EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS: Innovative Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen 3662657252, 9783662657256, 9783662657263

Das Buch ermöglicht Neurowissenschaftlern, Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendärzten und -Psychiatern einen Einstieg i

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EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS: Innovative Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen
 3662657252, 9783662657256, 9783662657263

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Über den Herausgeber
Über die Autoren
Über den Herausgeber
Autorenverzeichnis
I: Einführung – Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
1: ADHS – Definition und Diagnose
1.1 Diagnosestellung nach ICD
1.2 Diagnosestellung nach DSM
Literatur
2: Häufigkeit und Begleitsymptomatik
2.1 Prävalenzrate
2.2 Auswirkungen einer ADHS und Folgeprobleme
2.3 Begleitsymptomatik
Literatur
3: Neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und –modelle
3.1 Aufmerksamkeit
3.1.1 Formen der Aufmerksamkeitsintensität: Übergang von der ungerichteten zur längerfristigen Aufmerksamkeit
3.1.1.1 Ungerichtete Aufmerksamkeit
3.1.1.2 Vigilanz und Daueraufmerksamkeit
3.1.1.3 Tonische vs. phasische Wachheit
3.1.1.4 Arousal und Aktiviertheit
3.1.1.5 Störungen der basalen Aufmerksamkeits
3.1.2 Formen der Aufmerksamkeits­selektivität und -ausrichtung: Selektive Aufmerksamkeit – Konzentration
3.2 Exekutivfunktionen
3.2.1 Kernexekutivfunktionen: Arbeitsgedächtnis, Hemmung und kognitive Flexibilität
3.2.2 Arbeitsgedächtnis und „Überwachungsfunktionen“
3.2.2.1 Das Gedächtnismodell nach Baddeley
3.2.2.2 Das Gedächtnismodell nach Cowan
3.2.2.3 Störungen des Arbeitsgedächtnisses bei einer ADHS
3.2.3 Hemmung
3.2.3.1 Störungen der Hemmung bei einer ADHS – Verminderte kognitive und verhaltensbezogene Kontrolle, Impulsivität und Emotions­regulationsstörung
3.2.4 Kognitive Flexibilität, Planungsvermögen, Problemlösefähigkeit und Zeitgefühl
3.2.4.1 Beeinträchtigung der kognitiven Flexibilität bei einer ADHS
3.3 Zusammenfassung
Literatur
4: Motorische Schwierigkeiten
4.1 Motorische Unruhe und Impulsivität
4.2 Motorische Entwicklungsdefizite
Literatur
5: Entstehungsfaktoren für eine ADHS
5.1 Erbliche und epigenetische Komponenten einer ADHS
5.2 Entwicklungsbedingte Faktoren – Zusammenhänge mit Trauma, Stress und Bindungsverhalten
5.3 Stoffliche Einflüsse auf die Gehirnentwicklung
5.4 Weitere entwicklungsbezogene Risikofaktoren
Literatur
II: Neuronale Netzwerke und ADHS
6: Basale Netzwerke
6.1 Einführung
6.1.1 Konnektivität im Nervensystem
6.1.2 Die verschiedenen Netzwerktypen und deren Dysfunktionen
6.2 Das Wachheitssystem
6.2.1 Erzeugung eines tonischen Wachheitszustandes
6.2.2 Aufmerksamkeit und die Modulation der tonischen und phasischen Wachheit
6.2.2.1 Sensorisches Gating durch thalamokortikale Interaktionen
6.2.2.2 Tonische Feuerungsrate des LC und spezifische Hemmung palliothalamischer Kerne durch den Nucleus reticularis
6.2.2.3 Phasische Feuerungsrate des LC und kurzweilige Ausschaltung der spezifischen Hemmung palliothalamischer Kerne durch den Nucleus reticularis
6.2.2.4 Mehrmalige Darbietung von sensorischen Reizen
6.2.3 Wachheit und die ADHS
6.2.3.1 Dysfunktion des Locus coeruleus
6.2.3.2 Dysfunktion des Nucleus reticularis
Literatur
7: Sensorische Netzwerke
7.1 Auditive Verarbeitung
7.1.1 Feinzeitliche Segmentierung
7.1.2 Passives vs. aufmerksames Hören
7.2 Auditive Wahrnehmungsstörungen
Literatur
8: Vermittlernetzwerke
8.1 Das Salienznetzwerk
8.1.1 Regulation des Arousals und der Wachheit
8.1.2 Regulation subjektiver Salienz
8.1.3 Regulation der Motivation
8.1.4 SN und ADHS
8.1.4.1 Lokale Aktivitätsänderung der Kernregionen des SN
8.1.4.2 Dysfunktionen in den Faserverbindungen
8.1.4.3 Funktionelle Reorganisation der linkshemisphärischen Netzwerke bei Erwachsenen mit einer ADHS
8.2 Das Exekutivkontrollnetzwerk
8.2.1 Dynamische Verschiebung der Aufmerksamkeit
8.2.1.1 External gerichtete Aufmerksamkeit
8.2.1.2 Internal gerichtete Aufmerksamkeit
8.2.2 Arbeitsgedächtnis – ECN
8.2.3 Hemmung – SN und ECN
8.2.4 Zeitdiskriminierung und Daueraufmerksamkeit – ECN
8.2.5 Optimierung der Bewegungsabläufe
8.2.6 ECN und ADHS
8.2.6.1 Beeinträchtigungen der Planung und Ausführung motorischer Prozesse und der Zeitwahrnehmung
8.2.6.2 Dysfunktionen in den Basalganglien als primäre Ursache einer ADHS
8.2.6.3 Verminderung der Kopplungsstärke zwischen SN und ECN
Literatur
9: Extrinsische Bereitschaftsnetzwerke
9.1 Systeme für die extrinsische Aufmerksamkeit
9.2 DAN – Räumliche Aufmerksamkeitsorientierung
9.2.1 Ausbreitung des dorsalen Aufmerksamkeitsnetzwerks
9.2.2 Visuell-räumliche Zuwendung der Aufmerksamkeit
9.2.3 Merkmalbasierte Aufmerksamkeit
9.3 VAN – Neuausrichtung der Aufmerksamkeit und Wechsel zwischen Aufgaben
9.3.1 Ausbreitung des ventralen Aufmerksamkeitsnetzwerks
9.3.2 Bottom-up-Aktivität bei seltenen und unerwarteten Ereignissen mit einer Verhaltensrelevanz
9.4 DAN, VAN und ADHS
Literatur
10: Intrinsische Bereitschaftsnetzwerke
10.1 Das Ruhezustandsnetzwerk
10.2 Anatomie des DMN
10.2.1 Zentrale Kerngebiete des DMN – Emotionale Konnotation von Gedächtnisinhalten
10.2.2 Das mediotemporale Subsystem
10.2.2.1 Mnestische Informationsverarbeitung
10.2.2.2 Intrinsische Hirnaktivität
10.2.2.3 Bewertung der sensorischen Information und Selbstprojektion
10.2.3 Das dorsomediale Subsystem – Selbst- und Fremdwahrnehmung, Empathie, Imagination und Planung der Zukunft
10.3 Dysfunktionen des DMN bei der ADHS
10.3.1 Dysfunktionen im Precuneus – Niedrige sozial-kommunikative Kompetenz
10.3.2 Schwache Antikorrelation zwischen DMN und aufgabenpositiven Netzwerken
10.3.3 Restaktivierungen des DMN bei kognitiver Aktivität
Literatur
11: Affektiv-motivationale Netzwerke – Impulskontrolle, Emotion, Motivation und Furchtkonditionierung
11.1 Die drei Dimensionen des Gefühlraums
11.1.1 Feinregulation des emotionalen Erregungsgrades (= Arousal)
11.1.2 Erkennung der emotionalen Wertigkeit
11.1.3 Potenz – Die Stärke der Emotionen
11.2 Affektiv-motivationales Netzwerk und die ADHS
11.2.1 Dysregulation des emotionalen Arousals – Emotionale Labilität und unpassende Reiz-Reaktions-Assoziationen
11.2.2 Störung der emotionalen Valenz – Verlust der Impulskontrolle und unpassende Antwort-Konsequenz-Assoziationen
11.2.3 Atypische Konnektivität des ventralen Striatum – Schwierigkeiten und Motivationsmangel bei der Planung und Durchführung komplexer Aufgaben
11.2.4 Störungen im Belohnungssystem und emotionale Dysregulation
Literatur
III: Elektroenzephalografie und ADHS
12: Kortikale Aktivität, EEG und Signalverarbeitung
12.1 Kortikale Hypersäulen
12.2 Spontane, evozierte und induzierte Oszillationen
12.3 Spontane und induzierte Oszillationen
12.3.1 Lokale vs. globale Muster spontaner Aktivität
12.4 Evozierte und ereigniskorrelierte Aktivität
12.4.1 Exogene vs. endogene Komponenten
12.4.2 EKPs und ADHS
12.4.3 Das DC-EEG
12.4.3.1 Gleichstrompotenziale
12.4.3.2 Messgeräte zur Erfassung von DC-Potenzialen
12.4.3.3 Einflussfaktoren von DC-Potenzialen
12.4.3.4 Neurophysiologie der DC-Potenziale
12.4.3.5 ADHS und DC-Potenziale
12.4.4 Die kontingente negative Variation
12.4.5 Altersabhängige Änderungen der CNV-Komponenten
12.4.6 Änderungen der CNV-Komponenten bei einer ADHS
12.5 Digitalisierung und Aufspaltung des Rohsignals
12.5.1 Die Umwandlung eines analogen in ein digitales Signal im Zeitbereich
12.5.1.1 Frequenz, Amplitude, Phase und Kohärenz
12.5.2 Die Frequenzbänder
12.5.2.1 Fourier-Transformation
12.5.2.2 Absolute vs. relative Power und Quotienten (sogenannte Ratios)
Literatur
13: ADHS-relevante Rhythmen
13.1 Theta-Aktivität
13.1.1 Rudimentäre Theta-Oszillationen
13.1.2 Subkortikale Theta-Rhythmen
13.1.3 Kortikale Theta-Rhythmen
13.2 Alpha-Aktivität
13.2.1 Individuelle Alpha-Leistungsfrequenz
13.2.2 Tonische vs. arhythmische Alpha-Oszillationen
13.2.3 Rhythmische tonische Alpha-Oszillationen
13.2.4 Arhythmische ereignisbezogene Alpha-Oszillationen
13.2.5 Desynchronisation der Alpha-Oszillationen und Erkennung von Emotionen
13.2.6 Weitere alpha-ähnliche Rhythmen: Der μ-Rhythmus
13.3 Beta-Aktivität
13.3.1 Sensomotorischer Rhythmus
13.3.2 Asynchrone Beta-Oszillationen und Arbeitsgedächtnis
13.4 Funktionen der einzelnen Frequenzbänder
13.4.1 Die Distanz-, Wachheits- und Prädominanzhypothese
13.4.2 Elektrophysiologische Abweichungen bei einer ADHS
13.4.3 EEG-basierte Untergruppen bei neurotypischen Menschen und bei einer ADHS
13.4.3.1 EEG-basierte Normvarianten bei Erwachsenen
13.4.3.2 EEG-basierte Normvarianten bei Kindern
13.4.3.3 Unterscheidung in Untergruppen mittels Ruhe-EEG
13.4.3.4 EEG-basierte ADHS-Untergruppen bei Kindern
13.4.3.5 EEG-basierte ADHS-Untergruppen bei Erwachsenen
Fazit
Literatur
IV: Behandlung von ADHS mittels Neurofeedback
14: Behandlungsoptionen von AD(H)S mittels Neurofeedback
14.1 AWMF-Leitlinien zur Behandlung einer ADHS
14.2 Was versteht man unter Neurofeedback?
14.2.1 Formen des EEG-basierten Neurofeedbacks
14.2.2 Standardprotokolle
Literatur
15: Frequenzbandtraining
15.1 Voruntersuchungen
15.2 Auswahl des geeigneten Protokolls
15.3 Endophänotypen
15.3.1 Endophänotypisierung anhand des EEGs
15.3.2 Vererbung der Endophänotypen: Polygenie und Omnigenie
15.3.3 Endophänotyp mit Schwierigkeiten bei der Modulation der rudimentären Theta-Oszillationen (SMrT)
15.3.3.1 Die frontozentrale Dominanz der Theta-Oszillationen
15.3.3.2 Hohe kortikale Erregung auf der linken Hemisphäre bei geschlossenen Augen
15.3.3.3 Dysfunktion des dopaminergen ventralen Striatums
15.3.3.4 Das Gennetzwerk des SMrT-Endophänotyps
15.3.4 Endophänotyp mit einer Regulationsstörung in der tonischen Aktiviertheit (RStA)
15.3.4.1 Hyper- vs. Hypoarousal
15.3.4.2 Hohe kortikale Erregung auf der rechten Hemisphäre bei offenen Augen
15.3.4.3 Dysfunktion des noradrenergen Locus coeruleus
15.4 Individuelle Bestimmung der einzelnen Frequenzbänder
15.5 Schwellenwertbestimmung und Rückmeldung
15.5.1 Manuelles Setting
15.5.2 Automatisiertes Setting
15.6 Eliminierung von Artefakten und Datenauswertung
15.7 Einkanaltraining
15.7.1 Einkanalanordnungen
15.7.1.1 Referenzielle (monopolare) Anordnung
15.7.1.2 Sequenzielle (bipolare) Anordnung
15.7.2 Protokolle zur Abschwächung der Theta- und Erhöhung der Beta-Oszillationen
15.7.2.1 Der traditionelle Erklärungsansatz
15.7.2.2 Defizite bei der Modulation der rudimentären Theta-Oszillationen
15.7.2.3 Theta-down/SMR-up-Standardprotokoll
15.7.2.4 Theta/Beta-down-Standardprotokoll
15.7.2.5 Theta- und Beta-Mischprotokolle
15.7.2.6 Unzulänglichkeiten der bisherigen Standardprotokolle zur Abschwächung der Theta- und Erhöhung der Beta-Oszillationen
15.7.2.7 Fallstudie – Theta-down/SMR-up-Standardprotokoll bei einer ADS
15.7.3 Protokolle zur Regulierung der Alpha-Oszillationen
15.7.3.1 Die drei Ausprägungen des RStA-Endophänotyps
15.7.3.2 Alpha-Protokolle zur Regulation der kortikalen Erregung
15.7.3.3 Fallstudie – Alpha-down-Protokoll bei einer ADS
15.8 Zweikanalanordnungen
15.8.1 Kohärenz und Asymmetrie
15.8.1.1 Einflussfaktoren der Kohärenz
15.8.1.2 Intrahemisphärische Kohärenz bei einer ADHS
15.8.1.3 Interhemisphärische Kohärenz bei einer ADHS
15.8.2 Interhemisphärische frontale Asymmetrien
15.8.2.1 Frontale Alpha-Asymmetrien bei neurotypischen Menschen
15.8.2.2 Frontale Alpha-Asymmetrien bei einer ADHS
15.8.2.3 Frontale Asymmetrien bei ADHS und Verhalten
15.8.3 Interhemisphärisches Zweikanalprotokoll zur Erfassung von frontalen Asymmetrien
15.8.3.1 Positive vs. negative Alpha-Asymmetrien
15.8.3.2 Asymmetrie-Score
15.8.3.3 Fallstudie – Interhemisphärisches Zweikanalprotokoll
Literatur
16: Training langsamer kortikaler Potenziale
16.1 Einführung in das SCP-Training
16.1.1 Ziel: Verbesserung der Selbstregulationsfähigkeit des Gehirns
16.1.2 Therapeutische Anwendung
16.2 Ereigniskorrelierte Potenziale bei einer ADHS
16.2.1 Veränderung der CNV eines EKP
16.2.2 Ein experimentelles Paradigma zum Evozieren eines EKP
16.2.2.1 Cued-Go/NoGo-Aufgabe
16.2.2.2 Proaktiver Prozess
16.2.2.3 Reaktiver Prozess
16.2.3 Empirische Befunde bei einer ADHS
16.3 Lerntheoretische Grundlagen des SCP-Trainings
16.3.1 Die verschiedenen Prozesse des Lernens
16.3.1.1 Klassische Konditionierung: Anbindung neutraler Umgebungsreize an neurophysiologische Prozesse durch Wiederholung
16.3.1.2 Operante Konditionierung: Ursprünglich spontane Verhaltensweisen werden verstärkt oder abgeschwächt
16.3.1.3 Diskriminationslernen: Reiz- und Reaktionsdiskrimination
16.3.2 Anwendung beim SCP-Training
16.4 Ablauf und Beschreibung des SCP-Trainings
16.4.1 Trainingsaufgabe
16.4.2 Technisches Set-up
16.4.3 Ablauf einer Sitzung
16.4.4 Transfer
16.4.5 Therapiephasen und Anzahl der Sitzungen
16.4.6 Therapieprozess und Therapeutenverhalten
16.4.6.1 Gestalterische Rolleneinnahme des Therapeuten
16.4.6.2 Entwicklung von Problembewusstsein und Grundverständnis von Neurofeedback
16.4.6.3 Belohnung zur Steigerung der Motivation
16.4.6.4 Lernen durch Versuch und Irrtum
16.4.6.5 Interessante Feedbackobjekte zur Steigerung der Motivation
16.5 Empirische Befunde zum SCP-Training
16.5.1 Einzelfallbeschreibung aus der Praxis
16.5.1.1 Diagnose und Voruntersuchungen
16.5.1.2 Festlegung der Therapieziele
16.5.1.3 Ablauf des SCP-Trainings
16.5.1.4 Abschluss der Therapie
16.5.2 Empirische Befunde aus wissenschaftlichen Studien
16.5.2.1 Durchführung des Trainings
16.5.2.2 Klinische Veränderungen
16.5.2.3 Neurophysiologische Mechanismen und EEG-Veränderungen
16.6 Zusammenfassung und Ausblick
Literatur
17: Infra-Low Frequency Training
17.1 Vergleichende Einführung in das ILF-Training
17.2 Entwicklung des ILF-Trainings
17.2.1 Die Anfänge im Frequenzbandtraining
17.2.1.1 Das Prinzip der Lateralität
17.2.1.2 Erregungszustand und „Arousal-Modell“
17.2.1.3 Trainingsfrequenz
17.2.1.4 Bipolare EEG-Montage
17.2.1.5 Interhemisphärisches Training und Instabilitäten
17.2.1.6 Optimale Trainingsfrequenz und Frequenzregeln
17.2.2 Die Entdeckung der Infra-low Frequenzen
17.3 Neurophysiologie und allgemeine Trainingsprinzipien
17.3.1 Erregungszustand (Arousal)
17.3.2 Instabilitäten
17.3.3 Präfrontale Enthemmung
17.3.4 Lokalisierte Dysfunktionen
17.3.5 Erlernte Ängste und Gewohnheiten
17.3.6 Symptome und Funktionen, Basispositionen und Frequenzregeln
17.4 ILF-Training bei Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung
17.4.1 Anamnese und Diagnostik
17.4.1.1 Therapiebeginn mit Befunderhebung
17.4.1.2 Einfacher und komplexer ADHS-Typ
17.4.2 Erstellung eines Behandlungsplans
17.4.2.1 Zuordnung der Symptome zu Elektrodenpositionen
17.4.2.2 Behandlungsplan beim einfachen ADHS-Typ
17.4.2.3 Behandlungsplan beim komplexen ADHS-Typ
17.4.3 Durchführung des ILF-Trainings
17.4.3.1 Beginn mit T4-P4 und/oder T3-T4
17.4.3.2 Erfragen des Zustands des Klienten in der Sitzung
17.4.3.3 Befinden bei optimaler Trainingsfrequenz
17.4.3.4 Zusätzliche Erfassung von Symptomen nach der Sitzung
17.4.3.5 Hinzunahme weiterer Elektrodenpositionen bei Bedarf
17.4.4 Therapiegestaltung und Therapeutenverhalten
17.4.4.1 Therapeutisches und technisches Setting
17.4.4.2 Psychoedukation und Entwicklung von Compliance beim Patienten
17.5 Empirische Befunde zum ILF-Training
17.5.1 Einzelfallbeschreibung
17.5.1.1 Symptomschilderung und Diagnostik
17.5.1.2 Behandlungsplan und ILF-Training
17.5.1.3 Behandlungsergebnisse
17.5.2 Empirische Befunde aus wissenschaftlichen Studien
17.5.2.1 Placebo-Intervention oder wirkliche Veränderung neuronaler Strukturen?
17.5.2.2 Befunde zur Symptomreduktion bei verschiedenen Störungen
17.5.2.3 Befunde zur ADHS-Behandlung
17.6 Kritische Diskussion und Würdigung
Literatur
18: Datenbank-basierte EEG-Auswertung und Live-Z-Score-Training
18.1 Z-Score – Definition und Erklärung
18.2 Voraussetzungen für das Z-Score-Training
18.3 Einbindung von Z-Score-basierten Methoden in die Praxis
18.4 Konzept der datenbankbasierten EEG-Aufnahme
18.4.1 Qualitative EEG-Auswertung
18.4.2 Quantitative EEG-Auswertung
18.5 Exkurs: Standardabweichungen und Normalverteilung
18.6 EEG-Datenbanken
18.6.1 qEEG-Pro (EEGprofessionals, B.V.)
18.6.2 Neuroguide „Life Span EEG Database“ (Applied Neuroscience, Inc.)
18.6.3 BrainDX (BrainDX, L.L.C.)
18.6.4 HBI (HBImed AG)
18.6.5 Vergleich der Datenbanken bei einem gleichen Datensatz
18.7 Technische Voraussetzungen und Ablauf für qEEG-Auswertungen
18.8 Praktische Durchführung einer qEEG-Aufnahme
18.9 Z-Score-EEG-Auswertung
18.9.1 Z-Scores der absoluten und relativen Power
18.9.2 Z-Scores der Power-Ratios
18.9.3 FFT-Power-Spektrogramm und Alpha-Peak
18.9.4 Z-Score der Phasenkohärenz
18.9.5 Z-Score der Amplituden-Asymmetrie
18.9.6 Z-Score der Phasenverschiebung
18.9.7 Angabe von maximalen Z-Werten sowie Rückschlüsse auf den Entwicklungsstand
18.9.8 Zeit der Fluktuation
18.9.9 Anteil der abweichenden Aktivitäten
18.10 Interpretation der Z-Score-basierten quantitativen EEG-Auswertung
18.10.1 Vorbereitung
18.10.2 Interpretation
18.10.3 Z-Score-basierte quantitative EEG-Auswertungen bei ADS/ ADHS
18.11 Konzept des Live-Z-Score-Trainings
18.11.1 Technische und organisatorische Voraussetzungen für Z-Score-Training
18.11.2 Vorbereitung der Z-Score-Trainingsprotokolle
18.12 Beispielhafte Durchführung des Z-Score-Trainings bei ADS
18.12.1 Trainingsprotokoll und Einstellungen
18.12.2 Durchführung des Trainings
18.13 19-Kanal-Z-Score-Training
18.14 Auswertungsmöglichkeiten des Z-Score-Trainings
18.15 Aktuelle therapeutische Einordnung des Z-Score-Trainings
18.15.1 Vorteile des Z-Score-Trainings
18.15.2 Kritik und mögliche Nachteile des Z-Score-Trainings
18.16 Fallstudien
18.16.1 Fallstudie 1: Z-Score-Training (F3/F4 und C3/C4) bei einem Jungen mit ADS
18.16.2 Fallstudie 2: Z-Score-Training (F3/F4 und C3/C4) bei einem Jungen mit ADHS
18.16.3 Fallstudie 3: Z-Score-Training (Fz/F4 und Cz/C4) bei einem Mädchen mit ADHS
Literatur
19: Zusammenführung der Neurofeedbackansätze
19.1 Verbesserung der Selbstregulationsfähigkeit des Gehirns
19.2 Therapiebeginn – Diagnostischer Prozess – Psychoedukation
19.3 Von der Neurofeedbackdiagnostik zum Neurofeedbacktraining
19.4 Kombinationen unterschiedlicher Neurofeedbackansätze
19.5 Zusammenfassender Ausblick
Literatur
Stichwortverzeichnis

Citation preview

Kyriakos Sidiropoulos  Hrsg.

EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS Innovative Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen

EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS

Kyriakos Sidiropoulos Hrsg.

EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS Innovative Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen

Hrsg.

Kyriakos Sidiropoulos Stuttgart, Deutschland

ISBN 978-3-662-65725-6    ISBN 978-3-662-65726-3 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.­d-­nb.­de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Christine Lerche Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

V

Vorwort Gegenwärtig existiert eine beachtliche Anzahl an Publikationen, die sich mit der Thematik der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) befassen. Sie bieten einen breiten Überblick über das Störungsbild sowie die verschiedenen Interventionsmöglichkeiten. Innerhalb dieses Kontexts wird Neurofeedback oftmals nur stichpunktartig als eine von mehreren Behandlungsoptionen erwähnt. Andererseits gewähren die Fach- und Praxisbücher, die sich mit Neurofeedback befassen, einen tieferen Einblick in die allgemeine Methodik und die praktische Anwendung dieser Therapieform. Dabei wird die Bandbreite der Anwendungsgebiete und die zugehörigen Protokolle üblicherweise nur oberflächlich umrissen. Auf die Besonderheiten, z.B. des EEG-Signals bei der ADHS, oder die spezifische neuronale Netzwerkstruktur und deren Dysfunktionen bei diesem Störungsbild wird aus Platzgründen nicht näher eingegangen. Bislang gibt es kein deutschsprachiges Fachbuch, das detailliert sowohl auf die spezifischen Merkmale des ADHS-Störungsbildes (Diagnose, Symptomerklärung, EEG-Physiologie, neuronale Netzwerke) eingeht, als auch gleichzeitig alle gängigen Neurofeedback-Protokolle vorstellt, die gegenwärtig zum Einsatz kommen. Und das, obwohl Neurofeedback als eine der bedeutsamsten, wirkungsvollsten und am gründlichsten untersuchten nicht-medikamentösen Behandlungsoptionen für ADHS gilt. Genau hier positioniert sich das vorliegende Buch, das bemüht ist, diese Wissenslücke zu schließen. Dieses Werk ist in vier Sektionen unterteilt. In den 7 Kap.  1–5 wird die Verhaltens- und emotionale Störung ADHS vorgestellt (Diagnostik, Ätiologie etc.) sowie auf die Kernsymptome Aufmerksamkeit, Überaktivität, Impulsivität gesondert eingegangen. Dann folgen einige Kapitel über die neuronalen Netzwerke, die bei der ADHS beteiligt sind (7 Kap. 6–11), und über die bei der ADHS relevanten Rhythmen im Spontan-EEG (7 Kap.  12–13). Am Ende des Buches, in den 7 Kap.  14–19, werden eingehend die gängigen Therapieoptionen mittels Neurofeedback vorgestellt (SCP-, Frequenzband-, Z-Score Training, ILF-Training), die aktuelle Studienlage in der Forschung ausführlich diskutiert und die Argumente, die für und gegen den Einsatz der jeweiligen Methode sprechen, dargelegt. Am Ende eines jeden Kapitels werden verschiedene Kasuistiken vorgestellt und über den Einsatz und die positiven Erfolge der Neurofeedbacktherapie berichtet. Besonderen Wert legen wir auf die Wissenschaftlichkeit des Buches, auf das ausreichende Belegen der Aussagen mit Quellen bei gleichzeitiger Verständlichkeit der Ausführungen, sodass das Buch trotz wissenschaftlicher Präzision gut lesbar bleibt. Vorbild in der Hinsicht sind viele amerikanische naturwissenschaftliche Lehrbücher. Dieses Buch möchte Theoretiker und Praktiker gleichermaßen ansprechen. Unsere Leser werden damit ein Werk vorfinden, das ihnen hilft, die ADHS-­ Symptomatik besser zu verstehen und die Besonderheiten des EEG-Signals von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS besser zu interpretieren. Das Buch wird aber vor allem ihre praktische Arbeit unterstützen, denn darin werden detailliert alle relevanten EEG-Protokolle vorgestellt, die in der Praxis Anwendung finden. Mithilfe dieses Werkes wird ein leichter Einstieg in die Behandlung der ADHS mit der Methode des Neurofeedbacks ermöglicht, ohne spezielle medizinische Kenntnisse in der Anatomie, Physiologie oder Pathologie vorauszusetzen. Dabei werden  







VI

Vorwort

sowohl die Stärken als auch die Schwächen dieser Methode näher vorgestellt. Dieses Buch kann für den Praktiker wichtige Kenntnisse zur Vertiefung seines theoretischen und praktischen Wissens bieten und für den Wissenschaftler ein Ansporn sein, weitere Forschungen auf diesem Gebiet anzustellen, sodass Neurofeedback künftig noch effektiver gestaltet werden kann. Dieses Buch konnte entstehen, weil alle beteiligten Autoren viele Abende, Wochenenden und Feiertage investiert haben, und dies in den schwierigen Zeiten der Corona-Pandemie, in der viele Praxen mit verschiedensten Restriktionen und Schwierigkeiten (auch finanzieller Natur) zu kämpfen hatten. Alle Autoren haben wissenschaftlichen Hintergrund und sind gleichzeitig in der Praxis tätig. Die Arbeit wurde nach praktischer und theoretischer Expertise unterteilt. Die Texte des jeweiligen Experten wurden im Anschluss von den anderen Autoren mitlektoriert, modifiziert und kritisch diskutiert. Auch externe Kollegen wurden mit dem Lektorat von Teilen dieses Buches beauftragt, die alle zusammen zur inhaltlichen Verbesserung dieses Buches beitrugen. Insbesondere möchte wir an dieser Stelle Prof. Dr. Zikopoulos (Department of Anatomy and Neurobiology, Boston University School of Medicine) und PD Dr. Meike Wiedermann (Leiterin der Trainings- & Lehrabteilung der BEE Medic GmbH) danken. Ein besonderer Dank für die Herstellung und Realisierung dieses Projektes gilt auch dem Springer-Verlag und seinen Mitarbeiterinnen Frau Dr. Lerche und Frau Bauer. An dieser Stelle möchten wir uns auch bei unseren Partnerinnen und Partnern für ihre Geduld und ihr Verständnis bedanken sowie bei unseren Kindern, denen wir viel Zeit schuldeten, Zeit, die wir nicht gemeinsam mit ihnen verbracht haben. Der Herausgeber und die Mitautoren Sept 2023 Stuttgart, München, Freiburg

VII

Inhaltsverzeichnis I

Einführung – Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung

1

ADHS – Definition und Diagnose.........................................................................................   3

1.1 1.2

Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos Diagnosestellung nach ICD..............................................................................................................   4 Diagnosestellung nach DSM............................................................................................................   5 Literatur...........................................................................................................................................................  7

2

Häufigkeit und Begleitsymptomatik................................................................................   9

2.1 2.2 2.3

Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos Prävalenzrate.........................................................................................................................................  10 Auswirkungen einer ADHS und Folgeprobleme.......................................................................  10 Begleitsymptomatik............................................................................................................................  11 Literatur........................................................................................................................................................... 12

3

Neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und –modelle...............................  15

3.1 3.2 3.3

Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos Aufmerksamkeit...................................................................................................................................  16 Exekutivfunktionen.............................................................................................................................  23 Zusammenfassung..............................................................................................................................  32 Literatur........................................................................................................................................................... 32

4

Motorische Schwierigkeiten...................................................................................................  41

4.1 4.2

Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos  Motorische Unruhe und Impulsivität............................................................................................  42 Motorische Entwicklungsdefizite...................................................................................................  42 Literatur........................................................................................................................................................... 43

5

Entstehungsfaktoren für eine ADHS.................................................................................  45

5.1 5.2 5.3 5.4

Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos  Erbliche und epigenetische Komponenten einer ADHS.........................................................  46 Entwicklungsbedingte Faktoren – Zusammenhänge mit Trauma, Stress und Bindungsverhalten........................................................................................................  46 Stoffliche Einflüsse auf die Gehirnentwicklung.........................................................................  47 Weitere entwicklungsbezogene Risikofaktoren........................................................................  47 Literatur........................................................................................................................................................... 48

VIII

Inhaltsverzeichnis

II

Neuronale Netzwerke und ADHS

6

Basale Netzwerke...........................................................................................................................  55

6.1 6.2

Kyriakos Sidiropoulos Einführung..............................................................................................................................................  56 Das Wachheitssystem.........................................................................................................................  58 Literatur........................................................................................................................................................... 65

7

Sensorische Netzwerke..............................................................................................................  69

7.1 7.2

Kyriakos Sidiropoulos Auditive Verarbeitung........................................................................................................................  70 Auditive Wahrnehmungsstörungen..............................................................................................  72 Literatur........................................................................................................................................................... 73

8

Vermittlernetzwerke....................................................................................................................  75

8.1 8.2

Kyriakos Sidiropoulos Das Salienznetzwerk...........................................................................................................................  76 Das Exekutivkontrollnetzwerk........................................................................................................  79 Literatur........................................................................................................................................................... 85

9

Extrinsische Bereitschaftsnetzwerke...............................................................................  89

9.1 9.2 9.3 9.4

Kyriakos Sidiropoulos  Systeme für die extrinsische Aufmerksamkeit...........................................................................  90 DAN – Räumliche Aufmerksamkeitsorientierung.....................................................................  90 VAN – Neuausrichtung der Aufmerksamkeit und Wechsel zwischen Aufgaben............  91 DAN, VAN und ADHS...........................................................................................................................  92 Literatur........................................................................................................................................................... 93

10

Intrinsische Bereitschaftsnetzwerke................................................................................  95

10.1 10.2 10.3

Kyriakos Sidiropoulos Das Ruhezustandsnetzwerk.............................................................................................................  96 Anatomie des DMN..............................................................................................................................  96 Dysfunktionen des DMN bei der ADHS........................................................................................ 100 Literatur...........................................................................................................................................................102

11

11.1 11.2

 ffektiv-motivationale Netzwerke – Impulskontrolle, Emotion, A Motivation und Furchtkonditionierung......................................................................... 105 Kyriakos Sidiropoulos  drei Dimensionen des Gefühlraums...................................................................................... 106 Die Affektiv-motivationales Netzwerk und die ADHS..................................................................... 110 Literatur...........................................................................................................................................................112

IX Inhaltsverzeichnis

III

Elektroenzephalografie und ADHS

12

Kortikale Aktivität, EEG und Signalverarbeitung.................................................... 117

12.1 12.2 12.3 12.4 12.5

Kyriakos Sidiropoulos, Beate Kilian und Gunnar Ströhle Kortikale Hypersäulen........................................................................................................................ 118 Spontane, evozierte und induzierte Oszillationen................................................................... 118 Spontane und induzierte Oszillationen....................................................................................... 119 Evozierte und ereigniskorrelierte Aktivität................................................................................. 120 Digitalisierung und Aufspaltung des Rohsignals...................................................................... 129 Literatur...........................................................................................................................................................132

13

ADHS-relevante Rhythmen..................................................................................................... 137

13.1 13.2 13.3 13.4

Kyriakos Sidiropoulos und Beate Kilian Theta-Aktivität...................................................................................................................................... 138 Alpha-Aktivität...................................................................................................................................... 140 Beta-Aktivität......................................................................................................................................... 144 Funktionen der einzelnen Frequenzbänder............................................................................... 147 Literatur...........................................................................................................................................................152

IV

Behandlung von ADHS mittels Neurofeedback

14

Behandlungsoptionen von AD(H)S mittels Neurofeedback............................. 161

14.1 14.2

Kyriakos Sidiropoulos  AWMF-Leitlinien zur Behandlung einer ADHS........................................................................... 162 Was versteht man unter Neurofeedback?................................................................................... 164 Literatur...........................................................................................................................................................165

15

Frequenzbandtraining............................................................................................................... 167

15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6 15.7 15.8

Kyriakos Sidiropoulos Voruntersuchungen............................................................................................................................ 169 Auswahl des geeigneten Protokolls.............................................................................................. 169 Endophänotypen................................................................................................................................. 170 Individuelle Bestimmung der einzelnen Frequenzbänder.................................................... 175 Schwellenwertbestimmung und Rückmeldung........................................................................ 175 Eliminierung von Artefakten und Datenauswertung.............................................................. 176 Einkanaltraining................................................................................................................................... 177 Zweikanalanordnungen.................................................................................................................... 190 Literatur...........................................................................................................................................................198

16

Training langsamer kortikaler Potenziale..................................................................... 205

16.1 16.2 16.3

Gunnar Ströhle, Sarah Hirsch und Kyriakos Sidiropoulos  Einführung in das SCP-Training....................................................................................................... 207 Ereigniskorrelierte Potenziale bei einer ADHS........................................................................... 208 Lerntheoretische Grundlagen des SCP-Trainings..................................................................... 212

X

Inhaltsverzeichnis

16.4 16.5 16.6

 Ablauf und Beschreibung des SCP-Trainings.............................................................................. 215 Empirische Befunde zum SCP-Training......................................................................................... 223 Zusammenfassung und Ausblick.................................................................................................... 233 Literatur...........................................................................................................................................................234

17

Infra-Low Frequency Training................................................................................................ 237

17.1 17.2 17.3 17.4 17.5 17.6

Gunnar Ströhle  Vergleichende Einführung in das ILF-Training........................................................................... 239 Entwicklung des ILF-Trainings......................................................................................................... 240 Neurophysiologie und allgemeine Trainingsprinzipien......................................................... 245 ILF-Training bei Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung........................................ 250 Empirische Befunde zum ILF-Training.......................................................................................... 260 Kritische Diskussion und Würdigung............................................................................................ 268 Literatur...........................................................................................................................................................269

18

Datenbank-basierte EEG-­Auswertung und Live-Z-­Score-Training............... 273

18.1 18.2 18.3 18.4 18.5 18.6 18.7 18.8 18.9 18.10 18.11 18.12 18.13 18.14 18.15 18.16

Philipp Heiler  Z-Score – Definition und Erklärung................................................................................................ 276 Voraussetzungen für das Z-Score-Training................................................................................. 276 Einbindung von Z-Score-basierten Methoden in die Praxis.................................................. 276 Konzept der datenbankbasierten EEG-Aufnahme................................................................... 277 Exkurs: Standardabweichungen und Normalverteilung........................................................ 279 EEG-Datenbanken................................................................................................................................ 280 Technische Voraussetzungen und Ablauf für qEEG-Auswertungen................................... 282 Praktische Durchführung einer qEEG-Aufnahme..................................................................... 284 Z-Score-EEG-Auswertung.................................................................................................................. 285 Interpretation der Z-Score-basierten quantitativen EEG-Auswertung............................. 289 Konzept des Live-Z-Score-Trainings.............................................................................................. 291 Beispielhafte Durchführung des Z-Score-Trainings bei ADS................................................. 295 19-Kanal-Z-Score-Training................................................................................................................ 297 Auswertungsmöglichkeiten des Z-Score-Trainings.................................................................. 297 Aktuelle therapeutische Einordnung des Z-Score-Trainings................................................ 298 Fallstudien.............................................................................................................................................. 299 Literatur...........................................................................................................................................................309

19

Zusammenführung der Neurofeedbackansätze....................................................... 313

19.1 19.2 19.3 19.4 19.5

Gunnar Ströhle  Verbesserung der Selbstregulationsfähigkeit des Gehirns................................................... 314 Therapiebeginn – Diagnostischer Prozess – Psychoedukation............................................ 316 Von der Neurofeedbackdiagnostik zum Neurofeedbacktraining....................................... 317 Kombinationen unterschiedlicher Neurofeedbackansätze.................................................. 318 Zusammenfassender Ausblick......................................................................................................... 320 Literatur...........................................................................................................................................................321

Serviceteil Stichwortverzeichnis............................................................................................................................  327

XI

Herausgeber- und Autorenverzeichnis Über den Herausgeber Dr. rer. nat. Kyriakos Sidiropoulos Neurowissenschaftler Jahrgang 1972 Kyriakos Sidiropoulos hat Biologie, Germanistik und Philosophie in Freiburg studiert und in Neurowissenschaften an der Graduate School of Neural & Behavioral Sciences in Tübingen promoviert. Er widmete sich intensiv der Erforschung sprachlicher Funktionen, Gedächtnisprozesse und Exekutivfunktionen. Dabei wandte er eine auf Voxel basierte Methode an, um die Zusammenhänge zwischen zerebralen Läsionen und den daraus resultierenden Symptomen bei Patienten mit Leitungsaphasie zu untersuchen. Durch seine Tätigkeit in der Abteilung Kognitive Neurologie der Universitätsklinik Tübingen und im Psychologischen Institut sammelte er zusätzliche praktische Erfahrungen im klinischen Bereich mit älteren Schlaganfallpatienten, die neben einer Aphasie weitere neuropsychologische Störungen aufwiesen. Durch seine Weiterbildung im Bereich Neurofeedback habe er weitere therapeutische Anwendungsgebiete erschlossen. In seiner eigenen Praxis im Zentrum von Stuttgart behandelt er mittels Neurofeedback neben Schlaganfallpatienten, u. a. Kinder und Erwachsene mit ADHS, Patienten mit Depressionen und Schlafstörungen. Er ist Autor mehrerer wissenschaftlicher Publikationen und ist Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Biofeedback e.V. Wissenschaftliche und praktische Themenfelder:  Erforschung von Sprache, Gedächtnis und Aufmerksamkeit und deren Dysfunktionen (z.  B.  Aphasie, AD(H)S, Gedächtnisstörungen), Auditive Wahrnehmung, Funktionelle Anatomie, Läsionsstudien,  Neurofeedback, Nahinfrarot-Spektroskopie des Gehirns und Neurostimulation.

Über die Autoren Philipp Heiler Arzt Jahrgang 1989 Philipp Heiler hat Humanmedizin an der TU München sowie der LMU studiert und promoviert aktuell zum Thema depressive Störungen und Neurofeedback unter Prof. Dr. med. Oliver Pogarell an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU.  Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt auf dem Vergleich unterschiedlicher Feedback Modalitäten sowie dem Einsatz von innovativen Technologien wie Virtual Reality Brillen.

XII

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Mit seiner ärztlichen Praxis im Zentrum von München hat er sich direkt nach der Approbation 2016 vollständig auf Neurofeedback bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen spezialisiert. Zudem ist er Mitgründer und Geschäftsführer der brainboost GmbH und treibt dabei Softwareentwicklung und Forschungsprojekte zur Datenauswertung, auch mittels künstlicher Intelligenz, voran. Universitäre Entwicklungspartner sind dabei die Hochschule Heilbronn, die LMU, die TU München und das Fraunhofer Institut. Mit der brainboost Academy bildet Philipp Heiler Neurofeedback Therapeuten und Trainer aus. Wissenschaftliche und praktische Themenfelder: Neurofeedback bei depressiven Störungen und (komplexer) posttraumatischer Belastungsstörung, EEG Datenaufbereitung, -verarbeitung und –auswertung, Einsatz innovativer Feedback Modalitäten wie virtual oder augmented Reality.

Dr. phil. Beate Kilian Psychologin Jahrgang 1978 Beate Kilian studierte Psychologie, Philosophie und Neurowissenschaften in Melbourne (Swinburne University), Tübingen (Max Planck Research School of Neural and Behavioral Sciences) und München (Ludwig-Maximilians-Universität). Als Stipendiatin des Elite-Netzwerks Bayern promovierte sie im Bereich der klinischen Neurowissenschaften zum Thema Elektroenzephalographie der Aufmerksamkeitsfunktionen bei Erwachsenen mit einer ADHS.  Sie arbeitete am Lehrstuhl für Allgemeine und Experimentelle Psychologie der LMU und in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU in Forschung, Lehre und Patientenversorgung. Sie ist systemische Therapeutin, Hypnotherapeutin (nach M. Erickson) und systemische Strukturaufstellerin (SySt) und in München in eigener Praxis tätig. Außerdem arbeitet sie als Neurofeedbacktherapeutin (ILF-Training) in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis mit dem Schwerpunkt ADHS. Sie ist Ausbilderin im Bereich systemische Therapie und Hypnotherapie und leitet offene Gruppen und Selbsterfahrungsseminare. Zudem ist sie freie Referentin zu den Themen ADHS, Hochbegabung und Medienabhängigkeit und arbeitet mit der Karg Stiftung für Hochbegabung zusammen. Wissenschaftliche und praktische Themenfelder:  Forschungsarbeiten im Bereich Elektroenzephalographie, Aufmerksamkeitsfunktionen, ADHS; Systemische Therapie, Hypnotherapie (M.  Erickson), Systemische Strukturaufstellungen (SySt); ILF-­Neurofeedback; Begabungspsychologische Beratung

XIII Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Gunnar Ströhle Psychologe und Psychotherapeut Jahrgang 1976 Gunnar Ströhle ist Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie. Er arbeitet als niedergelassener Psychotherapeut in Freiburg im Breisgau. Zuvor war er in verschiedenen klinischen Settings tätig. Bio- und Neurofeedback lernte er in seiner Ausbildung zum Verhaltenstherapeuten kennen und wertschätzen. Seit 2007 vertieft er sein theoretisches und praktisches Wissen in diesem Bereich durch regelmäßige Teilnahmen an nationalen und ­internationalen Fortbildungen. Im Rahmen einer integrativen Verhaltenstherapie kombiniert er in seiner täglichen Arbeit verschiedene Neurofeedbacktechniken (z.  B.  Frequenzbandtraining, ILF-Neurofeedback, Z-Werte-Training) mit anderen Methoden der Psychotherapie (z. B. Schematherapie, Achtsamkeits- und Akzeptanzbasierte Therapien, Emotionsfokussierte Therapien, Embodiment). Seit 2015 gibt er selbst Workshops und Supervisionen in Bio- und Neurofeedback für interessierte Kollegen. Er ist anerkannter Supervisor bei EEGInfo Europe für das ILF-Training. Im Jahr 2020 publizierte er ein Buchkapitel über die Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung mit Neurofeedback. In den Jahren zuvor war er an einigen wissenschaftlichen Projekten und Publikationen zur Erforschung der Achtsamkeit beteiligt. Wissenschaftliche und praktische Themenfelder: Achtsamkeit, Bewusstsein, Neuronale Netzwerke, Emotionsfokussierte Therapien und Embodiment, Biofeedback und Neurofeedback.

Über den Herausgeber Dr. rer. nat. Kyriakos Sidiropoulos  Praxis für Neurofeedback, Stuttgart, Deutschland

Autorenverzeichnis Philipp Heiler  Praxis für Neurofeedback München, München, Deutschland Sarah Hirsch  Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Freiburg, Deutschland Dr. phil. Beate Kilian  Psychologische Praxis, München, Deutschland Dipl.-Psych. Gunnar  Ströhle  Praxis für Psychotherapie und Psychosomatik, Freiburg, Deutschland

1

Einführung – Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung Inhaltsverzeichnis Kapitel 1

 DHS – Definition und Diagnose – 3 A Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos

Kapitel 2

 äufigkeit und Begleitsymptomatik – 9 H Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos

Kapitel 3

Neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und –modelle – 15 Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos

Kapitel 4

Motorische Schwierigkeiten – 41 Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos

Kapitel 5

Entstehungsfaktoren für eine ADHS – 45 Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos

I

3

ADHS – Definition und Diagnose Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos Inhaltsverzeichnis 1.1

Diagnosestellung nach ICD – 4

1.2

Diagnosestellung nach DSM – 5 Literatur – 7

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 K. Sidiropoulos (Hrsg.), EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3_1

1

4

1

B. Kilian und K. Sidiropoulos

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) [1] oder hyperkinetische Störung [2] ist eine der am häufigsten diagnostizierten psychiatrischen Störungsbilder bei Kindern und Jugendlichen. In mehr als der Hälfte der Fälle setzt sich die Symptomatik bis ins Erwachsenenalter fort. Die ADHS ist charakterisiert durch weitreichende Schwierigkeiten mit Aufmerksamkeitslenkung, kognitiver Selbststeuerung, Verhaltenskontrolle und Emotionsregulation. Zu den häufigsten Symptomen zählen Ablenkbarkeit und Konzentrationsschwierigkeiten, Impulsivität und überschießende motorische Aktivität, eine geringere Flexibilität, Organisationsprobleme sowie eine beeinträchtigte Eigen- und Fremdwahrnehmung. Die genannte Symptomatik erschwert es den Betroffenen, sich im sozialen Gefüge zu integrieren und zieht in der Regel Probleme im akademischen und zwischenmenschlichen Bereich nach sich. Wie wir im Verlauf des Buches sehen werden, sind entsprechend weitreichende neuronale Netzwerke und Regelkreise beteiligt (siehe Sektion II, 7 Kap.  6–11). Die ADHS ist eines der in der klinischen Neurowissenschaft am häufigsten untersuchten psychiatrischen Störungsbilder und Gegenstand zahlreicher psychologischer, physiologischer und biologischer Studien. Eine ausgeprägte Heterogenität im Erscheinungsbild und Veränderungen im Entwicklungsverlauf sowie unterschiedliche der Diagnose zugrunde liegende Klassifizierungssysteme und regelmäßige Überarbeitungen entsprechender Manuale und Richtlinien erschweren die Entwicklung eines einheitlichen Modells [3]. Im Folgenden werden wir zunächst die beiden diagnostischen Herangehensweisen der Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und  

des Diagnostischen und Statistischen Manuals (DSM) der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) beschreiben und vergleichen. 1.1

Diagnosestellung nach ICD

In Deutschland und vielen europäischen Ländern erfolgt die Diagnosestellung offiziell über das ICD in seiner zehnten Version (ICD-10), seit 2022 gilt die überarbeitete Version (ICD-11), die bereits seit 2018 online zugänglich ist. In den USA und vielen anderen Ländern außerhalb Europas gilt das DSM als offizielle Richtlinie, seit 2013 in seiner fünften Überarbeitung. Ältere Studien beziehen sich folglich auf Stichproben, die nach den Kriterien der Vorgängerfassung ausgewählt wurden. Daher lohnt sich eine kurze Betrachtung der Unterschiede bzw. der Änderungen, die 2013 vorgenommen wurden. Je nach Ausprägung der Kernsymptome (Aufmerksamkeit, Überaktivität, Impulsivität) werden, wie in . Abb.  1.1 dargestellt, im ICD sowie im DSM-IV verschiedene Subtypen unterschieden. Im DSM-V wurde diese Unterscheidung aufgehoben (siehe unten). Im ICD-10 ist die hyperkinetische Störung charakterisiert durch einen frühen Beginn, meist vor dem 6. Lebensjahr (im ICD11 wurde die genaue Altersgrenze aufgehoben). Als Kernsymptome werden genannt: 55 ein Mangel an Ausdauer bei Beschäftigungen, die kognitiven Einsatz verlangen, 55 eine Tendenz, von einer Tätigkeit zu einer anderen zu wechseln, ohne sie zu Ende zu führen, 55 desorganisierte, mangelhaft regulierte und überschießende Aktivität.  

1

5 ADHS – Definition und Diagnose

ADHS-Diagnose nach DSM-IV-TR (2010) Hyperaktivität

Aufmerksamkeit

”Vorwiegend unaufmerksamer Typus“ (314.00)

Impulsivität

N.N.

„Mischtypus“ „Vorwiegend Nicht näher spezifizierter (314.01) hyperaktiv-impulsiver Typus“ (314.01) Residualtypus (314.9)

ADHS-Diagnose nach ICD-10-GM-2017 Aufmerksamkeit

Hyperaktivität

Impulsivität

”Aufmerksamkeitsstörung „Einfache Aktivitäts- und „Sonstige hyperkinetische Aufmerksamkeitsstörung“ Störungen“ (F90.8) ohne Hyperaktivität“ (F90.0) (F98.8) Nicht näher bezeichnete hyperkinetische Störung (F90.9)



Störung des Sozialverhaltens

=

„Hyperkinetishche Störung des Sozialverhaltens“ (F90.1)

..      Abb. 1.1  ADHS-Subtypen nach ICD-10 und DSM-­IV. Die Abbildung zeigt den Vergleich der beiden gängigen Diagnosesysteme in Hinblick auf

ADHS und die jeweils beschriebenen Ausprägungsformen

Diese sind oft verbunden mit 55 Achtlosigkeit und Impulsivität, 55 einer Neigung zu Unfällen aus Unachtsamkeit, 55 Regelverletzung aus Unachtsamkeit, was häufig zu Bestrafungen führt, 55 einer Distanzstörung und einem Mangel an normaler Vorsicht und Zurückhaltung in der Beziehung zu Erwachsenen, 55 Beeinträchtigungen kognitiver Funktionen, 55 Unbeliebtheit bei Gleichaltrigen und mitunter soziale Isolation, 55 spezifischen Verzögerungen der motorischen und sprachlichen Entwicklung sowie 55 dissozialem Verhalten und niedrigem Selbstwertgefühl als Folge.

höherem Alter Schizophrenie. Ist ausschließlich die Aufmerksamkeit betroffen, wird anstatt der hyperkinetischen Störung die Diagnose „Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität“ gestellt.

Die Symptome müssen in mindestens zwei Lebensbereichen auftreten. Ausschlussdiagnosen sind affektive Störungen, Angststörungen, tiefgreifende Entwicklungsstörungen (Autismusspektrum), sowie in

1.2

Diagnosestellung nach DSM

Im DSM werden zur Diagnosestellung Symptome und Verhaltensweisen aus den Bereichen Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität aufgelistet. Eine ADHS liegt bei Kindern gemäß den aktuellen Richtlinien dann vor, wenn mindestens sechs Symptome aus der Kategorie Unaufmerksamkeit oder mindestens sechs Symptome aus der Kategorie Hyperaktivität /Impulsivität zutreffen (siehe folgende Übersicht). Für Jugendliche und Erwachsene sind vier Symptome in einer Kategorie ausreichend. Bis 2013 waren über alle Altersgruppen hinweg sechs Symptome erforderlich.

6

1

B. Kilian und K. Sidiropoulos

Diagnosekriterien der ADHS im DSM 55 Unaufmerksamkeit Missachtet häufig Einzelheiten oder begeht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten und sonstigen Arbeiten und Aktivitäten 55 Hat oft Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder beim Spielen aufrechtzuerhalten 55 Scheint häufig bei Ansprache nicht zuzuhören 55 Hält häufig Anweisungen anderer nicht durch und kann Arbeiten nicht zu Ende bringen (nicht wegen oppositionellen Verhaltens oder weil die Erklärungen nicht verstanden werden) 55 Hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren 55 Vermeidet oder zeigt Abneigung gegenüber Aufgaben, die länger dauernde geistige Anstrengung erfordern 55 Verliert häufig Gegenstände, die für bestimmte Aufgaben wichtig sind, z.  B. für Schularbeiten, Spielsachen und Werkzeuge 55 Ist öfter leicht ablenkbar durch äußere Reize 55 Ist bei Alltagsaktivitäten häufig vergesslich

55 Hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen 55 Ist häufig „auf Achse“ oder handelt oftmals, als wäre sie/er getrieben 55 Redet häufig übermäßig viel 55 Platzt oft zu früh mit den Antworten heraus, z. B. bevor eine Frage zu Ende gestellt ist 55 Kann nur schwer warten, bis sie/er an der Reihe ist 55 Unterbricht und stört andere häufig, z.  B. platzt er/sie in Gespräche oder Spiele anderer hinein

Eine wichtige Neuerung im DSM-V ist das Aufheben der strengen Unterteilung in die Subtypen „vorwiegend unaufmerksamer Typus“, „vorwiegend hyperaktiver Typus“ und „kombinierter Typus“, die zu Ausprägungsarten (engl. presentations) zum Zeitpunkt der Diagnosestellung abgeschwächt wurden. Dabei zugrunde gelegt wurde die Tatsache, dass die 1994 vorgenommene Unterscheidung in Subtypen nicht stabil über die Lebensspanne hinweg besteht [4] und auch neurowissenschaftlich bisher nicht bestätigt werden konnte (siehe Sektion III, 7 Kap. 12–13). In der Adoleszenz und im Erwachsenenalter treten tendenziell die Aufmerksamkeitsprobleme im weitesten Sinne sowie Impulsivität und emotionale Dysregulation in den Vordergrund [5, 6]. Hyperaktivitätssymptome werden geringer und zeigen sich eher als ein subjektives Unruhegefühl oder eine mangelnde Fähigkeit, sich zu entspannen [7]. Generell müssen die Symptome über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten bestehen, sich in mindestens zwei Lebensbereichen zeigen und dürfen nicht im Rahmen einer anderen Erkrankung wie Schizophrenie, affektiver oder psychotischer  

Überaktivität und Impulsivität 55 Zappelt häufig mit Händen oder Füßen und rutscht auf dem Stuhl herum 55 Steht in der Klasse oder in anderen Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird, häufig auf 55 Läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben)

7 ADHS – Definition und Diagnose

Störung, Angst- oder Persönlichkeitsstörung erklärbar sein. Eine autistische Störung ist seit 2013 kein Ausschlusskriterium mehr. Während im DSM-IV die Symptome vor dem 7. Lebensjahr erkennbar sein mussten, ist dies jetzt vor dem 12.  Lebensjahr ausreichend. Zudem müssen anders als zuvor die Symptome nicht mehr zwingend zu „klinisch bedeutsamen“, sondern lediglich zu „merklichen“ Beeinträchtigungen im Alltag führen. Bereits vor Einführung des DSM-V wurde in Fachkreisen darauf hingewiesen, dass die Lockerungen der Kriterien im Vergleich zur Vorgängerversion sehr wahrscheinlich zu einer steigenden Prävalenzrate führen werden, was kontrovers diskutiert wird [4, 8–10]. In einer Studie führte allein das Heraufsetzen des maximalen Beginns von 7 auf 12  Jahre zu einer Zunahme von 50 % [11]. Vergleichbares ist für die Reduktion der Anzahl an erforderlichen Symptomen von sechs auf vier pro Kategorie für Erwachsene zu beobachten, die ebenfalls zu höheren Prävalenzraten führt [4, 12]. Es wird weiterhin diskutiert, inwieweit der Einschluss von Kindern und Jugendlichen mit nur milden Symptomen in diese Gruppe gerechtfertigt ist oder inwiefern dies eine Überdiagnostizierung darstellt [13]. Gleichzeitig sprechen einige wissenschaftliche Studien für diese Lockerungen (siehe [10] für eine Zusammenfassung). In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass die gängige diagnostische Praxis häufig unter Verwendung von Fragebögen durchgeführt wird, die auf den DSM-­IV-­Kriterien basieren, die Diagnose letztendlich aber im Sinne des ICD erfolgt und es somit in der Praxis zu einer Vermischung der beiden Systeme kommt.

1

Fazit Der ADHS oder hyperkinetischen Störung liegen unterschiedliche Diagnosesysteme zugrunde, die zudem regelmäßiger Veränderung unterliegen. Als Kernsymptome werden übereinstimmend Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität beschrieben. Eine Unterscheidung nach Subtypen wurde aufgehoben und die Altersgrenze für den Beginn der Störung gelockert.

Literatur 1. American Psychiatric Association (APA). (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5.  Aufl., text revision). American Psychiatric Association. 2. World Health Organization (WHO). (2021). International statistical classification of diseases and related health problems (11.  Aufl.). https:// icd.­who.­int/. 28.12.2022 3. Drechsler, R., Brem, S., Brandeis, D., Grünblatt, E., Berger, G., & Walitza, S. (2020). ADHD: Current concepts and treatments in children and adolescents. Neuropediatrics, 51, 315–335. 4. Epstein, J. N., & Loren, R. E. (2013). Changes in the definition of ADHD in DSM-5: Subtle but important. Neuropsyciatry (London), 3(5), 455–458. 5. Adler, A. A., Faraone, S. V., Spencer, T. J., Berglund, P., Alperin, S., & Kessler, R. C. (2016). The structure of adult ADHD. International Journal of Methods in Psychiatric Research, 26, e1555. 6. Sibley, M. H., & Yequez, C. E. (2018). The impact of DSM-5 A-criteria changes on parent ratings of ADHD in adolescents. Journal of Attention Disorders, 22(1), 83–91. 7. Essau, C. A., Groen, G., Conradt, J., Turbanisch, U., & Petermann, F. (1999). Häufigkeit, Komorbidität, und psychosoziale Korrelate der Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitätsstörung. Fortschritte in Neurologie und Psychiatrie, 67, 2296–2305. 8. Batstra, L., & Frances, A. (2013). DSM-V further inflates attention deficit hyperactivity disor-

8

1

B. Kilian und K. Sidiropoulos

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9

Häufigkeit und Begleitsymptomatik Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos Inhaltsverzeichnis 2.1

Prävalenzrate – 10

2.2

Auswirkungen einer ADHS und Folgeprobleme – 10

2.3

Begleitsymptomatik – 11 Literatur – 12

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 K. Sidiropoulos (Hrsg.), EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3_2

2

10

Prävalenzrate

Je ausgeprägter die Symptomatik, desto wahrscheinlicher sind Folgeprobleme [10]. Die Häufigkeit einer ADHS unter Kindern Ablenkbarkeit und mangelnde Strukturiertund Jugendlichen wurde über lange Zeit mit heit, fehlerhaftes Arbeiten und evtl. häufige5–8  % beschrieben ([1, 2]  – Metaanalysen res Kontrollieren von Arbeitsschritten fühmit jeweils über 170.000 Probanden). Bei ren zu größerer Ineffizienz und leider Erwachsenen wurde eine Prävalenzrate von häufiger zu Kündigungen und Jobwechseln. etwa 2–4 % angenommen [3–5]. Neuere Stu- Nicht selten liegen das individuelle Bildungsdien berichten teilweise deutlich höhere Prä- niveau und die Berufswahl unter den eigevalenzraten von bis zu 10–12  % ([6], Über- nen intellektuellen Fähigkeiten, worunter sichtsarbeit). Dies könnte einerseits einen die Betroffenen oftmals leiden. Weitreichende soziale Probleme und Erechten Anstieg der Fallzahlen darstellen, ziehungsprobleme wurden ebenso dokuandererseits auch mit den Lockerungen der mentiert [10–14]. Häufiges Unterbrechen, diagnostischen Kriterien wie in 7 Kap.  1 weniger aufmerksames Zuhören oder „Unbeschrieben zusammenhängen. Ganz allzuverlässigkeit“ erwecken im Gegenüber gemein bedarf es bei der Diagnosestellung nach DSM keiner Zweiteinschätzung, was mitunter fälschlicherweise den Eindruck die Wahrscheinlichkeit einer Diagnose er- mangelnden persönlichen Interesses. Die weniger gute Wahrnehmung des eigenen höht. In Deutschland wurde im Rahmen einer Körpers kann bei jüngeren Kindern zur Suche nach Körperkontakt auf sozial „unbreit angelegten Studie des Robert Koch-­ angemessene“ Weise führen (DistanzlosigInstituts in den Jahren 2014 bis 2017 keit). Tatsächlich werden negative Rück(KiGGS Welle 2) bei Kindern und Jugendmeldungen aus dem sozialen Umfeld von lichen insgesamt eine Prävalenzrate von allen Altersgruppen berichtet und führen 4,4 % ermittelt [7]. Da für die jüngeren Kinhäufig zu weiteren seelischen Beeinder (Vorschulalter) die Zahlen für Deutschträchtigungen wie Aggression oder Rückland erstmals leicht rückläufig waren, zugsverhalten, Selbstwertproblemen oder kommt ein insgesamt geringerer Wert zuÄngsten. Häufiger wechselnde Freund- und stande als bei der ersten KiGGS-Kohorte. Partnerschaften sind typisch, wenn auch Die hyperkinetische Störung bleibt jedoch nicht spezifisch, für eine ADHS. auch in Deutschland eine der am häufigsten Die verminderte Wahrnehmung des eigediagnostizierten psychischen Störungen im nen Körpers steht auch in Zusammenhang Kindesalter. Je nach Alter sind Jungen dabei mit einer beeinträchtigten Emotionswahrzwei- bis viermal häufiger betroffen als nehmung und mit einer Störung der FähigMädchen. Bei mehr als der Hälfte der Be- keit, die Intensität der Emotionen und das troffenen bestehen die Symptome auch in Eskalationspotenzial bei Konflikten der Adoleszenz fort. situationsadäquat anzupassen (emotionale Dysregulation). Emotionale Dysregulation gilt inzwischen als wesentliches Merkmal 2.2 Auswirkungen einer ADHS einer ADHS und stellt einen Risikofaktor und Folgeprobleme für Angststörungen oder Depression dar ([15], Metaanalyse; [16], Übersichtsarbeit). Die oben genannten Kernsymptome haben Ebenfalls berichtet wurde ein vermehrt in der Regel negative Auswirkungen auf die gesundheitsgefährdendes und antisoziales schulischen und akademischen bzw. beruf- Verhalten [5, 17]. Menschen mit einer ADHS lichen Leistungen der Betroffenen [4, 8, 9]. sind anfälliger für Alkohol- und Drogen2.1

2

B. Kilian und K. Sidiropoulos



11 Häufigkeit und Begleitsymptomatik

missbrauch und andere Suchterkrankungen, unter anderem Internet- und PC-Sucht [4, 18]. Nicht selten kommt es zu Selbstmedikationsversuchen mit Nikotin, Koffein oder gar Kokain zur Aufmerksamkeitssteigerung bzw. mit Cannabis bei Hyperaktivität. Die Neigung zu Verletzungen und Unfällen ist erhöht, ebenso die Suizidrate (primär durch risikoreicheres Verhalten und sekundär durch Komorbiditäten) und die Delinquenzrate [4, 14].

2

Kombination der Symptome in Verbindung mit entwicklungsbezogenen Angaben, die das Störungsbild charakterisieren. Konzen­ trationsprobleme, Desorganisation, innere Unruhe, Schlafstörungen, Emotionsregulationsschwierigkeiten oder sozial auffälliges Verhalten treten häufig auch im Kontext anderer psychiatrischer Störungsbilder auf, wie Depression, Angst-, Zwangsund Traumafolgestörungen, Autismus sowie Sozialverhaltens-, Bindungs- und Persönlichkeitsstörungen. Eine ausführliche Darstellung differenzialdiagnostischer Überlegungen würde an dieser Stelle zu weit 2.3 Begleitsymptomatik führen. Wir verweisen dazu auf die aktuelle Begleitend zu ADHS treten über alle Alters- Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hypergruppen hinweg verschiedene psychiatrische aktivitätsstörung (ADHS) im Kinder-, JuStörungsbilder und klinisch relevante Ver- gend- und Erwachsenenalter“ (S3) [22]. Eine solide Diagnostik beinhaltet in der haltensweisen auf. Den aktuellen KiGGS-­ Daten zufolge ist mehr als die Hälfte der Regel eine ausführliche medizinisch-­ Personen betroffen [7]. Angst- und Lern- psychologische Untersuchung einschließlich störungen, Depression, Störungen des einer Anamnese der sozialen und familiären Sozialverhaltens, Tic- und Schlafstörungen Situation, Vorerkrankungen und bisheriger sowie Suchterkrankungen gelten allgemein Behandlungsversuche, den Ausschluss einer als die häufigsten Probleme ([17, 19], Über- Schilddrüsenunterfunktion und anderer mesichtsarbeit; [20], Übersichtsarbeit; [7, 12, dizinischer Faktoren, ein Elektroenzephalo14, 21]). Symptome von Hyperaktivität und gramm (EEG), Verhaltensbeobachtungen, Impulsivität werden dabei tendenziell eher Eigen- und Fremdeinschätzungen aus vermit nach außen gerichtetem Verhalten in schiedenen Settings (von Eltern, Lehrern Verbindung gebracht, Aufmerksamkeits- und Erziehern) und eine Begutachtung der defizite häufiger mit Rückzugsverhalten und Schulzeugnisse vor allem aus den ersten Depression [21]. Personen mit Symptomen Schuljahren. Eine testpsychologische Unteraus beiden Bereichen (Unaufmerksamkeit suchung, die in der Regel ebenfalls durchund Hyperaktivität/Impulsivität) sind ins- geführt wird, ist hilfreich, um im Einzelfall gesamt am stärksten betroffen [5]. Vor allem festzustellen, welche Schwierigkeiten genau bei Kindern treten bestimmte andere Ent- vorliegen und was im Rahmen der Bewicklungsverzögerungen häufiger auf, u.  a. handlung zu berücksichtigen ist. Es wird jeEnuresis, Sprachschwierigkeiten, Lese-, doch mehrfach darauf hingewiesen, dass Rechtschreib- und Rechenprobleme, auch diese Untersuchung aufgrund der sehr Migräne und Epilepsie sind häufiger als im unterschiedlichen Ausprägungsformen der ADHS zu Diagnosezwecken nicht geeignet Altersdurchschnitt [16]. Dabei ist zu beachten, dass viele der ist, weder bei Kindern noch bei Erwachsenen Symptome für sich genommen nicht spezi- ([16], Übersichtsarbeit; [23, 24], Metaanafisch sind für eine ADHS, vielmehr ist es die lyse; [25], Meta-Analyse).

12

B. Kilian und K. Sidiropoulos

Fazit

2

Eine ADHS geht häufig mit Alltagsproblemen einher, die sich weitreichend auf alle Lebensbereiche auswirken können. Neuere Studien beschreiben emotionale Dysregulation als weiteres wesentliches Merkmal. Mehr als die Hälfte der Betroffenen zeigt zusätzliche Symptome oder psychische Beeinträchtigungen.

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10. Garcia, C.  R., Bau, C.  H. D., Silva, K.  L., Callegari-­Jacques, S.  M., Salgado, C.  A. I., Fischer, A. G., Victor, M. M., Sousa, N. O., Karam, R.  G., Rohde, L.  A., Belmonte-de-­Abreu, P., & Grevet, E. H. (2012). The burdened life of adults with ADHD: Impairment beyond comorbidity. European Psychiatry, 27, 309–313. 11. Essau, C. A., Groen, G., Conradt, J., Turbanisch, U., & Petermann, F. (1999). Häufigkeit, Komorbidität, und psychosoziale Korrelate der Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitätsstörung. Fortschritte in Neurologie und Psychiatrie, 67, 2296–2305. 12. Faraone, S. V., & Antshel, K. M. (2008). Diagnosing and treating attention-deficit/hyperactivity in adults. World Psychiatry, 7, 131–136. 13. Martins, B. P., Bandarra, N. M., & Figueiredo-­ Braga, M. (2019). The role of marine omega-3 in human neurodevelopment, including autism spectrum disorders and attention-deficit/hyperacitivity disorder  – A review. Critical Reviews in Food Science and Nutrition, 60(9), 1431–1446. 14. Nigg, J. T. (2013). Attention-deficit/hyperactivity disorder and adverse health outcomes. Clinical Psychology Review, 33, 215–228. 15. Beheshti, A., Chavanon, M.-L., & Christiansen, H. (2020). Emotion dysregulation in adults with attention deficit hyperactivity disorder: A meta-­ analysis. BMC Psychiatry, 20, 120. 16. Drechsler, R., Brem, S., Brandeis, D., Grünblatt, E., Berger, G., & Walitza, S. (2020). ADHD: Current concepts and treatments in children and adolescents. Neuropediatrics, 51, 315–335. 17. Barkley, R. A., & Brown, T. E. (2008). Unrecognized attention-deficit/hyperactivity disorder in adults presenting with other psychiatric disorders. CNS Spectrums, 13(11), 977–984. 18. Frölich, J., & Lehmkuhl, G. (2012). Computer und Internet erobern die Kindheit. Vom normalen Spielverhalten bis zur Sucht und deren Behandlung. Schattauer. 19. D’Agati, E.  D., Curatolo, P., & Mazone, L. (2019). Comorbidity between ADHD and anxiety disorders across the lifespan. International Journal of Psychiatry in Clinical Practice, 23(4), 238–244. 20. DuPaul, G.  J., Gormley, M.  J., & Laracy, S.  D. (2012). Comorbidity of LD and ADHD: Implications of DSM-5 for assessment and treatment. Journal of Learning Disabilities, 46(1), 43–51. 21. Willcutt, E. G., Nigg, J. T., Pennington, B. F., Solanto, M.  V., Rohde, L.  A., Tannock, R., Loo, S.  K., Carlson, C.  L., Brunett, B.  B., & Lahey, B.  B. (2012). Validity of DSM-IV attention-­ deficit/hyperactivity disorder symptom dimensions and subtypes. Abnormal Psychology, 121(4), 991–1010.

13 Häufigkeit und Begleitsymptomatik

22. Banaschewski, T., Hohmann, S., & Millenet, S. (2018). Langfassung der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten (S3) Leitline „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“. AWMF online  – Das Portal der wissenschaftlichen Medizin. 23. Guo, N., Fuermaier, A. B. M., Koerts, J., Mueller, B. W., Diers, K., Mroß, A., Mette, C., Tucha, L., & Tucha, O. (2021). Neuropsychological functioning of individuals at clinical evaluation of adult ADHD. Journal of Neural Transmission, 128, 877–891.

2

24. Schoechlin, C., & Engel, R.  R. (2005). Neuropsychological performance in adult attention-­ deficit hyperactivity disorder: Meta-analysis of empirical data. Archives of Clinical Neuropsychology, 20(6), 727–744. 25. Willcutt, E.  G., Doyle, A.  E., Nigg, J.  T., Faraone, S. V., & Pennington, B. F. (2005). Validity of the executive function theory of attention deficit/hyperactivity disorder: A meta-analytic review. Biological Psychiatry, 57(11), 1336–1346.

15

Neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und –modelle Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos Inhaltsverzeichnis 3.1

Aufmerksamkeit – 16

3.1.1

F ormen der Aufmerksamkeitsintensität: Übergang von der ungerichteten zur längerfristigen Aufmerksamkeit – 18 Formen der Aufmerksamkeits­selektivität und -ausrichtung: Selektive Aufmerksamkeit – Konzentration – 21

3.1.2

3.2

Exekutivfunktionen – 23

3.2.1

 ernexekutivfunktionen: Arbeitsgedächtnis, Hemmung und K kognitive Flexibilität – 23 Arbeitsgedächtnis und „Überwachungsfunktionen“ – 24 Hemmung – 28 Kognitive Flexibilität, Planungsvermögen, Problemlösefähigkeit und Zeitgefühl – 31

3.2.2 3.2.3 3.2.4

3.3

Zusammenfassung – 32 Literatur – 32

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 K. Sidiropoulos (Hrsg.), EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3_3

3

16

3

B. Kilian und K. Sidiropoulos

In der Vergangenheit wurden unterschiedliche Erklärungsansätze für das Symptomcluster der ADHS postuliert. Im Mittelpunkt der „Executive Dysfunction Theory“ [1] steht die Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Hemmung von Impulsen aufgrund eines Ungleichgewichts im Noradrenalin- und Dopaminhaushalt. Diese führe zu Schwierigkeiten beim Arbeitsgedächtnis, bei der Internalisierung von Sprache, bei der Regulation von Affekt, Motivation und Erregungsniveau sowie bei der Handlungsplanung und -kontrolle. Halperin und Schulz [2] sehen in ihrem entwicklungsneurologischen Modell Dysfunktionen subkortikaler Strukturen (Thalamus und ­Hirnstamm) und damit basaler Steuerungsprozesse als ursächlich für ADHS-Symptome. Das „Cognitive-­Energetic Model“ [3] geht davon aus, dass die kognitive Leistungsfähigkeit abhängig ist von einem optimalen energetischen Zustand, in dem Wachheit und Aktivierung optimal an die momentanen Anforderungen angepasst werden können. Sind Reizdichte oder motivationaler Anreiz nicht ausreichend für ein entsprechendes Aktivierungsniveau, hat dies Leistungseinbußen zur Folge. Bei der „Delay Aversion Theory“ [4] stehen Motivation und damit einhergehende Schwierigkeiten mit dem Belohnungsaufschub im Vordergrund. Gemäß der „Dynamic Developmental Theory (DDT)“ [5] führt ein zu geringes Dopamin-­ Niveau zu mangelhaftem sozialem Lernverhalten und entsprechenden Folgeproblemen. Wie in der Literatur mehrfach dargelegt wurde, sind aus wissenschaftstheoretischer Sicht alle diese Theorien unzureichend, da sie weder umfassend genug sind, um die Bandbreite der Symptomatik zu erklären, noch konkret genug, um wissenschaftlich testbar bzw. widerlegbar zu sein [6, 7]. Prinzipiell ist es schwer festzustellen, welche Symptome im Einzelfall primär und welche sekundär sind [6, 8]. Die Heterogenität der Störung und uneinheitliche diagnostische

Kriterien erschweren dies zusätzlich [9]. Gleichzeitig finden alle Modelle auf ihre Weise empirische Unterstützung in der modernen Neurowissenschaft. Im Folgenden werden wir näher auf die zahlreichen Befunde eingehen und Bezüge zu den in 7 Kap. 1 genannten Symptomen herstellen.  

3.1 

Aufmerksamkeit

Die Informationen, die aus der Umwelt auf unsere Sinnesorgane treffen, sind so umfangreich und komplex, dass eine neuronale Verarbeitung ohne Selektion bei der Informationsaufnahme zwar möglich, energetisch aber aufwendig und ineffizient wäre. Den ersten limitierenden Faktor bei der Wahrnehmung stellen unsere eigenen Sinnesorgane dar, die nur das Wahrnehmen bestimmter Informationen zulassen. Der zweite limitierende Mechanismus bei der Auswahl, Enkodierung und Weiterverarbeitung bzw. Unterdrückung von sensorischen Reizen ist die Aufmerksamkeit. Diese ist jedoch keine klar abgegrenzte Fähigkeit, sondern beinhaltet zahlreiche Unterfunktionen, die mit unterschiedlichen neuronalen Netzwerken und Regelkreisen in Verbindung stehen, welche wiederum auf komplexe Weise miteinander agieren (siehe Sektion II). In der Literatur existieren unterschiedliche Klassifizierungsmodelle von Aufmerksamkeitsfunktionen. Auf psychologischer Ebene wird traditionell zwischen reizbezogener (exogener) und intern gesteuerter (endogener) Aufmerksamkeitslenkung unterschieden [10, 11]. Bei der unwillkürlichen, reizbezogenen Aufmerksamkeit erlangen Reize, Objekte oder Personen, die sich aufgrund der Ausprägung bestimmter Merkmale (z.  B.  Intensität, Beschaffenheit, Neuigkeit) von der Umgebung abheben, unsere Aufmerksamkeit („Bottom-up-Aufmerksamkeit“). Gleichzeitig wird der Prozess der Aufmerksamkeitslenkung durch

3

17 Neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und –modelle

unsere inneren Einstellungen, Prägungen und Erwartungen beeinflusst. Diese sogenannte Top-down-Aufmerksamkeit hängt von der Relevanz (biografisch, sozial, biologisch etc.) ab, die wir Reizen, Objekten oder Personen zuschreiben [12, 13]. Wie wir in Sektion II sehen werden, lässt sich die psychologische Unterscheidung zwischen exogener und endogener Aufmerksamkeitslenkung auf der neurophysiologischen Ebene in dieser Form nicht so scharf abbilden, da die beiden Aspekte über Schaltkreise reguliert sind, die funktionell eng miteinander verbunden sind. Van Zomeren und Brouwer [14] unterscheiden zwei Dimensionen der Aufmerksamkeit: die Intensität und die Selektivität. Bei der Aufmerksamkeitsintensität werden die Schnelligkeit, die Dauer und die Stärke der Reaktionsbereitschaft berücksichtigt, während es bei der Aufmerksamkeitsselektivität darum geht, wie viele und welche sensorischen oder gedanklichen Repräsentationen im Fokus der Aufmerksamkeit stehen (. Abb. 3.1).  

Alle drei Komponenten der Aufmerksamkeit sind anatomisch in drei weitverzweigte und voneinander unabhängige Netzwerke unterteilt, die sich jedoch gegenseitig beeinflussen (siehe Sektion II). Der Attentional Network Test (ANT) nach Posner [16] wurde entwickelt, um die Funktionsweise der drei beschriebenen Aufmerksamkeits-

Ort und Zeit

Reizfrequenz

ungerichtete A. (undirected a.)

Reaktionsbereitschaft; Wachheit; Aktiviertheit (alertness)

Intensität (intensity) Aufmerksamkeit (attention)

Das Klassifizierungsmodell nach Petersen und Posner [15] unterscheidet folgende drei Komponenten: 1. das Wachheitssystem („alerting system“), welches die Aufrechterhaltung der geistigen Erregung und der  Reaktionsvorbereitung moduliert; 2. das Orientierungssystem („orienting system“), das hauptsächlich die Fähigkeit widerspiegelt, sensorische Reize über verschiedene  Modalitäten hinweg zu priorisieren; 3. das Exekutivsystem („executive system“),  welches eine Reihe an aufmerksamkeitsbezogenen Kontroll- und Überwachungsfunktionen beschreibt.

längerfristige A. (sustained a.)

Vigilanz (vigilance) Daueraufmerksamkeit (permanent a.) intern gerichtete A. (internally directed a.)

gerichtete; fokussierte; selektive A. (directed; focused; selective a.) Selektivität (selectivity)

extern gerichtete A. (externally directed a.)

Tonische bzw. intrinsische W. (tonic or intrinsic alertness) Phasische bzw. extrinsische W. (phasic or extrinsic alertness) SN/LC

FPAN

Störungen führen vor allem zur kognitiven Verlangsamung, z. B. bei der Sprachverarbeitung

DMN DAN VAN

Störungen betreffen vorwiegend das Ausfiltern von irrelevanten Information, das Ablösen und Verschieben des aktuellen Fokus

geteilte A. (distributive; divided a.)

..      Abb. 3.1  Klassifizierungsmodell der Aufmerksamkeit nach van Zomeren und Brouwer. Das Diagramm zeigt die schematische Untergliederung von „Aufmerksamkeit“ anhand verschiedener Merkmale, die damit verbundenen Funktionen sowie die beteiligten

neurophysiologischen Regelkreise. FPAN  „frontoparietal attention network“, DMN  „default mode network“, DAN „dorsal attention network“, VAN „ventral attention network“, SN/LC  Salienznetzwerk/ Locus coeruleus

18

3

B. Kilian und K. Sidiropoulos

systeme über eine feste Abfolge experimenteller Aufgaben zu messen. Untersuchungen mit dem ANT bei Kindern zeigten, dass sich Kinder ab dem 10. Lebensjahr bei Alerting-­ Aufgaben verbessern. Das Orientierungsund das Exekutivsystem sind bei Kindern noch anfälliger für Störungen. Obwohl die Verhaltensdaten der Kinder zwischen 8 und 12  Jahren den Daten Erwachsener ähneln, scheinen Aufmerksamkeitsprozesse bei Kindern nicht dieselben kortikalen Areale zu beanspruchen wie bei Erwachsenen. Die neuronale Aktivierung der an Aufmerksamkeitsprozessen beteiligten Netzwerke zeigte sich in einer Studie mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) deutlich reduzierter und diffuser [17]. 3.1.1 

Formen der Aufmerksamkeitsintensität: Übergang von der ungerichteten zur längerfristigen Aufmerksamkeit

3.1.1.1 

Ungerichtete Aufmerksamkeit

In einem Wachzustand ungerichteter Aufmerksamkeit lassen wir unsere Gedanken frei und assoziativ schweifen. Wir lenken die Aufmerksamkeit dabei also nicht bewusst oder gemäß einer Anweisung in eine bestimmte Richtung und fixieren uns nicht auf einen Inhalt. Ist die ungerichtete Aufmerksamkeit gut reguliert, sind wir entspannt und in der Lage, auf neue Gedanken und Ideen zu kommen und neue Erkenntnisse zu erlangen. Die ungerichtete Aufmerksamkeit

ist prominent in den Übergängen zwischen Wachen und Schlafen (hypnagoger Zustand) und während des Tagträumens. 3.1.1.2

Vigilanz und Daueraufmerksamkeit

Ein wichtiger Aspekt der Aufmerksamkeitsintensität ist die Stärke der Bereitschaft eines Individuums, auf interne oder externe Reize zu reagieren. Sie wird von der allgemeinen Wachheit (engl. alertness) bestimmt. Darunter versteht man die andauernde, ungerichtete Reaktionsbereitschaft eines Individuums. Versucht man, diese ungerichtete Reaktionsbereitschaft bei niedriger Reizfrequenz (z.  B. bei einer Fließbandarbeit oder bei versiertem Auto- oder Radfahren) willentlich zu kontrollieren, spricht man von Vigilanz [18]. Die Vigilanz ist demnach eine vorbewusste Form von Wachheit, insofern als sie für eine Weile automatisiert abläuft, uns aber jederzeit bewusst werden kann und sich auf diese Weise manipulieren lässt. Die Vigilanz ist kein Zustand entspannter Wachheit, sondern geht immer mit einer mentalen Anstrengung einher. Die längerfristige Aufmerksamkeit kann in unterschiedlicher Intensität auftreten. Die niedrigste Reaktionsbereitschaft zeigen wir im traumlosen Schlaf, die höchste in einer Schrecksituation. Ist die Reizfrequenz hoch, nennen wir die willentlich kontrollierte Reaktionsbereitschaft Daueraufmerksamkeit (engl. sustained attention; z.  B. bei der Lösung einer Mathematikaufgabe oder beim Lesen). Vigilanz und Daueraufmerksamkeit unterscheiden sich demnach nur qualitativ und lassen sich experimentell leicht simulieren, über eine entsprechende Veränderung der Reizfrequenz bei einer einfachen Reizdis-

19 Neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und –modelle

kriminationsaufgabe (z. B. 25 % Zielreizezu 75  % Ablenkreize bei Vigilanz und umgekehrt bei Daueraufmerksamkeit). 3.1.1.3

 onische vs. phasische T Wachheit

Im Gehirn jedes Menschen werden Ressourcen zur Aufrechterhaltung einer andauernden Wachheit bereitgestellt. Die endogene Regulierung der Wachheit wird tonische (= intrinsische) Wachheit genannt. Sie ist ein länger anhaltender Bewusstseinszustand des Gehirns unter Ruhebedingungen und ist abhängig von der Tageszeit, externen Reizen und dem emotionalen und motivationalen Zustand der Person. Eine moderate tonische Wachheit ist die Grundvoraussetzung für eine fokussierte, selektive Wahrnehmung äußerer Reize, weil nur dadurch eine phasische Antwort auf interne oder externe Reize hervorgerufen werden kann. Unter phasischer (= extrinsischer) Wachheit versteht man den zeitlich begrenzten Anstieg der Aktiviertheit und Reaktionsbereitschaft infolge eines äußeren Reizes (z.  B. eines experimentellen Warnreizes). Je nach Signalintensität und -neuheit kommt es zu einer Verschiebung oder Lenkung der Aufmerksamkeit auf den erwarteten Reiz  – zu einer sogenannten Orientierungsreaktion  – sodass die Reaktionsgeschwindigkeit experimentell beeinflusst werden kann [15]. Die tonische Wachheit kann gut anhand von Reaktionsaufgaben überprüft werden, die phasische mithilfe von Reaktionsaufgaben, denen ein Warnreiz (sogenannter Prime) vorausgeht. 3.1.1.4

Arousal und Aktiviertheit

Das Zusammenspiel zwischen tonischer und phasischer Wachheit beschreibt auch das ältere Konzept des Arousals von Pribram und McGuinnes [19]. Die Autoren unterscheiden zwischen einem phasischen Arousal, einer tonischen Aktiviertheit und einem über-

3

geordneten Anpassungssystem, das eine neuronale „Anstrengung“ (engl. effort) erfordert. Wir benutzen in diesem Buch für die verschiedenen Aktivierungsrhythmen des Gehirns die Begriffe tonisch (1–5  Hz) vs. phasisch (8–10 Hz) und unterscheiden zwischen einer tonischen und einer phasischen Wachheit (= Arousal). Dabei gibt der Begriff des Arousals das aktuelle energetische Niveau des Gehirns wieder. So ist während einer Ruhephase das Arousal niedrig, während es bei der bewussten Erfassung sensorischer Signale oder der Durchführung einer Aufgabe erhöht wird. Aktiviertheit ist hingegen die Mobilisierung energetischer Ressourcen, die für die Durchführung einer bestimmten Leistung (z.  B.  Vorbereiten einer Handlung) benötigt werden. Das Anpassungssystem koordiniert schließlich die zwei beschriebenen „basalen“ Systeme (tonisch vs. phasisch), sodass die erforderliche Aktiviertheit und Reaktionsbereitschaft zur Erfüllung der Aufgabenanforderungen bereitgestellt wird. Die neuronalen Repräsentationen werden derartig verändert, dass zwischen innerer Repräsentation und äußerer Welt stets eine Übereinstimmung herrscht. Die Begriffe der phasischen bzw. der tonischen Wachheit beziehen sich hier auf die psychometrische Seite der allgemeinen Erregung des Gehirns und können als Kontrollprozesse der Aufmerksamkeit verstanden werden. Die Einführung des Anpassungssystems ist der erste Versuch, die subjektiv erlebte Aktiviertheit in Bezug zur Hirnstromaktivität sensorischer und motorischer Areale zu bringen. Bis heute besteht jedoch kein allgemein akzeptiertes Konzept, wie dies genau erfolgt und ob die Wachheit (phasisch vs. tonisch), die während der Aufmerksamkeitsprozesse gemessen wird, vom kortikalen Arousal zu unterscheiden ist. Letzteres würde das generelle, unspezifische Grunderregungsniveau (engl. arousal) des

20

Zentralnervensystems wiedergeben. Heute geht man davon aus, dass die tonische Wachheit und das kortikale Arousal deckungsgleich sind. Sie stellen eine Art Grundaktivierung des Gehirns dar und verändern sich in Abhängigkeit vom bewussten Erleben [20]. Das kortikale (tonische) Arousal kann sich sehr schnell verändern, sodass bestimmte physiologische und emotionale Prozesse an die Umweltgegebenheiten angepasst werden können. Es wird über das retikuläre System im Hirnstamm reguliert (siehe 7 Abschn.  6.2). Neben den kognitiven Funktionen moduliert das kortikale Arousal auch vegetative Funktionen und zyklische Biorhythmen, die sich täglich wiederholen (zirkadian) oder kürzer als einen Tag andauern (ultradian) [15]. Regulationsstörungen im phasisch-tonischen Wachheitssystem führen zu verschiedenartigen, neurologischen und psychischen Erkrankungen, Verhaltens- und emotionalen Störungen. Eine der zentralen Annahmen der Neurofeedbackmethode nach Othmer ist, dass eine Vielzahl psychischer Störungen auf eine Dysregulation des Arousals zurückzuführen sind (siehe 7 Kap.  17 und . Abb. 3.2).  





3.1.1.5

Hohe Erregung

Beruhigung

Schlaf

 törungen der basalen S Aufmerksamkeits­ funktionen bei einer ADHS

Entscheidend für eine gute Regulation des Arousals ist die Eigenschaft des Gehirns, je nach Anforderung flexibel zwischen unterschiedlichen Erregungszuständen wechseln zu können bzw. diese stabil halten zu können. Generell gehen sowohl die Untererregung (engl. underarousal) als auch die Übererregung des Arousalsystems (engl. overarousal) mit Aufmerksamkeitseinbußen einher [21, 22]. Während ein niedriges Erregungsniveau uns am Abend hilft, zur Ruhe zu kommen und in den Schlaf zu finden, führt es tagsüber zu erhöhter Ermüdbarkeit oder Antriebslosigkeit, gedanklicher Abwesen­ heit oder Verträumtheit, wie es häufig bei Menschen mit einer ADHS der Fall ist. Auf experimenteller Seite gibt es Übereinstimmungen u.  a. mit Befunden zu autonomen zentralnervösen Anzeichen von Unterregung bei einer ADHS ([23], Metaanalyse, siehe auch Sektion III) sowie mit der häufig dokumentierten Steigerung der Wachheit und entsprechender behavioraler Maße nach moderater Verabreichung von Methylphenidat ([24], Übersichtsarbeit).

Niedrige Erregung

Leistung

3

B. Kilian und K. Sidiropoulos

Unruhe

Normale Funktion

Notfallmodus

Erregung ..      Abb. 3.2  Zusammenhang zwischen Erregungsniveau und kognitiver Leistungsfähigkeit nach Othmer. Die kognitive Leistungsfähigkeit eines Menschen ist am höchsten, wenn das Erregungsniveau oder Arou-

sal weder zu hoch noch zu niedrig ist. Ausgehend vom normalen Wachzustand sinkt die Leistungsfähigkeit mit zunehmender Müdigkeit ebenso wie mit zunehmender Erregung. (© [22])

21 Neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und –modelle

Während in Gefahrensituationen, in denen eine normale Stressreaktion abläuft, ein kurzzeitig hohes Erregungsniveau hilfreich ist, bringt eine chronisch erhöhte Erregung Probleme wie Angstzustände, ­ Unruhe, Konzentrationsprobleme, Schlaf­ losigkeit oder muskuläre Verspannungen mit sich. Häufig zeigen Personen mit verstärkter oder chronischer Stressreaktion und einer entsprechenden Übererregung eine sogenannte Hypervigilanz, die aus evolutionärer Sicht im Falle eines realen Stressors auch sinnvoll ist, gleichzeitig jedoch Körperwahrnehmung und Entspannung, vorausschauendes Denken und zielgerichtete Aufmerksamkeit erschwert bzw. verhindert [25]. Im zwischenmenschlichen Bereich führt sie mitunter zu oppositionellem, emotional reaktivem oder vermeintlich aggressivem Verhalten [22], was nicht selten im Falle einer ADHS ebenfalls zu beobachten ist. In der Regel gilt eine verminderte Reaktionsgeschwindigkeit als Hinweis auf eine verminderte tonische Wachheit. Entsprechende Befunde bei einer ADHS wurden dokumentiert, sowohl bei Kindern [26– 34] als auch bei Erwachsenen [35–39]. Entsprechend können verkürzte Antwortlatenzen als erhöhte tonische Wachheit gedeutet werden, die mit Stress oder Impulsivität in Zusammenhang stehen kann oder aber im Sinne einer Kompensationsstrategie. Eine erhöhte Variabilität der individuellen Reaktionszeit wird üblicherweise als Hinweis auf eine höhere phasische Fluktuation von Wachheit interpretiert. Sie ist ein häufiger Befund bei einer ADHS, über eine Vielzahl kognitiver Aufgaben mit unterschiedlichem Komplexitätsgrad hinweg, sowohl bei Kindern [26, 28, 30, 40–52] als auch bei Erwachsenen ([35, 53], Metaanalysen; [39, 54, 55]). Darüber hinaus gibt es zahlreiche neurophysiologische Befunde, die auf eine verminderte phasische Wachheit bei ADHS hinweisen, auf die wir in Sektion III näher eingehen. Interessanterweise berichten einige Studien, dass diese Beeinträchtigung zu-

3

mindest bei einfachen Reizdiskriminationsaufgaben nicht besteht, wenn die Geschwindigkeit der Reizpräsentation gesteigert wird (sogenannter Fast Task) [56, 57]. Beim Attentional Network Test (ANT) nach Posner [16] werden Defizite bei der Wachheit (sowie bei den Exekutivfunktionen) bei einer ADHS häufig gemessen, die räumliche Orientierungsreaktion hingegen gilt als weitgehend unbeeinträchtigt [39, 58–63]. Letzteres ist auch vor dem Hintergrund interessant, dass eine ADHS-­ Symptomatik von manchen Autoren als chronifizierte Stressreaktion angesehen wird, worauf wir später noch näher Bezug nehmen. Während eine Störung dieser Art der Vigilanz mit einer hohen Ablenkbarkeit einhergeht, zeigt sie sich experimentell über eine höhere Anzahl an Auslassungsfehlern. Eine Minderung der Vigilanz bei ADHS wurde mehrfach dokumentiert, sowohl bei Kindern ([42, 64, 65], Metaanalysen; [7, 51, 66], Metaanalysen) als auch bei Erwachsenen ([54, 67], Metaanalysen; [55, 68]). 3.1.2 

Formen der Aufmerksamkeits­ selektivität und -ausrichtung: Selektive Aufmerksamkeit – Konzentration

Bei der gerichteten Aufmerksamkeit werden unsere begrenzten Aufmerksamkeitsressourcen auf einen bestimmten Ort, einen bestimmten Inhalt oder eine bestimmte Handlung gelenkt. Die selektive Aufmerksamkeit befähigt uns, aus der Vielfalt an sensorischen Reizen, die im Wachzustand dauerhaft unsere Wahrnehmungssysteme erreicht, bestimmte Informationen priorisiert zu verarbeiten und gleichzeitig irrelevante Informationen und Störreize auszublenden. Hierbei sind Prozesse auf allen Ebenen des Bewusstseins beteiligt, die

22

3

B. Kilian und K. Sidiropoulos

gleichzeitig ablaufen und Reize filtern und priorisieren. Je nachdem, ob ein oder mehrere Gegebenheiten (Objekte, Situationen, Aufgaben) in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangen sollen, werden zwei Formen der Aufmerksamkeitsselektivität unterschieden: die fokussierte und die geteilte Aufmerksamkeit. Mithilfe der selektiven/fokussierten Aufmerksamkeit beschränken wir uns auf ein oder mehrere Details aus unserer Umwelt, einen Aspekt oder eine bestimmte Aufgabe. Bildlich kann man diese Fähigkeit mit einem Bühnenlicht vergleichen, das nur eine bestimmte Gegebenheit beleuchtet, während alles Übrige im Hintergrund außer Acht gelassen wird (siehe . Abb.  3.3). In der Alltagssprache wird die fokussierte Aufmerksamkeit Konzentration genannt. Tritt hier eine Störung auf, fällt es der Person schwer, sich auf relevante Inhalte zu fokussieren und diese zu verarbeiten, was sich ebenfalls als Ablenkbarkeit und vermeintliche Vergesslichkeit bemerkbar macht. Die Priorisierung und die Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokus erfolgen über die Fähigkeit der geteilten Aufmerksamkeit. Sie ermöglicht uns, mehrere Aufgaben gleichzeitig auszuführen („Dual- bzw.  

..      Abb. 3.3  Fokussierte Aufmerksamkeit. Die fokussierte Aufmerksamkeit wird oft mit einem Bühnenscheinwerfer verglichen, der bestimmte Dinge beleuchtet, während andere außerhalb der Wahrnehmung bleiben. Störungen dieser Fähigkeit werden in der Alltagssprache als „Konzentrationsstörung“ bezeichnet. (© istock/SciePro; Stock-Datei-ID:1125509167)

Multitasking“). Ist dieses System gestört, ist das gleichzeitige Ausführen von zwei oder mehreren Tätigkeiten erschwert bis aufgehoben. Automatisierte, vorbewusste Prozesse, die bis dahin im Hintergrund abliefen, werden dann fehlerhaft, verlangsamt oder nur unter Zuhilfenahme des Bewusstseins ausgeführt. Ein Beispiel dafür im Falle einer ADHS sind häufige Flüchtigkeitsoder Rechtschreibfehler, die vermehrt auftreten, wenn z. B. unter Zeitdruck gearbeitet werden muss oder Aufmerksamkeitsressourcen auf mehrere Prozesse gleichzeitig gerichtet werden müssen (z.  B.  Zuhören und Schreiben). Höhere Aufmerksamkeitsfunktionen wie die selektive oder die fokussierte Aufmerksamkeit und deren Wechsel sind so komplex, dass sie in der jüngeren Literatur den sogenannten Exekutivfunktionen (EF) zugeordnet werden, welche wir im nachfolgenden Abschnitt näher beleuchten werden. Entsprechende Beeinträchtigungen der selektiven Aufmerksamkeit im Falle einer ADHS werden daher ebenfalls in 7 Abschn.  3.2 aufgeführt und im Kontext von Arbeitsgedächtnisfunktionen und anderen Exekutivfunktionen diskutiert. Zusammenfassend wurde deutlich, dass Aufmerksamkeit keinesfalls gleichzusetzen ist mit Konzentrationsfähigkeit, sondern eine weitreichende und umfassende Art der zentralnervösen Selbstregulation darstellt, die viele Teilaspekte miteinschließt. Entsprechend vielfältig sind die Möglichkeiten einer entsprechenden Störung.  

>>Unter dem Begriff „Aufmerksamkeit“ wird psychologisch und neurophysiologisch eine Vielzahl von Unterfunktionen zusammengefasst, die mithilfe unterschiedlicher Regelkreise moduliert werden. Aufmerksamkeitsfunktionen werden unterschieden in Bezug auf ihre Intensität, Selektivität und Ausrichtung, Reaktionsbereitschaft, Wachheit und das Maß an kortikaler Beteiligung. Eine verminderte Vigilanz,

23 Neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und –modelle

eine weniger konstante Daueraufmerksamkeit und ein fehlreguliertes Arousal sind häufige Befunde im Zusammenhang mit einer ADHS.

3.2 

Exekutivfunktionen

Der Mensch passt sein Verhalten fortlaufend an die Bedingungen an, die in der Umwelt (Natur, Gesellschaft) vorherrschen, und zwar durch eine Reihe interner, neuronaler Kontrollmechanismen, die Exekutivfunktionen genannt werden. Diese Funktionen beschreiben metakognitive Regulationsprozesse, mit deren Hilfe wir in der Lage sind, unser Verhalten unter Berücksichtigung der Umweltgegebenheiten und der eigenen Erfahrungen, Vorlieben und Ziele so zu steuern, dass der Ausgang unserer Handlungen positiv für uns verläuft. Sie sind wichtig für die Filterung von Informationen aus der Umwelt, die Aufrechterhaltung und Veränderung mentaler Repräsentationen und die zielgerichtete Handlungskontrolle. Insofern spielen sie eine entscheidende Rolle nicht nur bei Gedächtnis-, Lern- und Handlungsprozessen, sondern auch bei der sozialen Interaktion und Anpassungsfähigkeit. Bei bereits bekannten oder lebenswichtigen Gegebenheiten werden automatisierte Schemata aktiviert, die dann das Handeln bestimmen. Diese automatisierten Schemata verbrauchen in der Regel keine Aufmerksamkeitsressourcen, sind aber vorbewusst, insofern als sie durch aktive Aufmerksamkeit in das Bewusstsein gebracht werden können. Diese basalen mentalen Prozesse sind instinktive Regulationsprozesse, die uns von der Natur als eine Art Programm mitgegeben sind (z.  B.  Hungergefühl, Atmung), oder intuitive Regulationsprozesse (z.  B.  Fahrradfahren, Zähneputzen), die auf Lernprozessen basieren, welche mit der Zeit und häufigen Wiederholungen zu einer automatisierten Routine geworden sind (prozedurales Lernen). Die-

3

ser Autopilot ist bei neuen oder komplexeren Anforderungen, welche ein hohes Maß an Flexibilität, bewusster Kontrolle und aufmerksamem Handeln erfordern, nicht ausreichend. Hier werden die Exekutivfunktionen notwendig [69]. 3.2.1 

Kernexekutivfunktionen: Arbeitsgedächtnis, Hemmung und kognitive Flexibilität

Es besteht keine Übereinstimmung in der Literatur bezüglich der spezifischen Aufgaben, die eine jede der Exekutivfunktionen übernimmt, teils gibt es unterschiedliche Definitionen und Überschneidungen der Konzepte und Begrifflichkeiten. Faktorenanalysen [70], Untersuchungen von Hirnläsionen [71, 72] und bildgebende Studien [73] zeigen, dass zumindest drei Kernexekutivfunktionen unterschieden werden können [74], die jedoch teilweise miteinander interagieren: Eine bezieht sich auf das Arbeitsgedächtnis und unsere Fähigkeit, die aktuell wahrgenommenen Inhalte zu behalten, auf das Langzeitgedächtnis zuzugreifen, sie auszuwerten und zu speichern. Die zweite Kernexekutivfunktion ist die Hemmung, die uns einerseits ermöglicht, die Verarbeitung irrelevanter Informationen zu unterdrücken (selektive Aufmerksamkeit) und Prioritäten zu setzen im Sinne der exekutiven Aufmerksamkeit nach Petersen und Posner [15] sowie unsere Gedanken, Gefühle und Verhaltensimpulse situationsangemessen zu regulieren. Die dritte Kernexekutivfunktion ist die kognitive Flexibilität, die Fähigkeit eines Individuums, seine Handlungen an neue, sich verändernde oder unerwartete Gegebenheiten anzupassen, zwischen verschiedenen Anforderungen zu wechseln (attentionale Verlagerung, engl. set shifting) oder auf bestimmte Aspekte einer Anforderung besonders zu achten (Optimierung der Aufmerksamkeit). Im Alltag treten

24

3

B. Kilian und K. Sidiropoulos

die genannten Kernexekutivfunktionen, die Norman und Shallice [75] Supervisory Attentional System (SAS) nannten, gemeinsam auf, wobei sie je nach Situation unterschiedlich stark beteiligt sind. So unterstützen sich beispielsweise die Hemmung und das Arbeitsgedächtnis gegenseitig, z. B. in Situationen, in denen auf der Grundlage von Informationen des Langzeitgedächtnisses eine anfängliche intuitive Entscheidung überdacht und revidiert werden muss, oder wenn es darum geht, die aktuellen Informationen im Arbeitsgedächtnis vor dem Vergessen zu bewahren, indem man mehrere externe und interne ablenkende Reize unterdrückt. Aus den drei genannten Kernexekutivfunktionen leiten sich Exekutivfunktionen höherer Ordnung ab, wie die Fähigkeiten zur Argumentation, Planung und Problemlösung sowie das Zeitgefühl [74]. Stuss und Alexander [76] betonen, dass die Prozesse, die „zentrale Exekutive“ oder „Überwachungssystem“ genannt wurden, am besten als flexibler Verbund von aufmerksamkeitsbezogenen Prozessen in Bezug auf Absicht des Individuums, Kontext und Komplexität der Aufgabe angesehen werden können, im Gegensatz zu dem Bild eines hierarchischen Systems mit übergeordneter Überwachung. 3.2.2 

Arbeitsgedächtnis und „Überwachungsfunktionen“

Informationen, die wir bewusst oder unbewusst über unsere Sinnesorgane aufnehmen, werden von unserem Nervensystem in Gedächtnisinhalte umgewandelt. Auf diese Weise ist es uns möglich, Gegebenheiten der Umwelt im Gehirn abzubilden, sodass wir in Interaktion mit ihr immer auf einen Schatz an gespeicherten Informatio-

nen zurückgreifen und sie nach Bedarf wieder abrufen können. Bereits zu Beginn der modernen Gedächtnisforschung (z.  B. [77, 78]) wurden auf der Grundlage klinischer Daten und von Untersuchungen zur freien Reproduktion (z. B. [79]) drei separate, aber kooperierende Speichersysteme postuliert: ein sensorischer Speicher, ein Kurzzeit(KZG) und ein Langzeitgedächtnis (LZG). Eines der einflussreichsten Modelle multipler Gedächtniskomponenten ist das von Baddeley (siehe . Abb.  3.4). Nach diesem Modell nehmen unsere Sinnesorgane gleichzeitig und unabhängig voneinander unbegrenzt viele Reize aus der Umwelt auf. Diese Reize gelangen zuerst ungefiltert und nicht kategorisiert in modalitätsspezifische (akustisch, ikonisch, haptisch etc.) sensorische Speicher. Hier können die neu ankommenden Reize überlagert und innerhalb der ersten 1–2  Sekunden vergessen werden. Damit die Sinnesreize in unser Gedächtnis Eingang finden, bedarf es der Zuwendung unserer Aufmerksamkeit. Diese wird nach Baddeley von der „zentralen Exekutive“ kontrolliert bzw. ermöglicht und wird in seinem Modell als eine Komponente des kapazitätsbegrenzten Kurzzeitgedächtnisses (KZG) beschrieben. Auf der Grundlage von Experimenten, die sich der sogenannten Zweitaufgabentechnik bedienten, unterschieden Baddeley und Hitch [80] innerhalb des KZG zwischen einem phonologischen Subsystem zur Bearbeitung sprachlicher Informationen, einer visuell-räumlichen Komponente für die visuell-räumlichen Informationen und einer zentralen Exekutive. Später wurde zusätzlich zum KZG auch ein episodisches Subsystem [81, 82] angenommen, ein Gedächtnisspeicher mit begrenzter Kapazität, der sowohl visuell-­räumliche als auch phonologische Episoden temporär speichern und integrieren kann.  

25 Neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und –modelle

3

Visuelle Semantik (LZG)

Sensorischer Speicher

Auf m

erk

sam

kei

t

RehearsalMechanismus

Visuellräumliches Subsystem KZG Zentrale exekutive

Phonologisches Subsystem Verbale Semantik (LZG)

..      Abb. 3.4  Gedächtnismodell nach Baddeley. Die Abbildung zeigt schematisch die verschiedenen Elemente des Gedächtnismodells nach Baddeley. Die sogenannte zentrale Exekutive koordiniert das Zusammenspiel von visuell-räumlichen, phonologischen und episodi-

3.2.2.1

Das Gedächtnismodell nach Baddeley

In dem Modell nach Baddeley wird die „zentrale Exekutive“ als das wichtigste Modul hinsichtlich der Weiterverarbeitung der zu memorierenden Inhalte angesehen, denn sie überwacht und koordiniert die untergeordneten „Subsysteme“ und den Abruf von bereits gespeicherten Inhalten aus dem LZG, ohne die Informationen selbst zu speichern. Die Speicherung ist Aufgabe der visuell-räumlichen Komponente und des phonologischen und episodischen Subsystems, die passiv bis zu etwa 20–45 Sekunden die aktuell zu bearbeitenden Gedächtnisinhalte speichern. Über einen Rehearsal-Mechanismus können diese Gedächtnisinhalte aktiv wiederaufgefrischt und über mehrere Minuten hinweg erinnert werden. Auf diese Weise übernimmt in Bad-

Episodisches Subsystem Abrufen

Encodierung

Episodisches LZG

schen Inhalten aus Kurz- (KZG) und Langzeitspeicher (LZG). Die Auswahl der sensorischen Informationen, die weiterverarbeitet werden, wird bestimmt durch die Lenkung der Aufmerksamkeit

deleys Modell das KZG einerseits durch seine Subsysteme Speicheraufgaben und andererseits durch die zentrale Exekutive Arbeitsgedächtnisleistungen wie Abruf- und Suchstrategien und steuert auf diese Weise den Informationsfluss innerhalb des gesamten Systems. Das Modell multipler Gedächtniskomponenten von Baddeley stützt sich auf eine Reihe von Experimenten und die beobachteten doppelten Dissoziationen zwischen LZG und KZG bei Patienten mit Hirnläsionen (z. B. [83–85]). Auch innerhalb der Subkomponenten des Kurzzeitgedächtnisses wurden doppelte Dissoziationen beobachtet (z.  B. [86–88]), sodass das Multikomponenten-Modell von Baddeley klinisch und experimentell auf eine Weise gut belegt ist.

26

B. Kilian und K. Sidiropoulos

3.2.2.2

3

Das Gedächtnismodell nach Cowan

mehr in Anspruch nimmt. Bekannte oder als bekannt angenommene Reize können Cowan [89, 90] zeigte, dass die Annahme dennoch unwillkürlich in den Fokus der von separaten Speichern für das Kurzzeit- Aufmerksamkeit gelangen, wenn sie sehr saund Langzeitgedächtnis nicht zwingend lient, also auffällig, sind [13] und eine notwendig ist. Er umgeht die Fraktionie- Orientierungsreaktion auslösen. Allgemein rung des Gedächtnisses, indem er annimmt, werden auffällige oder bewegte Reize bei der dass alle Subkomponenten des KZG die ak- frühen Bottom-up-Verarbeitung bevorzugt tivierten Anteile des LZG sind, die im Fokus (sogenanntes sensorisches Gating, siehe der Aufmerksamkeit stehen. Diesem Ansatz 7 Abschn. 6.2.2). Zahlreiche theoretische Ansätze zum zufolge sind die Verarbeitung und SpeicheArbeitsgedächtnis weisen übereinstimmend rung von kurz- bzw. langfristig zu beauf eine Verbindung zwischen der Speicherhaltenden Gedächtnisinhalten an dieselben kapazität und einer selektiven Verwendung neuralen Substrate gebunden, jedoch werbegrenzter Aufmerksamkeitsressourcen hin den in Abhängigkeit vom Aufgabentyp (= selektive Aufmerksamkeit, siehe oben). unterschiedlich kodierte Informationen herangezogen. Somit unterscheiden sich die Gemäß Baddeley [92] ist Aufmerksamkeit beiden Gedächtnissysteme nur in den ver- notwendig für das Enkodieren von Informawendeten Datenformaten. So zerfallen bei- tion in modalitätsspezifische Kurzzeitspielsweise phonologische Aktivierungs- speicher. Bundesen [93] postuliert, dass die zustände schneller als verbal-­ semantische, Menge an Information, die in den visuellen weil der erstgenannte Code mit dem KZG Kurzzeitspeicher gelangen kann, von der und der zweite mit dem LZG in Verbindung Fähigkeit zur Aufmerksamkeitssteuerung einer Person abhängt. Awh und Kollegen [94] gebracht wird ([91], Übersichtsarbeit). Bei Cowans Embedded-Processing-­argumentieren ebenfalls, dass KapazitätsModell löst ein Umweltreiz auf der primä- beschränkungen bei der Enkodierung am ren Ebene der Kodierung eine Aktivierung besten über attentionale Prozesse erklärt weraus, die in einer ersten Phase ca. 100 ms an- den können. Gleichermaßen gehen Cowan dauert und verloren gehen kann. Mithilfe und Kollegen [95, 96] davon aus, dass die devon Top-­down-­Regulationsprozessen ge- terminierende Größe in Bezug auf die langt dann der sensorische Reiz in den Auf- Arbeitsspeicherkapazität einer Person deren merksamkeitsfokus, wird bewusst ver- Fähigkeit zur Aufmerksamkeitslenkung ist. arbeitet und findet für wenige Sekunden als Klimesch und Kollegen [97] vermuten, dass aktuelle Erinnerung oder mentale Reprä- die visuelle Arbeitsgedächtnisspeicherkapazisentation direkt und ohne Filterung Ein- tät aufgrund eingeschränkter Aufmerksamgang ins LZG.  Umgekehrt kann die Auf- keitsressourcen begrenzt ist. Habekost und merksamkeit auch auf Inhalte des LZG Starrfelt [99] bezeichnen Arbeitsgedächtnisgerichtet werden. Je nach Art des Reizes be- speicherkapazität und die Geschwindigkeit Informationsverarbeitung zustehen unterschiedliche Reaktionen darauf: visueller Neue oder für das Individuum bedeutsame sammen als „visuelle AufmerksamkeitsReize lösen eine Orientierungsreaktion aus kapazität“. Postle [100] geht noch einen Schritt weiund die Aufmerksamkeit richtet sich automatisch auf sie. Erweisen sich diese Reize als ter und betrachtet die visuelle Arbeitsirrelevant oder sind immer wiederkehrend, gedächtnisfunktion als Ergebnis eines Pronämlich der koordinierten nimmt die Reaktionsstärke ab und es tritt zesses, eine Gewöhnung (Habituation) ein, sodass Interaktion zwischen posterioren Speicherder Reiz keine Aufmerksamkeitskapazitäten und Verarbeitungsmodulen sowie prä 

27 Neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und –modelle

frontalen exekutiven Kontrollmechanismen, die über selektive Aufmerksamkeitssignale zum extrastriaten visuellen Kortex sensorische Repräsentationen aufrechterhalten. Nach seiner Theorie entsteht Arbeitsgedächtnis aus der Fähigkeit, Aufmerksamkeitsressourcen flexibel auf bestimmte Informationen richten und diese im Bewusstsein halten zu können. Kombinierte bildgebende (fMRI) und elektrophysiologische (EEG) Studien sprechen für diese Interpretation [101, 102]. Gleichermaßen betrachten Rapport und Kollegen [103] das visuelle Arbeitsgedächtnis als Ergebnis einer Interaktion aus visuellem Kurzzeitgedächtnis und selektiver Aufmerksamkeit. Sie argumentieren, dass Baddeleys Arbeitsgedächtnismodell ebenso gut als „Arbeitsaufmerksamkeitsmodell“ („model of working attention“) verstanden werden könnte, wenn man sich nicht aus der Sicht der Gedächtnisforschung, sondern aus der Sicht der Aufmerksamkeitsforschung annähern würde. Ebenso betrachtet Knudsen [98] das Arbeitsgedächtnis als Teil der attentionalen Kontrolle und sieht die beiden Aspekte der metakognitiven Selbststeuerung als untrennbar miteinander verwoben. 3.2.2.3

Störungen des Arbeitsgedächtnisses bei einer ADHS

In einem umfangreichen Übersichtsartikel von Studien zur Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses argumentiert Postle [100], dass die bei Personen mit einer ADHS häufig gemessenen Einschränkungen beim Speichern von Informationen von der Störaktivität (engl. noise) herrührt, welche bildliche Repräsentationen begleitet. Diese Störaktivität nimmt natürlicherweise mit ansteigender Informationsmenge der zu enkodierenden Information ebenfalls zu. Seiner Argumentation folgend wäre eine verringerte Arbeitsgedächtniskapazität bei einer ADHS ein Hinweis auf ein höheres Maß an Störaktivität, die schon bei einer ge-

3

ringeren Informationsmenge zu einer vermeintlichen Kapazitätsgrenze führen würde, was wiederum die Idee einer mangelnden Fähigkeit zur Aufmerksamkeitsselektivität in der klinischen Stichprobe unterstützen würde. Dies ist im Sinne einer beeinträchtigten Wahrnehmungshemmung zu interpretieren, ein Konzept, auf das wir im Folgenden noch näher eingehen. Eine geringere Arbeitsgedächtnisleistung bei Kindern mit einer ADHS wurde im visuell-räumlichen wie auch im verbalen Bereich häufig beobachtet. Dabei ist die Symptomstärke im Bereich der Aufmerksamkeitsdefizite ausschlaggebender als im Bereich der Hyperaktivität [104]. Zwei Metaanalysen zu Arbeitsgedächtnisfunktionen bei Kindern mit ADHS berichten über insgesamt höhere Effektstärken für visuell-räumliche als für verbale/phonologische Funktionen [7, 105]. Eine aktuelle Metaanalyse [106] betont ebenfalls Defizite beim verbalen Arbeitsgedächtnis. Kasper und Kollegen ([107], Metaanalyse) berichten Funktionsdefizite in beiden Bereichen. Gleichzeitig stellten sie fest, dass Unterschiede in Effektstärken über Studien hinweg u.  a. durch die Dauer der Aufgaben sowie das Maß an Komplexität (zusätzliche exekutive Anforderungen) moduliert wurden. In einer Studie traten die größten Beeinträchtigungen des Arbeitsgedächtnisses bei Anforderungen an zentralexekutive Leistungen auf [103]. Brocki und Kollegen [108] fanden eine gewisse Unabhängigkeit von Arbeitsgedächtnis und Hemmung bei einer Gruppe von Jungen mit ADHS, gleichzeitig zeigten sich die größten Defizite bei einer verbalen Gedächtnisaufgabe mit hoher Anforderung an Aufmerksamkeit und Inhibition. Auch bei Erwachsenen mit einer ADHS wurden Beeinträchtigungen der Arbeitsgedächtnisleistung beschrieben. Diese zeigten sich sowohl bei verbalen Aufgaben ([53, 109–111], Metaanalysen; [37, 67], Metaanalysen; [112]) wie auch bei visuell-räumlichen

28

B. Kilian und K. Sidiropoulos

Aufgaben [37, 38] und waren schwerwiegender bei höherer Komplexität der Aufgabe [37, 112].

3

>>Die in Zusammenhang mit einer ADHS sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen häufig beobachteten Arbeitsgedächtnisprobleme können ebenfalls im Sinne von Aufmerksamkeitsproblemen interpretiert werden. Aus neuropsychologischer Sicht sind die beiden Konzepte sehr eng miteinander verbunden; experimentell zeigt sich, dass die Fähigkeit, Informationen zu enkodieren, abhängig ist von der Fähigkeit, begrenzte Aufmerksamkeitsressourcen zielgerichtet und selektiv einzusetzen.

3.2.3 

Hemmung

Hemmung (= Inhibition) ist unsere Fähigkeit, willkürlich oder unwillkürlich Informationen und Reize zu kontrollieren und zu unterdrücken, wenn sie für eine gegebene Aufgabe oder Zielerreichung irrelevant sind. Die Informationen können sprachlicher oder visueller Natur sein, es können aber auch Töne, eigene Gedanken oder Handlungsimpulse sein. Demnach ist die Hemmung auf allen Ebenen der mentalen, emotionalen und verhaltensbezogenen Selbststeuerung relevant, bei Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitslenkung, Lernen und Gedächtnis, Sprache, Emotionsregulation, Denkprozessen und Verhalten [113]. Wir unterscheiden hier drei Dimensionen hemmender Prozesse: a. die hemmende Kontrolle auf der Ebene der Wahrnehmung. Sie dient der Unterdrückung störender (= präpotenter) oder zielirrelevanter mentaler Repräsentationen aus dem Arbeitsgedächtnis; b. die kognitive Hemmung zur Regulation und Kontrolle kongruierender Gedanken

und Erinnerungen. Hierzu zählt auch das Vergessen nicht länger benötigter Informationen; c. die Verhaltenskontrolle (= Selbstkontrolle, Reaktionshemmung) durch Hemmung von Handlungen, die spontan und automatisiert durch äußere Reize oder innere Impulse ausgelöst werden (Impulsregulation), oder durch Regulation von Emotionen in Richtung eines vom Individuum festgelegten Standards (Emotionsregulation) [74]. Zur Verhaltenskontrolle gehört auch die Selbstdisziplin, trotz Ablenkungen oder Versuchungen bei der Arbeit zu bleiben oder ein längeres Vorhaben zu Ende zu bringen, obwohl diese Tätigkeit mittelfristig keine Belohnung oder Befriedigung erbringt. Durch die hemmende Kontrolle der Wahrnehmung und der kognitiven Hemmung wird verhindert, dass aufgrund begrenzter Ressourcen Interferenzen auftreten (Interferenzregulation), sodass wir in der Lage sind, unsere Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Ziel (selektive Aufmerksamkeit) zu lenken. Die Verhaltenskontrolle hingegen dient dazu, dass wir ein zu einer gegebenen Situation unpassendes (z. B. impulsives) Verhalten unterbinden und so negative Konsequenzen unseres Verhaltens vermeiden können. Die drei mentalen Prozesse der Hemmung sind nicht angeboren, vielmehr werden sie im Laufe des Lebens entwickelt. Die meisten Kinder erlernen diese Fertigkeiten im Alter zwischen 3 und 5  Jahren [114], wobei mehrere Studien belegen, dass die einzelnen Kernexekutivfunktionen unterschiedliche Entwicklungsphasen haben. So bilden sich z. B. im Alter zwischen 5 und 10 Jahren die Funktionen der „zentralen Exekutiven“ des Arbeitsgedächtnisses aus [115], während Kinder zwischen 6 und 8  Jahren die Inhibitionsregulation erlernen [116].

29 Neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und –modelle

3.2.3.1

 törungen der Hemmung S bei einer ADHS – Verminderte kognitive und verhaltensbezogene Kontrolle, Impulsivität und Emotions­ regulationsstörung

z Hemmung auf kognitiver Ebene

Schwierigkeiten mit der Hemmung auf der Ebene der Wahrnehmungssteuerung, wie sie bei einer ADHS im Sinne einer mangelnden Aufmerksamkeitsselektivität häufig zu beobachten sind, wurden in den vorangehenden Abschnitten bereits ausführlich beschrieben. Dysfunktionen der Hemmung auf kognitiver Ebene machen sich in Form von Ablenkbarkeit, gedanklicher Zerstreutheit und Sprunghaftigkeit, Unorganisiertheit und „Vergesslichkeit“ bemerkbar. Zusammengenommen können externe Informationen (z.  B.  Umweltreize, Hintergrundgeräusche) oder interne Informationen (z.  B.  Gedanken, Emotionen) weniger gut ausgeblendet werden, entsprechend schwer fällt es der Person, sich auf eine kognitive Aufgabe zu konzentrieren, wie beispielsweise die Bearbeitung von Informationen im Arbeitsgedächtnis (z. B. Kopfrechnen, gedankliches Sortieren oder Abgleichen von Informationen) oder das Ausführen einer monotonen reizarmen Aufgabe über einen längeren Zeitraum hinweg (z. B. Lesen eines Textes unter einer bestimmten Fragestellung). z Hemmung auf behavioraler Ebene

Eine ADHS geht auch mit Beeinträchtigungen der Hemmung auf behavioraler Ebene einher, diese fallen auf der diagnostischen Ebene in den Bereich der Impulsivität. Unter Enthemmung oder Inhibitionsschwierigkeiten auf der Verhaltensebene wird ein Mangel an Selbstkontrolle und willentlicher Handlungssteuerung verstanden. Dieses Selbstregulationsproblem aufgrund mangelhafter Filterung oder Regulierung von Impulsen oder Affekten kann

3

sich als impulsives, unreifes oder unangemessenes Verhalten zeigen oder als emotionale Überreaktion auf externe Auslöser wie beispielsweise eine bestimmte Situation (Reaktivität). Die Hemmung auf behavioraler Ebene kann unter Berücksichtigung kognitiver Aspekte erfolgen (auch „cool executive function“ genannt), wie die kritische und logische Analyse einer Situation, oder von affektiven Aspekten (auch als „hot executive function“ beschrieben) beeinflusst werden, in denen das Denken und folglich auch das Verhalten emotional gefärbt sind [117]. Während für die „cool executive function“ Norepinephrin und Dopamin wichtig sind, wird die Hemmung bei der „hot executive function“ in erster Linie über den Neurotransmitter Dopamin moduliert. Letztere Schwierigkeiten stehen häufig in Zusammenhang mit einem dysfunktionalen Belohnungserleben [118]. z Hemmung und Belohnungserleben

Alle Menschen sind in irgendeiner Form von Belohnungserleben abhängig, denn ein als Belohnung empfundenes Ereignis dient auf der neurochemischen Ebene der Befriedigung von Trieben und körperlichen Bedürfnissen sowie der Erfüllung seelischer Bedürfnisse (wie Anerkennung, Zugehörigkeit, Autonomiegefühl, Erleben von Sinnhaftigkeit etc.). Menschen mit fehlreguliertem Belohnungserleben reagieren weniger stark auf normale Stimuli und brauchen daher stärkere oder extreme Reize, um das Gefühl von Belohnung zu erlangen. Häufig zeigen sie mangelndes Interesse und Engagement für „normale“ Alltagsaktivitäten und eine geringere Frustrationstoleranz, neigen eher dazu, unliebsame Tätigkeiten aufzuschieben (Prokrastination) oder nicht zu Ende zu führen, und gehen größere Risiken ein als andere Menschen. Zudem sind sie anfälliger für Suchtmittel und Verhaltenssüchte, wie z.B. Glücksspieloder Internetsucht. Während das Erregungsniveau einer Person über den Hirnstamm reguliert wird

30

B. Kilian und K. Sidiropoulos

(siehe 7 Abschn.  6.2), hängt Belohnungserleben mit frontomesolimbischen Regelkreisen zusammen [119]. Belohnungsmangelerleben ist daher nicht zu verwechseln mit zu niedriger Erregung, entsprechend dient reizsuchendes Verhalten nicht dazu, sich wacher zu fühlen, sondern lebendiger [22]. Enthemmung, Tics oder Hyperaktivität können sich jedoch prinzipiell bei zu niedriger oder zu hoher Erregung verstärken, also sowohl durch Untererregung (z.  B. bei Müdigkeit oder Langeweile) als auch durch Übererregung (z. B. bei Unruhe, Aufregung oder Stress) [22]. Dies ist durch Interaktionen und Wechselwirkungen der beteiligten Regelkreise zu erklären.  

3

z Hemmung und Emotionen

Menschen mit einer ADHS neigen häufig dazu, ihre Gefühle intensiver zu erleben und auszudrücken als andere Menschen und stärker von ihren Gefühlen geleitet zu werden. Dies wirkt sich dann auf ihre Fähigkeit aus, in einem beliebigen Moment über die eigenen Emotionen hinaussehen zu können, die Perspektiven anderer zu berücksichtigen und sich situationsangemessen zu verhalten. Auch planvolles, zukunftsgerichtetes Vorgehen ist erschwert [7, 67]. Eine ADHS geht häufig mit einer höheren Sensibilität gegenüber Verhaltensbelohnungen einher, mit Schwierigkeiten mit dem Belohnungsaufschub („gratification delay“) und einer entsprechenden Präferenz unmittelbarer Belohnungen sowie einem risikoreicheren Entscheidungsverhalten bei Spielaufgaben [118, 120]. Risikoreiches Verhalten in Beruf und Freizeit (z. B. Börsenmakler, Fallschirmspringer) tritt bei einer ADHS häufiger auf als normalerweise und wird mit Impulsivität und Schwierigkeiten mit der Belohnungsrückstellung in Verbindung gebracht [121]. z Hemmung ohne emotionale Beteiligung

Experimentell wird die Verhaltenshemmung ohne emotionale Beteiligung klassischerweise über eine Reihe kognitiver Paradigmen untersucht, wie beispielsweise die Go/No-

Go-Aufgabe (Antwortauswahl ­Tastendruck vs. kein Tastendruck) oder die Stoppsignal-Aufgabe (Reizdiskriminationsaufgabe mit zusätzlichem Signal für motorische Hemmung). Einige Studien berichten über entsprechende Beeinträchtigungen bei einer ADHS, sowohl bei Kindern ([7, 122–124], Metaanalysen) als auch bei Erwachsenen [35, 125, 126]. Die Ergebnisse von Huizenga und Kollegen [127] weisen darauf hin, dass mit steigender Komplexität der Aufgabe auch die beobachteten Hemmungsschwierigkeiten zunehmen. z Hemmung mit emotional-motivationaler Beteiligung

Die Inhibitionsfähigkeit mit emotionaler Beteiligung wird experimentell mit Aufgaben untersucht, die motivationale Aspekte beinhalten, wie Erwartung und Aufschub von Belohnung, Spiel- und Risikoverhalten [120]. Tatsächlich zeigen Kinder und Jugendliche mit einer ADHS deutliche Steigerungen ihrer Leistung bezüglich Reaktionsbereitschaft, Daueraufmerksamkeit und motorischer Hemmung, wenn sie eine unmittelbare Belohnung erwarten können [28, 49, 128, 129]. Der Effekt ist stärker als bei anderen Kindern. Selbst wenn die unmittelbare Belohnung kleiner ausfällt als die verzögerte, wird sie häufiger gewählt [130]. Entsprechende Befunde gibt es auch bei Erwachsenen mit einer ADHS [54, 131, 132]. >> Die Fähigkeit der Hemmung kann sich auf die Ebene der Wahrnehmung, der eigenen Kognitionen oder des Verhaltens beziehen. Im Kontext einer ADHS können Defizite auf allen drei Ebenen beobachtet werden. Insbesondere eine verminderte Verhaltenshemmung führt häufig zu Schwierigkeiten im Alltag und wird in Zusammenhang mit Fehlregulationen im Belohnungserleben gebracht, welche wiederum mit risikoreicherem Verhalten und einer höheren Vulnerabilität für Suchtverhalten einhergeht.

31 Neurowissenschaftliche Erklärungsansätze und –modelle

3.2.4 

Kognitive Flexibilität, Planungsvermögen, Problemlösefähigkeit und Zeitgefühl

Der Begriff der kognitiven Flexibilität ist ein Sammelbegriff und umfasst eine Reihe von Fertigkeiten, die uns ermöglichen, zwischen verschiedenen mentalen Sets oder Aufgaben zu wechseln. Daher wird die kognitive Flexibilität häufig auch als mentale Verschiebung (engl. set shifting) genannt. Sie umfasst die Fähigkeit, a. unsere Denkweise und Handlungen zu ändern, anzupassen und zu erweitern, wenn wir mit der Lösung eines Problems nicht weiterkommen oder wenn wir uns flexibel an neue, sich verändernde oder unerwartete Gegebenheiten anpassen müssen (flexible mentale Einstellung), b. auf bestimmte Aspekte einer Anforderung besonders zu achten (fokussierte Aufmerksamkeit), c. unsere Aufmerksamkeit zwischen zwei Aufgaben zu teilen (geteilte Aufmerksamkeit), d. unseren Standpunkt zu ändern, sodass wir bestimmte Dinge und Gegebenheiten –– aus einer anderen räumlichen Perspektive sehen und verstehen (räumlicher Perspektivenwechsel), –– uns in die Lage eines anderen Menschen versetzen, sodass wir verstehen, was in ihm vorgeht (kognitive Empathie), –– uns in die emotionale Lage eines anderen Menschen versetzen (emotionale Empathie; Mitgefühl) und –– uns aus der Vogelperspektive betrachten, sodass wir Fehler eingestehen und eigene Irrwege als solche erkennen können. Die kognitive Flexibilität ist Voraussetzung für Priorisierung, systematisches Vorgehen und adaptive Entscheidungsfindung. Sie setzt die Ausbildung anderer Exekutiv-

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funktionen voraus, z.  B. die Fähigkeit, bestimmte Informationen zu unterdrücken (Hemmung) und auf andere mithilfe des Arbeitsgedächtnisses zuzugreifen [74, 133]. 3.2.4.1

Beeinträchtigung der kognitiven Flexibilität bei einer ADHS

Experimentell wird die kognitive Flexibilität häufig über Aufmerksamkeitswechsel gemessen zwischen verschiedenen sensorischen Modalitäten oder verschiedenen kognitiven Aufgaben. Entsprechende Beeinträchtigungen zeigten sich bei Kindern ([7, 36], Metaanalysen) und Erwachsenen ([36, 53, 126], Metaanalysen; [38, 134]) mit einer ADHS.  Banaschewksi und Kollegen [135] beobachteten Schwierigkeiten mit dem Aufmerksamkeitswechsel vom sensorischen Reiz zur eigenen Verhaltenskontrolle in einer Gruppe von Kindern mit einer ADHS. Casagrande und Kollegen [143] berichten, dass Kinder mit einer ADHS ihren Aufmerksamkeitsfokus weniger gut von der momentan ausgeführten Aufgabe lösen konnten als die Kontrollgruppe. Diese Defizite konnten aber durch die Präsentation eines Warnreizes und die folgende Steigerung der Wachheit gemindert werden. Typisch für eine ADHS im Kindes- und Erwachsenenalter sind Schwierigkeiten mit zeitlicher und räumlicher Organisation, ein mangelhaftes Zeitgefühl und ein weniger vorausschauendes Denken und Handeln. Experimentell zeigen sich ebenfalls ein vermindertes Planungsvermögen und vorausschauendes Denken ([67], Metaanalyse; [7], Metaanalyse), Schwierigkeiten mit dem Abschätzen von Zeitintervallen [136] sowie eine eingeschränkte Entscheidungsfähigkeit ([137], Metaanalyse). Eng damit verbunden sind Beeinträchtigungen bei der Argumentationsfähigkeit und beim Lösen komplexer Probleme. Diese Fähigkeiten setzen eine gute Wahrnehmung der eigenen Gedanken und Gefühle sowie denen der anderen, Voraussicht und Selbstprojektion in

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Raum und Zeit voraus, sind experimentell jedoch schwerer greifbar.

3.3 

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Zusammenfassung

Zusammenfassend wird deutlich, dass weitreichende Beeinträchtigungen der Exekutivfunktionen Menschen mit einer ADHS im Alltag Probleme bereiten können, was auch von den Betroffenen selbst so wahrgenommen wird [121]. Zudem wurde erkennbar, dass zwischen Aufmerksamkeitsund Exekutivfunktionen ein großer Zusammenhang besteht bzw. eine teilweise Überschneidung der Begrifflichkeiten. Vor diesem Hintergrund ist es leichter verständlich, dass die Aufmerksamkeitsschwierigkeiten, die bei einer ADHS häufig beobachtet werden, keine reinen Konzentrationsschwierigkeiten sind, sondern komplexe und weitreichende Beeinträchtigungen der kognitiven Selbstregulation darstellen, die entsprechende Folgeprobleme in allen Lebensbereichen nach sich ziehen können. Gleichzeitig gibt es Hinweise in der Literatur, dass exekutive Defizite zumindest teilweise auf eine Dysregulation basalerer Aspekte der Aufmerksamkeit wie Arousal, Wachheit, Vigilanz und Daueraufmerksamkeit zurückzuführen sind. Eben solche Effekte wurden über eine Vielzahl an Aufgaben hinweg berichtet, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen, u.  a. für Defizite im visuell-­ räumlichen Arbeitsgedächtnis [46, 138–140], für selektive Aufmerksamkeit [141, 142], kognitive Flexibilität [143, 144], Aufmerksamkeitswechsel [53], motorische Hemmung [145, 146] und kognitive Inhibitionsfähigkeit (Interferenzkontrolle beim Stroop-Test) bei Kindern ([147], Metaanalyse) und bei Erwachsenen [148]. In zwei Metaanalysen an Kindern mit einer ADHS waren Exekutivfunktionen nicht stärker beeinträchtigt als andere kognitive Funktionen [126, 149] und

entsprechende Defizite waren weder notwendig noch hinreichend für die Diagnose einer ADHS [7]. Knyazev und Kollegen [150] berichten, dass die Fähigkeit zur motorischen Hemmung abhängig war von der Fähigkeit der Probanden, ihre Aufmerksamkeit auf das entsprechende vorausgehende Signal zu richten. Generell ist zu bedenken, dass höhere Aufmerksamkeits- bzw. Exekutivfunktionen schwerer messbar sind, da sie einerseits unterschiedlich definiert werden und andererseits innerhalb bestimmter Paradigmen häufig nicht in Isolation auftreten [67, 151]. Die Stoppsignal-Aufgabe zur Messung der Verhaltenshemmung beispielsweise erfordert auch weitere exekutive Fähigkeiten wie Antwortauswahl, wechselnde und geteilte Aufmerksamkeit [152, 153].

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Motorische Schwierigkeiten Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos Inhaltsverzeichnis 4.1

Motorische Unruhe und Impulsivität – 42

4.2

Motorische Entwicklungsdefizite – 42 Literatur – 43

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 K. Sidiropoulos (Hrsg.), EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3_4

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42

4.1

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B. Kilian und K. Sidiropoulos

 otorische Unruhe und M Impulsivität

Motorische Unruhe und ein starker Bewegungsdrang sind häufig genannte Symptome einer ADHS und werden auf der Ebene der Diagnostik der Hyperaktivität zugerechnet (siehe 7 Kap.  1, [1]). Wie in 7 Kap.  2 beschrieben, zeigen sie sich bei Jungen deutlicher (häufiger und stärker) als bei Mädchen und bei Kindern deutlicher als bei Erwachsenen. In der Literatur gibt es Hinweise auf Zusammenhänge zwischen verminderter motorischer Hemmung und gesteigerter motorischer Aktivität. Experimentell wurde eine positive Korrelation zwischen motorischer Überaktivität und Verhaltensinhibition („Impulsivität“) bei ADHS beobachtet [2, 3]. Überschießende motorische Aktivität bei einer Finger-Tapping-Aufgabe wird in der Regel als Hinweis auf mangelnde motorische Hemmung interpretiert [4, 5] und teilweise auch mit Abnormalitäten der weißen Hirnsubstanz in Verbindung gebracht [6]. Diese Beobachtungen sind bedeutsam in Hinblick auf die Zusammenfassung von Überaktivität und Impulsivität zu einer Kategorie im DSM-IV. Einerseits gibt es die weit verbreitete Theorie, dass übermäßige motorische Aktivität einen Selbstregulationsversuch des Systems darstellt, ein angemessenes Arousalniveau zu erreichen und aufrechtzuerhalten [7, 8]. Dies wäre konsistent mit Erklärungsmodellen, die von einer Untererregtheit und kortikalen Unteraktivierung ausgehen [9]. Dieser Ansatz kann jedoch nicht erklären, weshalb in vielen Fällen eine ADHS ohne Hyperaktivität auftritt. Wie wir in späteren Kapiteln zur Neurophysiologie (7 Abschn.  12.4 und  7 13.4) noch sehen werden, gibt es zahlreiche Hinweise auf Kompensationsstrategien auf der Ebene der kortikalen Aktivierung bzw. auf die Notwendigkeit größerer Anstrengung bei der Bewältigung komplexer Aufgaben  







einschließlich Verhaltenshemmung bei Menschen mit einer ADHS, die aufschlussreicher sind als verhaltensbezogene Maße. Generell sei hier wieder auf die Komplexität des Störungsbildes in seiner gängigen Definition hingewiesen und auf die Vielzahl möglicher Ursachen, die sich keineswegs gegenseitig ausschließen. Ein weiterer Erklärungsansatz für eine vermehrte innere Unruhe und einen verstärkten Bewegungsdrang im Kontext einer ADHS ist die Interpretation der Symptome im Sinne eines erhöhten Arousals im Rahmen einer fehlregulierten Stressreaktion, ein Modell, auf das wir im 7 Kap. 5 noch näher eingehen.  

4.2

Motorische Entwicklungsdefizite

Defizite bei der motorischen Kontrolle bei einer ADHS sind jedoch weitreichender als die häufig genannte Hyperaktivität. Erst im vergangenen Jahrzehnt widmete sich die Forschung zunehmend motorischen Entwicklungsdefiziten, die in Zusammenhang mit einer ADHS häufig auftreten und teilweise bis ins Erwachsenenalter fortbestehen. Zu den typischen Problemen dieser Art zählen Schwierigkeiten mit basaleren Aspekten motorischer Kontrolle, wie dem Gleichgewicht, der raum-zeitlichen Eigenempfindung des Körpers (Propriozeption), der Koordination (z.  B.  Auge-Hand), dem Rhythmusgefühl, sowie eine mangelnde Fein- und Graphomotorik und das Persistieren von kindlichen Reflexen und Spiegelbewegungen (unabsichtlichen, spiegelbildlichen Bewegungen der nicht aktiven Körperseite während einer absichtlichen Bewegung der aktiven Körperseite), die sich normalerweise im Laufe der Entwicklung zurückbilden [6, 10–13]. Dies ist ein wichtiger Aspekt, da die kindliche Entwicklung des Kortex von der motorischen Entwicklung mitbedingt wird (z.  B. erfolgt eine Stimulation des präfrontalen

43 Motorische Schwierigkeiten

Kortex über dopaminerge Bahnen aus den ­Basalganglien, siehe 7 Abschn.  8.2) [10, 11]. Auch das Kleinhirn ist teilweise an diesen Prozessen beteiligt [13].  

Fazit Hinter „motorischen“ Schwierigkeiten im Rahmen einer ADHS können sich eine verminderte motorische Hemmung („Impulsivität“), ein erhöhtes Aktivitätsniveau („Hyperaktivität“) oder tatsächliche Defizite in der motorischen Entwicklung verbergen. Letztere können auch ohne Hyperaktivitäts- und Impulsivitätssymptome auftreten.

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45

Entstehungsfaktoren für eine ADHS Beate Kilian und Kyriakos Sidiropoulos Inhaltsverzeichnis 5.1

 rbliche und epigenetische Komponenten E einer ADHS – 46

5.2

 ntwicklungsbedingte Faktoren – Zusammenhänge E mit Trauma, Stress und Bindungsverhalten – 46

5.3

Stoffliche Einflüsse auf die Gehirnentwicklung – 47

5.4

Weitere entwicklungsbezogene Risikofaktoren – 47 Literatur – 48

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 K. Sidiropoulos (Hrsg.), EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3_5

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5.1

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B. Kilian und K. Sidiropoulos

 rbliche und epigenetische E Komponenten einer ADHS

Angesichts der Komplexität der Symptomatik ist es nicht verwunderlich, dass in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl an Entstehungsfaktoren diskutiert wurde. Am Anfang des Genomprojektes in den 1990er-Jahren war die Hoffnung groß, anhand der Gene Krankheiten entschlüsseln und darauf basierend passende Therapieverfahren entwickeln zu können. In Zusammenhang mit der ADHS beobachtete man eine hohe familiäre Belastung [1] sowie eine Beteiligung von Genen, die für den Aufbau der Dopaminrezeptoren D1, D2, D4 und D5 zuständig sind, welche neuronale Signale steuern und Aufmerksamkeitsprozesse und Verhalten modulieren [2]. Es zeigte sich jedoch bald, dass die Vorstellung, psychische Erkrankungen auf diese Weise zu erklären, eine Vereinfachung der Realität darstellt [3]. Dies liegt daran, dass es eine Reihe von genetischen Sequenzen gibt, die sich durch externe Faktoren (z. B. Umwelteinflüsse) oder interne Faktoren (z.  B. psychische Einwirkungen und Manipulationen) im Laufe des Lebens verändern, wodurch die Aktivität bestimmter Chromosomenabschnitte geändert wird. Diese chromosomalen Veränderungen sind epigenetischer Natur, die entsprechenden Merkmale werden nicht weitervererbt und sind somit genetisch in den nachkommenden Generationen nicht nachweisbar. Somit sind nicht nur die vererbten Gene wichtig, sondern ebenso die erworbenen Veränderungen bestimmter genetischer Sequenzen, welche die Gehirnentwicklung beeinflussen. Diese Veränderungen wirken nicht nur auf die Neurochemie, sondern auch auf den anatomischen Bau des Gehirns und auf die Art, wie vereinzelte Hirnregionen miteinander in Wechselwirkung stehen (Konnektivität). Inzwischen werden im Zusammenhang mit der ADHS zahlreiche weitere Gensequenzen beschrieben, auch andere monoaminerge

und nichtmonoaminerge Neurotransmitter und Rezeptoren betreffend (z.  B.  DAT1, DBH, BDNF, MAO-A, SLC6A, ADRA2A, -2C und -1C, 5-HTT, HTR2A und -1B, GABRB3) ([4], Übersichtsarbeit; [5], Übersichtsarbeit) (vgl. 7 Abschn. 15.3).  

5.2

Entwicklungsbedingte Faktoren – Zusammenhänge mit Trauma, Stress und Bindungsverhalten

Wie bei anderen psychischen Störungsbildern wird auch bei der ADHS inzwischen von einer multifaktoriellen Ursache ausgegangen. Chronischer Stress der Mutter, vor und nach der Geburt, kann die Entwicklung der Stressregulationssysteme des Kindes beeinträchtigen und Symptome einer ADHS auslösen [6–8]. Gleiches gilt für die pränatale Gabe künstlicher Glukokortikoide [9]. Eine Depression oder Angststörung der Mutter während der Schwangerschaft [10] oder danach [11] ist in diesem Zusammenhang ebenfalls als Risikofaktor zu nennen, ebenso traumatisierende Erlebnisse im Kindesalter, wie die häufige Trennung von einer wichtigen Bezugsperson ohne Ersatz, der Verlust einer wichtigen Bezugsperson, schwere elterliche Konflikte, Missbrauch, Vernachlässigung oder Deprivation [12, 13]. Dazu zählen auch ein negativer Erziehungsstil (fehlende Regeln, inkonsequentes Verhalten, häufige Kritik oder Bestrafungen und ein distanzierter oder liebloser Umgang) [14] sowie psychosoziale Schwierigkeiten wie eine schwerwiegende Erkrankung eines Elternteils oder extreme Armut in der Familie [15]. Solche Erfahrungen gehen meist mit einem gestörten Bindungsverhalten einher. Ein ängstlicher oder vermeidender Bindungsstil ist im Vergleich zu Gesunden häufiger bei Kindern und Jugendlichen mit einer ADHS [16] sowie bei deren Müttern [17] zu beobachten und stellt einen Risikofaktor dar. Gleichzeitig sind eine unsichere

47 Entstehungsfaktoren für eine ADHS

­indung, hohe Emotionalität der Eltern B oder die Erkrankung eines Elternteils per se als Stressfaktoren anzusehen [18]. Der Zusammenhang mit frühkindlichem Stress, Bindungsproblemen oder traumatischen Erfahrungen ist insofern relevant, als bei akutem wie bei chronischem Stress ab einer bestimmten Intensität Aufmerksamkeitsfunktionen und emotionale Selbstregulation beeinträchtigt sind [19, 20]. Unter erhöhtem Stress wird das Arousal und damit die Reaktionsbereitschaft gesteigert und die Aufmerksamkeit auf die Peripherie gelenkt („Ablenkbarkeit“), Körperwahrnehmung, emotionales Empfinden und Gedächtnisleistung sind vermindert („Sensationssuche“, „emotionale Dysregulation“ und „Vergesslichkeit“), präfrontale Funktionen wie das vorausschauende Denken sind eingeschränkt („mangelnde Flexibilität“) und Erfolge müssen unmittelbar erzielt werden („Aversion gegen Belohnungsaufschub“). Exekutivfunktionen werden durch spontane Verhaltensweisen ersetzt („Impulsivität“), es wird mehr Energie in den Extremitäten bereitgestellt („Hyperaktivität“) und die Unterversorgung des präfrontalen Kortex bewirkt ein Zurückfallen in automatisierte Handlungsmuster („Enthemmung“). ADHS-Symptome könnten somit als funktionale Stresssymptome angesehen werden, die im Sinne einer chronifizierten Stressreaktion, in der das Stressregulationssystem nicht angemessen reagiert, ohne gegenwärtigen Auslöser ablaufen. Tatsächlich gibt es Hinweise auf ein verändertes Stressempfinden und teilweise von der Norm abweichende physiologische Stressreaktionen bei einer ADHS, bei Kindern [21–23], Jugendlichen [24] und Erwachsenen [25–28], wenngleich eine aktuelle Metaanalyse diese Befunde relativiert [29]. 5.3

 toffliche Einflüsse auf die S Gehirnentwicklung

Zahlreiche weitere Faktoren stehen in Verdacht, die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer ADHS-Symptomatik zu er-

5

höhen, auch wenn die Studienlage hier noch unklar ist. Dazu zählen vorgeburtliche Belastungen durch den Konsum von Alkohol [30], Nikotin [31] oder Drogen [32] durch die Mutter während der Schwangerschaft oder durch Passivrauchen in der frühen Kindheit [33]. Ebenso erwähnt werden Nährstoffmängel (z. B. Eisen, Zink, Magnesium oder essenzielle Fettsäuren) ([34–38], Übersichtsarbeiten), Allergene (z.  B.  Aroma-, Farbund Konservierungsstoffe) [36], Zucker [36, 37], Schwermetalle (Blei und Quecksilber) [3, 39–42] sowie Phosphate [43, 44]. Robberecht und Kollegen [38] weisen darauf hin, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt unklar ist, ob zwischen der Symptomatik von Kindern mit einer ADHS und der verringerten Konzentration bestimmter Mineralstoffe wie Eisen, Magnesium oder Zink ein kausaler Zusammenhang besteht oder nicht. 5.4

Weitere entwicklungsbezogene Risikofaktoren

Strukturelle und demzufolge auch funktionelle Veränderungen können auch entstehen durch Unfälle (z.  B.  Kopfschläge, Stürze) [45, 46] oder mangelhafte Sauerstoffversorgung (Hypo- und Anoxien aufgrund von Schwangerschafts- bzw. Geburtskomplikationen) [47, 48]. Auch der Einfluss von Gehirnentzündungen wird diskutiert [49]. Geburtskomplikationen, Kaiserschnitt und Frühgeburt gelten ebenfalls als Risikofaktoren [39, 50–52] für das Entwickeln einer ADHS.  Hall und Kollegen [53] berichten über Verlangsamungen der Reaktionszeiten und einer höheren Fehlerzahl bei einer Vigilanzaufgabe bei frühgeborenen ­Jugendlichen im Vergleich zu einer Normstichprobe, James und Kollegen [54] über verlängerte und variablere Reaktionszeiten sowie ein vermindertes elektrophysiologisches Bereitschaftspotenzial. Gesellschaftliche Einflüsse wie zunehmende Reizüberflutung und digitale Medien, Be-

48

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B. Kilian und K. Sidiropoulos

wegungsarmut und Belastung durch schulische Leistungsanforderungen begünstigen zudem das Auftreten von ADHS-Symptomen [55–57]. Nicht zuletzt sei der Einfluss genannt, welchen die frühkindliche motorische Entwicklung auf die Entwicklung neurophysiologischer Regelkreise hat, die bei einer ADHS relevant bzw. beeinträchtigt sind [58, 59]. Mangelnde Stimulation oder eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit im Säuglings- und Kleinkindalter können über eine fehlerhafte Entwicklung der motorischen Kontrolle des Körpers zu Einbußen bei der Aufmerksamkeitsregulation führen. Dies kann indirekt erfolgen über Haltungsschwierigkeiten oder mangelnde Kontrolle der Augenbewegungen sowie direkt über unzureichend ausgebildete neurophysiologische Netzwerke und Strukturen, die letztlich auch für Hemmung und komplexe Verhaltenssteuerung notwendig sind [58]. Im nächsten Teil unseres Buches werden wir die beteiligten neuroanatomischen Netzwerke, die bei Kindern und Erwachsenen mit einer ADHS dysfunktional sein können, ausführlicher betrachten. Entstehungsfaktoren für eine ADHS 55 Genetische Regulation der Synthese von Neurotransmittern und deren Rezeptoren 55 Epigenetische Einflüsse auf die Ausprägung erblicher Faktoren 55 Pränatale stoffliche Einflüsse wie Medikamente, Alkohol, Nikotin oder Drogen 55 Stress, Trauma oder psychische Erkrankung der Mutter während der Schwangerschaft 55 Geburtskomplikationen wie Kaiserschnitt, Frühgeburt, Sauerstoffmangel u. a. 55 Bindungsverhalten der Eltern 55 Frühe motorische Entwicklung 55 Stress und seelisches Trauma

55 Kopfverletzungen, Stürze und Gehirnentzündungen 55 Giftstoffe aus Nahrung und Umwelt 55 Ernährungsmängel 55 Gesellschaftliche Einflüsse wie Bewegungsmangel und Digitalisierung

Fazit Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ist auch in ihrer aktuellen Definition ein weitreichendes Phänomen, das sehr unterschiedliche Ausprägungen haben kann. Eine Vielzahl biologischer, psychologischer und sozialer Entstehungsfaktoren, die sich gegenseitig mitbedingen, wird derzeit diskutiert. Umso wichtiger bei der Behandlung und Therapie der Betroffenen ist daher nicht nur die genaue Betrachtung der individuellen Ausprägung der verschiedenen Probleme und Verhaltensweisen im Kontext der jeweiligen Lebensumstände, sondern auch  – soweit möglich – eine Mitberücksichtigung möglicher Einflüsse und Entstehungsfaktoren.

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51 Entstehungsfaktoren für eine ADHS

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53

Neuronale Netzwerke und ADHS Inhaltsverzeichnis Kapitel 6

Basale Netzwerke – 55 Kyriakos Sidiropoulos

Kapitel 7

Sensorische Netzwerke – 69 Kyriakos Sidiropoulos

Kapitel 8

Vermittlernetzwerke – 75 Kyriakos Sidiropoulos

Kapitel 9

Extrinsische Bereitschaftsnetzwerke – 89 Kyriakos Sidiropoulos

Kapitel 10

Intrinsische Bereitschaftsnetzwerke – 95 Kyriakos Sidiropoulos

Kapitel 11

Affektiv-motivationale Netzwerke – Impulskontrolle, Emotion, Motivation und Furchtkonditionierung – 105 Kyriakos Sidiropoulos

II

55

Basale Netzwerke Kyriakos Sidiropoulos Inhaltsverzeichnis 6.1

Einführung – 56

6.1.1 6.1.2

 onnektivität im Nervensystem – 56 K Die verschiedenen Netzwerktypen und deren Dysfunktionen – 56

6.2

Das Wachheitssystem – 58

6.2.1 6.2.2

E rzeugung eines tonischen Wachheitszustandes – 60 Aufmerksamkeit und die Modulation der tonischen und phasischen Wachheit – 60 Wachheit und die ADHS – 63

6.2.3

Literatur – 65

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 K. Sidiropoulos (Hrsg.), EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3_6

6

56

6.1

K. Sidiropoulos

Einführung

6.1.1 

6

Konnektivität im Nervensystem

Um eine kognitive Aufgabe zu bewältigen, kooperieren auf der Makroebene verschiedene Hirnregionen, indem sie gleichzeitig aktiv werden und ein Netzwerk bilden. Die gleichzeitige Aktivierung kann a. auf die feste anatomische Verdrahtung zwischen diesen Hirnregionen hinweisen (strukturelle Konnektivität), b. auf die statistische Abhängigkeit (z. B. Korrelation) dieser Hirnregionen in der Zeit, ohne dass zwischen ihnen notwendigerweise ein kausaler Zusammenhang besteht (funktionelle Konnektivität). c. Schließlich kann der Einfluss einer Neuronenpopulation auf eine andere gerichtet sein, dass bedeutet der Zustand einer Neuronenpopulation A kann kausal Einfluss (z.  B.  Granger-Kausalität) auf die Aktivität einer Neuronenpopulation B ausüben (effektive Konnektivität). Durch bildgebende Verfahren (z. B. fMRT, EEG, MEG) kann gezeigt werden, ob eine bestimmte Hirnregion bei der Durchführung einer Aufgabe mit einer erhöhten neuronalen Aktivität reagiert, während man mithilfe mechanistischer Modelle, wie das dynamische kausale Modell (DCM), auf die kausale Architektur gekoppelter oder verteilter dynamischer Systeme schließen kann [1]. Funktionelle und effektive Konnektivität zusammen machen das aus, was man funktionelle Integration nennt, die Vernetzung miteinander zusammenhängender funktioneller Prozesse (siehe auch 7 Abschn. 15.8.1).  

6.1.2 

Die verschiedenen Netzwerktypen und deren Dysfunktionen

Anhand bildgebender Verfahren war es möglich, im menschlichen Gehirn vier größere Netzwerktypen zu unterscheiden: a. die basalen Netzwerke, b. die zentralen Netzwerke und deren Schnittstellen (z. B. sensorische, motorische, sensomotorische Netzwerke), c. die Vermittlernetzwerke und d. die Bereitschaftsnetzwerke (extrinsisch vs. intrinsisch). Diese Netzwerke sind dynamisch und ändern sich im Laufe des Reifungsprozesses des Gehirns eines Menschen [2]. Ihre ausbalancierte Wechselwirkung ist von großer Wichtigkeit für die Aufrechterhaltung kognitiver Fertigkeiten. Die basalen Netzwerke dienen, wie der Name bereits sagt, der Implementierung und Regulierung von grundlegenden Körperfunktionen, die meistens von subkortikalen Regionen vermittelt werden. Eines dieser basalen Netzwerke, das beim Aufmerksamkeitsprozess beteiligt ist, ist das Wachheitssystem [3, 4]. Die zentralen Netzwerke, z. B. die sensorischen Netzwerke, verarbeiten modalitätsspezifisch äußere Reize (z.  B. auditiv, visuell etc.) und werden bei der Wahrnehmung, Auswertung und Manipulation von Reizen von den Vermittlernetzwerken (z.  B. dem Netzwerk der Exekutivfunktionen und der Salienz) unterstützt. Das Salienznetzwerk (SN) moduliert beispielsweise unabhängig von der Sinnesmodalität die Aktivität der zwei Subsysteme des Netzwerks der Exekutivfunktionen (ECN). ECNA beteiligt sich zusammen mit dem intrinsischen Bereitschaftsnetzwerk DMN (engl. default mode network) bei intern gerichteten Aufmerk-

57 Basale Netzwerke

6

samkeitsprozessen. Diese Ruhezustandsnetzwerke (engl. resting-state networks) sind während der Ruhephase aktiv und werden nur indirekt von Umweltanforderungen angetrieben. Bei extern gerichteten Aufmerksamkeitsprozessen, z.  B. wenn ein bestimmter Reiz präsentiert wird oder während einer kognitiven Aufgabe, baut sich dynamisch eine Netzwerkkonfiguration auf, und zwar unter Beteiligung des ECNB und der extrinsischen Bereitschaftsnetzwerke DAN und VAN (engl. dorsal/ventral attention network) (siehe . Abb. 6.1). Jedes der genannten Netzwerke und jeder der einzel-

nen Bestandteile dieser Netzwerke ist in bestimmte Aufgaben involviert, kann jedoch prinzipiell von den anderen Verarbeitungseinheiten unabhängig wirken und auf diese Weise mehrere kognitive Aufgaben erfüllen. In diesem komplex organisierten System können mehrere Dysfunktionen auftreten, die zu verschiedenartigen neurologischen und psychischen Störungen führen. Es können dabei drei Hauptkategorien von Dysfunktionen der strukturellen, funktionellen und effektiven Konnektivität unterschieden werden, die aufgrund von Änderungen auftreten:

..      Abb. 6.1  Vier mal zwei Modell. Nach dem heutigen Kenntnisstand können, wie im Text erläutert, vier größere Netzwerktypen unterschieden werden. Teilt man die Netzwerke je nachdem, ob die Aufmerksamkeit nach innen oder nach außen gerichtet ist, kann man vertikal zwei größere Konnektivitätsnetzwerke unterscheiden: das intrinsische und das extrinsische. Beide sind bei höheren kognitiven Funktionen (z. B. Denken,

Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit) beteiligt und beinhalten Teile des Salienznetzwerks (SN) und des Exekutivkontrollnetzwerk (ECN). Das Ruhezustandsnetzwerk (DMN) gehört zu dem intrinsischen Konnektivitätsnetzwerk, während das extrinsische Konnektivitätsnetzwerk aus den Aufmerksamkeitsnetzwerken DAN („dorsal attention network“) und VAN („ventral attention network“) besteht



58

K. Sidiropoulos

55 in der Aktivität einer an einem Netzwerk beteiligten Hirnregion (lokale Aktivitätsänderung), 55 in der Stärke des Zusammenspiels zwischen den beteiligten Hirnregionen eines einzelnen Netzwerkes (Intranetzwerkstörung) oder 55 in den Verknüpfungen zwischen mehreren Netzwerken (Internetzwerkstörung), die sich an einer Funktion beteiligen.

6

Alle drei genannten Dysfunktionsarten wurden in Bezug auf die ADHS beschrieben. In den nachfolgenden Kapiteln schauen wir uns die verschiedenen Netzwerktypen und deren Beziehung zur ADHS-Symptomatik genauer an. Dabei sollten wir stets im Hinterkopf behalten, dass aus wissenschaftstheoretischer Sicht nicht eindeutig geklärt ist, ob die neuronalen Dysfunktionen die Ursache oder die Folge einer psychischen Erkrankung sind. 6.2

Das Wachheitssystem

Das Wachheitssystem ist das phylogenetisch primitivste von allen hier beschrieben Netzwerken und dient u. a. der Aufrechterhaltung des kortikalen Erregungsniveaus (Arousal) des Vorderhirns. Es reguliert die Wachheit und ist eine Grundvoraussetzung für Aufmerksamkeitsprozesse. Wie im 7 Abschn.  3.1.1, „Tonische vs. phasische Wachheit“ ausführlich besprochen, unterscheidet man zwischen einer tonischen (= intrinsischen) und einer phasischen (= extrinsischen) Wachheit. Eine moderate tonische Aktiviertheit bildet die Grundlage für Prozesse selektiver Aufmerksamkeit, während eine Zunahme des Arousals durch die phasische Aktivierung zu einer Verschiebung oder Lenkung der Aufmerksamkeit auf einen wichtigen äußeren Reiz, z.  B. einen Warnreiz, führt. Für die Aktiviertheit spielen vor allem die mediane, die mediale und laterale Zone der Formatio reticularis des Hirnstamms eine bedeutende Rolle sowie der thalamische Nucleus reticularis (siehe . Abb. 6.2 und Übersicht).  



Unterteilung der Formatio reticularis des Hirnstamms in drei Längszonen (siehe auch . Abb. 6.2)  

1. Die mediane Zone umfasst die serotonergen Raphe-Kerne (RK), die zahlreiche Projektionen in nahezu alle kortikalen und subkortikalen Regionen haben. Eingänge kommen aus dem limbischen System, dem ventrolateral-präoptischen Kern (VLPO) des Hypothalamus und dem anterioren frontalen Kortex (ECNA). Die mediane Zone ist bei einer Reihe von Funktionen beteiligt. Die wichtigste in Bezug auf die ADHS ist die Modulation der aktuellen Gefühlslage. Diese kann kortikal (= bewusst) oder subkortikal (= unbewusst) moduliert werden. Die Ausschüttung von Serotonin wirkt dabei auf den Kortex stimmungsaufhellend. 2. Die mediale Zone der Formatio reticularis besteht aus dem Nucleus gigantocellularis (NGC) und den drei serotonergen dorsalen Raphe-Kernen (RK). Sie erhält glutamerge Eingänge von allen sensorischen Systemen, aus dem prämotorischen Kortex, dem Rückenmark sowie aus den Colliculi superiores und dem Kleinhirn. Über das sogenannte Aufsteigende retikuläre aktivierende System (ARAS) projizieren diese Kerne zu den intralaminären Thalamusgebieten (z.  B. dem Nucleus centromedianus), die man früher unspezifische Thalamuskerne nannte, weil sie direkt nur diffus und verstreut verschiedene kortikale Gebiete erreichen. Die Kerne der medialen Zone (vor allem die serotonergen dorsalen Raphe-Kerne) sind durch ihren dämpfenden Einfluss auf die anderen Hirnstammkerne und den Kortex für den Schlaf-Wach-­ Rhythmus zuständig. In Verbindung mit den intralaminären Thalamus-

6

59 Basale Netzwerke

phasisch

VAN

SN tonisch

tonishch & phasisch

Sensorik

DAN

Temporoparietale Gebiete

3

Nucleus reticularis GABAerg

+

phasisch

6

+

ventrales Striatum Dopaminerg

Truncothalamische („unspezifische“) Kerne

6

-

z.B. Corpus geniculatum mediale

Basalganglien 8

4

Relais-Neurone

8

DMN

9

5

Palliothalamische („spezifische“) Kerne Interneuronen

ECNA

ECNB

3a

tonisch

Intralaminäre K. Mittellinien K.

SN

7

VTA

phasisch tonisch

7



+

Formatio reticularis (Hirnstamm) Mediane Zone - RK-serot.

Affektiv-motivationales Netzwerk ECNA (vor allem aPFC)

Laterale Zone + PPN/ LTN -

1 2



Laterale Zone + LC − noradr.

+

1

1

Cholinerg

-

2

GABAerg



NGC; 3 dorsale RK 1a

VLPO

1b

GABAerg

SN

Sensorik

1a

_ 10

Affektiv-motivationales Netzwerk

Hypothalamus al, dACC

BVH +

+ 

Mediale Zone

+

-

-

1



ventrales tegmentales Areal Dopaminerg

8



-

1

10 8

(Prä-) Motorik

Noradrenerg, cholinerg [+], [-] Glutamaterg, dopaminerg [+] GABAerg, serotonerg [-]

Kortex

..      Abb. 6.2  Wachheitssystem. Die Projektionen aus dem ventromedialen präfrontalen Bereich (VMPFC, Teil des Default-Mode-Netzwerks [DMN], Route 9) und dem dorsalen anterioren cingulären Kortex (dACC, Teil des Salienznetzwerks [SN], Route 7) auf dem Nucleus reticularis sind weitgehend auf den vorderen Sektor des retikulären Kerns beschränkt und haben keine Überschneidung mit den sensorischen kortikothalamischen Projektionen. Die Projektionen des dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC, Teil des Exekutivkontrollnetzwerk ECNB, Route 5) zum retikulären Kern hingegen sind weitreichender und schließen die sensorischen Sektoren des retikulären Kerns mit ein. Die wichtigsten Elemente dieses Systems in Bezug auf ADHS sind das noradrenerge LC-SN-­System (Route 7); bestehend aus dem Locus coeruleus (LC) und dem SN, und das mesokortikolimbische (MCL-) System, bestehend aus einem mesolimbischen und einem mesokortikalen Teil. Der mesolimbische Teil führt vom vent-

ralen Tegmentalbereich (VTA) über das ventrale Striatum zum limbischen System (Amygdala, Hippocampus) und ist für die motivationale Ausrichtung (Vermeidung vs. Annäherung) auf ein Ziel verantwortlich (Route 10). Der mesokortikale Teil hingegen erstreckt sich vom VTA über das ventrale Striatum zum Kortex (SN) und dem thalamischen Nucleus reticularis und beteiligt sich bei exekutiven Funktionen, wie Arbeitsgedächtnis, Inhibition und kognitive Flexibilität (Route 8). Weitere Erläuterungen findet man im Text und in der Übersicht. Weitere Abkürzungen: aI anteriore Insula, aPFC anteriorer präfrontaler Kortex, BVH basales Vorderhirn, DAN dorsal attention network, LTN laterodorsale Tegmentalkerne, NGC Nucleus gigantocellularis, PFC präfrontaler Kortex, PPN Nucleus pedunculopontinus, RK Raphe-Kerne, VAN ventral attention network, VLPO ventrolateral-präoptischer Kern. (Die Zeichnung entstand hauptsächlich anhand der Ausführungen von [5] und [6])

60

6

K. Sidiropoulos

gebieten und dem Nucleus reticularis sind sie bei der Modulation der gesamten kortikalen Aktivität beteiligt, z.  B. wenn etwas Auffälliges entdeckt wird. Ferner partizipieren sie bei der Integration verschiedener Informationseingänge im dorsalen Thalamus (palliothalamische und truncothalamische Kerne). 3. Die laterale Zone besteht aus dem cholinergen Nucleus pedunculopontinus (+PPN), den laterodorsalen Tegmentalkernen (+LTN) und dem noradrenergen Locus coeruleus (+LC). In der lateralen Zone ist vor allem der LC für die ADHS-­Symptomatik von großer Bedeutung. Durch die Ausschüttung von Noradrenalin wirkt der LC auf dem Kortex aktivierend, beteiligt sich zur Aufrechterhaltung der Wachheit für externe Reize und steigert bei neuen oder auffälligen Reizen die Aufmerksamkeit. PPN/LTN zusammen mit dem basalen Vorderhirn (BVH) geben uns erste Informationen über die Wichtigkeit und Bedeutung von externen Reizen.

cothalamischen („unspezifischen“) Kerne, des cholinergen basalen Vorderhirns und aller anderen kortikalen Regionen, die über α1-Adrenorezeptoren verfügen (. Abb. 6.2, Route 1). Alle Neokortexregionen mit α2Adrenorezeptoren einschließlich des GABAergen basalen Vorderhirns (BVH) und des ventrolateralen präoptischen Kerns (VLPO) werden hingegen gehemmt (. Abb.  6.2, Route 2) [5]. Auf diese Weise stellt sich das Ruhe-EEG bei geschlossen Augen ein. Wir sind wach und die Intensität der tonisch-rhythmischen Alpha-Oszillationen (irrtümlich „Leerlauf“-Rhythmen genannt; engl. idle rhythms) nimmt zu. Die Leistung der tonisch-rhythmischen Alpha-Oszillationen ist ein inverser Indikator für das Arousal. Im Ruhezustand mit geschlossenen Augen dominieren posteriozentral die tonisch-rhythmischen Alpha-Oszillationen alle übrigen Frequenzbänder. Ist die Leistung der Theta-Oszillationen im Wach-EEG bei geschlossenen Augen posteriozentral höher als die der Alpha-­Oszillationen, ist dies ein Hinweis, dass eine Dysfunktionalität in den kognitiven und exekutiven Leistungen vorliegt [12] (siehe 7 Abschn. 15.3.3).  





6.2.2  6.2.1 

 rzeugung eines tonischen E Wachheitszustandes

Die Zellen des Nucleus gigantocellularis zusammen mit den Raphe-Kernen (mediale Zone) tragen zum Anstieg des kortikalen (tonischen) Arousals bei, indem sie sowohl die noradrenergen (LC) und cholinergen (PPN) Kerne des Hirnstamms als auch direkt die glutamergen Neuronen des Kortex anregen [7–9]. Der Schlaf wird beendet, wenn aus dem LC rhythmische Oszillationen von etwa 1 Hz entstehen [10, 11], die für den Aufbau eines Wacharousals sorgen. Diese Aktivität führt zu einem weiteren Anstieg der Erregung des PPN/LTN, der Raphe-­Kerne, der trun-

 ufmerksamkeit und die A Modulation der tonischen und phasischen Wachheit

Die Wachheit ändert sich fortlaufend während des Tages und ist abhängig von externen Reizen und dem inneren (z. B. emotionalen, motivationalen) Zustand eines Individuums. Zur Regulierung der Wachheit bei offenen Augen ist die Änderung der Feuerungsrate der noradrenergen LC-­ Nervenzellen informationstragend. Die tonischen Aktivitätsmuster von LC halten über eine längere Zeit an und können sich zeitlich verändern. Sie sorgen für die Desynchronisierung der posteriozentralen Alpha-­ Rhythmen, was zu einer Erhöhung des Arousals in diesen Arealen führt. Auf diese Weise wird je

6

61 Basale Netzwerke

nach Situation eine optimale Erregung der kortikalen Areale, des Hippocampus und der Thalamuskerne gewährleistet. Dies ist von großer Bedeutung, weil nur dadurch eine entsprechend gute Funktionsweise und Effektivität des Gehirns gewährleistet ist. 6.2.2.1 

 ensorisches Gating durch S thalamokortikale Interaktionen

Wenn ein Wahrnehmungsobjekt (außer den olfaktorischen) aus der sensorischen Peripherie die sogenannten palliothalamischen (= spezifischen) Schaltkerne (engl. relais neurons) erreicht, werden über die thalamokortikalen Bahnen die entsprechenden primär sensorischen Areale des Kortex erregt (. Abb.  6.2, Route 3). Ein auditorischer Reiz aktiviert beispielsweise die Schaltkerne des Corpus geniculatum mediale des „spezifischen“ Thalamus. Die Schaltneuronen sind in der Lage, die Sinnessignale frequenzgetreu in die primären und sekundären auditorischen Areale zu übertragen. Es erfolgt im jeweiligen sensorischen Speicher eine erste Analyse der aufgenommenen auditorischen Information. Gleichzeitig zu den sensorischen Arealen werden die ersten präfrontalen Kontrollnetzwerke aktiviert und top-down entschieden, welche Informationen verstärkt (Signalverstärkung) und welche als irrelevant klassifiziert und vergessen werden (Signaldämpfung). Dies entspricht einer Filterung. Würde die gesamte Information aus der Umwelt den höheren sensorischen Arealen übertragen werden, wäre das Gehirn sehr schnell überfordert. Um eine Überlastung des Gehirns zu vermeiden, wird die eintreffende sensorische Information in den palliothalamischen Rezeptoren unter Beteiligung des Nucleus reticularis und der Kontrolle präfrontaler kortikaler Areale (SN, ECNB), gefiltert. Die redundanten Informationen der eintreffenden sensorischen Signale werden durch einen fein abgestimmten neuronalen Schleusenmechanismus (engl. neural ga 

ting) unterdrückt. Durch dieses sensorische Gating wird die Effektivität des Gehirns gesteigert und aus allen möglichen Umweltreizen wird nur ein Teil weiterverarbeitet, der als relevant eingestuft wird. Das sensorische Gating ist sowohl bei der Intensitäts- als auch bei der Selektivitätsfunktion der Aufmerksamkeit beteiligt (siehe auch 7 Abschn. 3.1). Allerdings ist bei der Selektivitätsfunktion (geteilte und selektive Aufmerksamkeit) der Übergang von der Exzitation zur Inhibition der Gating-­Mechanismen viel schneller als bei der Intensitätsfunktion [13]. Sensorisches Gating wird erst dadurch möglich, dass der Nucleus reticularis ähnlich wie der spezifische Thalamus und die sensorischen Areale des Kortex topografisch in verschiedene Sektoren organisiert ist. Der Nucleus reticularis erhält von den „spezifischen“ Thalamuskernen über Kollaterale der thalamokortikalen Fasern dieselbe Information wie die sensorischen Areale (Route 3a, die Bahnen sind in . Abb. 6.2 gestrichelt dargestellt) [6]. Je nach Art der Information steuern verschiedene Regionen des präfrontalen Kortex top-down die Aktivität des Nucleus reticularis. Wenn es darum geht, aus dem sensorischen Informationsfluss Muster zu erkennen und grob einzuschätzen, ob bestimmte Signale für uns bedeutsam, bereits bekannt, neu oder hervorstechend (engl. salient) sind und daher unserer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen, wird das Salienznetzwerk (SN) aktiv (. Abb. 6.2, Route 7). Wenn die Anforderungen spezieller Natur oder besonders komplex sind, setzt sich das ECNB als Kontrollinstanz ein. Dabei werden die grob erkannten Muster analysiert, im Arbeitsgedächtnis gehalten und mit bereits gespeicherten Mustern verglichen (. Abb. 6.2, Route 5). Handelt es sich um einen internen Gedanken, sind vorwiegend das ECNA und das Default-Mode-Netzwerk beteiligt (. Abb. 6.2, Route 9). Alle diese kortikalen Kontrollsysteme werden unabhängig von der sensorischen Modalität eingesetzt.  









62

K. Sidiropoulos

 onische Feuerungsrate des T 6.2.2.3  Phasische Feuerungsrate LC und spezifische Hemmung des LC und kurzweilige palliothalamischer Kerne Ausschaltung der durch den Nucleus reticularis spezifischen Hemmung palliothalamischer Kerne Voraussetzung für den Wechsel des Nucleus reticularis im tonischen Hemmungsmodus durch den Nucleus ist, dass die Feuerungsrate des LC moderat reticularis 6.2.2.2 

6

ausfällt (zwischen 1 und 3  Hz). Wenn dies der Fall ist, können die retikulären Kerne bei jedem Stimulus mithilfe einer offenen bzw. einer geschlossenen Schaltung die Aktivität der spezifischen Thalamuskerne unterdrücken (in . Abb. 6.2 sind die Schaltungen der Übersichtlichkeit halber nicht gezeichnet) (siehe hierzu [6]). Durch die spezifische topografische Hemmung einzelner Thalamuskerne nimmt die neuronale Aktivität der irrelevanten kortikalen Netzwerke ab (. Abb.  6.2, Route 4) und eine Übererregung des Gehirns wird abgewendet. Gleichzeitig kommt es durch die Dämpfung des Hintergrundrauschens zu einer erhöhten, vom Zielreiz ausgelösten Amplitude der spezifischen sensorischen Regionen im Kortex und somit zu einer Verstärkung des Reizes [14]. Diese Verbesserung des Signal/Rausch-­ Verhältnisses entspricht einer Hochpassfilterung [15, 16]. Die „spezifischen“ Thalamuskerne, welche die relevanten sensorischen Informationen dem Kortex übertragen, werden über die kortikothalamischen Projektionen von ECNB weiter verstärkt (Verstärkung relevanter Stimuli, . Abb.  6.2, Route 5). Der entspannte Wachzustand wird zu einem aufmerksamen Wachzustand. Die Dominanz der tonisch-rhythmischen Alpha-­ Wellen wird unterdrückt (Alpha-Blockade) und es treten verstärkt die hochfrequenteren asynchronen Alpha- und Beta-Wellen auf.  





Wenn etwas Neues oder für das Individuum Wichtiges, etwas besonders Wertvolles oder ein hervorstechender („salient“) Reiz entdeckt wird, kommt es zu einer phasischen Feuerung seitens des LC [10, 17]. Die Nervenzellen des Locus coeruleus geben dann kurze, phasische Impulsfolgen von 8–10  Hz aus. Auch hier unterscheidet man in den Verbindungen, welche die thalamischen Relais-Neuronen mit dem sensorischen und dem präfrontalen Kortex eingehen, zwischen einer offenen und einer geschlossenen Schaltung [6]. Im Fall der offenen Schaltung stellen die retikulären Neuronen indirekt über den „unspezifischen Thalamus“ die Aktivität der palliothalamischen Kerne ab, die den hervorstechenden Reiz inhibieren (. Abb.  6.2, Route 6-1-6). In der geschlossen Schaltung hingegen wird kurzweilig die hemmende Wirkung des Nucleus reticularis durch das SN direkt ausgeschaltet (. Abb. 6.2, Route 7). In beiden Fällen entsteht eine zeitliche Verzögerung der spezifischen Hemmung palliothalamischer Kerne durch den Nucleus Reticularis, sodass der hervorstechende Reiz ins Auge fällt. Das Exekutivnetzwerk ECNB und DAN (siehe 7 Abschn.  8.2.1) übernehmen dann die Steuerung der Aufmerksamkeitsorientierung in Raum [18]. Dies kann realisiert werden aufgrund der unterschiedlichen Wirkung von Noradrenalin auf die α2Rezeptoren des ECNB. Ist der LC schwach  





63 Basale Netzwerke

bis moderat aktiv, wird entsprechend wenig Noradrenalin produziert. In mäßigen Konzentrationen hat Noradrenalin eine Affinität, an die α2-Rezeptoren zu binden. Während dies für das ECNB einen positiven Effekt hat, wirkt die moderate Noradrenalinkonzentration auf andere kortikale und subkortikale Gebiete inhibierend [19, 20]. Kortikal durch den PFC (SN-ECNB) gesteuert, aber auch durch die eigene Katecholaminproduktion, die auf die Noradrenalin-Autorezeptoren des LC hemmend wirkt, kommt es zu einer Mäßigung der Aktivität der pallio- und truncothalamischen Kerne. Nach einer Refraktärzeit kann die tonische Aktivität des LC wieder aufgenommen werden [21]. 6.2.2.4 

Mehrmalige Darbietung von sensorischen Reizen

Werden die sensorischen Informationen mehrmalig präsentiert, beteiligt sich das Salienznetzwerk als erste Entscheidungsinstanz nicht und nur das linksseitige Exekutivkontrollnetzwerk (dorsolateraler präfrontaler Kortex [DLPFC] und dorsaler anteriorer cingulärer Kortex [dACC]) sowie die entsprechenden sensorischen Gebiete werden aktiv. Dabei scheint der linke dACC die Zusammenarbeit zwischen dem DLPFC und dem inferioren parietalen Kortex (IPC) zu koordinieren. Der DLPFC kontrolliert die Augenbewegungen, übernimmt Arbeitsgedächtnisfunktionen und dient der Aufrechterhaltung aktuell zu bearbeitender Information, während der IPC aus dem Langzeitgedächtnis die adäquaten Reize und Reaktionen auswählt [13, 22] (Weiteres hierzu siehe 7 Abschn.  8.1). Die Wachheit wird auch von unseren Emotionen, Motiven und Trieben moduliert. In diesem Kapitel wird jedoch der Einfachheit halber nicht näher auf diese Thematik eingegangen (siehe hierzu 7 Kap. 11).  



6.2.3 

6

Wachheit und die ADHS

6.2.3.1 

 ysfunktion des Locus D coeruleus

z Störung beim Aufbau des Wacharousals

Nach der Yerkes-Dodson-Theorie kann ein Individuum eine optimale Leistung auf kognitive und behaviorale Aufgaben nur dann vollbringen, wenn sich die allgemeine Erregung des Gehirns innerhalb einer bestimmten Bandbreite bewegt [23]. Wie beschrieben sprechen wir vom Wacharousal, wenn die tonische Feuerungsrate des Locus coeruleus (LC) zwischen 1 und 3 Hz liegt. Ist diese Feuerungsrate erhöht oder reduziert, kann es nach der Hypothese der adaptiven Verstärkung zu einer Abnahme der Verhaltens- und Aufmerksamkeitsleistungen kommen [24, 25]. z Reduktion der tonischen Aktivität des LC

Bei einer ADHS kann es zu einer Störung der Verhaltens- und Aufmerksamkeitsleistungen kommen, wenn die Norepinephrin-Neuronen (NE) des LC ihre tonische Aktivität reduzieren [24, 26–29]. Wir befinden uns dann in einem schlafähnlichen Zustand, sind unaufmerksam und im Extremfall kann es zu motorischen Einschränkungen kommen. Aufgrund des niedrigen Wacharousals kommt es bei einigen ADHS-Betroffenen zu einer unzureichenden tonischen Aktiviertheit und der synergetische Effekt der phasischen auf die bestehende tonische Aktivität findet nicht statt. Diesen phasischen Aspekt der Störung, der durch den unzureichenden Wacharousal entsteht, versucht das Training der langsamen kortikalen Potenziale (SCP) zu verbessern (siehe 7 Kap. 16). Bei einem niedrigen Wacharousal erhöhen sich im Ruhe-EEG die hochfrequenten Anteile (Amplitude bzw. Leistung der Alpha-Wellen). Das Frequenzbandtraining setzt  

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K. Sidiropoulos

genau an diesem Punkt an, indem es versucht, der Minderung tonischer Aktiviertheit durch die Abschwächung hochfrequenter Anteile entgegenzuwirken (siehe 7 Abschn. 15.7.3).  

z Begleitsymptome einer ADHS und Reduktion des Wacharousals

6

Die Störung beim Aufbau des Wacharousals ist für eine Reihe von Begleitsymptomen bei einer ADHS mit ausschlaggebend. So ist bei den Betroffenen tagsüber eine erhöhte Affinität zur Tagträumerei, zu einer niedrigen Wachheit und zur Schläfrigkeit beschrieben [30]. Um wach zu bleiben und die Aufmerksamkeit zu mobilisieren, werden hohe energetische Ressourcen aufgebraucht, was zu Tagesmüdigkeit führt [31, 32]. Die Gedämpftheit der kortikalen Erregung scheint eines der zentralen Elemente des Pathomechanismus von ADHS zu sein und bestimmt den Schweregrad der ADHS-­ Symptome während der Kindheit [33]. Um die Wachheit zu stabilisieren, kann es zu autoregulatorischen Reaktionen kommen ([30, 34, 35], mit dem Ziel, die geringe kortikale Erregung auszugleichen. Eine Kompensationsstrategie ist die Adoption von Verhaltensweisen, die zur Anhebung des Wacharousals dienen [36, 37]. Dazu gehört auch die Steigerung der motorischen Aktivität [34, 35, 38], die man ebenfalls bei Kindern, die übermüdet sind, beobachten kann. Es wird demnach angenommen, dass die Hyperaktivität kein genuines Symptom einer ADHS ist, sondern einen autoregulatorischen Kompensationsmechanismus darstellt, der nicht bei allen Kindern auftritt [33] (siehe auch 7 Kap. 4).  

kommt es temporär durch die Ausschüttung des Stresspeptids Corticotropin-­ ReleasingFaktor (CRF) zu einer erhöhten (über 5 Hz) Aktivität des LC.  In diesem Zustand kann die Zündungsschwelle sehr schnell erreicht werden und die phasische Antwort auf Umweltreize bleibt aus. In hohen Konzentrationen bindet Noradrenalin sowohl an die α2- als auch an die α1-Rezeptoren, was die Entkoppelung des ECNB durch Hemmung zur Folge hat. Dadurch kommt es leicht auch ohne einen spezifischen Reiz zu einer Übererregung des Gehirns [19, 20]. Zusätzlich führt die Entkoppelung des PFC dazu, dass man voreilig und unbedacht reagiert, da das Gehirn auf den entwicklungsgeschichtlich primitiveren Kampf-oder-Flucht-Modus schaltet. Aus Studien mit Primaten ist uns bekannt, dass eine allzu hohe Erregung des LC über eine längere Zeit zu einer hohen Ablenkbarkeit, Explorationsverhalten, Angst und Verhaltensstörungen führen kann [11, 39]. Bei Menschen mit ADHS, ADHS-ähnlichen Symptomen nach posttraumatischen Störungen [41], bei Angststörungen und bei einigen Patienten mit Autismus wird angenommen, dass die spontane Entladungsrate von LC ebenfalls erhöht sein kann, wodurch es zu einer übermäßigen Ausschüttung von Noradrenalin [40] und zu einer Störung der LC-PFC-Wechselwirkung kommt (siehe auch 7 Kap. 5). Gleichzeitig wird die Aktivität der sensorischen Areale erhöht, sodass die stimulusevozierte kortikale Antwort (= phasische Aktiviertheit) vermindert ist. Enzephalografisch haben die Betroffenen in den frontalen Regionen eine niedrige Alpha-Leistung (siehe 7 Abschn. 15.3.2).  



z Erhöhung der tonischen Aktivität des LC

Wie bereits beschrieben, ist die Aufmerksamkeit während einer kognitiven Aufgabe optimal, wenn die Feuerungsrate des LC moderat ausfällt (kleiner als 5 Hz). Eine Erhöhung der tonischen Aktivität kann ebenfalls fatale Folgen für die Aufmerksamkeit haben. Wenn wir uns z.  B. in gefährlichen oder stressbeladenen Situationen befinden,

6.2.3.2 

 ysfunktion des Nucleus D reticularis

Zu einer Ineffektivität beim sensorischen Gating und zu einer Erniedrigung des Signal/Rausch-Verhältnisses kann es auch kommen, wenn die palliothalamischen Kerne durch den Nucleus reticularis nicht oder nur unzureichend gehemmt werden.

65 Basale Netzwerke

Auf diese Weise kann kognitiv bzw. emotional zwischen relevanter und irrelevanter Information nicht unterschieden werden, und unbedeutende Eingaben und Assoziationen können nicht unterbunden werden. Dies kann einerseits der Fall sein, wenn der Nucleus reticularis an sich dysfunktional ist oder wenn seine Top-down Regulation durch das SN, das ECN oder das ventrale Striatum ineffizient abläuft (vgl. 7 Abschn.  15.3.1). Diesbezüglich gibt es jedoch bei Menschen noch keine systematischen Studien. Es existieren lediglich erste Hinweise aufgrund von Tiermodellen, die zeigen, dass eine Ausschaltung des Gens der Maus Ptchd1 zu schwächeren Leistungen bei einer Aufmerksamkeitsaufgabe und zu Hyperaktivität führen. Ptchd1 sorgt für eine stabile Aktivität des Nucleus reticularis. Eine Deletion des Ptchd1-Gens bei Menschen ist assoziiert mit ADHS-Symptomen, und eine Mutation führt zu einer geistigen Behinderung und zu Autismus-Spektrum-­Störungen [42].  

Fazit Zur Aufrechterhaltung der tonischen Aktiviertheit beteiligen sich verschiedene serotonerge Kerne der Formatio reticularis des Hirnstamms. Die tonischen Aktivitätsmuster sind lang anhaltend, können sich jedoch im Laufe der Zeit in ihrer Stärke verändern, sodass je nach Situation die Erregung der kortikalen Areale, des Hippocampus und der Thalamuskerne optimal ist. Durch die Regulierung der tonischen Aktiviertheit ist es möglich, über Gating-Mechanismen externe und interne Signale zu filtern. Auf diese Weise wird das Gehirn entlastet und steigert seine Effizienz. Um Reize wahrzunehmen, die aus ihrem Kontext hervorgehoben werden, ist eine moderate tonische Aktiviertheit Grundvoraussetzung. Cholinerge Neuronen des thalamischen Nucleus reticularis geben dann für eine kurze Zeit eine phasische Impulsfolge ab. Im Zusammenspiel mit der lateralen Zone der Formatio reticularis (Locus coeru-

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leus) wird dann eine Aufmerksamkeitsreorientierung im Raum ausgelöst. Durch Erhöhung oder Erniedrigung der Aktivität des Locus coeruleus, wie bei einer ADHS der Fall, kann es kortikal zu einer Über- oder Unteraktivierung kommen mit fatalen Auswirkungen auf die kognitiven Prozesse. Wenn die palliothalamischen Kerne durch den Nucleus reticularis nicht oder nur unzureichend gehemmt werden, kann es zu Störungen des sensorischen Gatings kommen. Dafür kann eine Funktionsstörung des Nucleus reticularis selbst vorliegen oder seiner Topdown Regulation durch das SN, das ECN oder das ventrale Striatum.

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K. Sidiropoulos

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67 Basale Netzwerke

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69

Sensorische Netzwerke Kyriakos Sidiropoulos Inhaltsverzeichnis 7.1

Auditive Verarbeitung – 70

7.1.1 7.1.2

F einzeitliche Segmentierung – 70 Passives vs. aufmerksames Hören – 71

7.2

Auditive Wahrnehmungsstörungen – 72 Literatur – 73

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 K. Sidiropoulos (Hrsg.), EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3_7

7

70

K. Sidiropoulos

Ein großer Teil des Kortex ist damit befasst, Reize aus der Außenwelt adäquat abzubilden, Gegebenheiten zu gewichten und eine passende Reaktion vorzubereiten und auszuführen. Unsere Wahrnehmungssysteme können gleichzeitig und unabhängig voneinander viele Reize aus der Umwelt aufnehmen. Diese Reize gelangen vorerst ungefiltert und nicht kategorisiert in ein sensorisches Register. Hier können die neu ankommenden Reize überlagert und innerhalb der ersten 2  Sekunden vergessen werden. Wie wir im 7 Abschn. 6.2.2 ausführlich dargelegt haben, setzen sehr früh Filterungsmechanismen ein und in die verschiedenen sensorischen Systeme des Kortex finden nur relevante Informationen Eingang, die dann ins Gedächtnis eingeprägt werden. Dafür sorgt ein kapazitätsbegrenztes Kurzzeitgedächtnis (KZG), das zusätzlich zu Speicheraufgaben auch Arbeitsgedächtnisleistungen übernimmt. Das KZG stellt eine Schnittstelle zwischen sensorischem Register und dem Langzeitgedächtnis (LZG) dar und initiiert verschiedene Gedächtnisleistungen wie Abruf- und Suchstrategien und steuert auf diese Weise den Informationsfluss innerhalb des gesamten Systems [1, 2]. Für die Verarbeitung sensorischer Information (auditiver, visueller, taktiler etc.) sind unterschiedliche sensorische Netzwerke aktiv, die jedes für sich hochkomplex organisiert sind. Im Rahmen dieses Buches wird exemplarisch anhand eines Modells das auditive Wahrnehmungssystem umrissen [3, 4]. Dies ist auch aus dem Grund sinnvoll, dass Kinder und Jugendliche mit einer ADHS aufgrund ihrer Aufmerksamkeitsdefizite sehr häufig auch Schwierigkeiten bei der auditiven Verarbeitung zeigen (siehe Übersichtsarbeit von [5]).  

7

7.1

Auditive Verarbeitung

Jedes Modell zentral-auditiver Verarbeitung nimmt mindestens drei zeitlich distinkte Verarbeitungsetappen an. Das akustische Signal wird

55 feinzeitlich (1–3 ms) segmentiert, sodass 55 durch Integration der Segmente über variable Zeitfenster hinweg (Kurzzeit- [10– 30  ms] und Langzeitintegration [150– 300 ms]) interne Stimulusrepräsentationen gebildet werden. 55 Den zwei ersten perzeptiv-sensorischen Verarbeitungsetappen folgen kognitive Prozesse, u. a. auch solche zur Aufrechterhaltung (bis zu 20  s) der gebildeten internen Reizrepräsentation in einem Arbeitsspeicher und zur Lenkung der Aufmerksamkeit. Vieles spricht dafür, dass verbale und nonverbale Laute mit einer ähnlichen zeitlichen Charakteristik wie Lautsprache die ersten zwei perzeptiv-sensorischen Verarbeitungsetappen gemeinsam teilen [6].

7.1.1

Feinzeitliche Segmentierung

Die suprasegmentale Verarbeitung bei der auditiven Wahrnehmung bezieht sich auf die Extraktion von Merkmalen wie Betonung, Intonation, Tonhöhe und Rhythmus, die über einzelne Sprachsegmente hinweg variieren und wesentlich zur Nuancierung der Bedeutung und Struktur der Sprache beitragen. Diese Analyse, die sowohl spektrale als auch zeitliche Aspekte des Sprachsignals berücksichtigt, ist nicht an feste Zeitfenster gebunden und ermöglicht einen bidirektionalen Informationsaustausch zwischen der suprasegmentalen Ebene, der akustischen Verarbeitungseinheit (AO I) und der Abtasteinheit (AO-II, „Sampler“). Gleichzeitig zur suprasegmentalen Verarbeitung erfolgt die Aufspaltung des auditiven Signals in kleine segmentale Einheiten, wie z.B. Phoneme [7] oder feine auditive Perzepte von 1-3 ms Dauer [8] (vgl. . Abb. 7.1, AO-I).  

71 Sensorische Netzwerke

..      Abb. 7.1  Auditorischer Operator (AO) Modell auditorischer Operatoren (AO) I. Kortikale Gebiete: Alle hier abgebildeten Verarbeitungseinheiten befinden sich auf der linken Hemisphäre, 1. Suprasegmentale Analyse: mSTG, 2. AO-I: Colliculus inferiores, PAC/pSTG 3. AO-II: laterales Planum Temporale, posteriorer superiorer temporaler Gyrus (pSTG) und posteriorer Anteil der Insula 4. Phonologische Schnittstelle: Gyrus supramarginalis (SMG, BA 40), 5. Phonologisches LZG: posteriore Anteile des mittleren (MTG) und superioren Gyrus temporalis (STG), 6. Artikulatorische Schnittstelle: Pars opercularis (Teil des Broca-Areals) und me-

7.1.2

 assives vs. aufmerksames P Hören

Nach der feinzeitlichen Segmentierung gibt es zwei qualitativ verschiedenartige Verarbeitungswege. Beim passiven oder unaufmerksamen Hören kann das Gehörte automatisch und schnell in einen artikulatorischen Code überführt und versprachlicht werden (. Abb.  7.1, Route 2–6). Dabei geht die Schnelligkeit auf Kosten der Verarbeitungsgenauigkeit. Beim aufmerksamen,  

7

dialer (mPMC: prä-SMA und SMA, BA 6) und ventraler (vPMC, BA 6) prämotorischer Kortex, 7. Artikulator: posteriorer Teil des inferioren Frontalgyrus (pIFG) bestehend aus dem Pars opercularis (BA 44) und triangularis (BA 45), Kontrolle der Muskelbewegungen: primär motorischer Kortex (M1, BA 4). II. Traktale Komponenten angelehnt an Catani & FFytche [9] und Wang et al. [10], superiorer longitudinaler Fasciculus (SLF), fasciculus Arcuatus (FA). STM – Kurzzeitgedächtnis, LTM- Langzeitgedächtnis. Aufmerksamkeitsabhängige oder bewusste Verarbeitungsprozesse sind mit gestrichelten Linien dargestellt

bewussten Hören (. Abb.  7.1, Route 2–3) werden die kleinsten segmentalen Einheiten in variablen Zeitfenstern einer Dauer von 30– 300 ms zusammengebündelt [8, 11, 12], und es bilden sich interne Reizrepräsentationen aus, die im AO-II ca. 20  Sekunden lang aufrechterhalten werden können. Die internen Repräsentationen werden auf diese Weise mit bereits gespeicherten Inhalten aus dem phonologisch-lexikalischen Langzeitgedächtnis verglichen, einen Vorgang den man phonologischen Abruf (engl. phono 

72

K. Sidiropoulos

logical retrieval) bezeichnet. (vgl. [4]). In diesem zweiten auditorischen Operator (AO-II) endet die gemeinsame auditive Verarbeitung von verbalen und nonverbalen Signalen. Den perzeptiv-­sensorischen folgen kognitive Verarbeitungsprozesse. Unter Beteiligung von Arbeitsgedächtnis- und Aufmerksamkeitsressourcen werden durch die interne Reizrepräsentation auf dem AO-II eine Reihe von ähnlichen, im phonologischen LZG (. Abb.  7.1, Route 3–5) bereits gespeicherten neuronalen Mustern aktiviert. Das am besten zum Input passende Muster wird anschließend, auch unter Beteiligung semantischer Vektoren  selektiert. Durch die mehrmalige Konfrontation mit einem Stimulus können die Gedächtnisspuren im LZG wiederaufgefrischt werden. Die interne Repräsentation wird im AO-II beim Vorgang der Sprach- oder Lautwahrnehmung jedes Mal neu generiert.

ternes Monitoring“). Die Betroffenen haben Schwierigkeiten, Sprache in einer lauten Umgebung oder in einer Umgebung mit vielen Ablenkungsreizen zu verarbeiten und können nur schwer die Schallanteile einer bestimmten Schallquelle aus dem Gemisch des Störschalls extrahieren. Die auditive Information wird im Zeitbereich bis 50 ms richtig segmentiert und zusammengebündelt. Aufgrund der Störung in der mentalen Verlagerung (engl. set-shifting) ist man nicht in der Lage, zwischen Aufgaben und Gedankenprozessen spontan zu wechseln, sodass die internen Reizrepräsentationen im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis sehr schnell verblassen. Dies hat negative Auswirkungen auf die Zeitdauerdiskrimination im Bereich von bis zu 2000 ms [13–15], auf das Merken von Inhalten und indirekt auf das Lernen, insofern als die Lernzeit im Vergleich zu neurotypischen Menschen überproportional lang dauert. Durch ein Defizit im zweiten Arbeits7.2 Auditive modul kann es auch zu einer Änderung Wahrnehmungsstörungen der Geschwindigkeit kommen, mit der die Fragmente der feinzeitlichen auditiven Das beschriebene Modell zentral-auditi- Analyse wieder zusammengebündelt werver Verarbeitung erlaubt, mindestens zwei den („Samplingstörung“). Eine Minderung Arten auditiver Wahrnehmungsstörungen der Samplingrate mit einer anschließenden zu unterscheiden, die entweder die primären Überlastung des Arbeitsgedächtnisses oder die sekundären Verarbeitungseinheiten wurde bei der Leitungsaphasie beschrieben betreffen. [3, 4]. Bei der ADHS gibt es hingegen erste Bei Kindern mit bestimmten Lese-­ Hinweise, dass die Langzeitintegration Rechtschreib-­ Schwächen sind die ersten schneller erfolgt, ein Phänomen, das mit Stufen der auditiven Verarbeitung (AO- der Beobachtung aus früheren Studien I) dysfunktional, weshalb sie viele Fehler übereinstimmt, dass die innere Uhr von eibei Aufgaben zur Lautdiskrimination be- nigen ADHS-­ Betroffenen beschleunigt ist gehen, gegenüber Geräuschen überempfind- [16–18]. Durch die Erhöhung der Samplinglich reagieren und Schwierigkeiten haben, rate kommt es zu Fehlern beim Zusammendie spektralen Eigenschaften eines Signals bündeln der auditiven Information, weshalb wahrzunehmen. sie im Vergleich zu Kontrollen bei ZeitdisDie auditiven Wahrnehmungsstörungen kriminationsaufgaben im Millisekundenbei der ADHS betreffen hingegen vor allem bereich schlechter abschneiden [14]. Durch das zweite Arbeitsmodul (AO-II). Hier diese perzeptiv-sensorische Störung kann kann die fokussierte auditive Aufmerksam- auch die Zeitschätzung im Bereich von 1–2 s keit Defizite aufweisen (. Abb.  7.1 „ex- betroffen sein.  

7



73 Sensorische Netzwerke

Fazit Die ersten Ergebnisse auf der Wahrnehmungsebene bestätigen die Annahme, dass die Zeitverarbeitung bei einigen ADHS-Betroffenen, sowohl im Bereich von Sekunden als auch von Millisekunden, defizitär ablaufen kann. Es handelt sich hierbei um zwei verschiedene Funktionsstörungen, die innerhalb derselben Verarbeitungseinheit auftreten können. Die beteiligten neuronalen Netzwerke sind je nach Modalität (visuell, auditiv etc.) verschieden, stets gehen aber Defizite in der Zeitverarbeitung mit Störungen der frontoparietalen Regelkreise einher.

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75

Vermittlernetzwerke Kyriakos Sidiropoulos Inhaltsverzeichnis 8.1

Das Salienznetzwerk – 76

8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.1.4

 egulation des Arousals und der Wachheit – 77 R Regulation subjektiver Salienz – 77 Regulation der Motivation – 78 SN und ADHS – 78

8.2

Das Exekutivkontrollnetzwerk – 79

8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5 8.2.6

 ynamische Verschiebung der Aufmerksamkeit – 80 D Arbeitsgedächtnis – ECN – 81 Hemmung – SN und ECN – 82 Zeitdiskriminierung und Daueraufmerksamkeit – ECN – 82 Optimierung der Bewegungsabläufe – 83 ECN und ADHS – 83

Literatur – 85

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 K. Sidiropoulos (Hrsg.), EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3_8

8

76

8.1

8

K. Sidiropoulos

Das Salienznetzwerk

Amygdala, dem ventralen Striatum und dem ventralen tegmentalen Areal (VTA)/der Substantia nigra (Posner & [2, 7–10]) und projiziert efferent in den rechten ventrolateralen präfrontalen Kortex (VLPFC; Teil des VAN) (siehe . Abb. 8.1). Deshalb ist es sowohl bei der kognitiven als auch bei der emotional-motivationalen Kontrolle beteiligt. Als Teil des SN scheint die anteriore Insula (AI) eine herausragende Rolle für die dynamische Verschiebung der Aufmerksamkeit zu spielen. Sie erleichtert den Wechsel zwischen ECNΑ/DMN und ECNB/DAN [9, 11] und regelt somit die Ausrichtung (intern vs. extern) der Aufmerksamkeit (vgl. 7 Kap.  9). Außerdem regelt sie die subjektive Salienz und die Motivation. Das SN ist reziprok mit dem Locus coeruleus verbunden und beteiligt sich auch bei der Aufrechterhaltung der Wachheit. In den letzten Jahren zeigen Studien, dass das SN (vor allem die anteriore Insula) auch direkt das Ruhezustandsnetzwerk kontrolliert und funktionell beim moralischen Denken [12], an empathischen Fähigkeiten und durch die Verbindung zum affektiv-motiva-

Das Salienznetzwerk (SN) wird traditionell (z.  B. [1]) zu den Exekutivnetzwerken (ECN) gezählt, da es signifikante Überschneidungen zwischen beiden Netzwerken gibt. In den letzten Jahren wird jedoch davon ausgegangen, dass das SN und ECN zwei separate Netzwerke darstellen [2, 3]. Das Salienznetzwerk ist eine Schnittstelle zwischen Wachheitsnetzwerk, den Aufmerksamkeitsnetzwerken (dem dorsalen [DAN] und ventralen [VAN]), dem Exekutivkontrollnetzwerk, dem affektiv-motivationalen Netzwerk und dem Ruhezustandsnetzwerk (engl. default mode network, DMN). Es ist ein supramodales Vermittlernetzwerk, das sowohl bei visuellen als auch bei auditiven Aufgaben beteiligt ist [4]. Seine Kernbereiche sind die bilaterale anteriore Insula (aI) samt Operculum und der dorsale Teil des rechtshemisphärischen anterioren cingulären Kortex (dACC) [5], weshalb es auch cingulo-operkuläres oder cinguloinsuläres Netzwerk genannt wird [2, 6]. Das SN erhält subkortikal Afferenzen aus der

DMN





Intrinsische Wachheit (Locus coeruleus, N. reticularis)

DLPFC Anteriorer und superiorer präfrontaler Kortex (RH)

Salienznetzwerk Sensorische Areale Temporoparietale Regionen

al bilateral

= Fasciculus uncinatus

Fasciculus longitudinalis superior II

dACC rechtshemisphärisch

= Motornetzwerk

VAN Anteriores Aufmerksamkeitssystem (RH)

(PräSMA, primär motorischer Kortex)

=

Hyperkonnektivität Störung

Affektiv-motivationales Netzwerk (bottom-up) Amygdala, Hippocampus, VTA, Basalganglien: ventrales Striatum (Nucleus accumbens, Putamen und Nucleus cadatus (ventraler Teil)

..      Abb. 8.1  Salienznetzwerk. Die bilaterale anteriore Insula (aI) samt Operculum und der dorsale Teil des rechtshemisphärischen anterioren cingulären Kortex (dACC) bilden die Kerngebiete dieses weit verbreiteten Netzwerks. Abkürzungen - DLPFC dorsolateraler prä-

frontaler Kortex, DMN  Default-Mode-Netzwerk, PräSMA  präsupplementäres motorisches Areal, RH  rechte Hemisphäre, VAN  ventrales Aufmerksamkeitsnetzwerk, VTA ventrales tegmentales Areal

77 Vermittlernetzwerke

tionalen Netzwerk auch an der Integration von Empfindungen und intern erzeugten Gedanken beteiligt ist. Seine Funktion als supramodales Vermittlernetzwerk kann das SN durch die strukturelle Besonderheit der sogenannten Von-Economo-Zellen realisieren – großen spindelförmigen Neuronen, die neuronale Signale aus dem tiefen Inneren des Kortex (Schicht V) zu relativ weit entfernten Teilen des Gehirns leiten können. Neben dem SN [13, 14] wurden diese Spindelzellen auch im dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC) des menschlichen Gehirns nachgewiesen [15]. 8.1.1

 egulation des Arousals R und der Wachheit

Nach dem heutigen Kenntnisstand wird angenommen, dass das SN zusammen mit dem Locus coeruleus des Hirnstamms den allgemeinen Grad der Wachheit (Arousal) des zentralen Nervensystems reguliert [7] und für ein situationsadäquates Arousal-Level sorgt [16]. Wie wir in 7 Abschn. 3.1.1 und 7 Abschn.  13.2.2 ausführlich besprochen haben, sind die Aktivierungsmuster der SN-ECN-Konnektivität maximal, wenn die tonische Aktiviertheit moderat ausfällt (Form einer umgekehrten U-Kurve). Das tonische Erregungsniveau steht in Zusammenhang mit der oberen Alpha-BandPower (10–12 Hz) oder der Leistung des rhythmischen Alpha vor allem parietookzipital. Die Alpha-Bandoszillationen sind als hemmender Rhythmus bekannt [17]. Das Salienznetzwerk kann diese Oszillationen über den Kortex verwenden, um verrauschte Informationen zu beseitigen, Ablenkungen zu unterdrücken und kognitive Ressourcen für aktuelle Verarbeitungsanforderungen verfügbar zu halten [6]. Auf diese Weise beeinflusst der Aktivitätslevel des SN die Geschwindigkeit, mit der ein Stimulus von den sensorischen (z. B. visuellen, auditiven) Verarbeitungssystemen bearbeitet wird [18].  



8.1.2

8

Regulation subjektiver Salienz

Unter subjektiver Salienz versteht man die Auffälligkeit, die ein bestimmter Reiz (z. B. ein Objekt [Wahrnehmung], ein Gefühl [Emotion] oder ein Bedürfnis [Homöostase]) für ein Individuum hinsichtlich bestimmter Merkmale hat, sodass dieser aus seinem Kontext hervorgehoben wird. Die Priorisierung kann aufgrund bestimmter Reizmerkmale erfolgen (Bottom-up-Verarbeitung) oder sich anhand der aus individuellen Erfahrungen und Erwartungen gesetzten Filter zutragen, sodass das Individuum willkürlich oder unwillkürlich seine Aufmerksamkeit auf die Trigger richtet (top-down). Im ersten Fall haben wir es mit einer reizgesteuerten Vereinnahmung der Aufmerksamkeit zu tun, weil der Reiz an sich ins „Auge sticht“. Im zweiten Fall handelt es sich um einen intern gesteuerten Prozess. Hier sind das Individuum und die aktuellen Ziele, die es verfolgt, dasjenige Element, das die Aufmerksamkeit steuert und es auf ein „auffälliges“ oder subjektiv „bedeutsames“ Objekt, ein Gefühl oder ein Bedürfnis ausrichtet. Die AI zusammen mit dem dACC scheinen modalitätsübergreifend top-down Kontrollmechanismen zu initiieren, die dazu dienen, innere oder äußere Reize für die Wahrnehmung, die Emotion und die Homöostase auf Relevanz zu überprüfen, sie aufrechtzuhalten und ihnen ein emotionales Gewicht zu verleihen [19]. Das SN sendet Kontrollsignale in andere Regionen, die für bestimmte Aufgaben zuständig sind, überwacht, ob feststehende Pläne richtig ausgeführt werden, und weist auf Fehler hin (Monitoring). Je nach gestellter Anforderung werden dann verschiedene Regionen dieses Netzwerks aktiv. Zusammen mit einem Teil des medialen präfrontalen Kortex, dem dACC und weiteren subkortikalen Arealen – vor allem der Amygdala, dem ventralen Striatum und der ventralen tegmentalen Area/Substantia nigra – regelt die anteriore

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Insula den Grad subjektiver Salienz [9, 10]. In dieser Hinsicht ist die Beziehung des SN zu DMN, den Aufmerksamkeitsnetzwerken (DAN/VAN) und dem ECN sehr wichtig. Während einer kognitiven Aufgabe schwächt das SN die Aktivität des DMN ab [20]. Auf diese Weise werden den Netzwerken für die nach außen gerichtete Aufmerksamkeit und dem ECN Ressourcen bereitgestellt [11], sodass ihre Aktivität zunimmt. 8.1.3

8

Regulation der Motivation

Neben der Regulation der Aufmerksamkeitsrichtung beteiligt sich das AI als eines der Hauptknoten des SN bei sozialen und affektiven Aufgaben, während das dACC bei der Fehlerdetektion, der Antwortauswahl, aber auch bei Konfliktlösungen und der kognitiven Kontrolle involviert ist [10]. Beide Gebiete sind dafür verantwortlich, dass eine Emotion oder ein Bedürfnis mit einer Zielorientierung verknüpft werden, d. h., sie sind für die Regulierung der Motivation zuständig. Die Motivation eines Individuums wird einerseits von internen Faktoren, wie Gewohnheiten, Erwartungen oder Veränderungen des homöostatischen Gleichgewichts (z. B. zu wenig Zucker im Blut) beeinflusst, und ist andererseits abhängig von der Wirkung und Attraktivität, die ein Reiz auf das Individuum auslöst. Durch die Integration von sensorischen, emotionalen und kognitiven Informationen steuert das Salienznetzwerk nicht nur das zielgerichtete Verhalten und die Ausführung von Entscheidungsprozessen, die mit einer Belohnung verbunden sind (Motivationsschaltkreis), sondern ist auch bei emotionalen Prozessen, wie der Impulskontrolle beteiligt [8] (vgl. 7 Kap. 11). Das SN aktualisiert demnach die Erwartungen eines Individuums und passt sie den internen oder externen Gegebenheiten an, indem es Aktionen einleitet. Das linkshemisphärische dACC (als Teil des SN) ist zusammen mit dem ventromedialen präfrontalen Kortex (VMPFC, als Teil des DMN) bei der belohnungsbasierten  

Entscheidungsfindung (engl. reward-based decision making) beteiligt. Hier trifft das Individuum eine wertbasierte Entscheidung zwischen zwei verfügbaren Optionen, sodass die Belohnung maximiert wird. Das rechte dACC (als Teil des ECN) ist hingegen in Prozesse involviert, bei welchen ein Individuum eine strategische Bleiben-Wechseln-Planung (engl. patch-­ leaving) entwirft, die ihm ermöglicht, eine Entscheidung zu treffen, ob die Ressourcen seiner aktuellen Umwelt zufriedenstellend sind oder ob es nach anderen Alternativen Ausschau hält [21].

8.1.4

SN und ADHS

8.1.4.1 

Lokale Aktivitätsänderung der Kernregionen des SN

Bei Erwachsenen mit einer ADHS wurde rechtshemisphärisch eine Überaktivierung des Temporalpols, der Amygdala und der dorsalen anterioren Insula beobachtet [22], was mit negativen affektiven Bewertungen einhergeht und für das impulsive Verhalten, die Neigung und den Konsum von Suchtmitteln einiger Menschen mit einer ADHS verantwortlich ist [8, 23]. Die Überaktivierung der oben genannten limbischen Strukturen kann als eine Art Kompensationsmechanismus zum dysfunktionalen rechtshemisphärischen dACC (Teil des SN) verstanden werden. Anatomische Studien zeigten bei Erwachsenen mit einer ADHS eine Volumenreduktion des dACC [24, 25], PET-Studien eine Verringerung des Glukosestoffwechsels dieser Region [26] und fMRT-Studien eine fehlende Aktivierung des rechtshemisphärischen dACC unter Interferenzbedingungen [27]. 8.1.4.2

Dysfunktionen in den Faserverbindungen

Bei den Kernregionen des Salienznetzwerks (AI und dACC), die miteinander über den Fasciculus uncinatus verbunden sind, kann es zu einer Hyperkonnektivi-

79 Vermittlernetzwerke

tät kommen. Diese Intranetzwerkstörung (siehe 7 Abschn.  6.1) könnte auf der Verhaltensebene die Affinität von ADHS-Betroffenen, auf hervorstechende Reize stärker und emotionaler zu reagieren, erklären [10, 28]. Auch die Verbindungen des SN zu anderen großflächigen Netzwerken könnte dysfunktional sein (Internetzwerkstörung, vgl. 7 Abschn.  6.1). So wurde beschrieben, dass die Verbindungstärke zwischen SN/ ECN [29, 30] und SN/DAN bei einigen ADHS-­Betroffenen vermindert sein oder es zwischen SN/VAN zu einer Hyperkonnektivität kommen kann, sodass die gerichtete Aufmerksamkeit ineffizient abläuft oder es zu einer Hypersensibilität für externe Reize mit einer ständigen Neuausrichtung der Aufmerksamkeit kommt (siehe 7 Abschn. 8.2). Die direkte DMN-SN-Konnektivität scheint hingegen anders als bei Patienten aus dem autistischen Spektrum intakt zu sein [31]. An dieser Stelle sind jedoch die Ergebnisse widersprüchlich und abhängig von der jeweiligen Methode, die man anwendet, um die funktionellen Einheiten zu definieren, die ein Netzwerk zusammensetzen. So kommen andere Arbeitsgruppen zu der Schlussfolgerung, ­ dass Kinder mit einer ADHS im Vergleich zu Kontrollprobanden in der unaufmerksamen Ausprägungsform eine höhere funktionelle Inter-Netzwerkkonnektivität zwischen dem linken ECN und dem SN zeigen [32]. Dies könnte darauf zurückgeführt werden, dass die Koordinierung seitens des SN ins Ungleichgewicht geraten ist [33].  





8.1.4.3

Funktionelle Reorganisation der linkshemisphärischen Netzwerke bei Erwachsenen mit einer ADHS

Neben den lokalen Aktivitäts- und Konnektivitätsstörungen gibt es erste Hinweise, dass es bei Erwachsenen mit einer ADHS aufgrund des dysfunktionalen präfrontalen Kortex zu einer funktionellen Reorganisation der Netzwerke auf der linken Hemisphäre kommt. Es wurde eine Konnektivität zwi-

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schen linkshemisphärischen Insula, linken dACC und dem linkshemisphärischen Gyrus frontalis superior (DLPFC) und dem Putamen nachgewiesen, die bei neurotypischen Menschen nicht vorzufinden ist. Dadurch kommt es zwar zur Steigerung der lokalen und globalen Effizienz, und die Patienten sind in der Lage, auf die Exekutivnetzwerke (ECNA und ECNB) schneller zuzugreifen, aber es ist dann schwieriger, diese zu kontrollieren und zu hemmen. Demzufolge reagieren Erwachsene mit einer ADHS auf externe Reize und innere Gedanken empfindlicher als neurotypische Menschen, und ihre Aufmerksamkeit ist auch durch irrelevante Reize sehr leicht ablenkbar [34]. Auch das mesokortikolimbische System (MCL), das aus dem ventralen Tegmentalbereich (VTA) und der striatothalamischen Schleife (siehe Route 8  in 7 Kap.  6, 7 Abb.  6.2) besteht, könnte dysfunktional sein und zu Schwierigkeiten bei der Modulation der rudimentären Theta-Oszillationen führen (siehe Abschn. 15.3.3).  

8.2



Das Exekutivkontrollnetzwerk

Das Exekutivkontrollnetzwerk (ECN) ist in der linken Hemisphäre lateralisiert und setzt sich aus dem anterioren dorsolateralen präfrontalen Kortex und dem hinteren Teil des anterioren cingulären Gyrus zusammen. Auch das dorsale Striatum wird von einigen Autoren zu den zentralen Kerngebieten gezählt (siehe . Abb. 8.2). Das ECN geht über den posterioren parietalen Kortex Verbindungen mit dem DAN und DMN ein und vermittelt zwischen den beiden. Sie bilden gemeinsam das sogenannte frontoparietale Kontrollnetzwerk (engl. frontoparietal control network, FPCN) [10]. Die frontalen sind mit den parietalen Gebieten über die Assoziationsbahnen des Cingulums verbunden, weshalb es auch frontocinguläres (FCN) oder cingulofrontoparietales (CFPN) Netzwerk  

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..      Abb. 8.2  Das dopaminerge Exekutivkontrollnetzwerk (ECN). Das ECN ist auf der linken Hemisphäre lateralisiert. Seine Kerngebiete sind der anteriore dorsolaterale präfrontale Kortex (DLPFC) und der dorsale anteriore cinguläre Gyrus (dACC). Das Minuszeichen zeigt in der oberen Hälfte der Zeichnung, dass zwischen den betroffenen Regionen (z. B. zwischen DLPFC und DMN) eine Antikorrelation besteht, während das Pluszeichen auf eine Korrelation hinweist. Auch das dorsale Striatum und

die Verbindungen zum Motornetzwerk sind bildlich dargestellt. Hier weisen die Farben und die Plus-Minus-Zeichen auf die Art der Neurotransmitter hin. Detaillierte Erklärungen findet man in der Abbildung und im Text. Weitere Abkürzungen: aI anteriore Insula, DAN dorsales Aufmerksamkeitsnetzwerk, DMN Default-Mode-Netzwerk, LH  linke Hemisphäre, RH rechte Hemisphäre, SMA supplementär motorisches Areal, VAN  ventrales Aufmerksamkeitsnetzwerk

der Exekutivfunktionen genannt wird. Zur Bezeichnung dieses Netzwerkes wird an dieser Stelle die „neutralere“ Bezeichnung Exekutivkontrollnetzwerk benutzt. Das ECN geht auch Verbindungen mit dem SN und dem Kleinhirn ein, aber auch mit dem supplementär motorischen Areal (SMA) und dem limbischen System. Das ECN ist beim Arbeitsgedächtnis, bei der dynamischen Steuerung der Aufmerksamkeit nach innen und nach außen, aber auch bei höheren Exekutivfunktionen wie der Zeitwahrnehmung und der kognitiven Flexibilität beteiligt. Gleichzeitig zur Kogni-

tion werden auch die Motivation, die Emotion und das Bewegungsverhalten von ECN neuronal koordiniert. 8.2.1

Dynamische Verschiebung der Aufmerksamkeit

Der dorsolaterale präfrontale Kortex (DLPFC) ist eine funktionelle Einheit, die bisher nur unzureichend definiert ist. Sie liegt im mittleren (Brodmann-Areal [BA] 46) und superioren frontalen Gyrus (BA 8 und 9) und im anterioren (= rostrolateralen)

81 Vermittlernetzwerke

präfrontalen Kortex (BA 10). Bestandteile des ECN sind vor allem die anterioren Gebiete (BA 9, 10, 46) des DLPFC, die in zwei Subsysteme mit unterschiedlichen Kontrollfunktionen unterteilt werden können. ECNA breitet sich im anterioren präfrontalen Kortex (BA 10), dem dorsalen anterioren cingulären Kortex (dACC) und dem superioren frontalen Gyrus (BA 9) aus, während sich das ECNB im mittleren frontalen Kortex (BA 46) zwischen dem inferioren frontalen Sulcus und dem hinteren Teil des superioren frontalen Sulcus befindet [35, 36]. 8.2.1.1

External gerichtete Aufmerksamkeit

Wenn externe Reize wahrgenommen werden sollen und top-down eine Verschiebung der Aufmerksamkeit im Raum erfolgen soll, wird über das ECNB und unter Beteiligung der anterioren Insula das dorsale Aufmerksamkeitsnetzwerk (DAN) aktiviert. Hervorstechende oder auffällige Stimuli werden ebenfalls unter Beteiligung des ECNB verarbeitet. Hier wird das ventrale Aufmerksamkeitsnetzwerk (VAN) angesprochen und je nach Neuigkeitsgehalt des Stimulus kann auch der SN beteiligt sein oder nicht (siehe . Abb.  8.2). Es bestehen erste Hinweise, dass dann durch die Vermittlung des ECNA das Theta-­Bandaktivitätsniveau des DMN abnimmt [36–38]. Der genaue Mechanismus der Antikorrelation zwischen ECN und DMN ist in Detail noch unverstanden und Gegenstand aktueller neurowissenschaftlicher Forschungen.  

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räumliche Fokussierung) und andererseits selbstreferenziell interne Signale und Prozesse initiiert und koordiniert werden. Parallel zur Aktivierung des intrinsischen Bereitschaftsnetzwerks DMN findet eine Wahrnehmungsentkopplung statt und das DAN wird inaktiv. Der genaue Mechanismus, wie diese Wahrnehmungsentkopplung erfolgt, ist weitgehend unerforscht. Ebenfalls unbekannt ist, ob und wie die beiden Subsysteme des Exekutivkontrollnetzwerks ECNA und ECNB miteinander wechselwirken, um die externalen vs. internalen Aufmerksamkeitsprozesse zu unterstützen. Unumstritten ist hingegen, dass zwischen dem DMN und den aufgabenspezifischen Netzwerken (DAN und VAN) stets eine negative Korrelation (= Antikorrelation) besteht, das bedeutet, dass wenn das eine Netzwerk aktiv ist, das andere deaktiviert wird [39]. Die Exekutivkontrollnetzwerke gemeinsam mit DMN, DAN und VAN könnten als Teile eines größeren Netzwerkes verstanden werden, die bei intern vs. extern gerichteten Aufmerksamkeitsprozessen antagonistisch tätig sind [40]. Wenn keine externen Stimuli auftreten, erlauben uns die aufgabenspezifischen Netzwerke eine bewusste Wahrnehmung der Umgebung. 8.2.2

Arbeitsgedächtnis – ECN

Der Aufgabenbereich der exekutiven Regelkreise umfasst die Priorisierung, Integration und Regulation des Informationsflusses zwischen den verschiedenen Modulen des 8.2.1.2 Internal gerichtete Arbeitsgedächtnisses (auditiv, visuell etc.) Aufmerksamkeit und den Abruf von bereits gespeicherten Wenn die Aufmerksamkeit nach innen ge- verbalen und nichtverbalen Inhalten aus richtet werden soll, wird das DMN direkt dem LZG.  Neben den ECN beteiligen sich vom SN (. Abb.  8.2, Route I) oder in- unterschiedliche kortikale Areale und Netzdirekt über das ECNA aktiviert (. Abb. 8.2, werke bei den verschiedenen Aspekten Route II) [35], und es kommt zwischen die- des Arbeitsgedächtnisses. Bei der aktiven sen Bereichen zu einer verstärkten Theta-­ Wiederholung (engl. rehearsal) z.  B., die Konnektivität [36]. Auf diese Weise kön- dazu dient, den Zerfallsprozess eines zu menen in DMN einerseits äußere Reize intern morierenden Eintrags zu verlängern, ist der ausgewertet werden (z.  B. interne visuell-­ VLPFC (als Teil des VAN) beteiligt. Exeku 



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tive Kontrollprozesse des Arbeitsgedächtnisses übernimmt hingegen der linke dorsolaterale präfrontale Kortex (ECNB) [41–43], während das rechte DLPFC uns befähigt, Pläne im Auge zu behalten [44]. Das linkshemisphärische dACC (als Teil des ECN) koordiniert ebenfalls die Zusammenarbeit zwischen DLPFC und dem inferioren parietalen Kortex (IPC), auf dem die adäquaten Reize und Reaktionen aus dem LZG ausgewählt werden. 8.2.3

Wir haben in den Anfangskapiteln (siehe 7 Abschn.  3.2) die drei Kernexekutivfunktionen vorgestellt, das Arbeitsgedächtnis, die Hemmung und die kognitive Flexibilität. Die Hemmung wurde als die Fähigkeit der präfrontalen Regionen definiert, zielirrelevante Repräsentationen auf der Ebene der Wahrnehmung zu unterdrücken und kongruierende Gedanken, Erinnerungen und Handlungsimpulse (= Reaktionshemmung) auf der kognitiven Ebene zu regulieren, sodass die Informationsverarbeitung effektiver abläuft und keine Interferenzen auftreten. Die Kontrolle auf der Ebene des Verhaltens hingegen dient dazu, Impulse und Emotionen so anzupassen, dass wir zu einer gegebenen Situation adäquat reagieren und negative Konsequenzen vermeiden oder minimieren. Für die verschiedenen Dimensionen der Hemmung ist ein weitverbreitetes Netzwerk zuständig, in dem die anteriore Insula (AI) auf beiden Hemisphären bei allen drei Aspekten der Inhibitionsregulation beteiligt ist. Die AI als Teil des Salienznetzwerks scheint modalitätsübergreifend Kontrollmechanismen zu initiieren und aufrechtzuhalten und Kontrollsignale in andere Regionen zu senden, die bestimmte Aufgaben erfüllen. Je nach gestellter Anforderung werden dann verschiedene Regionen dieses Netzwerks aktiv. Während der Hemmung auf der Ebene der Wahrnehmung kontrollieren die dorsof 

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Hemmung – SN und ECN

rontalen Gebiete (dACC, DLPFC) des SN gemeinsam mit den parietalen (IPL) und frontalen rechtshemisphärischen Regionen des VAN (VLPFC) die Top-down-Kontrolle der phasischen Inhibition [45]. Dieselben neuronalen Systeme werden bei der Reaktionshemmung eingesetzt [46], in der automatische Reaktionen und irrelevante Handlungsimpulse unterdrückt oder vom Gedächtnis gelöscht werden. Für die tonische Hemmungskontrolle hingegen ist das linksseitige DLPFC (als Teil des ECNB) zuständig. Unter Beteiligung des ECNB reguliert das dorsale Striatum die Aktivität des präsupplementären motorischen Kortex (PräSMA), der bei der Bewegungsplanung und Unterdrückung unerwünschter Bewegungen beteiligt ist (siehe hierzu 7 Abschn. 8.2.5 und 8.2.6).  

8.2.4

Zeitdiskriminierung und Daueraufmerksamkeit – ECN

Sowohl die Exekutivfunktionen als auch die Zeitwahrnehmung werden bei Kindern von anderen Regionen im Gehirn bearbeitet als bei Erwachsenen, nämlich vom ventromedialen präfrontalen Kortex, dem anterioren und posterioren cingulären Kortex, dem Hippocampus, dem Hirnstamm und dem rechten Kleinhirn [47]. Zur Ausführung dieser Aufgaben gewinnt während der Entwicklung immer mehr vor allem der linkshemisphärische anteriore DLPFC an Bedeutung [47, 48]. Die interhemisphärische Konnektivität zwischen linkem und rechtem DLPFC und deren Verbindungen zu superioren parietalen Regionen, zum dorsalen Striatum und dem Kleinhirn baut sich mit dem Alter aus, sodass Erwachsene bei Zeitdiskriminierungsaufgaben sowohl linke als auch rechte Hirnregionen benutzen. Erst dadurch wird die Fähigkeit, kleine Intervalle im Millisekunden- und Sekundenbereich wahrzunehmen, ausgefeilt. Das ECN zusammen mit dem dorsomedialen präfrontalen Kortex (Teil des DMN)

83 Vermittlernetzwerke

und dem SN ist auch bei Aufmerksamkeitsprozessen in der Zeit (= Daueraufmerksamkeit) beteiligt. Durch Synchronisation ihrer Aktivität überwachen sie die laufenden kognitiven Prozesse und bewerten ständig die aktuellen Aufgabenziele. Indem diese Aufmerksamkeitsüberwachungssysteme (engl. attention-monitoring systems) mit den sensomotorischen Bereichen auf niedrigerer Ebene interagieren [49], verstärken sie die aufgabenrelevante und schwächen die aufgabenirrelevanten kognitiven Prozesse. Auf diese Weise verbessern sie ständig durch eine Art adaptive Anpassung die „Maschinerie“ der laufenden Aufmerksamkeitsprozesse. Das frontomediale Theta (fM-θ) ist bei derartigen Überwachungs- und Kontrollprozessen beteiligt [49]. 8.2.5

Optimierung der Bewegungsabläufe

Erste Informationen über die willkürlichen Abfolgen von Einzelbewegungen unseres Körpers erhält das dorsale Striatum vom motorischen Kortex. Von dort aus und unter Aufsicht des ECNB führt ein erster axonaler Weg zum (inneren =) medialen Pallidum (. Abb. 8.2, direkte Route 1) und ein zweiter zum (äußeren =) lateralen Pallidum (. Abb.  8.2, indirekte Route 2). Das dorsale Striatum reguliert über das Pallidum und die Substantia nigra (Pars compacta) die rhythmische Aktivität der ventrolateralen (=„spezifischen“) Kerngruppe des Thalamus und trägt somit zur Optimierung der kortikal grob geplanten Bewegungsabläufe bei. Über das mediale Pallidum (Route  1) wird GABAerg die Pars reticulata gehemmt, deren Aufgabe zusammen mit dem Pallidum mediale darin besteht, den Thalamus zu hemmen. Dadurch, dass der Hemmmechanismus der Pars reticulata ausgeschaltet wird, kommt es zu einer Enthemmung des Thalamus, da das Pallidum mediale allein den Thalamus nicht hemmen  



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kann. Das dorsale Striatum wirkt somit über die Route  1 bewegungsfordernd. Wird die indirekte Route 2 ausgewählt, kommt es zu einer GABAergen Hemmung des (äußeren =) lateralen Pallidum. Dessen Aufgabe besteht darin, den Nucleus subthalamicus zu hemmen. Aufgrund der Hemmung des lateralen Pallidum bleibt dies jedoch aus, sodass der Nucleus subthalamicus glutamaterg das innere Pallidum und die Pars reticularis aktiviert. Auf diese Weise kommt es GABAerg zu einer Hemmung der ventrolateralen (= „spezifischen“) Kerngruppe des Thalamus. Das dorsale Striatum wirkt über die Route 2 bewegungshemmend [50]. 8.2.6

ECN und ADHS

Eine Regulationsstörung des dopaminergen ECN wurde in mehreren neuropsychologischen und bildgebenden Studien bei Kindern und Erwachsenen mit einer ADHS nachgewiesen. Dabei waren die kognitive Funktionen Wachheit, Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Planung und Hemmung betroffen sowie sensorische Fähigkeiten wie die Zeitwahrnehmung. Auf die verhaltensbasierten Studien, die von einer Störung der Exekutivfunktionen ausgehen, sind wir im 7 Abschn. 3.2 ausführlich eingegangen.  

8.2.6.1

Beeinträchtigungen der Planung und Ausführung motorischer Prozesse und der Zeitwahrnehmung

Neueste, auf Voxel basierte morphometrische Studien des gesamten Gehirns zeigten, dass die graue Substanz der Basalganglien (Putamen, Globus pallidus, dorsales Striatum [= Nucleus caudatus], siehe . Abb.  8.2 und 7 Abb.  11.2b) konsistent bei allen Kindern mit einer ADHS im Vergleich zu gesunden Kontrollen reduziert war [25, 51]. Kinder mit einer ADHS hatten einen signifikant kleineren linken Nucleus caudatus relativ zum rechten [52], wäh 



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rend Erwachsene mit einer ADHS keine derartigen Auffälligkeiten zeigten [25, 53]. Wie wir im vorherigen Abschnitt näher dargelegt haben, sind der Nucleus caudatus und die posterior-inferioren Teile des Putamen wichtige Zwischenstationen bei der Verarbeitung motorischer und somatosensorischer Prozesse. Studien zeigten, dass eine strukturell-anatomische und/oder funktionelle Beeinträchtigung in den Schlüsselregionen der Kontrolle motorischer Reaktionen (wie z.  B. dorsales Striatum, ventrolateraler Thalamus, AI, PräSMA, SMA) verantwortlich für die Dysregulation der Hemmung motorischer Reaktionen bei Kindern mit einer ADHS ist und Schwierigkeiten bei der Planung und Ausführung von motorischen Prozessen verursacht [54–57]. Auch die Zeitwahrnehmung im Millisekundenbereich könnte aufgrund der Verminderung der Aktivität der dopaminergen Afferenzen, die zum dorsalen Striatum führen, eingeschränkt sein. Die zeitliche Verarbeitung von Intervallen im Millisekundenbereich scheint bei neurotypischen Probanden mit der Aktivität des dorsalen Striatums zusammenzuhängen [58]. Bei Individuen mit einer ADHS wurden Auffälligkeiten in den Basalganglien sowie eine Dysregulation der dopaminergen Bahnen beschrieben [59]. Genaue Untersuchungen in diesem Bereich fehlen aber noch. 8.2.6.2

Dysfunktionen in den Basalganglien als primäre Ursache einer ADHS

Arnsten und Rubia [60] stellten die Hypothese auf, dass bei Kindern mit einer ADHS das primäre Defizit des Symptomclusters in den Basalganglien zu suchen sei, die eine Dysfunktion im gesamten frontostriatalen Netzwerk der Exekutivfunktionen auslösen. Davon sind neben der Hemmung z. B. motorischer Prozesse vor allem die Aufmerksamkeit und das Arbeitsgedächtnis betroffen. Eine Metaanalyse von 55 fMRT-­Studien bei Kindern und Erwachsenen mit einer ADHS

bestätigte diese Hypothese, indem sie eine verminderte Aktivierung im frontoparietalen ECN, im Putamen und im VAN feststellte [61]. Mehrfach wurde gezeigt, dass der linke dACC (als Teil des ECNB) abnormal niedrige Aktivierungen zeigte, wenn die Probanden Aufmerksamkeitsaufgaben und kognitive Aufgaben ausführten [26, 27, 62, 63]. Überdies wiesen ADHS-Erwachsene [64, 65] und Kinder [66] im Vergleich zu neurotypischen Kontrollen signifikant kleinere graue Substanzvolumina im präfrontalen Kortex (DLPFC, VLPFC und orbitofrontaler Cortex [OFC]), im dACC, im Kleinhirn und in den Kerngebieten der Basalganglien (vgl. Übersichtsarbeit von [67]). Eine Verringerung der Aktivierung wurde auch in den meisten kortikalen Arealen des ECN nachgewiesen, in den linkshemisphärischen dACC, dem linken und rechten DLPFC [68] und im Nucleus caudatus (= dorsales Striatum). Auch weitere mit ihnen verbundenen Strukturen wie das rechte VLPFC (VAN), der Frontalpol und das Kleinhirn zeigten niedrige Aktivierungen [69]. Weitere Einzelheiten diesbezüglich können interessierte Leser aus folgenden Übersichtsartikeln [70], [23] und [71] entnehmen. 8.2.6.3

Verminderung der Kopplungsstärke zwischen SN und ECN

Auch die Kopplungsstärke zwischen den großflächigen funktionellen Netzwerken, z. B. zwischen SN (vor allem der anterioren Insula) und dem frontoparietalen ECN kann vermindert sein, was zu einer Dysfunktion der dynamischen Verschiebung der Aufmerksamkeit zwischen ECNΑ/DMN (internale Aufmerksamkeit) und ECNB/DAN (externale Aufmerksamkeit) führen kann. Die Betroffenen sind dann auf der Verhaltensebene nicht in der Lage, hervorstechende Reize zu unterdrücken [72]. Einige Studien zeigen, dass im Vergleich zu neurotypischen Jugendlichen und Erwachsenen die Regionen des ECN (vor allem im Bereich des

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DLPFC) bei Jugendlichen mit einer ADHS sowohl bei Inhibitionsaufgaben [73] als auch bei Aufmerksamkeitsaufgaben [57] weniger aktiv sind. Dies könnte zu einer funktionellen Hypokonnektivität des ECN mit anderen Netzwerken führen, z. B. zwischen dem ECNB und dem dorsalen Striatum oder zwischen ECN und dem Gyrus praecentralis [30]. Wenn das ECNB das dorsale Striatum nur unzureichend glutamaterg aktiviert, kommt es zu einer Abschwächung der Inhibition des medialen (direkte Route) oder des lateralen (indirekte Route) Pallidums und zu einer Reduktion der rhythmischen Aktivität des Thalamus. Wenn der ventrolaterale Thalamus unzureichend aktiviert wird, kommt es zu einer Überaktivierung motorischer, kortikaler (vor allem parietaler) und subkortikaler Areale [74] (siehe . Abb. 8.2).

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89

Extrinsische Bereitschaftsnetzwerke Kyriakos Sidiropoulos Inhaltsverzeichnis 9.1

Systeme für die extrinsische Aufmerksamkeit – 90

9.2

DAN – Räumliche Aufmerksamkeitsorientierung – 90

9.2.1 9.2.2 9.2.3

 usbreitung des dorsalen Aufmerksamkeitsnetzwerks – 90 A Visuell-räumliche Zuwendung der Aufmerksamkeit – 90 Merkmalbasierte Aufmerksamkeit – 91

9.3

 AN – Neuausrichtung der Aufmerksamkeit V und Wechsel zwischen Aufgaben – 91

9.3.1 9.3.2

 usbreitung des ventralen Aufmerksamkeitsnetzwerks – 91 A Bottom-up-Aktivität bei seltenen und unerwarteten Ereignissen mit einer Verhaltensrelevanz – 92

9.4

DAN, VAN und ADHS – 92 Literatur – 93

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 K. Sidiropoulos (Hrsg.), EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3_9

9

90

9.1

9

K. Sidiropoulos

 ysteme für die extrinsische S Aufmerksamkeit

Die Vermittlernetzwerke, auf die wir bereits näher eingegangen sind, das Salienznetzwerk SN und das Netzwerk der Exekutivfunktionen ECN, sind supramodal, d. h., sie reagieren auf alle Arten sensorischer Reize. Auch die hier vorgestellten Netzwerke für die auf die Umwelt gerichtete (= extrinsische) Aufmerksamkeit sind supramodal [1, 3, 4]. Gegenwärtig werden anatomisch und funktionell zwei verschiedene Netzwerke voneinander unterschieden, die sich sowohl top-down als auch bottom-up bei externalen Aufmerksamkeitsprozessen beteiligen: 55 das dorsale Aufmerksamkeitsnetzwerk (DAN), welches mittels der niedrigen Alpha- und Betabänder für die Topdown-­Verschiebung der Aufmerksamkeit auf Orte und Merkmale verantwortlich ist (gerichtete selektive Aufmerksamkeit), und 55 das ventrale Aufmerksamkeitsnetzwerk (VAN), das mithilfe des Gammabandes seltene, prominente oder unerwartete Reize (z.  B. eine Sirene oder die plötzliche Änderung des Drucks oder der Lichtverhältnisse) bottom-up erkennt und eine Aufmerksamkeitsverschiebung auslöst [1, 5].

9.2

 AN – Räumliche AufmerkD samkeitsorientierung

9.2.1

 usbreitung des dorsalen A Aufmerksamkeitsnetzwerks

Das dorsale frontoparietale Aufmerksamkeitsnetzwerk (DAN) breitet sich entlang des intraparietalen Sulcus (IPS)/Lobulus parietalis superior (sLP) und des frontalen Augenfelds (engl. frontal eye field, FEF) beider Hemisphären aus (siehe . Abb. 9.1,  

beige schattierter Bereich). Frühere auf Läsionen basierende Studien zeigten, dass auch subkortikale Regionen wie der superiore Colliculus im Mittelhirn und das laterale Pulvinar des Thalamus Teile dieses Netzwerkes sind [6]. Davidson und Marrocco [7] lieferten die ersten Belege, dass Acetylcholin das DAN beeinflusst. 9.2.2

Visuell-räumliche Zuwendung der Aufmerksamkeit

Eine der Aufgaben des DAN ist es, top-­ down den Mechanismus der exogenen visuell-räumlichen Zuwendung (= Orientierung) der Aufmerksamkeit zu kontrollieren [6]. Dafür sind drei Schritte notwendig: die Abkopplung, die Verschiebung und die Fokussierung auf den neuen Inhalt. Der Aufmerksamkeitsfokus muss von einem aktuellen Ereignis, Objekt oder Ort gelöst und zu einem neuen verschoben werden, worauf dann fokussiert wird [8]. Dabei kann die Aufmerksamkeitsverschiebung verdeckt erfolgen, das bedeutet ohne Änderung der Blickrichtung, der Körper- und Kopfhaltung, oder offen sein, d.  h. sich durch eine vorausgehende Augen-, Körper- oder Kopfbewegung ereignen. Der IPS/sLP und das FEF können die Aufmerksamkeitszuwendung auf Orte ­willentlich auf der Basis interner Ziele und Erwartungen ändern (exogene zielgerichtete Orientierung), indem sie top-down Einflüsse auf den visuellen Kortex ausüben. Ob der linke oder der rechte IPS/sLP aktiviert wird, hängt von der Richtung der räumlichen Aufmerksamkeit ab. Die Colliculi superiores zusammen mit dem VAN scheinen eine Rolle bei der Aufmerksamkeitsverschiebung hin zum neuen Ziel zu spielen, während das thalamische Pulvinar bestimmte Aspekte des Ziels verstärkt, sodass sie dann eine besondere Fokussierung bei der kortikalen Verarbeitung erhalten.

9

91 Extrinsische Bereitschaftsnetzwerke

Intrinsische Wachheit

Dorsales Aufmerksamkeitssystem – DAN (bilateral)

Top-down-Kontrolle

SN

L TPJ

exogene Orientierung

Inferiorer frontaler Gyrus

R FEF

L FEF

SLF I

SLF III

run

g

R VLPFC

R IPS

SN

Inferiorer frontaler Gyrus

Ventrales Aufmerksamkeitssystem – VAN (RH)

(Colliculi superiores, laterales Pulvinar des Thalamus)

SLF II

g run

n rie eo

te Fil

Affektiv-motivationales Netzwerk

L IPS

(Locus coeruleus, N. reticularis)

tie

R

merkmalsbasierte Aufmerks.

L VLPFC

R MFG

Leistungsschalter

R TPJ

Verhaltensvalenz

Bottom-up-Kontrolle

Hyperkonnektivität Hypokonnektivität

visuelle Areale ..      Abb. 9.1  Cholinerge extrinsische Bereitschaftsnetzwerke. Dorsales (DAN) und ventrales Aufmerksamkeitssystem (VAN). I. Die Kerngebiete des DAN (beige) sind das rechts- (R) und linkshemisphärische (L) frontale Augenfeld (engl. frontal eye field, FEF) und der intraparietale Sulcus (IPS)/Lobulus parietalis superior. II.  Das VAN (grün) ist auf die rechte Hemisphäre (RH) beschränkt und umfasst den tem-

9.2.3

Merkmalbasierte Aufmerksamkeit

Der IPS/sLP und das FEF werden auch zusammen mit dem Salienznetzwerk während der merkmalbasierten Aufmerksamkeit aktiv, wo eine Verschiebung der räumlichen Aufmerksamkeit nicht nötig ist, weil sich alle Reize am gleichen Ort befinden. Hierbei muss eine Auswahl getroffen werden und die Aufmerksamkeit richtet sich top-down selektiv nur auf ein spezifisches Merkmal eines Gegenstandes oder eines Ereignisses, wie Farbe, Tonhöhe oder räumliche Lage (selektive Aufmerksamkeit) [9]. Die Aufmerksamkeit erfüllt somit die Funktion eines Filters, der wichtige Informationen betont und fokussiert und unwichtige ausblendet.

poroparietalen Übergang (TPJ), den Lobulus parietalis inferior/Gyrus temporalis superior und den ventrolateralen präfrontalen Kortex (VLPFC)/inferioren frontalen Gyrus/mittleren frontalen Gyrus (MFG). Die superior longitudinalen Faszikel (SLF I–III) verbinden die frontoparietalen Regionen. SN  Salienznetzwerk. (Die Zeichnung entstand anhand der Ausführungen von [1, 2] und [3])

9.3

 AN – Neuausrichtung der V Aufmerksamkeit und Wechsel zwischen Aufgaben

9.3.1

 usbreitung des ventralen A Aufmerksamkeitsnetzwerks

Das ebenfalls cholinerge ventrale frontoparietale Netzwerk (VAN) ist auf der rechten Seite des Gehirns lateralisiert [1], weil bei den meisten Menschen auf den kontralateralen Gebieten sprachliche Funktionen lokalisiert sind, frontal das sogenannte Broca- und parietal das sogenannte Geschwind-Areal. Das VAN breitet sich in den rechten temporoparietalen Übergang (engl. temporo-­ parietal junction, TPJ) aus mit Ausdehnung im rechten Lobulus parietalis

92

K. Sidiropoulos

inferior (IPL), vor allem dem Gyrus angularis, und im rechten inferioren Gyrus frontalis (= Pars triangularis), der funktionell mit dem ventrolateralen präfrontalen Kortex (VLPFC) verbunden ist (siehe . Abb.  9.1, grün schattierter Bereich) [1, 10]. In den neusten funktionellen Bildgebungsstudien wird gezeigt, dass sich auch das linke TPJ bei Aufmerksamkeitsprozessen beteiligt, sodass man gegenwärtig von einer bilateralen Aktivierung des TPJ ausgeht, insbesondere bei Aufgaben, die eine reflexhafte Neuausrichtung der Aufmerksamkeit verlangen [11]. Auf jeden Fall bestehen bezüglich des Verlaufs der großen Nervenfaserbündel zwischen dem linken und rechten TPJ Unterschiede. In der rechten Hemisphäre wurde eine höhere Konnektivität zwischen TPJ und Insula (als Teil des SN) und in der linken eine höhere Konnektivität zwischen TPJ und dem inferioren frontalen Gyrus (IFG; VLPFC) beobachtet [12].  

9

9.3.2

Bottom-up-Aktivität bei seltenen und unerwarteten Ereignissen mit einer Verhaltensrelevanz

Die metabolische Aktivität des VAN ist ähnlich wie die des DMN niedrig, wenn die Aufmerksamkeit top-down gesteuert wird. Auf diese Weise wird eine Neuausrichtung der Aufmerksamkeit auf ablenkende Reize oder Ereignisse verhindert. Dies kann als eine Art Filterung interpretiert werden (siehe . Abb. 9.1). Die Areale des ventralen frontoparietalen Netzwerks werden ­bottom-­up nur dann aktiv, wenn seltene oder unerwartete Ereignisse auftreten, z.  B. solche, die außerhalb des Fokus der räumlichen Aufmerksamkeit liegen oder an unerwarteten Positionen erscheinen und verhaltensrelevant sind. Die genauen Mechanismen, wie das Gehirn Verhaltensrelevanz definiert und somit zwischen einem Ablenker und einem verhaltensrelevanten Signal unter-

scheidet, sind noch weitgehend unbekannt. Wird ein derartiger Stimulus entdeckt, inhibiert der ventrale TPJ des VAN direkt oder durch die Vermittlung der sensorischen Areale das dorsale IPS des DAN. Auf diese Weise kommt es zu einer räumlichen Reorientierung der Aufmerksamkeit [13]. Das ventrale Aufmerksamkeitsnetzwerk erhält auch Input aus dem Locus-coeruleus/ Noradrenalin-­ System, weshalb die Wachheit bei der Neuorientierung der Aufmerksamkeit und beim Reset kortikaler Netzwerke eine entscheidende Rolle spielt ([2]) (vgl. 7 Abschn.  6.2). Je nach Aufgabenstellung werden unterschiedliche Teile des rechten VLPFC aktiviert. Der posteriore VLPFC (= Pars opercularis, BA 44) dient dazu, Aktionspläne bottom-up zu aktualisieren, nachdem ein verhaltensrelevanter Reiz erkannt wird, während der mittlere VLPFC (= Pars triangularis) aktiv wird, wenn unsicher ist, welcher Reiz relevant ist. Demnach ist diese Region beim Lösen von Konflikten bei Entscheidungsprozessen beteiligt. Dies ist jedoch nur eine kleine Auswahl der Funktionen des rechten VLPFC und somit des VAN. So sind diese Regionen z. B. auch beim episodischen Gedächtnis beteiligt, bei der Ausführung einer Aktion oder bei der Beobachtung einer Aktion, die eine andere Person ausführt (= Aktivierung von sogenannten Spiegelneuronen). Ferner sind sie auch bei der hemmenden Kontrolle sowohl emotionaler als auch nichtemotionaler Stimuli beteiligt [14].  



9.4

DAN, VAN und ADHS

Bisher haben wir bei Kindern und Erwachsenen mit einer ADHS Störungen bei der Wachheit und den Exekutivfunktionen beschrieben. Berger und Posner [15] nahmen an, dass die genuinen Aufmerksamkeitssysteme, jenes für die gerichtete Aufmerksamkeit (DAN) und die Neuausrichtung der Aufmerksamkeit (VAN), keine Defizite

93 Extrinsische Bereitschaftsnetzwerke

zeigen (siehe auch [16–18]). Neueste Studien bei Erwachsenen mit einer ADHS weisen jedoch darauf hin, dass sowohl zwischen den beiden Aufmerksamkeitsnetzwerken VAN/DAN als auch zwischen SN/VAN eine Hyperkonnektivität besteht. Die Kopplung zwischen SN/DAN fällt im Vergleich zu neurotypischen Kontrollen schwächer aus [19] (siehe 7 Kap. 8, 7 Abb. 8.2). Aufgrund der VAN/DAN Hyperkonnektivität kommt es zu einer schnelleren Ablenkung bei aufgabenirrelevanten Stimuli. Der zielgerichtete Kontrollmechanismus des DAN, der darauf ausgerichtet ist, sensorische Reize auf der Grundlage interner Ziele oder persönlicher Erwartungen auszuwählen, wird unterbrochen [19]. Die erhöhte SN/VAN-Kopplung führt dazu, dass die Unterscheidung zwischen Distraktoren und aufgabenrelevanten Stimuli fehlerhaft erfolgt. Die erhöhte Low-Beta/B1-Leistung (12–15  Hz), die bei ADHS-Kindern in den rechten verglichen mit den linken Parietalund Temporallappen beobachtet wurden [20, 21], könnten in Zusammenhang mit der SN/ VAN-Hyperkonnektivität stehen. Sowohl die VAN/DAN- als auch die SN/VAN-Hyperkonnektivität könnte die hohe Ablenkbarkeit und die Unfähigkeit ADHS-­Betroffener, irrelevante Reize zu ignorieren, erklären.  



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K. Sidiropoulos

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95

Intrinsische Bereitschaftsnetzwerke Kyriakos Sidiropoulos Inhaltsverzeichnis 10.1

Das Ruhezustandsnetzwerk – 96

10.2

Anatomie des DMN – 96

10.2.1 10.2.2 10.2.3

 entrale Kerngebiete des DMN – Emotionale Z Konnotation von Gedächtnisinhalten – 96 Das mediotemporale Subsystem – 98 Das dorsomediale Subsystem – Selbst- und Fremdwahrnehmung, Empathie, Imagination und Planung der Zukunft – 100

10.3

Dysfunktionen des DMN bei der ADHS – 100

10.3.1

 ysfunktionen im Precuneus – Niedrige sozial-kommunikative D Kompetenz – 100 Schwache Antikorrelation zwischen DMN und aufgabenpositiven Netzwerken – 101 Restaktivierungen des DMN bei kognitiver Aktivität – 101

10.3.2 10.3.3

Literatur – 102

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 K. Sidiropoulos (Hrsg.), EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3_10

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10

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K. Sidiropoulos

10.1 

Das Ruhezustandsnetzwerk

Raichle und Kollegen [1] bemerkten bei der Beobachtung von PET-Scans, dass einige Gehirnregionen gleichzeitig ihre Aktivität verminderten, gerade wenn die Versuchspersonen Aufgaben zu lösen begannen. Als sie die Aufgaben erledigten und wieder in einen geistig entspannten Zustand zurückkehrten, stieg die Aktivität verschiedener über das ganze Hirn verstreut liegender Regionen wieder spontan und gleichzeitig an, weshalb angenommen wurde, dass es sich hierbei um ein weitverteiltes Netzwerk handelt. Dieses Netzwerk erhielt von Raichle den Namen Ruhezustandsnetzwerk (engl. default mode network, DMN) und wurde anfänglich als eine Basisfunktion des Gehirns angesehen. Später wurde gezeigt, dass zwischen den Arealen des DMN nicht nur eine funktionelle, sondern auch eine ausgeprägte strukturelle Konnektivität durch Nervenfaserverbindungen besteht [2, 3]. Auf der Basis empirischer Studien wissen wir heute, dass das DMN mehrere Funktionen erfüllt. 55 Es übernimmt die Hemmung und Überwachung sensorischer Reize, 55 spielt beim Lernen und dem episodischen Gedächtnis eine wichtige Rolle und 55 ist für unsere Fähigkeit verantwortlich, uns durch Selbstprojektion in Raum und Zeit vor- und rückwärts zu bewegen. 55 Ferner trägt das DMN zur Erschaffung einer Eigen- und Fremdwahrnehmung bei, was uns eine erfolgreiche soziale Interaktion ermöglicht und 55 uns befähigt, den geistigen Standpunkt zu ändern und in anderen Menschen auch ein geistiges Innenleben anzunehmen. Diese fünf kognitiven Fertigkeiten drücken sich anatomisch in den kortikalen Arealen des DMN aus.

Anatomie des DMN

10.2 

Neueste Studien zur funktionellen Konnektivität innerhalb des DMN [4–6] zeigen, dass das Netzwerk aus drei zentralen Kerngebieten besteht: 55 dem ventromedialen präfrontalen Kortex (VMPFC), 55 dem hinteren Teil des Gyrus cinguli (engl. posterior cingulate cortex, PCC) und 55 dem ventralen Precuneus (vPre) (. Abb. 10.1 und 10.2, gelb markiert).  

Jedes dieser Kerngebiete geht eine Verbindung mit zwei weiteren Subsystemen ein, dem mediotemporalen (. Abb.  10.1 und 10.2, grün markiert) und dem dorsomedialen Subsystem (. Abb.  10.1 und  10.2, blau markiert). Das mediotemporale Subsystem breitet sich über den parahippocampalen Kortex (PHC), den Hippocampus (Hippo), die Corpora mammillaria (CM) und die anterioren Kerne des Thalamus (AKT) zum retrosplenialen Kortex (Rsp) aus und verbindet sich über den posterioren inferioren Parietallappen (pIPL) mit dem affektiv-motivationalen Netzwerk und dem ventromedialen präfrontalen Kortex (VMPFC). Das dorsomediale Subsystem besteht aus dem dorsomedialen präfrontalen Kortex (DMPFC), dem temporoparietalen Übergang (TPJ), dem mittleren temporalen Gyrus (MTG) und dem Temporalpol (TempP).  



10.2.1 

 entrale Kerngebiete des Z DMN – Emotionale Konnotation von Gedächtnisinhalten

Die zentralen Kerngebiete des DMN, allen voran der ventromediale präfrontale Kortex (VMPFC) regulieren den emotionalen Ge-

10

97 Intrinsische Bereitschaftsnetzwerke

Default Mode Network - DMN

VMPFC

PCC

vPre

+ ventraler ACC (pre-und subgenual)

X

BVH Sensorische Areale

pIPL

Papez-Kreislauf T. perforans Cingulum

Lateraler PFC

Affektiv-motivationales Netzwerk

(ACC, Amygdala, ventrales Striatum, Hirnstamm, Kleinhirn)

temporoparietal

PHC

Hippo

T. mamilothalamicus Formix

CM

AKT

Rsp mediotemporales Subsystem VAN

SN

MTG

DMPFC

TPJ

TempP

dorsomediales Subsystem

abnormal hohe Aktivität abnormal niedrige Aktivität Hyperkonnektivität Hypokonnektivität Störung

..      Abb. 10.1  Das Ruhezustandsnetzwerk DMN.  I. Zentrale Kerngebiete des DMN (gelbe Box): ventromedialer präfrontaler Kortex (VMPFC), hinterer Teil des Gyrus cinguli (engl. posterior cingulate cortex, PCC) und ventraler Precuneus (vPre). Die Kerngebiete des DMN gehen Verbindungen mit zwei weiteren Subsystemen ein, dem mediotemporalen (grüne Box) und dem dorsomedialen Subsystem (blaue Box). II.  Anatomische Kernregionen des DMN: PCC posteriorer cingulärer Kortex, VMPFC  ventromedialer präfrontaler

Kortex, vPre ventraler Precuneus, BVH basales Vorderhirn, ACC anteriorer cingulärer Kortex, pIPL posteriorer inferiorer Parietallappen, PFC präfrontaler Kortex, PHC Gyrus parahippocampalis (= endorhinaler Kortex), Hippo Hippocampus, CM Corpora mammillaria, AKT anteriore Kerne des Thalamus, Rsp retrosplenialer Kortex, SN Salienznetzwerk, MTG mittlerer temporaler Gyrus, DMPFC dorsomedialer präfrontaler Kortex, TPJ temporoparietaler Übergang, TempP  Temporalpol. Weitere Erläuterungen im Text

halt der Gedächtnisinhalte. Der VMPFC ist mit allen an emotionalen Prozessen beteiligten Strukturen direkt verbunden – mit dem basalen Vorderhirn (BVH), den zentralen Kernen der Amygdala, dem orbitofrontalen Kortex und dem ventralen Striatum [7]. Die Aktivitätshöhe des anterioren VMPFC steht ähnlich wie die des Salienznetzwerks (SN) in einem umgekehrt proportionalen kausalen Zusammenhang mit den Änderungen der tonisch-kortikalen Aktiviertheit. Während aber das Aktivitätslevel des SN die Schnelligkeit der sensorischen Ver-

arbeitungssysteme und somit kognitive Prozesse reguliert, beeinflusst das VMPFC die Gefühls- und Gemütsbewegung und ist somit bei affektiven Prozessen beteiligt. Dabei geht die Erhöhung der Aktivität des anterioren VMPFC mit positiven Affekten einher und die angstbedingte Erregung wird gesenkt, während eine erhöhte Aktivität des posterioren VMPFC mit negativen Affekten in Verbindung gebracht wird [8]. Im VMPFC werden unsere Handlungen durch einen präattentiven vorbewussten Selbstreflexionsmechanismus kontrolliert (Impuls-

98

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K. Sidiropoulos

..      Abb. 10.2  Anatomische Kernregionen. DMPFC dorsomedialer präfrontaler Kortex, AMPFC anteromedialer präfrontaler Kortex, VMPFC ventromedialer präfrontaler Kortex, PCC posterior cingulärer Kortex,

Rsp  retrosplenialer Kortex, IPL  inferiorer Parietallappen, TPJ temporoparietaler Übergang, MTG mittlerer temporaler Gyrus, TempP  Temporalpol; istock: Datei-ID:484761392 und 484757150

kontrolle) und die Aktivität der limbischen Strukturen (z.  B.  Amygdala) heruntergesetzt. Auf diese Weise werden die Risiken einer Handlung abgeschätzt, der Angstpegel herunterreguliert und adäquate Reaktionsmuster produziert. Wenn die Gedächtnisrepräsentationen sich bereits verfestigen, scheinen allein der ventrale Precuneus und der retrospleniale Kortex für den Abruf von Inhalten aus dem episodischen Gedächtnis zuständig zu sein [6, 9]. Diese Inhalte können im posterioren IPL (= Gyrus angularis) zwischengespeichert werden. Der posteriore IPL übernimmt eine Arbeitsspeicherfunktion und spielt bei der Interpretation und Integration sensorischer Informationen aus verschiedenen Modalitäten eine wichtige Rolle. Schließlich sind die parahippocampalen Regionen zusammen mit dem retrosplenialen Kortex für die räumliche

Orientierung und die Vorstellung künftiger Ereignisse zuständig. 10.2.2 

Das mediotemporale Subsystem Mnestische Informationsverarbeitung

10.2.2.1 

Das mediotemporale Subsystem ist das Netzwerk der persönlichen Erinnerungen, der bildlichen Vorstellung und der Orientierung in Raum und Zeit. Die Hirnstrukturen, die sich an der mnestischen Informationsverarbeitung beteiligen, bilden einen Kreislauf, den sogenannten Papez-­ Schaltkreis (siehe . Abb.  10.1, die Elemente des Schaltkreises werden mit grünen Pfeilen verbunden). Die sensorische Information aus den tempoparietalen Gebieten geht über  

99 Intrinsische Bereitschaftsnetzwerke

einen Teil der Assoziationsfasern der weißen Substanz des posterioren Cingulums zur Area entorhinalis im Gyrus parahippocampalis (PHC). Über die Area entorhinalis kommen weitere Afferenzen aus zahlreichen sensorischen Hirnarealen und enden im Subiculum des Hippocampus (Hippo). Der Hippocampus ist u.  a. beim episodischen Gedächtnis beteiligt. Ein äußerer Reiz aktiviert vorerst die entsprechenden kortikalen Regionen, die für die Wahrnehmung zuständig sind. Die Gedächtnisinhalte werden dann mit den persönlichen Erinnerungen an ein Ereignis, eine Situation oder eine frühere Entscheidung verglichen. Dabei wirkt der Hippocampus als eine Art Index, der die unterschiedlichen kortikalen Aktivierungsmuster separiert (Gyrus dentatus), durch Autoassoziationen verstärkt (Cornu ammonis  3) und vervollständigt (Cornu ammonis 1). Die Aktivierungsmuster gelangen über das Subiculum des Hippocampus zu den anderen Strukturen des limbischen Systems (durch den Fornix zum Mamillarkörper (CM) des Hippothalamus und den anterioren Kernen des Thalamus (AKT) und, nachdem sie emotional konnotiert werden, zum anterioren (ACC) und/oder posterioren/retrosplenialen cingulären Kortex (PCC/Rsp) [10]. Von dort aus werden die neuen Gedächtnisinhalte je nach Art der sensorischen Information (visuell, auditiv etc.) an den entsprechenden Stellen der Großhirnrinde gespeichert. 10.2.2.2

Intrinsische Hirnaktivität

Man fand heraus, dass das mediotemporale Subsystem auch aktiv wird, wenn Menschen die Gedanken schweifen lassen, sich folglich in einen Zustand der Tagträumerei oder des Gedankenwanderns begeben. Auch nach Einnahme von Beruhigungsmitteln, wenn man schläft oder im Koma liegt, zeigt sich diese hirninnenwohnende (= intrinsische) Aktivität. In diesen Zustand des „geistigen Innenlebens“ gelangt das Gehirn, wenn das DMN die aufgabenspezifischen Netzwerke hemmt. Wenn hingegen eine kognitive Auf-

10

gabe bewältigt werden soll, übernimmt das Exekutivkontrollnetzwerk zusammen mit den anderen aufgabenspezifischen Netzwerken die Überwachung der äußeren Umgebung, sodass ständig eine Reaktionsbereitschaft auf Umweltreize besteht. Das DMN vermindert dabei seine Aktivität [11]. 10.2.2.3

Bewertung der sensorischen Information und Selbstprojektion

Nach dem heutigen Kenntnisstand sorgt das mediotemporale Subsystem des DMN auch dafür, dass die eingegangene sensorische Information intern bewertet wird. Es werden prospektiv verschiedene extrinsische Netzwerkkonfigurationen erprobt und eine Entscheidung getroffen, ob ein neuer Gedächtnisinhalt gespeichert oder vergessen wird. Insofern spielt das DMN auch beim Lernen eine wichtige Rolle. Denn Lernen bedeutet nichts anderes, als die aufgenommene Information intern zu bewerten, zu klassifizieren und zu speichern. Um einen neuen Gedächtnisinhalt intern auszuwerten, ist es wichtig, sich an Ereignisse aus der Vergangenheit zu erinnern, die für einen wichtig waren. Nur durch den Abruf von Ereignissen aus dem eigenen Leben (episodisches oder autobiografisches Gedächtnis) sind wir in der Lage, uns zu entscheiden, ob ein neuer Gedächtnisinhalt für unsere Gegenwart und Zukunft relevant sein könnte. Dies bewerkstelligt das Ruhezustandsnetzwerk anhand von Selbstprojektionen aus der Vergangenheit (Retrospektion), auf deren Basis Zukunftsmodelle und -vorhersagen (Prospektion) entworfen werden können [12, 13]. Selbstprojektion bedeutet, dass wir in der Lage sind, ein Bild von uns selbst auf der Basis unserer Vorlieben, Wünsche und den präferierten Werten und Normen zu erschaffen. Indem wir Selbstprojektionen aus der Vergangenheit zur Bildung von Zukunftsmodellen und -vorhersagen nutzen, sind wir fähig, uns nicht nur in Raum (Navigation) und Zeit (Orientierung) vor- und rückwärtszubewegen und verschiedene

100

K. Sidiropoulos

Szenarien durchzuspielen, sondern sind auch in der Lage, uns in der Gegenwart als eine kohärente Einheit zu erleben. Hierbei spielt das dorsomediale Subsystem eine bedeutende Rolle.

10.2.3 

10

Das dorsomediale Subsystem – Selbst- und Fremdwahrnehmung, Empathie, Imagination und Planung der Zukunft

Erst durch das Erschaffen einer inneren Erzählung, wer wir sind und was wir beabsichtigen, ist es uns möglich, uns selbst (Selbstwahrnehmung) und den anderen Menschen (Fremdwahrnehmung) aus der Vogelperspektive zu betrachten. Wir sind dann in der Lage, die Perspektive zu wechseln und den eigenen Standpunkt in andere Menschen hineinzuprojizieren. Wir erkennen in anderen Menschen auch Emotionen, die wir zu interpretieren und zu verstehen versuchen (Empathie), und sind in der Lage, die Absichten anderer Personen zu erraten (Theory of Mind). Dabei können sowohl das eigene (Selbstreflexion) und fremde (Fremdreflexion) Denken, Fühlen und Handeln hinterfragt werden als auch die Rolle des einzelnen innerhalb eines Systems, z. B. der Familie oder der Schule. Das DMPFC zusammen mit dem TPJ als Teile des dorsomedialen Subsystems sind für die Bildung unserer Intentionen, Wünsche, Vorstellungen und Überzeugungen zuständig. Unsere emotional konnotierten Erinnerungen und bildlichen Vorstellungen bekommen hier einen sozialen Charakter. Wir können die Absichten anderer Menschen erraten, nehmen in anderen Personen Bewusstseinsvorgänge an und sind in der Lage, die Intention anderer Menschen zu interpretieren und Empathie zu empfinden [1, 6, 11, 14]. Beide Regionen sind zusammen mit dem MTG auch bei der Imagination und

Planung der Zukunft beteiligt und spielen eine wichtige Rolle bei selbstbezogenen Prozessen wie Empathie oder der Zuschreibung einer emotionalen Überzeugung gegenüber einem Sachverhalt aus dem episodischen Gedächtnis, z. B. dass man aufgrund mangelnder Anstrengung bzw. Begabung überzeugt ist, dass man niemals in seinem Leben Klavier lernen könnte [4]. Der MTG zusammen mit dem Temporalpol sorgen schließlich dafür, dass unsere Erinnerungen und bildlichen Vorstellungen versprachlicht werden und sind auch für das Erkennen bedeutungsvoller Sätze verantwortlich.

10.3 

 ysfunktionen des DMN bei D der ADHS

10.3.1 

Dysfunktionen im Precuneus – Niedrige sozial-kommunikative Kompetenz

Wie wir ausführlich dargelegt haben, zeigen die bisherigen Untersuchungen, dass im Falle einer ADHS mehrere potenzielle Loci dysfunktional sein können. Eine maßgebliche Beteiligung an der Neuropathologie bei der ADHS hat der Precuneus als Schaltstelle des DMN mit Nervenfaserverbindungen an mehreren kortikalen (wie dem anterioren Cingulum, dem lateralen präfrontalen Kortex, dem inferioren und superioren Parietalkortex) und subkortikalen (wie dem Thalamus, dem Striatum und dem Hirnstamm) Regionen. Man fand bei ADHS-­ Kindern eine Inter-­Netzwerkstörung mit einer Abnahme der funktionellen Konnektivität zwischen dACC (SN) und den posterioren Komponenten des DMN (Precuneus, DMPFC und Teilen des PCC) [15, 16]. Interessanterweise war die Konnektivitätsabnahme zwischen SN und DMN häufiger

10

101 Intrinsische Bereitschaftsnetzwerke

bei Jungen als bei Mädchen zu beobachten [17] (vgl. . Abb.  10.1). Bei Erwachsenen mit einer ADHS wurde hingegen eine Intra-­ Netzwerkstörung beschrieben, und zwar zwischen den anterioren (VMPFC, IPL) und den posterioren Komponenten des DMN [15, 18, 19]. Ähnlich wie bei Menschen aus dem autistischen Spektrum kann bei Personen mit einer ADHS die ­ Verminderung der Verbindungsstärke zwischen VMPFC und Precuneus für die niedrige sozial-kommunikative Kompetenz verantwortlich sein [20]. Diese Regionen des DMN beteiligen sich auch bei Belohnungs- und Motivationsprozessen. Ähnlich wie bei Patienten mit depressiven Verstimmungen kann auch bei einer ADHS eine verminderte Deaktivierung des VMPFC zu übermäßigem Grübeln und erhöhtem Selbstfokus führen. Dies könnte in Zusammenhang mit den Beobachtungen stehen, dass von ADHS Betroffene eine veränderte Selbstwahrnehmung haben und oft in ihre eigene Gedankenwelt vertieft sind (Tagträumerei) [21]. Andere Arbeitsgruppen zeigten, dass der VMPFC bei Kindern des ADHS-­Mischtypus eine abnormal hohe Aktivität zeigt, weil im Vergleich zu neurotypischen Kontrollen eine generelle Hyperkonnektivität innerhalb des medialen präfrontalen Kortex besteht [22].  

10.3.2 

Schwache Antikorrelation zwischen DMN und aufgabenpositiven Netzwerken

Bei neurotypischen Menschen besteht zwischen den sensorischen Netzwerken und den ECNB/DAN einerseits und dem Ruhezustandsnetzwerk (DMN) andererseits eine negative Korrelation [11, 23]. Wenn die beiden ersten aktiv sind, ist das DMN inaktiv. Bei ADHS-Betroffenen (wie auch bei Patienten mit Angststörungen, Depressionen

und chronischen Schmerzen) fällt diese Antikorrelation zwischen DMN und den aufgabenpositiven Netzwerken schwach aus [16]. Die reduzierte Antikorrelation könnte aufgrund einer Hyperkonnektivität zwischen ECN und DMN entstehen [15, 19] oder die DMN-DAN/VAN-Koordination könnte aufgrund der Hyperkonnektivität zwischen VAN/DAN dysfunktional sein, während die DMN-VAN und DMN-DAN-­ Verbindungen an sich intakt sind [24] (vgl. 7 Kap. 6, 7 Abb. 6.1).  

10.3.3 



Restaktivierungen des DMN bei kognitiver Aktivität

Nach der Default-Mode-Interferenzhypothese von Sonuga-Barke und Castellanos [25] zeigt das DMN im Ruhezustand eine unauffällige Aktivität. Beim Übergang vom Ruhezustand zum Zustand kognitiver Aktivität wird das DMN jedoch nicht adäquat unterdrückt, sodass Restaktivierungen fortbestehen oder periodisch wieder auftreten. Infolgedessen zeigt sich während einer Aufgabe eine unterschwellige funktionelle Verkoppelung (Kohärenz kleiner als 0,1  Hz) zwischen DMN und dem aufgabenpositiven Netzwerk DAN.  Yang und Kollegen [26] sowie Sripada und Kollegen [27] fanden zudem heraus, dass das DMN auch im Ruhezustand abnormale intrinsische Oszillationen zeigt. Restaktivierungen im Sinne niedrigfrequenter Schwingungen sind demnach dafür verantwortlich, dass es bei ADHS-­ Betroffenen zu einer statistisch signifikanten Erhöhung der Fehleranzahl kommt, dass die Aufmerksamkeit beeinträchtigt sein kann [15, 17] und dass die Reaktionsschnelligkeit vermindert ist [28]. Bei der Othmer-Methode spielt die Modulation dieser niedrigen Oszillationen, sogenannten „Infra-Low-Frequenzen“ (ILF), eine entscheidende Rolle beim Training von ADHS (siehe 7 Kap. 17).  

102

K. Sidiropoulos

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10

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103 Intrinsische Bereitschaftsnetzwerke

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105

Affektiv-motivationale Netzwerke – Impulskontrolle, Emotion, Motivation und Furchtkonditionierung Kyriakos Sidiropoulos Inhaltsverzeichnis 11.1

Die drei Dimensionen des Gefühlraums – 106

11.1.1 11.1.2 11.1.3

F einregulation des emotionalen Erregungsgrades (= Arousal) – 106 Erkennung der emotionalen Wertigkeit – 106 Potenz – Die Stärke der Emotionen – 110

11.2

Affektiv-motivationales Netzwerk und die ADHS – 110

11.2.1

 ysregulation des emotionalen Arousals – Emotionale D Labilität und unpassende Reiz-Reaktions-­Assoziationen – 111 Störung der emotionalen Valenz – Verlust der Impulskontrolle und unpassende Antwort-Konsequenz-­Assoziationen – 111 Atypische Konnektivität des ventralen Striatum – Schwierigkeiten und Motivationsmangel bei der Planung und Durchführung komplexer Aufgaben – 111 Störungen im Belohnungssystem und emotionale Dysregulation – 112

11.2.2 11.2.3

11.2.4

Literatur – 112

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 K. Sidiropoulos (Hrsg.), EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3_11

11

106

11

K. Sidiropoulos

Das Gehirn versucht, eine kohärente Abbildung der Gegebenheiten der Außen- und Innenwelt eines Individuums zu konstruieren. Wahrnehmungen aus verschiedenen sensorischen Modalitäten und dem Default-­ Mode-­ Netzwerk (DMN) kommen in den Assoziationsgebieten (z.  B.  Gyrus angularis, supramarginalis, orbitofrontaler Kortex [OFC] etc.) zusammen und werden im ventromedialen präfrontalen Kortex (VMPFC) [1] zu einem einheitlichen Eindruck integriert. Gleichzeitig zu dieser Verarbeitung wird der affektive Gehalt dieser Eindrücke überprüft, sodass man situationsadäquat handeln kann. Unterstützt durch das endokrine Stresssystem (Hypothalamus, Hypophyse, Schilddrüse, Nebennieren etc.) können schließlich Veränderungen im emotionalen Zustand eines Individuums ausgelöst werden, die dann als Gefühle erlebt und ausgedrückt werden können. Der evolutionäre Nutzen von Emotionen besteht darin, dass sie das Individuum auf destruktiv-­ schädliche Gegebenheiten hinweisen und für Entspannung und Freude sorgen. 11.1 

 ie drei Dimensionen des D Gefühlraums

Gefühle unterscheiden sich nach den dimensionalen Modellen (siehe z. B. [2, 3]) in 55 der Erregungsstärke (= Arousal), 55 der Valenz und 55 der Potenz (. Abb.  11.1), die sie hervorrufen. Je nach Vorerfahrungen des Individuums mit einem emotionalen „Objekt“ oder einer Situation wird präattentiv (= vorbewusst) die Aktiviertheit der Amygdala erhöht oder erniedrigt [4]. Darin beteiligt sind die drei Hauptkerne der Amygdala, die zentralen (CeA), die basalen (BL) und die dazwischen liegenden interkalierten Zellen (ITC), die für die hemmende Kontrolle von CeA und BL sorgen (. Abb. 11.2a, rote Synapsen).  



11.1.1 

Feinregulation des emotionalen Erregungsgrades (= Arousal)

Die erste Verarbeitungsetappe der Emotionsgenerierung verläuft unbewusst, sehr schnell, aber ist ungenau. Für die Feinregulation des emotionalen Erregungsgrades der Amygdala ist der pregenuale anteriore cinguläre Kortex (preACC) (Teil des ventralen ACC, vACC) zuständig [5, 6], der einerseits zusammen mit der Amygdala, dem ­ ventromedialen präfrontalen Kortex (VMPFC) und der anterioren Insula den Erregungsgrad (= Arousal) des damit verbundenen emotionalen Zustands regelt [7] und andererseits für die Aufmerksamkeit, die Motivation und das Bewusstsein eines emotionalen Reizes sorgt (siehe . Abb. 11.2a, rote Routen). Wenn ein emotionaler Reiz ambivalent und daher doppeldeutig ist, wird er durch den rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC) als potenziell gefährlich eingestuft und bedarf der besonderen Aufmerksamkeit [8]. Ist der rechte DLPFC dysfunktional oder wird seine Aktivität (z.  B. mithilfe der transkraniellen Gleichstromstimulation [tDCS] oder der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation [rTMS]) gehemmt, kann die potenzielle Gefahr nicht richtig eingeschätzt werden und die Entscheidungen der Betroffenen sind riskant.  

11.1.2 

Erkennung der emotionalen Wertigkeit

Für die Erkennung der emotionalen Wertigkeit (= Valenz) und des Gehalts einer Empfindung sind verschiedene kortikale Areale wichtig, allen voran der posteriore Teil des orbitofrontalen Kortex (pOFC), der starke Verbindungen einerseits mit allen drei Kernen der Amygdala eingeht [9] und andererseits mit dem ventralen Striatum

107 Affektiv-motivationale Netzwerke – Impulskontrolle, Emotion, Motivation…

11

..      Abb. 11.1  Der Gefühlsraum und seine drei Dimensionen: Erregungsstärke, Valenz und Potenz. Die Zeichnung entstand auf Basis der Ausführungen von Osgood [2] und Plutchik [3]

und dem ventromedialen präfrontalen Kortex (VMPFC) reziprok verbunden ist (siehe . Abb. 11.2a, gelbe Routen). Die Valenz ist die emotionale Wertigkeit, die ein ästhetisches „Objekt“ (z. B. eine Malerei oder ein Mensch) oder Ereignis in uns emotional auslöst. Dabei trifft der pOFC eine Entscheidung darüber, wie ein emotionaler Zustand empfunden wird (affektive Valenz), der VMPFC entscheidet, wie wir subjektiv die Umwelt bewerten (evaluative Valenz), während sich der DLPFC bei der (Neu-)Bewertung emotionaler Inhalte beteiligt, und zwar unabhängig von ihrer Valenz [10]. Die affektive Valenz sagt etwas über die hedonistische Qualität einer subjektiven Empfindung aus, während die evaluative Valenz unsere Grundhaltung gegenüber einer Situation beschreibt [11, 12]. Das Wort „hedonistisch“ bringt hier zum Ausdruck, dass ein emotionaler Zustand (z. B. Angst vor einer Prüfung) aus sich heraus nicht eine „posi 

tive“ oder „negative“ Wertigkeit besitzt. Die Bewertung eines emotionalen Zustands hängt immer von den Vorerfahrungen des Individuums mit der Umwelt und seinen Zielsetzungen ab. Folglich sind Gefühle keine Begleiterscheinungen, die inhärent in einem ästhetischen Objekt oder Ereignis innewohnen. Angst kann z. B. bei einer Person motivierend wirken, sich effektiver auf eine Prüfung vorzubereiten, oder als etwas Negatives empfunden werden und zu einer ständigen Unruhe bis hin zur Erstarrung und einer völligen Blockade führen. Die affektiven und evaluativen Aspekte der Valenz sind eng miteinander verbunden und sind nicht nur Bestanteil vieler Emotionen, sondern essenziell für den Aufbau unseres Belohnungs- und Bestrafungssystems [12]. Auf welche Weise die Entscheidung über die affektive und evaluative Qualität der Valenz getroffen wird, ist zurzeit unbekannt. Auch die genaue Beziehung zwischen den

108

K. Sidiropoulos

a

11

..      Abb. 11.2  a,b Affektiv-motivationales Netzwerk. a  Wie man aus der vereinfachten schematischen Darstellung entnehmen kann, beteiligen sich bei der Verarbeitung von Gefühlen fast alle in dieser Sektion vorgestellten Netzwerke. Die Kerngebiete des DMN, das mediotemporale und mediodorsale Subsystem des DMN, die sensorischen Areale, das Exekutivkontrollnetzwerk (ECN), das Salienznetzwerk (SN) und verschiedenartige subkortikale Regionen, die Basalganglien, der Hypothalamus, die anterioren Kerne des Thalamus und die Kerne der Amygdala. Abkürzungen: aI  anteriore Insula, AKT  anteriore Kerne des Thalamus, BL basolaterale Amygdala, BVH  basales Vorderhirn, CeA zentraler Kern der Amygdala, CM  Corpora mammillaria, dACC  dorsaler anteriorer cingulärer Kortex, DLPFC dorsolateraler präfrontaler Kortex, DMPFC  dorsomedialer präfrontaler Kortex, Hippo  Hippocampus, Hypo Hypothalamus, ITC in-

terkalierte Zellen, mTG  mittlerer temporaler Gyrus, OFC orbitofrontaler Kortex, PCC posteriorer cingulärer Kortex, PHC Gyrus parahippocampalis, pIPL posteriorer inferiorer Parietallappen, preACC pregenualer anteriorer cingulärer Kortex, RH  rechte Hemisphäre, Rsp  retrosplenialer Kortex, TempP  Temporalpol, TPJ  temporoparietaler Übergang, VMPFC  ventromedialer präfrontaler Kortex, VLPFC ventrolateraler präfrontaler Kortex, VAN ventrales Aufmerksamkeitssystem, vPre ventraler Precuneus. b Die verschiedenen subkortikalen Kerne der Basalganglien bestehend aus dem dorsalen und ventralen Striatum und dem Globus pallidus sowie seine benachbarten Strukturen (Thalamus, Hypothalamus, Amygdala, Hypophyse, Hippocampus etc.), die Teile des affektiv-motivationalen Netzwerks sind. Weitere Erläuterungen finden sich im Text; iStock.: Stock-Datei-ID:484761352

109 Affektiv-motivationale Netzwerke – Impulskontrolle, Emotion, Motivation…

11

b

..      Abb. 11.2 (Fortsetzung)

orbitofrontalen, ventromedialen und dorsolateralen Arealen des präfrontalen Kortex ist noch nicht in allen Einzelheiten verstanden. Alle emotionsgeladenen Informationen über die externe und interne Umgebung gelangen modalitätsübergreifend aus dem pOFC über Afferenzen zum VMPFC [5, 9]. Der VMPFC scheint für die subjektive, unbewusste Empfindung von Emotionen entscheidend zu sein, wenn es sich um bereits bekannte Gedächtnisrepräsentationen handelt [5, 13]. Ist die emotionale Situation neu, beteiligt sich auch der VMPFC vorbewusst, wenn es darum geht, durch Selbstreflexion Handlungen auf Risiken abzuschätzen und die Aktivität der A ­ mygdala zu regulieren.

Die kognitiv-­pragmatische Evaluation eines neuen emotionalen Zustands, und daher die bewusste Verarbeitung, finden im DLPFC (Teil des Exekutivkontrollnetzwerks, ECN) statt [14]. In dieser Hinsicht sind erste Studien interessant, die zeigen, dass bezüglich der Aktivierung zwischen DLPFC und VMPFC eine Antikorrelation besteht. Je stärker die vorbewusste Empfindung eines emotionalen Stimulus ausfällt, desto stärker ist die VMPFC-Aktivierung, während der DLPFC inaktiv bleibt. Wird ein emotionaler Stimulus hingegen bewusst kognitiv-­pragmatisch bewertet, wird die Emotionsregulation präfrontal geleitet. Die DLPFC-Aktivität steigt dann an, während die von VMPFC reduziert

110

11

K. Sidiropoulos

wird (Näheres kann man bei [15] nachlesen). Die bewussten Strategien zur Kontrolle emotionaler Reaktionen sind hochkomplex und erfordern den Einsatz des Netzwerks der Exekutivfunktionen. Wenn zusätzlich soziale Komponenten und selbstreferenzielle Prozesse mitberücksichtigt werden, muss auch das DMN eingesetzt werden. Infolgedessen kann eine Dysfunktion im ECN und/oder im DMN zu einer Änderung der Konnektivität innerhalb der einzelnen Netzwerke, die für die Emotionsregulation zuständig sind, führen und es können Defizite bei der Orientierung, Erkennung und/oder Zuordnung der Aufmerksamkeit emotionaler Reize auftreten [16, 17]. DLPFC, VMPFC und ventrales Striatum (= Nucleus accumbens) arbeiten bei der Gefühlsvorhersage (= Antizipation) zusammen, wenn es nämlich darum geht, künftige Ereignisse auf deren emotionalen Gehalt vorherzusagen. Die Erwartung emotional angenehmer Reize aktiviert dabei im limbischen System das ventrale Striatum und kortikal das linksseitige DLPFC/VMPFC, während die Erwartung emotional unangenehmer Reize im limbischen System die Amygdala aktiviert und kortikal mit einer rechtseitigen VLPFC/VMPFC-­Aktivierung einhergeht [18]. Anders ausgedrückt gehen positive Emotionen ins Arbeitsgedächtnis ein, während negative unsere subjektive Bewertung der Umwelt und der vorbewussten Empfindung von Emotionen beeinflussen (siehe hierzu auch 7 Abschn. 15.8.2).  

11.1.3 

 otenz – Die Stärke der P Emotionen

Der dritte Aspekt des Differenzials der Empfindungen ist die Potenz. Sie sagt etwas über die Stärke aus, die von einer Emotion ausgeht, und darüber, ob eine Situation beherrscht werden kann oder nicht. „Freude“ ist z.  B. ein schwaches Gefühl und leicht

kontrollierbar, während „Traurigkeit“ emotional stark geladen und kaum beherrschbar ist. An der Regulierung der Potenz sind der DLPFC, der ventrolaterale präfrontale Kortex (VLPFC) und der dorsomediale präfrontale Kortex (DMPFC) beteiligt [5]. Dabei schwächt der linksseitige DLPFC über das ventrale Striatum positive Emotionen ab [19], während der VLPFC negative Emotionen dämpft, indem er die Aktivität der Amygdala reduziert [20, 21] (vgl. . Abb. 11.2a, grüne Routen).  

11.2 

Affektiv-motivationales Netzwerk und die ADHS

Früher wurde angenommen, dass bei der ADHS zwei voneinander getrennte Beeinträchtigungen vorliegen. Eine anatomisch-strukturelle bzw. funktionelle Störung innerhalb des ECN-Kreislaufs, die mit Beeinträchtigungen auf der Ebene der Kognition (Exekutiv- und Hemmfunktionen) einhergeht, während eine Störung in den limbischen Strukturen, allen voran den Basalganglien, zu einer Änderung der affektiv-­ motivationalen Verarbeitung und des Belohnungssystems führt [22]. Wie bereits in 7 Kap.  8 über das ECN ausführlich diskutiert, zeigen viele neue Studien, dass Dysfunktionen im Belohnungssystem (z.  B. eine Volumenminderung des ventralen Striatums) [23] negative Auswirkungen auf das gesamte frontostriatale System und das mesokortikolimbische Dopaminsystem (ventrales tegmentales Areal (VTA) – ventrales Striatum  – Nucleus reticularis) haben können [24] und die Differenzierung des präfrontalen Kortex beeinflussen. Die verringerte oder verzögerte funktionelle Segregation der präfrontalen Hirnregionen kann umgekehrt neben den kognitiven Störungen auch für die Emotionsdysregulation (= emotionale Impulsivität) von einigen ADHS-Patienten verantwortlich sein.  

11

111 Affektiv-motivationale Netzwerke – Impulskontrolle, Emotion, Motivation…

11.2.1 

Dysregulation des emotionalen Arousals – Emotionale Labilität und unpassende ReizReaktions-­Assoziationen

Ein Teil der Kinder und Jugendlichen mit einer ADHS zeigen eine ausgeprägte emotionale Labilität, sowohl aufgrund einer erhöhten positiven funktionellen Konnektivität im Ruhezustand (fKR) zwischen der Amygdala und dem ventralen pregenualen ACC als auch einer negativen fKR zwischen der bilateralen Amygdala und der posterioren Insula/dem Gyrus temporalis superior [25]. Bei der Präsentation von furchteinflößenden Gesichtern wurde bei Erwachsenen mit einer ADHS beobachtet, dass sie die Amygdala im Vergleich zu gleichaltrigen Kontrollpersonen besonders stark aktivieren, und es wurde eine stärkere Konnektivität zwischen Amygdala und lateralem PFC beschrieben [26]. Auch die Furchtkonditionierung kann bei einer ADHS dysfunktional sein, weshalb keine passenden Reiz-­Reaktions-­Schemata (S-R-Assoziationen) von affekt- und lustbetonten Empfindungen produziert werden können. Diesbezüglich scheint das dorsale Striatum beteiligt zu sein.

11.2.2 

 törung der emotionalen S Valenz – Verlust der Impulskontrolle und unpassende AntwortKonsequenz-­Assoziationen

Eine Störung im Regelkreis der emotionalen Valenz kann zu einem Verlust der Impulskontrolle wie bei einer ADHS [27] oder zur impulsiven Aggression wie bei der intermittierend explosiblen Störung führen [28].

Der VMPFC (als Teil des anterioren DMN) spielt zusammen mit dem Precuneus (als Teil des posterioren DMN) und dem orbitofrontalen Kortex, wie wir in 7 Kap.  10 über das DMN ausführlich besprochen haben, bei der Zukunftsplanung und anderen selbstreferenziellen Prozessen und insofern auch bei Motivationsprozessen und den Antwort-­Konsequenz Assoziationen (R-C-­ Assoziationen) eine wichtige Rolle. Bei einer ADHS besteht zwischen den genannten anterioren und posterioren DMN-Regionen eine atypische funktionelle Konnektivität, was zu einer dysfunktionalen Interaktion von motivationalen Prozessen mit dem Belohnungskreislauf führt.  

11.2.3 

Atypische Konnektivität des ventralen Striatum – Schwierigkeiten und Motivationsmangel bei der Planung und Durchführung komplexer Aufgaben

Das ventrale Striatum (= Nucleus accumbens) zeigt ebenfalls bei Kindern mit einer ADHS in funktionellen MRTs des Gehirns im Ruhezustand eine atypische Konnektivität. So besteht zwischen dem ventralen Striatum und dem linken anterioren (als Teil des ECNA) und mittleren präfrontalen Kortex (als Teil des ECNB) eine Hyperkonnektivität. Während die dysfunktionale Verbindung zu ECNA die Fehlleistungen der ADHS-Betroffenen, Pläne und Strategien für komplexe Aufgaben zu implementieren, erklären könnte, ist die atypische Verbindung zu ECNB für das Unvermögen einiger ADHS-Betroffener, zielgerichtetes Verhalten (= Motivation) durch die stabile Aufrechterhaltung von Aufgabensätzen zu steuern, verantwortlich [29–31].

112

K. Sidiropoulos

Störungen im Belohnungssystem und emotionale Dysregulation

11.2.4 

Der Kreislauf VTA – SN – ventrales Striatum  – Thalamus  – posteriores OFC  – limbisches System bildet einen Teil des Belohnungssystems im Gehirn ab (siehe . Abb.  11.2a). Durch diesen Kreislauf wird einem Reiz oder einer Handlung eine besonders positive Valenz zugesprochen, sodass in uns Freudengefühle aufkommen. Wir haben dann den Eindruck, dass etwas Wichtiges passiert, an das sich zu erinnern und das zu wiederholen sich lohnt. Ist dieser Kreislauf dysfunktional oder besteht im kortikostriatalen Netzwerk eine erhöhte Konnektivität [17], kommt es zu Störungen der Arbeitsweise des Belohnungssystems  – jenes Systems, das uns zum Handeln motiviert, wenn es eine Aussicht auf Belohnung besteht [16]. Funktionelle MRT-Studien bei ADHS zeigten eine verminderte Aktivierung des ventralen Striatums, während die Probanden geeignete Belohnungsreize präsentiert bekamen [32]. In diesem Zusammenhang zeigten Studien, dass Kinder und junge Erwachsene mit einer ADHS eine sofortige gegenüber einer zeitverzögerten Belohnung bevorzugen [33] und anfälliger für Substanzmissbrauch und andere Suchterkrankungen sind. Andere Arbeitsgruppen stellten die Hypothese auf, dass Personen mit einer ADHS Konsequenzen auf eine künftige Belohnung oder Nichtbelohnung nicht richtig einschätzen können und daher ein Verhalten zeigen, das durch übermäßige Herangehensweise gekennzeichnet ist [34]. Durch eine Störung im dopaminergen Belohnungssystem wird die Differenz zwischen der erreichten und der erwarteten Belohnung nicht richtig eingeschätzt und es kommt zu sogenannten Vorhersagefehlern. Eine Volumen- und Formkomprimierung des rechten Globus pallidus (Teil der Basalganglien, siehe . Abb. 11.2b), des Putamens und der  

11



Amygdala führt bei Jungen, nicht aber bei Mädchen mit einer ADHS zu einer emotionalen Dysregulation [35].

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115

Elektroenzephalografie und ADHS Inhaltsverzeichnis Kapitel 12

 ortikale Aktivität, EEG K und Signalverarbeitung – 117 Kyriakos Sidiropoulos, Beate Kilian und Gunnar Ströhle

Kapitel 13

ADHS-relevante Rhythmen – 137 Kyriakos Sidiropoulos und Beate Kilian

III

117

Kortikale Aktivität, EEG und Signalverarbeitung Kyriakos Sidiropoulos, Beate Kilian und Gunnar Ströhle Inhaltsverzeichnis 12.1

Kortikale Hypersäulen – 118

12.2

 pontane, evozierte und induzierte S Oszillationen – 118

12.3

Spontane und induzierte Oszillationen – 119

12.3.1

Lokale vs. globale Muster spontaner Aktivität – 119

12.4

Evozierte und ereigniskorrelierte Aktivität – 120

12.4.1 12.4.2 12.4.3 12.4.4 12.4.5 12.4.6

E xogene vs. endogene Komponenten – 121 EKPs und ADHS – 122 Das DC-EEG – 123 Die kontingente negative Variation – 128 Altersabhängige Änderungen der CNV-Komponenten – 128 Änderungen der CNV-Komponenten bei einer ADHS – 128

12.5

Digitalisierung und Aufspaltung des Rohsignals – 129

12.5.1

 ie Umwandlung eines analogen in ein digitales Signal im D Zeitbereich – 129 Die Frequenzbänder – 130

12.5.2

Literatur – 132

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 K. Sidiropoulos (Hrsg.), EEG-Neurofeedback bei ADS und ADHS, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65726-3_12

12

12

118

K. Sidiropoulos et al.

12.1 

Kortikale Hypersäulen

Vernon Mountcastle hatte im Jahre 1958 [1] im somatosensorischen Bereich der Großhirnrinde der Katze beobachtet, dass Zellverbände, die senkrecht zur Hirnoberfläche angeordnet sind, beinahe identische Rezeptorfelder aufweisen. Sie bilden eine vom Thalamus zur Großhirnrinde reichende Säule von Nervenverbänden mit einem Durchmesser zwischen 300 und 800  μm, die aus 50–100 Minisäulen bestehen. Die Nervenverbände weisen vertikal eine viel stärkere Konnektivität als horizontal auf, was darauf hindeutet, dass sie eine funktionelle Einheit bilden und bei bestimmten Reizmustern gleichzeitig (= synchron) aktiv werden (Horton 2005). Die Aktivierung in vertikaler Richtung erfolgt über NMDA-­ Rezeptoren. Eine derartig aufgebaute kortikale Hypersäule ist zuständig für die Erkennung eines bestimmten Reizmerkmals und bildet einen Teil einer kortikalen Repräsentation. Die Pyramidenzellen einer kortikalen Säule erstrecken sich über sechs unterschiedliche Laminaschichten des Kortex, sind für ein bestimmtes Reizmerkmal zuständig und reagieren bei wiederkehrenden Mustern auf die gleiche Art. Von oben nach unten trifft man die Schichten 55 LI  – molekulare (plexiforme) Schicht (stratum moleculare), 55 LII – äußere granulare Schicht (stratum cranulosum externum), 55 LIII – äußere pyramidenförmige Schicht (stratum pyramidale externum), 55 LIV – interne granulare Schicht (stratum cranulosum internum), 55 LV  – interne pyramidenförmige Schicht (stratum pyramidale internum) und 55 LVI  – multiförmige (fusiforme) Schicht (stratum multiformed). Die Schichten LII, LIII und zum Teil die LIV bestehen aus kleinen Pyramidenzellen, welche hauptsächlich auf benachbarte Zellen und kortikale Säulen projizieren. Die größeren Pyramidenzellen der LV und LVI

projizieren hingegen über Langstreckenverbindungen auf weit entfernte kortikale Areale und auf den Thalamus. Der Thalamus ist über reziproke Verbindungen mit LV/LVI verbunden, sodass er die Aktivität von weit entfernten kortikalen Arealen steuern kann [2]. 12.2 

 pontane, evozierte und S induzierte Oszillationen

Die elektrischen Potenzialänderungen der Großhirnrinde, die das Elektroenzephalogramm misst, entstehen durch eine Abfolge exzitatorischer und inhibitorischer Potenziale, die durch das synchrone Feuern mehrerer Nervenzellverbände entstehen. Durch die geometrische Anordnung der Pyramidenzellen senkrecht zur Hirnoberfläche ist es möglich, dass die elektrischen Felder aufsummiert werden. Es entstehen a. Oszillationen, die unabhängig von einem Stimulus auftreten (spontane Oszillationen), b. Oszillationen, die mit dem Reiz zeitlich gekoppelt sind, und zwar immer mit der gleichen Latenz (evozierte Oszillationen) und c. Oszillationen mit variablen Latenzen, die zwar mit einem Reiz zeitlich gekoppelt sind, aber nicht in einem exakt gleichen Zeitabstand in Erscheinung treten (induzierte Oszillationen) [3]. Es bestehen erste Hinweise, dass die spontanen Oszillationen die Aktivitätsschwankungen ausmachen, die in einem festgelegten Zeitpunkt endogen erzeugt werden, während die evozierten Oszillationen mit den ereigniskorrelierten Potenzialen deckungsgleich sind, und dass induzierte Potenziale eine komplexere Informationsverarbeitung widerspiegeln [4]. Dies ist jedoch nicht abschließend geklärt und Thema aktueller neurowissenschaftlicher Forschung [5]. Ereigniskorrelierte Potenziale (EKP) und Oszillationen (EKO), die an ex-

119 Kortikale Aktivität, EEG und Signalverarbeitung

terne Sinnesreize (z. B. einen Ton) oder interne Ereignisse (z. B. Emotion, Erwartung) gekoppelt sind, scheinen von benachbarten Netzwerken erzeugt zu werden, von Generatoren, die sogenannte Nahfeldpotenziale (engl. near-field potentials) erzeugen. Bei den spontanen und induzierten Oszillationen scheinen hingegen auch sogenannte Fernfeldpotenziale (engl. far-field potentials) eine Rolle zu spielen. Diese Oszillationen werden durch subkortikale Generatoren (z.  B.  Thalamus) erzeugt. Sie befinden sich daher in einem relativ großen Abstand zur Ableitelektrode und können nur indirekt durch das spontane EEG erfasst werden. Neurofeedbackmethoden nutzen sowohl spontane und induzierte Oszillationen als auch ereigniskorrelierte Potenziale und Oszillationen. Es ist daher sehr wichtig, diese Begriffe genauer zu verstehen, um die Wirkungsweise von Neurofeedback besser einordnen zu können. Während das Frequenzband-, das Z-Score- und das ILF-­ Training spontane und induzierte Oszillationen trainieren, versucht das Training der langsamen kortikalen Potenziale (engl. slow cortical potentials, SCP) die kontingente negative Variation (engl. contingent negative variation, CNV) zu beeinflussen. Die CNV ist ein Bereitschaftspotenzial und zählt somit zu den ereigniskorrelierten Potenzialen. Schauen wir aber zuerst die verschiedenen Oszillationsarten näher an. 12.3 

 pontane und induzierte S Oszillationen

Unter spontaner kortikaler Aktivität versteht man die neuronale Aktivität, die in Abwesenheit jeglicher externer Stimuli in Ruhe auftritt [6]. Früher wurde diese Aktivität als ein zufällig auftretendes Rauschen (engl. noise) aufgefasst, das vom Nutzsignal während einer kognitiven Aufgabe subtrahiert wurde [7]. Wie wir in unserer Beschreibung des DMN deutlich machen (vgl. 7 Abschn.  10.1) werden gegenwärtig  

12

sowohl diese Auffassung als auch die Annahme, dass es sich hierbei um die Aktivität des Gehirns im „Standby-Modus“ handelt, als verfehlt zurückgewiesen. 12.3.1 

 okale vs. globale Muster L spontaner Aktivität

Aktuell wird der Ansatz verfolgt, dass in Abwesenheit von Sinnesreizen oder experimentellen Verhaltensaufgaben intrinsische Prozesse, sogenannte Rhythmen, ablaufen, die die spontane Aktivität des Gehirns ausmachen. Es mehren sich die Hinweise, dass das Energiespektrum des Ruhezustands-­ EEG von den Alpha- und Theta-­Oszillationen dominiert wird, die von anatomisch distinkten Hirnarealen bzw. Netzwerken produziert werden. Diese spontanen elektrischen Rhythmen bestimmter kortikaler Areale sind miteinander korreliert, treten nicht zufällig auf und stellen folglich kein informationsirrelevantes Rauschen im Sinne einer diffusen, globalen Dynamik des Gehirns dar [8]. Vielmehr beeinflussen sie die interne und externe (z. B. die reizinduzierte) Informationsverarbeitung [9]. Man unterscheidet derzeitig zwischen lokalen und globalen Mustern spontaner Aktivität. Sie werden von unterschiedlichen Quellen generiert und haben eine andere raum-zeitliche Charakteristik. Extrinsische Ereignisse, die aus den peripheren Sinneszellen (z.  B. aus der Netzhaut) stammen, gelangen über den Thalamus zum visuellen Kortex und breiten sich dort als gering synchronisierte lokale Ereignisse aus. Es werden lokal nur wenige kortikale Neuronen aktiv, welche die topografische Organisation rezeptiver Felder im Kortex verfeinern. Kortexintrinsische Ereignisse hingegen haben eine hohe Synchronizität und verbreiten sich (ebenfalls über den Thalamus) großflächig in verschiedenen kortikalen Regionen. Dadurch wird die Stärke und Aktivität der synaptischen Verbindungen dieser Regionen reguliert [10].

120

12

K. Sidiropoulos et al.

Die lokalen und globalen Muster spontaner Aktivität korrelieren mit den Leistungen der schmalbandigen Alpha- und Theta-Oszillationen. Es wurde gezeigt, dass die Alpha-Aktivität den Grad funktioneller Hemmung wiedergibt und den Erregbarkeitszustand des Nervensystems reguliert [11]. Somit erleichtert die Alpha-Aktivität die Aufrechterhaltung von Repräsentationen im Arbeitsgedächtnis, da proaktiv Stimuli auf Relevanz kontrolliert und Störsignale inhibiert werden. Im Gegensatz hierzu sorgt die Theta-Aktivität für eine reaktive Kontrolle der Repräsentationen und sorgt dafür, dass Repräsentationen unterbrochen und aktualisiert werden, wenn die Aufmerksamkeit verlagert werden muss [12]. Die oszillierenden schmalbandigen Schwingungen, die im Ruhezustands-EEG auftreten, sind in skalenfreie, aperiodische Aktivitäten eingebettet, wie z.  B. das von kortikalen Pyramidenneuronen erzeugende 1/fβ-Rauschen. Die Amplitude dieses sogenannten Rosarauschens nimmt mit zunehmender Frequenz (f) und spektraler Steigung (β) ab. Die spektrale Steigung (auch Spektralgradient genannt) wird unter Verwendung einer linearen Regression berechnet. Sie ist ein Maß für die Schnelligkeit, mit der das Spektrum eines Signals in Richtung der hohen Frequenzen abfällt. So weist die Aktivität bei höheren im Vergleich zu niedrigen Frequenzen eine geringere Leistung auf. Diese exponentielle Leistungsabnahme folgt einer 1/f-Verteilung. Auf neuronaler Ebene gibt das β das Verhältnis zwischen Erregung und Hemmung wieder und zeigt den allgemeinen Erregungsgrad des Gehirns an. Die Werte des Rosarauschens schwanken bei verschiedenen kognitiven und physiologischen Zuständen [13]. Soziale Isolation und der Entzug sensorischer Reize führt zu einer Verringerung der Breitbandleistung [14], während bei Kindern mit einer ADHS steilere [15] und bei Jugendlichen mit einer ADHS flachere spektrale Leistungssteigungen beschrieben wurden [16, 17]. Die

Abflachung des Leistungsspektrums geht mit einer Störung des Gleichgewichts zwischen Erregung und Hemmung (E/I) einher. Bei Jugendlichen und Erwachsenen mit einer ADHS ist die inhibitorische Aktivität reduziert, während die exzitatorische erhöht ist. Kinder mit einer ADHS zeigen das entgegengesetzte Störungsmuster, sodass das E/I-­Verhältnis Werte kleiner als 1 annimmt. Donoghue und Kollegen [18] stellen die These auf, dass das erhöhte Theta/Beta-­ Verhältnis bei Kindern mit einer ADHS und die Störung des E/I-Gleichgewichts zusammenhängen. Demnach müssen Erwachsene mit einer ADHS ein niedriges Theta/Beta-­ Verhältnis aufweisen, da das E/I-Verhältnis Werte größer als 1 annimmt. Das E/I-­Gleichgewicht trägt zur Maximierung des Signal/Rausch-Verhältnisses in neuronalen Schaltungen bei [17]. 12.4 

Evozierte und ereigniskorrelierte Aktivität

Neben der spontanen rhythmischen Gehirnaktivität kann auch eine arhythmische kortikale Aktivität gemessen werden, die mit einem bestimmten Ereignis zeitlich gekoppelt (ereigniskorreliert) ist. Wenn man eine Erwartungshaltung einnimmt, kann dieses Potenzial vor (engl. pre-event) oder nach einem Ereignis (engl. post-event) auftreten. Die nach einem Ereignis ausgelösten Potenziale können direkt nach einem externen/ exogenen (z.  B. eine Sinneswahrnehmung) oder internen/endogenen (z.  B. ein kognitiver Prozess, eine Emotion, eine freiwillige Muskelbewegung) Reiz ausgelöst (evoziert) werden. Durch Mittelung des EEG-Signals im Zeitbereich werden ereigniskorrelierte Potenziale (EKP) berechnet, die aus mehreren positiven und negativen Komponenten bestehen [19]. Früher nahm man an, dass die evozierte Aktivität die spontane Hintergrundaktivität des EEGs überlagert und mathematisch über eine Subtraktion davon getrennt wer-

12

121 Kortikale Aktivität, EEG und Signalverarbeitung

den kann (siehe oben). Inzwischen wird davon ausgegangen, dass diese Art der Berechnung der evozierten Aktivität nur bedingt sinnvoll ist, da es sich auf physiologischer Ebene nicht um zwei voneinander unabhängige Aktivitäten handelt. Vielmehr wird angenommen, dass sowohl die Leistung als auch die Phase der Oszillationen vor und während des Ereignisses eine wesentliche Rolle für die Ausprägung der ereigniskorrelierten Aktivität spielen [20, 21]. Ereigniskorrelierte Aktivität wird teilweise auch über ein Reset der Phase der Oszillationen in den beteiligten Nervenzellverbänden moduliert (Hanslmayr et al. [22, 23]). Solch ein Reset bewirkt, dass Oszillationen gleicher Frequenz (z. B. 4–7 Hz oder 10–12 Hz) in Folge eines bestimmten sensorischen oder kognitiven Ereignisses in ihrer Phase kohärenter, also stärker im Gleichklang schwingen. Dadurch erhöht sich ereignisbezogen die Synchronizität (ERS). Bei einer Desynchronisation können die Phasen stärker variieren und die Nervenzellverbände oszillieren weniger im Gleichklang. Mathematisch gesprochen befinden sich also man-



exogene Komponenten Hirnstamm Die Forschungen zeigen, dass im DC-­ Bereich des EEG unerwünschte Artefakte von tatsächlicher Gehirnaktivität diskriminiert werden können und dass DC-Potenzialschwankungen interessante biologische, elektrophysiologische und Verhaltenskorrelate aufweisen. Verschiedene Anwendungsgebiete existieren im Bereich der Diagnostik und Behandlung der ADHS.

Während hier auf die Grundlagen von DC-Potenzialen eingegangen wurde, werden in Sektion IV Neurofeedbacktrainingsansätze vorgestellt, deren elektrophysiologische Grundlagen in DC-Potenzialen liegen (siehe 7 Kap. 16 und 17).  

128

K. Sidiropoulos et al.

 ie kontingente negative D Variation

12.4.4 

Die kontingente negative Variation (CNV) des EEGs ist die negative Gleichspannungsverschiebung, die man zwischen Warnreiz (z.  B. rote Ampel) und Imperativreiz (z.  B. grüne Ampel) beobachtet. Sie setzt ­gewöhnlich erst nach ca. 500  ms ein und wird mit der phasischen Wachheit (siehe 7 Abschn.  3.1.1) in Verbindung gebracht. Die Höhe der Verschiebung ist proportional zur Aufmerksamkeit des Wahrnehmenden und hängt von der Wichtigkeit ab, die er einem Signal beimisst. Die Struktur der CNV-­ Welle ist typischerweise biphasisch, das bedeutet, sie besteht aus zwei Gipfeln (vgl. . Abb. 12.5). Der frühe negative Gipfel (CNV1) geht mit Orientierungsreaktionen einher, während beim späten zweiten Gipfel (CNV2) bereits eine Erwartung entsteht und die (motorische bzw. mentale) Handlung vorbereitet wird. Die gesamte Dauer dieser biphasischen Welle nennt man Latenz, sie kann bis zu 2 s andauern. Je kürzer die Latenz ist, desto schneller läuft die Reizverarbeitung ab [53–58].  



Altersabhängige Änderungen der CNV-Komponenten

Es wurde häufig berichtet, dass die Amplitude beider CNV-Komponenten während der Kindheit und Adoleszenz stetig zunimmt, mit dem natürlichen Alterungsprozess oder als Folge von Gehirnverletzungen hingegen abnimmt. Gleichzeitig zeigen jüngere Kinder eine andere Topografie der CNV-Aktivität im Vergleich zu älteren Kindern, möglicherweise aufgrund einer Unreife der präfrontalen Gehirnregionen. Insgesamt scheint die CNV also auf eine Weise von der Funktionsfähigkeit präfrontaler Strukturen abzuhängen (mehr dazu [59]). 12.4.6 

 nderungen der CNVÄ Komponenten bei einer ADHS

Bei Kindern mit einer ADHS beobachtet man im Vergleich zu Gleichaltrigen vor allem in den frontalen Hirnregionen eine

CNV 1

CNV 2

Amplitude in µV

12

12.4.5 

0

700

S1 - Warnreiz +

..      Abb. 12.5  Die kontingente negative Variation (CNV)

1800 2100

S2 - Imperativreiz

Zeit in ms

129 Kortikale Aktivität, EEG und Signalverarbeitung

kleinere Amplitude der CNV [60–62]. Dies kann als dysfunktionale Regulation der energetischen Ressourcen interpretiert werden oder als neurophysiologisches Entwicklungsdefizit [59]. Die Latenz der CNV kann einerseits verkürzt sein, was damit einhergeht, dass die Kinder die Reize zwar schneller verarbeiten könnten, jedoch mehr Flüchtigkeitsfehler begehen. Andererseits kann sie länger sein, das bedeutet, die Reizverarbeitung verläuft dann insgesamt langsamer. Eine Störung in der Amplitude und/ oder in der Latenz der CNV wird allgemein als Hinweis auf eine verringerte phasische Wachheit angesehen [54, 63].

12.5 

Digitalisierung und Aufspaltung des Rohsignals

12.5.1 

 ie Umwandlung eines D analogen in ein digitales Signal im Zeitbereich

Durch die spontane kortikale Aktivität entstehen auf der Kopfoberfläche sehr schwache Potenzialänderungen mit einer Spannung zwischen 10 und 100  μV, die durch das EEG aufgezeichnet werden. Um die schwachen Signale weiterberarbeiten zu können, verstärkt man daher durch einen Differenzialverstärker die Potenzialdifferenz, die zwischen der Referenz- und der Ableit- oder Messelektrode entsteht. Da Rechner noch nicht in der Lage sind, zeitkontinuierliche Signale wie die des EEGs aufzuzeichnen, sondern nur Zahlen, muss zuerst das analoge Signal in festgelegten Zeitabständen abgetastet und sein momentaner Wert ermittelt werden. Auf diese Weise wird das analoge/zeitkontinuierliche in ein

12

zeitdiskretes/digitales Signal umgewandelt. Wenn die Abtastrate (engl. sampling rate) 256 beträgt, bedeutet dies, dass das Signal in der Zeitachse 256-mal in der Sekunde abgetastet wird und dass der arithmetische Wert der Signalamplitude an allen Elektroden abgelesen wird, ein Vorgang, den man Quantisierung nennt. Aus den einzelnen diskreten Messwerten kann man dann den Verlauf der Potenzialschwankungen des zeitkontinuierlichen Signals rekonstruieren. Allerdings gibt es hier eine physikalische Einschränkung, die durch das Nyquist-Shannon’sche Abtasttheorem wiedergegeben wird. Nach diesem Theorem muss die Abtastrate mindestens doppelt so groß wie die höchste analoge Frequenzkomponente sein, damit keine Verzehrungseffekte, sogenannte Unterabtastfehler (engl. aliasing), auftreten [64]. Mithilfe einer Abtastrate von mindestens 256  Hz pro Sekunde lassen sich alle physiologisch relevanten EEG-Frequenzen (0–128 Hz) korrekt darstellen. Um Aliasing-­ Effekte zu vermeiden, setzt man vor der Abtastung Tiefpassfilter ein, die hohe Frequenzen nicht durchlassen. Sehr tiefe Frequenzen, die keinen biologischen Ursprung haben, werden ebenfalls vom Signal durch einen Hochpassfilter eliminiert. Dies ist inzwischen technisch selbst im Infra-low-­ frequency(ILF)-Bereich möglich. 12.5.1.1

Frequenz, Amplitude, Phase und Kohärenz

Die Spannungsamplitude des Roh-EEG-­ Signals kann als Funktion der Zeit grafisch dargestellt werden (siehe . Abb.  12.6). Da periodische Signale einfacher im Frequenzals im Zeitbereich analysiert werden, wird das Signal in seine einzelnen Frequenzkomponenten (= Spektrum) zerlegt. Dieser Vorgang wird Frequenz- oder Spektralanalyse genannt.  

130

K. Sidiropoulos et al.

..      Abb. 12.6  Das Roh-EEG. Die Zeit in Sekunden (sec) ist auf der x-Achse, die Spannung in μV auf der y-Achse aufgetragen. (Abbildung aus BioTrace+ (www.minmedia.com))

12

Das Zeitsignal des Roh-EEGs ist ein zusammengesetztes Signal und das Ergebnis der Überlappung (Superposition) mehrerer Sinuswellen. Eine Sinuswelle lässt sich mathematisch durch eine charakteristische Frequenz, Amplitude und Phase ausreichend beschreiben. Dabei gibt die Frequenz an, wie häufig sich eine Potenzialschwankung im Laufe der Zeit (man nennt sie auch Periodendauer) in gleicher Form wiederholt. Ihre Einheit ist Hertz (1 Hz = 1/s). Die Spannungsamplitude zeigt dabei an, mit welcher maximalen Auslenkung die Welle um die Ruhelage schwingt. Eine volle Kreisbewegung (360°) entspricht einer kompletten Schwingung der Welle. Der momentane Winkel, in dem sich die Welle im Kreis befindet, wird Phase genannt. Zwei Wellen gleicher Frequenz können bei einer relativen Phasenlage von 0° bzw. 360° gleichphasig sein oder mit unterschiedlichen Phasen schwingen. Sie haben die Eigenschaft, ihre Phasenbeziehung zueinander fest aufrechterhalten zu können, man spricht dann von Kohärenz. Zwei räumlich getrennte Hirnregionen können sich koppeln (funktionelle Konnektivität), indem sie einen Zustand der Phasenkohärenz herstellen. Diese gleichphasigen Signale können sich auch addieren, sodass es zu einem stärkeren Anstieg der Amplitude kommt. Dann spricht man von Phasensynchronisation. Durch eine Phasenverschiebung von zwei Signalverläufen kann es zu Desynchronisation und somit zu einer funktionellen Entkoppelung kommen. Synchronisation und Desynchronisation sind von großer Bedeutung im Informationsaustausch zwischen verschiedenen Hirnregionen [65].

12.5.2 

Die Frequenzbänder

Die reine Sinuswelle lässt sich aufgrund einer Naturgesetzmäßigkeit, die durch die heisenbergsche Unschärferelation beschrieben wird, nicht realisieren. Daher findet man in der Natur Wellenpakete vor, die das Ergebnis der Überlappung von mindestens zwei Sinuswellen bzw. F ­requenzbändern sind. Während man bei Sinuswellenpaketen jeder Sinuswelle eine einzelne Frequenz zuordnen kann, enthält ein Frequenzband Anteile innerhalb eines festgelegten Frequenzbereiches. So schwingen z. B. alle Wellen im Beta-1-Band mit einer Frequenz zwischen 12–15 Hz. 12.5.2.1

Fourier-Transformation

Um die einzelnen Frequenzbänder aus dem Zeitsignal des Roh-EEGs in den Frequenzbereich zu extrahieren, kann man eine Fourier-­ Transformation durchführen. Auf diese Weise wird das Frequenzspektrum bestimmt. Wenn man einen kleinen Abschnitt des Rohsignals betrachtet, erkennt man sehr leicht, dass sich die Spektralkomponenten des Signals im Laufe der Zeit ständig verändern (vgl. . Abb. 12.7). Das EEG-Signal ist kontinuierlich und enthält sehr viel Varianz. Um die Varianz zu reduzieren, kann man das Signal für kleine Abschnitte (Fenster) als stationär betrachten. Mithilfe der diskreten Fourier-­Transformation werden zeitdiskrete Sequenzen in Frequenzsequenzen umgewandelt. Praktisch ist es aber sehr rechenaufwendig, das Rohsignal anhand einer diskreten Fourier-­ Transformation in seine Bestandteile zu zerlegen. Um den  

12

131 Kortikale Aktivität, EEG und Signalverarbeitung

..      Abb. 12.7  Spannungs-Zeit-Diagramm. Verschiedene Frequenzbänder bei einer monopolaren Ableitung mit geschlossenen Augen auf Cz. Die Alpha-Spannung ist besonders dominant. Auf der x-Achse die Zeit in Se-

kunden (sec) und auf der y-Achse die Spannung in μV. SMR sensomotrischer Rhythmus. (Abbildung aus BioTrace+ (www.minmedia.com))

Rechenaufwand zu reduzieren, wurde die schnelle Fourier-­Transformation (engl. fast Fourier transformation, FFT) entwickelt.

Die absolute Leistung (engl. absolute power) z.  B. des Alpha-Bandes entspricht der eingezeichneten blauen Fläche. Sie ist das Integral aller Leistungswerte innerhalb des Frequenzbereichs zwischen 8 und 12 Hz. Die absolute Leistung ist definiert als die Summe der einzelnen Leistungswerte innerhalb eines Frequenzbandes. Sie ist ein Maß für die Leistungs- und somit die Energieverteilung eines EEG-Signals. Beim Z-score-­ Training werden die gemessenen Leistungswerte mit einer Datenbank verglichen und die jeweilige Standardabweichung errechnet. Dazu werden beispielsweise im Algorithmus von qEEG-Pro die 200 dem Alter nach nächstliegenden Datensätze des gleichen Geschlechts herangezogen (vgl. 7 Kap. 18). Mithilfe der Werte aus der absoluten Power können auch Quotienten (engl. ratios) gebildet werden, wie beispielsweise der im Frequenzbandtraining verwendete Theta/ Beta-Quotient, der das Verhältnis der absoluten Power-Werte aus dem Theta- und Beta-Band zueinander abbildet. Weil sich die Werte der absoluten Leistung intersubjektiv stark unterschieden und schwer vergleichbar waren, führte man zusätzlich den Begriff der relativen Leistung (engl. relative power) ein. Die relative Leistung gibt die Relation der absoluten Leistung einer Welle zur absoluten Gesamtaktivität im EEG wieder [66]. Auch die relative Leistung kann beim Z-Score-Training mit einer normativen Datenbank abgeglichen und trainiert werden.

12.5.2.2

 bsolute vs. relative Power A und Quotienten (sogenannte Ratios)

Mithilfe von FFT-Algorithmen kann das digitale Signal innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls in seine Frequenzanteile zerlegt und in ein Signal umgewandelt werden, dessen quadrierte Amplitude eine Funktion der Frequenz ist. Diese wird auch Leistungs(spektrums)dichte (engl. power spectral density) oder einfach Leistung (engl. power) genannt, ihre Einheit ist quadrierte Microvolt (μV2) oder Picowatt (pW). Die spektrale Leistungsdichte für eine gegebene Frequenz entspricht dem Zeitintegral über der quadrierten Amplitude der bei dieser Frequenz vorliegenden Sinusschwingung. Sie ist ein Flächenmaß für die Aktivität des EEG eines bestimmten Frequenzbands und wird üblicherweise in Microvolt pro Hertz (μV2/Hz) bzw. Picowatt pro Hertz (pW/Hz) angegeben. Durch eine FFT erhält man ein Leistungsspektrogramm (engl. power spectrogram). Aus diesem Leistungsspektrogramm kann man die Spektraldichte innerhalb eines Frequenzbandes durch ein Flächenintegral berechnen (siehe . Abb.  12.8). Addiert man die Leistungsdichte aller Frequenzbänder, so ergibt sich die absolute Gesamtaktivität.  



132

K. Sidiropoulos et al.

5.0

Leistungsspektrumsdichte (μV2)

4.0

3.0 absolute Alpha-Power 2.0

1.0

0.0

0

10

20

30

40

50

Frequencz (Hz)

12

..      Abb. 12.8  Welchs Periodogramm. Mithilfe der Welch-Methode ist es möglich, die Leistung eines Signals bei verschiedenen Frequenzen zu schätzen. Die

Leistungsdichte in μV2 wird gegen die Frequenz in Hz aufgetragen. (Abbildung aus BioTrace+ (www.minmedia.com))

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13.2.3 

Rhythmische tonische Alpha-Oszillationen



Gegenwärtig wird angenommen, dass die spontanen tonischen Alpha-Oszillationen die allgemeine Erregbarkeit von Hirnregionen hemmen und interferierende Prozesse unterbinden, welche im parietookzipitalen Bereich eng mit der sensorischen Informationsverarbeitung zusammenhängen. Die „Dominanz“ des tonischen Alpha über die parietookzipitalen Bereiche wird als Hinweis interpretiert, dass diese Regionen über Hemmungsprozesse den visuellen Kortex deaktivieren und die verschiedenartigen Prozesse des hinteren DMN in die Wege leiten (siehe auch 7 Abschn.  10.1). Mit zunehmender Schläfrigkeit und Müdigkeit haben wir eine Verschiebung der Dominanz in Richtung zentraler und frontaler Regionen [33]. Solange die spontanen rhythmischen Alpha-Oszillationen posterior-­ okzipital ansteigen, fällt die neuronale 13.2.4  Arhythmische ereignisbezogene Aktivität und somit der SauerstoffverAlpha-Oszillationen brauch (BOLD-Signal) in diesen Gebieten ab. Die tonischen Alpha-Rhythmen stehen daher in einem negativen Zusammenhang In Zusammenhang mit bestimmten menmit dem kortikalen Arousal [2, 34]. Studien talen Ereignissen (z.  B. während einer kozur funktionellen Magnetresonanztomo- gnitiven Aufgabe, bei der visuellen Wahrgrafie (fMRT) bestätigen diese negative Kor- nehmung oder in Zusammenhang mit relation [35]. Die einzigen Hirnregionen, die Aufmerksamkeitsprozessen) kommt es bezüglich ihrer Stoffwechselaktivität pro- räumlich selektiv und zeitlich begrenzt zu portional mit den tonischen Alpha-Oszilla- einem Aktivierungsmuster aus Desynchronitionen in den parietookzipitalen Regionen sation und Synchronisation der Alpha- und zusammenhängen, sind der Thalamus als Beta-Oszillationen ([32, 39–41], ÜbersichtsGenerator dieser Wellen und die Insula als artikeln) in verschiedenen Hirnregionen.  

13

Teil des Salienznetzwerks (SN) [36]. Die tonischen Alpha-Oszillationen werden durch die synchrone und kohärente Aktivität der Schrittmacherzellen (engl. pacemaker cells) des thalamischen Nucleus reticularis produziert [37]. Beide Regionen zusammen sorgen dafür, dass der Nucleus reticularis die thalamischen Relaisneuronen hemmt. Die Zunahme der tonischen Entladungsrate des Locus coeruleus führt zur Desynchronisation kortikaler Strukturen und sorgt auch für den Zerfall dieser Alpha-­ Wellen (vgl. 7 Abschn. 6.2). Die rhythmische Alpha-Aktivität nimmt bei endogenen, selbstgesteuerten Vorgängen zu und schwächt sich in den parietookzipitalen Regionen mit dem Öffnen der Augen ab (sogenanntes Alpha-Blocking oder Berger-Effekt) [1]. Dasselbe tritt auf, wenn man bei geschlossenen Augen eine Rechenoperation im Kopf ausführt oder seine Aufmerksamkeit auf einen visuellen Stimulus richtet. Beim Zerfall des rhythmischen Alpha kommt es zu einer Alpha-­Leistungsabnahme von bis zu 60 % [34]. Wenn endogene, selbstgesteuerte Mechanismen, die mit kortikalen Inhibitionsprozessen zusammenhängen (wie beispielsweise dem Zurückhalten einer motorischen Antwort) in exogene, sensorisch gesteuerte übergehen, beobachtet man ebenfalls eine Abnahme der rhythmischen Alpha-Leistung [32, 38].

143 ADHS-relevante Rhythmen

Bei Anforderungen an die semantische Verarbeitung eines Reizes beispielsweise nimmt in Folge die Leistung der Desynchronisation der Alpha-Aktivität (ERD) zu. Umgekehrt zeigt sich lokal ein Anstieg der ereignisbezogenen Synchronisation (ERS) im Alphaband, z.  B. wenn sensorische Informationen unterdrückt und Gedächtnisinhalte im Arbeitsspeicher aufrechterhalten werden sollen (siehe [32] für eine ausführliche Übersicht entsprechender Befunde). Über ein Reset der Phase und einen Anstieg der ERS in Folge werden frühe aufmerksamkeitsbezogene ereigniskorrelierte Potenziale (P1 und N1) top-down moduliert [42] (siehe 7 Abschn. 12.4). Die P1 spiegelt dabei vermutlich einen aktiven Inhibitionsprozess wider, welcher die sensorische Wahrnehmung, Reizverarbeitungsprozesse oder den Abruf von Gedächtnisinhalten effizienter ablaufen lässt. Umgekehrt geht eine Desynchronisation damit einher, dass bestimmte sensorische Hirnareale aus der Hemmung entkoppelt werden [16, 43]. Bei der kognitiven Verarbeitung sensorischer Informationen beobachtet man dieses Aktivierungsmuster von ERS/ERD im oberen Alphaband auch kleinflächig in Bezug auf sehr eng gefasste kortikale Regionen [39, 40]. Das Prinzip der Fokussierung auf bestimmte räumliche Informationen durch Unterdrückung irrelevanter Umgebungsreize ist ein neurophysiologisches Prinzip, welches auch auf der Ebene einzelner Nervenzellen gefunden wird [44]. Auf der Ebene der Zellverbände und Netzwerke wird dieses Prinzip über Oszillationen realisiert, u.  a. über die Oszillationen im oberen Alphaband [45, 46]. Die Aktivität des oberen Alpha-Rhythmus (α2, 10–12 Hz) erhöht sich, wenn irrelevante oder potenziell störende sensorische Informationen aus der Umgebung gezielt unterdrückt werden müssen [47]. Zu einer Kontrastverstärkung kommt es, indem die Alpha-Oszillationen die Gamma-Amplitude modulieren, während die Modulation der Gamma-Phase zu einer Reaktionsverstärkung führt [48]. Dies  

13

wird über das Salienznetzwerk reguliert, welches top-down die Aktivität des dorsalen Aufmerksamkeitssystems vermindert und modulatorisch auf die Aktivität des Thalamus wirkt, sodass die Aufmerksamkeit nur auf Teilaspekte der Sinneswelt gelenkt wird. Auf diese Weise schärft sich der Fokus der Aufmerksamkeit (siehe 7 Abschn.  6.2). Somit spielen die ereignisbezogenen Muster von Desynchronisation und Synchronisation der Alpha-­ Oszillationen eine bedeutende Rolle bei der bewussten, gezielten Reizverarbeitung und der selektiven Aufmerksamkeit [32, 38].  

13.2.5 

Desynchronisation der Alpha-Oszillationen und Erkennung von Emotionen

Es wird vermutet, dass eine Desynchronisation der Alpha-Oszillationen in posterioren Arealen mit der unbewussten Erkennung von Emotionen anhand des Gesichtsausdrucks einer Person in Zusammenhang stehen [49]. Palva und Palva [37] weisen darauf hin, dass die ereignisinduzierten Amplitudenveränderungen sich nur geringfügig auf die Gesamtamplitude in dem jeweiligen kortikalen Bereich auswirken. Gleichzeitig konnten Hanslmayr und Kollegen [50] zeigen, dass eine mit Neurofeedback herbeigeführte Steigerung der Amplitude im oberen Alpha-Frequenzbereich des Ruhe-EEGs auch die kognitive Leistungsfähigkeit der Probanden steigerte. Linkenkaer-Hansen und Kollegen [51] nehmen bei geöffneten Augen einen U-förmigen Verlauf der oberen Alpha-Aktivität an und gehen davon aus, dass nur eine mittlere arhythmische Alpha-Aktivität die sensorische Wahrnehmung positiv beeinflusst. Durch die Unterdrückung der sensorischen Informationsverarbeitung über mehrere Modalitäten (z. B. auditiv, visuell etc.) hinweg ist man in der Lage, seine Aufmerksamkeit zu fokussieren, um beispielsweise neue Informationen im Arbeitsspeicher

144

K. Sidiropoulos und B. Kilian

aufrechtzuerhalten, Langzeitgedächtnisinhalte abzurufen, eine kurze gedankliche Pause während einer kognitiven Aufgabe einzulegen oder sich selbst zu beobachten (Introspektion) [40, 52–54]. Daher wird angenommen, dass das arhythmische, obere Alphaband in einem Zustand geistiger Achtsamkeit auftritt und hauptsächlich mit dem Arbeitsgedächtnis verbunden ist. Die untere Alpha-Aktivität hingegen tritt bei diffusen Aufmerksamkeitsprozessen auf und spielt bei der Aktivitätsregulierung des Gehirns (aktiver Zustand vs. Ruhezustand) eine bedeutende Rolle [32]. 13.2.6 

13

Weitere alpha-ähnliche Rhythmen: Der μ-Rhythmus

Außer den beschriebenen parietookzipitalen Alpha-Rhythmen gibt es verschiedene alpha-ähnliche Rhythmen, die unterschiedliche Ursprungsorte und Entstehungsursachen haben. Ein alpha-ähnlicher Rhythmus, der zentral (Cz, Fz) und über die kontralateralen frontalen (F3 bzw. F4) und sensomotorischen Gebiete (C3 bzw. C4) gemessen werden kann, ist der sog. μ[mi]-Rhythmus (8–13  Hz). Früher wurde angenommen, dass der μ-Rhythmus auftritt, wenn die Hände und Arme unbeweglich sind. Neueste Untersuchungen legen nahe, dass der μ-Rhythmus kein einheitliches Phänomen ist, sondern verschiedene Prozesse abbildet, wenn auditive und visuelle Informationen in Handlungen umgewandelt werden müssen. Diese Fertigkeit ist von großer Bedeutung für das Lernen durch Nachahmung [34]. Es scheint, dass der μ-Rhythmus innerhalb des ventralen frontoparietalen Netzwerks (VAN) (siehe 7 Abschn.  9.3) eine wichtige Rolle spielt. Als Entstehungsort dieses Rhythmus wird der Nucleus ventralis posterolateralis angenommen. Der μ-Rhythmus ist unabhängig vom Öffnen der Augen, schwächt  

sich aber nach dem gleichen Prinzip wie das tonisch-rhythmische Alpha ab, wenn man aus dem entspannten Zustand heraustritt und die Extremitäten bewegt oder sich eine Bewegung vorstellt. Auch ein weiterer alpha-ähnlicher Rhythmus wurde im wachen Zustand mit geschlossenen Augen beschrieben. Er tritt unabhängig von den beiden anderen auf und ist besonders prominent in den temporalen Regionen, wenn man keine auditiven Stimuli wahrnimmt. Der genaue Generator und die Funktion dieses Rhythmus sind unbekannt [55]. >> Das tonische rhythmische Alpha verhält sich umgekehrt proportional zur kortikalen Erregung, während das arhythmische ereignisbezogene Aktivierungsmuster von Synchronisation und Desynchronisation (ERS und ERD) im oberen Alphaband ein neurophysiologisches Maß für Prozesse der selektiven Reizverarbeitung ist. Die Fokussierung auf bestimmte Gedächtnisinhalte durch die Unterdrückung störender Informationen sowie die Fokussierung auf bestimmte räumliche Informationen durch die Unterdrückung der Verarbeitung irrelevanter Umgebungsreize werden durch diesen Mechanismus reguliert.

13.3 

Beta-Aktivität

Das Betaband umfasst den Frequenzbereich zwischen 12 und 30 Hz und wird in drei Abschnitte unterteilt: 55 das langsame Beta1-Band oder den sensomotorischen Rhythmus (12–15 Hz, SMR), 55 das langsame Beta2- (15–21 Hz) und 55 das schnelle Beta3-Band (21–30 Hz) mit einer Amplitude zwischen 20 und 30 μV. Die Beta-Wellen laufen ab einer Frequenz von 15 Hz eher asynchron als rhythmisch ab (siehe . Abb.  13.3a). Nur der sogenannte  

145 ADHS-relevante Rhythmen

13

a

b

..      Abb. 13.3  a Beta-Wellen, b SMR-Wellen. (Abbildung aus BioTrace+ (www.minmedia.com))

sensomotorische Rhythmus (engl. sensorimotor rhythm, SMR) oszilliert synchron und spindelförmig (siehe . Abb.  13.3b). Beim SMR handelt es sich um Oszillationen, die im mediodorsalen Thalamus und Nucleus subthalamicus bottom-up ihren Ursprung haben [56] oder top-down im Frontallappen generiert werden und sich dann in den Basalganglien ausbreiten. Die asynchronen frontozentralen Beta-Wellen hingegen scheinen sowohl im Hirnstamm als auch in verschiedenen kortikalen Arealen generiert zu werden. Der Ursprung der Beta-Rhythmen im Gehirn ist allerdings noch nicht bis in alle Details geklärt. Auch bidirektionale Modelle wurden in Erwägung gezogen [57]. Asynchrone Beta-­ Oszillationen treten bei geistiger Aktivität meistens im frontozentralen Bereich auf, während synchrone SMR-Wellen (auch rollandische Beta-Rhythmen genannt) speziell entlang des sensomotorischen Streifens des Kortex (C3, Cz, C4) gemessen werden [58].  

13.3.1 

Sensomotorischer Rhythmus

Der sensomotorische Rhythmus nimmt immer dann zu, wenn die Aktivität der sensorischen und motorischen Bahnen, die durch den Thalamus laufen, verringert wird,

also immer dann, wenn die Aufmerksamkeit nicht auf den sensorischen Input und/ oder den motorischen Output ausgerichtet ist. Die SMR scheint eine induzierte Oszillation zu sein, die auf eine fortlaufende sensomotorische Integration hinweist [59]. Um die SMR-Aktivität zu erhöhen, ist es notwendig, aber nicht ausreichend, dass man sich ruhig verhält. Wenn man sich körperlich bewegt, auf der zum Messpunkt kontralateralen Seite berührt wird, eine motorische Handlung selbst plant oder initiiert, vermindert sich die Beta-Aktivität in Folge, sie wird ereignisbezogen desynchronisiert (ERD) [60– 62]. Ist die Bewegung ausgeführt, findet eine Resynchronisation (ERS) statt [63, 64]. Eine ERS im Beta-­Frequenzbereich wurde außerdem mit der Unterdrückung (Inhibition) ungewollter oder verfrühter motorischer Handlungen in Verbindung gebracht [61]. Eine Beta-ERD kann auch auftreten, wenn Probanden sich eine motorische Handlung vorstellen oder bei einer anderen Person beobachten, was zu der Interpretation führte, dass die SMR-­ Aktivität bei Menschen durch das Spiegelneuronensystem unterdrückt wird [65]. Andere Studien zeigten in einem Glückspielparadigma eine inverse Abhängigkeit der Beta-Aktivität zur Höhe der potenziellen Belohnung. Je höher die Belohnung ausfiel, desto kleiner war die spektrale Power der SMR-Oszillation [66].

146

K. Sidiropoulos und B. Kilian

Frontale Beta3-­ Wellen hingegen waren in einer Arbeitsgedächtnisaufgabe in denjenigen Durchgängen höher, in denen eine höhere monetäre Belohnung im Falle einer richtigen Antwort zu erwarten war [67]. 13.3.2 

13

Asynchrone BetaOszillationen und Arbeitsgedächtnis

Asynchrone Beta-Oszillationen sind besonders dominant bei kognitiver oder körperlicher Aktivität, wenn Reize bewertet und Entscheidungen getroffen werden  – Aufgaben, die klassischerweise mit dem Arbeitsgedächtnis assoziiert sind. Da der laterale präfrontale Kortex (dlPFC, vlPFC) sich sowohl bei der Aufrechterhaltung als auch beim Löschen eines Gedächtnisinhalts beteiligt, wird in jüngeren Studien angenommen, dass Modulationen der frontozentralen Beta-Aktivität in diesen Gebieten mit bestimmten Arbeitsgedächtnisfunktionen zusammenhängen [68]. Beim Enkodieren und Auslesen der Informationen erhöhen sich zuerst die Gamma- und verringern sich die Beta-Oszillationen. Dann folgt eine mittelstarke Erhöhung der synchronen Beta-­Oszillationen, die dazu dient, den aktuellen Gedächtnisinhalt im Arbeitsspeicher vor Interferenzen zu schützen. Die mittelstarke Erhöhung synchroner Beta-Oszillationen vor allem in zentralen und subthalamischen Hirnregionen hat eine hemmende ­Filterfunktion, wenn es z. B. darum geht, Ablenkreize zu eliminieren [69]. Am Ende einer kognitiven Aufgabe wird schließlich ein starker Anstieg der frontalen Beta-­Oszillationen in der rechten Hirnhälfte aufgezeichnet, was motorische Aktionen oder den Abruf von Gedächtnisinhalten aus dem Langzeitgedächtnis unterdrücken kann. Dieser Anstieg spiegelt das Löschen des Gedächtnisinhalts aus dem Arbeitsspeicher wider [57].

Traditionell geht man beim Neurofeedback von der Annahme aus, dass die Betaband-Oszillationen sowohl bei geistiger Aktivität und der nach außen gerichteten Aufmerksamkeit als auch beim sogenannten. Leerlaufmodus des motorischen Systems auftreten. Ihre genaue Rolle wurde aufgrund fehlender experimenteller Daten bis in die 1990er-­ Jahre nicht näher spezifiziert. Nach heutigem Kenntnisstand bleiben Betaband-Oszillationen bei Verhaltensreaktionen, die von exogenen, Bottom-­ up-­Faktoren determiniert werden, unverändert. Betaband-Oszillationen beteiligen sich erst (und werden erhöht) bei der aufmerksamkeitsgesteuerten Top-­down-­ Verarbeitung von neuen Inhalten und dienen der Aufrechterhaltung eines gerade ablaufenden motorischen, sensomotorischen oder kognitiven Prozesses im Sinne einer fokussierten oder selektiven Aufmerksamkeit. Die Betaband-­ Kopplungen tragen zum Schutz der aktuellen Verarbeitung vor den Auswirkungen neuartiger oder unerwarteter externer Ereignisse bei, die den Aufmerksamkeitsfokus auf sich ziehen könnten. Sie beeinträchtigen somit top-­down die neuronale Verarbeitung von neuen Bewegungen oder Gedankengängen und stabilisieren auf diese Weise die Informationsverarbeitung durch die Schaffung eines stationären „Ist-­Zustands“. Wird die aktuelle Verarbeitung gestört, nehmen die Betaband-Kopplungen wieder ab. Gleichzeitig zur Top-down-Überwachung des aktuellen Zustands werden durch die Beta-Oszillationen Rückkopplungssignale ausgewertet. Auf diese Weise wird eine Neukalibrierung des Ist-Zustands ermöglicht [70].

147 ADHS-relevante Rhythmen

13.4 

 unktionen der einzelnen F Frequenzbänder

In der obigen Beschreibung der einzelnen Frequenzbänder zeigt sich deutlich, dass die Zuweisung einer kognitiven Funktion zu einer bestimmten, fest definierten Oszillation und umgekehrt sich als schwierig erweist. Obwohl in den letzten Jahrzenten durch bildgebende Verfahren und metaanalytische Studien große Fortschritte erzielt wurden, ist unser Wissen über die neuronale Netzwerkarchitektur der Subkomponenten, die bei Aufmerksamkeits-, Exekutivfunktions-, Arbeitsgedächtnis- und Emotionsregulationsprozessen beteiligt sind, noch lückenhaft. Daher besteht noch keine einheitliche Theorie bezüglich der Bedeutung der verschiedenen Frequenzbereiche und deren physiologischer Herkunft [70]. Um die Bedeutung und das Zusammenspiel der einzelnen Frequenzbänder verstehen zu können, wurden drei verschiedene Hypothesen formuliert. 13.4.1 

 ie Distanz-, WachheitsD und Prädominanzhypothese

Die Distanzhypothese besagt, dass die Kommunikation zwischen weit verbreiteten Hirnregionen anhand niedrigerer Wellenoszillationen erfolgt, während sich bei der lokalen Kommunikation höhere Frequenzbänder beteiligen [71, 72]. So sind in den ersten Stufen auditiver oder visueller Verarbeitung lokale Synchronisationen im Gamma-Frequenzbereich (35–45 Hz) messbar. Durch diese gleichzeitige Aktivierung von Neuronenverbänden werden Attribute desselben Ereignisses gebunden und auf diese Weise eine kohärente Wahrnehmung gewährleistet [73]. Bei der semantischen Verarbeitung von Inhalten treten Oszillationen im Beta1-Bereich (12–18  Hz) auf, weil sich hierfür temporale und parietale Hirnregionen beteiligen (mittlere Entfernung).

13

Bei den Arbeitsgedächtnisprozessen oder den Exekutivfunktionen sorgen hingegen langsame Synchronisationsfrequenzen für die funktionale Integration, weil hierfür frontale und parietale Hirnregionen (große Entfernung) miteinander interagieren [74]. Die Wachheitshypothese geht davon aus, dass langsame Rhythmen (Delta und Theta) bei einem Zustand geringer Wachheit dominant sind, wie z.  B. bei Tiefschlaf oder Bewusstlosigkeit, weil hier keine räumlich lokalen und wenige räumlich globale Synchronisationen auftreten. Schnellere Rhythmen wie die Beta-Aktivität gehen hingegen mit erhöhter Wachsamkeit in thalamokortikalen System einher [75]. Die dritte ist die sogenannte Prädominanzhypothese, wonach innerhalb eines kortikothalamischen Moduls ein Frequenzband besonders dominant wird. Diese charakteristische Oszillation spiegelt die spezifischen, physiologischen Mechanismen innerhalb eines Moduls wider. So wurde nach einer transkraniellen Magnetstimulation je nach Hirnareal ein spezifisches Frequenzband besonders dominant: die Alpha-­ Oszillationen (8–12  Hz) im okzipitalen Bereich (Area 19), die Beta-­ Oszillationen (13–20  Hz) in den parietalen Regionen (Area 7) und die High-Beta/ Gamma-­Oszillationen (21–50  Hz) im frontalen Kortex (Area 6) [76]. 13.4.2 

Elektrophysiologische Abweichungen bei einer ADHS

Der Versuch, die Diagnose ADHS mittels quantitativen EEGs (qEEG) zu stellen, hat in der Vergangenheit viel Aufmerksamkeit bekommen. Jasper und Kollegen [77] beobachteten erstmals eine Verlangsamung der EEG-Rhythmen in den frontozentralen Hirnregionen bei „Kindern mit Verhaltensproblemen“ und vertraten auf dieser Grundlage die Auffassung, dass die Natur dieser

148

13

K. Sidiropoulos und B. Kilian

Störung nicht psychogen sei wie zu jener Zeit angenommen, sondern die Folge abweichender, dysfunktionaler Gehirnaktivität. Die aktuelle Studienlage zeigt, dass bei einer ADHS die Aktivierungsmuster in den allgemein am häufigsten untersuchten Frequenzbändern, dem Theta-, Alpha- und Beta-Frequenzband, in vielen Fällen von der Norm abweichen ([78], Übersichtsartikel, [79], Übersichtsartikel, [80], Übersichtsartikel). Es wurde mehrfach versucht, die einzelnen Frequenzbänder mit mentalen Zuständen in Verbindung zu bringen, welche mit dem Verhalten der Kinder zusammenhängen könnten. Dies gestaltet sich jedoch bis heute schwierig, da die genannten Beeinträchtigungsmuster nur auf manche Kinder mit ADHS zutreffen und die EEG-Profile dieser Kinder uneinheitlich sind. Jüngere Studien weisen darauf hin, dass die Theta-Aktivität nicht bei allen Personen mit einer ADHS erhöht ist (siehe [7], für einen ausführlichen Übersichtsartikel). Auch die Interpretation im Sinne eines elektrophysiologischen Markers für ein vermindertes kortikales Arousal oder einen neurologischen Entwicklungsrückstand wurde wiederholt infrage gestellt, da, wie oben dargelegt, die Thetaband-Power ereignisbezogen auch bei höheren kognitiven Prozessen und Lernen eine Rolle spielt ([11, 14], Übersichtsartikeln). Ereignisbezogen wird eine erhöhte Theta-Aktivität bei Personen mit einer ADHS, beispielsweise während einer Unterscheidungsaufgabe [81] oder einer Arbeitsgedächtnisaufgabe [82, 83], meist als Hinweis auf Kompensationsstrategien gedeutet. (Weitere Einzelheiten und Interpretationsversuche zur erhöhten Theta-Aktivität findet man im 7 Abschn. 15.7.2). Bezüglich des Alphabandes zeigen Studien an Personen mit einer ADHS ebenfalls ein uneinheitliches Bild, sowohl bei Kindern [78] als auch bei Erwachsenen [33]. Die Aktivität kann erhöht oder vermindert sein oder vergleichbar mit der Kontrollgruppe ([79], Übersichtsartikel, [80], Übersichtsartikel) (vgl. auch 7 Abschn. 15.7.3).  



Ähnlich wie beim Alphaband sind auch im Beta-­ Frequenzbandbereich die Ergebnisse bezüglich der ADHS nicht schlüssig. Bei einigen Kindern mit einer ADHS sind sowohl die Amplitude als auch die spektrale Power der Beta-Wellen im Vergleich zu Gleichaltrigen vermindert [84–87]. Auch die SMR-Aktivität ist häufig vermindert, und frühere Neurofeedbackansätze, die auch aktuell noch Anwendung finden, basieren auf dieser Beobachtung (siehe 7 Abschn.  15.7.2). Manche Personen mit einer ADHS zeigen hingegen einen erhöhten Beta-Wellenanteil, was wiederum die Frage nach neurophysiologisch unterschiedlichen Untergruppen aufwirft [84, 85]. Bezüglich der ERD oder ERS zeigt sich ein ähnlich uneinheitliches Bild wie beim Thetaband. Ein vergleichsweise niedrigerer IAPF-Wert wurde berichtet [88]. Teilweise zeigten sich auch Unterschiede in den Kohärenzen, intra- und interhemisphärisch. Während Kinder mit einer ADHS frontal eine verminderte Alpha-Kohärenz bei gleichzeitiger erhöhter Delta- und Theta-Kohärenz zeigten [89, 90], war bei Erwachsenen mit einer ADHS nur die frontal verminderte Alpha-­ Kohärenz signifikant [91]. Das Verhältnis von Theta- zu Betaband-­ Aktivität, das sogenannte Theta/Beta-­ Leistungsverhältnis (TBL) (engl. theta-beta ratio, TBR) wurde lange Zeit als möglicher elektrophysiologischer Marker für ADHS angesehen. Frühere Arbeiten berichten ein erhöhtes TBL bei vielen Kindern mit einer ADHS im Vergleich zur Kontrollgruppe [92–94]. Jüngere Studien weisen jedoch deutlich darauf hin, dass das TBL bei Menschen mit einer ADHS nicht einheitlich vorhanden ist und sich somit nicht als alleiniger diagnostischer Marker eignet, auch dann nicht, wenn die Stichproben gemäß ihrer unterschiedlichen Symptomausprägungen (früher „Subtypen“) unterteilt wurden ([95], Übersichtsartikel; [96], Übersichtsartikel; [7, 33], Übersichtsartikel; [79, 97], Übersichtsartikel). Dies mag teilweise auf unterschiedliche Mess- und Auswertungstechniken  

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zurückzuführen sein, z.  B. die Verwendung kleinen Stichproben berichten über eine geeinheitlicher vs. individualisierter Frequenz- ringere Power in diesem Frequenzbereich im bänder [88], oder auf eine Heterogenität Ruhezustand bei den klinischen Probanden innerhalb der Kontrollgruppen, was eine sowie eine weniger starke Verringerung beim Abschwächung des TBL zur Folge hätte [95]. Übergang vom Ruhezustand zur kognitiven Im Vergleich zu neurotypischen Probanden Aufgabe, sowohl bei Kindern [102] als auch zeigt sich eine erhöhte Theta- in Verbindung bei Erwachsenen [103]. Die Aktivität wurde mit einer verringerten Beta-Aktivität  – wie über der frontalen Mittellinie gemessen, durch eine höhere TBL angezeigt – auch bei parietal linkshemisphärisch sowie zentropanderen psychiatrischen Störungsbildern, arietal in beiden Hemisphären, und mit dem die mit kognitiver Dysfunktion einhergehen, DMN in Verbindung gebracht (vgl. auch wie beispielsweise Schizophrenie oder 7 Abschn. 10.3). Zwangsstörung [80]. Die TBL weist nach Um all diesen uneinheitlichen Beneuerer Erkenntnis also eine geringe Spezi- obachtungen Rechnung zu tragen, wird in fizität für ADHS auf. Auch könnte es auf- den letzten Jahren angenommen, dass sich grund der sich ständig wandelnden diagnos- hinter der Diagnose „ADHS“ unterschiedtischen Kriterien im Laufe der Jahre auch liche neurophysiologische Profile verbergen Unterschiede die Patientenstichproben be- [78], worauf wir weiter unten noch näher treffend geben. Neuere Studien replizierten eingehen werden. jedoch verlässliche Altersunterschiede im TBL [98, 99] (siehe auch 7 Abschn. 15.7.2). Auch bezüglich der Gammaband-­13.4.3  EEG-basierte Aktivität gibt es bei Kindern und ErUntergruppen bei wachsenen mit einer ADHS erste Unterneurotypischen Menschen suchungen. Die Ruhe-Gamma1-Leistung und bei einer ADHS (30–39  Hz), die mit kognitiven Prozessen höherer Ordnung (z.  B.  Aufmerksamkeit) 13.4.3.1  EEG-basierte assoziiert auftritt, ist bei ihnen im VerNormvarianten bei gleich zu gleichaltrigen neurotypischen Erwachsenen Probanden verringert. Die Verringerung ist überwiegend in den rechtshemisphärischen Bei den meisten erwachsenen Menschen zentroparietalen Regionen messbar. Eine sind im Ruhe-EEG bei geschlossenen verlässliche Aussage darüber zu machen, ob Augen die Leistung der Alpha-Oszillatiodiese Ergebnisse spezifisch für ADHS sind, nen (7–10 Hz) frontal, temporal und in den ist aktuell aufgrund der spärlichen Daten- sensomotorischen Regionen (C3, C4, Cz) lage über die neurotypische Entwicklung dominant. Da auch bei Öffnen der Augen der Gamma-­Leistung sehr schwierig [100, die Leistung der Alpha-Wellen in den fron101]. Möglich wäre es, dass die verringerte tozentralen Regionen noch stark ausgeprägt Ruhe-Gamma1-­Leistung mit einer der Dys- blieb, nahm man anfänglich an, dass es sich funktionen intrinsischer kortikaler Netz- bei diesen thalamusgenerierten Oszillationen werke zusammenhängt (Umschalten zwi- um Leerlaufrhythmen handelt [104]. In den schen DMN/DAN-VAN oder DAN-VAN), frontotemporalen und zentralen Gebieten die im Ruhezustand tätig werden (vgl. zeigen sich jedoch große interindividuelle Variabilitäten in den vorherrschenden 7 Abschn. 9.4 und 7 10.3). Zur Aktivität im sehr niedrigen Leistungsspektren der einzelnen FrequenzFrequenzbereich (engl. very low frequencies) bänder, weshalb angenommen wird, dass unter 1  Hz gibt es vergleichsweise wenige die Spontanaktivität dieser Gebiete keinen Studien. Zwei ADHS-Studien mit relativ prädiktiven Charakter besitzt. Da das Bild  







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parietookzipital etwas einheitlicher war, erfolgte die EEG-­Subtypisierung auf Basis der Aktivität dieser Regionen. Der Frequenzbereich im neurotypischen EEG dieser kortikalen Gebiete, der besonders hervorsticht, wurde als eine Art Grundrhythmus des Gehirns verstanden. Bei den meisten erwachsenen Menschen (etwa 50–85  % je nach Studie) ragen im Ruhezustand bei geschlossenen oder offenen Augen die Amplituden der Alphawellen (8–12  Hz) mit einer Spannung zwischen 10–50  μV in den parietookzipitalen Regionen (O1, O2 gelegentlich auch P3, P4) besonders heraus (Alpha-Typ). Eine intraindividuelle Schwankung der Alpha-­Aktivität um maximal 1  Hz ist ohne Krankheitswert. Auch Asymmetrien in der Alpha-Amplitude zwischen linker und rechter Ableitung, die kleiner als 50 % sind, haben keinen pathologischen Wert [105]. Eine Normvariante bei Erwachsenen stellt die starke Alpha-Dominanz in den posterioren Gebieten (z.  B.  Pz) aufgrund einer verlangsamten IAPF (