seine Intention den römischen Christen gegenüber - in diesem Rahmen hat der Text des Rom zwar den Rang der wichtigsten Quelle, aber auch nur den einer Quelle; andererseits auf den Text als ein relativ eigenständiges sprachliches Zeichen, das sich auf seine Mitteilungs- und Wirkabsicht hin befragen läßt - in diesem Rahmen werden Adressant und Adressaten nur so berücksichtigt, wie sie im Text vorkommen. Die zwischen beiden Fragestellungen differenzierende Vorgehensweise legte sich zugleich aus sachlichen Gründen nahe: Der Text des Rom weist explizit nicht hin auf ein bestimmtes, von seinem Autor als lösungsbedürftig empfundenes Problem, und er gibt explizit auch nicht den Zweck zu erkennen, den der Autor mit seinem Schreiben verfolgt. Unter beiden Fragestellungen sind in der vorangehenden Untersuchung Hypothesen bzw. Hypothesenbündel erarbeitet worden: ein Vorschlag zum Abfassungszweck in der Intention des Autors einerseits und funktional orientierte Analysen andererseits 43 , die die Mitteilungs- und Wirkabsicht der untersuchten Teiltexte zu bestimmen versuchen. Bei der Zusammenschau beider Sorten von Hypothesen jeweils im Anschluß an die Funktionsanalysen wurde deutlich: Die Ergebnisse der Funktionsanalysen verhalten sich kompatibel zur Bestimmung des Abfassungszwecks; sie stützen also die darauf bezogene Hypothese. Umgekehrt stützt die Hypothese zum Abfassungszweck die Analysen der Teiltexte, weil sie die Entstehung der in bestimmter Weise „funktionierenden" Teiltexte verständlich machen kann aus dem Zweck, den der Autor bei der Abfassung des Schreibens den römischen Christen gegenüber verfolgt hat. Die Intention, die dem angewendeten Verfahren zugrundeliegt, läßt sich auf folgenden Nenner bringen: Es geht einerseits darum, Raum zu schaffen für die Wahrnehmung dessen, „was der Text direkt mitteilen will" 44 , und ihn nicht

43

Dabei ist vorausgesetzt, daß auch die Textanalyse „nur" ein Bündel von Hypothesen über den Text liefern kann, die in einem gelungenen Fall miteinander zusammenhängen (vgl. Titzmann, Textanalyse 26). 44 Bultmann, Hermeneutik 220. Die Formulierung (vgl. ähnlich: „die Absicht des Textes selbst" [ebd.; vgl. 221]) steht bei Bultmann im Zusammenhang eines anderen Koordinatensystems,

Schlußbemerkungen

345

auf ein Zeugnis über etwas anderes (über Autor, Adressaten, beider Situation und die darin vom Autor verfolgte Intention) zu reduzieren. Es geht andererseits aber auch darum, den Text als einen in einer bestimmten Situation entstandenen Brief zu verstehen, mit dem der Autor ein bestimmtes Interesse gegenüber den römischen Christen verfolgt. Wie der erste Teil dieses doppelten Anliegens gegenüber Donfried und der von ihm repräsentierten Forschungsrichtung geltend zu machen ist, so ist dessen zweiter Teil festzuhalten im Blick auf eine sich möglicherweise andeutende Änderung der Forschungslage. Unlängst hat Achtemeier Bedenken angemeldet 45 gegenüber der Position, die - Donfrieds oben zitiertem Postulat entsprechend - den Schlüssel zur Abfassungsproblematik in der Adressatensituation (Spannungen zwischen jüdisch und heidnisch geprägten Christen) sieht und den Rom als eine um Beilegung des Konflikts bemühte Reaktion des Paulus begreift. Diese Bedenken 46 führen Achtemeier zu einer Konsequenz, deren erstem Teil problemlos zugestimmt werden kann: „it would probably be better to pin less faith on the purported situation of the Roman Christian community in determining Paul's theological message in Romans than has come to be customary among a number of scholars" 47 . Die Fortsetzung dagegen verblüfft: „Rather, I want to urge, the shape of Paul's argument in Romans owes more ... to Paul's own theology than to the situation he confronted" 48 . Verblüffend wirkt diese Fortsetzung, weil sie sich im berechtigten Protest gegen einen wichtigen Trend in der Romans Debate zugleich von dieser als ganzer verabschiedet. In dieser Verabschiedung kann man deshalb ein Signal für eine mög-

dennoch hat der dadurch bezeichnete Sachverhalt zu tun mit dem, was in dieser Arbeit als „Mitteilungs- und Wirkabsicht" oder als „Textfunktion" bezeichnet wird. 45 Judgments 5-9. 46 Schwerwiegend unter Achtemeiers Bedenken erscheint vor allem sein Hinweis, daß der angeblich bestehende Konflikt in der Adressatenschaft nicht direkt angesprochen wird (Judgments 8). Die übrigen Argumente sind z.T. deshalb schwierig, weil sie nicht alle Vertreter und Vertreterinnen der Gegenposition treffen: 1. Mit der von Achtemeier bezweifelten Auswanderung aller Juden(christen) aus Rom infolge des Claudius-Edikts (ebd. 7) wird (anders als noch z.B. bei Donfried [Short Note 47f.]) auch in der Gegenposition meist nicht mehr gerechnet. In der Tendenz ist Achtemeier aber zuzustimmen: Je weniger Juden(christen) faktisch Rom verlassen haben, desto weniger Gewicht kann dem Claudius-Edikt mit seinen Folgen als (vermeintlichem) Schlüsseldatum zugeschrieben werden (zu Achtemeiers Zweifel an der gängigen Datierung des Edikts [49 n.Chr.] s. die Kritik bei Keck [Ways 23]). 2. Zu den „Schwachen" und „Starken" meint Achtemeier: „There were almost surely both Jews and Greeks in both weak and strong groups. At most one could say that the 'weak' were principally comprised of 'Judaisers', while the strong refers to those who accepted Paul's gospel" (ebd. 8). Auch dieser Hinweis dürfte für viele Vertreterinnen und Vertreter der Gegenposition als akzeptabel gelten können, zumal Achtemeier die entscheidende Voraussetzung, nach der sich die Hinweise auf Schwache und Starke auf konkrete Gruppierungen innerhalb der Adressatenschaft beziehen, teilt. 47 Judgments 9. 48 Judgments 9.

346

Schlußbemerkungen

liehe Veränderung der Forschungslage ahnen49, weil der Pendelschlag zwischen der entschieden „historischen" Erklärung des Rom bei Donfried zu der sich bei Achtemeier andeutenden, um die Abfassungsverhältnisse und den Zweck des Schreibens weitgehend unbekümmerten Position in der Diskussion des 19. Jahrhunderts ein Vorbild hat50. Besonders fraglich erscheint dabei die von Achtemeier aufgebaute Alternative, nach der der Rom entweder mehr durch die paulinische Theologie oder mehr durch die Situation, mit der Paulus konfrontiert war, geprägt ist. Die Prägung durch „Paul's own theology" wird man für den Rom (wie übrigens für die anderen Paulus-Briefe auch51) schlechterdings nicht bestreiten können; die Frage, in welcher Absicht das Schreiben an die römischen Christen gerichtet ist, wird davon aber gar nicht berührt. Die vorliegende Arbeit hat zur letzteren Frage eine Antwort vorgeschlagen und darüber hinaus zu zeigen versucht, inwiefern die brieflichen Rahmenpassagen, die Israel-Kapitel und der zweite Hauptteil des Schreibens einen Zuschnitt aufweisen, der sich einheitlich verständlich machen läßt aus der vorgeschlagenen Sicht des Abfassungszwecks.

49 Natürlich erlaubt die vereinzelte Stimme von Achtemeier (dem allerdings Keck [Ways 25] zugestimmt hat) nicht mehr als eine Ahnung. 50 Vgl. dazu die Darstellung der wesentlich durch Baur angestoßenen Diskussionsphase zur Abfassungsproblematik des Rom bei Holtzmann, Einleitung 238f. Nach dem Referat der Position von B. Weiss bemerkt Holtzmann: „Hiermit ist man an einem Ende angelangt, welches wieder zu der geschichtslosen, reformatorischen Auffassung zurückfuhrt und Verzicht auf ein wirklich geschichtliches Verständniss des Briefes bedeutet" (ebd. 239). 51 Wenn Paulus, z.B. im Fall des IKor, bei der Abfassung des Schreibens bestimmte Gedanken entwickelt hat, weil er dazu durch seine Adressaten angestoßen wurde (sei es direkt durch Anfragen aus der Adressatenschaft, sei es indirekt durch bestimmte Tendenzen und Praktiken, die von Paulus als korrekturbedürftig empfunden wurden), dann hat doch der Brief, mit dem Paulus reagiert, nicht minder als Ausdruck von . P a u l ' s own theology" zu gelten als der Rom, der ohne vergleichbare Anstöße aus der Adressatenschaft entstanden ist.

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Untersuchungen zur Gemeinde von

Zugänge zur paulinischen Theologie aus

Antiochia ad Pisidiam.

kulturanthropologischer Perspektive.

2000. 260 Seiten, Leinen

1999. 504 Seiten, Leinen

ISBN 3-525-53877-4

ISBN 3-525-53869-3

192: Eduard Lohse

Das Neue Testament als Urkunde des Evangeliums Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments III. 2000. 262 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53876-6 189: Boris Repschinski

The Controversy Stories in the Gospel of Matthew

Their Redaction, Form and Relevance for the Relationship Between the Matthean Community and Formative Judaism. 2000. 373 Seiten mit 27 Tabellen, Leinen ISBN 3-525-53873-1 188: Wolfgang Reinbold

Propaganda und Mission im ältesten Christentum

Eine Untersuchung zu den Modalitäten

184: Kurt Paesler

Das Tempelwort Jesu Die Traditionen von Tempelzerstörung und Tempelerneuerung im Neuen Testament. 1999. 304 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53868-5 182: Manfred Lang

Johannes und die Synoptiker

Eine redaktionsgeschichtliche Analyse von

Joh 18-20 vor dem markinischen und lukanischen Hintergrund. 1999. 413 Seiten, Leinen

ISBN 3-525-53866-9 181: Helmut Umbach

In Christus getauft - von der Sünde befreit

Die Gemeinde als sündenfreier Raum bei Paulus. 1999. 344 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53865-0

der Ausbreitung der frühen Kirche. 2000. IX, 386 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53872-3

187: Wolfgang Harnisch

Die Zumutung der Liebe

Gesammelte Aufsätze.

Hrsg. von Ulrich Schoenborn. 1999. 237 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53871-5

V&R

Vandenhoeck &_ Ruprecht

Die Botschaft des Apostels Paulus Im Römerbrief sammelt sich gleichsam die gesamte Paulustheologie. Deshalb findet der Leser hier nicht nur eine gediegene Auslegung Abschnitt für Abschnitt und Vers für Vers, sondern auch die Umrisse dieser Theologie sowie Auskunft über Wirken und Bedeutung des Apostels. Dies leistet der Verfasser besonders in den Exkursen zu Schwerpunktthemen, von denen das in der gegenwärtigen Debatte besonders heftig diskutierte „Paulus und Israel" am ausführlichesten behandelt wird, zumal man hier auf die konkrete Situation trifft, die Paulus zur Abfassung dieses Briefes veranlaßt haben dürfte. Aus dem Inhalt: Die Begegnung mit dem Römerbrief heute / Der Römerbrief als historisches Problem / Thema und Bedeutung des Römerbriefes / Gliederung des Briefes / Briefeingang: 1,1-17 / Erster Hauptteil: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden: 1,18-8,39 / Zweiter Hauptteil: Gottes Gerechtigkeit für Israel: 9,1-11,36 / Dritter Hauptteil: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde: 12,1-15,13 / Briefschluß: 15,14-16,27

Das Neue Testament Deutsch

Peter Stuhlmacher Der Brief an die Römer

N'l'L)

Baad 6

\faKkntaH* & Ruprecht in Güdingen

Peter Stuhlmacher

Der Brief an die Römer Das Neue Testament Deutsch, Band 6. 15. Auflage (2., überarbeitete Auflage dieser Bearbeitung) 1998. VI, 237 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-51372-0

V&R

Vandenhoeck &LRuprecht