Eigentum in der Französischen Revolution: Gesellschaftliche Konflikte und Wandel des sozialen Bewußtseins [Reprint 2015 ed.] 9783486827200, 9783486558333

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Eigentum in der Französischen Revolution: Gesellschaftliche Konflikte und Wandel des sozialen Bewußtseins [Reprint 2015 ed.]
 9783486827200, 9783486558333

Table of contents :
I. Einleitung
II. Die Befreiung des Bodens 1789 -1793
1. Theoretische Positionen am Vorabend der Revolution
2. Die Revolution der Bauern
3. Die Gestaltung der neuen Eigentumsordnung
III. Gesellschaftliche Interessengegensätze in der Frage des Eigentumserwerbs
1. Zur Besitzstruktur der ländlichen Gesellschaft zu Beginn der Revolution
2. Die Gewinner der Nationalgüterverkäufe
3. Die Subsistenzwirtschaft der Kleineigentümer und Kleinpächter
4. Die ländlichen Unterschichten
5. Großgrundbesitzer, Großpächter und städtische Eigentümer
IV. Das Eigentum im Zentrum sozialer Konflikte
1. Der Konflikt zwischen Lebensmittelproduzenten, Händlern und Verbrauchern
2. Agrarunruhen, Taxierungswellen und Plünderungen
3. Spekulation und Bereicherung
4. Armut und Reichtum
5. Das Gespenst des Ackergesetzes
V. Eigentumsdebatte und Polarisierung der politischen Auseinandersetzung im Konvent
1. Die Debatte um das Lebensmittelproblem
2. Der Konvent in der Auseinandersetzung mit der Volksbewegung
3. Verfassungstheoretische Aspekte des Eigentumsrechts
4. Die Rolle des Eigentumsproblems beim Sturz der Gironde
VI. Sichtweisen und Interessen der gesellschaftlichen Gruppen im Spiegel ihrer Eigentumskonzepte
1. Feudale Bindung oder Freiheit des Eigentums
2. Das freie und uneingeschränkte Eigentumsrecht
3. Eigentum und soziale Verantwortung
4. Die Gleichheit des Besitzes
VII. Eigentum und soziales Bewußtsein
VIII. Französische Revolution und Eigentum
Quellen- und Literatur
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
Register

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Elisabeth Botsch Eigentum in der Französischen Revolution

Ancien Régime Aufklärung und Revolution Herausgegeben von Rolf Reichardt und Eberhard Schmitt Band 22

R. Oldenbourg Verlag München 1992

Eigentum in der Französischen Revolution Gesellschaftliche Konflikte und Wandel des sozialen Bewußtseins

Von Elisabeth Botsch

R. Oldenbourg Verlag München 1992

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Botsch, Elisabeth: Eigentum in der Französischen Revolution : gesellschaftliche Konflikte und Wandel des sozialen Bewußtseins / von Elisabeth Botsch. - München : Oldenbourg, 1992 Ancien régime, Aufklärung und Revolution ; Bd. 22) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1988 ISBN 3-486-55833-1 NE: GT

© R. Oldenbourg Verlag München 1992 Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.

Druck und Bindung: WB Druck GmbH & Co. KG, Rieden a. F. ISBN 3-486-55833-1

VORWORT Diese Arbeit entstand in den Jahren von 1984 bis 1988 und wurde von der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. In diesen Zeitraum fallen mehrere Forschungsaufenthalte in Frankreich, speziell an der Université de Panthéon-Sorbonne (Paris I), den Archives Nationales, einigen Départementalarchiven sowie der Bibliothèque Nationale. Dieser Zeitabschnitt ist für mich jedoch besonders wichtig, weil meine beiden Kinder Julia und Lukas geboren wurden. All denen, die mich in dieser manchmal recht schwierigen Zeit begleitet haben, mich mit wissenschaftlicher Beratung, moralischer Aufrüstung und praktischer Hilfe zu Hause unterstützt und dadurch ihren Teil zur Beendigung der Arbeit beigetragen haben, sei an dieser Stelle gedankt. Ein Stipendium der Graduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg und zusätzliche Reisekostenzuschüsse des Heidelberger Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte haben ihre Durchführung finanziell ermöglicht. Meinen akademischen Lehrern fühle ich mich besonders verpflichtet: Michel Vovelle und dem Seminar am Institut de l'Histoire de la Révolution Française; Rolf Reichardt, dem ich viele wichtige Hinweise und aufmunternde Kritik verdanke; Heinrich-August Winkler, meinem Doktorvater und wissenschaftlichen Betreuer an der Universität Freiburg; sowie Ernst Schulin, meinem Koreferenten. Meiner Familie und meinen Freunden bin ich dankbar für alles, was sie in dieser Zeit für mich getan haben, vor allem aber dafür, daß sie wirkliche Freunde sind. Besonders danke ich Thomas Thieme für seine Übersetzungshilfen aus dem Russischen, Gabriele Thieme, Rudolf Kurz und Gabriele Blod für das Korrekturlesen, und nicht zuletzt Joachim Staguhn für seine nicht nachlassenden Ermutigungen. Achim Kitiratschky verdanke ich Rat in Computerfragen und die Satzvorlage. Mein größter Dank gilt meinem Mann Andreas, der mir mit Liebe, Rat und unermüdlichem Einsatz zur Seite stand. Das Buch widme ich meinen Kindern.

Paris, im Januar 1990

FÜR JULIA UND LUKAS

INHALT

I.

Einleitung

II.

Die Befreiung des Bodens 1789 • 1793

18

1. Theoretische Positionen am Vorabend der Revolution

19

2. Die Revolution der Bauern

26

3. Die Gestaltung der neuen Eigentumsordnung

35

Gesellschaftliche Interessengegensätze in der Frage des Eigentumserwerbs

43

1. Zur Besitzstruktur der ländlichen Gesellschaft zu Beginn der Revolution

44

2. Die Gewinner der Nationalgüterverkäufe

54

III.

9

3. Die Subsistenzwirtschaft der Kleineigentümer und Kleinpächter

IV.

63

4. Die ländlichen Unterschichten

77

5. Großgrundbesitzer, Großpächter und städtische Eigentümer

90

Das Eigentum im Zentrum sozialer Konflikte

106

1. Der Konflikt zwischen Lebensmittelproduzenten, Händlern und Verbrauchern

106

2. Agrarunruhen, Taxierungswellen und Plünderungen

114

3. Spekulation und Bereicherung

126

4. Armut und Reichtum

131

5. Das Gespenst des Ackergesetzes

137

8 V.

VI.

VII.

Inhalt Eigentumsdebatte und Polarisierung der politischen Auseinandersetzung im Konvent

146

1. Die Debatte um das Lebensmittelproblem

147

2. Der Konvent in der Auseinandersetzung mit der Volksbewegung

155

3.

162

Verfassungstheoretische Aspekte des Eigentumsrechts

4. Die Rolle des Eigentumsproblems beim Sturz der Gironde

177

Sichtweisen und Interessen der gesellschaftlichen Gruppen im Spiegel ihrer Eigentumskonzepte

190

1. Feudale Bindung oder Freiheit des Eigentums

191

2. Das freie und uneingeschränkte Eigentumsrecht

197

3. Eigentum und soziale Verantwortung

205

4. Die Gleichheit des Besitzes

216

Eigentum und soziales Bewußtsein

226

VIII. Französische Revolution und Eigentum

244

Quellen- und Literatur

249

Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen

271

Register

272

L

EINLEITUNG

"Une nouvelle distribution des richesses prépare une nouvelle distribution du pouvoir", schrieb Barnave in seiner Introduction à la Révolution française'1. Für die Französische Revolution von 1789 ist diese Aussage von zentraler Bedeutung, denn über das Ziel der Revolution herrschte Einigkeit im Dritten Stand: Der Kampf sollte sich auf die Beseitigung des Feudalsystems konzentrieren, wobei der neuen Eigentumsverfassung eine neue politische Ordnung entsprechen sollte. Doch kann bei den revolutionstragenden Schichten des Dritten Standes nicht von übereinstimmenden Beweggründen für ihre antifeudale Haltung ausgegangen werden. Tatsächlich waren diese durch unterschiedliche Gesellschaftsvorstellungen bestimmt, die in dem Moment zu Tage traten und zu Auseinandersetzungen innerhalb des Dritten Standes führten, als die Frage nach der Verteilung des Besitzes aufgeworfen wurde. Ziel der Revolution im Agrarbereich war die Befreiung des Bodens, mit der die Aufnahme des freien Eigentumsrechts in die Verfassung einherging. Auf diese Weise wurde die Wirtschaftsform nach den Gesetzen des freien Marktes, der sich in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts herausgebildet hatte, institutionell abgesichert. Zugleich wurde in Frankreich eine Umverteilung des Bodens in größerem Maßstab eingeleitet. Um die im Ancien Régime in immense Höhen gestiegenen Staatsschulden begleichen zu können, wurden alle Kirchen- und Emigrantengüter konfisziert und als Nationalgüter an neue Eigentümer verkauft. Nicht nur das Grundeigentum wurde von den grundherrlichen Rechten befreit, auch Gewerbe und Handel wurden aller Beschränkungen entledigt, die die Produktion behinderten. Die Zünfte wurden abgeschafft und die inneren Zollschranken fielen. Anbau-, Gewerbe- und Handelsfreiheit waren Reformen, die sich an der Wirtschaftsfreiheit orientierten. Das Prinzip von der Freiheit des Eigentums lag ihnen zugrunde. Die Gestaltung der neuen Eigentumsordnung löste Auseinandersetzungen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen aus, denn die soziale Differenzierung der Bauernschaft, ein Ergebnis der Kommerzialisierung und Kapitalisierung der Landwirtschaft, schuf unterschiedliche Interessen bei den Landbewohnern. In den Städten nahmen Konflikte um die Freiheit des Eigentums in immer größerem Ausmaß zu. Sie wurden zwischen lohnabhängigen Schichten, Händlern und Produzenten ausgetragen und kreisten um das Problem der täglichen Lebensmittelversorgung. Das Volk, das auf eine lange Tradition von Brotaufständen zurückblicken 1

A. Bamave, Introduction à la Révolution Française. Texte établi sur le manuscrit original et présenté par Fernand Rude. Paris 1969, 9.

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Einleitung

konnte, sah sich durch Teuerung und Hunger dazu veranlaßt, gegen die unerwünschten Auswirkungen der Wirtschaftsfreiheit vorzugehen. Eigenmächtige Höchstpreisfestsetzungen und die Behinderung der Getreidezirkulation gehörten zu den Kampfformen einer Volksbewegung, die die Sicherung der unmittelbaren Existenz allen anderen Zielen voranstellte 2 . Die Eigentumsdiskussion ergriff nach und nach alle gesellschaftlichen Gruppen des Dritten Standes und führte zu sozialen Kämpfen untereinander. In der Phase des girondistischen Konvents von September 1792 bis Mai 1793 war die Eigentumsfrage schließlich Gegenstand politischer Kämpfe innerhalb des Bürgertums. Thema dieser Arbeit ist es, den unterschiedlichen Eigentumsinteressen und -Vorstellungen nachzugehen, die während der Französischen Revolution an Tragweite gewannen, und ihre Perzeption durch die politischen Entscheidungsträger und die gebildete Elite zu verfolgen. Dabei stehen die Fragen im Vordergrund, welche Interessen hinter den jeweiligen Eigentumsvorstellungen der sozialen Gruppen standen und ob die Französische Revolution, in der sich der Modernisierungsprozeß verdichtete und beschleunigte, zu einer Änderung der Eigentumsvorstellungen beigetragen hat. Besonders aufschlußreich ist hierbei die Phase der Revolution zwischen 1789 und 1793. Die Forschung hat die Bedeutung der Französischen Revolution für die Entwicklung des Eigentums bislang hauptsächlich aus rechtsgeschichtlicher Sicht untersucht. Marcel Garaud hat in seinem grundlegenden Werk über das Grundeigentum 3 die Gesetzgebung zur Befreiung des Bodens von feudalen und grundherrlichen Lasten und zum Verkauf der Nationalgüter untersucht. Ausgehend von den Formen des Eigentums am Ende des Ancien Régime behandelt er die rechtlichen Bedingungen, in denen sich die Eigentumsstruktur veränderte und geht in diesem Rahmen auf die Ablösegesetzgebung und die Neudefinition von Eigentum im Sinne des dominium utile ein. In ähnlicher Weise hatte Philippe Sagnac in seinem Buch La Législation civile de la Révolution Française (1789-1804), Essai d'histoire sociale4 die rechtlichen Änderungen dargelegt, denen das Eigentum während der Revolution unterworfen war. Auch die vielfältigen Studien zur Abschaffung des Feudalsystems konnten bisher die Frage nach Veränderungen des Eigentumsbegriffs unter dem Einfluß sozialer Auseinandersetzungen während der Revolution nicht klären. Peter Kroll be2

3 4

Vgl. R Cobb, The Police and the Poeple. French Populär Protest 1789-1820. London/ Oxford/New York 1970, 215, 217f. EP. Thompson definierte diese Denkweisen als "moral economy of the poor". Vgl. derselbe, The Moral Economy of the English crowd in the Eighteenth Century. In: PP 50 (1971), 76-136. M. Garaud, La Révolution et la propriété foncière. Paris 1958. Ph. Sagnac, La Législation civile de la Révolution Française (1789-1804). Essai d'histoire sociale. Paris 1898.

Einleitung

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schäftigt sich in seiner Dissertation mit dem Titel Die Eigentumsordnung des französischen Feudalismus und ihre Zerschlagung durch die große Revolution5 mit der schrittweisen Abschaffung des Feudalsystems, stellt aber auf der Grundlage ausschließlich gedruckter Quellen lediglich die Gesetzgebung dar, die die Eigentumsstruktur während der Revolution verändert hat. Einen anderen Weg schlägt Ernst Hinrichs in seinem Artikel Die Ablösung von Eigentumsrechten, Zur Diskussion über die droits féodaux in Frankreich am Ende des Ancien Régime und in der Revolution6 ein. Er zeigt die Interessenlage bei den betroffenen Gruppen an einer neuen Eigentumsordnung auf. In der Dissertation von Hannes Krieser zur Abschaffung des Feudalismus 7 steht die Begriffsentwicklung von Feudalismus in der Historiographie im Zentrum der Untersuchung. Die neuere französische Forschung zur Abschaffung des Feudalismus ist umfangreich. In zahlreichen Regionalstudien wird der Frage nachgegangen, wie die Befreiung des Bodens durchgeführt wurde und wie sie sich auf die ländlichen Strukturen ausgewirkt hat 8 . Der Übergang von einem feudal geprägten zu einem freien Eigentumssystem mit seinen ökonomischen Implikationen kann somit weitgehend als bekannt vorausgesetzt werden. Der Zusammenhang zwischen neuem Eigentumssystem, sozialer Differenzierung, den daraus resultierenden sozialen Spannungen und der Herausbildung von Eigentumsvorstellungen und -konzepten ist jedoch auch in diesen Studien nicht herausgearbeitet worden. Beiträge zur Agrargeschichte Frankreichs während der Revolution behandeln die Eigentumsfrage unter dem Gesichtspunkt der Privatisierung der Agrarstrukturen. Klassische Arbeiten wie jene von Georges Lefebvre über die Bauern in Nordfrankreich 9 und seine Etudes Orléanaises10, sowie neuere Studien, für die hier stellvertretend nur die von Florence Gauthier, La voie paysanne dans la Révolution 5 6 7

8

9

10

Bonn 1964. In: R. Vierhaus (Hg.), Eigentum und Verfassung. Göttingen 1972, 112-178. H. Krieser, Die Abschaffung des "Feudalismus" in der Französischen Revolution. Revolutionärer Begriff und begriffene Realität in der Geschichtsschreibung Frankreichs (1815-1914). Frankfurt/M. 1984. Vgl. Actes du Colloque international, organisé dans le cadre des colloques internationaux du Centre National de le Recherche Scientifique, à Toulouse, du 12 au 16 novembre 1968, par/. Godechot, 2 Bde, Paris 1971 (L'abolition de la féodalité dans le monde occidental); G. Lemarchand, La fin du féodalisme dans le Pays de Caux, 16401795. Paris 1986 (thèse d'Etat, masch.); in einigen Beiträgen zum Kolloquium, das die Université de Paris I und das Institut National de la Recherche Agronomique (INRA) im Oktober 1987 zum Thema La Révolution et le monde rural veranstalteten, wurde das Feudalismus-Problem aufgegriffen. G. Lefebvre, Les paysans du Nord pendant la Révolution Française. Paris 1924 (Réédition Paris 1972) 2 Bde, Paris 1962.

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Einleitung

française11 genannt sei, beschäftigen sich mit der Situation und den Interessen der Bauern in der Revolution. Den Versuch einer Zusammenfassung der bisherigen Forschungen zu diesem Bereich unternimmt G e r d van den Heuvel 1 2 . Seine Studie verdient Interesse, weil der Autor es versteht, innerhalb des weit gespannten Untersuchungszeitraumes die Kontinuitäten vom Ancien Régime zur Revolution hervorzuheben und die langfristigen Antagonismen innerhalb der ländlichen G e sellschaft deutlich herauszuarbeiten. Diese Forschungen liefern wertvolle Hinweise auf Konflikte zwischen den ländlichen Schichten, die sich um die Eigentumsfrage drehten. Auch die zahlreichen Studien über den Verkauf der Nationalgüter beschäftigen sich mit dem Grundeigentum. Sie erforschen mit quantifizierenden M e t h o d e n die Veränderung der Besitzstrukturen während der Revolution. Ihre Ergebnisse stellen in dieser Arbeit die Grundlage für die Bestimmung der sozialen Strukturen in der revolutionären Gesellschaft dar, die die Auseinandersetzung u m die Eigentumsverteilung hervorriefen. Untersuchungen über die Nahrungsmittelkrisen während der Revolution h a b e n die Eigentumsproblematik gestreift, um die Interessenkonflikte zwischen Produzenten und Konsumenten zu erklären, auf eine detaillierte Analyse des Eigentumsbegriffs dieser Schichten aber verzichtet. Albert Mathiez geht in seinem bereits klassischen Werk La vie chère et le mouvement social sous la terreur13 von Interessenkonflikten zwischen den sozialen G r u p p e n aus, die er mit den verschied e n e n Eigentumsideologien, dem freien, uneingeschränkten Eigentumsrecht und d e m Eigentum als einschränkbare soziale Institution, in Verbindung bringt. D a s freie Eigentumsrecht wurde fortwährend durch eigenmächtige Höchstpreisfestsetzungen - Taxierungen genannt - Raubzüge und Plünderungen verletzt, wenn die Lebensmittel knapp wurden. Susanne Petersen gibt in ihrem Buch Lebensmittelfrage und revolutionäre Politik in Paris 1792-1793u einen Einblick in das Kräfteverhältnis zwischen den politisch relevanten G r u p p e n anhand der Taxierungs- und Maximumspolitik des Konvents. Sie läßt aber bei der Analyse dieser G r u p p e n eine nach soziologischen Kriterien differenzierte, sozialgeschichtlich abgesicherte Begriffsbildung vermissen. 11

12

13 14

F. Gauthier, La voie paysanne dans la Révolution française. L'exemple picard. Paris 1977. G. van den Heuvel, Grundprobleme der französischen Bauernschaft 1730-1794. Soziale Differenzierung und sozio-ökonomischer Wandel vom Ancien Régime zur Revolution. München/Wien 1982. A. Mathiez, La vie chère et le mouvement social sous la terreur. 2 Bde. Paris 1973. S. Petersen, Lebensmittelfrage und revolutionäre Politik in Paris 1792-1793. Studien zum Verhältnis von revolutionärer Bourgeoisie und Volksbewegung bei der Herausbildung der Jakobinerdiktatur. München 1979.

Einleitung

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Eine kurze Zusammenfassung über Eigentumskonzepte während der Revolution stellt William H. Sewell in seinem Buch Gens de métier et Révolutions, Le langage du travail de l'Ancien Régime à 1848ì5 zusammen. Er konzentriert sich dabei auf die Auswirkungen des neuen Eigentumssystems auf die Arbeitswelt. Auch Jean Jaurès 16 und André Lichtenberger 17 beschäftigten sich mit Eigentumsideen einzelner Revolutionäre. Beide bemühten sich, in den Eigentumstheorien, die zwischen 1789 und 1795 publiziert wurden, sozialistische Ideen zu entdecken. Es gelang ihnen zwar, eine grobe Klassifizierung von Eigentumsmodellen aufzustellen, aber mehr als eine Beschreibung der einzelnen Theorien vermochten sie nicht zu leisten. Diese kurze Bestandsaufnahme zeigt, daß die Eigentumsfrage in ganz unterschiedlichen Themenbereichen zur Geschichte der Französischen Revolution aufgegriffen wurde - sei es in der Absicht, realgeschichtliche Eigentumsveränderungen aufzuzeigen, sei es, um die Eigentumsfrage als Hintergrund wirtschaftlicher Gegensätze im Agrarsektor und der Lebensmittelversorgung heranzuziehen, oder um die Eigentumsideen historisch bedeutender Persönlichkeiten vorzustellen. Eine Geschichte des Eigentums zur Zeit der Französischen Revolution steht aber noch aus. Die hier vorgenommene Untersuchung will die Frage klären, welche gesellschaftlichen Konflikte in Frankreich offenbar wurden, als die Befreiung des Eigentums von den grundherrlichen Bindungen die Frage nach der Verteilung des Besitzes aufwarf. Vor dem Hintergrund der realen sozialen Auseinandersetzungen um das Eigentum werden die Vorstellungen und Konzepte dargestellt, die die Eigentumsdiskussion bestimmten. Eine semantische Analyse dieser Eigentumsauffassungen soll die Eigentumsbegriffe, die den unterschiedlichen Handlungsweisen der einzelnen Akteure und Gruppen zugrunde lagen, neu bestimmen. Diese Arbeit versteht sich also in zweifacher Hinsicht als ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Französischen Revolution: Einerseits wird versucht, aufgrund der Dynamik der Eigentumsverhältnisse die Interessengegensätze und sozialen Konflikte zwischen den gesellschaftlichen Gruppen aufzudecken, die die Eigentumsdiskussionen bestimmten. Andererseits wird der Inhalt verschiedener Eigentumsvorstellungen und -konzepte analysiert, die im Denken der Gesellschaftsschichten, der Politiker und der Bildungselite während der Revolution verankert waren. Dieser Ansatz verspricht, durch eine mentalitätsgeschichtliche Untersuchung Aussagen über den

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16 17

W. H. Sewell, Gens de métier et Révolutions. Le langage du travail de l'Ancien Régime à 1848. Paris 1983,161-198. J. Jaurès, Histoire socialiste de la Révolution française. 6 Bde. Paris 1969-1986. A. Lichtenberger, Le socialisme et la Révolution française. Etude sur les idées socialistes en France de 1789-1796. Paris 1899 (Reprint Genève 1970)

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Einleitung

Wandel des sozialen Bewußtseins anhand des Eigentums zu liefern. Mentalitätsgeschichte wird dabei weder mit Begriffs- und Ideengeschichte gleichgesetzt noch als autonomer Zweig der Geschichtswissenschaft verstanden, sondern untersucht die geistig-kulturelle Infrastruktur einer Zeit, zu der z.B. Sprache, Vokabular, Redensarten, Zeit- und Raumvorstellungen und der Grad der Alphabetisierung zählen 18 . Als Teil der Sozialgeschichte soll sie in die sozio-ökonomischen Grundlagen eingebettet bleiben 19 . Die vorliegende Arbeit reiht sich somit in die sozialhistorische Tradition der Geschichtsschreibung der Französischen Revolution ein, ohne jedoch einer vereinfachenden deterministischen Interpretation zu folgen, wie sie die marxistisch orientierte Soboul - Schule zuweilen vertrat. Eine Deutung der Revolution, die sich darauf beschränkt, "die revolutionäre Ideologie zum eigentlichen Ort des politischen Kampfes zwischen den Gruppen" 20 zu erklären, wird aber gleichfalls abgelehnt, da in diesem Forschungsansatz die realen sozialen Konflikte unberücksichtigt bleiben. Der These von François Furet und Denis Richet21, die Französische Revolution sei hauptsächlich eine politische gewesen, die zudem von einer Elite gegen die Privilegierten des Ancien Régime geführt wurde, kann ebenso nicht zugestimmt werden. Die Auseinandersetzungen um das Eigentum waren sozialen Ursprungs. Auch die Aussage, die Französische Revolution existiere in der Hauptsache im Mythos der sozialistischen und marxistischen Geschichtsschreibung, wie Alfred Cobban 22 als erster behauptete, ist als Prämisse dieser Arbeit per se nicht geeignet. Der hier verfolgte Ansatz versucht herauszufinden, ob die Revolution einen größeren Bedeutungswandel des Eigentumsbegriffs bewirkt hat, indem Eigentums- und soziale Strukturen einer beschleunigten Veränderung unterworfen wurden. Nach dem Tode Albert Sobouls trat die Kontroverse der zwei französischen Schulen um die Interpretation der Revolution in den Hintergrund. Die Anhänger 18

19

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21 22

Vgl. R Reichardt, "Histoire des mentalités". Eine neue Dimension der Sozialgeschichte am Beispiel des französischen Ancien Régime. In: IASL 3 (1978), 130-166, 131. Mentalitäten sind anonyme, kollektive, jeweils für eine bestimmte Gesellschaft oder soziale Gruppe typische Phänomene, die meist nebeneinander bestehen. Sie sind Vorstellungssysteme, deren einzelne Teile sich wechselseitig bedingen, und verfügen über eine relative Stabilität (132). Vgl. M. Vovelle, Die französische Revolution - soziale Bewegung und Umbruch der Mentalitäten. München 1982, 87-108; ders., La mentalité révolutionnaire. Société et mentalité sous la révolution française. Paris 1985. F. Furet, 1789 - Vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft. Frankfurt/M. 1980,147. F. Furet/D. Richet, Die Französische Revolution. Frankfurt/M. 1968. A. Cobban, The Myth of the French Revolution. Folcroft 1970; ders., The Debate on the French Revolution 1789-1800. London 1950.

Einleitung

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der beiden Forschungsrichtungen lassen bei allgemeinen Schlußfolgerungen nun mehr Vorsicht walten. Gut fundierte Einzel- und Regionalstudien stellen mittlerweile ein differenzierteres und komplexeres Bild der Ereignisse von 1789 bis 1799 und ihrer Auswirkungen dar. Auch die Frage, ob die Revolution einen Bruch der Geschichte Frankreichs markiere, wird heute anders gestellt: Elemente sowohl der rupture-Theorie als auch des Kontinuitätsansatzes werden in der Regel gleichzeitig in die Betrachtung miteinbezogen 23 . Die öffentliche Diskussion um die Vorbereitung der 200-Jahr-Feier der Französischen Revolution war geprägt durch einen neuen Historikerstreit. Federführend in einer Bewertung der Revolution, die diese als riesige Verschwendung an Zeit, Mitteln und Mühen sieht, ist Pierre Chaunu 24 . Er und seine Schüler stellen den Revolutionsprozeß insgesamt in Frage. Diese "antirevolutionäre" Geschichtsschreibung geht davon aus, daß die Revolution in die wirtschaftliche und finanzielle Katastrophe führte 25 . Die Inflation, der Exodus der Eliten, der Angriffskrieg und die Bewußtseinskrise als Folge der Revolution hätten Frankreich ruiniert. Vergleiche zu Hitlers Holocaust und dem sowjetischen Gulag werden von Historikern gezogen, denen der Vendde-Krieg als innerfranzösischer Genozid erscheint 26 . Diese vermeintlichen historischen Wahrheiten sind jedoch durch die jüngere differenzierende Historiographie längst überholt 27 . Die vorliegende Arbeit gliedert sich wie folgt: Die Veränderung der Eigentumsstrukturen seit Mitte des 18. Jahrhunderts rief einen Entwicklungsprozeß der sozialen Strukturen hervor. Die Revolution löste Auseinandersetzungen um die Eigentumsverteilung aus, als sie das freie Eigentumsrecht etablierte. Die Diskussion über die Relevanz verschiedener Eigentumskonzepte wurde in alle gesellschaftlichen Gruppen hineingetragen. Nach einer einleitenden Darstellung der Besitzver-

23

24 25

26 27

Vgl. E. Schmitt/R. Reichardt (Hg.), Die Französische Revolution - zufälliges oder notwendiges Ereignis? Akten des internationalen Symposions an der Universität Bamberg vom 4.-7. Juni 1979. 3 Bde. München 1983. Diese Auseinandersetzung zwischen der Sorbonne und der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, die an der Rezeption von A. de Tocqueville (Der alte Staat und die Revolution. Bremen 1959) anknüpft, beherrschte vor allem zwischen 1965 und 1975 nicht nur die französische Historikerzunft. Vgl. Le Figaro 22.9.1986 und 4.3.1987. Vgl. F. Aftalion, L'économie de la Révolution française. Paris 1987. R Sedillot, Le Coût de la Révolution française. Vérités et légendes. Paris 1987. Vgl. R Sécher, Le génocide franco-français: La Vendée-Vengé. Paris 1986. Allerdings feierte man beim Bicentainaire der Revolution nur die Erklärung der Menschenrechte, weil sich die betroffenen Fraktionen auf mehr gemeinsame Werte nicht einigen konnten. Einen feuilletonistischen Überblick über heutige Revolutionsbewertungen geben A Smoltczyk/F.von KJinggräff, Auf der Suche nach der verlorenen Revolution. Berlin 1989.

16

Einleitung

hältnisse gegen Ende des Ancien Régime und ihrer ersten Umwälzungen zu Beginn der Revolution (Kapitel II) wird zunächst der Frage nachgegangen, welche Eigentumsvorstellungen bei Besitzenden, Käufern von Grundeigentum und Eigentumslosen verbreitet waren. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme der Grundbesitzverteilung am Ende des Ancien Régime und der Ergebnisse der Nationalgüterverkäufe in wichtigen Regionen Frankreichs werden die Interessengegensätze, die sich beim Kauf von Grundbesitz zwischen den Gesellschaftsgruppen entzündeten, analysiert und Texte zum Eigentumserwerb auf spezifische Eigentumsvorstellungen der Schreiber untersucht (Kapitel III). Soziale Konflikte, die sich in Agrarunruhen und Taxierungsbewegungen äußerten und zwischen Produzenten und Konsumenten ausgetragen wurden, stellen das zweite Feld dar, in dem unterschiedliche Eigentumsideen vertreten sind. Die Untersuchung dieser Ideen wird die Eigentumsbegriffe der sozialen Gruppen näher bestimmen können. Die Quellengrundlage beider Themenkomplexe besteht zum größten Teil aus unveröffentlichten Petitionen aus den Beständen der Archives Nationales (A.N.). Bittschriften aus Departementalarchiven und Quellensammlungen werden das Bild abrunden. Die Analyse von Petitionen läßt Aufschlüsse über die Eigentumsvorstellungen der von der Eigentumsfrage Betroffenen erwarten (Kapitel IV). Daran schließt sich in Kapitel V eine Untersuchung der Eigentumsideen auf der politischen Ebene an. Unter dem Blickwinkel, wie die Perzeption von Eigentumsvorstellungen der betroffenen Gruppen bei Parlamentariern verlief, werden die Eigentumsdebatten im girondistischen Konvent ausgewertet. Der gewählte Zeitabschnitt ist für diese Fragestellung vielversprechend, da - wie zu zeigen ist - in dieser Phase die Eigentumsdiskussionen im Konvent die sozialen Konflikte zwischen den Schichten widerspiegeln. Die Radikalisierung der Auseinandersetzungen hatte zur Folge, daß sich Gironde, Montagne und Sansculotten voneinander abgrenzten. Dieser Prozeß und die Annäherung zwischen Montagnards und Sansculotten ermöglichten schließlich die Strategie der antigirondistischen Allianz, durch die die Gironde gestürzt und der Jakobinerdiktatur des Jahres II der Weg gebahnt wurde. Die Eigentumsfrage fand eine breite Erörterung im Konvent, da sie den Kern der Allianz bildete, die durch Konzessionen der Montagne an die sansculottische Volksbewegung entstand. Die Eigentumsideen der Politiker und ihre Verankerung in den Vorstellungen der sozialen Gruppen wird anhand der Reden und Denkschriften von Konventsabgeordneten untersucht werden. Schließlich werden Eigentumskonzepte der gebildeten Elite vorgestellt, die sich dadurch auszeichnen, daß die Autoren in der Lage waren, gesellschaftliche Zusammenhänge zu durchschauen. Es wird davon ausgegangen, daß sie unterschiedliche Gesellschafts- und Wirtschaftsmodelle hinterfragen konnten. In diesem Ab-

Einleitung

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schnitt wird zu klären versucht, ob sich das kollektive Wissen, auf das die Gesellschaft sich verständigte und das sich in den Eigentumsvorstellungen der betroffenen Gesellschaftsgruppen zeigte, in den Eigentumskonzepten einer Bildungselite widerspiegelt und objektiviert (Kapitel VI). Die Quellentexte werden einer historisch-semantischen Analyse unterzogen. Wenn diese innerhalb eines Themenkreises ähnliche Strukturen aufweisen und ausreichend Assoziationen zum Begriff Eigentum beinhalten, wird mit Hilfe von Frequenzanalysen und der Erforschung von Begriffsbeziehungen das semantische Umfeld der untersuchten Eigentumsvorstellungen und -konzepte erstellt. Die Häufigkeit von Konnotationen, die sich in einem bestimmten Kontext auf Eigentum beziehen, läßt auf die Relevanz von Sinnzusammenhängen schließen, die Inhalt und Bedeutung des Begriffs Eigentum konstituierten. Die Stellung dieser Begriffe im jeweiligen semantischen Feld gibt Auskunft über die Inhaltsstruktur von Eigentum. Bei diesem Verfahren werden sämtliche in Frage kommenden Quellentexte einer solchen Analyse unterzogen. Diese Vorgehensweise will einen neuen Zugang zur Bedeutung des Eigentums in der Französischen Revolution eröffnen. In Kapitel VII wird abschließend der Versuch unternommen, mit Hilfe serieller Methoden die semantischen Veränderungen des Eigentumsbegriffs vom Ancien Régime bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts auf drei Ebenen gesellschaftlichen Bewußtseins herauszuschälen. Hierbei handelt es sich um die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen, die gewählten Abgeordneten und die Bildungselite. Damit soll die Frage beantwortet werden, ob und inwieweit von einem Wandel des sozialen Bewußtseins in den Eigentumsvorstellungen und -konzepten innerhalb eines längeren Zeitraumes ausgegangen werden kann.

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DIE BEFREIUNG DES BODENS 1789 -1793

Die Abschaffung des Feudalsystems zählt zu den größten Leistungen der Revolution. Die Befreiung des Bodens war das wichtigste Ziel und gleichzeitig die Voraussetzung dafür, daß sich die verschiedenen Eigentumsinteressen innerhalb der Gesellschaft im Streit um das neue Eigentumssystem herauskristallisieren konnten. Zudem stellt sich die Frage, ob durch die Abschaffung des Feudalismus nicht auch Eigentum umverteilt wurde. Zu Definition und Gewicht des Feudalsystems am Ende des Ancien Régime und zum antifeudalen Charakter der Französischen Revolution existiert eine umfangreiche Forschungsliteratur, so daß sich im Rahmen dieser Studie ein Eingehen auf speziellere Fragen erübrigt 1 . Auch die Lage der Bauern in den letzten Jahrzehnten des Ancien Régime ist in teilweise hervorragenden Regionalstudien detailliert untersucht worden. Die Motive der Bauern, die 1789 zur Revolution auf dem Lande geführt haben, sind durch die vielfältigen Forschungen von Georges Lefebvre und seinen Schülern hinreichend bekannt. Zur Annäherung an den Forschungsgegenstand dieser Arbeit, die Entwicklung der Eigentumsinteressen, -Vorstellungen und -konzepte unterschiedlicher Gesellschaftsschichten auf verschiedenen Bewußtseinsstufen während der Revolution zu untersuchen, wird die wirtschafts- und sozialhistorische Entwicklung ab Mitte des 18. Jahrhunderts anhand der neuesten Literatur zusammengefaßt. Eine Skizze der neuen Eigentumsordnung, die durch die Revolution 1789 geschaffen wurde, bildet den Ausgangspunkt für die Fragestellungen der Studie zum Eigentum im engeren Sinne. Dabei stehen die Positionen der revolutionären Akteure und jener, die sich als solche sahen, im Vordergrund. Die Konfrontation von feudalen und grundEine Übersicht über die Forschungsliteratur zu dieser Thematik bietet H. Krieser, D i e Abschaffung des "Feudalismus" in der Französischen Revolution. Frankfurt/M. 1984, 11-16. P. Kroll legt in seiner Dissertation: Die Eigentumsordnung des französischen Feudalismus und ihre Zerschlagung durch die große Revolution. Bonn 1964, die juristischen Aspekte dar, die die Änderung der Eigentumsordnung betrafen. Seiner Arbeit liegen ausschließlich gedruckte Quellen zugrunde, die über die gesetzgeberischen Tätigkeiten der Parlamente in der Frage der Abschaffung des Feudalismus nicht hinausgehen. Zu den klassischen Arbeiten über die Abschaffung des Feudalismus zählen Ph. Sagnac, La Législation civile de la Révolution Française (1789-1804). Essai d'histoire sociale. Paris 1898; A. Aulard, La Révolution française et le Régime féodale. Paris 1919; H. Doniol, La Révolution française et la féodalité. Genève 1978 (Reprint Paris 1876); M. Cöhring, Die Feudalität in Frankreich vor und in der großen Revolution. Berlin 1934. Neuere Forschungen zur Abschaffung des Feudalismus in: Actes du Colloque de Toulouse. L'abolition de la féodalité dans le monde occidental. 2 Bde. Paris 1971.

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herrlichen Eigentumsauffassungen, die die Revolution überlebten, mit liberalen und egalitären Eigentumsideen wird nicht berücksichtigt. Der Konsens der Revolutionäre, das Feudalsystem abzuschaffen, bildet den Ausgangspunkt dieser Studie. 1. Theoretische Positionen am Vorabend der Revolution Der Erklärung der Nationalversammlung in der Nacht des 4. August 1789, das Feudalsystem abzuschaffen, wurde von den Zeitgenossen eine große Bedeutung zugeschrieben, denn durch sie wurde das Ende des Ancien Régime eingeleitet und einem neuen Eigentumssystem zum Durchbruch verholfen. Die Abgeordneten sind durch die antifeudalen Bauernerhebungen, die Mitte Juli in vielen Gegenden Frankreichs ausbrachen, zum Handeln gezwungen worden. Die Nationalversammlung stand vor der Wahl, die Ordnung mit Gewalt wiederherzustellen oder den Forderungen der Bauern nach der Liquidierung des Feudalsystems nachzugeben. Mehrere adlige Abgeordnete sprachen sich in dieser Sitzung dafür aus, den Wünschen der Bauern entgegenzukommen. Freiwillig gaben sie ihre Privilegien und Sonderrechte auf. Der Vicomte de Noailles verwies auf die Klagen des Landvolks, die schon in den Cahiers de doléances2 vorgebracht worden waren. Der Herzog von Aiguillon rechtfertigte die Ausschreitungen der Bauern mit der Unterdrückung, der sie seit Jahrzehnten ausgesetzt waren 3 . So wurde die Abschaffung des Feudalsystems beschlossen, jedoch unter der Voraussetzung, bestehendes Eigentum zu respektieren: die seigneurialen Rechte sollten gegen eine gerechte Entschädigung abgelöst werden können 4 . Ganz abgeschafft wurden nur die Überreste der Leibeigenschaft, soweit sie noch bestanden, die grundherrlichen Privilegien und die seigneuriale Rechtssprechung 5 . Als am 11. August über das Dekret, das die Beschlüsse konkretisierte, abgestimmt werden 2

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Die Cahiers de doléances waren Beschwerdeschriften, die nach Ständen und Wahlbezirken getrennt verfaßt wurden, um bei der Versammlung der Generalstände zu Beginn der Revolution zur Beratung vorzuliegen. Klerus und Adel faßten in jedem Wahlbezirk nur eine Schrift ab. D i e Bailliage-Versammlung des Dritten Standes stellte eine Schrift zusammen, in der alle Cahiers der Gemeinden und Städte zusammengefaßt wurden. Etwa 60000 Beschwerdeschriften sind erhalten. Sie bieten ein detailliertes Bild Frankreichs am Ende des Ancien Régime. Häufig waren die Verfasser bedeutende Persönlichkeiten, die die Cahiers de doléances mehrerer benachbarter Gemeinden maßgeblich beeinflußten. Oft wurden auch Muster, die in allen Wahlbezirken kursierten, zur Redaktion herangezogen. Originäre Züge zeigen jedenfalls nur wenige der erhaltenen Beschwerdeschriften. Vgl. A. Soboul, D i e große Französische Revolution. Frankfurt/M. 1973, 100-103; J.-M. Constant, Les idées politiques paysannes: étude comparée des cahiers de doléances (1576-1789). In: A E S C 4 (1982), 717728. Vgl. Arch. pari., Bd. 8, 343f. Vgl. Vicomte de Noailles, Arch. pari., Bd. 8, 344; Herzog von Aiguillon, ebd., 344. Vgl. Arch. pari., Bd. 8, 350.

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sollte, bereuten die Privilegierten ihre rasche Zustimmung zur Abschaffung der Feudalrechte. Louis XVI widersetzte sich der Befreiung des Bodens unter dem Vorwand, das bäuerliche Eigentum zu verteidigen. Nachdem jedoch das Volk am 5. Oktober aus Protest nach Versailles gezogen war, traten die Dekrete am 3. November in Kraft 6 . In der darauffolgenden Zeit schaffte die Lösung der Frage, welche Rechte nun aufgehoben und welche ablösbar seien, große Probleme. Im grundlegenden Gesetz vom 15.-28. März 1790 legte man zwei Kategorien von Feudalrechten fest: diejenigen, die auf einen gewaltsamen, usurpatorischen Ursprung zurückzuführen waren, sollten ohne Entschädigung abgeschafft, diejenigen, die auf freien Konventionen beruhten, abgelöst werden 7 . Die Constituante beschloß einen Ablösungsmodus, der es den Bauern im allgemeinen nicht erlaubte, ihr Land in freies Eigentum überzuführen 8 . Solange die Ablösungssumme nicht bezahlt war, mußten aber alle grundherrlichen Abgaben weiterhin geleistet werden. In Wirklichkeit wurde die Befreiung des Bodens verhindert und die Feudalrechte in Grundrenten umgewandelt 9 . Die Interessen an einem neuen Eigentumssystem hatten sich innerhalb der Gesellschaft sehr unterschiedlich entwickelt. Die ländliche Gesellschaft des 18. Jahrhunderts hatte einen Transformationsprozeß durchgemacht, der, insbesondere seit 1750, zu einer sozialen Differenzierung geführt hatte. Le Roy Ladurie konstatiert eine doppelte Modernisierung auf dem Land, die sich bei den Bauern auf ideologischem, kulturellem und sozialem Gebiet geäußert und in den Kreisen der Grundherren eine Veränderung des Wirtschaftsverhaltens ausgelöst habe. Ein höherer Bildungsgrad und ein wachsendes Selbstbewußtsein auf der Seite der Grundholden hätten dem Versuch einer Anzahl von Seigneurs, die Produktionsweise auf ihren Gütern nach physiokratischen Maßstäben zu verändern, gegenübergestanden. Vor allem in Burgund und der Pariser Gegend habe sich ein gewisser Kapitalismus entwickelt, der auf großen oder mittleren Betrieben basierte. Verpachtung und Grundrente stellten Merkmale dieser Entwicklung dar.

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Vgl. M. Garaud, La Révolution et la propriété fonçière. Paris 1958, 180-182. Vgl. ebd., 184-186. Vgl. ebd., 191-194. Vgl. ebd., 195. "A la vérité, ces droits féodaux sont convertis en rente foncière." (195f) Siehe auch F. Furet/D. Richet, Die Französische Revolution, 1968, 112. Zur Grundrente siehe C. Gindin, La rente foncière en France de l'Ancien Régime à l'Empire. In: A H R F 5 4 (1982), 1-34.

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Z u den alten Konflikten zwischen Grundherrschaft und Grundholden traten hierdurch neue hinzu, die zeitweise auch neue Bündnisse zwischen den einzelnen Schichten zuließen 1 0 . Hunecke geht davon aus, daß der Konflikt zwischen der Wirtschaftsweise des Ancien Régime und dem Wirtschaftsindividualismus zu dieser Zeit in eine entscheidende Phase getreten sei. Die letzten Jahre vor der Revolution stellten die "Inkubationszeit des Kapitalismus in Frankreich" dar 1 1 . Die Veränderungen sieht Robin in der Ausbildung eines neuen Eigentumsbegriffs und des Prinzips der Konkurrenz. Marktwirtschaftliche Verkehrsformen hätten sich ebenso ausgebildet wie eine tendenzielle Kommerzialisierung aller gesellschaftlichen Beziehungen. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land und zwischen Besitzenden und Besitzlosen habe sich dadurch verstärkt 12 . Wie hat sich nun dieser Transformationsprozeß der Grundherrschaft auf das Eigentum ausgewirkt? Die meisten Grundherren lebten in der zweiten H ä l f t e des 18. Jahrhunderts am Hof und ließen ihre Güter von Intendanten oder Beamten bewirtschaften. Eine andere Möglichkeit bestand in der Verpachtung des Landes einschließlich der Feudalrechte an Großpächter. In diesem Fall lebten sie von den Abgaben. Die Großpächter ihrerseits rationalisierten die Wirtschaftsführung 1 3 und sorgten bei ihren Kleinpächtern für eine strenge Eintreibung der Abgaben. D a die feudalen und grundherrlichen Rechte die alleinigen Einkünfte dieser Grundherren darstellten, lag es in deren Interesse, sie zu erhöhen. Die Behauptung, der Anteil der grundherrlichen Rechte am Einkommen der Seigneurs sei im 18. Jahrhundert stärker gestiegen als die Einnahmen aus Verpachtung und Bewirtschaftung des Bodens, ist jedoch durch die bisherige Forschung nicht eindeutig belegt worden 1 4 . Die Abgaben stellten ein privilegiertes Einkommen dar, das in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts zu einem ertragreichen Instrument der kapitalistischen Nutzung geworden war. Cobban definiert diese Erscheinung der réaction seigneuriale15 als Abgabenkapitalismus, der nicht nur eine Steigerung der Abgaben, 10

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Vgl. E. Le Roy Ladurie, Révoltes et contestations rurales en France de 1675 à 1788. In: AESC 1 (1974), 6-22, 13-16. Vgl. V. Hunecke, Antikapitalistische Strömungen in der Französischen Revolution: Neuere Kontroversen der Forschung. In: GG 4 (1978), 291-223, 299. Vgl. R. Robin, Der Charakter des Staates am Ende des Ançien Régime: Gesellschaftsformation, Staat und Übergang. In: E. Schmitt (Hg.), Die Französische Revolution. Köln 1976, 202-229. Vgl. G. van den Heuvel, Grundprobleme der französischen Bauernschaft, 1982, 77f. Vgl. ebd., 76. Ob es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine réaction seigneuriale gegeben habe, ist in der Feudalismusforschung bis heute eine umstrittene Frage. Die klassische Schule der Revolutionsforschung unter A. Soboul geht bis heute von einem solchen Faktum aus. Vgl. A. Soboul, Sur le prélèvement féodal. In: ders., Problèmes paysans

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sondern auch ihre zunehmende Kommerzialisierung hervorgerufen habe 16 . Das Abgabeneigentum wurde noch 1790 als solides, risikoarmes Einkommen angesehen 17 . Mit dem Versuch der Grundherren, ihre Renteneinkünfte zu erhöhen, drangen gleichzeitig kapitalistische Tendenzen in die Landwirtschaft ein, denn unter dem Einfluß der Physiokraten versuchten sie, ihr grundherrliches Eigengut (domaine proche) zu erweitern. Die Privatisierung der Gemeindeländereien und die Überarbeitung der terriers setzten sie als Mittel ein, um dieses Ziel zu erreichen 18 . Auch Lefebvre betont, daß in den Reihen der Privilegierten die Sympathien für den aufkommenden Kapitalismus besonders groß gewesen seien 19 . Eine ganze Reihe von Grundherren und Generalpächtern nutzten die bestehenden feudalen Eigentumsformen aus, um kapitalistische Tendenzen in die Landwirtschaft einzuführen. Zudem kauften immer mehr soziale Aufsteiger des Dritten Standes ganze Seigneurien auf. Indem zunehmend städtisches Kapital in die Landwirtschaft eindrang und Grundherrschaften in die Bodenspekulation einbezogen wurden, verstärkten sich die Neuerungstendenzen. Grundherrliche Rechte wurden an kapitalkräftige fermiers verpachtet, die an die Stelle der Seigneurs traten, die kein Interesse mehr an der Bewirtschaftung ihrer Güter hatten. Das Einsetzen solcher Zwischeninstanzen kam der Gewinnsteigerung zugute. Einige Großpächter nutzten ihre Betriebe auch zur Rationalisierung der Produktion und verstärkten dadurch ein Wirtschaftsdenken unter kapitalistischen Rentabilitätsgesichtspunkten 20 .

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de la Révolution 1789-1848. Paris 1976, 89-115. Soboul faßt in diesem Artikel die Ergebnisse mehrerer Regionalstudien zur Frage des Gewichts der Abgaben zusammen (97-114). Auch Gauthier sieht die These von der réaction féodale in ihrer Regionalstudie über die Picardie bestätigt. Vgl. F. Gauthier, La voie paysanne, 1977, 61-82. Siehe auch G. Lemarchand, La féodalité et la Révolution française: Seigneurie et communauté paysanne (1780-1799). In: A H R F 52 (1980), 536-558. D i e Gegenposition wird vor allem von A. Cobban, The Social Interpretation of the French Revolution. Cambridge 1964; ders., The Myth of the French Revolution. In: E. Schmitt (Hg.), Die Französische Revolution. Anlässe und langfristige Ursachen. Darmstadt 1973, 170194. Vgl. A. Cobban, Social Interpretation, 1964, 91ff. E. Hinrichs, Die Ablösung von Eigentumsrechten. Zur Diskussion über die droits féodaux in Frankreich am Ende des Ançien Régime und in der Revolution. In: R. Vierhaus (Hg.), Eigentum und Verfassung. Göttingen 1972, 112-178, 168. Vgl. M. Leymarie, Les redevances foncières seigneuriales en Haute-Auvergne. In: A H R F 40 (1968), 299-380, 357. Vgl. M. Bloch, Les caractères originaux de l'histoire rurale française. Paris 1964, 131150 (Réédition) Vgl. G. Lefebvre, La Révolution française et les paysans. In: ders., Etudes sur la Révolution française, Paris 21963, 338-367, 344. Vgl. G. van den Heuvel, Grundprobleme der französischen Bauernschaft, 1982, 77-79.

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Die Bourgeoisie erwarb im 18. Jahrhundert Land als Kapitalanlage, um es meist wiederzuverkaufen oder zu verpachten. Jedoch hatte die physiokratische Bewegung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auch in diesen Schichten Interesse an der Landwirtschaft geweckt, denn die Steigerung der Boden- und Pachtpreise und der landwirtschaftlichen Produktion versprach beträchtliche Gewinne abzuwerfen 21 . Die grundbesitzende Bourgeoisie fand in den adligen Grundherren, die an einer Modernisierung ihrer Güter interessiert waren, Partner ihrer ökonomischen Interessen. Infolgedessen zerfloß die Grenze zwischen dem liberalen Adel und dem Besitzbürgertum. Da die Bourgeoisie im Boden in erster Linie ein Spekulationsobjekt sah, deren volle Ausbeutung durch die Feudalrechte beeinträchtigt wurde, nahm die Opposition gegen das Feudalsystem zu. In Akademien und Landwirtschaftsgesellschaften wurden die Agrartheorien der Aufklärung diskutiert und Argumente für die Befreiung des Bodens gesammelt. Die aufklärerische Publizistik der Jahre 1770 - 1789 verbreitete die Feudalitätskritik unter den gebildeten Schichten22. Die Akademiemitglieder verstanden sich als Eigentümer. Wer noch kein Land besaß, trachtete danach, ein Stück zu erwerben. Die meisten bourgeoisen Mitglieder konnten sich dank ihrer Einkünfte aus Grundbesitz unbezahlte und ehrenhafte Tätigkeiten leisten und verkörperten den Typ des propriétaire d'Ancien Régime, der für seinen Lebensunterhalt nicht arbeiten mußte. Die adligen Mitglieder gehörten zur Gruppe der Eigentümer, die über ihr Nettoprodukt verfügten. Ganz im Sinne der physiokratischen Doktrin stellten sie die Allmacht des Bodens an die Spitze ihrer Überlegungen. Sie profitierten vom Abgabenkapitalismus, hatten grundherrliche Domänen gekauft oder Parzellen kumuliert und strebten danach, Besitz in ihren Händen zu konzentrieren und durch Einfriedung zu individualisieren23. Die akademischen Concours dienten als wirksamer Multiplikator der Aufklärung und der physiokratischen Reformvorschläge. "Toute question posée est occasion de vider son sac par l'examen des problèmes fondamentaux, la propriété, le monde, l'enfance (...). Le social devient obsédant, le politique apparaît."24

Preise erhielten die Autoren, die bei landwirtschaftlichen Fragestellungen das alte System kritisierten und seine Abschaffung forderten. So prämierte die Akademie von Dijon eine Denkschrift, die sich gegen Gemeinnutzungsrechte und für die 21 22 23

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Vgl. M. Cöhring, Feudalität in Frankreich, 1934, 69-71. Vgl. E. Hinrichs, Ablösung von Eigentumsrechten, 1972, 138. Zur sozio-ökonomischen Zusammensetzung der Akademiemitglieder vgl. D. Roche, Le siècle des Lumières en province. Académies et académiciens provinciaux, 1680 1789. 2 Bde. Paris 1978, Bd. 1, 226f, 248f. Ebd., 353.

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Einfriedigung von Besitz aussprach. Die Akademie von Besançon sprach den Preis einem Autor zu, der im Wegerecht eine Schwächung des Eigentumsrechts sah: "Tout héritage grevé de ce droit devient communal dès le moment que le propriétaire en enlève la récolte au jour qui lui a été indiqué. La propriété cesse à cette époque, elle est interrompue pour être transmise au public. Il est donc de l'intérêt de l'agriculture et par conséquent de l'Etat de supprimer un tel abus, afin de laisser au propriétaire de la terre la liberté de faire sa récolte dans le temps qui lui est propre et de disposer son terrain à lui fournir de nouvelles productions."25 Die Akademien und Landwirtschaftsgesellschaften regten eine große Anzahl von Schriften an, die sich mit einer landwirtschaftlichen Modernisierung beschäftigten und als deren Voraussetzung die Befreiung des Bodens von allen grundherrlichen Rechten forderten. G e n a u e r e Vorstellungen, wie das Feudaleigentum in ein freies Eigentumssystem überzuführen wäre, entwickelte nur ein kleiner Kreis von Reformern. Sie lassen sich unter d e m Sammelbegriff "Ablösungstheoretiker" zusammenfassen. Z u ihren bekanntesten Vertretern gehörten Boncerf, Le Trône, Roubaud, Toussaint, Rieussec und Clicquot de Blervache 26 . Ihr Ziel bestand in der Modernisierung der Agrarwirtschaft, die aber durch das Feudalsystem behindert wurde. Nur eine Änderung der herrschenden Eigentumsverhältnisse durch die Ablösung bestehender grundherrlicher Rechte konnte ihrer Meinung nach die Voraussetzungen für eine umfassende Agrarreform schaffen. Die Ablösung verstanden sie als ein nationalökonomisches Instrument, das die Zusammenlegung von Gütern ermöglichen sollte. Sie hätte zusammen mit der c/ôfwe-Bewegung die Kommerzialisierung des Bodens beschleunigt und das kleinbäuerliche Eigentum vernichtet. Zielgruppe dieser Theorie waren jene grundbesitzenden Schichten, die a n einer intensiveren landwirtschaftlichen Nutzung und einer marktorientierten Produktion interessiert waren und deshalb die Befreiung des Bodens von Abgaben und Diensten wünschten. Eine Arrondierung und Aneignung des bäuerlichen Parzelleneigentums, die Voraussetzung der Modernisierung, wären dadurch im großen Stil ermöglicht worden, wenn die Bauern sich nicht zur Wehr gesetzt hätten. Die konservativen Grundherren sollten durch die Ablösung zu einer Änderung ihres Wirtschaftsverhaltens gezwungen werden. Die Physiokraten schließlich stellten den Eigentümer in den Mittelpunkt ihrer Theorie, die der Landwirtschaft die zentrale Funktion innerhalb des Wirtschafts25

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A.N. AD IV 23, III. Ethis de Nouvean 1767. Zit. bei M. Göhring, Feudalität in Frankreich, 1934, 79f. Zur Ablösungstheorie vgl. auch im folgenden E. Hinrichs, Ablösung von Eigentumsrechten, 1972, 140-166.

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systems zuordnete 2 7 . U m mehr Reichtum zu produzieren, sollten Kontinuität und Individualität des Anbaus gesichert werden. Die co-propriété der Grundherren sollte dem vollen, individuellen Eigentum des Inhabers des dominium utile weichen 2 8 . Die Physiokraten favorisierten die Großgrundbesitzer, die ihre Flächen zur Bewirtschaftung langfristig an Großpächter abgeben sollten. D e r Bauer war für sie nicht als Eigentümer, sondern nur als Produzent und Konsument interessant. Weil das Parzelleneigentum, das innerhalb der Grundherrschaft existierte, einer rentablen Produktion entgegenstand, sollten die Kleinbauern zu sozial gesicherten Pächtern werden 2 9 . Eine neue, an der kapitalistischen Nutzung des Bodens interessierte Klasse von Eigentümern sollte sich durch die Änderung der Eigentumsverhältnisse herausbilden. Die Entwicklung des bourgeoisen Grundeigentums hatten die Physiokraten begrüßt, aber zu ihren Anhängern gehörten auch große Grundherren. D i e Parlamente wandten sich gegen die Ablösung der grundherrlichen Rechte innerhalb des Ancien Régime, so wie sie von Boncerf in seiner berühmten Schrift Les Inconvénients des droits féodaux30 im Jahre 1776 vorgeschlagen wurde. Mit d e m Verweis auf die Heiligkeit und Unverletzbarkeit des Eigentums machten sie sich zum Anwalt jener Grundherren, die ihr Abgabeneigentum nutzen wollten 31 . D e r Constituante ging es in der Gesetzgebung zur Abschaffung des Feudalsystems 32 nicht um wirtschaftliche Reformen, wie sie von den Ablösungsbefürwortern des Ancien Régime intendiert waren. D e r in allen besitzenden Schichten verbreiteten Vorstellung von der Heiligkeit des Eigentums verhaftet, wollte sie die Feudalrechte lediglich in einfache Grundrenten umwandeln. Entsprechend den Interessen ihrer Klientel sollte das Renteneigentum nicht angetastet werden. Die Ablösungsgesetzgebung der Constituante garantierte schließlich die Angleichung des Feudalsystems an die herrschende Rentengesinnung der propriétaires.

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Zu den Physiokraten siehe E. Fox-Genovese, The origins of Physiocracy. Economic Revolution and Social Order in Eighteenth - Century France. Ithaca/London, 1976; dies., The Physiocratic Model and the Transition from Feudalism to Capitalism. In: Journal of European economic History 3 (1975), 725-737; G. Weulersse, Le mouvement physiocratique en France (1756-1770). Paris 1968 (Reprint 1910); ders., La Physiocratie à l'aube de la Révolution 1781-1792. Paris 1985. Vgl. G. Weulersse, La Physiocratie, 1985, 86-106. Vgl. E. Hinrichs, Ablösung von Eigentumsrechten, 1972, 159f. P.-F. Boncerf, Les Inconvénients des droits féodaux ou Réponse d'un avocat au Parlement de Paris à plusieurs vassaux des seigneuries, o.O.u.J. (1776) Vgl. E. Hinrichs, Ablösung von Eigentumsrechten, 1972,143. Vgl. M. Garaud, Propriété foncière, 1958, 178-196; Ph. Sagnac, Législation civile, 1898, 86-136.

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2. Die Revolution der Bauern Im Zuge der ökonomischen Veränderungen, die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts vollzogen hatten, hatte auch die Bauernschaft einen Transformationsprozeß durchlaufen müssen. In den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts wurden auf den D ö r f e r n immer mehr Brüche sichtbar 33 . Sie waren das Ergebnis einer sozialen Differenzierung, die mit der oben skizzierten Umstrukturierung der Grundherrschaft einherging 3 4 . Die neuere Forschung hat die ländliche Sozialstruktur am Ende des Ancien Régime für einzelne Regionen ermittelt 3 5 . Obgleich große Unterschiede in der Landverteilung auf einzelne bäuerliche Schichten und in der Produktionsweise zu verzeichnen sind 36 , läßt sich überall eine bäuerliche Oberschicht ausmachen. J e mehr ihre soziale Vorrangstellung, ihre ökonomische Überlegenheit und ihre politische Macht im Dorf wuchsen, um so fester schottete sie sich nach unten ab. Gleichzeitig eröffnete sich ihr die Möglichkeit, in die unteren und mittleren Ränge der Bourgeoisie aufzusteigen 3 7 . Z u dieser bourgeoisie rurale, die meist nur zwischen zwei und vier Prozent der Dorfbewohner ausmachte, zählten sowohl Pächter von grundherrlichen Eigenbetrieben als auch grundbesitzende Bourgeois und selbstwirtschaftende Bauern, die zu ihrem Besitz noch Land hinzupachteten und kleine Stücke an Kleinbauern weiterverpachteten. Größere Bauern, in den Quellen meist als laboureurs bezeichnet, erlangten konjunkturelle Unabhängigkeit, da sie viele verschiedene Produkte anbauten. 33 34

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Vgl. E. Le Roy Ladurie, Révoltes et contestations, 1974, 15. Zu den folgenden Ausführungen vgl. G. van den Heuvel, Grundprobleme der französischen Bauernschaft, 1982, 26-39. G. Lefebvre, Les paysans du Nord pendant la Révolution française. 1924 (Réédition Paris 1972) ist noch heute wegweisend. Zu den einzelnen Studien siehe weiter unten Kapitel III. 1, in dem diese zur Analyse der Eigentumsstruktur zu Beginn der Revolution herangezogen werden. Die Agrarstruktur Frankreichs war von Region zu Region sehr unterschiedlich. In den Gegenden der grande culture im Norden, vor allem im Pariser Becken und in Burgund, herrschten landwirtschaftliche Großbetriebe vor, die vor allem Getreide produzierten. Die Pachtform der fermage, eine Geldpacht, war dort üblich. Relativ viele freie Kleinbauern gab es im Süden Frankreichs. In den Gebieten, die weniger fruchtbar und in denen die Bauern infolgedessen arm waren, wurde das Land in Halbpacht gegeben. Diese nannte man métayage. Der Eigentümer stellte dem Halbpächter die Saat, Vieh und Werkzeuge zur Verfügung und erhielt einen Teil des Ertrages als Pacht. Vgl. J. Dupâquier/J. Jacquart, Les rapports sociaux dans les campagnes françaises au XVIIIe siècle: quelques exemples. In: Bull. Soc. Hist. Mod. 15-16 (1961), 167-178, 169. Großpächter, Großbauern und Getreidehändler übten im Dorf nicht nur ökonomische Macht aus, sondern übernahmen im Namen der Grundherren und des Staates auch eine juristische und politische Vorrangstellung.

Die Revolution der Bauern

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Einer eigenen sozialen Gruppe, den régisseurs oder intendants, oblag die Überwachung jener Domänen, deren Grundherren sich am Hofe aufhielten. Meist waren sie für mehrere réserves verantwortlich und wegen ihrer Strenge bei den Grundholden und Pächtern nicht sehr beliebt. Eine neue Erscheinung in der französischen Agrargeschichte des 18. Jahrhunderts stellten die fermiers dar. An sie verpachteten Grundherren, die ihr Land nicht mehr selbst bewirtschaften wollten, ihre Domänen einschließlich der grundherrlichen Rechte. So hatte sich zwischen die Grundherren und ihre Grundholden eine neue Schicht geschoben, die an einer maximalen Ausnutzung des Bodens interessiert war. Da diese Pächter in rigoroser Weise die Abgaben von ihren Grundholden einforderten, erfreuten sie sich keiner großen Beliebtheit bei den Bauern. Die Grundherren selbst hatten ihre politische Funktion, die sie gegenüber ihren Grundholden ausgeübt hatten, verloren 38 . Sie sahen die Grundherrschaft nunmehr vornehmlich unter dem Aspekt des Abgabeneigentums. Gleichzeitig waren städtische Bourgeois als Grundbesitzer in die Dorfstruktur eingedrungen und trugen zur Auflösung der traditionellen kulturellen Bindungen auf dem Dorf bei. Reiche Bauern lösten sich immer mehr von der Dorfgemeinschaft ab, denn sie waren, genauso wie aufgeschlossene Grundherren und grundbesitzende Bourgeois, an einer marktorientierten Produktion interessiert 39 . Vor allem in der Ile de France, dem Land der Großkulturen, hatten Großpächter große zusammenhängende Ländereien gepachtet, die sie von Lohnarbeitern bewirtschaften ließen. Meist keinem Grundherrn verpflichtet, hatten sie ihre Großbetriebe modernisiert und versorgten die Märkte des Pariser Beckens mit Getreide, das der Lebensmittelversorgung der Hauptstadt diente. Diese grands fermiers hatten die Landwirtschaftsproduktion bereits vollständig nach den Reformvorschlägen der Physiokraten umgestellt. In den Gegenden, in denen Grundherren ihren Besitz vergrößerten und Großpächter und Großbauern ihr Wirtschaftsverhalten an Marktmechanismen zu orientieren begannen, nahm die Anzahl der selbständig wirtschaftenden mittleren Bauern im 18. Jahrhundert ab 40 . Durch die Bodenkonzentration und die Ver38 39

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Vgl. M. Göhring, Feudalität in Frankreich, 1934, 65. Gauthier spricht den reichen Bauern der Picardie eine kapitalistische Produktionsweise zu, da sie für den Markt produziert und ihre Landarbeiter ausgebeutet hätten. Sicher lassen sich auch unter ihnen kapitalistische Tendenzen ausmachen, jedoch scheint es angeraten zu sein, dieses Problem etwas differenzierter zu untersuchen. Vgl. F. Gauthier, Voie paysanne, 1977, 52. Die Bodenkonzentration zugunsten der Grundherren und bürgerlichen Eigentümer, die mit der schrittweisen Enteignung der mittleren und kleinen Bauern einherging, wird von den neueren Forschungen zur Agrarstruktur des 18. Jahrhunderts bestätigt. Vgl. G. Lemarchand, Féodalité et la Révolution française, 1980, 545.

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größerung von landwirtschaftlichen Betrieben schwanden die Möglichkeiten der kleineren Bauern, Land hinzuzupachten, zumal sie von den Seigneurs und den Mitgliedern der ländlichen Oberschicht politisch und sozial abhängig waren. Diese Entwicklung führte dazu, daß die Grenze zwischen der bäuerlichen Mittelschicht und der kleinbäuerlichen Unterschicht, die auf zusätzliche Lohnarbeit angewiesen war 41 , fließend wurde. Den mittleren Bauern gelang es immer weniger, mit ihrer Subsistenzwirtschaft den Lebensmittelbedarf der Familie für ein ganzes Jahr zu decken. Unter den Kleinbauern, die Flächen von nur ca. einem Hektar bebauten 4 2 , war der Anteil der saisonal abwandernden Tagelöhner sehr hoch 43 . Vor der Revolution stellten die Parzellenbauern fast überall in Frankreich die größte bäuerliche Gruppe dar 44 . Die Tagelöhner waren von den Preissteigerungen, die Folge der Wirtschaftskrise von 1775 - 1790 waren 45 , am meisten betroffen. Auch wenn sie eine Behausung und einen Garten besaßen, lebten sie hauptsächlich von ihrem Lohn, der den Preissteigerungen nicht angeglichen wurde. Dort, wo die Gemeindegüter individualisiert und die Domänen geschlossen worden waren, verfügten die Unterschichten über keine Möglichkeit mehr, ihr Vieh weiden zu lassen 46 . Bettler und Vagabunden stellten die unterste Schicht dar. Bis zum Jahr 1790 war ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträchtlich gestiegen 47 . Vor der Revolution litten die mittleren und unteren bäuerlichen Schichten an einem enormen Landmangel. Sie waren kaum in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu produzieren. Aber nicht nur die Betriebsvergrößerungen infolge des Strukturwandels der Grundherrschaft waren dafür verantwortlich, sondern auch das hohe

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Zur Bedeutung der ländlichen Industrie vgl. C. Fohlen, Naissance d'une civilisation industrielle (1765-1875). Paris 1961, 65. G. Lefebvre zählt im Département du Nord 71-82% der Landbevölkerung zu den Kleinbauern. Vgl. Paysans du Nord, 1972, 32. Im bailliage Sémur-en-Auxois erreichten sie 60%. Vgl. R. Robin, La société française en 1789: Sémur-en-Auxois. Paris 1970, 175-177. Im nördlichen Gâtinais betrug der Anteil sogar 80%. Vgl. J. Dupäquier, La propriété et l'exploitation foncière à la fin de l'Ancien Régime dans le Gâtinais septentrional. Paris 1956, 214. Vgl. G. van den Heuvel, Grundprobleme der französischen Bauernschaft, 1982, 37. Vgl. G. Duby/R. Mandrou, Histoire de la Civilisation française. XVIIe - X X e siècle. Paris 1976, Bd. 2, 100. Zu den Preis- und Lohnbewegungen im 18. Jahrhundert siehe: E. Labrousse, Esquisse du mouvement des prix et des revenus en France au XVIIIe siècle. 2 Bde. Paris 1933, Bd. 1, 72-77. Nach Soboul betrug der Anteil der Eigentumslosen auf dem Land in der Basse Normandie 40%, in der Gegend um Versailles 55-73%. Vgl. A. Soboul, La Civilisation et la Révolution française. 3 Bde. Paris 1970, 1982, 1983, Bd. 1, 125. Vgl. O. Hufton, Life and Death among the Very Poor. In: A. Cobban (Hg.), The Eighteenth Century, London 1969, 279-310.

Die Revolution der Bauern

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Bevölkerungswachstum 48 , das eine verstärkte Erbteilung hervorrief und auf diese Weise zur Zersplitterung des Kleinbesitzes beitrug. Den Bauern, die Subsistenzwirtschaft betrieben, leuchtete es nicht ein, warum sie trotz guter Ernten Hunger litten. Sie sahen im freien Getreidehandel, der 1774 von Turgot eingeführt worden war, die Ursache ihrer Not 49 . Die soziale Differenzierung hatte zu neuen Interessengegensätzen auf dem Land geführt. Nicht nur die Besitz- und Pachtverhältnisse waren betroffen, sondern auch die Wirtschaftsweise: der Subsistenzwirtschaft stand eine marktorientierte Produktion gegenüber. Diese Gegensätze waren auch innerhalb der Bauernschaft spürbar. Während die obere bäuerliche Schicht von der Kommerzialisierung des Bodens profitieren konnte, drohte die Kapitalisierung der Landwirtschaft die kleinen Bauern ihrer Existenzgrundlage zu berauben. 1789 wandten sie sich aus diesem Grund gegen das Feudalsystem, weil sie antikapitalistisch waren, wie E. Le Roy Ladurie es formuliert 50 . Le Roy Ladurie hat die neuen Elemente, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Gegnerschaft zwischen Grundherrschaft und Bauern wirksam wurden, beschrieben. Ihm zufolge ist auf beiden Seiten eine Modernisierung eingetreten. Der klassische Kampf der Bauern gegen das Feudalsystem wurde nun durch eine ideologische, kulturelle und soziale Weiterentwicklung ergänzt. Verhaltensänderungen gegenüber Stadt, Kultur und Religion und die zunehmende Politisierung der öffentlichen Meinung, die von den Städten ausging, riefen ein gesteigertes Selbstbewußtsein hervor, das in die antifeudale Bauernrevolution mündete 5 1 . Zudem hatte der Bildungsgrad der französischen Bevölkerung zugenommen 5 2 . 48

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Zur demographischen Entwicklung siehe R. Reichardt, Bevölkerung und Gesellschaft Frankreichs im 18. Jahrhundert. Neue Wege und Ergebnisse der sozialhistorischen Forschung 1950-1976. In: Z H F 4 (1977), 154-221. Die Bevölkerung habe zwischen 1700 und 1800 um 30% zugenommen (166). Eine beginnende Verstädterung sei festzustellen, denn die Stadtbevölkerung sei vier- bis sechsmal stärker geworden als die Landbevölkerung (172). Das klassische Werk zur Demographie stammt von / Dupâquier, La population française au XVIIe et XVIIIe siècles. Paris 1979. Vgl. zur Liberalisierung des Getreidehandels seit Mitte des 18. Jh. S. C. Kaplan, Bread, Politics and Political Economy in the Reign of Louis XV. 2 Bde. The Hague 1976, Bd. 2; zum Mehlkrieg von 1775 G. Rudé, D i e Massen in der Französischen Revolution. Wien 1961, 35-37. Vgl. E. Le Roy Ladurie, Révoltes et contestations, 1974, 12. "La paysannerie bourguignonne du XVIIIe siècle est antiféodale; parce qu'elle est anticapitaliste." P. de SaintJacob ist dieser Entwicklung in seiner Studie über die Bauern in Nordburgund nachgegangen (Les Paysans de la Bourgogne du Nord au dernier siècle de l'Ancien Régime. Paris 1960), aber noch deutlicher ist sie in der Région parisienne zu beobachten. (Vgl. E. Le Roy Ladurie, Révoltes et contestations, 1974, 18) Vgl. E. Le Roy Ladurie, Révoltes et contestations, 1974, 13-15. Waren 1685 noch 79% der Franzosen nicht in der Lage, ihren Namen zu schreiben, so belief sich der Prozentsatz zu Beginn der Revolution auf 65%. Vgl. M. Vovelle, La

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Die Befreiung des Bodens 1789 - 1793

Allerdings waren die Analphabeten auf dem Land immer noch überdurchschnittlich hoch vertreten 53 . Aber reagierten die Bauern nicht auch deshalb, weil die feudalen und grundherrlichen Abgaben gestiegen waren? Die französische Forschung der letzten Jahrzehnte kam in dieser Frage zu gegensätzlichen Ergebnissen. Während Le Roy Ladurie die antifeudale Bauernbewegung für rückständig hält, weil die seigneurialen Rechte leichter geworden seien und der Agrarindividualismus sich auf den grundherrlichen Domänen durchgesetzt habe 64 , einigten sich die Teilnehmer des Kolloquiums zum Thema "L'abolition de la féodalité dans le monde occidental" auf eine prinzipielle Bedeutung der Grundherrschaft am Ende des Ancien Régime. Sie sei ein grundlegendes Element der sozialen Organisation geblieben 55 . Die Belastungen für die Grundholden seien zwar in den Jahren vor der Revolution nicht stärker geworden, die Betroffenen hätten sie aber als unerträglicher empfunden 56 . Beide Seiten können ihre Theorie mit fundierten Regionalstudien beweisen. Dies ist nicht weiter erstaunlich, da die Agrarstruktur Frankreichs vor der Revolution starke regionale Unterschiede aufweist.

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chute de la monarchie 1787-1792. Paris 1972, 78. Roche geht von 60% aus. Vgl. D. Roche, Siècle des lumières, 1978, Bd. 1, 190. Siehe auch H.U. Gumbrecht/R. Reichardt/Th. Schleicher (Hg.), Sozialgeschichte der Aufklärung in Frankreich, Teil I, Synthese und Theorie. Trägerschichten. München/Wien 1981, 8;J.-P. Bertaud, La vie quotidienne en France au temps de la Révolution 1789 - 1795. Paris 1983, 220. Demzufolge konnte jeder zweite Franzose lesen, als sich die Generalstände versammelten. Tendenziell war der Norden Frankreichs gebildeter als der Süden und der Anteil der Männer an den Lesekundigen höher als jener der Frauen. Vgl. auch F. Furet/J. Ozouf, Lire et écrire. L'alphabétisation des Français de Calvin à Jules Ferry. 2 Bde. Paris 1977, Bd. 2. Vgl. M. Vovelle, Chute, 1972, 78. Zur sozialen Ausbreitung der Alphabetisierung anhand der Cahiers de doléances vgl. J.-M. Constant, Les idées politiques paysannes, 1982, 726f. Vgl. E. Le Roy Ladurie, De la crise ultime à la vraie croissance 1660-1789. In: G. Duby/A. Wallon (Hg.), Histoire de la France rurale. 4 Bde. Paris 1975-1976. Bd. 2 dirigé par E. Le Roy Ladurie, L'Age classique des paysans 1340-1789, 359-599, 583, 591. Vgl. Actes du colloque de Toulouse, 1971, vor allem / Codechot, Conclusion, 885-886. G. Lemarchand, Féodalité et la Révolution française, 537: "Elle (une telle définition) implique également que la majeure part de la production agricole reste réalisée sur des terres tenues directement par une paysannerie formée de petits exploitants constitués en communautés soumises aux seigneurs." 1789 sei die Grundherrschaft noch fest verankert gewesen, wenn sie auch transformiert worden war (549). Vgl. M. Caraud, Le régime féodal en France à la veille de son abolition. In: Actes du colloque de Toulouse, 1971, Bd. 1, 109-114, 111-112. Schon A. Aulard hatte in seinem Buch: La Révolution française et le Régime féodale, 1919, 69 erklärt, daß es keine Beweise für eine Verstärkung des Feudalsystems unter Louis XVI gebe. Man habe sich nur öfter über die Feudalität beklagt, weil die Aufklärung die Sensibilität der Menschen erhöht habe.

Die Revolution der Bauern

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Als die Bauern 1789 den Kampf gegen das Feudalsystem antraten, wehrten sie sich sowohl gegen die feudalen und grundherrlichen Rechte als auch gegen die kapitalistischen Tendenzen in der Landwirtschaft. In vielen Cahiers de doléances kommt dies zum Ausdruck. Aufgefordert, ihre Beschwerden vorzutragen, kritisierten sie in diesen Beschwerdeschriften vornehmlich die Mißbräuche, die die Grundherren mit ihren Rechten trieben, und die hohen Steuern. Das Feudalsystem als solches aber wurde nur selten in Frage gestellt57. Es traten jedoch Einwände gegen das Agrarsystem auf. Die Einfriedung von grundherrlichem Land und die Existenz landwirtschaftlicher Großbetriebe wurden zum Thema der Unzufriedenen 58 . In den seltenen Fällen, in denen eine radikale Zerstörung des Feudalsystems gefordert wurde, war die Freiheit des Eigentums das Ziel der Autoren. Im bailliage d'Amiens in der Picardie war dies der Fall. Dort stellten reiche Bauern die stärkste Gruppe unter den Verfassern der Cahiers dar. Danach folgten Juristen und Freiberufler. Während diese überrepräsentiert waren, waren die ländlichen Mittel- und Unterschichten stark unterrepräsentiert 59 . Diese soziale Zusammensetzung der Autoren erklärt die häufige, heftige Kritik am Feudalsystem, die in den Cahiers dieser Region geübt wurde. Seine Überreste sollten verschwinden und abgeschafft werden, weil sie gegen den Fortschritt in Landwirtschaft und Handel und gegen die öffentliche Freiheit verstießen 60 . Die Feudalrechte und die grundherrlichen Renten sollten ablösbar sein, wurde im Cahier von Fourdrinoy gefordert 61 . In der Charente-Inférieure sind die Klagen gegen das Feudalsystem eher mäßig ausgefallen, wie eine neuere Studie belegt. Nur in Ausnahmefällen wurde eine Änderung des Status quo verlangt. In keinem einzigen Cahier ist die Aufhebung der feudalen Grundrenten gefordert worden62. Die allenfalls nur schwachen Andeutungen feudaler Kritik in den meisten bäuerlichen Cahiers mögen an der sozialen Stellung der Verfasser gelegen haben, die die Dörfer repräsentiert haben. Auch die Muster, die den Gemeinden als Vorlage dienten, haben ihren Teil dazu beigetragen, daß die Bauern ihre wirklichen Wün57

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So in den ländlichen Gegenden um Orléans. Vgl. G. Lefebvre, Etudes Orléanaises. 2 Bde. Paris 1962, Bd. 1, 65ff. Im Département du Nord fand Lefebvre ein ähnliches Ergebnis vor. Vgl. Paysans du Nord, 1972, 328ff. Vgl. 5. Herbert, The Fall of Feudalism in France. 1921, 76-86 (Nachdruck New York/London 1969) Vgl. F. Gauthier, Voie paysanne, 1977, 133. Vgl. ebd., 138f. Vgl. ebd., 140. Vgl. J.-N. Luc, Paysans et droits féodaux en Charente-Inférieure pendant la Révolution française. Paris 1984, 89f.

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Die Befreiung des Bodens 1789 - 1793

sehe nicht kundtaten. Für die Interpretation der Beschwerdeschriften ergeben sich aus dieser Tatsache methodische Schwierigkeiten, die R. Robin vorbildlich dadurch gelöst hat, daß sie eine lexikalische Untersuchung der Umgebung von Themenwörtern durchgeführt hat63. Hinsichtlich des Begriffs Eigentum kommt sie zu dem Ergebnis, daß in den städtischen Cahiers des Auxois die grundherrlichen Rechte mit einem Eigentumstyp gleichgesetzt wurden. Meist wurde der Begriff in Kombination mit impôt und citoyen gebraucht, aber andere semantische Felder weisen bereits auf die Menschenrechtserklärung hin: "comme on ne doit jamais toucher à la propriété" oder "il faut assurer les propriétés". Selbst der geheiligte Charakter des Eigentums wurde angeführt, um auf die Notwendigkeit gemäßigter Reformen des Feudalsystems aufmerksam zu machen64. Aus der Untersuchung dieser Cahiers geht hervor, daß der städtische Dritte Stand sich durch ein offensives Denken, das die eigene Identifikation mit der Nation den Privilegien entgegensetzte, auszeichnete. Der ländliche Tiers dagegen dachte eher defensiv, indem er die Fakten dem Recht gegenüberstellte65. Während in der Stadt in einem kleinen Rahmen Zukunftsperspektiven einer neuen Eigentumsordnung aufgezeigt wurden, beschränkten sich die Äußerungen auf dem Land auf die Kritik an grundherrlichen und feudalen Mißständen. In zahlreichen Cahiers beschwerte man sich über die Eigentumsverteilung. Die Privilegierten besäßen den größten Teil des Landes, obwohl sie sich nicht um die Belange des Staates kümmerten 66 . Erst in den Bauernaufständen ab Juli 1789 und durch die Bewegung der Grande Peur, deren Wellen sich fast über das ganze Land ausbreiteten und Panik und Schrecken hervorriefen 67 , griffen die Bauern das Feudalsystem offen an. Sie erhoben sich gegen ihre Grundherren, griffen deren Schlösser an und zerstörten Archive, in denen die grundherrlichen Besitztitel aufbewahrt wurden. Unzufrieden mit der gesetzlichen Regelung der Constituante zum rachat, die die Feudalrenten in einfache Grundrenten umwandelte, kämpften die Bauern 63

64 66 66 67

Vgl. zur Interpretationsmethode der Cahiers R Robin, Société française en 1789, 1970, 294-298. Vgl. ebd., 337f. Vgl. ebd., 307. Vgl. ebd., 299. Siehe dazu G. Lefebvre, La grande peur de 1789. Paris 1970. Die Grande Peur war eine große soziale Bewegung, die aus der Panik vor einem aristokratischen Komplott entsprang. "C'est la Grande Peur, ce mouvement de tout un peuple de paysans qui, alerté depuis des années par les tracasseries de la réaction seigneuriale, par la rédaction des cahiers de doléances et par la disette, se soulève aux rumeurs de Paris, aux bruits effrayants qui parcourent la France." G. Duby/R. Mandrou, Histoire de la civilisation française, Bd. 2, 1976, 145f.

Die Revolution der Bauern

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zunächst für günstigere Ablösungsbedingungen 68 . Viele verweigerten die Zahlung von Abgaben, die bis zur vollständigen Ablösung geleistet werden mußten. Ehemalige Grundherren beschwerten sich zuhauf beim Feudalitätsausschuß über ihre säumigen Grundholden 69 . Sie machten für sich geltend, daß ihr Eigentum respektiert werden müsse 70 . Die Gesetzgebung der Constituante würde von den Grundholden falsch ausgelegt werden, denn sie hielten alle Rechte für aufgehoben. Infolgedessen würden sie respektiertes Eigentum angreifen und das Gesetz verletzen. "Lorsqu'il s'agit de maintenir les peuples dans le respect qu'ils doivent aux propriétés, ou de les y appeler, nous ne connaissons pas (...) de ministère plus efficace que le vôtre. C'est à vous qu'il appartient de convaincre les hommes que ce n'est qu'en observant exactement la justice, les uns envers les autres, qu'ils seront sûrs de l'obtenir pour eux-mêmes." 71 Andere forderten die Anwendung des Kriegsrechts, denn nur so sei es möglich, das gesetzlich rechtmäßige Eigentum gegen die Übergriffe zu schützen 72 . Ende 1790 erhoben sich die Bauern gegen die Politik der Constituante, denn die zweijährige Agrarkrise hatte dazu geführt, daß die Landbevölkerung weder Geld zum Leben noch zur Bezahlung von Renten und Steuern hatte. Die Gesetzgeber sahen sich aber dadurch nicht veranlaßt, ihre rechtlichen Konstruktionen von der Heiligkeit des Eigentums und der legitimen Usurpation zu überdenken, die den ehemaligen Grundherren dazu verhalfen, ihre alten, als abgeschafft erklärten Rechte zu erhalten 73 . Die Assemblée

législative ging auf die Forderungen der Bauern ein, denn sie

hielt es für notwendig, die Bauern an die Revolution zu binden 74 . Beeindruckt 68

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Vgl. Ph. Sagnac/P. Caron (Hg.), Les Comités des droits féodaux et de législation et l'abolition du régime seigneurial 1789-1793. Paris 1907, Nr. 23 Pétition des officiers municipaux de Malacourt et de Haucourt (Meuse). 18.12.1789, 54-56, 55; Nr. 129 Mémoire du maire de Villelaure (Vaucluse). 8.1.1792, 292-295, 294. Vgl. ebd., Nr. 21 Plaintes du Comte Brancion, de Réjulmay, Meurthe. 28.3.1790, 53; Nr. 34 Requête des procureurs généraux syndics des Etats du Dauphiné. 6.1.1790, 75f; Nr. 30 Supplique de Lescamoussier, Seigneur d'Authe et d'Autruche (Ardennes). 27.11.1789, 65-69, 68: "... Nosseigneurs, il vous plaise envoyer des ordres pour réprimer les propos malintentionnés et séditieux des municipaux, ordonner que les propriétés du suppliant seront respectées, que les droits seigneuriaux seront payés..." Vgl. ebd., Nr. 68 Doléances du comte de Rochefort, commandant des Cévennes, 29.3.1790, 169f. Ebd., Nr. 31 Lettre-circulaire de la commission intermédiaire de Lorraine et de Barrois aux curés de la province. 18.12.1789, 71. Vgl. ebd., Nr. 65 Mémoire anonyme envoyé de Montoire (Loir-et-Cher) et relatif aux insurrections paysans. 25.2.1790,161-165, 163. Vgl. Ph. Sagnac, Législation civile, 1898, 121-136. Vgl. Couthon, Discours sur le rachat des droits seigneuriaux prononcé à la séance du 29 février 1792, in: Arch. pari. Bd. 39, 194.

Die Befreiung des Bodens 1789 - 1793

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durch die weit verbreiteten und gewalttätigen Bauernaufstände und durch zahlreiche Zuschriften und Petitionen dazu veranlaßt, hob sie das Grundherrschaftssystem weitgehend auf. Nur die reellen Rechte mußten in den Fällen, in denen der ehemalige Grundherr seinen Besitztitel noch vorlegen konnte, abgelöst werden 7 5 . Für die Bauern bedeutete Freiheit, die j e d e m einzelnen durch die Verfassung von 1791 garantiert war, Befreiung von den Fesseln des Feudalsystems. So forderten sie "la liberté toute entière" 7 6 . "Rendez, (...), la liberté aux campagnes; que la terre soit pour le propriétaire telle qu'elle est sortie des mains de la nature." 77 D e r Constituante wurde vorgeworfen, das Feudalsystem erst recht zementiert zu haben. Wenn die Nationalversammlung die Rentenfrage und die Ablösungsregelung nicht ändere, so könne die alte Gesetzgebung einen Bürgerkrieg provozieren 7 8 . Während wohlhabende Bauern durchaus von einer weniger hoch angesetzten Ablösungsrate profitierten und ihr Land in freies Eigentum überführen konnten, blieb der rachat für kleine Bauern eine Illusion, zumal keine flankierenden Kreditm a ß n a h m e n vorgesehen waren. Ihr Kampf um Land erstreckte sich nicht nur auf die Aufhebung des Feudalsystems, sondern auch auf die Zurücknahme der Bodenkonzentration. In zahlreichen Petitionen von Dorfbewohnern wurde die Zurückgabe der usurpierten Gemeindeländer gefordert, da arme Leute auf sie angewiesen seien 79 . Andere wollten das Edikt von 1767, das die Einfriedung von Land regelte, zurückgenommen wissen, da die Individualisierung von Eigentum für viele Dorfbewohner den Ausschluß von der Landnutzung bedeutete 8 0 . Nach der Revolution vom 10. August 1792 mehrten sich die Stimmen, die die vollkommene Abschaffung des Feudalsystems, ohne jegliche Ablösung, forderten 8 1 . Die Législative erleichterte die Ablösung entscheidend 8 2 , bis dann der Kon-

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Vgl. Ph. Sagnac, Législation civile, 1898, 146. M. Garaud, Propriété foncière, 1958, 220.

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Ph. Sagnac/P. Caron, Comités des droits féodaux, 1907, Nr. 139. 1792, 311. Ebd., Nr. 128, 6.1.1792, 290f. 78 Vgl. ebd., Nr. 134, 20.3.1792, 303. 79 Vgl. ebd., Nr. 55, 28.2.1790, 142-144."Un nouveau système créé par les économistes a cherché à persuader que les communes étaient inutiles pour le bien de l'agronomie; des seigneurs puissants, des gens en crédit, se sont enrichis..." (143). Die Teilung der Gemeindeländereien stand bis 1793 im Zentrum des Konflikts zwischen den bäuerlichen Schichten. so Vgl. ebd., Nr. 59, 152-155. 81 Vgl. M. Garaud, Propriété foncière, 1958, 220. 82 Vgl. ebd., 222f. Nur die Grundrenten existierten unverändert weiter. 77

Die Gestaltung der neuen Eigentumsordnung

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vent durch das Gesetz vom 17. Juli 1793 das Feudalsystem ersatzlos abschaffte 83 . Das Ziel, die absolute Freiheit des Eigentums zu schaffen, war somit erreicht. Aber die Modernisierungstendenzen wurden gleichzeitig gebremst, denn die Befreiung kam den kleinen Bauern zugute. Forderungen, die 1789 noch als aufständisch betrachtet worden waren, wurden 1793 verwirklicht und galten als legaler Zustand. Bis 1793 profitierten die mittleren und unteren Schichten auf dem Land nur wenig von der Abschaffung des Feudalsystems. Freie Eigentümer konnten in der Regel nur wohlhabende, bereits vor 1789 Land besitzende Bauern werden. Die soziale Differenzierung auf dem Land äußerte sich in handfesten Interessengegensätzen, als die Frage nach dem Befreiungsmodus zugunsten der Wohlhabenden entschieden werden sollte. Obwohl sich die Schichten letztlich durchsetzten, die nur durch einen Bruch mit den Vorstellungen von einem alle Gesellschaftsordnungen überdauernden Eigentumsrecht zu Grundbesitz kommen konnten, wurden durch die Abschaffung des Feudalsystems kaum neue Eigentümer geschaffen. 3. Die Gestaltung der neuen Eigentumsordnung Die Constituante setzte das Eigentum in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte an die zweite Stelle, gleich nach dem Recht auf Freiheit. "Art. 2. Le but de toute association politique est la conservation des droits naturels et imprescriptibles de l'homme. Ces droits sont: la liberté, la propriété, la sûreté et la résistance à l'oppression." 84

Im Rückgriff auf die Auffassungen der Staatstheoretiker des 18. Jahrhunderts faßten die Parlamentarier das Individuum als Eigentümer seiner selbst auf. Die Beziehung zum Besitz lag in seiner Natur und es war insoweit frei, als es Eigentümer seiner selbst und seiner Fähigkeiten war. Freiheit wurde in Funktion des Eigentums gesehen. Sowohl bei John Locke 85 als auch später bei den Physiokraten erwuchs aus der Eigenschaft der Menschen, Besitzer zu sein, die Grundlage ihrer Freiheit und Gleichheit. Freiheit, Gleichheit und Eigentum zählten somit zu den unantastbaren Naturrechten. Nach der Verfassung war der Mensch also frei, zu erwerben und zu besitzen. Nach Artikel 17 durfte niemandem dieses "unverletzliche und heilige" Recht genommen werden, "es sei denn, die gesetzlich bestätigte öffentliche Notwendigkeit

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Vgl. ebd., 227f. Ph. Sagnac, Législation civile, 1898, 146-148. Arch. pari. Bd. 8, 463. Zu John Locke vgl. R Brandi, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant. Stuttgart-Bad Cannstadt 1974, 70.

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D i e Befreiung des Bodens 1789 - 1793

erfordert es offensichtlich, und unter der Bedingung einer gerechten und vorausgehenden Entschädigung" 86 . Somit war der Grundpfeiler des Feudalregimes, eine besondere Form des Eigentums, das die soziale Hierarchie festlegte, rechtlich gestürzt. Ausgehend von diesen Voraussetzungen wurde die Gesellschaft umgestaltet. Aus dem Prinzip der Rechtsgleichheit folgte die Zulassung aller Bürger zu allen Stellen und öffentlichen Ämtern und die gleiche Verteilung der Steuerlast auf alle Bürger 87 . Freiheit und die freie Verfügung über das Eigentum stellten die wichtigsten Bedingungen für die Wirtschaftsfreiheit dar, die von den bourgeoisen Kräften angestrebt wurde. Sie wurde zwar in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 nicht eigens erwähnt. Jedoch wurden wichtige Gesetze, die die ökonomische Freiheit erst ermöglichten, in der Folgezeit erlassen. In der Nacht des 4. August 1789 war die Abschaffung der Zunftmonopole beschlossen worden. Die Freiheit der Produktion und die Freiheit der Arbeit garantierten die unbeschränkte Nutzung der eigenen Fähigkeiten und des individuellen Eigentums. Alle besonderen Privilegien der Provinzen, Städte, Korporationen und Gemeinden wurden unwiderruflich aufgehoben und dem gemeinsamen Recht aller Franzosen unterstellt 88 . Im Dekret vom 11. August 1789, das diesen Beschluß gesetzlich regeln sollte, wurden alle Privilegien bis auf die Korporationen aufgehoben 89 . In den Städten verteidigten die Korporationen ihr Fortbestehen. Jene, die unter ihrem Schutz standen und nicht über die materiellen Grundlagen verfügten, ein eigenes Geschäft zu eröffnen, zogen die Reglementierung einer rechtlichen Gleichstellung vor, die einen sozialen Abstieg bedeutet hätte. Interessengegensätze zwischen den Gewerbetreibenden kündigten sich an. Die Zünfte bestanden zunächst weiter, bis d'Allarde das Problem im Frühjahr 1791 wieder aufnahm. In der Diskussion um die Einführung einer Gewerbesteuer, die die indirekten Steuern ersetzen sollte, setzte sich d'Allarde dafür ein, alle Sondervorrechte abzuschaffen, da Zünfte, Monopole und indirekte Steuern das Leben der Franzosen verteuerten. Die Seele des Handels sei die Industrie, die Seele der Industrie die Freiheit. Jeder müsse frei sein, die Tätigkeit auszuüben, die seinen Talenten entspreche und seinen Geschäften nützlich sei 90 . Am 2. März 1791 wurde die sogenannte loi d'Allarde, in der die Korporationen der Zünfte und Innungen, aber auch alle privilegierten Manufakturen abgeschafft wurden, verabschiedet. Dieses Gesetz

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Arch. Pari. Bd. 8, 489. Art. 6 und 13. Arch. Pari. Bd. 8, 350 (4.8.1789) Vgl. ebd., 397 (11.8.1789) Vgl. ebd., Bd. 23, 198-203, 200.

Die Gestaltung der neuen Eigentumsordnung

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besitzt in F r a n k r e i c h bis h e u t e Gültigkeit. Seit d i e s e m D a t u m k a n n j e d e r s e i n e n Beruf frei w ä h l e n 9 1 . D i e G e w e r b e f r e i h e i t w u r d e d u r c h die A b s c h a f f u n g d e r H a n d e l s k a m m e r n u n t e r stützt. N u r das Prinzip des laisser faire sollte P r o d u k t i o n , P r e i s e u n d L ö h n e b e s t i m m e n 9 2 . U m die Freiheit der A r b e i t zu sichern, w u r d e d i e Koalitionsfreiheit eingeschränkt. D a s G e s e t z Le Chapelier v o m 14. J u n i 1791 v e r b o t d e n Z u s a m m e n schluß v o n B ü r g e r n desselben S t a n d e s o d e r B e r u f s mit d e m Ziel, d u r c h A b s p r a chen die A r b e i t zu verweigern o d e r L o h n h ö h e n festzusetzen 9 3 . D a alle A r t e n v o n K o r p o r a t i o n e n zerstört w o r d e n w a r e n , wollte m a n V e r e i n i g u n g e n von G e s e l l e n u n d A r b e i t e r n nicht dulden, d e n n diese h ä t t e n e i n neues, verfassungswidriges M o n o p o l geschaffen, a r g u m e n t i e r t e n die G e s e t z g e b e r 9 4 . G e s e l l e n b r u d e r s c h a f t e n u n d A r b e i t e r s e l b s t h i l f e v e r e i n e w u r d e n v e r b o t e n . Auf dem Land hatten weder Eigentümer und Pächter noch Hausangestellte und Landa r b e i t e r d a s R e c h t auf f r e i e Vereinigung. D e r Z u s a m m e n s c h l u ß v o n B e r u f s g r u p pen, die L o h n e r h ö h u n g e n erzwingen wollten, wie z u m Beispiel die B a u a r b e i t e r in Paris im F r ü h j a h r 1791, galt als A u f r u h r , d e r polizeilich verfolgt wurde 9 5 . D i e F r e i h e i t d e r P r o d u k t i o n u n d d e r A r b e i t , hergeleitet a u s d e r individuellen Freiheit, ö f f n e t e n d e n W e g in die Wirtschaftsfreiheit. B e f r e i t von d e n R e g l e m e n tierungen, die die Wirtschaftsweise des A n c i e n R é g i m e k e n n z e i c h n e t e n , hielt d a s f r e i e U n t e r n e h m e r t u m E i n z u g in F r a n k r e i c h . D i e f r e i e K o n k u r r e n z e r s c h i e n d e n P a r l a m e n t a r i e r n als die V o r b e d i n g u n g des W i r t s c h a f t s w a c h s t u m s u n d d e r Z u n a h m e d e s Volksvermögens. D a s r e g l e m e n t i e r e n d e Wirtschaftssystem C o l b e r t s w u r d e d u r c h eine " K o n k u r r e n z d e m o k r a t i e a u s k l e i n e n u n d m i t t l e r e n f r e i e n P r o d u z e n t e n , B a u e r n auf e i g e n e m G r u n d , P ä c h t e r n , h a n d w e r k l i c h e n

Fabrikanten,

M a n u f a k t u r b e s i t z e r n u n d K a u f l e u t e n " 9 6 ersetzt. Alle Hindernisse, d i e d i e P r o d u k tion h e m m t e n , w u r d e n beseitigt, o h n e zu b e d e n k e n , d a ß die K o n k u r r e n z zu e i n e r Oligarchie der R e i c h e n u n d zur V e r a r m u n g b r e i t e r Schichten f ü h r e n w ü r d e . D i e R e s t r i k t i o n e n , die d e n G e l d - u n d W a r e n v e r k e h r r e g l e m e n t i e r t e n , w u r d e n sukzessive abgeschafft. D e n G e t r e i d e h a n d e l g a b m a n a m 29. A u g u s t 1789 für d e n B i n n e n m a r k t w i e d e r frei, die Preise u n d L ö h n e folgten kurz d a n a c h 9 7 . V o n dieser Liberalisierung p r o f i t i e r t e n vor allem die E r z e u g e r , a b e r d a die A b s c h a f f u n g d e r 91 92

93 94 95 96 97

Vgl. ebd., 625-630. Vgl. A. Soboul, Der revolutionäre Schock (1789-1797). In: F. Braudel/E. Labrousse (Hg.), Wirtschaft und Gesellschaft in Frankreich im Zeitalter der Industrialisierung. 1789-1880, Bd 1, Frankfurt/M. 1986, 17-62, 22. Vgl. Art. 2 und 4. Arch. pari. Bd. 27, 210f. Vgl. ebd., 210f. Vgl. Gesetz Le Chapelier, Art. 8. ebd., S. 211. F. Furet/D. Richet, Die französische Revolution, 1968, 157. Vgl. A. Soboul, Der revolutionäre Schock, 1986, 24.

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D i e Befreiung des Bodens 1789 - 1793

verhaßten Verbrauchssteuern damit verbunden war, zeigten sich auch die kleinen Verbraucher zufrieden, zumal sich dadurch ihre Kaufkraft ein wenig erhöhte 9 8 . Durch das Gesetz vom 31. Oktober 1790 wurde ein einheitlicher nationaler Markt geschaffen. Die Zollgrenzen wurden auf die politischen Grenzen zurückverlegt und die nationale Produktion durch Schutzzölle begünstigt. Die Ausfuhr von Getreide und einigen anderen Produkten wurde verboten". Auf dem Land stießen die liberalen Neuerungen auf den Widerstand der kleinen Bauern, denn die Abschaffung des Dorfgemeinschaftssystems ging zu Lasten der Besitzlosen und Armen, die bisher durch die Kollektivrechte sozial abgesichert worden waren 100 . Der antifeudale Kampf dieser mittleren und unteren bäuerlichen Schichten richtete sich, wie weiter oben ausgeführt, gerade gegen die kapitalistischen Tendenzen, die eine Reihe der Grundherren verfolgten. Grundbesitzer aus der Bourgeoisie und aus dem liberalen Adel hatten sich jedoch schon vor 1789 für die Liberalisierung der Landwirtschaft stark gemacht. Auch reiche Bauern, die auf großen Flächen wirtschaften konnten, hatten seit geraumer Zeit die Freigabe der Märkte und Preise und die Abschaffung der Gemeinschaftsrechte gefordert. Das Recht zur Einzäunung der Felder und Wiesen, die Abschaffung der Gemeindeländer und die Anbaufreiheit lagen in ihrem Interesse, da sie ihnen wirtschaftliche Vorteile brachten. Im Zuge der Modernisierung der Landwirtschaft unter physiokratischem Einfluß waren einige Maßnahmen zur Steigerung der Agrarproduktivität schon verwirklicht worden. Die reichen Bauern, die in der Lage waren, ihr Land von den grundherrlichen Lasten zu befreien, forderten nun auch die uneingeschränkte ökonomische Freiheit 101 . Die Nationalversammlung suchte einerseits, ihre liberalen Grundsätze zu wahren und andererseits, das Bündnis mit der großen Anzahl von kleinen Bauern, die sie durch das Entgegenkommen in der Frage der Abschaffung des Feudalsystems an die Revolution gebunden hatte, nicht zu gefährden. Ein Kompromiß wurde geschlossen, der beiden Seiten gerecht wurde. Die Marktpreise wurden freigegeben und die anzubauende Frucht konnte frei gewählt werden 102 . Zudem bestand die Möglichkeit, die Gemeindeländereien im Interesse der Bedürftigen zu erhalten 103 . Innerhalb des freien Wirtschaftssystems überlebten so überkommene Kollektivrechte bis in das 19. Jahrhundert hinein.

98 99 100

101 102 103

Vgl. F. Furet/D. Richet, Die Französische Revolution, 1968, 158. Vgl. A. Soboul, Der revolutionäre Schock, 1986, 24. Vgl. A. Soboul, Problèmes de la communauté rurale (XVIII e -XIX e siècles). In: ders., Problèmes paysans de la Révolution. Paris 1976, 183-214, 186f. Vgl. F. Furet/D. Richet, Die Französische Revolution, 1968, 158. Vgl. A. Soboul, Der revolutionäre Schock, 1986, 30. Vgl. M. Garaud, Propriété foncière, 1958, 380f.

Die Gestaltung der neuen Eigentumsordnung

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C o n s t i t u a n t e u n d Législative h a b e n d i e G e s e l l s c h a f t w e i t g e h e n d liberalisiert. D a s f r e i e E i g e n t u m s r e c h t stellte d i e G r u n d l a g e des p e r s ö n l i c h e n L e b e n s u n d d e r W i r t s c h a f t s f r e i h e i t dar. J e d o c h s t a n d e n sich zwei grundsätzlich v e r s c h i e d e n e E i n stellungen z u m E i g e n t u m g e g e n ü b e r . A u f d e r e i n e n Seite f o c h t e n die A n h ä n g e r des f r e i e n E i g e n t u m s r e c h t s gegen jegliche A r t v o n E i n s c h r ä n k u n g e n ihres N u t zungsrechts, die i h r e ö k o n o m i s c h e n I n t e r e s s e n b e e i n t r ä c h t i g e n h ä t t e n k ö n n e n . Auf d e r a n d e r e n Seite verteidigten die Schichten, d i e ihre soziale Sicherheit a u s d e n alt e n gesellschaftlichen B i n d u n g e n b e z o g e n h a t t e n , e i n eingeschränktes E i g e n t u m s recht. R e g l e m e n t i e r u n g e n z u r D e c k u n g d e s täglichen L e b e n s b e d a r f s , d i e d i e E i n s c h r ä n k u n g des f r e i e n E i g e n t u m s r e c h t s voraussetzten, w u r d e n u m so dringlicher g e f o r d e r t , als sich die L e b e n s u m s t ä n d e weiter Teile der B e v ö l k e r u n g infolge d e r U m s t r u k t u r i e r u n g e n u n d d e r Wirtschaftskrise verschlechterten. In Paris, a b e r auch in a n d e r e n S t ä d t e n , erstarkte d i e Volksbewegung, i n d e m sie d u r c h ihre E r h e b u n g e n die R e v o l u t i o n v o r a n t r i e b . D i e F l u c h t des Königs u n d die d a r a u f f o l g e n d e R e v o l u t i o n d e s 10. August 1792 104 , auf d i e die Première folgte

105

Terreur

, ließen d a s Volk als politische K r a f t a u f t r e t e n , die nicht m e h r v e r n a c h l ä s -

sigt w e r d e n k o n n t e . F ü r die städtische B e v ö l k e r u n g h a t t e ihr E i n g r e i f e n in das politische G e s c h e h e n in e r s t e r Linie soziale U r s a c h e n . J e schlechter u n d t e u r e r die L e b e n s m i t t e l v e r s o r g u n g in d e n S t ä d t e n w u r d e , u m so rigoroser f o r d e r t e sie d i e E i n s c h r ä n k u n g d e r ö k o n o m i s c h e n Freiheit. D i e R e g l e m e n t i e r u n g des G e t r e i d e h a n d e l s erschien d e n S t ä d t e r n als das einzige geeignete Mittel zur Sicherstellung ihrer täglichen Brotration 1 0 6 . Die k l e i n e n B a u e r n , d e r e n P r o d u k t i o n f ü r d i e Subsistenzmittelversorgung nicht ausreichte, u n d die ländlichen U n t e r s c h i c h t e n s a h e n ihre wirtschaftlichen u n d sozialen P r o b l e m e u n t e r d e m gleichen Blickwinkel. D i e A n h ä n g e r des f r e i e n E i g e n t u m s r e c h t s , d i e ihr wirtschaftliches H a n d e l n auf d e n f r e i e n M a r k t ausgerichtet h a t t e n , s a h e n ihre ö k o n o m i s c h e n I n t e r e s s e n d u r c h solche F o r d e r u n g e n g e f ä h r d e t . J e d e R e g l e m e n t i e r u n g b e d e u t e t e in i h r e n A u g e n e i n e n Angriff auf das E i g e n t u m s r e c h t , d a s die u n v e r z i c h t b a r e G r u n d l a g e d e r G e sellschaft darstellte. Auf d e m L a n d lagen die Konflikte v o n Beginn d e r R e v o l u t i o n a n o f f e n . Alle L a n d b e w o h n e r w a r e n d a r a n interessiert, freies L a n d zu besitzen, a b e r d i e V o r stellungen ü b e r die Wirtschaftsweise w a r e n unterschiedlich. D i e T r e n n u n g s l i n i e 104

Zu den Vorbedingungen der Revolution vom 10. August 1792 siehe G. Lefebvre, La Révolution française. Paris 1930, 251-253, 256-261. 105 Zu den Ereignissen zwischen dem 10. August und der Einberufung des Nationalkonvents am 21. September 1792 siehe F. Braesch, La Commune du dix août 1792. Etude sur l'histoire de Paris du 20 Juin au 2 Décembre 1792. Paris 1911, Kapitel V und VI, 386-588. 106 Vgl. >1. Soboul, Les Sans-culottes Parisiens de l'an II. Mouvement populaire et gouvernement révolutionnaire. 2 juin 1793 - 9 Thermidor An II. Paris 1958, 22.

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D i e Befreiung des Bodens 1789 - 1793

zwischen einer marktorientierten Produktion, die nach Bodenkonzentration strebte, und einer Subsistenzwirtschaft, die nach einer breiten Streuung von Kleineigentum verlangte, verschärfte sich infolge der Befreiung des Bodens. Bis 1793 hatten die mittleren und kleinen Bauern kaum von der Abschaffung der grundherrlichen Rechte profitiert. Die Besitzlosen hatten keine Gelegenheit, in diesem Rahmen Eigentum zu erwerben. Durch den Verkauf der Nationalgüter, mit dessen Hilfe der Staatshaushalt saniert werden sollte, bot sich aber nach dem Gesetz allen Franzosen die Möglichkeit, Land zu kaufen. Boncerf, der bereits am Ende des Ancien Régime für die Abschaffung des Feudalsystems eingetreten war, hatte schon den Verkauf der Krondomänen, der Kirchengüter und der Gemeindeländer gefordert, um das Kleineigentum zu erweitern 1 0 7 . Mit der Zustimmung der Rechtsgelehrten und der Physiokraten und unter dem Druck des Volkes wurde am 2. November 1789 die Nationalisierung der Kirchengüter beschlossen. Indem man den Klerus als Korporation ansah, sprach man ihm das Recht ab, Eigentümer zu sein. Die Kosten für die kirchlichen Aufgaben übernahm der Staat 108 . Am Ende des Jahres 1790 wurden die ersten Verkäufe realisiert. Zwei Stränge durchzogen die Diskussion um den Verkaufsmodus: einerseits verfolgte man das Ziel, mehr Eigentümer zu schaffen, um dem Elend auf dem Land abzuhelfen. Dazu sollten die großen Besitztümer geteilt und die Zahlungsweise erleichtert werden. Andererseits stand die Steigerung der Produktivität im Vordergrund. Nach den physiokratischen Prinzipien sollten Großbetriebe gefördert werden. Oberste Richtlinie für den Verkauf blieb jedoch die Sanierung der Staatsfinanzen 109 . Die Kirchengüter machten ein Fünftel bis ein Sechstel der nutzbaren Fläche Frankreichs aus 110 . In den Jahren 1790 bis zum Jahr X fanden ungefähr dreißig verschiedene Gesetze zum Verkauf der Nationalgüter Anwendung, die zumeist die bereits Eigentum Besitzenden begünstigten. Da die Nation nach dem Gesetz vom 17.-22. April 1790 alle grundherrlichen Rechte, die auf den nationalisierten Kirchengütern lasteten, abgelöst hatte, wurden diese biens de première origine, wie sie genannt wurden, als freies Eigentum zur Versteigerung freigegeben. Mit der Gesetzgebung variierten auch die Zahlungsfristen für die Käufer 111 . Drei Phasen, in denen die Veräußerungsbedingungen auf unterschiedliche Käufergruppen ausgerichtet waren, lassen sich unterscheiden. Von 1790 bis zur Ge107 Vgl. P.-F. Boncerf, Les Inconvénients des droits féodaux, Londres/Paris 1776, 19ff. 108 v g [ ph Sagnac, Législation, 1898, 154-170; M. Garaud, Propriété foncière, 1958, 305-309. 109 Vgl. Ph. Sagnac, Législation, 1898, 170-172. 110 111

Vgl. ebd., 155; M. Garaud, Propriété foncière, 1958, 309. Vgl. ebd., 315f.

Die Gestaltung der neuen Eigentumsordnung

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s e t z e s ä n d e r u n g v o m 15. M a i 1791 w u r d e die T e i l u n g d e r N a t i o n a l g ü t e r in kleine Parzellen begünstigt. D i e K ä u f e r h a t t e n zwölf J a h r e Zeit, u m i h r e S c h u l d e n abzub e z a h l e n . D a s d a m i t v e r b u n d e n e Ziel, möglichst viele n e u e E i g e n t ü m e r zu schaffen, wie L a R o c h e f o u c a u l d - L i a n c o u r t im Comité d'aliénation

vorschlug 1 1 2 , w u r d e

im Interesse d e r staatlichen Schuldentilgung nur k u r z e Z e i t verfolgt 1 1 3 . Bis die V e r s t e i g e r u n g e n überall in G a n g g e k o m m e n w a r e n , galt ein n e u e s G e s e t z , das f i n a n z k r ä f t i g e r e n E r w e r b e r n d e n Vortritt ließ. D i e zweite P h a s e b e g i n n t mit d e m G e s e t z v o m 3. N o v e m b e r 1790, d a s b e stimmte, d a ß g r o ß e H ö f e nicht m e h r geteilt w e r d e n d u r f t e n . D i e Z a h l u n g s f r i s t w u r d e f ü r b e b a u b a r e s L a n d auf v i e r e i n h a l b J a h r e , f ü r W ä l d e r u n d W i e s e n auf zwei J a h r e u n d zehn M o n a t e verkürzt 1 1 4 , u m d e n G e l d r ü c k l a u f in d i e S t a a t s k a s s e zu beschleunigen. D i e s e R e g e l u n g begünstigte das B ü r g e r t u m , das sein G e l d in G r u n d u n d B o d e n a n l e g e n wollte, u n d w o h l h a b e n d e B a u e r n u n d P ä c h t e r , die v o r h a t t e n , ihre B e t r i e b e zu v e r g r ö ß e r n . D e r V e r k a u f d e r E m i g r a n t e n g ü t e r , der a m 22. N o v e m b e r 1793 b e s c h l o s s e n wurde, leitete d i e dritte P h a s e ein. E r sollte d a g e g e n d e m G e s e t z g e b e r zufolge w i e d e r d e m Z u w a c h s d e r K l e i n e i g e n t ü m e r d i e n e n 1 1 5 . Dieses L a n d wollte m a n d e n A n h ä n g e r n d e r R e p u b l i k u n d d e n Sansculotten zugute k o m m e n lassen. A u f g e t e i l t in kleine P a r z e l l e n von zwei bis vier arpents, w u r d e n diese G ü t e r meist g e g e n e i n e G e l d r e n t e , die j e d e r z e i t e i n l ö s b a r war, versteigert 1 1 6 . Ü b e r die T e i l u n g d e r G e m e i n d e g ü t e r , die in z a h l r e i c h e n P e t i t i o n e n a n d e n A g r a r a u s s c h u ß g e f o r d e r t w u r d e 1 1 7 , b e r i e t e n sowohl die Législative als a u c h d e r Konvent. Die b ä u e r l i c h e n Schichten v e r s p r a c h e n sich d a v o n e i n e V e r g r ö ß e r u n g ihres Besitzes, a b e r auch k l e i n e P ä c h t e r u n d H a l b p ä c h t e r h o f f t e n auf e i n eigenes

112

Vgl. Arch. pari., Bd. 18, 681. 113 vgl ph Sagnac, Législation, 1898, 170-172. "Les premiers créanciers de la nation sont les bras qui demandent de l'ouvrage et la terre qui attend des bras." P.-F. Boncerf, De la nécessité et des moyens d'occuper avantageusement tous les gros ouvriers. 1789 (réimpr. 1790) A.N. A D XVIII c. t. 155 (pièce 15). "Le soin de veiller à la subsistance du pauvre n'est pas pour la constitution d'un empire un objet moins important que celui de conserver la propriété du riche." Extrait des registres de la Société d'agriculture. Rapport fait le 27 mai 1790 par le duc de Charost, de Boncerf et de la Noue. A.N. A D XVIII c. t. 155 (pièce 8). Lambert erklärte in seinem Cahier des pauvres, daß jeder Arme Eigentümer werden müsse, denn nur wenn jeder Arbeitslose Beschäftigung finde, könne das Bettlertum verschwinden. A.N. A D XVIII c. t. 155, 4. 114 Vgl. Ph. Sagnac, Législation, 1898, 181. 115 Vgl. ebd., 181. 116 Vgl. M. Garaud, Propriété foncière, 1958, 317. 117 Vgl. A.N. F 10 332, 333, 334 (Partage des communaux 1790-an VIII); A.N. F 10 329, 330 (Partage des communaux 1792-an III); G. Bourgin, Le Partage des biens communaux. Documents sur le préparation de la loi du 10 juin 1793. Paris 1908.

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D i e Befreiung des Bodens 1789 - 1793

Stück Land. Dennoch sprachen sich viele Dorfgemeinschaften dagegen aus, vor allem, wenn eine Vielzahl von Bewohnern auf die Allmende angewiesen war. Nachdem im April 1791 das Recht der Grundherren, sich Gemeindegüter anzueignen, rückwirkend vom 4. August 1789 aufgehoben worden war, mußten die ehemaligen Seigneurs diese Länder, die sie seit 1669 usurpiert hatten, nach dem Sturz des Königs den Dorfgemeinschaften wieder zurückgeben 118 . Unter dem Eindruck der neuen politischen Verhältnisse wurde die Teilung angeordnet, um die Bauern an die Revolution zu binden. Das Gesetz vom 10. Juli 1793 klärte schließlich die Vorgehensweise. Ein Drittel der Dorfbewohner mußte der Teilung zustimmen, um sie unwiderruflich durchzuführen 119 . Nicht nur jeder Familienvorstand, wie zunächst vorgesehen war, erhielt einen Teil des Landes, sondern jeder Dorfbewohner jeden Alters und Geschlechts 120 . Die Nationalversammlungen haben laut Verfassung und in ihrer Gesetzgebung ein freies Eigentumssystem geschaffen, das das individuelle Eigentumsrecht stabilisierte. Jeder Bürger hatte das gleiche Recht darauf, Eigentum zu besitzen und nach seinem Gutdünken zu nutzen. Die realen Möglichkeiten, Eigentum zu erwerben, wurden dem postulierten Gleichheitsgrundsatz nicht gerecht. Bis auf wenige Ausnahmen wurden die besitzenden Schichten in der Gesetzgebung bevorteilt. Zu den alten Interessengegensätzen zwischen den ländlichen Schichten einerseits und zwischen Stadt und Land andererseits traten neue hinzu, als die Frage nach dem Eigentumserwerb auf der Tagesordnung stand. Traditionelle Besitzstrukturen erhielten sich neben den Veränderungen, die die Befreiung des Bodens bewirkten. Inwieweit die Chancen, Eigentümer zu werden, die auf die einzelnen Gesellschaftsschichten ungleich verteilt waren, Einfluß auf die Eigentumseinstellungen und auf die Denkweisen der Betroffenen nahm, soll anhand der Nationalgüterverkäufe im folgenden Kapitel untersucht werden. Als Ausgangspunkt der Analyse dient die Veränderung der Eigentumsstruktur, die auf der Grundlage bereits erschienener Regionalstudien zur Nationalgüterveräußerung mit ihren großen regionalen Disparitäten erfaßt wird. Texte der Zeitgenossen, die über die unterschiedlichen Interessen der potentiellen Käufer Auskunft geben, werden herangezogen, um eventuelle Veränderungen in den Eigentumseinstellungen herauszufiltern 121 . 118

Vgl. M. Caraud, Propriété foncière, 1958, 377. Vgl. ebd., 381-383. 120 Vgl Arch. pari. Bd. 66, 225. Eigentumsrechte waren für Frauen in der Revolution trotz des Gleichheitspostulats nicht selbstverständlich. Frauen erhielten auch erst 1793 das Recht, Familieneigentum zu teilen. Im gleichen Jahr gestand man Mädchen das gleiche Erbrecht wie Jungen zu. Vgl. R. Graham, Loaves and Liberty: Women in the French Revolution. In: R. Bridenthal/C. Koontz, Becoming Visible: Women in European History. Boston 1977, 236-252, 245. 121 Vgl. M. Garaud, Propriété foncière, 1958, 313. 119

III. GESELLSCHAFTLICHE INTERESSENGEGENSÄTZE IN DER FRAGE DES EIGENTUMSERWERBS Die Einstellungen zum Eigentum anhand des Erwerbs der einzelnen sozialen Schichten zu untersuchen, ist das Thema dieses Kapitels. Auf dem Hintergrund der sozialen Herkunft, der Eigentumssituation und der ökonomischen Lage der Erwerberschichten werden Texte analysiert, die über Sichtweisen und Einschätzungen jener Auskunft geben, die von den Besitztransaktionen in irgendeiner Weise betroffen waren. Die unterschiedlichen Chancen, Eigentum zu erwerben, vertieften und akzentuierten die Interessengegensätze, die sich während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts herauskristallisiert hatten. Im Laufe dieser Zeit hatte die Kommerzialisierung des Bodens einen Immobilienmarkt geschaffen, an dem sich sowohl Land- als auch Stadtbewohner beteiligten 1 . Der Nationalgüterverkauf ließ eine Eigentumsbewegung von großer Tragweite entstehen, die dem Landhunger der Bauern, aber auch dem Streben der Bourgeoisie nach Landbesitz entgegenkam. Eigentum erhielt so einen neuen Stellenwert als Einkommensquelle, als Patrimonium, als entscheidendes Merkmal der sich neu bildenden sozialen Hierarchie und in der Werteskala der Menschen 2 . Der Beschluß, die Nationalgüter zu verkaufen, verfolgte zwar in erster Linie das Ziel, die Staatsschulden zu tilgen, aber gleichzeitig wurden dadurch Landtransaktionen in großem Maßstab eingeleitet. Allein die konfiszierten Kirchengüter beliefen sich auf ca. ein Zehntel der Gesamtfläche Frankreichs. Hinzu kamen ab 1792 zahlreiche Emigrantengüter 3 .

1

2 3

Zur Dynamik des Bodenmarktes in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist bisher nur eine Studie erschienen: G. Béaur, Le marché foncier à la veille de la Révolution. Les mouvements de propriété beaucerons dans les régions de Maintenon et de Janville de 1761 à 1790. Paris 1984. Sie ist von großem Interesse, da hier zum erstenmal Kauf- und Verkaufsbewegungen von Land nach sozialen Schichten und konjunkturellen Schwankungen untersucht wurden. D i e Erforschung der Eigentumsstruktur am Ende des Ancien Régime hatte sich in zahlreichen Arbeiten auf den Status quo bezogen. Vgl. ebd., 11. Vgl. /. Loutchisky, Quelques remarques sur la vente des biens nationaux. Paris 1913, 19-22. Die Schwierigkeit, die insgesamt verkaufte Fläche zu ermitteln, liegt darin, daß nicht alle Nationalgüter verkauft wurden und ein Rückschluß von den Verkaufspreisen auf die Größe nicht möglich ist, da die Preise pro Flächeneinheit teilweise stark variierten.

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Gesellschaftliche Interessengegensätze in der Frage des Eigentumserwerbs

Die Frage, welche Gesellschaftsschichten von den Verkäufen profitiert haben, ist seit den Arbeiten Loutchiskys 4 in vielfältigen quantifizierenden Regional- und Lokalstudien zu beantworten versucht worden. Bis auf einen zusammenfassenden Artikel von Lefebvre 5 aus dem Jahre 1928 ist aber von den Revolutionshistorikern noch keine, alle Studien erfassende Übersicht über die bisher gewonnenen Ergebnisse in Angriff genommen worden. Dies ist u m so bedauerlicher, als die Tendenz anhält, entweder den Blick auf Fallstudien zu beschränken oder die Auswirkungen der Veräußerungen so zu verallgemeinern, daß sie den großen geographischen Unterschieden nicht gerecht werden 6 . U m die gegensätzlichen Interessen der Gesellschaftsschichten in der Frage des Eigentumserwerbs im Hinblick auf die Entwicklung der Eigentumsstruktur und deren Einfluß auf die Eigentumseinstellungen zu ermitteln, werden im folgenden die wichtigsten D a t e n zu den Käuferschichten zusammengefaßt. Zunächst aber einige Bemerkungen zur Grundbesitzverteilung zu Beginn der Revolution. 1. Zur Besitzstruktur der ländlichen Gesellschaft zu Beginn der Revolution Aufgrund der Ergebnisse zur Landbesitzverteilung, die für einen Teil der Regionen bislang ermittelt wurden, geht die Ancien Regime-Forschung vorläufig von folgender Relation für Gesamtfrankreich aus: Klerus 10%; Adel ca. 25%; Bourgeoisie 25%; Bauern mindestens 35%. Die Gemeindeländereien werden auf einen Anteil zwischen 5 und 10% geschätzt 7 . Diese Durchschnittswerte verdecken aber die erheblichen regionalen und lokalen Unterschiede. W e n n man nur größere Regionaluntersuchungen in Betracht zieht, so schwankte der Anteil des Adels zwischen 9 und 44 %, der Anteil des Klerus zwischen 1 und 20%, die er nur selten überstieg. Jener der Bourgeoisie erstreckte sich von 12 bis auf 45%. Der bäuerli-

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Vgl. I. Loutchisky, La petite propriété en France avant la Révolution et la vente des biens nationaux. Paris 1897; ders., Quelques remarques, 1913. G. Lefebvre, La vente des biens nationaux. In: Ders., Etudes sur la Révolution française. Paris 1963, 307-337. Die Leistungen der regionalen und lokalen Untersuchungen wird hier nicht in Frage gestellt. Mit teilweise vorbildlichen statistischen Methoden haben sie gesicherte Ergebnisse erstmals möglich gemacht. Diese Resultate sollten aber bei einer allgemeineren Bewertung der Veränderung der Eigentumsstruktur durch die Revolution auch berücksichtigt werden. Vgl. E. Labrousse, Aperçu de la répartition sociale de l'expansion agricole. In: Ders .¡F. Braudel (Hg.), Histoire économique et sociale de la France. 4 Bde. Paris 1970-1982, Bd. 2 Des derniers temps de l'âge seigneurial aux préludes de l'âge industriel (1660-1789) par E. Labrousse/P. Léon/P. Goubert/J. Bouvier/C. Carrière/P. Harsin, 1970, 473-497, 476. A. Soboul schätzt den Anteil des Adels etwas geringer (20%), jenen der Bourgeoisie etwas höher (30%) ein. Vgl. La Société française dans la seconde moitié du 18e siècle. Structures sociales, cultures et modes de vie. Paris 1969, 58.

Zur Besitzstruktur der ländlichen Gesellschaft zu Beginn der Revolution

45

che Anteil unterlag Schwankungen zwischen 22 und 70% 8 . Im lokalen Rahmen klafften die Relationen noch krasser auseinander. Von Dorf zu Dorf konnten die Besitzanteile stark differieren 9 . Zur Beurteilung der regionalen Unterschiede in der Agrarstruktur und der Situation der Bauern ist aber nicht allein die Eigentumsverteilung auf diese vier Kategorien maßgebend. Die Größe der bäuerlichen Betriebe und die Anbau- und Pachtformen werden in den folgenden Überblick miteinbezogen 10 . In den nördlichen Regionen besaß der Klerus prozentual mehr als im nationalen Durchschnitt, Adel und Bourgeoisie je nach Region tendenziell etwas weniger 11 . Der Anteil der Bauern am Grundbesitz war in einigen Regionen bedeutend. In Flandern, in dem nur 20% des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens den Bauern gehörte, herrschte die Pachtform der fermage vor. Sie war durch einen festen, bei Abschluß des Vertrages vereinbarten jährlichen Pachtzins gekennzeichnet, der in Naturalien oder in Geld entrichtet wurde 12 . In den Piaines maritimes waren 75% der Landwirte, in der Gegend um Lille 57% fermiers. Viele Bauern verfügten neben ihren Pachtländern zusätzlich über Grundbesitz. Im Süden des späteren Département du Nord war die Anzahl der Pächter geringer, da die einzelnen Pachtstücke wesentlich größer waren. Die Bauern besaßen meist Parzellen, die sie zu vergrößern trachteten 13 . In den Getreideanbaugebieten von Flandern bis zur Loire fanden sich häufig laboureurs, die dadurch gekennzeichnet waren, daß sie Arbeitsmaterial besaßen und ausreichend Land zur Verfügung hatten. Die durchschnittliche Anbaufläche 8

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13

Vgl. G. Lefebvre, Les recherches relatives à la répartition de la propriété et de l'exploitation foncières à la fin de l'Ancien Régime. In: RHM 3 (1928), 103-130, 110. In Saint-Cyr und in Vélizy, die beide im Département Seine-et-Oise lagen, lag der Grundbesitzanteil des Klerus bei 60,6%, bzw. bei 0,5%. Im District Vire, im Département Calvados gelegen, lag der Prozentsatz des bäuerlichen Anteils in 16 Gemeinden bei 69,9%, in 4 anderen bei 62% und in 2 weiteren bei 39,6%. Vgl. ebd., 126. Vgl. ebd., 118. Lefebvre forderte die Berücksichtigung der Bewirtschaftungsformen in Studien zur Eigentumsverteilung, da Pachtland den Mangel an Grundbesitz ausgleichen konnte. In den neueren Studien wurde dies um eines realistischeren Bildes willen aufgenommen, beispielsweise R. Marx, La Révolution et les classes sociales en Basse-Alsace. Structures agraires et vente des biens nationaux. Paris 1974. Siehe auch im folgenden Tabelle 1. Der fermage war im 18. Jahrhundert in allen Regionen Frankreichs bekannt, herrschte aber vor allem im Norden, im Westen und in der Provence vor. Auch im Toulousain, in der Auvergne und in der Bretagne war er bekannt. In den Getreideanbaugebieten des Pariser Beckens hatte er sich zur gängigen Pachtform entwickelt. Dort zählte die Grundrente in der Form des fermage auf Geldbasis zu den großen Gewinnerinnen des 18. Jahrhunderts. Ihre nominale Steigerung wird auf 142% geschätzt. Vgl. G. van den Heuvel, Grundprobleme der französischen Bauernschaft, 1982, 53f. Vgl. G. Lefebvre, Répartition de la propriété, 1928, 119.

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Gesellschaftliche Interessengegensätze in der Frage des Eigentumserwerbs

betrug ca. 20 ha und bestand zu einem ansehnlichen Teil aus Pachtland, aber auch aus Landbesitz 1 4 . In der Pariser Gegend herrschten Großgrundbesitzer vor, die ihre großen Ländereien zur Bewirtschaftung und Verwaltung an Großpächter weitergaben. Diese grands fermiers entstammten meist einer wohlhabenden bürgerlichen Schicht und waren an einer marktorientierten, kapitalistischen Produktion orientiert. Mit Hilfe von Tagelöhnern bewirtschafteten sie in der Regel mehrere Hundert arpents Land 1 5 . In der Nähe von Städten wie Versailles oder Chartres lag der Anteil der Bourgeoisie am Grundbesitz weit über d e m Durchschnitt. Bürgerliche und privilegierte Eigentümer zogen es vor, ihren Besitz als großflächige Einheit zu verpachten. Infolgedessen litten die mittleren und kleinen Bauern in diesen Gegenden an einem deutlichen Landmangel, wenn sie die Landwirtschaft nicht ganz aufgeben mußten, u m ihren Lebensunterhalt als Lohnarbeiter auf den großen Gütern zu verdienen 1 6 . In einigen Gemeinden in der Beauce, für die Studien über die Eigentumsverteilung vorliegen 17 , nahmen die mittleren Eigentümer, größtenteils Bourgeois aus der Gegend, mit einer Fläche von 10 bis 50 ha 45% des Bodens ein. Auch in der Sparte von 5 bis 10 ha spielte diese städtische Bourgeoisie noch eine große Rolle. Die örtliche Bauernschaft trat nur als Klein- und Kleinstbesitzer in Erscheinung. Berücksichtigt man das gepachtete Land, so wurden 35 bis 4 5 % der Nutzfläche von mittleren Betrieben zwischen 10 und 50 ha bewirtschaftet. Ein Viertel des Bodens war Großpächtern vorbehalten, deren Anbauflächen sich aber nur selten über 150 ha erstreckten. Demzufolge scheint die Bodenkonzentration in der Beauce vor der Revolution noch relativ gering gewesen zu sein 18 , wenn auch die Großpächter eine bedeutende soziale Rolle aufgrund des teilweise weitverbreiteten adligen Besitzes spielen konnten. In den bailliages von Chartres, Janville, D o u r d a n und Etampes wurden in den Cahiers de doléances Klagen über die Vereinigung von Pachten in der Hand eines einzigen fermier formuliert. Die Bauern, von denen nur 10% soviel Land bewirtschafteten, daß sie unabhängig waren, waren Gegner der Großkulturen, da diese für die starke Zersplitterung des bäuerlichen Kleinbesitzes verantwortlich gemacht wurden. Z u d e m sahen sie mit an, wie zahl-

14

Vgl. E. Labrousse/F. Braudel (Hg.), Histoire économique et sociale de la France, Bd 2, 1970, 141. 1 5 Vgl. ebd., 145. 16 Vgl. G. van den Heuvel, Grundprobleme der französischen Bauernschaft, 1982, 45f. 17 Vgl. M. Vovelle, Ville et campagne au 18e siècle (Chartres et la Beauce). Paris 1980, 225f. 18 Vgl. ebd., 219-221.

Zur Besitzstruktur der ländlichen Gesellschaft zu Beginn der Revolution

47

reiche Bauern durch grands fermiers, die mit Hilfe des freien Getreidehandels reich geworden waren, ruiniert wurden 1 9 . In den Gegenden südlich von Paris befanden sich die Bauern in einer besseren Lage. Im Gâtinais septentrional besaßen sie über 63% der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche 2 0 . Geht man davon aus, daß die Obergrenze des Kleinbesitzes 5 ha und die Untergrenze des Großbesitzes 20 ha betrug, so verteilte sich der bäuerliche Grundbesitz folgendermaßen: unter den Bauern stellten die Kleineigentümer mit 87,4% die größte Gruppe dar. Sie besaßen 38,39% der bewirtschaftbaren Gesamtfläche. 11,3% mittlere Eigentümer zwischen 5 und 20 ha verfügten über 43,26% der Gesamtfläche. Nur 1,3% Großgrundbesitzer teilten sich 18,35% des Bodens 2 1 . Mangels geeigneter Quellen läßt sich über die bewirtschafteten Flächen nur soviel sagen, daß die Kleineigentümer gewöhnlich wohl Parzellen fanden, die sie zusätzlich in Pacht nehmen konnten, wenn die Privilegierten es auch vorzogen, ihre Ländereien zusammenhängend zu verpachten 2 2 . Im Elsaß besaßen Klerus und Bauernschaft überdurchschnittlich viel Land 2 3 . D e r adlige Besitz hatte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts verringert. D e r Adel, der nunmehr von seinen Renten und den grundherrlichen Rechten lebte, galt als verarmt. D e r Grundbesitz der Bourgeoisie, der sich in der H ö h e von 15% bewegte, lag in der Nähe der Städte, vor allem Straßburgs. 20-25% der ländlichen Bevölkerung besaßen kein oder nur ein zu vernachlässigendes Eigentum. Im Elsaß gab es kaum Großpächter. Kleine und mittlere Betriebe herrschten vor. Eine starke Zergliederung kennzeichnete die Agrarstruktur 2 4 . In Burgund setzte in den Jahrzehnten vor der Revolution eine starke Eigentumskonzentration in den Händen der Grundherren ein. Die Bauern, die aufgrund des Übergewichtes des nichtbäuerlichen Besitzes ihre Nutzflächen meist pachten mußten, wurden von den guten Böden vertrieben, weil Grundherren dazu übergingen, ihr Eigengut, die réserve, für die sie keine taille bezahlen mußten, selbst zu bewirtschaften 2 5 . Die Bourgeoisie, die ihren Ambitionen, ihr Geld in ländlichem 19 20 21 22 23

24 25

Vgl. G. Lefebvre, Etudes orléanaises, Bd 1, 1962, 20-25. Vgl. / Dupâquier, Propriété et éxploitation foncières, 1956, 151. Vgl. ebd., 215. Vgl. ebd., 216-218. Vgl. E. Juillard, La vie rurale dans la plaine de Basse-Alsace. Essai de Géographie sociale. Paris/Strasbourg 1953,93. Vgl. R. Marx, Classes sociales, 1974, 50-85. Das Eigentum der Privilegierten erstreckte sich auf zwei Drittel des burgundischen Bodens, wie sowohl die Statistiken von E. Patoz, La propriété paysanne dans les bailliages de Semur, Saulieu et Arnay à la fin de l'Ancien Régime, 1750-1790. 1908, 37 als auch P. de Saint-Jacobs Untersuchung nach der Steuerveranlagung in seiner Studie: Les paysans de la Bourgogne du Nord au dernier siècle de l'Ancien Régime, 496f, belegen. Patoz setzte den Adelsanteil am Eigentum auf 35% an, eine Zahl, die R. Robin

48

Gesellschaftliche Interessengegensätze in der Frage des Eigentumserwerbs

Grundbesitz anzulegen, nachging, hielt 20% in Händen 2 6 . Folge war die Verminderung des bäuerlichen Kleinbesitzes und die Verschlechterung der sozialen Lage derjenigen, die Kleinbetriebe bewirtschafteten. Immer mehr Bauern waren auf saisonale Abwanderung in die Städte angewiesen. Auf der anderen Seite scheiterten die Reformmaßnahmen im Sinne der Physiokraten, weil sich der Großanbau bei einigen Großpächtern nicht als rentabel erwies, nachdem die Konzentration der fermes vollzogen war. Viehseuchen und die wirtschaftliche Depression hatten nämlich dazu geführt, daß große Flächen brachlagen 27 . Während in den oben genannten Gebieten, von der Normandie bis Lothringen und von Flandern bis an die Grenzen Burgunds und bis zur Loire die Pachtform der fermage vorherrschte, bestimmte die métayage, eine Halbpachtform, die auf dem Prinzip der Ernteteilung beruhte, die Agrarstruktur in westlichen Teilen Frankreichs, in Zentralfrankreich und im Midi. Der Verpächter stellte Land, Gebäude, Arbeitsgeräte, Samen und einen Teil des Viehs, der Pächter bewirtschaftete den Betrieb mit seiner Familie und gab die Hälfte bis zwei Drittel der Erträge an den Verpächter ab 28 . Außer im Midi, dem Land der taille réelle, versuchte der Eigentümer zumeist auch, die Abgaben auf den Pächter abzuwälzen 29 . Die vorherrschende Stellung dieser Form der métayage scheint bisher überschätzt worden zu sein 30 . Bislang ist über sie erst wenig bekannt 31 . Sie tritt hauptsächlich in den Gegenden der petite culture auf, die von Mischwirtschaft geprägt ist, und spiegelt die Lage einer mittellosen Bauernschaft wider, die aus Kapitalmangel darauf angewiesen war, unter direkter Aufsicht der Verpächter Subsistenzwirtschaft zu betreiben. Das Abhängigkeitsverhältnis vom Verpächter behinderte den aufsteigenden Teil der Bauernschaft. Im Toulousain sicherte diese Pachtform die Monopolstelaufgrund berechtigter methodischer Überlegungen für zu hoch hält. Vgl. R Robin, Société française, 1970, 127f. Zur neuen Wirtschaftstaktik der Adligen vgl. P. de Saint26

Jacob, Paysans, 1960, 501. E. Patoz, Propriété paysanne, 1908, 37. Der Prozentsatz des Klerus betrug ihm zufolge 11%.

27 28 29

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31

Vgl. P. de Saint-Jacob, Paysans, 1960, 500-503. Vgl. G. van den Heuvel, Grundprobleme der französischen Bauernschaft, 1982, 50. Vgl. E. Labrousse/F. Braudel (Hg.), Histoire économique et sociale de la France, Bd. 2, 1970, 142-144; L. Merle, La métairie et l'évolution agraire de la Gâtine poitevine de la fin du Moyen Age à la Révolution. Paris 1958. Neuere Regionalstudien, z.B. die von P. Bois für das Département de la Sarthe, haben gezeigt, daß der Terminus métairie im Westen Frankreichs auch für Betriebe mit mehr als 20 ha und unabhängig von den Pachtmodalitäten gebraucht wurde. Vgl. G. van den Heuvel, Grundprobleme der französischen Bauernschaft, 1982, 50. Dieser Umstand liegt an der schwierigen Quellenlage: métayage-Verträge wurden privat und meist nur mündlich geschlossen. Die Dissertation von S. Aberdam, die demnächst in Paris fertiggestellt wird, läßt mehr Aufschluß in dieser Frage erwarten.

Zur Besitzstruktur der ländlichen Gesellschaft zu Beginn der Revolution

49

lung der städtischen grundbesitzenden Schichten, die Produktion und Kommerzialisierung der Agrarprodukte kontrollierten 32 . In der Gâtine poitevine diktierten der besitzende Adel und die Eigentümer aus der Bourgeoisie Bedingungen, die es den Pächtern nicht erlaubten, ihre harten Verträge zu erfüllen. Verschuldung und Abwanderung waren die unausweichliche Folge 33 . Die bretonischen Halbpächter scheinen eine ähnliche Entwicklung durchgemacht zu haben 34 . Im späteren Département de la Sarthe besaß der Klerus 11%, der Adel 21% des Bodens. Die letzte Angabe relativiert sich, wenn man den großen Anteil an Wald abzieht und davon ausgeht, daß der Adel nur ein Sechstel des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens besaß. Ein hoher Waldanteil am Eigentum der Privilegierten führte in der Regel in dem Moment zu Konflikten mit der Bauernschaft, in dem die Wälder privatisiert wurden und zum Holz sammeln nicht mehr zur Verfügung standen. Das bürgerliche Eigentum spielte in dieser Region mit einem Anteil von 51,5% an der Gesamtfläche eine herausragende Rolle. Doch die Höfe waren von geringer Größe, vergleichbar mit dem bäuerlichen Eigentum. Dieser Anteil allerdings belief sich auf nur 12,5%, da das Einkommen eines Kleinpächters nicht ausreichte, um kleine landwirtschaftliche Betriebe zu kaufen. Größere Pachthöfe waren selten und nur in der Hand von Privilegierten zu finden 35 . Das Limousin war von einem überdurchschnittlichen bäuerlichen Eigentum geprägt. Klerus und Adel waren dagegen nur schwach vertreten. Das Eigentum der Bauern war stark zersplittert. 23% dieser Eigentümerkategorie besaßen weniger als ein Arpent; 58% besaßen weniger als 2 ha 36 . Einen ähnlich bedeutenden Anteil an der Gesamtfläche des Bodens verzeichneten die Bauern der Auvergne. In den bergigen Gebieten des Westens und des Ostens und in den Weinbaugegenden lag er zwischen 60 und 70%. In den Ebenen, in denen Getreide angebaut wurde, sank er auf 45 bis 50%. Dort, in der sogenannten Limagne, den Distrikten Riom, Clermont, Issoire, Billom und Brioude, erreichten die Güter des Klerus bis zu einem Drittel der Gesamtfläche der Auvergne. Dagegen belief sich der durchschnittliche Anteil dieser Gruppe auf nur 12 bis 13%. Auch der Adel verfügte in den Getreideanbaugebieten über eine höhere An32 33 34

35

36

Vgl. G. van den Heuvel, Grundprobleme der französischen Bauernschaft, 1982, 51. Vgl. L. Merle, Métairie, 1958, 91f. Vgl. E. Labrousse/F. Braudel (Hg.), Histoire économique et sociale de la France, Bd. 2, 1970, 143. Vgl. P. Bois, Paysans de l'Ouest. D e s structures économiques et sociales aux options politiques depuis l'époque révolutionnaire dans la Sarthe. Paris 1971, 136-151. Vgl. I. Loutchisky, L'état des classes agricoles en France à la veille de la Révolution, principalement en Limousin. Paris 1911. Ein Arpent entsprach in dieser Gegend 34 Ar.

50

Gesellschaftliche Interessengegensätze in der Frage des Eigentumserwerbs

zahl von Besitzungen. Insgesamt war er stärker vertreten als der Klerus. Sein Anteil betrug zwischen 15 und 20% der Gesamtfläche, wies aber große Unterschiede von Dorf zu Dorf auf. Wie zu erwarten, waren bürgerliche und städtische Eigentümer vor allem in der Nähe der Städte besonders stark vertreten. 2 0 % der Gesamtfläche lag in ihrem Besitz, wobei die Gegend u m Clermont eine Ausnahme bildete, denn dort war der bürgerliche Besitz weitaus stärker vertreten 3 7 . U n t e r den Bauern gab es, wie in allen Regionen, große Unterschiede je nach der G r ö ß e ihres Besitzes. Die sogenannten coqs de village und die reichen Bauern verfügten über zahlreiche Parzellen, die ihnen ein ausreichendes Einkommen sicherten. Auch Müller und Landwirte, die sich bereichern konnten, führten ein einträgliches Leben. Die kleinen Bauern und Winzer dagegen besaßen so wenig Land, d a ß sie kaum den Lebensunterhalt für die Familie erwirtschaften konnten. G e h t man davon aus, daß eine fünfköpfige Familie ungefähr fünf Hektar fruchtbares Land benötigte, um trotz vorhandener Gemeindeländereien drei bis vier Kühe und einige Schafe ernähren zu können, damit sie sich selbst erhalten konnte, so reichte diese Fläche im mittleren Gebirge kaum für das Lebensnotwendigste aus. In diesen Dörfern waren sogar Bauern, die siebeneinhalb Hektar Land besaßen, gezwungen, Lohnarbeit auszuüben, um die ganze Familie zu ernähren. Dagegen erreichten die Bauern, die in der E b e n e ansässig waren oder Weinbau betrieben, schon mit einer Betriebsgröße von drei Hektar ihre wirtschaftliche Autonomie 3 8 . Obwohl es in der Auvergne kaum Eigentumslose gab, wuchs im 18. Jahrhundert ein beträchtliches ländliches Proletariat heran, das hauptsächlich aus Parzelleneigentümern bestand, die nicht mehr als einen Hektar Land besaßen. Sie lebten unter ähnlichen Konditionen wie die Bevölkerung, die gar kein Land besaß. Aus ihrer Mitte rekrutierten sich die Scharen von Bettlern, die durch das Land zogen 3 9 . In der Region um Toulouse fällt auf, daß in der Nähe der Stadt der Anteil der Bourgeois am Grundbesitz mit d e m nationalen Schnitt übereinstimmte, der Anteil des Adels aber weit über dem Durchschnitt lag. In verkehrsgünstig gelegenen G e genden besaß der Adel sogar über die Hälfte der Flächen, während die Bourgeoisie hier weniger gute Chancen hatte. Die Bauern besaßen nur im entfernten U m l a n d über 50% des Bodens. Im näheren Umland sank die Quote auf ein Sechstel, im stadtnahen Bereich lag sie etwas höher, was auf kleine Handwerker und H ä n d l e r schließen läßt, die vor den Grenzen der Stadt einen Garten oder ein klei-

37

38 39

Vgl. A. Poitrineau, La vie rurale en Basse-Auvergne au XVIIIe siècle (1726-1789). 2 Bde. Paris 1965, Bd. 1, 155, 145-153. Vgl. ebd., 155-157. Vgl. ebd., 159f.

Zur Besitzstruktur der ländlichen Gesellschaft zu Beginn der Revolution

51

nes Stück Land besaßen. Die Kirchengüter machten nur einen kleinen Teil des Grundbesitzes aus 40 . Der Midi Frankreichs insgesamt zeichnet sich dadurch aus, daß sich hier eine bedeutende Zahl von unabhängigen Eigentümern behaupten konnte 41 . 80% des Bodens wurden in der Basse-Provence von ihren Eigentümern bewirtschaftet, wobei 44% der bäuerlichen Eigentümer wirtschaftliche Unabhängigkeit erreichten. 50% des Landes befanden sich im Besitz der bäuerlichen Schichten 42 . Die Bedeutung der Halbpacht, die in dieser Gegend mégerie genannt wurde, sank im 18. Jahrhundert 43 . Der bedeutende Gesamtanteil der Bauern am Grundbesitz setzte sich aus einer eher schwachen Präsenz in den Ebenen des Comtat und der Camargue und einem sehr hohen Anteil in der Provence intérieur zusammen. Die Betriebsgrößen lagen meist zwischen 5 und 10 ha, je nach Region verschob sich der Mittelwert etwas nach oben oder nach unten. Kleine Parzellenbesitzer, die nur ca. 1 ha innehatten, waren in La Tour-d'Aigues weit verbreitet 44 . Die Güter des Adels, die im Schnitt 20 -25% der Gesamtfläche ausmachten, aber in den meisten Gegenden unter dieser Zahl lagen, wurden als fermes verpachtet oder unter der Kontrolle des Eigentümers von Domestiken bewirtschaftet. Während der Anteil der Kirchengüter keine wesentliche Rolle spielte, lag der Prozentsatz des bourgeoisen Eigentums nur leicht unter dem nationalen Durchschnitt 45 . In den Pyrenäen und im Massif Central überwogen kleine Eigentümer, die Gemeindegüter in ihre Produktion miteinbezogen. Sie verkörperten den Typus einer "ländlichen Demokratie", der während der Revolution an Bedeutung gewann 46 . Die Zerstückelung des Bodens war im Languedoc nach dem Beginn der Bevölkerungszunahme ab 1750 vorangeschritten. Die Produktionsweise auf dem Agrarsektor verharrte in den überkommenen Strukturen 47 . Charakteristisch hierfür 40

41

42

43 44

45

46 47

Vgl. G. Freche, Toulouse et Midi-Pyrénées au siècle des lumières. Vers 1670 -1789. Toulouse 1974, 153. Vgl. E. Labrousse/F. Braudel (Hg.), Histoire économique et sociale de la France, Bd. 2, 1970, 141. Vgl. R. Baehrel, U n e croissance: La Basse-Provence rurale (fin XVIe siècle - 1789). Essai d'économie historique statistique. Paris 1961, 430, 400f. Vgl. ebd., 368-377, der hier seine These mit einzelnen Beispielen belegt. Vgl. M. Vovelle, D e la cave au grenier. U n itinéraire en Provence au XVIIIe siècle. D e l'histoire sociale à l'histoire des mentalités. Québec 1980, 157f, 165-172. Vgl. M. Agulhon, La vie sociale en Provence intérieure au lendemain de la Révolution. Paris 1970, 81; R. Baehrel, Croissance, 1961, 399f. Vgl. Ai. Vovelle, Chute de la monarchie, 1972, 19. Vgl. E. Le Roy Ladurie, Les Paysans de Languedoc. 2 Bde. Paris 1966. Deutsche gekürzte Ausgabe: D i e Bauern des Languedoc. Stuttgart 1983, 330.

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Gesellschaftliche Interessengegensätze in der Frage des Eigentumserwerbs

waren unabhängige Bauern, die einen Betrieb in der G r ö ß e von 15 ha bewirtschafteten, und Parzelleneigentümer, die in bescheidenem M a ß Land hinzupachteten oder ihre Arbeitskraft verkauften 4 8 . In d e r Region u m Montpellier besaßen die Bauern den größten Anteil a m Grundbesitz (38-40%). D e m Klerus gehörten nur 3-4%, dem Adel ein bedeutenderer Anteil von 15-16%. In den fruchtbaren E b e n e n überwog das Eigentum der Bourgeoisie, während das Heideland zu einem großen Teil den Bauern vorbehalten war. Im fruchtbareren Teil der Region verpachtete die Bourgeoisie ihre Länder vornehmlich an métayers, die kargen Böden wurden eher von Landarbeitern bewirtschaftet 4 9 . Die Großgrundbesitzer aus Adel und Bourgeoisie verpachteten ihre G ü t e r bevorzugt als fermes, da sie an der Bewirtschaftung wenig Interesse zeigten. Die bäuerlichen Betriebe waren zersplittert und erreichten im Durchschnitt die Ausdehnung von ca. einem halben Hektar 5 0 . G e h t man d e m Anteil der ländlichen Bewohner ohne Eigentum vor der Revolution nach, so stößt man aufgrund der Quellenlage auf Schwierigkeiten. Die Regionalstudien geben deshalb auch wenig Auskunft darüber. Neuere Arbeiten lassen darauf schließen, daß sich die Zahlen erhöhten, einerseits durch das Bevölkerungswachstum, das auch durch Erbteilung zur vermehrten Zersplitterung des bäuerlichen Besitzes beitrug, andererseits durch eine Bodenkonzentration, die teilweise schon im 17. Jahrhundert eingesetzt hatte. Sie wurde vor allem vom Adel und der Bourgeoisie getragen, die Grundeigentum als Handels- und Spekulationsobjekt, als Kapitalanlage oder zur marktorientierten Bewirtschaftung nutzten. Auch die kleine und mittlere Bourgeoisie der Städte beteiligte sich an diesen Transaktionen und verpachtete ihre kleinen H ö f e an Bauern. In der Nähe von Lyon, im Département de la Sarthe, in Teilen des Beaujolais und in den Ebenen der Auvergne belegen Statistiken, daß die Zahl der bäuerlichen Eigentümer im 18. Jahrhundert sank und sich der Bodenanteil dieser Schichten verringerte 5 1 . Welchen Einfluß der Verkauf der Nationalgüter auf die soziale Verteilung des Eigentums hatte, wird in einer Übersicht im nächsten Kapitel dargestellt.

48 49

Vgl. M. Vovelle, Chute de la monarchie, 1972, 19. Vgl. A. Soboul, Les campagnes Montpelliéraines à la fin de l'Ancien Régime. Propriété et cultures d'après les compoix. La Roche-sur-Yon 1958, 25-29.

so Vgl. ebd., 45-49. 51

Vgl. C. van den Heuvel, Grundprobleme der französischen Bauernschaft, 1982, 46.

Zur Besitzstruktur der ländlichen Gesellschaft zu Beginn der Revolution Tabelle 1: Verteilung des Eigentums zu Beginn der Revolution (in %) nördl. Regionen Département du Nord Plaine marit. Flandre Pays au Bois Cambrésis Sambre, rég.herb. Pas de Calais Laonnais (Aisne) Village Möns (Laon) Beauvaisis (1717) Région parisienne Seine-et-Oise Saint-Cyr Vélizy Seine-et-Marne (Brie) Gatinais septentr. Yonne, distr. Sens Loiret Beauce (Lefebvre) Beauce (Vovelle) bureau de Chartres

Klerus

Adel

Bourgeois

Bauern

19-20 11 6 40 12-15 19,77 20,5 24,12 13

21-22 9 13 15 35-40 31,77 30,1 14,33 23

16-17 50 28 8 5-6 9 19,4 45,8 14

30-31 20 50 28 30 37,65 30 15,71 45

60,6 0,5 20 4,17 12,22 4,5 >5 9,6 -

11,4 24,93 40 22,05 15 31,7 50 29,9 18,68

(einschl. B.) 0,5 ? 10,4 14,72 16,47 10 26,4 75,09

10,8 4,87 7 63,37 45,67 44,66 33,3 33,6 5,02

16 20-25 11

25 >10 35

15 >10 20

28 40-50 33

1,6

12 32,3 51,5

69,9 62 39,6 12,5

östliche Regionen Meuse, distr. Bar-le-Duc Basse Alsace (Strasb) bailliages Sémur-enAuxois, Saulieu, Arnay westliche Regionen Calvados, distr. Vire

Sarthe Limousin Haute-Vienne Corrèze, Tulle Corrèze, Brive

1,7 11

13,2 23,5 27,9 20

3,13 3,7 0,8

15 14,7 16,8

27 25,8 26,7

54,87 55,46 54,8

südliche Regionen Basse-Auvergne plaine montagne

12-13

15

20

45-50 60-70

?

?

53

54

Gesellschaftliche Interessengegensätze in der Frage des Eigentumserwerbs

Toulousain distr. Toulouse village Larrazet village Rieumes région Toulouse stadtnah verkehrsgünstig entferntes Umland distr. Saint-Gaudens Provence Basse-Provence Rians Roquevaire région Montpellier garrigue plaine Quellen:

6,5 6,2 1,46

44,5 16,5 15,51

25,2 25,4 26,9

22,2 51,4 44,21

6.5 6.6 1,3 2,14

44.4 50.5 19,9 15,84

25.2

22,5

6 2,47 1 3-4

25-30 11,96 23 15-16

18,6

16,1

27.3 38,37

50,7 29,13

20 85,62 19 18-19 5,7